Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“: Kommentar und Interpretation 3851610903, 9783851610901

Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“ wurde trotz ihrer eminenten Bedeutung als der einzigen aus der Antik

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German Pages 688 [689] Year 2013

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I 1 Der historische und literarhistorische Kontext
I 2 Die literarische Form der Schrift
I 3 Lukian und die antiken geschichtsmethodologischen Diskurse
I 4 Die Namensproblematik in den literarkritischen Schriften Lukians
Kommentar
Literaturverzeichnis
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Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“: Kommentar und Interpretation
 3851610903, 9783851610901

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Phoibos Humanities Series Vol. 1

PHOIBOS HUMANITIES SERIES

Vol. 1

Phoibos Verlag, Wien 2013

Robert Porod

Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“ Kommentar und Interpretation

Phoibos Verlag, Wien 2013

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de.

Copyright # 2013, Phoibos Verlag, Wien. All rights reserved www.phoibos.at; offi[email protected] Printed in Austria Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3- 85161- 090-1 E-Book-Ausgabe (PDF): ISBN 978-3- 85161- 091-8 | DOI: http://dx.doi.org/10.7337/9783851610918 ISSN 2307- 8472

Inhaltsverzeichnis I 1

Der historische und literarhistorische Kontext

I 1. 1 I 1. 2 I 1. 3 I 1. 4

I 2







9

Lukians Biographie Der Partherkrieg und Lukians Methodenschrift Die Datierungsfrage Lukians Schrift im Kontext der zeitgenössischen Historiographie







9 14 18 19

Die literarische Form der Schrift







26





26 28 39





50 58 66 67 81 87 91 92 96 107 118 124 124

I 3

Lukian und die antiken geschichtsmethodologischen Diskurse



128

I 3. 1 I 3. 2 I 3. 3 I 3. 4 I 3. 5 I 3. 6 I 3. 7 I 3. 8 I 3. 9

Die Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw Argumente gegen die Existenz einer Theorie der tragischen Geschichtsschreibung Anschaulichkeit und Pathos als ein antiisokrateisches Konzept Die mit Anschaulichkeit und Pathos eng verbundenen Gefahren Das pragmatische Geschichtskonzept des Lukian und des Polybios Lukian und der Stil im Geschichtswerk Von Lukian selbst vorgenommene Adaptationen Weitere Schriften per‹ flstor€aw und deren Relevanz für Lukian Dionysios von Halikarnaß und Lukian: Zwei miteinander unvereinbare Konzepte



128 133 153 160 167 168 170 177 180

I 4

Die Namensproblematik in den literarkritischen Schriften Lukians



188

I 4. 1 I 4. 2

Die kritisierten Historiker – Fiktion oder Realität? Die Identitätsproblematik in anderen literarkritischen Schriften Lukians



188 196









I 2. 1 I 2. 2 I 2. 3 I 2. 4

Forschungsstand und Themenstellung Lukians Verwendung der Briefform Isokrates und der paränetische Brief Die Paränese bei Lukian und in der kaiserzeitlichen Literatur: Dion Chrysostomos und Musonius Rufus I 2. 5 Das lukianische Konzept von Nutzen durch Spott I 2. 6 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema I 2. 7 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema: Ps. Longinos und Lukian I 2. 8 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema: Horaz und Lukian I 2. 9 Lukian in der Maske des Diogenes von Sinope I 2. 10 Lukians Methodenschrift: Aufbau und Gedankenführung Der erste Teil der Schrift (Kap. 1–13) Der zweite Teil der Schrift (Kap. 14–32) Der dritte Teil der Schrift (Überleitung: Kap. 33, Hauptteil: Kap. 34–60) Das Verhältnis der einzelnen Schriftteile zueinander Der Epilog der Schrift (Kap. 61–63) Athletenvergleiche und Paradigma Alexander





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II

Lukians Schrift und die Qualifikation des Historikers zur Geschichtsschreibung











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II 1 Die wissenschaftliche Arbeitsweise des Historikers Die Recherche des Historikers Das epistemologische Problem historischer Wahrheitsfindung Lukians Spiel mit historiographisch–rhetorischen Konventionen Conclusio II 2 Das intellektuelle Profil des Historikers Lukians innovatives Konzept der sÊnesiw politikÆ Intellekt (sÊnesiw) oder Erfahrung (§mpeir€a)? II 3 Das Ethos des Historikers 1 a) Die Freiheit (§leuyer€a) des Historikers von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) 1 b) = Metaebene zu 1 a: Die Freiheit (§leuyer€a) des Kynikers von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) 2 a) Die Freimütigkeit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia ) des Historikers 2 b) = Metaebene zu 2 a: Die Unverblümtheit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia) des Kynikers 3 a) Die staatsbürgerliche Ungebundenheit des Historikers (êpoliw) 3 b) = Metaebene zu 3 a: Die staatsbürgerliche Ungebundenheit des Kynikers (êpoliw, kosmopol€thw)

209 210 216 225 228 230 231 236 239 240 243 246

Kommentar

250 251 254



















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Literaturverzeichnis

















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Vorwort Lukians Schrift „Wie man Geschichte schreiben soll“ kommt als der einzigen aus der Antike erhaltenen Abhandlung zu den Verfahren historiographischer Recherche und Darstellung ein besonderer Stellenwert zu. Trotz ihrer eminenten literarhistorischen Bedeutung wurde sie seit dem Kommentar von Hermann aus dem Jahr 1828 im Laufe des 20. Jahrhunderts nur ein einziges Mal detaillierter kommentiert, durch Homeyer 1965. Die methodologischen Prinzipien wurden in dem auf Quellenfragen fokussierten und in dieser Hinsicht wertvollen Buch von Avenarius 1956 vor dem Hintergrund der historiographischen Methodologie der Antike systematisiert und dargestellt. Trotz dieser beiden Arbeiten sind eine Reihe von Fragen jedoch als noch nicht geklärt zu betrachten, allen voran die nach der literarischen Form von Lukians Schrift sowie die nach der Provenienz des Lukian zugänglichen historiographischen Materials und des verwendeten begrifflichen Instrumentariums, sowie auch eine Bestimmung des Unterschiedes zwischen allgemein rhetorischen und spezifisch historiographischen Postulaten. Darüber hinaus hat der Umstand, daß Lukian im Rahmen der Beschäftigung mit der Zweiten Sophistik in letzter Zeit zu einem häufig in der Forschung behandelten Thema geworden ist, einen Zuwachs an neuen Perspektiven erbracht. Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Teilen, einer Einleitung zur literarischen Form, zur antiken historiographischen Methodologie, zu Fiktion oder Realität der im zweiten Teil der Schrift kritisierten Autoren sowie zum Qualifikationsprofil des Historikers, wie es in der Antike bestimmt wurde. Es folgt ein kapitelweise die Schrift Lukians abschreitender Kommentar. Dieser berücksichtigt literarhistorische Zusammenhänge und im besonderen den lukianischen Kontext, ebenso wie die antiken Diskurse zur historiographischen Methodologie. Mehrere der in verschiedenen der behandelten Bereiche führenden Forscher haben schon längere Zeit vor Abschluß der Arbeit den Kommentar und Teile der Einleitung gelesen, Graham Anderson, Ewen Bowie, Matthew D. MacLeod, John Marincola, Heinz–Günther Nesselrath und Peter von Möllendorff. Deren Anerkennung und deren Hinweisen und wertvollen Anregungen habe ich es zu verdanken, daß ich das Projekt zum Abschluß bringen konnte. Für viele ergiebige Gespräche danke ich Maria Pretzler (Swansea), für stets waches Interesse und zuvorkommende Hilfe in bibliographischen Belangen Waltraut Desch (Graz), für große Freiräume zur Arbeit den Mitgliedern des Zentrums Antike (Universität Graz).

Graz, im April 2013



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I 1 Der historische und literarhistorische Kontext I 1. 1 Lukians Biographie Zu Beginn der Einleitung mag es nützlich erscheinen, das über die Person und das Leben Lukians Bekannte in knapper Form darzustellen. Aus methodischer Sicht ist dies allerdings nicht ganz problemlos, da bei dem nahezu vollständigen Fehlen von Quellen – in die Sophistenbiographien des Philostratos ist Lukian bekanntlich nicht aufgenommen – fast alles, was sich dazu ermitteln läßt, aus Äußerungen des Autors Lukian, d. h. des Autors sowie des Autor-Ichs, selbst sowie den jeweiligen Masken, in denen der Autor in unterschiedlichen Kontexten erscheint, entnommen werden muß. Es liegt auf der Hand, daß unter diesen Umständen nur ein begrenztes Maß an „biographischen Informationen“ zu gewinnen ist, vor allem auch deshalb, weil die vereinzelten Hinweise, die Lukian auf seine eigene Person gibt, nicht immer fugenlos miteinander in Einklang zu bringen sind. Dennoch wird hier der Versuch einer Rekonstruktion unternommen, natürlich unter gewissen Vorbehalten, wie sie sich aus der quantitativen und qualitativen Begrenztheit des zur Verfügung stehenden Materials von selbst ergeben. Unter diesen Umständen ist eine ausgewogene Mitte zu suchen zwischen allzu großem Vertrauen in die Gewinnung von verläßlichen „Daten“ einerseits und einer allzu großen Skepsis andererseits. Die Heimat Lukians ist, wie er in seiner Methodenschrift selbst angibt, das am Westufer des mittleren Euphrat gelegene Samosata (tØn §mØn patr€da tå SamÒsata). Samosata war einst die Hauptstadt des kleinen, im 3. Jh. v. Chr. begründeten Königreichs Kommagene gewesen, welches im Jahre 72 n. Chr. als der östliche Bereich der Provinz Syria an das imperium Romanum angeschlossen wurde. Der letzte König Antiochos IV. wurde durch Caesennius Paetus entfernt. Hier war auch die römische Legio XVI Flavia firma stationiert. Diese Region lag im Schnittpunkt verschiedener Kulturen, der aramäisch-syrischen und der griechischen. Die regionale Bevölkerung war, wie es scheint, zu einem großen Teil semitisch und ihre Sprache  Swain 1998, bes. 311–312 betrachtet Lukian mit zumindest gewissem Recht „as something of an outsider in the Greek world“ (312). Und da er auch durch seine Herkunft nicht zur Elite in Samosata gehört habe, so sei es natürlich, daß er zur Annahme einer römischen Identität tendiert habe (314). Swain ist sich freilich der Komplexität von Lukians Situation, die sich kaum auf eine einfache Formel bringen läßt, durchaus bewußt.  Wenn „der Autor“ (d. h. der Erzähler) als in der Ich-Form sich mitteilend erscheint, spreche ich stets vom „Autor-Ich“. Das sich in der Regel einer Faßbarkeit entziehende „Ich“ bei Lukian findet gerade in den letzten Jahrzehnten verstärktes Interesse, vgl. Saïd 1993 und die bei Whitmarsh 2005, 82, Anm. 34 verzeichnete Literatur.  Hall 1981, 1–63 zeigt kritisch die mit früheren Versuchen einer Gewinnung von biographischen Daten und von Kriterien für die Datierung einzelner Schriften verbundenen methodischen Probleme auf. Um eine kleine Nuance etwas zu skeptisch gegenüber jeder Möglichkeit, eine Art von Lebensweg zu erschließen, ist von Möllendorff 2006, 280, und mehr trifft dies auf Baldwin 1973 a 18 zu, der sich in dieser Sache kompromißlos äußert.  Luk. Hist. Conscr. 24.  Die legio XVI Flavia wurde durch Vespasian ausgehoben, unter Trajan nach Syrien verlegt und durch Hadrian dem syrischen Heer zugewiesen und in Samosata, das zuvor Trajan im Jahr 114 n. Chr. kampflos in seine Gewalt bekommen hatte, stationiert; vgl. dazu Ritterling 1924, Sp. 1765–1767.  Zum semitischen Kontext Swain 1998, 298–308, zu Lukian 299: „It is very likely that Lucian’s family was of the indigenous population“. Seine kulturell–religiöse Identität ist somit in einer Hinsicht jedenfalls semitisch, mit der Einschränkung: „as Semitic as centuries of overlaid Greek culture allowed“ (314).



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aramäisch. Lukian nennt sich selbst auch in den nichtdialogischen Schriften, ohne eine Maske zu gebrauchen, einen Syrer und Assyrer, und dieser Umstand ruft sogleich die Frage nach seiner Muttersprache wach. Der einzige Hinweis zur Beantwortung dieser Frage entstammt jedoch einem Dialog, in dem Lukian bloß in der Maske des Syrers auftritt. Die Personifikation der Rhetorik wirft hier „dem Syrer“ seine Undankbarkeit dafür vor, daß sie ihm, der zu dieser Zeit noch eine barbarische Sprache (bãrbaron ¶ti tØn fvnØn) gesprochen habe, die Segnungen der Bildung (paide€a) zuteil habe werden lassen. Trotz der von dem Autor angelegten Maske dürfte diese Stelle einen autobiographischen Aussagewert haben. Der Kontext legt es ferner nahe, daß damit zugleich auch ausgesagt werden soll, Lukians Muttersprache sei nicht Griechisch gewesen, sondern Aramäisch10. Dieselbe Stelle vermittelt auch weitere Aussagen über Lukians erste rhetorische Ausbildung, denn die Personifikation der Rhetorik fährt damit fort, die ersten diesbezüglichen Schritte des Syrers zu nennen; als dieser sich noch planlos in Ionien herumgetrieben habe, da habe sie ihn unter ihre Fittiche genommen und habe ihn seinem Wunsch entsprechend nach Italien mit sich genommen und habe ihm schließlich in Gallien zu Wohlstand verholfen11. Geboren wurde Lukian mutmaßlich im Zeitraum von 115–125 n. Chr.12. Die erste Ausbildung zum sophistischen Redner erhielt er demnach in Ionien, dem damaligen Zentrum der griechischen Bildung nach Ausweis des Philostratos13, in dem nachweislich auch aus Syrien gebürtige Sophisten ihre Tätigkeit entfalteten. So bezeichnet Philostratos sowohl den Isaios als auch Dardanos, den ersten Lehrer des Antiochos von Aigai, als einen Assyrier14, und unter der zahlreichen Schülerschar des Skopelianos von Klazomenai nennt er u. a. auch Kappadokier, Assyrier, Ägypter und Phöniker15. Daß Lukian sich in Italien aufgehalten hat, bezeugen mehrere  Luk. Ind. 19 (ka‹ mØn ˜sa ge kém¢ SÊron ˆnta efid°nai, auch der ungebildete Büchersammler ist ein Syrer). Maske des Syrers in dialogischer Darstellung in Bis Acc. 14, 25–34 und Pisc. 19.  Syr. D. 1 (grãfv d¢ ÉAssÊriow  Ãn). Bis Acc. 27 (Sprecherin die Personifikation der Rhetorik: mononoux‹ kãndun §ndedukÒta efiw tÚn ÉAssÊrion trÒpon).  Luk. Bis Acc. 27 (Sprecherin ist die Personifikation der Rhetorik: ... touton‹ ... bãrbaron ¶ti tØn fvnØn ... §pa€deusa). Vgl. Pisc. 19. Viel später (etwa um 164 n. Chr.) wird Lukian, nunmehr zu Bekanntheit und Ansehen gelangt, bei einer Rückkehr in die Heimat Samosata in dem vor Landsleuten vorgetragenen Somnium diese seine Lebensentscheidung verklären durch eine formale und motivische Annäherung an die berühmte, bei Xenophon (Mem. II 1, 21–34) überlieferte Fabel des Prodikos von Herakles am Scheidewege (dabei wird er die moralische Botschaft in eine intellektuelle umwandeln, vgl. Macleod 1991, 249). 10 Dies halten für möglich Jones 1986, 7 und Nesselrath, in: FILOCEUDEIS H APISTVN 2001, 12; davon gehen aus Macleod 1991, 1 und Baumbach 2000, 74; anders Braun 1994, 236 und Swain 1998, 307 (so auch Swain 2007, 34): „There is absolutely no proof that Aramaic was his first language“; und Baldwin 1973 a 15 geht davon wie von einer Gegebenheit aus. 11 Luk. Bis Acc. 27 (Sprecherin ist die Personifikation der Rhetorik: ... touton‹ ... per‹ tØn ÉIvn€an eÍroËsa plazÒmenon ¶ti ka‹ ˜ ti xrÆsaito •aut“ oÈk efidÒta paralaboËsa §pa€deusa. Sie zählt all ihre Wohltaten auf und fügt hinzu: ka‹ tå m¢n §p‹ t∞w ÑEllãdow ka‹ t∞w ÉIvn€aw m°tria, efiw d¢ tØn ÉItal€an épodhm∞sai yelÆsanti aÈt“ tÚn ÉIÒnion sundi°pleusa ka‹ tå teleuta›a m°xri t∞w Keltik∞w sunapãrasa eÈpore›syai §po€hsa). 12 Jones 1986, 8, Swain 1998, 298; etwas anders Macleod 1991, 1 (zwischen 120 und 125 n. Chr.). Hall 1981, 14– 16, bes. 16 setzt die Geburt um das Jahr 125 n. Chr. an, doch dieser Ansatz stützt sich auf eine (anfechtbare) Datierung des Bis accusatus in das Jahr 165 n. Chr. 13 Philostr. VS I 21, 516 (pãshw går t∞w ÉIvn€aw oÂon mouse€ou pepolism°nhw értivtãthn §p°xei tãjin ≤ SmÊrna). Primäre und sekundäre Belege dazu bei Braun 1994, 239–240. 14 Philostr. VS I 20, 512 und II 4, 568. 15 Philostr. VS I 21, 518.

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seiner Schriften. Er gibt an, das von ihm beschriebene Gemälde des Aetion in Rom mit eigenen Augen gesehen zu haben16, desgleichen sich am Eridanos (dem Po) aufgehalten zu haben17, und er hat Kenntnis von der Stadt Rom18. Noch besser läßt sich Lukians Aufenthalt in Gallien und sein dortiger Erfolg nachvollziehen, denn in der späten Apologia 19 äußert er sich darüber aus der Retrospektive, und dies nicht ohne spürbaren Stolz. Sabinus, der Adressat der Schrift, habe einst vor langer Zeit das Keltenland am westlichen Okeanos besucht; dabei habe dieser selbst erfahren, wie Lukian aufgrund seiner Rhetorik (§p‹ =htorikª) eine sehr große Besoldung empfangen habe (dhmos€&20 meg€staw misyoforåw §negkãmenon) und zu den Großverdienern unter den Sophisten gezählt habe (§n°tuxew ≤m›n to›w megalom€syoiw t«n sofist«n §nariymoum°noiw). Auch hielt Lukian sich, wovon im Bis accusatus jedoch nicht die Rede ist, zudem in Makedonien auf, wo er sich nicht ohne recht raffinierte Schmeichelei um die Gunst zweier hochgestellter Persönlichkeiten (Vater und Sohn) bewarb, und zwar in noch jüngerem Alter, wie der Vergleich seiner Situation mit der des Anacharsis und der des Telemachos im Palast des Menelaos nahelegt21. Hier in Makedonien ist die prolalia Herodotos zu verorten, wo er, wie er erklärt, vor der besten Stadt (pÒliw ≤ ér€sth) und einem außerordentlich exklusiven Publikum (=htÒrvn te ka‹ suggraf°vn ka‹ sofist«n ofl dokim≈tatoi) einen Vortrag hielt, ähnlich dem Herodots vor der Festversammlung in Olympia22. Auch hier dürfte Lukian also zu Ansehen gelangt sein, und sein Stolz darüber kommt in dieser Schrift deutlich zum Ausdruck. In einer Stelle im Bis accusatus spricht der Syrer (Maske für Lukian) von seiner Abkehr von der Rhetorik im Alter von etwa 40 Jahren, und er versteht darunter sowohl die Gerichtsrhetorik23 als auch sophistische Vortragspraxis, d. h. Anklage- und Lobreden24; nunmehr habe er sich dem Dialogos in der Ruhe und beschaulichen Abgeschiedenheit von Akademie und Lykeion zuwenden wollen.

16 Luk. Herod. 5 (¶stin ≤ efik∆n §n ÉItal€&, kég∆ e‰don Àste ka‹ so‹ ín efipe›n ¶xoimi). 17 Luk. Electr. passim, bes. 2 (∏kon ... §w tå xvr€a §ke›na). 18 Luk. Merc. Cond. bes. 26 (... ênanta pollå ka‹ kãtanta – toiaÊth gãr, …w o‰sya, ≤ pÒliw ...). 19 Luk. Apol. 15. 20 Kilburn 1968, 211 übersetzt „for the public practice of rhetoric“, faßt also, wie es scheint, dhmos€& als ein Adjektiv zu =htorikª auf. Nesselrath (FILOCEUDEIS H APISTVN 2001) 13, Anm. 6 übersetzt es als ein Adverb („von Staatswegen“) und vermutet (13), daß Lukian „zeitweilig vielleicht sogar öffentliche Funktionen bekleidete“. Der Kontext spricht eher für diese Textauffassung, doch mit Braun 1994, 255 daraus bereits zu schließen, er habe „einen gut bezahlten Lehrstuhl für Rhetorik innegehabt“, legt wohl etwas zu viel in den Text hinein. Wahrscheinlich bedeuten die Worte, daß Lukian auf eine nicht genauer bestimmbare Anstellung hinweist, also wohl ein regelmäßiges Gehalt in beträchtlicher Höhe bezog. Jones 1986, 12 spricht vorsichtig von „a very large public payment for oratory“. 21 Luk. Scyth 9–11. 22 Luk. Herod. 7–8. 23 Das stimmt überein mit dem Eintrag bei Suid. s. v. LoukianÒw, SamosateÊw, Adler III 283, Z. 5–6: ∑n d¢ otow topr‹n dikhgÒrow §n ÉAntioxe€& t∞w Sur€aw. Und da er damit keinen Erfolg erzielt habe, habe er sich später dem logografe›n zugewandt. Hall 1981, 17 hält die Angabe über Ausübung des Advokatenberufs für die zuverlässigste Angabe im Suda-Artikel. 24 Luk. Bis Acc. 32 (die Gerichtsreden: yorÊbvn m¢n §ke€nvn ka‹ dik«n éphllãxyai ka‹ toÁw êndraw toÁw dikaståw étreme›n §çn, die epideiktischen Reden: turãnnvn kathgor€aw ka‹ érist°vn §pa€nouw). Vgl. Pisc. 25 (Diogenes von Sinope über Lukian in der Maske des Parrhesiades: épolip∆n tå dikastÆria ka‹ tåw §n §ke€noiw eÈdokimÆseiw).

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Frühere Erklärer hatten darin eine Konversion zur Philosophie erblicken wollen25, doch bedeutet diese Aussage eher eine gewünschte Abwendung von dem mittlerweile als öde empfundenen rhetorischen Betrieb26. Es wäre aber voreilig, daraus schon ableiten zu wollen, daß Lukian sich nicht bloß von der Gerichtsrede, sondern auch vollständig und dauerhaft von dem rhetorischen Betrieb zurückgezogen hätte. Eher ist anzunehmen, daß er in seinen reiferen Jahren die Defizite der konventionellen sophistischen Redepraxis durchschaut und sich davon distanziert hat. Jedenfalls zeigt seine Hinwendung zum komischen Dialog, daß er nach Neuem suchte, auch wenn er wohl weiterhin immer noch ein Vortragsredner blieb, in geringerer Frequenz sicherlich und auch mit zeitweiligen Unterbrechungen27. Für die 160er Jahre können erstmals approximative Datierungen vorgenommen werden, da Lukian sich in dieser Zeit mit aktuellen, mit heutigem Quellenstand dokumentierbaren Ereignissen auseinandersetzt. Im Zeitraum von 161-162 n. Chr. (in der Anfangsphase des Partherkrieges) finden wir Lukian wiederum in den Ostregionen des imperium Romanum. Wegen der drohenden Kriegsgefahr brachte er, wie es scheint, seinen Vater und seine Familienangehörigen nach Amastris28 und begab sich selbst in das etwa hundert Kilometer davon entfernte Abonuteichos (heute Ineboli) in Paphlagonien am Schwarzen Meer, wo er ein unerfreuliches, sein Leben, wie er berichtet, in Gefahr bringendes Zusammentreffen mit dem Scharlatan Alexandros hatte29. Dabei wurde er von einer aus zwei Soldaten bestehenden Eskorte begleitet, welche ihm der mit ihm befreundete Statthalter Kappadokiens zur Verfügung gestellt hatte30. Den hochgestellten, aber in religiösen Belangen leichtgläubigen Römer P. Mummius Sisenna Rutilianus – dieser hatte den gesamten cursus honorum durchlaufen31 – hatte er zuvor noch vor den betrügerischen Aktivitäten des Alexandros von Abonuteichos und vor einer Ehe mit dessen Tochter gewarnt32.

25 So noch Korus 1986 a, 98, der von einer „Wende“ im Leben Lukians spricht (um das Jahr 160 herum habe Lukian im Alter von 40 Jahren damit begonnen, „in gründlichen Studien seine Kenntnisse der Philosophie zu vertiefen“). 26 So zu Recht Braun 1994, 301–306, bes. 305 mit reichen Belegen aus der älteren Literatur, und so auch Hall 1981, 36–38. 27 In diesem Sinne trifft es wohl kaum zu, daß er, wie Jones 1986, 14 meint, seine Karriere als Rhetor ganz zugunsten von Literatur und komischem Dialog aufgegeben hat. Gleichfalls etwas zu schematisch erscheint auch die Einteilung von Lukians Gesamtwerk in 2 Perioden und 3 Phasen durch Korus 1986 a. Macleod 1991, 3–4 konzediert zu Recht allenfalls „a very short–lived flirtation with philosophy proper“, doch gelte: „he never really stopped being a sophist“. 28 Luk. Alex. 56 (tÚn pat°ra ka‹ toÁw §moÁw efiw ÖAmastrin proekpepomf≈w). Über Lukians Familie wird nur sehr wenig mitgeteilt; es erscheint unsicher, ob man unter dem in Eun. 13 (Sprecher ist Lykinos) genannten Sohn Lukians Sohn verstehen darf. 29 Luk. Alex. 55–56. Zur Datierung Flinterman 1997, bes. 282 (terminus post quem ist der Spätsommer des Jahres 161 n. Chr.). Die ältere Ansicht, derzufolge Lukian sich im Jahre 165 n. Chr. in Abonuteichos aufhielt, noch bei Victor 1997, 19 und 168. 30 Luk. Alex. 55. Zur Person des Statthalters vgl. Flinterman 1997, 282 (möglicherweise „an official unknown to us, who held the fort in expectation of Severianus’ successor“); Victor 1997, 168 sieht in ihm M. Statius Priscus Licinius Italicus, den Nachfolger des Severianus, doch dies ist wohl etwas zu spät datiert. 31 Zur Person Victor 1997, 7, Anm. 32. 32 Luk. Alex. bes. 30 und 54; 57 zeigt jedoch die Grenzen des Einflusses, den Lukian auf Rutilianus hatte.

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In den Jahren 163-164 n. Chr. finden wir Lukian im syrischen Antiocheia, am Hof des Lucius Verus, dessen Gunst er zu erwerben suchte, zunächst durch die Schrift De saltatione, sodann durch das Dialogenkomion Imagines und Pro imaginibus, mit einer Reverenz gegenüber der Pantheia, der Mätresse des Lucius Verus. Im Jahr 165 n. Chr. wohnte er in Olympia bei seiner nunmehr bereits vierten Anwesenheit bei olympischen Spielen33 der Selbstverbrennung des Peregrinos Proteus bei, mit dem er zuvor bereits einmal eine Bekanntschaft gemacht hatte, nämlich bei einer Schiffsüberfahrt von der Troas in das griechische Mutterland34. Danach hielt er sich für längere Zeit in Athen auf, wo er über einen langen Zeitraum hinweg Umgang mit Demonax35 hatte, dem von ihm als idealtypisch stilisierten Philosophen, dem er in einer eigenen Schrift ein ehrendes Denkmal setzte36. Spät nahm Lukian schließlich eine Stelle in der römischen Provinzialverwaltung Ägyptens ein, doch kann die damit übernommene Position nicht mit Sicherheit bestimmt werden; die größte Wahrscheinlichkeit hat das Amt des efisagvgeÊw für sich37. In der Apologia verteidigt er sich gegen den Vorwurf, seinen eigenen, in der sowohl durch mündlichen Vortrag als auch durch die Publikation sehr erfolgreichen38 Schrift De mercede conductis geäußerten Prinzipien mit seiner Übernahme des Amtes untreu geworden zu sein. Jedenfalls kehrte Lukian in seinen hohen Jahren wieder zur sophistischen Vortragstätigkeit zurück, wie dies die prolaliai Bacchus und Hercules bezeugen, in denen er sich selbst als einen bereits alten Mann stilisiert39. Irgendwann in den späten 180er oder auch erst in den 190er Jahren dürfte er gestorben sein40. Das einzige nicht von Lukian selbst stammende Zeugnis eines Zeitgenossen über Lukian ist eine Stelle im Kommentar des Galenos zum zweiten Buch der hippokratischen Epidemien (II 6, 29). Diese Stelle ist mitsamt dem umgebenden Passus nur in einer arabischen Übersetzung aus dem 9. Jh. n. Chr. erhalten41. Lukian habe, so die Aussage, ein Buch auf den Namen Heraklits gefälscht 33 Luk. Peregr. 35 (tetrãkiw ≥dh ır«n), vgl. Pseudol. 5–7 (setzt eine Anwesenheit in Olympia voraus). 34 Luk. Peregr. 43. 35 Luk. Demon. 1 (... t“ Dhm≈nakti ka‹ §p‹ mÆkiston sunegenÒmhn). 36 Schirren 2005, 150–156 ist repräsentativ für häufige Versuche in letzter Zeit, den Bios des Demonax als fingiert zu erklären. Schirren meint, im Porträt des Demonax Widersprüche erkennen zu können, und daraus leitet er ab, daß der Lebensbericht „fingiert“ sei. Doch dagegen muß festgehalten werden, daß moderne und antike Auffassungen von Widersprüchlichkeit nicht unbedingt identisch zu sein brauchen. Eher scheint es so zu sein, daß Lukian im Demonax unterschiedliche und aus seiner Sicht miteinander vereinbare Aspekte von Demonax’ Persönlichkeit und Verhalten zum Ausdruck zu bringen bestrebt ist. 37 Drei Thesen wurden zu der Art dieses Amtes geäußert: a) bis in das 17. Jh. zurück geht die Identifizierung des Amtsinhabers als eines Ípomnhmatogrãfow (so vorerst noch Jones 1972, 486, Anm. 58, später von Jones 1986, 21, Anm. 80 widerrufen), b) eine Zeitlang höchst einflußreich war die Ansicht von Pflaum 1959, daß es sich um den archistator praefecti Aegypti handle, so u. a. Bowersock 1969, 114–115, Anm. 6; c) die zuerst von P. Meyer, P. Hamb. I 18 geäußerte und sodann durch Box 1935 unterstützte Ansicht, daß das Amt des efisagvgeÊw gemeint sei, wird in neuerer Zeit gut dokumentiert und insgesamt überzeugend von vander Leest 1985 vertreten, gefolgt von Jones 1986, 21 mit Anm. 80 und Swain 1998, 322, Anm. 81, vgl. zu diesem Amt Daris 1983, 127. Der von Schwartz 1965, 12–13 vertretene Frühansatz für die Amtsübernahme in die 170er Jahre (zwischen 170 und 175 n. Chr.) fand jedoch keine Nachfolger, vgl. Bowersock 1969, 114–115, Anm. 6, Jones 1972, 487, Anm. 59, Jones 1986, 21, Anm. 81, Swain 1998, 321, Anm. 80. 38 Luk. Apol. 3. 39 Luk. Bacch. bes. 7–8 und Herc. 7–8. 40 Luk. Alex. 48 liefert für das Todesjahr Lukians den terminus post quem. In jedem Fall hat Lukian also Marc Aurel überlebt. 41 Darauf weist Strohmaier 1976 in einer wichtigen Arbeit hin.

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und mit all dem darin enthaltenen Nonsens nicht nur einen renommierten Philosophen, sondern auch einige Grammatiker hinters Licht geführt und so vor der Öffentlichkeit ziemlich blamiert. Strohmaier konnte wahrscheinlich machen, daß unter dem hier genannten Lukian in der Tat Lukian von Samosata zu verstehen ist. Jedenfalls gibt es keine chronologischen Bedenken gegen diese Identifizierung. Denn die späteste Abfassungszeit für das zweite Buch des Epidemienkommentars ist das Jahr 180 n. Chr., und dieser terminus ante quem liegt auf alle Fälle vor Lukians Todesdatum. Auch ist in diesem Kontext an die auf die sehr große Leichtgläubigkeit der Masse berechneten Lügengeschichten zu erinnern, die Lukian (im Text das Autor-Ich), wie er selbst ausmalt, im Anschluß an die Selbstverbrennung des Peregrinos ausgestreut habe42. Es ist daher als höchst wahrscheinlich zu erachten, daß wir mit diesem Text tatsächlich ein singuläres und authentisches Dokument für Lukian vor uns haben, welches das Bild, das aus seinen Schriften über seine Persönlichkeit entsteht, zu ergänzen vermag. I 1. 2 Der Partherkrieg und Lukians Methodenschrift Der von all den Lukians Darstellung zufolge mangelhaften Autoren beschriebene Partherkrieg der Jahre 161–166 n. Chr.43, die einzige militärische Auseinandersetzung zwischen Rom und Parthien im Zeitraum von 117–192 n. Chr.44, wurde im Jahr 161 n. Chr. vom parthischen Großkönig Vologaeses III.45, der die Herrschaft seit 148 n. Chr. innehatte46, unter Ausnutzung der bereits im Vorfeld und schließlich durch den Tod des Antoninus Pius am 7. 3. 161 n. Chr. entstandenen Regierungsschwäche des römischen Reiches zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt eröffnet47. Armenien, in das Antoninus Pius bereits in den frühen 140er Jahren durch Inthronisierung eines Königs seiner Wahl eingegriffen hatte48, wurde nun durch Einsetzung des Arsakiden Pacorus wiederum unter parthische Kontrolle gebracht. Die Römer hatten in der sodann folgenden militärischen Auseinandersetzung anfänglich durchaus Mißerfolge hinzunehmen. Der über Armenien Aufsicht führende und wahrscheinlich noch im Spätsommer/ Frühherbst 161 n. Chr. aktiv gewordene kappadokische Legat M. Sedatius Severianus beging, von dem parthischen Feldherrn Osroes bzw. Chosroes49 bei Elegeia eingeschlossen, Selbstmord, sein Heer wurde vernichtend geschlagen50. Spätestens als Vologaeses auch den Ostteil der römischen Provinz Syrien zu annektieren drohte, sah Rom sich zu entschlossenem Eingreifen gezwungen. Mit dem Oberkommando wurde Lucius Verus betraut, der im Sommer 162 n. Chr. aus Rom

42 Luk. Peregr. 39. 43 Übersichtliche Darstellung mit primären und sekundären Quellen bei Strobel 1994, 1317 -1324, vgl. auch Birley 1968, bes. 254–268, Birley 1979, 478–480, Kerler 1970, 49–55, Debevoise 1938, 246–254, Magie 1950, 660–662, Ziegler 1964, 113–115 und Günther 1922, 113–120; zur Numismatik Dodd 1911. 44 Zuletzt hatte Trajan einen Partherkrieg geführt (3 Feldzüge in den Jahren 114, 115, 116), Standardwerk ist Lepper 1948, neuere Darstellungen bei Lightfoot 1990, bes. 115–121 und Bennett 1997, 183–204. 45 Die Primärquellen verzeichnet Karras–Klaproth 1988, 202–205. 46 Debevoise 1938, 244, vgl. auch 270 die parthische Königsliste. 47 Rom traf die Kriegserklärung des Vologaeses III. unvorbereitet, dazu Schehl 1930, 186. 48 Asdourian 1911, bes. 111 (Inthronisierung des Sohaemus durch Antoninus Pius im Zeitraum 140 bis 143). 49 Die einschlägigen Quellen bei Karras–Klaproth 1988, 118–119. 50 Zu der dadurch ausgelösten militärischen Logistik Kissel 1995, 56–59.

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aufbrach51 und im Jahr 163 n. Chr. seinen Hof in Antiocheia einrichtete52. Die sodann folgende römische Erfolgsserie53 geht maßgeblich auf das Konto einzelner römischer Feldherrn54. Der aus Britannien als Ersatz für M. Sedatius Severianus abberufene M. Statius Priscus55 brachte im Jahr 163 n. Chr. durch Einnahme der Hauptstadt Artaxata Armenien wieder unter römische Kontrolle. Und noch im selben Jahr erhielt Lucius Verus auf Münzen den Titel ARMENIACUS56; Marc Aurel nach seiner anfänglichen Ablehnung dieser Ehrung ein Jahr später. Im Jahr 163–Sommer 164 n. Chr. wurden Dausara und Nicephorium eingenommen, der östliche Teil Syriens besetzt. Im Jahr 165 n. Chr. erfolgte die römische Generaloffensive in Mesopotamien57, bei der v. a. C. Avidius Cassius58, aber auch P. Martius Verus entscheidende Erfolge verbuchen konnten59. Nach Einnahme von Edessa und Nisibis wurde Vologaeses nördlich von Dura Europos vernichtend geschlagen; Seleukeia und Ktesiphon, die Zentren des Partherreiches, konnten nun eingenommen werden. Lucius Verus erhielt auf Münzen den Ehrentitel PARTHICUS MAXIMUS60, Marc Aurel ein Jahr später. Der parthische Feldherr Chosroes wurde zur Flucht über den Tigris gezwungen und bis nach Medien hin verfolgt. Lucius Verus wurde auf Münzen des Jahres 166 n. Chr. mit dem Ehrentitel ARM(eniacus) PARTH(icus) MAX(imus) ausgezeichnet61. Vologaeses sah sich sodann zu einem Friedensangebot gezwungen62, und Lucius Verus wurde in Rom als propagator imperii gefeiert63. Avidius Cassius wurde nun als Statthalter in Syrien eingesetzt und Martius Verus in Kappadokien. Zu einer Annexion Mesopotamiens ist es wahrscheinlich noch nicht gekommen; römische Provinz wurde Mesopotamien daher wohl erst unter Septimius Severus64. Lukians Darstellung des Partherkriegs konzentriert sich auf den zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32). Daher sind unter den Kampfhandlungen immer nur einzelne genannt, und zwar jeweils im Zusammenhang mit der Kritik an einzelnen Autoren. Der Leser erfährt lediglich von

51 Zu den aus diesem Anlaß emittierten PROFECTIO–Prägungen Kerler 1970, 50–51, Anm. 13; RIC III 252, Nr. 477–481; 319, Nr. 1321. 52 Barnes 1967, 71–72, Jones 1972, 484, Papalas 1978, 182–184, Downey 1961, 226: Sommerresidenz in Daphne, Wintersitz in Laodiceia; Daphne ist ein mondäner Vorort von Antiocheia, vgl. Nabhani 2009, 28–29. 53 Zu den an den Kampfhandlungen beteiligten Legionen Debevoise 1938, 247–248. 54 Alföldy / Halfmann 1979, 204–205. 55 Zu der epigraphisch erschließbaren Prosopographie vgl. Stein 1944, 27–29. 56 RIC III 254, Nr. 498–506; III 321, Nr. 1360–1363. 57 Dodd 1911, 258: „... there can be no doubt, ..., that the campaign of 165 was the really serious one of the Parthian war“. 58 Zu seiner Rolle im Partherkrieg Astarita 1983, 39–52; von Premerstein 1913, 78–80; zu dem begrenzten Quellenwert der vita Avidii in der HA vgl. Baldwin 1976 a. 59 Zu dieser Zeit dürfte M. Statius Priscus entweder abgelöst oder nicht mehr am Leben gewesen sein, denn von 163 n. Chr. an ist sein Name in keiner bekannten Quelle mehr verzeichnet, dazu Kerler 1970, 52, Anm. 22. 60 RIC III 257, Nr. 538–545; III 326, Nr. 1429–1436. 61 Datum: Sommer – Dezember 166 n. Chr.: RIC III 328, Nr. 1455; CIL VIII 965. 62 Dies ist lediglich aus den PAX–Prägungen des Jahres 166 zu erschließen; literarisch ist es nicht bezeugt: RIC III 224, Nr. 145–137; III 326, Nr. 1437. 63 CIL VI 1022 = XIV 106, Z. 8: [pro]pagatori [imperii], Birley 1979, 497, Anm. 52. 64 So plausibel Birley 1979, 480–481; zu dem nicht ausreichenden numismatischen Befund vgl. schon Dodd 1911, 265–267.

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einzelnen Erfolgsmomenten, der Belagerung Edessas65, der Schlacht bei Europos66; nur einmal wird die gesamte Ereignisfolge angesprochen, bezeichnenderweise innerhalb der Kritik an einem recht wunderlichen Autor, der all diese Ereignisse auf allzu knappen Raum zusammengedrängt habe67. Ausgerechnet die anfängliche, schwere Niederlage des Severianus in Armenien findet ausgiebige Erwähnung, und es darf geschlossen werden, daß hier die durch Marcus Cornelius Fronto bekannte offizielle Darstellung des Lucius Verus einen gewissen Ausdruck findet, der zufolge erst die Präsenz des Kaisers vor Ort eine glückliche Wendung eingeleitet habe68. Der Name des Lucius Verus wird jedoch kein einziges Mal in dieser Schrift genannt; nur an einer Stelle ist er mit seiner offiziellen Titulatur aÈtokrãtvr gekennzeichnet69, und zweimal als „unser Herrscher“70. Der erfolgreiche, für die römische Erfolgsserie maßgeblich verantwortlich zeichnende Avidius Cassius wird erst da genannt, wo ein Autor in seherischem Drang, nicht genug mit den tatsächlichen Erfolgen, sich dazu verstiegen habe, auch noch zukünftige römische Erfolge zu schildern71. Von den übrigen Feldherrn wird keiner je mit Hinblick auf seine besonderen Leistungen genannt72, weder direkt noch auch in Umschreibung. Was läßt sich nun aus dieser Art der Darstellung erschließen? Gewißlich nicht, daß Lukian sich den Repräsentanten römischer Macht gegenüber als ein Schmeichler verhält, was ihm jedoch

65 Luk. Hist. Conscr. 22 (Edessa wurde im Jahre 165 n. Chr. durch Avidius Cassius eingenommen, eine wichtige Rolle spielte bei der Eroberung M. Claudius Fronto, zu ihm vgl. Kap. 21 mit dem Kommentar dazu). 66 Luk. Hist. Conscr. 28 (situationsadäquat ohne jedes Detail, in Kap. 20 stellt Lukian immerhin absurd gering dargestellte Verlustzahlen auf Seiten der Römer richtig), in Kap. 24 wird ein Anonymus dafür kritisiert, daß er Europos nach Mesopotamien verlegt hatte. Das Schlachtfeld liegt wahrscheinlich nördlich von Dura–Europos, und zwar in Syrien, am westlichen Ufer des Euphrat; hier errang Avidius Cassius im Jahr 165 n. Chr. einen Sieg über die Parther; für Schlacht und Sieg ist Lukian die einzige literarische Quelle. 67 Luk. Hist. Conscr. 30 (genannt sind hier in chronologischer Reihenfolge Armenien, Syrien, Mesopotamien, Tigris, Medien). 68 Luk. Hist. Conscr. 21 und 25–26 (Severians Niederlage und Selbstmord). Zur offiziellen Darstellung des Lucius Verus: ein aufschlußreicher Brief des Lucius Verus ist aus der ersten Hälfte des Jahres 166 n. Chr. (schlüssig Champlin 1974, 148: die Argumente sprechen für den Zeitraum von Januar bis Juni 166 n. Chr.) erhalten, in dem der Kaiser an Fronto ganz unverblümt mit dem Ansinnen herantritt, in seiner Darstellung des Krieges die anfängliche Überlegenheit der Parther damit zu begründen, daß er selbst zu dieser Zeit noch nicht vor Ort erschienen sei (Fro. Ver. II 3 Naber 132 = van den Hout 108 [A 435, 2]: porro necessarium puto, quanto ante meum adventum superiores Parthi fuerint dilucere, ut quantum nos egerimus appareat). Dies zeigt, daß Lucius Verus keine Skrupel hatte, aus der katastrophalen Niederlage des Severianus Profit für seine kaiserliche Selbstdarstellung zu ziehen. Es zeigt aber auch deutlich, daß Lukian mit seiner Beurteilung des Severianus zumindest nicht in Widerspruch zu den Interessen des Kaisers stand. Es wäre aber überzeichnet, wollte man dies mit Jones 1986, 67 und 70 im Sinne einer Autorstrategie als indirekte Art der Schmeichelei bewerten (so auch Nesselrath 1991, 392, der Jones’ These einer indirekten Ergebenheitsadresse an Lucius Verus zu Recht bestreitet). 69 Luk. Hist. Conscr. 19. Römische Herrscher werden in der Regel als aÈtokrãtorew = imperatores tituliert (kritischer als Lukian äußert sich Appian, dazu Hahn 1993, 369–372 mit einschlägiger Literatur). Allerdings verdient immer noch die allzu oft vergessene Auflistung bei Burrows 1956, 10–11 Beachtung, der die These vertritt, daß es keine offizielle, für alle Teile des römischen Reiches gültige Terminologie für den Begriff imperator gegeben habe. 70 Luk. Hist. Conscr. 14 (auktoriale Aussage: tÚn ≤m°teron êrxonta) und 17 (hier läßt sich streiten, ob es sich tatsächlich um eine auktoriale Aussage handelt: ı ≤m°terow êrxvn). 71 Luk. Hist. Conscr. 31 (sÁn Kass€ƒ). 72 Mit Ausnahme von Statius Priscus (Luk. Hist. Conscr. 20: §mboÆsantow mÒnon Pr€skou toË strathgoË), der aber bloß genannt ist, um die Absurdität in der Darstellung eines Anonymus zu enthüllen.

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bisweilen vorgeworfen wird73, sondern wohl eher eine gewisse diplomatische Vorsicht74 des in die Netzwerke der Macht nicht oder jedenfalls nur kaum eingebundenen Autors75. Im übrigen fühlt Lukian sich als ein Römer, oder, um es vorsichtiger auszudrücken, er läßt für seine aktuellen Zwecke den Autor eben diese Rolle einnehmen, denn überall da, wo dieser von Rom spricht, da gebraucht er das eine Gemeinsamkeit indizierende „wir“76. In diesem Sinne bezeichnet er, wie gesagt, Lucius Verus als „unseren Herrscher“77, den die Kampfhandlungen im Osten beendenden Sieg über die Parther nennt er, freilich nur scheinbar mit einem Anonymus in den Mund gelegten Worten, „den von uns dreifach ersehnten Triumph“78, die Römer bezeichnet er als „die Unsrigen“79, und schon im ersten Teil seiner Schrift hatte er sich deutlich als sich mit dem imperium Romanum identifizierend vorgestellt80. Und dies ist auch nicht verwunderlich, gerade 73 Jones 1986, 67 und 70; Baldwin 1973 a 95: „What, one wonders, would Lucian have done if approached by Verus or a general for a suitable monograph on their exploits? Some may feel that Lucian’s later Apology provides the answer“. Swain 2007, 38 spricht etwas vorsichtiger von „low-key flattery of the emperor Lucius Verus“. 74 Dafür spricht, daß das Thema Enkomion zwar im ersten Teil der Schrift in allgemein und unverbindlich gehaltener Form abgehandelt ist (zu der prinzipiellen Verschiedenheit von Enkomion und Historiographie Kap. 7), im zweiten Teil aber nur ein einziges Mal explizit als Vorwurf erhoben ist (zu dem korinthischen Historiker, dem in Kap. 17 unverblümt Schmeichelei vorgeworfen wird, vgl. Teil I 2. 10 der Einleitung). Bereits Bernay 1879, 44–45 hatte Lukian vorgeworfen, daß er lediglich die römische Bürokratie niemals verspottet habe. 75 Bekanntlich wurde Lukian von Philostrat nicht in die Sophistenbiographien aufgenommen (zu möglichen Gründen Anderson 1986, 87–88, der 1–120 immer wieder auch die Grenzen des zur Zeit überschätzten Biographen Philostrat aufzeigt). Er verfügt kaum über politische Kontakte zu der römischen Reichselite und kann daher nicht als typischer Sophist im Sinne Philostrats erachtet werden. In besonderem Maße trifft dies, in diesem Fall krankheitsbedingt, auf Aelius Aristides zu (Nutton 1978, 210, Klein 1999, 56). Dieser evidente Umstand findet zur Zeit in Arbeiten zur zweiten Sophistik jedoch nicht immer genügend Beachtung. Allerdings ist in letzter Zeit das Aufkommen einer begründeten Trendumkehr zu verzeichnen, indem nunmehr zum ersten Mal wieder versucht wird, neben dem von Philostrat beschriebenen Intellektuellentypus auch andere Formen intellektueller Äußerung in einen weiter gefaßten Sophistenbegriff mit einzubeziehen, so Bowersock 2004 in einem ausgezeichneten Artikel zu Artemidor und, aus anderer Perspektive, Whitmarsh 2004 zu Mesomedes. 76 Lukian zeigt eine Solidarisierungstendenz mit dem imperium Romanum. Erstmals hatte sich Strabon (II 5, 8 = C 116 und IV 4, 5 = C 198) eines solchen Verfahrens bedient, das sich vor Lukian nur selten findet (dazu Palm 1959, 54–55, und bes. Swain 1998, 313–14, Swain 2007, 38, Jones 1971, 124). De Blois 1984, 363–64 vermutet sicherlich mit gewissem Recht, daß vor allem die äußere Bedrohung durch die Parther eine solche Identifikation bei der griechischen Elite gefördert und deren Wertschätzung für die existenzsichernde pax Romana verstärkt hat. Es ist im Falle Lukians allerdings zu bedenken, daß grundsätzlich keine vollständige Identität von dem Autor und dem realen Ich des Autors vorzuliegen braucht. Doch mit Whitmarsh 2001, 294 schlechthin von einer „evanescence of Greek views of Rome“ zu sprechen, geht sicherlich um eine Nuance zu weit. Um es mit Whitmarshs eigenen Worten pointiert auszudrücken: „Scholars ... have a habit of finding themselves in the Second Sophistic“ (Whitmarsh 2005, 9). 77 Luk. Hist. Conscr. 14 und 17. 78 Luk. Hist. Conscr. 31 (tÚn tripÒyhton ≤m›n yr€ambon), vgl. den folgenden Abschnitt zur Datierungsfrage. 79 Luk. Hist. Conscr. 29 (polloÁw t«n ≤met°rvn). 80 Luk. Hist. Conscr. 5 (oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn), vgl. den Kommentar z. St. Die ältere Ansicht von Lukian als Römerhasser (Schnayder 1927, 143–144, Baumann 1930, 34–35, Peretti 1946, Baldwin 1961, kritisch zu Perettis Position Phillips 1946, der darauf hinweist, daß „social satire“, wie sie sich in ähnlicher Form bei römischen Autoren wie Tacitus und Juvenal findet, nicht bedeute „convinced opposition in politics“) ist zu Recht korrigiert u. a. durch Jones 1971, bes. 128–129, Touloumakos 1971, bes. 75 mit Anm. 156, Balsdon 1979, ch. 13, 193–213, bes. 185–187 und Forte 1972, bes. 379–383 (zur Methodenschrift 383 leicht überzeichnend: „He feels that the Parthian war is his war as well as Rome’s“), die im grundlegenden 4. Kapitel (291–449. „Greeks as partners in Roman rule and educators of Roman rulers“) mittels umfassender Darstellung und kenntnisreich den innerhalb des Zeitraums von 117–182 n. Chr. erfolgreich vollzogenen Integrationsprozeß von Griechen und Römern innerhalb des imperium Romanum beschreibt. Zu Lukians in dieser Hinsicht romfreundlicher Einstellung vgl. Swain 2007, bes. 38.

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in einer Zeit, in der bei den Griechen eine bereits gefestigte Einstellung zu verzeichnen ist, die bereit war, in Rom eine Stabilität sichernde Ordnungsmacht zu erblicken81. I 1. 3 Die Datierungsfrage Im Unterschied zu der überwiegenden Mehrheit von Lukians Schriften82 kann die Methodenschrift recht zuverlässig nicht nur in das Jahr 166 n. Chr. datiert werden, sondern genauer noch in die dem Triumph der Römer über die Parther im Oktober 166 n. Chr. vorausgehenden Monate83. Insgesamt sind es drei textinterne Hinweise, die zusammengenommen zu dieser verläßlichen zeitlichen Einordnung beitragen. Den ersten Hinweis liefert das 30. Kapitel der Schrift, denn nach Auskunft des Autors habe das auf den allerknappsten Raum zusammengedrängte Werk des Antiochianus den gesamten Verlauf dieses Krieges inklusive der Operationen am Tigris und in Medien beinhaltet (tå §p‹ t“ T€grhti, tå §n Mhd€&, und bald danach in Form eines Zitates der Buchaufschrift §n Mhd€&). Dies bezieht sich auf die datierbare Verfolgung des parthischen Feldherrn Chosroes über den Tigris bis hin nach Medien, die Schlußoffensive, welche im Jahr 166 n. Chr. stattfand84. Vom Triumphzug in Rom ist in diesem Kontext nicht mehr die Rede, und das bedeutet, daß Antiochianus den Krieg bis zu seinem Ende geschildert hatte, aber nicht mehr den die römischen Erfolge krönenden Triumph. Da dieser Autor sich gewiß nicht die Gelegenheit zu einer Herausstreichung der glänzenden römischen Erfolge hätte entgehen lassen, so ist anzunehmen, daß der Triumphzug noch in der Zukunft lag. Mag dies auch Vermutung sein, so ist aus der Stelle zumindest ein terminus post quem (nach den Kriegshandlungen in Medien im Jahr 166 n. Chr.) für das Werk des Antiochianus zu gewinnen. Einen terminus ante quem liefert das 31. Kapitel dieser Schrift. Hier richtet sich der Spott gegen ein futuristisch orientiertes Geschichtswerk eines Anonymus, welcher zusätzlich zu all seinen anderen Erfindungen gleich auch noch „den von uns dreifach ersehnten Triumph“ (tÚn tripÒyhton ≤m›n yr€ambon) geschildert habe. Diese Worte sind natürlich kein Zitat, sondern aus der Perspektive des Autors Lukian heraus gesprochen85; eben darum geben sie einen wichtigen Hinweis darauf, daß der Triumph zu der Zeit der Abfassung der Schrift noch nicht stattgefunden

81 Dies zeigt u. a. Appians Proömium deutlich, dazu u. a. Weissenberger 2002, der diesen Aspekt durch einen Vergleich Appians mit Polybios und Dionysios von Halikarnaß herausarbeitet, doch bloß Appians Proömium behandelt und so dessen ambivalentere Beurteilung Roms (Hahn 1993, aber dazu kritisch Brodersen 1993, 360) etwas zu stark herunterspielt. 82 Die hinsichtlich einer Erreichbarkeit einer gesicherten Chronologie für die einzelnen Schriften Lukians allzu zuversichtliche Behandlung dieses Themas durch Schwartz 1965 hat allerdings von Hall 1981, 44–63 eine grundsätzliche und durchaus berechtigte methodische Kritik erfahren. 83 Diesem Umstand wird gebührend Rechnung getragen durch Hall 1981, 28–29, Jones 1986, 60, Macleod 1991, 284, Strobel 1994, 1315–1316 und Nesselrath, in: FILOCEUDEIS H APISTVN 2001, 15, Anm. 16, so auch Marincola 2009, 14. Überzeugende Gründe für das Jahr 166 n. Chr. hatte bereits A. Stein 1924, 264–265 beigebracht. 84 Zur Chronologie der Schlußphase des Krieges vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2 sowie Birley 1968, 261, Jones 1986, 60 und Strobel 1994, 1323–1324. 85 Dies kann alleine schon das „wir“ (≤m›n) zeigen, dessen Lukian sich den Autor zur Identifizierung mit dem imperium Romanum bedienen läßt (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 1. 2).

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hatte, und da dieser auf den Oktober des Jahres 166 n. Chr. datierbar ist86, ergibt sich daraus ein sicherer terminus ante quem für die Abfassung. Alleine deshalb schon kommt Homeyers Spätdatierung „eher in die Jahre zwischen 166–168 n. Chr.“ nicht in Frage87. Der durch die beiden termini bestimmte Zeitraum kann als nicht sehr lang bemessen werden, da der terminus post quem (nach dem Vordringen der Römer nach Medien hin im Jahr 166 n. Chr.) keinen großen Spielraum läßt. Aus der Kombination beider termini folgt also, daß diese Schrift in die Monate vor dem Oktober 166 n. Chr. fällt, also etwa in die Zeit von Frühjahr bis Frühherbst 166 n. Chr. Eine Bestätigung für die Richtigkeit dieser Schlußfolgerung liefert das 5. Kapitel dieser Schrift. Hier läßt Lukian den Autor konstatieren, daß ein Krieg gegen die Römer in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten sei, „da doch alle schon unterworfen sind“ (èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn). Diese Worte hätte Lukian so nicht aussagen können, wenn der bald nach dem Partherkrieg ausgebrochene Markomannenkrieg bereits eine aktuelle Gegebenheit gewesen wäre. Und da die ersten Vorstöße der Langobarden und Obier über die Donau Ende 166 n. Chr. oder Anfang 167 n. Chr.88, auf jeden Fall aber vor Mai 167 n. Chr.89, erfolgten, so ergibt sich, daß Lukian nur zu einer Zeit geschrieben haben kann, in der die Öffentlichkeit noch kein Wissen über die bevorstehende neue Gefahr hatte, auch wenn sich dieser Krieg für die innersten Kreise der Macht bereits seit längerem abgezeichnet haben mußte. Die letzten Monate des Jahres 166 bzw. die ersten des Jahres 167 n. Chr. kommen daher für Abfassung und Publikation der Schrift nicht mehr in Frage. I 1. 4 Lukians Schrift im Kontext der zeitgenössischen Historiographie Seit längerer Zeit wird ein prinzipiell mögliches Verhältnis Lukians zu Arrians Anabasis diskutiert. Noch in der Arbeit Nissens90 war es umgekehrt Arrian gewesen, von dem angenommen wurde, er habe mit seiner Alexandermonographie auf verschiedene aktuelle Schriften Lukians reagiert, und Nissen glaubte, daraus eine literarische Fehde zwischen beiden Autoren rekonstruieren zu können. Als Grundlage für diese Sichtweise diente ihm eine Spätdatierung der Anabasis. Deren erste drei Bücher, so meinte er, seien im Jahr 166 n. Chr. erschienen, die Bücher IV bis VII seien im Jahr 168 n. Chr. gefolgt. Nach Nissen wurde die Datierung der Anabasis wiederholter kritischer Prüfung unterzogen, und dabei wurde zunächst, etwa ein Jahrzehnt nach Nissen, von Reuss91 entschieden ein Frühansatz vertreten, in die Zeit vor 130 n. Chr. Die Schrift zeige alle Züge einer noch nicht dem Eindruck Epiktets

86 Jones 1986, 60; Birley 1968, 267 und Strobel 1994, 1316, Anm. 2, 1323, Anm. 52 datieren diesen Triumph auf den 12. Oktober 166. 87 Homeyer 1965, 11–12 (Zitat 12). Welche Absicht Lukian mit „fingierter Aktualität“ (Zitat 11) hätte verfolgen können und wollen, ist mir nicht einsichtig. Diese These fand daher zu Recht kaum Nachfolger. Begründete Zweifel daran äußerten u. a. bereits Walbank 1967, 835 und Macleod 1967, 285. 88 So Birley 1968, 270. 89 Zu den primären und sekundären Quellen vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 5: oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw, èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn.

90 91

Nissen 1888. Reuss 1899, 461.

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entwachsenen Jugendschrift. Schon drei Jahre vor Reuss hatte Schwartz92 die Schrift in die erste Zeit der zweiten Periode Arrians gesetzt, und mehr als ein halbes Jahrhundert später setzte sie Wirth93 nach Arrians Archontat in Athen an, d. h. in die Zeit nach 147 n. Chr. Mit Bosworth94 schließlich wurde wieder eine Rückkehr zum Frühansatz vollzogen, und diese Deutung, die Arrians literarische und politische Karriere in ihrer Wechselwirkung am Plausibelsten zu erklären vermag, hat am meisten für sich, da sie dem antiken Arrianbild, soweit es bekannt ist, am Besten entspricht95. In jedem Fall scheint somit die prinzipielle Möglichkeit gegeben zu sein, daß Lukian auf Arrian, in welcher Form auch immer, reagiert haben könnte, galt doch Arrian zu dieser Zeit als der einzige Historiker mit einem unbestrittenen Prestige. Etwa 14 Jahre später, im Jahr 180 n. Chr., widmet Lukian dem inzwischen verstorbenen Historiker ein eindeutiges Lob96. In der Alexandermonographie bezeichnet er ihn mit bei ihm seltener Anerkennung als einen Mann von erstem Rang unter den Römern, einen, der sein ganzes Leben hindurch sich der Bildung gewidmet habe (énØr ÑRvma€vn §n to›w pr≈toiw ka‹ paide€& parÉ ˜lon tÚn b€on suggenÒmenow)97. Dies ist die einzige Stelle im gesamten Corpus Lucianeum, in dem Lukian sich explizit über Arrian äußert. Es wurde vermutet, Lukian habe in der Methodenschrift auf verschiedene Stellen aus der Anabasis verdeckt angespielt, sich kritisch98 oder neutral bis wohlwollend99 mit dem renommierten Mann auseinandergesetzt. Unter all diesen Versuchen, Referenzen irgendwelcher Art zu Tage zu fördern, verfuhr Wirth100 am Entschiedensten, doch von all den Indizien, die er auflistet, um eine seltsame Mischung aus Verehrung vonseiten Lukians und gleichwohl auch von Sticheleien sichtbar werden zu lassen, überzeugt buchstäblich kein einziges wirklich. Zu willkürlich erscheinen die von Wirth dargebotenen Assoziationen, als daß ein zufriedenstellender Nachvollzug möglich wäre. Bosworth101 spricht daher in seiner nüchternen Kritik zu Recht und ohne Übertreibung von „free use of the imagination“. Die besonnenen Versuche von Macleod und Anderson konnten jedoch auch nichts konkret Greifbares zu Tage fördern, sodaß die Vermutung sich aufdrängt, Lukian habe es gar nicht beabsichtigt, sich in seiner im Wesentlichen klassizistisch orientierten Schrift mit dem Zeitgenossen Arrian auseinanderzusetzen102. Dabei mag an sich der von Arrian gepflegte Stil durchaus Lukians undogmatischen Postulaten zum Stil103 entsprochen haben, doch offensichtlich war es eben nicht Lukians Absicht, für seine 92 Schwartz 1896, Sp. 1237. 93 Wirth 1964, 231. 94 Bosworth 1972, 185, mit Anschluß an Reuss und Bosworth auch Balsdon 1979, 208, für eine Datierung in die frühen Jahre Hadrians auch Syme 1982, 182. 95 Vgl. das explizite Lob Lukians an die Adresse Arrians in Alex. 2, weitere Quellen bei Bosworth 1972, bes.164–166. 96 Diese Stelle zeigt Arrians Ansehen unmittelbar nach seinem Tod (Bosworth 1980, 37). 97 Luk. Alex. 2. 98 Baldwin 1973 a, 30–33 und Anderson 1980. 99 Macleod 1987 und Macleod 1991, 286. 100 Wirth 1964, 236–245, vgl. Wirth 1963, 229, wo die „Verehrung“ Lukians als frei von dieser Zwiespältigkeit erscheint. Einen Vorgänger hat Wirth in Gleye 1894, bes. 444–447. 101 Bosworth 1980, 9, vgl. Bosworth 1972, 178, Anm. 4 (Wirth´s examples ... are most unconvincing“). 102 Ligota 2007, 48 spricht lediglich von „anonymous allusion, stylistic and thematic“, doch selbst dies scheint etwas überzogen zu sein. 103 Luk. Hist. Conscr. 43–46.

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besonderen Zwecke einen Zeitgenossen zum Vorbild zu erheben104. Andererseits ist aber auch evident, daß Arrians beständige Neigung zur Apologetik eine gewisse leichte Ironie herausgefordert haben würde, wenn Lukian dies intendiert hätte. Vielleicht läßt sich eine einzige Stelle, freilich mit gewissem Vorbehalt, in diesem Sinne deuten. Während Lukian die Rohheit des Kleitosmordes ganz unverblümt beim Namen nennt, hatte Arrian, so wie in anderen vergleichbaren Fällen, so auch hier den Versuch unternommen, die Schuld eher beim Opfer (Kleitos) als beim Täter (Alexander) zu suchen105. Lukian hatte weder die Absicht, Arrian neben der klassischen Historikertrias als historiographische Norm zu konstituieren, noch wäre es ihm gerechtfertigt und geschmackvoll erschienen, ihn auf eine und dieselbe Stufe mit den im zweiten Teil der Schrift kritisierten Autoren zu stellen. Es ist daher auf alle Fälle geboten, nicht lediglich mutmaßliche Intentionen in den Text hineinzulesen, die es wohl gar nicht gab und die in dieser Form selbst von den Zeitgenossen kaum hätten verstanden werden können. Auch ist, was bei dieser Frage so gut wie immer gänzlich vernachlässigt wird, zu unterscheiden zwischen Lukians persönlicher Einstellung Arrian gegenüber zum einen und zum anderen den Absichten, die er dem Autor für die Zwecke eben dieser Schrift verleiht. In dieser verfolgt er zwei wechselweise aufeinander bezogene Absichten, nämlich die Konstituierung einer Norm und, vor der durch diese bestimmten Fallhöhe, Kritik an zeitgenössischen Mißständen. In diesem Sinne ist die Schrift bei all ihrem klassizistischen Gewand doch als eine aktuelle zu sehen. Später (Einleitung, Teil I 4.1) wird zu zeigen sein, daß diese Aktualität sich auch auf die Mehrheit der Autoren, wenn auch nicht unbedingt auf alle, erstreckt, denen die Kritik im zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) gilt. Bei dieser Art von Zeitbezogenheit brauchte er über sein eigentliches Thema hinaus keine weiteren verschlüsselten Intentionen zu verfolgen, für deren Durchführung diese Schrift auch nicht das geeignete Gefäß gewesen wäre. Der zweite Autor, der in diesem Kontext Beachtung verdient, weil er vom Kaiser Lucius Verus höchstpersönlich zum Verfassen einer Geschichte der Partherkriege bestimmt wurde, ist dessen früherer Lehrer Marcus Cornelius Fronto. Aus dem Briefwechsel mit Lucius Verus ist der Schlußteil eines höchst aufschlußreichen Briefes106 erhalten, in welchem der Kaiser dem Historiker in spe in Aussicht stellt, er werde bei den Feldherrn Cassius Avidius und Martius Verus commentarios in Auftrag geben; auch wolle er selbst auf Wunsch einen commentarius zur Verfügung stellen, dazu seine Reden vor dem Senat, Ansprachen an das Heer sowie auch Protokolle von mit den Barbaren geführten Unterhandlungen. Mit diesem Rohmaterial ausgestattet, möge Fronto an die literarische Ausgestaltung herantreten. Dann fährt er damit fort, ganz im Stil des berühmten Briefes Ciceros an Lucceius, explizit den Wunsch nach der Verherrlichung seiner Taten zu äußern (108, Z. 17–18): quidvis enim subire paratus sum, dum a te res nostrae inlustrentur. Und er steht auch nicht an, bereits jetzt anzuregen, die Darstellung Frontos möge die anfänglichen Rückschläge 104 Dazu zutreffend Macleod 1991, 286: „Lucian would not have put him, a mere modern, on the pedestal he reserved for the three great classical historians“. 105 Vgl. Luk. Hist. Conscr. 38 (.. §p‹ tª Kle€tou sfagª »m«w §n t“ sumpos€ƒ genom°nƒ) mit Arr. An. IV 8, 5 (mit der Botschaft: Alexanders Tat ist zwar nicht zu loben, doch hätte sich Kleitos beherrschen sollen). Vgl. Zecchini 1983, 20 zu möglicher Kritik Lukians an Arrian. 106 Fro. Ver. Ep. I 2, van den Hout 108–109.

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– gemeint ist natürlich die vernichtende römische Niederlage bei Elegeia unter dem Kommando des M. Sedatius Severianus – tüchtig herausstreichen, um so den Abstand zu der mit seiner eigenen Präsenz vor Ort eingeleiteten Erfolgsserie ins rechte Licht zu setzen (108, Z. 23–26): et etiam ea quae nobis absentibus male gesta sunt; tarde ad nostra venies. porro necessarium puto, quanto ante meum adventum superiores Parthi fuerint, dilucere, ut quantum nos egerimus appareat. Kurz und gut, seine Leistungen würden eben so erscheinen, wie Fronto sie werde in Szene setzen wollen (109, Z. 3–4): In summa meae res gestae tantae ... videbuntur, quantas tu eas videri voles. Der Kaiser ersucht also den Literaten um die Verfassung eines Panegyricus, und dieser kam mit den Principia historiae 107 diesem Wunsch nach, ohne noch über das versprochene Tatsachenmaterial in vollem Ausmaß zu verfügen. Erhalten ist somit das Prooemium und die Schlußwürdigung mit der darin einen großen Raum einnehmenden Synkrisis der Partherkriege Trajans mit denen des Lucius Verus108. Es handelt sich also um einen regelrechten Panegyricus 109, in dem der Kaiser ganz im Stil der berühmten livianischen Hannibalcharakteristik als ein idealer Feldherr dargestellt wird; seine wohlbekannte Untätigkeit vor Ort110 wird zu besonderer Friedensliebe und Obsorge um das Wohl der Soldaten stilisiert, und der Text arbeitet auch mit dem starken Kontrast zwischen Römern und den Barbaren. Ein ausgewählter Passus mag diese Tendenz verdeutlichen (212, Z. 4–8): paucis ante diebus Lucius ad Vologaesum litteras ultro dederat, bellum, si vellet, condicionibus poneret. dum oblatam pacem spernit, male mulcatus est. Ea re dilucide patet, quanta Lucio cura insita sit militum salutis, qui gloriae suae dispendio redimere cupiverit pacem incruentam. Schon eingangs (203, Z. 1–2 = Haines II 198) hatte Fronto angekündigt, die Taten des Lucius Verus, wie er sie darstelle, seien so bedeutend, wie Achill sich nur wünschen würde, sie vollführt, und Homer, sie beschrieben zu haben: grediamur estas quantas et Achilles gessisse cuperet et Homerus scripsisse. Dies ist denn auch die einzige Stelle aus den Principia, die eine Parallele in Lukians Schrift hat. Gleich zu Beginn des zweiten Teils der Schrift wird ein milesischer Historiker kritisiert, welcher „unseren Feldherrn“ (d. h. Lucius Verus) mit Achilles, mit Thersites hingegen den König der Perser verglichen habe (ÉAxille› m¢n tÚn ≤m°teron êrxonta e‡kaze, Yers€t˙ d¢ tÚn t«n Pers«n basil°a). Bei dieser Parallele handelt es sich um einen auch sonst nachweisbaren rhetorischen Topos111. An eine direkte Beziehung zwischen den beiden Texten im Sinne einer Anspielung Lukians auf Fronto ist daher gewiß nicht zu denken112. Es liegt ja auch kein einziges Indiz vor, daß Lukian den Römer gekannt, von ihm Notiz genommen oder sich gar mit ihm literarisch auseinandergesetzt hätte113. Immerhin zeigt die Übereinstimmung zweier etwa zeitgleicher 107 Van den Hout 202–214. 108 Das Wesentliche über die Principia und die begleitende Korrespondenz bei Steinmetz 1982, 151–162. 109 Leemann 1967, 376–378, bes. 376 formuliert es pointiert: „ad maiorem gloriam Veri rather than veri“.Vgl. Hauler 1916, bes. 175, Davies 1968, bes. 94–95 und Stertz 1993, 614–615. 110 Zu dem unterschiedlich beurteilten Quellenwert der vita Veri in der Historia Augusta Barnes 1967, Papalas 1978, vgl. aber auch Baynes 1926, 83, Lambrechts 1934, Scheithauer 1987, 63–64, 184–185, Anm. 156, zu dem Quellenwert der vita Marci vgl. Motschmann 2002, 25–28. 111 Für Belege vgl. den Kommentar zur Lukianstelle, Hist. Conscr. 14. 112 Schon gar nicht an kritische Anspielungen, so zutreffend Macleod 1991, 285: „it is unlikely that Lucian was interested in him or would have dared to satirise a favourite of the emperors“. 113 Haines II 199 denkt sich Luk. Hist. Conscr. 19 als Anspielung auf Fronto, doch dies ist eine bloße, dazu noch recht unwahrscheinliche Vermutung. Noch bedeutend weiter geht Brock 1911, 62–77, bes. 64–65 mit der Annahme, Lukian denke an mehreren Stellen an Fronto. Kaum zutreffend auch Davies 1968, 95: „Lucian may have had Fronto in

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panegyrischer Darstellungen, mit welchem Niveau bei derartigen literarischen Erzeugnissen zu rechnen ist114. Es ist daher Skepsis angebracht, wenn manchmal der Schluß gezogen wird, alleine schon das Niveau der von Lukian kritisierten Autoren spräche gegen deren Existenz (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 4. 1). Um nun wieder auf Frontos Schrift zurückzukommen: es blieb bei diesem Entwurf. Denn die eigentliche Geschichte der Partherkriege wurde nicht mehr vollendet, aus unbekannten Gründen, über die man nur Mutmaßungen anstellen kann115. Jedenfalls starb Lucius Verus im Jänner 169 n. Chr., und damit hatte sich das sowohl den Auftraggeber wie den Verfasser wenig auszeichnende Projekt erledigt116. Als weiterer Zeitgenosse Lukians, der sich als Historiker betätigt hat, ist nun Appian zu betrachten, dessen Geschichtswerk vor dem Jahr 165 n. Chr. verfaßt worden sein dürfte, da der Verfasser in seiner praefatio den Euphrat als Reichsgrenze angibt117. Auf Grundlage dieser Datierung kommt Appian auf alle Fälle in Betracht als ein Autor, auf den und dessen Werk Lukian sich in irgendeiner Weise bezogen oder mit dem er sich auseinandergesetzt haben könnte. Zumindest ein Passus bei Appian kommt für eine solche mögliche Interaktion in Frage. In der praefatio spricht dieser von der langen und an Rückschlägen reichen römischen Geschichte, aber auch mit dem Ton hoher Anerkennung von der Wohlberatenheit (eÈboul€a) und Begünstigung durch das Glück (eÈtux€a), welches die Römer durch viel Leid zu solcher Größe emporgeführt habe. Und er weist darauf hin, daß viele griechische und römische Historiker bereits darüber geschrieben hätten, und dann stellt er seine historiographischen Prinzipien dar, die ihn beim Abfassen seines Geschichtswerkes geleitet hätten. Im Zuge seiner Beschäftigung mit dem Thema und bei dem Wunsch, dessen gewahr zu werden, wie die Tüchtigkeit (éretÆ) der Römer in jeder einzelnen Provinz ihre Vollendung gefunden habe, habe ihn die Arbeit an seinem Projekt oftmals von Karthago zu den Spaniern, von den Spaniern nach Sizilien oder Makedonien, hernach wieder nach Karthago oder Sizilien hinweggeführt, und dabei habe er sich gefühlt wie ein unstet umherirrender Wandersmann. Der entscheidende Textpassus118 lautet: éllÉ §ntugxãnontã me ka‹ tØn éretØn aÈt«n §ntel∞ kayÉ ßkaston ¶ynow fide›n §y°lonta ≤ grafØ pollãkiw épÚ KarxhdÒnow §p‹ ÖIbhraw ka‹ §j ÉIbÆrvn §p‹ Sikel€an µ Makedon€an ... e‰tÉ aÔyiw §w KarxhdÒna én∞gen µ Sikel€an Àsper él≈menon.

Appian erklärt also bei präzisem Textverständnis119 sinngemäß, bei seinem Versuch, zu erkennen, wie in jeder einzelnen Provinz (kayÉ ßkaston ¶ynow) die Tüchtigkeit der Römer ihr Ziel gefunden habe, sei es ihm ergangen wie einem Irrenden, habe ihn doch seine Arbeit am Thema von einem Land zum anderen geführt, sodaß die klare Orientierung verlorenging. Mit anderen Worten bedeutet dies, daß er bei seinem Plan, die Ländergeschichte jeweils einzeln mind when he ridiculed contemporary historians of the Parthian war“. Ligota 2007, 47 und 57 hält es für wahrscheinlich, daß Lukian zumindest über Frontos Projekt informiert war. 114 So zu Recht Baldwin 1973 a 75: „... if Fronto’s efforts were typical, there is little cause to regret the loss of the offending monographs“. 115 Mögliche Gründe bei Steinmetz 1982, 162. 116 Das Todesjahr Frontos ist unbekannt, es ist im Zeitraum zwischen 167 und 175 n. Chr. anzusetzen, Macleod 1991, 286, Anm. 6 zum Forschungsstand. 117 Vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 50: =oizÆmati •n‹ §w ÉIbhr€an. 118 App. praef. 12. 119 Der Textsinn ist in wesentlichen Bereichen nicht richtig erfaßt von Hose 1994, 159.

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für sich zu überschauen, durch die gleichzeitig ablaufenden Ereigniszusammenhänge immer wieder abgelenkt worden sei und so die klare Übersicht verloren habe. Im Hintergrund steht eine bekannte historiographische Debatte, die Frage, ob man als Historiker thematische Erzähleinheiten darzustellen oder synchronistisch zu berichten habe. Ersteres war die Position des Ephoros, das zweite die des Thukydides gewesen. Appian bekennt sich hier zu einem Organisationsprinzip, mit dem sich geographische Räume übersichtlich erfassen lassen sollen. Und in diesem Kontext ist ein Vergleich mit Lukian möglich, der in dieser bekannten Kontroverse gleichfalls Stellung bezieht, indem er den gegenteiligen, sich auf Thukydides zurückführenden Standpunkt einnimmt. Im 50. Kapitel seiner Methodenschrift beschreibt Lukian das von ihm für den Historiker postulierte synchronistische Darstellungsprinzip, und er fordert die Darstellung synchron verlaufender Ereignisfolgen und den bei einem solchen Verfahren unbedingt nötigen raschen Wechsel der Schauplätze: …w dunatÚn ımoxrone€tv ka‹ metapet°syv épÉ ÉArmen€aw m¢n §w Mhd€an, §ke›yen d¢ =oizÆmati •n‹ §w ÉIbhr€an, e‰ta §w ÉItal€an.

Ähnlich wie bei Appian, so ist auch hier der rasche Ortswechsel anschaulich beschrieben.

Während aber Lukian darin ein in historiographischer Darstellung ideales narratives Verfahren erkennt, sieht Appian darin einen Störfaktor, der nur vom Plan ablenke, die einzelnen Länder als in sich geschlossene narrative Komplexe zu erfassen. An einer weiteren Stelle (in Kap. 55) kommt Lukian auf das synchronistische Prinzip zurück. Es ist nötig, die Konsequenz, mit der Lukian zu Werke geht, zu betonen, weil Avenarius120 sie durch unzutreffende Interpretation von Kapitel 55 in Frage gestellt hat. Demnach habe Lukian, ohne den darin liegenden Widerspruch zu bemerken, infolge der ihm eigenen Flüchtigkeit zwei einander entgegengesetzte Prinzipien postuliert, zuerst das synchronistische, dann aber (Kap. 55), damit ganz unvereinbar, ein thematisch gruppierendes Verfahren. Tatsächlich kann keine Rede davon sein, daß Lukian sich innerhalb weniger Kapitel selbst widerspricht (vgl. den Kommentar zu Kap. 55). Was läßt sich aus dem Vergleich Appians mit Lukian erkennen? Beide rekurrieren auf hellenistische historiographische Diskurse, in denen das Thema abgehandelt worden war, und dabei hatte sich ein gewisses methodologisches Repertoir herausgebildet, eines für das synchronistische Verfahren und eines für das thematische Verfahren. Letzteres ist in seiner literarkritischen Ausprägung besser bekannt121, ersteres tritt in dieser spezifischen Form der Charakterisierung einzig bei Appian und bei Lukian in Erscheinung. Oberflächlich betrachtet, könnte es nun so scheinen, als bestünde eine direkte Bezugnahme Lukians auf Appian, doch in Wirklichkeit dürfte es wohl so sein, daß diese Illusion nur durch den Umstand entsteht, daß eben beide Autoren einen ihnen bekannten Diskurs unabhängig voneinander rezipieren. In diesem Sinne kann kein Indiz für irgendeinen direkten Rekurs Lukians auf Appian gewonnen werden. Dasselbe Resultat war bereits zuvor im Falle Lukians zum einen und Arrians und Frontos zum anderen erzielt worden. Ein Autor ist in diesem Kontext noch von Relevanz, der Rhetor und Rechtsanwalt Polyainos, nach Auskunft der Suda ein gebürtiger Makedone, der, bereits in fortgeschrittenerem Alter, im Jahr 162 n. Chr., bei Ausbruch des Partherkrieges, den Kaisern Marcus Aurelius und Lucius 120 121

Avenarius 1956, 119–125, bes. 125, so übernommen von Hose 1994, 79, Anm. 23. Vgl. den Kommentar zu Kap 50: ımoxrone€tv, vgl. auch Hose 1994, 160.

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Verus die Strathgikã widmete. In der praefatio zum 6. Buch kündigt er seinen Wunsch an, nach dem Siege der beiden Kaiser diesen viele schöne strathgÆmata ihrer Kriegstüchtigkeit aufzuzeichnen (eÈxÒmenow ka‹ Ím«n nik≈ntvn §n to›w pol°moiw pollå ka‹ kalå t∞w Ímet°raw éret∞w énagrãcai strathgÆmata). Und er fährt damit fort, dies zu gegebener Zeit in größerem Umfang tun zu wollen (§g∆ d¢ ka‹ taËta m¢n …w éjiomnhmÒneuta ˆnta §n t“ d°onti kair“ diå makrot°rvn suggrãcai proyumÆsomai). Das ist alles, was wir darüber wissen. Zumeist werden diese in ungelenkem Stil abgefaßten Worte als Versprechen, die Partherkriege beschreiben zu wollen122, gedeutet. Doch der Wortlaut weist eher darauf hin, daß der Verfasser nach erfolgreicher Beendigung des Krieges auch die in diesem Krieg bewiesenen strathgÆmata der beiden Kaiser durch seine Darstellung würdigen werde. Es liegt auch in diesem Fall keinerlei Indiz für irgendeine Beziehung zwischen Lukian und Polyainos vor. Insgesamt ergibt sich also der ernüchternde Befund, daß keiner der vier genannten Autoren von Lukian in nachvollziehbarer Weise wahrgenommen worden zu sein scheint, zumindest nach dem für eine Auswertung zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterial. Und dies trifft offensichtlich umso mehr zu für das, was sonst noch an Geschichtswerken und Schriften mit historischen Themen im weitesten Sinn bekannt ist123. Der Grund dafür liegt nach dem vorhin Gesagten gewiß nicht bloß in der Spärlichkeit der für einen Vergleich vorhandenen Testimonien und Fragmente.

122 123

So z. B. Schmitt 1984, 453. Das darüber Bekannte bei Bowie 1970, bes. 10–24, Bowie 2004, 73 und Hose 1994, 463–480.

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I 2 Die literarische Form der Schrift I 2. 1 Forschungsstand und Themenstellung Lukians Schrift124 hat verschiedene Etikettierungen erfahren. Sie wurde ohne nähere Begründung oder Untersuchung der literarischen Form bezeichnet als Abhandlung (treatise)125, Pamphlet126, Brief127, Essay128, Gelegenheitsschrift129, Lehrschrift bzw. didaktischer Brief130, und schließlich als Parodie131 und Pasticcio132. Homeyers Verdienst ist es, erstmals gesehen und konsequent verfolgt zu haben, daß in allen Teilen von Lukians Schrift in jeweils unterschiedlicher Dichte, Auswahl und Verwendung immer wieder Elemente der Gattung Diatribe zu Tage treten133. Da sie aber nicht definiert, was unter Diatribe zu verstehen sei, und da sie für ihre jeweiligen Etikettierungen von Elementen als „diatribenhaft“ zumeist keine primären Belege anführt, so bleiben ihre Nachweise im einzelnen eher unbestimmt und nicht oder nur schwer überprüfbar. Auch unternimmt Homeyer leider keinen Versuch, mit umgekehrter Fragestellung zu bestimmen, was bei Lukian aus der Diatribe nicht übernommen ist und was seine Darstellung nun grundsätzlich von einer echten Diatribe, was immer man darunter verstehen mag, unterscheidet. Unter den von Lukian nicht adaptierten Elementen ist der bei ihm nicht beständig in Form von Rede und Gegenrede vorangetriebene Fluß der Rede, die nur in einem Teilbereich, dem ethischen Qualifikationsprofil des Historikers134, mit etwas freierer Auslegung allenfalls als moralphilosophisch zu klassifizierende Thematik und – bis auf eine einzige Ausnahme – das Fehlen des in einer Diatribe häufig auftretenden fiktiven Interlocutors135 und der in Diatriben beliebten, als sprechend eingeführten 124 Textgrundlage: Macleod 1980, Kommentare: Hermann 1828, Homeyer 1965, Notes und Übersetzungen von Canfora 1974, 41–80, Macleod 1991, 198–247, 283–302, Piras / Canfora 2001, Costa 2005, 181–202, 266–269, Mestre / Gómez 2007, 203–241 und Hurst 2010; Lukian–Bibliographie bis 1994: Macleod 1994. Literatur zu der Methodenschrift bzw. zum lukianischen Kontext: Georgiadou / Larmour 1994, 1998, Strobel 1994, Jones 1986, Baldwin 1973 a, 1977 a, 1978, Bompaire 1958, Wirth 1964, Macleod 1967, 1974, 1987, Canfora 1974, Anderson 1976a, 1976 b, 1980, Hall 1981, Schmitt 1984, von Möllendorff 2000 a, 2001, Ligota 2007, Candau Morón 1976, Zecchini 1983 und 1985, Mattioli 1985, Montanari 1987, Korus 1986, Marasco 1993–1995, Weissenberger 1996, Ambaglio 1996, Bartley 2003, ältere Arbeiten: Passow 1854, Walz 1921, Floder 1947, Delz 1950; das Nachleben der Schrift wird in vorliegender Arbeit nicht behandelt; es ist dargestellt von Homeyer 1965, 38–45, Zappala 1990, 234–242 und Ligota 2007, 58–65. Hinweise finden sich zudem auch bei Baumbach 2002, der die Lukianrezeption in Deutschland erstmals umfassend darstellt. Ligota / Panizza 2007 ist weitgehend der Rezeptionsgeschichte Lukians gewidmet. 125 Jones 1972, 486; Robinson 1979, 28, vgl. aber 32, n. (mit einer Relativierung dessen) und 149 (parody); Hall 1981, 324, Langholf 1996, 2810, von Möllendorff 2001, 117. 126 Bompaire 1958, 483–484 (auch als traité und pastiche bezeichnet); Baldwin 1973 a 85–86, Cizek 1989, 294; Anderson 1993, 108. 127 Kilburn 1968, 1; Lesky 19713, 941; J. Werner in: Wieland 1974, II 501; Schmitt 1984, 444. 128 Puelma Piwonka 1949, 115–116, Anm. 2; Branham 1989, 57; Malitz 1990, 348. 129 Sommerbrodt 18782, 3 (Gelegenheitsschrift); Görgemanns 1988, 271 (Gelegenheitsarbeit). 130 Schmid / Stählin 1924, 733 (als didaktischer Brief); ähnlich bereits Rigault 1856, 35 (liber didaskalikÒw). 131 Reardon 1971, 176 (parodie). 132 Bompaire 1958, 484 („un pastiche amusant de Thucydide“). 133 Homeyer 1965, bes. 13–29. 134 Luk. Hist. Conscr. bes. 38–41. 135 Einzig im Übergang vom zweiten zum dritten Teil der Schrift (Kap. 33: fa€h tiw ên) operiert Lukian mit

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Personifikationen, sowie auch die Freiheit von schlichtem parataktischem Stil, um nur die auffälligsten Unterschiede zur Gattung der Diatribe zu nennen136. Richtig erkannt ist von Homeyer jedoch prinzipiell die Präsenz von aus der Diatribe bekannten Einzelelementen. Und Homeyer hat in einer Zeit, in der dies noch nicht in allgemeinem Bewußtsein war, bereits erkannt, daß bei Lukian in verschiedenen Schriften unterschiedliche literarische Genera sowie Stilelemente miteinander vermischt sind137. Diese wichtige Beobachtung hätte sich durch eine Untersuchung der Briefform und vor allem der Paränese, als welche Lukian seine Schrift ja selbst durch den Autor bezeichnen läßt138, näher ausführen lassen. Das von Wieland139 bereits richtig beobachtete Nahverhältnis von Lukians Schrift zu der Ars poetica des Horaz ist von Homeyer jedoch erstmals detaillierter untersucht worden, und besonders jener Teil der Einleitung140, der die horazischen Satiren durchaus gewinnbringend mit einbezieht, beinhaltet wertvolle Beobachtungen. Insgesamt bleiben nach diesem knappen Überblick über die bisher geleistete Forschungsarbeit zu der Form der Schrift141 als die Desiderate zur Behandlung eine präzise Sonderung der einzelnen in dieser Schrift zu einem Ganzen verflochtenen Schichten und eine nähere Untersuchung der diesen Substraten jeweils zugrundeliegenden literarhistorischen Traditionen, sowie eine umfassendere Einbeziehung anderer Schriften Lukians, besonders derer in Briefform und derer mit paränetischer Ausrichtung. Im Folgenden wird also der Versuch unternommen, das Spektrum der jeweils für die einzelnen Schichtungen relevanten Kontexte zu erweitern, um schließlich vor dem Hintergrund von deren literarhistorischer Einordnung zu einem exakteren Verständnis derjenigen Traditionen zu gelangen, die bei Lukian ihre Spuren hinterlassen haben, ob nun deren Kombination im einzelnen auf Lukian selbst zurückgehen mag oder aber eher auf vorlukianische, insbesondere hellenistische Erzähltraditionen. Auf dieser Grundlage soll es schließlich unternommen werden, zu bestimmen, wie sich die Elemente von Tradition und Innovation bei Lukian zueinander verhalten. Vielleicht läßt sich auf diesem Wege dann auch besser verstehen, warum Lukian für die Zwecke dieser Schrift den Autor in die Rolle des Diogenes von Sinope schlüpfen läßt142. Homeyer143, die gerade hier die Gelegenheit gehabt hätte, den von ihr im Prinzip durchaus zu Recht festgestellten diatribenhaften Elementen einen stärkeren Rückhalt im narrativen Kontext zu verleihen, stellt die Frage nach der Funktion dieses literarischen Konstruktes jedoch nicht. dem Stilmittel des fiktiven Interlocutors. Vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 33. Wenn Homeyer 1965, 139 dies in ihrer Übersetzung der Stelle richtig wiedergegeben hätte, so hätte dies ihre Grundthese stützen können. 136 Zu den Stilmitteln der Diatribe vgl. Bultmann 1910, bes. 10–64. 137 Homeyer 1965, 28. 138 Luk. Hist. Conscr. 4–5. 139 Homeyer 1965, 16 spricht es aus, daß diese Abhandlung in traditionsgesättigter Atmosphäre entstanden ist und sich aus vielen unterschiedlichen Quellen nährt, doch sie zieht nicht die daraus unmittelbar folgende praktische Konsequenz, diesen Quellen im einzelnen nachzugehen. 140 Homeyer 1965, 63–81. 141 Zu sehr an der Oberfläche bleibt der den Eigenwert der Schrift stark verkürzende Ansatz von Korus 1986, bes. 34, der im Kontext seines Versuches, „Entwicklungsperioden“ Lukians zu rekonstruieren, erklärt, es sei charakteristisch für diesen, „die Geschichte als Repräsentantin der gesamten Prosa dargestellt zu haben“. 142 Luk. Hist. Conscr. 3, 5 und 63. 143 Homeyer 1965, 16.

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I 2. 2 Lukians Verwendung der Briefform In diesem ersten Abschnitt werden zunächst diejenigen Schriften Lukians, die sich formal als Briefe präsentieren, miteinander verglichen, um zum einen die immer wiederkehrenden und daher als für die Gattung Brief konstitutiv zu bezeichnenden Elemente herauszuarbeiten, zum anderen, um zu bestimmen, welcher dieser Schriften Lukians Methodenschrift in formaler Hinsicht insgesamt am Nächsten steht. Es handelt sich um den Peregrinos, den Alexandros und die Schrift per‹ t«n §p‹ misy“ sunÒntvn (De mercede conductis), die im Folgenden einander gegenübergestellt werden. Da bei Lukians Flexibilität in der formalen Anlage von Schriften eine vollkommene Identität auch nur zweier Schriften nicht zu erwarten ist, so werden aus den sich dabei ergebenden Resultaten weitere Fragestellungen abzuleiten sein, die dann die folgenden Abschnitte dieses Teiles der Untersuchung (Einleitung, I 2. 3–2. 10) einnehmen werden. Den Anfang dieser Analyse macht im Folgenden der Peregrinos. Lukians Peregrinos ist, und das unterscheidet ihn klar von der Methodenschrift, in der Form eines formellen Briefes144 gestaltet, ist ihm doch gleich zu Beginn eine Begrüßungsformel vorangestellt (LoukianÚw Kron€ƒ eÔ prãttein)145, wie sie aus literarischen Traditionen seit den unter Platons Namen laufenden Briefen bekannt ist146. Der in der Ich-Form147 starke Präsenz zeigende Autor hält – abgesehen natürlich von dem monologischen Mittelteil – in der Einleitung und im Schlußteil148 beständigen Kontakt mit seinem Adressaten, und zwar mittels durchgehender Ansprache an das Du 149, insbesondere durch Anredeformeln150, Imperativ151 und rhetorische Frage152; er setzt dessen Vorwissen voraus153, und er sucht mit ihm eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen bzw. eine bereits bestehende zu bestätigen154. All diese 144 Der Peregrinos entspricht in Langslows 2007, 216 Terminologie dem Type A, der gekennzeichnet ist durch „Opening and / or closing salutation“, während Type B so definiert ist: „To X“ in the title and / or vocative(s) in the opening (and concluding) section(s). Im Folgenden bezeichne ich antiken Gepflogenheiten entsprechend (dieser Umstand ist auch Langslow bewußt) alles, was entweder Typ A oder Typ B entspricht, als Brief, nicht bloß diejenigen Präsentationsformen, welche nach Typ A organisiert sind. Macleod 1991, 270 nimmt an, daß die Schrift um 169 oder 173 n. Chr. publiziert wurde. 145 Vergleichbar zumindest im Wortlaut ist die dem Nigrinos vorangestellte Widmung: LoukianÚw Nigr€nƒ eÔ prãttein. Nur hier noch verwendet Lukian den Gruß eÔ prãttein, doch ist die Schrift, abgesehen von dem einleitenden Widmungsbrief, als ein Dialog konzipiert. 146 Die Formel eÔ prãttein verrät platonisches Setting (vgl. Laps. 4), beinhalten doch alle platonischen Briefe (die moderne Echtheitsfrage kann hier beiseite gelassen werden) diese Worte, mit einziger Ausnahme des dritten, doch zeigt gerade hier das Folgende, daß es Platons (wenn er der Verfasser ist) Gewohnheit war, seine Freunde in Briefen mit eÔ prãttein anzusprechen, Belege und Literatur bei Clay 1992, 3421, Anm. 27. Es ist eine Idee von Bernays 1879, 3–4, diesen Umstand für eine Identifizierung des Adressaten Kronios mit dem aus Porphyrios bekannten Platoniker Kronios zu nutzen. 147 Im Folgenden wird der Erzähler „der Autor“ genannt; wenn dieser als in der Ich-Form sprechend auftritt, so wird von „Autor-Ich“ gesprochen werden. 148 Luk. Peregr. 1–3 (Einleitung), 31–45 (Schlußteil). 149 Dazu gehören auch Dativi ethici, Luk. Peregr. 1, 2, 32, 36. 150 Luk. Peregr. 37 (Œ kal¢ KrÒnie), 38 und 39 (Œ •ta›re), 45 (Œ filÒthw). 151 Luk. Peregr. 36 (ka€ moi ... prÒsexe tÚn noËn), 41 (ÉEnnÒei), 45 (g°la ka‹ aÈtÒw). 152 Luk. Peregr. 45 (ıròw;), vgl. auch 45 (ıròw;) sowie die Frage weiter unten. 153 Luk. Peregr. 3 (tÚn m¢n poihtØn o‰sya oÂÒw te ∑n sowie sÁ d¢ gnvrie›w dhladÆ, pollãkiw aÈto›w paraståw bo«sin), 43 (§ke›na m¢n går pãlai o‰sya, eÈyÁw ékoÊsaw mou ktl). 154 Luk. Peregr. 2 (à t«n êllvn ì l°gein efi≈yamen per‹ aÈt«n), 34 (efikãzeiw, o‰mai, p«w §g°lvn), vgl. 45

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Elemente, mit einziger Ausnahme der formellen Begrüßung, lassen sich in ähnlicher Form, wie später zu zeigen sein wird, in der Methodenschrift auch beobachten. Was den Peregrinos von dieser jedoch unterscheidet, das ist der Umstand, daß der Autor bzw. genauer das Autor-Ich mit seinem Gegenüber nicht nur mit einem sehr freundlichen Wohlwollen spricht, sondern daß es mit ihm auch auf Augenhöhe kommuniziert. Von Anfang der Schrift an ist nämlich klar, daß das Lachen des Autor-Ichs über den Wahnwitz und die anormale Ruhmsucht des Kynikers vom Adressaten selbstverständlich geteilt wird155. Denn das Autor-Ich vermeint ihn nicht nur über die Torheit des Alten lachen zu sehen, sondern es stellt sich seine Reaktion förmlich auf akustischer Ebene vor, indem es seine Worte, als wären sie real, zu hören vermeint156: áV t∞w ébelter€aw, à t∞w dojokop€aw157. Diese selbe Simulation von Gelächter wiederholt sich etwa zu Beginn des Schlußteils158, und wenn ganz zu Schluß nochmals an diesen die Aufforderung zum Lachen ergeht159, so ist dieser Appell nur mehr in einem rhetorischen Sinne zu verstehen, ist doch schon längst klar, daß Kronios, bei seiner Geistesverwandtschaft, seiner Ebenbürtigkeit mit dem Autor-Ich, alleine von sich aus eben diese Reaktion zeigen werde. Nur an einer einzigen Stelle braucht es daher das Autor-Ich denn auch auszusprechen, daß der Adressat zur Klasse der Geistreichen, der Gewitzigten (xar€entew) zählt, und selbst hier noch geschieht es in indirekter, wenn auch freilich ganz leicht erkennbarer Form160. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Partnern besteht darin, daß das Autor-Ich durch die Nähe zum Ort des Geschehens sich in seiner Gefährdetheit darstellt, während sich der Adressat aus sicherer Ferne seinem Gelächter hingeben könne161. In dem nun folgenden Bereich der Untersuchung sind wegen der sehr komplexen narrativen Anlage der Schrift aus praktischen Gründen wichtige Detailerklärungen im Anmerkungsteil untergebracht. Das Autor-Ich mit seiner expliziten Selbstvorstellung als eines Augenzeugen in Kombination mit der realen, literarisch recht gut dokumentierten Person des Opfers Peregrinos162 und der zwar nicht sicher identifizierbaren, aber höchstwahrscheinlich ebenso realen Person des Adressaten Kronios163 läßt den von Lukian in seiner Eigenschaft als des in Form einer Frage (t€ soi doke› ı DhmÒkritow, efi taËta e‰de; ktl). 155 Dieser Umstand scheint bei Macleod 1991, 270–271 etwas vernachlässigt. 156 Ein ähnliches Verfahren auch in Luk. Apol. 1, wo der fiktiven direkten Rede des Adressaten Sabinus die Worte vorangestellt sind: dok« moi ékoÊein sou l°gontow. 157 Luk. Peregr. 2. In explizitem und implizitem Zusammenhang mit der Person des Peregrinos erscheinen u. a. die Adjektive kenÒdojow (Peregr. 4 und 25) und filÒdojow (Peregr. 38) sowie das Substantiv dojokop€a (Peregr. 2 und 12). In formaler Hinsicht ist auch zu beachten, daß „Kundgebungen des Unwillens“, und zwar „meist in verdoppeltem Ausdruck“, üblicherweise ein Stilmittel der Diatribe sind (Bultmann 1910, 33). 158 Luk. Peregr. 37 (AÔyiw ır« gel«ntã se, Œ kal¢ KrÒnie, ktl). 159 Luk. Peregr. 45 (Schlußsatz). 160 Luk. Peregr. 39 (der Adressat ist ein xar€eiw, dem gegenüber es möglich ist, im Klartext zu reden). 161 Luk. Peregr. 2. 162 Zu den einschlägigen Quellen Clay 1992, 3430–3434, 3435 (die Belege bei Lukian selbst). Bernays 1879, bes. 4–18 weist nicht ganz zu Unrecht darauf hin, daß der aus Galenos bekannte Theagenes nicht minder als Opfer erscheint, denn Peregrinos selbst. 163 Bernays 1879, 3–4 griff Gesners Vermutung auf, daß der Adressat Kronios wohl mit dem von Porphyrios mehrfach erwähnten Platoniker Kronios zu identifizieren sei, und er fügte hinzu, daß der platonische Gruß eÔ prãttein statt des üblichen xa€rein diese Annahme stütze, vgl. Clay 1992, 3434. Das wenige, was über den Platoniker Kronios bekannt ist (Zeller 19034, 241–242, vgl. 240, Anm. 3), ermuntert allerdings nicht sehr zu einer Identifizierung mit dem

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Verfassers der Schrift intendierten Eindruck von Authentizität entstehen, und es ist daher anzunehmen, daß wenn schon vielleicht nicht unbedingt die viermalige Anwesenheit bei den olympischen Spielen164, so doch zumindest die bei den der spektakulären Selbstverbrennung des Peregrinos unmittelbar vorangehenden, von der das Autor-Ich als ein deklarierter Augenzeuge berichtet165, faktisch ernst zu nehmen ist, auch wenn Lukian sich in der Ausgestaltung der Details im einzelnen (nicht nachprüfbare) Freiheiten erlaubt haben wird166. Das auf den ersten Blick ohne ersichtliche Notwendigkeit167 so auffällig betonte und gerade darum nicht gerade unverdächtige Nichtwissen des Ichs um die Identität des Kritikers168, der sich in einer langgestreckten Rede den Anpreisungen des Peregrinos durch Theagenes entgegengestellt habe169, kann beim Leser den Eindruck entstehen lassen, daß es der Verfasser, nämlich Lukian selbst gewesen ist, der als dieser Sprecher die höchst fragwürdige Lebensführung des Peregrinos demaskiert hatte, also – so der sich dem Leser spontan aufdrängende erste Eindruck – mehr wisse, als er es in seiner aktuellen Rolle als Autor zu erkennen gibt170. Dieser Eindruck wird durch den Umstand noch begünstigt, daß sich das Autor-Ich zu Beginn der Schrift ohnedies schon als am Geschehen unmittelbar beteiligt vorgestellt hatte, noch dazu lukianischen Kronios. Natürlich erfüllt der an sich durchaus „reale“ Adressat Kronios innerhalb der Anlage der Schrift die Rolle einer Identifikationsfigur für den Leser (so zutreffend Clay 1992, 3447–3448). Es ist wohl auch denkbar, daß ihm als einer den Zeitgenossen bekannten Persönlichkeit eine Beglaubigungsfunktion zukommt (Bernays 1897, 3). 164 Luk. Peregr. 35. Der Text lautet: Ka‹ dØ tå m¢n ÉOlÊmpia t°low e‰xen, kãllista ÉOlump€vn genÒmena œn §g∆ e‰don, tetrãkiw ≥dh ır«n. Clay 1992, 3446 und 3448 gibt den Textsinn nicht ganz exakt wieder: „Just as Peregrinus Proteus was a part of the spectacle of four Olympic games, the narrator was a member of the audience at the same festivals“, und weiter unten 3448: „What can be doubted with greater justice is Lucian’s role in these lives: that he faithfully followed the antics of Peregrinus in four successive Olympic games“. Tatsächlich sagt das Autor-Ich bloß, daß es bei insgesamt vier olympischen Spielen anwesend war; doch die Rolle des Peregrinos während der vorangehenden Spiele war u. a. in der Rede des Kritikers berichtet worden (Peregr. 19–20). So drängt sich stark der Verdacht auf, daß die drei früheren Teilnahmen bei den Spielen zu dem Zweck erfunden worden sein könnten, um dem Leser eine Identität von Autor-Ich und Person des Kritikers zu suggerieren. Dieser Gedanke wird weiter unten nochmals aufgegriffen. 165 Vor dem eigentlichen Bericht über die Selbstverbrennung mitsamt dem Davor und Danach (Luk. Peregr. 35–41) gibt das Autor-Ich explizit an, daß es selbst als Augenzeuge bei den Spielen zugegen war (Peregr. 35: ır«n) und beglaubigt damit den nun folgenden Bericht. 166 Diese Freiheiten umfassen, wie es scheint, nicht nur, wie bereits oben vermerkt, die mögliche Erfindung der persönlichen Anwesenheit bei den drei vorangegangenen Spielen, sondern zudem auch den Inhalt der Rede des Kritikers. 167 Die Überleitung von der Rede des Theagenes zu der Rede des Kritikers (Luk. Peregr. 6–7) ist dermaßen elegant gestaltet, daß kaum ein Leser auf die Idee verfiele, zu diesem Zeitpunkt die Realität des genannten Kritikers anzuzweifeln. 168 Luk. Peregr. 31 (oÈ går o‰da ˜stiw §ke›now ı b°ltistow §kale›to). Das Problem an sich ist schon erkannt von Clay 1992, 3445: „There is no difficulty in recognizing that this laughing philosopher is a „double“ for the narrator himself. What is difficult to explain is the literary function of the narrator’s double“. 169 Die Rede des namentlich Ungenannten nimmt großen Raum ein, Luk. Peregr. 7–30. 170 Dies kann eine aufmerksame Lektüre von Luk. Peregr. 31 zeigen. Die unmittelbar auf das Bekennen des Nicht–Wissens um den Namen des Kritikers folgenden Worte §g∆ d¢ éfe‹w aÈtÚn suggerieren, daß das mit dem Kritiker gleichzusetzende Autor-Ich bez. (mit weniger präziser Unterscheidung) der Autor Lukian selbst vor den Schmähungen des Theagenes einfach davongeht. In diese Richtung denkt bereits Harmon V 1, 8–9, Anm. 2, 341, Anm. 1; Bernays 1879, 5 und seine Vorgänger deuteten es so, daß Lukian „alle wesentlichen und thatsächlichen Angaben des namenlosen Sprechers auf seine eigene Verantwortlichkeit veröffentlichen wollte“. Aus methodischer Sicht überlegenswert ist Clay 1992, 3446: „It is possible to identify this honest witness with Lucian himself, but it is unsafe to identify the narrator’s double with Lucian, just as it is unsafe to identify the narrator with Lucian“.

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unter persönlichen Gefahren171. Der Verfasser Lukian wendet also einen geschickten Kunstgriff an, um dem Bericht des Autor-Ichs zusätzliche Autorität zu verleihen, ohne daß er, Lukian, damit als Autor die volle Verantwortung für alles in der Rede des Kritikers Gesagte – es wird ja vieles zur Demaskierung des Peregrinos darin vorgebracht – übernehmen müßte 172. Und dies bedeutet, daß Lukian in seiner Eigenschaft als Autor eine Beglaubigungsstrategie173 anwendet. Sein damit verfolgtes Ziel ist es wahrscheinlich, den zu unverdientem Ruhm bei der Masse gelangten Gaukler als das erkennen zu lassen, was er war, ein lasterhafter, maßlos ruhmsüchtiger Mensch. Wie im Alexandros erfolgt die Demaskierung auch hier nachträglich, jeweils also nach dem Tode der beiden Opfer der von Lukian literarisch geführten Attacken, gewissermaßen post festum. Eine andere Frage ist die nach der Glaubwürdigkeit der solcherart vermittelten Charakteristik des realen Peregrinos. Schon Gellius hatte Peregrinos aus persönlicher Bekanntschaft in Athen ganz anders beurteilt, als virum gravem et constantem 174, und auch von früheren Philologengenerationen wurde mehrfach der Versuch einer Rehabilitierung des Peregrinos unternommen175, doch dürfte dies sachlich kaum zutreffen176, jedenfalls nicht auf so prinzipieller Ebene. Daß Lukian seinem aktuellen Ziel dienende Farben zur Verschlechterung des Bildes aufgetragen hat, namentlich in der Maske des unbenannten Kritikers, ist jedoch durchaus wahrscheinlich, auch wenn es sich in Ermangelung von Quellen, die zu einer sicheren Beurteilung ausreichen könnten, im einzelnen nicht mehr nachweisen läßt177. Wichtiger für die Zwecke vorliegender Untersuchung sind Parallelitäten und Unterschiede 171 Man vgl. bes. Luk. Peregr. 2, später wiederholt in Peregr. 37. 172 Weniger überzeugend ist Clay 1992, 3445–3448 (Lucian’s doubles), bes. 3446: „The function of the authenticating double in the ‚Peregrinus’ is to reveal the need for authentification. In creating a double for the narrator ... and by failing to name this double, Lucian has created doubts as to the accuracy of the narrator“. Und 3448 (über Peregrinos und Alexandros): „The literary fraud of Lucian’s exposure of fraud is to be located in his fiction of the narrator as actor in the dramas he narrates“. Es folgt sodann ein unpassender Vergleich mit den Verae historiae, in denen der Autor seine Erzählung bereits im Proömium selbst dechiffriert als das, was sie ist und als was sie vom Leser nach der Absicht des Autors verstanden sein will, nämlich als erdichtet. Im Peregrinos hingegen dient die Fiktion, soweit es sich um Fiktion handelt, als rhetorisches Mittel zur Verleihung, nicht zur Schwächung narrativer Autorität. Sonst müßte man ja die gestalterischen Qualitäten Lukians bezweifeln, es sei denn, es gelänge, einen hinter der Oberfläche versteckten doppelten Boden aufzuweisen. Doch im Falle dieser Schrift dürfte das auch bei größter Anstrengung kaum möglich sein. 173 Dies gilt auch für die Rede des Kritikers, Luk. Peregr. 8 (Mittel sind Autopsie und beglaubigte mündliche Informationen), auch in der Rede selbst ist die Strategie wiederholt angewandt (Peregr. bes. 12, 15, 16, 26, 27, 29). 174 Gel. XII 11 widmet ihm ein anerkennendes Kapitel seiner Noctes Atticae. Ausgewogen beurteilt Holford– Strevens 1988, 105 diese Einschätzung des Peregrinos durch Gellius: „But fraudulent, sincere, or deceived deceiver, Peregrinus was more complex than Gellius knew“. 175 Bei keinem Interpreten erscheint Lukians Darstellung des Peregrinos und besonders auch die des Theagenes sowie überhaupt der Kyniker insgesamt als dermaßen ungerecht wie bei Bernays 1879 passim. Doch ist diese an sich sehr gute Arbeit mit all ihren Einseitigkeiten gut geeignet als Korrektiv gegen ebenso eindimensionale Überschätzungen, wie sie in heutiger Lukianforschung, soweit sie gegenwärtige Trends in seinen Texten gespiegelt finden will, feststellbar ist. Vor allem Bernays’ 1879, 14–18 berechtigte Berufung auf das respektvolle Zeugnis Galens zu Theagenes regt zum Nachdenken über Lukians Glaubwürdigkeit an. Zeller 18803, 773–775 sah in Peregrinos einen Kyniker, der „die Anforderungen seiner Schule nicht ohne Übertreibung geltend machte“ (774), und Theagenes sei von Lukian „mit der äussersten Gehässigkeit behandelt“ (775, Anm. 1); so auch Billerbeck 1978, 2, die eher der Darstellung des Gellius zuneigt. Und noch Macleod 1991, 270 sieht in Peregrinos einen mehr idealistisch orientierten philosophischen und religiösen Fanatiker. 176 So auch Harmon V 1. 177 Döring 1998, 315 hält den Sachverhalt an sich für glaubwürdig, doch habe Lukian manches übertrieben.

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zur Methodenschrift in der Behandlung der Form des Briefes. Der Vergleich läßt sich dazu nutzen, um Stereotypie wie auch kontextadäquate Variabilitätsfähigkeit des Autors Lukian zu erkennen. Formal zeigt der Peregrinos jedenfalls eine gewisse Verwandtschaft zur Methodenschrift, freilich innerhalb der skizzierten Grenzen. Das didaktische Element, welches das Profil der Methodenschrift maßgeblich bestimmt, fehlt in ihm vollständig, und Ähnliches trifft auf den Alexandros zu, jedenfalls soweit es den Adressaten Kelsos betrifft. Einzig der Schlußsatz der Schrift eröffnet mit geweitetem Fokus die Hoffnung des Autor-Ichs, die verständigen Leser möchten aus ihr mancherlei Nutzen schöpfen178. Ist unter dem Adressaten Kronios im Peregrinos wahrscheinlich ein Platoniker zu verstehen, so läßt der Alexandros keinen Zweifel daran, daß der Adressat Kelsos ein Epikureer ist, denn der Autor, bzw. das Autor-Ich, deutet es mehrfach implizit, aber im Kontext unmißverständlich an179; er hebt zudem auch Alexandros’ Feindseligkeit gerade gegen die Epikureer stark hervor180, und er selbst erweist Epikur eine zumindest teilweise dem Adressaten Kelsos geschuldete Reverenz181. Kelsos erscheint in der Schrift als der Verfasser einer sehr nutzbringenden Schrift gegen die Magier (katå mãgvn)182, und dieser Umstand erlaubt es, ihn mit Wahrscheinlichkeit, wenn auch keineswegs mit ganzer Sicherheit, als den von Origenes183 zwar genannten, aber nicht eindeutig von dem Platoniker Kelsos unterschiedenen Epikureer zu verstehen, der eine lange Abhandlung gegen die Magie geschrieben hatte184. Jedenfalls scheint Kelsos eine ebenso reale Person zu sein wie Alexandros von Abonuteichos, das Ziel der Attacke, dessen Kult, so wie er vom Autor charakterisiert ist, im Lichte des epigraphischen, numismatischen und archäologischen Befunds Bestätigung findet185, und zwar so sehr, daß der Lukiantext in Details gewinnbringend zur Identifizierung und Erklärung des Kultes herangezogen werden konnte186. Es ist also davon auszugehen, daß der nach 180 n. Chr. zu datierende Alexandros 187 zu denjenigen Schriften Lukians zählt, die fest in der historischen Realität verankert sind188. Lukians Schrift präsentiert sich von ihrer formalen Anlage her als Brief. 178 Luk. Alex. 61. 179 Luk. Alex. 47 und 61. Zu dem epikureischen Kontext Clay 1989. 180 Luk. Alex. 25, 38 und 43–47. 181 Luk. Alex. 25, 43, 47 und 61. 182 Luk. Alex. 21. 183 Die diesbezügliche Unsicherheit des Origenes zeigen folgende Stellen: Cels. I 8, I 68, IV 36. Fredes 1994, 5191–5192 Diskussion der Sachlage ergibt, daß der Kelsos, gegen dessen Schrift Origenes sich verteidigt, ohne Zweifel ein Platoniker war. 184 Eine Abhängigkeit des Passus Hippol. Haer. IV 28–42, bes. 34 (über Magie) von der Schrift des Kelsos ist wahrscheinlich; vgl. dazu Harmon IV 204–205, Anm. 1 und Clay 1992, 3440 mit Anm. 82. Kelsos, der Verfasser des ÉAlhyØw lÒgow, gegen den Origenes seine Polemik Katå K°lsou richtete, hingegen war ein Platoniker, und er war auch kein prinzipieller Gegner der Magie (Zeller 19034, 231–bes. 232, Anm. 4 und 234, Anm. 4). Es ist daher unwahrscheinlich, daß er mit Lukians Adressaten Kelsos zu identifizieren ist. So daher auch zu Recht Frede 1994, 5187: „... all such identifications so far have failed to persuade“; so schon Clay 1989, 319, Anm. 22 und ähnlich Macleod 1991, 269, Anm. 3, skeptisch auch Victor 1997, 132. 185 Belege und Literatur bei MacMullen 1966, 115–119, Clay 1992, 3438–3439, Victor 1997, bes. 1–3 und passim. 186 Das zeigt Clay 1992, 3439 mit einschlägiger Literatur. Grundlegend Robert 1980, 393–421. 187 Das läßt sich aus Luk. Alex. 48 schließen, wo Marc Aurel als yeÒw apostrophiert ist. 188 Victor 1997, 8–26 vergleicht die in dieser Schrift vom Verfasser Lukian geleistete sachliche Arbeit mit dessen theoretischen Postulaten in Hist. Conscr. und kommt so zu dem Ergebnis, daß zwar den Tatsachen Glauben zu schenken sei, nicht aber den Wertungen. Nun ist der Alexandros von der Gattung her nicht direkt mit einer flstor€a zu vergleichen, doch steht außer Zweifel, daß Lukian sich hier um realitätsgerechte Recherche bemüht hat, auch wenn

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Zwar fehlt ihm eine Grußformel, wie sie dem Peregrinos vorangestellt ist, doch ist die formale Gestaltung ansonsten der des Peregrinos recht ähnlich. Der Autor setzt auch hier Mittel ein, welche die Schrift als durchgehenden Kommunikationsprozeß mit dem Adressaten erscheinen lassen. Kelsos wird besonders auch mit variierender Anrede angesprochen189: mittels Imperativen ergehen an ihn wiederholt Appelle190, und zumindest einmal ist ihm auch eine fiktive Frage in den Mund gelegt191. Sein Verständnis wird mehrfach explizit vorausgesetzt192, und auch sonst ist er als Mann mit besonderem intellektuellem und moralischem Format dargestellt, und dies nicht bloß in der ebenso ausführlichen wie überaus herzlichen Schlußcharakteristik193, sondern auch in weniger expliziten, durch die ganze Schrift hin verstreuten Hinweisen194. Kelsos gehört nicht nur zur Klasse der Gebildeten195, vielmehr erhält er darüberhinaus ein individuelles Profil. Der Brief gibt sich, und dies unterscheidet ihn vom Peregrinos, als die Erfüllung eines von Kelsos ausgesprochenen Wunsches, Genaueres über Alexandros zu erfahren196. Wie im Peregrinos auch stellt das Autor-Ich sich als aktiv handelnde, in die Dinge unmittelbar involvierte Person dar, und zwar nicht nur unter damit verbundenen Gefahren, sondern durch Alexandros’ Umtriebe sogar unter persönlicher Lebensgefahr197. Und genau an dieser Stelle verläßt das Autor-Ich auch seine Rolle als Erzähler und tritt mit dem wirklichen Namen Lukian in Erscheinung198. Hier zeigt sich der Autor nicht mehr hinter einer Rolle versteckt, sondern er tritt ohne Maske als Person des Verfassers, der historischen Person Lukian, hervor. Nicht ohne Eitelkeit hatte er bereits zuvor in der Ich-Form seine auf Demaskierung des Alexandros abzielenden Aktivitäten detailreich beschrieben und sich damit dem Leser als Person mit Verstand, Mut und Charakter vorgestellt. Die Schrift per‹ t«n §p‹ misy“ sunÒntvn (De mercede conductis) gibt sich als ein lehrhafter Brief199. Hatte das didaktische Element im Peregrinos und im Alexandros, jedenfalls soweit es die Adressaten betrifft, vollständig gefehlt200, so tritt es hier, ähnlich wie in der Methodenschrift, als die formale Anlage des Schriftganzen bestimmend in Erscheinung. Die Warnungen, welche Autor bzw. Autor-Ich an die griechischen Philosophen ergehen lassen, sich nur ja nicht an Häuser römischer Reicher für Lohn zu verdingen, richten sich auf den ersten Blick ausschließlich an den dreimal seine Deutungen gelegentlich von seiner Abneigung gegen Alexandros geleitet sind, aus der er im übrigen auch kein Hehl macht. Neue archäologische Funde werden vielleicht bald die Faktizität seiner Darstellung in Details noch weiter bestätigen, als dies ohnedies schon jetzt der Fall ist. 189 Luk. Alex. 1 und 21 (Œ f€ltate K°lse), 17 (Œ f€le K°lse), 23 (Œ •ta›re), 61 (Œ filÒthw). 190 Luk. Alex. 4 (mit Emphase: ka‹ prÚw Xar€tvn mÆ me nom€s˙w §fÉ Ïbrei taËta toË PuyagÒrou l°gein), 4 und 16 (§pinÒhson), 21 (êkoue to€nun), 21, 48 und 53 (êkouson), 23 (mØ mikrÚn ofihyªw). 191 Luk. Alex. 21 (‡svw går §rÆs˙ me, und es folgt ein imperativischer Appell). 192 Luk. Alex. bes. 1, 20–21, 32, 43, 47. 193 Luk. Alex. 61 (zum Vergleich: eine dermaßen detaillierte Charakterisierung fehlt im Peregrinos). 194 Luk. Alex. 1, 17, 20, 21, 32, 43 (er erscheint als ein Mann mit besonderen intellektuellen Fähigkeiten, in ethischer Hinsicht wird bei ihm die Eigenschaft der suggn≈mh vorausgesetzt). 195 Luk. Alex. 20 (er erscheint deutlich abgehoben von den fidi«tai, gehört also, wenn hier auch nicht explizit ausgesprochen, zu den pepaideum°noi). 196 Luk. Alex. bes. 1–2 und 61. 197 Luk. Alex. bes. 53–57. 198 Luk. Alex. 55 (Alexandros erfährt …w §ke›now e‡hn ı LoukianÒw). 199 Schmitz 1997, 57 bezeichnet die Schrift kaum zutreffend als einen Traktat. 200 Nur Luk. Alex. 61 wendet sich an den Leser.

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mit seinem Namen angesprochenen Adressaten Timokles201, doch legt der Autor202 zumindest an einer Stelle unmißverständlich klar, daß sich die Schrift an griechische Intellektuelle jeder Art wende, d. h. an Grammatik-, Rhetorik- und Musiklehrer, überhaupt an all diejenigen Personen, welche sich mit dem Gedanken trügen, sich zu Bildungszwecken, d. h. zur Vermittlung von Bildung (paide€a), als Hauslehrer an reiche Haushalte zu verdingen203. In gewissem Sinne boykottiert der Autor damit die von ihm konstruierte Fiktion, die Schrift wende sich persönlich an den ansonsten durchgehend angesprochenen Timokles, dessen schon lange Zeit zuvor wahrgenommene Ambitionen den Anlaß zu der Schrift gegeben hätten204. Überhaupt bietet der Text Gründe genug, die reale Existenz dieses Timokles in Zweifel zu ziehen. Alleine schon der durchsichtig gebildete Name205 – denn beide Bestandteile beinhalten das Trachten nach Ehre – erweckt Verdacht, und dieser Verdacht steigert sich fast zur Gewißheit, wenn man den Text auf die Rolle der Ehre als einer treibenden Kraft hin untersucht. Und dabei ergibt sich, daß die Schrift als ganze wesentlich darauf hinausläuft, die Unbegründetheit von derlei Hoffnungen auf Gewinn von Prestige als bloße Illusion zu entlarven206. Dies zeigt bereits der Einleitungspassus207, in welchem zunächst die offiziellen Gründe genannt werden, mit denen die Anwärter auf solche Anstellungen ihre persönlichen Entscheidungen zu begründen pflegten208, während der Autor sodann die aus seiner Sicht echten, doch niemals von den Anwärtern selbst vorgebrachten Gründe benennt, nämlich die Begierde nach Unnotwendigem und nach sozialem Aufstieg, wie der Autor en passant, aber darum umso wirkungsvoller noch hinzufügt209. Timokles, auch wenn es so nicht ausdrücklich ausgesagt wird, ist, so wird dem Leser suggeriert, der Klasse ehrgeiziger Aufsteiger zuzurechnen. In der Wahrnehmung des Lesers kommt ihm weniger eine individuelle Existenz zu, vielmehr figuriert er als Vertreter einer unter Griechen offensichtlich verbreiteten Mentalität, nämlich der Illusion, Eintritt in die Häuser der Reichen würde ihnen Luxus und Sozialprestige einbringen. Die Schrift illustriert nun mit drastisch ausgeführtem Detail, was geschieht, wenn ein Grieche wie Timokles, vom übermäßig starken Wunsch nach vermeintlichem Prestige (dÒja) getrieben210, 201 Der Name Timokles ist genannt in Luk. Merc. Cond. 2, 13 und 42. 202 In Luk. Merc. Cond. 3–4 sucht das Autor-Ich sich von Schuld im Falle unterbleibender Hilfestellung zu entlasten. 203 Luk. Merc. Cond. 4: man beachte, wie sehr die Rolle des Adressaten Timokles hier relativiert erscheint. (ÑRhyÆsetai d¢ ı pçw lÒgow tÚ m¢n ˜lon ‡svw diå s°, plØn éllÉ oÎ ge per‹ t«n filosofoÊntvn Ím«n mÒnon, oÈd¢ ıpÒsoi spoudaiot°ran tØn proa€resin proe€lonto §n t“ b€ƒ, éllå ka‹ per‹ grammatist«n ka‹ =htÒrvn ka‹ mousik«n ka‹ ˜lvw t«n §p‹ paide€aiw sune›nai ka‹ misyofore›n éjioum°nvn). Die vermittelte Botschaft ist

negativer Natur, es geht um das Vermeiden eines Übels, nicht um gesellschaftliche Veränderung. Daher ist „ein gewisses soziopolitisches Engagement“ (so von Möllendorff 2006, 291) daraus kaum abzulesen. 204 Luk. Merc. Cond. 3. 205 So zu Recht auch Harmon III 411: „Lucian feigns to be advising a young friend, whom he dubs Timocles (Master Ambitious), against such a career ...“. 206 Zum soziologischen Kontext Schmitz 1997, 50–63, bes. 57–58. 207 Die langgestreckte Einleitung reicht von Luk. Merc. Cond. 1–9, der Hauptteil beginnt sodann mit f°re ≥dh ... §piskopÆsvmen in Kap. 10. 208 Luk. Merc. Cond. 5–6. 209 Luk. Merc. Cond. 7–9, bes. 9 (plØn efi mØ ktl, es folgt eine Ich–Aussage des Autor-Ichs). 210 Luk. Merc. Cond. 9: der Autor läßt die wahre Motivation solcher Anwärter zuletzt in Erscheinung treten, geradezu en passant, doch darum nur umso wirkungsvoller: plØn efi mØ kéke€nvn tiw memn∞syai éji≈seien t«n ka‹ mÒn˙

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sich auf diesem Wege erhofft, die von ihm erstrebte Ehre (timÆ) zu erlangen211. Nur anfangs, solange er ein Neuling im Hause sei, würde ihm ein demonstrativer Respekt erwiesen werden212, doch alsbald würde er bereits bei dem ersten vertraulichen Gespräch mit dem vom habituellen Schmeichler darin kräftig unterstützten Herrn des Hauses mit süffisantem Hinweis darauf, daß er als Philosoph ja bloß um der Ehre (timÆ) willen gekommen sei, um den erhofften Lohn geprellt werden213, sodann werde er eine progressiv verlaufende Degradierung zu spüren bekommen214, er werde es erfahren, nach welchen Gesichtspunkten eine tatsächliche Ehrenstellung (timÆ) im Hause verteilt werde215, um schließlich ausrangiert und völlig verbraucht weggeworfen zu werden216. Die Übersicht zeigt, daß der Name Timokles ein redender Name ist, daß der Adressat für einen ganz bestimmten Typus steht, auch wenn ihm der formalen Anlage dieser Schrift nach die individuelle Funktion eines Adressaten zukommt217. Der Autor kann es sich daher leisten, Timokles in einer Weise zu charakterisieren, wie sie tatsächlich weniger zu einem solchen literarischen Brief zu passen scheint, als vielmehr zu einer polemischen Auseinandersetzung mit einem Zeitphänomen218. Das Autor-Ich beschreibt den momentanen Geisteszustand des Timokles nämlich mit Anwendung einer Metapher aus der Fischersprache in einer Art und Weise, wie der Autor Lukian sonst verfährt, um drastische Effekte zu erzielen; es vergleicht ihn mit einem Fisch, der sein Maul weit geöffnet hält, um so leidenschaftlich nach dem bereit liegenden Köder zu schnappen219. Es rückt ihn ebenso auffällig wie sachlich scheinbar unnötig – denn dasselbe Ziel hätte sich ja unter Vermeiden der Du-Ansprache ganz leicht erzielen lassen – nahe heran an die Klasse der in vielen anderen Schriften Lukians attackierten Pseudophilosophen220, und es scheint diesem kaum zuzutrauen, selbst einem gutgemeinten Rat zugänglich zu sein221. In der Methodenschrift tª dÒj˙ §pairom°nvn toË sune›nai eÈpatr€daiw te ka‹ eÈparÊfoiw éndrãsin: 211 Luk. Merc. Cond. 13 (de› dÆ soi ... tØn êllhn timØn Íp¢r toÁw polloÁw Ípãrxein) sowie 16 (ëpasin §ke€noiw §ntrufÆsvn ka‹ mey°jvn aÈt«n §j fisotim€aw, zur bitteren Realität vgl. Kap. 27). 212 Luk. Merc. Cond. 14 (vom Hausherrn beim ersten Gastmahl: ka€ se pãnu §nt€mvw §d°jato).

213 Luk. Merc. Cond. 19–20. 214 Luk. Merc. Cond. bes. 26 (vorausgesagt in Kap. 17 von jemandem, der es schon bitter am eigenen Leibe erfahren habe): er hätte jetzt nicht mehr die gleiche Stellung wie zuvor inne (oÈk°yÉ ımo€vw ¶ntimow), würde bei Gastmählern gegenüber dem jeweils eintretenden Neuling in den letzten Winkel zurückgedrängt (efiw tØn étimotãthn gvn€an §jvsye‹w) und bekomme solcherart nur kümmerliche Reste von Speis und Trank ab (Ïbriw êntikruw ka‹ étim€a und êtimow Ãn sumpÒthw); nur unwissende Außenstehende beneideten ihn (21). 215 Luk. Merc. Cond. 18, 27 und 33 (Kinaiden und für das Unterhaltungsprogramm zuständige Leute werden dir jetzt vom Hausherrn und der Herrin des Hauses gleichermaßen vorgezogen). 216 Luk. Merc. Cond. 39–41. 217 Schmid / Stählin 1924, 735 scheint an der Realität des Timokles jedoch nicht zu zweifeln. 218 Mesk 1913, 9–19 wollte in der Schrift eine zumindest partielle Verteidigung der Griechen gegen Juvenals Anklage gegen diese (generell zur Bewertung der Griechen durch die Römer Petrochilos 1974, bes. 35–53) sehen, doch erklären sich mancherlei Übereinstimmungen wohl eher daraus, daß beide Autoren sich über dieselben Zustände äußern (so zutreffend Capelle 1914, 273–274), denn Lukian rezipiert ja auch sonst die römische Literatur kaum. Die Vorsicht, mit welcher Courtney 1980, 624–629, bes. 626–627 Ähnlichkeiten zwischen Lukians Schrift und der dritten und fünften Satire Juvenals in Aussage und Phraseologie notiert, ist daher wohlbegründet. 219 Luk. Merc. Cond. 3: ıpÒte oÔn taËta ka‹ tå toiaËta ≥kouew, •≈rvn ˜pvw §kexÆneiw prÚw aÈtå ka‹ pãnu sfÒdra prÚw tÚ d°lear énapeptam°non pare›xew tÚ stÒma.

220 221

Luk. Merc. Cond. bes. 24. Luk. Merc. Cond. 3 (... ≤mçw m¢n §n to›w deilo›w ka‹ diå toËto pein«sin énãgrafe, seautÚn d¢ parakal°saw yarre›n §pixe€rei tª êgr&, efi y°leiw, kayãper ı lãrow ˜lon perixan∆n tÚ d°lear) und Kap. 42

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hingegen, um hier zum ersten Mal mit dieser einen Vergleich anzustellen, ist all dies vermieden. Deren Schlußsatz vollzieht nämlich elegant einen Übergang vom „Du“ zur dritten Person222. Warum also wird Timokles nicht mit dem für einen literarischen Brief üblichen Respekt behandelt? Weil der Verfasser Lukian in diesem Fall die für die konventionelle Briefform gültigen Bedingungen bis zu einem gewissen Grad vorsätzlich überschreiten möchte, um auf diese Weise anhand des Individuums Timokles eine Modetorheit als solche zu demaskieren223. Er wahrt also bei einem Thema, das ihn, wie die spätere, gleichfalls in vergleichbarer Briefform gestaltete Apologia 224 zeigt, persönlich beschäftigt hat, eine geringere Distanz zum Darstellungsobjekt als in der Methodenschrift, in welcher die Rolle des Diogenes von Sinope, in die er als Autor schlüpft, ihm die Möglichkeit einer demonstrativ gelassenen Außenperspektive bietet. Dies bedeutet aber keineswegs, daß Lukian nicht auch in der Schrift De mercede conductis bestrebt ist, den Briefcharakter durch seine Art der Gestaltung hervortreten zu lassen. Diesem Zweck dienen durchgängige, nur streckenweise von monologischer Darstellung unterbrochene Ansprache an das Du 225, Anrede an den Adressaten Timokles mit Namensnennung226, variierende Anredeformen ohne Namensnennung227, Voraussetzen von Vorwissen aufseiten des Adressaten228, insbesondere häufige Imperative229, hortative Konjunktive230, Fragen, im Besonderen die rhetorische Frage231 sowie die dem Du in den Mund gelegte Frage und die direkte Rede232. (Schlußsatz: der Autor spricht die Warnung aus: ˜ ti dÉ ín prãtt˙w, m°mnhso toË sofoË l°gontow …w yeÚw éna€tiow, afit€a d¢ •lom°nou, das Zitat stammt aus Pl. R. X 617 e, es lautet: Afit€a •lom°nou: yeÚw éna€tiow). 222 Luk. Hist. Conscr. 63 mit fast unmerklichem Übergang vom soi zum unbestimmten tinew. 223 In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, daß in Luk. Apol. 3 (fiktive Anklagerede des Sabinus) explizit von (der Publikation vorausgehenden) Lesungen die Rede ist (…w ofl tÒte ékroasãmenoi dihgoËnto und ˜ra ˜pvw mhde‹w ¶ti ékoÊseta€ sou énagin≈skontow aÈtoË). 224 Die in der Apologia angewandten Darstellungsmittel sind Anrede mit und ohne Namensnennung (Kap.1: Œ kal¢ Sab›ne, 8: Œ filÒthw und 11, 12, 15: Œ •ta›re, in Kap. 3 spricht der fiktive Redner Sabinus den Autor an mit: Œ filÒthw), Imperativ (3 und 11), Frage, bes. an das Du (7), Zitat (3, 5, 6, 10, 14, 15) und Sprichwort bzw. sprichwörtliche Redensart (1, 9, 11). Die fiktive direkte Rede des Sabinus umfaßt die Kap. 3–7. Aus Apol. 15 ist zu entnehmen, daß Sabinus bei seiner Reise nach dem Westen bereits Lukian begegnet war. 225 In demjenigen Passus der Einleitung (Luk. Merc. Cond. 5–9), in welchem die Gründe der Anwärter auf dergleichen Anstellungen genannt und widerlegt werden, ist das Du weitestgehend ausgeblendet; nur eine Wendung wie f°rÉ oÔn ‡dvmen (Kap. 6) ist als Einbezug des Du zu deuten. 226 Luk. Merc. Cond. 2 (Œ kal¢ TimÒkleiw), 13 (Œ TimÒkleiw) und 42 (Œ êriste TimÒkleiw). 227 Luk. Merc. Cond. 1 (Œ filÒthw), 19 (Œ •ta›re), 22 und 25 (Œ genna›e), 23 (Œ b°ltiste), kontextbedingt bes. 13 (Œ makãrie), ein Sonderfall ist 24 (Œ kãyarma, fa€hn ên, ka‹ mãlista prÚw tÚn filosofe›n fãskonta, mit unmittelbarem Übergang zum Du). 228 Luk. Merc. Cond. 26 (…w o‰sya) und 33 (o‰sya). In keinem Fall wird jedoch beim Philosophen ein Wissen um existentielle Fragen vorausgesetzt. 229 Luk. Merc. Cond. 3 (êkouson, proepiskÒphson, énãgrafe, §pixe€rei), 11 (t€yei), 12 (§nnÒhson), 13 (sk°cai), 22 (êkouson), 23 (m°mnhso, ‡syi) und 42 (§nnÒhson, m°mnhso). 230 Luk. Merc. Cond. 6 (zu Beginn der Widerlegung eines der nicht haltbaren Gründe: f°rÉ oÔn ‡dvmen ktl) und 10 (in der Einleitung zum Hauptteil der Schrift: f°re ≥dh prÚw ≤mçw aÈtoÁw §piskopÆsvmen, ... ktl). 231 Merc. Cond. u. a. 24, 25 und 27, bes. 25 (oÈx ıròw;). Vgl. Apol. 3–7, wo dem Sabinus eine lange fiktive Anklagerede in den Mund gelegt ist. 232 Luk. Merc. Cond. 11 (fiktive Antwort auf eine fiktive Frage) 22 (fiktive Frage und fiktive Rede), 24 (fiktiver Ausruf), vom Autor (bzw. Autor-Ich) vorweggenommene Frage in indirekter Form in Kap. 3 (... ˜pvw mØ taËta l°g˙w pot°). Vgl. aber auch Kap. 34 (direkte Rede des Kinaiden).

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Die Verwendung all dieser Stilmittel233 war bereits im Peregrinos und im Alexandros zu beobachten gewesen, und sie treten auch, wie noch zu zeigen sein wird, in der Methodenschrift in Erscheinung. Darüberhinaus verbinden die beiden Schriften, De mercede conductis und Quomodo historia conscribenda sit, noch andere feine Fäden miteinander. In beiden Fällen werden nicht nur didaktische Ziele verfolgt, sondern das Autor-Ich legitimiert sich auch in seiner belehrenden Rolle durch eine vergleichbare Beglaubigungsstrategie. In De mercede conductis äußert diese sich in dem demonstrativen Hinweis auf die Verwertung von Erfahrungsberichten der Betroffenen234, und in der Methodenschrift gibt das Autor-Ich zu Beginn des zweiten Teils der Schrift an, bei Lesungen von Geschichtswerken in Ionien und Achaia zugegen gewesen zu sein235. Und in einem Zusammenhang damit steht, daß das Autor-Ich in ähnlicher Weise alleine schon die bloße Vorstellung einer aktiven Beteiligung an den allgemeinen Gepflogenheiten mit entschiedener Geste von sich weist. In De mercede conductis erklärt es, nicht ohne den Ausdruck von demonstrativer Emphase, über keinerlei persönliche Erfahrung mit solchen besoldeten Stellungen zu verfügen, und es weist die Zumutung zukünftiger Bekanntschaft damit entrüstet weit von sich236. In der Methodenschrift ist es die Option, künftighin selbst ein Geschichtswerk zu verfassen, die vom Autor-Ich auf ganz ähnliche Weise als ein allzu großspuriges Ansinnen zurückgewiesen wird237. Darüber hinaus nimmt das Autor-Ich in beiden Schriften eine ähnlich illusionslose Einstellung gegenüber der Wirkmöglichkeit seiner Lehren ein. In der Schrift De mercede conductis gibt das Autor-Ich zu erkennen, daß der Adressat – dieser steht, wie schon erkannt, für eine nicht belehrbare Allgemeinheit – sich durch die erteilten Lehren nicht von seinem einmal gefaßten Vorhaben werde abbringen lassen238, und in der Methodenschrift dient die vom Autor für die Zwecke dieser Schrift eingenommene Rolle des Diogenes von Sinope dazu, um die faktische Wirkungsmöglichkeit einer solchen Belehrung grundsätzlich in Frage zu stellen239. Beide Schriften arbeiten außerdem mit einer vergleichbaren Strategie eines Ausschließungsverfahrens. Im einen Fall, in De mercede conductis, verläuft die Argumentation so: es brauchten bloß die von den griechischen Gelehrten vorgebrachten Scheingründe 233 Von Möllendorff 2006, 292 bezeichnet die Schrift daher, teilweise zu Recht, als „Diatribe“, doch ist auch der Briefcharakter zu berücksichtigen. 234 Luk. Merc. Cond. 1 (o‰da går pollå ka‹ sxedÚn tå ple›sta t«n sumbainÒntvn aÈto›w, oÈk aÈtÚw må D€a toË toioÊtou peiraye€w, ktl., vgl. weiter unten: §pÆkouon aÈt«n ... dihgoum°nvn, vgl. Kap. 2 mit der Einschränkung, er werde berichten kéke›na ka‹ e‡ tinÉ êlla §k toË lÒgou suntiye‹w eÍr€skv prosÒnta ta›w toiaÊtaiw sunous€aiw), vgl. Kap. 33–35 (33: dihgÆsato, 34: §puyÒmhn, 35: o‰da). 235 Luk. Hist. Conscr. 14 (ÉEg∆ dÉ oÔn ka‹ dihgÆsomai ıpÒsa m°mnhmai ¶nagxow §n ÉIvn€& suggraf°vn tin«n ka‹ nØ D€a §n ÉAxa€& pr–hn ékoÊsaw tÚn aÈtÚn toËton pÒlemon dihgoum°nvn), vgl. auch bes. Kap. 47 über die Prinzipien, nach denen der Historiker bei seiner sachlichen Recherche zu verfahren habe, sowie dazu die Einleitung, Teil II 1. Das Autor-Ich bedient sich hier ebenso wie in den in der vorangehenden Anmerkung genannten Stellen einer der Geschichtsschreibung abgeschauten Beglaubigungsstrategie. 236 Luk. Merc. Cond. 1 (oÈ går §n énãgk˙ moi ≤ pe›ra §geg°nhto, mhd°, Œ yeo€, g°noito). 237 Luk. Hist. Conscr. 4 (... oÈx …w flstor€an suggrãfein oÈd¢ prãjeiw aÈtåw dieji°nai: oÈx oÏtv megalÒtolmow §g≈, mhd¢ toËto de€s˙w per‹ §moË). 238 Luk. Merc. Cond. 3 (§pixe€rei tª êgr&, efi y°leiw, kayãper ı lãrow ˜lon perixan∆n tÚ d°lear) und 42 (˜ ti dÉ ín prãtt˙w, m°mnhso toË sofoË l°gontow …w yeÚw éna€tiow, afit€a d¢ •lom°nou). 239 Luk. Hist. Conscr. 3 (erstmalige Einführung des Diogenes von Sinope durch eine Anekdote), 5 (ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si) und 63 (wenn künftige Historiker der Lehranweisung nicht folgen wollten, so gelte doch immerhin: kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ).

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widerlegt zu werden, schon wäre auch die erste Grundlage für eine aus freien Stücken auf sich genommene Knechtschaft beseitigt240. In der Methodenschrift erfüllt die Eliminierung diverser Mängel (Kap. 14–32) die reinigende Funktion, um den Weg für eine richtige Handhabung des Metiers Geschichtsschreibung durch den dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 34–60) freizumachen241. Dem Zweck, die erteilten Lehren als möglichst plausibel erscheinen zu lassen, dient u. a. auch das gezielte Lächerlichmachen gegenteiliger Tendenzen242. Und so werden denn vom Autor, gleichfalls in beiden Schriften, drastische Vergleiche gezogen bzw. geradezu groteske Bilder konstruiert243, Anekdoten bzw. auf Pointen hinauslaufende Geschichten erzählt244, um auf diese Weise das ganze Ausmaß an Lächerlichkeit, eben das gelo›on, welches der allgemeinen Praxis innewohne, sinnfällig in Erscheinung treten zu lassen. Weiters, zur Auflockerung bedient sich der Autor in beiden Schriften der Mittel von Zitaten245, sprichwörtlichen Redensarten246 und fiktiven direkten Reden247. Er setzt das rhetorische Instrument der praeteritio ein248, und als eines strukturierenden Elements bedient er sich auch des Vorverweises249. Insgesamt steht somit unter den Schriften Lukians in Briefform keine der Methodenschrift näher als De mercede conductis. Freilich sind auch die nicht unerheblichen Unterschiede nicht zu übersehen, auch nicht der Umstand, daß einzelne Elemente aus anderen Schriften Lukians durchaus Parallelen zu der Methodenschrift aufweisen, doch erscheint die Reichweite solcher partieller Kongruenzen in der Regel als von begrenzter Natur. Auf derartige teilweise Übereinstimmungen wird, um nicht die Darstellung innerhalb der ohnedies bereits sehr umfangreichen Einleitung zu überlasten, jeweils im einschlägigen Kommentar zu den einzelnen Stellen hingewiesen. Nur ein für das Verständnis der formalen Anlage der Methodenschrift bedeutsames Moment sei an dieser Stelle noch genannt, der Umstand, daß diese sich deklariert 240

Luk. Merc. Cond. 5 (aus der Widerlegung der Scheingründe folge logischerweise: oÏtv går ín aÈto›w ≤ épolog€a proanairo›to ka‹ ≤ pr≈th ÍpÒyesiw t∞w §yelodoule€aw). 241 Luk. Hist. Conscr. 32 (... e‡ ge élhy¢w §ke›nÒ fhsin ≤ dialektikØ …w t«n ém°svn ≤ yat°rou êrsiw tÚ ßteron pãntvw énteisãgei). 242 In Luk. Merc. Cond. 8, 33, 34 und 36 werden dafür besonders die Adjektive gelo›on (dieses auch im Superlativ), pagg°loion und katag°laston gebraucht, ähnlich in Hist. Conscr. 8, 21, 23, 24 und 29. 243 Luk. Merc. Cond. 8 (mit dem kommentierenden Ausruf: ÑHrãkleiw, …w katag°laston ktl) und 30 (Conclusio in fiktiver direkter Rede: ... ka‹ tÚ prçgma ˜moion doke› Àsper ín e‡ tiw kvmƒd€an Ípokr€naito tragikÚn prosvpe›on perike€menow), besonders häufig findet sich dies in Hist. Conscr., u. a. 8 (ÑHrãkleiw, …w katag°laston aÈtÚn épergãsaito afisxÊnaw t“ kÒsmƒ §ke€nƒ), 10 (paradoxer Rollentausch zwischen Herakles und Omphale), 22 (Àste tÚ prçgma §oikÚw e‰nai tragƒd“ tÚn ßteron m¢n pÒda §pÉ §mbãtou ÍchloË bebhkÒti, yat°rƒ d¢ sãndalon Ípodedem°nƒ), 23 (... e‡ pou ÖErvta e‰dew pa€zonta, prosvpe›on ÑHrakl°ouw pãmmega µ Titçnow perike€menon).

244 Luk. Merc. Cond. bes. 33–36 (pointiert zugespitzte Erzählungen), Hist. Conscr. 12 und 40 (Anekdoten). 245 Luk. Merc. Cond. 1, 2, 11, 16, 20, 26 (Homerzitate aus Odyssee und Ilias), 5 (Theogniszitate), 42 (Platonzitat), 38 (Sophokleszitat), 23 (Quelle unsicher), Hist. Conscr. 1 (Euripides), 2 (Heraklit), 5 und 42 (Thukydides), 23 (Xenophon), 4, 8 und 57 (Homer), 54 (Herodot und Thukydides), 62 (Inschrift des Architekten Sostratos). Diese Auflistung ist nur als Auswahl zu verstehen, denn die freieren Paraphrasen aus bekannten Klassikern sind hier nicht berücksichtigt, und dasselbe gilt im Besonderen auch für die Zitate aus zeitgenössischen Geschichtsschreibern (14–32). 246 Als solche markiert sind Luk. Merc. Cond. 4, 21, 25 und 30, Hist. Conscr. 2, 7, 23, 32 und 41. 247 Luk. Merc. Cond. 11, 22, 24, bes. 30 (es sind lediglich Reden des Du hier aufgenommen), Hist. Conscr. 3, 12, 40, 61. 248 Luk. Merc. Cond. 32, Hist. Conscr. 11, 15, 27, 28. 249 Luk. Merc. Cond. 6, Hist. Conscr. 6, 9, 23, 27.

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als Paränese (para€nesiw)250 gibt. In der Schrift De mercede conductis fehlt trotz des an sich didaktischen Anspruchs dieses spezielle literarische Konstrukt, und daraus ergibt sich die Notwendigkeit, im folgenden Abschnitt auf die Ursprünge der literarischen „Gattung des paränetischen Briefes“, wie ich sie hier nennen möchte, mit größerer Ausführlichkeit einzugehen, besonders auch deshalb, weil die Methodenschrift bisher noch nicht unter diesem an sich naheliegenden Gesichtspunkt, der auch, was noch nicht erkannt worden ist, den Titel p«w de› flstor€an suggrãfein251 erklärt, betrachtet wurde. Es wird zu diesem Zweck also notwendig sein, beginnend mit Isokrates, die Geschichte der Gattung des paränetischen Briefes, soweit dies die zur Verfügung stehenden Quellen erlauben, nachzuvollziehen, um auf diesem Weg schließlich Lukians Schrift den ihr innerhalb dieser Traditionen zukommenden Platz zuzuweisen. Auf dieser Grundlage wird es dann vielleicht möglich sein, zu bestimmen, in welchem Grad und in welchem Sinn Lukians Schrift als ein eigenständiges literarisches Konstrukt zu betrachten ist. I 2. 3 Isokrates und der paränetische Brief Die frühesten erhaltenen Briefe in griechischer Prosa stammen von Isokrates. Unter diesen befindet sich eine spezielle Gattung, die sich wohl am Zutreffendsten als „paränetischer Brief“ bezeichnen läßt252, der durch seinen lehrhaften Charakter gekennzeichnet ist253. Diese Gattung ist repräsentiert durch die beiden in Aussage und Form einander ähnlichen Briefe an Nikokles und Demonikos. Der in der Echtheit unbestrittene Brief an Nikokles stellt seiner Aussage nach einen Fürstenspiegel dar; gattungsgeschichtlich ist er der früheste seiner Art. Darin belehrt der Autor Isokrates den eingangs mit seinem Namen angesprochenen Adressaten Nikokles254, der nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters Euagoras seit dem Jahr 374/3255 v. Chr. König von 250

Luk. Hist. Conscr. 4 (... para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw ÍpoyÆsomai to›w

suggrãfousin) und 5.

251

Vgl. dazu besonders die folgende Anmerkung, welche zeigt, daß der Schriftentitel analog zu parain°seiw, p«w de› basileÊein Ùry«w (Mandilaras I 229) im vollen Wortlaut solcherart lauten müßte: parain°seiw, p«w de› flstor€an suggrãfein.

252 Schon Blass 18922, 271 nannte die Schrift eine „Ermahnungsrede an den König“, Norlin (introd. XXXI und 39) zählt sie zu den drei „treatises on ethics“, sie sei „an ethical dissertation“ mit hortativem Charakter („hortatory“). Auch Lesky 19713, 657 rechnet sie zu den Reden, sie habe parainetischen Charakter, Eucken 1983, bes. 216 spricht lediglich von „Die Rede des Nikokles“, Münscher 1916, 2190 von „Sendschreiben“, Görgemanns III, 107, 118 bezeichnet sie als „eine Paränese“, als „eine direkt an ihn [sc. Nikokles] gerichtete Mahnschrift“. Und diese Klassifizierung wird dem unbezweifelbaren Briefcharakter am ehesten gerecht, der schon in der Hypothesis (Mandilaras I 229) zum Ausdruck kommt: PrÚw toËton [sc. prÚw Nikokl°a] grãfei pãlin ı ÉIsokrãthw parain°seiw, p«w de› basileÊein Ùry«w. Bei Phot. Bibl. 159, 101 b 33–37 (= Mandilaras I 217) ist die Schrift zu den Sumbouleutiko‹ .. t«n aÈtoË lÒgvn ... xrhs€mouw parain°seiw peri°xontew des Isokrates gerechnet, aber der Briefcharakter findet dabei auch Berücksichtigung (ı prÚw Nikokl°a, sc. lÒgow). Vgl. Sykutris 1927, 50–53 und Münscher 1927, 1102–1103, die beide den Briefcharakter betonen. 253 Thraede 1970, bes. 17–27 behandelt den „paränetischen Brief“, wie ich ihn hier nenne, überhaupt nicht, sondern nur den „Freundschaftsbrief“ (21), denn (25): „ein Lehrbrief ist kein Brief, weil zu wenig auf Umgang zwischen f€loi zugeschnitten“. 254 Isoc. Or. 2, 1 (Œ NikÒkleiw). 255 Diodor (XV 47, 8) datiert die Ermordung des Euagoras in das Jahr 374/3 v. Chr., er bezeichnet „den Eunuchen Nikokles“ als dessen Mörder, der danach die Herrschaft über die Salaminier übernommen habe. Aristoteles hingegen (Pol. V 1311 b 5–7) führt den Mord am König durch den (namentlich nicht genannten) Eunuchen darauf

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Zypern war, freundschaftlich darüber, wie sich ein König seinen Untergebenen gegenüber richtig zu verhalten habe256. Die Schrift ist in die frühe Regierungszeit des Nikokles zu setzen, da der Verfasser bei seinen besonderen Absichten sicher die Gelegenheit dazu ergriffen hätte, wenn es etwas Positives über eine bereits erfolgte Bewährung des Adressaten in seinem Amt zu berichten gegeben hätte257. Isokrates zeigt sich dessen bewußt, daß er mit seinem neuartigen Unternehmen (§pixe€rhma), für Monarchen einen gültigen Verhaltenskodex zu formulieren (nomoyete›n ta›w monarx€aiw), ein bislang in der Literatur vollständig außer Acht gelassenes Feld betritt, habe es bis dahin doch lediglich Vorschriften für Menschen ohne besondere politische Verantwortung (fidi«tai) gegeben258, nicht aber für Monarchen in verantwortungsvoller politischer Position. Hinsichtlich der auf protreptische Ziele hin angelegten259 literarischen Gattung steht der Brief, wie der Autor explizit angibt260, in der Tradition der ethischen Handreichungen (Ípoy∞kai) des Hesiod, Theognis und Phokylides – um seine eigenen Worte zu gebrauchen – „der besten Ratgeber für das Leben der Menschen“261. In diesem Sinne klassifiziert Isokrates seine zurück, daß der Sohn des Euagoras diesem die Frau weggenommen hatte. Die Art, wie Isokrates im Enkomion auf Euagoras (Or. 9, 72) über dessen Kinder spricht, erweckt den begründeten Verdacht, daß hier etwas Wichtiges verschwiegen wird. 256 Er begründet die Notwendigkeit für eine solche Anweisung damit, daß zwar einige der Dichter ÍpoyÆkaw …w xrØ z∞n hinterlassen hätten, daß diese aber lediglich für die fidi«tai Gültigkeit hätten, während es für die Könige (tÊrannoi), die derer doch mehr als all die anderen bedürften, nichts dergleichen gäbe (énouy°thtoi diateloËsin), Isoc. Or. 2, 3–4. In der Antidosisrede (Or. 15, 67) charakterisiert Isokrates diese Rede (lÒgow), aus deren Hauptteil er sodann beträchtliche Teile verlesen läßt, als eine sumbouleÊvn …w de› t«n polit«n êrxein, und rückblickend gibt er eine seinen aktuellen Zwecken entsprechende Darstellung von Rede und Adressaten (bes. 71–72). 257 So richtig Blass 18922, 271, Anm. 3. Eucken 1983, bes. 181, Anm. 46 rückt bei seiner Absicht, darin eine Polemik gegen Platons Politeia als plausibel erscheinen zu lassen, die Entstehungszeit der Rede wohl zu weit nach unten, mit dieser Begründung: „Eine sofortige Fertigstellung der Rede an Nikokles ist bei Stil und Arbeitsweise des Isokrates nicht wahrscheinlich“. Zu Versuchen einer Spätdatierung (bis 370 v. Chr. herunter) Literatur bei Eucken 1983, 215, bes. Anm. 15. Richtig ist, daß Blass 18922, 271 mit dem Ansatz um 376 v. Chr. zu früh liegt. Jaeger 1947, 156–157 kommt über eine Betrachtung der aktuellen politischen Verhältnisse, durchaus plausibel, zum Ansatz im Intervall 374–373/2 v. Chr. Als sicher kann gelten, daß der Brief an Nikokles der isokrateischen Rede des Nikokles an die Kyprier zeitlich vorangeht (so eindeutig Isoc. Or. 3, 11). Für die zeitliche Einordnung hingegen der dritten der drei kyprischen Reden, des Enkomions auf Euagoras (Or. 9), fehlen aussagekräftige Indizien. Sykutris 1927, 50–53 tritt für Frühdatierung (Or. 9, 2 und 3) ein, Münscher 1927, 1102–1103 für spätere Datierung (Or. 2, 9 und 3), und Burk 1923, 55, wohl am Plausibelsten, für eine Spätdatierung (Or. 2, 3 und 9), in dieser Reihenfolge auch Jebb 1962, 107–108 mit Anm. 5 (Euagoras im Jahr 365 v. Chr. oder noch später bis maximal 353 v. Chr., in dem Nikokles nicht mehr am Leben ist). 258 Isoc. Or. 2, 8. Solche Lebensregeln in Prosa gab es von Hippias und Antisthenes, vgl. Norden 1905, 522–524, der erstaunlicherweise in diesem Zusammenhang überhaupt nicht auf Isokrates zu sprechen kommt. In der Dichtung verdienen die Lebensregeln Beachtung, die im euripideischen Erechtheus (zur Datierung nach 422 v. Chr. Collard / Cropp 366) von Erechtheus an seinen Sohn bzw. Erben erteilt werden (parain°sai in Vers 3): Kannicht 402–405, Fr. 362 = Collard / Cropp 380–383, Fr. 362. 259 Isoc. Or. 2, 8 (§pÉ éretØn protr°pein), vgl. auch Or. 3, 12 (fiktive Rede des Nikokles: parakal°sai ka‹ protr°cai). 260 Isoc. Or. 2, 43. Isokrates überträgt die alte poetische Form der Mahnsprüche in Prosa, so wie er auch im Euagoras mit dem Enkomion auf einen Zeitgenossen verfährt (so zutreffend u. a. Görgemanns III 109), und sodann auch im Enkomion auf Gryllos (D. L. II 55: Quelle Hermippos im Bios Theophrasts). 261 Isoc. Or. 2, 43 (... tØn ÑHsiÒdou ka‹ YeÒgnidow ka‹ Fvkul€dou po€hsin: ka‹ går toÊtouw fas‹ m¢n ér€stouw gegen∞syai sumboÊlouw t“ b€ƒ t“ t«n ényr≈pvn). Deren Lehren sind als Ípoy∞kai bezeichnet, vgl. auch Or. 2, 3 (für gewöhnliche Sterbliche haben einige Dichter früherer Zeiten ÍpoyÆkaw …w xrØ z∞n hinterlassen). Es geht wesentlich um Paideia, und unter diesem Gesichtspunkt ist die Schrift, immer noch lesenswert, betrachtet von Jaeger 1947, 153–169. Seit der Zeit der Sophistik wurde auch für die Paränese die Dichtung durch Prosa ersetzt. Gerhard

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eigene Schrift explizit als eine Paränese (para€nesiw)262, sich selbst bezeichnet er, freilich mehr implizit, als einen Ratgeber (sÊmboulow)263, das dabei angewandte Verfahren als ein Raterteilen (sumbouleÊein)264 bzw. als ein Zurechtrücken des Sinns (nouyete›n)265, immer wieder unter Betonung des daraus sich für den Adressaten, wie der Verfasser wiederholt vermerkt, solcherart ergebenden praktischen Nutzwertes (tÚ xrÆsimon)266. Inhaltliche Innovationen (kainÒthtaw), so erklärt Isokrates, seien angesichts des zur Debatte anstehenden empirischen Gegenstandes nicht angebracht, vielmehr gehe es hier bloß darum, das bereits von anderen Männern längst gefundene Erfahrungswissen zu sammeln, es möglichst umfassend zusammenzufassen und in bestmöglicher Form darzustellen267. Es ist gewiß anzunehmen, daß sich der Autor darin auch mit in seiner Zeit aktuellen Fragen und verschiedenen Versuchen, auf diese eine Antwort zu geben, auseinandersetzt, doch „ein geschlossenes politisches Konzept“ in dieser Schrift zu sehen und in ihr daher eine polemische Konfrontation v. a. mit Platon, besonders mit dessen Politeia, zu erblicken268, geht sicher etwas zu weit. In formaler Hinsicht fällt nun in dem langen, von einem Proömium und einem Epilog umrahmten Mittelteil der Schrift269 als hervorstechendstes Stilmerkmal eine förmliche Serie von äußerst dicht gebündelt auftretenden Imperativen auf, zumeist gerichtet an die zweite Person, gelegentlich auch an die dritte Person270. Auch sonst ist die gesamte Anlage der Schrift eher einfach und geradlinig durchgeführt, nach Hauptgesichtspunkten (kefãlaia) lose organisiert, wie der Verfasser auch das formale Konzept aus später Retrospektive beurteilt wissen möchte271. Das erklärte Programm lautet, zu bestimmen, nach welchen Betätigungen Nikokles streben und wessen er sich zu enthalten habe, um solcherart Stadt und Königreich bestmöglich zu regieren (ır€sai po€vn §pithdeumãtvn ÙregÒmenow ka‹ t€nvn épexÒmenow êristÉ ín ka‹

1909, 228–284 wies erstmals in umfassender Darstellung auch für den Hellenismus die Existenz neuer gnomischer Dichtung nach. 262 Isoc. Or. 2, 54 (ÉEg∆ m¢n oÔn ë te gign≈skv parπneka, ktl). Vgl. rückblickend Or. 15, 69 und 71. 263 Isoc. Or. 2, 53 (... sÊmboulow égayÚw xrhsim≈taton ka‹ turannik≈taton èpãntvn t«n xrhmãtvn §st€n). 264 Isoc. Or. 2, 6 und 49 (sumbouleÊein). Die singuläre Junktur von sumbouleÊein und prostãttein in Or. 3, 13 trägt zur Charakteristik des fiktiven Sprechers Nikokles bei. 265 Isoc. Or. 2, 49 (Junktur von nouyete›n und sumbouleÊein), vgl. auch 2, 4 (über die tÊrannoi wird gesagt: énouy°thtoi diateloËsin). 266 Isoc. Or. 2, 2 (... dvreån ... xrhsimvtãthn), vgl. 2, 8 (ÙnÆseie) und 2, 12 (»felÆsaimen). 267 Isoc. Or. 2, 41 (solche Reden lassen kein parãdojon, kein êpiston und kein ¶jv t«n nomizom°nvn zu). Unter allen Arten von Reden beansprucht für Isokrates die Paränese den geringsten Grad an Neuheit (kainÒthw) und ist daher von der Prunkrede am Weitesten entfernt, vgl. Wersdörfer 1940, 39 und 42. 268 So dezidiert Eucken 1983, 216–248, Zitat 225. 269 Isoc. Or. 2, 12–39 (40 Übergang) und danach wieder 52–54. 270 An die 3. Person viel seltener, so Isoc. Or. 2, 15 (mel°tv soi) und 2, 31 (shme›on ¶stv soi). Görgemanns III 118, der darin Anschluß an die poetische Hypothekai–Literatur sieht, vermerkt treffend: „Charakteristisch ist die asyndetische Reihung kurzer, imperativisch formulierter Merksätze“. Vgl. die Imperative in Or. 3, 48–62 und im Brief an Demonikos (Or. 1, dazu weiter unten). 271 In der Antidosisrede (Or. 15, 68–69) gibt er eine Charakteristik, mit der leicht erkennbaren Absicht, seine moralische Haltung ins rechte Licht zu rücken. Jaeger 1947, 161 sieht jedoch zu Recht hinter der „Lockerheit der Form“ einen inhaltlichen inneren Zusammenhang, der in der „ethischen Konsequenz“ liegt, mit der all die Ratschläge vorgetragen sind.

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tØn pÒlin ka‹ tØn basile€an dioiko€hw)272. Antithetisch ist daher auch die nun folgende Serie

von Ermahnungen273 angelegt, und zwar so, daß zumeist das Negative, das unbedingt zu Vermeidende (eingeleitet wird es durch mÆ oder etwas Ähnliches) vorangestellt ist, um sogleich vom richtigen Verhalten (in den meisten Fällen mit éllã markiert) wirkungsvoll abgelöst zu werden274. Auf dieser rhetorischen Art der Gestaltung dürfte letztlich auch das von Lukian in der Methodenschrift angewandte Verfahren basieren, denn auch hier läßt der Autor auf den negativen Teil seine positive Lehranweisung folgen, freilich mit dem wichtigen Unterschied, daß er beide Bereiche in Form von in sich abgeschlossenen Rubriken abhandelt275. Natürlich ist diese Verwandtschaft nicht im Sinne einer direkten literarischen Abhängigkeit zu verstehen, sondern eher so, daß eine in letzter Konsequenz auf der Sophistik basierende und von Isokrates erst salonfähig gemachte literarische Konvention hier ihren Ausgangspunkt genommen hat. Im ersten und im dritten Teil der Schrift an Nikokles fallen vereinzelt zudem Verbaladjektive auf276, wie sie, was aber noch eine spezielle Behandlung nötig machen wird277, den dritten Teil von Lukians Methodenschrift dominieren. Und auch die vollkommene Illusionslosigkeit, mittels derer Isokrates die Unbelehrbarkeit der Menschen gut gemeintem Rat gegenüber beurteilt278, ist ihm, wie sich später zeigen wird279, mit Lukian gemein. Dasselbe gilt für den Vergleich von geistigem und athletischem Training280, der bei Lukian eine wesentliche Rolle spielen wird. Es ist also nicht zu bezweifeln, daß Lukian hier somit auf literarische Traditionen zurückgreifen kann, wie sie in der gewaltigen Masse an nicht erhaltener Literatur in den auf Isokrates folgenden Jahrhunderten in einer zwar keineswegs lückenlos, aber durchaus noch nachvollziehbaren Weise weiterentwickelt, verfeinert und zu Standards literarischer Aussage und Gestaltung herausgebildet wurden. Ähnlich dem Brief an Nikokles ist auch der unter dem Namen des Isokrates überlieferte Brief an Demonikos281 gestaltet. Der junge Adressat282, Sohn des Hipponikos283, erhält neben dem Hinweis, im Vater ein wegweisendes Vorbild (parãdeigma) zu erblicken284, vom Verfasser 272 Isoc. Or. 2, 1; vgl. auch 2, 6. 273 Isoc. Or. 2, 10–39. 274 Isoc. Or. 2, bes. 10, 12, 13, 16, 18, 19, 22, 24–31, 37, 39. 275 Luk. Hist. Conscr. 14–32 (negativer Teil) und 34–60 (positiver Teil). 276 Isoc. Or. 2, 9 (skept°on und prakt°on) und 2, 49 (éfekt°on und lekt°on). 277 Vgl. die Einleitung, Teil I 2. 10. 278 Isoc. Or. 2, bes. 42–49. 279 Vgl. die Einleitung, Teil I 2. 9. 280 Isoc. Or. 2, 11, die Gegenüberstellung von s«ma und cuxÆ ist bei Isokrates ein Topos; Wersdörfer 1940, 28, Anm. 23 mit Belegen. Gomperz 1905, 180–183 sieht nicht zu Unrecht in der Rede insgesamt eine stark kynisierende Tendenz, in Or. 1 sei der kynische Charakter noch deutlicher ausgeprägt (189). 281 Die Hypothesis (Mandilaras I 228) weiß zu berichten, daß manche den Versuch unternommen hätten, die Rede (tÚn lÒgon) als §pistolØ prÚw DhmÒnikon zu klassifizieren. Die hier vorliegende Begründung für die Wahl der Briefform ist jedoch sehr matt: Isokrates habe wegen seiner Schüler Athen nicht verlassen können. 282 Isoc. Or. 1, 1 (Œ DhmÒnike), über ihn ist ansonsten nichts bekannt. 283 Die Hypothesis (Mandilaras I 228) bezeichnet ihn mit Berufung auf die vorherrschende Überlieferung (…w ¶xei ı polÁw lÒgow) als einen Kyprier von Geburt; Hipponikos sei ein Freund des Isokrates gewesen, der für dessen Sohn Demonikos nach dem Tod des Vaters ÍpoyÆkaw geschrieben habe, ˜pvw de› z∞n. So Isoc. Or. 1, 1–2 (der Tod des Vaters ist nur angedeutet). 284 Isoc. Or. 1, 9–11 gibt ein Profil von sozialer Stellung und besonders von persönlicher éretÆ des Vaters.

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Verhaltensregeln für Lebensklugheit, im speziellen für das Leben unter einer monarchischen Staatsform285, mit gültigen Normen für Gegenwart und Zukunft, erteilt286. Es geht darin freilich weniger um lauteres ethisches Denken und Handeln287, wie es im sokratisch–platonischen Denken als bestimmend zum Ausdruck kommt, sondern wesentlich darum, wie man im praktischen Leben zu Ansehen (dÒja) innerhalb von näherem Lebensumfeld und Gesellschaft gelangen könne, also etwa auf ähnliche Art, wie dies, zumindest nach Platons gewiß nicht besonders wohlwollender Darstellung288, hinsichtlich des Erwerbes von Sozialprestige im TrvikÒw des Hippias von Elis der Fall war. Leitmotivisch durchziehen die Schrift daher die gehäuft auftretenden Begriffe doke›n289, dÒja290, eÈdokime›n291 sowie dem nahe Verwandtes292 in einem solchen Ausmaß, daß damit zu rechnen ist, daß sich hinter der rätselhaften, anonymen Person im Schlußteil des platonischen Euthydemos 293 Isokrates verbirgt, dessen auf den äußeren Anschein ausgerichtete Lehrtätigkeit geradezu parodiert wird294. Akzeptanz bei der Menge spielt zwar auch im Brief an Nikokles eine durchaus nicht unbedeutende Rolle295, doch dort liegt das Hauptgewicht naturgemäß stärker auf der Verwirklichung besonderer frÒnhsiw, pa€deusiw und §pim°leia296, wie sie der exzeptionellen Stellung eines Königs entspricht. Dem Idealbild eines solchen Königs mit besonderer Vorbildfunktion steht im Brief an Demonikos eine lebenspraktische Anleitung gegenüber, wie man sich möglichst unangefochten als angesehenes Mitglied der Gesellschaft bewähren könne. Bei dieser allgemeinen ethischen 285 Isoc. Or. 1, 36: nur hier gibt der Verfasser Sympathie zur monarchischen Staatsform durch die Kritik an der Demokratie zu erkennen, wie die bewußte Wahl der antithetisch zu verstehenden Worte yerapeÊein und yaumãzein zeigt. Seine Verteidigung in Or. 15, 70 bezieht sich aber lediglich auf Or. 2. 286 Isoc. Or. 1, 44 (mit einer Unterscheidung von sumboul€a und parãggelma, das erste davon richtet sich auf die Gegenwart, das zweite auf die Zukunft). 287 Etwas aus dem Rahmen fällt daher Isoc. Or. 2, 39 (vgl. die Belege aus Isokrates selbst bei Norlin 28). 288 Pl. Hp. Ma. 286 a (Platon läßt Hippias mit Stolz den Inhalt seiner herrlichen Rede paraphrasieren: nach der Eroberung Troias frage Neoptolemos den Nestor, po›ã §sti kalå §pithdeÊmata, ì ên tiw §pithdeÊsaw n°ow Ãn eÈdokim≈tatow g°noito, und daraufhin rede dieser Ípotiy°menow aÈt“ pãmpolla nÒmima ka‹ pãgkala). Von Wendland 1905, der 81–101 eine gut dokumentierte Geschichte der Paränese gibt, ist (82) zutreffend beobachtet, daß „die strenge Philosophie“ von Sokrates an von der Paränese Abstand nimmt. 289 Isoc. Or. 1, 4, 13, 15, 23, 26, 36, 37, 38. 290 Isoc. Or. 1, 1, 16, 17, 38, 43. 291 Isoc. Or. 1, 12, 17, 21, 36. 292 Isoc. Or. 1, 8 (eÈdoj€a), 37 (¶ndojow), 43 (édoj€a). 293 Pl. Euthd 304 d–307 c, er ist in 304 d charakterisiert als énØr ofiÒmenow pãnu e‰nai sofÒw, und nachdem ihn Kriton als Redenschreiber, der noch nie das Gericht betreten hat, beschrieben hat, weiß Sokrates sofort, um wen es sich handelt (305 b–c). Freilich wird den Absichten des Autors entsprechend in der Reaktion des Sokrates die Identität des Individuums auch hier noch hinter einer Klasse von Leuten verborgen. Doch ist es wohl Isokrates, der sich hinter dem Ungenannten verbirgt, so z. B. Eucken 1983, 47–52, Hawtrey 1981, 30, skeptisch Düring 1961, 20, Anm. 2. Zu datieren ist der Euthydemos wohl in den Zeitraum von 387–380 v. Chr., Hawtrey 1981, 3–11, bes. 10. 294 Aufschlußreich ist der Passus Euthd 305 c–d; innerhalb weniger Zeilen erscheinen hier dicht gebündelt die isokrateischen Wertbegriffe doke›n, eÈdokime›n und dÒja, vgl. 306 c. Diese Kritik zielt natürlich auf das isokrateische Verständnis generell ab, denn nur so kann die Parodie ihre volle Wirkung entfalten. Im übrigen legte Isokrates in der Rede „gegen die Sophisten“ (Or. 13, 1–8), welche als eine Art von Grundsatzerklärung bald nach Schulgründung und dem Beginn seiner Lehrtätigkeit zu datieren ist (dies sagt er selbst aus später Retrospektive in Or. 15, 193: ˜tÉ ±rxÒmhn per‹ taÊthn e‰nai tØn pragmate€an), seine gänzlich ablehnende Haltung gegenüber den Eristikern dar. 295 Isoc. Or. 2, 19, 22, 29, 32, 36 (die Verba eÈdokime›n und doke›n bzw. das Substantiv dÒja), mit inhaltlicher Nähe dazu vgl. 2, 15–16, 21, 27, 30 und 32. 296 Programmatisch Isoc. Or. 2, 10–14.

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Ausrichtung nimmt die Antithese von werthaften und wertlosen Menschen, den spouda›oi und den faËloi, hier einen hohen Stellenwert ein297. Auch mit diesem isokrateischen Konzept, natürlich nicht mit dem Brief an Demonikos im Besonderen, setzt sich der platonische Euthydemos möglicherweise auseinander, indem er der durch Isokrates vorgenommenen Bewertung ein implizit sokratisches Wertverständnis entgegensetzt298. Auch diese Schrift gibt sich als eine para€nesiw299, als Ípoy∞kai300, die darin verfolgte Methode als ein sumbouleÊein301 bzw. nouyete›n302 mit dem Ziel praktischen Nutzens für den Adressaten303. Und auch hier nehmen im ausgedehnten Mittelteil der Schrift Imperative in großer Dichte und Zahl bei ansonsten recht überschaubarer Anlage des Ganzen eine beherrschende Stellung ein304. Mit Lukians Schrift verbindet diese beiden Schriften ein wichtiger Umstand, das Selbstverständnis des Verfassers als eines Ratgebers. Dies wird später in größerer Ausführlichkeit darzustellen sein. Im 19. Jahrhundert wurde die Echtheit der Schrift allerdings in Zweifel gezogen, mit dem Hinweis auf Mängel in Ausdruck und Stil, die eines Isokrates, wie man meinte, nicht würdig seien305. Es ist gewiß nicht zu bestreiten, daß der Verfasser sich stärker gorgianischer Mittel bedient, als dies beim „reifen“ Isokrates der Fall ist, auch nicht, daß er bisweilen ungewöhnliche Worte und Metaphern verwendet, doch muß dieser Umstand alleine noch nicht dafür sprechen, daß es sich um die Schrift eines anderen Verfassers handle, welche nachträglich unter die Werke des Isokrates geraten sei. Zur Vorsicht mahnt jedenfalls der Umstand, daß antike Literaturkritiker im allgemeinen keine solchen Bedenken gegenüber der Echtheit der Schrift hatten, wie eine Durchsicht der zahlreichen Belege in der Textausgabe von Mandilaras306 zeigt. Einzig vom Grammatiker Harpokration307 ist bekannt, daß er als Autor Isokrates von Apollonia308 benannte, offenbar, weil er seine Zweifel an der Echtheit der Schrift durch Identifizierung des Autors mit dem gleichnamigen Apolloniaten zu beheben suchte309. In beiden Schriften finden sich Übereinstimmungen in Gedanken und, besonders auffällig, auch im sprachlichen Ausdruck310. So ist die Zweckbestimmung jeweils mit ähnlichen Worten formuliert311, und der Übergang vom 297 Isoc. Or. 1, bes. 1, 48 und 50. 298 Pl. Euthd 305 a (Bewertung der faËloi durch den Unbenannten), vgl. damit 306 b und bes. die Antithese von faËloi und spouda›oi in 307 a (sokratisches Verständnis). 299 Isoc. Or. 1, 5 (mit einer Unterscheidung von protreptiko‹ lÒgoi bzw. parãklhsiw und para€nesiw). Zur Theorie vgl. Arist. Rh. Al. 1, bes. 1421 b 23–27 = Fuhrmann 5, Z. 19–6, Z. 1. 300 Isoc. Or. 1, 12 (Ípoy°syai). 301 Isoc. Or. 1, 5 und 44. 302 Isoc. Or. 1, 45. 303 Isoc. Or. 1, 4 (implizit: »feloËsin). 304 Isoc. Or. 1, 12, bes. 13–43 (Übergang 44), danach wieder 48. 305 So die Ergebnisse früherer Forschung zusammenfassend und auf den Punkt bringend Blass 18922, 278–284, bes. 282 und Münscher 1916, 2195–2197. 306 Mandilaras II 7–27. 307 Harp. s. v. ÜOrkon §paktÚn erklärt (Mandilaras I 292, 27, Z. 5): ÉIsokrãthw ÉApollvniãthw §n ta›w prÚw DhmÒnikon parain°sesin. 308 Um dessen protreptikÒw kann es sich nicht handeln, da Isoc. Or. 1, 3–5 sich gerade zu protreptiko‹ lÒgoi bzw. zu einer parãklhsiw in Gegensatz stellt; Blass 18972, 280. 309 So schon Blass 18972, 281 und Münscher 1916, 2196. 310 Dies zeigt die Übersicht bei Albrecht 1884, 244–246 deutlich. 311 Vgl. Isoc. Or. 1, 5 (œn xrØ toÁw nevt°rouw ... Ùr°gesyai ka‹ t€nvn ¶rgvn ép°xesyai ktl) mit Or. 2, 2 (ır€sai po€vn §pithdeumãtvn ÙregÒmenow ka‹ t€nvn épexÒmenow ktl).

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imperativischen Hauptteil zum Epilog weist sogar eine vollkommene Koinzidenz auf312. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich die Meinung bilden konnte, es handle sich um eine unter die Reden des Isokrates geratene Arbeit eines Schülers, nach dem Vorbild des Briefes an Nikokles verfaßt313. Doch müssen auch die Vertreter der Unechtheit zugeben, daß der Schüler seinen Meister in einzelnen Bereichen übertroffen habe314. Denn tatsächlich zeigt unbefangene Lektüre, daß es sich um einen sehr begabten Verfasser handelt, der in Gedankenfolge und Treffsicherheit des Ausdrucks kaum hinter Isokrates zurücksteht. Bei Abwägung aller Argumente erscheint es daher denkbar, daß der Verfasser Isokrates selbst ist315, gewiß zu einer Zeit, in der er noch stärker dem gorgianischen Stil verpflichtet war, doch in nuce bereits der Isokrates, der später die gorgianischen Kunstmittel in eine gesunde Mitte und zu ausgeglichener Balance zu führen vermochte316. Es ist jedenfalls auch zu bedenken, daß der junge Adressat Demonikos, zumindest aus der Sicht des Verfassers, eine andere Behandlung des Themas erforderlich machte als Nikokles, der eben die Königsherrschaft angetreten hatte und so nach einer der Würde seines Amtes entsprechenden Darstellung zu verlangen schien317. Jedenfalls liegt kein einziges Indiz vor, das gegen eine frühe Zeit der Abfassung sprechen könnte318, und es gibt daher auch kein zwingendes Argument gegen einen Frühansatz, der auf jeden Fall mehr für sich hat als eine späte Datierung in die Zeit um 340 v. Chr., wie sie von Wendland vorgeschlagen wurde, der sogar in Anaximenes von Lampsakos vermutungsweise den Verfasser dieser Schrift erblicken wollte319. In jedem Fall ist eine Klärung dieser Frage für die besonderen Zwecke dieser Untersuchung nicht so sehr von Belang, da es hier vorerst bloß darum geht, die literarhistorischen Wurzeln für die von Lukian gewählte literarische Form, zumindest in diesem einen elementaren Bereich, zu erklären.

312 Vgl. Isoc. Or. 1, 44 (Ka‹ mØ yaumãs˙w efi ktl) mit Or. 2, 40 (Ka‹ mØ yaumãs˙w efi ktl). Dies ist ein häufiges Idiom bei Isokrates; in der Regel kündigt es den Schluß einer Schrift an, zuweilen auch Abschluß einer darin behandelten Gedankenfolge (etwa im Philippos). Dieser Umstand ist aber nicht aussagekräftig, denn er läßt sich sowohl für die Verfasserschaft des Isokrates wie auch für das Werk eines Imitators verwenden. 313 So erstmals Pfund 1833, 20, im Anschluß daran Blass 18922, 263 und Münscher 1916, 2196, so Burk 1923, 56 (mit Vorbehalt) und Düring 1961, 23. Gomperz 1905, 189 denkt, wenig wahrscheinlich, an eine „Werkstattarbeit“, die Isokrates einem Schüler zur Ausführung übergeben habe und sodann selbst „signierte“. Es ist schwer einzusehen, wie ein solcher Schüler glaubwürdig von sich selbst hätte sagen können: sÁ m¢n går paide€aw §piyume›w, §g∆ d¢ paideÊein êllouw §pixeir« (Isoc. Or. 1, 3). Ein dermaßen stolzer Anspruch paßt eher für den Meister als für den Schüler. 314 So Blass 18922, 283–284 und Münscher 1916, 2197. Daß die Schrift von Mängeln strotzt (Albrecht 1884, 247), ist gewiß unzutreffend. 315 Dies wird entschieden vertreten von Jebb 1962, 86. 316 Drerups CXXXIV–CXLI Versuch, die Schrift in die Zeit um 400 v. Chr. anzusetzen, ist daher gar nicht so absurd, wie er von seinen Kritikern dargestellt wurde, doch ist die von ihm vorgenommene Zuweisung der gesamten Schrift an Theodoros von Byzanz nicht überzeugend. 317 Too 1995, 58, Anm. 53 möchte die Authentizität der wenig originell erscheinenden Schrift daraus ableiten, daß sie „allegiance to what is traditional (ta archaia)“ zum Ausdruck bringe. Das trifft allerdings auf die ganze Gattung zu (Isoc. Or. 2, 41). 318 Auch die Hypothesis (Mandilaras I 228) liefert nichts, was sich für eine zeitliche Zuordnung eignet. 319 Wendland 1905, 81–101 (zur Rede an Demonikos), ablehnend zu einer Verfasserschaft des Anaximenes Münscher 1916, 2196. Allerdings möchte Wendland 97–99 seine These nur als eine Möglichkeit verstanden wissen; mit größerer Bestimmtheit jedoch setzt er die Paränese in das 4. Jh. v. Chr., etwa in dieselbe Zeit wie den pseudodemosthenischen Erotikos (71–80), welcher in seinem zweiten Teil (Kap. 33–55) einen Protreptikos zur Beschäftigung mit der Philosophie beinhaltet.

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Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß Isokrates schon in dem nicht sicher datierbaren Busiris320 , wenn auch diese „Replik“ auf die beiden Schriften des Polykrates nicht als gänzlich ernst gemeint erscheinen soll321, die literarische Form des paränetischen Briefes angewandt hatte. Der gebürtige Athener Polykrates322, der verarmt und nun in Kypros seiner „spätberufenen“ Sophistentätigkeit nachgehend323 eine Verteidigung des Busiris (Bous€ridow épolog€a) sowie eine – übrigens an Nachwirkung reiche – Anklage an Sokrates (Svkrãtouw kathgor€a) verfaßt hatte, wird von Isokrates in Form eines Briefes324 darüber belehrt, was er darin alles falsch gemacht habe und wie er richtig hätte verfahren müssen. Isokrates nimmt zu diesem Zweck die Rolle eines Ratgebers ein – er verwendet die aus dieser literarischen Gattung bereits bekannten Verba sumbouleÊein und nouyete›n – der Nützliches rate (»fele›n325). Und auch bis ins Detail hinein steht die Gestaltung des Busiris den beiden behandelten Briefen nahe. Lukians Methodenschrift kommen wir mit dieser Schrift sogar noch einen Schritt näher, denn der Inhalt ist hier wesentlich ein literarkritisches Thema, welches zudem, wie bei Lukian auch, auf eine zweigliedrige Art behandelt ist, indem auf einen negativen, die Kritik beinhaltenden Teil326 ein positiver folgt, eine Demonstration des Verfassers, welche darstellerischen Möglichkeiten der vom Verfasser gewählte Stoff bei adäquater Handhabung geboten hätte, und wie eine gattungsgemäße Verteidigung durchzuführen sei327. Im Lichte der nicht unbedingt fairen, weil sich bloß an aufgebauschten Details festklammernden und diese für Kritik ausnützenden isokrateischen Beanstandungen erscheinen beide Schriften des Polykrates als völlig mißglückt. Dabei ist es unverkennbar, daß Isokrates mit Stoff und Inhalt ebenso spielt wie mit dem Autor, und ebenso evident ist es auch, daß in der von ihm angewandten argumentativen Strategie Kongruenzen mit Lukians Schrift bestehen. Und diese zeigen klar, daß gewisse Verfahren der Lächerlichmachung schon hier angelegt sind und von späteren Autoren nur mehr zu technischer Virtuosität entfaltet zu werden brauchten. Die 320 Der gesicherte terminus post quem ist das Jahr 393 v. Chr., denn D. L. II 39 zufolge erklärte Favorinus, die Rede des Polykrates gegen Sokrates sei nicht wahr, da dieser darin den Mauerbau Konons erwähnt hätte, der 6 Jahre nach dem Tod des Sokrates erfolgt sei. Jebb 1962, 95 datiert den Busiris des Polykrates bald nach 392 v. Chr., Blass 18922, 248 geht damit weiter herunter und rückt den Busiris des Isokrates in die Nähe des Panegyrikos, während Eucken 1983, 174 noch weiter geht bis zum Zeitraum von der Mitte der 80er Jahre bis zur Mitte der 70er Jahre (diese Spätdatierung dient jedoch bloß dazu, um Abhängigkeit des Isokrates von Platons Politeia zu erweisen, 176–183), was eine Datierung nach dem Panegyrikos ergibt, ähnlich schon Gomperz 1905, 193 (Datierung in das Jahr 372 v. Chr.). Weder für das eine noch für das andere existieren jedoch zureichende Indizien, sodaß die Frage offen bleiben muß. Sicher ist nur, daß Lysias eine (nicht datierbare) Gegenschrift gegen des Polykrates’ Anklage an Sokrates verfaßte, was in der Datierungsfrage freilich auch nicht weiterhilft. 321 Isoc. Or. 11, 9 (... tØn aÈtØn ÍpÒyesin, ka€per oÈ spouda€an oÔsan oÈd¢ semnoÁw lÒgouw ¶xousan). 322 Das über ihn Bekannte bei Blass 18922, 365–372, 247 (wohl mit etwas zu abwertender Tendenz), Treves 1952 (mit dem Versuch einer gerechten Bewertung von dessen historischer Bedeutung), Jebb 1962, 94–96 (mit knapper, aber solider Charakteristik). 323 So die Hypothesis zum Busiris des Isokrates (Mandilaras I 233). 324 Isoc. Or. 11, 1 (Œ PolÊkratew) mit Information über dessen Person; 11, 2 (Isokrates kennt Polykrates nicht persönlich, sondern nur über dessen Schriften). 325 Isoc. Or. 11, 3 und 50. 326 Isoc. Or. 11, 1- 9. 327 Isoc. Or. 11, 10–29 (Replik des Isokrates), Luk. Hist. Conscr. 4: das Autor-Ich lehnt eine derartige Demonstration der eigenen Fähigkeiten explizit ab (Begründung: oÈx oÏtv megalÒtolmow §g≈, mhd¢ toËto de€s˙w per‹ §moË).

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literarische Fehlleistung328 des Polykrates bestünde, so die Kritik des Isokrates, darin, daß er in beiden Fällen die jeweils gewählte literarische Gattung elementar verfehlt hätte. Denn seine als eine Verteidigung intendierte Schrift (épolog€a) habe er infolge seiner inadäquaten Behandlung de facto zu einer Anklage (ºtiãsv) geraten lassen, vice versa die beabsichtigte Anklage (kathgor€a) zu einem Lobpreis (¶painow)329. Polykrates habe, so lauten die Kritikpunkte des Isokrates, sich also Inkonkruenzen sachlicher Art zuschulden kommen lassen (mhd¢n ımologoÊmenon)330, das wichtige Prinzip der Glaubwürdigkeit (tå pistã) verletzt331 und durch seine Vernachlässigung von freimütiger Rede (der parrhs€a) gegen das Wahrheitsprinzip (élÆyeia) verstoßen332. Seine Darstellung habe zudem unmoralische Wirkung333 und beschädige zugleich mit dem Ansehen des Verfassers das Ansehen der Philosophie in der Öffentlichkeit334. Isokrates nimmt, wie auch sonst gerne und mit Vorliebe335, die Rolle eines unverblümten Kritikers ein336, er simuliert lediglich ein freundliches Wohlwollen337 und zeigt sich somit bemüht, die tatsächliche Offensivität seiner Kritik demonstrativ herunterzuspielen338. Insgesamt bildet die in diesen Briefen feststellbare Anlage, in einer elementaren, untersten Schicht gewissermaßen, ein brauchbares Vergleichsobjekt zu Lukians Methodenschrift. Auch bei Lukian äußert der – hier freilich in der Rolle des Diogenes von Sinope auftretende – Autor mit einer Geste demonstrativer Bescheidenheit die Absicht, eine kleine Paränese (para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw)339 für Historiker zu bieten. Auch stilisiert sich der Autor, für diesen Zweck im Sinne des Diogenes sprechend, als einen Ratgeber (sÊmboulow)340, der als den erklärten Zweck seiner Schrift den Nutzwert, das xrÆsimon, angibt341. Mit dieser Konzeption stellt Lukian sich letztlich in die Tradition der paränetischen Literatur bzw. – in Hinblick auf den Briefcharakter – des paränetischen Briefes. 328

Isoc. Or. 11, 4 (diÆmartew) und 11, 33 (fa€nei dihmarthk≈w), vgl. Luk. Hist. Conscr. 6 und bes. 7 (≤l€kon èmartãnousin §piskopÆsvmen), vgl. auch 24. 329 Isoc. Or. 11, 4–6, vgl. Luk. Hist. Conscr. 7–8 (Abgrenzung von §gk≈mion zum einen und poihtikÆ zum anderen von der flstor€a).

330 Isoc. Or. 11, 7–8, vgl. 36–37; Inkongruenzen jeglicher Art sind ein Leitthema in Lukians Methodenschrift, besonders in 7–8 und im zweiten Teil (14–32) passim. 331 Isoc. Or. 11, 32 (... ép°xeiw toË pistå l°gein, ktl), Luk. Hist. Conscr. 25 und 47 (Prinzip des piyanÒn). 332 Isoc. Or. 11, 33 und 38–40 (für die Gattung der Lobrede freilich eine paradoxe Forderung), vgl. Luk. Hist. Conscr. bes. 41 und 61, u. ö. (Wahrheitsprinzip in der Geschichtsschreibung). 333 Isoc. Or. 11, 45 und 47. 334 Isoc. Or. 11, 49. 335 Isoc. Or. 5, 72 (... §mo€ te prosÆkein metå parrhs€aw, Àsper e‡yismai, poie›syai toÁw lÒgouw). 336 Isoc. Or. 11, 1 (§parrhsiasãmhn). 337 Isoc. Or. 11, 1–3. Zutreffend Blass 18922, 247: „ ... unter dem Schein eines wohlwollenden Berathers ein angeblich privates, jedoch sicherlich gleich auf Oeffentlichkeit berechnetes Schreiben ...“. Das ist schon in der Hypothesis zum Busiris (Mandilaras I 233) im Wesentlichen erkannt und auch in diesem Sinne bewertet (…w f€low §panoryoÊmenow aÈtÚn ... tÚ d¢ élhy¢w §pilab°syai aÈtoË boulÒmenow); Die Hypothesis zur Helena des Isokrates (Mandilaras I 232) berichtet über die Rache des Polykrates, der sodann seinerseits die Helena des Kritikers angegriffen habe. 338 Isoc. Or. 11, 44 (Ípode›ja€ soi boulÒmenow …w xrØ toÊtvn •kãteron poie›n), vgl. Luk. Hist. Conscr. 35 (Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw) und 36 (Ípode€jantow d° tinow =òstã te ín mãyoi ka‹ eÔ metaxeir€saito §fÉ aÍtoË). 339 Luk. Hist. Conscr. 4. 340 Luk. Hist. Conscr. 34 (sÊmboulow), vgl. 6, 27 und 35 (sumboulÆ). 341 Luk. Hist. Conscr. 9, 32 und 42.

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Die Paränetik ist klar von der Protreptik zu unterscheiden, welche zu einer bestimmten Lebensform motivieren möchte. Isokrates selbst grenzt in seinem Brief an Demonikos342 seine Paränese (para€nesiw) gegenüber den protreptischen Reden (protreptiko‹ lÒgoi)343 ab, die er mit Betonung von deren hortativem Charakter als eine „Ermunterung“ (parãklhsiw) bezeichnet. In der Rede gegen die Sophisten (katå t«n sofist«n)344, die er zu Beginn seiner Lehrtätigkeit als eine Art von Grundsatzprogramm der von ihm gegründeten Schule veröffentlichte345, setzt er sich gegen die Eristiker, die Lehrer von politischen Reden (politiko‹ lÒgoi) und frühere Verfasser rhetorischer Lehrbücher (t°xnai) mitsamt deren Versprechungen (Íposx°seiw)346, Ankündigungen (§pagg°lmata)347 und Überredungsversuchen (peir«ntai pe€yein)348 entschieden ab, um durch diese Abgrenzung den eigenen Standort klar zu definieren. Im Gegensatz zu ihrer Großspurigkeit fehle diesen allen die Fähigkeit zur Erteilung von Rat (sumbouleÊein)349, die – in diesem Kontext freilich unausgesprochene – Domäne des Isokrates selbst, wie ja ein mit dessen Schriften vertrauter Leser weiß. In diesem Zusammenhang vermeidet es der Verfasser, geht es hier doch um ganz alltäglichen sophistischen Lehrbetrieb, das allzu hohe Wort Protreptik in den Mund zu nehmen350, doch zeigt es der platonische Euthydemos deutlich, daß eben zu dieser Zeit protreptische Reden (protreptiko‹ lÒgoi) beliebt gewesen sein müssen. Denn hier demonstriert Sokrates durch seine Art, mit dem jungen Kleinias zu sprechen351, gegenüber den bloß darauf bedachten Eristikern Dionysiodoros und Euthydemos, ihre angemaßte Überlegenheit ostentativ zur Schau zu stellen, auf paradigmatische Weise, wie nach seinem Wunsch protreptiko‹ lÒgoi auszusehen hätten352. Im Schlußteil des Dialogs353 ist dieses Thema nochmals aufgegriffen. Hier zeigt sich Kriton angesichts der geringen Vertrauenswürdigkeit all dieser selbsterklärten Lehrer von Bildung ratlos und darüber besorgt, wie er denn angesichts dieses Umstandes seinen Sohn zum Betreiben von Philosophie motivieren könne (Àste oÈk ¶xv ˜pvw protr°pv tÚ meirãkion §p‹ filosof€an). Und Sokrates erteilt ihm daraufhin den Rat, seine Entscheidung einzig danach zu treffen, ob die Philosophie es ihm eben wert erscheine, sich mit ihr zu beschäftigen; wenn nicht, so solle er von der Beschäftigung mit ihr abraten.

342 343

Isoc. Or. 1, 3–5. Isoc. Or. 1, 4 nennt als Beispiel für eisegetische Schriften solche diÉ œn tØn deinÒthta tØn §n to›w lÒgoiw

éskÆsousin.

344 Dazu Eucken 1983, 5–35 und 36–43 (die Reaktion Platons darauf). 345 Etwa um 390 v. Chr., so Eucken 1983, 5. Schulgründung etwa um 392 v. Chr., Jebb 1962, 8. 346 Isoc. Or. 13, 1 und 22 (das Verbum Ípisxne›syai in 4, 9, 16 und 19) 347 Isoc. Or. 13, 1, 5, 9 und 10 (§pãggelma und §pagg°lmata), Verbum §pagg°llesyai in 8 und 20, vgl. Or. 10, 9. 348 Isoc. Or. 13, 3. 349 Isoc. Or. 13, 8. 350 In Isoc. Or. 9, 76–77 ruft Isokrates den Adressaten Nikokles dazu auf, sich vom Vorbild des verstorbenen Vaters Euagoras ermuntern zu lassen. Und in diesem Zusammenhang erscheinen die Begriffe parakale›n (parãklhsiw) bzw. protr°pein zum einen, sumbouleÊein zum anderen in seltener, aber aufschlußreicher Verbindung miteinander. 351 Pl. Euthd 278 d–282 d. 352 Pl. Euthd 282 d. 353 Pl. Euthd 306 d–307 c.

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Von den Protreptikoi des Antisthenes354, der die Gattung der protreptischen Rede (protreptikÚw lÒgow) möglicherweise begründet hat, und dem des Aristippos355 sind bloß die Titel bezeugt. Vor diesem bloß in schwachen Umrissen erkennbaren Hintergrund ist der an Themison von Kypros adressierte Protreptikos des Aristoteles, ein in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht wirkungsstarker – die Gattung wurde nicht nur im Kynismos, sondern auch im Peripatos, in der Stoa und auch von Epikur weiter gepflegt356 – Aufruf zu philosophischer Betätigung, zu bewerten357. Daß die Grenzen zwischen der Paränese und der Protreptik nicht ganz präzise gezogen werden können, vermag eine Lektüre der unter dem Namen des Isokrates überlieferten Briefe zu zeigen. Hier überschneiden sich nämlich die Begriffsfelder von Raterteilung (repräsentiert ist diese hier durch die Signalworte sumbouleÊein bzw. sÊmboulow358 und paraine›n359) zum einen und Aufruf (parakale›n360) zum anderen wechselseitig, bei den Appellen an Philipp II. von Makedonien (2. und 3. Brief) und Archidamos III. von Sparta (9. Brief), sich der panhellenischen Sache entschlossen anzunehmen und die so geeinten Griechen im Kampf gegen die Perser anzuführen – bei Isokrates bekanntlich ein durchgehendes Leitthema. Die charakteristische Mischung aus Rat und Appell trifft beispielsweise auch und besonders auf den Philippos des Isokrates zu361, der im übrigen auch ein Brief mit Anrede und durchgehender Ansprache an das Du des Adressaten ist. Hier ist wiederum ein Vergleich mit Lukians Methodenschrift anzufügen. Dem in der Rolle des Diogenes von Sinope auftretenden Autor liegt nichts ferner als Protreptik; er beschränkt sich, wie noch zu zeigen sein wird, auf das Erteilen von Rat, und auch dies nur in einer betont unaufdringlichen Form, angesichts der Unbelehrbarkeit der Menschen mit einem klaren Bewußtsein von den begrenzten Wirkungsmöglichkeiten guten Rates.

354 D. L. VI 16 (Schriftenverzeichnis des Antisthenes): per‹ dikaiosÊnhw ka‹ éndre€aw protreptikÒw in drei Büchern. Döring 1998, 271 hält es für wahrscheinlich, daß es sich um Dialoge handelte. 355 D. L. II 85 (Schriftenverzeichnis des Aristippos): mit Berufung auf Sotion und Panaitios ein protreptikÒw. 356 Im Peripatos von Theophrast, Chamaileon und Demetrios von Phaleron (Wehrli 1983, 491, 555–556 und 560–561), in der Stoa von Persaios, Kleanthes und Poseidonios (Steinmetz 1994, 556, 568 und 674), von Epikur (Erler 1994, 44 und 92). Nach D. L. VI 83 verfaßte auch der Kyniker Monimos einen Protreptikos. 357 Düring 1961, bes. 19–24 und Schneeweiss 2005, bes. 14–15 (hier ist der formale Unterschied zwischen Paränese und Protreptik jedoch verwischt). Ein weiterer Rekonstruktionsversuch von Chroust 1964. 358 Isoc. Ep. 1, 2 und 9; 2, 1–2 und 12; 3, 2; 6, bes. 6 und 14; 7, 3, 7 und 10; 8, 7; 9, 6 und 15. 359 Isoc. Ep. 2, 1; 3, 3; 9, 6. 360 Isoc. Ep. 2, 14; 3, 4 (auch parakeleÊesyai); 9, 1 und 17. 361 Isoc. Or. 5, Rat (sumbouleÊein: 16, 18, 68, 82–83, 88–89, 99, 136, 152, 154–155, vgl. 96) und Paränese (paraine›n: 71, 105–106) zum einen, Appell (parakale›n: 65, 90, 113, 115, 128, 137, protr°pein: 17, 116, 130, 138, pe€yein: 85–86, 133) zum anderen. Besonders deutlich 89: o‰mai d¢ t«n m¢n êllvn e‡ tisi dÒjeie per‹ t∞w strate€aw t∞w efiw tØn ÉAs€an sumbouleÊein, §p‹ taÊthn ín §pipese›n tØn parãklhsin, ktl.

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I 2. 4 Die Paränese bei Lukian und in der kaiserzeitlichen Literatur (Dion Chrysostomos und Musonius Rufus) Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Lukian seiner Schrift durch das Medium des Autor-Ichs das Profil von Paränese und Raterteilungen verleihen läßt, und zwar mit einer der eingenommenen Rolle des Diogenes von Sinope angemessenen Pose von Selbstverkleinerung. In diesem Sinne kann das Autor-Ich die Schrift als eine kleine Paränese und einige wenige Ratschläge für die Historiker bezeichnen (para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw ÍpoyÆsomai to›w suggrãfousin), um gleich darauf diesen seinen Rat (para€nesiw) mit größerer Verbindlichkeit in die Nähe einer zünftigen Lehranweisung, einer t°xnh, zu rücken362. Auf diese Art und Weise wird der Eingangspassus zum didaktischen dritten Teil der Schrift363 vorbereitet, in welchem die Begriffe Raterteilung (sumboulÆ), Belehrung (didaskal€a) und Lehranweisung (t°xnh) nahe aneinander gerückt erscheinen, doch auch hier nicht ohne demonstratives Understatement (.. Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw, efi dØ toiaËtai fa€nontai) des seine literarische persona als die eines Ratgebers (sÊmboulow) stilisierenden Verfassers. Bereits im ersten Teil (Kap. 1–13) war diese Schrift als eine Raterteilung (sumboulÆ) bezeichnet worden, und im zweiten Schriftteil (Kap. 14–32) war mit eben dieser selben Klassifizierung auf den dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 34–60) vorausverwiesen worden364. Lukian verwendet demnach das nun bereits aus Isokrates bekannte Konzept des paränetischen Briefes, wie man an den auch in seiner Gestaltung zentralen Begriffen sÊmboulow bzw. sumboulÆ, sowie para€nesiw und Ípoy∞kai ersehen kann. Mehrere andere Schriften Lukians zeigen, allerdings ohne daß in ihnen eine Briefform verwendet wird, gleichfalls Anwendung dieses Begriffsfeldes, durch Verwendung des Verbums paraine›n365, auch in Verbindung mit t°xnh366, und durch Gebrauch des Verbums Ípot€yesyai367; weiters findet sich bei ihm jeweils in durchaus vergleichbaren Kontexten der Begriff der sumboulÆ368, und sogar die aus der Methodenschrift bekannte Junktur parain°seiw ka‹ ÍpoyÆkaw369 ist vertreten. Lukian bedient sich auch sonst der ebenfalls aus Isokrates bekannten direkten Nebeneinanderstellung der Verba nouyete›n und paraine›n370. Unter all diesen Schriften ist jedoch eine unmittelbar mit der Methodenschrift zu vergleichen. Im Lexiphanes nämlich, in dem es ja auch um ein literarkritisches Thema geht, kommt der Rolle des Ratgebers eine für die Anlage des Schriftganzen entscheidende Bedeutung zu, denn hier ist es Lykinos, Lukians alter ego, der gegenüber dem heillos verrannt sich präsentierenden Hyperattizisten Lexiphanes die Rolle eines Ratgebers einnimmt, indem er seine Vorschläge zur Besserung selbst als eine Raterteilung (sumboulÆ) bezeichnet, um schließlich ganz zu Schluß der Schrift das vertraute 362 Luk. Hist. Conscr. 4–5. 363 Luk. Hist. Conscr. 34–36. 364 Luk. Hist. Conscr. 6 und 27. 365 Luk. z. B. Nigr. 27, Nec. 4, Im. 16, Salt. 67, Hes. 1; Rh. Pr. 15 und 25 (anders als Zweimüller 2008, 13–14 sehe ich im Rhetorum praeceptor nicht annähernd die Form bzw. Elemente einer epistula). 366 Luk. Abd. 4. 367 Luk. Harm. 2 und Herm 57. 368 Luk. Rh. Pr. 1 und 3 sowie Ind. 25. 369 Luk. Hes. 8. 370 Luk. Tim. 5.

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Signalwort para€nesiw fallen zu lassen371, noch dazu mit einer an den Schluß der Methodenschrift erinnernden, weil nunmehr die praktische Wirkungsmöglichkeit eines solchen Ratgebers demonstrativ relativierenden Schlußpointe372. Eine Parodie des paränetischen Konzeptes liegt auch im Rhetorum praeceptor vor, in dem der völlig verantwortungslose, skrupellos auftretende Rhetoriklehrer seinen eigenen Unterricht dem Schüler als eine sumboulÆ und para€nesiw anpreist373, wodurch natürlich nach der Absicht des Verfassers ein bitterböses Zerrbild solcher Art von Didaktik entsteht. Unter einem anderen Aspekt wird diese Schrift später374 nochmals zu behandeln sein. Durch den Hellenismus hindurch kann wegen des fast vollständigen Verlustes der für die hier interessierende Fragestellung relevanten Texte die Weiterentwicklung der paränetischen Literatur, die es zweifellos gegeben hat375, nicht weiterverfolgt werden. Nur vereinzelt lassen sich in den hellenistischen Philosophenschulen Schriften mit dem Titel Ípoy∞kai ausnehmen. Eine davon wurde verfaßt vom Peripatetiker Herakleides Pontikos376 und eine vom Epikureer Metrodoros aus Lampsakos377, dessen Autorschaft aber bereits in der Antike angezweifelt wurde. Über den Inhalt oder gar die literarische Form dieser und wohl auch anderer heute nicht einmal ansatzweise mehr greifbarer Schriften378 kann jedoch nichts ausgesagt werden. Besonderes Interesse verdient daher die auf Papyrus wenigstens teilweise kenntliche Schrift des Philodemos über den trefflichen König im Sinne Homers (per‹ toË kayÉ ÜOmhron égayoË basil°vw), in der es mit protreptischer Tendenz um eine moralische Aufrichtung (§panÒryvsiw) anhand der homerischen Darstellung des guten Königs ging, und in diesem Kontext ist das bekannte Konzept der Paränese (der Adressat ist Philodemos’ patronus Lucius Calpurnius Piso Caesoninus) auf ethischer Ebene in dem heute noch lesbaren Text zumindest zweifach direkt ausgesprochen379. Ansonsten lassen sich über die Genese dieser Gattung innerhalb des Hellenismus lediglich Vermutungen anstellen. Erst mit zwei Schriften aus der frühen Kaiserzeit tritt die Paränese für den heutigen Betrachter wieder deutlich sichtbar in Erscheinung. Zum einen handelt es sich um die 18. Rede des Dion Chrysostomos, einen lehrhaften Brief zu einem literarischen Thema und daher mit Lukians 371 Luk. Lex. 22 (sumboulÆ) und 25 (para€nesiw). 372 Luk. Lex. 25 und Hist. Conscr. 63 (in beiden Fällen gibt sich der Ratgeber nicht bloß – in realistischer Einschätzung der Wirklichkeit – als seiner begrenzten Wirkungsmöglichkeiten bewußt, sondern auch als um den Erfolg seines Rates recht unbekümmert). 373 Luk. Rh. Pr. 1 und 3 (sumboulÆ, vgl. dazu Zweimüller 2008, 179–180), 15 und 25 (para€nesiw). 374 Vgl. die Einleitung, Teil I 4. 2. 375 Immerhin läßt sich feststellen, daß um 300 v. Chr. Interesse an Ípoy∞kai bestanden hat, denn zu dieser Zeit beschäftigte sich nicht nur Demetrios von Phaleron mit den Sprüchen der 7 Weisen, sondern es ist auch auf einer Marmortafel in Kyzikos (ca. 300 v. Chr.) eine von Hasluck 1907, 62–63 publizierte und sogleich von Hense 1907, 766 als Svsiãdou t«n •ptå sof«n Ípoy∞kai identifizierte Inschrift bekannt geworden, vgl. Gerhard 1909, 251 mit Anm. 3. 376 Wehrli 1983, 524 (Titel ÑUpoy∞kai) und 527 (Charakterisierung der Schrift als einer „Zusammenstellung von Ratschlägen zur Lebensweisheit“, wie sie innerhalb des Peripatos gesammelt wurden). 377 Erler 1994, 218 (Titel ÑUpoy∞kai ?) und 221 („Ratgeber“, angezweifelt von Körte). 378 Wehrli 1983, 555–556 möchte in den Anekdoten der Schrift per‹ ≤don∞w, die entweder dem Peripatetiker Chamaileon oder Theophrast zuzuweisen ist, „den unterhaltsamen Stil der literarischen Paränese erkennen“. 379 Dorandi col. III 12 (parain°ma kãlliston) und col. XXIV 7 (épÚ dØ t«n toioÊtv[n é]naxvrÆsantew |pãli t[å] spouda›[a ba]sile› | parain[«]men), vgl. Erler 1994, 296–297.

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Methodenschrift, freilich innerhalb klar zu markierender Grenzen, durchaus vergleichbar. Der namentlich nicht genannte, durch keinen intertextuellen Hinweis und auch durch keine sonstige Quelle in seiner Identität erschließbare Adressat380 – wir erfahren aus dem Text bloß, daß er in der Blüte seiner Jahre steht, aktiv und engagiert am politischen Leben beteiligt und wohlhabend ist381 – hatte Dion gebeten, ihm bei seinem Versuch, sich rhetorische Fähigkeiten anzueignen, Ratschläge zu erteilen, wie er es am Besten anstellen solle, um dieses sein Ziel zu erreichen. Dion, der sich durch das vertrauensvolle Ansinnen des offensichtlich sozial hochstehenden Adressaten sehr geehrt zeigt, lobt zunächst die Bildungsbeflissenheit des Mannes und erteilt sodann Rat, indem er ihm einen auf die besonderen Lebensumstände und Bedürfnisse eines im öffentlichen Leben stehenden Mannes, eines politikÚw énÆr – bei jeder Gelegenheit wird in diesem Sinne die gesamte Schrift hindurch das Anliegen des erstrebten praktischen Nutzwerts wiederholt – berechneten Lektürekanon382 ans Herz legt. Training und harte Arbeit (êskhsiw und pÒnow) seien für dessen Zwecke jedoch nicht nötig, da er ja keine ganz auf die rhetorische Praxis spezialisierte Karriere vor Gericht anstrebe; eher sei eine ebenso entspannte wie nutzbringende Beschäftigung mit den empfohlenen Autoren von Vorteil, unter denen Xenophon als der in jeder Hinsicht vollendetste Repräsentant sokratischer Literatur wegen seiner, wie Dion geradezu gerührt feststellt, universellen Vielseitigkeit eine einzigartige Rolle einnähme. Dion ergreift dabei wiederholt die Gelegenheit, seinen Rat mit dem (in solchem Kontext nunmehr bestens bekannten) Verbum sumbouleÊein, zumeist unter höflicher Verwendung des potentialen Optativs383, und mit dem Substantiv sumboul€a384 zu bezeichnen, und einmal, an prononcierter Stelle, auch mit dem die Form der Schrift klar festlegenden Signalwort para€nesiw385. Und in der zweiten Königsrede läßt Dion, nebenbei bemerkt, beide Begriffe nebeneinander erscheinen386. In diesem Kontext dienen sie in dieser besonderen Verbindung dazu, um den paränetischen Charakter archaischer griechischer Dichtung durchaus konventionell zu benennen, ebenso wie dies bereits bei Isokrates der Fall gewesen war. Dions Lehrer war, wenn der Nachricht Frontos387 zu vertrauen ist (und es gibt wohl keinen Grund, dies nicht zu tun388), Musonius Rufus, der zwar selbst nichts geschrieben hat, über dessen bei den Zeitgenossen höchst angesehene philosophische Tätigkeit aber von zwei Schülern Aufzeichnungen verfaßt wurden, von einem nicht näher bekannten Lucius und von Pollio (eher

380 An früheren, allesamt nicht überzeugenden Versuchen einer Identifizierung hat es nicht gefehlt, vgl. dazu Cohoon I 210–211. 381 D. Chr. Or. 18, 1 (... §n t“ ékmaiotãtƒ ˆnta ka‹ dunãmei oÈdenÚw leipÒmenon ka‹ êfyona kekthm°non). 382 D. Chr. Or. 18, 6–17 (dieser Passus macht den überwiegenden Hauptteil der Schrift aus). Vgl. damit den knappen Kanon, den Lykinos dem Hyperattizisten Lexiphanes empfiehlt (Luk. Lex. 22). 383 D. Chr. Or. 18, 6, 11 (zweifach), 18 (hier im Übergang zum Schlußteil der Indikativ), 21 (Perfektpartizip als Abschluß und Klassifizierung der Schrift insgesamt, verbunden mit dem unaufdringlich formulierten Angebot, einen persönlichen Kontakt mit dem Adressaten herzustellen). 384 D. Chr. Or. 18, 20 (die Schrift ist eine sumboul€a) und 21. 385 D. Chr. Or. 18, 12 (die Schrift ist eine para€nesiw). 386 D. Chr. Or. 2, 5 (über Phokylides und Theognis) sowie 44 (Homer). 387 Marcus Cornelius Fronto nennt in einem Brief mit nicht bezeugtem Adressaten (vermutlich Verus oder Marcus) Musonius u. a. auch als einen Lehrer (magister) Dions (Haines II 50). 388 Zum Problem Lutz 1947, 17, Anm. 60 und 19, Anm. 78.

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als Annius Pollio zu identifizieren, denn als Valerius Pollio389). Die in der Textausgabe von Hense voranstehenden 21 Diatriben (diatriba€) sind bei Stobaios überliefert und gehen auf Lucius zurück, die bei Hense darauf folgenden in der Regel knapp gehaltenen 32 Apophthegmata, praecepta und Anekdoten sind bei Stobaios und einer Reihe anderer Autoren überliefert und gehen auf Pollio zurück. Die erst nach dem Tod des Musonius verfaßten Texte vermitteln zwar kaum einen adäquaten Eindruck von der imponierenden Lehrerpersönlichkeit des Musonius, sie lassen aber die Grundzüge seiner Lehre erkennen390. Demnach betrachtete der stoische Philosoph mit teilweise deutlich hervortretenden kynischen Zügen seine philosophische Aufgabe als die eines Arztes, der die moralische Krankheit der Menschen kraft der Vernunft (lÒgow) zu heilen unternimmt, um solcherart eine Rückkehr zu einem Leben gemäß der Natur zu ermöglichen. Die von dem Philosophen eingenommene Rolle eines Arztes391 findet sich dann auch bei Epiktet392, und wohl vor diesem allgemeinen Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Lukian393 sowohl in seiner Methodenschrift als auch im Lexiphanes – hier ist es der Arzt mit dem redenden Namen Sopolis, der Lexiphanes heilt – die Arztrolle verwendet, um Defizite auf literarischen Gebieten zu heilen. Diese spezielle Konzeption wird später noch genauer zu untersuchen sein394. Von Bedeutung für die hier verfolgten Zwecke ist vorerst, daß Musonius das bekannte paränetische Konzept auf seine ethische Lehrtätigkeit anwendet, unter Verwendung all der Leitbegriffe, die sich zuvor als die konstitutiven Elemente der Gattung herausgestellt hatten. So erklärt dieser, das vernünftige Denken, der lÒgow, gleiche gesunder Nahrung, verschaffe er doch den Menschen, denen er vertraut geworden sei, eine edle Grundhaltung; doch gegen heftig auftretende Leidenschaften auf ihrem Höhepunkt könnten auch Paränesen und Zurechtrückungen des Sinns (parain°seiw ka‹ nouyes€ai) kaum mehr etwas ausrichten395. Derjenige, der der passenden Raterteilung (t“ tå prosÆkonta parainoËnti) des Philosophen Folge zu leisten bereit ist, findet seine Anerkennung396. Die erste Diatribe berichtet über Musonius, er habe das Wesen des Schülers nach der Bereitschaft bestimmt, erteilten Rat anzunehmen, zu prüfen und diesem auch in seiner Lebensführung zu folgen, wenn er einmal zu der Überzeugung gelangt sei, daß etwas von dem an ihn ergangenen Rat, für ihn persönlich jedenfalls, wahr sei (ka‹ ëper ín peisyª t«n parainoum°nvn •aut“

389 Zu Lucius und Pollio vgl. die illustrative Darstellung bei Lutz 1947, 6–13 (mit Identifizierung des Pollio als Annius Pollio). 390 Zumal die 5. Diatribe läßt in der Art, wie der Lehrer methodisch verfährt, erkennen, daß als Vorbild kein geringerer als Sokrates fungiert. Doch zeigen andererseits andere Diatriben, beispielsweise VII und XVIII A – XX, daß es die Absicht des Kompilators war, Musonius nicht bloß an Platon, sondern auch, und nicht minder stark, an die xenophontische Sokratestradition, welche Sokrates gewissermaßen mit protokynischen Zügen ausgestattet hatte, anzubinden. 391 So erstmals von Sokrates im platonischen Charmides; zu dem Stellenwert der Arztrolle für die Aussage des Dialogs vgl. Cordes 1994, 153–158. 392 Epict. III 23, 30 (ÉIatre›Òn §stin, êndrew, tÚ toË filosÒfou sxole›on). 393 Luk. Hist. Conscr. 5 und Lex. 18–21. 394 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 9. 395 Hense, Musonius XXXVI = 124, bes. Z. 6–8. 396 Hense, Musonius XVI = 83, Z. 19–21.

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e‰nai ka‹ élhy∞, §pakolouye›n §n t“ b€ƒ)397; denn nur so werde er von der Philosophie Nutzen

erfahren, wenn er sein Handeln mit gesunden Reden in Einklang bringe. In der 17. Diatribe sind es wiederum die weisen Rat erteilenden Reden vonseiten der um das Schädliche und Nützliche für die Menschen wissenden Philosophen, die lÒgoi Ípoyetiko€, die einem im Alter vorangeschrittenen Menschen, der es bislang an entsprechender Entfaltung seiner Bildung, seiner paide€a, habe ermangeln lassen, den besten Reiseproviant für das Alter (die Frage zu Beginn lautet: t€ ín e‡h gÆrvw §fÒdion êriston) verschafften398. Andernorts ist das Amt des Ratgebers durch das nunmehr vertraute Verbum sumbouleÊein definiert399. Auch sonst ist die Wirkung des Philosophen bestimmt als ein Motivieren (parormçn) zum Besseren400, und von deren Rede heißt es, sie wirke im Sinne einer Protreptik, nach Maßgabe eines protr°pein und eines parakale›n401, wobei, wie schon bei Isokrates, die Grenzen zwischen einem paraine›n und einem protr°pein durchlässig erscheinen, Paränese und Protreptik also nahe aneinanderrücken. Im Folgenden mag es nützlich erscheinen, Musonius Rufus mit Lukian auf einer formalen Ebene zu vergleichen, um auch auf diesem Wege gewisse Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen. Es erscheint sinnvoll, zunächst mit der literarischen persona des Autors zu beginnen. Das AutorIch tritt in dem Text des Musonius Rufus, so wie er vorliegt, und in Lukians Methodenschrift gleichermaßen meist zum Ausdruck einer persönlichen Ansicht oder Meinung in Erscheinung402, häufig jedoch auch zur entschiedenen Äußerung einer vom Autor als wichtig erkannten Ansicht. Besonders stark springt bei Musonius dabei ein betontes, expressives „ich behaupte“ (fhm‹) in die Augen, welches Lukian im Gegensatz zu Musonius nur ein einziges Mal verwendet, und zwar im Eingangspassus zum dritten Teil seiner Schrift, an prononcierter Stelle (Kap. 34)403. Bisweilen ist bei Musonius das Ich auch zu dem Zweck verwendet, ein bestimmtes Wissen des Lehrers nachdrücklich zu bestätigen, um solcherart dessen didaktische Autorität zu etablieren; bei Lukian findet sich dieser Gebrauch des Ichs zumal im zweiten Teil seiner Schrift (Kap. 14–32) wiederholt in derselben Funktion, als ein Instrument, um die Glaubwürdigkeit seines Berichtes zu unterstreichen404. Wie verhält es sich nun mit dem fiktiven Interlocutor, der in der Diatribe bekanntlich ein konstitutives Element darstellt?

397 Hense, Musonius I = 5, Z. 15–6, Z. 1. 398 Hense, Musonius XVII = bes. 91, Z. 16–18 und 88, Z. 14–15. 399 Hense, Musonius X = 52, Z. 6. 400 Hense, Musonius VI = 22, Z. 6 und VII = 31, Z. 12. 401 Hense, Musonius III = 12, Z. 24 und 13, Z. 3. 402 Hense, Musonius I 3, Z. 6; IV 17, Z. 21; VIII 38, Z. 9; XV A 78, Z. 18; XVI 82, Z. 18 und 84, Z. 6; XVIII A 98, Z. 8 (o‰mai), III 10, Z. 18; VIII 40, Z. 7; IX 50, Z. 6; XI 60, Z. 10; XV B 80, Z. 4; XVI 85, Z. 6 und 17–18 (Idiome mit dem Verbum doke›n), etwas anders VIII 34, Z. 8 (…w §g∆ dok«). Vgl. Luk. Hist. Conscr. 21, 23, 29, 30 (also bevorzugt im zweiten Teil der Schrift) und 38 (o‰mai), 1 und 7 (Idiome mit dem Verbum doke›n). 403 Hense, Musonius I 5, Z. 3–4; III 12, Z. 14; XVIII B 105, Z. 4; XIX 107, Z. 17 (fhm‹ mit folgendem de›n), III 10, Z. 4; IV 16, Z. 19; VI 27, Z. 11; XVI 84, Z. 3; XVII 93, Z. 3; vgl. IX 48, Z. 9 (§g∆ d¢ fa€hn ín ktl) und IX 45, Z. 10 (l°gv d¢ in der Bedeutung eines nachdrücklichen fhm€), vgl. Luk. Hist. Conscr. 34 (Fhm‹ to€nun), vgl. 9 (oÈ toËtÒ fhmi …w ktl) und 35 (oÈ ... fam°n). Wendungen von der Art fhm‹ d° gehören dem Stil der Diatribe an (Bultmann 1910, 13). 404 Hense, Musonius XI 61, Z. 7 (o‰dÉ ékrib«w §g≈), XVI 83, Z. 4 (§g∆ ... o‰da), XVIII B 99, Z. 6–7 (æsyhmai und ır«). Luk. Hist. Conscr. 5 (o‰da), 14 (m°mnhmai), 28 (ÉEg∆ ... ≥kousa), 29 (m°mnhmai gãr), 32 (én°gnvn gãr).

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Die bei Teles überaus häufig in Erscheinung tretenden, unangekündigten Einwürfe eines fiktiven Interlocutors sind bei Musonius stark zurückgedrängt. Sie sind bei ihm lediglich einigen wenigen besonderen Situationen vorbehalten405, ansonsten liefert der Text, freilich in der überlieferten, nicht originalen Form, jeweils vor dem Auftreten eines solchen Interlocutors klare Signale dafür, daß nun eine direkte Rede eines fiktiven Sprechers folgen wird406. Lukian verwendet die Rolle des auch bei ihm gekennzeichneten Interlocutors innerhalb der Methodenschrift nur ein einziges Mal, nämlich im Scharnier zwischen dem zweiten und dem dritten Teil der Schrift, an exponierter Stelle (Kap. 33: fa€h tiw ín)407, und es mag daher der Eindruck entstehen, daß auch dieses charakteristische Element des Diatribenstils von Lukian durchaus als diatribenhaft intendiert gebraucht ist. Der Sachverhalt ist indes nicht so leicht zu entscheiden, da es sich um ein auch sonst bekanntes rhetorisches Verfahren handelt, um eine ganz besondere Form von rhetorischer sermocinatio (±yopoi€a)408, derer sich die Diatribe von Anfang an als eines rhetorischen Mittels bedient, um so die Wirkung ihrer Aussage zu erhöhen409. Es ist daher nicht gänzlich problemlos möglich, im Einzelfall zu entscheiden, ob ein bestimmtes Stilmittel als Merkmal der Diatribe oder eben als rhetorisches Kunstmittel anzusprechen ist. Da es jedenfalls auch sonst zu Lukians Repertoir gehört, die direkte Rede eines Interlocutors auch in nicht als diatribenhaft intendierten Kontexten mit Idiomen wie efi d° tiw fa€h oder e‡poi tiw ên und ähnlichen Phraseologien zu markieren410, so könnte man annehmen, daß dieser Gebrauch des Interlocutors sich aus der Sicht des Verfassers in erster Linie als die Anwendung eines vertrauten rhetorischen Verfahrens darstellt. Doch ist im vorliegenden Fall damit zu rechnen, daß Lukian, der für die in der Methodenschrift verfolgten Zwecke den Autor demonstrativ in die Rolle des Diogenes von Sinope schlüpfen läßt, sich dessen bewußt war, daß das von ihm in diesem speziellen Kontext angewandte Verfahren der Einführung eines Interlocutors eben auch dem Bereich der Diatribe, die ja mit der Person des Diogenes zwangsläufig assoziiert wird, zuzuordnen ist. Auf dieser Grundlage ist daher auf alle Fälle damit zu rechnen, daß er solcherart eine mit der Diogenesrolle kompatible Stilebene herzustellen beabsichtigt hat. Jedenfalls gibt die Bewußtheit, mit der bei ihm derlei Dinge auch sonst stets gehandhabt sind, begründeten Anlaß zu der Vermutung, daß gerade hier, in Kapitel 33, eine kräftige Stilisierung im Sinne des Diatribenstils intendiert ist.

405 Hense, Musonius X 53, Z. 4–9 und XVI 87, Z. 11–12 (eingeleitet durch das auch sonst recht häufige nØ D€a bzw. durch éllå nØ D€a). 406 Hense, Musonius IV 16, Z. 16 (fhs€ tiw ‡svw), XII 65, Z. 2 (fhs€n), XV A 79, Z. 13 (Text bricht danach ab), sonst finden sich nur mehr aufgeweichte Idiome mit ˜ti–Satz oder AcI, so IV 12, Z. 5 (fas€ tinew, ˜ti ktl) und XI 60, Z. 4 (fa€h tiw ín ‡svw + AcI). 407 Homeyer 1965, 139 übersetzt ungenau mit „wie man so sagt“, denn sprichwörtliche Redensarten sind mit parenthetischem fas€n gekennzeichnet, so in Kap. 2 und 32, vgl. Bis Acc. 1, Philops. 1, 9, Merc. Cond. 1, 4, 25, Harm. 1, 3 , 4, u. ö. Vgl. weiter unten den Abschnitt zum Aufbau der Schrift (Einleitung, Teil I 2. 10). 408 Lausberg § 824, 1 spricht in diesem Fall (lateinisch hic aliquis oder dicat aliquis) von „Unbestimmtheit und Auflösung der redenden Person“. Sogar das Fehlen eines solchen Signals kommt in rhetorischem Ausdruck vor (est et iactus sine persona sermo), also genau das, was in der Diatribe als unangekündigte Rede eines Interlocutors (besonders typisch für Teles) zu bezeichnen wäre. 409 Für Bion von Borysthenes ist dies gezeigt von Kindstrand 1976, bes. 25–49. 410 Luk. Phal. I 9, Bacch. 5, Prom. Es 3, Abd. 10.

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Es wurde bereits festgestellt, daß die Lehrvorträge des Musonius Rufus sich als Paränese geben, und daher ist es nicht zu verwundern, daß immer wieder die Ansprache an ein Du hervortritt. Dies ist in der 9. und in der 14. Diatribe411 zumindest partiell der Fall, und ganz besonders tritt in der 16. Diatribe, einem in der Art der Gesprächsführung vonseiten des Lehrers mit sokratischen Zügen verlaufenden Lehrgespräch mit einem jungen Mann, eine durchgehende Hinwendung an das Du in Erscheinung. Die 5. Diatribe ist die Wiedergabe eines sich durch Frage und Antwort entwickelnden Gespräches, und in der 8. Diatribe folgt auf eine Ansprache mit gelegentlicher Hinwendung an das Du ein Dialog in knappestmöglicher Form412. Ansonsten dominiert monologischer Vortrag413, der freilich öfter durch die Frage einer namentlich nicht genannten Person an Musonius, der daraufhin Antwort erteilt, erst motiviert ist. Bei den Ansprachen an das Du bedient Musonius sich der aus der Paränese bekannten Stilmittel, besonders der vokativischen Anrede414, des Imperativs an die zweite Person, auch unter Verwendung des Imperativs an die dritte Person und von Verbaladjektiven sowie von Futura mit imperativischer Bedeutung415, der Frage416 und des Schaffens einer gemeinsamen Verständnisgrundlage auch unter Einsatz hortativer Konjunktive417. Keine der 21 Diatriben hat zwar die Form eines echten Briefes, doch ließe sich leicht, mit nur ganz geringfügiger Modifikation, aus der 16. Diatribe ein paränetischer Brief herstellen. Auf formaler Ebene ist so ein direkter Vergleich mit Lukians Schrift, deren Aufbau weiter unten noch genauer besprochen werden wird418, möglich. Aus leicht einsichtigen Gründen benötigt die Paränese, wie das Beispiel des Musonius zeigt, nicht unbedingt die Briefform isokrateischer Art, um als solche wirksam zu werden. Doch hat Lukian seine Schrift gleichwohl in die Form eines Briefes gekleidet, um den Eindruck zu vermeiden, er würde sich mit seinen Imperativen direkt an das Du des Lesers wenden, denn dadurch würde die – im übrigen vom Autor ohnedies demonstrativ relativierte – Pose der Lehrhaftigkeit als allzu aufdringlich erscheinen. Lukian präsentiert sich auch sonst nicht gerne in der Eigenschaft eines rundum sich vorbehaltlos ernst gebenden Moralisten. Der Kompilator, der die Diatriben des Musonius in der heute vorliegenden Form verfaßt hat, hätte, wie schon gesagt, bei höheren literarischen Ansprüchen, wäre es seine Absicht gewesen, ohne Mühe direkten Anschluß an die Paränese des isokrateischen Typs herstellen können. Die mündliche Gesprächsführung des Lehrers Musonius hätte jedenfalls 411 In der 9. Diatribe ist die Ansprache an das Du auf den Schlußpassus konzentriert (Hense, Musonius IX 49, Z. 3–51, Z. 9, erstmals 42, Z. 4–5), in der 14. Diatribe ist das Du im Passus Hense, Musonius XIV 72, Z. 3–13 angesprochen; am Schluß (76, Z. 12) verrät der Vokativ Œ nean€ske, daß die Person, deren Ansicht die Belehrung ausgelöst hatte, ein junger Mann ist. 412 Hense, Musonius VIII 40, Z. 12–17 (Dialog: je eine Äußerung des Königs und des Musonius). 413 Nur ganz vereinzelt auch sonst Ansprache an ein Du, so Hense, Musonius XVII 89, Z. 2. 414 Hense, Musonius IX 49, Z. 3 (Œ •ta›re), XVI 84, Z. 20 und 86, Z. 15 (Œ nean€ske). 415 Hense, Musonius IX 49, Z. 3 (sÁ dÉ efip° moi), XIV 72, Z. 3 (efip° moi), XVI 84, Z. 5 (skÒpei), 84, Z. 19–20 (mØ ... sÊ ge de€s˙w), 86, Z. 18 (lÒgisai), 85, Z. 3 (Imperativ an die 3. Person), 87, Z. 10 (Verbaladjektiv), 85, Z. 7 und 13 (Futura mit imperativischer Bedeutung), VIII 32, Z. 7 (MØ o‡ou), VIII Z. 8–9 (Verbaladjektiv). 416 Hense, Musonius IX 49, Z. 5–14, XIV 72, Z. 3–6, XVI 83, Z. 2 (µ oÈk o‡ei sÊ ktl). Imperative und Fragen dieser Art gehören dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 13). 417 Hense, Musonius IX 49, Z. 10–11 und 51, Z. 4–5 (beide teilen das Schicksal der Verbannung), XVI 85, Z. 6–7 (doke›w oÈdÉ aÈtÚw égnoe›n), XVI 82, Z. 6–8 (yeas≈meya, katamãyvmen und ÙcÒmeya), VIII 38, Z. 12 (yeas≈meya), III 9, Z. 17 (skop«men). 418 Vgl. dazu die Einleitng, Teil I 2. 10.

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genügend Ansatzpunkte dafür geboten. Es gibt eine Reihe weiterer stilistischer Merkmale, die bei Lukian und Musonius Rufus gemeinsam vorliegen. Dazu gehört vor allem der für die Diatribe typische, sich im Text des Teles, jedenfalls so wie er durch den Kompilator überliefert ist, noch nicht findende einleitende Genetivus absolutus 419, außerdem der Einbezug der handwerklichen Sphäre, welcher Metaphern entnommen werden420, in die Bildersprache. Zu den Gemeinsamkeiten zählt auch der häufige Gebrauch des an sich durchaus verbreiteten Idioms nØ D€a bzw. må D€a421. Dazu kommen noch weitere, wohl ursprünglich für die Diatribe geschaffene und dem ethischen Objekt genuin angemessene Elemente, die sich bei Lukian – und, wie sich zeigen wird, nicht nur bei ihm – in einer auf das literarkritische Gebiet übertragenen Form finden, die Betonung der Unwissenheit (êgnoia)422 der Masse, welcher der Einsichtige, der eÔ fron«n423, mit scharfem Kontrast gegenübergestellt wird, überhaupt der hart konturierte Kontrast von Bildung und Unbildung424, sowie der Maßgedanke, zu dem der Wert der schon von Krates425 hervorgehobenen Besonnenheit (svfrosÊnh) zählt426. Dazu treten, abgesehen natürlich von dem im kynischen Kontext obligatorischen kynischen pÒnow und keine Furcht kennender parrhs€a427 insbesondere auch die Bereiche von Musik, Medizin und Gymnastik, denen Anschauungsbeispiele in großer Zahl entnommen werden, und die als typische technegemäß zu vollziehende Tätigkeiten herangezogen werden428. In der wesentlich ethisch orientierten Diatribe wird diesen t°xnai die Philosophie als eine ganz ähnlich verfahrende t°xnh zur Seite gestellt, und bei Lukian ist es diejenige t°xnh, als deren Lehrer er für die Zwecke seiner Lehrschrift den Autor – auch in Form des Autor-Ichs – auftreten läßt429. Damit wäre also ein Kontext für Lukians Paränese geschaffen, soweit die Quellenlage dies zuläßt. Und dabei ist es wichtig, sich stets vor Augen zu halten, daß weder von Isokrates, noch von Dion und Musonius direkte Einflüsse auf Lukian anzunehmen oder auch nur wahrscheinlich sind, zum einen, weil die literarische Landschaft des Hellenismus ein für uns heute unentdeckter Kontinent ist, und zum anderen, weil auch die Literatur der frühen Kaiserzeit weit komplexer gewesen sein muß, als dies die für diesen Zeitraum relativ zahlreich verfügbaren literarischen Quellen 419 Hense, Musonius I 1, Z. 5; IV 13, Z. 8; VIII 32, Z. 4–5; IX 41, Z. 4; XIV 70, Z. 11; Luk. Hist. Conscr. 1, vgl. auch 6. 420 Hense, Musonius XXIV 119, Z. 10–120, Z. 1 (kanonist°on), Luk. Hist. Conscr. 5, 8, 9 (kanonist°on), 63. 421 Hense, Musonius III 11, Z. 16; 12, Z. 5; IV 15, Z. 12; 18, Z. 17; VIII 38, Z. 15; 39, Z. 18 und sehr oft, Luk. Hist. Conscr. 10, 14, 15, 16, 25, 37. 422 Hense, Musonius X 53, Z. 10; 56, Z. 4; XX 112, Z. 6; Luk. Hist. Conscr. 7, 8, 20, 27, 36. 423 Hense, Musonius IX 46, Z. 16–17; X 53, Z. 13; XVI 86, Z. 14; Luk. Hist. Conscr. 20, 42. 424 Hense, Musonius III 11, Z. 12–13; Luk. Hist. Conscr. bes. 44, vgl. 27, 32. 425 AP X 104 (aus einem Hymnos des Krates an die als Tocher der SvfrosÊnh bezeichnete EÈtel€h). 426 Hense, Musonius XLII 127, Z. 12, XVIII B 99, Z. 14; 105, Z. 8; XVIII A 94, Z. 7; XVIII B 100, Z. 10; 101, Z. 15, XXIV, 120, Z. 1, XXXVIII 125, Z. 5; Luk. Hist. Conscr. 45, 57, 61. 427 Schon bei Teles, vgl. Hense, Teles II 8, Z. 1 und III 15, Z. 16. Zu Lukians Verwendung der parrhs€a vgl. die Einleitung, Teil II 3. 428 Hense, Musonius II 7, Z. 2; VI 22, Z. 9; VIII 40, Z. 1; XVI 85, Z. 7–9; XVIII A 97, Z. 6–8 (Musik), I 1, Z. 9–12; II 7, Z. 1; V 20, Z. 6–12; VI 22, Z. 9; 23, Z. 18; VIII 39, Z. 20–21; XVI 82, Z. 9–10; XVIII A 97. Z. 7–8 (Medizin), IV 16, Z. 18 und II 8, Z. 6 (Gymnastik); vgl. Hense, Teles I 1, Z. 6–8; III 14, Z. 4; III 18, Z. 10; Luk. Hist. Conscr. bes. 35–36. 429 Luk. Hist. Conscr. 5 und 34–36, bes. 35.

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erkennen lassen. Gleichwohl mag das hier rekonstruierte Formelement der Paränese dazu dienen, um Lukians Schrift etwas zuverlässiger auf eine Basis zu stellen, der sie freilich nur eine ihrer Schichten verdankt. Für die didaktischen Teile der Schrift wird weiter unten mit Ps. Longinos und Horaz eine weitere, zum Teil überlappende Schicht erschlossen werden: das hellenistische bzw. auch frühkaiserzeitliche Lehrbuch über ein literarkritisches Thema (Einleitung, Teil I 2. 6–2. 8). Zunächst jedoch ist zu fragen, wie der zweite Teil der Schrift (Kap. 14–32) mit seiner Kritik an Partherkriegshistorikern aus literarhistorischer Perspektive zu bewerten ist, um schließlich eine Benennung der formalen Anlage dieses Schriftteils vornehmen zu können. I 2. 5 Das lukianische Konzept von Nutzen durch Spott Das literarische Konzept, eine ernsthafte Aussage vermittels einer unernst erscheinenden Form zu transportieren, ist aus dreierlei Diskursen bekannt, a) aus dem sokratisch-platonischen und, in engem Zusammenhang damit, b) aus der Gepflogenheit von Kynikern, sich des spoudaiog°loion, einer Mischung von Ernst und Witz bzw. Scherz zu bedienen, sowie c) aus der Alten Komödie in der Gestaltung des Aristophanes. Als erster Diskurs ist der platonische zu betrachten. Platon läßt in seiner die Person des Sokrates stilisierenden Darstellung dessen Art der Gesprächsführung zwischen den beiden Polen von Scherz (pa€zein) und Ernst (spoudãzein) schillern, doch so, daß niemals ein Zweifel an der unbedingten Ernsthaftigkeit von dessen philosophischem Anliegen auch nur aufkommen kann. Das Mittel der Ironie setzt der platonische Sokrates kräftig ein, zumal immer dann, sooft die Gesprächspartner es ihm an intellektueller oder ethischer Seriosität vermissen zu lassen scheinen, und d. h. besonders im Diskurs mit den Sophisten und in der Auseinandersetzung mit deren Ansichten430. Und gerade die Sophisten sind es auch, die Sokrates wiederholt dazu auffordert, ihm gegenüber nicht zu scherzen und ihn nicht vorsätzlich zu täuschen431. Vor allem aber bedient er sich mit Vorliebe des Mittels der charakteristisch sokratischen Selbstironie432. Deshalb erscheint dieser Sokrates seiner Umwelt oft genug sich hinter ironischer, nicht ernst gemeinter Rede zu verstecken. Seine Gesprächspartner fragen darum auch immer wieder, ob er denn eigentlich scherze: Pa€zeiw, Œ S≈kratew;433. Der Alkibiades des Symposion, vom Wein redselig geworden, bringt die Außensicht des Sokrates zunächst auf den Punkt mit den Worten: EfirvneuÒmenow d¢ ka‹ pa€zvn pãnta tÚn b€on prÚw toÁw ényr≈pouw diatele›. Doch fügt er mit tieferer Einsicht in das ambivalent erscheinende Wesen des Sokrates sogleich treffsicher hinzu: spoudãsantow d¢ aÈtoË ka‹ énoixy°ntow, oÈk o‰da e‡ tiw •≈rake tå §ntÚw égãlmata434. Gegenüber den Zweifeln der Mehrheit pflegt der platonische Sokrates selbst, jedenfalls bei den aus seiner Sicht und für ihn zentralen Fragen, den unbedingten Ernst seiner Rede explizit herauszustreichen435.

430 431 432 433 434 435

Pl. Tht. 162 a und 167 e–168 e, bes. 168 c. Pl. Grg. 500 b (vorbereitet durch 499 b), Hp. Ma. 300 c. Vgl. aber auch Men. 79 a. Pl. Mx. 236 c. Alkibiades spricht es aus in Prt. 336 d. Pl. Alc. 1, 124 d, Tht. 168 c (Vorwurf an Sokrates: Pa€zeiw, Œ S≈kratew). Pl. Smp. 216 e, vgl. Prt. 336 d (Alkibiades durchschaut die sokratische Ironie). Pl. Euthd. 283 b–c, Ap. 20 d, Euthd. 283 b–c, Grg. 500 b–c.

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Im Gorgias 436 ist es Chairephon, der die Frage des Kallikles, ob Sokrates denn ernst meine, was er da sage, oder ob er scherze (spoudãzei taËta Svkrãthw µ pa€zei;), mit der Bestätigung des vollen Ernstes von dessen Rede (die gegenüber Polos provokant formulierte These lautet: Unrecht zu verüben und dafür nicht bestraft zu werden, ist das größte aller Übel) so beantwortet: ÉEmo‹ m¢n doke›, Œ Kall€kleiw, Íperfu«w spoudãzein. Der platonische Sokrates weiß denn auch um die von ihm und seinen Reden ausgehende Wirkung auf die Außenwelt, weshalb er in der Apologie 437, den zu erwartenden Vorwurf des Unernstes vorwegnehmend, erklärt: Ka‹ ‡svw m¢n dÒjv tis‹n Ím«n pa€zein, um sogleich, als Einleitung zu der Benennung der Gründe für seine Verhaßtheit in der Öffentlichkeit, hinzuzufügen, die Hörer sollten sich dessen gewiß sein, daß er nun die ganze Wahrheit sagen werde (eÔ m°ntoi ‡ste, pçsan Ím›n tØn élÆyeian §r«). Gegenüber seinem offiziellen Ankläger Meletos bedient er sich bei dieser selben Gelegenheit438 einer raffinierten Strategie der Lächerlichmachung, indem er den offiziellen Anklagepunkt der Asebie dadurch zu entkräften sucht, daß er sich den Anschein gibt, dessen nachgewiesene Absurdität sich bloß durch ein Scherzen (pa€zein) vonseiten des Anklägers erklären zu können. Das ständige Schillern zwischen Ernst und Scherz ist nicht bloß Sokrates alleine vorbehalten, wenn es sich im Zusammenhang mit seiner Person auch bei weitem am Häufigsten findet, es verleiht dem platonischen Dialog überhaupt sein ganz charakteristisches Gepräge439. In diesem Sinne läßt Platon im Symposion seinen Agathon die von ihm ganz im Stil des Gorgias440 gehaltene Lobrede auf Eros im nachhinein selbst charakterisieren als eine, die Anteil habe ebensowohl an Scherz (paidiã) wie auch an Ernst in Maßen (spoudØ metr€a)441. Diese Erklärung des Agathon ist nach Absicht des Verfassers natürlich als eine ganz und gar der gelockerten Atmosphäre eines Symposions angepaßte zu verstehen und verleiht so dem Gespräch den Charakter der Leichtigkeit. Bereits Hermogenes442 sah daher im sokratischen Symposion die Verbindung von Ernst und zum Lachen Anlaß Gebendem verwirklicht. Seine Begründung für diese Sichtweise lautet so: sumpos€ou SvkratikoË plokØ spouda›a ka‹ gelo›a ka‹ prÒsvpa ka‹ prãgmata, Àsper ka‹ §n t“ Jenof«ntow ka‹ §n t“ Plãtvnow sumpos€ƒ.

In der Kommunikation mit Sokrates ist der Vorwurf des Scherzens, des pa€zein, gewissermaßen als Waffe im argumentativen Prozeß stets allgegenwärtig, und zwar sowohl bei den Gesprächspartnern des Sokrates, als auch bei Sokrates selbst. Bei dieser Verquickung von Ernst und Unernst, wie er in Platons Darstellung in Erscheinung tritt, war es nur mehr ein folgerichtiger Schritt, wenn später die Kyniker die Methode des spoudaiog°loion nunmehr in ganz expliziter Weise vollzogen. Dabei denkt man sogleich an das horazische, dieser Tradition

436 Pl. Grg. 481 b. 437 Pl. Ap. 20 d. 438 Pl. Ap. 27 a. 439 In Pl. Phdr. 276 b–277 a ist der Diskurs über Schriftlichkeit und Mündlichkeit bezeichnenderweise unter den Parametern spoudÆ und paidiã abgehandelt. 440 Pl. Smp. 198 c (darauf beruht auch das Wortspiel des Sokrates, das er in unmittelbarem Anschluß an die Rede des Agathon mit den Namen Gorgias und Gorgo, sc. Medusa treibt). 441 Pl. Smp. 197 e. 442 Hermog. Meth. 36, Spengel II 455, Z. 31–456, Z. 2. Vgl. dazu die Darstellung bei Hirzel 1895, I 365 und 385, der von hier aus ganz zu Recht Verbindungslinien zu den Kynikern zieht.

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entlehnte ridentem dicere verum aus dessen erster Satire443, ein bekanntes Verfahren, das innerhalb kynischer Literatur jedoch erstmals für den Diogenesschüler Monimos aus Syrakus444 belegt ist, von dem Diogenes Laertios445 berichtet, er habe, an sich ein durchaus ernster und der Wahrheit ergebener Mann, u. a. auch Spielereien mit verstecktem Ernst (pa€gnia spoudª lelhyu€& memigm°na) verfaßt. Beispiele für pa€gnia des Krates von Theben, mit dem Monimos dieselben Interessen teilte und mit dem er oft in vertrautem Kontakt stand446, überliefern Diogenes Laertios447 und Julian448. Und Ps. Demetrios nennt in einem wichtigen Passus, weil er sich als die einzige Aussage eines antiken Theoretikers über die kynische Weise, den KunikÚw trÒpow, erhalten hat, die Dichtung (poihtikÆ) des Krates als ein typisches Beispiel für die Anwendung des Lächerlichen (gelo›a) bei ansonsten ernster Aussage, und zwar mit der Funktion von xre€a und gn≈mh, und dies bedeutet also um eines praktischen Nutzwertes willen449. Die antiken Quellen450 lassen übereinstimmend erkennen, daß es gerade Krates war, der mit seiner freundlichen Milde und seinem Charme, mit seiner pr&Òthw und xãriw, auf die herbe Strenge des Diogenes eine umgänglichere Weise folgen ließ451. Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum Diogenes nirgendwo in der Antike mit dem spoudaiog°loion in Verbindung gebracht wurde, wenn dieser auch bei oberflächlicherer Betrachtung insoferne daran Anteil zu haben scheint, als er bald die eine Methode anwandte, das Reden im Ernst, das spoudaiologe›syai, mit dem er keine Erfolge erzielen konnte, bald aber die andere, allgemein sehr beliebte, das Spotten und Scherzen, das sk≈ptein te ka‹ pa€zein452, doch offensichtlich nicht beide zugleich. Es ist daher gewiß nicht berechtigt, ihn, wie dies häufig geschieht, als einen prominenten Vertreter des spoudaiog°loion im engeren Sinne zu bezeichnen. Keine Stütze 443 Hor. S. I 1, 24–25 (quamquam ridentem dicere verum / quid vetat?), 27 (sed tamen amoto quaeramus seria ludo). 444 Zu Monimos vgl. Döring 1998, 303. D. L. VI 82 bezeichnet den ehemaligen Sklaven Monimos als Schüler des Diogenes von Sinope. 445 D. L. VI 83. Über Menippos von Gadara (die spärlichen Testimonien, lediglich bei Diogenes Laertios und Athenaios vorhanden, sind verzeichnet bei Riese 245–246) sagt D. L. VI 99, in dessen Werk sei überhaupt nichts Ernsthaftes (oÈd¢n spouda›on), denn es sei voll von katãgelvw; Str. XVI 2, 29 = C 759 hingegen benennt Menippos mit dem Attribut ı spoudog°loiow. Woytek 1986, 319–320 ist geneigt, Strabons Bewertung zu vertrauen, und dasselbe scheint auf Knoche 1957, 35–36 zuzutreffen. Allerdings spricht Luk. Bis Acc. 33 (Sprecher ist der Diãlogow: ... M°nippÒn tina t«n palai«n kun«n mãla ÍlaktikÚn ... ka‹ kãrxaron énorÊjaw, ka‹ toËton §peisÆgag°n moi foberÒn tina …w élhy«w kÊna ka‹ tÚ d∞gma layra›on, ˜sƒ ka‹ gel«n ëma ¶daknen) eher für das Zeugnis des Diogenes Laertios, was bedeutet, daß katãgelvw nicht als „Spaßmacherei“ aufzufassen ist, sondern viel drastischer im

Sinne von „Spott“, was wieder etwas anderes ist als „a Cynic nihilist“, als den Witke 1970, 47 ihn auffaßt. Menippos will demnach nicht unter Lachen die Wahrheit sagen, um dadurch zu belehren, er will durch sein Lachen umso zielsicherer verletzen; es fehlt ihm an (philosophischem) Ernst. Da er offensichtlich über Esprit verfügte, konnte man ihm aber aus anderer Sicht das spoudog°loion zuschreiben. 446 D. L. VI 82. 447 D. L. VI 85. 448 Jul. Or. VI 199 d–200 a. 449 Demetr. Eloc. III 170. 450 Plu Quomodo adulator ab amico internoscatur 28, 69 c–d (Demetrios von Phaleron erfuhr im Umgang mit Krates das völlige Fehlen der von ihm erwarteten parrhs€a kunikÆ und von lÒgoi traxe›w) und Jul. Or. VI 201 c (die Zurechtweisung des Krates ist frei von bissiger Schärfe, pikr€a). 451 Dieser Unterschied zwischen Diogenes und Krates wird zu Recht hervorgehoben von Gerhard 1909, 41 sowie von Gerhard 1912, 392–394 („die humane Reaktion“) und in Gerhards Nachfolge von Grant 1924, 56. Beide lassen erst mit Krates das spoudaiog°loion als Reaktion auf die Harschheit des Diogenes beginnen. 452 Bezeichnend dafür sind D. L. VI 27 und D. Chr. Or. IX 7.

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bieten die unter seinem Namen überlieferten sieben oder acht Tragödien453, über die gar nichts bekannt ist und die, bereits vom Peripatetiker Satyros in ihrer Authentizität verdächtigt, dem Diogenesschüler Philiskos aus Aigina zugesprochen wurden454. Es ist wichtig, sich über die diesbezügliche Stellung des Diogenes ein klares Bild zu machen, da Lukian in seiner Methodenschrift den Autor in die Rolle des Diogenes schlüpfen läßt, sodaß die innere Stimmigkeit und Kohärenz seines literarischen Konstruktes nur vor diesem Hintergrund adäquat beurteilt werden kann. In diesem Sinne entsprechen die didaktischen Teile der Schrift (Kap. 6–13 und 34–60, Epilog: 61–63) dem soudaiologe›syai des Diogenes, der Spott über einzelne Historiker (Kap. 14–32) hingegen dessen Spott und dessen Scherzen (sk≈ptein te ka‹ pa€zein). Freilich betont der Autor nachdrücklich, daß der Spott kein Selbstzweck sei, sondern daß er seinen Sinn in dem daraus zu beziehenden Nutzwert (tÚ xrÆsimon) erfülle455. Für das Verhältnis von Scherz und Ernst in den Schriften der Kyniker illustrativ ist ein Passus aus der 6. Rede Julians (efiw toÁw épaideÊtouw kÊnaw), in dem dieser eine Ehrenrettung des Diogenes von Sinope gegen den heftigen Angriff eines ansonsten überhaupt nicht bekannten Ägypters, eines Pseudokynikers, wie es scheint, unternimmt456. Julian erkennt in den Schriften der frühen Kyniker insgesamt mehr Scherz (paidiã) als Ernst (spoudÆ), weshalb man nicht hinter jedem Scherz allzu viel an Ernst erblicken solle, wenn sich da freilich auch manches nicht Nutzlose (oÈk êxrhston) fände. Ein Studium der Kyniker müsse daher in erster Linie von deren Taten (¶rga), insbesondere natürlich denen des Diogenes, ausgehen457. Und mit expliziter Bezugnahme auf die bekannte und zuvor schon genannte Alkibiadesrede aus dem platonischen Symposion 458 vergleicht hier Julian die kynische Philosophie mit jenen Silenen in den Bildhauerwerkstätten, die, wenn geöffnet, inwendig Götterbilder (égãlmata ye«n) zum Vorschein kommen ließen459. Damit ist von Julian eine ganz direkte Verbindung von Sokratik und Kynismos hergestellt, wie sie in den sokratischen Schriften Xenophons, besonders in dessen Memorabilien, bereits in Ansätzen deutlich angelegt erscheint, ist in diesen doch Sokrates wegen seiner außerordentlichen Selbstbeherrschung (§gkrãteia) in allen Lebenslagen gleichsam zu einem protokynischen Ideal, wenn man es so nennen möchte, stilisiert. Nun ist noch der dritte in diesem Kontext bedeutsame Diskurs für eine Verbindung von Ernst und Scherz zu betrachten, die Alte Komödie des Aristophanes. Daß zwischen dieser und Diogenes ein Nahverhältnis besteht, ist gewiß schon vor Marc Aurel460 aufgefallen, der das 453 D. L. VI 80 gibt 7 Tragödientitel an, Suid. s. v. Diog°nhw [1141], Adler II 101, Z. 25 nennt zusätzlich noch als 8. Stück eine Semele. 454 D. L. VI 73 und 80; Jul. Or. VII 210 c–d (mit einem entschiedenen Urteil über die sich darin bekundende ÍperbolØ érrhtourg€aw), ähnlich Or. VI 186 c. Gerhard 1909, 234–237 zweifelt unter anderen modernen Erklärern auch deren Echtheit an. 455 Luk. Hist. Conscr. 32. 456 Das in nur zwei Tagen, wie der Verfasser selbst angibt (Jul. Or. VI 203 c), abgefaßte Pamphlet datiert in das Jahr 362 n. Chr. Asmus 1908, 48 vermutet ansprechend, der Ägypter „habe den Kaiser als einen gekrönten Diogenes persiflieren wollen“. Die 6. Rede sei demnach die Antwort des Kaisers auf diesen Angriff. 457 Jul. Or. VI 187 b, bes. 189 b, u. ö. 458 Pl. Smp. bes. 221 d–222 a. 459 Jul. Or. VI 187 a–b. 460 M. Ant. XI 6, 2.

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Gemeinsame in der erzieherischen Unverblümtheit, der paidagvgikØ parrhs€a, sieht und in unmittelbar nützlicher (oÈk éxrÆstvw) Direktheit, der eÈyurrhmosÊnh, wie er sie nennt. Daß nun Aristophanes mit der Rolle einer moralischen Autorität kokettiert, ist noch seinen Stücken deutlich abzulesen. So läßt er in den Wespen 461 den Kleonhasser (Bdelykleon) angesichts des väterlichen Starrsinns konstatieren, die in der Stadt seit alters eingesessene Krankheit zu heilen (fiãsasyai nÒson érxa€an §n tª pÒlei §ntetoku›an) sei eine ganz außerordentliche und die Kapazität von Komödiendichtern übersteigende Aufgabe. Und in der Parabase desselben Stücks wirft er den Athenern in seiner Publikumsschelte deren Undankbarkeit gegenüber ihm, dem „Übelabwehrer und Reiniger dieses Landes“ (toiÒnde eÍrÒntew élej€kakon, t∞w x≈raw t∞sde kayartÆn)462, vor. Für sie habe er doch Gefahren bestanden, gleich Herakles habe er sich mit Kleon angelegt, furchtlos und unbestechlich, und auch jetzt noch führe er Krieg für sie, die Athener. Bereits in der Parabase der Acharner 463 hatte er den Chorführer über sich verkünden lassen, er habe das Wagnis auf sich genommen (parekindÊneuse), vor den Athenern das Gerechte (tå d€kaia) zu sagen, er sei so ihr Ratgeber (jÊmboulow) und ihr Lehrmeister zum Besten (tå b°ltista didãskvn). Und in der Parabase der Frösche wird es als die Aufgabe des heiligen Chores bestimmt, Nützliches der Stadt zu raten und diese so zu belehren (xrhstå tª pÒlei / jumparaine›n ka‹ didãskein)464. Mit diesen Worten ist dessen paränetische Funktion explizit ausgesprochen. Zuvor hatte der Chor im Hymnos an Demeter darum gebeten, viel Witziges (pollå m¢n g°loia) zu sagen, aber auch viel Ernstes (pollå d¢ spouda›a), um dann schließlich, dem Feste würdig, nach dem Scherz und dem Spott (pa€santa ka‹ sk≈canta) mit Bändern geschmückt den Sieg davonzutragen465. Es ist klar, daß hier zum ersten Male, lange vor der Aktivierung durch die Kyniker (die Frösche wurden im Jahr 405 v. Chr. aufgeführt), bereits die Idee des spoudaiog°loion ausgesprochen ist. Die Komödie ist demnach als ein Instrument zu einer moralischen Belehrung verstanden, hat also in der intendierten Selbstvorstellung des Aristophanes466 eine didaktische Funktion, wie sie ja auch dem Kynismos innewohnt. Bei dem Kyniker Krates467 erscheint dieser Gedanke, soweit ich sehen kann, jedenfalls innerhalb des Kynismos468, erstmals explizit ausgesprochen (»f°limon d¢ f€loiw, mØ glukerÒn, t€yete), und auch Lukian469 sagt dies über seinen idealtypischen Kyniker Demonax (er sei ein f€loiw xrÆsimow) und läßt dies Peregrinos in seiner Impertinenz von sich und dem Beispiel seiner Selbstverbrennung verkündigen (... »fel∞sai, ¶fh, boÊlomai toÁw ényr≈pouw). Das ist also der Kontext, vor dem Lukian den in der Rolle des Diogenes auftretenden Autor den Nutzwert des zweiten Teiles der Methodenschrift (Kap. 14–32) demonstrativ hervorheben lassen kann (Kap. 32). 461 Ar. V. 650–651. 462 Ar. V. 1043. 463 Ar. Ach. 644–658, bes. 644, 651, 658. Vgl. auch Eq. 510 (tolmò te l°gein tå d€kaia). 464 Ar. Ra. 686–687. 465 Ar. Ra. 389–393. 466 Bereits Kratinos hatte t“ xar€enti der Komödie tÚ »f°limon hinzugefügt, nach einer Nachricht, deren Wert sich freilich schwer nachprüfen läßt (Dübner, Prolegomena XVI, Z. 17–18 und XVIII, Z. 83–88). 467 SH Fr. 359, Z. 5. 468 Vgl. aber X. Mem. I 2, 52: ¶fh d¢ [sc. ı katÆgorow] ka‹ per‹ t«n f€lvn aÈtÚn l°gein [sc. tÚn Svkrãth] …w oÈd¢n ˆfelow eÎnouw e‰nai, efi mØ ka‹ »fele›n dunÆsontai. 469 Luk. Demon. 63 und Peregr. 33.

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Es bleibt noch die Frage, wie nun also der „negative“ Teil der Methodenschrift (Kap. 14–32) zu bezeichnen ist. Am Besten ist es, dabei von Lukians Sprachgebrauch selbst auszugehen. In Kapitel 32 läßt dieser den Autor abschließend äußern, die vorangegangene Kritik sei nicht als ein Spott zu verstehen (< > oÈdÉ …w §n g°lvti poiÆsasyai ka‹ §pisk«cai tåw flstor€aw oÏtv kalåw oÎsaw), sondern sie erfülle vielmehr die Funktion eines Nutzens (éllå toË xrhs€mou ßneka), sei also von ihrem praktischen Nutzwert her zu verstehen. Verlachen (g°lvw) und Spott (sk«mma) sind also die Parameter, deren Funktion innerhalb des Corpus Lucianeum zunächst nachzugehen ist. Beide dienen Lukian in anderen Kontexten unter anderem dazu, um die von Philosophie und Komödie gleichermaßen angewandten Verfahren zu charakterisieren. In diesem Sinne ist dem idealtypischen Kyniker Demonax in der gleichnamigen Lobschrift im Umgang mit seiner Umwelt Lachen (g°lvw) und Spott (sk«mma) zugeschrieben470, ebenso wie im 11. Totengespräch Hermes, von den bohrenden Fragen des Diogenes genervt, gegen diesen den Vorwurf des sk≈ptein erhebt471. Diogenes ist es auch, den Lukian andernorts472, im Sinne von dessen aktueller argumentativer Strategie, den Spott (sk«mma) als Teil des dionysischen Festes erklären läßt; er selbst nennt das Spotten (§pisk≈ptein) im Kontext dionysischer Freiheit, in einer Schrift, in welcher er seinen eigenen literarischen Standort bestimmt473. In derselben Schrift spricht er auch von der attischen Schärfe des Spottes (ÉAttikØ drimÊthw t«n skvmmãtvn474), ihrer Durchschlagskraft. Und im Bis accusatus475 läßt er von dem Dialogos, der Personifikation des Dialogs, gegen den Syrer, d. h. gegen sich selbst476, den Vorwurf erheben, Spott (sk«mma), Iambos, Kynismos, Eupolis und Aristophanes zusammengeschlossen zu haben, um schließlich gar noch den bissigen Menippos auf ihn zu hetzen. In anderen Kontexten erscheinen Lachen, Verlachen und Spott als charakteristische Eigenschaften dieses Menippos477, die auch von Diogenes Laertios478 am historischen Menippos von Gedara als Merkmale von dessen literarischem Schaffen festgestellt werden. Und wieder an anderen Stellen tritt der Spott als ein Element des Symposions in Erscheinung479, wo er ein recht hohes Maß an Treffsicherheit erreichen kann480. Daß dem Spott eine durchaus didaktische Funktion zukommen soll, zeigten eine Anekdote im Nigrinos, in der erst ein von bitterer Schärfe 470 Luk. Demon. 8, 12 (hier auch das Idiom §n g°lvti poie›sya€ ti ähnlich wie in Nav. 15) und 15. 471 Luk. DMort. 11 = 16, 3. 472 Luk. Pisc. 25 (... tÚ sk«mma §dÒkei m°row ti t∞w •ort∞w). 473 Luk. Prom. Es 6 (es geht um Lukians schwer zu bewerkstelligende, innovative Verbindung von diãlogow und kvmƒd€a). Das §pisk≈ptein bezieht sich hier konkret, wenn auch nicht explizit ausgesprochen, auf die Wolken des Aristophanes. In Pisc. 14 läßt Lukian die Personifikation der Philosophie aussprechen: o‰da går …w oÈk ên ti ÍpÚ sk≈mmatow xe›ron g°noito.

474 Luk. Prom. Es 2 (§w tØn ÉAttikØn drimÊthta t«n skvmmãtvn). 475 Luk. Bis Acc. 33. 476 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 1. 1. 477 Luk. DMort. 1, 2 (Sprecher Diogenes) und 2, 3 (Sprecher Charon). 478 D. L. VI 99 (ihm fehlt das Element des spouda›on völlig, seine Bücher sind voll mit katãgelvw). 479 Luk. Symp. 18 (die Worte ofl m¢n oÔn êlloi §g°lvn ıpÒte skvfye›en dienen als Folie für die daraufhin folgende Schlägerei), Par. 51 (der Parasit Simon stilisiert seine besondere Rolle beim Symposion). 480 Luk. Merc. Cond. 34 (der würdige Philosoph Thesmopolis mit dem Hündchen der Hausdame muß sich vom Kinaiden den treffsicheren Spott gefallen lassen: ént‹ StvikoË ≥dh KunikÚw ≤m›n geg°nhtai).

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freier Spott der Athener einen protzig auftretenden und eingebildeten reichen Römer zur Vernunft bringt481; dasselbe trifft auf die den athenischen Standpunkt möglichst vorteilhaft in Szene setzenden Worte des Atheners Solon gegenüber dem Skythen Anacharsis zu482. In der Invektive Adversus indoctum 483 wiederum erscheint der Spott (sk«mma) als legitime Waffe im Kampf gegen die Eigenschaft einer prätentiös sich gebenden Bildung bei gleichzeitigem totalen Bildungsmangel (épaideus€a). Wie nicht anders zu erwarten, läßt Lukian bei seiner großen Flexibilität in der literarischen Gestaltung den Spott in recht unterschiedlichen Kontexten in verschiedenen Nuancen hervortreten, doch stets bleibt dabei ein gemeinsamer Nenner gewahrt. Spott wird nicht prinzipiell negativ bewertet, sondern mehr als ein Ausdruck freier Äußerung, und daher geht es auch in den Saturnalia immer nur um Begrenzung und richtiges Maß im Spotten484. Anders steht es jedoch mit den Begriffen diasÊrein und xleuãzein, die bei Lukian in negativer Konnotation in Erscheinung treten. Sie fungieren als Kampfmittel im Munde der von Verhöhnung Betroffenen485, als tendenziöse Bezeichnung von Spott durch Verleumder, um so eine aggressive Reaktion des Betroffenen zu evozieren486, und sie dienen dazu, unangebracht scharfen Spott vom Standpunkt des Autors aus als solchen zu bezeichnen487. Wenn also an einer Stelle die Junktur der Verba xleuãzein und katafrone›n488 erscheint, so zeigt dies, daß mit xleuãzein eben die Bedeutung überlegen sich dünkender Respektlosigkeit zu assoziieren ist. Dasselbe trifft, wie es scheint, auch auf das Verbum diasÊrein zu, denn nur so erklärt sich die Junktur der Verba xleuãzein und diasÊrein489. Wenn also vom idealen Philosophen Nigrinos gesagt wird, er habe die Schwelger verhöhnt (di°suren)490, so erklärt sich diese ungewöhnlich scharfe Bezeichnung aus der Berechtigung solchen Hohns gegenüber Personen, die diesen auch verdienen. Insgesamt ergibt sich somit, daß der zweite Teil der Methodenschrift wesentlich als Spott (sk«mma) zu verstehen ist, allerdings nur in Wechselbeziehung zu dem mit diesem intendierten Nutzen, als ein Element innerhalb eines eben aus Spott zum einen und dem daraus abzuleitenden Nutzwert zum anderen bestehenden Ganzen. In antiker rhetorischer Theorie gibt es allerdings nichts Vergleichbares, was zur Charakterisierung der Aussageweise einer Literaturgattung, eines Autors oder einer Schrift im Sinne durchgehenden Spottes geeignet wäre. Der Begriff Spott (sk«mma) erscheint hier einzig zur Bezeichnung einer Stilfigur, oder genauer einer Gedankenfigur (sx∞ma t∞w diano€aw), und zwar immer im Kontext von Ironie (efirvne€a). In diesem Sinne ist sk«mma in der Schrift des Kokondrios per‹ trÒpvn 481 482 483

Luk. Nigr. 13. Luk. Anach. 22 (der Spott in den Komödien als Mittel moralischer Besserung und Abschreckung). Luk. Ind. 5 (der ungebildete Büchersammler bekommt zu hören: e‡ tiw Àsper sÁ épa€deutow Ãn »no›to pollå bibl€a, oÈ sk≈mmata otow efiw épeudeus€an kayÉ •autoË §kf°roi;). 484 Luk. Sat. 13 (Junktur der Begriffe sk«mma und paidiã), 18 (Sk≈mmatow m°tron ¶stv tÚ êlupon §p‹ pçsin) und 34 (sk≈mmasin énepaxy°sin). 485 Luk. Pisc. 4 (Sprecher Platon) und 25 (Sprecher Diogenes), Bis Acc. 33 (Sprecher der Dialogos), JTr. 30 (Sprecher Zeus), Demon. 12 (Sprecher Favorinus). 486 Luk. Cal. 14. 487 Luk. Demon. 39, Prom. Es 6 (speziell über die Verspottung des Sokrates durch Aristophanes). 488 Luk. Tox. 46. 489 Luk. Cal. 14, vgl. Pisc. 25. 490 Luk. Nigr. 31.

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als ein den verschiedenen Arten von Ironie gemeinsames Element bestimmt491, während Ailios Herodianos in der Schrift per‹ sxhmãtvn diano€aw die (sich vom Klassifizierungsprinzip des Kokondrios unterscheidenden) sechs Arten von Ironie ohne Verwendung des Begriffes sk«mma diskutiert492. Unter diesen scheint der xarientismÒw493 für vorliegende Zwecke am ehesten von Bedeutung zu sein. Und in der Schrift des Iulius Rufinianus de figuris sententiarum et elocutionis ist der xarientismÒw sive sk«mma bestimmt als eine festiva dictio, cum amoenitate mordax, und es folgen dann zwei Anschauungsbeispiele aus Cicero494. Insgesamt ist der aus antiker rhetorischer Theorie zu gewinnende Befund wenig ergiebig, und es erscheint daher sinnvoll, zur Bezeichnung des zweiten Schriftteils (Kap. 14–32) wenigstens eine im Einklang mit Lukians Sprachgebrauch stehende Benennung zu wählen. Während der zweite Schriftteil bei Homeyer495 als castigatio bezeichnet ist, für die jedoch in antiker rhetorischer Theorie kein Beleg vorliegt, und die das Wesen der Sache auch nicht trifft (es handelt sich ja um keine Geißelung von Verstößen, sondern um Spott), wird hier eine Charakterisierung als „skommatischer Teil“ vorgeschlagen, und da der Autor selbst den Anspruch der Lehrhaftigkeit mit dem Spott verbunden wissen will, so ist eben diese Bezeichnung dementsprechend zu erweitern auf „skommatisch–lehrhafter Teil“. Dabei ist zu berücksichtigen, daß für einen durchgehend kritischen Passus in der von Lukian gehandhabten gemäßigt spöttischen Art innerhalb antiker Literaturkritik kein Vergleichstext vorliegt, abgesehen von dem völlig anders gearteten, polemisch orientierten 12. Buch des Polybios. Es entsteht so der Eindruck, daß gerade im Konstrukt eines ganz dem Thema Spott gewidmeten Schriftteiles Lukians ganz besondere Art der Innovation liegen dürfte. Die Frage, was der Klassizist Lukian generell unter „Innovation“ versteht und wie er diese mit Hinblick auf sein eigenes Werk verstanden und bewertet wissen will, wird in Teil I 2. 9 der Einleitung aufzugreifen und umfassender zu behandeln sein. Welche Schichten in Lukians Methodenschrift sonst noch faßbar sind, das soll Thema der folgenden Kapitel (I 2. 6–2. 8) sein, in dem der vorlukianische Typus einer Lehrschrift über ein literarisches Thema abseits von dem Mainstream des zünftigen rhetorischen Schulbetriebes zu untersuchen sein wird. Dies führt uns zu Ps. Longinos und zur Ars poetica des Horaz, von denen Homeyer496 in der Einleitung zu ihrem Kommentar den Römer einer näheren Aufmerksamkeit gewürdigt hat.

491 Spengel III 235, Z. 19–236, Z. 19. 492 Hdn. Fig. Spengel III 92, Z. 7–93, Z. 3. 493 Ernesti bes. 308 s. v. xarient€zesyai. 494 Halm 39, Nr. 3. 495 Homeyer 1965, 15 („castigatio“), 18 („castigatio vitiorum“), vgl. 15 (Homeyer spricht vom „invektiven Teil“) und 13 (Homeyer erklärt, daß darin „vorwiegend Verstöße gegen die Techne (...) gegeißelt werden“). 496 Homeyer 1965, 63–81.

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I 2. 6 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema Lukians Methodenschrift ist ein lehrhafter Brief über ein literarisches Thema. Sie steht so in einer durch rhetorische Lehrbücher497, namentlich durch die literarkritischen Traktate des Dionysios von Halikarnaß498 repräsentierten Tradition. Durch glückliche Papyrusfunde kann nun die Gattung der Lehrschrift mit einem Adressaten zeitlich weiter zurückverfolgt werden. Bereits Demetrios Lakon (etwa 150–70 v. Chr.) wendet sich gegen Ende seiner zwei Bücher umfassenden Poetik mit dem Titel per‹ poihmãtvn499 mit einer Dankesadresse an einen wahrscheinlich als Ti. Claudius Nero zu identifizierenden Nero500. Weiters, die umfangreiche Schrift des Philodemos über Rhetorik (per‹ =htorik∞w in mindestens 7 Büchern)501 hat in Gaius (möglicherweise C. Calpurnius Piso Frugi) gleichfalls einen Adressaten, und dies trifft auch auf die Schrift des Philodemos über den trefflichen König nach Homer (per‹ toË kayÉ ÜOmhron égayoË basil°vw)502 zu, die an seinen patronus Lucius Calpurnius Piso Caesoninus adressiert ist. Durch diese neuen Texte ist die Gattungsgeschichte nun besser erkennbar, oder genauer gesagt, sie ist um eine kleine Facette reicher, denn auf diese Weise ist nur die epikureische Praxis deutlicher sichtbar, während der Peripatos und die Stoa in dieser Hinsicht noch immer nicht, nicht einmal ansatzweise, erschlossen werden konnten503. Im Folgenden wird den beiden erhaltenen Schriften in Briefform über ein literarkritisches Thema nachgegangen. Den Anfang der Untersuchung macht das Verhältnis der Schrift des Ps. Longinos per‹ Ïcouw zu Lukians Methodenschrift (Teil I 2. 7). Sodann wird die Ars poetica des Horaz zum Vergleich herangezogen werden (Teil I 2. 8)504, und im Zuge dessen wird sich auch der Blick auf 497 Nicht alle einschlägigen rhetorischen Lehrbücher verfügen über einen Adressaten. Ein solcher fehlt beispielsweise in Theons Progymnasmata, einem mehr für die Lehrer als für Schüler bestimmten Lehrbuch, in den Schriften per‹ stãsevn und per‹ fide«n des Hermogenes sowie auch bei Ps. Demetrios (Roberts 276 vermutet wegen des unausgearbeiteten Anfangs und Endes der Schrift, daß per‹ •rmhne€aw niemals für eine Publikation bestimmt war). Dagegen hat die Hermogenes zugeschriebene, aber schlecht überlieferte und zudem in ihrer Echtheit zweifelhafte Schrift per‹ eÍrÆsevw (Radermacher 1912, 876 und Wooten 1987, Einl. XI) in Iulius Marcus einen Adressaten (Spengel II 201, Z. 17) zumindest für das dritte Buch, wahrscheinlich für die ganze Schrift. 498 Zu Dionysios’ Adressaten Q. Aelius Tubero, Metilius Rufus, Cn. Pompeius Geminus, Ammaios und Demetrios sowie zu deren sozialer Stellung, soweit bekannt, Roberts 1900, Bonner 1939, 1–10, zuletzt Hidber 1996, 5–7 (nur die beiden Erstgenannten erlauben eine mögliche Identifizierung mit bekannten Personen). 499 Erler 1994, 256–267, bes. 260–261 mit Diskussion und Literaturübersicht. Die Erwähnung des auf der Poetik des Neoptolemos von Parion (mit dem Postulat der Trias po€hma, po€hsiw und poihtÆw) aufbauenden Peripatetikers Andromenides (so zutreffend Janko 2000, 143–154) macht es wahrscheinlich, daß Demetrios Lakon gegen peripatetische Ansichten polemisiert haben dürfte. Auch in anderen Schriften des Demetrios ist ein Adressat genannt. 500 Schon Dahlmann 1950, 206–208 hatte die Adresse Œ f€ltate N°rvn auf Ti. Claudius Nero bezogen, an den sich auch Varros Schrift ad Neronem wendet (204–205), denn unter den bekannten Claudii Nerones kommt dieser am ehesten in Betracht. 501 Erler 1994, 303–306 mit Charakteristik der einzelnen Bücher. 502 Erler 1994, 296–297. Diese Schrift wurde schon weiter oben genannt als eines der wenigen bekannten Beispiele für eine nachisokrateische literarische Paränese. 503 Dieser Umstand sollte davor warnen, den Anteil des Philodemos für die einschlägige Theoriebildung (Zecchini 1985) einseitig zu überschätzen. Vgl. auch die bei Ligota 2007, 55, Anm. 57 verzeichnete Literatur. 504 In den beiden folgenden Abschnitten (Teil I 2. 7–2. 8) wird die bisher angewandte Kennzeichnung von „Autor“ und „Autor-Ich“ zurückgestellt, da der Vergleich Lukians mit Ps. Longinos zum einen und Horaz zum anderen die Funktion erfüllt, die jeweiligen Aussagen der Texte miteinander zu konfrontieren, um auf diese Weise Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Eine Aussage im Text Lukians wird daher mit dem Namen des

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noch kenntliche (oder nur zu vermutende) hellenistische Diskurse nutzen lassen, um so Lukians Schrift ihren Standort innerhalb des Bekannten zuzuweisen. I 2. 7 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema: Ps. Longinos und Lukian Die meisten Berührungspunkte bestehen, was jedoch noch nicht beobachtet worden ist, in Hinsicht auf die formale Gestaltung der Briefform innerhalb der griechischen Literatur zwischen Lukian und Ps. Longinos. Beide lassen sich den Autor nicht bloß an einen Adressaten wenden, sondern mit diesem auch in sehr ähnlicher Weise durchgängig Kontakt halten505, nur gelegentlich unterbrochen durch eine Hinwendung an eine unbestimmte 3. Person als Beurteilungsinstanz506, wie dies auch bei Lukian507, naturgemäß besonders im zweiten Teil seiner Schrift, der Fall ist. Ps. Longinos vollzieht diese Hinwendung zum Du, indem er den Adressaten Postumius Terentianus508 nicht nur wiederholt mit seinem Namen Terentianus anspricht509

Verfassers bezeichnet, so wie dies bei Ps. Longinos und Horaz der Fall ist, bei denen gleichfalls für die hier verfolgten Zwecke auf die Ebenen von „Autor“ und „Autor-Ich“ verzichtet wird. 505 Von Anfang bis zu Ende hält auch Dion Chrysostomos in seiner 18. Rede (es geht um einen für die Zwecke eines politikÚw énÆr angemessenen Lektürekanon) mit seinem namentlich allerdings nirgendwo genannten Adressaten Kontakt. Ähnlich Lukian bezeichnet der Autor seine Schrift als eine Raterteilung (20: sumboul€an); er berücksichtigt darin auch die Historiker, allen voran Thukydides (9–10); den im höchsten Maße geschätzten Xenophon behandelt er jedoch unter den Sokratikern (13–17). 506 Longin. bes. 2, 2 (efi §pisk°caitÒ tiw ˜ti ktl); 9, 5 (t€w oÔn oÈk ín efikÒtvw ... §pify°gjaito ˜ti ktl); 28, 1 (... per€frasiw …w oÈx ÍchlopoiÚn oÈde‹w ín o‰mai distãseien); 38, 1 (Einwurf: fÆsei tiw). Zum Einwurf eines fiktiven Interlocutors als einem Stilmittel der Diatribe vgl. Hor. Ars 9–10 und bes. Luk. Hist. Conscr. 33 (fa€h tiw ên) mit der Erörterung in der Einleitung zu Kap. 33. 507 Luk. Hist. Conscr. 20 (taËta oÈk o‰da e‡ tiw ín eÔ fron«n énãsxoito), 21 (§ktÚw efi mØ toËyÉ Ípolãboi tiw …w ktl), 22 (ToÁw ... poihtiko›w ÙnÒmasin ... xrvm°nouw poË dÉ ên tiw ye€h ...;), 28 (... efikÒtvw ên tiw e‡poi ktl), vgl. 42. Dieser Aspekt wird bei der Analyse des zweiten Teiles der Schrift (in der Einleitung, Teil I 2. 10) aufgegriffen, und es wird festgestellt werden, daß es sich bei diesem Verfahren um eine Umschreibung für eine Ich-Aussage handelt. 508 Zur Überlieferung des Namens Roberts 19072, 18–21, zum Verhältnis von Autor und Adressat und zu möglichen Identifizierungen des Postumius Terentianus mit bekannten Personen vgl. Russell 1964, Introd. X und bes. 59. Im Unterschied zu Lukians Methodenschrift gibt sich das Buch des Ps. Longinos als Erfüllung eines Wunsches vonseiten des Adressaten (Longin. 1, 2). Beide verbindet, daß sie das Buch des Kaikilios von Kaleakte über dasselbe Thema und wahrscheinlich auch mit demselben Titel (Roberts 1897, 306–309 nimmt an, Ps. Longinos sei seinem Vorgänger besonders bei seiner Behandlung der Figuren und Tropen eng gefolgt) unbefriedigt gelassen habe. 509 Longin. 1, 1 (nur hier erscheint der volle Name PostoÊmie Terentian¢ f€ltate [der Parisinus 2036 aus dem 10. Jh. hat Flvrentian¢]); 1, 4; 4, 3; 12, 4; 29, 2; 44, 1 (Terentian° jeweils mit dem Attribut f€ltate bzw. ¥diste). Aus 1, 2 läßt sich vielleicht erschließen, daß Terentianus ein énØr politikÒw ist, am Anfang seiner Karriere, weil er in 15, 1 als nean€aw angesprochen ist. Als Römer („ihr“) vermag er besser als die Griechen („wir“) über Ciceros Stil zu urteilen (12, 4–5). Dies sagt im übrigen auch etwas über die Abfassungszeit dieser Schrift aus, denn nach dem 1. Jh. n. Chr. wäre eine solche, von noch nicht wirklich vollzogener Integration der Griechen in das imperium Romanum zeugende Aussage kaum denkbar. Andere Argumente, welche als Verfasser einen Anonymus aus dem 1. Jh. n. Chr. wahrscheinlich machen, bei Roberts 1907, 1–23 und Russell 1964, Introd. XXII–XXX, bes. XXV. Der im Parisinus 2036, der ältesten Handschrift aus dem 10. Jh., in der Inhaltsangabe alternativ neben Dionysios genannte Longinos (Cassius Longinus) aus der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. kommt nicht in Frage, schon deshalb, weil Kap. 44 der Schrift einen Gemeinplatz aus der Literatur des 1. Jhs. n. Chr. abhandelt. Erstmals konnte Kaibel 1899 zeigen, daß der Verfasser der Schrift per‹ Ïcouw zum einen und Longinos zum anderen grundverschiedene intellektuelle Formate darstellen, und es gelang Kaibel zudem, es wahrscheinlich zu machen, daß diese Schrift nur in die politische, soziale und intellektuelle Atmosphäre des 1. Jhs. n. Chr. paßt.

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und sich mit variierender freundschaftlicher Adresse an diesen wendet510, sondern auch durch rhetorische Frage vonseiten des Autors511, sogar in Form von fiktivem Einwurf oder fiktiver Stellungnahme des Adressaten512, weiters durch Imperative513, indem er dessen Vorwissen und Verständnis voraussetzt514 und ihn in den kritischen Diskurs insgesamt mit einbezieht515. Die von Ps. Longinos angewandten Stilmittel lassen also einen charakteristischen Stil erkennen, der sich weitestgehend aus den Elementen von Brief und Diatribe zusammensetzt und der sich von den formelleren Präsentationsformen zünftiger rhetorischer Traktate516 unterscheidet, also eine individueller angelegte Form von Lehrschrift darstellt. Im Unterschied zu Lukian verleiht Ps. Longinos seinem Adressaten durchaus ein persönliches Profil. Die vorliegende Schrift, so erklärt er, trage den Wünschen des Terentianus Rechnung, ihm zu Gefallen etwas per‹ Ïcouw zu schreiben. Der Verfasser habe mit diesem bereits im Vorfeld einen Diskurs über die bekannte Abhandlung des Kaikilios von Kaleakte per‹ Ïcouw geführt, im Zuge dessen diese von beiden als unzureichend erkannt worden sei, und er erwarte auch danach eine bis in das Detail gehende, am Parameter der Wahrheit orientierte Reaktion des in der Beurteilung von Literatur erfahrenen Experten517 Terentianus und eine daraus sich in Zukunft ergebende Debatte zwischen Adressat und Verfasser518. Der Stilvergleich zwischen Demosthenes und Cicero mitsamt der Zurückhaltung des Griechen Ps. Longinos in Fragen römischer Literatur519 ist als freundliche Geste gegenüber dem römischen Adressaten zu verstehen, wenn auch durch Plutarch520 überliefert ist, daß an sich bereits Kaikilios eine Synkrisis der beiden großen Redner geschrieben hatte, Thema und synkritisches Verfahren also schon bekannt waren. Zu Beginn ist der Adressat somit als jemand charakterisiert, der mit dem Verfasser auf Augenhöhe zu kommunizieren vermag, doch im weiteren Verlauf der Schrift erscheint er, an einigen Stellen zumindest, eher als der lerneifrige Schüler521. Von dieser Warte her betrachtet, ist es nicht überraschend, wenn der Verfasser in diesem Sinne seine Abhandlung (ÍpÒmnhma)522 zumindest an einer einzigen Stelle als eine Paränese 510 Longin. 6 (Œ f€low), 1, 3; 7, 1; 13, 2 und 17, 1 (f€ltate), 1, 2; 9, 6 und 9, 10 (•ta›re), 15, 1 (Œ nean€a), 26, 2 (Œ •ta›re), 39, 1 (krãtiste). 511 Longin. 9, 6; 10, 3; 26, 2 (ıròw); 33, 4 (diese Frage suggeriert dem Adressaten nur eine richtige Antwort). Fragen vom Typus ıròw gehören dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 13). Isokrates verwendete, wie sich gezeigt hat, dieses Stilmittel in seinen Paränesen nicht. 512 Login. 9, 2 (t€na, fÆseiw, trÒpon;), 15, 4 (îrÉ oÈk ín e‡pow, ˜ti ktl;). Auch dieses Stilmittel findet sich bei Isokrates nicht. 513 Longin. 7, 4; 21, 1; 39, 4. Imperative wurden bereits als ein wichtiges Merkmal des paränetischen Briefes erkannt, sie sind aber auch typisch für den Stil der Diatribe (Bultmann 1910, 13). 514 Longin. 1, 1–4 (durchgehend); 13, 1; 15, 2; 23, 1; 30, 1; 39, 2. 515 Longin. bes. 1, 2 (sunepikrine›w); 1, 2; 8, 1; 10, 1; 13, 2; 30, 1; 33, 1 (jeweils hortative Konjunktive im Plural). 516 Dazu umfassend Fuhrmann 1960. 517 Vgl. auch Longin. 13, 1 (Kenntnis der platonischen Politeia). 518 Longin. 1, 1–4. 519 Longin. 12, 4–5. 520 Plu Dem. 3, 2 (mit dem Ausdruck des Tadels am perittÚw §n ëpasi Kek€liow). 521 Longin. 9, 10 (toË maye›n xãrin); 9, 15 (˜pvw ¬ soi gn≈rimon …w ktl); 44, 1 (seine xrhstomãyeia). 522 Longin. 1, 2 (Ípomnhmat€sasyai); 36, 4 (die Schrift ist bezeichnet als ÍpÒmnhma); 44, 12 (Hinweis auf ein in Zukunft vom Verfasser zu erwartendes spezielles ÍpÒmnhma). Mutschmann 1913, 3–5 betont zwar schon zu Recht, daß vom Verfasser ein Kontrast zum suggrammãtion des Kaikilios von Kaleakte beabsichtigt ist, doch ist sein Hinweis auf

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(para€nesiw)523 bezeichnet. Mit dem paränetischen Brief isokrateischer Prägung, wie er zuvor schon charakterisiert und anhand von Lukians Methodenschrift in seiner traditionsbildenden Wirkung dargestellt wurde, hat dies allerdings nur bedingt und eher indirekt etwas zu tun, jedenfalls nicht in formaler Hinsicht. Denn die Merkmale des paränetischen Briefes haben sich, wie sich gezeigt hat, durch die Zeit hin recht konstant erhalten. Und zu diesen gehört wesentlich, daß der Verfasser sich durchgehend in der Rolle eines Ratgebers (sÊmboulow) präsentiert, was Ps. Longinos aber, im Unterschied zu Lukian, nicht tut. Mit Lukian verbindet Ps. Longinos neben vielen anderen Gemeinsamkeiten auch der emphatische Einsatz des Vokativs „Herakles!“ (ÑHrãkleiw)524. Dieses Stilmittel wurzelt in der Sokratik525 und erscheint sodann auch in sokratisch-kynischen Diskursen, namentlich bei Diogenes von Sinope526. Es wird dort zu dem Ausdruck von Überraschung, (ironisch zu verstehendem) Erstaunen und von Abwehr verwendet. Ps. Longinos gebraucht es immerhin einmal auch zum Zwecke entschiedener Zurückweisung, und Lukian darüberhinaus mit geradezu apotropäischer Geste, wenn auch natürlich klar unterschieden von echter Empörung, wie dies allerdings im Alexandros 527 der Fall ist. Bei Ps. Longinos fällt zudem auch die häufige Verwendung der Beschwörung bei Zeus (nØ D€a)528 auf, die besonders von Platon an nahezu überall öfter vorkommt, sich aber wegen seiner kolloquialen Note im zünftigen rhetorischen Lehrbuch, wenn überhaupt, so doch nur sehr sparsam eingesetzt findet. Besonders im zweiten Teil der Methodenschrift verwendet Lukian529 diese Formel mit Vorliebe, nur ein einziges Mal hingegen im dritten und didaktischen Teil. Es ist wahrscheinlich, daß Ps. Longinos einer wegen der sehr defizienten Überlieferungslage sonst nicht mehr erkennbaren (hellenistischen) Art und Weise, lehrhafte Inhalte in eher ungezwungenerem Stil zu transportieren, angehören dürfte. Und es besteht berechtigter Anlaß zu der Vermutung, daß die uns durch Ps. Longinos repräsentierte literarische Form der Gattung der Diatribe530 nahestehen dürfte, ohne doch mit ihr identisch zu sein. Denn auch die bereits genannten, der Diatribe an sich durchaus verwandten

die Belege zu ÍpÒmnhma bei Norden 1981 (19092), 94, Anm. 1 unglücklich, da der in unterschiedlichsten Bedeutungen vorkommende Begriff ÍpÒmnhma hier nicht den Rohentwurf bezeichnen kann, sondern die Abhandlung (so Plb. I 1, 1 über sein eigenes Werk; Belege zu ähnlicher Verwendung des Begriffs ÍpÒmnhma bei Polybios, Philodemos, Dionysios von Halikarnaß und Strabon bei Bömer 1953, 219–221); 19–20 bestimmt Mutschmann (die Schrift des Ps. Longinos ist nur unvollständig überliefert) den Maximalumfang eines ÍpÒmnhma. Hinzuzufügen ist noch, daß der terminus parãggelma (2, 1; vgl. 6; 11, 3: tå nËn paraggellÒmena) die Schrift in ihrer Technegemäßheit bezeichnet. 523 Longin. 36, 4 (énakãmptei går §p‹ tØn érxØn ≤m›n toË ÍpomnÆmatow ≤ para€nesiw). 524 Longin. 4, 4; vgl. Luk. Hist. Conscr. 8 und 19. 525 X. Smp. 4, 53; Pl. z. B. Ly. 208 e, Chrm. 154 d, Euthd. 4 a; D. L. III 35 (Sokratesanekdote mit direkter Rede des Sokrates). 526 D. L. VI 41 (Diogenesanekdote mit direkter Rede des Diogenes). 527 Luk. Alex. 4 (élej€kake ÑHrãkleiw). Hier beinhaltet es eine bei Lukian in diesem Ausmaß und in dieser Qualität jedenfalls seltene Mischung aus Abscheu, moralischer Verurteilung und Abwehr, richtet sich doch die vernichtende Kritik gegen den in dieser Schrift durchgehend attackierten Alexandros von Abonuteichos. 528 Longin. 9, 12; 11, 2; 13, 4; 15, 8; 15, 10; 22, 3; 33, 1; 33, 5; 35, 4 (må D€É); 39, 2; 39, 4; 43, 1; 44, 2; 44, 6. 529 Luk. Hist. Conscr. 10, 14, 15, 16, 25, 37. 530 Billerbeck 1978, 5 zufolge sind typische Stilmerkmale der Diatribe: der fiktive Zwischenredner, historische und mythologische Exempla, Anekdoten, Dichterzitate, Kataloge, Metaphern, Vergleiche, rhetorische Fragen und Antworten, Antithesen und Parallelismen. Zum Stil der Diatribe Bultmann 1910, bes. 10–64.

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Stilelemente sind von Ps. Longinos sparsam verwendet531, es fehlen bei ihm vor allem die für die Gattung der Diatribe so charakteristischen historischen und mythologischen Exempla wie auch die typischen Anekdoten, wenn auch infolge des Umstandes, daß dessen Schrift per‹ Ïcouw nicht zur Gänze erhalten ist, bei derartigen Schlußfolgerungen eine gewisse Vorsicht geboten erscheint. Immerhin zeigt der Text in der heute vorliegenden Form, daß sich der Verfasser zumindest an einer Stelle in den erhaltenen Textteilen532 eines in der Überlieferung zwar verstümmelten, aber durch die Alexanderliteratur533 identifizierbaren Apophthegmas Alexanders bedient hat. Der anekdotische Charakter des Gesprächs zwischen Alexander und dessen General Parmenion zeigt Berührungspunkte mit Lukian, der mittels zweier markanter Anekdoten534 Alexander zum einen mit Aristobulos, zum anderen mit Onesikritos im Gespräch konfrontiert, und in beiden Fällen so ganz zum Vorteil des Makedonenkönigs, der als charakterfester und weitsichtiger Mann dargestellt ist, als gefeit gegen unmäßige Schmeichelei. Bei Ps. Longinos repräsentiert er die Eigenschaft einer in höchstem Maße großgearteten Denkweise535. Diese Koinzidenz zwischen Ps. Longinos und Lukian zeigt, daß Ps. Longinos, zumindest in diesem einen Fall nachweisbar, Anleihe bei Präsentationsformen echter Diatriben genommen haben dürfte. Und mit diesem Verfahren ist er wohl typisch für die (sonst nicht nachvollziehbare) Annäherung einer Lehrschrift über ein literarisches Thema an die, zumindest in ihrer klassischen Form, ethische Ziele verfolgende Diatribe, an der seine Schrift wegen ihres universellen, den ganzen Kosmos in die weitgespannten Betrachtungen einbeziehenden Charakters im übrigen durchaus ihren Anteil hat536. Lukian seinerseits hat nun, wie noch zu zeigen sein wird, höchstwahrscheinlich unabhängig von Ps. Longinos, aus Ansätzen dieser oder ähnlicher Art seine besondere Art der Darstellung, jedenfalls im ersten und besonders auch im zweiten Teil seiner Methodenschrift, geschaffen. Wie konkret die Verbindungslinien zwischen Ps. Longinos und Lukian nun tatsächlich sein können, das zeigt ein aussagekräftiges Beispiel. In Kapitel 30 diskutiert Ps. Longinos die Auswahl (§klogÆ) angemessener Wörter (kalå ÙnÒmata); er stellt fest, daß dabei nicht überall Pracht von Nutzen sei, und bei dieser Gelegenheit vergleicht er die Verwendung großer, feierlicher Worte (megãla ka‹ semnå ÙnÒmata) anläßlich unbedeutender Inhalte mit dem Umlegen einer großen 531 Blume 1963 widmet diesem Bereich, so wie ältere Arbeiten zu Sprache und Stil des Autors Ps. Longinos auch, keine Aufmerksamkeit. 532 Longin. 9, 4 (diese Worte Parmenions sind noch erhalten: §g∆ m¢n ±rk°syhn, dann bricht der Text ab). 533 Arr. An. II 25, 2; Plu Alex. 29, 7; D. S. XVII 54, 4–5; Curt. IV 11, 11–15; auf das Friedensangebot des Dareios hin (nach Issos bzw. vor Gaugamela) erklärt Alexanders General Parmenion, er würde es, wäre er Alexander, annehmen; Alexander antwortet ihm, er würde es auch tun, wäre er Parmenion. Weitere Quellen dazu bei Bühler 1964, 18–19, dessen Beleg aus Aristoteles (Arist. Rh. II 24, 1401 b 20–21) für Alexanders megalocux€a allerdings nicht zutrifft, denn mit Alexandros ist, wie der Kontext zeigt, eindeutig Paris gemeint, zudem handelt es sich um den Werktitel Alexandros, unter dem wohl das teilweise rekonstruierbare Stück des Euripides zu verstehen ist. 534 Luk. Hist. Conscr. 12 und 40. 535 Longin. 9, 4 (... efiw toÁw mãlista fronhmat€aw §mp€ptei tå Íperfuç). 536 Neben dem bekannten Passus Longin. 44, 1–11 (Betrachtungen über die Dekadenz der gegenwärtigen Menschen) sind zu beachten 7, 1 (Verachtung von Reichtum, Ehre, Ruhm und Tyrannis), 9, 1 und 3 (man soll die Seelen zur Größe aufziehen), 9, 8–9 (Betrachtung über das Wesen des Göttlichen), 35, 1–4 (über die wahre Bestimmung des Menschen) und 43, 5 (wie die Natur den Menschen erschuf). All diese Gedanken ließen sich, aus dem literarkritischen Kontext, in dem sie stehen, herausgelöst und entsprechend ausgeführt ihrer Substanz nach leicht in richtige Diatriben umwandeln.

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tragischen Maske um ein Kleinkind (... …w e‡ tiw tragikÚn prosvpe›on m°ga paid‹ periye€h nhp€ƒ)537. Hier zeigt sich in Ansätzen bereits jene Vorliebe für die Ausführung grotesker Bilder, wie sie bei Lukian, gewiß nach Vorlagen ähnlicher Art, in voll entwickelter Form in Erscheinung tritt. Dieser vergleicht nämlich an einer Stelle einem an sich kleingeratenen und mickrigen Werk vorangestellte, weit in die Länge gezogene und protzig ausgestaltete Proömien mit einem Kind, einem tändelnden Eroten, der jedoch eine gar riesige Maske des Herakles oder eines Titanen vor sich her trägt (... …w ka‹ toËto §oik°nai paid€ƒ, e‡ pou ÖErvta e‰dew pa€zonta, prosvpe›on ÑHrakl°ouw pãmmega µ Titçnow perike€menon)538. Da Lukian nicht direkt als von Ps. Longinos abhängig zu denken ist, soferne er diesen überhaupt gekannt und rezipiert hat, mag dies chronologisch höchstwahrscheinlich auch möglich sein539, so macht doch die frappierende Koinzidenz eine gemeinsame literarische Tradition sichtbar, die auch in anderen Bereichen anzunehmen ist, in denen, jedenfalls mit den begrenzten heutigen Mitteln, ein direkter Nachweis wirksamer Traditionslinien nicht mehr möglich ist540. In einigen Fällen jedoch lassen sich aus solchen Übereinstimmungen zwischen Ps. Longinos und Lukian, so verschieden deren individuelle Themen, Zugänge und Zielsetzungen auch sind, doch Elemente erkennen, die ihren Ursprung in hellenistischen Diskursen haben dürften, von deren eminenter Produktivität wir uns bei der Begrenztheit des zur Verfügung stehenden Textmaterials heute kaum eine angemessene Vorstellung machen können. Immerhin zeigen die bezeugten Titel zu Schriften über Rhetorik und Poetik, daß innerhalb aller hellenistischen Philosophenschulen dafür ein reges Interesse bestanden hat, im Peripatos541, der Stoa542 und dem Epikureismus543; nebenbei vermerkt, mit Homerinterpretation befaßte sich auch, auf seine Art, Antisthenes 544.

537 Longin. 30, 2. 538 Luk. Hist. Conscr. 23. 539 Der Anonymus gehört, wie bereits festgestellt wurde, wahrscheinlich in das 1. Jh. n. Chr., Russell, Introd. XXII–XXX. 540 Ein nicht unähnliches Bild gebraucht auch der Peripatetiker Hieronymos (3. Jh. v. Chr.) bei seiner literarästhetischen Kritik an Isokrates; Wehrli, Hieronymos 21–22, Fr. 52 a, Z. 10–13: ˜moion [g]oËn e‰nai t“ dasÁ ka‹ m°ga periy°menon prÒ[s]vpo[n] paid€ou fvnØn éfi°[nai] [ka‹ t]Ú to›w ÜEll[hs]in sumbouleÊonta ka‹ plãsma ka‹ tØn êllhn kataskeuØn dhmhgÒrou periballÒmenon §pÉ é[nag]n≈stou paidÚw fvnØn épo[ded]rak°nai mÆte tÒnon [m]Æte pãyow mÆyÉ ÍpÒkrisin dunam°nou f°rein. 541 Abgesehen von Theophrast (Per‹ l°jevw) verfaßten fast alle namhaften Peripatetiker Schriften entweder zu Rhetorik und Poetik bzw. dem Dichter an sich oder einzelnen Dichtern und zu nahe verwandten Themen wie Dichtererklärung, Dichtermonographie, literarischen Gattungen und Literaturgeschichte, mit besonderer Berücksichtigung Homers, Herakleides Pontikos, Eudemos, Dikaiarchos, Phainias, Chamaileon, Demetrios von Phaleron, Praxiphanes und Hieronymos (die Titel der einzelnen Schriften mit knapper Charakterisierung bei Wehrli 1983, 524 und 527, 530–531, 536–538, 552 und 554, 555–556, 561 und 563, 567–568 und 576). Zu der Schrift des Neoptolemos von Parion als einer wahrscheinlichen Vorlage für die Ars poetica des Horaz vgl. das folgende Kapitel über Horaz und Lukian (Einleitung, Teil I 2. 8). 542 In der Stoa verfaßten Zenon, Kleanthes, Diogenes, Archedemos, Antipatros und Poseidonios Schriften zu Rhetorik, Poetik bzw. zu dem Dichter, zu Dichtererklärung und zu Dichtervergleich (die Titel mit Erklärungen bei Steinmetz 1994, 552–554, 568, 629, 634, 637, 674 und 676–677). Auch bei den Stoikern nimmt Homer eine wichtige Stellung ein. 543 Innerhalb der Schule des Epikuros schrieben Epikuros, Metrodoros, Polyainos, Demetrios Lakon und Philodemos Bücher über Rhetorik, Poetik und Homerinterpretation (Titel und Erklärungen bei Erler 1994, 92, 218–219, 225–226, 260–261, 296–297, 303–306 und 307–313). 544 Dazu Döring 1998, 278–280 (Homer als Muster für richtiges Leben und Handeln).

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Die feststellbaren Koinzidenzen zwischen Ps. Longinos und Lukian verdienen eine aufmerksame Betrachtung, da sie, freilich innerhalb bestimmter Grenzen, es ermöglichen, zumindest einen Blick in einige der Themen, Aussagen, literarischen Verfahren und Darstellungsweisen hellenistischer und klassizistischer Literaturtheorie zu erhalten. Im Unterschied zu Lukian, bei dem nirgendwo auf die ihm vorliegenden theoretischen Diskurse irgendwelcher Art oder gar auf kontroversielle Positionen innerhalb dieser verwiesen wird, ist Ps. Longinos freigiebiger mit solchen Informationen. So setzt sich Ps. Longinos, überwiegend kritisch, mit dem attizistischen Kritiker Kaikilios von Kaleakte545 auseinander, und als Autoritäten für Einzelaspekte nennt er mit Namen Aristoteles und Theophrast, Ammonios546 und Theodoros (von Gadara)547; auch weist er öfter auf literarkritische Aktivitäten hin, ohne jedoch namentlich bestimmte Personen zu nennen548. Im Unterschied zu Lukian kann er auch öfter auf eigene, bereits publizierte oder in Zukunft von ihm noch zu erwartende Schriften prospektiv hinweisen549. Er versteht sich neben seiner ästhetischen und für antike Verhältnisse innerhalb des rhetorischen Schulbetriebs recht unkonventionellen und darum auch innerhalb der Antike weniger beachteten Betrachtungsweise durchaus auch als ein Philologe550, und er zeigt, im Unterschied zu Lukian551, der sich andernorts über philologische Spitzfindigkeiten lustig macht, gelegentlich auch literarhistorische Interessen und Ambitionen552. Welcher Art sind nun die sachlichen Berührungspunkte zwischen Ps. Longinos und Lukian? Beide räumen dem Verhältnis von Naturanlage (fÊsiw)553 zum einen und Lehranweisung 545 Longin. 1, 1–2; 4, 2; 8, 2–3; 31, 1; 32, 1; 32, 8. Mutschmann 1913, bes. 3–14 und passim möchte daraus die Lehre des Kaikilios gewinnen; er kommt dabei zu dem Schluß, daß dieser ein alles Wesentliche vernachlässigender Pedant gewesen sei. 546 Longin. 32, 3; 13, 3, unter Ammonios ist der Schüler des Aristarchos zu verstehen; denn dieser verfaßte einen Homerkommentar unter dem Titel per‹ t«n ÍpÚ Plãtvnow metenhnegm°nvn §j ÑOmÆrou, so erstmals erkannt von Roeper 1846, 631 mit dem Hinweis auf die Venetianischen Scholien zur Ilias, i 540, wo der Titel ausdrücklich erwähnt ist; Longin. 3, 5 (anerkannte Fachleute). 547 Mutschmann 1913, bes. 46–113 kommt in einer immer noch lesenswerten Untersuchung zum Ergebnis, Theodoros sei für Ps. Longinos die hauptsächliche Quelle, und es handle sich um einen Schulstreit mit dem Apollodoreer Kaikilios (Mutschmann 1917, 183 erweitert das insofern, als er nun Theodoros von Poseidonios abhängig sein läßt). Rostagni 1947, XI–XIII wollte in Fortführung und Weiterentwicklung von Mutschmanns Theorie Hermagoras, den Schüler des Theodoros, als den Verfasser von per‹ Ïcouw bestimmt wissen, doch Grube 1959 reduzierte die ganze Theorie wieder auf das nach Ausweis der antiken Quellen vertretbare Maß. Den Inhalt des Streites zwischen den Apollodoreern und den Theodoreern konnte erstmals Schanz 1890 in einer diluziden Studie überzeugend zeigen und in einen größeren Zusammenhang stellen. Demnach entspricht dieser in der Rhetorik geführten Fehde innerhalb der Grammatik der Streit zwischen Analogisten und Anomalisten, in der Jurisprudenz die Scheidung in Proculianer und Sabinianer. Die Theorie von Schanz hält selbst nach Grubes äußerst kritischen Maßstäben besser als die von Mutschmann und bes. die von Rostagni, ist aber auch in Details zu korrigieren. 548 Longin. bes. 2, 1 (tinew); 12, 1 (texnogrãfoi); vgl. 3, 2; 15, 1; 16, 3; 18, 2; 29, 1; 32, 1; 32, 7; 36, 3; 39, 3. 549 Longin. 8, 1; 9, 2; 23, 3; 39, 1 (bereits erschienene Bücher); 44, 12 (zu erwartendes Buch). Häufig finden sich auch Rückverweise innerhalb der vorliegenden Schrift, so 32, 4; 33, 4; 38, 3; 39, 1; öfter …w ¶fhn, so 15, 8; 16, 1; 16, 3; 35, 1; 36, 3; 39, 3; ein Vorverweis in 5. 550 Longin. 29, 2 (über seine Darstellung des Gebrauchs der Figuren: pefilologe›syai). 551 Luk. VH II 20 (es geht hier um Homerphilologie, vgl. dazu von Möllendorff 2000, 367–373). 552 Longin. 9, 5 (über die Echtheit der Hesiod zugeschriebenen Aspis; zur antiken Echtheitsdebatte der Aspis Bühler 1964, 22); 9, 12–15 (die Odyssee als Alterswerk Homers); die einschlägigen Zeugnisse zur antiken Debatte über die zeitliche Priorität von Odyssee oder Ilias bei Bühler 1964, 45–47. 553 Der entsprechende Passus bei Longin. 9–15 macht den Hauptteil im nicht besonders leserfreundlichen, aber

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(t°xnh) zum anderen einen zentralen Stellenwert ein. Dabei gelangen sie in ihren jeweils an programmatischer Stelle plazierten Erörterungen dieser wohl besonders in nacharistotelischen Diskursen schon länger diskutierten und kontroversiell entschiedenen Streitfrage554 zu ganz ähnlichen Ergebnissen555. Als eine Begründung für die Unverzichtbarkeit von t°xnh heben sie deren Nutzwert hervor556, und sie bestimmen beide auch die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche der Faktoren fÊsiw und t°xnh557. Die Fähigkeit zu sprachlich richtigem, gutem Ausdruck ist von beiden als elementares Grunderfordernis gewertet, das vor dem Einwirken der t°xnh schon vorhanden zu sein habe558. Die Naturanlage wird von ihnen übereinstimmend als Geschenk bezeichnet559. Beide lassen aus dem Meiden von Fehlern direkt und geradezu zwangsläufig das Beschreiten des richtigen Weges hervorgehen560. Vor allem, ebenso wie Lukian im zweiten Teil seiner Schrift die negativen Beispiele den später nachgereichten positiven Lehranweisungen (dritter Schriftteil) voranstellt, so stehen auch bei Ps. Longinos561 in dem nach der ersten, etwa drei Textseiten umfassenden Lücke562 wieder erhaltenen Text die zu vermeidenden Fehler563 am Anfang; erst dann folgt der sich aus Wissen und Urteilskraft geradezu notwendig ergebende Prozeß der Einsicht in das Wesen des wahren Ïcow, worauf dann die fünf zu der Íchgor€a führenden Quellen mitgeteilt werden564. im Detail überaus hilfreichen Kommentar von Bühler 1964, 13–112 aus. 554 Flashar 1983, 374 weist zu Recht darauf hin, daß nach Aristoteles im Peripatos die Voraussetzungen für poetisches Schaffen ebenso thematisiert wurden wie der Zweck der Dichtung, doch reicht der Diskurs bis in die Zeit der Sophistik zurück, in der er insbesondere für Prosa geführt wurde (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2). Neoptolemos von Parion bestimmte es so, daß der Dichter, der poihtÆw, als Voraussetzung über t°xnh und dÊnamiw poihtikÆ verfügen müsse (Mette 1980, 3, Z. 5–6 = Fr. 6). 555 Longin. 2, 1–3 argumentiert gegen die Ansicht, die fÊsiw alleine sei dazu imstande, tå megalofu∞ zu schaffen, sie benötige keine t°xnh bzw. m°yodow; 36, 3 wird das Thema aufgegriffen und eine die Sache auf den Punkt bringende Lösung angeboten: prosÆkei ... boÆyhma tª fÊsei pãnth por€zesyai tØn t°xnhn: tª går éllhloux€& toÊtvn ‡svw g°noitÉ ín tÚ t°leion. Luk. Hist. Conscr. 34–36 diskutiert das Problem, mit dem Ergebnis (35), daß der Nutzen der t°xnh darin bestünde, eine adäquate Nutzung (xr∞sin prsÆkousan) der Naturanlagen zu bewirken; ähnlich lautet das Resultat des Ps. Longinos (2, 2): die m°yodow verschaffe éplanestãthn êskhs€n te ka‹ xr∞sin. Zum seit der Sophistik lebhaft geführten Diskurs vgl. die Einleitung, Teil II 2 (zur intellektuellen Qualifikation des Historikers). 556 Zusätzlich zur vorangehenden Anmerkung vgl. Longin. 1, 1–2 (1, 2: éndrãsi politiko›w ... xrÆsimon) und Luk. Hist. Conscr. 32 (Zweck des zweiten Teils der Schrift sei nicht eine Verspottung, sondern das xrÆsimon gewesen). 557 Longin. 8, 1: von den fünf Quellen, die zur Íchgor€a hinführten, seien die ersten beiden Sache der Natur (aÈyigene›w sustãseiw), während die anderen drei (sxÆmata, frãsiw und sÊnyesiw) durch Lehranweisung (diå t°xnhw) erwerbbar seien. Zu dem Verhältnis von fÊsiw und t°xnh bei Ps. Longinos vgl. Brandt 1966, 17–18. Lukian behandelt kunstgemäße Gestaltung im lehrhaften dritten Teil der Schrift, die sÊnesiw politikÆ hingegen müsse bereits von Haus aus (o‡koyen) vorhanden sein (Hist. Conscr. 34) und so der t°xnh als absolut notwendige Grundvoraussetzung für deren Erfolg vorangehen. 558 Longin. 8, 1 (proÈpokeim°nhw Àsper §dãfouw tinÚw koinoË ... t∞w §n t“ l°gein dunãmevw, ∏w ˜lvw xvr‹w oÈd¢n), Luk. Hist. Conscr. 34 (neben der sÊnesiw politikÆ ist das zweite Grunderfordernis die durch Übung, Anstrengung und ein den Klassikern Nacheifern erwerbbare dÊnamiw •rmhneutikÆ). 559 Longin. 9, 1 (nicht ganz so rigoros: das megalofu°w ist eher dvrhtÒn als kthtÒn), 34, 4 (Demosthenes verfügt über yeÒpemptã tina dvrÆmata), Luk. Hist. Conscr. 34 (apodiktisch: die sÊnesiw politikÆ sei ein éd€daktÒn ti t∞w fÊsevw d«ron). 560 Longin. 6 (§pistÆmh und §p€krisiw bewirken bereits Vermeidung der kak€ai), Luk. Hist. Conscr. 32 (in der Fachsprache der Dialektik: t«n ém°svn ≤ yat°rou êrsiw tÚ ßteron pãntvw énteisãgei). 561 Longin. 3, 1–4, 7. 562 Russell 1964, Introd. XI und XLIX. 563 Man vgl. Longin. 6 (§kfeÊgein) mit Luk. Hist. Conscr. 32 (.. ˜stiw ín ... feÊg˙). 564 Longin. ab 8, 1 (zum Aufbau Russell 1964, Introd. XII–XXII). Zur Streitfrage, ob die 2. Quelle, das pãyow,

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Das vollendete Werk erscheint bei beiden Autoren als organisch strukturierte, in sich geschlossene Gesamtkomposition, als s«ma565. Als Stimulans für das Schaffen des Verfassers habe nicht etwa die kaum relevante Meinung der Zeitgenossen zu gelten, sondern vielmehr das unbeeinflußte Urteil der Nachwelt566. Überhaupt komme der freien, unabhängigen Persönlichkeit des Verfassers höchster Stellenwert zu567. Schon in hellenistischen Philosophenschulen hatte es insbesondere peripatetische Spezialschriften über das Thema Schmeichelei (kolake€a) gegeben, von denen immerhin die Titel bekannt sind568. Solche Schriften stellen wohl den Kontext dar, vor dem die Darstellungen des Ps. Longinos und des Lukian gleichermaßen zu verstehen sein dürften. Und es ist anzunehmen, daß in derlei Schriften die literarische Form der Diatribe gepflegt worden ist, von der bei beiden Autoren, wie bereits festgestellt, gewisse Reflexe noch deutlich sichtbar sind. Beide Autoren bestimmen weiters die Kunst der Anschaulichkeit (§nãrgeia) auf eine sehr ähnliche Weise569. Sie stimmen ferner darin überein, daß die Gattungsgrenzen zwischen Dichtung und Prosa gewahrt bleiben müssen, da die legitimen Elemente der Dichtung, nämlich der Mythos und die mit ihm in der Regel verbundenen Übertreibungen, in Prosa übertragen, sich deplaziert ausnähmen570. Beide verwenden dieselben Worte, um das Überschreiten einer dem darzustellenden Gegenstand adäquaten Stilebene zu bezeichnen571. Bei beiden kommt zudem dem (peripatetischen) Gebot des Maßhaltens572 ein wichtiger Stellenwert zu, und im Zusammenhang damit fällt auch die jeweilige Bewertung zeitgenössischer Literatur in vergleichbar negativer Weise aus573. Hinzuzufügen sind Parallelen in Details. Übereinstimmend in der Textlücke behandelt war, Philippson 1925, bes. 277–279, der meint, es wäre darin genügend Platz gewesen, um zwar nicht das Pathos insgesamt, sondern das Pathos der Begeisterung zu behandeln; kritisch dazu Russell 1964, Introd. XIII–XIV. 565 Longin. 10, 1 (Ïcow wird erreicht durch t«n §mferom°nvn §kl°gein ée‹ tå kairi≈tata, ka‹ taËta tª prÚw êllhla §pisuny°sei kayãper ßn ti s«ma poie›n dÊnasyai), vgl. Luk. Hist. Conscr. 50 und bes. 55 zur Gesamtkonzeption; das Werk ist ein s«ma (23, 48, 55). 566 Longin. 14, 3, Luk. Hist. Conscr. bes. 9, 39–40, 61–63 (zentrales Thema). 567 Longin. bes. 44 (sonst ist hier das Ideal, dem Ziel der Schrift entsprechend, die Größe der Persönlichkeit, die Weite des Horizontes), 9, 3 (der wahre Redner darf kein tapeinÚn frÒnhma haben; will er etwas für die Ewigkeit hervorbringen, so muß ihm das douloprep∞ frone›n fremd sein); Luk. Hist. Conscr. bes. 38–41, 61–63 (zentrales Thema). 568 Solche Schriften sind bekannt von den Peripatetikern Theophrastos (per‹ kolake€aw) und von Klearchos, dessen Gergithios das Thema Schmeichelei behandelte (Wehrli 1983, 495, 547 und 549); weiters schrieb ein Buch per‹ kolake€aw auch der Epikureer Philodemos unter die Grenzen der Schule überschreitender Einbeziehung von Gedanken des Demokritos und des Theophrastos (es war das 7. Buch von dessen Schrift per‹ kaki«n, dazu Erler 1994, 318–319). 569 Longin. 15, 1–2 (Ziel: ˜tan ì l°geiw ... ÍpÉ ˆcin tiyªw to›w ékoÊousin, Unterscheidung von poetischer und rhetorischer fantas€a, beide Arten dienen dem Ausdruck von pãyow); 26, 2 (Beispiel: Herodot); Luk. Hist. Conscr. 51 (§nãrgeia bewirkt beim Hörer gleichsam das ırçn tå legÒmena). 570 Longin. 15, 8, Luk. Hist. Conscr. 8. So unterschiedlich auch die Ziele der beiden Autoren sind, so sind die Argumentationsstrukturen doch miteinander verwandt. 571 Longin. 3, 2 (§nyousiçn) und 5 (korubanti«sin), vgl. Luk. Hist. Conscr. 45 (l°jiw ... mØ jen€zousa d¢ mhdÉ Íp¢r tÚn kairÚn §nyousi«sa und katenexy∞nai §w tÚn t∞w poihtik∞w korÊbanta). Zur cuxrÒthw Longin. 3, 4 und 4, 1–3 (Beispiel Timaios), Luk. Hist. Conscr. 19 und 28. 572 Longin. 2, 2 (die t°xnh lehrt tÚn §fÉ •kãstou kairÒn); 29, 1 (bei der per€frasiw) ; 32, 7 (... pãnta kalå §n lÒgoiw proagvgÚn ée‹ prÚw tÚ êmetron); Luk. Hist. Conscr. explizit 6, 7–13 und 50, implizit passim in 14–32; es handelt sich um einen leitmotivisch die Schrift durchziehenden zentralen Parameter. 573 Longin. 5 und 15, 8 (vgl. Luk. Hist. Conscr. 1: Abderitenerzählung); bei Lukian ist dies das zentrale Thema

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geben sie für den Gebrauch der Figuren an, daß diese, um nicht Verdacht beim Rezipienten zu erwecken, unaufdringlich zu verwenden seien574. Sie geben dem allgemein verständlichen Ausdruck den Vorzug, weil dieser zur Verdeutlichung (§nãrgeia) beitrage575, und sie gebrauchen übereinstimmend das Wort fidi≈thw in abwertender Bedeutung576. Lukians einleitende Abderitenerzählung577 ist geradezu ein Anschauungsbeispiel für den Fehler des par°nyurson, wie er Ps. Longinos zufolge von Theodoros von Gadara definiert worden war578. Und ähnlich wie Ps. Longinos Gefallen findet am geräuschlos dahinströmenden platonischen Stil, der sich doch zur Größe steigere (megeyÊnetai)579, so fordert auch Lukian vom Historiker, wie er sein solle, im allgemeinen eine sich in ruhiger Mitellage haltende, unaufgeregte Stilart, die sich aber doch dann und wann, bei den dafür geeigneten Gelegenheiten, namentlich bei Aufmärschen und bei Schlachtendarstellungen, zu der Höhe der Dichtung, zu deren megalhgor€a, aufschwingen dürfe und müsse580. In formaler Hinsicht lassen sich neben den bereits genannten diese Kongruenzen feststellen. Beide Autoren erwecken bewußt den Eindruck, aus großer Stoffülle nur einiges wenige gewissermaßen exemplarisch herauszugreifen. Bei Ps. Longinos, der aus etwa 50 Autoren aus drei Kulturkreisen, dem griechischen, dem er die allermeisten Beispiele entnimmt, dem römischen581 und nicht zuletzt auch dem jüdischen582 schöpft, ist dies nachvollziehbar, weniger glaubwürdig ist es jedoch, wenn Lukian bei seiner, jedenfalls vom verfügbaren Textmaterial her, eingegrenzten Themenstellung sich im zweiten Teil seiner Schrift desselben Verfahrens bedient583, so als läge ihm eine unüberschaubare Menge an Partherkriegshistorikern vor. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten verwenden beide, doch bei Lukian ist dieser Zug, wohl wegen seiner insgesamt deutlich größeren Annäherung an die Diatribe, stärker

der Schrift, besonders deren zweiten Teiles (14–32). 574 Longin. 17, 1, Luk. Hist. Conscr. 44. 575 Longin. 31, 1 (manchmal eben ist, weil das Vertraute überzeugender wirkt, ein aus dem Leben gegriffener Ausdruck bei weitem aussagekräftiger als ein künstlich schmuckvoller); Luk. Hist. Conscr. 44 (die Sprache des Historikers soll zum einen von der Masse verstanden werden, zum anderen aber bei den pepaideum°noi Anerkennung finden); Ps. Longinos und Lukian kommen hier einander in dem Maße nahe, wie dies bei der unterschiedlichen Themenstellung möglich ist. Was bei ersterem eben nur manchmal (§n€ote) gilt, das hat bei zweiterem allgemein gültige Bedeutung, lediglich mit Ausnahme der in Kap. 45 besprochenen Einzelfälle, in denen es auch dem Historiker erlaubt ist, sich zeitweise zu größerer Höhe aufzuschwingen. 576 Longin. 31, 2 (im Unterschied zum durchaus positiv besetzten Begriff fidivtismÒw in 31, 1 sind hier jedoch fidi≈thw und fidivteÊein in abwertender Bedeutung gebraucht, 43, 1: das an sich neutrale fidivtikÒn zerstört, unpassend plaziert, die Größe eines Gedankens); vgl. Luk. Hist. Conscr. 16 (fidi≈thw) und 27 (fidivte€a). 577 Luk. Hist. Conscr. 1. 578 Longin. 3, 5; vgl. dazu die Diskussion in der Einleitung zum Kommentar, Kap. 1. 579 Longin. 13, 1 (... Plãtvn ... xeÊmati écofht‹ =°vn oÈd¢n ∏tton megeyÊnetai). 580 Luk. Hist. Conscr. 43 (efirhnik≈teron diake€menow) und 45 (bei Aufmärschen und Schlachtendarstellungen ist es angebracht, daß der Historiker sich auch mal zum Ïcow erhebt). 581 Longin. 12, 4–5 zeigt, wie schon erwähnt, eine ambitionierte Auseinandersetzung mit Cicero. 582 Zum jüdischen Kontext existiert eine reiche Literatur, in Auswahl Ziegler 1915, Mutschmann 1917, Norden 1955, Bühler 1964, 34–37, Russell 1964, Introd. XXIX–XXX und XL–XLI, weiters 92–94, bes. 94, 72–73 und 188. In diesen Arbeiten steht naturgemäß das bekannte Genesiszitat (Longin. 9, 9) sowie die Frage von dessen Echtheit, die von Ziegler 1915 angefochten und bald darauf von Mutschmann 1917 verteidigt wurde, im Vordergrund. 583 Longin. 8, 2; 15, 7; 22, 4; 32, 6; Luk. Hist. Conscr. 27 (explizit), implizit bes. 20 und 22–24.

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ausgeprägt584. In der Verwendung von Verbaladjektiven und an die 3. Person gerichteten Imperativen unterscheiden sie sich jedoch wesentlich. Während diese bei Lukian585 im dritten Teil seiner Schrift, wie noch genauer zu zeigen sein wird (Einleitung, Teil I 2. 10), dasjenige zentrale Mittel sind, um die Anweisungen an den Historiker zu formulieren, gebraucht Ps. Longinos586 sie im Allgemeinen lediglich als seinen Gedankengang strukturierende Elemente. Nur in recht seltenen Ausnahmefällen dienen sie auch bei ihm dazu, den imperativischen Charakter von Lehranweisungen zum Ausdruck zu bringen587. Es wird daher erforderlich sein, dem Ursprung dieses von Lukian regelmäßig angewandten Verfahrens in gesonderter Untersuchung nachzugehen (ebenfalls Einleitung, Teil I 2. 10). Nun sind jedoch die Beziehungen zwischen Ps. Longinos und Lukian weiter zu betrachten. In ihrer Eigenschaft als Klassizisten nehmen beide gegenüber hellenistischer Dichtung, wenn auch aus jeweils unterschiedlicher Perspektive, eine eher reservierte Haltung ein588, was bei Ps. Longinos weniger auffällt, da er doch, anders als Lukian, auch an erstrangigen Autoren gelegentlich in Details Kritik übt589, wenn er auch freilich keinen wie immer gearteten Zweifel daran aufkommen läßt, daß eine gewisse Fehleranfälligkeit dem sich kühn zur Größe aufschwingenden Genie ja gerade zueigen sei, während eine in allem pedantische Sorgfalt die bestimmende Eigenschaft mittelmäßiger Naturen sei590. Was Lukian hingegen in seiner maßvollen Art durchgehend fordert, ist so etwas wie ein common sense, und daher setzt seine Kritik immer erst da ein, wo ihm gegen dieses elementare Ziel ganz gravierend verstoßen zu sein scheint. Bei ihm ist nirgendwo Mangel an Größe kritisiert591, was bei seinem Thema ja auch kaum möglich wäre, sondern immer nur das Fehlen eines gesunden Augenmaßes. Und gerade daraus schöpft seine reiche Phantasie stets die Ansatzpunkte für Spott, der eine gewisse Fallhöhe benötigt, um wirksam in Erscheinung treten zu können.

584 Longin. 2, 4; 4, 3 (beide sind als Sprichwörter markiert durch fasi bzw. fas‹n); Luk. Hist. Conscr. bes. 2, 7, 23, 32, 33, 38, 41. Bei Lukian ist die Bandbreite deutlich größer. Es ist nicht immer leicht zu sagen, ob es sich bei ihm um ein Sprichwort bzw. eine sprichwörtliche Redensart (so in 2 und 32 markiert durch fas€n) oder eher um ein bloßes Zitat handelt (so 23, 33, 38, 41), oder auch um allgemein verständliche, als Redensart gebrauchte Fachterminologie (so 7). Dieses Verschwimmen der Grenzen könnte, so darf vermutet werden, auf erstrebte Annäherung an den sich etwas salopp gebenden Diatribenstil mit seinem stets intendierten Bezug zum praktischen Leben hinweisen. 585 Luk. Hist. Conscr. 34–60 passim. Die formale Gestaltung dieses Schriftteils wird weiter unten (Einleitung, Teil I 2. 10) analysiert. 586 Longin. 9, 11; 11, 3; 13, 1 (Belege zum terminus §pãneimi verzeichnet Bühler 1964, 84 mit Anm. 2); 22, 1; 37 (Verbaladjektive); 9, 15; 10, 5; 22, 4 (Imperative an die 3. Person). 587 Longin. 7, 1; 38, 1 (nur diese zwei Verbaladjektive haben den Charakter einer zu befolgenden Regel). 588 Longin. 10, 6; 33, 4–5 (Aratos und Apollonios werden hier zu ihren Ungunsten mit Homer verglichen, desgleichen Eratosthenes mit Archilochos), Luk. Hist. Conscr. 57 (auch hier ist Homer Vergleichsmaßstab). 589 Longin. z. B. 4, 4–7; 9, 14 (sogar an Homer); 29, 1; 33, 4 (Verweis auf frühere Kritik); 38, 2; 43, 1. 590 Longin. bes. 33, 1–2 mit Kontrast von Ípermeg°yeiw fÊseiw und tapeina‹ ka‹ m°sai fÊseiw. Gerade ihre Größe mache die Gefahr für die Genies aus, während die Mittelmäßigkeit, eben darum, weil sie nichts Großes wage, fehlerfrei zu bleiben vermöge. 591 Der Begriff Ïcow bei Ps. Longinos ist kein bloßer stilistischer terminus, er bezeichnet einen besonderen Effekt von einer Art, wie er nur von einer reichen, großgearteten Persönlichkeit hervorgebracht werden kann. Dieser Effekt ist präzise beschrieben in Longin. 1, 3. Die exakteste Darstellung des Verständnisses von Ïcow und des Kontextes für dessen Entstehen gibt Russell 1964, Introd. XXX–XLII, bes. XXXVII („It is ... a special effect, not a special style) und XLII (Resümee).

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Auch in der Bildersprache bestehen gelegentliche Koinzidenzen. Bei Ps. Longinos erscheint Homer als Zeus (zu ergänzen ist natürlich: als Zeus der Dichtung592), und Lukian läßt den Autor sagen, der Geschichtsschreiber solle in seiner alles überschauenden Aufnahmebereitschaft dem homerischen Zeus gleichen593. Beide ziehen zu Illustrationszwecken die Bereiche von bildender Kunst (Malerei und Plastik)594, Wettkampfsport 595, Musik596 und Medizin597 heran, wenn auch freilich mit recht unterschiedlichen Mitteln und Intentionen. Schon in den hellenistischen Philosophenschulen hatte es Spezialschriften namentlich zur Musik, zur Medizin und zur bildenden Kunst gegeben. Mit der Musik beschäftigte man sich in allen Schulen sehr eifrig, am meisten im Peripatos, aber auch in der Stoa und, vergleichsweise etwas stärker, auch im Epikureismus598. Die Medizin fand im Peripatos Beachtung599, und dasselbe trifft zu auf die bildende Kunst600. Es ist daher gar nicht verwunderlich, wenn diese Interessen der gelehrten Welt sich bald auch in der auf ein großflächigeres Publikum berechneten Literatur wiederfinden. In den Diatriben des Teles, die sich nicht in originaler Form, sondern nur in der von Stobaios später benutzten Epitome des Theodoros erhalten haben601, liegen in diesem Sinne neben den für ihn so typischen Vergleichen aus Theater und Schauspielerwesen602 freilich inhaltlich ausgedünnte und keinerlei Vorkenntnis erfordernde Anschauungsbeispiele aus den Bereichen von Musik und Medizin603 vor. Bei dem schon (in der Einleitung, Teil I 2. 4) zur Sprache gekommenen Musonius Rufus604 aus der 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. erscheint die begrenzte motivische Palette des Teles von Musik und Medizin um weitere t°xnai erweitert, um die Steuermannskunst, die Reitkunst, Herrschaftskunst, Gymnastik und überhaupt um kunstgerechte Ausübung von Sport sowie auch um die Gastronomie. 592 Quint. Inst. X 1, 46 (... ut Aratus ab Iove incipiendum putat, ita nos rite coepturi ab Homero videmur), Sen. Ep. 58, 17 (Homer gilt den Griechen als der Dichter schlechthin: Deus scilicet, maior ac potentior cunctis). 593 Longin. 9, 15 (wenn die Worte toË DiÚw §nÊpnia so zu verstehen sind), Luk. Hist. Conscr. 49. 594 Longin. 17, 3; 30, 1; 36, 3; vgl. die Bildersprache in 32, 5 (énazvgrafe›tai); Luk. Hist. Conscr. 23, 27, 29, 51; 12 und 62 (Architektur). 595 Longin. 34, 1; 35, 2; vgl. 13, 4; 14, 2; 21, 2 (Läufer); Luk. Hist. Conscr. 8, 9, 34, 35. 596 Longin. 28, 1; 39, 1–2; vgl. 41, 2; Luk. Hist. Conscr. 7 (musikalische Fachterminologie: d‹w diå pas«n), 36. 597 Longin. 38, 5; vgl. 3, 4 (Krankheitsbild); Luk. Hist. Conscr. 1 (Krankheitsbild) und 7. 598 Im Peripatos schrieben nach Aristoteles über Musik Theophrastos, Herakleides Pontikos, Aristoxenos und Hieronymos (Wehrli 1983, 500, 524 und 527, 541–544 und 576), in der Stoa Diogenes aus Seleukeia und (unsicher) Panaitios (Steinmetz 1994, 629–630 und 649), im Epikureismus Epikuros und Philodemos (Erler 1994, 44 und 90, 313–315). 599 Zu erwähnen ist die ÉIatrikØ sunagvgÆ des Menon (Wehrli 1983, 532). 600 Der dem Peripatos nahe stehende und von diesem beeinflußte Duris von Samos (Wehrli 1983, 556–557) verfaßte Schriften über Malerei und Toreutik: FGrH II A 76, Fr. 31 und 32, vgl. T 12 d. Mit einziger möglicher Ausnahme des Hippias von Elis ist Duris der erste, von dem Monographien zur bildenden Kunst gut bezeugt sind (Podlecki 1969, 116 mit Anm. 21 und 126–127). Bei der Diskussion der Frage, ob es eine Theorie der tragischen Geschichtsschreibung gegeben hat, wird Duris eine wichtige Rolle in der Argumentation spielen. 601 Hense, Teles, XVI–XXI, Modrze 1934, 377, Witke 1970, 45 und Kindstrand 1976, 82 mit Anm. 17. 602 Hense, Teles: I 1, Z. 5–6; II 3, Z. 2–7; II 11, Z. 5–7; III 14, Z. 4. 603 Hense, Teles: Musik (I 1, Z. 6–8; III 14, Z. 4), Medizin (III 18, Z. 9–12). 604 Hense, Musonius: Musik (II 7, Z. 1–2; IV 16, Z. 4–9; V 21, Z. 2–10; VI 22, Z. 9–12; VIII 39, Z. 21–40, Z. 1; XVI 85, Z. 7–9; XVIII A 97, Z. 7–8), Medizin (I 1, Z. 9–12; II 6, Z. 18–7, Z. 1; III 12, Z. 15–16; V 20, Z. 6–12; VI 22, Z. 9–12; VIII 39, Z. 18–21; XVI 82, Z. 8–17; XVIII A 97, Z. 7–8 ), Steuermannskunst (II 7, Z. 2–3; V 20, Z. 12–21, Z. 2; XVI 85, Z. 11–13), Reitkunst (VIII 40, Z. 2–3), Herrschaftskunst (VIII 40, Z. 4–7), Sport (IV 16, Z. 15–17, Z. 7 und II 8, Z. 5–8), Gastronomie (XVIII A 97, Z. 3–18; XVIII B 103, Z. 12–104, Z. 5).

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Die recht große Selbstverständlichkeit, mit der Verfasser von Diatriben diese Bereiche in geradezu stereotyper Form zu exemplarischen Zwecken nutzen, zeigt, wie sehr deren Verwendung zu einem literarischen Standard geworden war. Es ist wahrscheinlich, daß Bion aus Borysthenes (d. h. Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres), der die Gattung der Diatribe begründet oder diese doch zumindest populär gemacht und damit indirekt auch fruchtbare Impulse für das spätere Entstehen der römischen Satire gesetzt hatte605, und den auch Diogenes Laertios606 einer ausführlichen, wenn auch nicht besonders freundlichen Biographie (innerhalb seiner Biographien der Akademiker607) gewürdigt hat, auch in dieser Hinsicht vorangegangen war. Von Teles jedenfalls, der erklärtermaßen aus Bion schöpft608, ist dieser bereits reichlich und durchaus maßgeblich neben anderen Autoritäten wie u. a. Sokrates, Xenophon, Aristippos, Diogenes von Sinope, dem Diogenesschüler Krates und Stilpon verwertet609. Schriften mit dem Titel Diatriben (diatriba€) und Chrien (xre›ai) sind aus der Stoa610 und dem Kynismos611 bekannt. Es ist aber wichtig, sich dabei stets vor Augen zu halten, daß die Gemeinsamkeit der antiken Klassifizierung solcher und ähnlicher Schriften als Diatriben nicht schon bedeutet, daß in dieser frühen Zeit kynische und stoische Diatriben in Anlage und Stil übereinstimmen612. Im Gegenteil, es ist eher anzunehmen, daß dem anschaulichen, lebhaften und pointierten Erzählstil der auf Allgemeinverständlichkeit abzielenden kynischen Diatribe ein im Vergleich damit trockener Vortragston der frühstoischen Diatribe gegenübersteht613. Der früheste Peripatetiker, 605 Döring 1998, 308. Fiske 1966, bes. 178–202 macht es wahrscheinlich, daß namentlich von Bion auf die römische Satire des Lucilius und des Horaz wichtige Impulse ausgingen; die Eigenständigkeit der spezifisch römischen Gattung der Satire möchte er damit aber nicht fundamental angetastet wissen. Dies ist bis heute tatsächlich noch nicht gelungen, aber eine Reihe von Arbeiten hat gezeigt, welche Einflüsse von griechischer Literatur auf das Entstehen der römischen Satire ausgegangen sein könnten, vgl. dazu in Auswahl Mendell 1920, Duff 1964, 23–40, van Rooy 1965, 90–116, Witke 1970, 21–48 und Scholz 1986, 37–40. Eine griechische Bezeichnung für den lateinischen Gattungsbegriff satura existiert nicht, jedoch wird Quintilians berühmte und wohl von gewissem Nationalstolz geleitete Aussage satura quidem tota nostra est (Inst. X 1, 93) in Zukunft vielleicht um eine kleine Nuance zu relativieren sein; es wird das tota anzuzweifeln sein, wenn schon nicht mit Freudenburg 2005, 1–2, der wohl etwas zu weit geht, dazu auch noch das nostra. Das kann eine Beachtung der nicht immer berücksichtigten Studie von Geffcken 1911 lehren. 606 D. L. IV 46–58. In diesem Passus (Kap. 52) ist die Erklärung des Eratosthenes wiedergegeben, Bion habe als erster die Philosophie mit einem buntscheckigen Gewand (ényinã) angetan (vgl. auch Str. I 2, 2 = C 15). 607 Zu dem viel diskutierten Problem Kindstrand 1976, 17–19. 608 Hense, Teles II 3, Z. 4; II 3, Z. 15–4, Z. 1; II 6, Z. 1; II 10, Z. 14; III 22, Z. 2; IV A 26, Z. 13; IV A 26, Z. 13; IV A 29, Z. 1. Zur Frage, wieviel von Bion sich aus Teles gewinnen läßt, vgl. Kindstrand 1976, 82–87. Was die zweimal genannten érxa›oi betrifft, so schließt sich Hense, Teles 26 der Ansicht von Wilamowitz an, daß die älteren Kyniker damit gemeint seien, doch eher sind überhaupt frühere Autoritäten intendiert. Jedenfalls ist es kaum plausibel, mit Nickel 1973, 220–221 in diesen „fingierte anonyme Exponenten der von Teles und seinem Publikum vertretenen „Allerweltsethik“ (O. Gigon)“ zu erblicken. 609 Eine sehr gute Darstellung von Bions Leben mitsamt dem kulturellen Kontext für Bions mehrdimensionale intellektuelle Entwicklung (er erhielt nach seiner Ankunft in Athen vor 314 v. Chr. Ausbildung in 4 verschiedenen Philosophenschulen) findet sich bei Kindstrand 1976, 3–20. 610 Solche Schriften verfaßten Zenon, Persaios, Kleanthes, Sphairos und Hekaton (die Titel und Erklärungen bei Steinmetz 1994, 522, 556, 568, 580 und 663). 611 Metrokles verfaßte Chrien (Xre›ai), vielleicht (ungesichert) auch schon Diogenes von Sinope. Diatriben (Diatriba€) schrieb Bion von Borysthenes (Döring 1998, 303, 287 und 308). 612 Zutreffend Modrze 1934, 380: „Überhaupt wird man gut tun, den Kynismus in seiner reinen Ausprägung, wie er sich bei T. [sc. Teles] findet, nicht allzu nah an die Stoa heranzurücken“. 613 Bedenkenswerte Bemerkungen zum Vorurteil, die Diatribe sei ein klar definiertes literarisches Genos mit ganz bestimmten, konsistenten Gattungsmerkmalen, finden sich bei Kindstrand 1976, 97–99. Unbefangene Lektüre der

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von dem Schriften mit dem Titel Diatriben (diatriba€) bekannt sind, ist im übrigen Ariston von Keos614. Es ist jedenfalls gewiß damit zu rechnen, daß der Sil der volkstümlichen Diatribe im Laufe der Zeit nicht ohne Auswirkungen auf die hellenistische wissenschaftliche Prosa geblieben ist, wie er sich ja auch zumindest teilweise in hellenistischer Dichtung nachweisen läßt615, und dieser Umstand mag zureichend erklären, warum auch bei dem am Ende dieses Entwicklungsprozesses angesiedelten Ps. Longinos zumindest aus heutigem Blickwinkel gewisse Elemente der Diatribe aufgenommen zu sein scheinen, ohne daß es allerdings, wie bereits gesagt, berechtigt wäre, darum auch seine Schrift schon als eine Diatribe zu klassifizieren. Sie ist es nur in dem begrenzten Sinne, daß sie sich durch den simulierten Gesprächston der Briefform ganz natürlich auch dem kolloquialen Vortragsstil der Diatribe annähert und somit traditionelle, d. h. im Hellenismus geschaffene Formen aufgreift. Was nun die Geschichtsschreibung betrifft, so wird, wie von Lukian, so auch von Ps. Longinos Thukydides als der Vertreter der Gattung schlechthin bewertet616, doch immer wird er von Ps. Longinos für seine exzellente Sprachkunst gewissermaßen gattungsübergreifend gelobt617, nirgendwo wird er, auch nur ansatzweise, als Historiker, als Vertreter des spezifischen Genos flstor€a wahrgenommen. Und dasselbe gilt auch für all die anderen von Ps. Longinos herangezogenen Historiker, von denen, mit einziger Ausnahme des als Paradigma erscheinenden Thukydides, keiner ausschließlich positiv bewertet wird, nicht einmal Xenophon und Herodot618, und auch nicht Theopompos619, geschweige denn Timaios620, Kallisthenes oder gar Kleitarchos und Hegesias621, die allesamt lediglich negative Anschauungsbeispiele bieten sollen. Diese ausschließlich nach stilistischen Bewertungskriterien verfahrende Art der Kritik verbindet Ps. Longinos mit einer höchst wirksamen und überdies reich dokumentierbaren rhetorischen Tradition, welche die Historiker insgesamt immer nach denselben stilistischen Gesichtspunkten bewertet wissen will wie die Vertreter anderer literarischer Gattungen auch. Einzig Dionysios von Halikarnaß kennt als Verfasser eines eigenen Geschichtswerks über rein rhetorische Gesichtspunkte hinaus gattungsspezifische Bewertungskriterien in größerem Maßstab als seine eher konventionelle rhetorische Lehrbücher verfassenden Kollegen. Er wird daher in Teil I 3. 9 der Einleitung mit Lukian, der die Spezifika historiographischer Arbeit und Darstellung zumeist nach ganz anderen Gesichtspunkten darstellt, verglichen werden. Texte lehrt, daß die konzeptionellen und stilistischen Unterschiede zwischen Teles und Musonius Rufus beträchtlich sind, weiters, daß die kaiserzeitliche Diatribe beispielsweise des Musonius Rufus und des Epiktetos große Unterschiede zeigt, und schließlich auch, daß die Texte jedes einzelnen dieser Autoren oder Kompilatoren eine recht große Variabilitätsbreite aufweisen. Witke 1970, 39 sagt daher zu Recht: „... it would be misleading to think of diatribe itself as a quite clearly marked off literary form...“. 614 Die Titel lauten Per‹ sof€aw diatrib«n z’ und ÉErvtika‹ diatriba€ (Wehrli 1983, 579–580). 615 Dies konnte erstmals Geffcken 1909, bes. 1–44 in einer anregenden Arbeit schlüssig zeigen. 616 Longin. 14, 1. 617 Longin. 22, 3; 25; 38, 3 (dieses Verfahren ist auch sonst typisch für Verfasser rhetorischer Lehrbücher). 618 Xenophon: Longin. 4, 4–5 (negativ); 8, 1 (Hinweis auf eine Xenophonmonographie des Verfassers); 19, 1; 25; 28, 3; 32, 5; 43, 5; Herodot: 4, 7 (negativ); 13, 3; 18, 2; 22, 1–2; 26, 2; 28, 4; 31, 2; 38, 4; 43, 1 (negativ). 619 Longin. 31, 1 (positiv); 43, 2–5 (negativ). 620 Longin. 4, 1–4 (negativ). 621 Longin. 3, 2 (alle drei negativ bewertet).

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Ps. Longinos übt häufig Kritik an literarischen Fehlleistungen, nämlich überall da, wo ihm etwas nach seinen anspruchsvollen Standards mangelhaft zu sein scheint. Und selbst Größen wie Homer und Platon finden in ihm einen Kritiker, doch einen stets um Gerechtigkeit bemühten, der über dem Tadel im einzelnen nie die exzeptionelle Bedeutung der kritisierten Autoren aus dem Auge verliert. Ganz im Unterschied zu Lukian hat er daher im Allgemeinen so gar keine besondere Neigung zum Einsatz von Ironie und Zynismus. Nur an einer einzigen Stelle zeigt er jedoch eine Art und Weise, Literaturkritik zu betreiben, wie sie Lukian sehr nahe kommt. Es handelt sich um einen Passus, in dem er die Schreibweise des Timaios, des Prototyps eines über seinen Rügen anderer seine eigenen Mängel nicht bemerkenden Kritikers622, ebenso scharfem wie treffsicherem Spott unterzieht623. Er bringt zwei Beispiele, um das stete Verlangen des Timaios nach absonderlichen Einfällen (j°naw noÆseiw) zu belegen. Im ersten dieser Beispiele hatte dieser Alexander den Großen mit der Begründung über Isokrates gestellt, daß dieser für die Unterwerfung ganz Asiens weniger Jahre gebraucht habe als jener dafür, seinen Panegyrikos zu verfassen. Und an diese cuxrÒthw schließt sich ein ironischer Kommentar des Ps. Longinos an. Staunenswert nähme sich dieser Vergleich (yaumastÆ ge toË MakedÒnow ≤ prÚw tÚn sofistØn sÊgkrisiw)624 aus, sei dann doch auch evident, daß die Spartaner bei weitem hinter Isokrates an Tüchtigkeit zurückgestanden wären, hätten diese doch geschlagene 30 Jahre zur Unterwerfung Messeniens benötigt, während Isokrates zur Abfassung seines Panegyrikos bloß 10 Jahre gebraucht habe. Dieser Kommentar des Autors läßt an Ironie gar nichts zu wünschen übrig, er würde selbst einem Lukian zur Ehre gereichen. Und aus dem Umstand, daß dieser Kommentar von einem an sich dermaßen in seinem Ton beherrschten, ganz auf die Sache selbst konzentrierten Mann wie Ps. Longinos stammt, kann wohl zuversichtlich geschlossen werden, daß diese Art des Spottes (diasurmÒw625) durchaus der hier vertretenen Gattung literarkritischer Abhandlung zumindest partiell inhärent gewesen sein mußte. Das zweite der Beispiele zeigt noch eine Steigerung von Ironie zu einem gewissen Zynismus626. Timaios hatte über die im Raum von Sizilien inhaftierten Athener gesagt, sie hätten an Hermes gefrevelt und wären daher auch durch Hermons Sohn Hermokrates, den Abkömmling des Hermes väterlicherseits, ihrer verdienten Strafe zugeführt worden. Daran schließt sich nun die Bemerkung des Kritikers an, er wundere sich nur darüber, warum Timaios nicht auch über den Tyrannen Dionysios geschrieben habe: „weil er an Zeus und Herakles gefrevelt hatte, deshalb brachten ihn Dion und Herakleides um die Herrschaft „ (§pe‹ går efiw tÚn D€a ka‹ tÚn ÑHrakl°a dussebØw §g°neto, diå toËtÉ aÈtÚn D€vn ka‹ ÑHrakle€dhw t∞w turran€dow éfe€lonto). Anstatt sachlichen Kommentars also eine vom Verfasser mit Esprit ausgedachte direkte Rede, welche den in Timaios’ Worten liegenden Unsinn treffsicherer bloßstellt, als dies eine bloße sachliche Erklärung vermöchte. Selbst Lukian wendet diesen Kunstgriff nicht an, obwohl er dazu gewiß Gelegenheit gehabt hätte627. 622 Longin. 4, 1 (... éllotr€vn m¢n §legktik≈tatow èmarthmãtvn, énepa€syhtow d¢ fid€vn). 623 Longin. 4, 2–5. 624 Zum Vergleich: Luk. Hist. Conscr. 24, 28, 31, vgl. 29 verwendet mit Vorliebe immer dieselben stereotypen Worte ı yaumastÚw suggafeÊw als ein Mittel der Lächerlichmachung. 625 Longin. 38, 6 selbst gibt eine Definition; sie lautet: ka€ pvw ı diasurmÚw tapeinÒthtÒw §stin aÎjhsiw. 626 Ein weiterer zynischer Kommentar, wiederum durch Timaios motiviert, in Longin. 4, 5. 627 Luk. Hist. Conscr. z. B. 21 (hier allerdings verträgt die Geschmacklosigkeit des Anonymus keine weitere

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Für diese Art von Ironie und Zynismus, von Lächerlichmachung sind wohl bereits im Hellenismus die dafür geeigneten literarischen Strategien entwickelt worden. Schließlich ist noch mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß der hier diskutierte Passus, wie bereits erwähnt, gerade in dem Teil der Schrift steht, in dem der Verfasser die Fehler darstellt, um sodann seine positive Lehre folgen zu lassen. Er verfährt darin ähnlich wie Lukian, der, gewissermaßen en bloc, erst mal die literarischen Verfehlungen von Autoren verspottet, um seine Lehranweisungen im dritten Schriftteil nachzureichen. So betrachtet, ist diese Kritik des Ps. Longinos von der Argumentationsstruktur her, auf technischer Ebene ähnlich zu bewerten wie Lukians Spott, und es ist daher nicht verwunderlich, daß der dabei in Erscheinung tretende Ton eine gewisse Verwandtschaft zeigt, freilich innerhalb der durch die unterschiedlichen Individualitäten und Absichten dieser beiden Autoren determinierten Grenzen. I 2. 8 Der lehrhafte Brief über ein literarisches Thema: Horaz und Lukian In Briefform ist auch die gleichfalls einer literartheoretischen Didaktik gewidmete Ars poetica des Horaz628 gestaltet. Zwar ist deren Kenntnis und Benutzung durch Lukian, bei dem sich Vertrautheit mit der lateinischen Literatur nirgendwo sicher nachweisen läßt, wohl fast ausgeschlossen629, doch kann immerhin ein Vergleich der beiden Schriften zeigen, daß hinter beiden Autoren, hinter Horaz und Lukian, zumindest partiell hellenistische Diskurse oder auch eine oder mehrere Traditionen solcher oder ähnlicher Lehrschriften stehen dürften. Horaz folgt, wie es scheint, in wesentlichen Bereichen den Ansichten des dem Peripatos nahe stehenden Neoptolemos von Parion (schon von dem Horazkommentator Porphyrio ist dies festgestellt), die im Spannungsfeld von aristotelischen und alexandrinischen Positionen anzusiedeln sind630. Lucilius kommt innerhalb gewisser Grenzen ebenfalls als ein mögliches Vorbild für Horaz in Frage631. Steigerung mehr), 31 (der Bericht aus Indien hätte eine groteske Ausschmückung durch Lukian ermöglicht). 628 Weder Identität der Pisones, der Adressaten, noch Abfassungszeit kann zweifelsfrei ermittelt werden, wie Brink 1963, 239–243 (zuversichtlicher Rudd 1989, 19–21) zeigt. Puelma Piwonka 1949, 93 bezeichnet die Ars poetica (der Titel stammt nicht von Horaz, die Belege bei Rudd 1989, 19) treffend als „sermo – Gedicht“, mit all den Stilgesetzen dieser Gattung, d. h. dominiert vom Prinzip „Ordnung in der Unordnung“. Jedenfalls ist es bis heute nicht geglückt, den Aufbau der Schrift für jedermann zufriedenstellend zu bestimmen, ohne sogleich Widerspruch zu evozieren. Norden 1905 sah in einem berühmten Aufsatz mit starker Nachwirkung in ihr ein Beispiel für die „isagogische Litteratur“ (508–526), jedoch faßte er unter diesem Begriff sehr verschiedene Arten von Schriften zusammen, zumeist mit späten Belegen, v. a. aus lateinischer Literatur. Aus griechischer Literatur ist der Schriftentitel efisagvgÆ einzig von Chrysippos und Poseidonios bekannt, doch läßt sich über den Inhalt dieser Schriften gar nichts aussagen. Da Norden den Begriff dermaßen weit dehnt, droht dieser unbrauchbar zu werden. Auch zieht er keine klare Trennlinie zwischen „isagogisch“ und „rhetorisch“, sodaß das Prädikat „isagogisch“ nicht mehr deutlich faßbar ist. Skeptisch auch Puelma Piwonka 1949, 94, Anm. 2: „Norden hat den „isagogischen“ Techne-Charakter überbetont“. 629 Helm 1906, 205 ist in dieser Hinsicht etwas optimistischer, er hält Kenntnis des Horaz und besonders die Juvenals für möglich. 630 Brink 1963, 43–150, Mette 1980, 16–21, Flashar 1983, 374. Asmis 1992, 219–231 nimmt jedoch weniger glaubwürdig als den Ursprung der von Neoptolemos vertretenen Trias po€hma, po€hsiw, poihtÆw die hellenistische Akademie an. 631 Auf der These von Cichorius 1908, 109–127, der im 26. Buch des Lucilius eine Satire in eisagogischer Form an die Adresse des jungen Historikers Iunius Congus rekonstruieren wollte (seit Christes 1971, 26–27 und 133–134, dessen Interpretation ihrerseits wiederum zur Kritik herausfordert, ist diese These umstritten), aufbauend versuchte

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Worin bestehen nun die Gemeinsamkeiten zwischen Lukian und Horaz? Beide nähern sich ihrem Objekt mit einer klaren Präferenz für einen nüchternen Zugang zur Tätigkeit des Schreibens. Bei Horaz632, der im Schaffen des Dichters einen rationalen Prozeß sieht, ist dies am Präzisesten in die Worte gefaßt: scribendi recte sapere est et principium et fons. Die seit der Zeit der ersten Sophistik vielbehandelte und auch bereits von Neoptolemos von Parion633, nach der Auskunft des Porphyrio, nicht vernachlässigte Frage nach dem Verhältnis von natura und ars zueinander634 (sie wurde schon im Zusammenhang mit Ps. Longinos thematisiert) entscheidet er, darin Ps. Longinos635 ähnlich, in dem Sinne, daß beide Faktoren, alleine für sich genommen, noch nichts ausrichten könnten, daß sie aber in wechselweiser Bezogenheit aufeinander zu dem Ziel des scribere recte führten636. Lukian, dessen Themenstellung an sich schon ein ganz technegemäßes Verfahren empfiehlt, gilt doch die Geschichtsschreibung den Rhetoren und klassizistischen Literaturkritikern als einer der Zweige des technischen Regeln zugänglichen g°now §pideiktikÒn, bestimmt die Zuständigkeitsbereiche von fÊsiw und t°xnh, indem er konkret definiert, über welche Qualifikationen der Historiker, wie er denn sein solle, von Haus aus verfügen müsse und welche Bereiche einer methodisch verfahrenden Lehrschrift zukämen, solle sie tatsächlich einen praktischen Nutzen erbringen637. Zu einer Illustration des Technizitätscharakters dienen bei Lukian, wie bei Horaz auch, der Musik und dem Sport entnommene Anschauungsbeispiele638, bleibe doch, wie Horaz dies formuliert, in diesen Bereichen der Unterschied zwischen Leistung und Versagen keinem einzigen verborgen639. Es sind immer erst ernstere literarische Mängel, welche die Kritik des Horaz640 und besonders die Lukians641 herausfordern, wenn freilich auch Horaz, dem gehobenen Thema poetischen Schaffens entsprechend, dem Faktor der natura insgesamt einen höheren Stellenwert zuerkennen muß, gelte doch bei der Dichtung, anders als bei den verschiedenen praktischen Berufen, das Prinzip, daß nur das Vollkommene zähle642. Lukians Spott unterscheidet sich von der Kritik des Fiske 1966, 446–468 kenntnisreich, aber auch nicht in allem überzeugend, auch sonst starken Einfluß des Lucilius auf Horaz zu erweisen. 632 Hor. Ars 309, 310–322 (nur wer das Leben kennt, kann es lebensecht darstellen), vgl. Luk. Hist. Conscr. 37 (nur wer über ein gewisses politisch-militärisches Verständnis verfügt, ist auch in der Lage, historisches Geschehen adäquat zu erfassen und zu beschreiben). Während das Qualifikationsprofil des Historikers bei Lukian eine detaillierte Behandlung erfährt (vgl. die Einleitung, Teil II 1–3), teilt Horaz sonst auf direktem Wege nichts Besonderes mit, was den Autor denn eigentlich zu einem artifex mache, dem Werk widmet er demgegenüber einen breiten Raum. 633 Neoptolemos beschrieb den Dichter als tÚn tØn t°xnhn ka‹ tØn dÊnamin ¶xonta (Mette 1980, 3, Fr. 6, Z. 5–6). 634 Vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2. 635 Longin. 2, 1–3 und bes. deutlich 36, 4. 636 Hor. Ars 408–411 (natura und ars), bes. 410–411: alterius sic / altera poscit opem res et coniurat amice. 637 Luk. Hist. Conscr. 34–36. 638 Luk. Hist. Conscr. 35 (Sport)–36 (Musik); vgl. Hor. Ars bes. 379–381, vgl. (mit derselben Reihenfolge wie bei Lukian) 412–414 (Sport), 414–415 (Musik). 639 Hor. Ars 381 spricht es aus, ohne qualitative Unterscheidung der Zuseherschaft (ne spissae risum tollant impune coronae). 640 Hor. Ars 351–352: verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis / offendar maculis ... 641 Luk. Hist. Conscr. 14–32 passim. 642 Hor. Ars 366–378: die mediocritas ist für einen Dichter von größerem Nachteil als für Rechtsberater oder Rechtsanwalt, die ja auch, ohne die absolute Spitze zu erreichen, durchaus in der Öffentlichkeit etwas gelten mögen; 378: si paulum summo decessit (sc. poema), vergit ad imum.

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Horaz insoferne, als es bei ihm (im zweiten Teil seiner Schrift) immer nur eklatante Verstöße sind, an denen er Anstoß nimmt. Die solcherart konstituierte Fallhöhe ist es denn auch, welche den Spott lukianischer Art erst eigentlich ermöglicht. Seine literarische Technik, die negativen Beispiele voranzustellen, um erst dann die positive Lehranweisung folgen zu lassen, hat eine gewisse Parallele bei Horaz, der zwar nicht so konsequent verfährt, Negatives und Positives en bloc aufzulisten, bei dem aber doch, wie bei Ps. Longinos, eine Tendenz zu beobachten ist, an negative Exempla Betrachtungen positiver Art anzuschließen643. Auch wenn die darstellerischen Techniken des Horaz, des Ps. Longinos und die Lukians sich im Detail deutlich voneinander unterscheiden, so sind doch immerhin gewisse Spuren einer prinzipiell verwandten Darstellungsweise nicht zu verkennen. Aus dem solcherart definierten Technizitätsanspruch folgt bei beiden Autoren ein klar entwickeltes Bewußtsein für die Eigengesetzlichkeit der einzelnen literarischen Gattungen, wie sie bereits in der aristotelischen Poetik vorliegt644 und wie sie offensichtlich danach innerhalb des Peripatos gepflegt wurde, was aber nicht zwangsläufig bedeuten muß, daß Horaz nicht die Poetik des Aristoteles selbst gekannt und rezipiert haben kann645. In diesem Sinne möchte Horaz die Kömodie und die Tragödie klar voneinander geschieden wissen646, und auch Lukian sondert mit sehr rigider Grenzziehung die Geschichtsschreibung zum einen vom Enkomion, zum anderen von der Dichtung647. Was ferner die Anordnung des Stoffes (ordo = tãjiw) betrifft, so stimmen beide darin überein, daß jedes Element den ihm innerhalb des Ganzen zukommenden Platz haben müsse648. Beim Verhältnis der einzelnen Werkteile zueinander weisen beide zudem dem Prinzip der Proportionalität eine wesentliche Rolle zu. Folge auf ein pompöses Proömium ein gar zu winzig ausgefallenes, kleinformatiges Werk nach, so gelte: parturient montes, nascetur ridiculus mus ( Ãdinen ˆrow)649. Und in dieser Hinsicht ist die Kongruenz zwischen Horaz und Lukian besonders groß, verwenden doch beide dasselbe Sprichwort in exakt demselben Kontext. Daß es hier zumindest einen, wahrscheinlicher aber mehrere hellenistische Vorgänger gegeben hat, läßt sich insbesondere aus dem Umstand erschließen, daß bei Lukian der Vergleich des Eros mit der umgehängten Heraklesmaske, der sich ja unabhängig von diesen beiden Autoren in ähnlicher Form auch, wie bereits festgestellt, bei Ps. Longinos650 findet, unmittelbar vorangeht, während er jedoch bei Horaz fehlt. Es ist daher als wahrscheinlich 643 Hor. Ars bes. 1–37 (negativ mit vereinzelten positiven Bemerkungen), 131–152 (negativ und positiv), 296–308 (negativ und Ankündigung einer Lehranweisung). 644 Fuhrmann 1973, 4 nennt die aristotelische Poetik ganz zu Recht „eine Gattungspoetik: die Gattungen der Poesie dienen als das oberste Prinzip, nach dem der gesamte Stoff geordnet ist“. 645 Flashar 1983, 374 nimmt ganz rigoros an, Horaz habe weder die Poetik noch die Rhetorik des Aristoteles gekannt. 646 Hor. Ars 86–92, bes. 92: singula quaeque locum teneant sortita decentem [Wickham nicht sehr glücklich decenter], 93–98: es gibt auch gewisse, allerdings auf bestimmte Momente beschränkte Durchlässigkeiten. 647 Luk. Hist. Conscr. 7–8. 648 Hor. Ars 41–44 über den lucidus ordo (ordinis haec virtus erit et venus, aut ego fallor, / ut iam nunc dicat iam nunc debentia dici, / pleraque differat et praesens in tempus omittat); vgl. Luk. Hist. Conscr. bes. 55 (die diÆghsiw darf nicht in eine Vielzahl von unverbunden nebeneinander stehenden dihgÆseiw zerstückelt sein, sondern die einzelnen Teile müssen Glieder einer organisch in sich geschlossenen Einheit sein). 649 Hor. Ars 139 und Luk. Hist. Concsr. 23. 650 Longin. 30, 2.

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anzunehmen, daß der Kontext, in dem bei Lukian das Sprichwort vom kreißenden Berg steht, hellenistischer Provenienz sein dürfte. Und, trifft dies zu, so dürfte auch für Horaz der Einsatz einer vergleichbaren hellenistischen Motivik anzunehmen sein. In jedem Fall ist es klar, daß poetologische und literarkritische Diskurse im weitesten Sinne eine Bildersprache herausgebildet haben mußten, auf welche spätere Autoren, in welcher Form auch immer, zugreifen konnten. Was also an der Oberfläche als originelle Gestaltung der Nachgeborenen erscheinen mag, das ist, so gesehen, eher als ein konventionelles Verfahren zu verstehen, das sich in gleichen und ähnlichen Fällen nach Belieben wiederholen ließ. Hinsichtlich der Wortwahl lehnen sowohl Horaz als auch Lukian eine Verwendung veralteter, aus dem lebendigen Wortschatz bereits verschwundener Wörter ab und erheben somit den allgemeinen Sprachgebrauch zur verbindlichen Norm651. Sklavische imitatio literarischer Vorbilder erfährt denn auch beider ungeteilten Tadel652. Das Erzähltempo Homers gilt beiden als von paradigmatischer Natur653. Und da Lukian in diesem Kontext Homers rasch dem Ziel zustrebende Art des Erzählens, eben sein charakteristisches tãxow, mit dem des Parthenios, des Euphorion und des Kallimachos vergleicht, so könnte es durchaus sein, daß Horaz für seine Zwecke einen Diskurs, in dem Homer bereits mit hellenistischer Kleinkunst in irgendeiner Form verglichen war, gekürzt hat. Ähnliche Vergleiche Homers mit anderen als zweitrangig gedachten Autoren findet sich im übrigen auch bei dem von Horaz unabhängigen Ps. Longinos654. Und ebenso wie Horaz655 in diesem Zusammenhang mit Anerkennung vermerkt, daß Homer Unpassendes, für die Darstellung Unergiebiges weglasse, so kritisiert auch Lukian656 im zweiten Teil seiner Schrift des öfteren Autoren für ausschweifende, sich gar nicht nach den jeweiligen Erfordernissen richtende Ekphraseis, während Homer in allem ein richtiges Verhältnis zwischen darzustellendem Objekt und den angewandten darstellerischen Verfahren herzustellen verstünde. Eine sehr auffällige Kongruenz besteht ferner in der Art, wie beide in ihrer Eigenschaft als Lehrer ihre eigene literarische persona stilisieren. Horaz erklärt, er nähme in seiner Schrift das Amt eines Wetzsteines wahr, der das Eisen zu schärfen vermöge, während er selbst nicht schneide; so werde er denn, ohne selbst etwas zu schreiben, seine Lehren über das Schreiben erteilen (ergo fungar vice cotis, acutum / reddere quae ferrum valet, exsors ipsa secandi; / munus et officium 651 Hor. Ars 46–72, bes. 71–72: der aktuelle Sprachgebrauch (usus) ist norma loquendi, Wortneubildungen sind erlaubt (56–58: auch Cato und Ennius haben die Sprache durch nova rerum vocabula bereichert). Luk. Hist. Conscr. 44 empfiehlt, aus dem Gebrauch gekommene Worte zu vermeiden (mÆte éporrÆtoiw ka‹ ¶jv pãtou ÙnÒmasi); die Sprache des Historikers soll von der Masse verstanden werden und bei den Gebildeten (den pepaideum°noi) zudem Anerkennung finden. Lukian nimmt die Position eines gemäßigten Attizisten ein. 652 Hor. Ars 133–134 (.. nec verbo verbum curabis reddere fidus / interpres, nec desilies imitator in artum ..); Luk. Hist. Conscr. 15, 26, vgl. 18 (Thukydidesimitatio), 18, vgl. 14 (Herodotimitatio), 23 (Xenophonimitatio), vgl. 32 (Imitatio athenischer Lokalchroniken). 653 Hor. Ars 148 (semper ad eventum festinat et in medias res / ... auditorem rapit); vgl. Luk. Hist. Conscr. 57 (Vergleich von Homers narrativer Zweckmäßigkeit mit der allzu breit ausmalenden Darstellungsweise eines Parthenios, Euphorion und Kallimachos). Dies ist unter all den von Immisch 1932, 115, Anm. 27 angeführten angeblichen Kongruenzen zwischen Lukian und Horaz die einzige vom Kontext her, in dem die jeweiligen Aussagen stehen, für diesen Zweck brauchbare. 654 Longin. 10, 5–6 (Vergleich Homers mit Arat), 33, 4–5 (Vergleich Homers mit Apollonios, Theokrit und Eratosthenes). 655 Hor. Ars 129–130 (... et quae / desperat tractata nitescere posse relinquit). 656 Luk. Hist. Conscr. 19 und 28 (individuelle Autoren), 20 und 27, vgl. 32 (allgemeine Feststellung).

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nil scribens ipse docebo)657. Ganz ähnlich nimmt sich die Rolle aus, die Lukian für den Zweck der Schrift einnimmt. Er erklärt, mit Rekurs auf die unmittelbar vorangehende Einführung des Diogenes von Sinope, wie dieser, so wolle auch er nur seine Tonne rollen, ohne doch selbst ein Geschichtswerk zu verfassen; so tollkühn sei er doch nicht (... oÈx …w flstor€an suggrãfein oÈd¢ prãjeiw aÈtåw dieji°nai: oÈx oÏtv megalÒtolmow §g≈, mhd¢ toËto de€s˙w per‹ §moË)658. Der Umstand nun, daß zwei sehr wahrscheinlich in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehende Autoren sich desselben Verfahrens narrativer Selbstdarstellung bedienen, ist wohl als Hinweis darauf zu werten, daß beide in hellenistischen Erzähltraditionen stehen, die ihrem gleichermaßen undogmatischen Charakter entgegenkamen659. Es ist zu vermuten, daß die Ursprünge dieser saloppen Art und Weise, mittels understatements die persona des Erzählers zu kreieren, in der Diatribe bzw. im Umfeld der Diatribe zu suchen sind. Ps. Longinos bedient sich bei der Ernsthaftigkeit, mit der er sein Thema behandelt, dieses Verfahrens nicht. Doch da sich gezeigt hat, daß auch sein Text in gewisser Weise immerhin der Diatribe stärker angenähert ist, als es bei zünftigen rhetorischen Traktaten der Fall ist, so folgt daraus, daß die Diatribe auf die Behandlung wissenschaftlicher Themen nicht ohne Einfluß geblieben sein kann, nur daß dieser auf unterschiedliche Formen der Darstellung, wie es scheint, eben verschieden stark gewesen sein muß. Neben der eigentlichen Diatribe über ethische Themen haben daher wohl noch andere Darstellungsformen mit graduell verschiedenartigem Nahverhältnis zu der Diatribe existiert. Es gibt noch eine Reihe weiterer Berührungspunkte zwischen Horaz und Lukian. Beide gebrauchen das Bild der Krankheit, um den in sinnenloser schriftstellerischer Verzückung liegenden Wahnwitz zu beschreiben660. Sie verwenden zur Bezeichnung inkongruenter Darstellungsweise das Bild des unpassend aufgesetzten, in einem Mißverhältnis zum Kontext stehenden Purpurstreifens661 . So wie Lukian662 im Falle von direkten Reden im Geschichtswerk ein personen- und situationsadäquates Darstellungsverfahren fordert, so sind es auch bei Horaz663 eben dieselben Parameter, welche bei der Charakteristik der Akteure im Drama zu beachten seien. Beide geben den Autoren den Rat, sich nicht an die Schmeichler zu halten, sondern vielmehr an die konstruktive oder jedenfalls hilfreiche Kritik der Urteilsfähigen664, 657 Hor. Ars 304–305. Brink 1963, 242, der die Aussage ohne Problematisierung wörtlich nimmt, möchte aus dieser ein Kriterium für die Datierung der Ars poetica gewinnen (im intervallum lyricum, 23–18 v. Chr., oder nach dem 4. Odenbuch, 14–8 v. Chr.). Doch ist hier wohl eher das Drama gemeint, in dem Horaz sich tatsächlich nie versucht hat. 658 Luk. Hist. Conscr. 4. 659 Rudd 1966, 19 bezeichnet Horaz als „the least doctrinaire of men“, und dasselbe kann mit gutem Recht von Lukian ausgesagt werden. 660 Hor. Ars 7 (velut aegri somnia) und bes. 453–456 (ut mala quem scabies aut morbus regius urget / aut fanaticus error et iracunda Diana, / vesanum tetigisse timent fugiuntque poetam / qui sapiunt ...); Luk. Hist. Conscr. 1 (das nÒshma der Abderiten, mit Anlehnung an die thukydideische Pestschilderung), vgl. Salt. 83–84: die Erzählung von dem an sich verständigen, doch in der Rolle des Aias einmal in regelrechten Wahnsinn verfallenen Tänzers, der nicht mehr Aias spielte, sondern selbst zu Aias wurde, und der danach aus Kummer über seine Verirrung wirklich krank wurde. 661 Hor. Ars 15–16 (dem Gedankengang 14–22 folgt 23 die Conclusio, daß das Werk ein simplex ... et unum sein soll); Luk. Hist. Conscr. 15 (von der Mischung zweier inkompatibler sprachlicher Ebenen). 662 Luk. Hist. Conscr. 58 (zu beachten ist auch, daß efisãgein ein bühnentechnischer terminus technicus ist). 663 Hor. Ars bes. 105–124. 664 Hor. Ars 386–388, bes. 419–452 (wohlmeinender Rat und sachkundige Kritik); etwas anders Luk. Hist. Conscr. 10 (eine Kritik, die mit Argusaugen darauf aus ist, Schwachpunkte aufzudecken, ist hilfreich), vgl. aber auch Hor. Ars 364 (der Scharfblick des Kunstrichters ist zu fürchten, wenn etwas nicht perfekt ist).

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solledas fertige Werk doch die Zeit des Autors überdauern und so für die Ewigkeit geschaffen sein665. Bei den Rezipienten unterscheiden sie zwei Klassen, den Pöbel und die Männer mit gesunder Urteilskraft; bei Horaz666 sind unter letzteren insbesondere die Ritter zu verstehen, bei Lukian667, nach den Gepflogenheiten von Autoren der zweiten Sophistik, die den Inkompetenten (fidi«tai) mit scharf gezogener Trennlinie gegenübergestellten Gebildeten, die pepaideum°noi, welche über Fehlleistungen auf literarischem Gebiet in Gelächter ausbrechen. Lukians literarische persona rechnet sich natürlich zu dieser Klasse, und so macht sie denn auch kein Hehl daraus, daß sie sich jederzeit das legitime Recht herauszunehmen bereit ist, gravierende Mängel mit verdientem Lachen zu quittieren oder den Ort des Geschehens vorzeitig zu verlassen668, beides aus der Zeit der zweiten Sophistik bekannte und nunmehr gut dokumentierte, demonstrative Verhaltensweisen669. Natürlich verfährt Horaz670 nicht anders, wenn er seine ständige Bereitschaft zu erkennen gibt, bei Vorträgen schlechter Dichter entweder einzunicken oder zu lachen. Es ist schwer vorstellbar, daß Horaz als erster auf diesen naheliegenden und im Sinne einer überlegenen Selbstdarstellung sehr wirkungsvollen Einfall gekommen ist. Jedenfalls hatten schon vor ihm für Lucilius erklärtermaßen einzig die pauci et sapientes unter den Rezipienten gezählt671, und es ist daher wahrscheinlich, daß auch er bereits seine Abneigung gegen die Unberufenen zum Ausdruck gebracht haben wird. Beide kennen die Ansicht von der unbeschränkten Gestaltungsfreiheit des Dichters und Malers672. Horaz formuliert diese in Form eines fiktiven Einwurfs in direkter Rede, einem an die Diatribe angelehnten Verfahren673, um sie sodann insoferne abzulehnen, als die Freiheit doch nicht so weit gehen dürfe, inkompatible Elemente miteinander zu verbinden. Lukian konzediert dem Dichter zwar schon absolute Freiheit der Gestaltung, doch zeigen die von ihm dann verwendeten, allesamt der Ilias entnommenen Anschauungsbeispiele674, daß er unter dieser Freiheit dasselbe versteht wie Horaz, denn das einzige homerische mixtum compositum in dieser

665 Hor. Ars 345–346; Luk. Hist. Conscr. 5 und 42 (mit Zitat aus dem thukydideischen Methodenkapitel), 61–63. 666 Hor. Ars 248–250 (offenduntur enim quibus est equus et pater et res, / nec, si quid fricti ciceris probat et nucis emptor, / aequis accipiunt animis donantve corona), vgl. aber in anderem Kontext 113 ohne eine strikte Zweiteilung der Hörerschaft (Romani tollent equites peditesque cachinnum); 263 (nicht jeder ist urteilsfähig). 667 Luk. Hist. Conscr. bes. 10–11, 44, u. ö. 668 Luk. Hist. Conscr. 15 (vorzeitiges Verlassen der Vorlesung) und 26 (Weinen vor Lachen). 669 Dieses Phänomen ist untersucht von Korenjak 2000, 68–95: Die Sprache des Publikums, vgl. bes. 74 (Vorzeitiges Weggehen) und 85–86 (Lächeln und Lachen). 670 Hor. Ars 105 (... aut dormitabo aut ridebo). 671 Puelma Piwonka 1949, bes. 79–80 und 119. 672 Hor. Ars 9–10 (pictoribus atque poetis / quidlibet audendi semper fuit aequa potestas); Luk. Hist. Conscr. 8 billigt dem Dichter unbeschränkte Freiheit (ékratØw ≤ §leuyer€a) zu, in Pr. Im. 18 gibt er die offensichtlich auch Horaz vorliegende, Malerei einbeziehende Fassung des Gedankens wieder (... palaiÚw otow ı lÒgow, éneuyÊnouw e‰nai poihtåw ka‹ graf°aw), in Herm 72 verwertet er diesen selben Gedanken kontextadäquat zur Illustrierung der Luftschlösser des Hermotimos. 673 Hor. Ars 9–10 (pictoribus atque poetis / quidlibet audendi semper fuit aequa potestas). Es handelt sich um das von Bultmann 1910, 10 beschriebene Phänomen: „Ein fingierter Gegner unterbricht die Darlegung in direkter Rede, meistens mit einem Einwand“. Lukian wendet das Verfahren im Scharnier zwischen zweitem und drittem Teil seiner Schrift einmalig an (zur stereotypen Formel fa€h tiw ên vgl. die Einleitung zu Kap. 33). Im übrigen operiert Horaz insbesondere in seinen Sermones mit dem Stilmittel des fiktiven Interlocutors höchst variantenreich. 674 Vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 8.

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Beispielreihe675 enthält so gar nichts Inorganisches im horazischen Sinn, erscheint hier doch bloß die Schönheit Agamemnons als zusammengesetzt aus den vereinten physischen Vorzügen des Zeus, des Poseidon und des Ares, und dies auch nicht als eine dauerhafte Eigenschaft, sondern als eine einzig an diesem einen Tag dem obersten Heerführer der Griechen verliehene Auszeichnung. Anderswo, in einem anderen Kontext konzediert Lukian den Dichtern und Malern die Darstellung von Hippokentauren, Chimairen und Gorgonen676, doch in seiner Methodenschrift möchte er die Freiheit des Dichters auf die Schaffung eines mixtum compositum in der homerischen Art begrenzt wissen, geht es ihm doch hier darum, unter Ausschluß der Malerei, eben die Grenzen zwischen den Gattungen Geschichtsschreibung und Dichtung zu bestimmen. Daher verknüpft er sein Iliaszitat mit der Bemerkung, ein Historiker, der so verfahre, sei ein Lobredner und Schmeichler, galt doch das homerische mixtum compositum als ein Paradigma für poetisches Lob (¶painow)677. In Summe ergibt sich so, daß Horaz und Lukian, wenn schon nicht auf einem gemeinsamen Diskurs, so doch auf nahe miteinander verwandten Diskursen gründen678, welche den Grad der Freiheit von Dichtung und Malerei bestimmt wissen wollten. Bei Horaz liegt der von ihm im Wesentlichen reproduzierte Diskurs, wie es scheint, in verhältnismäßig reiner Form vor, während Lukian den von ihm verwendeten Diskurs vor allem dazu gebraucht, um ihn nach seiner Art in unterschiedlichen Kontexten variabel durchzuspielen. I 2. 9 Lukian in der Maske des Diogenes von Sinope Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß all die erteilten Postulate für gattungsadäquate Geschichtsschreibung sachlich vom Autor Lukian tatsächlich ernst gemeint sind, denn eine literarästhetische Positionierung gehört auch sonst zu den ganz wesentlichen Themen bei Lukian. Weissenberger679 hat dies in einer Lukians Schriften mit literarkritischer Aussage darstellenden und die darin wiederkehrenden Themen strukturierenden Studie bereits gezeigt. Und doch wäre Lukian nicht Lukian, wenn er nicht dennoch nach einer Möglichkeit suchte, um den Ernst der Aussage mittels des Anlegens einer Maske zu relativieren. Diesem Zweck dient es, wenn er zu Anfang der Schrift680 den Autor (genauer das Autor-Ich) in die Rolle des Diogenes von Sinope681 schlüpfen und diese Rolle im Epilog wieder aufnehmen läßt682. Und dies bietet ihm im 675 Hom. Il. II 478–479. 676 Luk. Herm 72 (Dichter und Maler fingieren in ihrer Freiheit Dinge, die niemals geschehen sind und auch niemals geschehen könnten). 677 Luk. Pr. Im. 25 (hier ist freilich auch der Kontext zu berücksichtigen). 678 Auf eine bestimmte gemeinsame Quelle lassen sie sich wahrscheinlich nicht zurückführen; so zu Recht auch Steidle 1939, 12, Anm. 3. 679 Weissenberger 1996 vermittelt von Lukians literarästhetischer und literarkritischer Position sowie seiner Stellung innerhalb des zeitgenössischen Attizismus ein durchaus zutreffendes Bild. Leider wird der Blick zu selten über Lukians Oeuvre hinaus ausgeweitet, doch, was Lukian betrifft, ist über das hier Gesagte kaum wesentlich hinauszukommen. 680 Luk. Hist. Conscr. 3–5 (3–4: Vergleich des Autor-Ichs mit Diogenes, 5: Einnahme der – ganz im Sinne des Diogenes – nur sehr bedingt Erfolg versprechenden Arztrolle: ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si). 681 Die neueste Gesamtdarstellung des Diogenes von Sinope bei Döring 1998, 280–295. 682 Luk. Hist. Conscr. 63 (der die Frage nach der Wirksamkeit vorliegender Lehranweisung thematisierende Schlußsatz lautet in seinem skeptischen Teil: ... efi d¢ mÆ, kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ, vgl. Kap. 3). Es handelt

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Wesentlichen zwei Vorteile. Erstens steht der Säulenheilige der kynischen Philosophie für die Bereitschaft, gleichsam als Arzt die Leidenschaften der Menschen zu heilen683. Diese Rolle hat ihr Äquivalent bei Lukian darin, daß die urplötzlich aus dem Boden schießenden Historiker des Partherkrieges in der diese Schrift einleitenden Erzählung (Kap. 1) mit den Abderiten verglichen werden, die einst nach einer Aufführung des Euripides durch den zu dieser Zeit wohlbekannten Schauspieler Archelaos eine Massenpsychose erfaßt habe und die darob in einen Zustand heilloser „Verrückung“ (in einem wörtlichen Sinn zu verstehen) verfallen wären684. Hier dient die Diogenesrolle also dem Zweck, einen pathologischen Zustand gewissermaßen mit medizinischen Mitteln zu heilen, so wie eben in Lukians Lexiphanes dem Arzt (mit dem redenden Namen) Sopolis die Funktion zukommt, den Hyperattizisten Lexiphanes von seiner „Verrücktheit“ zu befreien685. Zum anderen erfüllt die Diogenesrolle aber noch einen weiteren Zweck. Und dieser besteht darin, die angesprochene Heilung im Sinne des Diogenes zu relativieren. Von ihm wird ja überliefert, daß er sich keinen Illusionen über die Heilbarkeit der Menschen hingegeben habe686. Diese Pose kommt Lukian entgegen, ermöglicht sie ihm doch, unter unangefochtener Wahrung des sachlichen Gehalts der Schrift doch die Wirkungsmöglichkeit derselben durch den Autor in Frage stellen zu lassen687. In diesem Sinne kann Lukian in der Einleitung zum dritten und didaktischen Teil der Schrift den Autor die Rolle eines Ratgebers688 einnehmen und dabei doch in dem Epilog689 deutlich zu erkennen geben lassen, daß er sich über die Unbelehrbarkeit all der kritisierten Autoren keinerlei Illusionen hingibt. Mit anderen Worten, die angelegte Maske stellt nicht die Substanz der Lehranweisungen an sich in Frage, sondern bloß deren Wirksamkeit in der zur Debatte stehenden konkreten Situation. Es wäre daher ein Irrtum, zu glauben, die angelegte Maske bedeute schon eine Relativierung der erteilten Lehren690. Wohl aber kommt der Maske die Funktion zu, die sich dabei um ein die gesamte Schrift übergreifendes Konzept, nicht um eine bloße Anspielung auf Diogenes, wie dies Rütten 1997, 36 (er zieht dafür einzig die Kap. 3–4 in Betracht) in seiner insgesamt dem Zeitgeist geschuldeten Darstellung der Schrift (35–36) meint. 683 Zur Funktion des Diogenes als fiatrÚw t«n pay«n vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 5: ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, ktl.

684

Luk. Hist. Conscr. 1, zum Vergleich der Historiker mit den Abderiten vgl. Kap. 2: tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow ka‹ nËn toÁw polloÁw t«n pepaideum°nvn perielÆluyen ktl., der Zustand der „Ver-rücktheit“ im eigentlichen Sinne ist angezeigt durch das sinnreiche Verbum par°paion. Zu dem metaphorischen Potential von

„Krankheit“ als Code zur Bloßstellung von Defiziten im zeitgenössischen Bildungsbetrieb Luchner 2004, bes. 333–402 . 685 Luk. Lex. bes. 18–20 (Sopolis ist einer von Lukians redenden Namen, vgl. den Imperativ s«son in Kap. 18). In der Methodenschrift steht die Arztrolle nicht so explizit im Vordergrund, wirkt aber in unaufdringlicher Weise durch die ganze Schrift hindurch (nur in Kap. 5 nennt der Autor sich selbst einen „Arzt“). 686 Hier zeigt sich wieder einmal das universale Prinzip, um es mit den Worten von Möllendorffs zu sagen, „daß die Lektüre einen gewissermaßen mitkonstruierenden Leser verlangt“ (von Möllendorff 2006, 294). 687 Luk. Hist. Conscr. 5 und 63. 688 Luk. Hist. Conscr. 34 (hier nennt der Autor sich sÊmboulow) und 35 (die bereits in Kap. 6 und 27 genannte sumboulÆ ist hier faktisch identisch mit einer Lehranweisung, t°xnh). 689 Luk. Hist. Conscr. 63. 690 In diesem Sinn ist Vorsicht geboten gegenüber zu pauschalierenden Aussagen wie „The self-subversive aspect of this writing is fundamental“ (Whitmarsh 2001, 253). Lukians Kunst ist subtiler, als sich durch solche Festschreibungen erfassen läßt. Denn der hintergründige Witz besteht ja gerade darin, daß hinter dem Spiel der Illusionen doch dann und wann so etwas wie „objektive Parameter“ sichtbar werden, und nicht immer nur einzig darum, um die Fallhöhe zu den Objekten des Spottes (Kap. 14–32) zu markieren.

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Lehrbarkeit dieser Lehren an sich mit demonstrativer Pose in Zweifel zu ziehen691. Lukian gewinnt solcherart die Möglichkeit, den Autor eine Geschichtsmethodologie vortragen zu lassen, ohne sich selbst (Lukian) damit dem Verdacht einer moralistischen Absicht auszusetzen – eine elegante und mit der Eigenschaft eines „Satirikers“ sehr gut vereinbare Art von didaktischem Vortrag692. Bereits Horaz693, dessen Ars poetica zuvor schon mit Lukians Schrift verglichen worden war694, bediente sich eines recht ähnlichen Verfahrens, ohne freilich die Maske des Diogenes zu verwenden. Auf den Einwand eines fiktiven Sprechers, man könne nie genug Geld haben, da man von der Welt ja nach seinem Vermögen bemessen werde, läßt er die Stimme des Autors erklären, man möge den armen Narren doch unbelehrt in seinem Elend belassen, da ihm dieser Zustand sichtlich Behagen bereite. Der Umstand, daß dieser Gedanke gerade im programmatischen ersten Gedicht des ersten Buches der Sermones an prononcierter Stelle erscheint, verleiht diesem noch zusätzliches Gewicht. Und in griechischer Literatur liegt ein spätes Beispiel für das von Lukian angewandte Verfahren vor in der nun bereits mehrfach herangezogenen 6. Rede Julians695, denn auch hier erklärt der Autor, wenn diejenigen, die es jetzt unternähmen, sich selbst als Kyniker zu präsentieren (o· ge nËn §pixeiroËntew kun€zein), seine Rede gering achten wollten, so gelte doch: oÈ front‹w ÑIppokle€d˙. Am Ende des Pamphlets (der Text ist hier leider lückenhaft überliefert) war der Gedanke mit größter Wahrscheinlichkeit in Variation wiederholt. Lukians Schrift ist also, wie sich gezeigt hat, wesentlich in dem Kontext des Diogenesexempels zu sehen. In der vitarum auctio696 läßt er sich Diogenes dem Käufer gegenüber mit den bezeichnenden Worten vorstellen: ToË kÒsmou pol€thn ıròw. Und dann folgt weiter: ÉEleuyervtÆw efimi t«n ényr≈pvn ka‹ fiatrÚw t«n pay«n: tÚ d¢ ˜lon élhye€aw ka‹ parrhs€aw profÆthw e‰nai boÊlomai. Und diese Selbstvorstellung, die alle zentralen

Anliegen des historischen Diogenes von Sinope enthält und die Lukian auch in der Person

691 Robinson 1979, 149 geht daher zu weit, indem er sagt: „Lucian, ..., even in the evident parody of How to Write History, has a less clearly defined didactic purpose, if didactic at all. He seeks purely to amuse and to dazzle“. Forte 1972 dagegen stellt Lukians Oeuvre generell und diese Schrift im speziellen dar als Werke mit didaktischem Anliegen; der Kondizionalsatz (385: „If ... Lucian hoped to reform the Greek historians of his time ...“) scheint daher im Kontext zu meinen, daß nach Fortes Ansicht Lukian tatsächlich ein pädagogisches Anliegen verfolgt. Diese Ansicht ist jedoch nach der anderen Seite hin wohl überzogen, und dieser Umstand zeigt einmal mehr, wie schwer der Autor und dessen Absicht für den Interpreten zu fassen sind. 692 Im Sinne Branhams 1989 handelt es sich demnach um einen typischen „serio-comic text“ (57): „The disarming ambivalence, in this case the irony, is typical of the author. He hesitates to let us take even his own serious efforts with unqualified seriousness“. Wie auch in der prolalia Bacchus „Lucian uses humor to provoke the audience to consider the subject simultaneously from divergent, conflicting perspectives“. In einer früheren Arbeit hatte Branham 1985, 243 zu dieser prolalia festgestellt: „The story does not instruct in addition to being comic, but by means of being comic“. Dies ist zwar nicht mehr das Gleiche, doch zwischen beiden Polen pendelt Lukians „serio-comic art“, um Branhams Bezeichnung beizubehalten, beständig hin und her. 693 Hor. S. I 1, 63–64 (... iubeas miserum esse, libenter / quatenus id facit, vgl. 90–91), vgl. mit libenter (freiwillig) bei Luk. Hist. Conscr. 5 •kÒntew (ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si). 694 Vgl. die Einleitung, Teil I 2. 8. 695 Jul. Or. VI 182 a–b (mit dem Kommentar von Asmus 1908, 78) und 203 c . 696 Luk. Vit. Auct. 8.

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des von ihm gerühmten Demonax gespiegelt sein läßt697, liegt wesentlich dem moralischen Qualifikationsprofil des Historikers zugrunde, das mit der Zeit und durch häufigen Gebrauch erstarrten traditionellen historiographisch-rhetorischen termini technici durch geschickte Schaffung eines kynischen Kontextes zu neuem, frischem Leben verhilft. In der Einleitung, Teil II 3 wird dieses besondere literarische Konstrukt, das der Schrift als ganzer seinen Reiz, seine unverwechselbare Pointiertheit verleiht, eine detaillierte Darstellung finden. Schwer zu beantworten ist die Frage, ob auf dieses Konstrukt das Attribut „innovativ“ anzuwenden ist. Lukian selbst jedenfalls erklärt, nicht ohne entsprechenden Stolz, einzig den komischen Dialog explizit als seine ureigenste Leistung698, und er läßt ansonsten (in erster Linie, wie es scheint, stofflich zu verstehende699) Innovation und Innovativität (dafür u. a. die Begriffe kainÒthw, tÚ kainourgÒn und das Verbum kainopoie›n700) nur unter der Vorbedingung eines Vorhandenseins von artifizieller Meisterschaft gelten701. In diesem Sinne ist seine, wie sich zeigen wird, in ihren Postulaten an den Historiker keineswegs innovative Methodenschrift im folgenden Abschnitt unter dem Gesichtspunkt ihrer t°xnh zu betrachten. Denn jede gerechte Einschätzung eines Werkes hat ja zunächst zu fragen, was der Autor erreichen wollte, um danach zu beurteilen, ob und inwieweit er seinen Zielen gerecht geworden ist. Im Falle Lukians steht einer ungünstigen Wertung in der Zeit des ausgehenden 19. Jhs. bis weit über die erste Hälfte des 20. Jhs. hinaus momentan eine ebenso überdimensionale Überschätzung gegenüber, da Interpreten stets die Neigung haben, sich selbst, ihre Bedürfnisse und Vorurteile in den Texten, die sie zu deuten unternehmen, gespiegelt zu sehen. Im Folgenden wird Lukians Schrift daher einer werkimmanenten Analyse unterzogen werden, auf einer Ebene, die antiken Rhetoren vertraut war. Lukian versteht sich als Klassizist, und das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß es die Virtuosität literarischer Gestaltung ist, die er bezweckt hat, und eben diese Artifizialität läßt sich am Besten erkennen, wenn man an seinen Texten nicht nur die Nachahmung (m€mhsiw) von Vorbildern wahrnimmt, sondern auch das ehrgeizige Streben, über den status quo des Erreichten ein klein wenig hinauszugehen im Sinne einer Konkurrenz mit den Kollegen im Fach (zÆlvsiw). Dies ist die einem Klassizisten angemessene Weise, Tradition und Innovation zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen. Nach dem Zeuxis zu urteilen, hätte Lukian selbst gegen eine Überbewertung seiner „Originalität“ Einwände erhoben, und dies gewiß nicht nur mit einer demonstrativ vorgetragenen Bescheidenheitspose. Lukians literarische Leistung ist demnach ausschließlich zu bewerten nach den Kategorien von Intention und dem Grad und Sinn der Verwirklichung des Intendierten. Um Lukians Intention verstehen zu können, bedurfte es einer Schaffung von 697 Luk. Demon. bes. 3, 7, 11; vgl. 5 und 62 (das Verhältnis des eklektischen Philosophen zu Diogenes). 698 Luk. Prom. Es 5–7; Bis Acc. 33–34; Pisc. 25–26 (Anklage des Diogenes), dazu McCarthy 1934, bes. 3–13 (mit argumentationsstarkem Versuch der Widerlegung von Helms 1906 These eines engen Anschlusses Lukians an Menippos) und Zweimüller 2008, 73–78. 699 Dies zeigt Lukians Zeuxis durchgehend, vgl. Prom. Es 1 und 3 (hier etwas weniger deutlich). Zu Lukians unterschiedlichem Verständnis von „Neuheit“ in diesen beiden Schriften bereits Schissel von Fleschenberg 1912, 1–21. 700 Luk. Zeux. 1 und Prom. Es 3. 701 Vgl. Luk. Zeux. bes. 2 (mit Aufzählung der technegemäßen literarischen Qualitäten, unter Einschluß der erforderlichen intellektuellen Voraussetzungen). Neuheit (kainÒthw) ist nicht als Selbstzweck zu erachten, sondern vielmehr als eine Art von Zugabe (prosyÆkh).

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literarhistorischen Kontexten. Nunmehr ist Lukians Schrift selbst als ein vom Autor geschaffenes Ganzes zu betrachten, als schöpferisches literarisches Konstrukt sui generis, innerhalb der durch die klassizistische Grundausrichtung gezogenen Grenzen. I 2. 10 Lukians Methodenschrift (Aufbau und Gedankenführung) Über die Person des Adressaten Philon in Lukians Methodenschrift702 lassen sich kaum mehr als Vermutungen anstellen. Der einzige Hinweis auf eine mögliche Gleichsetzung mit einem aus einem anderen Kontext bekannten Philon ist die Art und Weise, wie eine Person dieses selben Namens in Lukians Symposion charakterisiert ist. Philon erscheint in dieser Schrift als eine an der Wahrheit interessierte Person. Hier wendet sich Philon daher an Lykinos, um die Wahrheit (télhy∞) und die tatsächlichen Vorkommnisse (˜pvw §prãxyh ßkasta703) bei dem reichlich turbulent verlaufenen Gastmahl in Erfahrung zu bringen. Die Wahrheitsliebe Philons ist mit Worten beschrieben, die an zentrale Stellen in der Methodenschrift, an denen es um das Ethos des Historikers geht, erinnern704. Im Unterschied zu den anderen Schriften Lukians in Briefform705 gewinnt der Adressat Philon in der Methodenschrift als individuelle Person nicht einmal die geringste persönliche Kontur. Nur an einer einzigen Stelle706 ist angedeutet, daß er über Erfahrungen mit der schwierigen Handhabung des historiographischen Metiers verfüge, doch selbst diese singuläre Aussage ist in dem Kontext, in dem sie steht, eingebettet in den vom Autor-Ich erhobenen Anspruch, sich an eine unbestimmte Mehrzahl von Autoren zu wenden707. Andererseits tritt gegen Ende der Schrift708 die Ansprache an das Du wiederum verstärkt hervor, und dieser Umstand erweckt den Eindruck, daß Philon als der Empfänger der didaktischen Botschaft angesprochen sei. Jedoch, auch dieser Eindruck erscheint im Schlußsatz, der von einem Kollektiv als der – wenn auch freilich mit wenig Hoffnung auf Wirkung – angepeilten Zielgruppe spricht709, klar relativiert. Es ist daher nicht zu verwundern, daß vermutet wurde, es handle sich bei Philon um eine fiktive Person710. Dennoch sind gewisse Zweifel an dieser zur Zeit weitverbreiteten Annahme angebracht, da die von Lukian in anderen Kontexten fingierten Namen ansonsten überdeutlich als Fiktionen erkennbar sind711, was hier jedoch nicht der Fall ist. Einen Partherkriegshistoriker in spe 712 hat man in Philon jedoch nicht zu erblicken. 702 Der Name Philon ist genannt in Luk. Hist. Conscr. 4, 24, 29 (Œ F€lvn) und 1, 22 (Œ kal¢ F€lvn); vgl. den Kommentar zu Kap. 1: Œ kal¢ F€lvn. 703 Luk. Symp. 2. 704 Luk. Hist. Conscr. bes. 39 (einzige Aufgabe des Historikers ist es, …w §prãxyh efipe›n), vgl. 41 und 59. 705 Zu Lukians Schriften in Briefform vgl. die Einleitung, Teil I 2. 2. 706 Luk. Hist. Conscr. 5. 707 Luk. Hist. Conscr. 4–5. 708 Ab Luk. Hist. Conscr. 56. 709 Luk. Hist. Conscr. 63. 710 Die Argumente gegen die Echtheit sind ausgeschöpft von Anderson 1994, 1434. Homeyer 1965, 167 hält eine Identität der beiden Philon genannten Personen für möglich, führt dafür aber kein Argument an. Schmitt 1984, 444–445 sieht in ihm einen „höchstwahrscheinlich fiktiven ‚Freund’ “; auch den Philon des Symposion hält er für nicht authentisch (445, Anm.). 711 Zu den Namen bei Lukian vgl. umfassend die Einleitung, Teil I 4. 1–4. 2. Ein Beispiel für eine ganz leicht durchschaubare Fiktion ist Lexiphanes. Dies trifft auch auf den fiktiven Adressaten Timokles in Merc. Cond. zu, vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 2. 712 So erwogen von Jones 1986, 59.

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Der erste Teil der Schrift (Kap. 1–13) Der erste Teil der Schrift (Kap. 1–13) beginnt mit einer einleitenden Triade, welche die Kapitel 1–3 umfaßt (erster Abschnitt). Zunächst wird von einer (zu dem Thema der Schrift hinführenden) angeblichen Begebenheit erzählt (Kap. 1). Die Abderiten wären zu der Zeit, als Lysimachos bereits König war, von einem heillosen Fieberwahn befallen worden. Ursache für diesen pathologischen Zustand (pãyow) sei eine Aufführung der Andromeda des Euripides durch den zu dieser Zeit berühmten tragischen Schauspieler Archelaos mitten im Sommer gewesen. In Folge seien den Abderiten nach der Gesundung von den heftigen Fieberattacken um den sieben Tag herum ständig Andromeda und Perseus im Kopf herumgegangen, sodaß sie alle, von einem Tragödienwahnsinn befallen, deklamiert und Monodien aus dem bezeichneten Stück in wirrem Singsang vorgetragen hätten. Erst der einsetzende Winter und ein starker Frost hätten schließlich ihrem Geschwätz ein Ende bereitet. Bereits in dieser Erzählung ist der erste Bezug zum Thema der Schrift gegeben, denn die Nennung des kritischen siebenten Tages ruft nicht nur Assoziationen zu den hippokratischen Schriften wach, sondern im Besonderen auch zu der berühmten Pestschilderung des Thukydides, der in dieser Schrift öfter als jeder anderer Historiker genannt, zitiert und zum Vorbild erklärt wird. Der eigentliche Grund für die Erzählung von den Abderiten wird jedoch erst im zweiten Kapitel erkennbar. Denn der pathologische Zustand, der diese dereinst befallen habe (tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow), habe sich nun zur Zeit bei dem Gros der Gebildeten wiederholt (ka‹ nËn toÁw polloÁw t«n pepaideum°nvn perielÆluyen), sei doch eine regelrechte Historikerepidemie ausgebrochen. Anlaß für diese sei der Partherkrieg mit der anfänglichen Niederlage in Armenien und der sodann einsetzenden römischen Erfolgsserie. Alle wollten jetzt ein Thukydides, Herodot oder Xenophon sein, sodaß es mit dem Spruch des Heraklit seine Berechtigung habe, daß der Krieg der Vater von allem sei, wenn er denn so viele Historiker mit einem Schlage hervorgebracht habe. Damit ist das Thema fixiert als ein aktuelles, als Kritik an und als Spott über ein zeitgenössisches literarisches Phänomen. Zugleich läßt aber jetzt schon die Nennung der klassischen Historikertrias die Erwartung aufkommen, daß die Schrift ihrer literarischen Aussage nach in dem Spannungsfeld von „neu“ und „alt“ mit dem klassizistischen Schwerpunkt auf „alt“ angesiedelt sein würde. Das dritte Kapitel bringt eine Anekdote als positives Gegenbild zur Abderitenerzählung, und damit tritt erstmals in dieser Schrift (und zum einzigen Mal mit expliziter Namensnennung) Diogenes von Sinope in Erscheinung. Bei dem bedrohlichen Anrücken Philipps von Makedonien, so erzählt der Autor, wäre unter den Korinthern hektische Verteidigungsaktivität ausgebrochen. Einzig Diogenes, der nichts zu tun gehabt und den auch niemand zu etwas gebraucht hätte, habe im Kraneion seine Tonne auf und ab gerollt, und als jemand ihn gefragt habe, was er denn da tue, habe er geantwortet, er wolle unter so vielen Geschäftigen nicht als einziger untätig erscheinen (…w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw). Mit der sinnreichen Einführung des Diogenes ist nun ein wichtiger Schritt für das Schriftganze getan, denn Lukian wird für die Zwecke dieser Lehrschrift den Autor in die Rolle des Diogenes schlüpfen lassen, indem dieser die Rolle des Arztes (Kap. 5 ) und Ratgebers (Kap. 34–36) zur Heilung des erneuten Abderitenwahns übernehmen wird, und am Ende der Schrift (Kap. 63) wird eben dieses Verhalten des Diogenes (ohne Nennung des Namens) nochmals signifikant

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in Erscheinung treten. Zunächst aber fragt sich der Leser, warum eigentlich hier Diogenes aufgerufen wird, und diese durchaus berechtigte Frage leitet bereits zu dem zweiten Abschnitt über. Der zweite Abschnitt wird wiederum von einer Triade gebildet (Kap. 4–6). Gleich von Beginn weg läßt Lukian den Autor die Rolle des Diogenes annehmen. Durch das Autor-Ich läßt er diesen ohne Umschweife erklären, er sei nicht so tollkühn, selbst ein Geschichtswerk zu verfassen, doch um in einer dermaßen klangreichen Zeit nicht als einziger keinen Ton von sich zu geben (…w mØ mÒnow êfvnow e‡hn §n oÏtv poluf≈nƒ t“ kair“), werde er seinerseits einen Beitrag leisten durch Erteilung einer kleinen Paränese und durch die Handreichung einiger weniger Ratschläge für die Geschichtsschreiber: para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw ÍpoyÆsomai to›w suggrãfousin. Und mit dieser programmatischen Erklärung ist der literarische Charakter der Schrift festgelegt. Es handelt sich um eine Paränese, genauer gesagt um einen paränetischen Brief713. In diesem Sinne kann die Schrift bezeichnet werden als eine Raterteilung (Kap. 6, 27 und 35: sumboulÆ) und der Verfasser als ein Ratgeber (Kap. 34: sÊmboulow). Im fünften Kapitel gibt das nunmehr auf die Diogenesrolle festgelegte Autor-Ich, ganz im Sinne dieses Diogenes, zu erkennen, daß es sich dessen bewußt sei, daß ein solcher Rat (para€nesiw) bei den meisten Autoren auf taube Ohren stoßen würde, da sie glaubten, es sei eine ganz leichte Sache, ein Geschichtswerk zu verfassen. Besonders, wenn ein solches einmal öffentliche Anerkennung gefunden habe, sei es Wahnsinn, die Illusion zu hegen, die Verfasser würden dann noch etwas daran zu ändern bereit sein. Die vorliegende Schrift möge als eine Norm (kan≈n) für künftige Geschichtsschreiber gelten. Sollte sie nicht als eine solche angenommen werden, so möchten die Historiker eben so weitermachen wie bisher. Der Arzt würde sich nicht gar viel daraus machen, wenn alle Abderiten eben freiwillig die Andromeda spielen wollten (ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si). Dieser Gedanke wird in dem Schlußsatz der Schrift nochmals unter klarer Bezugnahme auf eben diese Diogenesanekdote (Kap. 3) wiederholt werden (Kap. 63: ... efi d¢ mÆ, kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ). In Kapitel 6 weicht der lockere Gesprächston einem didaktischen Vortragsstil, der bis zum Ende des ersten Teils der Schrift (Kap. 13) beibehalten werden wird. Nun wird auch das Dispositionsschema der Schrift bekanntgegeben, das in einem negativen (Kap. 7–13 und 14–32) und einem positiven Teil (Kap. 34–60) bestehen werde. Besonderes Augenmerk würde auf diejenigen Mängel (kak€ai) gelenkt werden, die nicht jeder Art von literarischer Produktion gemeinsam wären. Mit diesem Hinweis auf die besonderen, für die Geschichtsschreibung spezifisch gültigen Bedingungen schließt diese zweite Triade. Die dritte Triade (Kap. 7–9, dritter Abschnitt) greift diesen wichtigen Gedanken sogleich auf und beginnt mit einer Kritik an denjenigen literarischen Mängeln (èmartÆmata), die speziell in der Geschichtsschreibung (flstor€a) zu finden seien. Im siebenten Kapitel erfolgt dann eine scharfe Grenzziehung zwischen den Gattungen Geschichtsschreibung (flstor€a) und Lobrede (§gk≈mion). Während erstere nicht einmal die geringste Lüge714 vertrage, nähme es der Lobredner 713 714

Zu dieser Kennzeichnung der formalen Anlage der Schrift vgl. erstmals die Einleitung, Teil I 2. 2. Der Begriff ceËdow kann an sich sowohl vorsätzliche Lüge wie auch unabsichtlich unterlaufenen Irrtum

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damit nicht so genau, da das Ziel hier sei, der mit Lob bedachten Person maximal zu gefallen. Es wird also zum ersten Mal in dieser Schrift das Wahrheitspostulat geäußert, auch wenn der Begriff der Wahrheit hier noch nicht explizit ausgesprochen, sondern nur durch den unbedingten Gegensatz zur Lüge (ceËdow) definiert ist. Gefordert wird somit eine Faktizität (flstore›n tå gegenhm°na), wie sie in dieser Schrift auch sonst wiederholt in einer ähnlichen Form zum Ausdruck gebracht ist, so in den Kapiteln 39 (der Historiker habe ¶rgon ßn, …w §prãxyh, efipe›n) und 9 (die flstor€a habe als spezifisches Ziel das in Erscheinung treten Lassen der Wahrheit, tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin). Das achte Kapitel nimmt sodann eine nicht minder strikte Unterscheidung der beiden Gattungen Geschichtsschreibung (flstor€a) und Dichtung (poihtikÆ) voneinander vor. Während in dieser einzig die Imagination des Dichters (tÚ dÒjan t“ poihtª) zähle, was durch eine Reihe von der Ilias entnommenen Anschauungsbeispielen exemplifiziert wird, habe die Geschichtsschreibung sich von den in der Dichtung legitimen Elementen des mËyow und des §gk≈mion freizuhalten sowie von den mit diesen verbundenen Übertreibungen (Íperbola€), da sie sonst zu einer Dichtung in Prosa geraten würde (pezÆ tiw poihtikÆ). Mit all den Schmuckmitteln (komm≈mata) der Dichtung herausgeputzt, nähme sie sich gar lächerlich aus, so als würde man einen baumstarken Athleten mit Hetärentand ausstaffieren und damit seiner Würde berauben. Das neunte Kapitel bestimmt sodann die Bedingungen für richtig plaziertes Lob (vgl. dazu Kap. 59) und definiert als einzige Aufgabe und Ziel der Geschichtsschreibung den Nutzwert, der sich einzig aus der Wahrheit ableiten lasse (©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgeta). Das ein Lesevergnügen evozierende Moment (tÚ terpnÒn) sei als nicht mehr zu erachten, denn als ein bloßer akzessorischer Vorzug, so wie dies auch der Fall sei bei der Schönheit eines Athleten. Denn so wie diese bei dem Wettkampfsportler nicht unbedingt nötig sei, so sei auch die Attraktivität der Präsentation (kãllow) bei der Geschichtsschreibung gegenüber der gattungsspezifischen Aufgabe (tÚ ‡dion §ntel°w), der mit der Wirklichkeit deckungsgleichen Darstellung der Wahrheit (tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin), zweitrangig. Der vierte Abschnitt, der an Umfang etwa der vorangehenden Triade entspricht, umfaßt die von Kapitel 10–13 reichende Tetrade. Hier geht es erstmals um das Verhältnis von Geschichtsschreiber und Rezipienten. Mögen auch, so wird eingangs (Kap. 10) festgestellt, fiktive poetische Inhalte (mËyoi) und enkomiastische Elemente (¶painoi) bei dem Pöbel und der breiten Masse noch so sehr Anklang finden, so müsse man doch mit Blick auf Personen schreiben, die nach Art von Richtern (dikastik«w), ja sogar nach Denunziantenart (sukofantik«w) zuhörten, Leute, die schärfer noch als Argos sähen und wie Geldwechsler (érguramoibik«w) alles im Detail prüften, um Echtes von Unechtem zu scheiden. Im Folgenden ist von den mËyoi nicht mehr die Rede, dafür aber findet die Enkomiastik umso ausführlichere Behandlung. Lob, so wird in Kapitel 11 konstatiert, sei nur einer einzigen Person zu Gefallen, und auch das nur möglicherweise (‡svw), allen anderen aber sei es in jedem Fall lästig, und besonders dann, wenn es übermäßige Übertreibungen beinhalte (¶painoi •n‹ m¢n ‡svw terpno€, t“ §painoum°nƒ, to›w dÉ êlloiw §paxye›w, ka‹ mãlista µn Íperfue›w tåw Íperbolåw ¶xvsin). Verstünde sich doch die Masse der Autoren nicht mal darauf, dieses kunstgerecht (katå t°xnhn) vorzutragen; und bedeuten, doch in diesem Kontext ist darunter eindeutig die intentionale Lüge zu verstehen. Vgl. den Kommentar zu Kap. 7: ≤ d¢ oÈk ên ti ceËdow §mpesÚn ≤ flstor€a ... énãsxoito.

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die Folge wäre die, daß sie allen ihre Schmeichelei offen in Erscheinung treten ließen (êxri toË pçsi profan∞ tØn kolake€an §jergãsasyai). Dies führe dazu, daß die Objekte solch plump aufgetragenen Lobes sich von ihnen zu Recht als von Schmeichlern abwendeten, besonders dann, wenn diese wie Alexander der Große von männlicher Sinnesart seien. Zwei Anekdoten (Kap. 12, vgl. die Alexander-Onesikritos-Anekdote in Kap. 40) dienen dazu, um diesen Umstand zu veranschaulichen. Aristobulos, der im Glauben, dem König gar sehr zu Gefallen zu sein, ihm die Wahrheit übersteigende Heldentaten angedichtet habe, habe bei seinem Vortrag den Zorn Alexanders ebenso erregt wie der Architekt, welcher sich anheischig gemacht habe, den Berg Athos in ein Bildnis des Makedonenkönigs umzuwandeln. Die überwiegende Mehrheit derjenigen Historiker, die solcherart nur nach Tagesaktualität schielten und ihren persönlichen Profit damit verfolgten (Kap. 13: tÚ tÆmeron ka‹ tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew, ˜ ti ín §k t∞w flstor€aw §lp€svsi, yerapeÊontew), verdienten Verachtung als ganz offenkundige Schmeichler. Ihre gesamte Darstellung setzten sie wegen ihrer Übertreibungen vor dem Urteil der Nachwelt berechtigtem Verdacht aus (§w toÈpiÚn d¢ Ïpopton ta›w Íperbola›w tØn ˜lhn pragmate€an épofa€nontaw). Und damit ist ein für diese Schrift zentraler Gedanke ausgesprochen, der (im Sinne des Thukydides) erteilte Auftrag an die Geschichtsschreiber, ihre Werke unbestechlich, objektiv und somit zum Nutzen zukünftiger Leser zu verfassen (bes. Kap. 38–40 und 61–63). Im übrigen ist noch anzumerken, daß im zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) der Vorwurf der Schmeichelei (kolake€a) nur ein einziges Mal explizit ausgesprochen ist, im Falle des in Kapitel 17 kritisierten korinthischen Historikers. Ansonsten zeigt Lukian sich im unmittelbaren Kontext des aktuellen Kriegsgeschehens mit solcher Kritik bedeutend zurückhaltender. Lieber übt er, eben so wie hier, gewissermaßen abstrakte Kritik an der Eigenschaft der Schmeichelei an sich. Eine solche Kritik mochte nicht Gefahr laufen, ihm von offizieller Seite her als Kritik an oder als Spott über die von Lucius Verus verfolgten Ziele ausgelegt zu werden. Wie sieht es nun mit dem Autor bzw. dem Autor-Ich sowie dessen Verhältnis zum Adressaten der Schrift aus? Im ersten Teil der Schrift tritt das (in Lukians Schriften mit Briefcharakter überhaupt öfter in Erscheinung tretende und bisweilen starke Präsenz zeigende715) Autor-Ich erstmals in der einleitenden Abderitenanekdote hervor, als Instanz zur Beurteilung der Ursache für den Wahnsinn der Abderiten716, dann in der Einleitung zur Einführung des Diogenes von Sinope717. In Kapitel 4, in dem das Autor-Ich den Plan für die vorliegende Lehrschrift erläutert, tritt das Ich häufiger in Erscheinung als im gesamten ersten Teil der Schrift insgesamt718. Danach kommt ihm die nunmehr viel sparsamer eingesetzte Funktion zu, im Sinne des Diogenes das Wissen um die Unbelehrbarkeit der Menge zum Ausdruck zu bringen719, und um den ersten und den dritten Teil der Schrift im Sinne eines Dispositionsschemas in zwei unterschiedliche, aber

715 Vgl. dazu die Erörterung in der Einleitung, Teil I 2. 2. 716 Luk. Hist. Conscr. 1 (afit€an d° moi doke› toË toioÊtou parasxe›n ÉArx°laow ı tragƒdÒw). 717 Luk. Hist. Conscr. 2 (TaËta ... ır«nta ka‹ ékoÊontã me tÚ toË Sinvp°vw §ke›no efis∞lyen). 718 Luk. Hist. Conscr. 4 (der Plan bestünde nicht darin, selbst ein Geschichtswerk zu verfassen, sondern, viel bescheidener, lediglich darin, para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw für aktive Historiker zu erteilen). 719 Luk. Hist. Conscr. 5 (o‰da ... oÈ pãnu polloÁw aÈt«n §pistr°cvn, §n€oiw d¢ ka‹ pãnu §paxyØw dÒjvn).

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thematisch durchaus als komplementär zu verstehende Bereiche zu gliedern720. Der eigentlich didaktische Passus (Kap. 7–13) verzichtet fast ganz auf das Autor-Ich; hier tritt es bloß in Erscheinung, um dann und wann einen persönlichen Eindruck721 oder, so ganz im Sinne des Diatribenstils, ein persönliches Urteil722 zum Ausdruck zu bringen, oder überhaupt nur in der Form rhetorischen Ausdrucks723. Autor bzw. Autor-Ich halten wie in Lukians Schriften mit Briefcharakter724 sowie in didaktischen Schriften zu literarischen Themen (Ps. Longinos, Horaz, Dion Chrysostomos725) fast durchgehend Kontakt mit dem Ansprechpartner Philon, der in dem Einleitungsteil mit variierenden Worten angesprochen ist726 und der sodann im Folgenden in den Kommunikationsprozeß einbezogen wird, im Sinne simulierter realer Gesprächssituation727, namentlich der Bestätigung und Schaffung einer gemeinsamen Verständnisgrundlage728 sowie – entsprechend dem lehrhaften Charakter der Schrift – als ein vom Autor zu belehrendes Du729, dann und wann mit kaum klar zu ziehender Grenzlinie geradezu in der Bedeutung eines allgemein-unbestimmten „man“730, einmal auch, mit gewisser Nähe zum Stil der Diatribe, in der Form einer rhetorischen Frage731, wie sie sich auch in Lukians Schriften in Briefform und bereits bei Ps. Longinos findet732. Der zweite Teil der Schrift (Kap. 14–32) Der zweite Teil der Schrift erscheint dem Thema entsprechend in verhältnismäßig lose gegliederter Form, doch läßt sich bei genauer Betrachtung auch bei ihm eine gewisse Struktur erkennen. Diese ist achtteilig angelegt; sie beginnt in den Kapiteln 14–16 mit einer ersten Triade (erster Abschnitt). Jeweils ein Kapitel ist hier einem Autor gewidmet (die Reihungsformeln lauten in den einzelnen Kapiteln eÂw m°n tiw, ßterow d¢ und ÖAllow d° tiw aÈt«n). Allen dreien sind, 720 Luk. Hist. Conscr. 6 (f°re pr«ta e‡pvmen und tåw kak€aw ≥dh e‡pvmen). Der Adhortativus ist ein typisches formales Element in griechischen und lateinischen Lehrbüchern der Rhetorik (vgl. Fuhrmann 1960, bes. 28, 57, 69, vgl. auch 121: Institutionen des Gaius). 721 Luk. Hist. Conscr. 7 (oÂa kémo‹ pollãkiw ékrovm°nƒ ¶dojen). 722 Luk. Hist. Conscr. 9: Ka‹ oÈ toËtÒ fhmi, es folgt ein als subjektives Urteil formulierter konventioneller Vorschlag zum Einsatz von Lob. Ein solches fhm‹ in der ausdrucksstarken Bedeutung „ich behaupte“ gehört zum Diatribenstil; es findet sich auch bei Musonius Rufus, vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 4. 723 Luk. Hist. Conscr. 9 (l°gv d¢ im Sinne von „nämlich“) und 11 (§« l°gein im Sinne von „gar nicht davon zu reden, daß“). 724 Vgl. dazu die Darstellung in der Einleitung, Teil I 2. 2. 725 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 7–2. 8 und I 2. 4. 726 Luk. Hist. Conscr. 1 (Œ kal¢ F€lvn), 3 (Œ filÒthw), 4 (Œ F€lvn) und 5 (Œ •ta›re). Vgl. Peregr. 37, 45 und 38–39. 727 Luk. Hist. Conscr. 4 (mhd¢ toËto de€s˙w per‹ §moË und §g≈ soi frãsv). 728 Luk. Hist. Conscr. 5 (tÚ d¢ o‰syã pou ka‹ aÈtÒw), 7 (tå toiaËta ín eÏroiw §pithr«n, oÂa kémo‹ pollãkiw ékrovm°nƒ ¶dojen und §piskopÆsvmen) sowie 10 (•vrak°nai gãr s° pou efikÚw gegramm°non). 729 Luk. Hist. Conscr. 11 (bes. taËtã sou §pain°sontai und œn sÁ katafrone›w). 730 Luk. Hist. Conscr. 10 (µn mØ tÚn surfetÚn ... §pinoªw und µn d¢ ... ≤dÊn˙w) sowie auch 11 (efi d¢ toËto §nallãjeiaw). 731 Luk. Hist. Conscr. 9 (ıròw ...;). Fragen dieser Art gehören dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 13), vgl. die Einleitung, Teil I 2. 4 (die Frage bei Musonius Rufus). 732 Vgl. die Belege in der Einleitung, Teil I 2. 2 (Lukian) und I 2. 7 (Ps. Longinos).

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nach Darstellung des Autors, bestimmte Charakteristika gemeinsam. Zunächst erscheinen sie allesamt dem in Kapitel 14 als Ionien bezeichneten Bereich zugeordnet, und das bedeutet, daß sie entweder von dort her stammen, oder daß ihre Vorträge733 in dieser Region anzusiedeln sind. Der in Kapitel 14 kritisierte Anonymus kommt, wie sein im Proömium vorgetragenes Heimatlob zeigt, aus Milet, ist also seiner Herkunft nach ein gebürtiger Ionier. Crepereius Calpurnianus (Kap. 15) wiederum stammt aus dem wahrscheinlich paphlagonischen734 Pompeiopolis, und bei Kallimorphos (Kap. 16) ist Herkunft aus den östlichen Provinzen des imperium Romanum zwar nicht so deutlich gesagt, läßt sich aber wegen des Namens vermuten. In allen drei Fällen sind die Identitäten der Autoren auf Erkennbarkeit bei informierten Zeitgenossen hin angelegt. Besonders klar ist dies in den Kapiteln 15 und 16, in denen die Namen in Form eines direkten Zitates jeweils des Einleitungssatzes (durch Kallimorphos ist er wiederholt und jeweils mit Buchzahl versehen) explizit preisgegeben sind. Ähnliches gilt auch für den namentlich nicht gekennzeichneten Milesier, denn die in Kapitel 14 dargebotenen konkreten Details über Verfasser und Werk mochten bei einem kundigen Zeitgenossen bereits dazu ausreichen, um die Identität des offensichtlich recht gut bekannten Mannes sicher zu erkennen735. Die literarische Kritik des Autors macht sich jeweils, wenn freilich auch nicht ausschließlich, so doch vordringlich an den Buchaufschriften und der Behandlung der Proömien durch diese drei Autoren fest. Allesamt hätten sie sich Diskrepanzen verschiedener Art zuschulden kommen lassen. Der Milesier habe nicht die Inkompatibilität von Musenproömium und Historiographie erkannt, der Mann aus Pompeiopolis habe in inadäquater Weise attisches mit lateinischem Vokabular vermischt, und Kallimorphos wäre nicht bewußt gewesen, daß sein allzu hochtrabendes Proömium nicht zum erdgebundenen Stil des dürren Berichtes (ÍpÒmnhma) paßte; auch habe er nicht das Unpassende an seiner Vermischung von ionischem Dialekt zum einen und Koine bzw. Gassenjargon zum anderen bemerkt. Die drei Autoren sind ferner als auf jeweils etwas unterschiedliche Art eitel charakterisiert. Der Milesier habe in einer der Geschichtsschreibung gänzlich unangemessenen Weise den Stolz auf seine Herkunft zum Ausdruck gebracht, Crepereius Calpurnianus sah, wie es scheint, in seiner dem aktuellen Modetrend entsprechenden Thukydidesimitatio (aus der Sicht des Autors handelt es sich freilich um Plagiate) keinen Makel (Youkud€dou zhlvtØw êkrow ist ironische Kennzeichnung von dessen überzogenem Selbstverständnis), und bei Kallimorphos vollends waren es der Beruf des Arztes und die damit verbundene Berufung auf Apollon, die nach der Darstellung des Autors dessen Selbstverständnis über die Maßen aufblähten. Er ist im übrigen der einzige unter den drei Autoren, von dem nicht plakative Tendenzlastigkeit seines Berichtes (bei weitem am Stärksten ausgeprägt ist diese beim Milesier in Kap. 14) ausgesagt wird; er soll wohl, wie es scheint, nach der Intention des Autors Lukian selbst dazu als zu eitel erscheinen. Alle drei haben auch dies gemeinsam, daß ihre Werke, wie der Text deutlich zu erkennen 733 Am Deutlichsten ist die mündliche Vortragssituation markiert im Falle des Crepereius Calpurnianus (Luk. Hist. Conscr. 15: das Autor-Ich erklärt, die Vorlesung mittendrin verlassen zu haben). 734 Unter den beiden Städten namens Pompeiopolis kommt wohl eher das in Paphlagonien als das in Kilikien gelegene in Frage. Vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 15: ˜ra gãr: Krep°r˙ow KalpournianÚw ktl. 735 Die zur Zeit aktuelle Frage, ob es sich bei den im gesamten zweiten Schriftteil (Kap. 14–32) verspotteten Autoren um reale oder um fingierte Personen handelt, wird in der Einleitung, Teil I 4. 1 separat diskutiert.

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gibt736, bereits in schriftlicher Fassung existierten. Es handelt sich also in allen drei Fällen um Lesungen aus schriftlich konzipierten Werken. Daß diese Werke bereits in publizierter Form der Öffentlichkeit zugänglich waren, sagt der Text jedoch nicht aus. Wohl aber ist zu vermuten, daß eine Publikation in der Zukunft unmittelbar bevorstand. Die übersteigerte Eitelkeit des Kallimorphos ist es auch, die assoziativ zu dem nun folgenden, im Umfang deutlich kürzeren zweiten Abschnitt überleitet, der nach der hier vollzogenen Einteilung die Kapitel 17–18 umfaßt. In mehrfacher Hinsicht deutlich herausgehoben ist der unmittelbar auf die erste Triade folgende Korinther in Kapitel 17. Auffallend an ihm ist bereits der ungewöhnliche Einleitungssatz, in dem das Autor-Ich betont, den Namen des Kritisierten nicht nennen zu wollen (tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv), dabei aber doch alles zu tun scheint, um die Identität des offensichtlich im griechischen Mutterland sehr gut bekannten Autors zu enthüllen. Es handelt sich um einen nicht nur für seine spitzfindigen stoischen Syllogismen, sondern auch für seine besondere Eitelkeit, wie es scheint, wohlbekannten Mann. Aus diesem Grunde heben nicht nur Autor bzw. Autor-Ich dessen Weisheit mit unverkennbarer Ironie wiederholt hervor, sondern es wird diesem auch die Selbstbezeichnung als eines weisen Mannes, eines sofÒw, und Philosophen (filÒsofow) als Selbstkennzeichnung in den Mund gelegt. Damit nicht genug, es ist auch – neben dem (für Männer seines Schlages in dieser Zeit typischen) Philosophenbart – noch ein weiteres persönliches Charakteristikum preisgegeben, nämlich dessen besonderer Hang zu abgeschmacktester, plumper Schmeichelei. Dies ist im übrigen die einzige Stelle in diesem Teil der Schrift, in welchem, wie bereits vermerkt, explizit der Vorwurf der Schmeichelei (kolake€a) erhoben wird, und alleine dadurch schon hebt sie sich aus dem Kontext heraus. Der hier verspottete Korinther dürfte also wegen seiner penetranten Mischung aus einer übermäßigen Selbstüberschätzung und einer ebensolchen Anbiederung von den Zeitgenossen leicht zu erkennen gewesen sein. Und dazu kommt als weiteres Erkennungsmerkmal der gleich eingangs hervorgehobene Umstand, daß dessen Werk in einer erst unlängst in Korinth bekannt gewordenen Fassung, d. h. wahrscheinlich bereits in publizierter Form (tå pr–hn §n Kor€nyƒ suggrãmmata737) vorliege, sodaß also insgesamt der Eindruck entsteht, daß der Autor Lukian diesen Mann gerade durch vorsätzliche Nichtnennung seines Namens nur umso nachhaltiger bloßstellen möchte. Ein Pendant hat dieser in dem in Kapitel 29 verspotteten Korinther, der – mit formaler Entsprechung (!) – unmittelbar der abschließenden Triade (Kap. 30–32) vorausgeht, so wie der hier in Kapitel 17 Genannte direkt der Eingangstriade nachfolgt. In Kapitel 18 wird ein Herodotplagiator vorgestellt, und dabei ist ein expliziter Bezug hergestellt zu dem in Kapitel 15 genannten und kritisierten Thukydidesplagiator.

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Luk. Hist. Conscr. 14 (toË suggrãmmatow, suggrãcai), 15 (sun°grace, én°gracen) und 16 (én°grace, §p°grace, t«n suggrammãtvn, Ípeg°grapto, suggrãfein, grãfein). 737 Luk. Hist. Conscr. 17 (dazu kommt, daß das Werk die Rezipienten als die Leser, toÁw énagin≈skontaw,

angesprochen habe). Gleichwohl ist die hier klar vorauszusetzende Situation (gemäß der programmatischen Erklärung des Autor-Ichs in Kap. 14) die einer Lesung aus dem (wie es scheint, bereits publizierten) Werk des Korinthers (auf eine mündliche Rezeption weisen sunhr≈thse, sunhr≈thto und ¶doj°n moi).

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Der dritte Abschnitt erscheint wiederum in der Form einer Triade (Kap. 19–21). Er ist zur Gänze einem einzigen Anonymus gewidmet738, wiederum einem offensichtlich auf seine Leistung über die Maßen stolzen Thukydidesimitator739, der in seiner übersteigerten attizistischen Manier dieses sein Vorbild noch zu überbieten getrachtet habe durch alberne Gräzisierung lateinischer Eigennamen. Erstmals ist in dieser Triade das später in diesem zweiten Schriftteil öfter wiederholte und variierte Thema inadäquater Ekphraseis angesprochen, erstmals auch die mit sachlich inkorrekten Angaben (§ceÊsato) verbundenen Verstöße gegen das Gebot der Wahrscheinlichkeit (tÚ piyanÒn) und gegen den gesunden Menschenverstand. Beide Vorwürfe kehren in ähnlicher Form wieder bei dem zweiten Autor, dem eine im Umfang fast exakt entsprechende Triade gewidmet ist (Kap. 24–26). Wie in den Kapiteln 14 -16 und 17 (einzig der sehr knapp charakterisierte Herodotimitator in Kap. 18 fällt hier aus der Reihe), so handelt es sich auch bei diesem Anonymus, wie dies zwei Hinweise im Text zeigen (sun°gracen in Kap. 20 und ¶gracen in Kap. 21), wiederum um eine Lesung aus einem bereits in schriftlicher Form vorliegenden Geschichtswerk (auch hier gibt der Text jedoch keinen Hinweis auf eine schon erfolgte Publikation). Der vierte Abschnitt ist wieder kürzer, er umfaßt die Kapitel 22–23. Zum ersten Mal wird hier in beiden Kapiteln eine unbestimmte Mehrzahl von Autoren genannt, doch vorerst (Kap. 22) geht der anfängliche Plural (ToÁw d¢ ... xrvm°nouw) sogleich, fast unvermerkt und nur bei einer genaueren Lektüre erkennbar, in die Kritik an einem Individuum über (ka‹ pãlin §n •t°rƒ m°rei t∞w kal∞w flstor€aw). In Kapitel 23 hingegen ist der einleitende Plural (Ka‹ mØn ka‹ êllouw ‡doiw ín) das ganze Kapitel hindurch konsequent durchgehalten. Kritikpunkte im ersten Fall sind Verwendung poetischen Vokabulars in der Gattung der Geschichtsschreibung (flstor€a), also ein Fehler, wie er in Kap. 45 als flppotuf€a tiw ... §n lÒgoiw bezeichnet ist. Doch der eigentliche Tadel besteht in der Inkompatibilität, mit der ganz konträre sprachliche Ebenen inadäquat miteinander vermischt werden, ein Vorwurf, wie er in ähnlicher Form bereits wiederholt zuvor erhoben worden war. Im zweiten Fall geht es um fehlerhafte Proömiumsgestaltung, konkret um krasse Disproportionalitäten, was den verhältnismäßigen Umfang von Proömium und Geschichtserzählung (dafür ist in Kap. 55 der terminus diÆghsiw verwendet) zueinander angeht. Natürlich trifft die Kritik in erster Linie viel zu pompöse Proömien, doch auch das Gegenteil komme vor, gänzliches Fehlen eines Proömiums, was im Falle kryptoproömialer Werkanfänge nach dem Vorbild von Xenophons Anabasis an sich erlaubt wäre. Doch freilich sei das von diesen Autoren, so lautet die klare Botschaft des Autors, nicht intendiert, wüßten sie doch nicht, daß es solche Arten von legitimen Proömien auch gibt. Zu Schluß wird mit den Worten …w §n êlloiw de€jomen auf eine ausführlichere Behandlung solcher legitimer kryptoproömialer Werkanfänge (dunãmei proo€mia) verwiesen, doch was in Kapitel 52 im 738 Daß es sich um ein und dieselbe Person handelt, ergibt sich aus den Kennzeichnungen ÖAllow tiw (Luk. Hist. Conscr. 19), otow dÉ oÔn, ˘n proe›pon (Kap. 20) und ¶ti aÈtÚw otow (Kap. 21). 739 Die Worte ÖAllow tiw éo€dimow §p‹ lÒgvn dunãmei Youkud€d˙ ka‹ aÈtÚw ˜moiow µ Ùl€gƒ éme€nvn aÈtoË in Luk. Hist. Conscr. 19 parodieren wohl in nicht mehr klar erkennbarer Weise (wahrscheinlich hat man sich diesen vorzustellen als jemanden, der sich zu seinem eigenen Vorteil mit Thukydides verglichen habe) die Selbstkennzeichnung des Anonymus.

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Kontext der Proömiumsbehandlung in recht lapidarer Form steht, kann kaum als eine Einlösung dieser Ankündigung gelten. Insgesamt sind beide Kapitel (22–23) von drastischen Vergleichen dominiert, dem tragischen Schauspieler mit dem Schauspielerschuh und der Sandale, dem tändelnden Eroten mit vorgehaltener Herakles- oder Titanenmaske und schließlich dem auf einen Zwergenleib aufgesetzten Koloß von Rhodos. In all diesen Fällen erscheint als das tertium comparationis eine Unverhältnismäßigkeit, die einen lächerlichen Eindruck erzeuge. Nicht annähernd so drastisch war in Kapitel 15 der Vergleich mit dem Purpurstreif gebraucht worden. Wie in den Kapiteln 19–21, so folgt nun als fünfter Abschnitt wieder eine zur Gänze der Kritik an einem einzigen Anonymus gewidmete und an Umfang fast exakt gleich lange Triade (Kap. 24–26). Daß es sich um ein und denselben Autor handelt, zeigt nach eÂw goËn (Kap. 24) die Markierung ı aÈtÚw otow (Kap. 25). Zum ersten Mal sind es aus Sorglosigkeit in der Recherche erwachsende ernste Mängel, die des Autors Tadel finden. Während das Verbum ceÊdesyai in Kapitel 20 noch im Kontext eines Verstoßes gegen den gesunden Menschenverstand Platz gefunden hatte, so erscheint es hier als Kritik an einer eklatanten Verfehlung der allerelementarsten Aufgabe eines Historikers (Kap. 47: Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on). Dabei hätte es in diesem Fall gar keine besondere Mühe gemacht, die Topographie richtig darzustellen. Und noch nicht genug mit seiner diesbezüglichen Fahrlässigkeit (oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata), so habe dieser Autor unter einer Ableistung eines feierlichen Schwures erklärt, die Umstände beim Tod des Severianus von einem Augenzeugen in Erfahrung gebracht zu haben (Kap. 25: §pomosãmenow ∑ mØn ékoËsa€ tinow t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn), mit einer Dreistigkeit, die nur noch von dem Korinther in Kapitel 29 übertroffen wird, der erklärt habe, sein Bericht basiere zur Gänze auf eigener Autopsie. Dabei habe sein Bericht über den Selbstmord des Severianus sogar gegen das Prinzip jeglicher Wahrscheinlichkeit verstoßen (Kap. 25: mit ironischer Note: kéke›no komidª piyanÚn), ähnlich wie derjenige des in Kapitel 20 kritisierten Autors (ép€yanon), sodaß sich klar ersehen läßt, daß die Kritik an diesen beiden Autoren zumindest bis zu einem gewissen Grad aneinander angeglichen erscheint. Und um noch dem Ganzen die Krone aufzusetzen, so habe dieser Anonymus aus einem Plagiat aus der berühmten thukydideischen Rede des Perikles eine an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu überbietende, im Selbstmord des Redners Aphranius Silo gipfelnde theatralische Inszenierung gemacht. Und das Autor-Ich schildert seine Reaktion auf diesen Vortrag in ähnlicher Weise, wie es dies bereits zuvor in Kapitel 15 getan hatte. Während es dort seinen durch ein Plagiat aus Thukydides erweckten Mißmut bekundet habe durch das Verlassen der Vorstellung, so habe es sich diesmal unter Tränen vor Lachen ausgeschüttet. Den Abschluß der Triade bildet ein sarkastischer Kommentar des Autor-Ichs, mit der klaren Botschaft, dies sei die einzige Möglichkeit, eine solche vom Verfasser gebotene Schmierenkomödie adäquat zu kommentieren. Der sechste Abschnitt umfaßt wiederum zwei Kapitel (Kap. 27–28), die in doppelter Weise mit dem Vorangehenden verknüpft sind. Zum einen entspricht die allgemein gehaltene und durch ein konkretes Beispiel exemplifizierende Redeweise etwa der vor der vorangehenden Triade plazierten Dyade (Kap. 22–23). Zum anderen besteht thematischer Bezug zu den Kapiteln 19 und besonders zu 20, in denen bereits zum ersten Mal das Thema ausufernder Detailschilderungen zu irrelevanten Inhalten angesprochen worden war (man vgl. die

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êgnoia t«n lekt°vn in Kap. 20 und 27). Wie in Kap. 23 (‡doiw går ín éfyÒnouw toioÊtouw suggraf°aw), so erweckt der Autor auch hier den Eindruck einer selektiven Auswahl aus immens großer Stoffülle (Kap. 27: PolloÁw d¢ ka‹ êllouw ... ¶xvn soi ... katariymÆsasyai).

Doch auch nach vorne hin ist hier zum einzigen Mal in diesem Schriftteil verwiesen durch die Ankündigung des nun nicht mehr lange auf sich warten lassenden dritten und didaktischen Teils der Schrift (Kap. 27: §p‹ tØn •t°ran ÍpÒsxesin ≥dh meteleÊsomai, tØn sumboulØn ktl). Thema sind also ausufernde und sich verselbständigende Episoden (Kap. 28: mËyoi ... makro‹ ka‹ dihgÆseiw). Kapitel 27 übt allgemein gehaltene Kritik an dieser Art von Dilettantismus (fidivte€a) und Geschmacklosigkeit (épeirokal€a), und in Kapitel 28 folgt ein Beispiel für diesen Fehler, in einer Länge, welche der Weitschweifigkeit der kritisierten Episoden ganz bewußt entspricht. Der anonyme, dem Verfasser, wie dieser erklärt, durch eine Rezitation bekannt gewordene Autor (ÉEg∆ goËn ≥kousã tinow ktl) habe berichtet, was der vom Durst geplagte maurische Reiter Mausakas bei seinem Umherschweifen durch die Berge so alles erlebt habe; über alledem habe der Autor die Schlacht bei Europos mit ihrer hohen Brisanz fast zur Gänze vernachlässigt. Beide Kapitel werden jeweils durch einen vielsagenden Vergleich beschlossen. Autoren von dieser Art seien wie Leute, welche die Schönheit des olympischen Zeus nicht in ihrer gesamtheitlichen Wirkung zu würdigen wüßten, die sich dafür aber auf die kunstvolle Ausführung von Schemel und Sockel konzentrierten (Kap. 27); die Schönheit der Rose selbst nähmen sie nicht wahr, doch auf die Dornen richteten sie ihre ganze Aufmerksamkeit (Kap. 28). Eine im Aufbau dieses Schriftteils herausgehobene Rolle kommt der Kritik an einem korinthischen Autor in Kapitel 29 zu. Dieses ist unmittelbar vor der abschließenden Triade (Kap. 30–32) plaziert und nimmt daher, wie es scheint, singulär lediglich den Raum eines einzigen Kapitels ein (siebenter Abschnitt). Ein Pendant dazu ist der in Kapitel 17 kritisierte Korinther, der unmittelbar im Anschluß an die erste Triade (Kap. 14–16) gereiht worden war. Dort war noch ein kurzes Kapitel mit einem Herodotplagiator gefolgt (Kap. 18), weshalb beide Kapitel hier gemeinsam (Kap. 17–18) als der zweite Abschnitt gewertet wurden. Nichtsdestoweniger stechen die beiden Korinther im Aufbau des Schriftteils klar erkennbar hervor, und dasselbe gilt für die inhaltliche Kritik an deren Werken. Eine spezielle Markierung erfolgt auch durch die direkte Ansprache an den Adressaten (Œ F€lvn, so zuletzt in Kap. 24). Der zweite Korinther (Kap. 29) habe, wie es scheint, wiederholte (Aktionsart Imperfekt) oder ausufernde Vorlesungen vor korinthischem Publikum gehalten (taËta Koriny€vn ékouÒntvn éneg€gnvske), das über die seßhafte Lebensweise des Autors genauestens Bescheid gewußt habe. Und dabei habe der Korinther sich unter Verwendung eines bekannten Heraklitzitates ausschließlich auf seine eigene Autopsie berufen (grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa). Auf dieser hochtrabenden und innerhalb der antiken Historiographie singulären Behauptung zur Begründung von historiographischer Autorität reitet der Autor in Folge denn auch genüßlich herum (ka‹ oÏtvw ékrib«w ëpanta •vrãkei, sodann taËta d¢ §fest∆w ırçn aÈtÒw, schließlich mhd¢ katå to€xou gegramm°non pÒlemon •vrãkei). Der vom Korinther erhobene Anspruch stellt nach der Darstellung des Autors noch eine Steigerung gegenüber dem Schwur dar, den ein anderer feierlich auf die Autopsie seiner Informanten geleistet habe (Kap. 25: §pomosãmenow ∑ mØn ékoËsa€ tinow ktl). Und damit nicht genug, der Korinther habe auch über eigene Gefahren berichtet und sogar über eine Verwundung bei Sura, wo doch die anwesenden Korinther bestens

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darüber informiert gewesen seien, daß der Verfasser nicht mal einen an die Wand gemalten Krieg jemals gesehen hatte. Dem Korinther fehlen, so die klare Aussage, im Widerspruch zu seinem hohen Anspruch selbst allerelementarste Kenntnisse militärischer Fachausdrücke, ihm mangeln die später in Kapitel 37 angegebenen Grundvoraussetzungen für das Geschäft eines Historikers völlig. Der Ton, in dem die Kritik gehalten ist, sticht von der weniger aggressiven Kritik des unmittelbaren Kontextes deutlich ab. Durchgehend angewandt ist das Stilmittel des Zynismus, der sich bis zum Sarkasmus hin steigert (§pe‹ oÈk ín ≤me›w oÏtv yaumastÚn suggraf°a nËn e‡xomen). Insgesamt steht somit die verhältnismäßige Schärfe der auch in der Kritik am ersten Korinther zum Ausdruck kommenden (Kap. 17) nahe. Die Position innerhalb des Schriftteils und die spezifische Art der Kritik machen beide Korinther zu einem ganz speziellen Angriffsziel, und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Autor Lukian, aus welchen Gründen auch immer, das Entstehen dieses Eindrucks durch seine bewußte Art der Gestaltung auch intendiert hat. Und er verfährt dabei dermaßen geschickt, daß man sich bei einer unbefangenen Lektüre der suggestiv vermittelten Botschaft kaum entziehen kann. Aufgrund der transportierten Details über Autor und Werk mochten informierte Zeitgenossen ganz leicht die Identität des Autors dechiffrieren. Jedenfalls tut Lukian in seiner Eigenschaft als Autor alles, um den Akt der Erkennung zielsicher zu ermöglichen. Der achte und letzte Abschnitt wird von der letzten Triade in diesem Schriftteil gebildet (Kap. 30–32). Das Thema unpassender Buchaufschriften umrahmt innerhalb dieser Triade einen raummäßig verhältnismäßig umfangreichen Mittelteil, in dem es um das skurrile Thema futuristisch orientierter Geschichtswerke geht. Mit der Konzentration auf diverse Buchaufschriften (Kap. 30 und 32) erfolgt wieder eine Rückkehr zum Beginn dieses Teils der Schrift (Kap. 15 und 16), in dem geschmacklose und pompöse Buchtitel entsprechenden Tadel erfahren hatten. So wie dort von zwei Autoren jeweils durch Zitate der Buchaufschriften die Namen preisgegeben worden waren, so erfolgt auch hier die Enthüllung von zwei Namen auf demselben Wege, nämlich durch direkte Zitate der Titel. Der erste der beiden solcherart namentlich gekennzeichneten Autoren, Antiochianus, habe sein an sich im Umfang recht mickriges Buch mit einem inkongruent pompösen Titel versehen (Kap. 30). Andere wiederum (Kap. 32) hätten protzige und hochgradig lächerliche Titel gebraucht, u. a. auch einen solchen, der – für das aktuelle Thema einer militärischen Auseinandersetzung gänzlich unpassend – just nach dem gattungsinadäquaten Vorbild atthidographischer Schriften modelliert gewesen sei. In diesem Kontext wird, wieder durch ein wörtliches Zitat, ein weiterer Name enthüllt, Demetrios von Sagalassos. Das Autor-Ich autorisiert sein diesbezügliches Wissen durch die Versicherung, das Werk selbst gelesen zu haben (én°gnvn gãr740). Der Ton der Kritik an diesen beiden namentlich gekennzeichneten Autoren ist bestimmt durch das Mittel der Ironie (Kap. 30: b°ltistow, Kap. 32: ésteiÒteron). Der Mittelteil dieser Triade (Kap. 31) ist ganz auf Belustigung hin ausgelegt. Ein Anonymus sei in prophetischer Ahnung dem Geschehen weit vorausgeeilt und habe die zukünftigen Ereignisse noch über den ersehnten römischen Triumph hinaus berichtet; die Überquerung des Indus sei bereits beschrieben, und weitere Erfolgsberichte 740 Nur an dieser Stelle ist entgegen der programmatischen Ankündigung in Kap. 14 (mündliche Rezeption) explizit von einer Lektüre durch das Autor-Ich die Rede.

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würden bald schon folgen. Den Abschluß dieser Triade und damit des zweiten Schriftteils bildet die Versicherung, es sei hier generell nicht um Spott gegangen, sondern vielmehr um den praktischen Nutzwert für den Leser (< > oÈdÉ …w §n g°lvti poiÆsasyai ka‹ §pisk«cai tåw flstor€aw oÏtv kalåw oÎsaw, éllå toË xrhs€mou ßneka ...). Mit dieser de facto nicht so ganz ernst zu nehmenden, doch zur Konstituierung des lehrhaften Charakters der Schrift als ganzer genommen nötigen Erklärung kommt der skommatisch-lehrhafte Teil, als welcher er in dieser Untersuchung bezeichnet worden war (Einleitung, Teil I 2. 5), zu seinem Abschluß, und es kann nun, mittels des überleitenden Scharniers in Kapitel 33, zum dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 34–60) übergegangen werden. Insgesamt sind es 13 Autoren, die in diesem Teil der Schrift ein individuelleres Profil erhalten. In den meisten Fällen umfaßt die Kritik je ein Kapitel741. Nur zwei Anonymi treten kapitelübergreifend in Erscheinung742, andere wiederum sind ohne jede individuelle Zeichnung in eine Klasse von Autoren zusammengefaßt743 oder werden ohne spezielle Charakterisierung durch Zitate aus deren Werken vorgestellt744. Von vier Autoren sind jeweils durch Zitate aus den Werkanfängen bzw. Buchtiteln die Namen preisgegeben745, von zwei weiteren die Herkunft aus Korinth746, und von einem auch die aus Milet747. Die hier geübte Kritik gibt sich durchgehend als ausschließlich sachorientiert und vermeidet so, anders als in Lukians Invektiven748, den persönlichen Angriff. Zwei dieser Autoren treten jedoch um eine Nuance stärker als Personen hervor, und zwar in einer auf Erkennbarkeit hin angelegten Weise, und dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß als Heimat dieser beiden jeweils Korinth angegeben ist749. Die in dem zweiten Teil durchgängig angewandte Autorstrategie besteht darin, die jeweiligen Defekte

741 Luk. Hist. Conscr. 14, 15, 16, 17, 18, 22 (hier ist eine Klasse von Autoren genannt, doch die Zitate sind, wie der Zusammenhang zeigt, allesamt einem einzigen Autor entnommen), 28, 29, 30, 31, 32 (neben einem Individuum sind hier noch andere, vergleichbare Verfasser Ziel der Kritik). 742 Luk. Hist. Conscr. 19–21 und 24–26. 743 Luk. Hist. Conscr. 23 und 27. 744 Luk. Hist. Conscr. 32 (neben einem namentlich in Erscheinung tretenden Individuum). 745 Die in den letzten Jahrzehnten öfter diskutierte Frage, ob es sich bei den Objekten der Kritik, besonders bei den vier namentlich gekennzeichneten Autoren (Kap. 15, 16, 30 und 32), tatsächlich um reale Personen handelt, oder ob Lukian diese fingiert hat und, wenn ja, in welchem Sinne er dies tat, wird in der Einleitung, Teil I 4. 1 speziell zu behandeln sein, da ohne vergleichende Untersuchung von Lukians Invektiven (Teil I 4. 2) eine sinnvolle Untersuchung dieser zur Zeit in der Forschung aktuellen Frage kaum möglich ist. 746 Luk. Hist. Conscr. 17 und 29. 747 Luk. Hist. Conscr. 14. 748 Vgl. dazu den Diskurs in der Einleitung, Teil I 4. 2. 749 Luk. Hist. Conscr. 17 und 29. Es ist zu vermuten, daß Lukian möglicherweise mit diesen beiden Autoren in persönlichen Kontakt gekommen sein könnte (vielleicht handelt es sich um einen Streit in literarischen Fragen, wie er in der Zeit der zweiten Sophistik auch sonst häufig vorkommt). Jedenfalls verschärft sich der in diesem Schriftteil ansonsten verhältnismäßig wenig aggressive Ton, aus welchen Gründen auch immer, sobald der Autor Lukian auf die beiden Korinther und deren Werke zu sprechen kommt, beträchtlich.

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von einzelnen Werken750 und deren Verfassern751 unter Einsatz aller diesem Zweck dienenden Stilmittel in ihrer hochgradigen Inkompatibilität mit dem Genos der Geschichtsschreibung sowie in ihrer Uneinheitlichkeit mit sich selbst vor Augen zu führen. Dem Ziel der intendierten Bloßstellung dienen die immer wieder auch subjektiv eingefärbte Art des Berichtes752, der mitunter die Form der praeteritio 753 annimmt, die explizite, öfter von Ausdrücken der Emphase754 begleitete Bewertung von Werken 755 und Autoren, insbesondere der Spott über die beiden Korinther756, der auf die Offenlegung von Schwächen jeder Art hin angelegte Kommentar, der häufig die Form von Ironie757 annimmt und sich in besonders 750 Als häufigste Mängel werden beanstandet inadäquate Gattungsmischung (Kap. 14), textinterne Mischung inkompatibler sprachlicher und gestalterischer Ebenen (Kap. 15, 16, 22 und 30), Ungleichgewichtung der einzelnen Werkteile zueinander (Kap. 23), gattungsinadäquate Buchaufschriften (Kap. 32), ausufernde Ekphraseis und Ausgestaltung irrelevanter Episoden infolge mangelnden Unterscheidungsvermögens von Wichtigem und Unwichtigem (Kap. 19, 27–28), Verstöße gegen das piyanÒn, gesunden Menschenverstand und Erfahrungstatsachen (Kap. 20, 21 und 25), alberne Thukydides- und Herodotimitatio (bes. Kap. 15, 18, 26), Patriotismus und plakative prorömische Tendenz (bes. Kap. 14), gravierende Mängel in der Topographie (Kap. 24), Protzen mit ganz und gar nicht vorhandener Autopsie (Kap. 29), dramatisches Pathos (Kap. 25–26), Darstellung von Zukünftigem (Kap. 31), alberne Gräzisierung lateinischen Vokabulars und römischer Eigennamen (Kap. 15 und 21), Syllogismen und Schmeichelei (Kap. 17). 751 Bei einzelnen Autoren sind dies Nichtwissen von Tatsachen, Unkenntnis militärischer Fachausdrücke und Mängel im logischen Denken (Kap. 14, 21, 23: die stereotypen Formeln sind oÈk efid∆w bzw. oÈk efidÒtew, vgl. 29: oÈd¢ ædei, vgl. auch zu dieser Strategie Peregr. 34), Sorglosigkeit bei der Recherche (Kap. 24: =&yÊmvw) sowie sich in unmäßigem Selbstlob äußernde Eitelkeit (Kap. 14, 16, 17, 29) und Schmeichelei (Kap. 17). Auf allgemeiner Ebene werden an diesen Autoren Dilettantismus sowie Mangel an Geschmack (Kap. 27: fidivte€a, épeirokal€a) namhaft gemacht, Unwissen über das, was zu sagen und worüber zu schweigen ist (Kap. 27: die êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn), sowie generell Bildungsmangel (Kap. 32: épaideus€a), gerade in der in diesem Bereich häufig rigoros urteilenden Zeit der zweiten Sophistik ein vernichtendes literarisches Werturteil. 752 In diesem Bereich sind freilich nur subjektive Einschätzungen möglich, doch erwecken einzelne Details den Eindruck durchaus beabsichtigter Lenkung des Lesers, z. B. Luk. Hist. Conscr. 14 (Ípisxne›to diarrÆdhn ka‹ saf«w), 17 (lÒgon pãnsofon de›jai speÊdvn), 19 (prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton, …w ’eto), 24 (tØn §mØn patr€da tå SamÒsata ... érãmenow ... met°yhken §w tØn Mesopotam€an), 28 (efi d¢ mØ nÁj kat°laben, tãxÉ ín ka‹ sunede€pnei metÉ aÈtoË), 29 (§n ésfale› m°ntoi épÚ d°ndrou ÍchloË poioÊmenow tØn skopÆn), 31 (oÏtv mantik«w ... ¶speuden ≥dh prÚw tÚ t°low t∞w graf∞w, vgl. die besondere Funktion des in diesem Kapitel mehrfach wiederholten ≥dh). 753 Luk. Hist. Conscr. 15 (t€ ên soi tå loipå l°goimi, ktl), 27 (PolloÁw d¢ ka‹ êllouw ... ¶xvn soi, ..., katariymÆsasyai, ktl), 28 (pÒsa êlla ... •k∆n §g∆ nËn par€hmi). 754 Luk. Hist. Conscr. 16 (ka‹ nØ D€a), 19 (ÑHrãkleiw, ˜sai muriãdew §p«n, bei dem Wunsch: tÚ d¢ §w §xyr«n kefalåw ı élej€kakow tr°ceie), 25 (mit Ironie: NØ D€a), 26 (die Reaktion des Autor-Ichs auf das Dargebotene: nØ tåw Xãritaw). 755 Besonders deutlich in Luk. Hist. Conscr. 16 (ÍpÒmnhma t«n gegonÒtvn gumnÚn sunagag∆n én°grace komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w und tÚ proo€mion Íp°rcuxron), 17 (tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã), 19 (tosaÊth cuxrÒthw §n∞n, vgl. auch 28: §w cuxrån ... diÆghsin) und 30 (≤ kalØ pÒliw §ke€nh, lÆrou polloË ka‹ korÊzhw suggrafik∞w g°mousa). 756 Einer der Autoren wird ohne den Ton besonderer Gehässigkeit als ein Dilettant bezeichnet (Kap. 16: fidi≈thw). Die beiden Korinther bekommen kräftig ihr Teil ab; der eine von ihnen ist unter dem Gesichtspunkt schmeichlerischer Gesinnung (kolake€a) behandelt (Kap. 17: tØn gn≈mhn d¢ §r«), und der andere wird als einziger (abgeschwächt durch Bezugnahme auf den in Kap. 28 karikierten Anonymus) explizit mit dem Prädikat „sehr lächerlich“ versehen (Kap. 29: ÖAllow ... mãla ka‹ otow gelo›ow). Zudem ist der erste dieser beiden der einzige, bei dem sich der Autor Lukian in diesem Schriftteil eines an die dritte Person gerichteten Imperativs bedient (Kap. 17: tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv). 757 Luk. Hist. Conscr. 14 (ıròw …w §mmelØw ≤ érxØ ka‹ per‹ pÒda tª flstor€& ...;), 15 (érxØn ... xariestãthn érx«n èpas«n ka‹ yÊmou toË ÉAttikoË épopn°ousan und ka€ moi §nnÒhson ≤l€kon tÚ éj€vma t∞w flstor€aw ka‹

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schwerwiegenden Fällen bis hin zu Zynismus758 oder gar Sarkasmus759 steigern kann. Immer wieder sind zur Veranschaulichung solcher Defizite ganz bewußt groteske Bilder zum Vergleich aufgerufen760, und zweimal berichtet das Autor-Ich über Reaktionen, wie sie sich bei ihm während eines Vortrages spontan eingestellt hätten761. Vor allem die direkten, selektiv ausgewählten Zitate, welche zumeist Buchaufschriften und Proömien bzw. dem unmittelbaren Übergang zur diÆghsiw entstammen762, erfüllen die freilich leicht durchschaubare Funktion, jeweils eine bestimmte literarische Fehlleistung durch die verba ipsissima des kritisierten Autors „authentisch“ zu belegen763. Zuweilen erwecken die Berichte des Autors den verdächtigen Eindruck, zumindest bis zu einem gewissen Grad, – vom Autor durchaus beabsichtigt -, den Wortlaut des Originals erahnen zu lassen764. In einem Fall ist auch ein explizit ausgesprochener Kontrast hergestellt zwischen der Selbsteinschätzung eines Verfassers und der so ganz anders lautenden Beurteilung durch den sich über dessen Abgeschmacktheit genervt gebenden Autor765. Wiederholt ist ebenso explizit das Adjektiv „lächerlich“ (gelo›ow) verwendet, um Autoren und Werken den in diesem Schriftteil zukommenden Rang endgültig zuzuweisen766. …w Youkud€d˙ pr°pon, ktl), 17 (suggrãmmata, kre€ttv pãshw §lp€dow), 19 (skÒpei …w énagka›a tª flstor€& taËta), 25 (kéke›no komidª piyanÚn), 28 (z. B.: ëper efi mØ §neg°grapto §pimel«w tª flstor€&, megãla ín ≤me›w ±gnohkÒtew ∑men), 32 (êllow ésteiÒteron parå polÊ). Autoren werden öfter als (ı) yaumastÚw suggrafeÊw

bzeichnet (Kap. 24, 28, 29, 31). 758 So zur Verspottung sachlicher Unwissenheit: Luk. Hist. Conscr. 21 (§ktÚw efi mØ toËyÉ Ípolãboi tiw …w ktl), Verfehlung des piyanÒn in Kap. 25 (oÏtvw oÈ jif€dion, oÈ logxãrion eren, …w éndre›Òw ge aÈt“ ka‹ ≤rvikÚw ı yãnatow g°noito) sowie, im Falle des korinthischen Autors, um die große Diskrepanz zwischen Anspruch und tatsächlicher Wirklichkeit bloßzustellen: Kap. 29 (ka‹ oÏtvw ékrib«w ëpanta •vrãkei Àste ktl und taËta d¢ §fest∆w ırçn aÈtÒw, §n ésfale› m°ntoi épÚ d°ndrou ÍchloË poioÊmenow tØn skopÆn). 759 Luk. Hist. Conscr. 26 (bes. toËto d¢ mãlista ºtiasãmhn, ˜ti mØ tÚn suggraf°a ka‹ didãskalon toË drãmatow proaposfãjaw ép°yanen), über den Korinther 29 (§pe‹ oÈk ín ≤me›w oÏtv yaumastÚn suggraf°a nËn e‡xomen). 760 Luk. Hist. Conscr. 22 (der Tragödienschauspieler mit Schauspielerschuh und Sandale), 23 (Eros mit Heraklesmaske, Kopf des Kolosses von Rhodos auf Zwergenkörper); beide Bilder sollen das Wesen von Inhomogenität überzeichnend veranschaulichen. 761 Luk. Hist. Conscr. 15 (Verlassen eines Vortrags wegen der leichten Voraussehbarkeit des Folgenden) und 26 (Reaktion: Weinen vor Lachen). 762 So Luk. Hist. Conscr. 14, 15, 16 (erster Satz des Werkes bzw. der einzelnen Bücher), 18, 29, 30 und 32; in 22 und 24 sind die Zitate kontextbedingt anderen Teilen der Werke entnommen. 763 Den direkten Zitaten sind zumeist vorbereitende Erklärungen vorangestellt (Luk. Hist. Conscr. 15, 16, 22 mit einer abschließenden conclusio, 24, 29 mit nachfolgendem zynischem Kommentar, 30 mit parenthetisch zwischengeschalteter Bemerkung, 32 zum einen mit nachgereichtem Kommentar, zum anderen ohne einen solchen), vereinzelt ist ein Kommentar daran angeschlossen (18), oder es stehen für sich selbst sprechende Zitate ohne spezielle Erklärung alleine für sich da (14). 764 Hier sind lediglich subjektive Einschätzungen möglich; so Luk. Hist. Conscr. 16 (die Inhaltsangabe des Proömiums wirkt wie ein zumindest partielles Zitat), 24 (einzelne Elemente aus dem Referat des Inhalts erwecken den Eindruck eines zumindest teilweisen Zitats), 29 (der Bericht über die Drachen der Parther beinhaltet Formulierungen, wie sie durchaus schon in der Vorlage hätten stehen können). Die in diesem Zusammenhang bedeutsame Frage nach der Authentizität von Autoren und Werken wird in Teil I 4. 1 der Einleitung separat behandelt. 765 Luk. Hist. Conscr. 19 (prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton, …w ’eto, es folgt eine Verwünschung solcher cuxrÒthw). 766 Mit dem Adjektiv gelo›ow werden auf direkte Art Autor(en) (Luk. Hist. Conscr. 29: das Urteil ÖAllow ... mãla ka‹ otow gelo›ow trifft gewißlich in erster Linie den sich auch sonst in der Hauptschußlinie der Kritik befindenden korinthischen Autor) und Werke (32: Buchaufschriften: ka‹ går aÔ ka‹ atai pagg°loioi, vgl. 21: ka‹ êlla poll“ geloiÒtera) bezeichnet, doch ist es auch verwendet, um, auf jeweils unterschiedliche Art, indirekte Kritik

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Im zweiten Teil der Schrift nutzt Lukian das Autor-Ich in dreierlei Hinsicht. Zunächst dient es ihm dazu, um die Stoffülle formal zu gliedern, und zwar in Form von praeteritio 767, Rückverweis768 und Vorverweis769. Sodann verwendet er es, zuweilen auch unter der Einnahme einer demonstrativen Bescheidenheitspose770, zum Zweck von literarästhetischen Bewertungen771. Und drittens kommt dem Ich die Funktion zu, etwas über den Autor selbst auszusagen, über seine Heimat Samosata772, über seine persönliche Teilnahme bei Lesungen aus Geschichtswerken in Ionien und Achaia773, namentlich über die Zuhörerschaft bei einer speziellen Lesung774, und über Lektüre eines bereits publizierten Geschichtswerkes775. Ein enklitisches tiw, das bisweilen die Hinwendung zum Du des Adressaten unterbricht, dient mehrfach zur Umschreibung für eine Ich-Aussage776, indem es ein unbestimmtes Individuum oder Kollektiv als Beurteilungsinstanz aufruft bzw. diesem kurzzeitig die Stimme des Autors leiht, nach einem bekannten Verfahren, wie es weiter oben bei Ps. Longinos777 beobachtet wurde. Fast ebenso oft, wie er das Autor-Ich zu Wort kommen läßt, bezieht Lukian in seiner Eigenschaft als Autor Philon, den Adressaten des Briefes, mittels Du-Ansprache in die Erörterungen mit ein, indem er ihn ganz direkt mit seinem Namen anspricht778, ihn auf vorliegende Tatsachen hinweist779, sich mit Nähe zum Stil der Diatribe durch Fragen seines Verständnisses versichert780, ihn mittels Imperativ zum

an Werken zu üben (so 23 und 24). 767 Luk. Hist. Conscr. 15: t€ ên soi tå loipå l°goimi, Kap. 28: ka€toi pÒsa êlla ... •k∆n §g∆ nËn par€hmi. Ähnlich Kap. 15: kéke›no Ùl€gou de›n par°lipon. 768 Luk. Hist. Conscr. 20, rekapitulierend: otow ... ˘n proe›pon. 769 Luk. Hist. Conscr. 23: …w §n êlloiw de€jomen (vgl. Kap. 52), Kap. 27 mit Vorverweis auf den gesamten dritten Teil der Schrift (Kap. 34–60): PolloÁw d¢ ka‹ êllouw ... ¶xvn soi, ..., katariymÆsasyai, ... §p‹ tØn •t°ran ÍpÒsxesin ≥dh meteleÊsomai.

770 Diesem Zweck dient ein bewußt gesetztes o‰mai in Luk. Hist. Conscr. 21, 23, 29 und 30. 771 Luk. Hist. Conscr. bes. Kap. 16 (toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË), 17 (kéke›no fortikÚn ¶doj° moi), 20 (taËta oÈk o‰da e‡ tiw ín eÔ fron«n énãsxoito), 26 (Àste me ... pollå pãnu dakrËsai ÍpÚ toË g°lvtow, und bald danach: §g∆ d¢ ka‹ tå êlla m¢n aÈtoË kateg€gnvskon ktl.). 772 Luk. Hist. Conscr. Kap. 24: ein geographisch ganz uninformierter Anonymus habe Samosata, die Heimat des Autor-Ichs, d. h. in diesem Fall Lukians selbst, mitsamt Akropolis und Mauern (tØn §mØn patr€da tå SamÒsata) nach Mesopotamien versetzt. 773 Luk. Hist. Conscr. 14: das Autor-Ich, in diesem Fall wahrscheinlich nicht bloß der Autor, sondern Lukian selbst, nennt eine unbestimmte Mehrzahl von Historikern (suggraf°vn tin«n ... ékoÊsaw), die es bzw. er unlängst in Ionien und Achaia über den Krieg mit den Parthern berichten gehört habe. 774 Luk. Hist. Conscr. 31: ÖHdh dÉ §g≈ tinow ka‹ tå m°llonta suggegrafÒtow ≥kousa, vgl. Kap. 28, wo das in Kap. 27 allgemein Ausgesagte anhand eines konkreten, besonders markanten Beispiels vorgeführt wird. In Kap. 29 betont das Autor-Ich, die Genauigkeit seiner Erinnerung: m°mnhmai gãr. 775 Luk. Hist. Conscr. 31: das Geschichtswerk des Demetrios von Sagalassos hat das Autor-Ich eigener Aussage zufolge gelesen (én°gnvn gãr). Nicht ganz so klar liegt der Fall in Kap. 17, wo immerhin die Schrift des korinthischen Historikers erwähnt wird, doch in einer Weise, welche die Anwesenheit des Autors bei einer Lesung zur Voraussetzung hat. 776 Luk. Hist. Conscr. Kap. 20, 21, 22 und 28 (... efikÒtvw ên tiw e‡poi ktl). 777 Longin. 2, 2; 9, 5; 28, 1; 38, 1. Vgl. die Einleitung, Teil I 2. 7. 778 Mittels der Formeln Œ F€lvn (Luk. Hist. Conscr. 24 und 29) bzw. Œ kal¢ F€lvn (Kap. 22). 779 Luk. Hist. Conscr. Kap. 23 (‡doiw ín und ‡doiw går ín). 780 Luk. Hist. Conscr. Kap. 14 und 18 (jeweils ıròw;). Fragen des Typs ıròw; gehören dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 13).

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Nachvollzug von Gedanken auffordert781, sein Verständnis voraussetzt782 und Gemeinsamkeit mit ihm evoziert783. Dieser Teil der Schrift ist demnach durchgehend, so wie der Einleitungs- und der Schlußteil des bereits besprochenen Peregrinos auch784, als ein Dialog mit dem Ansprechpartner Philon konzipiert. Nur ein einziges Mal wendet sich der Autor mittels eines konjunktivisch formulierten Verbots an die dritte Person direkt an seine Leserschaft785, und zwar gleich zu Beginn des zweiten Teils der Schrift, an herausgehobener Stelle. Dabei verwendet er ein Idiom (üblicherweise prÚw Xar€tvn mit unmittelbar folgendem Verbot an eine zweite Person), das Lukian auch sonst zu dem Zweck einer Absicherung gegen mögliche Einwände gebraucht786. An all diesen Stellen ist die Intention der Ironie vom Kontext her gänzlich ausgeschlossen787. Diese Beobachtung ist von Bedeutung, da sie wichtige Hinweise auf die Tendenz der Schrift vermittelt; sie wird später wieder aufzugreifen und auf prinzipieller Ebene fortzuführen sein788. Der dritte Teil der Schrift (Überleitung: Kap. 33, Hauptteil: Kap. 34–60) Als Scharnier zwischen dem zweiten und dem dritten Teil der Schrift fungiert Kapitel 33, in dem, wohlgemerkt mit nur einmaliger Anlehnung an dieses charakteristische Stilmerkmal der Diatribe, ein anonymer fiktiver Kritiker (fa€h tiw ên789) aufgerufen wird, um gewissermaßen nach völliger Einebnung des Feldes durch die nichts Verkehrtes bestehen lassende Kritik des vorangegangenen Schriftteils nunmehr mittels eines fordernden Imperativs (Àste ofikodÒmei ti ≥dh ka‹ aÈtÒw), der bei genauerer Betrachtung auch etwas von Selbstaufforderung an sich hat, vom Autor konstruktive Aufbauarbeit einzumahnen.

781 Luk. Hist. Conscr. Kap. 15 (˜ra gãr und ka€ moi §nnÒhson), 19 (skÒpei). Imperative des Typs ˜ra gehören gleichfalls dem Stil der Diatribe an (Bultmann 1910, 13). 782 Luk. Hist. Conscr. Kap. 15 (t€ ên soi tå loipå l°goimi). 783 Luk. Hist. Conscr. bes. 17 (≤m›n ¶dei katalipe›n log€zesyai, hier sind, wie es scheint, eher schon alle auf literarischem Gebiet Urteilsfähigen angesprochen), 28 (megãla ín ≤me›w ±gnohkÒtew ∑men) u. ö. 784 Diese Beobachtung ist natürlich nur in formaler Hinsicht zu verstehen. Zum Peregrinos vgl. die Einleitung, Teil I 2. 2. 785 Luk. Hist. Conscr. 14 (ka‹ prÚw Xar€tvn mhde‹w épistÆs˙ to›w lexyhsom°noiw), vgl. den Kommentar zur Stelle und die Einleitung, Teil I 4. 1. Auf andere Art ist der Leser in Kap. 32 angesprochen. 786 Luk. Scyth. 9, Bacch. 5, Alex. 4. 787 Dies zeigt am Besten Alex. 4; der Vergleich des Alexandros von Abonuteichos mit Pythagoras wird vom Autor entrüstet zurückgewiesen, denn selbst wenn all das wahr wäre, was zur Schmähung des Pythagoras vorgebracht wird, so wäre dieser doch ein Kind im Vergleich mit Alexandros. Hier ist, wie die Gesamttendenz der Schrift zeigt – in einer für Lukian untypischen Weise – kein Hauch von Ironie intendiert. Anders äußert sich Anderson 1994, 1434 zu Luk. Hist. Conscr. 14: prÚw Xar€tvn: „Lucian’s preface to the catalogue does not inspire confidence“. 788 Dies geschieht in der Einleitung, Teil I 4. 1 (mit einer Diskussion der dafür relevanten Stellen). 789 Homeyer 1965, 139 übersetzt ungenau mit „wie man so sagt“, denn sprichwörtliche Redensarten sind mit parenthetischem fas€n gekennzeichnet, so in Kap. 2 und 32. Die Formel fa€h tiw ên hingegen ist klar an den Diatribenstil angelehnt, wo sie die Worte eines Zwischenredners einleitet (Bultmann 1910, 10). In dieser Schrift erscheint diese Formel nur hier, gewissermaßen als Stilmittel an herausgehobener Stelle, während in einer richtigen Diatribe gerade die Frequenz des Vorkommens das Typische ist. Sparsam machen auch Ps. Longinos (38, 2) und Horaz (Ars 9–10) in ihren schon diskutierten Schriften vom Stilmittel des Interlocutors Gebrauch.

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Der eigentliche dritte Teil beginnt sodann mit einer die Kapitel 34–36 als eine thematische Einheit umfassenden Triade (erster Abschnitt). In Kapitel 34 wird die Frage gestellt, welche Funktion denn eine Lehranweisung (t°xnh) bzw. eine Belehrung (didaskal€a) innerhalb des zu behandelnden Themas haben könne. Zuallererst werden nach einem Ausschlußverfahren diejenigen zwei Faktoren bestimmt, die einer t°xnh nicht zugänglich seien; es handle sich dabei zum einen um politisches Verständnis (sÊnesiw politikÆ790), zum anderen um eine durch anhaltende Arbeit erworbene und im Wetteifer mit den klassischen Vorbildern entwickelte Schulung der Ausdruckskraft (dÊnamiw •rmhneutikÆ). Während erstere eine nicht erlernbare Naturgabe sei (éd€daktÒn ti t∞w fÊsevw d«ron), könne zweitere durch Schulung erworben werden (≤ dÊnamiw d¢ pollª tª éskÆsei ka‹ sunexe› t“ pÒnƒ ka‹ zÆlƒ t«n érxa€vn prosgegenhm°nh ¶stv). Beide Kompetenzen fielen aus der Reichweite der t°xnh heraus, seien durch diese nicht erwerbbare Qualifikationen, (im Rang also êtexna). Sodann werden der Kompetenzbereich und Nutzwert einer jeglichen t°xnh (zum Vergleich sind wie bei Horaz791 die Bereiche Sport und Musik aufgerufen, die auch innerhalb der Diatribe als Beispiele zu dem Nachweis für die Technizität einer Betätigung angeführt werden792) bestimmt als die adäquate Nutzung dieser bereits im Vorfeld bei dem künftig zu Unterweisenden vorhandenen Fähigkeiten (Kap. 35: als xr∞siw aÈt«n [sc. t«n prosÒntvn]). Nur in diesem Sinne, so erklärt der Autor, könne er seine Aufgabe erfüllen, mittels Raterteilung (sumboulÆ), wie er diese Lehrschrift (t°xnh) nunmehr mittels demonstrativer Selbstverkleinerung bezeichnet (vgl. Kap. 36: didaskal€a), dem Historiker seine Aufgabe zu erleichtern. Es folgt sodann in Kapitel 37, gewissermaßen als Anhang zu der ersten Triade, eine nähere Bestimmung dessen, was unter der genannten sÊnesiw politikÆ zu verstehen sei793 (zweiter Abschnitt). Es handelt sich dabei, wie bereits gesagt, um eine der Lehranweisung (t°xnh) unzugängliche Grundvoraussetzung. Die zweite, gegenüber der ersten deutlich umfangreichere Triade (Kap. 38–40) mit dem Resümee in Kapitel 41 (dritter Abschnitt) beinhaltet sonach die erste im technischen Sinne zu verstehende Anweisung, auch wenn dies im Text nicht klar markiert erscheint794. Thema ist hier das moralische Qualifikationsprofil des Historikers795, die Freiheit seiner Gesinnung, d. h. seine unbestechliche Wahrheitsliebe und seine Bereitschaft, die von ihm erkannte Wahrheit freimütig, ohne Furcht vor Mächtigen und ohne patriotische oder sonstige Voreingenommenheiten zu äußern. Unparteiische Geschichtsschreibung sei paradigmatisch repräsentiert durch Xenophon und Thukydides. Der sehr großen Wichtigkeit des ethischen Verantwortungsbewußtseins des Historikers entsprechend bildet diese Triade den Anfang des eigentlichen didaktischen Teils der Schrift, und sie ist die einzige, der, gewissermaßen als ein Anhang, eine sachlich nichts wesentlich 790 Zum intellektuellen Anforderungsprofil des Historikers vgl. die Einleitung, Teil II 2. 791 Hor. Ars 408–415 (hier folgen, wie bei Lukian, auf die Debatte um die Wertigkeit der Faktoren natura und ars auch Anschauungsbeispiele aus Sport und Musik). 792 Illustrativ ist Hense, Musonius II 8, Z. 6–8 (... mousikØn µ palaistrikØn oÈde‹w mØ may∆n efid°nai fhs€n, oÈd¢ ¶xein tåw t°xnaw taÊtaw prospoie›tai, mØ ka‹ didãskalon parÉ ˘n §fo€ta ¶xvn efipe›n, ...); und in der Musik dienen das Spiel auf der Kithara und der Flöte als Beispiele für Beherrschung der t°xnh, so IV 16, Z. 4–9; der Gedanke ist bereits bei Teles angelegt: Hense, Teles I 1, Z. 6–8 und III 14, Z. 2–5 (an der zweiten Stelle ist das Flötenspiel explizit unter die t°xnai gezählt). 793 Vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2. 794 Nirgendwo ist in diesem ganzen Passus explizit von t°xnh oder didaskal€a die Rede. 795 Zum moralischen Anforderungsprofil des Historikers vgl. die Einleitung, Teil II 3.

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Neues bringende Zusammenfassung gewidmet ist, die das schon Gesagte nur mehr mit einprägsamer Prägnanz auf den Punkt bringt. Im Epilog (Kap. 61–63) ist dieses Thema wegen seiner zentralen Bedeutung nochmals mit Nachdruck wiederholt und aufgegriffen. Kapitel 42 (vierter Abschnitt) bildet eine Einheit für sich, soferne man es nicht als Anhang zu der vorangehenden Triade inklusive des Resümees verstehen möchte; hier ist Thukydides maßgebliches Paradigma einer gleichermaßen die Sache wie den Nutzwert der Darstellung für zukünftige Leser im Auge behaltenden Historiographie. Ihm gegenüber rangiert Herodot als der Vertreter einer nach Ansicht des Thukydides noch dem muy«dew verpflichteten Darstellungsweise. Damit sind nunmehr in diesem Schriftteil alle drei Historiker genannt (Xenophon war in Kap. 39 gemeinsam mit Thukydides als der Vertreter einer „objektiven Geschichtsschreibung“ aufgerufen worden), die zu Beginn (Kap. 2) als von zeitgenössischen Partherkriegshistorikern imitiert und im zweiten Schriftteil als tatsächlich bis zum geistlosen Plagiat ausgebeutet vorgestellt worden waren796. An dieser Stelle ist es sinnvoll, für einen Moment innezuhalten und die Frage zu stellen, wie sich die besprochenen Passagen zur konventionellen Theorie technographischer Literatur verhalten. Die diluzideste Fassung der bei dieser zu beachtenden Konventionen liegt auf griechischer Seite vor im Kommentar des Sopatros zu Hermogenes. Sopatros erklärt hier, jeglicher Verfasser einer Lehrschrift (t°xnh) habe dreierlei zu leisten, existierten doch für jedwedes Objekt dreierlei Untersuchungen. Erstens diejenige, von welcher Art die Lehranweisung sei (t€w ≤ t°xnh bzw. ıpo€a t°xnh); und dazu gehöre der Nachweis, daß es sich tatsächlich um eine t°xnh handle (˜ti t°xnh). Zweitens sei auf die Frage einzugehen, von welcher Art denn der die t°xnh Ausübende sei (t€w ı texn€thw), und schließlich habe drittens gezeigt zu werden, wie man die für dieses Gebiet spezifische Leistung erbringen könne (p«w tÚ ¶rgon tÚ §n aÈtª §rgas≈meya)797. Wie verhält sich nun Lukians Darstellung zu diesem Schema? Die erste dieser Fragen war in den Kapiteln 34–36 abgehandelt worden; mit Kapitel 37 rückte sodann der Geschichtsschreiber, der texn€thw, welcher schon dort, gewissermaßen als das Subjekt für das Ansetzen einer t°xnh, in Erscheinung getreten war, nunmehr kräftiger in den Vordergrund. Dessen Qualifikation wurde in den Kapiteln 38–41 weiterverfolgt, auf andere Art jedoch als in Kapitel 37. Dort nämlich war es um die Grundvoraussetzungen gegangen, die dieser von Haus aus mitbringen müsse, während der mit dem Kapitel 38 beginnende, bis Kapitel 41 reichende Passus die in dessen Werk zum Ausdruck kommende ethische Einstellung thematisierte. Das bedeutet, daß sich genau hier, in den Kapiteln 38–41, die zwei Fragen nach dem texn€thw und dessen technegemäßer Leistung (¶rgon) überlappen. Mit anderen Worten, Lukian hat zwar schon ein bekanntes rhetorisches Schema798 zugrundegelegt, hat dieses aber mit gleitendem Übergang von einem Bereich zum 796 Luk. Hist. Conscr. 2; vgl. 15, 19 und 26 (Thukydides), 14 und 16 (implizit Herodot), 18 (explizit Herodot), 23 (Xenophon). 797 Walz V 9, bes. Z. 5–10. 798 Es besteht kein Anlaß, die Schrift mit Norden 1905, 515, Anm. 1 als isagogische Schrift zu klassifizieren. Norden 1905, 508–526 faßt unter dem Begriff „isagogische Litteratur“ z. T. ganz unterschiedliche Arten von Schriften zusammen, zumeist aus lateinischer Literatur und oft mit späten Belegen. Auf griechischer Seite ist der Schriftentitel efisagvgÆ erst von Chrysippos und Poseidonios bekannt, doch läßt sich über den Inhalt von deren Schriften nichts aussagen, da davon nichts erhalten ist. Es ist nicht einmal wahrscheinlich, daß Nordens Dispositionsschema nach ars und artifex in irgendeiner dieser Schriften vorhanden war; so ganz zu Recht Dahlmann 1953, 25 (111), Anm. 2 und Brink

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nächsten799 behandelt. Ab Kapitel 43 tritt das Werk des Techniten selbst in den Vordergrund, doch auch von hier weg bis zum Schluß kommt die Person des texn€thw immer wieder ins Spiel, da es dem Autor Lukian daran gelegen ist, die zwischen Person und Werk an sich schon bestehenden Beziehungen in ihrer wechselweisen Bezogenheit aufeinander sichtbar hervortreten zu lassen. Die dritte Triade (Kap. 43–45: fünfter Abschnitt, mit Kap. 46 als Anhang) entspricht im Umfang etwa dem der ersten Triade. Hier geht es um die für ein Geschichtswerk passende sprachliche Form. Was über Wortwahl und Figurenschmuck in peripatetischem Sinn800 hier ausgesagt wird (43–44: Prinzip sei die Mitte zwischen den Extremen) erweckt zwar im allgemeinen nicht den Eindruck, nur spezifisch für die Geschichtsschreibung zu gelten, doch die Abgrenzung vom energetischen Stil der Gerichtsrhetorik (Kap. 43) zum einen und der durchgehenden Höhenlage der Dichtung (Kap. 45) zum anderen ist speziell auf historiographische Darstellung berechnet. In beiden Fällen sind die vom Autor erteilten Lehren jedoch nicht allzu rigoros. Gegenüber der Gerichtsrhetorik mit ihrem forcierten Pathos habe der Historiker sich in einer ruhigeren Gestimmtheit zu befinden (Kap. 43: efirhnik≈teron diake€menow); die Wahl des Komparativs efirhnik≈teron zeigt jedoch an, daß die Grenzziehung auch hier nicht allzu rigide zu verstehen ist. Und was den hohen Stil der Dichtung, deren megalhgor€a betrifft, so wird dem Historiker zugestanden, in besonderen Momenten, bei Aufmärschen und Kampfdarstellungen zu Lande und zur See, den Ton bis zu einem gewissen Grad dem der Dichtung anzunähern, soferne nur auch hier mit Augenmaß verfahren würde (svfronht°on801). Insgesamt erscheint die Geschichtsschreibung also de facto einer mittleren Stilart zugerechnet – auch wenn von einer bestimmten Stilart in einem technischen Sinne802 nicht explizit die Rede ist – mit einem gelegentlichen Aufschwung, dann nämlich, wenn der zu beschreibende Gegenstand dies erlaube, denn auch in diesem Fall würde ja, so die offensichtliche Ansicht des Autors, eine 1963, bes. 35–36, und in diesem Sinne auch Asmis 1992, 207, Anm. 4. Nordens Begriff „isagogisch“ ist so stark gedehnt, daß er Gefahr läuft, unbrauchbar zu werden. Vor allem läßt sich bei Nordens Belegen keine klare Grenze ziehen zwischen „isagogisch“ und technegemäß. Brink 1963, 22 stellt in seiner kritischen Diskussion der Forschungsgeschichte fest: „Nothing survives that might serve to distinguish between these introductory writings and full-blown artes, in Greek t°xnai, treatises or textbooks“. Unter diesen Umständen erscheint es wohl sicherer, Lukians Verwendung des t°xnh–Begriffes ernst zu nehmen und den dritten Teil seiner Schrift, jedenfalls auf dieser Ebene, zumindest formal als eine „technische Lehranweisung“ zu klassifizieren. 799 Der Technik gleitender Übergänge bedient sich Horaz noch ausgiebiger, dazu z. B. Knoche 1935 und, mit erstmaligem Vorschlag der Methode für die Ars poetica des Horaz, Cauer 1906. Dieser Vergleich ist natürlich lediglich in dem Sinne zu verstehen, daß Lukian und der Horaz der Satiren und Episteln auf vergleichbaren Diskursen oder gar literarischen Traditionen basieren, über die sich allerdings bei dem Fehlen sonstiger, für diese Zwecke auswertbarer Texte nichts Näheres aussagen läßt. 800 Zu der peripatetischen Position (Aristoteles, Theophrast) in dieser Frage vgl. den Kommentar zu Kap. 44. 801 Das Gebot des svfrone›n gelte besonders auch bei der Behandlung von Ekphraseis (Luk. Hist. Conscr. 57), vgl. auch Kap. 61 (von der generellen Einstellung des Historikers). 802 Die Lehre von den drei Stilarten geht wohl nicht auf Theophrast zurück; Schmid 1894, 156 führt sie auf Antisthenes zurück, überzeugender Hendrickson 1904, Stroux 1912, bes. 104–126, Grube 1952, bes. 266, Lossau 1964, 37, Anm. 73; die gegenteilige Ansicht wurde vertreten von Radermacher 1899, bes. 361 und 379–380, Drerup 1923, 109, Anm. 3, Körte 1929, 80, Solmsen 1931, 242, Dahlmann 1953, 49 (= 135), Anm. 2 und Douglas 1957, bes. 19–22. Quadlbauer 1958, 64–71 leitet die genera dicendi aus der isokrateischen Antithese §pideiktik«w (komc«w) – èpl«w (praktische Rhetorik) ab.

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Mitte eingehalten, welche nicht als eine absolute Größe gelte, sondern als wohlausgewogenes Verhältnis zwischen Objekt und Darstellung. Auch dieser Gedanke ist wohl auf peripatetische Literaturkritik zurückzuführen803. Das Kapitel 46 bestimmt in aller Kürze das Verfahren, das bei der sonst zumeist sÊnyesiw, hier jedoch sunyÆkh genannten Wortfügung, über die der Autor Lukian nirgendwo sonst im gesamten Corpus Lucianeum auch nur irgendetwas Konkretes äußert, zu beachten sei. Und auch in diesem Bereich gelte es, wiederum im peripatetischen Sinn804, die ausgewogene Mitte zwischen den beiden Extremen einzuhalten. Ob man das Kapitel 46 als thematisch verwandten Anhang zur vorangehenden Triade aufzufassen habe, oder aber eher als Teil derselben, scheint nicht sicher zu sein, doch spielt die Frage auch keine große Rolle, da die Komposition ohnedies trotz der an sich offensichtlich triadischen Gliederung nicht allzu streng durchgeführt zu sein scheint. Es erscheint daher auf alle Fälle sinnvoll, das Kapitel 46 wegen seines thematischen Zusammenhangs mit dem Vorangehenden als Bestandteil des fünften Abschnittes zu behandeln (also Kap. 43–45 + 46). Daß Lukian sich beim Aufbau gewisse Freiheiten gewahrt hat, zeigen im Besonderen auch die nun folgenden Bereiche, denn die Kapitel 47–48 gehören thematisch zusammen (sechster Abschnitt); sie sind vom Umfang her die kürzesten, die sich mit einem in sich geschlossenen Thema befassen. Hier geht es um die klassischen drei Arbeitsschritte, die nach rhetorischer Theorie für das Verfassen eines jeglichen Textes gelten, nur daß der erste dieser drei Schritte (nach der klassischen Theorie die eÏresiw = inventio) unbedingt an das spezielle Thema der Geschichtsschreibung angepaßt werden mußte805. Die vom Autor in diesem Sinne postulierte Ansicht lautet: der Historiker habe, soferne er sich bei seiner sachlichen Recherche nicht auf eigene Autopsie stützen könne, die ihm mündlich zugegangenen Informationen nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit abzuwägen (dabei gelte es, in jedem Fall das piyan≈teron herauszufinden); sodann erfolge als zweiter Schritt der noch schmucklose Rohentwurf (ÍpÒmnhma), und dann komme zum Abschluß des Arbeitsprozesses die Anordnung (tãjiw) und das Aufsetzen des sprachlichen, stilistischen und rhythmischen Schmuckes (kãllow). Die beiden Teile dieses dritten Arbeitsschrittes sind kürzer abgehandelt als der erste Arbeitsschritt, denn die tãjiw findet in dem sich unmittelbar anschließenden Passus (Kap. 49–51, bes. 51) eine erste und in Kapitel 55 kulminierende Behandlung. Die Schaffung des kãllow kann demgegenüber den Prinzipien des Autors zufolge nur bedingt die Sache einer Lehranweisung sein, da doch der zu Unterweisende diese Qualifikation von Haus aus bereits mitbringen müsse, sei die darstellerische Kompetenz, die dÊnamiw •rmhneutikÆ, ein Elementarerfordernis, das schon von Anfang an beim angehenden Historiker gewährleistet zu sein habe und das eben daher nicht Gegenstand lehrhafter Vermittlung (t°xnh) zu sein brauche (vgl. Kap. 34). Allerdings mache die Historiographie ein Wissen um die diesem spezifischen Genos angemessene Stilqualität erforderlich. Dafür genügen freilich einige wenige Anweisungen an den in sprachlicher 803 Diese Lehre in ihrer Anwendung auf die Geschichtsschreibung geht wahrscheinlich auf Theophrast zurück, vgl. die Einleitung zu Kap. 45 und bes. den Kommentar zu Kap. 45: Ka‹ ≤ m¢n gn≈mh koinvne€tv ktl. 804 Zum peripatetischen Ursprung dieser Lehre vgl. den Kommentar zu Kap. 46. 805 Zur Recherchearbeit des Historikers, in der seine spezifische Leistung besteht und die ihn von Verfassern anderer literarischer Texte unterscheidet, vgl. die Einleitung, Teil II 1, in der Luk. Hist. Conscr. 47 im Kontext der antiken Methodologie behandelt ist.

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Gestaltung universeller Geübten, und diese waren bereits erteilt worden (Kap. 43–45, bes. 43, 45), und zwar in der Weise, daß sich zu der ethischen Einstellung des Verfassers zu seinem Darstellungsgegenstand (gn≈mh) auch eine bestimmte Gestimmtheit des die jeweils adäquate Stillage findenden Erzählers (fvnÆ) zu gesellen habe. Wie diese zu erreichen ist, braucht vom Autor allerdings nicht speziell ausgeführt zu werden, da der über die erforderliche dÊnamiw •rmhneutikÆ verfügende Schüler dies bereits von vornherein wissen müsse. Eine triadische Gliederung zeigen wieder die Kapitel 49–51 (siebenter Abschnitt), die in loser Form um die Fragen gruppiert sind, wie der Historiker seinen Stoff aufzufassen habe, wie er ihn in seinem Geschichtswerk anordnen (tãjai) müsse, nach welchen Prinzipien er bei der stofflichen Ökonomie (dafür die Verba ofikonomÆsasyai tØn Ïlhn und diay°syai tå pepragm°na806) zu verfahren habe, und schließlich, wie die Darstellung des Stoffes im Idealfall auszusehen habe. Die Aufmerksamkeit des Historikers, so lehrt der Autor, seine alle Vorgänge auf beiden kriegsführenden Seiten gleichgewichtet, gleichsam aus der olympischen Perspektive des homerischen Zeus, und das bedeutet also wertfrei wahrnehmende gn≈mh807 müsse auf allen jeweils relevanten Schauplätzen zugleich präsent sein, ganz rasch müsse sie von hier nach dorthin und erforderlichenfalls wieder zurück eilen, um alle Geschehensabläufe real abzubilden, gleich dem die Objekte der Wirklichkeit getreulich wiedergebenden Spiegel. Die Ereignisse müsse der Historiker möglichst synchronistisch darstellen (…w dunatÚn ımoxrone€tv). Es wird hier somit eine Auffassung von der Aufgabe des Historiographen vertreten, wie sie sich erstmals bei Thukydides verwirklicht findet und wie sie in der Antike öfter gegenüber einer in der Nachfolge des Ephoros nach thematischen Sachgruppen gruppierenden Darstellungsweise kritisiert wurde, so von Dionysios von Halikarnaß und anderen auch808. Gelänge es nun, so fährt der Autor mit seinen Ausführungen fort, vollends dem Historiker, seine wirklichkeitskonforme Anschauung von den Kriegsereignissen dermaßen anschaulich (§w dÊnamin §narg°stata) dem Hörer (dies setzt also mündliche Rezeption voraus) zu vermitteln, daß dieser sie gleichsam visuell, d. h. anschaulich vor sich zu sehen vermeine, so verdiene er es, mit Phidias in eine Reihe gestellt zu werden, dem – so ist hier zu assoziieren – Schöpfer des olympischen Zeus809. Gegenüber Kapitel 47, in dem es um das Problem sachlicher Recherche gegangen war, erscheint hier die Auffindung des Stoffes als gänzlich unproblematisch, da dieser ja bereits vorgegeben sei, eben so wie das Material dem bildenden Künstler. Der Historiker habe sich demgemäß nicht um den in anderen Bereichen literarischer Gestaltung sehr wohl relevanten ersten Arbeitsschritt, die eÏresiw = inventio, zu bekümmern. Die in diesem Kontext gehäuft auftretenden Imperative an die dritte Person und die Verbaladjektive unterstreichen den imperativischen Charakter der Aussage, handelt es sich doch um eine aus der Literaturkritik bekannte Streitfrage, in welcher der Autor klar Stellung bezieht, indem er einer synchronistischen Darstellungsweise vor einem themenzentrierten Verfahren (dieses wird nicht einmal als eine 806 Luk. Hist. Conscr. 51. 807 Luk. Hist. Conscr. 49 (implizit beinhaltet dieses Kapitel einen Rückverweis auf die Freiheit des Historikers von Voreingenommenheiten jeder Art, auf seine Objektivität, vgl. die Kap. 38–40 und bes. 41). 808 Zu den antiken Positionen in dieser Frage vgl. den Kommentar zu Kap. 50: ımoxrone€tv. 809 Luk. Hist. Conscr. 51; zu Beginn von Kap. 49 wurde explizit ausgesagt, der Historiker solle in seiner alles wahrnehmenden Anschauung dem homerischen Zeus gleichen.

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mögliche Option ins Auge gefaßt) entschieden den Vorzug gibt. Was die Stoffökonomie betrifft, so erscheint, ohne daß dies explizit ausgesprochen werden müßte, der auch in anderer Hinsicht vorbildliche Thukydides als das Paradigma für eine Darstellung der zeitgenössischen Kriegsgeschichte. Mit Kapitel 52 beginnt ein längerer, die Teile eines Geschichtswerkes (proo€mion und diÆghsiw = narratio) behandelnder Passus, der bis hin zu Kapitel 57 reicht und aus zwei selbständige Einheiten bildenden Triaden besteht. Das Proömium (Kap. 52–54) wird naturgemäß zuerst behandelt (achter Abschnitt). Hier geht es um die schon von den Apollodoreern und den Theodoreern mit Bezug auf die Gerichtsrede kontrovers beantwortete Frage, ob ein Proömium stets und unter allen Umständen vonnöten sei810, und diese Frage wird hier für das Objekt der Geschichtsschreibung dahingehend entschieden, daß dafür keine allgemeine Regel erteilt werden könne, da der Einsatz oder Nichteinsatz eines Proömiums von den jeweiligen Erfordernissen abhinge. Sodann ist aus rezipientenorientierter Perspektive angegeben, was ein Proömium, so eines verwendet wird, zu leisten habe und was nicht (das für die Gerichtsrede typische und notwendige Erregen des Wohlwollens der Zuhörer habe in der Geschichtsschreibung zu entfallen), und schließlich werden die Proömien des Herodot und des Thukydides in ihrem paradigmatischen Charakter bestätigt. Der Geschichtserzählung (diÆghsiw = narratio), dem bei weitem an Umfang überwiegenden Hauptteil jeglichen Geschichtswerkes, ist die von den Kapiteln 55–57 reichende Triade gewidmet (neunter Abschnitt). Zunächst wird zu dem vorangehenden Passus die noch ausstehende Erklärung nachgereicht, daß der Umfang des Proömiums stoffabhängig sei, daß also ein absolutes Maß dafür nicht existiere. Sodann wird die metãbasiw, der Übergang vom Proömium zur diÆghsiw, als ein ohne Bruchlinien organisch verlaufender bestimmt, und schließlich geht es um die diÆghsiw selbst. Diese müsse glatt und mit ebenmäßiger Gangart voranschreiten. Klarheit (tÚ saf°w) verleihe ihr zweierlei, zum einen der Stil (l°jiw), zum anderen das organisch strukturierte Gesamtgefüge, in dem alles am richtigen Platz stünde und in dem die Einzelteile, verschlungen (tª sumperiplokª t«n pragmãtvn) wie die Glieder einer Kette, ineinander gefügt seien. Erzähltempo (tãxow) sei nützlich; zu erreichen sei dieses durch ein straffendes stoffliches Auswahlverfahren, durch die Konzentration auf das für den darzustellenden Gegenstand Wesentliche (tå megãla); und dieses sei eher zu verstehen als eine inhaltliche, von dem Stoff (tå prãgmata) her bestimmte Kategorie, als daß es durch die bloße sprachliche Präsentation alleine schon zu erzielen wäre. Zumal bei den Ekphraseis von Bergen, Mauern oder Flüssen seien die Parameter von Nützlichkeit (tÚ xrÆsimon) und Klarheit (tÚ saf°w) entscheidend, beides, so ist hinzuzufügen, rezipientenorientierte Kriterien. Als paradigmatisch hätten, im Gegensatz zu Parthenios, Euhorion und Kallimachos, bei denen die Erzählung stets zum Selbstzweck würde, Homer und Thukydides zu gelten; diese beiden verstünden sich darauf, sich auf das jeweils Wesentliche zu beschränken, und bestimmt sei dieses durch den Stoff. Das adäquate Tempo (tãxow) bestünde also in dem erzählökonomischen Verhältnis von Stoff und Darstellung. Nichts könne dies in der Geschichtsschreibung besser lehren als das Studium der von Thukydides höchst erfolgreich 810

Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 8.

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angewandten narrativen Verfahren. Die letzte Triade (Kap. 58–60, zehnter Abschnitt) im dritten Teil der Schrift behandelt in knapper Form drei Detailfragen, jede separat in einem Kapitel. Zunächst wird angegeben, wie bei eventuell in das Geschichtswerk eingelegten direkten Reden zu verfahren sei (Kap. 58). Die Kriterien dafür seien Personen- und Situationsadäquatheit (§oikÒta t“ pros≈pƒ ka‹ t“ prãgmati ofike›a leg°syv). Und einzig bei diesen Gelegenheiten sei es dem Historiker gestattet, seine rhetorische Kunst brillieren zu lassen (=htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Die Handhabung der Elemente Lob (¶painoi) und Tadel (cÒgoi) ist in Kapitel 59 thematisiert, und in Kapitel 60 folgt als letzte Lehranweisung der korrekte Umgang mit nicht verifizierbaren Inhalten (mËyow). Im dritten Teil der Schrift, welcher einer zusammenhängenden didaktischen Aussage gewidmet ist, bedient sich Lukian des in den ersten beiden Schriftteilen811 fast gar nicht gebrauchten Stilmittels des Imperativs an die dritte Person812, in dermaßen extensiver Weise, daß dadurch der hier klar vorherrschende didaktische Vortragston maßgeblich mitbestimmt wird. Mit solchen Imperativen wird insbesondere bezeichnet, über welche grundlegenden Qualifikationen der zur Belehrung überantwortete Schüler bereits im Vorfeld der Unterweisung zu verfügen habe813, wie er sich in seinem Werk moralisch und arbeitstechnisch gleichermaßen zu bewähren habe814, und welche Qualitäten in diesem seinem Werk vorhanden sein und klar zum Ausdruck kommen müssen815. Besonders dicht gebündelt treten solche Imperative in den Kapiteln 48–51 (24 Mal auf knapp zwei Textseiten), in welchen die 3 klassischen Arbeitsschritte und die Konzeption eines Geschichtswerks behandelt werden, in Erscheinung. Zu einem Vergleich mag hier wiederum Horaz dienen, der das, was ein Werk leisten müsse, was in ihm zum Ausdruck kommen solle, und was dessen Verfasser zu leisten habe, ebenfalls mittels Imperativen an die dritte Person816 formuliert; häufiger allerdings verwendet er zu der Bezeichnung eines Werkes, wie es denn sein solle, coniunctivi iussivi 817. In anderer Weise gebraucht Ps. Longinos die bei ihm nicht sehr oft anzutreffenden Imperative an die dritte Person; bei ihm dienen diese bloß dazu, um den von ihm in seiner Darstellung behandelten Bereichen Struktur und Transparenz zu verleihen, sind also nicht mehr als bloß formale Mittel zur Gliederung der Abhandlung818. 811 Lediglich in Luk. Hist. Conscr. 5 (metroÊntvn) und in anderer Weise in Kap. 17 zur Heraushebung des korinthischen Historikers (tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv) erscheinen hier Imperative an die dritte Person. 812 Solche Imperative an die dritte Person kommen insgesamt 42 Mal vor, in der überwiegenden Zahl der Fälle mit positivem Sinn (mit negativem Sinn, abgesehen von ép°stv in Kap. 35, nur in Kap. 38, wo jedoch die Objektivität des Historikers auf negative Weise bestimmt sein soll, und in 49), fast immer im Präsens (Perfekt in Kap. 37, 44, 49 und 55, je ein präsentisches Perfekt in Kap. 45 und 49, bebhk°tv und §oik°tv, einziger Aorist parasx°syv in Kap. 51); häufiger erscheint nur ein sächlich oder personal zu verstehendes ¶stv. 813 Luk. Hist. Conscr. bes. 34 (≤ dÊnamiw [sc. •rmhneutikØ] ... prosgegenhm°nh ¶stv), 37 (... toioËtÒw tiw ı mayhtØw nËn paradedÒsyv), 43 (... tØn m¢n gn≈mhn toiaÊthn ¶xvn ı suggrafeÁw ≤k°tv moi). 814 Luk. Hist. Conscr. 38 und 41(sein moralisches Profil), 43, 45, 47–51 (seine Arbeitsleistung). 815 Luk. Hist. Conscr. 44–45, 49–50, bes. 55, 58. 816 So Hor. Ars 99–100 (non satis est pulchra esse poemata; dulcia sunto, / et quocumque volent animum auditoris agunto), 335 (quidquid praecipies, esto brevis). 817 Hor. Ars 122–123 (über die Charakteristik eines Achill habe zu gelten u. a.: iura neget sibi nata, nihil non arroget armis, über die einer Medea: sit Medea ferox invictaque), 176–177, 185–187, 189–201, 244, 338. 818 Longin. 9, 15; 10, 5; 22, 4.

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In diesem Zusammenhang mag es von Bedeutung sein, einen Blick auf andere Werke Lukians mit didaktischem Charakter zu werfen, und dabei zeigt sich, daß er die hier vorherrschenden Imperative an die dritte Person gerne einsetzt, so im Lexiphanes, in dessen letztem Teil Lykinos dem verirrten Hyperattizisten Lexiphanes einen Rat (sumboulÆ) erteilt, eine Paränese (para€nesiw). In diesem demnach mit der Methodenschrift in formaler Hinsicht durchaus vergleichbaren Kontext erscheinen solche Imperative819. Besonders dicht gebündelt treten diese zumal in der Persiflage des Rhetorum praeceptor auf, wo die Paränese des unsoliden Redelehrers mit diesem Stilmittel ausgiebigst und mit grellen, der Person des Sprechers angepaßten Effekten operiert820. Sehr besonnen ist das Mittel in der Schrift De saltatione zur Charakterisierung des idealtypischen Tänzers eingesetzt821. Dieser maßvolle Gebrauch steht dem rhetorischen Lehrbuch sehr viel näher als das in der Methodenschrift angewandte Verfahren. Für dieses liegt ein später Beleg noch in der 6. Rede Julians vor, in welcher der Passus über die Beschaffenheit des Kynikers, wie er sein solle, ebenfalls recht dicht gebündelt Imperative an die dritte Person enthält822. Es ist anzunehmen, daß diesen beiden Texten, jedenfalls in formaler Hinsicht, gewisse gemeinsame Diskurse oder vielmehr literarhistorische Traditionen zugrundeliegen, die auch sonst in didaktischer Literatur öfter zum Ausdruck kommen, besonders stark und dicht gebündelt im Gymnastikos des Philostratos823, in dem ausgedehnten Passus, der vom Anforderungsprofil des Trainers sowie des Athleten in den jeweiligen Wettkampfdisziplinen handelt824. Hier sind die formalen Kongruenzen mit Lukians Handhabung normativ verordnender Aussage mit beiden Händen zu greifen. Und da eine direkte Abhängigkeit Philostrats von Lukian sehr unwahrscheinlich ist, so zeigt dieser Umstand einmal mehr, wie stark das Wirken literarischer Konventionen für Autoren, die sich im selben oder einem ähnlichen Genre bewegten, in der Antike gewesen sein mußte, nur daß heute bloß einige wenige Beispiele, gewissermaßen die Spitze des Eisberges, bekannt sind. Ein letztes dieser heute noch erkennbaren Beispiele liegt in Lukians Saturnalia 825 vor, aus denen deutlich ersichtbar ist, daß solche Imperative an die dritte

819 Luk. Lex. 22 (sumboulÆ), 25 (para€nesiw), 23–24 (drei Imperative an die 3. Person). 820 Luk. Rh. Pr. 15–19 und 21–23, bes. häufig in 18–23; im Kommentar von Zweimüller 2008 findet dieser Umstand keine adäquate Berücksichtigung. 821 Luk. Salt. 75 und 77 (¶stv). 822 Jul. Or. VI 200 b–202 c: kaye€syv, geu°syv, égapãtv, Ípolamban°tv, §jelaun°tv, kubernãsyv, pate€tv, katapaiz°tv, vgl. auch das Verbaladjektiv xrhst°on. 823 Jüthner 1909, 87–89 betrachtet den zweiten Philostrat als den Verfasser und datiert die Schrift nach dem Zeitraum von 229/230–238 n. Chr.. Etwas problematischer erscheinen Jüthners Ausführungen zur literarischen Form bzw. zur Literaturgattung (97–107), denn sie beruhen trotz partiell geübter Kritik wesentlich auf dem bekannten Aufsatz von Norden 1905, der darin seine wirkungsmächtige, aber gleichwohl anfechtbare These vom zweiteiligen isagogischen Schema in ars und artifex formuliert hatte, ohne die notwendige Trennlinie zwischen „isagogisch“ und „rhetorisch“ zu ziehen. Nach Jüthners Darstellung ist es kaum als erwiesen zu betrachten, daß Philostrats isagogische Quelle, soferne er denn wirklich eine solche zur Verfügung hatte und benutzte, tatsächlich nach diesem isagogischen Schema konzipiert war. Auch kann Jüthners Auffassung vom Verfasser als einem Dilettanten und seines Zieles als eines rein epideiktischen weniger überzeugen, da der an sich methodisch durchaus wertvolle Vergleich mit Lukians Schrift De saltatione trotz Jüthners Versuch nur eine teilweise Ähnlichkeit der beiden Schriften erbringen kann. 824 Philostr. Gym. 25–35, bes. 25, 33 und 35, vgl. auch 50–53 und 57, am Häufigsten ¶stv und §x°tv. 825 Luk. Sat. 13–15.

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Person in dicht gebündelter Form ursprünglich der Gesetzessprache angehört haben dürften826. In diesem Sinne wird also bei der Übertragung auf literarkritische oder andere Kontexte jeder Art der normative Charakter der jeweiligen Anweisungen, deren Rang als verbindlich gültiger Gesetze noch unterstrichen. Mittel imperativischer Aussage sind auch die im dritten Teil von Lukians Schrift weit häufiger als in den beiden vorangehenden Teilen auftretenden Verbaladjektive827, die, wie schon gesagt, ebenso Ps. Longinos828 gelegentlich in dieser Bedeutung verwendet; bei dem schon zur Sprache gekommenen Musonius Rufus829 finden sie sich auch in didaktischen Passagen mit präskriptivem Charakter, und ähnlich verfährt zuweilen auch Horaz830. Wie Horaz831, so verwendet auch Lukian832 Futura mit imperativischem Appellcharakter, bisweilen bringt er Imperative durch das Mittel der Ellipse zum Ausdruck833; was ein Autor zu leisten hat, ist durch de› bezeichnet, ein sachliches Erfordernis durch xrÆ834. Die ungewöhnlich große Dichte835, mit der diese Syntagmen eingesetzt sind, erzeugt den Eindruck von lehrhafter Autorität, und zwar in einer durch vollständiges Zurücktreten des Autor-Ichs entpersonalisiert erscheinender und somit den Eindruck objektiver Sachverhaltsdarstellung erweckender Weise. Im Epilog (Kap. 61–63), der naturgemäß keine neuen Postulate mehr erteilt, treten die genannten Syntagmen zwar vollständig zurück, aber darum nicht auch der imperativische Charakter, der sich nunmehr, gewissermaßen zum aufgelockerten Ausklang der Schrift, weniger formelle Ausdrucksformen sucht836. Im dritten Teil der Schrift tritt die Ich-Form deutlich zurück. Zwar setzt er mit kräftigem Fhm‹ to€nun („so behaupte ich denn“) ein837, doch gleich danach, noch in den Einleitungskapiteln, 826 Aus dem römischen Kulturkreis ist in formaler Hinsicht auch das Zwölftafelgesetz zu vergleichen. 827 Fast immer nach dem Paradigma émelht°on, peist°on, xrhst°on etc. (Luk. Hist. Conscr. 39, 45, 46, 47, 51, 56, 57), einzige Ausnahme in Kap. 60. Dieses Syntagma findet sich innerhalb des ersten Teils der Schrift in Kap. 6, und zwar hier in stark gehäuftem Maße, weil die Exposition von Thema und Gliederung einen lehrhaften Stil als nötig erscheinen läßt. Auch in Kap. 9 unterstreichen Verbaladjektive die hier vom Autor demonstrativ eingenommene didaktische Rolle (§painet°on, §pakt°on und kanonist°on). Im zweiten Teil der Schrift erscheinen Verbaladjektive nur da, wo der Autor zum Zwecke allgemeiner gehaltener Kritik seine Besprechung einzelner Autoren kurzfristig unterbricht (Kap. 20: égno€aw t«n lekt°vn, Kap. 27: égno€aw t«n lekt°vn µ sivpht°vn). 828 Longin. 7, 1 (§piskept°on) und 38, 1 (parorist°on). 829 Bes. in der 4. Diatribe: Hense, Musonius 17, Z. 1–18, Z. 1; in 19, Z. 4 der Imperativ memayhk°tv; vgl. die 8. Diatribe: Hense, Musonius 33, Z. 14; 34, Z. 8; 35, Z. 16–17; 36, Z. 20; in 40, Z. 6 der Imperativ §x°tv. 830 Hor. Ars 102–103 (si vis me flere, dolendum est / primum ipsi tibi), so auch 156–157. 831 Hor. Ars 136, 178, 183, etwas anders 226, vgl. 129 (Präsens mit imperativischem Charakter). 832 Luk. Hist. Conscr. 38 (deixyÆsetai, fobÆsei, ≤gÆsetai), 52–53 (keine Imperative, keine Verbaladjektive, sondern die Futura poiÆsetai, xrÆsetai, êrjetai, eÈporÆsei, poiÆsei), 55 (poiÆsei, §pãjei), 57 (metabÆs˙). 833 Luk. Hist. Conscr. 59 (Ellipse von ¶stvn), 39, 60 und 63 (Ellipse von ¶stv). 834 Luk. Hist. Conscr. 51 (de›), 51, 56 und 63 (xr∞nai bzw. xrÆ), Hor. Ars 48 (necesse est). 835 Eine tiefgründigere Untersuchung der in rhetorischen Lehrbüchern üblicherweise angewandten Stilmittel gibt es meines Wissens nicht. So habe ich für die Zwecke dieser Arbeit exemplarisch ein repräsentatives rhetorisches Lehrbuch nach diesem Aspekt hin untersucht, die Stasislehre des Hermogenes (Spengel II 133–174), und dabei hat sich ergeben, daß der Verfasser die Verbaladjektive und Imperative der dritten Person als Stilmittel in auktorialen Aussagen ebenso wie innerhalb der Lehranweisungen einsetzt, aber vor allem letztere deutlich sparsamer, als dies bei Lukian der Fall ist (Imperative: Spengel II 133, Z. 13; 144, Z. 11; 172, Z. 22; 173, Z. 13; Verbaladjektive mehr als dreimal so oft). Dieser Vergleich zeigt, daß Lukian mit seiner Handhabung dieser an sich konventionellen Stilmittel bewußt überzeichnet. 836 Luk. Hist. Conscr. 63: xrØ ... grãfesyai und otÒw soi kan∆n ka‹ stãymh flstor€aw dika€aw (sc. ¶stv). 837 Luk. Hist. Conscr. 34: es folgt sodann, diese energetische Einleitung ein wenig entschärfend, ohne ein dazwischentretendes de›n oder xr∞nai der bloße Infinitiv ¥kein. Es wurde schon zuvor (in der Einleitung, Teil I 2. 4)

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erscheint das Autor-Ich lediglich in Aussagen mit negativem Sinn838. Im ganzen langen Mittelteil (Kap. 37–60) dient das Ich nur mehr zu strukturierenden Rückverweisen839 und parenthetischen Einschüben des Sinns „meine ich“ bzw. „ich meine“840, wenn es nicht überhaupt (zumeist in Form von Dativi ethici) in Verbindung zu den, wie bereits gezeigt, hier dominierenden Imperativen der dritten Person tritt841. Mit Ausnahme des energisch einleitenden Fhm‹ to€nun in Kapitel 34 dient das Ich somit in keinem Fall zu einer Vermittlung wesentlicher didaktischer Aussage. Im Epilog schließlich tritt das Autor-Ich noch ein letztes Mal stärker hervor, doch nunmehr hat es lediglich rekapitulierende und die Schrift als ganze abschließende Funktion842. Die Ansprache an das Du erscheint zu Beginn843 lediglich in einem ganz allgemeinen Sinn, vergleichbar einem allgemeinen „man“, und tritt dann für lange Zeit gänzlich zurück, um gegen Schluß wieder deutlich in Erscheinung zu treten844. Dabei dominiert die imperativische Ansprache, und zwar in der Form von Imperativen845, vereinzeltem Futurum mit imperativischer Bedeutung846 sowie, gleichfalls singulär, einem Syntagma mit nicht explizit ausgesprochenem, doch vom Textsinn her klar zu ergänzendem Imperativ847. Im übrigen ist hier die Ansprachehaltung bewußt variabel gehalten, um so die Schrift mit einer aufgelockerten Gesprächsatmosphäre ausklingen zu lassen. Bisweilen ist das Du in der Form von Kondizionaloder Finalsätzen angesprochen848, in zwei Fällen auch mit Annäherung an den Stil der Diatribe in rhetorischer Frage849, und dann wieder auch in nunmehr bereits das Verständnis vonseiten des Ansprechparters evozierenden Syntagmen850.

herausgearbeitet, daß Aussagen des Typs fhm‹ d° dem Diatribenstil angehören (Bultmann 1910, 13). 838 Luk. Hist. Conscr. 34 (taËta ... oÈd¢n §moË sumboÊlou deÒmena: oÈ går sunetoÁw ka‹ Ùje›w épofa€nein toÁw mØ parå t∞w fÊsevw toioÊtouw fhs‹ toËto ≤m›n tÚ bibl€on) und Kap. 35 (Àste ép°stv ka‹ ≤m«n tÚ §p€fyonon t∞w Íposx°sevw, efi t°xnhn fam¢n §fÉ oÏtv megãlƒ ka‹ xalep“ t“ prãgmati eÍrhk°nai: ktl). 839 Luk. Hist. Conscr. 39 und 55 (jeweils …w ¶fhn), 44 (skopoÁw Ípey°meya). 840 Luk. Hist. Conscr. 38 (o‰mai) und 56 (l°gv d°). 841 Luk. Hist. Conscr. 37 (≤m›n toioËtÒw tiw ı mayhtØw nËn paradedÒsyv), 41 (ToioËtow oÔn moi ı suggrafeÁw ¶stv), 43 (≤k°tv moi). 842 Rekapitulierend Luk. Hist. Conscr. 61 (§ke€nou moi m°mnhso – pollãkiw går toËto §r«), abschließend 63 (§w d°on ≤m›n g°graptai). 843 Luk. Hist. Conscr. 35 (ÍpÒsxointo ên soi) und 36 (oÈ går ín fa€hw). 844 Ab Luk. Hist. Conscr. 56 durchgehend, besonders intensiv in Kap. 56–57 und im Epilog (v. a. 61). 845 Luk. Hist. Conscr. 57 (sk°cai und §nnÒhson), 61 (m°mnhso, grãfe, sÊggrafe und épa€tei). Imperative gehören dem Stil der Diatribe an, in deren Schlußteil des öfteren eine Mahnung vom Typ m°mnhso erscheint (Bultmann 1910, 13 und 32). 846 Luk. Hist. Conscr. 57 (metabÆs˙). 847 Luk. Hist. Conscr. 60 (sÁ dÉ ék€ndunow). 848 Luk. Hist. Conscr. 35 (efi paray°oiw ... l°goiw d¢), 56 (µn •stiòw), 57 (…w mØ ... doko€hw), 61 (…w ... §pain°sonta€ se und …w l°ghtai ka‹ per‹ soË). 849 Luk. Hist. Conscr. 57 (pÒsoiw ín o‡ei ¶pesi) und 62 (ÑOròw ...;). Fragen dieser Art gehören, wie schon öfter in vergleichbaren Kontexten festgestellt, dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 13). 850 Luk. Hist. Conscr. 57 (ıròw und e‡s˙).

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Das Verhältnis der einzelnen Schriftteile zueinander Es ist in einem weiteren Arbeitsschritt zu fragen, wie die einzelnen Teile der Schrift untereinander thematisch zusammenhängen. Zuerst bedarf das Verhältnis des innerhalb gewisser räumlicher und inhaltlicher Grenzen didaktischen ersten zum durchgehend didaktischen dritten Teil der Schrift näherer Betrachtung, sodann sind die Beziehungen der didaktischen Anweisungen des ersten Teils zum zweiten Teil zu untersuchen, und schließlich ist zu fragen, inwieweit die Lehranweisungen des dritten Teils eine kongruente Entsprechung an dem im zweiten Teil behandelten konkreten Objekt finden. Der didaktische Passus des ersten Teils der Schrift851 ist im Wesentlichen unter ein Thema gestellt, die Unvereinbarkeit von Geschichtsschreibung und Enkomion852. Dieses Thema ist in immer neuen Variationen abgehandelt, auf allgemeiner Ebene, ohne konkreten Bezug zur aktuellen Situation853. Das einzige Thema, das zu diesem noch hinzutritt, ist die ebenso fundamentale Unterscheidung der Gattung Geschichtsschreibung von der Dichtung854. Die vonder frei imaginierenden Phantasie des Dichters erschaffenen fiktionalen Elemente werden jedoch nicht, wie nach dem Beginn von Kapitel 8 zu erwarten, als selbständige Kategorie abgehandelt, sondern erscheinen von Anfang an in enger Verknüpfung mit dem Enkomion, wie schon das gewählte Beispiel aus Homer zeigt, der Vergleich Agamemnons mit Zeus, Poseidon und Ares855, der nicht nur ein Ergebnis poetischer Imagination in ihrer gattungsadäquaten Berechtigung856 illustriert, sondern auch den enkomiastischen Charakter derartiger Vergleiche enthüllt. Die Diskussion des mËyow tritt danach bald in den Hintergrund857, um dem zuvor schon den Gedankengang dominierenden Thema des Enkomions nunmehr vollständig zu weichen. Die Konsequenz dieser Art der Darstellung ist jedoch ein unscharfer Begriff von mËyow, der, wie zu zeigen sein wird, die Identifizierung „mythischer“ Elemente im zweiten Teil der Schrift erschwert. Im dritten Teil der Schrift ist der Begriff mËyow ein weiteres Mal gebraucht858, diesmal jedoch in gänzlich anderer Bedeutung. Hier sind damit nicht die Ergebnisse freien Imaginierens gemeint, sondern unbeglaubigte Inhalte, die der Historiker in sein Geschichtswerk zwar integrieren dürfe, die er aber als solche zu kennzeichnen habe. Hier hat mËyow eine aus antiker Geschichtsmethodologie vertraute Bedeutung, die eine dementsprechend reiche Dokumentation durch literarische Parallelen erlaubt859. Innerhalb ein und derselben Schrift verwendet Lukian also 851 Luk. Hist. Conscr. 7–13. 852 In Luk. Hist. Conscr. 7 erscheinen flstor€a und §gk≈mion als durch zwei Oktaven voneinander getrennt; für das §gk≈mion stehen ansonsten in Kap. 7–13 die alternativen Bezeichnungen ¶painoi und kolake€a, entsprechend finden sich das Verbum §paine›n und das Substantiv kÒlaj. Die Bedingungen für erlaubtes Lob sind in Kap. 9 definiert. 853 Das einzige konkrete Beispiel stammt aus der Alexanderliteratur, die Aristobulos–Alexander–Anekdote in Luk. Hist. Conscr. 12; die durch die Partherkriege zu Darstellungen motivierten Historiker sind vollständig ausgeklammert, es sei denn, man möchte in den Worten pollo‹ t«n suggrafÒntvn [ofl pollo€] (Kap. 13) bereits den (freilich gänzlich unspezifischen) Übergang zu dem zweiten Teil der Schrift erblicken. Ebenso unspezifisch sind auch der Hinweis auf Teilnahme bei Lesungen und die Ankündigung, darüber sprechen zu werden in Kap.7. 854 Luk. Hist. Conscr. 8 (der flstor€a steht gegenüber die poihtikÆ). 855 Hom. Il. II 478–479. 856 Vgl. Luk. Pr. Im. 25 (Homers Charakteristik Agamemnons ist paradigmatisch für poetischen ¶painow). 857 Ab Luk. Hist. Conscr. 11 spielt der mËyow überhaupt keine Rolle mehr. 858 Luk. Hist. Conscr. 60. 859 Vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 60.

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denselben Begriff in zweierlei Bedeutung, ohne je den begrifflichen Unterschied zu erläutern. Die prolalia Bacchus, in der mËyow in denselben beiden Bedeutungen wie hier erscheint860, kann jedoch als Anschauungsbeispiel für einschlägiges antikes Begriffsverständnis dienen. Von zentraler Bedeutung für die Gesamtaussage der Methodenschrift ist die im ersten Teil geforderte Freiheit des Historikers von Enkomiastik. Im dritten Teil der Schrift kommt das Postulat der Furchtlosigkeit hinzu861. Damit sind die Parallelen zwischen dem ersten und dem dritten Teil der Schrift aber schon bestimmt. Von der durchgehenden Geschichtsmethodologie des dritten Teils findet sich ansonsten im ersten Teil nichts, was nicht im Umfeld von dessen Hauptthema angesiedelt wäre862. Als nächstes ist nach der Relevanz der Themenbereiche von §gk≈mion und mËyow (erster Schriftteil) für die im zweiten Teil kritisierten Autoren zu fragen. Dabei fällt sogleich auf, daß nur ein einziges Mal explizit der Vorwurf der Schmeichelei erhoben wird, im Falle des korinthischen Historikers, der sich, ganz in Widerspruch zu seiner plakativen Selbstdarstellung als eines weisen Mannes, in dieser Hinsicht bereits im Proömium allzuviel an penetranter Schmeichelei geleistet habe863. Ansonsten ist das Thema der Schmeichelei im zweiten Teil vermieden. Nur gelegentlich wird es bei der geringen Qualität all dieser Autoren, wie sie vom Autor dargestellt ist, naturgemäß berührt, doch stets richtet sich die Kritik des Autors in all diesen Fällen auf andere Mängel. So wird der Vergleich des Lucius Verus mit Achilles durch den milesischen Anonymus864 nicht etwa unter dem Aspekt der kolake€a betrachtet, sondern ist als intellektuelles Defizit markiert; der Autor habe eben nicht gewußt, daß die Leistungen des Kaisers sich gerade durch eine Aufwertung des Gegners proportional hätten steigern lassen865. Einem anderen Anonymus wiederum habe kaum ein ganzes Buch ausgereicht, um, mit unmißverständlicher Anspielung auf den Schild Agamemnons, so wie er bei Homer dargestellt ist866, den Schild des römischen Kaisers zu beschreiben867. Auch hier gilt die Kritik des Autors nicht der darin sich bekundenden Schmeichelei, sondern, wie der Kontext deutlich zeigt, einzig der Abgeschmacktheit

860 Zur doppelten Bedeutung von mËyow Marincola 1997, 125–127 und Porod / Porod 2008. Bei Georgiadou / Larmour 1994, 1458–1459 ist die Ambivalenz des Begriffes innerhalb dieser Schrift nicht erkannt. 861 Luk. Hist. Conscr. 38–39 und 41, vgl. den Abschnitt zum moralischen Qualifikationsprofil des Historikers in der Einleitung, Teil II 3. 862 Der wichtige Gedanke, daß der Geschichtsschreiber mit Blick auf die zukünftige Leserschaft schreiben müsse (Luk. Hist. Conscr. 9), wird im dritten Teil kräftig wieder aufgenommen (Kap. 39–40, 42, 61–63). Das Konzept richtigen Lobes (Kap. 9) ist in Kap. 59 um den Komplementärbegriff cÒgow erweitert. Die Priorität des xrÆsimon vor dem terpnÒn (Kap. 9) wird in Kap. 42 bei dem Hinweis auf das als vorbildhaft erachtete thukydideische Methodenkapitel (mit Unterscheidung von §w tÚ parÚn ég≈nisma und tÚ xrÆsimon) mit leichter Variation im Ausdruck wieder aufgegriffen. 863 Luk. Hist. Conscr. 17 (tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã), vgl. dazu den Kommentar z. St. 864 Luk. Hist. Conscr. 14 (dieser habe dazu auch noch Vologaeses mit Thersites verglichen). Im fragmentarischen Beginn von Frontos Principia historiae erscheint Lucius Verus sogar noch als über Achill gestellt, vgl. dazu auch Steinmetz 1982, 153, die Einleitung, Teil I 1. 4 sowie den Kommentar zu Kap. 14: ÉAxille› m¢n tÚn ≤m°teron êrxonta e‡kaze. 865 Luk. Hist. Conscr. 14 (oÈk efid∆w ˜ti ı ÉAxilleÁw éme€nvn ∑n aÈt“ efi ÜEktora mçllon µ Yers€thn kayπrei). 866 Hom. Il. XI 32–40; zu den Änderungen, die der Anonymus daran vorgenommen hat, vgl. den Kommentar zu Kap. 19: ≤ goËn ésp‹w ≤ toË aÈtokrãtorow ktl. 867 Luk. Hist. Conscr. 19.

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ausufernder Ekphraseis868. Und auch die von demselben Autor angegebenen unglaubwürdigen Verwundungen und Todesarten sowie gesundem Menschenverstand widersprechenden Verlustzahlen, die Schlacht bei Europos betreffend, werden unter dem Aspekt des Verstoßes gegen das Prinzip der Wahrscheinlichkeit869 betrachtet, nicht unter dem der Schmeichelei. Als möglicher Grund dafür ließe sich nennen, daß Lukian hier mit gewisser diplomatischer Vorsicht agiert. In unverfänglichen theoretischen Betrachtungen des ersten und des dritten Teils der Schrift hingegen fällt sein Urteil über Schmeichelei bedeutend kompromißloser aus870, als es am konkreten Objekt der Fall ist. Auf indirekte Weise vermeidet er den Eindruck von Kritik an Kriegsführung und Person des Lucius Verus871, ohne damit schon Abstriche am Postulat objektiver Darstellung in Kauf nehmen zu müssen, ein geschicktes Verfahren, das Lukian auf dem Höhepunkt seiner Beherrschung aller Register literarischer Konzeption und Gestaltung zeigt. Im Medium der Geschichtsschreibung illegitime fiktive Elemente872, wie sie der Dichtung eigen seien, erscheinen in dem zweiten Teil der Schrift nirgendwo explizit als die Objekte von Kritik873. Allenfalls ließen sich die ein ganzes Buch einnehmende Beschreibung des Schildes des Lucius Verus874 dazu rechnen, die ebenso langatmige wie für das Verständnis des Ganzen irrelevante Erzählung vom umherirrenden Mauren Mausakas875 und die Schilderung zukünftiger römischer Erfolge876. Doch in keinem dieser Fälle legt Lukian, wie es scheint, sichtbaren Wert darauf, einen Zusammenhang zum ersten Teil der Schrift herzustellen. Konsequentere Durchführung des Themas wäre hier wünschenswert gewesen877. Eine solche war freilich auch kaum zu erwarten, da bereits im ersten Teil der Schrift, wie bereits gesagt, der Begriff mËyow unscharf verwendet und und kaum ausreichend weiterverfolgt worden war878. Die substantiellste Frage ist die nach dem Verhältnis des dritten zum zweiten Teil der Schrift. Das häufigste Thema im zweiten Teil ist mangelhafte Proömiumsbehandlung879. Zentrale

868 Luk. Hist. Conscr. 19 (dessen cuxrÒthw zeige sich in seinen exuberanten topographischen Ekphraseis). 869 Luk. Hist. Conscr. Kap. 20 (traÊmata sun°grace pãnu ép€yana, dies sei ein klarer Verstoß gegen das literarästhetische Prinzip der piyanÒthw). 870 Hier ist das Thema bei weitem stärker präsent (Luk. Hist. Conscr. 7–8, 10–13, 38–41 und 61–63). 871 Prinzipiell zutreffend, wenn auch leicht überzeichnet, äußert sich dazu Baldwin 1973 a 94–95 so: „But we must also reckon Lucian the careerist. He nowhere takes the historians to task for undue magnification of Verus, and does not try to deflate the military achievement of Rome and her generals. His prescriptions on the general ethics of flattery and stylistic matters were ... not likely to get him into any trouble with eminent men“. 872 In Luk. Hist. Conscr. 8 sind sie durch die Begriffe mËyow und terate€a gekennzeichnet. 873 In Luk. Hist. Conscr. 28 (mËyoi ... makro‹ ka‹ dihgÆseiw) ist der Begriff mËyow weniger im terminologisch strengen Sinne von Kapitel 8 gebraucht, sondern mËyoi und dihgÆseiw sind hier geradezu in der Bedeutung eines Hendiadyoins zu verstehen. Auch das Verbum énaplãttein hat in Kap. 31 nicht dieselbe Konnotation wie in Kap. 12, wo es als eindeutig dem Thema Schmeichelei untergeordnet erscheint. 874 Luk. Hist. Conscr. 19. 875 Luk. Hist. Conscr. 28. 876 Luk. Hist. Conscr. 31. 877 Schon Wieland 1788 / 1789, 4. Teil, 77 vermißte, ohne dafür konkrete Beispiele zu nennen, an dieser Schrift „Ordnung und Präcision der Begriffe und des Ausdrucks“; Rigault 1856, 33–35 und Sommerbrodt 18782, 2, auch sie ohne konkrete Belege, glaubten, an ihr Züge von Flüchtigkeit feststellen zu können. Doch ist demgegenüber klar zu konstatieren, daß Inkonsequenzen dieser Art sich in dieser Schrift nur sehr selten zeigen. 878 Luk. Hist. Conscr. 8 und 10, ab Kap. 11 scheint der Begriff mËyow nicht mehr auf. 879 Luk. Hist. Conscr. 14–18, 23 und 30 sowie 32 (Thema Buchaufschriften).

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Kritikpunkte sind (mehrfach) deplaziertes Selbstlob880 sowie Lob der Heimat881, Musenanruf882, Syllogismen883, Plagiate884, alberne Behandlung der Ursachenfrage885, unverhältnismäßige Länge im Verhältnis zum eigentlichen Werk886 und ganz unbegründetes Fehlen eines Proömiums überhaupt887. Dazu kommen unpassende Buchaufschriften, die entweder überlang ausfallen888 oder auch zu pompös889, oder die, für das literarische Genos unpassend, Anleihe nehmen bei Verfassern attischer Lokalchroniken890. Wie richtig zu verfahren ist, zeigen im dritten Teil die Kapitel 52–54. Sie behandeln die Frage, ob überhaupt ein Proömium gebraucht wird, und wenn ja, wie es im Sinne von Interessenserweckung und Verständnisförderung für die Rezipienten zu gestalten ist. Als Parameter zur Orientierung sind die Proömien des Thukydides und Herodot empfohlen, denn sie seien ausschließlich sachorientiert. Großen Raum nimmt im zweiten Teil auch der Themenkomplex der Behandlung von Ekphraseis, der Scheidung von wichtigen und unwesentlichen Inhalten sowie von sachadäquatem Erzähltempo ein. Die kritisierten Historiker ließen es dabei an den elementarsten Prinzipien fehlen; sie ergingen sich in für das Verständnis des Ganzen nutzlosen topographischen und sonstigen Beschreibungen, das Wichtige hingegen streiften sie flüchtig oder ließen es überhaupt weg891, um dafür irrelevante Episoden in allergrößter Detailfreudigkeit auszumalen892. Das dem Gegenstand adäquate Verfahren (Kap. 56–57) bestehe demgegenüber in richtiger Auswahl nach den Kriterien von Bedeutsamkeit, Klarlegung und Nutzwert, also nach sachund rezipientenorientierten Gesichtspunkten. Thukydides gilt hier als das Paradigma par excellence für erzählerisches Tempo (tãxow), das als relative Größe ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Sachverhalt und Darstellung herstelle. Zwischen zweitem und drittem Teil der Schrift besteht gerade hier ein ganz besonders enges Verhältnis durch die Wahl geradezu stereotyper Formulierungen, mit welchen der Autor stets aufs Neue immer dieselben elementaren Prinzipien nachdrücklich einschärft893. Angesichts derart gravierender Verstöße, wie sie bei diesen Autoren zu beobachten seien, werden Fragen der literarischen Konzeption, wie sie im dritten Teil erörtert werden894, im zweiten Teil der Schrift gar nicht erst berührt, denn die Kritik des Autors richtet 880 Luk. Hist. Conscr. bes. 14, 16 und 17. 881 Luk. Hist. Conscr. 14. 882 Luk. Hist. Conscr. 14. 883 Luk. Hist. Conscr. 17. 884 Luk. Hist. Conscr. bes. 15 und 26 (Thukydidesplagiate), bes. Kap. 18 (Herodotplagiat), vgl. auch Kap. 23 (verständnislose Imitatio Xenophons). 885 Luk. Hist. Conscr. 14. 886 Luk. Hist. Conscr. 23, vgl. Kap. 30 (überlange Buchaufschrift). 887 Luk. Hist. Conscr. 23. 888 Luk. Hist. Conscr. 30. 889 Luk. Hist. Conscr. 16. 890 Luk. Hist. Conscr. 32. 891 Luk. Hist. Conscr. 19–20 und 27–28, 30 und 32 (summarisch). 892 Luk. Hist. Conscr. 28 (die Episode vom Mauren Mausakas ist das einzige breit ausgeführte Beispiel). 893 Man vergleiche die Verwendung der Verba paraye›n und parale€pein (Luk. Hist. Conscr. 27 sowie 56–57), die der Adjektive énagka›ow und xrÆsimow (Kap. 19–20 und 56–57) sowie die Gegenüberstellung von pollã bzw. megãla und mikrã bzw. mikrÒtata (Kap. 20, 27 und 56–57). 894 Luk. Hist. Conscr. bes. 50 und 55; es handelt sich um den zweiten Arbeitsschritt bei dem Abfassen eines Geschichtswerkes, die tãjiw (Kap. 48).

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sich immer nur auf solche Mängel, die nicht einmal den Minimalanforderungen gerecht würden. Und dies ist auch der Grund, warum es zu einer völligen Deckungsgleichheit der beiden Teile der Schrift nicht kommen kann. Auch bei der sprachlichen Präsentation fällt der Tadel stets nur auf das Unterschreiten des absolut notwendigen Minimalniveaus, welches zwei Aufgaben zu leisten habe, allgemeinverständlich zu sein und die Anerkennung der Gebildeten zu finden895. In diesem Sinne übt der Autor keineswegs Kritik an der Verwendung des ionischen Dialekts an sich, sondern bloß daran, daß er in einem Fall aus Herodot gestohlen ist896, und in einem anderen Fall macht seine Kritik sich daran fest, daß ein unmotivierter Wechsel vom ionischen Dialekt zur Koine vollzogen werde897. Ansonsten besteht die Kritik in einem inadäquaten Verhältnis griechischer Autoren zur lateinischen Sprache. Einer dieser Autoren habe römische Vokabel gräzisiert (also beispielsweise aus dem lat. fossa ein griechisches fÒssa gemacht)898, ein anderer wieder habe lateinischen Eigennamen verfremdende griechische Sinnbezüge verliehen (so habe er aus Saturninus statt des korrekten Satourn›now ein albernes KrÒniow gemacht)899. Weder würden solch abgeschmackte Verfahren zu einer Verständlichkeit beitragen, noch auch könnten sie auf Billigung der Gebildeten rechnen. Wieder ein anderer Autor habe hochpoetisches mit umgangssprachlichem oder (im sprachlichen Niveau) noch darunter liegendem Vokabular vermischt900. Damit habe er nicht nur den an sich schon zu tadelnden Fehler begangen, für den Gegenstand ein zu hohes und zu niedriges Sprachniveau zu verwenden, sondern er habe sich des noch schwerwiegenderen Fehltrittes schuldig gemacht, inkompatible Elemente zu einem inorganischen mixtum compositum zu vermischen901. Auch in diesem Bereich sind nach Darstellung des Autors die Mängel dermaßen elementar, daß die Feinheiten historiographischer Prosa, wie sie im dritten Teil der Schrift behandelt sind902, gar nicht erst thematisiert zu werden brauchen, und dasselbe trifft generell zu auf den dritten Arbeitsschritt, den Schmuck der Rede, die sprachliche, stilistische und rhythmische Ausarbeitung903. Wie schon festgestellt wurde, konnte auch der zweite Arbeitsschritt, die tãjiw, wegen noch viel gravierenderer Mängel bei den kritisierten Autoren im zweiten Teil der Schrift keine besondere Berücksichtigung finden. Einer der Autoren habe es schon vollends mit dem Abschluß des ersten Arbeitsschrittes, der Erstellung eines unausgearbeiteten Rohentwurfs (ÍpÒmnhma)904, bewenden lassen905. Immerhin findet der Autor Lukian an der vorausgegangenen

895 Luk. Hist. Conscr. 44 (…w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai). 896 Luk. Hist. Conscr. 18 (Plagiatsvorwurf). 897 Luk. Hist. Conscr. 16 (die Formulierung tå ple›sta oÂa §k triÒdou übt v. a. auch Kritik an literarischem Subniveau). 898 Luk. Hist. Conscr. 15. 899 Luk. Hist. Conscr. 21. 900 Luk. Hist. Conscr. 22. 901 Luk. Hist. Conscr. 22 (dieser gleiche einem tragischen Schauspieler mit dem Schauspielerschuh auf dem einen Fuß und der Sandale auf dem anderen). 902 Luk. Hist. Conscr. bes. 45. 903 Luk. Hist. Conscr. 48, vgl. 44 und 46. 904 Luk. Hist. Conscr. 48. 905 Luk. Hist. Conscr. 16.

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sachlichen Recherche906 des Verfassers keinen Anlaß zum Tadel, doch in einem anderen Fall stellt er Mängel in diesem Bereich als die Ursache für grobe topographische Schnitzer heraus, habe doch ein Anonymus derart nachlässig recherchiert, daß er Europos und dazu noch Samosata, die syrische Heimatstadt des Autor-Ichs, d. h. in diesem Falle Lukians selbst, nach Mesopotamien versetzt habe907. Ansonsten jedoch spielen Verstöße gegen das intellektuelle Qualifikationsprofil, wie es auch im dritten Teil der Schrift nur knapp abgehandelt ist908, im zweiten Teil eine untergeordnete Rolle, denn die falsche Zahlenangabe eines Anonymus909 wird wesentlich unter dem Gesichtspunkt der darin liegenden Absurdität, des krassen Verstoßes gegen den gesunden Menschenverstand910 betrachtet. Wieder andere Autoren paradierten mit ihrer Autopsie911 oder der Einholung von Augenzeugenberichten912, also mit denjenigen beiden Methoden, die im dritten Teil der Schrift913 die sachliche Recherche des Historikers ausmachen. Dabei habe ersterer nicht einmal über rudimentäre militärische Sachkenntnis verfügt914, und der zweite habe sich, wie ein anderer auch915, nicht darauf verstanden, das Kriterium der Glaubwürdigkeit zu erfüllen916. Auch hier zeigt sich wieder, daß die Kritik sich lediglich auf die elementarsten Mängel richtet. In besonderem Maß trifft dies nach Darstellung des Autors auch auf die angebliche Rede des Aphranius Silo zu, die sich ein bereits genannter Autor geleistet habe917. Diese sei mit ihrer billigen Theatralik ein Zerrbild einer zünftigen Rede, wie sie in der Historiographie auszusehen habe918. Und damit ist das Verhältnis des zweiten zum dritten Teil der Schrift im Wesentlichen schon bezeichnet. Bleibt nur noch, wiederum darauf hinzuweisen, daß die im dritten Teil, wie schon im ersten Teil auch, eine zentrale Stellung einnehmende moralische Qualifikation des Historikers im zweiten Teil der Schrift unterrepräsentiert erscheint. Nur einem einzigen Autor wird hier explizit Schmeichelei (kolake€a) vorgeworfen, nämlich dem korinthischen Historiker, der auch dadurch aus der Menge der kritisierten Autoren herausgehoben erscheint, daß Lukian sich nur bei ihm des im zweiten Teil der Schrift sonst nicht gebrauchten Stilmittels des Imperativs an die dritte Person bedient (tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv) 919. Lukian hat es, wie bereits bei der Behandlung des 906 Luk. Hist. Conscr. 47 (die Postulate für die Recherchearbeit). 907 Luk. Hist. Conscr. 24. 908 Luk. Hist. Conscr. 47, vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1. 909 Luk. Hist. Conscr. 20: es geht um die Zahl der Gefallenen in der Schlacht bei Europos (370. 206 : 2; zur Zahl vgl. den Kommentar z. St.). 910 Luk. Hist. Conscr. 47: Kriterium des piyanÒn. Bereits Polybios hatte sich einer ähnlichen Strategie zur Lächerlichmachung seiner literarischen Gegner ausgiebig bedient; Belege bei Isnardi 1982, 260, Anm. 7. 911 Luk. Hist. Conscr. 29 (der korinthische Autor habe, wie seine Mitbürger ganz genau wüßten, Korinth nie verlassen). 912 Luk. Hist. Conscr. 25 (dieser Autor habe gar einen Schwur zur Bezeugung seines ganz unglaubwürdigen Berichtes geleistet). 913 Luk. Hist. Conscr. 47, vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1. 914 Luk. Hist. Conscr. 29, vgl. dazu das entsprechende Postulat in Kap. 37. 915 Luk. Hist. Conscr. 20 (traÊmata sun°grace pãnu ép€yana), vgl. 21. 916 Luk. Hist. Conscr. 25 (ironisch: kéke›no komidª piyanÚn). 917 Luk. Hist. Conscr. 26. 918 Luk. Hist. Conscr. 58. 919 Luk. Hist. Conscr. 17. Ungenau äußert sich dazu Gabba 1991, 255–256, der den „Ton der unterwürfigen

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Verhältnisses des zweiten zum ersten Schriftteil festgestellt wurde, vermieden, dieses Thema anhand eines dermaßen heiklen Objektes abzuhandeln. Er erteilt seine Weisungen lieber in einer von der aktuellen Situation abgelösten und darum viel weniger verfänglichen Form. Der Epilog der Schrift (Kap. 61–63) Der Epilog wiederholt eine Kernaussage der Schrift, den nachhaltigen Appell an die Adresse des Geschichtsschreibers, mit Blick auf die zukünftige Leserschaft sein Werk zu verfassen, damit es später von ihm heißen könne, er sei als freier, unabhängiger Mann, ohne sklavische Schmeichelei an seine Aufgabe herangegangen (Kap. 61 und 63). Als Anschauungsbeispiel dient der Architekt Sostratos von Knidos, dessen Bauinschrift am Leuchtturm von Pharos nach der vorausblickenden Intention des Erbauers nicht für die Gegenwart, sondern für die Ewigkeit berechnet gewesen sei (Kap. 62). So solle denn auch der Geschichtsschreiber verfahren; er solle nicht auf die kurzlebigen Interessen der Gegenwart setzen, sondern seine Darstellung einzig an den Parametern der Wahrheit (élÆyeia) und der Unverblümtheit (parrhs€a) ausrichten (vgl. bes. Kap. 38–41). Der in dieser Schrift in der Rolle des Diogenes von Sinope auftretende Autor präsentiert sich freilich als durchaus skeptisch hinsichtlich der praktischen Wirkungsmöglichkeit seiner Lehrschrift. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn der Autor im Schlußsatz erklärt, er habe eben nur seine Tonne im Kraneion gerollt (kekÊlistai ı p€yow §n t“ Krane€ƒ), wenn eben die Historiker sich nicht nach den hier erteilten Postulaten richten wollten. Formal kehrt die Schrift so zurück zu der ersten (und einzigen expliziten) Vorstellung des Diogenes in Kapitel 3. Dort waren diesem angesichts der hektischen Betriebsamkeit der Korinther bei dem Anrücken Philipps diese Worte in den Mund gelegt worden: Kul€v ... kég∆ tÚn p€yon, …w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw. Wie Diogenes, so gibt auch der Autor sich nicht der Illusion hin, es ließe sich bei der Verstocktheit der Masse mit einer Schrift wie dieser ein positiver Effekt erzielen (vgl. zu diesem Gedanken Kap. 5). Athletenvergleiche und das Paradigma Alexander Lukians Schrift präsentiert sich in einer durch Vergleiche mit anderen Disziplinen und eingestreute Anekdoten aufgelockerten Form. Unter den Vergleichen nimmt besonders der Wettkampfsport, die Athletik920, eine wichtige Stellung ein. Im ersten Teil der Schrift921 steht der Athlet für eine nicht durch die wesensfremden Elemente von mËyow und §gk≈mion verfälschte, sich ganz am Parameter der Wahrheit (tÚ élhy°w bzw. ≤ élÆyeia) orientierende Geschichtsschreibung (flstor€a), welche die Schönheit der Gestaltung (kãllow) allenfalls als akzessorischen Vorzug gelten läßt. Herakles922 figuriert als der Prototyp des Athleten, dessen weibische Aufmachung im Dienste der Omphale dazu dient, um das Unpassende einer mit Schmeichelei“ als „gemeinsames Charakteristikum“ all der im zweiten Teil von Lukian verspotteten Autoren bezeichnet. 920 Die von Georgiadou / Larmour 1994, 1478 angeführten Stellen aus Polybios sind jedoch nur sehr bedingt für einen direkten Vergleich mit Lukian zu gebrauchen, denn „athletic imagery is exceedingly common in the Greek literary tradition“. 921 Luk. Hist. Conscr. 8–10, bes. 10. 922 Zum Heraklesexempel kynischer Prägung vgl. Höistad 1948, 22–73.

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Hetärentand ausstaffierten Geschichtsschreibung anschaulich vor Augen zu führen. Der gleichfalls aus literarkritischen Zusammenhängen bei Quintilian923 und Tacitus924 bekannte Nikostratos, der einzige in dieser Schrift genannte kaiserzeitliche Athlet925, ist im Sinne eines Kontrastbildes seinem „schönen“ Kontrahenten Alkaios926 gegenübergestellt. Im zweiten Teil der Schrift927 dient die Athletik der vom Kontext her bestimmten Intention des Verfassers zufolge dazu, um den Umstand zu illustrieren, daß kein Trainer vermittels seiner Lehranweisung (t°xnh) jemanden zu einem erfolgreichen Athleten machen könne, der nicht von sich aus schon eine entsprechende Naturanlage (fÊsiw) als Grundvoraussetzung mitbringe. Beispiele für Athleten sind hier Theagenes und Polydamas sowie die Naturburschen Titormos und Milon, die mit drastischem Kontrast Schwächlingen wie Konon und Leotrophides gegenübergestellt werden. Der gemeinsame Nenner der Athletenvergleiche in beiden Teilen der Schrift ist die Konstituierung eines objektiven Parameters, im einen Fall zur Beurteilung der Qualität von Geschichtsschreibung, und im anderen Fall zur Selektion bloß derjenigen, die über die erforderlichen mentalen Voraussetzungen (sÊnesiw politikÆ)928 verfügten, um überhaupt als Adressaten einer einschlägigen Lehrschrift wie dieser in Frage zu kommen. Intellektuelles und physisches Training erscheinen so wechselweise aufeinander bezogen929. Als objektive Beurteilungsinstanz erscheint Alexander der Große in drei Anekdoten930, welche die Schmeicheleien zweier Alexanderhistoriker, die des Aristobulos und die des Onesikritos, sowie auch die eines namentlich nicht genannten Architekten vermittels der Reaktion Alexanders als das, was sie sind, demaskieren, als Schmeichelei, als kolake€a. Lukian, in dessen Texten Alexander sonst in monographischer Darstellung als exemplar militärischer Tüchtigkeit erscheint931, gebraucht in dieser Schrift den Makedonenkönig als ein probates Korrektiv zu einer Aufdeckung von an ihn adressierter Schmeichelei, während er andernorts932 wegen seiner zu großen Voreingenommenheit für seinen Freund Hephaistion selbst zum Opfer von Schmeichlern wird. Wie situationsadäquat Lukian das Alexanderexempel handzuhaben versteht, das zeigen zwei Dialoge, in deren einem Alexander und sein Vater Philipp miteinander 923 Quint. Inst. II 8, 14 (der Kontext: es geht in diesem Kapitel um ein auf unterschiedliche natürliche Anlagen Rücksicht nehmendes Training; die Athletik dient dabei als Anschauungsbeispiel). 924 Tac. Dial. 10, 5 (auch hier figuriert in einem rhetorischen Kontext der Athlet Nikostratos als Paradigma für Naturanlage = natura). 925 Vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 9: NikÒstraton tÚn ÉIsidÒtou. Im Jahr 36 n. Chr. siegte dieser an einem Tag sowohl im Pankration als auch im Ringkampf. Nikostratos ist ein älterer Zeitgenosse Quintilians (Quint. Inst. II 8, 14). 926 Luk. Hist. Conscr. 9 (Lukian ergreift die Gelegenheit, den sonst nicht bekannten Namen Alkaios zu einem Kontrast mit dem bewußt vorangehenden, Nikostratos bezeichnenden Prädikat élkim≈teron zu nutzen). 927 Luk. Hist. Conscr. 34–35. 928 Luk. Hist. Conscr. 34, vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2. 929 Van Nijf 2004 warnt zu Recht davor, in Arbeiten zur zweiten Sophistik den intellektuellen Bereich einseitig überzubewerten (207: „we have good reason not to exaggerate the distance between the two spheres“), weil (209) „Greek athletics continued to fascinate and preoccupy many of the writers associated with the Second Sophistic“. 930 Luk. Hist. Conscr. 12 und 40. 931 Luk. bes. Alex. 1; Hipp. 1; vgl. aber auch DMort. 25, wo Alexander im Streit um Vorrang an militärischer Tüchtigkeit von Minos den ersten Platz vor Scipio und Hannibal zugesprochen bekommt, dazu Baldwin 1990 mit einem unsicheren Datierungsversuch in die 170er Jahre (58–59). 932 Luk. Cal. 17–18.

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konkurrieren933 und in deren anderem Alexander von Diogenes über die Nichtigkeit aller irdischen Dinge aufgeklärt wird934; hier finden sich die aus Debatten innerhalb hellenistischer Philosophenschulen935 hervorgegangenen Topoi in dichter Fülle. Als neu kommt bei Lukian hinzu, daß der Tod als Folie gebraucht ist, vor der Alexanders Erfolge erst ihre definitive Relativierung erfahren können. Lukian stellt Alexander keineswegs inkonsequent dar, doch um dabei von einem auch nur irgendwie in sich geschlossenen „Alexanderbild“, wie dies bei Plutarch der Fall ist936, sprechen zu können, ist es zu sehr an die jeweiligen Kontexte, in denen es seine spezifischen literarischen Funktionen zu erfüllen hat, angepaßt. Namentlich von dem Alexanderbild, wie es in Arrians Anabasis 937 erscheint, unterscheidet sich Lukians Darstellung wesentlich. Von deren apologetischer Tendenz ist er, wie bei ihm auch nicht anders zu erwarten, ganz frei, wie u. a. die vollkommen unterschiedliche Bewertung des Kleitosmordes zeigt. Während Arrian für die Mordtat Verständnis aufbringt und, wie auch sonst bei derlei Gelegenheiten, die Schuld eher auf der Seite des Opfers als auf der des Täters zu suchen geneigt ist938, bezeichnet der Autor Lukian

933 Luk. DMort. 12; auch die zweite Königsrede Dions von Prusa beinhaltet ein Gespräch zwischen Vater und Sohn, doch hier ist Alexander ein hoffnungsvoller Jüngling, auf den stolz zu sein Philipp allen Grund hat. Bei Lukian ist aus dem Dialogtypus ein Konkurrenzverhältnis geworden, das in der (aus den Alexanderquellen bekannten) Verleugnung Alexanders von Philipps Vaterschaft und der Annahme des Ammonorakels gründet. 934 Luk. DMort. 13; zumindest formal ähnelt der Dialog durchaus der vierten Königsrede Dions von Prusa, in der Diogenes als den Makedonenkönig belehrend vorgestellt ist. 935 Gegenüber Stroux 1933 haben es Mensching 1963, bes. 281–282, Fears 1974 (eine kräftige, von Brunt 1977, 39–48 zu Recht aufgegriffene und weitergedachte Studie) und Badian 1958, 154–157 wahrscheinlich gemacht, daß in keiner der hellenistischen Philosophenschulen einheitlich negative Alexanderbilder existiert haben. Nach diesem Parameter sind die wegen ihres Materialreichtums immer noch wichtigen Arbeiten von Hoffmann 1907 und Weber 1909 zu korrigieren. Eine Darstellung der antiken Alexanderbilder aus historisch -politischer Perspektive gibt Heuß 1954. 936 Hamilton 1969, XXIII–XXXIII (zum Schriftenpaar De Alexandri Magni fortuna aut virtute) und LXII–LXVI (zur Alexanderbiographie, XXXVII: Datierung zwischen 110 und 115 n. Chr.). Das Schriftenpaar in den Moralia wird üblicherweise als bloße rhetorische Übung, als epideiktisches Elaborat ohne ernsten Anspruch gewertet (Hamilton 1969, XXIX–XXXIII) und als Jugendwerk klassifiziert (Jones 1971, 14 und 67), doch ist immerhin zumindest die Möglichkeit zuzugeben, daß Plutarch an die darin vertretenen überspannten Ideen, mögen sie auch aus heutiger Sicht für so manchen weniger nachvollziehbar sein, tatsächlich geglaubt hat. Zumindest die Biographie ist aber fast sicher unter Kaiser Trajan entstanden, und gemeinsam mit drei der Königsreden des Dion Chrysostomos (or. 1, 2 und 4; unterschiedliche Deutungen neueren Datums u. a. von Moles 1990 und, stärker in aktuellen Trends stehend und insgesamt doch weniger überzeugend, Whitmarsh 2005, 60–63) repräsentiert sie das unter Trajan neuerwachte Interesse für den Makedonenkönig als Vorbild und Norm zur Orientierung für den römischen Kaiser, jedenfalls in griechischer Literatur, während Plinius in seinem Panegyricus (gehalten im Jahr 100 n. Chr., in umfangreicherer Form publiziert wahrscheinlich um 101 n. Chr.) vom Alexanderexempel keinen Gebraucht macht, sondern darin einzig altrömische Größen als Vorbilder aufruft, Camillus, Fabricius und die Scipionen. In dem in Exzerpten erhaltenen 68. Buch des Cassius Dio (6, 3–4; 7, 2; 7, 4; 17, 1; 28, 3; 29, 1; 30, 1) ist Trajan noch immer in erster Linie positiv bewertet, wenn auch über seine Person hier gewisse kleine Schatten fallen; doch mit Seelentag 2004, 486–492, bes. 492 „eine alternative Tradition“ darin zu erblicken, die Trajan schon bald nach seinem Tod kritisch beleuchtet habe, fällt deshalb schwer, weil moderne und antike Beurteilungskriterien nicht übereinzustimmen brauchen. 937 Die Datierung der Anabasis ist umstritten (Bosworth 1972, bes. 185 vertritt plausibel eine Frühdatierung, irgendwann nach 115 n. Chr.), doch kann man davon ausgehen, daß diese der Methodenschrift Lukians auf alle Fälle zeitlich vorausgeht; vgl. zu den unterschiedlichen Datierungsversuchen die Einleitung, Teil I 1. 4. 938 Arr. An. IV 9, 1 (Ka‹ §g∆ Kle›ton m¢n t∞w Ïbrevw t∞w §w tÚn basil°a tÚn aÍtoË megalvst‹ m°mfomai: ÉAl°jandron d¢ t∞w sumforçw ofikte€rv, ktl.).

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den Mord ungeschminkt als das, was er ist, als eine rohe Gewalttat939 eines Furcht einflößenden Königs. Alexander dient dem Autor, jedenfalls in diesem Kontext, als eine der Folien, vor denen die Unabhängigkeit des idealen Historikers sichtbar gemacht werden kann. Appians positive Beurteilung Alexanders ist anders zu bewerten, ist sie doch hauptsächlich, wie es scheint, dessen ägyptischem Patriotismus zuzuschreiben940.

939 940

Luk. Hist. Conscr. 38 (... §p‹ tª Kle€tou sfagª »m«w §n t“ sumpos€ƒ genom°n˙). So u. a. zu Recht Alonso–Núnez 1984, 642 und 644.

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I 3 Lukian und die antiken geschichtsmethodologischen Diskurse I 3. 1 Die Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw Aus der Antike sind mehrfach Abhandlungen mit dem einschlägigen Titel per‹ flstor€aw bekannt, doch in keinem Fall läßt sich deren Inhalt auch nur ansatzweise sicher bestimmen941. Die frühesten dieser Schriften stammen aus dem Peripatos; als ihre Verfasser werden Theophrast und Praxiphanes genannt. Doch bevor der schwierige Versuch zu unternehmen ist, den beiden Schriften, von denen kein einziges sicher bezeugtes Fragment überliefert ist, zumindest gewisses hypothetisches Profil zu verleihen942, erscheint es sinnvoll, mit einem in diesem Zusammenhang sehr wichtigen Passus aus Ciceros Schrift De oratore zu beginnen. Cicero läßt hier „seinen“ Antonius sagen, seines Wissens nach habe die Geschichtsschreibung durch keine von Rhetoren erteilten Lehranweisungen jemals eine separate Behandlung erfahren (neque eam [sc. historiam] reperio usquam separatim instructam rhetorum praeceptis)943. Aus dieser Aussage des Antonius schloß Avenarius, daß die Existenz einer methodologischen Schrift Theophrasts als sehr fraglich erscheine und daß es in hellenistischer Zeit daher auch keine Spezialschriften zur Geschichtsschreibung gegeben haben könne944. Gegen diese Auffassung von separatim im Sinne von eigenständigen Monographien machte jedoch Walbank945 in seiner an sich sehr anerkennenden Rezension von Avenarius’ Buch bald den Umstand geltend, daß Antonius, nachdem er zuvor in eigener Person eine knappe und mit Understatement als allgemein bekannt vorausgesetzte Darstellung eines derartigen historiographischen Regelwerkes gegeben hatte, schließlich noch hinzufügt, es existierten in den Lehranweisungen der Rhetoren dafür keine Regeln (Harum tot tantarumque rerum videtisne nulla esse praecepta, quae in artibus rhetorum reperiantur?); solche gäbe es ja auch nicht für cohortationes, praecepta, consolationes, admonita, die allesamt in den verfügbaren Lehrbüchern (artes) keinen Platz gefunden hätten946. Daraus folgerte Walbank, daß separatim im Text lediglich bedeute, all diese Bereiche, und somit eben auch die Geschichtsschreibung, hätten nirgendwo neben den allgemeinen Lehrvorschriften (praecepta) der Lehrbücher (artes) eine spezifische, ihren jeweiligen Besonderheiten und speziellen Erfordernissen gerecht werdende Behandlung erfahren. Und in Konsequenz sei es daher zumindest prinzipiell möglich, daß die Theophrast und Praxiphanes zugeschriebenen Schriften per‹ flstor€aw die Theorie der Geschichtsschreibung behandelt haben könnten. Die Argumentation Walbanks scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein, doch verläßt man den bloßen Wortlaut des Textes und stellt sich in einem weiteren Gedankenschritt vor, 941 Eine Zusammenstellung bei Avenarius 1956, 170–173 und Homeyer 1965, 46–49. 942 Aus literarhistorischer Sicht ist es von Bedeutung, sich über den möglichen Inhalt dieser beiden Schriften bei aller gebotenen Vorsicht Gedanken zu machen, trotz Finleys 1975, 12 freilich durch keine Argumentation unterstützten lapidaren Urteils: „Speculation about their content is idle“. 943 Cic. de Orat. II 15, 62. 944 Avenarius 1956, 172. 945 Walbank 1957 b, 418–419. 946 Cic. de Orat. II 15, 64.

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daß bereits solche eigenständigen Monographien zu der Theorie der Geschichtsschreibung existierten, die im übrigen auch noch von Lukian, zumindest theoretisch, als mögliche Quellen benutzt werden konnten947, so stünde Antonius als jemand da, der nicht nur bekanntes Wissen als sein eigenes ausgibt, sondern der dies auch noch in geradezu sophistischer Weise tut. Mag Cicero auch seine Dialogpersonen jeweils mit persönlichen Eigenheiten ausgestattet auftreten und sprechen lassen, Antonius mit einer kleinen Prise von eitler Selbstverkleinerung, so doch jedenfalls nicht als Plagiatoren fremder Gedanken948. So betrachtet, erscheint es als ziemlich unwahrscheinlich, daß es eine Behandlung der Thematik auf methodologischer Ebene gegeben hat, weder als Teil rhetorischer artes noch auch als selbständige Monographien. Es gab somit bis auf Cicero949, wie es scheint, keine praecepta, aus denen man als Historiker in spe oder als interessierter Laie hätte lernen oder ersehen können, wie ein regelrechtes Geschichtswerk zu verfassen sei bzw. wie es auszusehen habe. Aus dem Ciceropassus läßt sich also zuversichtlich entnehmen, daß die Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw nicht als praktische Lehrbücher konzipiert waren, sondern sich dem Objekt der Geschichtsschreibung auf andere Weise genähert haben müssen, etwa in der Weise, daß sie literarhistorische Fragen behandelten oder auch die Gattung der Historiographie in ihrem Eigenwert bestimmten. Doch dies bedeutet nicht, daß in ihnen nicht auch theoretische Fragen in irgendeiner Form berührt gewesen sein konnten, wenn auch freilich nicht in einer Weise, die eine Klassifizierung der Abhandlungen als Lehrschriften hätte erlauben können. Es ist auch durchaus möglich, daß trotz des Fehlens einer erklärten didaktischen Zielsetzung in ihnen Akzente gesetzt worden sein könnten, die impulsgebend auf historiographische Diskurse späterer Zeiten gewirkt haben. Die früheste Schrift mit dem Titel per‹ flstor€aw ist für Theophrast, den Aristotelesschüler und den ersten Nachfolger in der Leitung des Peripatos, überliefert. Außer dem bloßen Titel und dem Namen des Verfassers ist über diese gar nichts bekannt950. Daß es darin um die Geschichtsschreibung ging, ist zwar nicht als sicher zu betrachten, doch als durchaus wahrscheinlich, besonders wenn man die sonstigen für Theophrast bezeugten Schriftentitel zum Vergleich heranzieht. Diese weisen nämlich für nicht historiographische Themen die Bezeichnungen flstor€ai bzw. flstor€a in Verbindung mit einem qualifizierenden Adjektiv oder Präpositionalausdruck auf951. Es ist anzunehmen, daß es in Theophrasts Schrift per‹ flstor€aw 947 Flach 1998, 257–258 läßt zuversichtlich wesentliche Bereiche von Lukians Schrift auf Theophrast und überhaupt auf peripatetischen Prinzipien basieren. Auch wenn dies in diesem Fall nicht allzu viel zu besagen hat, so lassen sich doch zumindest teilweise Theophrastkenntnisse Lukians direkt nachweisen, vgl. Macleod 1974 und erweiternd Baldwin 1977 b. 948 Perl 1984, 566, Anm. 10, der keinen Unterschied zwischen den Worten der Dialogfigur Antonius und der Aussage des Autors Cicero macht, kommt zu dem in dieser Form gewiß unzulässigen Verdacht: „Ob Cicero entgegen seiner Behauptung einschlägige Schriften (etwa des Isokrates oder Theophrast) kannte, bleibt unsichere Vermutung“. 949 Die Schrift De oratore wurde im Jahr 55 v. Chr. publiziert, doch ist hier auch das fiktive Gesprächsdatum 91 v. Chr. zu berücksichtigen (55 v. Chr. ist keiner der Gesprächsteilnehmer mehr am Leben). Für eine Einschätzung des Inhalts der Schriften per‹ flstor€aw ist eine exakte zeitliche Abgrenzung aber nicht relevant. 950 D. L. V 47 (Schriftenverzeichnis der Vielzahl theophrastischer Bücher), die Fragmente zu Rhetorik und Poetik bei Fortenbaugh II 508–559. Podlecki 1985, 233 denkt an eine mögliche Identifizierung von per‹ flstor€aw mit den flstorikå ÍpomnÆmata, doch dies erscheint unsicher und wohl kaum wahrscheinlich. 951 Beispiele sind: ÉAriymhtik«n flstori«n per‹ aÈjÆsevw a’ (Wehrli 1983, 498 und 501, vgl. 486 den nach

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um eine Gattungsbestimmung ging und wahrscheinlich auch um literarhistorische Fragen, etwa die Darstellungsformen und Stile der frühen Logographen und die Weiterentwicklung der Gattung durch Herodot und Thukydides. Für ersteres könnte der Abriß der Geschichtsschreiber bei dem, wie bekannt, auch sonst recht stark in peripatetischer Tradition stehenden Dionysios von Halikarnaß sprechen952. Zweiteres läßt sich jedoch direkt nachweisen, denn die einzige bezeugte Äußerung Theophrasts über Historiographie (vermutlich stand sie in der Schrift per‹ l°jevw) vergleicht den reicheren, ausgeschmückteren Stil des Herodot953 und des Thukydides mit dem schmuckloseren Stil von deren Vorläufern, die dieses Wagnis kunstvollerer literarischer Gestaltung noch nicht auf sich genommen hätten954. Im Zusammenhang mit den dominierenden literarhistorischen Themen waren darin wohl auch geschichtstheoretische Fragen angesprochen. Eine praktische Anleitung zu einem regelrechten Verfassen von Geschichtswerken war Theophrasts Schrift jedoch kaum, alleine schon wegen des für diesen Zweck unpassend erscheinenden Titels, welcher bei Theophrast, wie es scheint, eine andere Form haben müßte955. In dieser frühen Zeit ist eine diesem Typus gebildeten Titel Per‹ futik«n [fusik«n codd.] flstori«n a’–i’), ÉAstrologik∞w flstor€aw a’–w’ (Wehrli 1983, 480 und 501, vgl. 530 zu Eudemos von Rhodos), T«n per‹ tÚ ye›on flstor€aw a’–w’ (Wehrli 1983, 501). Der Titel per‹ flstor€aw ist also so zu verstehen wie der für Theophrast bezeugte per‹ kvmƒd€aw (Wehrli 1983, 499), in dem Sinne, daß beide eine literarische Gattung bezeichnen. 952 D. H. Th. 23: Nach der in Kap. 22 vorangegangenen (und erklärtermaßen von vielen bereits behandelten – Bonner 1939, 19–20 zeigt, daß dies zwischen dem 3. und dem 1. Jh. v. Chr. erfolgt sein muß) Unterscheidung von unbedingt notwendigen und akzessorischen Stilqualitäten (éreta‹ énagka›ai und éreta‹ §p€yetoi) geht der Verfasser daran, die Historiker vor Thukydides nach diesen Kriterien zu bewerten. Er stellt fest, daß sie alle zwar über die énagka›ai éreta€ verfügten, doch nur in sehr spärlichem Ausmaß auch über die §p€yetoi éreta€. Einzig Herodot habe sich darauf verstanden, seine Prosa der wirkungsvollsten Dichtung anzunähern (pareskeÊase tª krat€st˙ poiÆsei tØn pezØn frãsin ımo€an gen°syai). Der Text erweckt nun zwar schon den Eindruck, daß Dionysios die Historiker der dem peloponnesischen Krieg vorausgehenden Generationen noch selbst lesen konnte, doch ist mit der prinzipiellen Möglichkeit zu rechnen, daß ihm literarhistorische Vorarbeiten zur Verfügung standen. Wenn Cicero seinen Antonius auf die dem Catulus in den Mund gelegte Kritik an den darstellerischen Qualitäten der römischen Historiker hin replizieren läßt, daß doch auch die griechischen Geschichtsschreiber anfänglich so geschrieben hätten wie Cato, Pictor und Piso (de Orat. II 12, 51), so läßt dies vermuten, daß man auch in Rom Kenntnis von Werken der Logographen (in II 12, 53 nennt Antonius aus der Fülle der Autoren Pherekydes, Hellanikos und Akusilaos mit Namen) hatte, möglicherweise durch literarhistorische Aufbereitungen der Materie, wenn dies natürlich auch eine Vermutung bleiben muß. Es kommen dafür jedenfalls die Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw in Frage, doch auch die Pinakes des Kallimachos und diejenigen der pergamenischen Grammatiker stellen eine durchaus denkbare Möglichkeit dar (so zu Recht Toye 1995, 283–285). 953 Zum Verhältnis Herodots zu seinen Vorgängern vgl. zuletzt Fowler 2006. 954 Cic. Orat. 12, 39: primisque ab his, ut ait Theophrastus, historia commota est, ut auderet uberius quam superiores et ornatius dicere. Theophrast hat demnach Herodot und Thukydides mit dem kunstloseren Stil von deren Vorgängern in der Geschichtsschreibung verglichen. Cicero sagt nicht, welcher Schrift Theophrasts er diese Aussage entnommen hat, ob per‹ flstor€aw oder per‹ l°jevw. Gegenüber dem Umstand, daß wir so zumindest eine von Theophrasts einschlägigen Ansichten fassen können, ist dies auch nicht entscheidend. Unmittelbar zuvor hatte Cicero Herodot und Thukydides mit den kindischen Abgeschmacktheiten des Gorgias und anderer zeitgleicher Autoren ganz ähnlicher Art verglichen, doch die Erklärung Theophrasts bezieht sich einzig auf Geschichtsschreibung (historia). Es kann daher als sicher gelten, daß er in einem nicht bekannten Zusammenhang eine Bewertung historiographischer Stile im Sinne einer Stilgeschichte, soweit man in dieser frühen Zeit schon von einer solchen sprechen kann, vorgenommen hat. Vielleicht ist Theophrast in dieser Hinsicht einen Schritt über Aristoteles hinausgegangen, wie dies Grube 1952, 175 vermutet. 955 Man vgl. den für Theophrast bezeugten Schriftentitel Paragg°lmata =htorik∞w (Wehrli 1983, 499); er zeigt deutlich, daß paragg°lmata dem lateinischen praecepta entspricht.

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Lehrschrift dieser Art auch kaum anzunehmen, eher schon – im Sinne des Aristoteles – eine als wichtig erachtete Phänomene feststellende, beschreibende und in ein Regelsystem einordnende Art der Darstellung956. Zudem ist kaum ein Grund einzusehen, wem denn eine solche Lehrschrift hätte dienen sollen. Rhetoren haben für diesen speziellen Bereich kaum ein Interesse, und Geschichtsschreiber pflegen sich in ihrer Praxis wohl nur in den seltensten Fällen an normative theoretische Vorgaben, welcher Art auch immer, zu halten. Für Praxiphanes, den Schüler Theophrasts, ist gleichfalls die Existenz einer Schrift per‹ flstor€aw überliefert. In diesem Falle verfügen wir, anders als bei Theophrast, immerhin über ein Zeugnis in der Thukydidesvita des Markellinos957, das vor nun fast eineinhalb Jahrhunderten recht eigenwillige Auslegungen erfahren hat. Es lautet: sunexrÒnise dÉ, Àw fhsi Prajifãnhw §n t“ per‹ flstor€aw, Plãtvni t“ kvmik“, ÉAgãyvni tragik“, Nikhrãtƒ §popoi“ ka‹ Xoir€lƒ, ka‹ Melanipp€d˙. ka‹ §pe‹ m¢n ¶zh ÉArx°laow, êdojow ∑n …w §p‹ ple›ston, …w ı aÈtÚw Prajifãnhw dhlo›: Ïsteron d¢ daimon€vw §yaumãsyh. Wilamowitz–Möllendorff958 äußerte zu

diesem nicht leicht zu deutenden Passus die Ansicht, dieser besage, Thukydides habe mit den fünf genannten Dichtern zusammen bei Archelaos gelebt und sei auch dort gestorben. Als eine Stütze für diese These diente ihm der Umstand, daß doch immerhin für Agathon, Choirilos und Melanippides bezeugt ist, daß sie am Hofe des Archelaos gelebt haben und dort auch gestorben sind959. Nur ein Jahr später wurde nun, auf dieser These aufbauend, durch Hirzel960 eine weitere Hypothese vorgetragen. Dieser zufolge sei die Schrift des Praxiphanes als Dialog mit Thukydides und den fünf Dichtern als Gesprächspartnern konzipiert gewesen; dabei sei es um das Verhältnis von Historiographie zu der Dichtung (die genannten Dichter repräsentieren die Gattungen Epos, Tragödie, Komödie und Dithyrambos) gegangen; weiters folgerte Hirzel, entsprechend der Ansicht des Aristoteles zum unterschiedlichen Stellenwert von Dichtung und Geschichtsschreibung961 habe im Dialog des Praxiphanes die von Aristoteles bekanntlich als philosophischer bewertete Poesie den Sieg davongetragen. Noch im selben Jahr äußerte sich Schöll962 in demselben Zeitschriftenband zu Hirzels Ansicht zustimmend, danach Susemihl963, und, wie es scheint, fand dieses literarhistorische Konstrukt weithin seine Anhänger964. Nur vereinzelt wurde es in Folge radikal in Frage gestellt965 oder zumindest als nicht zielführend ausgeblendet966.

956 Etwas zu zuversichtlich hinsichtlich einer Rekonstruktionsmöglichkeit des Inhalts von Theophrasts Schrift ist Wehrli 1947, bes. 70–71, und dasselbe gilt noch in höherem Maße für Flach 1998, 42–47. 957 Marcellin. Vit. Thuc. 29–30 = Wehrli 98, Fr. 18 = Brink 1946, 22, Fr. 10. Der Versuch von Jacoby, FGrH III b (Suppl.) 145 (zu Androtion = 324, Fr. 57) und Fornara 1983, 131–132, den Passus auf den 4. Thukydides zu beziehen, den Dichter, überzeugt nicht, da gleich danach (Kap. 31) wieder vom Geschichtsschreiber die Rede ist (eingeleitet mit den nur solcherart in ihrem Sinnbezug verständlichen Worten: Ofl m¢n oÔn aÈtÚn §ke› l°gousin époyane›n). 958 Wilamowitz–Möllendorff 1877, 353–361. 959 Wilamowitz–Möllendorff 1877, 356, vgl. auch Aly 1954, 1777. 960 Hirzel 1878. 961 Arist. Po. 9, 1451 b 4–11. 962 Schöll 1878. 963 Susemihl 1891, 144–146. 964 Z. B. Scheller 1911, 70; Brink 1946, 23–24; Podlecki 1969, 125, Anm. 90; Brink 1960, 18; Ullman 1942, 28, Anm. 14; Wehrli 112 und Wehrli 1983, 568. 965 Aly 1954, 1777. 966 Lesky 19713, 515 hebt hervor, daß die Nachricht des Praxiphanes, Thukydides habe zu Lebzeiten des

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Überblickt man die für Praxiphanes bezeugten Schriftentitel967, so fällt auf, daß, wie Hirzel richtig festgestellt hat, zumindest ein Dialog darunter ist, und zwar dessen Schrift per‹ poiht«n, deren Gesprächssituation von Diogenes Laertios968 beschrieben ist. Doch gegen Hirzels zuversichtliche Festlegung der Schrift per‹ flstor€aw auf die Dialogform969 läßt sich – was in diesem Zusammenhang noch nicht bemerkt wurde – einwenden, daß der Titel per‹ flstor€aw nicht gerade so wirkt, als wäre darunter ein Dialog zu verstehen. Zum Vergleich mag Aristoteles dienen, der neben seiner Monographie per‹ poihtik∞w auch unter dem Titel per‹ poiht«n einen Dialog in drei Büchern verfaßte970. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest als wahrscheinlich zu erachten, daß sich bei Praxiphanes hinter dem abstrakteren Titel per‹ flstor€aw gleichfalls eine Monographie über die Gattung der Historiographie verbergen dürfte. Schwerer jedoch wiegt der Umstand, daß eine unbefangene Lektüre des Passus aus Markellinos nicht mehr und nicht weniger besagt, als daß Thukydides zur gleichen Zeit gelebt hat wie die Dichter (sunexrÒnise), daß also der nachweislich vorwiegend, wenn auch gewiß nicht ausschließlich, an Literatur interessierte Praxiphanes971 nach einem synchronistischen Verfahren versucht hat, die genannten Autoren biographisch einzuordnen, daß er somit an einer Konstruktion von literarhistorischen Zusammenhängen interessiert war. Betrachtet man nämlich den wenig beachteten Kontext, in dem der Passus bei Markellinos steht, so gewinnt diese Deutung noch an Klarheit und Kontur. Unmittelbar voraus geht nämlich die Nennung von vier Personen mit dem Namen Thukydides972, sodann folgt ein Bericht über unterschiedliche Versionen vom Ort des Todes, der Todesart und dem Grab des Thukydides973. Insgesamt beinhaltet somit der von Kap. 28–33 reichende thematische Komplex Angaben biographischer Art, und nichts weist darauf hin, daß Thukydides am Hof des Archelaos gelebt oder gar mit den dort versammelten Dichtern um den relativen Wert der durch diese Personen vertretenen Literaturgattungen gestritten habe. Dennoch hat die These Hirzels Eingang in Literaturgeschichte974 und Philosophiegeschichte975 gefunden, und es ist an der Zeit, sich Alys’ zwar etwas harscher, doch sachlich zutreffender Worte zu besinnen, daß die Arbeiten von Wilamowitz und Hirzel, freilich bei aller Anerkennung für deren große Gelehrsamkeit und reiche Kombinationsgabe, heute „nur mehr historisches Interesse haben“ können976. Vielmehr wird man die Schriften des Theophrast und des Archelaos noch keinen Ruhm besessen, nicht darauf hinweist, daß er mit dem Dichterkreis in persönliche Berührung gekommen ist. Dies ist ein ebenso eleganter wie sachlich zutreffender Weg, eine Dialogsituation auszuschließen. 967 Wehrli 1983, 567; Brink 1946, 23, Podlecki 1969, 124–125, Wehrli / Wöhrle / Zhmud 20042, 602–603. 968 D. L. III 8 (die Unterhaltung über Dichter fand nach der Darstellung des Praxiphanes am Lande bei Platon statt). 969 So noch Canfora 2006, 747, vgl. 723. 970 Vgl. die Charakteristik bei Flashar 1983, 284 („Die Fragmente bieten literaturgeschichtliche Einzelheiten von zumeist anekdotischem Charakter“). 971 Ansonsten ist von ihm nur eine ethische Schrift mit dem mutmaßlichen Titel per‹ fil€aw (Brink 1946, 23) noch greifbar. 972 Marcellin. Vit. Thuc. 28. 973 Marcellin. Vit. Thuc. 31–33. 974 Schmid / Stählin 1934, 543, Anm. 4. 975 Wehrli 1983, 568. 976 Aly 1954, 1777.

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Praxiphanes per‹ flstor€aw auf dieselbe Stufe zu stellen haben, was allerdings von vornherein zu erwarten war, handelt es sich doch bei beiden Verfassern um typische Vertreter peripatetischer Ansichten, deren Positionen bloß in Details differiert haben dürften, aber sicherlich nicht in der generellen Grundtendenz, und auch nicht in der literarischen Form, in der diese ihre Ansichten darboten. Bedenkt man ferner, daß Theophrast nur in seltenen Fällen von der durch Aristoteles autorisierten Schulmeinung abgewichen ist977, so kann man davon ausgehen, daß er der prononciert vorgetragenen Ansicht des Aristoteles über den Wesensunterschied von Geschichtsschreibung und Dichtung978 nicht wesentlich widersprochen hat. Und dasselbe dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf Praxiphanes zutreffen, für den buchstäblich gar nichts darauf hinweist, daß er radikalere Ansichten als Theophrast vertreten hätte. Weitere Schriften per‹ flstor€aw aus späterer Zeit werden separat behandelt werden (Einleitung, Teil I 3. 8). I 3. 2 Argumente gegen die Existenz einer Theorie der tragischen Geschichtsschreibung Dieser Diskurs führt in einem weiteren Schritt unmittelbar zu der seit mehr als einem Jahrhundert ebenso intensiv wie kontroversiell diskutierten Frage, wie die hellenistische Geschichtsschreibung in der durch Duris von Samos, für den bekanntlich ein persönliches Nahverhältnis zum Peripatos bezeugt ist979, vertretenen Form zu bewerten ist. Es ist also das erste Fragment des Duris980 zu betrachten, und in diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob es denn überhaupt so etwas wie eine peripatetische Theorie der Geschichtsschreibung gegeben hat, und wenn ja, wie diese ausgesehen haben kann981. Dem ersten Fragment des Duris kommt für die Beantwortung dieser komplexen Frage eine besondere Bedeutung zu, handelt es sich dabei doch um die einzige methodologische Erklärung, die – mit Ausnahme derer des Polybios – aus dem Hellenismus erhalten ist. Photios, die Quelle für Fr. 1, sagt dazu einleitend, daß es im ersten Buch von Duris’ flstor€ai plaziert war . ÖEforow d¢ ka‹ YeÒpompow t«n genom°nvn ple›ston épele€fyhsan: oÎte går mimÆsevw met°labon oÈdemiçw oÎte ≤don∞w §n t“ frãsai, aÈtoË d¢ toË grãfein mÒnon §pemelÆyhsan.

977 Lossau 1964, 45–49 konzediert zwar, daß Theophrast sonst fast völlig oder doch im Wesentlichen mit Aristoteles übereinstimme, bei der Legitimierung der Psychagogie sei er jedoch einen entscheidenden Schritt über seinen Lehrmeister hinausgegangen. Diese Einschätzung der auf diesem einen Gebiet singulär bewiesenen Selbständigkeit Theophrasts hat aber kaum Wahrscheinlichkeit für sich. Jedenfalls erweckt das Zeugnis Quintilians (Quint. Inst. III 1, 15: Theophrastus quoque, Aristotelis discipulus, de rhetorice diligenter scripsit), das innerhalb eines knappen literarhistorischen Abrisses zur Geschichte der Rhetorik Theophrasts Position in dieser bestimmt, nicht gerade den Eindruck, daß dieser sich durch besondere Innovativität vor seinem Lehrer hervorgetan hätte, und es ist daher wohl eher Grube 1952, bes. 172 zuzustimmen, der in Theophrast einen tüchtigen Weiterarbeiter an aristotelischer Lehre erblickt: „... his own outlook was entirely Aristotelian; he restated, elaborated, interpreted the theories of Aristotle without important change; no un–Aristotelian theory or formula can fairly be traced to him“. Das schließt freilich gewisse kleinere Unterschiede in Akzentsetzung und in bestimmten Grenzen auch Weiterentwicklungen der Lehren des Aristoteles nicht gänzlich aus (174–176, bes. 175 zu Theophrasts Schrift per‹ flstor€aw). 978 Arist. Po. 9, 1451 b 4–11. 979 FGrH II A 76, T 1 = Ath. IV 1, 128 a: Lynkeus und Duris sind beide Schüler Theophrasts; in T 2 = Ath. VIII 18, 337 d ist jedoch nur Lynkeus, der Bruder des Duris, alleine als ein Schüler Theophrasts bezeichnet. 980 FGrH II A 76, Fr. 1 = Phot. Bibl. 176, p. 121 a 42–121 b 3. 981 Forschungsüberblicke zur Frage bei Meister 1975, 109–112 und Seibert 1983, 15–19.

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Bekanntlich hatte Eduard Schwartz in einer Reihe von bei unterschiedlichen Gelegenheiten und in unterschiedlichen Kontexten mehr en passant hingestreuten Behauptungen982 die wegen der großen akademischen Autorität des Begründers für die Folgezeit überaus wirkungsmächtige Ansicht geäußert, daß in den beiden Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw eine spezifische Geschichtstheorie begründet worden sei, die in einer Übertragung der aristotelischen Auffassung vom Wesen der Tragödie, wie es in der Poetik bestimmt ist, auf die Historiographie bestanden hätte und die dann durch Kallisthenes und Duris983 ihre praktische Ausformung erhalten hätte. Diese durch das Streben nach Anschaulichkeit (§nãrgeia) und Pathos (pãyow), Erweckung von Furcht (fÒbow) und Mitleid (¶leow) gekennzeichnete „peripatetische Geschichtsschreibung“, wie Schwartz sie zu bezeichnen pflegte984, hätte nun mit der Tragödie, wie Aristoteles sie verstand, rivalisiert. Was ist unter dieser Konzeption konkret zu verstehen – denn Schwartz selbst präzisiert seine Position trotz häufiger einschlägiger Äußerungen nirgendwo mit befriedigender Deutlichkeit ? Aristoteles hatte im berühmten neunten Kapitel seiner Poetik985 eine scharfe Grenzlinie zwischen den literarischen Gattungen von Dichtung (po€hsiw) und Geschichtsschreibung (flstor€a) gezogen. Während nämlich erstere es mit dem Bereich des Möglichen (oÂa ín g°noito) und mehr mit dem Allgemeinen (mçllon986 tå kayÒlou) zu tun habe, nach den Parametern von Wahrscheinlichkeit (tÚ efikÒw) und Notwendigkeit (tÚ énagka›on), sei es der Gegenstand der Geschichtsschreibung, über die faktische Wirklichkeit zu berichten (tå genÒmena l°gein) und über das Einzelne (tå kayÉ ßkaston), also z. B. darüber, welche Handlungen Alkibiades setzte und wie es ihm damit ergangen ist (t€ ÉAlkibiãdhw ¶prajen µ t€ ¶payen). Neben einer einzigen anderen Aussage in der Poetik987 ist dies die einzige Erklärung, die sich bei Aristoteles insgesamt zur Historiographie als einer autonom verfahrenden literarischen Gattung findet, und sie läßt gar nichts an Klarheit zu wünschen übrig. Sie besagt, daß Aufgabe und Leistung der Geschichtsschreibung darin bestünde, über konkretes, reales Geschehen zu berichten. Die 982 Schwartz 1897, 560–562; Schwartz 1900, 128; Schwartz 1903, 687; Schwartz 1905, bes. 1853–1855, Schwartz 1909, 491–492 und Schwartz 1938, 80–81. 983 Insgesamt erwecken die verstreuten Bemerkungen von Schwartz nicht den Eindruck einer vollkommen in sich stimmigen Theorie; vgl. Schwartz 1897, 560 (Kallisthenes und Duris); Schwartz 1900, 128 (Duris und Phylarch); Schwartz 1909, 491 („Ein neues künstlerisches Prinzip hat nur Kallisthenes, dank der Kunstlehre seines Oheims, konsequent verfolgt“). Leo 1965 (erstmals 1901), 109 sah in Kallisthenes den Begründer der peripatetischen Historiographie, doch es wird nicht recht klar, was genau er darunter versteht. 984 Soweit ich sehen kann, gebraucht Schwartz nirgendwo explizit den erst später üblich gewordenen Begriff „tragische Geschichtsschreibung“. Will 1914, 76 verwendet erstmals die Bezeichnung „tragische Historie“, so dann auch Jacoby in FGrH II C 117 im Kommentar zu Duris, Fr. 1. 985 Arist. Po. 9, 1451 a 36–1451 b 11. Giovannini 1943 sieht in einem originellen Artikel in der aristotelischen Scheidung von Tragödie und Geschichtsschreibung etwas Ungewöhnliches, hätte doch zuvor schon in der Antike eine enge Beziehung zwischen Tragödie und Geschichte bestanden; Walbank 1955, 11 vermerkt zu Recht, daß Giovannini nicht bewiesen habe, „that the theory was widely and strongly adhered to before Aristotle“. 986 Zegers 1959, 63 hat richtig gesehen, daß dieses mçllon nicht auch auf tå kayÉ ßkaston zu beziehen ist. Demgegenüber hatte von Fritz 1956, 106–128, bes. 116 das mçllon nicht überzeugend auf beide Satzkola bezogen und daraus ableiten wollen, daß Duris auf dieser Basis nun auch der Historie, soweit möglich, eine Bemühung um das aristotelische kayÒlou eingeräumt habe. 987 Arist. Po. 23, 1459 a 21–29: Geschichtswerke leisten notwendigerweise bloß die Darstellung einer Zeit (•nÚw xrÒnou), nicht aber miçw prãjevw, erlauben doch die unorganisch nebeneinander und nacheinander vorliegenden Einzelmomente (ßkaston …w ¶tuxen ¶xei prÚw êllhla) die Konstituierung eines ©n t°low nicht.

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Dichtung hingegen (hier ist nicht speziell von der Tragödie die Rede) gestalte eine potentielle Wirklichkeit und könne darum in höherem Maße Anspruch auf philosophische Qualität erheben (diÚ ka‹ filosof≈teron ka‹ spoudaiÒteron po€hsiw flstor€aw §st€n). Soweit der Sinn dieser vieldiskutierten Stelle in der Poetik. Was also haben Theophrast und Praxiphanes, folgt man der Ansicht von Schwartz, nun mit dieser Äußerung des Aristoteles getan? Sie hätten, so die Grundannahme, die durch Aristoteles autorisierte peripatetische Lehre in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Alleine schon dies erscheint einigermaßen unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, wie stark Theophrast überall sonst in der verpflichtenden Tradition des Schulgründers stand und wie selten er auch nur Korrekturen an dessen Lehrsätzen vornahm, geschweige denn, daß er es unternommen hätte, offen gegenteilige Ansichten nicht nur vorzutragen, sondern diese auch in den Rang eines theoretischen Grundsatzprogrammes zu erheben. Nun einmal angenommen, die behauptete Abänderung träfe tatsächlich zu, was bedeutet dann der Begriff Nachahmung (m€mhsiw) bei Duris? Zumindest an einer Stelle988 gibt Schwartz, der, wie schon festgestellt, keine in sich geschlossene Lehrmeinung konsequent durchführt, zu erkennen, wie er die Bedeutung des Begriffes auffaßt; er deutet m€mhsiw „im Sinne der aristotelischen Poetik“ als „die Gestaltungskraft“ des Geschichtsschreibers. Doch bereits hier erhebt sich wiederum ein neues Problem, nämlich der Widerspruch zu den, wie einzig Meister989 richtig gesehen hat, immer von den Erklärern vernachlässigten Worten t«n genom°nvn ple›ston épele€fyhsan, die in diesem Kontext nur (wie in der aristotelischen Poetik) das reale Geschehen bedeuten können. Angesichts dieses unbezweifelbaren Umstandes erscheint es einigermaßen ungereimt, wenn Duris also an Ephoros und Theopompos sowohl den mangelnden Realitätsgehalt (dies besagen die von Schwartz nicht beachteten Worte t«n genom°nvn ple›ston épele€fyhsan) ihrer Berichte als auch das Fehlen von poetischer Imagination (so die These von Schwartz) getadelt hätte, denn dies hieße ja nichts anderes, als daß Duris ein unerfüllbares Ideal aufgestellt und somit, ohne selbst die darin liegende Unlogik zu bemerken, de facto seine eigene Kritik ad absurdum geführt hätte. Trotz dieser Ungereimtheit konnte sich Schwartz mit dieser Ansicht durchsetzen. Beträchtlichen Zuwachs an Autorität erhielt diese in Folge dadurch, daß sich ihr der ebenso renommierte Felix Jacoby990 in seinem Kommentar zum ersten Fragment des Duris weitgehend anschloß. Von diesem Moment an betrachtete die Wissenschaft es für lange Zeit als ihre Aufgabe, die nunmehr mit doppelter Autorität versehene These durch Beibringung immer neuer und, wie man meinte, unterstützender Argumente zu bestätigen. Es wird im Folgenden zu untersuchen sein, ob und inwieferne die nachfolgenden Versuche, diese These von einer „peripatetischen Geschichtsschreibung“ entweder festzuschreiben oder aus unterschiedlichen Perspektiven unter Beibehaltung der Grundtendenz zu modifizieren, einer kritischen Überprüfung standhalten. 988 Schwartz 1909, 492, Anm. 1. 989 Meister 1975, 113. 990 FGrH II C 117. Reitzenstein 1922 (ursprünglich 1906), 85–86 bezeichnet Ciceros berühmten Lucceius–Brief als „die einzige erhaltene Theorie der hellenistischen Geschichtsschreibung“, und er sieht in dieser ein Nachwirken der Lehre des Aristoteles von der Tragödie. So Lendle 1967, bes. 93, etwas vorsichtiger Hose 1994, 26, der Cicero lediglich „unter dem Einfluß der tragischen Schreibweise“ sieht.

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Scheller991, der in einem an sich kenntnisreichen und in mancherlei Hinsicht anregenden Buch die ganze hellenistische Geschichtsschreibung auf rhetorischen Ursprung zurückführte, unternahm als erster einen umfassenderen Versuch, das von Schwartz vorgestellte und autorisierte Konzept einer peripatetischen Richtung der Historiographie mit seiner eigenen Position zu vereinbaren. Das erste Durisfragment interpretierte er in dem Sinne, daß die Kritik des Duris sich gegen die bei Isokrates sowie seinen Schülern Ephoros und Theopompos nachweisbare Ablehnung, das Mittel der Erregung von Affekten einzusetzen, richte. Als Parallele für die bei Aristoteles nicht eben singuläre Verbindung von m€mhsiw und ≤donÆ992 zieht Scheller eine Stelle aus der Poetik993 heran, in der vom tragischen Dichter ausgesagt ist: tØn épÚ §l°ou ka‹ fÒbou diå mimÆsevw de› ≤donØn paraskeuãzein tÚn poihtÆn. Es wäre Duris also ebenso wie Phylarchos auch um die §nãrgeia und um das pãyow gegangen994. Doch dieses Erklärungsmodell wirkt in dem Kontext, in dem es steht, wie sekundär aufgesetzt, da andererseits das rhetorische Substrat, das Scheller ansonsten überall als maßgeblich hervorhebt, selbst in diesem Falle berücksichtigt und ganz und gar nicht preisgegeben wird995: atque verisimile est praeceptis illis historiae conscribendae, quae ex arte rhetorica fluxerat, addita esse nonnulla ex tragoediae componendae arte translata. Als den Anreger für Duris macht Scheller sodann Theophrast geltend, der in seiner Schrift per‹ flstor€aw das Studium von m€mhsiw und pãyow empfohlen hätte996. Folgt man dieser These, so steht man allerdings vor dem kaum lösbaren Problem, wie man sich denn die Verbindung von rhetorischer und tragischer Zielsetzung vorzustellen habe. Scheller jedenfalls gibt darüber keine Auskunft und kann sie auch nicht geben, da er zwei unvereinbare Konzepte in einen Einklang zu bringen versucht hat, sein eigenes (ohne Abstriche in wesentlichen Punkten) und das durch Schwartz und Jacoby sowie insbesondere durch deren Nachfolger zu einem verpflichtenden akademischen Standard erhobene. Gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte die Debatte ihren Höhepunkt mit einem Vortrag, in welchem Kurt von Fritz997 den Versuch unternahm, das neunte Kapitel der aristotelischen Poetik in einem, wie er meinte, entscheidenden Punkt zutreffender zu deuten, als dies bislang geschehen war. In der dem Vortrag nachfolgenden und ebenfalls publizierten Diskussion löste dies einen auf hohem Niveau geführten Diskurs aus. Als Argumentationsgrundlage diente für von Fritz diejenige Stelle, in der Aristoteles sagt, die Dichtung sage mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung dagegen das Einzelne aus998: ≤ m¢n går po€hsiw mçllon tå kayÒlou, ≤ dÉ flstor€a tå kayÉ ßkaston l°gei. Die kardinale Frage ist hier also, ob es angeht, mit von Fritz999 991 992

Scheller 1911, bes. 65–71, zusammenfassend bes. 79. Scheller 1911, 69 zitiert zunächst durchaus sinnvoll Arist. Po. 4, 1448 b 8 ff., wo die Begriffe m€mhsiw und ≤donÆ mit Bezug auf die Malerei verwendet sind. 993 Arist. Po. 14, 1453 b 12–13. 994 So auch mit Berufung auf Scheller u. a. Steidle 1939, 101, Anm. 33. 995 Scheller 1911, 71 (hier tritt es besonders deutlich hervor). 996 Scheller 1911, 70. 997 Von Fritz 1956, bes. 106–127. 998 Arist. Po. 9, 1451 b 6–7. Literatur zu dieser vieldiskutierten, umstrittenen Stelle bei Rebenich 1997, 266–267, Anm. 8. 999 Von Fritz 1956, bes. 116. Von ihm beeinflußt Immerwahr 1966, 4, Anm. 7: „Actually he seems rather to have distinguished between a tendency of history toward the particular and a tendency of poetry toward the universal“. Marincola 2006, 23 erklärt den Textsinn mit „a general tendency of historical works“.

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das mçllon im Text sowohl auf tå kayÒlou als auch auf tå kayÉ ßkaston zu beziehen. Dieser Satz an sich, rein strukturell betrachtet und unabhängig vom Kontext, läßt die durch von Fritz vorgeschlagene Auffassung wegen der Position des l°gei am Satzende zumindest als möglich, wenn auch nicht als wahrscheinlich erscheinen, denn in diesem Fall hätte Aristoteles den Gedanken, wenn er von ihm beabsichtigt war, prägnanter formulieren können, und zwar etwa so: ≤ m¢n går po€hsiw tå kayÒlou, ≤ dÉ flstor€a tå kayÉ ßkaston mçllon l°gei, oder auch: ≤ m¢n går po€hsiw tå kayÒlou mçllon l°gei, ≤ dÉ flstor€a tå kayÉ ßkaston. Der Sinnzusammenhang, in dem diese Aussage steht, macht dies deutlicher, denn zuvor war eine klare Trennung der beiden Gattungen voneinander vorgenommen worden, und zwar des Sinns, daß die Geschichtsschreibung es eben mit dem real Geschehenen zu tun habe (zweifach tå genÒmena l°gein), die Dichtung hingegen mit dem Möglichen (zweifach oÂa ín g°noito). Und daraus war der höhere Rang der Dichtung abgeleitet worden (diÚ ka‹ filosof≈teron ka‹ spoudaiÒteron po€hsiw flstor€aw §st€n). Erst jetzt folgt, durch går markiert, die Begründung, welche auf die vorangehenden Komparative ein auf das kayÒlou der Dichtung sich beziehendes mçllon folgen läßt. Mit anderen Worten, dies bedeutet, daß der höhere Rang der Dichtung in einer Annäherung an das kayÒlou besteht, während dies bei der Geschichtsschreibung gar nicht der Fall ist. Denn nur wenige Zeilen später1000 gibt Aristoteles ein mit den eindeutigen Worten tÚ d¢ kayÉ ßkaston (ohne ein hinzugefügtes mçllon!) eingeleitetes aufschlußreiches Beispiel: t€ ÉAlkibiãdhw ¶prajen µ t€ ¶payen. Angesichts dieses Umstandes ist klar, daß eine Durchlässigkeit des Zuständigkeitsbereichs der Geschichtsschreibung, eine Offenheit für die Aufnahme genuin poetischer Elemente vom Verfasser nicht intendiert ist. Von Fritz jedoch nimmt genau dies an und kommt so zum folgenreichen Schluß, „daß in dem wirklichen historischen Geschehen Elemente enthalten sind, die einer tragischen Behandlung zugänglich sind“ 1001. Vor diesem Hintergrund hätte also Duris gemeinsam mit anderen Schülern des Aristoteles folgerichtig geschlossen1002, daß eben auch die Historie, „soweit es ihren Eigengesetzen nach möglich ist“ 1003, nach dem kayÒlou der Dichtung und damit nach deren oÂa ín g°noito zu streben habe1004. Der Kontext bei Aristoteles spricht jedoch, wie sich gezeigt hat, nicht dafür, daß dies die Aussageabsicht des Verfassers war. Der letzte umfassende Versuch einer Verteidigung des rein peripatetischen Ursprungs „tragischer Geschichtsschreibung“ wurde von Zegers1005 unternommen, und zwar zu einer

1000 Arist. Po. 9, 1451 b 10–11. 1001 Von Fritz 1956, 122. 1002 In der Diskussion (Von Fritz 1956, 133) spricht von Fritz jedoch von Mißverständnissen der Schüler des Aristoteles. 1003 Von Fritz 1956, 123. 1004 Bereits Walbank 1960, 217–220, bes. 219 lehnte diese These ab, da die Fragmente des Duris zwar eine „vivid and melodramatic history“ erkennen ließen, doch nur wenig davon sei als „tragisch“ im eigentlichen Sinne zu bezeichnen: „... little of this is tragic in the true sense or can in any way be regarded as depicting the universal“. 1005 Zegers 1959. Ein Jahr später hielt Brink 1960, 18–19 noch an der Theorie einer „tragic history“ fest, doch er konzedierte dies: „although there must have been many earlier examples of ‚emotive’ historical narrative“. Es ist jedoch kaum möglich, beide Vorstellungen bruchlos miteinander in Einklang zu bringen. Die These von Schwartz findet sich in reiner Form noch in allerjüngster Zeit, bei Rebenich 1997, 265–269, bes. 268, der als das von Duris verfolgte Ziel „according to the Aristotelian theory of tragedy“ benennt „dramatic vividness and the entertainment of the reader“.

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Zeit, als bereits durch Ullman1006, Wehrli1007 und Walbank1008 aus unterschiedlichen Richtungen Widerlegungen des Dogmas versucht worden waren. Zegers stellt Kongruenzen bei Duris und Phylarchos in deren Anwendung historiographischer Prinzipien fest1009 und führt diese direkt auf Theophrasts Schrift per‹ flstor€aw zurück. Er sei es gewesen, der die von Aristoteles für die Tragödie bestimmten Gesetze theoretisch auf die Geschichtsschreibung übertragen habe, und im Lucceius-Brief Ciceros finde sich noch ein Reflex dieser selben Theorie1010. Den Ursprung der hellenistischen Historiographie sieht Zegers entgegen der Ansicht Schellers1011, wie er diesen jedenfalls versteht, in zwei Wurzeln, einer auf Isokrates zurückgehenden rhetorischen und einer anderen, auf Theophrast fußenden poetischen. Dabei erkennt Zegers ein ernstes Problem, nämlich den Umstand, daß Theophrast in der Schrift per‹ l°jevw ja gerade ganz allgemein den rhetorischen Stil behandelt hatte, was aber nicht so recht zu der von Zegers postulierten poetischen Ausrichtung der Historiographie passen will. Der Ausweg, den Zegers ergreift, besteht darin, daß für Theophrast die Rhetorik gegenüber der Poesie eben bloß von sekundärer Bedeutung gewesen wäre1012. Von Interesse für die Zwecke vorliegender Untersuchung ist Zegers’ (anfechtbare) These, Theophrast habe die hinter Duris und Phylarchos stehende Theorie begründet. Mit welchen Argumenten sucht Zegers sein Ziel zu erreichen? Zunächst stellt er, an sich durchaus gerechtfertigt, Kongruenzen zwischen der Kritik des Polybios an Phylarchos1013 und festen termini, wie sie sich in der aristotelischen Poetik finden, fest. Doch dann glaubt er, daraus schon schließen zu können, daß Phylarchos nach einer bestimmten Theorie geschrieben habe, die er möglicherweise z. B. schon im Proömium dargelegt habe; weiters daß in dieser Theorie die Gesetze, die Aristoteles für die Tragödie entwickelt hatte, auf die Geschichtsschreibung übertragen waren; sodann reduziert Zegers die Unterschiede zwischen Duris und Phylarchos auf ein Minimum und folgert so, daß zwei Autoren, die zu verschiedener Zeit auf dermaßen ähnliche Weise geschrieben hätten, wahrscheinlich auf ein und derselben Theorie fußen müßten1014. Von da weg setzt er die solchermaßen, wie er meint, erschlossene Theorie als bereits gesichert voraus1015. 1006 Ullman 1942. 1007 Wehrli 1947. 1008 Walbank 1955. 1009 Zegers 1959, 9–55. 1010 Zegers 1959, 80–82. Bereits Reitzenstein 1922 (ursprünglich 1906), bes. 85–86 sah im Lucceius-Brief ein Nachwirken der Lehre des Aristoteles von der Tragödie. Scheller 1911, 79–82 und Zegers 1959, 82 bestreiten, daß die von Cicero dargestellte Theorie bloß für eine Monographie Relevanz habe. 1011 Scheller 1911, 79 führt die gesamte hellenistische Geschichtsschreibung auf einen rhetorischen Ursprung zurück, und dies gelte auch für die durch Theophrast, wenn schon nicht begründete, so doch ausgestaltete peripatetische Richtung, auch wenn diese aus der Tragödie für Erregung von Affekten Nützliches entnähme. An einer früheren Stelle (bes. 68) hatte Scheller gerade der durch Ktesias, Duris und Phylarchos vertretenen Richtung eine im Hellenismus führende Position zugewiesen und dabei doch für Theophrast und andere die Bewahrung der rhetorischen Grundlagen bei gleichzeitigen Anleihen bei der Tragödie postuliert (70). 1012 Zegers 1959, 83–84. 1013 Plb. II 56, 6–13. 1014 Zegers 1959, 6–8. 1015 Zegers 1959, 9 sagt: „Es sei erlaubt, im folgenden das einstige Vorhandensein einer historiographischen Theorie in der oben beschriebenen Art als gesichert vorauszusetzen ...“.

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Diese allzu schematische Argumentation berücksichtigt jedoch gar nicht andere denkbare Faktoren, welche die verhältnismäßige Nähe der Werke des Duris und des Phylarchos zueinander erklären könnten, nämlich die besonderen politischen Verhältnisse der überaus bewegten Diadochenzeit, ein allgemeines Lebensgefühl und die daraus sich ergebende Erwartungshaltung der Rezipientenschaft, kurz, außerliterarische Faktoren1016, und sicherlich auch, als Folgeerscheinung veränderter äußerer Rahmenbedingungen, neuartige literarische Geschmacksrichtungen, wie sie zielführend aus anderen literarischen Gattungen erschlossen werden können1017. Auch ist legitimerweise zu fragen, ob denn Historiker generell überhaupt eine Neigung verspüren, ihre Werke auf Theorien abzustimmen1018, und warum uns denn in der Praxis einzig Duris und Phylarchos kenntlich sind, wenn es eine solch maßgebliche Theorie, welche überdies die für die Dichtung zentralen aristotelischen Parameter von Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit1019 durch eine neue Tychelehre ersetzt hätte1020, wirklich gegeben hat. Ein anderes, damit in direktem Zusammenhang stehendes Problem ist auch das, daß die von Zegers postulierte Tychelehre Theophrasts1021 (in Kallisy°nhw µ per‹ p°nyouw) kaum mehr war als eine Mahnung, das Schicksal zu akzeptieren1022. Schließlich ist fraglich, ob es denn zu erwarten ist, daß ausgerechnet der innerhalb des Peripatos eher als konservativ zu bezeichnende Theophrast1023 eine dermaßen gravierende Änderung an der Lehre des Aristoteles vorgenommen hat1024. Es ergibt sich somit, daß die Indizien für eine solche Theorie Theophrasts viel zu schwach sind, um aus ihnen so weitreichende Folgerungen von großer literarhistorischer Bedeutsamkeit ableiten zu können. Vieles von dem, was Zegers über die von Duris und Phylarchos angewandten praktischen Verfahren sagt, ist jedoch von bleibendem Wert, wenn 1016 Von Fritz 1956: in der sich an dessen Vortrag anschließenden Diskussion weist beispielsweise Latte (129–130) auf den Wandel in der Auffassung der Persönlichkeit vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. hin, und Hanell (134–135) vermerkt, daß das Paradoxale, das Unerwartete und die Wandlungen der Tyche Realität waren (ein Beispiel dafür ist das Lebensschicksal des Demetrios Poliorketes). Präzise und zutreffend äußert sich zu der Frage Marincola 2001, 112: „What is different about Hellenistic historiography is that historians were responding to a greatly changed world from that of the fifth century, and since the writing of history reflects the concerns of the present, it is no surprise that writers after Thucydides forged new tools to understand and explain the new world in which they lived“. 1017 Von Fritz 1956: Latte (132) weist in der Diskussion darauf hin, daß die lebendige Entwicklung gerade zu einer Erneuerung des Epos führte, dessen geringe erhaltene Reste pathetische Elemente erkennen lassen. 1018 Von Fritz 1956: die Bedeutung einer Theorie für die Praxis der Geschichtsschreibung wurde generell von den Teilnehmern an der Diskussion ganz zu Recht bestritten, von Syme (132), Hanell (134), Latte (bes. 138, u. ö.) und Momigliano (141 und 145). 1019 Arist. Po. 9, 1451 a 37–38: Aufgabe des Dichters ist es, was geschehen könnte (oÂa ín g°noito) und das Mögliche (ka‹ tå dunatå) zu sagen, nach den Parametern von Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit (katå tÚ efikÚw µ tÚ énagka›on). 1020 Zegers 1959, bes. 32–33 und 74. 1021 Zegers 1959, 77–78. 1022 Wehrli 1983, 494 weist über das Theophrastzitat bei Cic. Tusc. V 25 (Vitam regit fortuna, non sapientia) hinaus zu Recht auf den Zusammenhang bei Ps.–Plutarch (Consolatio ad Apollonium 6, 104 d) hin. 1023 Dies wurde häufig festgestellt, so z. B. von Zeller 18793, 813, Ueberweg / Praechter 192612, 403, Brink 1940, 921–922; vgl. aber Regenbogen 1940, 1546–1560 und Wehrli 1983, 503 mit den Versuchen, Theophrasts Eigenleistung aufzuwerten. Jedenfalls ist kaum anzunehmen, daß Theophrast eine Ansicht des Aristoteles in ihr gerades Gegenteil verkehrt hat. 1024 Zegers 1959, bes. 58 und 73 ist bemüht, diese Änderung als nicht besonders gravierend erscheinen zu lassen, da ja bereits das 9. Kapitel der aristotelischen Poetik den Weg zu der durch Theophrast vollzogenen Weiterbildung geebnet habe.

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Zegers auch allzu zuversichtlich zu sein scheint bezüglich einer Rekonstruierbarkeit des Duris aus Diodor und des Phylarchos aus Plutarch1025. Unter diesen Umständen ergibt sich also, daß auch Zegers keine brauchbaren Argumente für die Existenz einer Theorie der sogenannten peripatetischen Geschichtsschreibung zu Tage fördern kann. Auch Strasburger, der die für uns durch Duris und Phylarchos repräsentierte Geschichtsauffassung ohne eine allzu eingehende Auseinandersetzung mit seinen unmittelbaren Vorgängern diskutiert1026, hält es für sehr wahrscheinlich, daß Duris seinem Lehrer Theophrast gefolgt sei, dessen Theorie auf Befreiung der Geschichtsschreibung aus den ihr von Aristoteles zugewiesenen Schranken angelegt gewesen sei1027. Den strittigen m€mhsiw-Begriff im ersten Durisfragment erklärt Strasburger1028 als „Nachahmung der Wirklichkeit wie im Schauspiel, durch die der Leser zum Miterlebenden gemacht wird wie ein Zuschauer im Theater“. Dem Ephoros und dem Theopompos fehle Duris zufolge „die potentielle Lebenswahrheit der Bilder, die den Leser von den Ereignissen gepackt werden läßt wie im Theater“. Die ≤donÆ sei also im Sinne des Aristoteles als eine vom Nacherleben der Tragödie ausgehende kãyarsiw zu verstehen, als eine Seelenreinigung bzw. -befreiung1029. Soweit hält sich diese Erklärung an die durch Schwartz autorisierten Thesen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich eine zwischen die Zeilen eingelegte etwas globalere Sichtweise, die einen weiteren Bogen spannt von Thukydides mit seiner gelegentlichen Neigung zu einer mimetischen Ekphrasis1030, über Duris, dessen Theorie eine seriöse Natur zu konzedieren sei1031, hin zu Polybios, der sich der an Phylarchos getadelten dramatischen Stilisierung in seiner eigenen Praxis selbst nicht enthalte1032 und der theoretisch die ¶mfasiw und die §nãrgeia fordere1033. Wertvoll ist der in einer Anmerkung versteckte Hinweis, der Begriff §nãrgeia sei späterhin deshalb verwendet worden, um die sodann erkannte Mehrdeutigkeit des Mimesis-Begriffs zu vermeiden1034. Insgesamt erscheinen bei Strasburger also zwei nicht ganz kompatible Schichten übereinander gelagert, die gelegentlich auch begriffliche Unschärfen verursachen, so insbesondere ein leichtes Schwanken zwischen einer Deutung der m€mhsiw bald als „Lebenswahrheit“, bald als „potentielle Lebenswahrheit“1035. Und da sich Strasburger auch dessen bewußt ist, daß seiner Darstellung vollkommene Einheitlichkeit fehlt, so ist er bemüht, der Theorie des Duris einen experimentellen Charakter zuzuweisen1036; doch diese Erklärung 1025 Zegers 1959, 9–10. 1026 Strasburger 1966, bes. 78–85. 1027 Strasburger 1966, 81. 1028 Strasburger 1966, 78–79. 1029 Strasburger 1966, 82. 1030 Strasburger 1966, 80. 1031 Strasburger 1966, 80. 1032 Vgl. dazu bes. Walbank 1938. 1033 Strasburger 1966, 83 mit Anm.1. 1034 Strasburger 1966, 78, Anm. 1. Hinzuzufügen ist, daß noch Lukian die Aufgabe des Geschichtsschreibers bestimmt als §w kalÚn diay°syai tå pepragm°na ka‹ §w dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã (Luk. Hist. Conscr. 51). 1035 Strasburger 1966, 79. 1036 Strasburger 1966, 80 stellt sich dies so vor: „Das Problem der adäquaten Wirklichkeitswiedergabe durch das richtige Mischungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Gedanke und Bild, ist also der griechischen

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vermag nicht wirklich zu überzeugen, denn die in Fr. 1 vorgetragene Ansicht wirkt nicht wie die Frucht eines Experiments, sondern wie die Polemik eines Autors, der seine Position bereits gefunden hat und der diese nun mit polemischer Schärfe, geradezu ungeduldig gegenüber einer als unzureichend bewerteten, abgrenzt. Inzwischen war bereits mehrfach der Versuch unternommen worden, die „tragische Geschichtsschreibung“ aus den engen Fesseln einer peripatetischen Theorie zu lösen. Den Reigen dieser Arbeiten eröffnete Ullman1037 mit einer kenntnisreichen, in Details anregenden, aber im Ansatz etwas unglücklichen Studie. In dieser wird zunächst die Ansicht des Aristoteles über die Geschichtsschreibung zutreffend erklärt1038, doch dann fährt Ullman, in dieser Hinsicht wenig überzeugend, damit fort, die „tragische Geschichtsschreibung“ auf Isokrates, der in seinen Reden von „tragischen Elementen“1039 Gebrauch gemacht hätte, und dessen Schule zurückzuführen. Ullman schließt nicht die Möglichkeit aus, daß ein Schüler des Aristoteles sich „tragischer Geschichtsschreibung“ zugewandt habe, doch habe man einen solchen dann nicht mehr als genuinen Peripatetiker, sondern als Überläufer in das Lager des Isokrates1040 zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund wird das erste Durisfragment interpretiert1041. Dessen Kritik an Ephoros und Theopompos bestünde darin, daß sie sich mit bloßem Ausschreiben der Fakten begnügt und so (im Unterschied zu Duris selbst) zu wenig „tragisch“ geschrieben hätten. Dieses Textverständnis ist an sich schon in sprachlicher Hinsicht durchaus problematisch, weil die Worte aÈtoË d¢ toË grãfein1042 mÒnon §pemelÆyhsan kaum eine faktenorientierte Darstellung, wie Aristoteles sie für Historiographie postuliert hatte, meinen können. Zudem würde ein solcher Vorwurf bedeuten, daß ausgerechnet der Theophrastschüler Duris den Isokrateern vorhalten würde, sie schrieben aristotelisch, während sie doch in Wirklichkeit „tragisch“ zu schreiben hätten, was sie aber Ullmans These, daß Isokrates der Begründer der „tragischen Geschichtsschreibung“ sei, zufolge ja gerade getan haben müssen. Duris gäbe sich so noch isokrateischer als die Isokratesschüler selbst, und dies könnte nur bedeuten, daß er sie auf ihrem ureigensten Gebiet zu schlagen sucht. Und dies wäre an sich ja zumindest argumentierbar, soferne Ullman nur hätte plausibel erweisen können, daß es nun tatsächlich Isokrates war, der die „tragische Geschichtsschreibung“ begründet hat. Doch hat Isokrates weder selbst Geschichtswerke verfaßt, welche sich als ein Modell hätten benutzen lassen, noch auch eine einschlägige theoretische Schrift, noch auch läßt es sich beweisen, daß seine beiden Historiographie eingeboren, und wenn ein Mann wie Duris mit der Frage dieser Proportion neu zu experimentieren beginnt, sollten wir vorsichtshalber zunächst einmal unterstellen, daß seine theoretischen Reflexionen seriöser Natur seien“. 1037 Ullman 1942. 1038 Ullman 1942, bes. 25–26 (26: „history states facts“). 1039 Ullman 1942, 33 („... Isocrates, ..., made use of tragic elements“), vgl. 28 („It is clear from Isocrates’ speeches that, if he had written history, he might have been under the influence of epic and tragedy“ ). 1040 Ullman 1942, 34 („... any student of his who wrote tragical history was not a Peripatetic in that particular respect but a deserter to the camp of Isocrates“). 1041 Ullman 1942, 38: „Duris criticized Ephorus and Theopompus as being inferior to the events they narrate. They lack imitation (m€mhsiw) and charm of expression, for they are concerned only with the writing out of the facts (toË grãfein).“ Und weiter: „What Duris in the former passage means by his Aristotelian language but non-Aristotelian thought is that there is not enough tragedy in the histories of Ephorus and Theopompus“. 1042 Arist. Po. 9, 1451 a 37–1451 b 7 verwendet in diesem Kontext regelmäßig das Verbum l°gein.

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Schüler (Ephoros und Theopompos), wohlgemerkt entgegen der einhelligen Ansicht der antiken Stilkritiker, ihre Geschichtswerke in einem tragischen Sinne verfaßt haben1043. Somit sind also die Ursprünge dieser Schreibweise, wie schon bald nach Ullmans Studie erkannt wurde, anderswo zu suchen. Hatte Ullman ausgerechnet dem Isokrates eine diesem gewiß nicht zukommende Bedeutung für die Grundlegung der „tragischen Geschichtsschreibung“ beigemessen, so weist Wehrli1044 in gleichfalls eindimensionaler Sicht dessen Vorläufer Gorgias eine ähnliche Anregerrolle zu. Wehrli kategorisiert spätere Autoren (namentlich Isokrates), insbesondere die Historiker – unter Einschluß hellenistischer –, aber auch die Ansichten des Peripatos zur Historiographie (Theophrast) danach, ob und inwieferne in ihnen die gorgianische Psychagogie und die epideiktische Kunstprosa des Gorgias übernommen oder aber abgelehnt wurde. Dabei ergibt sich für ihn, daß Duris und Phylarchos1045 zwar mit dessen psychagogischen Absichten konform gingen, dabei aber die Aufmerksamkeit der Rezipienten nicht durch besonderen sprachlichen Schmuck von der Sache selbst abzulenken gedachten. Isokrates und dessen Schüler Ephoros und Theopomp hingegen wären gerade umgekehrt verfahren; sie hätten von einer Anwendung des Mittels der Psychagogie Abstand genommen, dafür aber auf anspruchsvollere rhetorische Gestaltung durchaus Wert gelegt1046. Die von Wehrli solcherart vorgenommene Rubrifizierung ist in ihrer sich mehr an Begrifflichkeiten festhaltenden Schematik aus zwei Gründen durchaus problematisch. Zum einen lassen sich nämlich die psychagogische Wirkabsicht und die sprachliche Form bei Gorgias kaum voneinander trennen, da Gorgias erstere ja gerade mittels der Rhetorik als dem für diese als geeignet erachteten Medium erstrebt hatte1047, und es erscheint daher kaum sehr sinnvoll, diese beiden bei Gorgias wechselseitig aufeinander bezogenen Elemente aufzuspalten und in 1043 Ullmans 1942, 30–32 Versuch, Ephoros und Theopompos in direkten Zusammenhang mit „tragischer Geschichtsschreibung“ zu bringen, überzeugt genauso wenig wie dessen These, Isokrates habe mit seinen Reden eben diese angeregt. 1044 Wehrli 1947. 1045 Wehrli 1947, 63 zu FGrH 76, Fr. 1: „Mit seinen letzten Worten bekennt sich Duris zum selben Stilprinzip wie Phylarch (...), die Aufmerksamkeit durch keinen sprachlichen Schmuck von der Sache abzulenken, so daß er zwar in der psychagogischen Absicht mit Gorgias einig geht, diese aber auf entgegengesetztem Wege verfolgen zu müssen glaubt“; vgl. 55–56 zur Terminologie, welche Polybios (II 56) in seiner Polemik gegen Phylarchos gebraucht; vgl. auch bes. 57: „Polyb nun konnte Phylarch an dieser gorgianischen Lehre messen, ohne ihn damit auch stilistisch zum Gorgianer zu erklären, spricht er doch von der sprachlichen Seite im Werke seines Gegners überhaupt nicht. Tatsächlich teilt auch Phylarch mit Gorgias zwar die Absicht, durch leidenschaftliche Anteilnahme am Erzählten zu ergötzen, er verwirklicht sie aber mit anderen Mitteln“, und weiter: „Die dramatische Wirkung seiner Erzählung“ ... „erzielt er ... gerade dadurch, daß er die Aufmerksamkeit nicht durch anspruchsvollen Stil von der Sache ablenkt“. Die von Wehrli verwendeten Formulierungen stimmen jedoch skeptisch gegenüber der Annahme, die Psychagogie des Gorgias und die des Phylarchos stünden in engerem Zusammenhang zueinander, ist doch gorgianische Manipulation durch das Wort etwas wesentlich anderes als „die Absicht, durch leidenschaftliche Anteilnahme am Erzählten zu ergötzen“. Im Falle des Ktesias jedoch hält Wehrli 1947, 68 es zu Recht für möglich, „daß er erst hinterher in die Diskussion über die Aufgaben der Geschichtsschreibung gezogen wurde“. 1046 Wehrli 1947, 58: einzig Zenon von Rhodos sei der gorgianischen Rhetorik nicht nur im Ziel, sondern auch in der sprachlichen Form verpflichtet gewesen. Zur Position des Ephoros und des Theopompos Wehrli 1947, bes. 62–64., zur Absage des Isokrates an die gorgianische Psychagogie vgl. bes. 66–67. 1047 Nur einmal spricht er (Wehrli 1947, 57) es deutlich aus, daß „die psychagogische Wirkung“ als eine Folge „der reichgeschmückten Diktion des Gorgias“ zu verstehen ist.

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dieser sinnentfremdeten Form als diejenigen zentralen Parameter zu konstituieren, nach denen die Intentionen nicht einmal bloß von Rhetoren, sondern just von Historikern der Folgezeit wesentlich zu beurteilen wären. Zum anderen gebraucht Wehrli den Begriff Psychagogie zumeist in unscharfer Weise, unterscheidet er doch nicht zwischen der von Gorgias beabsichtigten Manipulation durch die Macht des Wortes zum einen und der von Duris und Phylarchos, wie er jedenfalls meint, bezweckten Lenkung der Gefühle durch die Kunst der Anschaulichkeit1048 zum anderen. Auf diesem schwankenden Fundament unternimmt Wehrli es, den bis Polybios hin bestimmenden literarhistorischen Kontext, wie er ihn konstruiert, aufzuhellen, mit dem eher wenig überzeugenden Resultat, daß alle von ihm diskutierten Autoren ihren Beitrag zur Gorgiasrezeption geleistet hätten, entweder positiv durch ihre Zustimmung oder negativ durch ihre Ablehnung. Wehrli1049 meint nun, auf dieser Grundlage, etwa um 400 v. Chr., einen Theoretiker1050 erschließen zu können, der an die Stelle der gorgianischen Psychagogie das Postulat einer sachlichen Berichterstattung gesetzt und sodann mit diesem Gegenkonzept mächtigen Einfluß namentlich auf die Geschichtsschreibung ausgeübt habe. Abgesehen von dem Umstand, daß dieser Anonymus trotz der ihm so zuerkannten eminenten literarhistorischen Bedeutsamkeit eine schattenhafte, namentlich nicht benennbare und auch sonst gänzlich unbekannte Person ist, von der sich keine Spur auf direktem Wege nachweisen läßt, liegt dieser Konzeption eine Überschätzung des Gorgias für die Entwicklung der Geschichtsschreibung zugrunde. Denn weder ist von Gorgias bekannt, daß er sich in der Historiographie betätigt hat, noch daß er sich in theoretischer Form jemals über diesen Gegenstand geäußert oder sich auch nur für ihn besonders interessiert hat, noch auch lassen sich von ihm Ausgang nehmende Verbindungslinien zu der „tragischen Geschichtsschreibung“ in der von Wehrli postulierten Form nachweisen1051, da die polybianische Kritik an Phylarchos1052, das einzige für diesen Zweck auswertbare Zeugnis, nicht weniger über die Absichten des Kritikers aussagen dürfte1053 als über die literarischen Intentionen oder gar das theoretische Programm des Kritisierten, soferne er denn überhaupt eines in seinem Geschichtswerk formuliert hat. Mit Ausnahme des ersten 1048 Wehrli 1947, 56 und 63 bewertet Phylarchos und Duris sehr ähnlich, indem er sie beide in die Nachfolge gorgianischer Psychagogie stellt. Die Absichten ihrer „pathetischen Geschichtsschreibung“ bestünden darin, „durch leidenschaftliche Anteilnahme am Erzählten zu ergötzen“ und darin, die Geschehnisse durch Appell an das Gefühl und mittels suggestiver Sprache dramatisch wirksam in Szene zu setzen (bes. 57, 63 und 64). 1049 Wehrli 1947, bes. 68–69 (zuvor mehrfach argumentativ vorbereitet). Aus der von ihm rekonstruierten Existenz dieses Theoretikers (vgl. bes. 62) schließt Wehrli zuversichtlich, daß es „eine speziell peripatetische Theorie der romanhaften Geschichtsschreibung“ nicht gegeben habe. 1050 Andernorts (Wehrli 1947, 58) ist von Theoretikern im Plural die Rede. 1051 So auch Walbank 1960, 232. 1052 Plb. II 56. 1053 Brunt 1980 weist in einer aus methodischer Sicht wertvollen Arbeit mit origineller Fragestellung zu Recht darauf hin, daß generell davor zu warnen ist, die Qualität verlorener Geschichtswerke und die von deren Verfassern ohne angemessene Vorbehalte einzig nach Werturteilen anderer antiker Autoren einzuschätzen. Über Polybios sagt er (480): „Rather too much respect is given to Polybius’ denigration of his predecessors, who should certainly not be condemned in the absence of sufficient evidence by which we can control his judgement“. Einen ganz ähnlichen, jedoch nicht konsequent durchgeführten Gedanken äußerte schon Gigon 1967, 91. Die Nichtberücksichtigung dieses Prinzips ist eine methodische Schwäche bei Hose 1994, bes. 25–26, der das Urteil des Polybios über Phylarchos nicht einmal prinzipiell in seiner Berechtigung hinterfragt.

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Durisfragments ist ja weder über Duris noch über Phylarchos auch nur eine einzige sicher bezeugte theoretische Erklärung bekannt, von der sich eine Aufschlüsselung deren literarischen Selbstverständnisses erwarten ließe. Das von der peripatetischen Theorie (speziell von Theophrast) verfolgte Ziel war Wehrli1054 zufolge „ein historiographischer Stil, der unter Verzicht auf eigentlich psychagogische Absichten rhetorisch durchgebildet sein sollte, ohne gegen das Prinzip sachlicher Belehrung zu verstoßen“. Dieses Ziel wäre deckungsgleich gewesen „mit den faktischen Absichten der Isokrateer“; und legitimiert sei es gewesen „durch die rhetorische Sprache des Thukydides“ sowie durch die aristotelische grafikØ l°jiw1055. Die Anlehnung Theophrasts an die isokrateische Richtung erscheint indes problematisch, da Duris, der Schüler Theophrasts, doch ausgerechnet gegen die isokrateische Überbewertung der sprachlichen Präsentation polemisiert hat. Es erscheint daher plausibler, die aristotelische Rhetorik und in deren Nachfolge die Rhetorik Theophrasts als die Grundlage für den von Theophrast für die Historiographie geforderten Stil zu erachten. Problematisch ist auch das von Wehrli1056 insinuierte Nahverhältnis des Thukydides zur Rhetorik, denn in diesem Kontext bedeutet dies nur, die klaren Grenzen zwischen diesem und Isokrates über Gebühr zu verwischen. Es scheint sogar umgekehrt eher so zu sein, daß Thukydides innerhalb der antiken Literaturtheorie als Repräsentant des mimetischen Typs der Geschichtsschreibung gewertet wurde. Jedenfalls zieht Lukian ihn bezeichnenderweise niemals als Paradigma in stilistischen Belangen heran. Wehrli hat jedoch sicherlich Recht damit, daß Theophrast in der Nachfolge des Aristoteles für eine sachliche Art historiographischer Darstellung eingetreten ist. Zutreffend ist wohl auch seine Vermutung1057, daß die Unterscheidung der Gattungen Geschichtsschreibung und Dichtung, die sich bei Lukian1058 noch findet, auf Theophrast zurückgeht, denn derartige Bestimmungen gattungsmäßiger Spezifika sind charakteristisch für peripatetische Literaturtheorie. Wehrli 1059 führt Lukians Methodenschrift insgesamt auf Theophrasts Schrift per‹ flstor€aw zurück. Wenn dies auch kaum in dieser Form zu beweisen ist, so verdient doch der Umstand Beachtung, daß auch Lukian „kein Gegner maßvollen rhetorischen Schmucks war“1060. Allerdings wird der Kommentar allenthalben zeigen, daß Lukian darunter keineswegs die isokrateische Kunstprosa versteht, sondern vielmehr einen Schmuck, wie er wahrscheinlich 1054 1055

Wehrli 1947, bes. 69. Arist. Rh. III 12, 1413 b 8–9 mit Unterscheidung zweier Stile (¶sti d¢ l°jiw grafikØ m¢n ≤ ékribestãth, égvnistikØ d¢ ≤ Ípokritikvtãth). 1056 Wehrli 1947, 54–55 und 69–71 beurteilt Intention und Stil des Thukydides so: er preise in der Einleitung den Krieg als „episches Thema“, und sein Werk sei „episches Kunstwerk“, seine Darstellung verrate in jedem Satz besonderen „künstlerischen Anspruch“; und er habe es verstanden, seine Wissenschaftlichkeit „mit der anspruchsvollsten künstlerisch–rhetorischen Form“ zu einem in der Antike unübertroffenen Gleichgewicht zu verbinden. Es ist allerdings zu konstatieren, daß es eine perspektivische Verzerrung ist, „die rhetorische Sprache des Thukydides“ (69) gemeinsam und ohne Differenzierung mit der abgezirkelten isokrateischen Kunstprosa zu nennen. Wehrli (71) behauptet nämlich, Theophrast habe das Werk des Thukydides zum Kanon der Geschichtsschreibung erhoben; zuvor (69) hatte Wehrli ein Nahverhältnis Theophrasts zu den Isokrateern angenommen. 1057 Wehrli 1947, 70. 1058 Luk. Hist. Conscr. 8. 1059 Wehrli 1947, 70. 1060 Wehrli 1947, 70, vgl. 58 und 61.

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von Theophrast in Nachfolge des Aristoteles vertreten worden war1061. Als Resultat einer kritischen Sichtung der bislang erbrachten Forschungsleistungen gelangte Walbank1062 zu dem Schluß, daß „tragische Historie“ ein bis in das 5. Jh. v. Chr. zurückreichendes Phänomen sei1063, das keiner bestimmten Theorie bedurft habe, um übergreifend in Erscheinung treten zu können1064. Eine ernste Schwäche von Walbanks Position besteht jedoch darin, daß er, wie insbesondere seine Interpretation des ersten Durisfragments1065 zeigt, sich trotz seines kritischen Ansatzes nicht davon löst, „tragic history“ mit intendierter Erregung von Emotionen zu verbinden1066. Problematisch ist auch dies: selbst wenn man Walbanks Verständnis von „tragic“ annehmen möchte, so verbaut doch die von ihm angenommene literarhistorische Kontinuität zumindest bis zu einem gewissen Grad die Möglichkeit, der hellenistischen Historiographie vom Typus des Duris und des Phylarchos1067 ihr unverwechselbares Eigenprofil zuzuteilen, kann doch „tragisch“ für diese beiden Historiker alleine schon wegen der unterschiedlichen Zeitbedingungen nicht dasselbe wie für Thukydides1068 bedeuten. In einer späteren und bedeutenden Arbeit erkannte Walbank dieses Problem und suchte es mit „a growing taste“ für „tragic history“ in hellenistischer Zeit zu erklären1069. Wichtig ist vor allem die durchaus zutreffende Beobachtung, daß sich bei Phylarchos zwar schon viele Charakteristika 1061 Vgl. dazu die Kommentare zu Luk. Hist. Conscr. bes. 43–46. 1062 Walbank 1955. 1063 Detaillierter dazu Walbank 1960, 231–233 (mit reichhaltigen Belegen). Walbank konstatiert hier (233) „a fundamental affinity going back to the earliest days of both history and tragedy“. 1064 Mit engem Anschluß an Walbanks als endgültig beurteilten Arbeiten glaubt Kebric 1977, 14–18 an eine mit Herodot und Thukydides beginnende Kontinuitätslinie, und er sieht mit Duris keinen Einschnitt gegeben, keine Begründung einer neuen Theorie. Sacks 1981, 144–170 gelangt auf anderem Wege, über eine solide Untersuchung des von Polybios für seine methodologischen Erklärungen verwendeten Begriffsrepertoirs, zu einem ganz ähnlichen Ergebnis, vgl. bes. 161 („There is no evidence of consistent usage between Polybius and other writers of histories and rhetoric, nor that Polybius was in any way reflecting the language of the so–called tragic school of historiography“), resümierend 170 („Indeed, it may well be that he thought the tragic approach to history to be as old as historiography itself“). 1065 Walbank 1955, 6–7; Sacks 1981, 146 hingegen gibt den Begriff m€mhsiw zutreffend mit „representation of reality“ wieder. 1066 Walbank 1955, 7: „Duris was concerned to put across the pãyow inherent in a situation and to involve the reader’s emotions: Ephorus and Theopompus were interested only in narration“. 1067 Walbank 1955, 5 ist sich dessen bewußt, daß eine Gleichsetzung hellenistischer Geschichtsschreibung mit „tragischer Geschichtsschreibung“ genauso wenig legitim ist wie die ebenso unbegründete Annahme, die „tragischen Geschichtsschreiber“ seien allesamt derselben Klasse zuzuordnen. 1068 Walbank 1955, 11 ordnet Thukydides dem Typus der „emotional history“ zu: „for what Callisthenes is said to have done – got inside the character – was done already by Thucydides“. Lateiner 1977 ist in einer Studie zum Pathos bei Thukydides (42, Anm. 4 mit der Unterscheidung von pãyow für „human calamity“ und pathos für „passion“ bzw. „rhetorical and dramatic effect“), ohne darin jedoch speziell auf die Debatte zu der „tragischen Geschichtsschreibung“ einzugehen, zum Ergebnis gelangt (51): „Thucydides is vitally interested in human suffering and its presentation in history“, doch von hier ist es noch ein nicht unbeträchtlicher Weg bis hin zu der Ausbeutung des Pathos durch hellenistische Historiographie zum einen und zu der davon nicht unabhängigen Bewertung durch kaiserzeitliche Literaturkritik zum anderen. Der Schlußsatz (51) Lateiners lautet daher zu Recht: „Once we perceive ‚pathos’ in Thucydides, it will be easier to explain its development in later authors“. Es ist das Wort „development“, das hier eine besondere Beachtung verdient. Wie sich die Entwicklung innerhalb hellenistischer historiographischer Praxis im einzelnen vollzogen hat, kann aber leider wegen der fragmentarischen Überlieferungslage nicht mehr festgestellt werden, doch daß die veränderten politischen Rahmenbedingungen dabei eine wesentliche Rolle spielen, steht jedenfalls fest. 1069 Walbank 1960, 233.

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der Tragödie fänden, doch auch eine ganze Reihe andersartiger Elemente1070, und zwar allen voran „the marvellous and the monstruous“, tÚ terat«dew, das Aristoteles1071 eben gerade aus der Tragödie ausgeschlossen wissen wollte. Den umstrittenen Begriff der m€mhsiw in dem ersten Durisfragment umschreibt Walbank1072 mit: „a vivid presentation of events“ bzw. mit „emotive writing“. Duris’ Geschichtswerk, so wie es nun tatsächlich beschaffen ist, bezeichnet er als „vivid and melodramatic history“1073. Dieses als peripatetisch zu etikettieren sei illegitim, denn „... little of this is tragic in the true sense or can in any way be regarded as depicting the universal“1074. Mit der Ablehnung einer tragischen, an peripatetischer Theorie orientierten Art der Geschichtsschreibung hat Walbank also mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Recht1075, doch ist sein Mimesisverständnis, wie bereits in der vorangehenden Arbeit, durchaus problematisch, was aber noch im Laufe dieser Untersuchung zu erweisen sein wird. Eine leicht modifizierte Neuauflage erfuhr die These von Schwartz durch Fornara1076, der die durch die Geschichtsschreibung erweckten Emotionen in erster Linie in der Überraschung erblickt, wie sie durch die unberechenbaren Wechselfälle der Tyche ausgelöst werde, erst in zweiter Linie in Furcht und Mitleid, die Aristoteles als spezifische Emotionen der Tragödie zugeordnet hatte1077. Und dabei hätte Duris direkt an Thukydides Maß genommen, der mehrfach bereits das paradoxe Moment als ein Mittel seiner mimetischen Darstellungsweise1078 gebraucht habe1079. Duris habe seine Theorie, deren Essenz im Lucceius-Brief Ciceros vorliege, autonom entwickelt1080; eine (wie oft vermutet) auf Theophrast oder Praxiphanes basierende peripatetische

1070 Walbank 1960, 216 nennt auch „... the trivial, the meretricious and the sentimental – night scenes, detailed descriptions of clothing, love – interest, and the almost human behaviour of animals“, vgl. 219 und zu Duris auch Walbank 1990, 259. 1071 Arist. Po. 14, 1453 b 8–10 vermerkt dazu: ofl d¢ mØ tÚ foberÚn diå t∞w ˆcevw éllå tÚ terat«dew mÒnon paraskeuãzontew oÈd¢n tragƒd€& koinvnoËsin. 1072 Walbank 1960, 219, vgl. Walbank 1972, 35: „a vivid and emotional representation of events“. 1073 Zu vorteilhafterer und wohl auch gerechterer Bewertung gelangt nach Untersuchung der Fragmente des Duris jedoch Kebric 1977, 82: „Entrenched too deeply in the political and moral issues of his homeland and, to a lesser extent, the Hellenistic world, Duris was unable to restrain his own emotional reaction to the events he chose to describe“. Leo 1965, 110 sieht in den Fragmenten ein Überwiegen des Biographischen, doch ist zu berücksichtigen, daß die selektive Art der Überlieferung nicht unbedingt exakt den tatsächlichen Zustand des Werkes wiederspiegeln muß. 1074 Walbank 1960, 219 (Kontext 217–220: eine Widerlegung der durch von Fritz 1956 vorgetragenen These). Marincola 2003 bestätigt in einer sehr beachtenswerten Arbeit die Richtigkeit von Walbanks Grundgedanken durch den Nachweis, daß antike Historiker bereits seit Thukydides mit allen Arten von Emotionen (nicht mit Furcht und Mitleid alleine) arbeiten, um ihren Aussagen Überzeugungskraft zu verleihen. Auch aus dieser Sicht kann das Konzept der „tragischen Geschichtsschreibung“ nicht aufrecht erhalten werden. 1075 Vgl. auch Walbank 1972, bes. 35, Anm. 16 und 37–38. 1076 Fornara 1983, bes. 124–134. 1077 Arist. Po. 14, 1453 b 12–12 (hier rekapitulierend auf eine kurze Formel gebracht). 1078 Vgl. Plutarchs Schrift Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 3, 346 f–347 c und den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 51: efiw dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã ... ırçn tå legÒmena. In diesem Zusammenhang ist auch Lateiners (1977) anregende Studie zum Pathos bei Thukydides von Interesse. 1079 Fornara 1983, 129. 1080 Halliwell 2002, 291 rät zu einer Vorsicht gegenüber Fornaras als zu spekulativ bewerteten Ansicht, Duris habe die aristotelische Theorie auf die Geschichtsschreibung übertragen, doch nimmt im übrigen auch er an (290), die Kritik des Duris an Ephoros und Theopompos ziele auf „lack of dramatic qualities“, sei doch das Ziel: „bringing historical scenes alive with the kinds of narrative technique and artistry that traditionally belonged to poetry“.

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Theorie hätte es gar nicht gegeben1081. Vor allem letztere Aussage ist im Zusammenhang zu sehen mit den zuvor besprochenen Arbeiten, insbesondere denen Walbanks, der die Wurzeln der „tragischen Geschichtsschreibung“ nach oben hin, nämlich in das 5. Jh. v. Chr., verschoben hatte. Insgesamt ergibt sich so bei Fornara allerdings kein rundum stimmiges Gesamtbild. Denn wenn Duris, was an sich ja durchaus plausibel erscheint, sich Thukydides als Vorbild gewählt hat, so brauchte er für die Konstituierung seiner Theorie wohl kaum eine Auseinandersetzung mit der aristotelischen Tragödientheorie, zumal das Walten der Tyche und paradoxe Wendungen des Schicksals ohnedies in Ansätzen bei Thukydides vorliegen (so Fornaras nicht unbegründete Ansicht) und in viel konzentrierterer Form in den spezifischen Gegebenheiten der Zeit leichter ihre natürliche Erklärung finden als in einer auf Duris wirksamen Theorie. In einer beachtenswerten Studie fügte Gray1082 der Debatte eine neue Facette hinzu. Gray konnte zutreffend zeigen, daß der Begriff m€mhsiw nicht, wie von Walbank1083 angenommen, einzig bei Duris als ein historiographischer terminus technicus verwendet ist, sondern daß er in attizistischer Literaturkritik, bei Dionysios von Halikarnaß, bei Ps. Longinos und bei Ps. Demetrios, zum festen Repertoir gehört, nicht nur zu literarkritischer Beurteilung von Rhetorik und Dichtung, sondern im Besonderen auch von Geschichtsschreibung. Die von Gray angeführten und diskutierten Belege weisen jedenfalls m€mhsiw als wichtigen Parameter aus, der allerdings zumeist bei der Beurteilung von in Geschichtswerke eingelegten Redepartien angewandt wurde1084, der aber auch, wenn auch viel seltener, als ein Beurteilungskriterium für narrative Partien diente1085. An all diesen von Gray erschlossenen Stellen bedeutet m€mhsiw eine durch „observation of what men do in real life“1086 erzielte „imitation of reality“ bzw. auch „recreation of reality“1087, also das, was in der deutschen Sprache etwa mit „Lebensechtheit“ adäquat bezeichnet ist. Das Schlüsselwort zur Erzielung einer so verstandenen m€mhsiw ist, wie Gray hervorhebt, „propriety“1088, eine hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, auf gestalterischer, stilistischer Ebene zu verstehende Angemessenheit1089, und diese zeigt sich nicht

1081 Fornara 1983, 131–132 mit polemischer Spitze gegen frühere Sichtweisen. 1082 Gray 1987. Walbank 1990, 258–259 zeigt sich von den Stärken von Grays Argumentation etwas zu sehr überzeugt. 1083 Walbank 1972, 36, Anm. 18 hatte gesagt: „There appears to be no evidence for the use of the word as a technical term in historical theory in any author but Duris“. Es ist aber durchaus richtig, daß Polybios diesen Begriff nicht als rhetorischen terminus verwendet, dazu Sacks 1981, 155 mit Anm. 84. 1084 Es ist, was Gray nicht ausreichend tut, unbedingt zu beachten, daß für die Reden andere Kriterien als für die narrativen Partien gelten; vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 58. 1085 Gray 1987, 472 äußert sich dazu so: „What of historical narrative and description, where the historian was dealing with writing that did not involve impersonation of the character and emotions of the historical character experiencing them? This too, ..., involved mimesis through observance of the rule of propriety“. Als Beispiel folgt Longin. 43, bes. 5 mit einer Kritik an Theopompos, der sich nicht darauf verstanden habe, (auf stilistischer Ebene) die Natur nachzubilden (mime›syai ... tØn fÊsin). 1086 Gray 1987, 470. 1087 Gray 1987, 469. 1088 Gray 1987, 470: „The means by which the recreation of life is to be achieved is the observance of the rule of propriety, based on observation of what men do in real life“. 1089 Gray 1987, 472 ist sich dieses Umstandes indes durchaus bewußt: „In fact, most of the passages on mimesis still to be discussed will concern only stylistic propriety, but it must be kept in mind that mimesis can cover argument as well“.

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bloß im Bereich der pãyh, sondern auch in dem der ≥yh gleichermaßen1090. Gray1091 folgert weiter, daß das Verständnis von m€mhsiw, wie es sich bei den attizistischen Kritikern nachweisen läßt, bereits bei Duris anzunehmen sei, daß es also eine vom frühen Peripatos bis in die frühe Kaiserzeit reichende Traditionslinie gäbe. Demnach bestünde die Kritik des Duris an Ephoros und Theopompos darin, daß diese sich einer unmimetischen Schreibweise (eines „non-imitative writing“ 1092) bedient hätten. Die von Gray aus dem, soweit es die Attizisten betrifft, an sich unbestreitbaren empirischen Befund gezogene Konsequenz läßt jedoch ein ernstes Problem entstehen. Denn wenn Duris tatsächlich am Beginn einer ungebrochen zu den attizistischen Literaturkritikern hin reichenden Traditionslinie stünde und er somit in seinen Zielen mit den Forderungen der Späteren konform ginge, so wäre zu erwarten, daß er entsprechende Aufnahme bei diesen hätte finden müssen. Doch dies ist nicht nur nicht der Fall, vielmehr zählt ihn gerade Dionysios von Halikarnaß1093 zu all den ungenießbaren hellenistischen Autoren, die man nicht zu Ende zu lesen vermöge. Nun ist zwar die prinzipielle Möglichkeit, daß Duris seinen theoretisch formulierten Zielen in der Praxis nicht gerecht wurde, nicht gänzlich von der Hand zu weisen, doch als wahrscheinlicher erscheint es doch, daß es bereits die Prinzipien waren, nach denen er in der Praxis verfuhr, welche die Ablehnung durch Dionysios verursacht haben. Vor diesem Hintergrund kommen Zweifel daran auf, ob Duris wirklich, wie von Gray angenommen, einen primär stilistisch orientierten m€mhsiw-Begriff verfolgt hat, denn in diesem Falle scheinen dafür die Worte t«n genom°nvn ple›ston épele€fyhsan1094 in Fr. 1 nicht gerade passend zu sein, können doch diese (gerade für einen Peripatetiker) kaum eine Lebensechtheit bezeichnen, sondern vielmehr die faktische Wirklichkeit, die Lebenswirklichkeit. Während also die Attizisten, besonders Dionysios und Ps. Longinos, vom Historiker nicht so sehr Faktizität einforderten, sondern eine mit den allgemeingültigen Realitäten des Lebens vereinbare, plausible Art der Darstellung, war es die Ansicht des Aristoteles gewesen, der Historiker bilde tatsächlich Geschehenes objektiv ab. Wenn Duris sich als Peripatetiker seinem Gegenstand genähert hat, so ist zu erwarten, daß er mit der Wahl des leitmotivischen Begriffs m€mhsiw weniger eine stilistische, als vielmehr eine sachlich orientierte Vorstellung verbunden hat, und diese war das Ideal der Wirklichkeitstreue. In diesem Fall ließe sich die Ablehnung des Duris durch Dionysios gerade mit der Vernachlässigung des ganzen sprachlich–stilistischen Bereichs erklären, und auch die Kritik des Duris an Ephoros und dem im übrigen von Dionysios außerordentlich geschätzten

1090 Gray 1987, 478: „It is wrong to assume automatically that Duris has strong emotion in mind when he refers to historical mimesis. The range of imitative effects is broader than that. They are not all tragic“. Vgl. D. H. Pomp. 3: ±y«n te ka‹ pay«n m€mhsiw, und es folgen Thukydides als ein Beispiel für die Beherrschung der pãyh und Herodot als Meister der ≥yh. 1091 Gray 1987, bes. 482–486. 1092 Gray 1987, 478–481, bes. 478. 1093 D. H. Comp. 4: hier sind u. a. Phylarchos, Duris, Polybios und Hieronymos namentlich genannt (allesamt sind es hellenistische Historiker), und es wird auch auf unzählige andere Autoren verwiesen, für deren bloße Aufzählung ein ganzer Tag nicht ausreichen würde. 1094 Ungenau wiedergegeben von Henry 176: „... inférieurs aux autres écrivains“, richtig bereits Scheller 1911, 69 und Strasburger 1966, 79, Anm. 2.

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Theopompos1095 würde so erst verständlich. Duris kritisiert an den beiden Vorgängern gerade diejenigen Qualitäten, denen Dionysios einen hohen Stellenwert zuweist. Er steht, betrachtet man die Sache von dieser Warte aus, also nicht am Anfang einer zum Attizismus hin reichenden Traditionslinie, vielmehr repräsentiert er eine vom Attizismus abgelehnte sachorientierte historiographische Position ohne besonderen Ehrgeiz in der sprachlich-stilistischen Gestaltung. Diese Betrachtungen leiten zu der zielführendsten Darstellung der Sachlage durch Meister1096 über. Meister erkennt in Fr. 1 mit Bestimmtheit und ohne jegliche Einschränkung ein Dokument einer auf eine Wirklichkeitstreue (unter tå genÒmena ist die geschichtliche, und das bedeutet die faktische Wirklichkeit zu verstehen) hin angelegten Darstellungsweise. Meister gibt in diesem Sinne also den Begriff m€mhsiw mit einer „Nachahmung der historischen Wirklichkeit, d. h. wirklichkeitsgetreue Darstellung der Ereignisse“1097 wieder, und er versteht unter der ≤donÆ „die Freude, die man an einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung empfindet“, da ja doch erfahrungsgemäß „eine derartige Schilderung den Leser packt und fesselt“1098. Aus dem Umstand, daß die Begriffe m€mhsiw und ≤donÆ (bzw. synonyme oder sinnverwandte Begriffe) in der Poetik des Aristoteles wiederholt vorkommen1099, schließt er ganz zu Recht, daß Duris in der Terminologie wahrscheinlich durch Aristoteles beeinflußt ist. Meister1100 untersucht nun die Fragmente des Duris und des Phylarchos mit dem Ergebnis, daß bei ihnen zwischen Theorie und Praxis oft ein Widerspruch klaffe1101. Er schlägt daher vor, den polybianischen Begriff terate€a („Sensationshistorie“) künftighin für die Praxis eines Duris und Phylarchos zu verwenden, die üblichen Bezeichnungen „tragische“ bzw. „peripatetische“ Geschichtsschreibung aber zu meiden1102. Die hier klar vollzogene Trennung von Theorie und Praxis ist ein methodisch fruchtbarer Weg, erlaubt er doch, Fr. 1 als das Programm eines in peripatetischer Tradition stehenden Autors zu werten, ohne dabei zu vergessen, daß Duris hinsichtlich der Praxis seiner Geschichtsschreibung einer spezifischen Einschätzung bedarf. Es ist nicht zu verkennen, daß er in der Praxis das gemacht hat, was er jedenfalls für vereinbar mit seiner Theorie hielt, auch wenn spätere Kritiker damit nicht konform gingen.

1095 D. H. Pomp. 6: In stilistischer Hinsicht steht Theopompos dem Lehrer Isokrates nahe, manchmal findet sich bei ihm sogar die deinÒthw des Demosthenes. 1096 Meister 1975, 113–115. 1097 Meister 1975, 114, ähnlich Kebric 1977, 39–41, bes. 40–41. 1098 Meister 1975, 115. 1099 Meister 1975, 115, Anm. 27 mit Belegen. 1100 Meister 1975, 117–122. 1101 Vgl. aber die apologetische Bewertung des Duris durch Kebric 1977, 81–82. 1102 So schlüssig Meister 1975, 125. Hose 1994, 25, Anm. 26 und 27 hingegen möchte den Begriff „tragische Geschichtsschreibung“, obschon problematisch, beibehalten wissen, „da er als Schlagwort gebräuchlich ist“. Die zentrale Frage, ob es eine entsprechende Theorie dazu gab, erachtet er – anders als der konsequenter verfahrende Burck 19642, 176–178, der sich zu dem Anschluß an die Position von Schwartz und Scheller deklariert – als für seine Fragestellung bedeutungslos; gleichwohl geht er (25–26) ganz selbstverständlich davon aus, daß das Ziel dieser Konzeption eben darin gelegen wäre, „mit der Geschichtsschreibung ähnlich auf den Rezipienten zu wirken wie Tragödie“.

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Das Mimesisverständnis des Duris1103 läßt sich noch präzisieren, denn es wird überliefert, daß er u. a. auch an bildender Kunst interessiert war und Schriften über Malerei und Toreutik verfaßte1104. Es ist daher naheliegend, zu fragen, wie Aristoteles über Malerei dachte. Im 4. Kapitel der Poetik1105 findet sich ein möglicherweise für das Verständnis von Fr. 1 aufschlußreicher Passus. Aristoteles erläutert hier die naturgegebene Neigung des Menschen zur Nachahmung anhand des Beispiels der Malerei. Beim Betrachten eines Bildes erlebe der solcherart disponierte Mensch eine den Vorgang des Erkennens (manyãnein ka‹ sullog€zesyai t€ ßkaston) begleitende Lust (≤donÆ), die sich selbst dann einstelle, wenn das Dargestellte nicht wiedererkannt wird, da in diesem Fall immer noch kunstfertige Gestaltung (épergas€a), Farbgebung (xroiã) oder etwas anderes für die Erzeugung von Lustempfinden sorge. Hier findet sich eine ähnliche Konzeption wie bei Duris. Bei beiden bedeutet Lust (≤donÆ) eine bei wirklichkeitsgetreuer Darstellung, m€mhsiw, sich zwangsläufig einstellende Folge1106. Zu beachten ist auch, daß Aristoteles vom einzelnen Objekt spricht (ßkaston), so wie er ja auch das Spezifikum der Geschichtsschreibung im tå kayÉ ßkaston l°gein1107 erblickt. So gesehen war es für Duris also durchaus möglich, das aristotelische Konzept von Geschichtsschreibung zu vereinbaren mit dem gleichfalls aristotelischen Konzept von m€mhsiw und ≤donÆ. Und dies mag eine Anekdote erläutern. Plinius der Ältere1108 berichtet, Duris habe die Autodidaktik des Lysippos damit erklärt, daß dieser sich an den Maler Eupompos gehalten habe, der auf die Frage, wem er denn folge, einfach auf eine Menschenmenge gezeigt und geantwortet habe, man müsse die Natur selbst nachahmen, nicht einen bestimmten Künstler (naturam ipsam imitandam esse, non artificem)1109. Zwar erscheint in diesem Zusammenhang Duris bloß als eine Informationsquelle, doch ist es kaum wahrscheinlich, daß die Anekdote in dieser Form überliefert worden wäre, wenn man nicht auch gedacht hätte, daß auch Duris eine ähnliche Ansicht vertreten hat1110. Als ein Homerphilologe, als welcher der vielseitige Duris sich auch betätigt hat, beanstandete er den Vergleich des den Achill verfolgenden und dabei mächtig tosenden Skamandros mit dem sprudelnden Quellwasser beim Vorgang der Bewässerung der Flur1111 als inadäquat, doch fügte er sogleich diese Aussage relativierend hinzu, daß dies der Aufmerksamkeit der Leser entginge, da der Vergleich an sich ja 1103 Leigh 1997, 33–37, bes. 35–36 zieht Arist. Po. 24, 1460 a 5–11, bes. 8–9 heran, interpretiert den hier erscheinenden Mimesisbegriff als eine „dramatic presentation“ und setzt dieses Verständnis von Mimesis für Duris voraus. Doch läßt sich die von Leigh für Duris postulierte Faktizität kaum vereinen mit der gleichfalls von ihm angenommenen „dramatic presentation“. Es ist daher nicht anzuraten, mit dieser Aristotelesstelle zu operieren, um die Mimesiskonzeption des Duris zu erklären. 1104 FGrH II A 76, Fr. 31 und 32 (vgl. T 12 d). 1105 Arist. Po. 4, bes. 1448 b 10–19. 1106 Es ist daher wohl etwas zu skeptisch gedacht, wenn Halliwell 2002, 291 vermerkt: „Although Duris linked mimesis with pleasure, we are simply not in a position to decode his conception of the pleasure of history“. Ein guter Ansatz findet sich bei Scheller 1911, 69 (Ziel sei es, ut res non tam narrentur quam depingantur; ≤donÆ werde bewirkt ipsa illa vitae imitatione), der aber unmittelbar darauf eine andere Richtung einschlägt. 1107 Arist. Po. 9, 1451 b 7. 1108 Plin. Nat. XXXIV 61 = FGrH II A 76, Fr. 32. 1109 Kebric 1977, 40, Anm. 31 vermerkt zu Recht: „This same philosophy underlies Duris´ historiographical concepts“. 1110 Kebric 1977, 40, Anm. 31: „This same philosophy underlies Duris’ historiographical concepts“. 1111 Hom. Il. XXI 257–262.

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durchaus mimetisch durchgeführt sei (diå tØn §n to›w kÆpoiw Ídragvg€an §kmime›syai)1112. Ein methodologischer Passus bei Diodor1113, der zumeist auf Duris zurückgeführt wird1114, könnte, falls er tatsächlich einen Gedanken des Duris wiedergibt, außer Fr. 1 der einzige Beleg für dessen Mimesisverständnis sein. Diodor beklagt hier den unausweichlichen Umstand, daß die Gattung der Geschichtsschreibung nicht in der Lage sei, in der Wirklichkeit synchron verlaufene Ereignisse so darzustellen, wie sie sich tatsächlich ereignet haben. Vielmehr müsse der Historiker notgedrungen eine naturwidrige Trennung der in Wirklichkeit vernetzten Vorgänge vornehmen, sodaß er zwar das Geschehen nachahme (mime›syai m¢n tå gegenhm°na), aber dabei doch weit hinter dessen wahrer Beschaffenheit zurückbleibe (polÁ d¢ le€pesyai t∞w élhyoËw diay°sevw)1115. Jedenfalls hatte bereits Aristoteles1116 über die Behandlung synchroner Handlungsvorgänge gesprochen, doch für diesen lag hier kein Problem, da diese disparaten Elemente ohnedies auf kein einheitliches t°low hinausliefen. Soferne also der bei Diodor geäußerte Gedanke tatsächlich auf Duris zurückgeht, so läge bei diesem das aristotelische Konzept in einer deutlich weiterentwickelten Form vor. Diese Beispiele verschaffen nun vielleicht den nötigen Kontext für die Bedeutung von m€mhsiw in Fr. 1. Duris tritt demnach für Wirklichkeitstreue in der Darstellung ein, und erst vor diesem Hintergrund wird seine Kritik an den primär stilistisch interessierten Isokrateern verständlich. Die im ersten Buch des Duris geäußerte Kritik richtet sich gegen Theopompos und Ephoros, die in der Literaturkritik als die zwei Vertreter des isokrateischen Stils innerhalb der Historiographie galten. Zwar wird das unterschiedliche Temperament dieser beiden wie auch ihr dementsprechend verschiedenartiger Stil stets hervorgehoben1117, doch werden darüber deren Gemeinsamkeiten nicht vernachlässigt, haben sie doch beide in Isokrates einen gemeinsamen und ihr rhetorisches Profil stark prägenden Lehrer1118. Während der als wenig erregbar charakterisierte Ephoros eine Schrift über den Stil (per‹ l°jevw) verfaßte1119, betätigte sich der als von recht hitzigem Gemüt geltende Theopompos, bevor er daran ging, seine umfangreichen Geschichtswerke zu verfassen1120, als ein panegyrischer und symbouleutischer Redner1121, dessen panhellenische Reichweite er selbst mit der für ihn so typischen Unbescheidenheit gepriesen hat1122. Und dieses starke rhetorische Substrat verleugnet sich in seiner Geschichtsschreibung 1112 FGrH II A 76, Fr. 89; Gray 1987, 575–476 interpretiert §kmime›syai ihrem Ansatz gemäß jedoch ganz auf stilistischer Ebene. Einseitig auch Halliwell 2002, 290. 1113 D. S. XX 43, 7. 1114 Belege im Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 50: ımoxrone€tv. 1115 Für Gray 1987, 482 ergibt sich naturgemäß die Schwierigkeit, diese Stelle in ihr Konzept einzuordnen. 1116 Arist. Po. 23, 1459 a 24–27: Àsper går katå toÁw aÈtoÁw xrÒnouw ≤ tÉ §n Salam›ni §g°neto naumax€a ka‹ ≤ §n Sikel€& Karxhdon€vn mãxh oÈd¢n prÚw tÚ aÈtÚ sunte€nousai t°low, ktl. 1117 Z. B. Suid. s. v. ÖEforow Adler II 490, bes. Z. 3–7; Cic. Brut. 56, 204.

1118 Phot. Bibl. 176, 121 a 23–34 hebt trotz der charakterbedingten Unterschiede das Gemeinsame hervor. 1119 Theon, Spengel II 71, Z. 22–23 nennt den Titel. 1120 Quint. Inst. X 1, 74 (Theopompus ..., oratori magis similis, ut qui, antequam est ad hoc opus [sc. historiam] sollicitatus, diu fuerit orator). 1121 D. H. Pomp. 6 (polloÁw m¢n panhgurikoÊw, polloÁw d¢ sumbouleutikoÁw suntajãmenow lÒgouw). Nach Cic. de Orat. 13, 57 hielt er sich von der Gerichtsrede gänzlich fern. 1122 Phot. Bibl. 176, 121 a 3–7 (ÖEti d¢ ka‹ diÒti oÈde€w §sti tÒpow koinÚw t«n ÑEllÆnvn oÈd¢ pÒliw éjiÒxrevw, efiw oÓw aÈtÚw oÈk §pidhm«n ka‹ tåw t«n lÒgvn §pide€jeiw poioÊmenow oÈx‹ m°ga kl°ow ka‹ ÍpÒmnhma t∞w §n lÒgoiw aÈtoË kat°lipen éret∞w).

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nicht1123; in besonderem Maße gilt dies für seine Feldherrnreden vor der Schlacht1124. Den Isokratesschüler erkennen lassende Elemente sind u. a. Hiatvermeidung1125, Monotonie im Periodenbau1126 und Übermaß an gorgianischen Figuren1127. Ähnliches trifft auch auf Ephoros zu. Auch er strebt nach einem rhythmisierten Prosastil isokrateischer Prägung und nach Hiatvermeidung, nur daß sein feuerloses Temperament1128 einen mäßigenden Einfluß ausübt. Sein Stil konnte den antiken Beurteilern bei wohlwollender Beurteilung als milde und gemächlich erscheinen1129, und bei weniger freundlicher Einschätzung als schlaff1130. Doch dieser Umstand verhindert nicht, daß er in der Antike gemeinsam mit Theopompos den bereits vor Dionysios von Halikarnaß oft von den Kritikern getadelten Stil des Isokrates1131 innerhalb der Geschichtsschreibung repräsentierte. Die Kritik des Duris richtet sich darauf, daß Ephoros und Theopompos ausschließlich (mÒnon) an der Produktion eines artifiziellen Stils isokrateischer Prägung interessiert gewesen wären (aÈtoË d¢ toË grãfein mÒnon §pemelÆyhsan), und dies bedeutet, daß es das Übermaß an Periodisierung, Rhythmisierung sowie stilistischem Schmuck und die mit der gesuchten Artifizialität zwangsläufig einher gehende Unnatürlichkeit ist, die den Tadel des Duris herausforderte1132. Und dies bedeutet nun aber nicht, daß, wie dies Gray1133 anzunehmen scheint, der terminus tÚ grãfein als Kritik an einer Anwendung der aristotelischen l°jiw grafikÆ1134 an sich zu verstehen ist, sondern es ist ein Plädoyer für die Vermeidung jenes Übermaßes, wie es sich bei den beiden Isokratesschülern in so überreichem Maße findet. Duris wendet sich also gegen einen artifiziellen Stil, dem der Vorgang des Schreibens bereits zum Selbstzweck wird1135 1123 Quint. Inst. X 1, 74 (oratori magis similis). Dazu Blass 18922, bes. 419–427. 1124 Plu, Praecepta gerendae rei publicae 803 b: mit einer Kritik an den =htore›ai ka‹ per€odoi des Ephoros, Theopompos und Anaximenes. 1125 Cic. Orat. 44, 151; Quint. Inst. IX 4, 35 (Theopompos ist hierin rigoroser als andere Isokratesschüler). 1126 Cic. Orat. 61, 207. 1127 Daran übt Demetr. Eloc. I 27 (dazu Gray 1987, 480); II 75; V 240; V 247 grundsätzliche Kritik. 1128 Laqueur 1911, 347 beschreibt seine Erzählweise ganz nach antiker Bewertung als „kalt und teilnahmlos“. 1129 So Cic. Hort. Grilli a 23, Fr. 15 (den Ephoros charakterisiert das Adjektiv mitis). 1130 Suid. s. v. ÖEforow Adler II 490, Z. 3–4 (tØn d¢ •rmhne€an t∞w flstor€aw Ïptiow ka‹ nvyrÚw ka‹ mhdem€an ¶xvn §p€tasin). 1131 D. H. Isoc. 13 nennt unter der Vielzahl an Kritikern des isokrateischen Stils den Grammatiker Philonikos und den Philosophen Hieronymos, mit deren Urteilen er selbst konform geht (bes. Isoc. 12–14). 1132 Duris stellt die Wirklichkeitsechtheit (eine inhaltliche Kategorie) dem bloßen Bemühen um sprachlichen Ausdruck (einer stilistischen Kategorie) gegenüber; seine Kritik richtet sich nicht, wie dies Kebric 1977, 40–41 meint, auf die außerordentliche Länge der Werke des Ephoros und des Theopompos. 1133 Gray 1987, 478–479. Es ist demgegenüber jedoch festzuhalten, daß Duris unter Artifizialität nicht schon den epideiktischen Stil an sich versteht, sondern das bei den Isokrateern auftretende Übermaß. 1134 Arist. Rh. III 12, bes. 1413 b 4–5 unterscheidet die für die Lektüre geeignete l°jiw grafikÆ von der in symbouleutischer Rede und Gerichtsrede adäquaten l°jiw égvnistikÆ, und er bestimmt in 1413 b 9–10 deren Unterschied so: ¶sti d¢ l°jiw grafikØ m¢n ≤ ékribestãth, égvnistikØ d¢ ≤ Ípokritikvtãth. Es ist klar, daß Aristoteles, auch wenn er sich nirgendwo darüber jemals explizit äußert, die Geschichtsschreibung der epideiktischen Rede zuordnen mußte. 1135 In diesem Sinne besteht ein scharfer Gegensatz zwischen dem bloß technisch konnotierten grãfein und frãsai (darunter ist der Vorgang zu verstehen, einem vorgegebenen Inhalt entsprechend aussagekräftigen Ausdruck zu verleihen, d. h. es geht um wirklichkeitsechte Darstellung, nicht um ausgeklügelt aufgesetzten Schmuck). Vgl. dazu bereits Müller II 468: „Ephorum reprehendit et Theopompum, quippe qui propter nimis anxiam de verborum compositione sedulitatem aÈtoË toË grãfein mÒnon §pimelhy∞nai videantur“. Und erklärend: „Hinc jejunam orationem et languidam fieri judicavit, quum

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und der über dem gekünstelten Ausdruck die zu vermittelnden Inhalte, die Lebenswirklichkeit vernachlässigt. So betrachtet, entfernt sich Duris auch in stilistischer Hinsicht nicht wesentlich von epideiktischer Rede, wie sie von Aristoteles bestimmt worden war, vor allem, wenn man bedenkt, daß Aristoteles, hätte er sich je explizit über den in der Geschichtsschreibung adäquaten Stil geäußert, wohl graduelle Unterschiede zwischen eigentlicher epideiktischer Kunstrede und der maßvoll eingesetzten Schmuck erfordernden Historiographie gemacht haben dürfte. Auch wenn dies hypothetisch bleiben muß, so ist es doch wahrscheinlich, daß Duris auch in dieser Hinsicht nicht gänzlich der Ansicht des Aristoteles widersprochen hat. Er kritisiert ja nicht so sehr die auf den Stil verwandte Sorgfalt an sich, sondern einzig die Ausschließlichkeit, mit der Ephoros und Theopompos ihre Aufgabe wahrgenommen hätten. Daß Duris selbst in dieser Hinsicht etwas nachlässiger verfuhr, das kann unter gewissen Vorbehalten die bereits oben angesprochene Kritik des Dionysios von Halikarnaß1136 zeigen, die aber auch nicht unbedingt objektiv zu sein braucht, da sie ja auch wieder von den Interessen des attizistischen Kritikers geleitet ist, der erklärtermaßen die Praxis von als unzureichend bewerteten hellenistischen Autoren zu überwinden unternimmt. Die überlieferten Fragmente des Duris zeigen aber, daß er nicht nur das an den Isokrateern beanstandete Übermaß zu vermeiden gewußt hat, sondern daß er auch an einer natürlicheren Art der Darstellung interessiert war. Ob diese die Billigung des Aristoteles gefunden hätte, läßt sich nicht feststellen, doch kann man erwarten, daß dessen Bewertung im Sinne einer ¶lleiciw, einer Unterschreitung der geforderten richtigen Mitte, ausgefallen wäre. I 3. 3 Anschaulichkeit und Pathos als ein antiisokrateisches Konzept An diesem Punkt der Untersuchung scheint es angebracht, den nur schwach vorhandenen Spuren hellenistischer Stiltheorie im Zeitraum von Aristoteles bis zum Einsetzen der lateinischsprachigen Zeugnisse im 1. Jh. v. Chr. nachzugehen. Da außer dem ersten Durisfragment, wie bereits festgestellt, kein Material zu zielführender Auswertung für die Theorie der Geschichtsschreibung vorliegt, mit Ausnahme natürlich der zahlreichen Äußerungen des Polybios, muß die allgemeine, für Prosatexte überhaupt geltende Stiltheorie zunächst als Ersatz eintreten. Im Zuge dieser Untersuchung wird sich allerdings herausstellen, daß auf diese Weise indirekt ein weiterer Kontext zumindest für gewisse historiographische Diskurse und vielleicht auch für die geschichtstheoretische Position des Duris im Speziellen geschaffen werden kann. Aristoteles1137, dessen drittes Buch der Rhetorik eine umfassende Behandlung des Stils beinhaltet, gilt als die entscheidende Stilqualität die Klarheit (safÆneia), und er faßt diesen Gedanken mit der bei ihm gewohnten Präzision in die klaren Worte: …r€syv l°jevw éretØ saf∞ e‰nai. Die von Aristoteles beigegebene Begründung dafür ist, daß die Rede nur dann ihre Funktion (tÚ •autoË m€mhsin ka‹ ≤donØn habere debeat, qua verba ad communem ipsius vitae veritatem quam proxime accedunt, atque sic quos res quaeque

postulat sensus in legentium animis excitantur“. 1136 D. H. Comp. 4. Zu modernen Einschätzungen des polybianischen Stils (als Korrektiv zu der Bewertung durch D. H.) vgl. die Literatur bei Dreyer 2011, 134–137. 1137 Arist. Rh. III 2, 1, 1404 b 1–4.

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¶rgon) erfüllen könne, wenn sie ihren Inhalt klar zum Ausdruck bringe. Die Diktion (l°jiw)

müsse, wie Aristoteles erweiternd hinzufügt, unter Vermeidung der Extreme von zu großer Niedrigkeit und zu großer Höhe dem ausgewogenen Prinzip der Angemessenheit (tÚ pr°pon) entsprechen: ka‹ mÆte tapeinØn mÆte Íp¢r tÚ éj€vma, éllå pr°pousan [sc. de› tØn l°jin e‰nai]. Auf Theophrast, den Schüler und späteren wissenschaftlichen Mitarbeiter des Aristoteles, geht, wie dies Stroux1138 in einer ebenso diluziden wie bahnbrechenden Studie ausgehend von einem bekannten Passus bei Cicero1139 zeigen konnte, das Postulat der vier Stilqualitäten (éreta‹ t∞w l°jevw) zurück. Diese lauten: •llhnismÒw, tÚ saf°w, tÚ pr°pon und kataskeuÆ; letztere wiederum war nach dem expliziten Zeugnis des Dionysios von Halikarnaß1140 durch Theophrast unterteilt in die Wortwahl (§klogÆ), die Wortfügung (èrmon€a) und die Stilfiguren (sxÆmata)1141. Im Verlauf des Hellenismus erfuhren die von unterschiedlichen Theoretikern in je verschiedener Weise und in variierender Zahl postulierten Stilqualitäten beträchtlichen Zuwachs. Dionysios von Halikarnaß1142, der in seiner Synkrisis des herodoteischen und des thukydideischen Stils – in seiner, bei Lukian nicht übernommenen Terminologie der lektikÚw tÒpow – eine verhältnismäßig große Zahl von derartigen Stilqualitäten seinen Stilvergleichen als relevante Parameter zur Bewertung zugrundelegt und im Zuge dieses Verfahrens klar zwischen den unbedingt notwendigen und den akzessorischen Stilqualitäten, den éreta‹ énagka›ai und den éreta‹ §p€yetoi, unterscheidet, gibt in seiner Thukydidesmonographie1143 an, daß das gesamte Gebiet des Stils schon oftmals behandelt wurde (e‡rhtai pollo›w prÒteron) und die allersorgfältigste Ausarbeitung erfahren hat (taËta t∞w ékribestãthw t°teuxen §jergas€aw). In Verbindung mit einigen in diesem Sinne auswertbaren Stellen bei Cicero1144 ist diese Aussage der einzige direkte und darum überaus wertvolle Hinweis auf heute verschollene hellenistische Diskurse zu der Frage der Stilqualitäten (éreta‹ t∞w l°jevw). Es ist allerdings möglich, auf anderem Wege (freilich nur sehr begrenzte) Einblicke in diejenigen hellenistischen Diskurse zu gewinnen, die über Fragen des Stils geführt wurden. Konkret handelt es sich bei den wenigen zur Verfügung stehenden Zeugnissen um lebhaft geführte Debatten zur Frage, welche Stiltheorie den Vorzug verdiene, die peripatetische (die aristotelische und theophrastische) oder die isokrateische Richtung. Bei Aristoteles selbst tritt

1138 Stroux 1912, 9–28. Stroux 1912, 88–104 hat in einer bedeutenden Arbeit, ausgehend von der durch Hendrickson 1904 geleisteten wichtigen Vorarbeit, darüberhinaus auch gezeigt, daß die Lehre von den drei Stilarten nicht auf Theophrast zurückgeht; zustimmend äußern sich Lossau 1964, 37 und Buchheit 1959, 85–86; andere Ansichten finden sich bei Radermacher 1899, 361 und 379–380, Drerup 1923, 109, Anm. 3, Grube 1952 a, 251, Anm. 1, Kennedy 1957 und Douglas 1957. 1139 Cic. Orat. 24, 79: Theophrast, so erklärt Cicero, nennt als viertes bei den Vorzügen der Rede (quartum ... in orationis laudibus) ornatum illud suave et affluens. 1140 D. H. Isoc. 3: aus diesen drei Elementen entsteht Theophrast zufolge tÚ m°ga ka‹ semnÚn ka‹ perittÚn §n l°jei.

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Drei der fünf zum Ïcow hinführenden Quellen entsprechen im übrigen auch bei Longin. 8, 1 Theophrasts kataskeuÆ, nämlich §klogÆ, sÊnyesiw, sxÆmata. Solmsen 1931 unternahm den beachtenswerten Versuch, über diese drei Elemente aus Ps. Demetrios die peripatetische Quelle zu rekonstruieren. 1142 D. H. Pomp. 3 (letzter Abschnitt), Übersicht bei Bonner 1939, 19. 1143 D. H. Th. 22. 1144 Cic. Part. 9, 31, de Orat. III 14, 52 und Brut. 75, 261.

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die Auseinandersetzung noch nicht in so scharfer Form entgegen. Denn in seiner Rhetorik1145 illustriert er den Einsatz und die Funktion der Antithese anhand einer Reihe von Beispielen, die er dem berühmten Panegyrikos des Isokrates1146 entnimmt, um schließlich abschließend festzustellen, daß ein solcher Stil von dem Rezipienten als angenehm empfunden werde: ≤de›a dÉ §st‹n ≤ toiaÊth l°jiw. Diesem anerkennenden Urteil steht jedoch ein Zeugnis Quintilians1147 gegenüber, des Sinns, daß Aristoteles unter leichter Abwandlung einer bekannten Stelle aus dem Philoktet des Euripides1148 oftmals geäußert habe, es sei schmählich, zu schweigen und es geschehen zu lassen, daß Isokrates rede (turpe esse tacere et Isocraten pati dicere). Läßt dieses wenn auch anekdotenhafte, so doch nichtsdestoweniger für die Stellung des Aristoteles und des Isokrates zueinander wohl aufschlußreiche Zeugnis bereits eine aufbrechende Frontstellung der beiden Schulen zueinander erahnen, so tritt der Gegensatz zwischen den beiden Schulen bei Theophrast erstmals in expliziter Form hervor. Dionysios von Halikarnaß1149 überliefert nämlich, Theophrast habe in seiner Schrift per‹ l°jevw eine Kritik geübt an denjenigen Autoren, welche sich um isokrateische Stilfiguren (als konkrete Beispiele genannt sind éntiy°seiw, paris≈seiw, paromoi≈seiw und dergleichen) im Übermaß bemühten, sei es doch unangemessen, bei ernsten Angelegenheiten mit Worten zu spielen und den emotionalen Effekt der Rede durch den Stil zunichte zu machen (ÙnÒmasi pa€zein ka‹ tÚ pãyow tª l°jei periaire›n)1150. Andernorts greift derselbe Dionysios von Halikarnaß1151 aus der großen Anzahl von alten (frühen hellenistischen) Kritikern des isokrateischen Stils zwei Persönlichkeiten exemplarisch heraus und charakterisiert deren Argumentationen. Da ist zunächst einmal der aus Megara gebürtige stoische Grammatiker Philonikos ı dialektikÒw1152, der in seiner Beurteilung der monotonen isokrateischen Diktion den sinnreichen Vergleich mit einem Maler gezogen habe, der immer dieselben Kleider und immerzu nur dieselben Gestalten verwende (§oik°nai t° fhsin aÈtÚn zvgrãfƒ ta›w aÈta›w §sy∞si ka‹ to›w aÈto›w sxÆmasi pãsaw §pikosmoËnti tåw grafãw). Und ein anderer Stilkritiker, der Peripatetiker Hieronymos, ı filÒsofow1153, habe erklärt, der Rede des Isokrates mangle das Pathos erregende und beseelte 1145 Arist. Rh. III 9, 7–8, 1409 b 33–1410 a 23, Zitat 1410 a 20–21. 1146 Das Stilurteil des (unter dem Einfluß jüngerer Diskurse stehenden) Dionysios von Halikarnaß über den Panegyrikos des Isokrates fällt demgegenüber sehr weitgehend negativ aus, D. H. Isoc. 14 (die ganze Rede sei mit unpassenden sxÆmata herausgeputzt; erst die späten Reden des Isokrates seien weniger kindisch). 1147 Quint. Inst. III 1, 14. 1148 Kannicht 5. 2, 840, Fr. 796 (Íp°r ge m°ntoi pantÚw ÑEllÆnvn stratoË / afisxrÚn sivpçn, barbãrouw dÉ §çn l°gein). 1149 D. H. Lys. 14. 1150 Möglicherweise spiegelt auch ein bekannter Passus in Ciceros Orator (12, 39), in dem dieser über die stilistischen Geziertheiten (deliciae), ja sogar Albernheiten (ineptiae) des sophistischen Zeitalters spricht, von denen sich Herodot und Thukydides freigehalten hätten, eine Ansicht des im Kontext unmittelbar danach namentlich genannten und für seine Ansicht über Herodot und Thukydides zitierten Theophrast wieder. Wie es scheint, hat somit Theophrast die Vorzüge der beiden Historiker durch den Kontrast zu den sophistischen Abgeschmacktheiten dieser Zeit veranschaulicht. 1151 D. H. Isoc. 13 (pollo‹ ka‹ t«n palai«n weist jedenfalls auf frühhellenistische Kritiker hin, vgl. auch die beiden folgenden Anmerkungen). 1152 Die literarästhetische Kritik an Isokrates hebt innerhalb des Peripatos an. Bei Philonikos handelt es sich um einen Philosophen aus Megara, Blass 18922, 120. 1153 Wehrli, Hieronymos 22, Fr. 52 b, vgl. das ähnlich lautende Urteil des Philodemos ebda 21- 22, Fr. 52 a. Über den Peripatetiker Hieronymos, der zeitlich den ersten beiden Dritteln des 3. Jhs. v. Chr. angehört und fast ausschließlich

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Moment (tÚ payhtikÚn ka‹ ¶mcuxon); immerzu nur diene er sklavisch der Glätte (douleÊein går aÈtÚn tª leiÒthti diapantÒw) und erzeuge damit durchwegs den lähmenden Eindruck von Monotonie. Dionysios von Halikarnaß1154, dessen eigene Stiltheorie in ihrer Substanz bekanntlich wesentlich peripatetisches Gepräge trägt1155, urteilt selbst mehrfach ganz ähnlich über den Stil des Isokrates wie bereits Theophrast und die beiden von ihm exemplarisch herangezogenen frühhellenistischen Kritiker. Nur in der Wortwahl billigt er dem Stil des Isokrates Perfektion zu; ansonsten sei dieser weitschweifig, monoton, unangemessen und abweichend von der richtigen Mitte; es fehle ihm die Kraft, Pathos zu erzeugen, und er wirke in seiner steten Gleichförmigkeit unbeseelt. Und noch ein Urteil des Dionysios1156 verdient im Zusammenhang der hier geführten Untersuchung besondere Beachtung, nämlich der Tadel, es mangle Isokrates an Naturgemäßheit (tÚ katå fÊsin); wolle doch die Natur, daß der Stil sich nach den Gedanken richte, nicht aber umgekehrt diese nach dem Stil (boÊletai d¢ ≤ fÊsiw to›w noÆmasin ßpesyai tØn l°jin, oÈ tª l°jei tå noÆmata). Was nun im Speziellen die Geschichtsschreibung betrifft, so erwähnt Dionysios unter den zu einer Nachahmung geeignetsten Autoren den Ephoros überhaupt nicht. Theopompos widmet er zwar eine durchaus positive Charakteristik, auch was dessen Stil im allgemeinen betrifft, doch tadelt er auch an diesem, daß er gelegentlich in die Manier des Isokrates verfalle und dadurch unter dem ihm kraft seines Talentes an sich möglichen Niveau bleibe1157. Irgendwann im Hellenismus, zu nicht genau bestimmbarer Zeit, kam es schließlich nach dem in diesem Kontext wichtigen Zeugnis Ciceros1158 zu der einen Ausgleich schaffenden Fusion der beiden konfliktierenden Richtungen bzw. Familien, wie Cicero sie betont liebevoll nennt. Und Quintilian1159 spricht in seinem literarhistorischen Abriß zur Geschichte der nacharistotelischen Stiltheorie lediglich von dem Sonderweg, den Hermagoras ging und dem viele nachfolgten. Quintilian1160 bezeugt in diesem Kontext, daß vor Hermagoras die Diskurse über Fragen des Stils gar noch eifriger von den Philosophen stoischer und peripatetischer Provenienz betrieben wurden, als dies bei den zünftigen Rhetoren selbst der Fall war. Was läßt sich nun aus dem hier vorgelegten Befund für die Position des Duris gewinnen? Es hat sich gezeigt, daß bald nach Aristoteles Kritik an dem überladenen Stil des Isokrates geäußert wurde, zunächst von Theophrast, sodann von peripatetischen Kritikern bzw. solchen mit wahrscheinlichem Nahverhältnis zum Peripatos. Die Generation, in der diese Kritik über die Themen Ethik und Literatur geschrieben hat, Wehrli / Wöhrle / Zhmud 20042, 613–614. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß Hieronymos möglicherweise durch keinen anderen als Praxiphanes, den Verfasser einer Schrift per‹ flstor€aw, in seiner Heimat Rhodos in den Peripatos eingeführt wurde. 1154 D. H. bes. Dem. 17–20 und Isoc. 3 sowie 12–14. 1155 Dies zeigt Bonner 1938 in einer illustrativen Studie. 1156 D. H. Isoc. 12. 1157 D. H. Comp. 3 und 6 (... mãlista dØ §spoÊdake t∞w te sumplok∞w t«n fvnh°ntvn grammãtvn ka‹ t∞w kuklik∞w eÈruym€aw t«n periÒdvn ka‹ t∞w ımoeide€aw t«n sxhmatism«n ... ). 1158 Cic. Inv. II 2, 8: unum quoddam est conflatum genus a posterioribus, qui ab utrisque ea, quae commode dici videbantur, in suas artes contulerunt. 1159 Quint. Inst. III 1, 16. 1160 Quint. Inst. III 1, 15.

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einsetzte, ist mit der Person des Theophrast bestimmt. Duris gilt in antiker Überlieferung als der Schüler Theophrasts, und es ist daher anzunehmen, daß er von solchen gegen Isokrates gerichteten Diskursen Kenntnis hatte. Seine eigene Kritik (Fr. 1) richtet sich gegen die beiden Isokratesschüler Ephoros und Theopompos, und das Programm, welches er im ersten Fragment darlegt, postuliert Wirklichkeitstreue. Genau das Fehlen dieser selben Qualität hat sich nun aber bei den frühhellenistischen Kritikern des Isokrates als der wesentliche Kritikpunkt herausgestellt. Von Hieronymos und später auch von Dionysios von Halikarnaß ist es jedenfalls ganz deutlich ausgesprochen, daß das von Isokrates nicht erreichte Ziel literarischer Darstellung die Beseeltheit und die Naturechtheit ist, nicht eine davon nur ablenkende Pedanterie in der sprachlich– stilistischen Ausarbeitung. Von Philonikos ist sogar in diesem Sinne der Vergleich mit der Malerei gebraucht, und wie bereits festgestellt wurde, verfaßte ja auch Duris Bücher über Malerei und Toreutik. Es liegen mithin Indizien vor, die allesamt einheitlich darauf hinauslaufen, daß Duris eben in dieser aufgeklärten Atmosphäre frühhellenistischer Intellektueller geschrieben hat, die eine erste Reaktion gegen den ebenso abgezirkelten wie einförmigen Stil des Isokrates und der Isokrateer eingeleitet haben. Aus dem Umstand, daß diese Reaktion eben erst in ihren Anfängen lag, mag sich auch die Schärfe erklären, mit der Duris gegen eine Richtung antrat, die zu seiner Zeit die Historiographie dominierte. Der Umstand, daß Duris auf den Stil wenig Wert legte, brachte ihm später im übrigen die Kritik des Dionysios von Halikarnaß1161 ein, doch dessen Tadel gilt nicht ihm alleine, sondern schließt eine große Zahl hellenistischer Autoren mit ein, und zwar eine dermaßen große Zahl, daß, wie Dionysios erklärt, ein Tag nicht ausreichen würde, um alle Namen aufzuzählen. Nach dem oben bereits Gesagten erklärt es sich von selbst, daß diese Kritik des Dionysios auf die Sorglosigkeit all dieser Autoren in stilistischen Belangen zielt, nicht auf das Fehlen isokrateischer Kunstprosa. Es ist nötig, dies klar festzuhalten, da Avenarius1162 den Sachverhalt durchgehend unzutreffend bewertet. Wenn also Duris für den historiographischen Stil das Ideal der Wirklichkeitstreue theoretisch vertrat, so kann mit einiger Wahrscheinlichkeit gefolgert werden, daß er damit das gegen Isokrates und dessen Schule gerichtete allgemeine frühhellenistische Stilideal speziell auf die Historiographie übertrug. Und damit mußte er sich zwangsläufig gegen den Stil des Ephoros und des Theopompos wenden. Im Folgenden ist zu zeigen, wie später aus dem Ideal der Wirklichkeitstreue das Ideal der Wirklichkeitsechtheit wurde. Einige Stellen bei Plutarch sind in diesem Kontext von Bedeutung. In der Nikiasbiographie erklärt dieser gleich zu Beginn, Thukydides habe sich bei seiner Schilderung der sizilischen Expedition selbst übertroffen: aÈtÚw aÍtoË per‹ taËta payhtik≈tatow, §narg°statow, poikil≈tatow genÒmenow ktl1163. Rühmend hebt Plutarch also hervor die mit Pathos 1161 D. H. Comp. 4. 1162 Avenarius 1956, 27 mit Anm. 44. Generell schätzt Avenarius die Wirkung des Isokrates auf die spätere Tradition viel zu hoch ein (vgl. dazu die Einleitung zum Kommentar Kap. 7 und 8, 55 u . ö.). 1163 Plu Nic. 1, 1. Marincola 2003 (vgl. Marincola 2009 a, 22) sieht im Ausdruck aller Arten von Emotionen, nicht nur der von Furcht und Mitleid (wie Vertreter der sogenannten peripatetischen Geschichtsschreibung dies annehmen), das entscheidende Moment für ein zutreffendes Verständnis griechischer und römischer Geschichtsschreibung überhaupt, soferne es erfolge in angemessenem Kontext und mit dem doppelten Ziel von Belehrung (education) und

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geladene Atmosphäre, die Thukydides zu schaffen versteht, die Anschaulichkeit seiner Darstellung, den Variationsreichtum, Qualitäten, die alle in höchstem Maße in dessen Bericht verwirklicht seien. Dessen Darstellungsweise, so fährt Plutarch fort, sei in ihrer aufwühlenden Forciertheit (deinÒthw) unnachahmlich, und am meisten gelungen seien bei Thukydides, wie im übrigen bei Philistos auch, die Kämpfe (ég«new), die Seeschlachten (naumax€ai) und auch die Ansprachen (dhmhgor€ai). Plutarchs Charakteristik berührt für diese Auffassung gelungener historiographischer Darstellung zentrale Punkte, die auch in Lukians Schrift in ähnlicher, wenn auch nicht in ganz gleicher Form1164 in Erscheinung treten. Denn Lukian fordert im dritten und didaktischen Teil seiner Methodenschrift für den größten Teil der Geschichtsdarstellung (diÆghsiw) eine ruhig dahinströmende, unaufgeregte Erzählweise1165, doch solle der Geschichtsschreiber in ganz bestimmten Situationen die Mittellage überschreiten, insbesondere bei Kampfdarstellungen (Aufmärschen, Schlachten und Seeschlachten)1166; und in den eingelegten Redepartien sei es ihm zudem gestattet, seine rhetorischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen1167. In noch deutlicherer Weise erscheint derselbe Gedanke in einem anderen Werk Plutarchs (Bellone an pace clariores fuerint Athenienses). Der entscheidende Passus steht im dritten Kapitel dieser Schrift1168. Der Kontext: zuvor1169 war von einem Gemälde die Rede gewesen, welches Euphranor vom Reitergefecht der Athener gegen Epameinondas nicht ohne Inspiration (oÈk énenyousiãstvw) geschaffen habe. Sodann wird gemäß der übergreifenden Tendenz der Schrift1170 gefolgert, daß das Abbild (m€mhma) hinter der Realität (élÆyeia) zurückzustehen habe und so auch der Maler hinter dem Feldherrn. Und dann folgt im dritten Kapitel der für die Zwecke vorliegender Untersuchung wichtige Passus. Simonides, so heißt es weiter, bezeichnete die Malerei (tØn m¢n zƒgraf€an) als eine schweigende Dichtung (po€hsin sivp«san), die Dichtung aber (tØn d¢ po€hsin) als eine redende Malerei (zƒgraf€an laloËsan); verfolgten doch, so erklärt Plutarch, die beiden Medien, Malerei und Dichtung gleichermaßen, eben dasselbe Ziel (t°low émfot°roiw ©n ÍpÒkeitai); sie unterschieden sich bloß im Material und den jeweiligen Arten der Nachahmung (Ïl˙ ka‹ trÒpoiw mimÆsevw diaf°rousi). Die Maler arbeiteten mittels Farbgebungen und Gestalten (xr≈masi ka‹ sxÆmasin), die Dichter mittels Worten und Phraseologien (ÙnÒmasi ka‹ l°jesi), doch brächten sie, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln, dasselbe Darstellungsobjekt zur Evidenz (taÈtå dhloËsin). Nach dieser allgemeinen Standortbestimmung läßt Plutarch das aus dieser Sichtweise sich ganz unmittelbar ergebende Ideal des Historikers folgen. Der ausdrucksstärkste unter den Überzeugung (persuasion), ein rhetorisches Verfahren, für das Marincola die aristotelische Rhetorik heranzieht. Es ist nur näher zu präzisieren, was im Einzelfall rhetorische Strategie ist, und was eine Art von Ergriffenheit durch die emotional überwältigenden Ereignisse selbst. 1164 Die Unterschiede zwischen Plutarchs und Lukians Auffassung werden weiter unten diskutiert. 1165 Luk. Hist. Conscr. 43 und 55. 1166 Luk. Hist. Conscr. 45. 1167 Luk. Hist. Conscr. 58. 1168 Plu Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 3, 346 f–347 c. 1169 Plu Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 2, 346 b–f. 1170 Das Thema der Schrift: die Athener hätten größere Leistungen durch Männer der Tat erbracht als durch die Ausübenden von Künsten und Literatur. Jones 1971, 67–71 rechnet die Schrift zu den 3 Deklamationen über historische Themen, die wahrscheinlich zu den frühesten Werken Plutarchs zählen.

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Historikern (t«n flstorik«n krãtistow) sei diesem Konzept zufolge derjenige, der sich darauf verstünde, seine Geschichtserzählung (diÆghsin) gleichsam wie ein Gemälde (Àsper grafØn) mittels Emotionen (pãyesi) und individuellen Charakterzeichnungen (pros≈poiw) in Vorstellungsbilder umzusetzen (efidvlopoiÆsaw). Und dann nennt Plutarch als das exemplarische Vorbild für dieses Verfahren wiederum den Thukydides, der beständig in seiner Darstellung um diese Anschaulichkeit (§nãrgeia) gerungen habe, um mit ihr den Hörer gleichsam zu einem das Geschehen betrachtenden Zuschauer zu machen (oÂon yeatØn poi∞sai tÚn ékroatØn); Thukydides habe danach gestrebt, die erschütternden, aufwühlenden Erregungszustände der im historischen Prozeß aktiv handelnden Personen in das Gemüt der Leser einzuwirken (tå gignÒmena per‹ toÁw dr«ntaw §kplhktikå ka‹ taraktikå pãyh to›w énagign≈skousin §nergãsasyai lixneuÒmenow). Resümierend stellt Plutarch fest, daß dessen Darstellung vermittels Anordnung (diay°sei) und Abbildungskraft (diatup≈sei) von einer graphischen Anschaulichkeit sei (grafik∞w §narge€aw §st€n). An einer späteren Stelle derselben Schrift1171 wird bezeichnenderweise gerade Isokrates als Autor charakterisiert, dessen ganze Sorge seinen Stilfiguren, Perioden und Rhythmen gegolten habe, und der auf die kleinliche Ausarbeitung seines Panegyrikos nahezu 12 Jahre verwandt habe. Plutarch fordert den Leser dazu auf, sich die sophistische Kleingeistigkeit des Mannes zu vergegenwärtigen (skÒpei d¢ sofistikØn mikrofrosÊnhn). Auch wenn man sicherlich unter Berücksichtigung der Gesamttendenz der Schrift dieses hart erscheinende Urteil etwas zu relativieren hat, so bleibt doch als Aussage bestehen, daß der Verfasser den Isokrates geradezu als den Antipoden zu Thukydides erscheinen lassen will. Aus dem bisher Gesagten kann vermutet werden, daß sich auch hier noch als ein später Reflex diejenigen hellenistischen Diskurse spiegeln, welche, wie schon zuvor ausgeführt wurde, sich gegen die gezierte isokrateische Kunstprosa richteten und im Gegenzug eine Rückkehr zu einem natürlicheren Stil befürworteten. Daß in diesem Kontext Thukydides als das gestalterische Vorbild erscheint, ist aufschlußreich, und so gesehen könnte man auch das Programm des Duris in diesem Sinne deuten, als eine Rückkehr zu einer Anschaulichkeit, die man an Isokrates und seinen Schülern vermißte. Aber auch Xenophon konnte in diesem Sinne als musterhafter Autor bewertet werden. So erklärt Plutarch in seiner Biographie des Artaxerxes1172, Xenophons Darstellung der Schlacht bei Kunaxa führe das Kampfgeschehen der Wahrnehmung (der Leser) geradezu vor Augen (Jenof«ntow d¢ mononoux‹ deiknÊontow ˆcei); indem er dieses nicht wie etwas Geschehenes darstelle, sondern wie etwas, das sich aktuell ereigne, versetze er den Hörer ständig in Emotionen und veranlasse ihn so dazu, (in seiner Wahrnehmung) die Gefahren mit den handelnden Personen zu teilen (ka‹ to›w prãgmasin, …w oÈ gegenhm°noiw, éllå ginom°noiw §fistãntow ée‹ tÚn ékroatØn §mpay∞ ka‹ sugkinduneÊonta). Ursache für diese Wirkung auf den Hörer sei die Anschaulichkeit seiner Darstellung (diå tØn §nãrgeian).

Aus der Zusammenschau aller verfügbaren Zeugnisse ergibt sich somit, daß Plutarch eine Weise historiographischer Darstellung favorisiert, bei der die Ideale von Wirklichkeitsechtheit und Pathos zu einer festen Einheit verbunden sind. Dies bedeutet, daß das vom Historiker zu 1171 1172

Plu Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 8, 350 d–e. Plu Art. 8, 1.

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schaffende Pathos sich nicht etwa als Erzeugnis der Phantasie des Autors darstellt, sondern vielmehr als eine Funktion des darzustellenden Objektes selbst. Denn da das reale historische Geschehen zumindest in seinen Höhepunkten Pathos enthält, braucht der Historiker seinen Bericht lediglich wirklichkeitsecht zu gestalten, um so das den Ereigniszusammenhängen an sich schon inhärente Pathos zur Evidenz zu entfalten. In diesem Sinne können Thukydides und (wohl in geringerem Grade) auch Xenophon als die Vorbilder für gelungene historiographische Erzählung gelten, denn diese denken sich nirgendwo dramatische Effekte aus, wie dies bei tragisierenden Historikern der Fall ist (zur Kritik des Plutarch an solchen vgl. den folgenden Abschnitt der Einleitung), sondern sie ergreifen lediglich das Pathos der Situationen, da wo es auf ganz natürliche Weise vorhanden ist. Und da dieses eben nicht jedem historischen Geschehen in gleicher Weise immanent ist1173, so folgt, daß die besten Historiker nicht intentional von Höhepunkt zu Höhepunkt eilen, sondern nur in gewissen Momenten sich von dem Pathos der Ereignisse selbst leiten lassen, so wie Thukydides bei seinem Bericht über die sizilische Expedition verfährt. Weiter unten1174 werden als ein möglicher Kontext für Plutarchs Verständnis von §nãrgeia und pãyow die rhetorischen Konzeptionen von namentlich innerhalb von Ekphraseis zu schaffender §nãrgeia heranzuziehen sein, und dabei wird sich zeigen, daß die Verfasser von Progymnasmata gerade die Geschichtsschreibung als ein probates Anschauungsobjekt für §nãrgeia heranzuziehen pflegen. Repräsentiert Plutarch also bloß aus der Schulrhetorik bekannte Verfahren, oder schöpft er aus hellenistischen Diskursen, in denen die spezifisch historiographische Anschaulichkeit erstmals diskutiert worden war? Leider existieren keine direkten Zeugnisse, die auf diese Frage ein klärendes Licht werfen könnten, und dieser Zustand ist umso bedauerlicher, als ja nicht wenig davon abhängt, ob schon im Hellenismus auf theoretischer Ebene historiographische §nãrgeia reflektiert wurde. Nach dem bisher Gesagten ist es denkbar, wenn auch freilich nicht beweisbar, daß bereits Duris im Kontext frühhellenistischer (peripatetischer) Diskurse schon über diese Frage nachgedacht hat, und wenn er es getan hat, so mochte es für ihn naheliegen, sich bei seiner Abkehr von der isokrateischen Kunstprosa wieder auf die natürlichere, zupackendere Erzählweise des Thukydides zu besinnen1175. I 3. 4 Die mit Anschaulichkeit und Pathos eng verbundenen Gefahren Duris vertrat, wie sich gezeigt hat, gegenüber der isokrateischen Konzentration auf die stilistische Ausarbeitung das Konzept einer – der Faktizität des Berichteten entsprechenden – darstellerischen Wirklichkeitstreue (m€mhsiw). Und da frühhellenistische Diskurse im Zuge ihrer gegen Isokrates gerichteten Ansichten mit dem Ideal der Beseeltheit auch die Forderung nach Pathos verbanden, so besteht zumindest die Möglichkeit, daß Duris ähnlich dachte und versuchte, in der Nachfolge des Thukydides die von ihm intendierte Wirklichkeitstreue auch durch ein mit ihr vereinbares Pathos zu erreichen. Mit diesem Ansatz, ob er nun von Duris 1173 1174 1175

Auch Luk. Hist. Conscr. 45 will die Anhebung des Tons auf bestimmte Höhepunkte begrenzt wissen. Vgl. die Einleitung, Teil I 3. 7. Eine andere Frage ist die, ob Duris in der Praxis sein theoretisch intendiertes Ziel auch erreicht hat.

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selbst schon gedacht und umgesetzt wurde oder nicht, ist jedoch eine ernste Gefahr verbunden, nämlich das tatsächliche oder späteren Betrachtern aus der Distanz so erscheinende Abgleiten in eine überall und unbedingt Emotionen weckende, pathetische Darstellungsweise. Und da der Historiker, insbesondere dann, wenn er es unternimmt, die bewegte Geschichte des hellenistischen Zeitalters zu beschreiben, immer Gefahr läuft, selbst bei der besten Absicht, die Wirklichkeit zu beschreiben, so wie sie nun tatsächlich ist, bei außenstehenden Betrachtern leicht den Eindruck einer zu großen emotionalen Beteiligung zu erwecken, so konnte es freilich nicht ausbleiben, daß die Darstellung des Duris bereits in der Antike auf Ablehnung stoßen mußte. So übt Plutarch in seiner Vita des Perikles1176 Kritik an der Art, wie Duris die Eroberung seiner Heimat durch Perikles beschrieb. Duris, so erklärt Plutarch, habe zu den Tatsachen in tragisierender Manier reichlich Grausamkeit der Athener und des Perikles hinzugefügt, mit einer Anklage gegen Perikles (DoËriw dÉ ı Sãmiow toÊtoiw §pitragƒde› pollØn »mÒthta ÉAyhna€vn ka‹ Perikl°ouw kathgor«n). Auch sonst pflege Duris, selbst da wo er persönlich nicht betroffen sei, sich in seiner Darstellung nicht eben bei der Wahrheit zu halten. In diesem Falle vollends scheine er das Unglück seiner Heimat förmlich in Schreckensfarben ausgemalt zu haben, und er habe dies einzig zu dem Zweck getan, um die Athener zu verleumden (¶oiken §ntaËya dein«sai tåw t∞w patr€dow sumforåw §p‹ diabolª t«n ÉAyhna€vn). Plutarchs Vorwurf läuft also darauf hinaus, Duris habe mit seiner Darstellung der Ereignisse versucht, Mitleid in der griechischen Welt mit dem Schicksal seiner Heimat und zugleich antiathenische Ressentiments zu erregen, wo doch weder Thukydides, noch Ephoros und Aristoteles über solche Brutalitäten der Athener berichtet hätten. Diese Begründung Plutarchs wirkt indes wenig überzeugend, und es fragt sich allerdings, ob Duris es sich hätte leisten können, ein solches Schreckensszenario einfach nur zu erfinden, ohne dabei Gefahr zu laufen, sofort durch Kenner der Lage als ein dreister Lügner entlarvt zu werden. Und es existieren Hinweise, daß der Bericht des Duris zumindest teilweise wahr sein kann1177. Wenn also die von Duris vermittelte Version von der Stadteroberung nicht gänzlich vom Autor erfunden war, so war doch sein Bericht allein schon wegen seines emotionalen Gehaltes dem Verdacht ausgesetzt, daß hier der Verfasser mit den Mitteln literarischer Darstellung Politik betrieb. Doch ist dies bloß eine mögliche Sichtweise eines späteren Betrachters, in diesem Falle Plutarchs, und solange Duris nicht eindeutig als ein Lügner erwiesen werden kann, sollte man ihm zubilligen, daß er das, was er geschrieben hat, in seiner eigenen Wahrnehmung als wirklichkeitsecht bewertet hat. Man kann also ersehen, welche Gefahren mit einem mimetischen Geschichtskonzept naturnotwendig verbunden sind. Wie immer auch die historische Wirklichkeit ausgesehen haben mag, eines steht fest, daß nämlich die Grenzen zwischen einem wirklichkeitsechten und einem melodramatisch ausgestalteten Bericht dünn sind, und daß es mehr eine Sache des Standpunktes des von außen hinzutretenden Betrachters ist, wie die Bewertung über eine derartige historische Darstellung schließlich ausfällt. Daß Duris erklärtermaßen mit diesem Bericht eine Art von Geschichtstragödie komponieren 1176 Plu Per. 28, 1–3. 1177 Vgl. Stadter 1989, 259 über den épotumpanismÒw: „the existence of this punishment makes it likely that Duris’ story is at least partially true“, anders Meister 1975, 119.

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wollte, erscheint jedoch geradezu als absurd. Vielmehr wird es ihm so ergangen sein, daß man selbst bei bester Absicht nicht zur Objektivität in der Lage ist, wenn man zu einer Person oder einer Sache persönliche Bindungen hat, daß man selbst meint, objektiv zu sein, ohne es doch tatsächlich zu sein. In diesem Sinne mag Duris sich über das Leid der Samier aus der Sicht eines Samiers geäußert haben, in der subjektiven Meinung, wirklichkeitsecht zu berichten. Und dabei mag er das Unglück von Samos bei seiner persönlichen Betroffenheit möglicherweise etwas überzeichnet haben, doch gibt es keinen Beweis dafür, daß er gegen die Wahrheit in dem von Plutarch unterstellten Ausmaß vorsätzlich verstoßen hat. Und ähnlich dürfte es auch Phylarchos bei seinem höchst emotionalen Bericht über die Eroberung von Mantineia im Herbst 223 v. Chr. und die harte Bestrafung der Einwohner durch Antigonos Doson, Aratos und die Achaier ergangen sein. Seiner Sicht der Dinge nach handelte es sich um ein brutales Vorgehen der Eroberer, das er in entsprechend drastischen Farben zum Ausdruck bringen wollte, indem er das schwere Leid der Bevölkerung in allen Details ausmalte, um solcherart die Rohheit der Eroberer allen Griechen vor Augen zu führen. Soweit ist der Kritik des Polybios1178 zu glauben, der die Darstellung des Phylarchos zu einem willkommenen Anlaß für eine aus seiner Sicht und in seinem Sinne geführte, jedoch strikte Objektivität für sich beanspruchende historiographische Methodendebatte nimmt. Zunächst charakterisiert Polybios den – leider nicht erhaltenen – Bericht des Phylarchos über die Eroberung von Mantineia. In dem Wunsche, die Rohheit (tØn »mÒthta) des Antigonos und der Makedonen, zugleich auch des Aratos und der Achaier zu verdeutlichen, habe er mit der Absicht, bei den Lesern (allen Griechen) Mitleid und Mitgefühl zu erwecken (spoudãzvn dÉ efiw ¶leon §kkale›syai toÁw énagin≈skontaw ka‹ sumpaye›w poie›n to›w legom°noiw), Umarmungen von Frauen, ausgeraufte Haare, das Herausstrecken von Brüsten, dazu Tränen und Totenklagen von Männern und Frauen, wie sie da gemeinsam mit ihren Kindern und hochbetagten Eltern in die Sklaverei weggeführt wurden, förmlich inszeniert (efisãgei). Und genau so verfahre Phylarchos überall in seinem Geschichtswerk, immer suche er das Entsetzliche vor Augen zu stellen (peir≈menow §n •kãstoiw ée‹ prÚ Ùfyalm«n tiy°nai tå deinã)1179. Diese Tendenz des Phylarchos nimmt Polybios im Folgenden zum Anlaß für eine ganz prinzipielle Unterscheidung der Gattungen Tragödie (tragƒd€a) und Geschichtsschreibung (flstor€a) nach ihrem jeweils unterschiedlichen Ziel (t°low). Während die Tragödie auf momentane Erschütterung (¶kplhjiw) und emotionale Steuerung der Hörer (cuxagvg€a) aus sei (diå t«n piyanvtãtvn lÒgvn §kpl∞jai ka‹ cuxagvg∞sai katå tÚ parÚn toÁw ékoÊontaw), sei es das Ziel der Geschichtsschreibung, durch die wahren Handlungen und Reden die Lernbegierigen für alle Zeit zu belehren und zu überzeugen (diå t«n élhyin«n ¶rgvn ka‹ lÒgvn efiw tÚn pãnta xrÒnon didãjai ka‹ pe›sai toÁw filomayoËntaw). Der von der Tragödie geschaffenen Plausibilität (tÚ piyanÒn) stehe so die Wahrheit (télhy°w) und der aus dieser erwachsende Nutzen (»f°leia) für die Interessierten gegenüber1180. Was die Eigengesetzlichkeit der Geschichtsschreibung betrifft, so ist Polybios zuzustimmen, und auch bei Lukian1181 findet 1178 1179 1180 1181

Plb. II 56–59, bes. 56. Plb. II 56, 6–8. Plb. II 56, 11–12. Luk. Hist. Conscr. bes. 9: ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou

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sich ja noch diese selbe Verknüpfung von Wahrheitsprinzip und Nutzwert als spezifische Funktion und Zweckbestimmung der flstor€a. Der Umgang des Polybios mit dem Bericht des Phylarchos wirft jedoch mehrere andere Fragen auf, namentlich die, ob es denn überhaupt gerechtfertigt oder gar gerecht war, aus dem Unterschied der politischen Standpunkte (des Phylarchos und des Polybios) einen grundsätzlichen Methodenkonflikt herauszukonstruieren. Denn Meister1182 konnte schlüssig zeigen, daß beide Darstellungen, sowohl die des Phylarchos als auch die des Polybios, jeweils auf ihre Art einseitig gelagert sind, die eine, die des Phylarchos, wegen ihres prospartanischen Standpunkts, die andere, die des Polybios, wegen ihrer proachaischen Tendenz. Beide Darstellungen verschweigen wegen ihrer Voreingenommenheit wesentliche Umstände. Polybios läßt die innenpolitische Situation in Mantineia außer Acht und geht infolgedessen von einer kollektiven Schuld der Einwohner aus. Phylarchos wiederum verschweigt die Ursache für das Vorgehen der Achaier. Was Polybios an Phylarchos bei genauer Betrachtung de facto zu kritisieren hat, ist daher nicht eigentlich die historiographische Methode, sondern vielmehr der konträre politische Standpunkt. Denn für ihn stellt sich die ganze Sache, wie er selbst sagt, dar als Konflikt zwischen der in der griechischen Welt verbreiteten Lüge (ceËdow) des Phylarchos und der eigenen, diese Lüge korrigierenden Wahrheit (élÆyeia)1183. Aus seiner persönlichen Verehrung für die Person des Aratos kann er es, wie es scheint, nicht ertragen, daß Phylarchos der griechischen Welt ein unvorteilhaftes Bild seines persönlichen Idols präsentiert hatte. Anstatt aber diese seine Motivation zuzugeben, führt er seine Kritik auf einer anderen Ebene, der Ebene historiographischer Methode, und er tut es deshalb, um die eigentliche Ursache seiner Empörung zu verdecken1184. Nun wird man Polybios gewiß nicht unterstellen dürfen, daß dieser Stellvertreterkrieg1185 eine von ihm bewußt eingesetzte Strategie ist. Vielmehr wird man ihm zubilligen müssen, daß er bei seiner Sympathie für Aratos und die Achaier nicht anders konnte und daß ihm die Voreingenommenheit seines Standpunktes gar nicht bewußt war. Wenn man dies Polybios zugestehen möchte, so wird man es fairerweise auch im Falle des Phylarchos nicht verweigern dürfen. Auch dieser schrieb, wie es scheint, in der ehrlichen Meinung, daß seine Sicht der Dinge der Wahrheit entsprach. So ergibt sich, daß der pathetische Bericht des Phylarchos dadurch motiviert ist, daß er eine wirklichkeitsnahe Darstellung der aus seiner Sicht, zumal in ihrer ganzen Härte, ungerechtfertigten Strafaktion geben wollte. Und soferne sein Bericht subjektiv aufrichtig gewesen sein sollte, so ist auch sein Wunsch verständlich, in der griechischen Welt Anteilnahme zu erwecken für das ungerechte Schicksal der Mantineier. Und so betrachtet, erscheint auch das Urteil des Polybios sachlich und aus menschlicher Sicht um nichts gerechter als dasjenige des Plutarch zu dem Bericht des Duris über die Eroberung von Samos.

sunãgetai.

1182 Meister 1975, 93–108, bes. 93–101. 1183 Plb. II 56, 2: ... ·na mØ tÚ ceËdow §n to›w suggrãmmasin fisodunamoËn épole€pvmen prÚw tØn élÆyeian. 1184 Zu einem ähnlichen Schluß kommt aus etwas anderem Blickwinkel Marincola 2003, 300: „Phylarchus’ scenes are faulted not because they are emotional, but because they are invented“. 1185 Zu Recht äußert sich Meister 1975, 101 dazu so: „Es wäre weit ehrlicher gewesen, Phylarchos seine Parteilichkeit vorzuwerfen als die Kritik auf diese Weise ins Methodisch–Grundsätzliche hinüberzuspielen“.

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Andererseits hat Polybios inhaltlich damit gewiß Recht, daß ein Schreckensbericht dieser Art, wie er anscheinend von Phylarchos präsentiert wurde, sich nicht gerade passend ausnimmt im Medium historiographischer Darstellung. Und so wurde die Sache in späterer Geschichtsmethodologie denn auch bewertet, wie sich schließlich noch bei Lukian zeigt. In diesem Fall hat Polybios seine an sich zutreffende Kritik nicht aus der Position eines objektiven Richters getroffen. Als deutlich objektiver erscheint er da, wo er nicht als Person gewissermaßen in eigener Sache involviert ist1186. Er erlaubt sich im übrigen nur bei besonderen Anlässen, den Ton zu gewisser leichter Emphase anzuheben1187. Doch achtet er dabei darauf, eigene Betroffenheit und Darstellungsobjekt in einer für den Leser klar ersichtlichen Weise auseinander zu halten. Vor diesem Hintergrund mag seine Kritik an Phylarchos in gewissem Sinne wiederum doch als gerechtfertigt erscheinen. Ganz anders haben es Polybios1188 zufolge einige Autoren gemacht, die Hannibals Alpenübergang mit der Absicht beschrieben hätten, einen Eindruck von Erschütterung (III 47, 6: ¶kplhjiw) auf ihre Leser zu machen (boulÒmenoi toÁw énagin≈skontaw §kplÆttein). Und da sie eben nicht in der Lage wären, ihre Lüge zu einem rechten Ende zu bringen, so ließen sie Götter und Göttersöhne auf die Bühne der pragmatischen Geschichtsschreibung auftreten (III 47, 8: katastrofØn oÈ dunãmenoi lambãnein oÈdÉ ¶jodon toË ceÊdouw yeoÁw ka‹ ye«n pa›daw efiw pragmatikØn flstor€an pareisãgousin). Und wäre nicht ein Gott oder ein Heros erschienen und hätte den Leuten um Hannibal die Wege gezeigt, so wären sie allesamt umgekommen. Derartigen Autoren erginge es – so der Kommentar des Polybios dazu – ganz ähnlich wie den Verfassern von Tragödien; denn auch diese benötigten zum Abschluß ihrer Dramen einen deus ex machina (III 48, 8: ka‹ går §ke€noiw pçsin afl katastrofa‹ t«n dramãtvn prosd°ontai yeoË ka‹ mhxan∞w), und dies sei auch ganz natürlich so, wo doch bereits die ersten Voraussetzungen für die Bühnenhandlungen falsch und widersinnig wären; wie sollte es denn schließlich auch möglich sein, auf die unlogischen Grundlagen ein folgerichtiges Ziel zu setzen (p«w går oÂÒn te paralÒgoiw érxa›w eÎlogon §piye›nai t°low;)? Die Kritik des Polybios läßt an Klarheit gar nichts zu wünschen übrig. Der Vorwurf lautet also, daß diese Autoren ihre Erzählungen nicht nur dramatisch inszeniert hätten, sondern darüber hinaus auch noch in gänzlich widersinniger Art und Weise. Im Gegensatz zur Kritik an Phylarchos erweckt die Kritik des Polybios in diesem Falle den Eindruck sachlicher Fundiertheit1189. Andernorts kritisiert Polybios1190 ebenfalls, wie es scheint, berechtigterweise Autoren (logogrãfoi), die über den Fall des Tyrannen Hieronymos von Syrakus geschrieben und sich in ihren Büchern über dessen Rohheit im Verhalten und Frevelhaftigkeit im Handeln in gänzlich tragisierender Weise verbreitet hätten (tragƒdoËntew d¢ tØn »mÒthta t«n trÒpvn 1186 Plb. III 47, 6–48, 12 (dazu Meister 1975, 155–159) und VII 7, 1–2 (dazu Meister 1975, 159–161). 1187 Vor seiner Schilderung der Entscheidungsschlacht bei Zama ruft er den Leser zur Anteilnahme an diesem gewaltigen Kräfteringen auf (Plb. XV 9, 3: §fÉ ì t€w oÈk ín §pistÆsaw sumpayØw g°noito katå tØn §jÆghsin;). Bei dem Bericht über die Eroberung Korinths spielte Str. VIII 6, 28 = C 381 zufolge ein Schuß Mitleidserregung eine Rolle: PolÊbiow d¢ tå sumbãnta per‹ tØn ëlvsin §n o‡ktou m°rei l°gvn...

1188 Plb. III 47, 6–48, 12. 1189 Meister 1975, 155–159, bes. 156 und 158. Meister vertritt die Ansicht, daß die Kritik des Polybios sich hier hauptsächlich gegen Silenos richte. 1190 Plb. VII 7, 1–2, dazu Meister 1975, 159–161.

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ka‹ tØn és°beian t«n prãjevn); diese hätten sich auf den mit dem Ende des Tyrannen unmittelbar verbundenen Schrecken (tÚ deinÒn) konzentriert. Hier lautet der Vorwurf ganz

ähnlich wie im Falle des Duris in der Kritik Plutarchs und des Phylarchos in der Kritik des Polybios. In allen drei Fällen ist es die Rohheit (»mÒthw) von Menschen, die von gewissen Historikern anscheinend zum willkommenen Ansatzpunkt für ihre theatralischen Darstellungen gemacht wurde. Ein gewisses stereotypes Schema ist zumindest hinter der Kritik des Polybios deutlich zu erkennen. Wie es scheint, ist es eben diese Art von Vorwürfen, gegen die sich eine bestimmte Art historiographischer Kritik richten konnte und auch richtete. Der zweite Autor, von dem vergleichbare Kritiken früherer Historiker in größerer Zahl nachweisbar sind, ist Plutarch, von welchem die Etikettierungen „tragisch“, „dramatisch“ und „theatralisch“ in den meisten Fällen mit dem Ausdruck des Tadels ausgesprochen werden1191. Schon an Ktesias weiß Plutarch1192 zu tadeln, daß dieser oftmals um des Fiktiven und um dramatischer Effekte willen von der Wahrheit deutlich abdrifte (pollãkiw ı lÒgow aÈtoË prÚw tÚ muy«dew ka‹ dramatikÚn §ktrepÒmenow t∞w élhye€aw). Das Motiv, das Ktesias für den Anschlag der Parysatis auf Stateira angeführt habe, widerspreche der Wahrscheinlichkeit (oÈk efikÒta l°gvn, éllå pollØn élog€an ¶xonta t∞w afit€aw), und es sei klar, daß dieser einzig um der Erinnerung an Klearchos willen dieses ganze Szenario erfunden habe (éllå taËta m¢n oÈk êdhlon …w §pitragƒde›tai tª Kleãrxou mnÆm˙). An Phylarchos kritisiert Plutarch1193, er handhabe die Geschichtsschreibung (flstor€a) gleichsam wie eine Tragödie (tragƒd€a); er beabsichtige, Pathos zu erregen (ég«na boÊletai kine›n ka‹ pãyow), dabei merke doch jeder beliebige Leser, daß es sich um eine Fiktion handle (˜ti p°plastai). Und wieder bei anderer Gelegenheit vermerkt Plutarch1194, daß einige Alexanderhistoriker geglaubt hätten, den Tod Alexanders unter Einsatz fiktiver Elemente gerade so wie eben ein tragisches Finale inszenieren zu müssen, (éllå taËtã tinew ’onto de›n grãfein Àsper drãmatow megãlou tragikÚn §jÒdion ka‹ peripay¢w plãsantew); demgegenüber habe Aristobulos die prosaische Version vom Tode des Königs dargeboten. Historiker vom Schlag eines Kleitodemos, Diyllos, Philochoros und Phylarchos (der Name des Duris ist in diesem Kontext nicht genannt!1195) schließlich stellten die Taten von Feldherrn und Königen gleich wie Schauspieler in einem Drama dar, nur um an deren Glanz auch ihren Anteil zu erhalten (éllotr€vn gegÒnasin ¶rgvn Àsper dramãtvn Ípokrita€)1196. All die genannten Äußerungen Plutarchs zeigen, daß er eine bereits bei Polybios sich findende Art und Weise, historiographische Literaturkritik zu betreiben, repräsentiert. In anderer Weise verfährt demgegenüber Ps. Demetrios1197, dessen Urteil über die durchgängige §nãrgeia und das pãyow bei Ktesias durchaus positiv ausfällt, da es einzig aus einer literarästhetischen Perspektive 1191 De Lacy 1952, bes. 159 (allgemein) und 160–161 (Plutarchs Werturteile über Geschichtswerke). 1192 Plu Art. 6, 6 und 18, 4–5. 1193 Plu Them. 32, 3. 1194 Plu Alex. 75, 5. 1195 Das Fehlen des Duris in diesem Zusammenhang ist nur eines von mehreren klaren Indizien dafür, daß Duris und Phylarchos nicht, wie dies häufig geschieht, auf exakt derselben Ebene zu sehen und zu bewerten sind. Auch Polybios setzt sich in den erhaltenen Teilen seines Werkes nirgendwo mit Duris auseinander. 1196 Plu Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 1, 345 e. 1197 Demetr. Eloc. IV 212–216, bes. 215 (Ktesias ist überall in seinem Werk ein §narge€aw dhmiourgÒw).

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erfolgt und nichts über die eigentliche historiographische Leistung des Ktesias auszusagen beabsichtigt. Lukian ist sich der dünnen Grenze bewußt, die eine anschauliche1198 von einer zu stark mit Einsatz von Gefühlsmomenten operierenden Erzählweise trennt. Deshalb vermeidet er es, nach der Art des Plutarch selbst Thukydides mit narrativem Pathos in Verbindung zu bringen. Bezeichnenderweise nennt er daher die berühmte thukydideische Pestschilderung nicht etwa unter dem Gesichtspunkt pathetischer Erzählweise, sondern als Muster für narratives Tempo (tãxow)1199. Dabei wäre es für ihn ja ein Leichtes gewesen, die Fülle der sich überstürzenden Ereignisse, wie sie von Thukydides meisterlich beschrieben sind, unter dem Aspekt der Anschaulichkeit (§nãrgeia) zu behandeln. Er vermeidet dies jedoch, um so naheliegende Assoziationen zum Pathos (pãyow) der Erzählung zu unterbinden, und dasselbe trifft auch auf ein anderes thukydideisches Glanzlicht zu, die Schilderung der athenischen Katastrophe in Sizilien, die Lukian bewußt unter dem Gesichtspunkt der unbestechlichen Wahrheitsliebe anführt1200. Den Begriff pãyow verwendet Lukian daher ausschließlich in negativ konnotiertem Sinne, vom Wahnsinn der Abderiten (pãyow und tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow)1201 und einem stilistischen Höhenkoller1202. Nur ein einziges Mal ist dramatisierende Erzählweise von ihm im zweiten Teil der Schrift thematisiert. Es handelt sich um einen Anonymus, der den Tod des Severianus dramatisch dargestellt (yãnaton ... tragikÚn) und aus der Rede und dem Selbstmord des Afranius Silo eine förmliche tragische Inszenierung gemacht habe (sÁn ofimvgª peripaye› und tÚn suggraf°a ka‹ didãskalon toË drãmatow)1203. Bei diesem Beispiel mag man auch an die in dieser Zeit häufigen theatralischen Selbstinszenierungen nach Art des Peregrinos Proteus denken, doch in erster Linie geht es dem Verfasser um die Unvereinbarkeit der Gattungen Geschichtsschreibung und Tragödie. Lukian steht in dieser Hinsicht also der Position des Polybios nahe, und daß er auch sonst weitgehend dem pragmatischen Geschichtskonzept des Polybios auf direkte oder indirekte Weise folgt, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

1198 1199 1200 1201 1202 1203

Zu Lukians §nãrgeia–Konzept (Hist. Conscr. 51) vgl. weiter unten die Einleitung, Teil I 3. 7. Luk. Hist. Conscr. 57. Luk. Hist. Conscr. 38. Luk. Hist. Conscr. 1 und 2. Luk. Hist. Conscr. 45. Luk. Hist. Conscr. 25 und bes. 26.

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I 3. 5 Das pragmatische Geschichtskonzept des Lukian und des Polybios Lukian und Polybios1204 stimmen in allen wichtigen sachlichen Punkten überein, soweit diese die Aufgaben von Geschichtswerk und Historiker betreffen. Im Kommentar sowie im zweiten Teil der Einleitung1205 wird auf feststellbare Kongruenzen verwiesen, und diese sind in der Tat dermaßen weitgehend, daß aus ihnen so etwas wie ein in sich geschlossenes historiographisches Programm abzuleiten ist. In all denjenigen Bereichen, welche die Gattungsbestimmung der Geschichtsschreibung (flstor€a), deren Abgrenzung gegen Enkomion und Dichtung1206, deren einzig auf die Wahrheit hin orientiertes Ziel und den damit untrennbar verbundenen Nutzwert1207, Zurückhaltung bei Lob und Tadel1208, stoffliche Ökonomie1209 und insbesondere die synchronistische Anlage1210 betreffen, in all diesen Bereichen besteht zwischen Lukian und Polybios auch dann allergrößte Nähe, wenn andere Historiker oder Rhetoren ähnliche Verfahren namhaft machen. Dasselbe gilt für die Person des Historikers selbst. Die von Lukian erhobenen Postulate zu wissenschaftlicher Arbeitsweise1211, sachlicher Qualifikation1212 und Ethos1213 entsprechen weitgehend dem, was Polybios wiederholt in seinem Werk postuliert. Vor allem hinsichtlich des Ethos repräsentieren Lukian und Polybios gemeinsam einen Diskurs, wie er sonst nirgendwo in dieser Form in Erscheinung tritt, und es ist mit gewisser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß dieser Diskurs bei Polybios seinen Ausgangspunkt genommen hat1214. Dem Postulat unpatriotischer Gesinnung stehen nämlich Ansätze diametral 1204 Die erste umfassende Untersuchung zu den Koinzidenzen zwischen Polybios und Lukian wurde, obwohl das Phänomen an sich bekannt war, durch Georgiadou / Larmour 1994 unternommen. Diese Untersuchung hat wichtige Ergebnisse erbracht, die auch im vorliegenden Kommentar durchgehend Bestätigung finden. Es ist aber bereits an dieser Stelle anzumerken, daß in der Studie von Georgiadou / Larmour teilweise auch nur scheinbare Koinzidenzen festgestellt werden. Zudem ist der Fokus fast nirgendwo über die beiden Autoren hinaus ausgeweitet, was gelegentlich zu Ungenauigkeiten bei der Einschätzung von Phänomenen führt. Trotz dieser Schwächen handelt es sich aber um eine Arbeit von bleibendem Wert. 1205 Einleitung, bes. Teil II 1 und II 3. 1206 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 7–8. 1207 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 9. 1208 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 59. 1209 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 56–57. 1210 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 50 (ımoxrone€tv) und 55. 1211 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 47 und die Einleitung, Teil II 1. 1212 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 37 und die Einleitung, Teil II 2 (hier zeigt sich Lukian jedoch in seinem Anspruch moderater). 1213 Vgl. den Kommentar bes. zu Luk. Hist. Conscr. 41 (j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw) und die Einleitung, Teil II 3 (hier zeigt sich Lukian sogar rigoroser). 1214 Umstritten ist, wie Lukian zu diesem „polybianischen Material“ gelangt ist. Baldwin 1973 a 90 spielte den advocatus diaboli, indem er meinte, Lukian habe Polybios deshalb nicht zitiert, weil er ihm so vieles entlehnt habe: „A malicious critic might be tempted to say that Polybius is suppressed by Lucian to conceal his critical debts“. Hall 1981, 558–559, Anm. 15 äußerte sich in einer fast alle Möglichkeiten berücksichtigenden und zugleich offen lassenden Weise: „Lucian may, in any case, have been drawing on some intermediate source or sources, or on general recollections of precepts that he heard from his own teachers of rhetoric: he may not even have been aware of how far he coinceded with Polybius“. Macleod 1991, 287 sagt dazu: „Perhaps Lucian and Plb. used a common source or more probably Lucian selected and adapted material from several sources who may either have influenced Plb. or been influenced by him“. Auch diese Position läßt praktisch alle Möglichkeiten zu. Georgiadou / Larmour 1994, 1449 und 1452 meinen,

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gegenüber, welche einen Patriotismus nicht nur erlauben, sondern sogar fordern, wie besonders Dionysios von Halikarnaß (epistula ad Pompeium) und Ps. Plutarch1215 in der Schrift De Herodoti malignitate. Insgesamt kann somit festgestellt werden, daß Lukian und Polybios in ihrem ganzen Zugang zum Thema eine sehr ähnliche Haltung einnehmen. Anders stellt sich die Sache jedoch dar, wenn man die Frage nach dem in einem Geschichtswerk zu pflegenden Stil stellt. In dieser Hinsicht bestehen Divergenzen, und der folgende Abschnitt soll einer Aufhellung dieses in der Tat auffälligen Umstandes gelten. I 3. 6 Lukian und der Stil im Geschichtswerk Wie der Kommentar zeigt1216, folgt Lukian hinsichtlich seiner Postulate zum Stil im Wesentlichen peripatetischer Stiltheorie. Es ist daher zu fragen, welche Wertigkeit Polybios dem Stil zuerkennt. Diese Frage kann in aller Kürze beantwortet werden, denn dieser äußert sich nirgendwo konstruktiv über den historiographischen Stil, und die einzige in diesem Kontext auswertbare Aussage zeigt deutlich, daß für Polybios nur ein Ziel zählt, nämlich die einzig in der Kompetenz des Historikers gründende Erforschung der Tatsachen und die entsprechende Darstellung des als richtig Erkannten. In diesem Sinne ist seine aufschlußreiche Kritik an Zenon1217 zu verstehen. Zenon, so erklärt er, habe die unbedingt erforderliche Tatsachenrecherche (t«n pragmãtvn zÆthsin) vernachlässigt, dafür aber habe er sich gar sehr bemüht um stilistische Ausarbeitung (éllå per‹ tØn t∞w l°jevw kataskeuØn §spoÊdake), und er habe es damit so weit getrieben, daß er mit der vorgebrachten Abstrusität (terate€a) sogar noch die Verfasser von epideiktischen Elaboraten in den Schatten gestellt habe. Dies ist die einzige verwertbare Äußerung des Polybios zum Thema des Stils, und sie läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie zeigt Verachtung für all diejenigen, in ihrer Zahl überwiegenden Historiker, welche die Form über den Inhalt stellten, anstatt, wie es richtig wäre, die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit ungeschminkt, ausgestattet einzig mit der Überzeugungskraft der Wahrheit selbst gewissermaßen, zu präsentieren. Und diese durchaus legitime Verachtung für gehaltlosen äußeren Schein hat Polybios seinerseits die entschiedene Ablehnung des klassizistischen Stilkritikers Dionysios eingebracht. In der Schrift De compositione verborum spricht Dionysios1218 zunächst über den Vorrang der mehr zur Wirkung beitragenden Wortfügung (sÊnyesiw) vor der Wortwahl. Dann beklagt er den Umstand, daß dieser wichtige Bereich zunehmend weniger Aufmerksamkeit bei den Schriftstellern gefunden die bislang unterschätzte Option einer direkten Benutzung des Polybios durch Lukian verdiene zumindest eine stärkere Beachtung. Mit dem 1449 vorgeschlagenen Terminus „Polybian tradition“ kann der Verfasser vorliegender Arbeit sich allerdings identifizieren. Der Gedanke wird weiter unten weiterverfolgt werden. 1215 In vorliegender Arbeit wird der Verfasser der Schrift De Herodoti malignitate als Ps. Plutarch bezeichnet, da ich entgegen der communis opinio Verfasserschaft Plutarchs aus sprachlichen und inhaltlichen Gründen gleichermaßen für kaum denkbar halte. Im 19. Jh. hatte es in diese Richtung vereinzelte Versuche gegeben, doch scheint die kritische Debatte verstummt zu sein. Für Jones 1971, 88 beispielsweise stellt sich diese Frage nicht einmal, und auch sonst werden fast nie Zweifel geäußert. 1216 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. Kap. 43–46. 1217 Plb. XVI bes. 17, 9 und 18, 2. Die von Georgiadou / Larmour 1994, 1475 herangezogenen Stellen (Plb. IV 28, 4 und V 31, 4) sind für diesen Zweck nicht gebrauchbar, da es darin nicht um den Stil im eigentlichen Sinn geht. 1218 D. H. Comp. 4.

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habe, bis er schließlich völlig vernachlässigt worden sei. Und in diesem Zusammenhang nennt er Phylarchos, Duris, Polybios und eine Reihe anderer Autoren sowie eine anonyme Vielzahl weiterer Autoren, deren aller Schriften man wegen der gravierenden Mängel in diesem Bereich nicht zu Ende lesen könne. Dieses Verdikt hat gewiß dazu beigetragen, Polybios innerhalb klassizistischer Kreise als ungenießbaren Autor zu stigmatisieren. In Lukians Schrift sind also zwei Schichten nebeneinander gelagert, polybianische Pragmatik und peripatetische Stiltheorie. In der Lukianforschung der letzten Jahrzehnte herrscht nahezu die communis opinio, Lukian habe im allgemeinen synthetisch gearbeitet. Es ist also für dieses Objekt zu fragen, ob auch in diesem Fall er selbst es war, der beide Schichten selbst ineinandergearbeitet hat1219. Zu diesem Zweck ist ein – bereits in anderem Kontext herangezogenes1220 – Zeugnis aus der lateinischen Literatur nochmals unter anderem Gesichtspunkt zu betrachten. Es handelt sich um das von Antonius in Ciceros Schrift De oratore 1221 vorgetragene historiographische Konzept, das, wie der Sprecher erklärt, allgemein bekannt sei, aber bis dahin noch nirgendwo in irgendeiner Weise in schriftlicher Form vorliege. Antonius beginnt seinen Vortrag mit dem Wahrheitspostulat. Sodann teilt er, unter Außerachtlassung der Person des Historikers, das Thema in die beiden Bereiche des Inhalts (res) und der sprachlichen Präsentation (verba). Als Inhalt bestimmt Antonius die zeitliche Perspektive (ordinem temporum), die Beschreibung der Topographie (regionum descriptionem), der Pläne (consilia), der Ereigniszusammenhänge (acta) und der Resultate (eventus), unter Einschluß der begleitenden Umstände (quomodo) und der Ursachenfrage (causae), zuletzt die Individualitäten und Biographien der Akteure (de cuiusque vita ac natura). Insgesamt trägt Antonius also ein pragmatisches Geschichtskonzept vor, mit dessen Einzelheiten sich Polybios durchaus identifizieren hätte können. Doch sodann fährt er damit fort, den Stil im Geschichtswerk zu charakterisieren. Er postuliert ein genus orationis fusum atque tractum, et cum lenitate quadam aequabili profluens, und er fügt schließlich hinzu, sine hac iudiciali asperitate, et sine sententiarum forensium aculeis persequendum est. Dies hat nun mit polybianischer Ansicht gar nichts zu tun, wohl aber mit dem, was Lukian an zwei verschiedenen Stellen seiner Schrift sagt. In Kapitel 55 bestimmt er den geforderten Stil der Geschichtserzählung (diÆghsiw) mit den Worten: le€vw te ka‹ ımal«w proioËsa ka‹ aÍtª ımo€vw, Àste mØ proÎxein mhd¢ koila€nesyai. Zuvor, in Kapitel 43, hatte er vom Historiker gesagt, er müsse sich beim Vorgang des Schreibens in ruhiger, entspannter Lage befinden und einen oratorischen Stil meiden. Beide Aussagen in Summe entsprechen also genau dem, was Cicero hier „seinen“ Antonius erklären läßt. Was kann aus dieser Beobachtung entnommen werden? Offensichtlich referiert Antonius einen historiographischen Diskurs, in dem bereits die Synthese vollzogen war von polybianischem Geschichtskonzept mit einem aus anderen Quellen gespeisten Diskurs über die Frage des für ein Geschichtswerk geeigneten Stils. Vor diesem Hintergrund scheint es also so zu sein, daß die Synthese bereits lange vor Lukian abgeschlossen vorlag, und daß er auf diesen ihm (auf nicht näher bestimmbare Weise) zugänglichen Diskurs zugreifen 1219 Vgl. dazu z. B. Hall 1981, 560: „Lucian’s normal method of composition ... is to combine his sources ...: I can see no reason for assuming that in this treatise he should be drawing on only one“. 1220 Vgl. die Einleitung, Teil I 3. 1. 1221 Cic. de Orat. II 15, 62–64.

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konnte. Es war somit höchstwahrscheinlich nicht Lukian selbst, der die beiden Elemente des so entstandenen Diskurses synthetisch zusammengeführt hat. Bei dem defekten Zustand der Überlieferung ist es zwar nicht mehr möglich, einen Urheber oder bestimmte Namen von Personen, die diesen Diskurs aufbrachten und zu einem Standard erhoben, zu benennen, doch immerhin ist es machbar, auf der Grundlage des Kommentars zu Lukians Schrift die Frage zu stellen, ob denn bei ihm noch andere Schichten feststellbar sind und ob bzw. inwieferne Lukian selbst für die Zwecke seiner Schrift aus eigenem Antrieb Adaptationen vorgenommen hat. Dieser Frage widmet sich der folgende Abschnitt, bevor schließlich noch weitere Schriften aus späthellenistischer und früher Kaiserzeit als potentielle „Quellen“ – welcher Art und in welchem Sinne auch immer – für Lukian ins Auge zu fassen sein werden. I 3. 7 Von Lukian selbst vorgenommene Adaptationen Avenarius1222 zieht nach seiner gründlichen Quellenuntersuchung1223 ganz im Stil seiner Zeit das desillusionierende und für Lukian als Autor nicht gerade schmeichelhafte Resümee: „Wir können daher ohne weiteres sagen, daß jene Methodologie nichts enthält, wodurch die antike Theorie der Geschichtsschreibung in irgendeinem Punkte bereichert worden wäre. Lukian arbeitet mit den üblichen Gemeinplätzen, wie sie uns in den Geschichtswerken immer wieder begegnen“. Avenarius weiß lediglich zwei Ausnahmen zu verzeichnen, und in beiden Fällen urteilt er, daß entsprechende Quellen eben zufälligerweise nicht vorhanden wären. Der erste dieser beiden Fälle ist Lukians Postulat, der Historiker müsse über eine sÊnesiw politikÆ verfügen1224. Avenarius1225 nimmt dazu an, Lukian habe auch in diesem (nicht direkt nachweisbaren) Fall bereits Vorbilder gehabt, allenfalls sei das Adjektiv politikÆ auf Lukians Rechnung zu setzen. In vorliegender Arbeit1226 wird hingegen der Versuch unternommen, zu erweisen, daß es sich dabei um eine von Lukian selbst vollzogene Adaptation an die rhetorische Trias fÊsiw, êskhsiw und t°xnh handeln kann. Der zweite von Avenarius1227 genannte Fall ist Lukians Postulat, der Geschichtsschreiber habe im Proömium von einer (in der Gerichtsrede üblichen) captatio benevolentiae, der Erweckung von Wohlwollen (eÎnoia) also, Abstand zu nehmen (Kap. 53). Avenarius1228 erklärt dazu: „Wenn wir hierfür ein ausdrückliches Parallelzeugnis nicht besitzen, so wird dies Zufall sein. Denn es ist kaum anzunehmen, daß Lukian zum ersten Mal mit einer solchen Forderung hervorgetreten ist“. In dem Kommentar1229 wird demgegenüber diese Forderung damit erklärt, daß gerade in 1222 Avenarius 1956, 165. 1223 Wenn im Folgenden gewisse Schwächen des Buches von Avenarius festgestellt werden, so soll dies den Wert dieser wichtigen Arbeit keineswegs schmälern. Allerdings ist es übertrieben, wenn Bompaire 1958, 343, Anm. 3 sie „une étude minutieuse et définitive“ nennt. Genauer gesagt, es ist zu unterscheiden zwischen der ohne Zweifel genauen Recherche und der deutlich weniger überzeugenden Auswertung und Interpretation der solcherart gewonnenen Quellen. Jedenfalls ist die „Quellenfrage“ mit dem Buch von Avenarius keineswegs als erledigt zu betrachten. 1224 Luk. Hist. Conscr. 34. 1225 Avenarius 1956, 31. 1226 Vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2. 1227 Avenarius 1956, 115–116. 1228 Avenarius 1956, 116. 1229 Vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 53, und zwar die Einleitung und den Einzelkommentar zu tÚ t∞w eÈno€aw pare‹w ktl.

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der Zeit der zweiten Sophistik und angesichts der aktuellen Historienmanie ein solcher Aufruf nahelag und daß daher Lukian mit Kritik an zeitgenössischen Mißständen eine Anpassung der zünftigen rhetorischen Theorie an die Gattung der Geschichtsschreibung und im Besonderen an die Verhältnisse seiner Zeit vorgenommen haben kann. Ein dritter Fall ist der ansonsten stets wachen Aufmerksamkeit von Avenarius entgangen. Es handelt sich um Lukians Konzession1230, in den Redepartien die rhetorische Brillianz aufleuchten zu lassen. Nach Avenarius’ Ansicht1231 war Lukian der Meinung, mit der Forderung nach dabei zu wahrender Wahrscheinlichkeit das Programm des Thukydides sinnentsprechend wiederzugeben. Alleine, er wäre aufgrund der ihm eigenen Oberflächlichkeit dazu nicht in der Lage gewesen: „Wenn Lukian daher bei seinen historiographischen Richtlinien sich verschiedentlich auf Thukydides beruft, so tritt gerade in der Frage der Reden recht deutlich zu Tage, daß es ihm über Gemeinplätze und äußere Anknüpfungspunkte hinaus nicht gelungen ist, seine Methodologie mit dessen Geist zu erfüllen“. Die Frage ist hier aber, ob Lukian überhaupt den Sinn des zur Diskussion stehenden Passus aus dem Methodenkapitel exakt wiedergeben wollte. Im übrigen sagt Lukian an keiner Stelle, daß es seine Absicht sei, Thukydides als ein erklärtes Vorbild in stilistischen Belangen zu konstituieren, und er zitiert ihn, wie bereits festgestellt wurde, niemals als ein Paradigma für den Stil im engeren Sinne. Es ist daher wahrscheinlich, daß Lukian gerade nicht der Ansicht war, die Reden des Thukydides eigneten sich zur Nachahmung oder seien gar als normativ zu betrachten. Und Lukian war bereits in der Antike nicht der einzige, der wegen der Schwerverständlichkeit der thukydideischen Reden so dachte oder denken mochte. Es ist ihm daher zuzugestehen, daß er mit Absicht eine kleinere Anpassung an den Geschmack seiner Zeit (man beachte auch, wie behutsam er sein Postulat formuliert) vorgenommen hat. Im Kommentar1232 wird daher vorgeschlagen, auch in diesem Fall zumindest die Möglichkeit eines Zugeständnisses Lukians an aktuelle Bedürfnisse und die Erwartungshaltungen seiner Zeit zu konzedieren. Im übrigen läßt die Art, wie er formuliert, einen großen Spielraum zu, und dies gilt überhaupt für alles, was mit dem Stil im Geschichtswerk zu tun hat1233. Besondere Beachtung verdient Lukians §nãrgeia-Konzept, seine Ansicht zur Anschaulichkeit der Geschichtserzählung. Um dieses in seiner Eigenart zu verstehen, ist zunächst ein aufschlußreicher Passus aus Polybios1234 von Interesse, in dem dieser eine prinzipielle Kritik an der Arbeitsweise des Timaios äußert. Schreibe man über das sich im Zuge von Kriegen Ereignende, so erklärt Polybios, so könne man das nur zutreffend leisten, wenn man über die dafür nötige einschlägige Erfahrung (§mpeir€a) verfüge. Dasselbe treffe auf politisches Geschehen zu; nur wenn man Erfahrungswerte in politischen Handlungen und Situationen sich verschafft habe, sei man so in der Lage, politische Vorgänge adäquat darzustellen. Reine Büchergelehrte (ofl bubliako€) hingegen vermöchten nichts davon mit Erfahrung (§mpe€rvw) und dem Ausdruck von Echtheit (§mfantik«w) zu beschreiben, weshalb denn auch deren Abhandlung des Themas ohne

1230 1231 1232 1233 1234

Luk. Hist. Conscr. 58. Avenarius 1956, 157. Vgl. den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 58: plØn §fe›ta€ soi tÒte ktl. Vgl. dazu Luk. Hist. Conscr. 43–46, bes. 43–44 und den Kommentar dazu. Plb. XII bes. 25 g 1–25 h 4.

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praktischen Nutzen für die Leser bliebe1235. Schrieben diese über Städte und Orte detailliert, so ließen sie viel Erwähnenswertes außer Acht, ergingen sich aber stattdessen in ausgedehnten Ausführungen gerade über solche Dinge, die diese Aufmerksamkeit nicht verdienten. Und genau so erginge es besonders auch dem Timaios infolge seines Mangels an unmittelbarer authentischer Anschauung (diå tØn éoras€an), habe er doch seiner eigenen Angabe nach ganze 50 Jahre lang als Fremder in Athen verbracht, ohne Erfahrung im Kriegswesen und ohne durch eigene Anschauung sich topographische Kenntnisse erworben zu haben. Und wenn er auch gelegentlich mal in seinem Werk nahe an die Wahrheit herankomme, so gliche er doch denjenigen Malern, die ihre Skizzen nicht nach lebenden Objekten entwerfen1236, weshalb ihren Bildern denn auch die wirkliche Erscheinung und der lebendige Ausdruck echter Lebewesen abginge (XII 25 h 3: tÚ d¢ t∞w §mfãsevw ka‹ t∞w §nerge€aw1237 t«n élhyin«n z–vn êpestin). Timaios und allen anderen Büchergelehrten dieser Art fehle Wirklichkeitsechtheit (≤ går ¶mfasiw t«n pragmãtvn aÈto›w êpesti), und der Grund dafür sei der, daß diese einzig aus authentischen Erfahrungswerten des Historikers erwachsen könne, daraus, daß dieser selbst in eigener Person durchlebt habe, was er darzustellen unternimmt, aus seiner aÈtopãyeia also, wie Polybios diese psychische Disposition mit einem sonst erst bei späteren Autoren vorkommenden Wort anschaulich und nicht ohne Stolz auf seine sich davon, wie er meint, wesentlich abhebende eigene Leistung als Historiker beschreibt1238. Wie sieht nun das entsprechende Postulat bei Lukian aus? Die für dessen Verständnis entscheidenden Passus sind das 37., das 47. und das 51. Kapitel der Methodenschrift. In Kapitel 37 erklärt Lukian, der Historiker müsse über praktische Erfahrungswerte verfügen, um seiner Aufgabe sachgerecht nachkommen zu können. Er dürfe kein Stubenhocker sein, keiner, der nur dem, was ihm berichtet wird, Vertrauen schenkt. Vielmehr müsse er kraft seines Verstandes und seines scharfen Blickes für die Realitäten des Lebens über die Fähigkeit verfügen, bei Bedarf auch politische Funktionen zu übernehmen. Weiters müsse er über soldatischen Sinn und strategische Erfahrung verfügen. Er müsse sich ferner auch schon einmal im Heerlager aufgehalten haben, müsse Soldaten beim Exerzieren und bei der Aufstellung zu dem Kampf gesehen haben, und er müsse über elementare Kenntnisse militärischer Fachausdrücke verfügen. Weiters, in Kapitel 47 wird als die elementare Qualifikation des Historikers für seine Arbeit die sachgerechte Recherche von Tatsachenmaterial bestimmt. Beide Postulate stimmen miteinander überein. Im 51. Kapitel jedoch erkärt Lukian, die Auffassungsgabe (gn≈mh) des Historikers müsse einem 1235

Plb. XII 25 g 2: man beachte hier das pointierte und kaum übersetzbare Wortspiel in tØn pragmate€an êprakton g€nesyai to›w §ntugxãnousin. 1236 Plb. XII 25 h 2: to›w épÚ t«n énasesagm°nvn yulãkvn poioum°noiw tåw Ípografãw, Walbank II 1967, 396 erklärt dies zu Recht so: „P. refers to the use of stuffed dummies for the artists’ preliminary work“. 1237 Sacks 1981, 149–150 und 153–155 argumentiert plausibel für die ältere Lesart §nerge€aw (so Büttner–Wobst 1893) gegenüber §narge€aw (Boissevain 1906), welch letzteres von Herausgebern und Erklärern fast immer bevorzugt wird, obwohl Textüberlieferung und Sprachgebrauch bei Polybios eindeutig für §nerge€aw sprechen. Vgl. bes. Plb. I 4, 7. Die unsichere Lesart §narge€aw wird häufig um der Hypothese der „tragischen Geschichtsschreibung“ willen beibehalten, läßt sich sachlich aber kaum rechtfertigen. Walbank II 1967, 396 ist einer der wenigen, die das seriöse §nerge€aw schreiben und im Text voraussetzen, und er übersetzt es zutreffend mit „animation“. 1238 Plb. XII 25 h 6 räumt jedoch ein, daß es schwer sei für einen Historiker, immer und an allem als ein aktiv handelnder teilzunehmen: pãntvn m¢n oÔn oÂon aÈtourgÚn gen°syai ka‹ drãsthn dusxer¢w ‡svw, t«n m°ntoi meg€stvn ka‹ koinotãtvn énagka›on.

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klaren Spiegel gleichen. Wie dieser die Objekte der Wirklichkeit unverzerrt wiedergebe, so habe auch dieser die Handlungsvorgänge exakt zu reproduzieren (ıpo€aw ín d°jhtai tåw morfåw t«n ¶rgvn toiaËta ka‹ deikÊtv aÈtã). Und da das zu beschreibende Objekt in diesem Fall die Vergangenheit sei (p°praktai går ≥dh), so entfalle auch die in der Rhetorik ansonsten nötige Stoffauffindung (eÏresiw). Wie die bildenden Künstler ihr Material (Ïlh) nicht selbst anfertigten, sondern den ihnen fertig vorliegenden Stoff bearbeiteten, so sei es die Aufgabe eines Historikers, den Stoff in eine entsprechende Ordnung zu bringen (tãjai) und ihm einen sprachlichen Ausdruck zu verleihen (efipe›n aÈtã). Nicht um das „was“ gehe es also, nicht um den Stoff an sich, sondern um das „wie“, um die Präsentation des bereits fertig und abgeschlossen vorliegenden Stoffes (oÈ t€ e‡pvsi zhtht°on aÈto›w, éllÉ ˜pvw e‡pvsin). Ziel dabei sei, den Inhalt möglichst anschaulich zu „zeigen“ (§w dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã). Und wenn dann, im Idealfall, ein Hörer vermeine, das Berichtete visuell wahrzunehmen (ka‹ ˜tan tiw ékro≈menow o‡htai metå taËta ırçn tå legÒmena), dann, ja dann verdiene der Autor das eigentlich erst jetzt ihn auszeichnende Prädikat eines „Phidias der Geschichtsschreibung“. Geschichtsschreibung ist hier also wie an den zuvor zitierten Plutarchstellen1239 als eine Visualisierungskunst beschrieben. Während aber Plutarch den Geschichtsschreiber mit einem Maler vergleicht, verwendet Lukian den innerhalb antiker Literatur singulären Vergleich mit dem Bildhauer, der das ihm vorliegende Material in die gewünschte Form bringt. Abgesehen davon sieht es auf den ersten Blick so aus, als würde Lukian hier den Historiker einzig unter dem Aspekt von dessen literarischer Gestaltung beurteilen. Denn das 51. Kapitel, alleine für sich betrachtet, könnte bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck erwecken, als wäre es dem Verfasser nur unzureichend bewußt, daß das eigentliche Problem für den Historiker gerade darin besteht, die Wirklichkeit so zu erschauen, wie sie tatsächlich ist. Kennt Lukian also keinen wesentlichen Unterschied zwischen einem Redner und einem Historiker? Zeigt er sich demnach den spezifischen Anforderungen für historische Forschung gegenüber als verhältnismäßig interesselos?1240 In diesem Zusammenhang ist die entsprechende rhetorische Theorie von Interesse. Anschaulichkeit (§nãrgeia) findet eine Berücksichtigung nicht nur in individuellen literarkritischen Wertungen1241, sondern besonders kräftig auch in den rhetorischen Lehrbüchern, und zwar in den Progymnasmata, namentlich im Zusammenhang mit der Ekphrasis. So erklärt Hermogenes in seiner Behandlung des Themas1242 in einer für die Textsorte durchaus konventionellen Weise, die Ekphrasis sei eine Rede, welche das darzustellende Objekt vor Augen führe (16, Z. 11–12: lÒgow ... ÍpÉ ˆcin êgvn tÚ dhloÊmenon); ihre Funktion bestünde darin, vermittels einer akustischen Präsentation so ziemlich einen visuellen Wahrnehmungseffekt zu bewerkstelligen (16, Z. 33–34: de› går tØn •rmhne€an diå t∞w éko∞w sxedÚn tØn ˆcin mhxançsyai); und die beiden ihr zukommenden Stilqualitäten seien zuvorderst die Klarheit (16, 1239 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 3. 1240 Ligota 2007, 55 nimmt genau dies an: „Lucian, the rhetorician that he is, has not much sense of historical investigation“. 1241 D. H. Lys. 7 nennt Lysias einen Meister der §nãrgeia; von allen Rhetoren wäre dieser am stärksten darin gewesen, die Natur der Menschen (fÊsin ényr≈pvn) zu erschauen und auf dieser Grundlage einem jeden die ihm jeweils zukommenden Affiziertheiten (pãyh), Charaktereigenschaften (≥yh) und Handlungen (¶rga) zuzuschreiben. 1242 Spengel II 16, Z. 10–17, Z. 8.

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Z. 32: safÆneia) und die Anschaulichkeit (16, Z. 33: §nãrgeia). Hermogenes unterscheidet verschiedene Arten von Ekphraseis, und dabei kommt gerade auch die Geschichtsschreibung als Illustrationsobjekt kräftig zum Zug. Die handlungsbezogenen Ekphraseis (16, Z. 17: pragmãtvn ... §kfrãseiw) eigneten sich für See- und Landschlacht. Einen Mischtypus stelle die nächtliche Schlacht bei Thukydides dar, die berühmte naumax€a in Sizilien, die aus den beiden Elementen von Zeit und Handlungsvorgang bestünde (16, Z. 21–22). Als Vorbild ist also bei Hermogenes, ebenso wie bei Plutarch, Thukydides genannt. In der Behandlung der Ekphrasis durch Aphthonios1243 ist die Historiographie gleichfalls mit einbezogen, zunächst im Allgemeinen, sodann im Besonderen, und zwar wiederum mit exemplarischer Hervorhebung des Thukydides (46, Z. 23–25 und 47, Z. 3–4). Ähnlich verfährt Theon1244, der innerhalb dieses selben Kontextes auf Herodot (118, Z. 15–18) sowie auf Thukydides und Philistos (118, Z. 24–119, Z. 4) zu sprechen kommt. Aus diesen für die rhetorische Theorie und Praxis maßgeblichen Texten geht klar hervor, daß den kaiserzeitlichen Rhetoren das Konzept der visualisierenden Darstellung besonders auch im Rahmen historiographischer Darstellung bestens vertraut ist. Welchem Konzept folgt nun also Lukian eigentlich, dem des Polybios oder dem der Rhetoren? Der Widerspruch erscheint entschärft durch den Umstand, daß Lukian den Passus (Kapitel 51) insofern gut vorbereitet, als er zuvor bereits mehrfach davon gesprochen hatte, daß der Historiker dasjenige wahrgenommen haben müsse, das er zu beschreiben unternimmt. In diesem Sinne also solle der Historiker dem homerischen Zeus gleichen, welcher das Geschehen nicht bloß sieht, sondern es von oben her, also gewissermaßen aus olympischer Perspektive, vollständig in seinem Zusammenhang überschaut1245. Dies zeigt, daß Lukian den Widerspruch der beiden Konzepte, des pragmatischen und des rhetorischen, bemerkt und einen Ausgleich gesucht hat. Als einem Rhetor ist ihm natürlich das rhetorische §nãrgeia-Konzept wohlvertraut, doch in seiner Eigenschaft als der Autor dieser Schrift lehnt er sich inhaltlich eng an das ¶mfasiwKonzept des Polybios an, in welcher Form auch immer dieses ihm zugänglich war. Und da beide Konzepte ihm miteinander problemlos vereinbar erscheinen, so hält er sich in seiner Terminologie an den allen Zeitgenossen vertrauten Begriff der §nãrgeia. Doch er tut es in einer Weise, die unmißverständlich klarlegt, daß die solcherart erstrebte Anschaulichkeit einzig dem Zweck dient, faktisch Geschehenes adäquat zum Ausdruck zu bringen, also in einem ähnlichen Sinne, in dem bereits Duris den Begriff m€mhsiw verwendet hatte1246. Diese Klärung war für Lukians Leser auch unbedingt nötig, denn der vertraute Begriff der §nãrgeia war in seiner Zeit allzu sehr belastet durch entsprechende rhetorische Konzepte. Ein illustrativer Passus aus Quintilian1247 mag dies veranschaulichen. Quintilian beschreibt, was alles im Detail zu dem Zweck der Veranschaulichung einer Stadteroberung ausgeführt werden kann, nämlich der Fall der Stadt, die Plünderungen der Sieger und eine eingehende Schilderung des Leids der betroffenen Bevölkerung; und Quintilian fügt hinzu, es gehe darum, die Dinge als 1243 1244 1245 1246 1247

Spengel II 46, Z. 14–47, Z. 8. Spengel II 118, Z. 6–120, Z. 11. Luk. Hist. Conscr. 47 (§for«nta) und 48 (éfÉ ÍchloË ır«nti). Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 2. Quint. Inst. VIII 3, 61–71, bes. 69–70.

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wahrscheinlich (veri similia) darzustellen, und unter dieser Voraussetzung dürfe man auch etwas hinzuerfinden (et licebit etiam falso adfingere quidquid fieri solet). Nicht die Wirklichkeitstreue sei demnach das Ziel, sondern Wirklichkeitsechtheit bzw. Realismus, und in exakt diesem Sinne wird der Begriff m€mhsiw von Dionysios von Halikarnaß1248 gebraucht. Dieser Umstand mag auch der Grund oder einer der Gründe dafür sein, warum Lukian den möglicherweise falsche Assoziationen erweckenden Begriff der m€mhsiw vermeidet. Es sind im Laufe der vorliegenden Untersuchung somit insgesamt drei nahe beieinander liegende Positionen in Erscheinung getreten, die des Duris, die des Polybios und nun auch die Lukians, und allen dreien ging es um Wirklichkeitstreue. Aus diesem Blickwinkel betrachtet steht Lukian also indirekt in einer Linie mit Duris, denn seine §nãrgeia entspricht der m€mhsiw des Duris, so wie sie besonders auch der ¶mfasiw des Polybios nahesteht. Was hat Lukian also unternommen? Er hat ein polybianisches – und schon bei Duris in Erscheinung getretenes – Konzept in einer den Erwartungen seiner Zeit angepaßten Weise präsentiert, ohne damit den genuin polybianischen Anspruch in seiner Substanz preiszugeben, eine beeindruckende gestalterische Leistung, die Beachtung verdient1249. Mißverstanden ist Lukians Absicht jedoch von Avenarius1250, der gemäß seiner generellen Tendenz, möglichst viele historiographische Postulate letztlich auf die isokrateische Schule zurückzuführen, das lukianische Konzept sinnentstellt interpretiert. In Kapitel 51 sagt Lukian nämlich bei natürlicher Textauffassung, so wie die bildenden Künstler ihr Material von den Eleern, Athenern oder Argivern zur Bearbeitung übernähmen, so habe auch der Historiker lediglich den schon vorgegebenen Stoff zu bearbeiten, ohne selbst etwas erfinden zu müssen. Und er meint damit, der historische Stoff liege dem Historiker als eine abgeschlossene Größe vor, da er bereits geschehen sei (p°praktai går ≥dh). Avenarius hingegen versteht den Sinn der Stelle dahingehend, daß es zwei Personen seien, die an der Schaffung eines Geschichtswerkes beteiligt seien. Während der eine bloß einen Rohentwurf (ÍpÒmnhma)1251 zur Verfügung stelle, arbeite der andere diesen kunstvoll aus. Und nicht nur dies, für die Ausarbeitung sei „eine entsprechende Befähigung“ nötig, „während für erstere [die bloße Materialsammlung] keine besonderen Ansprüche gestellt werden“. Daraus könne man erschließen, daß das Konzept seinen Ursprung in der isokrateischen Schule habe. Von diesen Voraussetzungen ausgehend vermeint Avenarius, Lukian einen Widerspruch zu dem in Kapitel 47 erteilten Postulat, es sei gründliche stoffliche Recherche zu betreiben, nachweisen zu können. Schon zu Beginn seines Buches hatte Avenarius1252 programmatisch angekündigt, Lukians Schrift habe „trotz der in der Eigenart des Verfassers begründeten Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit“ als einzige aus der Antike erhaltene Methodologie hohen Quellenwert. Aus den vorangehenden Ausführungen hat sich jedoch ergeben, daß Lukian nicht nur nicht oberflächlich verfährt, sondern, daß er auch genau weiß, was er tut und was er erreichen möchte. 1248 Nur ein Beispiel unter vielen ist D. H. Th. 45 (mit seiner Periklesrede habe Thukydides gegen das Gebot der Angemessenheit, des pr°pon, verstoßen). 1249 Das bekannte und vom Urheber nicht ansatzweise begründete Urteil Finleys 1975, 12 über diese Schrift („a shallow and essentially worthless pot–boiler“) ist in dieser eigenmächtigen Einseitigkeit nicht aufrecht zu erhalten. 1250 Avenarius 1956, bes. 97, 103 (Zitat) und 168. 1251 Dazu Luk. Hist. Conscr. 16 und bes. 48. 1252 Avenarius 1956, 8.

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Dies ist nicht der einzige von Avenarius eigenwillig interpretierte Passus. Ein anderes Beispiel ist das Verhältnis der Aussagen der Kapitel 50 und 55 zueinander. Avenarius interpretiert die Aussage von Kapitel 50 richtig im Sinne eines Aufrufes zu synchronistischer Erzählweise. Doch dann glaubt er in Kapitel 55 das Gegenteil davon erkennen zu können, das Postulat, eine (im Sinne des Ephoros) nach Sachthemen gruppierende Stofforganisation (katå m°row) zu befolgen. Avenarius1253 zieht den Schluß: „So bleibt als Erklärung für diese auffallende Diskrepanz nur die Flüchtigkeit, mit der Lukian seinen Traktat zusammengeschrieben hat. Er hat einfach an der zweiten Stelle vergessen, was er an der ersten vorgebracht hatte“. So habe also Lukian die diametral entgegengesetzten und einander ausschließenden Prinzipien des Thukydides und des Ephoros durch schiere Nachlässigkeit vermischt. Tatsächlich erklärt Lukian aber in Kapitel 55, bloß aus veränderter Perspektive, dasselbe wie zuvor. Sein Postulat besagt, synchronistisch organisierte Erzählabschnitte seien miteinander zu verfugen. Das Mißverständnis besteht also in der unrichtigen Auffassung der Adjektive épÒluta und §ntel∞. Denn diese bezeichnen nach Lukians Intention nicht thematische narrative Komplexe, sondern die aus einem synchronistischen Verfahren sich zwangsläufig ergebenden Erzählsegmente. Nach Avenarius wurde der Irrtum erstaunlicherweise nicht aufgeklärt1254. Auch die schon mehrfach angesprochene Tendenz von Avenarius1255, historiographische Postulate auf die isokrateische Schule zurückzuführen, sorgt nicht nur für Verwirrung der „Quellenfrage“, sie führt auch dazu, Lukian eine kritische Arbeitsweise abzusprechen (168): „Dieser Umstand hat nun in Lukians Methodologie zu den besagten Widersprüchen geführt, da neben gewisse im Anschluß an Thukydides erhobene Vorschriften andersgeartete, ja entgegengesetzte Regeln gestellt werden, die aus jener durch die isokrateische Rhetorik bestimmten Geschichtsschreibung herzuleiten sind“. Tatsächlich lassen sich dermaßen schwerwiegende Widersprüche im Text bei unbefangener Lektüre nicht nachweisen, und es scheint daher an der Zeit zu sein, Lukians Leistung anzuerkennen. Daß er als Klassizist klassizistisch arbeitet, wird man ihm gewiß nicht vorwerfen können. Daher kann der Umstand, daß das meiste von dem, was er sagt, in seiner Substanz anderswo nachweisbar ist, nicht als Argument gegen ihn verwendet werden. Und wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, hat er einen – auch vom sachlichen Gehalt her – in sich stimmigen Text geschaffen.

1253 Avenarius 1956, 119–125, bes. 125 (Zitat). 1254 Avenarius folgt u. a. Hose 1994, 79, Anm. 23: „Es ist kurios, daß Lukian ... beide Darstellungsweisen vorschreibt, siehe Avenarius, Lukian 124“. Auch von Hall 1981, 560–561, Anm. 17, die jedoch das Problem reflektiert, ist die Ursache des Fehlers nicht erkannt. 1255 Auch im vorliegenden Kommentar wird auf diese Fälle jeweils im entsprechenden Kontext eingegangen. Zumeist handelt es sich um bloße Vermutungen.

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I 3. 8 Weitere Schriften per‹ flstor€aw und deren Relevanz für Lukian Da die Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw schon Behandlung gefunden haben1256, sind nun nur noch die anderen Schriften desselben Titels nachzutragen. Eine Schrift per‹ flstor€aw1257 verfaßte auch der Philosoph und Rhetor Metrodoros von Skepsis aus etwa der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. Es kann durchaus sein, daß sich dahinter eine theoretische Abhandlung verbirgt, denn vom Verfasser ist auch ein Geschichtswerk zumindest dem Titel nach bekannt, eine Geschichte des Tigranes1258. Doch insgesamt erscheint Metrodoros, dessen Interessen zumindest nach Ausweis der spärlichen und selektiv überlieferten Fragmente mehr im Bereich der Geographie gelegen haben, als ein eher schwaches Bindeglied in der Abfolge der per‹ flstor€aw betitelten Schriften. Mit Theodoros von Gadara erreichen wir die Zeit des Übergangs vom Späthellenismus zur frühen Kaiserzeit. Von ihm sind u. a. neben einer Schrift per‹ ko€lhw Sur€aw auch eine per‹ flstor€aw bezeugt, beide je ein Buch umfassend1259. Ob es in letzterer um eine Theorie der Geschichtsschreibung ging1260, ist zwar nicht als gesichert, aber als wahrscheinlich zu betrachten, vor allem, wenn man bedenkt, daß, wie noch auszuführen sein wird, gerade in dieser Generation ein stärkeres Interesse an der Geschichte und deren Theorie erwacht zu sein scheint1261. Als Haupt der Schule der Theodoreer war Theodoros jedenfalls eine bedeutende Persönlichkeit. Während Apollodoros von Pergamon die Auffassung vertrat, die Rhetorik sei eine unveränderlichen Prinzipien folgende §pistÆmh, nahm der stärker in aristotelischer Tradition stehende Theodoros den liberaleren Standpunkt ein, diese sei eine an die jeweiligen, sich stets verändernden Umstände anzupassende t°xnh. Bei dieser Kontroverse handelte es sich, wie es scheint, um einen regelrechten Prinzipienstreit1262, der zumindest teilweise durch den sogenannten Anonymus Seguerianus1263, dessen Quellen so manche der Gedanken des Theodoros wiedergeben und in diesem Kontext auch solche des Apollodoros referieren, bekannt ist1264. Ein Streitpunkt aus der Debatte mag im Zusammenhang mit Lukians Schrift von Interesse sein. Denn an zwei Stellen kommt Lukian auf die Frage zu sprechen, ob ein Proömium in jedem Fall vonnöten sei1265.

1256 Einleitung, Teil I 3. 1. 1257 FGrH II B 184, Fr. 2; zu früheren Versuchen, den Wortlaut des Titels abzuändern Susemihl 1892, 354, Anm. 14; Jacoby versieht ihn zwar mit einem Fragezeichen, bezeichnet aber im Kommentar (II D 610) diese Änderungen am Titel als „Spielerei“. Das von St. Byz. s. v. ÜUpaniw Westermann 290, Z. 3 (Jacoby stellt es unter „Zweifelhaftes“, Fr. 18) genannte vierte Buch bezieht Bux in Bux / Kroll 1932, 1481 nicht plausibel auf per‹ flstor€aw, denn es gehört eher in die Geschichte des Tigranes (folgende Anmerkung). 1258 FGrH II B 184, Fr. 1 (Tå per‹ Tigrãnhn): im ersten Buch stand eine Beschreibung Armeniens sowie des Kaukasos. 1259 Stegemann 1934, 1849 rubrifiziert beide unter den geographisch-historischen Schriften des Theodoros. 1260 So Blass 1865, 175, Kaibel 1885, 512, Grube 1959, 354, Anm. 29 (mit leichtem Vorbehalt). 1261 Kaibel 1865, 512 führt dieses Interesse auf einen Gegensatz zu Hegesias und Autoren seiner Art zurück. 1262 Die Testimonien und Fragmente bei Granatelli. 1263 Dieser Text ist benannt nach dem Erstherausgeber (1841, 1840 schon in Separatdruck) Séguier de Saint– Brisson. 1264 Schanz 1890 brachte in einer diluziden und im Wesentlichen überzeugenden Arbeit erstmals Licht in das Wesen und die Inhalte dieser Kontroverse, speziell zum Proömium 43–44. 1265 Luk. Hist. Conscr. 23 und 52.

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An der ersten der beiden Stellen kritisiert er anonyme Autoren dafür, sie würden ihre Werke ganz ohne ein Proömium beginnen lassen (ék°fala tå s≈mata efisãgontaw, éprooim€asta), und in Kap. 52 gibt er Bedingungen für den (legitimen) Werkbeginn ohne Proömium (éprooim€astow érxÆ) an. Das Thema entstammt dem Schulstreit der Apollodoreer und Theodoreer. Dies läßt sich aus einem Passus ersehen, in dem der Anonymus Seguerianus die Positionen der beiden Schulen in dieser umstrittenen Frage mit der bei ihm stets gewohnten Klarheit auf den Punkt bringt1266. Die rigorosere Ansicht des Apollodoros faßt er in die Worte ée‹ de›n xr∞syai prooim€oiw (Kap. 26): man müsse immer ein Proömium gebrauchen. Denn ohne ein solches werde der Rede der Kopf zu fehlen scheinen (dÒjei går ék°falÒw tiw ı lÒgow e‰nai ˜low); keiner der alten Klassiker habe darauf verzichtet (Kap. 29: keine von deren Reden sei éprooim€astow). Die Theodoreer hingegen nähmen die Gegenposition ein, wenn sie erklärten, ein Proömium sei nur dann nötig, wenn es nütze, andernfalls solle man es getrost beiseite lassen (Kap. 32: ín m¢n sumf°r˙, prooimiast°on, efi d¢ mÆ, paraleipt°on toËto). Ohne die Details dieses bis zu dem Ende des zweiten und dem Beginn des dritten Jahrhunderts n. Chr. aktuellen Streites1267 hier weiterzuverfolgen, sei doch festgehalten, daß Lukian in diesem einen Fall zumindest die Aufnahme von verhältnismäßig spätem Material nachgewiesen werden kann. Und soferne auch seine Kritik an Autoren wie Parthenios, Euphorion und Kallimachos in Kapitel 57 frühere Diskurse wiederspiegelt, so ließe sich noch ein weiteres solches Element bei ihm feststellen. Es ist auf alle Fälle zumindest damit zu rechnen, daß der in diesem Kontext noch niemals ernsthaft in Erwägung gezogene Theodoros in irgendeiner Form, entweder direkt oder indirekt, für das bei Lukian repräsentierte Material eine gewisse Rolle spielen könnte. Lukians recht moderate Haltung in Stilfragen1268 würde dem jedenfalls nicht widersprechen. Und wenn wir von Ps. Longinos1269 hören, daß Theodoros sich über verfehltes Pathos (par°nyurson) zu äußern pflegte, so mag dies an Lukians einleitende Erzählung von den Abderiten sowie den Grundtenor der Schrift erinnern. Obwohl dies nur sehr schwache Indizien sind, so erscheint es doch nicht gerechtfertigt, Theodoros bei der „Quellenfrage“ nicht einmal, wie dies bisher geschah, als potentiellen Kandidaten, in welcher Form auch immer, in Erwägung zu ziehen. An dieser Stelle sei daran erinnert, daß auch die Analyse des synthetischen Vorgangs in der Einleitung, Teil I 3. 6 in späthellenistische Zeit weist. Mit dem Attizismus erwacht das Interesse einzelner Rhetoren an der Geschichtsschreibung erneut. Dabei entsteht eine durch Dionysios von Halikarnaß für uns am Besten repräsentierte Kombination des Verfassens rhetorisch-stilkritischer Traktate unter Einschluß der Geschichtsschreibung1270 zum einen und eines Geschichtswerkes zum anderen. Von Kaikilios von Kaleakte, dem Schüler des Apollodoros von Pergamon und wohl etwas jüngeren Freund des Dionysios von Halikarnaß, sind ähnliche Interessen bekannt, wenn auch der 1266 1267 1268 1269

Es handelt sich um die Kap. 26–39 aus dem Abschnitt über die Proömien, Dilts/ Kennedy 10–14. Dilts / Kennedy, XII–XIII (dies kann aus den Quellen des Anonymus Seguerianus erschlossen werden). Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 44. Longin. 3, 5: die Definition des par°nyurson lautet: ¶sti d¢ pãyow êkairon ka‹ kenÚn ¶nya mØ de› pãyouw µ êmetron ¶nya metr€ou de›. Vgl. die Einleitung zum Kommentar zu Kap. 1. 1270 Zu den einschlägigen Ansichten des Dionysios von Halikarnaß zur Geschichtsschreibung Pritchett 1975 (grundlegend), Bonner 1939, bes. 40–41 und 81–94 (solid orientierend), Sacks 1983 (eine anregende Arbeit), Usher I 456–461, Roberts 1901 a, bes. 31–32 (Übersicht über die Werke und Passagen, in denen Thukydides behandelt ist).

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dürftige Überlieferungsstand1271 ein genaueres Wissen darüber verbietet. Kaikilios verfaßte neben einer Geschichte der Sklavenkriege in seiner Heimat Sizilien (sÊggramma per‹ t«n doulik«n pol°mvn), deren bloße Existenz durch Athenaios1272 nachweisbar ist, eine gleichfalls nur durch Athenaios1273 bekannte Schrift per‹ flstor€aw1274, die jedoch im unvollständigen Schriftenverzeichnis der Suda1275 nicht genannt ist. Dafür nennt diese eine sonst nirgendwo bezeugte Schrift mit dem rätselhaften Titel per‹ t«n kayÉ flstor€an µ parÉ flstor€an efirhm°nvn to›w =Ætorsin, unter dem üblicherweise die Verstöße gegen die „historische Richtigkeit“ bei Rednern und Sophisten verstanden werden1276, wenn auch nicht hinreichend klar wird, warum der Autor ausgerechnet von Rhetoren eine mit den Prinzipien der flstor€a vereinbare Behandlung von Sachverhalten gefordert haben sollte, es sei denn, man nähme an, daß hier eben der Historiograph Kaikilios sich Gehör verschaffe. Gegenüber der Annahme, die Schrift dieses Titels sei identisch mit der per‹ flstor€aw1277, ist jedoch durchaus Skepsis geboten, alleine schon wegen des Umstandes, daß die beiden Titel nicht gerade auf identischen Inhalt hinweisen, da ja per‹ flstor€aw in der Tradition der mit Theophrast beginnenden Schriften per‹ flstor€aw steht1278, während, was in diesem Kontext noch nicht beobachtet wurde, die Junktur parÉ flstor€an bei Martial (Sp. 21, 8) evidentermaßen gar nichts mit Geschichtsschreibung zu tun, sondern nicht mehr bedeutet als „not according to the story“1279. Jedenfalls ist damit zu rechnen, daß wohl auch diese Schrift als eine „Quelle“ welcher Art auch immer für Lukian in Frage kommt, da sie wohl die Summe der hellenistischen Diskurse über Historiographie enthalten hat; darüberhinaus dürfte sie auch ein terminologisches Repertoir bereitgestellt haben, wie es – der Kommentar zeigt es allenthalben – bei Lukian klar in Erscheinung tritt, eine Überprägung eines frühhellenistischen theoretischen Substrates durch sekundäre attizistische Formgebung. Auch gab Kaikilios unter den Historikern Thukydides und Herodot den Vorzug, denn in seiner Schrift per‹ sxhmãtvn1280 illustriert er unterschiedliche Figuren mit Beispielen aus eben diesen beiden Klassikern1281. Leider ist über den engeren 1271 In die Fragmentsammlung Ofenlochs sind viele nicht direkt für Kaikilios bezeugte Texte aufgenommen. 1272 Ath. VI 272 = Ofenloch 2, Fr. 1. 1273 Ath. XI 466 a = Ofenloch 3, Fr. 2: in diesem wenig aussagekräftigen Fragment ist von §kp≈mata xrusç des Agathokles die Rede. 1274 Man vgl. die oben genannten Schriften des Theophrast und des Praxiphanes mit gleichem Titel. Es gibt keinen Grund, um mit Brzoska 1899, 1176 die Vollständigkeit des Titels in Zweifel zu ziehen. 1275 Suid. s. v. Kek€liow Adler III 83, Z. 5–11; klare Scheidung der in der Suda verzeichneten und der dort nicht aufgenommenen Schriften bei Brzoska 1899, bes. 1176. 1276 So Schmid 1904, 516 mit Anm. 1; vgl. bereits Roberts 1897, 304, Anm. 2. Brzoska 1899, 1184 nennt sie „eine Specialschrift über das Historische bei den Rednern“. 1277 So Roberts 1897, 304. 1278 Schriften von Grammatikern z. B. werden anders genannt; Apollonides, ı KhfeÊw, betreibt philologische Echtheitskritik an den Aratbriefen in einer Schrift mit dem Titel per‹ kateceusm°nhw flstor€aw (Martin 10, Z. 13–18); Apollonides, ı NikaeÊw, behandelt die Bedeutungsunterschiede verwandter Wörter in der Schrift per‹ kateceusm°nvn flstori«n (Nickau 67, Z. 9–15). Es handelt sich um zwei verschiedene Personen mit demselben Namen (Susemihl 1891, 109, Anm. 505 und 285, Anm. 4). 1279 Das Zitat stammt aus Bowersock 1994, 8–9, der in anderem Kontext die inhaltlich eindeutige Stelle aus Martial heranzieht (flstor€a bedeutet: „the story as it was known and told–the plot“). 1280 Ofenloch 32–62. 1281 Unter den Rednern rangiert Demosthenes klar an der ersten Stelle, unter den Dichtern nehmen eine führende Stelle Sophokles, Euripides und Eupolis ein.

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Bereich des Stilistischen hinaus nicht mehr erkennbar, wie Kaikilios Thukydides und Herodot in sachlicher und konzeptioneller Hinsicht bewertet hat. Eine Schrift per‹ flstor€aw1282 verfaßte auch der jedenfalls nicht vor dem 3. Jh. n. Chr. anzusetzende Tiberius, der in seiner erhaltenen Schrift per‹ t«n parå Dhmosy°nei sxhmãtvn1283 den Apsines durch Kaikilios, der seine sxÆmata durch dem Thukydides entnommene Beispiele belegt hatte, ergänzt. Dadurch kommt Tiberius zwar in der Quellenfrage kaum eine selbständige Bedeutung zu, er liefert jedoch Material, das zu einer Rekonstruktion des Kaikilios, jedenfalls zumindest partiell, herangezogen werden kann. Mit Tiberius endet die Reihe der bezeugten Schriften per‹ flstor€aw. I 3. 9 Dionysios von Halikarnaß und Lukian: Zwei miteinander unvereinbare Konzepte Zum Abschluß dieses Abschnittes ist es sinnvoll, nun noch das Geschichtskonzept des Dionysios von Halikarnaß genauer zu betrachten, da es wegen seiner grundlegenden Andersartigkeit des Zugangs zur Thematik besonders geeignet erscheint, gerade durch den Kontrast die spezifische Eigenart von Lukians Methodenschrift plastisch hervortreten zu lassen. Als Grundlage für die Untersuchung mag zunächst das in der epistula ad Pompeium 1284 vorliegende Exzerpt aus dem zweiten Buch der Schrift per‹ mimÆsevw dienen, und als Ergänzung und Modifizierung wird die einen reiferen Eindruck erweckende Thukydidesmonographie desselben Verfassers herangezogen. Die Darstellung folgt dabei der von Dionysios selbst vollzogenen Zweiteilung des Diskurses in die Stoffbehandlung (pragmatikÚw tÒpow) und die stilistische Ausgestaltung (lektikÚw tÒpow). Einleitend erklärt dieser, alle diejenigen, die Geschichtswerke verfaßten, müßten im ersten dieser beiden Bereiche fünf Aufgaben (¶rga) leisten, dann zählt er diese Leistungen im einzelnen auf und illustriert die jeweils richtigen und falschen Verfahren anhand einer Synkrisis des Herodot und des Thukydides. In den nachfolgenden Kapiteln werden Xenophon, Philistos und Theopompos nach denselben Kriterien besprochen und bewertet. Die erste und allernötigste Aufgabe, so erklärt Dionysios hier, sei die Wahl eines edlen und den künftigen Lesern wohlgefälligen Themas (ÍpÒyesin §kl°jasyai kalØn ka‹ kexarism°nhn to›w énagnvsom°noiw). Was er darunter versteht, das zeigt seine Kritik an Thukydides. Dieser habe sich ein für die Griechen glückloses Kapitel der Geschichte als Thema vorgenommen, einen Krieg, der besser gar nicht erst geschehen wäre oder der doch lieber dem Vergessen späterer Generationen überlassen worden wäre. Ausgerechnet dieses Thema habe Thukydides den Griechen vorgesetzt, die schon von Anfang an, gleich beim Lesen des Proömiums, eine instinktive Abneigung gegen das nun Folgende verspüren mußten. Richtig hätte es hingegen Herodot gemacht, und in seiner Nachfolge sein Nachahmer in dieser Hinsicht Xenophon, trefflich auch Theopompos, während Philistos sich ähnlicher Fehler wie Thukydides schuldig 1282 Suid. s. v. Tib°riow Adler IV 545, Z. 4–9 (dieses Schriftenverzeichnis nennt von Tiberius u. a. auch eine Schrift per‹ ÑHrodÒtou ka‹ Youkud€dou, die wohl synkritisch angelegt war). Solmsen 1936, 804 unterschlägt aus unklaren Gründen per‹ flstor€aw. 1283 Text: Spengel III 57–82. 1284 D. H. Pomp. 3 (die fünf ¶rga mit entsprechender Synkrisis von Herodot und Thukydides), 4 (Xenophon), 5 (Philistos) und 6 (Theopompos), Kommentar zu 3–6: Fornaro 1997, 162–266.

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gemacht habe. Bereits bei der ersten Aufgabe wird somit klar, welches Kriterium Dionysios ausschlaggebend erscheint, nämlich eine wohlwollende Einstellung des Historikers seinem Thema und seinen Lesern gegenüber. Als die zweite Aufgabe wird genannt, zu erkennen, von wo weg man sein Werk zu beginnen habe und bis wie weit man mit der Darstellung voranschreiten solle (gn«nai pÒyen te êrjasyai ka‹ m°xri toË proelye›n de›). Und auch in dieser Hinsicht sei wiederum Herodot richtig verfahren, indem er mit dem ersten Unrecht der Barbaren an den Griechen begonnen und indem er sein Werk zum Abschluß gebracht hätte mit Züchtigung und Bestrafung der Barbaren. Thukydides hingegen habe die Misere der Griechen zu seinem Ausgangspunkt genommen, und er habe just seiner Heimat die Schuld für den Krieg angelastet, wo er diese doch ganz vielen anderen Ursachen hätte anhängen können, namentlich den Spartanern. Sein Werk hätte er, so fährt der Kritiker sodann fort, beenden sollen mit der Rückkehr der Verbannten aus Phyle, demjenigen Moment also, von dem an die Stadt ihre Freiheit wieder errungen hätte. So hätte es eben ein echter Freund seiner Heimat, ein énØr filÒpoliw, ausgestattet mit reichlichem Wohlwollen, gemacht. Dabei habe der Verfasser doch zu den angesehensten Männern Athens gezählt und wäre von seiner Heimat dementsprechend auch ausgezeichnet worden. Xenophon hingegen sei auch in dieser Hinsicht richtig verfahren. Hier wird noch klarer, was Dionysios mit dieser Art der Kritik bezweckt. Bewertungskriterium ist auch hier, und noch deutlicher als beim ersten Punkt, der Patriotismus des Verfassers. Als die dritte Aufgabe folgt sodann die Betrachtung, welche Inhalte man darzustellen und welche man beiseite zu lassen habe (skope›n, t€na te de› paralabe›n §p‹ tØn grafØn prãgmata ka‹ t€na paralipe›n). Ziel sei es, die Darstellung abwechslungsreich zu gestalten, um so mittels narrativer Buntheit, des poik€lon, dem Leser die nötigen Ruhepausen zu gönnen. Während Herodot diesem Ziel voll und ganz gerecht würde, hetze Thukydides in seiner Darstellung atemlos von Schlacht zu Schlacht und erzeuge mit dieser überzogenen Intensität beim Rezipienten nur den Eindruck von Übersättigung. Richtig hätten es auch hier wiederum Xenophon und Theopompos gemacht. Als die vierte Aufgabe des Historikers wird bestimmt, den Stoff als ganzen zu gliedern und jede Einzelheit an dem zukommenden Platz anzuordnen (diel°syai te ka‹ tãjai t«n dhloum°nvn ßkaston §n ⁄ de› tÒpƒ). Durch die unangemessene Gliederung des Stoffes nach Sommern und Wintern habe Thukydides ständig die Ereigniszusammenhänge zerrissen und unfertig abgebrochen, bloß um zu neuen, synchron verlaufenden Ereignissen überzugehen, und so seien aus dem an sich abgeschlossenen Darstellungsobjekt viele unorganische Einzelteile entstanden (pollå poi∞sai m°rh tÚ ©n s«ma). Logische Folge davon wäre, daß die Darstellung unklar, verwirrend und für den Leser nur schwer nachvollziehbar geraten sei. Herodot, der sich von thematischen Rücksichten habe leiten lassen, habe hingegen den Gang der Erzählung nicht zerstückelt. Trotz der großen zeitlichen und räumlichen Erstreckung der von ihm behandelten Themen habe er ein einziges organisches Gesamtgefüge (sÊmfvnon ©n s«ma) geschaffen. Auch in dieser Hinsicht hätten Xenophon und Theopompos es gegenüber Thukydides ebenfalls richtig gemacht.

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Fünfte Aufgabe ist die Einstellung (diãyesiw) des Historikers gegenüber den von ihm dargestellten Gegenständen. Während Herodot eine anständige Gesinnung zeige, sei die des Thukydides harsch, weil er auf seine Heimat wegen der erlittenen Verbannung erbittert gewesen sei. Auch Xenophons Ethos wird hervorgehoben und Theopompos wird gegen den häufig gegen ihn erhobenen Vorwurf der Schmähsucht1285 verteidigt. Philistos jedoch erfährt rigorosen Tadel für seine schmeichlerische, tyrannenfreundliche und niedrige Gesinnungsart. Und wiederum ist es die aufrechte patriotische Einstellung, die hier das Lob des Dionysios findet. In der Thukydidesmonographie1286 modifiziert Dionysios sein Urteil über Thukydides. Nunmehr ist er bereit, diesem Anerkennung zu spenden für seine kritische Forschungsmethode, seine Stoffwahl und historiographische Ernsthaftigkeit; auch das unbestechliche Ethos des Historikers findet nun sein ungeteiltes Lob. Auch fehlt jetzt eine eigene Rubrik zur Einstellung des Historikers. Sodann nimmt er eine leicht modifizierte Einteilung der Aufgabenbereiche vor, indem er die Stoffökonomie (tÚ ofikonomikÒn), wie er sie hier nennt, in dia€resiw, tãjiw und §jergas€ai1287 unterteilt und die einzelnen Punkte nacheinander diskutiert. Dabei entspricht die tãjiw etwa dem zweiten ¶rgon, und die §jergas€ai korrespondieren annähernd dem dritten ¶rgon aus der Schrift per‹ mimÆsevw. Die kritischen Ansichten des Dionysios zur thukydideischen Stoffökonomie blieben im übrigen schon in der Antike nicht unbeanstandet, denn in einem Thukydideskommentar aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. ist die Replik eines nicht identifizierbaren Autors erhalten, der in dem noch lesbaren Text wohldurchdachte Kritik an den Ansichten des Dionysios zu dia€resiw und tãjiw übt1288. Viel unkomplizierter und gleichwohl doch zielführender stellt sich die Sache für Lukian dar. An die Stoffwahl verschwendet er keinen Gedanken, setzt er diesen doch als gegeben voraus1289. Und weil für Lukian keinerlei Vorgaben für das Endergebnis existieren, da der Historiker sein abgeschlossen vorliegendes Objekt einfach nur deckungsgleich mit der faktischen Wirklichkeit darzustellen habe, so entfällt auch die Frage, wo das Werk zu beginnen und wo ein Endpunkt zu setzen sei, weg. Die Vorschrift, durch inhaltliche variatio den Leser zu entlasten, spielt auch keine Rolle, da Lukian als einzigen Zweck der Geschichtsschreibung den aus der Wahrheit erwachsenden Nutzwert bestimmt. Was aber von größter Wichtigkeit für Lukian ist, das ist das Ethos des Historikers, nur daß dieses, ganz im Unterschied zu Dionysios, nicht durch den Patriotismus gekennzeichnet sein soll, sondern im Gegenteil gerade durch das Freisein von patriotischer Tendenz1290. Das einzige, was Lukian mit Dionysios verbindet, ist der Stellenwert, den beide der freilich ganz konventionellen Frage nach der Disposition des Ganzen und der anzuwendenden stofflichen Ökonomie einräumen. Doch auch hier wieder lautet Lukians 1285 Vgl. dazu die Belege im Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 59. 1286 D. H. Th. 6–8. 1287 D. H. Th. 9 (dia€resiw), 10–12 (tãjiw), 13–20 (§jergas€ai). Der pragmatikÚw tÒpow umfaßt somit die Kapitel 6–20 (dazu Bonner 1939, 84–86, Kommentar: Pritchett 1975, 57–73). Der Bereich des ofikonomikÒn (9–20) gilt nicht spezifisch für die Geschichtsschreibung alleine, sondern hat für alle Arten von Schriften, philosophische und rhetorische gleichermaßen, Gültigkeit. 1288 Grenfell / Hunt, POxy. VI, Nr. 853, Col. I 7–IV 1 = 111–113 (über Autor und Zeit), 114–118 (Text), 137–139 (Übersetzung und Kommentar). 1289 Luk. Hist. Conscr. bes 51 (... p°praktai går ≥dh: de› d¢ tãjai ka‹ efipe›n aÈtã). 1290 Vgl. dazu Luk. Hist. Conscr. bes. 38–41 und die Einleitung, Teil II 3.

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Antwort gänzlich anders, postuliert er doch ausgerechnet das von Dionysios abgelehnte synchronistische Verfahren des Thukydides als das anzupeilende Ziel1291. Lukian gebraucht nicht einmal den von Dionysios1292 in beiden Schriften verwendeten Begriff der dia€resiw. Stattdessen hält er sich an den aristotelischen Begriff der tãjiw1293, um ganz allgemein die Anordnung der Teile der Rede zu bezeichnen1294, während Dionysios1295 denselben Begriff in ganz spezifischem und bedeutend engerem Sinne gebraucht. Lediglich den Begriff der ofikonom€a (im Verbum ofikonomÆsasyai1296) verwendet er ähnlich wie Dionysios (tÚ ofikonomikÒn)1297, doch nur ein einziges Mal und an herausgehobener Stelle. Zudem ist der Begriff in der Literaturkritik als bekannter terminus technicus gebraucht, zuerst bei Aristoteles1298, sodann bei Ps. Longinos1299 und Plutarch1300. Überall bezeichnet er geradezu synonym mit tãjiw die stoffliche Gesamtorganisation. Es ist somit zu konstatieren, daß beide Autoren in ihren Vorstellungen und Postulaten zur stofflichen Darbietung nichts miteinander gemein haben, nicht mal den übergeordneten Begriff pragmatikÚw tÒpow (im Gegensatz zum lektikÚw tÒpow), den Lukian, welcher – mit verhältnismäßig geringer Neigung zur Verwendung eines terminologischen Begriffsinstrumentariums – ganz anschaulich und plastisch der Sprache (fvnÆ) die Denkungsart (gn≈mh) des Historikers gegenüberstellt1301, nicht gebraucht. Nun ist noch der zweite von Dionysios genannte Bereich, der Stil (lektikÚw tÒpow), zu betrachten. Im Exzerpt aus der Schrift per‹ mimÆsevw1302 sind im letzten Teil des langen dritten Kapitels die Stilqualitäten (éreta€) angeführt, anschließend folgt wiederum eine Synkrisis des herodoteischen und des thukydideischen Stils. Als die unbedingt notwendigen stilistischen Tugenden werden hier drei genannt. Grundlegend und Voraussetzung für die Wirksamkeit der anderen éreta€, so erklärt der Verfasser, sei das Vorhandensein eines reinen griechischen Idioms (≤ kayarå to›w ÙnÒmasi ka‹ tÚn ÑEllhnikÚn xarakt∞ra s–zousa diãlektow). In dieser Hinsicht seien beide Historiker perfekt. Als beste Norm (êristow kan≈n) für den ionischen Dialekt könne Herodot gelten, und entsprechend Thukydides als Vorbild für den attischen Dialekt. Die zweite Stilqualität ist in der nun folgenden Textlücke ausgefallen, aber aus textinternen und textexternen Indizien kann verläßlich geschlossen werden, daß die auch sonst immer in griechischer Literaturtheorie an zentraler Stelle geforderte Klarheit (safÆneia) genannt wurde. Dann folgt als 1291 Vgl. zu den unterschiedlichen Positionen den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 50: ımoxrone€tv. 1292 D. H. Pomp. 3 (diel°syai) und Th. 9 (dia€resiw). 1293 Arist. Rh. III 1, 1403 b 8 (tr€ton d¢ p«w xrØ tãjai tå m°rh toË lÒgou), vgl. III 12, 1414 a 30. 1294 Luk. Hist. Conscr. 48 (tãjin) und 51 (tãjai). Vgl. dazu Weissenberger 1996, 108–112, der in der Frage der Taxis fast ausschließlich Stellen aus der Methodenschrift heranzieht und heranziehen kann, weil Lukian dieses Thema sonst nirgendwo behandelt. Abschließend kommt Weissenberger zum sicherlich zutreffenden Ergebnis, daß Lukian einen pragmatischen, undogmatischen Zugang zum Thema zeigt. Damit unterscheidet er sich wohltuend von anderen, viel rigoroser verfahrenden Autoren in der Zeit der zweiten Sophistik. 1295 D. H. Th. 10–12. 1296 Luk. Hist. Conscr. 51 (§w d°on ofikonomÆsasyai tØn Ïlhn). 1297 D. H. Th. 9. 1298 Arist. Po. 13, 1453 a 29. 1299 Longin. 1, 4 (tØn t«n pragmãtvn tãjin ka‹ ofikonom€an). 1300 Plu Coniugalia praecepta 29, 142 b, Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 4, 347 e–f. 1301 Luk. Hist. Conscr. bes. 43–44. 1302 D. H. Pomp. 3–6.

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dritte Tugend die Kürze (suntom€a). Hier ist es erstmals Thukydides, der den Vorzug verdiene. Zwar wird als leichte Einschränkung der Umstand namhaft gemacht, daß Knappheit nur dann als angenehm empfunden würde, wenn sie gemeinsam mit der Klarheit (metå toË safoËw) auftrete, doch aufs ganze gesehen bleibt das für Thukydides vorteilhafte Urteil des Dionysios aufrecht1303. Der explizite Hinweis auf das saf°w ergibt im übrigen nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn zuvor in der Textlücke die safÆneia an zweiter Stelle Behandlung gefunden hatte. Es folgen, ohne daß zuvor der Begriff der éreta‹ énagka›ai explizit genannt worden wäre, die akzessorischen, d. h. die nicht absolut nötigen Tugenden (§p€yetoi éreta€), und allen voran die Anschaulichkeit (§nãrgeia), sodann mimetische, d. h. realistische Darstellung von Charakteren und Emotionen (±y«n te ka‹ pay«n m€mhsiw), Bedeutsamkeit und Impressivität (tÚ m°ga ka‹ yaumastÒn), dynamische Stilqualitäten wie Kraft (fisxÊw), Intensität (tÒnow) sowie ähnliches, Bewirkung von Lust (≤donÆ), Überzeugung (peiy≈) und Lesegenuß (t°rciw); die bedeutendste Tugend sei die Angemessenheit (tÚ pr°pon). Daß Dionysios darunter so etwas wie die Variabilität in der Präsentation versteht, läßt sich daraus ersehen, daß er Thukydides für seine durchgehende Gleichförmigkeit (ımoeidØw går otow §n pçsi) kritisiert. Nachdem die Synkrisis eine ungefähre Gleichrangigkeit der beiden in ihrer Art ganz unterschiedlichen Historiker zu Tage gefördert hatte, stellt Dionysios abschließend fest, er scheue sich nicht, beider Geschichtswerke als gelungene Dichtungen (kala‹ poiÆseiw) zu bezeichnen. Im Anschluß daran1304 werden Xenophon, Philistos und Theopompos auch in ihren stilistischen Leistungen beurteilt, ohne daß Dionysios sich dabei im einzelnen exakt an die zuvor angegebenen Parameter hielte. Doch läßt sich immerhin erkennen, daß die Sprachreinheit und Klarheit auch bei Xenophon und Theopompos als vorhanden diagnostiziert werden. Was die Kürze betrifft, so nähme, wie schon gesagt, Thukydides die erste Stelle ein, dann folge Herodot, während bei Xenophon in dieser Hinsicht Defizite spürbar seien (makrÒterow går g€netai toË d°ontow §n pollo›w). Auch hinsichtlich der Angemessenheit, des pr°pon, zeige er Mängel (ka‹ toË pr°pontow oÈx …w ÑHrÒdotow §fãptetai t«n pros≈pvn eÈtux«w). In der Thukydidesmonographie1305 ist dieses Thema mit einem etwas veränderten Zugang erneut behandelt. Dionysios erklärt hier, jegliche l°jiw sei in zwei Bereiche unterteilt, in die Wortwahl (§klogØ t«n Ùnomãtvn) und in die Kombination (sÊnyesiw) der kleineren und größeren Elemente. Erstere werde weiter gegliedert in den eigentlichen Ausdruck (kur€a frãsiw) und den metaphorischen (tropikØ frãsiw), zweitere in die Kommata (kÒmmata), Kola (k«la) und Perioden (per€odoi). Gemeinsam sei beiden das Potential zur Bildung von Figuren (sxÆmata). Andernorts1306 gibt Dionysios, nebenbei vermerkt, als Quelle für diese Dreiteilung in §klogÆ, èrmon€a (gleichbedeutend mit der sÊnyesiw) und sxÆmata explizit Theophrast an. Und was die Stilqualitäten betrifft, so seien die notwendigen, d. h. also diejenigen, welche in allen Redeformen vorhanden sein müßten, als die éreta‹ énagka›ai von den akzessorischen, den éreta‹ §p€yetoi, die ihre Wirkung nur auf Grundlage der ersteren zu entfalten vermöchten, zu unterscheiden. 1303 D. H. Th. 24 gibt präzise die Gründe an, welche dafür verantwortlich seien, daß Knappheit (tÚ braxÊ) bei Thukydides immer wieder mal in Unklarheit (ésaf°w) ausarte. 1304 D. H. Pomp. 4–6. 1305 D. H. Th. 22–24, bes. 22. 1306 D. H. Isoc. 3.

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Danach folgt ein literarhistorischer Überblick über den Stil der frühen Logographen und ein sich aus diesem unmittelbar ableitender Vergleich des auf unterschiedliche Weise reicheren Stils des Herodot und des Thukydides1307. Und in diesem Kontext bietet Dionysios einen weiteren Katalog von §p€yetoi éreta€ 1308, der sich von demjenigen aus der Schrift per‹ mimÆsevw zum Teil inhaltlich, zum Teil in der Wahl der Terminologie unterscheidet, nach dem vom Verfasser gerne angewandten Verfahren, seinen kritischen Zugang immer wieder mal zu variieren. In diesem Zusammenhang erfahren wir, daß es gerade die akzessorischen Qualitäten seien, aus denen die Fähigkeit des Redners am meisten sich entfalte (§j œn mãlista diãdhlow ≤ toË =Ætorow g€netai dÊnamiw). Das historiographische Stilideal des Dionysios scheint Herodot zu sein. Dieser repräsentiert für ihn die im übrigen von Xenophon nicht erreichte ideale Form historischer Darstellung (tÚ legÒmenon fid€vw plãsma flstorikÒn1309), wegen deren Gehobenheit (Ïcow), Schönheit (kãllow) und Pracht (megalopr°peia). Herodot hätte es geschafft, die Diktion der Prosa der wirkkräftigsten Dichtung anzugleichen (pareskeÊase tª krat€st˙ poiÆsei tØn pezØn frãsin ımo€an gen°syai), und er habe dieses Ziel erreicht durch die Überzeugungskraft (peiy≈) seiner Darstellung, verschiedene Erscheinungsformen von Anmut (xãritew) und durch Gefälligkeit (≤donÆ) in höchstem Maße1310. Ansonsten erblickt Dionysios1311, ganz konventionell, im breiten, in die Länge gezogenen oder im gemächlich dahinströmenden Fluß der Rede den charakteristischen, durchaus anerkennenswerten Stil historiographischer Darstellung. Wie nähert sich Lukian dem Thema des Stils? Bei diesem Vergleich ist zunächst zu berücksichtigen, daß die von den beiden Autoren verfolgte Zielsetzung eine ganz unterschiedliche ist. Dionysios betreibt klassizistische literarästhetische Kritik, er beurteilt Geschichtswerke jeder Art (nicht nur Zeitgeschichte wie Lukian) unter Einschluß von Monographien mit im weitesten Sinn historischer Themenstellung1312 nach den von ihm selbst auf der Grundlage hellenistischer rhetorischer Diskurse konstituierten Parametern. Zwar spielt auch bei ihm der Gesichtspunkt literarischer Nachahmung und Nachahmbarkeit (m€mhsiw) eine Rolle1313, doch denkt er dabei weniger oder überhaupt nicht an zukünftige Geschichtsschreiber als sein Zielpublikum, als vielmehr an die vielfältige Verwertbarkeit von solcherart gewonnenen Paradigmen für politische Rhetorik1314. Lukians Schrift hingegen gibt sich als einen praktischen Ratgeber für Historiker aktueller Kriegsgeschichte1315. Zwar ist bei ihm die klassische 1307 D. H. Th. 23–24. 1308 D. H. Th. 23. 1309 D. H. Pomp. 4. 1310 D. H. Th. 23. 1311 D. H. Dem. 18 (explizit) und 20 (implizit), Pomp. 6 (vom Stil des Theopompos, der zwar im allgemeinen dem des Isokrates gleiche, doch auch von dessen Überzogenheiten nicht ganz frei sei). 1312 So zieht er in Pomp. 4 Xenophons Kyrupädie und Anabasis heran, ohne jedoch den gattungsmäßigen Unterschied dieser beiden Schriften zu den Hellenika desselben Verfassers zu berücksichtigen. 1313 D. H. Pomp. 3 (êndraw efiw m€mhsin §pithdeiotãtouw). 1314 D. H. Pomp. 6 (Schlußsatz): es geht um die Einsetzbarkeit im politikÚw lÒgow als parade€gmata. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Dionysios, wie Sacks 1983, bes. 82 in einem anregenden Artikel glaubt, die epistula ad Pompeium schrieb, „to establish for the reader guidelines for the writing of history“, desgleichen, daß er das 12. Buch des Polybios gelesen hat (72–74). Das literarische Umfeld für Dionysios ist von Sacks jedoch gut dargestellt (77–79). 1315 Luk. Hist. Conscr. 5 (e‡ pote pÒlemow êllow susta€h, µ Kelto›w prÚw G°taw µ ÉIndo›w prÚw Baktr€ouw).

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Historikertrias (Herodot, Thukydides und Xenophon) stets als Bezugsgröße präsent, doch wird keiner dieser drei Klassiker je, noch auch sonst ein anderer Historiker als Vorbild für die stilistische Gestaltung empfohlen1316. Bei Thukydides ist dieser Umstand umso auffälliger, als er am Häufigsten genannt und zitiert wird, aber eben nur als Muster für historiographischen Anspruch und Methode, für entsprechendes Ethos und für Stärken im narrativen Bereich1317. Auch für Gestaltung von Reden wird Thukydides von Lukian nicht als Vorbild empfohlen1318. Überhaupt präsentiert sich Lukian in den wenigen Kapiteln, die sich im engeren Sinne mit dem Gesamtbereich des Stils befassen1319, als durchaus großzügig, denn die von ihm erteilten Postulate betreffen bloß die allerwichtigsten Erfordernisse, während im Detail ein recht großer Spielraum für individuelle Gestaltung offen gelassen wird. Und dem entspricht es auch, daß der Tadel im zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) nur die elementarsten Verstöße gegen die fundamentalen Prinzipien betrifft. Von der Sprache wird im allgemeinen lediglich die Klarheit (safÆneia)1320 gefordert; diese habe für eine Allgemeinverständlichkeit zu sorgen. Dieses Postulat folgt offensichtlich der aristotelischen und überhaupt der peripatetischen Stiltheorie1321, und dasselbe trifft auch auf die Forderung zu, eine Mittellage einzuhalten; und dieses Prinzip der Mitte gilt gleichfalls für Figuren (sxÆmata) und die Wortfügung (sunyÆkh)1322. An den Kapiteln zum Stil ist im übrigen gar nichts, was sich mit Polybios vergleichen ließe; über diese für die Quellenfrage wichtige Beobachtung ist bereits zuvor das Nötige gesagt worden1323. Als Autor der zweiten Sophistik postuliert Lukian, daß die Sprache im Geschichtswerk nicht nur für jedermann verständlich sein solle, sondern auch die Billigung der Gebildeten, der pepaideum°noi, finden müsse1324. Eine Unterscheidung des Zielpublikums in den Laien (fidi≈thw) und den Fachmann (texn€thw) nimmt im übrigen auch Dionysios vor1325. Und diesen Minimalanforderungen Lukians entspricht eine Reduktion der von Dionysios verhältnismäßig reichlich verwendeten rhetorischen Fachterminologie auf das absolut nötige Maß. Zumal auf die von Dionysios im Detail aufgezählten und als Parameter zur literarischen Beurteilung zugrundegelegten Stilqualitäten kann Lukian daher verzichten. Das einzige, was er allerdings schon fordert, ist eine Anhebung der Sprache in gewissen besonderen Momenten, nämlich an

1316 Luk. Hist. Conscr. 57 ist stoffökonomisch zu verstehen, 54 zielt auf die Proömiumsgestaltung, und 23 gilt, wie es scheint, nicht für die Gattung der Geschichtsschreibung alleine. Eine ernste Fehleinschätzung ist es, zumindest soweit es Lukian betrifft, wenn Avenarius 1956, 28 im Kontext stilistischer Gestaltung sagt: „Erst im Zeitalter des Attizismus verschiebt sich das Gewicht immer mehr auf das klassische Dreigestirn Herodot, Thukydides und Xenophon, die hinsichtlich ihres Ausdrucks nun als die nachahmenswerten Vorbilder erscheinen. Auch Lukian teilt diese Ansicht“. 1317 Luk. Hist. Conscr. 5, 42 und 38–39 (Anspruch, Methode, Ethos), 54 (narrativ: Proömium), 57 (narrativ: tãxow in der Ekphrasis ). 1318 Luk. Hist. Conscr. 58. 1319 Luk. Hist. Conscr. 43–46. 1320 Luk. Hist. Conscr. 43 (≤ l°jiw d¢ safØw ka‹ politikÆ, o·a §pishmÒtata dhloËn tÚ Ípoke€menon) und 44 (saf«w dhl«sai ka‹ fanÒtata §mfan€sai tÚ prçgma). 1321 Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 43–46. 1322 Luk. Hist. Conscr. 44 (sxÆmasi ... énepaxy°si), 46 (sunyÆk˙ ... eÈkrãtƒ ka‹ m°s˙ xrhst°on). 1323 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 6. 1324 Luk. Hist. Conscr. 44 (…w ... toÁw pepaideum°nouw ... §pain°sai). 1325 D. H. Th. 27.

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den Höhepunkten der Darstellung, bei Aufmärschen, Schlachten und Seeschlachten1326. Für dieses Verfahren liegen in antiker Stilkritik1327 im übrigen durchaus auch Parallelen, wie es scheint, peripatetischer Provenienz vor. Ansonsten jedoch empfiehlt Lukian dem Historiker, bei dem Abfassen seines Werkes sich in ruhiger, entspannter Verfassung zu befinden1328; dieser gelassenen psychischen Disposition habe auch der Stil der narratio (diÆghsiw) auf weiteste Strecken hin zu entsprechen1329. Dionysios hingegen setzt seine Ansprüche höher an. Mit den akzessorischen Tugenden verbindet er das Ziel generellen rhetorischen Ausdrucks1330, den Lukian einzig für die eingelegten Redepartien gelten läßt1331. Auch sprengt Dionysios die von Lukian in peripatetischer Weise klar vollzogenen Abgrenzungen der literarischen Gattungen voneinander1332, indem er, wie er explizit erklärt, sich keineswegs scheut, die Geschichtsschreibung des Herodot und die des Thukydides als Dichtungen (poiÆseiw) zu bezeichnen1333. In einem aus literarhistorischer Sicht nicht unwesentlichen Detail unterscheiden sich die beiden Kritiker auch voneinander. Während Dionysios die bekanntlich erst durch Diogenes von Babylon etablierte Kürze (suntom€a) als die dritte der unbedingt notwendigen Tugenden in ihrem engeren stilistischen Rahmen beläßt1334, erscheint diese bei Lukian als narrative Tugend in der Form des durch Homer und Thukydides mustergültig repräsentierten Erzähltempos (tãxow)1335. In all den Bereichen, in denen Dionysios und Lukian Gemeinsamkeiten aufweisen, ist der Grund darin zu sehen, daß beide Kritiker gerade im Bereich des Stils auf hellenistische Diskurse zurückgreifen konnten, die sich, ausgehend von Aristoteles und Theophrast, insbesondere um die Stiltheorie, namentlich um die jeweils unterschiedliche Konstituierung von Stilqualitäten bemüht hatten. Trotz aller Unterschiede im einzelnen war bei den Späteren doch der gemeinsame Ursprung namentlich aus der Stillehre des Peripatos stets wirksam.

1326 1327 1328 1329 1330 1331 1332 1333 1334 1335

Luk. Hist. Conscr. 45. Belege im Komm. zu Luk. Hist. Conscr. 45: ≤ m¢n gn≈mh koinvne€tv ktl. Luk. Hist. Conscr. 43 (efirhnik≈teron diake€menow). Luk. Hist. Conscr. 55. D. H. TH. 23 (die §p€yetoi éreta€ bringen die dÊnamiw des Redners zur Entfaltung). Luk. Hist. Conscr. 58 (einzig in den Reden sei es erlaubt, §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Luk. Hist. Conscr. bes. 7–8 (Abgrenzung der flstor€a von §gk≈mion und poihtikÆ). D. H. Pomp. 3, vgl. Th. 23 über Herodots Werk. D. H. Pomp. 3. Luk. Hist. Conscr. 56 und bes. 57.

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I 4 Die Namensproblematik in den literarkritischen Schriften Lukians I 4. 1 Die kritisierten Historiker – Fiktion oder Realität? In diesem Abschnitt geht es um die Frage, ob die im skommatisch-lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) verspotteten Autoren und Werke als real zu betrachten sind oder als fiktionale Konstrukte Lukians. Nachdem frühere Generationen von Philologen und Historikern immer selbstverständlich und ohne jeden Zweifel von der Realität der Verfasser und Werke ausgegangen waren1336, wurde etwa seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine erfrischende Wende in die andere Richtung hin vollzogen. Diese Wende ist verknüpft mit den Namen Wirth, Homeyer, Macleod, Anderson, Schmitt und Strobel. Im Folgenden werden die Positionen dieser Forscher nach sechs wesentlichen Gesichtspunkten hin vorgestellt und geprüft, und dabei wird sich als Resultat wieder eine leichte Kurskorrektur als Notwendigkeit ergeben. Denn, wie es scheint, wurde nach nun bald zwei Generationen die eine scheinbare Sicherheit durch eine andere ebenso festzustehen scheinende Gewißheit ersetzt. Zur Zeit besagt die communis opinio, Lukian habe all diese Autoren oder doch die Mehrheit von ihnen als synthetische Figuren konstruiert und deren Werke mehr oder weniger frei erfunden. Niemand drückt diese Ansicht kompromißloser aus als Wirth1337: „Es scheint, diese Männer hat es nie gegeben“. Andere Interpreten differenzieren stärker und gelangen dabei zu nicht ganz gleichen, aber einander im Ansatz sehr ähnlichen Ansichten. Bei genauer Prüfung zeigt sich jedoch, daß dabei gewisse nicht unumstößliche Vorannahmen getroffen wurden und werden, um deren Sichtbarmachung es im Folgenden gehen wird. Das erste zu behandelnde Argument lautet: „Daß ein bedeutendes Ereignis die Historiographie sofort in der Weise belebte, wie er es beschreibt, ist für die Antike kaum nachweisbar, sieht man etwa vom Alexanderzug ab, aber auch hier verteilen sich die zeitgenössischen Autoren auf den Zeitraum eines Menschenalters nach Alexanders Tod“1338. Tatsächlich läßt sich eine dermaßen große Flut an zeitgeschichtlichen Darstellungen zu ein und demselben Ereignis bis dahin nicht nachweisen, worauf Lukian den Autor auch pointiert hinweisen läßt1339. Wirths Vergleich mit den primären Alexanderhistorikern kann jedoch kaum durchgeführt werden, da die Rahmenbedingungen jeweils ganz unterschiedliche sind. Die Alexanderhistoriker der ersten Generation waren großteils Männer, die am Alexanderzug selbst aktiv und in führenden Positionen teilgenommen hatten und aus persönlicher Begeisterung über die errungenen Leistungen ihre Werke verfaßten1340, auch wenn spätere Zeiten so manchen von ihnen ihr Engagement als ein Zeichen panegyrischer Zielsetzung auslegten1341. Bei den 1336 Literatur zur früheren Ansicht bei Homeyer 1965, 20, Anm. 23 und Strobel 1994, 1335, Anm. 143. 1337 Wirth 1964, 235. Dem am nächsten kommt Schmitt 1984, bes. 451, der all diese Autoren für frei erfunden hält. Zimmermann 1999 a 19 ist repräsentativ für die (häufig geäußerte) skeptische Haltung in der Frage der Realität dieser Autoren. 1338 Wirth 1964, 235. 1339 Luk. Hist. Conscr. 2 (Heraklitzitat vom Krieg als dem Vater von allem). 1340 Überblick bei Seibert 19903, 11–23. 1341 Vgl. dazu die zwei Anekdoten bei Luk. Hist. Conscr. 12 (Aristobulos und Alexander) und 40 (Onesikritos

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Partherkriegshistorikern hingegen handelt es sich um Personen, die den von den Römern erfolgreich geführten Krieg gewissermaßen von außen her allesamt während seines Verlaufes ungefährdet1342 beschrieben, und dies zu Lebzeiten des Lucius Verus, der, wie der Briefwechsel mit Marcus Cornelius Fronto1343 zeigt, ein starkes Interesse an panegyrischer Darstellung seiner tatsächlich wenig bedeutenden persönlichen Leistungen bekundete. Kein Wunder also, daß unter solchen Bedingungen Männer in größerer Zahl ihre Chance wittern mußten, durch opportunistische Darstellungen ihren persönlichen Status zu verbessern und wohl auch durch Zuwendungen zu materiellen oder sonstigen Vorteilen zu gelangen. Zugleich aber ist der Boden, auf dem diese Art von Schriftstellerei entsteht, die zweite Sophistik mit ihren auch sonst gut bekannten Neigungen zur Selbstdarstellung, archaistischen Tendenzen, theatralischen Inszenierungen und den unglaublichsten Eitelkeiten jeder Art, wie sie durch Philostrats Sophistenbiographien und andere Quellen – darunter vor allem auch durch Lukian selbst – reichlich dokumentiert sind. Was Lukian hier also beschreibt, ist ein ganz spezifisches Zeitphänomen der besonderen Art, und es ist daher kaum sinnvoll, nach Parallelen im literarischen Betrieb anderer Zeiten zu suchen. Auch muß man sich vor Augen halten, daß keiner der verspotteten Autoren auch nur die geringste Spur in den Quellen hinterlassen hat, was nicht unbedingt die Irrealität, sondern eher die Minderwertigkeit dieser Produktion deutlich zeigen mag. Denn wäre Lukians Schrift nicht erhalten, so wäre das gesamte Phänomen mit einem Schlage für uns heute ausgelöscht1344. Und so betrachtet ist Lukians Schrift also ein Dokument für eine gleichermaßen breitenwirksame wie vom Gehalt her unbedeutende und geradezu lächerliche literarische Mode. Wenn daher Wirth meint, die Schnelligkeit, mit der diese Literaten produzierten, sei ohne Parallele1345, so läßt sich dagegen der Umstand anführen, daß all diese Autoren schnell produzieren mußten, wollten sie sich nicht selbst um die Früchte ihrer auf kurze Sicht berechneten Bemühungen bringen. Ein weiterer Umstand verdient Beachtung: Lukian berichtet im allgemeinen, wie von Beginn an angekündigt1346, über Lesungen aus Werken, und nur in einem einzigen Fall sagt er explizit, daß er ein Werk gelesen habe1347. Er hatte also nur wenig Aufwand zu treiben, um sich ein Urteil zu bilden1348, brauchte er doch bloß eine Reihe von Lesungen zu besuchen – es liegt kein Grund vor, deren Existenz zu bezweifeln1349 – um sofort und Alexander) sowie die entsprechenden Kommentare dazu. 1342 Das bedeutet nicht, daß sie ihre eigene Beteiligung nicht (wahrheitswidrig) herausstreichen konnten, so wie der in Kap. 29 verspottete korinthische Anonymus (Gefahren und angebliche Verwundung bei Sura). 1343 Vgl. dazu bes. die Einleitung, Teil I 1. 4. Vgl. die richtige Einschätzung von Strobel 1994, 1338. 1344 Von Möllendorff 2001, 118 konzediert gewiß zu Recht u. a. auch diese Möglichkeit: „It cannot, of course, be ruled out that Lucian is referring here to ephemeral works of such inferior quality that none of them saw the ancient light of day for very long“. 1345 Auch Anderson 1994, 1434 unterschätzt wohl die Geschwindigkeit, mit der produziert werden konnte. 1346 Luk. Hist. Conscr. 14. 1347 Luk. Hist. Conscr. 32 (én°gnvn gãr). 1348 Dies ist vernachlässigt von Wirth 1964, 234–235, der die Frage stellt: „Woher will Lukian von dem durch die Ereignisse in bestimmten Kreisen geweckten Betätigungstrieb wissen? Und wenn, woher hat er dann die Zeit genommen, die einzelnen Autoren auf ihre Eigenheiten zu prüfen?“. Lukian, der in dieser Zeit häufig auf Reisen war, brauchte bloß bei einigen Lesungen anwesend zu sein, um sich schon vor Ort ein Urteil über die Qualität der vorgelesenen Werke zu bilden, stößt er sich doch immer nur an den gravierendsten Mängeln, die für ihn leicht zu entdecken gewesen sein mußten. 1349 Luk. Hist. Conscr. 14 hätte nicht von Lesungen an verschiedenen Orten in Ionien und Achaia sprechen

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vor Ort eine Bewertung der jeweiligen Darbietungen vornehmen zu können. Das zweite Argument beruft sich darauf, daß die geringen literarischen Qualitäten der verspotteten Historiker deren Irrealität nahelegten: „Indeed many facets of the ‚historians’ seem too good, or rather too bad, to be true“. Und daraus wird weiter gefolgert, daß die Fehlertypen zwar real seien, die Individuen hingegen synthetische, fiktive Figuren: „... so that I believe the types of faults to be real, but most of the men possessing them to be composite, fictitious figures with shortcomings ludicrously exaggerated for comic purposes“1350. In diesem Sinne behandelt Strobel1351 die nicht mit Namen genannten Autoren als „parodistische Typisierungen von vitia“. Sind die verspotteten Werke zu schlecht, um wahr zu sein?1352 Teilweise wurde dieses Argument bereits beantwortet durch den Hinweis, daß es sich um eine Massenproduktion handelt, wie sie in der Zeit der zweiten Sophistik gerade Hochkonjunktur hatte1353. Unter dieser Prämisse liegt gar kein Anlaß vor, selbst die abstrusesten unter den vorgestellten Werken prinzipiell in ihrer Realität in Frage zu stellen, ist doch anzunehmen, daß die Autoren das schrieben, wovon sie glaubten, daß es bei einem dafür aufnahmebereiten Publikum Anklang finden würde. Es liegt somit kein Grund vor, moderne Bewertungskriterien von „gut“ und „schlecht“ anzuwenden, um dann in einem weiteren Schritt das solcherart als schlecht befundene als irreal auszusondern. Vielmehr ist es sinnvoll, die Sache auf einer anderen Ebene abzuhandeln, nämlich dem Verhältnis von Autorintention und dem Anspruchsniveau des Durchschnittspublikums. Und so betrachtet, erweist sich, daß der Betrieb wohl so funktionieren mochte, daß eine Balance vorhanden war zwischen Angebot und Nachfrage, und ein Autor von Lukians ohnedies nicht überzogenen Anforderungen – seine Kritik richtet sich ja stets nur gegen die allergröbsten Mängel – war dazu geneigt, das Niveau dieser Art von Interaktion in Frage zu stellen. Unter diesen Voraussetzungen hatte Lukian also individuelle Mängel in reicher Zahl zur Verfügung. Diese brauchte er nur darzustellen1354, um sodann das Typische daran sichtbar zu machen, was er auch mehrmals explizit tut. Und dies war auch nötig, denn nur so konnte das auf der Ebene von Autor und Autor-Ich intendierte Ziel des praktischen Nutzeffektes erreicht werden. Warum sollte Lukian also fiktive synthetische Figuren erschaffen, die ja doch nichts weiter leisten, als daß sie hinsichtlich ihrer Realität Mißtrauen erwecken und somit nur die Autorität

können, wenn es nicht tatsächlich solche in größerer Zahl gegeben hätte, weil informierte Zeitgenossen dies leicht hätten widerlegen können. 1350 Macleod 1991, 285. 1351 Strobel 1994, 1348 -1355. 1352 Hall 1981, 312–324 kommt in ihrer Untersuchung der Frage besonders im Kontext der zeitgenössischen Literatur zu dem prinzipiell zutreffenden Ergebnis (Zitat 321): „In short, I see no reason to doubt that Lucian actually attended some readings of the sort that he describes or witnessed some of the faults that he caricatures“. Auch Anderson 1994, 1434 zieht nicht ganz rigoros in Zweifel „the probability of a crop of war correspondents struggling to make their mark“; es folgen bei ihm 7 „misgivings against uncritical acceptance of Lucian’s catalogue“. 1353 Korenjak 2000 geht auf solche Vorträge von Geschichtswerken leider nicht ein. 1354 Hinzuzufügen ist, daß Lukians Darstellung auf selektiv ausgewählten „Mängeln“ basiert. Daraus entsteht eine perspektivische Verzerrung, welche verursacht, daß eine Einschätzung der tatsächlichen Qualitäten all dieser Werke aus heutiger Sicht nicht mehr möglich ist. Dieser Umstand wurde bereits erkannt von Rigault 1856, 35: „non excerptos operibus locos, sed ipsa opera intueamur necesse est, si recte judicare velimus. Sed ... eorum scripta paene omnia perierunt “.

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von Autor und Autor-Ich in Frage stellen? In diesem Sinne hätte er „comic purposes“ nur auf Kosten einer Schwächung der Autorität des Autors erreichen können. Es sei denn, man wollte auf eine andere Ebene überwechseln und die vermuteten Absichten des Verfassers Lukian, nicht die des von ihm kreierten Autors interpretieren. Mag sein, daß der Verfasser Lukian und der von ihm benutzte Autor hinsichtlich ihrer Zwecke nicht gänzlich identisch sind, doch besteht hier nicht unbedingt ein Widerspruch. Auf der Ebene des Autors sucht die Kritik das Typische an den Fehlern sichtbar zu machen. Auf der Ebene des Verfassers bieten die realen Individuen genug Angriffsfläche für einen der Person des Verfassers gemäßen Spott. Beide Ebenen können daher problemlos nebeneinander existieren, und dies ist auch einer der Gründe, warum dieser Teil der Schrift in dieser Arbeit als skommatisch-lehrhaft bezeichnet wird. Der Spott entspricht dem Naturell des Verfassers, das lehrhafte Element dem vom Verfasser geschaffenen Autor und dessen für diese Schrift verfolgten Zwecken. Das dritte Argument ist das kräftigste. Es läuft darauf hinaus, daß der Katalog von Autoren bei Lukian verdächtig balanciert wirkt, indem beispielsweise einem Thukydidesplagiator ein solcher aus Herodot gegenübergestellt wird, einem Arzt ein Philosoph, einer allzu knappen eine allzu ausufernde Art der Darstellung, also: „Lucian’s rogues’ gallery seems suspiciously complete and schematic“. Und als Konsequenz sei eine Mischung aus realen und fiktiven Werken nicht pauschal auszuschließen: „The mixture of some real works with one or more fictitious ones is not ruled out“1355. Tatsächlich erwecken nicht alle der verspotteten Werke in gleichem Maße und in gleichem Sinne den Eindruck individueller Werke. Der geringste Grad an Realität ist, um dies zu konkretisieren, wohl bei denjenigen Schriften anzunehmen, die nur im kollektiven Plural, auch unter Anwendung der Form der praeteritio, in Erscheinung treten (so Kap. 23 und 27), sodann bei dem aus einem Kollektiv heraustretenden individuellen Werk (Kap. 22). Weiters, der Herodotplagiator in Kapitel 18 erscheint bei radikaler Auslegung mit verdächtiger Explizitheit an den Thukydidesplagiator in Kapitel 15 angeglichen, und das eine Triade einnehmende Werk eines Anonymus (Kap. 19– 211356) könnte ein Pendant sein zu dem ebenfalls eine Triade umfassenden Werk eines anderen Anonymus (Kap. 24–261357). Verdacht könnten auch die in Kapitel 28 und 31 kritisierten Werke erregen, wenn nicht in beiden Fällen der Autor durch ein Beglaubigungssignal (Hörerschaft bei einer Lesung)1358 sich an einer Klarlegung der Sache interessiert zeigen würde. Auch die beiden dem Werktitel des Demetrios von Sagalassos vorangehenden atthidographischen Titel1359 könnten Verdacht erregen als Mittel, um die Pointe vorzubereiten1360. Auf der anderen Seite gibt 1355 Anderson 1994, 1434. Vgl. generell die Einschätzung von Lukians Arbeitsweise bei Anderson 1976 a 116–118, bes. 117, zur Situation der Partherkriege vgl. aber auch Anderson 1993, 108 („... the overall situation he describes was real enough“) und Anderson 1994, 1434 (Anderson zieht nicht in Zweifel „the probability of a crop of war correspondents struggling to make their mark“). 1356 In diesem Sinne auch Hall 1981, 320: „... we have here an instance of caricature involving the blending of several figures into one“. 1357 In Luk. Hist. Conscr. 26 berichtet das Autor-Ich über seine Reaktion während dieses Vortrags, wodurch die Situation klar bestimmt erscheint. 1358 Luk. Hist. Conscr. 28 (≥kousa) und 31 (tå m°llonta suggegrafÒtow ≥kousa). 1359 Luk. Hist. Conscr. 32. 1360 Strobel 1994, 1348 argumentiert unter Berufung auf Homeyer damit, daß die Atthidographen nicht zum Kanon der historischen Prosa gehörten, doch besteht andererseits die (einzig durch Lukian dokumentierte) Möglichkeit,

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es jedoch keinen Parameter, der es zuließe, im Einzelfall eine sichere Entscheidung zu treffen. Auch ist zu bedenken, daß die den Eindruck von Schematik erweckende Darstellungsweise ihren Grund nicht in Fiktionen zu haben braucht, sondern vielmehr in einem möglichst alle Bereiche abdeckenden Auswahlverfahren durch die gestaltende Hand des Autors Lukian. Der höchste Grad an Realitätsgehalt kommt naturgemäß denjenigen Autoren und Werken zu, die zumindest durch den Namen des Verfassers markiert sind. Und gleich nach ihnen sind der Milesier (Kap. 14) und die beiden Korinther (Kap. 17 und 29) anzusetzen, die alle auf Erkennbarkeit bei einem informierten Publikum hin angelegt sind. Aus dieser Übersicht ergibt sich, wie hypothetisch eine Einschätzung von „real“ und „fiktional“ ist und bleiben muß, da objektive Kriterien vollständig fehlen. Unter diesen Voraussetzungen ist es daher angebracht, nicht von vornherein mit allzu viel an Vorannahmen an den Text heranzugehen, sondern prinzipiell mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Autoren und Werken insgesamt mehr an Realität zukommen kann, als dies einem durch moderne Auffassungen von Literatur und Kunst vorprogrammierten Leser erscheinen mag. In diesem Sinne sind die vorhin geäußerten Verdachtsmomente mehr als methodische Hinweise zu verstehen, nicht so sehr als Versuche einer eindeutigen Festlegung, der sich der Text, so wie er vorliegt – für Lukian ist eine solche Ungreifbarkeit ja charakteristisch – auch nach allen Richtungen hin entzieht. Dies führt zu der Frage nach der narrativen Autorität des Autors. Zu Beginn des skommatischlehrhaften Teils (Kap. 14) erklärt das Autor-Ich unter Anrufung der Chariten, niemand solle dem, was es jetzt berichten werde, mißtrauen; es würde auf die Wahrheit des nun folgenden Berichtes auch einen Schwur leisten, wenn es denn guten Geschmack verriete, in eine Schrift einen Schwur einzufügen: ka‹ prÚw Xar€tvn mhde‹w épistÆs˙ to›w lexyhsom°noiw: ˜ti går élhy∞ §stin kín §pvmosãmhn, efi éste›on ∑n ˜rkon §ntiy°nai suggrãmmati. Diese programmatische Erklärung des Autor-Ichs wird in den letzten Jahrzehnten zumeist mit Skepsis betrachtet, als würde das Autor-Ich die Authentizität des Folgenden selbst demonstrativ in Frage stellen (viertes Argument). In diesem Sinne sagt Macleod1361: „Lucian’s pointed appeal for belief and his ostentatious refusal to swear to his veracity look like broad hints that he is talking with his tongue in his cheek“. Und in ähnlichem Sinne äußert sich Anderson1362: „Lucian’s immediate preface to the catalogue does not inspire confidence“. Zunächst erscheint es sinnvoll, für diese Äußerung des Autor-Ichs bei Lukian selbst einen Kontext zu schaffen. Es scheint zu dieser Zeit einer Mode entsprochen zu haben, einen solchen Schwur auf die Objektivität des Berichteten zu leisten, wie der Schwur eines Anonymus auf die Seriosität seines Berichtes vom Tod des Severianus zeigt (§pomosãmenow, ∑ mØn ékoËsa€ tinow t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn)1363. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, daß es als eine Parodie zeitgenössischer Praxis zu verstehen ist, wenn Lukian hier das Autor-Ich derart plakativ vom Ableisten eines Schwures Abstand nehmen läßt. Dazu kommt ein weiteres wichtiges Moment. Anrufung der Chariten (prÚw Xar€tvn) in Verbindung mit einem mÆ und daß sie in dieser Zeit einer Zeitmode entsprechend zu solchen avancierten. Die Realität solcher Titel erscheint unter diesem Aspekt durchaus denkbar. 1361 Macleod 1991, 285. 1362 Anderson 1994, 1434; vgl. auch Strobel 1994, 1334, Anm. 141 und 1340 (mit Kritik an Jones). 1363 Luk. Hist. Conscr. 25.

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einem Aoristkonjunktiv ist bei Lukian, was seltsamerweise noch nicht beobachtet wurde, eine stereotype Formel, die bei drei weiteren Gelegenheiten zum Einsatz kommt. An der ersten Stelle wird ausgesagt, Pythagoras erschiene (wäre er ein Zeitgenosse) neben Alexandros von Abonuteichos wie ein Kind, und dann folgt der Aufruf, diese Aussage nur ja nicht als Übergriff gegenüber Pythagoras zu verstehen1364: ka‹ prÚw Xar€tvn mÆ me nom€s˙w §fÉ Ïbrei taËta toË PuyagÒrou l°gein. Weder der unmittelbare Kontext noch die Aussagen der Schrift als ganzer geben auch nur entfernt Anlaß zu der Vermutung, daß dies hier mit einer ironischen Note ausgesagt sein könnte1365. Ähnlich ist es bei der Werbung Lukians um die Gunst zweier hoher Gönner (Vater und Sohn). Er vergleicht sich da mit Anacharsis und entschuldigt sich für diesen kühnen Vergleich mit den Worten1366 ka‹ prÒw Xar€tvn mØ nemesÆsht° moi t∞w efikÒnow, efi basilik“ éndr‹ §mautÚn e‡kasa. Auch hier schließt der Kontext auch nur den leisesten Hauch von Ironie aus. In der prolalia Bacchus 1367 schließlich verwahrt sich Lukian in unmittelbarem Anschluß an den ersten indischen Mythos dagegen, gänzlich verrückt oder betrunken zu sein (ka‹ prÚw Xar€tvn mÆ me korubantiçn µ tel°vw meyÊein Ípolãbhte, efi témå efikãzv to›w yeo›w). Auch hier sind diese Worte von einer ernsten, die Schlußpointe vorbereitenden Aussage. Alle diese Stellen laufen also insgesamt auf dasselbe hinaus, und vor diesem Hintergrund dürfte es kaum angemessen sein, der Stelle in der Methodenschrift einen doppelten Boden zu unterlegen. Es ist daher anzuraten, diese Botschaft beim Wort zu nehmen, und dann bedeutet sie keine Minderung der Aussagequalität, sondern im Gegenteil eine demonstrativ ausgesprochene Beglaubigung für den durchaus realen Charakter dessen, was nun berichtet werden wird, eine Beglaubigungsstrategie, wie sie von Lukian auch in anderen Schriften mit Briefcharakter angewandt wird1368. Das fünfte Argument versucht, die Namen der vier namentlich genannten Verfasser (in Kap. 15, 16, 30 und 32) als komische Fiktionen zu erweisen: „... aber im Ganzen wirken die pompös klingenden und durchsichtig gebildeten Namen mit den Zusätzen über die Heimat der Autoren recht verdächtig, bes. die unbestimmten Angaben über die Herkunft aus obskuren, griechischer Bildung fernen Orten ...“1369. In diesem Sinne wird es als möglich erachtet, daß sich hinter Kallimorphos in Kap. 16 der Name eines römischen Historikers, also etwa eines Formosus, verberge; weiters schwinge in der gräzisierten Form des lateinischen Crepereius (Kap. 15) das lateinische Wort creper = Dunkelmann mit1370. Im zweiten Fall ist diese Erklärung alleine schon deshalb als unwahrscheinlich zu erachten, weil kaum anzunehmen ist, daß der sich in dieser und allen Schriften an ein griechischsprachiges Publikum richtende Lukian den Namensscherz, so er denn intendiert war, ausgerechnet auf einer lateinischen Wortbedeutung begründet haben sollte1371. Homeyers Deutung wurde jedoch aufgegriffen und ist mit späteren Erweiterungen des 1364 Luk. Alex. 4. 1365 Victor 1997, 20 mit Anm. 87 gelangt aus anderem Blickwinkel zu demselben Ergebnis. 1366 Luk. Scyth. 9. 1367 Luk. Bacch. 5. 1368 Vgl. die Einleitung, Teil I 2. 2. 1369 Homeyer 1965, 21–22. 1370 Homeyer 1965, 21 und 22, vgl. aber 208, wo der aus dem Osten stammende Crepereius bezeichnet ist als „möglicherweise ein römischer Freigelassener“. Zur Deutung von creper vgl. Anderson 1976 a 77. 1371 Ablehnend zu Recht Hall 1981, 315, Macleod 1987, 262, Anm. 22, Macleod 1991, 294.

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Ansatzes zur Zeit nun als die weitgehende communis opinio zu betrachten1372. So wird der Name Crepereius als „ridiculously polysyllabic bezeichnet“1373, auch der Name Kallimorphos wird als eine „comic coinage“1374 gedeutet („Dr. Prettybody“)1375, und dasselbe trifft auch auf Demetrios aus Sagalassos sowie dessen Werktitel (Kap. 32) zu1376. Dieses Argument ist auf textinterner Ebene ebenso schwer zu beweisen wie auch überzeugend zu widerlegen. Nur ein (allerdings entscheidendes) Moment verdient Beachtung. Nun ist zwar Lukians Vorliebe für „polysyllabic names“ aus anderen der in der Regel satirischen Schriften im weitesten Sinn bekannt, in denen Lukians Phantasie sich frei und für Hörer und Leser stets leicht erkennbar entfalten kann. Doch hier sind die Bedingungen andere, wird Lukian doch zugemutet, er habe unter dem Anschein der Realität fiktive Namen frei gebildet. Diese Ansicht berücksichtigt jedoch nicht den wichtigen Umstand, daß alle vier Namen nicht vom Autor mitgeteilt werden, sondern durch direkte Zitate enthüllt werden, während andere Autoren anonym bleiben. Lukian kann sich demnach durchaus auch für die Preisgabe derjenigen Namen entschieden haben, welche sich zu komischen Effekten nutzen ließen, während er die anderen verschwieg. Er mußte bei dieser Auffassung nichts erfinden, sondern konnte das Vorhandene selektiv nutzen. Was sich aus heutiger Sicht also als ein komisches Prägen von Namen darstellt, ist in Wirklichkeit das Resultat bewußter Auswahl aus einer Vielzahl an realen Autorennamen. Diese Beobachtung läßt sich auf textexterner Ebene erweitern durch Heranziehung von Inschriften, die alle vier Namen zumindest als real belegbar ausweisen. In diesem Sinne wird im Kommentarteil zu den Kapiteln 15, 16, 30 und 32 das in Frage kommende Material dargestellt, das nun zwar keine Identifizierung mit realen Personen erlaubt, doch immerhin beweist, daß es die hier erscheinenden vier Namen tatsächlich gab, und zwar auf unterschiedlichen sozialen Ebenen1377. Im übrigen sind Lukians fingierte Namen „redende Namen“ und stets leicht als Fiktionen erkennbar, ein typisches Beispiel ist Lexiphanes1378. Das sechste Argument geht von einer Vorannahme bezüglich Lukians Aussageabsicht und der bei den Zeitgenossen ganz selbstverständlich vorauszusetzenden Art der Rezeption aus, und dieses Verfahren wird anhand des Crepereius Calpurnianus (Kap. 15) exemplifiziert: „Lukian konnte mit einem Crepereius Calpurnianus aus Pompeiopolis eine fiktive Gestalt bilden, die als Person und Verbindung der beiden typischen und bedeutenden Gentes in Kleinasien zwar möglich war und noch dazu den Zeitgenossen eine Anspielung auf die Claudii Severi in Pompeiopolis bot, den Zeitgenossen aber so zugleich als Fiktion unter Verschmelzung dreier bedeutender kleinasiatischer Familien klar gewesen sein dürfte“1379. 1372 Ein repräsentatives Urteil bei Russell 1989, 312; mit leichter Kritik an der communis opinio Görgemanns 1988, 272. 1373 Macleod 1987, 262, Anm. 22 und Macleod 1991, 294 („ a comically polysyllabic name“). 1374 Macleod 1991, 285. Anderson 1976 a 78 sieht darin Lukians Vorliebe für „polysyllabic titles“. 1375 Macleod 1987, 262, Anm. 22, Georgiadou / Larmour 1994, 1465 („The name Callimorphus is perhaps fictional and intended to be redend“). 1376 Hall 1981, 315 (der Werktitel des Demetrios von Sagalassos sei fast ebenso „polysyllabic“ wie der Name des Autors), Strobel 1994, 1348. 1377 Demgegenüber vertritt Bompaire 1958, 483–484 den mit seinem Begriff von Mimesis eng verknüpften Standpunkt: „... certaines allusions aux contemporains ne sont pas évidentes“. 1378 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 4. 2 (zu Lukians Lexiphanes). 1379 Strobel 1994, 1344.

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Sollten die Zeitgenossen nun Crepereius Calpurnianus für eine reale oder für eine fiktive Person halten? Strobel suggeriert die zweite Option, derzufolge die Menschen zu dieser Zeit sich an einem von Lukian betriebenen Spiel beteiligt hätten. Doch wie sieht dieses Spiel nun aus? Zunächst fällt auf, daß Lukian sich demnach einen Witz auf Kosten realer gentes, die im übrigen mit der ganzen Sache gar nichts zu tun hatten, erlaubt hätte. Dieses Verfahren widerspricht aber der sonstigen Art Lukians, der sich niemals mit bedeutenden Persönlichkeiten einläßt (vgl. dazu den folgenden Abschnitt I 4. 2) und der im Falle des Alexandros von Abonuteichos und des Peregrinos erst posthum verfaßte Schmähschriften verfaßt1380. Zudem hätte Lukian im vorliegenden Fall diese Provokation ganz ohne Not gegen namhafte Vertreter mächtiger gentes gerichtet und sich damit völlig unnötigerweise potentielle Feinde gemacht, ohne etwas anderes davon zu haben als nur eine fragwürdige Befriedung an einem im übrigen reichlich geschmacklosen literarischen Spiel. Mit der Intention, Lukian an eine bestimmte Auffassung von Literatur anzugleichen, wird er de facto seines überlegenen Verständnisses von Angemessenheit beraubt. Was die Zeitgenossen Lukians betrifft, so wird diesen in anachronistischer Weise ein Umgang mit Literatur zugemutet, wie er sich gar nicht nachweisen läßt und auch höchst unwahrscheinlich ist. Weiters, zu welchem Zweck sollte Lukian auch in einer Zeit mit starken archaistischen Tendenzen den Typus des Plagiators ausgerechnet durch eine synthetisch konstruierte Fiktion vertreten sein lassen, wenn er eben ein reales Objekt zur Verfügung hatte? Warum ein Schattenboxen und nicht, wie in allen anderen Schriften Lukians mit ähnlicher Thematik auch, echte Auseinandersetzung mit einem als unbefriedigend empfundenen Zeitphänomen? Wiederum wird hier Lukian unterschätzt. Und schließlich, sollte Lukian wirklich eine fiktive Person aus an sich realen gentes konstruiert haben, so mußte er damit rechnen, daß seine (durch ein direktes Zitat vermittelten) Angaben von einem informierten Publikum jederzeit ganz leicht überprüft und als irreal hätten erkannt werden können (zumindest Name und Herkunft bestimmen die Person eindeutig); und diese Dekonstruktion vonseiten eines zu einem solchen Spiel nicht fähigen oder, wie es aus einer historischen Perspektive als wahrscheinlicher erscheint, nicht bereiten, weil auf diese Art von Rezeption nicht vorbereiteten Publikums hätte die Glaubwürdigkeit des gesamten skommatischlehrhaften Passus und damit in Folge der Schrift als ganzer nachhaltig beschädigt. Damit wäre die Anlage von Lukians Lehrschrift in ihrer durchdachten Form ungebührlich in Frage gestellt. Welche Konsequenzen sind nun aus dem hier vorgelegten Diskurs zu ziehen? Alle in den letzten Jahrzehnten vorgebrachten Argumente ließen sich jeweils auch in ihr Gegenteil verkehren, und es erscheint daher sinnvoll, prinzipiell von der Möglichkeit auszugehen, daß es sich zumindest weitgehend um reale Autoren und ebenso reale Werke handelt, obwohl Belege nur für die namentlich genannten Autoren beigebracht werden können. Dies bedeutet aber nicht, daß der Faktor der Fiktion gänzlich auszuschließen ist, sondern eher, daß er gewissermaßen als die ultima ratio im Auge behalten werden sollte. Zumal von dem Standpunkt des Kommentators aus scheint es daher ein pragmatisch begründbares Verfahren zu sein, auf unbeweisbare Vorannahmen hinsichtlich der Arbeitsweise Lukians im methodischen Ansatz zu verzichten. Was der Diskurs der letzten Jahrzehnte aber auf alle Fälle als bleibendes Ergebnis erbracht hat, das ist eine 1380

Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 2.

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nachhaltige Schärfung des Bewußtseins im Umgang mit Einschätzungen von scheinbarem oder tatsächlichem Realitätsgehalt. Es ist also nicht mehr möglich, mit früheren Generationen von Philologen und Historikern ganz unbesehen von der Realität der Autoren unreflektiert auszugehen. Andererseits wird aber in der Zukunft auch eine verstärkte Skepsis gegenüber ebenso selbstverständlich getroffenen Zuordnungen der Prädikate „synthetisch“ und „fiktional“ zu üben sein. Auch wenn die Frage damit noch immer nicht inhaltlich geklärt wäre, so ließe sich so doch eine Präzisierung der methodischen Zugänge zu dem Problem erreichen, anstatt den Gegenstand den jeweils wechselnden und vom Zeitgeschmack abhängigen Voreinstellungen zu überlassen. Einen guten Ausgangspunkt dafür bietet die zumindest auf weite Strecken hin ausgewogene – wenn auch von Voreinstellungen der bezeichneten Art nicht gänzlich freie – Darstellung von Hall1381. I 4. 2 Die Identitätsproblematik in anderen literarkritischen Schriften Lukians Einzig im Lexiphanes 1382 erhält die Titelfigur einen Namen, doch ist dieser ganz offensichtlich ein redender Name: „der Worte zum Vorschein Bringer“1383. Die Fiktivität dieses Namens läßt sich nun auf zweierlei Weise erklären. Entweder handelt es sich um eine Maske, hinter der sich, aus welchen Gründen auch immer, eine reale Person verbirgt, oder Lukians Darstellung zielt darauf ab, einen bestimmten zeitgenössischen Typus zu persiflieren. Einschlägige Versuche wurden naturgemäß in beide Richtungen hin unternommen und im Zuge dessen wurden verschiedene Kandidaten mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit vorgeschlagen. Zunächst sind die Versuche, hinter dem Namen Lexiphanes ein bestimmtes Individuum zu identifizieren, zu diskutieren. Ranke1384 versuchte, Lexiphanes mit Herodianos aus Alexandreia, dem Grammatiker und wichtigen Vertreter der Prosodik, zu identifizieren. Diese Idee hat zugegebenermaßen etwas Verführerisches an sich, da Herodianos u. a. auch als der Verfasser eines Symposions 1385, in dem den Fragmenten zufolge alle Wörter mit Symposia zu tun hatten1386, bekannt ist. Der Gedanke, ihn mit Lexiphanes, den Lukian im Lexiphanes ein Symposion vortragen läßt, gleichzusetzen,

1381 Hall 1981, 312–321. 1382 Diese Schrift ist durch Weissenbergers 1996 Kommentar nun gut erschlossen. 1383 Jones 1986, 101 bezeichnet den Namen als „patently fictitious“, vgl. 102: der Name („word-displaying“) ist „an obvious fabrication devised to suit the subject“. Harmon V 291 und Anderson 1994, 1430 übersetzen Lexiphanes mit „word–flaunter“. Solch durchsichtige redende Namen finden sich ganz besonders häufig bei Alkiphron (dazu erklärend Schmitz 2004, 99: „ ... by using this device to such excess, Alciphron wanted to raise his readers’ awareness of the absolute artificiality of this procedure“). Bei Lukian selbst ist Bagoas im Eunuchos ein solch durchsichtiger Name, hinter dem nicht schwer Favorinus von Arelate zu erkennen ist; in diesem Sinne sprechen sich, freilich mit je unterschiedlichem Grad an Gewißheit, aus Harmon V 339, Anm. 2, Clay 1992, 3445, Barigazzi 1993, 557, Holford– Strevens 1988, 74. Es gilt, besonders in diesem Fall, mit Baldwin 1973 a 21–22 das Prinzip, daß Lukians verdeckte Opfer aus Hinweisen im Text zu identifizieren sind: „... the audience is given enough clues to do the detective work of identification“. Dies trifft natürlich nur für die Zeitgenossen zu. 1384 Ranke 1831, 27. 1385 Lentz, Herodian II 2, 904–906. Trotz der von Egenolff mehrfach geäußerten Kritik ist dieses Werk immer noch maßgeblich, vgl. Dyck 1993, 775. 1386 Lentz, Herodian I, praefatio CXVI.

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liegt daher zunächst nahe. Tatsächlich konnte Reitzenstein1387 es wahrscheinlich machen, daß Herodianos im Symposion nicht nur Etymologien behandelt, sondern auch attizistische Werke benutzt und attizistische Vorschriften verbreitet hat, weiters daß Athenaios dieses Werk für seine Deipnosophistai reichlich benutzt hat. Doch weist andererseits buchstäblich nichts darauf hin, daß er eine mit Lexiphanes vergleichbare hyperattizistische Manier gepflegt hat, weshalb er wohl kaum als Kandidat in Frage kommt, wenn man bedenkt, daß Lukians Pointen sich nur auf der Grundlage entfalten hätten können, daß dieser nicht nur an sich für seinen Hyperattizismus bekannt war, sondern sich darüberhinaus auch als der Prototyp dieser Redeweise verwenden ließ. Doch für eine solche extreme, den Hyperattizismus auf die Spitze treibende Ausrichtung des Herodianos liefern die verfügbaren Quellen keinen Beleg. Der Versuch, Lexiphanes mit Pollux (Polydeukes) zu identifizieren, ist alt; er wurde in Nachfolge von Graevius u. a. von Richard1388 unternommen. Gegen Pollux sprechen jedoch gleich mehrere Umstände1389. Zum einen begeht er nicht diejenigen Fehler, für welche Lexiphanes insbesondere in Kap. 25 (vgl. Kap. 21) kritisiert wird. Zum anderen gibt es keinen Hinweis darauf, daß er sich einer hyperattizistischen Manier befleißigt hätte1390, denn im Onomastikon schreibt er ja in einem recht unpretentiösen Stil1391. Jedenfalls sagt Philostratos1392 über ihn, seine Wortwahl zeige, daß er ausreichend in attizistischer Sprache geübt war, während seine Deklamationen, wie er, bewußt eine ambivalente Vorstellung evozierend, noch hinzufügt, keine überdurchschnittliche Handhabung des Attischen erkennen ließen. Seine sophistischen Reden habe dieser mehr mit dreistem Zutrauen in sein angeborenes Talent als sachkundig verfaßt. Besonders die aus dessen Dialexis und Melete entnommenen Beispiele lassen nicht das Geringste von Hyperattizismus erkennen. Im Gegenteil, vielmehr habe Pollux mit seiner honigsüßen Sprache Commodus dermaßen bezaubert, daß dieser ihm den Lehrstuhl in Athen1393 übertragen hätte. Mit Philostratos kann also eine Identifizierung des lukianischen Lexiphanes mit Pollux nicht sinnvoll argumentieren, und auch sonst liegt kein Indiz für eine solche Gleichsetzung vor. Bei Schmid / Stählin1394 findet sich wiederum eine Gleichsetzung mit Phrynichos, dem Rivalen des Pollux um den Lehrstuhl in Athen, für den immerhin sprechen könnte, daß er gemeinsam mit Moiris den strengsten Purismus attizistischer Observanz betrieb, obwohl er in seinem eigenen Ausdruck sich daran nicht hielt1395. Macleod1396 bringt unter anderen Optionen auch

1387 Reitzenstein 1897, bes. 371–377, zustimmend Dyck 1993, 790. 1388 Richard 1886, 46, Helm 1906, 291, weitere Belege bei Hall 1981, 541–542, Anm. 47. 1389 Bethe 1917, Sp. 775–776. Bethes Argumentation beruht allerdings z. T. auf der These, daß Pollux im Rhetorum praeceptor das Opfer ist. 1390 Hall 1981, 286. 1391 Bethe 1917, Sp. 775 und Harmon V 291. 1392 Philostr. VS II 12, 592–593. 1393 Er trat diese Stelle in den frühen Jahren der Alleinregierung des Commodus (in den 180er Jahren) als Nachfolger seines nach Rom abgegangenen Lehrers Hadrian von Tyros an; zur Chronologie der Inhaber des kaiserlichen Lehrstuhls für Rhetorik in Athen Avotins 1975, bes. 320–322. 1394 Schmid / Stählin 1924, 729, Anm. 4 („auch Phrynichos’ ÉAttikistÆw wäre möglich“), 877, Anm. 3. 1395 Schmid / Stählin 1924, 875 (mit Verweis auf Rohde in Anm. 9). 1396 Macleod 1956, 109–110. Macleod erwägt hier die Möglichkeit, das Opfer im Pseudologista mit dem bei Athenaios in Erscheinung tretenden Ulpian von Tyros zu identifizieren.

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den im Pseudologista attackierten, namentlich nicht genannten Syrer1397 ins Spiel, doch dagegen spricht wiederum die dort sehr scharfe Invektive gegenüber dem so ganz unaggressiven Ton im Lexiphanes 1398. Insgesamt hat sich somit aus dem textexternen Befund kein auch nur irgendwie wahrscheinliches Ergebnis ergeben. Es ist daher ein anderer Weg zu suchen. Aus dem Text des Lexiphanes selbst lassen sich zumindest zwei Identifizierungsmöglichkeiten entnehmen. Die eine wurde von Jones1399 vorgeschlagen. Lexiphanes bezeichnet sich selbst als Freund des Landes (f€lagrow)1400. Dieses an sich schon seltene Adjektiv in eben dieser Bedeutung ist wohl eine Erfindung Lukians. Doch der Personenname Philagros ist nicht ungewöhnlich. Jones plädiert für den Sophisten Philagros von Kilikien1401, den Schüler des Lollianos von Ephesos, nach einer ähnlichen Technik der Enthüllung, wie sie im Rhetorum praeceptor 1402 angewandt ist. Allerdings, die Darstellung des Philostratos1403 bestätigt, wie Jones1404 selbst zugeben muß, diese Identifizierung nicht1405, vielmehr zitiert dieser zwei Beispiele für die Rhythmen in dessen Deklamationen1406, von denen sich beim lukianischen Lexiphanes jedoch keine Spur findet. Die einzige Ähnlichkeit mit Lexiphanes besteht auch schon darin, daß Philagros, wie Philostratos zu berichten weiß, einmal im Streit ein unorthodoxes Wort entschlüpft, ausgerechnet gegenüber Amphikles, dem besten Schüler des Herodes. Doch Philagros, nach der Autorität für das Wort befragt, erweist sich als schlagfertig; nach der Devise sophistischer Redner in derlei Fällen „succinctly arrogant rejoinders were part of the game“1407 repliziert er geistesgegenwärtig, das Wort sei bei Philagros belegt. Diese Anekdote läßt nicht mehr erkennen als die aus der zweiten Sophistik auch sonst bekannten Attacken wegen (angeblicher) sprachlicher Fehler und (in Reaktion darauf) heftig geführte Gegenattacken. Ein typisches Beispiel ist Lukians Pseudologista.

1397 Luk. Pseudolog. 19: feÊgeiw •k∆n patr€da ... kall€sthn ka‹ meg€sthn t«n §n Foin€k˙ èpas«n. Unter dieser Heimat ist wohl Tyros zu verstehen. 1398 Luk. Lex. 18: Lykinos nennt Lexiphanes dem Sopolis gegenüber einen •ta›row, vgl. dazu Weissenberger 1996, 80 („es gibt nicht den geringsten Anlaß für die Annahme , daß dies als Ironie verstanden werden soll“), Jones 1986, 104, Anm. 17 zitiert auch Luk. Lex. 1: Lykinos nennt Lexiphanes hier Œ •ta›re. 1399 Jones 1972, 475–478. 1400 Luk. Lex. 3: o‰sya d¢ …w f€lagrÒw efimi. 1401 Jones 1972, 476 sieht in Luk. Lex. 25 eine Anspielung auf die fremdländische Herkunft des Lexiphanes, „from a region not too far remote from Lucian’s own Commagene“. Macleod 1956, 109 schließt aus Lex. 25, daß Lexiphanes wohl ein m°toikow ist. 1402 Luk. Rh. Pr. 24: pr«ton m¢n oÈk°ti PoyeinÚw Ùnomãzomai, éllÉ ≥dh to›w DiÚw ka‹ LÆdaw pais‹n ım≈numow geg°nhmai.

1403 Philostr. VS II 8, 578–581. vgl. II 22, 604 (sein Schüler ist Phoinix von Thessalien). Zur Identifizierung dieses Philagros mit dem von Artemidoros (IV 1) genannten Rhetor Philagros Bowersock 2004, 55. 1404 Jones 1972, 477: „It seems, however, ... that Lucian has enormously exaggerated the frequency of his oddities; and Lucian does not appear to have tried to imitate Philagrus’ rhythms, which Philostratus thought so striking“, vgl. Jones 1986, 103 („Lexiphanes is the only one of the four victims to receive a false name, and this in itself might seem an indication of his unreality“) und 104 („“Whether Lucian wrote the Lexiphanes with a definite person in mind is perhaps beyond certainty“). 1405 Kritisch auch Weissenberger 1996, 71, Anm. 183, Hall 1981, 544, Anm. 54 und Anderson 1994, 1430–1431, zustimmend Reardon 1989, 273. 1406 Solmsen 1938, Sp. 2109 sieht darin eine asianische Vorliebe für effektvolle kurze Kola neben längeren. 1407 Anderson 1986, 44.

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Auch Anderson1408 bedient sich eines textimmanenten Zeugnisses1409 zur möglichen Identifikation, indem er Lex. 22 als Anspielung auf Alexandros Peloplaton, gebürtig aus Seleukeia in Kilikien1410, nimmt. Doch auch von diesem weiß Philostratos1411 in seiner diesmal detaillierten Darstellung bloß den Charme seiner Rede zu rühmen, und von hyperattizistischen Bestrebungen ist da keine Spur auszunehmen. Im Gegenteil, der (zugegebenermaßen strenge) Attizist Phrynichos tadelt ihn sogar für fehlerhafte Verwendung des unattischen Akkusativs ufl°a1412 und der unattischen Optativformen d–h und did–h1413. Wahrscheinlicher ist es daher, in Lexiphanes den Vertreter eines bestimmten Typus zu sehen1414. Zwar existiert außerhalb Lukians in der zeitgenössischen griechischen Literatur nichts mit diesem Phänomen unmittelbar Vergleichbares1415, doch eine Generation später liefert die von Athenaios als Ulpianische Sophisten1416 bezeichnete Guppe1417 eine probate Vergleichsmöglichkeit. Deren sonst unbekannten Vertreter Pompeianus1418 läßt Athenaios jedenfalls immerhin 11 aus dem Symposion des Lexiphanes bekannte Vokabel verwenden. Es handelt sich durchgängig entweder um entlegene Wörter oder um solche mit vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichendem Sinn1419. Es ist zwar prinzipiell möglich, Lexiphanes individuell entweder mit Pompeianus1420 oder mit Ulpian1421, der im Sophistenmahl des Athenaios die Rolle des Symposiarchen einnimmt1422 und des öfteren als ein Sprachpedant charakterisiert ist, zu identifizieren, doch mehr Wahrscheinlichkeit hat es für sich, daß im Lexiphanes eben eine ganz bestimmte Manier parodiert wird1423. Freilich steht der Quellenwert des Athenaios nicht von vornherein fest. So

1408 Anderson 1976 a, 71, Anm. 40 und Anderson 1994, 1430–1431. 1409 Luk. Lex. 22. 1410 Philostr. VS II 5, 570, Suid. s. v. ÉAl°jandrow, ÉAlejãndrou, Adler I 104, Z. 25–26. 1411 Philostr. VS II 5, 570–576. 1412 Fischer 84, Nr. 234 = Rutherford 141–143, Nr. 49. 1413 Fischer 95, Nr. 324 = Rutherford 429–456, Nr. 325. 1414 So bereits Rigault 1856, 101. 1415 Bei Lukian selbst noch Demon. 26. 1416 Ulpian stammt aus Tyros und wird sinnreich KeitoÊkeitow genannt (Athen. I 1 d–e). 1417 Athen. III 98 c: ofl OÈlpiãneioi sofista€. Als kaum wahrscheinlich erscheint es, daß die im zweiten Teil eines von einem Byzantiner zusammengestellten Platonglossars genannten ofl ékrib°steron ÉAttik€zontew (Text bei Latte 1915, 392), wie dies Schmitz 1997, 75, Anm. 37 andeutet, auch nur irgend etwas mit den sogenannten Ulpianischen Sophisten zu tun haben. 1418 Athen. III 97 f: er stammt aus Philadelphia und ist vom Autor als Jäger nach Worten charakterisiert. 1419 Weissenberger 1996, 71, Belege in Anm. 181, Hall 1981, 287, Baldwin 1973 a 50–53. 1420 Diese Vermutung Seilers hält Harmon V 291 für höchst wahrscheinlich, er konzediert aber zu Recht, daß es sich generell um die Diktion der Ulpianischen Sophisten handeln könnte. 1421 Auch Pompeianus und Ulpian sind u. a. unter den von Macleod 1956, 109–110 erwogenen Identifizierungsmöglichkeiten. In der Streitfrage, ob unter Ulpian der bekannte Jurist Domitius Ulpianus oder eine andere Person zu verstehen ist, argumentiert Baldwin 1976 für den Vater des Juristen (Forschungsüberblick 29–30), (35): „The identification of Lexiphanes ... would suit the chronology of Ulpian the father in perfection“. Es geht gewiß zu weit, ihn mit Mayer–Maly 1961 für eine vielleicht von Athenaios erfundene Figur zu erklären. Denn so wie Lukian kennzeichnet auch Athenaios seine Namensfiktion durch einen redenden Namen (I 1 d: Kynulkos, der ganz durchsichtig gebildete Name für den Kyniker). 1422 Athen. II 58 b. 1423 Hall 1981, 288, Weissenberger 1996, 71, an diese Option denkt auch Anderson 1994, 1450 in erster Linie. Baldwin 1976, 35 hält alle Möglichkeiten für denkbar.

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wurde erwogen, daß dieser das Symposion Lukians gekannt und benutzt hat1424, und diese Ansicht läßt sich auf den Lexiphanes erweitern1425. Dagegen spricht allerdings der Umstand, daß Athenaios den ulpianischen Sophisten noch andere sprachliche Extravaganzen in den Mund legt, als dies Lukian im Falle des Lexiphanes tut1426. Von Athenaios ist demnach ein Phänomen seiner eigenen Zeit beschrieben, was aber darum noch nicht grundsätzlich bedeutet, daß er nicht auch Anleihen bei Lukian genommen haben kann. Athenaios beschreibt also, zumindest im Wesentlichen, unabhängig von Lukian ein aus dem Leben gegriffenes Phänomen. Hyperattizismus kehrt als ein die Kritik herausforderndes Thema wieder im Demonax (26)1427, auch wenn dort kontextbedingt von Lukian nicht beabsichtigt ist, konkrete Beispiele für diese Manier zu nennen. Jedenfalls ist gar kein Grund einzusehen, warum das Phänomen des Hyperattizismus nicht zumindest über zwei Generationen hin eine gesellschaftliche Realität gewesen sein sollte. Der Spott über attizistische und ähnliche Posen in nicht so drastischer Form läßt sich ja auch über einen noch weitaus längeren Zeitraum hin verfolgen. Er war seit Neros Zeit bei mehreren Epigrammatikern1428 Thema gewesen, und in ähnlicher Weise äußert er sich in Lukians Rhetorum praeceptor 1429, wo der unsolide Redelehrer dem Rhetorikadepten die Empfehlung ausgibt, ein Repertoir von 15, maximal 20 attischen Worten ständig für einen Einsatz parat zu haben. Welche Konsequenzen lassen sich daraus für Lukians Methodenschrift ableiten? Wenn Lexiphanes tatsächlich als ein „redender Name“ für einen bestimmten Typus steht, so wäre es anzunehmen, daß auch die Namen der vier namentlich genannten Historiker (in Kap. 15, 16, 30 und 32) nach einem ähnlichen Verfahren gebildet sein müßten, denn auch diese Autoren repräsentieren typische Arten von Fehlern. Nur so hätte Lukian es erreichen können, daß seine Fiktionen, soferne solche denn beabsichtigt waren, auch als solche für ein antikes Publikum erkennbar waren. Nun wählt Lukian stattdessen aber individuelle Namen, und alleine daraus schon läßt sich ersehen, daß er tatsächlich über reale Individuen spricht. Denn zu welchem Zweck hätte er auch Namen fingieren sollen, ohne jede Aussicht darauf, daß die so fingierten Namen auch als solche erkannt hätten werden können? Während Lukian also im Lexiphanes ein Zeitphänomen anhand eines typischen Repräsentanten mit redendem und leicht als Fiktion erkennbarem Namen beschreibt, stellt er das Phänomen der durch den Partherkrieg hervorgerufenen Historikerflut dar anhand von konkreten Individuen, die aber in Summe für Klassen von Fehlern stehen. Lukian verwendet demnach fiktive Namen (Lexiphanes) und reale Namen (in der Methodenschrift), was er aber nicht kennt, das sind der Realität entnommene, d. h. den Anschein von Realität tragende, gleichwohl aber fiktive Namen (so zur Zeit die 1424 Mengis 1920, 97–98, vorsichtiger Martin 1931, 279. 1425 So Jones 1986, 104, der eine teilweise Benutzung des Lexiphanes durch Athenaios annimmt. 1426 Belege bei Hall 1981, 287. 1427 Hier ist es ein Apophthegma des als idealtypisch charakterisierten Philosophen Demonax, der auf eine im Gespräch Íperattik«w erteilte Antwort einer namentlich nicht genannten Person schlagfertig repliziert. Welches Wort denn diese Kritik evozierte, wird nicht gesagt; für den aktuellen darstellerischen Zweck ist es auch nicht von Belang. 1428 Bereits Lukillios aus der Zeit Neros verspottet eine attizistische Attitüde, die mit einigen wenigen Worten und Phrasen operiert (AP XI 142), nach ihm ähnlich Cerealius (AP XI 144, bes. 1–2) und Ammianos (AP XI 157). Vgl. dazu den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 44: mÆte éporrÆtoiw ka‹ ¶jv pãtou ÙnÒmasi. 1429 Luk. Rh. Pr. 16, vgl. Lex. 21.

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weitgehende communis opinio zur Methodenschrift). Das Pamphlet Adversus indoctum 1430 gehört zu Lukians Invektiven mit namentlich nicht genannten Opfern. Das Ziel der demaskierenden Attacke ist hier ein sich in der Öffentlichkeit intellektuell gebender, aber durch eine jedermann sichtbare Unbildung (épaideus€a) in Erscheinung tretender Büchersammler, der sich den Anschein von Bildung zu verschaffen trachtet. In keiner von Lukians literarkritischen Schriften erscheint das intellektuelle Niveau des Angegriffenen als dermaßen gering wie in diesem Fall1431. Mehrere Indizien sprechen dafür, daß es sich bei diesem Poseur nicht etwa um „a stock item of satire“ handelt, sondern vielmehr um eine reale Person1432. Unter den von Jones ausgeschöpften Argumenten dürfte das Zugkräftigste das sein, daß die angegriffene Person nach dem Zeugnis des Cassius Dio1433 zu denen gehört, die sich durch Zurschaustellung angemaßter Bildung bei dem dafür empfänglichen Marc Aurel in großer Zahl materielle Vorteile zu verschaffen suchten. Es ist denkbar, daß der von Lukian Attackierte bereits damit erfolgreich gewesen war, was möglicherweise auch erklären könnte, warum dessen Name von Lukian nicht preisgegeben wird. Identifizierung mit einer bekannten Person scheint nahezu aussichtslos, doch verdient immerhin Jones’ Hinweis auf Damophilos1434, einen Philosophen, Sophisten und vielseitigen Schriftsteller aus der Zeit Marc Aurels, Beachtung, da dieser nach der Suda1435 der erste Bibliophile (FilÒbiblow pr«tow) war und in diesem Sinne eine Schrift über besitzenswerte Bücher (per‹ éjioktÆtvn bibl€vn) verfaßte1436. Jedoch stimmt die Angabe der Suda, er sei Ziehsohn des Iulianus gewesen, eines Konsuls in der Regierungszeit Marc Aurels, hinsichtlich des Versuches einer Identifizierung mit Lukians Opfer aus zweierlei Gründen skeptisch. Zum einen findet sich in Lukians Schrift ein für manche Zeitgenossen wahrscheinlich aufschlußreicher Hinweis auf die syrische Herkunft des Mannes1437, zum anderen dürfte dessen in derselben Schrift mit größtem Sarkasmus geschilderte Vergangenheit kaum zu einem im Haus eines Konsuls aufgewachsenen jungen Mann passen.

1430 Die Datierung in den Zeitraum zwischen 167 und 181 n. Chr. (so Weissenberger 1996, 37; Hall 1981, 38–39, 242 und 463 gibt den Zeitraum zwischen 165 und 180 n. Chr. an) ergibt sich aus zwei textimmanenten Indizien, Luk. Ind. 14 (der Tod des Peregrinos Proteus markiert die untere Grenze) und Ind. 22 (unter dem basileÁw ... sofÚw énØr ka‹ paide€an mãlista tim«n ist wahrscheinlich Marc Aurel zu verstehen, aber auch Commodus wäre theoretisch möglich). 1431 Das wurde schon von Weissenberger 1996, 38 beobachtet. 1432 Jones 1986, 109–110, Zitat 109. Robinson 1979, 57–58 sieht im Opfer keine reale Person, doch dies erscheint angesichts der Heftigkeit des Angriffs eher unwahrscheinlich; bereits Wieland 1788 / 1789, III 6. Teil, 33 sah in diesem Sinne zu Recht den „Beweggrund auf Seiten des Verfassers“ in „Groll und Rache wegen irgend einer ... empfangenen Beleidigung“. 1433 D. C. LXXI = LXXII 35, 2 (Kontext: im Nachruf auf Marc Aurel: ... pamplhye›w filosofe›n §plãttonto, ·nÉ ÍpÉ aÈtoË plout€zvntai, dazu Jones 1986, 29). 1434 Jones 1986,110, Anm. 41, mit dem Hinweis auf PIR2 D 4. 1435 Adler II 5, Z. 11–15, s. v. DamÒfilow. 1436 Ausufernde Bibliophilie ist im Rom des ersten und insbesondere des zweiten Jhs. n. Chr. ein bekanntes Phänomen; es wurden teure, selbst von versierten Archaisten (sogar Fronto und Gellius sitzen nachweislich dem Betrug auf) nicht immer erkannte, ganz auf den archaistischen Zeitgeschmack berechnete Fälschungen berühmter Bücher produziert; zu diesem Phänomen vgl. Zetzel 1973. 1437 Luk. Ind. 19 (dies ist zu schließen aus den Worten ˜sa ge kém¢ SÊron ˆnta efid°nai), Harmon III 173.

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Der Attackierte ist Lukians Darstellung zufolge kein reiches Mitglied der Oberschicht1438, sondern ein einzig durch Erbschleicherei zu unverdientem Wohlstand gelangter Neureicher1439, ein kulturell gänzlich unbedeutender Parvenue. Man wird sich unter diesen Umständen damit begnügen müssen, die Identität des Opfers nicht nur als ungeklärt, sondern wohl auch als in Zukunft auf der Basis des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials unklärbar zu betrachten. Als die zentrale Frage bleibt, weshalb denn Lukian gerade das Mittel verdeckter Attacke als probate Darstellungsform gewählt hat. Vielleicht ist die Vermutung erlaubt, daß der Angegriffene möglicherweise ein erfolgreicher persönlicher Konkurrent Lukians um die Gunst am Kaiserhof war – in diesem Fall würde sich die Schärfe der Invektive daraus erklären, daß ein ganz Unwürdiger ihm vorgezogen wurde – oder sich auf andere, nicht ausmachbare Weise den persönlichen Zorn des Satirikers zugezogen hatte. Dies würde Lukian zumindest bis zu einem gewissen Grad wieder auf den Erdboden zurückholen, ihm den ihm zukommenden Standort in den Realitäten des Lebens zuweisen1440. Ähnliche persönliche Motive könnten vielleicht auch Lukians verhältnismäßige Schärfe im Umgang zumindest mit den beiden Korinthern in der Methodenschrift1441 erklären. Der Pseudologista ist eine stark ins Persönliche gehende Abrechnung mit einem Sophisten, der sich nach Sophistenart erdreistet hatte, über falsche Verwendung des Wortes épofrãw durch Lukian1442 zu spotten. Gibt Lukian in Adversus indoctum für informierte Leser schon einen klaren Hinweis auf die Heimat seines Opfers, so ist hier nicht nur die phönikische Heimat seines Kritikers genannt1443, sondern es ist darüberhinaus auch eine dermaßen große Zahl an z. T. sehr konkreten biographischen Details preisgegeben1444, daß für Zeitgenossen eine Identifizierung nicht schwergefallen sein dürfte. Da der Name des Attackierten aber durch den Autor zurückgehalten wird, ist eine Debatte über die Identität des Opfers entbrannt1445. Die ältere Ansicht1446 stützt sich auf denjenigen Passus in dieser Schrift, in dem von den Athenern gesagt wird, sie hätten ihn durch Hinzufügung eines Buchstabens Atimarchos zu nennen gepflegt, hätte er doch etwas haben müssen, das über Timarchos gar noch hinausginge1447. Diese Stelle wurde

1438 So Zweimüller 2008, 101 (relativiert in den Anm. 298 und 299), deren allzu sehr auf die Konstruktionen von Schmitz 1997 vertrauende Interpretation insgesamt zu ideologisierender Darstellung und Verengung führt. Schmitz 1997 ging von einer die Tatsachen zu stark verkürzenden Zweiteilung der Gesellschaft in reich und arm, in honestiores und humiliores aus, zudem ist sein auf paide€a fokussierter Machtbegriff anfechtbar, dazu bereits De Blois 1998–1999, bes. 271, De Blois 1998, 3409–3412 und 3421, De Blois 2002, bes. 495–496, Klein 1999. 1439 Luk. Ind. 19. 1440 Die frühere Unterschätzung Lukians ist in den letzten Jahrzehnten einer Überschätzung gewichen. Einen knappen Überblick über die Zeitbedingtheit der Forschung zur zweiten Sophistik vermittelt Whitmarsh 2005, 6–10. 1441 Luk. Hist. Conscr. 17 und 29. Vgl. dazu die entsprechenden Kommentare und die Einleitung, Teil I 2. 10. 1442 Weissenberger 1996, 51–58, bes. 55 und 57 kann plausibel zeigen, daß es in Wahrheit um den xr∞siw– Vorwurf ging, daß also die Kritik des Sophisten auf den unpassenden Gebrauch von épofrãw abzielte. 1443 Luk. Pseudol. 19 (... patr€da ... kall€sthn ka‹ meg€sthn t«n §n Foin€k˙ èpas«n). 1444 Luk. Pseudol. bes. 5, 7, 10, 15, 18–22, 26–27, 30–31; auch aus anderen Hinweisen konnte er von seinen Zeitgenossen erkannt werden. 1445 Robinson 1979, 57–58 jedoch sieht überhaupt keinen Bezug zu einer realen Person. 1446 Helm 1927, Sp. 1757: „Schmähschrift gegen Timarch“. 1447 Luk. Pseudol. 27 (ÉAyhna›oi ... grãmmatow •nÚw prosyÆk˙ timÆsant°w se ÉAt€marxon »nÒmazon: ¶dei går kéke€nou ti perittÒteron prose›na€ soi).

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früher1448 so interpretiert, daß der Spitzname1449 Atimarchos den wirklichen Namen Timarchos enthülle. Dieses eindimensionale Textverständnis verfehlt jedoch die in der Anspielung auf den von Aischines angegriffenen Timarchos bestehende Pointe der Stelle. Diese besteht ja darin, daß die Athener angesichts des schändlichen Lebenswandels des Kritikers selbst den an sich schon übel beleumundeten Namen Timarchos für diesen als noch gar nicht recht angemessen erachten1450. Damit entfällt jedoch die Möglichkeit, solcherart eine Bestimmung von dessen realem Namen vorzunehmen. Identifizierung mit dem vor allem durch Philostratos bekannten Sophisten Hadrian von Tyros1451 schlug Jones1452 vor. Durch scharfsinnige Kombination von Quellen konnte Jones zeigen, daß die biographischen Eckdaten von beider Lebensweg erstaunliche Koinzidenzen aufweisen, doch mußte selbst Jones konzedieren, daß Philostratos über Hadrians Privatleben kaum Details mitteilt, die sich erfolgversprechend für einen Vergleich mit Lukians Opfer heranziehen ließen1453. Auch abgesehen von dem Umstand, daß die phönikische Heimat des Attackierten nicht automatisch dessen Herkunft aus Tyros bedeuten muß (auch Sidon und Berytos kommen in Frage)1454, läßt sich gegen Jones’ auf den ersten Blick bestechende These vorbringen, daß Lukians Pamphlet und Philostrats Biographie Hadrians in ihrem Grundtenor so sehr verschieden sind, daß so etwas wie ein gemeinsamer Nenner nicht sichtbar ist. Selbst wenn man in Rechnung zu stellen geneigt ist, daß die Darstellung des Philostratos idealisiert, während Lukians Version umgekehrt das Negative übertreibt, so ist dennoch keinerlei gemeinsame Mitte auszumachen, die eine solche Identifizierung erlauben würde. Es ist daher auf alle Fälle damit zu rechnen, daß es in dieser Zeit und in diesem Raum eine größere Zahl von Sophisten und solchen, die dies bloß zu sein beanspruchten, gegeben hat1455. Angesichts des evidenten Umstandes, daß Lukian auch sonst niemals Größen bei deren Lebzeiten angegriffen hat1456, ist es wahrscheinlich, daß er auch in dieser Schrift eines der kleineren Formate ins Visier genommen hat. Dies erklärt, warum eine Identifizierung seines Opfers mit einer bekannten Person nicht nur mittels der heute zur Verfügung stehenden 1448 So schon von Wieland 1788 / 1789, III 6. Teil, 65. 1449 Zu den vielfältigen Spitznamen Luk. Pseudol. 26–27. 1450 So zu Recht Harmon V 404–405, Anm. 1, Baldwin 1962, 4, Anm. 4, Hall 1981, 550, Anm. 66. 1451 Philostr. VS II 10, 585–590 (585: Hadrian ist ein Phöniker aus Tyros). Der Text zweier fragmentarisch erhaltener controversiae Hadrians bei Hinck 44–46. 1452 Jones 1972, 478–483 und Jones 1986, 110–115 (113, Anm. 1: „... I would now retract or modify some of my arguments“); referierend und anerkennend Macleod 1994, 1378 und 1393; kritisch Anderson 1976 a 71, Anm. 40 (etwas modifiziert Anderson 1994, 1431–1433) und Hall 1981, 550, Anm. 66; Clay 1992, 3445 nimmt gleichwohl Jones’ Gleichsetzung mit Hadrian von Tyros als gesichert an. Hinzuzufügen ist jedenfalls, daß Lukian die gegen Hadrian erhobene Anklage wegen Mordes an einem Schüler des Chrestos (Philostr. VS II 10, 587–588) nicht aufgreift, ein mögliches Indiz dafür, daß nicht Hadrian das Ziel seines Angriffes ist. 1453 Jones 1972, 482–483, vgl. die leicht modifizierte Diskussion bei Jones 1986, bes. 114–115 (114 mit der Beziehung von bohyÒw in Pseudol. 21 auf Flavius Boethus ist das kräftigste unter den Argumenten). 1454 U. a. Jones 1986, 113; kritisch Hall 1981, 550, Anm. 66. Einen sonst nicht bekannten Sophisten aus Sidon läßt Lukian in Demon. 14 mit Selbstlob und direkter Rede auftreten; es folgt die Antwort des Demonax. 1455 So zu Recht Anderson 1976 a 71, Anm. 40: „for every sophist Philostratus sketches or Lucian attacks, how many similar arrogant plagiarists have disappeared without trace?“, vgl. Hall 1981, 550, Anm. 66. 1456 Lukians Angriffe im Peregrinos und im Alexandros (vgl. die Einleitung, Teil I 2. 2) erfolgen erst nach dem Tod der jeweils attackierten Personen.

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Quellen unmöglich erscheint, sondern auch in Zukunft kaum zu erwarten ist. Ähnliches kann über Lukians Methodenschrift ausgesagt werden. Auch hier sind die Ziele von Lukians Spott durchgehend unbedeutende Literaten, und es ist daher nicht zu verwundern, daß kein einziger von ihnen eine Gleichsetzung mit einer bekannten Person erlaubt. Der hauptsächliche Grund dafür ist nicht die Fiktivität der Autoren und Werke, sondern deren Irrelevanz für die Geschichte der griechischen Literatur. Und so wie im Pseudologista die phönikische Herkunft des attackierten Anonymus enthüllt wird, so sind es in der Methodenschrift zumindest neben den beiden Korinthern auch der Milesier1457, deren Namen zurückgehalten, deren Heimat aber preisgegeben wird. Mag es sich auch in all diesen Fällen um unbedeutende Personen handeln, so konnte doch Lukian gewiß darauf rechnen, daß seine auf Erkennbarkeit hin ausgelegte Strategie den Zeitgenossen die nötigen Informationen zur Identifizierung der in ihrer Zeit bekannten Tagesgrößen lieferte. Der Rhetorum praeceptor gibt sich als eine Absage des Autors an den zeitgenössischen rhetorischen Betrieb. Nur der überlieferte Schluß der Schrift stellt insoferne ein Problem, als der Gedankengang hier nicht zur Gänze logisch verläuft und so die berechtigte Vermutung aufkommt, daß zumindest an einer Stelle zu einem unbestimmten Zeitpunkt eine gelehrte Notiz in den Text eingedrungen sein dürfte1458. Ansonsten ist der Gedankengang jedoch klar; der Ratgeber1459 sagt sich desillusioniert von der Rhetorik los, und in Erkenntnis der Realität erteilt er dem Schüler den Rat, den leichteren Weg zum Ziel zu wählen. Das Problem, um das es hier also geht, lautet, ob man der ehrgeizigen Jugend überhaupt seriöse Bestrebungen empfehlen könne, wenn die Umwelt durch Scharlatanerie getäuscht sein will. Der Ton, in dem diese Kernaussage durchgeführt ist, mutet dementsprechend sarkastisch an. Die Schärfe, mit der die Attacke gegen ein Zeitphänomen1460 geführt ist, dürfte ihre Ursache in der durch bittere Erfahrung gewonnenen 1457 Luk. Hist. Conscr. 17 und 29 (die beiden Korinther), 14 (der Milesier). 1458 Es handelt sich um die problematischen Worte kayãper ı nomoy°thw ka‹ didãskalow (Luk. Rh. Pr. 26), die von Sommerbrodt 18782, 76 wohl zu Recht unter eckige Klammern gesetzt sind. Sind die Worte aber echt, so beziehen sie sich nicht, wie dies Zweimüller 2008, 464–465 meint, ironisch auf den Rednerlehrer, sondern vielmehr auf den Ratgeber, das Autor-Ich, das sich solcherart ironisch selbst verkleinert. Dieses läßt so seine Beratung nicht ambivalent ausklingen (ebda 12), und auch die zuvor empfohlene Lehre wird hier nicht diskreditiert (ebda 28). Vielmehr besteht die Ironie darin, daß der Ratgeber die gesamte Schrift hindurch konsequent eine Lehre empfiehlt, die er moralisch nicht gutheißt, die er aber dennoch unter den aktuellen Bedingungen nolens volens als den Weg zum Erfolg anrät. Die Ironie beherrscht also die Schrift als Ganzes; sie besteht gerade darin, daß der Ratgeber die Sichtweise eines zu richtigem Urteil unfähigen Publikums einnimmt. So enthüllt er für den kritischen Leser die Oberflächlichkeit der Zeit. 1459 Ich verwende den Begriff „Ratgeber“ im Sinne von Zweimüller 2008, 11 als „diejenige Figur, die mit dem Schüler Kontakt aufnimmt und die den gesamten Lehrgang steuert“. 1460 Dies zeigt ein Vergleich mit Philostrats Sophistenbiographien, in denen einzelne Elemente eine Parallele haben, nur eben nicht in der konzentrierten Form wie hier: Gesang (Rh. Pr. 19; VS I 8, 491–492: Favorinus von Arelate, kritisiert von Philostratos, VS I 20, 513: Dionysios von Milet, kritisiert von Isaios, VS II 10, 589: Hadrian von Tyros, VS II 28, 620: Varus von Laodikeia, Kritik des Philostratos), ostentatives Zurschaustellen von Prunk (Rh. Pr. 15; VS I 25, 532: Polemon von Laodikeia, VS II 10, 587: Hadrian von Tyros), Parfümiertheit (Rh. Pr. 11; VS II 5, 571: Alexandros Peloplaton von Seleukeia) sowie sich auf den Schenkel zu schlagen (Rh. Pr. 19; VS I 21, 519: Skopelianos von Klazomenai). Der Rednerlehrer vereint also in einer Person durch Philostratos unterschiedlichen Sophisten zugeschriebene Charakteristika, und es ist daher nur naheliegend, in ihm mit Hall 1981, 278 „a ... hybrid creature, a sophistic Chimaera“ (vgl. Zweimüller 2008, 439) sehen zu wollen; doch ist dies keineswegs zwingend nötig, da Lukian damit genausogut einen zeitgenössischen Redner zeichnen und wohl auch ein klein wenig überzeichnen kann, einen Redner, der die Quintessenz sophistischer Selbstdarstellung in einer Person verkörpert.

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Erkenntnis haben, daß im zeitgenössischen rhetorischen Metier weder eine solide Ausbildung und ein ernsthaftes Studium der Klassiker noch auch moralische Standards gefragt sind1461. Das für Lukian (abgesehen von den zuvor besprochenen Pamphleten) untypische Fehlen von jeglichem Humor verrät, daß es sich um keines der für Lukian charakteristischen literarischen Spiele handeln dürfte, sondern um eine der äußerst seltenen und ernst zu nehmenden Selbstaussagen1462 des sonst sich zumeist derartiger Festlegung entziehenden Autors. Und dies bedeutet, daß der Autor in diesem Fall weitgehend mit Lukian selbst identisch sein dürfte. Anhand einer konkreten Person, dem Rednerlehrer1463, legt Lukian hier die fundamentalen Mängel einer ganzen Zunft offen, und wenn er gerade diese eine Person als Repräsentanten der gesamten Klasse von zeittypischen Rhetoren gewählt hat, so läßt dies im Sinne der beiden zuvor diskutierten Pamphlete darauf schließen, daß er – freilich nicht benannte – persönliche Gründe dafür gehabt haben mag1464. Und vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, daß über den Rednerlehrer biographische Details mitgeteilt werden, von denen einige zu konkret erscheinen, als daß man sie für Erfindungen halten möchte, auch wenn dies freilich nicht gänzlich auszuschließen ist. So ist dem Rednerlehrer die Aussage in den Mund gelegt, daß er aus Ägypten1465 (Xois und Thmuis liegen beide im oberen Nildelta in einer Entfernung von etwas mehr als 50 km voneinander entfernt)1466 stamme und sehr niedriger Herkunft sei, daß sein Name Potheinos1467 gewesen sei und daß er durch Namensänderung den Söhnen des Zeus und der Leda gleichnamig geworden sei (≥dh to›w DiÚw ka‹ LÆdaw pais‹n ım≈numow geg°nhmai)1468. Diese Stelle wurde bereits in den Lukianscholien als ein Hinweis auf Pollux, den Verfasser des Onomastikon 1469, verstanden1470, und diese Deutung fand und findet heute noch nicht wenige Dies ist sogar viel wahrscheinlicher, denn eine gegen eine bloße Chimäre gerichtete Polemik wäre nicht mehr als belangloses Schattenboxen. Konsequenterweise müßte man dann nämlich die Sinnhaftigkeit einer auch nur versuchten Identifizierung mit einer realen Person strikte leugnen, wenn es denn bloß um ein konstruiertes mixtum compositum ginge. Doch Hall 1981, 276 identifiziert die Person gleichwohl, wenn auch sehr vorsichtig, mit Pollux. 1461 Vgl. die Verteidigung des „Syrers“ gegen die Vorwürfe der personifiziert auftretenden Rhetorik in Luk. Bis Acc. 30–32. 1462 Vgl. Jones 1986, 108 und bes. Weissenberger 1996, 49–50. 1463 Ich verwende diesen Begriff im Sinne Zweimüllers 2008, 12 zur Bezeichnung für den Lehrer des kurzen Weges. Seine direkte Rede reicht von Luk. Rh. Pr. 13–25. 1464 Schon Wieland 1788 / 1789, III 6. Teil, 3 zutreffend: „... daß es hauptsächlich auf Einen gemünzt war, der sich, wir wissen nicht warum, wie, wo und wann, den Unwillen und die Rache unsers Autors zugezogen zu haben scheint“; ähnlich Jones 1986, 108. 1465 Aus Ägypten (Naukratis) stammten mehrere durch Philostratos bekannte Sophisten, außer Pollux (VS II 12, 592) auch Ptolemaios (VS II 15, 595), Apollonios (VS II 19, 599) und Proklos (VS II 21, 602). 1466 Bei der Formulierung Íp¢r JÒin ka‹ YmoËin (Rh. Pr. 24) läßt sich kaum mit Zweimüller 2008, 431 von „einem phantastischen Nirgendwo“ sprechen, zumal wenn man das wechselnde Abhängigkeitsverhältnisse suggerierende Partizip dedouleukÒtow mitberücksichtigt. Die Angabe ist teils konkret, doch teils unbestimmt, um so die Unbedeutendheit des an keinen festen Ort gebundenen Vaters, eines Sklaven, zu unterstreichen. 1467 Der Name Potheinos ist in Ägypten mit Sicherheit nur ein einziges Mal belegt (dieser Potheinos, ein Eunuch, erlangte als Vormund des Ptolemaios XIII. und der Kleopatra eine mächtige politische Stellung, war verantwortlich für den Mord an Pompeius und wurde von Caesar hingerichtet); denn die Erwähnung eines weiteren Potheinos bei Plu Ant. 20, 1 ist zweifelhaft (Ziegler 1953, 1177 und Ameling 2001). 1468 Luk. Rh. Pr. 24. 1469 Ein Schriftenverzeichnis der nicht erhaltenen Werke gibt Suid. s. v. PoludeÊkhw, Adler IV 163, Z. 26–33. 1470 Rabe 1906, 174, bes. Z. 12–13 (mit der Berufung auf eine unbestimmte Mehrzahl von Autoritäten referierend und vorsichtig zustimmend): Tin°w fasin …w efiw PoludeÊkh tÚn ÙnomatolÒgon époteinÒmenon LoukianÚn toËton

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Vertreter, aber auch Skeptiker1471. Gegen die Identifizierung mit dem Sophisten Pollux lassen sich jedoch gewichtige Einwände erheben. Zum einen ist unter dem Plural pais‹n kaum sinnvoll gerade Pollux zu verstehen1472, vielmehr sind darunter die in allgemeinem Verständnis und auch bei Lukian in der Regel als ein Paar aufgefaßten Dioskuren1473 zu verstehen, was einen Namen wie Dioskurides1474 (dieser ist für Ägypten immerhin mehrfach belegt1475) nahelegen würde, auch wenn freilich ein aus Ägypten stammender Sophist dieses Namens nicht bekannt ist. Zum anderen gehen die zugunsten einer Identifizierung mit Pollux üblicherweise angeführten Parallelen zwischen Lukians Schrift und der einschlägigen Biographie des Philostratos1476 kaum über die Sophisten überhaupt zuschreibbaren Charakteristika hinaus1477, haben also keine besondere individuelle Qualität. Drittens ist als ein neues Argument zu nennen, daß gerade der Umstand, daß kein Sophist namens Dioskurides bekannt ist, dafür sprechen könnte, in einem Ägypter dieses Namens die gemeinte Person zu erblicken. Wie bereits festgestellt, attackiert Lukian mit Vorliebe die kleineren Formate. Es ist daher denkbar, daß er auch hier nicht anders verfährt, daß er also einen sonst nicht bekannten Dioskurides aufs Korn nimmt. Wenn dies zutrifft, so mußten seine spärlichen Angaben über dessen Biographie für informierte Zeitgenossen ausreichen, um die Identität grãcai tÚn lÒgon ktl, vgl. Rabe 1906, 180, Z. 4–7, wo Polydeukes mit Bestimmtheit genannt ist.

1471 Ranke 1831, 30 f. (gegen die Ablehnung einer Identifizierung mit Pollux durch Hemsterhuis), Helm 1906, 291, Bethe 1917, 775, Helm 1927, 1758, Bompaire 1958, 128, Hall 1981, 275–278, Jones 1986, 107–108, Clay 1992, 3445, Said 1993, 270, und bei Tosi 1999, 52 erscheint es bereits als festes Handbuchwissen; kritisch im Sinne von Hemsterhuis bereits Wieland 1788 / 1789, III, 6. Teil, 3; in neuerer Zeit Baldwin 1973 a 34–36, Anderson 1976 a 70–71, Weissenberger 1996, 42–43 und Zweimüller 2008, 170–171. Gil 1979 / 1980, 87–98 schlägt Apuleius vor, doch diese Lösung überzeugt weniger. 1472 Dies wurde schon von Hemsterhuis in seiner Vorrede zum Onomastikon des Pollux (Amsterdam 1706, I 27 f.) erkannt (Diskussion von dessen durchaus plausiblen Argumenten bei Hall 1981, 273–274), in diesem Sinne ist Weissenberger 1996, 42, Anm. 103 zu korrigieren. 1473 Deshalb liegt hier Helena (so Zweimüller 2008, 440) kaum im Bereich der Assoziationsmöglichkeiten. In Luk. Salt. 40 erscheint Helena klar getrennt vom Paar der Dioskuren (ka‹ ≤ prot°ra d¢ t∞w ÑEl°nhw èrpagØ ka‹ ≤ strate€a t«n DioskoÊrvn). 1474 Auch dies wurde schon lange erkannt (ältere Literatur bei Hall 1981, 273–274 und 537, Anm. 29 sowie Helm 1927, 1758). Von besonderem Interesse ist die Art und Weise, wie der Name des Epigrammdichters Dioskurides im Proömium zum Kranz des Meleagros von Gadara (AP IV 1, 23–24) umschrieben ist: ... fidÉ §n MoÊsaiw kuklãminon, / ˘w DiÚw §k koÊrvn ¶sxen §pvnum€hn.

1475 Allerdings scheint ein kaiserzeitlicher Beleg für den Namen nicht vorzuliegen, mit Ausnahme vielleicht (doch dies ist unsicher) von Dioskurides dem Jüngeren (Wellmann 1903, 1130–1131), dem Namensvetter des in der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. in Ägypten lebenden Dioskurides (Wellmann 1903, 1129–1130); beide waren medizinische Schriftsteller. 1476 Philostr. VS II 12, 592–593. 1477 Jones 1986, 108 und besonders Hall 1981, 276–277 gehen in ihren Versuchen, Gemeinsamkeiten in der Charakteristik des Pollux aufzudecken, etwas zu weit. Das einzige vergleichbare Merkmal ist die von beiden Autoren genannte honigsüße Stimme (Rh. Pr. 11, Philostr. VS II 12, 593), die Philostratos zufolge Commodus veranlaßt habe, Pollux mit dem Lehrstuhl in Athen zu betrauen (Avotins 1975, 321–322 zeigt u. a. unter Auswertung dieser Stelle, daß diese Auszeichnung in die ersten Jahre der Alleinregierung des Commodus zu datieren ist). Wenn Philostratos zu Beginn seiner Biographie (VS II 12, 592) schwankt, ob er Pollux einen épa€deutow oder einen pepaideum°now nennen solle, so ist dies jedoch auf mehreren Ebenen etwas ganz anderes als die Dreistigkeit, mit welcher der Rednerlehrer in Rh. Pr. 15 als Grundvoraussetzung für den Rednerberuf émay€a, yrãsow, tÒlma und énaisxunt€a fordert; und auch das persönliche Urteil des Philostratos über Pollux (VS II 12, 592: toÁw d¢ sofistikoÁw t«n lÒgvn tÒlm˙ mçllon µ t°xn˙ jun°balle yarrÆsaw tª fÊsei) hat für einen direkten Vergleich nicht allzu viel zu besagen.

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des Mannes zu bestimmen. Da dieser, wie es scheint, nur einer unter vielen sich als Sophisten stilisierenden Männern gewesen ist, so ist es aus heutiger Perspektive nicht mehr möglich, über ihn und seine Identität etwas Genaues zu erfahren, auch wenn in der Wissenschaft, jedenfalls zumeist1478, die verständliche Tendenz besteht, Beziehungen zu Bekanntem herzustellen. Es ist aber festzuhalten, daß die Haupttendenz hier in der Kritik an einem allgemeinen Zustand besteht und nur in zweiter Linie an einem Individuum. Dieser Umstand unterscheidet die Schrift klar von den Pamphleten Adversus indoctum und Pseudologista, in denen jeweils eine individuelle Person das Zentrum der Attacke ausmacht, auch wenn immer ein Stück Zeitkritik dabei im Hintergrund steht. In allen drei Fällen aber gilt der Angriff, wie bereits mehrfach festgestellt, realen, wenn auch aus der historischen Retrospektive höchst unbedeutenden Personen. Dies verbindet die drei Schriften mit der Methodenschrift, in der Lukian kleinformatige Literaten zum Ziel seines Spottes macht. Dabei enthüllt er, wie sich gezeigt hat, deren Identität zum Teil in direkter, zum Teil, so wie in den drei Pamphleten auch, in indirekter Weise auf dem Wege von jedenfalls den Zeitgenossen eine sichere Identifizierung ermöglichenden Hinweisen. Aus heutiger Sicht freilich sind sowohl diese Hinweise als auch die Identitäten der Verfasser ins Dunkel gehüllt. Nur eines läßt sich erkennen, daß Lukian kein belangloses Spiel im luftleeren Raum betreibt, sondern sich mit dem literarischen Betrieb seiner Zeit auseinandersetzt, ohne sich freilich mit irgendwie führenden Persönlichkeiten anzulegen. Und diese vorsichtige Mentalität mag auch erklären, warum er in der Methodenschrift nur in einem einzigen Fall explizit den Vorwurf der Schmeichelei erhebt, gegen den in Kapitel 17 verspotteten Korinther.

1478 Robinson 1979, 57–58 hingegen unternimmt gar nicht erst den Versuch einer Identifizierung; er leugnet einen Bezug zu einer realen Person auch im Falle von Adversus indoctum und Pseudologista.

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II Lukians Schrift und die Qualifikation des Historikers zur Geschichtsschreibung Der zweite Teil der Einleitung (II 1–3) ist einem speziellen Thema von hoher Relevanz für Historiker und Literarhistoriker gleichermaßen gewidmet. Es geht darum, zu untersuchen, wie in der Antike das Anforderungsprofil des Historikers bestimmt wurde1479. Dabei bildet Lukians Methodenschrift, die einzige Abhandlung mit zusammenhängend dargestellter Methodologie, den Ausgangspunkt. Lukians Aussagen werden sodann mit den entsprechenden Erklärungen von Historikern und Rhetoren konfrontiert1480, um so die methodologischen Diskurse der Antike in den Blick zu bekommen und im Idealfall sich abzeichnende Traditionslinien feststellen zu können. Das Thema erfordert nun ein anderes methodisches Verfahren als der erste Teil der Einleitung. Dort wurde weitestgehend unterschieden zwischen dem Autor, dem Autor-Ich und der historischen Person Lukians selbst. Nunmehr muß dieser Zugang aus praktischen Gründen verlassen werden, um nicht die an sich schon komplexen Zusammenhänge noch weiter zu verkomplizieren. Auch ist der Fokus hier ein anderer. Nicht mehr Lukian als Autor steht nun im Zentrum der Betrachtung, sondern Lukian als Quelle für antike Geschichtsmethodologie. In diesem Sinne werden Lukians Aussagen und Postulate in der Regel mit dem Namen des Verfassers bezeichnet, d. h. mit „Lukian“, und auch bei allen anderen Quellen wird in dieser Weise verfahren, um ein Gleichgewicht aller zur Verfügung stehenden „Quellen“ herzustellen. Gleichwohl wird Lukians Text in seinem Eigenwert im Auge behalten, um eine Einschätzung nach den Polen von Tradition und Innovation zu ermöglichen1481. Die Untersuchung ist dreiteilig angelegt. Zunächst werden die sachliche Forschungsarbeit und die dabei anzuwendenden methodischen Verfahren diskutiert (Teil II 1)1482. Das intellektuelle 1479 Bedeutende Forscher zum gesamten Themenkomplex: Walbank (bes. 1938, 1955, 1960, 1962, 1972, 1975, 1982, 1985 im Literaturverzeichnis), Momigliano (1998 a, 1998 b, 1998 c im Literaturverzeichnis, erstmals 1978, 1975, 1931) und Sacks (1981, 1982, 1983, 1986, 1990 im Literaturverzeichnis); der beste Kenner der Materie zur Zeit ist Marincola (1997, 1999, 2001, 2003, 2009, 2009 a), Herausgeber wichtiger Beiträge zum ganzen Gebiet griechischer und römischer Historiographie, Marincola (ed.) 2011, Marincola (ed.) 2011 a (erstmals 2007 in 2 Bänden), Coherausgeber von Dewald / Marincola (ed.) 2006. Unverzichtbar sind weiters Scheller 1911, Avenarius 1956, Strasburger 1966, Petzold 1972, Meister 1975, Fornara 1983, Luce 1989, Wiseman 1979, 1993 und Woodman 1988. Arbeiten mit Relevanz zum Thema umfassen ferner Bowersock 1994, Hornblower 1994, Hose 1994, 23–52, Pelling 1999, Malitz 1990, Schepens 1990 und 2007, Gabba 1981, 1991, Nicolai 1992 und 2007, Meissner 1992, bes. 514–536, Moles 1993, Rebenich 1997, Bosworth 2003, Canfora 2006, Wiemer 2008 und Heldmann 2011. 1480 Marincola 1997 erläutert seine darstellerische Methode so (2): „I have avoided the tendency, sometimes seen, to begin with Lucian and then seek confirmation in the historians before and after him. My own procedure has been to include him either at the end of a section after the historians themselves have been examined, or in his proper chronological place“. Die vorliegende Darstellung geht demgegenüber zunächst von den lukianischen Postulaten aus. Die Erklärungen von Historikern und Rhetoren werden nachgereicht, um die literarhistorischen Voraussetzungen für Lukians Gestaltung auszuleuchten. Schließlich werden vor diesem Hintergrund diejenigen Momente hervorgehoben, die Lukians Schrift ihr unverwechselbares Profil verleihen. 1481 Ligota 2007, 46 hat es schön formuliert: „the baggage was traditional but the application was new“. Ähnlich äußerte sich schon Putnam 1909, 163 generell über die zweite Sophistik: „Not a new idea but a new combination was the desired fruit of effort“. 1482 Bei der Einleitung, Teil II 1 handelt es sich um eine im Anmerkungsteil erweiterte Fassung von Porod 2007 a. Es erschien nötig, diesen Abschnitt hier wieder aufzunehmen, weil das Qualifikationsprofil des Historikers in

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Anforderungsprofil für den Geschichtsschreiber wird danach ins Blickfeld gerückt (Teil II 2). Schließlich geht es um den zentralen Parameter von dessen ethischer Qualifikation (Teil II 3). Teil II 2 und Teil II 3 sind insoferne miteinander verknüpft, als hier die Person des Historikers selbst im Zentrum der Betrachtung steht. Auch werden sich hier die innovativen Elemente in der Darstellung Lukians zeigen lassen, und zwar am Deutlichsten da, wo es um das Ethos des Historikers geht. II 1 Die wissenschaftliche Arbeitsweise des Historikers Im ersten Abschnitt des zweiten Teils der Einleitung (Teil II 1) wird der Frage nachgegangen, unter welchen arbeitstechnischen Voraussetzungen und bis zu welchem Grad von Evidenz ein Historiker in den sicheren Besitz zutreffender historischer Daten gelangen könne. Nur eine einzige Stelle in vorliegender Schrift gibt Aufschluß darüber, wie Lukian sich das kritische Verfahren der Wahrheitsermittlung sowie die auf diesem Wege erzielbaren Resultate konkret vorstellt. Es handelt sich um das Kapitel 47, welches den Passus über den von sachlicher Recherche bis hin zum fertigen, stilistisch ausgefeilten Werk reichenden Produktionsvorgang (Kap. 47–48) einleitet:

Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on, éllå filopÒnvw ka‹ talaip≈rvw pollãkiw per‹ t«n aÈt«n énakr€nonta, ka‹ mãlista m¢n parÒnta ka‹ §for«nta, efi d¢ mÆ, to›w édekastÒteron §jhgoum°noiw pros°xonta ka‹ oÓw efikãseien ên tiw ¥kista prÚw xãrin µ ép°xyeian éfairÆsein µ prosyÆsein to›w gegonÒsin. kéntaËya ≥dh ka‹ stoxastikÒw tiw ka‹ sunyetikÚw toË piyanvt°rou ¶stv.

Diese präzise ausformulierte Theorie1483 ist ihrem sachlichen Gehalt nach1484 zunächst vor dem Hintergrund entsprechender Erklärungen, wie sie sich innerhalb antiker Historiographie und Literaturkritik reichlich finden, zu betrachten. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Teilaussagen des Satzes gesondert mit den jeweils relevanten Äußerungen griechischer Historiker und Rhetoren zu vergleichen1485. Die Gegenüberstellung erfolgt aus diachroner Perspektive, soll doch dreigliedriger Weise angelegt ist und daher keines dieser Glieder ohne Schaden für das Ganze fehlen darf. 1483 Über den tatsächlichen Produktionsvorgang verraten antike Historiker in der Regel nichts. Cassius Dio (LXXII = LXXIII 23, 5) gibt wenigstens die Grundzüge seiner Arbeitsweise bekannt, dazu Millar 1964, 30–33. Zur Werkgenese aus heutiger philologischer Sicht Schmidt 1997, bes. 2598–2605. 1484 In formaler Hinsicht verleihen besonders Verbaladjektive und Imperative (hier sunakt°on und ¶stv) dem didaktischen dritten Teil der Schrift (Luk. Hist. Conscr. 34–60) sein charakteristisches Gepräge; vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 10. 1485 Es wird häufig zu wenig bedacht, daß lateinische literarische Traditionen von relativ geringer Relevanz für einen direkten Vergleich mit Lukian sind. Es sind immer noch die allgemein gehaltenen Worte von Hahn 1907, 700 zu bedenken: „Der lateinischen Literatur gegenüber verhielten sich die bildungsstolzen Hellenen ... ablehnend“. Hier findet der Vorgang, den Perl 1974, 182 als wechselseitigen Rezeptionsprozeß bezeichnet, eine Grenze. Im Falle Lukians trifft Capelles 1914, 274 heute nicht immer beherzigte Aussage zu: „Lukians ganze Bildung wurzelt in der g r i e c h i s c h e n Literatur“. In diesem Sinne stellt Macleod 1991, 283 im Prinzip richtig, wenn auch wohl etwas zu überzeichnet fest: „... Lucian was (or at least gave the impression of being) completely ignorant of Latin literature and indeed only once admits

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die Entwicklungsgeschichte der einschlägigen Erklärungen und deren spezifischer sprachlicher Gestaltung ausgehend von Herodot und Thukydides bis in die Zeit Lukians hinein dokumentiert werden. Dabei wird es primär darum gehen, eher großflächig erkennbare Traditionslinien1486 nachzuzeichnen, als in jedem Einzelfall auf der Basis subjektiver Mutmaßungen direkte Abhängigkeitsverhältnisse zu konstruieren. Über das engere Thema Lukian hinaus wird zusätzlich auch eine Einschätzung des auf sachliche Forschungsarbeit bezogenen Selbstverständnisses antiker Historiker sowie der an diese jeweils von außen herangetragenen Erwartungshaltungen erstrebt. Zu diesem Zweck wird das Material in größerer Fülle dargeboten, als dies für den unmittelbaren Vergleich mit Lukian alleine unbedingt nötig wäre1487. Die Recherche des Historikers Das Verbum sunãgein1488, um mit dem ersten Kolon zu beginnen, gehört zumindest seit Polybios zum sprachlichen Standard in auf das Objekt Geschichtsschreibung bezogenen literarkritischen Zusammenhängen. Bei Lukian bezeichnet es den im Arbeitsprozeß des Historikers noch der Erstellung eines Rohentwurfs (ÍpÒmnhma)1489 vorangehenden Vorgang to knowing any Latin at all“ (vgl. Baldwin 1973 a 91: „Greek intellectuals perhaps knew more about Roman literature than they formally acknowledged in their own productions“). Macleod zieht jedoch etwas zu wenig in Rechnung, daß manchmal lateinische Texte in methodischer Hinsicht von Wert sein können, um übergreifende literarische Phänomene zu illustrieren, nämlich dann, wenn entsprechende griechische Quellen fehlen. Ein solches Beispiel bringe ich in der Einleitung, Teil II 2 (dona naturae). 1486 Zu der von Thukydides zu Polybios, Josephos und Cassius Dio, schließlich bis Prokopios reichenden und für eine Erklärung der Schrift Lukians wesentlichen Traditionslinie vgl. Canfora 2006. 1487 Das hier angewandte Verfahren ist primär literarhistorischer Natur. Die Frage nach der tatsächlichen historischen Forschungspraxis von Herodot an bis zu Herodian, namentlich die nach dem jeweiligen Umgang mit einschlägigen Dokumenten wird in diesem Kontext nicht behandelt, da dies bereits u. a. von Potter 1999, bes. 81–88 geleistet wurde. Eine weitere zur Zeit aktuelle Frage verdient Beachtung. In den letzten Jahrzehnten ist eine Tendenz zu verzeichnen, antiken Historikern generell historisches Denken abzusprechen. Große Wirkung war dem Buch von Wiseman 1979, bes. 41–53 beschieden, der einzig Thukydides tiefgründiges Stellen historischer Fragen zubilligt und der zum Schluß kommt, daß außer diesem alle anderen Historiker „a critical judgement comparable to our own criteria of historical reliability“ (48) vermissen lassen. In diesem Sinne urteilt u. a. auch Potter 1999, 119 in einer Untersuchung mit weitergestecktem Fokus: „Scholarship in the ancient world cannot be measured by modern standards“. Im deutschsprachigen Raum findet sich eine ähnliche Bewertung u. a. bei Malitz 1990, bes. 347–349. Zu einer gerechteren Würdigung trägt Marincola 2009, 16–22 bei, der zu Recht darauf hinweist, daß es antiken Historikern nicht schlechthin an historischem Denken mangelt, sondern daß dieses sich unter anderen äußeren Rahmenbedingungen anders darstellt und anderen Werten verpflichtet ist, als dies heute der Fall ist. In der Tat, dem zur Zeit aktuellen Trend der Forschung wohnt ein gewisser Gegenwartshochmut inne, der sich nun nicht mehr, wie in der Zeit, in der Wiseman seine aufrüttelnde These formuliert hat, mit der Notwendigkeit rechtfertigen läßt, allzu einseitigen Ansichten der Vorgänger im Fach provokant geäußerte Perspektiven entgegenzustellen. 1488 Lukian verwendet die Verba sunãgein und éyro€zein (Luk. Hist. Conscr. 48) in bedeutungsidentischer Weise, wie dies bereits Polybios (XII 28 a: sunayro€zein / sunãgein) vor ihm getan hatte. Belege zu weiteren synonymen Begriffen bei Avenarius 1956, 71–72. Dionysios von Halikarnaß gebraucht das Verbum sunãgein bevorzugt im Zusammenhang mit literarkritischen Äußerungen über andere Historiker (I 11, 1, Th. 16, Pomp. 6). Isokrates hatte bei seinen beiden knappen Charakteristiken der Gattung Geschichtsschreibung (or. 4, 45 und or. 5, 1) zwischen dem mehr technischen sunãgein und dem einen höheren Grad an Ausarbeitung bezeichnenden §jhge›syai unterschieden (dazu Roth 2003, 76–77). 1489 Auf den Rohentwurf (ÍpÒmnhma) folgen im Arbeitsprozeß die Anordnung sowie die stilistisch–rhythmische Ausgestaltung (Luk. Hist. Conscr. 48). Im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Luk. Hist. Conscr. 16) wird dies anhand der Unterscheidung von ÍpÒmnhma und flstor€a erläutert.

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des Zusammentragens von relevantem historischem Faktenmaterial (tå prãgmata) sowie dessen kritischer Prüfung. Aus diesem Verfahren der Sichtung, Auswahl und Bewertung der zur Verfügung stehenden Informationen müsse, so Lukians Postulat, das mit oberflächlicher Recherche stets verbundene Zufallsmoment herausgehalten werden (oÈx …w ¶tuxe1490 sunakt°on). Dieses zentrale Prinzip verantwortungsvoller historischer Forschungsarbeit geht auf das bekannte methodische Verfahren zurück, wie es von Thukydides, auf den sich Lukian in vorliegender Schrift wiederholt als maßgebliche Autorität beruft1491, erstmals mit paradigmatischer Prägnanz formuliert wurde. Thukydides1492 hatte erklärt, daß er sich bei der Darstellung der Ereignisgeschichte – im Unterschied zu der andersartige methodische Prinzipien erfordernden Gestaltung der Reden1493 – weder an den erstbesten Informanten1494 gehalten habe, noch auch nach dem subjektiven Prinzip von mutmaßender Imagination1495 verfahren wäre: oÈk §k toË paratuxÒntow punyanÒmenow ±j€vsa grãfein, oÈdÉ …w §mo‹ §dÒkei.

Diese programmatische Erklärung läßt sich in ihrer Rezeption durch den Attizismus verfolgen, kraft dessen Normen setzender und durchsetzender Autorität Thukydides erst als Klassiker von 1490

Diese Formulierung verwendet auch Polybios (II 56, 3) in seiner Kritik an der Methode des Phylarchos:

... pollå parÉ ˜lhn tØn pragmate€an efikª ka‹ …w ¶tuxen e‡rhke. Das Urteil des Polybios ist wohl auch durch die

Achäerfeindlichkeit des Phylarchos bestimmt (so zutreffend Oliver 2006, 118). 1491 Hinsichtlich der idealen Arbeitsweise des Historikers wird die Vorbildhaftigkeit des Thukydides anerkannt. Luk. Hist. Conscr. 42 beruft sich auf das thukydideische Methodenkapitel, und in Kap. 39 wird von Thukydides ebenso wie von Xenophon ausgesagt, beide hätten sie in ihrem Werk die subjektiven Motive von Haß und Sympathie zugunsten der Wahrheit zurückgestellt (vgl. dazu Teil II 3 der Einleitung). Der normative Rang des Thukydides gründet somit nicht nur auf seinen einschlägigen programmatischen Äußerungen, sondern auch auf dem Geschichtswerk als ganzem, aus dem Lukian wiederholt und aus unterschiedlichen Perspektiven Anschauungsmaterial bezieht. 1492 Th. I 22, 2. Avenarius 1956, 71–72 führt Lukians Postulat direkt auf Thukydides zurück, doch räumt er zu Recht ein, „daß gerade in der Formulierung sich auch manche Berührungspunkte mit anderen Historikern finden“ (73), und weiter: „Eine Sonderstellung kommt eigentlich nur Polybios zu“, für den dieses Postulat „ein echtes Anliegen darstellt“. Dies ist einer der recht seltenen Fälle, in denen Avenarius die Wichtigkeit des Polybios für Lukian (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 5) anerkennt. 1493 Zu den Prinzipien, nach denen die Reden in griechischer Historiographie gestaltet sind vgl. Walbank 1985 und den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 58 mit der dort verzeichneten Literatur. Zur speziellen Frage der Zuordnung der Urkunden zum Bereich von lÒgoi und ¶rga Müller 1997. 1494 So Gomme 19502, 141: „not from the first person I chanced to meet“. Es ist nötig, nachdrücklich auf dieses natürliche Textverständnis hinzuweisen, da es in Frage gestellt wurde durch die polemische Untersuchung von Egermann 1972, bes. 586–589, der für ein adverbiales Verständnis von §k toË paratuxÒntow im Sinne von tuxÒntvw, …w ¶tuxe plädiert, denn (587): „ı paratux≈n kommt nicht gleichbedeutend mit ı tux≈n vor“, ihm folgend Scardino 2007, 410–11, Anm. 55. Doch läßt sich diese apodiktische Behauptung kaum aufrechterhalten, da bereits eine flüchtige Durchsicht der im Handwörterbuch von Passow verzeichneten Belege eine hinsichtlich des Textsinns unzweifelhafte Stelle bei Polybios (X 15, 4) zutage fördert. Scipio, so heißt es hier, habe seine Männer mit dem Auftrag ausgesandt, jeden, der ihnen über den Weg laufe, zu töten (kte€nein tÚn paratuxÒnta). Das Verbum paratugxãnein kann hier nicht die Bedeutung von „eben, gerade dabeisein“ haben, wie sie von Egermann (587) als für die gesamte Gräzität verbindlich vorausgesetzt wird. 1495 Zur Funktion derartiger Formeln (dok°v bzw. dok°ei moi bei Herodot, …w §mo‹ doke› bei Thukydides) vgl. die diluzide Studie von Marincola 1989. Darüberhinaus läßt sich thukydideischer Einfluß bei Polybios (XXIX 5, 1–3) feststellen, der sich dafür rechtfertigen zu müssen glaubt, daß er seine Mutmaßung (tÚ dokoËn) über die antirömischen Geheimverhandlungen des Perseus und Eumenes niederschreibt (der gesamte Passus reicht bis XXIX 9, 13). Der rigoros formulierende Lukian (Luk. Hist. Conscr. 8) gar bringt den Begriff tÚ dÒjan in expliziten Zusammenhang mit der nur in der Dichtung (poihtikÆ), nicht aber in der ganz anderen Normen verpflichteten Geschichtsschreibung (flstor€a) legitimen Freiheit phantasievoller Gestaltung.

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kanonischem Rang anerkannt wurde1496. So liegt eine Paraphrase etwa vier Jahrhunderte später bei dem Rhetor und Historiker Dionysios von Halikarnaß vor, der in seiner Doppeleigenschaft als attizistischer Theoretiker und Praktiker zugleich1497, wie kein anderer vor und nach ihm, das fugenlose Ineinandergreifen von historiographischer und rhetorischer Terminologie bezeugt1498. In seiner hinsichtlich der Wahl des Gegenstandes ebenso wie vor dem Hintergrund konventioneller Bewertungen innovativen Thukydides-Monographie1499, welche mit in der Antike nie übertroffener Schärfe in der Kritik am großen Vorgänger1500 all die Verstöße des Thukydides gegen die von ihm, Dionysios, erhobenen Normen mit pingeliger Akribie aufrechnet, konzediert Dionysios1501, denn er weiß durchaus auch manche Vorzüge der thukydideischen Methode und Darstellungskunst zu schätzen, Thukydides, daß er im Unterschied zu seinen Vorgängern nicht aufgrund von beliebigen mündlichen Informationen sein Werk konzipiert habe (oÈk §k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn tåw prãjeiw suntiye€w), sondern aus eigener Anschauung ebenso wie in Anlehnung an die bestinformierten Gewährsmänner. In seinem eigenen Geschichtswerk gibt Dionysios1502, wohl unter bewußter Bezugnahme auf eben diese Aussage des Thukydides, wenn dies von ihm auch nicht explizit ausgesprochen ist, nun seinerseits die vorerst allgemein gehaltene Erklärung ab, all diejenigen Geschichtsschreiber würden kein Lob ernten, welche, mögen sie sich auch ganz im Einklang mit den elementaren Erfordernissen von Geschichtsschreibung die vorzüglichsten Gegenstände als Objekte für ihre Werke auswählen, bei der Durchführung im einzelnen mit planloser Willkür und sorglos (efikª d¢ ka‹ =&yÊmvw) verführen, indem sie ihre Darstellungen auf nach dem Zufallsprinzip eingeholten 1496 Das einschlägige Material ist gesammelt von Strebel 1935, vgl. Hornblower 1995 und Nicolai 1995 sowie, mit neuester Literatur, den Kommentar zu Luk. Hist. Conscr. 2: Youkud€dai. 1497 Dazu Heath 1989, Halbfas 1910 und Sacks 1983. Eine Verwandtschaft mit auffälligen Übereinstimmungen besteht zwischen dem Hauptproömium zum Geschichtswerk und der Epistula ad Pompeium (dazu Sacks 1983, 74–76). Eine zeitliche Priorität einer dieser beiden Werke läßt sich jedoch nicht sicher erweisen. 1498 Dionysios sucht mit seinen Erklärungen dem Erwartungshorizont eines ebenso rhetorisch wie historisch interessierten Publikums nachzukommen. Der Attizismus, als dessen maßgeblicher Vertreter in Theorie und Praxis Dionysios gelten kann, entdeckte die Geschichtsschreibung, welche bereits bald nach Thukydides zu einer bevorzugten Domäne der rhetorischen Bildungstradition geworden war, nicht nur als Gegenstand praktischer Betätigung, sondern auch als Objekt theoretischer Betrachtung und literarkritischer Bewertung (für einen Einbezug der Geschichtsschreibung in rhetorische Theorie liegen Belege erst aus nachchristlicher Zeit vor, dazu Schmid 1894, 135). Dionysios selbst belegt das neu erwachte Interesse an der Geschichtsschreibung als einem der Rhetorik nahestehenden Sujet, abgesehen von seinem eigenen Geschichtswerk, u. a. dadurch, daß er seinen Monographien über die attischen Redner eine solche über Thukydides an die Seite stellte. Ps. Longinos wiederum zog in seiner rhetorisch–ästhetischen Schrift per‹ Ïcouw ausgewählte Passagen aus den Historikern heran, und zwar als Beleg für auch in anderen literarischen Gattungen gleichermaßen gültige literarische Wertmaßstäbe. Schließlich berücksichtigte auch Ps. Demetrios in der Schrift per‹ •rmhne€aw immerhin noch die Werke der Historiker. Einschlägige Bewertungen von Geschichtswerken nach Inhalt und Form finden sich zudem im Corpus der Rhetores Graeci. Generell wurde ja die Geschichtsschreibung implizit oder explizit dem g°now §pideiktikÒn der Rhetorik zugerechnet. 1499 Zu dieser Schrift vgl. den gründlichen Kommentar (mit Übersetzung) von Pritchett 1975, eine synoptische Darstellung der Aussagen bei Bonner 1939, 81–97. 1500 Dionysios zeigt sich in Kap. 2 seiner Thukydides–Monographie der Ungewöhnlichkeit des Unterfangens bewußt, Thukydides im Widerspruch zur übereinstimmenden Meinung von Allgemeinheit und Fachleuten (Philosophen und Rhetoren) zu bewerten, für welch letztere er kanonischen Rang habe. 1501 D. H. Th. 6. In den stilkritischen Schriften äußert sich Dionysios, wie schon Halbfas 1910, 39–40 beobachtet hat, fast nie über die sachliche Recherche des Historikers. 1502 D. H. I 1, 4.

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Informationen (§k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn) basieren ließen. Einer derart unselektiven Methode hätten sich, nun nimmt die Kritik des Dionysios1503 konkretere Gestalt an, bereits all diejenigen griechischen Historiker bedient, welche vor ihm die römische Frühgeschichte in flüchtiger, ungenauer Weise behandelt hätten (ßkastow ... §k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn sunye‹w én°gracen), wie denn überhaupt fast alle Griechen in Irrtümern über die Frühgeschichte Roms befangen seien1504: dÒjai tin¢w ... §k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn tØn érxØn laboËsai toÁw polloÁw §jhpatÆkasin. Ähnliche Kritik an unseriösen Forschungsmethoden wird auch von Josephos ausgesprochen, dessen Formulierung eine Variation der bei Dionysios in Nachfolge des Thukydides vorliegenden darstellt1505. Ebenfalls auf Thukydides geht der Gedanke der Mühewaltung (filopÒnvw bei Lukian) als einer konstituierenden Bedingung ernsthafter historischer Forschungsarbeit zurück. Trotz Anwendung der Methode von kritischer Auswertung eingegangener Informationen als Alternative zu dem (nicht immer verfügbaren) Verfahren der Autopsie ließen sich, so erklärt Thukydides1506, die historischen Fakten nur mit Mühe aus sachlich unrichtigen Behauptungen der Gewährsmänner herausfiltern: §pipÒnvw d¢ hÍr€sketo. Auch dieser Dokumentation einer angestrengt um Erkenntnis ringenden intellektuellen Bemühung war insoferne kräftige Nachwirkung beschieden, als in der Nachfolge des Thukydides die Begriffe von harter Arbeit (pÒnow) sowie der Bereitschaft zu selbiger (filopon€a) wiederholt eine zentrale Rolle in den Erklärungen von Historikern mit an sich sehr unterschiedlichen Zielsetzungen spielen, bei Polybios1507 und Josephos1508 ebenso wie bei Dionysios1509 und Diodor1510. Der elementare Unterschied derartiger Selbstbekenntnisse zu dem wesentlich intellektuell akzentuierten Ansatz des Thukydides ist allerdings klar durch den Umstand markiert, daß bei späteren Historikern explizite Hinweise auf das Ertragen von Drangsal (talaipvr€a)1511, Gefahr (k€ndunow) und Strapazen (kakopãyeia) häufig anzutreffen sind, sogar bei Autoren von weit in die Vergangenheit zurückgreifender Universalgeschichte1512.

1503 D. H. I 6, 1. 1504 D. H. I 4, 2. 1505 Josephos (BJ I 1, 1) beklagt sich über die Sorglosigkeit all derer, die – an den Ereignissen persönlich unbeteiligt – von bloßem Hörensagen willkürliche und widersprüchliche Berichte über den römisch–jüdischen Krieg gesammelt hätten (ékoª sull°gontew efika›a ka‹ ésÊmfvna dihgÆmata). 1506 Th. I 22, 3. 1507 Plb. XII 26 e 3–4 (Kritik an Timaios). 1508 J. BJ I praef. 5, 15–16. 1509 D. H. I 1, 2 (die Begriffe §pim°leia und filopon€a beziehen sich wohl, wie dies I 1, 4 zeigen kann, auf die Forschungsmethode), Pomp. 6: anerkennendes Urteil über die Methode des Theopompos, zum exzeptionellen Rang des Theopompos innerhalb des literarästhetischen Wertesystems des Dionysios vgl. Sacks 1983, 70–74. 1510 D. S. I 4, 1 ( illustrativ), vgl. auch I 1, 1 und I 3, 6. 1511 Der Begriff talaipvr€a ist bereits bei Thukydides angelegt (I 20, 3: oÏtvw étalaip≈rvw to›w pollo›w ≤ zÆthsiw t∞w élhye€aw), der ihn allerdings im Sinne intellektueller Denkanstrengung verstanden wissen will. 1512 Plb. XII 27, 4–6, III 59, 7 (geographische Erkundung); zum unscharfen Begriff von Universalgeschichte bei Polybios Sacks 1981, 96–121 (vgl. dazu 98: „ there is also a general absence of ancient theory on the subject“); repräsentativ für den Universalhistoriker ist D. S. I 4, 1 (das Thema zieht sich durch das gesamte Proömium hindurch). Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnen die Begriffe kakopãyeia, k€ndunow und dapãnh die mit militärischer Rüstung verbundenen Belastungen jeglicher Art (so Plb. XII 5, 3).

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Verfasser von Zeitgeschichte heben in derartigen Zusammenhängen zudem mit Vorliebe ihren um der Wahrheitsfindung willen getriebenen finanziellen Aufwand (dapãnh, énal≈mata) hervor1513. In dieser Hinsicht konnten sie sich nicht auf Thukydides berufen, der solches von sich nicht behauptet hatte, wenn ihm auch eine derartige Arbeitsweise von der Markellinos-Vita, wohl als Ergebnis sachlich anfechtbarer späterer Projektionen, singulär zugeschrieben wurde1514. Auch Lukian spricht über die Notwendigkeit materieller Aufwendungen nirgendwo, doch zeigen immerhin die von ihm verwendeten Begriffe filopÒnvw1515 und talaip≈rvw seine Vertrautheit mit nachthukydideischen Traditionen unzweifelhaft historiographisch–rhetorischer Provenienz. Das Verbum énakr€nein bzw. das Substantiv énãkrisiw, welche nicht dem von Thukydides innerhalb seiner (sehr spärlichen) methodologischen Erklärungen verwendeten begrifflichen Repertoire angehören, bezeichnen in dem an literarkritischen Auseinandersetzungen reichen 12. Buch des Polybios1516 wiederholt die Forschungsarbeit des Historikers (tÚ per‹ tåw énakr€seiw m°row), welche als das vorzüglichste Element der Geschichtsschreibung (kuri≈taton t∞w flstor€aw) hervorgehoben wird. Dieser sei Timaios, so die Ansicht des Polybios, überhaupt nicht gerecht geworden1517: tÚ per‹ tåw énakr€seiw m°row §pis°surtai parÉ aÈt“ tel°vw. Eine direkte Benutzung oder auch nur Kenntnis des vom Attizismus1518 in stilistischer Hinsicht 1513 Plb. XII 27, 6, J. BJ I 5, 16. Dionysios (Pomp. 6) berichtet solches über Theopompos (dazu Sacks 1983, 71), und Athenaios (III 85 a) läßt es einen Sprecher (Demokritos: III 85 c) über Theopompos sagen. 1514 Marcellin. Vit. Thuc. 19–21: Thukydides habe, so wird hier berichtet, den Reichtum seiner thrakischen Frau dazu aufgewendet, um athenische und spartanische Informanten sowie solche aus anderen Regionen für ihre Informationen zu bezahlen. Zur Markellinos–Vita umfassend Maitland 1996. 1515 Beim pÒnow handelt es sich um einen zentralen Wert der Kyniker, zu Diogenes SSR II Fr. 292 = Stob. III 7, 17 und SSR II Fr. 486 = Stob. IV 36, 10, zu letzterer Stelle vgl. SSR II Fr. 91 = Crates Theb. Ep. 4, vgl. zur kynischen Metaebene bes. die Einleitung, Teil II 3 passim. 1516 Plb. XII 4 c 3 (freilich nur unter der Voraussetzung einer Befähigung zu kritischer Überprüfung der Daten, vgl. dazu die Diskussion bei Sacks 1981, 203–209, bes. 204–205). In XII 27, 6 bezeichnet Polybios die Forschungsaktivität mit dem Terminus polupragmosÊnh (zur Bedeutung des Begriffs Beister 1995, 340–341, Anm. 48), in XII 25 e 1 bestimmt er als die drei Teile der pragmatikØ flstor€a (zur Bedeutung dieses von Polybios nirgendwo vollständig und einheitlich erklärten Begriffs Gelzer 1982 und die Diskussion des Forschungsstandes bei Sacks 1981, bes. 178–186): 1) die Auswertung schriftlicher Quellen (ÍpomnÆmata), 2) die topographische Anschauung (y°a), und 3) die politischen Handlungsakte (prãjeiw politika€). Voraussetzung für sachgerechte Forschung seien die durch Alexanders Herrschaft und die römische Suprematie stark verbesserten Reisemöglichkeiten in allen Teilen der Welt (dazu der Exkurs Plb. III 58–59). Zu den Reisen des Polybios vgl. Walbank 1957 a, 1–6. Zum Aufbau des Buches XII vgl. Sacks 1981, 22–66. 1517 Plb. XII 4 c 3, dasselbe mit anderen Worten XII 4 d 2: ép°xei toË ... ékrib«w tØn élÆyeian §jetãzein, mit Bezugnahme darauf XII 27, 3, vgl. auch XII 28 a 8–10. Timaios gilt Polybios als Vertreter des Typus des reinen Büchergelehrten, er bescheinigt ihm u. a. XII 25 h 3 eine auf Bücher fixierte Mentalität (bubliakØ ßjiw). Timaios habe geglaubt, es genüge – bei seßhafter Lebensweise (fast 50 Jahre lang in Athen, vgl. XII 25 h 1) – ein bloßes Bücherstudium (XII 25 d 1). Das sei freilich, so erklärt Polybios, eine reichlich bequeme Arbeitsweise, bei der es xvr‹w kindÊnou ka‹ kakopaye€aw abgehe (XII 27, 4–5). Zur polybianischen Kritik an Timaios vgl. u. a. Weiler 2001, bes. 323–333. 1518 D. H. Comp. 4 nennt Polybios unmittelbar nach Phylarchos und Duris als Vertreter all derjenigen hellenistischen Historiker, welche die erstrangig wichtige sÊnyesiw als nicht notwendig vernachlässigt hätten, weshalb es auch niemand fertigbringe, deren Werke zu Ende zu lesen. Auch sonst urteilt Dionysios ungünstig über Polybios (Belege bei Halbfas 1910, 16 und 33), doch daß er ihn gelesen hat, schon in seiner Eigenschaft als Geschichtsschreiber, ist sicherlich anzunehmen (Sacks 1983, bes. 72–74 sucht gegenüber Gozzoli 1976 zu erweisen, daß er dessen an methodologischen Erklärungen reiches 12. Buch gelesen und verwertet hat, doch die dafür angeführten Belege sprechen nicht zwangsläufig für dermaßen direkte Benutzung; etwas zu zuversichtlich in dieser Frage äußert sich Weissenberger

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geächteten Polybios, den Lukian in seinem umfangreichen Oeuvre nicht zitiert1519, ist freilich eher unwahrscheinlich1520. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß Lukian sich hier auf einen von Polybios initiierten und von späteren Historikern aufgegriffenen Diskurs bezieht, dessen Existenz sich allenfalls hypothetisch annehmen läßt. Es darf auch nicht übersehen werden, daß noch einige Jahrhunderte nach Polybios die Seriosität von Forschung innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung thematisiert wurde. Dabei wurden freilich andere Formulierungen verwendet als das durch Polybios und Lukian repräsentierte Begriffsfeld énakr€nein – énãkrisiw. In diesem Sinne äußert Herodian1521 mit an das thukydideische Methodenkapitel erinnernden Worten1522 und mit demonstrativer Distanzhaltung gegenüber der üblichen zeitgenössischen Panegyrik eine gestrenge Kritik an der überwiegenden Zahl derjenigen Historiker, welche auf darstellerische Augenblickswirkung abzielten, sich des mythischen Elementes bedienten und bei alledem mit ungebrochener Zuversicht hofften, der sachliche Gehalt ihrer Recherche (tÚ ékrib¢w t∞w §jetãsevw) würde schon nicht auf den Prüfstand kommen und auf diese Weise widerlegt werden. Er selbst, so fährt Herodian mit selbstbewußter Bestimmtheit fort, habe demgegenüber ausschließlich geprüfte Sekundärinformationen mit aller Umsicht (metå pãshw ékribe€aw) gesammelt und aufgenommen.

2002, 264, vorsichtiger 275 mit Anm. 47). Anders als die Attizisten verfährt Cicero, der zwar nicht über den Stil des Polybios spricht, dafür aber mehrfach dessen sachliche Zuverlässigkeit, besonders in Fragen der Chronologie, würdigt (dazu Fleck 1993, 78–83). Dasselbe trifft zu für Livius (XXXIII 10, 10), der dessen sachliche Zuverlässigkeit, besonders in der griechischen Geschichte, rühmend hervorhebt (Malitz 1990, 337, Anm. 55 urteilt, er habe aber methodisch nicht viel daraus gelernt). Unter den griechischen Autoren hat Polybios natürlich durchaus seine Anhänger; so schätzt ihn Pausanias nicht nur als Historiker, sondern auch als Staatsmann (Forte 1972, bes. 421–424). Insgesamt trifft aber zu, was Marincola 2001, 148 über die innerantike Rezeption des Polybios feststellt: „it is ironic that although Polybius saw himself as writing primarily for Greeks, it was the Romans who always accorded him the highest honour“. 1519 Mit Ausnahme von Ps. Luk. Macr. 22 (die Echtheit dieser Schrift wird weitgehend angezweifelt, Rühl 1907, 421 datiert, eine These Hirschfelds aufgreifend, den Verfasser unter Caracalla; die neuere Literatur zur Echtheitsfrage ist bei Georgiadou / Larmour 1994, 1452, Anm. 13 verzeichnet): Polybios sei im Alter von 82 Jahren nach einem Sturz vom Pferd gestorben. Allenfalls als Bonmot kann gelten, was Baldwin 1973 a 90 zu Lukians Schweigen über Polybios sagt: „A malicious critic might be tempted to say that Polybius is suppressed by Lucian in order to conceal his critical debts“. 1520 So wohl zu Recht Gelzer 1982, 279 („Sehr wahrscheinlich hat Lukian ihn überhaupt nicht gekannt“) und Macleod 1991, 283 und bes. 287, zuversichtlicher hinsichtlich einer direkten Benutzung des Polybios durch Lukian äußern sich Georgiadou / Larmour 1994, 1449, welche auch die bisher in dieser Frage vertretenen Standpunkte auflisten (1449–1453). In jedem Fall können die häufigen Kongruenzen zwischen Polybios und Lukian nicht bestritten werden, die erstmals von Georgiadou / Larmour (1450–1478) umfassend dargestellt wurden. Zum sachlichen Nahverhältnis von Polybios und Lukian vgl. auch die Einleitung, Teil I 3. 5. 1521 Hdn. I 1, 1 und 3. Zu der Präsenz von Elementen des Josephos und vor allem solchen des Thukydides im Proömium Herodians Stein 1957, 76–90 (summarisch 89: Initium praefationis ex exemplo Iosephi fertur; altera parte scriptor Thucydidem sequitur). 1522 Zu der Gestaltung des Proömiums Sidebottom 1998, bes. 2776–2780, zu Herodians historischer Methode und seinem tatsächlichen Verhältnis zur Wahrheit ebda 2813–2822, eine Einschätzung der sachlichen Forschungsleistung aus moderner Sicht auch bei Zimmermann 1999 a und 1999 b, bes. 123 -127, vgl. zur Themenwahl Hidber 1999, bes. 147–148; der Text Herodians ist ernstzunehmen „als eine Form von Zeitgeschichtsschreibung“ (166–167).

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Das epistemologische Problem historischer Wahrheitsfindung1523 Als bevorzugte Quelle (mãlista) für historische Informationsgewinnung nennt Lukian die persönliche Teilhabe bei den zu berichtenden Ereignissen, die Autopsie (parÒnta ka‹ §for«nta). Als zweitbeste Ressource habe sich dieser die Auswertung von Berichten der Unparteiischeren unter den Informanten zur Seite zu stellen. Auf letztere Weise sei jedoch lediglich ein Näherungswert an die Wahrheit erreichbar, weil die jeweils verfügbaren Informanten mehr oder weniger stark bestimmte Tendenzen (prÚw xãrin µ ép°xyeian)1524 verfolgten, aus welchen über das einzig mögliche Verfahren der Mutmaßung (efikãseien)1525 bloß unterschiedliche Grade an Wahrscheinlichkeit (toË piyanvt°rou) zu erzielen seien. Das hier angesprochene Verfahren der Wahrheitsermittlung geht auf ein bekanntes zweiteiliges historiographisches Gliederungsschema1526 zurück. Als erster Historiker unterschied Herodot mit

1523 Vgl. zuletzt umfassend und illustrativ zu diesem Themenbereich Schepens 2007. 1524 Diese Formulierung ist das Scharnier, das die Forschungsarbeit und das Ethos des Historikers (Einleitung, Teil II 3) miteinander verknüpft: 1) Die Forschungsleistung (Luk. Hist. Conscr. 47) besteht u. a. in dem richtigen Umgang mit den Tendenzen der Gewährsmänner, und 2) das historiographische Ethos (Kap. 38–41) ist dann gegeben, wenn der Historiker sich selbst freihält von tendenziöser Berichterstattung. Zwischen (1) und (2) bestehen Anklänge in Motivik und Terminologie. So fordert Lukian im Passus über das Ethos (Kap. 38) vom Historiker, er solle sich von Furcht und Hoffnung freihalten, da er sonst bestechlichen Richtern (faÊloiw dikasta›w prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian §p‹ misy“ dikãzousin) gliche. Der ideale Historiker sei aber unbestechlich (éd°kastow), ein gerechter Richter, welcher dem Prinzip ausgewogener Gewichtungen folge (Kap. 41), wie dies der Fall sei bei Xenophon und Thukydides (Kap. 39). 1525 Das Verbum efikãzein diente bereits den Sophisten als einschlägige Bezeichnung für das Verfahren des Wahrscheinlichkeitsschlusses. Als erster Historiker gebrauchte Herodot wiederholt den Begriff tÚ ofikÒw zur Bezeichnung des Kriteriums der Wahrscheinlichkeit (Belege bei Müller 1981, 307–308). Von großer Bedeutung für die Etablierung des Begriffes efikãzein innerhalb späterer historiographischer Terminologie war der Umstand, daß er von Thukydides als häufig wiederholter und die Argumentation wesentlich bestimmender Kernbegriff verwendet wurde, sowohl da, wo er aus auktorialer Perspektive spricht (I 9, 4; I 10, 2; VIII 46, 5), als auch da, wo er einem Redner seine Worte in den Mund legt (IV 126, 3; V 9, 3; VI 92, 5). Als Stützen für das Verfahren des efikãzein galten Thukydides tekmÆria (erstmals programmatisch I 1, 1–3) und shme›a (in I 21, 1 werden beide Begriffe genannt). Zum Stellenwert des efikãzein innerhalb thukydideischer Methode Erbse 1961, zur Bedeutung des Idioms …w efikÒw in den 6 Belegen bei Thukydides Westlake 1958, bes. 449–452. In Hoses 2000 Behandlung des efikÒw in der Tragödie der 2. Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. ist der direkte Vergleich mit der Historiographie, namentlich mit Thukydides (28–29), das schwächste Glied in der Argumentation; eine Heranziehung der in 19, Anm. 11 genannten Autoren hätte mit Hinblick auf die bei diesen angewandten argumentativen Verfahren als Ergebnis mehr erbracht als bloß „eine gemeinsame Zeiterfahrung“ (29). Polybios (XII 7, 4), um die antike historiographische Methodologie fortzuführen, billigt Timaios und Aristoteles zu, sie beide hätten katå tÚn efikÒta lÒgon ihre Untersuchungen über die Gründungsgeschichte von Lokroi geführt, doch lägen mehr Wahrscheinlichkeiten (ple€ouw piyanÒthtew) in der aristotelischen Version. Besondere Vorliebe für den Begriff efikãzein zeigt Dionysios von Halikarnaß, besonders da, wo der Quellenwert unterschiedlicher Autoritäten zur Debatte steht (II 38, 3). Lukian schließlich verwendet das Verbum efikãzein ein weiteres Mal in vorliegender Schrift, nämlich da, wo er die Anweisung erteilt, der Historiker dürfe für einen von ihm allenfalls berichteten mËyow keine Gewähr übernehmen, sondern müsse die Entscheidung darüber dem Wahrscheinlichkeitsschluß des Rezipienten überlassen (Kap. 60). Arrian (An. I praef. 1) erklärt, mit leichter Variation im Ausdruck, er berichte da, wo seine maßgeblichen Quellen Aristobulos und Ptolemaios nicht übereinstimmten, das, was ihm in höherem Grade glaubwürdig zu sein scheine (tå pistÒtera §mo‹ fainÒmena). 1526 Nicht berücksichtigt wird hier das von Herodot seltener angewandte Verfahren des Ableitens von Unbekanntem mittels Erfahrung und Wahrscheinlichkeitsschluß, weil es innerhalb der nachherodoteischen Theorie keine prominente Rolle spielt. Die einschlägige Terminologie für diese Methode und primäre Belege bei Müller 1981, bes. 310–313.

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konsequent durchgehaltener Methode zwischen Autopsie und Sekundärinformationen1527 und verfeinerte damit am Objekt der Geschichtsschreibung ein an sich bereits seit Homer bekanntes Differenzierungsinstrumentarium1528. Für die als erstrangig erachtete Autopsie1529 stehen bei ihm regelmäßig die Begriffe des Sehens (ırçn), der visuellen Wahrnehmung (ˆciw) und der Teilhabe als Augenzeuge (aÈtÒpthw). Die Sekundärquellen bezeichnet er ebenso regelmäßig mit den Termini des Hörens (ékoÊein, punyãnesyai), der Kunde (ékoÆ) und der Berichte (lÒgoi, legÒmena), unter denen diejenigen von Augenzeugen an Bedeutung voranstünden. Mit diesem selektiven Verfahren der rangmäßigen Bestimmung seiner Quellen1530 hatte Herodot ebenso wie auch mit seiner Beurteilung sekundärer Informationen nach dem Kriterium des Wahrscheinlichen (tÚ ofikÒw)1531 der kritischen Historiographie wichtige Impulse gegeben1532. Die von Herodot auf einen weite Zeiträume umgreifenden Stoff angewandte Methode wurde innerhalb der Antike zum anerkannten Standard für die in ihrer Zahl überwiegenden Verfasser von Zeitgeschichte in griechischer und lateinischer Sprache1533. Eine Nachwirkung der herodoteischen Methode zeigt sich in dem gleichermaßen knappen wie inhaltlich dichten Programm des Thukydides1534, der seine Methode der Informationsgewinnung bestimmte durch die bekannte Erklärung, er beschreibe: ... oÂw te aÈtÚw par∞n ka‹ parå t«n êllvn ˜son dunatÚn ékribe€& per‹ •kãstou §pejely≈n. §pipÒnvw d¢ hÍr€sketo, diÒti ofl parÒntew to›w ¶rgoiw •kãstoiw oÈ taÈtå per‹ t«n aÈt«n ¶legon, éllÉ …w •kat°rvn tiw eÈno€aw µ mnÆmhw ¶xoi. Dieser programmatische Satz, dessen erster Teil zumal aufgrund seiner

sogar autoptischer Wahrnehmung, welcher Herodot den unbedingten Vorzug zuerkannt hatte, gegenüber eingehaltenen Distanz1535 kaum adäquat durch eine Übersetzung wiedergegeben 1527 Zu Herodots noch verhältnismäßig unkritischem Umgang mit Inschriften, wie er in letzter Zeit bewertet wird, vgl. West 1985, Osborne 2002, 510–513 und Rhodes 2007, 57–58. 1528 Telemachos fragt Nestor nach Odysseus (Od. III 93–95): ... e‡ pou ˆpvpaw / Ùfyalmo›si teo›sin, µ êllou mËyon ékoÊsaw / plazom°nou. Ähnlich klingt das Lob des Odysseus an Demodokos, er singe: Àw t° pou µ aÈtÚw pare∆n µ êllou ékoÊsaw (Od. VIII 491). Hier wird von dem Spender des Lobes als Inspirationsquelle die Muse oder Apollon namhaft gemacht (488), womit die Einleitung zum Schiffskatalog zu vergleichen ist (Il. II 484–492), dazu Marincola 1997, bes. 63–64 (generell zu dem Verhältnis Herodots zu Homer vgl. Marincola 2006). Häussler 1976, bes. 28–38 meint, daß Homer schon „ein Stück historisch untersuchender Methode vorgelegt hat“. Die Scholien sehen darin freilich eine Technik zur Erzeugung der Illusion von Autopsie. Nünlist 2009, 185–193 behandelt dieses Thema unter der Überschrift „Authentication“ und spricht 193 zutreffend von „the eyewitness–like quality of the poet’s narrative“. Daß Thukydides (I 22, 2–3, zu diesem Passus vgl. weiter unten) seine Unterscheidung von Autopsie und sekundärer Informationsbeschaffung direkt Homer verdanke (so Woodman 1988, 15, der darin wieder einmal „his indebtedness to Homer“ erblickt), ist allerdings kaum wahrscheinlich. 1529 Zur Thematik der Autopsie Nenci 1955, Schepens 1970 und Pretzler 2007, 44–56. Andere Bedingungen herrschen in der Gattung der Biographie vor (zu Plutarch Buckler 1992). Zur andersartigen Bewertung des Faktors Autopsie im Panathenaikos des Isokrates (Kap. 149–150) Roth 2003, 188–189 und Nickel 1991, 235. 1530 Eine Auswahl signifikanter Stellen: Hdt. I 183, 2–3; II 29, 1; II 99, 1; II 123, 1; II 147, 1; II 148, 5–6; IV 16, 1–2. 1531 Belege bei Müller 1981, 307–308. 1532 Noch vor knapp einem halben Jahrhundert konnte Immerwahr 1966, 6, Anm. 11 konstatieren: „The whole complex of methods needs further investigation“. 1533 Einen Überblick gibt Marincola 1997, 63–95, zu den weniger klar bestimmbaren Methoden der Vergangenheitsgeschichte ders. 95–117. 1534 Th. I 22, 2–3. 1535 In dieser Hinsicht stimme ich mit Egermann 1972, 592 überein, der übersetzt: „nachdem ich sowohl das, wo ich selbst dabei war, wie auch das von den anderen Berichtete .... bezüglich jeder Einzelheit durchforscht hatte“.

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werden kann1536, vermittelt eine Vorstellung von der Ernsthaftigkeit und Würde, ja von dem verhaltenen Stolz, der aus diesen schlichten Worten spricht1537. Mit anderen Worten ist hier die aus Herodot bekannte zweiteilige Methode von Autopsie und kritischer Verwertung von Sekundärinformationen in einer auf den Gegenstand von Zeitgeschichte applizierten Form als historisches Grundsatzprogramm formuliert, als Manifest gewissermaßen einer deklariert vorgetragenen Einstellung, welche unter äußerster Anspannung aller Kräfte dem konkreten Objekt gültige Aussagen abzuringen sucht1538. Die Parteilichkeit der Gewährsmänner, deren Sympathie (eÎnoia)1539 für die eine oder andere Seite, wird von Thukydides als ein prinzipiell die Wahrheitsfindung erschwerender Faktor namhaft gemacht. Ein weiteres Manko bestehe in deren unterschiedlich stark ausgeprägter Erinnerungsfähigkeit (mnÆmh), ein Faktor, welcher von Lukian zugunsten seiner einseitigen

Bezeichnend für dieses Verfahren ist der Kommentar des Thukydides (VII 44, 1) zur nächtlichen Schlacht bei Epipolai. Selbst bei Tag, so die Aussage der Stelle, könne der einzelne nur Ausschnitte aus dem Kampfgeschehen wahrnehmen, und auch das nur in unvollkommener Weise. Sehr ähnlich klingen die Worte des Theseus in den Hiketiden des Euripides (855–856). Derartige Relativierungen des prinzipiellen Erkenntniswertes autoptischer Erfahrung finden sich ansonsten innerhalb antiker Historiographie nicht. Auch Polybios (XII 28 a 10) ist da keine Ausnahme, da er nicht den Erkenntniswert der Autopsie an sich in Frage stellt, sondern lediglich voraussetzt, daß einzig die praktische Erfahrung das von einem Beobachter vor Ort Wahrgenommene adäquat zu erkennen in der Lage sei. Anzumerken ist, daß Thukydides an dafür geeigneter Stelle einen Hinweis auf selbst gemachte Erfahrung und Autopsie gibt. So beruft er sich in der Einleitung zur Pestschilderung (II 48, 3) auf seine eigenen Beobachtungen: aÈtÒw te nosÆsaw ka‹ aÈtÚw fid∆n êllouw pãsxontaw. Zu sieben möglichen Hinweisen auf eine Autopsie im Werk des Thukydides übersichtlich Sonnabend 2004, 55–58. 1536 Zur stilistischen Gestaltung des Methodensatzes Wille 1965. Wille bezieht den Methodensatz in seine die antiken Stilurteile umfassend berücksichtigende Untersuchung des thukydideischen Stils ein und spricht ganz allgemein von „einer gelegentlich absichtlich verhüllenden Darstellungsweise“, sowie, mit speziellem Bezug zum Methodensatz, von „Weite und Elastizität seiner Formulierungen“ (Zitate nach dem Nachdruck 1968, 689 und 716: Schlußsatz). 1537 In Arbeiten neueren Datums wird die literarische persona des Thukydides als eine komplexe Größe gesehen und bewertet, vgl. z. B. Rood 2006. 1538 In den letzten Jahrzehnten ist die Tendenz zu verzeichnen, für Historiographie den Anteil von Forschung zugunsten vermeintlich in der Antike generell als legitim erachteter rhetorischer und fiktionaler Elemente zu minimalisieren. Hier seien insbesondere zwei Vertreter mit jeweils einem wirkungskräftigen Buch genannt, Wiseman 1979 und Woodman 1988. Woodman (23) bestimmt die literarische Strategie des Thukydides nur teilweise zutreffend so: „Thucydides has eliminated almost all traces of the difficulties he encountered and in doing so has created an impression of complete accuracy ... he has thereby misled the majority of modern scholars, who have mistaken an essentially rhetorical procedure for scientific historiography at its most successful“. Es erscheint indes problematisch, allen antiken Historikern unterschiedslos und ohne Ausnahme nicht bloß die faktische Objektivität, sondern sogar das Bemühen um Erforschung der Fakten abzusprechen. Auch in Arbeiten neueren Datums bleiben oft die antiken Kriterien ebenso wie die spezifischen Unterschiede zwischen griechischer und römischer Geschichtsschreibung unberücksichtigt, bei Pelling 1990, 21 und bes. bei Laird 1999, 116–152, vgl. Pekáry 1994, Kneppe 1994, 42–43, näher an den Tatsachen hält sich den Hengst 2010, 17–22. Eine besonnene Auseinandersetzung mit den beiden konfliktierenden Positionen in der Forschung (auf der einen Seite Momigliano, vgl. bes. auch Bosworth 2003 und Rhodes 1994, auf der anderen Seite Wiseman und Woodman) bei Marincola 2001, 3–8, eine alle denkbaren Möglichkeiten theoretisch auslotende Studie von Moles 1993. Ausgewogen urteilt auch Nicolai 2007, bes. 21, der aus der Anwendung rhetorischer Verfahren durch die Historiker zu Recht nicht kurzsichtig auf eine prinzipielle Unzuverlässigkeit von deren Berichten schließen möchte. 1539 Lukian stellt die eÎnoia in enge Beziehung zur kolake€a (Luk. Hist. Conscr. 11 und 40), vom Historiker fordert er, er solle ein unparteiischer Richter sein, ein eÎnouw ëpasin êxri toË mØ yat°rƒ ti épone›mai ple›on toË d°ontow (Kap. 41). Demgegenüber bescheinigt Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 3) dem Thukydides einen Mangel an athenfreundlicher eÎnoia. Genaueres dazu in der Einleitung, Teil II 3 (3 a) zum Thema Patriotismus.

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Konzentration auf das ethische Moment völlig unberücksichtigt bleibt1540. Unter solchen Voraussetzungen könne selbst der gründlich recherchierende Historiker, als welchen Thukydides sich selbst bezeichnet wissen will1541, lediglich einen Näherungswert1542 an die Wahrheit (˜son dunatÚn) erbringen, zu deren Bezeichnung er im Unterschied zur überwiegenden Mehrheit seiner Nachfolger den wohl als allzu verpflichtend bewerteten Begriff der Wahrheit (élÆyeia) vermeidet1543. Damit setzt er sich, wie Herodot1544 vor ihm, mit Entschiedenheit von der Tendenz der Masse ab, mündlich zugegangene Informationen über Ereignisse der Vergangenheit (ékoåw t«n progegenhm°nvn) ungeprüft (ébasan€stvw) voneinander zu übernehmen, sei doch die Mehrheit selbst über nicht durch die Zeit der Erinnerung Entzogenes in irrigen Meinungen befangen1545. Damit markiert Thukydides die dem Verständnishorizont der Allgemeinheit scharf gezogene Grenze. Zugleich aber, und auch dies läßt sich zwischen den Zeilen herauslesen, verschafft sich für einen kurzen Moment das gehobene Selbstgefühl des Geschichtsdenkers Thukydides unübersehbare Geltung. Dieses gründet wesentlich in der unbedingten Bereitschaft, dem an sich in geringerem Grade problematischen Objekt der Zeitgeschichte mehr methodische Sorgfalt zuzuwenden, als dies der Fall sei bei denjenigen, welche es selbst bei der ungleich weniger Evidenz versprechenden Vergangenheitsgeschichte an der nötigen Kritikfähigkeit fehlen ließen. Bei Xenophon ist kein auch nur annähernd vergleichbarer Versuch einer Begründung der von ihm verfolgten Methode feststellbar1546. Demgegenüber liefert das Problem der 1540 Das hier zur Debatte stehende Kap. 47 der Methodenschrift spricht einzig über xãriw und ép°xyeia als die Ursachen für eine vorsätzliche Verzerrung der Tatsachen. 1541 Im zweiten Proömium (V 26, 5) gibt Thukydides an, daß er nach seiner Verbannung die Möglichkeit zu Recherchen bei beiden kriegsführenden Parteien hatte. 1542 Bei Lukian erfüllt der Komparativ toË piyanvt°rou die vergleichbare Funktion, den approximativen Charakter der durch kritisches Nachforschen erreichbaren Wahrheit zu bezeichnen. 1543 In V 74, 3 betont Thukydides bezeichnenderweise die Schwierigkeit, die Wahrheit (tØn élÆyeian) in Erfahrung zu bringen. Doch läßt sich wegen der Spärlichkeit von dessen expliziten Erklärungen nicht mit Bestimmtheit feststellen, inwieweit Thukydides bereits bewußt war, daß „mere narration of any set of historical facts already implies a subjective element (because presentation includes judgment, evaluation, selection, arrangement, in short: interpretation)“, so Stahl 1973, 61. 1544 Hdt. II 45, 1 (l°gousi d¢ pollå ka‹ êlla énepisk°ptvw ofl ÜEllhnew). Der Zusammenhang: Es wird im Passus über Herakles (II 43–45) die Unwissenheit der Griechen illustriert. 1545 Th. I 20, 1 und 3. Vgl. das Resümee zu Ende von 3: oÏtvw étalaip≈rvw to›w pollo›w ≤ zÆthsiw t∞w élhye€aw ka‹ §p‹ tå •to›ma mçllon tr°pontai. Dies ist eine der seltenen Stellen (vgl. V 74, 3), an denen Thukydides den hochangesetzten Begriff der élÆyeia gebraucht, spricht er hier doch lediglich von der Suche (zÆthsiw) nach der Wahrheit, und auch dies bloß mit Bezug auf die sorglose Forschungsleistung der Masse. Für sein eigenes Werk freilich nimmt er die bescheideneren Parameter des saf°w (I 9, 2; I 22, 4) und des von Herodot nicht explizit namhaft gemachten ékrib°w (I 10, 1; I 22, 1– 2: ékr€beia) in Anspruch. Damit bezeichnet er methodische Sicherheit, Exaktheit, aus anderem Blickwinkel Deckungsgleichheit von Darstellung und Dargestelltem; entlehnt ist dieser Begriff nicht nur der Gerichtspraxis, sondern auch der Erkenntnislehre (vgl. speziell zu Thukydides die illustrativen Ausführungen bei Kurz 1970, 40–61) . 1546 Xenophons spärliche Erklärungen zu den von ihm verfolgten Methoden sind verzeichnet bei Breitenbach 1950, 17–28. Von besonderem Interesse sind die 23–26 aufgelisteten Belege über Xenophons Umgang mit widersprüchlichen Aussagen unterschiedlicher Gewährsmänner. Generell bedarf die traditionell allzu gering angesetzte Eigenständigkeit Xenophons gegenüber Thukydides wieder einer Aufwertung (Dillery 1995, 9 und Marincola 1999, 310–311), um solcherart zu einem adäquaten Verständnis von Xenophons tatsächlichen Aussageabsichten zu gelangen; zuletzt dazu Nicolai 2006, 695–706.

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Wahrheitsfindung dem im Vergleich zum bedeutend zurückhaltenderen Thukydides1547 überaus mitteilsamen Polybios1548 hinreichend Stoff zu Reflexionen über die historiographischer Forschung zugrunde liegenden Prinzipien1549. Als Anlaß zu derartigen sich mitunter zu kleineren Exkursen ausweitenden Betrachtungen benutzt Polybios häufig die bei Kollegen, aus seiner Sicht zumindest, feststellbaren methodischen Mängel1550. In Auseinandersetzung mit den längst schon von gelehrten Kritikern1551 und Historikern gleichermaßen1552 diagnostizierten allseitigen methodischen Defekten des auf seine Forschungsleistung erklärtermaßen stolzen Timaios1553 präzisiert Polybios die Wertigkeit beider Methoden der Wahrheitsermittlung. In der explizit ausgesprochenen Nachfolge des Heraklit1554, der die Augen zu exakteren Zeugen als die 1547 Marincola 1997, 9 formuliert dies etwas überspitzt, aber im Prinzip durchaus zutreffend: „he (sc. Thucydides) does not, like Herodotus, want the emphasis to be on his tracking down to sources, but on the finished product: the reader is to be concerned not with the process of research, but rather with the result“. 1548 Zum Nahverhältnis des Polybios zu Thukydides vgl. Canfora 2006, 724–727. 1549 Über den in dieser Hinsicht gänzlich anders als Thukydides verfahrenden Polybios sagt Howald 1964, 97 nicht unzutreffend: „er macht keinen wesentlichen, oft auch keinen unwesentlichen Schritt, ohne über die Berechtigung und die Art seines Tuns nachzudenken und darüber Rechenschaft abzulegen“. Bei solchen „outward–directional statements“ des Polybios (in Sacks 1981, 8 Terminologie) ist aber zu berücksichtigen, daß die dabei gebrauchte Begrifflichkeit nicht immer in konsistenter Weise verwendet ist (so zutreffend Sacks 1981, 9: „Thus while Polybius may depend upon certain words or phrases to express his views on historiography, the meanings of even these chosen phrases can vary depending on the context of the particular discussion“). 1550 Eine systematische Untersuchung der polybianischen Polemiken bei Meister 1975 und Walbank 1962. Brunt 1980, 480 weist sicherlich zu Recht darauf hin, daß man vorsichtig damit sein sollte, im Vertrauen auf die Objektivität der polybianischen Werturteile danach die Qualität der nicht erhaltenen Werke einzuschätzen. 1551 Unter den zahlreichen antiquarischen Schriften des Kallimacheers Istros (FGrH III B 334) aus der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. findet sich auch eine Gegenschrift (éntigrafa€) gegen Timaios nach dem Zeugnis des Athenaios (VI 272 b), der auch zu berichten weiß, daß Timaios, wohl wegen seiner scharfen Polemiken, von Istros als ı ÉEpit€maiow bezeichnet wurde (Plb. XII 11, 4 klassifiziert ihn als pikrÒw und épara€thtow §pitimhtØw t«n p°law). Unter den Streitschriften des sehr vielseitigen Periegeten Polemon von Ilion (die Testimonien bei Gigante), einem wahrscheinlich etwas älteren Zeitgenossen des Polybios, ist auch eine gegen Timaios gerichtete (prÚw T€maion) bekannt, welche jedenfalls zumindest 12 Bücher umfaßt haben muß, denn Athenaios (XV 698 b) zitiert aus dem 12. Buch. Zu Istros und bes. zu Polemon vgl. Brown 1958, 91–93 und Pfeiffer 1978, 188–189 sowie bes. 301–304. Schepens 1990 faßt Plb. XII bes. 24–28 a weniger als methodologischen Exkurs auf, sondern vielmehr als polemischen Versuch, um die literarische Reputation des Timaios zu zerstören (vgl. Brown 1958, 105; Timpe 2007, 28 spricht von begreiflichem „Literatenneid“), doch über eine subjektive Einschätzung ist wohl kaum hinauszukommen. Sacks 1981, 22 und bes. 71–72 sieht darin, ähnlich wie Pédech XXXIV–XXXV, zumindest teilweise „a general handbook for the writing of history“, doch läßt sich ein Beweis für diese etwas überzogene These, die Polybios in die Reihe der Schriften des Theophrast und des Praxiphanes per‹ flstor€aw stellen möchte, kaum erbringen. Richtig ist aber sicher, daß Polybios’ „lessons to the reader“ (78) in der Forschung unbedingt Priorität haben sollten vor der Suche nach möglichen persönlichen Motiven des Polybios zur Abfassung seines Werkes und bes. von Buch XII. 1552 In diesem Sinne ist wahrscheinlich J. Ap. I 2, 16 zu verstehen. 1553 Dabei habe Timaios doch, so vermerkt Polybios (XII 10 = 11, 4), tØn §n to›w xrÒnoiw ka‹ ta›w énagrafa›w §p€fasin t∞w ékribe€aw ka‹ tØn per‹ toËto tÚ m°row §pim°leian mit einem Bezug auf sein eigenes Geschichtswerk hervorgehoben. 1554 Plb. XII 27, 1 = DK I 22 B 101 a: Ùfyalmo‹ går t«n  Ãtvn ékrib°steroi mãrturew. Die differenzierte Position Heraklits in der Frage der Bewertung des erkenntnistheoretischen Ranges sinnlicher Erfahrung kann durch den Vergleich von DK I 22 B 55 = Hippol. IX 9 (˜svn ˆciw ékoØ mãyhsiw, taËta §g∆ protim°v) mit DK I 22 B 107 = S. E. M. VII 126 (kako‹ mãrturew ényr≈poisin Ùfyalmo‹ ka‹ Œta barbãrouw cuxåw §xÒntvn) illustriert werden. Zu der vorsokratischen Position in dieser Frage Marincola 1997, 64–66 und Müller 1981, 299–302. Polybios ist unter den griechischen Historikern eine der seltenen Ausnahmen, insoferne er wenigstens vereinzelt auf die Philosophie Bezug nimmt. Timaios nennt er einen unphilosophischen und schlechthin ungebildeten Schriftsteller (XII 25, 6:

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Ohren erklärt hatte, bestimmt Polybios1555 in erkenntnistheoretischer Hinsicht den Primat der unmittelbaren Anschauung (˜rasiw) vor der mittelbaren Kunde (ékoÆ), eine Unterscheidung, wie sie bei ihm andernorts1556 ohne die Notwendigkeit einer theoretischen Begründung als selbstverständlich vorausgesetzt ist. Die mit dem dritten Buch einsetzende Darstellung der griechischen Geschichte von 220 v. Chr. weg1557 begründet er, abgesehen von dem Umstand, daß hier die Hypomnemata des Aratos von Sikyon1558 endeten, damit, daß er von nun an über Ereignisse schreibe, welche er teils als Augenzeuge miterlebt (paragegon°nai), teils von Augenzeugen vernommen habe (parå t«n •vrakÒtvn ékhko°nai)1559. Weiter, so fährt er fort, zeitlich zurückzugreifen, sei ihm als ein zu unsicheres Unterfangen erschienen, denn da könne man bloß mündliche Mitteilung aufgrund von mündlicher Mitteilung niederschreiben (ékoØn §j éko∞w grãfein). Ephoros und Timaios wirft er dementsprechend einen Mangel an unmittelbarer Anschauung (éoras€a) und Erfahrung vor1560. Gleichwohl ist sich Polybios durchaus bewußt, daß ein einzelnes Individuum unmöglich von allen für den Historiker relevanten Schauplätzen aus eigener Anschauung authentische Kenntnis haben könne. Unter diesen Umständen bleibe zumeist notwendigerweise lediglich die Methode der Befragung möglichst vieler Gewährsmänner als zweitbeste Alternative übrig. Doch bedürfe dieses Verfahren einer kritischen Selektion und Überprüfung der jeweils zugegangenen Informationen1561: §peidØ går afl m¢n prãjeiw ëma pollaxª sunteloËntai, pare›nai d¢ tÚn aÈtÚn §n ple€osi tÒpoiw katå tÚn aÈtÚn kairÚn édÊnaton, ımo€vw ge mØn oÈdÉ aÈtÒpthn gen°syai pãntvn t«n katå tØn ofikoum°nhn tÒpvn ka‹ t«n §n to›w tÒpoiw fidivmãtvn tÚn ßna dunatÒn, katale€petai punyãnesyai m¢n …w parå ple€stvn, pisteÊein d¢ to›w éj€oiw p€stevw, kritØn dÉ e‰nai t«n prospiptÒntvn mØ kakÒn. Zum Erweis seiner methodischen Exaktheit gibt

Polybios bei besonderen Gelegenheiten mit explizitem Vermerk an, wenn er über autoptisches Wissen oder sekundäre Insiderinformationen verfügt1562. éfilÒsofÒw §sti ka‹ sullÆbdhn énãgvgow suggrafeÊw), den bithynischen König Prusias II. kritisiert er wegen

dessen Unerfahrenheit in Bildung und Philosophie (XXXVI 15, 5), und auch sonst nennt er eine Reihe von Philosophen namentlich, so Platon, Aristoteles, Demetrios von Phaleron und Straton von Lampsakos (Belege bei Walbank 1972, 32–33). Abgesehen von Poseidonios, der Geschichtsschreibung und Philosophie zu untrennbarer Einheit zu verbinden suchte, ist ansonsten bei antiken Geschichtsschreibern keinerlei besonderes Interesse an Philosophie zu erkennen. Auch die Philosophen ihrerseits nehmen im allgemeinen von Geschichtsschreibung und Befassung mit Geschichte um historischen Wissens willen kaum Notiz (Malitz 1983, 410, ähnlich bereits Theiler 1967, 76). 1555 Plb. XII 27, 1, vgl. XX 12, 8. 1556 Plb. XV 36, 3. 1557 Als den Ausgangspunkt der aus dem Mittelteil des zweiten Buches aufgegriffenen griechischen Geschichte nennt Polybios (IV 1, 3) die 140. Olympiade (= 220–216 v. Chr.). 1558 Die Memoiren des Aratos finden bei Polybios (II 40, 4) hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes eine anerkennende Bewertung (l€an élhyinoÁw ka‹ safe›w...ÍpomnhmatismoÊw). Walbanks 1933, 161 Bewertung fällt etwas kritischer au; zum Verhältnis des Polybios zu Aratos als Quelle vgl. Vercruysse 1990, 21–23. 1559 Plb. IV 2, 2. 1560 Plb. XII 25 g 4 (die éoras€a des Timaios), XII 25 f 3 (Ephoros sei in Landschlachten pantel«w êpeirow ka‹ éÒratow t«n toioÊtvn [doch Polybios weiß durchaus auch manche Vorzüge an Ephoros zu schätzen, dazu Schepens 1977, bes. 95]). Dasselbe treffe neben Timaios auch für Theopompos zu (XII 25 f 6–7). 1561 Plb. XII 4 c 4–5. Genau an dieser Kritikfähigkeit fehlte es Josephos (BJ I 1, 1) zufolge all denen, welche von bloßem Hörensagen willkürliche und widersprüchliche Berichte ganz unselektiv sammelten (ékoª sull°gontew efika›a ka‹ ésÊmfvna dihgÆmata).

1562

Plb. XXII 19 = 14, 2 (parÒnti: Autopsie), XXIX 8, 10 (puy°syai: sekundäre Insiderinformation). In einem

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Einen zentralen Stellenwert spielen Autopsievermerke bei Josephos. Aufgabe des Historikers sei es, so erklärt dieser in der apologetischen Schrift contra Apionem 1563, die von ihm dargestellten Handlungen genau zu kennen, entweder durch Teilhabe daran oder durch Erfragen vonseiten derer, die darüber Bescheid wüßten (... de› tÚn êlloiw parãdosin prãjevn élhyin«n ÍpisxnoÊmenon aÈtÚn §p€stasyai taÊtaw prÒteron ékrib«w, µ parhkolouyhkÒta to›w gegonÒsin µ parå t«n efidÒtvn punyanÒmenon). Er selbst habe sich in beiden Schriften, der

Jüdischen Archäologie und dem Jüdischen Krieg, an dieses Prinzip gehalten. Zu Beginn seiner Jüdischen Geschichte1564 hatte Josephos seine historiographische Kompetenz damit begründet, daß er anfänglich gegen die Römer gekämpft und sodann an den weiteren Ereignissen notgedrungen teilgenommen habe (aÈtÒw te ÑRvma€ouw polemÆsaw tå pr«ta ka‹ to›w Ïsteron paratux∆n §j énãgkhw)1565. Dementsprechend läßt er denjenigen Ereignissen die eingehendste Behandlung zuteil werden, an denen er selbst als aktiv Handelnder beteiligt gewesen war. Die Militärakten (ÍpomnÆmata) der Kaiser Vespasian und Titus nennt er erst in den Schriften späteren Datums1566. Im Jüdischen Krieg hingegen hatte er weder darüber noch über sonstige schriftliche Quellen etwas verlauten lassen1567, wohl deshalb, um nicht die Autorität der von ihm programmatisch verkündeten Autopsie zu mindern1568. Polybios und Josephos sind nicht die einzigen Historiker von Militärgeschichte1569, bei denen das durch Thukydides entscheidend angeregte Methodenbewußtsein in seiner Nachwirkung Fall (es geht um den Lotos in Libyen) wird Augenzeugenschaft (aÈtÒpthw genÒmenow) des Polybios bezeugt durch Athenaios (Ath. XIV 651 d = Plb. XII 2, 1; Walbank 1982, 422–425), und es ist anzunehmen, daß der Verfasser die Autopsie selbst als solche markiert hatte. Synoptisch zu den Informationsmethoden des Historiographen bei Polybios Mohm 1977, 38–50. Es verdient auch Beachtung, daß diesem Verständnis von flstor€a der lateinische Begriff historia / historiae entspricht, der ganz im Sinne des Polybios die persönliche Teilnahme bzw. Augenzeugenschaft des Historikers beinhaltet. Scholz 1994, 78–79 meint in einem diluziden Aufsatz wohlbegründet, daß das so definierte Verständnis von historia über Polybios nach Rom gekommen sei und dort zum Begriff der Zeitgeschichte geführt habe. 1563 J. Ap. I 10, 53–54. 1564 J. BJ I 1, 3. Innerhalb des breit ausgedehnten Proömiums (I 1, 1–12, 30) findet sich ein weiterer Autopsievermerk (I 8, 22: ... metå ékribe€aw, …w e‰don µ ¶payon, d€eimi). Sachkundigen Augenzeugen (to›w §pistam°noiw tå prãgmata ka‹ paratuxoËsi t“ pol°mƒ) habe er jedenfalls mit seiner Darstellung keinen Ansatzpunkt für Tadel oder Anklage geliefert (I 12, 30). Andere Historiker dieses Krieges hingegen wären entweder bei den Ereignissen gar nicht zugegen gewesen und hätten daher auf der Basis mündlicher Informationen (ékoª) beliebige und widersprüchliche Berichte verfaßt, oder sie hätten, soferne sie dabeigewesen wären, in prorömischem Sinne tendenzlastige Berichte vorgelegt (I 1, 1–2). Andernorts (Ap. I 8, 46) spricht Josephos manchen Historikern des Jüdischen Krieges topographische Kenntnisse ebenso ab, wie er ihnen auch vorwirft, nicht nahe genug an die Ereignisse selbst herangekommen zu sein. Lediglich aufgrund von beliebigen mündlichen Informationen (§k parakousmãtvn) hätten sie ihre das Ansehen der Geschichtsschreibung schamlos diskreditierenden Berichte verfaßt. Seinem Kritiker Iustos aus Tiberias bescheinigt Josephos u. a. Mangel an Autopsie und Sekundärinformationen (Vit. 65, 357–358). 1565 In der Einleitung, Teil II 2 wird der Gedanke nach dem Gesichtspunkt der intellektuellen Qualifikation des Historikers hin fortgeführt. 1566 J. Vit. 65, 342 und 358, Ap. I 10, 56. 1567 Zu den Quellen des Josephos für das bellum Iudaicum Thackeray 1989, XIX–XXVII. 1568 Es ist zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher zu beweisen, daß Josephos die kaiserlichen commentarii (ÍpomnÆmata) bereits bei der Abfassung des Jüdischen Krieges zur Verfügung hatte. Zum Problem Feldman 1984, bes. 840 mit Literatur. 1569 Tapp 1972, 39 sagt zu Recht über Polybios: „... his Histories were too much concerned with political and military affairs and lacked any reference to social, economic or cultural events“, doch dies trifft auf alle antiken Historiker mehr oder weniger zu.

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nachgewiesen werden kann. Noch Prokopios begründet in der Persergeschichte1570 seine Kompetenz als Historiker damit, daß er in der Eigenschaft eines Beraters Belisars bei fast allen Ereignissen zugegen gewesen sei. Selbst bei Verfassern von Universalgeschichte, für die es keine spezifische antike Theorie gibt1571, und von auf Vergangenheitsgeschichte bezogenen Monographien spielen die beiden als verpflichtend empfundenen Parameter von Autopsie und kritischer Quellenauswertung eine keineswegs unwesentliche Rolle, in methodologischen Selbstbekenntnissen ebenso wie in kritischen Stellungnahmen zu den Leistungen früherer Historiker1572. Dasselbe trifft für Verfasser römischer Kaisergeschichte zu, für Herodian und Cassius Dio1573. Im übrigen wird von keinem griechischen Historiker dermaßen starke Skepsis an den prinzipiellen Möglichkeiten historischer Wahrheitsermittlung geäußert wie von Cassius Dio, und zwar da, wo er in seiner Darstellung die Prinzipatszeit betritt. Die von oben her dekretierte Blockierung des Informationsflusses, so erklärt er, lasse ihm keine andere Möglichkeit, als alles so zu berichten, wie es nun eben mal veröffentlicht worden sei, unabhängig vom Wahrheitsgehalt 1570 Procop. Pers. I 1, 3. Cameron 1985, 33–46 erstellt ein Profil des Literaten Prokopios und zeigt die imitatio Thucydidis ebenso wie bedeutsame Abweichungen vom Vorbild (bes. 37: „Procopius picks out the importance of eye–witness accounts, as shown by Thucydides“). Wenig überzeugend nimmt Kaldellis 2004, 18 und 20 bei Prokopios „an ironic stance toward both his models and his subject matter“ bzw. eine „ironic intention“ an. Richtig eingeschätzt ist das Verhältnis des Prokopios zu Thukydides wieder von Canfora 2006, bes. 753. 1571 Einzig die einschlägigen Erklärungen des Polybios geben darüber gewissen Aufschluß, doch auch in ihnen läßt sich bezeichnenderweise das Fehlen innerer Geschlossenheit feststellen (dazu erhellend Sacks 1981, 96–121, bes. 98–105). 1572 Diodor gibt im Proömium zum Gesamtwerk (I 4, 1) an, er habe unter viel Not und Gefahren einen großen Teil Asiens und Europas bereist, und zwar, ·na t«n énagkaiotãtvn ka‹ ple€stvn mer«n aÈtÒptai genhy«men. Als sein erklärtes Ziel bestimmt er, topographische Unkenntnis auszuschalten, welche selbst bei erstrangigen Historikern schon viele Irrtümer verursacht habe (dazu Sacks 1990, 112: „Diodorus, a writer of mostly antiquarian history, defines autopsy as the personal visitation of lands rather than the witnessing of events in progress“). Ansonsten tritt er nur gelegentlich und für Details mit explizit markiertem Wissen aus erster Hand hervor, besonders mit Bezug auf Ägypten, das er, wie er selbst erklärt (I 44, 1), in der 180. Olympiade (= 60–56 v. Chr.) besucht hat. Beispiele dafür sind I 83, 8–9 (ein Römer, der unvorsätzlich eine Katze getötet hat, wird von der aufgebrachten ägyptischen Menge gelyncht) und I 38, 7–8 (Kritik an Ephoros’ als unzureichend bewerteter Erklärung der Nilschwelle). In beiden Fällen wird klar zwischen Autopsie und Information aus zweiter Hand unterschieden. Zu Diodors methodologischen Erklärungen vgl. Sacks 1990, 85–86, der deren Quellenunabhängigkeit zeigen möchte, vgl. 112–113, 115–116. Ein spezieller Fall ist auch Arrian; schon Reuss 1899, 457–59 konnte zeigen, daß die gegenüber der (wie er meint, später verfaßten) Indike noch bedeutend geringere Frequenz an Autopsievermerken in der Anabasis als ein Datierungskriterium verwendet werden kann (die Anabasis ist nach Reuss ein Jugendwerk). 1573 Herodian (I 2, 5 und II 15, 7) erklärt, er habe die Handlungen der in seine Lebenszeit fallenden Kaiser aufgrund von Autopsie und Sekundärinformationen beschrieben. Seine Qualifikation begründet er mit kaiserlichen und öffentlichen Diensten. Dazu ausführlich Whittaker 1969, XIX–XXIV und Zimmermann 1999, 302–319. Zum Verhältnis von Programm und Werk immer noch lesenswert Burrows 1956, 12–43, der aber Herodians ernsthaftes Bemühen als Forscher (weniger die tatsächliche Leistung) etwas unterschätzt. Zumeist wird nicht bloß Herodians Werk der Wahrheitsgehalt abgesprochen, sondern darüber hinaus, viel weniger gerecht, auch dem Autor das Bemühen um Wahrhaftigkeit in Recherche und Darstellung (so z. B. Reardon 1971, 216–219). Typisches Beispiel für eine Vermischung der Kategorien von Irrtum und vorsätzlicher Verzerrung samt der aus diesem illegitimen Verfahren resultierenden Abwertung des Autors ist Hohl 1932. Cassius Dio (LXXII = LXXIII 4, 2 und LXXII = LXXIII 18, 3–4, Schmidt 1999, 96–98) begründet seine genauen Kenntnisse Commodus betreffend nach dem bekannten Verfahren, das er auch anwendet, um seinem ethnographischen Wissen über die Pannonier Glaubwürdigkeit zu verleihen (XLIX 36, 4: er war dort Statthalter gewesen).

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(e‡tÉ ˆntvw oÏtvw e‡te ka‹ •t°rvw ¶xei). Nur soweit es ihm möglich sei, werde er ein gewisses Maß an Mutmaßung (dojas€a) hinzufügen1574. Diese Aussage ist zu verstehen als die spezifische Reaktion des Autors auf die für wahrheitsgetreue Darstellung von Innenpolitik wenig Raum lassende geschlossene Gesellschaft der römischen Kaiserzeit1575. Dieses besondere Phänomen ist für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung aber weniger von Bedeutung, da, wie die im skommatisch-lehrhaften Teil der Methodenschrift (Kap. 14–32) vorgebrachten Beispiele zeigen, Lukians Anweisungen einzig auf die Behandlung aktueller Kriegsgeschichte zielen1576, welche als vorzüglichstes Objekt historiographischer Betätigung erachtet wurde1577.

1574 D. C. LIII 19, 6. Vgl. dazu Flach 1973, 139–140, der, in Verfolgung dieses Gedankens, einen Bogen von Tacitus (Historienproömium) hin zu Ammianus Marcellinus spannt. Schmidt 1997, bes. 2592–2597 stellt Dios tatsächliche Qualitäten als Historiker um eine Nuance zu unvorteilhaft dar, während Strasburger 1977 a 44–50 ihm eine konsequent durchgehaltene geschichtsphilosophische Konzeption zuzubilligen bereit ist. Reinhold 1988, 9–11 gesteht ihm zwar durchaus ein übergreifendes Konzept zu, doch setzt er Dios Bemühen um Wahrheitsgemäßheit seiner Darstellung zumindest um eine Nuance zu gering an (Zitat 10: „his purpose was not historical truth but political and moral instruction“), und dasselbe trifft u. a. auch auf Reardon 1971, 209 zu („“... c´est souvent la vérité historique qui fait les frais de ces exercises rhétoriques). Nebenbei vermerkt, Dio ist der einzige bekannte griechische Historiker, der, wenigstens gelegentlich, die acta diurna heranzieht und gegebenenfalls zu diesen kritisch Stellung bezieht (Baldwin 1979, 191 und bes. 196). Belege zur Methode des Cassius Dio bei Millar 1964, 34–38 und Hose 1994, bes. 444–446. 1575 Die Reaktion griechischer und römischer Historiker auf die veränderten Rahmenbedingungen unter dem Prinzipat ist dargestellt von Marincola 1997, 86–95. In deutlichem Gegensatz zu den Vorbehalten des Tacitus bejaht Cassius Dio freilich bereits den Prinzipat, dazu Flach 1973, bes. 132–133 und Ameling 1997, bes. 2480: „Die kritische Distanz, aus der heraus noch Tacitus Geschichte schreiben konnte, ist bei Dio – und allgemein in seiner Zeit – einer generellen Akzeptanz der Monarchie gewichen“. 1576 Luk. Hist. Conscr. 5 nennt in der Zukunft mögliche Kriege zwischen Kelten und Geten oder Indern gegen Baktrier, nicht ohne pointiert hinzuzufügen, daß die Unterwerfung aller einen Krieg gegen die Römer nicht erwarten lasse. 1577 Dies gilt auch für die römische Geschichtsschreibung. Tac. Ann. IV 32, bes. 2 sieht die Notwendigkeit, den geringfügig scheinenden Dingen, welche er über die Verhältnisse unter dem unkriegerischen Tiberius (er ist princeps proferendi imperii incuriosus) zu berichten habe, eine Bedeutung zu verleihen (insoferne kann Hose 1994, 80–83 in Kapitel IV 32 zu Recht eine Lesererwartung skizziert sehen). Mit der neuen Zeit (Tac. Ann. I 11, 4: auf Augustus geht das consilium coercendi intra terminos imperii zurück) seien jedoch die großen Stoffe republikanischer Geschichtsschreibung ausgegangen. Ein ähnlicher Vorwurf militärischer Untätigkeit, wie er hier deutlich durchscheint, mochte später besonders auch den erklärten Friedenskaiser Hadrian treffen, namentlich vonseiten römischer Beurteiler (Flor. Epit. proöm. 8 begrüßt Trajans erneut aufgenommene Expansionspolitik), während dessen von Trajans Expansionstendenz Abstand nehmende Politik bei der Elite der griechischen Reichsbevölkerung nachweislich durchaus auf Zustimmung stieß (Birley 1979, 474–475). Schwartz 1938, 68 spricht mit Bezug auf die antike Historiographie als Ganzes gesehen vom „Gesetz, daß der Stoff der Geschichtsschreibung die Zeitgeschichte ist“. Allerdings ist mit Schepens 1997, 146 zu berücksichtigen, daß innerhalb der erhaltenen Texte die Darstellung politischer und militärischer Ereignisse in Relation zu der um ein Vielfaches größeren Masse des nicht Erhaltenen (Strasburger 1977, bes. 14–15 errechnet für den klassischen und hellenistischen Zeitraum ein beeindruckendes Verhältnis von 1 : 40) überrepräsentiert sein dürfte. Es lohnt sich jedoch auch, sich beständig vor Augen zu halten, daß innerhalb der Antike selbst die universalgeschichtlichen Konzeptionen ihr Einheit stiftendes Band erst über die Parameter von Politik und Kriegsgeschichte erhalten zu haben scheinen (so zutreffend Sacks 1981, 96).

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Lukians Spiel mit historiographisch–rhetorischen Konventionen Das aus der Historiographie bekannte und von der Literaturkritik aufgegriffene1578 methodische Instrumentarium von Autopsie und Sekundärinformationen kann als selbstverständlicher Besitz des literarisch Gebildeten1579 vorausgesetzt werden, und zwar für Lukians Rezipienten ebenso wie für den Autor Lukian selbst. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Lukian in mehreren anderen Schriften die traditionelle Zweiteilung in Autopsie und sekundäre Zeugenbefragung um der jeweils intendierten Pointe willen in neue, unerwartete Zusammenhänge stellt. Dieses auf Überraschungseffekt und Verfremdung berechnete literarische Spiel setzt als Rezipienten einen Literaturkenner voraus, welcher aufgrund seines Vorwissens in der Lage ist, die dabei sich auftuenden Paradoxa in einer den Intentionen des Verfassers kongenialen Weise wahrzunehmen und adäquat zu würdigen1580. Unter diesen Voraussetzungen kann Lukian im Proömium zu den in engen motivischen Beziehungen zur Methodenschrift stehenden Verae historiae 1581 den phantastischen Schilderungen seines als Parodie1582 zu verstehenden utopischen Reiseromans den explizit ausgesprochenen Auftrag an den Leser voranstellen, dieser möge bei allem, was er nun zu hören bekommen werde, seinen Worten keinen Glauben schenken, denn: „ich schreibe also über Dinge, die ich nicht gesehen und erfahren habe, und die ich auch nicht von anderen in Erfahrung gebracht habe“1583: grãfv to€nun per‹ œn mÆte e‰don mÆte ¶payon mÆte parÉ êllvn §puyÒmhn. „Ferner (schreibe ich) über Dinge, die es überhaupt nicht gibt und die sich von vornherein gar nicht ereignen können“: ¶ti d¢ mÆte ˜lvw ˆntvn mÆte tØn érxØn gen°syai dunam°nvn1584. „Deshalb dürfen die Leser alledem keineswegs Glauben schenken“. Und diesen pointierten Aussagen ist die Erklärung vorangestellt: „... da ich nichts Wahres (mhd¢n élhy¢w) zu berichten (flstore›n) hatte, 1578 Dazu die positiven Kritiken des Dionysios von Halikarnaß (VII 71, 1, Pomp. 6 und Th. 6 ). 1579 Der literarisch Gebildete ist der pepaideum°now (Luk. Hist. Conscr. 44, ironisch Kap. 2), der Ungebildete heißt fidi≈thw (Kap. 16) und die Ungebildetheit wird fidivte€a bzw. épeirokal€a genannt (Kap. 27). Ein ähnliches Unterscheidungskriterium findet sich bei Lukian in Dom. 2, wo die fidi«tai den pepaideum°noi gegenübergestellt sind. Generell zum intellektuellen Profil des pepaideum°now in der Zweiten Sophistik u. a. Anderson 1989, zur sozialen Funktion der sophistischen Rhetorik Schmitz 1997 und Korenjak 2000 (beiden Theorien gegenüber ist in dieser Form eine gewisse Skepsis angebracht). 1580 Zu einem differenzierteren Lukianverständnis, welches zugleich auch eine Aufwertung des Autors Lukian mit sich brachte, gab Nesselrath 1985 den Anstoß. 1581 Zu den engen Beziehungen zwischen den beiden Schriften vgl. Georgiadou / Larmour 1994 passim, zur Gestaltung der Einleitungskapitel Rütten 1997, 30–37 (mehr literartheoretisch als literarhistorisch orientiert) und von Möllendorf 2000 a, 30–61. Bowersock 1994, 1–27 schafft dafür den Kontext fiktionaler Prosa (1–7: ein Vergleich mit dem élhyØw lÒgow des Kelsos). Die bereits von Photios (Bibl. 166 p. 111 b 35–37) behauptete Abhängigkeit von Antonius Diogenes ist fragwürdig (so zutreffend Morgan 1985). Baumbach 2000, 73–83 interpretiert die Verae historiae als „für den antiken Leser eine intellektuelle Herausforderung, eine Art Leserätsel“ (Zitat 76), Ni–Mheallaigh 2009 unter dem Aspekt eines „metafictional text“. 1582 Georgiadou / Larmour 1998, 22–44 und Nesselrath 1993, zum antiken Parodiebegriff Pöhlmann 1972. 1583 Luk. VH I 4. 1584 Das erinnert an eine Stelle in einer anderen Schrift Lukians (Herm 72), wo von sich über die Kategorien von Realität und Möglichkeit hinwegsetzenden Phantasieprodukten die Rede ist, wie sie Träume eingeben sowie Dichter und Maler frei imaginieren (... t«n ÑIppokentaÊrvn ka‹ Xima€rvn ka‹ GorgÒnvn ... ka‹ ˜sa êlla ˆneiroi ka‹ poihta‹ ka‹ grafe›w §leÊyeroi ˆntew énaplãttousin oÎte genÒmena p≈pote oÎte gen°syai dunãmena). Lukian kommt mehrfach auf das Thema der uneingeschränkt gültigen Freiheit poetischen Schaffens zu sprechen (Hist. Conscr. 8, Pr. Im. 18, Hes. 5), wofür lateinische Rhetorik den Begriff der poetarum licentia kennt (Belege bei Lausberg § 983).

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denn schließlich habe ich gar nichts Nennenswertes erlebt, wandte ich mich der Lüge (ceËdow) zu ...“. In diesem Zusammenhang wird die ganze Gattung der paradoxographischen Wunderliteratur, mit der man sogar Herodot in Verbindung bringen konnte1585, pauschal auf die Berichte des homerischen Odysseus vor den Phäaken1586 zurückgeführt. Bei Odysseus als Archegeten und Lehrmeister der Gattung wären in Folge andere Schriftsteller gelehrig in die Schule gegangen. So hätte sich denn in diesem Genos neben Iambulos1587 namentlich auch der – von der antiken Literaturkritik ohnedies nicht gerade wegen besonderer Wahrhaftigkeit geschätzte1588 – Ktesias von Knidos betätigt. Letzterer habe über Indien geschrieben, was er weder selbst gesehen noch von einem objektiv berichtenden Informanten gehört habe: ì mÆte aÈtÚw e‰den mÆte êllou élhyeÊontow ≥kousen1589. Die beabsichtigte Pointe wird in ihrem vollen Ausmaß verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, mit welch stolzem Selbstbewußtsein Ktesias selbst die von ihm in den Indika verfolgte Methode bewertet hatte1590. Der eine ausführliche Inhaltsparaphrase gebende byzantinische Gelehrte Photios weiß nämlich zu berichten, Ktesias habe den deklarierten Wahrheitsgehalt seines Berichtes einzig aus Autopsie und aus über Autopsie verfügende Informanten abgeleitet. Tatsächlich jedoch habe er, besonders in den Indika, unter reichlichem Einsatz von Pathos (tÚ payhtikÒn) und unerwarteter Wendung (éprosdÒkhton) 1585

Diodor (I 69, 7) wirft Herodot ein paradojologe›n vor, welches die élÆyeia zugunsten des mÊyouw plãttein vernachlässige. Zu den Gründen für die ambivalente Beurteilung Herodots in der Antike Evans 1968. 1586 Bei der Formulierung prÚw fidi≈taw ényr≈pouw toÁw Fa€akaw (VH I 3) fühlt man sich an die Frage

des Nüchternen erinnert: tam vacui capitis populum Phaeaca putavit? (sc. Ulixes, der mendax aretalogus, Juv. 15, 14–23). Im Unterschied zu Lukian und Iuvenal meint der ÉAlk€nou épÒlogow bei Platon (R. X 614 b) lediglich die Nekyia. 1587 Wie bei Euhemeros finden sich auch bei Iambulos (Quelle ist Diodor II 55–60) Reminiszenzen aus dem homerischen Phäakenland (D. S. II 56 zitiert die in der Odyssee VII 120–121 vorliegende Beschreibung des Phäakenlandes), dazu Ferguson 1975, 124–129, bes. 126. Repräsentativ für die Einschätzung des Iambulos im aktuellen Forschungstrend ist Holzberg 1996, bes. 621–628. Eine Horizonterweiterung bringt jedoch ein durch die Kenntnis der indischen Primärquellen wertvoller Beitrag von Schwarz 1982. Aus dem Umstand, daß Euhemeros, Iambulos und Dionysios Skytobrachion von Diodor benützt sind, schließt Gabba 1981, bes. 59 zumindest partiell zu Recht, daß all diese Utopien in der Antike als historische Texte angesehen worden sein müssen. 1588 Bezeichnend ist das Urteil Plutarchs (Art. 1, 2): ... mÊyvn épiyãnvn ka‹ parafÒrvn §mb°blhken efiw tå bibl€a pantodapØn pula€an, vgl. ebda 6, 6: pollãkiw ı lÒgow aÈtoË prÚw tÚ muy«dew ka‹ dramatikÚn §ktrepÒmenow t∞w élhye€aw. Aristoteles (HA VIII 28, 606 a 8 Didot III 169, Z. 7 = FGrH III C 688 F 45 k) nennt ihn „nicht glaubwürdig“ (Kths€aw oÈk Ãn éjiÒpistow). Weitere explizite Belege aus Aristoteles sowie kritische Bezugnahmen auf Ktesias bei Arrian sind verzeichnet von Bigwood 1989, 303. Anerkennend werden lediglich die stilistischen Qualitäten des Schriftstellers Ktesias hervorgehoben, so von Ps. Demetrios (Eloc. IV 215), der ihn mit Fug und Recht als poihtÆw klassifiziert wissen will, verstünde er es doch, lebensechte Anschaulichkeit zu schaffen (§narge€aw dhmiourgÒw). Und noch Photios (Bibl. 72 p. 45 a) beschreibt seinen Stil ausführlicher als den der von ihm als bekannt vorausgesetzten klassischen Historikertrias (vgl. van Hook 1909, 179–180). Walbank 1960, 232, mit der Intention, Formen „tragischer Geschichtsschreibung“ schon vor dem Hellenismus nachzuweisen, weist in einer anregenden Studie darauf hin, daß spätere Kritiker über Ktesias genauso gedacht haben wie später Polybios über Phylarchos, vgl. bereits Wehrli 1947, 142. 1589 Luk. VH I 3. 1590 FGrH III C 688 F 45, 51: taËta grãfvn ka‹ muyolog«n Kths€aw l°gei télhy°stata grãfein, §pãgvn …w tå m¢n aÈtÚw fid∆n grãfein, tå d¢ parÉ aÈt«n may∆n t«n fidÒntvn. Vgl. T 8 = Phot. Bibl. 72 p. 35 b 35 zur Methode der Persika. Wenig günstige Einschätzungen der Methode auch in moderner Literatur, bei Jacoby 1922, Bigwood 1978, Meister 1990, 64 und Bleckmann, 2006, 21–29. Momigliano 1998 c (erstmals 1931) erbringt demgegenüber eine leichte Aufwertung der Methode des Ktesias in den Persika, so auch König 1972 und Lenfant 1996. Eine Charakteristik der Indika geben Bigwood 1989 und Lendle 1992, 121–124.

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seine Darstellung bunt verziert und damit nahe an das rein geschichtenerzählerische Element (§ggÁw toË muy≈douw1591) herangeführt1592. Das schreiende Mißverhältnis zwischen solch aufreizend unbescheidenem Anspruch und der tatsächlichen Leistung1593 des Ktesias, wie man sie in der Antike bewertete, liefert Lukian einen willkommenen Ansatzpunkt für seinen an die Adresse von literarischen Kennern gerichteten Spott. In den thematisch verwandten Philopseudeis1594 scheut er nicht einmal davor zurück, ähnlich wie dies bereits Strabon1595 in allem Ernst getan hatte, Ktesias Herodot an die Seite zu stellen, und zwar als Beispiel für einen Geschichtsschreiber, dessen Lügenberichte sich nicht unterschieden von den abstrusen mythischen Fiktionen Homers. Nur kindliche Gemüter, so erklärt Lukian weiter, wären in der Lage, all diese absonderlichen Wundergeschichten (pãnu éllÒkota ka‹ terãstia muy€dia) für bare Münze zu nehmen. Es liegt auf der Hand, daß hier, wie häufig bei Lukian, die Pointe in ihrem Selbstzweckcharakter verstanden und gewürdigt sein will. Im skommatisch-lehrhaften Teil seiner Methodenschrift1596 verspottet Lukian einen Autor, der, obgleich er niemals auch nur einen Fuß aus seiner Heimatstadt Korinth gesetzt hätte, seine inkompetente Schilderung der Ereignisse in Syrien und Armenien mit der unfaßbar großspurigen – und innerhalb antiker Historiographie ohne Parallele dastehenden – Ankündigung eingeleitet hätte: „Die Ohren sind weniger glaubwürdig als die Augen; so schreibe ich denn, was ich gesehen, nicht, was ich gehört habe“: âVta Ùfyalm«n épistÒtera. grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa1597. Mag sich ein derart zugespitzter Beglaubigungstopos auch für Berichtsformen 1591 Bereits Thukydides (I 22, 4) hatte das Element des muy«dew für sein eigenes Werk abgelehnt (mit Bezug darauf Luk. Hist. Consc. 42). Von da an fungiert dieser möglicherweise erst von Thukydides geprägte Begriff innerhalb der Geschichtsschreibung als Gegenbegriff zur flstor€a, vgl. dazu Saïd 2007, 78. 1592 FGrH III C 688 T 13 = Phot. Bibl. 72 p. 45a 10–15 (zur Textgestaltung Renehan 1963). Bei Wiseman 2011, 322 repräsentiert Ktesias den Typus 3: travellers’ tales. 1593 Der Versuch einer gerechten Würdigung aus heutiger Sicht wurde von Bigwood 1989 mit Erfolg unternommen. Dieser untersucht die Inhaltsparaphrase des Photios und stellt abschließend fest (316): „this was a work very similar in structure and content to earlier Greek descriptions of far–off lands. It was not entirely the confused jumble of paradoxes which critics have claimed“. Für eine angemessene Beurteilung des Werkes ist zu beherzigen, was sich über den unhistorischen Inhalt der sich auf die indische Lebensweise und Geographie konzentrierenden Indika aussagen läßt (313): „There is no trace of history in any of the fragments of Ctesias’ Indica and most probably the original description contained none“. Auch Karttunen 1989, 80–85 untersuchte zur selben Zeit die Indika und gelangte zu dem Ergebnis (80): „I do not think Ctesias was the liar he is often made out to be“, freilich mit der klaren Einschränkung (80): „It is not my intention to make him a reliable historian, which he certainly was not“. 1594 Luk. Philops. 2, zu dieser Schrift FILOCEUDEIS H APISTVN 2001. Das Verhältnis zu den Verae historiae ist erklärt von Anderson 1976 b, bes. 23–33. 1595 Str. XI 6, 3 = C 507: Ktesias, Herodot (durch die kopulativen Partikeln te ... ka€ verbunden), Hellanikos und andere von dieser Art hätten, nach dem Vorbild erklärter muyogrãfoi einzig auf darstellerische Wirkung bedacht, §n flstor€aw sxÆmati gesagt, ì mhd°pote e‰don mhd¢ ≥kousan, µ oÈ parã ge efidÒtvn. Strabon gebraucht die beiden Parameter von Autopsie und Sekundärinformation auch in seiner Kritik an, wie er urteilt, sachlich unzureichenden Berichten über das Land Indien (Str. XV 1, 2 = C 685). 1596 Luk. Hist. Conscr. 29. 1597 Gar nicht zu reden davon, daß es sich bei dem ersten Kolon unverkennbar um ein in Rhetorenkreisen wohlbekanntes Herodotzitat handelt (Hdt. I 8, 2: Œta går tugxãnei ényr≈poisi §Ònta épistÒtera Ùfyalm«n, eine Bezugnahme auf diese Worte des Kandaules an Gyges bei Ps. D. H. Rh. XI 4 Usener / Radermacher VI 2, 378, Z. 7–8 und bei Lukian in Dom. 20.

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innerhalb der das Element pathetischer Überhöhung gezielt als Kunstmittel einsetzenden Tragödie1598 eignen oder allenfalls als Einleitung zu einer zwischen den Polen von Faktizität und Fiktionalität1599 schillernden Erzählung (diÆghsiw) vom Typus des dionischen Euboikos1600. Innerhalb der Geschichtsschreibung, so ist Lukians Kritik zu verstehen, nimmt sich eine derartige Beteuerung ganz unpassend aus, zumal wenn ein Historiker evidentermaßen gerade das Gegenteil von dem mit großtuerischer Attitüde Angekündigten leistet. Conclusio Es hat sich ergeben, daß Lukian sich in der Frage nach den Möglichkeiten historischer Wahrheitsfindung nicht nur mit dem thukydideischen Methodenkapitel vertraut zeigt, welches er andernorts in der Methodenschrift1601 als ideale Vorgabe direkt nennt, sondern auch mit den späteren Entwicklungsstadien der dort angelegten Prinzipien und Formulierungen, wie sie sich im Medium von Historiographie (eine zentrale Rolle spielt dabei Polybios1602) und Rhetorik nachweisen ließen1603. Er repräsentiert somit denjenigen Standard, welcher für die historiographische Methodologie (zumindest soweit diese eine pragmatische Orientierung zeigt) und deren Rezeption innerhalb rhetorischer Theorie und Praxis zu seiner Zeit vorausgesetzt werden kann. Seine souveräne Beherrschung von im Laufe der Zeit zu einem Standard gewordenen, konventionellen Elementen1604 erlaubt es ihm darüberhinaus, diese in anderen Schriften zu satirisch-parodistischen Zwecken einzusetzen, ein dementsprechend informierte Rezipienten voraussetzendes Verfahren. Den bei Thukydides schon angelegten Gedanken der eÎnoia der Gewährsmänner weitet er in einer die Problematik des Umgangs mit tendenziöser Berichterstattung kräftig ins Zentrum des Interesses stellenden Weise aus. Diese gegenüber Thukydides modifizierte und an die politischen Verhältnisse der eigenen Zeit angepaßte1605 1598 Euripides und Sophokles bedienen sich derartiger sprachlich frei variierbarer Topoi. Bei E. Supp. 684 sagt der Bote: leÊssvn d¢ taËta koÈ klÊvn, vgl. E. IT 901 und S. Tr. 746–747, Hinweis bei Russell 1992, 109. In Hist. Conscr. 25 verspottet Lukian einen Autor, der die angebliche Kunde vom tragisch inszenierten Selbstmord des Severianus mit einem Schwur bekräftigen zu müssen geglaubt habe (§pomosãmenow, ∑ mØn ékoËsa€ tinow ...). 1599 Charakteristisch für diese moderne Sichtweise ist die letzte umfassende Untersuchung von Krause 2003, 61 und erläuternd dazu 21–24, zu beachten ist auch Anderson 2000, bes. 145–150, ein Vergleich von Dion und Lukian bei Anderson 1976 b 94–98. 1600 D. Chr. or. VII. Der Einleitungssatz (1) lautet: TÒde mØn aÈtÚw fid≈n, oÈ parÉ •t°rvn ékoÊsaw, dihgÆsomai.

1601 Luk. Hist. Conscr. 42. 1602 Generell zum Nahverhältnis der lukianischen zu den polybianischen Postulaten vgl. die Einleitung, Teil I 3. 5. 1603 Dieser Umstand wird in der Regel unterschätzt, so u. a. von Macleod 1991, 288–289, Homeyer 1965, 260– 261 bietet keine systematische Erfassung der Traditionsschichten. Generell werden Lukians Quellenkenntnisse häufig zu gering angesetzt, so u. a. Whitmarsh 2001, 33: „... some authors (such as Lucian) seem to have encountered canonical texts primarily in well-known excerpts“. 1604 Zu den oben genannten Belegen kann die Herodotimitatio in der Schrift De dea Syria hinzugefügt werden, bes. 1: ... t«n éphg°omai tå m¢n aÈtoc€˙ may≈n, tå d¢ parå t«n fler°vn §dãhn, ıkÒsa §Ònta §meË presbÊtera §g∆ flstor°v, dazu Lightfoot 2003, 289–290. Bei der Schrift als ganzer handle es sich um ein Pasticcio, so Lightfoot 2003, 198. 1605 Das Problem des Umgangs mit tendenziöser Berichterstattung unter monarchischen Regierungsformen war erstmals unter den politischen Bedingungen des 4. Jhs. v. Chr. und besonders unter Alexander aktuell geworden, für kaiserzeitliche Historiker ist es eine ständig präsente Gegebenheit, vgl. die Einleitung, Teil II 3 passim.

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Schwerpunktverlagerung steht in inhaltlichem und motivischem Zusammenhang mit Lukians Definition von Intellekt (Einleitung, Teil II 2) und Ethos (Einleitung, Teil II 3) des Historikers. Nebenbei, und dies soll hier nur am Rande angedeutet werden, hat der vorgelegte Befund zuverlässig die Richtung angezeigt, wie das auf die sachliche Forschungsarbeit bezogene Selbstverständnis antiker Historiker sowie die von ihnen erwartete Leistung einzuschätzen ist. Es ist notwendig, auf diesen Sachverhalt mit Nachdruck hinzuweisen, da die durch Wiseman und Woodman vertretenen Positionen in den letzten Jahrzehnten einen die Primärquellen selektiv heranziehenden und deren Aussagewert verkürzenden Forschungstrend ausgelöst haben1606. 1606 Es soll hier nicht unkritisch eine Identität von jeweiligem Programm und tatsächlicher Forschungsleistung behauptet werden. Es wird lediglich darauf hingewiesen, daß es einen Konsens darüber gab, daß die Gattung der flstor€a als ihre spezifische Leistung eine wahrheitsgetreue Wiedergabe von real Geschehenem zu leisten habe. Auch Lukian weist in Übereinstimmung mit der gängigen Sichtweise wiederholt darauf hin, daß es die Aufgabe des Historikers sei, über Tatsachen zu berichten (Luk. Hist. Conscr. 7 und 59: flstore›n tå gegenhm°na / pepragm°na), denn (Kap. 39): toË dØ suggraf°vw ¶rgon ßn – …w §prãxyh efipe›n, was durch das anschauliche Spiegelgleichnis (Kap. 51) erläutert wird. Dies ist auch der Sinn einer bekannten Erklärung des ansonsten kaum an Geschichtsschreibung interessierten Aristoteles (Po. 9, 1451 a 36–1451 b 11), welche besagt, daß die auf das Allgemeine hin orientierte Dichtung nach den Parametern von Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit auf das Mögliche (tå dunatã bzw. oÂa ín g°noito) abziele, während der Geschichtsschreiber über das real Geschehene (tå genÒmena) zu berichten habe, wofür als Beispiel angeführt wird: t€ ÉAlkibiãdhw ¶prajen µ t€ ¶payen. Es ist daher nicht berechtigt, mit v. Fritz 1956, 116– 117 davon auszugehen, daß Aristoteles auch für die Geschichtsschreibung das kayÒlou zuläßt (treffsichere Widerlegung dieser Argumentation bei Walbank 1960, 217–220). Vielmehr gibt Ullman 1942, 25–26 die richtige Richtung vor, wenn er die aristotelische Position mit den Worten „history states facts“ (Zitat 26) beschreibt. Noch Sextus Empiricus (M. I 263) bezeichnet die von mËyow und plãsma klar unterschiedene flstor€a als eine élhy«n tin«n (§st‹) ka‹ gegonÒtvn ¶kyesiw, um sodann ebenso wie Aristoteles ein konkretes, wenn auch nicht gerade sehr glücklich gewähltes Beispiel folgen zu lassen (…w ˜ti ÉAl°jandrow §n Babul«ni diÉ §piboÊlvn farmakeuye‹w §teleÊta); dazu richtig Walbank 1960, 225–226. Woodman 1988, 26–27 läßt demgegenüber die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, indem er die Historiker von einem „hard core of apparently reliable knowledge“ ausgehen läßt, um welchen herum sie „a set of rules based on their own and their readers’ expectations of what was likely to have happened in a given situation“ strukturierten. Es ist zwar gewiß nicht zu bezweifeln, daß ein derartiges Verfahren nicht selten in der Praxis tatsächlich angewandt wurde, aber dabei handelte es sich eben nach allgemeinem Verständnis um unstatthafte Verstöße gegen die gattungsimmanenten Prinzipien, welche von Kritikern immer auch als solche namhaft gemacht wurden. Von einer legitimen Vermischung der Ebenen von Realität und Fiktion kann daher innerhalb der Gattung der flstor€a keineswegs ausgegangen werden. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Cornell 1982 in seiner lesenswerten Rezension zu Wisemans Buch (Wiseman 1979), und auch Leemann / Pinkster / Nelson 1985, 250–252 heben zu Recht die Einseitigkeit von Wisemans Position hervor, vgl. zuletzt dezidiert und überzeugend Bosworth 2003 (Zitat 194): ancient writers did not add bogus „facts“ out of their imagination. Problematisch sind auch durch Rosenmeyers 1985 provokanten Artikel angeregte Versuche, die Bedeutung der Gattung flstor€a an sich zugunsten des Modellcharakters einzelner Autoren zu minimalisieren (so Pelling 1999, 330–331, bes. 331: „we should follow Rosenmeyer’s hint and talk of particular models rather than a „genre“ as a whole“), eine einseitige Position, welche bloß bei einer verkürzten Wiedergabe des antiken Befundes durchgehalten werden kann. Zuletzt hat Fox 2001 in einer diluziden Studie die unterschiedlichen Ansätze, denen Lukian und Dionysios sich verpflichtet fühlen, herausgearbeitet, mit dem Ergebnis, daß: „Lucian anticipates the modern expectation that history should be objective“ (84). Folgt man hingegen Wiseman und Woodman, so wäre selbst den prominentesten Historikern der Antike nicht nur tatsachengerechte Darstellung (dies läßt sich ja prinzipiell durchaus argumentieren, muß aber im Einzelfall individuell entschieden werden) zu bestreiten, sondern auch das Streben danach (dagegen sprechen jedoch, wie sich gezeigt hat, die Äußerungen antiker Historiker und Literaturkritiker). Auch wenn sich aus heutiger Sicht in einem Text eine sachliche Tendenz oder eine narrative Strategie feststellen läßt, so gibt es in der Regel keinen Beweis dafür, daß der betreffende Historiker etwas vorsätzlich verfälscht hat. Eher mag es ihm so ergangen sein, wie einem heutigen akademischen Forscher, der das, was er den Trends seiner Zeit, den jeweiligen Vorurteilen der Gesellschaft entnimmt, ehrlich für die Wahrheit hält, nach bestem Wissen und Gewissen und ohne Zynismus. In diesem Sinne sind faktisches Verfehlen der Objektivität und subjektives Streben

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II 2 Das intellektuelle Profil des Historikers Für die Praktiker war es, wie sich gezeigt hat, von Bedeutung, die Rezipienten1607 der Seriosität ihrer Forschung zu versichern. Vor diesem Hintergrund wäre es zu erwarten, daß Kapitel 47 in der Gesamtaussage der Schrift einen zentralen Stellenwert einnehmen müßte. Doch dies ist keineswegs der Fall, vielmehr werden die darin enthaltenen methodischen Prinzipien entgegen der Praxis des Verfassers, die aus seiner Sicht wesentlichen Aussagen mehrfach und mit Nachdruck zu wiederholen1608, nirgendwo näher erläutert oder auch nur konstruktiv aufgegriffen1609. Zur Erklärung dieses Umstandes ist es wichtig, sich die in der Einleitung, Teil II 1 dargestellte Schwerpunktverlagerung auf den Umgang mit den Tendenzen der Gewährsmänner vor Augen zu halten. Thukydides1610 hatte sich neben dem Wohlwollen (eÎnoia) seiner Informanten noch mit deren mangelhafter Erinnerungsfähigkeit (mnÆmh) als einem Erschwernis für eine zielführende Forschungsarbeit konfrontiert gesehen. Lukian demgegenüber entschärft in Übereinstimmung mit anderen griechischen Autoren namentlich der römischen Kaiserzeit1611 das epistemologische Problem der Wahrheitsfindung beträchtlich, indem er den hart an die Grenzen des Erforschbaren heranführenden Faktor der Erinnerung (mnÆmh) einfach beiseite läßt. So bleibt also für den Historiker lukianischen Zuschnitts die gegenüber Thukydides vereinfachte Aufgabe übrig, mittels gesunden politischen Verstandes (sÊnesiw politikÆ)1612 die Tendenzen der Berichterstatter1613 zuerst zu diagnostizieren und sodann nach dem Parameter der Wahrscheinlichkeit hin sachlich zu korrigieren. Damit wird nach Objektivität sehr wohl miteinander vereinbar, und es ist nicht gerecht, das eine gegen das andere auszuspielen. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, zwischen antiker und moderner Forschung eine Kluft an Qualität künstlich zu konstruieren. Was antike Historiker von heutigen unterscheidet, ist nicht das Niveau der Forschung, sondern zumindest im Wesentlichen die Verschiedenartigkeit der jeweiligen Arbeitsbedingungen, der Erwartungshaltungen und der (in beiden Fällen nicht immer bewußten) zeitbedingten Wertvorstellungen und der mit Hinblick auf das zu ermittelnde Objekt daraus resultierenden Voreinstellungen oder Vorurteile. 1607 Der Begriff „Rezipient“ ist hier gewählt, um beide bis in das 2. Jh. n. Chr. belegten Rezeptionsformen von Historiographie, Lektüre und Rezitation, abzudecken; dazu Hose 1994, 19–21. Lukian weist zu Beginn des skommatisch–lehrhaften Teils der Schrift (Luk. Hist. Conscr. 14) auf von ihm, wie er erklärt, besuchte Lesungen von Geschichtswerken in Ionien und Achaia hin. 1608 Dies betrifft vor allem die Grundaussage, daß der Historiker seine ethische Verantwortung wahrnehmen und mit Blick auf den Nutzen für die zukünftige Leserschaft schreiben müsse, da er andernfalls die würdige Gattung der flstor€a zum §gk≈mion degradieren würde (zu dem Ethos des Historikers vgl. die Einleitung, Teil II 3). 1609 Lediglich in Luk. Hist. Conscr. 37 fordert Lukian, der Historiker dürfe kein Stubenhocker sein, der sich bloß auf die Berichte seiner Informanten verlasse (... oÈ t«n katoikid€vn tiw oÈdÉ oÂow pisteÊein mÒnon to›w épagg°llousin). Im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (in Kap. 24 und 29) werden Historiker der Partherkriege wegen gravierender topographischer Fehler und mangelnder militärischer Kenntnisse verspottet. Doch wird hier der Gedanke lediglich nach der negativen Seite hin durchgeführt. 1610 Th. I 22, 3. 1611 Es ist bezeichnend, daß selbst Arrian (An. VII 14, 2), der Anleihe bei der thukydideischen Syntax in I 22, 3 nimmt, im Zusammenhang mit dem Tod Hephaistions berichtet, über Alexanders Trauer lägen im Detail differierende Berichte vor, und zwar: …w ßkastow µ eÈno€aw prÚw ÑHfaist€vna µ fyÒnou e‰xen µ ka‹ prÚw aÈtÚn ÉAl°jandron. Für Plutarch (Per. 13, 12) spielt der Zeitfaktor als ein die historische Erkenntnis behinderndes Element nur bei der Vergangenheitsgeschichte eine Rolle, während im Falle der Zeitgeschichte verzerrende Darstellungen ihre Ursache in den persönlichen Motiven zum einen von Neid, Haß und Feindseligkeit, zum anderen von Gunsterweis und Schmeichelei hätten. Zum Ethos des Historikers vgl. die Einleitung, Teil II 3 passim. 1612 Luk. Hist. Conscr. 34. 1613 Luk. Hist. Conscr. 47 (prÚw xãrin µ ép°xyeian).

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aus der von Thukydides in seiner ganzen Komplexität herausgestellten Forschungsarbeit eine praktisch durchaus leistbare Aufgabe, welche aufseiten des Historikers eine dementsprechende intellektuelle Kompetenz erfordert. Diese wird gleich zu Beginn des dritten und didaktischen Teils der Schrift als wesentliche Grundvoraussetzung für die Arbeit des Historikers namhaft gemacht. Lukians innovatives Konzept der sÊnesiw politikÆ Kap. 34: Fhm‹ to€nun tÚn êrista flstor€an suggrãfonta dÊo m¢n taËta korufaiÒtata o‡koyen ¶xonta ¥kein, sÊnes€n te politikØn ka‹ dÊnamin •rmhneutikÆn, tØn m¢n éd€daktÒn ti t∞w fÊsevw d«ron, ≤ dÊnamiw d¢ pollª tª éskÆsei ka‹ sunexe› t“ pÒnƒ ka‹ zÆlƒ t«n érxa€vn prosgegenhm°nh ¶stv.

Als wichtigste Voraussetzungen müssen beim angehenden Geschichtsschreiber demnach zwei unabdingbare Kompetenzen von Haus aus gegeben sein1614: a) die intellektuelle Qualität der auf politische Belange (im weitesten Sinn) bezogenen Urteilsfähigkeit (sÊnesiw politikÆ) und b) die formale Kompetenz darstellerischer Ausdruckskraft (dÊnamiw •rmhneutikÆ)1615. Letztere nimmt im dritten und didaktischen Teil der Schrift einen wichtigen Stellenwert ein, für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist sie jedoch von untergeordneter Relevanz, da diese hier lediglich die Grundbedingungen für sachliche Forschungsarbeit untersucht. Von entscheidender Bedeutung hingegen ist die Frage, was Lukian mit seiner ausgerechnet den Verstand (sÊnesiw) kräftig ins Zentrum stellenden Konzeption bezweckt, wird dieser doch nirgendwo sonst in antiker Literatur, in der Historiographie ebensowenig wie in der Rhetorik, explizit als eine für den Historiker unentbehrliche Grundeigenschaft genannt. Um das in dieser Form singuläre lukianische Postulat hinsichtlich seiner Genese und Aussageabsicht zu verstehen, sind zuvor einige Gedankenschritte nötig. Zunächst ist festzustellen, daß für eine Anwendung des hier vorausgesetzten dualistischen Einteilungsprinzips in anderen Schriften Lukians aussagekräftige Parallelen vorliegen. So wird im Rhetorum praeceptor 1616 das angestrebte Ziel rhetorischer Sprachgewalt durch zwei Kriterien bestimmt: a) das Erkennen des Situationsadäquaten und b) entsprechenden sprachlichen Ausdruck (gn«na€ te tå d°onta ka‹ •rmhneËsai aÈtã)1617. Diese Formulierung ist als eine getreue Wiedergabe derjenigen Worte 1614

Dieses selbe zweigliedrige Schema ist in Luk. Hist. Conscr. 37 durchgehalten, wo Lukian sich als Schüler den

sune›na€ te ka‹ efipe›n oÈk égennÆw wünscht. Seine Ratschläge könnten nicht bei jedem beliebigen Adepten greifen, sondern einzig bei dem fÊsei sunet“ ka‹ êrista prÚw lÒgouw ±skhm°nƒ (Kap. 36). 1615 Die dÊnamiw •rmhneutikÆ meint eine durch Übung und harte Arbeit zur Naturanlage hinzuerworbene Versiertheit im sprachlichen Ausdruck. Zur •rmhne€a = elocutio = Stil Belege bei D. H., z. B. Comp. 1, Isoc. 11, Th. 51, zur Bedeutung der Begriffe •rmhne€a und l°jiw innerhalb der rhetorischen Terminologie Roberts 1901, 251 und

Schenkeveld 1964, 51–87, bes. 67. 1616 Luk. Rh. Pr. 1. 1617 In Luk. Rh. Pr. 15 findet sich zudem eine auf das Gebiet rhetorischer Praxis bezogene Parodie dieses Schemas. Der bedenkenlose, von keinerlei Skrupel geplagte Lehrer umreißt hier seine Erwartungshaltung dem Schüler gegenüber folgendermaßen: L°jv d¢ pr«ton m¢n ıpÒsa xrØ aÈtÒn se o‡koyen ¶xonta ¥kein §fÒdia prÚw tØn pore€an, um sodann als die wichtigsten Voraussetzungen für den Redner die höchst bedenklichen Eigenschaften der Unwissenheit (émay€a), Frechheit (yrãsow), Dreistigkeit (tÒlma) und Schamlosigkeit (énaisxunt€a) geltend zu machen. Ethos, sachliche Kompetenz und harte Arbeit seien als der Sache wesensfremd zu erachten, da ja doch gerade

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zu verstehen, welche Thukydides1618 seinem Redner Perikles zur Selbstcharakteristik in den Mund legt. Perikles verkündet hier innerhalb seiner letzten Ansprache, er stünde hinter keinem anderen Redner zurück hinsichtlich der Fähigkeit, das der Situation Angemessene erkennen und dem auch entsprechenden sprachlichen Ausdruck verleihen zu können (...oÈdenÚw ¥ssvn o‡omai e‰nai gn«na€ te tå d°onta ka‹ •rmhneËsai taËta).

In der Schrift De saltatione 1619 bedient Lukian sich mit in diesem Falle explizitem Verweis auf die thukydideische Periklescharakteristik derselben schablonenhaften Ausdrucksweise, um solcherart die spezifische Leistung des anerkennenswerten Pantomimen zu bestimmen (toËto

ka‹ tÚ toË ÙrxhstoË ékrÒtaton ín §gk≈mion e‡h, gn«na€ te tå d°onta ka‹ •rmhneËsai aÈtã).

Diese auf den thukydideischen Redner Perikles zurückgehende und von Lukian wiederholt auf verschiedene Gegenstände applizierte stereotype Formel ist die Grundlage, von der hier auszugehen ist. Im vorliegenden Fall überträgt Lukian dieses selbe zweiteilige Einteilungsprinzip auf das Qualifikationsprofil des Historikers. Ein solches Verfahren macht eine leichte Variation des primär auf die Bedürfnisse rhetorischer Praxis zugeschnittenen Klassifizierungsschemas erforderlich. Während es nämlich bei der praktisch orientierten Rhetorik naturgemäß um das Erkennen des Situationsadäquaten ging (gn«nai tå d°onta1620), ist bei dem Objekt der Geschichtsschreibung die intellektuelle Qualität der Urteilsfähigkeit gefragt. Als das Ergebnis des Übertragungsvorgangs ergibt sich der Begriff der sÊnesiw (Verstand, Urteilsfähigkeit), welcher der Definition des Aristoteles1621 zufolge, im Gegensatz zu der auf das Setzen von Handlungsakten hin angelegten frÒnhsiw, einzig urteilende Funktion zukommt (≤ d¢ sÊnesiw kritikØ mÒnon). Die höchst seltene Junktur sÊnesiw politikÆ1622 läßt sich erstmals in der Politik des Aristoteles nachweisen, wo im Referat über die Teile des Staates u. a. vom Stand der Berater die Rede ist, deren Aufgabe der staatsbürgerliche Verstand sei (tÚ bouleuÒmenon, ˜per §st‹ sun°sevw politik∞w ¶rgon)1623. Da sich diese Formulierung nirgendwo im Zusammenhang mit der Qualifikation des Historikers nachweisen läßt, so ist auf jeden Fall mit der Möglichkeit lukianischer Innovation zu rechnen1624. Und dies umso mehr, als auch andere den Intellekt das Begehen des leichteren Weges bei der Masse den rednerischen Erfolg garantiere. 1618 Th. II 60, 5; Macleod weist in seinem Oxford–Text (II 317) auf diese Stelle hin. Belege bei Gomme 1956, 167–168. Zur thukydideischen Periklescharakteristik Bayer 1948 (Nachdruck 1968, bes. 239–259). 1619 Luk. Salt. 36. 1620 Der Begriff tå d°onta hat bereits bei Isokrates zentrale Bedeutung, so in or. 2, 52; or. 13, 8; or. 15, 276. 1621 Arist. EN VI 10, bes. 1143 a 8–10. 1622 So bei Plutarch (Rom. 6, 2), danach ist die Junktur erst wieder seit dem 10. Jh. n. Chr. nachweisbar (z. B. Suid. s. v. Pampr°piow Adler IV 14 Z. 19–20). Noch der sonst in der Suche nach Parallelbelegen überaus genaue Avenarius 1956, 31 sah sich genötigt, hinsichtlich der Provenienz der Junktur sÊnesiw politikÆ ausnahmsweise seine Ratlosigkeit einzugestehen. Zu verschiedenen, nicht immer sehr glücklichen Versuchen, dieses aus literarhistorischer Sicht ungewöhnliche Konzept zu erklären, vgl. die von Georgiadou / Larmour 1994, 1456, Anm. 34 verzeichnete Literatur. 1623 Arist. Pol. IV 4 Ross = VI 4 Newman, 1291 a 28. Baldwin 1977 a hält eine direkte Übernahme aus Aristoteles für nicht unmöglich (166: „It is not impossible that Lucian got the phrase sÊnesiw politikÆ directly from Aristotle“), auch die Schrift des Theophrastos per‹ flstor€aw (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 1) komme in Betracht, auf Lukian selbst gehe sie jedoch nicht zurück (168). 1624 Anderson 1976 a 117 vertritt, seiner Ansicht über die Schrift entsprechend, diese Meinung: „he may be offering it as practical common sense on his own account“. Avenarius 1956, 31, der die Singularität dieses Konzeptes erkannt hatte, hielt es für wahrscheinlich, daß Lukian auch in dieser Hinsicht bereits Vorgänger hatte, doch den Zusatz politikÆ setzte er auf Lukians Rechnung. Zu der demgegenüber hier vertretenen Ansicht vgl. die Einleitung, Teil I 3. 7.

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schlechthin bezeichnende Begriffe von keinem antiken Autor jemals mit Bezug auf das Anforderungsprofil des Geschichtsschreibers gebraucht werden. Unter welchen Voraussetzungen war es, so ist weiter zu fragen, Lukian möglich, der weder in historiographischen Traditionen noch sonst auch im Fundus antiker rhetorischer Theorie geforderten sÊnesiw des Historikers, einer naturgegebenen Anlage also, dermaßen zentrale Stellung am Beginn des dritten und didaktischen Teils seiner Schrift einzuräumen? Eine Beantwortung dieser Frage führt direkt hinein in das Zentrum antiker Pädagogik sowie deren maßgeblicher Begründung durch die rhetorische Theorie. Diese bestimmte nämlich das Anforderungsprofil des angehenden Redners durch die drei Elemente a) Naturanlage (fÊsiw1625), b) Übung (êskhsiw1626) und c) Lehranweisung (t°xnh1627), jene drei Faktoren, welche auch innerhalb der antiken Unterrichtspraxis als maßgeblich für die Erbringung von rhetorischer Leistung angesehen wurden. Diese rhetorische Trias1628 geht zurück auf eine durch die Sophisten maßgeblich in Gang gesetzte und sogleich von den führenden Intellektuellen der Zeit aufgegriffene Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Erziehung. Alte griechische Adelsethik hatte den Faktor der Belehrung (didãskein) und des Lernens (manyãnein) gegenüber der Naturanlage (fÊsiw) entwertet, wie dies unmißverständliche Aussagen bei Theognis1629 und Pindar1630 verdeutlichen. Dieser einseitig aristokratischen Ansicht setzten die Sophisten sodann ein verstärktes Vertrauen in die Erlernbarkeit der Tugend (éretÆ) entgegen. Die Besonneneren unter ihnen leugneten allerdings keineswegs den unbestreitbaren Wert der Naturanlage (fÊsiw) für die Pädagogik schlechthin, doch galt diese nunmehr lediglich als ein Faktor neben dem Lehren und dem Lernen (didaskal€a, mãyhsiw) zum einen und der Übung (êskhsiw) zum anderen. So äußert sich Protagoras1631 diesbezüglich durchaus ausgewogen, wenn er erklärt, die Belehrung könne nur auf der Grundlage von Naturanlage und Übung sinnvoll wirken (fÊsevw ka‹ éskÆsevw didaskal€a de›tai). Provozierender nimmt sich der Standpunkt seines etwas jüngeren Landsmannes Demokrit1632 aus, welcher zumindest in der Ethik die Übung höher als die Naturanlage bewertete (pl°onew §j éskÆsiow égayo‹ g€nontai µ épÚ fÊsiow). In kritischer Auseinandersetzung mit sophistischer Theorie und Praxis1633 rang Platon um seine Position in dieser die zeitgenössische intellektuelle Debatte bestimmenden Frage. Bei ihm ist die von den Sophisten übernommene Trias in folgende Begriffe gefasst: a) fÊsiw b) mel°th resp. §pim°leia c) §pistÆmh resp. t°xnh1634. Einseitige Überschätzung des Faktors der Belehrung 1625 Lat. natura bzw. ingenium. 1626 Auch §mpeir€a, mel°th, lat. exercitatio. 1627 Auch pa€deusiw, didaskal€a, mãyhsiw, §pistÆmh, lat. ars bzw. doctrina. 1628 Dazu Volkmann 1885, 30–31, Martin 1974, 7, Lausberg § 1–6. 1629 So Thgn. 429–438 (Zitat 437–38: ... didãskvn / oÎpote poiÆseiw tÚn kakÚn êndrÉ égayÒn). 1630 Exemplarisch Pi. O. 2, 86–87: Kontrast zwischen dem pollå efid∆w fuò und den bloßen mayÒntew, ähnlich O. 9, 100–103: Gegenüberstellung von fuã und didakta€ éreta€. 1631 DK II 80 B 3. 1632 DK II 68 B 242. 1633 Belege zu den Positionen der in dieser Frage führenden Sophisten finden sich bei C. W. Müller 1975, 220–249, bes. 224–226. 1634 Z. B. Pl. R. II 374 d–e, wo von der Erziehung der Wächter die Rede ist, und Phdr. 269 d, wo es um die Faktoren geht, welche den vollendeten Redner, den t°leow égvnistÆw, ausmachen.

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(didaskal€a) auf Kosten einer adäquaten Anerkennung des Wertes der natürlichen Anlage (fÊsiw) ist bei Platon insbesondere mit sophistischer Programmatik in Verbindung gebracht. Die dozierende Rede des Protagoras im gleichnamigen Dialog1635 provoziert als Antwort umgehend1636 die typische sokratische Ironie, die von da weg in verschiedenen Brechungen den, wie gewohnt, von Sokrates dominierten Gedankengang des Dialogs bestimmt. Isokrates schließlich, bemüht, sich und die von ihm gegründete Schule gegen die von den sophistischen Redelehrern praktizierte Methode von unseriöser Selbstanpreisung mittels unrealistischer Versprechungen abzugrenzen, akzentuierte die Faktoren der Naturanlage (fÊsiw) und der Erfahrung (§mpeir€a) umso stärker, als seine Konkurrenten den Wert der von ihnen angebotenen Ausbildung (pa€deusiw) herausstrichen. In der programmatischen Werbeschrift katå t«n sofist«n1637 aus der Zeit seiner beginnenden Lehrtätigkeit1638 betont er, daß viele auf den Gebieten von Philosophie, Rhetorik und Politik, ohne jemals Unterricht bei den Sophisten genommen zu haben, sich als Naturbegabungen erwiesen hätten; lediglich durch ihr praktisches Training hätten sie sich besondere Fähigkeiten erworben. Die Begründung des Isokrates für diesen Sachverhalt lautet: afl m¢n går dunãmeiw ka‹ t«n lÒgvn ka‹ t«n êllvn ¶rgvn èpãntvn §n to›w eÈfu°sin §gg€gnontai ka‹ to›w per‹ tåw §mpeir€aw gegumnasm°noiw. Zugleich betont er aber auch, wie bei seiner Eigenschaft als Lehrer nicht anders zu erwarten, den Wert der Ausbildung (pa€deusiw), nur unter der Bedingung freilich, daß der Schüler sich den darüber etwas Wissenden (to›w efidÒsi ti per‹ aÈt«n) – der Ton der Bescheidenheit soll den Umstand verschleiern, daß Isokrates im Wesentlichen sich selbst damit meint – anvertraue. In seinem autobiographischen Rechenschaftsbericht per‹ éntidÒsevw1639 wiederholt der 82jährige1640 unter leichten Modifikationen dieselben Grundgedanken. Er hält in einer für alle t°xnai gültigen Weise fest, daß, besonders auf dem Gebiet der Rhetorik, eben der Natur (fÊsiw) der Primat zukomme: tÚ t∞w fÊsevw énup°rblhtÒn §sti ka‹ polÁ pãntvn diaf°rei1641. Bringe der Schüler nicht von vornherein eine entsprechende Naturanlage mit, so sei ein Lernfortschritt nur innerhalb recht eng gezogener Grenzen möglich. In extremer Ausformung liegt dieser Gedanke bei den von Ps. Longinos1642 kritisierten einseitigen Vertretern von „Genieästhetik“ vor, deren Ansicht zufolge einzig die Naturanlage Großgeartetes ursächlich begründen könne (gennçtai går ... tå megalofu∞ ka‹ oÈ didaktå parag€netai, ka‹ m€a t°xnh prÚw aÈtå tÚ pefuk°nai). Eine hohe Bewertung des Faktors der Begabung (natura 1643) läßt sich noch in der römischen Rhetorik feststellen. Quintilian, ebenso wie Isokrates ein pädagogischer Praktiker und aus einer zwanzigjährigen Lehrerfahrung mit 1635 Pl. Prt. bes. 323 c–324 c: mit dem Kernsatz paraskeuastÚn e‰nai ka‹ didaktÚn éretÆn. 1636 Pl. Prt. 328 e. 1637 Isoc. or. 13, bes. 14–18. Zur Rede als ganzer Eucken 1983, 5–43. 1638 So erklärt Isokrates im Rückblick in or. 15, 193. 1639 Isoc. or. 15, bes. 186–192. 1640 Isoc. or. 15, 9. 1641 Isoc. or 15, 189. 1642 Longin. 2, 1. Demgegenüber widmet Ps. Longinos das gesamte 2. Kapitel seiner Poesie und Prosa gleichermaßen berücksichtigenden Schrift einer Verteidigung des praktischen Nutzens von t°xnh (dafür die Begriffe texnikå paragg°lmata, texnolog€ai, m°yodow, §pistÆmh). Andernorts (36, 4) bezeichnet er die t°xnh als ein Hilfsmittel für die Naturanlage (boÆyhma tª fÊsei), Text und Kommentar: Russell 1964. 1643 Dazu Varwig 1976.

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Jugendlichen heraus schreibend1644, erklärt in seiner praefatio 1645 die natura zu einer condicio sine qua non für das erfolgreiche Wirken von praecepta und artes, um sodann in seiner subtilen Untersuchung über das Verhältnis von natura und doctrina 1646 festzustellen, die Begabung ohne Unterstützung durch Belehrung vermöge auf mittlerem Niveau viel, während im umgekehrten Falle kein Effekt erzielt werden könne: natura etiam sine doctrina multum valebit, doctrina nulla esse sine natura poterit. Und Cicero schließlich läßt in seinem Dialog De oratore 1647 den Lucius Licinius Crassus, einen Vertreter der älteren Rednergeneration, zu Beginn des umfangreichen naturaPassus1648 die prononcierte Ansicht vertreten, die natürlichen Anlagen, die für den rednerischen Erfolg den wichtigsten Ausschlag gäben, seien durch ars nicht erwerbbare Geschenke der Natur (dona naturae). Und diese Formulierung zeigt, daß der bei Lukian singulär vorliegende Wortlaut (éd€daktÒn ti t∞w fÊsevw d«ron) zu dem Repertoire konventionellen rhetorischen Formelschatzes gehören dürfte1649. Unmißverständlich nimmt Lukian1650 eine seinem Gegenstand entsprechende Zuordnung der drei Faktoren fÊsiw, êskhsiw und t°xnh vor: a) der politische Verstand (sÊnesiw politikÆ) sei der Naturanlage (fÊsiw) zuzuordnen, und zwar als ein dem Zugriff belehrender t°xnh sich entziehendes Naturgeschenk (éd€daktÒn ti t∞w fÊsevw d«ron), b) die durch Übung (êskhsiw), harte Arbeit (pÒnow)1651 und den Wetteifer mit den alten Klassikern (z∞low t«n érxa€vn)1652 zu der Naturanlage hinzuerworbene dÊnamiw •rmhneutikÆ sei dem Faktor der Übung (êskhsiw) zuzuordnen und somit ebenfalls nicht Gegenstand von t°xnh1653, c) der Lehranweisung (t°xnh) schließlich komme einzig die Funktion zu, den Schüler schneller und leichter sein Ziel erreichen zu lassen1654. 1644 Quint. Inst. I praef. 1. 1645 Quint. Inst. I praef. 26–27. 1646 Quint. Inst. II 19, bes. 2. 1647 Cic. de Orat. I 25, 113–115. 1648 Cic. de Orat. I 25, 113–133. 1649 Erstaunlicherweise erklärt keiner der mir bekannten Kommentare zu De oratore die Formulierung dona naturae. Zappalas 1990, 235 Einschätzung von Lukians Intention ist in dieser Form unangemessen: Even some of the precepts, the necessity, for example, that the historian have an „unlearned political sense“, ironize the educative purpose of the work. 1650 Luk. Hist. Conscr. 34–36. 1651 Nunmehr wird der Begriff pÒnow auf den Bereich der êskhsiw bezogen. Zur kynischen Metaebene vgl. die Einleitung, Teil II 3. 1652 Dieses Postulat ist zu verstehen vor dem Hintergrund der klassizistischen m€mhsiw–Konzeption, wie sie durch Dionysios von Halikarnaß u. a. in der fragmentarisch überlieferten Schrift per‹ t∞w mimÆsevw unter Etablierung von kalo‹ ka‹ dedokimasm°noi kanÒnew für die Mimesis weithin gültig formuliert wurde (D. H. Th. 1), dazu Flashar 1978. Auch bei Lukian selbst spielen mehrfach in anderen Schriften derartige Kanonbildungen eine wichtige Rolle (so Rh. Pr. bes. 9 und Lex. bes. 22–23). Zum lukianischen Verständnis von Mimesis Weissenberger 1996, bes. 127–138. Häufig werden die Begriffe z∞low, zÆlvsiw und zhloËn von den klassizistischen Literaturtheoretikern und -praktikern in einem fast synonymen Sinn verwendet mit den Termini m€mhsiw und mime›syai (Beispiel Longin. 13, 2), nur daß der Begriff zhloËn (aemulari) gegenüber dem neutraler konnotierten mime›syai (imitari) stärker den mit dem Vorbild konkurrierenden Wetteifer akzentuiert, vgl. dazu auch Gelzer 1978, 35–37. 1653 Luk. Hist. Conscr. 34: sowohl a) als auch b) werden als êtexna bezeichnet. 1654 Luk. Hist. Conscr. 35: ... Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw ... aÂw xr≈menow yçtton ín ka‹ eÈmar°steron tel°seien êxri prÚw tÚn skopÒn. Mit anderen Worten besteht der Nutzen der t°xnh in einer adäquaten Nutzung bereits vorhandener Qualitäten: ÉAllå poË tÚ t∞w t°xnhw ka‹ tÚ t∞w sumboul∞w xrÆsimon; oÈk §w po€hsin t«n prosÒntvn, éllÉ §w xr∞sin aÈt«n tØn prosÆkousan.

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Was ist mit der an das bekannte rhetorische Schema angelehnten Konzeption erreicht? Die Antwort ergibt sich aus dem Umstand, daß Lukian überall in seiner Methodenschrift in der deklarierten Eigenschaft eines Ratgebers1655 spricht. In dieser seiner didaktischen Funktion könne er eben nicht, so erklärt er mit Nachdruck, gegen das allgemeine pädagogische Prinzip verstoßen, demzufolge durch keine Lehranweisung (t°xnh) fehlende Naturanlage (fÊsiw) ersetzt werden könne1656. Ein solcherart den Intellekt des Ausübenden kräftig ins Zentrum stellendes Konzept kommt Lukians Wünschen sehr entgegen, erlaubt es ihm doch, das heikle Problem der Wahrheitsfindung elegant auf die Ebene der Befähigung des Historikers selbst zu verlagern. Indem die sÊnesiw nunmehr also schlechthin der fÊsiw des Historikers zugeordnet wird, fällt sie aus dem Kompetenzbereich belehrender Anweisung heraus, kann also nicht Thema von Lukians Lehrschrift sein. Intellekt (sÊnesiw) oder Erfahrung (§mpeir€a)? Mit einem Wechsel der Perspektive sind nun die entsprechenden Ansichten der Praktiker nachzureichen. Der erste Historiker, der sich, freilich mit dem für ihn charakteristischen Ton betonter Zurückhaltung dazu äußert, ist Thukydides. Im zweiten Proömium1657 erklärt er, den ganzen Krieg miterlebt, aufgrund seines Alters Wahrnehmungen gemacht und sich bemüht zu haben, etwas Exaktes darüber zu erfassen: §peb€vn d¢ diå pantÚw aÈtoË, afisyanÒmenÒw te tª ≤lik€& ka‹ pros°xvn tØn gn≈mhn ˜pvw ékrib°w ti e‡somai. Diesen unaufdringlich vorgetragenen Worten läßt sich freilich nicht mehr entnehmen, als daß Thukydides mit wachen Sinnen und einer auf das Begreifen hin ausgerichteten Aufmerksamkeit den ganzen Krieg mitverfolgt habe. Bedeutend expliziter nehmen sich demgegenüber die Aussagen des Polybios aus, der den Faktor der praktischen Erfahrung (§mpeir€a) in das Zentrum seiner gerade im zwölften Buch besonders dicht gebündelten methodologischen Betrachtungen stellt. Über militärische und politische Belange, so erklärt Polybios dezidiert, könne nicht zutreffend schreiben, wer auf dem jeweiligen Gebiet über keinerlei Erfahrungswerte verfüge: ...oÎte per‹ t«n katå pÒlemon sumbainÒntvn dunatÒn §sti grãcai kal«w tÚn mhdem€an §mpeir€an ¶xonta t«n polemik«n ¶rgvn oÎte per‹ t«n §n ta›w polite€aiw tÚn mØ pepeiram°non t«n toioÊtvn prãjevn ka‹ peristãsevn1658. Einem solch Unerfahrenen (êpeirow) – als Beispiele werden neben Timaios,

hier dem Hauptobjekt polybianischer Kritik, auch Kallisthenes, Ephoros und Theopompos 1655 Lukian nennt sich in Luk. Hist. Conscr. 34 einen Ratgeber (sÊmboulow), seine Lehrschrift hatte er zuvor, besonders im Einleitungsteil, mit wechselnden Namen bezeichnet, als para€nesiw (Kap. 4 und 5, 4 auch Ípoy∞kai), als sumboulÆ (6 und 27) und als kan≈n (5, 63: kan≈n und stãymh). Nun, in der Einleitung zu dem sich betont seriös gebenden didaktischen dritten Teil der Schrift (34–35), setzt er für sie nach dem Vorbild diverser didaktischer (besonders rhetorischer) Einführungsschriften die Bezeichnung t°xnh voraus; t°xnh steht in Kap. 35 in Verbindung mit sumboulÆ, in Kap. 36 mit didaskal€a. 1656 Luk. Hist. Conscr. 34–35. 1657 Th. V 26, 5. Seine 20jährige Verbannung habe, so erklärt er unter bewußter Wiederaufnahme des Verbums afisyãnesyai weiter, die Voraussetzungen dafür geschaffen, eher etwas davon in Ruhe wahrzunehmen (kayÉ ≤sux€an ti aÈt«n mçllon afisy°syai).

1658

Plb. XII 25 g 1 (XII 28, 6 kommt in der Kritik an Timaios als drittes Moment hinzu: tØn §k t∞w plãnhw ka‹ y°aw aÈtopãyeian). Polybios ist unter den antiken Autoren der einzige, von dem bekannt ist, daß er die §mpeir€a explizit als Grundvoraussetzung für historische Arbeit fordert.

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genannt1659 – nütze die Möglichkeit zur Befragung von Informanten und selbst das Verfügen über autoptische Erfahrungswerte nichts. Denn weder sei der Unerfahrene dazu fähig, eine sachkundig nachforschende Befragung durchzuführen, noch sei er trotz persönlicher Anwesenheit in der Lage, das mit eigenen Augen Wahrgenommene sachadäquat zu beurteilen: ...ı m¢n êpeirow oÎtÉ énakr›nai toÁw paragegonÒtaw flkanÒw §stin oÎte sumpar∆n gn«nai tÚ ginÒmenon, éllå kín parª, trÒpon tinå par∆n . Denn historische Forschung sei eine Interaktion zwischen zwei prinzipiell gleichwertigen Partnern, dem Befragenden und den Berichterstattern. Bringe ersterer nicht sein Teil an Erfahrung in den Diskurs ein, so ergäben sich eben notwendigerweise große Irrtümer1660. Und Ähnliches gelte von der Autopsie, welche nur kraft der Fähigkeit des Historikers zu einer kompetenten Beurteilung des solcherart Wahrgenommenen wirklich tatsachengetreue Ergebnisse erbringen könne1661. Polybios1662 unterscheidet darüberhinaus auch zwischen aktiver Beteiligung als Handelnder (aÈtourg€a), welche freilich nicht in jedem Einzelfall praktisch durchführbar sei1663, und selbst gemachter Erfahrung (aÈtopãyeia). Nur so sei es möglich, dem Geschichtswerk jene lebensechte Anschaulichkeit zu verleihen, welche einzig bei über Praxis verfügenden Historikern zu finden sei1664. Seine eigene Kompetenz für den zeitgeschichtlichen Abschnitt der 53 Jahre von 220 bis 168 v. Chr. begründet er nicht nur mit Autopsie (aÈtÒpthw) und seiner aktiv handelnden Mitbeteiligung (sunergÒw), sondern auch mit seiner leitenden Position (xeiristÆw) in dem zur Behandlung anstehenden Zeitabschnitt1665. Vergleichbare Ansichten finden sich auch bei Josephos, der im Proömium1666 zur Jüdischen Geschichte seine Qualifikation als Historiker damit begründet, daß er anfänglich gegen die Römer gekämpft und dann an den weiteren Ereignissen notgedrungen Anteil gehabt habe. In seiner zeitlich erst mit größerem Abstand nachfolgenden Schrift contra Apionem 1667 unterscheidet 1659 1660

Plb. XII 22, 6, XII 25 f 1–7. Plb. XII 28 a 8–10 (Zitat 10). Vgl. XII 24, 6, wiederum mit kritischem Blick auf Timaios: ... sumba€nei diå

tØn épeir€an ka‹ kakokris€an polloÁw §n€ote kayãper efi parÒntaw trÒpon tinå mØ pare›nai ka‹ bl°pontaw mØ bl°pein. Eine Diskussion des polybianischen Verständnisses von énãkrisiw bei Sacks 1981, bes. 203–209. 1661 Plb. X 11, 4 (Polybios reicht dem von ihm angegebenen Umfang von Neu–Karthago die Erklärung nach: ... aÈtÒptai gegonÒtew metÉ §pistãsevw épofainÒmeya). Kallisthenes hingegen hätte trotz seiner Anwesenheit (XII 17, 1: parateteux°nai) bei der Schlacht von Issos einen viele Ungereimtheiten enthaltenden Bericht verfaßt; wegen seiner Unerfahrenheit (XII 22, 6: épeir€a) wäre er nicht in der Lage gewesen, das Mögliche und nicht Mögliche zutreffend zu beurteilen (XII 22, 6: dieukrine›n).

1662 1663

Plb. XII 28 a 6. Plb. XII 25 h 6: pãntvn m¢n oÔn oÂon aÈtourgÚn gen°syai ka‹ drãsthn dusxer¢w ‡svw, t«n m°ntoi

meg€stvn ka‹ koinotãtvn énagka›on.

1664 Plb. XII 25 h 4–6. Avenarius 1956, 36 erkennt die Nähe Lukians zu Polybios durchaus an, doch dann (39) führt er Lukians gegenüber Polybios deutlich abgeschwächte Ansprüche an die Empirie des Historikers nicht etwa auf Lukians spezifische Intention zurück, sondern, wenig überzeugend, auf die Auffassung, die schon von Theopompos und Ephoros in der Theorie vertreten worden sei, wenn auch bloß Theopompos sich in der Praxis bemüht habe, diesem Grundsatz in der Praxis gerecht zu werden. Naheliegender ist es, Lukians Position als Abmilderung des polybianischen Standpunkts und Anspruchs etwa im Sinne eines praktikableren common sense zu betrachten. 1665 Plb. III 4, 13. Mit spürbarem Stolz berichtet Polybios darüberhinaus über eine von ihm verfeinerte Methode zur Nachrichtenübermittlung (X 45, 6) und verweist auf seine Schrift über Taktik (IX 20, 4); zu vorpolybianischen Beispielen für „ history writers as history makers“ Oliver 2006, 121. 1666 J. BJ I 1, 3: aÈtÒw te ÑRvma€ouw polemÆsaw tå pr«ta ka‹ to›w Ïsteron paratux∆n §j énãgkhw. 1667 J. Ap. I 10, 55 und 9, 47–52. Zum ersten Buch dieser Schrift liegt jetzt ein neuer, auch die historischen und

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er, nunmehr mit größerer Prägnanz, zwischen seiner Teilhabe als Akteur (aÈtourgÒw) und Augenzeuge (aÈtÒpthw). Ersteres erklärt er mit seiner anfänglichen Position als Feldherr der Galiläer, zweiteres mit der seiner Gefangennahme durch die Römer nachfolgenden Teilhabe auf römischer Seite, und zwar als Beobachter vor Ort unter den Kaisern Vespasian und Titus. Mit intimer Kenntnis der Lage ausgestattet, habe er so alle Vorgänge um Jerusalem umsichtig aufgeschrieben. Auch habe ihn seine Kenntnis der Landessprache als einzigen instand gesetzt, die Berichte von Überläufern zu verstehen. Wie Polybios vor ihm, so leitet auch Josephos seine besondere Befähigung zum Geschäft eines Historikers primär aus seiner aktiven militärisch-politischen Tätigkeit ab. Auch als ein nicht direkt in die Kriegshandlungen involvierter Augenzeuge habe er, so seine unmißverständliche Botschaft, durchaus mit Erfolg die Gelegenheit zu Beobachtungen vor Ort wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist abschließend zu fragen, was Lukian konkret unter der sÊnesiw politikÆ versteht. Einzig in Kapitel 37 gibt er einen ungefähren Hinweis darauf, wie er die intellektuellen Anlagen des Historikers bestimmt wissen will. Dieser müsse, so heißt es da, über Verstand (sune›nai) und scharfen Blick verfügen (ÙjÁ dedork≈w), er müsse imstande sein, sich gegebenenfalls auch praktisch zu bewähren (oÂow ka‹ prãgmasi xrÆsasyai ín efi §pitrape€h). Soweit ist ein direkter Zusammenhang mit der sÊnesiw politikÆ noch irgendwie erkennbarbar, doch dann fährt Lukian damit fort, als weitere Voraussetzungen des Historikers soldatischen Sinn (gn≈mhn strativtikÆn), politische Denkungsart (éllå metå t∞w politikÆw / sc. gn≈mhw) und strategische Erfahrung (§mpeir€an strathgikÆn) zu fordern. Letztere Qualitäten zeigen nunmehr eine deutliche Akzentverschiebung in Richtung auf praktische Erfahrung hin, welche, wie bei Polybios, in den Begriff der §mpeir€a gekleidet ist. Alles in allem scheint Lukian also nunmehr, ungeachtet der zuerst programmatisch geforderten sÊnesiw politikÆ, an eine Intellekt und praktische Erfahrung zu politisch-militärischem Verstand verbindende Grundausstattung des Historikers zu denken. Der Historiker müsse also über elementare militärische Fachausdrücke Bescheid wissen. Überhaupt dürfe er kein Stubenhocker sein, keiner, der sich nur unselektiv auf die Berichte der jeweiligen Informanten verlasse. Dabei stellt Lukian an die erforderliche Sachkenntnis und Erfahrung (§mpeir€a), jedenfalls im Vergleich mit Polybios, alles in allem doch keine übertrieben hohen Anforderungen1668. Dementsprechend setzt der Spott im skommatisch-lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) immer erst da an, wo zeitgenössische Historiker es in eklatanter Weise sogar an den postulierten Minimalanforderungen fehlen lassen1669. Zum Vergleich mag die weihevolle Ernsthaftigkeit dienen, mit der Polybios1670 gerade über die praktische Qualifikation des Historikers gesprochen hatte. Mit expliziter Bezugnahme auf den platonischen Philosophenkönigssatz1671 erklärte dieser, eine Besserung in Sachen Historiographie könne erst literarhistorischen Hintergründe ausleuchtender theologischer Kommentar vor von Labow 2005. 1668 Den erstmals bei Polybios in Erscheinung tretenden und nur schwer auf den Punkt zu bringenden Begriff der pragmatischen Geschichtsschreibung (pragmatikØ flstor€a) verwendet er nicht, wie dies Gelzer 1982, 279 zutreffend beobachtet hat, der es für unwahrscheinlich hält, daß Lukian den Polybios überhaupt gekannt habe. 1669 Darunter fallen elementare topographische und militärische Kenntnisse, deren vollständiges Fehlen in Luk. Hist. Conscr. 24 und 29 verspottet wird. 1670 Plb. XII 28, 1–5. 1671 Pl. R. V 473 c–d.

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eintreten, wenn entweder die Männer der Tat (pragmatiko‹ t«n éndr«n) sich ernsthaft ans Werk machten, oder wenn die angehenden Historiker die aus der Praxis erwachsende psychische Konstitution (tØn §j aÈt«n t«n pragmãtvn ßjin) als für die Geschichtsschreibung notwendige Voraussetzung erachten wollten. II 3 Das Ethos des Historikers Erst ein dritter Gesichtspunkt vermag das Anliegen Lukians zur vollen Geltung zu bringen. Es handelt sich dabei um die in der Antike allgemein1672 als unabdingbar erachtete moralische Qualifikation des Historikers. Die Untersuchung wird nunmehr auf zweierlei Ebenen geführt werden müssen. Zum einen gilt es, wie in der Einleitung, Teil II 1, den historiographischen Befund im Vergleich mit den lukianischen Postulaten ausreichend zu berücksichtigen (Ebene a). Zum anderen wird sich die Notwendigkeit ergeben, eine neue und bisher nicht beachtete Sichtweise1673 zu erschließen, die Metaebene kynischer Wertgebung (Ebene b). Es soll hier natürlich, um schon von Anfang an mögliche Mißverständnisse auszuschließen, keineswegs der unangemessene Versuch unternommen werden, Lukian zum Philosophen zu erklären. Es soll vielmehr bloß gezeigt werden, daß gerade der in der Pose eines – im Sinne des Diogenes von Sinope stilisierten – Lehrers auftretende Autor Lukian1674 ganz konsequent inhaltliche und sprachliche Koinzidenzen zwischen konventionellen historiographischen Kriterien herzustellen weiß und denjenigen Werten, welche die Tradition dem Diogenes von Sinope und Lukian selbst seinem Zeitgenossen Demonax in Analogie zum klassischen Kynikerbild beilegt. Mittels der Konstruktion dieser kynischen Metaebene entsteht so für Lukian die Möglichkeit, durch häufige und allzu häufige Benutzung abgestandene, zu bloßen Schlagworten verdünnte historiographische Werte wiederum mit ihrem ureigensten Sinnpotential zu erfüllen, diesen ihren Sinn wiederzugeben und sie dadurch gewissermaßen aufzufrischen. Die kynische Ebene erfüllt also die Funktion, an sich schon in der Tradition bestehenden Postulaten zum Ethos des Historikers mehr Gewicht und Nachdruck zu verleihen, eine innovative Leistung des Autors Lukian.

1672 Seit dem 4. Jh. v. Chr. nahmen Verfasser von Zeitgeschichte für sich die Qualität der Unparteilichkeit (besonders mit Bezug auf die Monarchen) in Anspruch und kritisierten ihre Vorgänger für diesbezügliche Defizite. Vgl. die gründliche und reich mit Primärliteratur dokumentierte Studie von Luce 1989. Isnardi 1982, 262–272, bes. 265 konnte in einer beachtenswerten Studie zeigen, daß der bei Polybios (in Übereinstimmung mit von hellenistischen Intellektuellen vertretenen Werten) in Erscheinung tretende hohe Rang des Ethos (als der nötigen Voraussetzung für die Hervorbringung von Techne) bei Lukian vollends zur Entfaltung gebracht ist. 1673 Overwien 2005 berücksichtigt Lukians Methodenschrift nicht. Macleod 1991, 287 zieht unter den Elementen, welche den idealen Historiker ausmachten, u. a. zu Recht auch Diogenes in Betracht, ohne jedoch den Gedanken weiterzuverfolgen. Dabei hätte sich ergeben, daß gerade die kynische Wertgebung ein einigendes Band ist, welches verhindert, daß der didaktische dritte Teil der Schrift zu einem bloßen „ragbag with some loose ends and inconsistencies“ (so Macleod 1991, 284) wird. Zur kynischen Metaebene vgl. Porod 2009. 1674 Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 9.

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1 a) Die Freiheit (§leuyer€a) des Historikers von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) Kap. 38: Mãlista d¢ ka‹ prÚ t«n pãntvn §leÊyerow ¶stv tØn gn≈mhn ka‹ mÆte fobe€syv mhd°na mÆte1675 §lpiz°tv mhd°n, §pe‹ ˜moiow ¶stai to›w faÊloiw dikasta›w prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian §p‹ misy“ dikãzousin.

Nachdem Lukian das intellektuelle Anforderungsprofil bestimmt hatte (Kap. 37, vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2), geht er dazu über, sich dem Ethos1676 des seinen Wunschvorstellungen entsprechenden Historikers zuzuwenden. Mit dem Postulat, daß dieser als freie, unabhängige Persönlichkeit (§leÊyerow tØn gn≈mhn) an seine Aufgabe herangehen müsse, leitet er den zentralen Passus über die moralische Qualifikation ein, dessen Umfang1677 der ihm innerhalb dieser Schrift zugebilligten Wertigkeit entspricht. Die Unabhängigkeit wird definiert als eine vollständige Freiheit von allen persönlichen Motiven, die einer objektiven, wahrheitsgetreuen Wiedergabe des Geschehenen im Wege stehen könnten1678. Dabei handelt es sich, denn Lukian wendet sich ja an die Verfasser von Zeitgeschichte, um die Motive von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) auf persönliche Vorteile1679. Die richtige Einstellung finde ihren Ausdruck in einer am Maßstab der Wahrheit (élÆyeia) orientierten freimütigen Offenheit (parrhs€a)1680. Diese Botschaft wird wegen ihrer zentralen Bedeutung zu Ende der Schrift1681 mit Nachdruck wiederholt, und zwar unter Wiederaufnahme ebenso wie unter pointierter Umdeutung der

1675 Ich folge hier der Konjektur Fritzsches 1860, 86, die Begründung dafür gebe ich im Kommentar zur Stelle (textkritische Anmerkung). 1676 Es ist wichtig, zu sehen, daß das Ethos nicht den von Haus aus vorauszusetzenden Qualifikationen (Luk. Hist. Conscr. 34, vgl. dazu die Einleitung, Teil II 2) zugerechnet wird. Lukian geht offensichtlich davon aus, daß seine Anweisungen zu dem Ethos dem Bereich der t°xnh zugeordnet sind und somit ein Gegenstand von Belehrung sein können. Schließlich behandelt er nicht so sehr den anlagebedingten Charakter des Historikers, sondern gewissermaßen dessen ethische Performance, wie sie sich im konkreten Geschichtswerk ausspricht. 1677 Der Passus umfaßt Luk. Hist. Conscr. 38–41, auch sonst wird das Thema wiederholt aufgegriffen. 1678 Die Qualität des Historikers wird von Lukian nach dem selben Maßstab wie die des Richters bemessen. Dieser müsse ein ausgewogener Richter sein, ein ‡sow dikastÆw (Luk. Hist. Conscr. 41). Dem in dieser Hinsicht ebenso wie Thukydides vorbildhaften Xenophon wird das Attribut eines d€kaiow suggrafeÊw zugesprochen (39). Der von Lukian erwünschte Historiker solle nicht nur selbst unbestechlich (éd°kastow) sein (41), er solle sich auch für das Tatsachenmaterial auf ebensolche Gewährsmänner stützen (47). So könne denn einer den von Lukian postulierten Normen folgenden Geschichtsschreibung das auszeichnende Qualitätsmerkmal einer flstor€a dika€a zugesprochen werden (63). 1679 Belege bei Avenarius 1956, 46–49, der in den Äußerungen Lukians nicht mehr als bloße Gemeinplätze zu erblicken geneigt ist, da er das literarische Konzept Lukians nirgendwo berücksichtigt. 1680 Vorerst geht es lediglich um die §leuyer€a; die élÆyeia und die parrhs€a werden in der Einleitung, Teil II 3 (2) diskutiert. 1681 Luk. Hist. Conscr. 61–63.

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hier in tragender Position verwendeten Begriffe1682. Die historischen Fallbeispiele1683 laufen alle auf das Gebot der Furchtlosigkeit mächtigen Personen gegenüber hinaus. Der Perserkönig Artaxerxes steht für einen Machthaber, dem gegenüber der Geschichtsschreiber1684 keinesfalls den Motiven von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) nachgeben dürfe, wolle er denn dem gattungsimmanenten Ziel der objektiven Tatsachenberichterstattung (…w §prãxyh efipe›n)1685 gerecht werden. So wenig rigoros sich Lukian auch hinsichtlich des praxisbezogenen Anforderungsprofils1686 gezeigt hatte, hier in der Frage der ethischen Qualifikation zeigt er keinerlei Bereitschaft zu Kompromissen. Er unterscheidet sich in seiner diesbezüglichen Strenge vom sich realistischer präsentierenden Praktiker Polybios1687, der immerhin noch ein gewisses Verständnis für unter äußerem Druck erzwungene Abweichungen vom historiographischen Ideal aufzubringen erklärt. Doch auch dieser geht in seiner Bereitschaft zu Zugeständnissen nicht so weit wie der bedeutend konzilianter sich gebende Pausanias1688, der für die einzig dem Antigonos Gonatas gegenüber wohlwollende Darstellung des Hieronymos von Kardia1689, der an dessen Hof hochbetagt und in Ehren gestorben ist, seiner eigenen Aussage zufolge volles Verständnis aufbringt (éndr‹ går basile› sunÒnta énãgkh pçsa §w xãrin suggrãfein). Das Postulat des Freiseins von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w)1690 ist zunächst auf 1682

Die Nachwelt solle von dem Historiker, der seine Sache gut gemacht hat, sagen können: §ke›now m°ntoi §leÊyerow énØr ∑n ka‹ parrhs€aw mestÒw, oÈd¢n oÎte kolakeutikÚn oÎte douloprep¢w éllÉ élÆyeia §p‹ pçsi (Luk. Hist. Conscr. 61). Die Begriffe der Hoffnung (38–39: §lp€w) und des Lohnes (38–39: misyÒw) werden im

Epilog der Schrift (61 und 63) von der Lebenszeit des Autors abgelöst und sinnreich auf die als Lohn anzupeilende Wertschätzung zukünftiger Leser bezogen. 1683 Luk. Hist. Conscr. 38: Philipp, Alexander, Kleon, ganz Athen, Kap. 39: Artaxerxes. 1684 Auch ohne das Attribut Arzt (fiatrÒw) wäre klar, daß hier nur Ktesias von Knidos (FGrH 688) gemeint sein kann, dessen Glaubwürdigkeit von der antiken Literaturkritik ebenso gering angesetzt wurde (Plu Art. 1, 2) wie von Lukian selbst (VH I 3 und II 31, Philops. 2). 1685 Im übrigen ist die Formulierung …w §prãxyh efipe›n das einzige Indiz für eine zwar unsichere, aber nicht undenkbare Identifizierung des aus keinem anderen Autor bekannten Adressaten Philon. Lediglich bei Lukian selbst tritt im Symposion eine Person dieses Namens als Gesprächspartner des Lykinos in Erscheinung. Dieser sagt (Symp. 2), es sei ihm empfohlen worden, sich an Lykinos zu wenden, wenn er die Wahrheit (télhy∞) und die tatsächlichen Ereignisse (˜pvw §prãxyh ßkasta) in Erfahrung bringen wolle. Auch dieser Philon erscheint demnach als eine für die Wahrheit empfängliche Person. 1686 Luk. Hist. Conscr. 37 (dazu die Einleitung, Teil II 2). 1687 Plb. VIII 8 = 10, 8. 1688 Paus. I 13, 9, vgl. I 9, 8 = FGrH II B 154 Fr. 15 und T 11. 1689 Eine etwas zu wohlwollende Einschätzung der Objektivität des Hieronymos durch Hornblower 1981. Malitz 1984, 44 weist in seiner anerkennenden Rezension zu Recht darauf hin, „daß gerade derjenige Teil des Werkes, der Hieronymos´ Unabhängigkeit am Besten beweisen würde, verloren ist“. Und weiter: „Die Partien über Eumenes lassen ahnen, wie überaus wohlwollend die Abschnitte über Gonatas gewesen sein dürften“. 1690 Zu §lp€w und fÒbow bei Lukian Christidis 1993. Mit dem Begriff §lp€w sind innerhalb vorliegender Schrift folgende Assoziationen gegeben: dem Historiker, wie Lukian ihn verstanden wissen will, ist es ganz und gar nicht gestattet, unter Einkalkulierung der Wirkung auf bestimmte Einzelpersonen (Luk. Hist. Conscr. 41: t€ t“de µ t“de dÒjei logizÒmenow) eine tendenziöse Gefälligkeitsberichterstattung zu liefern, und zwar: prÚw tÚ ≤dÁ to›w nËn §painoum°noiw (63). Tue er dies dennoch und verfolge er wider alle Prinzipien des historiographischen Genos seinen persönlichen Vorteil (13: tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew) als den Lohn für seine Lobhudeleien (39: misyÚn t«n §n tª grafª §pa€nvn), so stelle er sich auf dieselbe Stufe wie ein korrupter Richter, der seinen Beruf zum Zwecke persönlicher Bereicherung mißbraucht (38). Sein kurzsichtiges Kalkül beschränke dann seinen Gesichtskreis auf das Heute (13: tÚ

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historiographischer Ebene zu betrachten. Zu diesem Zweck sind relevante Ansichten von Praktikern dem lukianischen Postulat zum Vergleich gegenüberzustellen. Arrian begründet in der Vorrede zur Alexandergeschichte1691 die, wie er meint, besondere Glaubwürdigkeit seiner Primärquellen Aristobulos und Ptolemaios mit folgendem Argument. Diese hätten, da sie ihre Werke erst nach Alexanders Tod verfaßt hätten, weder im Falle einer vom Herrscher nicht goutierten Freimütigkeit mit Repressalien zu rechnen gehabt, noch auch hätten ihnen etwaige den Interessen des Königs entgegenkommende Lügen einen persönlichen Vorteil verschaffen können: ˜ti teteleuthkÒtow ≥dh ÉAlejãndrou juggrãfousin aÈto›w ¥ te énãgkh ka‹ ı misyÚw toË êllvw ti µ …w sunhn°xyh juggrãcai ép∞n. Der Umstand posthumer Berichterstattung – für die überwiegende Mehrheit der primären Alexanderquellen trifft dies ja nicht zu1692 – wird von Arrian als ein wichtiges Argument für die sachliche Zuverlässigkeit seiner beiden Hauptquellen gewertet, ein aus heutiger althistorischer Perspektive zumindest anfechtbarer Standpunkt1693. Bereits Polybios1694 hatte an denjenigen Historikern1695 Kritik geübt, welche über den Makedonenkönig Philipp V. entweder von Parteilichkeit (eÎnoia) oder von Furcht (fÒbow)1696 geleitet geschrieben hätten. Deren Geschichtswerke hätten wegen ihrer tendenziösen Machart eher das Gepräge von Enkomien, denn von Geschichtswerken1697. Es lassen sich zwei weitere Beispiele aus römischer Geschichtsschreibung und Biographie anfügen, obgleich für Lukian tÆmeron) und beraube ihn der Möglichkeit, seiner eigentlichen Aufgabe nachzukommen, nämlich der Orientierung an

den Bedürfnissen seiner kritischen Leser in der Zukunft. In diesem Sinne werden von Polybios (XII 25 e 3) die dreisten Erwerbshistoriker (... prÚw xãrin l°gontew ée‹ tå prÚw toÁw kairoÁw ßneka toË por€zein tÚn b€on diå toÊtvn) als nicht der Rede wert erachtet. Als Beispiele für solche profitorientierte Historiker werden u. a. Kallias von Syrakus (D. S. XXI 17, 4, dazu Timpe 2007, 33) und Philistos (Paus. I 13, 9, vgl. D. H. Pomp. 5, 2; zu Philistos zuletzt Timpe 2007, 21–26) genannt (der Kontext dazu bei Meissner 1992, 514–536, bes. 527–535). Viel häufiger begegnen die verwandten Begriffe von Gunsterweis (xãriw, fil€a, eÎnoia) und Schmeichelei (kolake€a). Dafür nur einige illustrative Beispiele: Plb. VIII 8 = 10, 4, Hdn. I 1, 2 und II 15, 7, J. BJ I 1, 2, Plu Per. 13, 12, Str. III 4, 13 und XI 5, 5, Plb. XII 8 = 9, 1 (mit Unterscheidung von xãriw und k°rdow). Im Lateinischen stehen dafür zumeist die Begriffe gratia, ambitio und adulatio, eine Auswahl: Cic. de Orat. II 15, 62 und Fam. V 13 = 12, 3, Tac. Ann. I 1, 2, Hist. I 1, 1–2 und II 101, Amm. XXX 8, 1. Das Motiv der Furcht (fÒbow) vor mächtigen Personen findet sich zuerst bei Polybios (VIII 8 = 10, 4). Tacitus (Ann. I 1, 2) gebraucht dafür den Begriff metus. 1691 Arr. An. I praef. 2. 1692 Zu den mit den primären Alexanderquellen zusammenhängenden Problemen umfassend Pearson 1960, Forschungsbericht von Seibert 19903, 1–61. Zu Lukians Darstellung Alexanders vgl. die Einleitung, Teil I 2. 10. Lukian stellt in vorliegender Schrift zwei dieser zeitgenössischen Alexanderautoren als Schmeichler vor, Aristobulos (Luk. Hist. Conscr. 12) und Onesikritos (Kap. 40). In beiden Fällen soll Alexanders überlegener Umgang mit derartigen Charakteren veranschaulicht werden. Aus der lateinischen Literatur der Kaiserzeit sind Historiker bekannt, welche dem Vorwurf der Tendenzlastigkeit dadurch zu entgehen suchten, daß sie ihre Werke für posthume Publikation bestimmten (Sen. Con. 10, praef. 8 über Labienus, Plin. NH praef. 20 über seine eigene Zeitgeschichte). 1693 Rosen 1979, bes. 462–467 (zu der von Ptolemaios mit seinem Buch verfolgten politischen Intention). 1694 Plb. VIII 8 = 10, 4. 1695 Belege zu diesen Autoren bei Walbank 1957, 30. 1696 Dies ist der früheste Beleg für das fÒbow–Motiv, Walbank 1967, II 79. 1697 Polybios (X 21) zieht eine klare Grenze zwischen den literarischen Gattungen des Enkomions (§gk≈mion) und der Historiographie (flstor€a), von denen eine jede ihr ganz spezifisches pr°pon hätte. Dem legitimen enkomiastischen Verfahren lobender Überhöhung (aÎjhsiw t«n pragmãtvn) stehe diametral die nach Lob (¶painow) und Tadel (cÒgow) im Sinne der Wahrheit (élÆyeia) ausgewogene Geschichtsschreibung (flstor€a) gegenüber. Eine ähnlich scharfe Grenzziehung nimmt Lukian zwischen flstor€a zum einen und §gk≈mion und poihtikÆ zum anderen vor (Luk. Hist. Conscr. 7–8).

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derartige Belege aus der lateinischen Literatur eher eine illustrierende Funktion haben dürften. Sallust1698 begründet die Abfassung seiner Catilinae coniuratio mit dem bekannten, gegenüber Cicero, der diese Bedingungen für sich selbst nie gegeben sah, neuartigen Argument: statui res gestas populi Romani ... perscribere, eo magis, quod mihi a spe metu partibus rei publicae animus liber erat 1699. Der römische Kaiser Pescennius Niger soll nach der in der Historia Augusta vorliegenden Vita dem Verfasser eines an ihn unmittelbar nach seiner Erhebung zum Kaiser gerichteten panegyricus geantwortet haben, er solle doch lieber hervorragende Persönlichkeiten der Vergangenheit (Marius und Hannibal) rühmen als Ansporn zur Nachahmung: nam viventes laudare inrisio est, maxime imperatores, a quibus speratur, qui timentur, qui praestare publice possunt, qui possunt necare, qui proscribere 1700. Ganz im Sinne Lukians äußert sich mehr als 200 Jahre später auch sein syrischer Landsmann Ammianus Marcellinus1701, der dem an den Tod Valentinians I. im Jahr 375 n. Chr. anschließenden reichhaltigen vitia-Katalog des Kaisers die vertrauensvolle Erklärung voranstellt, die Nachwelt (posteritas) pflege eine unbestechliche Betrachterin vergangener Ereignisse (incorrupta praeteritorum ... spectatrix) zu sein, da sie weder durch Furcht noch durch häßliche Schmeichelei in ihrer Meinungsäußerung gebunden sei (nec metu nec adulandi foeditate constricta). Eine derartige Ausdrucksweise erklärt sich aus dem Umstand, daß auch Ammianus, wie überall in den erhaltenen Teilen seines Werkes, vom Standpunkt des zeitgenössischen Betrachters aus spricht1702. 1 b) = Metaebene zu 1 a: Die Freiheit (§leuyer€a) des Kynikers von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) Es ist eine zweite Interpretationsebene anzuschließen, welche dem Text, besonders auch vor dem Hintergrund anderer lukianischer Schriften, wie eingangs erklärt, eine neue Dimension hinzufügt. Konkret handelt es sich um bestimmte philosophische, im Besonderen kynische Wertvorstellungen, die Lukian insbesondere in der Demonax-Schrift darstellt, einem seiner

1698 Sal. Cat. 4, 2. 1699 Diese Stelle beinhaltet die lateinischen Analoga zu §lp€w, fÒbow und §leuyer€a. Leeman 1963, 169–170 zeigt, daß diese Bedingungen für Cicero, zumindest seiner eigenen Einschätzung nach, nie erfüllt waren. Zur Frage, ob sich bei der Darstellung der Zeitgeschichte das Prinzip der Wahrheit aufrechterhalten läßt, vgl. auch die Belege aus lateinischer Literatur bei Perl 1984, 565, der darauf hinweist, daß es sich bei Sallust nicht bloß um eine Redensart handelt: „es genügt, daran zu erinnern, daß Sallust es gewagt hat, unter der Herrschaft der Triumvirn und Caesar–Erben den Republikaner Cato auf Grund seiner menschlichen Qualitäten Caesar an Virtus gleichzustellen“. 1700 HA, Vit. Pesc. Nig. 11, 6; die Formulierung erinnert an die von Macrobius berichtete Antwort des Asinius Pollio auf zur Zeit des Triumvirats vorgebrachte Spottverse (Fescennina) des Augustus (d. h. Octavians): „at ego taceo: non est enim facile in eum scribere, qui potest proscribere“ (Macr. II 4, 21). 1701 Zitat Amm. XXX 8, 1; dem vitia–Katalog (8, 2–14) folgen die virtutes in größerer Kürze nach (9, 1–6). Genau umgekehrt war Ammianus bei der an den Tod des verehrten, nach den vier Kardinaltugenden hin stilisierten Kaisers Julian anschließenden Würdigung (XXV 4) verfahren. Hier stehen an erster Stelle die reichhaltigen virtutes, erst dann werden in aller Kürze die gleichwohl vorhandenen vitia nachgereicht. Nebenbei vermerkt ist Ammianus nicht nur Landsmann Lukians, sondern dürfte auch in literarischer Hinsicht in dessen Tradition stehen (den Hengst 2010, 287–289, erstmals publ. 2007). 1702 Die verlorenen Bücher I–XIII umfaßten den Zeitraum 96–352 n. Chr., erhalten sind lediglich die Bücher XIV–XXXI, welche die Jahre 353–378 n. Chr. beinhalten.

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spätesten Werke1703. Das Auffälligste an der enkomiastischen Biographie ist dieser Umstand. Mit gänzlicher Enthaltsamkeit von seiner sonstigen Domäne „Satire“ und „Spott“1704 erkennt Lukian die Lebens- und Denkweise des seiner Ansicht nach idealtypischen zeitgenössischen Philosophen als schlechthin vorbildhaft an, da bei ihm Lehre und Leben in vollständigem Einklang miteinander gestanden wären. Dieser Demonax, eine Ausnahmeerscheinung unter all den von Lukian in anderen Schriften verspotteten pseudophilosophischen Scharlatanen1705, wird hier in seiner Umgänglichkeit, Menschenfreundlichkeit und Wahrhaftigkeit als Norm (kan≈n) und als Muster (parãdeigma) für ernsthafte philosophische Mentalität (gn≈mh filÒsofow) und Lebensführung gerühmt1706. Habe er sich auch nicht einseitig auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Philosophenschule eingeschworen, so stehe er doch in einem besonderen Nahverhältnis zu Sokrates und den Kynikern Diogenes und Antisthenes1707.

1703 Über Echtheit dieser Schrift, Datierung, Quellenlage und Historizität des Demonax wurde Wesentliches bereits vor einem knappen Jahrhundert gesagt von Funk 1907, Argumente für die Spätdatierung auch bei Follet 1977, 50–51. Für das Verständnis der historisch–kulturellen Rahmenbedingungen wichtig ist Jones 1986, 90–100, bes. 90–98, für die Stellung der Schrift innerhalb des von Goulet–Cazé 1990 umfassend dargestellten kaiserzeitlichen Kynismos Billerbeck 1996, 215–216 (mit neuerer Literatur zur Schrift), zu den literarischen Vorbildern Overwien 2003; „eine distanzierte Haltung“ (so Szlagor 2005, 150 in einer manches verzerrenden Studie) nimmt Lukian in dieser Schrift gewiß nicht ein. Dem Umstand, daß für Demonax keine antike Parallelüberlieferung existiert, entnimmt Clay 1992, 3425–3429 Ansatzpunkte für seine methodisch anfechtbare Interpretation der Schrift als „a philosophical fiction in the tradition familiar from Xenophon’s Cyropaedia“. Damit sind die fiktionalen Anteile entschieden überbewertet. Ähnlich auch bei Schirren 2005, 150–156, bes. 154, der von einer Diskrepanz der lukianischen Demonax–Figur (zum einen Schärfe und Bissigkeit in den Dikta, zum anderen große Beliebtheit in den umrahmenden Partien des Bios) ausgeht: „Es läge also jenes Ironiesignal vor, daß der Sprecher einander Widerstreitendes affirmiert“. Dagegen läßt sich methodisch einwenden, daß Schirrens Bewertung der Dikta ihrerseits wieder eine Konstruktion des modernen Interpreten sein könnte, die sich keineswegs mit der Wahrnehmung des Autors zu decken braucht, für die eine solche Diskrepanz wahrscheinlich gar nicht existiert hat. Betont vorsichtig äußert sich in dieser Frage Zweimüller 2008, 110, Anm. 329, welche das Problem für die Zwecke ihrer Untersuchung ausblendet. Noch bei Dudley 1967, 158–162 ist die Historizität des Demonax nicht angezweifelt. Mein eigener Standpunkt läßt sich mit den Worten Schirrens 2005, 154, der an sich mögliche Sichtweisen formuliert, so beschreiben, als „ernstgemeinten und authentischen [sc. Bericht] über einen philosophischen Lehrer, dem Lukian in seinem Traktat ein Denkmal gesetzt hat, indem er seine persona als Verehrer des Demonax ein Enkomion auf den Philosophen halten läßt“. 1704 Dieser Umstand wurde bereits von Eunapios (VS 454) beobachtet, der vermerkt, Lukian zeige in seiner Demonax–Biographie, wie nur in ganz wenigen anderen Schriften, einen vollständigen Ernst (diÉ ˜lou spoudãsaw), womit auf den Kontrast zu dem sonst bei Lukian vorherrschenden Element des spoudaiog°loion angespielt ist. Im übrigen ist diese Notiz des Eunapios der früheste Beleg überhaupt für die Nennung einer Schrift Lukians, der von Philostratos nicht in seine Sophistenbiographien aufgenommen wurde. Es ist Jones 1986, 98 zuzustimmen, der die Ähnlichkeit zwischen Demonax und Lukians Selbstdarstellung in anderen Schriften hervorhebt. 1705 Generell gilt Lukians Spott all den in seiner Zeit überreich vertretenen Betrügern, welche die Philosophie zu einem einträglichen Geschäft degradieren. Typische Beispiele für Lukians Umgang mit Scheinphilosophen jeglicher Provenienz sind die Vitarum auctio sowie (gewissermaßen als deren Interpretation) die ebenso burleske Dialogkomödie Revivescentes sive piscator. Einen wichtigen Teil dieser allgemeinen Kritik an den Entartungserscheinungen zeitgenössischer Philosophie nimmt bei Lukian die Kynikersatire ein (De morte Peregrini, Fugitivi). Lukians Verhältnis zur Philosophie (dazu bereits Neef 1940) ist umrissen von Nesselrath in FILOCEUDEIS H APISTVN 2001, 135–152, ders. 1998. 1706 Luk. Demon. 1–3; Demon. 4 nennt die durch pÒnow erreichte Askese (ka‹ tÚ s«ma d¢ §gegÊmnasto ka‹ prÚw karter€an diepepÒnhto). Am Rande anzumerken ist auch, daß mit dieser kynischen Position ein vollkommener Gegensatz zur aristotelischen Ethik markiert ist (dazu Gottschalk 1987, 1123, Anm. 219: „In Aristotle’s writings the word pÒnow is never used with any moral significance ...“). 1707 Luk. Demon. 5 und 62. Was Sokrates betrifft, so ist dies ein Beleg in einer Zeit, in der Sokratesrezeption durch Kyniker fast gar nicht nachgewiesen werden kann (Döring 1979, 130).

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Demonax, Kap. 19–20: ÉErvtÆsantow d° tinow t€w aÈt“ ˜row eÈdaimon€aw e‰nai doke›, mÒnon eÈda€mona ¶fh tÚn §leÊyeron: §ke€nou d¢ fÆsantow polloÁw §leuy°rouw e‰nai, ÉAllÉ §ke›non nom€zv tÚn mÆte §lp€zontã ti mÆte dediÒta: ı d°, Ka‹ p«w ên, ¶fh, toËtÒ tiw dÊnaito; ëpantew går …w tÚ polÁ toÊtoiw dedoul≈meya. Ka‹ mØn efi katanoÆseiw tå t«n ényr≈pvn prãgmata, eÏroiw ín aÈtå oÎte §lp€dow oÎte fÒbou êjia, pausom°nvn pãntvw ka‹ t«n éniar«n ka‹ t«n ≤d°vn.

Die für die Zwecke vorliegender Untersuchung bemerkenswerte Botschaft lautet demnach: einzig den freien Mann (tÚn §leÊyeron) habe Demonax für glücklich erklärt; zu definieren sei dieser als der von Hoffnung und Furcht Freie (tÚn mÆte §lp€zontã ti mÆte dediÒta). Die moralphilosophische Wertung, wie sie hier mit den Worten des Autors Lukian dem Philosophen Demonax zugeschrieben wird, erinnert hinsichtlich der verwendeten Begriffe und deren Kombination miteinander an das Postulat zum Ethos des Historikers1708. Es ist also zu fragen, wie der historische Diogenes von Sinope, der eingangs der vorliegenden Schrift mit einer sinnreichen Anekdote vorgestellt wird1709, diesbezüglich gedacht hat. Eine Durchsicht der Quellen ergibt, daß sich eine ähnliche Geisteshaltung wie hier im Falle des Demonax der antiken Überlieferung zufolge nicht nur bei Diogenes, sondern bei den Kynikern insgesamt findet. Diogenes Laertios1710 berichtet nämlich, Diogenes von Sinope hätte mit deklarierter Herakles-Imitatio1711 unter allen Werten keinen höher gestellt als die Freiheit: mhd¢n §leuyer€aw prokr€nvn1712. Auch jene spezifische Spielart der von der Unverblümtheit (parrhs€a) kaum recht zu unterscheidenden Freiheit (§leuyer€a), wie sie von Lukian1713 dem Demonax zugeschrieben wird, ist mehrfach in den Quellen mit der Person des Diogenes verbunden1714. Insgesamt ist somit zu konstatieren, daß der so verstandene Freiheitsbegriff beim gebildeten Rezipienten auch auf einer textuellen Metaebene die Assoziation zu kynischem Gedankengut wecken konnte. Ein Leser, der aufgrund seines Bildungsstandes dazu nicht in der Lage war, 1708 Luk. Hist. Conscr. 38, dazu die Einleitung, Teil II 3 (1 a). Dieser Umstand ist von Overwien 2003, 547 nicht berücksichtigt. 1709 Luk. Hist. Conscr. 3 (eine enge Parallele zur Anekdote in den codices d.p.f zu D. L. VI 69 (Oxford–Text von Long), beide Fassungen auch in SSR II 237). Die spezifische Art, wie Lukian diese Anekdote erzählt, ist durch den narrativen Kontext bestimmt, denn die Begründung des Diogenes für sein rätselhaftes Verhalten der Nichtbeteiligung an den patriotischen Abwehrmaßnahmen seiner Mitbürger (…w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw) leitet zu Kap. 4 über, wo Lukian seine Lehrschrift damit begründet, daß er unter dermaßen vielen Historikern nicht als einziger die Rolle eines Statisten spielen wolle (…w mØ mÒnow êfvnow e‡hn §n oÏtv poluf≈nƒ t“ kair“). Diogenes wird darüberhinaus an exponierten Stellen der Schrift implizit oder explizit als Paradigma aufgerufen (Kap. 3, 5 und 63). Im Besonderen schlüpft Lukian in Kap. 5 demonstrativ in die Rolle des Diogenes, um die pathologischen Verirrtheiten der zeitgenössischen Historiker der Partherkriege als Arzt (fiatrÒw) ebenso zu heilen, wie dies dereinst der Seelenarzt Diogenes mit den menschlichen Affekten (pãyh) getan hatte. 1710 D. L. VI 71. 1711 Zur Auffassung der Person des Herakles innerhalb des Kynismos vgl. Höistad 1948, 22–73. 1712 Weitere Belege: Bei Lukian selbst Vit. Auct. 7–8; Arr. Epict. III 22, 40–44 und 48; III 24, 67; IV 1: per‹ §leuyer€aw.

1713 Luk. Demon. 3. 1714 Cic. Tusc. V 32, 92: u. a. die berühmte Anekdote vom Zusammentreffen des Diogenes mit Alexander. Diese zeigt die Freiheit und Bedürfnislosigkeit des Diogenes (materiellen) Gütern gegenüber. D. L. VI 68 illustriert die Freiheit des Diogenes von Furcht (fÒbow) Alexander gegenüber. Der negativ konnotierte lukianische Begriff §lp€w (Hist. Conscr. 38–39) erscheint in derlei Zusammenhängen natürlich nicht, denn §lp€w wird nur in positiver Auslegung mit der Person des Diogenes verbunden (so Stob. IV 46, 20 = SSR II 356 Fr. 329, dazu Overwien 2005, 335).

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mochte den Text eindimensional, aber immer noch inhaltlich durchaus sinnvoll, lediglich auf der Ebene des vordergründigen Textsinns verstehen. Da Lukian sich aber an den gebildeten Leser, den pepaideum°now, wendet, kann man davon ausgehen, daß dieser dazu in der Lage war, auch den metaphorischen Gehalt der Aussage wahrzunehmen und in seiner Pointiertheit zu würdigen. 2 a) Die Freimütigkeit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia ) des Historikers Kap. 41: ToioËtow oÔn moi ı suggrafeÁw ¶stv: êfobow, éd°kastow, §leÊyerow, parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low.

Demnach habe der Historiker die moralische Pflicht, über die historischen Tatsachen mit Bemühen um Objektivität zu berichten, und mit geradliniger Direktheit habe er die Dinge ohne wenn und aber ganz kompromißlos beim Namen zu nennen1715. Die Kriterien der Wahrheitsgemäßheit (élÆyeia)1716 und der Unverblümtheit (parrhs€a) nehmen in den methodologischen Erklärungen griechischer Historiker traditionell einen wichtigen Stellenwert ein. Der zentrale Begriff der élÆyeia1717 figuriert dabei als entscheidender und oft auch als der einzig relevante Parameter innerhalb bekenntnishafter historiographischer Standortbestimmungen1718. Er gibt den Maßstab für negative und positive Bewertungen von Leistungen anderer Historiker ab1719. Zudem dient er als ein entscheidendes Kriterium zur Bestimmung des Zuständigkeitsbereiches der Geschichtsschreibung (flstor€a) sowie zu deren Abgrenzung gegen die genosspezifischen Ziele anderer literarischer Gattungen und Sujets.1720 1715 Lukian geht insgesamt von einem verhältnismäßig unproblematischen Wahrheitsbegriff aus. Von der überwiegenden Mehrheit der nachthukydideischen, besonders der kaiserzeitlichen Praktiker unterscheidet er sich allenfalls durch seine größere Rigorosität. Demnach ist Wahrheit das, was nach Abzug vorsätzlicher tendenziöser Verzerrungen gewissermaßen automatisch übrigbleibt. Damit liegt hinsichtlich der ethischen Disposition des Historikers ein lupenreiner negativer historischer Wahrheitsbegriff vor (Typus 1 bei Wiseman 1993, 317–319: truth und impartiality sind identisch, vgl. Woodman 1988, 71–74 und 82–83). Ein solcher setzt also voraus, daß der Historiker nichts weiter zu tun brauche, als die ihm bekannten Tatsachen unverzerrt abzubilden (vgl. das Spiegelgleichnis in Hist. Conscr. 51). Einzig der Anspruch der Wahrheitsliebe wird an ihn erhoben. Die Frage, ob „der Wille zur Wahrhaftigkeit volle Unparteilichkeit gewährleiste“ (so Vogt 1969, 57, Tacitus steht hier nur stellvertretend für jeglichen Historiker) wird nicht gestellt. Bei diesem wesentlich ethischen Ansatz entschwindet die Perspektive einer Wahrheitsbestimmung mit erkenntnistheoretischer Begründung aus dem Gesichtskreis. Die in Kap. 47 (Einleitung, Teil II 1) konventionell abgehandelte Frage nach historischer Wahrheitsfindung erscheint da, wo es um das Ethos geht, in den Hintergrund gedrängt. 1716 Es werden auch die Begriffe tÚ élhy°w, gelegentlich ≤ ékr€beia und tÚ ékrib°w gebraucht. 1717 Belege bei Avenarius 1956, 40–46. Zu einseitig urteilt Woodman 1988, X: „Historiography was regarded by the ancients as not essentially different from poetry; each was a branch of rhetoric; and therefore historiography, like poetry, employs the concepts associated with, and relies upon the expectations generated by, a rhetorical genre“. 1718 Bes. bei J. AJ XX 8, 3, 157 und BJ I 5, 16, so auch D. H. I 6, 5, Hdn. I 1, 3. Demgegenüber gebraucht Thukydides (I 20, 3) das hohe Wort élÆyeia einzig da, wo er andere Historiker wegen deren Unbekümmertheit bei der Wahrheitssuche kritisiert, in I 22, 4 jedoch verwendet er die Formulierung tÚ saf¢w skope›n mit Bezug auf sein eigenes Geschichtswerk. 1719 Negativ: Plb. XII 4 d 2, J. AJ XX 8, 3, 154–156 und Vit. 336–337, Hdn. I 1, 1–2; positiv: D. S. I 37, 4, D. H. Th. 8, häufig unter Verwendung des Adjektivs filalÆyhw, so Marcellin. Vit. Thuc. 21 und bes. 26 mit Bezug auf Thukydides, Ath. III 85 a und Suid. s. v. ÖEforow Adler II 490 mit Bezug auf Theopompos. 1720 J. AJ XIV 1, 1, 3, Plb. XII 12, 3 und II 56, 11, letzterer Passus mit Abgrenzung gegen die Tragödie, Str. XI 5, 3 = C 504 mit Grenzziehung gegenüber dem mËyow.

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Lukian visiert das Thema des sachlichen Wahrheitsgehaltes von der Person des Historikers aus an, indem er dessen gewünschte Denkungsart (gn≈mh)1721 in das Zentrum seiner Betrachtungen stellt. Charakterisiert ist die so geforderte gn≈mh durch die Neigung zu Unverblümtheit und Wahrheit (parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low), und zwar, wie später im rekapitulierenden Kapitel 44 auch, in dieser Reihenfolge. Alleine schon diese Gewichtung zeigt, daß Lukian die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Geschichtsschreibung auf die Ebene der Wahrhaftigkeit des Verfassers selbst verlagert, was auch andere Äußerungen in vorliegender Schrift belegen. Im Passus über das Ethos1722 erklärt Lukian, daß erstrangige Historiker vom Format eines Xenophon1723 und eines Thukydides1724 – der zur klassischen Historikertrias1725 zählende Herodot1726 wird in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise nicht genannt1727 – die Wahrheit (élÆyeia) über ihre persönlichen Voreingenommenheiten wie Haß (m›sow / ¶xyra) und Sympathie (fil€a) zu stellen bereit gewesen wären. Besonders letzteres Motiv würde doch, wie Lukian mehrmals hervorhebt, von späteren, den Ereignissen mit Distanz gegenüberstehenden Lesergenerationen leicht durchschaut und mit Recht als Schmeichelei (kolake€a) erkannt und gewertet. In diesem Sinne kann Lukian an prononcierter Stelle am Ende der Schrift1728 den Begriff der élÆyeia zwischen den Bedeutungsfeldern von objektiv aufgefaßter Wahrheit und subjektiv intendierter Wahrhaftigkeit schillern lassen und so eine wirkungsvolle Antithese zur Schmeichelei (kolake€a) 1721 Der Begriff gn≈mh, der in Luk. Hist. Conscr. 38 am Beginn des Passus über das Ethos des Historikers (38–41) steht, wird in Kap. 44 aufgegriffen und wiederum explizit mit parrhs€a und élÆyeia in Verbindung gebracht. 1722 Luk. Hist. Conscr. 38. 1723 Zu der Nachwirkung Xenophons innerhalb der Antike ist bei dem Fehlen einer vergleichbar umfassenden modernen Gesamtdarstellung der innerantiken Xenophonrezeption immer noch wichtig Münscher 1920. 1724 Zur Rezeption des Thukydides in der Antike ist das Material gesammelt von Strebel 1935. In den letzten Jahren findet das Thema wieder verstärkte Beachtung, vgl. Canfora 2006, Nicolai 2006 und Hose 2006. 1725 Diese Trias wurde durch den Klassizismus als der Mimesis im höchsten Maße würdig befunden, vgl. Nicolai 1992, 297–339. 1726 So Luk. Hist. Conscr. 2 (zu Herodot und Thukydides Kap. 42). Bei Lukian (Hist. Conscr. 42) ist die wohl nachalexandrinische Benennung der herodoteischen Bücher nach den Musen erstmals explizit bezeugt. In Herod. 1 berichtet er, Herodot hätte die in Olympia versammelten Griechen durch den beeindruckenden Vortrag seines Werkes so sehr verzaubert, daß in Folge seine neun Bücher nach den neun Musen benannt worden seien. Von Kephalion, dem =Ætvr und flstorikÒw aus hadrianischer Zeit, wird berichtet, er hätte seine in ionischem Dialekt abgefaßten 9 Bücher pantodapa‹ flstor€ai nach herodoteischem Vorbild mit den Namen der Musen überschrieben (FGrH II A 93 T 1 = Suid. s. v. Kefal€vn µ Kefãlvn). Lediglich die nach Hesiod (Th. 77–79) kanonische Reihenfolge hätte er geändert (T 2 = Phot. Bibl. 68, 34 a), wohl um seine Eigenständigkeit gegenüber dem Vorbild zu wahren. Kephalion ist jedenfalls typisch für die Blütezeit der Herodotimitatio im 2. Jh. n. Chr., die wohl ausschließlich nach literarischen Vorlagen ein reines Kunstionisch produzierte. Vgl. dazu auch den Kommentar zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi und Lukians Kritik an Herodotplagiatoren in Kap. 14 (Kriegsaitiologie: ka‹ ≥rjatÒ ge t∞w flstor€aw oÏtvw ktl), 16 (Mischung von Ionisch und Koine: ka‹ ˜ti érjãmenow §n tª ÉIãdi grãfein ktl) und 18 (ein Herodotplagiator, nur hier mit expliziter Benennung). Eine Charakteristik des Kephalion findet sich bei Hose 1994, 463–469, die Datierung unter Hadrian stellte allerdings u. a. Stertz 1993, 623, nicht überzeugend, in Frage. 1727 Typisch für die übliche Einschätzung Herodots in Rhetorenkreisen ist das §gk≈mion Youkud€dou des Aphthonios (Spengel II bes. 38, Z. 7–9), der in seiner schematisch verfahrenden Synkrisis des Thukydides mit Herodot ersterem eine wahrheitsgemäße Berichterstattung (prÚw élÆyeian dihge›syai) bescheinigt, während Herodot genau umgekehrt verfahren wäre (prÚw ≤donØn dihge›syai). Die antiken Testimonien zu Leben und Werk Herodots sind gesammelt von Feix II 1266–1283. Zur Rezeption Herodots innerhalb der Antike vgl. Riemann 1967, Evans 1968, Marincola 2001, 58–60 und Hornblower 2006 (mit neuerer Literatur zum Thema), speziell zu Herodot und Lukian Walz, Diss. 1921. 1728 Luk. Hist. Conscr. 61 und 63.

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herstellen. Vor diesem Hintergrund verkündet er mit Blick auf enkomiastische Entgleisungen1729, die Geschichtsschreibung habe die Enthüllung der Wahrheit (tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin), wohlgemerkt nicht die Wahrheit schlechthin zu leisten, worin denn auch ihre genosspezifische Leistung (tÚ ‡dion §ntel°w) bestünde. Ein besonderes Nahverhältnis besteht zwischen dem lukianischen parrhs€a-élÆyeia-Postulat und der engagierten Erklärung des Polybios im Prooimion zum 38. Buch, welches mit den Jahren 147–146 v. Chr. die über eine Vielzahl griechischer Städte hereingebrochene Katastrophe beinhaltet. Polybios1730 begründet darin über ein ganzes Kapitel hinweg seine Weigerung, den Erwartungen derer nachzukommen, die es als für ihn angemessen erachteten, die das Unglück verursachenden Verfehlungen der Griechen in den Mantel des Schweigens zu hüllen. Derjenige, so erklärt er, sei kein trefflicher Bürger, welcher angesichts der Aussicht, bloß im Moment (parÉ aÈtÚn tÚn kairÒn) bei einigen Personen Anstoß zu erregen, die Wahrheit (tØn élÆyeian) außer Acht lasse, während es doch im Medium historiographischer Aufzeichnungen unbedingt gelte, um der Aufklärung der Nachwelt willen sich ohne Furcht freimütig zu äußern (toÁw metå parrhs€aw lÒgouw). In zweierlei Hinsicht läßt sich diese Aussage des Polybios mit Lukians diesbezüglichem Anliegen vergleichen. Zum einen beziehen nämlich beide, sowohl Polybios als auch Lukian, übereinstimmend den parrhs€a-Begriff auf die Darstellung von Zeitgeschichte. Im Falle Lukians zeigen das die auf das Prinzip des mÆte fobe€syv mhd°na mÆte §lpiz°tv mhd°n abgestimmten historischen Beispiele1731 ebenso wie die den Anlaß zur Lehrschrift abgebenden zeitgenössischen Historiker der Partherkriege. Zum anderen zielt beiden Konzepten zufolge die Geschichtsschreibung auf den intellektuellen Gewinn für die zukünftige Leserschaft ab. Polybios hatte die Belehrung (didãjai) und den Nutzen (»f°leia) wiederholt als Ziel der Geschichtsschreibung bestimmt.1732 Lukian1733 beruft sich dafür auf den im thukydideischen Methodenkapitel anhand eines exemplarischen historischen Paradigmas angepeilten Lerneffekt (tÚ xrÆsimon). Bereits im ersten Teil der Schrift1734 hatte er als einzige Aufgabe und Ziel der Geschichtsschreibung den Nutzen (tÚ xrÆsimon) namhaft gemacht, der sich einzig aus der Wahrheit herleiten ließe (˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai). Ein bereits im Ansatz andersgeartetes parrhs€a-élÆyeia-Konzept liegt wiederholten 1729 Luk. Hist. Conscr. 9. 1730 Plb. XXXVIII 4 = 6. Avenarius 1956, 43 zeigt sich zwar durchaus geneigt, die Ernsthaftigkeit des Polybios mit der des Thukydides zu vergleichen, doch er kann sich nicht dazu durchringen, nun auch Lukian näher an Polybios heranzurücken. Vielmehr scheint er ihn eher in die Reihe all derjenigen Autoren zu stellen, für die der Wahrheitsanspruch nicht mehr bedeutet als eine rhetorische Phrase, ein Lippenbekenntnis. Dabei ist ihm aber nicht bewußt, daß Lukian in der Methodenschrift überall den Autor sprechen läßt. Avenarius betrachtet Lukian stets nur als Quelle, nirgendwo als Autor, und er unterscheidet nicht zwischen der historischen Person Lukian und der von diesem für die Zwecke dieser Schrift eingenommenen Rolle, dem Autor und dem Autor-Ich. 1731 Luk. Hist. Conscr. 38–40. 1732 Plb. XII 12, 3: nach einem Abzug der élÆyeia bleibe lediglich ein énvfel¢w diÆghma übrig, II 56, 11: synkritische Wesensbestimmung der Gattungen Geschichtsschreibung und Tragödie. In diesem Sinne spricht Oliver 2006, 120 zutreffend von „a didactic aim“. Zur spezifischen Auffassung des Polybios vom Nutzwert der Geschichtsschreibung vgl. Sacks 1990, bes. 24 mit Anm. 2. 1733 Luk. Hist. Conscr. 42. 1734 Luk. Hist. Conscr. 9.

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programmatischen Äußerungen des von einem universalhistorischen Standpunkt aus schreibenden Diodor1735 zugrunde. Zwar hält auch Diodor die parrhs€a prinzipiell für ein mit dem genuinen Wesen der Historiographie organisch verbundenes Element1736, doch weist er dieser angesichts seiner nach Lob und Tadel hin orientierten moralisierenden Geschichtsbetrachtung die Funktion zu, im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit zu Lebzeiten von Personen in führender Position wegen des bestehenden Machtgefälles nicht mögliche Kritik nach deren Tod kräftig nachzuholen. Besonders deutlich ist dies mit folgenden Worten1737 ausgesprochen: tØn élÆyeian metå parrhs€aw khrÊttousan tå pãlai sivp≈mena1738. Ist es auch kaum beweisbar, daß Diodor für seine Proömien zum 14. und 15. Buch aus Ephoros schöpft1739, so ist doch zumindest im Falle des Theopompos explizit überliefert, daß dieser sich neben vielen anderen Vorzügen überall in seinem Werk der parrhs€a bedient habe1740. All diesen Erklärungen gemeinsam ist ein auf der Ebene der ethischen Qualifikation sich unproblematisch darstellender Wahrheitsbegriff, welcher ganz selbstverständlich davon ausgeht, daß der Historiker die Tatsachen kennt1741, weshalb es in der nachthukydideischen Debatte zumeist nur darum geht, ob er das von ihm Eingesehene auch tatsächlich objektiv berichtet, oder ob er sich eben aus persönlichen Motiven zu einer tendenziösen Verzerrung derselben verleiten läßt1742. Ähnlich verfährt Diodor1743 in seiner Kritik an den Historikern der 1735 D. S. XIV 1, 2, XV 1, 1, XXI 17, 3. Zur griechischen und römischen Universalgeschichtsschreibung aus der Zeit des Caesar und Augustus zuletzt synoptisch Clarke 1999. 1736 D. S. XV 1, 1. 1737 D. S. XIV 1, 2. 1738 Zur engen Verbindung der Begriffe élÆyeia und parrhs€a vgl. auch die Formulierung bei D. S. XXI 17, 3: tÚ filãlhyew t∞w flstorik∞w parrhs€aw. Zu Diodors (gegenüber einer weitverbreiteten Ansicht) nicht direkt von Ephoros abhängigem Konzept vom Nutzwert der Geschichtsschreibung überzeugend Sacks 1990, 23–36, speziell 34–35 zur parrhs€a als einer im Hellenismus öfter anzutreffenden Idee innerhalb von Geschichtsschreibung und auch von Philosophie (Philodemos). 1739 Zuversichtlicher äußert sich Avenarius 1956, 46 zu Ephoros als Quelle nicht nur für die Bücher 14–15, sondern auch für deren Proömien (insbesondere hinsichtlich einer Abhängigkeit dieser Proömien von Ephoros zu Recht skeptisch Sacks 1990, 19–20; zu den kleineren Proömien Sacks 1982 mit Betonung von Diodors relativer Selbständigkeit). Literatur zu Diodors angenommenen Quellen bei Meister 1990, 171–181. Eine generelle Aufwertung von Diodors Arbeitsweise erbringen zuletzt bes. Sacks 1990, Wirth 1993, Rieger 2005 und Wirth 2007 . Zur Vorsicht gegenüber der häufig zu findenden Annahme „that Diodoros invariably reproduces with the fidelity of a copyist the record he found in his sources“ mahnte auch bereits zu Recht Reid 1971, bes. 207. Gegenüber der weitgehenden communis opinio größere Selbständigkeit gestehen ihm aus unterschiedlichen Perspektiven auch Palm 1955 und Wirth 1993 zu; Wirth liest zwar wohl etwas zu viel an Autorintentionen in den Text hinein, doch sein methodischer Ansatz (10) weist den richtigen Weg: „Vielleicht gibt es einen Weg zu Diodor, der von dem ausgeht, was er sagt, und weniger von dem, was er als Vorlage benutzt“. In diesem Sinne ist bereits der Ansatz von Sacks 1990, 5 fruchtbar: „It (sc. Diodorus’ Bibliotheke) is ... a document substantially reflecting the intellectual and political attitudes of the late Hellenistic period“. 1740 D. H. Vett. Cens. III 3 Mai 228: oÈ mØn éllå ka‹ t∞w §fÉ •kãstoiw parrhs€aw / sc. êjiow zÆlou. In der epistula ad Pompeium ist der Begriff der parrhs€a in diesem Zusammenhang nicht gebraucht, dazu Sacks 1983, 70–71. Avenarius 1956, 46 suggeriert den in dieser Form unzutreffenden Eindruck, daß Lukians parrhs€a–Postulat direkt auf Ephoros und Theopompos zurückginge. Und diese Auffassung entspricht Avenarius’ genereller Tendenz, die isokrateischen Ursprünge historiographischer Konzepte überall maximal herauszustreichen. Doch in den meisten Fällen kann er dafür nur bloße Vermutungen als Argumente anführen. 1741 So ohne eine Problematisierung Luk. Hist. Conscr. 39: toË dØ suggraf°vw ¶rgon ßn – …w §prãxyh efipe›n. 1742 Vgl. die Belege bei Meissner 1992, bes. 527–536. 1743 D. S. XXI 17, 3–4.

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Agathokles-Geschichte. Während Timaios1744, der, wie er vorausschickt, es ansonsten mit der Wahrheit sehr genau genommen habe, von Haß und Rachsucht bestimmt (fid€aw ßneken ¶xyraw ka‹ filonik€aw), dem an sich, so die Ansicht Diodors, durchaus kritikwürdigen Herrscher post mortem mehr Übles als gerechtfertigt1745 nachgesagt und damit das historiographische Grundprinzip der Wahrheitsgemäßheit verraten habe (tÚ filãlhyew t∞w flstorik∞w parrhs€aw prodedvk∆w), sei Kallias von Syrakus1746 in den entgegengesetzten Fehler der enkomiastischen Erwerbsschriftstellerei seinem persönlichen Gönner Agathokles gegenüber verfallen. Ähnliche Beurteilungskriterien finden sich auch in römischer Geschichtsschreibung1747. 2 b) = Metaebene zu 2 a: Die Unverblümtheit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia) des Kynikers Demon. Kap. 3: Dhm«naj ... Ípere›den m¢n t«n ényrvpe€vn égay«n èpãntvn, ˜lon d¢ paradoÁw •autÚn §leuyer€& ka‹ parrhs€& diet°lesen ... to›w ır«si ka‹ ékoÊousi parãdeigma

1744 In den letzten fünf Büchern, so D. S. XXI 17, 3, seiner (Sikelika‹) ÑIstor€ai, d. h. in den Büchern 34–38. 1745 Diodor (XXI 17, 2) stellt den moralischen Defiziten (kak€ai) des Agathokles auch die unzweifelhaften positiven Qualitäten gegenüber. Ähnlich urteilt Polybios (XII 15, 1–8) über Agathokles’ Persönlichkeit. Als Ursache für die sich unangemessen auf dessen negative Züge konzentrierende Darstellung des Timaios bezeichnet er die Bissigkeit (pikr€a) des Autors, der es an der Bereitschaft fehlen lasse, der Nachwelt das Lobenswürdige zu überliefern. Dies nämlich, so fährt er fort, gehöre ja gerade zum spezifischen Wesen der Geschichtsschreibung (XII 15, 9: toËto går ‡diÒn §sti t∞w flstor€aw, ähnlich II 61, bes. 6: Kritik an der einseitig das Negative hervorhebenden Darstellungsweise des Phylarchos). Von der Programmatik, mit der Diodor (I 6, 5) sein ethisches Anliegen verkündet (... épode€jasyai tØn §mautoË diãnoian, ˜ti xrhstØ prÚw ëpantãw §sti toÁw égayoÁw ...), ist Polybios gleichwohl entfernt. 1746 FGrH III B 564 (die wenigen erhaltenen Fragmente beziehen sich nicht auf die Person des Agathokles). Zu den Tendenzen der fragmentarisch überlieferten Historiker Siziliens Timpe 2007, 32–33. 1747 Der Furcht (metus, bei Lukian fÒbow) vor dem lebenden Herrscher stellt Tacitus pointiert den sich auf den Verstorbenen richtenden Haß (odium, bei Diodor ¶xyra) gegenüber (Ann. I 1, 2). Der parrhs€a entspricht bei ihm die libertas der republikanischen Geschichtsschreibung, deren Wahrheitsgehalt (veritas = élÆyeia), so seine an prononcierter Stelle vorgetragene Ansicht, in der Prinzipatszeit verbogen worden sei (Hist. I 1, 1: veritas pluribus modis infracta); vgl. überzeugend Suerbaum 1971 zur Rede des Cremutius Cordus als einem Zeugnis für die geschichtstheoretische Ansicht des Tacitus (Ann. IV 32–33 und 34–35 sind aufeinander hin komponiert). Kaiser Claudius begann sein Geschichtswerk auf die Einflüsterungen seiner Mutter Antonia und der Großmutter Livia hin entgegen dem ursprünglichen Konzept erst mit der pax civilis; Sueton (Cl. 41) gibt dafür folgenden bezeichnenden Grund an: cum sentiret neque libere neque vere sibi de superioribus tradendi potestatem relictam (zur literarhistorischen Einordnung des Gedankens in die römische Geschichtsschreibung des frühen Prinzipats Klingner 1979, 486–500). Seneca Rhetor, dessen historiae lediglich durch eine knappe Bemerkung in der Schrift des Sohnes, des Philosophen Seneca, de vita patris bekannt sind (dazu Klotz 1901, bes. 429 und 437–38), setzte den Rückgang der Wahrheit bereits mit dem Beginn der Bürgerkriege an (ab initio bellorum civilium, unde primum veritas retro abiit). Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch er den Verlust der libertas solcherart thematisierte. Schon Sallust hatte seine höfliche Kritik an der Darstellung Sullas durch L. Sisenna in das Gewand des parrhs€a (libertas)–Begriffes gekleidet (Jug. 95, 2): parum mihi libero ore locutus videtur. Daß ein intellektuelles Defizit für den Verlust von Objektivität verantwortlich sein kann, ist demgegenüber ein in der Antike äußerst selten angesprochener Gesichtspunkt. In diesem Sinne nennt Tacitus im Historienproömium (Hist. I 1, 1) neben den auch bei ihm bestimmenden persönlichen Motiven von odium und der libido adsentandi einen dritten Grund, nämlich die inscitia rei publicae ut alienae, eine aus mentalen Defiziten resultierende fehlende Identifizierung mit dem als die Angelegenheit eines anderen erachteten Gemeinwesen (zum Textsinn Christes 1995, 144–45). Üblicherweise wird diese Stelle in Zusammenhang gebracht mit einer anders gelagerten Erklärung Cassius Dios (LIII 19, 6), der jedoch die fehlende Transparenz des politischen Geschehens in der Prinzipatszeit beklagt; diese beiden Stellen sind daher klarer, als dies bisher geschehen ist, auseinanderzuhalten, da ihre Aussagen allzu verschieden sind.

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par°xvn tØn •autoË gn≈mhn ka‹ tØn §n t“ filosofe›n élÆyeian.

Eine vergleichbare Parallelschaltung der zentralen kynischen Ideale der élÆyeia und der parrhs€a begegnet in anderen Schriften Lukians, der wiederholt auch die Personifikationen dieser beiden Begriffe (ÉAlÆyeia und Parrhs€a) seiner jeweiligen literarischen Strategie dienstbar macht. Besonders der als Reaktion auf die Kritik an der Vitarum auctio sich gebende satirische Dialog mit dem Titel Revivescentes sive piscator ist in diesem Zusammenhang zu beachten. Lukian selbst, der Syrer1748, tritt hier auf in der Maske des Wahrheitsfreundes Parrhesiades (filalÆyhw Parrhsiãdhw), der bei seinem fiktiven Gerichtsprozeß Schützenhilfe erhält durch die als Person auftretende Philosophie (Filosof€a), welcher sich als unterstützend die Frauen Wahrheit (ÉAlÆyeia), Freiheit (ÉEleuyer€a), schonungslose Direktheit (Parrhs€a) und Herr Wahrheitsbeweis (ÖElegxow) hinzugesellen. Im Pseudologistes 1749 wird der personifizierte ÖElegxow aus dem Prolog zu einer unbekannten Komödie Menanders aufgerufen, die Invektive gegen einen – freilich nicht identifizierbaren – Sophisten vermittels eines wirkungsvollen satirischen Präludiums zu unterstützen (... paraklht°ow ≤m›n t«n Menãndrou prolÒgvn eÂw, ı ÖElegxow, f€low ÉAlhye€& ka‹ Parrhs€& yeÒw ...). Diogenes von Sinope, der in vorliegender Schrift an prononcierten Stellen1750 aufgerufen wird, bekennt sich in der Vitarum auctio 1751 zu diesem Ideal: tÚ d¢ ˜lon élhye€aw ka‹ parrhs€aw profÆthw e‰nai boÊlomai. Der feierliche Ton erinnert an eine angesichts des Ideals der élÆyeia unverhohlen religiöse Metaphorik in der Methodenschrift1752: mÒn˙ yut°on tª élhye€&. Und diese literarische Stilisierung deckt sich inhaltlich und begrifflich mit dem, was von dem historischen Diogenes, dem als Vorbild verehrten „Säulenheiligen“ der Kyniker, berichtet wird. Diogenes Laertios1753 überliefert, dieser hätte auf die Frage, was der edelste Wert unter den Menschen sei, geantwortet, es sei die parrhs€a. Ergänzend sei hinzugefügt, daß von dem prominenten Kyniker Antisthenes zumindest die Existenz einer Schrift mit dem programmatischen Titel ÉAlÆyeia überliefert ist1754. 3 a) Die staatsbürgerliche Ungebundenheit des Historikers (êpoliw) Kap. 41: ¶stv ... j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw, aÈtÒnomow, ébas€leutow, oÈ t€ t“de µ t“de dÒjei logizÒmenow, éllå t€ p°praktai l°gvn.

1748 Luk. Pisc. 19, zu Lukians Selbstsicht Macleod 1979. 1749 Luk. Pseudol. 4. 1750 Explizit in Luk. Hist. Conscr. 3, in Anspielung 5 und 63. 1751 Luk. Vit. Auct. 8. 1752 Luk. Hist. Conscr. 39. 1753 D. L. VI 69 = SSR II 403 Fr. 473. 1754 D. L. VI 1 = SSR II 140 Fr. 11 = Fr. 145. Anzumerken ist, daß sich das Wort parrhs€a bereits bei Sokrates, dem Lehrer des Antisthenes, findet, und zwar als Entgegnung auf das präpotente Auftreten des Kallikles (Grg. 487 a), vgl. Arist. Rh. II 1, 1378 a 11–12, wo dieses Wort nicht explizit ausgesprochen ist (ein Hinweis bei Hellwig 1973, 298–300 und Krapinger 2005, 47). Auch Philodemos zufolge übt der Weise gegenüber einem Monarchen die parrhs€a (zur Schrift des Philodemos per‹ parrhs€aw Erler 1994, 322). Zu dem unterschiedlichen Verhältnis von Philosoph und Sophist zur parrhs€a gegenüber Herrschern vgl. jedoch Flinterman 2004.

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Weiters fordert Lukian vom Historiker, er solle in seinen Büchern ein Fremder sein, einer ohne Heimatstadt (j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw)1755. Das Postulat des Freiseins von patriotisch motivierten Voreingenommenheiten innerhalb des Genos der Historiographie findet sich bereits bei Polybios1756 klar ausgesprochen, und zwar in dessen Kritik an den, zumindest seiner Ansicht nach1757, tendenziösen Berichten des Karthagers Philinos und des Römers Fabius Pictor über den ersten Punischen Krieg1758. Beide hätten sie einzig ein Auge gehabt für die jeweiligen Vorzüge der eigenen Seite: ... Fil€nƒ m¢n pãnta dokoËsin ofl KarxhdÒnioi peprçxyai fron€mvw, kal«w, éndrvd«w, ofl d¢ ÑRvma›oi ténant€a, Fab€ƒ d¢ toÎmpalin toÊtvn. Der Respekt vor deren an sich über jeden Zweifel erhabenen, ehrbaren Persönlichkeiten verbietet Polybios jedoch die Annahme vorsätzlicher Lüge. So kommt er denn zum Schluß, daß es diesen beiden Autoren ähnlich ergangen sei wie Liebenden. Eine derartige Anständigkeit (§pie€keia) hätte nun zwar im übrigen Leben eines Staatsbürgers allenfalls ihre Berechtigung, jedoch mit dem Ethos der Historiographie vertrage sie sich nicht. Denn hier zähle einzig die Qualität der Taten (afl prãjeiw, tå prattÒmena), während die bloße persönliche Einstellung des Verfassers den Akteuren (ofl prãttontew) gegenüber keinerlei Rolle zu spielen habe: §n m¢n oÔn t“ loip“ b€ƒ tØn toiaÊthn §pie€keian ‡svw oÈk ên tiw §kbãlloi: ka‹ går filÒfilon e‰nai de› tÚn égayÚn êndra ka‹ filÒpatrin ka‹ summise›n to›w f€loiw toÁw §xyroÁw ka‹ sunagapçn toÁw f€louw: ˜tan d¢ tÚ t∞w flstor€aw ∑yow énalambãn˙ tiw, §pilay°syai xrØ pãntvn t«n toioÊtvn, ka‹ pollãkiw m¢n eÈloge›n ka‹ kosme›n to›w meg€stoiw §pa€noiw toÁw §xyroÊw, ˜tan afl prãjeiw épait«si toËto, pollãkiw dÉ §l°gxein ka‹ c°gein §poneid€stvw toÁw énagkaiotãtouw, ˜tan afl t«n §pithdeumãtvn èmart€ai toËtÉ ÍpodeiknÊvsin.

So gelte denn der Grundsatz: épostãntaw oÔn t«n prattÒntvn aÈto›w to›w prattom°noiw §farmost°on tåw prepoÊsaw épofãseiw ka‹ dialÆceiw §n to›w ÍpomnÆmasin. Polybios1759 legt freilich Wert darauf, deutlich zu machen, daß er selbst in seiner Beurteilung der Griechen sich an eben diese Prämisse gehalten habe. Der Erwartung gewisser Kreise nach einer Vertuschung der 1755 In Luk. Hist. Conscr. 14 wird ein milesischer Historiker verspottet, der bereits im Proömium nicht nur seine Heimatstadt Milet gelobt, sondern auch hinzugefügt habe, wie er es doch besser mache als Homer, der seiner Heimat in seinem Werk nicht gedacht habe. Wie zurückhaltend nimmt sich doch demgegenüber der Patriotismus des Ephoros aus, von dem Strabon (XIII 3, 6 = C 623) zu berichten weiß, er hätte immer dann, wenn es über seine Heimatstadt Kyme gerade nichts Besonderes zu berichten gab, diesen einen stereotypen Satz heruntergespult, die Leute von Kyme hätten zur besagten Zeit im Frieden gelebt: Katå d¢ tÚn aÈtÚn kairÚn Kuma›oi tåw ≤sux€aw ∑gon (Beispiele für den Lokalpatriotismus des Ephoros bei Barber 1935, bes. 86–88). 1756 Plb. I 14, 1–8: Kritik an den lokalpatriotischen Tendenzen des Philinos und des Fabius, deren Werke von Polybios für seine Darstellung des ersten Punischen Krieges (I 13–64) kritisch herangezogen wurden. 1757 Zur Einschätzung des polybianischen Urteils aus moderner althistorischer Sicht Meister 1975, 127–149. Neuere Literatur bei Beck / Walter 2001, 125–126. 1758 Philinos von Akragas (FGrH II B 174, Walbank 1945) behandelte in seinem ersten Buch wohl die Vorgeschichte und ließ die eigentlichen Kriegshandlungen nach dem Zeugnis des Polybios (I 15, 1) mit dem zweiten Buch beginnen, in dem er erklärte, die Römer hätten bei ihrem ersten Übergang nach Sizilien die mit Karthago bestehenden Verträge und Eide gebrochen (Plb. III 26, 4). Das Geschichtswerk des Quintus Fabius Pictor (D. H. VII 71, 1 bezeichnet ihn als ältesten römischen Historiker) hingegen umfaßte einen bei weitem größeren Zeitraum und bestand aus drei Partien, die einzeln dargestellt sind von Timpe 1972. Der dritte Teil des Werkes behandelte die Zeitgeschichte, welche mit dem Ausbruch des ersten Punischen Krieges im Jahr 264 v. Chr. begann. Und genau hier läßt auch Polybios seine an Timaios zeitlich anschließende Darstellung einsetzen (Plb. I 5, 1: 129. Olympiade = 264–261 v. Chr.). 1759 Plb. XXXVIII 4 = 6, 2–5, zum Jahr 146 v. Chr.

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Schuld der Griechen sei er nämlich aus Verantwortungsgefühl dem historiographischen Metier gegenüber nicht nachgekommen. In seiner Kritik an den rhodischen Historikern Zenon1760 und Antisthenes1761 zeigt er sich jedoch prinzipiell zu gewissen Zugeständnissen hinsichtlich lokalpatriotisch motivierten Gewichtungen bereit: §g∆ d¢ diÒti m¢n de› =opåw didÒnai ta›w aÍt«n patr€si toÁw suggraf°aw sugxvrÆsaimÉ ên1762, doch dürfe dabei eine bestimmte Toleranzschwelle nicht überschritten werden. Das Verständnis des Polybios findet nämlich da sein abruptes Ende, wo der Patriotismus, so wie im Falle des Zenon und des Antisthenes, sich in einer vorsätzlichen (katå proa€resin) Verdrehung der historischen Tatsachen äußere (... oÈ mØn tåw §nant€aw to›w sumbebhkÒsin épofãseiw poie›syai per‹ aÈt«n). Für dieses an den Historiker generell gerichtete Postulat des Polybios, sich möglichst freizuhalten von patriotischer Tendenzlegung, lassen sich jedoch nur sehr spärliche Parallelen in der antiken Literatur namhaft machen1763. Allem Anschein nach vertreten Polybios und, von diesem nicht direkt abhängig, Lukian in dieser Hinsicht die Ansicht einer Minorität1764. Der gegensätzliche Standpunkt, der vom Historiker eine patriotische Basisgesinnung einforderte, war offensichtlich bedeutend weiter verbreitet1765. Er wird in extremer Form vertreten durch Dionysios von Halikarnaß in seiner Frühschrift per‹ mimÆsevw ebenso wie durch Ps. Plutarch. Ersterer1766 wertet mit Hinblick auf den von ihm mit Entschiedenheit geforderten Patriotismus1767 ausdrücklich Thukydides gegenüber Herodot ab. 1760 FGrH III B 523, zur Kritik des Polybios an Zenon vgl. Wiemer 2001, bes. 19–27. Wiemer zeigt passim, daß Polybios Zenon respektierte und ihn sowie rhodische Traditionen überhaupt benutzte, und weiters daß Zenons Geschichtswerk durchaus seriöses Format hatte. 1761 FGrH III B 508. Zum gesamten Passus Meister 1975, 173–178. 1762 Plb. XVI 14, 6 (der Textsinn ist ungenau wiedergegeben und einseitig bewertet von Woodman 1988, 42). Über Indizien für solche =opa€ im Werk des Polybios Walbank 1957 a, 12–13. Die proachäische Tendenz des Polybios wurde von Gelzer 1940 in einer kräftigen Studie herausgearbeitet, und Walbank 1938 wies zu Recht auf die moralistische Geschichtsdeutung im Zusammenhang mit der Charakteristik Philipps V. von Makedonien hin, welche die Grenzen von Polybios’ Objektivität anhand eines markanten Beispiels sichtbar werden läßt. 1763 So J. AJ XX 8, 3, 157. 1764 Ganz anders in einer vieles verzerrenden Arbeit Cizek 1989, 294–298. Avenarius 1956, 53 erkennt zwar eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen Polybios und Lukian an, doch sei diese Vorstellung vor Polybios schon bekannt gewesen; die rhetorischen Geschichtsschreiber hätten sie auf die Historiographie übertragen, und zwar vermutungsweise Ephoros; in letzter Konsequenz sei sie aber auf Gorgias zurückzuführen (54 mit Anm. 47). Der Frage nach der unmittelbaren „Quelle“ Lukians, wenn er denn eine solche hatte, ist mit einer solchen Konstruktion jedoch kaum gedient. 1765 Eine Geschichtssicht wie beispielsweise die des Livius (erstmals I praef. 11, die cura in 5 ist weniger persönliches Motiv, sondern vielmehr Besorgnis um das Wohl des Staates) wurde in der Antike nicht nur nicht als anstößig empfunden, sondern vielmehr als ein Beweis für das Ethos des Verfassers. Dionysios von Halikarnaß (I 6, 5) begründet die Wahl seines Gegenstandes ebenso mit persönlicher Aufgeschlossenheit allen Redlichen (égayo€) gegenüber wie auch mit der Dankbarkeit für all das, was er an Gutem durch Rom erfahren habe. Derartige Widmungen hatten ansonsten ihren Platz in Lokalgeschichten (so Arrian in den Bithyniaka [eine Charakteristik bei Stadter 1980, 152– 161]: nach dem Zeugnis des Photios, Bibl. 93 p. 73 a 32 = FGrH II B 156 Fr. 14, zu solchen Lokalgeschichten vgl. bes. Strubbe 1984, 285–287 und Weiss 1984, 189), zum Patriotismus bereits früher griechischer Lokalgeschichte Malitz 1990, 332. Josephos (BJ I 4, 9–12) erbittet sich Nachsicht (suggn≈mh) für seine gegen das Gesetz der Geschichtsschreibung (parå tÚn t∞w flstor€aw nÒmon) geäußerte Anteilnahme für die Leiden seiner Heimat. Die historischen Tatsachen (tå prãgmata), so fügt er in apologetischem Ton hinzu, wären davon nicht berührt. 1766 D. H. Pomp. 3, 2–10 und 15 (anerkennend aber Th. 8). 1767 Thukydides hätte, so die Ansicht des Dionysios, seine Darstellung nicht mit den Ereignissen um Kerkyra

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Während Herodot eine von Loyalität gekennzeichnete anständige Gesinnung (diãyesiw §pieikØw ... ka‹ to›w m¢n égayo›w sunhdom°nh, to›w d¢ kako›w sunalgoËsa) erkennen lasse, habe Thukydides in seiner Verbitterung über die erlittene Verbannung sich vornehmlich auf die Verfehlungen seiner Heimat konzentriert: tå ... èmartÆmata §pej°rxetai ka‹ mãla ékrib«w, t«n d¢ katå noËn kexvrhkÒtvn kayãpaj oÈ m°mnhtai, µ Àsper ±nagkasm°now. In seiner kritischen Thukydides-Monographie konstatiert Dionysios neben konzeptionellen und stilistischen Mängeln im Werk des Thukydides auch eine unpassende Themenwahl sowie gravierenden Mangel an patriotischer Gesinnung. In Ps. Plutarchs polemischer Schrift De Herodoti malignitate 1768 ist es nunmehr Herodot, dem hier durchgehend1769 ein Mangel an Patriotismus vorgeworfen wird. Der resümierende Schlußsatz der Schrift gibt die Warnung aus, man solle bei der Lektüre auf der Hut sein, auf daß man nicht unvermerkt, von dem freilich unbestreitbaren Zauber der herodoteischen Darstellungskunst eingelullt, falsche Ansichten über die besten und größten Griechenstädte annehme. Anzumerken ist, daß Plutarch sich in seiner Perikles-Biographie1770 nicht bereit zeigt, dem Duris von Samos eine patriotische Tendenz zu konzedieren. Im Zusammenhang mit der Eroberung von Samos durch Perikles wirft er Duris vor, er habe im Widerspruch zu den anderen Quellen1771 in tragisierender Manier die Athener und Perikles einer großen Brutalität angeklagt. Dabei habe er das Unglück seiner Heimat übersteigert (¶oiken ... dein«sai tåw t∞w patr€dow sumforåw), und er habe dies nur deshalb getan, um die Athener zu verleumden (§p‹ diabolª t«n ÉAyhna€vn). 3 b) = Metaebene zu 3 a: Die staatsbürgerliche Ungebundenheit des Kynikers (êpoliw, kosmopol€thw) Lukian konnte die Entscheidung zwischen diesen beiden gänzlich unterschiedlichen Auffassungen von der Aufgabe des Geschichtsschreibers gewiß nicht schwer fallen, laufen doch die an das Ethos des Historikers erhobenen Anforderungen bei ihm insgesamt auf die Verwirklichung kynischer Idealvorstellungen hinaus. Es ist daher zu fragen, wie Diogenes von Sinope sein politisches Selbstverständnis definiert hat. In der Vitarum auctio 1772 läßt Lukian diesen sich auf die Frage des Käufers nach seiner Herkunft hin vorstellen mit den bezeichnenden Worten, er sei ein Weltbürger: ToË kÒsmou pol€thn ıròw. Dieser selbe plakative beginnen lassen dürfen, sondern mit den vortrefflichsten Taten seiner Heimat, denen nämlich nach dem Perserkrieg. Sodann wäre es angebracht gewesen, mit reichlichem Wohlwollen (metå poll∞w eÈno€aw), wie es sich eben für einen Patrioten gehöre (…w êndra filÒpolin), Neid und Furcht aufseiten Spartas als die eigentlichen Kriegsgründe auszuführen. 1768 Aus inhaltlichen und sprachlichen Gründen gleichermaßen halte ich die Schrift gegenüber der weitgehenden communis opinio für unecht (die noch im 19. Jh. geführte und durchaus begründete Echtheitsfrage scheint zur Zeit weitestgehend verstummt zu sein). Literatur zur Schrift bei Marincola 2001, 38, Anm. 86 und 60, Anm. 175. 1769 Ps. Plu De Herodoti malignitate, bes. 12, 857 a (Herodot sei ein filobãrbarow), 34, 867 c (seine kakoÆyeia), 43, 874 b (seine blasfhm€a und kakolog€a). Jones 1971, 88, der die Schrift für eine echte Schrift Plutarchs hält, meint, die hier genannten Prinzipien fänden in Plutarchs Biographien in praktisch angewandter Form ihren Ausdruck. Zu Plutarchs Patriotismus Aalders 1982, bes. 14–15. 1770 Plu Per. 28, 1–3 (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 4). 1771 Plutarch nennt Thukydides, Ephoros und Aristoteles. 1772 Luk. Vit. Auct. 8.

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Kosmopolitismus1773 wird ihm auch durch Diogenes Laertios1774 zugeschrieben, der berichtet: §rvthye€w [scil. ı Diog°nhw], pÒyen e‡h, kosmopol€thw, ¶fh. Damit zu vergleichen ist auch eine andere Stelle bei demselben Gewährsmann1775, welche Diogenes, bei aller Anerkennung des nÒmow, folgende bezeichnende Aussage zuschreibt: mÒnhn ... ÙryØn polite€an e‰nai tØn §n kÒsmƒ1776. Und Epiktet1777 charakterisiert Diogenes mit folgenden Worten als einen Weltbürger: pçsa g∞ patr‹w ∑n §ke€nƒ mÒnƒ, §ja€retow dÉ oÈdem€a. Andernorts1778 legt Epiktet seinem idealen Kyniker, als welchen er ja Diogenes versteht, die Selbstbezeichnung als eines êpoliw in den Mund: ‡det° me, êoikÒw efimi, êpoliw, éktÆmvn, êdoulow. Das klingt sehr ähnlich dem Doppelvers eines anonymen Tragikers, der in der Textausgabe Naucks1779 wie folgt lautet: êpoliw, êoikow, patr€dow §sterhm°now, / ptvxÚw planÆthw, b€on ¶xvn toÈfÉ ≤m°ran. Bei Snell1780 läuft der im Wortlaut leicht modifizierte Text sogar unter dem Namen des Diogenes von Sinope. Immerhin weiß Diogenes Laertios1781 zu berichten, daß der Philosoph sich mit dem in den beiden Versen ausgesprochenen tragischen Schicksal identifiziert hätte. Offensichtlich wollte also Lukian, zumal mit der pointierten Verwendung des Adjektivs êpoliw, bei dem Leser die Erinnerung an die zweifellos wohlbekannte staatsbürgerliche Ungebundenheit des Diogenes evozieren, die ja auch der innerhalb der Methodenschrift erzählten Anekdote1782 als Bezugspunkt zugrunde liegt. Wenn er somit auch rein äußerlich fugenlos der durch Polybios dokumentierten Ansicht zu folgen scheint, so ist doch seine inhaltlich und formal begründete Motivation zur Konstituierung eines derartigen Postulates eben vor dem Hintergrund kynischer Stilisierung und Wertgebung eine innovative. Es hat sich also auf allen drei einzeln diskutierten Ebenen gezeigt, daß Lukian die erst von ihm an das Objekt sekundär angelegte kynische Metaebene zu nutzen weiß, um die besonders durch Polybios repräsentierten Ansichten der pragmatischen Geschichtsschreiber zum Ethos des Historikers in einem neuen Gewand in Erscheinung treten zu lassen. Und dieses Konstrukt mag auch erklären, warum seine Schrift mit Hinblick auf das Ethos des Historikers sogar noch rigoroser erscheint als die entsprechenden Postulate des Polybios, während bei dem intellektuellen Qualifikationsprofil (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1) Abstriche gegenüber polybianischer Pragmatik zu bemerken waren. Dies erklärt sich natürlich nicht zuletzt daraus, daß die kynische Metaebene lediglich auf den engeren Bereich des Ethos anwendbar war.

1773 Bekenntnisse zum Kosmopolitismus sind in der Tradition der griechischen Philosophie keine Seltenheit. Bereits Anaxagoras (DK 59 A 1) und Demokrit (DK 68 B 247) hatten solche Gedanken geäußert und Sokrates wurden sie von späteren Autoren sekundär zugeschrieben (Cic. Tusc. V 108, Arr. Epict. I 9, 1). Belege bei Overwien 2005, 332–335, bes. 334. Eine Neubewertung des Verhältnisses von kynischem zu stoischem Kosmopolitismus versucht Moles 1996. Zur Bedeutung von kÒsmow als „Menschenwelt“ vergleicht Rudberg 1936, 13, der in seiner Studie auf die nichtgriechischen Elemente bei Diogenes hinweist, das Neue Testament. 1774 D. L. VI 63 = SSR II 366 Fr. 355. 1775 D. L. VI 72 = SSR II 366 Fr. 353. 1776 Zur Politeia des Diogenes Goulet–Cazé 2003, 33–38, bes. 36. 1777 Arr. Epict. III 24, 66. 1778 Arr. Epict. III 22, 47. 1779 Nauck 893, Adesp. Fr. 284. 1780 Snell 257, Diogenes von Sinope (88) Fr. 4. 1781 D. L. VI 38 = SSR II 332 Fr. 263. 1782 Luk. Hist. Conscr. 3.

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Kommentar Kapitel 1 Die einleitende Triade (Kap. 1–3) beginnt mit der Erzählung von einer ausnehmenden Torheit der Abderiten, der, wie es scheint, etwa vom Beginn des Hellenismus an im Rufe ausgesprochener Schildbürger stehenden Bewohner der thrakischen Stadt Abdera. Der angebliche, vom Autor zeitlich im ausgehenden 4. Jh. v. Chr. angesiedelte Vorfall (nach dem Regierungsantritt des Lysimachos), wird in chronologisch umgekehrter Reihenfolge berichtet. Zuerst erfährt der Leser von einem Krankheitszustand (nÒshma), der die Abderiten befallen habe, sodann von den Auswirkungen dieses Fieberwahns und dessen abruptem Ende, und erst zuletzt wird die Ursache (afit€a) dafür genannt, nämlich der zur damaligen Zeit in Ansehen stehende tragische Schauspieler Archelaos, dessen Präsentation der euripideischen Andromeda bei den für solche Wirkung nur allzu anfälligen Abderiten einen solchen Eindruck hinterlassen habe, daß sie allesamt sich in deklamierende und Soloarien zum Besten gebende Tragödiennarren verwandelt hätten. Geschildert wird demnach ein pathologischer Zustand (pãyow) der ganz besonderen Art. Und diese Schilderung ist nicht als narrativer Selbstzweck zu verstehen, sondern sie erfüllt die Funktion eines probaten Vergleichsobjektes zu einem sehr ähnlichen Zustand (Kap. 2: tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow), der zur Zeit eine Flut von Partherkriegsdarstellungen hervorgebracht habe. Die Erzählung ist somit daraufhin angelegt, auch diese aktuellen Historiker als von einer grassierenden Epidemie befallen zu charakterisieren (vgl. toÁw polloÁw sowohl in Kap. 1 als auch in Kap. 2). Bei der detaillierten Kennzeichnung des Krankheitszustandes der Abderiten wird mit bestimmten Elementen operiert, wie sie aus dem medizinischen Schrifttum bekannt sind, und zugleich erweckt die Nennung des im Krankheitsverlauf, wie bekannt, kritischen siebenten Tages durchaus vom Autor intendierte Assoziationen zur berühmten Pestschilderung des Thukydides, der in dieser Schrift noch eine wichtige Rolle spielen wird als das hauptsächliche, wenn auch nicht einzige Vorbild für richtig verstandene Historiographie. Auch die Angabe der Ursache (afit€a) für den Abderitenwahn bereitet das Thema der Schrift subtil vor, hat doch Kriegsaitiologie einen wichtigen Platz bereits im Proömium eines Geschichtswerkes (vgl. dazu Kap. 53: tåw afit€aw proektiy°menow). Im übrigen hat auch das sinnlose Geschwätz der Abderiten (Kap. 1: lhroËntaw aÈtoÁw) ein Pendant im kollektiven Geschwätz der Geschichtsschreiber (so zusammenfassend in Kap. 32: ToiaËta ... lhroËsi, vgl. mit Bezug auf ein Individuum Kap. 31: lÆrou polloË ka‹ korÊzhw suggrafik∞w). Vielleicht kann, abgesehen von alledem, noch ein weiterer Kontext hergestellt werden insoferne, als das pãyow der Abderiten so ziemlich dem entspricht, was Theodoros von Gadara nach dem Zeugnis des Ps. Longinos (3, 5) als par°nyurson zu benennen pflegte, ein leeres Pathos zur falschen Zeit, da wo gar keines angebracht sei (pãyow êkairon ka‹ kenÚn ¶nya mØ de› pãyouw), oder unmäßiges Pathos, wo es eines maßvoll eingesetzten bedürfe (.. µ êmetron ¶nya metr€ou de›). Zur Schrift des Theodoros von Gadara per‹ flstor€aw als einer für Lukian, in welcher Form und in welchem Sinne auch immer, mit aller Vorsicht zumindest als Möglichkeit in Betracht zu ziehenden „Quelle“ vgl. auch die Einleitung, Teil I 3. 8. Gegenüber der nicht überzeugenden Deutung von Langholf 1996, bes. 2816–2822, es handle sich bei Lukians Abderitenerzählung um eine frühhellenistische Parodie der aristotelischen Katharsislehre, um eine mißglückte tragische Katharsis, hob von Möllendorff 2001, bes. 123–133 in seiner im Wesentlichen plausiblen Deutung den Aspekt der Enthusiasmos-Parodie hervor, den Lukians Erzählung gemein hat mit einer in Details übereinstimmenden Version, die nur durch Eunapios (Blockley 72–75, Fr. 48) überliefert ist (unter Nero: der Name der Stadt ist nicht genannt, Auslöser ist

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auch hier ein Vortrag aus der Andromeda des Euripides). Weniger zwingend erscheint der Versuch (von Möllendorff 2001, 132–133, Anm. 58), beide Versionen auf eine Quelle aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts zurückzuführen und die Verknüpfung mit Abdera und Lysimachos als sekundäre Zutat Lukians zu bewerten. Eher ist die Erstfassung schon früh anzusetzen, „nicht allzulange nach Lysimachos’ Tode“ (so Philippson 1928, 327) oder „kurz vor 300 v. Chr.“ (so viel ist Langholf 1996, 2813 und 2835 jedenfalls zuzugeben). Die Gemeinsamkeiten zwischen Lukian und der bei Eunapios überlieferten Version müßten dann mit sekundärer Überprägung der ursprünglichen Version erklärt werden. Diese müßte nach Nero stattgefunden haben, und es ist denkbar, daß die Theorie des Theodoros von Gadara dabei eine nicht näher bestimmbare Rolle gespielt haben könnte. Dies würde, falls es zutreffen sollte, von Möllendorffs Deutung bestätigen.

ÉAbdhr€taiw fas‹ Lusimãxou ≥dh basileÊontow §mpese›n ti nÒshma, Œ kal¢ F€lvn, toioËto: pur°ttein m¢n går tå pr«ta pandhme‹ ëpantaw épÚ t∞w pr≈thw eÈyÁw §rrvm°nvw ka‹ lipare› t“ puret“, per‹ d¢ tØn •bdÒmhn to›w m¢n aÂma polÁ §k =in«n =u°n, to›w dÉ fldr∆w §pigenÒmenow, polÁw ka‹ otow, ¶lusen tÚn puretÒn. §w gelo›on d° ti pãyow peri€sth tåw gn≈maw aÈt«n:

ÉAbdhr€taiw: Die Einwohner der thrakischen Stadt Abdera hatten zumindest vom 3. Jh. v. Chr. an

die ganze Antike hindurch den unauslöschlichen Ruf von Schildbürgern. Die früheste erkennbare Fassung dieses kollektiven Zerrbildes läßt sich herauslesen aus der von dem Komiker und Verfasser von Xre›ai Machon im 3. Jh. v. Chr. (seine Akme etwa um 260–250 v. Chr., Gow 1965, 7) berichteten witzigen Bemerkung des schlagfertigen Kitharisten Stratonikos (ein Referat bei Ath. VIII 348 e–49 e; speziell 349 b–c = Gow 1965, bes. 41, Fr. XI) über eine kollektive Torheit der Abderiten. Im 1. Jh. v. Chr. hatte deren Dummheit sprichwörtliche Geltung erlangt (signifikante Belege vermittelt Cic. Att. VII 7, 4; IV 17, 3). Der Name der Abderiten brauchte nun nicht mehr explizit erwähnt zu werden, eine Anspielung genügte bereits (Cic. N. D. I 43, 120: Quae quidem omnia sunt patria Democriti quam Democrito digniora). Die Abderitenwitze im Philogelos (110–127) sind als die Reflexe kollektiver Sticheleien zu verstehen (Dietz 1923), die besonders an die Adresse des kleinasiatischen Kyme und des phönikischen Sidon gerichtet wurden. In krassem Widerspruch zu diesem Zerrbild jedoch steht die Tatsache, daß Abdera nach eindeutigem antiken Quellenbefund die Heimat so bedeutender Philosophen wie des Demokritos, des Protagoras und des Anaxarchos war. Doch wird ein Zusammenhang insoferne erkennbar, als antike Quellen gerne einen Kontrast zwischen dem weisen Demokrit und den von diesem belächelten Landsleuten, den Abderiten, herstellten. Der fingierte Briefwechsel zwischen Demokritos und Hippokrates (Ep. 18–21 Hercher, Ep. Gr. 305–308), aus dem klar hervorgeht, daß der von den Abderiten an die Adresse Demokrits erhobene Vorwurf der Narrheit (man€a) nach dem Urteil des Hippokrates (Ep. 20, 3) auf diese selbst zurückfalle, veranschaulicht diesen Tatbestand. Ein später Reflex davon findet sich noch bei Juvenal (X 33–53, bes. 48–50: cuius [sc. Democriti] prudentia monstrat / summos posse viros et magna exempla daturos / vervecum in patria crassoque sub aere nasci). So ergibt sich die Abwertung der Abderiten eben aus deren Unverständnis für die tiefen Gedankengänge des Philosophen. Mit Sicherheit konnte somit Lukian mit dem Vorwissen des Lesers rechnen, als er die Abderiten zur Zielscheibe seines kollektiven (vgl. die wiederholten Bezugnahmen darauf: pandhme‹ ëpantaw, ëpantew går, èpãntvn) Spottes machte. Selbstzweckcharakter hat dieser Spott über die Massenhysterie der Abderiten freilich nicht, ist er doch durch das rhetorische Verfahren der parabolÆ (vgl. Kap. 2: parabale›n) bezogen auf den noch größeren Wahnsinn, der all

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diese zeitgenössischen Modehistoriker in ihrer Gesamtheit epidemieartig befallen habe. Der Abderiten–Vergleich wird gegen Ende von Kapitel 5 wieder aufgenommen, unmittelbar bevor der Autor Lukian darangeht, für die Zwecke dieser Schrift die Rolle eines Ratgebers (sÊmboulow) in Sachen richtig verstandener Geschichtsschreibung einzunehmen. Dies verdeutlicht die formalen Gliederungsabsichten und erleichtert dem Leser die Orientierung. Die Erzählung von den Abderiten läßt bereits von Anfang an die (jedenfalls teilweise verfolgte) Tendenz einer formalen Gestaltung im Sinne des Diatribenstils erkennen, zu dessen Repertoire die Integration von Anekdoten und Exempla aus den Bereichen von Geschichte und Legende zählt (die typischen Elemente der Gattung bei Capelle / Marrou 1957, Sp. 992–993 und Billerbeck 1978, 5, vgl. die Einleitung, Teil I 2. 2–2. 9 passim zum Nahverhältnis von Diatribe und Paränese). Lusimãxou ≥dh basileÊontow: Der Autor Lukian markiert mit demonstrativer Geste sachliche und

topographische Genauigkeit, indem er die Anekdote in ein klar bestimmtes historisches Umfeld stellt. Lysimachos (361–281 v. Chr.), zu Alexanders Zeiten im Rang eines svmatofÊlaj, erhielt nach dessen Tod Thrakien und wohl auch die Westküste des Schwarzen Meeres als Satrapie zugewiesen (Quellen: D. S. XVIII 3, 2; Arr., FGrH II B 156 [Tå metå ÉAl°jandron] Fr. 1, 7). Den Titel eines basileÊw nahm er wahrscheinlich im Sommer 304 v. Chr. an (Datierung: Lund 1992, 156–57, zur Bedeutung der Königstitulatur ders. 153–183, ältere Literatur bei Seibert 1983, 213–215), und zwar nach Antigonos, Demetrios, Ptolemaios und Seleukos. Mit Lysimachos gleichzeitig vollzog Kassandros diesen Schritt, worüber die Quellen im Wesentlichen übereinstimmen (D. S. XX 53, 2–4; Plu Demetr. 18, 1–2; Just. XV 2, 10–12). Was die Diadochengeschichte betrifft, so läßt sich jedenfalls feststellen, daß der unbekannte Verfasser der makrÒbioi Kenntnis hatte von der einschlägigen Darstellung des Hieronymos von Kardia (eine Einschätzung von dessen Objektivität ergibt sich aus Hornblower 1981 und Malitz 1984), von dem offensichtlich starker Einfluß auf Diodor, Plutarch und Arrian ausging. Denn er zitiert Hieronymos als eine Quelle für den Umstand, daß Lysimachos im Alter von 80 Jahren in der Schlacht mit Seleukos verstarb (Macr. 11 = FGrH II B 154, Fr. 10). Lukian erwähnt Lysimachos auch in Icar. 15. Hier sieht der durch den Rat des Empedokles adlergleich scharfsichtig gewordene Menippos aus der Vogelperspektive unter all dem intriganten Treiben der Menschen auch den Sohn des Lysimachos, wie er gegen seinen Vater Ränke spinnt. In formaler Hinsicht auffällig ist besonders in der einleitenden Triade dieser Schrift (Kap. 1–3) die bewußte Stilisierung im Sinne des Diatribenstils, bei dem sich einleitende Genetivi absoluti häufig finden (so auch schon in den Apophthegmata des Diogenes von Sinope, dazu Rudberg 1935, 34). Epiktet beginnt seine Diatriben nicht selten unmittelbar mit einem derartigen Syntagma (z. B. I 11, I 13, II 14, III 6, III 7, III 22, weitere Beispiele bei Billerbeck 1978, 41–42). Lukian bedient sich dieses Stilmittels zum Zweck formaler Gliederung danach auch noch in Kap. 6, wo er das Dispositionsschema seiner Schrift mit einem solchen Genetivus absolutus einleitet: DittoË d¢ ˆntow toË t∞w sumboul∞w ¶rgou. Œ kal¢ F€lvn: Philon, der Adressat dieser Schrift, ist aus keinem anderen antiken Autor bekannt.

Bei Lukian selbst tritt im Symposium eine Person desselben Namens Philon als Gesprächspartner des Lykinos in Erscheinung. Homeyer 1965, 167 hält eine Identität der beiden mit diesem Namen bezeichneten Personen mit Recht für prinzipiell möglich (zu dieser Frage vgl. auch die Einleitung, Teil I 2. 10). Wenn es auch sonst für eine sichere Identifizierung keinen brauchbaren Anhaltspunkt gibt, so ist doch zumindest auffällig, daß Philon sich dort (Symp. 2) vergleichbarer Phraseologie bedient. Der nach Informationen über ein Symposion, welches in Handgreiflichkeiten ausgeartet war, verlangende Philon wendet sich an Lykinos als einen wegen seiner Wahrheitsliebe und Objektivität allseits geschätzten Ansprechpartner. Es sei ihm, so erklärt er, von anderen Personen empfohlen worden, sich an diesen zu halten, wenn er die Wahrheit (télhy∞) und die tatsächlichen Ereignisse (˜pvw

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§prãxyh ßkasta) in Erfahrung bringen wolle. Dieselbe Formulierung kehrt wieder in Kap. 38 der vorliegenden Schrift, wo ungeschminkte, wirklichkeitsgetreue Darstellung bezeichnet wird als ein tå gegenhm°na …w §prãxyh dihge›syai (vgl. Kap. 41, 59, 39: historiographische Objektivität besteht im …w §prãxyh efipe›n). Wenn man aus diesen terminologischen Parallelen etwas entnehmen darf, so dies,

daß Philon als eine für Wahrheit empfängliche Person erscheint, ein Umstand, der für die Identität der beiden Philon genannten Personen sprechen könnte. Die Frage allerdings, ob es sich bei ihm um einen Partherkriegshistoriker in spe handelt (so als Möglichkeit erwogen von Jones 1986, 59), läßt sich kaum in positivem Sinne beantworten. In dieser Schrift wird Philon fünfmal namentlich genannt (in Kap. 4, 24, 29: Œ F€lvn, um eine Nuance herzlicher in 1 und 22: Œ kal¢ F€lvn [man vgl. das Symposion, wo er zunächst eher neutral mit Œ F€lvn apostrophiert wird und dann gegen Ende der Schrift etwas wärmer mit Œ kal¢ F€lvn, Kap. 48]). Darüberhinaus wird er angesprochen mit den Formeln Œ filÒthw (Kap. 3, zur konkreten Bedeutung des Abstraktums filÒthw in der Anredeform vgl. den Kommentar zur Stelle) und Œ •ta›re (Kap. 5 und 27), häufig auch als ein Du ohne Namensnennung. Philon ist somit der Ansprechpartner nicht nur in demjenigen Abschnitt des ersten Teils der Schrift, der dem didaktischen Passus vorausgeht (Kap. 1–5), sondern auch in diesem selbst (Kap. 7–13). Besonders auch im skommatisch–lehrhaften Schriftteil (Kap. 14–32) wird er wiederholt vermittels von Du–Ansprache, auch in Form von Frage und Imperativ, in den kritischen Diskurs miteinbezogen. Von Kap. 34 (Beginn des didaktischen dritten Teils der Schrift) weg tritt aber die Ansprachehaltung zugunsten eines lehrhaften Vortragstons gänzlich zurück. Erst ab Kap. 56 (bes. 57–62) kehrt die Ansprache an das Du wieder, um solcherart den Schluß der Schrift formal wieder zum Ausgangspunkt zurückzuführen (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 10). Literatur zu den Anredeformen von Herodot bis Lukian bei Dickey 1996. pur°ttein m¢n går tå pr«ta pandhme‹ ëpantaw épÚ t∞w pr≈thw eÈyÁw §rrvm°nvw ka‹ lipare› t“ puret“, per‹ d¢ tØn •bdÒmhn to›w m¢n aÂma polÁ §k =in«n =u°n, to›w dÉ fldr∆w §pigenÒmenow, polÁw ka‹ otow, ¶lusen tÚn puretÒn: Der Krankheitsverlauf, so wie er hier geschildert wird, weist gewisse,

sicherlich beabsichtigte Ähnlichkeiten mit der thukydideischen Pestschilderung (Th. II 47, 3–53, 4) auf. Diese war als eines der Glanzlichter im Werk des berühmten Historikers jedem rhetorisch Geschulten vertraut. Darüberhinaus hat die literarische Reminiszenz eine weitere wichtige Funktion. Denn die ganze vorliegende Schrift läuft auf eine durchgehende Anerkennung des von Thukydides formulierten Objektivitätsanspruches innerhalb des historiographischen Genos hinaus. So wird der Leser bereits von Beginn weg auf das Thema der Schrift eingestimmt. Inwieferne ist nun die thukydideische Pestschilderung mit dem Lukiantext zu vergleichen? Auffällig sind da insbesondere das plötzliche, unerwartete Auftreten der Krankheit (Th. II 49, 2: épÉ oÈdemiçw profãsevw, éllÉ §ja€fnhw ... eÈyÁw), die brennende Fieberhitze (II 49, 2: y°rmai fisxura€, II 49, 5: tå ... §ntÚw ... §ka€eto, vgl. II 49, 6: ÍpÚ toË §ntÚw kaÊmatow) und der, wie natürlich aus Hippokrates und anderen medizinischen Fachschriftstellern hinlänglich bekannt, im Krankheitsverlauf kritische neunte und siebente Tag (II 49, 6: diefye€ronto ofl ple›stoi §nata›oi ka‹ •bdoma›oi ... µ ... Ïsteron diå tØn ésy°neian diefye€ronto). Eine weitere Parallele dürfte auch kaum zufällig sein. Thukydides sagt nämlich, die Pest habe ihren Ausgang in Äthiopien genommen (II 48, 1: ÖHrjato ... tÚ m¢n pr«ton ... §j Afiyiop€aw) und habe sodann nach Ägypten und Libyen und schließlich urplötzlich nach Athen übergegriffen. In Lukians Erzählung wird als Ursache der Epidemie im Folgenden eine schauspielerische Darbietung des Archelaos aus der euripideischen Andromeda vor abderitischem Publikum genannt. Es läßt sich zumindest vermuten, daß das Stück des Euripides in Äthiopien spielte, wenn auch keines der überlieferten Fragmente dies direkt

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ausspricht. In Fr. 11 B (kurz für Bubel 1991) = Kannicht 246, Fr. 124, V. 1 (vgl. Ar. Th. 1098) ist bloß von einer g∞ bãrbarow die Rede. Doch liegen, abgesehen von anderen literarischen Gestaltungen des Stoffes, die direkten Zeugnisse des Ps. Eratosthenes (Katast. 15 Olivieri) und des Hygin (Astr. II 9 Viré) vor, die beide übereinstimmend Kepheus, den Vater der Andromeda, als den König der Äthiopen nennen und dafür explizit Euripides als Zeugen anführen. Wichtiger noch ist, daß Lukian selbst in Dom. 22 das Perseus–Andromeda–Sujet ein pãyow AfiyiopikÒn nennt. Wie verhält es sich nun mit dem von Thukydides abweichenden Ende der Krankheit? Hier wird man, wenn man die bei Lukian nicht seltenen Vergleiche aus der Medizin (generell zur Rolle der Medizin bei Lukian: Langholf 1996 und Wälchli 2003, 147–158) in Rechnung stellt, mit einer Anspielung auf im medizinischen Schrifttum bekannte Krankheitsbilder rechnen dürfen (vgl. die Belege bei Langholf 1996, 2814-2816 und 2822-2824, der diese Details bereits auf den Urheber der Anekdote zurückführt). Da Lukian von einer Epidemie spricht (pandhme‹ ëpantaw), so liegt es nahe, bei den Epidemien des Hippokrates nach Vergleichbarem zu suchen. Und hier stößt man in I 14 (Littré II 642) tatsächlich anläßlich der Beschreibung einer Epidemie auf Thasos auf das spezielle Detail, daß durch starkes Nasenbluten eine Phase der Besserung eingeleitet wird: âHn d¢ tå payÆmata t«n kaÊsvn, oÂsi m¢n kal«w ka‹ dacil°vw §k =in«n aflmarrag∞sai, diå tout°ou mãlista s≈zesyai: ka‹ oÈd°na o‰da, efi kal«w aflmorragÆseien, §n tª katastãsei taÊt˙ époyanÒnta. Als die Symptome der Mehrheit der Patienten um die im Krankheitsverlauf kritische Zeit (per‹ kr€sin) werden genannt Schüttelfrost und Schwitzen: §perr€goun ... kai §f€droun. Zu vergleichen sind auch die éforismo€ des Hippokrates, bes. IV 60 (bei Fieber hebt u. a. Nasenbluten [aÂma §k t«n =in«n =u°n] die Krankheit auf). Zu ka‹ lipare› t“ puret“: Lukian verwendet das Adjektiv liparÆw zumeist in der durchaus

positiven Bedeutung von „beharrlich“ (Musc. Enc. 5, Symp. 22, Abd. 4, Herm 24), hier mit dem Aspekt der „Hartnäckigkeit“ (vgl. auch lipar«w in Kap. 27). Die Abderitenerzählung ist, wie von Möllendorff 2001 gesehen hat, durch feine motivische Fäden mit dem skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) verknüpft; vgl. dazu Kap. 19: tosaÊth cuxrÒthw §n∞n Íp¢r tØn KaspiakØn xiÒna ka‹ tÚn krÊstallon tÚn KeltikÒn. §w gelo›on d° ti pãyow peri€sth tåw gn≈maw aÈt«n: Der Begriff pãyow (bereits die Stoiker beschrieben das pathosverursachende érr≈sthma im Bild der Krankheit, dazu Bonhöffer 1890,

275–276) bezeichnet zunächst einmal in Anlehnung an medizinische Terminologie eine krankhafte Affiziertheit des Körpers (so bei Lukian selbst Nigr. 2, Abd. 4, u. ö.), sodann jedoch auch in dieser Schrift einen krankhaften Seelenzustand (Kap. 2: tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow), dessen aktuell intendierte Bezogenheit auf das Gebiet von Literatur im lehrhaften dritten Teil der Schrift (Kap. 34–60 ) in Form entsprechender literarkritischer Wertung explizit entfaltet wird (Kap. 45: flppotuf€a tiw ka‹ §n lÒgoiw pãyow oÈ mikrÚn g€gnetai). Das Gegenstück zur Euripidesmanie der Abderiten ist bezeichnet durch die von der höchst beeindruckenden Rede des Nigrinos auf den Zuhörer unmittelbar ausgehende Zauberwirkung (Nigr. 35): toËto dØ tÚ t«n Faiãkvn pãyow §pepÒnyein: polÁn går dØ xrÒnon §w aÈtÚn ép°blepon kekhlhm°now: e‰ta pollª sugxÊsei ka‹ fil€ggƒ kateilhm°now toËto m¢n fldr«ti katerreÒmhn, toËto d¢ fy°gjasyai boulÒmenow §j°piptÒn te ka‹ énekoptÒmhn, ka‹ ¥ te fvnØ §j°leipe ka‹ ≤ gl«tta dihmãrtane ka‹ t°low §dãkruon époroÊmenow.

Das Adjektiv gelo›ow weist auf den skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) voraus, wo die Adjektive gelo›ow und pagg°loiow (Kap. 21, 23, 29 und 32) sowie auch das Substantiv g°lvw (Kap. 26 und 32) häufig als die Träger spöttischer Aussage gebraucht sind (in diesem Sinne das Verbum gelçn bereits in Kap. 11). Zentrale Stellung innerhalb des didaktischen dritten Teils der Schrift nimmt das Substantiv gn≈mh ein, welches insbesondere die Wahrnehmung und das Verhältnis des Historikers zu seinem Darstellungsobjekt (Kap. 45 und 51) sowie auch dessen intellektuelle

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und moralische Ausstattung (bes. Kap. 37 und 38) charakterisiert. Mit dem Ausdruck von Spott gebraucht Lukian das Wort gn≈mh in Kap. 17 (Kritik am ersten der beiden Korinther). Mit dem Verbum periistãnai ist der Aspekt vollständiger Umwandlung von einer Befindlichkeit, einem Zustand in das genaue Gegenteil zu assoziieren. Eine Stelle im pseudoplatonischen Axiochos (370 d) spricht diese Art von Umkrempelung explizit aus: Efiw toÈnant€on me t“ lÒgƒ peri°stakaw: oÈk°ti gãr moi yanãtou d°ow ¶nestin, éllÉ ≥dh ka‹ pÒyow. Das Verbum periistãnai eignet sich daher auch vortrefflich als ein politischer terminus, um Verfassungsumstürze in ihrer Radikalität zu veranschaulichen (Plb. III 8, 2; D. H. VII 55, 6).

ëpantew går §w tragƒd€an parek€noun ka‹ fiambe›a §fy°ggonto ka‹ m°ga §bÒvn: mãlista d¢ tØn EÈrip€dou ÉAndrom°dan §mon–doun:

ëpantew går §w tragƒd€an parek€noun: Das Verbum parakine›n, welches häufig transitiv konstruiert

wird (in der Grundbedeutung „etwas vom richtigen Platz verrücken“, so Pl. R. IX 591e), ist hier ebenso wie in Kap. 45, wo es eine unangemessene poetische Verzückung des Historikers bezeichnet (vgl. den Kommentar zur Stelle), intransitiv gebraucht. Vergleichbaren Sinn hat in Kap. 2 das ebenfalls intransitiv gebrauchte Verbum parapa€ein. Mit para- wird das Abartige der Verfehlung, der Zustand des Wahnsinns, bezeichnet, während Lukian sonst in dieser Schrift die literarische Fehlleistung mit dem Ton betonter Sachlichkeit durch den neutral wirkenden terminus (di)èmartãnein (Kap. 7 und 9) bzw. èmãrthma (Kap. 6 und 24) kennzeichnet. Zu der ungewöhnlichen und auch bei Lukian selbst singulären Junktur parapa€ein ¶w ti vgl. weiter unten im Text die Formulierung: §w tØn tragƒd€an parolisya€nein. fiambe›a §fy°ggonto ka‹ m°ga §bÒvn: die Abderiten deklamieren demnach iambische Sprechpartien

aus der euripideischen Andromeda (zu Lukians Euripidesrezeption generell Karavas 2005, bes. 139–160 und 175–82), mit großer Lautstärke und im Zustand einer wahnsinnigen Verzückung. Der Begriff fiambe›on bezeichnet hier nicht das iambische Metrum, wie dies bei Aristoteles (Rh. III 8, 1408 b 32–34 und Po. 4, 14449 a 22–28) der Fall ist, sondern ganz konkret den iambischen Vers und meint speziell monologische und dialogische Partien der griechischen Tragödie. In dieser Bedeutung findet sich der Begriff fiambe›on bereits bei Platon (Euthd. 291 d mit Bezug auf die ersten drei Prologverse der aischyleischen Sieben gegen Theben), sodann bei Plutarch (Alex. 10, 7 [Alexander zitiert E. Med. 288] und Alex. 51, 8 [Kleitos rezitiert E. Andr. 693]). Das Verbum fy°ggesyai bezieht sich auf die Lautstärke des Vortrags, so schon bei Platon (Prt. 334 d), wo Sokrates in unmittelbarem Anschluß an den berühmten lÒgow des Protagoras den Vortragsstil des Schauspielersophisten vermittels des Stilmittels der efirvne€a der Lächerlichkeit preisgibt. Ein unmittelbarer Bezug von fy°ggesyai zu der stimmstarken Darbietung des tragischen Schauspielers ist bei Platon (Lg. VII 817 c) gegeben; bei Xenophon (Oec. 8, 3) bezeichnet die Formulierung tetagm°nvw poie›n ka‹ fy°ggesyai den wohlgeordneten, volltönigen Vortrag des Chores. Deutlich ironische Note erhält das Verbum bei Lukian in Nigr. 11, wo mittels der Bezeichnung mikrÚn fy°ggesyai ka‹ fisxnÚn ka‹ gunaik«dew das klägliche Versagen des allzu selbstbewußt, doch ohne Kompetenz zu Höchstleistungen angetretenen tragischen Schauspielers kräftig bloßgestellt wird. Zur Stimmgebung innerhalb tragischer Aufführungspraxis sowie zu deren kritischer Rezeption in antiker Literatur vgl. Kokolakis 1961, bes. 23–26. Die Verbindung von fy°ggesyai und boÆ findet sich bereits bei Platon (Lg. VII 791 e), wo es die erste Lautäußerung des Kleinkindes kennzeichnet. Ein spezieller Bezug des Verbums boçn zur Welt der Schauspielerei liegt in der vierten Rede des Dion Chrysostomos per‹ basile€aw (108)

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vor, wo schrilles, durchdringendes Geplärre gewisser Schauspieler, deren ÙjÁ ka‹ diãtoron boçn, zur Zielscheibe allgemein gehaltener Kritik gemacht wird. tØn EÈrip€dou ÉAndrom°dan §mon–doun: Der Begriff monƒd€a bezeichnet in Lyrik und Drama den Gesang eines einzelnen im scharfen Gegensatz zum Chor (Pl. Lg. VI 764 e: monƒd€an ... xorƒd€an). Im Falle der Tragödie wurde im Laufe der Zeit die Form monodisch vorgetragener Klagearien in immer größerem Umfang herausgebildet (mit Bezug auf Lukians Zeit Luk. Salt. 27: melƒd«n tåw sumforãw). Diese Entwicklung läßt sich insbesondere im Spätwerk des Euripides beobachten. Beispiele für dieses experimentierfreudige Verfahren des späten Euripides sind u. a. die Helena– Monodie in der gleichzeitig mit der Andromeda im Jahr 412 v. aufgeführten Helena (167–251 mit eingelegten Chorpartien [zum zeitlichen Ansatz Schol. Ar. Th. 1012 und 1060]), die Kreusa–Monodie im Ion (859–922), sowie auch die Phrygierarie in dem 408 v. zur Aufführung gebrachten Orestes (1369–1502). Polymetrische Schauspielerarien ähnlichen Typs sind charakteristisch für den jüngeren Dithyrambos, wie er in der Person des Timotheos (zur Datierung der Perser um 407 v. Janssen 1984, 13–22, bes. 21) in Erscheinung tritt. Man kann von wohl wechselweiser Einflußnahme zwischen Euripides und den Exponenten des jungattischen Dithyrambos sprechen. Der gemeinsame Nenner beider Kunstformen ist das Bestreben, seelische Affekte durch das Medium musikalischer Gestaltung mimetisch zum Ausdruck zu bringen.

Die Zunahme pathetischen Schauspielergesanges reizte schließlich bereits Aristophanes, und zwar speziell mit Blick auf Euripides, zur Parodie. So ließ dieser in den Fröschen (1331–1363) Aischylos die polymetrische Form euripideischer Monodie an sich parodieren. Aischylos leitet da seine Parodie mit den überdeutlichen Worten (1329–1330): boÊlomai dÉ ¶ti tÚn t«n monƒdi«n diejelye›n trÒpon ein. Parodistischen Zwecken diente auch die in metrischer Hinsicht viel schlichter angelegte Klagemonodie des hoffnungslos eingesperrten Philokleon in den Wespen des Aristophanes (316–333). In beiden Fällen lassen sich kaum wörtliche Zitate feststellen. Die Andromeda des Euripides, von der 47 Fragmente überliefert sind, wird in den Thesmophoriazusen des Aristophanes (1009–1134) parodiert (dazu Rau 1967, 65–89). Der Wortlaut der Parodie in Verbindung mit den dazugehörigen Scholien bietet einen Ansatzpunkt für eine zumindest teilweise Rekonstruktion der euripideischen Vorlage. Solche Rekonstruktionsversuche wurden seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederholt unternommen. Die letzten umfassenden Versuche wurden durch Bubel 1991 und bald danach besonders durch Klimek–Winter 1993, bes. 55–315 vorgenommen, orientierend Austin / Olson 2004, Introd. LXII–LXIII mit aktueller Literatur in Anm. 55.

ka‹ tØn toË Pers°vw =∞sin §n m°lei diejπesan, ka‹ mestØ ∑n ≤ pÒliw »xr«n èpãntvn ka‹ lept«n t«n •bdoma€vn §ke€nvn tragƒd«n, sÁ dÉ Œ ye«n tÊranne kényr≈pvn ÖErvw, ka‹ tå êlla megãl˙ tª fvnª énabo≈ntvn ka‹ toËto §p‹ polÊ, êxri dØ xeim∆n ka‹ krÊow d¢ m°ga genÒmenon ¶pause lhroËntaw aÈtoÊw.

§n m°lei: Kassel 1973, 106 (gegenüber Homeyer 1965, 95 die Lesart in E und G gleichermaßen), danach Kilburn 1968, 2 und Macleod 1980, 287; §n m°rei: so nach jüngeren Handschriften weniger überzeugend Mras 1911, 184. Zum plausiblen Textsinn nach Kassel vgl. den Kommentar zu =∞sin. ka‹ mestØ ∑n ≤ pÒliw »xr«n èpãntvn ka‹ lept«n t«n •bdoma€vn §ke€nvn tragƒd«n: Den

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Schauspieler allgemein bezeichnet Lukian nach altem Sprachgebrauch als ÍpokritÆw, den tragischen entweder als tragikÚw ÍpokritÆw (Apol. 5, Sat. 19, Icar. 29, Nec. 16, zur Unterscheidung vom komischen Schauspieler Nigr. 8) oder, wie weiter unten im Text, ohne ironische Note (ÉArx°laow ı tragƒdÒw) als tragƒdÒw (Nav. 46, Pisc. 38, Anach. 23; vgl. auch den Werktitel ZeÁw tragƒdÒw [Macleod I, Nr. 21]). Dieser terminus für den Schauspieler findet sich in der klassischen Literatur des 5. Jhs. v. Chr. schon bei Aristophanes (Th. 391) und bei Xenophon (Oec. 3, 9). Dementsprechend bezeichnet Lukian die Darbietung des Schauspielers als tragƒde›n, welches er sowohl in transitiver (Kap. 1 und 5) als auch in intransitiver Bedeutung (Kap. 2; Nec. 1) verwendet. Die Junktur der Adjektive »xrÒw und leptÒw („ausgezehrt, ausgemergelt“) entstammt medizinischer Terminologie (so u. a. verwendet in Galens Schrift De sanitate tuenda, Kühn VI 444, Z. 4–5: s≈mati d¢ pant‹ katalÊonta€ te ka‹ ésyene›w g€nontai ka‹ jhro‹ ka‹ lepto‹ ka‹ »xro‹), welche hier unverkennbar Pate steht. Sodann findet sie sich im Liebesroman zur Bezeichnung des physischen Erscheinungsbildes im Zustand der Verliebtheit (Chariton IV 2, 4). Lukian selbst bezeichnet üblicherweise nach dem Vorbild der Komödie (frühestes Beispiel dafür ist Ar. Nu. 1016–1017) Philosophen und Rhetoren mittels dieser beiden und vergleichbarer Attribute (Par. 40: leptoÁw ka‹ »xroÊw, weitere Belege führt Nesselrath 1985, 403–404 an). Eine besondere Bedeutung liegt in Plutarchs Caesarbiographie (62, 10) vor, wo Caesar mit Blick auf Cassius und Brutus erklärt, er fürchte nicht beleibte Männer, sondern toÁw »xroÁw ka‹ leptoÁw §ke€nouw. Der mit dem bei Lukian zitierten identische Vers 1 der euripideischen Andromeda unterscheidet sich nur durch die Wortumstellung: ye«n tÊranne (Lukian), tÊranne ye«n te , Fr. 24 B = Kannicht 251, Fr. 136 (nach Ath. XIII 561 b–c). Zu =∞sin: Der Begriff =∞siw, der auch den tragischen Dialog bezeichnen kann, steht hier für Rede, Monolog. Aussagekräftig für diese technische Wortbedeutung ist Aristoteles (Po. 15, 1454 a 30–31), der =∞siw mit Bezug auf die bekannte Rede der euripideischen Melanippe gebraucht (zum besseren Verständnis der Stelle ist hilfreich Lucas 1988, 160–161). Das Verbum dieji°nai bezieht sich nach dem sonst üblichen Wortgebrauch auf den Vortrag der =∞siw. Weitere Belege zur Verwendung dieses Begriffes bei Kokolakis 1961, 28, Anm. 102. Zu §n m°lei: die Abderiten tragen nach Kassels plausibler Argumentation also in gesungener Form tragische Sprechpartien vor, gerade so wie Opern–Arien (für wertvolle Hinweise danke ich Nesselrath). Das lediglich in den jüngeren Handschriften vorkommende Idiom §n m°rei („der Reihe nach“, „nacheinander“) erscheint bei Lukian sonst recht häufig (DMort. 25, 1, VH I 34, Anach. 40). Hier hingegen soll das wirre Durcheinander zum Ausdruck gebracht werden, nicht die mit der Bedeutung von „reihum“ zu assoziierende Ordnung und Geregeltheit, was den hier nicht intendierten Sinn ergäbe von „in dialogischem Wechsel“; doch gerade dies will nicht passen zu dem Fieberwahn der Abderiten, der sie alle wild durcheinander singen läßt. Ein Absingen einer euripideischen =∞siw findet sich bereits bei Aristophanes (Nu. 1371: ı dÉ eÈyÁw ¬sÉ EÈrip€dou =∞s€n tinÉ, ktl), und Kassel 1973, 106–107 weist noch auf weitere Belegstellen hin, bei Lukian selbst Symp. 17, und zwar mit Bekkers Konjektur §n m°lei für das überlieferte §n m°rei (ı m¢n går DionusÒdvrow ı =Ætvr aÍtoË =Æseiw tinåw §n m°lei diejπei).

afit€an d° moi doke› toË toioÊtou parasxe›n ÉArx°laow ı tragƒdÒw, eÈdokim«n tÒte, mesoËntow y°rouw §n poll“ t“ filogm“ tragƒdÆsaw aÈto›w tØn ÉAndrom°dan, …w pur°jai te épÚ toË yeãtrou toÁw polloÁw ka‹ énastãntaw Ïsteron §w tØn tragƒd€an parolisya€nein, §p‹ polÁ §mfiloxvroÊshw t∞w ÉAndrom°daw tª mnÆm˙ aÈt«n ka‹ toË Pers°vw ¶ti sÁn tª MedoÊs˙ tØn •kãstou gn≈mhn peripetom°nou.

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§n poll“ t“ filogm“ ... …w pur°jai te épÚ toË yeãtrou toÁw polloÁw: mit filogmÒw ist wie in Anach. 16 (tÚn ¥lion ... ÙjÁn ka‹ filog≈dh) die hochsommerliche Gluthitze bezeichnet, doch liegt auch, wie der Zusammenhang (pur°jai) zeigt, eine bewußte Anspielung auf den medizinischen terminus für Fieberhitze bzw. Entzündung im Bereich der unmittelbaren Assoziationsmöglichkeiten (Trag. 22, vgl. Peregr. 44: •ãlv puret“ mãla sfodr“ ... ÉAl°jandrow ı fiatrÚw dihgÆsato ... katalabe›n aÈtÚn ... tÚn filogmÚn oÈ f°ronta). ÉArx°laow ı tragƒdÒw, eÈdokim«n tÒte: Zum Terminus tragƒdÒw vgl. weiter oben den Kommentar zu: t«n •bdoma€vn §ke€nvn tragƒd«n. Seit dem 5. Jh. v. Chr. lassen sich

Schauspieleragone mit Prämierung besonderer darstellerischer Leistungen nachweisen. Die notwendige Folge war eine tiefgreifende Aufwertung des Schauspielers, der bereits im 4. Jh. v. Chr.eine größere Bedeutung zu erringen vermochte als die Dichter, die nach dem Zeugnis des Aristoteles (Rh. III 1, 1403 b 23) ursprünglich selbst in ihren eigenen Stücken als Schauspieler agierten (Ípekr€nonto går aÈto‹ tåw tragƒd€aw ofl poihta‹ tÚ pr«ton). Für das zeitgenössische Berufsschauspielertum hingegen konstatiert Aristoteles ein klares Übergewicht des schauspielerischen Vortrags (Rh. III 1, 1403 b 33–34: me›zon dÊnantai nËn t«n poiht«n ofl Ípokrita€), dessen Wirkung im richtigen Einsatz von Lautstärke (fvnÆ, m°geyow), Stimmlage (tÒnoi, èrmon€a) und Sprechrhythmus (=uymÒw) bestünde. Es ist zudem auch bekannt, daß um die Mitte des 4. Jhs. v. Chr. die Regelung getroffen wurde, daß jeder Schauspieler jeweils in einem Stück jedes der konkurrierenden Dichter auftreten mußte. Die dahinterstehende Absicht war wohl die, den Dichtern gleiche Chancen einzuräumen. Seit dem frühen 4. Jh. v. Chr. traten athenische Schauspieler auch auswärts an den großen Herrscherhöfen auf, deren starke Finanzkräftigkeit das Entstehen eines regelrechten Berufsschauspielertums durchaus begünstigte. Für das Verständnis des vorliegenden Textes wichtig ist auch, daß die Wiederaufführung von alten Stücken des Tragikerdreigestirns, insbesondere solchen des Euripides, im 4. Jh. v. Chr. eine allgemein übliche Praxis geworden war. Mehrere Namen berühmter Schauspieler sind bekannt, die alle über die besondere Gabe verfügten, bei dem Publikum tiefgreifende Emotionen zu erregen. Der tragische Schauspieler Kallipides (5. Jh. v. Chr.), der wegen seines exzentrischen und wohl auch eitlen Gehabes zu der Zielscheibe des Komikerspottes wurde, hielt sich nach dem Zeugnis Xenophons (Smp. 3, 11) übermäßig viel darauf zugute, sein Publikum zum Weinen zu bringen (Kallip€dhw ı ÍpokritÆw, ˘w ÍpersemnÊnetai, ˜ti dÊnatai polloÁw kla€ontaw kay€zein). Timotheos habe den sophokleischen Aias dermaßen mitreißend gespielt, daß er das Publikum damit förmlich gefesselt habe (Schol. S. Aj. 864: ∑ge toÁw yeatåw ka‹ §cuxag≈gei tª Ípokr€sei Papageorgius 73 = Elmsley 254). Und der berühmte und sogar von Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 22) als herausragende Einzelerscheinung innerhalb seiner Zunft gerühmte Theodoros (frühes 4. Jh. v. Chr.) habe Aelian zufolge dem grausamen Tyrannen Alexandros von Pherai durch impressive Darbietung aus den euripideischen Troerinnen solchen Tränenfluß entlockt, daß dieser das Theater habe verlassen müssen (VH XIV 40, ohne Namensnennung Plu Pel. 29, 5; De Alexandri Magni fortuna aut virtute II 1, 334 a). Umfassend zum Schauspieler Schneider 1956. Der sonst unbekannte Archelaos ist, wie die Charakteristik als eÈdokim«n tÒte zeigt, dieser imponierenden Starriege zuzurechnen. Anders als jener zeitgenössische Tänzer, der über seiner Aias–Darbietung selbst in Wahnsinn verfiel (oÈx Ípokr€nasyai man€an éllå ma€nesyai aÈtÚw ... ¶dojen) und damit, freilich nur bei der kritiklosen Masse, höchsten Anklang fand (Salt. 82–84: tÚ ... y°atron ëpan sunememÆnei t“ A‡anti), liefert Archelaos keinen solchen Grund für den kollektiven Wahn der Abderiten. Seine Schauspielkunst dient lediglich als der äußere Anlaß zur Bloßstellung der Dummheit der Abderiten, ebenso wie die Partherkriege erst die ausnehmende Geschmacklosigkeit

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der allenthalben aus dem Boden schießenden Berichterstatter offenbar habe werden lassen (Kap. 2). ka‹ énastãntaw Ïsteron §w tØn tragƒd€an parolisya€nein: Das Verbum én€stasyai in der Bedeutung „gesunden“ wird üblicherweise mit dem Zusatz §k t∞w nÒsou (Hdt. I 22, 4; Pl. La. 195 c; bei Lukian Tox. 19: §k nÒsou makrçw) oder Ähnlichem (D. or. 59, 58: §j §ke€nhw t∞w ésyene€aw)

konstruiert. Das Vorbild für einen absoluten Gebrauch des Verbums gibt Thukydides ab (II 49, 8): toÁw d¢ ka‹ lÆyh ¶labe tÚ paraut€ka énastãntaw pãntvn ımo€vw ka‹ ±gnÒhsan sfçw te aÈtoÁw ka‹ toÁw §pithde€ouw. Der Umstand, daß diese Stelle gerade innerhalb der Pestschilderung steht, zeigt die große Präzision, mit der Lukian auch bei seinen sprachlichen Anleihen zu Werke geht. Das Verbum katolisya€nein (bzw. auch katolisyãnein) verwendet er in der Bedeutung von „unvermerkt ausgleiten“ (Gall. 26: absoluter Gebrauch), im Besonderen, und zwar mit dem Zusatz von e‡w ti, von „unvermerkt in etwas hineingleiten“ (Laps. 15), wobei in diesen Kontexten negativ bewertete Zustände klar überwiegen (Abd. 28: §w tÚ pãyow toËto katolisyãnousin [von in Wahnsinn verfallenden Frauen], Lex. 25 mit literarkritischem Bezug: µn d¢ lãy˙w aÔyiw efiw tØn lixne€an katolisy≈n). §p‹ polÁ §mfiloxvroÊshw t∞w ÉAndrom°daw tª mnÆm˙ aÈt«n: Für das Verbum §mfiloxvre›n (Bedeutung: „gerne bei etwas verweilen“, Alex. Trall. Febr. 24, 1: t“ xvr€ƒ §mfiloxvr«n ka‹ mØ metabãw) in Verbindung mit bloßem Dativ (häufiger filoxvre›n + Dativ) liegen nur spärliche Belege vor (J. AJ II 7, 2, 170: foboÊmenow diå tØn eÈdaimon€an tØn §n AfigÊptƒ t«n pa€dvn §mfiloxvrhsãntvn tª ofikÆsei tª §n aÈtª ..., Alciphr. II 12 Schepers = III 15 Hercher, Ep. Gr. 72: tÚ går koinå tå t«n f€lvn oÈx ¥kista to›w égro›w §mfiloxvre›n Ùfe€lei), deren Frequenz aber in

christlicher Literatur stark ansteigt.

Kapitel 2 Das zweite Kapitel ist im Sinne vergleichender Gegenüberstellung, einer parabolÆ, auf den pathologischen Zustand (Kap. 1: pãyow), der dereinst über die Abderiten gekommen sei, bezogen (tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow). Wie dort als Ursache (Kap. 1: afit€a) der Schauspieler Archelaos genannt worden war, so ist auch hier der Anlaß für die Schreibwut der sich ganz als Thukydides, Herodot und Xenophon gerierenden „Historiker“ genannt, nämlich der Krieg der Römer gegen die Barbaren, d. h. der Partherkrieg, namentlich (unter dem Kommando des M. Sedatius Severianus) die Niederlage in Armenien, sodann die mit dem Erscheinen des Lucius Verus vor Ort eingeleitete römische Siegesserie (vgl. zu der von Lucius Verus gewünschten offiziellen Darstellung durch Marcus Cornelius Fronto die Einleitung, Teil 1. 4). So habe es denn schon seine Richtigkeit mit dem Satz Heraklits: „der Krieg ist der Vater von allem“. Vor allem Thukydidesimitatio und ebenso dreiste wie geschmacklose Plagiate aus Thukydides nehmen im zweiten Teil der Schrift einen breiten Raum ein (Kap. 15, 19 und 26). In geringerem Grad gilt dies von Autoren, die in ähnlicher Weise Herodot ausgebeutet hätten (implizit Kap. 14, 16, bes. 18 mit expliziter Nennung des Namens Herodot), und von solchen, denen es bei völligem Fehlen von Verständnis für dessen gewissermaßen kryptoproömiale Funktion der Eingang von Xenophons Anabasis angetan habe (Kap. 23). Das Thema ist also das Phänomen des auch sonst aus dieser Zeit wohlbekannten Archaismus, in diesem Fall freilich in einer überspannten und darum die Kritik des Autors herausfordernden Art und Weise.

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ÑVw oÔn ßn, fas€n, •n‹ parabale›n, tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow ka‹ nËn toÁw polloÁw t«n pepaideum°nvn perielÆluyen, oÈx Àste tragƒde›n – ¶latton går ín toËto par°paion éllotr€oiw fiambe€oiw, oÈ faÊloiw, katesxhm°noi. éllÉ éfÉ o dØ tå §n pos‹ taËta kek€nhtai – ı pÒlemow ı prÚw toÁw barbãrouw ka‹ tÚ §n ÉArmen€& traËma ka‹ afl sunexe›w n›kai – oÈde‹w ˜stiw oÈx flstor€an suggrãfei:

ÑVw oÔn ßn, fas€n, •n‹ parabale›n: Sinn: „um also den sprichwörtlichen eins-zu-eins-Vergleich anzustellen“. Die Konstruktionen parabãllein t€ tini und ti prÒw ti bzw. ti parã ti bedeuten „nebeneinanderstellen = vergleichen“. Zur Phraseologie …w ©n •n‹ parabale›n ist bei Lukian selbst zu vergleichen …w pezå m°troiw parabãllein (Lex. 25). Ähnliche Idiome sind ©n prÚw ßn (Pl. Lg. I 647 b; weitere Belege bei Stallbaum X 1, 121 z. St.), …w ©n prÚw ßn (Iamb. Protr. 12 Pistelli 60, Z. 5) und besonders ©n prÚw ©n sumbãllein (Hdt. IV 50, 1). fas€n hat in sprichwörtlichen Redensarten die Bedeutung von Àw fasin (so auch bei Lukian Cat. 14). toÁw polloÁw t«n pepaideum°nvn perielÆluyen: Die innerhalb der zweiten Sophistik für das Selbstverständnis der Intellektuellen zentrale Unterscheidung von Gebildeten (pepaideum°noi) und Ungebildeten (fidi«tai) ist auch bei Lukian ein öfter begegnendes Bewertungskriterium (u. a. Dom. 2, Lex. 24). In diesem Sinne kreist das Pamphlet Adversus indoctum einzig um das Thema echter und unechter, wahrer und angemaßter Bildung (paide€a), und auch in dieser Schrift werden zum einen die Eigenschaften der fidivte€a und der épeirokal€a verspottet (bes. Kap. 27), zum anderen die pepaideum°noi (Kap. 44, Gegensatz in 11 ofl Ùl€goi) als entscheidende Urteilsinstanz bestimmt. Unter den hier ironisch als pepaideum°noi titulierten Autoren sind also Leute ohne literarisches Verständnis zu verstehen, die fidi«tai, die der Kategorie der faÊlvw suggrãfontew (Kap. 6) zuzurechnen sind. Mit dem Perfekt perielÆluyen ist primär die Vorstellung totaler Umstrickung gegeben (vgl. Luct. 10), aber auch, vor dem Hintergrund der Abderitenerzählung in Kap. 1, der Aspekt epidemieartiger Verbreitung. par°paion: Das Verbum parapa€ein wird nicht selten absolut gebraucht (Bedeutung: „von Sinnen

sein“), so von Lukian selbst wiederholt (z. B. Tim. 17, Herm 27, Laps. 1, Harm. 3). Andernorts (Bacch. 8) markiert das den Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte bezeichnende Adjektiv pinutÒw den völligen Gegensatz zum Zustand berauschter Sinnenlosigkeit (parapa€ein). Der aus der Unterwelt angekommene, sich ausschließlich in Dichterzitaten aus Euripides und Homer mitteilende Menippos macht seinem Freund den Eindruck wunderlicher Verrücktheit (Nec. 1). Schon bei Aristophanes (Pl. 508) findet sich das Hendiadyoin lhre›n ka‹ parapa€ein, und Platon (Smp. 173 e) verbindet die Verba ma€nesyai und parapa€ein zu einer Sinneinheit (ähnlich bereits A. Pr. 1056–57). Hier markiert para- das Abirren vom Zustand mentaler Normalität, ebenso wie bereits in Kap. 1 der kollektive Wahnsinn der auf Tragödie ganz versessenen Abderiten als ein §w tragƒd€an parakine›n bewertet wurde. Die wechselweisen sprachlichen Bezüge unterstreichen das rhetorische Verfahren der parabolÆ. In Kap. 5 werden die des in der Rolle des Diogenes von Sinope auftretenden Autors als eines Arztes (fiatrÒw) bedürfenden Modehistoriker explizit auf dieselbe Stufe gestellt wie die verirrten Abderiten, wodurch der Eingangspassus eine abgerundete Form erhält. tå §n pos‹ taËta ... ı pÒlemow ı prÚw toÁw barbãrouw ka‹ tÚ §n ÉArmen€& traËma ka‹ afl sunexe›w n›kai: Das bereits in der klassischen Prosa und Dichtung begegnende Idiom tå §n pos€ bezeichnet

das unmittelbar vor einem Liegende, das Nächstliegende (Pl. Tht. 175 b, Th. III 97, 1, bei Lukian selbst Pseudol. 2, DMort. 25, 4; vgl. D. L. VI 28: épobl°pein m¢n prÚw tÚn ¥lion ka‹ tØn selÆnhn, tå dÉ §n pos‹ prãgmata parorçn, mit dem Diogenes von Sinope in den Mund gelegten Worten), auch

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überlagert von der spezifischen Konnotation der Gegenwart (JTr. 42, DMort. 13, 3, Hist. Conscr. 42 [der Gegensatz tå progegramm°na] und Nigr. 7 [gegenüber tå proelhluyÒta]). Lukian bezieht sich hier also auf die Ereignisse aus allerjüngster Vergangenheit, welche die im zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) kritisierten Autoren zu zeitgeschichtlichen historischen Darstellungen motiviert hatten. Der Anlaß für den Partherkrieg (161–166 n. Chr., Quellen und Diskussion kontroversieller Fragen bei Strobel 1994, 1317–1324, vgl. die Einleitung, Teil 1. 2) war der unter Ausnutzung der Schwäche Roms beim Regierungswechsel von Antoninus Pius auf Marc Aurel und Lucius Verus begonnene Angriff der Parther unter Vologaeses III. auf Armenien und die Ersetzung des hier bereits in den frühen 40er Jahren durch Rom eingesetzten Königs durch den Arsakiden Pacorus. Der kappadokische Legat M. Sedatius Severianus erlitt bei seinem Eingreifen noch im Jahr 161 n. Chr. in Armenien eine totale Niederlage (tÚ §n ÉArmen€& traËma). Von dem parthischen Feldherrn Osroes bzw. Chosroes bei Elegeia eingeschlossen beging er Selbstmord, sein Heer wurde vollständig aufgerieben (dazu Kap. 21 und 25–26). Unter der Siegesserie (afl sunexe›w n›kai) ist die Vielzahl an militärischen Erfolgen zu verstehen, welche unter dem Oberkommando des Lucius Verus seit 163 n. Chr. durch die Feldherrn Statius Priscus und C. Avidius Cassius zunächst in Armenien und dem seit dem Jahr 162 n. Chr. teilweise von Vologaeses besetzten Syrien (Einnahme von Artaxata, Sieg bei Sura, Einnahme von Dausara und Nicephorium), sodann in Mesopotamien (Einnahme von Edessa und Nisibis, Sieg bei Dura Europos, Einnahme von Seleukeia am Tigris und von Ktesiphon) errungen wurden. traËma in der Bedeutung „(totale) militärische Niederlage, Schlappe“ verleiht der Stelle bewußt evoziertes herodoteisches Kolorit, denn kein Autor verwendet das Wort so häufig wie Herodot (VI 132: tÚ §n Maray«ni tr«ma, VIII 27, 1: tÚ §n YermopÊl˙si tr«ma, IX 90, 1: §n Plataiªsi tÚ tr«ma, und öfter ohne Präpositionalausdruck). Weder Thukydides noch Xenophon gebrauchen traËma in dieser Bedeutung, wohl aber Arrian, und zwar in einem an Herodot erinnernden Passus (Arr. An. V 4, 5: tÚ .. traËma tÚ genÒmenon P°rsaiw §n tª Skuyikª gª). Bei Lukian selbst findet sich diese Wortbedeutung noch ein weiteres Mal, in dem nach 180 n. Chr. verfaßten Alexander; hier wird das durch ein Lügenorakel des Alexandros von Abonuteichos verursachte römische Desaster nachhaltig mit dem harten Wort traËma bezeichnet (Alex. 48: tÚ m°giston traËma to›w ≤met°roiw §g°neto). Daß die Bezeichnung der Gegner als „Barbaren“ (ı pÒlemow ı prÚw toÁw barbãrouw) eine Anspielung auf Arrian ist (so behauptet von Wirth 1964, 236–37), ist allerdings sehr unwahrscheinlich.

mçllon d¢ Youkud€dai ka‹ ÑHrÒdotoi ka‹ Jenof«ntew ≤m›n ëpantew, ka€, …w ¶oiken, élhy¢w êrÉ ∑n §ke›no tÒ „PÒlemow èpãntvn patÆr“, e‡ ge ka‹ suggraf°aw tosoÊtouw én°fusen ÍpÚ miò tª ırmª.

Youkud€dai: Thukydides, dessen Nachwirkung sich über einen Zeitraum von etwa 250 Jahren auf

den Bereich des historiographischen Genos – hervorzuheben sind Xenophon und insbesondere Polybios – und der Rhetorik (Hornblower 1995 verfolgt mögliche Spuren von Thukydideslektüre im Zeitraum vom 4. bis zum 2. Jh. v. Chr.) beschränkte, avancierte erst durch die hohe Wertschätzung des Attizismus als bevorzugtes Objekt der m€mhsiw im 1. Jh. v. Chr. zu einem Autor von klassischem Rang. Einen in besonderem Maße eingeschworenen Thukydidesanhänger attizistischer Provenienz kennen wir in der Person des T. Annius Cimber, der in Verg. Cat. 2, 2–3 als totus Thucydides, tyrannus Atticae febris apostrophiert ist (zur Datierung um 46 bzw. 45 v. Chr. Westendorp Boerma 1949, 26 und 33). Die Polemik Ciceros gegen die Modeströmung des Attizismus (zu Ciceros Attizismusverständnis Gelzer 1978, bes. 14–21) macht sich in erster Linie daran fest, daß gerade

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Thukydides von den Vertretern der literarischen Moderne als Vorbild für den öffentlichen Redner beansprucht wurde. Cicero, der selbst mehrfach durchaus Respekt für die gestalterischen Qualitäten des Thukydides bekundet, läßt diesen lediglich als ein Nachahmungsobjekt für den Historiker gelten, für den Prozeßredner hingegen sei er, wie er erklärt, ohne Nutzen (nur ein Beispiel: Brut. 83, 287: „Thucydidem“, inquit, „imitamur“. „Optime, si historiam scribere, non si causas dicere cogitatis”, vgl. Orat. 9, 30– 32, wo dessen Anhänger so wie bei Lukian im Plural als Thucydidios und Thucydidas erscheinen). Illustrativ für die hohe Wertschätzung des Thukydides eine Generation später im Rom des ausgehenden 1. Jhs. v. Chr. ist die apologetische Einleitung, die Dionysios von Halikarnaß seiner kritischen Thukydidesmonographie vorauszuschicken für nötig befand. In Th. 2 spricht er deutlich aus, daß er sich mit dieser seiner kritischen Haltung von der einhelligen Meinung der Allgemeinheit und im Besonderen der erlesensten Philosophen und Rhetoren unterscheide, o„ kanÒna t∞w flstorik∞w pragmate€aw §ke›non (sc. Youkud€dhn) Ípot€yentai tÚn êndra ka‹ t∞w per‹ toÁw politikoÁw lÒgouw deinÒthtow ˜ron. Dieser wendet sich aber zu Ende der Abhandlung nicht nur gegen eine zu große Bewunderung, sondern auch gegen zu große Ablehnung und nimmt eine ausgewogene Position ein (Kap. 55). In Kap. 42 nennt er, denn er betrachtet sein Objekt ja durchgehend unter dem primären Gesichtspunkt der m€mhsiw, die seiner Meinung nach gelungenen Reden des Thukydides, welche er als Modelle (mimÆmata) für die Historiker (flstoriografoËntew) empfehlen könne. Im Allgemeinen jedoch behandelt er Thukydides unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Redner und bezieht damit Stellung zu dem bereits durch Cicero dokumentierten Diskurs (Bonner 1939, 82–84). Der Gesichtspunkt des Nutzens für den Redner findet sich vorrangig bei all den Rhetoren, die Thukydides von da an die ganze Antike hindurch fast einhellig positiv bis bewundernd gegenüberstehen. Quintilian (Inst. X 1, 73) bereits räumt ihm gemeinsam mit Herodot den ersten Platz unter den Historikern ein, und Dion Chrysostomos (or. 18, 10) zählt ihn zu den erstrangigen Historiographen (t«n ... êkrvn Youkud€dhw §mo‹ doke›). Bei Lukian selbst (Lexiph. 22) wird Thukydides als einziger Vertreter der Gattung in einem Atemzug mit Platon genannt. Für Ps. Longinos (14, 1), der, für antike Schulrhetorik wegen des primär ästhetischen Zugangs eher untypisch, individueller bewertet als seine Kollegen im Metier der Literaturkritik, ist Thukydides gleichermaßen wie Homer, Platon und Demosthenes einer der Wegweiser zur megalofrosÊnh und Íchgor€a. In dieser Schrift Lukians figuriert Thukydides durchgehend als Paradigma für gegenstandsadäquate Methode und Darstellungskunst. Hervorgehoben wird sein sachliches Verfahren (Kap. 42 mit Bezug auf das Methodenkapitel, vgl. 5: ≥n tiw, …w ı Youkud€dhw fhs€n, §w ée‹ kt∞ma suntiye€h) nicht minder als die Angemessenheit seiner Darstellung (Kap. 54: Proömiumsgestaltung, Kap. 57: erzählerisches tãxow). In anderen Schriften Lukians jedoch wird Thukydides zwar mehrfach mit oder ohne Namensnennung zitiert und es werden Anleihen bei vereinzelten Stellen aus seinem Werk genommen (Par. 48 = Th. VI 54; Salt. 36 = Th. II 60, 5; Nav. 3 = Th. I 6, 3), doch auch da, wo er als Schriftsteller im eigentlichen Sinne ins Auge gefaßt ist (Lex. 22, Ind. 4, Jud. Voc. 9), sind die Nennungen eher unspezifisch, allgemein gehalten oder betreffen lediglich unwesentliche Details, während dessen unverwechselbare Methode und Erzählkunst nirgendwo sonst charakterisiert, diskutiert oder gar in ihrem spezifischen Eigenwert gewürdigt wird (die Thukydidesreminiszenzen in den Verae historiae sind allerdings vor dem Hintergrund der Methodenschrift zu verstehen, so zutreffend Bartley 2003). Dasselbe gilt gleichermaßen auch für Lukians Xenophonrezeption (vgl. weiter unten die übernächste Anmerkung). Zur innerantiken Bewertung des thukydideischen Geschichtswerkes nach sachlichen und stilistischen Gesichtspunkten ist bei dem Fehlen einer alle Einzelaspekte erfassenden Gesamtdarstellung immer noch wichtig Strebel 1935 mit den Ergänzungen durch Luschnat 1970, bes. 1258–1309. Zumindest

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für den Bereich Ägypten läßt sich die Thukydidesrezeption in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten nachvollziehen durch neue Papyri (dazu Malitz 1990, 341–345). Eine innerantike Rezeptionsgeschichte auf umfassender Basis stellt jedoch ein Desiderat dar; Ansätze dazu sind Canfora 2006, Nicolai 2006 und Hose 2006. In Kap. 15 dieser Schrift geht es um einen platten Thukydidesepigonen, der nur mit geringfügig modifizierten Versatzstücken aus Thukydides ohne jede Eigenständigkeit gearbeitet habe, bar jeglichen Verständnisses für die Vorzüge seines großen literarischen Vorbilds. ÑHrÒdotoi: Bei den Historikern des 4. Jhs. v. Chr. läßt sich in jeweils unterschiedlicher Weise

herodoteischer Einfluß nachweisen. Zumindest Xenophons Umgang mit Herodot, der sich etwas besser beurteilen läßt, geht über bloße sprachliche Reminiszenzen deutlich hinaus. Besonders in der Kyrupädie bedient er sich einer den Bekanntheitsgrad des Vorgängers verdeutlichenden Technik der Anverwandlung gleichermaßen wie der schöpferischen Umgestaltung herodoteischer Motive und Erzählelemente. Obwohl Xenophon, wie bereits Thukydides vor ihm, nirgendwo in seinem Werk explizit den Namen Herodot nennt, so war doch bereits antiker Stilkritik bewußt, daß er sich in Konkurrenz zu Herodot verstand. In diesem Sinne nennt ihn Dionysios von Halikarnaß in der Schrift per‹ mimÆsevw (B VI 3, 426 Usener / Radermacher VI 2, 208, Z. 1–2 und Pomp. 4) sowohl im stofflichen als auch im stilistischen Bereich einen Nacheiferer Herodots (ÑHrodÒtou zhlvtÆw). Die von Xenophon vermiedene Direktheit in der Kenntlichmachung des Vorbilds findet sich in überreichem Maße bei Ktesias von Knidos, der versuchte, durch Polemiken die Autorität des großen Vorgängers zu erschüttern (FGrH III C 688 T 8 = Phot. Bibl. 72 p. 35 b 35): sxedÚn §n ëpasin éntike€mena ÑHrodÒtƒ flstor«n, éllå ka‹ ceÊsthn aÈtÚn épel°gxvn §n pollo›w, ka‹ logopoiÚn épokal«n. Während der respektvoller mit Herodot umgehende Ephoros sich gerne rationalistischer

Umdeutungen übernatürlicher Erklärungsmodelle, wie er sie bei seinem Vorgänger vorfand, bediente, provozierte Theopompos durch seine ehrgeizige und erklärtermaßen mit Herodot und anderen Autoritäten konkurrierende Art, mit der er deklarierte mËyoi in sein Geschichtswerk integrierte (Str. I 2, 35 = C 43: YeÒpompow d¢ §jomologe›tai fÆsaw, ˜ti ka‹ mÊyouw §n ta›w flstor€aiw §re›, kre›tton µ …w ÑHrÒdotow ka‹ Kths€aw ka‹ ÑEllãnikow ka‹ ofl tå ÉIndikå suggrãcantew), eine Kritik, wie sie bei Cicero (Leg. I 1, 5) und anderen Kritikern öfter faßbar ist (Wardman 1960, 406). Ciceros bekannte Bemerkung über die innumerabiles fabulae bezieht sich explizit sowohl auf Herodot als auch auf Theopompos. Dessen besonderes Verhältnis zu Herodot zeigt sich u. a. auch darin, daß er eine Epitome aus dessen umfangreichem Werk (eine §pitomØ t«n ÑHrodÒtou flstori«n) in zwei Büchern verfaßte (FGrH II B 115 Fr. 1–4, eine mögliche Begründung dafür bei Malitz 1990, 336 mit Anm. 49), womit er zum Begründer der bis dahin unbekannten Gattung der Epitome wurde (vgl. aber Christ 1993, der dies in Frage stellt und die Epitome als einen Teil der Philippika verstanden wissen möchte). Unter den Philosophenschulen zeigt sich der Peripatos stärker als die Akademie an Herodot interessiert. Doch auch Aristoteles setzt sich nicht mit der historiographischen Methode Herodots auseinander (der Aristoteles zugeschriebene und nur in einer lateinischen Übersetzung erhaltene liber Aristotelis de inundacione Nili bezeichnet Herodot immerhin als einen fabularum scriptor, Fr. 248 Rose 196, Z. 8), sondern bezieht sich, mehrfach auch in polemischem Ton, auf ihn lediglich hinsichtlich sachlicher Details, die ihn im Kontext seiner eigenen naturwissenschaflichen und geographisch– ethnographischen Forschungen interessieren. Nur gelegentlich nennt er bei derlei Gelegenheiten den Namen Herodots. Ansonsten nimmt er ihn bloß in formaler Hinsicht wahr. Herodot gilt ihm als Vertreter des parataktischen Stils, der l°jiw efirom°nh, und der damit verbundenen altertümlichen Redeweise, der érxa€a l°jiw (Rh. III 9, 1409 a 27). Er dient Aristoteles auch als Anschauungsobjekt zur Illustration des Umstandes, daß selbst eine Umsetzung in Verse dem Werk nicht den Charakter

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von Geschichtsschreibung (flstor€a) nehmen würde (Po. 9, 1451 b 2). Theophrast läßt mit Herodot und Thukydides eine reicher ausgestattete Art von historiographischer Darstellung beginnen (Cic. Orat. 12, 39). Im Hellenismus schließlich erlangte Herodot den Rang eines kanonischen Autors (zu der hellenistischen Herodotrezeption in Philologie, Dichtung und Ethnographie Murray 1972), und seine Rezeption in den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten gemeinsam mit dem zweiten Klassiker Thukydides ist zumindest für Ägypten nun durch Papyri bezeugt (Malitz 1990, bes. 341–345). Aristarchos aus Samothrake schrieb einen Kommentar über sein Werk, und in der pergamenischen Bibliothek des Eumenes II. wurde eine Porträtbüste von ihm aufgestellt. Dementsprechend wurde er in allen Bereichen der Literatur rezipiert, in Dichtung ebenso wie in Prosa. Daneben treten aber Polemiken gegen Herodots sachliche Unzuverlässigkeit immer stärker hervor, bei Eratosthenes und Apollodoros von Athen (Reflexe davon wohl bei Str. XI 6, 3 = C 508; XVII 1, 52 = C 818–819 und XII 3, 21 = C 550), bei Hekataios von Abdera (greifbar bei D. S. I 69, 7) und bei Manethon (J. Ap. I 14, 73). Kaiserzeitliche Literaturkritik schließlich betrachtet Herodot im Wesentlichen unter drei Gesichtspunkten (herausgearbeitet von Riemann 1967, 70–126), a) seinem Verhältnis zu den Vorgängern bzw. Zeitgenossen (D. H. Th. 5 [dieses Zeugnis wird in Arbeiten neueren Datums gegenüber Jacoby, der in den érxa›oi suggrafe›w lediglich Verfasser von Lokalchroniken erblicken wollte, in seinem Quellenwert wieder ernst genommen, so von Toye 1995 und Fowler 1996], Hermog. Id. II 12 Spengel II 423, Z. 22–424, Z. 9, Cic. Leg. I 1, 5 und de Orat. II 13, 55), b) seinem Verhältnis zu Homer (D. H. Pomp. 3, Longin. 13, 3, Demetr. Eloc. II 112 zielt wohl auch in erster Linie auf Homer), und c) sie stellt Homer und Thukydides synkritisch einander gegenüber (D. H. Pomp. 3, Cic. Orat. 12, 39, Quint. Inst. X 1, 73). Doch keiner dieser Autoren setzt sich ausführlicher und anerkennender mit Herodot auseinander als sein ihm freundlich gegenüberstehender Landsmann Dionysios von Halikarnaß (besonders Pomp. 3), der hinsichtlich Themenwahl, stofflicher Ökonomie, Variationsreichtum und ethischer Einstellung seinem Gegenstand gegenüber Herodot weit über Thukydides stellt. Die Gegenposition dazu vertritt Ps. Plutarch (diese Schrift dürfte, wie gegenüber der aktuellen communis opinio in der Forschung zu vermuten ist, nicht echt sein) in der höchst polemischen Schrift De Herodoti malignitate (zu dem nicht immer gerade seriösen Umgang mit dem Text Herodots vgl. Brunt 1980, 479–480), die Herodot einzig eine faszinierende Darstellungskunst zugestehen will. Seit der Spätklassik sind immer wieder Geschichtsschreiber unterschiedlicher Prägung faßbar, die ihre Werke in ionischem Dialekt abfaßten und sich damit in die herodoteische Tradition stellten (zu diesem sogenannten Pseudo–Ionism ist ergiebig Lightfoot 2003, 91–97). Als der zeitlich früheste dieser Autoren ist wohl Agathokles von Kyzikos (FGrH III B 472) anzusehen, der eine Lokalgeschichte seiner Heimatstadt Kyzikos schrieb (der ionische Dialekt ist in direkter Form überliefert in Fr. 1 a und Fr. 4), welche im 5. Jh. v. Chr. bzw. im Anfang des 4. Jhs. v. Chr. entstanden sein dürfte. In das 4. Jh. v. Chr. sind auch die Lukiakã des Menekrates von Xanthos (FGrH III C 769) zu datieren. Unter Kaiser Hadrian (dies stellt Stertz 1993, 623 kaum plausibel in Frage) schrieb Kephalion (FGrH II A 93, dazu Hose 1994, 463–469) eine Geschichte von Ninos und Semiramis an bis hin zu Alexander. Seine Herodotimitatio bekundete er nicht bloß durch Verwendung des ionischen Dialekts, sondern auch dadurch, daß er seine neun Bücher in Eigenregie mit den Namen der neun Musen überschrieb (zur nachträglichen Benennung von Herodots Büchern nach den Musen vgl. den Kommentar zu Kap. 42: mãlista yaumazÒmenon tÚn ÑHrÒdoton êxri toË ka‹ MoÊsaw klhy∞nai aÈtoË tå bibl€a). In der Zeit der Antonine schrieb Abydenos (FGrH III C 685) seine über das Exzerpt des Alexander Polyhistor

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(aus Berossos) in letzter Konsequenz auf Berossos zurückgehende chaldäische Geschichte, deren ionischer Dialekt wegen verhältnismäßig umfangreicher Fragmente relativ exakt bestimmbar ist. Ein noch besseres Anschauungsbeispiel bietet Arrians ÉIndikÆ (der in ethnographischen Darstellungen auch sonst in dieser Zeit zum Standard gehörende ionische Dialekt ist für Arrians Indike untersucht von Roos 1927), die, da eine Kombination von geographisch–ethnographischer Darstellung mit dem Genre des parãplouw, für die Verwendung eines ionischen Dialekts herodoteischer Prägung prädestiniert erscheint (herodoteische Elemente sind bei Arrian auch sonst ständig präsent, besonders in dessen Anabasis, dazu Grundmann 1884, und insgesamt erscheint Arrians Werk als a stylistic amalgam, ... but nevertheless Arrian’s personal creation, so Bosworth 1993, 274). Demgegenüber fand im 3. Jh. n. Chr. auch die Darstellung von große Zeiträume umfassenden Geschichtswerken in ionischem Dialekt ihre Vertreter. Asinius Quadratus (FGrH II A 97, Bowersock 1965, 146 stellt ihn in die mit Polybios beginnende Reihe griechischer Historiker mit Beziehungen zu Rom, hypothetisch zu seiner Person Herrmann 1993, 262, Anm. 98 und Brandt 1994, 80) schrieb in diesem Sinne eine 15 Bücher umfassende Geschichte des tausendjährigen römischen Reiches unter dem Titel Xiliethr€w (dazu Zecchini 1998, bes. 3014–18) unter Alexander Severus oder spätestens unter Philippus Arabs, in dessen Regierungszeit die Milleniumsfeier Roms (248 n. Chr.) fiel. Ebenfalls in ionischem Dialekt geschrieben war die von Augustus bis zum Tod des Carus im Jahr 283 n. Chr.reichende römische Kaisergeschichte, die Eusebios (FGrH II A 101) unter Diocletian schrieb. Aus dieser Übersicht wird klar, daß mit dem skommatisch–lehrhaften Teil dieser Schrift (vgl. Kap. 14: ka‹ ≥rjatÒ ge t∞w flstor€aw oÏtvw ktl, Kap. 16: ka‹ ˜ti érjãmenow §n tª ÉIãdi grãfein ktl und besonders Kap. 18 sowie dazu die jeweiligen Kommentare) ein neues Kapitel in der Herodotimitatio sichtbar wird. Denn aktuelle Militärgeschichte nicht nur in ionischem Dialekt, sondern darüberhinaus auch unter kritikloser Kopierung herodoteischer Eigentümlichkeiten in Diktion und Gedankenführung stellt, soweit sich dies angesichts der fragmentarischen Überlieferungslage beurteilen läßt, jedenfalls ein Novum dar. Natürlich ist das Phänomen einer solchen künstlichen Wiederbelebung des nicht mehr in lebendigem Gebrauch stehenden ionischen Dialektes im Zusammenhang mit einem alle alten literarischen Dialekte umfassenden künstlichen Archaismus zu sehen, der besonders im 2. Jh. n. Chr. bestrebt war, die Morphologie, die Syntax, und vor allem das Vokabular des Ionischen, Dorischen, und ganz besonders aber des Attischen zu reaktivieren (zu diesem Kontext Schmitz 1997, bes. 67–75). Vielleicht läßt sich auch Appian zumindest innerhalb gewisser Grenzen in die Reihe der Herodotimitatoren einreihen (zum sprachlichen Befund Zerdik 1886, 3–48), wie dies Hose 1994, 339–340 angeregt hat. Zum Thema: Riemann 1967, Evans 1968, Marincola 2001, 58-60; die jüngste Arbeit zur Herodot-Rezeption ist Hornblower 2006, mit älterer Literatur. Jenof«ntew: Xenophons historische Werke fanden schon bald nach ihrer Publikation Beachtung

insbesondere in der Schule des Isokrates, namentlich bei Theopompos und Ephoros. Kritik wird geäußert in den Hellenika aus Oxyrhynchos und bei Kallisthenes. Als Sokratiker hingegen fand er im 4. Jh. v. Chr. noch kaum Aufnahme, wofür u. a. der Umstand spricht, daß weder Platon noch Aristoteles ihn jemals zitieren. Dieses Bild änderte sich aber im Hellenismus durch die eifrige Rezeption vonseiten der Kyniker (Onesikritos, Teles, Menippos von Gadara) und insbesondere der Stoiker, die in erster Linie das Bild des sokratischen Philosophen in Rom heimisch machten, wo Xenophon seit Cato nachweislich ein überaus beliebter Autor war. Cicero übersetzte den Oikonomikos (Off. II 24, 87) und schätzte, ebenso wie Caesar (Suet. Jul. 87) und andere römische Staatsmänner auch (Bsp. Scipio Africanus: Cic. Q. fr. I 1, 23), die Kyrupädie, die man zu Xenophons sokratischen Schriften rechnete. Cicero sind auch die meisten historischen Werke Xenophons

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bekannt. In der Schrift De oratore (II 12, 51–15, 65) läßt er Antonius zur Demonstration von dessen umfassender Bildung einen aufschlußreichen Exkurs über griechische und römische Geschichtsschreibung halten. Und in diesem Zusammenhang (de Orat. II 14, 58) fällt Antonius das Urteil, Xenophon fehle zwar im Gegensatz zu Kallisthenes der rednerische Schwung (impetus oratoris), doch sei er in der Diktion gefälliger (dulcior). Zu vergleichen ist Cic. Brut. 35, 132, wo Xenophon, wohl mit Bezug auf die Anabasis, als Exponent des molle genus sermonis charakterisiert ist. Nach Ciceros Ansicht ist Xenophon ebenso wie Thukydides von keinem Nutzen für den Redner. Das ist dann explizit ausgesprochen von Quintilian (Inst. X 1, 33), der Xenophon überhaupt unter die Philosophen reiht (Inst. X 1, 81), was er bei seiner Aufzählung der Historiker so begründet (Inst. X 1, 75): Xenophon non excidit mihi, sed inter philosophos reddendus est. Das ist insoferne ziemlich auffällig, als der Attizismus Xenophon bereits als Historiker wiederentdeckt hatte. So stellte Dionysios von Halikarnaß auf Grundlage von Kyrupädie, Anabasis und Hellenika einen Vergleich zwischen Xenophon und Herodot an, bei dem Xenophon, der ÑHrodÒtou zhlvtÆw, nur im Bereich der l°jiw hinter seinem großen Vorbild zurückbleibt (D. H. Pomp. 4). Dies blieb ein typisches Urteil für die griechischen Rhetoren auch noch der drei nachfolgenden Jahrhunderte, die bei aller Anerkennung von Xenophons schriftstellerischen Qualitäten doch gerne ein Gran Salz in ihre Beurteilung einzumischen pflegten. Uneingeschränkte Verehrung für Xenophons mustergültige Behandlung jeder Gattung von Reden spricht aus der in diesem Kontext lesenswerten 18. Rede des Dion Chrysostomos (Kap. 13–17). Für die Zwecke eines énØr politikÒw reiche, so die leicht verständliche Botschaft dieses Passus, Xenophon alleine von all den Klassikern schon aus (Kap. 14: Jenof«nta d¢ ¶gvge ≤goËmai éndr‹ politik“ ka‹ mÒnon t«n palai«n §jarke›n dÊnasyai). Dion reiht Xenophon nicht unter die Historiker ein, die in Kap. 10 derselben Rede durch Herodot, Thukydides, Theopompos und Ephoros vertreten sind, sondern unter die Sokratiker (Kap. 13). Und in diesem Sinne verfährt auch Diogenes Laertios (II 48–59, bes. 48: flstor€an filosÒfvn pr«tow ¶grace). Neben Platon wird Xenophon auch gereiht von Ps. Longinos (4, 4). Insgesamt war Xenophon im Zeitraum vom ersten bis zum dritten Jh. n. Chr. einer der meistgelesenen griechischen Autoren und zentraler Gegenstand rhetorisch-literarischer Ausbildung und Bildung. Als Sokratiker wurde er neben Platon gestellt, als Historiker neben Thukydides und Herodot. In stilistischer Hinsicht galt er als der Hauptvertreter der schlichten Stilart (éf°leia, ein Beispiel: Hermog. Id. II 12 Spengel II 418, bes. Z. 10–17), im Rang gleich neben Herodot. Die Xenophonrezeption erreichte ihre intensivste Ausprägung bei Arrian (ausgewogene Gesamtcharakteristik bei Stadter 1980), der sich als ein n°ow Jenof«n dem Vorgänger hinsichtlich Lebensführung und Interessen eng verwandt fühlte; Belege bei Bosworth 1980, I 6–7 und Bosworth 1993 passim; Stadter 1967 geht so weit, anzunehmen, Arrians vollständiger Name sei Flavius Arrianus Xenophon gewesen; und Reardon 1971, 213 mit Anm. 51 zeigt sich durchaus geneigt, Stadter zu folgen, doch ist dies unwahrscheinlich, so zu Recht Bosworth 1993, 273, Anm. 230 und Devine 1993, 314–315. Ameling 1984 kann anhand einschlägiger Quellen nachweisen, daß NEOS in der Verbindung mit dem Namen einer angesehenen Person der Vergangenheit ein Ehrentitel ist. So wie Xenophon in der Kaiserzeit überwiegend als der Philosoph wahrgenommen wurde, so weisen auch zwei zeitgenössische Inschriften Arrian als Philosophen aus (die Belege bei Devine 1993, 314, Anm. 7). Daß Lukian jedoch bei der Nennung des Namens Xenophon eine ganz bewußte Assoziation zu Arrian wachrufen wollte (so Wirth 1964, 236, ihm folgend u. a. Ameling 1984, 119, Anm. 7), ist kaum anzunehmen, sogar eher unwahrscheinlich.

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Literarische Reminiszenzen lassen sich in Rhetorik, Philosophie, Geschichtsschreibung und fachwissenschaftlicher Literatur nachweisen. Lukians Xenophonrezeption ist typisch für die der Sophisten des zweiten Jhs. n. Chr. In Somn. 17 verweist er beispielsweise auf den als allgemein bekannt vorausgesetzten (‡ste går) Traum Xenophons (An. III 1, 11), in Im. 10 auf die Pantheia der Kyrupädie (Cyr. bes. V 1, 2–18; VI 4, 2–11). Wie Lukian sich eine gelungene m€mhsiw vorstellt, das demonstriert der Vergleich von Somn. 5–16 mit der xenophontischen Gestaltung der Prodikos– Fabel von Herakles am Scheideweg (Mem. II 1, 21–34). In Kapitel 23 dieser Schrift findet sich eine Kritik an urteilslosen Imitatoren des Anabasiseingangs, und in Kap. 39 stellt der Autor Lukian, der Xenophon einzig in der Methodenschrift unter dem Aspekt seiner historiographischen Qualitäten in Erscheinung treten läßt (ähnlich verfährt er mit Thukydides, vgl. dazu weiter oben den Kommentar zu Youkud€dai), diesen neben Thukydides als Muster eines durchgehend dem Parameter der Wahrheit (élÆyeia) verpflichteten Historikers (d€kaiow suggrafeÊw). Und mit dieser Einschätzung zu vergleichen ist eine sehr aussagekräftige Stelle bei Diodor (I 37, 4), wo dieselben beiden Historiker charakterisiert werden als §painoÊmenoi katå tØn élÆyeian t«n flstori«n. In den unechten makrÒbioi 21 ist Xenophon jedoch zu den Philosophen gerechnet. Zur innerantiken Rezeption Xenophons grundlegend ist nach wie vor die umfassende Arbeit Münschers 1920, eine knappe, aber informative Darstellung findet sich bei Breitenbach 1967, 1895–1905. Eine erneute Gesamtdarstellung des Themas stellt ein Desiderat in der Forschung dar. élhy¢w êrÉ ∑n §ke›no tÒ „PÒlemow èpãntvn patÆr“, e‡ ge ka‹ suggraf°aw tosoÊtouw én°fusen ÍpÚ miò tª ırmª: Das bekannte und mit der für Lukian typischen Freiheit beim Zitieren wiedergegebene Heraklitfragment (DK I 22 Fr. 53) lautet: PÒlemow pãntvn m¢n patÆr §sti, pãntvn d¢ basileÊw, ka‹ toÁw m¢n yeoÁw ¶deije toÁw d¢ ényr≈pouw, toÁw m¢n doÊlouw §po€hse toÁw d¢ §leuy°rouw.

Andernorts (Icar. 8) legt Lukian, ebenfalls ohne Namensnennung, die Pointe auf den unfriedlichen Charakter des Philosophen, den er ansonsten (Vit. Auct. 13–14, Sacr. 9) dem lachenden Demokritos als gegensätzlich geartet gegenüberstellt, hin an (Sprecher ist Menippos: ßterow d° tiw oÈk efirhnikÚw énØr pÒlemon t«n ˜lvn pat°ra e‰nai §dÒjazen). Wenn der Autor Lukian hier den Krieg den Vater von allem nennt, so ist dies insoferne durchaus auch wörtlich zu nehmen, als nach langer Zeit weitgehenden Friedens im gesamten imperium Romanum nun wieder ein Krieg die mittlerweile brach liegende Zeitgeschichtsschreibung zu neuem, wenn freilich auch wenig rühmlichem Leben erweckte. Und angesichts des Umstandes, daß seit Hadrians Regierungsantritt (117 n. Chr.) im Osten des Reiches Friede geherrscht hatte (zuletzt hatte hier Trajan den Partherkrieg geführt), stellt Forte 1972, 418 zu Recht fest: ... there had been no foreign war in the Greek East for fifty years and no major war for a century. Ancient history fed on war, and the pax Romana had deprived generations of historians of the chance to exercise their critical faculties on accounts of current events. Und so gilt für die parthische Geschichte, daß das Fehlen einer militärischen Aktivität aus heutiger Sicht Wissenslücken entstehen läßt; Debevoise 1938, XXVIII kann daher in seiner Untersuchung der griechischen und nichtgriechischen Quellen zur Parthergeschichte konstatieren: From the time of Crassus onward classical sources are extensive, though, for years when no military activity aroused interest, large gaps appear. Das Idiom ÍpÚ miò tª ırmª („mit einem Schlage“, „auf einmal“) findet sich nur bei Lukian, der es auch in Anach. 26 verwendet, um den Gegensatz zu katå mikrÒn („nach und nach“) zu bezeichnen. Geläufiger ist das erstmals bei Thukydides (VII 71, 6) bezeugte Idiom épÚ miçw ırm∞w (Plb. X 35, 3; D. S. XI 46, 5; Plu Dio 27, 4), dem vom Sinngehalt her §k miçw ırm∞w (Plu Mar. 11, 4: „auf einmal“ in explizitem Gegensatz zu „nach und nach“) entspricht. Lukian verwendet die Präposition ÍpÒ + Dativ mit der sonst innerhalb der griechischen Prosaliteratur verhältnismäßig selten begegnenden kausalen Konnotation in der Bedeutung von: „unter Einwirkung von“, „infolge von“ (so auch Dips.

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2: talaipvroÊmena ÍpÚ poll“ ka‹ Ùje› t“ ≤l€ƒ, dem kommt im Sinn nahe Phal. II 8). Mit dem Verbum énafÊein („aufschießen lassen“) ist die Produktion einer großen Fülle zu assoziieren (JTr. 19, so bereits Pl. Plt. 272 a), aber auch der hier durch ÍpÚ miò tª ırmª explizit gemachte Aspekt der Raschheit ebenso wie eine manchmal auch durch den Kontext hervortretende despektierliche Note (besonders deutlich bei Plu Arist. 26, 1: §jubr€santa tÚn d∞mon énafËsai pl∞yow sukofant«n). suggrafeÊw bezeichnete ursprünglich (Pl. Phdr. 278 e und 235 c) ganz allgemein den Prosaschriftsteller im Gegensatz zu dem Dichter (poihtÆw). Innerhalb der Geschichtsschreibung findet sich das Substantiv ı suggrafeÊw bei Xenophon (HG VII 2, 1) speziell zur Bezeichnung des Historikers, danach häufig bei Polybios, sodann insbesondere bei attizistischen Literaturkritikern. In diesem Sinne spricht auch Lukian vom Geschichtsschreiber regelmäßig als von einem suggrafeÊw (wie im Titel der Schrift verwendet er auch sonst für das Verfassen eines Geschichtswerkes die stereotype Junktur flstor€an suggrãfein). Daß es eine Mehrzahl an Historikern gab, die über Marcus Aurelius und Lucius Verus schrieben, das bezeugen im übrigen Herodian (I 2, 5) und die Verusvita in der Historia Augusta (HA, vit. Ver. 1, 1).

Kapitel 3 Kapitel 3 übt durch Einführung des Diogenes von Sinope mittels einer bezeichnenden Anekdote innerhalb des Schriftganzen eine wichtige Funktion aus. Der solcherart als Paradigma aufgerufene prototypische Kyniker bereitet nämlich auf die Rolle vor, welche der Autor Lukian für die Zwecke dieser Schrift im Folgenden einnehmen wird. Bereits im 4. Kapitel wird dieser das Abfassen der vorliegenden Lehrschrift vom Autor-Ich damit begründen lassen, daß es angesichts dermaßen großer literarischer Aktivitäten nicht als einziger stumm bleiben wolle. So wie der von der literarischen Überlieferung gezeichnete Diogenes, so wird auch der Autor später die Rolle eines Arztes einnehmen (Kap. 5), einen Rat erteilen (bes. Kap. 4–6 und 34–36, in diesem Fall tritt das Autor-Ich stärker hervor) und vor allem mit der Pose auftreten, sich gar nichts daraus zu machen, wenn dieser sein Rat nicht angenommen werden würde (Kap. 5 und 63). Und eben in diesem Sinne wird der Schlußsatz dieser Schrift (Kap. 63: ... efi d¢ mÆ, kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ) die eingangs Diogenes von Sinope in den Mund gelegten Worte (Kap. 3: Kul€v ... kég∆ tÚn p€yon) sinnreich wieder aufnehmen. Mit der Rolle des Diogenes ist im übrigen auch die Möglichkeit zur Konstituierung einer kynischen Metaebene gegeben, zumal im Kontext des ethischen Anforderungsprofils für den Historiker (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 3). Schließlich noch eine Beobachtung zur literarischen Form. Die Worte, die Diogenes hier in den Mund gelegt sind, stellen ein typisches Apophthegma (mit der Angabe von Urheber und Anlaß) dar und gehören als solches wesentlich dem Diatribenstil an (Bultmann 1910, 42), der auch im paränetischen Brief zumindest teilweise Verwendung findet.

TaËta to€nun, Œ filÒthw, ır«nta ka‹ ékoÊontã me tÚ toË Sinvp°vw §ke›no efis∞lyen: ıpÒte går ı F€lippow §l°geto ≥dh §pelaÊnein, ofl Kor€nyioi pãntew §tarãttonto ka‹ §n ¶rgƒ ∑san, ı m¢n ˜pla §piskeuãzvn, ı d¢ l€youw paraf°rvn, ı d¢ Ípoikodom«n toË te€xouw, ı d¢ ¶paljin Íposthr€zvn, ı d¢ êllow êllo ti t«n xrhs€mvn Ípourg«n.

Œ filÒthw: Zu dem Adressaten Philon und den Anredeformen in dieser Schrift vgl. den Kommentar zu Kap. 1: Œ kal¢ F€lvn. Dieser Philon wird einzig hier angesprochen mit der Formel Œ filÒthw,

die innerhalb klassischer Literatur lediglich bei Platon vorkommt, nämlich im Einleitungsteil zum

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Phaidros (Phdr. 228 d: Sprecher ist Sokrates), und dann erst wieder im 2. Jh. n. Chr. (z. B. Ath. IX 367 f und X 445 f), bei keinem Autor häufiger als bei Lukian, der die Formel mit Vorliebe in den Einleitungen und Schlußteilen seiner Schriften einsetzt (Merc. Cond. 1, Nec. 1, Alex. 61, Salt. 85, Herm 85). tÚ toË Sinvp°vw §ke›no: Bereits der diese Schrift einleitende Genetivus absolutus (Kap. 1: Lusimãxou ≥dh basileÊontow) und die mit dem Einsatz eines Exempels operierende Erzählform in

Kapitel 1 hatten dem Eingangspassus der Schrift eine gewisse Stilisierung im Sinne des Diatribenstils verliehen. Es macht daher keinerlei Mühe, hinter dem Attribut ı SinvpeÊw (zur Herkunft des Diogenes D. L. VI 20) sogleich den typischen Exponenten kynischer Lebensführung zu erkennen, wenn auch der Name Diogenes erst vier Zeilen weiter unten nachgereicht wird. Eine solche Benennung des Diogenes einfach als ı SinvpeÊw findet sich auch in anderen Schriften Lukians, und zwar immer dann, wenn der Zusammenhang eine eindeutige Identifizierung erlaubt. So ist in Peregr. 5 der Mann aus Sinope gemeinsam mit seinem namentlich genannten Lehrer Antisthenes erwähnt, und in Demon. 5 wird Diogenes, eine der vorbildhaften Lehrerpersönlichkeiten des idealen Kynikers Demonax, als ı SinvpeÊw bezeichnet. Andernorts (Pseudol. 19) hat die Erwähnung der legendären „Tonne“ (p€yow) dieselbe Funktion, nämlich die Identität des Besitzers unmißverständlich anzuzeigen. Es ist daher zunächst zu fragen, wie Lukian in anderen Schriften die Person des Diogenes in Erscheinung treten läßt. Sowohl in der Vitarum auctio als auch in den dieser Schrift nachfolgenden Revivescentes sive piscator vertritt Diogenes als Sprecher die Kyniker in ihrer Gesamtheit. Wenn der Autor Lukian ihm da auch manch burlesken Zug beilegt, so bleibt doch als Faktum bestehen, daß Diogenes zumindest als der markanteste unter den Begründern der kynischen Schule erscheint. Überhaupt nimmt, so ist anzumerken, bei Lukian unter der prominenten Kynikertrias (nämlich Antisthenes, Diogenes und Krates in chronologischer Reihenfolge) Diogenes die führende Position ein (so z. B. Fug. 16 im Gegensatz zur chronologischen Reihung in Kap. 11, vgl. Pisc. 23). Mit der Dialogform und dem Thema dieser beiden Schriften (Vitarum auctio und Revivescentes sive piscator) ist, wie bei Lukian auch nicht anders zu erwarten, eine wenig ernsthafte Charakterisierung des Diogenes und anderer Philosophen vorgegeben. Anders verhält es sich jedoch im Kontext der Darstellung des Demonax in monographischer Form. Als dem einzigen Beispiel eines zeitgenössischen Kynikers von idealtypischem Format widmet Lukian diesem in seinem Demonax ein eigenes uneingeschränktes Enkomion. Der auf den Spuren des Sokrates und des Diogenes (Demon. 5) wandelnde Demonax wird hier als kan≈n bzw. parãdeigma für nacheifernde Bemühung (zÆlvsiw) gerühmt (Demon. 2). Generell läßt sich feststellen, daß Lukians Spott natürlich nicht so sehr den Häuptern der verschiedenen Philosophenschulen gilt, als vielmehr all den zahlreichen zeitgenössischen pseudophilosophischen Scharlatanen, die sich mit ihrer dünkelhaften Anmaßung in der Öffentlichkeit produzieren und dadurch die Philosophie zu einem einträglichen Geschäft degradieren. Einen wichtigen Teil der Kritik an den genannten Entartungserscheinungen zeitgenössischer Philosophie nimmt bei Lukian die Kynikersatire (dazu Nesselrath 1998) ein (bes. De morte Peregrini und Fugitivi). Im Wesentlichen ist es Lukian demnach darum zu tun, die große Kluft aufzuzeigen, die sich zwischen all diesen philosophischen Gauklern und den Vertretern des wahren Kynismos auftut, auch wenn er sich freilich in der für ihn typischen Weise die Freiheit nimmt, auch diese in entsprechenden Kontexten in burlesker Weise in Erscheinung treten zu lassen. Für Epiktet (III 22: per‹ kunismoË) hingegen gilt Diogenes schlechthin und ohne jede Einschränkung als der idealtypische Repräsentant des unverfälschten Kynismos. Zur literarischen Form der Anekdote: Da Kyniker über kein mit anderen Philosophenschulen vergleichbares theoretisches System verfügen (Jul. Or. 6, 186 b–c: deren suggrãmmata sind nicht metã tinow spoud∞w verfaßt, sondern metå paidiçw), so ist für den

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Anhänger des Kynismos im Wesentlichen das praktische Vorbild der großen Lehrmeister, besonders das des Diogenes, oberste und einzige Norm (vgl. dazu Billerbeck 1978 passim). Dementsprechend besteht auch die literarische Überlieferung in der Hauptsache aus Anekdoten (zur Hauptquelle D. L. VI 20–81 wichtig von Fritz 1926, 1–97, bes. 1–63, generell zu den Anekdoten des Diogenes Overwien 2005), welche bald mit Athen, bald mit Korinth verknüpft sind, wo sich bekanntlich Diogenes nach dem Tod seines Lehrers je nach den Jahreszeiten wechselweise aufhielt (Plu Quomodo quis suos in virtute sentiat profectus 6, 78 d; D. Chr. or. 6, 1–2). ıpÒte går ı F€lippow §l°geto ≥dh §pelaÊnein, ofl Kor€nyioi pãntew §tarãttonto ka‹ §n ¶rgƒ ∑san: Damit nimmt Lukian auf die Ereignisse im Vorfeld der Entscheidungsschlacht bei Chaironeia

(August 338 v. Chr., zu dem Jahrzehnt vor Chaironeia Wüst 1973, Nachdruck von 1938, zuletzt Lehmann 2004, 109-180) Bezug. Die politischen Aktivitäten des Demosthenes hatten im März 340 v. Chr. zu der Gründung des als Gegenwehr gegen die bedrohliche Expansionspolitik Philipps II. v. Makedonien bestimmten Hellenischen Bundes geführt (wichtigste Quellen: D. or. 18, 237; Aeschin. or. 3, 94–98). Demosthenes zufolge gehörten u. a. auch die Korinther dem Bund an, von denen er in der dritten philippischen Rede (or. 9, 34, Juni 341 v.) bereits gesagt hatte, daß deren Kolonien Ambrakia und Leukas von Philipp bedroht worden wären. Demgegenüber fehlen die Korinther gemeinsam mit Leukas und Korkyra im Bericht des Aischines. Dem Verfasser des pseudolukianischen Dhmosy°nouw §gk≈mion (Kap. 38) jedenfalls ist die Zugehörigkeit der Korinther zum Bund bekannt. Im Frühherbst erfolgte schließlich auf Antrag des Demosthenes vor der Volksversammlung die offizielle Kriegserklärung an Philipp. Spätestens dessen überfallsartiger Einmarsch in Phokis sowie auch die Besetzung Elateias im November 339 v. Chr. mußte zwangsläufig allen athenischen Bündnispartnern den Ernst der Lage bedrohlich vor Augen führen. Auf diese Situation zielt somit die Formulierung ofl Kor€nyioi pãntew §tarãttonto. Die ersten Panikreaktionen (yorÊbou plÆrhw ∑n ≤ pÒliw), die das unerwartete Vordringen Philipps in Athen auslöste, sind mit großer Anschaulichkeit beschrieben von Demosthenes (or. 18, 168–169: zu der in der Antike bereits vielbewunderten literarischen Gestaltung dieses eindrucksvollen Stimmungsberichtes vgl. Wankel 1976, II bes. 846, vgl. D. S. XVI 84, 3–4: die Furcht der über tÚ parãdojon t∞w prãjevw erschütterten Stadt). ı m¢n ˜pla §piskeuãzvn, ı d¢ l€youw paraf°rvn, ı d¢ Ípoikodom«n toË te€xouw, ı d¢ ¶paljin Íposthr€zvn: Das Verbum §piskeuãzein verwendet Lukian in der Bedeutung von „(wieder) funktionstüchtig machen (Herc. 8: tÚ ékãtion, VH II 1: tØn naËn, DMar. 8, 2: tÚ ërma, Tim. 10 und 19: tÚn keraunÒn = „reparieren“), wobei in allen diesen Fällen dem Akkusativobjekt

der in possessivem Sinne zu verstehende Artikel beigegeben ist. Das Fehlen des Artikels bringt hier daher prägnant zum Ausdruck, daß die einen sich im Sinne einer Arbeitsteilung um die Bewaffnung der Stadt kümmern. Das Verbum paraf°rein (Lukian gebraucht es im Einklang mit der Verwendungsweise bei anderen Autoren mit Vorliebe vom Servieren von Speisen, so VH II 14 und Merc. Cond. 26) bedeutet „beibringen“, also etwa „heranschaffen“ (Tim. 44, Herm 86), doch ist auch die möglicherweise (mit einem Fragezeichen) von Lukian intendierte Nähe zum Verbum parafero€mhn in Kap. 4 (paraf°rein in der prägnanten Bedeutung „auf die Bühne bringen“) zu beachten, welche vielleicht indirekt die Rolle der Korinther als der lokalen Akteure auf der Bühne des Geschehens unterstreichen soll. Unter Ípoikodom«n toË te€xouw (nach Ausweis des TLG ist Ípoikodome›n ein ëpaj legÒmenon, inschriftliche Belege bei LSJ, s. v. Ípoikodom°v) und ¶paljin Íposthr€zvn (vgl. VH I 32: tØn .. naËn Ípesthr€jamen) sind Verstärkungen am Fundament der Stadtmauer (vielleicht Substruktionen) und Stützarbeiten für eine Schutzwehr zu verstehen.

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ı dØ Diog°nhw ır«n taËta, §pe‹ mhd¢n e‰xen ˜ ti ka‹ prãttoi – oÈde‹w går aÈt“ §w oÈd¢n §xr∞to – diazvsãmenow tÚ trib≈nion spoudª mãla ka‹ aÈtÚw §kÊlie tÚn p€yon, §n ⁄ §tÊgxanen ofik«n, ênv ka‹ kãtv toË Krane€ou. ka€ tinow t«n sunÆyvn §rom°nou, „T€ taËta poie›w, Œ DiÒgenew“; „Kul€v“, ¶fh, „kég∆ tÚn p€yon, …w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw“.

oÈde‹w går aÈt“ §w oÈd¢n §xr∞to: Das zwiespältige Verhältnis der Menschen zu dem geistreichen

Sonderling Diogenes ist von Dion Chrysostomos (or. 9, 8) glaubwürdig als eine spezielle Mischung aus Bewunderung und Geringschätzung beschrieben: tin¢w m¢n oÔn aÈtÚn §yaÊmazon …w sof≈taton pãntvn, tis‹ d¢ ma€nesyai §dÒkei, pollo‹ d¢ katefrÒnoun …w ptvxoË te ka‹ oÈdenÚw éj€ou, tin¢w dÉ §loidÒroun, ofl d¢ prophlak€zein §pexe€roun. Der auch sonst gegen die Philosophen erhobene

Vorwurf der Nutzlosigkeit für die Gesellschaft und einer mangelnden Lebenstüchtigkeit ist aus der literarischen Überlieferung hinlänglich bekannt. So läßt Platon im Gorgias (484 c–486 d) den radikalen Sophisten Kallikles mit gönnerhafter Pose seine Kritik an der Lebensweise des Sokrates vortragen, deren Quintessenz sich in der Aussage festmachen läßt, jemand, der wie Sokrates in fortgeschrittenem Alter noch immer philosophiere, sei in allen Dingen des praktischen Lebens ein hoffnungsloser Dilettant (484 d: pãntvn êpeirow). Damit ist in pointiert zugespitzter Form das Verhältnis des Durchschnittsmenschen zum Philosophen ausgesprochen. Dion Chrysostomos führt in der oben genannten Rede im Folgenden weiter aus, wie sehr Diogenes zum Objekt öffentlicher Schmähungen wurde. Das wiederum hängt sicherlich unter anderem mit dem ostentativen Individualismus zusammen, den Diogenes jeder Art von sozialen Bindungen gegenüber an den Tag legte. Diogenes Laertios (generell zu dessen sechstem Buch Goulet–Cazé 1992) zufolge lehnte er Ehe und Politik kategorisch ab (D. L. VI 29), weil nur so, wie er erklärte, das unangefochtene Leben eines kynischen épayÆw realisierbar wäre (Diog. Ep. 47 = SSR II 462, Fr. 577). Diese demonstrative Mißachtung von Werten und Zielen der Allgemeinheit veranschaulicht eine von Diogenes Laertios (VI 64) überlieferte Anekdote. Dieser zufolge hätte Diogenes die Gewohnheit gehabt, immer dann das Theater zu betreten, wenn die Zuschauer gerade weggegangen wären; nach dem Sinn dieses seines Tuns gefragt, habe er gesagt, daß er genau dies in seinem ganzen Leben betreibe. Das Bekenntnis des Diogenes zu einem Kosmopolitismus (D. L. VI 63) ist innerhalb der Traditionen griechischer Philosophie keine Neuigkeit. Bereits Anaxagoras (DK II 59 A 1 = D. L. II 7) und Demokrit (DK II 68 B 247) hatten derlei Gedanken geäußert, und Sokrates wurden sie von späteren Autoren zugeschrieben (Cic. Tusc. V 37, 108, Arr. Epict. I 9, 1). Diese kosmopolitische Selbststilisierung des Diogenes (vgl. dazu die Darstellung in der Einleitung, Teil II 3, 3 b) war allgemein bekannt. So läßt Lukian (Vit. Auct. 7) Diogenes sich als einen toË kÒsmou pol€thw vorstellen und seine Ablehnung sozialer Bindungen jeglicher Art vortragen (zu der Vorbildhaftigkeit einer kosmopolitischen Einstellung für den Historiker vgl. Kap. 41: j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw). Eine Teilhabe an den patriotischen Aktivitäten seiner Mitbürger ist vor diesem Hintergrund von Diogenes nicht zu erwarten. Die Korinther hinwiederum, die „ihren“ Diogenes kennen, lassen diesen als einen Außenseiter unbehelligt gewähren, da sie von seiner „Nutzlosigkeit“ überzeugt sind. diazvsãmenow tÚ trib≈nion: tÚ trib≈nion (seltener belegt tÚ tribvnãrion) ist Deminutivform zu ı tr€bvn. Es handelt sich um einen ursprünglich in Sparta und Kreta nachweisbaren Wollmantel

aus grobem, kratzigem Stoff, der für das klassische Athen insbesondere als die Bekleidung armer Bevölkerungsschichten mehrfach erwähnt wird. Aussagekräftige Belege finden sich bei Aristophanes (Pl. 842–846, 881–882, Ec. 850), Isaios (or. 5, 11) und Lysias (or. 32, 16). Es ist demnach nicht

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verwunderlich, daß dieser Armeleutemantel zum Kennzeichen von Philosophen asketischen Zuschnitts, besonders der Kyniker, werden konnte. Bereits die Pythagoreer benutzten ihn, wie die Kritik des Aristophon im Pythagoristes zeigt, wo das Tragen des Tribon, das fore›n tr€bvnaw, mit Schmutzigsein (=upçn) gleichgesetzt ist (PCG IV 10, Fr. 12, V. 6 = Ath. IV 161 e–f). Sokrates trug den tr€bvn (Pl. Prt. 335 d), den er zudem auch zum Zudecken im Schlaf verwendete (Pl. Smp. 219 b). Und die Kyniker stilisierten ihren tr€bvn zum besonderen Markenzeichen, wie mehrfachen Hinweisen bei Diogenes Laertios zu entnehmen ist (zu Antisthenes vgl. D. L. VI 13; zu Diogenes VI 22; zu den Kynikern insgesamt VI 105). Die Kyniker trugen diesen als ihr einziges Kleidungsstück, welches sie übereinander schlugen. Diokles (D. L. VI 13) zufolge trug Antisthenes erstmals den Mantel doppelt, nach Auskunft unbekannter Gewährsmänner (D. L. VI 22 unter Berufung auf ungenannte Quellen) war dies Diogenes (tr€bvna dipl≈saw pr«tow katã tinaw diå tÚ énãgkhn ¶xein ka‹ §nedreÊein aÈt“). In den Meliamben des Kerkidas auf den Tod des Diogenes, dem frühesten Beleg für eine idealisierende Auslegung des Kynismos (so Goulet–Cazé 1992, 3913–3914 und Billerbeck 1996, 206), wird dieser daher als der mit dem doppelten Gewand (diploe€matow) bezeichnet (Powell 202, Cerc. Fr. 1). Eine gute Darstellung der Gesamtthematik liegt vor bei Vischer 1965, bes. 44–88. Insoferne das trib≈nion mithin als ein unverzichtbares Attribut des Kynikers figuriert, ist der Artikel tÚ in Verbindung mit dem indirekten Medium diazvsãmenow in individualisierendem und possessivem Sinn zu übersetzen: „sein allbekanntes“. tÚn p€yon, §n ⁄ §tÊgxanen ofik«n: Die legendäre Tonne ist eines der bekannten und häufig genannten

Attribute des Kynikers Diogenes. Diogenes Laertios (VI 23) weiß aus dem reich überlieferten Anekdotenschatz zu berichten, daß Diogenes sich zunächst um Beschaffung einer Behausung (ofik€dion) durch eine ungenannte Person bemüht, dann aber, als die Sache langsame Fortschritte gemacht habe, sich in einem Vorratsfaß (unter p€yow ist genau genommen ein sehr großes Tongefäß zu verstehen) im Metroon einquartiert hätte: §piste€law d° tini ofik€dion aÍt“ pronoÆsasyai, bradÊnontow, tÚn §n t“ Mhtr–ƒ p€yon ¶sxen ofik€an, …w ka‹ aÈtÚw §n ta›w §pistola›w diasafe› (Diog. Ep. 16 = SSR II 432). Die wiederholt vorgetragene Begründung des Diogenes für diese seine Lebensweise lautete angeblich so (D. L. VI 104): spezifische Eigenschaft der Götter sei es, keine Bedürfnisse zu haben (ye«n m¢n ‡dion e‰nai mhdenÚw de›syai), die der Gottähnlichen aber, nur nach wenigen Dingen zu verlangen (t«n d¢ yeo›w ımo€vn tÚ Ùl€gvn xrπzein). Eine bezeichnende Anekdote (D. L. VI 43) besagt, daß ein junger Bursche Diogenes einmal sein Faß zerschlagen hätte, woraufhin die Athener in ihrer Wertschätzung (égãph) für Diogenes diesem ein neues Faß spendiert, den Jungen aber verprügelt hätten. In der burlesken Vitarum auctio (Kap. 9) läßt Lukian „seinen“ Diogenes dem potentiellen Käufer u. a. dies in Aussicht stellen: ka‹ tØn patr–an ofik€an épolip∆n µ tãfon ofikÆseiw µ purg€on ¶rhmon µ ka‹ p€yon. toË Krane€ou: Das Kraneion (vgl. Kap. 29) ist ein Vorort, östlich von Korinth gelegen, an dem

es nachweislich ein Gymnasion gab. Diogenes Laertios (VI 77) zufolge war es ein beliebter Aufenthaltsort des Diogenes (§tÊgxane [sc. Diog°nhw] ... diãgvn §n t“ Krane€ƒ t“ prÚ t∞w Kor€nyou gumnas€ƒ). Pausanias (II 2, 4) in seiner Beschreibung der näheren Umgebung Korinths nennt das Kraneion einen Zypressenhain vor der Stadt (prÚ ... t∞w pÒlevw kupar€ssvn §st‹n êlsow ÙnomazÒmenon Krãneion). Nach Plutarch (Alex. 14, 4) und Diogenes Laertios (VI 38) ist hier die berühmte Anekdote zu lokalisieren, derzufolge Alexander dem Diogenes einen Wunsch freigestellt und dieser ohne allzu großen Respekt vor dem Makedonenkönig geantwortet habe: „Geh mir aus der Sonne“ (mit den Worten des D. L.: époskÒthsÒn mou).

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ka€ tinow t«n sunÆyvn §rom°nou, „T€ taËta poie›w, Œ DiÒgenew“; „Kul€v“, ¶fh, „kég∆ tÚn p€yon, …w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw“: Eine Parallele zu dieser Anekdote findet sich in den codices d, p, f zu D. L. VI 69 (Long 1964) folgenden Wortlauts: éggellom°nou Fil€ppou (p, f: toË Fil€ppou: d) …w m°lloi tª Kor€nyƒ prosbãllein ka‹ pãntvn prÚw ¶rgoiw ˆntvn ka‹ perispvm°nvn, otow tÚn ofike›on p€yon §kÊlien. §rom°nou d° tinow (d, p: §rom°nvn d° tinvn: f), „ÜOtou xãrin, DiÒgenew“; „ÜOti“, ¶fh, „pãntvn talaipvroum°nvn, §m¢ mhd¢n poie›n êtopon. kul€v goËn tÚn p€yon, mhd¢n êllo diaprãttesyai ¶xvn“ (beide Fassungen nebeneinander bei SSR II 237). In dieser Anekdote rollt Diogenes seinen p€yow, weil er sich nichts anderes anzufangen weiß.

Bei Lukian hingegen tut er es deshalb, weil die Korinther, die ihn kennen, keine Verwendung für ihn haben. Zudem bringt Diogenes hier nicht nur die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns zum Ausdruck (es geht ihm bloß darum, den Anschein von Aktivität zu erwecken), sondern auch die der Aktivitäten der Korinther , welche er mit dem eigenen Rollen des Fasses vergleicht (dies suggeriert das in der anderen Fassung nicht vorhandene kég∆). Das bereitet die Diogenesrolle vor, die der Autor für die Zwecke dieser Schrift erstmals in Kapitel 4 einnehmen wird (auch er präsentiert sich dort mit einem klarem Bewußtsein über die sehr begrenzte Wirkmöglichkeit seiner Lehrschrift). Der Begründung des Diogenes für sein Verhalten (…w mØ mÒnow érge›n doko€hn §n tosoÊtoiw §rgazom°noiw) entspricht also in Kapitel 4 der Grund, den der Autor für die Ausarbeitung seiner Lehrschrift nennt, daß er unter einer solchen Menge an Historikern nicht als einziger die Rolle eines Statisten spielen wolle (…w mØ mÒnow êfvnow e‡hn §n oÏtv poluf≈nƒ t“ kair“). Diese bewußt eingesetzte Parallelität im sprachlichen Ausdruck ist als Vorbereitung zu werten für die Rolle des Diogenes, in welche der Autor sodann in Kapitel 5 konkret schlüpfen wird (vgl. den Kommentar zu Kap. 5: ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai ktl). Die sinnreichen Worte …w dunatÒn moi kul›sai tÚn p€yon (Kap. 4) werden zu Ende der Schrift in pointierter Form aufgegriffen werden (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 63: kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ). Der Autor Lukian boykottiert durch dieses Verfahren gewissermaßen seinen eigenen didaktischen Anspruch, indem er von Anfang an dessen praktische Aussichtslosigkeit durch das Autor-Ich durchblicken läßt. Die Antwort des Diogenes, er wolle nicht als einziger unter so vielen Geschäftigen untätig sein, zielt daher, wie bereits festgestellt, auf die Nutzlosigkeit des eigenen wie auch des Tuns aller anderen ab. Branham 1989, 57 interpretiert die Antwort des Diogenes daher durchaus zutreffend: implying that he was not the only one exerting himself to no avail.

Kapitel 4 In Kapitel 4 tritt das Autor-Ich kräftig hervor mit der Erklärung, es wolle in einer an Klängen so reichen Zeit nicht als einziger gar keinen Ton von sich geben. Vielmehr betrachte es es als angemessen, nach Möglichkeit seine „Tonne zu rollen“. Mit dieser sprachlich und inhaltlich gleichermaßen leicht erkennbar an die Diogenesanekdote in Kapitel 3 angelehnten Erklärung übernimmt das Autor-Ich die bis zu dem Schluß der Schrift vom Autor durchgehaltene Diogenesrolle. Und zu dieser paßt die (freilich mit demonstrativer Bescheidenheitspose vollzogene) Klassifizierung vorliegender Schrift als einer Paränese (para€nesiw) und einer Erteilung von Ratschlägen (Ípoy∞kai) für die Verfasser von Geschichtswerken. Die Methodenschrift ist also dem Selbstverständnis des Autor–Ichs zufolge formal nicht nur als Brief (mit erstmaliger Nennung des Adressaten Philon in Kap. 1) zu betrachten, sondern auch, besonders vom Aussagewert her, als eine Paränese. In der Einleitung, Teil I bes. 2. 3–2. 4 wurde sie daher in die (literarhistorisch ausreichend nachvollziehbare und belegbare) Tradition des paränetischen Briefes, wie diese spezielle Gattung dort bezeichnet wurde, gestellt.

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KaÈtÚw oÔn, Œ F€lvn, …w mØ mÒnow êfvnow e‡hn §n oÏtv poluf≈nƒ t“ kair“ mhdÉ Àsper kvmikÚn dorufÒrhma kexhn∆w sivpª parafero€mhn, kal«w ¶xein Íp°labon …w dunatÒn moi kul›sai tÚn p€yon, oÈx flstor€an suggrãfein oÈd¢ prãjeiw aÈtåw dieji°nai – oÈx oÏtvw megalÒtolmow §g≈, mhd¢ toËto de€s˙w per‹ §moË. o‰da går ≤l€kow ı k€ndunow, efi katå t«n petr«n kul€oi tiw, ka‹ mãlista oÂon toÈmÚn toËto piyãknion oÈd¢ pãnu karter«w kekerameum°non. deÆsei går aÈt€ka mãla prÚw mikrÒn ti liy€dion prospta€santa sull°gein tå ˆstraka.

oÈx : Macleod 1980, 288; das in den frühesten Handschriften fehlende …w wurde in der Editio

Aldina secunda (1522) und in der Editio Juntina (1535) ergänzt, so Reitz 1743, 5 u. ö. [vgl. Kap. 32 und Dips. 7]; Fritzsche 1860, 28: oÈx Àste, [vgl. Kap. 2: oÈx Àste tragƒde›n]. …w mØ mÒnow êfvnow e‡hn §n oÏtv poluf≈nƒ t“ kair“: Unter Anwendung eines ähnlichen

Verfahrens begründet Lukian im Einleitungsteil zu den Verae historiae (I 4) einen der Gründe für die Abfassung dieser seiner Schrift so: ·na mØ mÒnow êmoirow Œ t∞w §n t“ muyologe›n §leuyer€aw. Im Kontext vorliegender Schrift ist der Vergleich mit Diogenes ein klarer Hinweis darauf, daß der Autor die Rolle des Diogenes benutzt (dies ist gründlich mißverstanden von Näf 2010, 83), um seinen eigenen Anspruch, die Verfassung einer Lehrschrift, bereits im Vorfeld zu relativieren. Er bedient sich damit einer für ihn charakteristischen literarischen Strategie, die Branham 1989, 42 allgemein als curious amalgam of serious and comic tendencies beschreibt. Zu dieser Stelle vermerkt Branham (57) zu Recht: He (sc. Lucian) hesitates to let us take even his own serious efforts with unqualified seriousness. Vgl. dazu die vorangehende Anmerkung (Kap. 3) mit weiteren Hinweisen. …w ... mhdÉ Àsper kvmikÚn dorufÒrhma kexhn∆w sivpª parafero€mhn: Der Vergleich mit dem

Statisten entstammt der Bühnensprache. Zur Frage der Anzahl der Schauspieler in Tragödie und Komödie vgl. Schneider 1956, bes. 190–193 und Blume 1978, 82–85, zu den stummen bzw. auf wenige Worte reduzierten Personen (kvfå prÒsvpa) auf der Bühne Pickard–Cambridge 19682, zur Tragödie bes. 137–148, zur Komödie 151–152. Es gab zwei Arten von Statisten, zum einen Darsteller von Personen der Handlung, die für eine gewisse Zeit oder überhaupt stumm blieben, da keiner der zahlenmäßig beschränkten Schauspieler gerade zur Verfügung stand, zum anderen solche Statisten, welche die Rolle von Leibgarde, Dienerschaft oder Kindern übernahmen (Blume 1998). Im Folgenden ist zu erläutern, in welcher Bedeutung der Begriff dorufÒrhma gebraucht wird. Eine aussagekräftige Stelle findet sich bei Plutarch (An seni respublica gerenda sit 15, 791 e), der vom jungen Arridaios feststellt, er nähme sich gegenüber dem politisch und militärisch noch im hohen Alter aktiven Antigonos aus wie ein Bühnenstatist (Àsper §p‹ skhn∞w dorufÒrhma kvfÒn, explizit De Alexandri Magni fortuna aut virtute II 5, 337 d: oÈd¢n nhp€ou diaf°rvn), er sei ein König bloß dem Namen nach. Lukian (Icar. 9) selbst läßt seinen Menippos den Epikur kritisieren, weil dieser Götter ohne Obsorge für menschliche Belange einführe, gleich komischen Statisten (oÈd¢n går ˜ti mØ to›w kvmiko›w doruforÆmasin §oikÒtaw aÈtoÁw efisãgein), so wie man Männer in fortgeschrittenem Alter von Dienstleistungen für den Staat befreie. Mit einer anderen Bezeichnung wird der Statist kvfÚn prÒsvpon (Tox. 9) genannt, wie aus Cicero (Att. XIII 19, 3) zu ersehen ist, wo die Art, wie zitiert wird, auf eine allgemein gebräuchliche Redensart hinweist. Diese Bezeichnung findet sich auch bei Philon von Alexandreia (in Flaccum 20), wo Flaccus in den Händen der Intriganten mit einem kvfÚn §p‹ skhn∞w prosvpe›on verglichen wird. Daß die Begriffe dorufÒrhma / dorufÒrow und kvfÚn prÒsvpon als identisch empfunden wurden, zeigt auch die lexikalische Literatur. Hesych (Latte I 474 s. v. dorufÒrow) und das Etymologicon Magnum (Gaisford 284, Z. 21–22 s. v. dorufÒron)

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gebrauchen die Begriffe in einem synonymen Sinne, abgesehen davon, daß der dorufÒrow primär den fÊlaj t«n turãnnvn bezeichnet. In diesem Sinne findet sich bei LSJ s. v. dorufÒrhma die dem sprachlichen Befund nach zutreffende Erklärung: body–guard: used of the kvfå prÒsvpa or mute characters on the stage. kexhn∆w sivpª parafero€mhn: Die Pointe besteht in dem intendierten komischen Kontrast zwischen

der klaffenden Mundöffnung der Bühnenmaske (darauf zielt das wie in Nigr. 11 in personaler Bedeutung gebrauchte Perfektpartizip kexhn≈w, von xa€nein) und der tatsächlichen Sprachlosigkeit des statistischen Akteurs (sivpª). Lukian hat generell eine besondere Vorliebe für die Herausarbeitung von Inkongruenzen jeglicher Art, wo immer diese seine Aufmerksamkeit erregen. Mit vorliegender Stelle im weitesten Sinn vergleichbar ist Tox. 9, wo der Skythe Toxaris die Griechen wegen deren Neigung zu leeren Worten in Sachen Freundschaft kritisiert. Diese würden, so erklärt er, zwar den diesbezüglichen Darbietungen der Tragöden lebhaft applaudieren, ja sogar Tränen der Rührung vergießen, die Probe der Praxis hingegen bestünden sie nicht; vielmehr stünden sie in der Stunde der Bewährung da wie jene kenå ka‹ kvfå prosvpe›a mit ihrem riesig aufgesperrten Mund (dihrm°na tÚ stÒma ka‹ pamm°geyew kexhnÒta), doch ohne auch nur ein einziges Wort herauszubringen (oÈd¢ tÚ smikrÒtaton fy°ggetai); sie seien wie Statisten auf dem Gebiet tätiger Freundschaft. Andernorts (Salt. 27–29) wird zwischen tragischen und komischen Masken unterschieden. Die tragischen Masken mit ihrer weit aufgesperrten Mundöffnung (Salt. 27: stÒma kexhnÚw pãmmega) seien ein abstoßender, furchterregender Anblick. In der Komödie wiederum bestünde ein Gutteil der Wirkung alleine schon in der ulkigen Maskerade (Salt. 29). Im Besonderen werden die beiden dramatischen Gattungen gegenüber dem Tänzer (ÙrxhstÆw) abgewertet, dessen prÒsvpon nicht kexhnÚw ... éllå summemukÒw sei (Salt. 29: im Unterschied zu den tragischen und komischen Masken ist die Maske des Pantomimen durch geschlossenen Mund gekennzeichnet, vgl. Jones 1986, 73, Anm. 24), wie Lykinos, der Liebhaber der pantomimischen Tanzkunst, es formuliert. Literatur zu den Theatermasken bei Blume 1978, 88–95. Zu parafero€mhn: Für das Verbum paraf°rein (vgl. den Kommentar zu Kap. 3: ı d¢ l€youw paraf°rvn) in der Bedeutung eines bühnentechnischen terminus technicus („auf die Bühne bringen“) kann ich nur einen einzigen Beleg beibringen, das Scholion zu Ar. Ra. 963 (Dübner 302, Z. 44–45, vgl. demgegenüber Chantry, Ra.: parÆgage). Das passive paraf°resyai hätte demnach die prägnante Bedeutung von „auf der Bühne auftreten“, doch ist dies, wenn es hier überhaupt der Intention Lukians entspricht, wohl nur eine von mehreren möglichen Assoziationen. Nesselrath weist mich zu Recht darauf hin, daß hier vielleicht auch an die Einleitung des platonischen Höhlengleichnisses (Pl. R. VII 514 c–515 b: hier ist paraf°rein im Aktiv und im Passiv gebraucht) zu denken ist, was also die Bedeutung von „vorübergetragen werden / vorüberschweben“ für paraf°resyai ergäbe. Möglicherweise wollte Lukian aber auch mit diesem Verbum mehrere, nicht so eindeutig festlegbare Bedeutungsnuancen verbunden wissen. …w dunatÒn moi kul›sai tÚn p€yon: Lukians literarische persona präsentiert sich als um die begrenzten

Erfolgsaussichten einer derartigen Lehrschrift wissend (vgl. Kap. 5 und den Kommentar zu 63: kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ). Ähnliche Bescheidenheitsformeln (in Einleitungen) bei Lukian sind …w ín oÂÒw te Œ + Futurum (Peregr. 3, Zeux. 3, Abd. 3) und …w ín dÊnvmai (Alex. 3). Andernorts (Bis Acc. 34) beschließen die diesem selben Muster folgenden Worte ÉApolelÒghmai …w dunatÚn ∑n die Verteidigungsrede des Syrers, einer durchsichtigen Maske für Lukian selbst. oÈx oÏtvw megalÒtolmow §g≈: Das seltene Adjektiv megalÒtolmow ist erst seit der Kaiserzeit belegt,

und zwar als rühmendes Attribut (J. AJ V 118 und VI 347, jeweils in Verbindung mit dem Adjektiv eÎcuxow, App. Syr. 2, 10: Hannibal nennt so die besten Feldherrn Alexander und Pyrrhos). Lukian

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unterscheidet sich von Josephos und Appian nicht nur durch die verhältnismäßig hohe Frequenz, mit der er megalÒtolmow gebraucht, sondern auch durch den durchgehend negativen Bedeutungsinhalt („dreist“), mit dem das Adjektiv bei ihm erscheint. Im Besonderen ist in seinem Sprachgebrauch das Adjektiv megalÒtolmow ebenso wie das Substantiv tÒlma und das Verbum tolmçn (Kap. 25: yãnaton §pino∞sai tragikÚn ka‹ tª tÒlm˙ jen€zonta, vgl. auch Nigr. 1, Ind. 27, Rh. Pr. 15 und 22 mit einer Persiflage der Anpreisungen des unsoliden Redelehrers) mit einer literarkritischen Note verbunden (Pseudol. 29 und Herm 74). toÈmÚn toËto piyãknion ... prÚw mikrÒn ti liy€dion: Zu dem spezifischen Kolorit des diatribenhaften

Eingangsteils trägt, wie bereits Hermann 1828, 26 beobachtet hat, auch die Verwendung des äußerst seltenen Wortes piyãknion (Eubulos, PCG V 266–267, Fr. 130, V. 2 = Ath. I 28 d: Megarikå piyãknia, Alciphr. II 12 Schepers = III 15 Hercher, Ep. Gr. 72), des Deminutivs zum häufiger belegten Deminutiv piyãknh (fidãknh), bei. Zu dieser Stilisierung paßt auch das dem Deminutiv liy€dion pleonastisch beigegebene Adjektiv mikrÒn.

T€ oÔn ¶gnvsta€ moi ka‹ p«w ésfal«w mey°jv toË pol°mou, aÈtÚw ¶jv b°louw •st≈w, §g≈ soi frãsv. toÊtou m¢n kapnoË ka‹ kÊmatow ka‹ front€dvn, ˜sai t“ suggrafe› ¶neisin, én°jv §mautÚn eÔ poi«n. para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw ÍpoyÆsomai to›w suggrãfousin, …w koinvnÆsaimi aÈto›w t∞w ofikodom€aw, efi ka‹ mØ t∞w §pigraf∞w, êkrƒ ge t“ daktÊlƒ toË phloË prosacãmenow.

p«w ésfal«w mey°jv toË pol°mou, aÈtÚw ¶jv b°louw •st≈w, §g≈ soi frãsv: Die bei der klassischen Historikertrias noch nicht belegten Idiome ¶jv bzw. §ktÚw b°louw (extra teli iactum) und §ntÚw b°louw sind seit Polybios (VIII 5 = 7, 5 und XV 5, 14: §ntÚw b°louw, vgl. V 13, 10: §ktÚw b°louw) fester Bestandteil historiographischer Terminologie, besonders häufig bei Diodor (J. BJ III 9, 2, 418 und V 7, 3, 303 kennt auch §jvt°rv in der Bedeutung von ¶jv). Lukian verwendet die Idiome §ntÚw b°louw gen°syai (Bacch. 4 und Anach. 25) und ¶jv b°louw (DMar. 2, 1, DMort.

23, 2), besonders so wie hier zu der pointierten Bezeichnung vollständiger Ungefährdetheit (Nav. 44: toÁw polemoËntaw §piskope›n ¶jv b°louw ÍperaivroÊmenon, Symp. 2: §n efirÆn˙ ka‹ énaimvt‹ ¶jv b°louw •stiasÒmeya). Das sonst zumeist die Antwort auf eine Frage des Gesprächspartners einleitende stereotype Idiom §g≈ soi frãsv bzw. §r« verleiht in endponderierter Position einer Aussage Nachdruck (so bereits Pl. Phlb. 19 c [Sprecher Protarchos]: T€ dÆ moi toËto e‡rhtai tå nËn; §g≈ soi frãsv) und unterstreicht den Ton überlegener Belehrung (Pl. Grg. 487 c [Sokrates spricht zu Kallikles]: §mo‹ e‰ eÎnouw. T€ni tekmhr€ƒ xr«mai; ÉEg≈ soi §r«, ähnlich Alc. I 105 a [Sokrates klärt Alkibiades über seine wahren Motive auf]: §p‹ t€ni dÆ pote §lp€di zªw, §g∆ frãsv, vgl. bes. auch bei Lukian die didaktische Pose in Rh. Pr. 8: ˘ oÔn poiÆsaw ≥dh =òsta §p‹ tÚ ékrÒtaton énabÆs˙ ka‹ eÈdaimonÆseiw ka‹ gamÆseiw ka‹ yaumastÚw pçsi dÒjeiw, §g≈ soi frãsv). Daß Lukians Worte mit Blick auf Arrian geschrieben sind, so Wirth 1964, 237, ist zu bezweifeln, denn die einzige verfügbare Stelle bei Arrian (An. I 12, 4–5) ist zu einem zielführenden Vergleich nicht geeignet. toÊtou m¢n kapnoË ka‹ kÊmatow ka‹ front€dvn, ˜sai t“ suggrafe› ¶neisin, én°jv §mautÚn: Hiebei

handelt es sich um eines der bei Lukian auch sonst recht häufigen Homerzitate. Odysseus, eben glücklich den Sirenen entkommen, nimmt sogleich danach als Vorboten von Skylla und Charybdis Rauch und mächtigen Wogenschlag, verbunden mit dumpfem Dröhnen, wahr; er befiehlt den Gefährten, sich ins Zeug zu legen, und spricht den Steuermann an mit den warnenden Worten (Od. XII 219–221): toÊtou m¢n kapnoË ka‹ kÊmatow §ktÚw ¶erge / n∞a, sÁ d¢ skop°lou §pima€eo, mÆ se

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lãy˙si / ke›sÉ §jormÆsasa ka‹ §w kakÚn êmme bãl˙sya. Für die Konstruktion én°xein •autÒn +

Genetiv in der vom Sinn her geforderten Bedeutung „sich von etwas zurück- bzw. ferne halten“ ließ sich keine exakte syntaktische Parallele ausfindig machen. Am ehesten zu vergleichen ist eine Stelle bei Plutarch (De garrulitate 514 a): én°xein •autÚn épÚ toÊtvn ka‹ énakroÊein …w porrvtãtv. Die ungewöhnliche Ausdrucksweise ist dadurch bedingt, daß das als regulär anzusehende Syntagma én°xein •autÚn épÒ tinow hier von der bildlichen Vorstellung des sich über Wasser Haltens (én°xein •autÒn, so eindeutig Tox. 21: fello›w tisi peripesÒntaw én°xein §p‹ toÊtvn •autoÁw) überlagert ist. Es besteht jedenfalls keine Notwendigkeit für eine Konjektur (épe€rjv: Sommerbrodt 1878, 8, éne€rjv: Sommerbrodt 1893, 2). Die in jüngeren Handschriften erst sich findende und von älteren Herausgebern (Reitz 1743, 6, Hermann 1828, 5, Bekker 1853, 21, Dindorf 1858, 2, Fritzsche 1860, 29–30 und Sommerbrodt 1878, 8 sowie 1893, 2) übernommene Lesart t“ suggrãfein (eine spätere Konjektur, wie es scheint) ist auch aus inhaltlichen Gründen nicht zu empfehlen, denn die Pointe besteht gerade darin, daß die front€dew der Person des Historikers selbst innewohnen. Diese Beschwerlichkeit will sich Lukians literarische persona nicht antun. Die älteste Lesart t“ suggrafe› (Homeyer 1965, 98, Kilburn 1968, 6 und Macleod 1980, 289) verdient daher entschieden den Vorzug. para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw ÍpoyÆsomai to›w suggrãfousin: Die Junktur der Begriffe para€nesiw und ÍpoyÆkh (beide in dieser speziellen Kombination zumeist im Plural, so auch bei Lukian in Hes. 8: parain°seiw .. ka‹ ÍpoyÆkaw) findet sich im Zusammenhang

mit wohlwollender Belehrung durch eine überlegene oder jedenfalls als überlegen empfundene Autorität, und zwar in den Bereichen von Jugenderziehung (Ps. Plu De liberis educandis 7, 4 c), väterlicher Raterteilung (Plb. III 14, 10), politisch–religiöser Unterweisung (J. AJ III 4, 2, 73) und philosophischer Begleitung (Str. XV 1, 59 = C 712: nach Megasthenes). Mit literarkritischer Note nennt Lukian auch die Belehrung, welche eben erst durch die literarische persona des Lykinos dem Hyperattizisten Lexiphanes zuteil geworden war, abschließend mit demonstrativ abschwächender Geste eine para€nesiw (Lex. 25, vgl. Rh. Pr. 15 und 25 mit dem zerrbildartigen Verfahren des paraine›n durch den unsoliden Redelehrer). Bereits Isokrates (or. 1, 5) hatte seine lebenspraktische Lehrschrift als eine para€nesiw für die Jugend bezeichnet, wobei zu berücksichtigen ist, daß dieses Wort in seiner Zeit primär in ethischer Dimension verstanden wurde (vgl. z. B. X. Mem. I 3, 4: ein Lebensgrundsatz des Sokrates). Dasselbe gilt für die Ípoy∞kai …w xrØ z∞n der Dichter Hesiod, Theognis und Phokylides (Isoc. Or. 2, 3). Die figura etymologica (ÍpoyÆkaw ÍpoyÆsomai) verwendet Lukian einzig hier, sonst genügt ihm das bloße Verbum Ípot€yesyai zu der Bezeichnung lehrhafter Unterweisung (Astr. 19, Harm. 2, u. ö., DMort. 13, 6: Sprecher Diogenes). Die qualifizierenden Adjektive mikrån und Ùl€gaw setzen nun die durch die vorangehenden Deminutive piyãknion und mikrÒn ti liy€dion schon kräftig in Erscheinung getretene diatribenhafte Stilebene konsequent fort, die bis zum Ende von Kap. 5 reicht, um sodann einem didaktischen Vortragston zu weichen. …w koinvnÆsaimi aÈto›w t∞w ofikodom€aw, efi ka‹ mØ t∞w §pigraf∞w, êkrƒ ge t“ daktÊlƒ toË phloË prosacãmenow: Lukian spielt hier mit den jeweils doppeldeutig zu verstehenden Begriffen ofikodom€a und §pigrafÆ, welche im eigentlichen Sinne die Bautätigkeit des Architekten und die entsprechende Bauinschrift bezeichnen (so in Kap. 62 die Verba ofikodome›n und §pigrãfein von

Sostratos, dem Erbauer des Leuchtturmes von Pharos); im übertragenen Sinn jedoch verweisen sie auf das architektonische Gefüge einer literarischen Konzeption (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 33: ofikodÒmei), hier konkret eines Geschichtswerkes, bzw. auf den Buchtitel (≤ §pigrafÆ ist terminus technicus für den Buchtitel, so Kap. 30 und 32, Ind. 18, Alex. 54, das Verbum §pigrãfein in Kap. 16, vgl. Plb. III 9, 3 und D. H. Is. 2, Dem. 7 und 13, Din. 11, u. ö.). Erweiternd ist noch dies hinzuzufügen, daß Lukian in der aus literarkritischer Sicht höchst bedeutsamen Schrift Prometheus es in

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verbis (Kap. 1–2) sein literarisches Schaffen mit der hervorbringenden Arbeit des bildenden Künstlers vergleicht (1: oÈdÉ éna€nomai phloplãyow ékoÊein, 2: §n phl“ ... ≤ plastikØ katå taÈtå to›w koroplãyoiw). Zu der genauen Bedeutung des Verbums prosãptesyai (nicht „berühren“, sondern „anrühren“) vgl. den Kommentar zu Kap. 57: éllÉ Ùl€gon prosacãmenow. Auch hier erfolgt eine durchaus vergleichbare Abschwächung durch den die exakte Bedeutung des Verbums beeinflussenden Zusatz êkrƒ ge t“ daktÊlƒ, der einen deutlich erkennbaren sprichwörtlichen Charakter hat (vgl. Demon. 4: tåw §n filosof€& proair°seiw oÈk §pÉ Ùl€gon oÈd¢ katå tØn paroim€an êkrƒ t“ daktÊlƒ ècãmenow [das lateinische Äquivalent dazu bei Cic. Cael. 12, 28: qui ... genus hoc vitae ... extremis, ut dicitur, digitis attigissent] ±p€stato, vgl. auch Bis Acc. 8, Nav. 45, Herm 68).

Kapitel 5 Nachdem diese Lehrschrift in Kapitel 4 mit wohlüberlegter Bescheidenheitspose als eine para€nesiw und als Ípoy∞kai bezeichnet worden war, erfolgt nunmehr, mit ebenso beabsichtigter Betonung des Lehrbuchcharakters eine Hervorhebung von deren Technizität (t°xnh). Zu diesem Zweck wird der thukydideische Ewigkeitsanspruch bestimmt als das für Geschichtsschreiber zu erreichende Ziel. Vor diesem Hintergrund kann im Eingang zum dritten Teil der Schrift (Kap. 34–36) eben diese Technizität bei der Vermittlung der historiographischen Prinzipien im Kontext antiker rhetorischer Theorie diskutiert werden. Doch auch dort noch wird neben den zünftigen Begriffen der t°xnh und der Belehrung (didaskal€a) vor allem auch die etwas salopper wirkende Raterteilung (sumboulÆ) zur Klassifizierung des Anliegens der Schrift gebraucht. Ähnlich verfährt der Autor auch hier im näheren Kontext, denn bereits in Kapitel 6 verwendet er nicht mehr den Begriff t°xnh, sondern er bezeichnet die Lehrschrift als eine sumboulÆ, eine Raterteilung. Der Gedankengang schreitet zwei unterschiedliche Ebenen ab. Zum einen ist da die mit der Würde der Gattung Historiographie als Verpflichtung untrennbar verbundene und nie auch nur andeutungsweise in Frage gestellte oder relativierte Ernsthaftigkeit. Zum anderen aber erscheint das Verhältnis des Lehrers zu seinen Schülern als ein zwangloseres bestimmt. Und diese gewisse Lockerheit, mit welcher der Autor seine Lehre erteilt, hat ihren Grund wesentlich darin, daß er, ebenso wie Diogenes, den Eindruck vermitteln möchte, um die Unbelehrbarkeit der Masse schon im vorhinein genau Bescheid zu wissen. So kann der Autor zu Ende des fünften Kapitels, bereits ganz in der Rolle des Diogenes, erklären, der Arzt werde sich nicht gar sehr grämen, wenn eben alle Abderiten freiwillig die Andromeda spielen wollten. Dies ist im übrigen der letzte direkte Rückbezug in dieser Schrift auf den in Kapitel 1 geschilderten Wahnwitz der Abderiten.

Ka€toi oÈd¢ parain°sevw ofl pollo‹ de›n o‡ontai sf€sin §p‹ tÚ prçgma, oÈ mçllon µ t°xnhw tinÚw §p‹ tÚ bad€zein µ bl°pein µ §sy€ein, éllå pãnu =òston ka‹ prÒxeiron ka‹ ëpantow e‰nai flstor€an suggrãcai, ≥n tiw •rmhneËsai tÚ §pelyÚn dÊnhtai.

oÈ mçllon µ t°xnhw tinÚw §p‹ tÚ bad€zein µ bl°pein µ §sy€ein: Der Begriff t°xnh bezeichnet zum einen „jedes Können, das der Sachverständige (texnikÒw) vor dem Laien (fidi≈thw) voraushat“ (Jeffré 1920, 2), zum anderen die systematische Vermittlung solchen in bestimmte Regeln gefaßten Sachwissens, das – freilich unter der nötigen Voraussetzung einer entsprechenden natürlichen Befähigung (fÊsiw) aufseiten des Techneanwärters – als lehr- und lernbar aufgefaßt wird. Im Idealfall stellt sich diesem pädagogischen Konzept zufolge als Resultat des methodisch angelegten Lehr- und

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Lernvorgangs die ßjiw der éretÆ ein (zu der diesbezüglichen rhetorischen Theorie vgl. Lausberg § 1– 8, umfassend zu den antiken Technedefinitionen sowie zu der von den Sophisten, Platon, Aristoteles und den Stoikern engagiert und nicht selten streitbar geführten Technizitätsdebatte Nesselrath 1985, 123–239, bes. 123–163). In diesem Sinne definiert der Autor im Eingang zum dritten und didaktischen Teil dieser Lehrschrift (Kap. 34–36) seine ratgeberischen Anweisungen (vgl. Kap. 4: para€nesin mit Kap. 35: sumboul∞w und ıdoÊw tinaw Ùryãw) mit dem Ton betonter Seriosität als eine t°xnh ka‹ didaskal€a (Kap. 36). Im Rhetorum praeceptor wird ein erst vor dem Hintergrund solch seriöser Verfahren von Wissensvermittlung zur Gänze verständliches Zerrbild in Form des von keinerlei Moral in seinen dreisten Selbstanpreisungen gehemmten Redelehrers vorgeführt. Der Umstand, daß es für so natürliche Lebensäußerungen wie das Gehen, Sehen und Essen natürlich keiner auf die bezeichnete Art verstandenen Techne bedarf, bietet Lukian in seinem Parasitendialog den Ansatzpunkt für eine das einschlägige terminologische Vorwissen des Lesers bewußt in sein literarisches Spiel einbeziehende Techneparodie (Nesselrath 1985 passim). Der Parasit Simon führt hier den traditionellen t°xnh–Begriff dadurch ad absurdum, daß er seine an sich kaum zu Stolz Anlaß gebende parasitäre Praxis zur t°xnh pot°vn kai brvt°vn ka‹ t«n diå taËta lekt°vn ka‹ prakt°vn (Kap. 9) hochstilisiert (bereits in Kap. 5 hatte er ein spezifisches Fachwissen (§pistÆmh) auf gastronomischem Gebiet für sich in Anspruch genommen: tÚ §p€stasyai tåw éretåw ka‹ kak€aw t«n sit€vn ka‹ t«n ˆcvn polupragmosÊnhn). pãnu =òston ka‹ prÒxeiron ka‹ ëpantow: Anstatt des regulären pãnu =ñdion (Herm. 54) gebraucht Lukian, der auch entsprechende pleonastische Komparative mit pãnu kennt (Nigr. 11, Ind. 16), pointiert den pleonastischen Superlativ pãnu =òston (Lib. Ep. 1518, 1: pãnu d¢ aÈt“ =òston §g°neto tÚ ¶rgon, vgl. Ep. 526, 3), um die Grundverkehrtheit einer derartigen Einstellung zu demaskieren, nach einem Verfahren, welches er auch andernorts (Salt. 4: tØn ... efikÒna pãnu énomoiotãthn moi doke›w efirhk°nai œn p°ponya) anwendet, um den absoluten Gegensatz zu den

Tatsachen scharf zum Ausdruck zu bringen. Andernorts (Fug. 14) läßt er die Philosophie mit Bezug auf ihre bloß äußerlichen Attribute verkündigen: Tå dÉ ≤m°tera pãnu =òsta ... ka‹ §w m€mhsin prÒxeira (zur Verbindung des Adjektivs prÒxeirow mit Formen von =ñdiow vgl. Pisc. 31: tå ... prÒxeira taËta ka‹ dhmÒsia ka‹ ıpÒsa pant‹ mimÆsasyai =ñdion, vgl. u. a. Sat. 3). Das Idiom ëpantow bzw. pantÚw e‰nai („Sache jedes Beliebigen sein“), das Lukian auch sonst mit dem Adjektiv =ñdiow in Verbindung bringt (JTr. 23, Peregr. 24: =ñdion bzw. =ñdia ka‹ pantÒw), wurde bereits von Platon verwendet, vornehmlich zu dem Zweck, um vor der Folie des von jedermann ohne besondere Qualifikation Leistbaren (Ion 532 e [mit sokratischer Ironie]: faËlon ka‹ fidivtikÒn §sti ka‹ pantÚw éndrÚw gn«nai ˘ ¶legon) umso deutlicher den exklusiven Charakter von t°xnh (Cra. 388 e, Grg. 500 a) und §pistÆmh (La. 196 d) hervortreten zu lassen. Dieser literarhistorische Kontext ist wichtig, denn um die t°xnh geht es auch in dieser Lehrschrift (vgl. dazu die vorangehende Anmerkung). Dilettanten freilich wüßten nicht um den t°xnh–Charakter historiographischer Betätigung und stellten sich daher die Sache wesentlich leichter vor, als sie es tatsächlich sei. •rmhneËsai tÚ §pelyÒn: Das Verbum •rmhneÊein (in konventioneller rhetorischer Terminologie ist •rmhne€a synonym mit l°jiw (elocutio) gebraucht, vgl. Lausberg § 921 und § 923) bezeichnet in

prägnantester Wortbedeutung die Umsetzung eines Gedankens in Worte. In diesem Sinne wechseln bereits bei Xenophon (Oec. 11, 23) die synonymen Worte •rmhneÊein und l°gein einander ab, und Thukydides (II 60, 5) legt Perikles jene sehr bekannten Worte (oÈdenÚw o‡omai ¥ssvn e‰nai gn«na€ te tå d°onta ka‹ •rmhneËsai taËta) in den Mund, auf welche Lukian in Kapitel 34 anspielt (vgl. den Kommentar zu sÊnes€n te politikØn ka‹ dÊnamin •rmhneutikÆn). Die als faÊlvw suggrãfontew

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klassifizierten Literaten (Kap. 6) hingegen schrieben, was ihnen gerade in den Sinn komme, hätten sie doch keine Ahnung davon, was man innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung sagen dürfe und was nicht (Kap. 6, 27 und 32: énaplãttontew ˜ ti ken §pÉ ékair€man gl«ssan ... ¶ly˙, der Grund für ihr Geschwätz sei épaideus€a). Zu dieser Bedeutung des Aoristpartizips tÚ §pelyÒn vgl. auch Peregr. 39, wo es einen beliebigen, spontanen Einfall bezeichnet, eine Laune des Augenblicks. Literarkritischen Bezug beinhaltet das Idiom tÚ §pelyÒn bereits bei Isokrates (Or. 12, 24: ˜moiow ín e‰nai dÒjaimi to›w efikª ka‹ fortik«w ka‹ xÊdhn ˜ ti ín §p°ly˙ l°gousin) sowie in der bei Diogenes Laertios überlieferten Kritik des Karneades an der unstrukturierten Schreibweise des Chrysippos (D. L. X 27: pollãkiw taÈtå g°grafe ka‹ tÚ §pelyÒn).

tÚ d¢ o‰syã pou ka‹ aÈtÒw, Œ •ta›re, …w oÈ t«n eÈmetaxeir€stvn oÈd¢ =&yÊmvw suntey∞nai dunam°nvn toËtÉ §st€n, éllÉ, e‡ ti §n lÒgoiw ka‹ êllo, poll∞w t∞w front€dow deÒmenon, ≥n tiw, …w ı Youkud€dhw fhs€n, §w ée‹ kt∞ma suntiye€h.

oÈ t«n eÈmetaxeir€stvn oÈd¢ =&yÊmvw suntey∞nai dunam°nvn: Innerhalb literarkritischer Kontexte findet sich das Adjektiv eÈmetaxe€ristow bereits bei Isokrates (Ep. 9, 2: oÈk égno«n t«n lÒgvn tÚn eÈmetaxeiristÒteron) und Plutarch (De animae procreatione in Timaeo 1, 1012 b). Ein vergleichbarer Bezug zum normativen Parameter der t°xnh ist bei Lukian selbst gegeben in einem inhaltlich und

sprachlich sehr ähnlichen Passus (Salt. 35), in welchem das Qualifikationsprofil des Tänzers mit folgenden Worten beschrieben ist: ì d¢ tÚn ÙrxhstØn aÈtÚn ¶xein de› ... ≥dh soi d€eimi, …w mãy˙w oÈ t«n =&d€vn ka‹ t«n eÈmetaxeir€stvn oÔsan tØn t°xnhn, éllå pãshw paideÊsevw §w tÚ ékrÒtaton éfiknoum°nhn ... Ansonsten bezeichnet Lukian in dieser Schrift die technegemäße Handhabung des Metiers durch das Verbum metaxeir€zesyai (Kap. 36 und 16). Mittels des abqualifizierenden Adverbs =&yÊmvw (so auch in Kap. 24) werden üblicherweise die bei anderen Autoren diagnostizierten

Defizite methodischer und darstellerischer Art gekennzeichnet (Plb. XII 27, 3: Kritik an Timaios, D. H. IV 6, 1: Kritik an Fabius und anderen, ders. Th. 14–15: Kritik an Thukydides). Das Verbum suntiy°nai (Substantiv sÊnyesiw) bezeichnet seit dem Zeitalter der Sophistik stereotyp die literarische Komposition (Pl. Phdr. 278 c, Mx. 236 b: über die Reden, Isoc. Or. 2, 7: über Dichtung und Prosa). Lukian verwendet diesen terminus technicus in dieser Schrift (Kap. 5 und 16) und auch sonst (Im. 5, Prom. Es 7, Lex. 20) in jeweils unterschiedlichen Nuancen. ≥n tiw, …w ı Youkud€dhw fhs€n, §w ée‹ kt∞ma suntiye€h: Dabei handelt es sich um eine durch

Wortumstellung leicht modifizierte Wiedergabe der bekannten Stelle aus dem thukydideischen Methodenkapitel (I 22, 4: kt∞mã te §w ée‹ ktl), die Lukian an anderer Stelle (Kap. 42) mit größerer Nähe zum Original zitiert. Die ungewöhnliche Konstruktion mit ≥n + Optativ (Macleod 1977, 218 weist auf vereinzelte Belege für ≥n bzw. §ãn mit dem Optativ bei Lukian hin, vgl. bereits Du Mesnil 1867, 19) bedeutet hier mit potentialer Färbung „wenn es denn von einem zu erwarten sein sollte, daß er verfassen würde“ (si quis compositurus sit).

o‰da m¢n oÔn oÈ pãnu polloÁw aÈt«n §pistr°cvn, §n€oiw d¢ ka‹ pãnu §paxyØw dÒjvn, ka‹ mãlista ıpÒsoiw épotet°lestai ≥dh ka‹ §n t“ koin“ d°deiktai flstor€a. efi d¢ ka‹ §pπnhtai ÍpÚ t«n tÒte ékroasam°nvn, man€a ka‹ §lp€sai …w ofl toioËtoi metapoiÆsousin µ metagrãcous€n ti t«n ëpaj kekurvm°nvn ka‹ Àsper §w tåw basile€ouw aÈlåw épokeim°nvn.

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ka‹ §lp€sai: aus der Lesart von G: man€a ka‹ §lp‹w erschloß Kassel 1973, 107 zu Recht man€a ka‹ §lp€s; so auch Macleod 1980, 289; man€a ka‹ ≤ §lp‹w: Bekker 1853, 22, Dindorf 1858, 3; man€a ¥ ge §lp‹w: so nach jüngeren Handschriften Hermann 1828, 6, Iacobitz 1838, 7 sowie 1866, 3, Homeyer 1965, 98. Den Vorzug verdient entschieden Kassels Konjektur, die der Überlieferung in G und E voll

Rechnung trägt. Ich danke Nesselrath für wertvolle Hinweise in dieser Frage. §pistr°cvn ... §paxyØw dÒjvn: Der speziellen Bedeutung von §pistr°fein tinã „jemanden dazu

bewegen, sich umzudrehen“ (Nav. 11), entspricht im übertragenen Sinne die Konnotation „jemanden zur moralischen Umkehr veranlassen bzw. auf den richtigen Weg zurückführen“ (so Plu Luc. 7, 2 und Quomodo adolescens poetas audire debeat 4, 21 c: ı d¢ M°nandrow §p∞re m¢n ém°lei tØn filhdon€an ... pãlin dÉ §p°strece ka‹ peri°spase prÚw tÚ kalÚn ≤mçw). Der Autor nimmt bei seinen Raterteilungen in der Rolle des Diogenes von Sinope die Pose des illusionslosen Kenners der Unbelehrbarkeit der Menschen ein (vgl. die Kommentare zu Kap. 3: ka€ tinow t«n sunÆyvn §rom°nou ktl, Kap. 4: …w mØ mÒnow êfvnow e‡hn ktl und schließlich auch Kap. 63: kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ). Zum Adjektiv §paxyÆw sind die Worte des Momos im Deorum concilium (Kap. 2) zu vergleichen, mittels derer die Wirkung der parrhs€a nebst der Reaktion der Betroffenen beschrieben ist: ... pãntew me ‡sasin …w §leÊyerÒw efimi tØn gl«ttan ka‹ oÈd¢n ín katasivpÆsaimi t«n oÈ kal«w gignom°nvn: diel°gxv går ëpanta ka‹ l°gv tå dokoËntã moi §w tÚ fanerÚn oÎte dedi≈w tina oÎte ÍpÉ afidoËw §pikalÊptvn tØn gn≈mhn: Àste ka‹ §paxyØw dok« to›w pollo›w ka‹ sukofantikÚw tØn fÊsin, dhmÒsiÒw tiw katÆgorow ÍpÉ aÈt«n §ponomazÒmenow. Damit zu vergleichen ist in vorliegender

Schrift (Kap. 33) die Aufforderung, ein Werk zu schaffen, an dem selbst die allerschärfsten Kritiker (Kap. 10: sukofantik«w) und nicht einmal Momos höchstpersönlich ein Fehl zu entdecken in der Lage wären. Ansonsten bezeichnet Lukian mit §paxyÆw berechtigten Ärger über literarische Fehlleistungen (Kap. 9 und 11). §n t“ koin“ d°deiktai flstor€a ... ÍpÚ t«n tÒte ékroasam°nvn: Das bezeichnet, wie der

Zusammenhang zeigt, in erster Linie die Praxis öffentlicher Rezitationen von literarischen Neuerscheinungen, für die im Falle der Schrift De mercede conductis bei Lukian selbst ein explizites Zeugnis vorliegt (Apol. 3: ... eÈdok€mhta€ soi tout‹ tÚ sÊggramma [sc. die Schrift Merc. Cond.] ka‹ §n poll“ plÆyei deixy°n, …w ofl tÒte ékroasãmenoi dihgoËnto, ka‹ fid€& parå to›w pepaideum°noiw ıpÒsoi ımile›n aÈt“ ka‹ diå xeirÚw ¶xein ±j€vsan). Für die Zeit der zweiten Sophistik sind solche sophistischer Vortragspraxis entsprechenden Rezitationen untersucht von Korenjak 2000, der aber nirgendwo auf die hier im zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) kritisierten Vorträge aus Geschichtswerken noch auch sonst auf den Bereich der Historiographie in irgendeiner Form eingeht. Vgl. dazu die Einleitung zum Kommentar zu Kap. 15 und bes. zu Kap. 26. metapoiÆsousin µ metagrãcous€n ti t«n ëpaj kekurvm°nvn ka‹ Àsper §w tåw basile€ouw aÈlåw épokeim°nvn: Die Verba metapoie›n und metagrãfein (in dieser Verbindung auch in Kap.

21) unterscheiden sich voneinander insoferne, als ersteres im Sinne von „ummodellieren“ eine grundsätzliche Änderung (so in Gall. 14 und Abd. 9) bezeichnet, während unter dem innerhalb offizieller Dokumente als terminus technicus zu betrachtenden metagrãfein (so bereits Th. I 132, 5 und X. HG VI 3, 19) die Abänderung an einem bereits bestehenden Wortlaut zu verstehen ist. Lukian markiert mit dem Verbum metagrãfein eine Änderung im Detail (so Pr. Im. 8) bzw. die technische Durchführung eines mit metapoie›n gekennzeichneten Vorhabens (Kap. 21). Schon durch das Urteil der einmaligen (tÒte) Hörerschaft erreiche das so ein für allemal (ëpaj) anerkannte (mit dem juridischen Terminus kekurvm°nvn ist die Konnotation von Rechtsgültigkeit zu assoziieren) Geschichtswerk einen Status, so als wäre es bereits durch eine hochoffizielle Verfügung unter den Akten am Kaiserhof archiviert.

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Die Junktur bas€leiow aÈlÆ (zu der Unterscheidung der Begriffe bas€leia und aÈla€ Ath. V 189 e) erscheint erst in kaiserzeitlicher Literatur, namentlich in der Historiographie (bereits bei D. H. IV 41, 3), besonders häufig bei Herodian, der sie regelmäßig verwendet. Das Partizip épokeim°nvn entspricht dem einschlägigen terminus technicus für die Ablage von Büchern in Bibliotheken (Galen, Kühn XIV 31, Z. 14: tå d¢ dØ bibl€a tå katå tåw biblioyÆkaw époke€mena) bzw. für Aufbewahrung historischer und sakraler Dokumente an den dafür vorgesehenen Orten (so D. H. Th. 5, Ps. Plu De musica 3, 1132 a [Anagraphe Sicyonia = FGrH III B 550 Fr. 1], Luk. Sacr. 14, Clem. Al. Strom. I 21, 120). Die pointiert den Zustand der Endgültigkeit zum Ausdruck bringende Konstruktion mit efiw kann jedoch durchaus auf Lukians Konto gehen.

˜mvw d¢ oÈ xe›ron ka‹ prÚw aÈtoÁw §ke€nouw efir∞syai, ·nÉ, e‡ pote pÒlemow êllow susta€h, µ Kelto›w prÚw G°taw µ ÉIndo›w prÚw Baktr€ouw (oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw, èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn) ¶xvsin êmeinon suntiy°nai tÚn kanÒna toËton prosãgontew, ≥nper ge dÒj˙ aÈto›w ÙryÚw e‰nai: efi d¢ mÆ, aÈto‹ m¢n ka‹ tÒte t“ aÈt“ pÆxei Àsper ka‹ nËn metroÊntvn tÚ prçgma. ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si.

oÈ xe›ron ... efir∞syai: Das Idiom oÈ xe›ron (bzw. auch oÈ xe›rÒn §stin) + Infinitiv (besonders

häufig bei Plutarch) bedeutet „es ist nicht unpassend, d. h. ist zweckdienlich“. Lukian verwendet es regelmäßig ohne die Kopula §stin (so Demon. 14 und 44, Dips. 6, Scyth. 1, JTr. 7), und zwar, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend, sonst mit aktivem Infinitiv. An dieser Stelle liegt die Pointe jedoch im ungewöhnlichen passiven Perfektinfinitiv efir∞syai, der das in Kap. 5 Ausgesagte rekapitulierend auf das Vorliegen vollendeter Tatsachen hinweist. µ Kelto›w prÚw G°taw µ ÉIndo›w prÚw Baktr€ouw (oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw, èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn): Mit den Auseinandersetzungen zwischen Kelten und Geten sind potentielle, aber

nach Lukians Absicht unwahrscheinliche Kriegsschauplätze jenseits der Nordgrenze des römischen Reiches intendiert. Unter den Geten scheint Lukian eine Untergruppe der Skythen zu verstehen (so zu Recht vermutet von Macleod 1991, 256), doch ist leider der Wortlaut an der einzigen Stelle, die für eine aussagekräftige Lokalisierung herangezogen werden kann (Deor. Conc. 9), nicht gesichert. Andernorts (Icar. 16) läßt Lukian seinen Menippos die Geten aus der Vogelperspektive als immerzu kämpfend beschreiben, um seinen Blick zu den auf ihren Wägen umherziehenden Skythen sodann schweifen zu lassen. Lukian versteht also unter den Geten, wie es scheint, diejenigen Restbestände des Volkes, die nicht in das römische Reich aufgingen, nachdem als Konsequenz der durch M. Licinius Crassus ausgeführten Pläne des Augustus, die Balkanhalbinsel zu unterwerfen, im Jahr 45 n. Chr. die kaiserliche Provinz Moesia (sie wurde unter Domitian in zwei selbständige Provinzen geteilt) gegründet wurde (Weiss 1912, Sp. 1334, von Bredow 1998 mit neuerer Literatur), deren Position im Jahr 105 / 106 n. Chr. durch die Schaffung der Provinz Dacia jenseits der Donau (vgl. dazu das von Gudea 1977 und Daicoviciu 1977 aufgearbeitete Material) noch verstärkt wurde. Die nicht romanisierten Geten, die Lukian hier demnach im Auge hat, stellten für Rom weder zu dieser Zeit noch in den nachfolgenden Generationen eine Gefahr dar, da keine entsprechenden römischen Truppenbewegungen bekannt sind (vgl. Ritterling 1924, Sp. 1296 ff.), weshalb Lukian sich auch dieses Spiel mit der Phantasie erlauben kann. Und auch außerhalb der römischen Grenzen dürften diese im militärischen Spiel regionaler Kräfte ein verschwindend kleiner Machtfaktor gewesen sein. Noch schwerer zu bestimmen ist, was unter der Bezeichnung „Kelten“ zu verstehen ist. Lukian

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selbst verwendet diese zwar mehrfach, zum einen als Name für die westlichen Kelten im Bereich Galliens (vgl. die prolalia Hercules), wo er selbst als Redner zu Ansehen und Vermögen gekommen war (Bis Acc. 27, Apol. 15), zum anderen für die kleinasiatischen Kelten, die Galater (so Alex. 27, vgl. aber den Kommentar zu Kap. 19: krÊstallon tÚn KeltikÒn). Doch auch diese können genausowenig wie die durch Caesars Eroberungen romanisierten Gallier gemeint sein, da sie bereits im Jahr 25 / 24 v. Chr. als (unter Vespasian und Marc Aurel territorial noch vergrößerte) Provinz Galatia an das römische Reich annektiert worden waren. Auch die übrigen mitteleuropäischen Kelten waren in ihrer überwiegenden Mehrheit zu dieser Zeit längst in das imperium Romanum integriert. Wie im Falle der Geten versteht Lukian also auch unter den Kelten nicht exakt identifizierbare, politisch unbedeutende Restbestände jenseits des römischen Herrschaftsgebietes. Nebenbei vermerkt, die von Wirth 1964, 237–38 herausgestellte Anspielung Lukians auf Arrian (An. I 3–5) ist kaum als wahrscheinlich zu erachten. Keine Probleme für das Verständnis bieten die nördlich des Paropamisos (Hindukusch) angesiedelten Baktrier und die Inder, mit denen die Römer seit nunmehr rund 200 Jahren sehr rege Handelsbeziehungen unterhielten (einschlägige Literatur bei Drexhage 1998, zu ergänzen ist Schmitthenner 1979, 93–106, zum Indienhandel vom Frühhellenismus bis ins 2. Jh. n. Chr. vgl. auch Sedlar 1980, bes. 88–96). Durch den Alexanderzug und diplomatische Kontakte der Diadochen mit den Mauryas (Schwarz 1968, Schwarz 1970 zur friedlichen Kontaktnahme zwischen Seleukiden und Mauryas, in die Thematik elementar einführend Schwarz 1966, bes. 71–75) war Indien überhaupt erst so richtig in westliches Bewußtsein eingedrungen. Es entstand eine Kultur mit gegenseitiger Durchdringung von griechischen und indischen Elementen (Sedlar 1980, 63 nennt sie Indo–Greek civilization). Nachdem gegen Ende des 2. Jhs. v. Chr. auch die Monsunpassage durch Eudoxos von Kyzikos (zu seinen Seefahrten Cary / Warmington 1929, 90–91, zur Umsegelung Afrikas 123–131) bekannt geworden war (Dihle 1978, 547–551), waren schon während des ganzen 1. Jhs. v. Chr. die nötigen Voraussetzungen für die sich seit augusteischer Zeit nachweisbar entwickelnden Handelskontakte Roms mit Indien gegeben. Indische Luxusgüter wurden importiert; im Gegenzug wurden landwirtschaftliche und gewerbliche Produkte exportiert. Seit Claudius wurde Sri Lanka, wenn auch nicht sehr stark, in die Handelskontakte integriert. Im Gefolge des Alexanderzuges waren zudem auch von Philosophen und Historikern intellektuelle Konzepte zur Erklärung der besonderen Fruchtbarkeit Indiens entwickelt worden (Dihle 1962). Vgl. dazu auch den Kommentar zu Kap 31: oÈk efiw makrån ≤m›n ı yaumastÚw suggrafeÁw épÚ Mouz€ridow ... §pistele›. In diesem Zusammenhang sind auch der Indienaufenthalt des Apollonios aus Tyana und die illustrativen Ausführungen Andersons 1986, 206–215 dazu von Interesse. oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw, èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn: Die pointierte Formulierung èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn (zu dem in der Literatur häufig geäußerten Gedanken der

weltbeherrschenden Stellung Roms vgl. Unruh 1989, bes. 1–53, unter Einbeziehung christlicher Literatur) ist als Indiz zu werten, daß die Abfassung der Schrift nicht nur nach Beendigung des Partherkrieges, sondern auch noch vor dem Beginn der in drei Hauptphasen verlaufenen (Oliva 1979) Markomannenkriege (Quellen und eine Diskussion der problematischen Kriegschronologie bei Goetz / Welwei 1995, II 281–327) anzusetzen ist. Lukian versteht sich ja als Römer (prÚw ≤mçw), und für einen solchen wäre es als Geschmacklosigkeit zu erachten, sich in einer Zeit schwerwiegender Bedrohung für den Bestand des römischen Reiches und, was nicht übersehen werden darf, damit natürlich auch für die eigene Existenz einen Witz über die durch die Markomanneneinfälle nach dem Ausweis der antiken Zeugnisse ernsthaft gefährdete römische Suprematie zu erlauben.

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Ein gewisser Unsicherheitsfaktor bei einer Rekonstruktion der Kriegsereignisse kann allerdings nicht aufgehoben werden, da 1) der Bericht des Cassius Dio nur in Auszügen erhalten ist, 2) die Marcusvita in der Historia Augusta keine verläßliche Grundlage für die Datierung darstellt und 3) die mit dem Tod Marc Aurels (180 n. Chr.) einsetzende Darstellung Herodians sich lediglich auf die Schlußphase der Markomannenkriege bezieht. Nach der Auskunft der Marcusvita (HA vit. Marc. 12, 13–13, 2) wurde die einen großen Schrecken und dementsprechend umfangreiche rituelle Handlungen bei den Römern hervorrufende Markomannengefahr bereits während des noch nicht beendeten Partherkrieges akut, also wahrscheinlich im Jahr 166 n. Chr. (vit. Marc. 12, 13: Dum Parthicum bellum geritur, natum est Marcomannicum, quod diu eorum, qui aderant, arte suspensum est, ut finito iam orientali bello Marcomannicum agi posset). Diese durch archäologische Methoden absicherbare Information (Noll 1954 zeigt klar, daß der Krieg mit den Markomannen für die Römer keineswegs überraschend gekommen ist, sondern sich bereits lange zuvor abgezeichnet hatte) läßt sich mit einem sehr illustrativen Exzerpt aus Cassius Dio (LXXII = LXXI 3, 1a, Petr. Patr. exc. de legG. 6 Boissevain III 250–251) kombinieren, dem zu entnehmen ist, daß die ersten Vorstöße über die Donau durch die Langobarden und die Obier erfolgt sind (zu den historischen Problemen des ganzen Passus Kerler 1970, 58, bes. Anm. 64–65). Dieses Ereignis muß wohl spätestens vor Mai 167 n. Chr. stattgefunden haben (zur Datierung auf 166 / 167 n. Chr. vgl. Fitz 1960 und 1966, 359–360), da die in CIL XVI 123 (eine Urkunde aus Niederpannonien vom Mai 167 n. Chr.) erwähnte fünfte imperatorische Akklamation Marc Aurels wahrscheinlich auf eine Abwehr dieses Angriffs zu beziehen ist (Mócsy 1962, Sp. 556, Birley 1979, 484 und Goetz / Welwei 1995, II 287). Die Rekrutierung neuer Legionen begann bereits vor dem Triumph über die Parther; die legio V Macedonica wurde nach ihrer Rückkehr aus dem Osten nach Dakien verlegt (Birley 1979, 483–484). Unter der wahrscheinlichen Voraussetzung jedoch, daß Lukian noch ohne Wissen um die im Norden des Reiches drohende Gefahr geschrieben hat, könnten die Worte èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn auch den Charakter einer sich auf Geschichtswerke enkomiastischen Zuschnitts beziehenden Parodie haben, denn das Thema durchzieht leitmotivisch Lukians Lehrschrift (im zweiten Teil der Schrift, Kap. 14–32, jedoch nur in Kap. 17 explizit als Vorwurf vorgebracht, zu möglichen Gründen dafür vgl. die Einleitung, Teil I 2. 10). Die Formulierung prÚw ≤mçw folgt der in dieser Schrift auch sonst (Kap. 14, 17, 29 und 31) und anderswo (Alex. 48) zu beobachtenden Solidarisierungstendenz Lukians mit dem imperium Romanum mittels eines „wir“ bzw. „unser“, welches sich vor Lukian nur selten findet (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 1. 2). Zumindest ein Kern Wahrheit liegt sicherlich in Jones’ 1986, 89 Schlußfolgerung, that, as an entity above and apart from cultured Greeks, Rome was beginning to cease to exist. Jones’ Ansicht, daß Lukians Verwendung des „wir“ without any sign of making a conscious gesture erfolge, dürfte allerdings in dieser Einseitigkeit kaum zutreffend sein. Die Worte èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn sind u. a. sicherlich auch zu verstehen vor dem Hintergrund des Umstandes, daß der Friede im imperium Romanum häufigstes Thema innerhalb sophistischer Rhetorik ist (Nutton 1978, 210–11). Lukian unterscheidet sich von anderen Autoren lediglich im geistreich–witzigen Ton, mit dem er diesen an sich durchaus vertrauten Gedanken vorträgt. tÚn kanÒna toËton prosãgontew: Der Begriff ı kan≈n (immer in der Bedeutung von „Regel“

oder „Vorbild“, vgl. Pfeiffer 1978, 255, illustrativ dazu Oppel 1937), der in eigentlicher Bedeutung (Pl. Phlb. 56 b, bei Lukian Icar. 14: Sache des t°ktvn ist es, prÚw toÁw kanÒnaw épeuyÊnein tå jÊla) das „Richtscheit“ bezeichnet, ein handwerkliches Instrument zur Herstellung gerader Linien, steht in übertragenem Sinn für die Regel, die Norm (so bei Lukian Demon. 2, in Verbindung mit gn≈mvn Harm. 3, Herm 76). Diese übertragene Bedeutung findet sich in literarkritischem Umfeld

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bereits bei Aristophanes (Ra. 799: kanÒnaw), sodann bei Dionysios von Halikarnaß (Lys. 2: Lysias ist t∞w ÉAttik∞w gl≈tthw êristow kan≈n, Plural kanÒnew in Lys. 24, Th. 34) und bei Lukian selbst (Adv. Ind. 2), wo der ungebildete Büchersammler mit folgenden harschen Worten über die völlige Sinnlosigkeit seiner Sammlertätigkeit aufgeklärt wird: µn mØ efidªw tØn éretØn ka‹ kak€an •kãstou t«n §ggegramm°nvn ka‹ suniªw ... ˜sa te prÚw tÚn ÙryÚn kanÒna t“ suggrafe› éphkr€bvtai ka‹ ˜sa k€bdhla ka‹ nÒya ka‹ parakekomm°na (vgl. Zeux. 2 und Im. 12: letzteres mit Bezug auf bildende Kunst). In dieser Schrift kommt kan≈n wichtige Bedeutung zu; in Kap. 8 wird nachdrücklich auf die für Dichtung und Geschichtsschreibung jeweils gültigen kanÒnew hingewiesen, und in Kap. 9 findet sich das Verbaladjektiv kanonist°on im Zusammenhang mit den für richtig dosiertes Lob zu befolgenden Prinzipien. Zur Junktur von kan≈n und stãymh vgl. Kap. 63: kan∆n ka‹ stãymh (mit Darlegung des Bedeutungsunterschiedes im Kommentar z. St.). Das Idiom kanÒna(w) prosãgein (bei Lukian auch Pr. Im. 22) findet sich ansonsten erst spät und vereinzelt (z. B. Greg. Naz. Ep. 165, 5, Simp. in Cat. Kalbfleisch 191, Z. 34). Hermann 1828, 40 weist zu Recht auf Pl. Grg. 486 d hin, wo mit dem Verbum prosãgein der Aspekt des Prüfens verbunden ist. t“ aÈt“ pÆxei ... metroÊntvn tÚ prçgma: Der Begriff p∞xuw (lat. cubitus, Elle) bezeichnet neben poÊw (lat. pes mit einer Länge von 2/3 der Elle) die Grundeinheit der in der Antike gebräuchlichen

Längenmaße (Literatur bei Schulzki / Höcker 1999, 988–991), sodann aber auch als terminus technicus für das übliche Meßgerät den „Zollstab“ bzw. den„Meßstab“ (LSJ s. v. p∞xuw, V 2: „cubit–rule“ bzw. „foot–rule“, selten belegt, z. B. in AP VI 204, 1: Leonidas von Tarent). In literarkritischem Zusammenhang findet sich eine ähnliche Metapher wie hier bereits bei Aristophanes (Ra. 799: pÆxeiw §p«n). Belege generell zur Übertragung handwerklicher Terminologie auf Literatur und Literaturkritik bei Radermacher 1967, 257–258. Eine ähnliche Kombination der Begriffe wie hier findet sich auch in Kap. 39: ka‹ ˜lvw p∞xuw eÂw ka‹ m°tron ékrib°w. ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si: Bevor der Autor zu Diagnose und Therapievorschlägen für die Ausmerzung der den faÊlvw suggrãfontew (Kap. 6) anhaftenden Mängel übergeht, schlüpft er, wie seine Selbststilisierung als Arzt (fiatrÒw) zeigt,

in die Rolle des bereits in Kap. 3 mit einer für den diatribenhaften Charakter des Eingangspassus der Schrift programmatischen Anekdote in Erscheinung getretenen Kynikers Diogenes von Sinope. Wie sich dieser als Arzt und Beheber menschlicher Affekte, als fiatrÚw t«n pay«n, verstanden hatte, so nimmt der Autor nunmehr für die Zwecke seiner Lehrschrift die Pose eines Arztes und Ratgebers in Sachen richtig verstandener Historiographie ein, wenn er sich auch, wie schon Diogenes vor ihm, über die Unbelehrbarkeit der Menge hinlänglich im klaren ist (Kap. 5, vgl. 63). Seinen Ursprung dürfte der Vergleich des wahren Philosophen mit einem Arzt (Billerbeck 1978, 137 und Luchner 2004, bes. 147–170 und passim) in der Sokratik haben (ein Beleg: Pl. R. VI 489 b, diese Stelle ist vor dem Hintergrund des von Cordes 1994, 138–169, bes. 153–158 aufgearbeiteten Materials aus Platon zu bewerten). Vom Sokratiker Aristippos berichtet Diogenes Laertios (II 70), er hätte die Reichen mit Kranken (nosoËntew) und die Philosophen mit Ärzten (fiatro€) verglichen. Aufgegriffen wurden derartige Arztvergleiche von den Kynikern; diesen nämlich galt die überwiegende Mehrheit der Menschen als Toren, die eines Arztes zur Heilung dringendst bedürften. Wegen dieser dem Kynismos innewohnenden pädagogischen Tendenz ist es folgerichtig, daß die Kyniker sich gerne und häufig im Sinne ihres seelentherapeutischen Anspruchs derartiger Arztmetaphern bedienten. Bereits von Antisthenes ist ein solcher Ausspruch überliefert (D. L. VI 6). Wegen seines Umgangs mit verworfenen Kreaturen (ponhro€) geschmäht, hätte Antisthenes erwiedert, auch die Ärzte seien in der Nähe der Kranken, ohne deshalb selbst vom Fieber angesteckt zu werden (ka‹ ofl fiatro‹ ... metå t«n nosoÊntvn efis€n, éllÉ oÈ pur°ttousin, eine weitere Antisthenes

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betreffende Anekdote bei D. L. VI 4). Besonders häufig wurden Vergleiche dieser Art Diogenes von Sinope zugeschrieben, dem Markantesten unter den Begründern der kynischen Lehre (vgl. den Kommentar zu Kap. 3: tÚ toË Sinvp°vw §ke›no). Gefragt, warum er denn in Athen verbleibe, wo er doch stets die Spartaner lobe, habe er nach dem Bericht des Stobaios (III 13 [per‹ parrhs€aw] 43 Wachsmuth / Hense, III 462, Z. 14–15) mit gleichermaßen spartafreundlicher wie auch athenkritischer Geste gesagt: oÈd¢ går fiatrÚw Ígie€aw Ãn poihtikÚw §n to›w Ígia€nousi tØn diatribØn poio›to. Auch Korinth, der alternative Wohnsitz des Diogenes, bekam von diesem sein Teil an Kritik ab. In diesem Sinne faßt Dion Chrysostomos (or. 8, 5) das Selbstverständnis des Diogenes angesichts des sündigen Korinth in die Worte: de›n oÔn tÚn frÒnimon êndra, Àsper tÚn égayÚn fiatrÒn, ˜pou ple›stoi kãmnousin, §ke›se fi°nai bohyÆsonta, oÏtvw ˜pou ple›sto€ efisin êfronew, §ke› mãlista §pidhme›n §jel°gxonta ka‹ kolãzonta tØn ênoian aÈt«n. Der vom Intellekt Geleitete, der frÒnimow,

habe demnach in Analogie zum Arzt da am meisten zu tun, wo die größte Zahl an seelisch Kranken (êfronew) anzufinden sei. Und in Kapitel 7 derselben Rede (or. 8) wundert sich Diogenes über die Ungereimtheit, daß den Menschen eine verdorbene Seele weniger Sorgen bereite als ein physischer Defekt; lieber gingen sie zum Augen- oder Zahnarzt als zu ihm, dem Seelenarzt. Diogenes Laertios (VI 30 und 36) vermittelt weitere Belege. Ganz im Sinne der vorgeprägten literarischen Tradition läßt Lukian „seinen“ Diogenes in der Philosophenburleske Vitarum auctio verkünden, er sei ein Befreier der Menschen und ein Heiler von deren Affekten (Kap. 8: fiatrÚw pay«n). Epiktet (III 22, 67–76, bes. 72) begründet sogar die Ehelosigkeit des Kynikers schlechthin mit dessen pädagogischer Verpflichtung, seines Amtes als eines Arztes zu walten. Von den Stoikern wurden derartige Arztvergleiche aufgegriffen, so beispielsweise von Chrysippos (SVF III 120, Fr. 471), der dem Leibarzt (per‹ tå s≈mata fiatrÒw) den Seelenarzt (t∞w cux∞w fiatrÒw) pointiert gegenüberstellt. Bei Lukian selbst ruft ein Passus aus dem Lexiphanes (Kap. 16–21) zu einem Vergleich auf. Der an hyperattizistischer Manier krankende (mehrfach fällt das Wort nÒsow) Lexiphanes wird da von dem zufällig vorbeikommenden Arzt Sopolis (dies ist ein redender Name, wie u. a. der Imperativ s«son in Kap. 18 zeigt) mit einem Brechmittel von seiner Verrücktheit geheilt (18: ‡asiw). Erst nach dieser Purgation kann Lykinos sein Werk der Umerziehung (21: metapa€deusiw) beginnen, das in der Handreichung eines Kanons von anerkannten und für die m€mhsiw geeigneten Autoren besteht. Wie in jener Schrift, so kommt auch hier dem Arzt die Funktion zu, den Patienten von Verkehrtheiten auf sprachlich–literarischem Gebiet zu heilen. Generell dient Lukian die Krankheit als eine Metapher zur Bloßstellung der krankhaften Befindlichkeit der Zeit, insbesondere innerhalb der Bereiche von Bildung und Bildungsbetrieb (vgl. Luchner 2004, 333–402). Schließlich noch eine Beobachtung zu oÈ pãnu éniãsetai: mit der Pose demonstrativer Unbeteiligtheit (in der Rolle des Diogenes kann der Autor sich als nicht eben von der Wirksamkeit dieser seiner Lehrschrift überzeugt geben, vgl. dazu Kap. 3–4) meldet sich vorerst ein letztes Mal der diatribenhafte Ton, der Kap. 5 kräftig durchzogen hatte, zu Wort, um nunmehr einem didaktischen Vortragsstil zu weichen.

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Kapitel 6 Der bis dahin eher zwanglose Plauderton weicht in Kapitel 6 einem bewußt eingesetzten didaktischen Vortragsstil. Einzig die Bezeichnung der Lehrschrift als einer sumboulÆ (in Kap. 5 war diese mit zünftigem Anspruch als eine t°xnh bestimmt worden) erinnert noch an den vorangehenden Passus. Jetzt wird das Dispositionsschema der Schrift zumindest in groben Zügen angegeben. Auf einen vorangehenden negativen Teil werde ein positiver folgen. In diesem Sinne kündigt das Autor-Ich an, daß es erst mal die zu meidenden Mängel (tåw kak€aw) behandeln werde. Darunter ist erklärtermaßen der nun folgende didaktische Passus des ersten Schriftteils (Kap. 7–13) zu verstehen. Doch ohne daß dies hier explizit ausgesagt würde, wird der negative Teil sodann eine Fortsetzung und einen Höhepunkt finden in dem zweiten Teil der Schrift (Kap. 14–32) mit seiner Kritik an ganz bestimmten Verfassern und teilweise auch an zu Klassen zusammengefaßten Autoren.

DittoË d¢ ˆntow toË t∞w sumboul∞w ¶rgou, tå m¢n går aflre›syai, tå d¢ feÊgein didãskei, f°re pr«ta e‡pvmen ëtina feukt°on t“ flstor€an suggrãfonti ka‹ œn mãlista kayareut°on, ¶peita oÂw xr≈menow oÈk ín èmãrtoi t∞w Ùry∞w ka‹ §pÉ eÈyÁ égoÊshw, érxÆn te o·an aÈt“ érkt°on ka‹ tãjin ¥ntina to›w ¶rgoiw §farmost°on ka‹ m°tron •kãstou ka‹ ì sivpht°on ka‹ oÂw §ndiatript°on ka‹ ˜sa paradrame›n êmeinon ka‹ ˜pvw •rmhneËsai aÈtå ka‹ sunarmÒsai.

DittoË d¢ ˆntow toË t∞w sumboul∞w ¶rgou, tå m¢n går aflre›syai, tå d¢ feÊgein didãskei, f°re pr«ta e‡pvmen ktl: Ähnliche diair°seiw gehören bekanntlich zum festen Repertoire rhetorischer

Fachsprache; im Besonderen sind sie an herausgehobenen Stellen in die Form eines Genetivus absolutus gekleidet (D. H. Dem. 51, Comp. 1: Ditt∞w går oÎshw éskÆsevw per‹ pãntaw …w efipe›n lÒgouw, t∞w per‹ tå noÆmata ka‹ t∞w per‹ tå ÙnÒmata), wofür auch aus anderen literarischen Bereichen einschlägige Belege vorliegen (z. B. Arist. EN II 1, 1103 a 14–15: Ditt∞w dØ t∞w éret∞w oÎshw, t∞w m¢n dianohtik∞w t∞w d¢ ±yik∞w ktl., programmatischer Einleitungssatz zu dem zweiten Buch). Seine Lehrschrift benennt der Autor Lukian mit wechselnden Namen, als para€nesiw bzw. als Ípoy∞kai (Kap. 4–5), als kan≈n (5), sumboulÆ (27, sich selbst in 34 als einen sÊmboulow) und mit betonter Seriosität auch als eine t°xnh (34–36: auch in Verbindung mit sumboulÆ und didaskal€a). Mit den durchaus einem stereotypen Schema folgenden Worten aflre›syai und feÊgein (Salt. 81: ë te xrØ aflre›syai ka‹ ì feÊgein memayhkÒtew) ist im Wesentlichen, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge (Macleod 1991, 291 weist zu Recht auf die andersartige Gestaltung in Salt. 74–80 hin, wo auf die éreta€ [74–79] die kak€ai [80] folgen), das Dispositionsschema dieser Schrift bezeichnet, der nachgereichte didaktische (34–63) und der voranstehende skommatisch–lehrhafte Teil (14–32), wie auch das Scharnier in Kap. 33 verdeutlicht, welches die beiden Abschnitte der Schrift klar voneinander trennt. Die weiter unten angeführten Details umreißen in knapper Form die insbesondere in den Kap. 48–57 erteilten Anweisungen zu richtiger Proömiumsgestaltung (Kap. 52–Anfang 55), zu einer auf das Wesentliche konzentrierten Stoffwahl (Kap. 56–57, vgl. bes. 27) sowie zu adäquater Gliederung des Stoffes (erstmals Kap. 48: die tãjiw als Arbeitsschritt des Historikers) und entsprechender Darstellung. Das Idiom f°re e‡pvmen, das an sich schon einen lehrhaften Ton markiert (z. B. D. Chr. or. 1, 11), ist nach dem diatribenhaft gehaltenen Einleitungsteil der Schrift mit demonstrativer Geste angeglichen an die seriöse Diktion rhetorischer Lehrbücher (Ps. D. H. Rh. 5, 1 Usener / Radermacher VI 273, Z. 4: f°re oÔn e‡pvm°n ti ka‹ per‹ toÊtvn t«n lÒgvn, ˜pvw ín ka‹ toÊtouw êrista ka‹ =òsta metaxeirizo€meya, so auch D. H. Dem. 10). Demselben Zweck dienen auch die hier erstmals

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gehäuft auftretenden Verbaladjektiva, welche sodann erst wieder in Kapitel 9 in Erscheinung treten. Anderson 1982, 68 sieht in der hier vorliegenden Zweiteilung eine syncrisis der Elemente des comic und des serious, wie sie sich in den literarischen Pamphleten (Rhetorum praeceptor und Lexiphanes) sonst auch findet, allerdings mit dem kleinen Unterschied, daß: In Historia the balance is roughly even; in the other two it is no surprise to find that the caricature takes up most of Lucian’s attention. Lukian hat also ein ihm vertrautes Verfahren an die aktuellen Zwecke dieser Lehrschrift angepaßt. oÂw xr≈menow oÈk ín èmãrtoi t∞w Ùry∞w ka‹ §pÉ eÈyÁ égoÊshw: Wie in Herm 28 fehlt hier das Beziehungswort ıdoË, welches in Zeux. 10 (ofl ·ppoi dÉ §pe€per ëpaj t∞w §w tÚ eÈyÁ ıdoË épetr°ponto) explizit gesetzt ist. Im Einleitungspassus zum dritten und didaktischen Teil der

Schrift (Kap. 35) kennzeichnet der Autor seine Lehrschrift mit demonstrativer Bescheidenheitsgeste als Wegweisung (Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw). Im Rhetorum praeceptor ist das aus Hesiod (Rh. Pr. 3 mit Anspielung auf Hes. Op. 287–292) vertraute Bild des schweren und des leichten Weges als ein die Schrift in ihrer Gesamtheit maßgeblich bestimmendes Element eingesetzt (das die ıdÒw qualifizierende Adjektiv ÙryÆ findet sich ebenfalls in Rh. Pr. 9: §kpese›sya€ se t∞w Ùry∞w ıdoË ka‹ égoÊshw §p‹ tÚn gãmon).

TaËta m¢n ka‹ tå toiaËta Ïsteron, nËn d¢ tåw kak€aw ≥dh e‡pvmen, ıpÒsai to›w faÊlvw suggrãfousin parakolouyoËsin. ì m¢n oÔn koinå pãntvn lÒgvn §st‹n èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€& ka‹ diano€& ka‹ tª êll˙ étexn€&, makrÒn te ín e‡h §pelye›n ka‹ t∞w paroÊshw Ípoy°sevw oÈk ‡dion. [koinå gãr, …w ¶fhn, èpãntvn lÒgvn §st‹n èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€&],...

[koinå gãr, …w ¶fhn, èpãntvn lÒgvn §st‹n èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€&]: so zu Recht Rudolph, gefolgt von Bekker 1853, 3 und Kilburn 1968, 10; [èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€&]: so Fritzsche 1860, 32–33; èmartÆmata [¶n te fvnª ka‹ èrmon€&]: Macleod 1980, 290 (Nesselrath 1984, 591 weist darauf hin, daß hier im textkritischen Apparat nur Fritzsche, Quaest. Luc. 166 mit dessen früherer Athetese lediglich der Worte ¶n te fvnª ka‹ èrmon€& berücksichtigt ist). tåw kak€aw: Hier setzt sich die in Kap. 6 insgesamt feststellbare Tendenz fort, mit (der Fachsprache

rhetorischer Theorie entnommenen) termini technici zu operieren, um eine Atmosphäre seriöser Lehrhaftigkeit zu erzeugen. In diesem Sinne ist der Begriff kak€a (vgl. die Anmerkung zu Kap. 42: §nomoy°thsen ... éretØn ka‹ kak€an suggrafikÆn) auf den Bereich literarkritischer Wertung bezogen (so auch Ind. 2 und 26), wie dies auch der Fall ist bei Verfassern rhetorischer Lehrbücher, bei Dionysios von Halikarnaß (Comp. 26 sowie auch Ps. D. H., Rh. 9, 5 Usener / Radermacher VI 329, Z. 11–12) und Theon (Prog. 2 Spengel II 71, Z. 18). koinå pãntvn lÒgvn ... èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€& ka‹ diano€& ka‹ tª êll˙ étexn€&: der

Autor Lukian stellt die spezifischen Fehler, wie sie sich innerhalb der Geschichtsschreibung finden, solchen, die in jeglicher Art von Rede bzw. Prosarede (vgl. die routinemäßige Unterscheidung von poiÆmata und lÒgoi bei D. H. Comp. 4, Belege bei Ernesti 202) vorkommen, gegenüber. Unter der fvnÆ (synonyme Begriffe sind •rmhne€a und l°jiw) versteht er (Kap. 43–44) eine den jeweiligen Gegenstand mittels größtmöglicher Anschaulichkeit zum Ausdruck bringende, allgemeinverständliche wie auch den gehobenen Ansprüchen der Gebildeten (pepaideum°noi) genügende sprachliche Form. Als Studienobjekt zur Erwerbung dieser Qualität eigne sich, wie Lukian seinen Sprecher Lykinos andernorts (Lex. 22) feststellen läßt, die fvnÆ der mustergültigen Redner. Eine fehlerhafte fvnÆ wird

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hier namentlich an den von hyperattizistischen Bestrebungen irregeleiteten Autoren kritisiert, aber auch in anderen Bereichen literarischer Gestaltung (Lex. 25). In dieser Schrift sind es solche Fehler in der Geschichtsschreibung, die den Tadel des Autors finden (Kap. 21). Unter der èrmon€a (Belege bei Ernesti 42) verstehen Theoretiker der Rhetorik über die Wortwahl (§klogØ t«n Ùnomãtvn) hinaus eine ganz bestimmte Zusammenfügung (sÊnyesiw) der gewählten Worte (vgl. Luk. Hist. Conscr. 46: sunyÆkh). Dionysios von Halikarnaß diskutiert dieses Thema in seiner Schrift per‹ suny°sevw Ùnomãtvn und stellt einleitend fest, daß eine beliebige Wortfügung die Wirkung von an sich durchaus gegenstandsadäquat gewählten Worten völlig zunichte mache (Comp. 3: pollo‹ goËn ka‹ poihta‹ ka‹ suggrafe›w filÒsofo€ te ka‹ =Ætorew l°jeiw pãnu kalåw ka‹ prepoÊsaw to›w Ípokeim°noiw §kl°jantew §pimel«w, èrmon€an d¢ aÈta›w épodÒntew efika€an tinå ka‹ êmouson oÈd¢n xrhstÚn ép°lausan §ke€nou toË pÒnou). Ps. Longinos (39–40) wiederum handelt die Thematik seiner ganz besonderen Konzeption entsprechend unter dem Gesichtspunkt von pãyow, megalhgor€a und Ïcow ab. Lukian selbst (Herod. 1), der in dieser Schrift das Wort èrmon€a sonst

nicht gebraucht (auch die Erwähnung in Zeux. 2 ist zu unspezifisch, um daraus etwas Konkretes ableiten zu können), hebt an Herodot u. a. hervor kãllow t«n lÒgvn µ èrmon€an aÈt«n, doch ist nicht auszuschließen, daß er hier ebenso wie im Falle von Malerei (Zeux. 5: tØn t«n mer«n prÚw tÚ ˜lon fisÒthta ka‹ èrmon€an) und Musik (Im. 14) zugleich auch die Gesamtkonzeption im Auge hat (seine eigene literarische Neuschöpfung des komischen Dialogs charakterisiert er unter Verwendung einer der Musik entnommenen Metapher als eine èrmon€a, Prom. Es 6). Unter der diãnoia (auch noËw, so Ind. 2 und Lex. 1) ist, wie bereits bei Platon (Phdr. 228 d, Ly. 205 b), der Sinngehalt zu verstehen. Dieser muß Lukians Ansicht zufolge der l°jiw übergeordnet sein. In diesem Sinne ist auch die Kritik am Hyperattizisten Lexiphanes zu verstehen, der unter Verkennung des relativen Stellenwerts dieser beiden Faktoren fertig vorliegenden Phrasen erst sekundär eine Bedeutung überstülpe (Lex. 24: Ka‹ mØn kéke›no oÈ mikrÒn, mçllon d¢ tÚ m°giston èmartãneiw, ˜ti oÈ prÒteron tåw diano€aw t«n l°jevn propareskeuasm°now ¶peita katakosme›w to›w =Æmasin ka‹ to›w ÙnÒmasin). Und mit dieser Position durchaus vereinbar sind die aus unterschiedlicher Perspektive

entwickelten Ansichten des Dionysios von Halikarnaß (Comp. 3) und des Ps. Longinos (39, 4), welche besagen, daß die diãnoia ohne Unterstützung durch die l°jiw nicht zur Geltung komme bzw. daß sie erst durch das Hinzutreten der èrmon€a ihre volle Wirkung entfalte. An eine beabsichtigte Unterscheidung zwischen den sxhmatismo‹ t∞w l°jevw und t∞w diano€aw (D. H. Comp. 8, die Belege bei Ernesti 338–341) ist im Falle Lukians jedoch kaum vorrangig zu denken. Ernsthafte Schwierigkeiten bereiten die Worte ka‹ tª êll˙ étexn€&, da sie eine logische Unstimmigkeit erzeugen. Denn während im Falle von fvnÆ, èrmon€a und diãnoia, welche prinzipiell eine adäquate Handhabung zulassen, sinnvollerweise von möglichen Fehlleistungen (èmartÆmata) gesprochen werden kann, ist dies im Falle der ihrem Wesen nach negativ konnotierten étexn€a („nicht technegemäße Verfahrensweise“, so wiederholt in Par. 8, vgl. auch Bis Acc. 33 mit Gleichsetzung der Begriffe fidi≈thw und êtexnow) nicht möglich. Unter der Voraussetzung, daß die Worte ka‹ tª êll˙ étexn€& tatsächlich Lukian zuzutrauen sind, bleibt daher wohl einzig der Ausweg, sich unter Umgehung der syntaktischen Struktur mit sinngemäßer Übersetzung zu behelfen („und solche Fehler, wie sie sich aus sonstiger unsachgemäßer Vorgehensweise ergeben“; Ps. D. H. Rh. 10, 6 Usener / Radermacher VI 365, Z. 1–2: tå t∞w étexn€aw plhmmelÆmata).

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t∞w paroÊshw Ípoy°sevw oÈk ‡dion: Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich bei Ps. Longinos (39, 1), der solcherart seine beiden zeitlich vorausgehenden Abhandlungen über die sÊnyesiw von seiner aktuell vorliegenden (... efiw tØn paroËsan ÍpÒyesin) unterscheidet. Dabei handelt es sich mutmaßlich um ein ursprünglich in der Fachsprache rhetorischer t°xnai beheimatetes Idiom (vgl. D. H. Comp. 15: érke› går ˜son efiw tØn paroËsan ÍpÒyesin ¥rmotten efir∞syai), das sich späterhin jedoch häufiger findet. Zu dem Adjektiv ‡diow (Aristoteles verwendet es wiederholt in der Poetik) in der Bedeutung von „spezifisch“ vgl. die Kommentare zu Kap. 9: tÚ ‡dion §ntel°w und Kap. 39: toËto ‡dion flstor€aw.

Kapitel 7 Von Kapitel 7 an werden im verbleibenden ersten Schriftteil (Kap. 7–13) diejenigen Mängel (èmartÆmata) behandelt, die speziell in der Gattung der Geschichtsschreibung zu finden seien. Als erstes wird konstatiert, daß das Gros der Geschichtsschreiber bei der Charakterisierung von Freunden und Feinden stark zu übermäßiger Schwarzweißmalerei tendiere. Grund dafür sei ein intellektuelles Defizit, das Unwissen (égnooËntew) darüber, daß die Gattungen der Geschichtsschreibung (flstor€a) zum einen und der Lobrede (§gk≈mion) zum anderen durch eine gewaltige Mauer voneinander getrennt seien. Denn während die Lobrede nur ein einziges Ziel verfolge, nämlich das Objekt des Lobes mit allen Mitteln, selbst unter Verwendung von Lüge (ceËdow), zu loben und so zu erfreuen, vertrage die Geschichtsschreibung nicht einmal die kleinste Lüge (≤ d¢ oÈk ên ti ceËdow §mpesÚn ≤ flstor€a oÈd¢ ékaria›on énãsxoito). Gleich bei dem ersten Sachthema, das in dieser Schrift behandelt wird, fällt eine große inhaltliche Nähe zu Polybios auf, der als erster diese beiden Gattungen in ähnlicher Weise unterschieden hatte (Plb. X 21 = 24). Die Vergleiche, derer sich der Autor Lukian bedient, stammen aus den Bereichen von Musik (zwei Oktaven) und Medizin in weitestem Sinne (Vergleich mit der Luftröhre). Darin zeigt sich eine gewisse Nähe zu Darstellungsformen, wie sie aus der paränetischen Literatur bekannt sind (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 2. 4). Avenarius 1956, 15–16 behauptet, schon Ephoros habe, ähnlich wie später Polybios, die Unterschiede zwischen Geschichtsschreibung und Lobrede charakterisiert. Der Passus, auf den er sich dabei beruft, ist Polybios XII 28, 8–28 a 2, bes. 28, 10–11. Seine Tendenz, „als erster Vertreter der moralistischen Historiographie“ die pädagogische Aufgabe des Historikers gegenüber rein enkomiastischer Darstellungsweise gleichermaßen durch Lob wie auch durch Tadel zu verwirklichen, habe Ephoros dazu veranlaßt, das Ziel sittlichen Nutzens durch gerechte Verteilung des Lobes zu erreichen. Doch was steht demgegenüber, nüchtern betrachtet, im Polybiostext? Polybios zufolge äußerte sich Ephoros bereits vor dem (diesen Umstand verhehlenden) Timaios in einer vergleichenden Gegenüberstellung (sÊgkrisiw) über den Unterschied von Geschichtsschreibern (flstoriogrãfoi) und den Verfassern von Reden (logogrãfoi). Mit dieser Erklärung bezog er Stellung in einer offensichtlich sehr aktuellen Debatte, in der von einigen nicht genannten Personen die Ansicht vertreten wurde, zum Verfassen epideiktischer Reden brauche es mehr Talent, Arbeitseinsatz und vorbereitendes Training als für das Verfassen eines Geschichtswerkes. Ephoros hat sich also gegen eine von Vertretern der epideiktischen Rede geführte Polemik verteidigt. Dabei ist aber nicht gesagt, daß, wovon Avenarius ganz selbstverständlich ausgeht, unter Epideiktik automatisch Enkomiastik zu verstehen ist. Denn mag auch nach antiker rhetorischer Theorie das enkomiastische Genos unter das epideiktische fallen (so Avenarius 1956, 15, Anm. 3), so trifft doch nicht umgekehrt zu, daß jede epideiktische Rede zugleich auch eine enkomiastische ist. Aus dem Polybiostext ist demnach nicht mehr zu entnehmen, als daß Ephoros (und nach ihm

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Timaios) sich veranlaßt gesehen haben, den spezifischen Eigenwert der von ihnen betriebenen Gattung, der Geschichtsschreibung, gegen prinzipielle Angriffe vonseiten einiger Befürworter der sophistischen Prunkrede, die in dieser Zeit bei weitem in der Mehrzahl waren, zu verteidigen. Unter diesen Umständen ist es methodisch nicht zulässig, die Abgrenzung der Geschichtsschreibung vom Enkomion mit Avenarius, der auch sonst öfter in diesem selben Sinn argumentiert, direkt auf einen isokrateischen Ursprung zurückzuführen.

ì dÉ §n flstor€& diamartãnousi, tå toiaËta ín eÏroiw §pithr«n, oÂa kémo‹ pollãkiw ékrovm°nƒ ¶dojen, ka‹ mãlista µn ëpasin aÈto›w énapetãs˙w tå Œta. oÈk êkairon d¢ metajÁ ka‹ épomnhmoneËsai ¶nia parade€gmatow ßneka t«n ≥dh oÏtvw suggegramm°nvn.

ì dÉ §n flstor€& diamartãnousi: „hinsichtlich der Fehlleistungen, die sie sich auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung zuschulden kommen lassen“. Der Begriff flstor€a, der bislang in der konkreten

Bedeutung von „Geschichtswerk“ verwendet wurde, steht hier erstmals für den Gattungsbegriff „Geschichtsschreibung“, um solcherart den Leser auf die strikte Abgrenzung der flstor€a vom §gk≈mion (in Kap. 7) und der poihtikÆ (in Kap. 8) vorzubereiten. Dem mit Kap. 6 eingeschlagenen lehrhaften Ton entsprechend bedient sich der Autor im ersten Teil der Schrift (Kap. 6, 7, 9, vgl. auch 24) mit demonstrativer Pose der literarkritischen termini (di)èmartãnein bzw. èmartÆmata (so z. B. D. H. Th. 2, 3, 21, 25, u. ö., Dem. 6, 55, 58, u. ö., Pomp. 3, bei Lukian Lex. 24, Sol. 2, u. ö.). Demgegenüber hatte er eingangs der Schrift (Kap. 2) ebenso situationsadäquat (es ging darum, solcherart eine Analogie zum Wahnwitz der Abderiten herzustellen) vom parapa€ein derjenigen zeitgenössischen Schreiberlinge gesprochen, die ihm den Anlaß für vorliegende Lehrschrift geboten hätten. ín eÏroiw §pithr«n: Dieses Idiom findet sich erstmals bei Lukian, der es sonst noch an zwei Stellen in dieser Bedeutung („bei aufmerksamer Beobachtung finden“) verwendet (Nec. 5: toÁw går aÈtoÁw toÊtouw eÏriskon §pithr«n §nanti≈tata to›w aÍt«n lÒgoiw §pithdeÊontaw, so auch Luct. 24: TaËta ka‹ polÁ geloiÒtera eÏroi tiw ín §pithr«n §n to›w p°nyesi gignÒmena). Darüberhinaus ist auch die spezielle Bedeutung von §pithre›n („mit lauernder Aufmerksamkeit verfolgen, in der Absicht, einen Fehler zu entdecken“, so Merc. Cond. 15: ßkastow ˜ ti prãjeiw §pithroËsin, Cal. 10: Àsper ofl monomaxoËntew §pithroËsin e‡ poÊ ti gumnvy¢n m°row yeãsainto toË s≈matow)

mitzuassoziieren. Im übrigen wird ja auch in Kap. 10 von den urteilsfähigen Beurteilern literarischer Wertigkeiten mit pointierter Überspitzung gesagt, sie hörten bei Vorträgen wie Richter (dikastik«w), ja sogar nach Sykophantenart (sukofantik«w) zu. kémo‹ pollãkiw ékrovm°nƒ: Überall in dieser Schrift werden unmißverständliche Hinweise

auf mündliche Rezeptionsvorgänge gegeben, auf das Anhören von Lesungen zeitgenössischer Geschichtswerke, im ersten Teil der Schrift (erstmals in Kap. 3) und im skommatisch–lehrhaften Teil (programmatisch in Kap. 14, sodann häufig). Kap. 10 und bes. 51 verdeutlichen die semantische Qualität des Verbums ékroçsyai im Unterschied zum neutraleren ékoÊein. Von Leseprozessen ist vergleichsweise selten die Rede (so Kap. 17 und bes. 32), namentlich da, wo dies im Falle zukünftiger Rezeption ohnedies in der Natur der Sache liegt (Kap. 9, 39, 40). Anzumerken ist, daß Lukian andernorts (Herod. 1) als einzige antike Quelle von einer Lesung Herodots anläßlich der olympischen Spiele zu berichten weiß. In dieser Schrift (Kap. 12) findet sich eine Anekdote, in der Aristobulos dem Makedonenkönig persönlich aus seinem Werk vorliest. In lateinischer Literatur belegt Plinius

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(Ep. VII 17, 3, weniger eindeutig ist Ep. I 13, 3, von Homeyer 1965, 181 nicht problematisiert) öffentliche Lesungen von Geschichtswerken als zu seiner Zeit allgemein übliche Praxis. Zu den Rezeptionsformen antiker Historiographie vgl. Hose 1994, 19–23 mit einschlägiger Literatur. µn ëpasin aÈto›w énapetãs˙w tå Œta: Dieses Idiom, das ansonsten Zugänglichkeit gegenüber

Verleumdungen bezeichnet (Plu Alex. 49, 10, vgl. bei Lukian Cal. 30: der Gegensatz ist markiert durch épofrãttein tå Œta), verwendet Lukian, um gespannte Aufmerksamkeit zu bezeichnen (Salt. 85: énapeptam°na ¶xv ka‹ tå Œta ka‹ tå ˆmmata, vgl. Nigr. 4: ëper ¶gvge étene› ka‹ énapeptam°n˙ tª cuxª dejãmenow). épomnhmoneËsai ¶nia: Lukian gebraucht das Verbum épomnhmoneÊein + ein Objekt im Akkusativ in

der prägnanten Bedeutung von „etwas aus der Erinnerung mitteilen“ (Peregr. 3, Demon. 56, Prom. 8, und der Aspekt der Erinnerung kann dabei dermaßen stark in den Vordergrund gerückt sein, daß der Mitteilungscharakter erst aus dem Kontext erschlossen werden muß, so Symp. 2: ... s¢ d¢ ékrib«w efid°nai tå gegenhm°na ka‹ toÁw lÒgouw aÈtoÁw 〈ín〉 épomnhmoneËsai ëte mØ par°rgvw t«n toioÊtvn éllÉ §n spoudª ékro≈menon). Gleich zu Beginn des skommatisch–lehrhaften Teils dieser

Schrift (Kap. 14–32, in Kap. 14) betont das Autor-Ich, daß sein Bericht nun durchgehend aus eigener, noch ganz frischer Erinnerung schöpfen werde (Kap. 14: dihgÆsomai ıpÒsa m°mnhmai ¶nagxow ... ékoÊsaw).

Ka‹ pr«tÒn ge §ke›no ≤l€kon èmartãnousin §piskopÆsvmen: émelÆsantew går ofl pollo‹ aÈt«n toË flstore›n tå gegenhm°na to›w §pa€noiw érxÒntvn ka‹ strathg«n §ndiatr€bousin, toÁw m¢n ofike€ouw §w Ïcow a‡rontew, toÁw polem€ouw d¢ p°ra toË metr€ou katarr€ptontew, égnooËntew …w oÈ sten“ t“ fisym“ di≈ristai ka‹ diatete€xistai ≤ flstor€a prÚw tÚ §gk≈mion, éllã ti m°ga te›xow §n m°sƒ §st‹n aÈt«n ka‹ tÚ t«n mousik«n dØ toËto, d‹w diå pas«n §sti prÚw êllhla, e‡ ge t“ m¢n §gkvmiãzonti mÒnou •nÚw m°lei, ıpvsoËn §pain°sai ka‹ eÈfrçnai tÚn §painoÊmenon, ka‹ efi ceusam°nƒ Ípãrxei tuxe›n toË t°louw, Ùl€gon ín front€seien, ≤ d¢ oÈk ên ti ceËdow §mpesÚn ≤ flstor€a oÈd¢ ékaria›on énãsxoito, oÈ mçllon µ tØn érthr€an fiatr«n pa›d°w fasi tØn traxe›an parad°jasyai ên ti §w aÈtØn katapoy°n.

a‡rontew: so nach N (15. Jh.) Fritzsche 1860, 33, Macleod 1980, 290 (fort. recte, im textkritischen Apparat mit Hinweis auf Somn. 15 und Tim. 5, hinzuzufügen ist Hist. Conscr. 14: §p‹ .. me›zon a‡rein tå ≤m°tera); f°rontew: so nach G und E Macleod 1980, 290 (im Text). émelÆsantew går ofl pollo‹ aÈt«n toË flstore›n tå gegenhm°na to›w §pa€noiw érxÒntvn ka‹ strathg«n §ndiatr€bousin: Die überwiegende Mehrheit aller zeitgenössischen Modehistoriker vernachlässige demnach das im Medium der flstor€a unverzichtbare Erfordernis tatsachengetreuer Berichterstattung (flstore›n in der Bedeutung „berichten“ wie in Kap. 38 und Scyth. 8, mit explizitem Bezug auf die Geschichtsschreiber Im. 16, mit parodistischer Tendenz VH I 3–4), des flstore›n tå gegenhm°na bzw. des flstore›n tå pepragm°na (Kap. 59, mit größerer Variation im Ausdruck Kap. 39: toË dØ suggraf°vw ¶rgon ßn – …w §prãxyh efipe›n). Besonders im Zusammenhang mit dem die

Elemente Lob und Tadel nur in engen Grenzen zulassenden Ethos des Historikers kommt der Autor wiederholt auf dieses zentrale historiographische Prinzip einer objektiven Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse im Sinne der élÆyeia zu sprechen, lasse sich doch einzig unter dieser wichtigen Voraussetzung der gewünschte praktische Nutzeffekt (tÚ xrÆsimon) für den Rezipienten gewinnen (Kap. 9: ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai).

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Mit dem Verbum §ndiatr€bein (Kap. 6: der Historiker müsse wissen, oÂw §ndiatript°on ka‹ ˜sa paradrame›n êmeinon) ist im Besonderen eine Konzentration auf das Vortragen von Schmeicheleien gemeint (über derart maßlose Schmeichler Kap. 11: §ndiatr€bontew êxri toË pçsi profan∞ tØn kolake€an §jergãsasyai); als Beispiele aus der Vergangenheit werden genannt Aristobulos (Kap. 12) und Onesikritos (Kap. 40). Zu dem innerhalb der Antike häufig geäußerten Vorwurf enkomiastischer Tendenz vgl. die Belege in der Einleitung, Teil II 3 (zum Ethos des Historikers). toÁw m¢n ofike€ouw §w Ïcow a‡rontew, toÁw polem€ouw d¢ p°ra toË metr€ou katarr€ptontew: Kritik

an plakativer Schwarzweißmalerei findet sich auch bei Josephos (BJ I bes. 1, 1–4, 9), der über diejenigen Autoren, welche µ kolake€& tª prÚw ÑRvma€ouw µ m€sei t“ prÚw ÉIouda€ouw (BJ I 1, 2) ihre ganz in romfreundlichem Sinne tendenziösen Berichte über den jüdisch–römischen Krieg der Öffentlichkeit vorgelegt hätten, mit dem Ton hier besonders deutlich in Erscheinung tretender Bitterkeit bemerkt: boÊlontai m¢n går megãlouw toÁw ÑRvma€ouw épodeiknÊein, katabãllousin d¢ ée‹ tå ÉIouda€vn ka‹ tapeinoËsin (BJ I 2, 7). Dies sei, so erklärt er, als entschiedener Verstoß gegen die Zielbestimmung (skopÒw) der flstor€a zu werten. Zudem, so fährt Josephos fort, sei das Verfahren, den Gegner herunterzumachen, selbst vom praktischen Standpunkt der Wirkung auf den Leser aus kontraproduktiv; denn tatsächlich müßten ja die Erfolge der eigenen Partei in ihrer Bedeutung proportional zur Größe des Gegners wachsen: oÈx ır« d°, p«w ín e‰nai megãloi doko›en ofl mikroÁw nenikhkÒtew (BJ I 3, 8). Dieses selbe Argument findet sich in Kap. 14 dieser Schrift. Der Autor kritisiert dort einen namentlich nicht genannten Milesier, der am Ende seines Proömiums ausdrücklich versprochen habe, er werde die eigene Seite rühmend hervorheben (§p‹ me›zon m¢n a‡rein tå ≤m°tera), die Barbaren aber gehörig heruntermachen (toÁw barbãrouw d¢ katapolemÆsein ka‹ aÈtÒw); Den Lucius Verus habe dieser mit Achill verglichen, den Perserkönig jedoch mit Thersites, ohne sich dessen bewußt zu sein, daß Achill an Bedeutung gewänne, wenn er statt des Thersites einen Hektor bezwänge (oÈk efid∆w ˜ti ı ÉAxilleÁw éme€nvn ∑n aÈt“, efi ÜEktora mçllon µ Yers€thn kayπrei). Zu der Formulierung §w Ïcow a‡rontew ist zu vergleichen, was Herodian (II 15, 7) mit kritischer Distanz über die liebedienerische Enkomiastik (unter Anwendung der Methode des prÚw xãrin §w Ïcow §ja€rein) derjenigen Schriftsteller (Historiker und Dichter) sagt, die Leben und Zeit des Severus verherrlicht hatten (zu Gedanke und Formulierung vgl. auch J. BJ I 4, 9: to›w §pa€rousi tå ÑRvma€vn). Zu p°ra toË metr€ou: Dieses Idiom („in Überschreitung des rechten Maßes“), das sich erstmals bei Platon (Ti. 65 d) findet, verwendet Lukian relativ häufig (z. B. Rh. Pr. 10, Salt. 21 und 75 [in 76 vom sinngleichen Íp¢r tÚ m°trion abgelöst], ähnlich p°ra toË m°trou in Cat. 2, Pr. Im. 17, Nav. 1). In literarkritischem Zusammenhang gebraucht Lukian es in Kap. 10 (es geht um übermäßige Verwendung poetischer Schmuckmittel wie mËyoi und ¶painoi innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung), und ähnlich verfahren Dionysios von Halikarnaß (Dem. 21 [Kritik am Stil des Isokrates], ähnlich Th. 13: p°ra toË d°ontow ... efiw ¶latton toË metr€ou [Kritik an den Landschlachten des Thukydides]) und Strabon (VII 3, 6 = C 299: Kritik an der übermäßigen Homerkritik des Eratosthenes und des Apollodoros). Innerhalb dieser Schrift nimmt das Postulat des Maßhaltens eine zentrale Stellung ein; in jedem Detail der Gesamtkonzeption das rechte Maß zu wahren, wird als wichtige Qualität des Geschichtsschreibers bestimmt (Kap. 6: m°tron •kãstou, spezielle Anweisungen in Kap. 50 und 57). Besonders gelte dies für den gattungsadäquaten Einsatz von Lob (Kap. 9: m°tron §pakt°on t“ prãgmati) und Tadel (Kap. 59) sowie die dabei unbedingt zu vermeidenden Grenzüberschreitungen (Íperbola€, so erstmals in Kap. 8). Für katarr€ptein in der hier vom Kontext her geforderten Bedeutung ließ sich lediglich ein Beleg ausfindig machen, nämlich Vettius Valens (V 6, 5 Pingree 209, Z. 16–17), der das

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Idiom efiw tapeinÚn katarr€ptein und katabãllein im Sinne von tapeinoËn gebraucht. An dieser Stelle hat das Verbum, zumal im intendierten Kontrast zur gehobenen Phraseologie efiw Ïcow a‡rein, wahrscheinlich eine betont kolloquiale Note, etwa so wie im Deutschen die Ausdrücke „verreißen“ oder „heruntermachen“. égnooËntew …w oÈ sten“ t“ fisym“ di≈risyai ka‹ diatete€xisyai ≤ flstor€a prÚw tÚ §gk≈mion, éllã ti m°ga te›xow §n m°sƒ §st‹n aÈt«n: Die Kritik zielt ab auf die Neigung all dieser Autoren, ihre enkomiastisch ausgerichteten Werke mit der irreführenden Etikette einer flstor€a zu versehen.

Der Autor Lukian nimmt demnach nicht am enkomiastischen Genos an sich (zu Theorie und Praxis des Enkomions ist immer noch wertvoll Fraustadt 1909) Anstoß, sondern vielmehr an der zweckentfremdeten Integration enkomiastischer Inhalte in die dem Bericht über Tatsachen verpflichtete Historiographie. Eine glasklare Trennung der beiden Gattungen, des Enkomions (§gk≈mion) zum einen und der Geschichtsschreibung (flstor€a) zum anderen, liegt erstmals bei Polybios (X 21 = 24) vor (zum Vergleich Lukians mit Polybios ist illustrativ Georgiadou / Larmour 1994, 1460–1462). Polybios erklärt zunächst, er habe bereits zuvor in einer separaten, drei Bücher umfassenden Monographie enkomiastischen Zuschnitts, die wohl in die Tradition des isokrateischen Euagoras, des ersten Prosaenkomions auf eine Person der aktuellen Gegenwart (dazu Eucken 1983, bes. 264–267, zur literarischen Strategie Sykutris 1927), zu stellen sein dürfte (erhalten ist freilich von der gesamten Gattung der historischen Biographie einzig der Agricola des Tacitus), die Person des Philopoimen gewürdigt (Plb. X 21 = 24, 6; zu Inhalt, Adressat, Zweckbestimmung und Datierung vgl. die diluzide Studie Pédechs 1951, zu einer möglichen Rekonstruktion von Form und Inhalt der Biographie vgl. auch Treu 1954 / 55, bes. 219–224). Nunmehr, so fährt Polybios erklärend fort, mache eine erneute Behandlung derselben Person im Rahmen eines Geschichtswerkes, abgesehen von der unterschiedlichen Ausführlichkeit im einzelnen, eine völlig andersartige Ausrichtung der Darstellung erforderlich, da beide Gattungen, flstor€a und §gk≈mion, jeweils ihre ganz eigene, unverwechselbare Angemessenheit (pr°pon) hätten. Dem enkomiastischen Verfahren lobender Überhöhung (aÎjhsiw t«n pragmãtvn) stehe nämlich diametral die nach den Parametern von Lob (¶painow) und Tadel (cÒgow) im Sinne der Wahrheit (élÆyeia) ausgewogene Geschichtsschreibung (flstor€a) gegenüber (X 21 = 24, 8). Und mit dieser kompromißlosen Unterscheidung sind die unüberschreitbaren Grenzen zwischen diesen beiden literarischen Genera erstmals präzise abgesteckt. Georgiadou / Larmour 1994, 1460–1462 stellen die entsprechende Ansicht des Autors Lukian zu der Inkompatibilität von flstor€a und §gk≈mion neben die des Polybios, vgl. Petzold 1969, 12–20, bei dem in Auseinandersetzung mit Pédech 1964 eine Erklärung des Begriffs épÒdeijiw bei Polybios im Vordergrund des Interesses steht. tÚ t«n mousik«n dØ toËto, d‹w diå pas«n §sti prÚw êllhla: tÚ t«n mousik«n dØ toËto bedeutet

„um einen Ausdruck aus der einschlägigen Fachsprache der Musiker zu gebrauchen“. Dieses Idiom, das eine syntaktische Parallele in Herm. 86 hat (tÚ t«n tragƒd«n toËto), findet sich mehrfach bei Lukian (Apol. 11: eÍrÆseiw går tÚ t«n mousik«n dØ toËto, d‹w diå pas«n tÚ prçgma, so auch Prom. Es 6 und Ind. 21), der jeweils zu der Bezeichnung einer großen Distanz bzw. eines fundamentalen Kontrastes den einschlägigen musikalischen Fachausdruck für zwei Oktaven (d‹w diå pas«n, sc. xord«n, „zweimal durch alle Saiten hindurch“) verwendet. So wie hier auf den Bereich literarkritischer Wertung bezogen ist dieses Idiom bei ihm auch in Prom. Es 6, wo er von seiner eigenen literarischen Neuschöpfung mit spürbarem Stolz spricht. Er habe, so erklärt er, erstmals die ihrem Wesen nach ganze zwei Oktaven auseinanderliegenden literarischen Gattungen des philosophischen diãlogow und der volkstümlichen kvmƒd€a zu einem sinnvollen Ganzen harmonisch zusammengefügt.

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Überhaupt sind Anleihen bei musikalischer Fachterminologie in der Diktion der antiken Literaturkritik gebräuchlich. So nennt Dionysios von Halikarnaß (Dem. 2) kontrastierende Stilarten tØn diå pas«n èrmon€an und verfolgt die musikalische Terminologie weiter in der unmittelbar nachfolgenden Synkrisis des schlichten lysianischen und des erhabenen thukydideischen Stils: ... ˜nper ≤ nÆth (sc. xordØ: d. h. also die unterste Saite) prÚw Ípãthn §n mousikª lÒgon ¶xei, toËton ≤ Lus€ou l°jiw §n politikª dial°ktƒ prÚw tØn Youkud€dou. Bezeichnet hier bereits eine einzige Oktave einen vollständigen Gegensatz, so steigert Lukians Formulierung d‹w diå pas«n selbst diesen Kontrast noch zu einer pointierten Bezeichnung absoluter Unvereinbarkeit. Eine Begründung für die gebräuchliche Bezeichnung der Oktave durch den fachwissenschaftlichen terminus technicus diå pas«n gibt Aristoteles (Pr. Sect. XIX 32 Didot IV 1, 209, Z. 40–45). e‡ ge t“ m¢n §gkvmiãzonti mÒnou •nÚw m°lei, ıpvsoËn §pain°sai ka‹ eÈfrçnai tÚn §painoÊmenon, ka‹ efi ceusam°nƒ Ípãrxei tuxe›n toË t°louw, Ùl€gon ín front€seien: In diesem Zusammenhang

verdient, wie bereits Sinko 1908, 141 gesehen hat, Lukians nach dem Vorbild der Aspasia des Sokratikers Aischines (Im. 17) gestaltetes Dialogenkomion Imagines (efikÒnew) mitsamt der darauf bezogenen Schrift De imaginibus (Íp¢r t«n efikÒnvn) Beachtung (Diskussionsgrundlage für ein adäquates Verständnis der Zwillingsschriften vor dem Hintergrund der antiken rhetorischen Theorie ist Bretzigheimer 1992, eine moderne ästhetische Ausdeutung durch von Möllendorff 2004). Insgesamt läuft dieses Schriftenpaar auf eine Bestimmung der Grenzen hinaus, welche der Lobrede (¶painow) im Unterschied zu den völlig bedenkenlosen Übertreibungen (Íperbola€) des Schmeichlers (kÒlaj) gesetzt sind (bes. Pr. Im. 20–21). Aufgabe des Lobredners sei es, so erklärt hier Lykinos, vermittels des traditionellen rhetorischen Verfahrens der aÎjhsiw (amplificatio) an sich vorhandene positive Eigenschaften des zu lobenden Objektes weiter zu vergrößern (Pr. Im. 20): tå ... Ípãrxonta aÈt“ [sc. t“ §painoum°nƒ] fÊsei égayå ... §phÊjhse ka‹ me€zv ép°fhne [sc. ı §pain«n]). Für dieses Ziel seien gewisse, von der Sache her zweckdienliche Überzeichnungen, besonnen und mit Maß eingesetzt, als legitim zu erachten. Der alles ausnahmslos im Übermaß lobende kÒlaj hingegen gebe sich nicht nur bereitwillig dafür her, selbst einen Thersites wohlgestalter zu nennen als Achilles und Nestor den jüngsten unter den Griechen vor Troia, sondern er verfolge zudem mit seinem Trugwerk (ceËsma) auch noch das egoistische Ziel eigenen Vorteils (t∞w xre€aw ßneka t∞w •autoË). Zentrales Unterscheidungskriterium ist demnach das Ethos des Lobredners. Inhaltliche Übertreibungen unterliegen demgegenüber in geringerem Maße der Kritik. Das rhetorische Enkomion hatte von seinen Anfängen in der Zeit der Sophistik an (zu Gattungsbestimmung und Geschichte dieser Gattung Russell / Wilson 1981 a, bes. XI–XXXIV) hinsichtlich des Ausmaßes allgemein akzeptierten Lobes eine für verändertes Empfinden moderner Rezipienten verhältnismäßig hoch angesetzte Toleranzschwelle. In diesem Sinne bestimmt Isokrates (Or. 11, 4) den Umfang der zulässigen rhetorischen aÎjhsiw folgendermaßen: de› toÁw m¢n eÈloge›n tinaw boulom°nouw ple€v t«n ÍparxÒntvn égay«n aÈto›w prosÒntÉ épofa€nein, toÁw d¢ kathgoroËntaw ténant€a toÊtvn poie›n. Andernorts (Or. 5, 123) legt er die methodischen Prinzipien des kayÉ ÍperbolØn §paine›n mit unmißverständlicher Klarheit dar.

Ein sehr sensibler Beobachter des zeitgenössischen rhetorischen Betriebes, wie dies Platon war, hatte somit handgreifliche Ansatzpunkte, um die mit Enkomien verbundenen Überzeichnungen auf den Punkt zu bringen. Im Symposion (198 c–199 b) legt er in unmittelbarem Anschluß an die in zünftiger gorgianischer Manier vorgetragene Agathon–Rede „seinem“ Sokrates folgende ironische Reaktion in den Mund. Er, Sokrates, habe in seiner Unbedarftheit zuvor tatsächlich geglaubt, es gehe beim Enkomion darum, die Wahrheit (télhy∞) zu sagen über jegliches Objekt des Lobes (per‹ •kãstou toË §gkvmiazom°nou); nun aber habe er unter dem Eindruck von Agathons Rede erst recht

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begriffen, daß das Ziel hier ein anderes sei, nämlich: tÚ …w m°gista énatiy°nai t“ prãgmati ka‹ …w kãllista, §ãn te ¬ oÏtvw ¶xonta §ãn te mÆ: efi d¢ ceud∞, oÈd¢n êrÉ ∑n prçgma (Smp. 199 d–e). Und im Menexenos (234 c–235 c) ironisiert Sokrates präzise das rhetorische Verfahren des tå prosÒnta ka‹ tå mØ per‹ •kãstou l°gein, um im Anschluß daran die angebliche, über mehrere Tage hin anhaltende Zauberwirkung einer solchen Rede auf den angesprochenen §painoÊmenow mit detaillierter Pointiertheit und unverkennbarer Ironie auszumalen. Das Lehrbuch des Anaximenes schließlich spricht mit aufschlußreicher Offenheit aus, daß das Enkomion u. a. auch tatsächlich nicht vorhandene Eigenschaften (tå mØ prosÒnta) dem Gepriesenen zueigne: SullÆbdhn m¢n oÔn §stin §gkvmiastikÚn e‰dow proair°sevn ka‹ prãjevn ka‹ lÒgvn §ndÒjvn aÎjhsiw ka‹ mØ prosÒntvn sunoike€vsiw (Arist. Rh. Al. I 3, 1425 b 13–15 Fuhrmann 19, Z. 10–13 = Spengel I 186, Z. 10–12). Vor diesem Hintergrund wird um eine Nuance klarer, daß das pointierte ıpvsoËn im Lukiantext hier soviel bedeutet wie „unter Anwendung jeglicher rhetorischer Kunstgriffe“, womit erst der vollkommene Kontrast zu den für die Gattung der flstor€a erforderlichen Prinzipien markiert ist. Zum Verbum eÈfrçnai ist zu vergleichen Kap. 9, wo eÈfra›non (sc. §gk≈mion) als ein synonymer Begriff zum terminus terpnÚn figuriert (im Wortlaut leicht modifiziert Im. 23: [sc. ≤ efik∆n] aÈtª §ke€n˙ ... kexarism°nh). Während bei der zünftigen rhetorischen Lobrede lediglich der solcherart angesprochene §painoÊmenow von Interesse ist, tritt im Medium der Geschichtsschreibung der außenstehende Rezipient ganz wesentlich als eine kritische Beurteilungsinstanz in das Blickfeld (Kap. 11: ofl ¶painoi •n‹ m¢n ‡svw terpno€, t“ §painoum°nƒ, to›w dÉ êlloiw §paxye›w ...). ≤ d¢ oÈk ên ti ceËdow §mpesÚn ≤ flstor€a oÈd¢ ékaria›on énãsxoito: Der Begriff ceËdow, der im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl die vorsätzliche Lüge als auch den unabsichtlich unterlaufenen Irrtum bezeichnet, ist hier, wie der unmittelbare Kontext und der Sprachgebrauch in dieser Schrift (zum ceÊdesyai bes. Kap. 12: §piceudÒmenow, vgl. auch Kap. 20, 24 und 40) gleichermaßen zeigen, eindeutig in ersterem Sinne zu verstehen. Die beiden unterschiedlichen Bedeutungen von ceËdow und ceÊdesyai werden jedoch in der Praxis häufig nicht klar voneinander getrennt, sodaß im Einzelfall die jeweils gemeinte Bedeutung aus dem Kontext erschlossen werden muß, soferne ein Autor nicht etwa durch Verwendung von synonymen Begriffen ein Signal für das Verständnis setzt (Lukian selbst verwendet in diesem Sinne öfters die Begriffe épãth bzw. §japatçn oder Ähnliches, z. B. in Nigr. 15, Cal. 20, Pisc. 29, Phal. I 1, JTr. 40, Electr. 3: épate≈n). Bemerkbar macht sich dieses semantische Defizit, wenn man es denn so nennen darf, insbesondere in der Historiographie. Eine Sonderstellung nimmt hier lediglich Polybios ein, der wiederholt und mit unmißverständlicher Klarheit unterscheidet zwischen den Irrtümern aus Unwissenheit (katÉ êgnoian ceudografe›n) und den vorsätzlich vorgebrachten Lügen (katå proa€resin ceudografe›n, Plb. XII 7 = 8, 6; vgl. XII 12 = 7, 4–7; XVI 14, 6–8) und der seine Leserschaft dazu aufruft, sein eigenes Geschichtswerk nach den beiden genannten Kriterien zu beurteilen (Plb. XVI 20, 8–9, vgl. XXIX 12, 11–12), d. h. lediglich seine bewußten Verstöße gegen die Wahrheit schonungslos zu tadeln, hingegen unabsichtlich unterlaufenen Irrtümern Nachsicht zuteil werden zu lassen (in der Analyse von Klotz 1982, 189–197 hält Polybios einer strengen sachlichen Beurteilung weitgehend stand; Lehmann 1967 stellt seine Glaubwürdigkeit ein wenig überzeichnet, aber im Prinzip zutreffend dar).

Der Autor Lukian nimmt hinsichtlich jeglicher Verstöße gegen die Wahrheit einen extrem rigorosen Standpunkt ein (ceËdow ... oÈd¢ ékaria›on, das Idiom oÈd¢ ékaria›on findet sich erstmals bei D. H. VIII 70, 5: xrÒnon oÈd¢ ékaria›on dialip∆n); er unterscheidet sich darin von dem sich alles in allem doch etwas realistischer gebenden Polybios (Plb. VIII 8 = 10, 7–8), der – jedenfalls unter bestimmten äußeren Rahmenbedingungen – für Nachsicht plädiert: §g∆ dÉ oÎte loidore›n ceud«w fhmi de›n toÁw

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monãrxouw oÎtÉ §gkvmiãzein, ˘ pollo›w ≥dh sumb°bhke, tÚn ékÒlouyon d¢ to›w progegramm°noiw ée‹ ka‹ tÚn pr°ponta ta›w •kãstvn proair°sesi lÒgon §farmÒzein. éllÉ ‡svw toËtÉ efipe›n m¢n eÈmar°w, prçjai d¢ ka‹ l€an dusxer¢w diå tÚ pollåw ka‹ poik€law e‰nai diay°seiw ka‹ peristãseiw, aÂw e‡kontew ênyrvpoi katå tÚn b€on oÎte l°gein oÎte grãfein dÊnantai tÚ fainÒmenon. œn xãrin tis‹ m¢n aÈt«n suggn≈mhn dot°on, §n€oiw ge mØn oÈ dot°on.

oÈ mçllon µ tØn érthr€an fiatr«n pa›d°w fasi tØn traxe›an parad°jasyai ên ti §w aÈtØn katapoy°n: ≤ érthr€a bzw. seltener ≤ traxe›a érthr€a (so z. B. Gel. XVII 11, 3) ist die

fachwissenschaftliche Bezeichnung für die Luftröhre. Maßgebliche Quellen zur Physiologie des Rachenraumes, der Speise- und Luftröhre, sind Aristoteles (HA I 16), Hippokrates (Cord. 2 Littré IX 80) und in lateinischer Literatur Plinius (NH XI 66, 175–176). Ausgehend von dem platonischen Timaios (bes. 91a) werden divergierende Lehrmeinungen diskutiert bei Plutarch (Quaestiones convivales VII 1, 697 f–700 b) und bei Gellius (XVII 1). Zu dem speziellen Aspekt, daß die Luftröhre keinen Fremdkörper aufzunehmen vermag, äußert sich Aristoteles (HA I 16, 8) folgendermaßen: ÑH m¢n oÔn érthr€a ... d°xetai mÒnon tÚ pneËma ka‹ éf€hsin, êllo dÉ oÈy¢n oÎte jhrÒn, oÎyÉ ÍgrÒn, µ pÒnon par°xei, ßvw ín §kbÆj˙ tÚ katelyÒn. Der Arzt Erasistratos (Quelle: Plu Quaestiones convivales VII 1, 698 c) schrieb dem Kehldeckel (§piglvtt€w) die Funktion zu, zu verhindern, daß die Nahrung „in die falsche Kehle“ gerate: ... tÚ t∞w §piglvtt€dow ¶rgon, §p‹ toÊtƒ tetagm°nhw, ˜pvw §n tª katapÒsei t∞w trof∞w tØn érthr€an pi°zousa kvlÊ˙ parempese›n ıtioËn efiw tÚn pleÊmona.

Bei dem bekannten Idiom fiatr«n pa›dew (Dips. 5, Ph., De somniis I 9, 51) handelt es sich um eine generalisierende Bezeichnung für die professionelle Ärzteschaft (Wälchli 2003, 153). Phraseologien nach diesem Muster, in der klassischen Gräzität noch selten belegt (z. B. Pl. Lg. VI 769 b: ofl zvgrãfvn pa›dew), finden sich dann im ersten und besonders im zweiten nachchristlichen Jahrhundert häufiger (S. E. M. VI 19: ÉEpikoure€vn pa›dew und M. XI 24: Stvik«n ... pa›dew), namentlich bei Lukian selbst (Zeux. 5: graf°vn pa›dew, Anach. 19: =htÒrvn pa›dew, Im. 9: plast«n ka‹ graf°vn ka‹ poiht«n pa›dew, vgl. auch eine vergleichbare Stelle in den pseudolukianischen Amores 49: filosÒfvn pa›dew). Die jeweils angesprochenen Fachleute stehen also in all diesen Fällen regelmäßig im Genetiv.

Kapitel 8 In Kapitel 8 erfolgt eine Unterscheidung der Gattungen der Dichtung (poihtikÆ) und der Geschichtsschreibung (flstor€a) voneinander. Zunächst wird die unbegrenzte Freiheit des Dichters, ganz seiner poetischen Imagination zu folgen, durch eine Reihe sämtlich der Ilias entnommener Anschauungsbeispiele illustriert. Von besonderem Interesse ist für den Autor die homerische Charakteristik Agamemnons (Il. II 478–479), die diesen als idealisiertes mixtum compositum aus den vereinten physischen Vorzügen des Zeus, des Poseidon und des Ares erscheinen läßt. Dieses Beispiel wird deshalb als letztes in der Reihe angeführt, weil solcherart Lob (§gk≈mion) als legitimes Gattungsmerkmal der Dichtung konstituiert werden kann und es vor diesem Hintergrund und auf dieser Grundlage dann möglich wird, die völlige Andersartigkeit von Geschichtsschreibung herauszustellen, in welcher der Einsatz eines (poetischen) Enkomions unweigerlich den Eindruck von Schmeichelei (kolake€a) entstehen ließe. Unter diesem Aspekt betrachtet, handelt es sich hier also, so wie bereits in Kapitel 7, um die gänzliche Unvereinbarkeit der Gattungen Geschichtsschreibung (flstor€a) und Lobrede (§gk≈mion). Im Falle der Dichtung kommt zum Enkomion noch ein weiteres

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gattungsspezifisches Element hinzu, der mËyow, die von der freien Phantasie des Dichters erschaffenen fiktiven Stoffe. Während diese innerhalb der Dichtung nicht nur als legitime, sondern geradezu als konstitutive Elemente zu betrachten seien, wären sie – im Hintergrund steht unausgesprochen die Ablehnung des muy«dew durch Thukydides – in der Geschichtsschreibung völlig fehl am Platze. Aus dieser seien, so die unmißverständliche Botschaft des Autors, sowohl das §gk≈mion als auch der mËyow auszuschließen, und nicht zuletzt darum, weil beide Elemente, namentlich in der Hand eines frei imaginierenden Dichters, per se dazu tendierten, Überschreitungen der Realitätsebene (Íperbola€) zu produzieren. Wie schon in Kapitel 7 (égnooËntew), so wird auch hier die Notwendigkeit der Darlegung des Autors eben mit dem Unwissen des Gros der praktizierenden Historiker begründet (ÖEti égnoe›n §o€kasin ). Noch ein nicht unwesentliches Detail: der Autor Lukian verwendet in diesem Kontext den aus Polybios vertrauten Begriff der terate€a. Doch während bei ihm als Gegenbegriff zu diesem die „Wahrheit“ hier nur implizit mitgegeben ist, führt Polybios wiederholt die unmittelbare Gegenüberstellung der beiden konträren Faktoren terate€a und élÆyeia explizit durch. Wie bei der strikten Unterscheidung von §gk≈mion und flstor€a (Kap. 7), so steht Lukians Aussage also auch hier der polybianischen Methodologie nahe, woraus sich natürlich noch keine Schlußfolgerungen über die Art dieser Beziehung ableiten lassen. Selbstverständlich ist der Beginn und Ansatzpunkt für die späteren einschlägigen Diskurse markiert durch das thukydideische Methodenkapitel, aus dem Lukian an anderer Stelle in dieser Schrift mit gewisser Freiheit zitiert (Kap. 42): ... ka‹ mØ tÚ muy«dew éspãzesyai éllå tØn élÆyeian t«n gegenhm°nvn épole€pein to›w Ïsteron. Avenarius 1956, 18–19 vertritt die Ansicht, bereits Ephoros habe eine klare Grenzziehung zwischen den Gattungen Geschichtsschreibung und Dichtkunst vorgenommen (zu dieser Position von Avenarius vgl. auch die Einleitung zum Kommentar Kap. 7). Er beruft sich dabei auf drei Stellen, die nun im einzelnen zu betrachten sind. Erstens: Polybios (IV 20, 5) zufolge sagte Ephoros in seinem Gesamtproömium etwas seiner Unwürdiges, nämlich daß die Musenkunst (mousikÆ) zum Zwecke von Täuschung und Sinnentrug (§pÉ épãt˙ ka‹ gohte€&) zu den Menschen eingeführt worden sei. Avenarius faßt den Begriff mousikÆ im Sinne von Dichtkunst auf, obwohl der Kontext bei Polybios keinen Zweifel an der hier von ihm gemeinten Bedeutung läßt. Denn Polybios handelt in einem ausgedehnten Passus (IV 20, 1–21, 12) und in engagiertem Ton über die hohe ethische, kulturelle und überhaupt gesellschaftliche Bedeutung der Tonkunst (mousikÆ), und in diesem Zusammenhang steht seine Kritik an der seiner Ansicht nach dieser Errungenschaft gegenüber verständnislosen Erklärung des Ephoros. Während also Polybios unzweifelhaft von der Tonkunst spricht, unterlegt Avenarius dem Text die Bedeutung von Dichtkunst. Er ist sich des Widerspruchs zum Textsinn jedoch bewußt, und daher fügt er in einer Anmerkung (18, Anm. 10) sogleich abschwächend hinzu, daß Ephoros mit dem Begriff mousikÆ beides gemeint haben könne, sowohl die Tonkunst wie auch die Dichtkunst. Doch indem er sich in seiner Argumentation dennoch schließlich auf die Bedeutung Dichtkunst festlegt, gelangt er zu der unzulässigen Schlußfolgerung, Ephoros habe zunächst im Sinne des Gorgias die Musik wegen deren bedenklicher Wirkung auf den Menschen abgewertet und sei sodann mit der Dichtung nicht anders verfahren. Und in einem weiteren Gedankenschritt folgert Avenarius, Ephoros habe die Dichtkunst der Geschichtsschreibung mit scharfem Kontrast gegenübergestellt. „Ihr [sc. der Dichtkunst] hat er [sc. Ephoros] dann ohne Zweifel die Geschichtsschreibung gegenübergestellt“. Es ist indes klar, daß weder das eine noch auch besonders das andere, für Avenarius’ Argumentation Entscheidende sich aus dem Polybiostext zwingend oder auch nur plausibel ableiten läßt. Die zweite Stelle stammt aus Strabon (VII 3, 9 = C 302). Ephoros, so erklärt Strabon, kritisierte solche Autoren, die von den Skythen und Sauromaten im klaren Wissen darum, daß das Schreckliche

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und Staunen Erregende bei den Lesern starke Emotionen hervorrufe (efidÒtew tÚ deinÒn te ka‹ tÚ yaumastÚn §kplhktikÚn ˆn), ganz besondere Rohheiten berichtet hätten. Daraus möchte Avenarius nun ableiten, daß es schon Ephoros war, der die Geschichtsschreibung diametral der Dichtung gegenübergestellt habe. Der Strabontext besagt jedoch bei nüchterner Betrachtung nicht mehr, als daß Ephoros Anstoß nahm an (nicht näher bestimmten) Darstellungen, die seiner Meinung nach auf die Erzielung von emotionalen Effekten abzielten und damit unseriös verfuhren. Er besagt aber nicht, daß von Ephoros eine bewußte Konfrontation zweier unterschiedlicher literarischer Gattungen, der Dichtkunst und der Geschichtsschreibung, intendiert war. Die dritte Stelle stammt wiederum aus Strabon (IX 3, 11 = C 422), demzufolge Ephoros Autoren mit einem Hang zum Fabulieren (filomuyoËntew) innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung (flstor€a) kritisierte und ein Lob der Wahrheit hinzufügte, der er selbst in seiner Darstellung – so die Ansicht Strabons – nicht gerecht geworden sei. Aus dieser Erklärung des Ephoros folgert Avenarius, Ephoros habe in seinem Werk „von der Wahrheit als dem Grundprinzip der Geschichtsschreibung gesprochen“. Unausgesprochen, aber implizit dennoch vorhanden, bleibt eine weitere Folgerung, daß nämlich Ephoros auf Basis des Wahrheitsprinzips eine entsprechende Grenzziehung von Dichtung gegenüber der Geschichtsschreibung vorgenommen habe. Diese Interpretation beruht jedoch auf einem Mißverständnis, da der Begriff mËyow von Ephoros nicht in dem selben Sinne gebraucht wurde, in dem Lukian ihn hier in Kapitel 8 verwendet, als ein der Dichtung wesentlich immanentes Element, sondern bloß im Sinne eines Fabulierens, und in dieser ganz anderen, mit der Geschichtsschreibung nicht gänzlich unverträglichen Bedeutung ist er von Lukian in Kap. 60 verwendet (hier geht es um dasjenige Verfahren, welches die Integration von mËyoi in der flstor€a rechtfertige). Ephoros hat demnach nicht von der Dichtung gesprochen, sondern er hat bloß den übermäßigen Gebrauch von unbeglaubigten Geschichten innerhalb der Geschichtsschreibung getadelt. Es ist dies im übrigen ja ein Vorwurf, wie er in der Antike von nicht wenigen Kritikern gegen Herodot erhoben wurde, ohne daß sie diesen darum de facto zum Dichter hätten erklären wollen.

ÖEti égnoe›n §o€kasin ofl toioËtoi …w poihtik∞w m¢n ka‹ poihmãtvn êllai Íposx°seiw ka‹ kanÒnew ‡dioi, flstor€aw d¢ êlloi.

égnoe›n: Mangelnde Unterscheidungskompetenz hinsichtlich der Genosbestimmung von flstor€a und §gk≈mion (Kap. 7: égnooËntew) zum einen sowie von flstor€a und poihtikÆ (Kap. 8) zum anderen

sei nicht etwa als anlagebedingtes intellektuelles Defizit zu bewerten, sondern als ein Wissensmangel (zur Bedeutung von gign≈skein – égnoe›n im Sinne von scire–nescire Schmidt, Syn. I 287 und 302, Lukian selbst verbindet in Salt. 33 êgnoia und émay€a zum Begriffspaar, und in Cal. 1 beschreibt er die êgnoia so: ... ≤ êgnoia ... Àsper éxlÊn tina katax°ousa t«n pragmãtvn ka‹ tØn élÆyeian émauroËsa ka‹ tÚn •kãstou b€on §piskiãzousa). Das ist insoferne von Bedeutung, als der Autor erst so die Möglichkeit erhält, mittels der Rolle des Diogenes von Sinope seine ratgeberische Aufgabe zur Korrektur des von ihm diagnostizierten Wissensmangels wahrzunehmen (Pflicht des Kynikers ist es, auf Verfehlungen aus Unkenntnis des Guten aufmerksam zu machen, Belege bei Billerbeck 1978, 79). In diesem Sinne hat die in Kap. 36 vom Autor ausgeübte Tätigkeit der Belehrung (didaskal€a) die Funktion, eine am konkreten Objekt konstatierte êgnoia zu korrigieren, und dies sei auch umso nötiger, als ja das Gros der Autoren naive Vorstellungen von der mit historiographischer Betätigung verbundenen Verpflichtung habe (Kap. 5: pãnu =òston ka‹ prÒxeiron ka‹ ëpantow e‰nai flstor€an suggrãcai). Andernorts (Kap. 20 und 27) wird deren unangemessene Vorliebe für ausufernde

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Ekphraseis und sonstige Belanglosigkeiten auf ein Nichtwissen zurückgeführt hinsichtlich dessen, was ein Historiker sagen oder verschweigen müsse, die êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn. Auch im skommatisch–lehrhaften Teil (Kap. 14–32) werden Verstöße gegen die Gattungsgesetze implizit oder explizit (z. B. Kap. 14: oÈk efid∆w) auf Wissensdefizite zurückgeführt. Schon Polybios hatte die beiden Gattungen klar voneinander geschieden wissen wollen (zum Vergleich Lukians mit Polybios Georgiadou / Larmour 1994, 1453–1459). êllai Íposx°seiw ka‹ kanÒnew ‡dioi: Unter den Íposx°seiw sind die Ansprüche zu verstehen, welche

von den literarischen Gattungen in je unterschiedlicher Weise erhoben werden. Während die Geschichtsschreibung mit dem Versprechen auf Enthüllung der Wahrheit (Kap. 9) auftrete, wecke die einzig der Imaginationskraft des Dichters folgende Dichtung (vgl. dazu die folgende Anmerkung) derlei Erwartungshaltungen nicht. In ebenso rigorose Worte gekleidet ist derselbe Gedanke an einer zentralen Stelle bei Cicero (Leg. I 1, 5), welche, wie Petzold 1972 wahrscheinlich gemacht hat, gemeinsam mit den dem Antonius in den Mund gelegten Worten von den leges historiae (Cic. de Orat. II 15, 62–64) das Wesentliche ciceronianischer Geschichtsauffassung (dazu umfassend und Ciceros Leistung gegenüber konventionellen modernen Einschätzungen aufwertend Fleck 1993) enthält. Auf die Worte des Bruders intellego te, frater, alias in historia leges observandas putare, alias in poemate läßt Cicero folgende Begründung folgen: quippe cum in illa ad veritatem cuncta referantur, in hoc ad delectationem pleraque. Der Geschichtsschreibung wird somit die Wahrheit (veritas), der Dichtung das Ergötzen (delectatio, die griechische Terminologie kennt dafür t°rpein bzw. t°rciw, z. B. D. S. I 2, 7) zugeordnet. Mit diesem Passus aus Cicero vergleicht den Hengst 2010, 59–60 (erstmals publ. 1995) Liv. I praef. 6, doch ist in diesem Kontext von Livius der Gedanke der delectatio nicht ausgesprochen und wohl auch nicht mitgedacht. Der erstmals im Zeitalter der Sophistik in Erscheinung tretende Begriff der ÍpÒsxesiw bezeichnete den mit seiner pädagogischen Lehrtätigkeit erhobenen Anspruch des Lehrers. Besonders häufig und mit je unterschiedlichen Bewertungen der Seriosität derartiger Selbstanpreisungen findet er sich bei Isokrates (vgl. Or. 4, 186 mit der Polemik in der Programmschrift, Or. 3, 1; auch Pl. Prt. 319 a legt dem mit der Pose eines Wissenden auftretenden Protagoras mit voller Absicht das in dieser Zeit einschlägig belastete Verbum Ípisxne›syai in den Mund). Lukian gebraucht den mittlerweile literarkritischen terminus ÍpÒsxesiw mit Bezug auf vorliegende Lehranweisung (Kap. 27 und 35), und andernorts (Herm 76, Rh. Pr. 3–4) liefern ihm ebenso großspurige wie leere Versprechungen, wie sie von zeitgenössischen Lehrern in Philosophie und Rhetorik erhoben wurden, willkommene Ansatzpunkte für bissige Invektive. Der an zentralen Stellen der Lehrschrift (Kap. 5 und 63) leitmotivisch wiederkehrende Begriff kan≈n im Singular markiert die verbindliche Norm, an welcher sich der Geschichtsschreiber orientieren müsse. Der Plural kanÒnew in literarkritischem Zusammenhang erscheint erstmals bei Aristophanes (Ra. 799: kanÒnaw ka‹ pÆxeiw §p«n), und späterhin findet er innerhalb rhetorischer und grammatikalischer Fachsprache häufig Verwendung (z. B. D. H. Th. 1: kalo‹ ka‹ dedokimasm°noi kanÒnew, vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 34: zÆlƒ t«n érxa€vn). §ke› m¢n går ékratØw ≤ §leuyer€a ka‹ nÒmow eÂw – tÚ dÒjan t“ poihtª. ¶nyeow går ka‹ kãtoxow §k Mous«n

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ékratØw ≤ §leuyer€a: Das Adjektiv ékratÆw (ansonsten zu tÚ krãtow gehörig) dürfte hier zumindest auf primärer Ebene bedeutungsidentisch mit dem vom Verbum kerannÊnai abgeleiteten Adjektiv êkratow aufzufassen sein, soferne nicht überhaupt Solanus’ von Macleod 1980, 291 in seinem textkritischen Apparat aufgegriffene (fort. recte) Konjektur êkratow dem ursprünglichen Wortlaut

entspricht. In jedem Fall liegt wohl mit Sicherheit die positive Konnotation von „unvermischt, lauter, rein“ primär zugrunde (so richtig Fritzsche 1860, 34: ... res ipsa notionem poscit integrae, plenae illibataeque libertatis; in diesem Sinne übersetzt Kilburn 1968, 13: liberty is absolute, vgl. auch Costa 2005, 184: freedom is unalloyed), da der Autor Lukian die legitimen Gattungsgesetze von Dichtung meint. Doch ist es durchaus denkbar, daß darüberhinaus ékratÆw in passiver Bedeutung zu assoziieren sein könnte (etwa im Sinne von uncontrolled liberty, so Macleod 1991, 205). Weniger wahrscheinlich ist jedoch Hermanns 1828, 53 reflexive Auffassung von ékratÆw mit dem sich so ergebenden Textsinn: licentia incontinens sui, modi nescia, nulla se lege adstringi passa. Namentlich Platon (R. II 382 c: hier bezeichnet êkraton ceËdow das ceËdow an und für sich, im Gegensatz zu m€mhma und e‡dvlon, VIII 545 a: p«w pote ≤ êkratow dikaiosÊnh prÚw édik€an tØn êkraton ¶xei, 562 d: §leuyer€aw ... ékrãtou) gebraucht êkratow in der Bedeutung von „unvermischt, rein, lauter, absolut, total“, aber auch sonst ist diese Konnotation gebräuchlich, so bei Plutarch (Nic. 21, 7: skÒtow êkraton, ders. Comp. Tim. cum Aem. 2, 10: cux∞w êkratow eÈrvst€a ka‹ fisxÊw), und auch sonst erscheint sie gelegentlich (Demad. 18: ékrãtƒ parrhs€& xr≈menow). Im Medium der Poesie herrsche, so die unmißverständliche Aussage vorliegender Stelle, gänzlich uneingeschränkte Gestaltungsfreiheit; einziges Gesetz sei hier die Imagination des kraft seines poetischen Enthusiasmos legitimierten Dichters selbst (nicht unähnlich äußert sich auch Longin. 15, 2 über das von ihm so genannte Verfahren der efidvlopoi€ai: ... ˜tan ì l°geiw ÍpÉ §nyousiasmoË ka‹ pãyouw bl°pein dokªw ka‹ ÍpÉ ˆcin tiyªw to›w ékoÊousin), der, wie Lukian dies andernorts (Pr. Im. 18) formuliert, ebenso wie der Maler auch von jeglicher Rechenschaftspflicht für sein Schaffen entbunden sei (palaiÚw otow ı lÒgow, éneuyÊnouw e‰nai poihtåw ka‹ graf°aw). Beide nämlich, Dichter und Maler, ließen, indem sie sich, ähnlich wie dies Träume zu tun pflegten, über die Kategorien von Realität und Möglichkeit hinwegsetzten, phantastische Fabelwesen erstehen (Herm 72): ... t«n ÑIppokentaÊrvn ka‹ Xima€rvn ka‹ GorgÒnvn ... ka‹ ˜sa êlla ˆneiroi ka‹ poihta‹ ka‹ grafe›w §leÊyeroi ˆntew énaplãttousin oÎte genÒmena p≈pote oÎte gen°syai dunãmena. Anzumerken ist,

daß Horaz den ähnlich lautenden fiktiven Einwand pictoribus atque poetis quidlibet audendi semper fuit aequa potestas (Ars 9–10) nur unter Hinweis darauf gelten läßt, daß in jedem Falle als Grundbedingung das formalästhetische Kriterium des simplex ... et unum (Ars 23), d. h. der in sich stimmigen, organischen Gesamtkonzeption erfüllt sein müsse. Eine weitere Stelle bei Lukian ist in diesem Kontext zu beachten. Hesiod, so wie er bei diesem in Erscheinung tritt, antwortet seinem pedantischen Kritiker, er entziehe durch seine Beckmesserei der Dichtung ihre größten Vorzüge, nämlich tØn §leuyer€an ka‹ tØn §n t“ poie›n §jous€an (Hes. 5). Der ebenso inhaltlich wie auch sprachlich–stilistisch zu verstehenden §jous€a poiht«n (bei Nünlist 2009, 174–184 sind jetzt auch die Belege aus der Scholienliteratur leicht zugänglich aufgearbeitet) entspricht im Lateinischen der terminus der poetarum licentia (Belege bei Lausberg § 983). Der Autor Lukian strapaziert, wie andere Repräsentanten der Zweiten Sophistik auch (vgl. dazu Kindstrand 1973), die archaische Vorstellung von dem durch die Musen inspirierten Dichter (zu der Vorstellung des göttlichen Ursprungs von Dichtung Sperduti 1950). Das ermöglicht ihm, dem in voller Eigenverantwortlichkeit zu Werke gehenden Historiker den jeglichen Rechtfertigungsbedarfes entbundenen Dichter mit scharfem Kontrast pointiert gegenüberzustellen. Unausgesprochen bleibt dabei der Gedanke, daß folglich von Poesie keinerlei Technizität erwartet werden dürfe, während dies

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im Medium der Historiographie sehr wohl der Fall sei (zu letzterem Gesichtspunkt vgl. bes. Kap. 35). In diesem Sinne hatte schon Platon den psychischen Ausnahmezustand des poetischen §nyousiasmÒw durch das vollständige Fehlen von methodisch verfahrender t°xnh charakterisiert (Pl. Ion 533 e: Pãntew går o· te t«n §p«n poihta‹ ofl égayo‹ oÈk §k t°xnhw, éllÉ ¶nyeoi ˆntew ka‹ katexÒmenoi pãnta taËta tå kalå l°gousi poiÆmata, ka‹ ofl melopoio‹ ofl égayo‹ …saÊtvw, ähnlich Phdr. 245

a). In dem für eine Bestimmung schöpferischer Akte und ekstatischer Zustände zentralen platonischen Passus (Ion 533 c–36 d, im Vergleich mit den in frühgriechischer Dichtung von Homer an bis Pindar vorliegenden Auffassungen handelt es sich um ein innovatives Konzept, so richtig Murray 1981, bes. 87) steht kat°xesyai als mehrfach wiederholter Leitbegriff ebenso für den in der Gewalt der Gottheit stehenden Dichter (den Epiker und Lyriker) wie auch für die Verzückung von Korybanten, Bakchen und Rhapsoden. Ein sehr gewichtiger Repräsentant derjenigen Auffassung, die der Naturanlage, der fÊsiw, und das heißt dem Genie des Dichters, die entscheidende Rolle beim poetischen Schaffensprozeß zuerkennt, ist Demokrit, dessen dichtungstheoretische und philologische Schriften (Titel bei DK II 68 B 15 c–26 a) zu den frühesten Poetiken in Prosa zählen (zu der Stellung Demokrits innerhalb der poetologischen Debatten von Homer an bis hin zu Aristoteles vgl. Puelma 1989, bes. 89–90). Aus diesen Schriften haben sich zwei Fragmente erhalten: a) in der Abhandlung per‹ ÑOmÆrou µ Ùryoepe€aw ka‹ glvss°vn stand der bereits in der Antike häufig rezipierte Satz: ÜOmhrow fÊsevw lax∆n yeazoÊshw §p°vn kÒsmon §tektÆnato panto€vn (D. Chr. or. 36, 1 = DK II 68 B 21), und b) in dem Traktat per‹ poiÆsiow äußerte sich Demokrit in dieser Weise: poihtØw d°, ëssa m¢n ín grãf˙ metÉ §nyousiasmoË ka‹ fleroË pneÊmatow, kalå kãrta §st€n (Clem. Al. Strom. VI 168 = DK II 68 B 18). Clemens, dem die Bewahrung dieser Worte Demokrits zu verdanken ist, weist auch auf die Ähnlichkeit der Reflexionen Platons und Demokrits hin, die beide impulsgebend auf den dichtungstheoretischen Diskurs der Folgezeit gewirkt haben. Gemeinsam werden sie als die maßgeblichen Quellen für die Auffassung von der göttlichen Inspiration des Dichters genannt, so mehrfach von Cicero (Div. II 37, 80, de Orat. II 46, 194, Arch. 18), der von dem poetischen furor, der inflammatio animorum und dem über den Dichter kommenden divinus spiritus spricht. Horaz wiederum tritt, wie es scheint, im Sinne der Peripatetiker (Neoptolemos von Parion [kenntlich durch die Polemik im fünften Buch von Philodems Schrift per‹ poihmãtvn, Text: Jensen 1923, 27–32 und Mette 1980, 3 Fr. 6, Z. 5–6, dazu orientierend Erler 1994, 308–309, zu möglichen Auslegungen Asmis 1992, 208– 210 und Porter 1995, 105–107] gebrauchte die offensichtlich kompatiblen Begriffe t°xnh und dÊnamiw poihtikÆ) für die gleichmäßige Gewichtung der beiden Faktoren natura (fÊsiw) und ars (t°xnh) ein (Ars 408–411); die nüchterne psychische Disposition des Dichters erachtet er als eine elementare Voraussetzung für geglücktes literarisches Schaffen (Ars 308: scribendi recte sapere est et principium et fons). Dezidiert lehnt Horaz die Position Demokrits ab, der, indem er das ingenium über die ars stelle, excludit sanos Helicone poetas (Ars 295–296). Die Positionen der beiden Peripatetiker Theophrast und Straton von Lampsakos, von denen immerhin bekannt ist, daß sie jeweils Bücher mit dem Titel per‹ §nyousiasmoË verfaßten (Wehrli 1983, 491 und 570), läßt sich leider nicht mehr erkennen. Lukian ist, wie andere Vertreter der Zweiten Sophistik auch, mit der traditionellen Inspirationstheorie platonischer und demokritischer Prägung vertraut (vgl., obwohl diese Schrift als unecht zu gelten hat, Dem. Enc. 5, wo die in diesem Kontext zentralen Begriffe der ¶nyeow §p€pnoia und der man€a wiederkehren). Eine synoptische Darstellung des gesamten Themenkomplexes findet sich bei Russell 1981 b, 69–83. Innerhalb dieser Schrift ist der Gegensatz zu tÚ dÒjan t“ poihtª markiert durch die detaillierte Anweisung, der

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Geschichtsschreiber habe von olympischer Perspektive aus über die so in sein Gesichtsfeld tretenden Ereignisse realitätsadäquat zu berichten: dhloÊtv ≤m›n oÂa §fa€neto aÈt“ éfÉ ÍchloË ır«nti (Kap. 49). kãtoxow §k Mous«n: Das Partizip katexÒmenow mit dem Zusatz §k toË yeoË findet sich bei Pl. Men. 99 d, mit §k t«n Mous«n ist es konstruiert bei Luk. JConf. 2. Diese selbe Formulierung kãtoxow §k Mous«n genÒmenow gebraucht Lukian (Rh. Pr. 4) mit ironisierender Bezugnahme auf den vom Hirten zum poihtÆw avancierten Hesiod (vgl. dazu den Kommentar von Zweimüller 2008, 195–196); eine witzige Umdeutung dieser Phraseologie liegt vor in Ind. 15 (kãtoxow §k toË puj€ou), und zwar

mit Bezug auf den notorischen künstlerischen Dilettantismus des Dionysios. Das entsprechende Substantiv katokvxÆ ist vertreten bei Platon (Ion 536 c und Phdr. 245 a), die Alternative katoxÆ verwendet Plutarch (Alex. 2, 9: den katoxa€ entsprechen die §nyousiasmo€); zu dem Wortgebrauch vgl. Herbst 1911, 102–103, bes. 103. Eine Kritik an Arrian, An. I 12, 1–2 (so behauptet von Wirth 1964, 238) beinhaltet dieser Passus nicht, denn Wirth vergleicht miteinander kaum Vergleichbares (vgl. zum Problem des Verhältnisses Lukian–Arrian die Einleitung, Teil I 1. 4).

kín ·ppvn Ípopt°rvn ërma zeÊjasyai §y°l˙, kín §fÉ Ïdatow êllouw µ §pÉ ényer€kvn êkrvn yeusom°nouw énabibãshtai, fyÒnow oÈde€w:

Die hier einsetzende Beispielreihe, welcher die Funktion zugedacht ist, die Legitimität unbegrenzter dichterischer Freiheit von verschiedenen Seiten her mit der Autorität Homers zu belegen, rekurriert sämtlich auf der Ilias entnommene (bei Lukian erscheint ganz nach antiker Praxis die Ilias vor der Odyssee bevorzugt) und frei umgestaltete Textstellen. Eine Bezugnahme auf das platonische Gleichnis vom göttlichen Seelenwagen (Pl. Phdr. bes. 246 e), wie sie in Pisc. 22 und Rh. Pr. 26 vorliegt, ist im Falle des ersten Beispiels nicht anzunehmen (anders Homeyer 1965, 187). Wohl aber mögen die geflügelten Pferde an die Traumvision in Somn. 15 erinnern, in welcher die Paide€a das Autor-Ich ein Gefährt geflügelter, dem Pegasos gleichender Pferde (ˆxhma Ípopt°rvn ·ppvn tin«n t“ Phgãsƒ §oikÒtvn) besteigen heißt. Vielleicht ist in diesem Kontext auch die Pelops–Sage zu assoziieren (so Pherekydes, FGrH I 3, Fr. 37 b = Fowler 300, Fr. 37 b: Rückkehr des Pelops metå t«n Ípopt°rvn ·ppvn). Für diesen Hinweis danke ich Nesselrath. Zum Standard epischen Formelschatzes gehört das rasche Dahinfliegen der Pferde der Götter (vgl. Hom. Il. V 366–367, 768, VIII 41–46, 402, XIII 24). Vor dem Hintergrund von konventionellen Formulierungen dieser Art bemerkenswert ist im Besonderen das grandiose Bild von dem weiten Ausgreifen der Rosse am Wagen der Hera (Il. V 770–772): ˜sson dÉ ±eroeid¢w énØr ‡den Ùfyalmo›sin / ¥menow §n skopiª, leÊssvn §p‹ o‡nopa pÒnton / tÒsson §piyr–skousi ye«n Íchx°ew ·ppoi. Ps. Longinos (9, 5–6, vgl. dazu den Kommentar von Bühler 1964, 23–26) nimmt diese erhabene Gestaltung von den geradezu die kosmischen Dimensionen sprengenden weiten Sätzen der Pferde zum willkommenen Anlaß, um die konzeptionelle Kraft homerischer Kunst zu illustrieren, die darin bestünde, großartige Bilder (Íperfuç fantãsmata, die Formulierung beinhaltet keineswegs eine Kritik an Homer, wie dies Mutschmann 1917, 167 und Grube 1957, 366 annehmen, richtig zuvor schon Ziegler 1915, 579–580 zur Bewertung Homers durch Ps. Longinos) zu erschaffen. Ps. Longinos’ anregender ästhetischer Kommentar zur Stelle ist jedenfalls lesenswert: tØn ırmØn aÈt«n (sc. t«n ·ppvn) kosmik“ diastÆmati katametre› (sc. ÜOmhrow). t€w oÔn oÈk ín efikÒtvw diå tØn ÍperbolØn toË meg°youw §pify°gjaito ˜ti, ín d‹w •j∞w §formÆsvsin ofl ·ppoi t«n ye«n, oÈk°yÉ eÍrÆsousin §n kÒsmƒ tÒpon.

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Homer ist auch folgendes Bild entnommen: die Rosse des Poseidon jagen hurtig über das Meer hinweg, ohne daß dabei die Wagenachse benetzt würde (Il. XIII 27–31): b∞ dÉ §lãan (sc. Poseid«n) §p‹ kÊmatÉ: êtalle d¢ kÆteÉ ÍpÉ aÈtoË / pãntoyen §k keuym«n, oÈdÉ ±gno€hsen ênakta: / ghyosÊn˙ d¢ yãlassa di€stato: to‹ d¢ p°tonto / =€mfa mãlÉ, oÈdÉ Íp°nerye dia€neto xãlkeow êjvn / tÚn dÉ §w ÉAxai«n n∞aw §@skarymoi f°ron ·ppoi. Ein weiteres Beispiel, diesmal für das Springen von Fohlen sowohl über das Wasser als auch über Getreidehalme, liegt in Il. XX 226–229 vor. Die Situation (Il. XX 219–225) ist folgende: Boreas schwängert in Gestalt eines Hengstes die Stuten des Erichtonios, die sodann 12 Fohlen gebären, von deren munteren Sprüngen ausgesagt wird: afl dÉ ˜te m¢n skirt“en §p‹ ze€dvron êrouran, / êkron §pÉ ényer€kvn karpÚn y°on oÈd¢ kat°klvn: / éllÉ ˜te dØ skirt“en §pÉ eÈr°a n«ta yalãsshw, / êkron §p‹ =hgm›now èlÚw polio›o y°eskon (nach diesem Vorbild A. R. I 182–183 über Euphemos und Verg. A. VII 808–811 über Camilla). Diese Belege dienen zum Nachweis, daß dem bei Lukian vorliegenden Konzept zufolge (zu weiteren Beispielen für das legitime Verfahren rhetorischer aÎjhsiw im dichterischen ¶painow vgl. Pr. Im. 20) der poetischen Phantasie keinerlei Grenzen welcher Art auch immer gesetzt seien, selbst dann nicht, wenn der Dichter beliebe, für einen Moment die Naturgesetze außer Kraft zu setzen. Ein solches Transzendieren der in der Realität gültigen Bedingungen wird in der bei Lukian vertretenen Terminologie mit dem Begriff der ÍperbolÆ bezeichnet, ein im Medium poetischer Gestaltung legitimes Verfahren, in der Historiographie hingegen nicht (Genaueres dazu im Kommentar zu Kap. 8: tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw). Zum Motiv des Schreitens über Wasser ist zu vergleichen Philops. 13 mit dem Kommentar in FILOCEUDEIS H APISTVN 2001, 120, Anm. 70. Bei dem Idiom fyÒnow oÈde€w bzw. oÈde‹w fyÒnow (ohne §st€) handelt es sich um eine sprichwörtliche Redensart mit der Bedeutung: „es ist nicht zu verweigern, zu verargen, zu tadeln“, d. h. „es ist gestattet“ (bei Lukian Rh. Pr. 1, Pseudolog. 30; so bereits A. Pr. 628, Pl. Lg. VII 802 a). Vergleichbare Ellipse des Hilfszeitwortes findet sich auch bei anderen stereotypen Formeln, besonders häufig bei suggn≈mh („es ist verzeihlich“), namentlich, so wie hier, in der Verbindung mit einem Kondizionalsatz (Im. 16, Pr. Im. 12 und 17, Merc. Cond. 8, u. ö.). yeusom°nouw énabibãshtai: yeÊsomai, das im Attischen gebräuchliche Futurum von y°v, ist bereits in der Ilias (XI 701, XXIII 623) belegt. Bei dem Ausdruck énabibãzesyai sind Formulierungen vom Typus §p‹ (tØn) skhnØn énabibãzein bzw. énabibãzesyai (Tox. 9, JTr. 41, so bereits Plb. XXIX 19 = 7, 2) zu assoziieren. Solche bühnentechnische Termini sind bei Lukian überhaupt häufig anzutreffen (dazu Kokolakis 1961, 6, Anm. 22), und auch in dieser Schrift macht er als Autor von diesem Stilmittel im Sinne der Schaffung einer entsprechenden metaphorischen Ebene häufig Gebrauch.

oÈd¢ ıpÒtan ı ZeÁw aÈt«n épÚ miçw seirçw énaspãsaw afivrª ımoË g∞n ka‹ yãlattan, ded€asi mØ éporrage€shw §ke€nhw suntribª tå pãnta katenexy°nta.

Dieses dritte Beispiel bezieht sich auf die berühmt gewordene Machtdemonstration des Zeus (Hom. Il. VIII 5–27), der allen Göttinnen und Göttern unter Androhung schwerer Bestrafung verbietet, auf Seiten von Griechen oder Trojanern in das Kampfgeschehen persönlich einzugreifen; diese seien nicht in der Lage, ihn gemeinsam an einer goldenen Kette (seirØ xruse€h) vom Himmel herabzuziehen, während er selbst alleine imstande wäre, alle mitsamt der Erde und dem Meer hochzuziehen und an der Spitze des Olymp festzubinden. Dieses Motiv der aurea catena (Camerotto 1996), das (insbesondere bei den Stoikern) auch zu allegorischen Interpretationen Anlaß gab (von Möllendorf 2000 b, 151, Anm. 8) ist von Lukian auch andernorts ausgiebig verwertet, so in JConf. 4,

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DDeor. 1, 1, Herm 3 und JTr. 45. Die das Vorbild abgebenden homerischen Verse (Il. VIII 19–27) lauten: seirØn xruse€hn §j oÈranÒyen kremãsantew / pãntew tÉ §jãptesye yeo‹ pçsa€ te y°ainai / éllÉ oÈk ín §rÊsaitÉ §j oÈranÒyen ped€onde / Z∞nÉ Ïpaton mÆstvrÉ, oÈdÉ efi mãla pollå kãmoite. / éllÉ ˜te dØ ka‹ §g∆ prÒfrvn §y°loimi §rÊssai, / aÈtª ken ga€˙ §rÊsaimÉ aÈtª te yalãss˙: / seirØn m°n ken ¶peita per‹ =€on OÈlÊmpoio / dhsa€mhn, tå d° kÉ aÔte metÆora pãnta g°noito. / tÒsson §g∆ per€ tÉ efim‹ ye«n per€ tÉ e‡mÉ ényr≈pvn. Es fällt auf, daß der Autor Lukian den Inhalt der hypothetisch formulierten Drohung des Zeus (V. 23–26: ˜te mit Optativ: „falls“) pointiert zu potentiell realem Geschehen (temporales und kondizionales ıpÒtan + Konjunktiv in der Bedeutung

„dann wenn“) umdeutet, um dem Gedanken unbegrenzter dichterischer Freiheit Nachdruck zu verleihen. Aus der goldenen Kette (seirØ xruse€h) Homers wird bei Lukian zudem mit expliziter Hervorhebung eine einzige Kette (miçw seirçw).

éllå kín ÉAgam°mnona §pain°sai y°lvsin, oÈde‹w ı kvlÊsvn Di‹ m¢n aÈtÚn ˜moion e‰nai tØn kefalØn ka‹ tå ˆmmata, tÚ st°rnon d¢ t“ édelf“ aÈtoË t“ Poseid«ni, tØn d¢ z≈nhn t“ ÖArei, ka‹ ˜lvw sÊnyeton §k pãntvn ye«n gen°syai de› tÚn ÉAtr°vw ka‹ ÉAerÒphw: oÈ går flkanÚw ı ZeÁw oÈd¢ ı Poseid«n oÈd¢ ı ÖArhw mÒnow ßkastow énaplhr«sai tÚ kãllow aÈtoË.

Das vierte und letzte Beispiel bezieht sich auf die von Lukian andernorts (Pr. Im. 25) als paradigmatisch für poetischen ¶painow gewertete homerische Charakteristik Agamemnons (Hom. Il. II 478–479): ˆmmata ka‹ kefalØn ‡kelow Di‹ terpikeraÊnƒ, / ÖArei d¢ z≈nhn, st°rnon d¢ Poseidãvni. Agamemnon erscheint hier als ein mixtum compositum (in den Worten Lukians als ein sÊnyeton) aus den jeweils vorzüglichsten physischen Eigenschaften der drei Götter, von denen andernorts bei Homer nur das von ambrosischem Haar (Il. I 529: émbrÒsiai .. xa›tai) umlockte Haupt des Zeus beschrieben ist. Unter der z≈nh des Ares sind, im Gegensatz zur breiten, mächtigen Brust Poseidons, die schlanken Hüften des Gottes (Homeyer 1965, 105) zu verstehen, nicht aber der Gürtel (Kilburn 1968, 13, vgl. dazu die wohl nicht zutreffende Interpretation des Pausanias IX 17, 3, welche mit Berufung auf alten Sprachgebrauch unter z≈sasyai versteht: §ndËnai tå ˜pla). Denn die compositio ist nur dann sinnvoll, wenn sie über vergleichbare Attribute der Götter verläuft. Das macht auch eine Untersuchung des homerischen Sprachgebrauchs deutlich. Bei Homer bezeichnet nämlich z≈nh zum einen den Gürtel der Frauen, zum anderen den Körperteil, an dem der (über Panzer oder Chiton getragene) Gürtel angebracht wird, der von Homer zvstÆr genannt wird (zur Unterscheidung von m€tra, zvstÆr und z«ma Brandenburg 1977), wie besonders aus Il. XI 234–236 zu ersehen ist, wo innerhalb von nur drei Versen klar zwischen z≈nh und zvstÆr unterschieden ist (Belege bei Capelle / Risch 1968, 257 und O’ Sullivan 1991, 878). Der Kontext, in dem der Vergleich bei Homer steht, zeigt, daß die hier beschriebene ideale Schönheit Agamemnons nicht als habituelle Eigenschaft zu verstehen ist, sondern vielmehr als eine durch Zeus an jenem Tag (dem Tag nach Entsendung des oÔlow ÖOneirow: Il. II 5–34) Agamemnon verliehene Auszeichnung (Il. II 482–483): to›on êrÉ ÉAtre˝dhn y∞ke ZeÁw ≥mati ke€nƒ, / §kprep°É §n pollo›si ka‹ ¶joxon ≤r≈essin. Und alleine schon deshalb verdient der homerische Vergleich keineswegs den Tadel Plutarchs (De Alexandri Magni fortuna aut virtute II 12, 343 a), der in ihm einen zu beanstandenden Verstoß gegen die literarästhetischen Prinzipien von Angemessenheit und Plausibilität (oÈ prepÒntvw oÈd¢ piyan«w) erblickt. Zu ka‹ ˜lvw: Lukian leitet mit Vorliebe Sätze und Kola mit diesem oder anderen vergleichbaren Idiomen ein (vgl. den Kommentar zu Kap. 61: TÚ dÉ ˜lon). Für das Idiom ka‹ ˜lvw liegen bei ihm sowohl in dieser Schrift (Kap. 49 und 17) als auch sonst häufig (z. B. Cal. 1, 14 und 24, Tim. 13, Alex. 3 und 54) Belege vor. 312

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≤ flstor€a d¢ ≥n tina kolake€an toiaÊthn proslãb˙, t€ êllo µ pezÆ tiw poihtikØ g€gnetai, t∞w megalofvn€aw m¢n §ke€nhw §sterhm°nh, tØn loipØn d¢ terate€an gumnØn t«n m°trvn ka‹ diÉ aÈtÚ §pishmot°ran §kfa€nousa;

pezÆ tiw poihtikØ: Das Adjektiv pezÒw (von van Hook 25 ist es unter die rhetorischen

Kriegsmetaphern gereiht) figuriert innerhalb rhetorischer Theorie als terminus technicus für literarische Äußerung in Prosa. So spricht Ps. Demetrios vom lÒgow pezÒw (Eloc. II 93) und den pezo‹ lÒgoi (II 90), welchen die pezå ÙnÒmata (III 167) zugeordnet sind. Dionysios von Halikarnaß wiederum bezeichnet die Prosarede als pezØ l°jiw (Dem. 40 und 48, Comp. 11), pezØ frãsiw (Th. 23) und pezØ diãlektow (Comp. 3); dem Element des prosaischen pezÒn stellt er die poetische Kunstform des ¶mmetron gegenüber (Amm. II 2, vgl. Dem. 37 mit der Unterscheidung von pezo‹ [sc. lÒgoi] und ¶mmetroi lÒgoi, ähnliche Formulierungen finden sich bei Pl. Sph. 237 a und bei Luk. Lex. 25). Lukian selbst charakterisiert seine Erfindung der literarischen Gattung des komischen Dialogs als ein Zwitterwesen zwischen Prosa und Dichtung (Bis Acc. 33: oÎte pezÒw efimi oÎte §p‹ t«n m°trvn b°bhka). Mit Bezug auf die Dichtung wird ansonsten das konventionelle Bild vom Fahren auf einem Wagen (Plu De Pythiae oraculis 24, 406 e, Str. I 2, 6 = C 18, bei Lukian Prom. Es 6) gebraucht, welchem sich im Corpus Lucianeum (Dem. Enc. 5) das des Reitens hoch zu Roß hinzugesellt. Der Übergang von der Dichtung zur Prosa wird veranschaulicht durch das Bild des Herabsteigens (Verbum kataba€nein, Plu De Pythiae oraculis 24, 406 e, Str. I 2, 6 = C 18, bei Lukian Nec. 1). In vorliegender Schrift sind die in historiographischer Prosa auftretenden Übertreibungen und Untertreibungen genau markiert; ein Zuviel ist durch den Zustand des Verzücktseins (Kap. 45: §nyousiçn) gekennzeichnet, nach unten hin ist die Grenze durch das komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w (Kap. 16) unterschritten, das sich mit dürrer, tagebuchartiger Skizze begnügen zu dürfen glaubt. Wie die griechische kennt auch die lateinische rhetorische Theorie (Quint. Inst. X 1, 81) anschauliche Bezeichnungen für die Prosarede: pro/r/sam orationem ... quam pedestrem Graeci vocant. Und vor dem Hintergrund dieser vertrauten Terminologie sind auch die Formulierungen des Horaz in S. II 6, 17 (musaque pedestri, vgl. die Erklärung in Ep. II 1, 250–251) und Ars 95 (sermone pedestri) zu verstehen. Cicero bezeichnet die Prosa schlicht als soluta oratio (Brut. 8, 32 und de Orat. III 48, 184). megalofvn€aw: Das Substantiv megalofvn€a sowie das Adjektiv megalÒfvnow bezeichnen bei

Lukian allgemeinem Sprachgebrauch entsprechend zum einen die laute Stimme, das laute Organ (Icar. 17), besonders verbunden mit dem Aspekt von Dreistigkeit (Icar. 30, Bis Acc. 11) und marktschreierischem Geplärre (Merc. Cond. 23), zum anderen auch die hohe, volltönige Sprache der Dichter, für welche er auch den terminus poihtikØ megalhgor€a verwendet (Rh. Pr. 4, Hinweis Coenen 1977, 51). Zweitere Bedeutung ist freilich bei Lukian zumeist durch die Elemente von Witz und Parodie dermaßen entschärft, daß ein ernsthafter Eindruck gar nicht erst aufkommen kann. So bezeichnet in JTr. 6 Zeus den Aufruf des Hermes an die Götter zur Versammlung als zu schmucklos (cilã), schlicht (èploikå) und prosaisch (pezå), um sodann seine Ansicht darzulegen, einem solchen Aufruf müsse durch Metren und eine dichterische Klangentfaltung (dabei ist im Sinne der parodistischen Intention ganz konkret an Homer zu denken) Nachdruck verliehen werden (éposemnËna€ fhmi de›n tÚ kÆrugma m°troiw tis‹n ka‹ megalofvn€& poihtikª). In Musc. Enc. 5 bezeichnet er Homer einzig zu diesem Zweck als megalofvnÒtatow t«n poiht«n, um mittels einer wohlkalkulierten rhetorischen Strategie über die unmittelbar nachfolgende vorsätzliche Fehlinterpretation von Il. XVII 570–572 hinwegzutäuschen. In Icar. 23 gilt der Schrecken, welcher Ikaromenipp ob des den homerischen Formelvers (Od. I 170, u. ö.) rezitierenden Zeus befällt, nicht so sehr der homerischen megalofvn€a, als vielmehr der einschüchternden Drohgebärde des Göttervaters. 313

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Von anderen Autoren wird das Qualitätsmerkmal der poetischen megalofvn€a ernsthaft ausgesprochen, so zumal mit Bezug auf Aischylos (Schol. Ar. Ra. 814 Dübner 1855, 298: ÑO megalÒfvnow AfisxÊlow), Tyrtaios und besonders auf Homer (Them. Or. 15, 198 c Downey / Norman I 285, Z. 14–15: l°gv oÔn parasthsãmenow tÚn Turta›on ka‹ tÚn Turta€ou megalofvnÒteron ÜOmhron); Pindar wird nach demselben Parameter bewertet (Ath. XIII 564 d: ı ... megalofvnÒtatow P€ndarow). Und selbst weniger namhafte Autoren wie der Tragiker Neoptolemos werden auf diese Weise charakterisiert (D. S. XVI 92, 3); sogar die asianischen Rhetoren Niketes von Smyrna aus der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. und dessen Schüler Skopelianos von Klazomenai bekommen durch Philostratos (VS I 20, 513 und I 21, 518) eine derartige Ehrung zugesprochen. Unter den Prosaikern wird Platon, dem Quintilian (Inst. X 1, 81) eine eloquendi facultas divina quaedam et Homerica bescheinigt, durch das Attribut megalÒfvnow ausgezeichnet (so Ps. Plu De placitis philosophorum I 7, 881 a). terate€an: Die Substantive terate€a und teratolog€a sowie das substantivierte Adjektiv tÚ terat«dew (Verbum terateÊesyai, bei Lukian von den Erzählungen des Odysseus bei den Phaiaken, VH I 4) werden üblicherweise, so wie hier, in einen engen Zusammenhang zum mËyow gestellt.

Besonders häufig ist dies der Fall bei Strabon (z. B. I 2, 3 = C 16; I 2, 7–9 = C 18–20; XV 1, 57 = C 711), der auf das Erstaunliche (I 2, 8 = C 19: tÚ yaumastÒn) hin ausgerichtete Wunderberichte, welche den Bereich normaler Wahrnehmung überschreiten (I 2, 3 = C 16: ¶jv t∞w afisyÆsevw) und ganz ferne von Glaubwürdigkeit angesiedelt sind (XI 5, 3 = C 504: p€stevw pÒrrv), der von der Geschichtsschreibung angepeilten Wahrheit diametral gegenübergestellt (XI 5, 3 = C 504: tå ... palaiå ka‹ ceud∞ ka‹ terat≈dh mËyoi kaloËntai, ≤ dÉ flstor€a boÊletai télhy°w ... ka‹ tÚ terat«dew µ oÈk ¶xei µ spãnion). Innerhalb der Historiographie findet sich eine glasklare Trennung von terate€a und élÆyeia (bei Lukian Alex. 25 in anderem Kontext) bei Polybios (III 58, 9 und IV 42, 7), der zudem auch wiederholt einen Zusammenhang zwischen terate€a und der Weise tragischer

Dichter herstellt (II 17, 6; VII 7, 1, über Phylarchos II 56, 10 und II 58, 12; zum polybianischen terate€a–Konzept aus theoretischer Sicht Sacks 1981, 162–166, vgl. Georgiadou / Larmour 1994, 1454), womit eine ähnlich lautende Eklärung Diodors (IV 56, 1) zu vergleichen ist. Der Vorwurf der Orientierung nach dem Parameter der terate€a bzw. des terat«dew findet sich oft in kritischen Stellungnahmen zu den Leistungen von Historikern. In diesem Sinne urteilt Polybios über Phylarchos (II 56, 10) und Timaios (XII 24, 5), und auch Strabon äußert sich entsprechend über Herodot (XVII 1, 52 = C 818) sowie manche Alexanderhistoriker, allen voran Onesikritos (XV 1, 28 = C 698) und Megasthenes (XV 1, 37 = C 702 und bes. XV 1, 57 = C 711). m°ga to€nun – mçllon d¢ Íp°rmega toËto kakÒn – efi mØ efide€h tiw xvr€zein tå flstor€aw ka‹ tå poihtik∞w, éllÉ §peisãgoi tª flstor€& tå t∞w •t°raw komm≈mata – tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw, ...

§peisãgoi: Bei dem Verbum §peisãgein ist ebenso wie beim Adjektiv §pe€saktow der Aspekt des

Zuführens artfremder Elemente in inkommensurable Umgebung zu assoziieren. Zu vergleichen ist das Fragment eines namentlich unbekannten Dichters aus der Neuen Komödie (PCG VIII 54 Fr. 148 = D. S. XII 14, 1: nach Charondas): ı pais‹n aÍtoË mhtruiån §peisãgvn / mÆtÉ eÈdokime€tv mÆte metex°tv lÒgou / parå to›w pol€taiw, …w §pe€sakton kakÚn / katå t«n •autoË pragmãtvn peporism°now. Bereits bei Platon (Cra. 420 b) sind §pe€saktow und ofike›ow in expliziten Gegensatz

zueinander gesetzt.

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tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw: Im Sinne der in Kap. 7–8 verfolgten klaren Unterscheidung der literarischen Gattungen (§gk≈mion, flstor€a, poihtikÆ) sind diese drei Begriffe zunächst (a) unter dem Aspekt der Dichtkunst (poihtikÆ) zu betrachten. Die vorangehende Beispielreihe verdeutlicht, daß mËyow nicht so sehr mythische Stoffe schlechthin

meint, sondern vielmehr von der freien Phantasie des Dichters erschaffene fiktive Elemente, die per se zu Grenzüberschreitungen (Íperbola€) im Sinne einer Aufhebung der in der Realität gültigen Gesetze und Wahrnehmungen hin tendieren. Das muy«dew, der bestimmende Faktor homerischer Dichtung (Kap. 40), bleibt innerhalb der Dichtung als schmückendes Element (kÒmmvma) nicht nur unbeanstandet, sondern wird sogar ausdrücklich als gattungsinhärente Gegebenheit bewertet, zähle doch im Rahmen poetischer Aussage einzig die autonome Imaginationskraft des kraft seines poetischen Enthusiasmos legitimierten Dichters. Somit beurteilt der Autor Lukian für die Zwecke dieser Schrift, denn er will ja den fundamentalen Unterschied zur flstor€a demonstrieren, Dichtung einzig aus rhetorisch–ästhetischer Perspektive, während der Wahrheitsgehalt dichterischer Aussage gar nicht zur Debatte steht. Eine rein ästhetische Betrachtungsweise von Dichtung liegt in der anregenden Schrift des Ps. Longinos vor, und zwar namentlich im 15. Kapitel, wo es um einen Vergleich zwischen poetischer und rhetorischer Visualisierungskunst geht. Dichtkunst wird hier einzig von der Qualität schöpferischer poetischer Imagination (15, 1: fantas€a bzw. efidvlopoi€a) her beurteilt, die den Hörer mit derartiger Unmittelbarkeit packe, daß er die Vorstellungsbilder des Dichters selbst ganz unmittelbar wahrzunehmen vermeine. Die Grenzen des von dem Standpunkt einer realistischen Betrachtung aus Möglichen (dunatÒn) und Glaubwürdigen (pistÒn) würden so in einem eigengesetzlichen Wahrnehmungsakt (der Íper°kptvsiw) überschritten (15, 8), dessen Ziel die sympathetische Erregung (¶kplhjiw, tÒ te sumpay¢w ... ka‹ tÚ sugkekinhm°non) des Hörers sei (15, 2). Wenn nun Lukian als Autor auch weniger an der Deskription kreativer Akte interessiert ist, als vielmehr an der Feststellung von deren Existenz, so hat er doch, zumindest für die Zwecke dieser Schrift, den Zugang zur Dichtung über die ästhetische Perspektive mit Ps. Longinos gemeinsam. In anderen Schriften jedoch (bes. VH I 3–4, Philops. 2) legt er an die Dichtung den Maßstab des Wahrheitsgehaltes an, was zu einer Einschätzung der vermittelten Inhalte als ceËdow und terate€a führt. Dabei läßt er unter vorsätzlicher Vernachlässigung der Eigengesetzlichkeit poetischer Kunst die in anderen Kontexten streng gezogenen Grenzen zwischen Dichtung, Geschichtsschreibung und Philosophie absichtlich verfließen, weil es ihm nunmehr auf den pointierten, kaum ernst gemeinten Nachweis ankommt, alle diese literarischen Gattungen litten gleichermaßen an einem mangelhaften élÆyeia–Gehalt. Grund für diese veränderte Bewertung von Dichtung sind spezifische, kontextgeleitete Autorintentionen, in der Regel Parodie und Satire. Andernorts (Philops. 4) jedoch werden die Dichter in gewisser Weise durchaus damit entschuldigt, daß sie sich des mËyow als einer der sichersten Möglichkeiten bedienten, um auf die Zuhörer anziehend zu wirken (ofl ... poihta‹ ... tÚ §k toË mÊyou terpnÚn §pagvgÒtaton ¯n §gkatamignÊntew tª grafª, oper mãlista d°ontai prÚw toÁw ékroatãw). Hinsichtlich der für das poetische Enkomion ebenso charakteristischen wie auch

legitimen Überzeichnungen zu vergleichen ist eine Aussage aus dem thukydideischen Methodenkapitel (I 21, 1: poihta‹ ÍmnÆkasi per‹ aÈt«n §p‹ tÚ me›zon kosmoËntew), die zwar an die Logographen den Anspruch auf Wahrheitsgehalt erhebt, während die Dichter von dieser Verpflichtung entbunden werden.

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In einem zweiten Interpretationsschritt (b) sind die Elemente mËyow und §gk≈mion unter dem Gesichtspunkt von deren Eignung für die Gattung der flstor€a zu untersuchen. Es ist zu konstatieren, daß der Autor sich in diesem Schriftteil vorrangig daran interessiert zeigt, an der häufigen Aufnahme von enkomiastischen Elementen in die Geschichtsschreibung Kritik zu üben (bes. Kap. 9–13 passim), während seine Auseinandersetzung mit dem muy«dew kaum über das aus dem thukydideischen Methodenkapitel Bekannte hinausgeht. Zunächst zum muy«dew: Thukydides, so vermerkt der Autor, habe die für Historiographie gültigen Gesetze formuliert, indem er, mit Kritik an Herodot, sein Anliegen zum Ausdruck gebracht habe, mØ tÚ muy«dew ... éllå tØn élÆyeian t«n gegenhm°nvn épole€pein to›w Ïsteron, weil nur so der für die flstor€a als Ziel (t°low) anzupeilende Nutzen (tÚ xrÆsimon) für die zukünftige Leserschaft erwachsen könne (Kap. 42). Bereits Thukydides war klar, daß ein kritisches Verfahren beim Erforschen der Wahrheit (I 20, 3: zÆthsiw t∞w élhye€aw) weitgehendem Verzicht auf einen lustbetonten Rezeptionsvorgang vonseiten der Hörer gleichkommt (I 22, 3: ka‹ §w m¢n ékrÒasin ‡svw tÚ mØ muy«dew aÈt«n éterp°steron fane›tai). Auch beim Autor Lukian erscheint der Nutzwert, das xrÆsimon, als das Entscheidende, während das terpnÒn allenfalls als ein akzessorischer Vorzug in Frage komme (Kap. 9). Ein Übermaß an fiktiven Elementen (Kap. 10: tÚ komidª muy«dew) könne allenfalls den Pöbel erfreuen, während es vor dem Urteil der kritischen Rezipienten, welche alleine als das Zielpublikum anzuvisieren seien, mitnichten bestehen könne. Allerdings werden dem Historiker in engen Grenzen gehaltene Zugeständnisse gemacht, indem Aufnahme eines mËyow für den Fall erlaubt wird, daß dieser explizit als ungesichert deklariert werde (Kap. 60: Ka‹ mØn ka‹ mËyow e‡ tiw parap°soi, lekt°ow m°n, oÈ mØn pistvt°ow pãntvw), doch ist es sehr wichtig, sich klar zu machen, daß an dieser Stelle der Begriff mËyow einen gegenüber Kapitel 8 veränderten Bedeutungsinhalt hat (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 60), mit dem Lukian in der prolalia Bacchus virtuos spielt (Porod / Porod 2008). In antiker Literaturkritik wird gegen Historiker oft der Vorwurf erhoben, sie hätten in ihren Werken mËyoi allzu viel Raum gegeben. So kritisiert Polybios (XII 24, 5) an Timaios u. a. dessen mËyoi ép€yanoi (die Belege bei Avenarius 1956, 20, zu der Inkompatibilität von flstor€a und poihtikÆ bei Polybios und Lukian vgl. auch die Belege bei Georgiadou / Larmour 1994, 1453–1459). Ein zentrales Anliegen ist dem Autor die klare Abgrenzung der flstor€a vom §gk≈mion. Während im §gk≈mion, selbst unter der Anwendung des Mittels der Lüge (ceËdow), das Prinzip gelte, ıpvsoËn §pain°sai ka‹ eÈfrçnai tÚn §painoÊmenon, vertrage die flstor€a nicht einmal die geringste Lüge (Kap. 7). Der Autor wird es nicht müde, diesen einen Gedanken von verschiedenen Seiten her immer wieder aufs Neue zu beleuchten und bei konstanter Grundaussage variantenreich durchzuspielen (bes. Kap. 7–13, 39–40, 61–63). Die Aufgabe des Historikers sei es, von Voreingenommenheiten, Abhängigkeiten und persönlichen Interessen frei (bes. Kap. 38–41), die Ereignisse tendenzfrei und objektiv darzustellen (z. B. Kap. 7: flstore›n tå gegenhm°na, 39: …w §prãxyh efipe›n, 41: t€ p°praktai l°gvn). Lasse dieser sich hingegen vom egoistischen Antrieb der Hoffnung auf persönliche Vorteile leiten, so werde er mit Recht unter die Schmeichler (kÒlakew) gerechnet (bes. Kap. 12, 13, 40, 61, 63, u. ö.). In diesem Falle könne er nicht einmal bei seinem zeitgenössischen Publikum auf Nachsicht rechnen, soferne dieses über kritisches Urteilsvermögen verfüge (Kap. 10). Und schon gar nicht treffe dies auf zukünftige Leser zu, die er doch als Historiker alleine als Zielpublikum anzupeilen habe (Kap. 39: ... ka‹ ˜lvw p∞xuw eÂw ka‹ m°tron ékrib°w, épobl°pein mØ efiw toÁw nËn ékoÊontaw éllÉ efiw toÁw metå taËta sunesom°nouw to›w suggrãmmasin, vgl. bes. Kap. 9, 13, 61, 63). Nur aus einer ganz der Wahrheit verpflichteten Darstellung lasse sich, im thukydideischen Sinne, der gewünschte Nutzeffekt (tÚ xrÆsimon) für spätere Leser ableiten (Kap. 42). Mit der Historiographie vereinbar sei jedoch ein wohlbegründetes Lob, im passenden Moment plaziert und in maßvoller Dosierung vorgetragen (Kap. 9 und 59).

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Àsper ín e‡ tiw éylhtØn t«n karter«n toÊtvn ka‹ komidª prin€nvn èlourg°si peribãloi ka‹ t“ êllƒ kÒsmƒ t“ •tairik“ ka‹ fÊkion §ntr€boi ka‹ cimÊyion t“ pros≈pƒ, ÑHrãkleiw, …w katag°laston aÈtÚn épergãsaito afisxÊnaw t“ kÒsmƒ §ke€nƒ.

èlourg°si: aus der gemeinsamen Korruptel in G und E èlourg¢w efi ist mit Kassel 1973, 108 èlourg°si herzustellen (diese Korrektur findet sich bereits in den recentiores), so zu Recht Macleod 1980, 292 [Kassel kann zeigen, daß tÚ èlourg°w in der Bedeutung „Purpurkleid“ in kaiserzeitlicher Gräzität bezeugt ist, bei Lukian selbst in Gall. 14: èlourg∞ ka‹ Ísginobaf∞ émpexÒmenow]; épergãsaito: vgl. Macleod 1977, 221: Belege für Optativ ohne ên in der Apodosis bei Lukian. Es ist daher nicht nötig, mit Fritzsche 1860, 37 ein ín nachträglich einzufügen. éylhtØn t«n karter«n toÊtvn: Der Genetiv bezeichnet, wie dies Hermann 1828, 62 und

Sommerbrodt 1878, 13 mit Stellenmaterial belegen, bei Lukian häufig die Sorte, so wie beispielsweise in Icar. 3 (gËpa t«n karter«n), JTr. 16 (nef°lhn t«n paxei«n peribeblhm°now), Ind. 8 (Tarant›now EÈãggelow ... t«n oÈk éfan«n) und Fug. 20 (§sy∞taw t«n malyak«n). prin€nvn: Zum Adjektiv pr€ninow (Bedeutung „baumstark“, zu ≤ pr›now, Steineiche), von Personen

ausgesagt, ist am ehesten zu vergleichen Ar. Ach. 180 (mit den notes von Starkie 1968, 48), wo es rauhe Acharner mit ihrer urwüchsigen Lebensweise kennzeichnet (die Scholien bringen pr€ninow in Zusammenhang mit stereÒw, sklhrÒw und fisxurÒw, Dübner 1855, 8 und Wilson 1975, 33 zu 180 e). Im Epigramm des Dioskorides (AP VII 37) ist, anders als hier, dem eindeutig negativ konnotierten pr€ninow die Beglückung durch die leptØ èlourg€w gegenübergestellt. èlourg°si: Bereits bei Homer (Od. XIII 108) weben Nymphen fãre(a) èlipÒrfura. Zur antiken Purpurfärberei und im Besonderen zur Farbe violett (èlourg°w) Schneider 1959, bes. Sp. 2004. fÊkion §ntr€boi ka‹ cimÊyion t“ pros≈pƒ: Zu der sehr seltenen Konstruktion §ntr€bein t€ tini zu vergleichen ist bei Lukian Dear. Jud. 2 (... mhd¢ kakÚn §ntr€chsye t“ nean€skƒ), was Wendungen wie kÒndulon (kondÊlouw) §ntr€bein tin€ (so Plu Alc. 8, 1 und Brut. 9, 2) nachgebildet sein dürfte. Das Verbum im Passiv konstruiert Lukian immer nach demselben Muster (Bis Acc. 31: taÊthn .... fÊkion §ntribom°nhn, so auch Merc. Cond. 33 und Dear. Jud. 10), während Xenophon (Oec. 10, 2) in diesem Falle den Dativ verwendet (aÈtØn §ntetrimm°nhn ... cimuy€ƒ). Pollux V 101–102 Bethe I 290, Z. 14–19 zufolge sind unter dem Substantiv ¶ntrimma (Salbe) u. a. auch cimÊyion und fËkow zu verstehen.

Das fËkow oder fuk€on bzw. fÊkion (lat. fucus), eine in mehreren Arten vorkommende Pflanze (Flechte, Rottangarten), deren roter Farbstoff zum Färben von Wolle, Seide und anderen Stoffen gebraucht wurde (Thphr. HP IV 6, 5 und 8, dazu Stadler 1912), fand auch als Mittel zum Schminken weite Verwendung. In den pseudolukianischen Amores 41 ist der Farbton dieses Rouge beschrieben als porfuroËn ênyow, und Pollux V 102 Bethe I 290, Z. 19 verwendet in diesem Zusammenhang das Verbum pursa€nein (d. h. „feuerrot machen“). Bleiweiß (cimÊyion bzw. c€muyow, lat. cerussa, dazu Shear 1937) lieferte den zu kosmetischen Zwecken gewünschten weißen Farbstoff, der von Martial (VII 25, 2) als Inbegriff dessen gekennzeichnet wird, was mit dem lateinischen Adjektiv candidus zum Ausdruck gebracht wird. Derartige bei Frauen beliebte Kosmetika werden häufig mit dem Ausdruck des Tadels natürlicher Schönheit gegenübergestellt (Pomeroy 1994, 304 weist zu Recht darauf hin, daß dies aus männlicher Perspektive erfolgt). Ein klassisches Beispiel für Tadel am Schminken ist im xenophontischen Oikonomikos die belehrend–erzieherische Rede des Gutsbesitzers Ischomachos an seine Frau, da diese sich mit cimÊyion und ¶gxousa (= êgxousa), einer roten Farbe, geschminkt hatte (Oec. 10, 2). In ähnlichem

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Sinne vergleicht Galen (Protr. 10, 26) rot und weiß geschminkte Frauen (guna›kaw égxoÊs˙ te ka‹ cimuy€ƒ ka‹ fÊkei kekallvpism°naw) mit der natürlich schönen Frau (aÈtofu«w kalÆ), die, da sie über wahre Schönheit (élhyinÚn kãllow) verfüge, keiner kosmetischer Tricks bedürfe (mhdemiçw panourg€aw kommvtik∞w deom°nh). Im Besonderen ist der Vorgang des Schminkens durch Alkiphron mit den moralisch verkommenen Städterinnen in enge Verbindung gebracht (Alciphr. II 8 Schepers = III 11 Hercher, Ep. Gr.) bzw. überhaupt mit Hetären (Alciphr. IV 6 Schepers = I 33 Hercher, Ep. Gr.), was dann besonders auch in christlicher Literatur topisch wird (Knecht 1972). Auch die Belege bei Lukian zeigen einen engen Zusammenhang derartiger Toilettekünste zum Milieu von Hetären (Pisc. 12, Bis Acc. 31) und k€naidoi (Ind. 23, Merc. Cond. 33). Und zumindest im Falle des cimÊyion ist das Hetärenhafte auch durch die Lexikographie bezeugt (Suid. Adler IV 847, Z. 17 s. v. CimÊyion: xr«ma •tairikÒn). Zudem, im streng geregelten sakralen Bereich gab es auch diesbezüglich strikte Vorschriften: mØ §x°tv d¢ mhdem€a xrus€a mhd¢ fËkow mhd¢ cimÊyion (so Dittenberger 569, Z. 24–25, Inschrift 388). Desgleichen gehört, um weitere Belege aus Lukian aufzurufen, das Purpurkleid (so §syØw èlourg€w, Nav. 22 bzw. auch öfter §syØw èlourgÆw, Sat. 35, Im. 11 und DMeretr. 6, 2), das als Inbegriff von Reichtum figuriert, zum Prunk der Hetären (DMeretr. 6, 2), die ihr Kleid durch und durch purpurn haben wollen (so Dom. 7: afl •ta›rai ... tØn §sy∞ta ˜lhn porfurçn ... pepo€hntai). Als die Schmuckmittel der besonnenen Frau (gunØ s≈frvn) werden im Gegenzug genannt innere Werte (Im. 11), allenfalls ein dezent ausgewählter äußerer Schmuck (Dom. 7). Unter Einbezug einer literarkritischen Konnotation macht der Syrer (d. h. Lukian selbst) als Grund für das Verlassen der Frau Rhetorik deren hetärenhafte Aufmachung und Lebensweise geltend (Bis Acc. 31). Vor dem Hintergrund dieses Befundes gewinnt der Vergleich des die Grenzen der Gattung flstor€a illegitim überschreitenden Historikers mit demjenigen, der einen Athleten mit völlig deplaziertem Schmuck ausstaffieren wolle, eine Dimension hinzu. Denn gerade das demaskierende Aufweisen eines grundlegenden Gegensatzes von natürlicher Schönheit zu unpassend aufgesetztem Schmuck gehört zum gedanklichen Repertoire antiker rhetorischer Techne. Der Ausgangspunkt für derlei Vergleiche ist der berühmte Passus des platonischen Gorgias (465 b), wo Sokrates von der mit der Schmeichelei (kolake€a) eng in Verbindung gebrachten Kosmetik (kommvtikÆ) aussagt, diese täusche mit Formen, Farben, Glätte und Kleidung (sxÆmasin ka‹ xr≈masin ka‹ leiÒthti ka‹ §syÆsei épat«sa) und bewirke so, daß über dem Haschen nach artfremder Schönheit die aus der Gymnastik (gumnastikÆ) erwachsende Schönheit vernachlässigt würde (Àste poie›n éllÒtrion kãllow §felkom°nouw toË ofike€ou toË diå t∞w gumnastik∞w émele›n). Besonders in der lateinischen Rhetorik gehören vergleichbare Gedanken zum festen Repertoire (Norden 1981 [19092] I 127–128). Cicero, der die schlichte Stilart u. a. auch durch das Freisein von unnatürlicher Farbgebung charakterisiert wissen will (vgl. Orat. 23, 79: fucati vero medicamenta candoris et ruboris omnia repellentur), läßt auf seine Betrachtung der einzelnen Repräsentanten klassischer attischer Prosa (Brut. 7, 26–9, 36) die für all diese Autoren, jedenfalls seiner Ansicht nach, gemeinsam zutreffende Feststellung folgen, daß sich da noch unverfälschte Lebensfrische und ein natürlicher Glanz finde: sucus ille et sanguis incorruptus usque ad hanc aetatem oratorum fuit, in qua naturalis inesset, non fucatus nitor (Brut. 9, 36). Damit ist die Brücke zu der veränderten rhetorischen Praxis des wahrscheinlich durch Kaikilios von Kaleakte (so die plausible These von Worthington 1994) nicht in den Kanon der 10 attischen Redner aufgenommenen Demetrios von Phaleron (eine Charakteristik: Brut. 9, 37–38, zu dieser Bewertung im antiken literarkritischen Kontext vgl. Heldmann 1982, 98–122, bes. 104–105, u. ö.) geschlagen, dessen Rede von Quintilian (Inst. X 1, 33) als ein buntscheckiges Gewand (versicolorem illam ... vestem) bezeichnet wird, das nicht so recht zum Staub des Forums passen wolle. Tacitus (Dial. 26, 1) läßt

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Vipstanus Messalla, in seiner Darstellung den entschiedenen Gegner moderner Rhetorik, das streng konservative Prinzip äußern: ... melius est orationem vel hirta toga induere quam fucatis et meretriciis vestibus insignire. Schon Eratosthenes hatte nach dem Zeugnis Strabons (I 2, 2 = C 15) Bion von Borysthenes vorgeworfen, er habe als erster der Philosophie Hetärengewänder umgeworfen (pr«ton ényinå peribale›n filosof€an). Quintilian schließlich, welcher (Inst. VIII praef. 26) dem natürlichen Redeschmuck (ornamenta) erborgte hetärenhafte Lockmittel (lenocinia) gegenüberstellt, bringt, durchaus vergleichbar mit Lukian, das kräftige Bild des gesunden, von frischem Leben strotzenden Athleten, der durch weibische Aufmachung, wie sie von Lukian auch andernorts (Demon. 16) durch die Folie des Philosophen Demonax verspottet wird, höchst verunstaltet würde (Inst. VIII praef. 19): corpora sana et integri sanguinis et exercitatione firmata ex isdem his speciem accipiunt, ex quibus vires, namque et colorata et adstricta et lacertis expressa sunt: sed si quis volsa atque fucata muliebriter comat, foedissima sint ipso formae labore. Aus griechischer Rhetorik verdient schließlich noch das späte Zeugnis des Themistios (Or. 27, 336 c Downey / Norman II 160, Z. 15–17) Beachtung (kayãper ofl komco‹ sofista‹ ofl kommoËntew toÁw lÒgouw oÂon fuk€ƒ). Innerhalb vorliegender Schrift sind zum einen die Athletenexempla in Kapitel 9 (Thema: einzig die athletische Leistung macht den Athleten aus) und Kapitel 10 (groteskes Bild des in Diensten der Omphale weibisch ausstaffierten Herakles) zu beachten, zum anderen das Kapitel 40 mit der platonisch stilisierten Unterscheidung von Kosmetik (kommvtikÆ) und Gymnastik (gumnastikÆ), die als Folie dient, um die Unvereinbarkeit von Schmeichelei (kolake€a) und Geschichtsschreibung (flstor€a) zu veranschaulichen. ÑHrãkleiw, …w katag°laston aÈtÚn épergãsaito ... : Lukian läßt gerne auf den Vokativ ÑHrãkleiw ein …w in der Bedeutung von „wie (sehr)“ + Adjektiv [in Kap. 19 und JTr. 34 jeweils das Relativpronomen ˜sow, in JTr. 13 ein Verbum] folgen (ein Beispiel: Merc. Cond. 8: ÑHrãkleiw, …w katag°laston ka‹ plhg«n tinvn ÑOmhrik«n …w élhy«w deÒmenon, vgl. Somn. 17, Cal. 31, Cont. 23,

Sat. 32).

Kapitel 9 Kapitel 9 bestimmt zunächst den richtigen Einsatz von Lob in der Geschichtsschreibung (dies wird in Kap. 59 unter Einschluß des komplementären cÒgow genauer ausgeführt); dieser habe gelegentlich, zur richtigen Zeit und maßvoll zu erfolgen. In diesem Kontext ist hier erstmals der in dieser Schrift leitmotivisch wiederholte Gedanke ausgesprochen, daß der Historiker sein zukünftiges Lesepublikum bei seiner Arbeit stets fest im Auge behalten müsse (Kap. 13, 39–40, 61–63, vgl. auch das aus etwas anderer Perspektive vorgebrachte Thukydideszitat in Kap. 5). Die Wichtigkeit dieser Aussage ist formal unterstrichen durch den wiederholten Einsatz von Verbaladjektiven. Sodann wird als einzige Leistung und als das Ziel der Geschichtsschreibung (©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low) der aus ihr zu beziehende Nutzwert (tÚ xrÆsimon) bestimmt, der sich einzig aus der Wahrheit ableiten lasse (˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai), wohingegen das Vergnügen des Rezipienten (tÚ terpnÒn) allenfalls als ein akzessorischer Vorzug zu erstreben sei. Der Autor Lukian beruft sich dafür andernorts (Kap. 42) in etwas freierer Paraphrase auf das thukydideische Methodenkapitel, doch auch Polybios verfolgte diesen selben Gedanken, das Verhältnis von élÆyeia und t°rciw zueinander, mehrfach. Auch in diesem Fall (vgl. zuvor Kap. 7–8) ist daher neben Thukydides auch der polybianische Diskurs, wie immer man sich das Nachwirken und den Einfluß dieses auch im einzelnen vorzustellen hat (vgl. dazu die Einleitung, Teil I bes. 3. 5), von großer Bedeutung.

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Auf begrifflicher Ebene zeigt sich hier besonders deutlich, daß Lukian in wesentlichen Bereichen peripatetischer Terminologie folgt (Verwendung der Begriffe ¶rgon, t°low und tÚ ‡dion), wahrscheinlich in einer besonders auch durch Theophrast späteren Generationen von Rhetoren und Literaturkritikern vermittelten Form. Der Einsatz der rhetorischen Frage ıròw; an das Du des Adressaten Philon verleiht dem didaktischen Vortragston, abgesehen von der Stilebene des paränetischen Briefes, auch eine leicht diatribenhafte Färbung, und dasselbe gilt auch für den en passant erfolgenden Einbezug des Herakles, dem gleich im nächsten Kapitel (Kap. 10) die Funktion eines probaten Anschauungsbeispiels zukommen wird. Die Beimischung kynischer Elemente in den ansonsten lehrhaften Stil erklärt sich daraus, daß der Autor für die Zwecke dieses Lehrbriefes eben die Rolle des Diogenes von Sinope einnimmt (vgl. dazu den Kommentar bes. zu den Kap. 3 und 4).

Ka‹ oÈ toËtÒ fhmi, …w oÈx‹ ka‹ §painet°on §n flstor€& §n€ote. éllÉ §n kair“ t“ prosÆkonti §painet°on ka‹ m°tron §pakt°on t“ prãgmati, tÚ mØ §paxy¢w to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã, ka‹ ˜lvw prÚw tå ¶peita kanonist°on tå toiaËta, ëper mikrÚn Ïsteron §pide€jomen.

Ka‹ oÈ toËtÒ fhmi: Das in den frühesten Handschriften (G und E) ausgefallene und erst später in recentiores ergänzte oÈ ist vom Textsinn her unbedingt erforderlich. Es handelt sich dabei um ein bei Lukian mehrfach vorkommendes Idiom, dem in Abd. 13 so wie hier ein …w in der Bedeutung von „daß“ nachfolgt (ka‹ oÈ dÆ pou toËtÒ fhmi, …w tÒte m¢n fidi≈thn, nËn d¢ fiatrÒn). Die Anweisungen

für den richtigen Einsatz von Lob werden, deutlich hervorgehoben, nicht durch den Autor, sondern durch das Autor-Ich erteilt. Die Aussagen erhalten solcherart Gewicht und besonderen Nachdruck. éllÉ §n kair“ t“ prosÆkonti §painet°on ka‹ m°tron §pakt°on t“ prãgmati: Die nach Kapitel

6 nunmehr wieder erscheinenden Verbaladjektive unterstreichen in der gedrängten Fülle ihres Vorkommens die Pose lehrhaften Vortrags. In dieser didaktischen Funktion gestattet der Autor dem Historiker gelegentliche (§n€ote) Einlagen von Lob, mit Augenmaß am passenden Ort positioniert und in maßvoller Weise vorgetragen. Wogegen er sich jedoch dezidiert wendet, das sind überdimensionale, bei dem Gros mittelmäßiger Historiker sich zuhauf findende Íperbola€ (Kap. 11, erstmals 8), grobe Verstöße gegen das rechte Maß (Kap. 10: p°ra toË metr€ou) also, welche den Ansprüchen der flstor€a zuwiderliefen (Kap. 8). Und vor dem Hintergrund der in der Gattung der Poesie legitimen überzeichnenden Elemente konzentriert sich der Autor hier auf die Bestimmung eines richtig verstandenen Lobes im Medium historiographischer Aussage. Antike Autoren (Historiker und Rhetoren) pflegen in diesem Kontext stets den Komplementärbegriff des Tadels (cÒgow) mit einzubeziehen (Belege bei Avenarius 1956, 157–163). Mit dieser Konvention zeigt sich auch Lukian vertraut, wenn er in Kap. 59 die Bedingungen angibt, unter denen dem Historiker Lob und Tadel erlaubt seien (ÖEpainoi m¢n går µ cÒgoi pãnu pefeism°noi ka‹ perieskemm°noi ka‹ ésukofãnthtoi ka‹ metå épode€jevn ka‹ taxe›w ka‹ mØ êkairoi). Der Begriff kairÚw prosÆkvn (Lausberg § 352) findet sich bei Lukian ansonsten zur Bezeichnung wohlstrukturierter Darbietung, bei der jedes einzelne Element am richtigen Platz steht (Rh. Pr. 18 [der Gegensatz dazu ist die Willkür des ˜tti ken §pÉ ékair€man gl«ttan ¶ly˙ bzw. des tÚ pr«ton §mpesÚn pr«ton (l°gein)]), ein Verfahren, welches der Autor Lukian in Merc. Cond. 6 auch für seine eigene Darstellung deklariert in Anspruch nimmt. Bereits Isokrates hatte die Integration von Elementen früherer Reden in seine Antidosisrede mit dem Argument gerechtfertigt, daß sie situationsadäquat erfolge (Or. 4, 10: proshkÒntvw to›w Ípokeim°noiw, Gegensatz élÒgvw bzw. éka€rvw). In ähnlichem Sinn sind die Worte des Sokrates über eÈkair€a und ékair€a im platonischen

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Phaidros (Phdr. 272 a) zu verstehen. Der Begriff kairÒw wird von den Theoretikern der Rhetorik besonders auch in stilistischem Sinne verstanden. Dionysios von Halikarnaß (Comp. 12) kannte allerdings mit Ausnahme der seiner Ansicht nach wenig ergiebigen Abhandlung des Gorgias von Leontinoi bis auf seine Zeit keine einzige umfassendere Behandlung des Themas, die es im übrigen ja auch gar nicht geben könne, denn: oÈdÉ ˜lvw §pistÆm˙ yhratÒw §stin ı kairÚw éllå dÒj˙. Lukian verwendet in dieser Schrift den Begriff kairÒw im Zusammenhang mit maßvoller stilistischer Gestaltung (Kap. 45) und einer recht verstandenen stofflichen Ökonomie (Kap. 50). m°tron §pakt°on t“ prãgmati: Der Begriff m°tron ist in dieser Schrift u. a. ein unerläßlicher Parameter zur Vermeidung des Übermaßes in Fragen der Stoffökonomie (vgl. Kap. 6 und 50). Eine Vernachlässigung dieses elementaren Erfordernisses führe aufseiten des Rezipienten bald zu Überdruß und offenbare solcherart die Geschmacklosigkeit des Verfassers (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 50: m°tron §p°stv, mØ §w kÒron mhd¢ épeirokãlvw mhd¢ near«w). Das Verbum §pãgein bezeichnet in diesem Kontext weniger ein technisches Verfahren (so Kap. 48 und 55: vgl. den Kommentar zu §pãjei), sondern meint mehr das Beibringen eines Elements, so wie es von Thukydides heißt: ka‹ §pãgei tÚ xrÆsimon (Kap. 42), doch ist auch das Bild vom Messen (Kap. 5: t“ aÈt“ pÆxei ... metroÊntvn tÚ prçgma, vgl. den Kommentar z. St.) durchaus im Bereich der Assoziationsmöglichkeiten, zumal ja weiter unten im Text die handwerkliche Metaphorik explizit in Erscheinung tritt (kanonist°on). tÚ mØ §paxy¢w to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã: Die vor dem Hintergrund des lukianischen Sprachgebrauchs ungewöhnliche Konstruktion tÚ mØ §paxy¢w beinhaltet eine finale Konnotation und entspricht sinnmäßig einem Syntagma von der Art toË mØ §paxy¢w e‰nai bzw. gen°syai tÚ prçgma (sc. ßneka) oder Íp¢r toË mØ §paxy¢w e‰nai bzw. gen°syai tÚ prçgma. Mit dem Adjektiv §paxyÆw bezeichnet Lukian in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch von Theoretikern der

Rhetorik u. a. auch berechtigten Ärger über Fehlleistungen auf literarischem Gebiet (Gegensatz sxÆmasi ... énepaxy°si in Kap. 44), mit besonderem Bezug zu den übermäßigen Lobhudeleien im Geschichtswerk (Kap. 11). In Rh. Pr. 21 läßt Lukian den von keinen Skrupeln angekränkelten Redelehrer seinem Schüler empfehlen, dieser solle sich selbst im Übermaß loben und damit seinem Gegenüber lästig zu fallen suchen (ka‹ ≥n tiw §ntÊx˙, yaumãsia per‹ sautoË l°ge ka‹ Íperepa€nei ka‹ §paxyØw g€gnou aÈt“), womit er eine anstößige Maxime ausgibt, welche auch bei anderen Autoren einen mit §paxyÆw bezeichneten Tadel findet (so Plu De se ipsum citra invidiam laudando 547 a und d sowie D. H. Th. 45). Zu to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã: Der wiederholte Hinweis auf die zukünftige Leserschaft ist in dieser Schrift ein zentraler Gedanke, vgl. dazu bes. die folgende Anmerkung. Zu Beginn des skommatisch–lehrhaften Teils der Schrift (Kap. 14) weist das Autor-Ich auf von ihm besuchte Lesungen von zeitgenössischen Geschichtswerken in Ionien und Achaia hin. Hier rückt mit Blick auf die zukünftige Perspektive allerdings die Rezeptionsform des Lesens als dominierend ins Blickfeld. Generell sind bis ins 2. Jh. n. Chr. beide Arten der Rezeption, Rezitation und Lektüre gleichermaßen, belegt (dazu Hose 1994, 19–21 mit Literatur). ka‹ ˜lvw prÚw tå ¶peita kanonist°on tå toiaËta: Der für diese Schrift zentrale Gedanke (Kap. 61: pollãkiw går toËto §r«), daß der Historiker mit Blick auf die zukünftige Leserschaft schreiben müsse, wird ausgeführt bes. in Kap. 13, 39–40 (39: ka‹ ˜lvw p∞xuw eÂw ka‹ m°tron ékrib°w, épobl°pein mØ efiw toÁw nËn ékoÊontaw, éllÉ efiw toÁw metå taËta sunesom°nouw to›w suggrãmmasin)

und 61–63. Interesse, so die Quintessenz all dieser Stellen, beim zukünftigen Publikum könne ein Geschichtswerk nur dann beanspruchen, wenn es nach dem Parameter der élÆyeia ausgerichtet sei. Im Hintergrund von alledem steht das methodologische Selbstverständnis des Thukydides (I 22, 4:

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kt∞mã te §w afie‹ mçllon µ ég≈nisma §w tÚ paraxr∞ma ékoÊein jÊgkeitai), auf das das Kapitel 42

explizit Bezug nimmt. An differenzierende Unterscheidung der intendierten Rezipientenschaft in die Staatsmänner (den énØr pragmatikÒw bzw. die pragmatiko‹ t«n éndr«n) und eine nicht näher bestimmte interessierte Öffentlichkeit (ofl filomayoËntew; in dieser Klasse der in erster Linie als das Zielpublikum angepeilten griechischen Leserschaft sind der politikÒw und der filÆkoow wegen unterschiedlicher Lesererwartungen voneinander zu unterscheiden, Petzold 1969, 4–5 und 41), wie sie von Polybios (III 7, 5; 21, 8–10 und 118, 11–12; XXXIX 8, 7) vorgenommen ist, ist in diesem Kontext jedoch nicht gedacht. Eine durch tÚ parÒn, tÚ paraut€ka und tÚ tÆmeron bezeichnete momentbezogene Wirkabsicht mache den Historiker zu einem Schmeichler (exemplarisch Kap. 40: Efi d¢ tÚ paraut€ka tiw yerapeÊoi, t∞w t«n kolakeuÒntvn mer€dow efikÒtvw ín nomisye€h). In diesem Sinne lautet das Schlußwort der Schrift (Kap. 63): XrØ to€nun ka‹ tØn flstor€an oÏtv grãfesyai sÁn t“ élhye› mçllon prÚw tØn m°llousan §lp€da ≥per sÁn kolake€& prÚw tÚ ≤dÁ to›w nËn §painoum°noiw.

Zu kanonist°on: Das bei Aristoteles (EN II 3, 1105 a 3) belegte Verbum kanon€zein (es ist hier mit einem Dativobjekt konstruiert: kanon€zomen ... tåw prãjeiw .... ≤donª ka‹ lÊp˙) findet sich erst im 1. Jh. n. Chr. und besonders im 2. Jh. n. Chr. häufiger, bei Lukian selbst jedoch nur an dieser Stelle. Doch ist das Substantiv kan≈n (grundlegend Oppel 1937), welches in seiner eigentlichen Bedeutung das Richtscheit bezeichnet, ein handwerkliches Instrument zu der Herstellung gerader Linien, in der übertragenen Bedeutung von regula bzw. norma (in dieser Bedeutung gebräuchlich in der Sprache griechischer Literaturkritik) ein zentraler Begriff in dieser Schrift (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 5: tÚn kanÒna toËton prosãgontew mit Verweis auf weitere Belege). Die Bezogenheit des idealen Historikers auf die zukünftige Leserschaft ist an prononcierter Stelle am Ende der Schrift (Kap. 63) nochmals nachhaltig als Norm für ein unparteiisches Geschichtswerk deklariert (otÒw soi kan∆n ka‹ stãymh flstor€aw dika€aw). Lukian verwendet neben kan≈n auch noch andere der Handwerkssprache entnommene Begriffe zu der Bezeichnung des Maßnehmens in übertragener literarkritischer Bedeutung, nämlich stãymh, staymçsyai (Kap. 63), p∞xuw (Kap. 5, 39) und besonders m°tron, metre›n (Kap. 5, 6, 9, 39, 50), vgl. auch Harm. 3 (ı gn≈mvn ... ka‹ ı ÙryÚw kan≈n). ÜOsoi d¢ o‡ontai kal«w diaire›n efiw dÊo tØn flstor€an, efiw tÚ terpnÚn ka‹ xrÆsimon, ka‹ diå toËto efispoioËsi ka‹ tÚ §gk≈mion §w aÈtØn …w terpnÚn ka‹ eÈfra›non toÁw §ntugxãnontaw, ıròw ˜son télhyoËw ≤martÆkasi;

Die Kritik gilt der Fehlmeinung, die Gattung der flstor€a vertrage mit Rücksicht auf den Rezipienten (im Unterschied zu Lukian sind bei Polybios die Rezipienten keine homogene Gruppe, sondern stärker differenziert, dazu Georgiadou / Larmour 1994, 1454–1455) die doppelte Zielsetzung der Bewirkung von Vergnügen (tÚ terpnÒn) zum einen und Nutzen (tÚ xrÆsimon) zum anderen, während doch tatsächlich einzig dem Faktor des xrÆsimon der Rang eines gattungsimmanenten t°low zukomme (nicht so eindimensional äußert sich auch in dieser Frage Polybios, dazu Sacks 1981, 137– 138). Im Besonderen richtet sich die Kritik a) auf die Privilegierung des terpnÒn vor dem xrÆsimon sowie b) auf eine falsche, das Anspruchsniveau der Rezipienten unterschätzende (Kap. 10–11) inhaltliche Auslegung des terpnÒn im Sinne eines Freibriefes für die Integration enkomiastischer Elemente. Tatsächlich sei das terpnÒn in historiographischer Darstellung bloß als ein akzessorischer Vorzug zu bewerten, welchem einzig die Funktion zukomme, der Enthüllung der Wahrheit vermittels adäquater sprachlich–stilistischer Gestaltung auch eine äußerlich ansprechende Form zu verleihen: Àsper ka‹ kãllow éylhtª (weiter unten im Text). 322

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Demgegenüber steht, so ist zu ergänzen, innerhalb der Dichtung das terpnÒn sehr wohl im Rang eines gattungsspezifischen t°low (vgl. D. S. I 2, 7: sumba€nei tØn .. poihtikØn t°rpein mçllon ≥per »fele›n), auch wenn Lukian selbst diesen Gedanken hier nicht expressis verbis ausspricht. Doch suggeriert natürlich der Zusammenhang der Kapitel 8–9 eine Zuordnung des terpnÒn zum Anwendungsbereich der sich der Elemente des mËyow und des §gk≈mion bedienenden poihtikÆ. Dies läßt sich auch anhand anderer Schriften Lukians belegen, in denen das terpnÒn als die dichtungsspezifische Zielsetzung explizit namhaft gemacht ist. So wird im Falle der Poesie die Beimischung von ceËdow–haltigen Elementen gerechtfertigt mit Hinweis auf die legitimen Rücksichten, welche die Dichter auf die Erwartungshaltungen ihres jeweiligen Publikums zu nehmen hätten (Philops. 4): ofl (sc. poihta‹) ... tÚ §k toË mÊyou terpnÚn §pagvgÒtaton ¯n §gkatamignÊntew tª grafª, oper mãlista d°ontai prÚw toÁw ékroatãw. Andernorts (JTr. 39) legt Lukian dem streitbaren Epikureer Damis die in ihrer Pointiertheit aus der Dialogsituation heraus zu verstehende Polemik in den Mund, das terpnÒn sei das einzige Ziel der sich um die élÆyeia gar nicht bekümmernden Dichter (ka‹ ˜lvw ëpanta Íp¢r toË terpnoË mhxan«ntai). Ein sehr präzises Bewußtsein von der Eigengesetzlichkeit der nur bedingt an die Wahrheit gebundenen poetischen Kunstform findet sich bei Strabon (I 2, 30 = C 37), der sich über die mythischen Gestaltungen (muyopoi€ai) Homers dahingehend äußert, daß diese nicht in einem diesbezüglichen Unwissen (êgnoia) des Dichters begründet seien, sondern in einer bewußten Wirkabsicht (≤don∞w ka‹ t°rcevw xãrin). Die Vorstellung von dem Nutzwert der Geschichtsschreibung geht wesentlich auf Thukydides zurück, der unter Abgrenzung gegenüber den methodischen Verfahrensweisen der lediglich auf momentane Wirkung hin angelegten Berichte der Logographen (I 21, 1: ... logogrãfoi jun°yesan §p‹ tÚ prosagvgÒteron tª ékroãsei µ élhy°steron) seine Prinzipien bestimmt (I 22, 4). Diese sind charakterisiert a) durch den Verzicht auf das muy«dew (dazu Walbank 1960, 221–222) und somit auf Wirkung im Sinne von t°rciw (ka‹ §w m¢n ékrÒasin ‡svw tÚ mØ muy«dew aÈt«n éterp°steron fane›tai) und b) durch das Ziel des Nutzwertes (»f°lima kr€nein aÈtå érkoÊntvw ßjei). Polybios, der mehrfach in unterschiedlichen Kontexten die Relevanz der Faktoren t°rciw und élÆyeia kritisch diskutiert, zeigt darin eine große Nähe zum thukydideischen Programm, daß er etwaigen Verzicht auf vernetzte Darstellung von kausalen historischen Ereignisfolgen mit wohl bewußtem Anklang an die Ausdrucksweise seines großen Vorgängers so bewertet: paraut€ka m¢n t°rpei, prÚw d¢ tÚ m°llon oÈd¢n »fele› (Plb. III 31, 11–13, vgl. IX 2, 6; zu dem Nutzwert, wie er von Polybios bewertet ist, vgl. Sacks 1981, 122–144). Der Autor Lukian beruft sich in Kapitel 42 für die Auffassung des an den Modellcharakter des Geschichtswerkes gebundenen Nutzens (xrÆsimon) gleichfalls auf das thukydideische Methodenkapitel, mit dem ihn besonders auch der Blick auf zukünftige Lesergenerationen verbindet, ein in dieser Schrift mit leitmotivischer Nachdrücklichkeit öfter wiederholter Gedanke (Kap. 9, 13, 39–40, 42, 61, 63). Zu den unterschiedlichen Facetten der antiken Debatte über das xrÆsimon und das terpnÒn Avenarius 1956, 22–29, Scheller 1911, 72–78 und Walbank 1990. Als zu einseitig erscheint es, wenn Avenarius 1956, 26 rigoros sagt, Lukian sei bei der Bestimmung des xrÆsimon einfach Thukydides gefolgt. Denn wie die Darstellung der Quellenfrage in der Einleitung, Teil I, bes. 3. 5 (Polybios) zeigt, kommen als Vorlagen für Lukian nicht bloß Thukydides selbst, sondern auch hellenistische Diskurse in Frage, in denen Polybios eine zentrale Rolle spielte, und zwar in einer (in welcher Form auch immer) weiterverwerteten Art und Weise. Anzumerken ist noch, daß in der Schrift De saltatione (Kap. 34) mit Bezugnahme auf den entsprechenden Passus in den platonischen Nomoi (Lg. VII 814 d–816 d) einzig für den Tanz eine geglückte Kombination von beiden Faktoren, dem xrÆsimon und dem terpnÒn gleichermaßen, geltend gemacht wird (vgl. Plãtvn ... diair«n aÈtå [sc. tå t∞w ÙrxÆsevw e‡dh] ¶w te tÚ terpnÚn ka‹ tÚ xrÆsimon, zu dieser Sonderstellung des Tanzes vgl. auch Salt. 71). 323

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Zu efispoioËsi: Mit dem Verbum efispoie›n, das im eigentlichen Wortsinn den Vorgang der Adoption bezeichnet, ist bei übertragener Bedeutung das Integrieren artfremder Elemente zu assoziieren (Scyth. 9, Deor. Conc. 4, DMort. 16, 3, Abd. 16). toÁw §ntugxãnontaw: ofl §ntugxãnontew bezeichnen im Kontext von literarischen Darbietungen bei Lukian stereotyp das Publikum, an das sich ein Autor wendet (Lesepublikum: VH I 4, Alex. 21; Leser und Hörer ohne strikte Trennung: Philops. 2). Zu o‡ontai: In semantischer Hinsicht ist die Unterscheidung von o‡esyai = (irrtümlich) mutmaßen (so Kap. 5, 15, 19, 40) und nom€zein = (begründet) erachten (Kap. 40 und 51) zu beachten. Nach der kynischen Lehre verfügt das Gros der Menschen im Gegensatz zu dem wissenden Kyniker bloß über falsche Meinungen (dÒjai), die dem kynischen Sprachgebrauch entsprechend mit den Begriffen kenodoj€a und o‡hsiw (letzterer terminus bei Teles, D. L. IV 50) bezeichnet werden. Und dieser Umstand gibt dem Autor in seiner Rolle als sÊmboulow willkommene Gelegenheit, es zu unternehmen, das solcherart diagnostizierte Wissensdefizit (vgl. den Kommentar zu Kap. 8: égnoe›n) durch seine Lehrschrift zu beheben. ≤martÆkasi: In diesem sich betont ernsthaft gebenden Teil der Schrift bedient sich der Autor mit einer didaktischen Pose der innerhalb der Sprache griechischer Literaturkritik üblichen Bilder des Verfehlens (Belege zu [di]èmartãnein bzw. èmartÆmata sind im Kommentar zu Kap. 7: ì dÉ §n flstor€& diamartãnousi verzeichnet) und des Treffens (Kap. 7: tuxe›n toË t°louw, vgl. 12: oÈd¢ tugxãnousin o mãlista §f€entai). pr«ton m¢n kibdÆlƒ tª diair°sei xr≈menoi: ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai. tÚ terpnÚn d¢ êmeinon m¢n efi ka‹ aÈtÚ parakolouyÆseien, Àsper ka‹ kãllow éylhtª:

kibdÆlƒ tª diair°sei xr≈menoi: Das Adjektiv k€bdhlow erscheint bereits bei Theognis im

Zusammenhang mit Prüfung von Metallen (Thgn. 119) und menschlichem Charakter (Thgn. 117 und 965), wobei hier erstmals ein wechselseitiger Vergleich angestellt ist, der darauf hinausläuft, daß es für den Kenner viel leichter sei, das unechte Gold (XrusoË kibdÆloio) als solches zu erkennen, als zu seinem eigenen Schaden letztendlich enttäuscht den trügerischen Sinn eines angeblichen Freundes durchschauen zu müssen (toËto yeÚw kibdhlÒtaton po€hse broto›sin, der gesamte Passus: Thgn. 119–128). Und in diesem Sinne läßt sodann Euripides (Med. 516–519) innerhalb der bekannten Agonszene seine Medea, von Jasons selbstherrlichem Auftritt provoziert, desillusioniert ausrufen: Œ ZeË, t€ dØ xrusoË m¢n ˘w k€bdhlow ¬ / tekmÆriÉ ényr≈poisin Ãpasaw saf∞, / éndr«n dÉ ˜tƒ xrØ tÚn kakÚn dieid°nai, / oÈde‹w xaraktØr §mp°fuke s≈mati. Dieser Passus, der von Stobaios (III

2, 14) vollständig zitiert wird, ist durch Lukian (Par. 4) in verkürzter Form dem Parasiten Simon in den Mund gelegt, zu dem (als Parodie zu verstehenden) Aufweis, daß es sich bei der Parasitik um eine t°xnh handle. Dabei ist die Vorstellung der Goldprüfung wie in Herm 68 ersetzt durch das Beispiel der Münzprüfung, das letztlich auf Xenophon (Mem. III 1, 9 und Oec. 19, 16) zurückgehen dürfte (Belege nach Arist. Rh. I 15, 1375 b 5–6 [NE IX 3, 1165 b 9–12: Münzfälschung] innerhalb der kaiserzeitlichen Popularphilosophie bei Nesselrath 1985, 273), mit dem Simon auch die Wahl der Verba diagign≈skein und diakr€nein bzw. diadokimãzein (Belege dazu in Philosophie und Popularphilosophie bei Nesselrath 1985, bes. 272) verbindet. Auf literarkritisches Gebiet bezogen erscheint die einschlägige Bildersprache bei Lukian auch in Ind. 2, wo der ungebildete Büchersammler sich folgende hämischen Worte sagen lassen muß: oÈd°pv d¢ toËtÒ moi flkanÒn, µn mØ efidªw tØn éretØn ka‹ kak€an •kãstou t«n §ggegramm°nvn ka‹ sun€˙w ˜stiw m¢n ı noËw sÊmpasin, t€w d¢ ≤ tãjiw t«n Ùnomãtvn, ˜sa te prÚw tÚn ÙryÚn kanÒna t“

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suggrafe› éphkr€bvtai ka‹ ˜sa k€bdhla ka‹ nÒya ka‹ parakekomm°na (vgl. den Kommentar zu érguramoibik«w und parakekomm°na weiter unten im Text, in Kap. 10). Vergleiche und Metaphern

aus dem Münzwesen finden sich auch sonst mit Bezug auf alle Bereiche des Sprachlichen, bezogen auf Grammatik, Wortwahl und Stil (D. L. VII 18: Zenon; in der lateinischen Literatur Hor. Ars 58–59, Quint. Inst. I 6, 3, Juv. 7, 53–55). Schließlich noch eine Bemerkung zur semantischen Qualität von k€bdhlow: Platon (Lg. V 728 d und 738 e) stellt die Adjektive k€bdhlow und élhyÆw mit scharfem Kontrast einander gegenüber. Bei Xenophon (Mem. III 1, 9 und Oec. 19, 16) bilden die Begriffe kalÒn und k€bdhlon den Kontrast. Damit zu vergleichen ist der Wortlaut an dieser Stelle: kal«w diaire›n und danach kibdÆlƒ tª diair°sei, was auch durchaus verständlich ist, wenn man bedenkt, wie stark impulsgebend Xenophon auf den Kynismos gewirkt hat (Belege bei Münscher 1920, 46–48). Der Begriff dia€resiw, der in antiken Bildungsinstitutionen eine wichtige Stellung einnimmt, sowohl in der Philosophie (vgl. dazu Schramm 2007, 92–95) als auch in der Rhetorik (Ernesti 75–76), ist hier allerdings in der weniger spezifischen Bedeutung von „einteilen” gebraucht. ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low: Zu ¶rgon als gattungsspezifischer Leistung ist die häufige Verwendung des Begriffes bei Aristoteles zu beachten, und zwar in der Poetik (Po. 13, 1452 b 29–30: tÚ t∞w tragƒd€aw ¶rgon, Po. 6, 1450 a 30–31: oÈ poiÆsei ˘ ∑n t∞w tragƒd€aw ¶rgon) ebenso wie in der Rhetorik (Rh. I 1, 1354 a 11: t°xnhw ¶rgon, I 4, 1360 a 37: politik∞w éllÉ oÈ =htorik∞w ¶rgon §st€n, III 2, 1404 b 3 und III 14, 1415 a 22–23). Lukian verwendet ¶rgon in selber Weise (Kap. 6: toË t∞w sumboul∞w ¶rgou), aber auch, wie dies schon bei Aristoteles der Fall ist, in Verbindung mit einem personalen Genetivobjekt (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 51: tÚ toË suggraf°vw ¶rgon). Durchaus ähnlich verfährt der in der Tradition der peripatetischen Stiltheorie stehende Dionysios von Halikarnaß im zweiten Buch seiner Jugendschrift (zu der Chronologie Bonner 1939, übersichtlich 38) per‹ mimÆsevw (wiedergegeben in Pomp. 3), in der er Herodot und Thukydides inhaltlich nach dem Kriterium von fünf Leistungen (¶rga) hin beurteilt. Im Zuge dieser Synkrisis variiert er u. a. Formulierungen wie t∞w flstorik∞w pragmate€aw ¶rgon und ¶rgon §st‹n flstorikoË (¶rgon ist hier mit personalem Objekt konstruiert). Von der Aussage her jedoch unterscheidet sich sein Ansatz vom lukianischen stark, da bei ihm der Parameter der Wahrheit nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Diese Einstellung ändert sich aber in der Thukydidesmonographie (Th. 8), einem seiner späteren Werke. Hier wird Thukydides Wahrheitsliebe in höchstem Maße bescheinigt (zum Vergleich beider Autoren vgl. besonders auch die Einleitung, Teil I 3. 9). Aristotelisch ist auch der Begriff t°low in dieser besonderen Art der Anwendung (Po. 6, 1450 a 22–23: t°low t∞w tragƒd€aw). Lukian wiederholt die Formulierung t°low ... flstor€aw an späterer Stelle nochmals (Kap. 42). Zu beachten ist in diesem Kontext der Kommentar weiter unten zu Kap. 9: tÚ ‡dion §ntel°w. Insgesamt ist es also als durchaus wahrscheinlich zu betrachten, daß das hier vertretene Begriffsrepertoire über Theophrast und andere in die Terminologie späterer rhetorischer Theorie Eingang gefunden hat.

efi d¢ mÆ, oÈd¢n kvlÊsei éfÉ ÑHrakl°ouw gen°syai NikÒstraton tÚn ÉIsidÒtou, gennãdan ˆnta ka‹ t«n éntagvnist«n •kat°rvn élkim≈teron, efi aÈtÚw m¢n a‡sxistow Ùfy∞nai e‡h tØn ˆcin, ÉAlka›ow d¢ ı kalÚw ı MilÆsiow éntagvn€zoito aÈt“, ka‹ §r≈menow, Àw fasi, toË Nikostrãtou Ãn.

NikÒstraton tÚn ÉIsidÒtou: Nikostratos, Sohn des Isidotos (dies ist der einzige Beleg für den

Namen des Vaters), gilt als der Prototyp des erfolgreichen Athleten (Belege bei E. Stein 1936). Pausanias (V 21, 9–11, zu Herkunft und Wettkampfleistungen 10–11) nennt ihn als den letzten

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in der Liste derjenigen Wettkämpfer, denen es gelungen war, an einem Tag den Sieg sowohl im Pankration (pagkrãtion) als auch im Ringkampf (pãlh) zu erringen (auf beide Disziplinen bezieht sich •kat°rvn, Literatur zu den Olympioniken bei Decker 2000). Weiters: der Olympionikenliste zufolge (Moretti 1957, Nr. 762–763), die bekanntlich im Jahr 776 v. Chr. einsetzt, fiel dieser Sieg in die 204. Olympiade, d. h. in das Jahr 36 n. Chr.. Im Besonderen bedienen sich literarische Quellen, wie Lukian auch, des Nikostratos als eines probaten Vergleichsobjektes namentlich in literarkritischen Zusammenhängen. So vergleicht, um ein illustratives Beispiel zu nennen, Quintilian (Inst. II 8) den vielseitigen Ausbildungsgang des forensischen Redners, der von den Griechen unter Anwendung einer Metapher aus dem Bereich der Athletik égvnistÆw (zur Metaphorik von ég≈n, égvn€zesyai und égvnistÆw van Hook 23–24) genannt wird, mit dem ebenso umfassenden Trainingsprogramm eines Wettkampfsportlers. Als Inbegriff des idealen Athleten nennt Quintilian den älteren Zeitgenossen Nicostratus, den er selbst in fortgeschrittenem Alter noch in voller jugendlicher Aktion gesehen habe. In den Kampfsportgattungen des Ring- und des Faustkampfes wäre dieser gleichermaßen unbesiegt gewesen (Inst. II 8, 14: luctando pugnandoque, quorum utroque certamine isdem diebus coronabatur, invictum). Auch bei Tacitus (Dial. 10, 5) erscheint dieser Nicostratus in der Rede des Aper als Paradeathlet. Die Vergeudung der rhetorischen Naturbegabung des dichtenden Maternus mutet Aper ebenso an, wie wenn dieser, mit den Bärenkräften (robur ac vires) des Nicostratus ausgestattet, sich in den inadäquaten Wettkampfdisziplinen des Speer- und Diskuswurfes üben wollte. Das rühmende Attribut gennãdaw bezieht sich in erster Linie auf die Kampftüchtigkeit des Athleten, doch könnte darüberhinaus auch die edle Abstammung mitzuassoziieren sein, von der Pausanias (V 21, 11) zu berichten weiß (ofik€aw ˆnta oÈk éfanoËw). Als andere Beispiele ähnlich erfolgreicher Athleten werden in dieser Schrift genannt Titormos und Milon (Kap. 34) sowie Theagenes und Polydamas (Kap. 35). ÉAlka›ow .. ı kalÚw ı MilÆsiow: Über die Person des Alkaios liegt ansonsten kein Beleg vor (auch

das Scholion zur Stelle [Rabe 1906, 227] kennt keine weiterreichenden Daten), vom Standpunkt des Kommentators aus ein äußerst seltener Fall innerhalb des ersten und des dritten Teils dieser Schrift. Auffällig ist jedoch zumindest die Assonanz zwischen dem Namen ÉAlka›ow und dem Prädikat des Athleten élkim≈teron (dies wurde richtig bemerkt von Macleod 1991, 292). Doch daraus zu schließen, die Person des Alkaios sei eine Fiktion (Macleod: This Alcaeus ... may be a Lucianic fiction), geht entschieden zu weit. éfÉ ÑHrakl°ouw gen°syai: Es existierte in der Antike eine Überlieferung, derzufolge Herakles

einerseits mit der Gründung der olympischen Spiele in Verbindung gebracht wurde, andererseits erster olympischer Sieger gewesen sein soll. Strabon (VIII 3, 30 = C 354–355) bezieht dazu kritisch Stellung: §çsai går de› tå palaiå ka‹ per‹ t∞w kt€sevw toË fleroË ka‹ per‹ t∞w y°sevw toË ég«now, t«n m¢n ßna t«n ÉIda€vn DaktÊlvn ÑHrakl°a legÒntvn érxhg°thn toÊtvn, t«n d¢ tÚn ÉAlkmÆnhw ka‹ DiÒw, ˘n ka‹ égvn€sasyai pr«ton ka‹ nik∞sai. tå går toiaËta pollax«w l°getai, ka‹ oÈ pãnu pisteÊetai. Doch ist es nicht nötig, dem Lukiantext einen derart spezifischen Sinn zu

unterlegen, zumal von Olympia nicht explizit die Rede ist. Vielmehr ist die Nennung des Herakles wohl unter dem Gesichtspunkt der kynischen Stilisierung der Schrift zu betrachten, die wiederholt die ideale Figur des kynischen Paradigmas Herakles explizit (Kap. 10 und 23) oder implizit (Kap. 8) ins Spiel bringt. Herakles erscheint an diesen Stellen als Inbegriff einer unverwechselbar konturierten Persönlichkeit, als Größe sui generis, die keinerlei inkommensurable Beimischung fremdartiger Elemente zulasse. In diesem Sinne ist die Kraft (élkÆ) einziges legitimes Bewertungskriterium für die Qualität des Athleten, während die Schönheit (kãllow) allenfalls als ein akzessorischer Vorzug in Betracht komme.

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Das Idiom éfÉ ÑHrakl°ouw, das in der Regel die leibliche Abstammung bezeichnet (die frühesten Belege dafür sind Hdt. VII 220, 4 und Th. I 24, 2), meint hier den Rang, so wie andernorts (VH II 22) von dem Ringkämpfer Karanos mit einer nicht zu überbietenden Auszeichnung ausgesagt ist: pãlhn m¢n §n€khsen Kãranow [Gronovius] ı éfÉ ÑHrakl°ouw. Ansonsten bezeichnet Lukian mit épÒ gerne Zugehörigkeit zu Philosophenschulen (Symp. 6: ı épÚ t∞w stoçw, vgl. Herm 11 und 14, Vit. Auct. 20, Pisc. 43, Par. 27) oder Kunstwerkstätten (Icar. 24: t«n épÚ Feid€ou). Zur spezifischen Bedeutung von Idiomen in der Art von ofl éfÉ ÑHrakl°ouw vgl. Forbes 1939. Aus der lateinischen Literatur sind die anerkennenden Worte zu vergleichen, mit denen bei Vergil Menalcas das Daphnislied des Mopsus rühmt: tu nunc eris alter ab illo (Verg. Ecl. 5, 49).

ka‹ to€nun ≤ flstor€a, efi m¢n êllvw tÚ terpnÚn paremporeÊsaito, polloÁw ín toÁw §raståw §pispãsaito, êxri dÉ ín ka‹ mÒnon ¶x˙ tÚ ‡dion §ntel°w – l°gv d¢ tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin – Ùl€gon toË kãllouw frontie›.

efi m¢n êllvw tÚ terpnÚn paremporeÊsaito: Bei dem Verbum paremporeÊesyai (die eigentliche

Bedeutung lautet: „ein Handelsobjekt unter der Hand einschmuggeln“) und bei dem entsprechenden Substantiv parempÒreuma handelt es sich um selten und nicht vor dem 2. Jh. n. Chr. belegte Wörter. Die frühesten Belege liegen vor bei Marc Aurel (III 12, 1) und bei Galenos (Kühn III 654, Z. 14). Ein aussagekräftiges Beispiel für die übertragene Bedeutung „Nebensache“ bzw. „Beiwerk“ ist eine Stelle aus dem pseudolukianischen und wohl erst in die erste Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. zu datierenden Dhmosy°nouw §gk≈mion. Es wird hier in wenig raffiniertem Stil von Isokrates sinngemäß ausgesagt, er habe in seinem Lob der Helena die Hauptperson, um die es eigentlich hätte gehen sollen, zur Nebensache (parempÒreuma) degradiert und sich stattdessen ganz breit über die Person des Theseus ergangen, ein Vorwurf, der tatsächlich nicht ganz unzutreffend ist, denn die Kap. 18–38 schweifen vom Hauptthema in lang ausgedehnter Digression zum Lob des Theseus ab. Vor dem Hintergrund dieses sprachlichen Befundes ist die Pointe im vorliegenden Text darin zu sehen, daß das Element des terpnÒn innerhalb der Geschichtsschreibung nie mehr sein dürfe als ein unvermerkt eingeschleuster akzessorischer Vorzug, der allerdings, so verstanden, in jedem Fall eine durchaus anziehende Wirkung entfalte, Àsper ka‹ kãllow éylhtª. Das Adverb êllvw (Grundbedeutung: „so beiläufig, so nebenbei“, so Herm 49: êllvw ist erklärt durch katã tina égayØn tÊxhn), kennzeichnet in diesem Sinne tÚ terpnÒn als ein Beiwerk zum eigentlichen Ziel (t°low) der flstor€a. Dabei handelt es sich um eine vom aktuellen Textzusammenhang her zu verstehende pointierte Relativierung des kãllow, welches jedoch tatsächlich, wie der dritte und didaktische Teil der Schrift (Kap. 48) deutlich zeigt, im Produktionsvorgang eines Geschichtswerkes den letzten, allerdings ganz und gar nicht unwichtigen Arbeitsschritt ausmacht. tÚ ‡dion §ntel°w: Wie im Falle von ¶rgon und t°low (vgl. den Kommentar weiter oben im Text zu: ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low), so ist auch hier deutlich die Verwendung peripatetischer Terminologie festzustellen. Aristoteles bezeichnet mit ‡dion das spezifische Wesen einer literarischen Gattung (Po. 5, 1449 b 16–17: m°rh ... ‡dia t∞w tragƒd€aw, Po. 24, 1459 b 22–23: ¶xei d¢ ... polÊ ti ≤ §popoi€a ‡dion), eines Formelements (Rh. III 14, 1415 a 22–23: tÚ .. énagkaiÒtaton ¶rgon toË prooim€ou ka‹ ‡dion toËto) oder einer gestalterischen Verfahrensweise (Po. 13, 1452 b 33: toËto går ‡dion t∞w toiaÊthw mimÆse≈w §stin). Lukian gebraucht diesen selben terminus tÚ ‡dion (im Rang eines Substantivs wie auch

eines Adjektivs) in anderen Schriften, und zwar mit Bezug auf die Spezifika der einzelnen Tonarten (Harm. 1), die individuellen Formen des Tanzes in Komödie und Tragödie (Salt. 26) und das ureigene

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Wesen der Lobrede (Pr. Im. 19: hier gibt er ein Beispiel für tÚ ‡dion toË §pa€nou [es geht um das Lob eines Hundes], um abschließend festzuhalten: otow går dØ kunÚw §ntelØw ¶painow). In dieser Schrift (Kap. 39) bezeichnet er Orientierung nach dem Parameter der Wahrheit als eigentliches und einziges Wesen der Geschichtsschreibung (©n gãr ... toËto ‡dion flstor€aw), und in Kap. 11 formuliert er mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit das übergeordnete Prinzip: •kãstou går dØ ‡diÒn ti kalÒn §stin. Hier ist tÚ ‡dion als Substantiv zu verstehen und entsprechend §ntel°w als beigeordnetes Adjektiv. tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin: Das ganz bewußt gesetzte Verbum dhloËn = „darstellen“ im Sinne von

„verdeutlichen, zur Evidenz bringen“ meint in dieser Schrift zum einen eine rein stilistische Qualität (Kap. 43–44), zum anderen bezeichnet es in narrativem Sinne eine die Ereignisse unverzerrt zur Erscheinung bringende Art der Darstellung (Kap. 49, 54, 57), wie sie im Spiegelgleichnis (Kap. 51) anschaulich beschrieben ist. Bereits Herodot (I 106, 2; I 192, 1; II 101, 2; IV 36, 2; IV 81, 4; IV 99, 5), Thukydides (II 48, 3: Einleitung zur Pestschilderung) und Polybios (II 1, 4; II 40, 3; III 59, 9, u. ö.) hatten sich mit Bezug auf ihre eigenen Darstellungen und die mit diesen verbundenen besonderen Ansprüche auf Faktizität des Verbums dhloËn in der ersten Person bedient. Zu der Unabdingbarkeit der élÆyeia innerhalb der Gattung der flstor€a Georgiadou / Larmour 1994, 1462–1470: Vergleich der bei Lukian vertretenen Ansicht mit der ganz ähnlichen des Polybios.

Kapitel 10 Die mit Kapitel 10 beginnende Tetrade (Kap. 10–13) bringt nun erstmals konsequent die Perspektive der Rezipienten. Zwar war zuvor (Kap. 9) bereits festgestellt worden, daß der Geschichtsschreiber sein Werk mit Blick auf die zukünftige Leserschaft zu verfassen habe (to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã und ka‹ ˜lvw prÚw tå ¶peita kanonist°on aÈtã), doch erfolgt nunmehr ein Wechsel des Gesichtspunktes insoferne, als es jetzt zum einen um die zeitgenössische Hörerschaft geht (markiert ist dies durch to›w ékoÊousin und durch ékroasom°nouw), zum anderen deren Beurteilungsweise thematisiert wird. So habe also der Geschichtsschreiber sich zu orientieren an solchen Zuhörern, die nach Art von Richtern (dikastik«w) über das Gehörte kritisch urteilen würden, ja mehr noch, nach Art von Kritikastern, von Denunzianten (sukofantik«w), denen rein gar nichts entginge, Leuten die genauso wie die Geldwechsler (érguramoibik«w) Falschgeld aussonderten, um nur die echte Münze gelten zu lassen. Nur die breite Masse und der Pöbel vermöchte Gefallen zu finden an fiktiven Stoffen (mËyoi) und Lobhudeleien (¶painoi) im Übermaß (so erstmals Kap. 8: tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw). Auf diese dürfe man als Geschichtsschreiber so gut wie nichts geben, denn sonst würde man ein Geschichtswerk produzieren, das Herakles im Dienste der Omphale ähneln würde. Das Heraklesexempel ist passend gewählt aus Sicht des Autors, der für die Zwecke dieser Schrift in der Rolle des Diogenes von Sinope auftritt (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 3 und 4). Die Ansprache an das Du schillert zunächst zwischen dem Du des Adressaten und einem unbestimmten „man“, doch dann, im weiteren Verlauf des Kapitels, erscheint das Du schon wieder festgelegt auf die konkrete Person, an die sich die Schrift richtet, den Adressaten (•vrak°nai gãr s° pou efikÚw gegramm°non ktl), der zuletzt in Kapitel 4 mit dem Namen Philon angesprochen worden war.

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ÖEti kéke›no efipe›n êjion ˜ti oÈd¢ terpnÚn §n aÈtª tÚ komidª muy«dew ka‹ tÚ t«n §pa€nvn mãlista prÒsantew parÉ •kãteron to›w ékoÊousin, µn mØ tÚn surfetÚn ka‹ tÚn polÁn d∞mon §pinoªw, ... tÚ komidª muy«dew ka‹ tÚ t«n §pa€nvn mãlista prÒsantew parÉ •kãteron: Lukian gebraucht das Adverb komidª innerhalb literarkritischer Wertungen mit in der Regel negativer und nicht selten despektierlicher Konnotation, besonders häufig in dieser Schrift (Kap. 16: ÍpÒmnhma ... komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w und 17: tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã, vgl. auch 21, 25 und

43), aber auch anderswo in vergleichbaren Zusammenhängen (Prom. Es 1, Bacch. 5, Herc. 7, Hes. 5). Akzentuiert die Junktur tÚ komidª muy«dew mehr das Übermaß, so zielen die betont drastischen Worte tÚ t«n §pa€nvn mãlista prÒsantew stärker auf eine beim Rezipienten Widerwillen erregende Anstößigkeit, für die Lukian sonst das um eine Nuance schwächere Adjektiv §paxyÆw verwendet (Kap. 9 und 11). prosãnthw, das im eigentlichen Sinne die Steilheit eines Geländes bezeichnet (Hipp. 4), meint in übertragener Bedeutung eine vom Betrachter als schmerzlich oder feindselig wahrgenommene Widrigkeit (so Ph. De specialibus legibus IV 44: pçw, ˜tƒ prÒsantew ka‹ §xyrÚn tÚ êdikon, élhye€& f€low, mit abhängigem Genetiv Syn. Oratio de regno 11: tÚ traxÁ ka‹ prÒsantew t∞w despote€aw). Und in diesem Sinne gebraucht Diodor (IV 52, 1; XIV 1, 1, u. ö., etwas andere Syntax in XXXII 26, 1) das Idiom prosãntvw ékoÊein bzw. d°xesya€ ti in der Bedeutung von „etwas mit Widerwillen aufnehmen“. Das Idiom parÉ •kãteron, welches üblicherweise eine lokale Bedeutung hat, entspricht bei derartiger Verwendung dem Deutschen „beiderseits“. Es steht absolut im Rang eines Adverbs (Plu Ant. 26, 3: pa›dew d¢ ... parÉ •kãteron •st«tew §rr€pizon, vgl. J. BJ V 203 und 207), namentlich mit davon abhängigem Genetiv (Str. XVII 1, 28 = C 805: toË d¢ pronãou parÉ •kãteron, vgl. D. S. XVII 53, 2 und Ath. V 207 c), gelegentlich auch mit einem Substantiv (D. H. IV 61, 4: parÉ •kãteron d¢ tÚ m°row). Lukians ungewöhnliche Verwendung des Idioms hat bei den Interpreten seit jeher recht große Ratlosigkeit gestiftet. Tatsächlich scheint der Textsinn, der die Erklärer immer schon vor viele Probleme gestellt hat, alles andere als klar zu sein, soferne man, wie dies die Kommentatoren und Übersetzer fast immer als selbstverständlich angenommen haben, parÉ •kãteron einzig auf tÚ t«n §pa€nvn mãlista prÒsantew bezieht (Hermann 1828, 72–73, Sommerbrodt 1878, 15, Kilburn 1968, 17, Macleod 1991, 207, Costa 2005, 185), was dazu geführt hat, daß man dem Text zumeist allzu große Gewalt angetan hat. Bezieht man jedoch parÉ •kãteron sowohl auf das übermäßige muy«dew als auch auf Anstoß erregenden ¶painow (so richtig Homeyer 1965, 192–193), so fügt sich die Textstelle gleich besser in den Zusammenhang ein, denn bereits in Kapitel 8 war von den fehlerhaften Íperbola€ die Rede gewesen, die sich bei mËyow und §gk≈mion gleichermaßen fänden (tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw). Beeinträchtigungen des terpnÒn aus der Sicht der hier hypothetisch angenommenen Rezipienten ergeben sich, so die Aussage der Stelle, aus der fehlerhaften Behandlung in beiden Bereichen (parÉ •kãteron) gleichermaßen. µn mØ tÚn surfetÚn ka‹ tÚn polÁn d∞mon §pinoªw: „wenn du nicht gerade den Pöbel und den breiten Volkshaufen als deine Zielgruppe anvisierst (§pinoe›n ti: etwas im Sinn haben), indem du bestehende intellektuelle Defizite von vornherein einkalkulierst“. Die despektierliche Bezeichnung surfetÒw

(eigentliche Bedeutung: „Kehricht, Schmutz“) zielt auf allerunterstes literarisches Anspruchsniveau. Lukian bringt andernorts den Pöbel (surfet≈dhw ˆxlow) in eine Verbindung mit der Schaulust des ungeistigen Menschen (Herod. 8). Die Geschmacklosigkeit der urteilsschwachen Masse (surfet≈deiw ka‹ aÈtÚ toËto fidi«tai) und deren großer Mangel an Sinn für das Schickliche auf dem Gebiet der Tanzkunst wird veranschaulicht anhand eines konkreten Beispiels (Salt. 83). Hermotimos läßt er die geistige Untätigkeit des aus lauter fidi«tai sich konstituierenden surfetÒw mit den anhaltenden Denkanstrengungen des Philosophen kontrastieren (Herm 1). Liegt in letzterer Stelle bereits

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ein nicht zu übersehendes Maß an Ironie, so zeigt sich eben dies besonders auch bei Platon, der überhaupt nie aus auktorialer Perspektive vom surfetÒw gesprochen hatte, mag bei ihm auch in guter vorsokratischer Tradition die Masse noch so häufig mit dem abqualifizierenden Prädikat der ofl pollo€ bedacht sein. Im platonischen Gorgias (489 c) ist es noch der die Radikalität auf die Spitze treibende Kallikles, der ganz direkt die Urteilsunfähigkeit des surfetÒw brandmarkt. Andernorts jedoch läßt Platon „seinen“ Sokrates das zu hart erscheinende Wort surfetÒw bloß zum Zwecke ironischer Botschaften aussprechen. So rechnet im Theaitet (Tht. 152 c) Sokrates sich selbst in einer ironischen Verkleidung zum polÁw surfetÒw, der von Theaitet einer Mitteilung der élÆyeia nicht für würdig befunden würde. Und im Hippias maior (288 d) verfährt Sokrates ebenso, nur daß er nunmehr die Suche nach dem élhy°w mit bitterer Ironie dem surfetÒw (Gegensatz ist der komcÒw) zuweist. Dem polÁw d∞mow wird bei Lukian der fidi≈thw zugeordnet (so Sat. 2: fidi≈thw eÈyÊw efimi ka€ pou toË polloË dÆmou eÂw, nicht dermaßen explizit Somn. 9: §rgãthw ka‹ t«n §k toË polloË dÆmou eÂw). Bezogen auf literarisches Gebiet bezeichnet Lukian die Ungebildeten als fidi«tai und die Gebildeten als die pepaideum°noi (Dom. 2). Nicht anders verfährt er in dieser Schrift, in welcher der fidi≈thw (Kap. 16) den pepaideum°noi (Kap. 44, mit ironischer Note in Kap. 2) gegenübergestellt wird. Diese Klassifizierung ist auch vor dem Hintergrund der Hörerschaft bei epideiktischen sophistischen Vorträgen zu sehen. Korenjak 2000, 52–65 unterscheidet den ungebildeten und den gebildeten Hörer sowie den Experten (darunter sind zu verstehen der Sophist und der Rhetorikschüler). Der sich zumindest meistens aus der gesellschaftlichen Unterschicht rekrutierende ungebildete Hörer (53–57), so lautet das Fazit Korenjaks, „scheint ... den Vortrag, an dem er teilnimmt, als ein großes, teilweise unverständliches, aber aufregendes Spektakel zu erleben“. Und dann weiter: „Sein Verhältnis zum Redner ist durch Staunen, Ergriffenheit und kritiklose Bewunderung gekennzeichnet“. Leider kommt Korenjak in dieser Arbeit nirgendwo auf mündliche Rezeptionsvorgänge von Geschichtswerken zu sprechen, wie sie überwiegend im zweiten Teil dieser Schrift beschrieben sind (Kap. 14–32, programmatisch Kap. 14).

... éllå toÁw dikastik«w ka‹ nØ D€a sukofantik«w pros°ti ge ékroasom°nouw, oÓw oÈk ên ti lãyoi paradramÒn, ÙjÊteron m¢n toË ÖArgou ır«ntaw ka‹ pantaxÒyen toË s≈matow, érguramoibik«w d¢ t«n legom°nvn ßkasta §jetãzontaw, ...

éllå toÁw dikastik«w ka‹ nØ D€a sukofantik«w pros°ti ge ékroasom°nouw: Das erstmals im 2. Jh. n. Chr. bezeugte Adverb dikastik«w bedeutet: „nach Art eines Richters, d. h. kritisch“. In Herm 47 steht dikastik«w für das Gegenteil von Leichtgläubigkeit (=&d€vw pisteÊein). In dieser Schrift, in der

Lukian mehrfach mit dem Gerichtswesen entnommenen Metaphern operiert, stehen das Adjektiv d€kaiow sowie das Substantiv dikastÆw zudem für Unparteilichkeit (bes. Kap. 39, 41, 63). Vor diesem Hintergrund erhält das mit starker Akzentuierung (pros°ti ge = „zudem auch noch“, so Dom. 2, Tim. 14, Anach. 37, u. ö., die Beschwörungsformel nØ D€a verwendet Lukian außerordentlich oft) steigernde sukofantik«w erst seine Pointiertheit im Sinne der bewußt nach Fehlern Ausschau haltenden Tendenz des Rezipienten. Die bekannten Begriffe sukofante›n bzw. sukofãnthw bezeichnen in der Sprache griechischer Literaturkritik zumeist ungerechte, feindselige oder bösartige Kritikasterei (so Arist. Po. 18, 1456 a 5; D. S. XXVI 1, 3; D. H. Dem. 35, 55 und Th. 52, Str. XIV 1, 22), während sich die abgeschwächte Bedeutung von Kritik ohne Hervorhebung besagter Tendenzen seltener findet (D. H. Th. 2).

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Lukian legt Hesiod seinem kleinlichen Kritikaster gegenüber diese Worte in den Mund: labåw tª sukofant€& zhte›w (Hes. 5); der personifizierte M«mow höchstpersönlich sieht sich wegen seiner ständigen Bereitschaft zu schonungsloser Kritik (diel°gxv går ëpanta ka‹ l°gv tå dokoËntã moi §w tÚ fanerÚn oÎte dedi≈w tina oÎte ÍpÉ afidoËw §pikalÊptvn tØn gn≈mhn) bei der Menge im Rufe eines sukofantikÚw tØn fÊsin (Deor. Conc. 2). Und im Rhetorum praeceptor 22 gibt der verantwortungslose Redelehrer seinem Schüler die höchst unmoralische Prämisse aus: émfilafe›w d¢ afl éforma‹ t«n m°mcevn to›w sukofantiko›w tå Œta. Dies ist zu sehen vor dem Hintergrund von auch sonst bezeugten Rivalitäten innerhalb des sophistischen Betriebs (vgl. Korenjak 2000, bes. 64–65). Das Verbum ékroçsyai bezeichnet, wie in dieser Schrift auch sonst oft, die mündlichen Rezeptionsvorgänge (Belege zu beiden Arten von Rezeption, schriftlicher und mündlicher, finden sich im Kommentar zu Kap. 7: kémo‹ pollãkiw ékrovm°nƒ). oÓw oÈk ên ti lãyoi paradramÒn, ÙjÊteron m¢n toË ÖArgou ır«ntaw ka‹ pantaxÒyen toË s≈matow:

Die frühesten Quellen, die nach dem Scholion zu E. Ph. 1116 eine bemerkenswerte optische Ausstattung des Argos erwähnen, sind Pherekydes (FGrH I 3 Fr. 66) und der (allerdings namentlich nicht sicher bestimmbare) Verfasser des pseudohesiodeischen Aigimios (Merkelbach / West 150–151, Fr. 294). Ersterer berichtet, Hera habe Argos, wohl zusätzlich zu den beiden bereits vorhandenen, ein Auge im Genick (§n t“ fin€ƒ) verliehen, bevor sie ihn zum schlaflosen Wächter der Io bestellt habe, und zweiterer erwähnt vier Augen, mit denen dieser nach allen Richtungen hin (t°trasin Ùfyalmo›sin ır≈menon ¶nya ka‹ ¶nya) habe sehen können. Aischylos läßt den Argos bereits über unzählige bzw. dicht beieinander liegende Augen verfügen (Pr. 568: tÚn murivpÚn ... boÊtan, Pr. 678–679: pukno›w / ˆssoiw dedork∆w). Letzteres Bild stand wohl Euripides Pate, der es in einem dem Titel nach unbekannten Stück weiter entfaltet hat (Kannicht 1004, Fr. 1063, V. 14: lãyoi dÉ ín ÖArgou tåw puknofyãlmouw kÒraw). Diese später in der Literatur dominierende Anschauung geht allerdings zweifellos auf die impulsgebende Charakterisierung in den euripideischen Phoenissen (bes. 1115: stikto›w PanÒpthn ˆmmasin dedorkÒta) zurück, durch die das Attribut panÒpthw innerhalb der griechischsprachigen Tradition allgemein gebräuchlich wurde (so auch Serv. Verg. A. VII 790: Argum, oculatum omnibus membris, ... quem Graeci panopten appellant). Und in diesem Sinne findet sich dann die Version, derzufolge Argos überall am Leib sehen konnte (dasselbe bereits mit anderen Worten bei B. Dith. 19, 19–20), in kanonischer Form bei Ps. Apollodoros (II 1, 2: ÖArgow ı panÒpthw legÒmenow. e‰xe d¢ otow éfyalmoÁw m¢n §n pant‹ t“ s≈mati); auch Lukian verwendet sie inhaltlich traditionell wie auch im Textzusammenhang pointiert (so Dear. Jud. 8: êxyomai, ˜ti mØ ka‹ aÈtÚw Àsper ı ÖArgow ˜lƒ bl°pein dÊnamai t“ s≈mati). Öfter wird Argos auch der Vieläugige (zumeist poluÒmmatow) genannt (Schol. E. Ph. 208 Schwartz I 277, Z. 23, Eust. Hom. Il. III 107 van der Valk I 613, Z. 27, u. ö., bei Lukian selbst DDial. 7, 1). Eust. Hom. Il. II 103 van der Valk I 280, Z. 12 und 15 bezeichnet ihn zudem als einen égx€nouw und ÙjÁw ... tØn y°an. In römischer Dichtung wird besonders der Umstand hervorgehoben, daß die Augen des Argus an seiner Vorder- und Rückseite gleichermaßen angebracht sind (so Ov. Am. III 4, 19, Met. I 625 und pointiert 628–629 [Zahl 200 bzw. 100], V. FL. IV 367–368). érguramoibik«w d¢ t«n legom°nvn ßkasta §jetãzontaw: Die auf das Entdecken von Mängeln erpichte Pingeligkeit des Geldwechslers (érguramoibÒw) steht pointiert für die häufiger erwähnte Genauigkeit des Münzprüfers (érgurogn≈mvn, Klose 2000), die von Epiktet (I 20, 8–9) detailreich beschrieben ist (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 9: kibdÆlƒ tª diair°sei xr≈menoi). Für die exakte Wortbedeutung von érguramoibÒw ist es nötig, den lexikalischen Befund einzusehen, da aufgrund der

Tatsache, daß es sich um eine allgemein bekannte Tätigkeit handelte, in der Antike natürlicherweise kein Bedarf nach Erklärungen vorlag. Was beispielsweise Clemens Alexandrinus (Strom. II 4, 15) en

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passant über die Tätigkeit des érguramoibÒw mitteilt, ist so allgemein gehalten, daß es genausogut auch auf den érgurogn≈mvn zutreffen könnte: ... toÁw érguramoiboÊw, o„ ‡sasi mayÒntew tÒ te parakexaragm°non ka‹ tÚ dÒkimon xvr€zein ka‹ diakr€nein. Lexika und Scholien stimmen darin überein, daß es Aufgabe des érguramoibÒw sei, für Silber bzw. Silbergeld (êrgurow, érgÊrion) Kleingeld (k°rma) einzutauschen (in diesem Sinne vgl. Suid. s . v. ÉArguramoibÒw Adler I 341, Z. 25–26: ı k°rma ént‹ érgÊrou éllassÒmenow, vgl. Suid. s. v. Kolektãriow Adler III 145, Z. 9–10 und Schol. Ar. Nu. 640 a Holwerda, Nubes 140, Z. 21–23). In Lexika und Scholien werden mitunter auch andere Bezeichnungen für den érguramoibÒw genannt, so trapez€thw, érguroprãthw, kollektãriow und kollubistÆw (Suid. s. v. ÉArguramoibÒw, Hsch. s . v. érguramoibo€ Latte I 239, Z. 58, eine Erklärung s. v. kollubistÆw Latte II 502, Z. 47, Eust. van der Valk IV 573, Z. 5–6). Bei der kynischen Stilisierung dieser Schrift ist besonders auch zu beachten, daß Lukian andernorts (Bis Acc. 13 und 24) Diogenes von Sinope mit dem in personifizierter Gestalt auftretenden Geschäft der Geldwechslerei (ÉArguramoibikÆ) konfrontiert, was vor dem Hintergrund der von Diogenes Laertios (VI 2, 20) referierten Berichte des Diokles und des Eubulides zu sehen ist, welche entweder Hikesias, den Vater des Diogenes, oder Diogenes selbst (im „Pordalos“ hätte Diogenes dies selbst zugegeben) mit der Münzfälschung in einen Zusammenhang bringen. Das Scholion zu Vit. Auct. 7 (Rabe 1906, 125, Z. 1) nennt Diogenes explizit einen érguramoibÒw. Platon (Plt. 289 e) setzt voraus, daß es sich bei den érguramoibo€ um einen ganz geringwertigen Stand handelt, doch da dasselbe im Kontext gleichermaßen auf ¶mporoi, naÊklhroi und kãphloi zutrifft, ist es von eher begrenztem Aussagewert. Daß Lukian den Vergleich mit dem érguramoibÒw und nicht den mit dem érgurogn≈mvn wählt, hat seinen Grund darin, daß ersterer sich besser dafür eignet, um die nicht interesselose Pedanterie der Kritiker zu illustrieren. Zugleich gibt ihm das aber auch die durchaus willkommene Gelegenheit, um den zumindest partiell diatribenhaften Charakter der Schrift wieder einmal auf subtile Art zu unterstreichen.

... …w tå m¢n parakekomm°na eÈyÁw éporr€ptein, parad°xesyai d¢ tå dÒkima ka‹ ¶nnoma ka‹ ékrib∞ tÚn tÊpon, prÚw oÓw épobl°ponta xrØ suggrãfein, t«n d¢ êllvn Ùl€gon front€zein, kín diarrag«sin §painoËntew.

…w tå m¢n parakekomm°na eÈyÁw éporr€ptein: Das Verbum kÒptein ist terminus technicus für das Prägen von Münzen (tÚ kÒmma: Münzgepräge); demgemäß bezeichnet daher das Idiom tÚ nÒmisma parakÒptein (D. S. I 78, 3, bei D. L. VI 2, 20 erscheint das Verbum paraxarãttein mit Bezug

auf die Münzfälschung des Diogenes oder die seines Vaters) die Münzfälschung. Ein detailliert durchgestaltetes Bild von guter und schlechter Münzprägung findet sich in der Parabase der aristophanischen Frösche (718–737, bes. 721–726). Aristophanes (Ach. 517) gebraucht das Partizip parakekomm°now pointiert in einem metaphorischen Sinn zu der Kennzeichnung nichtswürdiger Gesellen (éndrãria moxyhrã, parakekomm°na). In literarkritischem Kontext erscheint es bei Lukian wiederholt, in Herm 68 (katå toÁw érgurogn≈monaw diagign≈skein ë te dÒkima ka‹ ék€bdhla ka‹ ì parakekomm°na) und in Ind. 2: der ungebildete Büchernarr verfüge bei all seinem Sammlerenthusiasmus über keinerlei Unterscheidungsvermögen hinsichtlich literarischer Wertigkeiten, er wisse nicht: ˜sa ... prÚw tÚn ÙryÚn kanÒna t“ suggrafe› éphkr€bvtai ka‹ ˜sa k€bdhla [vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 9: kibdÆlƒ tª diair°sei xr≈menoi] ka‹ nÒya ka‹ parakekomm°na. Schließlich, zu dem Verbum éporr€ptein in der spezifischen Bedeutung von „verwerfen“ ist bei Lukian einzig zu vergleichen Pr. Im. 24 (ebenfalls mit literarkritischer Konnotation).

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parad°xesyai d¢ tå dÒkima ka‹ ¶nnoma ka‹ ékrib∞ tÚn tÊpon: Das Adjektiv dÒkimow ist ein terminus technicus für die Echtheit einer Münze (Plu De exilio 2, 599 f: nÒmisma dÒkimon, De Pythiae oraculis 24, 406 b: Vergleich von nÒmisma und lÒgow). dÒkimow und parakekomm°now erscheinen in einer antithetischen Gegenüberstellung bei Philon (De sacrificiis Abelis et Caini 137), ebenso bei Lukian (Herm 68), wo die Arbeit des Geldprüfers (érgurogn≈mvn) in der Fähigkeit besteht, Echt und Falsch voneinander zu unterscheiden: diagign≈skein ë te dÒkima ka‹ ék€bdhla ka‹ ì parakekomm°na. Bei Epiktet (I 7, 6) wiederum findet sich die Antithese von dÒkimow (zugeordnet dem Verbum parad°xesyai) und édÒkimow, dem das Verbum épodokimãzein entspricht (ähnlich D. L. II 34). Zum Gebrauch des Adjektivs ¶nnomow bei Lukian sind zu vergleichen Symp. 32, wo dem §nnÒmvw filosofe›n der echten Philosophen die bloße gohte€a der entarteten Vertreter der Zunft gegenübergestellt wird, und Salt. 80, wo §nnÒmvw den éreta€ im Medium des Tanzes zugeordnet ist (vgl. dazu auch den Kommentar zu Kap. 42: §nomoy°thsen ... éretØn ka‹ kak€an suggrafikÆn). ékrib∞ tÚn tÊpon bezeichnet so die Regularität der Prägung, ebenso wie in der Sprache der Literaturkritik die ékr€beia für eine inhaltliche oder stilistische Korrektheit steht. kín diarrag«sin §painoËntew: Zu diesem ungewöhnlichen Bild des Zerplatzens vor Lobhudelei ist zu vergleichen Merc. Cond. 35: ... diarrag∞nai xrØ §painoËnta ka‹ kolakeÊonta ka‹ trÒpouw kainot°rouw §pinooËnta. Ansonsten gebraucht Lukian dieses und nahe verwandte Idiome vom sich Überessen (Kap. 20), vom Geplärre (Cont. 21, Ind. 20) und vom Neid (Tim. 40: ˜pvw ofl kÒlakew §ke›noi diarrag«sin ÍpÚ toË fyÒnou); ähnliche Idiome mit und ohne Partizip finden sich bereits bei Demosthenes (or. 18, 21: oÈdÉ ín sÁ diarragªw ceudÒmenow, or. 18, 87; or. 54, 42). Davon, daß sich

der ganze Passus von Kap. 10 bis hierher im Sachlichen mit Arrians Proömium zur Anabasis (bes. Kap. 3) fast vollkommen decke (so Wirth 1964, 238), kann bei der unterschiedlichen gedanklichen und sprachlichen Ausrichtung kaum eine Rede sein.

µn d¢ émelÆsaw §ke€nvn ≤dÊn˙w p°ra toË metr€ou tØn flstor€an mÊyoiw ka‹ §pa€noiw ka‹ tª êll˙ yvpe€&, tãxistÉ ín ımo€an aÈtØn §jergãsaio t“ §n Lud€& ÑHrakle›.

≤dÊn˙w p°ra toË metr€ou: Das Verbum ≤dÊnein bezeichnet in der Gastronomie das Würzen von Speisen (Substantiv ist tÚ ¥dusma, lat. condimentum: das Gewürz). Die eigentliche Bedeutung und

die übertragene finden sich nebenher bei Platon (Tht. 175 e), wo es heißt, der wahrhafte Philosoph verstünde sich nicht darauf, ˆcon ≤dËnai µ y«paw lÒgouw. Die metaphorische Konnotation alleine liegt vor bei Aristoteles (Po. 6, 1449 b 25, 28 und 1450 b 16), der andernorts mit Bezug auf die frostigen Stilelemente (tå cuxrã) des Alkidamas den positiv besetzten Begriff ¥dusma mit dem negativ bewerteten ¶desma kontrastiert (Rh. III 3, 1406 a 19). Von da an gehören ≤dÊnein bzw. ¥dusma zum festen Repertoire in der Sprache griechischer Literaturkritik (Pritchett 1975, 79 und Ernesti 149–150), bald in neutralem Sinn (D. H. Th. 23), bald wertend im Sinne von Lob (D. H. Lys. 3, Strab. I 2, 9 = C 20) oder Tadel (Strab. XVII 1, 52 = C 818). Lukian selbst führt in Kap. 44 einen Vergleich von Stilfiguren mit Essenszubereitung aus, und im Rh. Pr. 16 läßt er dem Rhetorikadepten durch den Mund des unsoliden Lehrers den ironisch zu verstehenden Rat zukommen, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit einige wenige attische Wörter zur Würze darüberzustreuen (§n ëpanti lÒgƒ kayãper ti ¥dusma §p€patte aÈt«n, sc. t«n ÉAttik«n Ùnomãtvn). p°ra toË metr€ou sowie verwandte Idiome (besonders p°ra toË m°trou, p°ra toË kal«w ¶xontow) verwendet Lukian oft zur Bezeichnung von Grenzüberschreitungen in unterschiedlichen Bereichen (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 7: p°ra toË metr€ou).

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mÊyoiw ka‹ §pa€noiw ka‹ tª êll˙ yvpe€&: Elementare Kritik an übermäßigem Einsatz von mËyow und §gk≈mion innerhalb der Geschichtsschreibung wurde erstmals in Kap. 7–8 geübt (8: tÚn mËyon ka‹ tÚ §gk≈mion ka‹ tåw §n toÊtoiw Íperbolãw). Nun kommt noch die yvpe€a hinzu, welche bei Lukian zwar ganz eng mit der kolake€a verknüpft ist (Tim. 36: kÒlaj yvpeÊvn), doch insgesamt ein

weiteres Bedeutungsspektrum umfaßt, indem sie ein Verhalten meint, das einen anderen Menschen besonders auch unter Einsatz von Lob umgarnt. In diesem Sinne ist auch die Anklage Alexanders an die Adresse des Aristoteles zu verstehen, dieser habe ihn mit allen Mitteln eingelullt (DMort. 13, 5). Platon versteht unter der yvpe€a ein ebenso überzogenes wie unangemessenes Entgegenkommen (z. B. R. VIII 563 a; IX 579 a und d). Und Dion Chrysostomos (or. 3, 2) wiederum stellt der yvpe€a und der épãth mit scharfem Kontrast die élÆyeia und die parrhs€a gegenüber. Eine solche kynische Auslegung kommt der Grundtendenz vorliegender Schrift (vgl. bes. Kap. 41: der Historiker soll sein ein parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low) durchaus entgegen. t“ §n Lud€& ÑHrakle›: In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich klarzumachen, wie der

Aufenthalt des Herakles bei Omphale innerhalb der antiken Literatur dargestellt wird (orientierend Waldner 2000). Der einjährige Sklavendienst (nach Herodoros drei Jahre: so Schol. S. Tr. 253 Dindorf Schol. S. 69, vgl. Tz. H. II 427 Kiessling 56) des Herakles in Lydien bei Omphale (hier einzig durch das Attribut bãrbarow charakterisiert) erscheint nach der Version des Sophokles (Tr. 248–280, bes. 248–253) als die Strafe des Zeus für den heimtückischen Mord an Iphitos (zum lydischen Münztypus „Herakles in Lydien“ vgl. Weiss 1995, 92). Diese Version ist von einer erotischen Konnotation völlig frei. Dasselbe trifft zu auf den offensichtlich ältere Traditionen (die früheste bekannte Fassung liegt bei Pherekydes vor, FGrH I 3 Fr. 82 b = Schol. Hom. Od. F 22) aufgreifenden Bericht des Ps. Apollodoros (II 6, 3), der einige zusätzliche Details beinhaltet. Omphale ist hier die Tochter des Iardanes, die nach dem Tod ihres Mannes Tmolos über Lydien herrscht. Während der Zeit seiner Dienstbarkeit (gleichzeitig hätten Argonautenzug und kalydonische Eberjagd stattgefunden) wird Herakles der Kerkopen Herr und tötet Syleus mitsamt dessen Tochter. Der früheste Hinweis auf eine Ausdeutung des Stoffes im erotischen Sinn liegt bei Ephoros (FGrH II A 70 Fr. 14 b = Schol. A. R. I 1289) vor, der Herakles’ Verweilen bei Omphale (wohl unter Anwendung rationalistischer Mythenausdeutung) als Akt von Freiwilligkeit (ÖEforow .. fhs‹n aÈtÚn •kous€vw épolele›fyai prÚw ÉOmfãlhn) darstellt. Die am weitesten verbreitete Art, in der der Stoff in vorhellenistischer Zeit erzählt wurde, scheint allerdings diejenige vom auferlegten Sklavendienst gewesen zu sein. Denn nur so erklärt sich die Art und Weise, wie Palaiphatos (Palaeph. 44 Festa 65–66) gegen den wohl im allgemeinen Bewußtsein fest verankerten mãtaiow lÒgow polemisiert, um schließlich mittels rationalistischer Mythenumdeutung aus dem Dienst des Herakles ein sexuelles Hörigkeitsverhältnis werden zu lassen (ÑHrakl∞w ¶rvti •ãlv aÈt∞w … ≤dÒmenow d¢ aÈtª §po€ei ˜ ti prostãttoi ÉOmfãlh). In hellenistischer Zeit erhielt der Stoff ganz offensichtlich eine erotische Färbung, denn selbst Diodor (IV 31, 4–8), dessen Bericht ansonsten dem des Ps. Apollodoros mit nur geringfügigen Abweichungen nahesteht, verrät dementsprechende Abänderung der Eckdaten. Diodor fügt eine weitere Tat des Herakles während der Zeit seiner Dienstbarkeit bei Omphale hinzu, welche bereits im Kern eine erotische Note trägt, nämlich die wohltäterische Beendigung der Raubzüge der Itoner ins lydische Hoheitsgebiet. Diodors Version zufolge fand Omphale Gefallen an der Tapferkeit des Helden, und als sie dann auch noch seine wahre Identität in Erfahrung gebracht habe, da habe sie Bewundern für die Tüchtigkeit des Helden erfaßt (§yaÊmase tØn éretØn); so habe sie ihn freigelassen und sei mit ihm eine Beziehung eingegangen (sunoikÆsasa aÈt“), aus der schließlich Lamos entsprossen sei.

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Wie die hier angelegten Tendenzen in hellenistischer Zeit weiterentwickelt wurden, läßt sich bei dem Fehlen einschlägiger Quellen nur erahnen (zum Einfluß von Komödie und Satyrspiel Herzog–Hauser 1939, Sp. 390–391, Karl 2007, bes. 166–168, generell zum komischen Heraklesbild Galinsky 1972, 81–100 und Porod / Porod 2007 b, bes. 345–347). In römischer Dichtung jedenfalls sind es die Elemente von Liebessklavendienst und Rollentausch (Wagner–Hasel 1998), welche die literarischen Gestaltungen dominieren, nämlich bei Ovid (bes. Ep. IX 53–118: mit grotesker Ausbeutung gegenstandsimmanenter Paradoxien), Properz (III 11, 17–20, und kontextbedingt etwas abgeändert in IV 9, 47–50), Seneca (Phaed. 317–329 und Her. O. 371–376) und Statius (Theb. X 646–649). Die Inadäquatheit des Rollentausches ist auch das Thema, auf das es Lukian in diesem Kontext wesentlich ankommt.

•vrak°nai gãr s° pou efikÚw gegramm°non, tª ÉOmfãl˙ douleÊonta, pãnu éllÒkoton skeuØn §skeuasm°non, §ke€nhn m¢n tÚn l°onta aÈtoË peribeblhm°nhn ka‹ tÚ jÊlon §n tª xeir‹ ¶xousan, …w ÑHrakl°a d∞yen oÔsan, aÈtÚn d¢ §n krokvt“ ka‹ porfur€di ¶ria ja€nonta ka‹ paiÒmenon ÍpÚ t∞w ÉOmfãlhw t“ sandal€ƒ. ka‹ tÚ y°ama a‡sxiston, éfest«sa ≤ §syØw toË s≈matow ka‹ mØ prosizãnousa ka‹ toË yeoË tÚ éndr«dew ésxhmÒnvw katayhlunÒmenon.

•vrak°nai gãr s° pou efikÚw gegramm°non: Lukian spielt hier nicht auf ein einzelnes Gemälde

an (wie dies Levy 1976, 284 anzunehmen scheint), sondern vielmehr auf einen Bildtypus, den er auch andernorts (DDeor. 15, 2) fast mit denselben Worten beschreibt. Es handelt sich da um ein Streitgespräch zwischen Asklepios und Herakles, in dem ersterer dem Herakles Folgendes vorhält: §g∆ d¢ … oÎte §doÊleusa Àsper sÁ oÎte ¶jainon ¶ria §n Lud€& porfur€da §ndeduk∆w ka‹ paiÒmenow ÍpÚ t∞w ÉOmfãlhw xrus“ sandãlƒ. Auch Plutarch sind ähnliche Darstellungen bekannt, auf die er hinweist, um die Folgen von politischer Untätigkeit zu illustrieren. In der Synkrisis zu den Viten des Demetrios und des Antonius (3, 3) vergleicht er Kleopatra und den ihr hörigen Antonius mit Omphale und Herakles darstellenden Gemälden: Àsper §n ta›w grafa›w ır«men toË ÑHrakl°ouw tØn ÉOmfãlhn ÍfairoËsan tÚ =Òpalon ka‹ tØn leont∞n épodÊousan. An anderer Stelle (An seni respublica gerenda sit 4, 785 e–f) beschreibt er den ihm wohl hier schon vorschwebenden Gemäldetypus mit noch größerer Detailliertheit: Herakles im Safrangewand läßt sich von lydischen Mägden mit dem Fächer kühlen und Löckchen drehen (µ kayãper ¶nioi tÚn ÑHrakl°a pa€zontew oÈk eÔ grãfousin §n ÉOmfãlhw krokvtofÒron §ndidÒnta Luda›w yerapain€si =ip€zein ka‹ parapl°kein •autÒn). Das archäologische Material ist aufgearbeitet von Herzog–Hauser 1939, bes. 394–396,

Schauenburg 1960, Vollkommer 1988 a und b und Karl 2007. Es läßt sich jedoch in der bildenden Kunst, jedenfalls meines Wissens, keine Darstellung nachweisen, die exakt der hier von Lukian gemeinten entspricht (vgl. weiter unten den Kommentar zu: ka‹ paiÒmenon ÍpÚ t∞w ÉOmfãlhw t“ sandal€ƒ). pãnu éllÒkoton skeuØn §skeuasm°non: Die ungewöhnliche figura etymologica findet sich ansonsten einzig bei Iamblichos, dem Verfasser der Babyloniaka (Habrich 5, Z. 5–6, Fr. 1: ı basileÁw skeuØn §skeuasm°now §ja€reton). Mit éllÒkotow markiert Lukian frappierende Diskrepanzen zwischen

Erwartungshaltung und Wirklichkeit. In der prolalia Hercules (Kap. 1) beschreibt er die befremdliche Art, wie die Kelten den bei ihnen Ogmios genannten Herakles als ganz alten Mann malen (tÚ d¢ e‰dow toË yeoË pãnu éllÒkoton grãfousi); und doch verfüge dieser dabei über all die äußeren Attribute des griechischen Herakles, wie sie jedermann kenne (éllå ka‹ toioËtow Ãn ¶xei ˜mvw tØn skeuØn tØn ÑHrakl°ouw).

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tÚn l°onta … ka‹ tÚ jÊlon …, …w ÑHrakl°a d∞yen oÔsan: Der erste Autor, welcher Herakles mit jÊlon, leont∞ und tÒja darstellte, war Stesichoros (Quelle Ath. XII 512 f). Die markantesten Kennzeichen des Helden sind auch bei Lukian das Löwenfell (leont∞, so Ind. 23, Nec. 10, Salt. 27, DMort. 11, 1, Vit. Auct. 8, umschrieben in Herc. 1), die Keule (=Òpalon, Herc. 1, Ind. 23, Salt. 27, Peregr. 36, DMort. 11, 1) und gelegentlich auch der Bogen (tÒjon, DMort. 11, 1, Herc. 1:

Bogen und Köcher). Für seine aktuellen Zwecke nimmt Lukian hier eine leichte Modifikation seines Standardrepertoires vor. So wird, um die Paradoxie des Rollentausches auf die Spitze zu treiben, aus dem Löwenfell der Löwe und aus der Keule das Holz (jÊlon, ansonsten Attribut des sich in Nachfolge des Herakles verstehenden und präsentierenden Diogenes von Sinope: so Vit. Auct. 8 und Pisc. 1). …w ÑHrakl°a d∞yen oÔsan: …w + Partizip bedeutet in dem allgemeinen Sprachgebrauch u. a. „so als ob”, doch fügt d∞yen (zur Bezeichnung eines bloß scheinbaren Sachverhaltes) pointiert eine neue

Nuance hinzu; Bedeutung: „so als wäre sie tatsächlich Herakles” (aus der Wortstellung ergibt sich, daß die Betonung hier nicht etwa auf „tatsächlich”, sondern auf „Herakles” liegt). Lukian hat eine gewisse Vorliebe für derartige Konstruktionen, bei denen er jedoch in der Regel ein d∞yen unmittelbar auf das …w folgen läßt (Prom. Es 1: Íperepain«n toÁw lÒgouw …w d∞yen eÈmhxãnouw ˆntaw, vgl. Prom. Es 6, Alex. 15 und 47, DMort. 4, 2). Bei Ovid (Fast. II 325) liegt dieser Gedanke des Rollentausches in knapper Form vor: ipsa capit clavamque gravem spoliumque leonis (langatmiger Ep. IX 111–118). §n krokvt“ ka‹ porfur€di ¶ria ja€nonta: Der krokvtÒw (lat. crocota) ist ein safranfarbenes

Frauengewand (zu der antiken Färbetechnik ist immer noch maßgeblich Blümner 1912 a, 225–259, zu der Arbeit mit Safran 250), das in allen Frauenstücken des Aristophanes mehrfach genannt ist (dazu Stone 1981, 174–175). Doch da diese Parallelen alleine noch nicht zur Erklärung der Pointe ausreichen, denn Omphale ist schließlich eine Lyderin, soll hier wenigstens versucht werden, noch weitere mögliche Assoziationsfelder, die in östliche Bereiche hin weisen, aufzudecken. Bereits in der Alten Kömödie erscheint der krokvtÒw nicht nur als ein Frauengewand, sondern er ist darüberhinaus auch mit Dionysos verbunden (Dover 1993, 40 und Austin / Olson 2004, 102). Dies zeigt sich bei Aristophanes (Ra. 45–46), der den als Herakles verkleideten Theatergott zum Gaudium des echten Herakles mit dem Löwenfell über dem krokvtÒw auftreten läßt, und zudem bei Kratinos (PCG IV Fr. 40), der auf den yÊrsow den krokvtÒw als Attribut des Dionysos folgen läßt. Kallixeinos von Rhodos (Quelle Ath. V 198 c) schließlich beschreibt innerhalb seines detaillierten Berichtes über den Festzug des Ptolemaios Philadelphos (dazu Rice 1983 und Foertmeyer 1988) ein êgalma des Dionysos xit«na porfuroËn ¶xon diãpezon ka‹ §pÉ aÈtoË krokvtÚn diafan∞. Noch bei Lukian (Bacch. 2) erscheinen die beiden Heerführer der den Indern freilich reichlich grotesk anmutenden bacchantischen Armee, Dionysos und Silen, im krokvtÒw, Dionysos zudem in der porfur€w. In der Omphale des Ion von Chios (Snell 19 Fr. 20–30) war Herakles in völliger Hingegebenheit an den orientalischen Luxus und die Freuden des Weingenusses dargestellt. Und von hier aus verlaufen möglicherweise ansonsten in der Tradition verschüttete Verbindungslinien zu einer höchst aufschlußreichen Stelle bei Dion Chrysostomos (or. 32, 94), aus der sich zweifellos entnehmen läßt, daß es routinemäßig (kayãper efi≈yasin) zeitgenössische Darbietungen gegeben hat, in denen Herakles zur Belustigung der Zuseher mit dem Safrangewand ausstaffiert (§n krokvt“) auf der Bühne aufgetreten ist. Es ist demnach durchaus denkbar, daß die Gemälde, von denen Lukian und Plutarch (vgl. die Anmerkung weiter oben zu: •vrak°nai gãr s° pou efikÚw gegramm°non) sprechen, in einem Zusammenhang stehen mit nicht mehr kenntlichen, aber zu vermutenden komischen Heraklesdarstellungen (zu dieser mit Epicharm einsetzenden Traditionslinie Galinsky 1972, 81–100 und Porod / Porod 2007 b).

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Es ist wahrscheinlich, daß der antike Rezipient über heute fehlende Bezugsebenen zu feinerer Differenzierung verfügte. Doch zweifellos besteht die vordergründige Pointe darin, die absurden Konsequenzen des Rollentausches mittels eines paradoxen Bildes zu veranschaulichen. Purpur (porfÊra) und Purpurkleid (porfur€w) sind beim Satiriker Lukian in der Regel mit aus höherer Sicht anfechtbaren Werten verknüpft, mit Reichtum, Sozialprestige und (königlicher) Macht (so Nigr. 4, 15 und 21, Cat. 22, u. ö). Herakles übernimmt demnach zwar den königlichen Status der Omphale, doch die Tätigkeit des Wollkrempelns (dieses Detail läßt bezeichnenderweise keiner der römischen Dichter aus) steht als ein Sklavendienst in größtmöglichem Gegensatz dazu (so expliziter DDeor. 15, 2, wo der krokvtÒw sinnigerweise weggelassen ist). Belege zur Verwendung der porfÊra in Athen, Kleinasien und Persien bei Schneider 1959, bes. Sp. 2010–2011. ka‹ paiÒmenon ÍpÚ t∞w ÉOmfãlhw t“ sandal€ƒ: Für dieses besondere Detail liegt in der griechischen

Literatur außer bei Lukian selbst (DDeor. 15, 2: goldene Sandale) keine Parallele vor, doch im Eunuchus des Terenz (1027–28) ist das Motiv verwertet (Gnatho spricht still zu sich: utinam tibi [an die Adresse Thrasos] conmitigari videam sandalio caput). In der bildenden Kunst, auf die Lukian sich hier bezieht, ist im Zusammenhang mit dem Omphale–Herakles–Mythos, wie es scheint, kein einziges exaktes Analogon bekannt (Herzog–Hauser 1939, 394 und Schauenburg 1960, 61–62 weisen auf die beiden Objekte mit dem relativ größten Nahverhältnis hin). Das Schlagen mit der Sandale auf den Po ist an sich, wie bereits Hermann 1828, 81 dargelegt hat, typische Bestrafungsart für unfolgsame Kinder (Philops. 28, DDeor. 19, 1), desgleichen in lateinischer Literatur (Juv. VI 612: solea pulsare natis, ähnlich Pers. VI 169). Hesych s. v. blautoËn Latte I 329 erklärt blautoËn u. a. auch mit plÆssein sandal€ƒ.

Kapitel 11 Kapitel 11 setzt das zuvor (Kap. 10) erstmals angeschlagene Thema der Wirkung auf den zeitgenössischen Rezipienten fort. Es erfolgt nun eine gewisse Verengung des Fokus auf die Lobhudeleien (¶painoi) alleine, und der Zweck dieses Verfahrens besteht darin, die in Kapitel 12 folgenden, einzig auf dieses Thema zugeschnittenen Anekdoten vorzubereiten. Nur eine einzige Person könne Gefallen finden an solchem Lob, die Person nämlich, die gelobt wird, und selbst dies sei nicht in jedem Fall sicher (‡svw). Die Masse der Autoren verstünde sich nämlich nicht mal darauf, das Lob sachkundig (katå t°xnhn) vorzutragen. Und die unausbleibliche Folge wäre die, daß plump vorgetragenes Lob von jedermann als das erkannt würde, was es ist, als eine von egoistischen Interessen gesteuerte Schmeichelei (kolake€a). Solch mißratene Zerrbilder von Geschichtsschreibung evozierten als adäquate Reaktion das Lachen der Minorität von Urteilsfähigen (vgl. dazu in anderem Kontext auch das Lachen des Autor–Ichs in Kap. 26 und den Kommentar dazu).

Ka‹ ofl m¢n pollo‹ ‡svw ka‹ taËtã sou §pain°sontai, ofl Ùl€goi d¢ §ke›noi œn sÁ katafrone›w mãla ≤dÁ ka‹ §w kÒron gelãsontai, ır«ntew tÚ ésÊmfulon ka‹ énãrmoston ka‹ duskÒllhton toË prãgmatow. •kãstou går dØ ‡diÒn ti kalÒn §stin: efi d¢ toËto §nallãjeiaw, ékall¢w tÚ aÈtÚ parå tØn xr∞sin g€gnetai.

taËtã sou §pain°sontai: „sie werden das an dir loben“, gleiche Konstruktion in Tim. 57 (ÉEpain« taËtã sou) und Zeux. 5 (toË ZeÊjidow §ke›no mãlista §pπnesa), mit sächlichem Objekt Pr. Im. 7 (tå m¢n êlla §painoËsa toË suggrãmmatow). Lukian bildet nicht selten mit anderen Verba ähnliche

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Syntagmen (so z. B. Tox. 3: Ka‹ taËta ... genna›a t«n éndr«n §ke€nvn, Salt. 23: Yaumãzv d° sou kéke›no, Nigr. 31: ˘ ka‹ mãlista di°suren aÈt«n), besonders in literarkritischen Zusammenhängen (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 16: toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË). Solche Konstruktionen gebrauchte schon Platon (z. B. Ap. 17 b: toËtÒ moi ¶dojen aÈt«n énaisxuntÒtaton e‰nai). mãla ≤dÁ ka‹ §w kÒron gelãsontai: Die Junktur ≤dÁ gelçn begegnet erstmals bei Homer in

formelhaften Wendungen zu einem spontanen Ausdruck von Schadenfreude, Genugtuung, Triumph und Spott sowie anderer komplexerer Gefühlsnuancen (Il. II 270, XXI 508, XXIII 784, Od. XVIII 111, XX 358, XXI 376, Il. XI 378: mãla ≤dÁ gelçn). Dabei handelt es sich stets um ein behagliches Lachen nach Herzenslust. Bei Lukian bezeichnen mãla ≤dÁ gelçn (Demon. 13) bzw. mãla ≤d°vw gelçn (Nav. 46) das spöttisch–überlegene Lachen des Wissenden über die Torheit der Menschen. §w kÒron gelçn bedeutet, so lange zu lachen, bis sich ein Sättigungseffekt einstellt. In diesem Sinne schüttet sich in JTr. 51 der Epikureer über einen frostigen Syllogismus des Stoikers vor Lachen aus und kann sich eine Zeitlang gar nicht beruhigen. Zum Lachen über eklatante Inkongruenzen in Malerei und Dichtung ist zu vergleichen das Dictum: spectatum admissi risum teneatis, amici? (Hor., Ars 5). Generell zur Funktion des Lachens bei Lukian sowie zu den semantischen Unterschieden in dem einschlägigen Begriffsrepertoire Husson 1994. Korenjak 2000, 85–86 (83) behandelt das Lachen unter den mimischen Verhaltensweisen, die für die Beziehung zwischen dem Redner und seinem Publikum von Bedeutung sind; seine Untersuchung belegt, daß das Lachen als Reaktion auf einen Vortrag die Reputation eines auf wirksame Selbstdarstellung angewiesenen Redners nachhaltig zu beschädigen vermag. Und da es in dieser Schrift zumeist auch um mündliche Rezeptionsvorgänge von Geschichtsschreibung geht, so ist stets mit solchen Interaktionen zwischen dem Redner und den Zuhörern zu rechnen. Korenjak selbst bezieht die Historiographie nicht in seine Darstellung mit ein. tÚ ésÊmfulon ka‹ énãrmoston ka‹ duskÒllhton: Das Adjektiv ésÊmfulow (zu sÊmfulow: vom selben

Stamm) bezeichnet, was von Natur aus nicht dazu oder zueinander paßt, im Besonderen unvereinbare Gegensätze, deren Inkompatibilität im gegebenen Fall anhand der widernatürlich vertauschten Rollen von Herakles und Omphale veranschaulicht wurde (Kap. 10: Kontrast von éndr«dew und y∞lu). Plutarch (De esu carnium I 2, 993 d) hebt die dem Begriff an sich schon anhaftende Widernatürlichkeit akzentuiert hervor (efiw ≤donåw parå fÊsin ésumfÊlouw), verwendet die in ihrer Bedeutung nahe verwandten Adjektive ésÊmfulow und éllÒtriow in synonymer Bedeutung (De esu carnium I 7, 996 a) und verfährt analog mit ésÊmfulow und ésunãrmostow (Quaestiones convivales VII 6, 3, 709 b). Lukian (Rh. Pr. 16) stellt die Adjektive énÒmoiow, ésÊmfulow und épƒdÒw als geradezu deckungsgleich nebeneinander, und zwar, ebenso wie hier, in literarkritischem Zusammenhang, nämlich zur Bezeichnung von stilistische Disharmonien verursachenden Inkonzinnitäten im Bereich der Wortwahl. Der Begriff énãrmostow leitet sich her aus der musikalischen Fachsprache, wo er Disharmonie bezeichnet (Gegensatz tÚ eÈãrmoston, Pl. Tht. 178 d, das Hendiadyoin énarmoste›n te ka‹ diafvne›n in Grg. 482 b). Und vor diesem Hintergrund ist es auch zu verstehen, wenn Lukian (Ind. 9) über die unerträgliche musikalische Darbietung eines pompös auftretenden Dilettanten sagt: énakroÊetai ... énãrmostÒn ti ka‹ ésÊntakton. In übertragener Bedeutung bezeichnet énãrmostow nicht zueinander passende Gegensätze (in diesem Sinne Pl. Smp. 206 d über die Qualität des Göttlichen: énãrmoston dÉ §st‹ tÚ afisxrÚn pant‹ t“ ye€ƒ, tÚ d¢ kalÚn èrmÒtton). Das vor dem 2. Jh. n. Chr. nirgendwo belegte Adjektiv duskÒllhtow („schwer zu leimen bzw. zu verbinden“) hat hier die bis in das 5. Jh. n. Chr. hinein singuläre Bedeutung von „schlecht geleimt bzw. verbunden“. Das Verbum kollçn (zu ≤ kÒlla, Leim) wird in eigentlicher Bedeutung gebraucht („zusammenleimen“, sowie [von Metallen] „zusammenlöten“), im Zusammenhang mit literarischen

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Produktionsvorgängen ist jedoch auch die übertragene Bedeutung gebräuchlich (so Pl. Phdr. 278 d–e, zur speziellen Redefigur der kÒllhsiw Belege bei Ernesti 185–186), im Besonderen auch mit ironisierender Note (Pl. Mx. 236 b, Plu Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 8, 350 d, vgl. die komische Neubildung kollomele›n bei Ar. Th. 54, weitere Belege bei van Hook 39). In dieser Schrift (Kap. 51) ist der Vorgang des kollçn ein Element im Schaffensvorgang des bildenden Künstlers, mit Pendant in der Arbeitsweise des bereits vorliegende Fakten strukturierenden Historikers. •kãstou går dØ ‡diÒn ti kalÒn §stin: Diese allgemein formulierte Aussage hat hier den

konkreten Sinn von „für jede literarische Gattung existiert nämlich eine spezifische Qualität von Angemessenheit“. In ähnlicher Weise sagt auch Quintilian (Inst. X 2, 22) mit Bezug auf unterschiedliche Literaturgattungen: sua cuique proposito lex, suus decor est. In der für Lukians literarisches Selbstverständnis programmatischen prolalia Prometheus es in verbis (bes. Kap. 5–6) ist die Frage der schwierig zu erreichenden Verknüpfung so verschiedenartiger Gattungen wie des diãlogow und der kvmƒd€a thematisiert. Und in diesem Zusammenhang findet sich die Feststellung, daß eine unsachgemäße Vermengung zweier kalã prinzipiell Gefahr laufe, das jeweils an sich vorhandene kãllow zu zerstören (so Prom. Es 5: ¶sti goËn §k dÊo kal«n éllÒkoton tØn junyÆkhn e‰nai). Zu seiner innovativen Konzeption des komischen Dialogs vermerkt Lukian hier mit selbstbewußter Bescheidenheitspose: d°dia mØ tÚ •kat°rou kãllow ≤ m€jiw sun°fyeiren, doch nicht ohne zuvor klar gemacht zu haben, daß eine m€jiw §narmÒniow ka‹ katå tÚ sÊummetron zum gewünschten Ziel einer Gattungsvermischung führe. Im vorliegenden Fall hingegen macht die wesensmäßige Unvereinbarkeit der flstor€a mit dem §gk≈mion (dazu Kap. 7) und der poihtikÆ (Kap. 8: es gelten jeweils andere Íposx°seiw ka‹ kanÒnew ‡dioi) eine solche Stilmischung prinzipiell unmöglich. Unter diesen Voraussetzungen ist es evident, daß eine Verquickung dieser von Natur aus völlig inkompatiblen Genera die flstor€a ihrer wesenseigenen Vorzüge, ihres ‡dion kalÒn (bzw. mit anderen Worten ihres ‡dion §ntel°w, ihrer genuinen Aufgabe der dÆlvsiw t∞w élhye€aw, so Kap. 9), berauben würde. ékall¢w tÚ aÈtÚ parå tØn xr∞sin g€gnetai: Die frühesten Autoren, die das Adjektiv ékallÆw

überhaupt verwenden, sind Plutarch und Lukian. Ersterer bezeichnet damit eine Unansehnlichkeit, der etwas zum vollgültigen kãllow fehle (Plu Amatorius 9, 754 a [es ist die Rede von geschorenen Stuten, die efikÒna t∞w ˆcevw ékall∞ ka‹ êmorfon im Wasserspiegel erblicken], De Pythiae oraculis 2, 395 d [über Goldsilberlegierungen, die den Anblick krankhafter Bleiche und fyorån ékall∞ darbieten]). Lukian gebraucht das Adjektiv ékallÆw in Prom. 14, wo dem noch rohen Urzustand der Welt die Segnungen der Zivilisation gegenübergestellt sind, und in dieser Schrift (Kap. 48), wo das s«ma ... ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton den Rohentwurf meint, der noch nicht durch Gliederung und stilistischen Schmuck in eine endgültige Form gebracht ist. Aus diesem Befund ergibt sich, daß Lukian dem Autor diese Ansicht in den Mund legt: das Vertauschen des ‡dion kalÒn komme gewissermaßen einer Regression gleich, indem es verhindere, daß ein Geschichtswerk den ihm adäquaten Zustand vollkommener Ausgereiftheit erlangt. Das nicht leicht zu verstehende Idiom parå tØn xr∞sin bedeutet genau genommen „gerade wegen der Anwendung“, hat also kausale Bedeutung (vgl. LSJ s. v. parã C III 7). Das wurde von Hermann 1828, 83–84 bereits richtig erkannt (propter usum, per ipsum hunc usum) und mittels reicher Belegstellen gestützt. Wenn demnach also der Textsinn zutreffend umschrieben werden kann mit „wegen der mißbräuchlichen Anwendung“ (in diesem Sinne Macleod 1991, 209: through being misused, Homeyer 1965, 109: „durch die falsche Anwendung“, Costa 2005, 186 läßt es unübersetzt), so ergibt sich das Attribut „mißbräuchlich“ in der deutschen Übersetzung alleine aus dem Sinnzusammenhang, nicht aber daraus, daß parã + Akkusativ hier die (ansonsten häufig vorkommende) Bedeutung von „zuwider“ hätte, denn das ergäbe die abwegige Bedeutung „gebrauchswidrig“.

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§« l°gein ˜ti ofl ¶painoi •n‹ m¢n ‡svw terpno€, t“ §painoum°nƒ, to›w d¢ êlloiw §paxye›w, ka‹ mãlista µn Íperfue›w tåw Íperbolåw ¶xvsin, o·ouw aÈtoÁw ofl pollo‹ épergãzontai, tØn eÎnoian tØn parå t«n §painoum°nvn yhr≈menoi ka‹ §ndiatr€bontew êxri toË pçsi profan∞ tØn kolake€an §jergãsasyai. oÈd¢ går katå t°xnhn aÈtÚ drçn ‡sasin oÈdÉ §piskiãzousi tØn yvpe€an, éllÉ §mpesÒntew éyrÒa pãnta ka‹ ép€yana ka‹ gumnå diej€asin.

§« l°gein ˜ti ofl ¶painoi •n‹ m¢n ‡svw terpno€, t“ §painoum°nƒ, to›w d¢ êlloiw §paxye›w: Zu §« (går) l°gein: diese Form der parãleiciw / praeteritio (Lausberg § 882–886), die erst seit der frühen

Kaiserzeit gebräuchlich wird (einer der frühesten Vertreter ist Dionysios von Halikarnaß), ist von Lukian verhältnismäßig häufig verwendet, und zwar mit und ohne går. In den Kap. 9–10 war von der irrigen Ansicht die Rede gewesen, die flstor€a vertrage neben dem xrÆsimon auch das terpnÒn in Form von enkomiastischen Einlagen. Tatsächlich würden diese, so wurde erklärt, nur von dem Pöbel als ein terpnÒn wahrgenommen (Kap. 10), während eine kritikfähige Minderheit darüber in berechtigtes Gelächter ausbreche (Kap. 11). Nunmehr (Kap. 11–12) wird die Reaktion des unmittelbar angesprochenen §painoÊmenow auf das verkehrte Verfahren des ıpvsoËn §pain°sai ka‹ eÈfrçnai tÚn §painoÊmenon (so Kap. 7) thematisiert. Kapitel 13 schließlich zieht die Schlußfolgerung, daß nur ein hochgradiger Narr an solch unbegründetem und überdies leicht durchschaubarem Lob Gefallen finden könne. Das einschränkende ‡svw bereitet auf die beiden Anekdoten in Kap. 12 vor, die Alexander als Paradigma für richtigen Umgang mit Schmeichlern vorstellen. Der außenstehende Betrachter empfinde unangemessenes, übersteigertes Lob einem Individuum gegenüber auf jeden Fall stets als Ärgernis (zu dem einen berechtigten Ärger bezeichnenden Adjektiv §paxyÆw vgl. Kap. 9: tÚ mØ §paxy¢w to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã). Íperfue›w tåw Íperbolåw: der Begriff Íperbola€ erschien erstmals in Kapitel 8 zur Bezeichnung von Grenzüberschreitungen in den Bereichen von mËyow und §gk≈mion. Das zumeist positiv konnotierte und das Außerordentliche bezeichnende Adjektiv ÍperfuÆw (in der Literaturkritik Longin. 1, 4: efiw ¶kstasin êgei tå Íperfuç, u. ö.) gebraucht Plutarch (De se ipsum citra invidiam laudando 12, 543

d) in derselben negativ konnotierten Bedeutung von „überdimensional“ im Zusammenhang mit einem übersteigerten Lob von Schmeichlern (Íperfu«n tinvn legom°nvn §pa€nvn, oÂa pollo‹ kolakeÊontew §p€fyona l°gousin). Leicht modifiziert ist der Wortlaut in der Antwort, welche Pantheia auf das ihr in den Imagines gespendete Lob erteilt (Pr. Im. 1: ˜tan tiw §painª me fortikåw ka‹ Íperm°trouw poioÊmenow tåw Íperbolãw). tØn eÎnoian tØn parå t«n §painoum°nvn yhr≈menoi ka‹ §ndiatr€bontew êxri toË pçsi profan∞ tØn kolake€an §jergãsasyai: Dem echten Historiker, wie ihn Lukian in seiner Eigenschaft als Autor

verstanden wissen will, ist es mitnichten gestattet, unter Einkalkulierung der Wirkung auf bestimmte Individuen (Kap. 41: t€ t“de µ t“de dÒjei logizÒmenow) Gefälligkeitsgeschichte zu schreiben prÚw tÚ ≤dÁ to›w nËn §painoum°noiw (Kap. 63). Tue er dies dennoch und verfolge er doch wider alle Prinzipien der Historiographie seinen persönlichen Vorteil (Kap. 13: tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew) als den Lohn für seine Lobhudeleien (Kap. 39: misyÚn t«n §n tª grafª §pa€nvn), so sei er ähnlich einem korrupten Richter, der seinen Beruf zum Zwecke persönlicher Bereicherung mißbrauche (Kap. 38: ˜moiow ¶stai to›w faÊloiw dikasta›w prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian §p‹ misy“ dikãzousin). Sein kurzsichtiges Kalkül beschränke dann seinen Gesichtskreis auf das Heute (Kap. 13: tÚ tÆmeron) und beraube ihn der Möglichkeit, seiner eigentlichen Aufgabe nachzukommen, einer Orientierung an den legitimen Erwartungen und Bedürfnissen der zukünftigen Leserschaft. Der verantwortungsbewußte Historiker hingegen lasse in seiner Unbestechlichkeit allen Personen gleichermaßen seine eÎnoia zukommen (Kap. 41: eÎnouw ëpasin).

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Das Verbum yhrçsyai in einer übertragenen Bedeutung (generell zu Jagdmetaphern bis einschließlich Platon Classen 1960) verwendet Lukian nach bekannten Mustern (Hdt. II 77, 2; Isoc. or. 10, 59; vgl. X. Cyr. IV 2, 46 [yhrçn] und Pl. Grg. 500 d [yÆran]) in Nec. 21 und DMeretr. 6, 3 (jeweils mit sächlichem Objekt und verstärkt durch §j ëpantow, vgl. Rh. Pr. 2: yÆrama in übertragener Bedeutung). Das in dieser Schrift mehrfach in Erscheinung tretende Verbum §ndiatr€bein bedeutet zunächst „(in der Darstellung) bei etwas verweilen“ (so allgemein und positiv konnotiert in Kap. 6), sodann aber mit klarer negativer Konnotation, sich ausufernder Enkomiastik hinzugeben (so in Kap. 7). Mit dem Adjektiv profanÆw bezeichnet Lukian zumeist das, was jedermann bei oberflächlicher Betrachtung bereits leicht erkennen kann (Im. 12: oÈ går ˜moion tÚ pçsi profan¢w §pain°sai ka‹ tå êdhla §mfan€sai t“ lÒgƒ, vgl. Fug. 14, Lex. 25, Philops. 9), er verwendet profanÆw aber auch, um den Kontrast zur Anwendung von List zu markieren (DMort. 25, 6); zur Formulierung vgl. Kap. 13: kÒlakaw prodÆlouw. oÈd¢ går katå t°xnhn aÈtÚ drçn ‡sasin oÈdÉ §piskiãzousi tØn yvpe€an: das Idiom katå t°xnhn

ohne Artikel (nicht korrekt mit Artikel Sommerbrodt 1878, 16 und 1893, 7) steht hier so wie in JTr. 8 in der Bedeutung von „technegemäß“ bzw., moderner gesprochen, „kunstgerecht“. Gewährleistet wird diese Technegemäßheit durch die in Kap. 9 und 59 angegebene Verfahrensweise für das richtig verstandene §paine›n. Von dem dort geforderten besonnenen Maßhalten bei dem Loben sei in der Praxis allerdings wenig zu bemerken, wie das Beispiel des in Kap. 17 kritisierten Autors (dies ist das einzige Beispiel für explizit namhaft gemachte Schmeichelei im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift, Kap. 14–32; zu den Gründen dafür vgl. den Kommentar z. St.) zeigt, der dabei äußerst plump zu Werke gehe (tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã), weshalb denn eine derartige étexn€a nicht zum gewünschten Erfolg führe (vgl. dazu Par. 8 mit dem Kommentar von Nesselrath 1985, 289 und weiter unten im Text Kap. 12: ÀstÉ oÈd¢ tugxãnousin o mãlista §f€entai). Das Verbum §piskiãzein (im eigentlichen Sinne VH II 14, in der übertragenen Bedeutung von „verdunkeln“ in Cal. 1) steht hier in der ganz spezifischen übertragenen Bedeutung von „bemänteln, kaschieren“, wie dies ähnlich auch der Fall ist bei Philon (De mutatione nominum 43, 246 [so auch De somniis I 17, 102]: §syØw går ... tå épÒrrhta t∞w fÊsevw §piskiãzousa) und Stobaios (IV 50, 3, 95 Wachsmuth / Hense V 1063, Z. 1–2: pãnta tå deinå ... kallvp€zous€ te ka‹ §piskiãzousin •t°roiw ÙnÒmasin). Das Verhalten des yvpeÊein („ködern, schmeicheln“) ist die Eigenschaft des kÒlaj (Tim. 36: kÒlaj yvpeÊvn, in DMort. 13, 5 das Hendiadyoin yvpeÊvn ka‹ §pain«n). Belege zu der exakten Wortbedeutung von yvpe€a im Kommentar zu Kap. 10: mÊyoiw ka‹ §pa€noiw ka‹ tª êll˙ yvpe€&. éllÉ §mpesÒntew éyrÒa pãnta ka‹ ép€yana ka‹ gumnå diej€asin: §mp€ptein in absolutem Gebrauch

hat die Bedeutung von „einfallen, hereinbrechen“ und bezeichnet zunächst im eigentlichen Sinne das Toben von Naturgewalten, von Wind und Wasser. Die übertragene Bedeutung liegt u. a. vor bei Herodot (III 81, 2), wo von dem einem Sturzbach gleichen impulsiven Aktionsdrang des vernunftlosen Demos die Rede ist, und ähnlich bei Aristophanes (Ra. 903 und 945), wo die Metapher, so wie hier mit einer literarkritischen Konnotation, die einem Wirbelwind vergleichbare Naturgewalt der Dichtung des Aischylos in markantem Gegensatz zu der subtilen Urbanität des Euripides bezeichnet. §mpesÒntew meint somit die Entfesseltheit, mit der sich gewisse Autoren auf ¶painoi stürzten, ohne sich durch rationale Kontrolle einbremsen zu lassen. Ähnlich (§mpese›n + Dativobjekt) nimmt Lukian einen erbärmlichen Musiker aufs Korn, der allzu ungestüm über die Saiten der Kithara „herfällt“ (Ind. 9: sfodrÒteron toË d°ontow §mpes«n tª kiyãr&). Die drei hier vorgebrachten Vorwürfe bestehen im Mangel an Selektivität (éyrÒa pãnta), in Unglaubwürdigkeit

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(ép€yana, literarkritisches Bewertungskriterium auch in Kap. 20 und in Electr. 3) und in plumper Unverhülltheit (gumnã, vgl. vorangehende Anmerkung zu den mit dem Verbum §piskiãzein verbundenen Assoziationen). Und mit letzterem Kritikpunkt dürften zudem auch sich solcherart bietende Ansatzpunkte für Kritik mitzuassoziieren sein, bezeichnet doch gumnÒw in der militärischen Fachsprache die Blöße, die man dem Gegner darbietet (so z. B. Th. III 23, 4 und V 10, 4).

Kapitel 12 Kapitel 12 illustriert den Umstand, daß nicht einmal die Objekte des Lobes immer an der Schmeichelei von Geschichtsschreibern und anderen Personen Gefallen finden (vgl. das einschränkende ‡svw in Kap. 11), anhand zweier in dieser Form singulärer Anekdoten. In beiden Fällen figuriert Alexander der Große als Paradigma für eine für Schmeichelei nicht empfängliche Gesinnung. Im ersten Fall ist es Aristobulos (vgl. Kap. 40, wo Onesikritos eine ähnliche Rolle einnimmt), der – in der Meinung, dem Makedonenkönig solcherart zu Gefallen zu sein – diesem in der Schlacht gegen den Inderkönig Poros Heldentaten angedichtet habe, und im zweiten Fall ist es ein namentlich nicht bezeichneter Architekt, der Alexander das dreiste Angebot unterbreitet habe, den Berg Athos nach dessen Bild umzugestalten. Die Empörtheit Alexanders soll die in derartigen Fällen adäquate Reaktion vor Augen führen. In formaler Hinsicht sind die Worte, mit denen Alexander den Verfasser anspricht, als ein Apophthegma zu bezeichnen (Apophthegmata gehören dem Stil der Diatribe an; sie sind „Gnomen, die mit der Angabe ihres Urhebers und des Anlasses, bei dem sie gesprochen, umkleidet sind“, Bultmann 1910, 42).

ÀstÉ oÈd¢ tugxãnousin o mãlista §f€entai: ofl går §painoÊmenoi prÚw aÈt«n misoËsi mçllon ka‹ épostr°fontai …w kÒlakaw, eÔ poioËntew, ka‹ mãlista µn éndr≈deiw tåw gn≈maw Œsin.

misoËsi mçllon ka‹ épostr°fontai …w kÒlakaw: Der Vorgang des épostr°fesyai (Cal. 14, Tox. 28, der Gegensatz dazu ist markiert durch ein pros€esyai, so Rh. Pr. 16, wo épostr°fesyai mit skorak€zein = „mit Schimpf davonjagen“ verbunden ist) in der Bedeutung „sich abwenden von“

(lat. aversari) wird von Lukian (Symp. 6: gezeigt wird das Verhalten der Stoiker gegenüber dem eben eintretenden Epikureer Hermon) in explizite Verbindung gebracht zu dem diesem Verbum natürlich an sich schon inhärenten Aspekt des Verabscheuens, Hassens (musãttesyai). Lukian verwendet es nochmals in dieser Schrift, ebenfalls in Verbindung mit dem Akkusativobjekt (Kap, 40: oÓw pãlai ≤ flstor€a ka‹ §j érx∞w eÈyÁw ép°strapto). Die Konstruktion von épostr°fesyai + Akkusativ („sich vor jemandem umdrehen“, so X. Cyr. V 5, 36) in der Bedeutung von „sich voller Abscheu abwenden von jemandem“ findet sich bereits bei Aristophanes (Pax 683: épostr°fetai tÚn d∞mon éxyesye›sa) und bei Demosthenes (or. 18, 159: ˘n [sc. Afisx€nhn] ˜pvw potÉ oÈk eÈyÁw fidÒntew épestrãfhte yaumãzv). In inhaltlicher Hinsicht ist die Antwort zu beachten, welche die in den Imagines gelobte Pantheia in ihrer Replik (Pr. Im. bes. 1–2) erteilt. Übermäßiges Lob, so erklärt sie, sei ihr lästig, lasse sie erröten und ihr fast die Ohren verschließen, denn Lob sei nur dann erträglich, wenn die Person, an die sich das Lob richtet, dessen Berechtigung in jedem Detail erkennen könne: m°xri går toËde ofl ¶painoi énekto€ efisin efiw ˜son ín ı §painoÊmenow gnvr€z˙ ßkaston t«n legom°nvn prosÚn •aut“: tÚ d¢ Íp¢r toËto éllÒtrion ≥dh ka‹ kolake€a safÆw. Die Antwort der Pantheia beinhaltet weitere

evidente Parallelen zur vorliegenden Schrift, die im Kommentar zu Kap. 13 wieder aufzugreifen sein werden (vgl. auch bereits den Kommentar zu Kap. 7: e‡ ge t“ m¢n §gkvmiãzonti mÒnou •nÚw m°lei, ktl). 342

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< > ÉAlejãndrou ka‹ P≈rou ka‹ énagnÒntow aÈt“ toËto mãlista tÚ xvr€on t∞w graf∞w – ’eto går xarie›syai tå m°gista t“ basile› §piceudÒmenow ériste€aw tinåw aÈt“ ka‹ énaplãttvn ¶rga me€zv t∞w élhye€aw – lab∆n tÚ bibl€on – pl°ontew d¢ §tÊgxanon §n t“ potam“ t“ ÑUdãsp˙ – ¶rricen §p‹ kefalØn §w tÚ Ïdvr §peip≈n, „Ka‹ s¢ d¢ oÏtvw §xr∞n, Œ ÉAristÒboule, toiaËta Íp¢r §moË monomaxoËnta ka‹ §l°fantaw •n‹ ékont€ƒ foneÊonta“.

>: so Macleod 1980, 294; der Wortlaut in der Lücke von G und E wurde auf verschiedene Art ergänzt: : Kassel 1973, 109, anerkannt von Macleod 1980, 294 (im textkritischen Apparat); ... lab∆n < §ke›now > tÚ bibl€on: so unbegründet nach der sekundären Schreiber–Hinzufügung in N (15. Jh.) Reitz 1743, 16–17, Hermann 1828, 15, Bekker 1853, 25, Dindorf 1858, 6, Homeyer 1965, 110 (mit angenommener Lücke zwischen Àsper und ÉAristoboÊlou); : Mras 1911, 185.
ÉAlejãndrou ka‹ P≈rou ka‹ énagnÒntow aÈt“ toËto mãlista tÚ xvr€on t∞w graf∞w: Die nun folgende Anekdote, welche Aristobulos von Kassandreia (FGrH II B 139:

immer noch grundlegende Gesamtcharakteristik bei Pearson 1960, 150–187) im Sinne einer Veranschaulichung der in Kap. 11 angesprochenen Thematik als einen typischen kÒlaj zeigt, wurde von den Interpreten zumeist als literarhistorische Auffälligkeit empfunden, und das mit Recht. Denn immerhin steht ja fest, daß Arrians in der Forschung (insbesondere in der deutschsprachigen) als von recht hohem Quellenwert eingeschätzte Alexandergeschichte maßgeblich auf den Berichten des Ptolemaios Lagu (FGrH II B 138) sowie des Aristobulos gründet, wie er selbst in der praefatio zu seiner Alexandergeschichte ausdrücklich erklärt (An. I praef. 1–2). Die Glaubwürdigkeit des Aristobulos entnimmt Arrian u. a. der Tatsache, daß dieser ebenso wie Ptolemaios erst nach dem Tod Alexanders geschrieben und sich daher, ohne einen Grund zur Verfälschung der Wahrheit zu haben, über die tatsächlichen Ereignisse unbefangen habe äußern können (An. I praef. 2: ... aÈto›w [sc. Ptolema€ƒ te ka‹ ÉAristoboÊlƒ] ¥ te énãgkh ka‹ ı misyÚw toË êllvw ti µ …w sunhn°xyh juggrãcai ép∞n). Zudem belegen auch die pseudolukianischen makrÒbioi 22, daß Aristobulos (er sei mehr als 90 Jahre alt geworden) erst im Alter von 84 Jahren zu schreiben begann, wie er in der praefatio zu seinem Werk selbst gesagt habe (FGrH II B 139 T 3). Aus Arrian (An. VII 18, 5 = Fr. 54) geht hervor, daß das Werk erst nach der Schlacht von Ipsos (301 v. Chr.) veröffentlicht worden sein kann. Angesichts dieses Befundes scheint klar zu sein, daß Aristobulos keineswegs als ein Schmeichler im Sinne der hier bei Lukian vorliegenden Anekdote bezeichnet werden kann, da er erst geraume Zeit nach dem Tod Alexanders die Abfassung seines Werkes in Angriff nahm. Unter diesen Umständen ist daher die elementare Frage zu stellen, wie Aristobulos zum Ruf eines kÒlaj kam. Das Studium der überlieferten Fragmente läßt Aristobulos als Autor erkennen, dessen Bericht insgesamt auf eine apologetische, stark alexanderfreundlich eingefärbte Tendenz hinausläuft, also 343

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die offizielle Anschauung des Generalstabs wiedergibt (Hoffmann 1907, 20–25, bes. 20). Um nur ein repräsentatives Beispiel zu nennen: die Schuld (èmart€a) für die Ermordung des Kleitos wird von Aristobulos dem Opfer der Gewalttat Alexanders alleine zugeschrieben (Arr. An. IV 8, 9 nennt ausdrücklich Aristobulos als Quelle für diese Wertung). Das wird noch deutlicher, wenn man die Parallelüberlieferung (Plu Alex. 50–52, Curt. VIII 1, 19–2, 12, Just. XII 6, 1–17) Arrian zum Vergleich gegenüberstellt (dazu Carney 1981 und Porod 1987, 131–177). Eine Charakteristik des Aristobulos vor dem Hintergrund der Tendenz des Ptolemaios und der Arrians gibt Bosworth 1980, 16–34, bes. 27–29, der glaubwürdig zeigt, daß auch der Bericht Arrians eine enkomiastische Tendenz verfolgt, was für diesen bei einer solchen Orientierung sicher auch einer der Gründe dafür gewesen sein mußte, gerade Aristobulos als eine seiner maßgeblichen Quellen zu wählen. Vieles weist somit darauf hin, daß Arrian die apologetische Tendenz des Aristobulos prinzipiell als für von der Sache her gerechtfertigt erachtete. Es läßt sich allerdings nicht ausmachen, wann und vor allem aus welchen Gründen denn Aristobulos die Etikette eines kÒlaj angeheftet wurde, wofür abgesehen von Lukian nur eine einzige Quelle vorliegt, nämlich eine anonyme byzantinische Epitome zur Rhetorik, die das Gesamtgebiet der Rhetorik in fünf Gattungen unterteilt. Als fünfte dieser Gattungen ist, im weitesten Sinn nach dem Vorbild des platonischen Gorgias, die Schmeichelkunst (kolakeutikÆ) bezeichnet, der als Exponenten der Redner Demades sowie der Historiker Aristobulos zugeordnet werden (FGrH II B 139 T 5 = Walz III 610). Der für die hier verfolgten Zwecke relevante Passus lautet: p°mpth (sc. =htorikØ) ≤ kolakeutikÆ, ∏w ≤gÆsato Dhmãdhw ka‹ ÉAristÒboulow. Die scharfsinnige Argumentation Brunts 1974, bes. 65–66 regt zwar dazu an, den Quellenwert dieser Textstelle erneut einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Gleichwohl ist damit noch nicht die Selbstverständlichkeit erklärt, mit welcher bei Lukian der Autor nicht nur Aristobulos rigoros zum kÒlaj erklärt, sondern als Beleg für diese Behauptung auch eine auf eine konkrete historische Situation bezogene Anekdote vorbringt. Dies läßt eher darauf schließen, daß Aristobulos zu einem ungewissen Zeitpunkt innerhalb der literarischen Überlieferung dieses Attribut beigelegt wurde, und zwar aus Gründen, über die sich kaum mehr als Mutmaßungen (z. B. Pearson 1960, 150 und Schwartz 1896, Sp. 917) anstellen lassen. In jedem Fall ist die in ihrer Tendenz sehr ähnliche Alexander–Onesikritos–Anekdote (Kap. 40, vgl. dazu den Kommentar z. St.) zu beachten. Auch dieser Umstand ist als ein Indiz dafür zu werten, daß Lukian, wie es scheint, auf heute nicht mehr kenntliche und benennbare Diskurse zurückgegriffen hat, die den frühen Alexanderquellen das Verfolgen einer apologetischen bzw. einer mit Hinblick auf die Person des Makedonenkönigs idealisierenden Tendenz bereits als Zeichen schmeichlerischer Sinnesart auslegten, selbst dann, wenn eine derartige Auslegung, wie im Falle des Aristobulos, zu anachronistischen Deutungen führen mußte. Im übrigen ist längstens bekannt, daß in den zum größten Teil verlorenen gewaltigen Quellenmassen zur Alexandergeschichte im Laufe der Zeit, aus unterschiedlichsten Gründen, neben alexanderfreundlichen bald auch alexanderfeindliche Elemente reiches Eigenleben zu entfalten begannen. Deshalb ist eher die Unvollständigkeit der Textüberlieferung als der Grund für unser Nicht–Wissen hinsichtlich der Genese des Negativbildes vom Charakter des Aristobulos anzugeben, als daß man anzunehmen hätte, Lukian habe einfach von sich aus Anekdoten ohne Rückhalt in der Tradition frei erfunden, oder es sei ihm gar ein sachlicher Irrtum unterlaufen (so unzutreffend Fritzsche 1860, 44: sequitur ... iam Lucianum errasse, virum in historia parum diligentem). Der vorliegende Kommentar zeigt allenthalben, wie genau Lukian vorgeprägte literarische Traditionen wiedergibt, ein Umstand, der im übrigen überall da eingesehen werden kann, wo die Überlieferungslage eine sachliche Überprüfung erlaubt, und in den meisten Fällen ist dies auch

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möglich. Vor dem Hintergrund einer solchen, hypothetisch anzunehmenden aristobulosfeindlichen Überlieferung jedenfalls ist der von Baldwin 1973 a, 32 geäußerten Vermutung, Lukians Charakterisierung des Aristobulos als eines Schmeichlers sei als eine direkte und bewußte Polemik gegen Arrians vorteilhaftes Bild zu bewerten, mit Skepsis zu begegnen. Die von Baldwin angeführten Belege zeigen jedenfalls generell eine unterschiedliche Beurteilung des Aristobulos durch Arrian und Lukian. Wirth 1964, 239 schließt aus diesem Umstand jedoch wenig überzeugend: „Damit aber, daß er (sc. Lukian) Aristobul überhaupt erwähnt, setzt er sich indirekt auch mit Arrian auseinander“. Zu dem kaum nachweisbaren Verhältnis Lukians zu Arrian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4. Zu toËto mãlista tÚ xvr€on t∞w graf∞w: Der Begriff xvr€on bezeichnet hier die Stelle in einem Buch. Aus Athenaios (XV 672 a mit Hinweis auf Aristarchs philologische Auslegungstätigkeit) ergibt sich, daß es sich dabei um die offizielle Diktion in der Sprache alexandrinischer Literaturkritik handeln dürfte. Bereits im Herodottext (II 117) bezieht sich xvr€on auf einen unmittelbar zuvor zitierten Passus aus der Odyssee, mit dem Ziel, zu erweisen, daß die Kyprien nicht von Homer stammen könnten. Und gerade darum hat diese Stelle auch den Verdacht hervorgerufen, interpoliert zu sein (LSJ s. v. xvr€on 6, dies wird jedoch nicht thematisiert von How / Wells 19575, 224 und Asheri / Lloyd / Corcella 2007, 325). Bei Thukydides (I 97, 2, zitiert von D. H. Th. 11) jedenfalls hat xvr€on (ein offenes Feld zur Bearbeitung) noch nicht die spezifische Bedeutung von Textstelle, sondern meint bloß einen bislang nur unzureichend behandelten und darum zur Darstellung aufrufenden Zeitabschnitt (mit klarer inhaltlicher Bezugnahme darauf und wörtlicher Anspielung Arr. An. I 12, 2). ’eto går xarie›syai tå m°gista t“ basile› §piceudÒmenow ériste€aw tinåw aÈt“ ka‹ énaplãttvn ¶rga me€zv t∞w élhye€aw: Aus der Herstellung des Textes durch Kassel 1973, 108–109 (vgl. die Anmerkung zum Text) folgt, daß hier nicht an einen Zweikampf (monomax€a) Alexanders mit

dem Inderkönig Poros zu denken ist. Nirgendwo in den Quellen ist ja in diesem Zusammenhang im übrigen von einem solchen die Person Alexanders idealisierenden Zweikampf, einer episch stilisierten Aristie (ériste€a) des Makedonenkönigs auch nur andeutungsweise die Rede, obwohl die kämpferische Leistung Alexanders von den hellenistischen Quellen ansonsten oft und gerne hervorgehoben wurde (Burck 1964, 203). Die einzige bekannte Erwähnung eines solchen Zweikampfes (bei Just. XII 8, 3–4) findet denn auch ein für den Makedonenkönig nicht gerade rühmliches Ende: Porus ... sibi regem eorum privatum hostem deposcit. Nec Alexander pugnae moram fecit; sed prima congressione vulnerato equo cum praeceps ad terram decidisset, concursu satellitum servatur. Zudem geht die Initiative zur Auseinandersetzung in der justinischen Version nicht einmal von Alexander selbst aus, sondern von dem Inderkönig. Unter diesen ériste›ai sind daher fingierte Heldentaten (im Plural) zu verstehen, und da die bekannten sekundären Quellen zur Alexandergeschichte ohnedies öfter solche Aristien Alexanders darstellen, so mochte Aristobulos derartige Kämpfe des Makedonenkönigs (eines primus inter pares) in vorderster Front fingiert haben. Aristobulos ist bei Lukian im Sinne der Typologie eines kÒlaj charakterisiert. Mehrfach und mit großer Eindringlichkeit kommt der Autor in den didaktischen Teilen dieser Schrift auf das Thema der kolake€a mit der Pose einer moralischen Autorität zu sprechen (bes. in Kap. 11, 13, 38–41, 61, 63, im zweiten Schriftteil explizit jedoch nur in Kap. 17). Dabei ergibt sich dieses Bild: dem Schmeichler fehle es an dem für den Historiker geforderten Ethos; in liebedienerischer Weise (Kap. 38: prÚw xãrin) und mit dem Streben nach dem persönlichen Vorteil (Kap. 11, 13, 39) konzentriere er sich unter Preisgabe der élÆyeia (Kap. 39, 41) darauf, das Wohlwollen des Objekts seines Lobes zu erhaschen (Kap. 11). Diesem Zerrbild des Schmeichlers gegenüber bestimmt der Autor die Aufgabe des seiner Verantwortung bewußten Historikers als ein sachliches Berichten über die Tatsachen, ausgewogen und ohne Abstriche von bzw. fiktiven Zusätzen zu den Fakten (Kap. 41).

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Zum Thema Schmeichelei finden sich im Schriftenpaar Imagines und Pro imaginibus illustrative Vergleichsmöglichkeiten. In Pr. Im. 20–21 wird unterschieden zwischen der Aufgabe des Lobredners und der Übertreibungstechnik des kÒlaj. Ersterer vergrößere lediglich in legitimer Weise an sich schon vorhandene Vorzüge (ı ... §pain«n ... tå Ípãrxonta ... fÊsei égayå ... paralab∆n §phÊjhse ka‹ me€zv ép°fhne). Anders der Schmeichler; dieser bringe mit seiner bedenkenlosen Bereitschaft zum Hinzuerfinden (§piceÊdesyai) aktuell nicht vorhandener Eigenschaften entgegen der élÆyeia selbst die unglaublichsten Dinge vor, und er tue dies aus Liebedienerei (toË xar€sasyai ßneka to›w §painoum°noiw) und egoistischer Berechnung seines eigenen Vorteils (t∞w xre€aw ßneka t∞w •autoË §pain«n). Zu énaplãttvn: Lukian verwendet (éna)plãttein und (éna)plãttesyai sonst in der eigentlichen Bedeutung von „formen, bilden, modellieren“ von dem Arbeitsprozeß des bildenden Künstlers (Kap. 51, ähnlich Somn. 2, Prom. 3, 11, 14). Das Fehlen des Artikels zu ¶rga läßt hier jedoch einzig die übertragene Bedeutung von „erfinden, erdichten“ zu, welche namentlich dann vorliegt, wenn eine direkte oder indirekte Verknüpfung mit dem Signalwort ceËdow bzw. ceÊdesyai gegeben ist. So heißt es in VH I 3 von Iambulos mit Hinblick auf dessen bekannte paradoxographische Wunderberichte: gn≈rimon ... ëpasi tÚ ceËdow plasãmenow (zu der Möglichkeit synonymer Verwendung von ceËdow und plãsma noch in kaiserzeitlicher Literatur Hose 1996, bes. 273, Anm. 70). Wenn demnach Aristobulos den Alexander wie einen epischen Helden stilisiert, indem er ihm so manche Heldentaten andichtet (§piceudÒmenow ériste€aw tinåw aÈt“), so wechsle er in ganz unangemessener Weise zum Genos der Poesie über, in dem das énaplãttein irrealer Objekte zur legitimen Freiheit dichterischen Schaffens gehöre (Herm 72: ka‹ ˜sa êlla ˆneiroi ka‹ poihta‹ ka‹ grafe›w §leÊyeroi ˆntew énaplãttousin oÎte genÒmena p≈pote oÎte gen°syai dunãmena). Für Historiographie und Poesie gelten jedoch nach der vom Autor vertretenen Ansicht vollkommen andere Gattungsgesetze, wie dies bereits in Kap. 8 unmißverständlich klargelegt worden war. lab∆n tÚ bibl€on – pl°ontew d¢ §tÊgxanon §n t“ potam“ t“ ÑUdãsp˙ – ¶rricen §p‹ kefalØn §w tÚ Ïdvr §peip≈n: Zum historischen Kontext: nach der Unterwerfung des Inderkönigs Poros im

Pandschab (326 v. Chr.) segelte Alexander, durch Einheimische über die dortigen geographischen Gegebenheiten informiert (Arr. An. VI 1, 5), den Hydaspes (heute Jhelum) hinab, um so über den Akesines (heute Chenab) und schließlich den Indus das Arabische Meer zu erreichen. Die bei Lukian verhältnismäßig häufig anzutreffende Junktur §p‹ kefalÆn (Bompaire 1958, 408 siedelt sie im Umfeld des Sprichwortes an) bedeutet „kopfüber“ (so Sat. 2: §w Ïdvr cuxrÚn §p‹ kefalØn »ye›syai, Pisc. 48: êfew aÈtÚn §p‹ kefalØn katå t∞w p°traw, Gall. 23: §p‹ kefalØn §w p°lagow §mpesÒntew, u. ö.); in diesem Sinne bereits Hdt. III 75, 3 (ähnlich VII 136, 1), Pl. R. VIII 553 b, Plu Cleom. 38, 2. Bei dem pointiert gesetzten Aoristpartizip §peip≈n ist hier zu assoziieren, daß Alexander es nicht damit bewenden läßt, sondern als Schlußwort und Höhepunkt noch eins draufsetzt (vgl. Cat. 12: die Draufgabe in einer Beschimpfung). Die Formen von §peipe›n finden sich auch sonst im Zusammenhang mit Tadel (A. Supp. 972–973) oder Spott (Ps. Luk. Dem. Enc. 33). Das Bonmot (épÒfyegma) Alexanders ist formal gesehen ein Element des hier wieder stärker hervortretenden Diatribenstils (zu dessen typischem Repertoire Capelle / Marrou 1957, Sp. 992–993). Anderson 1986, 47–48 sieht darin einen häufig vertretenen Anekdotentypus, den er solcherart beschreibt: the fool is performing and making an ass of himself – till the long–suffering expert delivers a crushing blow and walks out in disgust. Alexanders Ablehnung von Schmeichelei zeigt auch eine von Plutarch im Zusammenhang mit dessen Hochstilisierung zu einem Philosophen berichtete Anekdote (De Alexandri Magni fortuna aut virtute I 12, 333 a); diese dürfte vermutungsweise einem bedeutend weiter verbreiteten Typus entsprechen.

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ka‹ ¶mell° ge oÏtvw éganaktÆsein ı ÉAl°jandrow, ˜w ge oÈd¢ tØn toË érxit°ktonow tÒlman ±n°sxeto Íposxom°nou tÚn ÖAyvn efikÒna poiÆsein aÈtoË ka‹ metakosmÆsein tÚ ˆrow §w ımoiÒthta toË basil°vw, éllå kÒlaka eÈyÁw §pignoÁw tÚn ênyrvpon oÈk°tÉ oÈdÉ §w tå êlla ımo€vw §xr∞to.

Hinsichtlich Inhalt, Aussage und sprachlichem Ausdruck zu vergleichen ist die in Pr. Im. 9 in etwas größerer Ausführlichkeit vorliegende Dublette, welche ebenfalls den Architekten nicht namentlich benennt. Der Zusammenhang ist folgender: die in den vorangehenden Imagines gepriesene Pantheia verwahrt sich gegen das ihrer Ansicht nach unangemessen übertriebene Lob. Sie will den Eindruck vermeiden, hinsichtlich des Umgangs mit Lob unverständiger zu sein, als dies Alexander dereinst gewesen wäre. Demgemäß läuft ihre argumentative Strategie auf den Nachweis hinaus, daß Alexander Verstand (sÊnesiw) und Seelengröße (megalocux€a) bewiesen habe, da er dem dreisten Angebot des Architekten gegenüber gesundes Augenmaß gezeigt habe (Íp¢r aÍtÚn ≤ghsãmenow tÚ tÒlmhma [sc. toË érxit°ktonow]). Die Quintessenz ihrer Haltung gegenüber überzeichnetem Lob hatte sie bereits zuvor (Pr. Im. 2) mit unmißverständlicher Klarheit dargelegt: m°xri går toËde ofl ¶painoi énekto€ efisin efiw ˜son ín ı §painoÊmenow gnvr€z˙ ßkaston t«n legom°nvn prosÚn •aut“, tÚ d¢ Íp¢r toËto éllÒtrion ≥dh ka‹ kolake€a safÆw. In ähnlicher Weise ist auch hier die Unerträglichkeit des dreisten Ansinnens des Architekten für das Empfinden Alexanders hervorgehoben (oÈd¢ ... ±n°sxeto). Beiden lukianischen Versionen gemeinsam ist also Alexanders angemessene Reaktion auf die evidente kolake€a des Baumeisters. In keiner der bekannten antiken Parallelberichte findet sich eine vergleichbare Festlegung der narrativen Tendenz auf das Thema der Schmeichelei bzw. der Reaktion des Adressaten darauf. Demgegenüber läuft die in der Alexanderbiographie Plutarchs dargebotene Version (72, 5–8) wesentlich auf eine Charakteristik des hier als Stasikrates benannten texn€thw hinaus. Dieser wird stilisiert als kühner, innovativer Mann mit einem Hang zum ostentativ Prunkhaften, bereit, das seiner Ansicht nach Machbare durchzuführen. Alexander lehnt auch hier das pompöse Angebot des Architekten zwar entschieden ab (par˙tÆsato), doch unternimmt Plutarch keinen Versuch, diese Reaktion Alexanders für eine explizite Charakteristik des Makedonenkönigs auszuwerten. Für das Motiv der kolake€a des Baumeisters hatte er daher überhaupt keine Verwendung. Plutarch kommt ein zweites Mal auf die hochfliegenden Pläne des kühnen Architekten (dessen Eigenschaften frÒnhma und yãrsow) zu sprechen, und zwar in der Schrift De Alexandri Magni fortuna aut virtute (II 335 c–e). Alexander lobt hier zwar das Angebot des Architekten, doch lehnt er eine Durchführung des Projektes deshalb ab, weil ihm dies als ein Akt von Ïbriw erschiene. Eine kolake€a jedoch sieht er im Angebot des Stasikrates nicht. Es ist somit klar, daß sich die beiden plutarchischen Versionen übereinstimmend hinsichtlich der Tendenz deutlich vom vorliegenden Lukian–Passus unterscheiden. Noch weniger für einen direkten Vergleich eignen sich die Versionen Strabons (XIV 1, 23 = C 641: der Architekt Cheirokrates) und Vitruvs (II, praef. 1–3: Dinocrates) sowie das Scholion zu Hom. Il. XIV 229 Erbse III 613 (Diokles). Zum Symbolgehalt des Projekts Meyer 1986, zur Person des Deinokrates Müller 1989, bes. 153–154, zu Technikern und Fachleuten im Heer Alexanders Tarn 1968, 215–217. Der Quellenwert der lukianischen Version wird im allgemeinen gering veranschlagt, doch ist es sehr zweifelhaft, ob die Berichte Vitruvs und Plutarchs größeren Glauben verdienen. Zumindest Plutarch nennt ja innerhalb ein und derselben Schrift, seiner Monographie zum Thema kolake€a (Quomodo adulator ab amico internoscatur) Alexander bald Opfer der Schmeichler in seiner näheren Umgebung (65 c–e), bald spricht er von dessen souveränem Umgang mit einem solchen (58 f: Alexanders Ungehaltenheit). Offenbar waren in den verlorenen Traditionsmassen zur Alexandergeschichte die verschiedenartigsten Elemente enthalten, aus denen ein späterer Autor je

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nach seinen momentanen literarischen Absichten das ihm passend Erscheinende auswählen konnte (illustrativ dazu Weber 1909, zu Lukian 78–79). Ein illustratives Beispiel aus jüngerer Vergangenheit mag zum Vergleich dienen, die Art und Weise nämlich, wie Cassius Dio (LXIX 4, 1–5) zufolge Hadrian mit dem unter Trajan zu höchsten Ehren gelangten Architekten Apollodoros von Damaskos umgesprungen war, wie er dessen parrhs€a mit Verbannung und Tod bestraft hätte (Fein 1994, 331–33). Dieses singuläre Verhalten Hadrians einem Rivalen gegenüber erscheint jedoch verdächtig, und so wurde die Historizität von Cassius Dios Bericht bisweilen, gewiß prinzipiell berechtigt, in Zweifel gezogen. Bei Ridley 1989 sind in diesem Sinne alle denkbaren Argumente ausgeschöpft. Eindeutig äußert sich dazu Stertz 1993, 617: The account of Apollodorus ... must on no account be mistaken for an objective recital of facts, vgl. auch 622–623. Es ist jedoch festzuhalten, daß diese in ihrer Rigorosität dem Zeitgeist geschuldete Aussage gegenüber einem zu großen Vertrauen in den realen Informationsgehalt der Stelle nach der anderen Seite hin wieder überzogen erscheint.

Kapitel 13 Kapitel 13 bringt das in der den ersten Schriftteil abschließenden Tetrade (Kap. 10–13) konsequent verfolgte Thema der Reaktion der Rezipienten auf enkomiastisch orientierte Geschichtswerke zum Abschluß. Das Gros der Historiker, so faßt der Autor den Gedanken der vorangehenden Kapitel zusammen, sei zu verabscheuen, da in deren Darstellungen einzig tagespolitische Rücksichten (tÚ tÆmeron), persönliches Interesse (tÚ ‡dion) und Profitgier (tÚ xrei«dew) dominierten. Als neue Perspektive kommt hier hinzu, daß diese Autoren ihre ganze auf kurzsichtigen Erfolg berechnete Darstellung so vor dem Urteil der Nachwelt (§w toÈpiÚn) verdächtig machten. Und mit dieser Erklärung erscheint das in Kapitel 8 erstmals formulierte Prinzip als bestätigt, daß den Maßstab für die Arbeit des Historikers die Zukunft abzugeben habe: prÚw tå ¶peita kanonist°on tå toiaËta.

PoË to€nun tÚ terpnÚn §n toÊtoiw, §ktÚw efi mÆ tiw komidª énÒhtow e‡h …w xa€rein tå toiaËta §painoÊmenow œn parå pÒdaw ofl ¶legxoi; Àsper ofl êmorfoi t«n ényr≈pvn, ka‹ mãlistã ge tå gÊnaia to›w grafeËsi parakeleuÒmena …w kall€staw aÈtåw grãfein. o‡ontai går êmeinon ßjein tØn ˆcin, µn ı grafeÁw aÈta›w §rÊyhmã te ple›on §pany€s˙ ka‹ tÚ leukÚn §gkatam€j˙ polÁ t“ farmãkƒ.

§ktÚw efi mÆ tiw komidª énÒhtow e‡h …w xa€rein tå toiaËta §painoÊmenow: Das Idiom §ktÚw efi mÆ

in der Bedeutung „es sei denn“ (lat. nisi forte) gehört kaiserzeitlicher Gräzität an. Vor Lukian ist es selten belegt, so im Neuen Testament (Ep. Cor. I 14, 5 und I 15, 2, Ep. Ti. I 5, 19) und bei Plutarch (Dem. 9, 6); auch Sextus Empiricus verwendet es mehrfach, doch kein Autor bis in das 2. Jh. n. Chr. häufiger als Lukian, und zwar zumeist mit einem nachfolgenden Indikativ (Belege im Kommentar zu Kap. 38: §ktÚw efi mØ eÎjasyai d°on par°lipen), gelegentlich auch, so wie hier, zur nachdrücklichen Hervorhebung der ironischen Note mit potentialem Optativ (so in dieser Schrift in Kap. 21). In syntaktischer Hinsicht kommt dieser Stelle am nächsten Pisc. 6, wo auch auf den Optativ ein …w in der Bedeutung eines konsekutivischen Àste folgt (... §ktÚw efi mØ katå tÚn Yãmurin µ tÚn EÎruton e‡h tØn fÊsin …w ta›w MoÊsaiw éntñdein ...). Mit dem Adjektiv énÒhtow (Arist. EN IV 3, 1123 b 4 stellt den énÒhtow dem ±l€yiow gleich) sind bei Lukian an Assoziationen verbunden Aufgeblasenheit sowie mangelndes Sensorium für richtiges Maß (Nigr. 1), Unkenntnis der Wahrheit (Nec. 6) und Unbildung

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(Ind. 21). In diesem Kontext ist wiederum (vgl. den Kommentar zu Kap. 12: misoËsi mçllon ka‹ épostr°fontai …w kÒlakaw) die Replik zu beachten, welche die in den Imagines gepriesene Pantheia unter Anführung konkreter Beispiele (Pr. Im. 4–5: in beiden geht es um ausnehmend eitle Frauen) erteilt. Viele, so erklärt sie (Pr. Im. 2), hätten Freude daran, wenn ein Lobredner ihnen nicht vorhandene Eigenschaften (ì mØ ¶xousin) beilegte: oÂon efi g°rontaw ˆntaw eÈdaimon€zoi t∞w ékm∞w µ émÒrfoiw oÔsi tÚ Nir°vw kãllow µ tÚ Fãvnow periye€h, in der irrigen Meinung, sie würden dadurch von ihren physischen Defiziten befreit und verjüngt (vgl. dazu auch die übernächste Anmerkung: ofl êmorfoi t«n ényr≈pvn, ka‹ mãlistã ge tå gÊnaia ktl). œn parå pÒdaw ofl ¶legxoi: Das Idiom parå pÒdaw bezeichnet, was „vor jemandes Füßen (hin)“

liegt, d. h. das unmittelbar Augenfällige (Pl. Tht. 174 a [die thrakische Magd verlacht Thales, weil er nicht sähe, was ¶mprosyen aÈtoË ka‹ parå pÒdaw sei] und 174 c [der Philosoph werde von der Menge verlacht, sobald er gezwungenermaßen per‹ t«n parå pÒdaw ka‹ t«n §n Ùfyalmo›w spreche], in diesem Sinne bei Lukian Cal. 1: tÚ m¢n plhs€on ka‹ parå pÒdaw bildet den Kontrast zu tÚ d¢ pÒrrv ka‹ pãmpolu diesthkÒw). Aus dieser Bedeutung des unmittelbar Gegebenen, des leicht Zugänglichen (Arist. Top. VIII 14, 164 b 20) abgeleitet ist die Konnotation des sich leicht und daher rasch Einstellenden, so bei Aristoteles (z. B. Mir. 152, 846 a 2), häufig bei Polybios (z. B. I 7, 5; I 8, 2; I 35, 3; V 13, 3, u. o.) und zumeist bei Lukian (Alex. 33: parå pÒdaw oÏtvw §lhlegm°nou toË xrhsmoË, Merc. Cond. 24, Apol. 6: die temporale Bedeutung von parå pÒdaw ist verstärkt durch den Zusatz eÈyÁw). Vorliegende Stelle besagt daher, daß eine Widerlegung ungerechtfertigten Lobes zwangsläufig und unverzüglich erfolgt. ofl êmorfoi t«n ényr≈pvn, ka‹ mãlistã ge tå gÊnaia to›w grafeËsi parakeleuÒmena …w kall€staw aÈtåw grãfein: Dazu ein Beispiel wiederum aus Pantheias Replik (Pr. Im. 6): Xa€rousi goËn ... t«n graf°vn §ke€noiw mãlista, o„ ín prÚw tÚ eÈmorfÒteron aÈtoÁw efikãsvsin. e‰nai d° tinaw, o„ ka‹ prostãttousin to›w texn€taiw µ éfele›n ti t∞w =inÚw µ melãntera grãcasyai tå ˆmmata µ ˜ ti ín êllo §piyumÆsvsin aÍto›w prose›nai, e‰ta lanyãnein aÍtoÁw éllotr€aw efikÒnaw stefanoËntaw ka‹ oÈd¢n aÍto›w §oiku€aw. Dem waren in der Rede Pantheias zwei Beispiele besonders

eitler Frauen vorangegangen, die sich von Dichtern in der Realität absolut nicht vorhandene Vorzüge hätten zuschreiben lassen (Pr. Im. 4–5). tå gÊnaia beinhaltet eine despektierliche Note („Weibsbilder“). µn ı grafeÁw aÈta›w §rÊyhmã te ple›on §pany€s˙ ka‹ tÚ leukÚn §gkatam€j˙ polÁ t“ farmãkƒ: Mit dem Verbum §pany€zein ist die Vorstellung eines Verzierens an der Oberfläche gegeben, dessen Ergebnis das §panye›n, das Prangen, ist (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 55: tÚ saf¢w §panye€tv).

Es bezeichnet in eigentlicher Bedeutung die natürliche Farbgebung (D. S. II 53, 2: über das bunte Federkleid der Pfaue: ta≈nvn pl∞yow ... panto€aiw xrÒaiw §phnyism°nvn), die Verzierung (D. S. I 49, 2: xr≈masin §phnyism°non tÚn basil°a, Paus. VII 26, 11: das zinnoberrot geschmückte Kultbild des Dionysos), schließlich künstlich aufgesetzten Schmuck (Ph. De sacrificiis Abelis et Caini 5, 21: über die hetärenhafte Aufmachung der ≤donÆ, mit der angefügten Bewertung: xÆtei gnhs€ou kãllouw tÚ nÒyon metadi≈kousa), so wie Lukian in Dom. 7 über Hetären sagt, sie würden das, was ihnen zu echter Schönheit fehle (tÚ §nd°on t“ kal“), durch aufgesetzte Schmuckmittel (prosyÆsei toË ¶jvyen terpnoË) ersetzen. Im übertragenen Sinn, denn wegen des Vergleichscharakters (Àsper) sind hier ja beide Bezugsebenen zu berücksichtigen, ist zu beachten, daß Philostratos (VS I 15) §pany€zein mit literarkritischer Note verwendet (so anerkennend über den Stil Antiphons: épaggel€a ... §phnyism°nh poihtiko›w ÙnÒmasi). Die Aufforderung an die Maler, mehr rote Farbe aufzutragen und weißen Farbstoff in großer Menge hineinzumischen (ganz im Gegensatz zum natürlichen Farbton des éndre€kelon, so Pl. Cra. 424 e

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und R. VI 501 b), ist vor dem Hintergrund der von dem antiken Schönheitsideal (bei Lukian Im. 7, DMar. 1, 3) diktierten weiblichen Toilettekünste zu verstehen, die sich der ¶gxousa (attisch êgxousa, lat. anchusa) und des fËkow oder fuk€on bzw. fÊkion (lat. fucus) zur Rotfärbung und des cimÊyion (lat. cerussa) zur Weißfärbung zu bedienen pflegten (Belege im Kommentar zu Kap. 8: fÊkion §ntr€boi ka‹ cimÊyion t“ pros≈pƒ, zu Kosmetika für Männer X. Oec. 10, 5). Der Begriff fãrmakon (DMeretr. 11, 3: künstliches Färbemittel) bezeichnet hier den Farbstoff des Malers (Im. 16, so bereits bei Pl. Cra. 424 e, R. IV 420 c und Plt. 277 c). Ausgewogene Farbmischung entsteht durch sachkundiges sugkerannÊnai (Pl. Cra. 424 e, Plt. 277 c: tª sugkrãsei t«n xrvmãtvn). Demgegenüber unterstreicht die Wahl des von Lukian auch andernorts verwendeten und ansonsten selten belegten Verbums §gkatamignÊnai, daß es sich um eine Mischung inkongruenter Elemente zu einem fragwürdigen Ganzen handelt (bes. Lex. 25 [inadäquate Vermischung unterschiedlicher sprachlicher Ebenen], Prom. Es 7 [Mischung von weiblichem und männlichem Element], vgl. D. H. Th. 7, der das Verbum ansonsten in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet).

ToioËtoi pollo‹ t«n suggrafÒntvn [ofl pollo€] efisi tÚ tÆmeron ka‹ tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew ˜ ti ín §k t∞w flstor€aw §lp€svsi yerapeÊontew: oÓw mise›syai kal«w e‰xen, §w m¢n tÚ parÚn kÒlakaw prodÆlouw ka‹ ét°xnouw ˆntaw, §w toÈpiÚn d¢ Ïpopton ta›w Íperbola›w tØn ˜lhn pragmate€an épofa€nontaw.

ToioËtoi pollo‹ t«n suggrafÒntvn [ofl pollo€] efisi: so Macleod 1980, 295; schon Kassel 1973, 107 stellte fest, daß das sowohl in G als auch in E enthaltene ofl pollo€ als Variante zu pollo€ zu streichen ist; ToioËtoi t«n suggrafÒntvn ofl pollo€ efisi: so weniger gut begründet, einer Korrektur in

recentiores folgend Reitz 1743, 18, Hermann 1828, 16–17, Bekker 1853, 25, Dindorf 1858, 7, Homeyer 1965, 110 und Kilburn 1968, 20 [vgl. aber Kap. 7: émelÆsantew går ofl pollo‹ aÈt«n toË flstore›n tå gegenhm°na, zum Gebrauch von ofl pollo€ Kap. 11 und Kap. 13 weiter unten]; toioËtoi ofl pollo‹ t«n suggrafÒntvn efis‹: Fritzsche 1860, 46. tÚ tÆmeron ka‹ tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew ˜ ti ín §k t∞w flstor€aw §lp€svsi yerapeÊontew: Mit

Eindringlichkeit schärft der Autor sein in den lehrhaften Teilen der Schrift (im skommatisch– lehrhaften Teil, Kap. 14–32, ist bloß ein einziges Beispiel für Schmeichelei explizit genannt, zu den Gründen dafür vgl. den Kommentar zu Kap. 17: tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron ktl und die Einleitung, Teil I 2. 10) leitmotivisch wiederholtes Anliegen ein: der Historiker dürfe nicht auf die kurzberechnete Gunst von Personen der Gegenwart spekulieren, mache ihn das doch zum Schmeichler; vielmehr müsse er auf die legitimen Bedürfnisse seiner zukünftigen Leserschaft durch objektive Berichterstattung Rücksicht nehmen (bes. Kap. 11, 39–40, 61, 63). Die Gegenwart ist bezeichnet durch ein nËn (Kap. 39, 40, 61, 63 ), durch tÚ paraut€ka (40) und durch tÚ parÒn (Kap. 42, 61). Das Verbum yerapeÊein (vgl. Th. III 56, 3 [Rede der Plataier]: efi går t“ aÈt€ka xrhs€mƒ ... tÚ d€kaion lÆcesye, toË m¢n ÙryoË fane›sye oÈk élhye›w krita‹ ˆntew, tÚ d¢ jumf°ron mçllon yerapeÊontew) bedeutet hier „(liebedienerisch) auf etwas spekulieren“ (ähnlich Kap. 40: Efi d¢ tÚ paraut€ka tiw yerapeÊoi, t∞w t«n kolakeuÒntvn mer€dow efikÒtvw ín nomisye€h). Persönliches Interesse (tÚ ‡dion) und Profitgier (tÚ xrei«dew, Pr. Im. 20: t∞w xre€aw ßneka t∞w •autoË §pain«n [sc. ı kÒlaj]) bestehen der Terminologie dieser Schrift zufolge (bes. 38–39) in der Hoffnung (§lp€w) auf Lohn (misyÒw), während der Historiker doch in Wahrheit seine Hoffnungen auf die Zukunft richten (63: prÚw tØn m°llousan §lp€da) und von der Nachwelt den Lohn für seine Arbeit einfordern müsse (61: parÉ §ke€nvn épa€tei tÚn misyÚn t∞w graf∞w).

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Das hier angesprochene Thema war durchaus aktuell, denn nicht nur Sophisten, sondern auch Geschichtsschreiber konnten durch ihre Tätigkeit zu hohen politischen, militärischen und anderen ebenso privilegierten Positionen aufsteigen, wie Baldwin 1973 a, 94 anhand einer größeren Zahl von sehr bekannten (Arrian, Appian, später Cassius Dio) und weniger bekannten Historikern (Aulus Claudius Charax, Phlegon von Tralles, Chryseros, Statilius Crito, später Aelius Antipater) aufweist, um im gegebenen Fall die wahrscheinlich nicht unzutreffende Schlußfolgerung zu ziehen: Hence, the writers of Parthica had more to hope for from their productions than mere literary fame. Für die ganze Prinzipatszeit sind Beispiele von Autoren bekannt, die vom Kaiser Belohnungen in Form von materiellen Vergütungen und diversen Privilegien erhielten. Millar 1977, 498 kann daher zu Recht zusammenfassend konstatieren: Throughout the empire the demonstration of some pre–eminence in literature, rhetoric or philosophy opened the most direct route to rewards in cash or privileges from the emperor. Und zu diesen learned professions (491) gehörte eben u. a. auch die Geschichtsschreibung. oÓw mise›syai kal«w e‰xen: Das Imperfekt ohne ên drückt in Analogie zu klassischen Syntagmen vom Typus ¶dei, xr∞n bzw. §xr∞n, pros∞ke, efikÚw ∑n usw. aus, daß Haß bzw. Abscheu (in Kap. 12 die Reaktion der éndr≈deiw tåw gn≈maw auf übertriebenes Lob) die adäquate Reaktion wäre, und

impliziert damit, daß dies in der Regel nicht bzw. nicht immer geschieht (dieser irreale Aspekt tritt überall da in Erscheinung, wo Lukian kal«w e‰xen gebraucht, so Cont. 1, Symp. 9, Sat. 34). §w m¢n tÚ parÚn kÒlakaw prodÆlouw ka‹ ét°xnouw ˆntaw: Das Adjektiv prÒdhlow (im

philosophischen Sinne die Evidenz, Herm 70) bezeichnet bei Lukian dasjenige, was jedermann leicht einsehen kann (Alex. 20: tÚ mhxãnhma ... prÒdhlon ka‹ gn«nai =ñdion) und worüber sich daher nicht streiten läßt (Philops. 8: tå prodhlÒtata ka‹ per‹ œn oÈde‹w ín eÔ fron«n énte€poi mØ oÈx‹ oÏtvw ¶xein), namentlich eine leicht durchschaubare Motivation (Ind. 22), besonders Egoismus im Kontext von Schmeichelei (DMort. 15, 1: pçsi prÒdhla bezieht sich auf kolake€a) und Verleumdung (Cal. 24: §xyrÚn m¢n oÈde‹w ín tolmÆseie diabale›n: êpistow går aÈtÒyi ≤ kathgor€a prÒdhlon ¶xousa tØn afit€an). Vergleichbare Bedeutung hat in Kap. 11 profanÆw (êxri toË pçsi profan∞ tØn kolake€an §jergãsasyai). Dem êtexnow (als ein Synonym fungiert fidi≈thw, so Bis Acc. 33, Merc. Cond. 30, vgl. fidi«tiw in Im. 13) fehlt die für sein Metier unbedingt nötige Sachkompetenz, was ihn zur lächerlichen Figur macht (Ind. 12), vgl. den Kommentar zu Kap. 11: oÈd¢ går katå t°xnhn aÈtÚ drçn ‡sasin. Zu den Bezeichnungen für die Gegenwart (§w m¢n tÚ parÚn) vgl. vorletzte Anmerkung (tÚ tÆmeron ... yerapeÊontew). §w toÈpiÚn d¢ Ïpopton ta›w Íperbola›w tØn ˜lhn pragmate€an épofa€nontaw: Die Begriffe tÚ parÒn für die Gegenwart und toÈpiÒn für die Zukunft sind aufeinander bezogen wie sonst nur bei Euripides (Kannicht 1008, Fr. 1073, V. 6 = Stob. IV 41, 8: ka‹ t“ parÒnti toÈpiÚn pistoÊmenoi). Die Zukunft (toÈpiÒn auch in VH II 31, Peregr. 21, Salt. 3, Phal. I 5: §w tÚ §piÒn), welche der Historiker bei seiner Arbeit im Auge haben müsse, ist bezeichnet durch die Adverbien Ïsteron (Kap. 9, 42), ¶peita (9, 61), tÒte (40) und durch den Präpositionalausdruck metå taËta (39); denn der Historiker müsse schreiben prÚw tØn m°llousan §lp€da (63), sein Geschichtswerk richte sich, unter Befolgung

des im thukydideischen Methodenkapitel (I 22, 4) geäußerten Grundsatzes, an die Ewigkeit (61). Das Verbum ÍpopteÊein im Kontext von Schmeichelei begegnet in Pr. Im. 21, wo von den in der Methodenschrift bereits wiederholt angesprochenen (8 und 11) Übertreibungen (Íperbola€) der kÒlakew die Rede ist. Der Begriff pragmate€a ist seit Polybios (I 1, 4; I 3, 1; I 15, 12; II 56, 3–5; III 1, 1, u. o.) ein terminus technicus für das Geschichtswerk, so bei Diodor, Dionysios von Halikarnaß, Flavius Josephus, Arrian und Cassius Dio. In den makrÒbioi 22 ist das Geschichtswerk des Aristobulos gleichfalls als pragmate€a bezeichnet.

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efi d° tiw pãntvw tÚ terpnÚn ≤ge›tai katamem›xyai de›n tª flstor€&, êlla sÁn élhye€& terpnã §stin §n to›w êlloiw kãllesi toË lÒgou, œn émelÆsantew ofl pollo‹ tå mhd¢n prosÆkonta §peiskukloËsin.

êlla sÁn élhye€&: Macleod 1980, 295; zu der heillos verderbten Überlieferungslage Hermann 1828, 18, Fritzsche 1860, 46–47, Homeyer 1965, 112 und bes. Macleod 1980, 295; Fritzsche 1860, 46 (tª flstor€&, pçs ... * éllÉ ì ktl) rechnet mit einer, Dindorf 1858, 7 mit zwei Lücken (ka‹ tÚ * * mem›xyai de›n tª flstor€& pçs * * éllå ktl); ¶stin êlla ì sÁn élhye€&: vielleicht kann man angesichts der

desolaten Überlieferungslage diese allerdings recht weitreichende Konjektur vorschlagen. êlla sÁn élhye€& terpnã §stin §n to›w êlloiw kãllesi toË lÒgou: Wenn das terpnÒn denn unbedingt vorhanden sein soll (zu efi [d¢] pãntvw in dieser Bedeutung vgl. bes. pointiert Ind. 28 und

Rh. Pr. 10, jeweils mit nachfolgendem Imperativ), nun, so gibt es durchaus Möglichkeiten, diesem als akzessorischem Vorzug Geltung zu verleihen (vgl. den Kommentar zu Kap. 9: ÜOsoi d¢ o‡ontai kal«w diaire›n §w dÊo tØn flstor€an, efiw tÚ terpnÚn ka‹ xrÆsimon ktl): Àsper ka‹ kãllow éylhtª. Unter diesen kãllh versteht der Autor in erster Linie anspruchsvolle sprachliche Gestaltung (mit der isokrateischen Kunstprosa, wie Avenarius 1956, 27–28 gemäß seiner generellen Tendenz, deren Wirksamkeit für die historiographische Methodologie herauszustreichen, meint, hat dies allerdings nichts zu tun), die eine Sache der dÊnamiw •rmhneutikÆ (Kap. 34) ist und für die im dritten und didaktischen Teil der Schrift Anweisungen erteilt werden (zur fvnÆ Kap. 43–44, zum Aufsetzen des kãllow als dem letzten Arbeitsschritt des Historikers vgl. Kap. 48, zur relativen Freiheit bei der Gestaltung der Reden Kap. 58). Andernorts (Herod. 1) wird unter den zahlreichen Vorzügen der herodoteischen Darstellung das kãllow t«n lÒgvn hervorgehoben. Der homerische Odysseus (Il. III bes. 216–223) ist charakterisiert durch den Gegensatz von äußerem Auftreten und t«n lÒgvn tÚ kãllow (Dom. 17). Zu dem Gebrauch des Plurals kãllh vgl. Ind. 26 (... o‰sya pãsaw d¢ lÒgvn t°xnaw ka‹ kãllh aÈt«n). tå mhd¢n prosÆkonta §peiskukloËsin: Mit dem Verbum §peiskukle›n setzt Lukian zu Ende des ersten Schriftteils das anfangs begonnene Verfahren fort, bühnentechnische termini technici in metaphorischer Bedeutung zu verwenden (vgl. bes. den Kommentar zu Kap. 4: …w mØ mÒnow êfvnow e‡hn ... mhdÉ Àsper kvmikÚn dorufÒrhma kexhn∆w sivpª parafero€mhn). In der übertragenen Bedeutung von introduce bzw. display (so Kokolakis 1961, 10) findet sich dieses Verbum (mit den Variationen efiskukle›n und pareiskukle›n) bereits bei Aristophanes (V. 1474–75: êporã gÉ ≤m›n prãgmata / da€mvn tiw efiskekÊklhken efiw tØn ofik€an), bei dem sonst nicht bekannten Komiker Athenion (PCG IV 16, Fr. 1, V. 32 = Ath. XIV 661 b: fixyÁn pareisekÊklhken), bei Athenaios (in sehr ähnlichem Kontext VI 270 e) und bei Sextus Empiricus (P. II 210), und schließlich mit literarkritischer Konnotation bei Ps. Longinos (22, 4 ... êllÉ §pÉ êlloiw ... §peiskukl«n efiw fÒbon §mbal∆n tÚn ékroatØn [über Thukydides], vgl. 11, 1). Die anderen Belege bei Lukian (Lex. 8 [kommt dieser Stelle in der Bedeutung am nächsten, nur daß das Objekt Personen sind, so beobachtet von Weissenberger 1996, 228], Deor. Conc. 9 und Philops. 29) sind untersucht von Kokolakis 1961, 9–10. Der Parameter des pros∞kon erscheint in dieser Schrift mit Bezug auf Stoffökonomie (kritisch Kap. 28: §w cuxrån ka‹ oÈd¢n ≤m›n prosÆkousan diÆghsin) und den kairÒw für den Einsatz von Lob (so Kap. 9).

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Kapitel 14 Hier beginnt der zweite, bis Kapitel 32 reichende Teil der Schrift, in dem Lukian den Autor bzw. das Autor-Ich einzelne Verfasser von aktueller Partherkriegsgeschichte sich vornehmen läßt, um so die sprachlichen, formalen, sachlichen und konzeptionellen Mängel jeglicher Art in deren Darstellungen aufzudecken. Abschließend (Kap. 32) betont der Autor zwar, es sei nicht seine Absicht gewesen, diese Geschichtswerke der Lächerlichkeit preiszugeben, doch verrät gerade diese demonstrative Geste, daß es sich um Spott gehandelt hatte, wenn auch freilich mit dem erklärten Ziel der Belehrung (zu diesem Konzept von Nutzen durch Spott vgl. die Einleitung, Teil I 2. 5). Kapitel 14 beginnt mit einer angesichts der nun sogleich in den Kapiteln 14–32 folgenden Unfaßbarkeiten verständlichen Versicherung des Autor-Ichs, daß es über Lesungen von Geschichtswerken in Ionien und Achaia (darunter fallen die beiden in Kap. 17 und 29 auffallend aggressiv verspotteten korinthischen Historiker) berichten werde, bei denen es persönlich zugegen gewesen sei, und die ihm den Ausgangspunkt und Anlaß für seine Kritik böten. In den letzten Jahrzehnten herrscht innerhalb der Forschung ein einheitlicher Trend vor, die Authentizität der kritisierten Autoren allzu stark in Frage zu stellen, und dieser als unbefriedigend empfundene Umstand hat mich dazu veranlaßt, in der Einleitung (Teil I 4. 1) die weitgehende, wenn auch gewiß nicht ausschließliche Realität all dieser Historiker und Werke, zumindest derer, die hier eine individuellere Charakteristik erfahren, durch eine auf etwas breiterer Basis geführte Untersuchung wieder wahrscheinlicher erscheinen zu lassen. Soferne es also sachlich begründet erscheint, Kapitel 14 eine biographische Information zu entnehmen (dies wurde in früherer Forschung nicht bezweifelt, so u. a. Helm 1906, 112), so müßte der hier vorauszusetzende Ortswechsel Lukians aus Kleinasien in das mutterländische Griechenland etwa im Zeitraum von 164–165 n. Chr. erfolgt sein (die Schriften De saltatione und Imagines sowie Pro imaginibus waren zuvor, im Zeitraum von 163–164 n. Chr., im syrischen Antiocheia verfaßt worden). Alles hängt freilich von der Einschätzung des biographischen Aussagewertes dieser einen vorliegenden Stelle ab, da eine weitere Quelle, die sich zu einem Vergleich und zur Ergänzung heranziehen ließe, nicht vorliegt. Jedenfalls ist das erste danach wieder glaubhaft bezeugte Datum das Jahr 165 n. Chr., in dem Lukian bei der Selbstverbrennung des Peregrinos Proteus in Olympia persönlich zugegen war. Die zeitliche Obergrenze für die Teilhabe Lukians bei Lesungen von Geschichtswerken der hier bezeichneten Art ist natürlich markiert durch die Abfassung der Methodenschrift. Das wahrscheinlichste Datum dafür sind die Monate vor Oktober 166 n. Chr. (vgl. dazu die Diskussion in der Einleitung, Teil I 1. 3). Der erste unter den zu besprechenden Autoren (eÂw m°n tiw aÈt«n) ist ein Anonymus, von dessen Person lediglich die Herkunft aus Milet preisgegeben wird, und auch dies – freilich nur scheinbar – bloß deshalb, weil er sein Proömium zu einem Lob seiner Heimat Milet genutzt hatte, unter Vernachlässigung des fundamentalen Prinzips, demzufolge ein Historiker sich von Patriotismus freizuhalten habe (Kap. 38–41. bes. 41). Lukian hält den Namen des Anonymus, wie es scheint, mit voller Absicht zurück. Die Arbeit der Identifizierung des Mannes aus Milet wollte er wohl lieber seinen Lesern überlassen. Jedenfalls konnte er darauf rechnen, daß dieser wegen der vielen Details, die sein Text enthält, von einem informierten Zeitgenossen ohne große Mühe erkannt werden konnte. Im übrigen war die ionische Stadt Milet in der Zeit der Zweiten Sophistik (ebenso wie Ephesos und Smyrna auch) nachweislich eines der Zentren sophistischer Vortragspraxis, und auch dieser Umstand mochte es ganz leicht ermöglichen, die Identität des, wie es scheint, bekannten Mannes zu dechiffrieren. Das Geschichtswerk selbst des Milesiers wird unter mehreren Gesichtspunkten einer vernichtenden Kritik unterzogen.

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Der Hauptvorwurf besteht darin, daß er – unter Verletzung des in Kapitel 8 dargestellten Prinzips (klare Trennung der Gattungen flstor€a und poihtikÆ voneinander) – die beiden ihrem Wesen nach gänzlich inkompatiblen literarischen Gattungen Geschichtsschreibung und Dichtung miteinander vermischt habe, und zwar durch Einleitung des Proömiums mit einem in diesem Kontext (an einem Autor wie Mesomedes ist, wie auch Lukian konzedieren müßte, ein solches Verfahren nicht zu tadeln) unpassenden Musenanruf, bald danach durch einen plakativen Vergleich des Lucius Verus mit Achill und des Vologaeses III. mit Thersites sowie durch die innerhalb des prosaischen Fließtextes ganz deplaziert sich ausnehmende Adaption eines Homerverses (Il. XXII 158). So unglaublich sich dermaßen grobe Verstöße gegen die anerkannten Prinzipien literarischer Gestaltung und gegen den guten Geschmack gleichermaßen für heutige Rezipienten auch ausnehmen mögen, so ist doch zumindest in einem Fall ein direkter Vergleich mit dem Werk eines gleichfalls denselben Partherkrieg beschreibenden römischen Zeitgenossen möglich, hatte doch Fronto seine Principia historiae (Kap. 1) mit einem noch drastischeren Vergleich des Lucius Verus mit Achill beginnen lassen, und zwar des Sinns, daß ersterer gar noch über Achill zu stellen wäre (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 1. 4). Damit liegt unser Anonymus innerhalb der Bandbreite dessen, was von dem römischen Zeitgeschmack gerade noch gebilligt werden konnte, und es ist daher davor zu warnen, Lukians Darstellung global zu mißtrauen. Der Text Frontos ist allerdings zu verderbt, um ersehen zu können, ob dieser auch in diesem Zusammenhang einen Vergleich des Vologaeses mit Thersites anstellte. Lukians Kritik macht sich wesentlich daran fest, daß der Vergleich von einem Mangel des Verfassers an Logik zeugt, wachse doch die Leistung eines Feldherrn in Wirklichkeit immer erst proportional zur Bedeutung des bezwungenen Gegners. Dieselbe Unlogik verrät auch das Iliaszitat (XXII 158: Achill verfolgt Hektor), weist doch der Kontext bei Homer hier keinen Geringeren als Hektor als den Fliehenden aus, und Hektor läßt sich doch wohl kaum mit Thersites vergleichen. Der zweite Kritikpunkt besteht im Selbstlob des Autors, einer Eitelkeit, die in diesem Teil der Schrift mehrfach thematisiert ist (Kap. 16, 17 und 29). Die Kritik an Homers Nichtnennung der Heimat verrät wiederum die hoffnungslose Indolenz des Verfassers, der sich nicht dessen bewußt ist, daß gerade das Zurücktreten hinter dem Werk zum Wesen dieser Art von Dichtung gehört und mit dieser untrennbar verbunden ist. Auch das Lob der Heimatstadt Milet, deren Status wesentlich an die Mitgliedschaft in dem von Kaiser Hadrian begründeten Panhellenion (Willers 1990 und Jones 1996, bes. 29–47) gebunden war, mitsamt dem sich darin manifestierenden Patriotismus des Autors erscheint als dem Thema Eitelkeit in weiterem Sinne untergeordnet. Die aus der Rhetorik der Zweiten Sophistik bekannte Praxis von Städtelob fand v. a. in der Patrialiteratur (illustrativ dazu die Arbeiten von Strubbe 1984, Weiss 1984, 1995 und 2004 sowie Scheer 1993) eine Plattform (es ging darum, das Prestige von Städten durch – oft gewagte – mythische Konstruktionen in Konkurrenz zu anderen Städten zu stärken, vgl. dazu Robert 1980, 412 f. und Robert 1987, 82–90, Bekanntes referierend Schmitz 1997, 181–193). Mit Geschichtsschreibung seien derlei patriotische Bestrebungen, so lautet im Klartext die Aussage der Stelle, gänzlich unvereinbar. Der dritte Kritikpunkt bringt die im Vergleich des Lucius Verus mit Achill bereits implizit angelegte Schwarzweißmalerei (vgl. Kap. 7 mit einer kompromißlosen Unterscheidung der Gattungen flstor€a und §gk≈mion) zur vollen Evidenz, habe der Anonymus doch bereits im Proömium mittels plakativer prorömischer Tendenz (der Vorwurf der Schmeichelei erscheint innerhalb dieses Schriftteils explizit einzig in Kap. 17) versprochen, an der Niederzwingung der Barbaren nach Kräften mitzuwirken. Aus den Worten des Milesiers sprechen also die alten Vorurteile von Griechen gegen Barbaren, denen sich selbst ein aufgeklärter Mann von dem Format Plutarchs nicht wesentlich entziehen konnte (vgl. dazu die illustrative Untersuchung von Nikolaidis 1986), doch was hier an undifferenzierter

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Schwarzweißmalerei geboten wird, das fordert zu elementarer Kritik auf. Das abschließende wörtliche Zitat verdeutlicht, daß die herodoteische Aitiologie des Krieges (Herodot hatte gleich im ersten Satz seines Werkes die afit€h für den Krieg angegeben) von dem Mann aus Milet zu einer an Äußerungen innerhalb der griechischen Komödie erinnernden Aischrologie umfunktioniert worden war. Letztere Erklärung ist dem Eingangspassus zum Berichtsteil, d. h. der diÆghsiw bzw. dem Übergang vom Proömium zur diÆghsiw, d. h. der metãbasiw (dazu Kap: 55: ≤ §p‹ tØn diÆghsin metãbasiw), entnommen, soferne dermaßen präzise Unterscheidung bei einem Schriftsteller wie diesem überhaupt sinnvoll erscheint. Voranstehende Kritikpunkte hatten sich zur Gänze auf das Proömium selbst bezogen. Auch in den folgenden Kapiteln (Kap. 15–18) macht sich die Kritik an diversen Mängeln in der Proömiumsgestaltung, für deren richtige Behandlung die Kap. 52–54 die verbindliche Norm angeben, fest. In formaler Hinsicht gebraucht Lukian hier zum einen das Mittel des direkten Zitats (anders als sonst zumeist in diesem Teil der Schrift sprechen die Zitate alleine für sich schon eine deutliche Sprache, sie benötigen daher weder eine besondere einleitende Wertung noch auch einen abschließenden Kommentar vonseiten des Autors), zum anderen bezieht er durch die Ansprache des Autors an das Du (fragendes ıròw in diesem Schritteil auch in Kap. 18, vgl. Kap. 9 und 62) den Adressaten der Schrift Philon in den kritischen Diskurs mit ein, indem er diesen am Erkenntnisprozeß unmittelbar teilhaben läßt. Auch bedient Lukian sich wirksam des Stilmittels der Ironie, um die Inadäquatheit von Geschichtsschreibung und Dichtung entsprechend zum Ausdruck zu bringen (ıròw …w §mmelØw ≤ érxØ ka‹ per‹ pÒda tª flstor€& ...;). Das Ich tritt lediglich in der Einleitung in Erscheinung, wo es die Funktion erfüllt, nachdrücklich zu bekräftigen, daß der nun folgende Bericht durchgehend auf selbst Gehörtem beruhe. Und in diesem Zusammenhang wendet der Autor sich das einzige Mal mit direktem Appell an seine Leserschaft, mit einem Idiom (prÚw Xar€tvn + Verbot an die 3. Person), das er auch sonst in ähnlicher Form (bes. Alex. 4, vgl. Scyth. 9, Bacch. 5 mit einem Verbot an die 2. Person) zur Absicherung gegen denkbare Einwände gebraucht; für eine adäquate Einschätzung dieser Aussageabsicht ist es wichtig, sich klarzumachen, daß an all diesen Stellen eine ironische Intention vom Kontext her ausgeschlossen ist (vgl. dazu im Detail die Einleitung, Teil I 4. 1). Der an sich ganz auf betonte Sachlichkeit hin angelegte Bericht von den Fehlleistungen des Anonymus zeigt jedoch einmal auch durch den pointierten Zusatz diarrÆdhn ka‹ saf«w zu Ípisxne›to eine subjektive Färbung. Begründet erscheint diese Leserlenkung durch den unerhört parteiischen Anspruch des Verfassers, der zunächst durch eine Paraphrase, dann auch durch ein direktes Zitat anschaulich in Erscheinung tritt.

ÉEg∆ dÉ oÔn ka‹ dihgÆsomai ıpÒsa m°mnhmai ¶nagxow §n ÉIvn€& suggraf°vn tin«n, ka‹ nØ D€a §n ÉAxa˝& pr–hn ékoÊsaw tÚn aÈtÚn toËton pÒlemon dihgoum°nvn. ka‹ prÚw Xar€tvn mhde‹w épistÆs˙ to›w lexyhsom°noiw: ˜ti går élhy∞ §stin kín §pvmosãmhn, efi éste›on ∑n ˜rkon §ntiy°nai suggrãmmati.

ÉEg∆ dÉ oÔn ka‹ dihgÆsomai ıpÒsa m°mnhmai ¶nagxow §n ÉIvn€& suggraf°vn tin«n, ka‹ nØ D€a §n ÉAxa˝& pr–hn ékoÊsaw: Lukian gebraucht das Adverb ¶nagxow bevorzugt in Einleitungen (ähnlich schon Sokrates bei Pl. Hp. Ma. 286 c in der Einleitung zu der Debatte über den Begriff tÚ kalÒn),

um der Interaktion seines Autor–Ichs mit seinen Rezipienten eine persönlichere Note zu verleihen (Zeux. 1: ÖEnagxow §g∆ m¢n Ím›n de€jaw tÚn lÒgon épπein o‡kade). In Verbindung mit einem Aoristpartizip oder auch einer finiten Verbalform von ırçn (hier dient das Partizip ékoÊsaw als Mittel

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zur Beglaubigung) kommt die Intention hinzu, einer Aussage den Charakter von Authentizität zu verleihen. So verfährt Lukian nicht nur, wenn er in dialogischen Darstellungsformen durch die Maske des Lykinos, seines literarischen alter ego, spricht (Im. 1: ÉAllÉ ∑ toioËtÒn ti ¶pasxon ofl tØn Gorg∆ fidÒntew oÂon §g∆ ¶nagxow ¶payon, Œ PolÊstrate, pagkãlhn tinå guna›ka fid≈n) oder wenn er einen Gesprächsteilnehmer sich in direkter Rede äußern läßt (Philops. 14: §g∆ goËn dihgÆsomai Ím›n ì e‰don gignÒmena [Sprecher Kleodemos]), sondern auch, wenn er selbst in der Form des Autor–Ichs berichtet (Hipp 4: ì d¢ ¶nagxow fid∆n aÈtoË [sc. toË ÑIpp€ou] t«n ¶rgvn kateplãghn, oÈk ÙknÆsv efipe›n [Einleitung zur Beschreibung der Badeanlage des Hippias]). Innerhalb von Dialogen sind dies gebräuchliche Formulierungen, wie die Belege bei Plutarch zeigen (mit Perfektpartizipien De sera numinis vindicta 18, 561 b: ¶xv m°n tina ka‹ lÒgon efipe›n ¶nagxow ékhko≈w und Quaestiones convivales VIII 4, 3, 724 a: ka€toi dok« moi mnhmoneÊein §n to›w ÉAttiko›w énegnvk∆w ¶nagxow, ˜ti ktl). Dem Wortlaut der Stelle am nächsten kommt, worauf schon Hermann 1828, 98 hingewiesen hat, eine Formulierung des xenophontischen Kyros in seiner Ansprache an Kyaxares (X. Cyr. II 4, 12: ÖEnagxow oÔn pot° sou m°mnhmai ékoÊsaw …w ktl). Das zu ¶nagxow Gesagte trifft auch auf pr–hn insoferne zu, als auch dieses innerhalb dialogischer Darstellungen wiederholt an herausgehobenen Stellen erscheint, in sokratischer Literatur, namentlich bei Platon (Smp. 172 a, Prt. 309 a, Prm. 135 d: ÉEnenÒhsa går ka‹ pr–hn sou ékoÊvn dialegom°nou §nyãde ÉAristot°lei t“de) und Xenophon (Smp. 4, 55: pr–hn §g≈ sou ≥kouon eÈxom°nou prÚw toÁw yeoÁw, Oec. 11, 4), und in dieser literarischen Tradition bei Lukian selbst (Herm 80: y°leiw dihgÆsomai ì pr–hn ≥kousa Íp¢r filosof€aw tinÚw l°gontow éndrÚw [Einleitung zur narrativen Einheit der Kap. 80–82], DDeor. 3, 2). Die Adverbien ¶nagxow, welches nur in attischer Prosa vorkommt, und pr–hn werden häufig zwar in Hinblick auf den Wortsinn geradezu in austauschbarer Weise gebraucht, sodaß in vielen Einzelfällen kaum ein präziser Bedeutungsunterschied festgestellt werden kann (“neuerdings” bzw. “neulich”), doch machen Verbindungen von xy°w und pr–hn (bei Lukian Ind. 14, Herm 30, Salt. 7, Abd. 32) bewußt, daß pr–hn bei einem prägnanten Gebrauch (so z. B. Pl. Prt. 310 b) “vorgestern” bedeutet (lat. nudius tertius), was bei Lukian nicht immer wörtlich zu nehmen ist (eine besonders weite zeitliche Erstreckung von xy°w und pr–hn in Salt. 7). Hier jedoch steht das durch die Beteuerungsformel nØ D€a verstärkte pr–hn der aktuellen Gegenwart Lukians, wie es scheint, näher als das zeitlich weniger klar bestimmte ¶nagxow (vgl. die Übersetzungen von Homeyer 1965, 113 mit dem Kommentar 202 und Macleod 1991, 211). Nimmt man die Aussage des Autor-Ichs ernst, so war Lukian zunächst bei Lesungen in Ionien zugegen (zeitlich sehr weitgespannte Belege zu öffentlichen Lesungen von Geschichtswerken bei Momigliano 1998 a, 4–9), sodann, nach seiner Überfahrt bzw. Übersiedlung nach Griechenland, auch in Achaia (zu der seit 146 v. Chr. bestehenden, 27 v. Chr. aus dem administrativen Verband mit Makedonien herausgelösten und zum selbständigen Verwaltungsbezirk gewordenen römischen Provinz Achaia detailliert Brandis 1894, bes. 190–193, neuere Literatur bei Olshausen 1996), namentlich in Korinth (Kap. 17 und 29). Das fügt sich zu den wenigen biographischen Daten, die aus dieser Zeit bekannt sind (dazu Nesselrath in: FILOCEUDEIS H APISTVN 2001, bes. 13–14). In den Jahren 163 und 164 n. Chr. finden wir Lukian im syrischen Antiocheia, wo er zumindest De saltatione und das Schriftenpaar Imagines und Pro imaginibus verfaßte. Das nächste gesicherte Datum ist erst wieder das Jahr 165 n. Chr., in dem Lukian als Augenzeuge der Selbstverbrennung des Peregrinos beiwohnte. Die Abfassung dieser Schrift läßt sich sicher auf die Zeit nach 165 n. Chr. (so vorsichtig Schmid 1891, 317), in das Jahr 166 n. Chr. (überzeugende Argumente liefert A. Stein 1924, 264–265), und noch präziser auf den Anfang oder eher noch auf Mitte 166 n. Chr. datieren. So argumentiert plausibel Jones 1986, 60 (so zuletzt auch Marincola 2009, 14) gegenüber Homeyers 1965, 11–12

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nicht überzeugendem Ansatz in die Jahre 166–168 n. Chr. (vgl. dazu Einleitung, Teil I 1. 3 mit der Datierung in die Monate vor Oktober 166 n. Chr.). Der Ortswechsel in das griechische Mutterland fand demnach zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt in der Zeitspanne von 164 bis 165 n. Chr. statt, wofür vorliegende Stelle der einzige Hinweis ist. Zu der für die erste Hälfte der 160er Jahre verhältnismäßig gut erschließbaren Biographie Lukians vgl. auch Jones 1972, 484–486 und die Einleitung, Teil I 1. 1. Vielleicht läßt sich ein weiterer Kontext herstellen: Die Nennung Achaias und Ioniens mag nämlich noch eine andere Assoziation wachrufen; hatten doch die Einwohner von Patras, der (nach Vergrößerung unter Augustus) neben Athen und Korinth bedeutendsten Stadt Griechenlands, für den Pergamener A. Claudius Charax in dessen Heimatstadt eine Statue errichten lassen, auf deren Basis eine dessen cursus honorum beinhaltende Ehreninschrift für den verdienten Historiker (tÚn suggraf°a) angebracht war. Die Inschrift (terminus post quem für die Anbringung 147 n. Chr., das Konsulatsjahr des Geehrten) wurde 1957 entdeckt und von Habicht 1959/60 mit hilfreichen Erläuterungen ediert. Charax kann als repräsentativ gelten für all diejenigen Historiker (im weitesten Sinn des Wortes), die es im 2. Jh. n. Chr. gegeben hat und deren Zahl, nach Lukians Darstellung, mit den Partherkriegen sprunghaft angestiegen ist. Schließlich ist noch ein weiterer, gewiß nicht minder bedeutsamer Umstand zu beachten: der konkrete Hinweis auf Lesungen in Ionien läßt möglicherweise auch einen Zusammenhang zu sophistischer Vortragspraxis erkennen, sind doch die ionischen Städte Ephesos und Smyrna gleich neben Athen und Rom die bestbezeugten Zentren für öffentliche Auftritte sophistischer Redner. tÚn aÈtÚn toËton pÒlemon: Zur Chronologie des unter Leitung des Lucius Verus in den Jahren von

161–166 n. geführten Partherkrieges vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2. ka‹ prÚw Xar€tvn mhde‹w épistÆs˙ to›w lexyhsom°noiw: Das Idiom prÚw Xar€tvn, welches

ansonsten bevorzugt eine überraschte Frage einleitet (Icar. 1, so bereits Pl. Tht. 152 c), verwendet einzig Lukian, wie es scheint, regelmäßig zur vorsorglichen Absicherung gegen mögliche Einwände (Bacch. 5: ka‹ prÚw Xar€tvn mÆ me korubantiçn µ tel°vw meyÊein Ípolãbhte, vgl. Alex. 4 und Scyth. 9). Das Verbot an die dritte Person (Schmidt 1999, 94, Anm. 5 hält in einer Cassius Dio allzu stark abwertenden Darstellung diesem formelhafte Beteuerungen vom Typus ka‹ mhde‹w épistÆs˙ vor, und zwar mit unpassendem Verweis auf diese Lukianstelle) ist hier nicht durch den Imperativ ausgedrückt (so Tox. 50: ékousãtv d¢ mhde€w und mhde‹w d¢ par°stv, vgl. Sat. 13 und 15), da die Aufforderung keinen formellen Charakter hat. Für ein adäquates Verständnis des skommatisch–lehrhaften Teils dieser Schrift (Kap. 14–32) erscheint es nicht unwichtig, sich gegenüber Anderson 1976a 59 prinzipiell klar zu machen, daß die Ankündigung des Autor–Ichs, über reale Gegebenheiten berichten zu werden, zumindest partiell beim Wort zu nehmen ist (so zutreffend Riemschneider 1971, bes. 402 in einer ansonsten oberflächlichen Arbeit). In der Einleitung, Teil I 4. 1 ist das Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität für dieses konkrete Objekt behandelt. kín §pvmosãmhn, efi éste›on ∑n ˜rkon §ntiy°nai suggrãmmati: In Kapitel 25 wird in diesem Sinne

ein Anonymus kritisiert, der seinen ganz unglaubwürdigen Bericht über den Tod des Severianus mit einem Schwur bekräftigen zu müssen vermeint habe (§pomosãmenow ∑ mØn ékoËsa€ tinow [zu dieser Schwurformel Tox. 11: l°ge … §pomosãmenow ∑ mØn élhy∞ §re›n]). Andernorts (Philops. 5), ohne Zusammenhang mit Geschichtsschreibung, ist Eukrates, der auf die meisten seiner mündlich vorgetragenen Lügenberichte einen Schwur geleistet habe, Zielscheibe ausgiebigen Spottes. Bei einer Gelegenheit setzt sich der Autor Lukian selbst mit Raffinesse über dieses Prinzip hinweg, nämlich bei seiner Werbung um die Gunst zweier hoher Gönner in Makedonien (Vater und Sohn), denen er huldigt, indem er berichtet, was alles an Positivem er über sie gehört habe, um schließlich

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hinzuzufügen, die Wahrheit habe diese Gerüchte sogar noch übertroffen: taËta nØ tÚn D€a pãntew ¶legon (efi xrØ ka‹ ˜rkon §pãgein t“ lÒgƒ), ka€ moi ≥dh peirvm°nƒ tÚ pollostÚn t«n prosÒntvn efirhk°nai ¶dojan (Scyth. 11). Die Qualität des éste›on (die namentlich Demonax charakterisierende Eigenschaft, Demon. 12 und 50), welche Lukian nach dem Usus rhetorischer Theoretiker auch auf Literatur (VH I 2: tÚ éste›on steht tÚ xar€en nahe) und Kunstäußerung überhaupt (Salt. 83: als ofl ésteiÒteroi sind die kunstverständigen Beurteiler von Tanzaufführungen bezeichnet) bezieht, dient in dieser Schrift als einer der Parameter, um die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu demaskieren (so Kap. 32: ironisch über den albernen Buchtitel des Demetrios von Sagalassos: ésteiÒteron parå polÊ).

eÂw m°n tiw aÈt«n épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato parakal«n tåw yeåw sunefãcasyai toË suggrãmmatow. ıròw …w §mmelØw ≤ érxØ ka‹ per‹ pÒda tª flstor€& ka‹ t“ toioÊtƒ e‡dei t«n lÒgvn pr°pousa; e‰ta mikrÚn Ípobåw ÉAxille› m¢n tÚn ≤m°teron êrxonta e‡kaze, Yers€t˙ d¢ tÚn t«n Pers«n basil°a, oÈk efid∆w ˜ti ı ÉAxilleÁw éme€nvn ∑n aÈt“, efi ÜEktora mçllon µ Yers€thn kayπrei, ka‹ efi prÒsye m¢n ¶feugen §sylÒw tiw, „§d€vke d° min m°gÉ éme€nvn”.

eÂw m°n tiw aÈt«n épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato parakal«n tåw yeåw sunefãcasyai toË suggrãmmatow: Gleich das erste Beispiel aus dem Proömium eines namentlich nicht genannten

Autors (lediglich seine Herkunft aus Milet wird weiter unten verraten) offenbart eklatante Unkenntnis der jeweils spezifischen Gattungsgesetze von Geschichtsschreibung (flstor€a) und Dichtung (poihtikÆ), wie sie in Kapitel 8 bereits dargelegt worden waren. Zu vergleichen ist das Proömium des Kallimorphos (Kap. 16: ÉApÒllvn d¢ Moushg°thw ka‹ pãshw paide€aw êrxvn). Unpassend jedoch ist der von Häussler 1973, 126 mit Anm. 41 und Häussler 1976, 85–86 sowie nach ihm von Schmidt 1999, 99–100 vorgenommene Vergleich mit Cassius Dio (LXXII = LXXIII 23, 2–4), der lediglich aus der Retrospektive die Instanzen tÚ daimÒnion (als zur Abfassung des Werkes motivierend) und TÊxh (als den Arbeitsvorgang dauerhaft bestärkend) nennt. Eher eignen sich daher prosaische Musenanrufe in griechischer Rhetorik (so später korrigierend Häussler 1978, 40, Anm. 54) als passendes Vergleichsobjekt. In diesem Zusammenhang mag auch von Relevanz sein, daß die Musen für die Redner der Zweiten Sophistik besondere Bedeutung haben, denn Philostratos (VS II 26, 613 C, vgl. dazu auch II 10, 590 C mit Fein 1994, 51) bezeichnet diese nicht bloß metaphorisch als die Göttinnen der Sophisten (SmÊrnan ... yÊousan mãlista dØ pÒlevn ta›w t«n sofist«n MoÊsaiw). Lukians Kritik entzündet sich wesentlich an dem Umstand, daß der Anonymus ausgerechnet ein Geschichtswerk unter Verstoß gegen die in diesem Medium gebräuchliche Proömiumspraxis (Kap. 52–54, vgl. dazu Earl 1972, 842–44) mit poetischem Musenanruf begonnen habe. Bei einem Autor von der Statur eines Mesomedes (in neuerer Zeit hat Mesomedes’ Dichtung als von zünftigen sophistischen Prosatexten nicht wesentlich zu unterscheidende „subelitäre“ poetische Äußerung Beachtung gefunden, Whitmarsh 2004, bes. 392–393), der seine Gedichte mit einem artifiziellen Musenanruf eingeleitet hatte (Text: Heitsch 25), ist dieses Verfahren nicht zu beanstanden. Das Verbum parakale›n (vgl. das Gebet bei Ar. Ra. 396–398: êgÉ e‰a / nËn ka‹ tÚn …ra›on yeÚn [sc. tÚn ÖIakxon] parakale›te deËro / ”da›si, tÚn jun°mporon t∞sde t∞w xore€aw) bezeichnet die Anrufung eines Gottes um Beistand (Pl. Lg. II 666 b, XI 917 b und 931 c, X. HG II 4, 17, Plu Them. 15, 1: Afiak€daw … parakeklhm°nouw eÈxa›w prÚ t∞w mãxhw §p‹ tØn boÆyeian). Lukian verwendet parakale›n in diesem konventionellen Sinn (Prom. 13: Prometheus bittet bei der Formung der Menschen Athene um Unterstützung), darüberhinaus aber auch, was im vorliegenden Fall von

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Interesse ist, im Zusammenhang mit poetischem Musenanruf (Sacr. 5 über Epiker: parakal°santew tåw MoÊsaw sunƒdoÁw §n érxª t«n §p«n, ÍfÉ œn dØ ¶nyeoi genÒmenoi [zur Formulierung vgl. Hist. Conscr. 8: ¶nyeow går ka‹ kãtoxow §k Mous«n] … õdousin …w ktl), zu dem bei ihm in den Verae historiae (II 24) eine Parodie vorliegt (zu Parodien epischer Musenanrufe in griechischer Literatur Kleinknecht 1967, 113–114); vgl. auch andernorts (Dom. 4) die respektlose “Interpretation” des Musenanrufs durch Sokrates im platonischen Phaidros (237 c). Auch das Verbum sunefãptesyai bezeichnet in den pseudolukianischen Amores 6 ein göttliches Mitwirken (D€a j°nion ·lev sunefãcasyai t∞w épodÆmou strate€aw §pikalesãmenow); gegenüber dem von Lukian verwendeten sunepilambãnesyai (Prom. 13 und mit ironischer Note Dom. 4) akzentuiert es jedoch stärker die sachte waltende Hand der Gottheit, was wiederum bewußt einen grellen Kontrast zur prosaischen Bezeichnung des Werkes als sÊggramma (der Plural suggrãmmata fungiert als terminus technicus für die Geschichtsschreibung in Kap. 16, 17 und 39, so auch mit Bezug auf das Werk des Herodot in Herod. 1 und dasjenige des Thukydides in Nav. 3) erzeugt und solcherart die feinere Nuancen nicht wahrnehmende Geschmacklosigkeit des hier kritisierten Autors kräftig unterstreicht. Dem Adverb eÈyÊw kommt auf intertextueller Ebene die Funktion zu, eine Assoziation wachzurufen zum bekannten Wortlaut, mit dem Thukydides sein Werk beginnen läßt (Th. I 1, 1: érjãmenow eÈyÁw kayistam°nou [sc. toË pol°mou]). Als andere Verstöße gegen die Gesetze richtiger Proömiumsgestaltung sind gleichermaßen unpassende wie selbstgefällige Begründungen für die eigene Sachkompetenz genannt (Kap. 16 und 17), desgleichen auch verstiegene Syllogismen (Kap. 17) und im Verhältnis zum Ganzen überdimensionale Länge (Kap. 23). Abschließend ist mit Baldwin 1973 a, 82 der Versuch zu unternehmen, diesen Anonymus, soweit die schmale Quellenlage es erlaubt, literarhistorisch einzuordnen. Seine Heimat Milet hatte bereits einen von Philostratos in seine Sophistenbiographien aufgenommenen prominenten Redner hervorgebracht, nämlich Dionysios (den Hörer des Isaios, so Philostr. VS I 20, 512–514), der durch Kaiser Hadrian sozial und politisch ausgezeichnet wurde (sein Profil zeichnet Philostr. VS I 22, 521–526). Milet war demnach eines der Zentren sophistischer Rhetorik, und es ist daher gut möglich, daß der hier kritisierte und nicht näher bestimmbare Historiker mit den publikumsorientierten Ambitionen eines modernen epideiktischen Redners, aber ohne jegliche historiographische Expertise an seinen Darstellungsgegenstand heranging. In diesem Sinn könnte Baldwins Klassifizierung als sophist–historian zutreffen. Möglicherweise ist bereits die Nennung Milets für Lukians Leser als deutlicher Fingerzeig zu verstehen, um die den Zeitgenossen durchaus bekannte Identität des namentlich nicht explizit genannten Autors aufzuschlüsseln. Es ist anzunehmen, daß genau dies Lukians Intention war. Die große Zahl an Details, welche sein Text vermittelt, läßt dieses Ziel als durchaus wahrscheinlich erscheinen. ıròw …w §mmelØw ≤ érxØ ka‹ per‹ pÒda tª flstor€& ka‹ t“ toioÊtƒ e‡dei t«n lÒgvn pr°pousa; Das Adjektiv §mmelÆw ist primär auf den Bereich der Musik bezogen (zu solchen Anleihen bei musikalischer Fachsprache vgl. Kap. 7: d‹w diå pas«n); es bezeichnet die harmonische Art des Flötenspiels (Harm. 1) sowie wohlgesetzte Tanzbewegung (Salt. 25: kinÆsei §mmele›, Apol. 5: Ùrxe›syai kosm€vw ka‹ §mmel«w, Salt. 26: die tragische Tanzweise heißt §mm°leia). Von hier aus überträgt es Lukian auf den Bereich der Ethik (Demon. bes. 9: von einer in den Menschen tå m°tria

hervorrufenden Gesprächsführung) und sogar auf literarisches Gebiet (VH I 2: der Autor Lukian möchte seine Verae historiae erklärtermaßen als eine §mmelØw énãpausiw verstanden wissen). Ist demnach mit §mmelÆw ein harmonischer Einklang gemeint, so bedeutet das außerhalb Lukians ganz selten belegte Idiom per‹ pÒda + Dativ (Ind. 11, Pseudol. 23) den exakt (Apol. 4) passenden Schuh. Das weist auf Ursprung aus der Sphäre der Komödie hin, worauf auch ein Vers des Komikers Platon

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(PCG VII Fr. 221) hindeutet: …w ¶sti moi tÚ xr∞ma toËto per‹ pÒda. Eine der Eigenschaften des êgroikow ist in Theophrasts xarakt∞rew (Char. 4, 2), von denen Lukian zumindest teilweise Kenntnis zu haben scheint (dies zeigt Macleod 1974), daß er zu große Schuhe trägt (Belege bei Diggle 20052, 209). Der Parameter des pr°pon (in Apol. 5 stehen §mmel«w und tÚ pr°pon in unmittelbarer Nähe zueinander) rundet den Gedanken ab, indem er zu konventioneller literarkritischer Terminologie (Belege bei Ernesti 284–285) wieder zurückführt. e‰ta mikrÚn Ípobåw: Mit dieser und ähnlichen Formeln pflegen Autoren nach kurzer Unterbrechung

ein zumeist direktes Zitat fortzuführen, so besonders Strabon (VI 2, 4 = C 271; VIII 3, 28 = C 352; VIII 5, 6 = C 366: ka‹ Ípobãw, VII 3, 4 = C 297: ka‹ Ípobåw mikrÚn), jeweils einmal Diogenes Laertios (VIII 52: e‰yÉ Ípobãw), Athenaios (XV 28, 681 e [kein direktes Zitat]: e‰yÉ Ípobãw) und schließlich auch Lukian selbst (Par. 47: ka‹ pãlin Ípobãw). ÉAxille› m¢n tÚn ≤m°teron êrxonta e‡kaze, Yers€t˙ d¢ tÚn t«n Pers«n basil°a, oÈk efid∆w ˜ti ı ÉAxilleÁw éme€nvn ∑n aÈt“, efi ÜEktora mçllon µ Yers€thn kayπrei: Dieser Autor, der Lucius

Verus mit Achill und Vologaeses mit Thersites, einem in der Rhetorik beliebten Objekt für Tadel (so Quint. Inst. III 7, 19, von Lukian herangezogen in Ind. 7, die Thersitae laudes gehören daher zu den êdojoi Ípoy°seiw, so Gel. XVII 12, 2 über einen derartigen Versuch des Favorinus), verglichen habe, bedient sich eines bereits im ersten Teil der Schrift kritisierten enkomiastischen Verfahrens (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 7: toÁw m¢n ofike€ouw §w Ïcow a‡rontew, toÁw polem€ouw d¢ p°ra toË metr€ou katarr€ptontew). Ihm ließe sich mit den Worten des Flavius Josephus (BJ I 3, 8) entgegenhalten: oÈx ır« d°, p«w ín e‰nai megãloi doko›en ofl mikroÁw nenikhkÒtew. Daß nun Lukian als dem Verfasser dieser Schrift nicht ungebührliche Übertreibung unterstellt werden darf, zeigt der fragmentarische Beginn von Frontos Principia historiae (Kap. 1) aus dem Jahr 165 n. Chr. (Cova 1970, 59–61 argumentiert in dem Sinne, daß es sich bei Frontos Principia um eine Art von recusatio des Ansinnens, den Partherkrig zu beschreiben, handeln dürfte, doch plausibler Champlin 1980, 158 und Steinmetz 1982, 153), welche Lucius Verus sogar noch über Achill zu stellen scheinen: … tantas res a te gestas, quantas Achilles gessisse cuperet et Homerus scripsisse, Text: Haines II 198, abweichend van den Hout 202, Z. 1-2 . Baldwin 1973 a, 33–34 erwägt die Möglichkeit, daß Fronto das direkte Angriffsobjekt Lukians sei, doch dies erscheint als ebenso unwahrscheinlich wie Baldwins Vermutung, Fronto sei möglicherweise Lukians Konkurrent um die Gunst des Kaisers gewesen (loc. cit. 23). Zum Selbstverständnis Lukians als eines Römers (tÚn ≤m°teron êrxonta) vgl. den Kommentar zu Kap. 5: oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw [sc. poleme›n], èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn, vgl. dazu auch die Einleitung, Teil I 1. 2 und Swain 1998, 313. ka‹ efi prÒsye m¢n ¶feugen §sylÒw tiw, „§d€vke d° min m°gÉ éme€nvn”: Dieser in leichter Variation

wiedergegebene Vers, der dem Wettlauf um das Leben Hektors entnommen ist (Hom. Il. XXII 158), lautet in der Vorlage so: prÒsye m¢n §sylÚw ¶feuge, d€vke d° min m°gÉ éme€nvn. Der Umstand, daß der Anonymus (als weniger wahrscheinlich erscheint die Annahme, es sei Lukian selbst, der das Zitat in Eigenregie hier einflicht) ausgerechnet diesen Vers verwendet, zeigt nicht nur inadäquate Vermengung zweier inkompatibler literarischer Genera, sondern deckt darüberhinaus auch inhaltliche Inkonsequenz auf, denn bei Homer ist es ja kein geringerer als Hektor, der in diesem besonderen Moment Achill unterlegen ist. In Kapitel 22 wird ein Autor wegen seiner Vermischung von unangemessen poetischem mit im Verhältnis dazu allzu prosaischem Vokabular kritisiert. In diesem Zusammenhang werden die Anleihen, welche dieser Autor vor allem bei Homer genommen habe, in dichterer Form vor Augen geführt, als dies hier bei dem in dieser Hinsicht vergleichbaren Milesier der Fall ist.

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e‰tÉ §p∞gen Íp¢r aÍtoË ti §gk≈mion, ka‹ …w êjiow e‡h suggrãcai tåw prãjeiw oÏtv lampråw oÎsaw. ≥dh d¢ kati∆n §pπnei ka‹ tØn patr€da tØn M€lhton, prostiye‹w …w êmeinon poio› toËto toË ÑOmÆrou mhd¢n mnhsy°ntow t∞w patr€dow.

e‰tÉ §p∞gen Íp¢r aÍtoË ti §gk≈mion, ka‹ …w êjiow e‡h suggrãcai tåw prãjeiw oÏtv lampråw oÎsaw:

Dem Proömium komme bei richtiger Auffassung (Kap. 53) die Funktion zu, die Aufmerksamkeit (prosoxÆ) der Hörer zu erregen, und dies sei zu erreichen, µn de€j˙ [sc. ı suggrafeÁw] …w per‹ megãlvn µ énagka€vn µ ofike€vn µ xrhs€mvn §re›. Die Person des Historikers habe dabei keinerlei Rolle zu spielen, geschweige denn, daß ein Selbstlob erlaubt wäre, welches bereits im täglichen Leben verpönt ist (Men. Mon. 778 Jaekel: ÑUp¢r seautoË mØ frãs˙w §gk≈mion), da es Anstoß erregt und als höchst lästig empfunden wird (Plu De se ipsum citra invidiam laudando 1, 539 b und d: Selbstlob wird von anderen wahrgenommen als §paxy°w und luphrÒtaton). Plutarch, an sich dem Selbstlob gegenüber nicht ablehnend eingestellt, sieht sich vor diesem Hintergrund veranlaßt, eine eigene, an den Staatsmann (politikÒw) gerichtete Schrift über unanstößiges Selbstlob zu verfassen, aus der das vorausgehende Zitat entnommen ist. Umso mehr sei innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung der Eindruck zu vermeiden, sich selbst über Gebühr hervorzuheben. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Dionysios von Halikarnaß (I 1, 1) erklärt, er wolle über sich nur insoweit sprechen, als es sachlich begründet und nötig sei, denn Selbstlob würde bei den Hörern als anstößig empfunden (... oÎtÉ §n to›w fid€oiw m°llvn pleonãzein §pa€noiw, oÓw §paxye›w o‰da fainom°nouw to›w ékoÊousin ...). Die Partherkriegshistoriker hingegen halten sich nach Ansicht des Autors an dieses elementare Prinzip nicht. So nennt dieser in Kapitel 16 einen Historiker, der in seinem Proömium die sich ihm bietende Gelegenheit eifrig ergriffen habe, in frostiger Weise mit der paide€a seine Befähigung zum Geschäft eines Historikers zu beweisen. In Kap. 17 versteigt sich einer dieser Autoren zu der selbstgefälligen Erklärung, nur dem Weisen komme es zu, ein Geschichtswerk zu verfassen, und in Kap. 29 wird ein über Korinth nicht hinausgekommener Verfasser verspottet, der, allerdings innerhalb der diÆghsiw des Werkes, seine “bedeutenden und glänzenden Taten” gerühmt habe (megãla ka‹ lamprå §n t“ pol°mƒ toÊtƒ §rgasãmenon). Vor dem Hintergrund dieser stereotypen Kritik ist es kaum wahrscheinlich, daß die Worte …w êjiow e‡h ktl, wie verschiedentlich vermutet wurde, speziell an die Adresse Arrians (An. I 12, 4–6) gerichtet sind, dessen Anspruch mit dem des hier kritisierten Anonymus keineswegs vergleichbar ist (so an sich richtig Macleod 1987, 260, der aber aus diesem Umstand andere Konsequenzen zieht: ... Lucian distorting Arrian’s original passage for comic purpose). Im übrigen war der Anonymus sicher nicht der einzige Historiker mit völlig überzogenem und im Werk selbst nicht eingelöstem Versprechen, wie das Beispiel des Amyntianus zeigt, der seine an Marc Aurel adressierte Alexandergeschichte mit dem hohen Anspruch begann, würdig der Taten Alexanders zu berichten, dabei aber kläglich scheiterte (so Phot. Bibl. 131, 96 b). Eine Bezeichnung von Taten als “dermaßen glänzend” (tåw prãjeiw oÏtv lampråw oÎsaw) mag allenfalls im Rahmen biographischer Darstellung hingehen, so wie Plutarch (Alex. 20, 10) Alexanders Sieg bei Issos lediglich in diese drei Worte zusammendrängt: NikÆsaw d¢ lampr«w. Die Junktur prãjeiw lamprãw mit ironischer Note findet sich auch unter den verführerischen Selbstanpreisungen der Paide€a (Somn. 13), eines unter vielen Belegen dafür, wie stark Lukian allenthalben mit Schablonen arbeitet, die sich in unterschiedlichen Kontexten einsetzen lassen.

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≥dh d¢ kati∆n: Gegenüber dem besser belegbaren e‰ta mikrÚn Ípobåw weiter oben im Text handelt es

sich um ein Idiom, welches innerhalb paganer Literatur nur bei Themistios (or. 32, 358 c Downey / Norman II 197, Z. 10–11: ¶peita étr°ma dØ kati∆n t“ lÒgƒ) eine exakte Parallele hat. Bei Plutarch (De esu carnium 3, 994 d) ist kati∆n ı lÒgow zu sehr vom Bild des herabströmenden Flusses geprägt, um als Vergleich dienen zu können. Lukians Formulierung katab∞nai t“ lÒgƒ (Salt. 19) markiert, wie der Kontext zeigt, mehr den Abschluß der Rede, was hier aber nicht gemeint sein kann, da dem die explizite Aussage e‰tÉ §p‹ t°lei toË froim€ou im folgenden Satz widersprechen würde. Daraus ergibt sich, daß hier der weitere Fortgang der Erklärungen des Anonymus innerhalb des Proömiums auf eine neutrale Art bezeichnet ist. §pπnei ka‹ tØn patr€da tØn M€lhton: Dies ist ein Verstoß gegen das fundamentale Prinzip,

demzufolge der Historiker sich freihalten müsse von Patriotismus (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 41: j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw und besonders die Einleitung, Teil II 3 a sowie 3 b zur kynischen Metaebene). Ansonsten ist Städtelob bekannt aus der epideiktischen Rede, wo es nach antiken rhetorischen Konventionen (Menander Rhetor) seinen berechtigten Platz hat, desgleichen aus vereinzelt überlieferten poetischen Zeugnissen (Weiss 1995, 86–88). In jedem Fall spielten insbesondere in der Zeit der Zweiten Sophistik mythische Konstruktionen dabei eine wesentliche Rolle. Lukians Kritik richtet sich wohl gegen einen derartigen Versuch des Anonymus, unter Umgehung der historiographischen Gattungsgesetze, unpassend genug, die Bedeutung seiner Heimatstadt herauszustreichen. …w êmeinon poio› toËto toË ÑOmÆrou mhd¢n mnhsy°ntow t∞w patr€dow: Der Umstand, daß Homer

seine Herkunft nicht nennt, hat dazu geführt, daß verschiedene Städte und Inseln Anspruch darauf erhoben, als seine Heimat zu gelten (die Vita Homeri sexta beispielsweise zählt tåw éntipoioum°naw t∞w gen°sevw aÈtoË pÒleiw [Zitat nach Allen V 250, Z. 3–4] auf, zum Problem der Homervita Vogt 1991, zum Streit der sieben Städte AP XVI bes. 295–299). Über den bekannten Streit der Philologen um Homers Herkunft macht Lukian sich andernorts (VH II 20, von Möllendorff 2000 a, 367–368 und Nesselrath 2002, 152–156) lustig; Den Homer läßt er hier erklären, er wisse es sehr wohl, daß Chios, Smyrna (für die enkomiastischen Zwecke von Im. 15 setzt Lukian ganz selbstverständlich Smyrna als die Heimat Homers voraus) und besonders Kolophon (diese drei Städte sind auch im Certamen Homeri et Hesiodi genannt, Allen V 226, Z. 9–17) als seine Heimat ausgegeben würden, doch stamme er in Wahrheit aus Babylon (Nesselrath 2002, 154 zeigt, daß die chaldäische Herkunft Homers nicht auf Zenodot von Ephesos zurückgeht, sondern auf einen jüngeren und wenig bedeutenden Homonymus aus der Schule des Krates von Mallos), mit dem er im übrigen ebenso wie mit Ägypten auch in einigen Quellen tatsächlich in Verbindung gebracht wurde (Ägypten: AP XVI 295, 3 und Gel. III 11, 6). Jones 1986, 55 erklärt diese bei späten Autoren sich findende Version mit dem wachsenden Interesse der Zeit für Astrologie und Magie. Von Dion Chrysostomos (or. 53, 9–10) wird Homers konsequentes Schweigen über Persönliches in positivem Sinne als ein Zeichen freier, hoher Sinnesart (§leuyeriÒthw und megalofrosÊnh) gewertet: ı d¢ oÏtvw êra §leuy°riow [Hertlein: §leÊyerow] ka‹ megalÒfrvn Àste oÈdamoË fanÆsetai t∞w poiÆsevw aÍtoË memnhm°now, éllå t“ ˆnti Àsper ofl prof∞tai t«n ye«n §j éfanoËw ka‹ édÊtou poy¢n fyeggÒmenow. Demgegenüber lobt Velleius Paterculus (I 7, 1) – und das nähert ihn dem hier

kritisierten Milesier in gewisser Weise an – Hesiod gerade dafür, daß er es verstanden habe, diesen Fehler Homers zu vermeiden: Qui vitavit, ne in id quod Homerus incideret, patriamque et parentes testatus est. Die Kontroverse um Homers Heimat war nicht bloß eine Sache gelehrten Streites, sondern hatte darüberhinaus auch eng mit dem Streben der Städte nach Prestige, mit ihrem Lokalpatriotismus (vgl. die vorangehende Anmerkung) zu tun (so richtig Jones 1986, 55, dazu Anm. 45, vgl. bereits Robert

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1937, 262–266, 1967, 125–127 und 1980, 416–419). Der anonyme milesische Verfasser mochte im übrigen auch allen Grund haben, auf seine Heimat stolz zu sein, gehörte doch Milet nachweislich mit einem Abgeordneten dem von Hadrian in Athen gegründeten Panhellenion an (dazu Strubbe 1984, 281). Zur verkürzten Optativform poio› vgl. Kap. 27: §paino›, so auch Ind. 18, vgl. Gall. 20: poio›w.

e‰tÉ §p‹ t°lei toË froim€ou Ípisxne›to diarrÆdhn ka‹ saf«w, §p‹ me›zon m¢n a‡rein tå ≤m°tera, toÁw barbãrouw d¢ katapolemÆsein ka‹ aÈtÒw, …w ín dÊnhtai. ka‹ ≥rjatÒ ge t∞w flstor€aw oÏtvw, a‡tia ëma t∞w toË pol°mou érx∞w dieji≈n: „ ÑO går miar≈tatow ka‹ kãkista époloÊmenow OÈolÒgesow ≥rjato poleme›n diÉ afit€an toiãnde.”

§p‹ t°lei toË froim€ou: Lukian verwendet für das Proömium zumeist den vertrauten terminus proo€mion, doch kommt auch fro€mion bei ihm vor (JTr. 1, Anach. 19, Hist. Conscr. 52 [in Kap. 53 das Verbum froimiãzesyai]). Manchmal wechselt er innerhalb einer einzigen Schrift zwischen beiden Begriffen, so in dieser Schrift (zumeist jedoch proo€mion) und in Juppiter tragoedus (Kap. 1: fro€mion, 14: proo€mion). diarrÆdhn ka‹ saf«w: Die Junktur saf«w ka‹ diarrÆdhn ist erstmals bei Aischines (or. 1, 98) belegt,

wo sie den die Wahrheit bestätigenden Aussagewert von Zeugen vor Gericht bezeichnet (in or. 1, 129 ist diarrÆdhn erklärt durch saf«w). Bei Lukian (Deor. Conc. 3: Mhd¢n afinigmat«dew, Œ M«me, éllå saf«w ka‹ diarrÆdhn l°ge, Abd. 23, in JTr. 31 steht diarrÆdhn in unmittelbarer Nähe zu Klarheit bezeichnenden Ausdrücken) markiert sie den direkten Gegensatz zu Unklarheit bzw. Rätselhaftigkeit. Der Anonymus erklärt somit unmißverständlich (hier unterstrichen durch die Umkehr der Reihenfolge von saf«w und diarrÆdhn), wie er bei der Bewertung der Ereignisse zu verfahren gedenke. Das Adverb diarrÆdhn alleine (“ausdrücklich”) kommt bei allen attischen Rednern vor, besonders oft jedoch bei Demosthenes, Isokrates, Aischines und Isaios, auch Platon (z. B. Lg. IX 877 e mit Anleihe bei juridischer Diktion) verwendet es. §p‹ me›zon m¢n a‡rein tå ≤m°tera, toÁw barbãrouw d¢ katapolemÆsein ka‹ aÈtÒw, …w ín dÊnhtai: Zur Kritik an plakativer Schwarzweißmalerei vgl. den Kommentar zu Kap. 7: toÁw m¢n ofike€ouw §w Ïcow a‡rontew, toÁw polem€ouw d¢ p°ra toË metr€ou katarr€ptontew. Zur Formulierung §p‹ me›zon ... a‡rein tå ≤m°tera ist zu vergleichen, was Josephus Flavius (BJ I 4, 9) über sein Bemühen um

ausgewogene Darstellung im Gegensatz zur Einseitigkeit romfreundlicher Tendenzberichte sagt: OÈ mØn §g∆ to›w §pa€rousi tå ÑRvma€vn éntifiloneik«n aÎjein tå t«n ımofÊlvn di°gnvn, éllå tå m¢n ¶rga metÉ ékribe€aw émfot°rvn di°jeimi. Dem kolloquialen Verbum katarr€ptein

mit der seltenen Bedeutung “verreißen” bzw. “heruntermachen” in Kapitel 7 entspricht an dieser Stelle katapoleme›n, der seit Thukydides (II 7, 3; IV 1, 3; IV 86, 5; VI 90, 3) insbesondere in der Historiographie häufig gebrauchte militärische terminus technicus für das endgültige in die Knie Zwingen des Feindes. In Verbindung mit …w ín dÊnhtai bedeutet dies, daß nach der Darstellung des Autors das unfaßbare Versprechen des Anonymus darin bestanden hat, in seinem Bericht die Barbaren mit bracchialer Gewalt niederzuringen, und dies gleichsam unter tatkräftiger persönlicher Mitwirkung (ka‹ aÈtÒw, …w ín dÊnhtai). ka‹ ≥rjatÒ ge t∞w flstor€aw oÏtvw, a‡tia ëma t∞w toË pol°mou érx∞w dieji≈n: „ÑO går miar≈tatow ka‹ kãkista époloÊmenow OÈolÒgesow ≥rjato poleme›n diÉ afit€an toiãnde“: Zu der von Praktikern

und Theoretikern unterschiedlich beantworteten Frage, ob die obligatorische Darlegung der Kriegsursachen (Aitiologie) bereits in das Proömium (so vor allem Polybios und Lukian) oder erst

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in die diÆghsiw (narratio) gehöre, vgl. den Kommentar zu Kap. 53: eÈmay∞ d¢ ka‹ saf∞ tå Ïstera poiÆsei tåw afit€aw proektiy°menow ka‹ perior€zvn tå kefãlaia t«n gegenhm°nvn. Der hier kritisierte Anonymus hat sich also allem Anschein nach Herodot zum Vorbild genommen, der bereits innerhalb des Einleitungssatzes als Thema angibt, diÉ ∂n afit€hn §pol°mhsan éllÆloisi, um sodann in den nachfolgenden Frauenraubgeschichten (I 1–5) mehrfach die Frage nach den Schuldigen (a‡tioi) für die Entzweiung zwischen Griechen und Barbaren zu stellen. Während Herodot aber unterschiedliche Versionen (die der Perser und die der Phöniker) bloß referiert, um erst dann mit deklariertem eigenem Wissen hervorzutreten (I 5, 3), bezieht dieser wunderliche Autor nicht nur von Anfang an persönlich Stellung, sondern er tut es vor allem in einer Weise, die deutlich zeigt, daß er nicht einmal ansatzweise über ein Verständnis für sein Darstellungsobjekt verfügt. Denn Antoninus Pius hatte ja bereits in den 40er Jahren durch die Einsetzung eines Königs seiner Wahl in die Thronfolge Armeniens eingegriffen. Vor ihm hatte Trajan in den Jahren 114–116 n. Chr. wohl ohne aktuelle Notwendigkeit einen Offensivkrieg gegen die Parther geführt (Standardwerk ist Lepper 1948, vgl. Lightfoot 1990 und Bennett 1997, 183–204, zu den Motiven bes. 188–190). Die Bewertung der afit€a durch den Milesier paßt daher, wie es scheint, eher in eine Komödie zumal eines Aristophanes als in ein seriöses Geschichtswerk. Idiome nach dem Muster Œ kãkistÉ époloÊmene (Ar. Pl. 713, Ach. 924), Œ kãkistÉ bzw. kak«w époloÊmenow (Av. 1467, Ach. 778, Pl. 456, Ec. 1076) und ı kãkistÉ bzw. kak«w époloÊmenow (Pax 2, Ach. 865 und 952, Th. 879) sind bei Aristophanes eine häufige Beschimpfungsart. Vergleichbares findet sich in der Mittleren Komödie, bei Amphis (PCG II Fr. 20, 1 = Ath. II 69 b), Alexis (PCG II Fr. 16, 5 = Ath. VI 224 f) und Antiphanes (PCG II Fr. 190, 2 = Ath. VII 302 f), sowie in der Neuen Komödie bei Menander (Dysk. 208 und 403, Epit. 228). Auch Demosthenes (or. 19, 325) bedient sich in seiner Polemik gegen Aischines und Konsorten dieser selben Art von Aischrologie. Bei Lukian selbst, der, wie er mit sichtlichem Stolz vermerkt (Prom. Es 6), den diãlogow und die kvmƒd€a zur Einheit verbunden hat, ist die Verwendung des Idioms ı kãkista époloÊmenow in den diãlogoi (DMort. 5, 1 und 16, 2, DMeretr. 10, 1) als ein Erbe der Komödie zu werten. Mit dem (eine weitere Verbreitung findenden) Superlativ miar≈tatow bzw. dem Vokativ Œ miar≈tate verhält es sich ähnlich. Auch hier dürften entscheidende Impulse von der Komödie ausgegangen sein, besonders von Aristophanes (z. B. Ach. 182 und 557, Nu. 1332, V. 397, Lys. 989, Pl. 78 u. ö., bes. Ra. 465 / 466: Aiakos beschimpft Herakles wegen der Entführung des Kerberos: Œ bdelur¢ kéna€sxunte ka‹ tolmhr¢ sÁ / ka‹ miar¢ ka‹ pamm€are ka‹ miar≈tate), aber auch von Archippos (PCG II Fr. 23, 1 = Ath. VI 227 a und VII 311 e) und Menander (Asp. 313). Demosthenes (or. 35, 52, or. 25, 28) bedient sich solcher Beschimpfungen in eigener Sache, Lukian hingegen legt solche Worte stets einem Sprecher in den Mund (Tox. 29, Peregr. 7; in Icar. 33 ist es Zeus, der das Machtwort spricht kako‹ kak«w époloËntai). Es liegt auf der Hand, wie unpassend sich all das in einem Geschichtswerk ausnehmen muß. Auch in dieser Hinsicht hat sich der Anonymus, wie bereits im Musenanruf, einer inadäquaten Vermischung inkompatibler literarischer Gattungen schuldig gemacht, ein häufiger und zumeist explizit ausgesprochener Vorwurf vonseiten des Autors besonders auch in diesem zweiten Teil der Schrift.

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Kapitel 15 Der zweite in der langen Reihe der Kritisierten (ßterow d¢) gehört zu denjenigen vier Autoren (die anderen in Kap. 16, 30 und 32), von denen alleine Lukian die Namen preisgibt, jeweils auf dem Wege von Zitaten aus den Buchtiteln, in denen diese, Lukians Darstellung zufolge, ihre Namen genannt hatten. Den Reigen eröffnet in Kapitel 15 Crepereius Calpurnianus aus Pompeiopolis (FGrH II B 208, PIR2 C 1568). Diese konkrete Kennzeichnung der Person läßt die literarhistorisch bedeutsame Frage nach der Identität des Verfassers entstehen. Zwar ist ein Mann dieses Namens nirgendwo bezeugt, doch liegen immerhin epigraphische Hinweise auf die Präsenz der aus dem Sabinerland gebürtigen Crepereii und der aus Italien eingewanderten und dann in Folge weit über Kleinasien hin verstreuten Calpurnii in Antiochia ad Pisidiam und Attaleia vor. Dieser Umstand läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß unter der Heimat des Verfassers wohl eher das von Pompeius im Jahr 64 v. Chr. zur Stadt erhobene Pompeiopolis in Paphlagonien zu verstehen ist, nicht aber die gleichnamige, früher Soloi genannte Stadt in Kilikien. Dies alles gilt freilich unter der Prämisse, daß Lukian sich hier tatsächlich auf eine reale Person dieses Namens und dieser Herkunft bezieht. In den letzten Jahrzehnten hat sich demgegenüber ein Trend herausgebildet, der davon ausgeht, Lukian habe Crepereius Calpurnianus (und andere Verfasser auch) mitsamt deren, wie man meint, nicht existierenden Werken fingiert. In diesem Sinne wollten Homeyer 1965, 22 und Anderson 1976 a 77 den Namen Crepereius als einen vom lateinischen Wort creper („Dunkelmann“) abgeleiteten Namensscherz deuten. Tatsächlich sind solche Scherze mit Namen nicht nur in lateinischer Literatur häufig (Horsfall 1975, Nisbet 1978, 8 und C. W. Macleod 1979, 21 mit Anm. 27), sie kommen dann und wann auch in griechischer Literatur vor (Jones 1981, 120, 122–123), doch erscheint es als unwahrscheinlich, daß Lukian einen Namensscherz, wenn er denn von ihm intendiert war, ausgerechnet auf einer lateinischen Wortbedeutung begründet haben sollte (so zutreffend Macleod 1987, 262, Anm. 22). Es wäre dies ein singuläres Verfahren, das nicht recht zu einem Autor passen will, der ganz im griechischen Kulturkreis steht und für Leser mit eben solchem Hintergrund schreibt. Auch müßte man sich, sollte dies tatsächlich zutreffen, die Frage stellen, ob es einem Autor von Lukians Format denn zuzutrauen ist, daß er sich ohne erkennbaren Anlaß einen dermaßen geschmacklosen Scherz auf Kosten real existierender gentes erlaubt haben sollte. Wie seine Invektiven zeigen, geht er ja immer nur dann zu persönlichem Angriff über, wenn er zuvor provoziert worden ist (vgl. die Einleitung, Teil I 4. 2). Noch ein Umstand ist von Bedeutung: In der Einleitung zu diesem Teil der Schrift (Kap. 14) hatte Lukian das Autor-Ich von seiner Teilnahme bei mündlichen Vorträgen sprechen lassen (ıpÒsa m°mnhmai ... ékoÊsaw), nun aber kommt, wie die Formulierungen sun°grace (im Zitat) und én°gracen (im Bericht des Autors) zeigen, eine neue Dimension hinzu, nämlich die schriftliche Abfassung des Werkes. Und da das Autor-Ich davon berichtet, daß es den Vortrag mittendrin wegen der Vorhersehbarkeit des Kommenden verlassen habe, so handelt es sich demnach um einen mündlichen Vortrag aus einem bereits in schriftlicher Form existierenden Werk. Worüber der Text jedoch keine Auskunft gibt, das ist die Frage, ob dieses Werk bereits in einer publizierten Form der Öffentlichkeit vorlag. Unter der Prämisse der Historizität des Verfassers und der Realität von dessen Werk (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 4.1) läßt sich in einem weiteren Schritt noch etwas für den Zeitpunkt der von Lukian (im Text dem Autor-Ich) besuchten Lesung des Crepereius Calpurnianus bzw. die Abfassung von dessen Werk gewinnen. Da dieser davon sprach, daß die Pest im Perserreich Halt machte, so wußte er noch nichts davon, daß die Pest durch die in ihre Heimat zurückkehrenden Soldaten zumindest

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bis nach Rom eingeschleppt wurde. Es ist daher wahrscheinlich, daß diese Lesung noch während der Kriegshandlungen, jedenfalls vor deren Abschluß stattgefunden hat, es sei denn, daß zu all den literarischen Defekten des Verfassers, wie sie hier dargestellt sind, auch noch sachliche Indolenz zu zählen ist. Dies ist allerdings kaum anzunehmen, da Lukian sich die solcherart ergebende Gelegenheit zu einem entsprechend spöttischen Kommentar nicht hätte entgehen lassen. Hauptkritikpunkt am Geschichtswerk dieses Autors ist der auf die Spitze getriebene Hang zum Thukydidesplagiat (Youkud€dou zhlvtØw êkrow), der anhand von drei Beispielen illustriert wird. Zunächst der Einleitungssatz; er gleicht demjenigen des Originals aufs Haar, einzig Name und Herkunftsort sind den neuen Bedingungen angepaßt. Nun ist an sich schon Thukydides innerhalb klassizistischer Literaturkritik nicht eben bekannt für harmonische Wortfügung, bescheinigt ihm doch Dionysios von Halikarnaß (Comp. 22) u. a. das Element herber Wortfügung (tÚ traxÊ), doch was dieser Autor sich in dieser Hinsicht geleistet hat, geht noch weit darüber hinaus. Er läßt harte Laute in so dichter Fülle aneinanderstoßen, daß dadurch, zumal vom Standpunkt eines in dieser Hinsicht besonders sensiblen Attizisten aus, der Eindruck äußerster Kakophonie entsteht. Und es ist sogar denkbar, daß Lukians singuläre Junktur zhlvtØw êkrow ihr Entstehen u. a. einer Persiflage des sich im Einleitungssatz so unpassend ausnehmenden Namens Krep°r˙ow KalpournianÒw (man vgl. die unelegante Häufung von k und r) verdankt. Jedenfalls, sollte Lukian sich tatsächlich einen solchen Witz erlaubt haben, so erschiene dafür alleine schon der Umstand ausreichend, daß eben der Name Crepereius Calpurnianus sich so gar nicht für den Beginn eines attizistisch stilisierten Werkes eignete. Das zweite Plagiat stammt aus der Rede der Kerkyraier bei Thukydides (I 32–36), nur daß aus dem Kollektiv der Kerkyraier bei dem Imitator ein Einzelsprecher geworden ist (tÚn Kerkura›on aÈtÚn =Ætora parasthsãmenow), und das dritte ist mit einziger Ausnahme eines situationsbedingten und daher für die Zwecke des Plagiators nicht verwendbaren Details zur Gänze der berühmten, von antiken Theoretikern als Paradigma für vorbildhafte Ekphrasis gewerteten thukydideischen Pestschilderung (II 47, 3–54, 5) entnommen. Die Verbindung der zu Ende des Partherkrieges ausgebrochenen und nach Rom eingeschleppten Pest mit der Eroberung von Nisibis kennt keine der antiken Quellen, welche diese sämtlich im Kontext der Einnahme von Seleukeia behandeln. Und in diesem Zusammenhang hatte der Verfasser offensichtlich ein plakatives Urteil ausgesprochen, indem er seiner Genugtuung darüber Ausdruck verlieh, daß die Pest wohl daran getan habe, im weiten Partherreich zu verbleiben und die Römer von deren Auswirkungen zu verschonen. Er war, wie es scheint, nicht der einzige, der eine solche Bewertung vornahm. Denn im ersten Drittel des 3. Jhs. n. Chr. bürdete Asinius Quadratus (bei dieser Identifizierung handelt es sich um eine wahrscheinliche Konstruktion) in seiner nicht erhaltenen Parthergeschichte unter anderen Quellen die Schuld für den Ausbruch der Pest den Parthern auf (HA vit. Ver. 8, 4: der Text sagt nur: inter ceteros Quadratus), und es ist daher wohl anzunehmen, daß diese Version noch während der Partherkriege selbst durch gewisse Darstellungen mit romfreundlicher Tendenz aufgekommen sein dürfte. Jedenfalls steht der Plagiator damit, wie es scheint, in einer die Ereignisse einseitig aus prorömischer Perspektive darstellenden Tradition (vgl. bes. auch die überdeutlichen Worte Nisibhno›w ... to›w mØ tå ÑRvma€vn aflroum°noiw). Ob er selbst am Aufkommen dieser oder ähnlicher Beurteilungen impulsgebend beteiligt war, das hängt wesentlich davon ab, welchen Stellenwert man ihm innerhalb zeitgenössischer und späterer Literatur zuzubilligen bereit ist. Jedenfalls dürfte er bei all den evidenten Mängeln seines Werkes in seiner Zeit zumindest nicht ganz unbekannt gewesen sein. Die Kritik des Attizisten Lukian gilt natürlich nicht schon der Thukydides-Imitatio an sich, sondern dem Ausmaß und der Plattheit, mit welcher der Plagiator (er figuriert als ein Beispiel für einen Trend) Versatzstücke aus dem Werk des großen Vorgängers, nur durch die allernötigsten Adaptionen

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an sein Thema leicht modifiziert, zusammengestückelt hatte. Außerdem hatte er ohne erkennbare Notwendigkeit den ansonsten ganz attisch gehaltenen Text mit gräzisierten lateinischen Wörtern vermischt, also einen Graben nicht etwa, wie es sich gehört hätte, mit tãfrow bezeichnet, sondern mit einem neugebildeten griechischen Äquivalent für fossa, also etwa mit fÒssa. Eine ähnlich alberne Wortschöpfung hatte er sich u. a. auch für das griechische Wort für Brücke (g°fura) einfallen lassen. Damit verstieß er, was hier aber nicht explizit als Vorwurf ausgesprochen ist, gegen das in den Kapiteln 43–44 namhaft gemachte Gebot sprachlicher Klarheit (safÆneia). Was Lukian aber den Autor ausdrücklich vermerken und durch ein Bild veranschaulichen läßt, das ist das unpassende Nebeneinander von attischen und lateinischen Vokabeln. Die Kritik richtet sich also auf eine krasse Inkompatibilität so gar nicht zusammenpassender Elemente, ähnlich wie dem milesischen Anonymus in Kap. 14 die Vermischung der Gattungen Geschichtsschreibung und Dichtung vorgeworfen worden war und wie in Kap. 16 Kallimorphos eine unbegründete Mischung von ionischem Dialekt und Koine vorgehalten werden wird. Demaskierung von Inkompatibilitäten jeder Art ist in diesem Teil der Schrift ein leitmotivisch immer wiederkehrendes Thema. In formaler Hinsicht bedient Lukian sich in Kapitel 15 des Mittels der praeteritio (t€ ên soi tå loipå l°goimi, ktl, vgl. weiter unten: nØ D€a kéke›no Ùl€gou de›n par°lipon), der Ironie (érxØn ... xariestãthn érx«n èpas«n ktl), des direkten, mit einer expliziten Wertung eingeleiteten Zitats (Einleitungssatz des Geschichtswerks) und der Ansprache des Autors an das Du des Adressaten Philon; er fordert diesen mittels des Imperativs ˜ra gãr dazu auf, seine Wertung in ihrer Berechtigung nachzuvollziehen. Und das Autor-Ich setzt sonach in der Form der praeteritio (siehe oben) dessen Verständnis voraus, und schließlich fordert es ihn erneut mit einem Imperativ (ka€ moi §nnÒhson ktl) dazu auf, sich die in der Vermischung unterschiedlicher sprachlicher Ebenen liegende Ungereimtheit anschaulich vor Augen zu führen. In der Ich–Form vermerkt der Autor zudem, daß er im genauen Wissen darum, was nun folgen würde, noch vor Ende der Vorlesung weggegangen sei (eine ähnliche Reaktion in Kap. 26: das Autor-Ich habe vor Lachen weinen müssen). Dabei handelt es sich um ein typisches Protestverhalten der Gebildeten (der pepaideum°noi) bei sophistischen Vorträgen (zur Sprache des Publikums Korenjak 2000, 68–95, zum vorzeitigen Weggehen bes. 74). Korenjak (24–27) behandelt zwar die diversen Anlässe für sophistische Rhetorik, bezieht aber die Geschichtsschreibung überhaupt nicht mit ein. Schmitz 1999 berücksichtigt in einer Arbeit mit vielversprechendem Titel (Performing history in the Second Sophistic) Lukians Schrift leider mit keinem Wort.

Otow m¢n toiaËta. ßterow d¢ Youkud€dou zhlvtØw êkrow, oÂow eÔ mãla t“ érxetÊpƒ efikasm°now, ka‹ tØn érxØn …w §ke›now sÁn t“ •autoË ÙnÒmati ≥rjato, xariestãthn érx«n èpas«n ka‹ yÊmou toË ÉAttikoË épopn°ousan.

Youkud€dou zhlvtØw êkrow: Lukian verwendet das Adjektiv êkrow (zum Bild des Weges vgl. z. B. Herm 6: plhs€on ≥dh toË êkrou) durchgehend mit ironischer Note, insbesondere von Philosophen, welche auf ihrem Gebiet angeblich die Spitze erreicht haben (DMort. 6, 5: êkroi filÒsofoi, Herm

79), speziell von Stoikern (Herm 76) und Pythagoras (Vit. Auct. 2), aber auch mit Bezug auf literarische Bildung (Ind. 26: pãnsofÒn ti xr∞ma ka‹ êkron §n paide€& geg°nhsai diå tÚ pl∞yow t«n bibl€vn) und attizistische Bestrebungen (Lex. 14: §smen t∞w éttik€sevw êkron mit dem Kommentar von Weissenberger 1996, 266–267). Bezug zu literarischer Gestaltung hat das Adjektiv êkrow bereits bei Platon (Tht. 152 e: t«n poiht«n ofl êkroi), doch zum literarkritischen terminus macht es erst die attizistische Literaturkritik, namentlich Dionysios von Halikarnaß, der so durch m€mhsiw unerreichte literarische Vorzüge bezeichnet (Lys. 13 , Dem. 1 [efiw êkron inseruit Kiessling]). 367

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Das Substantiv zhlvtÆw verwendet Lukian sonst ähnlich wie Diogenes Laertios (IV 59, VIII 55 und 56, IX 38) regelmäßig von philosophischer Jüngerschaft (Herm 14, Demon. 48, Peregr. 15), das Verbum zhloËn (zur klassizistischen Mimesiskonzeption sowie zum semantischen Unterschied von mime›syai und zhloËn vgl. den Kommentar zu Kap. 34: zÆlƒ t«n érxa€vn) insbesondere auch von attizistisch–klassizistischen Bestrebungen (Rh. Pr. 9 und 10, Lex. 23 und 25, Ind. 17). Die Formulierung Youkud€dou zhlvtÆw hat eine exakte Parallele bei Dionysios von Halikarnaß (Th. 53: Demosthenes als Youkud€dou zhlvtÆw), der auch sonst das jeweilige Vorbild in einen von zhlvtÆw abhängigen Genetiv setzt (per‹ mimÆsevw B VI 3 [426] Usener / Radermacher VI 2, 208, Z. 1–2, Pomp. 4 [Xenophon als ÑHrodÒtou zhlvtÆw], Is. 20 [Isaios als Lus€ou zhlvtÆn], Pomp. 3 [Herodot als ÑOmÆrou zhlvtÆw]). Ebenso verfährt Dion Chrysostomos (or. 55, 6–7). Die spezielle Junktur êkrow zhlvtÆw findet sich außerhalb Lukians nicht und könnte Lukians eigene, dem Kontext angepaßte Formulierung sein (vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 15). oÂow eÔ mãla t“ érxetÊpƒ efikasm°now: Mit dem Begriff tÚ érx°tupon (das Original, so Alex. 21: tØn sfrag›da eÔ mãla t“ érxetÊpƒ §oiku›an, das Original [Gegensatz Kopie = ént€grafow]

eines Gemäldes: Zeux. 3) bezeichnet Lukian ansonsten das Vorbild zur Beschreibung (Im. 3 und 15) oder Gestaltung durch bildende Künstler (Dom. 23: Dichter als Vorbild für den Maler) oder Schriftsteller (Prom. Es 3), letztere Stelle mit pointierter Gegenüberstellung von innovativem Element (tÚ kainourgÒn, zur Bewertung des kainÒn durch Lukian Whitmarsh 2005, 37) und auf das Original bezogener Nachahmung ([tÚ] prÒw ti êllo érx°tupon memimhm°non). Klassizistischer Literaturtheorie galt tÚ érx°tupon als das Objekt für literarische m€mhsiw, doch selbst Dionysios von Halikarnaß bestreitet die Möglichkeit, daß Anmut und Frische von Originalen selbst durch höchste Kunst der m€mhsiw wiederholbar seien (Din. 7: ... pçsi m¢n to›w érxetÊpoiw aÈtofuÆw tiw §pipr°pei xãriw ka‹ Àra, to›w dÉ épÚ toÊtvn kateskeuasm°noiw, kín §pÉ êkron mimÆsevw ¶lyvsi, prÒsest€n ti ˜mvw tÚ §pitethdeum°non ka‹ oÈk §k fÊsevw Ípãrxon). Das Partizip efikasm°now ( “gestalterisch angeglichen an”, “modelliert nach dem Vorbild von”) ruft bei Lukian, der das Verbum efikãzein mit

Bezug auf Plastik (Herm 19), Malerei (Tox. 6) und Schmiedekunst (Phal. I 11) verwendet, immer auch Assoziationen zum Bereich bildender Kunst wach. eÔ mãla unterstreicht die täuschend echte Wirklichkeitstreue (vgl. Alex. 3: kÒmhn ... prÒsyeton ... eÔ mãla efikasm°nhn ka‹ toÁw polloÁw ˜ti ∑n éllotr€a lelhyu›an). xariestãthn érx«n èpas«n ka‹ yÊmou toË ÉAttikoË épopn°ousan: Die Metapher vom Duft

attischen Thymians entstammt mit großer Wahrscheinlichkeit einer Debatte über die Frage, wer denn als echter Attiker zu gelten habe (Cic. Orat. 9, 28–29). Quintilian (Inst. XII 10, bes. 20–26) wendet sich gegen die enge Auffassung, einzig die Vertreter sparsamer Schlichtheit von der Art des Lysias verdienten diese Bezeichnung (21). Seine Kritik an den Vertretern dieser seiner Ansicht nach allzu engherzigen Auffassung (27 läßt vermuten, daß er dabei besonders an einige Griechen denkt) zeigt, daß offensichtlich bereits diese in ihren literarischen Wertungen das Bild vom attischen Thymian gebrauchten (25): quid est igitur, cur in iis demum, qui tenui venula per calceos fluunt, Atticum saporem putent, ibi demum thymum redolere dicant? Thymian eignet sich bestens dafür, attische Schlichtheit zu symbolisieren, galt er doch als anspruchslose Speise besonders für arme Leute, so bereits bei Aristophanes (Pl. 253 und 283), sodann bei Menander (mit drastischer Auslegung Dysk. 603–606) und besonders häufig auch bei Lukian (Tim. 56, Merc. Cond. 19, Sat. 21 und Fug. 14). Für den einfachen Mann vom Lande war der Thymian unübertreffbarer Inbegriff des Wohlgeruchs (Thphr. Char. 4, 2 [Charakteristik des êgroikow, er ist ohne Sensorium für das Besondere am mÊron]). Das Verbum épopne›n + Genetiv bedeutet “duften nach” (Vit. Auct. 12: ˜svn d¢ ka‹ épopne› mÊrvn [als Ausweis des ékÒlastow], vgl. Rh. Pr. 11, DMeretr. 12, 4).

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xãriw und xãritew repräsentieren bei Lukian, der in anderen Schriften das Athen des 5. und des

4. Jhs. v. Chr. selbst auf Kosten von so entstehenden Anachronismen als Ideal griechischer Kultur stilisiert (zur evidenten Klischeehaftigkeit dieses Athenbildes Schmitz 2007, bes. 83–87), die kultivierte attische Lebensart (Demon. 6 über Demonax, Im. 15 über Pantheia) und im Besonderen die Anmut klassischer und klassizistischer literarischer Gestaltung (Rh. Pr. 17, in eigener Sache Zeux. 2 mit dem Gegensatz von xãritow ÉAttik∞w zu tÚ kainÚn t∞w proair°sevw ka‹ jen€zon); letztere nimmt er in seinem weitgefaßten Attizismusverständnis (so zutreffend dargestellt von Bompaire 1994) für sich selbst in Anspruch. xãriw war bereits ein wichtiges Thema in der peripatetischen Stillehre gewesen (Solmsen 1931, 262–263), und Diogenes Laertios (V 48 und 81) verzeichnet Schriften mit dem Titel per‹ xãritow von den beiden Peripatetikern Theophrast und Demetrios von Phaleron. ˜ra gãr: „Krep°r˙ow KalpournianÚw PomphÛoupol€thw sun°grace tÚn pÒlemon tÚn Paryua€vn ka‹ ÑRvma€vn, …w §pol°mhsan prÚw éllÆlouw, érjãmenow eÈyÁw sunistam°nou“. Als der

Herkunftsort des ansonsten nirgendwo bezeugten Crepereius Calpurnianus (FGrH II B 208, in PIR2 ist er unter C 1568 geführt, kaiserzeitliche Crepereii unter C 1567–1574) kommen zwei Kandidatenstädte in Frage, das früher Soloi genannte Pompeiopolis in Kilikien (D. C. XXXVI 37, 6, Str. XIV 3, 1 = C 664, App. Mith. 105, St. Byz. Meineke 581, Z. 12 und 15, Dreizehnter 1975, 239–240, die dafür sprechenden Gründe, daß Lukian das kilikische Pompeiopolis meint, sind bei Jones 1986, 161–166 ausgeschöpft) und die von Pompeius im Jahr 64 v. Chr. gegründete (es handelt sich genau genommen um die Stadterhebung einer bereits existierenden kleineren Siedlung, dazu Dreizehnter 1975, 236) gleichnamige Stadt in Paphlagonien (St. Byz. Meineke 532, 15 und bes. 581, 15, Str. XII 3, 40 = C 562, Hdn. Lentz III 1, 92, Z. 27 mit Angabe der beiden alternativen Schreibweisen PomphÛoÊpoliw und PomphÛÒpoliw, so auch St. Byz. s. v. PomphioÊpoliw Westermann 236, Z. 9–10). Größere Wahrscheinlichkeit hat die kulturell wenig bedeutende Stadt in Paphlagonien (dazu orientierend Marek 2001) für sich, denn hier lassen sich sowohl die Familien der Crepereii (Halfmann 1979, 31 und 54) als auch die der Calpurnii (Halfmann 1979, bes. 31–32, 54, 105, 107, 149 und 176) in Antiochia ad Pisidiam und Attaleia inschriftlich nachweisen. Die aus dem Sabinerland gebürtigen Crepereii (die gens Crepereia ist von Levick / Jameson 1964 untersucht) standen hier den aus Italien eingewanderten und danach weithin über Kleinasien verstreuten Calpurnii nahe (Belege bei Strobel 1994, 1344). Dieser Umstand spricht dafür, daß Lukian sich hier tatsächlich auf eine reale Person bezieht (in diesem Sinne argumentiert zu Recht Baldwin 1978 und 1973 a 82–83). Die Annahme der Bildung einer fiktiven Gestalt (so repräsentativ für den aktuellen Forschungstrend Strobel 1994, 1344, besonders radikal äußert sich Wirth 1964, 239) mutet Lukians Zeitgenossen in anachronistischer Weise ein geradezu modernes Verständnis für den Bereich des Fiktionalen zu, und es ist nicht leicht, auch nur einen einzigen Grund einzusehen, warum Lukian sich auf ein derart gewagtes (abgesehen davon, daß zum Spiel zwei kongeniale Partner gehören) und nicht eben geschmackvolles Spiel auf Kosten real existierender gentes hätte einlassen sollen. Zudem kann Lukians Spott sich pointierter entfalten, wenn eine reale Person mit dem Namen Crepereius Calpurnianus (für Homeyer 1965, 22 ein Namensscherz, “Dunkelmann”, von creper, so auch Anderson 1976 a 77, es ist aber an sich schon unwahrscheinlich, daß Lukian einen Scherz auf einer lateinischen Wortbedeutung begründet haben sollte, so richtig Macleod 1987, 262, Anm. 22) sich an ein Thukydidesplagiat heranmacht, ohne zu bemerken, daß er bereits mit der Nennung seines gräzisierten Namens und der Angabe seiner Herkunft gegen alle Gesetze harmonischer Wortfügung (èrmon€a) verstößt, indem er harte Laute (besonders auffällig k, r, p) in großer Menge aufeinanderprallen läßt und damit einen vom Attizismus verpönten kakophonen Eindruck erzeugt; die Konsonanten k, p und t galten nämlich als die am

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wenigsten wohlklingenden (kãkista), während r im Sinne der Erzeugung edlen Klangs (tÚ genna›on), der durch das glukÊ alleine sich nicht einstellt, durchaus als zweckdienlich erachtet wurde (Stanford 1943, bes. 12 und Stanford 1967, bes. 55 und 52–53). Den Abstand zum Original zeigt der sonst wörtlich übernommene Wortlaut des Thukydides (Th. I 1, 1): Youkud€dhw ÉAyhna›ow jun°grace tÚn pÒlemon t«n Peloponnhs€vn ka‹ ÉAyhna€vn …w §pol°mhsan prÚw éllÆlouw, érjãmenow eÈyÁw kayistam°nou. Wie sensibel antike Ohren in dieser Hinsicht sein konnten, das zeigt die Kritik des Dionysios von Halikarnaß (Comp. 22), die selbst vor dem thukydideischen Eingangsteil nicht Halt macht (aÏth ≤ l°jiw ˜ti m¢n oÈk ¶xei le€aw oÈd¢ sunejesm°naw ékrib«w tåw èrmon€aw oÈdÉ ¶stin eÈepØw ka‹ malakØ ka‹ lelhyÒtvw Ùlisyãnousa diå t∞w éko∞w éllå polÁ tÚ ént€tupon ka‹ traxÁ ka‹ stufnÚn §mfa€nei). Der einzige Unterschied zum Original, die Wahl von sunistam°nou gegenüber kayistam°nou, geht wohl auf das Konto von Lukians eigenem Sprachgebrauch (Kap. 5: e‡ pote pÒlemow êllow susta€h). Thukydides kennt nun zwar das Idiom pÒlemow sun€statai (I 15, 2: pÒlemow ... oÈde‹w jun°sth), doch verwendet er sonst in diesem Zusammenhang regelmäßig das Verbum kay€stasyai (I 23, 5: toioËtow pÒlemow to›w ÜEllhsi kat°sth, vgl. I 105, 2; II 65, 5; III 3, 1; III 11, 8).

Die Kritik des Autors Lukian richtet sich natürlich nicht auf die Thukydidesimitatio an sich, sondern auf die platte Art der Durchführung. Dieser Umstand ist jedoch vernachlässigt von Kaldellis 2004, 17, der in seiner Übersetzung der Lukianstelle das entscheidende, weil das ganze Ausmaß des Plagiats erst so richtig unterstreichende Kolon von …w §pol°mhsan an einfach wegläßt. Daß es im übrigen in diesem Krieg gegen die Parther tatsächlich einen Feldherrn namens Thukydides gab (darauf weist Baldwin 1973 a, 83 hin), der sich im Jahr 164 n. Chr. im Auftrag des Martius Verus durch seine eÈboul€a auszeichnete (D. C. LXXI 3, 1 nach Suid. s. v. Mãrtiow), das beruht mit ziemlicher Sicherheit auf bloßem Zufall; eine hier vorliegende Anspielung auf diese Person mit dem Namen Thukydides läßt sich daraus nicht zwingend ableiten. Die Parther bezeichnet Lukian in dieser Schrift als Paryua›oi (Kap. 24 mit der Anmerkung zum Text und 29), Belege für die Verwendung der Alternative Pãryoi im Kommentar zu Kap. 24: oÈ Paryua€vn oÈd¢ Mesopotam€thw ktl. Àste metã ge toiaÊthn érxØn t€ ên soi tå loipå l°goimi – ıpo›a §n ÉArmen€& §dhmhgÒrhsen tÚn Kerkura›on aÈtÚn =Ætora parasthsãmenow, µ oÂon Nisibhno›w loimÚn to›w mØ tå ÑRvma€vn aflroum°noiw §pÆgagen parå Youkud€dou xrhsãmenow ˜lon êrdhn plØn mÒnou toË PelasgikoË ka‹ t«n teix«n t«n makr«n, §n oÂw ofl tÒte loim≈jantew ’khsan; tå dÉ êlla ka‹ épÚ Afiyiop€aw ≥rjato, Àste ka‹ §w A‡gupton kat°bh ka‹ §w tØn basil°vw g∞n tØn pollÆn, ka‹ §n §ke€n˙ ge ¶meinen eÔ poi«n.

basil°vw g∞n: so syntaktisch korrekt; basil°vw [tØn] g∞n: Macleod 1980, 296 (Text); tØn 2 GE. ıpo›a §n ÉArmen€& §dhmhgÒrhsen tÚn Kerkura›on aÈtÚn =Ætora parasthsãmenow: Vorbild ist die

Rede der Kerkyraier bei Thukydides (Th. I 32–36, Gegenrede der Korinther I 37–43), welche sich im Konflikt mit Korinth an die Athener um Unterstützung wenden und von diesen nach ausgiebigen Beratungen sodann einen Schutzvertrag (§pimax€a) zugesichert bekommen, aus der pragmatischen Erwägung heraus, daß der peloponnesische Krieg sowieso unabwendbar sei und es daher von Vorteil wäre, Korinth bereits im Vorfeld zu schwächen (I 44, 1–2). Der Plagiator hat aus dem bei Thukydides sprechenden Kollektiv der Kerkyraier offensichtlich einen Einzelsprecher gemacht. Darüber, wer bei ihm den Part der Korinther und wer den der angerufenen Schutzmacht Athen übernommen

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haben könnte, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Hermann 1828, 108 vertritt die Ansicht, daß ein parthischer Redner (Gegenredner ein Römer) sich an den armenischen König um Bündnishilfe gewandt habe. Die Rolle Armeniens im Vorfeld der Partherkriege (zur Chronologie der Ereignisse vgl. auch die Einleitung, Teil I 1. 2) in Verbindung mit dem Umstand, daß ein Bericht aus römischer Sicht zu erwarten ist, läßt es jedoch wahrscheinlich erscheinen, daß ein armenischer Redner sich angesichts parthischer Herrschaftsansprüche an Rom als Schutzmacht gewandt hat (so bereits die Ansicht von Solanus, vgl. Reitz 1743, 22), doch ist eine sichere Entscheidung angesichts der Knappheit der durch den Text vermittelten Informationen kaum möglich. Das Verbum par€stasyai bedeutet “jemanden (öffentlich) auftreten lassen” (JTr. 29: sunÆgoron, Dom. 20 und Nigr. 6: mãrtura, Icar. 17: xoreutãw, Philops. 5, Herm 45). oÂon Nisibhno›w loimÚn to›w mØ tå ÑRvma€vn aflroum°noiw §pÆgagen: Die Verbindung der Pest

(dazu umfassend Duncan–Jones 1996), auf die sich auch Alex. 36 bezieht (der genaue Wortlaut des Orakelspruchs des Alexandros von Abonuteichos in der Zeit der Pest verhalf dazu, eine unvollständig erhaltene Inschrift aus Antiocheia wieder herzustellen, dazu Perdrizet 1903), mit Nisibis hat keine Parallele in den die Sachlage recht unterschiedlich darstellenden Quellen (inklusive Inschriften, Papyri und Münzen erfaßt von Gilliam 1961), welche über die in der Schlußphase der Partherkriege ausgebrochene, hernach nach Athen (Philostr. VS II 1, 561 [Herodes Atticus], im Zeitraum von 167/68 n. Chr. bis 171/72 n. Chr. wurde wohl als Nachwirkung der Pest in Athen das Archontat dreimal nicht besetzt, so das Ergebnis der epigraphischen Studie Rotroffs 1975) und Rom eingeschleppte Seuche berichten, welche sich Ammianus Marcellinus zufolge in weiterer Folge bis an den Rhein und nach Gallien hin ausgebreitet haben soll (HA vit. Ver. 8, 1–4 und vit. Marc. 13, 3, Amm. XXIII 6, 24, D. C. LXXI 2, 4 [Exzerpt des Xiphilinos]). Am ehesten zu vergleichen ist die Version in der vita des Verus, insoferne nur hier (8, 4) auf Quellen hingewiesen wird, die den Parthern die Schuld für den Ausbruch der Seuche zuschieben. Namentlich genannt ist inter ceteros Quadratus, der mit Syme 1971, 58–59 als Asinius Quadratus (zu seiner Person vgl. den Kommentar zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi) zu identifizieren ist (nicht überzeugend erscheint Baldwins 1976 a, 103–104 Versuch, ihn mit einem der various sophistic Quadrati des 2. Jhs. n. Chr. gleichzusetzen, der, wie er vermutet, die von Lukian kritisierten Historiker gelesen haben könnte oder doch zumindest deren „Kollege“ gewesen sei), der im ersten Drittel des 3. Jhs. n. Chr. u. a. eine nicht erhaltene Parthergeschichte (das zu den Fragmenten der neun Bücher Paryikã Bekannte bei Zecchini 1998, 3009–14) verfaßt hat. Höchstwahrscheinlich hat also die Schuldzuweisung an die Parther eine längere, bis in die Zeit der Partherkriege selbst zurückreichende Tradition. Aber auch bei Quadratus ist der Ursprung der Pest ebenso wie in der vita Veri (Schuld des Cassius), Cassius Dio (Ausbruch der Pest bei der Rückkehr von Seleukeia) und Ammianus Marcellinus (Schuld der Römer, die von Gier getrieben das Heiligtum des Apollo Comaeus plündern) mit der Einnahme von Seleukeia, nicht mit der von Nisibis (primäre Belege zur Person des Belagerers P. Martius Verus bei Strobel 1994, 1322) verbunden. Es wird vermutet, daß es sich bei der Pest um Pocken, Flecktyphus oder die Beulenpest gehandelt haben könnte (Nutton 1997, 1103 und Birley 1968, bes. 272). Zur Geschichte der mesopotamischen Metropole Nisibis orientierend Kessler 2000, detailliert zur Folgezeit Lightfoot 1988. Nisibis wird zudem auch Antiocheia in Mygdonien (Str. XVI 1, 23 = C 747, Plb. V 51, 1) bzw. mygdonisches Antiocheia (Plu Luc. 32, 3 mit der Angabe, daß dies die griechische Bezeichnung sei) genannt. parå Youkud€dou xrhsãmenow ˜lon êrdhn plØn mÒnou toË PelasgikoË ka‹ t«n teix«n t«n makr«n, §n oÂw ofl tÒte loim≈jantew ’khsan: Lediglich ein Detail der thukydideischen Vorlage ist

zu spezifisch, als daß es vom Plagiator ausgebeutet werden könnte, die Zwangsevakuierung der attischen Landbevölkerung nach Athen im ersten Kriegsjahr (Th. II 17, 1–3), wo diese zunächst das

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sich unterhalb der Akropolis hin erstreckende Pelargikon (PelargikÒn [PelasgikÒn bei Lukian in Bis Acc. 9 und Pisc. 42], Hdt. VI 137, 2 und Paus. I 28, 3 nennen als Erbauer die Pelasger) besiedelt habe, sodann wegen akuten Platzmangels auch die langen Mauern (tã te makrå te€xh) und größtenteils den Piräus; wegen der beengten Verhältnisse habe hier im zweiten Kriegsjahr die Pest umso heftiger wüten können. Das Verbum xrÆsasyai + Akkusativobjekt (parã tinow: Plu Ages. 18, 4) bedeutet “(sich) etwas ausborgen, entlehnen” (Nec. 16, Ind. 30 mit dem Wortspiel: ka‹ sÁ to€nun êllƒ m¢n dehy°nti xrÆseiaw ín tå bibl€a, xrÆsasyai d¢ aÈtÚw oÈk ín dÊnaio). Das Adverb êrdhn akzentuiert bereits in klassischer Dichtung (besonders bei Euripides) und Prosa die radikale Gründlichkeit, mit der etwas geschieht, die gar nichts auslassende Vollständigkeit und Effektivität (so bei Lukian bes. Cal. 1: pÒleiw êrdhn épol≈lasi und VH I 39: pãntaw êrdhn §jekÒcamen). Das Verbum loim≈ttein ist außerhalb medizinischen Schrifttums (besonders bei Galen) bis in Lukians Zeit hinein nur selten belegt (Plu Parallela Graeca et Romana 19, 310 b, bei Lukian Scyth. 2). Thukydides selbst gebraucht innerhalb seiner Pestschilderung (II 47, 3–54, 5) loimÒw (47, 3 und 54, 2: ein altes Orakel besagt: ÜHjei DvriakÚw pÒlemow ka‹ loimÚw ëmÉ aÈt“), doch häufiger verwendet er in diesem Kontext die Worte nÒsow (47, 3; 49, 6; 50, 1; 54, 5) und nÒshma (49, 6; 51, 1; 51, 6; 53, 1). Thukydides sagt, daß die Pest zuerst im Piräus die Menschen erfaßt habe, bevor sie dann schließlich §w tØn ênv pÒlin gelangt sei, um dort nur umso mehr Menschenleben zu fordern (48, 2). Seine Pestschilderung galt in antiken Rhetorenschulen als eines der Glanzlichter griechischer Prosa überhaupt und wurde als solches von Theoretikern gerne zitiert, so von Theon (Spengel II 68, Z. 7–8) als Beispiel für eine paradigmatische Ekphrasis. Noch Prokopios nimmt bei ihr in seiner Darstellung der Pest in Konstantinopel im Jahr 542 n. Chr. Anleihen; doch er hält sich bei weitem nicht dermaßen sklavisch an die Vorlage wie die von Lukian in diesem Teil der Schrift kritisierten Autoren (so zu Recht Cameron 1985, 40–43, bes. 40: there are striking differences). tå dÉ êlla ka‹ épÚ Afiyiop€aw ≥rjato, Àste ka‹ §w A‡gupton kat°bh ka‹ §w tØn basil°vw g∞n tØn pollÆn, ka‹ §n §ke€n˙ ge ¶meinen eÔ poi«n: Die bekannten Worte des Originals (Th. II 48, 1), welche

das Ausmaß des Plagiats (HA vit. Ver. 8, 1 nennt als Ursprung der Pest Babylonien) verdeutlichen, lauten so: ÖHrjato d¢ tÚ m¢n pr«ton, …w l°getai, §j Afiyiop€aw t∞w Íp¢r AfigÊptou, ¶peita d¢ ka‹ §w A‡gupton ka‹ LibÊhn kat°bh ka‹ §w tØn basil°vw g∞n tØn pollÆn. Abschließend sagt Thukydides, die Pest habe nicht über Athen hinaus auf die Peloponnes übergegriffen (II 54, 5: ka‹ §w m¢n PelopÒnnhson oÈk §s∞lyen). Aus dieser sachlichen Feststellung ist beim Nachahmer eine satte Genugtuung darüber geworden, daß die Pest zwar die Parther erfaßt, doch die Römer verschont habe. Eine derartige Erklärung konnte sich selbst der geschmackloseste Autor sicherlich nur zu einer Zeit leisten, bevor die nach dem Krieg zurückkehrenden Soldaten die Pest mindestens bis nach Rom hin einschleppten (HA vit. Marc. 13, 3 [mit Bezug auf die Verhältnisse in Rom]: tanta autem pestilentia fuit ut vehiculis cadavera sint exportata sarracisque). Damit ist, jedenfalls unter der Voraussetzung der Historizität des Crepereius und der Realität von dessen Werk, ein terminus ante quem für die von Lukian (im Text dem Autor-Ich) besuchte Lesung markiert. Eine ähnliche Überlegung hat wohl Jacoby (FGrH II C–D, Kommentar 629) zu der Aussage veranlaßt: “Crepereius hatte von der gefährlichen ausbreitung noch keine Kenntnis, was bei der Schnelligkeit, mit der diese Historiker produzierten, nicht verwunderlich ist”.

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§g∆ goËn yãptonta ¶ti aÈtÚn katalip∆n toÁw éyl€ouw ÉAyhna€ouw §n Nis€bi ép∞lyon ékrib«w efid∆w ka‹ ˜sa épelyÒntow §re›n ¶mellen. ka‹ går aÔ ka‹ toËto §pieik«w polÁ nËn §stin, tÚ o‡esyai toËtÉ e‰nai to›w Youkud€dou §oikÒta l°gein, efi Ùl€gon §ntr°caw tå aÈtoË §ke€nou l°goi tiw. ~................ ..............~ nØ D€a kéke›no Ùl€gou de›n par°lipon.

~.......~ nØ D€a: hier ist der Text heillos verderbt; ~mikrå kakeiaovw ka‹ aÈtÚw ín fa€hw oÈ diÉ aÈtØn~ Ø D€a: Macleod 1980, 297 (locum vix sanandum uncis seclusi); mikrå =ãkia, ˜pvw ka‹ aÈtÚw ín fa€hw, ~oÈ diÉ aÈtÆn~. nØ D€a: so Homeyer 1965, 114–115 (Jacobs: mikrå =ãkia …w), vgl. Kilburn 1968, 24,

Anm. 2. Eine sichere Heilung der Stelle erscheint kaum möglich; ein Versuch bei Macleod 1980, 297 im textkritischen Apparat: danach wäre der Wortlaut des ersten Kolons: „mikrå kéke›na“ ‡svw (vel …w) ka‹ aÈtÚw ín fa€hw. Dies erscheint auf jeden Fall plausibler als die von Homeyer in den Text aufgenommene Konjektur. §g∆ goËn yãptonta ¶ti aÈtÚn katalip∆n toÁw éyl€ouw ÉAyhna€ouw §n Nis€bi ép∞lyon ékrib«w efid∆w ka‹ ˜sa épelyÒntow §re›n ¶mellen: Es gibt hier prinzipiell zwei Möglichkeiten, diese Worte zu

verstehen. Zum einen berichtet Thukydides (Th. II 52, 4) im Zusammenhang mit der Pest von der Verrohung der lokalen Bestattungssitten. Und darauf bezieht Hermann 1828, 111 diesen Passus. Dagegen sprechen aber zwei Umstände: zum einen zeigt der Singular yãptonta an, daß es sich offenbar um eine Leichenrede handelt, zum anderen gewinnt der Spott deutlich an Schärfe, wenn der kritisierte Autor ausschließlich allgemein bekannte Glanzlichter im Werk des Thukydides in vorhersehbarer Weise ausbeutet. Es hat daher mehr Wahrscheinlichkeit für sich, mit Macleod 1991, 294 an die Leichenrede des Perikles (Th. II 35–46) als Bezugsobjekt zu denken, was außerdem bedeuten würde, daß damit vom Verfasser die Chronologie der Ereignisse durcheinandergebracht wurde, hält doch der thukydideische Perikles seine Rede auf die Gefallenen des ersten Kriegsjahres, während die Pest in das zweite Kriegsjahr fällt. Unter den “Athenern” sind vor dem Hintergrund einer sklavischen Thukydidesimitation natürlich die Einwohner von Nisibis zu verstehen. Die Reaktion des Autor–Ichs hat eine enge narratologische Parallele (von der Motivik her ist zu vergleichen Peregr. 32; Anderson 1976 a 78 weist zudem auf DMeretr. 9, 2 hin) in Philops. 39, wo Tychiades das Verlassen der um Eukrates gescharten wunderlichen Gesellschaft mit ihren abstrusen Wundergeschichten mit diesen Worten kommentiert: TaËta ¶ti toË EÈkrãtouw l°gontow fid∆n o tÚ prçgma proxvrÆsein ¶melle ... épolip∆n aÈtÚn ¶ti diapl°onta §j AfigÊptou efiw tØn MallÒn ... ÉAllÉ §g∆ êpeimi, ¶fhn ... Es braucht freilich nicht eigens betont zu werden,

daß demonstratives vorzeitiges Weggehen von einem Vortrag (zu dieser Publikumsreaktion bei sophistischen Darbietungen Korenjak 2000, 74) selbstverständlich als ein Protestverhalten zu werten ist. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie sich die Kennzeichnung als einer Lesung zu den beiden expliziten Hinweisen auf eine Verschriftlichung (oben sun°grace, unten én°gracen) verhält. In jedem Fall möchte Lukian (im Text das Autor-Ich) damit sagen, daß er einer Lesung aus einem in schriftlicher Form vorliegenden Werk beigewohnt hat. Weniger sicher ist, ob es sich dabei um ein bereits veröffentlichtes Werk handelt (ganz eindeutig markiert ist dies bei den namentlich genannten Autoren nur im Falle des Demetrios von Sagalassos in Kap. 32: én°gnvn gãr, vgl. auch das Werk des anonymen Korinthers in Kap. 17). ... ka‹ toËto §pieik«w polÁ nËn §stin, tÚ o‡esyai toËtÉ e‰nai to›w Youkud€dou §oikÒta l°gein, efi Ùl€gon §ntr°caw tå aÈtoË §ke€nou l°goi tiw: Lediglich geringfügige Abänderungen an Klassikern

entnommenen Versatzstücken (im vorliegenden Fall spricht Bompaire 1958, 140 pointiert von l’excès d’imitation) ist auch in JTr. 14 Objekt der Kritik, wo Hermes dem sich in homerischen Versen

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ergehenden Zeus den Vorschlag macht, es auch mal dem Modetrend entsprechend mit Demosthenes zu versuchen: ... t«n Dhmosy°nouw dhmhgori«n t«n katå Fil€ppou ≥n tina §y°l˙w sÊneire, Ùl€ga §nallãttvn: oÏtv goËn ofl pollo‹ nËn =htoreÊousin, woraufhin dieser tatsächlich eine sich eng an den Eingang der ersten olynthischen Rede (or. 1, 1–2) haltende Probe gibt. Überlegungen zu richtiger und falscher Mimesis finden sich sowohl in griechischer als auch in lateinischer rhetorischer Theorie. Ps. Dionysios von Halikarnaß (Rh. 10, 19 Usener / Radermacher VI 2, 373, Z. 18–20) bringt es treffsicher auf den Punkt: ka‹ mime›tai tÚn Dhmosy°nhn oÈx ı tÚ < Dhmosy°nouw l°gvn éllÉ ı > Dhmosyenik«w, ka‹ tÚn Plãtvna ımo€vw ka‹ tÚn ÜOmhron. Nicht minder prägnant drückt es Quintilian in seinem lesenswerten Kapitel über die imitatio (Inst. X 2) aus (z. B. 2, 8: nihil autem crescit sola imitatione, 2, 10: necesse est enim semper sit posterior qui sequitur, 2, 18: primum est, ut quod imitaturus est quisque intellegat et, quare bonum sit, sciat). Die Kritik des Autors Lukian betrifft selbstverständlich nur eine falsch verstandene m€mhsiw, ist doch Thukydides in dieser Schrift als ein Paradigma für den Historiker verwendet, und auch in Lex. 22 vertritt dieser als einziger die Gattung der Geschichtsschreibung. Thukydides war durch den Attizismus im 1. Jh. v. Chr. zu einem Autor von klassischem Rang geworden (zur innerantiken Thukydidesrezeption vgl. den Kommentar zu Kap. 2: Youkud€dai). polÁ nËn §stin bedeutet “es ist im Schwange” (zu der negativen Konnotation vgl. auch Merc. Cond. 5). Vergleichbare Idiome besagen, daß etwas oft vorkommt (Alex. 20, Cont. 17, ähnlich bereits Hdt. IV 126) bzw. daß es weitverbreitet ist (Pl. Lg. I 633 b). Das Verbum §ntr°pein in der Bedeutung von “etwas [an etwas (Genetiv)] abändern” erscheint auch in Pseudol. 14 mit literarkritischem Bezug (t«n ÉAttik«n ... pollå §ntrecãntvn t∞w aÍt«n fvn∞w).

ı går aÈtÚw otow suggrafeÁw pollå ka‹ t«n ˜plvn ka‹ t«n mhxanhmãtvn …w ÑRvma›oi aÈtå Ùnomãzousin oÏtvw én°gracen, ka‹ tãfron …w §ke›noi ka‹ g°furan ka‹ tå toiaËta. ka€ moi §nnÒhson ≤l€kon tÚ éj€vma t∞w flstor€aw ka‹ …w Youkud€d˙ pr°pon, metajÁ t«n ÉAttik«n Ùnomãtvn tå ÉItalivtikå taËta §gke›syai, Àsper tØn porfÊran §pikosmoËnta ka‹ §mpr°ponta ka‹ pãntvw sunñdonta.

metajÁ t«n ÉAttik«n Ùnomãtvn tå ÉItalivtikå taËta §gke›syai, Àsper tØn porfÊran §pikosmoËnta ka‹ §mpr°ponta ka‹ pãntvw sunñdonta: Für griechische Historiker seit Polybios

ist es selbstverständlich, lateinische Namen und militärische bzw. staatsrechtliche Fachausdrücke der Römer zu gräzisieren, um nicht zwei unterschiedliche sprachliche Ebenen miteinander zu vermischen (Belege bei Hahn 1907, 707–708, Balsdon 1979, 123–124 und Homeyer 1965, 210, zu Appians Verfahren Brodersen 1993, 359), und diese Notwendigkeit wird auch von Quintilian (Inst. I 5, 58 und II 14, 1) anerkannt. Dabei hatten sie bisweilen den Eindruck, daß eine Erklärung für den uninformierten Leser vonnöten sei. So erklärt Polybios (Plb. XI 23, 1) den Begriff koÒrtiw (cohors) damit, daß diese tre›w spe›rai entspreche (drei Manipel machen eine Kohorte aus). Andernorts (Plb. III 87, 7) erläutert er den Begriff Diktator (diktãtvr) durch den Vergleich mit den als wohlbekannt vorausgesetzten Konsuln (Ïpatoi). Ebenso verfährt auf römischer Seite Cicero (Tusc. I 8, 15), der sich nicht ohne Pose dagegen verwahrt, Latein mit Griechisch zu vermischen und vice versa, indem er erklärt: Scis enim me Graece loqui in Latino sermone non plus solere quam in Graeco Latine. Vor diesem Hintergrund mußte es als eine Geschmacklosigkeit anmuten, wenn ein Autor seinen ansonsten ganz und gar attisch gehaltenen Fließtext ohne Not mit dem Lateinischen entlehnten Wörtern (ÙnÒmata) wie fÒssa (fossa) statt tãfrow und einem griechischen Äquivalent von pons

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statt g°fura (vgl. LSJ s. v. pont€lion = pons, bei Plu Num. 12, 1 sind es immerhin die Pontifices, welche er in Ermangelung eines entsprechenden griechischen Wortes Pont€fikew nennt, zu Plutarchs diesbezüglicher Praxis vgl. Thumb 1901, 159 -160) durchsetzen zu müssen glaubte und so, nebenbei beobachtet, ähnlich wie der in Kapitel 21 kritisierte Anonymus einen krassen Verstoß gegen das in den Kapiteln 43–44 ausgesprochene elementare Postulat der safÆneia bzw. gegen die vom Autor Lukian nicht explizit genannte theophrastische Stiltugend der Sprachrichtigkeit (•llhnismÒw, vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 43: ≤ l°jiw ... safØw ka‹ politikÆ und Avenarius 1956, 59–60) beging. Eine an die Adresse Arrians gerichtete Kritik, so Wirth 1964, 240, dem die Zielrichtung des lukianischen Spottes nicht hinreichend klar zu sein scheint, läßt sich aus dem vorliegenden Text jedenfalls nicht herauslesen (zu Lukian und Arrian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4). Die Argumentation Baldwins 1978, 212 hat zumindest etwas für sich, der aus der Kritik des Autors ableitet, daß es sich bei Crepereius um einen Soldaten aus Nordafrika (wo die Crepereii nachgewiesen werden können) mit lateinischem Hintergrund handeln könnte (denn: It is inconceivable that any Greek sophist of the Antonine period would lard his prose with latinisms for any stylistic purpose, vgl. auch Baldwin 1973 a, 83: It may cautiously be subjoined that, if Lucian’s historian was in any way connected with attested Crepereii of military distinction, his interest in Latin military technicalities is natural enough). Doch wirklich plausibel erscheint diese Argumentation wohl kaum. Unter der porfÊra ist der Purpursaum am Gewand, der Purpurstreif an der Toga ( Demon. 41) zu verstehen (Par. 58, Dom. 7, vgl. in Verbindung mit dem Verbum §mpr°pein Ind. 9: ≤ porfÊra d¢ §n°prepe t∞w §sy∞tow). Die äußerst zynische Empfehlung des skrupellosen Redelehrers im Rhetorum praeceptor (Rh. Pr. 16) bedient sich ähnlicher Bildersprache: ≤ porfÊra mÒnon ¶stv kalØ ka‹ eÈanyÆw, kín sisÊra t«n paxei«n tÚ flmãtion ¬. Beim Verbum sunñdein ist die auch sonst in vorliegender Schrift in Erscheinung tretende literarkritische Konnotation mitzuassoziieren (vgl. Kap. 23: sunòdon tª kefalª tÚ êllo s«ma).

Kapitel 16 Unter den vier namentlich genannten Autoren (die anderen in Kap. 15, 30 und 32) wird hier das Werk des Kallimorphos einer Kritik unterzogen. Mit Antiochianus (Kap. 30) verbindet ihn der Umstand, daß sein Name auf einen kaiserlichen Freigelassenen hinweist, von denen im 2. Jh. n. Chr. manche nicht nur zu Reichtum und hohem Sozialprestige aufstiegen, sondern von denen einige auch als Schriftsteller tätig gewesen sind. Nach Homeyer 1965, 21, die es für denkbar hielt, daß sich hinter dem Namen ein römischer Historiker namens Formosus verbirgt, wird die Historizität des Mannes in den letzten Jahrzehnten fast regelmäßig angezweifelt (so u. a. mit wenig überzeugender Begründung von Georgiadou / Larmour 1994, 1465: The name Callimorphus is perhaps fictional and intended to be redend), mit Ausnahme von Baldwin 1973 a 83. Meinen Standpunkt in dieser Frage lege ich umfassend in der Einleitung, Teil I 4. 1 dar. Beachtung verdient der Umstand, daß der Autor Lukian, wie im Falle der anderen mit Namen genannten Autoren, so auch hier vom Werk des Kallimorphos als von einem in schriftlicher Form vorliegenden, wenn auch noch nicht unbedingt publizierten spricht (einzig in Kap. 32 ist explizit von einer Lektüre die Rede: én°gnvn gãr, vgl. Kap. 17: Publikation und Leser). Eine größere Zahl an Hinweisen (én°grace [zum Wortlaut vgl. die Anmerkung zum Text], ÍpografÒmenow, §p°grace, suggrammãtvn, Ípeg°grapto, suggrãfein, grãfein) läßt es jedenfalls als wahrscheinlich erscheinen, daß zur Zeit der Lesung das Werk des Kallimorphos in schriftlicher Form vorgelegen haben mußte. Es ist zu erwarten, daß eine Publikation entweder bereits erfolgt war oder doch zumindest unmittelbar bevorstand, doch der Text sagt darüber nichts Konkretes aus.

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Unter diesen Umständen und unter der Prämisse einer bereits erfolgten oder bevorstehenden Veröffentlichung ist es als recht unwahrscheinlich zu erachten, daß Lukian sich angesichts der von ihm selbst (zumal durch ein direktes Zitat der Buchtitel) vorausgesetzten Realität von Werk und Autor eine von einer informierten Öffentlichkeit ganz leicht widerlegbare Erfindung (in welchem Sinne auch immer) von Namen (und Werk) hätte leisten können und wollen. Daß Ärzte Geschichtswerke verfaßten, ist innerhalb der Antike auch sonst durchaus belegt. Aus klassischer Zeit ist in dieser Hinsicht in erster Linie Ktesias zu nennen, und in neuerer Zeit hatte Titus Statilius Crito, Trajans Leibarzt, eine von Galen erwähnte und in der Antike nicht ohne Nachwirkung gebliebene, wenn auch heute freilich verlorene Geschichte der Geten in griechischer Sprache verfaßt. Es liegt also auch von dieser Warte aus kein zureichender Grund vor, die Realität dieses Historikers so prinzipiell in Zweifel zu ziehen, wie dies in den letzten Jahrzehnten im Sog, wie es scheint, eines aktuellen Trends und im Sinne des momentanen Zeitgeistes geschehen ist (vgl. zu diesem Problem die Einleitung, Teil I 4. 1). Die Kritikpunkte am Werk des Kallimorphos sind diese: er habe unter Mißachtung der drei unerläßlichen Arbeitsschritte für das Abfassen eines Geschichtswerkes (dazu Kap. 48) sich mit der Anfertigung eines gänzlich schmucklosen Rohentwurfs (ÍpÒmnhma) begnügt, ohne Gliederung des Stoffes (tãjiw) und stilistische sowie rhythmische Schönheit (kãllow) folgen zu lassen. Sein Werk ist demnach (mit Kapitel 48 entnommenen Worten) zu bezeichnen als ein s«ma ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton, als Vorstufe zu einem richtigen Geschichtswerk (flstor€a). Die – von den Höhepunkten der Darstellung abgesehen – auf weiteste Strecken hin zu wahrende sprachlich– stilistische Erdhaftung (Kap. 45: pezª) sei von diesem Autor also nach unten hin allzu stark unterschritten worden; sein Werk wird deshalb beurteilt als ein ÍpÒmnhma ... komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w. Doch möge die Skizzenhaftigkeit insoferne noch angehen, als dieser Dilettant (fidi≈thw bezeichnet den auf einem bestimmten Gebiet Inkompetenten im Gegensatz zum Fachmann, dem texn€thw) offensichtlich selbst gar nicht den Anspruch auf ein regelrechtes Geschichtswerk (flstor€a) erhoben habe, sondern lediglich – nach einem öfter bezeugten Verfahren – Vorarbeit für ein solches leisten habe wollen (propeponhk≈w). Umso verwunderlicher also sei es, so die klare Botschaft des Autors, daß ausgerechnet dieser Verfasser in krassem Mißverhältnis zu seiner bescheidenen Anspruchshaltung den einzelnen Büchern allzu gestelzte Titel vorangestellt habe, noch dazu mit monotoner und jeweils nur um die Buchzahl variierter Wiederholung immer desselben Wortlauts. Seine Eignung, mehr noch, seine Prädestinierung für die Geschichtsschreibung habe er, wie hier bloß die Verwendung des Verbums sunãgein andeutet, unter höchst abgeschmackter Zuhilfenahme eines logischen, d. h. eines syllogistischen Schlußverfahrens (so explizit benannt in der Kritik am korinthischen Anonymus in Kap. 17) von dem Umstand hergeleitet, daß er als Arzt an apollinischer Bildung (paide€a) jeglicher Art seinen Anteil habe, sei doch Asklepios – nach ihm wurden bei den Griechen die Ärzte Asklepiaden genannt – der Sohn Apollons und dieser der Anführer des Musenreigens. Der letzte Kritikpunkt, den der Autor noch geltend macht, besteht darin, daß Kallimorphos zunächst in ionischem Dialekt zu schreiben begonnen habe, dann aber ganz rasch zur Koine übergewechselt sei, völlig unmotiviert, und selbst dies gar noch zumeist mit Unterschreitung wenigstens einer umgangssprachlichen Diktion (zumeist habe er sich eines im Niveau noch darunter liegenden Gassenjargons bedient). Der Autor tadelt also nicht bloß die unangemessen niedrige sprachliche Ebene, sondern vor allem die völlig unpassende Vermischung zweier inkompatibler sprachlicher Ebenen. Solche Inadäquatheiten literarischer Art sind in dieser Schrift häufig ein Anlaß für Kritik, und auch in anderen Schriften Lukians werden derlei Inhomogenitäten, wo immer sie diesem in Erscheinung zu treten scheinen, stets aufs Korn genommen. Verwendung des ionischen Dialekts

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an sich, dessen Lukian sich selbst mehrfach in entsprechenden Schriften bedient hat (vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 18), ist nicht der Punkt, auf den es hier ankommt, denn auch an dem in Kap. 18 getadelten Anonymus meint die Kritik nicht so sehr schon die Verwendung des ionischen Dialektes an sich, sondern eine bis zu plattem Herodotplagiat sich versteigende Verwendung desselben. In diesem Fall lautet der nicht explizit ausgesprochene Vorwurf, daß es dem Verfasser darauf ankam, seinen mit ganz billigen Mitteln erstrebten Tribut an eine literarische Mode zu leisten, erlebte doch das Schreiben in den alten, längst obsolet gewordenen Dialekten im 2. Jh. n. Chr. eine Renaissance (vgl. die Einleitung zu Kap. 18 sowie den Kommentar zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi). Im übrigen erreicht der hier kritisierte Autor, zumindest soweit er sich im Rahmen der Koine hält, zwar, daß er von breiten Schichten verstanden werden kann, doch auf die Billigung der Gebildeten, der pepaideum°noi, kann diese Art der Sprache freilich keineswegs rechnen. Im dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 44) wird es denn auch explizit ausgesprochen, daß das sprachliche Niveau in einem Geschichtswerk zwei Zwecke erfüllen muß, von der Masse der Menschen verstanden zu werden und die Anerkennung der Gebildeten zu finden: …w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai. Der eigentliche Vorwurf aber besteht, wie schon gesagt, in der Vermengung zweier inkompatibler sprachlicher Ebenen. Die Gebildeten nehmen Anstoß daran, wenn innerhalb ein und desselben Textes von Dialekt zu Dialekt gewechselt wird. In formaler Hinsicht tritt hier die Ansprache an das Du des Adressaten zurück. Dafür kommt der Autor in Form von Bewertung sowohl des Verfassers wie auch dessen Werkes im Ganzen wie auch im Detail, im Besonderen mit der Pose der Emphase (ka‹ nØ D€a), kräftig zu Wort. Dabei ist bei der Beurteilung der Details, markiert durch das demonstrativ bloß kleinere Kritik simulierende toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË, ein Übergang zum Autor-Ich festzustellen, das, danach kurzfristig in den Hintergrund tretend, bis zum Ende des Kapitels durchgehalten wird, wie im Schlußteil die Formulierung ˜ti érjãmenow zeigt, welche das ˜ti von weiter oben im Text (toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË, ˜ti) aufgreift (und gleich danach folgt die Ich–Aussage oÈk o‰da ˜ ti dÒjan). Dem direkten Zitat aus dem sich stets wiederholenden Buchtitel kommt in narrativer Hinsicht die wichtige Funktion zu, die vorangehende Wertung des Autors–Ichs zu beglaubigen und anhand eines konkreten Beispiels zu veranschaulichen. Dasselbe gilt für das indirekte Zitat aus dem Proömium, das außerdem den Eindruck erweckt, zumindest partiell den originalen Wortlaut wiederzugeben.

ÖAllow d° tiw aÈt«n ÍpÒmnhma t«n gegonÒtvn gumnÚn sunagag∆n én°grace komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w, oÂon ka‹ strati≈thw ên tiw tå kayÉ ≤m°ran ÍpografÒmenow sun°yhken µ t°ktvn µ kãphlÒw tiw sumperinost«n tª stratiò. plØn éllå metri≈terÒw ge ı fidi≈thw otow ∑n, aÈtÚw m¢n aÈt€ka d∞low Ãn oÂow ∑n, êllƒ d° tini xar€enti ka‹ dunhsom°nƒ flstor€an metaxeir€sasyai propeponhk≈w.

én°grace: Fritzsches 1860, 53 Konjektur für das einheitlich überlieferte, aber kaum verständliche (so auch Nesselrath 1984, 604) §n grafª, das von den Herausgebern (zuletzt Macleod 1980, 297) mit

Ausnahme von Sommerbrodt 1893, 9 im Text gehalten wird. ÍpÒmnhma t«n gegonÒtvn gumnÚn sunagag∆n: Der Begriff ÍpÒmnhma bezeichnet den vorläufigen Rohentwurf (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 48: ÍpÒmnhmã ti sunufain°tv). Das durch das Nichtvorhandensein eines Elementes charakterisierte Adjektiv gumnÒw (zur negativen Bestimmung vgl. explizit Kap. 8: terate€an gumnØn t«n m°trvn) zielt ab auf die hier negativ bewertete

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Schmucklosigkeit (d. h. Dürrheit) des Berichtes, entspricht also exakt dem s«ma ... ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton (Kap. 48), das im Arbeitsprozeß des Historikers dem Aufsetzen von Gliederung (tãjiw) und stilistischem Schmuck (kãllow), wodurch erst das ÍpÒmnhma den Status einer flstor€a erlange, voranzugehen habe (nur bei unscharfer Auffassung des Textsinns kann man hier mit Wirth 1964, 240 eine Kritik an Arrian herauslesen). Ohne eine solche negative Konnotation kontrastiert Lukian andernorts (Tox. 42) einen schmucklosen Bericht (gumnÚn tÚ ¶rgon dihghsãmhn) mit rezipientenorientiertem Aufputz der Rede (prÚw tØn ékrÒasin). In lateinischer Literatur ist das ansonsten negativ konnotierte (Quint. Inst. III 1, 2–3 und VIII 6, 41) Adjektiv nudus lobendes Prädikat für ein Geschichtswerk. In diesem Sinne urteilt Cicero (Brut. 75, 262) über die auf schmucklose Art sehr kunstvollen commentarii Caesars (zu Vorläufern und Nachfolgern in dieser Gattung innerhalb lateinischer Literatur vgl. Leeman 1963, 87 und 177), diese seien nudi ..., recti et venusti, omni ornatu orationis tamquam veste detracta. Und Plinius (Ep. V 8, 4) sagt, für die oratio und das carmen brauche es eloquentia summa; die historia hingegen quoquo modo scripta delectat, würden doch die Menschen, von Natur aus wißbegierig, quamlibet nuda rerum cognitione gepackt. Im Rhetorikunterricht jedoch geht es darum, auf Übungsniveau bei der Geschichtserzählung (historia) gerade eine arida prorsus atque ieiuna (sc. historia bzw. narratio) zu vermeiden, genüge es doch nicht, res nudas atque inornatas indicare (Quint. Inst. II 4, 3). komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w: Im dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 45) gibt Lukian

in seiner Eigenschaft als Autor konkrete Anweisungen für die adäquate Stilhöhe in einem Geschichtswerk; die l°jiw müsse, so erklärt er hier, auf der Erde dahinschreiten, sich aber gemeinsam mit Schönheit und Größe des dargestellten Gegenstandes erheben; doch dürfe sie dabei nicht über das Ziel hinausschießen, da sonst der Zustand des Verzücktseins (§nyousiçn) die unausweichliche Folge davon wäre. Mit dem Element des komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w ist demnach die Grenze nach unten hin unterschritten. Das Adverb pezª und das Adjektiv pezÒw dienen ansonsten als termini technici für die Prosa im Gegensatz zur metrisch gebundenen Dichtung (vgl. die Kommentare zu Kap. 45: pezª und Kap. 8: pezÆ tiw poihtikÆ). Die Kritik besteht hier, wie auch sonst häufig bei Lukian, im Übermaß (komidª), das zu allzu prosaischer, erdgebundener Sprache führe, die sich kaum vom Boden zu erheben vermöge. Lukian verwendet das Adjektiv xamaipetÆw (mit despektierlicher Konnotation Ath. IV 153 a) gleichbedeutend mit tapeinÒw (Somn. 13: kãtv neneuk∆w efiw tÚ ¶rgon, xamaipetØw ka‹ xama€zhlow ka‹ pãnta trÒpon tapeinÒw [von handwerklicher Tätigkeit], vgl. Herm 5), bezeichnet damit aber auch in dynamischem Sinn den noch nicht von Erfolg gekrönten Versuch, vom Boden abzuheben (Icar. 10: Àsper ofl x∞new ¶ti xamaipet«w §pairÒmenow [Menippos bei dem vorerst noch zaghaften Versuch, sich in die Höhe emporzuschwingen]). Mit Bezug auf den Stil verwendet dieses Adjektiv auch Photios (FGrH II B 257 T 3: über Phlegon von Tralles): ¶sti d¢ tØn frãsin oÎte l€an xamaipetØw oÎte tÚn ÉAttikÚn §w tÚ ékrib¢w dias–zvn xarakt∞ra. tå kayÉ ≤m°ran ÍpografÒmenow: Soferne das überlieferte ÍpografÒmenow richtig ist, kann es

nur skizzenhafte Aufzeichnung der Tagesereignisse bedeuten (so richtig Fritzsche 1860, 53: acta diurna paucis sibi adumbrans). Im Sinne von adumbrare bzw. delineare gebraucht Platon das aktive Ípogrãfein ebenso wie das mediale Ípogrãfesyai (Lg. XI 934 c und VII 803 a). In sehr ähnlichem Zusammenhang wie Lukian verwendet Isokrates (or. 5, 85) das Verbum Ípogrãfein von einem näherer Ausarbeitung bedürfenden Rohentwurf. Die in terminologischer Hinsicht bedeutsame Stelle (Avenarius 1956, 103–104 überschätzt ihre Wirkungskraft auf die spätere Geschichtsschreibung allzu sehr) weist auch sonst manche Parallelität zu vorliegendem Passus auf; sie lautet: ka‹ går µn §ll€pv ti ka‹ mØ dunhy« tÚn aÈtÚn trÒpon grãcai to›w prÒteron §kdedom°noiw, éllÉ oÔn Ípogrãcein gÉ

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o‰mai xari°ntvw to›w §jergãzesyai ka‹ diapone›n dunam°noiw. Lukian selbst gebraucht nirgendwo das mediale Ípogrãfesyai, und auch das aktive Ípogrãfein hat bei ihm sonst nicht dieselbe Bedeutung wie hier (vgl. mit relativ größter Nähe dazu Rh. Pr. 9: tÚn xrÒnon pãmpolun Ípogrãfei t∞w ıdoipor€aw, Merc. Cond. 16 und Alex. 3, an welch letzterer Stelle das graphische Element explizit

zum Ausdruck gebracht ist). Hauptsächlich dieser Umstand hat mehrere moderne Herausgeber (so Hermann 1828, 23, Jacobitz 1838, 18 sowie 1866, 10 und Homeyer 1965, 116) dazu bewogen, das in Ea (den Arethae scholia et correctiones) erscheinende épografÒmenow in ihre Texte aufzunehmen (Macleod 1980, 297: fort. recte). Lukian verwendet zwar das mediale épogrãfesyai einmal (Herm 2: ÍpomnÆmata t«n sunousi«n épografÒmenow [mit Bezug auf Vorlesungsmitschriften]), doch erzeugt eine Übernahme dieser sekundären Schreiber–Hinzufügung in E auch inhaltlich ein neues Problem, weil die Bedeutung “Buch und Rechnung führen” (so Hermann 1828, 114 mit Verweis auf Pl. Lg. VI 754 d) in diesem Kontext wohl kaum von Lukian intendierte Assoziationen erweckt. Es ist daher ratsam, die am Besten bezeugte Lesart ÍpografÒmenow unbedingt beizubehalten, da die Vorstellung journalhafter Skizzenhaftigkeit in diesem Zusammenhang adäquater erscheint als die eines registrierenden Eintrags. kãphlÒw tiw sumperinost«n tª stratiò: Lukian gebraucht das bei ihm nicht seltene Verbum sumperinoste›n (“herumgehen”) zur Unterstreichung des mit der Wortbedeutung an sich schon

gegebenen durativen Aspekts stets im Präsenspartizip (so in Symp. 13 [witziger Vergleich mit der nomadischen Lebensweise der Skythen], Cont. 1 [von Fremdenführung], Tox. 57 [in übertragener Bedeutung]). Das Simplex perinoste›n deckt bei ihm das breitere Spektrum von “herumreisen” (so Herod. 1), “herumirren” (so Herm 59) bis hin zu “sich herumtreiben” (Cat. 20, Tim. 24) ab. Zur Tätigkeit der kãphloi vgl. Them. Or. 21, 247 c Downey / Norman II 23, Z. 23–24: kaphleÊvn §n tª pÒlei ≤m›n perinostÆsei. Generell zum spätrepublikanischen und frühkaiserzeitlichen Handel in dieser Region Sonnabend 1986, 246–253. metri≈terÒw ge ı fidi≈thw otow ∑n: Den Dilettanten (fidi≈thw) stellt Lukian auch sonst dem Fachmann (texn€thw) gegenüber (Ind. 29) und versieht ihn mit dem Prädikat êtexnow (Bis Acc. 33, Merc. Cond. 30), der auf dem Gebiet einer bestimmten t°xnh nicht über die für diese notwendigen Erfahrungswerte verfügt (Abd. 26: fidi≈t˙ ka‹ épe€rƒ fiatrik∞w). Und in weiterem Sinne vollzieht Lukian eine scharfe Trennung zwischen der Klasse der durch die Eigenschaft der épeirokal€a (Hist. Conscr. 27) charakterisierten fidi«tai und der der pepaideum°noi êndrew (Dom. 2). Der hier zur

Debatte stehende Autor gehört zu denen, die ganz offen zu ihrem Bildungsmangel stehen (Nigr. 24: êndraw fidi≈taw ka‹ énafandÚn tØn épaideus€an ımologoËntaw) und beweist damit immerhin für einen Dilettanten ein überdurchschnittliches Augenmaß. êllƒ d° tini xar€enti ka‹ dunhsom°nƒ flstor€an metaxeir€sasyai propeponhk≈w: Dieser Autor habe für einen anderen, der sich auf die Abfassung einer regelrechten flstor€a verstünde, immerhin Vorarbeit geleistet (Lukian verwendet den kynisch konnotierten Begriff pÒnow bezeichnenderweise in Kap. 34 zur Angabe, wie die für die Darstellung erforderliche dÊnamiw •rmhneutikÆ zu erreichen sei).

In diesem Kontext ist ein Brief des Lucius Verus an Fronto (Fro. Ver., Ep. II 3 Naber 131–132 = Ep. I 2 van den Hout 108–109) aus dem Jahr 166 n. Chr. (die von Champlin 1974, 148 vorgebrachten Argumente sprechen für eine Abfassung im Zeitraum von Januar bis Juni 166 n. Chr.) zu beachten; der Kaiser stellt hier seinem magister für dessen gewünschte Darstellung der Partherkriege die Zusendung von Material in Form von diversen Briefen, Bildmaterial, Reden vor dem Senat, Ansprachen an das Heer und auch Verhandlungsprotokollen zu seiner Kommunikation mit den Parthern in Aussicht, ja er habe, wie er hinzufügt, bereits bei seinen Feldherrn Cassius Avidius und Martius Verus (zu deren militärischen Leistungen in diesem Krieg vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2) für

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die Zusendung an Fronto bestimmte commentarios quosdam angefordert und werde sogar selbst nach Bedarf aliquem commentarium in der gewünschten Form zur Bearbeitung durch diesen anfertigen. Vorarbeiten zu Geschichtswerken haben eine zu dieser Zeit bereits länger zurückreichende Tradition. Die erste bekannte Persönlichkeit, von der Vergleichbares berichtet wird, ist Sulla, der Plutarch zufolge dem in Latein und Griechisch gleichermaßen gewandten Lucullus eine Darstellung seiner Taten zugeeignet habe, damit dieser auf solcher Grundlage ein besser organisiertes Geschichtswerk gestalten möge (Plu Luc. 1, 3: ... SÊllaw tåw aÍtoË prãjeiw énagrãfvn §ke€nƒ prosef≈nhsen …w suntajom°nƒ ka‹ diayÆsonti êmeinon), wahrscheinlich unter Einschluß auch einer griechischsprachigen Version zum Zweck weiterer Verbreitung innerhalb der gesamten Mittelmeerwelt (so Lewis 1993, 697–698, der damit die Herausgabe von Hadrians Autobiographie durch den libertus Phlegon von Tralles vergleicht). Bei Cicero findet sich die Ansicht ausgesprochen, Caesars (tatsächlich an Qualität nicht zu überbietende) commentarii zum bellum Gallicum seinen lediglich als Vorarbeit zu späterer Ausarbeitung gedacht gewesen (Cic. Brut. 75, 262, doch vgl. Hirt. Gal. VIII, praef. 5 und Lewis 1993, 637: Caesar’s style was polished enough already: he intended no re-working by another hand), und Cicero selbst, der vier Jahre zuvor bereits mit einem ähnlichen Anliegen an Poseidonios und Atticus herangetreten war (Att. II 1, 1–2, vgl. Gigon 1967, 90), bat seinen Freund Lucceius mit der Pose demonstrativer Unbescheidenheit darum, seine commentarios rerum omnium durch eine kunstvoll überhöhende Darstellung zu entsprechender Wirkung zu entfalten (Fam. V 13 = 12, 10 [Brief an Lucceius, aus Antium, im Juni 56 v. Chr.]); Belege bei Avenarius 1956, 97–104. Noch in der HA (die späteren Viten sind verhältnismäßig reich an methodologischen Stellungnahmen, vgl. Bursian 1977, bes. 289) ist ein durchaus ähnlicher Gedanke ausgesprochen (vita Cari et Carini et Numeriani 21, 2): Habe, mi amice, meum munus, quod ego, ut saepe dixi, non eloquentiae causa sed curiositatis in lumem edidi, id praecipue agens ut, si quis eloquens vellet facta principum reserare, materiam non requireret, habiturus meos libellos ministros eloquii. Der xar€eiw (mit Bezug auf literarische Bildung auch bei Ael. VH IV 18) unterscheidet sich vom Gros der Menschen durch seine besondere Verständigkeit, so Peregr. 39. Zu metaxeir€sasyai vgl. den Kommentar zu Kap. 5: oÈ t«n eÈmetaxeir€stvn oÈd¢ =&yÊmvw suntey∞nai dunam°nvn (Aussage: das Abfassen eines Geschichtswerkes gehöre nicht zu den leicht zu bewerkstelligenden Aufgaben).

toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË, ˜ti oÏtvw §p°grace tå bibl€a tragik≈teron µ katå tØn t«n suggrammãtvn tÊxhn – „KallimÒrfou fiatroË t∞w t«n kontofÒrvn ßkthw flstori«n Paryik«n”, ka‹ Ípeg°grapto •kãst˙ ı ériymÒw.

toËto mÒnon ºtiasãmhn aÈtoË: Lukian verwendet das Verbum afitiçsyai mit einem sächlichen Akkusativobjekt in der Bedeutung von “etwas beanstanden” (Gegenteil §paine›n ti) im

Zusammenhang mit Kunstkritik (Pr. Im. 14, Herm 20) und Literaturkritik (Ind. 18, Hist. Conscr. 26). Das Idiom afitiçsya€ t€ tinow bedeutet bei ihm “etwas an jemandem beanstanden” (so Herm 20: ı goËn M«mow ékÆkoaw o‰mai ëtina ºtiãsato toË ÑHfa€stou). Vor diesem Hintergrund ist auch das Idiom taËtã sou §pain°sontai in Kap. 11 zu verstehen (vgl. den Kommentar zur Stelle). §p°grace tå bibl€a tragik≈teron µ katå tØn t«n suggrammãtvn tÊxhn: Das Verbum §pigrãfein ist der terminus technicus für das Betiteln eines Buches (Ath. XI 496 f: tÚ d¢ drçma toËto Kall€maxow §pigrãfei EÈnoËxon, vgl. Ath. VII 293 a, XV 699 a); das Substantiv §pigrafÆ

bezeichnet dementsprechend den Buchtitel (Kap. 30 und 32, vgl. Alex. 54, Ind. 18). Es ist hier

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also möglicherweise von einem bereits publizierten Werk die Rede (so explizit bei einem anderen namentlich genannten Autor in Kap. 32); und sollte dies zutreffen, so wiese es darauf hin, daß Lukian sich vor einer informierten Öffentlichkeit eine Erfindung des Namens kaum hätte leisten können. Das Adverb tragik≈teron (Grundbedeutung: “mehr nach tragischer Weise”, Pisc. 39) ist als kritischer Hinweis darauf zu verstehen, daß der Buchtitel pompöser ausgefallen ist, als es dem Stellenwert der Schrift gemäß gewesen wäre. Lukian verwendet das Adjektiv tragikÒw und das Adverb tragik«w auch sonst häufig zur Bezeichnung großtuerischer Gestelztheit (Im. 21) sowie übertriebener Pose und inszenierten Auftretens (Peregr. 15, Nec. 8, Gall. 10), und in Kap. 23 dieser Schrift ist die Überladenheit von zwar große Erwartungen erweckenden, doch nicht einlösenden Proömien Gegenstand derartiger Kritik (proo€mia lamprå ka‹ tragikå ka‹ efiw ÍperbolØn makrå). Diese spezielle Bedeutung des Adjektivs tragikÒw findet sich bereits bei Platon (Men. 76 e) angelegt und sodann insbesondere in historiographischem Kontext bei Polybios (Plb. V 26, 9: efisÒdou tragik∞w = mit Pomp). Zur Formulierung µ katå tØn t«n suggrammãtvn tÊxhn ist zu vergleichen Im. 2: me›zÒn ge µ katå fidivtikØn tÊxhn §dÒkei tÚ prçgma e‰nai, wo tÊxh gleichfalls die Bedeutung von condicio (d. h. Status, Rang, Stellenwert) hat. Zum Plural suggrãmmata als einem terminus technicus für die Geschichtsschreibung vgl. bes. auch den Kommentar zu Kap. 14: épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato parakal«n tåw yeåw sunefãcasyai toË suggrãmmatow. „KallimÒrfou fiatroË t∞w t«n kontofÒrvn ßkthw flstori«n Paryik«n”, ka‹ Ípeg°grapto •kãst˙ ı ériymÒw: Der Regimentsarzt Kallimorphos (über ihn ist sonst nichts bekannt, vgl. Jacoby 1919) begann demnach jedes einzelne Buch mit derselben stereotypen Formel und fügte lediglich die jeweilige Buchzahl hinzu (ähnlich auch Kap. 32: Pary€dow pr«ton, deÊteron). Zur Frage, was unter den kontofÒroi zu verstehen ist, kann lediglich Arrian gewinnbringend herangezogen werden, der bei zwei Gelegenheiten auf diese zu sprechen kommt und darüber auf der Basis von Autopsie berichtet (Devine 1993, 326: er ist über Alanen und Armenier als Statthalter von Kappadokien informiert, und über die Parther wahrscheinlich aus der Zeit von Trajans Partherkrieg). Im Buch über Kriegstaktik (Tact. bes. 4, 3 Roos 132, Z. 12–18) unterscheidet er bei der Reiterei zwischen den doratofÒroi, welche er wiederum in die kontofÒroi und logxofÒroi unterteilt, und solchen, die mit Wurfspeer oder Bogen aus der Ferne schleudern (ékrobolista€, sonst auch flppotojÒtai genannt), so wie die Armenier und Teile der Parther, soferne es sich nicht um kontofÒroi handle (Hartmann 1917, 76 möchte im übrigen aus dem Umstand, daß auch D. C. XL 15, 2 innerhalb seines Exkurses über die Frühgeschichte der Parther die flppotojÒtai und kontofÒroi nennt, ableiten, daß von diesem Arrians Parthergeschichte benutzt sein muß). Erstere, die doratofÒroi, beschreibt Arrian so: doratofÒroi m¢n ofl pelãzontew ta›w tãjesi t«n polem€vn ka‹ dÒrasin épomaxÒmenoi µ konto›w §n tª §pelãsei §jvyoËntew …w ÉAlano‹ ka‹ Sauromãtai. Etwas später (Tact. 4, 7 Roos 133, Z. 13–16, vgl. Alan. 21

Roos 183, Z. 2) trägt er nach, daß es nach Art von Alanen und Sauromaten auch bei der römischen Reiterei solche gibt, die konto€ tragen (o„ m¢n kontoÁw f°rousin), und solche, welche Lanzen haben (o„ d¢ lÒgxaw ¶xousi). Demnach sind unter den kontofÒroi mit schwerer Stoßlanze kämpfende Reiter zu verstehen, während die doratofÒroi mit Reiterlanze bewaffnet sind. Andernorts (Alan. 16–18 Roos 181, Z. 23–182, Z. 12) sind unter den kontofÒroi die Infanteristen der vordersten vier Reihen (tãjeiw) zu verstehen, denen ebenso viele Reihen von logxofÒroi nachfolgen, hinter denen wiederum die pezo‹ tojÒtai aufgestellt sind. Dieser Stelle zufolge ist an die pilani zu denken, die erste und ranghöchste Schlachtreihe der kaiserzeitlichen Legion (Hor. S. II 1, 13–14 liefert ein ausdrucksstarkes Bild: horrentia pilis / agmina), welche mit schwerem pilum als geschlossene Spießformation antrat (Strobel

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1994, 1345). Die wenigen griechischen Autoren, welche das den Iberern entlehnte (so überzeugend Schulten 1911) pilum beschreiben (D. H. V 46, 2, App. Gall. 1), gebrauchen den terminus ÍssÒw und stellen einen Vergleich mit dem ékÒntion an (die Stellen diskutiert Schulten 1950, Sp. 1361–1363). Zu Arrians t°xnh taktikÆ und zur ¶ktajiw katå ÉAlan«n umfassend Bosworth 1993, 253–272 und Devine 1993. Da der angegebene Buchtitel kein weiteres konkretes Detail beinhaltet, so muß leider die Frage offen bleiben, ob Kallimorphos sich als ein Mitglied eines sechsten Infanterie- oder Kavalleriebataillons vorgestellt hat, schon gar nicht zu reden von der größeren Einheit, der er angehört hat. Sein Name läßt, wie im Fall des Antiochianus (Kap. 30), Zugehörigkeit zum Milieu kaiserlicher Freigelassener erkennen (primäre Belege und Literatur bei Strobel 1994, 1347, Anm. 227), die im 2. Jh. n. Chr. zu Wohlstand und sozialem Prestige gelangen konnten, und die nachweislich mehrfach auch schriftstellerisch hervorgetreten sind (dazu Millar 1977, 80–81, der Bekannteste unter ihnen ist Phlegon von Tralles, Text und deutsche Übersetzung von Brodersen 2002). Es liegt angesichts dieser Umstände jedenfalls kein plausibler Grund vor, um die Historizität des Kallimorphos überzeugend anzuzweifeln. Nach Homeyer 1965, 21 verbirgt sich dahinter möglicherweise ein römischer Historiker namens Formosus; Anderson 1976 a 78 sieht darin Lukians Vorliebe für polysyllabic titles, und auch Macleod 1991, 294 denkt an Fiktion: the name looks like a comic coinage, so bereits Macleod 1987, 262, Anm. 22: “Dr. Prettybody”. Für die Historizität votiert zu Recht Baldwin 1973 a 83 (There might have been grounds for suspicion if Lucian had used the name for punning or other comic purposes, which he does not). In Anbetracht des Umstandes jedoch, daß die Kritik an Kallimorphos nicht milder als bei den anderen in diesem Teil der Schrift kritisierten Historikern ausfällt, ist Baldwin (1973 a 78, Anm. 19) wohl kaum zuzustimmen, der erklärt: he perhaps got off so lightly because of Lucian’s usual respect for doctors. Daß ein Arzt sich auch als Geschichtsschreiber betätigt, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Bekannt sind aus klassischer Zeit das Beispiel des Ktesias und aus jüngerer Vergangenheit das des Titus Statilius Crito, des Leibarztes Trajans (er begleitete Trajan u. a. bei seinem Feldzug gegen die Daker in den Jahren 101–106 n. Chr.), der in griechischer Sprache eine von Galen (XII 445 Kühn) erwähnte, aber nicht erhaltene Geschichte der Geten verfaßte (FGrH I B 200), die als Quelle für spätere Darstellungen der Dakerkriege benutzt wurde, von Appian und (weniger gesichert) auch von Cassius Dio (zu dessen Getika und deren Quellenwert vgl. Scarborough 1985, bes. 388 und 390–393). Statilius Crito ist ein Beispiel für den gelegentlichen Aufstieg von Ärzten in hohe Positionen im imperium Romanum (Belege bei Scarborough 1985, 389, Scarborough 1976, 112 nennt als weiteres solches Beispiel L. Gellius Maximus, einen Freund Caracallas, vgl. dazu auch Fein 1994, 329–31).

ka‹ nØ D€a ka‹ tÚ proo€mion Íp°rcuxron §po€hsen oÏtvw sunagag≈n: ofike›on e‰nai fiatr“ flstor€an suggrãfein, e‡ ge ı ÉAsklhpiÚw m¢n ÉApÒllvnow uflÒw, ÉApÒllvn d¢ Moushg°thw ka‹ pãshw paide€aw êrxvn:

tÚ proo€mion Íp°rcuxron §po€hsen oÏtvw sunagag≈n: Die abstruse Argumentation, welche

dieser Autor sich habe einfallen lassen, um seine Befähigung zu dem Geschäft eines Historikers plausibel zu erweisen, bewertet Lukian in seiner Eigenschaft als Autor mit dem bei ihm singulären Adjektiv Íp°rcuxron, um der Unfaßbarkeit dieser alles übersteigenden Abgeschmacktheit einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Ansonsten verwendet Lukian die stereotypen Begriffe cuxrÒn

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und cuxrolog€a, insbesondere mit den Konnotationen von Abgestandenheit (Somn. 17: ßvlow går ≤ cuxrolog€a) und Nutzlosigkeit (Tim. 43: ka‹ ≤ patr‹w aÈtØ cuxrå ka‹ énvfel∞ ÙnÒmata). Mit literarkritischer Note erscheinen diese beiden Begriffe bei ihm namentlich mit Bezug auf Homer (DMort. 11, 5) und Platon (Rh. Pr. 17: ı cuxrÚw Plãtvn, vgl. den Kommentar von Zweimüller 2008, 337–338), besonders auf des letzteren Nomoi, welche auf dieselbe Stufe gestellt werden mit den Syllogismen des Chrysippos (Icar. 24). Auch die Tätigkeit der Homerphilologen vom Schlag eines Zenodotos und Aristarchos läßt Lukian durch „seinen“ Homer höchstpersönlich als cuxrolog€a abtun (VH II 20). In vorliegender Schrift sind es ausufernde Ekphraseis, die auf diese Art zum willkommenen Objekt lukianischen Spottes werden (so Kap. 19 [hier der Begriff cuxrÒthw] und 28, vgl. Montanari 1984). Der literarkritische Begriff tÚ cuxrÒn (Belege bei Ernesti 388–390) an sich gehört in Lukians Zeit längst zum Standardwortschatz rhetorischer Theorie. Aristoteles (Rh. III 3, 1405 b 35–1406 b 19) behandelt ihn ausschließlich unter einem stilistischen Gesichtspunkt und nennt vier mögliche Fehlerquellen. Für Ps. Demetrios (Eloc. II 114–127), der sich in der stilistischen Auslegung des Begriffs eng an Aristoteles und sicherlich auch an Theophrast, dessen Begriffsdefinition er eingangs genau referiert (II 114: cuxrÒn §sti tÚ Íperbãllon tØn ofike€an épaggel€an), anschließt, ist das cuxrÒn der dem xaraktØr megaloprepÆw unmittelbar benachbarte Fehler, den er in den Kategorien von diãnoia, l°jiw und sÊnyesiw diskutiert, wobei die Behandlung des cuxrÒn in der Dimension der diãnoia allerdings verhältnismäßig kurz und wenig befriedigend ausfällt (II 115). Bedeutend durchlässiger tritt das cuxrÒn in der engagierten Auseinandersetzung des Ps. Longinos (bes. 3, 4–5, 1) in Erscheinung, der zumal in den von ihm vorgebrachten abschreckenden Beispielen, welche nicht einmal vor anerkannten Klassikern Halt machen, dem inhaltlich–konzeptionellen Gesichtspunkt mehr Raum einräumt, um schließlich den Fehler des cuxrÒn entstanden sein zu lassen diå tÚ per‹ tåw noÆseiw kainÒspoudon (5, 1); weitere Belege im Kommentar zu Kap. 19: tosaÊth cuxrÒthw §n∞n Íp¢r tØn KaspiakØn xiÒna ka‹ tÚn krÊstallon tÚn KeltikÒn. Bereits das Partizip sunagag≈n (ungenau übersetzt von Homeyer 1965, 117: „darin führt er aus”) indiziert deutlich, daß nun ein logisches Schlußverfahren folgen wird, denn der Terminus sunagvgÆ bedeutet in der Logik den Schluss (S. E. P. II 143 und 170) und das Verbum sunãgein (vgl. dazu auch Kap. 17: sunervthm°na ka‹ sunhgm°na kéke›na mit der Anmerkung zum Text) entsprechend das logische Schlußverfahren, zunächst bei Aristoteles (Metaph. VII 1, 1042 a 2), sodann in Stoa (Arr. Epict. I 7, 12) und Skeptizismus (D. L. IX 76 [sunãgei bedeutet “logisch erzwingen”], IV 33 [Arkesilaos ist pointiert durch die Prädikate éjivmatik≈tatow ka‹ sunhgm°now charakterisiert]). Ein in ein frigidum ausartendes argumentum kritisiert übrigens auch Quintilian (Inst. V 10, 31) an Euripides (Ph. 636 / 637), weil dieser Eteokles habe sagen lassen, der bezeichnende Name Polyneikes sei vom Vater in göttlicher Voraussicht als argumentum morum verliehen worden. e‡ ge ı ÉAsklhpiÚw m¢n ÉApÒllvnow uflÒw, ÉApÒllvn d¢ Moushg°thw ka‹ pãshw paide€aw êrxvn: Die Ärzte werden Asklepiaden (ÉAsklhpiãdai) genannt, so bereits Platon (Prt. 311 b, Phdr. 270 c

[Hippokrates Ahnherr der Asklepiaden]); bei Lukian Scyth. 1 und Lex. 4. Der früheste Beleg für das Prädikat moushg°thw (die singuläre Form mousag°ta in Orph. H. 34, 6) liegt bei Platon (Lg. II 653 d) vor, wo gesagt ist, die Götter hätten die Musen, Apollon moushg°thw und Dionysos dem mühebeladenen Geschlecht der Menschen zu Erholung und Aufrichtung geschenkt. Das Attribut moushg°thw findet sich sodann bei Plutarch (z. B. De Pythiae oraculis 5, 396 c, Quaestiones convivales IX 14, 4, 745 a: ka‹ toÁw fiatroÁw ÉAsklhpiÚn ¶xontaw ‡smen ≤gemÒna ka‹ ÉApÒllvni Paiçni xrvm°nouw pãnta, Moushg°t˙ mhy°n), Diodor (I 18, 4), Strabon (X 3, 10 = C 468) und Pausanias (I 2, 5); bei Arrian (Cyn. 35, 2) sind die Musen und Apollon dem Bereich der Bildung (pa€deusiw)

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zugeordnet. Zu den Musen als den Göttinnen der Sophisten vgl. den Kommentar zu Kap. 14: épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato ktl. Lukian bevorzugt Vorstellungsbilder des die Kithara spielenden Apollon und der dazu singenden Musen (DMar. 7, 1, Icar. 27). Noch in der zeitlich leider nicht bestimmbaren lateinischen Bearbeitung der pseudogalenischen ˜roi durch Ps. Soranus ad filium (in Briefform) ist zu lesen: Medicinam quidem invenit Apollo, amplificavit Aesculapius, perfecit Hippocrates (von Norden 1905, 511 in der langen Reihe der von ihm, freilich nicht ganz unproblematisch, als „isagogisch“ gekennzeichneten Schriften angeführt). Zur syllogistischen Form der Beweisführung vgl. die unmittelbar vorangehende Anmerkung (sunagag≈n).

ka‹ ˜ti érjãmenow §n tª ÉIãdi grãfein oÈk o‰da ˜ ti dÒjan aÈt€ka mãla §p‹ tØn koinØn met∞lyen, fihtrikØn m¢n l°gvn ka‹ pe€rhn ka‹ ıkÒsa ka‹ noËsoi, tå dÉ êlla ımod€aita to›w pollo›w ka‹ tå ple›sta oÂa §k triÒdou.

fihtrikØn: zu Recht korrigiert aus fiatrikØn in G und ursprünglich auch in E von Kassel 1973, 107 und

Macleod 1980, 298 (vgl. Luk. Syr. D. 18; Hdt. II 84; III 129, 2), so bereits nach Solanus Dindorf 1858, 9, Fritzsche 1860, 54, Sommerbrodt 1893, 10; fihtre€hn: so korrigiert aus fiatre€hn in Ea durch Reitz 1743, 25, Hermann 1828, 23, Bekker 1853, 27, Homeyer 1965, 116; methodisch ist es jedoch kaum zulässig, der Schreiber–Hinzufügung in E den Vorzug zu geben vor der übereinstimmenden Lesart der ältesten Überlieferungsträger. In der medizinischen Fachliteratur kommen, nebenbei vermerkt, beide Formen oft vor, u. a. bei Galen, besonders oft bei Hippokrates. ˜ti érjãmenow §n tª ÉIãdi grãfein ... §p‹ tØn koinØn met∞lyen, fihtrikØn m¢n l°gvn ka‹ pe€rhn ka‹ ıkÒsa ka‹ noËsoi: Der rasche, unmotivierte Wechsel dieses Autors von ionischem Dialekt

zur Alltagssprache der Koine (dazu Radermacher 1947 und die Beiträge in Brixhe 1993) erzeugt eine derjenigen Diskrepanzen, welche in diesem zweiten Teil der Schrift häufig zum Gegenstand spöttischer Kritik werden (die von Wirth 1964, 241 angenommene Anspielung auf Arrian ist schon deshalb undenkbar, weil dieser nirgendwo unterschiedliche sprachliche Ebenen innerhalb ein und desselben Werkes vermischt, auch nicht in der Indike, wo er den ionischen Dialekt konsequent durchhält). Eine besondere Rolle spielen dabei die Verstöße gegen die Homogenität der Diktion (dazu Weissenberger 1996, bes. 100–103). Zum Vergleich mag dienen, was Philostratos (VA I 7) an dem noch jungen Apollonios von Tyana rühmend hervorhebt; schon im alltäglichen Umgang habe er ein nicht durch fremde Elemente vermischtes, reines Attisch gesprochen (ka‹ ≤ gl«tta ÉAttik«w e‰xen, oÈdÉ épÆxyh tØn fvnØn ÍpÚ toË ¶ynouw). Die exemplarisch genannten ionischen Wörter verwendet Lukian in seinen den ionischen Dialekt imitierenden bzw. parodierenden Schriften, alle davon in der Schrift De dea Syria, zusätzlich ıkÒsa auch wiederholt in De astrologia und zudem noËsow in Alex. 28 (Orakel des Alexandros in Hexametern). Anzumerken ist, daß er in De domo 20 Herodot in seinem ionischen Dialekt sprechen läßt, und in der Vitarum auctio sind es Pythagoras, Demokrit und Heraklit (3–6, 13–14). Und sollte Lukian tatsächlich eine Schrift auf den Namen Heraklits gefälscht haben (so Strohmaier 1976 nach einer arabischen Fassung einer Galenschrift; vgl. die Einleitung, Teil I 1.1), so müßte man sich auch diese Schrift in einem archaisierenden Ionisch verfaßt denken. ≤ ÉIãw (sc. diãlektow, D. H. Th. 23) ist der terminus technicus für den durch Herodot mustergültig repräsentierten ionischen Dialekt (ÑHrÒdotÒw te går t∞w ÉIãdow êristow kan∆n Youkud€dhw te t∞w ÉAty€dow, D. H. Pomp. 3), der bekanntlich gerade im 2. Jh. n. Chr. eine Renaissance in Form von

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pseudoionischen Tendenzen erlebte (dazu am Genauesten Lightfoot 2003, 91–99, frühere Arbeiten: Allinson 1886 und Lindemann 1889). Vgl. dazu auch die Kommentare zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi und zu Kap. 18, in dem ein Herodotplagiator auf sprachlicher und idiomatischer Ebene kritisiert wird. Daß gerade ein Arzt auf die Idee verfallen mochte, in ionischem Dialekt zu schreiben, erklärt sich wesentlich aus der auch noch im kaiserzeitlichen medizinischen Schrifttum feststellbaren Konvention, in griechischen Texten medizinischen Inhalts den ionischen Dialekt zu verwenden, in dem bekanntlich die allermeisten der im Corpus Hippocraticum vereinten Schriften verfaßt sind. Und eine solche Verwendung des Ionischen läßt sich auch in den Fragmenten des weiter oben im Kommentar zu KallimÒrfou fiatroË ktl genannten Arztes und Historikers Titus Statilius Crito noch feststellen (Scarborough 1985, 393). tå dÉ êlla ımod€aita to›w pollo›w ka‹ tå ple›sta oÂa §k triÒdou: Das erstmals bei Dionysios von Halikarnaß belegte Adjektiv ımod€aitow (zu einem Verständnis der exakten Wortbedeutung eignet

sich bei Lukian am Besten Demon. 5) bezeichnet hier die das Niveau des durchschnittlich Gebildeten nicht übersteigende Alltagssprache. Unter den beiden für die fvnÆ genannten Kriterien (Kap. 44: …w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai) ist damit aber nur eines (und auch dieses nur bedingt) erfüllt, nämlich die Allgemeinverständlichkeit, während die der Erwartung und den Ansprüchen der Gebildeten nachkommende Diktion fehlt. Das auch sonst bekannte Idiom §k triÒdou (so Prom. Es 1, Peregr. 3) bezeichnet eine ausgeprägte Niveaustufe darunter den banalen Gassenjargon (Suet. Rhet. 6: trivialibus verbis) ebenso wie bei Julian (or. 7, 218 c: =hmãtvn §k t∞w triÒdou) und Photios (u. a. Bibl. 107, 88 a 38: oÈd¢ t«n §k triÒdou =hmãtvn ép°xetai). In der medizinischen Fachliteratur (bei Galen) dient dieses selbe Idiom übrigens zur Bezeichnung beliebter Aufenthaltsorte gewöhnlicher Quacksalber (Kühn X 786, Z. 8: to›w §k t∞w triÒdou toÊtoiw fiatro›w, u. ö.): Such spots were apparently frequented by sleazy drug panderers and less–than–respectable would–be doctors (das Zitat nach Scarborough 1985, 402, Anm. 52).

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Kapitel 17 In diesem Teil der Schrift werden zwei Autoren aus Korinth verspottet, der eine von ihnen, von dem die Herkunft aus Korinth zwar nicht explizit ausgesagt wird, aber wahrscheinlich ist (sein Werk wurde den Andeutungen des Autor-Ichs zufolge in Korinth publiziert), hier in Kap. 17, der andere, an dessen Herkunft aus Korinth durch mehrfache Hinweise im Text kein Zweifel gelassen wird, in Kap. 29. In beiden Fällen erscheint die Kritik als deutlich schärfer und mit persönlicherer Stoßrichtung, als dies bei den anderen Anonymi und den namentlich genannten Verfassern der Fall ist. Auf die Personen beider Korinther finden sich im Text derart konkrete Hinweise, daß es für einen informierten Zeitgenossen nicht schwer gewesen sein dürfte, die namentlich nicht genannten Verfasser in ihrer Individualität zu erkennen. Die Charakteristik beider Autoren ist also nach Lukians Absicht, wie es scheint, auf Erkennbarkeit hin angelegt. Was den in Kapitel 17 kritisierten Stoiker betrifft, so läßt sich dies schon aus dem Umstand ersehen, daß Lukian in seiner Eigenschaft als Autor die Identität des Mannes demonstrativ zurückhält (die stereotype Formel tÚ m¢n [bzw. d¢] ˆnoma §n éfane› ke€syv auch in Eun. 10). Doch zugleich gibt er aber klare Hinweise auf dessen philosophische Profession und die damit in Zusammenhang stehende Selbstdarstellung sowie auch auf gewisse charakteristische Persönlichkeitsmerkmale des Verfassers, eine ganz unsympathische Verbindung von eitler Selbstgefälligkeit und höchst plumper Speichelleckerei gegenüber dem Kaiser Lucius Verus (einzig hier ist in diesem Schriftteil das Thema der kolake€a direkt angesprochen). Auch der Hinweis auf den an sich typischen Philosophenbart (bei Lukian ist er stets ein Kennzeichen der Scheinphilosophen) beinhaltet einen individuellen Zug, da die graue Farbe (p≈gvni poli“) das fortgeschrittene Alter des Stoikers anzeigen soll. Zur Erkennbarkeit des Mannes tragen weiters konkrete Angaben über Zeit (pr–hn), Ort (§n Kor€nyƒ) und Art der Darbietung (suggrãmmata) bei. Das Werk des Korinthers wurde demnach, wie es scheint, erst kurz zuvor in Korinth publiziert. Daß es sich wirklich um eine bereits erfolgte Veröffentlichung handelt, das suggeriert zumindest der unmißverständliche Hinweis auf die Leser (toÁw énagin≈skontaw). Wie auch sonst in diesem Teil der Schrift häufig, so sind auch hier die Kritikpunkte wesentlich der Behandlung des Proömiums entnommen. Mit dem in Kapitel 16 kritisierten Kallimorphos verbindet den Korinther die Anwendung einer syllogistischen Art der Beweisführung (hier wird dies allerdings explizit ausgesprochen und im Detail illustriert). Zudem hatte jener, der Arzt, seine Befähigung zum Geschäft eines Historikers mit einem mythischen Rekurs auf Apollon Musagetes begründet, während der Korinther aus seiner philosophischen Profession seine einschlägige historiographische Kompetenz ableiten wollte. Aus literarhistorischer Sicht ist dies jedoch keine plausible Argumentation, denn aus der gesamten griechischen Literaturgeschichte sind keine Philosophen bekannt, die jemals als Verfasser aktueller Zeitgeschichte in griechischer Sprache hervorgetreten sind, mit einziger Ausnahme des Poseidonios. Das einzige, was der Korinther denn auch zum eitlen Aufweis seiner ausgerechnet durch die Philosophie begründeten Qualifikation zur Abfassung eines Geschichtswerkes zu tun weiß, ist dies, ein penetrantes Kompliment an die Adresse des Lucius Verus zu richten (zugleich auch nicht minder ein Selbstlob), dessen außerordentliche Leistungen es wert wären, von einem Philosophen dargestellt zu werden. Alles in allem ist also anzunehmen, daß der verspottete Korinther in seiner Heimatstadt und darüber hinaus eine bekannte und offensichtlich auch recht markante Person gewesen sein dürfte. Lukians in diesem Fall persönlichere Art des Spottes könnte vermutungsweise darauf schließen lassen, daß er mit diesem Mann irgendwie in eine für ihn unerfreuliche Berührung gekommen sein könnte und sich nun auf diese Weise revanchieren wollte (zu Fällen dieser Art vgl. die Einleitung, Teil I 4. 2).

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In formaler Hinsicht fällt auf, daß Lukian sich hier zum einen des Mittels der Ironie bedient (sofoË éndrÚw, suggrãmmata kre€ttv pãshw §lp€dow und lÒgon pãnsofon de›jai speÊdvn), zum

anderen aber ganz außerordentlicher Direktheit in der Bewertung, zumal da, wo es darum geht, die Denkungsart (gn≈mh, zur idealen gn≈mh des Historikers vgl. Kap. 38–41) des Verfassers mit auffallend drastischen Worten zu beurteilen (tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã). Zudem sind die direkten Zitate, welche die Selbstdarstellung des Autors als eines Weisen und Philosophen beinhalten, sichtlich daraufhin angelegt, etwas von dem selbstgefälligen Wortlaut des Originals erahnen zu lassen. Das Autor-Ich tritt an zwei Stellen explizit hervor (§r« und ¶doj°n moi), und zu Schluß sucht es eine Gemeinsamkeit nicht eigentlich mit dem konkreten Adressaten Philon, sondern eher mit allen auf literarischem Gebiet Urteilsfähigen (≤m›n). Wie in Kap. 16, so ist auch hier die Du–Ansprache ausgespart. Der Wortlaut zu Beginn (Einführung des Korinthers mittels mnhsy∞nai) korrespondiert dem des Anfangs von Kapitel 18 (émnhmon∞sai). Kein anderer Verfasser wird in diesem Schriftteil solcherart eingeführt.

Efi d° me de› ka‹ sofoË éndrÚw mnhsy∞nai, tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv, tØn gn≈mhn d¢ §r« ka‹ tå pr–hn §n Kor€nyƒ suggrãmmata, kre€ttv pãshw §lp€dow.

Die Worte tÚ m¢n ˆnoma §n éfane› ke€syv (zur Bedeutung Herm 20: épÒrrhta ka‹ §n éfane› ke€mena) sind bei Lukian eine stereotype Phraseologie. Lukian verwendet sie auch in Eun. 10 (Datierung nach 176 n. Chr., wahrscheinlich nach 179 n. Chr.), wo ein anonymer Sprecher, der eine neue Enthüllung bringt, mit den Worten tÚ d¢ ˆnoma §n éfane› ke€syv eingeführt wird. Daß diese beiden mit demselben Idiom eingeführten Personen identisch sind (Hermann 1828, 118) ist freilich unwahrscheinlich, eher ist Harmon V 341, n. 1 und Macleod 1987, 260 darin zuzustimmen, daß der anonyme Sprecher in Eun. 10 als Lukian selbst aufzufassen ist. Einer in der Aussageweise ähnlichen Strategie läßt Lukian sich das Autor-Ich auch in Peregr. 31 bedienen (oÈ går o‰da ˜stiw §ke›now ı b°ltistow §kale›to). An vorliegender Stelle wird ein offensichtlich dermaßen bekannter Autor kritisiert, daß Lukian (im Text das Autor-Ich) es sich leisten kann, demonstrativ auf eine Namensnennung zu verzichten, da er sicher sein konnte, daß diese Person auch so leicht identifiziert werden konnte. Der Witz würde sich aber verlaufen, wenn man davon ausgeht, daß Lukian diesen Autor fingiert hat. Die zunächst von Wirth 1964, 241, sodann von Macleod 1987, 259–260 und 1991, 294 angenommene Bezugnahme auf die von Arrian an prononcierter Stelle vorgetragenen Worte tÚ m¢n ˆnoma oÈd¢n d°omai énagrãcai (An. I 12, 5) ist kaum wahrscheinlich (kritisch Anderson 1980, 121, der mit gewissem Recht auf die motivischen Parallelen aus Lukian selbst hinweist). gn≈mh, die Denkungsart, ist in dieser Schrift ein wichtiger und mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen zugrunde gelegter Begriff (Kap. 37–38, 43–45 und 51). Ein anderer anonymer korinthischer Historiker wird in Kapitel 29 verspottet. Auch seine Charakteristik ist ganz auf Erkennbarkeit hin angelegt, und auch bei ihm erscheint der Ton verhältnismäßig aggressiv. Das in kaiserzeitlicher Literatur mehrfach belegte Idiom kre€ttv (pãshw) §lp€dow (Plu Mar. 8, 4 und Rom. 1, 3; J. AJ 20, 59) findet sich erstmals bei Thukydides (II 64, 1): ≤ nÒsow ¥de, prçgma mÒnon dØ t«n pãntvn §lp€dow kre›sson gegenhm°non. Lukian gebraucht es auch in Alex. 8. Zwar weist die Bezeichnung des Werkes als suggrãmmata (vgl. weiter unten im Text toÁw énagin≈skontaw: die Leser) auf eine bereits erfolgte Publikation hin. Doch ist mit der prinzipiellen Möglichkeit zu rechnen, daß Lukian (im Text freilich der Autor bzw. das Autor-Ich) einer Lesung des korinthischen

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Anonymus aus seinem Werk in Korinth beigewohnt hat. Es ist daher keineswegs auszuschließen, daß er sich, wie Baldwin 1973 a, 17 es vermutet, hier zumindest einmal aufgehalten hat. Natürlich setzt dies voraus, daß in diesem Fall Lukian selbst mit dem Autor zumindest weitgehend gleichzusetzen ist. Und dies wird in dem Maße wahrscheinlicher, in dem man zur Annahme bereit ist, Lukian habe mit dem hier ungewöhnlich aggressiv verspotteten Korinther eine persönliche Erfahrung gemacht, welcher Art auch immer. Mit ähnlicher Aggressivität erfolgt auch die Verspottung des anderen Korinthers in Kapitel 29 (vgl. den Kommentar dazu).

§n érxª m¢n går eÈyÁw §n tª pr≈t˙ toË prooim€ou periÒdƒ sunhr≈thse toÁw énagin≈skontaw lÒgon pãnsofon de›jai speÊdvn, …w mÒnƒ ín t“ sof“ pr°poi flstor€an suggrãfein. e‰ta metå mikrÚn êllow sullogismÒw, e‰ta êllow: ka‹ ˜lvw §n ëpanti sxÆmati sunhr≈thto aÈt“ tÚ proo€mion.

§n érxª m¢n går eÈyÁw §n tª pr≈t˙ toË prooim€ou periÒdƒ sunhr≈thse toÁw énagin≈skontaw lÒgon pãnsofon de›jai speÊdvn, …w mÒnƒ ín t“ sof“ pr°poi flstor€an suggrãfein: Dieser

Autor, ein Stoiker, wie bereits seine protzig–selbstgefällige Selbstcharakteristik als eines Weisen (sofÒw) zeigt, nimmt die für jegliches Proömium obligatorische Aufgabe des Erweckens von Aufmerksamkeit (prosoxÆ, dazu Kap. 53) auf ebenso eigenwillige wie deplazierte Art wahr, indem er ohne Umschweife die Leser sogleich (zur betonten Setzung des Adverbs eÈyÊw vgl. den Kommentar zu Kap. 14: épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato) in einen vertrackten logischen Diskurs verwickelt. Im Zusammenhang mit Fragestellung und logischer Argumentation verwendete das Verbum sunervtçn als erster Protagoras (D. L. IX 51: Ka‹ pr«tow ¶fh dÊo lÒgouw e‰nai per‹ pantÚw prãgmatow éntikeim°nouw éllÆloiw: oÂw [Text unsicher] ka‹ sunhr≈ta, pr«tow toËto prãjaw), später ist es Standard in einschlägigen Debatten (z. B. S. E. P. II 131, bei Lukian Bis Acc. 22). Von derartigen Wortfechtereien gibt Lukian in der Vitarum auctio (bes. in Kap. 22–23) ein anschauliches Bild. Chrysippos erteilt hier dem Käufer eine Lehre in Sachen stoischer Logik; er sagt, er werde diesen lehren tÚn yer€zonta (dazu Symp. 23 und D. L. VII 25) ka‹ tÚn kurieÊonta (dazu Arr. Epict. II 19, 1–5, Forschungsüberblick bei Giannantoni 1981) ka‹ §p‹ pçsi tØn ÉHl°ktran ka‹ tÚn §gkekalumm°non [sc. lÒgon] (zu Letzterem Sedley 1977). Der Käufer möchte den dritten und vierten lÒgow erklärt wissen, was denn auch umgehend geschieht. Chrysippos versteht sich hier also seinem plakativ vorgetragenen Selbstverständnis zufolge auf die Fallstricke verfänglicher Argumentation (tåw t«n lÒgvn plektãnaw). Andernorts (Herm 79) gibt Lukian durch die Folie des Sprechers Lykinos eine Vorstellung von den Fragen und Kunstgriffen, mit denen Lehrer ihre Schüler zu übertölpeln und in die Enge zu treiben verstünden: tÚn didãskalon touton‹ yaumãzete g°ronta êndra, ˜ti toÁw prosomiloËntaw §w épor€an kay€sthsi ka‹ o‰den …w xrØ §r°syai ka‹ sof€sasyai ka‹ panourg∞sai ka‹ §w êfukta §mbale›n. In Pisc. 41 läßt Lukian Parrhesiades mit bitterer Ironie sagen, ohne Syllogismen könne man eben kein sofÒw sein. Eine illustrative Textauswahl zur einschlägigen

Doxographie bei Long / Sedley 1987, bes. 221–232. Es mag in diesem Kontext auch von Interesse sein, daß die Anwendung von §nyumÆmata und Syllogismen bei einem sophistischen Redner großen Eindruck machte; in diesem Sinne ist ein aufschlußreicher Brief des jüngeren Plinius zu berücksichtigen, in dem dieser den überwältigenden Eindruck des extemporierenden Starredners Isaios auf römisches Publikum beschreibt (Ep. II 3, 1–4, bes. 4). Das Adjektiv pãnsofow hat bei Lukian stets eine ironische Bedeutung bis hin zu offenem Sarkasmus (so Herm 60, Tim. 55, Philops. 6, Rh. Pr. 11, Ind. 26). Mit einziger Ausnahme freilich

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des Poseidonios hat kein professioneller Philosoph es in der Antike jemals unternommen, sich als Verfasser von Zeitgeschichte in größerem Stil zu betätigen (so zutreffend Nock 1959, 4). ka‹ ˜lvw §n ëpanti sxÆmati sunhr≈thto aÈt“ tÚ proo€mion: Im Bis accusatus (22) gibt Lukian einen deutlichen Hinweis darauf, was unter dem Begriff sx∞ma zu verstehen ist. Die Stoa, welche

sich anschickt, Epikur mittels logischer Spitzfindigkeiten niederzuringen, erklärt, als sie von der Autorität des Hermes unterbrochen wird, sie hätte den Sieg errungen, efi sunhr≈thsa §n t“ tr€tƒ t«n énapode€ktvn sxhmãtvn. Das zeigt, daß die fünf énapÒdeiktoi lÒgoi (so genannt, weil sie keines Beweises bedürfen) des Chrysippos gemeint sind, über welche u. a. Diogenes Laertios (VII 79–81 = SVF Fr. 241) und Sextus Empiricus (M. VIII 223–230 = SVF Fr. 242) ausführlich berichten (S. E. M. VIII 227: Ofl m¢n oÔn lÒgoi toioËto€ tin°w efisi, trÒpoi d¢ aÈt«n ka‹ …spere‹ sxÆmata §n oÂw ±r≈thntai ofl oÏtvw ¶xontew ktl). Unter sx∞ma ist demnach die Argumentationsform zu verstehen (der Textsinn: “kurz und gut, das Proömium war ihm als eine einzige Serie von Syllogismen in jeglicher Form durchgestaltet”). Das Artifizielle an dieser Formulierung geht daraus hervor, daß die Form sunhr≈thto nach Auskunft des TLG sonst nirgendwo belegt ist. Dasselbe trifft auf das gleich folgende Partizip sunhrvthm°na zu.

tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã, oÈk ésullÒgista m°ntoi, éllå sunhrvthm°na ka‹ sunhgm°na kéke›na.

ka‹ sunhgm°na: so Hermann 1828, 24 und Macleod 1980, 298 nach G und E, vgl. auch den Kommentar zu Kap. 16: sunagag≈n; [ka‹ sunhgm°na]: als eine in den Text eingedrungene

Glosse erachtet von Iacobitz 1838, 20, Bekker 1853, 27, Dindorf 1858, 9, Fritzsche 1860, 55. Aus methodischer Sicht besteht jedoch kein zwingender Grund, die übereinstimmende Lesart der beiden ältesten Überlieferungsträger zu eliminieren, so auch Kassel 1973, 107. tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron, ka‹ tå §gk≈mia fortikå ka‹ komidª bvmoloxikã: Schmeichelei (kolake€a) charakterisiert den Scheinphilosophen (Pisc. 42: Sprecherin ist die Personifikation der Philosophie). Das Adjektiv fortikÒw erscheint bei Lukian zum einen so wie bereits bei Aristoteles (EN X 8, 1178 b 16) zur Bezeichnung der ärgerlichen Wirkung übertriebenen Lobes auf andere (Tim. 43: kolake€aw ka‹ §pa€nvn fortik«n éphllagm°now, Pr. Im. 1, Merc. Cond. 24, Pisc. 34), zum anderen dient es entsprechend dem Usus in rhetorischer Theorie (besonders häufig bei D. H. Orat. Vett. 1–2, Th. 27 und 45, Dem. 29, 44 und 57, u. o.) auch als literarkritischer Begriff (Rh. Pr. 22: nautiçn ëpantaw §p‹ t“ fortik“ t«n Ùnomãtvn, JTr. 14). Schmeicheleien, an sich schon lästig, nehmen sich in der Geschichtsschreibung besonders anstößig aus (prinzipiell zur Inadäquatheit von ¶painow und §gk≈mion in der Gattung der flstor€a vgl. Kap. 7).

Es fällt auf, daß das Thema der Schmeichelei (kolake€a) zwar in den lehrhaften Teilen der Schrift (bes. Kap. 7–8, 10–13, 39–40, wiederholt im Epilog: 61–63) ausgiebig behandelt ist und daß dabei auch historische Exempla aufgerufen werden (Kap. 12: Aristobulos und Kap. 40: Onesikritos), daß es aber in diesem Teil der Schrift (Kap. 14–32), in dem es um die zeitgenössische Geschichtsschreibung geht, abgesehen von dieser Stelle überhaupt nicht in expliziter Form vorkommt. Vor diesem Hintergrund ist Baldwins 1973 a, 94–95 leicht übertriebene Bemerkung über Lucian the careerist prinzipiell immer noch zu beachten: He nowhere takes the historians to task for undue magnification of Verus, and does not try to deflate the military achievement of Rome and her generals. His prescriptions on the general ethics of flattery and stylistic matters were carefully phrased, and not likely to get him into any trouble with eminent men.

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Es ist aber sicherlich deutlich überzogen, wenn Baldwin bald darauf hinzufügt, die Apologia erteile Antwort auf die Frage, wie Lukian sich verhalten hätte, wäre er von Lucius Verus oder einem der für die Kriegsführung verantwortlichen Feldherrn zum Verfassen eines eigenen Feldzugsberichtes aufgefordert worden. Den bvmolÒxow bringt Lukian auch sonst mit dem kÒlaj zusammen (Merc. Cond. 24). In diesem Sinne erklärt Harpokration (Bekker, Harp. 47, Z. 3–5) s. v. bvmoloxeÊesyai: kur€vw §l°gonto bvmolÒxoi ofl §p‹ t«n yusi«n ÍpÚ toÁw bvmoÁw kay€zontew ka‹ metå kolake€aw prosaitoËntew. In den aristotelischen Ethiken ist die eÈtrapel€a bestimmt als die Mitte zwischen der égroik€a und der bvmolox€a (EN II 7, 1108 a 23–27, EE III 7, 1234 a 4–10 mit Junktur der Adjektive fortikÒw und bvmoloxikÒw). Inzwischen dürfte aber eine leichte Bedeutungsverschiebung stattgefunden haben, welche es schwer macht, die exakte Bedeutung in diesem Kontext zu bestimmen. Wahrscheinlich ist die für jedermann leicht erkennbare und auch durch die syllogistische Art der Präsentation nicht verschleierte Plumpheit gemeint, mit welcher dieser Autor seine berechnenden Speichelleckereien vorträgt (vgl. Kap. 11: oÈd¢ går katå t°xnhn aÈtÚ drçn ‡sasin oÈdÉ §piskiãzousi tØn yvpe€an). Zur spezifischen Bedeutung von §w kÒron im Sinne von “bis zum Überdruß” vgl. den Kommentar zu Kap. 50: m°tron §p°stv, mØ §w kÒron mhd¢ épeirokãlvw mhd¢ near«w.

ka‹ mØn kéke›no fortikÚn ¶doj°n moi ka‹ ¥kista filosÒfƒ éndr‹ ka‹ p≈gvni poli“ ka‹ baye› pr°pon, tÚ §n t“ prooim€ƒ efipe›n, …w §ja€reton toËto ßjei ı ≤m°terow êrxvn, o ge tåw prãjeiw ka‹ filÒsofoi ≥dh suggrãfein éjioËsin. tÚ går toioËto, e‡per êra, ≤m›n ¶dei katalipe›n log€zesyai µ aÈtÚn efipe›n.

¶dei: in G und E fehlt das Verbum, von dem der Infinitiv katalipe›n syntaktisch abhängig sein muß; bloß in jüngeren Handschriften findet sich die Konjektur ¶dei, so übernommen von Reitz 1743, 26, Hermann 1828, 24, Bekker 1853, 27, Dindorf 1858, 9; < kãllion ∑n >: nach Fritzsche 1860, 56 (Kommentar) Kassel 1973, 107–108, Macleod 1980, 298 (Text); êmeinon ∑n (~): Sommerbrodt 1893, 10, an kre›tton ∑n ?, Macleod 1980, 298. Es liegen jedoch keine zureichenden Kriterien dafür vor, welche dieser Konjekturen richtig ist; die Entscheidung kann daher nur nach subjektiver Einschätzung getroffen werden. Das verpflichtende ¶dei scheint meiner Ansicht nach dem Tenor der Schrift am ehesten angemessen zu sein, während Kassel Fritzsches Einschub vor ≤m›n entschieden den Vorzug gibt. ¥kista filosÒfƒ éndr‹ ka‹ p≈gvni poli“ ka‹ baye› pr°pon: Lukian bedient sich stets eines

stereotypen Repertoires, um Würde und Ernsthaftigkeit lediglich vortäuschende Scheinphilosophen zu charakterisieren, die, in Wahrheit der Lüge und lasterhaftem Treiben hingegeben, dennoch andere mit ihrer Pose hinters Licht zu führen verstehen. Dazu gehört neben einer kleinen Anzahl von anderen Attributen (Clay 1992, bes. 3414–3416) auch der dichte lange Bart (Merc. Cond. 33, Philops. 5, Icar. 21, u. o.). Daraus ist aber nicht zwingend mit Anderson 1976 a 77 abzuleiten, daß Lukian hier bloß einer wahrscheinlich fiktiven Person seinem motivischen Standardrepertoire entnommene Züge verleiht. Vielmehr ist es wohl eher als wahrscheinlich zu erachten, daß er mit dem Hinweis auf den grauen Bart den informierten Zeitgenossen einen Hinweis für die Identifizierung dieses im Alter bereits vorangeschrittenen Mannes geben wollte (siehe dazu die Einleitung zum Kommentar, Kap. 17).

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…w §ja€reton toËto ßjei ı ≤m°terow êrxvn, o ge tåw prãjeiw ka‹ filÒsofoi ≥dh suggrãfein éjioËsin: Diesem eitlen Selbstlob liegt der vertraute Gedanke zugrunde, daß erst literarische

Gestaltungen militärischen Handlungen Bekanntheit verschaffen (so Arr. An. I 12, 2–4, zur Prahlerei des Kallisthenes mit seinem Werk An. IV 10, 1–2). Im konkreten Fall verrät die Formulierung ein besonders großes Maß an Selbstüberschätzung, denn tatsächlich hatte sich, mit einziger Ausnahme des Poseidonios, noch keiner der bedeutenden Philosophen, soweit bekannt, als Verfasser aktueller politischer Geschichte betätigt (Malitz 1983, 409, in diesem Sinne auch 32–33). Zur Kritik des Autors an eitlem Selbstlob bereits im Proömium vgl. den Kommentar zu Kap. 14: e‰tÉ §p∞gen Íp¢r aÍtoË ti §gk≈mion. Unter ı ≤m°terow êrxvn ist natürlich Lucius Verus zu verstehen, unter dessen Führung die Römer gegen die Parther kämpften (zu den historischen Voraussetzungen vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2). Zur Solidarisierung Lukians mit dem römischen Reich mittels eines “wir” bzw. eines “unser” (in dieser Schrift Kap. 5, 14, 29 und 31) vgl. den Kommentar zu Kap. 5: oÈ går prÚw ≤mçw ge tolmÆseien ên tiw èpãntvn ≥dh kexeirvm°nvn, vgl. auch die Einleitung, Teil I 1. 2 und Swain 1998, 313. e‡per êra: Das erst in kaiserzeitlicher Literatur auftretende Idiom e‡per êra in absolutem Gebrauch

bedeutet “wenn überhaupt” (Gall. 21) und “wenn denn schon” bzw. “wenn es denn unbedingt sein muß” (Bacch. 3). Um dieses Bedeutungsspektrum herum angesiedelt sind die besonders bei Dion Chrysostomos (or. 2, 28; or. 18, 18; or. 31, 70), Epiktet (Arr. Epict. I 28, 9; III 3, 17; IV 6, 2) und Plutarch (Num. 4, 7, Platonicae quaestiones 2, 1009 f, vgl. auch Ps. Plu Consolatio ad Apollonium 22, 113 a) verhältnismäßig zahlreichen Belege.

Kapitel 18 Im Eingang der Schrift (Kap. 2) hatte der Autor von einer Fülle an Partherkriegshistorikern gesprochen, die alle bestrebt gewesen wären, es so recht Thukydides, Herodot und Xenophon gleichzutun. Solche Nachahmer oder, um es genauer zu sagen, solche Plagiatoren werden nun im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift verspottet. Nur hier in Kapitel 18 gilt die Kritik einem explizit als Herodotimitator namhaft gemachten Anonymus, und nur hier ist dies für die Kritik der einzig leitende Gesichtspunkt. In Kapitel 14 war ein Homerimitator kritisiert worden, der u. a. auch, in reichlich abgeschmackter Weise, Anleihe bei der herodoteischen Kriegsaitiologie genommen habe (vgl. den Kommentar zu Kap. 14: ka‹ ≥rjatÒ ge t∞w flstor€aw oÏtvw ktl), und in Kap. 16 hatte die Kritik dem als Kallimorphos bezeichneten Autor gegolten, der u. a. eben auch in illegitimer Weise zwei ganz inkompatible sprachliche Ebenen miteinander vermischt habe, das Ionische und die Koine (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 16: ka‹ ˜ti érjãmenow §n tª ÉIãdi grãfein ktl). Im 2. Jh. n. Chr. gab es im Kontext eines artifiziellen Archaismus, der alle alten literarischen Dialekte umfaßte, das Dorische, das Ionische und ganz besonders das Attische (Schmitz 1997, 67–75: Künstliches Archaisieren), freilich schon lange zuvor vorhandene, doch nun klar verstärkte Bestrebungen, den ionischen Dialekt Herodots wiederzubeleben. Zu diesen Tendenzen, denen auch Lukian sich nicht verschlossen hat, wie u. a. die sich im ionischen Dialekt Herodots präsentierenden Schriften per‹ t∞w Sur€hw yeoË (De Syria dea) und per‹ t∞w éstrolog€hw (De astrologia) zeigen, vgl. die Kommentare zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi und Kap. 16, weiters Allinson 1886, Lindemann 1889, Latte 1915, 389–390, Schmitz 1997, 71 mit Anm. 19; die bei weitem detaillierteste und ergiebiegste unter den neueren Darstellungen bei Lightfoot 2003, 91–99: Pseudo–Ionism. Der hier in Kapitel 18 kritisierte Autor hatte nach Lukians Darstellung herodoteische Idiome (alle kommen bei diesem erstmals im ersten Buch vor, in Kap. 5 und 7–8) wortwörtlich bzw. auch in leicht modifizierter Form verwendet (soferne der Grund nicht bloß in der oft etwas freieren Zitierweise

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Lukians liegt), und zwar bereits zu Beginn seines Werks, wie sich aus den Formulierungen toiãnde érxØn ≥rjato, ka‹ mikrÚn Ïsteron und ka‹ pãlin klar ergibt (Lukian zitiert in diesem Schriftteil, Kap. 14–32, überhaupt mit Vorliebe aus Werkanfängen, d. h. aus Buchaufschriften und aus Proömien). Der Anonymus ist (durch Lukians selektives Auswahlverfahren) als reiner Herodotimitator charakterisiert, ebenso wie der früher genannte Autor (das bezieht sich eindeutig auf das Kap. 15, weshalb die Übersetzung Homeyers 1965, 119 mit „wie der vorhin genannte Autor“ etwas mißverständlich erscheint) als Nachäffer des Thukydides vorgestellt worden war (vgl. die beiden unübersehbar aneinander angeglichenen Idiome eÔ mãla §–kei und oÂow eÔ mãla t“ érxetÊpƒ efikasm°now). Die rhetorische Frage ıròw (ihre hauptsächliche Funktion ist es in dieser Schrift, sich des Verständnisses vonseiten des Adressaten Philon zu versichern) erscheint in den Kapiteln 9 und 14, und dann erst wieder zum Schluß, in Kapitel 62. Fragen des Typs oÈx ıròw, oÈk o‰syÉ usw. gehören bekanntlich dem Diatribenstil an (dafür Belege bei Bultmann 1910, 13, Anm. 3), sie finden sich aber auch in literarischen Briefen mit paränetischem bzw. didaktischem Charakter. Ka‹ mØn oÈdÉ §ke€nou ˜sion émnhmon∞sai, ˘w toiãnde érxØn ≥rjato: „ÖErxomai §r°vn per‹ ÑRvma€vn ka‹ Pers°vn”, ka‹ mikrÚn Ïsteron: „¶dee går P°rs˙si gen°syai kak«w”, ka‹ pãlin: „∑n ÉOsrÒhw, tÚn ofl ÜEllhnew ÉOjurÒhn Ùnum°ousin”, ka‹ êlla pollå toiaËta. ıròw; ˜moiow otow §ke€nƒ, parÉ ˜son ı m¢n Youkud€d˙, otow d¢ ÑHrodÒtƒ eÔ mãla §–kei.

ÖErxomai §r°vn per‹ ÑRvma€vn ka‹ Pers°vn: Das Idiom ¶rxomai §r°vn verwendet Herodot in der

Regel an prominenten Stellen, in I 5, 3 (nach dem Bericht über die Versionen der Perser und Phöniker zum Frauenraub erklärt er: §g∆ d¢ per‹ m¢n toÊtvn oÈk ¶rxomai §r°vn …w oÏtvw µ êllvw kvw taËta §g°neto), II 40, 1 und II 99, 1 (bisher habe er sich an Autopsie gehalten, nunmehr berichte er über die lÒgoi der Ägypter). An zwei Stellen legt er bekannten Rednern diese selben Worte in den Mund, nämlich in III 80, 5 (Höhepunkt in der Rede des Otanes) und VII 49, 3 (Rede des Artabanos). Herodot verwendet darüberhinaus auch ähnliche Idiome (dazu Becker 1937, bes. 101), fast ebenso häufig ¶rxomai frãsvn (I 194, 1; II 11, 1; III 6, 1; VI 109, 4), zweimal ¶rxomai l°jvn (II 11, 3; VII 102, 2), jeweils nur einmal ¶rxomai mhkun°vn (II 35, 1) und ¶rxomai shman°vn (IV 99, 2). Der kritisierte Herodotepigone hat ein aus Herodot wohlbekanntes Idiom ausgewählt, und zwar gerade mit dem am Häufigsten und an herausgehobenen Stellen vertretenen Wortlaut. ¶dee går P°rs˙si gen°syai kak«w: Diesmal wählt der Plagiator ausgerechnet eine tief in das

herodoteische Weltbild eingreifende und eben darum für einen zeitgenössischen Autor besonders unpassende Formulierung, um seiner plakativen Partherfeindlichkeit Ausdruck zu verleihen. Bei Herodot findet sich das durch die Worte ¶dee, kak«w und gen°syai bestimmte Idiom mit Bezug auf die Schicksalsverfallenheit des ägyptischen Königs Apries (II 161, 3), des Skythenkönigs Skyles (IV 79, 1) und der Artaynte (IX 109, 2). Eine leichte Variation liegt vor im Fall des Kandaules (I 8, 2: xr∞n går KandaÊl˙ gen°syai kak«w), eine Stelle, auf die andernorts im Corpus Lucianeum (Asin. 28) explizit Bezug genommen ist: ÉExr∞n d¢ êra kéntaËya Àsper KandaÊl˙ kémo‹ gen°syai. Auch Arrian verwendet das Idiom einmal (An. II 6, 7: §xr∞n går ≥dh ka‹ P°rsaw prÚw MakedÒnvn éfairey∞nai t∞w ÉAs€aw tØn érxÆn, ...), doch darum mit Wirth 1964, 241 an einen Seitenhieb Lukians an die Adresse Arrians zu denken, führt entschieden zu weit; Die Kritik des Autors Lukian richtet sich bloß auf die geballt auftretenden herodoteischen Elemente, die den kritisierten Anonymus zum abgeschmackten Herodotimitator stempeln.

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∑n ÉOsrÒhw, tÚn ofl ÜEllhnew ÉOjurÒhn Ùnum°ousin: Hierbei handelt es sich um die Formel, mittels

derer Herodot neue Personen in seine Geschichtserzählung einzuführen pflegt. Die Griechen als Namensgeber finden sich in diesem Zusammenhang auch mit Bezug auf Oros (II 144, 2: âVron ... tÚn ÉApÒllvna ÜEllhnew Ùnomãzousi) und besonders auf Kandaules (I 7, 1: âHn KandaÊlhw, tÚn ofl ÜEllhnew Murs€lon Ùnomãzousi), sicherlich bereits in der Antike die bekannteste Stelle. Die textkritisch einwandfreie Form Ùnum°ousin gebraucht Herodot nirgendwo, und es fragt sich, ob es sich überhaupt um eine ionische Form handelt (zu diesem Ergebnis gelangte auch Saïd 1994, 152) und nicht vielmehr nach dem Muster von ˆnuma und Ùnuma€nein bzw. Ùnumãzein um eine äolische oder vielleicht auch dorische. Nach Ausweis des TLG liegt jedenfalls für das Verbum Ùnume›n außer dieser Stelle kein Beleg vor. Der parthische Feldherr Osroes (Chosroes) wird auch in Kap. 19, 21 und 31 genannt (zu seiner wichtigen Rolle in den Partherkriegen vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2: zur Chronologie der Kriegsereignisse). ıròw; ˜moiow otow §ke€nƒ parÉ ˜son ı m¢n Youkud€d˙, otow d¢ ÑHrodÒtƒ eÔ mãla §–kei: Das von Lukian wiederholt gebrauchte Idiom parÉ ˜son bedeutet: “außer daß” bzw. “nur daß”, oder genauer “nur mit dem (kleinen) Unterschied daß” (so z. B. Peregr. 1, Dom. 9, Ind. 11: Per‹ pÒda dÆ soi EÈãggelow otow, parÉ ˜son so€ ge oÈdÉ Ùl€gon m°lei toË g°lvtow t«n yeat«n). Plagiatoren

sind demnach beide, nur mit dem kleinen Unterschied, daß eben der eine (gemeint ist der in Kap. 15 verspottete Autor) Thukydides und der andere (der hier genannte) Herodot aufs Haar gleicht.

Kapitel 19 Nachdem bisher jeweils ein Kapitel einem Autor gewidmet gewesen war, beginnt hier die erste kapitelübergreifende Charakteristik (die zweite in Kap. 24–26), die bis zu Kapitel 21 hin reicht (angezeigt in Kap. 20 durch otow dÉ oÔn ˘n proe›pon und in Kap. 21 durch otow und ı aÈtÚw otow). Ein weiterer Unterschied gegenüber dem Vorhergehenden besteht darin, daß die Kritik, die sich bis hierher hauptsächlich auf die Proömiumsgestaltung konzentriert hatte, nunmehr auf die Geschichtserzählung (der griechische terminus technicus für die narratio ist diÆghsiw, sie macht den bei weitem größten Teil einer flstor€a aus, vgl. dazu Kap. 55) ausgeweitet wird. In diesem Sinne geht es hier nun zunächst um deplazierte Ekphraseis (der terminus §kfrãseiw wird freilich erst in Kap. 20 in summarischem Kontext nachgereicht), wie sie in den Kapiteln 20 und 27 einer allgemein gehaltenen Kritik unterzogen sind, während das richtige, an Nutzen und Schaffung von Klarheit orientierte Verfahren in den Kapiteln 56–57 detailliert angegeben und durch Homer und Thukydides illustriert wird. Vor diesem Hintergrund sind die ausufernden, sich in irrelevanten Details verlierenden und sich geradezu zum Selbstzweck verselbständigenden Ekphraseis des hier kritisierten Anonymus zu betrachten. Sie trügen nichts zu einem besseren Verständnis dessen, was geschehen ist, bei und verfehlten vollständig das Prinzip des l°gein flkan«w tå megãla, wie es in Kapitel 56 als richtungsweisend angegeben ist. Der Verfasser dünke sich in seinem ganz überzogenen Selbstverständnis einem Thukydides überlegen, tatsächlich jedoch sei er in den Kategorien von fidivte€a und épeirokal€a (vgl. dazu Kap. 27, zu dem dÊnamin lÒgvn épeirokãlvw parepide€knusyai vgl. Kap. 57) zu bewerten. Er sei ein Dilettant ohne jedes Urteilsvermögen in literarischen Belangen, und sein Werk sei eben charakterisiert durch die Eigenschaft der cuxrÒthw (in Kap. 28 erscheint das Adjektiv cuxrÒw mit Bezug auf eine ebenso irrelevante Episode). Mit von Möllendorff 2001 ist jedenfalls festzustellen, daß vom Autor auf motivischer Ebene eine Bezugnahme auf die einleitende Abderitenanekdote (Kap. 1) intendiert

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sein dürfte. Ohne daß es freilich explizit ausgesprochen ist, hat der Anonymus den bekanntermaßen unkriegerischen Lucius Verus als Helden stilisiert, durch freiere Verwendung der homerischen Beschreibung des Schildes des Agamemnon (Hom. Il. XI 32–40) und möglicherweise auch durch bewußte Bezugnahme auf den Indienfeldzug des Dionysos, wie er Strabon (XV 1, 58 = C 711) zufolge von Megasthenes beschrieben worden war. Die besondere Verbindung von Efeu, Myrte und Lorbeer, mit der vom Anonymus die Höhle beschrieben worden wäre, in die Lucius Verus Zuflucht genommen habe, erscheint erstmals in dessen Bericht. Trotz alledem erhebt der Autor Lukian in diesem Kontext nicht explizit den Vorwurf der Schmeichelei (kolake€a), der in dem skommatisch– lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) einzig dem in Kapitel 17 verspotteten korinthischen Anonymus vorbehalten ist. In formaler Hinsicht vermittelt die Darstellung eine anschauliche Vorstellung von der durch und durch ekphrastischen Natur des Werkes, zunächst nur im Allgemeinen (Schilderung von Städten, Bergen, Ebenen und Flüssen), sodann in zunehmend konkreteren Details, und nichts davon bleibt unkommentiert. Es dominiert die „wie–Aussage“ (o·a ∑n ≤ ÉOsrÒou kÒmh und §w oÂon êntron kat°fuge), der eine „so–Aussage“ gegenübergestellt ist (tosaÊth cuxrÒthw §n∞n). Die „wie– Aussage“ wird zudem auch dazu verwendet, um mit dem Ton emphatischen Ausrufs die elementare Mangelhaftigkeit von dessen Darstellung im Verhältnis zu den tatsächlichen Erfordernissen von derlei Ekphraseis zum Ausdruck zu bringen (skÒpei …w énagka›a tª flstor€& taËta). Zu dem genervt sich gebenden Ausruf ˜sai muriãdew §p«n gesellt sich der Vokativ ÑHrãkleiw hinzu. Herakles eignet sich in seiner Eigenschaft als ein Abwehrer von Unheil für einen solchen Anruf bestens, zumal in einer an die Diatribe zumindest teilweise angenäherten Schrift. Bereits zuvor war Herakles ohne Namensnennung, doch nicht minder deutlich, mit der bewußt etwas überzeichnenden Verfluchungsformel tÚ d¢ §w §xyr«n kefalåw ı élej€kakow tr°ceie als der Schutzherr gegen die dieser Darstellung innewohnende Frostigkeit (cuxrÒthw) angerufen worden. Dabei habe sich doch deren Verfasser so ganz überzeugt von der Klarheit und Eindringlicheit seines Berichtes gegeben (die Worte prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton zu Beginn lassen zunächst eine Ironie des Autors vermuten, doch dann folgt der in seiner unvermittelten Direktheit selbst diese Illusion zerstörende Nachsatz …w ’eto). Wie es scheint, hatte also der Anonymus seiner vermeintlichen Überlegenheit über Thukydides kräftig Ausdruck verliehen. In den angeführten Beispielen (Ekphrasis von Schild und Höhle) zeigt sich die Strategie des Autors, der hinter dem scheinbar bloß referierenden Bericht immer auch etwas vom Wortlaut des Originals, wie es scheint, durchblicken läßt. Das Du des Adressaten ist im Schlußsatz mit dem Imperativ skÒpei angesprochen, mit dem Appell, die Schlußfolgerungen des Autors in der gewünschten Form nachzuvollziehen. Wie in Kapitel 17 (≤m›n), so ist auch hier mit dem „wir“ (oÈk ín ædeim°n ti) die Gesamtheit der Urteilsfähigen im Sinne einer Solidarisierung der Gebildeten angesprochen. In der zweiten Sophistik ist die Abgrenzung der Gebildeten von der ungebildeten Masse in jeweils unterschiedlichem Sinne häufig zu finden.

ÖAllow tiw éo€dimow §p‹ lÒgvn dunãmei Youkud€d˙ ka‹ aÈtÚw ˜moiow µ Ùl€gƒ éme€nvn aÈtoË, pãsaw pÒleiw ka‹ pãnta ˆrh ka‹ ped€a ka‹ potamoÁw •rmhneÊsaw prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton, … w ’eto. tÚ d¢ §w §xyr«n kefalåw ı élej€kakow tr°ceie: tosaÊth cuxrÒthw §n∞n Íp¢r tØn KaspiakØn xiÒna ka‹ tÚn krÊstallon tÚn KeltikÒn.

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ÖAllow tiw éo€dimow §p‹ lÒgvn dunãmei: Lukian bringt ansonsten die Adjektive éo€dimow (gepriesen) und per€bleptow (weithin angesehen) in Zusammenhang zueinander (Tim. 38: per€bleptÒw te ka‹ éo€dimow, Gall. 14, Rh. Pr. 22 [mit literarkritischer Note], vgl. Bis Acc. 27: kleinÚn aÈtÚn ka‹ éo€dimon §po€oun). Die Junktur mit §p€ + Dativ in der Bedeutung “aufgrund von” findet sich auch in Philops. 29: o‰sya tÚn éo€dimon §p‹ tª sof€&. Der hier kritisierte Autor weiß in seinem überzogenen und wohl direkt zum Ausdruck gebrachten Selbstverständnis nicht zwischen gegenstandsadäquater dÊnamiw •rmhneutikÆ (Kap. 34) und narrativer Selbstdarstellung zu unterscheiden. Er ist der épeirÒkalow, dem es einzig darum zu tun ist, seine dÊnamiw lÒgvn auf Kosten sachlicher Substanz zur Schau zu

stellen (Kap. 57). Haines’ II 199 und Baldwins 1973 a, 33 und 84 (Zitat Anm. 46: Fronto is not likely to have been guilty of all the vices stigmatised here by Lucian, ... Lucian’s comments may be intended to cover Fronto and imitators or disciples.) Vermutung, Lukian habe hier konkret Marcus Cornelius Fronto, auf den er sich jedoch nirgendwo in irgendeiner Form, explizit oder implizit, bezieht, im Visier, hat kaum Wahrscheinlichkeit für sich. Eher ist anzunehmen, daß Frontos Principia historiae, von denen alleine aussagekräftige Reste erhalten sind, als typisch für die zeitgenössische Art, Geschichte zu schreiben, gelten können (zu Fronto und Lukian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4). pãsaw pÒleiw ka‹ pãnta ˆrh ka‹ ped€a ka‹ potamoÁw •rmhneÊsaw prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton, …w ’eto: Dieser Autor gehört also zur Klasse derer, die sich in langatmigen §kfrãseiw (Kap. 20) ergehen und dabei aufgrund ihrer fidivte€a, épeirokal€a und êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn wirklich Bedeutendes und Denkwürdiges (tå megãla ... t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta) vernachlässigen oder gar gänzlich unbeachtet links liegen lassen (Kap. 27), anstatt, wie es dem Objekt angemessen wäre, nach dem Prinzip des l°gein flkan«w tå megãla (Kap. 56) zu verfahren. Ihnen fehle gesundes Augenmaß (svfrosÊnh), welches nötig sei, um – nach dem Vorbild des Thukydides – derlei •rmhne›ai (das Verbum •rmhneÊein in Kap. 27) einzig toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka Raum zu geben, und zwar in gegenstandsadäquatem Tempo (Kap. 57, vgl. zum tãxow bereits Kap. 56). Die über die recht großspurigen Worte prÚw tÚ saf°staton ka‹ fisxurÒtaton

erfolgende Selbstbewertung des Verfassers offenbart sein gänzlich fehlendes Verständnis für die dem Objekt angemessene Kategorie des richtig verstandenen saf°w (vgl. den Kommentar zu Kap. 57: éllÉ Ùl€gon prosacãmenow toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka metabÆs˙). tÚ d¢ §w §xyr«n kefalåw ı élej€kakow tr°ceie: Die Formulierung §w kefalåw tr°ceie entspricht

dem Typus einer bekannten Verfluchungsformel (so bereits Hdt. II 39, 3 über die Opferbräuche der Ägypter), welche in Alter Komödie (Ar. Nu. 39–40, Pl. 526 und 650–651 [hier handelt es sich um ein Mißverständnis], Ach. 833, Pax 1063) und bei attischen Rednern (D. or. 19, 130; or. 18, 290; vgl. Ep. 4, 10; 6, 1, Din. or. 1, 108) beheimatet ist, aber auch sonst gelegentlich vorkommt (Pl. Euthd 283 e, AP VIII 117, 4), wobei aber regelmäßig der Singular kefalÆn erscheint. Die Formel findet sich sodann häufiger in christlicher Literatur (mit dem Plural kefalãw u. a. bei Jo. Chr. in Matth. MPG LVIII 682, Z. 18). Das Attribut élej€kakow verwendet Lukian (Paus. VI 24, 6 und VIII 41, 8 bezieht es auf Apollons Benennung durch die Athener) auch sonst regelmäßig mit Bezug auf Herakles (Gall. 2, Fug. 32, vgl. Alciphr. III 11, 1 Schepers = III 47, 1 Hercher, Ep. Gr.), und hier, in einer Schrift mit zumindest partiell diatribischem Charakter, ist dies besonders naheliegend. Einleitend zu der Beschreibung des abscheulichen Charakters des Alexandros von Abonuteichos ruft der Autor Lukian in Alex. 4 mit einem bei ihm seltenen Pathos aus: élej€kake ÑHrãkleiw ka‹ ZeË épotrÒpaie ka‹ DiÒskouroi svt∞rew, polem€oiw ka‹ §xyro›w §ntuxe›n g°noito ka‹ [mØ] suggen°syai toioÊtƒ éndr€. Ganz zu Beginn dieser Schrift (Alex. 1) hatte er seine Arbeit am Thema mit dem Reinigen des Augiasstalls verglichen. Ähnliche Verwünschungsformeln finden sich auch in der römischen Komödie, bei Plautus (Mer. 135) und Terenz (Hau. 1015), worauf Hermann 1828, 129 bereits hingewiesen hat.

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tosaÊth cuxrÒthw §n∞n Íp¢r tØn KaspiakØn xiÒna ka‹ tÚn krÊstallon tÚn KeltikÒn: Zum literarkritischen terminus technicus tÚ cuxrÒn vgl. den Kommentar zu Kap. 16: ka‹ tÚ proo€mion Íp°rcuxron §po€hsen. Zu einer richtigen Gewichtung der dort angeführten Belege ist festzuhalten,

daß es sicher keiner besonderen Kenntnis rhetorischer Theorie bedurfte, um eine über das explizit genannte oder implizit vermittelte cuxrÒn verlaufende Anspielung zu verstehen. Ein frühes Beispiel dafür ist Aristophanes, der anläßlich einer Aufführung des Tragikers Theognis in Athen ganz Thrakien zugeschneit und die Flüsse gefroren sein läßt (Ar. Ach. 138–140, vgl. auch 12), um die Leblosigkeit dieses selben Autors bei späterer Gelegenheit (Th. 170) in diese pointiert zugespitzten Worte zu kleiden: ı dÉ aÔ Y°ogniw cuxrÚw Ãn cuxr«w poie›. Ein ähnliches Beispiel liegt in lateinischer Literatur vor bei Martial (III 25), der über den Rhetor Sabineius aussagt, dieser vermöchte mit seinen (offensichtlich frostigen) Deklamationen sogar die (als besonders heiß geltenden [X 48, 4]) Neronischen Thermen zu kühlen (V. 4: Neronianas is refrigerat thermas). Das Adjektiv cuxrÒw erscheint in dieser Schrift noch ein drittes Mal, nämlich in Kap. 28 (§w cuxrån ka‹ oÈd¢n ≤m›n prosÆkousan diÆghsin), wiederum mit Bezug auf eine ebenso ausufernde wie belanglose Episode. In all diesen Fällen ist, wie bereits von Möllendorff 2001 gesehen hat, ein Bezug zur Erzählung von den Abderiten in Kapitel 1 vom Autor intendiert. Lukian verwendet sonst nirgendwo das Adjektiv KaspiakÒw, wohl aber Kãspiow, und zwar mit Bezug auf das Kaspische Meer (vgl. Nav. 34: katå tØn Kasp€an yãlattan [so schon Hdt. I 202, 4; IV 40, 1], nach Macleod IV 114 textkritisch gesichert) und die Kaspischen Tore (Prom. 4: plhs€on t«n Kasp€vn toÊtvn pul«n [G beinhaltet Macleod I 280 zufolge jedoch die Lesart Kasp€dvn]). Zur Frage, was unter dem weitgefaßten Begriff „Kelten” aus der Sicht Lukians genau zu verstehen ist, vgl. den Kommentar zu Kap. 5: µ Kelto›w prÚw G°taw µ ÉIndo›w prÚw Baktr€ouw. Die kleinasiatischen Kelten, die Galater (Alex. 27), jedoch kommen in diesem Kontext wohl kaum in Frage. Íp°r + Akkusativ bezeichnet allgemeinem Sprachgebrauch entsprechend das Hinausragen über ein bestimmtes durchschnittliches Maß (Herm 75: Íp¢r toÁw êllouw, Rh. Pr. 15, Vit. Auct. 2, JTr. 11, Pr. Im. 29).

≤ goËn ésp‹w ≤ toË aÈtokrãtorow ˜lƒ bibl€ƒ mÒgiw §jhrmhneÊyh aÈt“, ka‹ Gorg∆n §p‹ toË ÙmfaloË ka‹ ofl Ùfyalmo‹ aÈt∞w §k kuanoË ka‹ leukoË ka‹ m°lanow ka‹ z≈nh firioeidØw ka‹ drãkontew •likhdÚn ka‹ bostruxhdÒn.

“Um das durch ein Beispiel zu belegen” (zu dieser speziellen Bedeutung von goËn nach einer allgemeinen Aussage vgl. den Kommentar zu Kap. 24: eÂw goËn oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata). Für Kaiser (aÈtokrãtvr ist der terminus technicus für den römischen Kaiser, vgl. den Kommentar zu Kap. 23: tÒ „§p°steilen ı stratopedãrxhw t“ kur€ƒ”) Lucius Verus, der von den Quellen im übrigen als so ganz und gar nicht heroischer Charakter dargestellt wird (dazu Kerler 1970, 63–66), brauchte dieser Autor eine überdimensional ausgefallene Adaption der homerischen Beschreibung des Schildes Agamemnons. Diese lautet (Il. XI, 32–40 [der Zusammenhang: die Rüstungsszene vor Agamemnons Aristie]): ín dÉ ßletÉ émfibrÒthn poluda€dalon ésp€da yoËrin, / kalÆn, ∂n p°ri m¢n kÊkloi d°ka xãlkeoi ∑san, / §n d° ofl Ùmfalo‹ ∑san §e€kosi kassit°roio / leuko€, §n d¢ m°soisin ¶hn m°lanow kuãnoio. / tª dÉ §p‹ m¢n Gorg∆ blosur«piw §stefãnvto / deinÚn derkom°nh, per‹ d¢ De›mÒw te FÒbow te. / t∞w dÉ §j érgÊreow telam∆n ∑n: aÈtår §pÉ aÈtoË / kuãneow §l°likto drãkvn, kefala‹ d° ofl ∑san / tre›w émfistref°ew, •nÚw aÈx°now §kpefuu›ai.

Daran nimmt der Anonymus zwei Änderungen vor. Zum einen ist bei ihm aus den 20 Buckeln ein einziger ÙmfalÒw geworden, zum anderen ist das bedrohliche Antlitz der Gorgo, auf das es Homer

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wesentlich ankommt, aufgegeben zugunsten einer wohl aus Vers 25, in dem immerhin alle drei Farben zusammentreffen, herausgesponnenen und auf das Farbenspiel der Augen, das sich bei Homer nicht findet, zentrierten Darstellung. Der bläulichschwarze Farbton (kuãneon) erscheint bei Homer in diesem Zusammenhang öfter, auf dem mittleren Schildbuckel (XI 35: [sc. ÙmfalÚw] m°lanow kuãnoio = aus dunklem Blaustahl), bei dem am Wehrgehenk angebrachten Drachen (XI 39: kuãneow §l°likto drãkvn) sowie unmittelbar davor am Brustpanzer (XI 24: d°ka o‰moi ¶san m°lanow kuãnoio, XI 26: kuãneoi d¢ drãkontew). Die attischen Formen für das homerische Adjektiv kuãneow (lat. caeruleus) lauten kuanoËw (Lex. 22) und kuãneow (Cat. 28, VH II 4 [hier sind Macleod I 105 zufolge in g und b unterschiedliche Formen überliefert, kuan°ƒ und kuan“, wovon ersteres den Vorzug verdient]). Hesych (Latte II 539, Z. 48 und 50) erklärt kÊanon mit e‰dow xr≈matow oÈranoeid°w und kÊanow mit yalãttion Ïdvr. In diesem Zusammenhang ist von besonderem Interesse, wie man sich in einschlägigen Debatten über Farbmischungen das Entstehen des kuanoËn erklärte. Platon (Ti. 68c) sagt: Lampr“ d¢ leukÚn sunelyÚn ka‹ efiw m°lan katakor¢w §mpesÚn kuanoËn xr«ma épotele›tai. Aristoteles (Sens. 442 a 24–25) faßt dies viel knapper: ... kuanoËn metajÁ toË leukoË ka‹ m°lanow. Mit der unkonventionellen Formulierung mÒgiw §jhrmhneÊyh ist der Aspekt des kaum zu Ende Bringens zu verbinden. z≈nh firioeidØw ka‹ drãkontew •likhdÚn ka‹ bostruxhdÒn: Von einem Leibgurt (z≈nh in dieser

üblichen Bedeutung in Anach. 33 und Tox. 55), der in homerischer Terminologie korrekterweise zvstÆr heißen müßte (Belege im Kommentar zu Kap. 8: tØn d¢ z≈nhn t“ ÖArei), ist im Zusammenhang mit Agamemnons Rüstung nicht die Rede. Allerdings läßt Homer (Il. XI 26–27) an Agamemnons Brustpanzer kuãneoi drãkontew angebracht sein, gleich dem Regenbogen: ‡rissin §oikÒtew. Das Adjektiv firioeidÆw, welches weder Homer noch sonst ein Autor vor Lukian mit Ausnahme zumindest des Areios Didymos (Stobaios I 30, 2 zufolge) verwendet (häufiger gebraucht es erst Olympiodor in seinem Kommentar zu den aristotelischen Meteorologika), bedeutet “schillernd in den Farben des Regenbogens”. Das seltene Adverb •likhdÒn ist eine recht anschauliche Bezeichnung für das Geringel der Schlangen. Nonnos, der dieses Wort weitaus am Häufigsten verwendet, bezeichnet damit neben anderem auch das Schlangenheer des Typhoeus (D. I 195). Das diesen Aspekt des furchteinflößenden Schlangengekräusels noch weiter spezifizierende Adverb bostruxhdÒn (“lockenartig geringelt”) ist allerdings außerhalb Lukians (Philops. 22: ént‹ t∞w kÒmhw toÁw drãkontaw bostruxhdÚn kaye›to efiloum°nouw per‹ tÚn aÈx°na [ausgesagt von einer gorgoähnlichen Wundererscheinung]) nirgendwo belegt. Für einen Autor von Lukians Profil ist es naheliegend, derart pathetischen Schilderungen durch distanzierte Betrachtung aus der Außenperspektive komische Züge abzugewinnen. In diesem Sinne läßt er Timon über die Zornausbrüche des jungen Zeus pointiert sagen (Tim. 3): ofl seismo‹ d¢ koskinhdÚn ka‹ ≤ xi∆n svrhdÚn ka‹ ≤ xãlaza petrhdÒn. Hier ist der intendierte komische Effekt solcher auf -hdÒn endenden und speziell zu diesem Zweck erfundenen Adverbien evident.

≤ m¢n går OÈolog°sou énajur‹w µ ı xalinÚw toË ·ppou, ÑHrãkleiw, ˜sai muriãdew §p«n ßkaston toÊtvn, ka‹ o·a ∑n ≤ ÉOsrÒou kÒmh, dian°ontow tÚn T€grhta, ka‹ §w oÂon êntron kat°fuge, kittoË ka‹ murr€nhw ka‹ dãfnhw §w taÈtÚ sumpefukÒtvn ka‹ sÊskion ékrib«w poioÊntvn aÈtÒ. skÒpei …w énagka›a tª flstor€& taËta, ka‹ œn êneu oÈk ín ædeim°n ti t«n §ke› praxy°ntvn.

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œn êneu oÈk ín: Fritzsche 1860, 59 unter Hinweis auf diese seine frühere Konjektur, so u. a. Homeyer 1965, 120, Kilburn 1968, 30, Macleod 1980, 299 (œn êneu oÈk ) für das in G und E überlieferte …w (œn Ea) oÈk êneu; œn oÈk ín êneu: Dindorf 1858, 10, Fritzsche 1860, 59 (im Text); zur

Überlieferungslage Dindorf 1858, Adnotatio critica VIII, Fritzsche 1860, 59, Homeyer 1965, 120 und bes. Macleod 1980, 299. ≤ ... OÈolog°sou énajur‹w: Beinkleider (sonst stets énajur€dew im Plural), in kalten nördlichen

Gegenden, wie Strabon (XI 13, 9 = C 526) erklärt, ein geeignetes Kleidungsstück, finden sich bei Persern, Baktriern, Parthern und vielen anderen Barbaren (D. Chr. or. 72, 3) bis hin zu den Galliern (D. S. V 30, 1), welche sie als brãkaw (lat. bracae) bezeichnen (die Gallia Narbonensis hieß dementsprechend ursprünglich Gallia Bracata). Zumindest Medern und Persern gilt die Ausstattung der Hosen, jedenfalls nach dem Ausweis früher Quellen, als ein Statussymbol. Vornehme tragen bunte Hosen (X. An. I 5, 8; Cyr. VIII 3, 13: scharlachrote Hosen des Kyros), Hosen aus Leder gelten als ein Zeichen von Armut (Hdt. I 71, 2). Es ist anzunehmen, daß besagter Anonymus die Pracht der Hosen des Königs in allen Farben breit ausgemalt hat. Der genau informierte Zeitgenosse Arrian (Tact. 34, 7 Roos 166, Z. 12–14) weiß über die Parther und die Armenier als spezifisches Detail zu berichten, daß diese ihre Beinkleider lose, d. h. pluderhosenartig tragen (énajur€daw ... kexalasm°naw). Weitere literarische Belege bei Balsdon 1979, 221 und 295, zu den Darstellungen von énajur€dew in bildender Kunst Mau 1895, zur Kamee von Paris vgl. Balsdon 1936 (zu Datierung und Sujet) und bes. Taf. X. ÑHrãkleiw, ˜sai muriãdew §p«n ßkaston toÊtvn: Zu dem Vokativ ÑHrãkleiw mit einem folgenden …w oder ˜sow vgl. den Kommentar zu Kap. 8: ÑHrãkleiw, …w katag°laston ktl. Die pointierte Verwendung des Plurals tå ¶ph, der üblicherweise von Versen gebraucht wird (vgl. den Kommentar zu Kap. 57: pÒsoiw ín o‡ei ¶pesi ktl), zeigt an, daß der hier kritisierte Autor bei seiner über die

Maßen ausufernden Ekphrasis in eine Manier verfallen ist, wie sie in Kap. 57 (dort auch die Metapher vom Vogelleim für das nicht loskommende Kleben am Objekt) an Parthenios, Euphorion und Kallimachos getadelt wird, denen doch immerhin zugute gehalten werden kann, daß sie Epyllien geschrieben haben. Mit Bezug auf die Prosa bezeichnen tå ¶ph natürlich die Zeilen, so in ähnlichem Zusammenhang Kap. 28: ≥kousã tinow tØn ... mãxhn §n oÈdÉ ˜loiw •ptå ¶pesi paradramÒntow. Und in dieser Bedeutung findet sich der Plural bereits bei Isokrates (or. 12, 136: oÈdÉ µn mur€vn §p«n ∑ tÚ m∞kow). kittoË ka‹ murr€nhw ka‹ dãfnhw §w taÈtÚ sumpefukÒtvn ka‹ sÊskion ékrib«w poioÊntvn aÈtÒ: Efeu, Myrte (murr€nh ist die attische Form gegenüber der ionischen und auch in der Koine vertretenen Form murs€nh, vgl. aber differenzierend Thumb 1901, 77) und Lorbeer sind durch

Megasthenes mit dem bekannten Indienfeldzug des Dionysos wesentlich in Zusammenhang gebracht. Die einheimischen Bergbewohner hätten dort, so sein Bericht (nach Str. XV 1, 58 = C 711), als Beweise für die Präsenz des Dionysos in ihrem Land u. a. angeführt ka‹ kittÚn ka‹ dãfnhn ka‹ murr€nhn ka‹ pÊjon ka‹ êlla t«n éeiyal«n, œn mhd¢n e‰nai p°ran EÈfrãtou, plØn §n parade€soiw spãnia ka‹ metå poll∞w §pimele€aw sƒzÒmena (Wirth 1964, 241 weist zu Recht auf Arr. An. V 2,

5 und Ind. 5, 9 hin, erwähnt aber Megasthenes / Strabon nicht). Lukian selbst, der in seiner prolalia Bacchus das Thema Dionysos in Indien aufgreift (dazu Nesselrath 1990 und Porod / Porod 2008), berichtet von drei Wunderquellen im dionysischen Hain (Bacch. 6), und genau in diesem Kontext tauchen bezeichnenderweise sowohl das Adjektiv sÊskiow als auch das Adverb ékrib«w wieder auf (kittÚw går polÁw ka‹ êmpeloi sÊskion aÈtÚ [sc. tÚ êlsow] ékrib«w poioËsin). Ansonsten ist sÊskiow innerhalb von auf Evozierung idyllischer Atmosphäre hin angelegter Szenerien untrennbar verbunden mit der bekannten Stelle im platonischen Phaidros (230 b: toË d¢ êgnou tÚ Ïcow ka‹ tÚ

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sÊskion pãgkalon), auf die Lukian in Anacharsis 16 durch Doppelsetzung des Adjektivs demonstrativ

Bezug nimmt. Anzufügen ist, daß Efeu, Myrte und Lorbeer auch sonst mit dem Bereich des Göttlichen in Beziehung gebracht sind, und zwar bei Aelian (VH II 41) und Julian (or. 7, 22, 230 d). Der Anonymus bedient sich dieses Motivs demnach ganz naiv zum Zwecke des Erzeugens eines sentimentalischen Kolorits, aber ohne Wissen um die Assoziationen, die so bei dem gelehrten Rezipienten erweckt werden könnten. Möglicherweise wollte er aber auch nur eine für Lucius Verus schmeichelhafte Beziehung zu Dionysos herstellen; denn immerhin wird angenommen, daß die lydische Stadt Maeonia auf einer Ehreninschrift (TAM V 1, 542) den Kaiser als [n°on DiÒnu]son bezeichnet hat (Weiss 1995, 108, Anm. 61 hält die Ergänzung für sehr plausibel); dies zeigt jedenfalls, soferne diese Ergänzung tatsächlich zutrifft, daß eine solche Titulatur Lucius Verus höchst willkommen war. Das Adjektiven und gelegentlich auch einem Partizip hinzugefügte Adverb ékrib«w bezeichnet bei Lukian stets höchste Steigerung im Sinne von „ganz”, „vollkommen” (so Cat. 25: kayarÚw ékrib«w, Dips. 1: ékrib«w êkarpow, vgl. auch Bacch. 2, Herc. 1. Prom. Es 4, DMeretr. 14, 1; vgl. auch ékrib«w bei einem Partizip in Peregr. 36).

Kapitel 20 Bevor die Kritik an dem in Kapitel 19 wegen seiner weitschweifigen Ekphraseis getadelten Anonymus fortgeführt wird, wird dieser Fehler als allgemeines Übel herausgestellt, ähnlich wie in Kapitel 27, wo das Autor-Ich den Eindruck erweckt, aus einer Fülle an Autoren zu schöpfen, von denen es hier gar nicht alle im Detail anführen und kritisieren möchte. Diesem Zweck dient hier der Vergleich mit dem Typus des Neureichen beim Gastmahl (auch in Kap. 56 ein gastronomisches Beispiel in vergleichbarem Kontext). Erst nach dieser demonstrativen Ausweitung des Blickwinkels wird mit den Worten otow dÉ oÔn ˘n proe›pon die spezielle Kritik an dem in Kapitel 19 verspotteten Individuum fortgeführt. Nunmehr geht es um dessen Verstöße gegen das Wahrscheinlichkeitsprinzip (Kap. 47: stoxastikÒw tiw ka‹ sunyetikÚw toË piyanvt°rou ¶stv), wobei die Kritik aber, wie stets, nur den gravierenden Mängeln gilt. So sei nach dessen Bericht einer an der Verwundung an der großen Zehe verstorben, und auf einen bloßen Schlachtruf des Priskos (d. h. des römischen Feldherrn Statius Priscus) hin seien gleich 27 der Feinde in Ohnmacht gefallen. In diesem zweiten Beispiel zeigt sich, auch wenn es nicht explizit ausgesprochen ist, die Tendenz des Anonymus, seine Darstellung durch eine Anleihe bei Homer (Il. V 785-786: der laute Schrei des Stentor, Il. XVIII 217-231: der Schlachtruf des Achill und dessen Wirkung) zu beleben. Als solche Verstöße gegen das Prinzip des piyanÒn seien auch dessen disproportionale Angaben über die beiderseitigen Verluste in der Schlacht bei Europos zu werten (370. 206 Feinde, aber nur 2 Römer), doch kommt hier vordergründig noch der Vorwurf der bewußten Lüge (§ceÊsato) hinzu. Zwar sind ganz unrealistische Zahlenangaben in griechischer Historiographie (so z. B. bei Herodot und Arrian gegenüber Thukydides) und in offiziellen Bulletins traditionell üblich, doch ändert dies nichts daran, daß diesem Autor die Vorsätzlichkeit der Fälschung unterstellt wird, denn der Kontext läßt klar erkennen, daß mit dem an sich stets doppeldeutigen Begriff ceÊdesyai (vgl. dazu Kap. 24) hier nicht Irrtum aus Unwissenheit zu verbinden ist, sondern intentionale Veränderung und Verfälschung von Tatsachen, vorsätzliche Lüge. In formaler Hinsicht ist dieser Passus bestimmt durch das völlige Fehlen von Ironie. Was der Autor zu beanstanden hat, das spricht er hier direkt aus, und da seiner Darstellung zufolge die Mängel ganz klar zu Tage treten, so kann die Kritik einzig auf der Ebene objektiv berechtigt erscheinender Kritik verlaufen. Die zum Zweck der Illustration ausgewählten Beispiele mit ihren evidenten Verstößen

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gegen den gesunden Menschenverstand sprechen für sich, und darin bereits liegt eine Solidarisierung mit dem sich ja zu den eÔ fronoËntew rechnenden Leser, sodaß das Schlußwort, in dem das AutorIch zum einzigen Mal wertend hervortritt (taËta oÈk o‰da e‡ tiw ín eÔ fron«n énãsxoito), jetzt nur mehr den Charakter einer Bestätigung eines objektiv vorliegenden Sachverhaltes hat. Die individuellen Mängel des Anonymus heben sich vor der Folie der allgemeinen Fehler nur umso schärfer ab.

ÑUpÚ går ésyene€aw t∞w §n to›w xrhs€moiw µ égno€aw t«n lekt°vn §p‹ tåw toiaÊtaw t«n xvr€vn ka‹ êntrvn §kfrãseiw tr°pontai, ka‹ ıpÒtan §w pollå ka‹ megãla prãgmata §mp°svsin §o€kasin ofik°t˙ neoploÊtƒ êrti klhronomÆsanti toË despÒtou, ˘w oÎte tØn §sy∞ta o‰den …w xrØ peribal°syai oÎte deipn∞sai katå nÒmon, éllÉ §mphdÆsaw, pollãkiw Ùrn€yvn ka‹ sue€vn ka‹ lag–vn prokeim°nvn, Íperemp€mplatai ¶tnouw tinÚw µ tar€xouw ¶stÉ ín diarragª §sy€vn. Íperemp€mplatai: Dindorf 1858, 10, Macleod 1980, 299 [vgl. Sat. 34: §mp€mplasyai, Macleod 1980, 343 zufolge textkritisch gesichert]; Íperemp€platai: so die Lesart von G. ıpÒtan §w pollå ka‹ megãla prãgmata §mp°svsin: der Autor formuliert in Kap. 56, wo ein ähnlicher gastronomischer Vergleich folgt, das verbindliche historiographische Prinzip des paraye›n m¢n tå mikrå ka‹ ∏tton énagka›a, l°gein d¢ flkan«w tå megãla, ein Prinzip, welches jedoch, wie er in Kap. 27 feststellt, in der Praxis bei weitem nicht immer tatsächlich befolgt werde: efis‹ gãr tinew, o„ tå megãla m¢n t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta parale€pousin µ paray°ousin, ÍpÚ d¢ fidivte€aw ka‹ épeirokal€aw ka‹ égno€aw t«n lekt°vn µ sivpht°vn tå mikrÒtata pãnu lipar«w ka‹ filopÒnvw •rmhneÊousin §mbradÊnontew. Bei der êgnoia t«n lekt°vn handelt es sich, wie der Autor

seinen Leser glauben lassen will, nicht etwa um ein anlagebedingtes intellektuelles Defizit, sondern vielmehr um einen Mangel an Sachwissen, denn sonst wäre die vorliegende Lehrschrift ein prinzipiell sinnloses Unterfangen (vgl. den Kommentar zu Kap. 8: ÖEti égnoe›n §o€kasin). §o€kasin ofik°t˙ neoploÊtƒ êrti klhronomÆsanti toË despÒtou: Seit dem Anfang der römischen

Kaiserzeit begegnet in der Literatur der Typus des nicht selten zu allergrößtem materiellen Wohlstand aufgestiegenen ehemaligen Sklaven (zum Thema der Erbschleicherei bei Lukian vgl. Delz 1950, 34–37), der diesen seinen neuerworbenen Reichtum demonstrativ zur Schau zu stellen pflegte, und zwar in einer Weise, welche wegen der dabei auftretenden Geschmacklosigkeiten verschiedenster Art von den Menschen als anstößig empfunden wurde. Eine gute Charakteristik dieses Phänomens mit Belegen aus der lateinischen Literatur gibt Friedländer 1910, I 398–401, und vor diesem allgemeinen Hintergrund ist auch Lukians Satire auf neureiche Sklaven zu verstehen. In Tim. 22 läßt er den Gott Reichtum (PloËtow) sich darüber beklagen, daß nach dem Ableben eines reichen Mannes drei Klassen von Erben in Frage kämen, entweder ein Verwandter, ein Schmeichler oder gar ein liederlicher Diener, der solcherart für seine früheren sexuellen Dienste Entlohnung finde (ı kainÚw despÒthw ≥toi suggenÆw tiw µ kÒlaj µ katapÊgvn ofik°thw §k paidik«n t€miow). Dieser – im Folgenden ist nur mehr vom Sklaven die Rede – gebärde sich alsdann der ihm eigenen Unbildung (épeirokal€a) gemäß in einer weder für Freie noch für Sklaven erträglichen Weise und bringe bei seiner notorischen Anfälligkeit für Hetären, Pferdezucht und Schmeichler in kürzester Zeit das gesamte Vermögen durch. Ein anschauliches Beispiel gibt Lukian in DMort. 19: der alte, kinderlose Polystratos ködert hier die Schar seiner Liebhaber (§rasta€) mit der Aussicht auf einträgliche Erbschaft, die schließlich ein junger phrygischer Sklave bekommt, der auf diese Weise zum sozialen Aufsteiger avanciert.

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In weiterem Sinn interessiert Lukian der Typus des Neureichen überhaupt; mehrfach stellt er die charakteristischen Verhaltensweisen freigeborener Parvenüs dar. Ein gewisser Simon beispielsweise lebt, seitdem er eine reiche Erbschaft gemacht hat, auf großem Fuß, läßt sich nunmehr Simonides nennen und will von seinem früheren armen Freund nichts mehr wissen (Gall. 14). Das Leben des neÒploutow Deinias von Ephesos wird durch kÒlakew und eine Hetäre vollständig ruiniert (Tox. 12–18), ein Schicksal, welches er mit Timon, dem aus der Komödie bekannten Prototyp des Menschenfeindes, teilt, der infolge seiner Gutgläubigkeit und des Vertrauens auf falsche Freunde (die kÒlakew) all seinen Reichtum verloren hat (Tim. 8: aus der beurteilenden Sicht des Hermes). Ansätze zu einer Charakteristik des neÒploutow finden sich bereits in klassischer griechischer Literatur. Aischylos (A. 1042–45: Sprecherin Klytaimestra) stellt den érxaiÒploutoi despÒtai mit starkem Kontrast die unverhofft zu Reichtum Gekommenen gegenüber, die ihre Sklaven schlecht behandeln. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Aristophanes (V. 1309), wo Philokleon vermittels eines kühnen poetischen Bildes mit „ungegorenem Wein“, d. h. mit einem „Grünschnabel“ (so zu Recht MacDowell 1988, 304: a green young man) verglichen wird (¶oikaw, Œ presbËta, neoploÊtƒ trug‹), da er seinen Sklaven schlägt. Und Aristoteles charakterisiert innerhalb seiner illustrativen Behandlung der verschiedenen Charaktertypen (Rh. II 12–17) die Reichen und im Besonderen die Neureichen (II 16), bei welch letzteren (II 16, 4, bes. 1391 a 14–16) die charakterlichen Mängel der Reichen in noch verstärkter Form hervortreten (diaf°rei d¢ to›w nevst‹ kekthm°noiw ka‹ to›w pãlai tå ≥yh t“ ëpanta mçllon ka‹ faulÒtera tå kakå ¶xein toÁw neoploÊtouw). Plutarch schließlich gelten die Elemente des fortikÒn und des neÒplouton geradezu als Synonyme (Quaestiones convivales VII 6, 3, 708 c; vgl. II 1, 12, 634 c). Das Verbum klhronome›n mit dem Genetiv der Person in der Bedeutung von „jemanden beerben“ verwendet Lukian auch in DMort. 19, 4 und Cont. 16. Andere Autoren konstruieren klhronome›n in dieser Bedeutung jedoch mit einem Akkusativobjekt (AP XI 202, 4, Plu Sull. 2, 4); im Referat des Athenaios aus Poseidonios (Ath. V 211 f) sind in einer Abhängigkeit von klhronomÆsaw sowohl der Akkusativ époyanÒnta als auch der Genetiv époyanÒntow überliefert. Im allgemeinen Sprachgebrauch jedoch bedeutet klhronome›n sowohl mit dem Genetiv als auch mit dem Akkusativ der Sache „etwas erben“ (so auch bei Lukian DMort. 21, 3 und Ind. 12). oÎte tØn §sy∞ta o‰den …w xrØ peribal°syai: Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet §syÆw das Gewand schlechthin, hier jedoch ist konkret das flmãtion gemeint, von dessen Umlegen Lukian die auch sonst gängigen Verba peribãllesyai (Merc. Cond. 25: flmãtion ÑEllhnikÚn eÈstal«w perib°blhsai) und énabãllesyai (Alex. 11: flmãtion ... énabeblhm°now) gebraucht. Das flmãtion

wurde rechtsherum, d. h. von links nach rechts so umgelegt, daß der rechte Arm dabei frei blieb. Hinweise zum Material in bildender Kunst und Literatur (für Athen im 5. und 4. Jh. v. Chr.) gibt Dunbar 1995, 716. Der Spott, den falsches Anlegen des flmãtion hervorrief, läßt sich seit den im Jahr 414 v. Chr. aufgeführten Vögeln des Aristophanes verfolgen, wo Poseidon dem Triballer hämisch zuruft (1567 / 68): otow, t€ dròw; §par€sterÉ oÏtvw émp°xei; / oÈ metabale›w yofimãtion œdÉ §pid°jia; Eine entsprechende Spitze liegt in den Worten des Sokrates (Pl. Tht. 175 e), der den im Gegensatz zum Philosophen zur Unfreiheit Erzogenen vorhält, sie verstünden sich nicht darauf, nach Art des Freien das Gewand rechtsherum anzulegen (énabãllesyai ... §pid°jia §leuy°rvw). Eine unverkennbare Anspielung auf diesen Passus liegt vor bei Themistios (or. 21, 263 d Downey / Norman II 49, Z. 10–11), eine direkte Bezugnahme bei Athenaios I 21 b, der seinem freien Zitat der Platonstelle die Bemerkung voranschickt, die Männer der alten Zeit hätten darauf Wert gelegt, sich schicklich zu kleiden (kosm€vw énalambãnein tØn §sy∞ta), diejenigen jedoch, die dies vernachlässigten, seien verspottet worden. Und Artemidor III 24 schließlich vermerkt, daß ein

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Anlegen des Gewandes von links herum (ÉEpar€stera peribebl∞syai) den Spöttern willkommene Ansatzpunkte liefere. §mphdÆsaw: Das Verbum §mphdçn, welches hier in singulärer Weise in absolutem Sinne gebraucht ist,

hat die Bedeutung „gierig über etwas herfallen“. Sowohl von der sprachlichen Form her als auch in inhaltlicher Hinsicht zu vergleichen ist das ebenfalls absolut verwendete Aoristpartizip §mpesÒntew in Kap. 11 (vgl. dazu den Kommentar zur Stelle), wo mit oÈd¢ ... katå t°xnhn eine ähnliche Antithese wie hier mit oÎte ... katå nÒmon hergestellt ist. In beiden Fällen steht vor dem Partizip ein kontrastierendes éllã. Ùrn€yvn ka‹ sue€vn ka‹ lag–vn prokeim°nvn: Dieselbe Speisenfolge (Geflügel, Schweinebraten und Hasenragout) liegt auch in Kap. 56 vor, wo in den Kommentaren zu to›w Ùrn°oiw sowie ka‹ sus‹n égr€oiw ka‹ lagƒo›w die nötigen Hintergrundinformationen zur Bedeutung dieser Fleischsorten bei Gastmählern gegeben werden. Hinzuzufügen ist, daß es sich sowohl bei tå sÊeia als auch bei tå lag“a um substantivierte Adjektive handelt, für welch beide bei Lukian selbst Parallelen vorliegen (Lex. 6: d€xhla sÊeia, Symp. 38: ka‹ kr°aw ÍÚw ka‹ lagr“a). Hinsichtlich des Partizips prokeim°nvn scheint auf den ersten Blick zuzutreffen, was Hermann 1828, 135 dazu sagt: Pro eo quod est prokeim°nvn exspectassem parakeim°nvn. Eine nähere Untersuchung des Sprachgebrauchs zeigt jedoch, daß mit tå paratiy°mena bzw. tå paratiy°mena br≈mata (so X. Cyr. II 1, 30 und V 2, 16) die aufgetischten Speisen bezeichnet werden, wie ja auch analog mit ofl paratiy°ntew (X. Cyr. VIII 8,

20) das Servierpersonal gemeint ist. Lukian jedoch ist es darum zu tun, den Aspekt des zum Zulangen bereit Liegens zu akzentuieren, etwa im Sinne des homerischen Formelverses (z. B. Od. I 149, Il. IX 82: ofl dÉ §pÉ Ùne€ayÉ •to›ma proke€mena xe›raw ‡allon), womit in herodoteischer Diktion Idiome zu vergleichen sind wie tØn prokeim°nhn ... da›ta (I 211, 2) und de€pnou prokeim°nou (V 105, 2). ¶tnouw tinÚw µ tar€xouw: Unter ¶tnow ist ein Brei aus Hülsenfrüchten zu verstehen, die Kost armer Leute (Gall. 14). In diesem Sinne erklärt der Scholiast z. St. (Rabe 228, Z. 9): ¶tnow pçn ˆsprion §reixy°n. Als tãrixow wird ein eingemachter, eingesalzener Fisch bezeichnet, welcher von den

meisten Seestädten des Mittelmeeres, in Töpfen versendet, exportiert wurde. Als die berühmtesten Sorten galten das pontische, das spanische und das sardische tãrixow (Dokumentation nach den Primärquellen bei Marquardt 18862, II 436–438). Eine detaillierte Darstellung aller Arten von Salzfischen gibt Athenaios (Ath. III ab 116 a). Lukian, dem zumindest das ägyptische und das spanische tãrixow bekannt ist (Nav. 15 und 23), setzt andernorts (Fug. 14), so wie bereits Aristophanes (bes. V. 491) und Theophrast (vgl. Diggle 20052, 218 und 264 zu Char. 4, 13 und 6, 9), das tãrixow (ähnlich das ¶tnow in Gall. 14) in Beziehung zur Lebenswelt armer Leute (tÚ d¢ ˆcon oÈ tãrixow µ yÊmon, éllå kr°a pantodapå). Im Attischen ist zumeist die neutrale Form tÚ tãrixow vertreten, doch findet sich auch das Maskulinum ı tãrixow, worüber bei Athenaios III 119 b–f ein ausführliches Referat vorliegt. Pollux (VI 48 Bethe II 14) bezeugt die neutrale Form als ein Spezifikum der Attiker (ka‹ oÈdet°rvw m¢n tÚ tãrixow ofl ÉAttiko€, ÖIvnew d¢ ka‹ Dvrie›w érrenik«w), zitiert aber auch ein Beispiel für die männliche Form bei Kratinos (im Dionysalexandros, PCG IV Fr. 44: tar€xouw PontikoÊw). Lukian verwendet da, wo der Kasus eindeutig bestimmbar ist (Nav. 15, Sat. 23), zumeist das Neutrum tÚ tãrixow (aber ı tãrixow in Gall. 29), weshalb es kaum ratsam ist, mit Hermann 1828, 26 und Fritzsche 1860, 61 die in E überlieferte maskuline Form tar€xou in den Text aufzunehmen. Íperemp€mplatai ... ¶stÉ ín diarragª §sy€vn: Lukian, der als die Alternativen zum Verbum §mp€mplasyai ansonsten §mfore›syai (Sat. 28, Merc. Cond. 26, Nigr. 25, DDeor. 22, 2) und Íperemfore›syai (Sat. 32, DMeretr. 6, 3) bevorzugt, bedient sich hier um der Stimmigkeit des Bildes (ein sich prall Vollstopfen und Zerplatzen) willen der plastischen Formulierung Íperemp€mplasyai

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(§mp€mplasyai in Sat. 34 mit Bezug auf die Freßgier von Löwen und Wölfen), welche bei ihm sonst nur in Symp. 35 vorkommt, um solcherart die hemmungslose Gier der Pseudophilosophen entsprechend zum Ausdruck zu bringen. Das Verbum diarrÆgnusyai wird von Lukian sowohl mit als auch ohne Partizip konstruiert (mit Partizip: z. B. Merc. Cond. 35, Cont. 21, Hist. Conscr. 10; ohne Partizip Peregr. 31, mit einem Präpositionalausdruck Tim. 40). Das drastische Bild des über seiner Völlerei zerberstenden Fressers entstammt der Komödie, wo es sich bei Aristophanes (Pax 32) und Phoinikides (PCG VII 390, Fr. 3, 3 = Ath. X 415 e) findet. Durch das Bild des Neureichen veranschaulicht der Autor Lukian eine fehlerhafte Einstellung zum Element der Ekphrasis, wie sie andernorts (Kap. 57) in der Metapher der Verfressenheit (lixne€a) erscheint.

otow dÉ oÔn ˘n proe›pon ka‹ traÊmata sun°gracen pãnu ép€yana ka‹ yanãtouw éllokÒtouw, …w efiw dãktulon toË podÚw tÚn m°gan trvye€w tiw aÈt€ka §teleÊthse, ka‹ …w §mboÆsantow mÒnon Pr€skou toË strathgoË •ptå ka‹ e‡kosi t«n polem€vn §j°yanon.

traÊmata sun°gracen pãnu ép€yana: Zu den Begriffen piyanÒn und ép€yanon mit literarkritischer Konnotation vgl. den Kommentar zu Kap. 25: komidª piyanÚn ktl. …w §mboÆsantow mÒnon Pr€skou toË strathgoË ... §j°yanon: Gemeint ist hier der Feldherr Statius

Priscus (zu dessen erfolgreicher Laufbahn Miltner 1929, sein Name wird von 163 n. Chr. an in keiner Quelle mehr genannt), der zu Anfang des Jahres 163 n. Chr. die armenische Hauptstadt Artaxata einnahm und dadurch Armenien wieder unter römische Kontrolle brachte (zu den historischen Zusammenhängen vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2 und Strobel 1994, bes. 1321, die Quellen sind: HA vit. Marc. 9, 1 und, weniger konkret, vit. Ver. 7, 1–2; ohne eine Namensnennung des siegreichen Feldherrn Fro. Ver. II 1 Naber 121 = Ver. II van den Hout 131). Die griechische Sprache unterscheidet zwischen einer durch das Verbum §kynÆskein bezeichneten Ohnmacht und Tod (époynÆskein). In diesem Sinne sind illustrative Stellen bei Platon (Lg. XII 959 a: tÒn te §kteyne«ta ka‹ tÚn ˆntvw teynhkÒta [es geht darum, wie lange ein mutmaßlicher Toter aufgebahrt werden solle]) und Aristoteles (HA III 19, 521 a 11–13: steriskÒmena [sc. tå z“a] dÉ aÈtoË [sc. toË a·matow] ka‹ éfiem°nou ¶jv ple€onow m¢n §kynÆskousi, polloË dÉ êgan époynÆskousin) zu verstehen. Dem entspricht auch der Sprachgebrauch Lukians (DMeretr. 13, 4), der ansonsten gerne ein „fast“ hinzufügt (Icar. 23: mikroË m¢n §j°yanon ÍpÚ toË d°ouw und Laps. 8: toË ÑHfaist€vnow Ùl€gou de›n ÍpÉ afidoËw §kyanÒntow). Dieser nicht unwesentliche Unterschied ist erstaunlicherweise in fast allen Übersetzungen vernachlässigt (so Kilburn 1968, 31, Macleod 1991, 216, Costa 2005, 189 und Homeyer 1965, 123), obwohl bereits Hermann 1828, 137 den Sinn ganz richtig erkannt hatte: viginti septem ex hostium numero in animi deliquium incidisse. Das energetisch konnotierte Verbum §mboçn bedeutet wie in Tox. 55 „einen Schlachtruf erschallen lassen“. Das davon abgeleitete Idiom me›zon §mboçn toË St°ntorow (Luct. 15) bezieht sich auf die homerische Charakteristik Stentors (Il. V 785 / 786), derzufolge dieser, ein xalkeÒfvnow, so laut wie 50 Männer zu schreien vermocht habe. Überboten wird das freilich nur von dem gewaltigen Stimmvolumen des Ares (Il. V 859–863), dessen 9000 oder 10000 Männern gleichkommender Schrei die Achäer und die Troer gleichermaßen vor Furcht erbeben läßt. Und vor diesem Hintergrund ist es als wahrscheinlich anzusehen, daß es dem kritisierten Autor darum zu tun war, seinem Werk mit allen Mitteln ein episches Kolorit zu verleihen (bereits Hermann 1828, 137 weist auf letztere Stelle hin). In diesem Kaitel ist natürlich auch der Schlachtruf Achills zu assoziieren (Il. XVIII 217-231).

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¶ti d¢ ka‹ §n t“ t«n nekr«n ériym“ toËto m¢n ka‹ parå tå gegramm°na §n ta›w t«n érxÒntvn §pistola›w §ceÊsato: §p‹ går EÈr≈pƒ t«n m¢n polem€vn époyane›n muriãdaw •ptå ka‹ triãkonta, ka‹ ©j prÚw diakos€oiw, ÑRvma€vn d¢ mÒnouw ka‹ traumat€aw gen°syai §nn°a. taËta oÈk o‰da e‡ tiw ín eÔ fron«n énãsxoito.

triãkonta, ka‹: Zur Begründung für diese sinnmarkierende (und hypothetische) Art der

Interpunktion (ein Vorschlag Hermanns 1828, 27) vgl. weiter unten den Kommentar z. St.; triãkonta ka‹: Macleod 1980, 300; prÚw diakos€oiw: so G und E folgend Reitz 1743, 29, Hermann 1828, 27 und Macleod 1980, 300; prÚw to›w diakos€oiw: die Lesart in jüngeren Handschriften, wohl eine Konjektur, um den bei unbestimmten Angaben von Zahlen üblichen Artikel einzufügen; mÒnouw dÊo: Korrektur von Ea für die in G und E fehlende Zahl; mÒnouw : Macleod 1980, 300; ich folge Macleod darin, die von Ea eingesetzte Zahl als sekundäre Hinzufügung zu markieren. toËto m¢n ka‹ parå tå gegramm°na §n ta›w t«n érxÒntvn §pistola›w §ceÊsato: Unter den §pistola€ sind Mitteilungen offiziellen Charakters (Bulletins) zu verstehen, welchen naturgemäß

eine Beschönigungstendenz innewohnt (vgl. dazu Strab. III 4, 13 = C 163), die sich namentlich bei offiziellen Zahlenangaben bemerkbar macht. Plutarch (Sull. 19, 4) zufolge (ohne kritische Stellungnahme) gab Sulla die Zahl der in der gegen Archelaos, den Feldherrn des Mithridates VI., geführten Schlacht (bei Chaironeia im Jahr 86 v. Chr.) erlittenen römischen Verluste mit 12 an, und (mit Sicherheit nicht immer dermaßen stark ausgeprägte) Verfälschungen von Tatsachen waren bei solchen Berichten, auch wenn im Einzelfall Belege dafür fehlen, wohl keine Seltenheit. Es ist daher die Frage zu stellen, ob Lukian, dem dieser Umstand bekannt sein mußte, sich hier eine Kritik an der Praxis solcher Berichterstattungen erlaubt. Dafür scheint jedenfalls zu sprechen, daß die Präposition parã + Akkusativ (hier noch verstärkt durch ka‹) im Sinne von „über ... hinaus“ verstanden werden kann (Sinn: „er log noch mehr, als dies in Bulletins an sich schon der Fall ist“). In diesem Sinne übersetzt Hermann 1828, 138: ea quoque, quae imperatorum in literis conscribi solent, mentiendo superavit. Doch sind Zweifel an einem derart eindimensionalen Textverständnis angebracht, da kaum anzunehmen ist, daß Lukian sich auf ein so gefährliches Terrain zu begeben bereit war (daß er die Institutionen des römischen Staates niemals verspottet, haben bereits Bernays 1879, 44–45 und Helm 1927, 1772 im Prinzip zutreffend beobachtet). Gerade um seine Kritik (wenn es überhaupt seine Absicht war, Kritik zu üben) zu verschleiern, wählt er ja die doppeldeutige Präposition parã + Akkusativ, welche im allgemeinen Sprachgebrauch viel häufiger die im gegebenen Fall unverfängliche und so dem eine Zweideutigkeit im Ausdruck wohl bewußt anstrebenden Autor gelegen kommende Bedeutung von „zuwider“ hat (in diesem Sinne übersetzen Kilburn 1968, 31, Macleod 1991, 217 und Costa 2005, 189). Homeyer 1965, 123 übersetzt zwar auch in diesem Sinne, sie ist sich aber, wie ihr Kommentar zur Stelle (219) deutlich anzeigt, der von Lukian für seine speziellen Zwecke ausgebeuteten Ambivalenz der Präposition durchaus bewußt, die es ihm ermöglicht, die Aussage in der Schwebe zu lassen und sich so nicht unnötigerweise dem Verdacht einer romkritischen Haltung bzw. der Kritik an der römischen Führung auszusetzen. §p‹ ... EÈr≈pƒ: Für die Schlacht bei Europos (zu ihrer besonderen Bedeutung vgl. auch Kap.

28) scheint Lukian erstaunlicherweise die einzige explizite antike Quelle zu sein (das Exzerpt des Xiphilinos = D. C. LXXI 2, 3 geht darauf nicht ein). Im Jahr 165 n. Chr. errang das römische Heer unter dem Kommando des Avidius Cassius hier einen entscheidenden Sieg über die Parther und schaffte damit die Grundlage für die bald darauf in Mesopotamien vorgetragene Schlußoffensive.

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Das Schlachtfeld ist wahrscheinlich nördlich von Dura–Europos (bei diesem Doppelnamen handelt es sich wohlgemerkt um eine ausschließlich moderne Bezeichnung), einer makedonischen Gründung aus frühhellenistischer Zeit (Europos ist die griechische Benennung, so Isid. Char. mans. Parth. 1, GGM I 248, Z. 9–10), zu lokalisieren (vgl. Strobel 1994, 1322), welches durch umfangreiche Grabungskampagnen im 20. Jahrhundert gut erschlossen worden ist (zur Bevölkerung in römischer Zeit Welles 1951 und Lifshitz 1977, bes. 25–27, zum epigraphischen Befund Frye / Gilliam / Ingholt / Welles 1955 und van Rengen 1977, bes. 48–49, zur Kunst Perkins 1973, ein Stadtplan bei Kirsten 1959, Sp. 359 und Leisten 1997, 846). Viel weiter nordwestlich, südlich von Zeugma (zur Lage von Zeugma überzeugend Tscherikower 1927, 53–54), gab es eine weitere, gleichfalls am westlichen Ufer des Euphrat gelegene syrische Stadt mit dem Namen Europos (Plin. Nat. V 21, 87), die als möglicher Schlachtort prinzipiell in Frage kommt (Benzinger 1909 zufolge lag dieses 27 km euphratabwärts von Biredschik). Doch ist dies als weniger wahrscheinlich zu erachten, da die Kritik in Kap. 24 (ein Anonymus hatte fälschlich Europos als Gründung Edessas bezeichnet und in Mesopotamien lokalisiert) den Eindruck erweckt, daß der sachliche Fehler seine Ursache in einer Verwechslung von Dura–Europos mit dem näher an Edessa liegenden Europos gehabt haben könnte (in diesem Sinne wohl zu Recht auch Macleod 1991, 295). muriãdaw •ptå ka‹ triãkonta, ka‹ ©j prÚw diakos€oiw: Die Zahl ist keineswegs so leicht zu

bestimmen, wie dies auf den ersten Blick möglich zu sein scheint, da die bei genauerer Analyse Rätsel aufgebende Wortfolge es nötig macht, eine Entscheidung darüber zu treffen, worauf denn ka‹ triãkonta eigentlich zu beziehen ist. Die Mehrzahl der modernen Herausgeber mit Ausnahme von Hermann 1828, 27 nimmt von einer (freilich hypothetischen) Interpunktion nach triãkonta Abstand und geht, wie schon Wieland 1974, II 279 zuvor, ganz selbstverständlich davon aus, daß es sich dabei um 70. 236 Gefallene handle (so die Übersetzungen von Kilburn 1968, 30, Homeyer 1965, 123, Macleod 1991, 217 und Costa 2005, 189). Fritzsche 1860, 61 gelangt zwar auch zu dieser Auffassung, doch sind ihm die Probleme, die der überlieferte Wortlaut stellt, durchaus bewußt. Bezieht man nämlich die Zahlen •ptå ka‹ triãkonta auf das als gemeinsam angenommene Bezugswort muriãdaw, so ergibt sich die für Fritzsche viel zu hoch gegriffene Zahl 370. 206. Fritzsche entscheidet sich daher für eine Tilgung von ka‹ vor ©j, um durch diesen Eingriff in den Text (es ist ihm bewußt, daß es sich bei der Lesart ka‹ ©j um den consensus codicum handelt) der ihm plausibel erscheinenden Zahl 70. 236 eine solide syntaktische Grundlage zu geben, denn die Wortfolge triãkonta ©j (die Alternative ist ©j ka‹ triãkonta) zur Bezeichnung der Zahl 36 entspricht, wie bereits Hermann 1828, 138 richtig vermerkt, allgemeinem Sprachgebrauch. Andererseits erscheint aber eine Tilgung von ka‹ als ein wohl zu gewaltsamer Eingriff in den überlieferten Text, weshalb ich mich dafür entscheide, mit Hermann nach triãkonta zu interpungieren, was ohne allzu starken Eingriff in den überlieferten Wortlaut ebenfalls eine syntaktische Unebenheit vermeidet. Wenn sich nun solcherart die für heutiges Empfinden unvorstellbar hoch erscheinende Zahl 370. 206 ergibt, so muß man sich selbst bei erstrangigen antiken Historikern stark überzogene und einseitig gewichtende Angaben über militärische Verluste vor Augen halten. So gibt, um nur einige prominente Beispiele zu nennen, Herodot (IX 70, 5) an, daß nach der Schlacht bei Plataiai von dem gewaltigen, insgesamt 300.000 Mann umfassenden Kontingent der Perser nicht einmal 3.000 am Leben geblieben seien, was unter Abzug der 40. 000 mit Artabazos auf der Flucht Befindlichen immerhin noch eine stolze Gesamtzahl von 257.000 Toten ergibt, während von den Spartanern lediglich 91 gefallen seien, von den Tegeaten 16 und von den Athenern 52. Ähnlich nehmen sich die Dimensionen aus, welche Arrian (An. III 15, 6), den Lukian hier nicht, wie Wirth 1964, 241 meint, vorrangig im Auge hat (so zu Recht vorsichtig urteilend Macleod 1987, 261), für den Ausgang der

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Schlacht bei Arbela angibt. Während von Alexanders Männern nur an die 100 gefallen seien, hätten sich die Verluste der Barbaren auf an die 300.000 Mann belaufen (man vgl. die unverhältnismäßigen Zahlen der Gefallenen in der Schlacht gegen Poros: Arr. An. V 18, 2–3). Dies ist der allgemeine Hintergrund, vor dem die nur einem heutigen Betrachter vielleicht überzogen erscheinende Angabe bei Lukian zu verstehen ist (Anderson 1976 a 59–60 sieht hier bloß eine motivische Parallele zu VH I 13 ff.). Wollte er die Entgleisung des hier auf den Prüfstand kommenden Autors anschaulich vor Augen führen, so mußte er notwendigerweise zu derart drastischen Zahlen greifen, soferne er nicht überhaupt, was eher anzunehmen ist, lediglich aus dessen Werk zitiert. Auf der anderen Seite dieser Skala steht Thukydides mit seinem erklärten Bewußtsein um die Probleme, die sich dem Historiker stellen, wenn er die exakte Zahl von Gefallenen eruieren möchte (Th. V 74, 3: es geht um die Schlacht bei Mantineia im Jahr 418 v. Chr.). Über Polybios sagt Howald 1964, 108 durchaus zu Recht, daß er „kritischer gegen die Phantasiezahlen der Überlieferung eingestellt ist“. Und der schon innerhalb der Antike viel getadelte Ktesias hatte immerhin einer offiziellen Angabe von Gefallenen in der Schlacht bei Kunaxa seine eigene, vor dem Hintergrund weitverbreiteter Gepflogenheiten keineswegs überzogen erscheinende Einschätzung gegenübergestellt, daß es mehr als doppelt so viele gewesen seien (Plu Art. 13, 3), sodaß der Leser sich darüber selbst ein Urteil bilden konnte.

Kapitel 21 Noch immer geht es hier um denselben Anonymus (markiert zunächst durch otow, sodann durch ı aÈtÚw otow), dessen kritische Betrachtung in Kapitel 19 begonnen hatte. Nunmehr ist es erst mal ein falsch verstandener Attizismus (ein anderes Beispiel war in Kap. 15 bereits genannt worden), der den Spott des Autors herausfordert, habe doch dieser Anonymus die Eigennamen von zumindest teilweise prosopographisch nachweisbaren römischen Feldherrn (am Besten und Sichersten ist dies möglich im Falle des M. Claudius Fronto) auf ganz und gar abgeschmackte Weise gräzisiert. Anstatt, wie es korrekt gewesen wäre, Saturninus mit Satourn›now zu benennen, Fronto mit FrÒntvn und Titianus mit TitianÒw, habe dieser gegen alle sprachlichen Gepflogenheiten aus Saturninus und Titianus einen KrÒniow und einen Titãniow gemacht, mit der durchsichtigen Tendenz, so einen Bezug zur Titanomachie herzustellen (vgl. die Anmerkung zu ˆtobow im Kommentar zu Kap. 22: ÖEdessa m¢n dØ oÏtv ktl) und solcherart die römische Kriegsführung durch eine mythische Überhöhung zu verherrlichen (dies ist aber nicht der vordergründige Kritikpunkt hier). Und aus M. Claudius Fronto habe er Herrn Denker, d. h. FrÒntiw gemacht. Die sich daran anschließende Kritik macht sich wesentlich daran fest, daß er Severianus, den unglückseligen römischen Legaten M. Sedatius Severianus, von dessen Selbstmord keine einzige andere antike Quelle zu berichten weiß, eines freiwillig auf sich genommenen Hungertodes habe sterben lassen (ein anderer, nicht minder alberner Anonymus habe daraus das Durchschneiden der Kehle mit Glas gemacht, Kap. 25). Er wußte also nicht, da ihm eben selbst die elementaren Kenntnisse über bekannte empirische Tatsachen fehlten, daß bei einem vollständigen Nahrungsentzug der Tod gewöhnlich nicht vor dem 7. Tag einzutreten pflegt. Ohne es selbst zu bemerken, habe er mit dieser seiner Version gegen das wichtige Prinzip der Wahrscheinlichkeit (tÚ piyanÒn, vgl. Kap. 20: traÊmata ... pãnu ép€yana) verstoßen (dieser Vorwurf ist hier nicht explizit ausgesprochen). Dabei habe er an den (aus dieser Sicht jedenfalls stimmigen) Berichten aller anderen über den Tod des Severianus durch das Schwert (Kap. 25) ungerechtfertigte Kritik geübt. Der abschließende zynische Kommentar solidarisiert sich denn auch mit dem als wissend vorausgesetzten

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Leser zu gemeinsamem Spott über die absurde Vorstellung, der parthische Feldherr Osroes habe 7 Tage lang untätig zugewartet bis zum Ableben des Mannes, um erst nach Ablauf dieser Frist mit seiner Attacke auf die Stadt zu beginnen. Bewertet wird hier nicht nur das Werk an sich, sondern vielmehr auch der Verfasser selbst, und zwar auf der Ebene seiner Unwissenheit (oÈk efid∆w).

Ka‹ mØn kéke›no lekt°on oÈ mikrÚn ˆn: ÍpÚ går toË komidª ÉAttikÚw e‰nai ka‹ épokekayãryai tØn fvnØn §w tÚ ékrib°staton ±j€vsen otow ka‹ tå ÙnÒmata metapoi∞sai tå ÑRvma€vn ka‹ metagrãcai §w tÚ ÑEllhnikÒn, …w KrÒnion m¢n Satourn›non l°gein, FrÒntin d¢ tÚn FrÒntvna, Titãnion d¢ tÚn TitianÚn ka‹ êlla poll“ geloiÒtera.

metapoi∞sai: eine notwendige Konjektur von Jacobs für das in G und E überlieferte poi∞sai [vgl. Kap. 5: metapoiÆsousin µ metagrãcous€n ti], so Macleod 1980, 300. ÍpÚ går toË komidª ÉAttikÚw e‰nai ka‹ épokekayãryai tØn fvnØn §w tÚ ékrib°staton: der Autor

Lukian thematisiert wiederholt und aus unterschiedlichen Perspektiven einen mißverstandenen Attizismus. In dieser Schrift (Kap. 15) gilt die Kritik der verfehlten Praxis des Crepereius Calpurnianus, ohne Sensorium für die so entstehenden Inkonzinnitäten unter ein genuin attisches Vokabular dem Lateinischen entnommene Lehnwörter zu mischen. Nunmehr geht es um ein Verfahren, welches lateinische Eigennamen auf gänzlich unpassende und alberne Art gräzisiert und damit sinnmäßig unkenntlich macht (gründlich mißverstanden ist der Sinn dieser Stelle von Schnayder 1927, 144, Anm. 4). Dies ist ein klarer Verstoß gegen das in den Kap. 43–44 ausgesprochene Postulat der safÆneia bzw. der vom Autor dort nicht explizit genannten theophrastischen Stiltugend der Sprachrichtigkeit = •llhnismÒw (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 43: ≤ l°jiw ... safØw ka‹ politikÆ und Avenarius 1956, 59–60 mit Belegen zu der hier kritisierten Praxis). Ein ähnlich gelagerter sprachlicher Fehler wird in Kap. 15 an Crepereius Calpurnianus kritisiert. Andernorts nimmt Lukian auf billige Wirkung bei den Ungebildeten berechneten Gebrauch eines kleinen Repertoires an attischen Wörtern (Rh. Pr. 16, vgl. dazu den Kommentar von Zweimüller 2008, 312–316) sowie angelerntes Wissen ohne inneres Verständnis (Ind. 26) aufs Korn, und im Besonderen verspottet er hyperattizistische, das Verständnis behindernde archaistische Manierismen (Lex. 25 und Demon. 26). Lukians eigener Gebrauch des Attischen verrät eine Akkuratesse, welche sich im Einzelfall durchaus wohlbegründete Freiheiten erlaubt und durch diese geschmeidige Art der Handhabung normativer Parameter den Eindruck von Pedanterie elegant vermeidet (dies zeigt u. a. Deferraris 19692 sorgfältige Untersuchung der Verbalformen). Mit dem Terminus fvnÆ bezeichnet Lukian allgemeiner Praxis entsprechend Sprache und sprachliche Form (vgl. Kap. 43–44 mit einer Unterscheidung von fvnÆ und gn≈mh, vgl. auch Kap. 6 und Lex. 22 sowie auch 25: Íperãttikow e‰nai éji«n ka‹ tØn fvnØn efiw tÚ érxaiÒtaton éphkribvm°now). Eine dem Wortlaut dieser Stelle ähnliche Ausdrucksweise liegt vor in Im. 15: TÚ m¢n går ékrib¢w toËto t∞w fvn∞w ka‹ kayar«w ÉIvnikÚn. Das Idiom efiw tÚ ékrib°staton findet sich bei Lukian auch anderswo (Pisc. 38, Im. 7, DMort. 22, 7). …w KrÒnion m¢n Satourn›non l°gein, FrÒntin d¢ tÚn FrÒntvna, Titãnion d¢ tÚn TitianÚn: Es

handelt sich um drei Feldherrnpersönlichkeiten aus dem Partherkrieg (für Fronto ist es direkt bezeugt, für Saturninus und Titianus ist es jedoch zu vermuten), welche zumindest teilweise prosopographisch erschlossen werden können: 1) Hinter Saturninus verbirgt sich, obwohl ein direkter Bezug zum Partherkrieg des Lucius Verus nicht belegt ist, möglicherweise P. Furius Saturninus (PIR2 F 583,

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CIL III 943, III 1171, III 1177 und 1460), der im Jahr 161 n. Chr. als prätorischer Legat die Provinz Dacia verwaltete und nachweislich noch während dieser seiner Statthalterschaft, die er 158 n. Chr. von M. Statius Priscus übernommen hatte, in absentia den Konsulat erhielt, welchen er wahrscheinlich noch in diesem Jahr oder allenfalls ein Jahr später ausübte (die Daten sind zusammengestellt von Alföldy 1977, bes. 176 sowie 245 und Piso 1993, 73–75). Dieser Gleichsetzung gegenüber zeigte sich Stein 1944, 35–36 (vielleicht etwas zu) skeptisch. Als Alternative zu dieser aus seiner Sicht nicht gänzlich befriedigenden Lösung schlug von Premerstein 1911, 355–357 unter Berufung auf eine Ehreninschrift aus Troesmis (CIL III 775) eine Identifizierung mit dem Legionslegaten Vigellius Saturninus vor, der im Jahr 166 n. Chr. als Nachfolger des P. Martius Verus die legio V Macedonica nach dem Westen zurückführte und deren Überstellung aus Troesmis in Moesia inferior nach Dakien leitete. Aber auch für diesen Vigellius Saturninus gibt es keinen direkten Beleg für eine unmittelbare Beteiligung am Partherkrieg. Gegenüber der korrekt gräzisierten Namensform Satourn›now nimmt sich die auf der Gleichsetzung von Saturnus mit Kronos beruhende Benennung durch den Anonymus als KrÒniow reichlich albern aus. Am Sichersten dokumentieren läßt sich die Person des M. Claudius Fronto (PIR2 C 874, CIL VI 1377 und III 1457 [letztere aus Sarmizegetusa], zur Prosopographie vgl. Stein 1944, 38–40), der im Partherkrieg des Lucius Verus bis zum Jahr 165 n. Chr. eine prätorische Armee kommandierte und aus diesem seinem Armeekommando (u. a. spielte er eine führende Rolle bei der Eroberung von Edessa, vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 22: ÖEdessa ktl) wohl direkt zum Konsul aufstieg (consul suffectus wahrscheinlich bereits im Jahr 165 n. Chr. in absentia, spätestens 166 n. Chr.). Anläßlich des Triumphes über die Parther am 22. Oktober 166 n. Chr. erhielt er die dona militaria. Auch die weitere Karriere dieses Mannes bis hin zu seinem Tod läßt sich noch in den Grundrissen verfolgen. Im Jahr 168 n. Chr. war er Statthalter der Provinz Moesia superior und übernahm die Dacia Apulensis, schließlich im Jahr 169 n. Chr. nach dem Tod des Kaisers Lucius Verus die gesamte Provinz Dacia. Im Jahr 170 n. Chr. fiel er im Kampf (informative Darstellungen der Biographie bei Alföldy 1977, bes. 179, 223 und 337, Halfmann 1979, 176–177, Piso 1993, 94–102 und, mit Bezug zu seiner leitenden Position bei den Truppenaushebungen für die Markomannenkriege, Winkler 1977, bes. 220–221). Gegenüber der weitverbreiteten, aber in diesem Kontext keinen Sinn ergebenden Vermutung früherer Philologengenerationen, daß es sich um den Rhetor Marcus Cornelius Fronto handelt (so noch Baldwin 1973 a, 33), wies Macleod 1991, 295 (ohne Belege) mit Entschiedenheit und zu Recht auf den Feldherrn M. Claudius Fronto hin (für wahrscheinlich hatte dies bereits Debevoise 1938, 247, Anm. 32 gehalten). Die korrekt gräzisierte Namensform hätte gelautet FrÒntvn, FrÒntvnow. Beim kritisierten Anonymus ist daraus jedoch die abgeschmackte und als sinnreich intendierte Form FrÒntiw („der Denker“) geworden (der Fehler ist somit nicht grammatikalischer Natur, wie dies Homeyer 1965, 220 annimmt, korrigiert von Werner 1969, 476), vermutlich in Anspielung auf die strategische Effektivität des Namensträgers, welche sich aus den Eckdaten seiner Biographie zumindest in Umrissen noch ablesen läßt. Nicht sicher zu identifizieren ist Titianus. Bekannt ist jedenfalls ein C. Maesius Titianus, der im Jahr 245 n. Chr. gemeinsam mit Kaiser Philippus Arabs das Konsulat innehatte (PIR2 M 82, möglicherweise die in CIL X 7345 verzeichnete Person). Es ist denkbar, daß der von Lukian genannte Titianus mit diesem verwandt sein könnte (vielleicht der Großvater), aber auf der Grundlage des vorliegenden Materials kann dies ebenso wie Birleys 1968, 256 hypothetische Identifizierung dieses Mannes mit Fulvius Titianus, dem Kommandanten der ostsyrischen Handelsmetropole Palmyra, kaum mehr als Vermutung bleiben. Wie im Falle der Benennung des Saturninus als KrÒniow, so ist

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auch hier das titanische Element (Titãniow) die von dem Anonymus offensichtlich intendierte Pointe, welche seinen enkomiastischen Absichten dazu gedient haben mag, die Leistungen der Römer ebenso kräftig wie einseitig herauszustreichen.

¶ti ı aÈtÚw otow per‹ t∞w SeouhrianoË teleut∞w ¶gracen …w ofl m¢n êlloi pãntew §jhpãthntai ofiÒmenoi j€fei teynãnai aÈtÒn, époyãnoi d¢ ènØr sit€vn éposxÒmenow: toËton går aÈt“ élupÒtaton dÒjai tÚn yãnaton, oÈk efid∆w ˜ti tÚ m¢n pãyow §ke›no pçn tri«n o‰mai ≤mer«n §g°neto, épÒsitoi d¢ ka‹ §w •bdÒmhn diarkoËsin ofl pollo€ – §ktÚw efi mØ toËyÉ Ípolãboi tiw, …w ÉOsrÒhw eflstÆkei perim°nvn, ¶stÉ ín SeouhrianÚw lim“ épÒlhtai, ka‹ diå toËto oÈk §p∞ge diå t∞w •bdÒmhw.

SeouhrianoË: so Macleod 1980, 300; ènØr: Macleod 1980, 300 (so schon als Möglichkeit vorgeschlagen von Fritzsche 1860, 63 im textkritischen Apparat) für den in G und E ausgefallenen Artikel; ı énØr: so die Mehrheit der Herausgeber nach Schreiber–Hinzufügungen in jüngeren Handschriften; §ke›no: nach E fast alle Herausgeber; §ke€nƒ: so nach G Bekker 1853, 29, Macleod 1980, 300; ÉOsrÒhw: Reitz 1743, 30, Bekker 1853, 29, Dindorf 1858, 11, Hermann 1828, 28, Homeyer 1965, 122, Kilburn 1968, 32; ÉOsrÒhw tiw: dies ist der Wortlaut der ältesten Handschriften (tiw2),

danach Iacobitz 1838, 23 sowie 1866, 13, Macleod 1980, 300 (allerdings mit begründetem Vorbehalt im textkritischen Apparat und der Annahme einer möglichen Lücke). ... per‹ t∞w SeouhrianoË teleut∞w ¶gracen …w ofl m¢n êlloi pãntew §jhpãthntai ofiÒmenoi j€fei teynãnai aÈtÒn, époyãnoi d¢ ènØr sit€vn éposxÒmenow: M. Sedatius Severianus (zu seiner

Laufbahn Groag 1921, zur Prosopographie Stein 1944, 24–26, vgl. Ritterling 1904, 186–187), der von Antoninus Pius zum legatus Augusti pro praetore von Kappadokien ernannt worden war und auch noch unter Marcus Aurelius und Lucius Verus diese Funktion innehatte, sah sich bei dem Ausbruch des Partherkrieges mit der Situation konfrontiert, daß die Parther in Armenien eingedrungen waren. Er entschloß sich zu einem aktiven militärischen Vorgehen, nachdem er zuvor durch das Lügenorakel des Alexandros von Abonuteichos, das von vielen hochrangigen Römern befragt wurde, einen Bescheid über den erfolgreichen Ausgang des Unternehmens erhalten hatte (die ältere Ansicht, es handle sich um P. Aelius Severianus Maximus, den Legaten von Arabia, kann wahrscheinlich als widerlegt gelten, so zutreffend Stein 1924, 259). Lukian (Alex. 27) gibt in der Schrift über Alexandros davon einen Bericht, der darauf hinausläuft, die Leichtgläubigkeit des Legaten (er nennt ihn ı ±l€yiow §ke›now KeltÒw) herauszustellen. Bei dem am Euphrat gelegenen Elegeia (bereits Walz 1921, 110–112 hat zutreffend beobachtet, daß Lukian den Unglücksnamen Elegeia vermeidet, während D. C. LXXI 2, 1 ihn nennt) verübte er, vom parthischen Feldherrn Osroes eingeschlossen, Selbstmord durch Sturz in das Schwert (so die offensichtlich verbreitetste Version), woraus der hier kritisierte Autor freiwilligen Hungertod und ein anderer (Kap. 25) Durchschneiden der Kehle mit Glas gemacht habe. Die übrigen Quellen wissen nicht nur nichts über die Art des Vollzugs des Selbstmordes zu berichten, sondern kennen, wie es scheint, nicht einmal den Umstand des Selbstmordes an sich. Im Exzerpt des Xiphilinos (D. C. LXXI 2, 1: der Name des Legaten erscheint hier in der Form SebhrianÒw) ist lediglich die Rede davon, daß eine ganze Legion unter Führung des Severianus bei Elegeia von Vologaeses vernichtet worden sei, und auch die lateinischen Quellen (HA vit. Ver. 6, 9, ohne Nennung des Namens Severianus, und Fro. Parth. Naber 209 = van den Hout 212 [A 260, 19] mit Ergänzungen am unsicheren Wortlaut) sprechen nur von einer gewaltsamen Todesart und suggerieren damit, daß Severianus entweder im Kampf gefallen oder ermordet worden sei. Im übrigen ist ein in

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diesem Kontext aufschlußreicher Brief des Lucius Verus aus der ersten Hälfte des Jahres 166 n. Chr. (so schlüssig Champlin 1974, 148) erhalten, in dem dieser an Fronto mit dem Ansinnen herantritt, in seiner Darstellung des Krieges die anfängliche Überlegenheit der Parther damit zu begründen, daß er selbst zu dieser Zeit noch nicht vor Ort erschienen sei (Fro. Ver. II 3 Naber 132 = van den Hout 108 [A 435, 2]: porro necessarium puto, quanto ante meum adventum superiores Parthi fuerint dilucere, ut quantum nos egerimus appareat). Dies zeigt, daß der Kaiser keine Skrupel hatte, aus der Niederlage des Severianus Profit für seine kaiserliche Selbstdarstellung zu ziehen. Es zeigt aber auch, daß Lukian mit seiner Beurteilung des Severianus zumindest nicht in Widerspruch zu den Interessen des Herrschers steht. Es wäre aber sicher überzeichnet, wollte man dies mit Jones 1986, 67 und 70 im Sinne einer Autorstrategie als eine indirekte Art der Schmeichelei bewerten (in diesem Sinne zu Recht Nesselrath 1991, 392, der Jones’ These einer indirekten Ergebenheitsadresse an Lucius Verus mit Skepsis gegenübersteht). oÈk efid∆w ˜ti tÚ m¢n pãyow §ke›no pçn tri«n o‰mai ≤mer«n §g°neto, épÒsitoi d¢ ka‹ §w •bdÒmhn diarkoËsin ofl pollo€: Unter der Formulierung tÚ pãyow (Sinn etwa: „Leidensweg“) §ke›no pçn ist

das von der Einschließung durch Osroes bis hin zum Tod des Severianus reichende Desaster der Römer zu verstehen. Als bekannt wird der von Ärzten empirisch erwiesene Umstand vorausgesetzt, daß Menschen normalerweise bis zum siebenten Tag ohne Nahrungsaufnahme durchhalten (vgl. dazu Hp. Carn. 19 Littré VIII bes. 610), eine Zeitspanne, die sich sogar, wie gleichfalls in der Medizin beobachtet wurde, durch das Trinken von Wasser noch verlängern läßt (Plu Quaestiones convivales VI 3, 2, 690 a–b mit Nennung des Arztes Erasistratos unmittelbar zuvor). Damit ist zu vergleichen, was Diogenes Laertios (II 143) unter Berufung auf namentlich genannte Autoritäten über den Tod des Sokratikers Menedemos von Eretria (dazu orientierend Döring 1998, 241–245) zu berichten weiß. Menedemos, zum Opfer falscher Verleumdung geworden und nicht mehr in der Lage, seine Heimat zu retten, habe sich in seiner Verzweiflung zu Tode gehungert und sei so nach sieben Tagen gestorben (ÍpÉ éyum€aw ésitÆsanta •ptå ≤m°raw tÚn b€on metallãjai). Derselbe Diogenes Laertios (II 144 = App. Anth. V 40 Cougny, zur Textgestalt Morelli 1971) begründet in einem Epigramm auf den Tod des Menedemos die „unmännliche Tat“ (¶rgon ênandron), wie er sie nicht eben respektvoll nennt, mit Mutlosigkeit (écux€h). Aus seiner Bewertung (genauer Analyse bedürfende Belege für andersartige Einschätzungen freiwilligen Hungertodes insbesondere in lateinischer Literatur verzeichnet van Hooff 1990, bes. 41–47) läßt sich entweder eine prinzipielle Disqualifizierung des zu einem Sokratesschüler nicht passenden Selbstmordes an sich (ganz anders klingt Lukians Bericht über den Freitod des Demonax, Demon. 65) oder ein geringes „Prestige“ dieser besonderen Art, sich das Leben zu nehmen (zu anderen modi moriendi vgl. van Hooff 1990, 47–78), ersehen, welch letzterer Umstand für ein adäquates Verständnis vorliegender Stelle möglicherweise von Bedeutung sein könnte (toËton går aÈt“ élupÒtaton dÒjai tÚn yãnaton). Am Rande sei hier noch vermerkt, daß Varro die der griechischen Medizin bestens bekannte Tatsache, daß der Hungertod nicht vor dem 7. Tag eintritt (Referat bei Gel. III 10, bes. 15: quibus inedia mori consilium est, septimo demum die mortem oppetunt), aus der Vorstellung vom allumfassenden Wirken der Siebenzahl im gesamten Kosmos ableitet (die in der Antike alternativ zitierten Titel dieser Schrift lauten hebdomades und de imaginibus, so Gel. III 10, 1). §ktÚw efi mØ toËyÉ Ípolãboi tiw, …w ÉOsrÒhw eflstÆkei perim°nvn, ¶stÉ ín SeouhrianÚw lim“ épÒlhtai, ka‹ diå toËto oÈk §p∞ge diå t∞w •bdÒmhw: Belege für das erst in kaiserzeitlicher Literatur in Gebrauch gekommene, namentlich von Lukian mit Vorliebe verwendete Idiom §ktÚw efi mÆ im Kommentar zu Kap. 13: §ktÚw efi mÆ tiw komidª énÒhtow e‡h ktl. Wie bereits in Kap. 13, so unterstreicht auch hier der

potentiale Optativ (Lukian verwendet in diesem Kontext sonst zumeist den Indikativ) die ironisch– zynische Note der Aussage (lat. nisi quis forte putet). Das Verbum §pãgein, welches seit Herodot (I 63, 1 410

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und VII 157, 1) in der überwiegenden Zahl der Belege mit Akkusativobjekt konstruiert ist (u. a. Arr. An. I 4, 4; I 16, 2; so auch bei Lukian Bacch. 4: §p∞gon tØn fãlagga), hat in den verhältnismäßig seltenen Fällen intransitiven Gebrauchs die Bedeutung von „(militärisch) anrücken“ bzw. „angreifen“ (so bereits X. Mem. III 3, 6). Unter den Historikern gebraucht erst Polybios das Verbum in dieser Weise (I 76, 7; V 85, 10; X 49, 11; XII 18, 11 und II 29, 3: letztere Stelle mit Dativobjekt zur Bezeichnung des Angriffsziels), danach findet es sich u. a. bei Diodor (XVII 100, 6), Dionysios von Halikarnaß (VI 5, 2 [die Partizipien Ípostr°fvn und §pãgvn bilden ein Gegensatzpaar], VI 33, 3; IX 62, 5) und bei Lukians Zeitgenossen Arrian (An. I 1, 12; III 8, 1). Die ungewöhnliche und ohne jegliche Parallele dastehende Phraseologie diå t∞w •bdÒmhw [sc. ≤m°raw] (dazu Hermann 1828, 143: sententia perspicua, deest auctoritas) anstelle des regulären diÉ •ptå ≤mer«n hat, wie der Zusammenhang zeigt, eine weniger die Dauer, als vielmehr die zielorientierte zeitliche Erstreckung akzentuierende Bedeutung: „die ganze Zeit über bis zum siebenten Tag“. Vor diesem Hintergrund ist es wohl kaum nötig, mit Macleod 1991, 295 an eine eventuelle Ersetzung von •bdÒmhw durch •bdomãdow zu denken.

Kapitel 22 Der hier kritisierte Anonymus habe poetisches Vokabular (poihtikå ÙnÒmata) in der ein solches Beiwerk mitnichten zulassenden Geschichtsschreibung (flstor€a) verwendet (eine Gegenüberstellung der beiden Gattungen mit anderer Zielsetzung in Kapitel 8) und damit gegen das in Kapitel 45 formulierte Prinzip verstoßen, demzufolge die Diktion (l°jiw) ein gewisses Maß an poetischem Anhauch unter keinen Umständen überschreiten dürfe. Bereits der milesische Historiker war zuvor wegen unpassender Anleihen bei Homer getadelt worden (Kap. 14). Der hier zur Debatte stehende Autor habe sich, wie erst eine Untersuchung des Wortgebrauches zeigt, mit einer einzigen Ausnahme (das Wort ˆtobow ist erstmals bei Hesiod belegt) ausschließlich bei homerischem Vokabular bedient, und zwar mit teilweise unbegründeten morphologischen Abweichungen (wenigstens scheint er die unaugmentierten Formen von mermhr€zein nicht auch noch mit übernommen zu haben), in einem Fall zumindest auch mit der Intention, ein offensichtlich als unzureichend taxiertes homerisches Idiom, wie er glaubte, noch zu verbessern. Dieser in der Verwendung poetischen Vokabulars bestehende Mangel, so die Aussage, wäre wegen der Unangemessenheit in der Gattung der Geschichtsschreibung an sich schon schlimm genug, er würde aber im vorliegenden Fall noch tadelnswerter dadurch, daß sich im selben Werk zudem auch noch ein hin und her Pendeln zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an sprachlichem Anspruchsniveau fände (das angemessene Verfahren der ausgewogenen Mitte ist in den Kap. 44–45 angegeben), indem umgangssprachliche Ausdrücke und, noch eine Ebene darunter, Gossenvokabular willkürlich zwischen hochpoetische Worte mitten hinein gemischt seien. Die zur Illustration angeführten Beispiele zeigen, besonders auf den Ebenen von Lexis und Syntax, das gänzliche Fehlen einer literarisch salonfähigen Diktion. Dieser Fehler einer inadäquaten Vermischung inkompatibler Elemente innerhalb ein und desselben Werkes zu einem ganz inhomogenen Ganzen war bereits zuvor wiederholt und aus unterschiedlichen Blickwinkeln kritisiert worden, in den Kapiteln 15 (inkongruente Vermischung von attischem und lateinischem Vokabular) und 16 (zuerst ionischer Dialekt, dann ohne klar erkennbaren Grund Wechsel zu Koine und Gassenjargon). Genau dieses Defizit ist es denn auch, das im Schlußsatz dem grotesken Vergleich mit dem tragischen Schauspieler mit hoch gestelztem Schauspielerschuh an dem einen Fuß und der Sandale am anderen Fuß zugrundeliegt (ein ähnlich drastisch veranschaulichendes Bild auch am Ende von Kap. 15). Gleich mehrere solcher grotesker Bilder werden sodann in Kapitel 23 mit singulärer Verwendungsdichte ausgeführt. 411

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In formaler Hinsicht ist es bemerkenswert, wie Lukian es bewerkstelligt, unter dem Anschein einer Kritik an einer Mehrheit von Autoren (ToÁw d¢ ... xrvm°nouw) tatsächlich nur einen einzigen zu behandeln, worauf der Text klare Hinweise gibt, in Form freilich nur ungefährer Angaben über die Plazierung der jeweiligen Zitate innerhalb des Werkganzen. Die Zitate sind so angelegt, daß sie auch ohne speziellen Kommentar alleine für sich sprechen; nur die zweite Beispielreihe ist eingeleitet durch eine summarische Charakteristik mit wertendem Charakter. Die verwendeten Stilmittel sind Ironie (t∞w kal∞w flstor€aw) und rhetorische Frage (poË dÉ ên tiw ye€h); das steigernde ka‹ („gar“) zu Beginn des Passus erfüllt wohl die Funktion, nach der vorangehenden längeren Reihe von Autoren die Aufmerksamkeit des Lesers aufs Neue zu beleben und wachzuhalten. Und diesem Zweck dient offensichtlich auch die Ansprache an das Du des Adressaten mit Namensnennung (dessen Name Philon war ja zuletzt in Kap. 4 genannt worden, mit demselben Wortlaut wie hier in Kap. 1, genau so wie in Kap. 4 sodann wieder in Kap. 24). Das groteske Bild zu Schluß zielt nicht nur auf eine Bloßstellung der Inkongruenz der zwei inkompatiblen Elemente ab, sondern ist auch im einzelnen an die beiden Stilebenen (hoch und niedrig) genau angepaßt.

ToÁw d¢ ka‹ poihtiko›w ÙnÒmasin, Œ kal¢ F€lvn, §n flstor€& xrvm°nouw, poË dÉ ên tiw ye€h, toÁw l°gontaw, „§l°lije m¢n ≤ mhxanÆ, tÚ te›xow d¢ pesÚn megãlvw §doÊphse“, ka‹ pãlin §n •t°rƒ m°rei t∞w kal∞w flstor€aw, „ÖEdessa m¢n dØ oÏtv to›w ˜ploiw periesmarage›to ka‹ ˆtobow ∑n ka‹ kÒnabow ëpanta §ke›na“ ka‹ „ı strathgÚw §mermÆrizen ⁄ trÒpƒ mãlista prosagãgoi prÚw tÚ te›xow“.

ToÁw d¢ ka‹ poihtiko›w ÙnÒmasin, Œ kal¢ F€lvn, §n flstor€& xrvm°nouw, poË dÉ ên tiw ye€h: Verwendung poetischen Vokabulars (die Bezeichnung poihtikå ÙnÒmata findet sich erstmals bei Pl.

Phdr. 257 a, danach fungiert sie als ein terminus technicus in rhetorischer Theorie, so z. B. bei Theon, Spengel II 81, Z. 9) innerhalb der gänzlich artfremden Gattung der Geschichtsschreibung ist als Verstoß gegen den normativen Parameter des pr°pon zu werten, ein Gedanke, der bereits von Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 4–5) in allgemeingültiger Weise formuliert wurde (≤ går poihtikØ ... oÈ pr°pousa lÒgƒ). Die mit einer l°jiw ... Íp¢r tÚn kairÚn §nyousi«sa verbundene Gefahr wird in Kap. 45 dieser Schrift näher ausgeführt (vgl. dazu den Kommentar zum gesamten, mit ≤ l°jiw beginnenden Passus). In etwas anderem Zusammenhang wurde bereits in Kapitel 14 ein milesischer Historiker wegen seiner Anleihe bei Homer kritisiert (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 14: ka‹ efi prÒsye m¢n ¶feugen §sylÒw tiw, „§d€vke d° min m°gÉ éme€nvn“). Zu den variierenden Anredeformen des Adressaten Philon vgl. den Kommentar zu Kap. 1: Œ kal¢ F€lvn. Das Idiom poË dÉ ên tiw ye€h („wo, d. h. unter welche Kategorie sollte man [diejenigen] einreihen“) findet sich in ähnlicher Form auch bei Diogenes Laertios (I 104 [Bonmot des Anacharsis]: §rvthye‹w pÒteroi ple€ouw efis€n, ofl z«ntew µ ofl nekro€, ¶fh, „toÁw oÔn pl°ontaw poË t€yhw“;) und vereinzelt in der Rhetorik, bei Aelius Aristides (or. 54 Dindorf II 652, Z. 5–7: ˜tan tiw ... taËta grãfein ka‹ nomoyete›n §k perious€aw aflre›tai, poË touton‹ yÆsomen;, vgl. or. 36 Dindorf I 684, Z. 14–15), Himerios (or. 6, 31 Colonna 61, Z. 333– 334: tåw d¢ metå taËta mãxaw poË yÆsomen;) und Libanios (or. 12, 56: poË yÆsomen tÚn ÑOmÆrou mimhtÆn;), danach bedeutend häufiger in christlicher Literatur. §l°lije m¢n ≤ mhxanÆ, tÚ te›xow d¢ pesÚn megãlvw §doÊphse: Homer verwendet die Form §l°lije, den aktiven Aorist des Verbums §lel€zein („herumdrehen, herumwirbeln, in Erschütterung

versetzen“) von der Woge, welche das Floß des Odysseus herumwirbelt (Od. V 314) sowie von Zeus und Hera, welche den weiten Olymp zum Erzittern bringen (Il. I 530 und VIII 199, besonders erstere Stelle wird von späteren Autoren zitiert [Str. VIII 3, 30 = C 354, Clem. Al. Protr. II 33, 1 Marcovich

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49, Z. 2–4, D. Chr. or. 12, 26], eine parodistische Anleihe in Batr. 286). Die intransitive Bedeutung „herumwirbeln“ im mediopassivischen Sinn von „erzittern“ bzw. „in eine Wirbelbewegung versetzt werden“ drückt er entsprechend durch das Passiv aus, von einem durch den Blitz des Zeus in wirbelnde Bewegung versetzten Schiff (Od. XII 416 [dieser Formelvers auch in Od. XIV 306]) sowie auch von in heftiges Zittern geratenen Gliedern (Il. XXII 448, in beiden Fällen die Form §lel€xyh). An diese durch Homers Autorität standardisierte Verwendungsweise halten sich die kaiserzeitlichen Epiker, wie es scheint, durchgehend, welche die aktive Aoristform §l°lije (den passiven Aorist §lel€xyh verwendet kein Dichter nach Homer) nie in intransitiver Weise gebrauchen, so Quintus von Smyrna (VIII 328, XI 109, XII 95 und 398, XIV 648) und Nonnos (D. I 253, XXIV 262, XXV 516, XXXI 279, XXXII 104, XLIV 9). In anderen poetischen Gattungen wird die Form §l°lije viel seltener verwendet, jeweils einmal in der Anthologia Palatina (XVI 105, 5 [anonymer Verfasser]) und einmal von Kallimachos (Del. 137: auch hier ist §l°lije in transitiver Weise gebraucht; für ein adverbiales Verständnis von §nÒplion besteht kein Grund). Wenn also der hier kritisierte Autor unter Verwendung der aktiven Form §l°lije vom Wirbeln der Kriegsmaschine (zu den termini technici mhxanÆ und mhxãnhma vgl. den Kommentar zu Kap. 57: µ mhxãnhma •rmhneÊsaw µ poliork€aw sx∞ma dhl≈saw) spricht, ohne dabei konsequent zu verfahren und nach homerischem Vorbild das unbedingt angebrachte Passiv §lel€xyh zu gebrauchen, so handelt es sich um einen beispiellosen Bruch mit einer literarischen Tradition, in die er sich ja offensichtlich zu stellen beabsichtigt. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, daß eben dies hier die vordringliche Aussageabsicht Lukians wäre, dem es, wie der Kontext zeigt, ganz wesentlich darum zu tun ist, eine solch unpassende Vermengung zweier unvereinbarer sprachlicher Ebenen anhand dieses konkreten Beispiels zu illustrieren. Homerischer Provenienz ist auch die bei keinem späteren Dichter (mit Ausnahme einer parodistischen Bezugnahme darauf in Batr. 205 [der Vers gehört allerdings einer in vielen Handschriften fehlenden, von Baumeister athetierten Versgruppe an]) belegte Junktur der Form doÊphsen (das onomatopoetische Verbum doup°v unterstreicht das vom schweren Niederfallen eines Körpers verursachte dumpf dröhnende Geräusch) und des Aoristpartizips pes≈n in der regelmäßig am Hexameterbeginn plazierten Formel doÊphsen d¢ pes≈n (Il. V 617, XI 449, XIII 373, 442, XV 421, 524, 578, XVI 325, 401, 599, 822, XVII 580, XX 388), welcher in der Ilias (in der Odyssee nur in XXII 94) die Funktion zukommt, innerhalb von Kampfszenen das geräuschvolle Niederkrachen eines getroffenen Kämpfers mittels akustischer Klangwirkung zu untermalen. Diesem Zweck dient insbesondere der diese Wirkung auf die Spitze treibende Formelvers doÊphsen d¢ pes≈n, érãbhse d¢ teÊxeÉ §pÉ aÈt“ (Il. IV 504, V 42, 540, XIII 187, XVII 50, 311, Od. XXIV 525). In keinem dieser Fälle gebraucht Homer in weiser Beschränkung auf das Wesentliche einen Zusatz von der Art des Adverbs megãlvw (in Il. XVI 776 sind die Worte ke›to m°gaw megalvst€ von dem tot daliegenden Kebriones zu verstehen vor dem spezifischen Hintergrund der Versgruppe XVI 737–750). Der Umstand, daß der hier kritisierte Anonymus, wie es scheint, gerade in diesem Vorzug des Meisters ein von ihm durch Verwendung des Adverbs megãlvw zu behebendes Defizit sah, offenbart seine dreist verfahrende Geschmacklosigkeit. Anzumerken ist, daß das Verbum doupe›n an sich in Prosa durchaus zulässig ist, verwendet es doch Xenophon (An. I 8, 18: ta›w ésp€si prÚw tå dÒrata §doÊphsan) immerhin an einer Stelle und, mit bewußter Xenophonimitatio, auch Arrian (An. I 6, 4: to›w dÒrasi doup∞sai prÚw tåw ésp€daw). Die Kritik gilt jedoch (dies ist Wirth 1964, 241 und Macleod 1991, 295 entgegenzuhalten) nicht bloß der Wortwahl an sich, sondern vielmehr der Übernahme dieser spezifisch homerischen Formel als ganzer. „ÖEdessa m¢n dØ oÏtv to›w ˜ploiw periesmarage›to ka‹ ˆtobow ∑n ka‹ kÒnabow ëpanta §ke›na“ ka‹ „ı strathgÚw §mermÆrizen ⁄ trÒpƒ mãlista prosagãgoi prÚw tÚ te›xow“: Bei Edessa (seit

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dem RE–Artikel von Meyer 1905 hat die archäologische Forschung wichtige neue Erkenntnisse erbracht, siehe die Auswertung durch Drijvers 1977, 867–876 zur Geschichte, weniger detailliert Kirsten 1959, Sp. 553–556) handelt es sich um eine verkehrstechnisch wie geopolitisch bedeutsame nordmesopotamische Stadt, 85 km östlich des Euphratüberganges von Bireçik. Gegründet wurde Edessa durch Seleukos I. Nikator, den Begründer der Seleukidendynastie, über einer bereits zuvor bestehenden Stadt (einheimischer Stadtname Orhai, heute Urfa, arabisch Urha). Nach dem Zusammenbruch des Seleukidenreiches wurde Edessa (die zeitweilige Umbenennung der Stadt unter Antiochos IV. Epiphanes in Antiocheia an der Kallirhoe wurde wieder rückgängig gemacht, Tscherikower 1927, 88–89) im Zeitraum von 132 v. Chr. bis 242 n. Chr. mit zeitweiligen Unterbrechungen von einer arabischen Dynastie regiert, welche bereits zu Beginn des 1. Jhs. v. Chr. wegen der strategisch wichtigen Lage der Stadt in die zwischen Rom und den Parthern wiederholt aufflammenden Konflikte hineingezogen wurde. Zur Zeit von Trajans Partherkrieg wurde Edessa im Jahr 116 n. Chr. durch den vom Kaiser zu dieser Strafaktion beauftragten römischen Feldherrn Lusius Quietus belagert, zerstört und in Brand gesetzt (D. C. LXVIII 30, 2 [Exzerpt des Xiphilinos]: LoÊsiow ... tÆn te ÖEdessan §jepoliÒrkhse ka‹ di°fyeire ka‹ §n°prhsen). Nach der im darauffolgenden Jahr erfolgten Erkrankung Trajans wurde unter Hadrians Statthalterschaft im Zeitraum von 116 bis 118 n. Chr. eine römische Besatzung in Edessa stationiert, was sich daraus ersehen läßt, daß die lokale Königsliste für diesen Zeitraum ein Interregnum aufweist. Zuletzt regierte hier König Ma’nu VIII., und zwar in den Jahren von 139 bis 163 n. Chr., danach wurde durch den Partherkönig Vologaeses III. der partherfreundliche Wa’el bar Sahru auf den Thron erhoben. Nach der Niederlage des Severianus in Armenien eroberten die Parther die Stadt, ein Umstand, der Ma’nu VIII. dazu veranlaßte, sich unter den Schutz der Römer zu begeben. Im Jahr 165 n. Chr. schließlich eroberte Avidius Cassius die Stadt. Aus CIL VI 1377 geht hervor, daß dabei M. Claudius Fronto (es handelt sich um die in Kapitel 21 genannte Person [FrÒntin d¢ tÚn FrÒntvna], vgl. dazu den Kommentar z. St.) eine tragende Rolle spielte. Prokopios berichtet, die Einwohner hätten sich zuvor der parthischen Besatzer entledigt und den Römern Einlaß in die Stadt verschafft (Pers. II 12, 29: ... ÉEdesshno‹ ... énelÒntew t«n barbãrvn toÁw sf€sin §ndhmoËntaw frouroÁw §n°dosan ÑRvma€oiw tØn pÒlin). Diese Aussage des Prokopios läßt sich allerdings mit Lukians Darstellung, welche von einer gewaltsamen Eroberung Edessas als einer außer Frage stehenden Gegebenheit ausgeht (auf diesen Passus nimmt vermutlich noch Nikephoros Basilakes Bezug, vgl. dazu Mariotti 1984), nicht fugenlos in Einklang bringen. Jedenfalls setzten die Römer bald darauf wieder Ma’nu VIII. in die Herrschaft ein, und von da an wurde die Stadt und mit ihr auch die gesamte Osroene in einen römischen Klientelstaat umgewandelt. Die Belagerung der Stadt, so wie sie bei Lukian vorausgesetzt ist, kann nur von Südosten her erfolgt sein, denn nur hier öffnet sich Edessa zur Harran–Ebene hin (hier lag dementsprechend auch die Burg der Stadt), während sie von den anderen Seiten her von einem Ausläufer des anatolischen Bergmassivs umschlossen wird. Zur Kritik an der Vermischung von hochpoetischem, mit über die Maßen prosaischem Vokabular durch den Anonymus: das onomatopoetische Verbum smarage›n findet sich bei Homer ausschließlich in den Formen smarage› und smaragÆs˙, und zwar vom Tosen des gegen das Gestade brandenden Meeres (Il. II 210, von D. H. Comp. 16 als paradigmatisch zitiert), vom furchtgebietenden Donner des Zeus (Il. XXI 199) sowie auch von die Au erfüllendem Vogelgekreische (Il. II 463). Das Kompositum perismarage›n verwendet er ebensowenig wie spätere Dichter (einzig Opp. C. I 383 gebraucht es im Präsens, und zwar in Verbindung mit einem Dativ, vom Tosen des Meeres: e‡ari pÒntow ˜low d¢ perismarage› Kuyere€˙), die recht häufig unterschiedliche Formen von smarage›n

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in den Zeitstufen Präsens, Futur, Aorist (die augmentierte Form §smarãghse(n) wohl in Nachfolge von Hes. Th. 678 stets bei Nonnos, z. B. III 67, u. ö.) und Imperfekt verwenden. Aus alledem ergibt sich, daß der hier kritisierte Autor durch seine eigenwillige Verwendung eines ein an sich homerischen Wortes ein ëpaj legÒmenon erzeugt. Das gleichfalls onomatopoetische Substantiv ˆtobow („Getöse“) kommt zwar bei Homer selbst nicht vor, wohl aber bei Hesiod (Th. 709), der es verwendet, um die Schrecken der Titanomachie zu veranschaulichen (ˆtobow êplhtow Ùr≈rei / smerdal°hw ¶ridow). Wahrscheinlich bezieht sich der hier kritisierte Autor mit bewußter Absicht auf diese Stelle, so wie ein anderer durch seine eigenmächtige Bildung der Namen KrÒniow und Titãniow dem Partherkrieg die Ausmaße eines Titanenkampfes zu verleihen versucht habe (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 21: …w KrÒnion m¢n Satourn›non l°gein, FrÒntin d¢ tÚn FrÒntvna, Titãnion d¢ tÚn TitianÚn). Ansonsten gebrauchen das Wort ˆtobow in erster Linie die Tragiker, Aischylos (Th. 151 und 204) zur Veranschaulichung des um Theben hin erschallenden Wagengerassels und sodann Sophokles (OC 1479) von dem das nahende Ende des Ödipus ankündigenden weithin hallenden Donner des Zeus. Das mit kanaxÆ verwandte Substantiv kÒnabow („Getöse“ bzw. „Geklirre“) findet sich erstmals bei Homer (Od. X 122) von den Schreien sterbender Männer sowie dem Zerbersten von Schiffen. Aischylos (Th. 160) verwendet es vom Geklirre eherner Schilde, Apollonios von Rhodos (II 1085) von dem auf die Hausdächer prasselnden Hagel und Quintus von Smyrna (VII 18, der personifizierte KÒnabow in VIII 242) schließlich vom Kampfeslärm. In diesem Kontext verdient ein aussagekräftiges literarkritisches Epigramm des Cerealius (AP XI 144, 3–4, zu möglichen Identifizierungen des Autors mit Velius Cerialis, dem Freund des Plinius, oder mit Iulius Cerealis, dem Freund Martials, vgl. Reitzenstein 1899) Beachtung, welches besagt, daß die Verwendung poetischer (und allesamt bei Homer belegter) Verba (darunter konabe›) noch keinen Homer ausmache. Auch die Wahl des Verbums mermhr€zein („hin und her überlegen“) ist als eine bewußte Anleihe bei Homer zu verstehen, der es häufig verwendet, und zwar in unterschiedlichen Konstruktionen und variabler Modusgestaltung. Der imitatio durch den Anonymus am Ähnlichsten sind die Arten, wie Homer ein „wie“ zum Ausdruck bringt, nämlich durch ˜p(p)vw + Optativ (Il. XIV 159, Od. IX 554), …w + Konjunktiv (Il. II 3) oder ˜ppvw + Futur (Od. XX 28 und 38). Mit Vorliebe läßt Homer disjunktive Fragen (zumeist mit doppelt gesetztem Optativ) folgen; unschlüssiges Schwanken zwischen zwei Optionen hebt er durch d€xa (Od. XVI 73 und XXII 333) oder diãndixa (Il. I 189, VIII 167 und XIII 455) hervor; gerne fügt er auch die formelhaften Idiome katå fr°na und besonders katå fr°na ka‹ katå yumÒn zum Verbum hinzu. Immerhin hat sich dieser Anonymus, und wenigstens dies ließe sich zu seiner Entschuldigung vorbringen, weder dazu verstiegen, auch noch diese spezifisch epischen Details nachzuahmen, noch auch hat er, soferne Lukians Zitat wörtlich zu verstehen ist, die bei Homer stets unaugmentierten Vergangenheitsformen von mermhr€zein beibehalten. Lukian selbst verwendet andernorts pointiert die Formel mermhr€zv katå fr°na ka‹ katå yumÚn (Bis Acc. 2), ist es doch hier ein am Homertext geschulter Zeus, den er in dieser Weise sprechen läßt.

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e‰ta metajÁ oÏtvw eÈtel∞ ÙnÒmata ka‹ dhmotikå ka‹ ptvxikå pollå pareneb°busto – tÒ „§p°steilen ı stratopedãrxhw t“ kur€ƒ“, ka€ „ofl strati«tai ±gÒrazon tå §gxrπzonta“ ka€ „≥dh leloum°noi per‹ aÈtoÁw §g€gnonto“ ka‹ tå toiaËta: Àste tÚ prçgma §oikÚw e‰nai tragƒd“ tÚn ßteron m¢n pÒda §pÉ §mbãtou ÍchloË §pibebhkÒti, yat°rƒ d¢ sãndalon Ípodedem°nƒ.

e‰ta metajÁ oÏtvw eÈtel∞ ÙnÒmata ka‹ dhmotikå ka‹ ptvxikå pollå pareneb°busto: Diese Kritik

ist zu betrachten vor dem Hintergrund der in Kapitel 45 für die einem Geschichtswerk adäquate l°jiw erteilten Vorschrift, diese müsse sich mit der Größe ihres Gegenstandes aufschwingen (≤ l°jiw d¢ ˜mvw §p‹ g∞w bebhk°tv, t“ m¢n kãllei ka‹ t“ meg°yei t«n legom°nvn sunepairom°nh ka‹ …w ¶ni mãlista ımoioum°nh), ohne dabei doch nach oben hin die Grenze zur Dichtung zu überschreiten (nach unten hin ist die Grenze unterschritten ÙnÒmasi ... to›w égora€oiw toÊtoiw ka‹ kaphliko›w,

so bereits Kap. 44). Die Darstellung des Anonymus jedoch pendelt zwischen einem Übermaß (vgl. dazu die beiden vorangehenden Anmerkungen) und einer Unterschreitung der richtigen Mittellage inkonsequent hin und her. In diesem Sinne sind die eÈtel∞ ÙnÒmata (als terminus technicus verwendet von D. H. Comp. 3 und 12, der den Nachweis zu erbringen versucht, daß die sÊnyesiw der §klogØ t«n Ùnomãtvn übergeordnet sei, vgl. dazu Demetr. Eloc. II 54) ebenso wie die poihtikå ÙnÒmata, von denen weiter oben im Text (Beginn Kap. 22) die Rede war, als Verstoß gegen das Stilprinzip des pr°pon zu werten, welches Aristoteles (Rh. III 7, 1408 a 11) zufolge in objektkongruenter Darstellung (to›w Ípokeim°noiw prãgmasin énãlogon) besteht. Der Fehler liegt demnach in einem per‹ semn«n eÈtel«w l°gein, wie man es in Umkehrung des bekannten aristotelischen Postulats (Rh. III 7, 1408 a 13: mÆte per‹ eÈtel«n semn«w) formulieren könnte. Andernorts (Po. 22, 1458 b 19–24) kritisiert Aristoteles einen Vers des Aischylos (Radt 357, Fr. 253), der in seinem Philoktet das prosaische Wort §sy€ei (klassifiziert als eÈtel°w) verwendet hatte; Euripides habe das Defizit behoben, indem er an dessen Stelle das situationsadäquate yoinçtai (bewertet als kalÒn) gesetzt habe. Lukian selbst verwendet andernorts (Par. 58 und VH II 34) die Adjektive tapeinÒw (faËlow in Par. 22) und eÈtelÆw in geradezu synonymer Weise. Die Grenze zwischen den eÈtel∞ und den dhmotikå ÙnÒmata (Vokabel, wie sie jedermann aus dem Volk gebraucht, und d. h. also umgangssprachliche Worte) ist jedoch kaum scharf zu ziehen, gilt doch in beiden Fällen die Kritik einer unangemessenen Schmucklosigkeit. Schwerer zu erklären ist das innovative Idiom ÙnÒmata ptvxikã, welches bei wörtlicher Auffassung im Sinne von „Bettlerjargon“ eine klar markierte Ebene unter den dhmotikå ÙnÒmata bezeichnet (etwa „Slang“), welches aber auch pointiert einen allzu geizigen, dem Gegenstand nicht gerecht werdenden Aufwand an Worten (unter Aussparung des unbedingt nötigen kãllow, dazu Kap. 48) meinen könnte. Das Verständnis dieser Stelle bereitete den Erklärern immer schon Schwierigkeiten, und die Probleme werden nicht geringer durch die nun folgenden drei Anschauungsbeispiele (vgl. dazu die folgende Anmerkung). Die Form pareneb°busto (von parembÊein, einer singulären Erweiterung des gebräuchlicheren parabÊein) ist nach Auskunft des TLG ein ëpaj legÒmenon (in Peregr. 35 findet sich die ebenso singuläre Form pareb°busto). Im Aktiv bedeutet es (ohne Berücksichtigung des dem jeweiligen Textsinn entsprechend zu übersetzenden para-) „etwas hineinstopfen“ (so Pisc. 22 und, mit dem Ausdruck des Tadels, Lex. 24, beide Stellen mit Bezug auf literarische Produktion), im Medium „sich etwas hineinstopfen“ (DMeretr. 6, 3 und 12, 2). Besonders die Belege mit medialem parabÊesyai legen es nahe, die vorliegende Stelle als ein Passiv („waren so nebenbei hineingestopft“) zu verstehen (das passive Aoristpartizip parabusy°nta verwendet Lukian einmal, in Deor. Conc. 10). Obwohl bereits vor langer Zeit Hermann 1828, 145 die Stelle richtig verstanden hatte (inculcata erant multa hujusmodi vocabula), gibt unter den modernen

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Übersetzern einzig Macleod 1991, 219 den Sinn richtig mit dem Passiv (were stuffed) wieder, während Homeyer 1965, 125, Kilburn 1968, 33 und Costa 2005, 190 allesamt von einer medialen Form mit aktivem Sinn ausgehen. Dies ist aber alleine deshalb schon kaum anzunehmen, da Lukian sich bereits zu Beginn des Kapitels nicht etwa des Nominativs bedient hatte, sondern des Akkusativs (ToÁw ... xrvm°nouw ... toÁw l°gontaw). Und vor diesem Hintergrund erzeugt personale Auffassung des Verbums eine mit Lukians überlegenem Stilverständnis kaum verträgliche Inkonzinnität. tÒ „§p°steilen ı stratopedãrxhw t“ kur€ƒ“, ka€ „ofl strati«tai ±gÒrazon tå §gxrπzonta“ ka€ „≥dh leloum°noi per‹ aÈtoÁw §g€gnonto“: Das erste dieser drei Beispiele zeigt den dürren Stil eines unbearbeiteten Rohentwurfs (Kap. 16: ÍpÒmnhma t«n gegonÒtvn gumnÚn ... komidª pezÚn ka‹ xamaipet°w). Das von den Historikern häufig gebrauchte und an sich durchaus nicht anstößige Verbum (§p°steilen: „er erstattete Bericht“) steht hier allerdings ganz nackt da, ohne wenigstens ein Akkusativobjekt bei sich zu haben oder eine Bestimmung mit per€ + Genetiv, ohne einen nachfolgenden ˜ti–Satz oder den in direkter Form wiedergegebenen Wortlaut des Berichtes, wie

dies in der einen oder anderen Form innerhalb der überlieferten Historikertexte regelmäßig der Fall ist. Auch die Wortwahl ist zumindest im Falle von t“ kur€ƒ (keine literarischen Belege gibt es für „(vergöttlichter) Kaiser“ bei LSJ s. v. kÊriow B 3, auf anderer Ebene liegen die von Homeyer 1965, 222–223 angeführten Belege) zu beanstanden, verwenden doch die Historiker als einen feststehenden terminus für den römischen Kaiser passim die Titulatur aÈtokrãtvr (so auch Lukian, Kap. 19 sowie Alex. 58 und Laps. 18). Die Bezeichnung indessen für den Lagerkommandanten (stratopedãrxhw, dazu Kießling 1931), welche sich im Rahmen üblicher Terminologie hält, kann hier kaum Objekt der Kritik sein. Dieses Wort verwendet nämlich häufig Josephus Flavius (BJ I 27, 1, 535; II 19, 4, 531; II 20, 1, 556; VI 4, 3, 238; Vit. 74, 407; AJ XVIII 9, 4, 333), und vor ihm hatte es bereits Dionysios von Halikarnaß (X 36, 6 und XIII 6, 1) mit Bezug auf die Verhältnisse in der Zeit der römischen Republik gebraucht. Das zweite Beispiel illustriert den Ausdruck eines banalen Inhalts („die Soldaten kauften ein, was sie so brauchten“) in ebenso banaler sprachlicher Form. Hermann 1828, 147 wies auf eine auf den ersten Blick vergleichbar zu sein scheinende Stelle bei Xenophon (An. I 5, 10) hin, um die Legitimität des Verbums égorãzein zu erweisen, doch in diesem Fall handelt es sich um eine ganz besondere Situation, müssen doch die Soldaten erst auf eigens zu diesem Zweck erbauten Flößen den Euphrat überqueren, um so zur Stadt Charmande gelangen zu können, wo sie dann ihre Einkäufe tätigen (§k taÊthw ofl strati«tai ±gÒrazon tå §pitÆdeia). Ist also schon der Kontext nicht vergleichbar, so auch nicht die Wortwahl. Denn der Anonymus bezeichnet die Lebensmittel mit dem bis zur Zeit Lukians fast nie belegten Partizip tå §gxrπzonta (die einzige Ausnahme ist Philodemos, Homeyer 1965, 223), welches demnach ein in gehobener Literatur nicht salonfähiges Wort sein dürfte. Zu égorãzein (eine gangbare Alternative wäre das einer höheren sprachlichen Ebene angehörige »ne›syai, vgl. z. B. Thom. Mag. Ritschel 406, Z. 3: »nÆsomai kãllion µ égorãsv) ist das Kapitel 44 zu vergleichen, wo der Autor die dem Bereich des Handels angehörigen Wörter schlechthin aus der Geschichtsschreibung ausgeschlossen wissen will (mÆte to›w égora€oiw toÊtoiw ka‹ kaphliko›w, sc. ÙnÒmasi). Bei weitem am Schwierigsten zu erklären ist das dritte Beispiel, da zumal bei dem Fehlen des Zusammenhanges, in dem die Worte vorgekommen sind, nicht klar wird, was denn genau der kritisierte Autor ausdrücken wollte und worauf sich daher diese Kritik bezieht. Jedenfalls verwendet Lukian selbst das seltene Idiom g€gnesyai + Akkusativ sowohl mit sächlichem als auch mit personalem Objekt, ersteres in der Bedeutung von „mit etwas beschäftigt sein“ (Nec. 9: per‹ énagvgØn §gignÒmeya), und zweiteres in der Bedeutung von „sich jemandem gegenüber verhalten“

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(Pisc. 5: ıpo›ow §g∆ per‹ Ímçw §genÒmhn). Wollte der Anonymus also sagen: „sie wandten sich ihnen zu“ (so übersetzt plausibel Hermann 1828, 146: ad illos se converterunt) bzw. „sie fanden sich bei ihnen ein“ oder Ähnliches, so bestand sein Fehler nicht nur in der Anwendung eines literarisch nicht akzeptablen Idioms, sondern zudem auch in einem falschen Gebrauch der Tempora (er hätte den Aorist verwenden müssen). Wollte er hingegen sagen iam loti se curabant (so bereits aufgefaßt von Dorvillius unter Ersetzung des Personalpronomens durch das reflexive aÍtoÁw), so nahm Lukian wahrscheinlich Anstoß an seiner irregulären Verwendung eines personalen Objekts innerhalb eines nur ein sächliches Objekt zulassenden Idioms. Kassels Nesselrath (so Nesselrath 1984, 607: mit Fragezeichen versehen) gegenüber in mündlicher Form vorgetragene Konjektur per‹ pÒtouw scheint mir für die hier wohl auf Formales abzielende Pointe nur bedingt angemessen zu sein. tragƒd“ tÚn ßteron m¢n pÒda §pÉ §mbãtou ÍchloË §pibebhkÒti, yat°rƒ d¢ sãndalon Ípodedem°nƒ: Mit dem bereits in der Glanzzeit des attischen Theaters geprägten terminus tragƒdÒw benennt Lukian den tragischen Schauspieler, den er auch als tragikÚw ÍpokritÆw bezeichnet (Belege im Kommentar zu Kap. 1: ka‹ mestØ ∑n ≤ pÒliw ... t«n •bdoma€vn §ke€nvn tragƒd«n). Unter dem §mbãthw (vgl. dazu Erbacher 1914, 6–7, der literarische Befund zeigt im Unterschied zu lexikalischen Einträgen späteren Datums keinen erkennbaren Unterschied zur §mbãw, z. B. Arr. Epict. I 29, 41–43,

AP VII 51, 6, bei Lukian selbst Pseudol. 19, zur Problemlage Amelung 1905, über den Unterschied von §mbãw und kÒyornow Sp. 2483) ist der hohe Schuh des tragischen Schauspielers zu verstehen, so Sat. 19, Salt. 27, Ind. 6, JTr. 41 (die Varianten §mbat«n und §mbãdvn in Nec. 16, Macleod II 272; vgl. Gall. 26, Macleod I 272). Diese Stellen lassen in Summe immerhin erkennen, daß es sich um eine Art von Aufsatz gehandelt haben muß, der dazu gedacht war, dem Schauspieler ein höheres, erhabeneres Aussehen zu verleihen (Salt. 27: §mbãtaiw Íchlo›w §poxoÊmenow, Sat. 19: §fÉ ÍchloË bebhkÒta, Nec. 16: katabåw épÚ t«n §mbat«n, vgl. besonders den Kontext in Ind. 6). Das Scholion zu JTr. 41, Rabe 75, Z. 20–21 liefert in der Anmerkung zu §mbãtaw die sich nirgendwo sonst in so expliziter Form findende Erklärung: tå jÊla, ì §mbãllousin ÍpÚ toÁw pÒdaw ofl tragƒdo€, ·na fan«si makrÒteroi. Außerhalb Lukians liegt ein Hinweis auf die Benutzung dieses Theaterschuhs im Exzerpt des Xiphilinos vor, in dem einschlägige künstlerische Versuche Neros mit dem Ausdruck des Tadels kommentiert sind (D. C. LXIII = LXII 9, 4: §p‹ toÁw §mbãtaw énaba€nvn kat°pipten épÚ toË krãtouw). Auch sonst berichten Quellen gelegentlich im Rang von Kuriosa über Personen, die sich außerhalb der Bühne des §mbãthw zur Selbststilisierung bedienten. So soll dieser Menedemos, dem zu den Kynikern übergelaufenen früheren Schüler des Kolotes (dazu Erler 1994, 236), unter anderen Attributen als ein ganz besonderes Markenzeichen gedient haben (D. L. 102), und Demetrios Poliorketes benutzte angeblich eine speziell ausgestattete Ausfertigung von diesem als Mittel zu unüberbietbar theatralischer Selbstinszenierung (Ath. XII 535 f: nach Duris, FGrH II A 76, Fr. 14, Plu Demetr. 41, 4: hier ist §mbãdaw überliefert, ein Indiz mehr für die Austauschbarkeit der Begriffe). Mit vorliegender Stelle am Besten zu vergleichen ist Sat. 19, wo das Bild des an einem Fuß unbeschuhten, mit dem anderen aber auf dem §mbãthw einherschreitenden Tragöden das Element der Ungleichheit (tÚ ênison) veranschaulichen soll. Ansonsten symbolisiert bei Lukian unter all den anderen Attributen des tragischen Schauspielers der §mbãthw eine bei dem Ablegen oder beim unbeabsichtigten Abfallen die Widersprüche zwischen eingenommener Pose und tatsächlicher Realität demaskierende Fassade (Nec. 16, Gall. 26) bzw. eine mit einem überhöhten Anspruch nicht annähernd Schritt haltende Wirklichkeit (Ind. 6: gleichfalls mit literarkritischem Bezug). Die Sandale, ein leichter, mit Riemen gebundener Schuh (dazu Hug 1920, bes. Sp. 2257–2259) eignet sich gut als Kontrast zum Schauspielerschuh.

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Zur regulären Konstruktion sãndalon Ípodedem°nƒ („mit einer Sandale bekleidet“): das Idiom Ípodedem°now + Akkusativ entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch, so zum Beispiel bereits bei Platon (Smp. 174 a, 220 b, Grg. 490 e), sondern auch Lukian selbst verwendet es, Macleods Textausgabe zufolge jeweils völlig unproblematisch, regelmäßig, in Anach. 23 sogar, ähnlich wie hier, mit Bezug auf die tragischen und komischen Schauspieler (E‰don ... toÁw tragƒdoÁw ka‹ kvmƒdoÊw, e‡ ge §ke›no€ efisin, ÍpodÆmata m¢n bar°a ka‹ Íchlå Ípodedem°noi); zu dieser Konstruktion vgl. bei Lukian Alex. 39 und Philops. 13. In diesem Sinne entscheiden sich daher völlig zu Recht Reitz 1743, 31, Hermann 1828, 29, Bekker 1853, 29, Dindorf 1858, 11, Fritzsche 1860, 65, Sommerbrodt 1893, 12 und Macleod 1980, 301 gegenüber der Lesart yãteron d¢ sandãlƒ Ípodedem°nƒ (so übernommen von Homeyer 1965, 124) in jüngeren Handschriften.

Kapitel 23 In diesem Kapitel geht es um diejenigen Mängel, welche das Verhältnis von Proömium zur Geschichtsdarstellung (unter s«ma ist die diÆghsiw = narratio zu verstehen, vgl. Kap. 55) betreffen. Wie sonst in diesem Teil der Schrift (Kap. 14–32) nur in Kapitel 27, so zielt hier die Kritik nicht auf einen bestimmten individuellen Autor, sondern auf eine anonyme Vielzahl von sämtlich unbestimmt bleibenden Autoren, auf die hier eben nur summarisch hingewiesen wird. In der überwiegenden Zahl der Fälle, so die hauptsächliche Aussage des Passus, würden Proömien viel zu pompös ausfallen im Verhältnis zum eigentlichen Werk, das dann folgt. Um diesen eklatanten Mangel an Proportionalität zu veranschaulichen, gebraucht der Autor gleich drei groteske Bilder, mit einer Dichte, wie sie sich innerhalb dieser Schrift einzig hier findet (vgl. dazu auch die Einleitung zu Kap. 22). Da ist zunächst das Bild vom spielenden Eros mit der riesigen Maske des Herakles oder eines Titanen vor sich her (es handelt sich dabei um einen hellenistischen Bildtypus). Wer so etwas höre, der reagiere darauf sogleich mit den – aus dem antiken Schatz an Sprichwörtern sehr gut bekannten – Worten: „es lag der Berg in seinen Geburtswehen“. Bereits in der Einleitung, Teil I 2. 8 (Vergleich der Ars poetica des Horaz mit Lukians Schrift) wurde darauf hingewiesen, daß Horaz dasselbe Bild (Ars 139: parturient montes, nascetur ridiculus mus) in ähnlichem Kontext gebraucht (es geht um einen Vergleich des Proömiums eines kyklischen Epikers mit dem der homerischen Odyssee), und es wurde aus diesem Umstand darauf geschlossen, daß beide, Horaz und Lukian gleichermaßen, damit aus dem reichen (und heute verschütteten) Motivschatz hellenistischer Literaturkritik schöpfen. Zusätzliche Bestätigung dafür lieferte der Umstand, daß der bei Lukian unmittelbar vorangehende Vergleich des Eros mit der Heraklesmaske in ähnlicher Form auch schon bei Ps. Longinos (30, 2) vorkommt (hier ein Kleinkind mit einer überdimensional großen tragischen Schauspielermaske). So liegen bei allen drei Autoren Reflexe von der im Hellenismus innerhalb literarkritischer Darstellung ausgebildeten und auch später noch, wie sich gezeigt hat, wirksamen Bildersprache vor. Das zweite Bild, das der Autor präsentiert, stellt die inkonzinne Kombination von goldenem Helm zum einen und aus mancherlei Lumpen und schäbigen Häuten zusammengeflicktem Brustpanzer, dem Schild aus Weidengeflecht und den schweinsledernen Beinschienen zum anderen mit drastischer Anschaulichkeit vor Augen. Das dritte Bild in dieser Beispielreihe steigert diese an sich schon lächerliche Aufmachung zur Vorstellung des über einen Zwergenleib aufgetürmten Kolosses von Rhodos. Andere wiederum, so fährt der Autor mit seiner Darlegung fort, in ihrem Nichtwissen darüber, daß es gelegentlich Proömien der Möglichkeit nach (vgl. Kap. 52: dunãmei) gibt, d. h. in der besonderen Art, wie Xenophon seine Anabasis beginnen läßt, verzichteten ganz auf ein Proömium und begännen von Beginn weg sogleich mit ihrer Geschichtserzählung, ohne zuvor

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erst die Rezipienten mit einem kryptoproömialen Eingang in der Art Xenophons auf das danach Folgende vorzubereiten. Die hier kritisierten Mängel erscheinen als von derart elementarer Natur, daß auf die eigentlichen Verfahren adäquater Proömiumsgestaltung (vgl. dazu die in Kap. 53–54 erteilten Richtlinien) gar nicht erst eingegangen werden muß. Diverse Fehler in der Behandlung von Buchaufschrift und vor allem von Proömium waren bereits zuvor ausgiebig behandelt worden (in den Kap. 14–18) und werden auch im Folgenden noch eine wichtige Rolle spielen (Kap. 29, 30 und 32), wobei die hier im Zentrum der Kritik stehenden Disproportionalitäten mit Nachdruck wieder und wieder zur Sprache kommen werden (bes. in Kap. 30). In formaler Hinsicht tritt hier die Ansprache an das Du des in Kapitel 22 nach längerer Zeit wieder mit seinem Namen angesprochenen Adressaten Philon stark hervor (‡doiw ín, sodann e‡ pou ... e‰dew, schließlich ‡doiw går ín). Dazu treten fiktive Personen, denen das bekannte Sprichwort vom kreißenden Berg in einer durch das markante Signalwort §pify°ggontai angekündigten direkten Rede in den Mund gelegt ist. Der Anabasiseingang wird entsprechend Lukians etwas freierer Zitierweise in Form eines verkürzten und hinsichtlich der Wortstellung modifizierten Zitates geboten. Ansonsten herrschen die Aussageweisen von Bewertung und Belehrung vor, welche mittels konsekutiver und finaler Syntagmen unmittelbar in die ersten beiden der drei grotesken Bilder münden, während das dritte und bei weitem skurrilste wie in einem Anhang nachgereicht erscheint und darum umso nachhaltiger wirken soll. Schließlich wird noch ein Wissensdefizit konstatiert (oÈk efidÒtew), und zwar mit einer in diesem Teil der Schrift wiederholt gebrauchten Formel (der Singular in Kap. 14 und 21: oÈk efid∆w). Die Worte …w §n êlloiw de€jomen verweisen voraus auf die Behandlung des Themas in Kapitel 52. Doch dort werden, abgesehen nur von dem mehr andeutungsweisen Hinweis auf das Schaffen von Klarheit für das Folgende als der Funktion eines solchen kryptoproömialen Werkbeginns (vgl. die um eine Nuance detailliertere Darstellung in Kap. 53, in dem es jedoch um die Gestaltung regulärer Proömien geht), keine wesentlich neuen Gesichtspunkte mehr entwickelt.

Ka‹ mØn ka‹ êllouw ‡doiw ín tå m¢n proo€mia lamprå ka‹ tragikå ka‹ efiw ÍperbolØn makrå suggrãfontaw, …w §lp€sai yaumastå ≤l€ka tå metå taËta pãntvw ékoÊsesyai, tÚ s«ma d¢ aÈtÚ t∞w flstor€aw mikrÒn ti ka‹ égenn¢w §pagagÒntaw …w ka‹ toËto §oik°nai paid€ƒ, e‡ pou ÖErvta e‰dew pa€zonta, prosvpe›on ÑHrakl°ouw pãmmega µ Titçnow perike€menon. eÈyÁw goËn ofl ékoÊsantew §pify°ggontai aÈto›w tÒ „ÖVdinen ˆrow“.

... tå m¢n proo€mia lamprå ka‹ tragikå ka‹ efiw ÍperbolØn makrå ... tÚ s«ma d¢ aÈtÚ t∞w flstor€aw mikrÒn ti ka‹ égenn¢w ...: Das Adjektiv tragikÒw im übertragenen Sinn verwendet Lukian zur

Bezeichnung der untereinander eng verwandten und bisweilen ineinander übergehenden Facetten von Pathos (Pisc. 39), Theatralik (Hist. Conscr. 25), Selbstinszenierung (Nec. 8, Gall. 10, Peregr. 15), großtuerischem Gehabe (Im. 21) und Pomp (Hist. Conscr. 16: gleichfalls mit literarkritischem Bezug, es geht hier um den Buchtitel des Kallimorphos). Mit dem terminus technicus s«ma (die Belege im Kommentar zu Kap. 48: s«ma poie€tv ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton) ist bei ihm nicht bloß das Geschichtswerk schlechthin (Kap. 48) bezeichnet, sondern im Besonderen die gesamte auf das Proömium folgende Geschichtserzählung (diÆghsiw = narratio, Kap. 55). …w ka‹ toËto §oik°nai paid€ƒ, e‡ pou ÖErvta e‰dew pa€zonta, prosvpe›on ÑHrakl°ouw pãmmega µ Titçnow perike€menon: Im Hellenismus brachte die bildende Kunst variantenreichere

Erosdarstellungen hervor als die Literatur. Dazu gehört unter anderem auch der mit den Attributen des Herakles ausgestattete Eros (vgl. dazu Roscher I Sp. 1368, Waser 1909, Sp. 514 und besonders

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LIMC III 1, s. v. Eros, Hermary / Cassimatis / Vollkommer 928, XII A c: Eros avec les attributs d’ Héraklès). Einen anderen Typus repräsentiert der (besonders mit bakchischen) Masken spielende Eros (Roscher I Sp. 1367: ein Eros schreckt einen anderen mit einer Maske). Lukian bezieht sich wahrscheinlich auf bildliche Darstellungen, in denen diese beiden Elemente vereinigt waren, in denen Eros demnach eine überdimensionale Maske des Herakles bzw. eines Titanen dazu benutzt, um mit ihr einer anderen Person einen Schrecken einzujagen. Ein verwandtes Motiv war auch im berühmten Gemälde des Aetios dargestellt, welches die Hochzeit Alexanders mit Rhoxane zeigte. Lukian beschreibt dieses Gemälde, welches er erklärtermaßen mit eigenen Augen in Italien gesehen hatte, in Herod. 5 detailliert. Darauf waren, wie er berichtet, in unterschiedlichen Tätigkeiten begriffene Eroten dargestellt, von denen einer sich im Brustpanzer Alexanders versteckte, um von hier aus die anderen zu erschrecken (eÂw d¢ dØ §w tÚn y≈raka §sely∆n Ïption ke€menon lox«nti ¶oiken, …w fobÆseien aÈtoÊw). Ob Lukian bei der Erosdarstellung mit der Heraklesmaske gleichfalls an ein Gemälde denkt, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. An anderer Stelle in dieser Schrift (Kap. 10: Herakles bei Omphale) zeigt er zwar durch den Hinweis gegramm°non an, daß er ein Gemälde im Auge hat, möglicherweise hat er diesen Hinweis aber im vorliegenden Fall ausgespart, um die ungelenke Syntax zu vermeiden, die sich ergäbe, würde er auf das für die Aussage unverzichtbare Partizip pa€zonta noch ein weiteres folgen lassen. Das Partizip perike€menon bedeutet „ihn, der sich ringsherum (eine Maske) angelegt hat“ (der Vorstellungsbereich des sich Umhüllens mit etwas kommt besonders deutlich zum Ausdruck in Pisc. 36: tå yhr€a ... èlourg€daw émpexÒmena ka‹ prosvpe›a perike€mena) und gehört syntaktisch zu ÖErvta. Die Aussage dieser Stelle erinnert an Nigr. 11: me›zon t∞w §mautoË kefal∞w prosvpe›on perike€menow. Ein ganz ähnliches Bild gebraucht auch Ps. Longinos, ebenfalls in literarkritischem Zusammenhang (30, 2: to›w mikro›w pragmat€oiw peritiy°nai megãla ka‹ semnå ÙnÒmata taÈtÚn ín fa€noito, …w e‡ tiw tragikÚn prosvpe›on m°ga paid‹ periye€h nhp€ƒ). Mit der Nennung des Titanen ist kaum eine so konkrete Vorstellung wie die von Prometheus (so Hermann 1828, 150 und Homeyer 1965, 224) zu verbinden, vielmehr ist das titanische Element an sich gemeint, welches im übrigen auch einen der kritisierten Historiker dazu veranlaßt hat, den römischen Feldherrn Titianus mit dem Namen Titãniow zu versehen (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 21: …w KrÒnion m¢n Satourn›non l°gein, FrÒntin d¢ tÚn FrÒntvna, Titãnion d¢ tÚn TitianÚn, vgl. auch die Anmerkung zu ˆtobow in Kap. 22). eÈyÁw goËn ofl ékoÊsantew §pify°ggontai aÈto›w tÒ „ÖVdinen ˆrow“: Die früheste Fassung des

Sprichworts (bei Gregorius Cyprius, Cent. 3 und Apostolius, Cent. 18 ist es in der Form überliefert: ÖVdinen ˆrow, e‰ta mËn ép°teken, Leutsch / Schneidewin I 378 und II 733) findet sich bei Athenaios (XIV 616 d), dessen Bericht zufolge der ägyptische König Tachos wegen eines Spottverses auf den kleinwüchsigen Spartanerkönig Agesilaos (Ãdinen ˆrow, ZeÁw dÉ §fobe›to, tÚ dÉ ¶teken mËn) seine Herrschaft verloren habe. Innerhalb der lateinischen Literatur liegt dieses Sprichwort bei Phaedrus (IV 23 [24] mit dem Verbum im Imperfekt: Mons parturibat etc.) und Horaz (mit literarkritischem Bezug Ars 139: parturient montes, nascetur ridiculus mus) vor. Eine gemeinsame hellenistische Quelle für Lukian und Horaz wird von Brink 1971, 215 angenommen; doch handelt es sich eher um eine literarische Motivik, die beiden auf nicht mehr nachvollziehbare Weise (mit Lukian und Horaz haben wir ja nur gewissermaßen die Spitze des Eisbergs) gemeinsam zugrundeliegt. Lukian hat weiters eine Vorliebe für die Wiedergabe von Sprichwörtern in verkürzter Form (so z. B. DMort. 16, 2: ≤ ëmaja tÚn boËn, DMort. 18, 1: ı nebrÚw tÚn l°onta, Vergleichsmaterial zu dem Gedanken einer Umkehrung der natürlichen Ordnung bei Hillgruber 2005). Das Sprichwort leitet er nach einem üblichen Verfahren, Zitate anzukündigen (so häufig bei Ps. Plutarch und Plutarch, z. B. Consolatio ad Apollonium 26,

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114 e, De defectu oraculorum 48, 436 d, u. ö.), mit dem in derartigen Fällen typischen Verbum §pify°ggesyai ein (Ind. 5: t«n ır≈ntvn ßkastow eÈyÁw tÚ proxeirÒtaton §ke›no §pify°ggetai, T€ kun‹ ka‹ balane€ƒ).

XrØ d¢ o‰mai mØ oÏtvw, éllÉ ˜moia tå pãnta ka‹ ımÒxroa e‰nai ka‹ sunòdon tª kefalª tÚ êllo s«ma, …w mØ xrusoËn m¢n tÚ krãnow e‡h, y≈raj d¢ pãnu gelo›ow §k =ak«n poyen µ §k dermãtvn sapr«n sugkekattum°now ka‹ ≤ ésp‹w ofisu˝nh ka‹ xoir€nh per‹ ta›w knÆmaiw. ‡doiw går ín éfyÒnouw toioÊtouw suggraf°aw, toË ÑRod€vn kolossoË tØn kefalØn nan≈dei s≈mati §pitiy°ntaw:

toË ÑRod€vn kolossoË: so nach den frühesten Textzeugen Reitz 1743, 32, Hermann 1828, 29, Kilburn

1968, 34, Kassel 1973, 108, Macleod 1980, 301 (vgl. VH I 18, Macleod I 90; Icar. 12, Macleod I 296); toË ÑRod€ou kolossoË: so in der Mehrheit der modernen Texte seit Bekker 1853, 29, Dindorf 1858, 12, doch dabei handelt es sich bloß um eine Schreiber–Hinzufügung in einer jüngeren Handschrift. ˜moia tå pãnta ka‹ ımÒxroa e‰nai ka‹ sunòdon tª kefalª tÚ êllo s«ma: Für das Verhältnis von Proömium zur diÆghsiw = narratio gilt, daß Farbgebung und Proportionen den Prinzipien homogener Gestaltung zu folgen haben. In diesem Sinne steht das Adjektiv ımÒxroa (in Cat. 22 von der farblichen Gleichförmigkeit in der Unterwelt, in Im. 9 fungiert das Substantiv ımÒxroia

als ein Parameter zu ästhetischer Bewertung) für das weiter unten durch das Beispiel von Helm und Brustpanzer illustrierte Postulat einer in sich stimmigen Kolorierung des Ganzen. Die richtige Proportionierung ist speziell durch das dem Bereich der Musik entstammende Verbum sunñdein hervorgehoben, welches sich bereits bei Platon in einer ähnlich übertragenen Bedeutung findet (Grg. 461 a, Prt. 333 a: otoi går ofl lÒgoi émfÒteroi oÈ pãnu mousik«w l°gontai: oÈ går sunñdousin oÈd¢ sunarmÒttousin éllÆloiw, ein pointiertes Wortspiel mit beiden Ebenen in Phd. 92 c). In übertragenem Sinn erscheint das Verbum sunñdein auch in Kapitel 15 (mit ironischer Note von inkongruenter Mischung attischen Vokabulars mit lateinischen Lehnwörtern), desgleichen bei Libanios (Ep. 205, 3: de€jeiw sunòdon t“ prooim€ƒ tÚ p°raw). Beide metaphorischen Ebenen vereinigt Aelius Aristides in seiner Beschreibung einer nach organischen Prinzipien strukturierten Einheit (or. 15 Dindorf I 374–375: m€an [sc. pÒlin, gemeint ist Smyrna] ... ımÒxroun ka‹ sÊmfvnon •autª, kayãper ényr≈pou s«ma sumba€nonta t“ ˜lƒ tå m°rh parexom°nhn). Der in Kap. 55 (ëpan går étexn«w tÚ loipÚn s«ma t∞w flstor€aw diÆghsiw makrã §stin) vorausgesetzte Vergleich des Proömiums mit dem Kopf und des restlichen Werkes mit dem Leib ist hier vollständig durchgeführt. Angelegt ist er bereits bei Platon (Phdr. 264 c: jede Rede wird mit einem über Kopf und Fuß verfügenden Leib verglichen), in terminologisch verdichteter Form liegt er vor bei Aristoteles (Rh. III 14, 1415 b 8–9: tÚ prçgma efipe›n kefalaivd«w, ·na ¶x˙ Àsper s«ma kefalÆn), und späterhin findet er Verwendung in der Sprache griechischer Literaturkritik (so Ps. D. H. Rh. 10, 6 Usener / Radermacher VI 2, 364, Z. 15–18: e‰nai tÚn lÒgon §oikÒta s≈mati §k kefal∞w §p‹ pÒdaw ¶xonti tå m°rh ka‹ tå m°lh éllÆloiw te pr°ponta ka‹ t“ ˜lƒ sustÆmati toË s≈matow). Vergleichbare bzw. im näheren Umfeld angesiedelte Belege finden sich im Kommentar zu Kap. 48: s«ma poie€tv ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton. Der Formulierung tÚ êllo s«ma entspricht in Kapitel 55 tÚ loipÚn s«ma (in beiden Fällen geht es um die auf das Proömium folgende diÆghsiw = narratio). y≈raj d¢ pãnu gelo›ow §k =ak«n poyen µ §k dermãtvn sapr«n sugkekattum°now ka‹ ≤ ésp‹w ofisu˝nh ka‹ xoir€nh per‹ ta›w knÆmaiw: Das Verbum sugkattÊein („zusammenflicken“) ist vor Lukian

nirgendwo belegt. Unter der durchaus wahrscheinlichen Voraussetzung, daß Solanus’ Konjektur (vgl.

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den textkritischen Apparat Macleods 1980, 340) tatsächlich zutrifft, begegnet es auch in Sat. 28 in einem das Verhältnis von Schein und Sein demaskierenden Zusammenhang (ılÒxruson m¢n tå ¶jv, katãrrafon d¢ tå ¶ndon), der zudem auch zeigt, daß Lukian dabei an Bühnenkostüme denkt (Àsper afl tragika‹ §sy∞tew §k =ak«n pãnu eÈtel«n sugkekattum°nai). Daß diese inwendig aus armseligen Lumpen bestanden, zeigt besonders deutlich Gall. 26, wo es von einem mitten auf der Bühne unversehens ausgeglittenen tragischen Schauspieler heißt, er rufe beim Publikum Gelächter hervor: …w t∞w te §sy∞tow tå ¶ndoyen fa€nesyai =ãkia dÊsthna ˆnta. Das im eigentlichen Sinn die Fäulnis bezeichnende Adjektiv saprÒw (von sÆpein, sap∞nai) gebraucht Lukian in der metaphorischen Bedeutung „durch das Alter unbrauchbar geworden“, „schäbig und abgenutzt“ (DMort. 21, 4: von nicht mehr funktionstüchtigen Geldbeuteln, Ind. 1: von durch Motten zerfressenen Büchern). Aus Weidengeflecht (ofisÊa ist ein weidenartiger Strauch oder Baum, verwandt mit lÊgow und wohl auch mit fit°a) angefertigte Schilde (Rabe 93, Z. 6: ofisu€nh [sc. ésp‹w] ≤ §k lÊgvn érxaiotrÒpvw peplegm°nh, vgl. auch Rabe 228, Z. 17) bezeichnen bereits bei Thukydides (IV 9, 1: Àplisen ésp€si faÊlaiw ka‹ ofisu˝naiw ta›w polla›w) eine (in Ermangelung besserer Möglichkeiten) behelfsmäßige Art der Ausrüstung (ähnlich X. HG II 4, 25, ausgesagt von den Demokraten im Piräus). Lukian ordnet demgemäß die ofisu˝nh ésp€w armen Bevölkerungsschichten (Gall. 21) zu, und mit pointierter Zuspitzung auch den Feigen (DMort. 12, 2: Philipp über die minderwertige Kampfausstattung der Perser, vgl. Rabe 256, Z. 19–28). xoir€nh gehört, wie sich aus dem Kontext ergibt, nicht etwa als Adjektiv zu ésp‹w (so LSJ s. v. xo€rinow), sondern ist als substantiviertes Adjektiv aufzufassen im Sinne von ≤ xoir€nh sc. dorã (so richtig Passow s. v. xoir€nh). Gemeint kann demnach nur eine um beide Schienbeine herum (die prägnante Bedeutung von per€ + Dativ) gelegte Schweinshaut sein, d. h. schweinslederne Beinschienen (so sinnmäßig zutreffend bereits Hermann 1828, 151: tibiae suilla pelle tectae, richtig auch Macleod 1991, 221: greaves of pig-skin, Costa 2005, 190: greaves covered in pigskin). In dieser speziellen Bedeutung ist xoir€nh sonst nicht belegt. toË ÑRod€vn kolossoË tØn kefalØn nan≈dei s≈mati §pitiy°ntaw: Der Koloss von Rhodos

(zuletzt Hoepfner 2003), eines der sieben Weltwunder (die häufigste griechische Bezeichnung ist •ptå yeãmata, eine Aufzählung in AP IX 58 und VIII 177, 1–2, zur antiken Kanonbildung Lanowsky 1965), wurde von den Rhodiern im Zeitraum von 290–280 v. Chr. (Abschluß der Arbeit möglicherweise 292 v. Chr.) errichtet als Dank der Stadt an ihren Stadtgott Helios für die Abwehr der Belagerung durch Demetrios Poliorketes im Jahr 307 / 306 v. Chr. (bei Seibert 1983, 144 ist die Beendigung der Belagerung auf 304 v. Chr. datiert; historischer Kontext und einschlägige Literatur dazu 140–145). Und darauf bezieht sich AP VI 171. Der Erbauer dieser Kolossalstatue (die klassischen und hellenistischen Belege zum Begriff kolossÒw sind ihrer Bedeutung nach untersucht von Dickie 1996, bes. 242–248), die Helios darstellte (die wichtigsten Quellen sind Plin. Nat. XXXIV 18, 41 und Str. XIV 2, 5 = C 652, eine knappe Darstellung bei von Gaertringen 1931, bes. 781 und 785 und, mit einer Übersetzung der wichtigsten Quellen, bei Brodersen 1996, 84–91), war Chares von Lindos, ein Schüler Lysipps. Plinius zufolge, der die detailliertesten Angaben vermittelt, betrug die Bauzeit zwölf Jahre, die Kosten beliefen sich auf 300 Talente. Die Statue war 70 Ellen hoch (die von Strabon zitierte iambische Weihinschrift gibt 70 Ellen an, AP XVI 82 zufolge waren es 80 Ellen, die Scholien zu VH I 18 Rabe 19, Z. 23–26 und zu Icar. 12 Rabe 103, Z. 6 nennen jeweils 60 Ellen). In jedem Fall war der Koloss mindestens doppelt so hoch wie der olympische Zeus. Durch ein Erdbeben (so auch Plb. V 88, 1) wurde er 66 Jahre nach seiner Fertigstellung zum Einsturz gebracht (wahrscheinlich im Jahr 226 v. Chr.), wäre aber auch so, in den Knien gebrochen, immer noch ein staunenswerter Anblick gewesen. Nur wenige, so veranschaulicht Plinius die gewaltigen Dimensionen der Statue, seien in

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der Lage gewesen, den Daumen der Statue zu umfassen. Strabon gibt an, die Rhodier hätten den Koloss aufgrund eines Orakelspruches nicht wiedererrichtet (vgl. aber Plb. V 89, 3). Der im libellus de septem orbis spectaculis des Philon von Byzanz (der Passus über den Koloss ist nunmehr ins Deutsche übersetzt durch Brodersen 1996, 88–89) zwar detailreich beschriebene, aber in seiner Glaubwürdigkeit zweifelhafte Bauvorgang löste eine einschlägige Forschungsdebatte aus, welche durch die Arbeiten von Maryon 1956, Haynes 1957 und Dickie 1996, 250–257 repräsentiert ist. Bei Lukian, der den Koloss von Rhodos mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten als Anschauungsbeispiel heranzieht, steht er für monumentale Größe par excellence (VH I 18, Icar. 12, JTr 11: hier der Scherz, er sei dermaßen groß, daß er, sollte er sich hinsetzen, mit einer Pobacke die ganze Pnyx einnähme). Damit ist also der größtmögliche Gegensatz zum zwergenhaften Leib bestimmt (das Adjektiv nan≈dhw auch in Salt. 75, wo die ausgewogene Mitte zwischen den Extremen bestimmt ist durch das in solchen Kontexten vertraute Adjektiv ¶mmetrow). Eines ganz ähnlichen literarkritischen Vergleiches bedient sich auch Philostratos (VS I 19, 512), der den unangemessenen Versuch des Lykiers Herakleides, die Schriften des ungleich bedeutenderen Niketes von Smyrna zu berichtigen, mit den vielsagenden Worten kommentiert: ±gnÒhse d¢ ékroy€nia Pugma›a koloss“ §farmÒzvn. Daß es sich dabei um eine sprichwörtliche Redensart handelt, zeigen gleichermaßen Suid. s. v. ÉAkroy€nia Adler I 92, Z. 19–20 und der Kommentar des Eustathios zu Hom. Od. T 205 (Eust. II 199, Z. 21–23), welche beide einen gegenüber Philostratos nur minimal modifizierten Wortlaut (ékroy€nia pugma€vn koloss“ §farmÒzein) als Sprichwort (paroim€a) kennzeichnen und mit knapper Erklärung versehen. Lukian hat demnach, wie es scheint, den Versuch unternommen, einem an sich durchaus konventionellen Gedanken eine individuelle Form zu verleihen.

êllouw aÔ ¶mpalin ék°fala tå s≈mata efisãgontaw, éprooim€asta ka‹ eÈyÁw §p‹ t«n pragmãtvn, o„ ka‹ prosetair€zontai tÚn Jenof«nta oÏtvw érjãmenon, „Dare€ou ka‹ Parusãtidow pa›dew g€gnontai dÊo“, ka‹ êllouw t«n palai«n, oÈk efidÒtew …w dunãmei tinå proo€miã §sti lelhyÒta toÁw polloÊw, …w §n êlloiw de€jomen.

ék°fala tå s≈mata efisãgontaw, éprooim€asta ka‹ eÈyÁw §p‹ t«n pragmãtvn: vgl. die Belege zu kefalÆ im Sinne von Proömium und s«ma zur Bezeichnung der auf dieses folgenden diÆghsiw im Kommentar zu sunòdon tª kefalª tÚ êllo s«ma weiter oben in Kap. 23. Beim Anonymus

Seguerianus beispielsweise ist im Referat über die Ansicht der Anhänger des Apollodoros von Pergamon (Schanz 1890, über das Proömium bes. 43–44, nutzte erstmals das im Anonymus Seguerianus durch Zwischenquellen erhaltene Material aus Theodoros von Gadara, um den Inhalt des Schulstreits zwischen den Apollodoreern und den Theodoreern auf eine neue Grundlage zu stellen, vgl. dazu die kritische Diskussion bei Grube 1959, 345) über die Notwendigkeit eines Proömiums (es geht um Gerichtsrede und beratende Rede) das Adjektiv ék°falow durchaus abwertend von der eines Proömiums ermangelnden Rede gebraucht (1, 26 Dilts / Kennedy 11, Z. 5–6: dÒjei går ék°falÒw tiw ı lÒgow e‰nai ˜low diå tÚ Àsper kefalØn toË pantÚw lÒgou tÚ proo€mion e‰nai); hätte doch, wie die Vertreter dieser Richtung sagten, unter den Klassikern keiner auf das Voranstellen eines Proömiums verzichtet (1, 29 Dilts / Kennedy 11, Z. 16–17: pollo‹ t«n érxa€vn lÒgouw sun°gracan, œn oÈde€w §stin éprooim€astow). In ähnlichem Kontext finden sich in den Prolegomena in Vaticano Gr. 191 servata zu den Aratscholien die beiden Adjektive éprooim€astow und ék°falow unmittelbar nebeneinander (Martin 33, Z. 20–23), ersteres alleine auch in den Prolegomena zu den Scholia vetera in Hesiodi opera et dies (Pertusi 2, Z. 11).

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Zur Formulierung eÈyÁw §p‹ t«n pragmãtvn ist zu vergleichen, was Hermogenes über die prokatastãseiw innerhalb der dihgÆseiw sagt (Spengel II 197, Z. 2–3: de› érxom°nouw mØ ékefãlvw §mbãllein to›w prãgmasi). In beiden Fällen ist das allzu abrupte Einsteigen in den Gegenstand ohne entsprechende Vorbereitung gemeint. Noch näher kommt bei Lukian selbst der Wortlaut in Laps. 3: ı Nik€aw épÚ Sikel€aw §pist°llvn §n t“ érxa€ƒ t«n §pistol«n di°meinen épÉ aÈt«n érjãmenow t«n pragmãtvn (der Zusammenhang: es geht um einen ohne Umschweife unverzüglich zur Sache kommenden Brief). Lukian gibt sich in seinen Anweisungen zur richtigen Gestaltung eines Werkbeginns (Kap. 52) jedoch weniger rigoros; er konzediert, daß ein regelrechtes Proömium dann wegfallen könne, wenn die Sachlage ein solches nicht dringend erfordere (ıpÒtan mØ pãnu katepe€g˙ tÚ prçgma prodioikÆsasya€ ti §n t“ prooim€ƒ); in diesem Falle reiche ein Proömium der Geltung nach (dunãmei) aus. Daß darunter etwas in der Art des Eingangspassus der xenophontischen Anabasis zu verstehen ist, das sagt Lukian nur hier (vgl. die beiden folgenden Anmerkungen). So weit wie andere Theoretiker, welche unter gewissen Bedingungen für die Gerichtsrede das gänzliche Wegfallen eines Proömiums empfehlen (vgl. dazu die Belege im Kommentar zu Kap. 52: ka‹ éprooim€aston m°n pote poiÆsetai tØn érxÆn, ktl), geht Lukian jedoch im Falle der Geschichtsschreibung nicht. Zu efisãgontaw: Die pointierte Verwendung des Verbums efisãgein, welches im eigentlichen Sinn „auf die Bühne bringen“ (so Ar. Ach. 11 mit dem Objekt xorÒn und Pl. Ep. 1, 309 d mit ebenso klarem Bezug zu der dramatischen Aufführungspraxis) bedeutet, entspricht Lukians Vorliebe für den gezielten Einsatz von termini technici der Bühnensprache in metaphorischer Bedeutung (so auch Kap. 58 und Icar. 9, vgl. auch Salt. 67). Derartige Metaphern (zu Lukian Kokolakis 1961, 6, Anm. 25) sind in der Sprache antiker Rhetorik und Literaturkritik häufig zu finden (so das Verbum efisãgein bei D. H. Th. 40 und das Substantiv pareisagvgÆ bei Theon, Spengel II 115, Z. 11). o„ ka‹ prosetair€zontai tÚn Jenof«nta oÏtvw érjãmenon, „Dare€ou ka‹ Parusãtidow pa›dew g€gnontai dÊo“, ka‹ êllouw t«n palai«n: Beim Verbum prosetair€zesyai + Akkusativobjekt,

welches üblicherweise die Bedeutung hat „sich jemanden zum Freund machen“ (so D. L. VIII 16), bzw. häufiger „jemanden in sein Vertrauen oder auf seine Seite ziehen“ (so bereits bei Hdt. III 70, 2 und V 66, 2), „sich mit jemandem verbünden“ (D. H. VII 56, 1, IX 41, 3), ist der bei Lukian in diesem Zusammenhang stets in Erscheinung tretende Aspekt des Komplizentums (Cat. 26, vgl. Pisc. 18) mitzuassoziieren, was der Vorstellung von der Berufung auf Xenophons Autorität eine beabsichtigt witzige Nuance hinzufügt. Der erste Satz von dessen Anabasis ist bei Lukian entsprechend seinen sonstigen Gepflogenheiten beim Zitieren verkürzt und mit einer leichten Veränderung der Wortstellung wiedergegeben; im Original lautet er: Dare€ou ka‹ Parusãtidow g€gnontai pa›dew dÊo, presbÊterow m¢n ÉArtaj°rjhw, ne≈terow d¢ KËrow. Ps. Demetrios (Eloc. I 19) gilt der ganze Satz aus anderem Blickwinkel als paradigmatisches Anschauungsbeispiel für eine wohlabgerundete historische Periode (per€odow flstorikÆ). Welche Autoren unter ka‹ êllouw t«n palai«n zu verstehen sind, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Möglicherweise zielt dies auch gar nicht auf genau bestimmte Historiker, sondern in einem genosübergreifenden Sinn auf die homerische Art der Proömiumgsgestaltung als Muster für narrative Darstellungsformen schlechthin (darauf könnten sich die Worte t«n palai«n beziehen), verfließen doch bei den in diesem zweiten Teil der Schrift kritisierten Historikern ohnedies die klar definierten Grenzen, welche die unterschiedlichen literarischen Gattungen voneinander trennen. oÈk efidÒtew …w dunãmei tinå proo€miã §sti lelhyÒta toÁw polloÊw, …w §n êlloiw de€jomen: Dem

Versprechen, diesen Sachverhalt anderswo zu erläutern, kommt Lukian nur bedingt nach, da in Kapitel 52 nicht wesentlich mehr zur Erklärung mitgeteilt wird als hier. Die Funktion eines derartigen kryptoproömialen Werkbeginns besteht demnach darin, über das Objekt der folgenden Darstellung

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Klarheit zu schaffen (froim€ƒ ... t“ éposafoËnti per‹ t«n lekt°vn). In diesem Sinne ist mit der ganz unvermittelten Nennung der beiden Söhne des Dareios gleich zu Beginn nicht nur das zentrale Thema angesprochen, welches zumindest das Geschehen des ersten Buches maßgeblich bestimmen wird, sondern auch in nuce (dunãmei) der Konflikt angelegt, der alsbald in Form eines Bruderkriegs in Erscheinung treten wird. Die Masse freilich glaube, Xenophon habe in diesem besonderen Fall von einem Proömium überhaupt Abstand genommen, bemerke sie doch nicht, daß es sich dabei um eine spezifische Art von Proömiumsgestaltung handle. Dazu vermerkt Engel 1910, 45 zu Recht: Prooemium quidem deest neque tamen requiritur; nominibus illorum hominum in initio dictis Xenophon argumentum operis melius indicavit magisque commendavit quam longo comptoque exordio.

Kapitel 24 Nachdem in den Kapiteln 19–21 die erste kapitelübergreifende Charakteristik eines einzigen Autors geliefert worden war, erfolgt nun in den Kapiteln 24–26 die zweite, welche gleichfalls drei Kapitel umfaßt. Zunächst (Kap. 24) einmal werden gravierende topographische Fehler aufgezeigt, die dieser wunderliche Anonymus sich geleistet habe, und damit ist der Bereich des ersten der drei klassischen Arbeitsschritte betreten. Während dieser in der Rhetorik darin besteht, den Stoff für die Darstellung aufzufinden (eÏresiw), besteht diese Notwendigkeit in der Geschichtsschreibung zwar nicht, doch geht es hier darum, eine entsprechende Recherche zu betreiben, für die in Kapitel 47 die maßgeblichen Postulate erteilt werden (vgl. aber Kap. 51, wo der Stoff als gegeben angenommen wird). Zwar war dieser Bereich bereits einmal, in Kapitel 20–21, berührt worden, doch war es in diesem Kontext wesentlich um den Mangel an Wahrscheinlichkeit (das ép€yanon), gegangen. Hier jedoch kommt die Recherchearbeit des Historikers selbst (dazu Kap. 47) auf den Prüfstand, und dabei zeigt sich, daß der hier kritisierte Anonymus (und mit ihm auch andere, die örtliche Entfernungen unzutreffend angeben) es an der geforderten gründlichen Materialsammlung habe fehlen lassen (man vgl. oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata mit Kap. 47: Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on). Er habe es nämlich verabsäumt, auch nur die allerelementarsten sachlichen Informationen einzuholen, die er bei einem beliebigen Syrer oder bereits in einer der Barbierstuben ganz leicht hätte in Erfahrung bringen können. Es werden sodann zwei Beispiele genannt, die dessen Sorglosigkeit illustrieren sollen. Zum einen habe er das natürlich am westlichen Ufer des Euphrat in Syrien gelegene Europos nach Mesopotamien verlegt und es durch die Einwohner des (nordmesopotamischen) Edessa gegründet sein lassen. Der Autor läßt diesen schweren Irrtum unkommentiert für sich stehen, da der antike Rezipient wohl keiner besonderen Erklärung bedurfte, während aus heutiger Sicht zur Aufklärung des Fehlers in seinem ganzen Ausmaß eine aufwendige Einsichtnahme in alle verfügbaren antiken Quellen nötig ist. Diese lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß beide Städte, Europos und Edessa gleichermaßen, als makedonische Stadtgründungen in frühhellenistischer Zeit durch Seleukos I. Nikator angelegt wurden, weshalb denn auch von einer Mutterstadt und einer von dieser ausgesandten Kolonie, so wie es dieser Historiker haben wollte, keineswegs die Rede sein kann. Das zweite Beispiel zeigt einen noch viel gravierenderen Mangel, habe dieser Anonymus doch Samosata, Lukians am Westufer des Euphrat gelegene syrische Heimatstadt, flugs und mit leichter Hand nach Mesopotamien verlegt und beiderseits von beiden Flüssen, von Euphrat und Tigris, umspült sein lassen, offensichtlich deshalb, um auf diese Weise seine Darstellung möglichst effektvoll erscheinen zu lassen. Und dieser Umstand zeigt, daß es sich in diesem Fall wenigstens nicht um einen bloßen Irrtum handelte, sondern um eine absichtliche Verfälschung von Tatsachen (man vgl. in diesem Sinne auch die Wahl der aktiven Verba in érãmenow ... met°yhken), obwohl doch jedermann mit auch

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nur oberflächlicher Kenntnis der dortigen lokalen Gegebenheiten diese Fehlinformation ganz leicht als solche hätte entlarven können. So betrachtet, sagt dies zudem implizit etwas über Charakter und Einstellung des Verfassers aus, und auch diese suggestive Botschaft des Autors ist von Lukian, wie es scheint, intendiert, zumal da es sich ja um seine eigene syrische Heimat (vgl. mit einem Wechsel zum Autor-Ich, mehr noch, zum Ich der historischen Person Lukian selbst: tØn §mØn patr€da tå SamÒsata) handelte. In formaler Hinsicht fällt auf, daß in das Zentrum der Kritik der Verfasser selbst gestellt ist, der zweifach mit ironischer Note bezeichnet ist, zunächst als ı genna›ow, sodann mit einer auch sonst in diesem Teil der Schrift mehrfach gebrauchten Formel (Kap. 28 und 31, vgl. 29) als ı yaumastÚw suggrafeÊw. Die Sorglosigkeit, mit der er recherchiert hat oder vielmehr, mit der er nicht recherchiert hat, wird zwar zu Beginn des Passus unter die schwerwiegenden, nicht mehr erträglichen Mängel gereiht (vgl. zur Klassifizierung der relativen Schwere von Fehlern Kap. 21), doch erweckt die Kritik im einzelnen einen durchaus belustigten Eindruck. Dieser macht sich am getragenen Ernst der Darstellung des Anonymus fest (man ist versucht, unwillkürlich an die typische Diktion eines Thukydides zu denken), den das direkte Zitat bei aller sachlichen Unrichtigkeit verrät. Das indirekte Zitat (…w perirre›syai aÈtØn ktl) scheint manches von Wortlaut und Ton des Originals wiederzugeben. Die Unfaßbarkeit, die darin besteht, das Autor-Ich, und das heißt in diesem Fall Lukian selbst zum Parther, zum Mesopotamier zu erklären, ließ sich nur auf diese souverän verfahrende Art der Kritik adäquat beantworten. Die solidarisierende Ansprache an den Adressaten Philon (zuletzt wurde er mit Namensnennung apostrophiert in Kap. 22), in die sich wohl nach Absicht des Autors auch der wissende Leser mit einbezogen fühlen mag, markiert die überlegene Distanz, von der aus dem gar nicht ernst zu nehmenden Autor, der nicht einmal einer Widerlegung für würdig befunden wird, der verdiente Spott zuteil wird.

Ka€toi taËta pãnta forhtå ¶ti, ˜sa µ •rmhne€aw µ t∞w êllhw diatãjevw èmartÆmatã §stin: tÚ d¢ ka‹ parå toÁw tÒpouw aÈtoÁw ceÊdesyai oÈ parasãggaw mÒnon éllå ka‹ staymoÁw ˜louw, t€ni t«n kal«n ¶oiken;

Ka€toi taËta pãnta forhtå ¶ti ... tÚ d¢ ka‹ ... ceÊdesyai: In syntaktischer Hinsicht ist damit zu vergleichen Philops. 3 (auch hier geht es um eine Steigerung im Bereich des Lügens): Ka€toi tå m¢n t«n poiht«n ‡svw m°tria, tÚ d¢ ka‹ pÒleiw ≥dh ka‹ ¶ynh ˜la koinª ka‹ dhmos€& ceÊdesyai p«w oÈ gelo›on; Zu forhtå ¶ti: Lukian verwendet das Adjektiv forhtÒw gerne in Verbindung mit ¶ti (Herm 82, DMar. 4, 1) bzw. oÈk°ti (Tim. 23, Pseudolog. 30). ˜sa µ •rmhne€aw µ t∞w êllhw diatãjevw èmartÆmatã §stin: Die Erstellung jedes schriftlichen Textes zerfällt rhetorischer Theorie zufolge in die klassischen drei Arbeitsschritte (¶rga toË =Ætorow bzw. officia oratoris), in die eÏresiw (inventio), die tãjiw (dispositio) und die l°jiw (elocutio). Nachdem der

Autor Lukian in den vorangehenden Kapiteln die beiden letzteren Produktionsschritte thematisiert hatte, in Kap. 22 die l°jiw (dafür in dieser Schrift die variierenden Begriffe l°jiw in Kap. 43, 45, 48 und 55, •rmhne€a in Kap. 43 und 45, vgl. 57, und fvnÆ in Kap. 6, 21 und 43–44) und in Kap. 23 die tãjiw (so auch in Kap. 6 und 48, tãjai in 51, diãtajiw jedoch nur hier), so kann er sich nunmehr den Fehlleistungen (èmãrthma und èmartãnein sind termini technici literarkritischer Bewertung, so Kap. 6–7) innerhalb der eÏresiw (zum Stellenwert der Stoffindung bei Lukian Weissenberger 1996, 113–126, bes. 116–117, es ist jedoch zu bedenken, daß in historiographischer Theorie der terminus eÏresiw nicht üblich ist, sondern ein spezifisches begriffliches Repertoire, dazu Scheller

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1911, bes. 30–32, vgl. auch Avenarius 1956, 72) zuwenden, für die er in Kapitel 47 das dem Objekt Geschichtsschreibung angemessene Verfahren formuliert (der alle drei Arbeitsschritte beinhaltende Produktionsvorgang ist beschrieben in Kap. 47–48). Aus dem Umstand, daß tãjiw bzw. diãtajiw einen gegenüber der •rmhne€a eigenständigen Bereich darstellt, ergibt sich, daß, um Mißverständnisse zu vermeiden (eine wörtliche Übersetzung würde die diãtajiw inadäquat der •rmhne€a unterordnen), êllhw im Deutschen unübersetzt bleiben muß („was es an Fehlleistungen gibt in den Bereichen von sprachlichem Ausdruck und [ansonsten auch noch] stofflicher Anordnung“). Zu diesem besonderen Sprachgebrauch vgl. Salt. 9: mçllon ¶xairen ... µ §p‹ t“ kãllei ka‹ tª êll˙ élkª aÈtoË und die von Sommerbrodt 1878, 29 angeführten Belege (Hom. Od. II 411–412, X. An. I 5, 5). Nicht auf derselben Ebene liegt das Problem in Kap. 6 dieser Schrift (vgl. dazu den Kommentar zu koinå pãntvn lÒgvn ... èmartÆmata ¶n te fvnª ka‹ èrmon€& ka‹ diano€& ka‹ tª êll˙ étexn€&). parå toÁw tÒpouw aÈtoÁw: Dies ist die bestbezeugte Überlieferung (sie findet sich in G und E),

gleichwohl ist sie lediglich von Bekker 1853, 29, Fritzsche 1860, 67, Kilburn 1968, 34 und Macleod 1980, 302 (von ihm mit Skepsis im textkritischen Apparat betrachtet) in ihren Texten beibehalten, während die anderen Herausgeber übereinstimmend per‹ (so die Editio Aldina prior 1503) anstelle von parå schreiben und so einen durchaus sinnvollen, wenn auch etwas ungewöhnlichen Wortlaut seiner Pointe berauben. Diese besteht in der Bedeutung: „in einer die topographischen Gegebenheiten überschreitenden bzw. von ihnen abweichenden Weise“; zu parã + Akkusativ in den beiden Bedeutungen „über ... hinaus“ und „zuwider“ nebeneinander vgl. die Anmerkung zu Kap. 20: toËto m¢n ka‹ parå tå gegramm°na ktl; auf diese Parallele weist bereits Fritzsche 1860, 67 hin. Lukian hält sich für seine aktuellen Zwecke eben nicht an das aus Platon vertraute und mit ceÊdesyai per‹ + Genetiv („hinsichtlich, betreffs“) in der Bedeutung annähernd identische Idiom ceÊdesyai per‹ + Akkusativ (mit variierenden Bedeutungen von ceÊdesyai Pl. Lg. XI 920 e und R. II 382 b, Belege bei Passow s. v. ceÊdv 2). ceÊdesyai oÈ parasãggaw mÒnon éllå ka‹ staymoÁw ˜louw: Unter parasãgghw (Becher 1949) und staymÒw (Lammert 1929) sind diejenigen Zeitwegmaße zu verstehen, nach denen auf persischem Gebiet traditionell Entfernungen bemessen wurden. Der staymÒw (nach der Raststätte, Hdt. V 52, 1: staymo€ te pantaxª efisi basilÆioi ka‹ katalÊsiew kãllistai) als die größere Einheit

entspricht einem Tagesmarsch. Eine durchaus größere Schwankungsbreite zeigt demgegenüber der parasãgghw. Dabei handelt es sich um eines unter mehreren, schon früh in griechischer Literatur verwendeten persischen Lehnwörtern (bei Ath. III 121 f begründet Kynulkos seine Verwendung dieses Wortes gegenüber Ulpian so: ka‹ går parå to›w érxa€oiw poihta›w ka‹ suggrafeËsi to›w sfÒdra •llhn€zousin ¶stin eÍre›n ka‹ Persikå ÙnÒmata ke€mena diå tØn t∞w xrÆsevw sunÆyeian, …w toÁw parasãggaw ka‹ toÁw éstãndaw ktl, vgl. dazu Thumb 1901, 108). Herodot bestimmt den parasãgghw mehrfach (II 6, 3; V 53; VI 42, 2) als 30 Stadien, doch scheint darunter wohl keine

ganz genau bestimmte Einheit zu verstehen zu sein; denn wenn man Herodots detaillierte Angaben über die jeweiligen staymo€ und parasãggai der einzelnen Etappen auf der Straße von Sardes nach Susa (Her. V 53) nachrechnet, so ergibt sich, daß die für den staymÒw ermittelten Werte in der Spanne zwischen 3, 7 und 5, 2 parasãggai beträchtlich differieren, sodaß zumindest nach dieser Rechnung einem staymÒw durchschnittlich ca. 4, 3 parasãggai entsprechen. Deutlich darüber liegt der Wert, von dem Xenophon in seiner Anabasis (vgl. bes. die summarischen Zahlenangaben in II 2, 6; V 5, 4; VII 8, 26) ausgeht. Auch er berechnet einen parasãgghw mit 30 Stadien, doch macht bei ihm insgesamt ein staymÒw mehr als 5 parasãggai aus. In Einzelfällen erreicht bei ihm das Verhältnis von staymÒw zu parasãgghw einen noch deutlich höheren Wert (1 : 10, so An. I 2, 11: auf 3 staymo€ kommen 30 parasãggai). Lukians Zeitgenosse Arrian hingegen unterscheidet

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sich von seinen Vorgängern darin, daß er nirgendwo beide Wegmaße nebeneinanderstellt (An. I 4, 4: parasãgghw, An. z. B. I 2, 1; II 6, 1; VI 20, 4: staymo€). Und vor dem Hintergrund herodoteischer und xenophontischer Praxis ist zudem auch der voraussetzungsreiche Witz in Icar. 1 zu verstehen; Menippos, hier von seiner Himmelsreise zurückgekehrt, bestimmt die Entfernung von der Erde zum Mond (ı pr«tow ≤m›n staymÒw) mit 3000 Stadien, scheint demnach in einer der realitätsübersteigenden Situation adäquaten Weise einen staymÒw mit der ebenso runden wie stolzen Summe von 100 parasãggai zu berechnen. t€ni t«n kal«n ¶oiken;: Mit diesem kaum übersetzbaren Idiom (dessen Sinn kann nur annähernd

umschrieben werden mit: „wie wird das dann noch der Würde des Gegenstandes auch nur ansatzweise gerecht?“) zu vergleichen ist Nigr. 25: ì m¢n går §n to›w sumpos€oiw §rgãzontai, t€ni t«n kal«n efikãsomen; In beiden Fällen ist so im Sinne größtmöglicher Steigerung der Gipfel der Unangemessenheit bezeichnet. Daß es sich dabei um eine gängige Phraseologie handelt, zeigt zumindest eine Stelle bei Eusebios (PE V 33, 12): frãson ≤m›n §p‹ t€ni t«n kal«n ±n°gkate Íme›w ofl yeo‹ tØn Íp¢r toË EÈrip€dou c∞fon. Eine verwandte Ausdrucksweise liegt, worauf bereits Fritzsche 1860, 67–68 hingewiesen hat, vor bei Xenophon (An. VI 5, 17: tÚ m¢n épi°nai épÚ polem€vn oÈden‹ kal“ ¶oike) und dem Komiker Timokles (PCG VII 761, Fr. 8, V. 4–5 = Ath. VI 237 d: efi dÉ §st‹ 〈tÚ〉 fil°tairon ßn ti t«n kal«n, / énØr parãsitow toËto poie› diå t°louw).

eÂw goËn oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata, oÎte SÊrƒ tin‹ §ntux∆n oÎte tÚ legÒmenon dØ toËto t«n §p‹ koure€ƒ tå toiaËta muyologoÊntvn ékoÊsaw, Àste per‹ EÈr≈pou l°gvn oÏtvw ¶fh, „ÑH d¢ EÎrvpow ke›tai m¢n §n tª Mesopotam€& staymoÁw dÊo toË EÈfrãtou ép°xousa, ép– kisan d¢ aÈtØn ÉEdessa›oi“.

t«n §p‹ koure€ƒ: Fritzsche 1860, 68, Macleod 1980, 302; der Lesart §pikour€ƒ (so G und E) steht dies

am Nächsten, doch ist die Phraseologie sonst fast regelmäßig mit dem Genetiv konstruiert, vgl. dazu die Belege im Kommentar z. St.: oÎte tÚ legÒmenon dØ toËto ktl. Es ist dies aber gleichwohl kein zwingender Grund, die Lesart der ältesten Handschriften, die den Dativ haben, durch einen Eingriff zu verändern; t«n §p‹ koure€vn: so erstmals Benedictus, danach Reitz 1743, 32, Hermann 1828, 30, Bekker 1853, 30, Dindorf 1858, 12, Iacobitz 1838, 25 und 1866, 14, Homeyer 1965, 126. eÂw goËn oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata, oÎte SÊrƒ tin‹ §ntux∆n: Diese Aussage bezieht

sich auf den ersten Arbeitsschritt beim Abfassen eines Geschichtswerks, die Materialsammlung (Kap. 47: Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on, vgl. den Kommentar zur Stelle sowie die Einleitung, Teil II 1). Die Funktion von goËn (jedenfalls) besteht darin, der vorangehenden allgemeinen Aussage vermittels eines konkreten Beispiels (Hermann 1828, 156 gibt den Sinn zutreffend mit exempli gratia wieder) Glaubwürdigkeit zu verleihen (so auch in Kap. 19, 28 und 40 zweimal, vgl. Nigr. 13, u. ö.). Unter dem Syrer ist nicht der von Komödie und Satire verspottete Typ, dem man nicht traut, zu verstehen (so von Homeyer 1965, 227 angenommen), sondern ein beliebiger Landsmann Lukians, der bereits dazu ausgereicht hätte, um eine zuverlässige Auskunft über die elementaren Gegebenheiten der lokalen Geographie zu bekommen. Der kritisierte Autor habe es demnach vernachlässigt, obwohl es in diesem Fall keinen großen Aufwand erfordert hätte, so zu recherchieren, wie es angebracht gewesen wäre. oÎte tÚ legÒmenon dØ toËto t«n §p‹ koure€ƒ tå toiaËta muyologoÊntvn ékoÊsaw: Barbiere

galten, wie es auch heute bei vergleichbaren Dienstleistungsberufen der Fall ist, als über die Maßen redselig und ihre Stuben (koure›a) als informationsträchtiger Treffpunkt für schwatzhafte Menschen 429

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(Plu De garrulitate 13, 508 f: §pieik«w d¢ lãlon §st‹ tÚ t«n kour°vn g°now: ofl går édolesxÒtatoi prosr°ousi ka‹ proskay€zousin, vgl. Ar. Pl. 337–339 und Av. 1440–1445, Eup. PCG V 415, Fr. 194, primäre und sekundäre Belege bei Diggle 20052, 319–320). Theophrast bezeichnet daher die koure›a im Scherz als êoina sumpÒsia (Plu Quaestiones convivales V 5, 5, 679 a und VII 10, 2, 716 a, Wimmer III 182, Fr. 76 [irrtümlich 66] = Fortenbaugh II 394–397, Fr. 577 A + B, zu der unterschiedlichen Tendenz der beiden Berichte Fortenbaugh 1984, 330–331), und der König Archelaos soll auf die Frage eines Barbiers, wie er denn behandelt zu werden wünsche, schlagfertig geantwortet haben, dieser möge seine Arbeit schweigend verrichten (Plu De garrulitate 13, 509 a). Lysias (or. 23, 3) argumentiert sogar mit dem Anspruch auf Seriosität mit in solchen Stuben eingeholten Informationen (zur soziologischen Funktion mündlichen Informationsaustausches Lewis 1995, mit spezifischem Bezug zu athenischen Verhältnissen). Barbierstuben waren auch ein Umschlagplatz für politische Informationen. So wurde die Nachricht vom athenischen Debakel in Sizilien erstmals von einem Fremden an einem solchen Ort im Piräus in Umlauf gebracht (Plu Nic. 30, 1 und De garrulitate 13, 509 a–b), und sogar die Eroberung des Heptachalkon durch Sulla ließ sich plausibel auf derartiges Gerede zurückführen (Plu De garrulitate 7, 505 b). Und vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Polybios (III 20, 5) mit Übertragung auf den Bereich literarkritischer Wertung über seine Kollegen Chaireas und Sosylos in dieser Weise urteilt: oÈ går flstor€aw, éllå kouriak∞w ka‹ pandÆmou laliçw ¶moige dokoËsi tãjin ¶xein ka‹ dÊnamin (von Georgiadou / Larmour 1994, 1466 wurde diese Stelle als eine Parallele zu Lukian erkannt). Die sprichwörtliche Redensart (der accusativus absolutus tÚ legÒmenon mit oder ohne dÆ dient bei Lukian als ein Signal für die Ankündigung von Zitaten und Ähnlichem, so Phal. II 8, Symp. 34, Nigr. 31, Iud. Voc. 9) beinhaltet das auch sonst vertraute Idiom §p‹ koure€ou bzw. §p‹ koure€vn (so D. L. I 76: kayÆmenon §p‹ koure€ou, Plu De garrulitate 7, 505 b: presbut«n tinvn §p‹ koure€ou dialegom°nvn, der Plural §p‹ koure€vn bei Clem. Al. Paed. III 11, 75 und Lib. Prog. X 5, 10). Einzig Aristophanes (Pl. 338) gebraucht in diesem Zusammenhang die Konstruktion §p‹ + Dativ (§p‹ to›w koure€oisi), doch dieses singuläre Idiom erschien bereits dem Scholiasten vor dem Hintergrund des üblichen phraseologischen Sprachgebrauchs als erklärungsbedürftig (Dübner 344, Z. 24–25 = Chantry 76: Diabãllei toÁw ÉAyhna€ouw …w dihmereÊontaw §p‹ t«n koure€vn érg«w). Dennoch nehme ich mit Fritzsche 1860, 68 (so Sommerbrodt 1878, 29 sowie 1893, 13, Kilburn 1968, 34) und Macleod 1980, 302 das den ältesten Handschriften am Nächsten stehende §p‹ koure€ƒ in den Text auf (vgl. die Anmerkung zum Text: t«n §p‹ koure€ƒ). Das Verbum muyologe›n hat hier die abgeschwächte Bedeutung von „plaudern“ bzw. „sich unterhalten über etwas“ (Sat. 7, vgl. Ps. Luk. Dem. Enc. 3). Platon (Ep. 8, 352 e [die Echtheitsfrage kann hier außer Betracht bleiben]) verwendet es zumindest an einer Stelle losgelöst von der Dimension des mËyow von einem Bericht über historische Ereignisse. „ÑH d¢ EÎrvpow ke›tai m¢n §n tª Mesopotam€& staymoÁw dÊo toË EÈfrãtou ép°xousa, ép– kisan d¢ aÈtØn ÉEdessa›oi“: Europos, natürlich nicht in Mesopotamien, sondern am westlichen Ufer des Euphrat in Syrien gelegen, ist eine makedonische Gründung aus frühhellenistischer Zeit (zur hypothetischen Verwechslung dieses Europos mit der anderen, näher an Edessa gelegenen gleichnamigen Stadt durch den Anonymus vgl. den Kommentar zu Kap. 20: §p‹ ... EÈr≈pƒ). Als Gründer ist mit großer Wahrscheinlichkeit Seleukos I. Nikator, mit dem die Seleukidendynastie beginnt, anzusehen (Tscherikower 1927, 54–55); jedenfalls bezeugt dies Stephanos von Byzanz, der allerdings Oropos und Europos irrtümlich für ein und dieselbe Stadt hält, s. v. ÉVrvpÒw Westermann 318, bes. Z. 13–14: ¶sti ka‹ tr€th (sc. pÒliw) §n Sur€&, ktisye›sa ÍpÚ Nikãtorow. Auch das nordmesopotamische Edessa (zu Lage und Geschichte vgl. den Kommentar zu Kap 22: ÖEdessa m¢n dØ oÏtv to›w ˜ploiw periesmarage›to ktl, die antiken Quellen zur Stadtgründung 430

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bei Meyer 1905, Sp. 1933 und Drijvers 1977, 866, Anm. 281) wurde, ebenso wie eine Mehrzahl von Städten in Syrien (zur Gründung von Laodikeia im Jahr 301 v. Chr. und von Antiocheia, Seleukeia und Apameia im Jahr 300 v. Chr. durch Seleukos vgl. Nabhani 2009, 118, 23, 72–73 und 96, Grainger 1990, bes. 47–50) und im Norden Mesopotamiens, durch Seleukos I. Nikator gegründet (App. Syr. 9, 57), der Chronik des Eusebios zufolge im Jahr 304 / 303 v. Chr. (Helm 127, Z. 7–10: Seleucus Antiochiam Laodiciam Seleuciam Apamiam Edessam Beroeam et Pellam urbes condidit, vgl. Helm 368, Z. 45– 369, Z. 2). Der Name ist als eine bewußte Reminiszenz an die alte makedonische Königsstadt Edessa zu verstehen (St. Byz. s. v. ÖEdessa Westermann 115, Z. 24–25), der Vorstadt von Aigai bzw. deren älterer Name (zum Problem der Benennung Oberhummer 1905, weniger präzise Hirschfeld 1894). Da somit beide Städte wahrscheinlich auf ein und denselben Begründer zurückgehen, kann von einer Mutterstadt und einer von dieser ausgesandten Kolonie, wie dies vom Anonymus anscheinend behauptet wurde, alleine schon aus Gründen der chronologischen Stimmigkeit keine Rede sein. Der Einwohner von Edessa heißt bei den älteren Schriftstellern zumeist ÉEdessa›ow, nach einheimischer Benennung auch ÉEdesshnÒw (so St. Byz s. v. ÖEdessa Westermann 115, Z. 25–26), welch letztere Form späterhin deutlich häufiger belegt ist. Zum persischen Zeitwegmaß staymÒw in der Bedeutung von „Tagesmarsch“ vgl. weiter oben den Kommentar zu Kap. 24: ceÊdesyai oÈ parasãggaw mÒnon éllå ka‹ staymoÁw ˜louw.

ka‹ oÈd¢ toËto ép°xrhsen aÈt“, éllå ka‹ tØn §mØn patr€da tå SamÒsata ı aÈtÚw §n t“ aÈt“ bibl€ƒ érãmenow ı genna›ow aÈtª ékropÒlei ka‹ te€xesin met°yhken §w tØn Mesopotam€an, …w perirre›syai aÈtØn ÍpÉ émfot°rvn t«n potam«n, •kat°rvyen §n xr“ parameibom°nvn ka‹ mononoux‹ toË te€xouw cauÒntvn. tÚ d¢ ka‹ gelo›on e‡ soi nËn, Œ F€lvn, épologo€mhn …w oÈ Paryua€vn oÈd¢ Mesopotam€thw soi §g≈, o me f°rvn ı yaumastÚw suggrafeÁw ép–kisen.

perirre›syai: so in den Texten der neueren Herausgeber, u. a. Macleod 1980, 302 (vgl. Luct. 3: perirre›syai d¢ tØn x≈ran aÈtoË potamo›w megãloiw); perivr€syai: so nach einer Schreiber– Hinzufügung in E die älteren Herausgeber, Reitz 1743, 33, Hermann 1828, 30, Bekker 1853, 30, Dindorf 1858, 12 und Fritzsche 1860, 68; Paryua€vn: so u. a. Macleod 1980, 302 (Paryu°vn …w oÈd¢ MesopotamÆthw G); Paryua›ow: so in einigen jüngeren Handschriften, von Bekker 1853,

30, Dindorf 1858, 12, Fritzsche 1860, 69 aufgenommen und auch von Nesselrath 1984, 598 für wahrscheinlich gehalten; o me: so die bestechende und danach zu Recht allgemein angenommene Konjektur Fritzsches (o me in cens. ed. Herm. p. 239, danach im Text 1860, 69) statt des in G und E überlieferten o‰mai (in Ea zu oÂw me korrigiert). tØn §mØn patr€da tå SamÒsata ... érãmenow ... aÈtª ékropÒlei ka‹ te€xesin met°yhken §w tØn Mesopotam€an: Lukians lediglich hier namentlich genannte Heimatstadt Samosata (zum

archäologischen Befund Weissbach 1920, Zoroglu 2000), die Hauptstadt der Kommagene (J. BJ VII 224: t∞w Kommaghn∞w meg€sth pÒliw) und der wichtigste syrische Militärposten von hoher strategischer Bedeutung (Gebhardt 2002, 49–50), liegt am Euphrat (Zonar. Ann. V 10 Pinder 416, Z. 7–8: SamÒsata, pÒlin t«n pareufratid€vn), und zwar in Syrien (Ptol. V 15, 11 Nobbe II 61, Z. 8), am Westufer des Euphrat (Procop. Pers. I 17, 22–23: §ktÚw EÈfrãtou, mit toÊtou §ntÒw ist demgegenüber Mesopotamien bezeichnet). Die von einem Graben umgebene Akropolis aus späthellenistischer und römischer Zeit (Schicht IV) stand auf einem künstlichen Hügel von eiförmigem Grundriß und erhob sich mit steil ansteigender Böschung etwa 45 m über der Ebene; das Plateau hatte eine Erstreckung von 250 x 150 m. Der von Strabon (XVI 2, 3 = C 749) genannte

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Königspalast (bas€leion) ist wohl mit der Burg identisch. Die mächtige, fünf Kilometer lange Stadtmauer (ein Plan bei Zoroglu 2000, 75) ließ sich noch deutlich verfolgen; am Besten erhalten war sie im Süden, heute jedoch ist der Bereich der antiken Stadt durch den Atatürk–Staudamm (Projekt 1978, Baubeginn 1992, Rettungsgrabung im Zeitraum von 1978 bis 1988 unter der Leitung von N. Özgüc) überflutet. Die Versetzung Samosatas nach Mesopotamien durch diesen Autor hatte möglicherweise ihre Ursache in einer keineswegs singulären Verwechslung von Samosata mit Arsamosata (vgl. D. C. LXVIII 19, 2 und dazu Lepper 1948, 7 sowie Strobel 1994, 1351–1352, Anm. 266 mit Literatur). Konstruktionen mit dem medialen Aoristpartizip érãmenow in der Bedeutung von „aufheben und fortschaffen bez. wegschleudern“ usw. verwendet Lukian auch sonst gerne (Cont. 4: ... énay°syai érãmenoi tÚ PÆlion µ tØn ÖOsshn, DDeor. 15, 1, Nav. 44, u. ö.). …w perirre›syai aÈtØn ÍpÉ émfot°rvn t«n potam«n, •kat°rvyen §n xr“ parameibom°nvn ka‹ mononoux‹ toË te€xouw cauÒntvn: Das Verbum parame€besyai („vorbeiziehen an etwas“)

gebraucht bereits Herodot von vorbeiströmenden Flüssen (I 72, 2 und I 75, 5 vom Halys, IV 54 vom Pantikapes); so später z. B. AP IX 669, 9. Das Idiom §n xr“ verwendet Lukian dem Usus entsprechend zunächst im eigentlichen Sinn von einer bis an die Haut gehenden Rasur (Scyth. 3: §n xr“ kekarm°non, vgl. Bis Acc. 20, DMeretr. 5, 3; 12, 1; 12, 4, Fug. 27, Herm 18, Nav. 10: §n xr“ ≤ kourã, Fug. 27, Vit. Auct. 20: §n xr“ kour€an, vgl. Herm 18), wie sie zur Zeit Kaiser M. Aurels vorübergehend Mode wurde (dazu Blümner 1911, 272), sodann von hautnaher Berührung (Herm 5: xamaipete›w pantãpasin §n xr“ t∞w g∞w, vgl. Zeux. 6, VH I 289, so erstmals Th. II 84, 1: §n xr“ [„hautnah“] afie‹ parapl°ontew ka‹ dÒkhsin par°xontew aÈt€ka §mbale›n), auch im übertragenen Sinn (Ind. 3: t∞w §n xr“ prÚw tå bibl€a sunous€aw). Vorliegender Stelle kommt inhaltlich und sprachlich bei weitem am Nächsten Fug. 25: ka€ tiw ka‹ potamÚw m°gistow parame€betai, pãnu §n xr“ caÊvn aÈt∞w. oÈ Paryua€vn oÈd¢ Mesopotam€thw soi §g≈, o me f°rvn ı yaumastÚw suggrafeÁw ép–kisen: Die Parther nennt Lukian in dieser Schrift Paryua›oi (Kap. 15 und 29), desgleichen in Nav. 33; in den pseudolukianischen makrÒbioi hingegen wechseln die Namen Pãryoi (so auch Alex. 27) und Paryua›oi einander ab (Kap 4 und 16 sowie 15 und 17). Desgleichen gebraucht Arrian stets die alte Form Paryua›oi, nur die Epitomatoren haben die Tendenz, daraus Pãryoi zu machen (Hartmann 1912, 419–20 und 1917, 76). Die seltene Bezeichnung Mesopotam€thw findet sich ansonsten bei

Flavius Josephus (AJ I 7, 1, 157; VII 6, 1, 121 und VI 3, 129). Hier steht sie für das Barbarische, von dem Lukian sich nicht nur um der sich bietenden Gelegenheit zur Pointe willen distanziert (Swain 1998, 307 spricht sachlich richtig, wenn auch etwas überzeichnet, von einem justificatory tone). Die stereotype Formulierung (ı) yaumastÚw suggrafeÁw verwendet Lukian im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) immer dann, wenn die Abstrusitäten in den Werken all dieser Verfasser dem Autor ihren Höhepunkt zu erreichen scheinen (so in Kap. 28, 29 und 31).

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Kapitel 25 Wie in Kapitel 21, so ist auch hier mit den Worten ı aÈtÚw otow angezeigt, daß die Kritik an demselben Autor wie zuvor fortgesetzt wird. In diesem Fall ist es der erstmals in Kapitel 24 wegen erheblicher topographischer Fehler getadelte Anonymus, dessen Werk in der Trias der Kapitel 24–26 einer detaillierten spöttischen Kritik unterzogen wird. Nunmehr gilt diese der theatralischen Art, mit der der Verfasser vermeint habe, den Selbstmord des bei Elegeia (eine Nennung des Namens des Unglücksortes ist von Lukian vermieden, vgl. die Einleitung zu Kap. 21) von dem parthischen Feldherrn Osroes eingeschlossenen römischen Legaten M. Sedatius Severianus ausschmücken zu müssen. Während ein anderer nicht minder alberner Anonymus (Kap. 21) diesen an einem freiwillig auferlegten Hungertod habe sterben lassen, habe dieser Verfasser sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Severianus, so hätte er erklärt, habe sich eine tragische und innovative Todesart ausgedacht, indem er sich mit einer aus dem größten seiner an sich schon sehr großen gläsernen Trinkbecher herausgebrochenen Glasscherbe getötet habe. Tod mit dem Schwert, so die verbreitete Version (Kap. 21.), habe ihm eben nicht genügt. Dabei wissen, so ist zur Erklärung hinzuzufügen, die anderen antiken Quellen nicht nur nichts von einer bestimmten Art des Selbstmordes, sondern nicht einmal von einem Selbstmord des Severianus an sich. Sei die pathetische Inszenierung eines, wie der Text suggeriert, von diesem Autor in dieser Form jedenfalls selbst ausgedachten Selbstmordes an sich schon bedenklich genug, so würde die ganze Sache noch schlimmer dadurch, daß der Anonymus einen feierlichen Schwur darauf geleistet habe, daß er dies von jemandem erfahren habe, welcher dem Debakel von Elegeia glücklich entkommen sei. Auch dies und vor allem dies wird als unangemessen beanstandet. Nähme sich nämlich ein Schwur eines jeglichen Verfassers auf die Verläßlichkeit der von ihm dargebotenen Informationen an sich schon recht unpassend in einem Buch aus (Kap. 14 setzt den Gedanken im Kontext spielerisch ein), so habe ein solcher, so die hier zwar nicht explizit ausgesprochene, doch hinlänglich klare Botschaft, in einem Geschichtswerk so gar nichts zu suchen. In Kapitel 29 wird ein Korinther verspottet, der gleich zu Beginn angekündigt habe, er werde ausschließlich sagen, was er gesehen, nicht was er gehört habe (grãfv ... ì e‰don, oÈx ì ≥kousa). Beide Autoren, so die klare Botschaft, mißbrauchten also diejenigen beiden Prinzipien, nach denen der Historiker seine Informationen zu beschaffen habe, Autopsie und sekundäre Befragung von Augenzeugen (vgl. dazu Kap. 47 und die Einleitung, Teil II 1). Im konkreten Fall ist also das mittels der Ironie klar zum Ausdruck gebrachte Resultat ein großer Mangel an Glaubwürdigkeit (kéke›no komidª piyanÚn), derselbe Mangel, der schon zuvor, mit anderer Begründung, dem Anonymus vorgeworfen worden war, der den Severianus eines selbstgewählten Hungertodes habe sterben lassen (Kap. 21, zum explizit namhaft gemachten Fehler des ép€yanon vgl. bes. auch Kap. 20 mit Kritik an demselben Autor). Der zynische Kommentar zu Schluß legt den Finger auf diese Wunde: so habe denn Severianus, so bemerkt der Autor, weder ein Schwert noch auch eine Lanze finden können, um so einen männlichen, heroischen Tod zu sterben. Die spezielle Art des Selbstmordes, so ist hinzuzufügen, wäre also nicht nur erfunden, sondern zudem auch noch schlecht, sachlich unglaubwürdig erfunden.

NØ D€a kéke›no komidª piyanÚn per‹ toË SeouhrianoË ı aÈtÚw otow e‰pen §pomosãmenow, ∑ mØn ékoËsa€ tinow t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn: oÎte går j€fei §yel∞sai aÈtÚn époyane›n oÎte farmãkou pie›n oÎte brÒxon ëcasyai éllã tina yãnaton §pino∞sai tragikÚn ka‹ tª tÒlm˙ jen€zonta:

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komidª piyanÚn ... e‰pen §pomosãmenow, ∑ mØn ékoËsa€ tinow t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn:

Nähme sich die Ableistung eines Schwures zur Beglaubigung des Wahrheitsgehaltes (vgl. die Schwurformel in Tox. 11: §pomosãmenow ∑ mØn élhy∞ §re›n) in jeglichem Buch an sich schon reichlich deplaziert aus (Kap. 14: ˜ti går élhy∞ §stin kín §pvmosãmhn, efi éste›on ∑n ˜rkon §ntiy°nai suggrãmmati), so gelte dies freilich in besonderem Maße für die Geschichtsschreibung, bei der eine gründliche sachliche Recherche als selbstverständliche Arbeitsleistung vorauszusetzen sei (zu der von Herodot begründeten und danach konventionellen Methode von Autopsie und mündlicher Informationsbeschaffung vgl. Kap. 47 und bes. die literarhistorische Darstellung des Themas in der Einleitung, Teil II 1). Halte ein Historiker sich nicht an diese Regel, so leide darunter die Glaubwürdigkeit (tÚ piyanÒn, vgl. ép€yana von plumper Schmeichelei in Kap. 11, von unglaubwürdigen Arten der Verwundung in Kap. 20) seines Berichtes, die in Form des höhergradig Wahrscheinlichen zu ermitteln ja gerade seine primäre Aufgabe gewesen wäre (Kap. 47: stoxastikÒw tiw ka‹ sunyetikÚw toË piyanvt°rou ¶stv). Vor diesem Hintergrund ist auch die Pointe in der Einleitung zu den Verae historiae (VH I 2) zu verstehen, die in letzter Zeit starke Aufmerksamkeit gefunden hat: ceÊsmata pok€la piyan«w te ka‹ §nalÆyvw §jenhnÒxamen. Diese programmatische Äußerung besagt, daß die angekündigte literarische Strategie darin besteht, die für die Geschichtsschreibung gültigen Prinzipien auf den Kopf zu stellen, und zwar in einer ebenso durch die Wahl der literarischen Gattung wie durch den deklariert erhobenen spielerischen (d. h. parodistischen) Anspruch legitimierten Weise. Die Unglaubwürdigkeiten (ép€yana) in den Darstellungen der bekanntermaßen mit Wahrheitsanspruch auftretenden Dichter hingegen ließen sich so nicht rechtfertigen, wie dies andernorts in kontextgesteuerter Weise konstatiert wird (Electr. 3). Zu t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn: Als seine Informationsquelle habe dieser Autor eine namentlich nicht genannte Person angegeben, welche das dem Selbstmord des Severianus vorangegangene römische Debakel bei Elegeia (zu den einschlägigen historischen Hintergründen vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2 und den Kommentar zu Kap. 21: per‹ t∞w SeouhrianoË teleut∞w ktl) überlebt habe. In sprachlicher Hinsicht könnte ihm dabei möglicherweise der Bericht des Thukydides (VIII 1, 1) über die Reaktion der Athener auf die sizilische Katastrophe Pate gestanden haben: ±p€stoun ka‹ to›w pãnu t«n strativt«n §j aÈtoË toË ¶rgou diapefeugÒsi ka‹ saf«w égg°llousi. Jedenfalls ist Verwendung von ¶rgon (so vom Kampf erstmals Hom. Il. IV 175, 470, 539, XXIII 53, VI 522: ¶rgon mãxhw, Il. II 338 und V 428: polemÆia ¶rga) im Sinne einer konkreten Bezeichnung

von Kampfhandlung und Kampfgeschehen (Kampf aufgefaßt als „Verrichtung“) aus Thukydides (I 105, 5; 107, 7; II 7, 1; 89, 9; III 108, 1; IV 25, 2; VII 87, 5, so bereits I 23, 1 über die Perserkriege, Belege bei Hermann 1828, 159) und anderen Klassikern (Pl. Mx. 241 c mit der Nebenbedeutung von „Leistung“, X. Cyr. VII 1, 27 und HG VII 2, 19 mit dem besonderen Aspekt von „Aktion“) durchaus vertraut. In dieser Schrift (Kap. 29) verwendet Lukian das Wort ¶rgon im Sinne von Kampfhandlung (§n aÈt“ d¢ t“ ¶rgƒ). oÎte går j€fei §yel∞sai aÈtÚn époyane›n oÎte farmãkou pie›n oÎte brÒxon ëcasyai éllã tina yãnaton §pino∞sai tragikÚn ka‹ tª tÒlm˙ jen€zonta: Der römische Legat Severianus habe, so der

Bericht des Anonymus, keine der drei gebräuchlichen Todesarten (einzeln zu diesen van Hooff 1990, 47–54, 59–62, 64–72) gewählt, welche in der Literatur bisweilen gemeinsam erwähnt werden. So berichten Diodor (XIX 11, 6–7) und Aelian (VH XIII 36) übereinstimmend, daß Olympias der Eurydike ein Schwert (j€fow), eine Schlinge (brÒxon) und Gift (k≈neion) geschickt und diese den Tod durch Erhängen gewählt habe. Appian (Mith. XII 82) weiß Ähnliches über den Auftrag des Mithridates an den Eunuchen Bakchos zu berichten. Über alle drei Todesarten vgl. auch Suid. s. v. Tå tr€a t«n efiw yãnaton Adler IV 508, Z. 6–7: ˜ti to›w efiw yãnaton katakriye›si tr€a paret€youn,

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j€fow, brÒxon, k≈neion. Dieselbe Trias findet sich noch bei Libanios (Decl. 23, 72). Stattdessen habe Severianus eine innovative Todesart ersonnen (§pinoe›n und §p€noia zielen bei Lukian in der Regel auf Innovation, explizit das Verbum in Verbindung mit dem Adjektiv kainÒw in Hipp. 8, Phal. I 11, Merc. Cond. 35, dasselbe trifft auf jen€zein zu, so bes. deutlich Zeux. 2, vgl. Gall. 18, Lex. 20,

Pseudolog. 11, Laps. 14) und so seinen Selbstmord tragisch inszeniert (noch theatralischer verlief nach Lukians Darstellung die Selbstverbrennung des Peregrinos bei den olympischen Spielen des Jahres 165 n. Chr.), was natürlich eine klare Kritik an der pathetischen Darstellungsart des Anonymus (zu literarischen Vorbildern für effektvolle Selbstmorde vgl. Hirzel 1908, 426–427) bedeutet (dem Adjektiv tragikÒw wohnt in dieser Schrift ja stets eine literarkritische Note inne, Kap. 16 und 23; Ähnliches gilt für tÒlma = Dreistigkeit, Rh. Pr. 15 und 22). An anderer Stelle (Kap. 21) berichtet der Autor Lukian, der dort singulär vom Freitod des Severianus durch das Schwert als einer Tatsache auszugehen scheint (keine andere antike Quelle berichtet auch nur über einen Selbstmord, geschweige denn über die Art des Vollzugs), über einen anderen Anonymus, der Severianus in einer mit den äußeren Umständen gänzlich unvereinbaren Weise eines selbstgewählten Hungertodes habe sterben lassen.

tuxe›n m¢n går aÈtÚn ¶xonta pammeg°yh §kp≈mata Íalç t∞w kall€sthw Íãlou, §pe‹ d¢ pãntvw époyane›n ¶gnvsto, katãjanta tÚn m°giston t«n skÊfvn •n‹ t«n yraumãtvn xrÆsasyai efiw tØn sfagØn §ntemÒnta tª Íãlƒ tÚn laimÒn. oÏtvw oÈ jif€dion, oÈ logxãrion eren …w éndre›Òw ge aÈt“ ka‹ ≤rvÛkÚw ı yãnatow g°noito.

Íalç: in G und E leicht entstellt, so Macleod 1980, 303, schon Reitz 1743, 34, Hermann 1828, 31; Íãlina: so die übrigen Herausgeber (sonst verwendet Lukian die attische Form Íãlinow, so VH I 25, 27, 42, II 11, 14, doch könnte es sich hier um ein Zitat aus dem Anonymus handeln); yraumãtvn: Fritzsche 1860, 69, Sommerbrodt 1878, 30 sowie 1893, 13, Macleod 1980, 303, in G und E steht yaumãtvn; yrausmãtvn: so weniger gut begründet die Mehrheit der Herausgeber nach einer Schreiber–Hinzufügung in E, obwohl nach dem empirischen Befund yraËsma gegenüber yraËma

deutlich häufiger belegt ist, besonders in kaiserzeitlicher Literatur. §kp≈mata Íalç t∞w kall€sthw Íãlou: Trinkbecher aus Glas sind erstmals von Aristophanes (Ach. 73–75 ) als ein Zeichen persischen Luxus erwähnt (jenizÒmenoi d¢ prÚw b€an §p€nomen / §j Íal€nvn §kpvmãtvn ka‹ xrus€dvn / êkraton o‰non ≤dÊn). Pausanias (II 27, 3) berichtet von einem Gemälde des Pausias in Korinth, auf welchem die personifizierte M°yh als aus einer gläsernen Schale trinkend (§j Íal€nhw fiãlhw p€nousa) dargestellt war. In der Kaiserzeit kamen solche Trinkbecher

offensichtlich deutlich stärker in Gebrauch und verdrängten in den Häusern der Reichen die Gefäße aus Gold und aus Silber (so Plin. NH XXXVI 67, 199: usus vero ad potandum argenti metalla et auri pepulit, der längere Passus über die Glasproduktion reicht von 65, 190 bis 67, 199; zu deren Verbreitung in der Kaiserzeit Blümner 1912 b, bes. Sp. 1386–1387) und werden nun auch öfter in der Literatur erwähnt (z. B. Arr. Epict. III 24, 84; D. C. LVII 21, 7; AP VI 33, 6: Epigramm des Maikios). Athenaios (XI 784 c) schließlich weiß über die Produktion von Trinkgläsern in Alexandria zu berichten (Ägypten ist überhaupt als Heimat der Glasherstellung anzusehen, Marquardt 1886, II bes. 744–746 und Blümner 1912 b, Sp. 1382–1382), welche jedenfalls in der Kaiserzeit ein hohes Ansehen genossen (Mart. XII 74; XIV 115; vgl. XI 1, 1). Eine Bibliographie zur antiken Glasherstellung aus archäologischer Sicht bei Barkóczi 1996, 15–17. Aus Nav. 23 geht hervor, daß ¶kpvma (Trinkgefäß) der Oberbegriff zu skÊfow (Becher mit im Allgemeinen horizontal angeordneten Henkeln, dazu Nachod 1927 und bes. Scheibler 2000) ist, der beim Symposion Verwendung fand (Symp. 14, 16 und 44–46). 435

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Kapitel 26 Mit Kapitel 26 kommt die Kritik, die in Kapitel 24 begonnen hatte, zu ihrem Höhepunkt und Abschluß. Der Epitaphios, den der Anonymus auf Severianus schreiben zu müssen geglaubt habe, sei (trotz der gänzlich andersartigen Situation) nach der berühmten thukydideischen Leichenrede des Perikles modelliert gewesen, und damit liegt, freilich unausgesprochen, ein Pendant vor zu Crepereius Calpurnianus, der die Pestschilderung des Thukydides nahezu kopiert habe (Kap. 15). Als Sprecher habe der hier verspottete Autor einen gewissen, und so ist hinzuzufügen, sonst unbekannten Centurio namens Afranius Silo auftreten lassen, dessen auf Effekt berechnete Rede mit dem Pathos eines Tragöden all der verflossenen Besäufnisse und nunmehr unter Tränen vermißten Bankette Erinnerung getan habe, bis schlußendlich der Redner alledem noch die Krone aufgesetzt und sich selbst, darin ganz Aias gleich (dabei ist natürlich an den Selbstmord des sophokleischen Aias zu denken), vor den diese heldenhafte Tat im Übermaß bewundernden Augen aller am Grabe mit dem Schwerte abgeschlachtet habe, wie es freilich von einem Mann seiner Klasse auch nicht anders zu erwarten gewesen wäre. Und das Autor-Ich fügt, die darin liegende unverkennbare Ironie zu sarkastischer Äußerung steigernd hinzu, das habe es daran am meisten zu beanstanden gehabt, daß dieser Mann nicht auch noch den Verfasser und gleichzeitig den Regisseur in dieser dramatischen Inszenierung, gewissermaßen dieser Schmierenkomödie, abgeschlachtet habe, noch ehe er selbst sich den Tod gab. In formaler Hinsicht fällt das starke Hervortreten des Autor-Ichs auf, das sich nicht nur als Beurteilungsinstanz präsentiert (§g∆ d¢ ... kateg€gnvskon ktl, danach ºtiasãmhn), sondern auch den von pathetischer Erregung begleiteten Tränen des Redners Afranius seine eigene Reaktion bei dessen Vortrag gegenüberstellt, sein sich unter Tränen Ausschütten vor Lachen (Àste me ... dakrËsai ÍpÚ toË g°lvtow), noch verstärkt durch den emphatischen Ausruf nØ tåw Xãritaw (vgl. weiter unten im Text må tÚn ÉEnuãlion). Aus sophistischer Vortragspraxis sind Kundgebungen solchen Mißfallens vonseiten des Publikums bekannt und untersucht (zur Sprache des Publikums Korenjak 2000, 68–95, Lächeln und Lachen 85–86), und zu diesen gehört natürlich auch vorzeitiges Verlassen der Vorlesung (Kap. 15: ép∞lyon, vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 15). Wie in Kapitel 15, so handelt es sich also auch hier um einen mündlichen Vortrag (Korenjak geht auf derartige Rezitationen von Geschichtswerken nirgendwo ein), und im vorliegenden Fall kommt der explizit namhaft gemachte Versuch des Thukydidesimitators (hier mit bewußter Verwendung einer Kampfmetaphorik: ëmilla und éntagvnistÆw) hinzu, durch ungenierten Einsatz jedweder pathetischer Mittel stark auf die Emotionen des Publikums zu wirken (dakrÊvn ëma sÁn ofimvgª peripaye›, und dann §pidakrÊontow), sodaß der Verfasser selbst als der didãskalow toË drãmatow bezeichnet werden kann. Für eine Ansprache an das Du des Adressaten ist bei dieser ganz auf das zu beschreibende Objekt konzentrierten, anschaulichen Schilderung dieser theatralischen Selbstinszenierung (man kann zu Recht sprechen von theatrical culture, so Clay 1992, 3418 zu den Selbstdarstellungen des Peregrinos und des Alexandros von Abonuteichos), wie sie sich in der Zweiten Sophistik in anderen Bereichen in ähnlicher Form häufig findet (zu derlei Selbstdarstellungen, wie sie in den Sophistenbiographien des Philostratos oft in Erscheinung treten vgl. u. a. Connolly 2001), kein Platz. Wahrscheinlich hieße es, dem Autor doch etwas zu viel der Ehre zu geben, wollte man ihn auf dieselbe Stufe stellen wie den von Polybios wegen seiner pathetischen Schilderungen getadelten Phylarchos, wenn auch eine solche Assoziation innerhalb des Rahmens des Möglichen liegen dürfte. In erster Linie jedoch ist dieser Passus wohl als Kritik an einem bei weitem nicht singulären Zeitphänomen zu verstehen, das im 2. Jh. n. Chr. in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden ist und das auch Lukian wiederholt willkommenen Anlaß zu seinem in literarischer Form geäußerten Spott bietet.

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e‰tÉ §peidØ Youkud€dhw §pitãfiÒn tina e‰pen to›w pr≈toiw toË pol°mou §ke€nou nekro›w, ka‹ aÈtÚw ≤gÆsato xr∞nai §peipe›n t“ Seouhrian“. ëpasi går aÈto›w prÚw tÚn oÈd¢n a‡tion t«n §n ÉArmen€& kak«n tÚn Youkud€dhn ≤ ëmilla. yãcaw oÔn tÚn SeouhrianÚn megaloprep«w énabibãzetai §p‹ tÚn tãfon ÉAfrãniÒn tina S€lvna •katÒntarxon éntagvnistØn Perikl°ouw ˘w toiaËta ka‹ tosaËta §perrhtÒreusen aÈt“ Àste me nØ tåw Xãritaw pollå pãnu dakrËsai ÍpÚ toË g°lvtow ...

§peidØ Youkud€dhw §pitãfiÒn tina e‰pen to›w pr≈toiw toË pol°mou §ke€nou nekro›w, ka‹ aÈtÚw ≤gÆsato xr∞nai §peipe›n t“ Seouhrian“. ëpasi går aÈto›w prÚw tÚn oÈd¢n a‡tion t«n §n ÉArmen€& kak«n tÚn Youkud€dhn ≤ ëmilla: So wie Crepereius Calpurnianus die berühmte

thukydideische Pestschilderung für seine Zwecke ausgebeutet habe (Kap. 15), so sei der hier kritisierte Anonymus mit dem zweiten Glanzstück in dessen Werk verfahren, der Leichenrede des Perikles auf die im ersten Kriegsjahr Gefallenen (Th. II 35–46), welche bereits antiken Theoretikern der Rhetorik als paradigmatisches Studienobjekt galt, nämlich u. a. Hermogenes (Meth. 5 Spengel II 429, Z. 19–28: der Epitaphios als ein Beispiel für §penyumÆseiw und kayoliko‹ lÒgoi) und Menander Rhetor (Spengel III 418, Z. 14–22: als Beispiel für den paramuy€aw tÒpow). Selbst Dionysios von Halikarnaß, der an der thukydideischen Leichenrede grundsätzliche Kritik übt, weil sie an unpassender Stelle plaziert sei und weil andere in diesem Krieg gefallene Männer einer solchen Auszeichnung weit würdiger gewesen wären (Th. 18), belegt indirekt das große Ansehen der Rede, gegen dessen Berechtigung der Kritiker, wie er in der Einleitung zu seiner Thukydidesmonographie (Th. 2) ausdrücklich sagt, seinen, wie es scheint, singulären Einspruch geltend zu machen sucht (Belege für Erwähnungen des Epitaphios aus unterschiedlicher Perspektive durch D. H. bei Homeyer 1965, 229). Die bewußt gewählten Formulierungen to›w pr≈toiw ... nekro›w und §peipe›n (zu §peipe›n im Zusammenhang mit der Lobrede vgl. Symp. 28 und Rh. Pr. 22) sollen eine Erinnerung wachrufen an diejenigen Worte, welche Thukydides (II 34, 8) der direkten Rede des Perikles unmittelbar voranstellte: §p‹ dÉ oÔn to›w pr≈toiw to›sde Perikl∞w ı Jany€ppou Ωr°yh l°gein (vgl. II 34, 6: l°gei §pÉ aÈto›w ¶painon tÚn pr°ponta) und welche als typisch für die in der Gattung des lÒgow §pitãfiow übliche Diktion bereits in der pointierten Einleitung zum platonischen Menexenos (Pl. Mx. 234 b) sehr treffsicher parodiert werden: ... ≤ boulØ m°llei aflre›syai ˜stiw §re› §p‹ to›w époyanoËsi. Die diesem Plagiat des Anonymus inhärente Geschmacklosigkeit zeigt sich bereits beim Vergleich der jeweiligen historischen Situationen. Während nämlich die Rede des Perikles den Gefallenen des ersten Kriegsjahres gilt und somit immerhin noch Raum für eine optimistische Zukunftsperspektive läßt, trägt das Desaster des Severianus in Armenien (zu den relevanten historischen Gegebenheiten vgl. den Kommentar zu Kap. 21: per‹ t∞w SeouhrianoË teleut∞w ktl) den Charakter trostloser Endgültigkeit, sodaß der wesentlich als eine Lobrede konzipierte Epitaphios sich in einen Abgesang wandelt und so den Abstand zur Vorlage mit umso peinlicherer Deutlichkeit offenbart (vor diesem Hintergrund ist die andere Bedeutung von §peipe›n im Sinne von Epilog in Symp. 48 auch in diesem Kontext zu beachten). Das drastische ëmilla (die Kampfmetaphorik wird im nächsten Satz durch éntagvnistØn fortgesetzt) für den im Sinne literarischen Wettstreits (lat. aemulatio) konventionellen z∞low (Kap. 34) ist eine Variation des ironischen Attributs Youkud€dou zhlvtØw êkrow, mittels dessen in Kap. 15 ein anderer Thukydidesepigone (Crepereius Calpurnianus) charakterisiert worden war. énabibãzetai §p‹ tÚn tãfon ÉAfrãniÒn tina S€lvna •katÒntarxon éntagvnistØn Perikl°ouw: Von einem Afranius Silo, den bereits das betont unspezifische tina als eine wenig bedeutende Person

erscheinen läßt, ist, wie freilich zu erwarten, sonst nichts bekannt (v. Rohden 1894 kennt außer Lukian keinen Beleg, Homeyers 1965, 230 und Macleods 1991, 296 Vermutung, Namensähnlichkeit mit dem Pantomimendichter Abronius Silo sei durchaus beabsichtigt, ist spekulativ und wohl auch

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unwahrscheinlich). Mit dem terminus •katÒntarxow ist dieser Mann seinem militärischen Rang nach als Kommandant einer Zenturie, als centurio bestimmt (eine römische Legion besteht aus 60 Zenturien), nach modernen Begriffen demnach so etwas wie ein Unteroffizier. Lukians Zeitgenosse Arrian, der sowohl den Begriff •katÒntarxow als auch •katontãrxhw gebraucht (Alan. 2 sowie 5, 6 und 22), definiert in der im Jahr 136 / 137 n. Chr. als Statthalter von Cappadocia verfaßten Taktik (Stadter 1978, 118, Devine 1993, 315–316) das Kommando eines •katontãrxhw so: ˜pou d¢ §j •katÚn g€gnetai tÚ tãgma, •katontãrxhw ı toÊtou aÔ ≤gem∆n Ùnomãzetai (Takt. 10, 3 Roos 139, Z. 5–6). Mit dem angesichts des theatralischen Auftritts des Afranius Silo sinnreichen Verbum énabibãzesyai ist konkret der Aspekt des jemanden öffentlich auftreten Lassens (besonders häufig als Sachwalter, so Bis Acc. 15 und 20, Pisc. 16, Pr. Im. 24, als Redner, so Anach. 19) zu verbinden (ähnliche Bedeutung hat par€stasyai, Belege dafür im Kommentar zu Kap. 15: ıpo›a §n ÉArmen€& §dhmhgÒrhsen ktl), im Besonderen der des auf die Bühne treten Lassens (JTr. 41: EÈrip€dhw ... énabibasãmenow toÁw yeoÁw §p‹ tØn skhnØn, Tox. 9, so bereits Plb. XXIX 19 = 7, 2), wie denn Lukian überhaupt eine Vorliebe für Verwendung bühnentechnischer termini technici hat (Kokolakis 1961, 6, Anm. 22). Der Anonymus habe also Afranius mit dem Pathos eines Tragöden auftreten lassen (in diesem Sinn weiter unten dakrÊvn ëma sÁn ofimvgª peripaye›, schließlich resümierend: tÚn didãskalon toË drãmatow). Zu éntagvnistØn: ähnlich gebraucht Plutarch das Verbum éntagvn€zesyai von miteinander konkurrierenden Tragödienschauspielern (Dem. 29, 2: §dÒkei går éntagvn€zesyai t“ ÉArx€& tragƒd€an ÍpokrinÒmenow). Zu der auch innerhalb sophistischer Rhetorik gebräuchlichen agonalen Metaphorik (Korenjak 2000, 195–199) vgl. weiter oben die Anmerkung zu ëmilla. ˘w toiaËta ka‹ tosaËta §perrhtÒreusen aÈt“ Àste me nØ tåw Xãritaw pollå pãnu dakrËsai ÍpÚ toË g°lvtow: Für direkte Redepartien in einem Geschichtswerk sei zwar ein verhältnismäßig starker Gebrauch rhetorischer Mittel erlaubt (Kap. 58: §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta), doch der Wortschwall, den dieser Autor sich erlaubt habe, übersteige

sowohl qualitativ als auch quantitativ die Grenzen des Erlaubten bei weitem. Das an sich schon äußerst selten belegte Kompositum §pirrhtoreÊein (Ath. XIII 590 e: über Hypereides, Ach. Tat. VIII 8, 4, in beiden Fällen §pi- in der Bedeutung „hinzu“) ist hier an das Idiom §pitãfion ... §peipe›n t“ Seouhrian“ im vorangehenden Satz (zu dieser in der Gattung der Leichenrede konventionellen Diktion vgl. den Kommentar zur Stelle) angeglichen und erhält so die singuläre Bedeutung: „der einen solchen Wortschwall (als Nachruf) auf ihn (Severianus) losließ“. Unbändiges Gelächter ist die Reaktion der Minorität von Verständigen auf Fehlleistungen, welche bei der Masse Anklang finden (Kap. 11). Der Schwur bei den Chariten (zumeist in einer Verbindung mit stereotypen Syntagmen ist bei Lukian die Alternative prÚw Xar€tvn, Bacch. 5, Scyth. 9, Alex. 4, Herm 36), der bereits Sokrates zugeschrieben wird (Pl. Tht. 152 c, Ar. Nu. 773), begleitet sinnfällig die gesunde, derart eklatanten Geschmacklosigkeiten gegenüber einzig angebrachte Reaktion.

... ka‹ mãlista ıpÒte ı =Ætvr ı ÉAfrãniow §p‹ t°lei toË lÒgou dakrÊvn ëma sÁn ofimvgª peripaye› §m°mnhto t«n polutel«n §ke€nvn de€pnvn ka‹ propÒsevn, e‰ta §p°yhken AfiãnteiÒn tina tØn korvn€da: spasãmenow går tÚ j€fow, eÈgen«w pãnu ka‹ …w ÉAfrãnion efikÚw ∑n, pãntvn ır≈ntvn ép°sfajen •autÚn §p‹ t“ tãfƒ – oÈk énãjiow Ãn må tÚn ÉEnuãlion prÚ polloË époyane›n efi toiaËta §rrhtÒreuen.

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ı =Ætvr ı ÉAfrãniow: Der ausgefallene Artikel (zur Überlieferungslage Fritzsche 1860, 70, Homeyer 1965, 128, Macleod 1980, 303) wurde von fast allen Herausgebern zu Recht ergänzt; =Ætvr ı ÉAfrãniow: Macleod 1980, 303. dakrÊvn ëma sÁn ofimvgª peripaye›: Das Adjektiv peripayÆw erweckt in diesem Zusammenhang beabsichtigte Assoziationen zur Tragödie (weiter unten didãskalon toË drãmatow). Lukian (Cal.

24) gebraucht es mit Bezug auf die Tragödie, und Plutarch (Alex. 75, 5) weiß von Autoren zu berichten, welche das Lebensende Alexanders wie ein tragisches Finale inszeniert hätten (Àsper drãmatow megãlou tragikÚn §jÒdion ka‹ peripay¢w plãsantew). Tränen und Wehklagen sind die typischen Elemente einer mittels ¶kplhjiw und cuxagvg€a die Grenzen zur Tragödie aufhebenden Geschichtsschreibung, wie sie Polybios am Beispiel des Phylarchos vorführt und kritisiert (II 56, bes. 7–12: Wehrli 1947, 134 und 1972, 106–107 führt das Verfahren des Phylarchos, kaum zu Recht, auf die gorgianische Auffassung von Dichtung zurück); es ist daher berechtigt, mit Ullman 1942, 45, Anm. 110 die insbesondere durch Phylarchos repräsentierte Geschichtsschreibung mitzuassoziieren (zum Einsatz pathetischer Elemente bei Duris, Phylarchos und anderen vgl. Burck 1964, 226–227 und Walbank 1955, 4). Doch ist diese retrospektive Auffassung nicht die einzige Möglichkeit, das hier von Lukian beschriebene Phänomen zu bewerten. Bezogen auf die Vortragskultur der zweiten Sophistik liegt nämlich eine Gegebenheit vor, die Whitmarsh 2005, 23 ganz allgemein als performance culture bezeichnet (Clay 1992, 3418 spricht im Kontext der dem Zeitgeist entsprechenden Selbstinszenierungen des Peregrinos und des Alexandros von Abonuteichos pointiert von theatrical culture) und welches von Connolly 2001 anhand von Philostrats Sophistenbiographien dargestellt ist. Der hier vorgeführte Historiker durchbricht demnach die der Gattung der flstor€a gesetzten Grenzen, indem er sich gegenstandsinadäquater Theatralik bedient, wie sie den ganz auf Wirkung beim Publikum bedachten sophistischen Redner bzw. Selbstdarstellungskünstler kennzeichnet (vgl. Baldwin 1973 a, 84, Anm. 47: ... the technique here smacks of sophistic production). §m°mnhto t«n polutel«n §ke€nvn de€pnvn ka‹ propÒsevn: Bei solchen mit Gastmählern verbundenen propÒseiw (Verbum prop€nein, lat. propinare, Belege v. a. aus der lateinischen Literatur

bei Marquardt 1886, I 336–337 und Blümner 1911, 405, Anm. 4) handelte es sich um ein gegenseitiges Zuprosten (Herm 11), bei welchem ein bestimmtes, der sozialen Rangordnung entsprechendes konventionelles Reglement zu beachten war (Merc. Cond. 16), dessen singuläre Aufhebung in Sat. 18 lediglich durch den Ausnahmezustand saturnalischer Freiheit begründet ist. Athenaios V 193 a vergleicht die Trinksitten seiner Zeit mit denen bei Homer (Il. IX 224: Odysseus und Achill) und stellt pointiert fest: pro°pinon dÉ éllÆloiw oÈx Àsper ≤me›w (toËto går proekpie›n §stin), éllå mestÚn tÚn skÊfon. Andernorts (X 438 a) gibt er ein Beispiel von den Folgen des Verfahrens, einen zuvor von einem anderen geleerten und nun wieder angefüllten Becher auszutrinken (§kpie›n tØn propoye›san aÈt“ kÊlika), bei darin Ungeübten (ein Beispiel für Trinkfestigkeit ist der Makedone Proteas, Ath. X 434 a). Vor diesem Hintergrund hat propÒseiw hier die drastische Bedeutung von „Besäufnisse“, womit über die nicht gerade feinsinnigen Präferenzen des Sprechers die unkultivierte Mentalität des Verfassers auf den Punkt gebracht ist. Die vom Redner behandelten Themen sind zu verstehen als beabsichtigtes Zerrbild eines rhetorischen Verfahrens zur Erweckung von Mitleid, wie es anschaulich von Apsines (Spengel I 400, Z. 25–28) beschrieben ist: Kine› dÉ ¶leon ka‹ lÒgow tiw ginÒmenow prÚw ktÆmata toË teyne«tow (als Beispiel dient Ktesias, der die Mutter des Kyros über dessen Pferde, Hunde und Waffen hatte reden und dadurch Mitleid erregen lassen). Der Text ist kaum, wie dies von Wirth 1964, 242 angenommen wurde, als eine Anspielung auf die Beschreibung der letzten Tage Alexanders durch einige der Alexanderhistoriker zu werten.

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e‰ta §p°yhken AfiãnteiÒn tina tØn korvn€da: Die korvn€w ist ein gewundenes Zeichen, eine abwärts

gebogene Linie, welche in Büchern das Ende eines Abschnitts oder des Ganzen anzeigte und im Besonderen beim Drama den Abgang von Chor oder Schauspielern markierte (in den Scholien zu Aischylos, Sophokles und Aristophanes erscheinen die stereotypen Worte §p‹ t°lei korvn€w als häufig sich findende Formel). Im übertragenen Sinn bedeutet korvn€w das Ende oder, mit pointierter Zuspitzung, den krönenden Abschluß oder Höhepunkt einer Sache (letzteres in Pseudol. 10, Charid. 21 [Ps. Lukian], in dieser Bedeutung kor≈nh auch in Peregr. 33: ¶fh går boÊlesyai xrus“ b€ƒ xrus∞n kor≈nhn §piye›nai, ausgesagt vom inszenierten Selbstmord des Peregrinos, mit dem Anderson 1976 a 60 diesen ganzen Passus vergleicht). Das Idiom §pitiy°nai korvn€da + Dativobjekt verwendet Plutarch (Quomodo adulator ab amico internoscatur 25, 66 e). Der dramatisierte Aiasstoff war natürlich durch die maßgebliche Gestaltung des Sophokles im allgemeinen Bewußtsein (vgl. dazu die folgende Anmerkung), doch kennt Lukian durchaus auch aus seiner Zeit einschlägige pantomimische Aufführungen, bei denen es schon mal geschehen konnte, daß ein Schauspieler über seiner Rolle in echten Wahnsinn zu verfallen schien (Salt. 83–84). oÈk énãjiow Ãn må tÚn ÉEnuãlion prÚ polloË époyane›n efi toiaËta §rrhtÒreuen: Die Nennung

des Enyalios (Belege zum selbständigen Gebrauch des Namens Enyalios für Ares bei Jessen 1905) in diesem Zusammenhang erinnert an eine der in der Parodos des sophokleischen Aias vom Chor salaminischer Seeleute geäußerten Mutmaßungen über die möglichen Ursachen für den Wahnsinn des mordend über die Herden hergefallenen Aias (179–181): µ xalkoy≈raj e‡ tinÉ ÉEnuãliow / momfån ¶xvn junoË dorÚw §nnux€oiw / mhxana›w §te€sato l≈ban. Es ist dies die einzige Stelle, an der Sophokles das Wort ÉEnuãliow gebraucht, was der Aussage umso größeres Gewicht verleiht. Ein Schwur bei Enyalios begegnet ansonsten nur ein einziges Mal, in einem bei Plutarch (Apophthegmata Laconica 234 b) überlieferten Dictum, dem zufolge Spartaner die Aussage Außenstehender, es gehe ihnen gut, da die Räuber sich aus ihrem Gebiet davongemacht hätten (eÈtuxÆkate ért€vw §nteËyen l˙st«n épiÒntvn), mit den die spartanische Wesensart auf den Punkt bringenden Worten quittiert hätten: oÈ må tÚn ÉEnuãlion, éllÉ §ke›noi mØ perituxÒntew ≤m›n. Das Idiom prÚ polloË in den Bedeutungen „vor langer Zeit“ und, so wie hier, „schon längst“ (Tim. 25, JTr. 45, u. ö.) findet sich bei Lukian verhältnismäßig häufig (noch öfter das analoge oÈ prÚ polloË im Sinne von „erst unlängst“). §rrhtÒreuen ist im Sinne eines imperfectum de conatu zu verstehen: „wenn er denn beabsichtigte, einen solchen Redeschwall loszulassen“, vgl. Fritzsche 1860, 71: si talia declamaturus esset. Nicht anzuraten ist die von Hermann 1828, 32 und 166 (... multo melius honori consultum fuisse, si pridem in aliquo proelio occisus esset, quam quod ante mortem inepti rhetoris partes agendas accepisset) vorgeschlagene und von Jacobitz 1866, 16, Sommerbrodt 1878, 30 sowie 1893, 14 und Homeyer 1965, 128 (ohne Nennung des Urhebers) übernommene Konjektur µ toiaËta §rrhtÒreue. Diese Konjektur kann sich nur auf die syntaktisch fragwürdige Parallele in Bis. Acc. 1 (t€ går ín µ toÁw ÉAn°mouw futourgoËntaw l°goimi ktl) stützen.

ka‹ toËto ¶fh fidÒntaw toÁw parÒntaw ëpantaw yaumãsai ka‹ Íperepain°sai tÚn ÉAfrãnion. §g∆ d¢ ka‹ tå êlla m¢n aÈtoË kateg€gnvskon mononoux‹ zvm«n ka‹ lopãdvn memnhm°nou ka‹ §pidakrÊontow tª t«n plakoÊntvn mnÆm˙, toËto d¢ mãlista ºtiasãmhn, ˜ti mØ tÚn suggraf°a ka‹ didãskalon toË drãmatow proaposfãjaw ép°yanen.

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tå êlla m¢n aÈtoË kateg€gnvskon mononoux‹ zvm«n ka‹ lopãdvn memnhm°nou ka‹ §pidakrÊontow tª t«n plakoÊntvn mnÆm˙: Unter dem zvmÒw ist eine Brühe zu verstehen, eine Suppe oder Sauce,

zubereitet mit Fisch (Lex. 5, eine pikante Fischsauce, vergleichbar dem garum, Weissenberger 1996, 205) oder Fleisch (Prom. 10, vgl. Ar. Eq. 1178: •fyÚn §k zvmoË kr°aw, zitiert von Ath. III 94 e). lopãw verwendet Lukian ebenso wie die Komiker (Belege bei LSJ s. v. lopãw I a) in der Bedeutung „Pfanne“, „Platte bzw. Bratenplatte“ (Tim. 54, Merc. Cond. 26, Sat. 22, zu dieser speziellen Bedeutung vgl. den Kommentar zu Kap. 56: ka‹ lopãsi tosaÊtaiw). Unter plakoËw (zusammengesetzt aus plakÒeiw, von plãj = Tafel, wegen der flachen Form) ist ein durch diverse Zusätze (Milch, Eier, Gewürze etc., Lukian nennt in Pisc. 41 einen Sesamkuchen) verfeinertes Brot zu verstehen, welches in unterschiedlichen Formen von auf ganz bestimmte Arbeitsvorgänge spezialisierten Kuchenbäckern (griech. pemmatourgo€, popanopoio€, plakountopoio€, lat. placentarii, scriblitarii, fictores, weitere lateinische Bezeichnungen bei Blümner 1911, 193) hergestellt wurde (Orth 1922). Dabei handelte es sich um ein auch in der Literatur vielbehandeltes Thema, denn Athenaios (XIV 643 e) gibt in der Einleitung zu seiner genauen Beschreibung der verschiedenartigsten Kuchenarten an, Kallimachos habe in seinen Pinakes Spezialschriften über Kuchenbäckerei (plakountopoiÛkå suggrãmmata) unter expliziter Angabe der Verfassernamen (Aigimos, Hegesippos, Metrobios und Phaistos) verzeichnet. Zur besonderen Verwendung des Verbums §pidakrÊein ist zu vergleichen Plu De genio Socratis 14, 583 c: ı m¢n patØr §pedãkruse tª mnÆm˙ toË LÊsidow. tÚn suggraf°a ka‹ didãskalon toË drãmatow: Die pointierte Nebeneinanderstellung dieser ihrem

Wesen nach unvereinbaren Prädikate unterstreicht den groben Verstoß gegen die Prinzipien der Geschichtsschreibung, erscheint es doch als für einen Historiker (terminus technicus suggrafeÊw) ganz unpassend, die Regie bei dramatischer Inszenierung (vgl. den Kommentar zu dakrÊvn ëma sÁn ofimvgª peripaye› weiter oben im Text) zu führen. Der terminus technicus didãskalow bezeichnete in klassischer Zeit die Person, welche durch das Einstudieren eines Chores ein Stück zur Aufführung brachte, und da diese Person identisch mit dessen Verfasser war, auch den Dichter selbst (zu Bedeutung und Bedeutungswandel des Begriffs didãskalow und verwandter termini im Laufe der Zeit Reisch 1903, bes. Sp. 401–402).

Kapitel 27 Hier geht es summarisch um das Thema ausufernder Detailschilderungen ohne einen Blick für das Große und Bedeutende (tå megãla .. t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta), um die Unwissenheit über das, was zu berichten bzw. was zu verschweigen ist, die êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn. Anklänge an das programmatische Kapitel 6 sind dabei ebenso beabsichtigt wie insbesondere solche an den ersten Teil von Kapitel 20, in dem, mit allgemein gehaltener Aussage wie hier, die sachlich irrelevanten Ekphraseis innewohnenden Mängel getadelt wurden. Es wäre gerade so, so fährt der Autor mit einem der von ihm oft und gerne angewandten Vergleiche fort, als wollte jemand ohne einen Sinn für die eminente Schönheit des olympischen Zeus, eines der sieben Weltwunder, den freilich auch kunstvoll und genau gearbeiteten Fußschemel und die ebenso kunstfertig ausgeführte Basis der Statue anstaunen und sich mit reichlicher Sorgfalt auf deren Darstellung konzentrieren, unter Vernachlässigung des überwältigenden Gesamteindrucks dieser von Phidias geschaffenen und die aus anderen Werken bekannten Dimensionen sprengenden Kolossalstatue. Was hier als Dilettantismus (fidivte€a) und Geschmacklosigkeit (épeirokal€a) bezeichnet ist, das findet sich etwas später (Kap. 32) resümierend als Bildungsmangel (épaideus€a) klassifiziert. Damit hält Lukian sich prinzipiell innerhalb der zumal in der Zeit der zweiten Sophistik gebräuchlichen Terminologie, welche

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in Fragen des literarischen Geschmacks die Gebildeten (ofl pepaideum°noi) von der breiten Masse (ofl pollo€) scharf abzuheben bestrebt ist (zu dieser vom Autor Lukian selbst in dieser Schrift freilich nicht allzu streng durchgeführten Unterscheidung vgl. Kap. 44). In formaler Hinsicht arbeitet Lukian hier zum ersten und einzigen Mal in diesem Teil der Schrift mit einem expliziten Vorverweis auf den dritten und didaktischen Schriftteil (zu tØn sumboulØn und der damit verbundenen Ratgeberfunktion vgl. Kap. 34–36), und in diesem Zusammenhang erscheint zum Zweck einer Unterstreichung des Kommunikationsprozesses sowohl das Du des zuletzt in Kapitel 24 (dort mit seinem Namen Philon) angesprochenen Adressaten (Œ •ta›re) als auch das Autor-Ich (meteleÊsomai). Wie schon besonders im ersten Teil von Kapitel 20 (Thema Ekphraseis) und in Kapitel 23 (Thema Proömien), so wird auch hier der Eindruck erweckt, als gelte es, aus einer sehr großen Fülle an Stoff nur einiges Wenige exemplarisch herauszugreifen, und dementsprechend verläuft die Aussage ganz auf einer generalisierenden Ebene, ohne einen bestimmten Autor als Individuum ins Auge zu fassen. Das geschieht erst danach in Kapitel 28, in welchem die mit Ekphraseis verbundenen Mängel anhand eines konkreten, wenn auch freilich namentlich nicht genannten Anonymus mit großer Detailfreudigkeit dargestellt, kritisiert und der Lächerlichkeit preisgegeben sind.

PolloÁw d¢ ka‹ êllouw ımo€ouw toÊtoiw ¶xvn soi, Œ •ta›re, katariymÆsasyai, Ùl€gvn ˜mvw §pimnhsye‹w §p‹ tØn •t°ran ÍpÒsxesin ≥dh meteleÊsomai, tØn sumboulØn ˜pvw ín êmeinon suggrãfoi tiw.

ımo€ouw: fast alle Editoren nehmen das jüngere ımo€ouw in ihre Texte auf (so urteilt auch Nesselrath 1984, 598: „ımo€vw schwer zu verstehen“); ımo€vw: als einziger unter den Herausgebern behält Macleod 1980, 304 diese älteste Lesart bei, ımo€vw (Sinn: „in gleicher Weise wie diese“, „nach demselben Verfahren wie diese“) gehört danach zum Infinitiv katariymÆsasyai. Ùl€gvn ... §pimnhsye‹w §p‹ tØn •t°ran ÍpÒsxesin ≥dh meteleÊsomai, tØn sumboulØn ˜pvw ín êmeinon suggrãfoi tiw: Der Vorverweis auf den dritten und didaktischen Teil dieser Schrift (Kap. 34–60)

erfüllt die (als eine Anwendung eines rhetorischen Stilmittels zu verstehende) Funktion, mittels der Ankündigung einer baldigen Beendigung der in diesem Abschnitt vorgetragenen ausgedehnten Beispielreihe sich der auch weiterhin ungebrochenen Aufmerksamkeit des möglicherweise bereits ermüdeten Lesers (der Scholiast ruft jedenfalls bereits zu Kap. 26: yãcaw oÔn ktl ungeduldig und entnervt aus: paÊou, tala€pvre: flkan«w soi p°paistai. m°xri pÒsou diagelãseiw toÁw katarãtouw; Rabe 1906, 228, Z. 25–26) zu versichern. Die Art, in der Lukian sonst im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch das Verbum §pimimnπskesyai verwendet (Anach. 16, Pr. Im. 20, Salt. 34 und 76, Hipp. 2, VH II 32), bestätigt nicht Hermanns 1828, 169 Behauptung, es sei mit §pi- an sich schon der Aspekt eines praeterea sive insuper mentionem injicere zu assoziieren. Mit dem terminus technicus ÍpÒsxesiw bezeichnet Lukian den mit jeglicher t°xnh verbundenen besonderen Anspruch, bezogen vor allem auf die Bereiche von bildender Kunst (Architektur: Pr. Im. 9, Hipp. 3, Schmiedekunst: Phal. I 12), Literatur (Hist. Conscr. 8), Tanz (Salt. 36), Philosophie (Herm 76, Pisc. 31) und rhetorischer sowie gymnastischer Didaktik (Rh. Pr. 4, Hist. Conscr. 35). In dieser Schrift ist der Begriff ÍpÒsxesiw im Besonderen im Sinne einer literarischen Wegweisung gebraucht (Kap. 35); an herausgehobenen Stellen tritt der Autor programmatisch in der Pose eines Ratgebers in Sachen Geschichtsschreibung auf (Kap. 34: sumboÊlou, Kap. 6 und 35: sumboul∞w). met°rxesyai

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bzw. meti°nai §p€ ti bezeichnet in der Literatur im Besonderen das Übergehen von einem Thema zum nächsten, von einer Sache zur anderen, bzw. auch, im absoluten Sinne, das Voranschreiten in der Rede (Prom. 18, Hist. Conscr. 16, so auch metaba€nein in Kap. 50 und 57). Der betont bescheiden sich gebende Anspruch ˜pvw ín êmeinon (Kap. 5: êmeinon suntiy°nai) suggrãfoi tiw ist als demonstrative Bescheidenheitsgeste des sich als einen bloßen Ratgeber bezeichnenden Autors zu verstehen (vgl. u. a. die in ähnlichem Zusammenhang verwendeten Komparative yçtton und eÈmar°steron in Kap. 35).

efis‹ gãr tinew, o„ tå megãla m¢n t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta parale€pousin µ paray°ousin, ÍpÚ d¢ fidivte€aw ka‹ épeirokal€aw ka‹ égno€aw t«n lekt°vn µ sivpht°vn tå mikrÒtata pãnu lipar«w ka‹ filopÒnvw •rmhneÊousin §mbradÊnontew, ...

o„ tå megãla ... t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta parale€pousin µ paray°ousin: Gemeint sind gegenüber all dem weniger Wichtigen (Kap. 56: tå mikrå ka‹ ∏tton énagka›a) die für das Verständnis wesentlichen, bedeutenden Ereignisse, die pollå ka‹ megãla prãgmata (Kap. 20), welche, bereits im Proömium zum Zwecke der Erweckung von Aufmerksamkeit (prosoxÆ)

angekündigt (Kap. 53), vom Geschichtsschreiber einer ausreichenden Darstellung (Kap. 56: nach dem Verfahren des l°gein flkan«w tå megãla) zu würdigen sind. Das Adjektiv éjiomnhmÒneutow verwenden Historiker gerne, namentlich in ihren Erklärungen zu der von ihnen befolgten Methode, so, um einige Beispiele zu nennen, Xenophon (HG IV 8, 1: t«n prãjevn tåw m¢n éjiomnhmoneÊtouw grãcv, tåw d¢ mØ éj€aw lÒgou parÆsv) und Cassius Dio (XLVII 10, 1: §g∆ oÔn tÚ m¢n pãnta aÈtå ékrib«w kayÉ ßkaston §pejelye›n parale€cv (...), ì d¢ éjiomnhmÒneuta mãlista e‰nai nom€zv, dihgÆsomai).

Dasselbe trifft u. a. auf das inhaltlich verwandte Adjektiv éjiafÆghtow (Arr. An. I praef. 1: ... toÊtvn tå pistÒtera §mo‹ fainÒmena ka‹ ëma éjiafhghtÒtera §pilejãmenow, so bereits Hdt. I 177, vgl. D. C. XLVIII 50, 4) sowie das in ähnlichen Kontexten ungleich häufiger verwendete stereotype Idiom lÒgou êjiow (Th. III 90, 1: ì d¢ lÒgou mãlista êjia ..., toÊtvn mnhsyÆsomai, Hdn. II 15, 7: ... oÎte parale€pvn e‡ ti lÒgou ka‹ mnÆmhw êjion, u. ö.) zu. Die beiden Verba parale€pein und paraye›n (in umgekehrter Reihenfolge nebeneinandergestellt in Kap. 56) unterscheiden sich in der Bedeutung insoferne, als ersteres „etwas (gänzlich) beiseite lassen“ (praeterire bzw. praetermittere) und zweiteres (Kap. 57) „etwas (nur) flüchtig streifen“ (leviter perstringere bzw. transcurrere, so auch paratr°xein in Kap. 28) bedeutet (so zutreffend Reitz 1743, 35 und Hermann 1828, 169). Weitere Belege zu dem hier angesprochenen Themenbereich finden sich im Kommentar zu Kap. 56: efi paray°oiw m¢n ta mikrå ka‹ ∏tton énagka›a, l°goiw d¢ flkan«w tå megãla. ÍpÚ d¢ fidivte€aw ka‹ épeirokal€aw ka‹ égno€aw t«n lekt°vn µ sivpht°vn tå mikrÒtata pãnu lipar«w ka‹ filopÒnvw •rmhneÊousin §mbradÊnontew: Unter der fidivte€a (Abd. 7: hier bezieht sich ÍpÉ fidivte€aw auf eine mangelnde Kompetenz bei der Diagnose und Heilung von man€a, Abd. 26: fidi≈t˙ ka‹ épe€rƒ fiatrik∞w, Abd. 13: tÒte m¢n fidi≈thn, nËn d¢ fiatrÒn) ist ein fachliches

Dilettantentum zu verstehen, welches über das für ein bestimmtes Gebiet unverzichtbare Fachwissen (t°xnh) nicht verfügt (Bis Acc. 33, Merc. Cond. 30, vgl. Im. 13), ein Mangel an Bildung (Dom. 2, Nigr. 24), im Besonderen mit Bezug auf ein nicht vorhandenes Urteilsvermögen auf literarischem Gebiet (Lex. 24). Die épeirokal€a („Geschmacklosigkeit“ bis hin zu „Abgeschmacktheit“, auch „Taktlosigkeit“) besteht in einem mangelnden Sensorium für richtiges Maß und adäquates Verhalten (Nigr. 21, Im. 21, Merc. Cond. 14); im Besonderen, bezogen auf literarische Darstellung, bezeichnet sie eine allzu große Weitschweifigkeit (Alex. 21: ¶sti d¢ ka‹ êlla pollå ..., œn oÈk énagka›on

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memn∞syai èpãntvn, …w mØ épeirÒkaloi e‰nai doko€hmen, Salt 33 und 35: tÚ går pãnta §pejiÒnta mhkÊnein tÚn lÒgon épeirÒkalon, Laps. 7, Abd. 26: in beiden Fällen mit spezieller Rechtfertigung für

weiteren Zusatz bzw. detaillierte Darstellung, zu dem literarkritischen Begriff vgl. auch Geigenmüllers 1908, 108 Definition: Fit igitur épeirÒkalon id, quod modum excedit). In dieser Schrift ist sie in Zusammenhang gebracht mit einem ermüdenden Verweilen bei einem einzigen Schauplatz (Kap. 50) oder ausufernden Ekphraseis (Kap. 57), bei denen die Gefahr, in den Fehler der épeirokal€a abzugleiten, naturgemäß besonders groß ist (ein Beispiel folgt sogleich in Kap. 28). An ethnographische Betrachtungen, wie sie namentlich aus der hellenistischen Literatur wohlbekannt sind (dazu Dihle 1961), ist bei dem geringen Niveau der kritisierten Autoren natürlich schon gar nicht zu denken (zu den ethnographisch–geographischen Interessen des Dionysios von Halikarnaß vgl. Burck 1964, 199–200, ohne Belege). Ursache für solche Maßüberschreitungen ist das Nichtwissen (Lukians Lehrschrift erfüllt ihren Sinn wesentlich darin, vorhandene intellektuelle Defizite zu beheben, so Kap. 8: ÖEti égnoe›n §o€kasin) über das, was einer Darstellung wert bzw. unwert ist (so Kap. 20: ÑUpÚ ... égno€aw t«n lekt°vn, allgemein und programmatisch Kap. 6: ... ka‹ m°tron •kãstou ka‹ ì sivpht°on ka‹ oÂw §ndiatript°on ...). Bereits Polybios (VII 7, 6) übte Kritik am Aufbauschen von Unwesentlichem nach dem Verfahren des tå mikrå megãla poie›n ka‹ per‹ t«n mhd¢ mnÆmhw éj€vn polloÊw tinaw diat€yesyai lÒgouw. Das Adjektiv liparÆw in der Bedeutung von „beharrlich“ (vgl. den Kommentar zu Kap. 1: lipare› t“ puret“ mit dem Aspekt der Hartnäckigkeit) bringt Lukian auch sonst in Zusammenhang mit Aufwand an Mühe (Abd. 4: pÒnƒ poll“ ka‹ proyum€& lipare› xrhsãmenow §j°mayon tØn t°xnhn, vgl. Herm 24). In dieser Schrift erscheint der pÒnow als eine zentrale Voraussetzung ebenso für sachliche Recherche (Kap. 47: filopÒnvw) wie für sprachliche Darstellung (Kap. 34: sunexe› t“ pÒnƒ), im gegebenen Fall jedoch ist er angesichts der geringen Bedeutung des Objektes fehl am Platze. Das Verbum §mbradÊnein („dabei verweilen“) dürfte wohl nicht attischem Wortschatz entstammen, denn vor Lukian (Hipp. 6, Dom. 3 und 23: Kontrast zwischen paradram≈n und §mbradÊnontaw d¢) ist es nirgendwo belegt.

... Àsper ín e‡ tiw toË DiÚw toË §n ÉOlump€& tÚ m¢n ˜lon kãllow tosoËto ka‹ toioËto ¯n mØ bl°poi mhd¢ §paino› mhd¢ to›w oÈk efidÒsin §jhgo›to, toË Ípopod€ou d¢ tÒ te eÈyuerg¢w ka‹ tÚ eÎjeston yaumãzoi ka‹ t∞w krhp›dow tÚ eÎruymon, ka‹ taËta pãnu metå poll∞w front€dow dieji≈n.

§paino›: diese bestbezeugte Lesart (vgl. die textkritischen Apparate von Homeyer 1965, 130 und

Macleod 1980, 304), nahm bereits Reitz 1743, 35 in seinen Text auf, danach erst wieder Macleod 1980, 304; [vgl. dazu Ind. 18: §paino›, Hist. Conscr. 14: poio›, Gall. 20: poio›w]; §paino€h: so die Mehrheit der Herausgeber; dieji≈n: so die Mehrheit der Herausgeber, Sinn: „und zwar indem er auch dies ...“; diese in G überlieferte Lesart (so auch Ea) ist allerdings nicht so abwegig, wie sie von Fritzsche 1860, 72 beurteilt wurde (et absurdum est participium), diej€oi: bereits Solanus (Reitz 1743, 36) hielt diej€oi für die ursprünglichere Lesart (videturque prius fuisse diej€oi, quod magis arridet), Macleod 1980, 304: fort. E1; diejio€h: so, weniger gut begründet [vgl. dazu Hist. Conscr. 39 und Herm 52], Bekker 1853, 31, Fritzsche 1860, 72, Sommerbrodt 1878, 31. toË DiÚw toË §n ÉOlump€& tÚ m¢n ˜lon kãllow tosoËto ka‹ toioËto ¯n: Auf den Zeus von Olympia

(einschlägige Literatur bei Bäbler, in: Klauck / Bäbler 2000, 217–238, bes. 217) nimmt Lukian mehrfach als auf das paradigmatische Meisterwerk des Phidias Bezug (Somn. 8, Par. 2, Peregr. 6,

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anekdotisch Pr. Im. 14), dessen das verwendete Material (zum banalen Innenleben chryselephantiner Kolossalstatuen Gall. 24) vergessen lassenden und solcherart übersteigenden Gesamteindruck er in die ungewöhnlich pathetischen Worte faßt: ofl pariÒntew §w tÚn ne∆n oÎte tÚn §j ÉInd«n §l°fanta ¶ti o‡ontai ırçn oÎte tÚ §k t∞w Yrñkhw metalleuy¢n xrus€on éllÉ aÈtÚn tÚn KrÒnou ka‹ ÑR°aw, §w tØn g∞n ÍpÚ Feid€ou metƒkism°non ka‹ tØn Pisa€vn §rhm€an §piskope›n kekeleusm°non (Sacr. 11).

Dieses Werk, eines der sieben Weltwunder (vgl. Kap. 23: Koloß von Rhodos, Kap. 63: Leuchtturm von Pharos), stellte den aus Gold und Elfenbein gestalteten Göttervater auf einem mit Gold, Steinen, Ebenholz und Elfenbein verzierten Thron (yrÒnow) in aufrechter Haltung sitzend dar (die detaillierteste antike Beschreibung gibt Paus. V = Elis I 11, bes. 1–9). Die antike Kunstkritik (die einschlägigen Quellen sind gesammelt von Overbeck 125–136, ausgewählte Texte in Übersetzung bei Brodersen 1996, 58–69) weiß an diesem Werk vor allem Größe (m°geyow) und Schönheit (kãllow) zu rühmen (z. B. Plu Sull. 17, 2, D. Chr. or. 12, 63). Strabon (VIII 3, 30 = C 353) zufolge erweckte die Statue den Eindruck, Zeus würde, wenn er aufstünde, den Tempel abdecken. Der von Strabon (VIII 3, 10 = C 354) unmittelbar darauf genannte Iambos des Kallimachos, in dem die Maße der Statue genannt worden seien, ist nunmehr durch Papyrusfunde zumindest teilweise zugänglich (6. Iambos: Pfeiffer I 188–191). Demnach war der Thron 20 Fuß breit und 30 Fuß hoch, und der Gott überragte den Thron noch um weitere 5 Ellen, was eine Gesamthöhe von mehr als zwölf Metern ergibt (Pfeiffer 1941, bes. 3 und Pfeiffer I 190, Anm. zu V. 37 sq.). Lukians Formulierung kãllow tosoËto meint nicht bloß das so große Ausmaß an Schönheit, sondern mehr den überwältigenden Eindruck, welcher von der gewohnte Dimensionen bei weitem sprengenden Kolossalstatue insgesamt auf den Betrachter ausging. Deren Schönheit wird von der antiken Kunstkritik allenthalben, zumeist im Ton der Emphase, gerühmt (z. B. D. Chrys. or. 12, 25: pãntvn, ˜sa §st‹n [Overbeck 129, Nr. 705: ¶stin] §p‹ g∞w égãlmata, kãlliston ka‹ yeofil°staton). In Kap. 51 schließlich wird der historiographische Produktionsvorgang mit dem Schaffen des Phidias verglichen. toË Ípopod€ou d¢ tÒ te eÈyuerg¢w ka‹ tÚ eÎjeston ... ka‹ t∞w krhp›dow tÚ eÎruymon: Unter dem ÍpopÒdion (nach Ath. V 192 e ist das ÍpopÒdion dem yrÒnow zugeordnet, bei Homer yr∞nuw, vgl. dazu auch s. v. yran€on Suid., Adler II 725, Z. 25–26 und Hesych, Latte II 327) ist der von Pausanias (V = Elis I 11, 7) ÍpÒyhma (erklärt durch die attische Bezeichnung yran€on) genannte Fußschemel

zu verstehen, auf welchem der Gott seine Füße abstützte. Pausanias zufolge hatte dieser goldene Löwen (wohl Stützfiguren, so Lippold 1938, Sp. 1922), und es war auf ihm der Kampf des Theseus gegen die Amazonen dargestellt. Das Hapax Legomenon tÚ eÈyuerg°w meint nach dem Richtscheit ausgerichtete, handwerklich exakt durchgeführte Maßarbeit. Unter der krhp€w (lat. crepido, Belege zum Anwendungsbereich des Begriffs bei Bieber 1922, Sp. 1710–1711) ist die von Pausanias (V = Elis I 11, 8) bãyron genannte, den mächtigen Thron abstützende Basis zu verstehen, auf welcher goldene Relieffiguren (xrusç poiÆmata) angebracht waren, wohl im Zentrum die Geburt der Aphrodite aus dem Meer, wie sie gerade von Eros empfangen und von Peitho bekränzt wird, umgeben vom Reigen der olympischen Götter. Die harmonische Komposition ist mit dem Begriff tÚ eÎruymon (vgl. bes. Dom. 5–6: tÚ eÎruymon und tÚ sÊmmetron sind geradezu Synonyme) bezeichnet. Mag dies alles auch im Detail perfekt gestaltet sein, so wäre es doch, so die unmißverständliche Aussage der Stelle, allzu pedantisch, darüber den überwältigenden Gesamteindruck der kolossalen Statue zu vernachlässigen. Denn, um es mit den Worten Strabons (I 1, 23 = C 13) zu sagen: kayãper te ka‹ §n to›w kolossiko›w ¶rgoiw oÈ tÚ kayÉ ßkaston ékrib¢w zhtoËmen, éllå to›w kayÒlou pros°xomen mçllon, efi kal«w tÚ ˜lon (vgl. aus etwas anderer Perspektive Plb. I 4, 9: ¶nnoian m¢n går labe›n épÚ m°rouw t«n ˜lvn dunatÒn,

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§pistÆmhn d¢ ka‹ gn≈mhn étrek∞ sxe›n édÊnaton). Avenarius 1956, bes. 108–111 erblickt darin eine

feste Kunstlehre, die gleichermaßen auch für Dichtung und Rhetorik Gültigkeit habe, und er führt diese Kunstlehre auf Gorgias zurück. Doch Polybios (I 4, 6–11), ein von Scheller 1911, 47 außer Acht gelassener, aufschlußreicher Passus erscheint für adäquaten Nachvollzug der entsprechenden historiographischen Anschauungen bei weitem förderlicher.

Kapitel 28 Nachdem in Kapitel 27 das Thema ausufernder Detailschilderungen auf allgemeiner Ebene abgehandelt worden war, folgt nun das Beispiel eines Anonymus, dessen sich in erster Linie an Unwesentlichem orientierende Darstellungsweise als Objekt der Kritik erscheint. Dieser Autor habe sich in einer für das Verständnis der hochbrisanten militärischen Vorgänge im Zusammenhang mit der Schlacht bei Europos völlig irrelevanten Weise in endlosen Episoden ergangen (mËyoi ... makro‹ ka‹ dihgÆseiw) und im Detail alles erzählt, was der vom Durst getriebene maurische Reiter Mausakas bei seinem Umherstreifen durch die Wälder so alles erlebt habe. Dabei habe er auch nicht Abstand genommen von einer epischen Stilisierung (der Geschenketausch ist, ohne daß dies explizit ausgesprochen wird, nach Homer ausgestaltet). Insgesamt repräsentiere dieser wunderliche Autor also das Unwissen darum, was wichtig sei und was nicht, die êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn (Kap. 20 und bes. 27), und seiner Darstellung eigne die Eigenschaft der Abgeschmacktheit, der cuxrÒthw (vgl. Kap. 16 und bes. 19: Ekphrasis des Schildes des Lucius Verus). Lukian in seiner Eigenschaft als der Autor malt die Episodenhaftigkeit dieses Berichtes genüßlich aus, und dabei bedient sich das AutorIch u. a. auch der Form der praeteritio (pÒsa êlla ... •k∆n §g∆ par€hmi). Das kräftig angewandte Stilmittel der Ironie (ı yaumastÚw suggrafeÁw und êlla pollå toiaËta t∞w §pÉ EÈr≈pƒ mãxhw aÈtå dØ tå kefãlaia sowie auch ëper efi mØ §neg°grapto §pimel«w tª flstor€&, megãla ín ≤me›w ±gnohkÒtew ∑men, ktl) kennzeichnet den Berichtston.

ÉEg∆ goËn ≥kousã tinow tØn m¢n §pÉ EÈr≈pƒ mãxhn §n oÈdÉ ˜loiw •ptå ¶pesi paradramÒntow, e‡kosi d¢ m°tra µ ¶ti ple€v Ïdatow énalvkÒtow §w cuxrån ka‹ oÈd¢n ≤m›n prosÆkousan diÆghsin …w MaËrÒw tiw flppeÁw Mausãkaw toÎnoma ÍpÚ d€couw plan≈menow énå tå ˆrh katalãboi SÊrouw tinåw t«n égro€kvn êriston paratiyem°nouw ka‹ tå m¢n pr«ta §ke›noi fobhye›en aÈtÒn, e‰ta m°ntoi mayÒntew …w t«n f€lvn e‡h kated°janto ka‹ eflst€asan: ka‹ gãr tina tuxe›n aÈt«n épodedhmhkÒta ka‹ aÈtÚn §w tØn t«n MaÊrvn, édelfoË aÈt“ §n tª gª strateuom°nou.

tå m¢n pr«ta: Kassel 1973, 108 und Macleod 1980, 304 folgen zu Recht als einzige G und E; ˜ti tå m¢n pr«ta: so fast alle modernen Herausgeber, doch handelt es sich hierbei lediglich um eine unnötige Schreiber–Hinzufügung in E (Ea). ÉEg∆ goËn ≥kousã tinow tØn m¢n §pÉ EÈr≈pƒ mãxhn §n oÈdÉ ˜loiw •ptå ¶pesi paradramÒntow:

In der Schlacht bei Europos, wahrscheinlich nördlich von Dura-Europos (zur Lokalisierung des Schlachtfeldes vgl. den Kommentar zu Kap. 20: §p‹ ... EÈr≈pƒ), errangen die Römer unter Avidius Cassius im Jahr 165 n. Chr. einen für die weiteren Erfolge grundlegenden Sieg über die Parther. Zum Idiom §n oÈdÉ ˜loiw •ptå ¶pesi (zu einem weiteren Beispiel für unangemessene Kürze bei Wesentlichem vgl. den Kommentar zu Kap. 30: ˜sa §n ÉArmen€&, ˜sa §n Sur€& ktl, der analoge Ausdruck lautet dort: pentakos€oiw oÈdÉ ˜loiw ¶pesi) vgl. ähnliche Formulierungen innerhalb literarkritischer Zusammenhänge im Odysseekommentar des Eustathios (Eust. I 90, Z. 38–39 zu b

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174: Ka‹ ˜ra sÊnocin t∞w ÉOdusse€aw §ntaËya §n oÈd¢ ˜loiw tris‹ st€xoiw und Eust. II 202, Z. 44–45 zu t 271: §pit°mnontow ÉOduss°vw prÚw tØn guna›ka tã te katå Yrinak€an ka‹ tå katå Fa€akaw §n st€xoiw oÈd¢ ˜loiw Ùkt≈, u. ö.). Der üblicherweise in erster Linie von Versen gebrauchte Plural tå ¶ph (so auch Kap. 57: pÒsoiw ín o‡ei ¶pesi) bezeichnet mit Bezug auf die prosaische Darstellung die Zeilen (Kap. 19: ÑHrãkleiw, ˜sai muriãdew §p«n ßkaston toÊtvn). Das Verbum paratr°xein bedeutet „etwas bloß flüchtig streifen“ (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 27: o„ tå megãla ktl). e‡kosi d¢ m°tra µ ¶ti ple€v Ïdatow énalvkÒtow §w cuxrån ka‹ oÈd¢n ≤m›n prosÆkousan diÆghsin: Der Begriff m°tron, der sich auch sonst auf die Zeit beziehen kann (LSJ s. v. m°tron 3 a), ist hier

klar in der besonderen Bedeutung des einem Redner zugestandenen Zeitmaßes zu verstehen (die für eine Gerichtsrede zugemessene Redezeit wird in attischer Gerichtspraxis mit dem terminus technicus diamemetrhm°nh ≤m°ra bezeichnet, so u. a. Arist. Ath. 67, 3, früheste Bezugnahme darauf bei X. HG I 7, 23 im Zusammenhang mit dem Arginusenprozeß). Meßinstrument war die erstmals von Aristophanes (Ach. 693) erwähnte Wasseruhr (klecÊdra, dazu Thalheim 1921 und Dohrn–van Rossum 2002, bes. Sp. 973–974), ein Gefäß mit einem kleinen Durchlaß am Boden, durch welchen das Wasser ablaufen konnte. Besondere Bedeutung erhielt diese durch die von Pompeius während seines dritten Konsulats im Jahr 52 v. Chr. eingeführte Beschränkung der Redezeit (Tac. Dial. 38, 1–2, früher dagegen: modum dicendo sibi quisque sumebat), und sie war auch in der Kaiserzeit noch lange in Gebrauch (Unger 1892, 780, vgl. Aristid. or. 26, Dindorf I 529, Z. 5–6: p°nte d¢ m°trvn §kperany°ntvn). Ein Brief des Plinius d. J. an Arrianus Maturus (II 11, vom Jan. / Feb. 100 n. Chr.) beinhaltet eine für kaiserzeitliche Gepflogenheiten aufschlußreiche Stelle. Plinius sagt hier (Ep. II 11, 14) mit Bezug auf ein von ihm vor dem Kaiser und dem Senat gehaltenes Plädoyer: dixi horis paene quinque; nam duodecim clepsydris, quas spatiosissimas acceperam, sunt additae quattuor. Üblicherweise machte das Ablaufen einer klecÊdra 15 Minuten aus, was eine reguläre Redezeit von 3 Stunden ergeben hätte. Für diesen besonderen Fall wurde Plinius aber nicht nur eine weitere Stunde zugebilligt, wodurch sich die Redezeit bereits auf 4 Stunden erhöht hätte, sondern man ließ offensichtlich in diesem hochbrisanten Prozeß die Wasseruhr zusätzlich noch langsamer als gewöhnlich (statt üblicher 15 also ca. 18 Minuten) ablaufen (clepsydris, quas spatiosissimas acceperam), was für Plinius eine faktische Redezeit von nahezu 5 Stunden ergab (vgl. dazu den Kommentar von Sherwin–White 19853, 167). Lukian selbst verwendet das Bild der Wasseruhr auch in Pr. Im. 29, wo er Polystratos den Monolog des Lykinos mit diesen Worten kommentieren läßt: makrå går e‡rhta€ soi ka‹ taËta, ka‹ Íp¢r tÚ Ïdvr tÚ §gkexum°non. Im Klepsydrion, über das Philostratos (VS II 10, 585–586) berichtet, ist die Redezeit des Herodes Atticus mit §w •katÚn ¶ph bestimmt. Ein Vergleich von Historiker und Richter findet sich zu Beginn von Kap. 38 (es geht hier um unbestechliche Objektivität). Den Begriff diÆghsiw (narratio) verwendet Lukian im dritten und didaktischen Teil dieser Schrift (Kap. 55) zur Bezeichnung der gesamten, auf das Proömium folgenden Geschichtserzählung (ëpan går étexn«w tÚ loipÚn s«ma t∞w flstor€aw diÆghsiw makrã §stin). Hier jedoch (und dasselbe trifft im folgenden Satz auf den Plural dihgÆseiw zu) dient er zur Bezeichnung einer bloßen Episode, einer ausufernden Ekphrasis von der Art, wie sie in dieser Schrift auch sonst mittels des abqualifizierenden Prädikats der Abgeschmacktheit (vgl. dazu Kap. 19: tosaÊth cuxrÒthw §n∞n ktl, zum literarkritischen terminus tÚ cuxrÒn vgl. besonders auch den Kommentar zu Kap. 16: tÚ proo€mion Íp°rcuxron §po€hsen) bewertet ist. MaËrÒw tiw flppeÁw Mausãkaw toÎnoma: Der maurische (die Form MaËrow verwenden griechische Schriftsteller als Alternative zu MauroÊsiow erst in der Kaiserzeit unter Einfluß der seit dem 1. Jh. v.

Chr. gebräuchlichen lateinischen Bezeichnung Maurus, Belege bei Weinstock 1930, Sp. 2348–2349) Reiter ist historisch gesehen ganz unbedeutend und daher ansonsten unbekannt (Stein 1930 kennt

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außer Lukian keinen einzigen weiteren Beleg), wenn auch deswegen keineswegs zwangsläufig eine freie lukianische Fiktion ohne jeden realen Bezug (Anderson 1976 a 60 stellt einzig einen Vergleich mit Tox. 44–55 an). Mauretanien (zu den mauretanischen Provinzen Thomasson 1982, bes. 30–39, Bibliographie 50–61, der Name des römischen Statthalters zur Zeit der Partherkriege ist unbekannt, so Thomasson 1973, Sp. 309), welches das Gebiet des heutigen Marokko sowie einen Teil Algeriens umfaßte, war berühmt für seine schwer zu bekämpfenden Reiter und kriegstauglichen Pferde (Paus. VIII 43, 3, Str. XVII 3, 7 = C 828, Suid. s. v. MaroÊsioi, Adler III 338, bes. Z. 6–7: sie sind éprÒsmaxoi, ihre hervorstechenden Eigenschaften sind tÒlmh und ÙjÊthw). Bereits Hannibal hatte sich mauretanischer Verbände bedient (Plb. III 33, 15: dies ist übrigens der früheste Beleg für die Bezeichnung MauroÊsioi), in jüngerer Vergangenheit tat Trajan in seinen dakischen Kriegen dasselbe, und, wie vorliegende Stelle zeigt (prospektiv Kap. 31: MaÊrvn mo›ra Ùl€gh sÁn Kass€ƒ), sind sie auch im Partherkrieg des Lucius Verus auf römischer Seite zu finden. Später kämpfen sie höchst einsatzfreudig auf der Seite ihres aus dem mauretanischen Caesarea gebürtigen Landsmannes Macrinus (D. C. LXXVIII = LXXIX 32, 1, im Jahr 218 n. Chr.) sowie auch des Maximinus Thrax (vgl. Hdn. VII 2, 1: maurusische Bogenschützen in großer Zahl als Unterstützung im Kampf gegen die Germanen, im Jahr 235 n. Chr.), in späterer Kaiserzeit in den orientalischen Provinzen. …w ... plan≈menow énå tå ˆrh katalãboi SÊrouw tinåw t«n égro€kvn êriston paratiyem°nouw: Die Präposition énã + Akkusativ bedeutet hier (auf den Bergen) „ringsumher“ bzw. „hin und her“ (X. Cyr. II 4, 28: tr°xein énå tå ˆrh [hier schwingt allerdings die Konnotation „bergaufwärts“ mit], auch in Verbindung mit einem statischen Verbum, so X. An. III 5, 16: ofike›n énå tå ˆrh, „auf den Bergen“) und unterscheidet sich klar von diã + Genetiv = „durch ... hindurch“ (DMort. 6, 2, DDeor. 20, 1 und 23, 2: diå t«n Ùr«n). Zu der Formulierung plan≈menow énå tå ˆrh ist zu vergleichen X. Cyr. II 4, 27: oÈx ≤gemÒnaw ¶xvn ényr≈pouw planò énå tå ˆrh (Kyros über und zu Chrysantas). Die Verwendung des Verbums katalambãnein in der Bedeutung von „vorfinden“ (bei Lukian

Gall. 10, Nigr. 2, Icar. 22, Alex. 55, Somn. 16, Abd. 4, u. ö.) entspricht durchaus dem klassischen Sprachgebrauch (so Pl. Prt. 311 a, Smp. 174 d: éneƒgm°nhn katalambãnein tØn yÊran, u. ö.). Die etwas gespreizt wirkende Formulierung SÊrouw tinåw t«n égro€kvn (vgl. Tox. 16: êllon tinå Kr∞ta nean€skon t«n ÍpoxrÊsvn §yÆra) anstelle des naheliegenderen égro€kouw tinåw Sur€ouw erklärt sich daraus, daß der Aspekt auf der für die Pointe der Erzählung wesentlichen Herkunft (Gegensatz maurisch und syrisch) liegen soll. Sich ein Frühstück zuzubereiten, wird üblicherweise durch das neutrale éristopoie›syai ausgedrückt, doch hier bestand wohl die besondere erzählerische Absicht des Anonymus eben darin, den Vorgang des Auftragens der Speisen mittels einer Detailschilderung plastisch, wie er glaubte, auszumalen (das Verbum paratiy°nai bezeichnet im Aktiv das Servieren, so bereits X. Cyr. VIII 8, 20: toÁw ... paratiy°ntaw: das Servierpersonal). édelfoË aÈt“ §n tª gª strateuom°nou: Der Umstand, daß syrische Soldaten während des 2.

Jhs. n. Chr. in Mauretanien tatsächlich aktiv waren, ist durch das von Euzennat 1971 vorgelegte epigraphische Material gut dokumentiert. Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Forschungstrend, welcher Lukian im skommatisch–lehrhaften Teil dieser Schrift (Kap. 14–32) weitgehendes Operieren mit fiktionalen Elementen unterstellt, unbedingt zu korrigieren bzw. zu relativieren (so richtig Jones 1986, 62). Homeyers 1965, 232 Vergleich mit Arrians Bericht über die vom Heer versprengten Soldaten des Nearchos und deren sentimentalisch ausgestaltetes Treffen auf einen Griechen (Ind. 33, bes. 3–6, weitere Stellen aus Arrian zieht Anderson 1980, 123 zum Vergleich heran) reicht daher keineswegs aus, um den Eigenwert der hier berichteten Erzählung des Anonymus zu erklären.

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mËyoi tÚ metå toËto makro‹ ka‹ dihgÆseiw …w yhrãseien aÈtÚw §n tª Maurous€& ka‹ …w ‡doi toÁw §l°fantaw polloÁw §n t“ aÈt“ sunnemom°nouw ka‹ …w ÍpÚ l°ontow Ùl€gou de›n katabrvye€h ka‹ ≤l€kouw fixyËw §pr€ato §n Kaisare€&. ka‹ ı yaumastÚw suggrafeÁw éfe‹w tåw §n EÈr≈pƒ gignom°naw sfagåw tosaÊtaw ka‹ §pelãseiw ka‹ spondåw énagka€aw ka‹ fulakåw ka‹ éntifulakåw êxri baye€aw •sp°raw §feistÆkei ır«n Malx€vna tÚn SÊron §n Kaisare€& skãrouw pammeg°yeiw éj€ouw »noÊmenon. efi d¢ mØ nÁj kat°laben, tãxÉ ín ka‹ sunede€pnei metÉ aÈtoË ≥dh t«n skãrvn §skeuasm°nvn.

êxri: in G und E steht ka‹ êxri, doch in einer nachträglichen Schreiber–Korrektur (Ea) ist dieses ka‹ zu Recht getilgt, vgl. Nesselrath 1984, 599; ka‹ êxri: so Macleod 1980, 305; tãxÉ ín: Schaefers Konjektur tãxÉ ín für das überlieferte tãxa (so noch Reitz 1743, 37) wurde seit Hermann 1828, 35 von allen Herausgebern zu Recht in ihre Texte aufgenommen; ≥dh: In G und E findet sich die kaum zutreffende Lesart ≥dh d¢, doch wurde das d¢ durch Ea getilgt; danach die modernen Herausgeber zu Recht ≥dh; ≥dh [d¢]: Macleod 1980, 305. mËyoi ... makro‹ ka‹ dihgÆseiw: Die beiden pluralischen Begriffe mËyoi (zu den beiden unterschiedlichen Bedeutungen von mËyow im Singular vgl. Kap. 8 und 60) und dihgÆseiw (zur neutralen Bedeutung von diÆghsiw im Singular vgl. Kap. 55) bezeichnen im Sinne eines Hendiadyoins sich unmotiviert

verselbständigende Episoden ohne inneren Zusammenhang mit den wesentlichen Ereignissen. Das Adjektiv makrÒw („ausgedehnt“) erscheint in dieser Schrift mit Ausnahme einer einzigen Stelle (Kap. 55) negativ konnotiert; es bezeichnet eine sachlich unbegründete, unmäßige Weitschweifigkeit (bes. Kap. 23 und 30, vgl. 57 und 6). …w yhrãseien aÈtÚw §n tª Maurous€& ka‹ …w ‡doi toÁw §l°fantaw polloÁw §n t“ aÈt“ sunnemom°nouw ka‹ …w ÍpÚ l°ontow Ùl€gou de›n katabrvye€h: Die häufigste griechische Bezeichnung für Mauretanien ist ≤ Maurous€a (besonders oft und regelmäßig bei Strabon), seltener findet sich

unter lateinischem Einfluß (Mauretania bzw. Mauritania, seit dem 1. Jh. v. Chr. belegt) die Form ≤ Mauritan€a (regelmäßig bei Cassius Dio). Elephanten, namentlich aus den mauretanischen Bergregionen (barkidische Münzen in Spanien zeigen auf dem Revers Elephanten aus Mauretanien und Numidien, Scullard 1974, 148 und pl. XXI b, d, f), waren bekannt (Str. XVII 3, 4 = C 827, Plin. Nat. V 1, 18; VIII 5, 15 und 11, 32, Ael. NA VII 2: Bericht über eine erfolglose Jagd nach den unter göttlichem Schutz stehenden Tieren). Elephanten (Belege bei Wellmann 1905, bes. Sp. 2251) sind Herdentiere (Plin. Nat. VIII 5, 11, Ael. NA VII 15 und 36: die Gefährten sÊnnomoi genannt, vgl. Lukian: §n t“ aÈt“ [sc. tÒpƒ] sunnemom°nouw), die nur in Notwehr von sich aus angreifen. Gejagt wurden sie mittels Fallgruben (Plin. Nat. VII 8, 24 mit explizitem Bezug zu afrikanischen Verhältnissen, Ael. NA VIII 10). Nach Strabon (XVII 3, 4 = C 827) brachte Mauretanien neben Elephanten, Schlangen, Gazellen und Antilopen (Bubalis Mauretanica, Hdt. IV 192, 1) auch Löwen und Panther reichhaltig hervor (leÒntvn te ka‹ pardãlevn pantodapØ trofÚw ≤ x≈ra §st€). Seneca (Brev. Vit. 13, 6) zufolge ließ als erster L. Sulla im Zirkus losgebundene Löwen (Plin. Nat. VIII 20, 53 benennt die Zahl mit 100 und bestimmt das Datum mit Sullas Prätur im Jahr 93 v. Chr.) vorführen und diese durch von König Bocchus eigens zu diesem Zweck entsandte Schleuderer erlegen. Auch wenn es nicht explizit ausgesagt ist, so legt doch der Kontext nahe, dabei gleichfalls an mauretanische Löwen zu denken (die Quellen bei Weinstock 1930, Sp. 2347). Das drastische Verbum katabibr≈skein (Demon. 35: ÍpÚ fixyÊvn) wird auch sonst lediglich gebraucht vom animalischen Verschlingen durch Tiere oder tierische Wesen (D. S. XVIII 35, 6, Arist. HA VIII = IX 48, 631 a 20, Hdt. III 16, 4, Ath. VIII 346 e und XIII 610 d).

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ı yaumastÚw suggrafeÁw éfe‹w tåw §n EÈr≈pƒ gignom°naw sfagåw tosaÊtaw ka‹ §pelãseiw ka‹ spondåw énagka€aw ka‹ fulakåw ka‹ éntifulakåw: Die im skommatisch–lehrhaften Teil dieser Schrift (Kap. 14–32) in stereotyper Weise gebrauchten Worte (ı) yaumastÚw suggrafeÊw (so Kap.

24, 29 und 31) markieren stets den Gipfel der jeweils erreichten Absurdität. Im konkreten Fall besteht diese in völliger außer Achtlassung (éfe‹w, dafür sonst das Verbum parale€pein, Kap. 27 und 56) sämtlicher militärischer Operationen im Zusammenhang mit der Schlacht bei Europos, über welche im übrigen kein einziger antiker Bericht vorliegt. Auch was bei Lukian darüber mitgeteilt wird, ist reichlich unspezifisch, zeigt aber zumindest, daß das Treffen von den Römern nicht ohne Verluste gewonnen wurde (Kap. 20: Richtigstellung absurder Verlustzahlen). Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, die Details der Schlacht, welche hier lediglich genannt wird, genau zu bestimmen. Das Substantiv §p°lasiw und das Verbum §pelaÊnein (sie bezeichnen den Anmarsch bzw. die Attacke, Kap. 3 und 31, Tox. 36) verwendet Lukian allgemeinem Usus entsprechend (z. B. Arr. An. V 16, 4) öfter mit Bezug auf einen Reiterangriff (Nav. 36–37, Zeux. 9, DMort. 22, 4, DMeretr. 13, 1). Das Adjektiv énagka€aw ist in passivischem Sinn zu verstehen und bedeutet „erzwungen“. Der Begriff éntifulaka€ kommt ansonsten einzig bei Thukydides (II 84, 3: nur hier im Singular) und Cassius Dio (Exzerpt des Xiphilinos: D. C. LXXVII = LXXVIII 2, 1: die gegenseitigen Komplotte und Abwehrmaßnahmen der Brüder Antoninus und Geta) vor. Besonders letztere Stelle zeigt klar, was hier konkret gemeint ist, „Schutzvorkehrungen“ und auf diese wiederum reagierende „Gegenschutzvorkehrungen“. ka‹ ≤l€kouw fixyËw §pr€ato §n Kaisare€& ... êxri baye€aw •sp°raw §feistÆkei ır«n Malx€vna tÚn SÊron §n Kaisare€& skãrouw pammeg°yeiw éj€ouw »noÊmenon: Die Bezeichnung Kaisãreia = Caesarea

(Dessau 1899, neueres Material bearbeitet von Leveau 1982 und 1984) geht zurück auf König Iuba II., der, als er im Jahre 25 v. Chr. von Augustus mit der Herrschaft über ganz Mauretanien belehnt wurde, das ehemalige, nunmehr von ihm in Caesarea umbenannte Iol (heute Cherchel) zu seiner Hauptstadt machte (Str. XVII 3, 12 = C 831, Plin. Nat. V 1, 20, Mela I 6, 30, Eutrop VII 10, 3, es war nicht das einzige Caesarea, das zu dieser Zeit gegründet wurde, Suet. Aug. 60). Nach der Annexion von Mauretanien durch die Römer unter Caligula (40 n. Chr.) wurde das Land unter Claudius (zwei Jahre später) in zwei Provinzen geteilt; Hauptstadt von Mauretania Caesariensis wurde Caesarea, von Mauretania Tingitana Tingis (D. C. LX 9, 5: die beiden Städte sind namensgebend für die beiden jeweils zugeordneten Provinzen). Mit Kappadokien (so lapidar Homeyer 1965, 232, richtig bereits in der Nachfolge von Lehmann Hermann 1828, 175, so Macleod 1991, 296 und Piras / Canfora 2001, 130) hat das natürlich nichts zu tun, auch nicht mit Syrien (so Gossen / Steier 1921, Sp. 364). Beim skãrow (lat. scarus, dazu Gossen / Steier 1921) handelt es sich um den Papageifisch, über dessen Schmackhaftigkeit (besonders positiv bewertet von Epicharm, PCG I Fr. 48, 3: skãrouw, t«n oÈd¢ tÚ skår yemitÚn §kbale›n yeo›w, vgl. Hor. S. II 2, 22) in der Antike unterschiedlich geurteilt wurde (charakteristisch für diese ambivalente Bewertung ist Mart. XIII 84, 2: visceribus bonus est, cetera vile sapit). In Caesarea konnte man zumindest nach Auskunft dieser Stelle besonders große Exemplare (Gossen / Steier 1921, Sp. 364 kennt ansonsten keinen Beleg dafür, über die Größe der skãroi bei Kalchedon und Byzantion und deren Zubereitung schreibt Archestratos, SH 52 Fr. 144 = Ath. VII 320 b) preisgünstig (Belege zu êjiow in dieser Bedeutung [LSJ s. v. êjiow I 3 b: good value for the money, i. e. cheap] bei Hermann 1828, 177 und besonders bei Diggle 20052, 201) kaufen. Moeris zufolge ist êjiow die attische Bezeichnung für eÎvnow (éjivt°raw ÉAttiko€, eÈvnot°raw ÜEllhnew, Bekker, Harp. 190, Z. 21). Aristophanes (V. 491, Eq. 645, 672 und 894–95) und andere Komiker gebrauchen das Wort in dieser speziellen Bedeutung, danach verwenden es attische Prosaautoren (X. Vect. 4, 6, Lys. or. 22, 8), Theophrast (Char. 3, 3 und 17, 6) und schließlich, in dieser Tradition stehend, Lukian (DMort. 14,

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1, Herm 58). Die Junktur êxri baye€aw •sp°raw gebraucht Lukian auch sonst (Bacch. 7 und Gall. 8). Die Kombination des Adjektivs baye›a mit •sp°ra findet sich frühestens bei Plutarch (Cat. Mi. 58, 7, Aem. 22, 1, u . ö.) und ist bei Autoren vom 2. Jh. n. Chr. an überhaupt häufiger anzutreffen. efi d¢ mØ nÁj kat°laben, tãxÉ ín ka‹ sunede€pnei metÉ aÈtoË ≥dh t«n skãrvn §skeuasm°nvn: Für ein

adäquates Verständnis des gesamten Passus ist es von Bedeutung, sich dessen bewußt zu sein, daß das Subjekt von sunede€pnei nur der Anonymus sein kann, der in seinem unangemessenen Bestreben, das vollkommen unbedeutende Geschehen zu vergegenwärtigen, so schildert, als wäre er selbst nicht mehr bloß Darsteller, sondern bereits Akteur. katalambãnein in absoluter Bedeutung (Kap. 42: e‡ pote ka‹ aÔyiw tå ˜moia katalãboi, hier in der Bedeutung von „sich ereignen“) begegnet besonders häufig bei Zeitbestimmungen (von der Nacht „hereinbrechen“ bzw. vom Tag „anbrechen“), namentlich innerhalb eines Genetivus absolutus (D. S. XIII 48, 8: nuktÚw katalaboÊshw, vgl. D. S. XV 83, 5, Aesop. 268, 2 u. ö.), bei Lukian in einem mit §pe€ eingeleiteten Nebensatz (Tox. 52: §pe‹ d¢ nÁj kat°laben, vgl. Tox. 31). In syntaktischer Hinsicht ist mit dieser Stelle zu vergleichen D. S. XII 70, 4: efi m¢n oÔn ≤ nÁj mØ prokat°laben, ofl ple›stoi t«n ÉAyhna€vn ín §teleÊthsan. Das Ausmaß der dem Bericht des Anonymus innewohnenden Skurrilität wird unterstrichen durch zwei gezielt eingesetzte Stilmittel, durch einen, worauf bereits Hermann 1828, 178 zu Recht hingewiesen hat, im platonischen Stil (Smp. 195 b über Eros: metå d¢ n°vn ée‹ sÊnest€ te ka‹ ¶stin, u. ö.) gebildeten Pleonasmus sunede€pnei metÉ aÈtoË (ähnlich Herm 27: sunodoiporÆsaw metÉ aÈtoË, DDeor. 3, 1, DMeretr. 6, 2 und 9, 1) sowie durch die Doppelung der für griechische Ohren nicht eben wohlklingenden Lautverbindung sk (skãrvn §skeuasm°nvn).

ëper efi mØ §neg°grapto §pimel«w tª flstor€&, megãla ín ≤me›w ±gnohkÒtew ∑men, ka‹ ≤ zhm€a ÑRvma€oiw éfÒrhtow efi Mausãkaw ı MaËrow dic«n mØ eren pie›n éllÉ êdeipnow §pan∞lyen §p‹ tÚ stratÒpedon. ka€toi pÒsa êlla makr“ énagkaiÒtera •k∆n §g∆ nËn par€hmi: …w ka‹ aÈlhtr‹w ∏ken §k t∞w plhs€on k≈mhw aÈto›w ka‹ …w d«ra éllÆloiw ént°dosan, ı MaËrow m¢n t“ Malx€vni lÒgxhn, ı d¢ t“ Mausãk& pÒrphn, ka‹ êlla pollå toiaËta t∞w §pÉ EÈr≈pƒ mãxhw aÈtå dØ tå kefãlaia.

ka‹ ≤ zhm€a ÑRvma€oiw éfÒrhtow: Der Begriff zhm€a ist hier ebenso wie in Lex. 24 in der Bedeutung „Verlust“ bzw. „Schaden“ oder „Nachteil“ (LSJ s. v. zhm€a I erklärt es durch loss, damage und weist auf die Praxis hin, k°rdow und zhm€a einander gegenüberzustellen, so bes. Arist. EN V 4, 1132 b 11–20) gebraucht. zhm€a verhält sich zu zhmioËn ähnlich wie im Lateinischen damnum zu damnare, was in

beiden Fällen das Verhältnis der Bedeutungen „Schaden“ und „Bestrafung“ zueinander erklärt. …w ka‹ aÈlhtr‹w ∏ken §k t∞w plhs€on k≈mhw aÈto›w: Die Flötenspielerin ist untrennbar mit Gelage

und Festlichkeiten verbunden (Symp. 46, Tim. 55, Vit. Auct. 12, Bis Acc. 17, Sat. 4, DMeretr. 12, 1, u. ö.), so wie sie bereits zum attischen Symposion gehörte (X. Smp. 2, 1–2, Pl. Smp. 176 e, 212 c–d, Tht. 173 d, Prt. 347 d: hier als ein Zeichen für die épaideus€a der Teilnehmer gewertet). …w d«ra éllÆloiw ént°dosan, ı MaËrow m¢n t“ Malx€vni lÒgxhn, ı d¢ t“ Mausãk& pÒrphn:

Das vom Anonymus intendierte literarische Vorbild ist, wie bereits Solanus (Reitz 1743, 38) und Hermann 1828, 179–180 übereinstimmend festgestellt haben, der Geschenketausch, welcher bei Homer den Zweikampf zwischen Aias und Hektor beendet (Il. VII 303–305): Õw êra fvnÆsaw d«ke j€fow érgurÒhlon / sÁn kole“ te f°rvn ka‹ §utmÆtƒ telam«ni: / A‡aw d¢ zvst∞ra d€dou fo€niki faeinÒn. Doch ist sicherlich auch an den zugegebenermaßen ungleichen Rüstungstausch zwischen

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Glaukos und Diomedes (Il. VI 230–236) zu denken bzw. eher wohl an den Geschenketausch zwischen Oineus und Bellerophontes, von dem Diomedes unmittelbar zuvor (Il. VI 218–220) berichtet hatte und der zum Teil eine wörtliche Übereinstimmung mit der zuvor zitierten Stelle aufweist: ofl d¢ ka‹ éllÆloisi pÒron jeinÆÛa kalã: / OfineÁw m¢n zvst∞ra d€dou fo€niki faeinÒn, / BellerofÒnthw d¢ xrÊseon d°paw émfikÊpellon. toigãrtoi efikÒtvw ên tiw e‡poi toÁw toioÊtouw tÚ m¢n =Òdon aÈtÚ mØ bl°pein, tåw ékãnyaw d¢ aÈtoË tåw parå tØn =€zan ékrib«w §piskope›n: Die Polemik gilt hier einer kleinkarierten Weitläufigkeit, die

einen gesunden Sinn für das Wesentliche vermissen läßt. Das in derartigen Zusammenhängen häufig in Erscheinung tretende Signalwort êkanyai („Dornen“ in metaphorischer Bedeutung) findet sich mehrfach in literarkritischen Kontexten, in der Regel da, wo die Kritik, so wie hier, in polemischem Ton geführt wird. Lukian selbst läßt in Hes. 5 Hesiod sich gegen seinen spitzfindigen Kritiker verteidigen mit dem Vorwurf, dieser übe aus feindseligen Motiven heraus seine aggressiv–pedantische Kritikasterei: ... tå m¢n êlla oÈx ıròw ˜sa t∞w poiÆsevw kalã, skindalãmouw d¢ ka‹ ékãnyaw tinåw §kl°geiw ka‹ labåw tª sukofant€& zhte›w. Und im Bis acc. 34, wo Lukian (in der Maske des Syrers) mit Stolz von seiner innovativen Leistung der Einführung des komischen Dialogs spricht, vergleicht er die das Publikum angeblich abschreckende traditionelle Dialogform platonischer Prägung mit den Stacheln des Igels (§x›now). Der Begriff êkanyai (bei Lukian stets im Plural) innerhalb literarischer Polemik findet sich auch in der Anthologia Palatina (desgleichen die adjektivischen Neubildungen ékanyolÒgow und ékanyobãthw), und zwar insbesondere zur Bezeichnung pedantischer Spiegelfechtereien gewisser alexandrinischer Grammatiker (AP XI 347: Philippos, XI 322: Antiphanes), aber auch zur Verspottung einer uninspirierten, lediglich nach Entlegenem haschenden Moderne (AP XI 20: Antipatros von Thessalonike). Zudem werden die Polemiken gegen Ulpian und die sogenannten (nur durch Athenaios bekannten) ulpianischen Sophisten (zum Terminus Ath. III 97 c), welche beim lukianischen Lexiphanes als Folie für die Karikatur zumindest in Betracht kommen, mit Hilfe eben dieser verbalen Waffe geführt (Ath. III 97 d, VI 228 c, VIII 347 d, IX 385 b). Lukian verwendet den Begriff êkanyai ein zweites Mal in dieser Schrift (Kap. 33), jedoch in einer dem didaktischen Werkteil angepaßten, betont sachlichen Weise.

Kapitel 29 Der hier kritisierte korinthische Anonymus nimmt innerhalb dieses Schriftteils eine deutlich herausgehobene Stellung ein, insoferne er unmittelbar der abschließenden Triade (Kap. 30–32) vorausgeht. Diese markante Stellung hat er mit dem ersten Korinther (Kap. 17) gemein, welcher der einleitenden Triade (Kap. 14–16) unmittelbar nachgefolgt war. Diese formale Entsprechung ist nicht das einzige, was die beiden Korinther miteinander verbindet, denn in beiden Fällen fällt die inhaltliche Kritik besonders zynisch aus, jedenfalls im Verhältnis zu der an den anderen Verfassern geübten, obwohl der Autor Lukian auch hier keineswegs in den Ton der in anderen Schriften vorgetragenen Invektive verfällt (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 4. 2). Aber es ist doch deutlich erkennbar, daß der Tenor der Kritik sich bei den zwei Korinthern spürbar verschärft. Der in Kapitel 29 verspottete Autor habe gleich von Beginn weg erklärt, er schreibe einzig aufgrund von Autopsie, nicht zufolge mündlich eingeholter Informationen (grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa). Nirgendwo in der griechischen Historiographie findet sich, so ist hinzuzufügen, eine dermaßen großspurige Ankündigung eines Verfassers (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1). Dabei habe der Korinther doch nicht einmal über die allergrundlegendsten militärischen Sachkenntnisse verfügt. Nicht genug damit, er habe dieses sein Werk, in dem er von seiner persönlichen Verwundung bei Sura berichtet habe, auch noch ausgerechnet den Korinthern vorgelesen, die doch ganz genau gewußt hätten, daß er nicht einmal

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einen an die Wand gemalten Krieg jemals gesehen habe. Und so genau habe er alles gesehen, daß er aus der persischen Drachenfahne, die je ein Kontingent von 1000 Mann anführt, im Kampf losgelassene, schrecklich mordende Drachen gemacht habe. Es ist kaum vorstellbar, daß all die Details, welche die Kritik an diesem Korinther beinhaltet, es einem informierten Zeitgenossen nicht ermöglicht haben sollten, die Identität des Mannes trotz der fehlenden Namensnennung zu erkennen. Und genau dies war auch augenscheinlich die von Lukian verfolgte Intention. Der Ton, in dem die Kritik gehalten ist, ist von durchgehendem Zynismus gekennzeichnet, und dieser macht sich insbesondere an dem unerhört überzogenen Anspruch vollkommen autoptischer Mitteilung fest (ka‹ oÏtvw ékrib«w ëpanta •vrãkei Àste ktl, sodann: taËta d¢ §fest∆w ırçn aÈtÒw, §n ésfale› m°ntoi épÚ d°ndrou ÍchloË poioÊmenow tØn skopÆn, und schließlich: Koriny€vn ... t«n ékrib«w efidÒtvn, ˜ti mhd¢ katå to€xou gegramm°non pÒlemon •vrãkei). In einem Fall steigert sich dieser Zynismus bis hin zu einem offensichtlichen Sarkasmus (§pe‹ oÈk ín ≤me›w oÏtv yaumastÚn suggraf°a nËn e‡xomen). Drei Hinweise im Text zeigen unmißverständlich, daß es sich nach Darstellung des Autors Lukian um eine Lesung dieses Korinthers aus seinem Werk gehandelt hatte (œde ≥rjato – m°mnhmai gãr, sodann ¶fh, und schließlich éneg€nvsken).

ÖAllow, Œ F€lvn, mãla ka‹ otow gelo›ow, oÈd¢ tÚn ßteron pÒda §k Kor€nyou p≈pote – probebhk∆w oÈdÉ êxri Kegxrei«n épodhmÆsaw, oÎti ge Sur€an µ ÉArmen€an fid≈n, œde ≥rjato m°mnhmai gãr –„âVta Ùfyalm«n épistÒtera. grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa“.

Kegxrei«n: so Macleod 1980, 305, der sich als einziger der Herausgeber an die ältere Lesart (Kegxri«n E et sine accentu G) hält; Kegxre«n: die Mehrheit der Herausgeber folgt späteren SchreiberKorrekturen, doch erscheint dies als weniger gut begründet [vgl. aber die Form Kegxrea›w in Nav. 32, Macleod IV 113 und Fritzsche 1860, 75]. oÈd¢ tÚn ßteron pÒda §k Kor€nyou p≈pote probebhk∆w oÈdÉ êxri Kegxrei«n épodhmÆsaw, oÎti ge Sur€an µ ÉArmen€an fid≈n: Eine Parallele zur Formulierung tÚn ßteron pÒda probebhk∆w

findet sich bei Aristophanes (Ec. 161–161), wo Praxagora einer der beiden Frauen gegenüber erklärt: §kklhsiãsousÉ [so die den Textsinn wesentlich verbessernde Konjektur von Kuster für das überlieferte §kklhsiãzousÉ] oÈk ín proba€hn tÚn pÒda / tÚn ßteron, efi mØ taËtÉ ékribvyÆsetai (das Idiom pÒda proba€nein findet sich bereits bei Thgn. 283). Vom Äthiopier, der noch niemals in seinem Leben über die engen Grenzen seiner Heimat hinausgekommen ist, läßt Lukian andernorts sagen (Herm 32): oÈdep≈pote §j Afiyiop€aw tÚn ßteron pÒda proely≈n (unmittelbar zuvor, in Kap. 31, war dessen Mangel an Autopsie in vergleichbarer Weise begründet worden mit diå tÚ mØ épodedhmhk°nai tÚ parãpan). Verwandte Idiome in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet Lukian auch sonst (Sat. 19: kayÉ ıpÒteron ín pÒda proba€n˙, Scyth. 8: mhd¢ tÚn ßteron pÒda •k∆n e‰nai époleipÒmenow, von dem nicht von der Seite Solons weichenden Toxaris). Zu Gedanke und sprachlicher Form insgesamt ist zu vergleichen die sehr pointierte Aussage in Phal. II 6: mÒnon oÈk aÈtÒpthw gegen∞syai l°gvn, ˘n ‡smen oÈdÉ êxri toË plo€ou épodedhmhkÒta. Kenchreai (Paus. II 2, 3), am Saronischen Golf gelegen, war der Name einer der beiden Häfen Korinths. Er diente als Landeplatz für den Seeverkehr von Kleinasien her, während das jenseits des Isthmos am Korinthischen Golf gelegene Lechaion Zielpunkt der von Italien herführenden Seeroute war. Strabon (VIII 6, 22 = C 380) bestimmt die Entfernung von Kenchreai nach Korinth mit nicht mehr als an die 70 Stadien (Kegxrea‹ k≈mh ka‹ limÆn, ép°xvn t∞w pÒlevw ˜son •bdomÆkonta stad€ouw).

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oÎti ge (LSJ s. v. oÎtiw I 2: by no means, not at all) mit der eigentlichen Bedeutung „(und) ganz sicher

nicht“ entspricht ebenso wie in Anach. 11 (etwas schwieriger zu erklären ist Merc. Cond. 17) genau dem lateinischen nedum und dem deutschen „geschweige denn (daß)“. Im Unterschied zu dem in Kap. 17 vorgeführten Autor ist dieser Anonymus explizit als Korinther gekennzeichnet. Kegxreia€ ist, wie es scheint, die ältere Form, welche bei Thukydides (VIII 10, 2; 20, 1 und 23, 1) und danach auch bei Xenophon (HG IV 5, 2; VI 5, 52; VII 1, 17, u. ö.) regelmäßig wiederkehrt. Seit Polybios (V 101, 4, u. ö.) ist die offensichtlich jüngere Form Kegxrea€ gebräuchlich, so bei Strabon (I 3, 11 und 14; VIII 6, 4, u. ö.), Plutarch (besonders häufig), Pausanias (II 2, 3) und anderen kaiserzeitlichen Autoren; Lukian selbst verwendet sie in Nav. 32. âVta Ùfyalm«n épistÒtera. grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa: Beim ersten Kolon (âVta Ùfyalm«n épistÒtera) handelt es sich deutlich erkennbar um ein Zitat, welches dem Zeugnis

des Polybios (XII 27, 3) zufolge auf Heraklit zurückzuführen ist, und zwar in der Formulierung Ùfyalmo‹ (går) t«n Ãtvn ékrib°steroi mãrturew (DK I 22, Fr. 101 a). Ein sehr ähnlicher Wortlaut liegt vor bei Herodot (I 8, 2), der die Worte Œta går tugxãnei ényr≈poisi §Ònta épistÒtera Ùfyalm«n dem Kandaules in den Mund legt, der sie zu dem Zweck ausspricht, um seinem bekannten unmoralischen Angebot Gyges gegenüber Glaubwürdigkeit zu verleihen. Lukian selbst führt dieses Zitat direkt auf Herodot zurück, wie aus Dom. 20 und Salt. 78 zu ersehen ist. Soweit bewegt sich der hier verspottete Autor in durchaus konventionellen Bahnen. Demgegenüber beinhaltet das im nachfolgenden zweiten Kolon mit demonstrativer Geste ausgesprochene historiographische Selbstverständnis die in ihrer Großspurigkeit innerhalb antiker Geschichtsschreibung ohne Parallele dastehende Ankündigung, über die Ereignisse ausschließlich aufgrund von Autopsie berichten zu werden. Jedenfalls ist kein antiker Historiker bekannt, der so schlechthin erklärt hätte, buchstäblich alles aus eigener Anschauung zu kennen (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1). Bereits Herodot teilt häufig mit, wie er zu seinen Informationen gelangt ist, indem er fein säuberlich zwischen Autopsie (dafür die Begriffe ırçn, ˆciw und aÈtÒpthw) und Sekundärinformationen (dafür die Begriffe ékoÊein, ékoÆ und lÒgoi) unterscheidet, so bes. II 29, 1; II 99, 1; II 147, 1; II 148, 6 (vgl. auch I 171, 2; II 123, 1; III 115, 2; IV 16, 1–2 und IV 81, 1). Eine vergleichbare Gegenüberstellung der beiden von Herodot angezeigten Forschungsmethoden liegt auch dem thukydideischen Methodenkapitel (I 22, 2–3: über die narrativen Teile seines Werkes) zu Grunde und ist danach in zahlreichen Erklärungen antiker Historiker ständig präsent (Belege bei Avenarius 1956, 70–85). Der Primat der Autopsie ist dabei unbestritten, doch wird die Notwendigkeit der Verarbeitung mündlich zugegangener Informationen durchaus anerkannt, so auch bei Lukian (Genaueres im Kommentar zu den Kap. 47 und 37). Lesenswert sind die diesbezüglichen Erklärungen des Polybios, der den Sehsinn (˜rasiw) als einen bei weitem wahrheitshaltigeren (élhyinvt°ra) ganz prinzipiell dem Hörsinn (ékoÆ) gegenüberstellt (XII 27, 3; XX 12, 8). Doch zeigt sich der in methodischer Hinsicht höchst anspruchsvolle Polybios als realistisch genug, um sich darüber im klaren zu sein, daß kein Historiker über alles vor Ort informiert sein kann und daher notwendigerweise auf mündliche Quellen angewiesen ist, deren Qualität er allerdings aufgerufen ist, kritisch zu prüfen. Selbst der bereits in der Antike als unseriös eingeschätzte Ktesias (so besonders pointiert bei Lukian VH I 4) räumt in seinem historiographischen Programm der mündlichen Kunde (ékoÆ) einen gewissen Stellenwert ein, und zwar sowohl in den Persika (FGrH III C 688, T 8 = Phot. 72, 36 a 1–4) als auch in den Indika (FGrH III C 688, Fr. 45, 51 = Phot. 72, 49 b 39–41). Vor dem Hintergrund dieser antiken Gepflogenheiten erst ist das Unfaßbare an der hochtrabenden Ankündigung des hier kritisierten Korinthers zu verstehen, dessen universelle und selbst bei elementarsten militärischen Begriffen und Gegebenheiten in Erscheinung tretende Ignoranz den Spott des Autors Lukian erregt.

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ka‹ oÏtvw ékrib«w ëpanta •vrãkei Àste toÁw drãkontaw ¶fh t«n Paryua€vn – shme›on d¢ plÆyouw toËto aÈto›w: xil€ouw går o‰mai ı drãkvn êgei – z«ntaw drãkontaw pammeg°yeiw e‰nai gennvm°nouw §n tª Pers€di mikrÚn Íp¢r tØn ÉIbhr€an, toÊtouw d¢ t°vw m¢n §p‹ kont«n megãlvn §kdedem°nouw ÍchloÁw afivre›syai ka‹ pÒrrvyen §pelaunÒntvn d°ow §mpoie›n, §n aÈt“ d¢ t“ ¶rgƒ §peidån ımoË Œsi lÊsantew aÈtoÁw §pafiçsi to›w polem€oiw: ém°lei polloÁw t«n ≤met°rvn oÏtv katapoy∞nai ka‹ êllouw perispeiray°ntvn aÈto›w épopnig∞nai ka‹ sugklasy∞nai:

§peidån ımoË Œsi: Œsi ist Cobets Konjektur für ‡vsi in Ea (≥nvsi in G), welches kaum im Text zu halten ist, da das Idiom ımoË fi°nai nur in der Dichtung vorkommt (Fritzsche 1860, 75 mit zwei Belegen); in Prosa jedoch wird für „nahe sein“ regelmäßig ımoË e‰nai verwendet (so X. Cyr. III 2, 4; VI 3, 7; Ael. NA IV 36 und XVI 23, Arr. An. VI 5, 5 und 21, 5); §peidån ımoË ‡vsi: Reitz 1743, 39,

Hermann 1828, 37, Bekker 1853, 32, Iacobitz 1838, 30 sowie 1866, 18, Homeyer 1965, 134. Lukian selbst gebraucht das Idiom ımoË e‰nai + Dativobjekt in Symp. 43 (ımoË gãr §smen ≥dh t“ kefala€ƒ t«n praxy°ntvn); wohl danach Macleod 1980, 305: ≥dh Œsi conieci. toÁw drãkontaw ... t«n Paryua€vn – shme›on d¢ plÆyouw toËto aÈto›w: xil€ouw går o‰mai ı drãkvn êgei: Die Drachenfahne als Feldzeichen (die Quellen bei Fiebiger 1905 und vieles bereits

bei Hermann 1828, 185–186) war außer bei den Parthern, wofür diese Stelle der einzige Beleg ist, bei vielen anderen Völkern verbreitet, bei Persern, Indern und Skythen sowie Dakern (vgl. die Darstellung auf der Trajanssäule) und wurde im 3. Jh. n. Chr. von den Römern übernommen. Argumentiert wurde in der Forschung für skythischen, sarmatischen, thrakischen oder parthischen Ursprung (die einschlägige Literatur bei Wheeler 1978, 359, Anm. 32). Eine ausführliche Beschreibung des skythischen Feldzeichens gibt Arrian (Takt. 35, 3–4 Roos 167, bes. Z. 5–16). Demnach waren die aus bunt eingefärbten Tüchern zusammengenähten Drachen auf hohen Stangen angebracht und wurden bei dem Galopp der Pferde dermaßen aufgebläht, daß sie echten Tieren zu gleichen schienen. Aufgrund der schnellen Bewegung und der solcherart mächtig in die Tücher einströmenden Luft gaben sie ein pfeifendes Geräusch von sich und waren daher ein ebenso prächtiger wie schreckenerregender Anblick. Arrians anschauliche und auch in den sprachlichen Details mit Lukian übereinstimmende Beschreibung lautet (Z. 5–13): Tå Skuyikå d¢ shme›ã §stin §p‹ kont«n §n mÆkei jumm°trƒ drãkontew épaivroÊmenoi. poioËntai d¢ jurrapto‹ §k =ak«n bebamm°nvn, tãw te kefalåw ka‹ tÚ s«ma pçn ¶ste §p‹ tåw oÈråw efikasm°noi ˆfesin, …w fober≈tata oÂÒn te efikasy∞nai. ka‹ tå sof€smata taËta étremoÊntvn m¢n t«n ·ppvn oÈd¢n pl°on µ =ãkh ín ‡doiw pepoikilm°na §w tÚ kãtv épokremãmena, §launom°nvn d¢ §mpneÒmena §jogkoËntai te …w mãlista to›w yhr€oiw §peoik°nai, ka€ ti ka‹ §pisur€zein prÚw tØn êgan k€nhsin ÍpÚ tª pnoª bia€& dierxom°n˙. Der Artikel in Suid. s. v. xiliostÊw, Adler IV 806, Z. 11–21 (es geht um die Feldzeichen der Inder, vgl. auch s. v. Shme›a Skuyikã, Adler IV 351, Z. 2–7) hebt deren furchteinflößende Wirkung hervor (seshrÒtvn ÙdÒntvn ka‹ toË xãsmatow épeilØn ¶xontow) und fügt ergänzend hinzu, daß je ein Drache das Zeichen einer Reiterabteilung von 1000 Mann war (t«n d¢ flpp°vn kayÉ •kãsthn xiliostÁn drãkvn ≤ge›to); dies stimmt überein mit der hier auf parthische Verhältnisse zielenden Erklärung (xil€ouw går o‰mai ı drãkvn êgei). Quelle für den persischen Drachen ist eine Stelle in der Historia Augusta (vit. Aur. 28,

5), welche keinerlei Beschreibung gibt, sondern lediglich dessen Existenz bezeugt (Persici dracones). Nach Lukians Lebenszeit, im Laufe des 3. Jhs. n. Chr., wurde die fremdländische Gepflogenheit auch von den Römern adaptiert (Wheeler 1978, 360 möchte damit bis Hadrian zurückgehen, doch läßt sich lediglich eine Verwendung in der armatura nachweisen, 358: sport rather than training) und zumindest im 4. Jh. n. Chr. nachweislich zu besonderer Pracht entfaltet (Belege dafür sind: HA vit. Gall. 8, 6 und

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vit. Aur. 31, 7, detaillierter Them. or. 1, 2 a, Downey I 4, Z. 14–16 und, als eine bloße Wiederholung, or. 18, 219 a, Downey I 315, Z. 14, besonders anschaulich Amm. XVI 10, 7). Zur Bezeichnung der Parther als Paryua›oi vgl. den Kommentar zu Kap. 24: oÈ Paryua€vn oÈd¢ Mesopotam€thw soi §g≈. §n tª Pers€di mikrÚn Íp¢r tØn ÉIbhr€an: Unter der Bezeichnung Pers€w ist hier wohl weniger

im engeren Sinn die Persis (Str. bes. XV 3, 1 = C 727), die dem Persischen Golf vorgelagerte südwestiranische Kernregion des Partherreiches (vgl. Wiesehöfer 2000 a) zu verstehen, sondern vielmehr das Partherreich an sich (zu dessen Dimensionen Wiesehöfer 2000 b). Denn zum einen gebraucht Lukian selbst die Bezeichnung Pers€w andernorts (Icar. 11: Grobeinteilung der östlichen Welt aus der Vogelperspektive in Griechenland, Persis und Indien) in unspezifischem Sinn, zum anderen hält dies die allerdings immer noch eklatante geographische Ungenauigkeit des Anonymus, welche das in der Kaukasusregion (heute Ost–Georgien) gelegene Iberien (Str. XI 3, 1–6 = C 499–501, Plontke–Lüning 1998) mit dem Partherreich in Verbindung bringen möchte (dafür gibt es keinerlei Hinweis, vgl. das wenige zur Geschichte Iberiens Bekannte bei Treidler 1962, bes. Sp, 1907– 1910), in gerade noch glaubhaften Grenzen. toÊtouw d¢ t°vw m¢n §p‹ kont«n megãlvn §kdedem°nouw ÍchloÁw afivre›syai ka‹ pÒrrvyen §pelaunÒntvn d°ow §mpoie›n: Ähnlicher Worte bedient sich Arrian (Takt. 35, 3 Roos 167, Z. 4–5) in seiner Beschreibung der skythischen Feldzeichen: §p‹ kont«n §n mÆkei jumm°trƒ drãkontew épaivroÊmenoi (vgl. Suid. s. v. Shme›a Skuyikã, Adler IV 351, Z. 3–4: ép˙≈rhntai kont«n summ°trvn, Suid. s. v. xiliostÊw, Adler IV 806, Z. 13 und Them. or. 1, 2 a Downey I 4, Z. 15 bezeichnen diese Stange übereinstimmend als kãmaj). In syntaktischer Hinsicht gehört §p‹ kont«n zu afivre›syai, denn sonst wäre der bloße Genetiv (LSJ s. v. §kd°v, demnach kont«n megãlvn §kdedem°nouw) zu erwarten. pÒrrvyen §pelaunÒntvn (wie weiter unten perispeiray°ntvn ein

absoluter Genetiv) bedeutet „wenn sie (sc. die Parther) von ferne her anrücken“ (vgl. das Substantiv §pelãseiw in Kap. 28). Auf ein t°vw m¢n („bis dahin“ oder „unterdessen“) läßt Lukian gerne ein §pe‹ d¢, §peidØ d¢, §peidån d¢ oder Ähnliches nachfolgen (Syr. D. 25, Nigr. 35, Zeux. 9, Tox. 12, u. ö.). Häufig kommt in derlei Zusammenhängen t°vw m¢n in der Bedeutung geradezu einem pr«ton m¢n („anfänglich“) gleich. §n aÈt“ d¢ t“ ¶rgƒ §peidån ımoË Œsi lÊsantew aÈtoÁw §pafiçsi to›w polem€oiw: Belege zu ¶rgon

in der speziellen Bedeutung von „Kampfhandlung“, „Kampfgeschehen“ im Kommentar zu Kap. 25: t«n §j aÈtoË toË ¶rgou diafugÒntvn. Zu ımoË in Verbindung mit e‰nai in der Bedeutung „nahe“ vgl. weiter oben die Anmerkung zum Text. Das Verbum §pafi°nai ohne oder mit Dativobjekt bedeutet in militärischen Zusammenhängen „jemanden in den Kampf (gegen jemanden) schicken“ (Plb. X 39, 3; XI 22, 8, bei Lukian selbst Zeux. 9). ém°lei polloÁw t«n ≤met°rvn oÏtv katapoy∞nai ka‹ êllouw perispeiray°ntvn aÈto›w épopnig∞nai ka‹ sugklasy∞nai: In der Verbindung mit polÊw bedeutet ém°lei „einigermaßen“ (so Im. 11 und Nec. 15, pointiert D. Chr. or. 42, 4: ém°lei pollo‹ poll«n diå tØn êgnoian §piyumoËsin). Bei katapoy∞nai („verschluckt werden“ wie katapoy°n in Kap. 7) ist an den bedrohlichen, riesigen Schlund des Drachens zu denken, wie er von Suid. s. v. xiliostÊw, Adler IV 806, Z. 14–15 durch die Worte toË xãsmatow épeilØn ¶xontow bezeichnet ist und wie er noch bei Ammianus Marcellinus hervorgehoben erscheint (XVI 10, 7: hiatu vasto). Wie §pelaunÒntvn weiter oben im Text, so ist auch perispeiray°ntvn (sc. t«n drakÒntvn) als ein absoluter Genetiv zu verstehen. Das Verbum perispeirçsyai (üblicherweise im Perfekt verwendet) wird besonders von sich (um etwas herum) ringelnden Schlangen gebraucht (mit absoluter Verwendung in Philops. 22: toÁw drãkontaw ... §p‹ t«n Ãmvn ... §speiram°nouw, mit Dativobjekt Dips. 6: tÚ yhr€on d° – tØn dicãda – §mpefukÚw aÈt“

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periespeirçsyai t“ pod€, mit Akkusativobjekt D. S. IV 48, 3: tÚn ... drãkonta periespeiram°non tÚ d°raw). Passive Aoristformen davon sind sonst nicht gebräuchlich (so D. S. III 36, 1: gleichfalls von Schlangen, zur Bedeutung vgl. Suid. s. v. Perispeiraye€w, Adler IV 108, Z. 29: periplake€w, perielixye€w). Sinn: in der festen Umklammerung der Schlangen ersticken die einen (épopnig∞nai), die anderen zerknicken förmlich unter dem mächtigen Druck (sugklasy∞nai). Die Worte t«n ≤met°rvn zeigen einmal mehr die Solidarisierungstendenz mit dem imperium Romanum (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 5: µ Kelto›w prÚw G°taw ktl, dort prÚw ≤mçw und die Einleitung, Teil I 1. 2).

taËta d¢ §fest∆w ırçn aÈtÒw, §n ésfale› m°ntoi épÚ d°ndrou ÍchloË poioÊmenow tØn skopÆn. ka‹ eÔ ge §po€hse mØ ımÒse xvrÆsaw to›w yhr€oiw, §pe‹ oÈk ín ≤me›w oÏtv yaumastÚn suggraf°a nËn e‡xomen ka‹ épÚ xeirÚw aÈtÚn megãla ka‹ lamprå §n t“ pol°mƒ toÊtƒ §rgasãmenon: ka‹ går §kindÊneuse pollå ka‹ §tr≈yh per‹ SoËran, épÚ toË Krane€ou d∞lon ˜ti bad€zvn §p‹ tØn L°rnan. ka‹ taËta Koriny€vn ékouÒntvn éneg€nvsken t«n ékrib«w efidÒtvn ˜ti mhd¢ katå to€xou gegramm°non pÒlemon •vrãkei.

ımÒse xvrÆsaw to›w yhr€oiw: Das Idiom ımÒse xvre›n (tini) wird seit Thukydides (IV 10, 1: ımÒse xvr∞sai to›w §nant€oiw, VI 101, 5; II 81, 5, u. ö.) und anderen Klassikern (z. B. Ar. Lys. 451, X. HG

VI 5, 14, u. ö.) häufig im Sinne eines dem Feind Entgegentretens bzw. eines Attackierens gebraucht (bei Lukian Par. 51: oÈde‹w ín Íposta€h yhr€on ımÒse fiÒn, so auch Anach. 24, u. ö. im übertragenen Sinn). §pe‹ oÈk ín ... e‡xomen: Zu dieser Konstruktion (§pe€ + ên + Indikativ Imperfekt) in der Bedeutung „denn sonst“ vgl. die Anmerkung zu Kap. 36: §pe‹ kín ... nËn d¢. épÚ xeirÚw: Belege zu dieser speziellen Bedeutung von épÒ bei LSJ s. v. épÒ III 3 und v. a. bei Passow s. v. épÒ B 4 („die Veranlassung, durch welche etwas geschieht, erscheint oft zugleich als das Mittel, womit etwas bewirkt wird ...“). Mit dem bloßen Dativ xeir€ bzw. in diesem Fall xers€ würde bloß der Aspekt „händisch“ zum Ausdruck gebracht werden, épÚ xeirÒw hingegen bezeichnet

wesentlich den händischen Einsatz und steht darum auch im Singular. Bei der Übersetzung ins Deutsche durch „mittels händischen Einsatzes“ kommt zwangsläufig auch der von der Sache her naheliegende instrumentale Aspekt zu entsprechender Geltung. §tr≈yh per‹ SoËran, épÚ toË Krane€ou d∞lon ˜ti bad€zvn §p‹ tØn L°rnan: Sura ist eine römische

Grenzfestung in Syrien, an einer Stelle gelegen, wo der Euphrat einen Knick nach Osten hin macht (Plin. Nat. V 21, 87), nicht weit entfernt von der parthischen Stadt Philiscum, von wo aus man in 10 Tagen zu Schiff nach Seleukeia und in etwa derselben Zeit nach Babylon gelangt (Plin. Nat. V 21, 89). Den römischen Itineraren zufolge lag Sura am Ende der syrischen Euphratstraße, in welche die von Damaskos über Palmyra herführende Wüstenstraße einmündete (Honigmann 1931, Sp. 954). Das Kraneion (vgl. den Kommentar zu Kap. 3: toË Krane€ou) ist ein vor Korinth gelegener Zypressenhain (Paus. II 2, 4). Von hier aus bis zu der in der Nähe von Theater und Gymnasion gelegenen beschaulichen Quelle namens Lerna (anschaulich beschrieben von Paus. II 4, 5: k€onew d¢ •stÆkasi per‹ aÈtØn ka‹ kay°drai pepo€hntai toÁw §selyÒntaw énacÊxein ÷ra y°rouw) ist es allenfalls ein Spaziergang (man beachte die pointierte Wortwahl: bad€zvn). ˜ti mhd¢ katå to€xou gegramm°non pÒlemon •vrãkei: Zur Phraseologie katå to€xou grãfein ist zu

vergleichen, was Aelian (VH XIV 19 = DK I 47 A 11) über Archytas von Tarent zu berichten weiß; dieser habe ein unschickliches Wort, das er nicht auszusprechen bereit gewesen wäre, an die Wand

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geschrieben (§si≈phse m¢n aÈtÒ, §p°grace d¢ katå toË to€xou). Bei Lukian selbst ist zu vergleichen DMeretr. 4, 3: §memnÆmhn ˜ti katå to€xou tinÚw ¶lege katagegrãfyai toÎnoma (vgl. aber kurz zuvor ohne einen erkennbaren Bedeutungsunterschied 4, 2: tå §p‹ t«n to€xvn gegramm°na). Zur Aussage hat bereits Solanus (Reitz 1743, 40) auf eine aufschlußreiche Stelle bei Cicero (Fin. V 27, 80), welche den sprichwörtlichen Charakter einer ähnlichen Redensart zum Ausdruck bringt, hingewiesen: Dicis eadem omnia et bona et mala quae quidem dicunt ii qui numquam philosophum pictum ut dicitur viderunt. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, daß Lukian sich auf eine sonst nicht in dieser Form belegte, aber seinen Zeitgenossen durchaus vertraute Redensart beziehen dürfte.

éllå oÈd¢ ˜pla §ke›nÒw ge ædei oÈd¢ mhxanÆmata oÂã §stin oÈd¢ tãjevn µ kataloxism«n ÙnÒmata. pãnu goËn ¶melen aÈt“ plag€an m¢n tØn Ùry€an fãlagga, §p‹ k°rvw d¢ l°gein tÚ §p‹ met≈pou êgein.

plag€an m¢n tØn Ùry€an fãlagga: Das in den Handschriften ausgefallene Ùry€an wurde bereits

von Reitz 1743, 40–41 gegenüber Gesner nach der Editio Juntina 1535 in den Text eingefügt, und es wurde zu Recht (vgl. den Beleg aus Arrians Taktik im Kommentar zur Stelle) von Hermann 1828, 37, Bekker 1853, 32 und Macleod 1980, 306 () übernommen. Nicht anzuraten ist Fritzsches 1860, 76, von Kilburn 1968, 44 aufgegriffene Konjektur plag€an m¢n fãlagga tØn [§p‹ k°rvw,] §p‹ k°rvw d¢ l°gein ktl.

Zu Lukians regelmäßiger Verwendung des einschlägigen terminus technicus mhxãnhma (Belagerungsvorrichtung) für das sonst gebräuchlichere mhxanÆ vgl. den Kommentar zu Kap. 57: µ mhxãnhma •rmhneÊsaw ktl. Unter tãjevn µ kataloxism«n ÙnÒmata sind Fachausdrücke für Heeresteile (tãjevn) bzw. deren Zusammensetzung (kataloxism«n, Definitionen von katalox€sai gibt Arr. Takt. 5, 2–3 Roos 134, bes. Z. 4–9 und Z. 15–22, vgl. Suid. s. v. Katalox€sai, Adler III 50, Z. 6: efiw lÒxouw katamer€sai tÚ pl∞yow toË stratoË) zu verstehen. Eine Phalanx wird nach ihrer jeweiligen Ausrichtung zum Feind hin unterschieden in drei mögliche Stellungen (Arr. Takt. 26, 1 Roos 157, Z. 10–13 und 15–19, dazu Lammert / Lammert 1921, Sp. 469), von denen hier die ersten beiden angesprochen sind: ka‹ mØn plag€a m¢n fãlagj §st‹n ≤ tÚ m∞kow toË bãyouw pollaplãsion ¶xousa (die Phalanx steht in waagrechter Linie quer zum Feind), Ùry€a d°, ˜tan §p‹ k°rvw poreÊhtai: oÏtv d¢ aÔ tÚ bãyow toË mÆkouw pollaplãsion par°xetai (hier steht sie senkrecht zum Feind). Die schräge Ordnung (lojØ fãlagj), welche nur mit einem Flügel angreift und den anderen ferne vom Feind hält, bleibt hier außer Betracht, da die Kritik sich auf die elementarsten Fehler richtet. Die Marschrichtung §p‹ k°rvw (so bereits Th. u. a. VI 32, 2; VIII 104, 1) bedeutet demnach „in Kolonne“, §p‹ met≈pou hingegen „in Front“ (u. a. X. Cyr. II 4, 3). Ähnliche Kritik am Typus des Stubengelehrten findet sich in Kap. 37. Daß sich dahinter indirektes Lob an Arrian verbergen könnte, ist Wirth 1964, 242 zwar prinzipiell zuzugeben, aber sehr wahrscheinlich ist dies jedenfalls nicht (generell zu Lukian und Arrian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4).

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Kapitel 30 Nach den beiden in der Eingangstriade zu diesem Schriftteil (Kap. 14–16) durch direkte Zitate verratenen Namen (Crepereius Calpurnianus in Kap. 15 und Kallimorphos in Kap. 16) folgen in der Schlußtriade (Kap. 30–32) zwei weitere auf eben dieselbe Weise preisgegebene Namen von Verfassern (Antiochianus in Kap. 30 und Demetrios von Sagalassos in Kap. 32). Dem inschriftlichen Befund zufolge gehört der Name Antiochianus der Klasse von Sklaven und (kaiserlichen) Freigelassenen an. Jedenfalls liegt kein zureichender Grund vor, um in diesem Mann eine bloße Erfindung Lukians zu erblicken (vgl. dazu die Diskussion in der Einleitung, Teil I 4. 1). Die Kritik am Werk des Antiochianus macht sich daran fest, daß die Gesamtdarstellung des höchst ereignisreichen Partherkrieges darin auf weniger als 500 Zeilen zusammengedrängt sei, während die Buchaufschrift fast noch länger ausgefallen wäre als das Werk selbst. Es handelt sich dabei, wie der Text vermuten läßt, um ein wenn schon nicht bereits publiziertes Geschichtswerk, so doch um eines, dessen Publikation zu erwarten stand (flstor€an suggegraf°nai fhs€ und tØn .. §pigrafØn ... §p°gracen). Dieser Umstand ist als ein Indiz dafür zu werten, daß Lukian es sich kaum hätte leisten können, das Werk des Antiochianus zu erfinden, wenn es nicht tatsächlich existiert und in einer publizierten Form zumindest zu erwarten gewesen wäre. Zu der sachlichen Kritik an den genannten Unzulänglichkeiten gesellt sich ein Witz, der erst ermöglicht wird durch die vom Autor-Ich in parenthetischer Form beigegebene „Information“, daß der Verfasser in der Jugendklasse einmal einen Sieg im Langstreckenlauf (dÒlixow) errungen habe. Die solcherart vermittelte Botschaft an den Leser lautet demnach: „eine so große Kurzatmigkeit bei einem Langstreckenläufer“. Das eingesetzte Stilmittel der Ironie (EÂw d° tiw b°ltistow) unterstreicht diese Intention.

EÂw d° tiw b°ltistow ëpanta §j érx∞w §w t°low tå pepragm°na ˜sa §n ÉArmen€&, ˜sa §n Sur€&, ˜sa §n Mesopotam€&, tå §p‹ t“ T€grhti, tå §n Mhd€&, pentakos€oiw oÈdÉ ˜loiw ¶pesi perilab∆n sun°trice ka‹ toËto poiÆsaw flstor€an suggegraf°nai fhs€n: tØn m°ntoi §pigrafØn Ùl€gou de›n makrot°ran toË bibl€ou §p°gracen, „ÉAntioxianoË toË ÉApÒllvnow fleron€kou“ – dÒlixon gãr pou o‰mai §n pais‹n nen€khken – „t«n §n ÉArmen€& ka‹ Mesopotam€& ka‹ §n Mhd€& nËn ÑRvma€oiw praxy°ntvn éfÆghsiw“.

nen€khke(n): so zuletzt Homeyer 1965, 136, Kilburn 1968, 44 und Macleod 1980, 306; §nenikÆkei:

so Dindorf 1858, 15, Fritzsche 1860, 77 (danach Sommerbrodt 1878, 35 sowie 1893, 16); zur Überlieferungslage Fritzsche 1860, 77; nenikÆkei: so zuvor Reitz 1743, 41. ˜sa §n ÉArmen€&, ˜sa §n Sur€&, ˜sa §n Mesopotam€&, tå §p‹ t“ T€grhti, tå §n Mhd€&, pentakos€oiw oÈdÉ ˜loiw ¶pesi perilab∆n sun°trice: Die Darstellung des Antiochianus umfaßte demnach also den

Partherkrieg in seiner Gesamtheit, die nach dem anfänglichen Debakel des Severianus in Armenien schließlich von großem Erfolg gekrönten militärischen Aktivitäten in Syrien und Mesopotamien (zur Chronologie der Kriegsereignisse vgl. die Einleitung, Teil I 1. 2), sodann als krönenden Abschluß der römischen Offensive die Verfolgung des Gegners bis nach Medien hinein (eine Anspielung darauf in Cat. 6, so zu Recht vermutet von Strobel 1994, 1323, Anm. 49), aber sicher nicht mehr den selbst noch zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Schrift (mit großer Wahrscheinlichkeit in der Mitte des Jahres 166 n. Chr., zur Datierung vgl. die Einleitung, Teil I 1. 3) in der (nahen) Zukunft liegenden Triumphzug (Kap. 31: tÚn tripÒyhton ≤m›n yr€ambon), der im Oktober 166 n. Chr. in

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Rom stattfand. Angesichts des großen Stoffumfanges erscheint ein nicht einmal 500 Zeilen (zu ähnlichen Formulierungen innerhalb literarkritischer Zusammenhänge vgl. den Kommentar zu Kap. 28: §n oÈdÉ ˜loiw •ptå ¶pesi) umfassendes und daher selbst für antike Verhältnisse schmales Buch als allzu knapp, als eine Zersplitterung (sun°trice) der ereignisreichen und eine dementsprechende Darstellung erfordernden Ereignisabläufe. Ein extremes und selbst durch die anderen Gesetzen folgende Gattung der Biographie nicht legitimiertes Beispiel für solch unangemessene Kürze bietet die Vita des Avidius Cassius (6, 5) in der Historia Augusta, welche die Feldzüge des Avidius Cassius im Osten in die knappen Worte zusammenrafft: et in Armenia et in Arabia et in Aegypto res optime gessit. Als Bezeichnungen für den Tigris sind T€griw, (zumeist) T€gridow sowie T€grhw, T€grhtow gleichermaßen gebräuchlich. Lukian hält sich an letztere Formen, welche insbesondere von Xenophon und Arrian (bei Herodot findet sich nur der Nominativ T€grhw sowie der Akkusativ T€grhn) regelmäßig verwendet werden (so auch Kap. 19 und Nec. 7: jeweils T€grhta). „ÉAntioxianoË toË ÉApÒllvnow fleron€kou“ – dÒlixon gãr pou o‰mai §n pais‹n nen€khken: Nach Crepereius Calpurnianus (Kap. 15) und Kallimorphos (Kap. 16) ist als der vorläufige Abschluß einer langen Reihe anonymer Autoren nunmehr Antiochianus der dritte namentlich genannte, da durch Nennung des eigenen Namens hervorgetretene Autor (auch zu ihm existiert ansonsten keine literarische Quelle, Schwartz 1894). Nach dem inschriftlichen Befund entstammt der Name Antiochianus dem Milieu römischer Sklaven und Freigelassener, insbesondere kaiserlicher Freigelassener (Dokumentation bei Strobel 1994, 1347, bes. Anm. 232), wie dies bereits im Falle des Kallimorphos vermerkt wurde (vgl. den Kommentar zu Kap. 15: KallimÒrfou fiatroË). Und alleine schon deshalb erscheint Baldwins 1973 a, 85 Identifizierung des hier Genannten mit Antiochos aus Aigai in Kilikien (Philostr. VS II 4, 568–570, er schrieb eine von Philostratos sehr geschätzte flstor€a zu einem von diesem aber nicht genannten Thema; eine Dokumentation des über diesen Bekannten bei Robert 1977, 120–129), den Philostratos als aus allerbester Familie stammend (oÏtv ti eÈpatr€dhn, …w nËn ¶ti tÚ épÉ aÈtoË g°now Ípãtouw e‰nai) bezeichnet, als ziemlich unwahrscheinlich. Als fleron›kai wurden die Sieger bei den flero‹ ég«new bezeichnet, welche, wie eine Vielzahl von Inschriften belegt, zumindest temporär in Vereinen zusammengefaßt waren und im Genuß besonderer Privilegien standen (dazu Oehler 1913). Zur Frage, wann der in der 15. Olympiade (720 v. Chr.) nach dem Stadionlauf und dem Doppellauf (Diaulos) ins olympische Festprogramm aufgenommene Langstreckenlauf (dÒlixow, dazu Weiler 1981, bes. 152–153), welcher in der Bewältigung einer Laufstrecke von mindestens 7 und maximal 24 Stadien (das bedeutet eine Streckenlänge von etwa 1346 m bis 4614 m) bestand und inschriftlich gut dokumentiert ist (Belege bei Jüthner 1903, Sp. 1282), als Disziplin für Knaben etabliert wurde, liegt einzig Pausanias (X 7, 5: nomoyetÆsantew dol€xou ka‹ diaÊlou pais‹n e‰nai drÒmon) als Quelle vor, der diese Einrichtung in Zusammenhang bringt mit der Frühzeit der pythischen Bewerbe. Wenn Lukian hier in seiner Eigenschaft als Autor ein posierendes „(wie) ich meine“ (o‰mai) hinzufügt, so ist dies wohl so zu bewerten wie in Kap. 29, wo er mit demselben rhetorischen Stilmittel in einer Sache, über die er offensichtlich gut informiert ist (es geht um die Aussage, unter einer Drachenfahne seien jeweils 1000 Mann zusammengefaßt), operiert. Es liegt also kein Grund vor, dies mit Strobel 1994, 1348 („wie er vermute“) beim Wort zu nehmen oder mit Jones 1986, 64 die sachliche Berechtigung der Aussage, wenn auch bloß hypothetisch, in Zweifel zu ziehen. In Verbindung mit der Nennung Apollons ist daher zu vermuten, daß dieser Autor bei pythischen Spielen einmalig einen Sieg im Langlauf errungen hatte (zur Starriege namentlich bekannter Läufer zählte er aber sicherlich nicht, vgl. dazu die Dokumentation bei Decker 1997). Jedenfalls dürfte es kaum möglich sein, bei Apollon mit Jones an den Vater des Antiochianus zu denken, auch wenn der Name

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Apollon in der Kaiserzeit in überregionaler Streubreite durchaus belegt ist (Jones 1986, 64, Anm. 27). Auch in syntaktischer Hinsicht ist es, worauf Jones nicht eingeht, problematisch, ÉAntioxianoË toË ÉApÒllvnow im Sinne einer Abkürzung der unüblichen und wegen der Doppelsetzung des Artikels gewiß wenig ansprechenden Wortfolge ÉAntioxianoË toË toË ÉApÒllvnow zu verstehen. Die diesem Kapitel insgesamt innewohnende Pointe besteht wesentlich darin, daß ausgerechnet an dem Langstreckenläufer zum einen eine ganz unpassende Langatmigkeit bei der Buchaufschrift, zum anderen aber, und dies ist der eigentliche Kritikpunkt, eine allzu große Kurzatmigkeit bei der Darstellung des eigentlichen Themas kritisiert wird (dies ist zum Teil richtig bewertet von Jones 1986, 64). Das Idiom nikçn §n pais€n in Verbindung mit einem inneren Akkusativ der jeweiligen Wettkampfdisziplin ist aus Pausanias ebenso vertraut wie andere vergleichbare Stereotype einschlägiger Siegerkennzeichnung (VI 4, 9: stãdion ... §n€khsen §n pais€n; X 33, 8: pugmØn §n€khsen §n pais€n, u. ö.).

Kapitel 31 Als Kuriosum wird in Kapitel 31 von einem gänzlich futuristischen Geschichtswerk berichtet. Mit mantischer Sehergabe begabt habe dieser Autor von der Gefangennahme des Vologaeses berichtet, von der Abschlachtung des Osroes, diversen Städtegründungen, den Ereignissen in Indien und der Umsegelung des äußeren Meeres. Die zum Inhalt und der Aussage vermittelten Details suggerieren, daß der Bericht des Anonymus als auf zwei Ebenen konstruiert zu denken ist, zum einen als der Selbstdarstellung des Kaiserpaares folgend und diese durch allerlei Fiktionen bestätigend, zum anderen als Versuch, die Leistungen der beiden Kaiser nicht bloß in die Nachfolge Alexanders des Großen zu stellen, sondern auch als selbst die Erfolge des Makedonenkönigs noch überflügelnd darzustellen. Trotz der Skurrilität der von diesem Autor fingierten Zukunftsvisionen ist der Umstand zu berücksichtigen, daß es zumindest Prognosen über den Ausgang des Krieges tatsächlich gab. Von Iamblichos und Aelius Aristides ist dies immerhin direkt bezeugt (vgl. die Belege im Kommentar zu oÏtv mantik«w ëma ¶xvn), und es ist zumindest damit zu rechnen, daß solche Vorhersagen in dieser Zeit Hochkonjunktur haben mochten, vor allem wenn man stets im Auge behält, wie stark zumindest Lucius Verus an propagandistischer Darstellung des unter seiner Leitung geführten Krieges interessiert war (zum Ansinnen an Fronto vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4). Der Ton, in dem die Kritik gehalten ist, schillert zwischen (vorherrschender) Belustigtheit, Ironie (ı yaumastÚw suggrafeÁw) und Entwertung der literarischen Qualität (lÆrou polloË ka‹ korÊzhw suggrafik∞w). Die Rezeptionsform ist der Darstellung des Autor–Ichs zufolge eine mündliche (≥kousa). Das Proömium des Indienbuches ist als ein bereits verfaßtes vorgestellt (tÚ proo€mion t∞w ÉIndik∞w ≥dh sunt°taktai).

ÖHdh dÉ §g≈ tinow ka‹ tå m°llonta suggegrafÒtow ≥kousa, ka‹ tØn l∞cin tØn OÈolog°sou ka‹ tØn ÉOsrÒou sfagÆn – …w parablhyÆsetai t“ l°onti, ka‹ §p‹ pçsi tÚn tripÒyhton ≤m›n yr€ambon. oÏtv mantik«w ëma ¶xvn ¶speuden ≥dh prÚw tÚ t°low t∞w graf∞w. éllå ka‹ pÒlin ≥dh §n tª Mesopotam€& ’kise meg°yei te meg€sthn ka‹ kãllei kall€sthn. ¶ti m°ntoi §piskope› ka‹ diabouleÊetai e‡te N€kaian aÈtØn épÚ t∞w n€khw xrØ Ùnomãzesyai e‡te ÑOmÒnoian e‡te Efirhn€an. ka‹ toËto m¢n ¶ti êkriton ka‹ én≈numow ≤m›n ≤ kalØ pÒliw §ke€nh lÆrou polloË ka‹ korÊzhw suggrafik∞w g°mousa.

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kãllei kall€sthn: das in den frühesten Handschriften (G und E) fehlende kãllei ist zu ergänzen; kall€sthn: Macleod 1980, 306. tØn l∞cin tØn OÈolog°sou ka‹ tØn ÉOsrÒou sfagÆn: Dabei handelt es sich um die Erfindung

eines offensichtlichen Speichelleckers, denn weder wurde Vologaeses III. von den Römern gefangengenommen (er regierte vielmehr noch weiter bis zum Jahr 193 n. Chr., seit 191 n. Chr. gemeinsam mit seinem Sohn Vologaeses IV., Hanslik 1962), noch kann von einer Hinrichtung des parthischen Feldherrn Osroes (Kap. 18, 19 und 21) die Rede sein, schon gar nicht in der hier geschilderten drastischen Weise (über dessen weiteres Schicksal ist überhaupt nichts bekannt, Junge 1942), welche, wie Macleod 1991, 297 wohlbegründet vermutet, eine Reminiszenz an den Umgang Alexanders mit seinen Opponenten darstellen könnte (vgl. den Vorwurf Philipps in DMort. 12, 4: l°ousi sugkatakle€vn pepaideum°nouw êndraw). tÚn tripÒyhton ≤m›n yr€ambon: Dies ist ein klares Indiz dafür, daß das Erscheinen von Lukians

Schrift dem Triumphzug, der im Oktober 166 n. Chr. stattfand, voranging. Alleine deshalb schon ist Homeyers (1965, 11) Spätdatierung abzulehnen (sie spricht keineswegs überzeugend von „fingierter Aktualität“). Zur Datierung dieser Schrift vgl. die Einleitung, Teil I 1. 3. oÏtv mantik«w ëma ¶xvn: Eine Identifizierung dieses Anonymus mit dem syrischen Romanschriftsteller Iamblichos (Verfasser von Babulvniakã, Jones 1986, 54 stellt einen

Zusammenhang zwischen diesem Roman und den in Lukians Philopseudeis verspotteten Lügengeschichten her), Lukians Landsmann, wurde bereits von Solanus erwogen (so Reitz 1743, 41, danach immer wieder aufgegriffen, so z. B. von Anderson 1976 a 79–80), und zwar mit Hinweis auf Photios (Bibl. 94, 75 b), der aus eigener Lektüreerfahrung heraus berichtet, Iamblichos habe erklärt, den Ausbruch und das Ende des Krieges vorausgesagt zu haben (…w aÈtÒw te proe€poi ka‹ tÚn pÒlemon, ˜ti genÆsetai, ka‹ ˜poi teleutÆsoi. ka‹ ˜ti BolÒgaisow m¢n Íp¢r tÚn EÈfrãthn ka‹ T€grin ¶fugen, ≤ d¢ Paryua€vn g∞ ÑRvma€oiw ÍpÆkoow kat°sth). Doch dagegen läßt sich vorbringen,

daß Iamblichos im Unterschied zu dem Anonymus ausschließlich zutreffende, wenn auch sicherlich nicht besonders schwer zu erratende Dinge prognostiziert zu haben behauptet. Es ist daher kaum wahrscheinlich, daß hinter Lukians Kritik gerade Iamblichos steht, der sich nicht einmal, soweit dies bekannt ist, jemals als Historiker betätigt hat. Im übrigen sei auch daran erinnert, daß Prognosen künftiger militärischer Erfolge insbesondere vor hohen Adressaten sicher keine Seltenheit waren, wie aus Plinius (Pan. bes. 17, 1–2) hervorgeht, der solcherart bereits 101 n. Chr. Trajans Triumph über die Daker im Jahr 103 n. Chr. prophezeite. Am Rande, nur als Kuriosum, sei erwähnt, daß Aelius Aristides (or. 23, 281 Dindorf I 454) berichtet, er habe in einer Traumvision Marcus Aurelius (nicht aber Lucius Verus!) und Vologaeses gesehen, wie sie miteinander Frieden geschlossen hätten. pÒlin ... meg°yei te meg€sthn ka‹ kãllei kall€sthn: Mit dem Lob einer Stadt (detaillierte Vorschriften dafür erteilt Menander Rhetor (Spengel III 346, Z. 27–351, Z. 19, p«w xrØ pÒleiw §paine›n) ist in griechischer Rhetorik untrennbar das Rühmen von deren Größe (m°geyow) und Schönheit (kãllow) verbunden. Dionysios von Halikarnaß (die wahrscheinlich in negativem Sinne zu

entscheidende Echtheitsfrage kann hier beiseite bleiben), der die dabei verbindlichen darstellerischen Verfahrensweisen theoretisch bestimmt (Rh. 5, 5, Usener / Radermacher VI 2, 276, Z. 3–4 und Rh. 7, 5 Usener / Radermacher VI 2, 289, Z. 22–23: ¶ti ka‹ tØn pÒlin parabale›w prÚw tåw êllaw, épÚ meg°youw, épÚ kãllouw ktl), liefert in seinem Geschichtswerk (IV 13, 5) mit dem, was er über die Pracht Roms zu seiner Zeit sagt, das praktische Beispiel: Íp¢r m¢n toË meg°youw te ka‹ kãllouw t∞w pÒlevw, …w katå tØn §mØn e‰xen ≤lik€an, ßterow ¶stai tª dihgÆsei kairÚw §pithdeiÒterow (in den erhaltenen Teilen des Werkes findet sich jedoch keine entsprechende Durchführung). Und dieser rhetorischen Konvention folgen auch andere Praktiker, insbesondere Aelius Aristides (or. 14, 203

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Dindorf I 331, or. 16, 239 Dindorf I 387, or. 22, 270 Dindorf I 440) und Libanios (Ep. 389, 2; 503, 4; 1353, 1; Or. 60, 1 und bes. 19, 5: zum Städtelob gehören u. a. auch der Preis von deren m°geyow und kãllow, u. ö.). Der literarischen Überlieferung entspricht der epigraphische und numismatische Befund (Robert 1980, 423–424 belegt das Vorkommen der Attribute kall€sth und meg€sth in Inschriften und auf Münzen gleichermaßen). Bereits bei Herodot findet sich die Formulierung pÒlin kall€sthn Zãgklhn (VI 24, 2). Lukian selbst verwendet dieselbe stereotype Formulierung wie hier in seinem Enkomion auf ein Haus (Dom. 1: o‰kon ... meg°yei m°giston ka‹ kãllei kãlliston). e‡te N€kaian aÈtØn épÚ t∞w n€khw xrØ Ùnomãzesyai e‡te ÑOmÒnoian e‡te Efirhn€an: Städte, welche n€kh

in ihrem Namen führen, sind seit Alexander bekannt, der zur Erinnerung an seinen Sieg über Poros am linken Ufer des Hydaspes ein Nikaia gründete (Stein 1936 a und Karttunen 2000 b, zu einem weiteren von Alexander gegründeten oder auch nur neubesiedelten und neubenannten Nikaia im Gebiet zwischen den Paropamisaden und dem Kophen vgl. Stein 1936 b und Karttunen 2000 a), nachdem er bereits zuvor nach der erfolgreich bestandenen Schlacht bei Issos in Nordsyrien, nahe der kilikischen Grenze, ein Nikopolis gegründet hatte (Honigmann 1936). Und in diese Tradition stellten sich bewußt erfolgreiche römische Feldherrn, welche gleichfalls von ihnen gegründete bzw. neu angelegte Städte jeweils mit dem Namen Nikopolis benannten, Pompeius an der Stelle seines Sieges über Mithridates VI. Eupator in Armenien (Sturm 1936 und Olshausen 2000), Augustus nach dem Sieg über Antonius bei Aktion (Schober 1936 und Strauch 2000) und in Ägypten (Kees 1936), Trajan nach seinem Sieg über die Daker in Moesia inferior (Kazarow 1936 und Burian 2000). Der vom Anonymus erwogene Name N€kaia ist, wie der weitere Textzusammenhang zeigt (die Römer dringen bis nach Indien hin vor und umsegeln sogar das äußere Meer), dazu gedacht, insbesondere an das von Alexander gegründete und mit Ausnahme Plutarchs (in Alex. 61, 2 ist nur die Gründung von Bukephalia erwähnt) von allen Alexanderhistorikern (Arr. An. V 19, 4: tØn m¢n N€kaian t∞w n€khw t∞w katÉ ÉInd«n §p≈numon »nÒmase, D. S. XVII 89, 6 ohne Namensnennung, Curt. IX 1, 6 und, mit Namensnennung, IX 3, 23, Just. XII 8, 8) sowie von Strabon (XV 1, 29 = C 699: tØn d¢ N€kaian épÚ t∞w n€khw §kãlesen) erwähnte Nikaia am Hydaspes zu erinnern, soll doch die römische Unternehmung keineswegs als bloße Alexanderimitatio erscheinen, sondern vielmehr als ein Übertreffen der Leistungen des Makedonen (dies wurde bereits von Lehmann und Hermann 1828, 200 richtig bewertet: Alexandri enim ad expeditionis similitudinem belli hunc exitum effictum esse quem fugiat?). Es ist daher nur bedingt zutreffend, mit Jones 1986, 62 in erster Linie an die von Römern gegründeten Städte namens Nikopolis zu denken. Ganz allgemein entspricht die Benennung einer Stadt nach einem Sieg (n€kh) einer von Menander Rhetor (Spengel III 358, Z. 9–13: als konkrete Beispiele dienen Thessalonike und Nikopolis bei Aktion) formulierten rhetorischen Konvention. Die Bezeichnung als „Stadt der Eintracht“ (ÑOmÒnoia, einzig bei J. Vit. 54, 281 findet sich ein solcher, aber anders zu bewertender Ortsname) spiegelt die offizielle Selbstdarstellung des Kaiserpaares Marcus Aurelius und Lucius Verus wieder, welche in ihren Münzprägungen die Concordia Augustorum (so bereits in der ersten Emission des Marcus und des Lucius im März/April 161 n. Chr., sodann häufiger in den folgenden Jahren, Belege bei Szaivert 1986, 94 und 194, u. ö.) propagierten (so sicher zutreffend Jones 1986, 63 und Strobel 1994, 1354, Anm. 281). Besonders in Kilikien lassen sich Münzprägungen mit der Legende ÑOmÒnoia Sebast«n nachweisen (vgl. dazu Jones 1986, 164). Aelius Aristides widmet in einem im September 166 n. Chr. (zur Datierung Behr 1968, 100–102), nach Kriegsende, in Kyzikos vor griechischem Publikum gehaltenen Panegyrikos (or. 16: PanhgurikÚw §n Kuz€kƒ per‹ toË naoË) fast die Hälfte der Rede der beispielgebenden Eintracht des Marcus Aurelius und des Lucius Verus (zum Gedankengang der Rede und deren indirektem Tadel an die angesprochenen Griechen Forte 1972, 409–410). Dies illustriert die besondere Aktualität des Themas.

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In diesem Zusammenhang mag auch ein anderer Umstand von Interesse sein: der in Plataiai tagende und insbesondere zur Zeit Hadrians höchst angesehene Bund der Hellenen kultivierte die ımÒnoia der Hellenen. Er sollte jenen Bund, der im Jahr 479 v. Chr. (Schlacht bei Plataiai) gegründet worden war, fortsetzen; mit dieser Zweckbestimmung waren antipersische Assoziationen gegeben (Strubbe 1984, 282–283). Bekannt sind weiters zwischenstädtische Homonoiaprägungen (vgl. Klose 1987, 44–63, Kienast 1995 mit Einbezug der literarischen Quellen, Kampmann 1996, Franke–Nollé 1997, Weiss 2004, 189–190, 198, Abb. 4: unter Domitian). Für eine den Frieden im Namen führende Stadt (Efirhn€a) existiert keine Parallele (eine Stadt dieses Namens hatten weder Alexander noch auch römische Feldherrn gegründet), da auch Eirenopolis in Kilikien, welches von Jones 1986, 62–63 und Strobel 1994, 1354, Anm. 281 zum Vergleich herangezogen wird, sich dafür kaum eignet, weil dieser Name, wie bereits Ruge 1936 schlüssig gezeigt hatte, für das vormalige Neronias wohl erst in der ersten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. aufgekommen ist. Es ist auch kaum nötig, einen Beleg für etwas zu finden, das ohnedies der Phantasie dieses Autors entsprungen sein dürfte, soferne nicht auch in diesem Fall die in der Schlußphase des Krieges, in den Monaten unmittelbar vor dem Triumphzug, auf den Münzen erscheinende Pax (so in der 12. und 13. Emission vom März/Juli und August/Dezember 166 n. Chr., Belege bei Szaivert 1986, 108 und 199 bzw. 110 und 200) den Ansatzpunkt für dessen Einfall geliefert hat. Jedenfalls ist dies wahrscheinlicher, als mit Wirth (1964, 242–243) darin „eine lukianische Verschleierung von Bukephala“ zu erblicken. Vor diesem Hintergrund ist es wohl auch kaum zutreffend, mit Anderson (1976 a 60) die fiktiven Städtegründungen in ihrer Gesamtheit als little different from the fictitious communities in VH zu bezeichnen. korÊzhw suggrafik∞w: Lukian verwendet mit besonderer Vorliebe die bereits von Platon (R. I

343 a) gebrauchte Metapher von dem eine mentale Abstumpfung, Verstocktheit und Stumpfsinn verursachenden Rotz in der Nase (Philops. 8: efi mØ pãnu korÊzhw tØn =›na mestÚw e‡hn, Alex. 20, Ind. 21, u. ö. das Substantiv, auch das Verbum koruzçn findet sich mit literarkritischer Note in Lex. 18, wo der Hyperattizist eine spezielle Behandlung durch den Arzt mit dem redenden Namen Sopolis nötig hat). Aus der lateinischen Literatur ist zu vergleichen Hor. Ep. 12, 3: naris obesae. Das Wort kÒruza zur Bezeichnung des aus der Nase austretenden Rotzes bzw. Schleims wird von den Attizisten der Alternative mÊja vorgezogen; Herbst 1911, 47 faßt seine einschlägige Untersuchung zur Verwendung dieser beiden und anderer synonymer Begriffe (46–47) zusammen mit den Worten: Videntur igitur Atticistae kÒruza et bl°nna vel etiam l°mfow et praeterea katãrrouw maluisse quam mÊja, etsi hoc quoque apud Hippocratem non prorsus deerat, et quam katastagmÒw, quod recentiorum medicorum vocabulum fuisse traditur. tå dÉ §n ÉIndo›w praxyhsÒmena Íp°sxeto ≥dh grãcein ka‹ tÚn per€ploun t∞w ¶jv yalãsshw – ka‹ oÈx ÍpÒsxesiw taËta mÒnon, éllå ka‹ tÚ proo€mion t∞w ÉIndik∞w ≥dh sunt°taktai, ka‹ tÚ tr€ton tãgma ka‹ ofl Kelto‹ ka‹ MaÊrvn mo›ra Ùl€gh sÁn Kass€ƒ pãntew otoi §perai≈yhsan tÚn ÉIndÚn potamÒn. ˜ ti d¢ prãjousin µ p«w d°jontai tØn t«n §lefãntvn §p°lasin, oÈk efiw makrån ≤m›n ı yaumastÚw suggrafeÁw épÚ Mouz€ridow µ épÉ ÉOjudrak«n §pistele›.

tÚn per€ploun t∞w ¶jv yalãsshw: Wie bereits beim Stadtnamen Nikaia, so handelt es sich auch

hier um eine Bezugnahme auf Alexander, dessen ehrgeiziges Bestreben es den Alexanderhistorikern zufolge ja war, von Indien aus bis zum äußeren Meer (Arr. Ind. 30, 1 unterscheidet §n tª ¶jv yalãtt˙ von §n tªde tª e‡sv), und das bedeutet bis zum Ozean vorzudringen (Plu Alex. 63, 1,

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Arr. An. VI 19, 5, vgl. VII 9, 8; VI 28, 5: Bericht des Nearchos über seinen per€plouw, vgl. V 5, 1, wo Arrian zudem bereits seine Indike als parãploun ... t∞w ¶jv yalãsshw ankündigt). Hatte sich Crassus noch erfolglos mit solch hochfliegenden Plänen getragen (Plu Crass. 16, 2: êxri Baktr€vn ka‹ ÉInd«n ka‹ t∞w ¶jv yalãsshw én∞gen •autÚn ta›w §lp€si), so imaginiert dieser Autor mit unübertrefflicher Schmeichelei (der explizite Vorwurf der kolake€a wird nur gegen den in Kap. 17 verspotteten Korinther erhoben) selbst Alexanders Taten überflügelnde Leistungen der römischen Heerführung. Demgegenüber ist ein Versuch, mit Arrian in literarische Konkurrenz zu treten (so Macleod 1991, 297, etwas anders Macleod 1987, 260), kaum anzunehmen. Eine Kritik Lukians an Arrian (so Wirth 1964, 243) ist jedenfalls nicht beabsichtigt (zu Lukian und Arrian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4). tÚ tr€ton tãgma ka‹ ofl Kelto‹ ka‹ MaÊrvn mo›ra Ùl€gh sÁn Kass€ƒ pãntew otoi §perai≈yhsan tÚn ÉIndÚn potamÒn: Beim terminus tãgma handelt es sich um eine von mehreren griechischen Bezeichnungen für die römische Legion (D. C. LXXII = LXXI 9, 3: kaloËsi d¢ tÚ tãgma ofl ÑRvma›oi lege«na, Kommentar des Xiphilinos zu Cassius Dios Text). Unter tr€ton tãgma ist daher sicher

eine legio III zu verstehen, wahrscheinlich die in enger Beziehung zu Avidius Cassius stehende legio III Gallica in Syrien (dazu Ritterling 1924, Sp. 1524–1525 und Sp. 1299, für wahrscheinlich hält dies Debevoise 1938, 248, Anm. 35, als sicher nimmt es von Premerstein 1913, 77, Anm. 3 und 78 an, wohl etwas zu skeptisch v. Rohden 1896, Sp. 2380), doch kommt auch die legio III Cyrenaica in Arabien prinzipiell in Frage (Ritterling 1904, 194). Welche Assoziationen mit der expliziten Nennung der Kelten, d. h. keltischer Hilfstruppen, intendiert sind, läßt sich nicht mehr bestimmen (auch Strobel 1994, 1354, Anm. 286 kann bloß Vermutungen anbieten), wohl aber ist klar, daß gerade der kleine maurische Verband (zu mo›ra in der Bedeutung „militärische Abteilung“ vgl. Hdn. VI 5, 2–6, 3, mehrmals) für besondere Schlagkraft steht (zu wiederholten Einsätzen kriegstüchtiger mauretanischer Einheiten auch in römischen Heeren vgl. den Kommentar zu Kap. 28: MaËrÒw tiw flppeÁw Mausãkaw toÎnoma). Natürlich fand, wie hinreichend bekannt, von alledem in der Realität nichts statt, sondern Avidius Cassius kehrte nach der Zerstörung von Seleukeia und Ktesiphon unter schweren Verlusten, verursacht durch die im Heer wütende Pest (Kap. 15), nach Syrien zurück (D. C. LXXI 2, 3–4), um dort die Statthalterschaft zu übernehmen (sein Kollege Martius Verus wurde nach Kriegsende Statthalter in Kappadokien). oÈk efiw makrån ≤m›n ı yaumastÚw suggrafeÁw épÚ Mouz€ridow µ épÉ ÉOjudrak«n §pistele›: Das Idiom oÈk efiw makrãn („in nicht allzulanger Zeit“, und d. h. „schon bald“), welches erstmals in der

Literatur des 4. Jhs. v. Chr. begegnet (X. Cyr. V 4, 21, Aeschin. or. 3, 98, D. or. 2, 20), kommt bei Lukian sehr häufig vor (Prom. 20, Cont. 8, Somn. 1 und 10, Anach. 6, Rh. Pr. 24, Tox. 50, u. ö.). (ı) yaumastÚw suggrafeÊw nennt Lukian in dieser Schrift (Kap. 24 und 29) seine Opfer immer dann, wenn sie sich ganz besonders krasser Verfehlungen schuldig machen. Muziris ist eine indische Hafenstadt an der südlichen Malabar–Küste, am Fluß Cannanore gelegen (Plin. Nat. VI 26, 104: primum emporium Indiae, es wird als nicht besonders attraktiv beschrieben, weitere Quellen bei Herrmann 1933). Muziris (heute Kodungallur, früher Cranganore), die Hauptstadt der Landschaft Limyrike, Dimyrike bzw., wohl richtiger, Damyrike (das Sanskritwort dramidaka verweist auf die tamilische Bevölkerung), war lange Zeit wichtigstes Ziel des Monsunhandels. Bei allen bekannten kaiserzeitlichen Autoren bezeichnet Limyrike die Malabarküste; die auf frühhellenistischen Indienquellen (bes. Megasthenes und Eratosthenes) basierenden Geographen und Historiker (Strabon, Diodor, Plinius, Arrian) kennen diesen Namen jedoch noch nicht (Dihle 1978, 556, Limyrike wurde durch Diodoros entdeckt, noch ohne Wissen darum, daß es in Indien liegt, wahrscheinlich im 2. Jh. v. Chr., Dihle 1964, 16). Zum Indienhandel vgl.

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auch den Kommentar zu Kap 5: µ Kelto›w prÚw G°taw µ ÉIndo›w prÚw Baktr€ouw. Die römischen Kontakte reichten freilich noch bedeutend weiter; denn eine chinesische Quelle verzeichnet für die Zeit unmittelbar nach der Beendigung der Partherkriege (für 166 n. Chr.) das Einlangen einer Gesandtschaft des Marcus Aurelius am Hof der Han–Dynastie in Loyang (Sedlar 1980, 96 vermutet als Zweck undoubtedly for commercial purposes). Bei weitem nicht so weit entfernt, im Pandschab, sind die durch Alexanders Indienfeldzug bekannten Oxydraken angesiedelt, ein indisches Volk mit nicht präzise identifizierbarem Siedlungsgebiet unweit der Maller (Stein 1942, bes. Sp. 2024–2028). Die durchgängige Bezeichnung dieses ansonsten auch Sudrãkai (Arr. Ind. 4, 9, D. S. XVII 98, 1, Str. XV 1, 8 = C 687 und 1, 33 = C 701 [an beiden Stellen ist jedoch auch alternativ ÉOjudrãkaw bzw. ÉOjudrãkai überliefert], vgl. Sudracae bei Curt. IX 4, 15, u. ö., Just. XII 9, 3) genannten Volkes als ÉOjudrãkai hat Lukian (so auch DMort. 12, 5 und Fug. 6) gemein mit Arrians Anabasis (V 22, 2; VI 4, 3; 11, 3 und 14, 1) und Plutarch (Alex. 55, 9 [Text unsicher] und De Alexandri Magni fortuna aut virtute II 13, 343 d). Alexanders Sprung von der Mauer und die dabei erlittenen Verwundungen bringt Lukian (Dial. Mort. 12, 5) auffälligerweise mit den Oxydraken in Verbindung, während Arrian (An. VI 11, 3: tÚ d¢ §n Mallo›w ... jun°bh) gegen diese offensichtlich verbreitete Version polemisiert. Die Alexandergeschichte gibt den Hintergrund ab für das leicht durchschaubare Bemühen des Anonymus, die Leistungen der Römer noch über die des Makedonen zu stellen. Ebenso leicht zu durchschauen ist freilich auch der witzige Einfall Lukians selbst, der die Herkunft dieses Anonymus aus Muziris oder dem Gebiet der Oxydraken zugleich suggeriert und als eine witzige Fiktion sogleich wieder aufhebt. Homeyer 1965, 137 (vgl. auch ihren Kommentar 237) übersetzt ungenau: „... der aus dem Dörfchen Muziris oder von den Oxydraken herkommt“. Denn durch diese Übersetzung schwindet die im mehrdeutigen, die Dinge absichtlich in der Schwebe belassenden §pistele› liegende Pointe. Wie es scheint, beantwortet also Lukian in seiner Eigenschaft als Autor die Neigung des Anonymus zu Erfindungen selbst mit einer (bei ihm freilich auf Erkennbarkeit hin angelegten) Erfindung.

Kapitel 32 In Kapitel 32 gilt die Kritik lächerlichen Buchtiteln, und in diesem Zusammenhang wird als letzter in der Reihe der Autoren, deren Namen mittels eines direkten Zitates verraten werden (Kap. 15, 16 und 30), nun auch der Name des Demetrios von Sagalassos preisgegeben. Der Darstellung des AutorIchs zufolge lag dessen Werk der Öffentlichkeit bereits in schriftlicher Form vor (én°gnvn gãr). Dieser Umstand ist als Indiz dafür zu werten, daß Lukian es sich kaum hätte leisten können, unter Nennung des Verfassernamens die Existenz eines Buches zu fingieren, wenn dieses nicht tatsächlich in publizierter Form vorgelegen hätte. Mit Demetrios kommt der zweite Teil der Schrift (Kap. 14–32) zum Abschluß. Um den darin geübten Spott zu entschärfen, läßt der Autor noch den Hinweis folgen, daß die Lächerlichmachung all dieser Verfasser bloß dem konstruktiven Ziel gedient habe, praktischen Nutzwert zu stiften ( < > oÈdÉ …w §n g°lvti poiÆsasyai ka‹ §pisk«cai tåw flstor€aw ... éllå toË xrhs€mou ßneka).

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ToiaËta pollå ÍpÚ épaideus€aw lhroËsi, tå m¢n éjiÒrata oÎte ır«ntew oÎtÉ efi bl°poien katÉ éj€an efipe›n dunãmenoi, §pinooËntew d¢ ka‹ énaplãttontew ˜ ti ken §pÉ ékair€man gl«ssan, fas€n, ¶ly˙, ka‹ §p‹ t“ ériym“ t«n bibl€vn ¶ti semnunÒmenoi ka‹ mãlista §p‹ ta›w §pigrafa›w: ka‹ går aÔ ka‹ atai pagg°loioi: „toË de›now Paryik«n nik«n tosãde“. ka‹ aÔ: „Pary€dow pr«ton, deÊteron“, …w ÉAty€dow d∞lon ˜ti. êllow ésteiÒteron parå polÊ – én°gnvn gãr – „Dhmhtr€ou Sagalass°vw Paryonikikã“. §pinooËntew d¢ ka‹ énaplãttontew ˜ ti ken §pÉ ékair€man gl«ssan, fas€n, ¶ly˙: Die durch fas€n als ein Sprichwort gekennzeichnete Redewendung ˜ ti ken §pÉ ékair€man gl«ssan ¶ly˙ bezeichnet spontanes Aussprechen des erstbesten Einfalls zur unpassenden Zeit (éka€rimow und êkairow in

identischer Bedeutung). In Rh. Pr. 18 ist in diesem Sinn die Rede von einer völlig unorganischen literarischen Komposition, in der unter Vernachlässigung des kairÚw prosÆkvn der erste sich einstellende Gedanke (tÚ pr«ton §mpesÒn) zuerst ausgesprochen wird, ohne Rücksicht auf die so sich ergebende Disharmonie des Ganzen. Ähnlich verwendet Dionysios von Halikarnaß die Phraseologie zur Bezeichnung einer rhetorisch ungeschulten Diktion, wie sie sich bei impulsiven Jünglingen finde (Comp. 1). Strabon (I 2, 14 = C 23) wiederum verteidigt Homer gegen den Vorwurf des Eratosthenes, er trage aus Mangel an Sachkenntnis über die Geographie Italiens und Siziliens nach dem beliebigen Verfahren des pçn, ˜ ti ken §pÉ ékair€man gl«ssan ‡˙, kelade›n nichts weiter als bloße plãsmata vor. Durch Athenaios (V 217 c) ist die Redewendung ˜tti ken §pÉ ékair€man gl«ttan ¶ly˙ als ein anonymes Dichterzitat gesichert (katå går tÚn efipÒnta poihtÆn), das Bergk (AL 375) als Fragm. Adesp. 86 A mit dem Wortlaut (Mhd¢) pçn ˜ tti kÉ §pÉ ékair€man / gl«ssan ¶pow ¶ly˙ kelade›n anführt, während sich Page (PMG 537, Fr. 1020) in seiner Wiedergabe enger an Strabons Wortlaut anschließt: pçn ˜tti ken §pÉ ékair€man / gl«ssan ‡hi kelade›n. Im Lateinischen wird mehrfach die kolloquiale Phraseologie quod bzw. quidquid in buccam venerit in ähnlichem Sinn gebraucht, bei Martial (XII 24, 5) und besonders in den Briefen Ciceros (Att. I 12, 4; VII 10; XIV 7, 2). Damit ist das gerade Gegenteil von dem, quod ad rem pertinet (explizit Att. XIV 7, 2, implizit I 12, 4), markiert. Zur übertragenen Bedeutung von énaplãttein („erfinden, erdichten“) vgl. Kap. 12: énaplãttvn ¶rga me€zv t∞w élhye€aw (über Aristobulos). „toË de›now Paryik«n nik«n tosãde“: Die Deklinaton von ı de›na (Moorhouse 1963, 21–22 argumentiert, daß die Form de›na auf ursprüngliches, bei Alkaios und Demokrit belegtes d°n zurückgeht, welches, in Abspaltung von oÈd°n, „irgendetwas“ bedeutet) im Singular lautet: toË de›now (Somn. 11, Alex. 54 ), t“ de›ni (Ind. 4), tÚn de›na (Alex. 44). Bezogen auf ein maskulines Subjekt entspricht das Idiom sinnmäßig einem lateinischen quidam („ein Herr jemand“). Anstelle des korrekten, dem Usus entsprechenden Genetivs Paryik«n wählt dieser Autor die ebenso enkomiastische wie abgeschmackte Formulierung Paryik«n nik«n. „Pary€dow pr«ton, deÊteron“, …w ÉAty€dow d∞lon ˜ti: Dieser Autor nimmt in ganz alberner Weise nicht nur Anleihe beim zünftigen Titel einer athenischen Lokalchronik (ÉAty€w), wie er von den Grammatikern und Lexikographen, der hauptsächlichen Quelle für die erhaltenen Fragmente, routinemäßig zitiert wird (Jacoby 1949, bes. 79), sondern übernimmt auch deren sicherlich die Praxis der Atthidographen wiederspiegelnde Kennzeichnung der einzelnen Bücher (das darüber Bekannte bei Rhodes 1990, bes. 76–80) nach dem Typus §n a ÉAty€dow oder ähnlichen Stereotypen. Dabei scheint ihm nur die Kleinigkeit entgangen zu sein, daß dies keineswegs ein passender Titel für die Darstellung einer aktuellen militärischen Auseinandersetzung sein kann (resümierend Pearson 1942, 147: Whatever claims the Atthidographers may have made, they certainly did not confine themselves to the history of more recent events). Dabei noch gar nicht zu reden von stilistischen Unzulänglichkeiten der

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Atthidographen (z. B. zur Atthis des Hellanikos Pearson 1942, 7–8, generell über deren Stil Rhodes 1990, 75: the Atthidographers wrote chronicles of Athens in an austere style). Um einen Vergleich anzustellen, die von Wiemer 2001 untersuchten rhodischen Lokalgeschichten zeigen gegenüber den attischen eine verhältnismäßig großräumige Orientierung (254: über das Werk des Zenon von Rhodos: „Vergleicht man die Lokalgeschichten Athens, wird der »universale« Grundzug seines Werkes besonders deutlich“). Dhmhtr€ou Sagalass°vw Paryonikikã: Wie von den drei anderen in diesem Schriftteil namentlich

genannten Autoren (Kap. 15, 16 und 30), ist auch von Demetrios ansonsten nichts bekannt (vgl. Groag 1901). Daß er mit Demetrios, dem Leibarzt des Marcus Aurelius (so Wellmann 1901) identisch wäre, ist eine freilich durch nichts zu beweisende und sogar recht unwahrscheinliche Vermutung. Strobel (1994, 1348, Anm. 240) hält es sogar für möglich, daß Lukian durch diesen Demetrios zur Kreation einer fiktiven Person angeregt worden wäre, doch sagt der Autor Lukian nicht, daß es sich bei dem von ihm erwähnten Demetrios um einen Arzt handle (so wie er dies im Falle des Kallimorphos in Kap. 16 sehr wohl tut). Zudem hat sich in diesem Kommentar kein einziges schlüssiges Argument dafür ergeben, daß Lukian irgendeinen der vier namentlich genannten Historiker, in welchem Sinne auch immer, fingiert habe. Und auf alle Fälle ist Jones’ (1986, 64, Belege in Anm. 28) Hinweis zu beachten, daß Sagalassos, die pisidische Heimat des Historikers (vgl. dazu die Quellen bei Ruge 1920, zum numismatischen Befund, der den Heros Lakedaimon als Stadtgründer ausweist, Strubbe 1984, 270), in der im August 2007 in den Überresten einer von Hadrian begonnenen und von dessen Nachfolger Antoninus Pius fertiggestellten Thermenanlage die Fragmente einer 4,5 bis 5 m hohen marmornen Kolossalstatue Hadrians freigelegt wurde (vgl. dazu Opper 2009, 23–26 mit Abbildungen), nachweislich in besonders freundschaftlichem Verhältnis zu Rom stand (friend and ally of the Romans, Inschriften aus der Zeit des Commodus und des Septimius Severus zeigen, daß Sagalassos sich seiner alten – und schon zuvor numismatisch bezeugten – summax€a mit Rom rühmte, vgl. dazu Kienast 1995, 280 mit Anm. 76). Es ist daher ganz und gar nicht verwunderlich, wenn ein aus dieser Stadt, die im übrigen seit 120 n. Chr. auch über eine prachtvolle Bibliothek verfügte (dazu Neudecker 2004, 305 mit Hinweisen auf die einschlägigen Grabungsberichte, vgl. auch 312, Abb. 7), gebürtiger Mann in romfreundlichem Sinn geschrieben hat. Der Werktitel Paryonikikã steht etwa auf demselben Niveau wie weiter oben der Einfall Paryik«n nik«n, nur daß die Formulierung des Demetrios zusätzlich noch das Bemühen um pointiert zugespitzte Formulierung erkennen läßt und darum nur umso alberner wirkt. Das Werk des Demetrios lag, wie der Text unmißverständlich aussagt, schon in publizierter Form vor (én°gnvn gãr). Auch dieser Umstand ist als klares Indiz dafür zu werten, daß Verfasser und Werk keine freie Erfindung Lukians sind. Informierte Zeitgenossen hätten eine solche ja ganz leicht entlarven können.

< > oÈdÉ …w §n g°lvti poiÆsasyai ka‹ §pisk«cai tåw flstor€aw oÏtv kalåw oÎsaw, éllå toË xrhs€mou ßneka. …w ˜stiw ín taËta ka‹ tå toiaËta feÊg˙ polÁ m°row ≥dh §w tÚ Ùry«w suggrãfein otow proe€lhfen, mçllon d¢ Ùl€gvn ¶ti prosde›tai, e‡ ge élhy¢w §ke›nÒ fhsin ≤ dialektikØ …w t«n ém°svn ≤ yat°rou êrsiw tÚ ßteron pãntvw énteisãgei.

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>: der überlieferte Text ist syntaktisch unvollständig. Zumeist wird angenommen, daß bereits vor oÈdÉ …w etwas fehlt. In diesem Sinne ergänzt Macleod 1980, 307 in seinem textkritischen Apparat Ka‹ tosaËta oÈ memcimoir«n e‰pon (anders zuvor mit Anlehnung an eine Formulierung in Pisc. 2 Fritzsche 1860, 80: taËta d¢ pãnta di∞lyon oÈx …w loidorÆsasyai to›w kre€ttosin); proe€lhfen: seit Hermann 1828, 40 ist die Konjektur Fritzsches (vor der Textausgabe 1860, 81 Quaestt. Lucian. p. 167) für das überlieferte prose€lhfe (so noch Reitz 1743, 44) zu Recht allgemein anerkannt, so auch Macleod 1980, 308.
∑n êjion, efi metaplãsai ka‹ metakosm∞sai tå thlikaËta §dÊnato, µ §k molÊbdou xrusÚn épof∞nai µ êrguron §k kassit°rou µ épÚ KÒnvnow T€tormon µ épÚ Levtrof€dou M€lvna §jergãsasyai.

§pe‹ polloË, mçllon d¢ toË pantÚw < ín > ∑n êjion: es handelt sich bei der Einfügung von ín um eine Konjektur Fritzsches 1860, 82, der in seiner Anmerkung zur Stelle gegenüber dem fehlenden ín der ältesten Überlieferung diese Korrektur zu Recht als notwendig erachtete, so auch Macleod 1980, 308 (so hat Kilburn 1968, 48 das ín ohne Vorbehalt im Text). Zu ergänzen ist noch, daß die Konstruktion §pe€ + ên + Indikativ Imperfekt in der Bedeutung von „denn sonst“ nach negativer Protasis ein bei Lukian vertrautes Syntagma ist, innerhalb dieser Schrift in den Kapiteln 29 und 36, weiters in Herm 5. In N (15. Jh.) findet sich ein ín nach polloË, so Reitz 1743, 45, Hermann 1828, 42, Bekker 1853, 34, Dindorf 1858, 17 und Homeyer 1965, 140. Doch ist dies kaum die richtige Stelle für Setzung des ên, wie Fritzsche 1860, 82 gesehen hat, denn: Neque formula polloË, mçllon d¢ toË pantÚw apud Demosthenem, Plutarchum, Lucianum ipsum alio vocabulo usquam interpellatur. Schwerer wiegt der Umstand, daß die Lesart in N nur als eine nachträgliche Schreiber–Hinzufügung zu erachten ist und daher keine Autorität für sich beanspruchen kann; §jergãsasyai: das in G und E vor §jergãsasyai stehende µ ist als ein gemeinsamer Fehler zu entfernen, vgl. Macleod 1980, 308: [µ] §jergãsasyai. taËta m¢n oÔn êtexna ka‹ oÈd¢n §moË sumboÊlou deÒmena: oÈ går sunetoÁw ka‹ Ùje›w épofa€nein toÁw mØ parå t∞w fÊsevw toioÊtouw fhs‹ toËto ≤m›n tÚ bibl€on: der Autor hatte seine Lehrschrift zuvor mit wechselnden Namen bezeichnet, als eine para€nesiw (Kap. 4 und 5), als sumboulÆ (Kap. 6 und 27) und als kan≈n (Kap. 5). Nun, in der Einleitung zu dem sich betont seriös gebenden

dritten und didaktischen Teil der Schrift, setzt er für sie nach dem Vorbild diverser didaktischer Einführungsschriften die Bezeichnung t°xnh voraus, um mit diesem terminus technicus die Trias fÊsiw, êskhsiw, t°xnh im festen Rahmen konventioneller rhetorischer Begrifflichkeit zu verankern, welche als synonyme Begriffe zu t°xnh die termini didaskal€a, pa€deusiw, §pistÆmh und mãyhsiw (lat. ars und doctrina) kennt. t°xnh steht in Kapitel 35 in Verbindung mit sumboulÆ, in Kap. 36 ist sie mit didaskal€a verknüpft. Die Faktoren fÊsiw und êskhsiw, welche hier unter dem Sammelbegriff taËta zusammengefaßt sind, fallen gleichermaßen aus dem Zuständigkeitsbereich von t°xnh heraus und haben daher innerhalb rhetorischer Terminologie den Rang von êtexna. Der sÊmboulow, wie der Autor sich nun wieder mit demonstrativer Bescheidenheitspose nennt, vermag erst da sinnvoll seines Amtes zu walten, wo er auf Grundlage vorhandener fÊsiw und praktizierter êskhsiw aufseiten des ihm anvertrauten Schülers aufbauend sein methodisch– systematisches Lehrwerk beginnen kann. Der Gedanke wird fortgeführt in Kapitel 35, wo die konventionelle Frage nach dem praktischen Nutzwert (xrÆsimon) von t°xnh gestellt wird, und in Kap. 36, wo der Inhalt von t°xnh bestimmt ist als Belehrung (didaskal€a), mit dem erklärten Ziel, aktuell vorhandenes Nichtwissen (êgnoia) des Schülers vermittels von Lernaktivität (manyãnein) aufzuheben. Demgegenüber macht sich, wie der Autor in dem Einleitungsteil der Schrift hatte anklingen lassen, die überwiegende Mehrheit der angehenden Geschichtsschreiber keine adäquate Vorstellung von den mit der Handhabung des historiographischen Metiers verbundenen Schwierigkeiten (Kap. 5: Ka€toi oÈd¢ parain°sevw ofl pollo‹ de›n o‡ontai sf€sin §p‹ tÚ prçgma, oÈ mçllon µ t°xnhw tinÚw §p‹ tÚ bad€zein µ bl°pein µ §sy€ein, éllå pãnu =òston ka‹ prÒxeiron ka‹ ëpantow e‰nai flstor€an suggrãcai, ≥n tiw •rmhneËsai tÚ §pelyÚn dÊnhtai).

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Zu der Formulierung sunetoÁw (Kap. 35: t“ fÊsei sunet“) ka‹ Ùje›w (Kap. 37: ÙjÁ dedork≈w): ähnlich ist der Infinitiv sune›nai (in Kap. 34 erscheint das entsprechende Substantiv sÊnesiw) mit dem Idiom ÙjÁ dedork≈w kombiniert (Kap. 37). Vergleichbare Wendungen gehören zu Lukians Standardrepertoire (vom Adjektiv ÙjÊw ist abhängig der Infinitiv sune›nai in Hipp 3 und JTr. 27, und mit leichter Variation im Ausdruck Salt. 74: sunetÚn ka‹ ÙjÁn §pino∞sai). efi metaplãsai ka‹ metakosm∞sai tå thlikaËta §dÊnato, µ §k molÊbdou xrusÚn épof∞nai µ êrguron §k kassit°rou: Lukian gebraucht das Verbum metakosme›n in der Bedeutung „umgestalten,

ummodellieren“ von der Erschaffung der Menschen durch Prometheus (Prom. 12, in Prom. 11 hatte Prometheus von seinem schöpferischen Werk als einer plastikÆ gesprochen), von einer nach plastischen Modellen gestalteten Wortkunst (Im. 5) und schließlich von Erziehung und Menschenbildung (Anach. 20). In Kombination mit sxhmat€zein bedeutet metakosme›n die substanzlose Pose derer, welche sich die rein äußerlichen Attribute von Philosophen zulegen (Fug. 13). In vorliegender Schrift (Kap. 12) bezeichnet metakosme›n die Dreistigkeit des Architekten, der versprochen habe, den Berg Athos zu einem überdimensionalen Ebenbild Alexanders umzugestalten. §k molÊbdou xrusÚn épof∞nai: Aus Theognis (417–418 und 1105–1106) läßt sich die gängige Methode erschließen, vermittels derer man reines Gold (xrusÚw êpefyow) von Bleigoldlegierungen

zu unterscheiden pflegte. Lukian bedient sich mit Vorliebe der Elemente Gold und Blei als willkommener Anschauungsbeispiele, um solcherart den scharf markierten Gegensatz verschiedenartiger Wertigkeiten zum Ausdruck zu bringen (Sat. 20: Blei ist als ein êtimon bezeichnet, vgl. auch JTr. 48). Ähnlich stellt er andernorts (Apol. 11), wo zwei auf unterschiedliche Art dienende Lebensweisen einander diametral gegenübergestellt sind, folgende aus dem Textzusammenhang zu verstehende und im Besonderen auf den Sarkasmus des letzten Kolons hin zugespitzte Kontrastreihe auf: tosoËton §oikÒtaw éllÆloiw toÁw b€ouw, ˜son mÒlubdow érgÊrƒ ka‹ xalkÚw xrus“ ka‹ énem≈nh =Òdƒ ka‹ ényr≈pƒ p€yhkow. Der Vergleich von Gold und Blei dürfte ein sprichwörtlicher gewesen sein (so zu Recht Hermann 1828, 215), wie man auch aus Petron (43, 7) ersehen kann, wo von einem Glückspilz (Fortunae filius) gesagt wird, unter seiner Hand sei Blei zu Gold geworden (in manu illius plumbum aurum fiebat). µ épÚ KÒnvnow T€tormon µ épÚ Levtrof€dou M€lvna §jergãsasyai: Die Kleinwüchsigkeit des

athenischen Feldherrn Konon aus der Zeit der Spätphase des peloponnesischen Krieges und danach (häufig in X. HG, Bücher I–IV) war wohl ein rhetorischer Topos. Quintilian (Inst. III 7, 12) spricht, ohne allerdings den Namen Konon zu nennen, davon, daß sich das Lob auf Menschen nicht nur aus vorteilhaften physischen Attributen wie Schönheit und Kraft (als paradigmatisch nennt er die homerischen Helden Agamemnon und Achill; über deren Schönheit Hom. Il. III 166–170 und bes. II 478–479, XXIV 629–630) herleiten lasse, sondern ebenso auch aus einem Defekt: interim confert admirationi multum etiam infirmitas, ut cum idem [sc. Homerus] Tydea parvum, sed bellatorem dicit fuisse (vgl. Hom. Il. V 801: TudeÊw toi mikrÚw m¢n ¶hn d°maw, éllå maxhtÆw). Diese Information, wie sie bei Quintilian vereinzelt vorliegt, läßt sich ergänzen durch eine Aussage des Ps. Dionysios von Halikarnaß (Usener / Radermacher VI 2, 269, Z. 1–2: Rh. 3, 4), der Konon Hand in Hand mit Tydeus als Beispiel für einen kleinwüchsigen Menschen nennt, an dem sich ein größeres Ausmaß an psychischer Trefflichkeit rühmen lasse: kín efi mikrÒw, ˜ti me€zvn tØn t∞w cux∞w éretÆn, katå tÚn Tud°a, katå tÚn KÒnvna. Die naheliegende Vermutung, daß die mikrÒthw des Konon zur Zielscheibe von Komödienspott geworden wäre, ließ sich indes nicht anhand eines konkreten Beleges verifizieren. Titormos ist ein aitolischer Hirte von ganz außergewöhnlichen Körperkräften, der sogar noch den Muskelprotz Milon von Kroton an Kraft übertroffen haben soll. Herodot (VI 127) erwähnt en passant, daß Titormos allen Griechen an Stärke überlegen gewesen wäre, und er fügt hinzu, daß dieser

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vor den Menschen in die entlegensten Ecken des aitolischen Landes geflohen war. Bei Hesych s. v. T€tormow, Schmidt IV 160 findet sich die lapidare Feststellung: otow AfitvlÚw énØr diabebohm°now §p‹ éndre€& ka‹ meg°yei. Und bei solch physischer Kraft ist es naheliegend, daß die Tradition die Tendenz entwickeln mußte, eine Synkrisis dieses Naturburschen mit dem Paradeathleten Milon herzustellen. In diesem Sinne berichtet Aelian (VH XII 22), Milon habe die Kraft (fisxÊw) dieses großgewachsenen (m°gaw tÚ s«ma fide›n) Hirten auf die Probe gestellt, woraufhin dieser Milon durch zwei außerordentliche Kraftleistungen sehr in Erstaunen versetzt habe. Zunächst habe er einen riesigen Stein, den Milon hernach nicht einmal bewegen habe können, acht Klafter weit auf seinen Schultern getragen; sodann habe er mit jeder seiner Hände einen Stier so fest am Fuß gepackt, daß für diesen ein Entrinnen unmöglich gewesen wäre. Und von diesen Kraftproben beeindruckt habe Milon diesen einen zweiten Herakles genannt (ÑHrakl∞ ßteron), wovon sich denn das Sprichwort ÖAllow otow ÑHrakl∞w ableite (Diogenian. Cent. 1, 63 Leutsch / Schneidewin I 190). Und Athenaios (X 412 f) weiß aus Alexandros Aitolos (Powell 128: Alex. Aet. Fr. 11) zu berichten, daß Titormos mit Milon um die Wette zum Frühstück einen ganzen Stier verzehrt habe. In Widerspruch zu der Selbstverständlichkeit, mit der Lukian auf Leotrophides (PA2 Nr. 9159, 9160) wie auf eine allgemein bekannte Person anspielt, steht der relativ spärliche Quellenbefund. In den K°rkvpew des Komikers Hermippos äußert ein unbekannter Sprecher Dionysos gegenüber, arme Menschen würden diesem nun verkrüppelte Rinder opfern, eingefallener selbst als Leotrophides und Thaumantis (nËn går penÒmenoi / énãphrã soi yÊousin ≥dh bo˝dia, / Levtrof€dou leptÒtera ka‹ Yaumãntidow, Ath. XII 551 a = PCG V 577, Fr. 36). In den im Jahr 414 v. Chr. aufgeführten Vögeln des Aristophanes macht Peisthetairos dem manieriert auftretenden Dithyrambendichter Kinesias gegenüber den ulkigen Vorschlag (Av. 1405–1407), einen Vogelchor (xorÚn petom°nvn Ùrn°vn) für Leotrophides, den Choregen der Phyle Kekropis, einzustudieren (informativ dazu Dunbar 1995, 673). Der Witz bestand offenbar darin, daß Leotrophides infolge seiner vogeldürren Hagerkeit für eine derartige Aufgabe wie prädestiniert erscheinen mochte. So zählen denn die Scholien zu Av. 1406 a, c, d (Holwerda, Aves 206–207) Leotrophides in Erklärung der aristophanischen Pointe zu den ganz besonders Ausgezehrten, den sfÒdra lepto€. Das Scholion zu Av. 1406 b zitiert den Komiker Theopompos, der Leotrophides in den KapÆlidew mit unüberbietbarer Direktheit einen eÎxrvw ... ka‹ xar€eiw Àsper nekrÒw genannt hatte (PCG VII 720, Fr. 25). Eine Identifizierung des Leotrophides mit dem Strategen, der im Jahr 409 v. Chr. eine überlegene megarische Streitmacht bei Nisaia besiegte (D. S. XIII 65, 1–2), kann jedoch nicht als gesichert gelten. Im Gegensatz zu dem verhältnismäßig wenig bekannten Leotrophides galt der erstklassige Ringer Milon aus Kroton aus der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. die gesamte Antike hindurch als prototypischer Paradeathlet. Über seine gewaltigen Körperkräfte, seine gemeinnützigen Taten und seinen legendären Tod waren viele Anekdoten im Umlauf (eine Auswahl: Paus. VI 14, 5–8, D. S. XII 9, 5–6, Str. VI 1, 12 = C 263, Ath. X 412 e–413 a). Seinen ersten olympischen und pythischen Sieg gewann er bereits als Knabe. Insgesamt brachte er es auf 32 Siege, davon ganze 6 in Olympia, mehr als jeder andere antike Athlet vor und nach ihm (Moretti 1957, Nr. 115, 122, 126, 129, 133, 139). Er war angeblich dermaßen stark, daß er einen Stier mitten durch ein Stadion zu tragen vermochte. Darauf nimmt Lukian in Cont. 8 Bezug, wo er Charon sagen läßt, daß selbst der bärenstarke Milon dereinst seinen Meister in Thanatos finden werde. Angesichts dieser außerordentlichen Kräfte Milons fehlte es in der Antike nicht an Versuchen, nach mitunter recht weit hergeholten Erklärungen für dieses physische Ausnahmephänomen zu suchen (so Plin. Nat. XXXVII 54, 144). Aelian (VH XII 22) zufolge wurde Milon einzig vom bärenstarken Hirten Titormos in den Schatten gestellt. Andere Beispiele erfolgreicher Athleten in vorliegender Schrift sind Nikostratos (Kap. 9) sowie Theagenes

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und Polydamas (Kap. 35). Einzig mit Nikostratos überschreitet Lukian den Radius des klassischen Exemplaschatzes, die zeitgenössische Athletik im Osten des römischen Reiches (dazu van Nijf 2001, bes. 320–329, erhellend van Nijf 2004) hingegen spielt in diesem Zusammenhang gar keine Rolle.

Kapitel 35 In Kapitel 35 wird die zuvor implizit angedeutete Frage nach dem Zuständigkeitsbereich einer Lehranweisung (vgl. dazu die Einleitung zu Kap. 34) in aller Klarheit gestellt und durchaus konventionell beantwortet. Der Nutzen (tÚ xrÆsimon) einer Belehrung (t°xnh) bestünde nicht etwa darin, nicht vorhandene Eigenschaften solcherart erst hervorzubringen (oÈk §w po€hsin t«n prosÒntvn), sondern darin, die Möglichkeiten für deren adäquate Nutzung zu schaffen (éllÉ §w xr∞sin aÈt«n tØn prosÆkousan). Dies könne nur dann gelingen, wenn im konkreten Fall der Geschichtsschreibung die in Kapitel 34 angegebenen Grundvoraussetzungen gegeben seien, sÊnesiw politikÆ und dÊnamiw •rmhneutikÆ. Und auch jetzt liefert der Sport geeignetes Anschauungsmaterial für das allgemeine Prinzip, daß ohne entsprechende Naturanlage (fÊsiw) sich durch t°xnh keinerlei Erfolg erzielen lasse, weder bei physischer noch bei geistiger Betätigung, welcher Art auch immer.

ÉAllå poË tÚ t∞w t°xnhw ka‹ tÚ t∞w sumboul∞w xrÆsimon; oÈk §w po€hsin t«n prosÒntvn, éllÉ §w xr∞sin aÈt«n tØn prosÆkousan.

Die Debatte über die Frage, nach Maßgabe welcher Kriterien denn einer Tätigkeit bzw. lehrhaften Vermittlung jeweils relevanter Kenntnisse und Fähigkeiten das Gütesiegel einer t°xnh zukomme, wurde vom Zeitalter der Sophistik an, namentlich unter impulsgebender Wirkung sophistischer Vordenker (dies ist klar herausgestellt von Heinimann 1961), die ganze Antike hindurch engagiert und nicht selten mit polemischer Schärfe geführt. Eine besondere Rolle spielten dabei konkurrierende Schulen unterschiedlicher philosophischer und rhetorischer Richtungen (zur Herausbildung des Technebegriffes vgl. die umfassende Darstellung bei Nesselrath 1985, 123–239). Eine besondere Facette des im Zuge dieser Debatte zunehmend präziser gefaßten Techneverständnisses ist der Aspekt des für jegliche t°xnh konstitutiven Nutzeffektes. In diesem Sinne ist denn auch die Frage des Sokrates (Pl. R. I 341 d) zu verstehen: OÈ ka‹ ≤ t°xnh ... §p‹ toÊtƒ p°fuken, §p‹ t“ tÚ jumf°ron •kãstƒ zhte›n te ka‹ §kpor€zein; und als ein Beispiel wird in diesem Kontext die Heilkunst genannt (341 e), als deren Nutzen im Charmides (Chrm. 165 c–d), in welchem Sokrates als Arzt auftritt (zu der Funktion dieser Arztrolle Cordes 1994, 153–158, zum Technecharakter der Medizin bei Platon 138–139), die Gesundheit (Íg€eia) angegeben wird. Desgleichen weist Aristoteles jeweils an prononcierten Stellen auf den Nutzen jeglicher t°xnh hin (so Metaph. A 1, 981 b 15; EN I 1, 1094 a 1–2), was auch für die Rhetorik im Speziellen gelte (Rh. I 1, 1355 b 9: ≤ =htorikØ ... xrÆsimow). In den Scholia Vaticana zu Dionysios Thrax wird die einschlägige Ansicht des Aristoteles mit den Worten wiedergegeben: t°xnh §st‹n ßjiw ıdoË toË sumf°rontow poihtikÆ (Hilgard 108, Z. 29–30). Besonders produktiv wurde der Technizitätsdiskurs in der Folgezeit innerhalb der Stoa geführt. Während in der Definition des Kleanthes (SVF I Fr. 490, die lateinische Fassung bei Quint. Inst. II 17, 41, vgl. SVF I Fr. 72: die Ansicht Zenons) der Nutzeffekt der t°xnh noch nicht explizit aufscheint, nimmt er in der stoischen Schuldefinition Zenons (SVF I Fr. 73, die lateinische Fassung bei Quint. Inst. II 17, 41, vgl. SVF II Fr. 93–97: Chrysippos), welche auf den Diskurs der Folgezeit nachhaltig gewirkt hat (so Quint. Inst. II 17, 41), eine zentrale Stellung ein. Die Definition lautet: ZÆnvn d° fhsin

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˜ti t°xnh §st‹ sÊsthma §k katalÆcevn suggegumnasm°nvn prÒw ti t°low eÎxrhston t«n §n t“ b€ƒ. Noch stärkere Akzentuierung des praktischen Nutzeffektes findet sich bei den Epikureern. In

diesem Sinne sagt Diogenes von Oinoanda (Chilton 20, Fr. 10, col. II, Z. 8–9 = Grilli 47, Fr. 11 = William 17, Fr. 10): pãsaw (scil. tåw t°xnaw) går §g°nnhsan afl xre›ai. Und in den Scholia Vaticana (Hilgard 108, Z. 27–29) ist die epikureische Position mit folgenden Worten wiedergegeben: t°xnh §st‹ m°yodow §nergoËsa t“ b€ƒ tÚ sumf°ron. Ähnliche Ansichten wie die in den Philosophenschulen vertretenen finden sich in allen Bereichen des kulturellen Lebens (Isnardi 1982, bes. 259–262 konnte in einer sehr anregenden Studie zeigen, daß Polybios, im Einflußbereich hellenistischer Intellektueller stehend, durch Gleichstellung mit anderen anerkannten Technai auch die Historiographie in den Rang einer Techne erhob), besonders in der Rhetorik. So widmet Quintilian (Inst. II 16) der quaestio, an utilis rhetorice breiten Raum, einer Frage, welche aus der Sicht des Verfassers nur positiv beantwortet werden kann, besonders dann, wenn der Redner selbst ein vir bonus (Inst. II 16, 11 und 19, vgl. II 17, 43) sei. Weitere Belege bei Dahlmann 1953, 110, Heinimann 1961, bes. 117–118 und Nesselrath 1985, bes. 182–185. Worin besteht im konkreten Fall von Lukians Lehrschrift der Nutzen (tÚ xrÆsimon) von t°xnh und sumboulÆ? Die einleuchtende Antwort lautet: nicht in der Hervorbringung (po€hsiw) von Eigenschaften (t«n prosÒntvn, zu der Bedeutung von tå prosÒnta ist zu vergleichen Pl. Mx. 235 a, bei Lukian selbst Pr. Im. 6 und 20), sondern vielmehr in deren sachadäquater Nutzung (§w xr∞sin .... tØn prosÆkousan). Oder anders ausgedrückt: die t°xnh sei also nicht in der Lage, fehlende intellektuelle Qualität (fÊsiw) zu ersetzen; vielmehr komme ihr die Funktion zu, vorhandenes geistiges Potential im Dienste der Sache zielgenau zu steuern. Damit ist die allbekannte Fragestellung angesprochen, welchem unter den beiden Faktoren „Begabung“ und „Erziehung“ denn bei der Menschenbildung größerer Stellenwert zukomme. Angeregt wurde diese Debatte wiederum von den Sophisten, welche der unhinterfragt nach der Seite der fÊsiw hin orientierten alten Adelsethik optimistisches Vertrauen in die Lehr- und Erlernbarkeit der éretÆ gegenüberstellten (exemplarisch für Protagoras ist Pl. Prt. bes. 323 a–324 d, DK II 80 B 3, für Antiphon DK II 87 B 60). Für die Folgezeit von großer Bedeutung war die Position des Schulgründers Isokrates. Dieser thematisierte in seiner programmatischen Werbeschrift katå t«n sofist«n (or. 13, 14–18, bes. 14–15) den Effekt von pa€deusiw auf einen über die beiden Voraussetzungen von fÊsiw und §mpeir€a verfügenden Schüler. Und in seinem späten Rechenschaftsbericht per‹ éntidÒsevw (or. 15, 178–214, bes. 185) bestimmte Isokrates den ebenso für die Disziplinen von Gymnastik bzw. Athletik wie für die Rhetorik gültigen Wert der paide€a dahingehend, daß sie bei dem Schüler eben nur dann voll greifen könne, wenn dieser von vornherein eine entsprechende fÊsiw als Fundament mitbringe; sei dies nicht der Fall, so sei ein Lernfortschritt nur innerhalb eng gezogener Grenzen möglich. Die angesprochene Thematik wurde im ausgehenden 5. sowie im 4. Jh. v. Chr. ausgiebig diskutiert. Belege finden sich bei C. W. Müller 1975, 220–249 und Vretska 1979, 130–131. Für die rhetorisch–ästhetische Theorie liegt eine präzise Bestimmung des Stellenwertes von t°xnh vor bei Ps. Longinos, der das ganze zweite Kapitel seiner Poesie und Prosa gleichermaßen berücksichtigenden Schrift einer Verteidigung des praktischen Nutzens von t°xnh (dafür bei ihm die Begriffe texnikå paragg°lmata, texnolog€ai, m°yodow, §pistÆmh) widmet. Gerichtet ist dieser Diskurs gegen eine einseitige Überschätzung des Faktors fÊsiw, wie sie sich bei all denen finde, welche folgende Ansicht vertreten (2, 1): gennçtai går ... tå megalofu∞ ka‹ oÈ didaktå parag€netai, ka‹ m€a t°xnh prÚw aÈtå tÚ pefuk°nai. Demgegenüber bestimmt Ps. Longinos nun seinerseits den Nutzen von t°xnh so (2, 2): tåw d¢ posÒthtaw ka‹ tÚn §fÉ •kãstou kairÚn ¶ti d¢ tØn éplanestãthn êskhs€n te ka‹ xr∞sin flkanØ por€sai ka‹ sunenegke›n ≤ m°yodow. Und in 36, 4 stellt dieser ebenso

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unmißverständlich fest: prosÆkei ... boÆyhma tª fÊsei pãnth por€zesyai tØn t°xnhn: ≤ går éllhloux€a toÊtvn ‡svw g°noitÉ ín tÚ t°leion. Horaz, um nun auch die lateinischen Quellen ins Blickfeld zu rücken, vertritt für die Poesie die ausgewogene Ansicht, daß im Unterschied zu der Überschätzung des Faktors ingenium gegenüber der ars durch Demokrit (Hor. Ars 295–297) erst das organisch sich vollziehende Ineinandergreifen beider Faktoren zum gewünschten Ziel geglückten poetischen Schaffens führe (Hor. Ars 408–411): natura fieret laudabile carmen an arte / quaesitum est: ego nec studium sine divite vena / nec rude quid prosit video ingenium; alterius sic / altera poscit opem res et coniurat amice. Cicero, der allerdings für den Sonderfall der Poesie, wohl in der Tradition des Demokrit, die Prävalenz des Faktors der natura konzediert (Arch. 8, 18), sieht ansonsten sein Bildungsideal dann erfüllt, wenn beide Faktoren (natura und doctrina) eine fruchtbare Synthese eingingen (Arch. 7, 15): Atque idem ego hoc contendo, cum ad naturam eximiam et illustrem accesserit ratio quaedam conformatioque doctrinae, tum illud nescio quid praeclarum ac singulare solere existere. Und in der Schrift De oratore (I 25, 115) läßt er seinen Crassus die Ansicht vertreten, daß die doctrina imstande sei, an sich vorhandene Vorzüge (bona) noch zu verbessern. Ebenso weit verbreitet war der Gedanke, daß die ars nur auf der Grundlage der natura ihre Wirkung entfalten könne. In diesem Sinne äußert sich Quintilian (Inst. I praef. 26): illud tamen in primis testandum est, nihil praecepta atque artes valere nisi adiuvante natura. Der in jeder Hinsicht vollkommene Redner (der consummatus orator) werde durch eine Kombination der Faktoren natura und doctrina geschaffen. Und nur auf diesem höchsten rhetorischen Niveau sei der Faktor der doctrina von größerer Relevanz als die bloße natura (Quint. Inst. II 19, 1–2). Ähnliche programmatische Äußerungen finden sich auch in fachwissenschaftlichem Schrifttum. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist Vitruvius (I 1, 3), welcher das Anforderungsprofil des Architekten gleichermaßen durch ingenium wie auch durch disciplina bestimmt wissen will: Neque enim ingenium sine disciplina aut disciplina sine ingenio perfectum artificem potest efficere.

oÂÒn ti ém°lei ka‹ ÖIkkow ka‹ ÑHrÒdikow ka‹ Y°vn ka‹ e‡ tiw êllow gumnastØw ÍpÒsxointo ên soi, oÈ tÚn Perd€kkan paralabÒntew – efi dØ otÒw §stin ı t∞w mhtruiçw §rasye‹w ka‹ diå taËta katesklhk≈w, éllå mØ ÉAnt€oxow ı toË SeleÊkou Straton€khw §ke€nhw – épofa€nein ÉOlumpion€khn ka‹ Yeag°nei t“ Yas€ƒ µ Poludãmanti t“ Skotoussa€ƒ ént€palon, éllå tØn doye›san ÍpÒyesin eÈfuç prÚw ÍpodoxØn t∞w gumnastik∞w parå polÁ éme€nv épofa€nein metå t∞w t°xnhw.

tØn doye›san ÍpÒyesin: bei Macleod 1980, 309 fehlt der durch die Überlieferung gesicherte Artikel tØn. ÖIkkow ka‹ ÑHrÒdikow ka‹ Y°vn: Ikkos aus Tarent, von DK I 25 unter die Vorsokratiker gereiht,

war Pausanias (VI 10, 5) zufolge Olympiasieger im Pentathlon. Während dieser aber das Datum dieses Sieges unbestimmt läßt, gibt Stephanos von Byzanz (s. v. Tãraw, Westermann 268) singulär die 77. Olympiade an, d. h. das Jahr 472 v. Chr. Diese Angabe ist jedoch umstritten, da sie nur unter philologischen Eingriffen in die Textüberlieferung mit der für diesen Zeitraum erhaltenen Olympionikenliste von Oxyrhynchos (FGrH III B 415, Fr. 1) harmonisiert werden kann. Das Problem wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt und eifrig diskutiert. Hinweise auf diese einschlägige Debatte gibt Jüthner 1909, 8. Zuletzt hat sich dazu Manuwald 1999, 144–145 in knapper Form geäußert. Ikkos war also nach dem Ausweis der Quellen augenscheinlich eine weit über die Grenzen seiner athletischen Profession hinaus bekannte, imponierende Persönlichkeit. Platon (Lg. VIII 839 e–840 a) führt ihn innerhalb der Diskussion des Atheners über die Einführung eines

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Gesetzes zu der Beherrschung und Eindämmung sexueller Begierden als ein probates Beispiel für eine geglückte Kombination aus den Eigenschaften der svfrosÊnh und der éndre€a sowie auch für konsequent durchgehaltene sexuelle Enthaltsamkeit während der gesamten Zeit des Trainings an. Die auch in anderer Beziehung maßvolle Lebensführung des Ikkos wird in den Quellen mehrfach erwähnt. So weiß Aelian (VH XI 3) über ihn zu berichten: ... ÖIkkow ı Tarant›now palaistØw ÍpÆrjato svfron°steron tÚn t∞w éylÆsevw xrÒnon diaz∞n ka‹ kekolasm°n˙ trofª diabi≈saw ka‹ ÉAfrod€thw émayØw diatel°saw. Eine ähnliche Charakteristik der anspruchslosen Lebensweise des Ikkos findet sich bei Eustathios, und zwar in den Kommentaren zu Hom. Il. E 801 van der Valk II

206, Z. 9–11 und zu D. P. 376 Bernhardy I 164, Z. 1–3 = GGM II 285, Z. 14–16. Nach seiner aktiven Zeit als ein Wettkampfsportler war Ikkos Pausanias (VI 10, 5) zufolge der beste Sportlehrer (gumnastÆw) seiner Zeit: Ïsteron gumnastØw êristow l°getai t«n §fÉ aÍtoË gen°syai. Im platonischen Protagoras (316 d–e) wird Ikkos ebenso wie Herodikos von Protagoras zu denjenigen gezählt, welche sich aus Furcht vor Anfeindung und Neid nicht offen zur sofistikØ t°xnh zu bekennen gewagt hätten und die daher eine andere t°xnh als Vorwand für ihre mancherlei Verdächtigungen ausgesetzte sophistische Praxis benutzt hätten; solche verkappte Sophisten hätten sich hinter verschiedenen Künsten bedeckt gehalten, hinter der Dichtung (Homer, Hesiod, Simonides), hinter Mysterien und Orakeln (Orpheus, Musaios), hinter der Musik (Agathokles, Pythokleides) oder eben hinter der Gymnastik (Ikkos, Herodikos). Stephanos von Byzanz (s. v. Tãraw, loc. cit.) sowie auch Eustathios (zu Hom. Il. E 801, loc. cit.) legen ihm das Attribut eines Arztes (fiatrÒw) bei, ein Attribut, welches vor dem Hintergrund eines wohl häufigen Vergleiches des Ikkos insbesondere mit dem Sportarzt Herodikos durchaus sinnvoll ist. Iamblichos (VP 36, 267, Deubner 144, Z. 16) schließlich reiht einen Mann namens Ikkos sogar singulär unter die tarentinischen Pythagoreer. Die angebliche schriftstellerische Aktivität des Ikkos (so die alte These Jüthners 1909, 9: „Turnbuch“) indes basiert auf reiner Spekulation. An oben genannter Stelle (siehe die Anmerkung zu Ikkos) im platonischen Protagoras (316 d–e) wird neben Ikkos auch Herodikos aus Selymbria als einer derer, welche sich unter dem Vorwand der gumnastikÆ tatsächlich der sofistikØ t°xnh befleißigt hätten, mit folgenden Worten erwähnt: ı nËn ¶ti Ãn oÈdenÚw ¥ttvn sofistØw ÑHrÒdikow ı ShlumbrianÒw, tÚ d¢ érxa›on MegareÊw. Diese Stelle läßt sich in zweifacher Weise für die Biographie des Herodikos auswerten, und zwar a) der Sprecher Protagoras bezeichnet Herodikos gegenüber dem älteren Ikkos als seinen Zeitgenossen (ı nËn ¶ti Ãn), b) Herodikos, gebürtig aus Megara, übersiedelte später in die megarische Kolonie Selymbria in Thrakien an der Nordküste der Propontis. Er ist zu unterscheiden vom Arzt Herodikos aus Leontinoi, dem von Platon (Grg. 448 b, 456 b–c) erwähnten Bruder des wohlbekannten Sophisten Gorgias aus Leontinoi. Späte Quellen brachten Herodikos aus Selymbria in Zusammenhang mit Hippokrates, indem sie bald ein Lehrerverhältnis (Suid. s. v. ÑIppokrãthw Adler II 662, Z. 11–12; vgl. Tz. H. 7, 155, Kiessling 276, Vers 960), bald ein Schülerverhältnis (Plin. Nat. XXIX 1, 2: das überlieferte Prodicus ist in Herodicus zu ändern, siehe weiter unten) konstruierten. Herodikos (Gossen 1912 und Jüthner 1909, 9–16) war ein Bahnbrecher auf dem Gebiet der Sportmedizin bzw. der Heilgymnastik. Die Grundgedanken, auf denen dieser sein Lehrgebäude aufbaute, sind in dem sog. Menonexzerpt verzeichnet. Bei diesem handelt es sich um einen leider stark beschädigten Papyrus (Diels 1893, 422 unternahm einen umstrittenen Versuch einer Rekonstruktion des Wortlauts). Zu solchen Gedanken wurde Herodikos wohl inspiriert durch seinen Beruf als Sportlehrer (paidotr€bhw wird er genannt von Pl. R. III 406 a 7). Eine Anspielung in dem platonischen Phaidros (227 d) auf Gewaltmärsche des Herodikos illustriert die Strenge von dessen Anordnungen. Nicht selten schoß Herodikos offensichtlich über das Ziel hinaus; so wandte er selbst bei akuten Krankheiten seine 483

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diätetischen Methoden an. Damit zog er sich die berechtigte Kritik der Schulmedizin zu, die noch innerhalb des Corpus Hippocraticum in der Polemik des Verfassers von Epid. VI 3 (Littré V 302, 18) faßbar ist: ÑHrÒdikow toÁw pureta€nontaw ¶kteine drÒmoisi, pãl˙si pollªsi, pur€˙si, kakÚn, tÚ puret«dew pol°mion pãl˙si, periÒdoisi, drÒmoisin, énatr€cei. Aristoteles (Rh. I 5, 1361 b 3–6) stellt einem richtig verstandenen Begriff von Gesundheit (s≈matow d¢ éretØ Íg€eia, aÏth d¢ oÏtvw Àste énÒsouw e‰nai xrvm°nouw to›w s≈masin) die krampfhaften, dem Leben weitgehend entfremdenden diätetischen Programme nach Art des Herodikos gegenüber (pollo‹ går Ígia€nousin Àsper ÑHrÒdikow l°getai, oÓw oÈde‹w ín eÈdaimon€seie t∞w Ígie€aw diå tÚ pãntvn ép°xesyai t«n ényrvp€nvn µ t«n ple€stvn). Bereits Platon (R. III 406 a 7–b 9) spricht in unverkennbar

ironischem Ton über die neumodischen Heilmethoden des Herodikos, die, wie er erklärt, den alten Ärzten, den Asklepiaden, mit gutem Grund noch unbekannt gewesen seien. Mittels eines ausgeklügelten und all seine Energien in Anspruch nehmenden diätetischen Programmes (einer t°xnh) hätte Herodikos demnach seine tödliche Krankheit bis ins hohe Alter dahingeschleppt: ÑHrÒdikow d¢ paidotr€bhw Ãn ka‹ nos≈dhw genÒmenow, m€jaw gumnastikØn fiatrikª, ép°knaise pr«ton m¢n ka‹ mãlista •autÒn, ¶peitÉ êllouw Ïsteron polloÊw. Pª dÆ; ¶fh. MakrÒn, ∑n dÉ §g≈, tÚn yãnaton aÍt“ poiÆsaw. parakolouy«n går t“ nosÆmati yanas€mƒ ˆnti oÎte fiãsasyai, o‰mai, oÂÒw tÉ ∑n •autÒn, §n ésxol€& te pãntvn fiatreuÒmenow diå b€ou ¶zh, époknaiÒmenow, e‡ ti t∞w efivyu€aw dia€thw §kba€h, dusyanat«n d¢ ÍpÚ sof€aw efiw g∞raw éf€keto. KalÚn êra tÚ g°raw ¶fh, t∞w t°xnhw ±n°gkato. Auf der Grundlage dieses Passus benennt Plutarch (De sera numinis vindicta 9, 554 c) diese Krankheit des Herodikos als die Schwindsucht (fy€siw), welche übrigens auch mit dem

von Lukian genannten Perdikkas in eine Verbindung gebracht wurde (vgl. die nächste Anmerkung). Die platonische Ironie jedenfalls, wie sie in dem oben zitierten Text zu Tage tritt, ruft die Erinnerung wach an die prägnanten taciteischen Formulierungen: parum est aegrum non esse bzw. auch prope est ab infirmitate in quo sola sanitas laudatur (Dial. 23, 4). Plinius (Nat. XXIX 1, 2) bringt Herodikos (so richtig für das überlieferte Prodicus Ernout 72: „Prodicus est une erreur de Pline“) in einen Zusammenhang mit der in römischer Kaiserzeit praktizierten iatraliptice. Als ÉIatrale›ptai wurden solche Ärzte bezeichnet, welche sich zugleich als fiatrÒw und als gumnastÆw betätigten (so Cels. I 1, 1 in dem Einleitungssatz zu seiner Schrift, weitere Belege bei Gossen 1914). Bei Theon von Alexandreia handelt es sich jedoch im Unterschied zu Ikkos und Herodikos um einen zeitgenössischen Schriftsteller aus der ersten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr., welcher eine gymnastische Schrift mit dem Titel per‹ t«n katå m°row gumnas€vn (alternativer Titel gumnastikã) in vier Büchern verfaßte. Außer von Galen, der sich in seinen hygienischen Schriften (ÑUgieinã) sowie in einer Monographie zur Frage, ob die Hygiene der Medizin oder der Gymnastik zuzuordnen sei (Titel YrasÊboulow), mit der Lehre Theons kritisch auseinandersetzt (die Belege bei Deichgräber 1934), wird er von keinem anderen antiken Autor jemals erwähnt. Theon, der vormals Sportler gewesen war, erteilte, so viel läßt sich aus Galens Bezugnahmen auf Theons Lehrgut erkennen, nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn in einem sich auf empirische Daten stützenden Buch praktische Maßregeln für den Berufsathleten. Perd€kkan ... ÉAnt€oxow: Die Liebe des Antiochos I. Soter, des Sohnes des Seleukos I. Nikator, zu

seiner Stiefmutter Stratonike, der Tochter des Demetrios Poliorketes, ist ein in den verschiedensten Literaturgattungen häufig erzählter Stoff mit allen Merkmalen einer Novelle. Die Berichte Plutarchs (Demetr. 38) und Appians (Syr. 10, 59–61) harmonieren in allen wesentlichen Grundzügen miteinander: Antiochos habe sich demnach heillos in seine Stiefmutter verliebt, jedoch aus Schamhaftigkeit nichts davon verraten; in seiner Verzweiflung habe er den Entschluß gefaßt, sich

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zu Tode zu hungern; während der Vater und mit ihm der ganze Königshof geglaubt hätten, dieser sei einer unheilbaren Krankheit verfallen, habe sodann der Arzt Erasistratos als einziger den wahren Grund für Antiochos’ Siechtum entdeckt (so auch im pseudolukianischen Timarion 28) und durch kluge Strategie den Vater Seleukos dazu gebracht, seine Frau an Antiochos abzutreten. So findet die Sache schließlich doch ein für alle Beteiligten einschließlich des Vaters glückliches Ende. Eine verkürzte Fassung desselben Stoffes liegt beispielsweise bei Valerius Maximus (V 7, ext. 1) vor, da die List des Arztes ausgespart ist; zudem findet sich hier die als Alternative zu Erasistratos angebotene singuläre Variante, derzufolge die List durch den Mathematiker Leptines entdeckt worden sei. Lukians ausführlicher Bericht in der Schrift De Syria Dea (17–18) harmoniert in allen wesentlichen Punkten mit der Version Plutarchs und Appians, nur daß darin die Namen Antiochos und Erasistratos überhaupt nicht vorkommen. Andernorts spielt Lukian en passant wieder auf denselben Stoff an, und zwar in Cal. 14, wo der Name Antiochos ebenfalls fehlt, und in Icar. 15, wo Antiochos genannt ist und darüberhinaus das verstohlene Zunicken des Antiochos zu seiner Stiefmutter möglicherweise auf das Wirken einer pikanten erotischen Quellenfassung schließen läßt, die der passiven Ergebenheit, welche konstitutiv ist für die durch Plutarch und Appian repräsentierte Version, gegenübersteht. Ohne jegliches Detail zu nennen, bezeichnet Lukian (Salt. 58) die Liebe zu Stratonike als geeigneten Stoff für pantomimische Darstellung (die Reihe hellenistischer Stoffvorlagen endet mit Kleopatra, Salt. 37). In keiner dieser Quellen jedoch scheint als Opfer inzestuöser Liebesleidenschaft der hier an erster Stelle genannte Perdikkas auf. Dieser Umstand hat lange Zeit Verwirrung gestiftet, und selbst der gelehrte Hermann 1828, 220–221 mußte ausnahmsweise seine Ratlosigkeit eingestehen. Schließlich wurde das Problem durch Rohde 19143, 55–59 mit dem Hinweis auf Bährens 12–16 gelöst; Rohde wies erstmals darauf hin, daß in der Vita Hippocratis des Ps. Soranos der bekannte Novellentypus diesmal unter dem Namen des Makedonenkönigs Perdikkas II. (ca 450–413 v. Chr.), des Sohnes des Alexandros I., erzählt ist, und er stellte mit plausiblen Gründen einen Zusammenhang zu dem vorliegenden Lukian–Passus her. Bei dieser Vita Hippocratis secundum Soranum (Ilberg 176, Müri 46–47) handelt es sich wohl weitgehend um einen Auszug aus der Biographie des Arztes Soranos, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. ein Buch über Leben und Lehre der Ärzte verfaßte. In Kap. 5 Ilberg findet sich hier die Erzählung, Perdikkas sei, wie man am Königshof glaubte, an Schwindsucht (fy€siw) erkrankt, der herbeigerufene Hippokrates indes habe die wahre Ursache erkannt, die Verliebtheit des Perdikkas nach dem Tode des Vaters Alexandros in dessen Nebenfrau (pallak€w) Phila (zu diesem zuerst von Hippokrates und Erasistratos, danach von Galen praktizierten diagnostischen Verfahren vgl. Ilberg 1971, 381–382). So habe er dieser die Ursache gesagt und damit Perdikkas wieder gesund gemacht. Auch in dieser Version findet die Geschichte ein glückliches Ende. Nebenbei sei noch vermerkt, daß ein unheilvoller Ausgang dieser Geschichte erst aus dem 5. Jh. n. Chr. belegt ist. In der Aegritudo Perdicae (Text: Riese 285–296, c. 808), einem 290 Verse umfassenden Epyllion, wird Perdicas, ein Verächter der Venus (V. 15–16), der gerade von einem Studienaufenthalt in Athen zurückgekehrt ist, durch Eros mit unheilbarer Liebesleidenschaft zu seiner Mutter (nicht zur Stiefmutter), die hier Castalia heißt (V. 79), bestraft. Hippocrates (V. 152) entdeckt auch hier den Grund der Krankheit, doch kann hier diese Erkenntnis den Lauf der Dinge nicht mehr aufhalten, der schließlich zu dem narrativ gut vorbereiteten Selbstmord des unseligen Perdicas führt. Der Name Perdiccas findet sich weiters auch im Hylasgedicht des Dracontius (V. 40–41: privignoque suo potiatur blanda noverca / alter erit Perdicca furens). Über den Autor der Aegritudo Perdicae und zu dessen zeitlichem Verhältnis zu Dracontius vgl. die Literaturhinweise bei Bouquet / Wolff 11–12.

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Im Anschluß an Rohdes Lösung des Problems vermutete sodann Immisch 1932, 116–117, „ein solcher Selbstkommentar“ (efi dØ otÒw §stin ktl) erkläre sich daraus, daß Lukian eben eine Vorlage benutzt habe, die „in eine Zeit zurückreichen muß, wo der Autor eines derartigen Kommentars noch nicht bedurfte“. Mit dieser Erklärung ist bei Immisch die bei ihm auch sonst deutlich feststellbare (vgl. den Kommentar zu Kap. 57: Pary°niow ktl) Einschätzung verbunden, Lukian habe über keine allzu große Sachkunde verfügt. Damit ist Lukians Fähigkeit, mit traditionellen Elementen ein ebenso kenntnisreiches wie souveränes Spiel zu treiben, unterschätzt. Zu katesklhk≈w: Lukian hat eine Vorliebe für perfektische Formen von katask°llein in der Bedeutung von „bis zum Skelett abgemagert sein“, vor Hunger (DMort. 22, 7), Sorgen (Gall. 29) oder unmäßigen Anstrengungen (Herm 2). Das Perfektpartizip in der Verbindung mit paralambãnein (Sinn: „als Rohstoff zur Formung übernehmen“) erscheint, so wie hier, in Bis Acc. 34: tÚn Diãlogon ... paralab∆n ... ÍpÚ t«n sunex«n §rvtÆsevn katesklhkÒta ... pr«ton ... §p‹ g∞w ba€nein e‡yisa. Yeag°nei ... Poludãmanti: Der aus Thasos gebürtige Theagenes (um 500 v. Chr.) zählt zur

anerkannten Riege der prominentesten antiken Athleten. Sein Name wird in verschiedenen Varianten überliefert. Während die delphische Inschrift ihn Yeug°nhw und Yeog°nhw nennt (Yeug°nhw ist auch im Epigramm des Poseidippos bei Ath. X 412 d–e die aus metrischen Gründen einzig mögliche Namensform), findet sich in den Handschriften zu Pausanias ebenso wie in denen zu Lukian die Variante Yeag°nhw. Die Suda führt ihn sub voce Yeog°nhw. Im Folgenden wird er gemäß der Textüberlieferung zu Lukian Theagenes genannt. Bekannt sind von ihm 2 Siege in Olympia, zum einen im Faustkampf (Paus. VI 6, 5), zum anderen im Pankration (Paus. VI 11, 4). Überhaupt war er der erste, der olympische Siege in beiden dieser Kampfgattungen erringen konnte (Paus. VI 15, 3). Und in Übereinstimmung mit der delphischen Inschrift verzeichnet Pausanias (VI 11, 4–5) weitere 22 Siege des Theagenes in diesen seinen beiden Spezialdisziplinen, und zwar bei den pythischen, nemeischen und isthmischen Spielen. Demzufolge war Theagenes bei allen der vier großen panhellenischen Bewerbe (genannt ≤ per€odow) erfolgreich, wie Plutarch (Praecepta gerendae reipublicae 15, 7, 811 d ... tØn per€odon nenikhk≈w) vermerkt. Insgesamt soll er Pausanias (VI 11, 5) zufolge 1400 Siegeskränze errungen haben, während die delphische Inschrift immerhin noch von 1300 Siegen weiß. So habe ihn denn die Pythia als einen muriãeylow bezeichnet (D. Chr. or. 31, 97). Seine überragende physische Konstitution hätte sich schon früh bemerkbar gemacht, denn bereits im Alter von 9 Jahren sei er imstande gewesen, eine bronzene Götterstatue auf seinen Schultern zu tragen, ein Ruhm, der sich sogleich über ganz Griechenland hin verbreitet habe (Paus. VI 11, 2–3). Wegen seiner außerordentlichen Körperkräfte (D. Chr. or. 61, 97: §dÒkei =≈m˙ dienegke›n t«n kayÉ aÍtÒn) macht ihn eine thasische Lokallegende zu dem Sohn des (thasischen) Herakles, der als fãsma mit seiner Mutter verkehrt habe (Paus. VI 11, 2–3). Mit Herakles verbindet ihn auch der für Kraftprotze typische enorme Appetit. Er wäre nämlich in der Lage gewesen, alleine einen ganzen Stier auf einen Sitz zu verzehren (Ath. X 412 d–e). Vielerorts wurden dem Theagenes Standbilder errichtet, und er fand Verehrung als Heilgott (Paus. VI 11, 9). Lukian (Deor. Conc. 12) weiß zu berichten, daß die Statue des Theagenes ebenso wie die des Polydamas imstande gewesen wäre, Fieberkranke zu heilen (≥dh ka‹ ı Poludãmantow toË éylhtoË éndriåw fiçtai toÁw pur°ttontaw §n ÉOlump€& ka‹ ı Yeag°nouw §n Yãsƒ ...); im 2. Jh. n. Chr. war der Glaube an die Heilkraft von Statuen weit verbreitet (dazu Jones 1986, 49). Polydamas, gebürtig aus Skotusa (SkotoËssa) in Thessalien (Paus. VI 5, 2) repräsentiert gemeinsam mit Glaukon und Milon (zu diesem vgl. Kap. 34) in Herod. 8 die Starriege der olympischen Wettkämpfer. Dieselbe Trias steht auch in Pr. Im. 19 für die prototypischen Vertreter außerordentlicher männlicher Kraft (fisxÊw). Pausanias zufolge (VI 5, 4) errang Polydamas mehrfach

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Siegeskränze in der Kampfgattung des Pankration, Platon (R. I 338 c) nennt seinen Zeitgenossen ı pagkratiastÆw, und Eusebios (Schoene I 204, Z. 32–33) belegt einen Sieg des Polydamas im Pankration für die 93. Olympiade, d. h. für das Jahr 408 v. Chr. (pagkrãtion PolÊdamaw Skotoussa›ow Ípermeg°yhw ...). Darüberhinaus weiß Pausanias (VI 5, 5–7) von andersartigen Wundertaten des Polydamas zu berichten. 1) Am Olymp habe er einen großen, starken Löwen ganz ohne jede Waffe besiegt, was von Pausanias als eine demonstrative Heraklesimitatio interpretiert wird: proÆxyh d¢ §w tÚ tÒlmhma filotim€& prÚw tå ÑHrakl°ouw ¶rga, ˜ti ka‹ ÑHrakl°a ¶xei lÒgow krat∞sai toË §n Nem°& l°ontow. 2) Einen besonders großen und wilden Stier habe er so fest an einem der Hinterbeine gepackt, daß dieser nur unter Verlust seiner Hufe habe entkommen können. 3) Er habe einen in voller Fahrt befindlichen Wagen mit schierer Muskelkraft zum Stillstand gebracht. 4) In Susa habe er drei der sogenannten éyãnatoi im Kampf besiegt und getötet. Doch gerade seine Kraft (=≈mh) bzw. sein in dem Gefühl der eigenen Stärke begründetes stolzes Selbstbewußtsein habe ihn schließlich zu Fall gebracht. Denn bei dem Versuch, die einstürzende Decke einer Höhle mit bloßen Händen zu stützen, sei er vom Felsen erschlagen worden (VI 5, 8–9). Ein Standbild (éndriãw) des Polydamas existierte in Olympia. Auf dessen Basis war ein Teil der großen Leistungen des Polydamas dargestellt, während die anderen in der Inschrift verzeichnet waren (VI 5, 7). Lukian (Deor. Conc. 12) zufolge wäre die Statue des Polydamas ebenso wie die des Theagenes (vgl. auch die Anm. z. St.) in der Lage gewesen, Fieberkranke zu heilen. Angeblich wurde Polydamas von Promachos aus Pellene in Olympia besiegt. Seine Landsleute, die Thessalier, freilich leugneten dies unter dem Hinweis u. a. auf folgendes §lege›on (Paus. VII 27, 6): Œ trof¢ Pouludãmantow énikãtou SkotÒessa. Andere Beispiele für erfolgreiche Athleten in dieser Schrift sind Nikostratos (Kap. 9) sowie Titormos und Milon (Kap. 34).

Àste ép°stv ka‹ ≤m«n tÚ §p€fyonon toËto t∞w Íposx°sevw efi t°xnhn fam¢n §fÉ oÏtv megãlƒ ka‹ xalep“ t“ prãgmati eÍrhk°nai: oÈ går ıntinoËn paralabÒntew épofa€nein suggraf°a fam°n, éllå t“ fÊsei sunet“ ka‹ êrista prÚw lÒgouw ±skhm°nƒ Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw (efi dØ toiaËtai fa€nontai) aÂw xr≈menow yçtton ín ka‹ eÈmar°steron tel°seien êxri [ka‹] prÚw tÚn skopÒn.

êxri [ka‹] prÚw tÚn skopÒn: ka‹2 wurde von Lange getilgt, und nach ihm von Fritzsche 1860, 84; die 12 weiteren Stellen, an denen Lukian das Idiom êxri prÚw verwendet (in DMort. 22, 5 ist êxri prÚw jedoch nur in der b–Klasse überliefert, Macleod IV 209: m°xri prÚw), weisen Macleods textkritischen Apparaten zufolge nirgendwo ein ka‹ auf; êxri ka‹ prÚw tÚn skopÒn: Macleod 1980, 309. tÚ §p€fyonon toËto t∞w Íposx°sevw: Lukian thematisiert häufig ebenso anmaßende wie unrealistische Versprechungen (Íposx°seiw) von Vertretern verschiedener t°xnai mitsamt der

ungläubigen bis zornigen Reaktion der Umwelt darauf, in den Bereichen von Handwerk (Phal. I 12), Architektur (Pr. Im. 9), Rhetorik (Rh. Pr. 4–5) und Philosophie (Pisc. 31 und Herm 76). In Kapitel 27 dieser Schrift läßt er demgegenüber den Autor das Versprechen (ÍpÒsxesiw) des dritten und didaktischen Teils der Schrift mit demonstrativer Bescheidenheitspose als einen Rat (sumboulÆ) bezeichnen. ıntinoËn paralabÒntew: Das Aoristpartizip von paralambãnein (so auch einige Zeilen weiter oben

von den Sportlehrern Ikkos, Herodikos und Theon) gebraucht Lukian stereotyp von der Übernahme des Schülers durch den Lehrer (Anach. 20: paralabÒntew aÈtoÁw didãskomen, Somn. 2: toËton ... d€daske paralab∆n ..., nach diesem Typus Rh. Pr. 11, Bis Acc. 27, Lex. 21, ähnlich Lex. 18 von Arzt und Patient). 487

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t“ fÊsei sunet“ ka‹ êrista prÚw lÒgouw ±skhm°nƒ Ípode€jein ıdoÊw tinaw Ùryãw: Seien erst einmal die in Kap. 34 formulierten Voraussetzungen von Naturtalent (fÊsiw) und sprachlichem Training (êskhsiw) gegeben, so könne dann auf dieser soliden Grundlage aufbauend die Lehranweisung ansetzen, für welche in den Kapiteln 34–36 die Begriffe t°xnh, sumboulÆ und didaskal€a stehen.

Hier jedoch, wo der Autor von sich selbst als einem Lehrer spricht, verwendet er statt des abstrakten Begriffes der Belehrung das anschauliche und demonstrativ unaufdringliche Bild des Wegweisens (Ípode€jein ıdoÊw tinaw). Traditionellerweise wird ja mit den termini technici ıdÒw bzw. ıdopoie›n und m°yodow (lat. via bzw. via ac ratio), die häufig in ein Nahverhältnis zu t°xnh gesetzt werden (Belege bei D. H. Comp. 25, Arist. EN I 1, 1094 a 1, Longin., bes. 1, 1 und 2, 1–2, zu verwandten Vorstellungen bereits im Corpus Hippocraticum vgl. Becker 1937, bes. 128–129, Anm. 59), die systematisch verfahrende Methode von Wissenschaft sowie t°xnh bezeichnet (vgl. die Technedefinitionen des Zenon, SVF I Fr. 72 und des Kleanthes, SVF I Fr. 790 mit der Übersetzung durch Quintilian, Inst. II 17, 41). Eine solche Wegmetaphorik (allgemein dazu Zweimüller 2008, 43–67) wird im Rhetorum praeceptor (bes. in Kap. 6–10) breit ausgeführt, wo bekanntlich von den beiden zur Rhetorik hinführenden Wegen die Rede ist, und wo auch, so wie hier in den Kapiteln 34 und 36, dasselbe Verbum ÍpodeiknÊnai zur Bezeichnung des Wegweisens wiederholt eingesetzt ist (Kap. 7 und 9). Und dieses selbe Verbum scheint auch bei der Bitte des Menippos an die Philosophen um Ratschläge für die richtige Lebensführung (Nec. 4: ... ıdÚn ... Ípode›jai toË b€ou) auf, desgleichen bei der Lehranweisung über den besten Tänzer (Salt. 74: ÉEy°lv ... Ípode›ja€ soi t“ lÒgƒ ıpo›on xrØ e‰nai tÚn êriston ÙrxhstÆn). Bereits bei Xenophon (Oec. 12, 18) dient das Verbum ÍpodeiknÊnai zur Bezeichnung der Tätigkeit des didãskalow. Lukian läßt so für die Zwecke vorliegender Schrift den Autor die Pose des Lehrers einnehmen, um diese jedoch sogleich im Sinne des Diatribenstiles wieder durch das einschränkende efi dØ (wenn denn überhaupt) toiaËtai fa€nontai abzuschwächen. Ein ähnliches Verfahren ist in der Einleitung der Schrift zu beobachten, wo der Autor den Ernst seiner Belehrung demonstrativ dadurch entschärft, daß er diese lediglich als para€nesin d° tina mikrån ka‹ ÍpoyÆkaw taÊtaw Ùl€gaw gewertet wissen will (Kap. 4). Und in Kap. 5 überläßt er mit einer ähnlich demonstrativen Pose anderen die Entscheidung darüber, ob sie die von ihm vorgeschlagenen Maßstäbe anerkennen wollten oder nicht (... tÚn kanÒna toËton prosãgontew, ≥nper ge dÒj˙ aÈto›w ÙryÚw e‰nai). Zudem zeigt er sich dort, ähnlich wie im Schlußkapitel (Kap. 63), seiner begrenzten praktischen Wirkungsmöglichkeiten durchaus bewußt. tel°seien êxri [ka‹] prÚw tÚn skopÒn: das Verbum tele›n (sc. tØn ıdÒn) in der intransitiven Bedeutung von „gelangen“ wird üblicherweise konstruiert mit e‡w ti (Tox. 52, so bereits Th. II 97, 1 und IV 78, 5) bzw. mit §p€ ti (Tim. 20). Die überhaupt nur bei Lukian vorkommende (Schmid I 1887, 397) Präpositionsverbindung êxri prÚw ist bei Lukian immerhin mit 13 Belegen vertreten. Dieselbe Formulierung wie hier (êxri prÚw tÚn skopÚn) in Nigr. 36, ähnlich Cont. 10 (êxri prÚw tÚ t°rma). In Kap. 44 dieser Schrift bezeichnet skopÒw sowohl die ethische als auch die stilistische Zielvorgabe

für den Historiker.

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Kapitel 36 Kapitel 36 führt den in den beiden vorangegangenen Kapiteln (Kap. 34–35) geführten Diskurs zum Stellenwert von Lehranweisung (t°xnh) zu einem Abschluß. Nunmehr dient nicht mehr der Sport als Vergleichsobjekt, sondern (ebenso konventionell) die Musik. Auch das Spiel auf der Flöte und Kithara lasse sich nicht ohne das zur Hand Gehen eines Lehrers erlernen. Mit dieser Feststellung hat sich also der Autor dafür legitimiert, im Folgenden – wenn auch mit demonstrativer Pose von Bescheidenheit – eine Lehre für das sachgemäße Abfassen eines Geschichtswerkes zu erteilen. Diese macht den noch verbleibenden Rest der Schrift (Kap. 37–60) bis zum Epilog (Kap. 61–63), der die zentralen Aussagen nur mehr wiederholt, aus.

ka€toi oÈ går ín fa€hw éprosde∞ tÚn sunetÚn e‰nai t∞w t°xnhw ka‹ didaskal€aw œn égnoe›: §pe‹ kín §kiyãrize mØ may∆n ka‹ hÎlei ka‹ pãnta ín ±p€stato. nËn d¢ mØ may∆n oÈk ên ti aÈt«n xeirourgÆseien, Ípode€jantow d° tinow =òstã te ín mãyoi ka‹ eÔ metaxeir€saito §fÉ aÍtoË.

t∞w t°xnhw ka‹ didaskal€aw ktl: Der Technecharakter von Flöten- und Kitharaspiel ergibt sich bereits aus der Terminologie von aÈlhtikÆ und kiyaristikÆ (sc. t°xnh). In diesem Sinne wird von Aristoteles (EN I 6, 1097 b 25–26) der aÈlhtÆw ebenso wie der égalmatopoiÒw als Beispiel für einen texn€thw genannt. Die Ansicht, daß Belehrung die natürlichen Anlagen steigere, wurzelt in dem

Erziehungsoptimismus der Sophistik. Bei Xenophon (Mem. III 9, 1–3) äußert Sokrates anhand des Beispiels der éndre€a die auch für andere Bereiche (der Begriff t°xnh wird nicht explizit genannt) gültige Tatsache, daß jegliche Anlage (fÊsiw), die beste wie die schlechteste, durch Belehrung (mãyhsiw) und Trainig (mel°th) eine Steigerung erfahre. Ähnliche Gedanken finden sich in Stoa und Kynismos. So erklärt Zenon dem lernwilligen Antigonos Gonatas, in der Philosophie erreiche eine edle Natur die Vollendung in der Tugend vermittels maßvoller Übung und durch das Wirken eines in reichem Maße Belehrenden: fÊsiw d¢ eÈgenØw metr€an êskhsin proslaboËsa, ¶ti d¢ tÚn éfyÒnvw didãjonta, =&d€vw ¶rxetai prÚw tØn tele€an énãlhcin t∞w éret∞w (D. L. VII 8). Und Epiktet (Arr. Epict. II 14, 2–6 und 10) betont den Nutzen (xre€a) jeglicher t°xnh und erklärt, durch Lernen erst würde der Zimmermann zum Zimmermann und der Steuermann zum Steuermann. Vor dem Hintergrund derartiger Vorstellungen ist die Satire zu verstehen, welche Lukian gegen einen ungebildeten Büchersammler richtet (Ind. 5). Im Ton beißender Belehrung wird diesem dort vorgehalten, der Besitz der schönsten Flöte nütze nichts dem, der sie nicht sachgerecht (katå tØn t°xnhn) zu nutzen verstehe; und ebenso verhalte es sich mit allen anderen t°xnai. Als Illustration dieses Sachverhaltes dient die Anekdote von dem auf musikalischem Gebiet dilettierenden Tarentiner Euangelos (Ind. 8–11), den selbst die prunkvollste Kithara nicht vor dem Spott der Zuhörer bewahren kann und der sich von seinem zu Recht erfolgreichen Konkurrenten Eumelos den Vorwurf der êtexnow trufÆ gefallen lassen muß. §pe‹ kín ... nËn d¢: Zur Konstruktion §pe€ + ên + Indikativ Imperfekt in der Bedeutung „denn sonst“ nach negativer Protasis vgl. Kap. 29 und Herm 5, an welch letzterer Stelle so wie hier nËn d° („so aber

wie die Dinge liegen“) nachfolgt. xeirourgÆseien: Das in vergleichbaren Kontexten öfter in Erscheinung tretende Verbum xeirourge›n

bezeichnet auch sonst die praktische Musikausübung, so bei Aristoteles (Pol. VIII 6, 1340 b 20–21: Singen und Spielen von Instrumenten als die beiden Formen aktiver musikalischer Betätigung) und auch im pseudoplutarchischen Traktat De musica (43, 1146 d: vom kiyarƒdÒw).

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05.04.2013 7:15:25 Uhr

metaxeir€saito §fÉaÍtoË: Die bewußte Wahl des Verbums metaxeir€zesyai (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 5: oÈ t«n eÈmetaxeir€stvn ktl) stellt nunmehr wiederum einen Sinnbezug zur historiographischen Terminologie her, indem es an eine Formulierung in Kap. 16 (flstor€an metaxeir€sasyai von dem sachkundigen Betreiben des Geschäftes eines Historikers) erinnert. Zur Verknüpfung der einschlägigen termini technici t°xnh und metaxeir€zesyai vgl. die erst vor diesem Hintergrund adäquat zu verstehende Parodie in Par. 23 (ı d¢ parãsitow metaxeir€zetai tØn aÍtoË t°xnhn …w basileÁw katake€menow). §p€ + Genetiv des Personal- bzw. Reflexivpronomens markiert hier den Aspekt des alleine auf sich gestellt Seins (Belege bei LSJ, s. v. §p€ + Genetiv, A I 2 c), so

mehrfach bei Lukian (bes. Demon. 36 und Herm 35). Nach Beendigung des einschlägigen Lehrgangs ist demnach, so die unmißverständliche Botschaft dieses Passus, der Schüler in jeglicher t°xnh befähigt, selbsttätig und eigenverantwortlich sein Metier handzuhaben.

Kapitel 37 Einzig dieses Kapitel ist der Illustration dessen gewidmet, was denn nun konkret unter der in Kapitel 34 als Grundvoraussetzung für das Geschäft des Historikers namhaft gemachten, vor Lukian weder in historiographischen noch in literarkritischen Diskursen nachweisbaren sÊnesiw politikÆ (sie wurde als eine der Belehrung nicht zugängliche Naturbegabung definiert) zu verstehen ist (zu Lukians innovativer Übertragung einer genuin rhetorischen Konvention auf das Gebiet der Geschichtsschreibung vgl. meinen Erklärungsversuch in der Einleitung, Teil II 2). Dabei macht sich nunmehr allerdings eine Akzentverschiebung von dem Intellekt (sÊnesiw) zur Erfahrung (§mpeir€a) hin bemerkbar. Demnach also müsse der Historiker in der Lage sein, sich gegebenenfalls auch praktisch zu bewähren, er müsse über soldatischen Sinn (gn≈mh strativtikÆ) und politische Denkungsart (gn≈mh politikÆ) ebenso verfügen wie über Erfahrung eines Feldherrn (§mpeir€a strathgikÆ). Mag die gn≈mh politikÆ bei entsprechender Auslegung noch als Ausdruck von sÊnesiw politikÆ hingehen, so ist dies bei strategischer Erfahrung (§mpeir€a strathgikÆ) nicht mehr der Fall. Und mit dieser ist nach dem Konzept der nicht überzeugend durchgeführten sÊnesiw politikÆ wieder der aus der historiographischen Methodologie vertraute Boden betreten (Belege bei Avenarius 1956, 35–40). Kein Historiker zeigt diesen Umstand deutlicher als Polybios, der die Erfahrung (§mpeir€a) als zentrale Qualifikation für den Historiker erachtet, für sich selbst in Anspruch nimmt und nach diesem Kriterium die Arbeitsweise anderer Historiker, zumeist tadelnd, beurteilt. Seine Polemik zeigt zudem indirekt, daß zumindest bereits Ephoros und Theopompos den Wert der Erfahrung hervorgehoben und ihr Selbstverständnis in diesem Sinne definiert hatten. Innerhalb der kaiserzeitlichen griechischen Historiographie ist es Flavius Josephus, der sich wiederholt auf die Erfahrung beruft, doch ansonsten spielt diese in den aus diesem Zeitraum erhaltenen Texten nahezu gar keine Rolle. Das Postulat nun, welches Lukian den Autor aufstellen läßt, nimmt sich dem methodenstrenger auftretenden Polybios gegenüber bescheidener aus; für ihn ist die Forderung nach vorhandener Erfahrung bereits erfüllt, wenn der Historiker über ein elementares militärisches Insiderwissen und Verständnis verfügt. Dieser dürfe kein ganz auf seine Gewährsmänner angewiesener und diesen alles unkritisch abnehmender Stubenhocker sein. Ein nicht mal diesen Minimalanforderungen genügendes negatives Beispiel findet sich in Kapitel 29 (ein korinthischer Historiker, der entgegen dem von ihm erhobenen Anspruch auf Autopsie nie über seine Heimatstadt hinausgekommen sei).

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05.04.2013 7:15:26 Uhr

Ka‹ to€nun ka‹ ≤m›n toioËtÒw tiw ı mayhtØw nËn paradedÒsyv, sune›na€ te ka‹ efipe›n oÈk égennÆw, éllÉ ÙjÁ dedork≈w, oÂow ka‹ prãgmasi xrÆsasyai ín efi §pitrape€h, ka‹ gn≈mhn strativtikØn éllå metå t∞w politik∞w ka‹ §mpeir€an strathgikØn ¶xein, ka‹ nØ D€a ka‹ §n stratop°dƒ gegon≈w pote ka‹ gumnazom°nouw µ tattom°nouw strati≈taw •vrak∆w ka‹ ˜pla efid∆w ka‹ mhxanÆmata ¶nia ka‹ t€ §p‹ k°rvw ka‹ t€ §p‹ met≈pou, p«w ofl lÒxoi, p«w ofl flppe›w ka‹ pÒyen ka‹ t€ §jelaÊnein µ perielaÊnein, ka‹ ˜lvw oÈ t«n katoikid€vn tiw oÈdÉ oÂow pisteÊein mÒnon to›w épagg°llousin.

tiw ı mayhtØw: überliefert ist in G und E das keinen Sinn ergebende tiw §st‹n ı mayhtØw; Macleod 1980, 309 setzt demnach tiw [§st‹n] ı mayhtØw in den Text und schlägt in seiner textkritischen Anmerkung vor: ¶stv ı mayhtØw. ¶xein: nach der ältesten Überlieferung Reitz 1743, 49, Hermann

1828, 44, Iacobitz 1838, 36 sowie 1866, 21, Kilburn 1968, 50, Homeyer 1965, 142 und Macleod 1980, 309; ¶xvn: zur Geschichte der Konjektur ¶xvn vgl. Fritzsche 1860, 85: ¶xein libri omnes. Certatim ¶xvn emendatum a Marcilio, Graevio, Bekkero aliis; so Bekker 1853, 34, Dindorf 1858, 18, Sommerbrodt 1878, 40 sowie 1893, 19, Fritzsche 1860, 85, auch Du Mesnil 1867, 28 beanstandete den Infinitiv ¶xein als eine corruptela. Diese Konjektur ist jedoch kaum nötig. sune›na€ te ka‹ efipe›n ... ÙjÁ dedork≈w: Die Wortwahl setzt die in den vorangehenden Kapiteln 34–35 fort (Kap. 34: sunetoÁw ka‹ Ùje›w, Kap. 35: t“ fÊsei sunet“). §mpeir€an strathgikØn ¶xein: Das Erfordernis von praktischer militärischer Erfahrung (von strathgikØ sÊnesiw wird sonst lediglich mit Bezug auf den Feldherrn gesprochen, so D. S. XVI

95, 3 über Philipp II. von Makedonien) für den Geschichtsschreiber (Belege bei Avenarius 1956, 35–40) wird in den Quellen verhältnismäßig selten thematisiert, so von Flavius Josephus, der an einigen Stellen (Ap. I 55 und BJ I 1, 3) sein diesbezügliches Selbstverständnis zum Ausdruck bringt. Eine gleichermaßen ausführliche wie engagierte Erörterung der §mpeir€a des Historikers liegt im 12. Buch des Polybios vor, in dem dieser sich mit den von seinen Vorgängern angewandten Methoden kritisch auseinandersetzt. Für Polybios ist §mpeir€a die unabdingbare Grundvoraussetzung für eine sachlich zutreffende Beschreibung von militärischen und politischen Ereignissen (XII 25 g 1: oÎte per‹ t«n katå pÒlemon sumbainÒntvn dunatÒn §sti grãcai kal«w tÚn mhdem€an §mpeir€an ¶xonta t«n polemik«n ¶rgvn oÎte per‹ t«n §n ta›w polite€aiw tÚn mØ pepeiram°non t«n toioÊtvn prãjevn ka‹ peristãsevn). Nach den Kriterien von §mpeir€a und épeir€a hin beurteilt Polybios

dementsprechend Ephoros (XII 25 f 1–6), Theopompos (XII 25 f 7) und besonders eingehend Timaios (XII 25 d 1–28 a 10 passim), von denen die beiden Erstgenannten theoretisch zwar wohl den Wert praktischer Erfahrung hervorgehoben hätten (XII 27, 7–8), während sie in ihrer Praxis aber nicht Schritt gehalten hätten mit dem Niveau ihrer theoretischen Erklärungen. Ephoros verfüge zwar über eine bewundernswerte Sachkenntnis (§mpeir€a) in der Nautik, wofür die Seeschlachten von Zypern (381 v. Chr., Exzerpt bei D. S. XIV 83, 4–7) und Knidos (394 v. Chr., D. S. XV 3, 4–6) Zeugnis ablegten. Von Landschlachten hingegen habe er keine Ahnung (XII 25 f 1: êpeirow ... tel°vw; XII 25 f 3: pantel«w êpeirow), wie die Berichte über die Schlachten bei Leuktra (371 v. Chr., dazu D. S. XV 55–56) und Mantineia (362 v. Chr., dazu D. S. XV 85–87) deutlich zeigten (Meister 1975, 72–77 kommt bei einer Überprüfung der Quellen sogar für die Seeschlachten zu einem ungünstigen Ergebnis). Ähnliches wie für Ephoros treffe auch für Theopompos und besonders für Timaios zu, welch letzterem sich Polybios nun ausgiebig zuwendet. Seiner eigenen Erklärung zufolge (XII 25 h 1) hätte dieser fast 50 Jahre lang kontinuierlich in Athen seßhaft gelebt (so auch XII 25 d 1 und XII 28, 6). Timaios repräsentiere eine trockene, auf bloßes Bücherwissen reduzierte Mentalität (XII 25 h 3: bibliakØ ßjiw), während doch die pragmatikØ flstor€a bedeutend

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vielseitigeren Zugang erfordere (dazu detailliert XII 25 e 1). Überhaupt seien die Werke reiner Büchergelehrter (bibliako€) ohne praktischen Nutzen für den Leser (XII 25 g 2). Polybios krönt seine geschichtsmethodologischen Reflexionen, indem er gegen Ende des 12. Buches den Ton zu spürbarer Feierlichkeit anhebt. In pointierter Umdeutung des platonischen Philosophenkönigssatzes (Pl. R. V 473 d) stellt er nunmehr nicht ohne Pathos fest, daß die Unwissenheit der Geschichtsschreiber erst dann ein Ende haben werde, wenn entweder die Männer der Praxis sich mit ungeteilter Aufmerksamkeit ernsthaft des Schreibens annähmen oder wenn angehende Schriftsteller die aus praktischer Betätigung gewonnenen Erfahrungswerte als notwendige Voraussetzung für die Geschichtsschreibung erachteten (XII 28, 1–5). Seinem hohen Selbstverständnis nach (III 4, 13, weitere Belege bei Marincola 1997, 136) wurde Polybios innerhalb des die eigene Zeit behandelnden Teils seines Geschichtswerkes diesem Postulat gerecht. Andernorts lobt er die beiden rhodischen Historiker Zenon und Antisthenes als êndrew politiko€ für ihr aktives politisches Leben (XVI 14, 3: pepol€teuntai). Dem polybianischen Anspruch gegenüber nimmt sich das lukianische Postulat der §mpeir€a strathgikÆ bedeutend gemäßigter aus. Denn hier ist die Vorbedingung schon erfüllt, wenn der angehende Historiker dann und wann einmal (pote) das Militärwesen von innen her zu Gesicht bekommen hat, wenn er einige (¶nia, Kilburn 1968, 50 und Homeyer 1965, 142 ändern, Burmeisters Konjektur folgend, unnötigerweise das ¶nia der Handschriften in ¶ti d¢) Waffengattungen und Belagerungsmaschinen kennt (die ˜pla und mhxanÆmata stehen hier nebeneinander wie in Kap. 29 auch, zum terminus technicus mhxãnhma vgl. den Kommentar zu Kap. 57: µ mhxãnhma •rmhneÊsaw ktl) und über die elementarsten militärischen Fachausdrücke Bescheid weiß. Dann werde es ihm auch nicht passieren, daß er ähnlich dem in Kap. 29 kritisierten Anonymus die Konträres bezeichnenden Ausdrücke §p‹ k°rvw („in Kolonne“, so Th. VI 32, 2, VIII 104, 1) und §p‹ met≈pou („in Front“, so besonders deutlich X. Cyr. II 4, 3) sowie, noch trivialer, §jelaÊnein (Sinn: „ausrücken“ bzw., um den Gegensatz der beiden Begriffe zu komplettieren, „frontal angreifen“) und perielaÊnein („umzingeln“) verwechsle. Die Kritik setzt im skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) daher erst da ein, wo ein Möchtegernhistoriker wie der in Kap. 29 verhöhnte Autor, der sein Lebtag nicht aus Korinth herausgekommen sei, selbst diese elementare militärische Sachkenntnis vermissen läßt (vgl. dazu den Kommentar zum letzten Satz von Kap. 29). ka‹ ˜lvw oÈ t«n katoikid€vn tiw oÈdÉ oÂow pisteÊein mÒnon to›w épagg°llousin: Kurz und gut (ka‹ ˜lvw), der Schüler, den der Autor zur Unterweisung übernehmen will, darf kein Stubenhocker (katoik€diow) sein, auch nicht einer, der bloß seinen Informanten (to›w épagg°llousin, ähnlicher

Sinn wie in Th. I 22, 1) unkritisch Glauben schenkt. Mit dieser negativen Bestimmung der Persönlichkeit des angehenden Historikers ist implizit das Thema eigenverantwortlicher Beschaffung möglichst zuverlässigen Tatsachenmaterials angesprochen, das in Kapitel 47, unter Anschluß an das thukydideische Methodenkapitel, in aller Kürze abgehandelt wird. Das Metier der Historiographie, so heißt es da, mache eine angestrengte, eine anhaltende und entbehrungsreiche Forschungsarbeit (énakr€nein) erforderlich. Zuvorderst habe der Historiker sich der autoptischen Methode des pare›nai ka‹ §forçn zu bedienen. Sei dies nicht möglich, so müsse er sich an die im geringsten Grade tendenziösen Gewährsmänner halten, um so schließlich das Glaubwürdigere (tÚ piyan≈teron) unter den zugegangenen Versionen zu ermitteln. Vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1. Das Adjektiv katoik€diow (üblicherweise in der Bedeutung „häuslich“, i. a. von Haustieren gesagt) hat hier die als etwas salopp intendierte Bedeutung von „Stubenhocker“ (so richtig Homeyer 1965, 143). Für die Verwendung des Adjektivs katoik€diow in dieser Bedeutung ließ sich kein Beleg finden, doch bezeichnet immerhin bei Diodor (III 53, 2) die Junktur katoik€diow b€ow die auf häusliche

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Verrichtungen reduzierte Lebensweise der von Krieg, Politik und Regierung ausgeschlossenen Amazonenmänner. Ansonsten findet sich jedoch das Adjektiv ofikourÒw zur Kennzeichnung einer inaktiven Lebensweise, so besonders bei Plutarch (Per. 34, 4: d€aitan ofikourÚn ka‹ érgÆn, vgl. dens., Maxime cum principibus philosopho esse disserendum 776 e, wo die beiden Adjektive ofikourÒw und êpraktow miteinander kombiniert sind und dem Substantiv fidi≈thw nachfolgen).

Kapitel 38 Nach der Behandlung der nötigen intellektuellen Ausstattung des Historikers in Kapitel 37 beginnt nunmehr der für die Gesamtaussage zentrale, bis Kapitel 41 reichende Passus über dessen ethisches Qualifikationsprofil (eine triadische Komposition mit Zusammenfassung der essentiellen Aussagen in Kap. 41). Die hier geäußerten Postulate werden wegen ihrer besonderen Wichtigkeit im Epilog dieser Schrift (Kap. 61–63) nochmals mit Nachdruck wiederholt. In diesem Kapitel bestimmt der Autor das für den Historiker geforderte Ethos (einschlägige Belege bei Avenarius 1956, 46–49); der Sinn des Historikers (der gn≈mh ist nach einem dualistischen Klassifizierungsschema in Kap. 43 die fvnÆ gegenübergestellt) müsse gekennzeichnet sein durch die unverzichtbare Eigenschaft der Unabhängigkeit, der Freiheit (§leÊyerow ¶stv tØn gn≈mhn). Der Historiker dürfe niemanden fürchten und nichts (keinen persönlichen Vorteil) erhoffen (mÆte fobe€syv mhd°na mÆte §lpiz°tv mhd°n), da er ansonsten bestochenen Richtern ähneln würde, die für Geld ihre Urteile nach der jeweiligen Interessenslage (prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian) fällen. Erläutert wird das Freiheitspostulat, denn hier geht es vorerst nur um das Motiv der Furcht (ein Beispiel zur Kombination von Furcht und Hoffnung in Kap. 39: Artaxerxes), anhand besonders furchteinflößender historischer Personen aus der Frühzeit des peloponnesischen Krieges (Kleon rangiert seit den außerordentlich negativen Bewertungen zum einen durch die Alte Komödie, namentlich durch Aristophanes, zum anderen durch Thukydides als ein prototypisches Beispiel für einen Machtmenschen par excellence) und der Zeit der größten Machtentfaltung der Makedonen insbesondere in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. (Philipp und dessen Sohn Alexander, der innerhalb zweier Anekdoten hingegen als prototypischer Verabscheuer schmeichlerischer Geschichtsdarstellung erscheint, und zwar in Kap. 12 und 40: Aristobulos und Onesikritos). Nicht einmal das Kollektiv der Athener werde ihn dazu veranlassen können, das Desaster der sizilischen Expedition (die erwähnten Details sind, in freierer Auslegung, dem Bericht des Thukydides in Buch VII entnommen, in der Kaiserzeit einer überaus beliebten Stoffvorlage für rhetorische Deklamationen) in wahrheitswidriger Beschönigung darzustellen. Niemand mit Verstand werde ihn ja dafür tadeln, wenn er über unglücklich oder unvernünftig verlaufene Aktivitäten, an denen er schließlich keine Schuld trägt und die selbst von den Moiren nachträglich nicht mehr ungeschehen gemacht werden könnten, ungeschönt berichtet.

Mãlista d¢ ka‹ prÚ t«n pãntvn §leÊyerow ¶stv tØn gn≈mhn ka‹ mÆte fobe€syv mhd°na mÆte §lpiz°tv mhd°n, §pe‹ ˜moiow ¶stai to›w faÊloiw dikasta›w prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian §p‹ misy“ dikãzousin.

mÆte ... mÆte: da die älteste Überlieferung mÆte ... mhd¢ eine Lukian kaum zuzutrauende

inkonzinne Syntax ergibt, folgen fast alle modernen Herausgeber Fritzsches in den Text 1860, 86 aufgenommenen Konjektur (so bereits censura p. 243) mÆte ... mÆte. Vgl. Demon. 20 (hier Macleod

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I 50 zufolge textkritisch gesichert): tÚn mÆte §lp€zontã ti mÆte dediÒta. Der Überlieferung mÆte ... mhd¢ folgen einzig Hermann 1828, 44–45 und Macleod 1980, 310. §leÊyerow ¶stv tØn gn≈mhn ka‹ mÆte fobe€syv mhd°na mÆte §lpiz°tv mhd°n: Das den in den

Kapiteln 34–37 ausgeführten Anforderungen gegenüber als vorrangig deklarierte Postulat, daß der Historiker als freie, unabhängige Persönlichkeit an seine Aufgabe herangehen müsse, leitet den zentralen Passus über das Ethos des Historikers (Kap. 38–41) ein. Dessen Unabhängigkeit wird definiert als vollständige Freiheit von allen persönlichen Motiven, die einer wahrheitsgetreuen Wiedergabe des Geschehenen im Wege stehen könnten, von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) auf persönliche Vorteile (vgl. bes. Kap. 39 und 41). Ihren Ausdruck finde sie in einer am Maßstab der élÆyeia orientierten freimütigen Offenheit (parrhs€a): ı suggrafeÁw ¶stv .... §leÊyerow, parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low (Kap. 41), resümierend in Kap. 44: tª gn≈m˙ toË suggraf°vw skopoÁw Ípey°meya parrhs€an ka‹ élÆyeian. Die Nachwelt solle über ihn sagen können: §ke›now m°ntoi §leÊyerow énØr ∑n ka‹ parrhs€aw mestÒw, oÈd¢n oÎte kolakeutikÚn oÎte douloprep¢w éllÉ élÆyeia §p‹ pçsi (Kap. 61). Während die in Kapitel 38 angeführten Beispiele allesamt einzig auf das Gebot

der Furchtlosigkeit hinauslaufen, wird in Kapitel 39 der Perserkönig Artaxerxes als ein typisches Beispiel für einen Machthaber genannt, demgegenüber der Geschichtsschreiber nicht den Motiven von fÒbow und §lp€w nachgeben dürfe, wolle er denn das der Historiographie gesteckte Ziel des …w §prãxyh efipe›n erreichen. Das Postulat des Freiseins von fÒbow und §lp€w ist zunächst unter dem Gesichtspunkt eines Vergleiches mit relevanten Erklärungen antiker Historiker zu betrachten. Arrian begründet in der Vorrede zu seiner Alexandergeschichte die besondere Glaubwürdigkeit seiner beiden Primärquellen Aristobulos und Ptolemaios damit, ˜ti teteleuthkÒtow ≥dh ÉAlejãndrou juggrãfousin aÈto›w ¥ te énãgkh ka‹ ı misyÚw toË êllvw ti µ …w sunhn°xyh juggrãcai ép∞n (An. I praef. 1, 2). Der Umstand, daß diese erst nach dem Tod Alexanders ihre Werke verfaßt hätten und so weder Repressalien zu befürchten gehabt noch auf Belohnung für königstreue Tendenzberichterstattung hätten rechnen können, wird von Arrian bereits als hinreichender Grund für deren sachliche Zuverlässigkeit gewertet. Sallust begründet die Abfassung seines Catilina auf diese Weise (4, 2): statui res gestas populi Romani ... perscribere, eo magis, quod mihi a spe metu partibus rei publicae animus liber erat. Und der römische Kaiser Pescennius Niger (193–194 n. Chr.) soll der in der Historia Augusta vorliegenden Vita zufolge dem Verfasser eines an ihn gerichteten Panegyricus geantwortet haben, er solle lieber hervorragende Persönlichkeiten aus der Vergangenheit (Beispiele Marius, Hannibal) rühmen als Ansporn zur Nachahmung, nam viventes laudare inrisio est, maxime imperatores, a quibus speratur, qui timentur (vit. Pesc. Nig. 11, 6). Die von Avenarius 1956, 47 verzeichneten Belege, auch wenn sie nicht zahlreich sind, lassen dennoch einen historiographischen Topos vermuten, wenn auch klar festzustellen ist, daß lateinische literarische Traditionen für Lukian nur indirekt eine Rolle spielen dürften. Darüberhinaus lassen sich die lukianischen Postulate jedoch auch, wie in der Einleitung, Teil II 3 (1 b) dargelegt, vor dem Hintergrund kynischer Wertgebung betrachten. Die im Text formulierten Ansprüche haben nämlich eine aussagekräftige Parallele in der Schrift, die Lukian zu Ehren des Demonax, eines „idealen“ zeitgenössischen Philosophen, verfaßt hat. Demonax, eine Ausnahmeerscheinung unter den pseudophilosophischen Scharlatanen, wird in seiner Umgänglichkeit, Menschenfreundlichkeit und Wahrhaftigkeit als eine Norm (kan≈n) und als Muster (parãdeigma) für ernsthafte philosophische Mentalität (gn≈mh filÒsofow) und Lebensführung gerühmt (Demon. 1–3). Dieser habe sich nicht einseitig auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Philosophenschule eingeschworen, stehe aber doch in einem gewissen Nahverhältnis zu Sokrates und den beiden Kynikern Diogenes und Antisthenes (Kap. 5 und 62). Ganz hätte er sich den Werten von Freiheit

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und freimütig–offener Rede verschrieben (3: ˜lon ... paradoÁw •autÚn §leuyer€& ka‹ parrhs€&); und einzig den freien Mann habe er für glücklich erklärt (19: mÒnon eÈda€mona ... tÚn §leÊyeron), welcher zu definieren sei als der von Hoffnung und Furcht Freie (20: ... tÚn mÆte §lp€zontã ti mÆte dediÒta). Eine ähnliche Geisteshaltung findet sich der antiken Überlieferung nach bei Diogenes und den Kynikern insgesamt. Als den obersten Wert des Diogenes bezeugt Diogenes Laertios (VI 71) die Freiheit (mhd¢n §leuyer€aw prokr€nvn, sc. Diog°nhw), womit die Kyniker im allgemeinen und Diogenes im Besonderen häufig charakterisiert werden (so Luk. Vit. Auct. 7–8; Arr. Epict. III 22, 40–44 und 48, III 24, 67, IV 1: per‹ §leuyer€aw). Diogenes wird zudem auch jene spezifische Spielart der §leuyer€a zugeschrieben, die sich auch durch die Person des Demonax repräsentiert findet, die freie, offenmütige Rede, welche weder Furcht noch Hoffnung auf materielle Vorteile kennt (Belege: Cic. Tusc. V 32, 92, D. L. VI 68, Jo. Chr. adv. opp. vit. mon. II 4 = SSR II Diog. Nr. 33, 40 und 47). Insgesamt ist somit zu konstatieren, daß der Freiheitsbegriff, so wie er an vorliegender Stelle definiert wird, beim Leser wohl auch die Assoziation zu kynischem Gedankengut wecken mochte, umso mehr, als Lukian ja selbst seiner Lehrschrift die Form einer Paränese mit Elementen der kynischen Diatribe gegeben hat. §pe‹ ˜moiow ¶stai to›w faÊloiw dikasta›w prÚw xãrin µ prÚw ép°xyeian §p‹ misy“ dikãzousin: Die

Qualität des Historikers wird von dem Autor nach demselben Maßstab wie die des Richters bemessen. Denn beide hätten gleichermaßen die ethische Verpflichtung zu unvoreingenommener, unparteiischer Wahrheitssuche. Die Richter nun (dikasta€) seien, wie dies in Herm 30 und Cal. 8 übereinstimmend formuliert ist, vom Gesetzgeber her verpflichtet, zum Zwecke der Wahrheitsfindung beide Seiten mit gleicher Geneigtheit anzuhören (ımo€vw émfo›n ékroçsyai). Im Sinne des Richtervergleiches kann so auch an den Historiker die Forderung erhoben werden, er solle ein ausgewogener Richter sein (‡sow dikastÆw) und eÎnouw ëpasin êxri toË mØ yat°rƒ ti épone›mai ple›on toË d°ontow (Kap. 41). Dem auch in dieser Hinsicht ebenso wie Thukydides als vorbildhaft erachteten Xenophon wird daher das Attribut eines d€kaiow suggrafeÊw (39) zugesprochen. Der vom Autor erwünschte Historiker soll nicht nur unbestechlich sein (41: éd°kastow), er soll sich auch auf ebensolche Gewährsmänner stützen, oÓw efikãseien ên tiw ¥kista prÚw xãrin µ ép°xyeian éfairÆsein µ prosyÆsein to›w gegonÒsin (47). So kann denn schließlich derjenigen Geschichtsschreibung, welche den postulierten Normen folgt, das auszeichnende Qualitätsmerkmal einer flstor€a dika€a zugesprochen werden (63). Verfahre der Geschichtsschreiber so wie die ob ihrer enkomiastischen Tendenzberichte als faÊlvw suggrãfontew stigmatisierten Schreiberlinge (6), so werde er den charakterlich defizienten Richtern (faÊloiw dikasta›w) aufs Haar gleichen, die aus ihrer ernsthaften Profession ein einträgliches Geschäft machten (§p‹ misy“ dikãzousin). Wie diese werde er in seiner Profitgier (13) auf reiche Geschenke vonseiten des Perserkönigs Artaxerxes hoffen als die Belohnung für seine zu Papier gebrachten Lobhudeleien (39: misyÚn t«n §n tª grafª §pa€nvn). Auf der Jagd nach der Zugetanheit (eÎnoia) des §painoÊmenow (11) werde er sein Werk verfassen sÁn kolake€& prÚw tÚ ≤dÁ to›w nËn §painoum°noiw (63) und sich damit als Schmeichler herausstellen, der sich selbst vom Objekt seines Lobes Haßgefühle zuziehen müsse, soferne dieser denn nur ein Mann von Charakter sei (12). Vor dem Urteil des kritischen Hörers werde er so auf keinen Fall Nachsicht finden. Denn dieser prüfe ja im Unterschied zum Verfasser selbst alles bis ins kleinste Detail nach, ganz so wie ein Richter (10: dikastik«w). Diese knappe Kollage von aus dieser Schrift entnommenen Zitaten mag die große Konsequenz verdeutlichen, mit der Lukian seine Formulierungen wählt. Die Antithese prÚw xãrin: prÚw ¶xyran (bzw. ép°xyeian) findet sich bereits bei Demosthenes (or. 8, 1 und or. 5, 7), und die Formulierung prÚw xãrin dikãzein bei Lukian selbst (Herm 36). Der wahre Lohn (misyÒw) für den Geschichtsschreiber, der sich als ein d€kaiow suggrafeÊw erweist (39), besteht in der Anerkennung der zukünftigen Leserschaft (61). 495

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éllå mØ mel°tv aÈt“ mÆte F€lippow §kkekomm°now tÚn ÙfyalmÚn ÍpÚ ÉAst°row toË ÉAmfipol€tou toË tojÒtou §n ÉOlÊnyƒ – toioËtow oÂow ∑n deixyÆsetai – mÆte ÉAl°jandrow < ˘w > éniãsetai §p‹ tª Kle€tou sfagª »m«w §n t“ sumpos€ƒ genom°n˙, efi saf«w énagrãfoito:

ÉAl°jandrow < ˘w > éniãsetai: Da der überlieferte Text ÉAl°jandrow éniãsetai syntaktisch nicht richtig sein kann, wurden verschiedene Konjekturen versucht (so ˜ti und efi, beide von Fritzsche schon vor Fritzsche 1860, 86 vorgeschlagen, danach Bekker 1853, 35 und Dindorf 1858, 18: ˜ti), den besten Sinn ergibt jedoch ˘w, die Konjektur Macleods 1980, 310 (die Idee an sich findet sich bereits

bei Sommerbrodt 1893, 19, und zwar auf Grundlage anderer syntaktischer Gestaltung des Satzes, mit Ergänzung von efi vor §kkekomm°now, sodaß man toioËtow – deixyÆsetai nicht als Parenthese aufzufassen braucht; darauf weist Nesselrath 1984, 589 hin). Keine Konjektur bringt so klar die Pointe zum Ausdruck, daß der von den Alexanderquellen mit Reue in Zusammenhang gebrachte Gram Alexanders über die im Zustand der Betrunkenheit begangene Mordtat nunmehr durch Lukian zum Ärger über wahrheitsgetreue Berichterstattung umfunktioniert wird. F€lippow §kkekomm°now tÚn ÙfyalmÚn ÍpÚ ÉAst°row toË ÉAmfipol€tou toË tojÒtou §n ÉOlÊnyƒ: Die

bekannte Augenverletzung Philipps, die zur Erblindung auf einem Auge führte (zur Formulierung vgl. D. or. 18, 67: F€lippon .... tÚn ÙfyalmÚn §kkekomm°non), wird von der überwiegenden Mehrzahl der Quellen mit der Belagerung von Methone (353 v. Chr.) in Verbindung gebracht, so schon von Marsyas von Pella (oder Philippoi) und Theopompos (FGrH II B 135–136, Fr. 16 und II B 115, Fr. 52 = Did. in D. Pearson / Stephens 45, c. 12, Z. 43–50), danach bei Diodor (XVI 34, 5), Strabon (VII, Fr. 22), Justin (VII 6, 14) und Suidas (s. v. Kãranow Adler III 30, Z. 27–32). Singulär steht die Version des Demosthenes (or. 18, 67) da, der noch weitere Verwundungen Philipps nennt, nämlich die bei dem Illyrerzug (344 v. Chr.) und die beim Feldzug gegen die Triballer (339 v. Chr.), dazu Wankel 1976, I 398. Allem Anschein nach lokalisierte einzig Kallisthenes von Olynth die Verwundung Philipps vor Olynth (FGrH II B 124, Fr. 57). Von dessen drittem Buch der Makedonika sind die sehr verwandten Versionen des Plutarch (Parallela Graeca et Romana 8, 307 d) und des Stobaios (III 7, 67 Wachsmuth / Hense III 332, Z. 9–21) abhängig. Der für das Verständnis vorliegender Textstelle relevante Bericht Plutarchs lautet so: F€lippow Mey≈nhn ka‹ ÖOlunyon boulÒmenow pory∞sai ka‹ biazÒmenow §p‹ t“ Sandãnƒ (bei Stobaios heißt der Fluß Sãrdvn) potam“ diab∞nai p°ran, ÍpÒ tinow t«n ÉOluny€vn ÉAst°row ÙnÒmati §tojeÊyh tÚn ÙfyalmÚn efipÒntow, ÉAstØr Fil€ppƒ yanãsimon p°mpei b°low ... …w Kallisy°nhw §n tr€tƒ Makedonik«n. Die früheste Nennung des Namens Aster findet sich bei Duris (FGrH II A 76, Fr. 36), der als die verwendete Waffe singulär ein ékÒntion nennt. In den anderen Quellen, mit Ausnahme von Strabon (VII Fr. 22), der von einem katapeltikÚn b°low spricht, wird der Schütze wie hier bei Lukian als ein tojÒthw bezeichnet. Für die Herkunft des Schützen aus

Amphipolis ließ sich jedoch kein Beleg beibringen. toioËtow oÂow ∑n deixyÆsetai ... efi saf«w énagrãfoito: Die Verwendung des Verbums deiknÊnai

stellt einen intertextuellen Bezug zum Spiegelgleichnis in Kapitel 51 her, wo sich der Autor prinzipiell zu der geforderten Identität von Objekt und Darstellung äußert; die gn≈mh des Historikers, so heißt es da, müsse die Gestalten der Geschehnisse (der ¶rga) unverzerrt wie ein dafür geeigneter Spiegel wiedergeben (ıpo€aw ín d°jhtai tåw morfåw t«n ¶rgvn toiaËta ka‹ deiknÊtv aÈtã). Der unmittelbar nachfolgende Vergleich von Historiker und bildendem Künstler zeigt, daß dem Verbum deiknÊnai zudem auch eine visuelle Komponente beigemessen ist. Eine solche tritt, nunmehr in expliziter Form, in Alex. 3 in Erscheinung, wo deiknÊnai vom Erzeugen eines anschaulichen Bildes durch Worte gebraucht ist und wo daher das graphische Moment (Ípogrãcv t“ lÒgƒ, vgl. das 496

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Adjektiv grafikÒw) eine wichtige Rolle spielt. Und vor diesem Hintergrund erhält das Verbum énagrãfein, das im allgemeinen Sprachgebrauch lediglich die neutrale Konnotation des Aufzeichnens von Taten und Kriegen hat, an dieser Stelle die visuelle Dimension eines Wortgemäldes hinzu. Daß dieses sich mit den Tatsachen decken muß, zeigt das Adjektiv saf«w an, welches nicht so sehr auf die l°jiw (dazu Kap. 43–44) zielt, als vielmehr auf die Exaktheit und Zuverlässigkeit der Darstellung. mÆte ÉAl°jandrow < ˘w > éniãsetai §p‹ tª Kle€tou sfagª »m«w §n t“ sumpos€ƒ genom°n˙: Der

General Kleitos wurde bekanntlich im Jahr 328 v. Chr. bei einem Trinkgelage von Alexander im Zorn ermordet, weil er dessen demonstratives und für die unter Philipp altgedienten Soldaten beleidigendes Abdriften von den altmakedonischen Ursprüngen mit einer vehementen Unverhohlenheit kritisiert hatte (zu den politischen und den persönlichen Hintergründen aus althistorischer Perspektive vgl. die Darstellung bei Carney 1981). Die Quellen zur Alexandergeschichte berichten detailliert über den Verlauf des Banketts, die anschließende Ermordung des Kleitos sowie die späte Reue Alexanders nach vollbrachter Tat. Es sind dies Plutarch (Alex. 50–52), Arrian (An. IV 8, 1–9, 6), Curtius Rufus (VIII 1, 19–2, 12, dazu Baynham 1998, 185–190) und Justin (XII 6, 1–17), während der Bericht Diodors in der Lücke des 17. Buches ausgefallen ist (zu der Quellenfrage und den jeweils verfolgten Tendenzen Porod 1987, 131–177). Die alexanderfreundlichste dieser Versionen ist die Arrians (Goukowsky 1991, 162 nennt ihn wohl etwas überzogen einen „Mann ohne rechtes Rückgrat“), der die Ïbriw des Kleitos explizit und ganz rigoros verurteilt (An. IV 8, 7 und 9, 1) und für Alexander bei aller Kritik für dessen momentane Enthemmtheit doch Worte des Bedauerns findet sowie seine Reue unmittelbar danach lobt (An. IV 9, 1–2). Reuss 1899, 460 hält diese nach „Schulweisheit“ anmutende Art der Bewertung – durchaus überlegenswert – für eines unter vielen anderen Indizien dafür, daß die Anabasis wohl ein Jugendwerk des noch unter dem Einfluß Epiktets stehenden Arrian ist. Demgegenüber fällt die Bewertung der Mordtat durch den Autor Lukian eindeutig negativ aus, wie die harten Formulierungen sfagÆ und »m«w zeigen. Denn der Historiker, wie der Autor ihn verstanden wissen will, nennt auch unangenehme Dinge mit schonungsloser Offenheit beim Namen und schreibt sie genau so nieder, wie sie sich zugetragen haben (selbst in der an sich alexanderfreundlichen Biographie Plutarchs gehört insbesondere der Kleitosmord zu den vom Autor kritisch bewerteten Momenten, dazu Wardman 1955, 101–102). Im alexanderkritischen Dialog Fil€ppou ka‹ ÉAlejãndrou (DMort. 12, 3–4, zu Lukians Alexanderbild Hoffmann 1907, 80–83) nimmt Lukian das Kleitosthema auf. Hier muß Alexander sich von Philipp den Vorwurf anhören, er habe den Kleitos einzig deshalb umgebracht, weil dieser es gewagt hatte, des Vaters Leistungen gebührlich zu würdigen: Kle›tow ... ˘n sÁ t“ dorat€ƒ dielãsaw metajÁ deipnoËnta §fÒneusaw, ˜ti me prÚw tåw såw prãjeiw §pain°sai §tÒlmhsen. In Philosophie und Rhetorik gehört das Kleitosexempel zum Standardrepertoire. Beispiele dafür liegen in Senecas Schrift De ira (III 17, 1, vgl. Ep. X 83, 19) und bei Dion Chrysostomos (or. 64, 20) vor. Daß die Wortwahl éniãsetai eine Parallele im entsprechenden Bericht Arrians (An. IV 8, 5: ka‹ toËton tÚn lÒgon éniçsai ÉAl°jandron lexy°nta) hat, ist längst bekannt, doch aus diesem Umstand ganz zuversichtlich auf eine bewußte Bezugnahme Arrians auf Lukian (so die ältere Ansicht von Nissen 1888, 243–244, ablehnend Reuss 1899, 451) oder (bei dem heute die communis opinio bildenden chronologischen Ansatz) umgekehrt Lukians auf Arrian (so Wirth 1964, 233–234) zu schließen, geht wohl etwas zu weit (zu Recht kritisch Macleod 1987, 263). Ebenfalls zu weit geht Wirths 1964, 244 Vermutung, Lukians Wahl der Beispiele (zuerst die Welt Alexanders, dann erst die des Thukydides) sei als Huldigung an die Adresse Arrians zu verstehen. Zu dem Verhältnis Lukians zu Arrian vgl. die Einleitung, Teil I 1. 4.

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oÈd¢ Kl°vn aÈtÚn fobÆsei m°ga §n tª §kklhs€& dunãmenow ka‹ kat°xvn tÚ b∞ma, …w mØ efipe›n ˜ti Ùl°yriow ka‹ manikÚw ënyrvpow: oÈ mØn oÈd¢ ≤ sÊmpasa pÒliw t«n ÉAyhna€vn, µn tå §n Sikel€& kakå flstorª ka‹ tØn Dhmosy°nouw l∞cin ka‹ tØn Nik€ou teleutØn ka‹ …w §d€cvn ka‹ oÂon tÚ Ïdvr ¶pinon ka‹ …w §foneÊonto p€nontew ofl pollo€. ≤gÆsetai gãr – ˜per dikaiÒtaton – ÍpÉ oÈdenÚw t«n noËn §xÒntvn aÈtÚw ßjein tØn afit€an µn tå dustux«w µ énoÆtvw gegenhm°na …w §prãxyh dihg∞tai – oÈ går poihtØw aÈt«n éllå mhnutØw ∑n.

ënyrvpow: oÈ mØn oÈd¢: ich nehme diese ingeniöse Konjektur Macleods 1980, 310 in den Text auf, welche nicht nur mit einer geringfügigen Korrektur (∑n zu mØn, dabei ist auch ênyrvpow in ënyrvpow

zu ändern) den Text heilt, sondern auch die vom Sinn her geforderte Steigerung vom Individuum Kleon zum Kollektiv der Athener kräftig zum Ausdruck bringt. Alle anderen modernen Herausgeber hingegen folgen der Korrektur in Ea: ênyrvpow otow ∑n: oÈd¢ ktl. oÈd¢ Kl°vn aÈtÚn fobÆsei m°ga §n tª §kklhs€& dunãmenow ka‹ kat°xvn tÚ b∞ma, …w mØ efipe›n ˜ti Ùl°yriow ka‹ manikÚw ënyrvpow: Kleon, der von allen antiken Quellen einheitlich in schwärzester

Farbe gezeichnete athenische Politiker aus der ersten Phase des peloponnesischen Krieges, reiht sich in die repräsentative Gruppe der Angst einflößenden Machtmenschen ein. Thukydides (III 36, 6 und IV 21, 3), der ihn hier zum ersten Mal einführt, nennt ihn mit seltener Direktheit unverblümt (Kagan 1975, 82 spricht zutreffend von a rare instance of direct characterization of an individual by Thucydides) den Gewalttätigsten der Bürger (biaiÒtatow t«n polit«n), einen bei dem Volk bzw. der Volksmasse höchst einflußreichen Politiker (t“ te dÆmƒ parå polÁ §n t“ tÒte piyan≈tatow bzw. t“ plÆyei piyan≈tatow) und schlechthin Demagogen (énØr dhmagvgÒw). Wie Brasidas auf der spartanischen, so sei Kleon auf athenischer Seite der größte Friedensgegner gewesen, weil ein Friede seine Missetaten deutlicher ans Tageslicht gebracht und so seinen verleumderischen Aktivitäten den Boden entzogen hätte (V 16, 1). Der entlarvenden Rede Kleons (III 37–41), die für härteste Maßnahmen gegenüber den abgefallenen Mytilenern plädiert, läßt Thukydides die betont besonnene Gegenrede des Diodotos (III 42–48) folgen, welche ein äußerst bedenkliches Bild von Kleons Charakter und politischer Strategie zeichnet. Kleon, so die Aussage dieser Rede, bediene sich einer Einschüchterungstaktik und wirke mit den Mitteln von Erschütterung (¶kplhjiw) und Furcht (fÒbow) auf die Masse ein (III 42, 2–5). Dieser unsauberen Praktik stellt Diodotos das für den richtigen politischen Diskurs gültige Verfahren gegenüber: xrØ d¢ tÚn m¢n égayÚn pol€thn mØ §kfoboËnta toÁw énteroËntaw, éllÉ épÚ toË ‡sou fa€nesyai êmeinon l°gonta (III 42, 5). Der Schlußsatz der Rede schließlich zielt auf eine schonungslose Offenlegung von Kleons Gewalttätigkeit (fisxÊw) und Irrwitz (ênoia) ab; an einer Stelle ist selbst bei dem sonst mit Bewertungen äußerst zurückhaltenden Thukydides Kleons man€a (IV 39, 3: mani≈dhw ÍpÒsxesiw) ebenso wie bei Lukian auch (manikÒw) unverblümt ausgesprochen. Das von Thukydides gezeichnete Kleonportrait kennt somit insgesamt kein einziges positives Persönlichkeitsmerkmal. Es wurde nicht ganz zu Unrecht vermutet, daß es suggestiv angelegt ist und so der tatsächlichen Bedeutung Kleons nicht vollkommen gerecht wird (Woodhead 1968, bes. 568–572 zur Debatte über Mytilene). Antike und moderne Urteile zu Kleon sind verzeichnet in der insgesamt illustrativen Arbeit von Lind 1990, 28–31. In der Komödie rangiert Kleon vollends als Feindbild katÉ §joxÆn. Aristophanes startete seine Attacken in den 426 v. Chr. aufgeführten Babylonioi, welche nachweislich Repressalien vonseiten Kleons verursachten. Denn nach dem Zeugnis des Aristophanes (Ach. 377–383) reichte dieser aus Anlaß des Stückes Klage gegen den Autor ein, der jedoch erklärt, daß er, mit dem Recht auf seiner

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Seite, keinerlei Veranlassung habe, sich geschlagen zu geben (Ach. 659–663). Die Maskenbildner hingegen beugten sich aus Angst (ÍpÚ d°ouw) dem Druck des mächtigen Politikers (Eq. 230–231) und verweigerten so die Lieferung einer Porträtmaske Kleons für die 424 v. Chr. zur Aufführung gebrachten Ritter. In diesem Stück fährt Aristophanes die schwersten Geschütze gegen den Verhaßten auf. Dem Demos gegenüber wird hier Kleon gezeichnet als ein unterwürfiger Schmeichler, während er doch tatsächlich bestechlich sei, ein Erpresser, Denunziant, Friedensverhinderer und Landesverräter. Seine Erfolge verdanke er ausschließlich der Laxheit des Demos sowie dessen Streitsucht und Anfälligkeit für Schmeichler. In den Wespen (422 v. Chr.) startete Aristophanes seinen letzten Großangriff gegen den mächtigen Populisten, der im Spätherbst 422 v. Chr. vor Amphipolis fiel. Durch die Autorität des Thukydides und der Komödie (eine kritische Bewertung von deren Charakteristiken Kleons bei Andrewes 1962, bes. 79–85, vgl. jedoch Kagan 1975, bes. 92–93 zu den thukydideischen Reden) wurde so das Bild Kleons maßgeblich ein für allemal verbindlich festgelegt (Paladini 1958) und auch in späteren Zeiten nicht mehr angetastet (ein Beispiel dafür bei D. S. XII 55, 8), abgesehen von einer vorteilhaften Erwähnung im Corpus Demosthenicum (or. 40, 25). Von einem besonderen Interesse für das Kleonbild der Kaiserzeit (Kleon gehört zu dem Exempla-Schatz der Rhetorik, dazu Homeyer 1967, 182) ist die wohl an Thukydides anknüpfende (Stadter 1973, bes. 109–115 illustriert Plutarchs eingehende Thukydideskenntnis) Nikias–Biographie Plutarchs (bes. der Passus 2, 1–9, 2), in welcher der Autor (in der wahrscheinlich unechten Schrift De Herodoti malignitate fällt demgegenüber die Bewertung des Autors spürbar milder aus) ein vernichtendes Urteil über Kleons populistischen Charakter mit drastischer Deutlichkeit ausspricht. Hervorgehoben werden hier an Kleon insbesondere eine Abscheu erregende Dreistigkeit (2, 2: bdelur€a, tÒlma), rücksichtsloser Egoismus sowie unerschrocken-dreistes Draufgängertum (2, 3: pleonej€a, fitamÒthw, yrãsow), zudem diesem leicht von der Hand gehende Derbheiten (3, 2: eÈx°reia, bvmolox€a) und ein mit Tollheit gepaarter angeberisch–leichtfertiger Charakter (7, 4: koufÒthw, man€a). Alles in allem erscheint hier Kleon als lupenreiner Demagoge (9, 1: dhmagvgÚw êkratow), der den Verlust des gesunden Sensoriums für das Schickliche (tÚ pr°pon) und somit den allgemeinen Niedergang der rednerischen und politischen Kultur in Athen maßgeblich zu verantworten habe (8, 3). Lukian selbst nennt Kleon andernorts einen dhmagvgÒw (Laps. 3) und nimmt auf den Komikerspott Bezug (Prom. Es 2). Zu m°ga §n tª §kklhs€& dunãmenow ka‹ kat°xvn tÚ b∞ma: Die Formulierung m°ga dunãmenow versucht, die Diktion der damaligen Machtpolitiker, wie sie der platonische Gorgias deutlich zeigt, wiederzugeben. Hatte Gorgias sich hier noch in verhältnismäßig gemäßigtem Ton erbötig gemacht, Sokrates tØn t∞w =htorik∞w dÊnamin ëpasan (Grg. 455 b) zu enthüllen, so erfolgt durch Polos’ Auslegung des m°giston dÊnasyai der Redner (Grg. 466 b) eine Radikalisierung, welche Sokrates sodann zu einer langgezogenen Widerlegung der darin sich kundtuenden Rücksichtslosigkeit aufruft. Mit dieser selben und nur durch den freundlichen Ton entschärften Formel bringt Sokrates auch die politischen Ambitionen des Alkibiades auf den Punkt (Alc. I 105 b: m°giston dunÆsesyai). Auf den platonischen Gorgias spielt der Autor Lukian in dieser Schrift ein weiteres Mal an (vgl. den Kommentar zu Kap. 40: kommvtikØn ≤ gumnastikÆ, auch hier ist Polos der Gegner des Sokrates). Das Verbum kat°xein, jeweils mit dem Akkusativobjekt tÚ pl∞yow, hatte bereits Thukydides gebraucht, um die Macht des Politikers über die Masse des Volkes zu bezeichnen (negativ konnotiert in III 62, 4, anerkennend II 65, 8 über Perikles). Lukian parodiert seine eigene Formulierung kat°xvn tÚ b∞ma in Symp. 19 (kat°xonti tÚ sumpÒsion).

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oÈ mØn oÈd¢ ≤ sÊmpasa pÒliw t«n ÉAyhna€vn, µn tå §n Sikel€& kakå flstorª ka‹ tØn Dhmosy°nouw l∞cin ka‹ tØn Nik€ou teleutØn ka‹ …w §d€cvn ka‹ oÂon tÚ Ïdvr ¶pinon ka‹ …w §foneÊonto p€nontew ofl pollo€: Dieser Passus bezieht sich in etwas freierer Auslegung auf die berühmte thukydideische Darstellung der sizilischen Katastrophe am Ende von Buch VII. Bei der Gefangennahme (l∞ciw) des

Demosthenes, wie der Autor sie hier bezeichnet, handelte es sich den Worten des Thukydides (VII 82, 2–3) zufolge tatsächlich um Übereinkunft (ımolog€a) und Übergabe (ka‹ par°dosan ofl pãntew sfçw aÈtoÁw ... ). Nachdem die Syrakusaner die gefangenen Athener in die Steinbrüche geschickt hatten, töteten sie sowohl Demosthenes als auch Nikias gegen den Willen des Gylippos (Th. VII 86, 2: Nik€an d¢ ka‹ Dhmosy°nh êkontow Gul€ppou ép°sfajan), wobei in einem knappen Nachruf (VII 86, 5) hinzugefügt ist, daß Nikias dieses unglückliche Schicksal am wenigsten von allen zeitgenössischen Griechen verdient habe. Getreuer am Original (Th. VII 84) ist von Lukian jedoch das der Übergabe des Nikias an Gylippos (Th. VII 85, 1) vorangehende Schicksal der leidgeprüften Athener an dem Fluß Assinaros (heute Falconara bzw. Fiume di Noto) geschildert: die Athener glauben in ihrer Bedrängnis, ihre Lage würde sich bessern, sobald sie erst einmal den Fluß überschritten hätten; zugleich werden sie zu diesem ihrem Verhalten bestimmt durch totale Erschöpfung und Durst (ÍpÚ t∞w talaipvr€aw ka‹ toË pie›n §piyum€&); doch die am Steilhang des gegenüberliegenden Flußufers in Stellung gegangenen Syrakusaner beschießen hernach die Trinkenden, die einander im Flußbett selbst behindern; sodann steigen die Peloponnesier herab und machen die im Fluß Befindlichen nieder; diese fahren damit fort, das nunmehr durch Schlamm und Blut gleichermaßen verunreinigte Flußwasser zu trinken: ka‹ tÚ Ïdvr eÈyÁw di°fyarto, éllÉ oÈd¢n ∏sson §p€neto ımoË t“ phl“ Ωmatvm°non ka‹ perimãxhton ∑n to›w pollo›w.

Dieser Passus war in der Antike bereits berühmt. Denn Ps. Longinos (38, 3) zieht ihn heran als Beleg für ÍperoxÆ an Pathos, welche der Paradoxie des Geschehens Glaubwürdigkeit (pistÒn) verleihe. Auch sonst schätzen attizistische Kritiker an Thukydides das Element des Pathos (die Belege bei Lateiner 1977, bes. 42–43 und 51). Vor diesem Hintergrund verdient der Umstand Beachtung, daß Lukian hier die Verwendung des Begriffes pãyow vermeidet, weil er ganz leicht zu Mißverständnissen hätte Anlaß geben können (vgl. das Beispiel des in Kap. 26 wegen seiner dramatisierenden Darstellungsweise kritisierten Anonymus). Eine wie geschätzte Stoffvorlage die von Thukydides berichtete sizilische Expedition insgesamt für rhetorische Deklamationen war, das belegen aus Lukians Zeit die als fingiertes Redepaar gestalteten Sikeliko‹ lÒgoi des Aristides (or. 29 und 30, Dindorf I 552–590), in denen im Sinne von Befürwortung und Ablehnung die Frage abgehandelt wird, ob die Athener den in Sizilien stationierten Soldaten ein Hilfskorps schicken sollten oder nicht. ≤gÆsetai går ... ÍpÉ oÈdenÚw t«n noËn §xÒntvn aÈtÚw ßjein tØn afit€an µn tå dustux«w µ énoÆtvw gegenhm°na …w §prãxyh dihg∞tai – oÈ går poihtØw aÈt«n éllå mhnutØw ∑n: Ein ähnlicher

Gedanke ist in Merc. Cond. 4 ausgesprochen, wo der Philosoph Timokles, der im Begriffe ist, sich an das Haus eines reichen Herrn zu verdingen, vor der dort üblichen entwürdigenden Behandlung gewarnt wird. In diesem Zusammenhang erklärt der Autor Lukian, daß ihn, den Warner, keine Schuld treffen würde (§g∆ d¢ éna€tiow), daß vielmehr die Schuld denjenigen zuzuschreiben sei (tØn afit€an ... ¶xein), die solches tun (ofl poioËntew), es sei denn, Wahrhaftigkeit und unverblümte Offenheit seien ein strafbarer Tatbestand (efi mØ élhye€aw ka‹ parrhs€aw §pit€miÒn t€ §stin). Auch hier bilden wie im Passus über das Ethos des Historikers (Kap. 38–41, bes. 41) die zentralen Werte der élÆyeia und der parrhs€a den normativen Bezugspunkt des Gedankens. Zu …w §prãxyh dihg∞tai: Die Aufgabe des Historikers ist es, wie der Autor in vorliegender Schrift nicht müde wird einzuschärfen, über Tatsachen zu berichten (Kap. 7 und 59: flstore›n tå gegenhm°na / pepragm°na), denn: toË

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dØ suggraf°vw ¶rgon ßn – …w §prãxyh efipe›n (Kap. 39), was durch das Spiegelgleichnis in Kap. 51

erläutert wird.

Àste kín katanaumax«ntai tÒte, oÈk §ke›now ı katadÊvn §st€n, kín feÊgvsin oÈk §ke›now ı di≈kvn, §ktÚw efi mØ eÎjasyai d°on par°lipen. §pe€ to€ ge efi sivpÆsaw aÈtå µ prÚw toÈnant€on efip∆n §panory≈sasyai §dÊnato, =òston ∑n •n‹ kalãmƒ lept“ tÚn Youkud€dhn énatr°cai m¢n tÚ §n ta›w ÉEpipola›w parate€xisma, katadËsai d¢ tØn ÑErmokrãtouw triÆrh ka‹ tÚn katãraton GÊlippon diape›rai metajÁ époteix€zonta ka‹ épotafreÊonta tåw ıdoÁw ka‹ t°low Surakos€ouw m¢n §w tåw liyotom€aw §mbale›n, toÁw d¢ ÉAyhna€ouw periple›n Sikel€an ka‹ ÉItal€an metå t«n pr≈tvn toË ÉAlkibiãdou §lp€dvn.

§ktÚw efi mØ eÎjasyai d°on par°lipen: Dieses Kolon verbindet das für Lukian recht charakteristische Idiom §ktÚw efi mÆ (mit potentialem Optativ in Kap. 13 und Pisc. 6, mit Indikativ Pr. Im. 23, Tyr. 12

und Philops. 17) in der Bedeutung „es sei denn“ (nisi forte) mit einer literarischen Reminiszenz aus Demosthenes (or. 3, 18), wie dies bereits Solanus (Reitz 1743, 51) gesehen hat. Demosthenes stellt hier mit eindringlichen Worten fest, daß ein Redner, welcher das der Sache nach Bessere (belt€v), jedoch für die Zuhörer nicht Angenehme (oÈx ≤d°a) sage, damit kein Unrecht tue, und er fügt hinzu: plØn efi d°on eÎjasyai parale€pei, um sodann fortzufahren, es sei leicht, sich etwas zu wünschen, doch vor eine nur eine einzige Option zulassende Entscheidung gestellt, müsse man statt des Angenehmen das Beste (tå b°ltistÉ ént‹ t«n ≤d°vn) wählen. tÚ §n ta›w ÉEpipola›w parate€xisma: Das bezieht sich auf die von den Syrakusanern nach der Ankunft des Gylippos durch Epipolai hin erbaute einfache Mauer (Th. VII 4, 1: te›xow èploËn, VII 42, 4: parate€xisma), deren vermeintliche Schwäche in dem eben zur Verstärkung aus Athen

angekommenen Demosthenes eine trügerische Hoffnung auf erfolgreichen Angriff wachruft (VII 42, 4). Nach anfänglichen Erfolgen kommt es dann schließlich in der berühmten nächtlichen Schlacht (VII 44, 1: nuktomax€a) zur Niederlage der athenischen Angreifer. Diese berühmte nuktomax€a diente späterhin den Verfassern von Progymnasmata als paradigmatisches Anschauungsobjekt für eine aus den Elementen von kairÒw und prçjiw gemischte Art der Ekphrasis, so Theon (Spengel II 119, Z. 2–5), Hermogenes (Spengel II 16, Z. 20–22) und Aphthonios (Spengel II 46, Z. 30–47, Z. 4). tØn ÑErmokrãtouw triÆrh: In der letzten Seeschlacht im Hafen wird die syrakusanische Flotte von

Sikanos und Agatharchos kommandiert. In dieser nun tritt der thukydideischen Darstellung (VII 70–71) zufolge Hermokrates als Akteur nicht in Erscheinung; erst nach der Niederlage der Athener bringt er deren Feldherrn durch eine List (épãth) dazu, vor Ort zu verbleiben (VII 73, 3–74, 1). Diese Ungenauigkeit da, wo „es ... gerade auf genaue Wiedergabe des von Thucydides Erzählten ankommt“ (so Passow 1854, 22), wurde Lukian neben anderen Irrtümern angelastet. Es ist aber zu bedenken, daß an einer früheren Stelle bei Thukydides (VII 21) Hermokrates gemeinsam mit Gylippos erfolgreich zur Seeschlacht geraten hatte, weshalb gerade er als der Exponent dieser Form des Kampfes gelten konnte, wenn er auch an der zur Debatte stehenden Seeschlacht nicht aktiv beteiligt war. tÚn katãraton GÊlippon ... époteix€zonta ka‹ épotafreÊonta tåw ıdoÁw: Unmittelbar nach

der List des Hermokrates versperren der thukydideischen Darstellung zufolge die Syrakusaner und Gylippos alle Landwege, durch die die Athener mutmaßlich ziehen würden, und bewachen alle Flußübergänge (Th. VII 74, 2): tãw te ıdoÁw tåw katå tØn x≈ran √ efikÚw ∑n toÁw ÉAyhna€ouw fi°nai

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épefrãgnusan ka‹ t«n =e€yrvn ka‹ potam«n tåw diabãseiw §fÊlasson. Das hier pointiert gesetzte Adjektiv katãratow parodiert die Neigung parteiischer Schriftsteller, den Gegner zu beschimpfen,

so wie der in Kapitel 14 verhöhnte Anonymus in höchstem Maße unpassend Vologaeses einen miar≈tatow ka‹ kãkista époloÊmenow genannt habe. metå t«n pr≈tvn toË ÉAlkibiãdou §lp€dvn: Über den Kriegstreiber Alkibiades, den engagiertesten

Befürworter der sizilischen Expedition, sagt Thukydides (VI 15, 2), er habe aus egoistischen Motiven heraus so gehandelt: §lp€zvn Sikel€an te diÉ aÈtoË ka‹ KarxhdÒna lÆcesyai ka‹ tå ‡dia ëma eÈtuxÆsaw xrÆmas€ te ka‹ dÒj˙ »felÆsein. éllÉ o‰mai tå m¢n praxy°nta oÈd¢ Klvy∆ ín ¶ti énakl≈seien oÈd¢ ÖAtropow metatr°ceie.

ín ¶ti: dies ist die Lesart von G, während in E das ín fehlt; Macleod 1980, 311 hält sich in seinem Text an die Lesart von E und schlägt im textkritischen Apparat ¶ti ín vor.

Das sehr seltene und erst bei Lukian belegte Verbum énakl≈yein hat die Bedeutung von „rückwärts spinnen“ = „rückgängig machen“ (so auch JConf. 7, wo es in Verbindung mit éllãttein steht). Ps. Just. Mart. quaest. et resp. ad orth. 493 c 3 überliefert die explizit als Sprichwort (kay≈w fasin ÜEllhnew) gekennzeichneten Worte: tå ÍpÚ t«n Mo€rvn §piklvyÒmena édÊnatÒn §stin énaklvy∞nai. Das Verbum metatr°pein bedeutet „umwenden“ = „rückgängig machen“. Zu Ausdruck und Gedanke vgl. JConf. 11: oÈ går o‰mai dunatÚn e‰nai oÈd¢ aÈta›w ¶ti ta›w Mo€raiw éllãjai ti ka‹ metatr°cai t«n §j érx∞w dojãntvn per‹ •kãstou: ≤ går ÖAtropow oÈk énãsxoitÉ ên, e‡ tiw §w tÚ §nant€on str°ceie tÚn êtrakton énalÊvn t∞w KlvyoËw tÚ ¶rgon. Zu dem Wortspiel vgl. Stob. II 8, 39 Wachsmuth / Hense II 164, Z. 13–14: tØn ÖAtropon, tØn tå §piklvsy°nta poioËsan émetãtropa, ähnlich Plu De Stoicorum repugnantiis 47, 1056 c.

Kapitel 39 In Kapitel 38 (mit ihm begann der bis Kapitel 41 hin reichende Passus über das Ethos des Historikers) wurde dessen Freiheit in doppeltem Sinne definiert, und zwar durch Freisein von Furcht und von Hoffnung, und für ersteres Motiv wurden exemplarisch griechischer und makedonischer Geschichte entnommene furchteinflößende Persönlichkeiten genannt. Nunmehr figuriert der Perserkönig Artaxerxes II. Mnemon als Beispiel eines Machthabers, der einen Historiker sowohl durch Furcht als auch insbesondere durch Hoffnung auf reiche materielle Belohnung (Kleidung, Schmuck, Pferde) dazu veranlassen könnte, seine einzige Aufgabe zu vernachlässigen, nämlich tatsachengetreu zu berichten (…w §prãxyh efipe›n). Aus dem expliziten Hinweis, dies träfe gerade dann zu, wenn der Historiker zugleich Arzt des Artaxerxes sei, ergibt sich eindeutig, daß hier konkret Ktesias von Knidos, bekanntlich der Leibarzt des Artaxerxes, gemeint ist, dessen historische Glaubwürdigkeit von Lukian auch andernorts in Übereinstimmung mit griechischer Literaturkritik negativ beurteilt wird. Als die prototypischen Vorbilder für die geforderte Eigenschaft der Unbestechlichkeit (vgl. dazu Kap. 41: éd°kastow) werden die zwei klassischen Geschichtsschreiber Xenophon und Thukydides genannt, die beide, im Unterschied zu Herodot, in der Antike weithin als Muster für historiographische Objektivität galten. Wenn nun weiter betont wird, daß diese die Wahrheit (élÆyeia) über ihre persönlichen Gefühle von Haß und Freundschaft gestellt hätten, so erinnert dies an ein Postulat

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des Polybios (I 14, 7), das besagt, daß ein Historiker, sollte dies von der Sache her nötig sein, sich nicht scheuen dürfe, in der Darstellung auch seine Freunde anzuklagen und seine Feinde zu loben. Schließlich hebt Lukian den Ton zu einer in diesem Kontext auch aus Diodor und Dionysios von Halikarnaß (diese nennen die Geschichtsschreibung mit pathetischen Worten Verkünderin bzw. Priesterin der Wahrheit) bekannten Feierlichkeit an (ein Vergleich mit Lex. 23 zeigt, daß es sich um ein rhetorisches Verfahren handelt), indem er nun erklärt, der an seine Arbeit herangehende Historiker habe einzig der Wahrheit zu opfern (mÒn˙ yut°on tª élhye€&), müsse er doch, und dies ist das zentrale, im Epilog der Schrift nachdrücklich wiederholte Thema (so bes. Kap. 13, 61 und 63), an den berechtigten Ansprüchen seiner zukünftigen Leserschaft Maß nehmen, nicht an den momentgebundenen Interessen der gegenwärtigen Hörer. toË dØ suggraf°vw ¶rgon ßn – …w §prãxyh efipe›n. toËto dÉoÈk ín dÊnaito êxri ín µ fob∞tai ÉArtaj°rjhn fiatrÚw aÈtoË Ãn µ §lp€z˙ kãndun porfuroËn ka‹ streptÚn xrusoËn ka‹ ·ppon t«n Nisa€vn lÆcesyai misyÚn t«n §n tª grafª §pa€nvn.

êxri ín µ fob∞tai ÉArtaj°rjhn fiatrÚw aÈtoË Ãn: Gemeint ist Ktesias von Knidos (FGrH III

C 688, elementar Jacoby 1922), der, wie es scheint, 17 Jahre lang (vermutlich von 415 / 414–398 / 397 v. Chr., Lendle 1992, 119, etwas anders Meister 1990, 62–63) am Hof des Artaxerxes II. Mnemon als Leibarzt tätig war (Belege: X. An. I 8, 26, Str. XIV 2, 15 = C 656, D. S. II 32, 4, Plu Art. 1, 2). Nachdem die königlichen Leibärzte am Hof von Susa zuvor zumeist Ägypter gewesen waren, sind seit Dareios dort griechische Ärzte überliefert; bekannt sind jedenfalls Demokedes von Kroton (unter Dareios), Apollonides von Kos (unter Artaxerxes I.) und aus späterer Zeit Polykriton von Mende (Walser 1967, 196–97); keiner von diesen betätigte sich, soweit bekannt, so wie Ktesias als Schriftsteller. An der Schlacht bei Kunaxa (401 v. Chr.) war Ktesias aufseiten des Artaxerxes beteiligt, dessen durch Kyros beigebrachte Wunde er eigenen Angaben zufolge heilte (X. An. I 8, 26–27). Sein Hauptwerk waren die Persika in 23 Büchern, auf welche hier offensichtlich angespielt wird. Die Glaubwürdigkeit des Ktesias wurde von der antiken Literaturkritik recht gering veranschlagt. Aussagekräftige Zeugnisse dafür finden sich besonders in der Artaxerxes–Vita Plutarchs (grundsätzlich Art. 1, 2: mÊyvn épiyãnvn ka‹ parafÒrvn §mb°blhken efiw tå bibl€a pantodapØn pula€an, vgl. 6, 6: das muy«dew überwiege oftmals die élÆyeia) und bei Ps. Demetrios (Eloc. IV 215), der ihn als Dichter (poihtÆw) bezeichnet, da er überall in seinem Werk Anschaulichkeit (§nãrgeia) zu erzeugen verstehe. Aristoteles (HA VIII 28, 606 a 8, Didot III, 169 Z. 7) bezeichnet ihn lapidar als unglaubwürdig (Kths€aw oÈk Ãn éjiÒpistow). Lukian bringt Ktesias gemeinsam mit Iambulos und Herodot wiederholt in Verbindung mit einem eklatanten Mangel an schriftstellerischer Seriosität (so VH I 3: Kths€aw ... ˘w sun°gracen ... ì mÆte aÈtÚw e‰den mÆte êllou élhyeÊontow ≥kousen, in VH II 31 wird er gerechnet zu den mØ tå élhy∞ suggegrafÒtew, und in Philops. 2 zu den §ggrãfƒ t“ ceÊsmati kexrhm°noi). Artaxerxes wird als ein relativ milder Herrscher charakterisiert (Plu Art. 2, 1; 4, 3; 30, 5; vgl. Diod. XV 93, 1), doch vermittelt ein Passus bei Plutarch (Artax. 14, 3–16, 4) eine Vorstellung von der Grausamkeit, zu der er fähig war, wenn es um die Aufrechterhaltung seiner Geschichtslüge ging, derzufolge er in der Schlacht bei Kunaxa seinen Bruder Kyros eigenhändig getötet hätte (Binder 2008, 39–43 hebt die in seinem Charakter angelegten negativen Elemente stärker, als dies bislang geschah, hervor). So kann denn Artaxerxes ebenso wie Philipp, Alexander und Kleon (Kap. 38) den Typus des furchteinflößenden Despoten repräsentieren, nur daß er hier zusätzlich noch als jemand erscheint,

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der wegen des sprichwörtlichen persischen Reichtums bei unseriösen Historikern die Hoffnung auf persönliche Bereicherung zu erwecken vermöchte (vgl. dazu die folgende Anmerkung: µ §lp€z˙ ktl). µ §lp€z˙ kãndun porfuroËn ka‹ streptÚn xrusoËn ka‹ ·ppon t«n Nisa€vn: Der kãnduw (Belege

zu dem iranischen Ursprung des Wortes und zu mutmaßlich relevanten bildlichen Darstellungen bei Binder 2008, 154), welcher in anderen Schriften Lukians für das Barbarische steht (so in Bis Acc. 27, Deor. Conc. 9; in DMort. 12, 4 symbolisiert seine Übernahme durch Alexander den Freiheitsverlust der Makedonen), ist ein bei Medern und Persern gebräuchliches chlamysartiges Kleidungsstück von zumeist purpurner Farbe (X. Cyr. VIII 3, 10, An. 1, 5, 8; der kãnduw des Königs wird in Cyr. VIII 3, 13 ılopÒrfurow, von Pollux VII 58 Bethe II 68, Z. 6–7 èlipÒrfurow genannt). Der kãnduw zählt ebenso wie die Halskette (zumeist ı streptÒw) zu dem von X. Cyr. I 3, 2 aufgeführten exquisiten medischen Schmuck. Xenophon (An. I 2, 27) nennt unter den d«ra ì nom€zetai parå basile› t€mia (zur poludvr€a der Perserkönige vgl. X. Cyr. VIII 2, 27), bei welchen Gold überhaupt eine wichtige Rolle spielt, auch den streptÚw xrusoËw. In diesem Sinne bringen die vom persischen König Kambyses zu den Aithiopen gesandten Kundschafter als Gaben u. a. ein Purpurgewand sowie eine goldene Halskette mit (Hdt. III 20, 1: porfÊreÒn te eÂma ka‹ xrÊseon streptÚn periaux°nion). Und der junge Mithridates hatte von Artaxerxes als Belohnungsgeschenk immerhin ein schönes Gewand (kalØ §syÆw) und schöne Halsketten (kalå streptã) erhalten (Plu Art. 15, 2–3). Die erstmals von Herodot (III 106, 2 und bes. VII 40, 2–3) genannten nisäischen Rosse (Nhsa›oi bzw. Nisa›oi ·ppoi) werden die ganze Antike hindurch häufig erwähnt und als berühmteste Pferde des Altertums angesehen. Ihren Namen haben sie nach der nisäischen Ebene (Hdt. VII 40, 3: ped€on NÆsaion, Arr. An. VII 13, 1: ped€on Nhsa›on, Suid. s. v. N€saion Adler III 472) in Medien. An diesen erlesenen Pferden wird wiederholt Größe, Güte und Schönheit zumeist unter Verwendung von Superlativen hervorgehoben. Belege bei Str. XI 13, 7 = C 525, D. Chr. or. 36, 41, Charito VI 4 Hercher 111, Z. 16–17, Eust. zu Hom. Il. II 557 van der Valk I 439, Z. 15–17. Unter dem prächtigen ·ppow M∞dow (Ind. 5) dürfte wohl auch ein solches nisäisches Roß zu verstehen sein. misyÚn t«n §n tª grafª §pa€nvn: die Hoffnung auf Belohnung führe also zu einer Vernachlässigung

der ethischen Verpflichtung des Historikers zur Tatsachentreue. Eine ähnliche Verletzung des Ethos stelle das §p‹ misy“ dikãzein der faËloi dikasta€ (so Kap. 38) dar. Zu dem Gedanken der Ablehnung solcher Erwerbshistoriographie vgl. den Kommentar zu §pe‹ ... dikãzousin (Kap. 38). Aus literarhistorischer Sicht anzufügen ist, daß bereits Diodor (XXI 17, 4) dem syrakusanischen Historiker Kallias vorgeworfen hatte, er habe über seinen Protegée (misyodÒthw) Agathokles unter Verdrehung der Tatsachen ganz unwahre Dinge verbreitet und dadurch die Geschichte, die Künderin der Wahrheit, verraten (vgl. dazu weiter unten den Kommentar zu Kap. 39: ka‹ mÒn˙ yut°on tª élhye€&), Meissner 1992, bes. 527–536. Den (wahren) Lohn solle der Historiker von seinen zukünftigen Lesern einfordern (bes. deutlich in Kap. 61).

éllÉ oÈ Jenof«n aÈtÚ poiÆsei, d€kaiow suggrafeÊw, oÈd¢ Youkud€dhw. éllå kín fid€& misª tinaw polÁ énagkaiÒteron ≤gÆsetai tÚ koinÒn, ka‹ tØn élÆyeian per‹ ple€onow poiÆsetai t∞w ¶xyraw, kín filª ˜mvw oÈk éf°jetai èmartãnontow.

Der ernstzunehmende Historiker vom Format eines Xenophon und Thukydides wird also seine persönlichen Gefühle von Freundschaft (fil€a) und Feindschaft (m›sow) tunlichst aus seiner Arbeit

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heraushalten; denn er ist sich dessen bewußt, daß er der Öffentlichkeit (tÚ koinÒn) gegenüber die bei weitem vordringlichere Verpflichtung (énagkaiÒteron) zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung zu erfüllen hat. In diesem Sinne wird in Kapitel 41 der Wunschhistoriker nach dem Geschmack des Autors als unbestechlich charakterisiert (éd°kastow), als einer, der sich keineswegs an den subjektiven Parametern von Aversion und Sympathie orientiert: oÈ m€sei oÈd¢ fil€& n°mvn oÈd¢n. Er berichtet demnach also gerecht, ausgewogen und objektiv (eÎnouw ëpasin êxri toË mØ yat°rƒ ti épone›mai ple›on toË d°ontow). Eine solche keine persönlichen Rücksichten kennende Mentalität des Historikers wurde schon von Polybios (I 14, 7) in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Parteilichkeit des Philinos (FGrH II B 174) und des Fabius Pictor (FGrH III C 809) gefordert: oÎte t«n f€lvn kathgore›n oÎte toÁw §xyroÁw §paine›n Ùknht°on. Verkehrt sei auch die von zeitgenössischen Möchtegernhistorikern oft praktizierte Methode des tendenziösen efiw Ïcow a‡rein der Exponenten der eigenen Seite bzw. des p°ra toË metr€ou katarr€ptein der Gegner (so Kap. 7; vgl. Kap. 14 mit einem Beispiel). Belege zu der oftmaligen Verwendung des konventionellen sprachlichen Instrumentariums m›sow, ¶xyra, ép°xyeia (lat. odium, ira, invidia) bzw. fil€a, xãriw, eÎnoia (lat. gratia, amor, studium) zwecks Hervorhebung eigener Objektivität und der Disqualifizierung anderer Historiker bei Avenarius 1956, 50–52, ein gut strukturiertes primäres Quellenmaterial zu einschlägigen Äußerungen antiker Historiker auch bei Luce 1989, 16–31. Jenof«n .... Youkud€dhw: Von der in Kapitel 2 (als der Vorlage für die Historiker der Partherkriege)

genannten klassischen Historikertrias (Thukydides, Herodot, Xenophon) kann Herodot hier nicht als ein Paradigma für historiographische Objektivität aufgerufen werden. Antike Literaturkritik hebt an diesem immer nur andere Vorzüge hervor, und auch Lukian (VH II 31, Philops. 2) bringt Herodot in Zusammenhang mit schriftstellerischem ceËdow. Vor dem Hintergrund weitverbreiteter moderner Einschätzungen erstaunt es, daß Xenophon noch vor Thukydides als ein Vertreter besonderer Tatsachentreue genannt ist, doch läßt sich zumindest durch Diodor (I 37, 4) belegen, daß Xenophon und Thukydides in der Antike gleichermaßen mit historiographischer élÆyeia in Verbindung gebracht werden konnten. Wenn allerdings Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 4) dem Xenophon ein ∑yow d€kaion bescheinigt, so ist zu bedenken, daß dieser darunter etwas ganz anderes versteht, als dies bei Lukian der Fall ist, nämlich eine den Interessen der Griechen gegenüber gewogene Basiseinstellung. Kaum zutreffend ist Wirths 1964, 244 Vermutung, Xenophons Nennung an erster Stelle bei Lukian sei „möglicherweise wieder eine huldigende Anspielung auf das Proömium Arrians“. Thukydides wird nach dem Zeugnis fast aller Philosophen und Rhetoren (so D. H. Th. 8) zugestanden, er habe an den Tatsachen nichts geändert, weder durch ungebührliche Zusätze noch durch Weglassungen (oÎte prostiye‹w to›w prãgmasin oÈd¢n ˘ mØ d€kaion oÎte éfair«n), und er habe auch über alle Akteure frei von Haß (fyÒnow) und Schmeichelei (kolake€a) das ihnen jeweils Zukommende (˜sa prosÆkonta ∑n •kãstƒ) berichtet. Wenigstens in dieser Hinsicht stimmt auch Dionysios ausdrücklich mit der Ansicht der Allgemeinheit überein, auch wenn er andernorts (Pomp. 3) Thukydides mit dem Ausdruck des Tadels eine wegen der erlittenen Verbannung erbitterte, nachtragende Grundstimmung (diãyesiw) attestiert (Sacks 1983, 82 erklärt die Inkonsistenz plausibel mit den in diesen beiden Schriften unterschiedlichen Autorintentionen). Eine vor dem Hintergrund dieses weitgehenden Konsenses verbreitete Ansicht findet sich in der Vita des Markellinos (Kap. 26–27), wo Thukydides als Wahrheitsfreund (filalÆyhw) von ausgewogenem Charakter (tå ≥yh m°triow) charakterisiert ist, welcher im Unterschied zur Masse der Historiker nicht den persönlichen Leidenschaften (‡dia pãyh) nachgegeben habe. Demgegenüber kann es wohl kaum als repräsentativ für die Ansicht der antiken Literaturkritiker gelten, wenn dieselbe Vita andernorts (Kap. 46) dem Thukydides eine in persönlichen Motiven begründete antikleonische Tendenz vorwirft. Diese Kritik

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ist wohl ebenso singulärer Natur wie der innerhalb derselben Lebensbeschreibung erhobene Vorwurf an Xenophon, er habe Menon geschmäht, und zwar diå tÚn prÚw Plãtvna z∞lon (Kap. 27). Lukian jedenfalls konnte mit sicherer Zustimmung rechnen, wenn er gerade Xenophon und Thukydides zu prototypischen Exponenten unbestechlicher Wahrheitsliebe erklärt. Das hier Xenophon zugeschriebene Adjektiv d€kaiow kehrt am Ende der Schrift (Kap. 63: flstor€aw dika€aw) in herausgehobener Position wieder, diesmal in einer Verbindung mit demjenigen Geschichtswerk, welches an den in Lukians Lehrschrift geäußerten Prinzipien Maß nimmt. Alleine deshalb schon ist Baldwins 1973 a, 32–33 These, Lukian polemisiere in dieser Schrift gegen den n°ow Jenof«n Arrian, nicht zutreffend.

©n gãr, …w ¶fhn, toËto ‡dion flstor€aw, ka‹ mÒn˙ yut°on tª élhye€&, e‡ tiw flstor€an grãcvn ‡oi, t«n d¢ êllvn èpãntvn émelht°on aÈt“, ka‹ ˜lvw p∞xuw eÂw ka‹ m°tron ékrib°w, épobl°pein mØ efiw toÁw nËn ékoÊontaw éllÉ efiw toÁw metå taËta sunesom°nouw to›w suggrãmmasin.

toËto ‡dion flstor€aw: Das Adjektiv ‡diow hat in dieser Schrift (so Kap. 8: kanÒnew ‡dioi, Kap. 9: tÚ ‡dion §ntel°w, Kap. 11: •kãstou ... ‡diÒn ti kalÒn §stin) die Bedeutung von „spezifisch“, wie dies

bereits in der aristotelischen Poetik der Fall ist, wo es auch mehrfach mit dem Genetiv konstruiert ist und im Besonderen die spezifische Eigentümlichkeit einer literarischen Gattung bezeichnet (so Po. 5, 1449 b 16–17: m°rh dÉ §st‹ tå m¢n taÈtã, tå d¢ ‡dia t∞w tragƒd€aw). Lukian verwendet andernorts (Harm. 1) dieses Idiom, um die Spezifika der vier Tonarten zu bezeichnen (t∞w èrmon€aw •kãsthw diafulãttein tÚ ‡dion). Weitere Belege aus Aristoteles und Lukian im Kommentar zu Kap. 9: tÚ ‡dion §ntel°w. mÒn˙ yut°on tª élhye€&: Mit ähnlicher Feierlichkeit (vgl. in allgemein rhetorischem Zusammenhang Lex. 23: mãlista d¢ Xãrisi ka‹ Safhne€& yËe) spricht Diodor (weitere Belege bei Theiler 1967, 74,

der Lukian jedoch nicht heranzieht) in der programmatischen Einleitung zu seinem Gesamtwerk davon, daß die flstor€a, die Verkünderin der Wahrheit (die prof∞tiw t∞w élhye€aw), gleichsam die Mutterstadt der Philosophie als ganzer, die wertvolle ethisch–pädagogische Funktion erfülle, für alle Zeit der Nachwelt tugendhafte Handlungen als Anreiz zur Nachahmung kundzutun, und zwar t“ yeiotãtƒ t∞w flstor€aw stÒmati (D. S. I 2, 2–3). Gröblich gegen dieses Prinzip verstoßen hat Diodor zufolge (XXI 17, 4) Kallias von Syrakus, dem er vorwirft, er hätte durch sachlich ungerechtfertigte Enkomiastik seinem Protegée (misyodÒthw) Agathokles gegenüber unter einem Verrat am d€kaion verkauft tØn prof∞tin t∞w élhye€aw flstor€an. Im Traktat über Thukydides vermerkt Dionysios von Halikarnaß, daß Thukydides von der überwiegenden Mehrheit der Philosophen und Rhetoren bezeugt werde, ˜ti ka‹ t∞w élhye€aw, ∏w fl°reian e‰nai tØn flstor€an boulÒmeya, ple€sthn §poiÆsato prÒnoian (D. H. Th. 8). Doch zeigt seine in Pomp. 3 vorgenommene Synkrisis von Herodot und Thukydides einseitiges historisches Verständnis des Verfassers, der Thukydides wegen der Wahl seines Gegenstandes kritisiert. Hätte dieser doch im Gegensatz zu dem weitaus glücklicher verfahrenden Herodot über ein deprimierendes Kapitel der griechischen Geschichte gehandelt, welches man besser vor der Nachwelt verschweigen hätte sollen. Ein differenzierteres Verständnis von Historiographie zeigt sich in Ciceros Brutus (bes. in 14, 40–44). Dem aus der Dialogsituation heraus zu verstehenden Prinzip des concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius (14, 42) steht der durch die Person des als auctor religiosissimus bezeichneten Titus Pomponius Atticus (14, 44) repräsentierte Anspruch auf Sachlichkeit und

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Seriosität. Jedenfalls ist es wohl kaum als gerechtfertigt zu erachten, mit Avenarius 1956, 42 im Zusammenhang mit den angeführten Belegstellen ganz rigoros von „rhetorischen Phrasen“ und „hohlem Pathos“ zu sprechen. Insbesondere den Historikern ist prinzipiell zuzubilligen, daß sie, jedenfalls aus ihrer Sicht, bemüht waren um ein verantwortungsvolles Herangehen an ihre Arbeit. Dies sagt allerdings nichts aus über die tatsächliche Objektivität und den Wahrheitsgehalt ihrer Darstellungen. p∞xuw eÂw ka‹ m°tron ékrib°w: Zur Bildersprache sind die Worte zu vergleichen, welche der Autor all denen, die seinen Anweisungen nicht zu folgen bereit seien, mit auf den Weg gibt (Kap. 5): t“ aÈt“ pÆxei ... metroÊntvn tÚ prçgma (vgl. den Kommentar zur Stelle). épobl°pein mØ efiw toÁw nËn ékoÊontaw éllÉ efiw toÁw metå taËta sunesom°nouw to›w suggrãmmasin: Das Verbum épobl°pein + efiw bzw. prÒw („mit Blick auf“ im Sinne des Maßnehmens an einer Norm), welches Lukian ebenso in Kap. 10 (prÚw oÓw épobl°ponta xrØ suggrãfein) zur Bezeichnung der Orientierung an der kritischen Rezipientenschaft verwendet, gehört zu der Diktion griechischer Literaturkritik, wie eine aussagekräftige Stelle bei Ps. Dionysios von Halikarnaß (Usener / Radermacher VI 2, 374, Z. 22–375, Z. 1: Rh. 11) zeigt: de› d¢ Àsper kanÒna e‰nai ka‹ stãymhn tinå ka‹ dok€mion …rism°non, prÚw ˜ tiw épobl°pvn dunÆsetai tØn kr€sin poie›syai.

Zu nËn ... metå taËta: Es ist ein zentraler Gedanke in dieser Schrift (Kap. 61: pollãkiw går toËto §r«), daß der Historiker sich nicht an ephemeren Erwartungshaltungen von Personen der Gegenwart, sondern vielmehr an den legitimen Ansprüchen der zukünftigen Leserschaft zu orientieren habe (bes. Kap. 13, 40, 42, 61 und 63). Und ersteres wird mit Schmeichelei (kalake€a) in Verbindung gebracht, zweiteres mit Wahrheit (élÆyeia bzw. tÚ élhy°w). Mitzuassoziieren ist der Gedanke, daß im Sinne von Kap. 9 (©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai) die Geschichtsschreibung bzw. die durch diese vermittelte Wahrheit (tÚ élhy°w) ihr Ziel erst im Nutzwert (tÚ xrÆsimon) insbesondere für den zukünftigen Leser erfülle (Momigliano 1977, 174 weist richtig darauf hin, daß kein antiker Historiker diese Möglichkeit prinzipiell in Zweifel zieht). Ein derartiger didaktischer Anspruch war schon von Thukydides (I 22, 4) erhoben worden, worauf Lukian in Kap. 42 explizit Bezug nimmt. sunesom°nouw: Das Verbum sune›nai, das vertrauten, intensiven Umgang mit Philosophie (Pl. R. VI

495 c) und im Besonderen mit der philosophischen Literatur (Philops. 5, Salt. 2) bezeichnen kann, ist hier bewußt gewählt, um den scharfen Gegensatz zur eher flüchtigen Rezeptionsweise des Hörens (ékoÊontaw) zu markieren. Der Autor weist zudem in der Einleitung zum skommatisch–lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14) auf von ihm besuchte Lesungen von Geschichtswerken in Ionien und Achaia hin. Zu beiden Arten der Rezeption von Geschichtsschreibung, mündlichem Vortrag und Lektüre von publizierten Werken, bis zum 2. Jh. n. Chr. vgl. die primären und sekundären Quellen bei Hose 1994, 19–21.

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Kapitel 40 Im vorangehenden Kapitel hatte unter den Motiven von Furcht und Hoffnung (so erstmals genannt in Kap. 38) letzteres deutlich stärkere Beachtung gefunden. Nun geht es überhaupt nur mehr um eine von Hoffnung auf persönliche Vorteile (das in Kap. 38–39 gebrauchte Verbum §lp€zein wird im Folgenden jedoch ausgespart) geleitete Gefälligkeitshistorie, die den tendenziös gewichtenden und bewertenden Historiker zum Schmeichler mache. Wie die Gymnastik (gumnastikÆ) die Putzkunst (kommvtikÆ) ausschließe, so habe längst schon die Geschichtsschreibung (flstor€a) die Schmeichler (sc. toÁw kolakeÊontaw) von sich gewiesen. Leicht erkennbar bedient Lukian sich des Mittels der Intertextualität; Subtext ist ein bekannter Passus aus dem platonischen Gorgias (bes. 465 b, vgl. den Kommentar zur Stelle). Wie bereits in Kapitel 12 (Alexander-Aristobulos-Anekdote), so erscheint Alexander der Große auch hier als der Schmeichelei unzugänglicher Herrscher, der diesmal ausgerechnet den Kyniker Onesikritos (der hier ausgesparte Umstand, daß Onesikritos Schüler des Diogenes von Sinope war, konnte wohl als bekannt vorausgesetzt werden), der ihm aus seinem Werk vorgetragen habe, über das zu erwartende Urteil der Nachwelt belehrt. Selbst Homers nach dem muy«dew hin orientierten Bericht über Achilles, so fährt der Autor fort, sähen einige sich veranlaßt, Glauben zu schenken, einzig deshalb, weil dieser, da er ja nicht über einen Lebenden geschrieben habe, keinen Grund zur Lüge gehabt hätte. Das Argument selbst ist in diesem Zusammenhang zwar kaum ernst gemeint, doch ist die Argumentationsstruktur an sich aus kaiserzeitlicher Historiographie vertraut. Denn in diesem Sinne gehen Josephus Flavius, Arrian und Tacitus von erhöhter Glaubwürdigkeit einer Darstellung aus, wenn diese vom Darstellungsobjekt durch entsprechende zeitliche Distanz getrennt ist. Schließlich noch eine Beobachtung zur Form: die Reaktion Alexanders an die Adresse des Onesikritos ist in der Form eines Apophthegmas dargeboten (Apophthegmata gehören bekanntlich dem Diatribenstil an, vgl. dazu auch die Einleitung zu Kap. 12).

Efi d¢ tÚ paraut€ka tiw yerapeÊoi, t∞w t«n kolakeuÒntvn mer€dow efikÒtvw ín nomisye€h, oÓw pãlai ≤ flstor€a ka‹ §j érx∞w eÈyÁw ép°strapto, oÈ me›on µ kommvtikØn ≤ gumnastikÆ.

Efi d¢ tÚ paraut€ka tiw yerapeÊoi: Zu dem Verbum yerapeÊein in Verbindung mit negativ konnotiertem Objekt (positiv zu verstehen ist es in S. Ph. 149: peir« tÚ parÚn yerapeÊein) sind zu vergleichen Th. III 56, 3 (tÚ jumf°ron ... yerapeÊontew), X. Cyr. V 5, 41 (tØn §mØn ≤donØn yerapeÊein) und bei Lukian selbst Bis Acc. 21 (tØn ÑHdonØn yerapeÊontaw, vgl. Merc. Cond. 8), der in DMort. 21, 1 den Akt des yerapeÊein in eine unmittelbare Beziehung setzt zur Schmeichelei (kolake€a). Desgleichen wird dem an sich neutralen Adverb paraut€ka mitunter eine vom jeweiligen

Kontext her zu verstehende despektierliche Konnotation unterlegt, so etwa von Platon (R. VIII 558 a, vermittels des pointiert nachgereichten §n t“ paraut€ka), der zudem in Phdr. 240 b zwischen der Lust des Augenblicks (§n t“ paraut€ka ≤donÆ) und der Person des Schmeichlers (kÒlaj) eine enge Beziehung herstellt. Thukydides (III 56, 3, loc. cit.) schließlich läßt Astymachos, den Sprecher der Platäer, sagen, eine Beurteilung der Sachlage nach Maßgabe momentanen Vorteils (t“ aÈt€ka xrhs€mƒ) verfehle das d€kaion und damit das ÙryÒn. Hinsichtlich Gedankengang und Formulierung zu vergleichen ist insbesondere Kapitel 13 dieser Schrift, wo mit Kritik an einer verfehlten historiographischen Praxis von den tÚ tÆmeron ka‹ tÚ ‡dion ka‹ tÚ xrei«dew ˜ ti ín §k t∞w flstor€aw §lp€svsi yerapeÊontew die Rede ist, welche man als Schmeichler (kÒlakaw) hassen müsse.

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t∞w t«n kolakeuÒntvn mer€dow efikÒtvw ín nomisye€h: Der Begriff mer€w, welcher im allgemeinen

Sprachgebrauch häufig die politische Partei bezeichnet, in innenpolitischer (so z. B. Plat. Lg. III 692 b, Plu Regum et imperatorum apophthegmata 203 b) wie auch in außenpolitischer Hinsicht (D. or. 18, 64 und 176), meint hier die Gattung, die Klasse, wie bereits bei E. Supp. 238 (tre›w går polit«n mer€dew). Bei Lukian kommt dieser Nuance am nächsten Icar. 14 (t∞w mer€dow ... t∞w xe€ronow). Das Adverb efikÒtvw markiert hier wie in Kap. 28 den Aspekt der Grundsätzlichkeit. oÓw pãlai ≤ flstor€a ka‹ §j érx∞w eÈyÁw ép°strapto: Derselbe Pleonasmus §j érx∞w eÈyÁw (seit Hom. Od. I 187–188 steht §j érx∞w in der Bedeutung von „seit jeher“) wie hier in Abd. 29, wo eine grundsätzliche Unterschiedlichkeit gemeint ist. Zu épostr°fesyai + Akkusativobjekt in der Bedeutung „sich abwenden von“ (lat. aversari) vgl. den Kommentar zu Kap. 12: misoËsi mçllon ka‹ épostr°fontai …w kÒlakaw. kommvtikØn ≤ gumnastikÆ: Diese kontrastierende Gegenüberstellung von Gymnastik (gumnastikÆ) und Kosmetik (kommvtikÆ) nimmt auf einen berühmten, auch römischen Theoretikern (so Quint.

Inst. II 15, bes. 25) bestens bekannten Passus des platonischen Gorgias Bezug, in dem Sokrates den Gorgiasschüler Polos u. a. darüber aufklärt, daß durch das entwertende Einwirken von Schmeichelei (kolake€a) die Gymnastik (gumnastikÆ) gleichermaßen zur Putzkunst (kommvtikÆ) entarte wie die Arztkunst (fiatrikÆ) zur Kochkunst (ÙcopoiikÆ). Die zentrale Stelle (Grg. 465 b) lautet: Tª m¢n oÔn fiatrikª ... ≤ ÙcopoiikØ kolake€a ÍpÒkeitai: tª d¢ gumnastikª katå tÚn aÈtÚn trÒpon toËton ≤ kommvtikÆ. Letztere läßt Platon durch seinen Sokrates als unedel (égennÆw), eines Freien unwürdig (éneleÊyerow) und betrügerisch (épathlÆ) charakterisieren.

Lukian bedient sich dieses genuin platonischen Gedankens insbesondere in seinen Athletenvergleichen. In Kapitel 8 demonstriert der Autor die absurden Konsequenzen eines genoswidrigen Integrierens von Schmuckmitteln (komm≈mata), wie sie der Dichtung (poihtikÆ) legitimerweise zueigen seien, in das Medium der Geschichtsschreibung (flstor€a) anhand des Exempels eines mit Hetärentand aufgeputzten baumstarken Athleten (…w katag°laston aÈtÚn épergãsaito afisxÊnaw t“ kÒsmƒ §ke€nƒ). Und auf ein ähnliches Oxymoron läuft das der bildenden Kunst entnommene Anschauungsbeispiel des in Diensten der Omphale stehenden Herakles hinaus (Kap. 10: toË yeoË tÚ éndr«dew ésxhmÒnvw katayhlunÒmenon). Denn derart künstlich aufgesetzter Schmuck verletze das in Kapitel 11 ausgesprochene Prinzip, demzufolge einem jeglichen Ding ein jeweils eigenes Angemessenes zukomme (•kãstou går dØ ‡diÒn ti kalÒn §stin), umso mehr, als ja selbst eine naturgegebene physische Schönheit für die spezifische Leistung eines Athleten als irrelevant zu bewerten sei (Kap. 9: Beispiel des Nikostratos und des Alkaios) und allenfalls als ein akzessorischer Vorzug in Frage komme. ÉAlejãndrou goËn ka‹ toËto épomnhmoneÊousin, ˜ti „ÑHd°vw ên“, ¶fh, „prÚw Ùl€gon éneb€oun, Œ ÉOnhs€krite, époyan∆n ˜pvw mãyoimi p«w taËta ofl ênyrvpoi tÒte énagin≈skousin. efi d¢ nËn aÈtå §painoËsin ka‹ éspãzontai, mØ yaumãs˙w: o‡ontai går oÈ mikr“ tini t“ del°ati toÊtƒ énaspãsein ßkastow tØn parÉ ≤m«n eÎnoian.“

épomnhmoneÊousin, ˜ti: die ältesten Handschriften überliefern hier épomnhmoneÊousin mit unmittelbar nachfolgendem ÑHd°vw (so übernommen einzig von Macleod 1980, 311). Dies verursacht

einen allzu harten Übergang zur direkten Rede Alexanders, weshalb von der überwiegenden Mehrheit der Herausgeber die in Ea und in recentiores vorgenommene Korrektur épomnhmoneÊousin, ˘w in

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ihre Texte aufgenommen wurde. Ich folge mit der Einfügung von ˜ti der Konjektur Kassels 1973, 108, weil ˜ti durch das vorausgehende toËto plausibel ist; ˜pvw mãyoimi p«w: das älteste und bestbezeugte (in G und E) ˜pvw mãyoimi ˜pvw (danach Macleod 1980, 311) ist verdächtig wegen der Doppelsetzung des ˜pvw. Ich folge der von Bekker 1853, 36, Dindorf 1858, 19, Sommerbrodt 1878, 43 sowie 1893, 20 und Fritzsche 1860, 89 vorgeschlagenen Korrektur ˜pvw mãyoimi p«w. ÉAlejãndrou goËn ka‹ toËto épomnhmoneÊousin: Die vorangehende allgemeine Aussage wird nun, wie die Partikel goËn (in dieser Funktion lat. quidem, vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 24: eÂw goËn oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata, so auch weiter unten im Text ÑOmÆrƒ goËn) anzeigt,

anhand eines treffenden Beispiels und kraft einer anerkannten Autorität exemplifiziert. Unter der Mehrzahl der innerhalb verschiedener literarischer Traditionen mit Alexander in Verbindung gebrachten Anekdoten ist im Falle vorliegender Schrift die Alexander-Aristobulos-Anekdote (zu der Anekdote als einem formalen Vehikel für sugkr€seiw Focke 1923, 330) in Kap. 12 zu vergleichen, insoferne in beiden Fällen der Makedonenkönig als frei von Anfälligkeit für Schmeichelei gezeigt wird. Weniger vorteilhaft ist Alexander allerdings in Kap. 38 charakterisiert, nämlich als Beispiel für einen auch für Geschichtsschreiber furchteinflößenden Herrscher. ÑHd°vw ên ... prÚw Ùl€gon éneb€oun, Œ ÉOnhs€krite, époyan∆n ˜pvw mãyoimi p«w taËta ofl ênyrvpoi tÒte énagin≈skousin: das Idiom prÚw Ùl€gon steht hier, wie sonst §p Ùl€gon (LSJ s. v. Ùl€gow IV 6 mit Belegen), in der Bedeutung: „für kurze Zeit“ (so DDeor. 22, 1, Pisc. 4). Hinsichtlich Aussage und Formulierung zu vergleichen ist DMort. 28, 1: d°omai d¢ éfeye‹w prÚw Ùl€gon énabi«nai pãlin (Bitte des Protesilaos an Pluton).

Onesikritos (FGrH II B 134), gebürtig aus Astypalaia (T 4 = Arr. Ind. 18, 9; Fr. 16 b = Ael. NA XVI 39; T 1 = D. L. VI 84 nennt als alternativen Geburtsort Aigina), wohl der kleinen Insel der Dodekanesoi zwischen Amorgos und Kos, beteiligte sich am Feldzug Alexanders (unsicher, seit wann) in der Funktion eines Steuermannes des königlichen Schiffes (T 6 = Arr. An. VII 5, 6: kubernÆthn t∞w ne∆w t∞w basilik∞w, so auch T 4) auf dem Hydaspes und dem Indus. Bei der Fahrt der Flotte von der Indusmündung in den persischen Golf stand er rangmäßig unter dem Admiral (naÊarxow) Nearchos von Kreta (FGrH II B 133), wenn er sich selbst auch in seinem Werk als naÊarxow vorstellte (Fr. 27 = Arr. An. VI 2, 3 mit Kritik an der Lüge des Onesikritos). Von antiken Autoren wird die Glaubwürdigkeit des Onesikritos mehrfach in Zweifel gezogen, besonders von Strabon, der ihn unter den Indienschriftstellern in die Klasse der Lügenerzähler (ceudolÒgoi) einreiht (T 11 = Str. II 1, 9 = C 70), nicht ohne allerdings zu konzedieren, daß dessen auf das Erstaunliche (tÚ yaumastÒn) ausgerichtete Wunderberichterstattung (teratolog€a) dann und wann auch von glaubwürdigen und durchaus erwähnenswerten Informationen unterbrochen würde (T 10 = Str. XV 1, 28 = C 698: l°gei dÉ oÔn tina ka‹ piyanå ka‹ mnÆmhw êjia, Àste ka‹ épistoËnta mØ parelye›n aÈtã, eine leichte Aufwertung des faktischen Gehalts aus heutiger Sicht bei Karttunen 1989, 91). Häufig wird von antiken Quellen überliefert, daß Onesikritos ein Schüler des Diogenes von Sinope gewesen sei (T 1 = D. L. VI 84, vgl. T 2, T 5 a, Fr. 17 a und b). Diogenes Laertios (VI 84 = T 1) vergleicht Onesikritos sowohl hinsichtlich seines Lebensweges als auch hinsichtlich seines Werkes (inklusive des Stils) mit Xenophon, der im Hellenismus besonders von Kynikern und Stoikern rezipiert wurde (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 2: Jenof«ntew). Wie Xenophon ein §gk≈mion auf Kyros, so habe auch Onesikritos ein solches auf Alexander verfaßt, und zwar mit dem Titel P«w ÉAl°jandrow ≥xyh (zum Wortlaut des Titels äußert sich kritisch Pearson 1960, 87– 90). Eine solche enkomiastische Ausrichtung des Werkes (Hoffmann 1907, 10 schreibt diese wohl zu Recht weniger dem Kyniker Onesikritos zu, als vielmehr dem Begleiter und Freund des Königs) läßt sich auf Basis der wenigen Fragmente nicht bis ins Detail hinein nachprüfen, zumal Onesikritos von

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antiken Autoren selektiv benutzt und zitiert wird, nämlich hauptsächlich als Quelle für Geographie, Naturkunde und Kulturgeschichte des Wunderlandes Indien. Dennoch erlauben immerhin fünf Fragmente einen ungefähren Einblick in die Art, wie Onesikritos die Person Alexanders stilisiert haben dürfte: 1) Fr. 17 a = Str. XV 1, 64 = C 715–716 beinhaltet die anerkennende Bemerkung des indischen Philosophen Mandanis (Dandamis genannt bei Arr. An. VII 2, 2 und – nach Onesikritos – auch bei Plu Alex. 65, 3), Alexander sei als einziger ein Philosoph in Waffen (... Mãndanin ... efipe›n, …w tÚn m¢n basil°a §paino€h, diÒti érxØn tosaÊthn dioik«n §piyumo€h sof€aw: mÒnon går ‡doi aÈtÚn §n ˜ploiw filosofoËnta: »felim≈taton dÉ e‡h t«n èpãntvn, efi ofl toioËtoi frono›en, oÂw pãresti dÊnamiw toÁw m¢n •kous€ouw pe€yein svfrone›n, toÁw dÉ ékous€ouw énagkãzein. 2) In Fr. 5 = Str. XI 11, 3 = C 517 berichtet Onesikritos von der Sitte (der

Sogdianer und) der Baktrianer, alte und kranke Menschen (speziell zu eben diesem einzigen Zweck gezüchteten) Hunden vorzuwerfen. Am Ende der makabren Detailschilderung steht die Feststellung, daß Alexander nun diese Sitte aufgehoben habe (katalËsai d¢ tÚn nÒmon ÉAl°jandron). Jacoby (FGrH, Kommentarband II C 468) bemerkt dazu: „so hat Alexander als ’philosoph in waffen’ ... das ideal des weltbürgertums verwirklicht und die rationelle kultur der griechischen philosophie über den erdkreis verbreitet“. Doch muß entschieden festgehalten werden: mit einer solchen Interpretation wird wohl weniger diese Stelle erklärt, als vielmehr der sehr ähnlich lautende Passus bei Plutarch (De Alexandri Magni fortuna aut virtute I 5, 328 c, ... SogdianoÁw ¶peise pat°raw tr°fein ka‹ mØ foneÊein ... / sc. ÉAl°jandrow), der daraufhin angelegt ist, den Makedonenkönig zum Erzieher fremder Völker hochzustilisieren (das zentrale Motiv des Schriftenpaares lautet mit den Worten Wardmans 1955, 97: he (sc. Alexander) would have been a Diogenes if he had not been taming the barbarians and spreading peace and justice over every race). Im übrigen gibt Plutarch keinen Hinweis darauf, daß sich die von ihm selbst in dieser Schrift verfolgte Tendenz mit der des Onesikritos deckt. 3) In Fr. 38 = Plu Alex. 8 wird Onesikritos als Quelle zumindest dafür aufgerufen, daß Alexander stets ein von Aristoteles persönlich redigiertes Iliasexemplar unter seinem Kopfkissen hatte. 4) Fr. 19 = Plu Alex. 60 kontrastiert die prosaischere Version, die Alexander selbst, in den Briefen, vom Übersetzen über den Hydaspes (heute Jhelum) gab, mit der Erzählweise des Onesikritos, der den König mitten im reißenden Fluß eine Ansprache an die Athener halten ließ (Plu Alex. 60, 6). 5) Fr. 2 = Plu Alex. 15 (so auch De Alexandri Magni fortuna aut virtute I 3, 327 d) zufolge berichtete Onesikritos in singulärer Weise, Alexander habe zu Beginn des Asienfeldzuges Schulden in Höhe von 200 Talenten gehabt. Es ist möglich, aber keineswegs sicher, daß Onesikritos eben diesen Umstand in der Weise Plutarchs (De Alexandri Magni fortuna aut virtute I 4, 327 e) in Szene setzte, nämlich um vor Augen zu führen, wie Alexander, ohne Rückhalt in materiellen Gütern, doch reich bedacht mit den Segnungen der Philosophie, sein Werk in Angriff nahm. Insgesamt läßt sich also auf der Grundlage der wenigen für diese Zwecke auswertbaren Fragmente immerhin soviel sagen, daß die Alexandergeschichte des Onesikritos der Person des Königs gegenüber zumindest sehr freundlich eingestellt war. Auf Grundlage dieses Befundes wird der von Wirth 1964, 244–45 mißverstandene Witz der lukianischen Anekdote klarer. Der Autor Lukian läßt keinen Zweifel daran, daß er Onesikritos zur Klasse der Schmeichler rechnet. Daß just dieser Schmeichler der Schule des Kynikers Diogenes von Sinope entstammte, mußte er nicht eigens betonen, denn dieser Umstand war wohl allgemein bekannt. Vor diesem Hintergrund erhält die Anekdote ihre besondere Pointe dadurch, daß gerade der Kyniker Onesikritos, da er in seinem Werk die genuin kynischen Werte der Unabhängigkeit und der Wahrheitsliebe vermissen läßt, sich von Alexander über das unbestechliche Urteil der Nachwelt belehren lassen muß (Pearson, 1960, 87: Onesikritos erscheine so in der Anekdote als an unworthy pupil of Diogenes, so auch Meissner 1992, 532, Anm. 496). Abgesehen von diesem Selbstzweckcharakter

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des Witzes läßt sich die Anekdote aber auch literarhistorisch auswerten, ergeben sich doch aus ihr sehr wichtige Konsequenzen für eine Einschätzung des Literaten Onesikritos, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens: Die Tendenz der Alexandergeschichte des Onesikritos läßt sich durch folgende Erwägung noch etwas genauer bestimmen. Zunächst einmal ist die von Lukian erzählte Anekdote neben den oben behandelten Fragmenten die einzige Stütze für die Aussage des Diogenes Laertios (T 1), welcher das Werk des Onesikritos als ein §gk≈mion klassifiziert wissen will. Wichtiger noch ist der Umstand, daß die diesbezügliche Glaubwürdigkeit des Lukian kaum mit Berve 1926, II 289, Brown 1981 [= 1949], 5–6, Fisch 1937, 131 und neuerdings wiederum mit Winiarczyk 2007, 209 so prinzipiell in Zweifel gezogen werden kann (in diesem Sinne zu Recht Strasburger 1939, Sp. 465, Pearson 1960, bes. 86–88, 110 und Hamilton 1969, 126; Seibert 19903, 15–16, Meister 1990, 108–110 und Lendle 1992, 162–164 äußern sich zu dieser Frage nicht). Denn es ist nicht anzunehmen, daß er die der Anekdote innewohnende Pointe just auf einer sachlich unzutreffenden, d. h. den vorgeprägten literarischen Traditionen zuwiderlaufenden Basis begründet haben sollte. Einen derartigen Fauxpas, der die intendierte Pointe ins Leere hätte laufen lassen, konnte sich Lukian nicht leisten, zumal er sich an ein Publikum wandte, das über Onesikritos besser Bescheid wusste als wir, die wir auf Auswertung eines fragmentarischen Überlieferungsbestandes angewiesen sind. Wenn Onesikritos demnach bei Lukian als ein Schmeichler vorgestellt wird, so dürfte dies der Erwartungshaltung von Lukians Zeitgenossen entsprochen haben, und dabei ist zudem zu berücksichtigen, daß zwischen einem mit Xenophons Kyrupädie vergleichbaren Enkomion (so D. L. in T 1) und der von Lukian genannten Schmeichelei (kolake€a) ein gradueller Unterschied besteht, ein Umstand, der jedoch in der Forschung fast immer unberücksichtigt bleibt (von Winiarczyk 2007, 212–213 nicht thematisiert). Hamilton 1969, Einl. LVII, dem dies bewußt ist, spielt es herunter, indem er die bei Lukian in Erscheinung tretende Schmeichelei in einem negativen Sinne versteht, als den Versuch, die unerfreulichen Seiten in Alexanders Charakter und seine Verbrechen (so u. a. den Mord an Kleitos und Parmenion) zu vertuschen. Pearson 1960 vermittelt ein ambivalentes Bild, da er zunächst zwar geneigt ist, von flattery zu sprechen (87: All the evidence agrees that Onesicritus praised and even flattered Alexander), um das dann aber abzuschwächen (110: ... there is no indication that his flattery was crude or offensive). Doch ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß Onesikritos bei Lukian definitiv als ein Schmeichler vorgestellt ist (so wie Aristobulos in Kap. 12 auch) und daß diese Bewertung der Erwartungshaltung der Zeitgenossen entsprochen haben mußte, sollte die Pointe, wie schon gesagt, nicht ins Leere verlaufen. Auch Strasburger 1939, Sp. 465 macht keinen Unterschied zwischen den Zeugnissen des Diogenes Laertios und des Lukian, indem er beiden gleichermaßen eine „panegyrische Tendenz“ zuschreibt. Und die überwiegende Mehrheit der Forscher differenziert auch danach nicht mehr zwischen §gk≈mion und kolake€a, obwohl sich erstere bei Xenophon darstellt als ein Lob auf einen Herrscher der Vergangenheit, während die Schmeichelei des Onesikritos sich auf einen lebenden König richtet, und dies auch noch in der Form eines direkt und unmittelbar an Alexander adressierten Vortrags. Es ist daher gegenüber der communis opinio, soferne man bei dem weitgehenden Ausbleiben eines kritischen Diskurses überhaupt von einer solchen sprechen kann, festzuhalten, daß die panegyrische Ausrichtung alleine noch nicht ausreichen konnte, um auf dieser Basis das Werk des Onesikritos mit der Etikette der kolake€a zu versehen. Zweitens: Zu kontroversiellen Ergebnissen gelangte die Forschung auch in der Frage der Abfassungszeit des onesikriteischen Werkes (ein detaillierter Forschungsüberblick bei Winiarczyk 2007, 209–211). Der Grund dafür ist der Umstand, daß die zwei einzigen Testimonien, die darüber eine Auskunft geben (T 7 und T 8), einander zu widersprechen scheinen. Zum einen nämlich

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setzt die lukianische Anekdote (T 7) voraus, daß Onesikritos bereits während des Feldzuges zu schreiben begann. Zum anderen aber bezeugt Plu Alex. 46, 4 (T 8), daß Onesikritos geraume Zeit später (pollo›w xrÒnoiw ... Ïsteron) König Lysimachos in den Anfängen seiner Regierungszeit (d. h. frühestens im Jahr 305 v. Chr.) das vierte Buch, welches die Begegnung Alexanders mit der Amazonenkönigin beinhaltete, vorgelesen habe. Unter der hypothetischen Voraussetzung, daß Onesikritos aus seinem eben erst fertiggestellten vierten Buch vorlas, ergibt sich in Kombination mit dem Befund der lukianischen Anekdote ein auffällig langer Zeitraum für die Abfassung von bloß vier Büchern. Berve 1926, II 289, Brown 1981 [= 1949] 7 und Andreotti 1950, 584 datierten das Werk des Onesikritos daher in das letzte Jahrzehnt des 4. Jhs. v. Chr., doch hat sich in letzter Zeit der Ansatz bald nach Alexanders Tod weitgehend durchgesetzt (Hamilton 1969, 126, Seibert 19903, 15, Meister 1990, 108, Lendle 1992, 163, Zambrini 2011, 213, vorsichtiger Pearson 1960, 85: vor 310 v. Chr.), da das Buch des Onesikritos von Kleitarchos und Nearchos berücksichtigt worden zu sein scheint (Strasburger 1939, Sp. 465; diese Gegenposition zu Berve blieb in Folge jedoch auch nicht unumstritten) und zudem die Datierung der Schrift „Alexanders letzte Tage“ durch Merkelbach 19772, 187 in das Jahr 321 v. Chr. (die Literatur zu anderen Datierungen der Schrift verzeichnet Winiarczyk 2007, 210, Anm. 77) einen nicht nur präziseren, sondern auch inhaltlich überzeugenderen zeitlichen Ansatz des Werkes des Onesikritos in den engeren Zeitraum von zwei Jahren nach Alexanders Tod erlaubt. Etwas zu skeptisch ist daher die conclusio, die Winiarczyk 2007, 211 aus seiner Aufarbeitung des einschlägigen wissenschaftlichen Diskurses für Zeitraum von 1832 bis 2005 zieht: „Aus der Zusammenführung der unterschiedlichen Standpunkte resultiert die Erkenntnis, ... daß alle vorgetragenen Hypothesen einen subjektiven Charakter haben und unverifizierbar sind“. Soweit besteht zur Zeit jedenfalls eine gewisse Einigkeit über einen zeitlichen Frühansatz. Die für die Einschätzung des Quellenwertes der lukianischen Anekdote zentrale Frage, ob Onesikritos bereits zu Lebzeiten Alexanders an seinem Werk arbeitete, wird jedoch in der wissenschaftlichen Literatur oft ausgeklammert. Zunächst einmal besteht kein zwingender Grund zur Annahme, Onesikritos habe Lysimachos das vorgelesen, was er erst vor kurzem schrieb (so richtig Hamilton 1969, 126–27 mit Literatur). Man kann aber wohl noch einen Schritt weiter gehen. Unter der oben geäußerten Prämisse, daß die bei Lukian vorliegende Anekdote die spätere Einschätzung des Onesikritos als eines Schmeichlers wiederspiegelt, erscheint es nämlich plausibel, daß dieser schon zu Lebzeiten Alexanders an seinem Werk arbeitete, was natürlich noch nichts über den Zeitpunkt der späteren Publikation aussagt (denn bei Lukian ist ja nur von einem Vorlesen aus dem allem Anschein nach noch nicht veröffentlichten Werk die Rede). In diesem Sinne sind immer noch die Worte Strasburgers 1939, Sp. 465, in dieser Hinsicht zumindest, zu beherzigen: „Übrigens spricht auch nichts dagegen, daß O. schon zu Alexanders Lebzeiten zu schreiben begann; jedenfalls hat die panegyrische Tendenz, die uns nicht nur durch Lukian (T 7) und Diogenes Laertius (T 1) bezeugt, sondern in den Fragmenten noch deutlich sichtbar ist ..., dem lebenden Herrscher gegenüber mehr Sinn, als dem toten“. Es ist wichtig, auf diesen Gedanken hinzuweisen, weil er in der Forschung nicht zu einer explizit ausgesprochenen Auffassung geführt hat, des Sinnes, daß Onesikritos bereits vor dem Tod Alexanders mit der Ausarbeitung seines Werkes befaßt war. Und dieser Umstand (das frühe Einsetzen der Arbeit am Werk) könnte auch erklären, warum er dazu in der Lage war, sein Buch schon bald nach Alexanders Tod zu publizieren, verfügte er doch zu dieser Zeit bereits über einige Vorarbeiten, die er nur mehr in eine abschließende Form zu bringen brauchte. Hinzuzufügen ist, daß Lukian die Anekdote, sollte er sie, was allerdings kaum wahrscheinlich ist, selbst erfunden haben, auf der Grundlage der allgemeinen Einschätzung von Onesikritos’ Wesensart zumindest in ein chronologisch plausibles Umfeld stellen mußte, wollte er nicht riskieren, daß der auf den Kontrast zwischen

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Gegenwart (nËn) und Zukunft (tÒte) hin angelegte Witz sich bei einem informierten Publikum in peinlicher Witzlosigkeit verlaufen würde. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß Onesikritos zu Lebzeiten Alexanders mit seiner Arbeit begann, diese sehr bald nach Alexanders Tod (mit Merkelbach, vgl. Hamilton 1969, 127, im Zeitraum von 323 bis 321 v. Chr.) publizierte, weiters daß sein Buch ihn nach antiker Sichtweise (auch wenn einzig das Zeugnis Lukians dafür in expliziter Form vorliegt) als Schmeichler (und nicht bloß als Panegyriker) ausweist. Das Demonstrativum taËta bezieht sich, wie es scheint, trotz aller Zweifel Jacobys (FGrH, Kommentarband II C 470: „geht taËta wirklich auf O.s Alexandergeschichte?“) auf den mündlichen Vortrag des Onesikritos; so richtig Pearson 1960, 87: „These things“ clearly mean „the extracts you have just read to me“, as otherwise there would be no point in making Alexander address Onesicritus; so schon Hermann 1828, 244: Dubium esse vix potest, quin ipsius potissimum Onesicriti historiarum libros dictum hoc magni regis tangat, in diesem Sinne (natürlich nur unter der Prämisse einer angenommenen Identität von Vortrag und Publikation in wesentlichen Bereichen) auch die Übersetzung Homeyers 1965, 146: „wie die Menschen dann über den Inhalt deines Werkes urteilen“. énaspãsein ... tØn parÉ ≤m«n eÎnoian: Die Metapher ist der Sprache der Fischerei entnommen (énaspçn im Sinne von „mit der Angel hochziehen, angeln“, so z. B. Pisc. 48 und JConf. 4: aÈtÒn se énãspaston afivroËsa ... kayãper ofl èlie›w §k toË kalãmou tå fixyÊdia). Demgegenüber verwendet Lukian in Kapitel 11 dieser Schrift in ähnlichem Kontext (es geht auch hier um kolake€a) eine weniger spezifische Jagdmetapher: tØn eÎnoian tØn parå t«n §painoum°nvn yhr≈menoi.

ÑOmÆrƒ goËn, ka€per prÚw tÚ muy«dew tå ple›sta suggegrafÒti Íp¢r toË ÉAxill°vw, ≥dh ka‹ pisteÊein tin¢w Ípãgontai, mÒnon toËto efiw épÒdeijin t∞w élhye€aw m°ga tekmÆrion tiy°menoi ˜ti mØ per‹ z«ntow ¶grafen: oÈ går eÍr€skousin otinow ßneka §ceÊdetÉ ên.

Diese eine allgemeine Feststellung exemplifizierende Aussage (zu der Funktion von goËn vgl. den Kommentar zu ÉAlejãndrou goËn ktl weiter oben im Text) ist unter zweierlei Gesichtspunkten zu betrachten. Zunächst ist (a) nach der Bedeutung der Begriffe mËyow und muy«dew in dieser Schrift zu fragen. Wenn Homer hier also in erster Linie durch die Prädominanz des muy«dew charakterisiert wird, so ist das an sich keineswegs als Kritik zu verstehen. Denn das programmatische Kapitel 8 hatte mËyow ebenso wie §gk≈mion zu legitimen Gattungsmerkmalen von Dichtung (poihtikÆ) erklärt, innerhalb derer sie die Funktion von ausschmückenden Elementen (komm≈mata) zu erfüllen hätten. Ganz anders hingegen verhalte es sich mit der Gattung der flstor€a, in welcher diese beiden Elemente, besonders wegen der mit ihnen notwendig verbundenen Überzeichnungen (Íperbola€), völlig fehl am Platze seien (so auch Kap. 10), es sei denn ein mËyow, wenn er denn einmal in einem Geschichtswerk Platz finden sollte, werde vom Autor ausdrücklich als unbeglaubigter, historisch ungesicherter Inhalt deklariert (Kap. 60, zu der gegenüber Kap. 8 veränderten Konnotation des Begriffes mËyow vgl. den Kommentar zu Kap. 60). Das Kapitel 42 stellt explizit eine Verbindung zum thukydideischen Methodenkapitel her. Der Autor sagt hier, Thukydides hätte, mit Kritik an der herodoteischen Methode, zu Recht als das von ihm angepeilte Ziel nicht das muy«dew genannt, sondern die élÆyeia t«n gegenhm°nvn (Vorlage dafür ist Th. I 22, 4). Was die im Laufe der Zeit von ungesicherten mythischen Inhalten überlagerte Archäologie betrifft, so unterscheidet Thukydides die Gestaltungen der Dichter (poihta€) von den Aussagen der Logographen (logogrãfoi). Erstere hätten zu rühmenden Ausschmückungen gegriffen (poihta‹ ÍmnÆkasi per‹ aÈt«n §p‹ tÚ me›zon kosmoËntew), während die Logographen sich eher nach dem Kriterium der Wirkung auf die Hörer als nach der Wahrheit gerichtet hätten (logogrãfoi jun°yesan §p‹ tÚ prosagvgÒteron tª ékroãsei µ élhy°steron). Wie bereits Thukydides, so verlangt auch 514

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der Autor hier von den Dichtern nicht Glaubwürdigkeit, d. h. eine Orientierung nach dem Kriterium der élÆyeia, während er dies im Falle historischer Aussage jedoch sehr wohl tut. Gelegentliche Thematisierungen des homerischen ceËdow bei Lukian (Philops. 2, in gewissem Sinne auch VH I 3) sind nicht beim Wort zu nehmen, sondern vielmehr von den jeweiligen kontextbedingten Autorintentionen her zu verstehen. Gleichwohl (b) suggeriert der Autor dem Leser den aus seiner Sicht paradoxen Gedanken, an den er selbst nicht glaubt, wie er durch Verweis auf einen anonymen Personenkreis zu verstehen gibt (pisteÊein tin¢w Ípãgontai, das Verbum Ípãgesyai in der Bedeutung von „sich veranlaßt sehen“), es wäre legitim, Homer unter dem Gesichtspunkt historischer Wahrheit zu betrachten (am Nächsten kommt dem Aristid. Or. 28, so zu Recht North 1952, 18), wie dies allerdings nach dem Zeugnis des Aristoteles (Rh. I 15, 1375 b 29–30) die Athener einst tatsächlich taten, um ihre Ansprüche auf Salamis geltend zu machen (oÂon ÉAyhna›oi ÑOmÆrƒ mãrturi §xrÆsanto per‹ Salam›now, vgl. Hom. Il. II 557–558). Damit lädt der Autor den Leser dazu ein, sich an einem reizvollen intellektuellen Spiel zu beteiligen. Tatsächlich ist nämlich der Gedanke, daß zeitliche Distanz die Glaubwürdigkeit eines historischen Berichtes erhöhe, weil sie diejenigen Motive aufhebe, die im allgemeinen bei den zeitgenössischen Berichterstattern manche Entstellungen der élÆyeia verursachen, aus historiographischen Kontexten gut bekannt. Josephus Flavius kritisiert in diesem Sinne Historiker aus neronischer Zeit, weil sie die vom zeitlichen Abstand her gebotene Chance auf wahrheitsgemäße Darstellung der vorneronischen Vergangenheit zu nutzen verabsäumt hätten (AJ XX 155). Auf ähnliche Weise begründet Arrian die primäre Quellenwahl für seine Alexandergeschichte (Hauptquellen Ptolemaios und Aristobulos) u. a. mit folgender Argumentation: ˜ti teteleuthkÒtow ≥dh ÉAlejãndrou juggrãfousin aÈto›w ¥ te énãgkh ka‹ ı misyÚw toË êllvw ti µ …w sunhn°xyh juggrãcai ép∞n (Arr. An. I praef. 1, 2).

Belege aus der römischen Historiographie vermögen zudem die weite Verbreitung solcher auf das Genos der Historiographie bezogener Vorstellungen zu verdeutlichen. In diesem Sinne erklärt auch Tacitus seinen zeitlichen Rückgriff auf die julisch-claudischen Kaiser damit, daß er wegen der Distanz, die ihn von diesen Ereignissen trenne, in der Lage sei zu schreiben sine ira et studio, quorum causas procul habeo. Denn: Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae, postquam occiderant recentibus odiis compositae sunt (Tac. Ann. I 1, 2–3). Die Glaubwürdigkeit zweier Wunderheilungen Vespasians zu Alexandria belegt er mit dem Argument, daß die Gewährsmänner unter veränderten politischen Voraussetzungen eben immer noch an ihren Aussagen festhielten (Tac. Hist. IV 81, 3: utrumque qui interfuere nunc quoque memorant, postquam nullum mendacio pretium). Verläßt man wieder das Gedankenspiel, zu dem der Autor seine Leser unmißverständlich aufgerufen hat, so ist Folgendes festzustellen: Der homerische Bericht über Achill ist aus weitverbreiteter antiker Sichtweise natürlich im Sinne eines Rühmens großer Taten (Hom. Od. VIII 73: éeid°menai kl°a éndr«n) zu verstehen. So wurde das noch von dem im Geiste Homers erzogenen Alexander dem Großen aufgefaßt, der bei seinem Opfer am Grab Achills den Helden der Ilias darum glücklich gepriesen haben soll, weil er in Homer einen Herold für späteres Gedenken gefunden habe (Arr. An. I 12, 1: ka‹ eÈdaimÒnisen ... ÉAl°jandrow ÉAxill°a, ˜ti ÑOmÆrou kÆrukow §w tØn ¶peita mnÆmhn ¶tuxe, vgl. Plu Alex. 15, 8 und Cic. Arch. X 24). Vor diesem Hintergrund ist es nicht undenkbar, daß Arrians Anabasis tatsächlich als eine Aristie des Helden Achilles zu verstehen ist (so die These von Brunt 1977, 30–48, der bei seiner Interpretation von An. I 12 ausgeht). Belege zur weiten Verbreitung dieses Topos bei Vretska 1979, bes. 164–165. Vereinzelt stehen die kritischen Worte da, welche Thukydides „seinem” Perikles in den Mund legt (II 41, 4), des Sinns, daß die Athener keinen Homer und auch sonst keinen lediglich für den Moment erfreuenden Dichter als Lobredner nötig hätten. Der Gedanke

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an sich, daß die Größe einer historischen Persönlichkeit von deren Würdigung durch den Historiker abhänge, wurde auch in banalerer Form geäußert; ein später Nachhall davon ist auch der Beginn der vita Probi in der HA (zu den methodologischen Stellungnahmen in den späteren Viten der HA vgl. Burian 1977, bes. 286): Certum est quod Sallustius Crispus quodque Marcus Cato et Gellius historici sententiae modo in litteras rettulerunt, omnes omnium virtutes tantas esse quantas videri eas voluerint eorum ingenia qui unius cuiusque facta descripserint (so die vita Probi 1, 1; es folgt die bekannte Glücklichpreisung Achills durch Alexander).

Kapitel 41 Kapitel 41 faßt die Aussage der Kapitel 38–40 nur mehr in einer knappen, einprägsamen Weise zusammen. Demnach sei also das ethische Qualifikationsprofil für den Historiker wesentlich bestimmt von dessen Liebe zu Unverblümtheit und Wahrheit (parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low). Dieser ganze Komplex ist umfassend dargestellt in der Einleitung, Teil II 3, wo auch die kynische Metaebene eine Berücksichtigung findet. Schließlich noch eine Beobachtung zur literarischen Form: aneinander gereihte Attribute mit a privativum gehören dem Stil der Diatribe an (Bultmann 1910, 18).

ToioËtow oÔn moi ı suggrafeÁw ¶stv: êfobow, éd°kastow, §leÊyerow, parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low, …w ı kvmikÒw fhsin, tå sËka sËka, tØn skãfhn d¢ skãfhn Ùnomãsvn, oÈ m€sei oÈd¢ fil€& n°mvn < oÈd¢n > oÈd¢ feidÒmenow µ §le«n µ afisxunÒmenow µ dusvpoÊmenow, ‡sow dikastÆw, eÎnouw ëpasin êxri toË mØ yat°rƒ ti épone›mai ple›on toË d°ontow, j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw, aÈtÒnomow, ébas€leutow, oÈ t€ t“de µ t“de dÒjei logizÒmenow, éllå t€ p°praktai l°gvn.

suggrageÁw ¶stv: êfobow ktl: Macleod 1980, 312 interpungiert so: suggrafeÊw. ¶stv êfobow ktl, oÈ m€sei oÈd¢ fil€& n°mvn < oÈd¢n >: in den ältesten Handschriften (oÈ m€sei oÈd¢ fil€& n°mvn, danach in seinem Text Macleod 1980, 312) fehlt ein von n°mvn notwendigerweise abhängiges

Akkusativobjekt, wie schon Fritzsche 1860, 91 zu Recht festgestellt hat (falso deest accusativus). Fritzsches frühere Konjektur (oÈ m€sei oÈd¢ fil€& ti n°mvn) wurde von den Herausgebern sodann weithin angenommen, von Dindorf 1858, 19, Sommerbrodt 1878, 44, Iacobitz 1838, 39 sowie 1866, 23, Kilburn 1968, 56, Homeyer 1965, 148. Doch ist ein ti in einem mit oÈ begonnenen Satz in syntaktischer Hinsicht zumindest problematisch, wenn man die Gesetze bedenkt, nach denen im Griechischen üblicherweise Negationen gehäuft werden. Macleod 1980, 312 schlägt in seinem textkritischen Apparat folgende zwei Varianten wohlbegründet vor: a) oÈ m€sei oÈd¢n oÈd¢ fil€& n°mvn und b) oÈ m€sei oÈd¢ fil€& n°mvn oÈd¢n. Die erste der Alternativen erscheint bereits in Sommerbrodts 1893, 21 Text; zweitere nehme ich hier auf, da sie mir nicht nur in der Wortfolge flüssiger zu sein, sondern auch durch das endponderierte oÈd¢n den intendierten Textsinn pointierter zum Ausdruck zu bringen scheint. Fritzsches 1860, 91 spätere Konjektur oÈ m€sei oÈd¢n µ fil€& n°mvn wirkt nicht nur von dem überlieferten Wortlaut zu weit entfernt, sondern auch etwas gekünstelt; sie hat daher zu Recht keine Nachfolger gefunden; t“de µ t“de: Macleod 1980, 312 hat ohne ersichtlichen Grund (es ist wohl nur ein Druckfehler) lediglich ein t“de. êfobow, éd°kastow, §leÊyerow: Die Freiheit (§leuyer€a), negativ bestimmt durch das Freisein von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) auf Profit, ist ein zentrales Element des historiographischen

Ethos. In Kap. 38 wurden schon furchteinflößende Personen (Philipp, Alexander, Kleon) genannt, denen gegenüber der Historiker seine Unabhängigkeit wahren müsse. Artaxerxes repräsentiert in Kap.

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39 darüberhinaus denjenigen Herrscher, auf dessen reiche Geschenke dieser nicht spekulieren dürfe. In diesem Sinn entsprechen dem Adjektiv éd°kastow innerhalb der Kap. 38–39 der Vergleich mit den verdorbenen Richtern sowie der positiv konnotierte Richtervergleich (Kap. 38: ˜moiow ... to›w faÊloiw dikasta›w ... §p‹ misy“ dikãzousin, Kap. 39: d€kaiow suggrafeÊw, vgl. dazu auch die Kommentare zu beiden Stellen). Auch hier wird mit der abschließenden Bezeichnung des idealtypischen Historikers als eines ‡sow dikastÆw (weiter unten im Text) diese selbe Bezugsebene, die bis zum Schluß der Schrift reicht (Kap. 63: flstor€aw dika€aw), konsequent weitergeführt. Der Scharfsichtigkeit (Kap. 37: ÙjÁ dedork≈w) stellt der Autor nun nach einem ähnlichen Verfahren wie in Herm 64 (noË Ùj°ow ka‹ diano€aw ékriboËw ka‹ édekãstou) als ein unabdingbares Erfordernis für das Geschäft des Historikers dessen Unbestechlichkeit zur Seite. Der Begriff dekãzein wird im Verzeichnis des Timaios Sophistes (Hermann, Platon VI 400) so erklärt: Dekãzei ı kr€sin »noÊmenow parå dikastoË: dekãzetai ı kr€sin piprãskvn: ¶nyen éd°kastow ı mØ piprãskvn kale›tai. parrhs€aw ka‹ élhye€aw f€low: Der Historiker müsse seiner Wahrheitsliebe mit einer geradlinigen

Direktheit Ausdruck verleihen, indem er über die Tatsachen objektiv berichtet und die Dinge unverblümt beim Namen nennt, ein für die Aussage dieser Schrift zentraler Gedanke, der entsprechend seiner Wichtigkeit mehrfach wiederholt wird. Bevor der Autor in Kap. 44 zu belehrenden Anweisungen für sprachlich und stilistisch korrekte literarische Präsentation übergeht, zieht er, die ethische Ausstattung des Wunschhistorikers (Kap. 38–41) rekapitulierend, das Resümee ... tª gn≈m˙ toË suggraf°vw skopoÁw Ípey°meya parrhs€an ka‹ élÆyeian. Derselbe Gedanke wird gegen Ende der Schrift nochmals mit Nachdruck aufgegriffen, indem der angehende Geschichtsschreiber dazu aufgefordert wird, das von Respekt geleitete Werturteil der Nachwelt (Kap. 61: §ke›now m°ntoi §leÊyerow énØr ∑n ka‹ parrhs€aw mestÒw, oÈd¢n oÎte kolakeutikÚn oÎte douloprep°w éllÉ élÆyeia §p‹ pçsi) als wesentliches Ziel anzupeilen, nicht kurzsichtig berechneten Erfolg bei den Zeitgenossen. Eine ähnliche Parallelschaltung der zentralen kynischen Ideale élÆyeia und parrhs€a findet sich auch in anderen Schriften Lukians, der, ganz in der Manier des Diatribengenos, wiederholt auch die Personifikationen dieser beiden abstrakten Begriffe (ÉAlÆyeia und Parrhs€a) für seine literarische Strategie dienstbar macht. Besonders der als Reaktion auf die Kritik an der Vitarum auctio sich gebende satirische Dialog mit dem Titel Piscator ist in diesem Zusammenhang zu beachten. Lukian selbst, der Syrer (Kap. 19), tritt hier auf in der Maske des Wahrheitsfreundes (Kap. 20: filalÆyhw) Parrhesiades (Parrhsiãdhw), der bei dem fiktiven Gerichtsprozeß Schützenhilfe erhält durch die als Person auftretende Philosophie (Filosof€a), welcher sich unterstützend die Frauen Wahrheit (ÉAlÆyeia), Freiheit (ÉEleuyer€a), schonungslose Direktheit (Parrhs€a) und Herr Wahrheitsbeweis (ÖElegxow) hinzugesellen. Und im Pseudologista (4) wird der personifizierte ÖElegxow aus dem Prolog zu einer unbekannten Menander-Komödie aufgerufen, die Invektive gegen einen sonst nicht bekannten Sophisten durch ein wirkungsvolles satirisches Präludium zu unterstützen (... paraklht°ow ≤m›n t«n Menãndrou prolÒgvn eÂw, ı ÖElegxow, f€low ÉAlhye€& ka‹ Parrhs€& yeÒw ...). Diogenes von Sinope, der in vorliegender Schrift an prononcierten Stellen (explizit in Kap. 3, mit Anspielung auf ihn Kap. 5 und 63) aufgerufen wird, bekennt sich (Vit. Auct. 8) zu folgendem Ideal: tÚ d¢ ˜lon élhye€aw ka‹ parrhs€aw profÆthw e‰nai boÊlomai. Diese literarische Stilisierung deckt sich inhaltlich mit dem, was von dem historischen Diogenes, dem als Vorbild verehrten Säulenheiligen der Kyniker, berichtet wird. Diogenes Laertios (VI 69 = SSR II 403, Nr. 473) überliefert, dieser hätte auf die Frage, was denn der edelste Wert unter den Menschen sei, geantwortet, es sei die parrhs€a (§rvthye€w, t€ kãlliston §n ényr≈poiw, ¶fh, parrhs€a). Ergänzend sei noch hinzugefügt, daß vom Kyniker Antisthenes die Existenz einer Schrift mit dem programmatischen Titel ÉAlÆyeia überliefert ist (D. L. VI 1 = SSR II 140, Nr. 11 = 145). 517

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…w ı kvmikÒw fhsin, tå sËka sËka, tØn skãfhn d¢ skãfhn Ùnomãsvn: Einer Erläuterung bedarf

das ohne Quellenangabe vorgetragene Komikerzitat, zu welchem bei Lukian selbst wenigstens eine partielle Parallele vorliegt in JTr. 32, wo Herakles einen Vers aus einem namentlich nicht genannten Komiker (…w ı kvmikÚw ¶fh) folgenden Wortlauts zitiert: êgroikÒw efimi tØn skãfhn skãfhn l°gvn. Zu einem Vergleich heranzuziehen ist Plutarch, der, gleichfalls ohne Quellennachweis, folgenden Ausspruch Philipps II. von Makedonien über die bodenständige Mentalität seiner Landsleute, die einen Verräter mit unverblümter Direktheit einen Verräter genannt hatten, überliefert (Regum et imperatorum apophthegmata 178 b): skaioÁw ... fÊsei ka‹ égro€kouw e‰nai MakedÒnaw ka‹ tØn skãfhn skãfhn l°gontaw. Offensichtlicher Bezug auf diese oder eine verwandte Quelle liegt vor bei Tzetzes (H. VIII 565–569 Kiessling), der als Autor des Verses ÖAgroikÒw efimi, tØn skãfhn skãfhn l°gv explizit Aristophanes anführt. Die Herausgeber der Komikerfragmente gelangten wegen der schmalen Beweisgrundlage freilich zu keiner einheitlichen Auffassung hinsichtlich der Autorschaft dieses Verses. Kock III 451 führt ihn als Fr. 227 unter den éd°spota der n°a kvmƒd€a an, während Edmonds I 784, Fr. 901 b ihn mit anfechtbaren Argumenten der ersten Version der aristophanischen Wolken zuwies. Bei PCG III 2, 415–416 scheint er mit plausiblen Gründen als Fr. 927 des Aristophanes auf. Als ein Sprichwort (paroim€a) gekennzeichnet wird das verkürzte Zitat (tå sËka sËka, so auch Jud. Voc. 8) von Demetr. Eloc. IV 229. Bei Apostolios (Leutsch / Schneidewin II 654, 95 b) wiederum liegt der sich fast gänzlich mit dem Lukian–Text deckende Wortlaut Tå sËka sËka, tØn skãfhn skãfhn l°gei vor. Sicherlich konnte Lukian auf das für das Verständnis der Pointe notwendige Vorwissen seiner Leser rechnen. Der heutige Rezipient jedoch ist bei dem weitgehenden Fehlen zuverlässiger Hintergrundinformationen auf Mutmaßungen angewiesen. Homeyer (1965, 147–149) übersetzt: „der ... eine „Feige“ eine „Feige“ und einen „Kahn“ einen „Kahn“ nennt“, ohne im Kommentarteil (251–252) näher auf den erklärungsbedürftigen Textsinn einzugehen. Hinsichtlich des zweiten Teiles des Zitats (skãfhn skãfhn l°gei) liefert Sommerbrodt (1878, 44) einen wichtigen Hinweis. Der Begriff skãfh (Grundbedeutung: Mulde, Wanne, Trog) bezeichnet u. a. auch dasjenige wannenartige Gefäß, in dem die Metöken bei den feierlichen Prozessionen die Opfergaben zu tragen hatten. Belege für diese in der Komödie vorliegende Bedeutung finden sich insbesondere bei Aristophanes (Ec. 742, dazu Ussher 1973, 180) sowie bei Harpokration, s. v. skafhfÒroi (Bekker, Harp. 167) und s. v. meto€kion (Bekker, Harp. 127). Es handelt sich offenbar um die Ausdrucksweise sozial niedrig gestellter Personen, welche gewohnt sind, Dinge aus ihrer Lebenswelt unverblümt zu benennen. Dafür spricht auch die regelmäßig in den Quellen wiederkehrende Kennzeichnung des Sprechers als eines êgroikow, wie die oben zitierten Belegstellen zeigen. Vor diesem Hintergrund kann nun vielleicht auch der andere Teil des Zitates verständlich gemacht werden. Denn auch die Feige (sËkon) entstammt der Sphäre niedriger sozialer Schichten, war sie doch nachweislich eine typische Armeleutespeise. Belege dafür finden sich besonders bei Alexis (Ath. II 55 a) und Archestratos (Ath. III 101 d). Hinweise zu den Quellen bei Olck 1909, bes. Sp. 2135. Menschen mit bäurischen Umgangsformen wurden u. a. als sukofãgoi bezeichnet, was Hesych s. v. kradofãgow Latte II 523, 20 mit dem Kommentar shma€nei d¢ ka‹ tÚn êgroikon versieht. Möglicherweise liegt aber auch eine derbe sexuelle Konnotation mit der Bezeichnung des weiblichen Genitals im Bereich der Assoziationsmöglichkeiten. Eine solche liegt jedenfalls unmißverständlich zumindest bei Aristophanes vor (Pax 1356–1360, dazu Olson 1998, 318). Insgesamt läßt sich jedenfalls auf Basis der vorliegenden Quellenlage soviel sagen, daß die Beispiele wohl eine bäurischdirekte Ausdrucksweise illustrieren sollen. oÈd¢ feidÒmenow µ §le«n µ afisxunÒmenow µ dusvpoÊmenow: Die beiden Partizipien feidÒmenow und §le«n beziehen sich offensichtlich auf solche Ereignisse, wie sie in Kapitel 38 summarisch als tå

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dustux«w µ énoÆtvw gegenhm°na klassifiziert sind. Schwieriger sind afisxunÒmenow und vor allem dusvpoÊmenow zu erklären. Hilfe bietet Plutarchs Schrift De vitioso pudore (528 c–536 d, bes. 528 c–530 b), in welcher die als Übermaß an afisxÊnh verstandene dusvp€a (528 e: ÍperbolØ går toË afisxÊnesyai tÚ dusvpe›syai) etymologisch als eine Unfähigkeit, dem Blick einer anderen Person standzuhalten, erklärt (528 e: diÚ ka‹ oÏtv k°klhtai, trÒpon tinå toË pros≈pou tª cuxª sundiatrepom°nou ka‹ sunejatonoËntow) und demnach unter die pãyh cux∞w (528 d) gezählt ist. Als

die Unfähigkeit, nein zu sagen, zwingt sie einen, Dinge gegen den eigenen Willen zu sagen und zu tun (529 f: ... prÚw mhd¢n énaneËsai mhd¢ énteipe›n fisxÊousa ka‹ dikãzontaw épotr°pei toË dika€ou ka‹ sumbouleÊontaw §pistom€zei ka‹ l°gein pollå ka‹ prãttein énagkãzei t«n éboulÆtvn); sie ist eine Schwäche (529 a: ésy°neia) und demnach eine zu eigenem Schaden ausschlagende seelische Affiziertheit (529 e: pãyow blaberÒn). Die meisten modernen europäischen Sprachen, darunter auch das Deutsche, verfügen über kein Wort, welches das Wesen der dusvp€a adäquat zum Ausdruck zu bringen vermöchte (de Lacy / Einarson verzeichnen jedenfalls in der Einleitung zu Bd. VI der Moralia in der Loeb Classical Library 1984, 42 einschlägige Übersetzungsvorschläge). In der ethischen Terminologie des Aristoteles kommt dem dusvpoÊmenow am nächsten der kataplÆj (Arist. EN II 7, 14, 1108 a 34 : ı kataplØj ı pãnta afidoÊmenow). Dem aus Plutarch gewonnenen Befund zufolge will der Autor Lukian demnach also damit sagen, daß der Historiker Standfestigkeit gegenüber seiner Aufgabe zuwiderlaufenden Ansinnen an den Tag legen müsse. ‡sow dikastÆw, eÎnouw ëpasin êxri toË mØ yat°rƒ ti épone›mai pl°on toË d°ontow: der Autor Lukian folgt hier im weitesten Sinne dem ausgewogenen ethischen Prinzip des •kãstoiw épon°mein tÚ pr°pon (Arist. EN IV 6, 1127 a 2), welches die namenlose Mitte zwischen dem Verhalten des êreskow zum einen (bzw. des kÒlaj) und des dÊskolow (dÊseriw) zum anderen markiert. Denn das ‡son ist keine

arithmetische Größe, sondern hängt relativ von Verdienst und Würdigkeit der jeweils zu beurteilenden Person ab; diese Ansicht legt Platon (Prt. 337 a) Prodikos in den Mund, mit einer Ironie, welche sich nicht so sehr auf die Aussage an sich, als vielmehr auf die schrullige Ausdrucksweise bezieht. Mit der Aussage des vorliegenden Textes zu vergleichen ist Cal. 8: t€w går oÈk ín ımologÆseie tØn m¢n fisÒthta §n ëpanti ka‹ tÚ mhd¢n pl°on dikaiosÊnhw ¶rga e‰nai, tÚ d¢ ênisÒn te ka‹ pleonektikÚn édik€aw; deshalb, und damit wird der explizite Schritt zu der Gerichtspraxis vollzogen, hätten auch die besten Gesetzgeber Solon und Drakon die Richter auf die beiden Prinzipien des ımo€vw émfo›n ékroçsyai und des tØn eÎnoian ‡shn to›w krinom°noiw épon°mein vereidigt. In diesem Sinne beruft sich Demosthenes im Proömium zur Kranzrede (or. 18, 2) auf den Richtereid des ımo€vw émfo›n ékroçsyai und des tØn eÎnoian ‡shn épodoËnai. j°now §n to›w bibl€oiw ka‹ êpoliw: Das Postulat des Abstandnehmens von patriotischen

Voreingenommenheiten innerhalb des Genos der Historiographie findet sich bereits bei Polybios klar ausgesprochen, und zwar in dessen Kritik an den Tendenzberichten des im prokarthagischen Sinn schreibenden Philinos von Akragas (FGrH II B 174) einerseits und des Römers Q. Fabius Pictor (FGrH III C 809) andererseits zum ersten Punischen Krieg (Plb. I 14: dazu Meister 1975, 127–49 und Hanell 1956 passim). Beide hätten sie nur ein Auge gehabt für die Vorzüge der eigenen Seite. Der Respekt vor deren über jeden Zweifel erhabenen, ehrbaren Persönlichkeiten verbietet Polybios jedoch die Annahme vorsätzlicher Lüge. So kommt er denn zum Schluß, daß es diesen beiden Autoren ähnlich ergangen sei wie Liebenden. Derartige Anständigkeit (§pie€keia) hätte im übrigen Leben zwar allenfalls ihre Berechtigung, mit dem Ethos der Historiographie hingegen vertrage sie sich nicht. Denn hier, so die Ansicht des Polybios, zählt einzig die Qualität der Taten (afl prãjeiw bzw. tå prattÒmena), während die persönliche Einstellung des Autors den Akteuren (ofl prãttontew) gegenüber keinerlei Rolle zu spielen habe: (I 14, 4–5): §n m¢n oÔn t“ loip“ b€ƒ

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tØn toiaÊthn §pie€keian ‡svw oÈk ên tiw §kbãlloi: ka‹ går filÒfilon e‰nai de› tÚn égayÚn êndra ka‹ filÒpatrin ka‹ summise›n to›w f€loiw toÁw §xyroÁw ka‹ sunagapçn toÁw f€louw: ˜tan d¢ tÚ t∞w flstor€aw ∑yow énalambãn˙ tiw [das wohl nicht minder tendenzlastige bellum Poenicum des Cn. Naevius erwähnt Polybios bezeichnenderweise mit keinem Wort], §pilay°syai xrØ pãntvn t«n toioÊtvn, ka‹ pollãkiw m¢n eÈloge›n ka‹ kosme›n to›w meg€stoiw §pa€noiw toÁw §xyroÊw, ˜tan afl prãjeiw épait«si toËto, pollãkiw dÉ §l°gxein ka‹ c°gein §poneid€stvw toÁw énagkaiotãtouw, ˜tan afl t«n §pithdeumãtvn èmart€ai toËtÉ ÍpodeiknÊvsin. So habe denn der zentrale Grundsatz zu gelten (I 14, 8): épostãntaw oÔn t«n prattÒntvn aÈto›w to›w prattom°noiw §farmost°on tåw prepoÊsaw épofãseiw ka‹ dialÆceiw §n to›w ÍpomnÆmasin.

Polybios legt Wert darauf, deutlich zu machen, daß er selbst in der Beurteilung der Griechen sich an diese Prämisse gehalten habe (Plb. XXXVIII 6, 2–5: zum Jahr 146 v. Chr.). Der Erwartung gewisser Kreise nach Vertuschung der Schuld der Griechen, nach dem perist°llein tåw t«n ÑEllÆnvn èmart€aw, sei er aus Verantwortungsgefühl dem historiographischen Metier gegenüber nicht nachgekommen. In seiner Kritik an den rhodischen Historikern Zenon (FGrH III B 523) und Antisthenes (FGrH III B 508: dazu Meister 1975, 173–178) zeigt er sich jedoch prinzipiell zu gewissen Zugeständnissen hinsichtlich patriotisch motivierter Gewichtungen bereit (XVI 14, 6: §g∆ d¢ diÒti m¢n de› =opåw didÒnai ta›w aÍt«n patr€si [zu patr€w und pÒliw bei Polybios Weissenow 1976] toÁw suggraf°aw sugxvrÆsaimÉ ên ...), doch dürfe dabei eine gewisse, klar markierte Toleranzschwelle nicht überschritten werden. Das Verständnis des Polybios findet nämlich da sein abruptes Ende, wo der Patriotismus, so wie im Falle des Zenon und des Antisthenes, sich in vorsätzlicher (katå proa€resin) Verdrehung der Tatsachen äußere (... oÈ mØn tåw §nant€aw to›w sumbebhkÒsin épofãseiw poie›syai per‹ aÈt«n). Für dieses an den Historiker generell gerichtete Postulat des Polybios, sich möglichst freizuhalten von patriotischer Tendenzlegung, lassen sich allerdings nur sehr spärliche Parallelen in der antiken Literatur beibringen (so bei J. AJ XX 157). Allem Anschein nach vertreten daher Polybios und Lukian die Ansicht einer Minorität. Der gegensätzliche Standpunkt jedoch, welcher vom Historiker eine patriotische Gesinnung einforderte, war offensichtlich bedeutend weiter verbreitet. Er findet sich vertreten durch Dionysios von Halikarnaß, in der frühen Schrift per‹ mimÆsevw (= Pomp. 3, anders lautet das Urteil in Th. 8), ebenso wie durch Ps. Plutarch. Ersterer wertet mit Hinblick auf den von ihm generell geschätzten (in Isoc. 5–9 hebt er den Patriotismus des Isokrates uneingeschränkt rühmend hervor) und eben gerade auch in der Geschichtsschreibung mit Entschiedenheit geforderten Patriotismus Thukydides ausdrücklich gegenüber Herodot ab (so Pomp. 3, 2–10 u. 15). Denn während Herodot eine anständige Gesinnung (diãyesiw ... §pieikØw ka‹ to›w m¢n égayo›w sunhdom°nh, to›w d¢ kako›w sunalgoËsa) erkennen lasse, hätte Thukydides in seiner Erbitterung über die erlittene Verbannung sich vornehmlich auf die Verfehlungen seiner Heimat konzentriert (tå ... èmartÆmata §pej°rxetai ka‹ mãla ékrib«w, t«n d¢ katå noËn kexvrhkÒtvn kayãpaj oÈ m°mnhtai, µ Àsper ±nagkasm°now). Ps. Plutarch wiederum wirft in seiner polemischen Schrift De Herodoti malignitate (ich

halte diese Schrift für unecht; zu deren literarischem Charakter Homeyer 1967) Herodot durchgehend einen Mangel an Patriotismus vor, besonders in 12, 857 a (er sei ein filobãrbarow), 34, 867 c (dessen kakoÆyeia) und 43, 874 b (dessen blasfhm€a und kakolog€a). Der resümierende Schlußsatz der Schrift (874 b–c) gibt die Warnung aus, man solle bei der Lektüre Herodots auf der Hut sein, auf daß man nicht unvermerkt, von dem unbestreitbaren Zauber der herodoteischen Darstellungskunst verführt, étÒpouw ka‹ ceude›w per‹ t«n ér€stvn ka‹ meg€stvn t∞w ÑEllãdow pÒlevn ka‹ éndr«n dÒjaw annähme. Quellenhinweise bei Avenarius 1956, 52–54 und Scheller 1911, 34–37.

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Lukian konnte eine Entscheidung zwischen diesen beiden gänzlich unterschiedlichen Auffassungen von der Aufgabe des Geschichtsschreibers gewiß nicht schwerfallen. Der kynisch-diatribische Charakter dieser Schrift steht nämlich in engstem Zusammenhang mit den an das Ethos des Historikers insgesamt erhobenen Anforderungen, welche alle im Wesentlichen auf eine Verwirklichung kynischer Idealvorstellungen hinauslaufen. Es ist daher zu fragen, wie Diogenes von Sinope, dessen Andenken in Kapitel 3 explizit und in Kapitel 5 und 63 implizit aufgerufen wird, sein politisches Selbstverständnis definiert hat. In der Vitarum auctio (8) läßt Lukian diesen sich auf die Frage des Käufers, woher er denn sei, selbst vorstellen mit den bezeichnenden Worten: ToË kÒsmou pol€thn ıròw. Und dieser selbe plakative Kosmopolitismus wird durch Diogenes Laertios (D. L. VI 51 = SSR II 366, Nr. 354) überliefert, der über diesen berichtet: §rvthye€w (scil. Diog°nhw), pÒyen e‡h, kosmopol€thw, ¶fh. Damit zu vergleichen ist auch D. L. VI 73 = SSR II 366, Nr. 353: Diogenes habe bei aller Anerkennung des nÒmow gesagt: mÒnhn ... ÙryØn polite€an e‰nai tØn §n kÒsmƒ. Epiktet (Arr. Epict. III 24, 66) charakterisiert diesen so: pçsa g∞ patr‹w ∑n §ke€nƒ mÒnƒ, §ja€retow dÉ oÈdem€a. Und in III 22, 47 legt er seinem idealen Kyniker Diogenes u. a. auch die Selbstbezeichnung als eines êpoliw in den Mund (‡det° me, êoikÒw efimi, êpoliw, éktÆmvn, êdoulow). Das klingt sehr ähnlich dem Doppelvers eines anonymen Tragikers dieses Wortlauts: êpoliw, êoikow, patr€dow §sterhm°now, / ptvxÚw planÆthw, b€on ¶xvn toÈfÉ ≤m°ran (Nauck 893, Adesp. Fr. 284 = Snell 257, Fr. 4, wo der im Wortlaut nur leicht modifizierte Text unter dem Namen des Diogenes von Sinope läuft). Diogenes Laertios (VI 38) weiß zu berichten, daß Diogenes sich mit dem in diesen beiden Versen ausgesprochenen tragischen Schicksal identifiziert hätte. Diese in den Quellen vorliegende Stilisierung des Diogenes (zu den kosmopolitischen Gedanken vor Diogenes vgl. den Kommentar zu Kap. 3: oÈde‹w går aÈt“ §w oÈd¢n §xr∞to) ist bei der Interpretation des vorliegenden Lukian–Textes also unbedingt zu berücksichtigen, der mit demselben stereotypen Attribut êpoliw den idealen Historiker charakterisiert. Lukian wollte demnach beim Leser eine Assoziation zur wohlbekannten staatsbürgerlichen Ungebundenheit des Diogenes evozieren. Wenn Lukian also auch rein äußerlich betrachtet fugenlos der Ansicht des Polybios zu folgen scheint, so ist doch seine schriftstellerisch begründete Motivation zur Konstituierung eines derartigen Postulats vor dem Hintergrund kynischer Stilisierung und Wertgebung auf anderer Ebene zu bewerten. Damit durchaus vereinbar ist, daß Lukian sich sicherlich unabhängig von den in dieser Schrift verfolgten literarischen Zwecken zumindest theoretisch auch inhaltlich mit dem polybianischen Ethos rundweg hätte einverstanden erklären können.

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Kapitel 42 In Kapitel 42 wird die normative Gültigkeit der thukydideischen Geschichtsmethodologie anerkannt. Sowohl dessen Methodenkapitel als auch die der Pestschilderung vorangestellte Erklärung finden Berücksichtigung, doch zitiert der Autor Lukian in recht freier Weise und wählt das für seine praktischen Zwecke jeweils als passender Erscheinende aus. Während Thukydides selbst nirgendwo in seinem Werk den Namen Herodots nennt, ist diesem hier eine beabsichtigte Kritik an Herodots Darstellungsweise unterstellt. Derartige Verfahren finden sich jedoch erst bei späteren Rhetoren und Literaturkritikern, die Herodots Art der Darstellung in einen scharfen Kontrast zu den von Thukydides verfolgten Methoden zu stellen pflegten. Daraus läßt sich klar ersehen, daß Thukydides von Lukian in einer durch nachthukydideische Diskurse überlagerten Form rezipiert ist.

ÑO dÉoÔn Youkud€dhw eÔ mãla toËtÉ §nomoy°thsen ka‹ di°krinen éretØn ka‹ kak€an suggrafikÆn, ır«n mãlista yaumazÒmenon tÚn ÑHrÒdoton êxri toË ka‹ MoÊsaw klhy∞nai aÈtoË tå bibl€a.

§nomoy°thsen ... éretØn ka‹ kak€an suggrafikÆn: Lukian verwendet nomoyete›n und nomoy°thw auch in übertragener Bedeutung, bezogen auf das Gebiet der Ethik (Pisc. 30, Tox. 5, Cal. 8: poihtØn ... eÔ mãla ... nomoyetÆsanta, die Formulierung einer moralischen Maxime durch den Dichter), aber

auch mit Bezug auf Normgebungen in den Bereichen von Tanz (Salt. 15) und Literatur (Laps. 4). Den literarkritischen Begriff nÒmow gebraucht auch Josephus Flavius wiederholt (BJ I 4, 11; V 3, 20) zu der Bezeichnung der spezifischen Gattungsprinzipien der Geschichtsschreibung. Cicero spricht in diesem Sinne direkt (Fam. V 13 = 12, 3) oder indirekt von den leges historiae (Leg. I 1, 5 und de Orat. II 15, 62–64, Sprecher Antonius bzw. Quintus). Die Begriffe nÒmow und lex erscheinen auch im Zusammenhang mit anderen literarischen Gattungen. So spricht Lukian in Kapitel 8 von dem nÒmow der Dichtung, und Quintilian (Inst. X 1, 76) charakterisiert Demosthenes als paene lex orandi (zu der nicht immer dermaßen günstigen Bewertung des Demosthenes innerhalb der Antike vgl. Cooper 2000). Die von Thukydides ausgehende Traditionslinie ist dargestellt von Canfora 2006. Die Gegenüberstellung der konträr aufeinander bezogenen Begriffe éretÆ und kak€a wurzelt in ethischer Terminologie, welche mittels dieser Termini positive und negative moralische Qualität zu bezeichnen pflegte. In diesem Sinne ordnet Sokrates die éretÆ der dikaiosÊnh und die kak€a der édik€a zu (Plat. R. I 348 c; in Ciceros Übersetzung lauten diese beiden Begriffe virtus und vitiositas bzw. vitium: Tusc. IV 15, 34 und Fin. III 11, 39). Xenophons Bericht zufolge (Mem. II 1, bes. 26 und 29) ließ Prodikos in der Fabel von Herakles am Scheidewege als Personifikationen die Kak€a und die ÉAretÆ auftreten. In weiterem Sinn konnten die éretÆ und die kak€a auf körperliche ebenso wie auf seelische Verfassung bezogen werden (Pl. Symp. 181 e). Lukian appliziert das feste Begriffspaar von éretÆ und kak€a auf den Bereich literarkritischer Wertung. Bereits in Kapitel 6 hatte er den Autor erklären lassen, mit denjenigen schriftstellerischen Defekten (kak€ai) beginnen zu wollen, die den wertlosen Historikern anhafteten; und in Ind. 2 wird dem ungebildeten Büchersammler die ernüchternde Lehre erteilt, daß all seine Beflissenheit nichts nütze, wenn ihm literarisches Verständnis und Urteilsfähigkeit abgingen (... µn mØ efidªw tØn éretØn ka‹ kak€an •kãstou t«n §ggegramm°nvn ka‹ sun€˙w ˜stiw m¢n ı noËw sÊmpasin, t€w d¢ ≤ tãjiw t«n Ùnomãtvn, ˜sa te prÚw tÚn ÙryÚn kanÒna t“ suggrafe› éphkr€bvtai ka‹ ˜sa k€bdhla ka‹ nÒya ka‹ parakekomm°na). Die Qualitäten des Tänzers sind bei Lukian nach den stereotypen Bewertungskriterien von éreta€ und kak€ai beurteilt (Salt. 80,

Sprecher Lykinos).

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mãlista yaumazÒmenon tÚn ÑHrÒdoton êxri toË ka‹ MoÊsaw klhy∞nai aÈtoË tå bibl€a: Bei Lukian

ist die wahrscheinlich auf nachalexandrinische Zeit zurückgehende Benennung der herodoteischen Bücher nach den Musen erstmals explizit bezeugt. Denn in Herod. 1 berichtet er (Flory 1980, 12 lehnt die These ab, das Werk sei ein instant success gewesen; etwas zuversichtlicher äußert sich dazu mit plausiblen Gründen Momigliano 1998 a, 4–9, bereits Parke 1946, 86–91 argumentierte für Rezitation, so auch Malitz 1990, bes. 327–333), Herodot hätte die in Olympia versammelten Griechen durch den beeindruckenden Vortrag seines Werkes (õdvn tåw flstor€aw) so sehr bezaubert, daß danach seine neun Bücher nach den Musen bezeichnet worden seien (êxri toË ka‹ MoÊsaw klhy∞nai tåw b€blouw aÈtoË, §nn°a ka‹ aÈtåw oÎsaw). Ein éd°spoton in der Anthologia Palatina (IX 160) beinhaltet zudem dieses sinnreiche Distichon: ÑHrÒdotow MoÊsaw Íped°jato: t“ dÉ ír •kãsth / ént‹ filojen€hw b€blon ¶dvke m€an. Von Kephalion, dem =Ætvr und flstorikÒw aus hadrianischer Zeit (Charakteristik bei Hose 1994, 463–469; allzu kritisch zu einer Datierung unter Hadrian Stertz 1993, 623) wird berichtet, er hätte seine in ionischem Dialekt abgefaßten neun Bücher pantodapa‹ flstor€ai ebenso wie Herodot mit den Namen der Musen überschrieben (FGrH II A 93, T 1 = Suid. s. v. Kefal€vn µ Kefãlvn). Die bei Herodot ganz nach Hesiod (Th. 77–79) kanonisch vorliegende Reihenfolge der Musen jedoch veränderte er (T 2 = Phot. Bibl. 68, 34 a), offenbar deshalb, weil er Eigenständigkeit gegenüber seinem Vorbild unter Beweis stellen wollte; im übrigen galten die Musen in seiner Zeit als die Göttinnen der Sophisten (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 14: épÚ Mous«n eÈyÁw ≥rjato ktl). Kephalion ist typisch für die Blütezeit der Herodotimitatio im 2. Jh. n. Chr., welche wohl ausschließlich nach literarischen Vorlagen ein reines Kunstionisch produzierte (vgl. dazu bes. die Kommentare zu Kap. 2: ÑHrÒdotoi und Kap. 18: explizite Kritik an einem Herodotplagiator). Weitere Belege für die Benennungen von Büchern nach den Chariten und Musen seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert bei Aly 1909, bes. 593–594.

kt∞mã te gãr fhsin mçllon §w ée‹ suggrãfein ≥per §w tÚ parÚn ég≈nisma, ka‹ mØ tÚ muy«dew éspãzesyai éllå tØn élÆyeian t«n gegenhm°nvn épole€pein to›w Ïsteron.

kt∞mã te: die von den Handschriften einheitlich überlieferte Lesart ktÆmata ist bereits bei Reitz 1743, 55 (nach Solanus) mit Verweis auf den Thukydidestext (I 22, 4) in kt∞mã te korrigiert; tÚ muy«dew: Macleod 1980, 312 im Text singulär (wohl nur ein Druckfehler) muy«dew, denn „das von Ea vor muy«dew gesetzte tÒ ist unerläßlich“ (Nesselrath 1984, 599).

Das erste Kolon hält sich eng an den Wortlaut der das Methodenkapitel abschließenden bekannten Erklärung des Thukydides (I 22, 4): kt∞mã te §w ée‹ mçllon µ ég≈nisma §w tÚ paraxr∞ma ékoÊein jÊgkeitai (Lendle 1990, 235 interpretiert kt∞mã te §w ée‹ entgegen der communis opinio kaum zutreffend als „einen nützlichen geistigen Besitz für das ganze künftige Leben“ der Zuhörer oder Leser). Unter dem Begriff tÚ ég≈nisma, der bei Polybios (III 31, 12) in einem vergleichbaren methodologischen Zusammenhang wiederkehrt, ist a prize composition bzw. a prize recitation zu verstehen (so zutreffend Hornblower 1991, 61). Die Formulierung §w tÚ paraxr∞ma ékoÊein (Hose 1994, 20, Anm. 3 bezeichnet Thukydides als das wichtigste Zeugnis für eine Rezitationspraxis im 5. Jh. v. Chr.) ist durch Lukian entsprechend seiner in dieser Schrift gültigen Terminologie (in den Kap. 13, 39–40 und 61–63 bezeichnet er die gegenwartsgebundene Perspektive mit den Begriffen nËn, tÚ parÒn, tÚ paraut€ka und tÚ tÆmeron) in §w tÚ parÚn verändert. Noch freier verfährt das zweite Kolon des Satzes mit dem Wortlaut des Thukydidestextes. Einzig der Begriff tÚ muy«dew (Th. I 21, 1 und

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I 22, 4, dazu Walbank 1960, 221–222) ist wörtlich aus Thukydides übernommen, doch bereits die explizite Formulierung tØn élÆyeian (vgl. z. B. Kap. 9: die Enthüllung der élÆyeia ist das spezifische Ziel der Geschichtsschreibung) weicht ab von dem vorsichtiger gesetzten Komparativ élhy°steron des sich betont zurückhaltend gebenden Thukydides (Th. I 21, 1: …w logogrãfoi jun°yesan §p‹ tÚ prosagvgÒteron tª ékroãsei µ élhy°steron). Dadurch sowie durch die bei Thukydides fehlende Nennung des Namens Herodot (dieser spricht von den Historikern lediglich als von den logogrãfoi) erweckt Lukian den sicherlich nur sehr bedingt zutreffenden Eindruck, als hätte Thukydides einzig mit Kritik an der herodoteischen Methode sein Methodenkapitel konzipiert (zum Verhältnis des Thukydides zu Herodot differenziert Gomme 19502, 148, mit Belegen, Lendle 1990, bes. 242 hingegen meint etwas überzogen, Thukydides habe Herodot als Schriftsteller den Kampf angesagt). In Lukians verhältnismäßiger Direktheit verrät sich der Einfluß der Rhetorenschulen. So findet sich eine schematisch verfahrende Synkrisis der beiden Historiker in dem §gk≈mion Youkud€dou des Aphthonios (Spengel II 38, Z. 7–11): E‰ta t€w aÈt“ (sc. t“ Youkud€d˙) parabale› tÚn ÑHrÒdoton; éllÉ §ke›now m¢n dihge›tai prÚw ≤donÆn, ı d¢ prÚw élÆyeian ëpanta fy°ggetai. ˜son dØ tÚ prÚw xãrin toË prÚw élÆyeian ¶latton, tosoËton ÑHrÒdotow t«n Youkud€dou kal«n épole€petai. Und

diese Aussage läßt einen erhellenden Blick auf die übliche Praxis derartiger synkritischer Urteile zu. Jedenfalls wurde Herodot schon früh mit dem von Thukydides bezeichneten muy«dew in Verbindung gebracht; Aristoteles (GA III 5, Didot III 381, Z. 38) charakterisiert Herodot in diesem Sinne als den muyolÒgow, und Diodor (I 69, 7) wirft ihm ein paradojologe›n vor, welches die élÆyeia zugunsten des Verfahrens des mÊyouw plãttein vernachlässige (ähnlich Cic. Leg. I 1, 5: ... apud Herodotum ... sunt innumerabiles fabulae), und es ließen sich noch weitere Belege für derartige Einschätzungen anführen (Wardman 1960, 405). Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Arten von Bewertung ist es auch zu verstehen, daß Lukian selbst (Philops. 2), wenn auch freilich auf spielerische Weise, Herodot gemeinsam mit Ktesias unter die Lügenautoren einreihen kann.

ka‹ §pãgei tÚ xrÆsimon ka‹ ˘ t°low ên tiw eÔ fron«n ÍpÒyoito flstor€aw, …w e‡ pote ka‹ aÔyiw tå ˜moia katalãboi, ¶xoien, fhs€, prÚw tå progegramm°na épobl°pontew eÔ xr∞syai to›w §n pos€.

Thukydides äußert sich an zwei Stellen in einer dem jeweiligen Kontext angepaßten Weise über die von ihm intendierte Wirkabsicht auf die Rezipienten seines Geschichtswerkes. a) Der bekannte einschlägige Passus aus dessen Methodenkapitel (I 22, 4, zuletzt dazu Kallet 2006) lautet im Original so: ka‹ §w m¢n ékrÒasin ‡svw tÚ mØ muy«dew aÈt«n éterp°steron fane›tai: ˜soi d¢ boulÆsontai t«n te genom°nvn tÚ saf¢w skope›n ka‹ t«n mellÒntvn pot¢ aÔyiw katå tÚ ényr≈pinon toioÊtvn ka‹ paraplhs€vn ¶sesyai, »f°lima kr€nein aÈtå érkoÊntvw ßjei: kt∞mã te §w afie‹ mçllon µ ég≈nisma §w tÚ paraxr∞ma ékoÊein jÊgkeitai. Dieser Anspruch mit Nahverhältnis zu einer Erklärung seines Zeitgenossen Andokides (or. 3, 2: xrØ ... tekmhr€oiw xr∞syai to›w prÒteron genom°noiw per‹ t«n mellÒntvn ¶sesyai, ähnlich auch Isoc. or. 6, 59: e‡per xrØ per‹ t«n mellÒntvn tekma€resyai to›w ≥dh gegenhm°noiw, Scheller 1911, 74 und Schmitz–Kahlmann

1939, 5–7 vermuten hier zu Recht einen rhetorischer Techne entstammenden Topos) beinhaltet also ein historiographisches Programm, ein geschichtsphilosophisches Manifest gewissermaßen, mit welchem sich Thukydides deutlich von den Methoden seiner Vorgänger innerhalb der Gattung der Geschichtsschreibung absetzt. Sein erklärtes Ziel ist es, hinter der auf den ersten Blick verwirrenden Fülle von scheinbar zusammenhanglosen historischen Ereignissen und Handlungsabläufen präzise

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diagnostizierte, das historische Geschehen determinierende Faktoren hervortreten zu lassen. Sein besonderes Interesse gilt dabei dem in seinen Verhaltensmustern gewissermaßen festgelegten Menschen, der zufolge seiner unveränderlichen anthropologischen Grundverfassung sich unter vergleichbaren und ähnlichen Bedingungen stets ähnlich verhalten hat, verhält und auch verhalten wird (zu der Auslegung von katå tÚ ényr≈pinon vgl. Topitsch 1943–1947 und Rechenauer 1991, bes. 157–162 gegenüber der wohl etwas zu weiten Fassung des Begriffes bei Stahl 1966, 33). Und genau an diesem Punkt setzt nun die diagnostische und prognostische Methode des Thukydides an, der das vergangene und zukünftige Geschehen nach dem Wirken immer derselben Gesetzmäßigkeiten beurteilt wissen will (bei den Vorgängern hatte das Interesse im Wesentlichen nur der Vergangenheit gegolten; vgl. dazu Rechenauer 1991, 196–226, bes. 225, der im thukydideischen Verständnis zu Recht eine Parallele zum „medizinischen Forschungsansatz“ erblickt), welche sich insbesondere aus den naturgegebenen primären Antriebskräften der Menschen unmittelbar herleiten ließen. Das von Thukydides also mit seinem Geschichtswerk angepeilte Ziel besteht demzufolge wesentlich darin, anhand des konkreten Objektes des peloponnesischen Krieges dem lernwilligen Rezipienten die Basis für ein geschärftes Geschichtsverständnis zu vermitteln. Mit seiner Tiefenanalyse verfolgt Thukydides in erster Linie das Ziel einer intellektuellen Bereicherung für die eben seinen Vorstellungen und Wünschen entsprechenden Rezipientenschaft. Mit dessen Formulierung »f°lima kr€nein ist allerdings durchaus auch eine praktische Relevanz mitgegeben (so zu Recht Gomme 19502, 149: his scientific work may be brought into relation with practical affairs). Bei anderer Gelegenheit äußert sich Thukydides nochmals zu Methodenfragen (b). In der Einleitung zu seiner berühmten Pestschilderung (II 48, 3) stellt er fest, daß, während Arzt und Laie sich über die Ursachen der Krankheit äußern mögen, er selbst als ein unmittelbar Betroffener und Augenzeuge die Absicht habe, durch eine Schilderung des tatsächlichen Krankheitsverlaufes dem zukünftigen Leser nützliche Informationen an die Hand zu geben für den Fall, daß derartiges irgendwann einmal wiederum geschehen sollte: leg°tv m¢n oÔn per‹ aÈtoË …w ßkastow gign≈skei ka‹ fiatrÚw ka‹ fidi≈thw, éfÉ ˜tou efikÚw ∑n gen°syai aÈtÒ, ka‹ tåw afit€aw ëstinaw nom€zei tosaÊthw metabol∞w flkanåw e‰nai dÊnamin §w tÚ metast∞sai sxe›n: §g∆ d¢ oÂÒn te §g€gneto l°jv, ka‹ éfÉ œn ên tiw skop«n, e‡ pote ka‹ aÔyiw §pip°soi, mãlistÉ ín ¶xoi ti proeid∆w mØ égnoe›n, taËta dhl≈sv aÈtÒw te nosÆsaw ka‹ aÈtÚw fid∆n êllouw pãsxontaw. Stärker als in dem Methodenkapitel steht hier die

unmittelbare praktische Auswertbarkeit des vom Geschichtsschreiber vermittelten Wissens explizit im Vordergrund (so auch hier zu Recht Gomme 19502, 149: There the applicability of scientific knowledge to practical affairs is an obvious one; zu modernen Debatten, ob damit primär praktische Nutzanwendung oder rein intellektuelle Erkenntnis intendiert ist, vgl. den vermittelnden Standpunkt von Cordes 1994, bes. 77–82). Und das kommt dem Anliegen Lukians entgegen, dessen Paraphrase des thukydideischen Anliegens denn auch in sprachlicher Hinsicht auf den Passus (b) Bezug nimmt, und zwar in zweifacher Weise, zum einen durch Übernahme der Formulierung e‡ pote ka‹ aÔyiw, zum anderen durch die Konstruktion ¶xein im Optativ der dritten Person in Verbindung mit Infinitiv (Bedeutung „können“). Schon in Kapitel 9 hatte er den Autor in thukydideischem Sinne den Nutzwert (tÚ xrÆsimon, zu einer Abgrenzung der Begriffe tÚ xrÆsimon und tÚ »f°limon voneinander Schmidt, Syn. IV 170–171) der flstor€a bestimmen lassen als ableitbar einzig aus wahrheitsgetreuer Berichterstattung (Kap. 9: ©n går ¶rgon flstor€aw ka‹ t°low, tÚ xrÆsimon, ˜per §k toË élhyoËw mÒnou sunãgetai), welche ihrerseits in dieser Schrift stets identisch ist mit einer Freiheit von Tendenz. Von literarhistorischer Bedeutung ist auch die ein durchaus praktisch orientiertes Anliegen erkennen lassende Spielart des thukydideischen Gedankens, wie sie in einer Erklärung des Polybios (XII 25 b 2–3, dazu Mohm 1977, 183–189)

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vorliegt: ... cil«w legÒmenon aÈtÚ tÚ gegonÚw cuxagvge› m°n, »fele› dÉ oÈd°n: prosteye€shw d¢ t∞w afit€aw ¶gkarpow ≤ t∞w flstor€aw g€netai xr∞siw. §k går t«n ımo€vn §p‹ toÁw ofike€ouw metaferom°nvn kairoÁw éforma‹ g€nontai ka‹ prolÆceiw efiw tÚ proid°syai tÚ m°llon, ka‹ pot¢ m¢n eÈlabhy∞nai, pot¢ d¢ mimoÊmenon tå progegonÒta yarrale≈teron §gxeire›n to›w §piferom°noiw. Mit

andersgearteten antiken Auffassungen vom Nutzwert der Historiographie (eine Übersicht bei Scheller 1911, 72–78, Avenarius 1956, 22–26, Sacks 1990, 23–36) hat Lukian gar nichts im Sinn, der sich einzig an der diesbezüglichen Auffassung des Thukydides orientiert. Zu ÍpÒyoito: Das Verbum Ípot€yesyai steht hier in der konkreten Bedeutung von „(sich) als Prinzip (ÍpÒyesiw) etwas zugrunde legen“ ebenso wie in Kap. 44 (ÑVw går tª gn≈m˙ toË suggraf°vw skopoÁw Ípey°meya parrhs€an ka‹ élÆyeian) und auch in Pisc. 7 (ßna toËton Ípoy°menow tÚn skopÒn). Der reguläre Optativ lautet Ípoye›to, doch sind bei der athematischen Konjugation der Verba auf -mi auch, mit einem Übertritt in die thematische Flexion, jungattische Optativformen auf -oi überliefert, und zwar in der Regel nur in der 3. Person, nämlich tiyo›to, aor. yo›to, yo›nto (Schwyzer I 688, doch Ípoyo€meya bei Arist. Metaph. IX 4, 1047 b 10, Didot II 566, Z. 41). Zu katalãboi: Das Verbum katalambãnein wird ebenso wie sumba€nein (Th. II 54, 3) auch in intransitiver Bedeutung gebraucht (Sinn: „sich zutragen, sich ereignen“), so von Herodot (IV 161, 1; IX 49) und Thukydides (II 18, 2). Bei letzterem (Th. II 54, 3) steht es, so wie an dieser Stelle, innerhalb eines Kondizionalsatzes mit beigefügtem pote. Zu dem Idiom tå §n pos€ mit temporaler Konnotation vgl. den Kommentar zu Kap. 2: tå §n pos‹ taËta. Bei Platon (Tht. 175 b) bezeichnet es das unmittelbar Gegebene, das Reale, bei Lukian markiert es die Gegenwart (Hist. Conscr. 2; DMort. 13, 3; so auch Ps. Luk. Asin. 20); in Nigr. 7 ist es der Vergangenheit (tå parelhluyÒta) gegenübergestellt. Schließlich, die Phraseologie (to›w prãgmasi) xr∞syai in Verbindung mit einem Adverb bedeutet: „sich (bei den Umständen) zurechtfinden“.

Kapitel 43 Nach dem Passus über die Gesinnung (gn≈mh) des Historikers (Kap. 38–41) behandeln die im Umfang deutlich kürzeren Kapitel 43–46 (dazu die Quellen bei Avenarius 1956, 55–70, der die Stilregeln zu Recht auf Theophrast zurückführt, doch – weniger gut begründet – dessen Anlehnung an die isokrateisch-theopompische Kunstprosa, wie er es auch sonst überall tut, allzu stark betont) seinen sprachlichen Ausdruck (fvnÆ, vgl. Lex. 22 und 25, alternativ stehen hier für die Diktion die stärker terminologisch konnotierten Begriffe •rmhne€a und l°jiw, lat. elocutio) sowie die Wortfügung (Kap. 46, als eine Appendix zur triadischen Komposition in 43–45). Bereits Theophrast hatte Dionysios von Halikarnaß (Isoc. 3, vgl. ohne Namensnennung Th. 22, dazu Volkmann 1885, II 394– 395) zufolge den Gesamtkomplex der l°jiw in drei Teilbereiche untergliedert, in Wortwahl (§klogØ t«n Ùnomãtvn), Wortfügung (èrmon€a) und Figurenschmuck (sxÆmata), und diese selbe Dreiteilung (die Rhet. Her. IV 12, 17 gibt diese theophrastische Trias wieder durch die lateinischen Begriffe elegantia, compositio und dignitas) wurde späterhin von Kaikilios von Kaleakte und Dionysios (dazu Bonner 1939, 21, 24 und passim) übernommen. Die von Theophrast, wie der Textzusammenhang bei Dionysios erweist, als für Gestaltung in Prosa generell gültig intendierte Lehre (sie war demnach also Thema in dessen Schrift per‹ l°jevw) liegt bei Lukian (Kap. 43–46) in einer auf das besondere Objekt Geschichtsschreibung adaptierten Form vor. Bereits bei Dionysios von Halikarnaß (Th. 23) findet sich eine im Wesentlichen diesem selben Einteilungsprinzip (Isoc. 3 und v. a. Th. 22) folgende Beurteilung des Stils der Historiker vor Thukydides.

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Zunächst erhebt der Autor Lukian (Kap. 43) die Forderung, daß die anderswo (gemeint ist natürlich die Gerichtsrede) durchaus angebrachte Redegewalt (t∞w =htore€aw deinÒthw) innerhalb der Geschichtsschreibung zu meiden sei; demgegenüber müsse der Historiker in ruhigerer, distanziertgelassener Stimmungslage (efirhnik≈teron diake€menow) an die Abfassung seines Werkes herangehen. Zu der Frage, wie man sich die dieser seelischen Disposition entsprechende Stilart konkret vorzustellen hat, vgl. den Kommentar zu Kap. 55: diÆghsiw ... le€vw te ka‹ ımal«w proioËsa ktl. Anzumerken ist, daß es dem Historiker innerhalb der in sein Werk eingelegten direkten Redepartien erlaubt ist, seine rhetorische Wortgewalt zu zeigen (vgl. Kap. 58: =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta), doch dies ist auch schon die einzige Konzession an das Bedürfnis so mancher Autoren, durch Einsatz rhetorischer Glanzlichter zu brillieren. Was der Autor hier über den einer historischen Darstellung angemessenen Periodenbau sagt, geht wohl wegen der erstrebten Mitte zwischen den beiden Extremen über Ps. Demetrios auf den Peripatos (Theophrast) zurück. Dasselbe trifft zu auf die Abgrenzung von historiographischem und oratorischem Stil, für welche in griechischer und lateinischer Literaturkritik reichliche Belege vorliegen. Die Diktion (l°jiw) müsse sich an Klarheit (safÆneia), einer der vier durch Theophrast ausformulierten elementaren Stilqualitäten, orientieren, und sie müsse den Standards einer allgemeinverständlichen Sprache (l°jiw politikÆ) entsprechen. Das leitet über zu Kapitel 44, in dem dieses Postulat präzisiert wird.

Ka‹ tØn m¢n gn≈mhn toiaÊthn ¶xvn ı suggrafeÁw ≤k°tv moi, tØn d¢ fvnØn ka‹ tØn t∞w •rmhne€aw fisxÊn, tØn m¢n sfodrån §ke€nhn ka‹ kãrxaron ka‹ sunex∞ ta›w periÒdoiw ka‹ égkÊlhn ta›w §pixeirÆsesin ka‹ tØn êllhn t∞w =htore€aw deinÒthta [...] mØ komidª teyhgm°now érx°syv t∞w graf∞w, éllÉ efirhnik≈teron diake€menow.

[...]: Bereits Solanus (Reitz 1743, 56–57) weist darauf hin, daß der gesamte Passus verstümmelt sein dürfte (Hic vero locus mihi semper difficillimus visus est et mutilus). Mit Fritzsche 1860, 92 (in diesem Sinne auch Nesselrath 1984, 605) markiere ich nach deinÒthta das Vorliegen einer aus mehreren Worten bestehenden Lücke. Dieses selbe dualistische Einteilungsschema in gn≈mh und fvnÆ findet sich auch in Ind. 28, wo dem ungebildeten Büchersammler die Lehre erteilt wird, daß die Gebildeten (ofl pepaideum°noi) ihren Nutzen aus eben diesen beiden Faktoren (§k t∞w fvn∞w ka‹ t∞w gn≈mhw t«n gegrafÒtvn) bezögen. Der ideale historiographische Stil, so wie der Autor Lukian ihn verstanden wissen will, wird zunächst auf eine negative Weise bestimmt, und zwar nach einem Ausschließungsverfahren, wie es bereits in Kap. 38 in der Einleitung zu dem Passus über das Ethos des Historikers angewandt worden war. Die rhetorischen Elemente, welche von der Geschichtsschreibung fern zu halten seien, lassen sich auf drei wesentliche Gesichtspunkte zurückführen (in formaler Hinsicht werden nach einer kurzen Unterbrechung in Kap. 42 die Imperative der dritten Person wieder aufgenommen): tØn t∞w •rmhne€aw fisxÊn, tØn ... sfodrån ... ka‹ kãrxaron: Zunächst also (a) seien leidenschaftliche Heftigkeit und bissige Schärfe zu meiden. Das Adjektiv sfodrÒw gehört einschlägiger rhetorischer

Fachterminologie an. So beschreibt Ps. Demetrios (Eloc. V 272–286) die der leidenschaftlich– heftigen Stilart, dem xaraktØr deinÒw, zugeordnete l°jiw deinÆ und stellt in V 274 fest: ≤ d¢ deinÒthw sfodrÒn ti boÊletai ka‹ sÊntomon, ka‹ §ggÊyen plÆttousin ¶oiken. Bei Hermogenes findet sich in dessen Schrift per‹ fide«n I 8 (Spengel II 301, Z. 24–304, Z. 8: per‹ sfodrÒthtow) ein ausführlicher Passus über die der traxÊthw gegenübergestellte sfodrÒthw. Dieser entspricht im Lateinischen der literarkritische Begriff der vehementia. Cicero (de Orat. II 52, 211) beispielsweise spricht über den

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Gegensatz von lenis ... atque summissa und intenta ac vehemens oratio (weitere Belege bei OLD s. v. vehemens 4 c und vehementia 2 b). kãrxarow (van Hook 29) bedeutet „gezackt, spitz, scharf“, besonders von Zähnen. Das Adjektiv karxarÒdouw wird von Homer (Il. X 360, XIII 198) in eigentlicher Bedeutung als Epitheton von

Jagdhunden gebraucht, im übertragenen Sinn verwendet es Aristophanes (Eq. 1017, mit Bezug darauf Vesp. 1031) von Kleon. Bei Athenaios (VI 251e) trägt der Parasit Thrason den vielsagenden Beinamen ı Kãrxarow. Und bei Lukian (Bis Acc. 33) beklagt sich der Dialogos über den Syrer (Maske für Lukian), er hätte einen kläffenden, bissigen Menippos (M°nippÒn tina t«n palai«n kun«n mãla ÍlaktikÚn ka‹ kãrxaron) auf ihn gehetzt. Andernorts (Merc. Cond. 35) bezeichnet Lukian mit diesem selben Adjektiv einen scharfzüngigen Redner (=Ætora t«n karxãrvn), der dann freilich unter Bezahlung an Biß verliert und zu einem handsamen Unterhalter mutiert. tØn ... t∞w =htore€aw deinÒthta [...] mØ komidª teyhgm°now: Unter dem rhetorischen Begriff der deinÒthw ist weniger im engeren Sinne die Stilart der l°jiw deinÆ, welche Ps. Demetrios (Eloc. V 272– 286) dem xaraktØr deinÒw zuordnet (Drerup 1923, 108 vertritt die These, diese Stilart sei überhaupt

erst vom Attizismus des 1. Jhs. v. Chr. speziell für Demosthenes geschaffen worden), zu verstehen, sondern vielmehr die Redegewalt, d. h. die Durchschlagskraft der Rede (lat. vis und vehementia). In diesem Sinne sagt Dionysios von Halikarnaß über die Vorgänger des Thukydides, sie wiesen mit einziger Ausnahme des Herodot u. a. auf: oÈd¢ dØ tÒnon oÈd¢ bãrow oÈd¢ pãyow diege›ron tÚn noËn oÈd¢ tÚ §rrvm°non ka‹ §nag≈nion pneËma, §j œn ≤ kaloum°nh g€netai deinÒthw (D. H. Th. 23). Besonders häufig wird der Begriff der deinÒthw mit Bezug auf die Redegewalt des Demosthenes gebraucht, so durch Dionysios von Halikarnaß (Amm. I 3: Demosthenes ist in ganz Griechenland berühmt wegen seiner deinÒthw lÒgvn) und durch Ps. Longinos (34, 4 ist von der deinÒthw und der dÊnamiw des Demosthenes die Rede). Dazu Voit 1934 und in enger Anlehnung daran Rutherford 1994, vgl. auch Ernesti 68–70. Zur Verbindung der Begriffe deinÒthw und =htore€a vgl. Kap 58 dieser Schrift, wo der Autor Lukian sagt, einzig in den Redepartien dürfe der Historiker seine rhetorische Kraft zeigen (=htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Das Substantiv =htore€a bezeichnet die Redekunst (so bereits Pl. R. 304 a). Zu der auf den Bereich der Rede bezogenen Metapher teyhgm°now ist zu vergleichen Tox. 11, wo Mnesippos Toxaris charakterisiert als einen pãnu eÈstÒxouw ka‹ teyhgm°nouw pareskeuasm°now toÁw lÒgouw. Die zweite negative Bestimmung (b) lautet: eine allzu regelmäßige Wiederkehr von periodischen Strukturen (tØn t∞w •rmhne€aw fisxÊn, tØn ... sunex∞ ta›w periÒdoiw) müsse innerhalb des historiographischen Metiers unbedingt vermieden werden. Zu dieser ausgewogenen Position zu vergleichen ist die Ansicht des Ps. Demetrios (Eloc. I 19–21), der für die drei Gattungen von Geschichtsschreibung, Dialog und Rhetorik drei jeweils angemessene Formen von Periode (flstorikÆ, dialogikÆ, =htorikÆ) unterscheidet und der historischen Periode die Mitte zwischen den anderen beiden Extremen zuerkennt: flstorikØ (sc. per€odow) m¢n ≤ mÆte perihgm°nh mÆtÉ éneim°nh sfÒdra, éllå metajÁ émfo›n, …w mÆte =htorikØ dÒjeien mÆte ép€yanow diå tØn periagvgÆn, tÚ semnÒn te ¶xousa ka‹ flstorikÚn §k t∞w èplÒthtow (I 19). Als ein Beispiel führt er den Eingang zur

xenophontischen Anabasis (I 1, 1) an, nachdem er den Passus bereits in I 3 unter dem Gesichtspunkt der Gliederung in Kola erörtert hatte. Die Rhetorik hingegen weise die straffste, kyklische Form von Hypotaxe auf: T∞w d¢ =htorik∞w periÒdou tÚ e‰dow sunestramm°non ka‹ kuklikÒn (I 20). Und als ein Beispiel zieht er den Anfang der Rede des Demosthenes in Leptinem (or. 20, 1) heran, anhand dessen er bereits zuvor (I 11) den allgemein gültigen Grundsatz illustriert hatte, daß eine Umstellung der syntaktischen Struktur, d. h. eine Abänderung der Wortfolge, eine Periode aufhebe, sei diese doch nichts anderes als eine bestimmte Struktur (poiå sÊnyesiw). Die psychologische Wirkung einer

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rhetorischen Periode auf den Rezipienten bestimmt er solcherart: sxedÚn går eÈyÁw §k t∞w érx∞w ≤ per€odow ≤ toiãde sunestramm°non ti ¶xei ka‹ §mfa›non, ˜ti oÈk ín épolÆjeien efiw èploËn t°low (I 20). Zwischen parataktischem und periodenbauendem Stil (für die Unterscheidung von l°jiw di˙rhm°nh und l°jiw katestramm°nh beruft sich Ps. Demetrios in I 11–12 auf die grundlegende Abhandlung des Aristoteles, Rh. III 9, zu diesem Kapitel Fowler 1982) angesiedelt sei die dialogische Periode, die er so definiert: DialogikØ d° §sti per€odow ≤ ¶ti éneim°nh ka‹ èploust°ra t∞w flstorik∞w, ka‹ mÒliw §mfa€nousa, ˜ti per€odÒw §stin (I 21). Als Beispiel für diese dient ihm der erste Satz der platonischen Politeia (R. I 327 a), welcher zeige, daß sich der Rezipient am Satzende kaum dessen bewußt würde, daß es sich dabei um eine Periode gehandelt habe (mÒliw ín §nnohye›men katå tÚ t°low, ˜ti tÚ legÒmenon per€odow ∑n). Bonner 1938, 260 unternahm erfolgreich den Versuch, die theophrastische Mesotes bei der Lehre von der Periode (Hendrickson 1904, bes. 131–132) auch bei Dionysios von Halikarnaß (Comp. 23) zu identifizieren. Die dritte negative Bestimmung (c) lautet: tØn t∞w •rmhne€aw fisxÊn, tØn ... égkÊlhn ta›w §pixeirÆsesin: Das Adjektiv égkÊlow (bei Lukian, Rh. Pr. 8, steht égkÊlow in einem Gegensatz zu ımalÒw, welch letzteres in der Bedeutung von „eben“ wiederum im Gegensatz zu „steil“ gebraucht ist), das von Ernesti (2 und 308) in eine Reihe gestellt wird mit skoliÒw, während van Hook (17) ihm ÙryÒw als Gegensatz gegenüberstellt, wird in zweifacher Weise in metaphorischem Sinne gebraucht. Zum einen nämlich bezeichnet es die vertrackten Fragestellungen und spitzfindigen Syllogismen der Stoiker, so bei Lukian selbst in Bis Acc. 21, wo Epikur seiner Abneigung gegen die égkÊlouw §ke€nouw lÒgouw ka‹ labur€nyoiw ımo€ouw der Stoiker Ausdruck verleiht, und in Herm 1, wo Hermotimos angesprochen wird (§r≈thma dÆ ti t«n égkÊlvn suntiye‹w µ sk°mma sofistikÚn énafront€zvn). In diese Reihe zu stellen ist bei Alkiphron (III 28, 1) auch der Vater, der seinen Sohn zu dem Stoiker zwecks philosophischer Unterweisung schickt: …w ín parÉ aÈt“ lÒgvn tinåw skindalmoÁw §kmay∆n §ristikÚw ka‹ égkÊlow tØn gl«ssan g°nhtai. Zum anderen wird das Adjektiv égkÊlow ebenso wie an dieser Stelle in literarkritischem Kontext gebraucht, so mehrfach von Dionysios von Halikarnaß, der die beiden Adverbien égkÊlvw (von Hesych erklärt mit épotÒmvw, Latte I 23) und brax°vw nebeneinander stellt, um eine zwar gestraffte, doch unklare Ausdrucksweise zu kennzeichnen. In Th. 32 gilt die Kritik des Dionysios einer überpointierten Formulierung des Thukydides (III 82, 7), die das Verständnis behindere (taËta går égkÊlvw m¢n e‡rhtai ka‹ brax°vw, §n éfane› d¢ ke€menon ¶xei tÚ shmainÒmenon). Ähnlich bewertet Dionysios (Is. 13) den Stil des Isaios, der sich in vielem von der als normativ empfundenen l°jiw des Lysias weit entfernt hätte, um der deinÒthw des Demosthenes zu ähneln. Diese Parallelisierung der Stilqualitäten von égkÊlon und deinÒn findet sich wieder in Th. 25, wo Dionysios die thukydideische Darstellung des Angriffes auf Sphakteria im Sommer 425 v. Chr. unter Kleon und Demosthenes (Th. IV 34, 1) mit diesen Worten kommentiert: égkulvt°ra m¢n oÔn ≤ frãsiw oÏtv sxhmatisye›sa g°gone ka‹ deinot°ra. Die von ihm, Dionysios, selbst vorgeschlagene Verbesserung des Textes sei, so meint er, klarer und leserfreundlicher (safest°ra d¢ ka‹ ≤d€vn §ke€nvw ín kataskeuasye›sa). Dieses extreme Urteil dürfte Lukian kaum geteilt haben, wenn es auch auffällt, daß er in diesem Zusammenhang Thukydides nicht empfiehlt, während er ihn andernorts (Kap. 56–57) als Vorbild für narratives Tempo (also eine Qualität stofflicher Ökonomie) bezeichnet. Zur Unterscheidung der rhetorischen termini technici §nyÊmhma (zur Verwendung dieses Begriffes in der Rhetorik des Aristoteles vgl. Sprute 1982, bes. 68–73) und §pixe€rhma Solmsen 1941, bes. 169–170. Aristoteles (Rh. I 1, 1355 a 6–8) bestimmt das Enthymem (genannt kuri≈taton t«n p€stevn) als eine Art von Syllogismus

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(tÚ dÉ §nyÊmhma sullogismÒw tiw); und um es von anderen Syllogismen zu unterscheiden, bezeichnet er es als einen rhetorischen Syllogismus (Rh. I 2, 1356 b 4–5: kal« dÉ §nyÊmhma m¢n =htorikÚn sullogismÒn). efirhnik≈teron diake€menow: Nach diesen negativen Bestimmungen beginnt nunmehr die Lehranweisung, wie fvnÆ und •rmhne€a innerhalb der Geschichtsschreibung auszusehen haben. Es

sei nötig, so fährt der Autor Lukian fort, daß der Geschichtsschreiber seinem Gegenstand gegenüber eine distanzierte Haltung einnehme. Wenn dieser an seine Aufgabe herangehe, müsse er sich in entspannt-gelassener Gemütslage befinden (efirhnik≈teron diake€menow). Diese Feststellung läßt sich erweitern durch andere Aussagen aus dieser Schrift. Die Geschichtserzählung (diÆghsiw) solle auf einer mittleren Stilebene glatt und ebenmäßig voranschreiten (Kap. 55: diÆghsiw ... le€vw te ka‹ ımal«w proioËsa ka‹ aÍtª ımo€vw Àste mØ proÎxein mhd¢ koila€nesyai vgl. dazu den Kommentar z. St.). Nur bei der Einführung eines Redners sei es dem Historiker gestattet, seine rhetorische Wortgewalt zu zeigen (Kap. 58: ... §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Dieses Zugeständnis des Autors könnte in der aristotelischen Unterscheidung von l°jiw grafikÆ und l°jiw égvnistikÆ begründet sein (vgl. dazu Sacks 1986, bes. 390 sowie den Kommentar zu Kap. 58: plØn §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ktl). Mit diesen Postulaten zu vergleichen sind die Aussagen, welche Dionysios von Halikarnaß in seiner Synkrisis des herodoteischen und des thukydideischen Stils trifft (Th. 23–24). Als durchgehende Kriterien und Bewertungsgrundlage verwendet er dabei nicht so sehr die elementaren, notwendigen stilistischen Qualitäten (éreta‹ énagka›ai), sondern vielmehr die akzessorischen virtutes (éreta‹ §p€yetoi), von denen er zuvor (Th. 22, Auflistung im einzelnen bei Bonner 1939, 19, zum Gesamtkomplex der virtutes necessariae et adsumptae umfassend Geigenmüller 1908, 11–71) bereits summarisch gesprochen hatte. Herodot, so erklärt Dionysios weiter, sei angereichert mit den glänzendsten stilistischen Qualitäten von peiy≈, xãritew und vollkommener ≤donÆ; er hätte so die Prosa der ausdrucksstärksten Dichtung angenähert, lediglich die vor Gericht und Volksversammlung praktizierte Art von Rhetorik sei ihm weitgehend fremd. Für diesen Umstand weiß Dionysios zwei mögliche Erklärungen anzubieten. Entweder sei dieses Metier der Natur Herodots fremd gewesen, oder er hätte es mit nüchternem Kalkül und voller Absicht freiwillig als der Gattung der Historiographie unangemessen außer Acht gelassen. Der entscheidende Passus (Th. 23) lautet: éretãw te tåw meg€staw ka‹ lamprotãtaw ¶jv t«n §nagvn€vn oÈd¢n §n taÊtaiw §n°lipen, e‡te oÈk eÔ pefuk∆w prÚw aÈtåw e‡te katå logismÒn tina •kous€vw Íperid∆n …w oÈx èrmottous«n flstor€aiw. oÎte går dhmhgor€aiw polla›w ı énØr oÎtÉ §nagvn€oiw k°xrhtai lÒgoiw, oÎtÉ §n t“ paya€nein ka‹ deinopoie›n tå prãgmata tØn élkØn ¶xei.

Demgegenüber fände sich jedoch bei Thukydides, jedenfalls in dessen Glanzlichtern, im Unterschied zu allen anderen Historikern die ganze Palette von dynamischen Stilqualitäten, allen voran das Affekte evozierende Moment (Th. 24): xr≈mata d¢ aÈt∞w (sc. t∞w Youkud€dou l°jevw) tÒ te stifnÚn ka‹ tÚ puknÒn, ka‹ tÚ pikrÚn ka‹ tÚ aÈsthrÒn, ka‹ tÚ §mbriy¢w ka‹ tÚ deinÚn ka‹ tÚ foberÒn, Íp¢r ëpanta d¢ taËta tÚ payhtikÒn (Pritchett 1975, 102–103, Anm. 57–64, zu den einschlägigen antiken

Beurteilungskriterien vgl. Lateiner 1977, bes. 42–43, 51). Und diese starken rhetorischen Einschläge hätten auch dazu geführt, daß Demosthenes besonders in seinen vor Gericht und Volksversammlung gehaltenen Reden von seinem Vorbild Thukydides das für seine Zwecke als angemessen Erachtete entnommen hätte, so u. a. auch tØn §jege€rousan tå pãyh deinÒthta. Im unmittelbaren Anschluß an eine weitere Synkrisis des Herodot und des Thukydides läßt Dionysios (Pomp. 3) gar keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er Herodot als den prototypischen Repräsentanten historiographischer Erzählweise erachtet. Dieser vertrete nämlich tÚ legÒmenon fid€vw plãsma flstorikÒn, welches durch

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die von Xenophon im übrigen überhaupt nicht erreichten Qualitäten des Ïcow, des kãllow und der megalopr°peia charakterisiert sei (Pomp. 4). Der Stil des Theopompos wiederum bewege sich auf weite Strecken hin zwar auf einer mittleren Stilebene (Pomp. 6: katå tØn m°shn èrmon€an), doch sobald dieser mal den Leidenschaften (pãyh) Raum gebe, unterscheide er sich nicht im geringsten von der deinÒthw des Demosthenes. Der Autor Lukian bezieht weder hier noch in Kapitel 55, in dem er einen geschmeidigen, ebenmäßigen Fluß der Geschichtserzählung (diÆghsiw) empfiehlt, ausdrücklich Stellung, welches konkrete Vorbild er im Auge hat. Weder scheint er dabei rundweg an Thukydides zu denken, noch auch ebenso einseitig an Herodot (so kaum zutreffend Avenarius 1956, bes. 57–59, der an sich durchaus plausibel annimmt, mit dem Aufkommen des Attizismus sei Herodot als Vorbild und Gegengewicht gegen Thukydides an die Stelle des Theopompos gerückt worden), den er in Herod. 1 als unnachahmlich erklärt (p°ra t∞w efiw m€mhsin §lp€dow), sondern eher an einen an den unbestreitbaren Vorzügen beider geschulten Stil. Die Wahl der Erzählweise überläßt er dem Geschmacksurteil jedes einzelnen, soferne dieser nicht die Grenze zur forciert verfahrenden Gerichtsrede hin überschreite. Alleine schon die bewußte Wahl des Komparativs efirhnik≈teron zeigt, daß er eher undogmatisch an die Mitte zwischen einem zu ruhigen und einem allzu aufgeregten Erzählfluß denkt. Diese für ihn zumindest in dieser Schrift charakteristische maßvolle Haltung in Stilfragen (vgl. Kap. 44) könnte ihn durchaus mit dem Peripatetiker Theophrast verbinden, auch wenn sich dies natürlich nicht direkt nachweisen läßt. Daß Theophrast Ciceros Vorbilder Isokrates und Theopompos empfohlen haben sollte (dies ist die anfechtbare These von Avenarius 1956, bes. 59, der allerdings auch die Möglichkeit einräumt, Theophrast habe gerade Herodot „in die Nähe der theopompischen Kunstprosa gestellt“), ist kaum wahrscheinlich, genauso wenig wie es anzunehmen ist, daß Lukian bei seiner Forderung nach ebenmäßig voranschreitender Erzählweise (Kap. 55) ausgerechnet an den glatten, rhetorisch abgezirkelten Stil des Isokrates gedacht hat, dessen überreiche Überladenheit mit Parallelismen und Antithesen bei Peripatetikern seit Theophrast keinen Anklang gefunden hat. Dionysios von Halikarnaß (Isoc. 13), der ja als einen unter einer größeren Zahl von Kritikern des isokrateischen Stils den Peripatetiker Hieronymos nennt, teilt diese Ansicht durchaus, indem er das peripatetische Kriterium der (seiner Ansicht nach bei Isokrates fehlenden) rechten Mitte bei seiner eigenen Beurteilung anwendet (die Belege bei Bonner 1938, 264–265). Eine Abgrenzung von historiographischem und oratorischem Stil findet sich auch mehrfach in lateinischer Literaturkritik. So legt Cicero, der in Brut. 83, 286 ein historicum von einem oratorium genus unterscheidet, andernorts Antonius folgende präzisen Worte in den Mund (de Orat. II 15, 64): verborum autem ratio et genus orationis fusum atque tractum et cum lenitate quadam aequabiliter profluens sine hac iudiciali asperitate et sine sententiarum forensibus aculeis persequendum est. Auch für in Geschichtswerke eingelegte Redeteile (contiones et hortationes) macht Cicero einen sich von der Gerichtsrhetorik unterscheidenden Stil geltend (Orat. 20, 66): in his tracta quaedam et fluens expetitur, non haec contorta et acris oratio. Aufgabe der Geschichtsschreibung sei es, explicare res gestas narrando bzw. narrantem tenere auditorem, die Gerichtsrhetorik hingegen ziele darauf ab, argumentando criminari crimenve dissolvere, d. h. sie bediene sich des Mittels des concitare (Opt. Gen. 5, 15). Aufgrund ähnlicher Prinzipien urteilt im übrigen auch Quintilian (Inst. X 1, 31) so: Historia ... scribitur ad narrandum, non ad probandum. Und damit ist die für die Antike gültige Ansicht auf die kürzestmögliche Form gebracht. ka‹ ı m¢n noËw sÊstoixow ¶stv ka‹ puknÒw, ≤ l°jiw d¢ safØw ka‹ politikÆ, o·a §pishmÒtata dhloËn tÚ Ípoke€menon: Zu noËw sÊstoixow ... ka‹ puknÒw: noËw bedeutet hier nicht den Textsinn wie in Prom. Es 3 (ka‹ ‡svw otow ı noËw ∑n t“ lelegm°nƒ) und Lex. 1 (éllÉ efip° moi, t€w ı noËw t“

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suggrãmmati), sondern, wie der Sinnzusammenhang der Kapitel 43–45 nahelegt, den Intellekt des

Historikers (so zutreffend Homeyer 1965, 151: „Sein Verstand soll entsprechend konzis arbeiten“, nicht zu empfehlen ist „Gedankenführung“, so Avenarius 1956, 62). Zudem ist hier die Antithese von gn≈mh (toË suggraf°vw) zu den synonym zu verstehenden Begriffen fvnÆ, •rmhne€a und l°jiw konsequent durchgehalten. Mit der Wortfamilie sÊstoixow, sustoix€a und sustoixe›n wird zunächst das militärische In-Reih-und-Glied-Stehen bezeichnet (so Plb. X 23 = 21, 7), sodann häufig die Zugehörigkeit zu einer Klasse bzw. Gattung von Objekten, und schließlich wird sÊstoixow von Polybios (XIII 8, 1) als bedeutungsgleich direkt neben ˜moiow gestellt. Lukian meint daher den disziplinierten, kein Abschweifen vom Thema duldenden Intellekt des Historikers. Der Begriff tÚ puknÒn mit seiner Nähe zu der Vorstellung von Kürze, Bündigkeit und Raschheit ist auch sonst aus literarkritischen Zusammenhängen wohlvertraut. So betont Dionysios von Halikarnaß (Th. 24), die Elemente des puknÒn und des braxÊ gehörten zu den signifikanten Merkmalen des thukydideischen Stils. Diese würden jedoch bisweilen wegen ihres allzu forcierten Charakters die Verständlichkeit beeinträchtigen (diå tÚ tãxow t∞w épaggel€aw ésafÆw ... ≤ l°jiw g€netai). Andernorts (Lys. 5) erklärt er die braxÊthw des Lysias zur nachahmenswerten Qualität und charakterisiert den Vorzug des lysianischen Stils solcherart: sun°straptai ... e‡ tiw ka‹ êllow ka‹ pepÊknvtai to›w noÆmasi. Der Autor Lukian macht für das Metier der Geschichtsschreibung den Vorzug einer zügig voranschreitenden, doch nicht allzu forcierten und so die inhaltliche Klarheit verdunkelnden diÆghsiw geltend und scheint dabei im Unterschied zu Dionysios, der den Begriff tãxow im engeren stilistischen Sinn auffaßt (so auch in lateinischer Literaturkritik Quint. Inst. X 1, 73: densus et brevis et semper instans sibi Thucydides, zu einer gewissen daraus resultierenden Unklarheit Cic. Brut. 7, 29 und 17, 66), in erster Linie an Thukydides und das durch ihn meisterlich repräsentierte narrative Tempo zu denken. Er betont mit Nachdruck, daß der Historiker sich nicht bei Unwesentlichem aufhalten dürfe (ausführlich in den Kap. 56–57, in denen Thukydides explizit als narratives Vorbild genannt ist), und kennzeichnet in präzisen Worten die für den Geschichtsschreiber verbindliche Maxime so: Tãxow §p‹ pçsi xrÆsimon (Kap. 56). Anzumerken ist, daß die Stilqualität der Kürze (suntom€a) auf den Stoiker Diogenes von Babylon zurückgeht, der sie zu Theophrasts vier éreta‹ t∞w l°jevw hinzugefügt hatte (vgl. dazu die nachfolgende Anmerkung). Späterhin gehört die in der Regel im engeren stilistischen Sinn zu verstehende suntom€a zum Standardrepertoire innerhalb rhetorischer Theorie (Belege bei Avenarius 1956, 62–63). Zum Schluß ist noch ein Mißverständnis zu klären. Avenarius 1956, 63 versteht Lukians Worte noËw sÊstoixow ka‹ puknÒw in einem engeren stilistischen Sinn, und er schließt in Folge, Lukian habe „gerade jene von Dionys abgelehnte Eigentümlichkeit der thukydideischen Darstellung“ gefordert. Und er fährt fort: „Dabei scheint ihm nicht aufgefallen zu sein, daß sich damit der glatte und ebenmäßige Fluß, den er für den historiographischen Stil empfiehlt [vgl. Kap. 55], nicht recht verträgt. Hier ist ihm also offensichtlich ein Widerspruch unterlaufen, und wir werden sehen, daß dies nicht der einzige ist“. Der Irrtum ist hier allerdings eher auf Seite des Interpreten, denn Lukian versteht den Begriff noËw nicht im Sinne von „Gedankenführung“ (62), sondern er meint damit, wie bereits festgestellt, nicht mehr und nicht weniger als den Intellekt des Historikers. Zu l°jiw ... safØw ka‹ politikÆ: Die Deutlichkeit (die safÆneia, lat. perspicuitas, dazu Lausberg § 528–537, Volkmann 1885, 399–402, § 43, Avenarius 1956, 61–62) ist unter den Stilqualitäten (éreta‹ t∞w l°jevw, Grube 1952, 180–181 und Innes 1985, 255–260 zeigen Nähe Theophrasts zu Aristoteles) die wichtigste. In diesem Sinne bestimmt bereits Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 1): ... …r€syv l°jevw éretØ saf∞ e‰nai (shme›on gãr ti ı lÒgow, ÀstÉ §ån mØ dhlo› oÈ poiÆsei tÚ •autoË ¶rgon), um sogleich im Sinne seiner mesÒthw-Lehre (darauf nachdrücklich hingewiesen zu haben, ist

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das Verdienst von Hendrickson 1904, bes. 129–136) hinzuzufügen: ka‹ mÆte tapeinØn mÆte Íp¢r tÚ éj€vma, éllå pr°pousan. Als Voraussetzung für die safÆneia nennt er (Rh. III 5, 1407 a 19) die sprachliche Korrektheit (tÚ •llhn€zein): ¶sti dÉ érxØ t∞w l°jevw tÚ •llhn€zein, und dies ist für ihn das Kriterium, mittels dessen er poetischen und prosaischen Stil zu unterscheiden sucht. Quintilian (Inst. VIII 2, 22) bezeichnet die perspicuitas als prima virtus und stellt ihr als vitium die obscuritas gegenüber (Inst. VIII 2, 12). Der in erster Linie peripatetisches Material (dazu Solmsen 1931) vermittelnde Ps. Demetrios (Eloc. IV 191–203) behandelt die safÆneia als Kennzeichen des fisxnÚw xaraktÆr. Als dritte Tugend kennt Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 4 und III 12, 1414 a 24) weiters die Angemessenheit (tÚ pr°pon). Sein Schüler Theophrast fügte als vierte Stilqualität den Redeschmuck (kataskeuÆ bzw. kÒsmow) hinzu, wie Stroux 1912 aus Cicero (Orat. 23–24, 79 und de Orat. III 10, 37) wahrscheinlich machen konnte (anerkannt von Regenbogen 1940, Sp. 1529, kritisch Grube 1952, 180–181). Diesen vier virtutes (zu ihrer Rezeption in den folgenden Jahrhunderten Solmsen 1941, 181–190) fügte schließlich noch der Stoiker Diogenes von Babylon (SVF III Fr. 24) erweiternd die Kürze (suntom€a) hinzu (die stoische Terminologie bei D. L. VII 59 im Referat über Zenon: •llhnismÒw, safÆneia, suntom€a, pr°pon, kataskeuÆ). Das solcherart schrittweise konstituierte System der virtutes muß im Hellenismus vielfältige weitere Differenzierungen durch namentlich nicht bestimmbare Theoretiker erfahren haben, darunter auch die vor Dionysios von Halikarnaß lediglich bei Cicero (Part. 9, 31, Brut. 75, 261, de Orat. 14, bes. 52–54) nachweisbare Unterscheidung in essentielle stilistische Qualitäten (éreta‹ énagka›ai) und solche von akzessorischer Natur (éreta‹ §p€yetoi), denn Dionysios (Th. 22) sieht sich veranlaßt, seine knappe, abrißhafte Darstellung damit zu begründen, daß dieser ganze Bereich bereits von vielen zuvor behandelt worden sei (e‡rhtai pollo›w prÒteron) und sorgfältigste Ausarbeitung erfahren habe (taËta t∞w ékribestãthw t°teuxen §jergas€aw). Dionysios gebraucht in seinen Kritiken insgesamt mehr als doppelt so viele virtutes, als sie sich bei irgendeinem seiner Vorgänger nachweisen lassen (Bonner 1939, bes. 18–20, Tabelle 24, und passim). Von den zu Lukians Zeit demnach bekannten Stilqualitäten werden von hier weg bis einschließlich Kapitel 46 die vier theophrastischen éreta€ behandelt; die Sprachrichtigkeit (•llhnismÒw, alternativ dazu Sprachreinheit: kayarÒthw, so bereits Isoc. or. 5, 4: tØn l°jin ... ékrib«w ka‹ kayar«w ¶xousan), für welche Aristoteles (Rh. III 5, 1407 a 19–1407 b 25, Fazit 1407 b 11–12: ˜lvw d¢ de› eÈanãgnvston e‰nai tÚ gegramm°non ka‹ eÎfraston) die Bedingungen formuliert hatte, ist hier allerdings nicht ausdrücklich angesprochen, dafür aber thematisiert der Autor Lukian (Kap. 43–44) der speziellen Interessenslage des attizistischen Zeitalters entsprechend (die ganze Zeit des Hellenismus über war die durch den Theophrastschüler Praxiphanes an die alexandrinischen Gelehrten vermittelte Lehre vom •llhnismÒw maßgeblich gewesen, dazu Aly 1954, Sp. 1778, und auch noch Dionysios von Halikarnaß bezeichnet die Reinheit der Sprache nirgends mit éttik€zein, sondern mit •llhn€zein, Gelzer 1978, 25) die Frage richtiger Wortwahl und kritisiert im skommatischlehrhaften Teil (bes. in Kap. 15 und 21) einschlägige Fehler. Die, wie oben erwähnt, durch Diogenes von Babylon eingeführte Kürze tritt bei ihm in der Forderung nach einem kein Abschweifen vom Thema duldenden Intellekt des Historikers in Erscheinung (vgl. die vorangehende Anmerkung) und wird eher als narrative, denn als rein sprachlich–stilistische Qualität definiert (Kap. 56: ka‹ toËto [sc. tÚ tãxow] por€zesyai xrØ mØ tosoËton épÚ t«n Ùnomãtvn µ =hmãtvn ˜son épÚ t«n pragmãtvn). Einigkeit besteht allgemein hinsichtlich der dominanten Stellung der safÆneia. Lukian postuliert diese nicht nur auch für in das Geschichtswerk eingelagerte Redepartien (Kap. 58), sondern er kommt auch in anderen Schriften und unterschiedlichen Zusammenhängen auf diese zurück (die

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Belege bei Weissenberger 1996, 104–105, vgl. Mattioli 1985). Die Bedeutung des Adjektivs politikÒw (zur l°jiw politikÆ Ernesti 278–281) klärt das Kap. 44, wo der Anspruch an die Wortwahl in einem Geschichtswerk so bestimmt wird: …w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai. Anzustreben sei eine sowohl allgemeinverständliche als auch dem gehobenen Anspruchsniveau der Gebildeten genügende Ausdrucksweise. Kaum zutreffend erscheint die Übersetzung Kilburns 1968, 59 mit statesmanlike, denn bereits im Euagoras des Isokrates (or. 9, 9–10) bezeichnen die ÙnÒmata politikã bzw. tetagm°na nicht mehr als den (im Gegensatz zu der poetischen Äußerung) für die Prosarede einzig relevanten sprachlichen Standard (Weissenberger 1996, 106, Anm. 258 gibt den Sinn des Idioms l°jiw politikÆ zutreffend mit „dem normalen Sprachgebrauch angehörig“ wieder; die Allgemeinverständlichkeit hatte schon Avenarius 1956, 61 als Bedeutung des Adjektivs angegeben, doch ist dessen direkte Rückführung auf Isokrates als problematisch zu betrachten). Im Lateinischen entspricht diesem Idiom der sermo civilis. In diesem Sinn ist der eindringliche Rat des Grammatikers Ateius an Asinius Pollio (Kontext: es geht hier um Abfassung eines Geschichtswerkes) zu verstehen, ut noto civilique et proprio sermone utatur vitetque maxime obscuritatem Sallustii et audaciam in translationibus (Suet. Gram. 10, dazu Leeman 1963, 181).

Kapitel 44 In Kapitel 44 erklärt der Autor Lukian, was konkret unter der l°jiw politikÆ (Kap. 43) zu verstehen ist. Als erstes und oberstes Ziel für die Diktion (fvnÆ) des Historikers bestimmt er die beiden konventionellen Stilqualitäten der Klarheit (safÆneia: saf«w dhl«sai tÚ prçgma) und der Anschaulichkeit (§nãrgeia: fanÒtata §mfan€sai tÚ prçgma). Hinsichtlich der namentlich im 2. Jh. n. Chr. von den Attizisten lebhaft diskutierten und z. T. sehr unterschiedlich beantworteten Frage nach dem richtigen Vokabular (dazu umfassend Swain 1998, 43–64, Schmitz 1997, 67–96, Whitmarsh 2005, 41–56) empfiehlt er in dem Medium der Historiographie eine ausgewogene Mitte. Diese sei dann gegeben, wenn zum einen der sprachliche Verständnishorizont der Menge (ofl pollo€) nicht überschritten wird, und wenn zum anderen auch die gehobenen Ansprüche der gebildeten Literaturkenner (ofl pepaideum°noi) befriedigt werden. In diesem Sinne sind obsoletes und entlegenes Vokabular (épÒrrhta ka‹ ¶jv pãtou ÙnÒmata) ebenso zu vermeiden wie auch der Sphäre von Kleinhändlern und Krämern angehörige Wörter (égora›a ka‹ kaphlikå ÙnÒmata). Bei all diesen Postulaten handelt es sich um bekannte, letztlich auf Aristoteles zurückgehende und in der zweiten Sophistik wiederum zu besonderer Aktualität gelangte rhetorische Konventionen, welche hier in einer auf das Gebiet der Geschichtsschreibung übertragenen Form in Erscheinung treten. Die aus literarhistorischer Sicht bedeutsame Frage, ob eine solche Übertragung bereits in Theophrasts Schrift per‹ flstor€aw oder später durch rhetorische Theoretiker vollzogen war, läßt sich mangels einschlägiger Quellen nicht mit Bestimmtheit beantworten, es ist aber wahrscheinlich, daß bei Lukian auch hier ein bekanntes Postulat ausgesprochen sein dürfte. Konventionell in rhetorischer Theorie ist ebenfalls die Forderung nach maßvollem Einsatz von Figuren (sxÆmata). Bereits Theophrast hatte innerhalb seines rhetorischen Systems die von Aristoteles noch nicht systematisch dargestellten Figuren als Teilbereich der l°jiw behandelt, auch wenn davon nichts weiter bekannt ist als bloß die Tatsache an sich (Solmsen 1931, 258–260). Direkt bezeugt ist sie durch Dionysios von Halikarnaß (Isoc. 3, vgl. dazu die einführende Bemerkung zu Kap. 43); ob er auch in seiner Schrift per‹ flstor€aw darüber gesprochen hat, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, doch ist dies als wahrscheinlich zu betrachten.

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ÑVw går tª gn≈m˙ toË suggraf°vw skopoÁw Ípey°meya parrhs€an ka‹ élÆyeian, oÏtv d¢ ka‹ tª fvnª aÈtoË eÂw skopÚw ı pr«tow, saf«w dhl«sai ka‹ fanÒtata §mfan€sai tÚ prçgma, mÆte éporrÆtoiw ka‹ ¶jv pãtou ÙnÒmasi mÆte to›w égora€oiw toÊtoiw ka‹ kaphliko›w, éllÉ …w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai.

saf«w dhl«sai ka‹ fanÒtata §mfan€sai tÚ prçgma: Der richtige sprachliche Ausdruck (fvnÆ) im Dienste der inhaltlichen Aussage (prçgma) wird hier unter dem Gesichtspunkt einer dem

historiographischen Genos adäquaten Wortwahl (Belege bei Avenarius 1956, 61–62) abgehandelt. Als oberstes Ziel bestimmt der Autor Lukian eine dem Prinzip der safÆneia (saf«w dhl«sai) folgende und den zur Debatte stehenden Gegenstand mittels einer größtmöglichen Anschaulichkeit zur vollen Evidenz bringende Darstellung. Dabei umschreibt die Formulierung fanÒtata §mfan€sai den rhetorischen Terminus der §nãrgeia (diese war ursprünglich eine isokrateische Anforderung für die diÆghsiw und wurde erst vom Peripatos sekundär auf die l°jiw bezogen), wie sich aus Theons Bestimmung der •rmhne€a klar ersehen läßt (Spengel II 71, Z. 31: ... xrØ tØn •rmhne€an ka‹ saf∞ ka‹ §narg∞ e‰nai: oÈ går épagge›lai mÒnon de›, éllå ka‹ tÚn lÒgon §noikei«sai tª diano€& t«n ékouÒntvn). Quintilian (Inst. VIII 3, 61) zufolge stellt die evidentia bzw. repraesentatio eine Steigerung

gegenüber der bloßen perspicuitas dar. Bei der safÆneia (Avenarius 1956, 61–62) handelt es sich um eine allgemeine, für Prosa überhaupt gültige rhetorische Konvention (erstmals bei Pl. Phdr. 265 d: hier unter dem Begriff tÚ saf°w). Die klassische Fassung liegt bei Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 1–3) vor: …r€syv l°jevw éretØ saf∞ e‰nai: ...). In vorliegender Schrift gilt das Prinzip der safÆneia ebenfalls für die Gestaltung der in das Geschichtswerk eingelegten Redepartien (Kap. 58: …w saf°stata ka‹ taËta), und in Lex. 23 figuriert die hier personifizierte SafÆneia als das wichtigste Prinzip bei der Umerziehung des Lexiphanes (mãlista d¢ Xãrisi ka‹ Safhne€& yËe); von dem Bereich der Rhetorik erscheint dieselbe safÆneia in Salt. 62 übertragen auf das Gebiet des Tanzes, bei dem auch das Dargebotene, ohne daß dafür ein Ausdeuter (§jhghtÆw) vonnöten sei, in sich verständlich zum Ausdruck kommen müsse (dazu Weissenberger 1996, 103–105, generell zur Lexis bei Lukian 86–107). Im skommatisch-lehrhaften Teil dieser Schrift (Kap. 14–32) werden, ohne daß es explizit ausgesprochen würde, krasse Beispiele für die Beeinträchtigung der safÆneia vorgeführt, so wenn ein Autor (Crepereius Calpurnianus) glaubt, ohne Not griechische Ausdrücke wie etwa tãfrow und g°fura latinisieren zu müssen (Kap. 15, die eigentliche Kritik richtet sich hier allerdings, wie auch sonst häufig bei Lukian, auf die Vermischung inkompatibler sprachlicher Ebenen, nämlich von ÉAttikå und ÉItalivtikå ÙnÒmata), oder wenn ein Anonymus in hyperattizistischem Eifer lateinische Personennamen durch Übersetzung ins Griechische sinnmäßig unkenntlich macht (Kap. 21), indem er u. a. Saturninus, anstatt im griechischen Text die richtige Form Satourn›now zu gebrauchen, zu KrÒniow entstellt. mÆte éporrÆtoiw ka‹ ¶jv pãtou ÙnÒmasi: Die safÆneia bzw. §nãrgeia wird nach der Ansicht

des Autors Lukian entscheidend beeinträchtigt durch die verfehlte Wahl eines dem Standard der Gegenwartssprache (Pseudol. 2: tå koinå taËta ka‹ tå §n pos‹n, vgl. Pseudol. 9) nicht entsprechenden und daher von der Mehrheit der Zeitgenossen nicht mehr verstandenen obsoleten Vokabulars. Somit gibt der sprachliche Verständnishorizont (terminus technicus sunÆyeia) des Zielpublikums die Norm für die vom Autor im Sinne der safÆneia anzustrebende Wortwahl ab. Hierbei handelt es sich um einen innerhalb rhetorischer Theorie durchaus konventionellen Gedanken (so Theon, Spengel II 81, Z. 8–28, bes. 18–19 und 23–24: érxa›a d¢ tå pãlai m¢n

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sunÆyh, nËn d¢ §kleloipÒta ... j°na d¢ tå •t°roiw m¢n §pix≈ria, to›w d¢ êlloiw oÈ sunÆyh), der auch

bei Lukian innerhalb seiner literarkritischen Polemiken wiederholt in Erscheinung tritt (zu Lukians hinsichtlich adäquater Wortwahl maßvollem, lediglich an gewissen Auswüchsen Anstoß nehmendem Attizismusverständnis Weissenberger 1996, bes. 88–99). In diesem Sinne ist auch die Aussage zu verstehen, es sei verzeihlich, aus dem Gebrauch gekommenes und der zeitgenössischen Öffentlichkeit unverständliches Vokabular (ıpÒsa [sc. ÙnÒmata] ¶jv toË polloË pãtou ka‹ êdhla to›w fidi≈taiw) nicht zu kennen (Pseudol. 13). Den idealtypischen kynischen Philosophen Demonax läßt Lukian sich über all diejenigen mokieren, die in ihrer Konversation pãnu érxa›a ka‹ j°na ÙnÒmata gebrauchten (Demon. 26). Eklatanter Mangel an safÆneia ist festzustellen bei dem selbst den Hyperattizismus (Lex. 25: ÍperattikÚw e‰nai éji«n) noch auf die Spitze treibenden Lexiphanes (mit dem redenden Namen: „Worte zum Vorschein Bringer“, zu Versuchen einer Identifizierung des Lexiphanes mit realen Personen oder Personengruppen vgl. Einleitung, Teil I 4.2) mit dessen die Kritik Lukians (in der Maske des Lykinos) evozierender Vorliebe für das Verfahren des jen€zein ka‹ tÚ kayesthkÚw nÒmisma t∞w fvn∞w parakÒptein (Lex. 20) und dessen unbeirrbarer Jagd nach dem ungewöhnlichen Ausdruck (Lex. 24: =∞ma ¶kfulon). Und im thematisch verwandten Rhetorum praeceptor (Kap. 17) gibt der unseriöse Redelehrer die bedenkliche Empfehlung aus, bei jeder Gelegenheit épÒrrhta ka‹ j°na =Æmata ka‹ spaniãkiw ÍpÚ t«n pãlai efirhm°na in Anwendung zu bringen, um mittels dieser Wunderwaffe das Publikum wie mit Pfeilschüssen niederzustrecken. Es ist nur natürlich, daß derart eklatante Auswüchse, wie sie hier aufs Korn genommen werden, eine Gegenreaktion hervorrufen mußten. Und in diesem Sinne ist denn auch eine Aussage des Philostratos (VS I 16, 503) zu verstehen: tÚ går épeirÒkalon §n t“ éttik€zein bãrbaron. Dieses Thema reizte schon lange zuvor auch manche Verfasser von Epigrammen. So verspottete der unter Nero lebende (dazu Burnikel 1980, 1) Lukillios (AP XI 142, zum Vorwurf des sf€n und m€n Westendorp Boerma 1949, 36–37 und zu vereinzelter Verwendung auch in der Geschichtsschreibung Radermacher 1899, 371) eine sich aus wenigen Worten und Phrasen speisende attizistische Attitüde, womit bei Lukian zu vergleichen ist Rh. Pr. 16 (Zweimüller 2008, 312–316) und Lex. 21 (vgl. auch Cerealius, AP XI 144, 1–2). Der Zeit Lukians näher steht Ammianos (AP XI 157, wahrscheinlich unter Hadrian), der mit einer ähnlichen Zielrichtung die ganze gegenwärtige Weisheit aus einer kleinen Zahl von allezeit paraten attischen Versatzstücken (darunter diversen Deminutiven) bestehen läßt; damit ist wohl in erster Linie die Diktion gewisser zeitgenössischer Philosophen gemeint. Daß Lukian im Lexiphanes direkt aus den Epigrammatikern schöpft (so die Ansicht Jones’ 1986, 104), ist kaum wahrscheinlich. Eher ist anzunehmen, daß er ebenso wie diese einen in Reaktion auf attizistische Übertreibungen entstandenen und lange Zeit hindurch andauernden Diskurs wiederspiegelt, der jedoch aus heutiger Perspektive nur durch vereinzelte Textzeugnisse (vgl. bereits Poseidippos, PCG VII Fr. 30 mit der Unterscheidung von éttik€zein und •llhn€zein, dazu Petersmann 1995, 9) kenntlich ist. Und das oben genannte Epigramm des Cerealius (AP XI 144, 3–4) zeigt zudem, daß ähnliche Vorwürfe auch gegen solche Dichter erhoben werden konnten, welche nichts Besseres zu tun wußten, als homerisches Vokabular zu imitieren. Das bei Lukian in Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Attizismus und dessen Auswüchsen formulierte Postulat, mittels adäquater Wortwahl Allgemeinverständlichkeit zu erstreben, geht in letzter Konsequenz auf die entsprechende Ansicht des Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 5–6: t«n dÉ Ùnomãtvn ka‹ =hmãtvn saf∞ m¢n poie› tå kÊria) zurück. In rhetorischer Fachliteratur vorliegende einschlägige Äußerungen belegen gleichermaßen die Konventionalität wie auch die Verbreitung derartiger Wertungen. So preist Dionysios von Halikarnaß (in Th. 22 unterscheidet er zwischen der

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kur€a frãsiw und der tropikØ frãsiw) den, jedenfalls in dieser Hinsicht, als vorbildlich erachteten Lysias wegen dessen allgemeinverständlicher Sprache (Lys. 4: to›w koinotãtoiw xr≈menow ÙnÒmasi, vgl. Lys. 2: bei ihm fände sich die von keinem kräftiger erreichte ≤ diå t«n kur€vn te ka‹ koin«n ka‹ §n m°sƒ keim°nvn Ùnomãtvn §kf°rousa tå nooÊmena •rmhne€a), und er stellt ihm den das andere

Extrem sprachlicher Extravaganz verkörpernden Thukydides gegenüber, dessen Diktion er mit folgenden Worten charakterisiert (Th. 24): §p‹ m¢n t∞w §klog∞w t«n Ùnomãtvn tØn tropikØn ka‹ glvtthmatikØn ka‹ éphrxaiom°nhn l°jin proelÒmenow ént‹ t∞w koin∞w ka‹ sunÆyouw to›w katÉ aÈtÚn ényr≈poiw (dazu detailliert Pritchett 1975, 84–87, Anm. 4–7). Bonner 1938, 263–264, der mehrere

andere Belege für die Bewertung des thukydideischen Stils durch Dionysios anführt, hebt dabei zu Recht hervor, daß dieser an dem Historiker in erster Linie die peripatetische Mitte vermißt, nach der er auch andere Autoren wie Gorgias, Platon, Lysias und Isokrates beurteilt (sein unanfechtbares Ideal stellt Demosthenes dar). Vergleichbare Äußerungen finden sich naturgemäß auch in lateinischer Rhetorik. So hält Quintilian (Inst. VIII praef. 25) mit explizitem Bezug auf Ciceros in dessen Schrift De oratore (I 3, 12) geäußerte Position fest: in dicendo vitium vel maximum esse a vulgari genere orationis atque a consuetudine [zu den Begriffen consuetudo bzw. usus oder usus cotidianus Lausberg § 469] communis sensus abhorrere, um sodann im Kapitel über die primäre Stilqualität der perspicuitas (Inst. VIII 2) deren negatives Gegenstück, die obscuritas, folgendermaßen zu bestimmen (Inst. VIII 2, 12): obscuritas fit verbis iam ab usu remotis. Besonders aktuell wurde das Thema angemessener Wortwahl natürlich in der Zeit des Archaismus (Hall 1981, 290–291, 545, Baldwin 1973 a 47–48), der, wie Zetzel 1973, bes. 242–243 gezeigt hat, im übrigen auch auf den archaistischen Zeitgeschmack berechnete, für teures Geld verkaufte Fälschungen berühmter Bücher hervorgebracht hat. Übertriebene archaistische Tendenzen finden wiederholt Tadel bei Gellius (generell zum Bildungsanspruch dieser Zeit anhand von Belegen aus Gellius Krasser 1999, bes. 57–60). Gellius zufolge (Gel. I 10) kritisierte Favorinus einen jungen Mann, der in der alltäglichen Konversation eine alberne Vorliebe für die Verwendung allzu alter, unbekannter Vokabeln (plerasque voces nimis priscas et ignotas) zeigte, mit dem Hinweis auf eine von Caesar im ersten Buch der Schrift De analogia erteilte Direktive (ut tamquam scopulum, sic fugias inauditum atque insolens verbum). Vgl. auch Gel. XI 7 mit der den Inhalt des Kapitels auf den Punkt bringenden Überschrift Verbis antiquissimis relictisque iam et desitis minime utendum (als Beispiele sind genannt die antiquierten, Autoren wie Plautus, Caecilius und Lucilius entstammenden, aber den Zeitgenossen unverständlichen Wörter apluda, flocces und bovinator) und Gel. VII 15 (hier geht es um die Frage der Quantität des e in quiescit). In ähnlichem Sinne gibt Fronto, an sich bekanntlich dem Archaismus durchaus zugewandt, in der an Antoninus Augustus adressierten epistula de orationibus 12 (van den Hout 159, Z. 7–8) die maßvolle Empfehlung aus: revertere potius ad verba apta et propria et suo suco imbuta. Und bereits Asinius Pollio hatte Sallusts Schriften wegen deren überzogener archaistischer Attitüde getadelt (Suet. Gram. 10: ... Sallustii scripta reprehendit ut nimia priscorum verborum affectatione oblita). Auch Seneca (Ep. 114, 10 und 13) bringt, wie er erklärt, dem Überdruß am Vertrauten entspringendes Haschen nach antiqua verba atque exsoleta mit gewohnter Präzision im Ausdruck so auf den Punkt: Multi ex alieno saeculo petunt verba, duodecim tabulas loquuntur. Ähnlich pointiert klingt, was an oben zitierter Gelliusstelle (Gel. I 10, 2) Favorinus dem sich ausgefallener Worte bedienenden jungen Mann erwiedert: tu ... proinde quasi cum matre Euandri nunc loquare, sermone abhinc multis annis iam desito uteris. Diese sentenzenhaft zugeschliffenen Arten der Entgegnung fordern zu einem Vergleich auf mit einem durch Lukian dem Demonax zugeschriebenen Apophthegma (Demon. 26); diesem zufolge habe Demonax zu jemandem, der sich ihm gegenüber im Gespräch völlig unnötigerweise hyperattizistischer Sprache bedient habe, gesagt: ÉEg∆ m°n se,

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..., Œ •ta›re, nËn ±r≈thsa, sÁ d° moi …w §pÉ ÉAgam°mnonow épokr€n˙. Die auffällige Ähnlichkeit in

all diesen Stellungnahmen läßt es vermuten, daß wir hier Einblick in die spezifische Art und Weise gewinnen, wie sowohl in griechischer als auch in lateinischer Sprache archaistischen Auswüchsen wirkungsvoll begegnet werden konnte und wurde. mÆte to›w égora€oiw toÊtoiw ka‹ kaphliko›w, éllÉ …w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ papaideum°nouw §pain°sai: Die Verwendung von Wörtern andererseits, wie sie bei Kleinhändlern und Krämern zu finden sind (ÙnÒmata égora›a bzw. kaphlikã), ist zwar auf inhaltlicher Ebene kaum

ein ernsthaftes Hindernis für adäquate Auffassung des vom Autor Gemeinten, doch könne sie, so die Aussage des Autors, nicht auf die Billigung der urteilsfähigen pepaideum°noi rechnen, welche, um es in der Fachsprache der antiken Rhetorik zu sagen, für einen derartigen Verstoß gegen das Gebot des pr°pon bzw. des aptum (Lausberg § 1074–1075) kein Verständnis aufbringen würden. In diesem Sinne vermerkt Quintilian (Inst. VIII 2, 1–2), in der Nachfolge des Aristoteles (Rh. III 2, 1404 b 1–4: ka‹ mÆte tapeinØn mÆte Íp¢r tÚ éj€vma, éllå pr°pousan, sc. tØn l°jin) stehend, daß der Redner nicht in jedem Falle unbedenklich den eigentlichen Ausdruck (proprietas, d. h. sua cuiusque rei appellatio) gebrauchen dürfe: nam et obscura vitabimus et sordida et humilia. sunt autem humilia infra dignitatem rerum aut ordinis (vgl. Quint. Inst. VIII 3, 48 zum humilitatis vitium = tape€nvsiw). Im skommatisch-lehrhaften Teil dieser Schrift ist es im Besonderen eine unangebrachte Vermischung unvereinbarer sprachlicher Stilhöhen, welche den Spott des Autors Lukian evoziert. Im Falle des Kallimorphos (Kap. 16) gilt die Kritik der Inkompatibilität der dem ionischen Dialekt zum einen und der Koine zum anderen entstammenden Elemente, wobei letztere zudem auch noch aus der Kreuzung eines umgangssprachlichen Substrats (ımod€aita to›w pollo›w) mit vorwiegend dem Gassenjargon entnommenen Ausdrücken (tå ple›sta oÂa §k triÒdou) bestehen. Der in Kap. 22 verspottete Anonymus wiederum ist sich des eklatanten Widerspruchs zwischen poetischem Vokabular (poihtikå ÙnÒmata) und den zahlreichen, der niederen bis niedrigsten Sprachebene entnommenen Wörtern (eÈtel∞ ÙnÒmata ka‹ dhmotikå ka‹ ptvxikã) nicht bewußt. Insgesamt ist zu der Ansicht des Autors Lukian über das Verhältnis von passender Wortwahl zur Klarheit der Darstellung zu vergleichen, was Quintilian (Inst. IV 2, 36) über die ein größtmögliches Verständnis vonseiten des Richters ermöglichende narratio sagt: Erit autem narratio aperta ac dilucida, si fuerit primum exposita verbis propriis et significantibus et non sordidis quidem, non tamen exquisitis et ab usu remotis. Ähnlich wie dies bei Lukian der Fall ist (…w m¢n toÁw polloÁw sune›nai, toÁw d¢ pepaideum°nouw §pain°sai), so wird auch von Quintilian die nach allen Regeln der Kunst gestaltete, geglückte Rede als ein sermo et doctis probabilis et planus inperitis (Quint. Inst. VIII 2, 22) definiert. Diesen beiden Klassen von Rezipienten entspricht bei Dionysios von Halikarnaß (Th. 27) die Unterscheidung in den fidi≈thw und den texn€thw, deren beider Erwartungshaltungen durch die thukydideische Schilderung der letzten Seeschlacht in Sizilien zufriedengestellt würden. Über die allgemein gehaltene Aussage hinaus (Verständnis vonseiten der Masse, Lob der Gebildeten) erteilt der Autor Lukian in dieser Schrift, und dies unterscheidet ihn von einem beliebigen Attizisten strenger Observanz, keine ganz bestimmten, feststehenden Normen für den korrekten Sprachgebrauch (er schließt nicht einmal das Ionische an sich vollkommen aus, denn in Kap. 18 beispielsweise gilt die Kritik weniger dem Dialekt, als vielmehr dem Verfahren des Plagiierens); er gibt keine Hinweise darauf, welche Wörter er konkret als zulässig erachtet, sondern er überläßt die Entscheidung dem Geschmacksurteil des jeweiligen Autors. Seine Kritik im skommatisch-lehrhaften Teil (Kap. 14–32) gilt immer erst eklatanten Verstößen gegen als elementar erachtete Prinzipien, besonders gegen das (im dritten und didaktischen Teil allerdings nicht eigens namhaft gemachte) Gebot der Homogenität der Diktion (dazu Weissenberger 1996, 100–103). Generell läßt Lukian sich, wie in letzter Zeit

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mehrfach betont wurde, eben nicht auf eine bestimmte Schulmeinung festlegen (vgl. dazu Swain 1998, 45–49, Schmitz 1997, 148, Anm. 33, Whitmarsh 2005, 46–47).

ka‹ mØn ka‹ sxÆmasi kekosmÆsyv énepaxy°si ka‹ tÚ énepitÆdeuton mãlista ¶xousin, §pe‹ to›w kathrtum°noiw t«n zvm«n §oikÒtaw épofa€nei toÁw lÒgouw.

sxÆmasi kekosmÆsyv énepaxy°si ka‹ tÚ énepitÆdeuton mãlista ¶xousin: Die Redefiguren (sxÆmata, zu dessen Einteilung vgl. Ernesti 338–341 und Lausberg § 600–603) wurden durch

Gorgias begründet, durch Isokrates in maßvollere Form gebracht (Avenarius 1956, 67–68 überschätzt den Einfluß des Isokrates auf die Folgezeit klar) und durch den (auch mit dieser Konzeption auf die Folgezeit stark wirkenden) Theophrast als Teilbereich der l°jiw theoretisch behandelt (direkt bezeugt bei D. H. Isoc. 3, vgl. dazu die einführende Bemerkung zu Kap. 43). Die Figuren sind ausführlich dargestellt durch Alexander Rhetor (unter Hadrian lebend), und zwar in dessen Monographie per‹ t«n t∞w diano€aw ka‹ t∞w l°jevw sxhmãtvn (kurz per‹ sxhmãtvn, in der Tradition des Kaikilios von Kaleakte = Ofenloch 32–62 stehend, der darin u. a. auch Historiker, Thukydides und Herodot, heranzog). Darin findet sich eine Abgrenzung der Figuren (sxÆmata) gegenüber den Tropen (trÒpoi) sowie eine Zweiteilung der Figuren in die Wortfiguren (sxÆmata t∞w l°jevw) und die Gedankenfiguren (sxÆmata t∞w diano€aw), wie dies schon bei Kaikilios der Fall war (Roberts 1897, 304–306). Der Begriff sx∞ma ist im Unterschied zum trÒpow definiert als ein sich auf mehrere ÙnÒmata beziehender Schmuck (kÒsmhsiw), Spengel III 9, Z. 21–22. Dionysios von Halikarnaß (Th. 22) unterscheidet zwischen den sxÆmata einzelner Worte (darunter sind, so ist hinzuzufügen, u. a. die Metaphern zu verstehen) und solchen von Wortkombinationen. Die früheste Behandlung der Figurenlehre in lateinischer Sprache liegt bei dem Auctor ad Herennium vor, der die verborum exornationes sowie die sententiarum exornationes unter dem Gesichtspunkt der dignitas separat und ausführlich darstellt (IV 13, 19–34, 46 und IV 35, 47–55, 68). Auch Quintilian behandelt Gedankenund Wortfiguren in zwei gesonderten Abschnitten detailliert (Inst. IX 2 und IX 3), während Cicero das Thema nur en passant berührt (Orat. 25, 83, Brut. 17, 69). In derartigen Zusammenhängen wird häufig von den Theoretikern die Weisung erteilt, in der Verwendung des kÒsmow (ornatus) Maß zu halten. Und in diesem Sinne ist auch das Adjektiv énepaxyÆw zu verstehen, dessen Gegenteil (§paxyÆw) bei Lukian öfters mit Grenzüberschreitungen in Verbindung gebracht ist (Rh. Pr. 21, ähnlich Sat. 15). So wird in Kap. 9 dieser Schrift im rechten Moment vorgebrachtes, mit Maß (m°tron) gesetztes Lob empfohlen, um zu vermeiden, daß das Geschichtswerk späteren Lesern lästig würde (tÚ mØ §paxy¢w to›w Ïsteron énagnvsom°noiw aÈtã). Der Begriff tÚ énepitÆdeuton meint, daß alles Gesuchte, Absichtsvolle, Affektierte zu meiden ist. Niemand formuliert dies prägnanter als Quintilian (Inst. VIII prooem. 23), der in einer ausgewogenen Reflexion über die elocutio diesen Gedanken in die Worte faßt: optima minime arcessita. In formaler Hinsicht gehören das Verbum §pithdeÊein, das Substantiv §pitÆdeusiw und das Adjektiv énepitÆdeutow der Sprache griechischer Literaturkritik an (so z. B. D. H. Th. 23 und Lys. 8). Lediglich bei Dionysios von Halikarnaß finden sich wiederholt Beurteilungen früherer Historiker unter diesem Gesichtspunkt (Belege bei Avenarius 1956, 68); während Herodot dabei eine wohlausgewogene Mitte einhalte, blieben Philistos und Theopompos hinter dem zu erstrebenden Ziel zurück; und Thukydides wiederum überschreite mit seinen gezwungenen Figuren die geforderte Mittellage deutlich. §pe‹ to›w kathrtum°noiw t«n zvm«n §oikÒtaw épofa€nei toÁw lÒgouw: Vergleiche aus der

Gastronomie und diesem Bereich entnommene Metaphern gehören generell zu der Diktion

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antiker Literaturkritik (in vorliegender Schrift Kap. 20, 56 und 10: ≤dÊn˙w). Sie finden sich auch in literarischen Wertungen zeitgenössischer Sophisten (Philostr. VS II 5, 573: Alexander Peloplaton und Herodes Atticus bezeichnen ihre Vorträge wechselseitig als Bewirtung und Gegenbewirtung). Im besonderen wird der Redeschmuck, soferne er mit Maß eingesetzt ist, mit einem Gewürz (¥dusma, condimentum) verglichen (Arist. Rh. III 3, 1406 a 18–19, Quint. Inst. IX 3, 4). Das Verbum értÊein bezeichnet in diesem Sinne das Zubereiten, das Würzen von Speisen, und êrtuma das Gewürz (Belege vor allem aus Tragödie und Komödie bei Ath. II 67 f–68 a). Unter dem zvmÒw (unter anderen Gerichten genannt in Kap. 26 und so bei Ps. Luk. Asin. 47) ist eine Brühe zu verstehen, so etwas wie eine Suppe, Sauce oder Tunke, zubereitet mit Fisch (Lex. 5) oder Fleisch (Prom. 10). Das Subjekt des Satzes sind die sxÆmata, wie bereits Hermann 1828, 271 in kritischer Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern erkannt hat. Seine Wiedergabe ins Lateinische trifft den Sinn des Textes: Quin etiam figuris exornata esto jucundis atque inaffectatis; hae enim juri bene condito similes orationes efficiunt. In diesem Sinne übersetzt auch Homeyer 1965, 151 zu Recht (die Begründung 256): „denn dann gleicht die Darstellung einer gut gewürzten Brühe“. Gegen die häufiger vertretene Auffassung, Subjekt des Satzes sei der Historiker und es sei daher §pe€ in der Bedeutung von „denn sonst“ (alioquin, otherwise) zu verstehen (in diesem Sinne Kilburn 1968, 58, Georgiadou / Larmour 1994, 1475 mit Anm. 112 und Costa 2005, 197), lassen sich zwei gewichtige Einwände vorbringen: 1) die Tatsache, daß es keinen Beleg für kathrtum°now in der Bedeutung von „verwürzt“ gibt, und 2) der Umstand, daß bei einer derartigen Auffassung im §pe€–Satz das handschriftlich nicht überlieferte und erst von Fritzsche 1860, 93 konjizierte Futurum épofane› stehen müßte (vgl. Kap. 38: §pe‹ ˜moiow ¶stai, „denn sonst wird er ähnlich sein“,vergleichbare Syntax erscheint in DMort. 20, 5 und Tim. 9). Georgiadou / Larmour 1995, 1475 möchten the ambiguity inherent in kathrtum°noiw so erklären: ... presumably Lucian’s point is that spicy sauces – rhetorial flourishes – are not necessary. Jedoch deren Textauffassung (otherwise the writer presents words which are like spiced sauces), welche die ansonsten nirgendwo belegte Wortbedeutung „verwürzt“ zu vermeiden sucht, überzeugt insgesamt in ihrer Logik nicht.

Kapitel 45 Ohne daß dies explizit ausgesprochen würde, geht es in diesem Kapitel wesentlich um die auf Theophrast zurückgehende Stilqualität der Angemessenheit (tÚ pr°pon, Belege dafür bei Avenarius 1956, 63–67). Der Sinn (gn≈mh) des Geschichtsschreibers solle sich dem Gegenstand entsprechend jedenfalls bis zu einem gewissen Grade zu poetischem Schwung erheben (der Zusammenhang bei Quint. Inst. X 1, 27–31 läßt es vermuten, daß dies bereits die Ansicht Theophrasts gewesen war), besonders bei der Darstellung von Kampfverläufen. Und die Diktion (l°jiw bzw. •rmhne€a) müsse sich dieser Gestimmtheit zwar anpassen, dürfe aber unter keinen Umständen dabei die Bodenhaftung verlieren. Was bei Lukian hier über die sich in besonderen Momenten über das standardmäßige narrative Niveau hinaus erhebende gn≈mh gesagt ist, ist auch sonst aus antiker Literaturkritik bekannt, welche innerhalb der Geschichtsschreibung namentlich in Thukydides den prototypischen Vertreter dieser Weise des Erzählens erblickt. Desgleichen ist das Postulat über die bei derartigen Gelegenheiten einzuhaltende Mittellage der l°jiw (negatives Beispiel für illegitime Grenzüberschreitung in Kap. 22) als konventionell zu bewerten. Denn in beiderlei Hinsicht (in den Bereichen von gn≈mh und l°jiw) verlaufen zumindest über Ps. Demetrios (Eloc. II 75–77, IV 237) Verbindungslinien zum Peripatos (generell zu der von Theophrast in per‹ l°jevw vertretenen Ansicht Innes 1985, 260–263). Die explizite Aufforderung zum Maßhalten (svfronht°on) kehrt wieder in Kapitel 57, in dem Anweisungen zu genosadäquater Behandlung von Ekphraseis erteilt werden.

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Ka‹ ≤ m¢n gn≈mh koinvne€tv ka‹ prosapt°syv ti ka‹ poihtik∞w parÉ ˜son megalhgÒrow ka‹ dihrm°nh ka‹ §ke€nh, ka‹ mãlisyÉ ıpÒtan paratãjesi ka‹ mãxaiw ka‹ naumax€aiw sumpl°khtai: deÆsei går tÒte poihtikoË tinow én°mou §pouriãsontow tå ékãtia ka‹ sundio€sontow ÍchlØn ka‹ §pÉ êkrvn t«n kumãtvn tØn naËn.

≤ m¢n gn≈mh koinvne€tv ka‹ prosapt°syv ti ka‹ poihtik∞w parÉ ˜son megalhgÒrow ka‹ dihrm°nh ka‹ §ke€nh: Eine Annäherung (zu prosãptesyai in der Bedeutung „anrühren“ vgl. den Kommentar zu Kap. 57: éllÉ Ùl€gon prosacãmenow ktl) der gn≈mh des Historikers an die Höhenlage der

Dichtung sei besonders bei der Darstellung militärischer Auseinandersetzungen legitim; insgesamt würden dabei gewisse Einschränkungen (markiert durch ti und parÉ ˜son = insoferne) gelten. Ansonsten ist (hier nicht explizit ausgesprochen) nach wie vor die in Kap. 8 vorgenommene inhaltliche Grenzziehung zwischen diesen beiden Gattungen mit ihrem Ausschluß der Elemente von mËyow und §gk≈mion aus der flstor€a streng einzuhalten. Bei seiner Schilderung von Kampfverläufen dürfe der Historiker sich jedoch in die von ihm beschriebenen Ereignisse hineinversetzen. Auffälligerweise vermeidet Lukian die Verwendung des in attizistischer Literaturkritik ansonsten gebräuchlichen Begriffes pãyow bzw. tÚ payhtikÒn, Belege dazu bei Lateiner 1977, 42–43, 51, und dies trifft auf den ganzen dritten und didaktischen Teil der Methodenschrift zu. Das Verbum sumpl°kesya€ tini, welches üblicherweise das mit dem Feind handgemein Werden bezeichnet (bei Lukian selbst in Alex. 48), kann daher hier pointiert auf die gn≈mh des Historikers übertragen werden, etwa so wie Cicero (Orat. 12, 39) über Thukydides aussagt, dieser lasse in solchen Momenten auf gewisse Weise die Kriegstrompete erschallen (de bellicis rebus canit etiam quodam modo bellicum). Nicht einmal der ansonsten dem Thukydides gegenüber kritische Dionysios von Halikarnaß (Th. 26–27, bes. 27) vermag an der Schilderung der letzten Seeschlacht in Sizilien ein Fehl zu entdecken (hier fänden sich neben der megalhgor€a alle anderen darstellerischen éreta€ in Vollendung). Dionysios unterscheidet sich darin von der pragmatischen Einstellung des Polybios (Belege bei Avenarius 1956, 65–66). Bereits Theophrast scheint, wie der Kontext bei Quintilian (Inst. X 1, 27–31) nahelegt, aber nicht sicher beweist, nicht nur die Ansicht vertreten zu haben, daß Dichterlektüre von großem Nutzen für den Redner sei (dazu North 1952, bes. 8), sondern auch, daß die Geschichtsschreibung dieses Ziel zu fördern imstande sei, soferne man sich als Leser stets dessen bewußt bleibe, daß diese ihrem Wesen nach der Dichtung nahesteht (Historia ... est enim proxima poetis et quodam modo carmen solutum est et scribitur ad narrandum, non ad probandum ...). Es ist daher zu vermuten, daß Lukian hier eine letztlich auf Theophrast zurückgehende und auch durch Dionysios repräsentierte Ansicht referiert. Im Hintergrund derartiger Vorstellungen steht das für Malerei und Dichtung gleichermaßen gültige Prinzip des §k pragmãtvn megãlvn megalopr°peia, wie es durch Ps. Demetrios (Eloc. II 76) überliefert ist, der andernorts (Eloc. IV 237) fordert, daß man eine naumax€a so wie jedes prçgma m°ga sagen müsse §n megãloiw ka‹ pr°pousin t“ Ípokeim°nƒ prãgmati. Es ist wichtig, zu bemerken, daß diese wohl als peripatetisch zu betrachtende Ansicht in diametralem Gegensatz zur gorgianischisokrateischen Position (Polybios XXIX 12, 2 spielt in seiner Kritik an Kleines aufbauschenden Historikern auf sie an, Ullman 1942, 43, Anm. 96), die generell der Rhetorik die Macht zuschreibt, das Große niedrig und das Kleine groß erscheinen zu lassen, steht (z. B. Isoc. or. 4, 8: tã te megãla tapeinå poi∞sai ka‹ to›w mikro›w m°geyow periye›nai, vgl. aber auch als Korrektiv die von Avenarius 1956, 67 angeführten Belege). Demgegenüber macht Ps. Demetrios (Eloc. II 120) das allgemein gültige rhetorische Prinzip des tå m¢n mikrå mikr«w, tå megãla d¢ megãlvw geltend, und der explizite Hinweis auf das Kriterium des pr°pon zeigt, daß er auch hier die auf das dritte Buch der aristotelischen Rhetorik zurückgehende peripatetische Stiltheorie reflektiert (so zutreffend Solmsen 1941, 186). 541

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Die megalhgor€a (ähnlich ist in Kap. 8 prosaische Ausdrucksweise der poetischen megalofvn€a gegenübergestellt) ist als eine poihtikØ megalhgor€a (so Rh. Pr. 4) in Zusammenhang mit dichterischer Äußerung gebracht, als deren Repräsentanten bei Lukian regelmäßig Homer und Hesiod aufgerufen werden (Cont. 23, Rh. Pr. 4, Sacr. 9). Was nun Homer betrifft, so ist die Aussage des Scholions zu Il. XXI 325 a, Erbse V 201, Z. 32–35 (zu mormÊrvn) zu vergleichen: oÈ går mÒnon tª megalhgor€& t«n Ùnomãtvn, éllå ka‹ tª §nno€& katÒryvtai: ¶sti går fide›n kËma met°vron a·mati ka‹ éfr“ memigm°non ka‹ toÊtƒ §pipl°onta tå s≈mata. Für den ausgesprochenen Ästheten unter den Rhetoren Ps. Longinos (15, 1–2) zählt die megalhgor€a zu den Wirkungen der sonst efidvlopoi˝ai genannten fantas€ai, welche in der Dichtung auf die ¶kplhjiw abzielten, während die =htorikØ fantas€a die §nãrgeia im Auge habe. Andernorts erklärt dieser, daß echtes Pathos (genna›on pãyow), an richtiger Stelle (¶nya xrÆ) plaziert, wie sonst kein Element dazu geeignet sei, den Eindruck des megalÆgoron zu erwecken (8, 4). Dionysios von Halikarnaß wiederum behandelt die megalhgor€a unter ausschließlich rhetorischen Gesichtspunkten (so Dem. 4: Isokrates in Nachfolge

der gorgianischen Schule, Dem. 45: Demosthenes’ Ansicht über die adäquate Gestaltung der politischen Reden) und bezieht dabei auch Thukydides als einen Vertreter der Geschichtsschreibung mit ein (Th. 27: die megalhgor€a erscheint hier unter den anderen stilistischen éreta€ des Thukydides wie der kallilog€a und der deinÒthw). Stobaios (II 7, 3 f , Wachsmuth / Hense II 50, Z. 3) spricht vom megalÆgoron mit Bezug auf Platon. Lateinische Rhetorik kennt das Adjektiv grandiloquus, welches Cicero (Orat. 5, 20) zu der Kennzeichnung der höchsten der drei Stilgattungen gebraucht (die grandiloqui sind ad permovendos et convertendos animos instructi et parati), während Quintilian (Inst. X 1, 66) mit diesem Attribut den häufig bis zur Fehlerhaftigkeit würdevoll–erhabenen Stil des Aischylos charakterisiert. Hermann 1828, 274 weist darauf hin, daß Statius (Silv. V 3, 62) unter Verwendung eines ähnlichen Prädikates Homer als einen magniloquus beschreibt. Auch das Perfektpartizip dihrm°now (Ernesti 74) gehört der gebräuchlichen Terminologie griechischer Literaturkritik an. So charakterisiert Ps. Dionysios von Halikarnaß in seiner Schrift mit dem Titel m°yodow §pitaf€vn (Rh. VI 6, Usener / Radermacher VI 2, 283, Z. 16–18) die entsprechende épaggel€a als §n ... to›w §ndÒjoiw ka‹ m°geyow ¶xousin ... dihrm°nh ka‹ m°geyow ¶xousa und trifft sich mit der Vorstellung einer Einheit von Inhalt und Form mit Lukians Anliegen. Hermogenes (Spengel II 415, Z. 28–29) bezeichnet mit dihrm°now den feierlichen Stil des Kritias (semnÚw ... ka‹ dihrm°now prÚw ˆgkon), und Ps. Longinos (2, 2) stellt eine enge Beziehung des hohen Stils zum pathetischen Element her (§n to›w payhtiko›w ka‹ dihrm°noiw). Aus lateinischer Rhetorik zu vergleichen ist Ciceros Beschreibung von Theopompos’ Stil (Brut. 17, 66: elatione atque altitudine orationis suae). Und damit ist wiederum ein Bezug zur Geschichtsschreibung hergestellt. poihtikoË tinow én°mou §pouriãsontow tå ékãtia ka‹ sundio€sontow ÍchlØn ka‹ §pÉ êkrvn t«n kumãtvn tØn naËn: Dieses Bild ist als eine Steigerung gegenüber der Beschreibung eines von einer sanften Brise sachte fortbewegten Schiffes in Dom. 12 zu verstehen: tØn m¢n aÎran koÊfvw §pouriãzousan tØn ÙyÒnhn, tØn d¢ naËn proshn«w te ka‹ le€vw §pÉ êkrvn ±r°ma diolisyãnousan t«n kumãtvn. Die hier genannten ékãtia bezeichnen nicht das Schiff (so Macleod 1991, 237 und

Costa 2005, 198), sondern vielmehr dessen Segel, wie sich besonders deutlich aus einer Stelle bei Xenophon (HG VI 2, 27) entnehmen läßt, wo den großen Segeln (megãla flst€a) die Kleinsegel (tå ékãtia) gegenübergestellt sind. Das Verbum sundiaf°rein (vgl. weiter unten katenexy∞nai und forçw) bringt den Schwung zum Ausdruck, mit dem das Schiff von dem Wind auf dem Wellenkamm dahingetrieben wird. In diesem Sinne gehört das vom Stamm fer- gebildete Substantiv forã der Sprache griechischer Literaturkritik an. Es bezeichnet den Schwung der Prosarede (Philostr. VS I 25, 539 über eine bewunderte Rede des Herodes Atticus) und die alles gleichsam in Brand setzende dichterische Konzeption eines Pindar und Sophokles (Longin. 33, 5).

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≤ l°jiw d¢ ˜mvw §p‹ g∞w bebhk°tv, t“ m¢n kãllei ka‹ t“ meg°yei t«n legom°nvn sunepairom°nh ka‹ …w ¶ni mãlista ımoioum°nh, mØ jen€zousa d¢ mhdÉ Íp¢r tÚn kairÚn §nyousi«sa. k€ndunow går aÈtª tÒte m°gistow parakin∞sai ka‹ katenexy∞nai §w tÚn t∞w poihtik∞w korÊbanta, Àste mãlista peist°on thnikaËta t“ xalin“ ka‹ svfronht°on, efidÒtaw …w flppotuf€a tiw ka‹ §n lÒgoiw pãyow oÈ mikrÚn g€gnetai. êmeinon oÔn §fÉ ·ppou Ùxoum°n˙ tÒte tª gn≈m˙ tØn •rmhne€an pezª sumparaye›n, §xom°nhn toË §fipp€ou …w mØ épole€poito t∞w forçw.

mØ jen€zousa: Macleod 1980, 313: < mØ > jen€zousa, der Textsinn erfordert, wie der Kommentar zur Stelle zeigt, unbedingt das in G und E fehlende und erst in recentiores zu Recht ergänzte mØ; k€ndunow går aÈtª tÒte m°gistow: in G und E steht Macleod 1980, 313 zufolge: kindÊnvn går aÈtª tÒte m°giston, was aber keinen Sinn ergibt und unbedingt zu korrigieren ist. Ich folge mit meiner

Entscheidung der Mehrheit der Herausgeber seit Reitz 1743, 58 (basierend auf Graevius), Hermann 1828, 50, Bekker 1853, 37 und Dindorf 1858, 21; in diesem Sinne Nesselrath 1984, 598; Macleod 1980, 313 emendiert nach Bourdelot so: k€ndunow går aÈtª tÒ te m°giston, was kaum überzeugt, zumal tÒ te eine in recentiores vollzogene Konjektur ist gegenüber dem in G und E übereinstimmend überlieferten tÒte. ≤ l°jiw ... mØ jen€zousa ... mhdÉ Íp¢r tÚn kairÚn §nyousi«sa: Das Element des Fremdartigen (jenikÒn) bezeichnet Aristoteles (Po. 22, 1458 a 22–23) zufolge das, was über den in einer bestimmten Gesellschaft üblichen sprachlichen Ausdruck hinausgeht (pçn tÚ parå tÚ kÊrion, zur Definition des Begriffes kÊrion sowie zur Abgrenzung gegenüber der gl«tta Po. 21, 1457 b 2–6). Eine

Wiederholung und Erweiterung dieser selben Überlegungen findet sich in der aristotelischen Rhetorik (III 2), wo ausgesagt ist, daß die standardgemäßen Benennungen (t«n Ùnomãtvn tå kÊria) der l°jiw Klarheit verschafften (so bereits Po. 22, 1458 a 18–19, u. ö.), während die gehobene Diktion dieser größere Feierlichkeit und Würde verliehe, weshalb auch in der Prosarede das Element des unaufdringlich verborgenen j°non, und damit meint er in diesem Falle die metaphorische Ausdrucksweise, Berücksichtigung finden müsse (Rh. III 2, 1404 b: diÚ de› poie›n j°nhn tØn diãlekton), wenn auch wegen des geringeren Gegenstandes ihr Anwendungsbereich hier stark eingegrenzter sei als in der Dichtung. Allgemein gesprochen gelte das bereits im Vorfeld zur Diskussion des Prosastils (Rh. III 1, 1404 a) auf den Punkt gebrachte Prinzip, daß sich die prosaische Sprache von der dichterischen unterscheiden müsse: •t°ra lÒgou ka‹ poiÆsevw l°jiw §st€n. Andernorts (Rh. III 7, 1408 b) ordnet Aristoteles die ÙnÒmata j°na sowie die Äußerung von Leidenschaft (§nyousiãzein) einem pathoserfüllten Sprecher und somit dem Bereich der Dichtung zu (¶nyeon går ≤ po€hsiw). Dieser ausgewogenen Position ähnliche Wertungen finden sich mehrfach in griechischer Literaturkritik. So stellt der überwiegend dem Peripatos nahestehende (Solmsen 1931) Ps. Demetrios (Eloc. I 77) in seiner Betrachtung über die l°jiw der von ihm megaloprepØw xaraktÆr genannten prächtigen Stilart, zu der die Schilderungen großartiger Sujets wie Land- und Seeschlachten gehören (Eloc. I 75–76), fest: TØn d¢ l°jin §n t“ xarakt∞ri toÊtƒ perittØn e‰nai de› ka‹ §jhllagm°nhn ka‹ ésunÆyh mçllon. Dionysios von Halikarnaß (Dem. 34) wiederum hebt an Demosthenes rühmend hervor, daß dieser selbst noch bei der Verwendung eines gehobenen, fremdartig-ungewöhnlichen Ausdrucks (§p‹ t∞w Íchl∞w ka‹ jenoprepoËw Ùnomas€aw) bestrebt gewesen wäre, so weit wie möglich auf Klarheit und eine dem aktuellen sprachlichen Standard entsprechende Sprache zu achten. Thukydides hingegen kritisiert er wegen dessen j°nh l°jiw sowie einer Mehrzahl an verwandten Mängeln (Th. 24), um später (Th. 51) seine im Sinne der angepeilten summetr€a eine gesunde Mitte

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wahrende Ansicht über die der Geschichtsschreibung angemessene Sprache folgen zu lassen: §g∆ d¢ oÎte aÈxmhrån ka‹ ékÒsmhton ka‹ fidivtikØn tØn flstorikØn e‰nai pragmate€an éji≈saimÉ ên, éllÉ ¶xousãn ti ka‹ poihtikÒn: oÎte pantãpasi poihtikÆn, éllÉ §pÉ Ùl€gon §kbebhku›an t∞w §n ¶yei:

Bonner 1938, 259 hat in einer Hendrickson 1904 weiterverfolgenden, beachtenswerten Studie darauf aufmerksam gemacht, daß bei Dionysios, wie sonst in dessen stilkritischen Schriften, so auch in der Thukydidesmonographie peripatetische Züge (und zwar im Sinne der Mesotes-Lehre) erkennbar sind. Zu der generellen Bewertung des Thukydides durch Dionysios vgl. Bonner 1938, 263–264 und 265. So meint denn auch auch Lukians Formulierung mØ jen€zousa (von Immisch 1932, 117, der das in den Handschriften fehlende mØ ohne Begründung nicht ergänzt, ist die Stelle gründlich mißverstanden) nicht das vollständige Fehlen des j°non, sondern vielmehr nur das Meiden des Übermaßes, wie die im Text unmittelbar nachfolgende Warnung vor einer l°jiw Íp¢r tÚn kairÚn §nyousi«sa verdeutlicht. Und in ähnlichem Sinne (diesmal mit Bezug auf Prosa ganz allgemein) zielt die im Lexiphanes (Kap. 20) geäußerte Kritik auf das mit einer deplazierten hyperattizistischen Attitüde angewandte Verfahren des jen€zein ka‹ tÚ kayesthkÚw nÒmisma t∞w fvn∞w parakÒptein mit seinem Haschen nach entlegenem Ausdruck (Lex. 24: =∞ma ¶kfulon). Zu vergleichen ist die an den Schüler erteilte Empfehlung des unsoliden Redelehrers in Rh. Pr. 17, épÒrrhta ka‹ j°na =Æmata ka‹ spaniãkiw ÍpÚ t«n pãlai efirhm°na bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hervorzukramen. In dem skommatisch-lehrhaften Teil dieser Schrift (Kap. 14–32) werden diverse Verstöße gegen die Standards der attischen Sprache sowie im Zusammenhang damit ein unpassendes Vermischen inkompatibler sprachlicher Ebenen und Elemente verspottet (bes. in Kap. 15–16, 21–22, 32). Der hier abgehandelte Komplex entspricht somit demjenigen Bereich, der von den Rhetoren unter der Rubrik der Wortwahl (§klogØ t«n Ùnomãtvn) zusammengefaßt ist. Die komplementäre sÊnyesiw bzw. sunyÆkh t«n Ùnomãtvn bildet das Thema von Kap. 46. Beide Bereiche zusammen machen den von Dionysios von Halikarnaß (Comp. 1) lektikÚw tÒpow genannten Teil der Rhetorik aus. Zur Formulierung ≤ l°jiw ... ımoioum°nh + Dativobjekt ist im übrigen das für die Ekphraseis allgemein gültige Prinzip zu vergleichen, wie es von Theon (Prog. 11: per‹ §kfrãsevw) mit diesen Worten formuliert ist: tÚ d¢ ˜lon sunejomoioËsyai xrØ to›w Ípokeim°noiw tØn épaggel€an (Spengel II 119, Z. 30–31). parakin∞sai ka‹ katenexy∞nai §w tÚn t∞w poihtik∞w korÊbanta: Das Verbum parakine›n (der parakin«n und der §nyousiãzvn sind bereits bei Pl. Phdr. 249 d in Beziehung zueinander gestellt) bezeichnet das Abrücken (para-) von dem Zustand der Normalität (so Nav. 45, mit identischer Bedeutung steht das Medium in Cal. 5, wo ein Bezug zur lÊtta hergestellt ist). Eine Stelle in der

platonischen Politeia (VII 540 a) bringt diese Grundbedeutung plastisch zum Ausdruck, indem dem fest und unverrückt an seinem Platz Stehen (§mm°nein) pointiert das Verlassen des richtigen Weges (parakine›n) gegenübergestellt ist. Mit ähnlicher literarkritischer Note wie hier charakterisiert der Autor in der die vorliegende Schrift einleitenden Erzählung (Kap. 1) die anormale Befindlichkeit der euripidomanen Abderiten mit den Worten: ëpantew går §w tragƒd€an parek€noun (vgl. den Kommentar zur Stelle). Die Begriffe parakin∞sai und korÊbanta verbindet ein Wortspiel, wie dies JTr. 30 zeigt, wo das k€nhma korubanti«dew unter den Merkmalen mantischer Verzückung genannt ist. Ansonsten verwendet Lukian das Verbum korubantiçn, um den Zustand der Trunkenheit, des Wahnsinns und des mit Zuständen dieser Art zusammenhängenden Gefasels zu bezeichnen (Bacch. 5, Tim. 26, Sat. 27, Herm 63, Herod. 7). Eine literarkritische Nuance erhält der Begriff korubantiçn in Lex. 16, wo Lykinos erklärt, er würde unter dem ihn umrauschenden Eindruck von Lexiphanes’ Rede noch verrückt (korubantiãsein moi dok«), sollte er sich nicht ganz schnell durch Erbrechen Abhilfe verschaffen.

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svfronht°on, efidÒtaw …w flppotuf€a tiw ka‹ §n lÒgoiw pãyow oÈ mikrÚn g€gnetai: Mit dem Verbaladjektiv svfronht°on ist, wie eingangs von Kap. 57, eine Aufforderung zum Maßhalten gegeben. Unter dem selten belegten Begriff flppotuf€a ist die Aufgeblasenheit desjenigen zu verstehen, der hoch zu Roß sitzt und eben daraus ein unangemessenes Überlegenheitsgefühl ableitet. In diesem eigentlichen Wortsinn ist eine der bei Diogenes Laertios (III 39) überlieferten Platonanekdoten zu verstehen: §fÉ ·ppou kay€saw eÈy°vw kat°bh fÆsaw eÈlabe›syai mØ flppotuf€& lhfyª. Lukian selbst verwendet das Wort flppotuf€a nur an dieser einen Stelle, den tËfow jedoch bringt er ganz allgemein in expliziten Zusammenhang zu Überheblichkeit (DMort. 20, 4: Íperoc€a) und großtuerischer Aufgeblasenheit (Tim. 28: megalaux€a, Lex. 24 beinhaltet eine literarkritische Wertung). Für die auf den Bereich der Literatur übertragene Bedeutung des Begriffes flppotuf€a ließ sich jedoch kein Beleg beibringen. Doch findet sich eine recht ähnliche Vorstellung bereits in den aristophanischen Fröschen (V. 821), wo der Chor mit Bezug auf die hochtrabenden Wortkaskaden des Aischylos die sinnreiche Metapher der =ÆmayÉ flppobãmona gebraucht. Noch im pseudolukianischen (für die Echtheit argumentiert Baldwin 1969) Demosthenis encomium (Kap. 5) lautet die an die Adresse des deklarierten Liebhabers von Dichtung gerichtete Kritik des Demosthenesverehrers so: toÁw .. =htorikoÁw lÒgouw katafrone›w étexn«w oÂon flppeÁw parå pezoÁw §laÊnvn. Der Begriff pãyow bezeichnet ebenso wie im Eingang dieser Schrift (Kap. 1 und 2: tÚ ÉAbdhritikÚn §ke›no pãyow) einen krankhaften Zustand, in beiden Fällen bezogen auf eine verirrte Einstellung zur Literatur. pezª: Das Adverb pezª (so bereits Pl. Sph. 237 a) sowie das Adjektiv pezÒw (D. H. Comp. 3, lat.

pedestris oratio, so Quint. Inst. X 1, 81) haben innerhalb literarkritischer Terminologie die Bedeutung von Prosa im Gegensatz zur metrisch gebundenen Dichtung. In dieser Weise wird pezÒw auch von Lukian (JTr. 6) gebraucht, der zudem mit diesem selben Wort den Komödienschauspieler im Gegensatz zum Tragöden (Anach. 23) sowie die von ihm selbst begründete Gattung des komischen Dialogs (Bis Acc. 33: oÎte pezÒw efimi oÎte §p‹ t«n m°trvn b°bhka) bezeichnet. In der Bildersprache dieser Stelle ist mit pezª ein Bezug zu der von flppotuf€a (vgl. dazu die vorangehende Anmerkung) freien und am Erdboden bleibenden Diktion gegeben, etwa so wie andernorts (Demon. 5) mittels einer Übertragung des Terminus pezÒw auf den ethischen Bereich der von Dünkel gänzlich freie Philosoph Demonax charakterisiert ist als ein pezÚw Ãn ka‹ oÈdÉ §pÉ Ùl€gon tÊfƒ kãtoxow.

Kapitel 46 Nach der in Kapitel 44 behandelten Wortwahl (in rhetorischer Theorie als §klogØ t«n Ùnomãtvn bezeichnet) folgt nun als Appendix zu der triadischen Komposition in den Kapiteln 43–45 die Wortfügung (sÊnyesiw bzw. sunyÆkh t«n Ùnomãtvn), ein von Lukian sonst nirgendwo in seinem Gesamtwerk ausdrücklich angesprochener Bereich, der bereits von Theophrast neben der §klogØ t«n Ùnomãtvn und den sxÆmata (vgl. den Kommentar zu Kap. 44) als Teilbereich der kataskeuÆ behandelt worden war (zu der von Ps. Demetrios benutzten peripatetischen Tradition Solmsen 1931, 252–258). Der Autor Lukian empfiehlt für Geschichtsschreibung eine die Extreme meidende, wohlausgewogene Mitte; sowohl inhaltlich als auch vom Ausdruck her steht er damit einer durch Dionysios von Halikarnaß (Comp. bes. 22–24) repräsentierten Auffassung nahe, welche die mittlere Wortfügung (m°sh èrmon€a) in der Mitte zwischen Thukydides zum einen und Ephoros bzw. Theopompos zum anderen ansiedelt. Auch der Gedanke der Mitte zeigt klar, daß hier eine peripatetische Ansicht zugrunde liegt. Dasselbe gilt für die kanonische Ansicht zum Prosarhythmus; Aristoteles (Rh. III 8, 1408 b 21–22) empfiehlt nämlich für die Prosa die Mitte zwischen gänzlichem Fehlen von Rhythmus (êrruymon) und einer der Dichtung angeglichenen rhythmischen Struktur (¶mmetron).

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Ka‹ mØn ka‹ sunyÆk˙ t«n Ùnomãtvn eÈkrãtƒ ka‹ m°s˙ xrhst°on, oÎte êgan éfistãnta ka‹ épart«nta – traxÁ gãr – oÎte =uym“ parÉ Ùl€gon, …w ofl pollo€, sunãptonta: tÚ m¢n går §pa€tion, tÚ d¢ éhd¢w to›w ékoÊousi.

sunãptonta: Macleod 1980, 314 schreibt hier ohne textkritische Anmerkung singulär: …w ofl pollo‹ sunãptontai (richtiggestellt von Nesselrath 1984, 584). sunyÆk˙ t«n Ùnomãtvn eÈkrãtƒ ka‹ m°s˙ xrhst°on: Diese der konventionellen rhetorischen Terminologie folgende Formulierung sunyÆkh t«n Ùnomãtvn (Philostr. VS I 17, 505, um nur ein repräsentatives Beispiel dafür zu nennen, stellt den ÙnÒmata die junyÆkh gegenüber), für welche allerdings Ps. Demetrios und Dionysios von Halikarnaß übereinstimmend den Begriff der sÊnyesiw (t«n Ùnomãtvn) gebrauchen, bezeichnet die Wortfügung, d. h. die syntaktische Strukturierung des

Satzgefüges (vgl. Lausberg § 911). Die lateinische Rhetorik kennt dafür die substantivischen Begriffe der compositio (Quint. Inst. IX 4, 1) bzw. der collocatio (Cic. de Orat. III 43, 171) sowie die Verba collocare und componere (Cic. Orat. 44, 149–150). Der Definition des Dionysios (Comp. 2) zufolge handelt es sich bei der sÊnyesiw um eine bestimmte Anordnung der von manchen auch Elemente (stoixe›a) der l°jiw genannten Teile der Rede (poiã tiw y°siw parÉ êllhla t«n toË lÒgou mor€vn, ähnlich Longin. 39, 1: die poiå sÊnyesiw als eines der zu dem Ïcow beitragenden Elemente), deren primär auf Aristoteles und Theodektes zurückgehende Dreiteilung in Nomina (ÙnÒmata), Verba (=Æmata) und Konjunktionen (sÊndesmoi) von den Grammatikern in unterschiedlicher Weise erweitert worden sei. Aus der Verknüpfung (plokÆ) und Nebeneinanderstellung (parãyesiw) dieser primären Elemente entstünden, so erklärt Dionysios, zunächst die Kola (k«la, in Th. 22 sind diesen noch die kÒmmata vorangestellt), sodann die Perioden (per€odoi) und aus diesen wiederum die Rede als ganze (lÒgow). Gemeinsam mit der im Arbeitsprozeß vorangehenden Auswahl der Worte (§klogØ t«n Ùnomãtvn) mache die sÊnyesiw den sich auf den sprachlichen Ausdruck beziehenden Teil des rhetorischen Systems (lektikÚw tÒpow) aus, im Unterschied zu dem mehr auf die Gedanken (noÆmata) hin orientierten konzeptionellen Teil (pragmatikÚw tÒpow, so D. H. Comp. 1). Mit der sÊnyesiw sind Wortstellung und Periodenbildung ebenso wie der Prosarhythmus angesprochen, ein Komplex von eng miteinander verknüpften und ineinander verwobenen Einzelaspekten sprachschöpferischer Produktion. Recht instruktive Behandlungen dieser Gesamtthematik aus jeweils unterschiedlicher Perspektive finden sich bei Ps. Demetrios (Eloc. II 38–74, III 179–185, IV 204–208, V 241–271 mit Berücksichtigung der in den jeweiligen Stilarten gültigen Bedingungen), Dionysios von Halikarnaß (so bes. in Comp. passim, zum Gesamtkomplex Geigenmüller 1908, 72–97), Cicero (Orat. 44, 149–71, 236 und de Orat. III 43, 171–51, 198) und Quintilian (Inst. IX 4). Die erstmalige Erforschung des umfangreichen Gesamtgebietes erfolgte nach einem Zeugnis Ciceros (Orat. 52, 175) durch den Sophisten Thrasymachos von Kalchedon. Mit Isokrates tritt die Beherrschung von Periodenbildung und rhythmischer Gestaltung schließlich bereits auf hohem Niveau in Erscheinung. Mit Stolz spricht dieser in der Schrift katå t«n sofist«n (or. 13, 16–17) von der Kunst des eÈrÊymvw ka‹ mousik«w efipe›n, von der er sich im Alter jedoch demonstrativ distanziert (or. 5, 27–28). Lukian, der sich, wie gesagt, nirgendwo sonst über das Thema der sunyÆkh / sÊnyesiw äußert, während die §klogÆ von ihm wiederholt angesprochen wird (dazu Weissenberger 1996, bes. 85–107), fordert in seiner Eigenschaft als Autor für die Geschichtsschreibung eine die Extreme meidende, wohlausgewogene Mitte (sunyÆk˙ ... eÈkrãtƒ ka‹ m°s˙ xrhst°on), womit er sich, wie die Verwendung der Adjektive eÎkratow (wohltemperiert) und m°sow (in Mittellage) zeigt, am ehesten in Nähe zu der

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von Dionysios von Halikarnaß (Comp. 24) detailliert und präzise beschriebenen mittleren Stilart (er bezeichnet sie als die m°sh èrmon€a) befindet: ≤ d¢ tr€th ka‹ m°sh t«n efirhm°nvn due›n èrmoni«n, ∂n eÎkraton kal« spãnei kur€ou te ka‹ kre€ttonow ÙnÒmatow, sx∞ma m¢n ‡dion oÈd¢n ¶xei, kek°rastai d¢ …w §j §ke€nvn metr€vw ka‹ ¶stin §klogÆ tiw t«n §n •kat°r& krat€stvn. Dionysios beschreibt

diese Stilart als eine Kombination (Bonner 1938, 261–263, bes. 262 versucht dies zu präzisieren) der aÈsthrå èrmon€a (Comp. 22: ein Beispiel ist Thukydides) mit der glafurå sÊnyesiw (Comp. 23: als paradigmatisch sind Ephoros und Theopompos genannt). Die Forderung, die Mittellage (weiter unten in Comp. 24 mesÒthw genannt mit expliziter Berufung auf Aristoteles und die anderen Peripatetiker) einzuhalten, ist eindeutig peripatetischen Ursprungs. épartçn: Das Verbum (Bedeutung: „isolieren“) findet sich erstmals bei Aristoteles (Rh. III 5, 1407 a 25) in vergleichbarem literarkritischen Zusammenhang (es geht hier darum, daß Partikeln wie m°n und d° aus mnemotechnischen Gründen nicht zu weit im Satzgefüge voneinander getrennt werden

dürfen). traxÁ ... éhd¢w: Bei dem Begriff tÚ traxÊ handelt es sich um einen literarkritischen terminus technicus, der, wie ein Kapitel aus der Schrift des Hermogenes per‹ fide«n (I 7: per‹ traxÊthtow) zeigt, einen

weiten Anwendungsbereich in rhetorischer Theorie hat und im Besonderen, wie hier von Lukian, auch auf die sunyÆkh bezogen werden konnte. Der wahrscheinlich auf Theophrast zurückgehende (vgl. Wooten 1987, Introduction XVII) Hermogenes nennt diese Art der Wortfügung die sunyÆkh traxe›a, und er charakterisiert sie durch gänzliches Fehlen des Wohlgefallen (≤donÆ) erregenden rhythmischen Elements sowie durch eine das Ohr unangenehm berührende Mißtönigkeit: …w ... tØn sunyÆkhn ... e‰nai mçllon oÂon êrruymÒn tina ka‹ dÊshxon, traxÊnousan tØn ékoÆn. Und in diesem Sinne kann im Pseudologistes (Kap. 23) tÚ traxÁ t∞w fvn∞w (bezogen auf die Wortfügung) als Pendant zu tÚ bãrbaron t«n Ùnomãtvn (mit Bezug auf die Wortwahl) figurieren. An dieser Stelle ist für den Autor Lukian das Vermeiden einer unästhetischen Wirkung (éhd°w) das Entscheidende. Auch dies läßt sich durch Dionysios von Halikarnaß (Comp. 12) belegen, der über ein ganzes langes Kapitel hinweg das Thema der ≤de›a sÊnyesiw diskutiert. Darin bemißt er die ästhetische Qualität von Sprache generell nach den Kriterien von ≤donÆ (xãriw) und éhd€a (ˆxlhsiw), als deren Gradmesser er den seiner Ansicht nach in rhetorischer Techne immer noch nicht zutreffend erfaßten kairÒw bestimmt. Zwar seien in der Sprache, wie überall im Bereich sinnlicher Wahrnehmungen (afisyÆseiw), die Gegensätze von bitter und süß, hart und weich, mißtönend und wohltönend, rauh und glatt usw. eine unaufhebbare Gegebenheit, doch vermöge eine richtige Mischung (z. B. trax°si le›a m€sgonta) von an sich inkompatiblen Lauten und Klängen deren befremdliche Wirkung (étop€a) auszugleichen. Andernorts (Th. 24) wirft er Thukydides vor, er habe bei der sÊnyesiw u. a. bevorzugt tØn traxÊnousan ta›w t«n grammãtvn éntitup€aiw tåw ékoåw, anstatt, wie es eben angemessen gewesen wäre, auf eine wohltönende, geschmeidige Glätte zu achten. Dasselbe Phänomen wird auch von Ps. Demetrios (Eloc. II 48–49) konstatiert, doch mit Hinblick auf die für den großgearteten Stil (den xaraktØr megaloprepÆw) konstitutiven Bedingungen ganz anders bewertet: ... ı Youkud€dhw ... pantaxoË sxedÚn feÊgei tÚ le›on ka‹ ımal¢w t∞w suny°sevw, ka‹ ée‹ mçllÒn ti proskroÊonti ¶oiken, Àsper ofl tåw traxe€aw ıdoÁw poreuÒmenoi. Gerade ein solcher Stil, so die Aussage der Stelle, trage zu megalopr°peia und zu m°geyow ebenso bei wie hinsichtlich der Wortwahl ein ˆnoma traxÊ. Und im Lateinischen entspricht der sunyÆkh bzw. der sÊnyesiw traxe›a die compositio aspera (Sen. Con. III praef. 18), die bei den Konsonanten structura aspera (Lausberg § 968) und bei den Vokalen structura hiulca oder hiatus (Lausberg § 969–973) genannt wird. =uym“ ... §pa€tion: Der Wortlaut des von oÎte =uym“ bis sunãptonta reichenden Kolons, namentlich das einheitlich überlieferte =uym“, gab den Interpreten immer Rätsel auf, obwohl der von

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Lukian intendierte Textsinn in den wesentlichen Grundzügen klar ist. Gemeint ist, daß eine sich an die spezifischen Verhältnisse poetischer Gestaltung zu stark annähernde rhythmische Struktur, wie sie sich bei sophistischen Rednern nicht selten findet (Demon. 12, vgl. zu Rh. Pr. 15 und 19 Zweimüller 2008, 360–364, zu den Klauseln des Favorinus Goggin 1951, etwas überzeichnet Connolly 2001, 84: the sophists were artists of language equal to poets) und wie sie deren Rede für das Publikum vorhersehbar macht (Korenjak 2000, bes. 133–135, 143), berechtigten Anstoß errege (§pa€tion). Allerdings beanstandeten die Interpreten seit jeher die Tatsache, daß die Überlieferung =uym“ bietet, obwohl doch, wie sie meinten, eigentlich sinngemäß m°trƒ stehen müßte. So als wäre Lukian eine Ungenauigkeit in der Wortwahl unterlaufen, stellt Hermann (1828, 281) fest: ÑRuymÚn dixisse Nostrum, ubi m°tron oportebat, vix ut moneam opus est jamque monuit Rudolphus. Doch weder er noch Sommerbrodt (1878, 47), der sich dazu nur vage äußert (=uym“ richtiger m°trƒ), konnten sich dazu durchringen, in ihren Texten das überlieferte =uym“ zu ändern. Erst Avenarius (1956, 69) schlug unter Berufung auf Sommerbrodt die Konjektur m°trƒ vor (aufgegriffen von Weissenberger 1996, 86, Anm. 215). Das Problem, vor das sich die Erklärer gestellt sahen, ergibt sich aus dem Umstand, daß rhythmische Gestaltung eines Geschichtswerkes vom Autor Lukian nicht nur nicht abgelehnt, sondern vielmehr im Einklang mit den herrschenden rhetorischen Konventionen ausdrücklich als der letzte Arbeitsschritt bei der Abfassung gefordert wird (Kap. 48: =uymiz°tv). Dieser Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn man bedenkt, daß der lukianische Sprachgebrauch eine eindeutige Abgrenzung der Begriffe =uymÒw und m°tron, wie man sie immer als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, nicht kennt, denn beide stehen ohne eine präzise Abgrenzung nebeneinander in Tox. 1 und Prom. Es 6. Lukian lehnt hier somit eine zu stark an einen gleichbleibenden Takt (zu dieser Bedeutung von =uymÒw vgl. Salt. 6 und 10) gebundene und sich dadurch dem Metrum annähernde Struktur ab. Während er hier das Übermaß ablehnt, ruft er in Kap. 48 dazu auf, das andere Extrem gänzlich unrhythmischer Gestaltung zu vermeiden. Das Idiom parÉ Ùl€gon (Abd. 14, mit anderer Syntax VH II 43, häufiger bei Lukian parå mikrÒn) bedeutet „um ein weniges, beinahe“ (so bei Th. VII 71, 3 mit dem prägnanten Sinn „um Haaresbreite“). Lukians Postulat steht in einer bis in die erste Sophistik zurückreichenden Tradition. Schon Isokrates vertrat die Ansicht, daß die Prosarede eine gewisse rhythmische Struktur aufweisen müsse, ohne daß dabei jedoch die Grenze zur Poesie überschritten würde. Cicero (Brut. 8, 32) würdigt diese innovative Leistung des Isokrates so: Isocrates ... primus intellexit etiam in soluta oratione, dum versum effugeres, modum tamen et numerum quendam oportere servari. Mit den durch Johannes Siceliota (Walz VI 165) überlieferten Worten des Begründers lautet das isokrateische Programm folgendermaßen: ˜lvw d¢ ı lÒgow mØ lÒgow ¶stv, jhrÚn gãr, mhd¢ ¶mmetrow, katafan¢w gãr, éllå mem€xyv pant‹ =uym“. Einen Kritiker fand Isokrates in dieser Hinsicht in Dionysios von Halikarnaß, der ihm in Übereinstimmung mit früheren Grammatikern und Philosophen (Isoc. 13) vorwirft, es stünde bei ihm der gedankliche Inhalt oftmals im Dienste der rhythmischen Gestaltung (Isoc. 12: douleÊei går ≤ diãnoia pollãkiw t“ =uym“ t∞w l°jevw), während doch umgekehrt die l°jiw sich den noÆmata anzupassen habe. Erst Aristoteles (Rh. III 8, 1408 b) formulierte das für den Prosarhythmus fundamentale Prinzip in einer für die Folgezeit gültigen Weise: tÚ d¢ sx∞ma t∞w l°jevw de› mÆte ¶mmetron e‰nai mÆte êrruymon. Das ¶mmetron verursache nämlich einen Verlust an Glaubwürdigkeit (ép€yanon), da beim Rezipienten der Eindruck von Artifizialität entstehe (peplãsyai går doke›), abgesehen davon, daß es die Aufmerksamkeit vom Inhalt der Rede zu stark auf die Form ablenke; dem êrruymon hingegen fehle das für ästhetischen Genuß und Verständlichkeit nötige begrenzende Element (ép°ranton). Daraus folge, daß die Prosarede bis zu einem gewissen Grad eben rhythmisch gegliedert sein müsse, ohne daß dabei jedoch die Grenze zum Vers überschritten werde: =uymÚn de› ¶xein tÚn lÒgon,

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m°tron d¢ mÆ: po€hma går ¶stai. =uymÚn d¢ mØ ékrib«w: toËto d¢ ¶stai, §ån m°xri tou ¬. Dieses die für Aristoteles charakteristische mesÒthw-Lehre zum Ausdruck bringende Konzept (so zutreffend

Hendrickson 1904, bes. 129–136) wurde in Folge von den Aristotelesschülern Theodektes und mit noch größerer Gründlichkeit von Theophrast, dessen Beitrag zum Prosarhythmus überhaupt über Aristoteles noch hinausgeht (Grube 1952, 174–175), gelehrt (so Cic. Orat. 51, 172); es erlangte so für die rhetorische Theorie der Antike kanonische Geltung. Dionysios von Halikarnaß, bei dessen stilkritischen Schriften Bonner 1938 in einer diluziden Untersuchung generell ein starkes peripatetisches Substrat (dazu gehört wohl auch reichliche Benutzung von Theophrasts ausführlicher Behandlung) nachweisen konnte, bezieht sich in diesem Zusammenhang denn auch explizit auf Aristoteles (Comp. 25). Um nur zwei weitere charakteristische Beispiele zu nennen, je eines für die griechische und eines für die lateinische Literaturtheorie (weitere Belege bei Avenarius 1956, 69–70): Ps. Demetrios (Eloc. II 117–118) sieht in den fehlerhaften Extremen der Zulassung des êrruymon und des Integrierens von m°tra in die Prosa die Ursachen für das Entstehen einer sÊnyesiw cuxrã. Genau die richtige Mitte habe Platon eingehalten (Eloc. III 183). Cicero legt im Orator seinen sich an Isokrates und Aristoteles orientierenden Standpunkt dar (Orat. 56, 187–188: Perspicuum est igitur numeris astrictam orationem esse debere, carere versibus, ähnlich 57, 195: ... nec numerosa esse, ut poema, neque extra numerum, ut sermo vulgi, esse debet oratio). Literaturhinweise zu den unterschiedlichen Aspekten des Prosarhythmus finden sich bei Dihle 2001.

Kapitel 47 Nach der Behandlung der sprachlichen Gestaltung (in rhetorischer Theorie wird dieser Bereich lektikÚw tÒpow genannt) in den Kapiteln 43–46 (mit dem Hauptgewicht auf der Auswahl der Worte und der Wortfügung sowie dem Prosarhythmus) folgen nun mit systematischer Behandlung in den Kapiteln 47–48 (vgl. dazu Avenarius 1956, 71–104) die klassischen drei für die Produktion jeglichen Textes konstitutiven Arbeitsschritte, die Auffindung des Stoffes (eÏresiw, inventio), die Anordnung (tãjiw, dispositio) und die sprachlich-stilistische Ausgestaltung (l°jiw, elocutio). Für die erst bei mündlichem Vortrag relevanten Elemente der mnÆmh (memoria) und der ÍpÒkrisiw (pronuntiatio bzw. actio), ist (zumal bei der sich nach der Absicht des Autors wesentlich an eine zukünftige Leserschaft wendenden) Geschichtsschreibung kein Platz. Alle fünf Elemente vereint stellen innerhalb der rhetorischen t°xnai das weitverbreitetste Einteilungsprinzip (Quint. Inst. III 3, 1, Cic. Inv. I 7, 9) dar, das, wie schon Barwick 1922, bes. 1–2 diluzide nachweisen konnte, vor Aristoteles nirgendwo belegt ist. Nachdem dieses in der hellenistischen rhetorischen Theorie zu einem unbekannten Zeitpunkt herausgebildet worden war, tritt es erstmals in der Rhetorica ad Herennium (so programmatisch I 2, 3) in Erscheinung, und zwar bereits in voll entwickelter Gestalt. Zu dem an sich älteren Einteilungsprinzip nach den Teilen der Rede (in diesem Fall lediglich proo€mion und diÆghsiw), welches in hellenistischen t°xnai oft neben ersteres gestellt wurde (Barwick 1922, bes. 1–11), vgl. die Einleitung zu Kapitel 52. Kapitel 47 erteilt zunächst konkrete Anweisungen für das spezifisch im Medium der Historiographie (es geht einzig um den Gegenstand aktueller Kriegsgeschichte) anzuwendende, in anderem Zusammenhang (Kap. 51) wesentlich unproblematischer dargestellte (oÈ t€ e‡pvsi zhtht°on aÈto›w éllÉ ˜pvw e‡pvsin) Verfahren der Stoffauffindung (der Begriff eÏresiw ist allerdings in Kapitel 47 nicht explizit genannt). Demzufolge habe die sachliche Recherche nicht etwa nach dem Zufallsprinzip, sondern unter dem Aufwand von Mühe (filopÒnvw) und Beschwerlichkeit (talaip≈rvw) vonstatten zu gehen; die Wahrheitsermittlung habe vorzugsweise vermittels autoptischer Anschauung (parÒnta

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ka‹ §for«nta) zu erfolgen; wenn dieses Verfahren praktisch nicht durchführbar sei, so müsse eben

aus den durch voreingenommene Berichterstatter verzerrten Tatsachen mittels kritischen Abwägens von Wahrscheinlichkeitsgründen (efikãseien) das in höherem Grade Glaubwürdige ermittelt werden (toË piyanvt°rou). Zu den Recherchemethoden vgl. die neueste Arbeit von Schepens 2007. Der Kommentar erweist, daß damit ein thukydideisches (und z. T. bereits herodoteisches) Substrat in einer durch spätere historiographische (eine zentrale Rolle spielt bei diesem Prozeß Polybios) und rhetorische Traditionen erweiterten und sekundär überlagerten Form vorliegt. Der Autor gibt hier also in erster Linie dem thukydideischen Methodenkapitel entnommene Gedanken wieder, doch er tut dies nicht in unvermittelter Weise, sondern in einer an die Standards nachthukydideischer und aktueller historiographischer Diskurse, die sich solcherart bis zu einem gewissen Grad verläßlich rekonstruieren lassen, angepaßten Form. Vgl. dazu Teil II 1 der Einleitung, wo all dies in größerer Detailliertheit dargestellt ist. Eine zur Zeit häufig diskutierte Parodie der hier dargestellten Prinzipien findet sich in den Verae historiae (I 4), und auch in Kapitel 29 dieser Schrift wird ein korinthischer Historiker dafür kritisiert, daß er seinen ganz und gar nicht authentisch anmutenden Bericht als einzig und alleine auf Autopsie beruhend gekennzeichnet habe (grãfv to€nun ì e‰don, oÈx ì ≥kousa).

Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on, éllå filopÒnvw ka‹ talaip≈rvw pollãkiw per‹ t«n aÈt«n énakr€nonta, ka‹ mãlista m¢n parÒnta ka‹ §for«nta, efi d¢ mÆ, to›w édekastÒteron §jhgoum°noiw pros°xonta ka‹ oÓw efikãseien ên tiw ¥kista prÚw xãrin µ ép°xyeian éfairÆsein µ prosyÆsein to›w gegonÒsin. kéntaËya ≥dh ka‹ stoxastikÒw tiw ka‹ sunyetikÚw toË piyanvt°rou ¶stv.

énakr€nonta: Macleod 1980, 314; énakr€nanta: G. Tå d¢ prãgmata aÈtå oÈx …w ¶tuxe sunakt°on: Gegenstand dieses Passus sind demnach die

wissenschaftlichen Methoden der Wahrheitsermittlung, welche nur hier in dieser Schrift Behandlung finden, abgesehen von Kapitel 51, welches aber von dem Stoff als einer recht unproblematischen Gegebenheit ausgeht (oÈ t€ e‡pvsi zhtht°on aÈto›w éllÉ ˜pvw e‡pvsin). In formaler Hinsicht entspricht den hier erteilten Anweisungen in rhetorischer Theorie der erste der beim Verfassen jedweden Textes zu beachtenden drei Arbeitsschritte, die Auffindung des Stoffes (eÏresiw, inventio). Die Behandlung von Gliederung (tãjiw, dispositio) sowie sprachlicher Ausgestaltung (l°jiw, elocutio) sind Kapitel 48 vorbehalten. Das in diesem Kontext bekannte Verbum sunãgein (so auch D. H. I 11, 1, Th. 16, Pomp. 6) meint natürlich ebenso wie das rekapitulierende éyro€zein in Kap. 48 (so bereits Plb. XII 28 a: sunayro€zein / sunãgein) nicht schon die literarische Konzeption, sondern lediglich das im Arbeitsprozeß des Historikers der Erstellung eines Rohentwurfs (Kap. 48: ÍpÒmnhma) vorangehende Verfahren des Sammelns von Material (tå prãgmata) sowie dessen kritischer Prüfung (vgl. im skommatischlehrhaften Teil der Schrift Kap. 16 und bes. 24: oÏtv =&yÊmvw sunÆgage tå prãgmata). Dieses Verfahren der Sichtung, Auswahl und Bewertung der zur Verfügung stehenden Informationen dürfe nicht nach dem Zufallsprinzip erfolgen (oÈx …w ¶tuxe sunakt°on). Ähnlich hatte der in dieser Schrift dafür explizit als Vorbild dienende Thukydides erklärt, daß er sich bei der Darstellung der Ereignisgeschichte weder auf den erstbesten Informanten verlassen habe noch auch mit der Willkür subjektiver Mutmaßung verfahren wäre (Th. I 22, 2: tå dÉ ¶rga t«n praxy°ntvn §n t“ pol°mƒ oÈk §k toË paratuxÒntow punyanÒmenow ±j€vsa grãfein, oÈdÉ …w §mo‹ §dÒkei). Dionysios von

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Halikarnaß (Thuk. 6) paraphrasiert das mit den Worten: oÈk §k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn tåw prãjeiw suntiye€w (sc. Youkud€dhw). Und in seinem eigenen Geschichtswerk (I 1, 4) gibt er die programmatische Erklärung ab, daß die efikª d¢ ka‹ =&yÊmvw aÈtåw (sc. tåw Ípoy°seiw) suntiy°ntew §k t«n §pituxÒntvn ékousmãtvn kein Lob finden würden. Einer dermaßen unkritischen Methode hätten sich jedoch all diejenigen bedient, die vor ihm die römische Frühgeschichte behandelt hätten (I 4, 2 und I 6, 1). Hinsichtlich der Formulierung oÈx …w ¶tuxe ist auch das vernichtende Urteil zu vergleichen, welches Polybios generell über die Methode des Phylarchos fällt: pollå parÉ ˜lhn tØn pragmate€an efikª ka‹ …w ¶tuxen e‡rhken (Plb. II 56, 3). Lukian selbst verwendet das Idiom …w ¶tuxen auch in anderen Zusammenhängen (Nigr. 35, Icar. 4). éllå filopÒnvw ka‹ talaip≈rvw pollãkiw per‹ t«n aÈt«n énakr€nonta: Daß die Erforschung der tatsächlichen Geschehensabläufe mit Mühe (pÒnow) verbunden war, vermerkt bereits Thukydides (I 22, 3: §pipÒnvw d¢ hÍr€sketo). Dem Imperfektum hÍr€sketo entspricht im Lukiantext die wiederholte (pollãkiw) Quellenprüfung. In der Nachfolge des Thukydides spielen die Begriffe von intellektueller Knochenarbeit (pÒnow) und der Bereitschaft dazu (filopon€a) eine Rolle in den

geschichtsmethodologischen Erklärungen antiker Historiker, bei Polybios (XII 26 e 3–4), Josephos (BJ I praef. 5, 15–16), Dionysios (I 1, 2, Pomp. 6) und Diodor (bes. I 4, 1). Das Adverb talaip≈rvw geht direkt auf Thukydides (I 20, 3) zurück, der es im Sinn von intellektueller Denkanstrengung verwendet (oÏtvw étalaip≈rvw to›w pollo›w ≤ zÆthsiw t∞w élhye€aw). Spätere Historiker, selbst Verfasser von Universalgeschichte, sprechen mit Bezug auf ihre eigenen Forschungen explizit vom Ertragen von Drangsal (talaipvr€a), Gefahr (k€ndunow) und Strapazen (kakopãyeia). Beispiele dafür liegen bei Polybios (XII 27, 4–6, III 59, 7) und Diodor (I 4, 1) vor. In Kapitel 27 dieser Schrift ist die Junktur lipar«w ka‹ talaip≈rvw mit kritischer Konnotation verwendet, und andernorts (Herm 6) sind mit solchen Worten (tosoÊtouw pÒnouw én°xesyai ka‹ talaipvre›n) die angeblich mit der philosophischen Bemühung verbundenen Strapazen bezeichnet. Das innerhalb der geschichtsmethodologischen Erklärungen des Thukydides nirgendwo verwendete Verbum énakr€nein sowie auch das Substantiv énãkrisiw gebraucht allerdings Polybios (z. B. XII 4 c 3) zur Bezeichnung historischer Forschungsarbeit. Der Geschichtsschreiber, wie der Autor Lukian ihn verstanden wissen will, darf kein lediglich auf Informationen aus zweiter Hand angewiesener Stubenhocker (Kap. 37: katoik€diow) sein nach Art des in Kap. 29 verspotteten Korinthers, der niemals auch nur einen Fuß außerhalb Korinths gesetzt habe. Das Verbum énakr€nein gebraucht Lukian häufig in der Bedeutung von „ausforschend fragen“, mit per€ + Genetiv so wie hier in Icar. 24. ka‹ mãlista m¢n parÒnta ka‹ §for«nta, efi d¢ mÆ, to›w édekastÒteron §jhgoum°noiw pros°xonta ka‹ oÓw efikãseien ên tiw ¥kista prÚw xãrin µ ép°xyeian éfairÆsein µ prosyÆsein to›w gegonÒsin: Als bevorzugte (mãlista) Quelle für die historische Informationsgewinnung wird die persönliche

Teilhabe bei den zu beschreibenden Ereignissen genannt, die Autopsie (vgl. dazu die Einleitung, Teil II 1). Dieser stelle sich als die zweitbeste Ressource eine Auswertung von Berichten der Unparteiischeren unter den jeweiligen Informanten zur Seite. Auf diesem Wege sei allerdings bloß ein Näherungswert an die Wahrheit (toË piyanvt°rou) erreichbar, weil die jeweils verfügbaren Informanten mehr oder weniger stark (édekastÒteron, ¥kista) durch Gunsterweis (xãriw) und Haß (ép°xyeia) motivierte Tendenzen verfolgten. Eine Trennung von Autopsie (ırçn, ˆciw und aÈtÒpthw) und Sekundärinformationen (ékoÊein, ékoÆ und lÒgoi) findet sich erstmals bereits bei Herodot, der damit die für die Folgezeit gültigen Forschungsstandards begründete (Belege im Kommentar zu Kap. 29: âVta Ùfyalm«n épistÒtera ktl.). Große Nachwirkung war besonders der programmatischen Erklärung des Thukydides

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beschieden, der ausgesagt hatte, er beschreibe ... oÂw te aÈtÚw par∞n ka‹ parå t«n êllvn ˜son dunatÚn ékribe€& per‹ •kãstou §pejely≈n. §pipÒnvw d¢ hÍr€sketo, diÒti ofl parÒntew to›w ¶rgoiw •kãstoiw oÈ taÈtå per‹ t«n aÈt«n ¶legon, éllÉ …w •kat°rvn tiw eÈno€aw µ mnÆmhw ¶xoi (I 22, 2–3). Die Parteilichkeit der über Autopsie verfügenden Gewährsmänner, deren Sympathie (eÎnoia) für die

eine oder die andere Seite, wird also von Thukydides als ein die Wahrheitsfindung erschwerender Faktor namhaft gemacht. Und ein weiteres Manko bestünde in eben deren unterschiedlich stark ausgeprägter Erinnerungsfähigkeit (mnÆmh). Unter den bezeichneten Umständen könne selbst der gründlich recherchierende Historiker, als welchen Thukydides sich selbst verstanden wissen möchte, nur einen gewissen Näherungswert an die Wahrheit (˜son dunatÒn) erbringen. Damit setzt sich Thukydides deutlich ab von der Tendenz der Masse, mündlich zugegangene Informationen ungeprüft (ébasan€stvw) zu übernehmen, denn, wie er sagt: oÏtvw étalaip≈rvw to›w pollo›w ≤ zÆthsiw t∞w élhye€aw, ka‹ prÚw tå •to›ma mçllon tr°pontai (I 20, 1 und 3). In Auseinandersetzung mit den methodischen Defekten des Timaios präzisiert sodann Polybios die Wertigkeit beider Methoden der Wahrheitsermittlung. In der Nachfolge Heraklits (Ùfyalmo‹ går t«n Ãtvn ékrib°steroi mãrturew, DK I 22, Fr. 101 a, vgl. den Kommentar zu Kap. 29: âVta Ùfyalm«n épistÒtera) bestimmt er erkenntnistheoretisch den Primat der ˜rasiw vor der ékoÆ (Plb. XII 27, 1, vgl. XX 12, 8). Dennoch ist sich Polybios dessen bewußt, daß ein einzelnes Individuum unmöglich von all den für den Historiker relevanten Schauplätzen aus eigener Anschauung Kenntnis haben könne. So bleibe notwendigerweise bloß die Methode von Befragung möglichst vieler Gewährsmänner als Alternative übrig. Doch bedürfe dieses Verfahren einer kritischen Selektion der zugegangenen Informationen (Plb. XII 4 c 4–5). Die Aufgliederung in Autopsie und Zeugenbefragung findet sich auch bei späteren Historikern, bei Josephos (z. B. Ap. I 10, 53–54, BJ I 1, 3), Herodian (I 2, 5, II 15, 7) und Cassius Dio (LXXIII 4, 2, LXXIII 18, 3–4). Und von diesen Voraussetzungen her ist Lukians Parodie in den Verae historiae (VH I 4) zu verstehen, in denen der Verfasser demonstrativ an den Leser den Auftrag ergehen läßt, seinen Worten keinen Glauben zu schenken: grãfv to€nun per‹ œn mÆte e‰don mÆte ¶payon mÆte parÉ êllvn §puyÒmhn. Von Ktesias heißt es hier (VH I 3), er habe über Indien geschrieben: ì mÆte aÈtÚw e‰den mÆte êllou élhyeÊontow ≥kousen. Diese Pointe wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, wie Ktesias über die von ihm in den Indika verfolgte Methode gedacht hatte: Kths€aw l°gei télhy°stata grãfein, §pãgvn …w tå m¢n aÈtÚw fid∆n grãfein, tå d¢ parÉ aÈt«n may∆n t«n fidÒntvn (Phot. 72, 49 b 39–41 = FGrH III C 688, Fr. 45, § 51). Das Verbum §forçn anstatt des bloßen ırçn (überschauen) ist bewußt gewählt, um den erhöhten Standpunkt objektiver, gleich gewichtender Betrachtung zu markieren (so auch Kap. 49: éfÉ ÍchloË ır«nti mit Anspielung auf

den homerischen Zeus in Il. XIII, bes. 3–5, vgl. dazu den Kommentar z. St.). Die Leitbegriffe éd°kastow und prÚw xãrin µ ép°xyeian verfugen die Abschnitte über die Forschungsarbeit und das Ethos des Historikers, wie es in den Kap. 38–41 dargestellt wurde. Der Tendenzfreiheit und Unbestechlichkeit des Historikers (so bes. Kap. 38 und 41) entspricht nunmehr dessen Verpflichtung, den Gewährsmännern, die dem Ideal in höherem Grad nahekommen, Gehör zu schenken (das Verbum pros°xein + Dativ ist hier gebraucht wie in Anach. 17, wo der synonyme Begriff pisteÊein folgt). Der terminus technicus efikãzein (bereits bei Herodot tÚ ofikÒw) wurde durch Thukydides als ein zentraler Begriff in der historiographischen Terminologie etabliert. Dieser sowie verwandte Begriffe gehören dem methodologischen Repertoire späterer Historiker an. So billigt Polybios (XII 7, 4) Timaios und Aristoteles zu, sie hätten ihre Untersuchungen über die Gründung von Lokroi katå tÚn efikÒta

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lÒgon geführt, doch beinhalte die Version des Aristoteles mehr Wahrscheinlichkeiten (ple€ouw piyanÒthtew). Besondere Vorliebe für die Verwendung des Begriffes efikãzein zeigt Dionysios von

Halikarnaß, besonders da, wo der Quellenwert unterschiedlicher Autoritäten zur Debatte steht (II 38, 3). Lukian selbst verwendet das Verbum efikãzein ein weiteres Mal in dieser Schrift, nämlich da, wo er den Autor die Anweisung erteilen läßt, der Historiker dürfe für einen von ihm allenfalls dann und wann berichteten mËyow keine Gewähr übernehmen, sondern müsse die Entscheidung darüber dem Wahrscheinlichkeitsschluß des Rezipienten überlassen (Kap. 60). Und Arrian schließlich (An. I praef. 1) erklärt mit leichter Variation im Ausdruck, er berichte da, wo seine maßgeblichen Quellen Aristobulos und Ptolemaios nicht übereinstimmten, das, was ihm in höherem Grade glaubwürdig zu sein scheine (tå pistÒtera §mo‹ fainÒmena). Die rhetorischer Fachsprache entstammende Formulierung éfairÆsein µ prosyÆsein to›w gegonÒsin verwendet auch Dionysios (Th. 8), der nach dem übereinstimmenden Zeugnis fast aller entsprechenden Fachleute für Thukydides dies bezeugt: ... ˜ti t∞w élhye€aw ... ple€sthn §poiÆsato prÒnoian, oÎte prostiye‹w to›w prãgmasin oÈd¢n ˘ mØ d€kaion oÎte éfair«n. Mit leicht verändertem Wortlaut sagt Josephos (BJ I 10, 26) über die von ihm verfolgte Methode: oÈd¢n oÎte épokruptÒmenow oÎte prostiye‹w to›w pefvram°noiw. Der Ursprung derartiger Idiome dürfte in der aristotelischen Mesotes-Lehre liegen, wie die von Hendrickson 1904, 135, Anm. 2 herangezogene Stelle aus der Nikomachischen Ethik (II 6, 1106 b 9–12) nahelegt: ˜yen efi≈yasin §pil°gein to›w eÔ ¶xousin ¶rgoiw ˜ti oÎtÉ éfele›n ¶stin oÎte prosye›nai, …w t∞w m¢n Íperbol∞w ka‹ t∞w §lle€cevw fyeiroÊshw tÚ eÔ, t∞w d¢ mesÒthtow sƒzoÊshw (vgl. dazu auch die folgende Anmerkung). stoxastikÒw tiw ka‹ sunyetikÚw toË piyanvt°rou: Das Adjektiv stoxastikÒw, ein Hapax Legomenon

innerhalb des Corpus Lucianeum, reiht sich ein in die dem Bereich des Bogenschießens, d. h. des Treffens und Verfehlens, entnommenen Metaphern, wie sie in dieser Schrift wiederholt anzutreffen sind, so stoxãzesyai (Kap. 61), skopÒw (Kap. 44), èmartãnein bzw. èmãrthma (Kap. 6–7 und 24). In der Philosophie, namentlich im Peripatos, bezeichnet stoxastikÒw auf intuitiver Stärke oder rational wägendem Kalkül basierende Treffsicherheit im Erfassen des Praktikablen (Pl. Grg. 463 a, Arist. EN VI 7, 1141 b 12–14) oder die Zielsicherheit im Erkennen von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit (Arist. Rh. I 1, 1355 a: ... prÚw tå ¶ndoja [die Begriffsbestimmung von ¶ndoja in Top. I 1, 100 b 21–23] stoxastik«w ¶xein toË ımo€vw ¶xontow ka‹ prÚw tØn élÆyeiãn §stin, EN II 6, 1106 b 14–15: ≤ dÉ éretØ ... toË m°sou ín e‡h stoxastikÆ, vgl. dazu die vorangehende Anmerkung). Der Geschichtsschreiber ähnelt dem Redner, insoferne auch er es mit Wahrscheinlichkeiten zu tun hat. Das bei Lukian ebenfalls singuläre Adjektiv sunyetikÒw bezieht sich nicht, wie Homeyer (1965, 261) meint, sowohl auf die gedankliche als auch auf die sprachliche Komposition; denn das gesamte Kapitel 47 beinhaltet einzig das Verfahren der Materialsammlung, wie auch Kap. 48 (§peidån éyro€s˙ ëpanta µ tå ple›sta) zeigt. Es kann daher nur gemeint sein, daß der Historiker über die Fähigkeit (Hermann 1828, 285 nennt es Combinationsgabe) verfügen müsse, die von ihm als zuverlässig befundenen disparaten Informationseinheiten zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Erst danach kann als der nächste Arbeitsschritt die Erstellung eines Rohentwurfes (Kap. 48: ÍpÒmnhma) erfolgen.

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Kapitel 48 Der Prozeß der stofflichen Recherche (in der Geschichtsschreibung tritt an die Stelle der ansonsten in der Rhetorik geforderten inventio die Sammlung und kritische Bewertung der verfügbaren Informationen) findet seinen vorläufigen Abschluß in der Erstellung eines vorerst noch unstrukturierten, schmucklosen Rohentwurfs (ÍpÒmnhma, Avenarius 85–104). Zum Vergleich: das Werk des in Kapitel 16 kritisierten Kallimorphos bleibt noch in seiner Endfassung auf dieser rudimentären Stufe stehen. Danach müssen die im Produktionsprozeß zeitlich nachgereihten Arbeitsschritte von Gliederung (tãjiw, dispositio) und sprachlich-stilistischem sowie rhythmischem Schmuck (l°jiw, elocutio bzw. kãllow, ornatus) erfolgen. Was der Autor hier sagt, ist an sich aus antiker rhetorischer Theorie wohlbekannt, doch die spezielle Applikation von Theorie und Terminologie auf den Bereich der Historiographie findet sich nur hier in dieser vollständig durchgeführten Form. Immerhin liegt mit spezifischem Bezug zu der Geschichtsschreibung ein solches Zweiphasenschema vor in der Markellinos-Vita des Thukydides (Kap. 47) sowie bei Cassius Dio (LXXII = LXXIII 23, 5) und Josephos (Ap. 1, 50); in diesen Fällen ist jedoch der in anderem Zusammenhang aus Ammonios (Ípomnhmatikã) bekannte terminus technicus ÍpÒmnhma nicht gebraucht.

ka‹ §peidån éyro€s˙ ëpanta µ tå ple›sta, pr«ta m¢n ÍpÒmnhmã ti sunufain°tv aÈt«n ka‹ s«ma poie€tv ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton: e‰ta §piye‹w tØn tãjin §pag°tv tÚ kãllow ka‹ xrvnnÊtv tª l°jei ka‹ sxhmatiz°tv ka‹ =uymiz°tv.

ÍpÒmnhmã ti sunufain°tv aÈt«n: Der literartheoretische Begriff ÍpÒmnhma (dieser ist zu unterscheiden vom literarischen ÍpÒmnhma, dazu nicht immer genau Engels 1999, 59–75) bezeichnet

gegenüber der Sammlung, Bewertung und konzeptionellen Zusammenstellung des Materials (Kap. 47) den nächsten Arbeitsschritt, die schriftliche Abfassung eines vorläufigen Rohentwurfs (ÍpÒmnhma). Dieses ÍpÒmnhma ist gekennzeichnet durch die in diesem Stadium noch fehlenden Elemente von Gliederung (tãjiw) und von sprachlich-stilistischem Schmuck (kãllow). Wie man sich diesen vom Entwurf zum fertigen Werk verlaufenden Arbeitsprozeß in der Antike vorstellte, das zeigt eine Stelle in der Thukydides-Vita des Markellinos (Kap. 47), welche die Arbeitsweise des Thukydides in zwei zeitlich aufeinanderfolgende Schritte unterteilt, in die Aufzeichnung von Reden und Taten (shme€vsiw), welche erfolgt sei diå tØn mnÆmhn, und in die Ausschmückung durch das Element des kãllow, um dem Werk die publikationsreife endgültige Form zu verleihen. Und dieselbe Vita (Kap. 44) weiß zu berichten, es habe Erklärer gegeben, welche die Authentizität des achten thukydideischen Buches damit begründeten, daß es sich dabei um einen skizzenhaften Rohentwurf in noch schmuckloser Form (ékall≈pistow) handle. Weder hier noch an den anderen Stellen, welche diese beiden zeitlich aufeinanderfolgenden Arbeitsschritte für andere Historiker expressis verbis belegen (D. C. LXXII = LXXIII 23, 5, J. Ap. 1, 50), fällt das hier gebrauchte Wort ÍpÒmnhma. Doch zeigte Avenarius (1956, 86–87) in seiner in dieser Hinsicht illustrativen Behandlung der Thematik, daß es sich um ÍpomnÆmata handelt, wie sie auch für andere Bereiche literarischer Produktion belegt sind. Ammonios nennt nämlich im Kommentar zu den aristotelischen Kategorien (Busse 4) als den ersten Arbeitsschritt Ípomnhmatikã, eine noch skizzenhafte (kefalaivd«w) Darstellung, auf welche die durch die tãjiw und das kãllow lÒgvn bzw. auch •rmhne€aw gekennzeichnete endgültige Fassung (suntagmatikã) folge. Belege zu dieser Terminologie (ÍpomnhmatikÒn für die provisorische Fassung und ÍpÒmnhma bzw. sÊntagma oder Ähnliches für die endgültige Redaktion) finden sich bei Dorandi 1991 in seiner Untersuchung über

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die kaiserzeitliche Prosa enzyklopädischen und philosophisch-wissenschaftlichen Charakters. Im skommatisch-lehrhaften Teil der Schrift (Kap. 16) kritisiert der Autor Lukian Kallimorphos, der ein ÍpÒmnhma t«n gegonÒtvn gumnÚn ... komidª pezÚn ka‹ xamaipet¢w verfaßt habe. Immerhin habe dieser fidi≈thw, so vermerkt der Autor, für einen mit Feinsinn ausgestatteten Verfasser, der eine regelrechte flstor€a zu schreiben imstande wäre, eine Vorarbeit geleistet (propeponhk≈w). Allerdings hätte er angesichts des tagebuchartigen Charakters des dürren Elaborats nicht den Status von flstor€ai beanspruchen dürfen. Hier ist als Bezugspunkt in erster Linie an schmucklose Memoirenliteratur zu denken (so genannt von Wehrli 1947, 59, Schwartz 1938, 79 spricht von „Geschichtsschreibung der Militärs und Diplomaten“), wie sie in der Zeit des Hellenismus weite Verbreitung fand und als deren bekanntester Vertreter der von Polybios (II 40, 4) auch aufgrund seines Werkes überaus geschätzte Aratos von Sikyon (FGrH II B 231) gilt. Auch andere hellenistische Staatsmänner verfaßten Memoiren, so Ptolemaios VIII. Euergetes II. (FGrH II B 234) und Herodes I. von Judaea (FGrH II B 236); bei all diesen Werken ist mit einer gewissen Variationsbreite hinsichtlich Form, Inhalt und Intention zu rechnen (Meister 1990 a). Plutarch charakterisiert den Stil des Aratos in seiner einschlägigen Biographie mit knappen, aber gleichermaßen präzisen wie illustrativen Worten (Arat. 3, 2: ka€toi gegon°nai komcÒteron efipe›n µ doke› tisin §k t«n Ípomnhmãtvn kr€nousin, ì par°rgvw ka‹ ÍpÚ xe›ra diå t«n §pituxÒntvn Ùnomãtvn èmillhsãmenow kat°lipe), und diese wenig schmeichelhafte Einschätzung läßt berechtigte

Schlußfolgerungen auf die literarische Qualität all dieser Elaborate hellenistischer Hofhistoriographen zu, die nach dem Vorbild Alexanders d. Gr. von Fürsten zur Bearbeitung täglicher Aufzeichnungen und Urkunden beauftragt wurden (dazu Misch 1949, 209–215, bes. 209). Ein ernstes Mißverständnis ist es, wenn Avenarius 1956, 97–104 glaubt, man habe sich bei dem Produktionsvorgang zwei verschiedene Personen am Werke zu denken, und zwar einen, der das ÍpÒmnhma anfertige, und einen, der für die künstlerische Ausarbeitung sorge. Avenarius schließt dies aus Kapitel 51, wo es heißt, auch die bildenden Künstler bekämen das Material von den Eleern, Athenern oder Argivern geliefert. Daraus folgert Avenarius unberechtigterweise (97): „so wird – das ist sinngemäß zu ergänzen – dem Geschichtsschreiber das schmucklose ÍpÒmnhma von Leuten wie ... Kallimorphos [vgl. Kap. 16] zur Verfügung gestellt. Diese bringen für ihn den Stoff in gebrauchsfertigen Zustand, so daß er sich, ohne von den lästigen Vorarbeiten lange aufgehalten zu werden, unverzüglich der künstlerischen Bearbeitung widmen kann“. Auf dieser Verzerrung des tatsächlichen Textsinns (Lukian denkt an zwei Arbeitsschritte ein und desselben Autors) aufbauend kommt Avenarius (103–104) zum unzutreffenden Resultat, die Eingrenzung der historiographischen Aufgabe auf die künstlerische Ausarbeitung gehe auf Isokrates zurück, und er folgert, mit Berufung auf Laqueur, weiter, Theopompos und Ephoros habe eben dasselbe Material zur Ausgestaltung vorgelegen (104, Anm. 82). Vgl. dazu auch die Einleitung, Teil I 3. 7. Das erstmals durch Platon (Ti. 69 a) metaphorisch auf die Rede bezogene Verbum sunufa€nein gehört zum Standardrepertoire innerhalb rhetorischer Theorie (Arist. Rh. Al. 32, 1439 a 32, D. H. Comp. 18 und 23). Ps. Longinos (1, 4) spricht im Zusammenhang mit tãjiw und Stoffökonomie von einem Gewebe (Ïfow) an Worten. s«ma poie€tv ékall¢w ¶ti ka‹ édiãryrvton: Die antiken Literaturkritiker gebrauchen in der Nachfolge des Platon (Phdr. 264 c) und des Aristoteles (Po. 23, 1459 a bes. 17–21) s«ma in

metaphorischer Bedeutung zur Bezeichnung der organischen Einheit eines literarischen Werkes, nämlich Hermogenes (Hermog. Inv. 3: Ïfow ©n ı lÒgow ... ka‹ s«ma, mØ diasp≈menow), Ps. Longinos (10, 1: ßn ti s«ma, vgl. 40, 19) und, mit Bezug des ©n s«ma auf die diÆghsiw, der Anonymus

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Seguerianus (Kap. 132, Dilts / Kennedy 36). Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 3) erklärt in seinem Abschnitt über die tãjiw im Geschichtswerk, Herodot habe aus einer Vielzahl unterschiedlicher Gegenstände ein sÊmfvnon ©n s«ma geschaffen, während Thukydides die Einheit des Objekts in viele Teile zerteilt habe. Lukian (Kap. 23 und 55) bezeichnet mit s«ma ohne den vordringlichen Aspekt der organischen Einheit die dem Proömium gegenübergestellte diÆghsiw (ähnlich bereits Arist. Rh. III 14, 1415 b 8–9). Zu ékall°w ist wie in Prom. 14 (tØn g∞n oÈk°tÉ aÈxmhrån ka‹ ékall∞ oÔsan) pointiert ein ¶ti hinzugefügt, bezeichnet doch ékall°w den unnatürlichen Zustand des Fehlens des einem jeden Ding an sich zukommenden ‡dion kalÒn (so Kap. 11). Wie sich ékall°w zum kãllow verhält, so édiãryrvtow („ungegliedert“) zu der tãjiw. Im eigentlichen Sinn (tÚ êryron = „Gelenk“) findet sich das Adjektiv édiãryrvtow wiederholt in den naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles (GA 732 a 29, 774 b 15) und besonders häufig in medizinischer Literatur, namentlich bei Galen (z. B. Kühn I 626, Z. 12: êrrvstoi ka‹ édiãryrvtoi tå k«la ka‹ blaisto‹). Im übertragenen Sinn wird diaryroËn (auch im Medium, so bei Pl. Prt. 322 a) gebraucht zur Bezeichnung von sprachlicher Artikulation (D. S. I 8, 3, Pl. Prt. 322 a) und Sprachausbildung (über das Stimmtraining des Demosthenes Plu Dem. 11, 1 und Ps. Luk. Dem. Enc. 14), von Perfektionierung des Tanzes (Luk. Salt. 25), sodann, bezogen auf das Gebiet der Literatur, von der Vervollständigung eines bloß in Umrissen vorliegenden Stoffes (Arist. EN I 7, 1098 a 22–23: diaryr«sai tå kal«w ¶xonta perigrafª). Galenos (Kühn VIII 606, Z. 4) verwendet das Adverb édiaryr≈tvw zur Bezeichnung einer unklaren, wirren Rede (diå tÚ sugkexum°nvw te ka‹ édiaryr≈tvw efir∞syai). Hermogenes (Id. 2, 11 Spengel II 416, Z. 26–28) sagt über Andokides: édiãryrvtow gãr §stin §n ta›w sxÆmasi ka‹ édieukr€nhtow ka‹ tå pollå §pisunãptei te ka‹ peribãllei étãktvw, weshalb er denn auch manchen seiner Kritiker als ein unklarer Schwätzer

erschienen sei. Diese Aussage in Verbindung mit Lukians selbstverständlicher Verwendung des Wortes zeigt, daß édiãryrvtow zu einem nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt den Charakter eines etablierten literarkritischen Terminus angenommen haben muß. e‰ta §piye‹w tØn tãjin §pag°tv tÚ kãllow ka‹ xrvnnÊtv tª l°jei ka‹ sxhmatiz°tv ka‹ =uymiz°tv: Als nächster Arbeitsschritt nach Erstellung des ÍpÒmnhma muß das Aufsetzen der Gliederung (tãjiw, dispositio: Lausberg § 443) erfolgen. Aristoteles bestimmt die tãjiw als die Anordnung der Teile der Rede (Rh. III 1, 1403 b: p«w xrØ tãjai tå m°rh toË lÒgou), und Ps. Longinos (1, 4) bringt diese in einen engen Zusammenhang zur stofflichen Ökonomie (tØn t«n pragmãtvn tãjin ka‹ ofikonom€an). Lukian versteht unter der tãjiw, über die er nirgendwo sonst in seinem Werk systematisch handelt,

zunächst ganz allgemein die Darbietung des Stoffes in der richtigen Reihenfolge (vgl. die Satire in Rh. Pr. 18), sodann, bezogen auf die Geschichtsschreibung, dem jeweiligen Gegenstand angepaßte Gewichtung sowie ausgewogene Proportionierung der Einzelteile (zu den Stellen im skommatischlehrhaften Teil der Schrift vgl. Weissenberger 1996, 108–112). Der letzte Arbeitsschritt, im Text markiert durch das Aoristpartizip §piye‹w, ist der stilistischrhythmischen Ausgestaltung vorbehalten, dem Heranführen (zur technischen Bedeutung von §pãgein vgl. den Kommentar zu Kap. 55: §pãjei) des kãllow (ornatus). Die einzelnen Elemente dieses den Produktionsprozeß abschließenden Verfahrens wurden in dieser Schrift bereits abgehandelt, in Kap. 43–45 die l°jiw, in Kap. 44 die sxÆmata (alle Herausgeber nehmen zu Recht Solanus’ Konjektur sxhmatiz°tv, so Reitz 1743, 59, für das in G und E überlieferte xrhmatiz°tv in ihre Texte auf) und in Kap. 46 der Prosarhythmus. Die pointierte Formulierung xrvnnÊtv (das Verbum xrvnnÊnai in dieser übertragenen Bedeutung ist sehr selten belegt) nimmt eine konventionelle Metapher auf, denn die griechische Rhetorik bezeichnet die stilistische Farbgebung mit xr«ma (D. H. Th. 24 = Amm. II 2), lateinische Rhetorik analog mit color (Cic. de Orat. III 25, 96, Quint. Inst. VI 3, 107 und X 1, 116; eine reiche Bildersprache findet sich in Cic. Att. I 14, 3 und II 1, 1, mit Anspielung auf erstere Stelle Plin. Ep. I 2, 4). 556

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Kapitel 49 Die Kapitel 49–51 (auch hier wiederum eine triadische Komposition) hängen untereinander zusammen, insoferne in ihnen das in Kapitel 47 angesprochene und in ein anschauliches Bild gefaßte Prinzip autoptischer Wahrnehmung (parÒnta ka‹ §for«nta) aus unterschiedlicher Perspektive fortgeführt und mit kräftiger Zeichnung visuell ausgestaltet wird. Zunächst (Kapitel 49) ergeht an den Historiker die Aufforderung, den olympischen Standpunkt des seinen Blick überallhin schweifen lassenden homerischen Zeus (Hom. Il. XIII 1–9) einzunehmen; wie dieser müsse er seine Aufmerksamkeit bald auf die eine Seite fokussieren, bald auf die andere, bald, in Momenten kämpferischer Auseinandersetzung, wiederum auf beide gemeinsam, es sei denn eine besonders dynamische Aktion (als Beispiel dafür dienen prominente, aus Thukydides bekannte Einzelaktionen bei dem Kampf um Pylos, Th. IV 9–12: Brasidas und Demosthenes) oder eine Feldherrnrede erfordere die Bindung aller seiner mentalen Kräfte. Viermal erscheint auf engstem Raum das Verbum ırçn und einmal das Substantiv y°a. Wie der bei Homer (hier ist implizit auf Il. VIII 69–74, XXII 209–212 angespielt) die Schicksale der Menschen auf goldener Waage wägende Zeus, so habe auch der (im Unterschied zu dem frei imaginierenden Dichter, so ist erklärend hinzuzufügen) an reale Wahrnehmungsakte gebundene Historiker die Vorgänge auf beiden Seiten mittels gleich gewichtender Betrachtung (zugostate€tv) zu erfassen und das vom erhöhten Standpunkt aus Erschaute in authentischer Weise und verdeutlichend wiederzugeben (dhloÊtv ≤m›n oÂa §fa€neto aÈt“ éfÉ ÍchloË ır«nti). Lukian gelingt es so, den üblicherweise bloß in unanschaulicher Weise vorgetragenen historiographischen Topos der Autopsie (vgl. die Einleitung, Teil II 1) in Bildlichkeit umzusetzen und auf diese Weise dem geforderten Darstellungsprinzip der Anschaulichkeit (§nãrgeia, Kap. 51) durch Übertragung dieser (an sich konventionellen) darstellerischen Qualität auf das wahrnehmende Bewußtsein des Historikers selbst eine neue, überraschende Nuance zu entlocken. Es liegt jedenfalls kein Hinweis darauf vor, daß diese Art von Visualisierung auch des Intellekts des Historikers bereits vor Lukian in dermaßen expliziter Weise entfaltet worden wäre. Am ehesten zu vergleichen ist das polybianische Konzept von §nãrgeia (XX 12, 8: ≤ katå tØn §nãrgeian p€stiw) und besonders das der aÈtopãyeia, (XII 25 h 2–4), welch letztere wegen des Vergleiches der authentischen Wahrnehmung des Historikers mit den Möglichkeiten der bildenden Kunst (es ist ein Spezifikum der Malerei, reale Lebewesen lebensecht abzubilden) Lukian nahesteht. Vgl. dazu die Einleitung, Teil I 3. 7 (zu Duris, Polybios und Lukian).

Ka‹ ˜lvw §oik°tv tÒte t“ toË ÑOmÆrou Di‹ êrti m¢n tØn t«n flppopÒlvn Yr˙k«n g∞n ır«nti, êrti d¢ tØn Mus«n – katå taÈtå går ka‹ aÈtÚw êrti m¢n tå ÑRvma€vn fid€& ırãtv ka‹ dhloÊtv ≤m›n oÂa §fa€neto aÈt“ éfÉ ÍchloË ır«nti, êrti d¢ tå Pers«n, e‰tÉ émfÒtera efi mãxointo.

katå taÈtå: so Hermann 1828, 52–53, Fritzsche 1860, 95, Kilburn 1968, 62, Macleod 1980, 314 (katå taÈtã ist häufig bei Lukian, Par. 30, JTr. 38, Herm 58, Ind. 5, Symp. 39, Cont. 3, Bis Acc. 34, u. o.); katå taËta: G; tå ÑRvma€vn fid€&: so Reitz 1743, 60, Hermann 1828, 53, Fritzsche 1860, 95, Kilburn 1968, 62, Macleod 1980, 314 (im Text ) nach einer als Konjektur zu bewertenden Lesart in jüngeren Handschriften; fid€&: G; ÑRvma€vn fid€&: E. Ka‹ ˜lvw: Lukian verwendet dieses Idiom mit Vorliebe, um einen Sachverhalt mit dem Aspekt

von definitiver Endgültigkeit auf den Punkt zu bringen, in dieser Schrift entweder mit (wie hier) explizit gesetztem (so regelmäßig von ¶stv in Kap. 47 an) oder aus dem Textzusammenhang zu 557

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ergänzendem Imperativ wie in Kap. 37 und 39, auch mit einem unpersönlichem de› (so Kap. 8) oder mit Verbaladjektiv (Kap. 9). In all diesen Fällen hat die Aussage grundsätzlich belehrenden Charakter wie ˜lvw d° in Kap. 51 (vgl. den Kommentar zur Stelle: ˜lvw d°, nomist°on, mit Belegen aus anderen Schriften Lukians). §oik°tv tÒte t“ toË ÑOmÆrou Di‹ êrti m¢n tØn t«n flppopÒlvn Yr˙k«n g∞n ır«nti, êrti d¢ tØn Mus«n: Diese Anspielung bezieht sich auf den Eingang zum 13. Gesang der Ilias (1–9), wo

Zeus, nachdem gerade Hektor und die Troer die Achaier zu ihren Schiffen zurückgedrängt hatten, in der Erwartung, keiner der Götter würde nun mehr einer der beiden kriegführenden Seiten zu Hilfe kommen, seinen Blick vom Kampfgeschehen wegwendet, hin zu den Thrakern, Mysern, Hippemolgen und Abiern (Il. XIII 3–7: ... aÈtÚw d¢ pãlin tr°pen ˆsse faein≈, / nÒsfin §fÉ flppopÒlvn Yr˙k«n kayor≈menosw a‰an / Mus«n tÉ égxemãxvn ka‹ égau«n ÑIpphmolg«n / glaktofãgvn, ÉAb€vn te dikaiotãtvn ényr≈pvn. / §w Tro€hn dÉ oÈ pãmpan ¶ti tr°pen ˆsse faein≈:) Seine Absenz motiviert in Folge den hoch von Samos aus Wache haltenden Poseidon zu

einem Eingreifen zugunsten der Achaier, während Zeus seinerseits erst wieder im folgenden Gesang (XIV 157) auf der Spitze des Idagebirges in Erscheinung tritt, wo dann die DiÚw épãth stattfindet. Dieser Passus aus Homer ist von Lukian auch in Icar. 11 ausgewertet, wo Menippos, bei seinem Flug am Mond angelangt, eine Rast einlegt, um so wie der homerische Zeus von oben her auf die Erde herabzublicken (Àsper ı toË ÑOmÆrou ZeÁw §ke›now êrti m¢n tØn t«n flppopÒlvn Yr˙k«n kayor≈menow, êrti d¢ tØn Mus«n). Die gegenüber vorliegender Stelle noch etwas größere Nähe zum Homertext (kayor≈menow gegenüber ır«nti) wird jedoch im Folgenden in einer für Lukians Kunst der Desillusionierung charakteristischen Weise ganz bewußt durch den Hinweis aufgehoben, daß nach Belieben ein Blick auf Griechenland, Persien und Indien möglich gewesen wäre. Andernorts (Bis Acc. 2) beklagt sich Zeus gar, daß er zur selben Zeit (katå tÚn aÈtÚn xrÒnon) überall hin seinen Aufsicht führenden Blick wenden müsse, daß er in ein und demselben Moment (ÍfÉ ßna kairÒn) zu unterschiedlichen Zwecken in Olympia und Babylon, bei den Geten und den Aithiopen gleichzeitig zugegen zu sein habe. Zu der Formulierung §oik°tv ... Di‹ ist in formaler Hinsicht zu vergleichen Kap. 51: katÒptrƒ §oiku›an parasx°syv tØn gn≈mhn. Das in klassischer Prosa nicht gebräuchliche Idiom êrti m°n ... êrti d° (in der Bedeutung modo ... modo = „bald ... bald“) wird von keinem Autor häufiger verwendet als von Lukian. ırãtv ka‹ dhloÊtv ≤m›n oÂa §fa€neto aÈt“ éfÉ ÍchloË ır«nti: Kapitel 49 und 51 verbindet

der wichtige Umstand, daß in ihnen gleichermaßen, wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive, die Aufforderung an den Historiker ergeht, das solcherart visuell Wahrgenommene in authentischer Weise wiederzugeben. Das Spiegelgleichnis in Kap. 51 verwendet für diesen Vorgang das Verbum deiknÊnai (ıpo€aw ín d°jhtai tåw morfåw t«n ¶rgvn toiaËta ka‹ deiknÊtv aÈtã), hier steht für diesen selben Vorgang der Begriff der Verdeutlichung (dhloËn), deren Funktion die direkte Vermittlung der Wahrheit ist. In diesem Sinne hatte Lukian im ersten Teil (Kap. 9) als spezifische Aufgabe der Geschichtsschreibung bezeichnet tØn t∞w élhye€aw dÆlvsin. Durch den Zusatz éfÉ ÍchloË zu ır«nti (das Verbum ırçn erscheint in Kap. 49 mehrfach in leitmotivischer Funktion, davon zweimal in der Form ırãtv, danach auch das Substantiv y°a) ist das Schauen als eine Wahrnehmung aus olympischer Perspektive präzisiert, wodurch der Aspekt der in Kap. 47 durch §for«nta als ein Akt des Überschauens stilisierten Autopsie aufgegriffen und weitergeführt wird. Während der Dichter lediglich seiner Imagination zu folgen brauche (Kap. 8: tÚ dÒjan t“ poihtª), sei der Historiker ausschließlich an reale Wahrnehmungsakte gebunden (oÂa §fa€neto aÈt“).

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ka‹ §n aÈtª d¢ tª paratãjei mØ prÚw ©n m°row ırãtv mhd¢ §w ßna flpp°a µ pezÒn – efi mØ Bras€daw tiw e‡h prophd«n µ Dhmosy°nhw énakÒptvn tØn §p€basin: §w toÁw strathgoÁw m¢n tå pr«ta, ka‹ e‡ ti parekeleÊsanto, kéke›no ékhkoÊsyv, ka‹ ˜pvw ka‹ √tini gn≈m˙ ka‹ §pino€& ¶tajan. §peidån d¢ énamixy«si, koinØ ¶stv ≤ y°a, ka‹ zugostate€tv tÒte Àsper §n trutãn˙ tå gignÒmena ka‹ sundivk°tv ka‹ sumfeug°tv.

m¢n tå pr«ta: dies ist die Lesart der ältesten Handschriften, danach Reitz 1743, 60, Hermann 1828, 53, Iacobitz 1838, 43, Bekker 1853, 37, Homeyer 1965, 154; m°ntoi anstelle von m¢n ist eine Konjektur

von Geist, welche von Dindorf 1858, 21, Jacobitz 1866, 25 und Macleod 1980, 314 im Text (im textkritischen Apparat: m¢n oÔn conieci) übernommen wurde (so auch Macleod 1991, 238). Ich sehe allerdings keinen zwingenden Grund, die einheitliche Überlieferung zu verändern, wenn auch dieser Satz in einem gewissen Gegensatz zu dem vorangehenden zu stehen scheint. ékhkoÊsyv: diese Form, ein ëpaj legÒmenon, wurde erstmals durch eine Anmerkung Hermanns 1828, 53 im textkritischen Apparat (im Text ékou°tv) autorisiert und von den modernen Herausgebern mit Ausnahme von Dindorf 1858, 21 (ékhko°tv) und Sommerbrodt 1878, 48 sowie 1893, 23 (ékhko°tv) übernommen. Auch Fritzsche 1860, 96 folgt Cobets Idee ékhko°tv (ut ipse quoque juvenis conjeceram), nachdem er zuvor Hermann zugestimmt hatte, da er im Gorlicensis die ungewöhnliche Perfektform ékÆkousmai statt des üblichen ≥kousmai entdeckt hatte; ékÆkosto: G; ékÆkousto: E; die von den beiden ältesten Textzeugen überlieferten Formen sind nicht nur ohne Parallele, sondern ergeben auch keinen mit der Aussage der Stelle vereinbaren Sinn. efi mØ Bras€daw tiw e‡h prophd«n µ Dhmosy°nhw énakÒptvn tØn §p€basin: Hatte sich Lukian in

Kap. 38 das siebente Buch des Thukydides zur Vorlage genommen, so bezieht er sich nun auf dessen Darstellung der Ereignisse um Pylos (Th. IV 9–12, bes. 11–12) im siebenten Kriegsjahr, d. h. im Sommer 425 v. Chr. (in beiden Fällen handelt es sich um mit Vorliebe von Lukian für literarische Reminiszenzen ausgebeutete Passagen aus Thukydides, wie Bartley 2003, 226–228 für VH I 13–21 gezeigt hat). Die Spartaner unter Führung des Nauarchen Thrasymedidas versuchen, so der Bericht des Thukydides, in einer besonders schwierigen Aktion vom Meer her die durch Demosthenes verteidigte Befestigung der Athener einzunehmen. Auf spartanischer Seite rückt alsbald Brasidas, der eine Landung mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste erzwingen will, als energischer Akteur in das Zentrum des darstellerischen Interesses (IV 11, 4: pãntvn d¢ faner≈tatow Bras€daw §g°neto). Bei seinem Versuch, an Land zu gehen, wird er jedoch von den Athenern zurückgeschlagen und verwundet (IV 12, 1: ka‹ ı m¢n toÊw te êllouw toiaËta §p°sperxe ka‹ tÚn •autoË kubernÆthn énagkãsaw Ùke›lai tØn naËn §x≈rei §p‹ tØn épobãyran: ka‹ peir≈menow époba€nein énekÒph ÍpÚ t«n ÉAyhna€vn ka‹ traumatisye‹w pollå §lipocÊxhse ...). Gegenüber der

die Erzählung beherrschenden Präsenz des Brasidas fällt der nachgereichte Bericht über die Versuche der anderen Spartaner, die Landung durchzusetzen, vergleichsweise knapp aus (IV 12, 2: ofl dÉ êlloi proÈyumoËnto m°n, édÊnatoi dÉ ∑san épob∞nai t«n te xvr€vn xalepÒthti ka‹ t«n ÉAyhna€vn menÒntvn ka‹ oÈd¢n ÍpoxvroÊntvn, Fortsetzung von IV 11, 3).

Lukian hält sich hinsichtlich des Wortlauts nur sehr bedingt an das Original. Einzig das Verbum énakÒptein („zurückschlagen“) behält er zwar bei, bezieht es jedoch pointiert auf den Angriff (§p€basin) des Brasidas, nicht bloß auf dessen Landungsversuche, für welche Thukydides die Substantive épÒbasiw (IV 11, 4) und épobãyra (IV 12, 1) sowie das Verbum époba€nein (IV 11, 4 und 12, 1) verwendet. Der thukydideische Wortlaut veranlaßte Fritzsche (1860, 96), dem sich Sommerbrodt (1878, 48 und 1893, 23), wie auch sonst häufig, anschloß, im Lukiantext das überlieferte §p€basin durch épÒbasin zu ersetzen. Dagegen ist aber einzuwenden, daß es

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Lukian in seiner überzeichnenden Ausdrucksweise gerade auf die Beantwortung der Attacke des Individuums Brasidas durch die persönliche Gegenattacke des Demosthenes (bei Thukydides sind es demgegenüber die Athener, die Brasidas zurückschlagen) ankommt. Dementsprechend findet sich das recht energetische Verbum prophdçn (so DMeretr. 13, 2, mit dem Aspekt der Dreistigkeit in Alex. 13), welches Lukian andernorts (DMort. 27, 2) vom unbedacht-kühnen Sprung des Protesilaos an Land gebraucht, beim zurückhaltender formulierenden Thukydides, der Brasidas bloß einen pãntvn faner≈tatow nennt, nicht. §w toÁw strathgoÁw ... e‡ ti parekeleÊsanto: Das Verbum parakeleÊesyai (in der spezifischen

Bedeutung „eine Ansprache an die Soldaten halten“) verwendet insbesondere Thukydides (zu den Feldherrnreden des Thukydides vgl. Marincola 2001, 83 mit der Literatur dazu in Anm. 102) in Einleitungen zu in direkter Form dargebotenen Feldherrnreden (so II 90, 1 und IV 125, 4), häufiger jedoch läßt er ihm die narrative Funktion zukommen, nach Beendigung der Rede rekapitulierend den Gang der Erzählung wieder aufzunehmen (so II 86, 6 und 88, 1; IV 94, 2 und 96, 1; VI 67, 3 und 69, 1; VII 60, 5 und 65, 1; VII 65, 3 und 69, 1). Dem in solchen Kontexten stereotypen Verbum parakeleÊesyai ist dabei in der Regel ein sächliches Objekt (toiaËta, toiãde oder tosaËta) beigegeben, auch in der Verbindung mit einem Dativ der Person. Seltener leitet Xenophon direkte Feldherrnansprachen mit diesem selben Verbum ein und verwendet dabei variable Syntagmen (HG VII 1, 30; An. III 4, 46; Cyr. III 3, 43). Polybios (XII 25 a 3 und XII 25 i 3: in beiden Fällen mit Bezug auf die Praxis des Timaios) bezeichnet Ansprachen mit hortativer Funktion, insbesondere Feldherrnreden, als paraklÆseiw bzw. als paraklhtiko‹ lÒgoi. Aus der jüngeren Vergangenheit sind die inschriftlich bekannten adlocutiones Hadrians an das Heer in Britannia und die legio III Augusta in Africa (Lambaesis) zu nennen, die sogar Aussagen über den Stil erlauben (dazu Fein 1994, 37–38). Für die Gestaltung aller Arten von Reden in einem Geschichtswerk gilt Lukian zufolge das in Kap. 58 postulierte Verfahren der Personen- und Situationsadäquatheit (§oikÒta t“ pros≈pƒ ka‹ t“ prãgmati ofike›a leg°syv) sowie der Stilqualität der safÆneia (…w saf°stata ka‹ taËta). Im Gegensatz zu den narrativen Teilen (diÆghsiw) seien die Reden die einzige Gelegenheit, bei der der Historiker seine rhetorische Brillianz zeigen und zum Ausdruck bringen dürfe (plØn §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Eine detaillierte Diskussion dieses Passus im Kommentar zu Kap. 58. √tini gn≈m˙ ka‹ §pino€& ¶tajan: Der Junktur der Begriffe gn≈mh und §p€noia entspricht bei Thukydides, zumindest an einer Stelle, ein durch Kombination erzeugtes Nahverhältnis von gn≈mh zum Verbum §pinoe›n (IV 32, 4: toiaÊt˙ m¢n gn≈m˙ ı Dhmosy°nhw tÒ te pr«ton tØn épÒbasin §penÒei). Das Substantiv §p€noia alleine findet sich bei diesem an herausgehobener Stelle, und zwar in der Einleitung zur Rede des Brasidas vor Amphipolis (V 8, 4: jugkal°saw d¢ toÁw pãntaw strati≈taw ka‹ boulÒmenow parayarsËna€ te ka‹ tØn §p€noian frãsai ¶legen toiãde). Die Begriffe gn≈mh und §p€noia (die von Avenarius 1956, 143–144 beigebrachten Beispiele sind dem Kontext

dieser Stelle nur sehr begrenzt adäquat; sie erfüllen die unangemessene Funktion, – wie Avenarius auch sonst häufig verfährt -, Lukians Gedanken auch in diesem Fall auf Isokrates zurückzuführen) stehen bei Lukian einander sehr nahe (Zeux. 1 und 7), ohne jedoch völlig bedeutungsidentisch zu sein, wie auch hier die Verbindung mit ka€ (im Unterschied zum enger verknüpfenden te ka€) zeigt. Während nämlich an dieser Stelle gn≈mh allgemeinem Sprachgebrauch entsprechend eher mit „Absicht, Plan“ zu übersetzen ist, kann mit §p€noia (zur Bedeutung dieses Begriffs bei Polybios Petzold 1969, 10) zudem auch die spezielle Konnotation von „Einfall, Erfindung, Findigkeit“ verbunden sein, wie dies beispielsweise bei Xenophon (Cyr. II 3, 19) der Fall ist. Im übrigen hat Lukian eine Vorliebe für das Spiel mit den der §p€noia impliziten Bedeutungsnuancen, die er bald

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in positivem, bald in negativem Sinne in Erscheinung treten läßt (so Icar. 3, Nec. 2, Hipp. 2 mit Nahverhältnis der §p€noia zur sof€a und sÊnesiw, Pr. Imag. 10 in Verbindung mit plãsma und Rh. Pr. 5 mit gohte€a sowie Phal. I 12 mit kakomhxan€a). zugostate€tv ... Àsper §n trutãn˙ tå gignÒmena: Im Hintergrund steht hier, wenn auch

unausgesprochen, immer noch der Vergleich des Historikers mit dem homerischen Zeus (erster Satz von Kap. 49). Diesmal wird das allbekannte Bild des die Schicksale der Menschen auf der goldenen Waage (tãlanta) wägenden Göttervaters (Hom. Il. bes. VIII 69–74, XXII 209–212, mit Anspielung darauf XVI 658 und XIX 223–224) evoziert. Zu Begriff und Sinngehalt von zugostate›n ist die moralisierende Conclusio zur 246. Fabel des Äsop (V. 19–20) von der Maus und dem Frosch zu vergleichen: ≤ ye€a / prÒnoia, ≤ pãnta §for«sa, épod€dvsin ‡svw zugostatoËsa. Mittels der Partizipien §for«sa (überschauen) und zugostatoËsa ist hier ähnlich wie bei Lukian (Kap. 47: §for«nta, Kap. 49: éfÉ ÍchloË ır«nti) der olympische Standpunkt der gerecht gewichtenden Beurteilung verdeutlicht. Vorliegende Stelle ist eine Variation des in Kapitel 41 formulierten Prinzips, daß der Historiker ein ‡sow dikastÆw sein müsse, der jedem das ihm Zukommende zuzuteilen habe, nur mit dem Unterschied, daß hier die ethische Perspektive allenfalls im weiteren Bereich der Assoziationsmöglichkeiten liegt. Andernorts bei Lukian (Vit. Auct. 27) dient das Verbum zugostate›n dazu, um den überzeichneten Skeptizismus des alle Unterschiede einebnenden Pyrrhon zu karikieren. Polybios (I 20, 5 und VI 10, 7: zugostatoÊmenon ist synonym gebraucht mit fisorropoËn) bezeichnet mit dem Passiv zugostate›syai den Zustand des Gleichgewichtes militärischer Kräfte bzw. die Stabilität einer ausgewogenen Staatsverfassung. Vergleiche mit der Waage (trutãnh) gehen auf Demosthenes (or. 5, 12, or. 18, 298) zurück, der solcherart bildkräftig seine Gerechtigkeit der Bestechlichkeit anderer gegenüberstellt. Dem Wägen (zugostate›n) entnommene Vergleiche nehmen innerhalb kaiserzeitlicher Literatur in ihrer Frequenz deutlich zu (so u. a. in den pseudolukianischen Amores 4).

Kapitel 50 Bei alledem sei das Übermaß zu meiden. Der Historiker dürfe unter keinen Umständen zu lange bei ein und demselben Schauplatz verweilen, mit omnipräsenter Gegenwart müsse er den jeweiligen Erfordernissen entsprechend rasch und geradezu in fliegender Eile von einem Ort zum nächsten überwechseln, um nur ja kein relevantes Geschehen zu versäumen; seine Darstellung müsse den an unterschiedlichen Schauplätzen synchron verlaufenden Ereignissen folgen (ımoxrone€tv). Das hier unausgesprochene Vorbild für eine solche synchronistische Darstellungsweise mit häufigem Perspektivenwechsel ist Thukydides, dem Polybios auch darin nachfolgte. Die entgegengesetzte Ansicht, welche in diesem Verfahren eine unübersichtliche Zerstückelung von Geschehensabläufen in einzelne Segmente und somit ein Zerreißen des Erzählganges sah, findet sich bei Ephoros (dieser verfaßte wahrscheinlich nach geographischen Räumen gegliederte thematische Einheiten) und Diodor (D. S. XVI 1,2; aus D. S. XX 43, 7 ist wohl die Ansicht des Duris zu erschließen) sowie bei Dionysios von Halikarnaß, der Thukydides auch in dieser Hinsicht tadelt und dagegen Herodots Verfahren anerkennend beurteilt. Da bei Lukian ausschließlich von zeitgeschichtlicher Darstellung die Rede ist, so erscheint das Eintreten des Autors für das synchronistische Verfahren des Thukydides gut begründet. Andere Bedingungen könnten naturgemäß für Universalgeschichte geltend gemacht werden, doch diese interessiert Lukian in diesem Zusammenhang nicht. Anzumerken ist, daß Lukians Zeitgenosse Appian (zu dessen Stellung in zeitgenössischer Geschichtsschreibung und verwandten Genera

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Baldwin 1973 a, 75–80) in seiner darstellerischen Konzeption auf das von Ephoros angewandte Verfahren zurückgreift. Die chronologischen Verhältnisse jedenfalls lassen die prinzipielle, wenn auch faktisch wenigwahrscheinliche Möglichkeit zu, daß Lukian Appians praefatio kennen konnte (vgl. dazu die Einleitung, Teil I 1.4).

ka‹ pçsi toÊtoiw m°tron §p°stv, mØ §w kÒron mhd¢ épeirokãlvw mhd¢ near«w, éllå =&d€vw épolu°syv:

m°tron §p°stv, mØ §w kÒron mhd¢ épeirokãlvw mhd¢ near«w: Diesen drei Wertungen (§w kÒron, épeirokãlvw und near«w) ist dies gemeinsam, daß sie ein Übermaß bezeichnen. In diesem Sinne

entsprechen die hier ausgesprochenen Verbote dem erstmals in Kap. 6 postulierten Wissen des Historikers darüber, worüber man zu schweigen habe (m°tron •kãstou ka‹ ì sivpht°on). Lukian gebraucht das Idiom §w (efiw) kÒron ansonsten zumeist mit einer positiven Konnotation (besonders deutlich in Sat. 20 von den reichen Segnungen des Goldenen Zeitalters, vgl. z. B. Im. 16, Nav. 44), doch hier ist unter kÒrow ebenso wie in Kap. 17 (tÚ t∞w kolake€aw §w kÒron) der aus dem Übermaß erwachsende Überdruß zu verstehen. In diesem Sinne gehört der bereits seit Theognis und Solon negativ konnotierte Begriff kÒrow dem terminologischen Repertoire der griechischen Literaturkritik an (so D. H. Comp. 12 und 19: kÒron går ¶xei ka‹ tå kalå pãnta). Die épeirokal€a (in Dom. 2 auf eine Stufe gestellt mit der égroik€a und der émous€a) wird in der aristotelischen Ethik (Arist. EN II 7, 1107 b 16–20) definiert als das eine Extrem zu der megalopr°peia (Großzügigkeit) genannten richtigen Mitte (es geht in diesem Passus um den Umgang mit Geld). Bei Lukian meint die épeirokal€a generell einen Mangel an Feingefühl und Takt, wie er sich in unterschiedlichen Lebenssituationen äußern kann, im protzigen Gehabe von Reichen (Nigr. 21), im unpassenden zu früh Kommen zum Mahl (Merc. Cond. 14) und in der demütigenden Dünkelhaftigkeit des sozial Höhergestellten gegenüber dem Volk (Im. 21). Im Besonderen bezeichnet sie eine Geschmacklosigkeit auf literarischem Gebiet, die sich in fehlendem Sensorium für das Notwendige äußert (Alex. 21) und sich im Detail verliert (Salt. 33 und 35: tÚ går pãnta §pejiÒnta mhkÊnein tÚn lÒgon épeirÒkalon). Auch in vorliegender Schrift kennzeichnet sie ein mangelndes Unterscheidungsvermögen zwischen Wichtigem und Unwichtigem (Kap. 27: die êgnoia t«n lekt°vn µ sivpht°vn, vgl. Kap. 57). Innerhalb literarkritischer Terminologie kommt ihr die Funktion zu, unterschiedliche Fehlleistungen auf sprachlich-stilistischem Gebiet zu markieren, besonders häufig bei Dionysios von Halikarnaß (Dem. 5–7 und 23, Isoc. 2, Th. 46 und 51: katakÒrvw ka‹ épeirokãlvw, Geigenmüller 1908, 108 bestimmt das épeirÒkalon als ein Überschreiten des richtigen Maßes: Fit igitur épeirÒkalon id, quod modum excedit). Erste Ansätze zu einer Beziehung der épeirokal€a auf den Bereich von Sprache sind greifbar bei Platon (Phdr. 244 c). Das Adverb near«w bezeichnet einen über das Ziel hinausschießenden jugendlichen Überschwang (illustrativ zur Unausgereiftheit der Jugend in literarischen Belangen D. H. Comp. 1, Dem. 52). Plutarch (Praecepta gerendae reipublicae 6, 802 e) bringt das entsprechende Adjektiv in einen Zusammenhang mit dem theatralischen Element (lÒgow ... nearÚw ka‹ yeatrikÒw). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es jedoch durchaus positiv konnotiert und kann daher nicht Naivität (so Homeyer 1965, 155 und Costa 2005, 199) meinen. Besser trifft den Sinn daher Hermanns Übersetzung (1828, 293): juvenili quodam ardore. =&d€vw épolu°syv: Das absolut gebrauchte Verbum épolÊesyai in der spezifischen Bedeutung von

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„weggehen, sich davonmachen“ ist eine sprachliche Eigenheit des Polybios (z. B. VI 58, 4, IX 14, 11). Lukian erweitert dies zur Formel oÈ =&d€vw épolÊesyai, welche er immer dann anwendet, wenn jemand in etwas so sehr verstrickt ist, daß er sich nicht leicht davon losmachen kann (Tim. 29 und VH I 41 mit Bezug auf das Kampfgeschehen: karter«w dihgvn€zonto ka‹ oÈ =&d€vw épelÊonto). Der Historiker darf also nicht, so die klare Aussage der Stelle, der verführerischen Versuchung erliegen, nach Jünglingsart (near«w) zu lange bei ein und demselben Gegenstand zu verweilen (für diesen Fehler gebraucht Lukian in Kap. 27 das negativ konnotierte Verbum §mbradÊnein). Diese Stelle ist jedoch gründlich mißverstanden von Avenarius (1956, 144–145, bes. 145, Anm. 113), der darin im Sinne von Kap. 45 eine Warnung vor prunkvoller Überladenheit des sprachlichen Ausdrucks sehen möchte, während doch tatsächlich davor gewarnt wird, sich im inhaltlichen Sinne in ausufernder Episodenhaftigkeit zu ergehen. Dies ist auch der Grund, warum Kapitel 50 angereichert ist mit Verba, die narratives Tempo markieren.

ka‹ stÆsaw §ntaËyã pou taËta §pÉ §ke›na metabain°tv, µn katepe€g˙: e‰ta §pan€tv luye€w, ıpÒtan §ke›na kalª: ka‹ prÚw pãnta speud°tv ka‹ …w dunatÚn ımoxrone€tv ka‹ metapet°syv épÉ ÉArmen€aw m¢n efiw Mhd€an, §ke›yen d¢ =oizÆmati •n‹ efiw ÉIbhr€an, e‰ta efiw ÉItal€an, …w mhdenÚw kairoË épole€poito.

stÆsaw ... taËta §pÉ §ke›na metabain°tv ... metapet°syv: Das Verbum flstãnai in der Bedeutung

„anhalten lassen“ gebraucht bereits Polybios (III 2, 6) mit einer narrativen Konnotation, nämlich um die zeitweilige Unterbrechung der fortlaufenden diÆghsiw durch den Exkurs über die römische Verfassung zu kennzeichnen (stÆsantew dÉ §p‹ toÊtvn tØn diÆghsin tÚn Íp¢r t∞w ÑRvma€vn polite€aw susthsÒmeya lÒgon). Schon bei Homer (Od. VIII 492: Odysseus spricht hier Demodokos an) kommt dem Verbum metaba€nein die Funktion zu, den Übergang von einem Gesang zum nächsten zu markieren (éllÉ êge dØ metãbhyi ka‹ ·ppou kÒsmon êeison). Ähnlich ist der in den homerischen Hymnen oft wiederholte Formelvers (z. B. h. Ven. 293) gestaltet, der jeweils von einem Hymnos zum nächsten überleiten soll: seË dÉ §g∆ érjãmenow metabÆsomai êllon §w Ïmnon. Platon bezeichnet mit diesem selben Verbum den Übergang von einem Thema zum anderen (Phdr. 265 c: ... épÚ toË c°gein prÚw tÚ §paine›n ¶sxen ı lÒgow metab∞nai) sowie die Rückkehr zum Ausgangspunkt der Rede (so Cra. 438 a: §pan°lyvmen d¢ pãlin ˜yen deËro met°bhmen). Besonders erstere Bedeutung setzte sich innerhalb rhetorischer Theorie als ein häufig verwendeter terminus technicus durch (z. B. D. H. Isoc. 10, Dem. 33, Comp. 16, Theon, Prog. 3, Spengel II 76, Z. 14, Hermog. Prog. 9, Spengel II 16, Z. 6). Sie liegt u. a. auch in der Rhetorik Philodems vor (Sudhaus II 113, Fr. III, Z. 1: §pÉ §ke›no matab«men). Ein Vorgänger Lukians bei der Applizierung des Verbums metaba€nein auf den spezifischen Bereich der historiographischen Erzählweise ist auch in dieser Hinsicht Polybios (II 37, 3; XXXVIII 5, 2: vgl. dazu die folgende Anmerkung zu ımoxrone€tv). Lukian selbst gebraucht metaba€nein noch ein weiteres Mal in vorliegender Schrift (Kap. 57: metabÆs˙ ohne einen davon abhängigen Präpositionalausdruck), um den Vorgang zügigen Voranschreitens in der Erzählung bildkräftig zum Ausdruck zu bringen. In Kap. 55 kennzeichnet ferner das Substantiv metãbasiw den Übergang vom Proömium zu der diÆghsiw. In Analogie zum Terminus metaba€nein bildet Lukian wohl in Eigenregie das äußerst ungewöhnliche Verbum metap°tesyai (mey€ptamai erscheint immerhin bei App. BC IV 11, 83: ... Pomph€ou énå ˜lhn tØn ÉIbhr€an ... periy°ontÒw te ka‹ meyiptam°nou), um den raschen Szenenwechsel anschaulich vor Augen zu führen.

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ımoxrone€tv: Lukian fordert eine Darstellungsweise, welche den an unterschiedlichen Orten und

Schauplätzen synchron verlaufenden Geschehnissen folgt. Eine solche liegt bei Thukydides in paradigmatischer Form vor. Dieser hatte mit seinem innovativen (so dazu explizit D. H. Th. 9) Einteilungsprinzip nach den jeweiligen Ereignissen in Sommer und Winter (programmatisch Th. II 1: g°graptai •j∞w …w ßkasta §g€gneto katå y°row ka‹ xeim«na) eine sehr geeignete Methode entwickelt, um mittels häufigen Perspektivenwechsels die kausale Verkettung von über die gesamte Mittelmeerwelt hin gestreuten Ereignisfolgen adäquat zu erfassen. Eine solche synchronistische Darstellungsweise blieb jedoch von antiker Literaturkritik nicht unbeanstandet. Denn spätestens Polybios sah sich mit der Tatsache konfrontiert, daß sich eine unterschiedliche Schauplätze vernetzende Darstellungsweise, wie er sie eingangs (I 3, 4, der vorangehende Satz I 3, 3 in der Textgestaltung Moores 1966, 247) als einzig sachgerechte Behandlung für den eine organische Einheit bildenden Zeitraum von der 140. Olympiade (= 220–216 v. Chr., genauer ab 217 v. Chr., eine Beurteilung dieses Ansatzes aus heutiger althistorischer Sicht bei Vollmer 1990, 1–14 und 152–155, bes. 154 mit Kritik nicht am Ansatz an sich, sondern bloß an den Argumenten des Polybios) an angekündigt hatte (zu dieser polybianischen Konzeption umfassend Walbank 1975, vgl. auch Sacks 1981, bes. 115–120, zu der darin sich manifestierenden teleologischen Geschichtsauffassung vgl. auch Hose 1994, 97–98), von namentlich nicht genannten Kritikern den Vorwurf gefallen lassen mußte, die diachronen Zusammenhänge zu zerreißen. Angesichts dieses Umstandes fühlt Polybios sich andernorts speziell dazu aufgerufen, seine besondere Verfahrensweise (zu gelegentlichen Abweichungen von dieser Walbank 1975, bes. 205–206) recht engagiert zu rechtfertigen: OÈ går égno« diÒti tin¢w §pilÆcontai t∞w pragmate€aw, fãskontew étel∞ ka‹ dierrim°nhn [Text unsicher] ≤mçw pepoi∞syai tØn §jÆghsin t«n pragmãtvn, §piballÒmenoi går lÒgou xãrin dieji°nai tØn KarxhdÒnow poliork€an, kêpeita metajÁ taÊthn épolipÒntew ka‹ mesolabÆsantew sfçw aÈtoÁw metaba€nomen §p‹ tåw ÑEllhnikåw kénteËyen §p‹ tåw Makedonikåw µ Suriakåw ≥ tinaw •t°raw prãjeiw (Plb. XXXVIII 5, 1–2 [der ganze von 5,1

bis 6,7 reichende Passus ist, wie Meister 1971 zeigt, als eine grundsätzliche Kritik an Ephoros’ Darstellungsweise katå g°now zu verstehen, dazu jedoch skeptisch Sacks 1981, 115, Anm. 42]). Vor diesem Hintergrund verwundert es daher keineswegs, in Diodors Einleitung zur Geschichte Philipps II. von Makedonien (D. S. XVI 1, 2) eine programmatische Ablehnung von unfertige Ereignisfolgen (≤mitele›w prãjeiw) beinhaltenden Darstellungen und damit ein Plädoyer für Erzählung in sich geschlossener Erzähleinheiten (tÚ t∞w dihgÆsevw sunex¢w ... m°xri t∞w teleut∞w) vorzufinden (Sacks 1990, 14–15, bes. 15 erklärt dies zutreffend: ... he has in mind stories that are brought to completion within one book.). Bereits Ephoros hatte die einzelnen Bücher seines (ganz im Unterschied zur Anlage des polybianischen Werkes) allergrößte örtliche und zeitliche Räume abdeckenden Geschichtswerkes wahrscheinlich als nach geographischen Bereichen gegliederte thematische Einheiten konzipiert (Drews 1963 und 1976 zu D. S. V 1, 4: t«n går b€blvn •kãsthn pepo€hke [sc. ÖEforow] peri°xein katå g°now tåw prãjeiw, zur früheren Forschung Kunz 1935, 22, Anm. 10), und dies hängt wohl eng damit zusammen, daß er dachte, solcherart den Anforderungen einer Universalgeschichtsschreibung (es ist kaum berechtigt, ihm mit Mioni 1949, 23 dieses Attribut abzusprechen) gerecht werden zu können (so zu Recht Alonso–Núnez 2002, 39: The material was organized katå g°now by Ephorus in order to cope with the needs of a universal history.). Soferne Diodors Aussage in XX 43, 7 als aus Duris entnommen angenommen werden kann (zu der Quelle bzw. den Quellen für die diodorische Agathoklesgeschichte vgl. zum einen Roesiger 1874, Schwartz 1903, Sp. 687, Kunz 1935, 15 sowie 18 und Zegers 1959 passim, Kebric 1977, 40 und 77, Sacks 1981, 146, Anm. 55, zum anderen Meister 1967, 131–136, der demgegenüber auch

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stärker Timaios ins Spiel bringt; Pearson 1986, 367 mit Anm. 48 nimmt Timaios als Quelle an und vielleicht dazu auch eine Nebenquelle), betonte Duris in prononcierter Stellungnahme die prinzipielle Unmöglichkeit einer synchronistischen Erzählweise im Rahmen historiographischer Darstellung: TaÊt˙ dÉ ên tiw ka‹ tØn flstor€an katam°mcaito, yevr«n §p‹ m¢n toË b€ou pollåw ka‹ diafÒrouw prãjeiw sunteloum°naw katå tÚn aÈtÚn xrÒnon, to›w dÉ énagrãfousin énagka›on Ípãrxon tÚ mesolabe›n tØn diÆghsin ka‹ to›w ëma sunteloum°noiw mer€zein toÁw xrÒnouw parå fÊsin, Àste tØn m¢n élÆyeian t«n pepragm°nvn tÚ pãyow ¶xein, tØn dÉ énagrafØn §sterhm°nhn t∞w ımo€aw §jous€aw mime›syai m¢n tå gegenhm°na, polÁ d¢ le€pesyai t∞w élhyoËw diay°sevw. Zu diesem thematischen Komplex vgl. den Kommentar zu Kap. 55: épÒluta går ka‹ §ntel∞ pãnta poiÆsei ktl.

Ihren heftigsten und sicherlich nicht einzigen Kritiker (zu Theons Kritik Avenarius 1956, 123–124) fand die thukydideische Konzeption in Dionysios von Halikarnaß (Th. 9 und Pomp. 3), der in einer synchronistischen Darstellung eine unangemessene Zerstückelung des Erzählganzen in kleine Segmente sieht (... poll«n ëma pragmãtvn katå polloÁw tÒpouw ginom°nvn efiw mikråw katakermatizom°nh tomåw ≤ diÆghsiw ...). Thukydides nun habe, so erklärt Dionysios, halbfertige Handlungsabläufe (≤mitele›w tåw pr≈taw prãjeiw) unterbrochen, um sich jeweils neuen zuzuwenden. Damit habe er im Unterschied zu dem auch in dieser Hinsicht richtig verfahrenden Herodot den Gang der Erzählung zerrissen (... di°spase tØn diÆghsin). So habe er trotz der an sich richtigen Wahl eines einzigen Darstellungsobjektes aus der in sich abgeschlossen vorliegenden Einheit des Gegenstandes (tÚ ©n s«ma) eine Vielzahl von Teilen gemacht (pollå poi∞sai m°rh). Infolgedessen sei seine Darstellung unklar und nur schwer nachvollziehbar (ésafØw ka‹ dusparakoloÊyhtow) geworden (zu dieser Wertung vgl. D. S. XVI 1, 1). Mit derartigen Ansichten hat Lukian nichts im Sinn, der sich wohl ausschließlich, auch wenn er dies nicht explizit ausspricht, hier an Thukydides orientiert. Und dies ist auch leicht verständlich, denn schließlich hat Lukian, wie der skommatisch-lehrhafte Teil der Schrift (Kap. 14–32) zeigt, ebenso wie Thukydides die Darstellung zeitgenössischer Militärgeschichte im Auge, nicht aber weite Zeiträume umfassende Geschichtskonzeptionen. In lateinischer Historiographie ist es Tacitus, bei dem sich gelegentlich spezielle Begründungen finden, wenn er das in den Annalen sonst angewandte annalistische Darstellungsprinzip (zu dessen Handhabung durch Tacitus in den ersten sechs Büchern der Annalen im Vergleich zur Praxis römischer Annalistik, namentlich der des Livius vgl. Ginsburg 1981, passim, bes. 53–95, zur livianischen Konzeption, besonders der in der ersten Pentade, Burck 1964, 182–195, bes. 193, der ein Ringen zwischen annalistischem und, so Burcks Arbeitshypothese, hellenistischem Einteilungsprinzip miteinander konstatiert) kurzfristig zugunsten eines thematisch gruppierenden Verfahrens aufgibt (Ann. VI 38, 1; XII 40, 5; XIII 9, 3, vgl. dazu Perl 1984, 569 und Hose 1994, 78–79); ähnlich war schon Sisenna, der unmittelbare Vorgänger Sallusts für die Historiae, verfahren (Peter I 294, Fr. 127 = Beck / Walter 2004, 305–306, Fr. 129 mit Kommentar) sowie bereits vor ihm auf griechischer Seite Polybios (Belege bei Sacks 1981, 115, Anm. 42). Jal 1997 listet in einer informativen und reich dokumentierten Studie die Vorteile annalistischer und thematischer Darstellungsweise auf (28–30 und 30–35) und zeigt die von antiken Geschichtsschreibern jeweils angewandten Verfahren. =oizÆmati •n‹ efiw ÉIbhr€an: tÚ =o€zhma bezeichnet jegliche sausende, schwirrende Bewegung, im Besonderen den Flügelschlag der Vögel (Ar. Av. 1182, Ael. NA II 26, Ps. Luk. Am. 22: ofl é°ria =oizoËntew ˆrneiw). Die sonst nirgendwo belegte Junktur =oizÆmati •n€ bedeutet „mit einem einzigen

rauschenden Flügelschlag“ und stellt eine bildkräftige Variation im Ausdruck gegenüber dem wesentlich neutraler konnotierten metapet°syv („nach ... hinfliegen“) dar. Die Ursache für die veränderte Ausdrucksweise ist in den geographischen Entfernungen begründet. Denn tatsächlich

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ist keine der genannten Distanzen größer als die von Armenien nach Iberien, soferne man darunter Spanien versteht und nicht mit Macleod (1991, 301 mit Verweis auf 296) das gleichfalls Iberia genannte Land zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer, das in Kap. 29 (vgl. dazu den Kommentar zu: §n tª Pers€di mikrÚn Íp¢r t∞w ÉIbhr€aw) genannt ist. Daß hier mit ÉIbhr€a tatsächlich, wie dies bereits Hermann 1828, 297 unter Vorbehalt vermutet hat, Spanien gemeint ist, ergibt sich nicht nur aus dem mit =oizÆmati •n‹ bezeichneten Riesensatz zu entfernten Ländern hin, sondern auch aus der generell geforderten Omnipräsenz des Historikers (vgl. das Resümee …w mhdenÚw kairoË épole€poito), welche nur durch das Überblicken eines Großteils der gesamten für den Historiker relevanten Welt sinnvoll eingelöst werden kann. Zudem läßt sich so die recht farblos wirkende Formulierung e‰ta efiw ÉItal€an zielführend begründen, handelt es sich dabei doch in diesem Fall bloß um einen gedanklichen „Kurzstreckenflug“ von Spanien nach Italien. Exakt der konträre Standpunkt zeigt sich bei Lukians etwas älterem Zeitgenossen Appian (Praef. 12–13), der sich, ohne es explizit zu sagen, in die mit Ephoros beginnende Traditionslinie stellt (so vermutet von Balsdon 1979, 209, dazu kritisch Veh / Brodersen 1987, 7 und Brodersen 1993, 358, zum Forschungsstand Šašel Kos 2005, 30–33; keinerlei Diskussion zum kompositionellen Selbstverständnis Appians und der Tradition, der sich Appian anschloß, bei Weissenberger 2002, 280); der rasche Schauplatzwechsel von Karthago nach Spanien und von hier aus nach Sizilien oder Makedonien und wieder zurück nach Karthago oder Sizilien, so erklärt er, habe ihn sich bei seiner Recherche wie einen umherirrenden Wanderer (einer ähnlichen Metapher bedient sich D. H. Pomp. 3 in seiner Kritik an der synchronistischen Erzählweise des Thukydides) fühlen lassen; so stelle er den mutmaßlichen Bedürfnissen auch seiner Leser entsprechend die Ereignisse in den einzelnen Provinzen gesondert dar (Nom€saw dÉ ên tina ka‹ êllon oÏtvw §y°lonta maye›n tå ÑRvma€vn, suggrãfv katÉ ¶ynow ßkaston: ˜sa d¢ §n m°sƒ prÚw •t°rouw aÈto›w §g°neto, §ja€rv ka‹ §w tå §ke€nvn metat€yhmi).

Der häufige, unstete Ortswechsel, wie er hier bei Appian bezeichnet ist, weist eine gewisse Nähe zum Lukiantext auf, und es besteht so zumindest die prinzipielle, wenn auch unwahrscheinliche Möglichkeit einer direkten Bezugnahme Lukians auf Appian (vgl. zu Lukian und Appian auch die Einleitung, Teil I 1. 4), dessen praefatio, wie Schwartz 1896 a, Sp. 216 zeigt, auf Abfassung vor 165 n. Chr. hinweist, da ein kaiserlicher Beamter danach kaum den Euphrat als die Reichsgrenze angegeben haben würde (Praef. 2); dies gilt freilich lediglich unter der Prämisse, daß das Proömium eines Geschichtswerkes zu den zuletzt verfaßten Partien gehört (Hose 1994, 142). Dazu kommt, daß Appian in Syr. 9, 58 (296) Seleukeia am Tigris in einer Weise erwähnt, wie dies nach dessen Zerstörung im Partherkrieg kaum möglich gewesen wäre (vgl. dazu Veh / Brodersen 1987, 2 und Brodersen 1993, 353–354). Drei singuläre Papyrusfragmente aus Dura–Europos sind, nebenbei vermerkt, als ein Indiz dafür zu werten, daß Appians Werk ein knappes Jahrhundert nach seiner Abfassung auch in dieser fernen Region bekannt gewesen sein muß (vgl. dazu Welles 1939 mit den computergestützten Korrekturen durch Brunner 1984, zustimmend Brodersen 1993, 345, Anm. 14).

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Kapitel 51 In Kapitel 51 (Spiegelgleichnis) findet das mit Kapitel 49 in Szene gesetzte visuelle Element (so bereits Kap. 47: parÒnta ka‹ §for«nta) seinen Höhepunkt und krönenden Abschluß. Der Sinn (gn≈mh) des Historikers, so heißt es hier mit sich zu gewissem Pathos erhebendem Ton, müsse einer die Außenwelt unverzerrt wiedergebenden Spiegelfläche gleichen; wie diese, so müsse auch er die äußeren Formen der Handlungsakte genau so zeigen, wie er sie eben in seinem Sinn perzipiert, ohne daran etwas zu verrenken, ohne Farbe oder Gestalt zu verändern. Im Unterschied zu den Rhetoren entfällt bei dem Geschichtsschreiber der Arbeitsschritt der Materialauffindung (eÏresiw) in dem Sinne, daß er es mit einer bereits abgeschlossenen Wirklichkeit zu tun, die er nur mehr in eine entsprechende Struktur anzuordnen (tãjai) und sprachlich zum Ausdruck zu bringen (efipe›n) hat; um den Stoff (um das „was“) brauchte er sich daher nicht erst zu bemühen, sondern lediglich um die Art der Darstellung (um das „wie“): Àste oÈ t€ e‡pvsi zhtht°on aÈto›w éllÉ ˜pvw e‡pvsin. Was hier über den Erwerb des historischen Faktenmaterials ausgesagt wird, wirkt allerdings in diesem Zusammenhang doch recht unproblematisch, vor allem vor dem Hintergrund von Kapitel 47, wo das diffizile Verfahren der sachlichen Recherche behandelt worden war. Nunmehr jedoch hat sich gegenüber der früheren Stelle die Perspektive etwas verändert. Der Autor gibt daher bis zu einem gewissen Grad die Probleme preis, welche die Forschungsarbeit dem Historiker stellt, um so einen Vergleich zwischen diesem und den Schöpfern von Kolossalstatuen (die typischen Repräsentanten sind Phidias, Praxiteles ist wohl durch Polyklet zu ersetzen, und Alkamenes; sie entsprechen der klassischen Historikertrias in Kap. 2: Thukydides, Herodot, Xenophon) anstellen zu können, die ja auch ihr Material nicht eigenhändig erschaffen, sondern bloß gebrauchsfertig zur Bearbeitung übernehmen; ihre Kunst (t°xnh) bestehe darin, das an sich fertig vorliegende Material (Ïlh) stoffökonomisch und zweckmäßig zu gestalten (§w d°on ofikonomÆsasyai). Und von solcher Art etwa ist auch die Aufgabe des Historikers, nämlich das, was bereits geschehen ist, so zu arrangieren, daß dadurch eine adäquate Gesamtkonzeption entsteht (efiw kalÚn diay°syai), und dieses mit größtmöglicher Anschaulichkeit zu zeigen (efiw dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã). Wenn es dem Historiker vollends gelinge, mittels Worten bei dem Zuhörer Vorstellungsbilder zu erwecken, dann komme ihm zu Recht das Attribut eines „Phidias der Geschichtsschreibung“ zu. Mit der Formulierung ˜tan tiw ékro≈menow o‡htai metå taËta ırçn tå legÒmena ist also der konventionelle rhetorische terminus technicus der §nãrgeia umschrieben, wie er sich innerhalb griechischer Literaturkritik (ergänzend zu den einschlägigen „klassischen“ Texten sind verstärkt auch die Scholien zu betrachten, deren Aussagen von Nünlist 2009, bes. 153–155 und 194–198 diluzide aufbereitet sind) auch auf den spezifischen Bereich der Geschichtsschreibung und im Besonderen auf den zumal in dieser Hinsicht als prototypisch angesehenen Thukydides angewandt findet, und zwar bei Hermogenes, Aphthonios und Theon. Vergleiche zwischen der Geschichtsschreibung und der Malerei sind, freilich in unterschiedlicher Weise, repräsentiert durch Plutarch und Polybios. Während ersterer vor allem auf pathetische Wirkung abzielt, geht es Polybios, und darin ähnelt er Lukian, um den der §nãrgeia innewohnenden Charakter von Authentizität. Für eine Gleichsetzung des Historikers mit einem Bildhauer existiert in antiker Literatur keine Parallele. Die lukianische Innovation zeigt sich besonders auch darin, daß von der eben zuvor genannten Bildhauertrias nunmehr einzig Phidias aufgerufen wird, der Schöpfer des Zeus von Olympia. Und dieses Detail schließt so die Kapitel 49–51 zu einer sinnreichen Ringkomposition zusammen, denn Kapitel 49 beginnt mit der expliziten Aufforderung an den Historiker, bei seiner Arbeit den olympischen Standpunkt des homerischen Zeus einzunehmen (Ka‹ ˜lvw §oik°tv tÒte t“ toË ÑOmÆrou Di‹).

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Mãlista d¢ katÒptrƒ §oiku›an parasx°syv tØn gn≈mhn éyÒlƒ ka‹ stilpn“ ka‹ ékribe› tÚ k°ntron ka‹ ıpo€aw ín d°jhtai tåw morfåw t«n ¶rgvn toiaËta ka‹ deiknÊtv aÈtã, diãstrofon d¢ µ parãxroun µ •terÒsxhmon mhd°n.

éyÒlƒ: so mit Ausnahme von Sommerbrodt 1878, 49 sowie 1893, 23 alle modernen Herausgeber nach einer als Konjektur zu verstehenden Schreiber-Hinzufügung in E; dÒlƒ: so G und E; das Adjektiv êyolow ist ein ëpaj legÒmenon, während éyÒlvtow seit der vielzitierten Hesiodstelle (Op. 595) oft erscheint, so auch innerhalb des Corpus Lucianeum in Trag. 62; toiaËta: einzig Macleod 1980, 315 schreibt wohl irrtümlich taËta, denn die handschriftliche Überlieferung gibt keinerlei Anlaß

dazu (so auch Nesselrath 1984, 584). katÒptrƒ ... éyÒlƒ ka‹ stilpn“ ka‹ ékribe› tÚ k°ntron: Die durch ihre Wahrheitsliebe (élÆyeia) und freimütige Offenheit (parrhs€a) charakterisierte gn≈mh des Historikers (Kap. 44) müsse einem

die Ereignisse unverzerrt wiedergebenden Spiegel gleichen; wie dieser müsse auch der Historiker die äußeren Formen der realen Handlungsakte ebenso zeigen, wie er sie eben wahrnimmt. Die Diskussion bei Hermann (1828, 298–299) zeigt, daß die Formulierung ékribe› tÚ k°ntron den Erklärern immer schon erhebliche Schwierigkeiten bereitet hat, doch macht das inzwischen von v. Netoliczka 1921 vorgelegte Material es sehr wahrscheinlich, daß Lukian hier an Spiegel mit planer Spiegelfläche denkt, weil konvexe und konkave Formen die Gegenstände bekanntlich in verzerrter Form wiedergeben. Ein illustratives Beispiel für derartige Wahrnehmungsveränderungen liefert Seneca innerhalb seines ausgedehnten Diskurses über die Entstehung des Regenbogens (Nat. I 3, 1–8, 8). Und in diesem Zusammenhang (I 5, 13–14) erklärt er, der in einer Wolke von der Art eines konkaven, runden Spiegels entstehende Regenbogen sei kein naturgetreues Abbild der Sonne. Dann fährt Seneca damit fort, diesen natürlichen Vorgang mit von Menschenhand erzeugten Spiegeln zu vergleichen, welche das betrachtete Objekt in veränderter Form zeigen und so die reale Gestalt entweder zum Nachteil verzerren oder aber vorteilhafter erscheinen lassen: Neque enim omnia ad verum specula respondent. Sunt quae videre extimescas, tantam deformitatem corrupta facie visentium reddunt, servata similitudine in peius; sunt quae cum videris placere tibi vires tuae possint, in tantum lacerti crescunt et totius corporis super humanam magnitudinem habitus augetur; sunt quae dextras facies ostendant; sunt quae sinistras; sunt quae detorqueant et vertant. Es ist auch zu bedenken, daß man in der Antike Metalle zu der Herstellung der Spiegelflächen verwendete, während Glasspiegel erst vom Ende des 1. Jhs. n. Chr. an vereinzelt nachweisbar sind. Ein ähnliches Motiv verwendet Lukian in der Schrift De saltatione (Kap. 81), wo er Lykinos erklären läßt, ein vollkommenes Lob werde dem Tänzer dann zuteil, wenn jeder der Zuschauer sich in ihm wie in einem Spiegel (Àsper §n katÒptrƒ) erschauend selbst erkenne (Lada–Richards 2005). Was das Adjektiv ékribÆw betrifft, so weist Kurz 1970, 61 darauf hin, daß hier möglicherweise das thukydideische ékrib°w mitzuassoziieren ist, also die Deckungsgleichheit von Darstellung und Dargestelltem. diãstrofon d¢ µ parãxroun µ •terÒsxhmon mhd°n: Das Adjektiv diãstrofow bezeichnet im

eigentlichen Sinne die Verrenkung, so wie Platon (Grg. 524 c), in Anlehnung an medizinische Fachterminologie (Belege zu diãstremma, diastr°fv und diastrofÆ bei Maloney / Frohn 867–868), von m°lh diestramm°na spricht, und so wie Lukian selbst (Ind. 7) Thersites einen diãstrofow tÚ s«ma ka‹ lelvbhm°now nennt. Im übertragenen Sinne wird diastr°fein zudem mit negativer ethischer oder intellektueller Konnotation gebraucht (ethisch D. Prooem. 46, 2: diastr°cantew télhy∞, Is. or. 11, 4: toÁw nÒmouw diastr°fein, mit intellektueller Note Luk. Vit.

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Auct. 24: diastraf∞nai tØn diãnoian). Eine metaphorische Nebenbedeutung solcher Art kann hier mitgehört werden, da der Autor Lukian ja vom Historiker eine Orientierung an den Parametern von Wahrheit (élÆyeia) und freimütiger Offenheit (parrhs€a) fordert. Im Lateinischen entsprechen dem das Adjektiv distortus sowie das Substantiv distortio, die Cicero (Fat. 8, 16–9, 17) gleichfalls in literarkritischem Zusammenhang gebraucht (es geht hier um das genus enuntiandi des Chrysippos). Das singulär erscheinende Adjektiv parãxrouw (Verbum paraxrvnnÊnai) bedeutet „von falscher oder veränderter Farbe, verfärbt, farblos, blass“ (so erklärt von Passow s. v. parãxrouw), und das überaus seltene Adjektiv •terosxÆmvn (in anderer Bedeutung bei Thphr. HP I 10, 1) bezeichnet im Unterschied zu dem lediglich verzerrenden diãstrofon eine förmliche Veränderung der Gestalt (altered in shape, LSJ s. v. •terosxÆmvn). oÈ går Àsper to›w =Ætorsi < ka‹ to›w suggrafeËsin énãgkh eÍre›n, ì > grãfousin, éllå tå m¢n lexyhsÒmena ¶stin ka‹ efirÆsetai: p°praktai går ≥dh: de› d¢ tãjai ka‹ efipe›n aÈtã. Àste oÈ t€ e‡pvsi zhtht°on aÈto›w éllÉ ˜pvw e‡pvsin. ˜lvw d°, nomist°on tÚn flstor€an suggrãfonta Feid€& xr∞nai µ Prajit°lei §oik°nai µ ÉAlkam°nei ≥ tƒ êllƒ §ke€nvn – oÈd¢ går oÈd¢ §ke›noi xrusÚn µ êrguron µ §l°fanta µ tØn êllhn Ïlhn §po€oun, éllÉ ≤ m¢n Íp∞rxe ka‹ pro#pob°blhto ÉHle€vn µ ÉAyhna€vn µ ÉArge€vn peporism°nvn, ofl d¢ ¶platton mÒnon ka‹ ¶prion tÚn §l°fanta ka‹ ¶jeon ka‹ §kÒllvn ka‹ §rrÊymizon ka‹ §pÆnyizon t“ xrus“, ka‹ toËto ∑n ≤ t°xnh aÈto›w §w d°on ofikonomÆsasyai tØn Ïlhn.

Àsper to›w =Ætorsi grãfousin: die ältesten Handschriften überliefern die syntaktisch und inhaltlich nicht haltbare Lesart Àsper to›w =Ætorsi grãfousin, die gleichwohl von der überwiegenden Mehrheit der Herausgeber in ihren Texten gehalten wird (so zuletzt Macleod 1980, 315). Neben den von Macleod 1980, 315 verzeichneten Konjekturen sind an Ergänzungsvorschlägen zu nennen Fritzsche 1860, 97: Àsper to›w =Ætorsin [¶yow, §p€plasta] grãfousin und Nesselrath 1984, 607: grãfousin. Ich fülle die nach =Ætorsi zweifellos im Text bestehende Lücke aus mit: < ka‹ to›w suggrafeËsin énãgkh eÍre›n, ì >, um gegenüber dem Verfahren des tãjai und des efipe›n auch die in der Rhetorik kanonische eÏresiw explizit zum Ausdruck zu bringen. pro#pob°blhto: so nach der ältesten Überlieferung zu Recht Reitz 1743, 62, Hermann 1828, 54, Bekker 1853, 38 und Macleod 1980, 315; vgl. VH II 2 (Macleod I 103: teynÆkei) und Alex. 13 (Macleod II 337: sundedramÆkei); pro#peb°blhto: so weniger gut begründet nach jüngeren Handschriften die Mehrheit der modernen Herausgeber; aÈto›w: dies ist die Lesart jüngerer Handschriften, die seit Bekker 1853, 38, Dindorf 1858, 22 in den meisten modernen Textausgaben zu Recht zu finden ist, so auch Macleod 1980, 315; aÈtÚw: so G; aÈt“: so E. < eÍre›n > ... tãjai ... efipe›n: Im Unterschied zu den schulmäßigen Rhetoren muß der Historiker seinen Stoff nicht erst auffinden, sondern die prãgmata liegen ihm bereits als abgeschlossenes Ganzes unmittelbar vor (Kap. 47 gibt allerdings das bei der Recherche anzuwendende Verfahren an). Nach dem Rohentwurf (ÍpÒmnhma) muß er dem Stoff eine Struktur (tãjiw) verleihen, und erst zu Schluß kann die auf Schönheit abzielende sprachlich-stilistische Ausgestaltung erfolgen (Kap. 48). Von den klassischen drei Arbeitsschritten des Redners entfällt somit objektbedingt der erste, die eÏresiw (inventio). ˜lvw d°, nomist°on: Lukian gebraucht die stereotype Formel ˜lvw d°, um einen Sachverhalt auf den Punkt zu bringen (so Alex. 25), im Besonderen in Verbindung mit einem Imperativ (Pisc.

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23) oder auch einem unpersönlichen de›, wie in Salt. 81 (ÜOlvw d¢ tÚn ÙrxhstØn de› pantaxÒyen éphkrib«syai), wo das Ideal des Tänzers in allgemeiner Form umrissen wird. Häufiger verwendet er dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend zu diesem selben Zweck die Junktur ka‹ ˜lvw (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 49: Ka‹ ˜lvw). In all diesen Fällen überwiegt ebenso wie an dieser Stelle der Aspekt belehrender Aussage. Feid€& ... µ Prajit°lei ... µ ÉAlkam°nei: Als das Meisterwerk des Phidias galt in der Antike der auch von Lukian häufig als paradigmatisches Werk genannte Zeus in Olympia (Sacr. 11, Par. 2, Peregr. 6, Somn. 8, Hist. Conscr. 27, die vielfältigen übrigen Quellen bei Overbeck 125–136), den dieser für die Eleer schuf (Im. 14). Pausanias (V 10, 2) weiß zu berichten, daß Tempel und Kultbild (ausführliche Beschreibung in V 11, 1) von der Waffenbeute aus dem Krieg zwischen Pisa und Elis finanziert wurden. Von den anderen Werken des Phidias nennt Lukian nur zwei, in Im. 4 Athene Lemnia (Overbeck 137–138, Hartswick 1983), von der er das Gesicht, insbesondere die Wangen und die Nase, hervorhebt (Im. 6: tØn d¢ toË pantÚw pros≈pou perigrafØn ka‹ parei«n tÚ èpalÚn ka‹ =›na sÊmmetron ≤ Lemn€a par°jei), und die sich auf den Speer stützende Amazone (tØn ÉAmazÒna tØn §pereidom°nhn t“ dorat€ƒ, Im. 4, Overbeck 138), von der Mund und Nacken gewürdigt werden (Im. 6). Praxiteles ist im Werk Lukians mit der knidischen Aphrodite vertreten (JTr. 10, Im. 4, Pr. Im. 23, eine genaue Beschreibung der Details in Pr. Im. 6), von der er zu berichten weiß, daß sich einem einheimischen mËyow zufolge jemand in sie verliebt und mit ihr – soweit dies bei Standbildern möglich sei – verkehrt habe (Im. 4). Von Kaiser Hadrian ist, nebenbei gesagt, bekannt, daß er sich in der villa Hadriana bei Tivoli eine Kopie des Aphroditetempels in Knidos erbauen ließ (Aurigemma 1961, 44–45). Möglicherweise liegt eine Verwechslung des Praxiteles mit dem Argiver Polyklet vor, da weiter unten im Text die Argiver als Zulieferer von Material genannt werden. In diesem Sinne vermerkt Hermann (1828, 302), und in dieser Ansicht sind ihm Homeyer (1965, 268) und Macleod (1991, 301) gefolgt, zu Recht: Neque enim Argivorum jussu quidquam Praxiteles fecisse fertur, neque in arte chryselephantina unquam elaboravit, in aere tantum et marmore operam suam posuit. Lukian bezeichnet den für den Kanon bekannten (Salt. 75, Peregr. 9) Polyklet ebenso wie Myron als Arbeiter in Erz (JTr. 7), als einen Auftragskünstler wie Praxiteles und Phidias (Sacr. 11), als künstlerischen Höhepunkt gemeinsam mit Phidias (Somn. 9). Als die Werke des Polyklet nennt er die Hera (Somn. 8, gemeint ist das chryselephantine Kultbild der Hera in Argos) und den sich die Siegerbinde um das Haupt legenden Diadoumenos (Philops. 18). Von Alkamenes nennt Lukian andernorts (Im. 4, Details in 6) die Aphrodite §n KÆpoiw, an der er die Wangen (m∞la), die harmonische Formung der Handwurzel (karp«n tÚ eÎruymon) und die feingliedrige Fingerführung (daktÊlvn tÚ eÈãgvgon §w leptÚn épol∞gon) preist. Pausanias (I 19, 2) beschreibt ihre Form als viereckig nach Art der Hermen, und Plinius (Nat. XXXVI 4, 16) zufolge stand sie extra muros von Athen. Insgesamt trifft Jones 1986, 154 das Richtige mit der Feststellung, daß Lukians Rezeption von Skulptur und Malerei (anders liegen die Dinge bei der Architektur) in ihrem Klassizismus dem literarischen Klassizismus verwandt ist: In both sculpture and painting his tastes, as in literature, are largely confined to masters of the fifth and fourth centuries, several of whom worked in Athens. xrusÚn µ êrguron µ §l°fanta µ tØn êllhn Ïlhn: Lukian (Sacr. 11) spricht mit Bezug auf die Herkunft dieser Materialien von Elfenbein aus Indien und Gold aus den thrakischen Minen. Andernorts (JTr. 7) nimmt er eine Unterscheidung zwischen Material (Ïlh) und Handwerkskunst (t°xnh) vor. Der Begriff Ïlh (er wird definiert als tÚ Ípoke€menon, §j o ti épotele›tai ¶rgon) bezeichnet bereits bei Aristoteles (Pol. I 3, 1256 a 9–11) das Material für den bildenden Künstler (Erz ist das Material für den Bildhauer). Weiters, Plutarch (Per. 12, 6) gibt unter dem Sammelbegriff Ïlh

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all die beim perikleischen Bauprogramm verwendeten Materialien an. Die Reihenfolge, in der Lukian Gold, Silber und Elfenbein aufeinander folgen läßt, entspricht deren Wertigkeit, in JTr. 7 folgen ferner in absteigender Linie Erz und Stein. Aus der Bereitstellung des Materials durch die Eleer, die Athener oder Argiver zieht Avenarius 1956, 97 den unzutreffenden Schluß, auch der Rohentwurf des Historikers (Kap. 48: ÍpÒmnhma) würde also von einer Person angefertigt, während eine andere Person für die Ausarbeitung eines künstlerisch anspruchsvollen Geschichtswerkes zu sorgen habe. Eine Kritik an dieser den Textsinn verzerrenden Ansicht von Avenarius findet sich im Kommentar zu Kap. 48: ÍpÒmnhmã ti sunufain°tv aÈt«n, vgl. auch die Einleitung, Teil I 3. 7. ofl d¢ ¶platton mÒnon ka‹ ¶prion tÚn §l°fanta ka‹ ¶jeon ka‹ §kÒllvn ka‹ §rrÊymizon ka‹ §pÆnyizon t“ xrus“: Zu der handwerksmäßigen „Innenausstattung“ von Statuen ist zu vergleichen Gall. 24, wo die einer Königsherrschaft innewohnenden Sorgen mit dem prosaischen Inneren von Kolossalstatuen (als Künstler werden hier Phidias, Myron und Praxiteles genannt) verglichen werden, welche zwar nach außen hin Götter in Gold und Elfenbein prangend zeigten, während doch ein Blick in das Innere erkennen lasse moxloÊw tinaw ka‹ gÒmfouw ka‹ ¥louw diampåj peperonhm°nouw ka‹ kormoÁw ka‹ sf∞naw ka‹ p€ttan ka‹ phlÚn ka‹ toiaÊthn tinå pollØn émorf€an ÍpoikouroËsan. Vergleichbar ist auch eine Stelle bei Plutarch (Ad principem ineruditum 2, 780 a), der vernunftlose Könige und Herrscher mit den Kolossalstatuen vergleicht, die von außen her betrachtet ein heroisches, götterbildhaftes Aussehen hätten, während sie doch inwendig voll seien mit Erde, Stein und Blei. Generell ist die Bildhauerei nach antikem Verständnis als ein Handwerk (t°xnh) zu betrachten und der Bildhauer dementsprechend als ein Handwerker. Plutarch, der in einem höchst aufschlußreichen Passus (Per. 12, 6–7) eine Vorstellung von dem perikleischen Bauprogramm als einem großangelegten Wirtschaftsbetrieb gibt, führt als die dabei vertretenen kunsthandwerklichen Zweige (t°xnai) detailgenau die lange Liste an: Zimmerleute, Bildhauer, Kupferschmiede, Steinmetze, Färber, Gold- und Elfenbeinbearbeiter, Maler, Sticker und Toreuten. Diese Stelle vermittelt einen illustrativen Eindruck davon, wie man sich die Praxis kunsthandwerklicher Produktion im Athen der klassischen Zeit und gewiß weit darüber hinaus vorzustellen hat. Und eine Stelle aus den Sophistenbiographien des Philostratos (VS I 26, 544) vermag dies noch genauer zu erläutern; der Biograph berichtet nämlich, Herodes Atticus hätte in einem Spottvers (ka‹ kerameÁw kerame› kot°ei ka‹ =Ætori t°ktvn, in pointierter Umformung von Hes. Op. 25, mittels Ersetzung von kerame› durch =Ætori) die Abkunft seines Lehrers, des Atheners Secundus, von einem Zimmermann (t°ktvn) verspottet. Und vor diesem Hintergrund (Anderson 1986, 26) kann Lukian im Somnium (Kap. 6, vgl. 8) die ÑErmoglufikØ t°xnh (Kap. 7) als eine Frau von handwerksmäßigem Aussehen (§rgatikÆ), mit schwieligen Händen und schmutzigem Äußeren charakterisieren. Auch Phidias, Polyklet, Myron und Praxiteles hätten, so erklärt sie (Kap. 8), auf diese Weise gearbeitet. Für die daraufhin erscheinende Paide€a (Kap. 9) ist es daher ein Leichtes, den träumenden Lukian davon zu überzeugen, daß er, selbst wenn er ein Phidias oder Polyklet würde, doch in der Einschätzung der Öffentlichkeit nichts weiter wäre als ein Handwerker (§rgãthw), ein bãnausow ka‹ xeir«naj ka‹ époxeirob€vtow, dessen fachliche Kompetenz (t°xnh) zwar von jedermann gelobt würde, während doch in Wirklichkeit niemand so leben wolle wie er. Das ist natürlich bewußt übertrieben dargestellt, denn tatsächlich ist für die Handwerkskunst eine höhere Entlohnung und nicht unbeträchtliches soziales Prestige auch aus Lukians Zeit bezeugt (Belege bei Jones 1986, 9, Anm. 15). Schließlich ist zu beachten, daß von den hier verwendeten arbeitstechnischen Begriffen innerhalb vorliegender Schrift zwei in übertragener Bedeutung Verwendung finden, und zwar jeweils in literartheoretischem Kontext (Kap. 48: =uym€zein, Kap. 11: duskÒllhtow). Das Verbum §pany€zein

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bezeichnet den Vorgang des Verzierens an der Oberfläche, so wie in Kap. 13 des Auftragens von roter Farbe (µn ı grafeÁw aÈta›w §rÊyhmã te ple›on §pany€s˙). Der sich als Resultat einstellende Zustand des Geschmücktseins, des Glänzens wird durch das Verbum §panye›n ausgedrückt (so Bis Acc. 16, Im. 7 und bes. 9 von der über den Werken der bildenden Künstler liegenden xãriw), welches im übrigen auch mit literarkritischer Konnotation verwendet werden kann (Kap. 55: tÚ saf¢w §panye€tv ktl, vgl. dazu den Kommentar zur Stelle). Der Aspekt des oberflächlichen Glanzes ist in JTr. 8 zum Ausdruck gebracht, wo die zur Gänze goldenen barbarischen Götter den bestenfalls äußerlich vergoldeten griechischen mit diesen Worten gegenübergestellt sind: o· ge polutel°statoi aÈt«n §lefãntinoi Ùl€gon ˜son toË xrusoË §pist€lbon ¶xontew, …w §pikexrãnyai ka‹ §phugãsyai mÒnon. ka‹ toËto ∑n ≤ t°xnh aÈto›w §w d°on ofikonomÆsasyai tØn Ïlhn: Das bei Lukian selbst verhältnismäßig häufig begegnende Idiom §w (efiw) d°on bezeichnet die Zweckmäßigkeit, im Besonderen auch mit spezifischem Bezug zu der Literatur (Kap. 63: efiw d°on ≤m›n g°graptai) und bildenden Kunst (Zeux. 5, vom Maler: skiãsai §w d°on). Es ist von Bedeutung, daß Lukian bei dem Verbum ofikonome›n aktive und mediale Formen regelmäßig voneinander unterscheidet. Erstere verwendet er (Par. 12), um die eher triviale Tätigkeit des Hausverwalters zu bezeichnen (t“ ofikonomoËnti tå katå tØn ofik€an), während das dynamische Medium ihm dazu dient, das kosmische Walten der Götter (JTr. 37) und besonders das Regiment des alles anordnenden Zeus (Bis Acc. 2: ÍetoÁw ka‹ xalãzaw ka‹ pneÊmata ka‹ éstrapåw ... ofikonomhsãmenow ka‹ diatãjaw) mittels pointierter Bezeichnung zum Ausdruck zu bringen. Vor dem Hintergrund dieses bewußt verfahrenden Sprachgebrauchs stellt die mediale Form ofikonomÆsasyai auf artifiziellerer Verständnisebene einen sinnreichen Bezug her zum Vergleich des Historikers mit Zeus (Kap. 49, vgl. weiter unten im Text die Anmerkung zu t“ t∞w flstor€aw Feid€&). Das Verbum ofikonome›n sowie auch das Substantiv ofikonom€a gehören dem metaphorischen Begriffsrepertoire griechischer Literaturkritik an. Besonders häufig finden sie sich in dieser speziellen Bedeutung bei Dionysios von Halikarnaß (z. B. Lys. 15, Is. 14, Isoc. 4, Dem. 51, Th. 9, Pomp. 4), der den pragmatikÚw tÒpow zum einen in die, wie er erklärt, früher eÏresiw genannte paraskeuÆ, zum anderen in die als ofikonom€a bezeichnete Stoffökonomie (xr∞siw t«n pareskeuasm°nvn) unterteilt (Dem. 51), welch letztere er andernorts als eine pragmatikØ ofikonom€a bezeichnet (Isoc. 4). Diese wiederum unterteilt er bei anderer Gelegenheit (Th. 9, dazu Ernesti 229) in die drei Subelemente der dia€resiw, der tãjiw und der §jergas€ai, nach welchen Parametern er im Folgenden Anlage und Plan des thukydideischen Geschichtswerkes einer ebenso detaillierten wie besonders auch fundamentalen Kritik unterzieht (Th. 9–20). Hatte noch Aristoteles in seiner Rhetorik (Rh. III 12, 1414 a 30 und III 1, 1403 b 8) lediglich den Begriff tãjiw (bzw. tãjai), doch in der Poetik u. a. das Verbum ofikonome›n (Po. 13, 1453 a 29: Kritik an Euripides), wenn auch in spezifischer Bedeutung, zu der Bezeichnung von stofflicher Organisation verwendet, so führt später Ps. Longinos (1, 4) beide Termini zusammen, indem er die stoffliche Ökonomie als tØn t«n pragmãtvn tãjin ka‹ ofikonom€an bezeichnet. Plutarch (Coniugalia praecepta 29, 142 b) wiederum unterscheidet mit Bezug auf gestalterische Verfahren von Dichtern und Rhetoren zwischen Stoff (prãgmata) und Stoffbehandlung (ofikonom€ai). Andernorts (Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 4, 347 e–f) weiß er die Anekdote zu berichten, Menander habe auf die Frage eines Freundes hin, ob er denn angesichts des Nahens der Dionysien schon seine Komödie fertiggestellt habe, geantwortet: pepo€hka tØn kvmƒd€an: ”konÒmhtai går ≤ diãyesiw: de› dÉ aÈtª tå stix€dia §pòsai. Der Begriff diãyesiw, der die Gesamtkonzeption bezeichnet, leitet organisch zu dem nächsten Satz (vgl. efiw kalÚn diay°syai) über.

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ToioËto dÆ ti ka‹ tÚ toË suggraf°vw ¶rgon – efiw kalÚn diay°syai tå pepragm°na ka‹ efiw dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã. ka‹ ˜tan tiw ékro≈menow o‡htai metå taËta ırçn tå legÒmena ka‹ metå toËto §painª, tÒte dØ tÒte éphkr€bvtai ka‹ tÚn ofike›on ¶painon épe€lhfe tÚ ¶rgon t“ t∞w flstor€aw Feid€&.

tÚ toË suggraf°vw ¶rgon: ¶rgon mit personalem Genetivobjekt hat hier ebenso wie in Kap. 39 (suggraf°vw ¶rgon) die Bedeutung von „Aufgabe, Leistung“. Bereits Aristoteles (Po. 9, 1451 a 37: poihtoË ¶rgon) bediente sich in literarkritischem Kontext einer ähnlichen Formulierung. efiw kalÚn diay°syai tå pepragm°na: Damit wird der Gesichtspunkt der Stoffökonomie wieder aufgenommen (zuvor §w d°on ofikonomÆsasyai tØn Ïlhn). Das Adjektiv kalÒw bezeichnet wie bereits in Kap. 11 (•kãstou går dØ ‡diÒn ti kalÒn §stin), auch hier mit literarkritischem Bezug, das Passende, das Adäquate. In diesem Sinne ist auch die klassischer attischer Prosa entstammende und in kaiserzeitlicher griechischer Literatur häufig begegnende Junktur efiw kalÒn (so X. An. IV 7, 3, Smp. 1, 4; Pl. Smp. 174 e, bei Lukian selbst Lex. 18) zu verstehen, welche im Sinn etwa dem Adverb kal«w entspricht, nur daß Lukian hier mit kalÒn stärker das Resultat der zweckmäßigen Stoffgliederung (Kap. 48: tãjiw) akzentuieren will. Die Kombination von efiw kalÒn mit diat€yesyai findet sich bei Lukian an zwei weiteren Stellen (Philops. 29 und Merc. Cond. 25), jeweils ohne Bezug zum Bereich literarischer Gestaltung. Das Verbum diat€yesyai und das Substantiv diãyesiw verwendet er jedoch in Übereinstimmung mit rhetorischer Theorie mancherorts in dieser Weise (Herm 1, vgl. Ps. Luk. Dem. Enc. 14). Sopater (Walz V 3, Z. 1 und 16) unterscheidet im Kommentar zur Stasislehre des Hermogenes zwischen den Elementen nÒhsiw, eÏresiw und diãyesiw. Letztere bestimmt er so: ≤ tå eÍrey°nta katå tÚn ofike›on tãttousa tÒpon. Im Falle der Geschichtsschreibung, so ist Lukians Aussage zu verstehen, ersetzen die als gegeben vorliegenden Ereignisse (tå pepragm°na) die eÏresiw. efiw dÊnamin §narg°stata §pide›jai aÈtã ... ırçn tå legÒmena: Die §nãrgeia, in der rhetorischen Theorie auch ÍpotÊpvsiw genannt (Belege bei Lausberg § 810) besteht in der Schaffung von anschaulichen Vorstellungsbildern, welche den Hörer in die Lage versetzen, das Berichtete vor seinem geistigen Auge zu sehen. Repräsentativ für die Auffassung der Rhetoren ist die Definition des Dionysios von Halikarnaß (Lys. 7), der die §nãrgeia bestimmt als eine dÊnam€w tiw ÍpÚ tåw afisyÆseiw êgousa tå legÒmena, welche bewirke, daß der Hörer die Darlegungen gleichsam unmittelbar visuell wahrnimmt (d. h. ginÒmena tå dhloÊmena ırçn). Römische Rhetorik kennt die Begriffe der evidentia bzw. der repraesentatio (Quint. Inst. VIII 3, 61–71 mit erhellender Erörterung), auch der sub oculos subiectio (so Quint. Inst. IX 2, 40 mit einer Bezugnahme auf Cic. de Orat. III 53, 202 und Or. 40, 139). Als die hauptsächlichen Anwendungsbereiche gelten die Rhetorik und die Poesie, welche beide die Anwendung fiktiver Elemente erlaubten, soferne dabei nur die Wahrscheinlichkeit gewahrt bleibe (Quint. Inst. VIII 3, 70: Beispiel Vergil; IV 2, vgl. 123–127: Beispiel M. Caelius). Griechische Rhetorik bezieht auch die Geschichtsschreibung mit ein (Belege bei Avenarius 1956, 130–140), welche kräftig berücksichtigt ist in den Progymnasmata des Hermogenes (Prog. 10, Spengel II 16, Z. 10–17), der die Ekphrasis mit weitverbreiteter, konventioneller Formulierung bestimmt als lÒgow ... §nargÆw, ka‹ ÍpÉ ˆcin êgvn tÚ dhloÊmenon. Als Beispiel für eine mehrere Elemente umfassende Mischform von Ekphrasis wird die berühmte nächtliche Schlacht bei Thukydides (VII 44) genannt. Anschauungsmaterial aus der Geschichtsschreibung findet sich auch in anderen rhetorischen Traktaten über die häufig mit der §nãrgeia in Verbindung gebrachte Ekphrasis. Während Aphthonios (Prog. 12, Spengel II 46, Z. 14–47) in diesem Zusammenhang einzig auf Thukydides Bezug nimmt, zieht Theon (Prog. 11, Spengel II 118, Z. 6–120, Z. 11) außer diesem auch Herodot, Ktesias und Philistos heran. 573

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Plutarch (Bellone an pace clariores fuerint Athenienses 3, 346 f–47 c), der dem Thukydides auch sonst sehr anerkennend gegenübersteht (Strebel 1935, 53–55), hebt die mit unterschiedlichen Mitteln verfolgte, aber durchaus gleichartige Zielsetzung von Malerei und Wortkunst hervor, um sodann fortzufahren: t«n flstorik«n krãtistow ı tØn diÆghsin Àsper grafØn pãyesi ka‹ pros≈poiw efidvlopoiÆsaw (es verdient der Umstand Beachtung, daß Lukian im gesamten dritten Teil der Schrift die Bezeichnung pãyow vermeidet, um mit diesem Begriff verbundene Mißverständnisse auszuschalten, vgl. die Kritik in Kap. 26). In diesem Sinne spricht Plutarch dem Thukydides eine grafikØ §nãrgeia zu, welche darin bestünde, den Hörer gewissermaßen zum Zuschauer zu machen (oÂon yeatØn poi∞sai tÚn ékroatÆn). Nicht überzeugend ist der Versuch von Avenarius 1956, bes. 140 die allgemeine ästhetische Theorie des Gorgias (das Ziel der m€mhsiw ist die aus der §nãrgeia resultierende ≤donÆ) als höchst bedeutsam auch für die Geschichtsschreibung zu erweisen („Auch die Geschichtsschreibung wurde davon aufs stärkste beeinflußt, als sie den Charakter einer literarischen Kunstgattung annahm“). Thukydides sei von dieser beeinflußt worden, und noch die spätere Theorie der Geschichtsschreibung beruhe darauf. Die Rezeptionsweise des Hörens (ékroçsyai und ékoÊein) spielt in vorliegender Schrift eine wichtige Rolle (z. B. Kap. 5, 7, 10, 14, u. o. bes. im skommatischlehrhaften Schriftteil, Kap. 14–32). Was Lukian und Plutarch deutlich voneinander unterscheidet, ist der Umstand, daß ersterer mit der Kunst der Veranschaulichung keinerlei sich als Wirkung einstellendes pathetisches Element verbindet. Für Plutarch hingegen ist gerade die pathoserweckende Wirkweise der §nãrgeia ein zentrales Anliegen (vgl. in genannter Schrift 347 a, Nic. 1, 1: über Thukydides, Artax. 8, 1: über Xenophon), auch wenn er, ebenso wie dies bei Polybios der Fall ist, Übersteigerungen im Sinne von theatralischen Effekten, wie sie sich bei Ktesias, Kleitarchos, Duris und Phylarchos fänden, entschieden ablehnt (die Belege zu der an die Tragödie angenäherten Geschichtsschreibung bei Avenarius 1956, 132–140). Deutlich näher kommt Lukians Ansicht daher die des Polybios (XII 25 h 2–4: mit Kritik an Timaios, weitere reiche Belege bei Meister 1975, 117, Anm. 34), für den die Abspiegelung der Wirklichkeit (¶mfasiw, Pédech 1964, 258: un air de vérité) sowie die anschauliche Darstellung (§nãrgeia, Pédech ebda.: une représentation vivante) einzig aus der authentischen Erfahrung (aÈtopãyeia, über diese psychische Konstitution verfügten lediglich erfahrene Praktiker) erwachsen können. Wie Plutarch, so stellt auch Polybios einen Vergleich mit der die Objekte wirklichkeitsgetreu wiedergebenden Malerei an. Lukians Innovation besteht wesentlich in seiner, jedenfalls soweit ich sehen kann, singulären Gegenüberstellung von Geschichtsschreiber und Bildhauer, deren Sinn weiter unten im Kommentar zu t“ t∞w flstor€aw Feid€& erklärt ist. Zum Adverb von §nargÆw in Verbindung mit dem Verbum §pideiknÊnai vgl. Tox. 8, wo ebenfalls die bildende Kunst das Bezugsobjekt ist (§lelÆyeiw d° me ... grafeÁw égayÚw Ãn. pãnu goËn §narg«w §p°deijaw ≤m›n tåw §n t“ ÉOreste€ƒ efikÒnaw). tÒte dØ tÒte: Lukian ist der früheste Autor, bei dem sich eine besondere Vorliebe für dieses ausdrucksstarke Idiom (Bedeutung „dann, ja dann“) feststellen läßt. Er verwendet es besonders nach konjunktivischen Kondizionalsätzen (eingeleitet mit ≥n, so Merc. Cond. 11 und Sacr. 14) sowie nach kondizionalen Temporalsätzen (eingeleitet mit §peidãn bzw. ıpÒtan, so Vit. Auct. 27 und Im. 13). éphkr€bvtai ka‹ tÚn ofike›on ¶painon épe€lhfe tÚ ¶rgon: Das Verbum épakriboËn bzw. épakriboËsyai gehört seit der ersten Sophistik zu dem Standardrepertoire in literarkritischen Zusammenhängen (besonders die passiven Formen), bereits bei Isokrates (or. 4, 11: die lÒgoi éphkribvm°noi bezeichnen programmatisch die epideiktische Rede) und bei Platon (Ti. 29 c), danach bei Plutarch (Praecepta gerendae reipublicae 6, 802 f). Lukian gebraucht in diesem Sinne wiederholt die passiven Formen, so in Rh. Pr. 17, Lex. 25 und Ind. 2: ˜sa te prÚw tÚn ÙryÚn kanÒna

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t“ suggrafe› éphkr€bvtai ka‹ ˜sa k€bdhla ka‹ nÒya ka‹ parakekomm°na. Darüberhinaus wird épakriboËsyai mit Bezug auf die bildende Kunst verwendet, auf Malerei ebenso wie auf Plastik.

Erstere ist angesprochen, wenn Lykinos das von Polystratos entworfene Bild von Pantheias seelischen Vorzügen sinnreich charakterisiert als pãsaiw ta›w gramma›w éphkribvm°nh (Im. 16). Ein Vergleich mit der Malerei liegt auch dem Scholion zu Tim. 55 (Rabe 119, Z. 8–13, bes. 11–13: Yrasukl°ouw yrasÊthta ... …w §p‹ p€nakow §narg«w t“ lÒgƒ éphkrib≈sato) zugrunde wie auch einem Passus aus der Schrift per‹ mimÆsevw des Dionysios von Halikarnaß (B VIa 31a, Usener / Radermacher VI 2, 214, Z. 9). In der Anthologia Palatina wird épakriboËsyai auch mit Bezug auf die Bildhauerkunst gebraucht. Ein Beispiel für diese Verwendung liegt im fünften Buch der Anthologia Planudea unter den anonymen Epigrammen auf Porphyrios vor (AP XVI 342, 1–2: AÈtÚn PorfÊrion m¢n éphkrib≈sato xalk“ / ı plãsthw, ¶mpnoun oÂa tupvsãmenow). Ein anderes findet sich bei Alexandros Aitolos (Powell 127, Ep. 8) im vierten Buch der Anthologia Planudea (AP XVI 172: AÈtã pou tån KÊprin éphkrib≈sato Pallãw, / tçw §pÉ ÉAlejãndrou layom°na kr€siow). Vor dem Hintergrund dieses Sprachgebrauchs kann selbst die Ausführung einer Webarbeit mit diesem selben Terminus bezeichnet werden (AP IX 778: Epigramm des Philippos). Das Verbum épolambãnein bezeichnet bei Herodot (VIII 137, 4: tÚn misyÚn ... épolabÒntew) und danach auch häufig in attischer Prosa das Abbekommen dessen, was einer verdient. Lukian bringt dies bisweilen auch durch Verwendung der diesen Aspekt explizit machenden Adjektive êjiow und ‡sow schärfer zum Ausdruck (so Phal. I 12: ÉApolãmbane ... tÚn êjion misyÚn, vgl. Im. 21, Tim. 44: oÏtv går ín tØn ‡shn épolãboien). Die Bedeutungsnuance des Zukommenden ist auch dem Adjektiv ofike›ow, das eine dem Aussagewert von tÚ pr°pon und tÚ kay∞kon entsprechende Nuance beinhaltet, inhärent (vgl. Phal. I 12: ofike€an aÈt“ timvr€an §p°yhka). t“ t∞w flstor€aw Feid€&: Als repräsentativ für die in Kapitel 51 genannten Bildhauer nennt Lukian deshalb Phidias, weil einzig dieser in seiner Eigenschaft als der Schöpfer des olympischen Zeus sich dafür eignet, um die eine thematische Einheit bildenden Kapitel 49–51 in Form einer Ringkomposition abzurunden (Kap. 49: Vergleich des Historikers mit dem alles überschauenden Zeus).

Kapitel 52 Nach dem in rhetorischen t°xnai häufigen Einteilungsprinzip in eÏresiw, tãjiw und l°jiw (vgl. die Einleitung zu Kap. 47) in Kap. 47–48 folgt nun die ältere, an sich voraristotelische, aber in hellenistischer Zeit oft mit zweifacher Gliederung ersterem nachgereichte Einteilung in die Teile der Rede (dieses in rhetorischen Lehrbüchern häufige Verfahren zeigt Barwick 1922, bes. 1–11). Für das Objekt der Geschichtsschreibung macht der Autor Lukian bloß zwei Redeteile geltend, nämlich das Proömium (proo€mion) und die den ganzen Rest einnehmende Geschichtserzählung (diÆghsiw). Die Kapitel 52–54 (wiederum in triadischer Komposition) behandeln zunächst das Proömium (proo€mion, dazu Avenarius 1956, 113–118) und dessen gegenstandsadäquate Gestaltung (mannigfache Fehler in diesem Bereich und bei den Buchaufschriften sind im skommatisch-lehrhaften Teil der Schrift häufig ein Objekt von Kritik, so Kap. 14–18, 23, 29, 30, 32), und in Kapitel 55 folgen dann der Übergang (metãbasiw) zur Geschichtserzählung (diÆghsiw) sowie vor allem diese selbst. Bevor die verpflichtenden Elemente eines förmlichen Proömiums dargestellt werden und das dafür anzuwendende Verfahren anhand von Thukydides und Herodot illustriert wird (Kap. 53–54), wird in diesem Kapitel zuerst einmal die prinzipielle Möglichkeit eines, wie man es bezeichnen kann, kryptoproömialen Werkbeginns (dies ist hier unter den Worten dunãmei fro€mion zu verstehen)

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vorangestellt. Was damit konkret gemeint ist, erläutert Kapitel 23, in dem darauf hingewiesen wird, daß der (so ist hinzuzufügen, das Thema anklingen lassende) Eingangsteil der xenophontischen Anabasis, ohne ein förmliches Proömium zu sein, doch den Rang eines solchen beanspruchen kann, also ein Proömium der Geltung nach ist. Nur literarisch unbedarfte Autoren verzichteten in Verkennung dieses Umstandes und unter deplazierter Berufung auf Xenophon auf jegliche Art von Proömium, wie dies, freilich unter bestimmten Voraussetzungen, von manchen Theoretikern der Rhetorik (z. B. dem Anonymus Seguerianus) als eine mögliche Option für die Gerichtsrede konzediert wird. In der Geschichtsschreibung, so lautet Lukians Postulat, sei ein ganz unvermittelt mit der diÆghsiw = narratio einsetzender Werkbeginn unpassend, da er es verabsäume, über das zur Darstellung anstehende Thema von Anfang an die nötige Klarheit zu schaffen. Ein kryptoproömialer Werkbeginn nach der Art Xenophons hingegen sei in einigen Fällen als durchaus passend zu erachten. Eine Parallele für diese theoretisch geäußerte Direktive existiert innerhalb antiker Geschichtsmethodologie, soweit ich sehen kann, nicht. Pãntvn d¢ ≥dh pareskeuasm°nvn ka‹ éprooim€aston m°n pote poiÆsetai tØn érxÆn, ıpÒtan mØ pãnu katepe€g˙ tÚ prçgma prodioikÆsasya€ ti §n t“ prooim€ƒ: dunãmei d¢ ka‹ tÒte froim€ƒ xrÆsetai t“ éposafoËnti per‹ t«n lekt°vn.

lekt°vn: Als einziger der modernen Herausgeber beläßt Macleod 1980, 316 das durch E überlieferte lekt«n im Text, doch steht das Verbaladjektiv lekt°ow (textkritisch unproblematisch)

mit vergleichbarer Bedeutung auch in den Kap. 20, 21, 27, 56 und 60; in diesem Sinne vgl. auch Nesselrath 1984, 598. Pãntvn d¢ ≥dh pareskeuasm°nvn: Mit diesem etwas unvermittelt wirkenden Neueinsatz wird nach

dem (den Ton zu einer gewissen Feierlichkeit anhebenden) Passus zur Stoffgestaltung (Kap. 49–51) nun wieder der Anschluß an die in den Kap. 47–48 betont sachlich behandelten Arbeitsschritte (Materialbeschaffung, Rohentwurf, Gliederung und stilistische Ausgestaltung) hergestellt. Im Folgenden geht es um die für ein Geschichtswerk konstitutiven Teile, nämlich um das Proömium (52–54), den Übergang zur diÆghsiw (55: ≤ §p‹ tØn diÆghsin metãbasiw) und die den überwiegenden Teil des Ganzen ausmachende diÆghsiw selbst (55: ëpan går étexn«w tÚ loipÚn s«ma t∞w flstor€aw diÆghsiw makrã §stin). ka‹ éprooim€aston m°n pote poiÆsetai tØn érxÆn, ıpÒtan mØ pãnu katepe€g˙ tÚ prçgma prodioikÆsasya€ ti §n t“ prooim€ƒ: Für die Proömiumsgestaltung erteilt der Autor Lukian keine

für alle Einzelfälle gleicherweise verbindlichen Richtlinien. Er stimmt mit denjenigen Theoretikern überein, die für die Eingangsteile zu Gerichtsreden situationsadäquate Verfahrensweisen befürworten, mit Dionysios von Halikarnaß (Lys. 17 über die Universalität des Lysias in der Proömiumsgestaltung) und mit Quintilian hinsichtlich dessen allgemeiner Ablehnung allzu rigider Verfahrensregeln (Inst. II 13, 5: prooemium necessarium an supervacuum, breve an longius ... causae docebunt). Ein regelrechtes Proömium, wie es in Kap. 53–54 charakterisiert wird, ist nach der Ansicht des Autors Lukian nur dann geboten, wenn die Sache dringend nach einer Stellungnahme des Verfassers gleich im Vorfeld der Geschichtserzählung verlange. Sonst jedoch stehe es dem Autor frei, gelegentlich auch ohne ein ausdrückliches Proömium zu beginnen (ka‹ éprooim€aston m°n pote poiÆsetai tØn érxÆn). Das Adjektiv éprooim€astow bedeutet hier nicht, wie der Wortbildung nach zu erwarten wäre, schlechthin das Fehlen eines Proömiums (in dieser regulären Bedeutung Kap. 23 und D. H. Lys. 17:

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ka‹ éprooimiãstvw pot¢ efis°bale tØn diÆghsin érxØn lab≈n, vgl. Eust. zu Hom. Il. 10, 204–211

van der Valk III 45, Z. 3), sondern bloß die Absenz eines regelrechten Proömiums von der Art, wie es sich in (unter bestimmten Bedingungen) idealer Ausprägung bei Herodot und Thukydides finde (Kap. 53–54). Vollständiges Fehlen eines Proömiums, wie es vom Anonymus Seguerianus (bes. Kap 21–25 und 32, Spengel I 430, Z. 20–32 und 431, Z. 32–432, Z. 4, vgl. Arist. Rh. III 12, 1415 a–b sowie Quint. Inst. IV 1, 72) unter gewissen Voraussetzungen für die Gerichtsrede gefordert wird, läßt Lukian daher für die Geschichtsschreibung nicht gelten, eher schon einen proömiumsartigen Eingang von ähnlicher Art, wie Quintilian (Inst. III 8, 6) ihn für die Gestaltung einer Beratungsrede fordert (initium tamen quodcumque debet habere [sc. oratio deliberativa sive suasoria] aliquam prooemii speciem). Das Verbum prodioike›syai („eine erklärende Stellungnahme voranschicken“) wird innerhalb rhetorischer Fachsprache im Besonderen in theoretischen Erörterungen zur Proömiumsgestaltung gebraucht, so in der Rhetorik des Aelius Aristides, und zwar in der Einleitung zur Untersuchung xenophontischer Werkanfänge (Rh. II 12 Spengel II, bes. 539, Z. 28–30: de› ... §p‹ pãntvn ımo€vw t«n lÒgvn prodioike›syai t€ xrÆsimon per‹ tå prãgmata). Ps. Dionysios von Halikarnaß, der in seiner t°xnh =htorikÆ wiederholt das Verbum dioike›syai verwendet, kennt auch das Substantiv prodio€khsiw zu der Bezeichnung t°xnh–gemäßer Proömiumskonzeption (Rh. 10, 13 Usener / Radermacher VI 2, 369, Z. 1–2: ≤ d¢ t°xnh toË prooim€ou prodio€khsiw toË pantÚw ég«now). dunãmei d¢ ka‹ tÒte froim€ƒ xrÆsetai t“ éposafoËnti per‹ t«n lekt°vn: Als das prototypische

Paradigma für ein nach Ansicht des Autors Lukian legitimes alternatives Verfahren der Eingangsgestaltung ist in Kapitel 23 der Werkbeginn der xenophontischen Anabasis genannt (Dare€ou ka‹ Parusãtidow g€gnontai pa›dew dÊo). Tatsächlich ist ja mit der sogleich von allem Anfang an unverzüglich einsetzenden Einführung der beiden Dareiossöhne Artaxerxes und Kyros das zumindest für das erste Buch bestimmende Thema des Bruderkampfes angesprochen. Derartige gewissermaßen kryptoproömiale Werkbeginne nennt Lukian Proömien dem Vermögen bzw. der Geltung nach. Die aus Kap. 23 (dunãmei ... proo€mia) den zentralen Begriff dunãmei aufnehmende Formulierung dunãmei ... froim€ƒ xrÆsetai meint somit natürlich einen Werkbeginn in der Art der xenophontischen Anabasis. Wie in anderen Hinsichten, so gibt also auch für die Proömiumsgestaltung die in dieser Schrift durchgehend als Norm zur Orientierung figurierende Historikertrias Herodot, Thukydides und Xenophon (das Fehlen eines Proömiums zu dessen Hellenika [zu möglichen Gründen dafür aus heutiger Perspektive Dillery 1995, 10–11, zur früheren Diskussion vgl. Engel 1910, 43–45] steht hier nicht zur Debatte) das richtungsweisende Vorbild ab. Zu der Austauschbarkeit der Begriffe fro€mion und proo€mion vgl. auch den Kommentar zu Kap. 14: §p‹ t°lei toË froim€ou. Das Verbum éposafe›n, das üblicherweise mit Akkusativobjekt oder abhängigem Fragesatz bzw. auch mit beidem konstruiert wird, steht in explizitem Gegensatz zu rätselhafter Ausdrucksweise, so bei Platon (Cra. 384 a: Kontrast zu efirvneÊesyai) und wiederholt bei Lukian selbst (JTr. 27 und Vit. Auct. 14: Gegensatz zu afin€gmata, ähnlich JConf. 14). In dieser Schrift erscheint die Deutlichkeit (safÆneia, bei Lukian tÚ saf°w) als der zentrale Parameter für sprachliche und inhaltliche Gestaltung, mit Bezug auf die l°jiw (Kap. 43–44, 55), aber auch im Zusammenhang mit ekphrastischen Schilderungen (Kap. 57) und direkten Reden (Kap. 58). In diesem Sinne zu bewerten ist die besondere Wichtigkeit, schon am Beginn des Werkes Klarheit zu schaffen (éposafe›n) hinsichtlich des zur Behandlung anstehenden Themas (per‹ t«n lekt°vn).

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Kapitel 53 Für ein regelrechtes Proömium gelten innerhalb der Geschichtsschreibung lediglich zwei Ziele, bei den Hörern Aufmerksamkeit zu erwecken (prosoxÆ) und die nötigen Voraussetzungen für leichte Verständlichkeit zu schaffen (eÈmãyeia). Die in Gerichtsreden standardisierte und durch rhetorische Theorie legitimierte Funktion, um das Wohlwollen (eÎnoia) des Richters zu werben, muß in der Geschichtsschreibung natürlich entfallen, wie der Autor Lukian singulär vermerkt (auch Avenarius 1956, 116 kennt für das Postulat keine Parallele), da der Verfasser sich sonst, so ist zu assoziieren, dem Verdacht der Schmeichelei aussetze, ein in den didaktischen Teilen dieser Schrift leitmotivisch ausgesprochener Vorwurf (bes. in Kap. 8, 10–13, 40). Vor dem Hintergrund einer häufigen Mißachtung dieses Prinzips in der Praxis zeitgenössischer Literatur, namentlich in der Geschichtsschreibung, ist es durchaus als möglich zu erachten, daß Lukian selbst es hier sein kann, der für den aktuellen Zweck der Schrift dieses (in den rhetorischen Handbüchern jedenfalls nicht nachweisbare) Postulat aufstellt. Aufmerksamkeit wird dem Autor entgegengebracht, wenn er darlegt, daß er über (von der Sache her) bedeutsame und notwendige sowie auch (für die Zuhörer) relevante und nützliche Dinge berichten werde. Daß das Folgende (gemeint ist die Geschichtserzählung = diÆghsiw) für das Publikum leicht faßlich und klar verständlich sein wird, erreicht er, indem er bereits im Vorfeld seiner Ausführungen (d. h. im Proömium) die den Ereignisfolgen ursächlich zugrunde liegenden Faktoren darlegt und die Hauptpunkte der Ereignisse punktgenau umreißt. Earls 1972, 842–44 Untersuchung der Proömienpraxis antiker Historiker ergibt einen durchaus einheitlichen Befund: The evidence is remarkable in its unanimity. Minor variations such as the position or even the inclusion of the author’s name were allowable. But if an historian began his work with a formal prologue, then it was obligatory to set out his subject in the very first sentence. [Beispiele unter den griechischen Historikern sind Herodot, Thukydides, Appian und Josephos] But at the very least the opening sentence must make clear that it is with history that the author is concerned [Beispiele sind Dionysios, Diodor und Polybios] (Zitat 843). Daß bereits der erste Satz das zur Behandlung anstehende Thema anzugeben hat, gilt gleichermaßen auch für andere Literaturgattungen, u. a. für epideiktische Rede, philosophischen Dialog und politischen Traktat (856). All dies entspricht durchaus konventioneller rhetorischer Theorie. Lediglich die Thematisierung der Aitiologie bereits innerhalb der Proömien ist seit Herodot und Thukydides ein Spezifikum der Geschichtsschreibung; sie findet sich danach besonders häufig bei Polybios, aber auch bei Dionysios von Halikarnaß. Üblicherweise werden demnach die Proömien als der dafür passende Ort erachtet, doch bisweilen wird von den Theoretikern (Quintilian und Cicero) und Praktikern (Diodor) auch die davon abweichende Ansicht vertreten, daß die Darlegung der Aitiologie innerhalb der diÆghsiw zu erfolgen habe. Lukian entwickelt das hier angesprochene Postulat in Kapitel 54 nicht weiter, obwohl dort dazu die Gelegenheit bestünde, doch ist klar, daß er dabei, obwohl er es nicht ausdrücklich sagt, Herodot und besonders Thukydides im Auge hat, dessen Aitiologie des Krieges wegen der erstmaligen Unterscheidung von Ursache und Anlässen (I 23, 5–6) eine kanonische Geltung hatte. Namentlich Polybios kommt als möglicher Ausgangspunkt für die Lukian zugänglichen Diskurse in besonderem Maße in Frage, ein Umstand, der von Avenarius 1956, 117 jedoch nicht gebührend beachtet wird. Ein skurriles Beispiel für verfehlte Proömiumsbehandlung stellt der Autor Lukian in Kapitel 14 vor, nämlich einen milesischen Historiker, der Vologaeses als den alleinigen Verursacher des Partherkrieges gleich vorweg verflucht habe.

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ÑOpÒtan d¢ ka‹ froimiãzhtai, épÚ duo›n mÒnon êrjetai, oÈx Àsper ofl =Ætorew épÚ tri«n, éllå tÚ t∞w eÈno€aw pare‹w prosoxØn ka‹ eÈmãyeian eÈporÆsei to›w ékoÊousi: pros°jousi m¢n aÈt“ µn de€j˙ …w per‹ megãlvn µ énagka€vn µ ofike€vn µ xrhs€mvn §re›. eÈmay∞ d¢ ka‹ saf∞ tå Ïstera poiÆsei tåw afit€aw proektiy°menow ka‹ perior€zvn tå kefãlaia t«n gegenhm°nvn.

pros°jousi m¢n: alle modernen Herausgeber mit Ausnahme von Macleod 1980, 316 setzen das in einer Schreiber-Hinzufügung in E (Ea) nach m¢n sekundär eingefügte går zu Unrecht in ihre Texte. tÚ t∞w eÈno€aw pare‹w prosoxØn ka‹ eÈmãyeian eÈporÆsei to›w ékoÊousi: Diese Forderung mitsamt der Erklärung des Scholiasten (¶rga ... toË prooim€ou tr€a taËta, tÚ prosoxØn ka‹ eÈmãyeian ka‹ eÎnoian épergãsasyai, Rabe 230) bezieht sich auf eine klassische rhetorische Konvention,

derzufolge der Redner vor Gericht im Proömium dreierlei Aufgaben zu erfüllen habe, a) um das Wohlwollen (eÎnoia) des Richters zu werben, b) dessen Aufmerksamkeit (prosoxÆ) zu erregen und c) die Voraussetzungen für leichtes Verständnis (eÈmãyeia) der folgenden Rede zu schaffen. Die früheste Fassung dieses Anforderungsprofils begegnet bereits in der pseudoaristotelischen ÑRhtorikØ prÚw ÉAl°jandron (Kap. 29). Die Einleitung zu diesem detaillierten Passus, die im Unterschied zu dem entsprechenden Diskurs des Aristoteles (Rh. III 14, 1415 a 34–b 4) den Begriff der eÈmãyeia zwar umschreibt, aber nicht explizit benennt, umreißt die dreigliedrige Funktion eines Proömiums präzise: ÖEsti d¢ proo€mion kayÒlou m¢n efipe›n ékroat«n paraskeuØ ka‹ toË prãgmatow §n kefala€ƒ mØ efidÒsi dÆlvsiw, ·na gin≈skvsi per‹ œn ı lÒgow, parakolouy«s€ te tª Ípoy°sei, ka‹ §p‹ tÚ pros°xein parakal°sai ka‹ kayÉ ˜son t“ lÒgƒ dunatÚn eÎnouw ≤m›n aÈtoÁw poi∞sai (Fuhrmann

59, Z. 33–38 = Spengel I 214, Z. 9–13). Typisch für den rhetorischen Schulbetrieb sind schematisch verfahrende Einteilungsprinzipien, wie sie in der Abhandlung per‹ prooim€vn des Anonymus Seguerianus (Kap. 9) vorliegen, der den Zweck eines Proömiums so bestimmt: t°low d¢ tÚ pros°xein (zur prosoxÆ 14–15), ka‹ eÈmãyeian (dazu 10–13) ka‹ eÎnoian (dazu 16–18) épergãsasyai (Spengel I 428, Z. 20–21, prosoxØn statt pros°xein bei Dilts / Kennedy 4, Z. 13). Auf der Grundlage dieser festen, nur hinsichtlich der Reihenfolge variablen termini kann Dionysios von Halikarnaß (Lys. 17) die seiner Ansicht nach erstklassigen Qualitäten lysianischer Proömiumsbehandlung summarisch in diese durchaus konventionellen Worte kleiden: oÎte går eÎnoian kin∞sai boulÒmenow oÎte prosoxØn oÎte eÈmãyeian étuxÆseien ên pote toË skopoË. In der lateinischen Rhetorik begegnen analog zur Trias eÎnoia, prosoxÆ und eÈmãyeia zumeist die Adjektive benevolus, attentus und docilis, in der Rhetorik ad Herennium (I 4, 6), bei Cicero (de Orat. II 79, 322–323, Inv. I 15, 20, Top. 26, 97) und Quintilian (Inst. IV 1, 5). Was die rhetorische Praxis betrifft, so liegt, worauf bereits Volkmann 1885, 134 hingewiesen hat, eine raffiniert durchgeführte Kombination aller drei Elemente in einer Rede des Demosthenes (or. 43, 2) vor; sie lautet: deÒmeya oÔn Ím«n, Œ êndrew dikasta€, eÈnoik«w ékroãsasyai t«n legom°nvn ka‹ parakolouye›n pros°xontaw tÚn noËn. peirãsomai d¢ kég∆ didãskein Ímçw …w ín oÂÒw te Œ saf°stata per‹ t«n pepragm°nvn. Das Verbum parakolouye›n, welches für die eÈmãyeia steht, erscheint hier in enger Verknüpfung mit der prosoxÆ (pros°xontaw tÚn noËn). Die attischen Redner ersuchen in ihren Proömien häufig ganz direkt und mit explizitem Appell um das Wohlwollen (eÎnoia)

der Zuhörer, Demosthenes (z. B. or. 18, 1–10; or. 21, 7; or. 23, 4), Aischines (or. 2, 1 und 7), Lysias (or. 16, 9; or. 19, 11) und Isaios (or. 2, 2; or. 6, 2; or. 8, 5; or. 7, 4; or. 10, 3). Besonders der imposante Einleitungssatz zu der demosthenischen Kranzrede (or. 18, 1) war in Lukians Zeit zumindest bei den Gebildeten bekannt. Nur unter dieser Voraussetzung macht innerhalb der fiktiven Gerichtskomödie (Bis Acc. 26) die in wesentlichen Teilen wortwörtliche Wiedergabe des demosthenischen Wortlauts

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durch die den Syrer (Lukian) anklagende ÑRhtorikÆ Sinn (für die Gerichtsrede typisches Werben um eÎnoia auch in Bis Acc. 17). Was für die Gerichtsrede als ein legitimes Verfahren gilt, das ist in der Geschichtsschreibung jedoch untersagt (tÚ t∞w eÈno€aw pare‹w). Denn hier hat der Historiker die unbedingte Pflicht, mit Orientierung an den Parametern §leuyer€a, parrhs€a und élÆyeia objektiv über die Ereignisse zu berichten (bes. Kap. 38–41), zum Nutzen (Kap. 9) der zeitgenössischen Hörer und besonders der zukünftigen Leserschaft (Kap. 9, 13, 39–40, 61–63). Das mit Schmeichelei (kolake€a) gleichzusetzende Haschen nach eÎnoia (tØn eÎnoian tØn parå t«n §painoum°nvn yhr≈menoi) sei in der Historiographie unbedingt zu verwerfen (Kap. 11, vgl. 40). Der Scholiast bemerkt zur Stelle, daß die nur dem Redner nützende eÎnoia in Geschichtswerken (§n ta›w flstor€aiw) keine Rolle spielen dürfe, und zwar mit der plausiblen Begründung, daß eben in diesem Metier der Rhetor einzig die Bedürfnisse seiner Zuhörer im Auge haben müsse: ˜ti mØ •aut“ tÒte ı =Ætvr, éllå to›w ékroata›w §rgãzetai (Rabe 231). In der Praxis freilich kamen solche captationes benevolentiae zumal bei rhetorisch orientierten Historikern durchaus vor, aber daß sie eine Neuerung Diodors (I 5, 2) sind (so Lieberich 1898, I 22 und 30), ist schwerlich zutreffend (so richtig Kunz 1935, 61–62). Daß gerade in der Zeit der zweiten Sophistik das Verbot, um Wohlwollen zu buhlen, eigens hervorgehoben werden mußte, hängt auch mit den an den sophistischen Redner üblicherweise gestellten Erwartungshaltungen zusammen. In diesem Sinne verdient eine bezeichnende Mitteilung des Philostratos (VS II 8, 579) Beachtung. Herodes habe, so erklärt er, Philagros von Kilikien dafür getadelt, daß er sich nicht darauf verstünde, die eÎnoia seiner Zuhörer zu erringen, so wie es sich eben für das Proömium von §pide€jeiw gehöre. Vor diesem Hintergrund konnte es daher ganz leicht geschehen, daß ein Historiker mit wenig Geschmack auf die verkehrte Idee verfallen mochte, dies gelte auch für die Geschichtsschreibung. Avenarius 1956, 115–116 stellt fest, daß für diese Vorschrift, auf die Erweckung von Wohlwollen zu verzichten, keine Parallele in einschlägigen rhetorischen Handbüchern vorliegt, und er sieht den Grund für diesen Umstand einzig im Zufall (116). „Denn es ist kaum anzunehmen, daß Lukian zum ersten Mal mit einer solchen Forderung hervorgetreten ist“. Doch wie bereits festgestellt wurde, könnte sich Lukians Postulat direkt auf eine verkehrte Praxis seiner Zeit beziehen, und es ist daher zumindest prinzipiell denkbar, daß er selbst es ist, der diese Forderung mit einer Kritik an zeitgenössischen Mißständen erhebt. Für die Konstruktion eÈpore›n tin€ ti in der Bedeutung von „jemandem etwas verschaffen“ (por€zein bzw. §kpor€zein) liegen nicht viele Belege vor. Bereits Fritzsche (1860, 99) wies auf einen von Athenaios (III 124 a) überlieferten Vers aus der Mandragorizom°nh des Alexis hin, der mit folgendem Wortlaut die Paradoxie menschlichen Verhaltens belegen soll: ¶xontew oÈd¢n eÈporoËmen to›w p°law. Diese Konstruktion gebrauchen auch Isaios (mit Akkusativobjekt in or. 7, 8) besonders Demosthenes (or. 23, 155; or. 33, 7: …mologhk∆w dÉ eÈporÆsein aÈt“ d°ka mnçw), der jeweils sowohl ein Akkusativ- als auch ein Dativobjekt zu eÈpore›n verwendet. pros°jousi m¢n aÈt“ µn de€j˙ …w per‹ megãlvn µ énagka€vn µ ofike€vn µ xrhs€mvn §re›: Aufmerksamkeit (prosoxÆ) wird erregt, wenn der Historiker bereits in seinem Proömium ankündigt, er werde über bedeutsame (per‹ megãlvn), über (von der Sache her und zugleich für das Verständnis) notwendige (per‹ énagka€vn) Ereignisse berichten, sowie über solche, welche die Rezipienten unmittelbar angingen (per‹ ofike€vn) und für sie auch von Nutzen seien (per‹ xrhs€mvn). Dieses

Postulat deckt sich mit den von den Theoretikern der Rhetorik für die Proömiumsgestaltung erteilten Vorschriften. Der pseudoaristotelischen ÑRhtorikØ prÚw ÉAl°jandron (Kap. 29) zufolge ist die größte Aufmerksamkeit bei Beratungen dann gegeben: ˜tan µ Íp¢r megãlvn µ fober«n µ t«n

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≤m›n ofike€vn bouleu≈meya, µ fãskvsin §pide€jein ofl l°gontew …w d€kaia ka‹ kalå ka‹ sumf°ronta ka‹ =ñdia ka‹ ≤d°a (§pide€jousin ≤m›n) prãttein §fÉ ì parakaloËsin (Fuhrmann 60, Z. 8–11, eine

etwas andere Textgestaltung bei Spengel I 214, Z. 25–28). Der Anonymus Seguerianus vermerkt dazu: ProsoxØn d¢ épergãs˙ ... efi ... per‹ megãlvn d¢ µ kal«n µ sumferÒntvn l°goiw §lhluy°nai, ka‹ efi prosupisxno›o, ˜ti kainå ka‹ ˜ti diå brax°vn ka‹ saf«n ka‹ per‹ énagka€vn §re›w (Spengel I

429, Z. 6–19, verkürzt). Zu vergleichen ist schließlich die Ansicht des Aristoteles (Rh. III 14, 1415 b 1–3): prosektiko‹ d¢ to›w megãloiw, to›w fid€oiw, to›w yaumasto›w, to›w ≤d°sin: diÚ de› §mpoie›n …w per‹ toioÊtvn ı lÒgow. Insgesamt beinhalten diese drei Definitionen also alle von Lukian angesprochenen Detailaspekte. Lediglich xrÆsima (bei Lukian wird der Nutzwert von Geschichtsschreibung regelmäßig mittels der Kategorie des xrÆsimon, so bes. Kap. 9 und 42, bemessen) verwendet er anstelle des sonst üblichen sumf°ronta. Auch die lateinische Rhetorik läßt, freilich bei allen Unterschieden im Detail, wiederholt an den Redner die Empfehlung ergehen, sich im Proömium zu Bedeutung und Relevanz des zu behandelnden Gegenstandes zu äußern. Beispiele dafür liegen vor beim Auctor ad Herennium (I 4, 7), bei Cicero (Inv. I 16, 23) und Quintilian (IV 1, 33). Material besonders zu den lateinischen Proömientopoi findet sich bei Herkommer 1968 und Janson 1964. Diese rhetorischen Postulate decken sich mit den Anweisungen, die der Autor Lukian in dieser Schrift für die diÆghsiw (narratio) eines Geschichtswerkes erteilt. Der Historiker dürfe sich, so die wiederholt ausgesprochene Direktive, nicht bei unwichtigen Details, bei sich gewissermaßen verselbständigenden, doch von der Sache her irrelevanten Ekphraseis aufhalten, sondern er müsse sich auf den Bericht der wesentlichen Ereignisfolgen konzentrieren, der pollå ka‹ megãla prãgmata (Kap. 20, vgl. 27: tå megãla ... t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta). Bedeutsamen Geschehnissen (tå megãla), über die mit entsprechender Ausführlichkeit zu berichten sei, werden die in geringerem Grade notwendigen Ereignisse (tå mikrå ka‹ ∏tton énagka›a) gegenübergestellt (Kap. 56). Das hier in Nähe zum Begriff der Größe (tå megãla) stehende Adjektiv énagka›ow ist andernorts auch mit dem Aspekt der Nützlichkeit (xrei«dew) gekoppelt, im Kontext der auf das Allerwesentlichste zentrierten thukydideischen Ekphraseis (Kap. 57). tÚ xrÆsimon (im Plural in Kap. 20), welches den aus einer wahrheitsgetreuen Darstellung sich unmittelbar ergebenden Nutzen bezeichnet, wird mit scharfem Kontrast dem terpnÒn gegenübergestellt (so Kap. 9, vgl. 42). Insgesamt ergibt sich somit, daß Lukian für Proömium und diÆghsiw ein und dieselben der Rhetorik entstammenden Kriterien namhaft macht, gemäß demjenigen literarästhetischen Prinzip, welches besagt, daß der Kopf mit dem restlichen Körper harmonieren müsse (Kap. 23: sunòdon tª kefalª tÚ êllo s«ma). eÈmay∞ d¢ ka‹ saf∞ tå Ïstera poiÆsei tåw afit€aw proektiy°menow ka‹ perior€zvn tå kefãlaia t«n gegenhm°nvn: Hier wird danach gefragt, wie es denn zu bewerkstelligen ist, daß schon im Proömium die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß das in der diÆghsiw (narratio) Dargebotene für den Rezipienten gut faßlich und verständlich ist (eÈmay∞ .. ka‹ saf∞, das Adjektiv eÈmayÆw hier ebenso wie in Herm 1 und 56 sowie bei Plb. I 13, 9 und XIV 12, 6 in passiver Bedeutung). Die eÈmãyeia

wird gemäß den Vorschriften der Theoretiker erreicht durch eine knappe, abrißhafte Darstellung des Gesamtinhalts. Dies besagt die durchaus konventionelle Erklärung des Anonymus Seguerianus: efidÒtew går ofl ékoÊontew per‹ œn ofl lÒgoi eÈmay°steroi genÆsontai (Kap. 10, Spengel I 428, Z. 21–22). Und diese eÈmãyeia werde u. a. gewährleistet durch bereits im Vorfeld der Rede, d. h. im Proömium, geleistete Skizzierung des Inhalts der Rede (pro°kyesiw), die gegeben sei: ˜tan ì m°llei tiw l°gein, …w §n kefala€ƒ proeky∞tai [sc. ı =Ætvr] (Spengel 428, Z. 24–25).

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Die pseudoaristotelische ÑRhtorikØ prÚw ÉAl°jandron (Kap. 29), die den Begriff der eÈmãyeia nicht explizit ausspricht, bestimmt Wesen und Funktion eines Proömiums als eine Vorbereitung der Hörer (ékroat«n paraskeuÆ); und diese bestünde in einer toË prãgmatow §n kefala€ƒ mØ efidÒsi dÆlvsiw bzw. im frãzein §n kefala€ƒ tÚ prçgma (Fuhrmann 59, Z. 33–35 und 60, Z. 4 = Spengel I 214, Z. 9–11 und 21). In diesem Sinne ist auch das Referat des Dionysios von Halikarnaß (Th. 19) zu verstehen: ofl d¢ tåw =htorikåw suntajãmenoi t°xnaw paragg°llousi de€gmata t«n lÒgvn tå proo€mia poie›n aÈtå tå kefãlaia t«n mellÒntvn dhloËsyai prolambãnontaw [Reiske, überliefert ist proslambãnontaw]. Ähnlich lauten auch die Anweisungen lateinischer Rhetoriker. Beispiele liegen vor beim Auctor ad Herennium (I 4, 7), bei Cicero (Inv. I 16, 23) und Quintilian (Inst. IV 1, 34). Mit perior€zvn („rings umgrenzen“, d. h. „knapp und punktgenau bestimmen“, vgl. Salt. 37) tå kefãlaia t«n gegenhm°nvn paßt Lukian das genannte rhetorische Verfahren an die besonderen Bedingungen von Geschichtsschreibung an. Demnach müsse der bereits innerhalb der diÆghsiw zu der Konzentration auf Wesentliches (tå megãla) verpflichtete Historiker im Proömium nochmals eine Straffung im Sinne der für das Verständnis unabdingbar notwendigen Hauptpunkte vornehmen (paradigmatisch für dieses Verfahren sind Herodot und Thukydides, so Kap. 54). Von ähnlichen Prinzipien geht Polybios aus, der in den Proömien zum ersten und zum dritten Buch seinen Inhaltsübersichten Erklärungen voranstellt, welche vom Wortlaut her an die spezifisch rhetorische Fachsprache erinnern, die auch bei Lukian deutlich sichtbar ist. Polybios erklärt unter Verwendung des Adverbs kefalaivd«w sowie des Verbums proekt€yesyai (vgl. auch III 1, 7: pro°kyesiw), er werde die in der prokataskeuÆ darzustellenden Ereignisfolgen vorweg schon knapp umreißen (I 13, 1): l°gein Àra per‹ t«n prokeim°nvn §p‹ braxÁ ka‹ kefalaivd«w proekyem°nouw tåw §n tª prokataskeuª prãjeiw (ähnlich III 1, 5). Diodor (I 4, 6) schickt seiner gerafften Inhaltsangabe zum Gesamtwerk die Erklärung voraus: boÊlomai brax°a prodior€sai per‹ ˜lhw t∞w pragmate€aw. Kunz 1935, 64 verzeichnet noch weitere Stellen bei Diodor mit solchen und ähnlichen stereotypen Ausdrücken. Vor dem Hintergrund des lukianischen Postulats sollte man aber damit vorsichtig sein, „das Fehlen der variatio“ (so Kunz, ebda 67) Diodors Unvermögen anzulasten, um sodann vor diesem Hintergrund „die reicheren Prooemien“ als aus den Quellen direkt entnommen aufzufassen. Die zweite Voraussetzung für eine leicht faßliche Darstellung (tåw afit€aw proektiy°menow) hat jedoch ausschließliche Gültigkeit für das historiographische Genos. Sie besteht in der Aitiologie, in der Darlegung der Ursachen (besonders für Kriege) bereits innerhalb des Proömiums. Es ist auffällig, daß der Autor in Kapitel 54 diesen Gesichtspunkt nicht aufgreift, obwohl die Proömien des Herodot und des Thukydides ihm dazu hätten reichlich Gelegenheit geben können (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 54). Auch andere Historiker legen in ihren Proömien Wert darauf, die afit€ai als essentielles Element historischer Forschung gebührend zu berücksichtigen. Besonders Polybios, der sich bei unterschiedlichen Gelegenheiten häufig über dieses Thema äußert (so III 32, 6 und XII 25 b 2, weitere Belege bei Avenarius 1956, 117, der insbesondere Thukydides als Quelle für Lukian annimmt und die Bedeutung des Polybios unterschätzt), kommt auch in seinen Proömien mehrfach auf die Frage der afit€ai zu sprechen. Sein zentrales Anliegen, so bekennt er, sei es, nach den Ursachen für die römische Weltherrschaft zu forschen (III 1, 4): p«w ka‹ pÒte ka‹ diå t€ pãnta tå gnvrizÒmena m°rh t∞w ofikoum°nhw ÍpÚ tØn ÑRvma€vn dunaste€an §g°neto (ähnlich I 1, 5). Im Proömium zu seinem 6. Buch (VI 2, 8–10) erklärt Polybios, daß die Betrachtung der Ursachen (≤ t«n afiti«n yevr€a) für die Lernbegierigen attraktiv und nutzbringend sei, weil sie eine Wahl des Besseren in jedem einzelnen Falle ermögliche. In seinen Proömien äußert sich auch Dionysios von Halikarnaß über die Frage der Aitiologie. So kündigt dieser zu Beginn seines Werkes programmatisch an, er werde zu auswärtigen Kriegen ebenso wie zu den Bürgerkriegen angeben, §j o·vn afiti«n §g°nonto (I 8, 2). Und ähnlich

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verfährt er auch in seinem Proömium zum 11. Buch anläßlich des Sturzes des Dezemvirats (XI 1, bes. 1–2: diå po€aw afit€aw ka‹ profãseiw). Gelegentlich wird von den rhetorischen Theoretikern allerdings der Gedanke ausgesprochen, daß die Angabe der Gründe weniger eine Sache des Proömiums, als vielmehr der diÆghsiw (narratio) sei. Und in diesem Sinne ist eine Äußerung Quintilians (Inst. IV 2, 2: expositionem ... causarum, quibus historici frequentissime utuntur, cum exponunt, unde bellum, seditio, pestilentia) zu verstehen, die sich noch um weitere Zeugnisse erweitern läßt (so Cic. de Orat. II 15, 63, weitere Belege bei Avenarius 1956, 117, Anm. 36). In diesem Sinne verteilt Diodor (zu dessen Werkökonomie Wirth 2007, bes. 29, Anm. 50) seine diesbezüglichen Erklärungen, die an sich durchaus dem lukianischen Postulat nahestehen, auf herausgehobene Partien seines Werkes (Kunz 1935, 73–107 behandelt nur die eigentlichen Proömien zu den einzelnen Büchern). So schickt Diodor seiner Darstellung des Peloponnesischen Krieges die Bemerkung voraus (XII 38, 1): énagka›on dÉ §st‹ ka‹ t∞w Ípokeim°nhw flstor€aw ofike›on proeky°syai tåw afit€aw aÈtoË [sc. toË pol°mou], womit auch sein Bericht über die Entdeckung der Insel südlich im Ozean (II 55, 1) zu vergleichen ist. Mehrfach verbindet Diodor derartige Einleitungsformeln auch mit dem explizit ausgesprochenen Gedanken, daß eben seine Darstellung auf diese Weise an Klarheit (safÆneia) gewinnen würde (bei Lukian eÈmay∞ d¢ ka‹ saf∞). In diesem Sinne stellt er dem Zug des Sitalkes nach Makedonien (XII 50, 3) folgende Bemerkung voran: énagka›on dÉ §st‹ toË pol°mou toÊtou proeky°syai tåw afit€aw, ·na safØw ı per‹ aÈtoË lÒgow Ípãrj˙ to›w énagin≈skousi. Bei anderen Gelegenheiten (so XVI 40, 4 und 93, 3; XVIII 8, 1) wiederholt er derartige Aussagen öfter in ähnlicher Form. Ein Zerrbild einer völlig unangemessenen Proömiumsbehandlung gibt Lukian in dem skommatisch-lehrhaften Schriftteil (Kap. 14), wo der Autor den Einleitungssatz eines Anonymus aus Milet verspottet: ÑO går miar≈tatow ka‹ kãkista époloÊmenow OÈolÒgesow ≥rjato poleme›n diÉ afit€an toiãnde. Gerade dessen offensichtliche Anleihe bei dem herodoteischen Proömium läßt den eklatanten Abstand zum großen Vorbild nur umso deutlicher hervortreten.

Kapitel 54 Mit Kapitel 54 finden die der Proömiumsgestaltung gewidmeten Kapitel 52–54 ihren Abschluß. Als exemplarisch werden nunmehr die Proömien des Herodot und des Thukydides in freier Form zitiert. Im Falle Herodots ist der komplexe Sinnbezug der Vorlage nicht nur verkürzt, sondern auch teilweise in der Aussage etwas modifiziert wiedergegeben (von Siegen der Griechen und Niederlagen der Barbaren ist in der beide Perspektiven gleich gewichtenden herodoteischen Formulierung nicht die Rede), und das thukydideische Proömium erscheint hier in Form einer Collage aus drei bekannten programmatischen Erklärungen des Thukydides. In beiden Fällen ist auffälligerweise die im vorangehenden Kapitel als ein unabdingbares Element angesprochene Kriegsaitiologie, die sich bei Herodot und Thukydides in individuell unterschiedlicher Weise findet, ausgespart. Ein besonders dreistes, geschmackloses Thukydidesplagiat habe sich der in Kap. 15 kritisierte Crepereius Calpurnianus geleistet. toioÊtoiw prooim€oiw ofl êristoi t«n suggraf°vn §xrÆsanto: ÑHrÒdotow m°n, …w mØ tå genÒmena §j€thla t“ xrÒnƒ g°nhtai, megãla ka‹ yaumastå ˆnta ka‹ taËta n€kaw ÑEllhnikåw dhloËnta ka‹ ¥ttaw barbarikãw: Unter den Historikern mit der größten Vorbildfunktion versteht Lukian

in dieser Schrift die klassische Trias Thukydides, Herodot und Xenophon (in dieser Reihenfolge in Kap. 2), unter denen er Thukydides in mehrerlei Hinsicht bei weitem den ersten Rang zuerkennt (eine sÊgkrisiw der beiden Erstgenannten in Kap. 42). Nachdem die spezifisch xenophontische Behandlung des Eingangsteils der Anabasis in Kap. 23 und, ohne Namensnennung, in Kap. 52

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thematisiert worden war, werden nunmehr die Proömien (in Kap. 53 mit froimiãzesyai bezeichnet) des Herodot und des Thukydides, die innerhalb des Corpus der Rhetores Graeci einzig unter stilistischen Gesichtspunkten Berücksichtigung finden, hinsichtlich ihres paradigmatischen Wertes für eine regelrechte Proömiumsgestaltung empfohlen. Der vom Autor Lukian, wie von Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 3) auch, als ein Proömium im eigentlichen Sinne (als proo€mion) gewertete Einleitungssatz zum herodoteischen Werk lautet so: ÑHrodÒtou ÑAlikarnhss°ow flstor€hw épÒdejiw ¥de, …w mÆte tå genÒmena §j ényr≈pvn t“ xrÒnƒ §j€thla g°nhtai, mÆte ¶rga megãla te ka‹ yvmastã, tå m¢n ÜEllhsi, tå d¢ barbãroisi épodexy°nta, ékleç g°nhtai, tã te êlla ka‹ diÉ ∂n afit€hn §pol°mhsan éllÆloisi. Die in mancherlei

Hinsicht freie lukianische Paraphrase vereinfacht sowohl Syntax als auch komplexen Sinnbezug der Vorlage, welche den Interpreten immer schon Rätsel aufgegeben haben (repräsentativ dafür Schmid 1932, Erbse 1956 und Hommel 1981, bes. 277–287), auf mehrfache Weise. Zunächst läßt er die anthropologische Komponente, wie sie aus der Qualifizierung der genÒmena durch den nachdrücklichen Zusatz §j ényr≈pvn spricht, ebenso unberücksichtigt wie den seit Homer zentralen Aspekt des menschlichen Ruhms (kl°ow). Sodann verkürzt er Herodots diffizile Unterscheidung in das Geschehen (tå genÒmena) und die Taten bzw. Leistungen (¶rga) auf den Aspekt der Ereignisgeschichte (tå genÒmena). Und so weit ist diese Verkürzung des originalen Wortlauts auch verständlich als eine Adaption an zeitgenössische Verhältnisse. Weniger klar ist allerdings, warum Lukian im Gegensatz zu Herodot, welcher unter Verzicht auf jegliche Wertung die bedeutenden und bestaunenswerten Leistungen von Griechen und Barbaren (¶rga megãla te ka‹ yvmastã, tå m¢n ÜEllhsi, tå d¢ barbãroisi épodexy°nta) einander explizit gleichstellt, ausdrücklich von den Siegen der Griechen und den Niederlagen der Barbaren (n€kaw ÑEllhnikåw ... ka‹ ¥ttaw barbarikãw) spricht (vgl. aber auch mit wohl leise angedeuteter kritischer Note Herod. 7: suggraf°a yaumastÚn ... tåw ÑEllhnikåw n€kaw diejiÒnta). Und wohl noch erstaunlicher mutet der gänzliche Verzicht auf das bei Herodot endponderiert angesprochene Thema der Kriegsaitiologie (diÉ ∂n afit€hn §pol°mhsan éllÆloisi) an, das von diesem unmittelbar nach dem Einleitungssatz (Frauenraubgeschichten) weitergesponnen wird (I 1–5) mit der mehrmals wiederholten Frage nach den ursächlich Verantwortlichen (a‡tioi) für diese Entzweiung (diaforã) zwischen den Griechen und den Barbaren. Und diese Ausklammerung eines für herodoteische Geschichtsauffassung wesentlichen Grundgedankens verwundert umso mehr, als es für Lukian, der soeben (Kap. 53) für die Proömiumsgestaltung eine Darlegung der jeweiligen Kriegsursachen gefordert hatte (tåw afit€aw proektiy°menow), naheliegend gewesen wäre, dieses Postulat anhand der in seinem Sinne normgerechten herodoteischen Konzeption zu erläutern. Ähnlich wie hier verzichtet Lukian übrigens auch im unmittelbar folgenden Satz auf eine Charakterisierung der thukydideischen Aitiologie (vgl. dazu die folgende Anmerkung). Es ist allerdings fraglich, ob man alleine deshalb schon mit Schmid / Stählin (1934, 586, Anm. 1) darin eine durch eine freie Zitierweise aus dem Gedächtnis bedingte „unscharfe Paraphrase“ der herodoteischen Vorrede zu sehen hat. Jedenfalls ist Lukians Auffassung insgesamt weit entfernt von Immerwahrs 1966, 80 Deutung von Herodots Intention (... Herodotus asks the reader to accept the work not so much because of the importance of its subject matter, but for his skill in assembling his material ). Youkud€dhw d°, m°gan te ka‹ aÈtÚw §lp€saw ¶sesyai ka‹ éjiolog≈taton ka‹ me€zv t«n progegenhm°nvn §ke›non tÚn pÒlemon: ka‹ går payÆmata §n aÈt“ megãla jun°bh gen°syai: Dieses

freie Zitat ist als eine Collage dreier programmatischer Erklärungen des Thukydides zu verstehen, a) I 1, 1: Youkud€dhw ÉAyhna›ow jun°grace tÚn pÒlemon t«n Peloponnhs€vn ka‹ ÉAyhna€vn …w §pol°mhsan prÚw éllÆlouw, érjãmenow eÈyÁw kayistam°nou ka‹ §lp€saw m°gan te ¶sesyai ka‹

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éjiolog≈taton t«n progegenhm°nvn, b) I 23, 1: toÊtou d¢ toË pol°mou m∞kÒw te m°ga proÎbh, payÆmatã te junhn°xyh gen°syai §n aÈt“ tª ÑEllãdi oÂa oÈx ßtera §n ‡sƒ xrÒnƒ und c) zum Komparativ me€zv ist I 21, 2 zu vergleichen: ı pÒlemow otow ... épÉ aÈt«n t«n ¶rgvn skopoËsi dhl≈sei ˜mvw me€zvn gegenhm°now aÈt«n.

Jedenfalls gibt es keinen zwingenden Grund, um mit Fritzsche (1860, 100) und Sommerbrodt (1878, 51 sowie 1893, 24) ka‹ me€zv unter Klammern zu setzen und auch mit Hermann (1828, 316) an eine Interpolation zu denken. Im übrigen zitieren Lukian und Dionysios von Halikarnaß (Dem. 39) gleich frei, indem sie, worauf bereits Hermann (1828, 316) und Homeyer (1965, 271) hingewiesen haben, das thukydideische Verbum junhn°xyh beide übereinstimmend mit jun°bh wiedergeben (doch steht bei D. H. Th. 20 im wörtlichen Zitat das originale junhn°xyh). Lukian selbst verwendet das insbesondere bei Herodot und danach auch bei Thukydides belegte Verbum sumf°resyai (bzw. jumf°resyai) in der Bedeutung von „sich ereignen“ gerade da, wo es ihm auf imitatio des ionischen Dialekts herodoteischer Prägung ankommt (Syr. D. 27). Auffällig ist, daß er ebenso wie im Falle des herodoteischen Proömiums (vgl. dazu die vorangehende Anmerkung) mit keinem Wort auf die von ihm selbst zuvor ausdrücklich für die Gewährleistung der eÈmãyeia geforderte Darlegung der Kriegsaitiologie (Kap. 53: tåw afit€aw proektiy°menow) zu sprechen kommt, obwohl doch Thukydides (I 23, 5–6) dieser Forderung durchaus gerecht geworden war mit seiner präzisen Unterscheidung von eigentlicher Kriegsursache (élhyestãth prÒfasiw, von D. H. Th. 10 frei wiedergegeben mit élhyØw afit€a) und den Veranlassungen (tåw afit€aw) zur Aufhebung des 30jährigen Friedensvertrags sowie den offiziell vorgebrachten Kriegsgründen (afl §w tÚ fanerÒn legÒmenai afit€ai). Tiefgreifende Kritik am thukydideischen Proömium äußert Dionysios von Halikarnaß (Th. 10–11 und 19–20), der dessen Überlänge mittels Eliminierung der gesamten Archäologie auf eine aus Th. I 1, 1–2 und I 21, 1–23, 5 bestehende Kurzfassung reduziert wissen will (D. H. Th. 20), aber mit dieser seiner „Verbesserung“ selbst nur wieder, ohne es zu bemerken, eine gravierende gedankliche Unebenheit in der Bruchstelle zwischen I 1, 2 und I 21, 1 (bei oÎte …w poihta‹ ÍmnÆkasi) erzeugt. Von Lukians anerkennender Bewertung der Leistung des Thukydides unterscheidet sich Dionysios grundlegend dadurch, daß er dessen Bemühungen, die Größe des peloponnesischen Kriegs durch Vergleich mit früherer griechischer Geschichte ins rechte Licht zu rücken (die Einheit von I 1–23 kann z. B. Immerwahr 1973, bes. 17–21 zeigen), als sachlich ungerechtfertigt sowie auch in literarischer Hinsicht als gescheitert betrachtet (D. H. Th. 19). Anzumerken ist schließlich der Umstand, daß Lukian mit Vorreden von der Art, wie sie durch die Isokrateer Ephoros und Theopompos nach dem Vorbild rhetorischer Proömien erstmals in die Geschichtsschreibung eingeführt und erst durch Polybios überwunden wurden (vgl. Barber 1935, 68–74), nichts im Sinn hat. Instruktiv für Vergleichszwecke ist das von Engel 1910, 41–101 umsichtig gesammelte Material zu den Proömien griechischer und römischer Historiker aus dem Zeitraum zwischen dem 4. Jh. v. Chr. und dem 2. Jh. n. Chr.

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Kapitel 55 Die Kapitel 55–57 (in triadischer Komposition) behandeln Fragen gegenstandsadäquater stofflicher Ökonomie. Zunächst geht es mit unmittelbarem Anschluß an die drei vorangehenden Kapitel um den bisher noch nicht thematisierten angemessenen Umfang des Proömiums. Für diesen gibt es, so erklärt der Autor Lukian mit singulärer Übertragung konventioneller rhetorischer Theorie auf das Gebiet der Geschichtsschreibung, keine allgemeinverbindliche Norm; vielmehr habe er sich nach den jeweiligen stofflichen Gegebenheiten zu richten. Vom Proömium aus habe ein geschmeidiger Übergang (metãbasiw) sodann ungezwungen zur eigentlichen Geschichtserzählung (diÆghsiw) hinzuführen (hier liegt gleichfalls Übertragung einer für die Gerichtsrede geltenden Konvention auf die Geschichtsschreibung vor), die vom Umfang her die Hauptmasse des Ganzen ausmache. Für die bisherigen Aussagen läßt sich in antiker Methodologie jedenfalls keine sich speziell auf die Historiographie beziehende Parallele nachweisen. Dies ist aber der Fall bei der Forderung, daß die Erzählung eben und gleichmäßig voranschreiten müsse, nur daß hier zu der rein stilistischen Ebene eine narrative Tugend hinzuzuassoziieren sein dürfte, soweit der an dieser Stelle nicht sehr klare Wortlaut diese Schlußfolgerung rechtfertigt. In diesem zweifachen Sinne ist jedenfalls, diesmal mit explizitem Vermerk, der Begriff der Klarheit (tÚ saf°w) zu verstehen, der zum einen durch den Stil (zu der l°jiw Kap. 43–44) erzeugt wird, zum anderen durch ein abgerundetes, in sich geschlossenes narratives Gefüge (sumperiplokØ t«n pragmãtvn). Wodurch dieses zu erreichen ist, ist im Folgenden beschrieben. Demnach seien also die einzelnen, jeweils in sich geschlossenen Erzählsegmente wie Glieder einer Kette in richtiger Reihenfolge anzuordnen und so zu verfugen, daß sie den Charakter isolierter Elemente verlieren und sich zu organischer Einheit zusammenschließen. Und dieser Gedanke ist in einem engen Zusammenhang mit der in Kapitel 50 geforderten synchronistischen Verfahrensweise zu verstehen. In diesem Sinne sind demnach die einzelnen Erzählsegmente das, was der olympische Blick des Historikers an den jeweiligen Schauplätzen wahrnimmt, und die organische Einheit wiederum ist die in eine adäquate Struktur gebrachte Summe dieser einzelnen Wahrnehmungsakte. Anders als dies Avenarius 1956, 124–125 angenommen und Hose 1994, 79, Anm. 23 mit Berufung darauf wiederholt hat, besteht so zwischen den Aussagen in den Kapiteln 50 und 55 kein Widerspruch. Als das Vorbild dient somit eine für die griechische Historiographie insgesamt eher untypische Erzählweise, wie sie sich erstmals bei Thukydides findet und wie sie durch Polybios mit Erfolg aufgegriffen wurde. Ein grobes Mißverständnis der Stelle wäre es daher, mit Zegers 1959, 80 in dieser eine „Forderung nach Einheit der Handlung“ im Sinne „tragischer“ oder „peripatetischer“ Geschichtsschreibung zu erblicken. Zu dem Versuch einer Widerlegung dieser Theorie vgl. den Diskurs in der Einleitung, Teil I 3. 2.

Metå d¢ tÚ proo€mion, énãlogon to›w prãgmasin µ mhkunÒmenon µ braxunÒmenon, eÈafØw ka‹ eÈãgvgow ¶stv ≤ §p‹ tØn diÆghsin metãbasiw. ëpan går étexn«w tÚ loipÚn s«ma t∞w flstor€aw diÆghsiw makrã §stin. Àste ta›w t∞w dihgÆsevw éreta›w katakekosmÆsyv, le€vw te ka‹ ımal«w proÛoËsa ka‹ aÍtª ımo€vw Àste mØ proÎxein mhd¢ koila€nesyai:

ka‹ aÍtª ımo€vw: überliefert ist einheitlich ka‹ aÈtØ ımo€vw, doch erkannte schon Solanus (Reitz 1743, 64), daß aus inhaltlichen Gründen eine Änderung von aÈtØ in aÍtª unbedingt geboten

erscheint; so daher zu Recht Bekker 1853, 38, Dindorf 1858, 23, Fritzsche 1860, 101, Sommerbrodt

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1878, 51 sowie 1893, 24 und Macleod 1980, 317. mØ proÎxein mhd¢: überliefert ist einheitlich mØ proÎxein mÆte, danach einzig Reitz 1743, 64 und Macleod 1980, 317; doch die Folge mØ ... mÆte widerspricht allgemeinem und im Besonderen auch lukianischem Sprachgebrauch, der in derartigen Fällen die üblichen Konstruktionen mit mÆte ... mÆte und mØ ... mhd¢ gebraucht, in dieser Schrift Kap. 38 (vgl. die textkritische Anmerkung zu mÆte fobe€syv ... mÆte §lpiz°tv), 44 (mÆte ... mÆte) sowie 49 (mØ ... mhd¢) und weiter unten im Text 55: (…w mØ diakekÒfyai mhd¢ dihgÆseiw pollåw e‰nai); in diesem Sinne ist mit der überwiegenden Mehrheit der modernen Herausgeber Fritzsches 1960, 101 Konjektur (mhd¢ statt des überlieferten mÆte) zu folgen. Metå d¢ tÚ proo€mion, énãlogon to›w prãgmasin µ mhkunÒmenon µ braxunÒmenon, eÈafØw ka‹ eÈãgvgow ¶stv ≤ §p‹ tØn diÆghsin metãbasiw. ëpan går étexn«w tÚ loipÚn s«ma t∞w flstor€aw diÆghsiw makrã §stin: Analog (énãlogon ist in adverbialem Sinne zu verstehen) zu dem jeweiligen Stoff (prãgmata, vgl. dazu Kap. 47) muß die Länge des Proömiums, für die es also kein absolut

festsetzbares Maß gibt, ausfallen. Komplementär zu dieser hier positiv formulierten Norm finden sich im skommatisch-lehrhaften Teil der Schrift (zum einen mit allgemein, zum anderen aber mit individuell gehaltener Kritik) zwei recht krasse Anschauungsbeispiele, die einen mangelnden Sinn für die richtige Proportionierung verraten. In Kap. 23 gilt der Spott einer großen Anzahl von Autoren, welche pompöse, überlange Proömien (gewissermaßen den Koloß von Rhodos) einer im Verhältnis dazu mickrigen diÆghsiw (einem Zwerg also) voranstellen. Und in Kapitel 30 wird ein Autor (Antiochianus) kritisiert, dessen Werktitel fast länger als das Werk selbst ausgefallen wäre. Auch in Nigr. 10 und Tim. 37 geben unangemessen lange rhetorische Proömien die Zielscheibe für Kritik ab. So wie in der Gerichtsrede der konkrete Fall das Ausmaß des Proömiums bestimmt (so z. B. Quint. Inst. IV 1, 62: Modus autem principii pro causa, weitere Belege bei Avenarius 1956, 115), so komme auch in der Geschichtsschreibung alles auf die adäquate Dimensionierung an. Es ist somit klar, daß hier eine in anderen Bereichen Anwendung findende rhetorische Konvention in einer auf die Historiographie applizierten Form vorliegt, und es ist jedenfalls durchaus möglich, daß Lukian selbst es war, der diese Übertragung von einem Bereich auf den anderen vorgenommen hat. Eine ähnliche Übertragung liegt auch bei der Anweisung zur metãbasiw vor. Im Unterschied zur üblichen Gliederung der Gerichtsrede (z. B. Quint. Inst. III 9) folgt in der Geschichtsschreibung auf das Proömium ein einziger ausgedehnter Hauptteil, die diÆghsiw (narratio), zu welcher ein gefälliger Übergang (metãbasiw, lat. transitus, transitio, transgressio, zu metãbasiw in einem weiteren Sinne vgl. den Kommentar zu Kap. 50: stÆsaw ... metabain°tv) überleiten soll (vgl. Herkommer 1968, 122). Das Postulat gefälliger Überleitung, das sich im einschlägigen Traktat des Anonymus Seguerianus innerhalb der Abschnitte per‹ prooim€vn und per‹ dihgÆsevn nicht findet, läßt sich immerhin durch Quintilian (Inst. IV 1, 76 und 79) belegen, der mit Blick auf die Gerichtsrede erklärt, von dem Ende des Proömiums müsse ein möglichst zweckmäßiger Übergang zur Sachverhaltsdarstellung (expositio) bzw. zur Beweisführung (probatio) hinleiten (id debebit in principio postremum esse, cui commodissime iungi initium sequentium poterit); am Besten sei es, die Extreme abrupten oder unvermerkten Übergangs zu vermeiden (quapropter, ut non abrupte cadere in narrationem, ita non obscure transcendere est optimum). Die von Avenarius 1956, 117–118 herangezogene Erklärung Ciceros (Orat. II 80, 325) bezieht sich nicht so sehr auf den gleitenden Übergang der Redeteile, sondern mehr auf die organische Verknüpfung des Proömiums mit dem ganzen Leib der Rede (cum omni corpore). Und diese rhetorische Metaphorik ist Lukian durchaus auch bekannt. In diesem Sinne ist weiter unten im Text tÚ loipÚn s«ma zu verstehen, dem in Kap. 23 tÚ êllo s«ma entspricht (Belege zu dem Vergleich des Proömiums mit einem Kopf im Kommentar zu Kap. 23: ˜moia ... tÚ êllo s«ma). Mit den Adjektiven eÈafÆw und eÈãgvgow, die beide innerhalb rhetorischer Theorie sonst keine Rolle spielen

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(Ernesti 137), ist im lukianischen Sprachgebrauch ein visueller Aspekt zu assoziieren, im Besonderen ein Bezug zu der bildenden Kunst, wie dies ein Vergleich mit der Wortwahl in den Imagines zeigt (Kap. 14: tÚ eÈaf¢w t«n daktÊlvn, Kap. 6: daktÊlvn tÚ eÈãgvgon efiw leptÚn épol∞gon). Während aber eÈafÆw mehr die ebenmäßige Gestaltung und die Feingliedrigkeit meint, bezeichnet eÈãgvgow das ungezwungene Hinführen von einem Teil zum anderen, die geschmeidige Linienführung. Àste ta›w t∞w dihgÆsevw éreta›w katakekosmÆsyv, le€vw te ka‹ ımal«w proÛoËsa ka‹ aÍtª ımo€vw Àste mØ proÎxein mhd¢ koila€nesyai: Für die diÆghsiw (narratio) gilt demnach das Prinzip, daß sie eben und gleichmäßig voranschreiten muß (le€vw te ka‹ ımal«w proÛoËsa). Unabhängig von den

mit dieser spezifischen Wortwahl gegebenen literarkritischen Implikationen findet sich die Junktur des Verbums proi°nai mit dem Adverb ımal«w sonst zumal in militärischen Zusammenhängen, nämlich von dem gleichmäßigen Vorrücken eines Heeres, so bei Xenophon (An. I 8, 14: tÚ ... strãteuma ımal«w proπei) und Thukydides (V 70, 1: LakedaimÒnioi ... ımal«w metå =uymoË ba€nontew). Die Adjektive ımalÒw und le›ow (der Gegensatz ist markiert durch traxÊw) sind bereits von Platon (Ti. 67 b) als (in diesem Fall auf die fvnÆ bezogene) Synonyme gebraucht, wie auch deren enge Anbindung mittels te ka€ verdeutlicht (ımalÆn te ka‹ le€an ... sc. fvnÆn). Zu der Auffassung der beiden Adjektive als synonymer Begriffe zu vergleichen ist die einschlägige Notiz des Hesych (Latte II 580, Z. 36), der le€ouw durch ımaloÊw erklärt. Als literarkritische Termini bezeichnen tÚ le›on und ≤ leiÒthw (D. H. Lys. 24 und Isoc. 13, Demetr. Eloc. II 48 und bes. V 299: ı Youkud€dhw d¢ pantaxoË sxedÚn feÊgei tÚ le›on ka‹ ımal¢w t∞w suny°sevw) üblicherweise eine stilistische, im Besonderen eine klangliche Qualität. Der Lukianstelle am nächsten kommt, was Photios (Bibl. 119, 93 a 37–39) über die Diktion des Pierios vermerkt: ÖEsti d¢ tØn frãsin safÆw te ka‹ lamprÚw ka‹ Àsper =°vn t“ lÒgƒ ... …w §j aÈtosxed€ou ımal«w te ka‹ le€vw ka‹ ±r°ma ferÒmenow. Dies erinnert an Kap. 43 dieser Schrift, in dem bereits festgestellt

wurde, daß sich der Historiker beim Abfassen seines Werkes in verhältnismäßig ruhiger, gelassener Gemütslage befinden und daher die innerhalb der Gerichtsrede angebrachte forcierte Stilart vermeiden müsse (zur hypothetischen Rückführung dieser Lehre vom geschmeidigen, ebenmäßigen Fluß der Geschichtserzählung auf Theophrast vgl. den Kommentar zu Kap. 43: efirhnik≈teron diake€menow). Im engeren Sinne ist hier, wie dies Avenarius 1956, 55–59 und Leeman 1963, 173 aus unterschiedlicher Perspektive zu Recht annehmen, eine primär stilistische Qualität zu verstehen, etwa so wie sie mit Ciceros, dem Antonius in den Mund gelegten Worten durch das in klaren Gegensatz zu forensischer Rhetorik gesetzte genus orationis fusum atque tractum et cum lenitate quadam aequabili profluens der Historiographie (Cic. De. Orat. II 15, 64) bezeichnet ist. Belege zum Bild des ruhig fließenden Wassers in antiker Literaturkritik verzeichnet Bühler 1964, 84–85 zu Longin. 13, 1 (... xeÊmati écofht‹ =°vn, vom Stil Platons). Darüber hinaus ist in einem weiteren Sinne auch an eine erzähltechnische Tugend zu denken (so zu Recht Woodman 1988, 112, Anm. 119), wie dies die recht elastische Formulierung ta›w t∞w dihgÆsevw (nicht: t∞w l°jevw) éreta›w nahelegt (und dies ist auch Avenarius 1956, 56 bewußt: „Auswüchse und Krümmungen sind zu vermeiden, was für den Stil ebenso gilt wie für den Inhalt“). In diesem Sinn erklärt sich die Aussage durch den Kontext selbst, in dem sie steht (vgl. bes. die Kap. 49–50 und 55–57); denn dieser macht es deutlich, daß mit der Forderung nach gleichmäßigem Voranschreiten der Erzählung über die rein stilistische Ebene hinaus auch eine kompositorische Qualität anvisiert ist, und zwar in dem Sinne, daß die Darstellung dem Prinzip wohlproportionierter Gewichtung zu folgen habe. Sagt der Autor Lukian doch in Kap. 49–50 unmißverständlich, daß der auf allen relevanten Schauplätzen zu mentaler Präsenz verpflichtete Historiker seinen Stoff mit einer gleichmäßig die Aufmerksamkeit verteilenden Ausgewogenheit darzustellen habe; er dürfe sich nicht

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bei für das Gesamtverständnis unwesentlichen Details wie überdimensionalen Ekphraseis aufhalten (Kap. 56–57, bes. 57, Beispiele für das Ignorieren dieses Prinzips bes. in den Kap. 19–20 und 27–28), sondern müsse das Bedeutende in ausreichendem Maße darstellen. Vor diesem Hintergrund erhält die Formulierung ka‹ aÍtª ımo€vw („in einer in sich stimmigen Weise“) über die rein stilistische Konnotation hinaus eine narrativ zu verstehende Nuance hinzu und bezeichnet somit eine organisch sich entfaltende Geschichtserzählung. Da aber die Ausdrucksweise in diesem Kapitel nicht im selben Maße diluzide wie sonst in dieser Schrift ist, bleibt Raum für Interpretation. Doch sollte Lukian hier tatsächlich zur stilistischen auch eine inhaltliche Ebene mitgemeint haben, so wäre dies, jedenfalls vor dem Hintergrund konventioneller (soweit diese bekannt sind) literarkritischer Wertungen (die Belege bei Avenarius 1956, bes. 56–57), als ein innovatives Element zu betrachten. Die Verba proÎxein und koila€nesyai (vgl. Ernesti 183 und 299) bezeichnen ebenfalls nicht bloß im engeren Sinne eine rein stilistische Qualität, sondern meinen auch, daß der gleichmäßige Gang der Erzählung weder durch Vorsprünge noch durch Einbuchtungen, d. h. weder durch überdimensionale und sachlich ungerechtfertigte Übergewichtungen noch durch Verkürzungen oder gar durch das Fehlen wichtiger Ereignisschilderungen gestört wird. Eine direkte Parallele für die Verwendung dieser beiden Begriffe in der Sprache griechischer Literaturkritik ließ sich nicht nachweisen. Wohl aber finden sich immerhin im Lateinischen Begriffe wie eminere und recedere mit einem Bezug auf die Arbeitsweise der Maler, welche mittels gezielten Einsatzes von Vordergrund und Hintergrund arbeiten. Belege dafür liegen bei Quintilian vor (Inst. II 17, 21: ... pictor ... efficit, ut quaedam eminere in opere, quaedam recessisse credamus, vgl. Inst. XI 3, 46: ... alia ... eminentiora, alia reductiora fecerunt), und aus Cicero (Orat. III 26, 101) läßt sich ferner entnehmen, daß diese primär dem Medium der Malerei entstammenden Begriffe im Laufe des Hellenismus sekundär in die Fachsprache lateinischer Rhetorik übernommen worden sein dürften.

¶peita tÚ saf¢w §panye€tv, tª te l°jei, …w ¶fhn, memhxanhm°non ka‹ tª sumperiplokª t«n pragmãtvn. épÒluta går ka‹ §ntel∞ pãnta poiÆsei, ka‹ tÚ pr«ton §jergasãmenow §pãjei tÚ deÊteron §xÒmenon aÈtoË ka‹ èlÊsevw trÒpon sunhrmosm°non …w mØ diakekÒfyai mhd¢ dihgÆseiw pollåw e‰nai éllÆlaiw parakeim°naw, éllÉ ée‹ tÚ pr«ton t“ deut°rƒ mØ geitniçn mÒnon, éllå ka‹ koinvne›n ka‹ énakekrçsyai katå tå êkra.

tÚ saf¢w §panye€tv, tª te l°jei, …w ¶fhn, memhxanhm°non ka‹ tª sumperiplokª t«n pragmãtvn: Der Begriff tÚ saf°w (dazu Avenarius 1956, 119–127) wird in dieser Schrift sowohl mit Bezug auf den Stil (l°jiw) gebraucht, als auch zur Bezeichnung einer ein sachliches Verständnis erleichternden inhaltlich-darstellerischen Qualität. Der stilistische Aspekt dieses saf°w war (– …w ¶fhn –) in Kap. 43–44 unter dem Gesichtspunkt des Zieles von l°jiw / fvnÆ dargestellt worden, der darstellerische

Aspekt fand im Zusammenhang mit gegenstandsadäquater Proömiumsgestaltung (Kap. 53) Berücksichtigung, und er wird auch im Kontext topographischer Detailschilderung (Kap. 57) eine Rolle spielen. Auch an dieser Stelle zeigt sich diese Universalität des Begriffs tÚ saf°w, in der Anwendung zum einen auf die beschriebene historiographische Stilart (l°jiw), zum anderen auf eine harmonisch verfugte narrative Struktur (sumperiplokØ t«n pragmãtvn). Das ungewöhnliche Substantiv sumperiplokÆ, nach Ausweis des TLG ein ëpaj legÒmenon, wird im folgenden langen Satz erklärt. Es meint eine organische Verknüpfung der einzelnen Teile der Geschichtserzählung (diÆghsiw), und zwar nach dem in Kapitel 50 bereits beschriebenen synchronistischen Verfahren.

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Das Verbum §panye›n gehört literarkritischer Terminologie an. Besonders häufig verwendet es Dionysios von Halikarnaß, um die stilistische Anmut (xãriw / xãritew) des Lysias (Lys. 10 und 12: LusiakØ xãriw, Din. 7), des seiner Ansicht nach darin ebenbürtigen Demosthenes (Dem. 13) und des Isokrates (Comp. 19) zu bezeichnen. Von Ps. Longinos (30, 1) wird es auf die Wahl von kalå ÙnÒmata bezogen. In diesem ästhetischen Sinne gebraucht es auch Lukian (Im. 9) mit Bezug auf die über den Werken der bildenden Künstler (Bildhauer sowie Maler) und Dichter prangende Anmut (˘ d¢ pçsin §panye› toÊtoiw, ≤ xãriw, so Plu Per. 13, 5 vom Bauprogramm des Perikles: oÏtvw §panye› kainÒthw ée€ tiw), zur Charakterisierung exquisiter Architektur (Hipp. 7) und Literatur, doch letzteres vorzugsweise mit einem ironischen Unterton (Pseudol. 29, Rh. Pr. 18). Häufig wird §panye›n mit einem Dativobjekt konstruiert (so z. B. in Im. 9), doch hier steht es wie in Rh. Pr. 18 (§p€pasta Ùl€ga §ke›na ÙnÒmata §pipolaz°tv ka‹ §panye€tv) in der absoluten Bedeutung von „prangend zur Geltung kommen“ (an letzterer Stelle jedoch mit ironischer Note). Die beiden Dative l°jei und sumperiplokª hängen in diesem Sinne also ab von memhxanhm°non („bewerkstelligt durch“). Das entspricht auch allgemeinem Sprachgebrauch, denn das passive Perfektpartizip von mhxançsyai (zumeist im Sinne von „ersonnen“) hat traditionellerweise sogar häufiger eine passive als eine aktive Bedeutung, so bereits bei Herodot (V 90, 1), sodann vorzugsweise in allen Bereichen attischer Prosa, und zwar bei Platon (Lg. VII 803 c), Xenophon (Cyr. VIII 3, 1; VIII 8, 18), Isokrates (or. 4, 40; or. 3, 6) und Demosthenes (or. 22, 35; or. 29, 10). Lukian folgt dem Usus in Alex. 26 und Hipp. 7, an welch letzterer Stelle memhxanhm°non so wie hier die Bedeutung von „bewerkstelligt“ hat (Konstruktion mit §k = „aufgrund von“ gegenüber dem instrumentalen Dativ an vorliegender Stelle).

épÒluta går ka‹ §ntel∞ pãnta poiÆsei, ka‹ tÚ pr«ton §jergasãmenow §pãjei tÚ deÊteron §xÒmenon aÈtoË ka‹ èlÊsevw trÒpon sunhrmosm°non …w mØ diakekÒfyai mhd¢ dihgÆseiw pollåw e‰nai éllÆlaiw parakeim°naw, éllÉ ée‹ tÚ pr«ton t“ deut°rƒ mØ geitniçn mÒnon, éllå ka‹ koinvne›n ka‹ énakekrçsyai katå tå êkra.

Der lange Satz von épÒluta går bis katå tå êkra ist als Illustration des singulär verwendeten Substantivs sumperiplokÆ (vgl. die vorangehende Anmerkung) zu verstehen (zum polybianischen Konzept der sumplokÆ vgl. Walbank 1975, Sacks 1981, bes. 115–120 und den Kommentar zu Kap. 50). Demzufolge habe der Historiker zunächst vom Rest der Erzählung abgelöste, separate (épÒluta) und in sich geschlossene (§ntel∞) Erzähleinheiten zu schaffen, um diese dann nach Art einer Kette (èlÊsevw trÒpon) dermaßen organisch aneinanderzufügen, daß die jeweiligen Einzelstücke unter Vermeidung des Eindrucks von Abgehacktheit (…w mØ diakekÒfyai) durch Vernetzung der Bruchstellen (énakekrçsyai katå tå êkra) ihre ursprüngliche Isoliertheit und damit den unerwünschten Charakter unverbunden aneinandergereihter Einzelerzählungen verlieren (mhd¢ dihgÆseiw pollåw e‰nai éllÆlaiw parakeim°naw). Das literarkritische Konzept, daß eine Rede ein organisches Gefüge sein müsse, findet sich an sich bereits ausgesprochen in der Kritik des Sokrates an der Rede des Lysias (Pl. Phdr. 264 c): de›n pãnta lÒgon Àsper z“on sunestãnai, s«mã ti ¶xonta aÈtÚn aÍtoË Àste mÆte ék°falon e‰nai mÆte êpoun, éllå m°sa te ¶xein ka‹ êkra, pr°ponta éllÆloiw ka‹ t“ ˜lƒ gegramm°na. Eine freie

Paraphrase dieses bekannten Passus gibt Hermogenes (Id. I 12 Spengel II 331, Z. 9–11) unter dem Gesichtspunkt des oratorischen kãllow, und er fügt, nunmehr bereits den Platontext interpretierend, hinzu, daß ein kalÚw lÒgow nicht entstehen könne, wenn alles, mögen auch die Einzelheiten an

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sich schön sein, durcheinandergeworfen sei (de›n ... mØ xÊdhn ßkasta bebl∞syai, efi ka‹ kalå e‡h kayÉ •autã: oÈ går dÊnasya€ pote oÏtv gen°syai kalÚn lÒgon). Lukian denkt wohl, ohne es explizit auszusprechen, in erster Linie an das Vorbild des Thukydides, gegen den durch Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 3, Th. 9) gerade der Vorwurf einer Zersplitterung des ©n s«ma in viele unzusammenhängende Einzelteile (pollå m°rh) erhoben wurde, mit dem Resultat, daß der Text unklar würde und ihm daher nur mit Mühe zu folgen sei (ésafØw ka‹ dusparakoloÊyhtow). Der vorliegende Passus ist, so ist gegenüber Avenarius 1956, 124–125 zu betonen, in engstem Zusammenhang mit Kapitel 50, in dem es um synchronistische Perspektive und Erzählweise ging, zu verstehen, weshalb das dort angeführte Belegmaterial (vgl. besonders die Einleitung zu Kap. 50 und den Kommentar zu Kap. 50: ımoxrone€tv) auch hier Berücksichtigung finden muß. Avenarius jedoch nimmt an, daß Lukian sich hier in Kapitel 55 an die gruppierende, d. h. blockartig verfahrende Dispositionsmethode des Ephoros anschließe, während er doch in Kapitel 50 der synchronistischen Erzählweise des Thukydides folge. Avenarius erklärt in diesem Sinne: „Der Widerspruch, der hier vorliegt, ist offensichtlich. Die beiden Prinzipien werden von ihm derart schroff nebeneinandergestellt, daß sie sich notwendigerweise ausschließen müssen“. Als Erklärung für diesen Umstand bietet er dies an: „So bleibt als Erklärung für diese auffallende Diskrepanz nur die Flüchtigkeit, mit der Lukian seinen Traktat zusammengeschrieben hat. Er hat einfach an der zweiten Stelle vergessen, was er an der ersten vorgebracht hatte“. Dies ist ein elementares Mißverständnis von Lukians Intention. Es kann keine Rede davon sein, daß in vorliegendem Passus eine großflächig angelegte Dispositionsweise nach der Art des Ephoros beabsichtigt wäre; vielmehr sagt Lukian bloß, daß die aus synchronistischer Betrachtungsweise (vgl. Kap. 50) sich zwangsläufig ergebenden kleinteiligeren Erzählsegmente zu einem organischen Ganzen verfugt werden müssen. Die innere Stimmigkeit dieses zuerst durch Thukydides, sodann durch Polybios repräsentierten Konzeptes (vgl. den Kommentar zu Kap. 50: ımoxrone€tv) ist völlig unzweifelhaft, allenfalls ließe sich der Vorwurf erheben, daß bei Lukian zwei unmittelbar zusammenhängende Teile ein und desselben Gedankens räumlich so weit voneinander getrennt sind. Doch auch dies läßt sich leicht damit rechtfertigen, daß die Sache aus unterschiedlichen Perspektiven anvisiert ist; während es nämlich in Kap. 50 bloß um die mentale Omnipräsenz des Historikers gegangen war, ist hier in Kap. 55 bereits das fertige Geschichtswerk in seiner inneren Geschlossenheit gemeint (und dies zeigt auch eine Beobachtung der verwendeten Aktionsarten). Vgl. dazu auch die Einleitung, Teil I 3. 7. épÒluta ... ka‹ §ntel∞: Das Adjektiv épÒlutow findet sich in griechischer Literaturkritik lediglich in Bezug auf spezifische stilistische Phänomene, bei Hermogenes (Id. II 9 Spengel II 383, Z. 17 und 21–22 über den épÒlutow merismÒw) und Aphthonios (Prog. 11 Spengel II 45, Z. 15–17 über die der Ethopoiie zugeordnete Stilart), der es durch Freisein von Verflochtenheit bestimmt (§rgãs˙ d¢ tØn ±yopoi€an xarakt∞ri safe›, ... épolÊtƒ, éphllagm°nƒ pãshw plok∞w te ka‹ sxÆmatow). Für die hier durch Lukian vollzogene Applizierung dieses solcherart festgelegten terminus technicus épÒlutow auf den Bereich narrativer Gestaltung ließ sich jedenfalls keine Parallele ausfindig machen. Mit dem Adjektiv §ntelÆw und dem Adverb §ntel«w bezeichnet Lukian ansonsten zumeist eine abgerundete, in sich geschlossene Vollkommenheit (z. B. Hipp. 3, Herc. 4, Peregr. 10, Im. 11: tÚ §ntel¢w kãllow ... toËtÒ §stin, ıpÒtan efiw tÚ aÈtÚ sundrãm˙ cux∞w éretØ ka‹ eÈmorf€a s≈matow). §jergasãmenow: §jergãzesyai und §jergas€a bezeichnen innerhalb rhetorischer Theorie die

Ausführung eines gegebenen Stoffes, bei Dionysios von Halikarnaß (Isoc. 4, Is. 3, Th. 15), der auch einen Zusammenhang zur Malerei herstellt (Is. 4), ebenso bei Lukian, der §jergãzesyai auf Malerei und Plastik bezieht (Im. 7, Pr. Im. 14 und Somn. 9). Polybios (III 26, 5) wiederum gebraucht dieses

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selbe Verbum, um damit die Ausarbeitung eines historischen Stoffes zu bezeichnen (katå m°row per‹ aÈt«n §jergãsasyai). Mit Isokrates, wie Avenarius 1956, 103–104, bes. 104 irrtümlich meint, hat die §jergas€a jedoch nichts direkt zu tun. Der Irrtum erklärt sich aus Avenarius’ genereller Tendenz, die historiographischen Normen und Postulate bei Lukian nach Möglichkeit überall auf Isokrates und dessen Schüler Ephoros und Theopompos zurückführen zu wollen. §pãjei: §pãgein markiert ebenso wie §jergãzesyai primär ein technisches Verfahren (so Kap. 23 und 48: e‰ta §piye‹w tØn tãjin §pag°tv tÚ kãllow), kann aber auch die auf den Inhalt abzielende

Bedeutung haben von „etwas (in der Rede) anführen“ (Kap. 42, vgl. Cal. 8, JConf. 7, Anach. 19), doch verfließen beide Aspekte öfters auch ineinander wie beispielsweise in Bacch. 8 (oÈk ín ¶ti §pagãgoimi tÚ §pimÊyion) und Scyth. 9 (BoÊlesye oÔn §pãgv ≥dh t“ mÊyƒ tÚ t°low ...;). èlÊsevw trÒpon sunhrmosm°non: Lukian verleiht dem Verbum sunarmÒzein, welches innerhalb

rhetorischer Fachsprache üblicherweise auf stilistische Phänomene, auf Wortfügung, Rhythmus und Periodenbau (Longin. 40, 3, D. H. Dem. 40, 48, 50, Comp. 9 und 12) bezogen wird, die Bedeutung einer aus unterschiedlichen narrativen Elementen geschaffenen bruchlosen Einheit (vgl. auch in Kap. 6 das Prinzip des •rmhneËsai ... ka‹ sunarmÒsai). Ähnlich bezeichnet er gemäß seiner auch sonst feststellbaren Neigung, die Bildkunst und die Wortkunst nach denselben Kriterien zu bemessen, in den Imagines (5–6) durch sunarmÒzein einen aus unterschiedlichen visuellen Elementen ein verbales mixtum compositum entstehen lassenden Produktionsvorgang. Und nur wenige Kapitel später stellt er eine Beziehung zwischen dem Partizip sunhrmosm°now und dem Adjektiv sÊmmetrow her (Im. 9: summ°trouw ka‹ prÚw éllÆlouw sunhrmosm°nouw, sc. ÙdÒntaw). Das Bild der Kette soll den Umstand veranschaulichen, daß aus in sich geschlossenen Elementen eine organische Einheit zu schaffen ist, welche erst den Einzelteilen deren inneren Zusammenhalt verleiht. …w mØ diakekÒfyai: Auch diakÒptein kennzeichnet in rhetorischer Theorie üblicherweise eine stilistische Qualität, nämlich eine asyndetische Wortfolge (so Longin. 19, 2: tå ... éllÆlvn diakekomm°na), eine sich nicht mit einer Sinneinheit deckende Periode (Arist. Rh. III 9, 1409 b: diakÒptesyai als Gegensatz zu tetelei«syai) oder die pathetischer Rede zugeordnete Stilart (Anon. Seguer. 141: die l°jiw ésunafØw ka‹ diakekomm°nh). Lukian selbst bezeichnet mit dem energetischen Verbum diakÒptein insbesondere erfolgreiches Entzweischlagen (bes. deutlich in Tox. 54 und Philops.

36) sowie, speziell bezogen auf das Gebiet von sprachlicher Äußerung, das Unterbrechen eines Redeflusses (Dom. 14, Anach. 19). koinvne›n ka‹ énakekrçsyai katå tå êkra: Unter tå êkra (in absolutem Gebrauch bezeichnet

es ansonsten die Extremitäten; Belege aus der Medizin bei Weissenberger 1996, 253–254 zu Lex. 11, etwas anders Im. 6: xeir«n êkra) sind in diesem Kontext also die Enden der jeweiligen Erzählsegmente zu verstehen, und zwar in neutralem Sinn und ohne ästhetische Wertung, wie sie bei Ps. Longinos (10, 1) in anderem Zusammenhang vorliegt. Zu der Junktur von koinvne›n und énakekrçsyai ist in formaler Hinsicht zu vergleichen, wie Dionysios von Halikarnaß (I 60, 2) den dauerhaften politischen Zusammenschluß zum Volk der Latiner beschreibt: koinvn€aiw pol°mvn énakerasy°ntew. Zu dem eine organische Einheit bildkräftig markierenden Aspekt von énakerannÊnai vgl. auch Ph. Migr. Abr. 104 (·na ... ˜lon tÚ sÊsthma ≤m«n, Àsper §mmelØw ka‹ poluãnyrvpow xorÒw, §k diaferÒntvn fyÒggvn énakekramm°nvn ©n m°low §narmÒnion sunñd˙).

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Kapitel 56 Unter den primär in narrativem Sinn zu verstehenden Tugenden (Kap. 55: dihgÆsevw éreta€) ist in den Kapiteln 56–57 das nach den Kriterien von Bedeutsamkeit (megãla), Notwendigkeit (énagka›a) und Nutzen (xrÆsimon) auszurichtende Erzähltempo (tãxow, die Belege verzeichnet Avenarius 1956, 127–129, der den hohen Stellenwert des Polybios, in welcher Form auch immer, für Lukian nicht gebührend berücksichtigt) thematisiert. Dieselben Parameter sind dem Autor zufolge auch im Proömium für die Erweckung von Aufmerksamkeit (prosoxÆ) nötig (Kap. 53); einzig die Darlegung der inhaltlichen Relevanz für den Rezipienten (ofike›a) habe in der diÆghsiw zu entfallen, weil ein einmaliger Hinweis darauf bereits im Vorfeld der Erzählung genüge. Der Historiker müsse bei der Präsentation des Stoffes selektiv verfahren; seine Darstellung müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren, sie dürfe die Grenze weder nach oben noch nach unten hin überschreiten (vgl. dazu im skommatisch-lehrhaften Teil zum einen Kap. 19–20, 27–28 und 32, zum anderen Kap. 30); und auch Lob und Tadel müssen dem Prinzip des tãxow folgen (Kap. 59). Illustriert wird dieses fundamentale Prinzip durch einen der Gastronomie entnommenen Vergleich; wenn man Freunde bewirtet, darf ja auch nur erlesene Kost auf den Tisch kommen, alles andere muß fernbleiben. Seit der Trias Herodot, Thukydides und Xenophon (in Kap. 2 sind sie ihrer Vorbildfunktion für die Partherkriegshistoriker entsprechend in einer leicht modifizierten Reihenfolge genannt) ist es Praxis griechischer Historiker jeder Art, die von ihnen gewählten Auswahlverfahren nicht nur in ihren Proömien, sondern auch an wichtigen Stellen innerhalb der diÆghsiw zu begründen. Der Umstand, daß Polybios in seinen Erklärungen der Aussage und dem Wortlaut bei Lukian sehr nahe kommt, sagt auch in dieser Hinsicht etwas aus über den literartheoretischen Diskurs, dem Lukian, vermutlich nicht direkt abhängig von Polybios, im Wesentlichen folgt und dem auch Strabon nahesteht. Das Thema der Stoffauswahl hat eine Bedeutung für jegliche Art von narratio, und es ist daher keineswegs verwunderlich, daß für die Sachverhaltsdarstellung der Gerichtsrede in rhetorischen Lehrbüchern einschlägige Vorschriften existieren. Für Aristoteles (Rh. III 16, 1416 b 35–36) gilt dabei der Grundsatz: tÚ l°gein ˜sa dhl≈sei tÚ prçgma, und dieses pragmatische Prinzip kommt der bei Lukian (und zuvor schon von Polybios) für die Geschichtsschreibung vertretenen Ansicht inhaltlich nahe. Peripatetischer Einfluß (über Theophrast) ist denkbar, wenn auch, wie immer in all diesen Fällen, nicht direkt beweisbar. Als praktisches Vorbild, zumal in dieser Hinsicht, nennt Lukian explizit Thukydides (Kap. 57), der auch in Kap. 50 bei dem Postulat synchronistischer Erzählweise implizit gemeint ist. Was im einzelnen freilich für die Darstellung wichtig und was unwichtig ist, das ist für antike Literaturkritiker durchaus Sache von individueller Bewertung. In diesem Sinne unterscheidet sich Dionysios von Halikarnaß mit seiner Kritik an Thukydides’ Erzähltempo (Th. 14, Pomp. 3) grundlegend von Lukians durch und durch pragmatischerVorgabe.

Tãxow §p‹ pçsi xrÆsimon, ka‹ mãlista efi mØ épor€a t«n lekt°vn e‡h: ka‹ toËto por€zesyai xrØ mØ tosoËton épÚ t«n Ùnomãtvn µ =hmãtvn ˜son épÚ t«n pragmãtvn: l°gv d°, efi paray°oiw m¢n tå mikrå ka‹ ∏tton énagka›a, l°goiw d¢ flkan«w tå megãla: mçllon d¢ ka‹ paraleipt°on pollã.

Tãxow §p‹ pçsi xrÆsimon: Mehrfach ist bei Lukian in dieser Schrift das Postulat eines zügigen Erzähltempos ausgesprochen (der Begriff tãxow in Kap. 57 von der thukydideischen

Pestschilderung). In Kap. 50 erklärt der Autor, der Historiker müsse überall da präsent sein, wo seine Anwesenheit erforderlich sei, damit er nicht etwa ein wichtiges Ereignis übergehe. Leicht müsse er

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nötigenfalls von einem Thema zum nächsten übergehen (=&d€vw épolu°syv), rasch müsse er sich allen Schauplätzen zuwenden (prÚw pãnta speud°tv). Das leitende Thema von Kap. 57 ist die Warnung vor überdimensionalen und sich ungebührlich verselbständigenden Ekphraseis. Nur um des Nutzens und der Klarheit willen (toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka) dürfe solches überhaupt innerhalb der Geschichtsschreibung Platz finden. In diesem Sinne halte sich Thukydides bei dergleichen Dingen ganz sparsam auf, und zwar nur dann, wenn es sich um für den Leser notwendige und nützliche Informationen (énagka›on ka‹ xrei«dew) handle. Selbst dessen Pestschilderung weise in Anbetracht der Brisanz des Ereignisses ein rasches Tempo auf. Im skommatisch-lehrhaften Teil dieser Schrift werden zeitgenössische Autoren verspottet, die ohne Sinn für das Wesentliche sich in überlangen, historisch völlig irrelevanten Ekphraseis und Episoden ergingen (Kap. 19–20 und 28). Aus mangelndem Urteilsvermögen (Kap. 20: ÑUpÚ ... ésyene€aw t∞w §n to›w xrhs€moiw µ égno€aw t«n lekt°vn) verlege sich diese Sorte von Autoren auf völlig deplazierte Detailschilderungen, weil sie eben mit der Fülle bedeutsamer Ereignisse nichts anzufangen wisse (Kap. 32 und 27: tå megãla m¢n t«n pepragm°nvn ka‹ éjiomnhmÒneuta parale€pousin µ paray°ousin, ÍpÚ d¢ fidivte€aw ka‹ épeirokal€aw ka‹ égno€aw t«n lekt°vn µ sivpht°vn tå mikrÒtata pãnu lipar«w ka‹ filopÒnvw •rmhneÊousin §mbradÊnontew). Einer

von ihnen sei in den entgegengesetzten Fehler verfallen und habe einen sehr umfangreichen Stoff in völlig inkommensurabler Knappheit abgehandelt (Kap. 30). An Autoren dieses Schlages richtet sich vorliegende Lehrschrift, deren Sinn u. a. darin besteht, aufzuzeigen, nach welchen Prinzipien der Historiker seine Inhalte zu gewichten habe (Kap. 6: ì sivpht°on ka‹ oÂw §ndiatript°on ka‹ ˜sa paradrame›n êmeinon). Auch in dieser Hinsicht gilt Thukydides als die erstrangige Autorität (Kap. 57). Wie unterschiedlicher Meinung griechische Kritiker in ihrer Beurteilung von Wichtigem und Unwichtigem sein konnten, das zeigt die Kritik des Dionysios von Halikarnaß (Th. 14, Pomp. 3) an Thukydides’ Auswahlverfahren und Erzähltempo. In der lateinischen Geschichtsschreibung nimmt nach antiker Ansicht Sallust die Position des Thukydides ein. Quintilian (Inst. X 1, 102) rühmt an ihm illam inmortalem Sallusti velocitatem (in stilistischer Hinsicht nimmt Sallust oft, wie Leeman 1963, 182 zu Recht vermerkt, Anleihen bei Catos brevitas). Zur quintilianischen Synkrisis des Sallust und des Livius vgl. Ax 1990, bes. 141–142 und 144–146. Schließlich ist aus Lukians Sicht noch eine Nuance zum Postulat des tãxow hinzuzufügen; dieses gelte auch für den Einsatz von Lob und Tadel (Kap. 59: ÖEpainoi ... µ cÒgoi ... taxe›w). mØ tosoËton épÚ t«n Ùnomãtvn µ =hmãtvn ˜son épÚ t«n pragmãtvn: Das so erstrebte tãxow

(zu der vom Stoiker Diogenes von Babylon den vier Stilqualitäten Theophrasts hinzugefügten suntom€a vgl. den Kommentar zu Kap. 43: l°jiw ... safØw ka‹ politikÆ) solle weniger in Worten und Phrasen bestehen, d. h. in einem forcierten Stil, als vielmehr im Inhalt, in Straffung und Reduktion der Stoffülle auf das Wesentliche. Der Begriff ˆnoma bezeichnet im Singular das einzelne Wort im Unterschied zu der Kombination von Worten und zur Phrase, welche =∞ma genannt wird (Plat. Cra. 399 a–b). Die Terminologie der zünftigen Grammatiker stellt demgegenüber dem Nomen (ˆnoma) das Verbum (=∞ma) gegenüber. Die Kombination beider Begriffe im Plural (ÙnÒmata ka‹ =Æmata bzw. vice versa) läßt sich erstmals im Zeitalter der ersten Sophistik belegen, und zwar insbesondere durch die platonische Polemik gegen die sophistische Rhetorik. Im Eingang zur Apologie (17 c) läßt dieser seinen Sokrates verkünden, er werde keine =Æmas€ te ka‹ ÙnÒmasin geschmückte Rede nach dem Geschmack der Zeitgenossen halten, sondern sich vielmehr ganz schmucklos und ungekünstelt ausdrücken (efikª legÒmena to›w §pituxoËsin ÙnÒmasin). Zu vergleichen ist auch die ironische Stellungnahme des Sokrates zur im Stil des Gorgias vorgetragenen Rede Agathons (Symp. 198 b, 199 b). Diese später innerhalb rhetorischer Fachsprache zur Phraseologie erstarrte Formulierung

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verwendet Lukian auch noch im Lexiphanes (Kap. 24), wo gegen den Hyperattizisten der Vorwurf erhoben wird, er lege auf Ausschmückung der Rede to›w =Æmasin ka‹ to›w ÙnÒmasin größeren Wert als auf Inhalt und Sinn (diãnoia t«n l°jevn). Mit den prãgmata bezeichnet Lukian in dieser Schrift speziell die historischen Ereignisse (so Kap. 20, 55 und 57), doch auch den zur Gestaltung anstehenden Stoff (Kap. 24 und 47) sowie die diÆghsiw, d. h. die Erzählung der historischen Ereignisse (Kap. 23). Es ist demnach klar, daß er, wenn er von Tempo spricht, weniger eine stilistische Qualität meint, als vielmehr eine auf das Wesentliche konzentrierte Darstellung, weshalb es nicht ratsam erscheint, das tãxow unter dem Stil in engerem Sinne zu behandeln, wie Avenarius 1956, 62–63 verfährt, denn hier ist ja kein Gleichgewicht von ˆnomata µ =Æmata und prãgmata intendiert. Und darin geht Lukian konform mit denjenigen Verfassern rhetorischer Lehrbücher, welche dasselbe für die narratio innerhalb der Gerichtsrede, d. h. für die Sachverhaltsdarstellung postulieren (Quint. Inst. IV 2, 40–45; Zitat 43: nos autem brevitatem in hoc ponimus, non ut minus, sed ne plus dicatur, quam oporteat). Zu vergleichen sind auch die Position Ciceros (Inv. I 20, 28) und die des Auctor ad Herennium (I 9, 14). Bereits Aristoteles (Rh. III 16, 1416 b 35– 36) hatte das richtige Verfahren (tÚ eÔ) als tÚ l°gein ˜sa dhl≈sei tÚ prçgma bestimmt. Und dieser Ansicht entspricht bei Lukian inhaltlich das Adverb flkan«w. efi paray°oiw m¢n tå mikrå ka‹ ∏tton énagka›a, l°goiw d¢ flkan«w tå megãla: Zum präzisen Bedeutungsunterschied der zwei Verba paraye›n („etwas flüchtig streifen“) und parale€pein („etwas beiseite lassen“) vgl. den Kommentar zu Kap. 27: o„ tå megãla m¢n t«n pepragm°nvn ktl und, weiter unten im Text, zu Kap. 56: mçllon d¢ ka‹ paraleipt°on pollã. Die Unterscheidung von

unwesentlichen Ereignissen und von solchen, welche die Beachtung des Historikers verdienen, ist ein methodologisches Standardthema. Seit den Anfängen griechischer Geschichtsschreibung legen die Historiker Wert darauf, nicht nur in den Proömien (vgl. dazu den Kommentar zu den Kap. 53– 54), sondern insbesondere auch an herausgehobenen Stellen ihrer Werke die Bedeutung von Gegenstand und dessen Relevanz für den Rezipienten hervorzuheben. Sie betonen dabei zunächst mit jeweils unterschiedlichen Formulierungen, späterhin auch unter Einsatz eines stereotypen Vokabulars ihre Intention, sich auf den Bericht des Wesentlichen und Überliefernswerten zu konzentrieren. Bereits Herodot schickt in diesem Sinne seiner Darstellung der innerasiatischen Eroberungen des Kyros die programmatische Erklärung voraus: tå m°n nun aÈt«n pl°v parÆsomen, tå d° ofl par°sxe te pÒnon ple›ston ka‹ éjiaphghtÒtatã §sti, toÊtvn §pimnÆsomai (Hdt. I 177). Seine Darstellung der athenischen Geschichte nach der Befreiung von den Tyrannen leitet er damit ein, er wolle über das Erzählenswerte (éjiÒxrea éphgÆsiow) berichten (Hdt. V 65, 5). Thukydides wiederum stellt seiner Darstellung des sechsten Kriegsjahres diese Erklärung voran: ì d¢ lÒgou mãlista êjia ... ¶prajan ... toÊtvn §pimnhsyÆsomai (Th. III 90, 1). Ähnlich macht es auch Xenophon (HG IV 8, 1: t«n prãjevn tåw m¢n éjiomnhmoneÊtouw grãcv, tåw d¢ mØ éj€aw lÒgou parÆsv), der zudem auch für sich die Notwendigkeit sieht, sich für die Aufnahme der charismatischen Wirkung des Teleutias auf seine Soldaten sowie auch für die Wiedergabe der letzten Worte des bewunderten Theramenes angesichts des nahen Todes speziell zu rechtfertigen (HG V 1, 4 und II 3, 56). Diodor (I 44, 5) kündigt seinen Bericht über die frühe ägyptische Geschichte an mit der programmatischen Erklärung: t«n éj€vn flstor€aw tå kuri≈tata suntÒmvw dieji°nai peirasÒmeya. Weitere Beispiele für derartige Erklärungen ließen sich in großer Zahl anführen. Doch sind die diesbezüglichen Reflexionen des Polybios und die Strabons die engagiertesten und auch die mit dem größten Nahverhältnis zu Lukians Intention (dieser Umstand, namentlich die große Bedeutsamkeit der Erklärungen des Polybios für den Lukian zugänglichen Diskurs ist jedoch von Avenarius 1956, bes. 127–130, bes. 129 unterschätzt, vgl. aber 148, wo ganz zu Recht eine völlige Kongruenz von Polybios und Lukian festgestellt wird).

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Polybios kommt wiederholt auf sein Anliegen zu sprechen, welches ihn zum Vornehmen einer Auswahl zwinge. Das Weglassen mancher Details (¶nia paralipÒntew t«n katå m°row) geschähe nicht aus Ignoranz (katÉ êgnoian), sondern vielmehr mit bewußter Entscheidung (katå prÒyesin) und mit Urteilsvermögen (katå kr€sin), wie er in VI 11, 3–8 erklärt, um andernorts (XXIX 12, bes. 1–8) den Gedanken weiter auszuspinnen. Viel bequemer, so erklärt er, hätten es da die Verfasser von stofflich begrenzteren historischen Monographien (er schrieb im übrigen selbst eine solche über den Numantinischen Krieg; zu dieser und vergleichbaren Monographien vgl. Ullman 1942, 46–50, dessen direkte Herleitung von Isokrates allerdings anfechtbar ist); aus schierem Stoffmangel (diå tØn épor€an t«n pragmãtvn) sähen diese sich zum Aufbauschen unwichtiger Details (tå mikrå ... megãla poie›n) gezwungen (vgl. VII 7, 1–8: éllã moi dokoËsin ... ptvxeÊontew pragmãtvn énagkãzesyai tå mikrå megãla poie›n ka‹ per‹ t«n mhd¢ mnÆmhw éj€vn polloÊw tinaw diat€yesyai lÒgouw), während er, wie überhaupt die Verfasser großflächiger angelegter Geschichtswerke, auf das Vertrauen der Leser in die Legitimität seines Auswahlverfahrens angewiesen sei (xrØ ... pisteÊein ˜ti tÚn kayÆkonta lÒgon •kãstoiw épod€domen). Eine unzureichende Urteilsfähigkeit bescheinigt

Polybios den reinen Büchergelehrten vom Schlage eines Timaios auch in dieser Hinsicht (XII 25 g 3–4: énãgkh sumba€nein ... pollå m¢n éjiÒloga parale€pein, per‹ poll«n d¢ poie›syai polÁn lÒgon oÈk éj€vn ˆntvn). Strabon wiederum vergleicht die in seinem Geschichtswerk, den nicht erhaltenen ÍpomnÆmata flstorikã, verfolgten Auswahlprinzipien mit der seiner Geographie zugrunde gelegten Methode und stellt fest: tÚn aÈtÚn trÒpon, ˜nper §ke› tå per‹ toÁw §pifane›w êndraw ka‹ b€ouw tugxãnei mnÆmhw, tå d¢ mikrå ka‹ êdoja parale€petai, kéntaËya de› tå mikrå ka‹ tå éfan∞ parap°mpein, §n d¢ to›w §ndÒjoiw ka‹ megãloiw ... diatr€bein (I 1, 23 = C 13). Ein ganz anderer Ansatz wird von

Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 3) vertreten, für den es ein entscheidendes Wertkriterium ist, ob der Historiker, so wie dies bei Herodot im Unterschied zu Thukydides der Fall sei, in der Lage ist, die Aufnahmebereitschaft des Lesers durch Pausen und kunstvolle Variation von Anfang bis zu Ende sich wach zu erhalten. Doch dieser Gesichtspunkt hat für Lukian, der sich hier primär an einer sachgerechten stofflichen Auswahl interessiert zeigt, naturgemäß allenfalls untergeordnete Relevanz. paray°oiw ... l°goiw: Schließlich noch eine Beobachtung zur literarischen Form: Philon, der Adressat dieser Schrift (vgl. den Kommentar zu Kap. 1: âV kal¢ F€lvn), wird hier erstmals wieder in den

Diskurs miteinbezogen, nachdem bisher in dem dritten und didaktischen Teil der Schrift (Kap. 34–55) ausschließlich die monologische Vortragsart geherrscht hatte. Die für den Diatribenstil und den paränetischen Brief gleichermaßen typische Ansprachehaltung an das Du wird von hier weg bis zu dem Ende der Schrift (Kap. 62) vom Autor konsequent durchgehalten. Die dabei verwendeten Stilmittel sind die gleichen wie in den Kap. 1–33, in den ersten beiden Teilen der Schrift. mçllon d¢ ka‹ paraleipt°on pollã: Das eine recht starke Steigerung markierende Idiom mçllon d° („vielmehr noch“) unterstreicht den semantischen Unterschied von parale€pein und paraye›n.

Ersteres bedeutet „etwas übergehen“ (so Kap. 27) bzw. „etwas verabsäumen“ (so Kap. 15 und 38), zweiteres bezeichnet rasches über etwas Hinweggehen, d. h. flüchtiges Streifen einer Sache (so Kap. 27 und 57). Durch diese minutiöse Unterscheidung bringt der Autor Lukian zum Ausdruck, daß so manche Dinge völlig außer Acht gelassen werden müssten, während andere immerhin eine gewisse, wenn auch begrenzte Aufmerksamkeit verdienten (weiter oben im Text: efi paray°oiw tå ... ∏tton énagka›a ktl).

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oÈd¢ går µn •stiòw toÁw f€louw ka‹ pãnta ¬ pareskeuasm°na, diå toËto §n m°soiw to›w p°mmasin ka‹ to›w Ùrn°oiw ka‹ lopãsi tosaÊtaiw ka‹ sus‹n égr€oiw ka‹ lagƒo›w ka‹ Ípogastr€oiw ka‹ sap°rdhn §nyÆsei ka‹ ¶tnow ˜ti kéke›no pareskeÊasto, émelÆseiw d¢ t«n eÈtelest°rvn.

§nyÆsei: so nach der ältesten Überlieferung zu Recht einzig Macleod 1980, 317, während alle anderen modernen Herausgeber wegen einer angenommenen Korrespondenz der Futura §nyÆseiw und émelÆseiw die nur in jüngeren Handschriften sich findende und als Konjektur zu verstehende Form §nyÆseiw in ihre Texte aufnehmen. Die einzige Stelle, an welcher Lukian sonst noch das Futurum von §ntiy°nai / §nt€yesyai verwendet, weist die Macleod II 8 zufolge textkritisch unproblematische Form §nyÆsomai aus (Cont. 8: M€lvna ... §nyÆsomai §w tÚ skaf€dion). Das Medium §nyÆsei bringt den hier

geforderten Sinn („auftischen“; der Kontext verbietet die Bedeutung von „zu sich nehmen, essen“, wie sie bei Ar. Eq. 51 gegeben ist) befriedigend zum Ausdruck, in jedem Fall deutlich besser als die (im übrigen durch keine Präposition konkretisierte) aktive Form. §n m°soiw to›w p°mmasin: p°mma bzw. p°mmata (dazu Orth 1922) werden üblicherweise mit

Tafelluxus und Schlemmerei assoziiert, und dabei treten gewöhnlich die expliziten Bewertungen als ≤donÆ (Nigr. 33) und ≤dupãyeia (Vit. Auct. 12, Plu z. B. Quaestiones convivales II 10, 2, 644 b: ≤dupãyeia als der Gegensatz zu eÈt°leia [vgl. weiter unten im Text eÈtelest°rvn]) in Erscheinung. Platon (R. III 404 d) untersagt den Wächtern u. a. auch ÉAttik«n pemmãtvn tåw dokoÊsaw e‰nai eÈpaye€aw. Charakteristisch ist in diesem Kontext die Anekdote, welche Plutarch wiederholt über die Selbstbeherrschung (§gkrãteia) Alexanders berichtet (Regum et imperatorum apophthegmata, Alex. 9, 180 a, so auch Alex. 22, 7–10, u. ö.). Athenaios handelt im 14. Buch mehrfach über verschiedene Arten von p°mmata bzw. pemmãtia (645 e–f, 646 d–f) genannte Kuchen. ka‹ to›w Ùrn°oiw: In den bei Lukian nicht gerade seltenen Schilderungen von bei Gastmählern

aufgetragenen Speisen spielen üppige Vögel (Merc. Cond. 26, Sat. 23, Symp. 42–43) wiederholt eine Rolle in dem kulinarischen Angebot. Manchmal wird eine spezifische Vogelart genannt, so in Lex. 6 ein Hausvogel (ˆrniw sÊntrofow) und der Hahn (élektru≈n); in Merc. Cond. 17 ist zum einen von dem FasianÚw ˆrniw die Rede, vom Vogel aus dem Gebiet um den Phasis, von dem in Kolchis beheimateten Fasan (Phasianus colchicus), zum anderen von dem NomadikÚw ˆrniw, vielleicht dem Perlhuhn (Africa oder Numidica avis), wofür Marquardt (1886, II 432, Anm. 2) die Belege verzeichnet. Andernorts (Nav. 23) begegnet in ähnlichem gastronomischem Zusammenhang neben dem ˆrniw §k Fãsidow u. a. auch ein élektru∆n NomadikÒw. ka‹ lopãsi tosaÊtaiw: Der Sinn ist wahrscheinlich: „mit so vielen Platten“, d. h. „mit so vielen

Gängen von Fleischgerichten“ (so zu Recht verstanden von Hermann 1828, 327: inter ... tantam patinarum copiam; Homeyer 1965, 159 übersetzt ungenau mit „Fischgerichte“). Wenn diese Auffassung richtig ist, dann sind die folgenden Worte (ka‹ sus‹n égr€oiw ka‹ lagƒo›w ka‹ Ípogastr€oiw) als eineApposition zu verstehen („nämlich ...“). Eine Stütze findet dieses Textverständnis im lukianischen Sprachgebrauch, der lopãw mehrfach und eindeutig in der Bedeutung von „Schüssel, Pfanne, Platte bzw. Bratenplatte“ kennt (Merc. Cond. 26, Sat. 22, Tim. 54), welche auch in Kap. 26 dieser Schrift vorauszusetzen ist (zvm«n ka‹ lopãdvn). Kilburn (1968, 69) legt in seiner Übersetzung mit oysters die sehr seltene Bedeutung von „Auster “ zugrunde (LSJ s. v. lopãw, IV: shell–fish, so übersetzen auch Macleod 1991, 243 und Costa 2005, 200), welche innerhalb des Corpus Lucianeum jedoch nur in der unechten Schrift Asinus 47 (kr°a lopãdaw zvmoÁw fixyËw) vorliegt. Zudem macht es Mühe, auf der Grundlage dieses Verständnisses tosaÊtaiw im Text plausibel zu erklären, das Kilburn und Costa (Macleod: and all those shellfish) denn auch unübersetzt lassen.

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ka‹ sus‹n égr€oiw ka‹ lagƒo›w: Schweinebraten (dazu Marquardt 1886, II 430) spielt in Lukians Schilderungen von Banketten häufig eine Rolle (so Sat. 23, detaillierter Merc. Cond. 26: suÚw Ípogastr€ou, als ein Gericht in der Speisefolge in Lex. 6: d€xhla Ïeia ... ka‹ tokãdow ÍÚw tÚ §mbruodÒxon ¶nteron, Weissenberger 1996, 209–210: „Schweinshaxen“), im Besonderen wird das Wildschwein genannt (Symp. 22: ÍÚw égr€ou). Mehrfach stellt Lukian bei derartigen Speisefolgen

Schwein und Hase direkt nebeneinander (Hist. Conscr. 20 , ähnlich Sat. 28, Symp. 22 und 38). Hasenbraten gilt schon bei Aristophanes als ein besonderer Leckerbissen (z. B. Ach. 1006 und V. 709, vgl. auch die Belege bei Dalby 1998, 97–98 und 2003, 172–173). Für dessen Wertschätzung durch Gourmets in römischer Kaiserzeit spricht ein Epigramm Martials (XIII 92), der den Hasen unter allem Wild als eine erstrangige kulinarische Spezialität bezeichnet (inter quadripedes mattea prima lepus). Die epische Form lagƒÒw (LSJ s. v. lag≈w) ist schon früh in griechische Prosa eingedrungen (so bei X. Cyn. 10, 2, wo Marchant in der Nachfolge Dindorfs das überlieferte lagv«n zu lag«n verändert hat). Lukian gebraucht das vom substantivierten Adjektiv lag“on (Hist. Conscr. 20, Symp. 38) zu unterscheidende Substantiv lagƒÒw auch andernorts (Sat. 28, Symp. 22). ka‹ Ípogastr€oiw: tÚ Ípogãstrion wird in erster Linie von Fischen gebraucht (und zwar zu der

Bezeichnung des Stückes über den großen Bauchgräten), ferner, doch selten, von Schweinen und anderen Tieren (vgl. Ath. VII 302 f: parathrht°on ˜ti §p‹ fixyÊvn m¢n Ípogãstrion l°gousi, span€vw dÉ §p‹ xo€rvn ka‹ t«n êllvn z–vn). Mittels reichlicher Belege aus den Komikern dokumentiert Athenaios in diesem Zusammenhang (VII 302 d–e, vgl. IX 399 c–d unter der Rubrik Ípogãstrion) die häufig geäußerte Ansicht, daß das nicht gerade billige Ípogãstrion des Thunfisches (yÊnnow) besonders schmackhaft sei. In VIII 315 d–e spricht er vom Ípogãstrion des ˆrkunow, einer unter vielen Thunfischarten (Quelle ist Hikesios), und in VII 310 c zitiert er Verse des Archestratos von Gela (Dalby 1998, 166–171), welcher von den Ípogãstria ko›la kãtvyen des kÊvn karxar€aw, einer Haifischart, gesprochen hatte. Aus der lateinischen Literatur ist zu vergleichen, was Martial (XIII 84) über den Geschmack des scarus, des Papageifisches sagt: visceribus bonus est, cetera non sapit (die Belege bei Marquardt 1886, II 435, Anm. 6). In diesem Sinn übersetzt Kilburn (1968, 68) choice fish cutlets. Eine derart präzise Festlegung ist jedoch kaum wahrscheinlich, denn Lukian nennt andernorts auch das Ípogãstrion von Schwein und Hirsch (Merc. Cond. 26: temnom°nou ... §n t“ m°sƒ µ suÚw Ípogastr€ou µ §lãfou). Unter all den verschiedenen Zubereitungsarten der einzelnen Stücke des Schweins, die Plinius (Nat. VIII 77, 209) bekannt sind (50 Arten), galt Saueuter (lat. sumen, von Hermann 1828, 328 zutreffend mit uber suillum wiedergegeben) neben Gebärmutter (lat. vulva) und Leber (lat. ficatum) als besonderer Leckerbissen (Marquardt 1886, II 429–430 und I 329), wofür bereits bei Plautus mehrere Belege vorliegen (Cur. 323: sumen suis, vgl. Capt. 904, Ps. 166: sumen). Aufschlüsse über die Zubereitung des sumen vermittelt Martial (XIII 44 und X 48, 12). ka‹ sap°rdhn §nyÆsei ka‹ ¶tnow: ı sap°rdhw, der häufig mit ≤ éfÊh, einer Art von kleinem Hering

bzw. Sardellen, in Zusammenhang gebracht erscheint, ist die Bezeichnung für einen nicht eindeutig identifizierbaren Fisch (wahrscheinlich eine Sardellenart), der jedenfalls nachweislich in gepökelter Form zubereitet wurde (vgl. Schol. Luk. Sat. 35 Jacobitz IV 251, p. 482, 17: ˜ti afl éfÊai kalãmoiw diapeparm°nai ka‹ tetarixeum°nai sap°rdai l°gontai, ähnlich Schol. Luk. DMeretr. 14, 2–3 Jacobitz IV 246, p. 416, 14 = Rabe 284, Z. 13–19, sowie, mit gleichem Wortlaut, Gaisford 708, Z. 40–41). Lukian stellt den sap°rdhw andernorts in eine Reihe mit anderen Fischarten, nämlich dem main€w (Deminutiv von ma€nh), einem kleinen Meerfisch, der wie Hering eingesalzen wurde (Gall. 22), und dem ebenfalls vom Bosporos kommenden Barsch (p°rkh, DMeretr. 14, 2–3).

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Athenaios zufolge (VII 308 e und III 118 b) berichteten gastronomische Schriftsteller, daß der korak›now von vielen sap°rdhw genannt werde, Euthydemos in der Schrift über Salzfische (per‹ tar€xvn) und Dorion in der Spezialabhandlung über Fische (per‹ fixyÊvn). Mehrfach ist in den Lukianscholien angegeben, dies sei eine Bezeichnung der Leute vom Pontos (Schol. Luk. DMeretr. 14, 2 Jacobitz IV 246, p. 416, 14: tÚn går korak›non fixyÁn sap°rdhn ofl Pontiko€ fasin, so auch die Scholien zu dieser Stelle, Rabe 231, Z. 9–10, und zu Gall. 22, Rabe 93, Z. 17–18). Mit dem Pontos ist der sap°rdhw auch verknüpft durch Persius (5, 134: saperdas advehe Ponto) und besonders durch den bekannten Gourmet Archestratos von Gela aus der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr., der in seinem gleichfalls durch Athenaios (es liegen davon immerhin 62 Fragmente vor) bekannten kulinarischen Lehrgedicht mit dem mutmaßlichen Titel ÑHdupãyeia („Genußvolle Lebensführung“) den sap°rdhw als „Zukost vom Pontos“ (PontikÚn ˆcon) bezeichnete (Ath. III 117 a). An selbiger Stelle gibt Archestratos eine für das Verständnis vorliegender Lukianstelle wichtige Charakteristik dieses Fisches, indem er ihn als ein faËlon ka‹ ékidnÚn ¶desma bezeichnet (in SH, Archestr. Fr. 169 ist allerdings Meinekes Lesart ka‹ kednÚn aufgenommen, dagegen wohl richtig Musurus: ka‹ ékidnÚn). Der sap°rdhw ist demnach ein kärgliches Mahl, wie er ja auch bei Lukian wiederholt (Gall. 22, DMeretr. 14, 2–3, Sat. 35) als Armeleuteessen erscheint. Damit harmoniert auch der Eintrag bei Festus (Lindsay 435: Saperda genus pessimi piscis). Das Scholion zu Luk. Gall. 22 Rabe 93, Z. 19 charakterisiert den sap°rdhw mit demselben Adjektiv (eÈtelÆw) wie Lukian, als ein eÈtel¢w br«ma. Vor diesem Hintergrund erst ist die Pointe jener Anekdote verständlich, die Diogenes Laertios (VI 36) über Diogenes von Sinope zu berichten weiß. Dieser habe einem angehenden Schüler einen sap°rdhw gereicht mit der Aufforderung, ihm zu folgen. Doch jener habe (ÍpÉ afidoËw) den Fisch weggeworfen und sei weggegangen. Und bei einer späteren Begegnung habe Diogenes unter Lachen gesagt, ein sap°rdhw hätte ihrer beider Freundschaft aufgelöst. Unter tÚ ¶tnow ist ein Brei aus Hülsenfrüchten, im Besonderen aus Bohnen, zu verstehen (Rabe 228, Z. 9: ¶tnow pçn ˆsprion §reixy°n), der ebenso wie der sap°rdhw als Speise armer Leute galt (Gall. 14) und exquisiten kulinarischen Köstlichkeiten gegenübergestellt wird (in dieser Schrift Kap. 20, vgl. z. B. Alciphr. I 20). émelÆseiw d¢ t«n eÈtelest°rvn: Die Partikel d° hat hier eine stark adversative Bedeutung, wie dies im Besonderen nach vorangehendem Satz mit negativem Sinn häufiger der Fall ist (vgl. Denniston, 167–168). Das Adjektiv eÈtelÆw hat bei literarkritischer Verwendung nahezu die selbe Bedeutung wie tapeinÒw (beide werden häufig miteinander verbunden, vgl. Geigenmüller 1908, 113).

Kapitel 57 In Kapitel 57 (Avenarius 1956, 144–149) geht es wie im vorangehenden um die Konzentration des darstellerischen Interesses auf das jeweils Wesentliche, um sachadäquates Erzähltempo (tãxow), nur daß nunmehr konkrete Anschauungsbeispiele genannt werden. Maßhalten (svfronht°on wie in Kap. 45: dort zu der sprachlichen Form bei gehobenen Partien mit poetischem Anflug) sei insbesondere angebracht bei Beschreibungen beispielsweise von Bergen, Mauern und Flüssen (in Kap. 19–20 sind unter den topographischen Detailschilderungen genannt Städte, Berge, Ebenen, Flüsse sowie Landstriche und Höhlen). Derartige Ekphraseis (der terminus technicus ¶kfrasiw erscheint einzig in Kap. 20) dürften nicht Selbstzweckcharakter haben, sondern müßten sich in Ausmaß und Ausführung nach den beiden Kriterien von Verdeutlichung und Nutzen richten (toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka). Uferten diese hingegen aus, so verrieten sie einen Mangel an Geschmack (épeirokal€a) und erweckten den Eindruck von unangebrachter Zurschaustellung rhetorisch-darstellerischer Qualitäten unter einem vorsätzlichen Verzicht auf die eigentliche Aufgabe der Tatsachenberichterstattung (flstor€a). 599

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Die Metaphern von Vogelleim (fijÒw) und Verfressenheit (lixne€a) erscheinen im skommatischlehrhaften Teil der Schrift (Kap. 14–32) veranschaulicht durch das narrative nicht Loskommen vom Objekt (Kap. 19) und durch das Bild des wahllos verfressenen Neureichen, der bei Speisen keine qualitativen Unterschiede kennt (Kap. 20). Das richtige Verfahren bei derlei Schilderungen führe in der Dichtung exemplarisch Homer vor (etwas frei nach Od. XI 576–592: Lukian ersetzt Sisyphos durch Ixion und setzt Tantalos an die erste Stelle), der im Unterschied zu den typischen Vertretern alexandrinischer Kunstauffassung (Lukian vertauscht die chronologische Reihenfolge: Kallimachos, Euphorion, Parthenios) mit deren Hang zu sich verselbständigender Kleinmalerei stets wüßte, wann es genug ist. In der Geschichtsschreibung sei es Thukydides, der mit seinem Erzähltempo (tãxow) Maßstäbe setze, indem er das Darstellungsmittel der Ekphrasis unter Berücksichtigung der Parameter von Notwendigkeit (énagka›on) und Nutzen (xrei«dew) ebenso sparsam wie diszipliniert einsetze, um danach zügig zum Ausgangspunkt der Erzählung zurückzukehren. Vorbildlich verfahre er bei seinen technischen Detailbeschreibungen sowie bei verdeutlichenden Darstellungen strategischer Planung oder topographischer Gegebenheiten; dessen – den Verfassern von Progymnasmata als paradigmatische Ekphrasis geltende – Pestschilderung erwecke den Eindruck, daß der Verfasser von der gedrängten Fülle der Ereignisse gleichsam überwältigt sei, sodaß selbst der relativ große Umfang der Beschreibung den Eindruck von angemessener Kürze erzeuge. Generell gilt ja, so ist hinzuzufügen, Thukydides den antiken Stilkritikern (Dionysios von Halikarnaß, Quintilian) nicht zuletzt wegen seines narrativen tãxow als der prototypische Vertreter einer forcierten Stilart. Was Lukian hier postuliert, war bereits bei Polybios Gegenstand von topographische Einlagen in ihrer Notwendigkeit für das sachliche Verständnis Unkundiger begründenden und erklärenden Stellungnahmen gewesen. Dessen auch für Belagerungen und Ähnliches geltendes Prinzip, dem jeweiligen Gegenstand angemessene Erklärungen abzugeben (Plb. XXIX 12, 6: tÚn kayÆkonta lÒgon •kãstoiw épod€domen), deckt sich vollständig mit Lukians Aussage, betrachten doch beide, Polybios und Lukian gleichermaßen, Beschreibungen der bezeichneten Art als Elemente, welche historiographischer Darstellung unbedingt untergeordnet sein müssen und denen infolgedessen lediglich ein funktionaler Charakter zukommt. Lukian steht daher, wie so oft in dieser Schrift, den durch Polybios repräsentierten Diskursen nahe, obwohl er an der Oberfläche Thukydides als vorbildhaftes Beispiel für die praktische Durchführung der entsprechenden theoretischen Prinzipien nennt.

Mãlista d¢ svfronht°on §n ta›w t«n Ùr«n µ teix«n µ potam«n •rmhne€aiw …w mØ dÊnamin lÒgvn épeirokãlvw parepide€knusyai doko€hw ka‹ tÚ sautoË drçn pare‹w tØn flstor€an, éllÉ Ùl€gon prosacãmenow toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka metabÆs˙ §kfug∆n tÚn fijÚn tÚn §n t“ prãgmati ka‹ tØn toiaÊthn ëpasan lixne€an, ...

svfronht°on §n ta›w t«n Ùr«n µ teix«n µ potam«n •rmhne€aiw: Das Fehlen von Maß bei

topographischen Detailschilderungen war bereits im skommatisch-lehrhaften Schriftteil ein Anlaß zu Kritik gewesen (Kap. 19: pãsaw pÒleiw ka‹ pãnta ˆrh ka‹ ped€a ka‹ potamoÁw •rmhneÊsaw). Die an diesen beiden Stellen genannten Darstellungsobjekte gehören allesamt zur Rubrik der Örtlichkeiten (tÒpoi), wie sie u. a. innerhalb von Ekphraseis, wie sie seit dem Ende des 1. Jhs. n. Chr. immer beliebter wurden, ihren Platz hatten. Die einschlägige, der Praxis in der Ausführung von Ekphraseis seit dem Beginn des 2. Jhs. n. Chr. nachfolgende rhetorische Theorie (Reichel 1909,

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71–75) liegt bei den Verfassern von Progymnasmata vor, so bei Theon (Prog. 11 [per‹ §kfrãsevw] Spengel II 118, Z. 9) und Aphthonios (Prog. 12 [˜row §kfrãsevw] Spengel II 46, Z. 17). Vereinzelt wurde an dieser Gepflogenheit Kritik geübt, und dabei wurde auch die spezifische Funktion von Ekphraseis in der Geschichtsschreibung thematisiert (die spärlichen Belege dazu sind bei Schmid 1894, 159–160 verzeichnet). Nur an einer Stelle gebraucht Lukian in dieser Schrift den terminus ¶kfrasiw, und zwar im Kontext ausufernder Detailschilderungen von Unwesentlichem (Kap. 20: §p‹ tåw toiaÊtaw t«n xvr€vn ka‹ êntrvn §kfrãseiw tr°pontai). Auch in seinen anderen Werken, die häufig Beschreibungen unterschiedlicher Objekte zum Thema haben, verwendet Lukian den explizit benannten Begriff der ¶kfrasiw nirgendwo. Zu der Kritik am Ausufern solcher Ekphraseis vgl. auch Montanari 1984. …w mØ dÊnamin lÒgvn épeirokãlvw parepide€knusyai doko€hw ka‹ tÚ sautoË drçn pare‹w tØn flstor€an: Der Historiker müsse zwar generell über eine dÊnamiw •rmhneutikÆ (Kap. 34) verfügen, doch

seine rhetorische Wortgewalt dürfe er einzig in den in sein Werk eingelegten Redepartien unter Beweis stellen (so Kap. 58: =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta). Gegenüber dem positiv konnotierten Verbum §pide›jai betont das negativ besetzte Medium §pide€knusyai den Aspekt des ostentativ Zurschaustellens (Nigr. 1: dÊnamin lÒgvn §pide€jasyai boulÒmenow, auf die Rede bezogen auch Lex. 1; in historiographischem Kontext J. AJ I praef. 1: §pideiknÊmenoi lÒgvn deinÒthta), der, an sich schon mit abwertendem Sinn versehen (besonders deutlich in Peregr. 17), durch den Zusatz von para- in parepide€knusyai im Sinn eines Paradierens namentlich mit angemaßten Fähigkeiten noch weiter verstärkt werden kann. In dieser Bedeutung gebraucht Plutarch wiederholt das ansonsten seltene parepide€knusyai, sowohl absolut als auch mit einem Akkusativobjekt (De tuenda sanitate praecepta 15, 129 c, De recta ratione audiendi 10, 43 a: parepideiknÊmenoi dialektikØn µ mayhmatikØn ßjin). Der parepideiknÊmenow ist in jedem Fall also jemand, der sich unangemessen in Szene setzt (De recta ratione audiendi 12, 43 d). Beim Historiker äußert sich dies in einem mangelnden Sensorium für das richtige Maß (zu der Bedeutung von épeirokãlvw vgl. die Kommentare zu Kap 27: ÍpÚ d¢ fidivte€aw ka‹ épeirokal€aw ktl und zu Kap. 50: ka‹ pçsi toÊtoiw m°tron §p°stv ktl). Im Rhetorum praeceptor (Kap. 1) verlangt der Schüler nach rhetorischer dÊnamiw einzig zu dem Zweck, um damit bei dem Publikum Eindruck zu machen und solcherart Ansehen zu erringen. Eine derartige Motivation würde in der Geschichtsschreibung bedeuten, seine eigene Sache zu betreiben (tÚ sautoË drçn) und über dieser deplatzierten Selbstdarstellung die Aufgabe der Tatsachenberichterstattung links liegen zu lassen (pare‹w tØn flstor€an). Korenjak 2000, 21–22 (einschlägige Literatur in Anm. 5) sieht in „diesem verstärkten Drang zur Selbstdarstellung“ ein typisches Merkmal der Kaiserzeit: „Von der Politik über Literatur und Grammatik bis hin zu Naturwissenschaften wie der Medizin – alles kann inszeniert und einem Publikum als Schauspiel dargeboten werden“. éllÉ Ùl€gon prosacãmenow toË xrhs€mou ka‹ safoËw ßneka metabÆs˙: Das Verbum prosãptesyai

wird üblicherweise mit einem Genetivobjekt konstruiert. Lukian gebraucht es jedoch wiederholt auch in absoluter Weise (Abd. 4 und 31, Bacch. 1, Tim. 15, Ind. 28), um dem explizit benannten Vorgang des direkten Berührens den hier durch Ùl€gon verstärkten Aspekt bloßen Anrührens gegenüberzustellen. Dieselbe Funktion erfüllt in Kap. 45 (≤ m¢n gn≈mh koinvne€tv ka‹ prosapt°syv ti ka‹ poihtik∞w) das einschränkende Adverb ti und in Kap. 4 der Zusatz êkrƒ ge t“ daktÊlƒ. Unter Klarheit (zu den zweifachen Arten, das saf°w zu bewirken, vgl. den Kommentar zu Kap. 55: tÚ saf¢w §panye€tv ktl) ist in diesem Kontext weniger eine auf die l°jiw bezogene stilistische Qualität zu verstehen (so Kap. 43–44), sondern vielmehr eine das Verständnis fördernde Verdeutlichung der faktischen Umstände, wie sie auch schon für die Gestaltung des Proömiums gefordert worden

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war (Kap. 53: eÈmay∞ d¢ ka‹ saf∞ tå Ïstera poiÆsei). In diesem Sinne bedeutet der Leitbegriff tÚ xrÆsimon, der in dieser Schrift in unterschiedlichen Bedeutungsnuancen in Erscheinung tritt, denjenigen Nutzen, wie er aus einer nichts Wichtiges auslassenden Darstellung sich ergibt. Die Norm gibt Thukydides ab, der sich an die Parameter des Notwendigen (énagka›on) und des Nützlichen (xrei«dew) gehalten habe (Kap. 57, vgl. weiter unten im Text), um nach diesen beiden Kriterien den Umfang seiner Detailschilderungen zu bemessen. Ähnlich, wie Lukian dies unter Berufung auf thukydideische Praxis fordert, hatte bereits Polybios topographische Einlagen durch den Hinweis auf die Notwendigkeit (Plb. X 9, 8: énagka›on) und die Verdeutlichung für den diesbezüglich Unkundigen (I 41, 7: ÜIna d¢ mØ to›w égnooËsi toÁw tÒpouw ésaf∞ tå legÒmena g€nhtai ktl, vgl. III 36, 1–5, V 21, 4–9) begründet. Das in einem absoluten Sinn gebrauchte Verbum metaba€nein (so erstmals Hom. Od. VIII 492: éllÉ êge dØ metãbhyi ka‹ ·ppou kÒsmon êeison) in der Bedeutung von „weitergehen = voranschreiten in der Rede“ ist in rhetorischer Theorie und Praxis der terminus technicus besonders für den Übergang in der Rede von einem Thema zum nächsten (vgl. den Kommentar zu Kap. 50: stÆsaw ... metabain°tv, vgl. Kap. 55: metãbasiw). Lukian gebraucht dieses Verbum auch sonst in unterschiedlichen Kontexten in absoluter Weise (Par. 41: êyrei d¢ pãlin metabåw tÚn parãsiton ıpo›Òw tiw fa€netai, Dom. 11 und Zeux. 6: metaba€nein in Verbindung mit tr°pesyai). §kfug∆n tÚn fijÚn tÚn §n t“ prãgmati ka‹ tØn toiaÊthn ëpasan lixne€an: Der metaphorische Gebrauch von ı fijÒw („Vogelleim“, E. Cyc. 433) dürfte auf die Komödie zurückgehen (Timotheos, PCG VII 788, Fr. 2 [Dubium] = Stob. III 28, 12: ı ptervtÚw fijÚw Ùmmãtvn ÖErvw). In einem

zweizeiligen Epigramm des Meleagros (AP V 96) wird die Wirkung eines Kusses so bezeichnet: ÉIjÚn ¶xeiw tÚ f€lhma (Adressat Timarion). Lukian (Cat. 14) selbst verwendet diese Metapher, um die selbst noch angesichts des Todes an den Freuden des Lebens festklebende Seele des tÊrannow zu charakterisieren: kayãper fij“ tini pros°xetai to›w toioÊtoiw ≤ cuxØ ka‹ oÈk §y°lei épallãttesyai =&d€vw ëte aÈto›w pãlai prostethku›a. In vorliegender Schrift (Kap. 19) sind zu vergleichen all diejenigen Autoren, die in ihren Ekphraseis kein Maß und Ziel kennen und sich nicht darauf verstehen, rechtzeitig sich wieder vom Objekt zu lösen. Verfressenheit (lixne€a) wird von Xenophon (Oec. 1, 22) unter andere versklavende Laster wie die Wollust und die Trunksucht gerechnet (DoËloi ... ofl m¢n lixnei«n, ofl d¢ lagnei«n, ofl d¢ ofinoflugi«n). Lukian, der auf diese öfter in einem jedoch durchaus konventionellen Sinn zu sprechen kommt (Vit. Auct. 19, Merc. Cond. 24, Tim. 55: lixne€aw ka‹ éplhst€aw), unterscheidet sich von dem sonst üblichen Wortgebrauch dadurch, daß er dem Begriff der lixne€a ebenso wie in Lex. 25 (es geht um die von Glossen strotzende Diktion des Hyperattizisten Lexiphanes) eine literarkritische Note verleiht. Ähnlich wie Lukian leitet auch Stobaios (II 31, 123) aus dem Laster der lixne›ai und ofinoflug€ai die besondere Notwendigkeit ab, sich in der Besonnenheit (svfrosÊnh, bei Lukian svfronht°on) zu üben. Kap. 20 illustriert das hier Gemeinte durch den Vergleich mit der unkultivierten Verfressenheit des Neureichen.

... oÂon ıròw [ti] ka‹ ÜOmhrow …w < ı > megalÒfrvn poie›: ka€toi poihtØw Ãn paraye› tÚn Tãntalon ka‹ tÚn ÉIj€ona ka‹ TituÚn ka‹ toÁw êllouw.

ıròw [ti]: Iacobitz 1838, 47; ıròw ti: so E, danach u. a. Macleod 1980, 317; ıròw t€: so G; Fritzsche 1860, 103: oÂÒn ti, ıròw, ka‹ ÜOmhrow ı megalÒfrvn poie›; …w < ı > megalÒfrvn: der fehlende Artikel ist einzufügen; …w megalÒfrvn: so E, danach u. a. Macleod 1980. 317; …w megalÒfron: so G.

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ÜOmhrow …w < ı > megalÒfrvn: Hohe Sinnesart (megalofrosÊnh) spielt eine zentrale Rolle im literarästhetischen Konzept des Ps. Longinos, der in der eminenten Persönlichkeit des schaffenden Künstlers eine unabdingbare Voraussetzung für die Hervorbringung von Ïcow sieht (9, 2: Ïcow megalofrosÊnhw épÆxhma), und zwar unabhängig vom Aufwand an Worten (Beispiel: das erhabene Schweigen des Aias in der homerischen Nekyia [Hom. Od. XI 543–564 ]). Als die Wegweiser zu Íchgor€a und zu megalofrosÊnh gelten dem Verfasser Homer, Platon, Demosthenes und Thukydides (14, 1). Solche Manifestationen des Ïcow seien in der Lage, auch den ernsthaft um Nachvollzug bemühten Rezipienten in eine (ebenfalls mit dem Begriff der megalofrosÊnh bezeichnete) Hochstimmung zu versetzen (7, 3). Und auch der vergleichsweise nüchterne Dionysios von Halikarnaß (Isoc. 3) stellt dem sich auf geringe Sujets verstehenden Lysias den seinen Sinn auf das Bedeutende hin richtenden Isokrates gegenüber, den er als einen megalÒfrvn kennzeichnet.

paraye› tÚn Tãntalon ka‹ tÚn ÉIj€ona ka‹ TituÚn: Bei recht unterschiedlichen Gelegenheiten (Nec. 14, Philops. 25, Trag. 11–12, Sacr. 9, JConf. 17) ruft Lukian die Unterweltsbüßer in einer hinsichtlich ihrer Zahl und Kombination miteinander dem jeweiligen Kontext angepaßten Form auf. Hier vertauscht er gegenüber Homer (Od. XI 576–592) die Reihenfolge, in der bei diesem Tityos und Tantalos vorkommen, und läßt als dritten den bei Homer nicht genannten Ixion (bei Homer stattdessen Sisyphos [593–600]) folgen. Über Tityos heißt es bei Homer (Od. XI 576–581): Ka‹ TituÚn e‰don, Ga€hw §rikud°ow uflÒn, / ke€menon §n dap°dƒ: ı dÉ §pÉ §nn°a ke›to p°leyra, / gËpe d° min •kãterye parhm°nv ∏par ¶keiron, / d°rtron ¶sv dÊnontew: ı dÉ oÈk épamÊneto xers€: / Lht∆ går ßlkhse, DiÚw kudrØn parãkoitin, / Puy≈dÉ §rxom°nhn diå kallixÒrou Panop∞ow. Sechs Verse

reichen Homer aus, um Herkunft, Leibesgröße, Bestrafung und Verbrechen des Tityos zu berichten und dabei auch noch den starken Eindruck zu vermitteln, daß es keinen Unschuldigen getroffen habe. Im Fall des Tantalos nimmt er sich fast doppelt so viel Zeit, um die Strafe mit angemessener Detailliertheit zu beschreiben. Tantalos wird jeweils im Moment des Verlangens (585 und 591) als ı g°rvn bezeichnet, wodurch sein schweres Leid (582: xal°pÉ êlgea) ebenso unterstrichen wird wie durch den Umstand, daß die Schuld des Büßers bewußt ausgespart ist. Die entsprechenden Verse (582–592) lauten: Ka‹ mØn Tãntalon §se›don xal°pÉ êlgeÉ ¶xonta, / •staÒtÉ §n l€mn˙: ≤ d¢ pros°plaze gene€ƒ: / steËto d¢ dicãvn, pi°ein dÉ oÈk e‰xen •l°syai: / ıssãki går kÊceiÉ ı g°rvn pi°ein menea€nvn, / tossãxÉ Ïdvr épol°sketÉ énabrox°n, émf‹ d¢ poss‹ / ga›a m°laina fãneske, katazÆnaske d¢ da€mvn. / d°ndrea dÉ Ícip°thla katå kr∞yen x°e karpÒn, / ˆgxnai ka‹ =oia‹ ka‹ mhl°ai églaÒkarpoi / suk°ai te glukera‹ ka‹ §la›ai thleyÒvsai: / t«n ıpÒtÉ fiyÊseiÉ ı g°rvn §p‹ xers‹ mãsasyai, / tåw dÉ ênemow =€ptaske pot‹ n°fea skiÒenta. Homer richtet die Ausführlichkeit, mit welcher er schildert, nach den

spezifischen Erfordernissen des jeweiligen Darstellungsobjektes aus (und in diesem Sinne urteilen auch die Scholien, vgl. bes. die Diskussion bei Nünlist 2009, 204 -209). Seine Darstellungskunst kann also als normgebendes Anschauungsbeispiel für das lukianische Prinzip des narrativen tãxow (Kap. 56) dienen. Wenn hier somit Homer in einem Atemzug mit Thukydides (vgl. weiter unten im Text) als das darstellerische Paradigma gerade auch für den Historiker genannt wird, so ist zu bedenken, welch bedeutende Rolle die Dichtung generell im antiken Rhetorikunterricht spielt (einen Überblick gibt North 1952). Zu dem Verbum paraye›n in der Bedeutung von „etwas flüchtig streifen“ (im Unterschied zu parale€pein: „etwas ganz beiseite lassen“) vgl. die Kommentare zu Kap. 27: o„ tå megãla m¢n t«n pepragm°nvn ktl und zu Kap. 56: mçllon d¢ ka‹ paraleipt°on pollã.

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efi d¢ Pary°niow µ EÈfor€vn µ Kall€maxow ¶legen, pÒsoiw ín o‡ei ¶pesi tÚ Ïdvr êxri prÚw tÚ xe›low toË Tantãlou ≥gagen; e‰ta pÒsoiw ín ÉIj€ona §kÊlisen;

Pary°niow µ EÈfor€vn µ Kall€maxow: Als der prononcierteste Vertreter alexandrinischer

Kunstauffassung nach Kallimachos und Philitas galt der Dichtergelehrte Euphorion aus Chalkis (Grundlage: SH 196–233, Powell 28–58, van Groningen 1977). Biographische Daten sowie ein (allerdings unvollständiges) Schriftenverzeichnis liegen vor bei Suidas (s. v. EÈfor€vn, Adler II 478–479). Mit Kallimachos verbindet Euphorion außer dem als Bekundung eines spezifischen poetischen Programms zu verstehenden Einsatz der literarischen Kleinform auch die Vorliebe für Entlegenes in Stoffwahl und in sprachlich-stilistischer Hinsicht. Die Vielzahl der von Kallimachos angewandten literarischen Formen findet sich bei Euphorion nicht, von dem mit Ausnahme von zwei kurzen Epigrammen in der Anthologia Palatina (AP VI 279, VII 651) ausschließlich Verse in Hexametern, d. h. Fragmente von Epyllien überliefert sind. Es gibt keinen überzeugenden Hinweis darauf, daß Euphorion Elegien geschrieben hätte (schlüssige Argumentation bei Skutsch 1909, bes. Sp. 1176–1178; vgl. zu T 14 van Groningen 1977, Clausen 1994, 306–307). In einer Hinsicht jedoch geht Euphorion ebenso wie sein älterer Landsmann Lykophron entschieden über den bei Kallimachos nachweisbaren Hang zu Ausgefallenem hinaus, und zwar in seiner dichten Verwendung von entlegenen Namen und seltenen, altertümlichen Vokabeln in noch dazu oftmals veränderten Bedeutungen, wobei auch Wortneubildungen zu verzeichnen sind. Die Dunkelheit von Euphorions Diktion wurde bereits in der Antike zum Objekt von literarischer Kritik. So nimmt das doppelbödige Epigramm des Krates (AP XI 218) u. a. auch Euphorions Jagd nach Glossen treffsicher aufs Korn. Cicero (Div. II 64, 133) charakterisiert Euphorion als einen nimis obscurus, und zwar in ausdrücklichem Gegensatz zu Homer. Clemens Alexandrinus (Strom. V 8, 50, 3) bezeichnet Euphorion gemeinsam mit den Aitien des Kallimachos und der Alexandra des Lykophron als ein Übungsfeld für die Auslegungstätigkeit der Grammatikerzunft. Die stärkste Wirkung entfaltete Euphorion jedoch auf die Kunstauffassung der römischen Neoteriker. Ciceros Polemik (Tusc. III 19, 45) gegen die cantores Euphorionis entzündete sich an deren demonstrativer Ablehnung des durch Ennius autorisierten epischen Erzählstils. Eine Beeinflussung des Elegikers Cornelius Gallus durch Euphorion ist schließlich aus Vergils 10. Ekloge (V. 50–51) zu erschließen, denn der Chalcidicus versus zielt, wie Quintilian (Inst. X 1, 56) belegt, auf Euphorion aus Chalkis. Zu der Frage, woher Lukian Parthenios kannte, hat Immisch 1932, 117–118 die Ansicht geäußert, diese Sachkenntnis sei ihm nicht zuzutrauen, er habe bloß einen Autor ausgeschrieben, für den Parthenios „eine noch wirkende Kunstrichtung bedeutete“. Damit sind Lukians literarische Kenntnisse jedoch eindeutig unterschätzt (vgl. dazu auch den Kommentar zu Kap. 35: Perd€kkan ... ÉAnt€oxow). Einflüsse vonseiten Euphorions lassen sich auch bei Parthenios feststellen (Skutsch 1909, Sp. 1187), dem gemeinsam mit Euphorion die für die lateinische Literaturgeschichte sehr wichtige Funktion zufiel, die alexandrinische Kunstauffassung den Römern zu übermitteln (Textgrundlage SH 289–315, Kommentar von Lightfoot 1999). Gebürtig aus Bithynien (Nikaia oder Myrleia) kam Parthenios im Jahr 73 v. Chr. als Kriegsgefangener aus dem 3. Mithridatischen Krieg nach Rom, wo er nach seiner baldigen Freilassung eine nachhaltige Wirkung auf die Neoteriker, auf den Elegiker Cornelius Gallus und auf Vergil zu entfalten begann. Die poetische Produktion weist ihn insbesondere als einen Elegiker aus, doch verfaßte er auch Hexameterdichtungen und experimentierte mit verschiedenen

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Metren. Sein umfangreiches poetisches Schaffen umfaßt, soweit die spärlichen Fragmente eine sichere Zuordnung zulassen, zumindest die Gattungen von Trauerelegie (§pikÆdeion), Geleitgedicht (propemptikÒn), Metamorphosen (metamorf≈seiw) und Hochzeitsgedicht (§piyalãmion). Es läßt sich zwar nicht sicher nachweisen, daß er mit den neoterischen Dichtern persönlich bekannt war, doch zeigt sich sein Einfluß bereits bei Catull, dessen Gedicht c. 95 mit der entschiedenen Ablehnung des tumidus Antimachus (V. 9; vgl. Call. Fr. 398 Pfeiffer: LÊdh ka‹ paxÁ grãmma ka‹ oÈ torÒn) beweist, wie selbstverständlich die literarischen Maßstäbe des Kallimachos (zur literarischen Kleinform: Fr. 1, Fr. 465, Ep. 28, 1) von der jungen Dichtergeneration um Catull bereits akzeptiert wurden. Insgesamt repräsentiert Parthenios den Prozeß der Anverwandlung alexandrinischer Poetik durch das Medium neoterischer Kunst. Parthenios selbst scheint in seiner Polemik gegen das Großepos bisweilen allzu drastische Töne angeschlagen zu haben. Zumindest das aggressive Epigramm des Zeitgenossen Erykios (AP VII 377) unterstellt ihm, er wäre in seinem Wahn so weit gegangen, die Odyssee als „Dreck“ und die Ilias als eine „Dornenhecke“ zu bezeichnen (V. 5–6: ÀstÉ égoreËsai / phlÚn ÉOdusse€hn ka‹ bãton ÉIliãda). Nachweislich war Parthenios mit dem Elegiker Cornelius Gallus persönlich bekannt, dem er die erhaltene Prosaschrift mit dem Titel Liebesleiden (§rvtikå payÆmata) widmete. Es handelt sich, wie die Widmung dies deutlich ausspricht, dabei um eine mythologische Beispielsammlung von 36 Fällen unglücklicher Liebe, gedacht als Materialsammlung zu dem Zweck praktischer Auswertung. Wiederholt sind hier aus Euphorion stammende Stoffe aufgenommen (so Fab. 13, 26 und 28). Schließlich sei noch die Angabe Suetons (Tib. 70) beigefügt, Tiberius hätte durch eigene Dichtversuche im Stil der Alexandriner (Fecit et Graeca poemata imitatus Euphorionem et Rhianum et Parthenium) eine Renaissance eben dieser Autoren ausgelöst (Bowersock 1965, 77, 133–134, 140–141, bes. 141, Anm. 1 erklärt dies zu Recht mit Tiberius’ Philhellenismus). Der Vorwurf der Weitschweifigkeit bezieht sich natürlich auf das alexandrinische Stilprinzip der ésummetr€a, mit der nebensächliche Dinge ausführlich dargestellt, wichtigere hingegen oft nur ganz kurz gestreift wurden (so zutreffend Herter 1931, 445–456). Keiner der drei hier genannten alexandrinischen Dichter spielt anderswo bei Lukian irgendeine Rolle, und zwar nicht einmal Kallimachos, abgesehen von einem singulären Zitat in den pseudolukianischen Amores (Kap. 49) und einigen wenigen irrtümlichen Anleihen (vgl. dazu Householder 1941, 5). Kallimachos wurde noch bis in das 4. Jh. n. Chr. hinein mit Homer verglichen (Eun. VS 494 unter Diophantos). Von den übrigen hellenistischen Dichtern verwendet Lukian immerhin noch Dosiadas und Lykophron wegen deren glossenreicher Diktion als abschreckende Beispiele (Lex. 25, die Belege zu Lukians Umgang mit der lyrischen Tradition von Theognis an bei Baldwin 1973 b, bes. 121–122). pÒsoiw ín o‡ei ¶pesi tÚ Ïdvr êxri prÚw tÚ xe›low toË Tantãlou ≥gagen: Mit Bezug auf die Dichtung bedeuten ¶ph Verse und im Besonderen Hexameter (Plu De Pythiae oraculis 17, 402 b: tØn Puy€an §n ¶pesi [explizit Hdt. VII 220, 3: §n ¶pesi •jam°troisi] ka‹ m°troiw êlloiw yesp€zousan, von Prosa 18, 402 f: katalogãdhn). In diesem konventionellen Sinne benennt Lukian mit tå ¶ph den Orakelspruch (Philops. 33), die Dichtung Homers, Hesiods und anderer vergleichbarer

Dichter (Philops. 2, VH II 15, JConf. 4, Salt. 24, Astr. 22) sowie auch die tragischen Iamben des Euripides (Nec. 1). Zu einem innerhalb des direkten Fragesatzes absolut gebrauchten o‡ei („mit wie vielen Versen, meinst du, ...“) ist zu vergleichen die Syntax in Fug. 19: ì m¢n går §n to›w sumpos€oiw dr«sin ka‹ ì meyÊskontai, makrÚn ín e‡h l°gein. ka‹ taËta poioËsin p«w o‡ei kathgoroËntew aÈto‹ m°yhw. Stellen mit ähnlichen Syntagmen sind bereits von Hermann (1828, 337) gesammelt (eine Auswahl: Longus II 15, 3: e‰dew aÈtØn [sc. tØn naËn] §n tª yalãtt˙ ferom°nhn, pÒsvn o‡ei mestØn égay«n, Pl. R. IX 590 c, Ar. Ach. 12: letztere Stelle mit eingeschobenem doke›w). Zu der nur bei Lukian vorkommenden Präpositionsverbindung êxri prÒw in der Bedeutung „bis hin zu“ vgl. den Kommentar zu Kap. 35: tel°seien êxri prÚw tÚn skopÒn.

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mçllon d¢ ı Youkud€dhw aÈtÚw Ùl€ga t“ toioÊtƒ e‡dei toË lÒgou xrhsãmenow sk°cai ˜pvw eÈyÁw éf€statai µ mhxãnhma •rmhneÊsaw µ poliork€aw sx∞ma dhl≈saw énagka›on ka‹ xrei«dew ¯n µ ÉEpipol«n sx∞ma µ Surakos€vn lim°na. ˜tan m¢n går tÚn loimÚn dihg∞tai ka‹ makrÚw e‰nai dokª, sÁ tå prãgmata §nnÒhson: e‡s˙ går oÏtv tÚ tãxow ka‹ …w feÊgontow ˜mvw §pilambãnetai aÈtoË tå gegenhm°na pollå ˆnta.

µ ÉEpipol«n: so die überzeugende Konjektur von Gesner [Reitz 1743, 66–67] für das in G und E überlieferte hn ¶ti (eti E) pÒlevn; vgl. Kap. 38: énatr°cai m¢n tÚ §n ta›w ÉEpipola›w parate€xisma. mçllon d¢ ı Youkud€dhw aÈtÚw Ùl€ga t“ toioÊtƒ e‡dei toË lÒgou xrhsãmenow sk°cai ˜pvw eÈyÁw éf€statai: Der Übergang von poetischer Ekphrasis zu der des Thukydides ist hervorgehoben durch ein steigerndes mçllon d¢ und ein pointiert gesetztes aÈtÚw („nun gar vollends Thukydides

höchstpersönlich“). Dieser Aussage liegt als Verständnishintergrund der Umstand zugrunde, daß Thukydides von der antiken Literaturkritik generell als der prototypische Vertreter der forcierten Stilart innerhalb der Geschichtsschreibung bewertet wird, während in der Rhetorik diesen Platz nach allgemeinem Verständnis ebenso unbestritten Demosthenes einnimmt (Belege bei Ernesti 348–350, s. v. tãxow). Das Adverb eÈyÊw hat für den Kenner einschlägiger Wertungen die Funktion eines Signalwortes und weist auf das Thukydides oft bescheinigte und weiter unten im Text von Lukian explizit so benannte tãxow hin, welches von keinem antiken Stilkritiker derart häufig, aus so unterschiedlichen Perspektiven (stilistischen wie narrativen), aber auch mit dermaßen kritischer Distanz diskutiert wird wie von Dionysios von Halikarnaß (z. B. Th. 24 und 48, Amm. II 2, Pomp. 3). Und Quintilian (Inst. X 1, 102) weiß auf römischer Seite einzig die immortalis Sallusti velocitas mit dem forcierten Stil des Thukydides zu vergleichen. Lukian bewertet im Folgenden die Art und Weise, wie Thukydides ekphrastische Schilderungen praktisch handhabt, nachdem er zuvor bereits die narrative Gestaltungsweise Homers unter eben demselben Gesichtspunkt betrachtet hatte. Er konstatiert anerkennend sparsame, disziplinierte Verwendung dieses Darstellungsmittels durch Thukydides. Das Adverb Ùl€ga als Alternative zu dem häufiger belegten Ùl€gon in der Bedeutung von „wenig“ d. h. „selten“ findet sich außer bei Xenophon (HG VI 2, 27) und Euripides (Med. 120: Antithese von Ùl€ga und pollã) auch bei Thukydides (III 73), der überhaupt die Adverbien vom Typus pollã, brax°a und megãla bevorzugt verwendet. Zu der Bedeutung von ˜pvw eÈyÊw im Sinne von …w eÈyÊw vgl. die auf ähnlicher Ebene liegende Verwendung von ˜pvw in Im. 9 (ÙdÒntaw §j°fhne p«w ín e‡poim€ soi ˜pvw m¢n leukoÊw). Das Verbum éf€statai unterstreicht die Selbstverständlichkeit, mit der Thukydides nach seinen niemals zur Überlänge ausufernden Ekphraseis stets zügig in der Erzählung voranschreitet (vgl. das in Kap. 50 allgemeingültig formulierte Prinzip des =&d€vw épolu°syv). Die Formulierung t“ toioÊtƒ e‡dei toË lÒgou meint gegenüber Kap. 14, wo t“ toioÊtƒ e‡dei t«n lÒgvn speziell die Gattung der flstor€a bezeichnet, im engeren Sinn die Untergattung der Ekphrasis. µ mhxãnhma •rmhneÊsaw µ poliork€aw sx∞ma dhl≈saw: Die eine Belagerungsvorrichtung (lat. machina) bezeichnenden militärtechnischen termini mhxanÆ und mhxãnhma führen in das Gebiet

poliorketischer Praxis (orientierend Baatz 2001). Thukydides verwendet dafür regelmäßig den Begriff mhxanÆ, wie die Einträge bei Bétant II 146 zeigen. Dieser terminus technicus ist seit Thukydides und Xenophon häufig belegt und findet sich noch bei Lukians älterem Zeitgenossen Arrian (z. B. An. I 6, 8, Alan. 19 und 25, Roos II 182, Z. 13 und 184, Z. 1). Lukian hingegen gebraucht regelmäßig (Kap. 15, 29, 37) den Begriff mhxãnhma, der seit etwa der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. in Verwendung ist, bei Aineias Taktikos, dem ältesten griechischen Militärschriftsteller (Kap. 32: ÉAnamhxanÆmata mit

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Bezügen zur thukydideischen Schilderung der Belagerung von Plataiai) und bei Demosthenes (u. a. or. 9, 17, 18 und 50). Belagerungsmaschinen waren zu der Zeit des Thukydides eine noch relativ junge technische Errungenschaft. Aus Diodor (XIV 42, 1–2) ist zu entnehmen, daß diese Erfindung um etwa 400 v. Chr. in Syrakus gemacht wurde. Nicht unwidersprochen jedoch blieb Diodors wohl auf Ephoros zurückgehende Angabe (XII 28, 3), Perikles habe, gestützt auf die Konstruktionen des Architekten Artemon von Klazomenai, als erster solche Belagerungsmaschinen gegen das aus dem Attischen Seebund ausgetretene Samos eingesetzt. Denn Plutarch (Per. 27, 3) vermerkt, daß die Version des Ephoros durch Herakleides Pontikos mit dem Hinweis auf einen die Person des Artemon betreffenden Anachronismus zurückgewiesen wurde. Noch für Aristoteles (Pol. VII 11, 1331 a 1–2: êllvw te ka‹ nËn eÍrhm°nvn t«n per‹ tå b°lh ka‹ tåw mhxanåw efiw ékr€beian prÚw tåw poliork€aw) handelt es sich dabei um eine zwar noch junge, doch bereits zu seiner Zeit perfektionierte Erfindung. In Anbetracht dieser Umstände ist es Thukydides daher umso höher anzurechnen, daß er nicht der Versuchung erlegen ist, diese neuartigen Belagerungsmethoden mit großer narrativer Breite auszumalen. Wie diszipliniert er tatsächlich in dieser Hinsicht verfährt, das belegt insbesondere sein knapper, sachlicher Bericht über die Belagerung und Einnahme von Delion im Winter des Jahres 424/423 v. Chr. (Th. IV 100). Das Verbum •rmhneÊein („die Gedanken in Worte fassen, darstellen“, so Kap. 5) hat in dieser Schrift zumeist die Bedeutung „schildern“, besonders im Zusammenhang mit Ekphraseis (so Kap. 19 und 27, vgl. 57: •rmhne›ai). Das Verbum dhloËn, dessen Bedeutungsspektrum den gesamten Bereich narrativ-stilistischer Qualitäten abdeckt (Kap. 49, 54, 43–44), akzentuiert stärker den Aspekt verdeutlichender Darstellung; in diesem Sinne gebraucht das Verbum schon Aristoteles (Rh. III 16, 1416 b 36: tÚ l°gein ˜sa dhl≈sei tÚ prçgma). In Kapitel 27 war eine narrative Langatmigkeit in den gleichermaßen ausufernden wie belanglosen Ekphraseis gewisser zeitgenössischer Historiker getadelt worden. Nun wird am Beispiel des Thukydides die Norm für derartige ekphrastische Schilderungen in der Gattung der Geschichtsschreibung bestimmt, eine gestraffte, auf das Wesentliche konzentrierte Darstellung. Als typisches Beispiel für ein im narrativen Sinne geglücktes poliork€aw sx∞ma kann der anschauliche Bericht des Thukydides über die Belagerung von Plataiai (Th. II 75–77) gelten. énagka›on ka‹ xrei«dew ¯n: Der Begriff xrei«dew, welcher von Pollux (V 136, Bethe 298, Z. 12)

unter Synonymen für „nützlich“ angeführt wird, kommt bei den alten attischen Autoren nicht vor, ist aber seit Plutarch häufig belegt. Die Junktur von énagka›on und xrei«dew hat eine Parallele bei Plutarch (Adversus Colotem 19, 1118 b) und in den pseudolukianischen Amores (Kap. 38: an dieser Stelle stehen sie in Gegensatz zueinander). Hier bezeichnen sie die klar unterschiedenen Aspekte der sich an dem Parameter der Nachvollziehbarkeit orientierenden Notwendigkeit und des Nutzeffektes für den Leser, was auch deren Verbindung durch ka€ (im Unterschied zu einer engeren Verknüpfung mittels te ka€) unterstreicht. In inhaltlicher Hinsicht ist Polybios (X 9, 8) zu vergleichen, der es als notwendig (énagka›on) erachtet, die Lage von Neukarthago zu bezeichnen, ehe er darangeht, die Belagerung und Eroberung verdeutlichend darzustellen. Auch sonst stellt er seinen topographischen Schilderungen gerne die Erklärung voran, daß diese dazu dienten, bei darin Unkundigen Klarheit zu schaffen (Plb. I 41, 7, III 36, 1- 5, V 21, 4–9). µ ÉEpipol«n sx∞ma µ Surakos€vn lim°na: Die sizilische Expedition war bereits in Kap. 38 unter

dem Gesichtspunkt der ethischen Verpflichtung des Historikers zu unbedingter Objektivität thematisiert worden. Nunmehr werden aus diesem narrativen Gesamtkomplex einzelne, dem rhetorisch Gebildeten wohlbekannte Details exemplarisch genannt. Kein Verständnisproblem bereitet die Angabe zu der Geländelage der Epipolai, des westlich von Syrakus steil aufragenden

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Hochplateaus (ÉEpipol«n ... xvr€ou épokrÆmnou te ka‹ Íp¢r t∞w pÒlevw eÈyÁw keim°nou), das von Thukydides (VI 96, 1–2) mit knappen, aber anschaulichen Worten beschrieben ist. Schwieriger indes ist das Verständnis dessen, was Lukian mit dem Hafen der Syrakusaner konkret meint. Thukydides (VII 22, 1) unterscheidet ja zwischen zwei syrakusanischen Häfen, einem großen (m°gaw limÆn) und einem kleineren (§lãssvn limÆn), bei welchem auch die Schiffswerft (ne≈rion) gelägen hätte. An verschiedenen Stellen des siebenten Buches (VII 23, 3; 25, 5; 52, 2, u. ö.) spricht er von einem nicht näher bestimmten Hafen, meint aber, wie der jeweilige Zusammenhang zeigt, den großen, den er andernorts mehrfach explizit als solchen kennzeichnet (zur Problemlage Gomme / Andrewes / Dover 1970, 382–383). Auch wenn man im Lukiantext den Plural lim°naw erwarten würde, so besteht doch kein zureichender Grund, um den durch den consensus der Handschriften bezeugten Singular lim°na ernsthaft anzuzweifeln. ˜tan m¢n går tÚn loimÚn dihg∞tai ka‹ makrÚw e‰nai dokª, sÁ tå prãgmata §nnÒhson: e‡s˙ går oÏtv tÚ tãxow ka‹ …w feÊgontow ˜mvw §pilambãnetai aÈtoË tå gegenhm°na pollå ˆnta: Die

im Eingang der Schrift (Kap. 1: Abderitenerzählung) beziehungsreich im Hintergrund stehende Pestschilderung des Thukydides (Th. II 47, 3 bezeichnet sie als nÒsow und loimÒw [II 54, 1–3: zur Deutung des Wortlauts des alten Orakelspruchs als loimÒw oder limÒw], danach auch als nÒshma), welche von Theon (Prog. 2 Spengel II 68, Z. 8) als typisches Beispiel für thukydideische §kfrãseiw genannt wird, entspricht aus Sicht des Autors Lukian den größere Ausführlichkeit in der Darstellung rechtfertigenden pollå ka‹ megãla prãgmata (Kap. 20). Das Verbum §pilambãnesyai in der Bedeutung von „sich klammern an“, das durch Xenophon (An. IV 7, 14: §pilambãnetai …w kvlÊsvn) und durch Thukydides (IV 14, 2: énye›lkon §pilambanÒmenoi t«n ne«n) wohlvertraut ist, findet sich auch bei Lukian (Philops. 31), im Besonderen mit Bezug auf abstrakte Subjekte wie pÒliw und patr€w (Scyth. 5, Herm 23). Lukian suggeriert demnach, um das tãxow (so programmatisch am Beginn von Kap. 56) der Pestschilderung herauszustellen, daß der Autor Thukydides im selben Maße von der gedrängten Fülle der sich überschlagenden Ereignisse überwältigt gewesen wäre wie die Betroffenen selbst vom urplötzlichen Zugriff der Krankheit (Th. II 49, 2: §ja€fnhw Ígie›w ˆntaw ... t∞w kefal∞w y°rmai fisxura‹ ka‹ t«n Ùfyalm«n §ruyÆmata ka‹ flÒgvsiw §lãmbane). Daß es also Thukydides nicht möglich war, sich dem Eindruck der Ereignisse zu entziehen, ist in formaler Hinsicht durch die bei Lukian nahezu reguläre Form des Konzessivsatzes mit resultativem ˜mvw (das übliche ka€per + Partizip kommt bei ihm nur in besonderen Fällen vor) unterstrichen. Zu e‡s˙: Das Futurum von efid°nai kann bereits in klassischer Prosa (Pl. R. VI 497 e, Chrm. 154 b, X. Cyr. VII 4, 12) die Bedeutung von „in Erfahrung bringen = lernen“ haben. Besonders deutlich erscheint eben diese Nuance, wenn die Informationsquelle explizit angegeben wird, wie dies bei Ps. Plutarch (Consolatio ad Apollonium 14, 109 c: §k går toÊtvn [neutr. Pl.] ëpantÉ e‡s˙) und Lukian selbst wiederholt der Fall ist (Vit. Auct. 26: e‡s˙ aÈt€ka mãla parÉ aÈtoË, Alex. 43: e‡s˙ épÚ t«n §rvtÆsevn).

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Kapitel 58 In den Kapiteln 58–60 (triadische Komposition) geht es um drei nur innerhalb klar bestimmter Grenzen anzuwendende Elemente historiographischer Darstellung; diese erfordern über die für die Geschichtserzählung (diÆghsiw) generell gültigen Prinzipien hinaus jeweils eine spezifische Behandlung. Zunächst wird in Kapitel 58 das bei Integration direkter Reden (die bei Historikern in der Praxis zum Standard gehörende Unterscheidung in Ereignisgeschichte und Redepartien geht in ihrer erstmaligen expliziten Grundlegung auf Thukydides zurück) zu beachtende Verfahren bestimmt (die einschlägigen Quellen bei Avenarius 1956, 149–157). Dieses besteht nach der Vorgabe des Autors insbesondere in personen- und situationsadäquater Darstellungsweise (§oikÒta t“ pros≈pƒ ka‹ t“ prãgmati ofike›a leg°syv), wie sie, soweit sich erkennen läßt, erstmals in ähnlicher Form von Kallisthenes (implizit bereits bei Th. I 22, 1 angelegt), sodann von Dionysios von Halikarnaß sowie diversen Verfassern einschlägiger rhetorischer Lehrbücher (Progymnasmata) gefordert wurde; dabei sei das auch sonst (dazu Kap. 43–44) elementare Prinzip größtmöglicher Klarheit (…w saf°stata ka‹ taËta) zu beachten. Einzig in den Partien direkter Rede dürfe der Historiker seine ansonsten zugunsten ruhig-gelassener Erzählweise zurückzunehmende (Kap. 43) Wortgewalt (lÒgvn deinÒthta) zeigen. Lukian steht, wie auch sonst stets in dieser Schrift, für einen gemäßigten Standpunkt, wie er sich beispielsweise bei Diodor (XX 1–2) ausgesprochen findet (in der älteren Forschung wurde die Frage nach Diodors Quelle zu dieser Stelle diskutiert, und es wurde entweder für Ephoros oder für Duris plädiert, doch ist auch mit einem quellenunabhängigen Standpunkt Diodors selbst zumindest zu rechnen) und wie er von darin maßvoll verfahrenden Rhetoren auch für die Geschichtsschreibung empfohlen worden sein dürfte, ohne daß sich konkrete Belege dafür benennen ließen. Es läßt sich konstatieren, daß Lukians Postulat in der Mitte zwischen den beiden Polen der von Thukydides als Ideal und noch bedeutend zuversichtlicher von Polybios als praktisch erreichbar anvisierten Authentizität zum einen und einer allzu stark aufgetragenen, sich verselbständigenden rhetorischen Aufmachung zum anderen, wie sie an Historikern von der Art des Timaios und der Isokratesschüler Ephoros und Theopompos mehrfach festgestellt und kritisiert wurde (besonders von Polybios), angesiedelt ist. Vor diesem Hintergrund (Mitte zwischen den beiden Extremen, maßvoller Einsatz von Rhetorik) ließe sich damit argumentieren, daß Lukian eine letztlich auf Theophrast zurückgehende Ansicht vertreten dürfte, doch ist angesichts der nur bruchstückhaft vorliegenden Überlieferung über eine bloße Vermutung nicht hinauszukommen. Daß Lukian sich hier unmittelbar (ohne Nennung des Namens) auf Thukydides beruft, ist allerdings wenig wahrscheinlich, zumal wenn man bedenkt, in wie stark durch spätere Diskurse überlagerter Form dessen Ansicht späterhin rezipiert wurde. Avenarius 1956, 157, der Thukydides als die direkte Quelle für Lukian annimmt, kommt daher zu dem weder plausiblen noch gerechten Resultat, daß Lukian seine Quelle nicht verstanden habe. Dabei hätte Avenarius aus seiner Diskussion der Quellen den Schluß ziehen können, daß Lukian, wie auch sonst des öfteren in dieser Schrift, so auch hier ein nachthukydideisches Stadium des späterhin von Historikern und Rhetoren lebhaft geführten einschlägigen Diskurses repräsentiert.

áHn d° pote ka‹ lÒgouw §roËntã tina deÆs˙ efisãgein, mãlista m¢n §oikÒta t“ pros≈pƒ ka‹ t“ prãgmati ofike›a leg°syv, ¶peita …w saf°stata ka‹ taËta. plØn §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta.

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05.04.2013 7:16:34 Uhr

áHn d° pote ka‹: bei Macleod 1980, 318 fehlt irrtümlich das ka‹. áHn d° pote ka‹ lÒgouw §roËntã tina deÆs˙ efisãgein: Die Integration von Redepartien in

Geschichtswerke (Diskussion der einschlägigen Quellen bei Sacks 1986) ist wohl eine bereits in die Zeit der frühesten ionischen Logographen zurückreichende Praxis. Zumindest im Falle des Hekataios ist dies durch Ps. Longinos glaubwürdig bezeugt (FGrH I 1, Fr. 30 und T 20 = Longin. 27, 1–2). Der Zusammenhang, in dem der Wortlaut des Hekataios dort wiedergegeben ist, zeigt deutlich ein besonderes Nahverhältnis zumindest des Hekataios zu homerischen Redeformen. Die davon abweichende Auffassung (Marcellin. Vit. Thuc. 38), welche die Existenz von Reden in vorherodoteischer Geschichtsschreibung in Abrede stellt, dürfte eine zu einseitige Sichtweise wiederspiegeln. Ausgedehntere Redepartien lassen sich allerdings erstmals mit Sicherheit bei Herodot nachweisen, der sich bevorzugt der direkten, aber auch der indirekten Redeform bedient (Belege finden sich bei Schmid / Stählin 1934, 643–644, die herodoteischen Reden und deren Weiterbildung durch Thukydides untersucht Deffner 1933, zur schöpferischen Anverwandlung homerischer Elemente in den Reden Herodots Steinger 1957, zuletzt zu Herodots Reden Pelling 2006 mit der einschlägigen Literatur). Eine für attizistische Bewertungskriterien aufschlußreiche Charakteristik herodoteischer Reden im Vergleich mit der entsprechenden Praxis des Thukydides liegt bei Dionysios von Halikarnaß (Th. 23) vor. Thukydides (I 22, 1–2) unterscheidet mit der ihm eigenen Präzision zum einen die Redepartien (tå lexy°nta bzw. ˜sa lÒgƒ e‰pon), welche bei ihm in der Praxis, wie schon bei Herodot, in direkter und in indirekter Form erscheinen (Übersicht bei West 1973, 7–15), und zum anderen die Ereignisgeschichte (tå ¶rga t«n praxy°ntvn im Sinne von tå praxy°nta oder tå ¶rga, vgl. dazu Gomme 19502, 139). Spätestens von Thukydides an ist dieses dualistische Klassifizierungsprinzip ein fester und kaum mehr hinterfragter (eine kritische Stellungnahme findet sich einzig bei Kratippos, so D. H. Th. 16) Bestandteil historiographischer Praxis und Theorie. Ephoros (FGrH II A 70 Fr. 9) geht bereits ganz selbstverständlich von einer Zweiteilung des Gesamtbereiches der flstor€a in die Handlungsfolgen (prãjeiw) zum einen und die Redepartien (lÒgoi) zum anderen aus. Dieselbe konventionelle Dichotomie in tå praxy°nta und tå =hy°nta bzw. in ¶rga und lÒgoi liegt bei Polybios vor (II 56, 10–12), der beide Elemente wiederum zu einer Einheit zusammenführt, indem er ihnen ein und dieselbe Funktion zuerkennt, nämlich zu belehren (didãjai) und Nutzen (»f°leia) zu bewirken. Andernorts zählt Polybios (XII 25 a 3) die verschiedenen Arten der zur flstor€a gehörigen Reden auf (vgl. auch Plb. XII 25 i 3), Ansprachen an das Volk (dhmhgor€ai, vgl. Plb. XXIX 12, 9), Reden mit einer hortativen Funktion, im Besonderen die Feldherrnreden (paraklÆseiw), und die Gesandtschaftsreden (presbeutiko‹ lÒgoi), in Summe alles von der Art, was, wie er meint, die Ereignisse gewissermaßen auf den Punkt bringe und dem Geschichtswerk als ganzem seinen inneren organischen Zusammenhalt verleihe (ì sxedÚn …w kefãlaia t«n prãje≈n §sti ka‹ sun°xei tØn ˜lhn flstor€an). In der Praxis bedient sich Polybios, für den der Wirklichkeitsgehalt der Reden entscheidend ist, in Abhängigkeit von den jeweiligen kontextbedingten Erfordernissen sowohl der direkten als auch der indirekten Redeform. Die Verwendung eines Kondizionalsatzes in Verbindung mit einem relativierenden pote zeigt, daß Lukian für relativ sparsamen Gebrauch direkter Rede eintritt. In diesem Sinne verdient Diodors grundsätzliche Kritik an den ein gesundes Augenmaß vermissen lassenden Unzulänglichkeiten namentlich nicht genannter Historiker (D. S. XX 1–2, vgl. weiter unten den Kommentar zu plØn §fe›ta€ soi ktl) Beachtung. Auch die diodorische Polemik richtet sich nicht gegen den Einsatz von Reden an sich, sondern bloß gegen übermäßigen und allzu häufigen Gebrauch von Redepartien in Geschichtswerken, weil diese seiner Ansicht nach die Kontinuität der Erzählung

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(tÚ sunex¢w t∞w dihgÆsevw) zerreißen und damit den Wissensdrang der an Einblick in historische Handlungsabläufe interessierten Leser hemmen (t«n filot€mvw §xÒntvn prÚw tØn t«n prãjevn §p€gnvsin mesolaboËsin tØn §piyum€an). Einige Historiker, so erklärt er, hätten durch ihre maßlosen rhetorischen Eskapismen die ganze Geschichtsschreibung zu einer bloßen Beigabe der zünftigen Volksrede degradiert (¶nioi pleonãsantew §n to›w =htoriko›w lÒgoiw prosyÆkhn §poiÆsanto tØn ˜lhn flstor€an t∞w dhmhgor€aw). Dieser Passus bei Diodor (nur hier äußert sich Diodor in größerem Stil über die Redegestaltung) wird zumeist auf Ephoros (so von Canfora 1990, 319) oder auf Duris zurückgeführt, doch konnte Pearson 1986, 362 und 368 wahrscheinlich machen, daß Diodors Kritik auf die zahlreichen Reden des Timaios abzielt, was bedeutet, daß es sich dabei nicht um ein von einer bestimmten Quelle abhängiges Urteil Diodors handeln kann. Sacks 1990, 93–108 (94–96 mit Literatur zu den konventionellen Positionen der Quellenforschung) konnte dies durch den Nachweis, daß Diodors Behandlung der Redepartien in Theorie und Praxis gleichermaßen durch sein ganzes Werk hindurch konsistent ist, bestätigen. Im skommatisch-lehrhaften Schriftteil (Kap. 14–32) kommt der Autor Lukian wiederholt auf fehlerhafte Redegestaltung zu sprechen. Er kritisiert Plagiatoren für deren schamlose Ausbeutung der berühmtesten Reden des Thukydides (Kap. 15 und 26); seine Kritik richtet sich auch gegen den Redeschwall, den einer dieser Autoren seinem mit theatralischer Inszenierung auftretenden Redner in den Mund gelegt habe (Kap. 26). Wie Lukian sich richtigen Einsatz von Redepartien vorstellt, ergibt sich lediglich aus Kap. 49, wo mit den Worten ka‹ e‡ ti parekeleÊsanto eine Feldherrnrede (parak°leusiw) gemeint ist (vgl. den von Plb. XII 25 a 3 verwendeten synonymen Terminus parãklhsiw). Auch der Kontext in Kap. 49 zeigt klar, daß Lukian derartige Reden als notwendige Elemente historischer Darstellung bezeichnet wissen will (hier in Kap. 58 mit expliziter Benennung deÆs˙), solange sie nur dem Gesamtverständnis dienende funktionale Elemente bleiben und nicht, wie dies bei dem in Kap. 26 kritisierten Autor der Fall ist, ein unangemessenes Eigenleben zu entfalten beginnen. efisãgein: Hinsichtlich Aussage und sprachlichem Ausdruck zu beachten ist eine zum Vergleich

aufrufende Stelle aus Lukian selbst (Salt. 65), wo die empathetische Kunst der Deklamatoren, die jegliche Rolle mit gleich perfekter Glaubwürdigkeit zu spielen in der Lage seien, verglichen wird mit dem ebenso virtuosen Vortrag der Tänzer (Pantomimen): oÈd¢n goËn ka‹ §n §ke€noiw mçllon §painoËmen µ tÚ §oik°nai to›w Ípokeim°noiw pros≈poiw ka‹ mØ épƒdå e‰nai tå legÒmena t«n efisagom°nvn érist°vn µ turannoktÒnvn µ penÆtvn µ gevrg«n, éllÉ §n •kãstƒ toÊtvn tÚ ‡dion ka‹ tÚ §ja€reton de€knusyai. Überhaupt zählt das auf direkte Reden abzielende Verbum efisãgein zu

den in Rhetorik und Literaturkritik gängigen und von Lukian oft gebrauchten bühnentechnischen termini technici in metaphorischer Bedeutung (Belege dafür in dem Kommentar zu Kap. 23: ék°fala tå s≈mata efisãgontaw ktl). Das Idiom µn d° pote ka‹ ist bei Lukian recht häufig (Rh. Pr. 19, Nigr. 36, Merc. Cond. 11, Herm 33, DMeretr. 6, 3, Sat. 3; ka‹ µn d° pote ka‹: DMort. 7, 1). §oikÒta t“ pros≈pƒ ka‹ t“ prãgmati ofike›a leg°syv, ¶peita …w saf°stata ka‹ taËta: Das

zweiteilige Postulat personen- und situationsadäquater Darstellungsweise, welches implizit bereits im methodologischen Programm des Thukydides (I 22, 1: …w dÉ ín §dÒkoun moi ßkastoi per‹ t«n afie‹ parÒntvn tå d°onta mãlistÉ efipe›n, §xom°nƒ ˜ti §ggÊtata t∞w jumpãshw gn≈mhw t«n élhy«w lexy°ntvn, oÏtvw e‡rhtai) enthalten ist, in dieser und ähnlicher Form aber seinen Ursprung erst

im 4. Jh. v. Chr. haben dürfte, läßt sich erstmals bei Kallisthenes von Olynth (FGrH II B 124 Fr. 44) nachweisen. Der Mechaniker Athenaios, dem die Überlieferung des Fragments zu verdanken ist, zitiert im Ton inhaltlicher Zustimmung folgende Erklärung des Kallisthenes: de› tÚn grãfein ti peir≈menon mØ éstoxe›n toË pros≈pou, éllÉ ofike€vw aÈt“ te ka‹ to›w prãgmasi toÁw lÒgouw

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ye›nai. Der Wortlaut enthält eine sogleich in die Augen springende Übereinstimmung mit der lukianischen Forderung, und zwar in der Verwendung der Substantive prÒsvpon und prãgmata sowie im Gebrauch des Adjektivs ofike›ow im Sinne von „angemessen, zukommend“ (tÚ ofike›on = tÚ pr°pon = tÚ kay∞kon). Der Zusammenhang, in dem Kallisthenes diese seine literarische Direktive

erteilt hat, läßt sich ebenso wenig ermitteln wie auch ein konkreter Hinweis darauf, für welche literarische(n) Gattung(en) das mit diesen Worten postulierte Verfahren gültig sein sollte, doch weist das den Autor klassifizierende Attribut flstoriogrãfow in erster Linie auf das historiographische Genos hin, in dem der literarisch vielseitig aktive Kallisthenes mehrfach hervorgetreten ist. Eine Kritik an Ephoros bedeutet diese Aussage des Kallisthenes jedoch nicht, ebensowenig auch eine Begründung tragischer Geschichtsschreibung (so zutreffend Walbank 1955, 6). Besagtes Postulat tritt erst einige Jahrhunderte später häufig bei Dionysios von Halikarnaß, der in seinem eigenen Geschichtswerk von dem Stilmittel der eingelegten Reden ausgiebig Gebrauch macht (die Reden machen im Umfang etwa ein Drittel des erhaltenen Gesamtwerkes aus), in wiederholten theoretischen Erörterungen (besonders in dessen literarkritischen Schriften) kräftig in Erscheinung. Das Anforderungsprofil der Personen- und Situationsadäquatheit (tÚ pr°pon) ist bei ihm bisweilen auf eine angemessene individuelle Charakteristik alleine verkürzt, bisweilen jedoch erscheinen beide Aspekte als feste, untrennbare Einheit. Und nach dieser Bewertungsgrundlage beurteilt Dionysios verschiedene prominente Historiker. Philistos von Syrakus (FGH III B 556) wirft er eine Vielzahl von kompositorischen und stilistischen Defiziten in Verbindung mit ebenso gravierenden persönlichen Charakterschwächen vor und unterzieht die in dessen Geschichtswerk integrierten Redepartien einer grundsätzlichen Kritik (Pomp. 5). Philistos, so erklärt er, stilisiere alle seine Redner ähnlich, in einer alle individuellen Unterschiede von rednerischer Befähigung und leitenden Prinzipien gänzlich nivellierenden Weise: éllÉ oÈd¢ to›w meg°yesi t«n éndr«n sunejis«n toÁw lÒgouw éllå cofodee›w ka‹ toÁw krat€stouw dhmhgoroËntaw katale€pvn tåw dunãmeiw ka‹ tåw proair°seiw ımo€ouw ëpantaw poie›.

Selbst vor der allgemein anerkannten Autorität Xenophons macht die Kritik des Dionysios nicht Halt. In der Schrift mit dem Titel t«n érxa€vn kr€siw (De oratoribus veteribus), in der sich unter der Rubrik der Historiker (III) eine sÊgkrisiw des Philistos und des Xenophon findet (Kap. 2), ist unter anderen Defekten xenophontischer Darstellungsweise auch der Umstand namhaft gemacht, daß dieser es oftmals nicht verstanden habe, seine Redner in individuell abgestufter Weise zu charakterisieren: oÈd¢ toË pr°pontow to›w pros≈poiw pollãkiw §stoxãsato. So habe er unqualifizierten Laien (êndrew fidi«tai) und Barbaren (bãrbaroi) gleichermaßen deplazierte philosophische Reden (lÒgouw filosÒfouw) in den Mund gelegt (Mai 227). In der sÊgkrisiw des Thukydides und des Herodot (Pomp. 3) unterzieht Dionysios die thukydideische Gestaltung der Reden einer für deren Bewunderer (D. H. Th. 34 und 37) desillusionierenden Kritik (zu den dabei angewandten Kriterien vgl. Sacks 1986, bes. 386–388). Im Vergleich zu Herodot halte sich Thukydides in geringerem Maße an das Prinzip der Angemessenheit (tÚ pr°pon), das von allen literarischen Vorzügen das mit der umfassendsten Geltung sei: pas«n §n lÒgoiw éret«n ≤ kurivtãth tÚ pr°pon. Die verhältnismäßig geringe Variationsbreite bei den Charakterzeichnungen des Thukydides vermittle den Eindruck von Gleichförmigkeit (ımoeidØw går otow [sc. ı Youkud€dhw] §n pçsi), und in noch höherem Grade in den Ansprachen vor dem Volk (kén ta›w dhmhgor€aiw mçllon) als in den narrativen Partien (µ ta›w dihgÆsesin). Ebenso detailliert wie engagiert diskutiert Dionysios die thukydideischen Reden besonders in einem ausgedehnten Passus seiner Thukydides–Monographie (D. H. Th. 34–49). Nur die Reden der Plataier und des Archidamos (Th. II 71, 1–75, 1) finden in jeglicher Hinsicht die ungeteilte Bewunderung des Dionysios (Th. 36): ka‹ lÒgouw épod€dvsin

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[sc. ı Youkud€dhw], o·ouw efikÚw ∑n ÍpÚ émfot°rvn (Anm.: von den Plataiern und von Archidamos) efir∞syai, to›w te pros≈poiw pr°pontaw ka‹ to›w prãgmasin ofike€ouw. Zudem bediene sich der Verfasser rundum perfekter Sprache, der u. a. auch die Eigenschaft der Klarheit (l°jiw safÆw) anhafte, wie sie von Lukian im übrigen auch für die Redepartien gefordert wird (…w saf°stata ka‹ taËta, vgl. ganz allgemein zu dem Gebot der safÆneia den Kommentar zu Kap. 44: saf«w dhl«sai ka‹ fanÒtata §mfan€sai tÚ prçgma). Besonders im vielgepriesenen Melierdialog (Th. V 84–111) zeige die auch sonst qualitativ inkonstante thukydideische Darstellungsweise unverkennbare Schattenseiten (D. H. Th. 37–41). Die brutale machtpolitische Argumentation der Athener (Th. V 89) provoziert Dionysios zu der im Ton moralischer Empörung gehaltenen Replik (D. H. Th. 39): basileËsi går barbãroiw taËta prÚw ÜEllhnaw ¥rmotte l°gein: ÉAyhna€oiw d¢ ... oÈk ∑n prosÆkonta efir∞syai. Dionysios kann und will nicht akzeptieren, daß die Athener, aus seiner Sicht menschheitsbeglückende Kulturbringer erster Güteordnung (D. H. Th. 41: ofl tÚn koinÚn b€on §jhmer≈santew), in einer, wie er meint, ganz unpatriotischen Weise als moralisch degenerierte Verfechter roher Gewalt dargestellt werden. Diese moralistische Sichtweise, welche sich insbesondere in den stilkritischen Schriften des Dionysios durchgehend findet, dürfte kaum die Zustimmung Lukians gefunden haben, für den das Ethos der Unparteilichkeit wesentlich das Anforderungsprofil an den Historiker bestimmt (bes. Kap. 38–41). Die beiden Kriterien der Personen- und Situationsangemessenheit spielen, wie zu erwarten, eine wichtige Rolle in dem rhetorischen Lehrbetrieb; sie erscheinen daher mehrfach in rhetorischen Lehrbüchern (progumnãsmata), rubrifiziert und klassifiziert unter dem terminus technicus der prosvpopoi€a (Anderson Jr. 2000, 106–107). Die diluzide Definition, die Theon eingangs seiner Abhandlung per‹ prosvpopoi€aw (Prog. 10 Spengel II 115–118, Zitat 115, Z. 11–13) gibt, lautet: Prosvpopoi€a §st‹ pros≈pou pareisagvgØ diatiyem°nou lÒgouw ofike€ouw •aut“ te ka‹ to›w Ípokeim°noiw prãgmasin énamfisbhtÆtvw. Im Folgenden zählt Theon die Faktoren auf, welche bei sachgerecht gestalteter prosvpopoi€a Berücksichtigung zu finden haben. Zum Verfahren der prosvpopoi€a generell sind auch andere Verfasser von progumnãsmata zu berücksichtigen, so

Hermogenes (Prog. 9 Spengel II 15–16), Aphthonios (Prog. 11 Spengel II 44–45) und Nikolaos von Myra (Prog. 11 Spengel III 488–491). In diesem Kontext zu vergleichen ist die Gegenüberstellung des sx∞ma dihghmatikÒn zum Verfahren des prosvpopoie›n ka‹ dramat€zein, wie sie bei Dionysios von Halikarnaß (Th. 37) vorliegt. Auch in lateinischsprachiger Rhetorik gibt es vergleichbare Belege. So nennt Quintilian (Inst. X 1, 101) Livius (zur Synkrisis des Livius und des Sallust bei Quintilian Ax 1990, bes. 141–142 und 144– 146) einen in contionibus supra quam enarrari potest eloquentem: ita quae dicuntur omnia cum rebus, tum personis accomodata sunt. Andernorts handelt Quintilian (Inst. III 8, 49) über prosopopoeiae in der Gattung der Beratungsrede und erklärt in diesem Zusammenhang, der Wert der prosvpopoi€ai bestünde auch darin, von größtem praktischen Nutzen für die Dichter oder für die angehenden Geschichtsschreiber zu sein: quod poetis quoque aut historiarum futuris scriptoribus plurimum confert. plØn §fe›ta€ soi tÒte ka‹ =htoreËsai ka‹ §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta: Hinsichtlich des

postulierten Stils im Geschichtswerk hatte der Autor Lukian zuvor den Auftrag ergehen lassen, von rhetorisch zugespitzter Schärfe Abstand zu nehmen (Kap. 43). Wenn er nun doch mit scheinbarer Inkonsequenz dem Historiker durchaus zugesteht, in den Redepartien (einziges positives Beispiel in Kap. 49: Feldherrnansprachen) seine rhetorische Brillianz aufblitzen zu lassen, so ist dies in dem Sinne zu verstehen wie das Gebot an die gn≈mh des Historikers, bei Schlachtendarstellungen einen gewissen poetischen Aufschwung zu nehmen (Kap. 45). Dieses partielle Zugeständnis (möglicherweise hat dieses seinen letzten Grund in der aristotelischen Unterscheidung von l°jiw

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grafikÆ und l°jiw égvnistikÆ, wie Sacks 1986, bes. 390 wahrscheinlich machen konnte) ist jedoch

keineswegs als ein Freibrief für ausufernde rhetorische Deklamationen gedacht (Lukians Ansicht ist daher gründlich mißverstanden von Scardino 2007, 5–6). Vielmehr vertritt der Autor Lukian hinsichtlich der Integration rhetorischer Elemente, wie sie ja schließlich dem Erwartungshorizont des gebildeten zeitgenössischen Publikums entsprachen, einen gemäßigten Standpunkt, mit dem sich innerhalb griechischer Historiographie am ehesten die oben genannte programmatische Erklärung Diodors (XX 1–2) vergleichen läßt, welche zumeist unter dem Gesichtspunkt der Quellenfrage Interesse gefunden hat (dazu informativ und kritisch Fornara 1983, 147–150). Diodor, mit dem Lukian ansonsten freilich nur sehr wenig verbindet und der daher hier bloß als repräsentativ für eine ganz bestimmte, gemäßigte rhetorische Anschauung zu berücksichtigen ist, erklärt hier in engagiertem Ton, daß er die =htoriko‹ lÒgoi nicht gänzlich aus der flstor€a verbannt wissen wolle, da diese ja nach dem Prinzip der Variation (poikil€a) gestaltet sein müsse. Mancherorts (katÉ §n€ouw tÒpouw) sei es daher schon notwendig, das Stilmittel der Rhetorik einzusetzen, und zwar dann, wenn es die besonderen Umstände erforderten (˜tan tå t∞w peristãsevw épaitª). Wer in solchen Momenten sich als Verfasser nicht beherzt auf Redegefechte einlasse, der verdiene Kritik (ı mØ teyarrhkÒtvw sugkataba€nvn prÚw toÁw §n to›w lÒgoiw ég«naw ka‹ aÈtÚw Ípa€tiow ín e‡h). Schließlich sei es doch nicht legitim, bloß aus Mangel an Engagement die Wirkung trefflicher und erinnerungswerter Reden zu verwässern und so den der flstor€a immanenten Nutzen (»f°leia) leichtfertig aus der Hand zu geben (poll«n efirhm°nvn eÈstÒxvw ka‹ kal«w oÈ paraleipt°on diÉ Ùligvr€an tå mnÆmhw êjia ka‹ tª flstor€& kekram°nhn ¶xonta tØn »f°leian). Vor übermäßigen, allzu häufigen rhetorischen Einlagen, wie sie sich bei einigen anderen (namentlich nicht genannten) Historikern fänden, habe man sich allerdings zu hüten, sei doch die Gattung der flstor€a nicht der geeignete Ort, seine eigene rhetorische Wortgewalt unter Beweis zu stellen. Der abwertenden Formulierung §pide€knusyai lÒgou dÊnamin (D. S. XX 1, 2, ähnliche Formulierungen mit vergleichbarem Sinn bei Plb. XII 25 a 5 und XXXVI 1, 7) liegt bei Diodor eine grundsätzlich andere Bedeutung zugrunde als dies bei dem durchaus positiv zu verstehenden lukianischen Ausdruck §pide›jai tØn t«n lÒgvn deinÒthta (zu dem wesentlichen Unterschied in der Bedeutung von §pideiknÊnai und von §pide€knusyai vgl. den Kommentar zu Kap. 57: …w mØ dÊnamin lÒgvn épeirokãlvw parepide€knusyai doko€hw) der Fall ist. Diodors Kritik richtet sich also gegen seit dem 4. Jh. v. Chr. nachweisbare wirklichkeitsfremde rhetorische Kunstprodukte (so Plb. XII 25 a 3–5 in seiner Kritik an den schulmäßigen Reden des Timaios; zu deren mangelndem Realitätsgehalt aus Sicht des Polybios und auch in moderner Beurteilung Pearson 1986, desgleichen Plu Praecepta gerendae reipublicae 6, 803 b mit einem bissigen Seitenhieb auf die =htore›ai ka‹ per€odoi in den Feldherrnansprachen des Ephoros, des Theopompos und des Anaximenes). Thukydides hatte das Problem der – wegen der in der Praxis nicht erreichbaren Authentizität – notgedrungen gewisse fiktionale Anteile beinhaltenden Darstellung theoretisch erörtert: Ka‹ ˜sa m¢n lÒgƒ e‰pon ßkastoi µ m°llontew polemÆsein µ §n aÈt“ ≥dh ˆntew, xalepÚn tØn ékr€beian aÈtØn t«n lexy°ntvn diamnhmoneËsai ∑n §mo€ te œn aÈtÚw ≥kousa ka‹ to›w êlloy°n poyen §mo‹ épagg°llousin: …w dÉ ín §dÒkoun moi ßkastoi per‹ t«n afie‹ parÒntvn tå d°onta mãlistÉ efipe›n, §xom°nƒ ˜ti §ggÊtata t∞w jumpãshw gn≈mhw t«n élhy«w lexy°ntvn, oÏtvw e‡rhtai (I 22,

1: dazu Literatur bei Rood 1998, 46–48 und Hornblower 1991, I 59–60). Thukydides zeigt sich zwar prinzipiell an einer originalgetreuen Wiedergabe der Reden interessiert, er betont jedoch die Schwierigkeit, die gewünschte Exaktheit in der Praxis tatsächlich zu erreichen, und entscheidet sich so für den einzig ihm verbleibenden Ausweg, um dieses Manko durch subjektive Einschätzung der

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durch die jeweiligen äußeren Umstände als Rahmen vorgegebenen Notwendigkeiten (tå d°onta) auszugleichen. Insgesamt ist dies also weniger ein Bekenntnis zum Prinzip von Fiktionalität in der Gestaltung der Reden (darin geht Schwartz 1926, 79–82, der aus methodischer Sicht ungenau nicht zwischen theoretischem Programm und tatsächlicher Redegestaltung unterscheidet, entschieden zu weit; kräftige Gegenargumente gegen Schwartzens überzogene Sichtweise bei Gomme 1937, bes. 156–162), als vielmehr eine demonstrative Rechtfertigung für die notgedrungen fiktionalen Anteile, die als Ersatz gelten müßten für die zwar erstrebte, aber praktisch nicht oder nur schwer und unvollständig erreichbare dokumentarische Treue. Dieses Textverständnis ergibt sich von selbst, wenn man bei der Interpretation dieses programmatischen Satzes nicht auf den von t∞w jumpãshw gn≈mhw abhängigen Genetiv t«n élhy«w lexy°ntvn vergißt, worauf Walbank 1985, bes. 244–246 hinweist. Der in der Forschung kontroversiell diskutierte Passus könnte daher mit Kagan 1975, 74 so umschrieben werden: Thucydides claims to present the most accurate account of what was actually said in speeches that were really spoken. Daß Thukydides hier absichtlich vage formuliert hat, um damit eine größere Bandbreite an unterschiedlichen Verfahren abzudecken (so Pelling 2000, 112–122, bes. 117), ist jedoch kaum anzunehmen. Die tatsächlich von Thukydides konzipierten Reden freilich decken sich mit dem hier erhobenen Anspruch nur bedingt. Doch seine programmatische Äußerung, obwohl sie oder vielleicht gerade weil sie nicht auf das in der Praxis viel kompliziertere Verhältnis von Ereignisgeschichtserzählung und Redepartien zueinander näher eingeht (vgl. Stahl 1973, 62: the combination only of speeches and course of events gives us Thucydides´ full judgement), konnte bereits innerhalb der Antike eine starke Wirkung entfalten. Sacks 1986 hat in einer anregenden Studie gezeigt, daß gerade die den Gelehrten bei ihren Interpretationsversuchen immer schon Schwierigkeiten bereitende Ambiguität des thukydideischen Programms (die zwischen tå d°onta und t«n lexy°ntvn bestehende, unauflösbar scheinende innere Spannung) dazu geführt hat, daß bereits in der Antike immer neue, dem jeweiligen Zeitgeschmack angepaßte Deutungen möglich wurden (395: their ambiguity, which allowed them to be interpreted and applied according to current fashion). Mit deutlicher Nähe zu dem Programm des Thukydides fordert Polybios sowohl für die Ereignisfolgen (tå praxy°nta) als auch für die Redepartien (tå =hy°nta) eine konsequente Orientierung am Wahrheitsprinzip (élÆyeia, so Plb. II 56, 10; ähnlich XXXVI 1, 7 und XXIX 12, 8–9, vgl. dazu Walbank 1982, 425–428). Auch hinsichtlich der Reden sind die Äußerungen des Polybios (in eigener Sache und in Auseinandersetzung mit anderen Historikern) also insgesamt deutlich zuversichtlicher, als dies bei dem sich skeptischer gebenden Thukydides (I 22, 1) der Fall ist, auf eine Erreichung dokumentarischer Treue hin angelegt (Belege aus Polybios bei Avenarius 1956, 153–155), und eine Untersuchung seiner Reden bestätigt dies (Wooten 1974, 235, Anm. 2: they [sc. the speeches] are authentic records of what was actually said), natürlich im Rahmen des praktisch Erreichbaren. Die ausgewogene Diskussion bei Sacks 1981, 79–95 zu Stoffauswahl sowie zur Funktion und Zweckbestimmung polybianischer Reden vermittelt einen guten Eindruck davon, daß Polybios um eine klar definierte theoretische Position gerungen hat. Mit seiner gegenüber Thukydides rigoroseren Ansicht steht Polybios innerhalb der griechischen Historiographie alleine da. Zu den Reden in Geschichtswerken sind wichtig die reich dokumentierten Darstellungen von Scheller 1911, 50–56, Avenarius 1956, 149–157, Fornara 1983, 142–168 (zum theoretischen Diskurs 143–154) und Walbank 1985. Problematisch ist allerdings die von Avenarius 1956, 157, wenn auch mit leichtem Vorbehalt, geäußerte Ansicht, die hier von Lukian vertretene Position gehe auf Isokrates zurück. Nicht minder fragwürdig ist die These, Lukian wäre der Meinung gewesen, mit diesem seinem

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Postulat die thukydideischen Worte sinnentsprechend wiederzugeben. Auf dieser Basis formuliert Avenarius sein allzu hartes Urteil: „Wenn Lukian daher bei seinen historiographischen Richtlinien sich verschiedentlich auf Thukydides beruft, so tritt gerade in der Frage der Reden recht deutlich zu Tage, daß es ihm über Gemeinplätze und äußere Anknüpfungspunkte hinaus nicht gelungen ist, seine Methodologie mit dessen Geist zu erfüllen“. Dabei sagt Lukian nirgendwo in der Schrift, daß er einzig Thukydides zu folgen gedenkt, schon gar nicht in stilistischer Hinsicht. Auch sollte man ihm gerechterweise zubilligen, daß gerade die Redepartien des Thukydides ihm nicht nachahmenswert erschienen. Und mit dieser Ansicht war er bereits in der Antike nicht alleine. Zudem ist für Lukian auch die Wirksamkeit nachthukydideischer Diskurse – eine besondere Rolle spielen dabei, wie sich gezeigt hat, rhetorische Konventionen – zu bedenken. In diesem besonderen Fall entfernt sich Lukian also deutlich von dem durch Polybios repräsentierten Diskurs, fordert er doch ein – freilich maßvoll eingesetztes – rhetorisches Verfahren bei der Gestaltung der Redepartien.

Kapitel 59 Für Lob (¶painoi) und Tadel (cÒgoi) im Geschichtswerk (die Belege bei Avenarius 1956, 157–163, der 160–161 zunächst die evidenten Übereinstimmungen Lukians mit Polybios hervorhebt, doch dann, auch in diesem Fall kaum zu Recht, das von Polybios angewandte Verfahren direkt auf das moralisierende Geschichtskonzept des Ephoros zurückführen möchte) gelten folgende Kriterien: sie müssen sparsam (pefeism°noi) und mit Bedacht (perieskemm°noi) erfolgen, sie müssen sich von jeglicher Verleumdung freihalten (ésukofãnthtoi bezieht sich lediglich auf die cÒgoi), müssen mittels argumentativen Aufweisverfahrens sachlich hinreichend begründet werden (metå épode€jevn, metÉ épode€jevw ist ein polybianisches Idiom), müssen schnell erfolgen (taxe›w) und im passenden Moment plaziert sein (mØ êkairoi). Die Bedingungen für die gattungsadäquate Integration von Lob in die sich vom Enkomion (§gk≈mion) grundlegend unterscheidende Gattung der Geschichtsschreibung (flstor€a, Kap. 7) hatte der Autor Lukian bereits im ersten Teil dieser Schrift (Kap. 9) behandelt und dort festgestellt, daß mit Rücksicht auf die zukünftigen Leser für Lob der jeweils passende Moment zu wählen (§n kair“ t“ prosÆkonti §painet°on) und in der Anwendung Maß zu halten sei (m°tron §pakt°on t“ prãgmati). Ein einziges Beispiel für deplazierte Enkomiastik findet sich im skommatisch-lehrhaften Teil in der Person des ersten korinthischen Anonymus (Kap. 17: nur hier ist die Kritik in expliziter Form ausgesprochen). Für den Zweck systematischer Darstellung läßt Lukian jetzt noch den in der antiken rhetorischen Theorie generell und bei Polybios (X 21 = 24, 8) im Besonderen (mit spezieller Relevanz für die Gattung der flstor€a) als Komplementärbegriff zu Lob (¶painow) fungierenden Tadel (cÒgow) folgen, und zwar so, daß dieser im Folgenden nunmehr alleine das Interesse des Autors beansprucht. Als charakteristisches Beispiel für Grenzüberschreitungen beim Tadel nennt er den von antiker Literaturkritik übereinstimmend (erstmals und besonders eindringlich von Polybios, VIII 9–11) als aggressiv, polemisch und bissig beurteilten Theopompos, dessen Geschichtswerk mehr eine ganze Serie von Anklagen als die vom Genos her geforderte Sachverhaltsdarstellung beinhalte (…w kathgore›n mçllon µ flstore›n tå pepragm°na), so als sitze dieser bei der Abfassung seines Werkes über die von ihm beschriebenen Personen zu Gericht. Doch all dies wird in dem skommatischlehrhaften Schriftteil noch bei weitem übertroffen vom milesischen Anonymus, der sich, in einer ganz anderen Dimension von Verkehrtheit, gleich im Proömium eine regelrechte Verfluchung des Vologaeses geleistet habe (Kap. 14). Lukian steht mit der von ihm geforderten Einstellung zu Lob und Tadel dem Polybios (Belege bei

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Avenarius 1956, 159–161, jedoch mit kaum zutreffender Rückführung des polybianischen Verfahrens auf Ephoros) am nächsten, dessen wiederholte Stellungnahmen zum Thema zeigen, daß für ihn die Elemente von Lob und Tadel ihre Funktion wesentlich zu erfüllen haben in dem Kontext wahrheitsgemäßer Darstellung, was sich mit Lukians grundsätzlicher Aussage in dieser Schrift deckt (daher ist denn auch eine Rückführung der lukianischen Postulate auf Isokrates, wie dies Avenarius 1956, bes. 168 postuliert, sehr problematisch). Die Elemente von Lob und Tadel dienen also bei Polybios und Lukian dazu, kraft sachlich begründeter Beurteilung guter und schlechter Handlungen der beteiligten Personen (unabhängig von Sympathie oder Antipathie des Autors) einen möglichst objektiven Nachvollzug des historischen Geschehens zu erleichtern, ohne daß dabei, wie dies bei Ephoros der Fall ist, die Grenze zu moralisierender Wertung hin überschritten würde (Avenarius 1956, 160–161 hingegen läßt mit seiner Auffassung von Plb. XII 28, 10 Polybios direkt von Ephoros abhängig sein, doch ist diese Ansicht durchaus anfechtbar).

ÖEpainoi m¢n går µ cÒgoi pãnu pefeism°noi ka‹ perieskemm°noi ka‹ ésukofãnthtoi ka‹ metå épode€jevn ka‹ taxe›w ka‹ mØ êkairoi, §pe‹ ¶jv toË dikasthr€ou §ke›no€ efisin, ka‹ tØn aÈtØn YeopÒmpƒ afit€an ßjeiw filapexyhmÒnvw kathgoroËnti t«n ple€stvn ka‹ diatribØn poioum°nƒ tÚ prçgma, …w kathgore›n mçllon µ flstore›n tå pepragm°na.

ÖEpainoi ... µ cÒgoi pãnu pefeism°noi ka‹ perieskemm°noi: Über die Bedingungen, unter denen in der Geschichtsschreibung das Aussprechen von Lob durch den Autor gestattet ist, war bereits im ersten Teil der Schrift gehandelt worden. Dort wurde schon festgestellt (Kap. 9), daß es bisweilen angebracht sei, im passenden Moment (§n kair“ t“ prosÆkonti) plaziert und mit Augenmaß vorgetragen (m°tron §pakt°on t“ prãgmati). Das Perfektpartizip pefeism°now (Präsenspartizip in AP V 216, 4; V 269, 4; XII 21, 2) in der aktiven Bedeutung „sparsam“ ist selten belegt (bei Aetios, Iatr. VI, CMG VIII 2, 66, Z. 44: t«n d¢ êllvn pefeism°nh ≤ xr∞siw ¶stv). In dieser Bedeutung findet sich in der Regel einzig das Adverb pefeism°nvw, besonders auch in rhetorischer Theorie (ein Beispiel: §k t«n Logg€nou 1, Spengel I 325, Z. 2–3: ÜOti xrØ pefeism°nvw xr∞syai ta›w tropa›w ka‹ metå t°xnhw, mØ parale€pein d¢ pantel«w). Der Gegensatz zu der geforderten sparsamen Verwendung von Lob (und Tadel) ist markiert durch die für die flstor€a abgelehnten Grenzüberschreitungen (so Kap. 8: Íperbola€, vgl. 10: p°ra toË metr€ou) in den Bereichen von §gk≈mion (und mËyow). Das Perfektpartizip perieskemm°now bedeutet hier in aktivem Sinne „umsichtig, bedachtsam“ (so Plu Quaestiones convivales I 619 e, D. Chr. or. 34, 27: §pimeloËw ka‹ perieskemm°nhw gn≈mhw de›sye). Und in diesem Sinn wird auch das Adverb perieskemm°nvw gebraucht (Ps. Pl. Ax. 365 b, Arr. Epict. III 15 mit der Überschrift: ˜ti de› perieskemm°nvw ¶rxesyai §fÉ ßkasta). Öfter wird beides allerdings erst in christlicher Literatur verwendet. ka‹ ésukofãnthtoi ka‹ metå épode€jevn ka‹ taxe›w ka‹ mØ êkairoi: Mit dem Adjektiv ésukofãnthtoi ist nunmehr speziell der Bereich der cÒgoi angesprochen, welche innerhalb epideiktischer Rede das logische Gegenstück zu den ¶painoi darstellen (Lausberg § 61, 3 und § 240). Das Adjektiv ésukofãnthtow hat üblicherweise eine passive Bedeutung (Aeschin. or. 3, 216, J. BJ I 26, 2, 522, Plu Amatorius 13, 756 d: oÈd¢n ésukofãnthton oÈdÉ ébasãniston épole€ceiw); auch Lukian selbst verwendet das Adjektiv andernorts (Salt. 81: tÚn ÙrxhstØn de› pantaxÒyen éphkrib«syai, …w e‰nai tÚ pçn eÎruymon, eÎmorfon, sÊmmetron, aÈtÚ aÍt“ §oikÒw, ésukofãnthton, énep€lhpton, mhdam«w §llip°w) unzweifelhaft in dieser Bedeutung. Bei LSJ s. v. ésukofãnthtow II sind die beiden Lukianstellen gemeinsam unter derselben Bedeutung unexceptionable

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zusammengefaßt; auch Homeyer (1965, 162: „sie dürfen keinen Anstoß erregen“) und Macleod (1991, 245: unexceptionable) übersetzen diese Stelle in bezeichnetem Sinn. Doch legt die hier ganz aus der Perspektive des seine Sache richtig machenden Historikers heraus entwickelte Gedankenfolge klar eine aktive Bedeutung („sich von Verleumdung freihaltend“) nahe, so wie ja auch die beiden vorangehenden Perfektpartizipien pefeism°noi und perieskemm°noi, wie der Kommentar zur Stelle ergeben hat, in aktivem Sinn aufzufassen sind. Dieser Umstand wurde bereits von Hermann (1828, 342–343) erkannt. Costas (2005, 201) Übersetzung free from calumny entspricht daher dem Textsinn. Dieses natürliche Textverständnis unterstützt weiter unten die Formulierung ¶jv toË dikasthr€ou, welche nur unter der Voraussetzung, daß damit eine Warnung vor „strafrechtlicher Verfolgung“ zu verbinden ist, sinnvoll erscheint. Auch sonst (Par. 51) lokalisiert Lukian ebenso wie andere Autoren seit der Zeit der ersten Sophistik auch die Sykophanten am Marktplatz und bei den Gerichten (égorån ... ka‹ dikastÆria). Die Formulierung metå épode€jevn ist im Zusammenhang zu sehen mit der Abgrenzung der Gattung der flstor€a von der des §gk≈mion (Kap. 7). Während nämlich im §gk≈mion (und konsequenterweise auch im cÒgow) die Lüge (ceËdow) erlaubt sei, habe die flstor€a von solch gattungsfremden Elementen vollständig frei zu bleiben. Zu vergleichen ist ein aufschlußreicher Passus bei Polybios (X 21 = 24, 8), der seine beiden recht unterschiedlichen Darstellungen des Philopoimen in der enkomiastischen Monographie und in der Geschichtsschreibung mit den jeweiligen gattungsspezifischen Erfordernissen begründet wissen will: Àsper går §ke›now ı tÒpow, Ípãrxvn §gkvmiastikÒw, épπtei tÚn kefalai≈dh ka‹ metÉ aÈjÆsevw t«n prãjevn épologismÒn, oÏtvw ı t∞w flstor€aw, koinÚw Ãn §pa€nou ka‹ cÒgou, zhte› tÚn élhy∞ ka‹ tÚn metÉ épode€jevw [Polybios verwendet das auch sonst gebräuchliche Idiom metÉ épode€jevw in programmatischem Sinn, so bes. III 1, 3, vgl. X 21, 3, XVIII 33, 7] ka‹ t«n •kãstoiw parepom°nvn sullogismÒn. Demnach müsse, und dies ist auch die von Lukian vorgetragene Ansicht, die flstor€a ihre Bewertungen mittels

eines am Parameter der Wahrheit orientierten argumentativen Aufweisverfahrens sachlich begründen; das Enkomion hingegen brauche bloß dem ein vorgegebenes Ziel auf direktem Wege anpeilenden rhetorischen Prinzip der aÎjhsiw zu folgen. Auch sonst verwendet Lukian den Begriff épÒdeijiw im Sinne eines Wahrheitsbeweises (Kap. 40: efiw épÒdeijin t∞w élhye€aw). Zu dem Anwendungsbereich des tãxow-Gebotes (Forderung nach zügigem Erzähltempo) vgl. den Kommentar zu Kap. 56: Tãxow §p‹ pçsi xrÆsimon. Das positive Gegenstück zur Formulierung mØ êkairoi ist die in Kap. 9 erteilte Anweisung für gattungsadäquates Lob: §n kair“ t“ prosÆkonti §painet°on. tØn aÈtØn YeopÒmpƒ afit€an ßjeiw filapexyhmÒnvw kathgoroËnti t«n ple€stvn ka‹ diatribØn poioum°nƒ tÚ prçgma …w kathgore›n mçllon µ flstore›n tå pepragm°na: Theopompos von

Chios (FGrH II B 115, Literatur bei Meister 1990, 222 und Lendle 1992, 296, knappe, instruktive Charakteristik nach Testimonien und Fragmenten bei Goukowsky 1991, 138–141) wird von der antiken Literaturkritik im Wesentlichen übereinstimmend als polemisch und bissig beurteilt (Belege bei Laqueur 1934, Sp. 2185). Heftige Kritik an der Aggressivität des Theopompos findet sich bei Polybios (VIII 9–11), der ihm vorwirft, er hätte am Beginn seiner Philippika erklärt, Europa habe noch nie einen Mann vom Format Philipps II. hervorgebracht (VIII 9, 1), um sodann jedoch dessen allseitige moralische Verkommenheit ebenso wie die seiner Hetairoi zu brandmarken (VIII 9, 2–13). Dieser Umstand ruft in dreifacher Weise die Empörung des Polybios hervor (VIII 10, 2): a) die Darstellung des Theopompos stehe im Widerspruch mit sich selbst (maxÒmena l°gei prÚw tØn aÍtoË prÒyesin, nach der Untersuchung dieser Stelle durch Shrimpton 1977, 123–127 ist jedoch damit zu rechnen, daß Polybios die dem scheinbaren Lob Philipps innewohnende Ironie nicht erfaßt hat, b) sie sei schlicht eine Lüge (ceËdow), und c) die Art, wie die Lüge vorgebracht werde, widerspreche jedem Gebot von Schicklichkeit, erfolge sie doch afisxr«w ka‹ éprep«w.

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Polybios wird nicht müde, für die unangemessene Angriffslust des Theopompos nach stets neuen Bezeichnungen zu suchen (VIII 10, 1: pikr€a, éyuroglvtt€a, 10, 3: kakorrhmosÊnh, 11, 2: loidor€a, 11, 8: afisxrolog€a), um so seiner Empörung Nachdruck zu verleihen. Tatsächlich legen viele der Fragmente (Shrimpton 1991, 196–274) Zeugnis ab von seinen zahlreichen polemischen Spitzen (Beispiele bei Meister 1975, 60, Anm. 12), aber auch von manchen in seinen Werturteilen über Individuen, Völker und Regierungen zu Tage tretenden Widersprüchen (von Fritz 1954, bes. 48–49, mit dem Versuch einer Erklärung). Demnach war Theopompos zumindest ein Mann direkter, unverblümter Sprache, worin er sich von seinem viel diplomatischer agierenden Lehrer Isokrates klar unterscheidet. So kann denn Cicero (Att. II 6, 2) nicht ohne Berechtigung von dem Theopompium genus asperum sprechen (asperum im Sinne von „bissig“ zu verstehen). In diesem Sinn wird von antiken Kritikern das klare Überwiegen des cÒgow vor dem ¶painow im Werk des Theopompos mehrfach betont. So vermerkt Cornelius Nepos (Alc. 11, 1), Theopompos und Timaios, obwohl duo maledicentissimi, stimmten auf überraschende Art mit Thukydides in dem Lob dieses einen Alkibiades überein. Und Plutarch (Lys. 30, 2) schließt an sein Lob der Uneigennützigkeit des Lysandros die Erklärung an: …w flstore› YeÒpompow ⁄ mçllon §painoËnti pisteÊseien ên tiw µ c°gonti, c°gei går ¥dion µ §paine›. Gerade dem Lob des habituellen Kritikasters, so die Aussage der Stelle, komme ein hoher Grad an Glaubwürdigkeit zu. Bei Suidas (s. v. ÖEforow Adler II 490, Z. 5 = T 28 b) ist er lapidar tÚ ∑yow pikrÚw ka‹ kakoÆyhw genannt, wenn ihm freilich auch die Eigenschaft der Wahrheitsliebe konzediert wird (filalÆyhw). Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Einschätzungen ist der Bericht des Pausanias (VI 18, 5) zu sehen, demzufolge eine gegen Athen, Sparta und Theben gerichtete Schmähschrift des Anaximenes von Lampsakos mit dem Titel Trikãranow (eine Anspielung darauf bei Lukian in Pseudol. 29 und Fug. 32) vom Autor plausibel als ein Werk des Theopompos ausgegeben werden konnte. Angesichts der weitreichenden Bekanntheit des Mannes in der griechischen Welt braucht Lukian seine Informationen über ihn nicht, wie es Georgiadou / Larmour 1994, 1461 annehmen, direkt aus Polybios bezogen zu haben. Polybios ist aber die früheste bekannte Quelle (Avenarius 1956, 163 betont diesen Umstand zu Recht) und gewiß bedeutsam als Ausgangspunkt für spätere Bewertungen des Theopompos. Die vorteilhafteste Beurteilung des Theopompos findet sich bei dem seiner Art, Geschichte zu schreiben, positiv gegenüberstehenden Dionysios von Halikarnaß (Pomp. 6), der ihm unter den von ihm behandelten Historikern eine exzeptionelle Stellung einräumt und ihm ein ganzes langes Kapitel widmet (häufig wird die Ansicht vertreten, seine Bewertung sei als direkte Kritik an dem oben zitierten Polybiospassus zu verstehen, so u. a. Walbank II 1967, 80, Avenarius 1956, 162 und Sacks 1983, bes. 73–74). Er hebt Sujetwahl, Komposition und Arbeitsweise ebenso hervor wie analytische Fähigkeiten, moralischen Anspruch und Diktion (Kunz 1935, 33 greift etwas zu kurz mit der einseitigen Annahme, die Affinität des Dionysios zu Theopompos bestünde bloß in Rhetorik und moralisierender Tendenz). Gerade wegen seiner analytischen Trennschärfe habe er sich den Ruf eines bãskanow erworben. Vom Lehrer Isokrates unterscheide ihn die mancherorts auftretende energische Schärfe (pikrÒthw ka‹ tÒnow), und besonders in denjenigen Momenten, in denen er, seinem leidenschaftlichen Temperament nachgebend, Städte und Strategen wegen deren moralischer Fehlleistungen anprangere. Bei solchen Gelegenheiten des Ùneid€zein stehe er der Redegewalt (deinÒthw) des Demosthenes um nichts nach. Doch ist zu dieser Bewertung klar zu vermerken: aus dem Kritiker Dionysios spricht hier zumindest teilweise selbst der Rhetor, der nach geeigneten Objekten für mimetische Bemühungen Ausschau hält, als eine Handreichung für lernwillige Schüler der Redekunst. Lukians Kritik wiederum beinhaltet keine Aussage darüber, ob

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Theopompos zu Recht Anklage erhoben habe oder nicht, ist es ihm doch einzig darum zu tun, die gattungswidrigen Verstöße gegen das fundamentale Prinzip aufzuzeigen, demzufolge das Lob und der Tadel im Medium der Historiographie sparsam und wohlbegründet einzusetzen seien. Die Aufgabe des Geschichtsschreibers, und das unterscheide diesen vom Gerichtsredner, bestehe doch wesentlich darin, über Tatsachen zu berichten (zu flstore›n tå pepragm°na vgl. Kap. 7: flstore›n tå gegenhm°na und Kap. 39: …w §prãxyh efipe›n). Unter der filapexyhmosÊnh („Zanksucht“) ist der sich in aggressivem Verhalten kundtuende Hang zu verstehen, sich vorsätzlich Feinde zu machen. Im Besonderen erscheint das Wort als ein negatives Bewertungskriterium in literarkritischen Zusammenhängen (bei Lukian selbst Pseudol. 4). Dionysios von Halikarnaß (Th. 3, Pomp. 1 [mit einer Entlastung auch des Platonkritikers Theopompos vom Vorwurf der filapexyhmosÊnh]) stellt derartiger Kritikasterei entschieden die Suche nach der élÆyeia gegenüber, und Polybios (XII 25, 6) bezeichnet Timaios als einen filapexyÆw, für seine eigene Person jedoch verwahrt er sich gegen einen derartigen Vorwurf vonseiten zu erwartender Kritiker (XXXVIII 4, 2). Zu dem Idiom diatribØn poioum°nƒ tÚ prçgma („der sich einen Sport daraus macht“) ist annähernd zu vergleichen Salt. 33, wo von Autoren die Rede ist, die in ihrer Versessenheit darauf, alle Arten des Tanzes aufzulisten und zu benennen, eindeutig über das Ziel hinausgeschossen seien. Diese Überbetriebsamkeit wird daher von Lykinos als ein épeirÒkalon und êkairon bewertet. Theopompos trifft demnach der Vorwurf der cÒgoi êkairoi. Schließlich noch eine Beobachtung zur Syntax; ka‹ ßjeiw erfüllt nach negativer Protasis inhaltlich dieselbe Funktion (Bedeutung: „denn sonst“), die üblicherweise einem §pe€ in Verbindung mit Futurum zukommt (Kap. 38: §pe‹ ˜moiow ¶stai). Hier jedoch wurde bereits das unmittelbar vorangehende Kolon mit §pe€ eingeleitet, weshalb es Lukian in diesem Fall darum zu tun ist, eine unästhetische und zudem das Textverständnis erschwerende Wortwiederholung zu vermeiden.

Kapitel 60 Nach der Behandlung von direkten Reden (Kap. 58) und Lob bzw. Tadel (Kap. 59) folgt nun als letztes der sparsam einzusetzenden Sonderelemente historiographischer Darstellung der richtige Umgang mit dem mËyow. Darunter versteht Lukian nun (vgl. die prinzipiell andere Bedeutung des Begriffes in Kap. 8) das, was er in Kapitel 42 unter Berufung auf Thukydides (I 22, 4) als tÚ muy«dew bezeichnet hatte, also diejenigen Dinge, die sich mittels der in Kapitel 47 angegebenen Forschungsmethode nicht verifizieren lassen. Bereits Herodot und Thukydides verfahren so, daß sie in derartigen (als unbeglaubigt markierten) Fällen nicht selbst eine Entscheidung über den Wahrheitsgehalt des Berichteten treffen, sondern das Urteil dem Leser überlassen. Damit gaben sie die Norm ab, der spätere Historiker folgten, so auch besonders Lukians Zeitgenosse Arrian, dessen einschlägiges Verfahren Lukians Postulat auch in sprachlicher Hinsicht nahesteht. Nicht anders verfahren lateinischsprachige Historiker (Sallust, Livius, Tacitus, teilweise auch Curtius Rufus), sodaß dabei zu Recht von einer anerkannten historiographischen Konvention gesprochen werden kann (Belege bei Avenarius 1956, 163–164, neueste Diskussion zu Begriff und Art der Anwendung von den Anfängen bis in die Kaiserzeit bei Saïd 2007).

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Ka‹ mØn ka‹ mËyow e‡ tiw parap°soi, lekt°ow m°n, oÈ mØn pistvt°ow pãntvw, éllÉ §n m°sƒ yet°ow to›w ˜pvw ín §y°lvsin efikãsousin per‹ aÈtoË: sÁ dÉ ék€ndunow ka‹ prÚw oÈd°teron §pirrep°sterow.

parap°soi: diese bestbezeugte Lesart ist einzig von Macleod 1980, 318 in den Text aufgenommen; alle anderen Herausgeber geben der jüngeren Lesart paremp°soi den Vorzug. Das verwundert, zumal parap°soi in der vom Textsinn her zu erwartenden Bedeutung („über den Weg laufen“, „in

den Weg kommen“, „sich als eine Gelegenheit darbieten“) gut belegt ist, u. a. bei Polybios (III 51, 5 und XI 4 = 5, 5) und Platon (Lg. VIII 842 a); paremp€ptein kommt in den Bedeutungen „gerade eben hineingeraten“ und „sich störend einschleichen“ vor, so u. a. bei Plb. III 46, 12, Pl. Chrm. 173 d, Ath. VI 257 a und Alciphr. I 16 Schepers. Es macht allerdings nur wenig Sinn, von etwas, das sich bereits eingeschlichen hat, zu fordern, es müsse Erwähnung finden. Es ist vielmehr logisch, dasselbe von einem sich als Gelegenheit und Möglichkeit aufdrängenden mËyow (freilich mit der angegebenen Einschränkung) auszusagen. Die jüngere Lesart ist daher als eine nicht eben geglückte Konjektur zu betrachten. Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß Lukian hier mit dem Begriff mËyow etwas Anderes meint als in Kapitel 8, wo es darum ging, die Inadäquatheit des sich mythischer Elemente bedienenden poetischen Enkomions für die Geschichtsschreibung darzulegen. Nunmehr meint er mit mËyow jedoch, auch wenn dies nicht direkt ausgesprochen ist, all diejenigen Geschichten, welche sich mittels der in Kapitel 47 angegebenen Forschungsmethoden nicht verifizieren oder wenigstens wahrscheinlich machen lassen, also im Wesentlichen das, was Thukydides (I 22, 4, Bezugnahme Lukians darauf in Kapitel 42) mit dem Begriff tÚ muy«dew bezeichnet hatte (diese zweifache Bedeutung von mËyow ist präzise dargestellt von Marincola 1997, 125–127, sie strukturiert auch Lukians prolalia Bacchus, dazu Porod / Porod 2008). Ganz rigoros verfährt Lukian hinsichtlich des Umganges mit derartigen mËyoi nicht, konzediert er doch ein gewisses Zugeständnis an die historiographische Praxis insoferne, als er die gänzliche Ausschaltung des „mythischen“ Elements nicht unbedingt fordert (vgl. dazu Wardman 1960, der aber diese Stelle erstaunlicherweise nicht berücksichtigt; zu dem Umgang antiker Historiker mit der Dichtung als einer historischen Quelle Funke 2011, bes. 420–430). Allerdings möchte Lukian den Einsatz des mËyow im Medium der Geschichtsschreibung auf vereinzelte Ausnahmefälle begrenzt wissen (mËyow e‡ tiw parap°soi). Dabei sei das Prinzip zu beachten, daß der Historiker, entschließe er sich schon einmal, einen mËyow wiederzugeben, sich mit bloßer Berichtshaltung bescheide, um nicht die subjektiv mutmaßende Beurteilung durch den Rezipienten, das Gegenstück zur Anwendung des Wahrscheinlichkeitsverfahrens durch den Historiker selbst (Kap. 47), in unzulässiger Weise zu beeinflussen. Hinsichtlich des zurückhaltenden Einsatzes von mËyow innerhalb der flstor€a geht Lukian im Wesentlichen mit der Ansicht Strabons (XI 5, 3 = C 504) konform, der zunächst zwischen den beiden Elementen muy«dew und flstorikÒn unterscheidet, um sodann die bezeichnende Erklärung folgen zu lassen: tå går palaiå ka‹ ceud∞ ka‹ terat≈dh mËyoi kaloËntai, ≤ dÉ flstor€a boÊletai télhy°w, ..., ka‹ tÚ terat«dew µ oÈk ¶xei µ spãnion. Ein klassisches Beispiel für ein darstellerisches Verfahren, welches dem Leser das Urteil über in der Grauzone zwischen Mythos und Geschichte angesiedelte Geschehnisse überlassen will, liegt bei Thukydides vor, und zwar an exponierter Stelle, in der Einleitung zur Sizilienexpedition (VI 1, 2). Einem betont knapp gehaltenen Bericht über die ältesten Bewohner Siziliens (die Kyklopen und Laistrygonen), in dem Thukydides selbst lediglich mit dem Eingeständnis diesbezüglichen Nichtwissens als urteilende Instanz in Erscheinung tritt, ist eine in methodologischer Hinsicht bemerkenswerte Erklärung nachgereicht. Thukydides zieht da aus dem Mangel an zuverlässigen

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Quellen die ihm einzig möglich erscheinende Konsequenz, es dem eigenen Urteil des Lesers zu überlassen, ob und inwieferne er den Gestaltungen der Dichter glauben wolle (érke€tv d¢ …w poihta›w te e‡rhtai ka‹ …w ßkastÒw p˙ gign≈skei per‹ aÈt«n). Der früheste Beleg für eine explizite Verweigerung einer persönlichen Stellungnahme des Autors zu frühgeschichtlichen Ereignissen findet sich im herodoteischen Ägyptenlogos. Herodot erklärt hier in der Einleitung zu seinem Bericht über die ersten ägyptischen Könige, daß er, der sich für das Vorangehende, nämlich die Darstellung von Geographie und Sitten (II 2–34 und 35–98) auf Autopsie, eigenes Urteil und Forschung habe stützen können, nunmehr hauptsächlich nur auf die Mitteilungen von Ägyptern (Afigupt€ouw lÒgouw), so wie er sie eben vernommen habe (katå ≥kouon), angewiesen sei (II 99, 1). Den Abschluß der in Folge lang ausgesponnenen Berichte ägyptischer Priester bildet die Aufforderung Herodots an den Rezipienten, er solle in der Frage der Glaubwürdigkeit derartiger Berichte selbst eine Entscheidung treffen (II 123, 1: To›si m°n nun ÍpÉ Afigupt€vn legom°noisi xrãsyv ˜teƒ tå toiaËta piyanã §sti, ein ähnlicher Leserappell auch in V 45, 2). Ein solches Verantwortungsbewußtsein dem historischen Stoff gegenüber (in VII 152, 3 formuliert er die für sein Werk insgesamt gültige Prämisse: §g∆ d¢ Ùfe€lv l°gein tå legÒmena, pe€yesya€ ge m¢n oÈ pantãpasin Ùfe€lv) vermochte ihn freilich nicht vor dem vernichtenden Tadel Diodors (I 69, 7) zu bewahren, der ihm vorwirft, er habe sich in seinem Ägyptenlogos, so wie andere Verfasser ägyptischer Geschichte auch, der rezipientenorientierten Methode eines wahrheitswidrigen paradojologe›n ka‹ mÊyouw plãttein verschrieben. Dabei ist doch Diodor selbst ein gutes Beispiel dafür, wie stark sich Herodot und Thukydides längst mit dem Verfahren derartiger Leserappelle durchgesetzt hatten. Denn in I 56, 6 fühlt Diodor sich zu einer ähnlichen Stellungnahme verpflichtet, indem er erklärt, seine eigene Methode des kritischen Abwägens von Darstellungen unterschiedlicher Historiker ermögliche den Lesern erst ein unverfälschtes Urteil über die Wahrheit (... ˜pvw ék°raiow ≤ per‹ t∞w élhye€aw kr€siw épole€phtai to›w énagin≈skousin). Wohl eines der illustrativsten Beispiele für die weitverbreitete Geltung derartiger Leserappelle (die Beispiele bei Avenarius 1956, 163–164) innerhalb griechischer Geschichtsschreibung liefert Arrian, der in seiner Alexandergeschichte (An. V 1, 1–3, 4) Berichte über einen angeblichen Indienzug des Dionysos sowie dessen angebliche Gründung der indischen Stadt Nysa kritisch diskutiert. Der radikalen diesbezüglichen Skepsis des Eratosthenes gegenüber, der überall da, wo die Makedonen sich auf eine göttliche Instanz beriefen, von tendenziösen Konstrukten zu dem Zwecke einer Vergrößerung von Alexanders Ruhm spricht, läßt Arrian mit deutlicher Nähe zu Lukians Formulierung (mËyow ... §n m°sƒ yet°ow) sein Urteil demonstrativ in der Schwebe (An. V 3, 4: §mo‹ dÉ §n m°sƒ ke€syvn ofl Íp¢r toÊtvn lÒgoi), während die Alexandervulgata ein uneingeschränktes Vertrauen in den sachlichen Wert der Sage erkennen läßt (Curt. VIII 10, 11: A Libero Patre conditos se esse dicebant [sc. die Einwohner von Nysa]; et vera haec origo erat.). Zu dem von einigen namentlich nicht genannten Quellen überlieferten dionysischen Rausch der Makedonen (An. V 2, 7) nimmt Arrian (An. V 3, 1) gleichfalls eine betont distanzierte Haltung ein: Ka‹ taËta ˜pvw tiw §y°lei Ípolab∆n épiste€tv µ pisteu°tv. Demgegenüber ist die Version des Curtius (VIII 10, 15) als rationalistische Umdeutung der vulgaten Tradition zu interpretieren (Credo equidem non divino instinctu, sed lascivia esse provectos ... ut similes bacchantibus vagarentur). Ein ähnlicher Befund zeigt sich auch bei den römischen Historikern. Livius, der im Unterschied zu Dionysios von Halikarnaß (D. H. I 8, 1 programmatisch zu palaiÒtatoi mËyoi) gegenüber der grundsätzlichen Erforschbarkeit der römischen Frühgeschichte einen skeptischen Standpunkt einnimmt, formuliert seinen Umgang mit der vorhistorischen Zeit so (Liv. I praef. 6): Quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur,

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ea nec adfirmare nec refellere in animo est. Tacitus schließt sein Referat über diejenigen anonymen Quellen, denen zufolge Hercules und Odysseus bis nach Germanien gekommen seien, ab mit einer sich sehr eng an den livianischen Wortlaut anlehnenden Erklärung desselben Sinns (Tac. Ger. 3): quae neque confirmare argumentis neque refellere in animo est: ex ingenio suo quisque demat vel addat fidem. Bereits Sallust hatte zuvor mit Kenntnis griechischer Vorlagen einen besonders eleganten Weg gefunden, die Verantwortung für den in die Frühzeit ausgreifenden Africa-Exkurs (Jug. 18–19) seinen punischen Gewährsmännern aufzubürden (Jug. 17, 7: ceterum fides eius rei penes auctores erit). In diese Reihe gehört auch die von modernen Historikern vielgetadelte (so konstatierend Seibert 19903, 34) Aussage des Curtius Rufus (IX 1, 34): Equidem plura transcribo quam credo; nam nec affirmare sustineo de quibus dubito, nec subducere quae accepi. Angesichts dieses als konventionell erwiesenen Neutralitätspostulates hinsichtlich der Bewertung von Mythen und Legenden ist darin ein klares Indiz dafür zu sehen, daß Curtius solcherart seiner Art, Geschichte zu schreiben, einen seriösen Anstrich verleihen wollte, was wiederum vonseiten des Lesers eine entsprechende Erwartungshaltung voraussetzt. So ergibt sich als Fazit, daß das lukianische Postulat bloß ausspricht, was ohnedies schon längst zu dem Repertoire griechischer und römischer Historiker gehört hatte und auch im 2. Jh. n. Chr. noch gehörte. Wenn Lukian es dennoch für nötig befand, auf Bekanntes hinzuweisen, so hat dies, abgesehen von dem Vollständigkeitsstreben des Autors, seinen Grund auch darin, daß eben nicht bei allen zeitgenössischen Historikern ein derartiges Bewußtsein vorauszusetzen war.

Kapitel 61 Im Epilog, der die Kapitel 61–63 (triadische Komposition) umfaßt, werden zentrale Gedanken der Schrift wiederholt. Demnach dürfe sich ein Historiker bei Abfassung seines Geschichtswerks nicht mit kurzberechnetem Kalkül an persönlichen Interessen orientieren, denn diese Haltung sei Schmeichelei (kolake€a), sondern er müsse sich an die zukünftige Leserschaft richten, um erst von dieser den ihm zustehenden Lohn für seine Freiheit (§leuyer€a), Unverblümtheit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia) zu erhalten (zu dem moralischen Qualifikationsprofil vgl. bes. Kap. 38–41, zu einer ähnlichen Gegenüberstellung von Gegenwart und Zukunft vgl. bes. auch Kap. 9 und 13).

TÚ dÉ ˜lon §ke€nou moi m°mnhso – pollãkiw går toËto §r« – ka‹ mØ prÚw tÚ parÚn mÒnon ır«n grãfe …w ofl nËn §pain°sonta€ se ka‹ timÆsousin, éllå toË sÊmpantow afi«now §stoxasm°now prÚw toÁw ¶peita mçllon sÊggrafe ka‹ parÉ §ke€nvn épa€tei tÚn misyÚn t∞w graf∞w, …w l°ghtai per‹ soË, „§ke›now m°ntoi §leÊyerow énØr ∑n ka‹ parrhs€aw mestÒw, oÈd¢n oÎte kolakeutikÚn oÎte douloprep¢w éllÉ élÆyeia §p‹ pçsi.“ toËtÉ, efi svfrono› tiw, Íp¢r [tåw] pãsaw tåw nËn §lp€daw ye›to ên, oÏtvw Ùligoxron€ouw oÎsaw.

oÈd¢n oÎte ... oÎte: ich folge der auf Hermann 1828, 59 zurückgehenden (mit der Schreibweise oÈd¢n oÈt¢ ... oÈt¢) und von fast allen modernen Herausgebern übernommenen Konjektur; vgl. bei Lukian Cat. 22: oÈd¢n oÎte kalÚn oÎte kãllion, vgl. auch die textkritische Anmerkung zu Kap. 38 (mÆte ... mÆte); oÈd¢n oÈd¢ ... oÈd¢: so nach der ältesten Überlieferung einzig Macleod 1980, 319; svfrono›: so nach einer Schreiber–Hinzufügung in E (Ea) Macleod 1980, 319, während alle anderen Herausgeber svfrono€h schreiben; Lukian verwendet zwar zumeist bei den verba contracta auf -°v im Singular die Optative auf -o€hn, -o€hw, -o€h (so z. B. Hist. Conscr. 3, Prom. Es 3: doko€hn, Rh. Pr. 23: doko€hw, Tim. 15: doko€h), doch kennt er auch die alternativen Optative auf -o›mi, -o›w und -o›, so svfrono›mi

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(DMeretr. 10, 3), zhlotupo› (Tim. 16), paralupo› (JTr. 3, vgl. dazu aber die textkritische Anmerkung Macleods I 216) und §paino› (Ind. 18), das bezeichnenderweise in unmittelbarer Nähe zu époro€hw steht; soi frono›: G et fort. E1 (Macleod 1980, 319); Íp¢r [tåw] pãsaw tåw: so zu Recht Macleod 1980, 319; Íp¢r tåw pãsaw tåw: so übereinstimmend G und E (später korrigiert). TÚ dÉ ˜lon §ke€nou moi m°mnhso: Für tÚ ˜lon in der adverbialen Bedeutung „insgesamt, im

allgemeinen, überhaupt, kurz gesagt“ (so z. B. X. Mem. IV 1, 2 und Pl. Men. 79 c) sind auch die Idiome katå ˜lon (so Pl. R. III 392 e: im Gegensatz zu katå ˜lon l°gein steht épolab∆n m°row [sc. l°gein], Gegenüberstellung von katå ˜lon und katå m°rh bzw. katå mÒrion bei Pl. Prm. 138 e und 159 d) und (mit zahlreichen Belegen) ka‹ ˜lvw (Pl. R. IV 437 b, Cra. 406 a, häufig bei Aristoteles, z. B. EN I 7, 1097 b 10, und Theophrast) gebräuchlich. Lukian hat eine besondere Vorliebe dafür, Sätze mit Wendungen einzuleiten von der Art tÚ dÉ ˜lon (Apol. 7, Merc. Cond. 30), tÚ d¢ ˜lon (Apol. 12 und Sat. 26), tÚ m¢n ˜lon (DMort. 1, 2, DMeretr. 4, 2, DDeor. 23, 2), ka‹ tÚ ˜lon (Nav. 44), insbesondere mit ka‹ ˜lvw (vgl. dazu den Kommentar zu Kap. 8: ka‹ ˜lvw). Der Imperativ m°mnhso gehört ursprünglich dem Stil der Diatribe an, wo er (besonders in den Schlußteilen) zur Warnung erscheint (Bultmann 1910, 32). Gewisse Nähe besteht zur Diatribe auch insoferne, als diese üblicherweise über einen protreptischen Schlußteil (so bezeichnet von Bultmann 1910, 51) verfügt. mØ prÚw tÚ parÚn mÒnon ... éllå toË sÊmpantow afi«now §stoxasm°now: tÚ parÚn ist ein Partizip mit der Bedeutung eines Substantivs (so auch Nec. 21, ähnlich Hist. Conscr. 13 und 42: §w tÚ parÒn, Herm 47, Symp. 14). Allgemeiner Sprachgebrauch kennt das Idiom §n t“ parÒnti zur Bezeichnung der Gegenwart (X. An. II 5, 8); um die Zukunft erweitert ist es bei Pl. Phdr. 67 c (§n t“ nËn parÒnti ka‹ §n t“ ¶peita), und alle drei Zeitperspektiven finden sich bei Pl. Tht. 186 a (tå parÒnta im Gegensatz zu tå gegonÒta und tå m°llonta). Lukian verwendet das Partizip tÚ parÒn auch in adjektivischer Bedeutung (Merc. Cond. 8 und Sat. 28: prÚw tÚ parÚn ≤dÊ). Zum Gedanken: oft

wird in dieser Schrift gefordert, daß der Historiker nicht für die Gegenwart, sondern vielmehr für die Bedürfnisse seiner zukünftigen Leserschaft schreiben müsse (bes. Kap. 9, 13, 39–40, 42, 63). Die Gegenwart ist dabei außer mit tÚ parÒn (Kap. 13 und 42) bezeichnet mit den jeweils vom Verbum yerapeÊein abhängigen Objekten tÚ tÆmeron (Kap. 13) und tÚ paraut€ka (Kap. 40) bzw. auch mit dem in Kontrast zur Zukunft gestellten Adverb nËn (so Kap. 39–40 und 63). sÊmpantow steht hier pointiert in attributiver Wortstellung zur verstärkenden Bezeichnung der Ganzheit, der Totaliät (prädikative Position in Luct. 2: §j ëpantow toË afi«now). Das Verbum stoxãzesyai weckt die Assoziation zu der Kunst des Bogenschießens (dieses Bild ist breit ausgemalt in Nigr. 35–37). In dieser Schrift bedient sich Lukian wiederholt sinnreicher Metaphern aus diesem Bereich, wie sein gezielter Einsatz des Substantivs skopÒw (Kap. 35 und 44) sowie der Verba für Treffen (Kap. 12: tugxãnein) und Verfehlen (Kap. 6–7: èmartãnein und diamartãnein) und schließlich auch die Verwendung des Adjektivs stoxastikÒw (Kap. 47) zeigt. Das Perfekt, so wie hier, verwendet Lukian auch in Nigr. 28 (≤ge›to ... tÚn êrista paideÊein ényr≈pouw proairoÊmenon toËto m¢n cux∞w, toËto d¢ s≈matow, toËto d¢ ≤lik€aw te ka‹ t∞w prÒteron égvg∞w §stoxãsyai). Erstmals findet sich das Bild von dem sein Ziel treffenden Bogenschuß bei Platon (so La. 178 b, Lg. 705 e mit explizit hinzugefügtem d€khn tojÒtou, so auch Lg. XI 934 b). §leÊyerow ... ka‹ parrhs€aw mestÒw: Zu der Freiheit des Historikers von Furcht (fÒbow) und Hoffnung (§lp€w) sowie zu seiner Unverblümtheit (parrhs€a) und Wahrheitsliebe (élÆyeia) vgl. den

Passus über das historiographische Ethos (Kap. 38–41 passim, Zusammenfassung Kap. 44). Vgl. dazu detailliert die Einleitung, Teil II 3.

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oÈd¢n oÎte kolakeutikÚn oÎte douloprep¢w: Die doulopr°peia, die Eigenschaft des douloprepÆw, wurde in der Klassik des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. (Pl. Grg. 518 a und 485 b, X. Mem. II 8, 4 und III 10, 5) identifiziert mit der éneleuyer€a, welche den éneleÊyerow im Gegensatz zu dem §leuy°riow charakterisiert. Aristoteles, der in EN IV 1, 1119 b 22–1122 a 17 ein detailliertes Profil der §leuyeriÒthw erstellt, gibt andernorts (VV 7, 1251 b 10–14) eine für das Verständnis dieser Stelle durchaus erhellende Definition der éneleuyer€a: ÖEsti d¢ t∞w éneleuyer€aw tÚ per‹ ple€stou poie›syai xrÆmata, ka‹ tÚ mhd¢n ˆneidow ≤ge›syai t«n poioÊntvn tÚ k°rdow, b€ow yhtikÚw ka‹ douloprepØw ka‹ =uparÒw, filotim€aw ka‹ §leuyer€aw éllÒtriow. Auf der Grundlage dieser keinerlei moralische Bedenken kennenden Geldgier des éneleÊyerow bzw. des douloprepÆw konnte von späteren Autoren ganz leicht eine Beziehung der éneleuyer€a zur Schmeichelei (kolake€a) hergestellt werden, wie sie bei Dion Chrysostomos (or. 1, 82) und häufig bei Lukian (bes. Apol. 9: ... kolake€a t«n êllvn èpãntvn kak«n tÚ douloprep°staton e‰nai ... nenÒmistai, Merc. Cond. 40: tØn ... kolake€an ka‹ tØn prÚw tÚ k°rdow doulopr°peian, vgl. Merc. Cond. 22–24 und Nec. 14) vorliegt. Die kolake€a, welche bei Lukian überhaupt ein häufiges Thema ist (besonders in Pro imaginibus), spielt

auch in dieser Schrift eine zentrale Rolle (bes. Kap. 8, 11–13, 40 und 63), als Negativfolie zu einer der Wahrheit verpflichteten Geschichtsschreibung. Daß der Vorwurf einer sklavischen Abhängigkeit vom Publikum besonders auch an sophistische Redner erhoben werden konnte, zeigt Korenjak 2000, 201–202. In all diesen Fällen besteht die Unfreiheit in einer allzu starken Anpassung des auf Erfolg erpichten Redners an den jeweiligen Publikumsgeschmack. Íp¢r [tåw] pãsaw tåw nËn §lp€daw ... oÏtvw Ùligoxron€ouw oÎsaw: Reflexionen über die

Hinfälligkeit menschlichen Trachtens und Hoffens läßt Lukian seine Sprecher mit Vorliebe aus der Unterweltsperspektive vortragen, wobei insbesondere der Kyniker Menippos eine wichtige Rolle spielt, so in der Necyomantia (bes. Kap. 12) und auch in DMort. 5, 2, wo die Sprecher Menippos und Hermes sind. Andernorts (Cont. bes. 17–21) findet eine Unterhaltung zwischen Hermes und Charon über die Torheit menschlichen Treibens statt. Beide Gesprächspartner sind sich darin einig, daß die Menschen besonnener (Kap. 17: svfron°steron, ähnlich 20) leben könnten, würden sie nur ihrer Sterblichkeit inne werden. Doch stellt die Bestandsaufnahme des status quo durch Hermes illusionslos fest, daß die Menschen tatsächlich in der unbeirrbaren Hoffnung dahinleben, sie würden ihre momentanen Güter auf ewig behalten (Kap. 17: efiw ée‹ §lp€santew xr∞syai to›w paroËsin). Die richtige Einstellung findet sich repräsentiert durch Lukians Zeitgenossen Demonax (zu ihm als einem Vorbild für das Ethos des Historikers vgl. die Einleitung, Teil III 3), den erklärtermaßen idealtypischen Vertreter des Kynismos (Demon. 8), der sich ganz um diesbezügliche Aufklärung der Menschen bemüht, sowie durch den Platoniker Nigrinos mit seiner befreiten Einstellung den irdischen Gütern gegenüber (Nigr. 26 und 33). Hier wird, wie schon so oft zuvor in dieser Schrift, vor kurzberechneter Hoffnung auf Belohnung (§lp€w, bes. Kap. 13, 38–39, 41: der ideale Historiker soll ein éd°kastow sein) als der Triebfeder für eine Betätigung als Historiker gewarnt. Vielmehr müsse ein Geschichtswerk im Geiste der Wahrheit (sÁn t“ élhye›) verfasst werden prÚw tØn m°llousan §lp€da (Kap. 63), wie denn überhaupt eine Orientierung an dessen zukünftiger Leserschaft das ganze Tun des Historikers zu bestimmen habe. Die ideale Einstellung ist repräsentiert durch Thukydides, dessen bekannte methodologische Erklärung (I 22, 4) in leicht abgeänderter Form zitiert wird (Kap. 42). Sie lautet: kt∞mã te §w afie‹ mçllon µ ég≈nisma §w tÚ paraxr∞ma jÊgkeitai.

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Kapitel 62 Der Kapitel 61 abschließende Kontrast von allzu kurzberechneten Hoffnungen auf vergänglichen Erfolg in der Gegenwart zum einen und langfristiger, auf die Zukunft hin angelegter Planung zum anderen wird durch eine letzte, die Schrift nunmehr abschließende Anekdote aus frühhellenistischer Zeit veranschaulicht. Der Architekt Sostratos von Knidos, der Erbauer des Leuchtturmes von Pharos, eines der sieben Weltwunder (in Kap. 23 wurde ein anderes Weltwunder, der Koloß von Rhodos, genannt) bewies seinen Weitblick dadurch, daß er sein Werk offiziell dem damaligen Herrscher (gemeint ist mit ziemlicher Sicherheit Ptolemaios II. Philadelphos) widmete, wohl wissend, daß im Laufe der Zeit schon bald der Mörtel abfallen und so die für die Ewigkeit (d. h. für die Zeit des Bestehens) bestimmte eigentliche Inschrift zum Vorschein kommen würde; diese lautet: „Sostratos, Sohn des Dexiphanes, aus Knidos (sc. weiht dieses Bauwerk) den rettenden Gottheiten [gemeint sind die Dioskuren, nicht die nach ihrem Tod als yeo‹ svt∞rew verehrten Herrscher Ptolemaios I. Soter und Berenike] zum Segen der Seefahrer“. Im Kontext erfüllt die Anekdote den Sinn, zu unterstreichen, daß der Historiker, unbekümmert um die Aufnahme in der Gegenwart, sein Werk einzig mit Blick auf die zukünftige Leserschaft zu konzipieren hat. Es ist daher kaum zutreffend, wenn Kaldellis 2004, 25 in der Absicht, das tertium comparationis des Vergleiches genauer, als dies von Lukian intendiert ist, zu erfassen, diesen Sinn hineinliest: Like the lighthouse of Alexandria, a work of history may be designed with two different audiences in mind. Tatsächlich nämlich hat der Historiker, wie es in dieser Schrift leitmotivisch wiederholt wird, nur ein einziges Publikum alleine im Auge zu haben. Den in diesem Kontext illustrativen Hinweis auf eine moderne Parallele, die sich selbst zerstörende Inschrift in Kingsbridge (Dublin), verdanke ich Graham Anderson.

ÑOròw tÚn Kn€dion §ke›non érxit°ktona oÂon §po€hsen; ofikodomÆsaw går tÚn §p‹ tª Fãrƒ pÊrgon, m°giston ka‹ kãlliston ¶rgon èpãntvn, …w purseÊoito épÉ aÈtoË to›w nautillom°noiw §p‹ polÁ t∞w yalãtthw ka‹ mØ kataf°rointo §w tØn Paraiton€an, pagxãlepon, Àw fasin, oÔsan ka‹ êfukton, e‡ tiw §mp°soi §w tå ßrmata – ofikodomÆsaw oÔn tÚ ¶rgon ¶ndoyen m¢n katå t«n l€yvn tÚ aÍtoË ˆnoma §p°gracen, §pixr€saw d¢ titãnƒ ka‹ §pikalÊcaw §p°grace toÎnoma toË tÒte basileÊontow, efid≈w, ˜per ka‹ §g°neto, pãnu Ùl€gou xrÒnou sunekpesoÊmena m¢n t“ xr€smati tå grãmmata §kfanhsÒmenon d°, „S≈stratow Dejifãnouw Kn€diow yeo›w svt∞rsin Íp¢r t«n ploÛzom°nvn“. oÏtvw oÈdÉ §ke›now §w tÚn tÒte kairÚn oÈd¢ tÚn aÍtoË b€on tÚn Ùl€gon •≈ra, éllÉ efiw tÚn nËn ka‹ tÚn ée€, êxri ín •stÆk˙ ı pÊrgow ka‹ m°n˙ aÈtoË ≤ t°xnh.

tÚn Kn€dion ... érxit°ktona: Die antiken Quellen stimmen über die Herkunft des Architekten

Sostratos aus Knidos überein. Außer dem Leuchtturm von Pharos baute er Plinius (Nat. XXXVI 18, 83) zufolge als erster eine schwebende Wandelhalle (pensilem ambulationem) in Knidos, welche wohl auch mit der weniger spezifischen Formulierung stoåw ... Svstrãtou in den pseudolukianischen Amores (11) gemeint ist. Lukian (Hipp. 2) erwähnt Sostratos unter denjenigen Architekten (Archimedes und Thales), die sich nicht nur durch die Theorie ausgezeichnet, sondern darüberhinaus auch den Nachkommen Proben ihrer Kunst (t°xnh) hinterlassen hätten. In diesem Zusammenhang gibt er an, Sostratos habe an der Eroberung von Memphis unter Ptolemaios durch Ableitung und Teilung des Flusses Anteil gehabt.

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ofikodomÆsaw ... §p°grace: Der Schlußteil der Schrift nimmt mittels pointierter Bezugnahme die Bildersprache des Einleitungsteils auf (Kap. 4: ofikodom€a ... §pigrafÆ, so auch Kap. 33 in der Einleitung zum dritten Teil der Schrift: ofikodÒmei). tÚn §p‹ tª Fãrƒ pÊrgon: Die detaillierteste, anschaulichste Beschreibung der Insel Pharos, auf

welcher der berühmte Leuchtturm stand, liegt bei Strabon (XVII 1, 6) vor. Dieser beschreibt Pharos als eine unmittelbar dem Festland bei Alexandreia vorgelagerte kleine Insel (nhs€on) von länglicher Form, welche in einen rings vom Meer umspülten Felsen auslaufe, auf welchem der gleichnamige Leuchtturm, aus weißem Stein erbaut und mit vielen Stockwerken ausgestattet, gestanden habe. Das Scholion zu Icar. 12 (Rabe 103, Z. 9–10) nennt den Bau rechteckig, mit einer Seitenlänge von einem Stadion, hoch in den Himmel aufragend und über eine Entfernung von 10 Meilen hin für Seefahrer sichtbar. Josephos (BJ IV 10, 5) erweitert die Distanz sogar auf 30 Meilen, während Lukians elastische Formulierung §p‹ polÁ t∞w yalãtthw der Phantasie des Lesers Raum gibt. Die Kosten für die Entstehung beliefen sich Plinius (Nat. XXXVI 18, 83) zufolge auf 800 Talente. Zu den literarischen Quellen kommen nun auch Münzfunde hinzu (erstmals aus der Zeit Domitians, dann Trajans und besonders Hadrians, sodann als dominanter Reverstypus unter Marc Aurel, der letzte Beleg entstammt der Zeit des Commodus), die neue Aufschlüsse zu geben vermögen (Clayton 1996 mit Abbildungen). In der Antike zählte dieser imposante Bau, der erste Leuchtturm dieser Art und Vorbild für weitere, die nach ihm als fãroi bezeichnet wurden (vgl. Hdn. IV 2, 8, AP IX 671, 2 und XI 117, 6), zu den sieben Weltwundern (zu der antiken Kanonbildung Lanowsky 1965), von denen in Kapitel 23 bereits der Koloß von Rhodos genannt worden war. Dieser Umstand liefert Lukian andernorts Ansatzpunkte für pointierte Bezugnahme. Dem von oben her die Erde betrachtenden Menippos springt dieser Leuchtturm wegen seiner markanten Erscheinung gemeinsam mit dem Koloß von Rhodos zuallererst in die Augen (Icar. 12). Heute bedeckt das türkische Viertel von Alexandria den ganzen Mittelteil der ehemaligen Insel. Zehn Jahre lang führte in Alexandria Jean-Yves Empereur Ausgrabungen durch und publizierte sodann die Ergebnisse (u. a. zum Pharos Empereur 1996). toË tÒte basileÊontow: Die Bauarbeiten wurden wahrscheinlich um 280 v. Chr. unter Ptolemaios

II. Philadelphos abgeschlossen. Jedenfalls ist durch die Chronik des Hieronymus eine eindeutige Datierung in die Zeit des Ptolemaios Philadelphos belegt (Helm 129), während die Suda (s. v. Fãrow, Adler IV 701) weniger spezifisch lediglich von König Ptolemaios als dem Herrscher, unter dem der Leuchtturm entstand, spricht, sodaß sich aus dieser Angabe alleine nicht ermitteln läßt, ob der Vater oder der Sohn gemeint ist. Aus der Formulierung in der Weihinschrift yeo›w svt∞rsin kann kaum ein Bezug auf Ptolemaios I. Soter und dessen Frau Berenike abgeleitet werden, die beide nach ihrem Tod auf Anordnung des Sohnes Ptolemaios II. Philadelphos hin als yeo‹ svt∞rew eine göttliche Verehrung genossen. Vielmehr sind mit dieser Weihung wohl die Dioskuren, die Retter aus Seenot, zu verbinden (so zu Recht vermutet von Kees 1938). In jedem Fall ist eine Datierung unter Ptolemaios II. durchaus wahrscheinlich, denn der Sinn der Anekdote liegt ja darin, daß Sostratos sich kühn über die offizielle Herrschaftsideologie seiner Zeit hinwegsetzt, indem er in Umgehung der zu seiner Zeit üblichen Sprachregelung unter den rettenden Göttern in traditionellem Sinne die Dioskuren verstanden wissen möchte. Eine andere Quellentradition liegt offensichtlich bei Strabon (XVII 1, 6 = C 791) zugrunde, der Sostratos als Freund der Könige (f€low t«n basil°vn) bezeichnet. Singulär ist die Angabe des Scholions zu Icar. 12 (Rabe 103, Z. 14–15), die besagt, daß der Leuchtturm auf Anordnung Alexanders und dessen Mutter Olympias errichtet worden sei. purseÊoito: Unter dem Verbum purseÊein ist nach Auskunft der Suda (s. v. PurseÊei, Adler IV 279) das rettende Element (tÚ s“zon) für die in den Hafen Einlaufenden zu verstehen, so wie man sagt: PurseÊv soi tØn svthr€an.

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Paraiton€an ... ßrmata: Unter der Bezeichnung Paraiton€a (sc. yãlatta) ist das der westlich von

Alexandreia gelegenen Stadt Paraitonion (Entfernung nach Alexandreia 1300 Stadien gemäß Str. XVII 1, 14 = C 799 bzw. 200 Meilen nach Plin. Nat. V 6, 39), von der aus Alexander seinen Zug zum Ammonorakel begann (Arr. An. III 3, 3, Str. XVII 1, 43 = C 814), vorgelagerte Meer zu verstehen. Diese Stadt mit dem alternativen Namen Ammonia (ÉAmmvn€a) verfügte über einen Hafen von ca. 40 Stadien Umfang (Str. XVII 1, 14 = C 798). Dieser war Diodor (I 31) zufolge mit Ausnahme von Pharos die einzige sichere Hafenstelle Ägyptens bis hin zu Iope in Cölesyrien (zu der Geschichte des Namens Ko€lh Sur€a, der ursprünglich mit Sur€a identisch war, illustrativ Schwartz 1931, 393–399), da sich eine für unerfahrene Seeleute nicht erkennbare Sandbank (tain€a) fast über die ganze Länge von Ägypten hin erstrecke, welche viele Schiffe hier stranden lasse. Und vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung Lucans für diese Region als die paraetonischen Syrten (III 295: Paraetonias syrtes) zu verstehen. So begründet auch Strabon (XVII 1, 6 = C 791) die Erbauung des Leuchtturmes von Pharos mit den in Küstengegend unter der Meeresoberfläche liegenden Klippen (xoirãdaw) und Untiefen (brãxh). Zum Begriff tå ßrmata ist bei Lukian selbst zu vergleichen JTr. 15, wo ein Schiffbruch am Kap Kaphereus mit folgenden Worten beschrieben ist: ıpÒte ≤ naËw ≥dh prosef°reto t“ skop°lƒ ka‹ §ntÚw ∑n t«n •rmãtvn. Das Lexikon des Hesych (Latte IV 195) gibt s. v. ßrma an: tÚn petr≈dh ka‹ §pikumatizÒmenon, Àste mØ bl°pein, tÒpon t∞w yalãtthw, und kürzer (Latte IV 196) s. v. ßrmata: Ïfaloi p°trai. Plinius (Nat. V 34, 128) nennt die drei Seestraßen, auf denen alleine Alexandria erreicht werden könne: namque fallacibus vadis Alexandria tribus omnino aditur alveis maris, Stegano, Posideo, Tauro. tÚ aÍtoË ˆnoma ¶gracen: Die Pointe der von Lukian erzählten Anekdote gewinnt deutlich an Kontur

durch einen Vergleich mit der Version des Plinius (Nat. XXXVI 18, 83), derzufolge König Ptolemaios dem Architekten Sostratos hochherzigen Sinnes erlaubt habe, seinen Namen einzumeißeln. ploÛzom°nvn: vgl. Vit. Auct. 26: ploÛzÒmenon; die Attiker ziehen jedoch plv˝zv gegenüber plo˝zv

vor, vgl. Lobeck 614–616.

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Kapitel 63 Nach knapper Wiederaufnahme des in Kapitel 61 geäußerten und in Kapitel 62 anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichten Resümees schließt die Schrift mit dem impliziten Verweis auf den in Kapitel 3 erstmals in Erscheinung getretenen Diogenes von Sinope (in beiden Fällen ist er charakterisiert durch das für ihn typische Rollen der Tonne im Kraneion) und das in Kapitel 5 demonstrativ in dessen Sinn stilisierte Selbstverständnis des Autors als eines Arztes. Wie dort, so tritt der Autor auch hier mit der sichtlich an Diogenes geschulten Pose auf, von vornherein gar nicht damit zu rechnen, angesichts der Verstocktheit der Masse mit seinem Rat etwas ausrichten zu können. Ähnlich illusionslos läßt Lukian andernorts auch Lykinos nach dessen an die Adresse des Lexiphanes ergangenen Raterteilung verfahren (Lex. 23). In diesem Sinne verdient daher die Auffassung von Sakalis 1979, 42, demzufolge Lykinos an eine Besserungsfähigkeit des Lexiphanes nicht glaubt, den Vorzug gegenüber Weissenberger 1996, 81–82, der dazu neigt, den Lexiphanes als einen „Konversionsdialog“ zu bezeichnen. Da Diogenes im Lexiphanes keinerlei Rolle spielt, weder explizit noch implizit, so läßt sich aus dieser motivischen Parallele etwas Bezeichnendes für Lukians Arbeitsweise ersehen, nämlich die bei ihm auch sonst zu beobachtende Flexibilität, mit welcher er stereotype darstellerische Schemata an je unterschiedliche Kontexte zu adaptieren versteht (vgl. Merc. Cond. 42: Schlußsatz, ähnlich auch Ind. 28: O‰da …w mãthn taËtã moi lelÆrhtai). Erstaunlicherweise berücksichtigt Branham 1989, 56–57 und Anm. 81, 235–236 den Schluß der Schrift nicht (er interpretiert lediglich Kap. 3–4), obwohl dieser seine im Prinzip zutreffende Position (57) hätte stärken können: He (sc. Lucian) hesitates to let us take even his own serious efforts with unqualified seriousness. Und dann: ... Lucian uses humor to provoke the audience to consider the subject simultaneously from divergent, conflicting perspectives. Schmitt (1984, 445, Anm. 9) äußert die Vermutung, die Formulierung efiw d°on sei als bewußter Rückbezug zu dem Titel der Schrift (p«w de› flstor€an suggrãfein) zu verstehen, doch sind alleine daher schon Zweifel angebracht, da dieser besondere Effekt, so er tatsächlich intendiert war, auf geschicktere Weise hätte erreicht werden können.

XrØ to€nun ka‹ tØn flstor€an oÏtv grãfesyai sÁn t“ élhye› mçllon prÚw tØn m°llousan §lp€da ≥per sÁn kolake€& prÚw tÚ ≤dÁ to›w nËn §painoum°noiw. otÒw soi kan∆n ka‹ stãymh flstor€aw dika€aw. ka‹ efi m¢n staymÆsonta€ tinew aÈtª, eÔ ín ¶xoi ka‹ efiw d°on ≤m›n g°graptai: efi d¢ mÆ, kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ.

kan∆n ka‹ stãymh: Der Begriff kan≈n war bereits im Einleitungsteil der Schrift leitmotivisch in

Erscheinung getreten, zunächst zu der Bezeichnung von deren lehrhaftem Charakter (Kap. 5), dann, um die gattungsimmanenten Prinzipien der Geschichtsschreibung darzulegen (Kap. 8) und die Orientierung an den Bedürfnissen der zukünftigen Leserschaft zu postulieren (Kap. 9). Wie bei dem kan≈n, so handelt es sich auch bei der stãymh im eigentlichen Sinne um ein unter anderen Werkzeugen in der Holzverarbeitungskunst (julourgikÆ) benutztes Hilfsmittel (vgl. Pl. Phlb. 56 b–c). Die präziseste Beschreibung der stãymh liegt vor im detailreichen Kommentar des Eustathios zu Hom. Il. XV 410–413 (van der Valk III 748, Z. 3–749, Z. 18, bes. 748, Z. 27–29): ÖEsti d¢ spart€on ≤ stãymh leptÒn, ˘ m€ltƒ kexrism°non µ •t°rƒ xr≈mati grammåw êgei tª •kat°rvyen tãsei, diÉ œn tå jÊla eÈyÊnetai. Demzufolge ist unter der stãymh also ein dünner, eingefärbter Faden zu

verstehen, dessen Zweck darin bestand, durch beidseitigen Druck gespannt, die exakte Markierung gerader Linien zu ermöglichen, an der sich der Zimmermann (t°ktvn) in seiner praktischen Arbeit orientieren konnte. Die auf diese Weise erzielte Präzision schlägt sich, wie der Kommentator

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anschließend vermerkt (748, Z. 29–30) in dem Sprichwort stãymhw ékrib°steron nieder, was gleichbedeutend damit sei, so als wollte einer sagen: ÙryÒterow t∞w ÙryÒthtow µ kanÒnow eÈyÊterow. In diesem Sinne betrachtet Platon (Phlb. 56 b) eine große Exaktheit (pollØn ékr€beian) als die spezifische Leistung der Baukunst (tektonikÆ) überhaupt, die dieser in höherem Grade den Charakter einer t°xnh verleihe. Hinsichtlich der stãymh zielt bereits bei Homer die in der Odyssee (V 245, XVII 341, XXI 44 und 121) formelhaft verwendete Formulierung ka‹ §p‹ stãymhn ‡yune auf die solcherart erzielte Exaktheit der Linienführung ab, welche wohl ebenso in horizontalem wie in vertikalem Sinne zu verstehen ist (zum Problem Eckstein 1974, 23–24). In diesem Sinne äußert sich Epiktet (Arr. Epict. II 11, 13) dahingehend, daß, wie die Waage es mit Gewichten zu tun habe, so die stãymh mit Geradem und Krummem. Dem entspricht auch der lexikalische Befund, welcher als Funktion der stãymh das Ausrichten in gerader Richtung (époryoËn bzw. §joryoËn) angibt, so Hesych (s. v. stãymh, Latte / Hansen III 337) und das Scholion zu Hom. Il. XV 410 (Erbse IV 97). Beide Werkzeuge, kan≈n und stãymh gleichermaßen, sind bereits von Xenophon (Ages. 10, 2) in einer übertragenen Bedeutung nebeneinandergestellt, um die Vorbildhaftigkeit von Agesilaos’ éretÆ zu bezeichnen (stãymh ka‹ kan∆n prÚw tå Ùryå §rgãzesyai), und nicht unähnlich verfährt Lukian (Herm 18), indem er, wenn auch zu satirischen Zwecken, dieselbe Metaphorik auf ethische Vorbildhaftigkeit anwendet. Demgegenüber sind die selben beiden Begriffe, wie an vorliegender Stelle, in einen literarkritischen Kontext gestellt durch Ps. Dionysios von Halikarnaß, der mittels dieser normativen Vorgaben die Kriterien für eine verläßliche Ermittlung von literarischen Qualitäten markiert wissen will (Rh. XI Usener / Radermacher VI 2, 374, Z. 22–375, Z. 1): de› d¢ Àsper kanÒna e‰nai ka‹ stãymhn tinå ka‹ dok€mion …rism°non, prÚw ˜ tiw épobl°pvn dunÆsetai tØn kr€sin poie›syai µ §p‹ tãdÉ µ §pÉ §ke›na. In ähnlicher Weise bedient sich Lukian (Im. 17 und Zeux. 3) derselben stereotypen Formulierung ékribe› tª stãym˙, um solcherart rezeptive Verfahren im Bereich

von bildender Kunst und Literatur zu kennzeichnen. flstor€aw dika€aw: Zu vergleichen ist innerhalb des Passus über das Ethos des Historikers (Kap. 3841) die Xenophon (und Thukydides) zuerkannte Auszeichnung eines d€kaiow suggrafeÊw (Kap. 39),

weil er die Wahrheit über die persönlichen Gefühle von Haß und Freundschaft gestellt habe. Der Historiker, wie der Autor Lukian ihn verstanden wissen will, muß ein ‡sow dikastÆw sein (Kap. 41), einer, der in seiner Darstellung die Gewichte ausgewogen verteilt. kekÊlistai ı p€yow §n Krane€ƒ: Dies nimmt die in Kap. 3 erzählte Diogenesanekdote sowie das nach

diesem Muster modellierte Selbstverständnis des Autors (Kap. 4) auf und rundet damit den im Sinne des Diogenes gestalteten Charakter der vorliegenden Lehrschrift ab. Dazu gehört auch die Pose des illusionslosen Kenners der Unbelehrbarkeit der Menge, vgl.: ı fiatrÚw d¢ oÈ pãnu éniãsetai, µn pãntew ÉAbdhr›tai •kÒntew ÉAndrom°dan tragƒd«si (Kap. 5, vgl. dort auch den Kommentar zu: §pistr°cvn ... §paxyØw dÒjvn). Mit einem Schlußsatz von ganz ähnlicher Art endet auch die im Lexiphanes erteilte para€nesiw (Kap. 25: épopeplÆrvtai ≤ para€nesiw).

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