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German Pages 238 Year 1998
BENEDIKT GILLESSEN
Lockerung des Freistellungsmonopols zugunsten der EU-Staaten
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 110
Lockerung des Freistellungsmonopols zugunsten der EU-Staaten Ein Beitrag zur Fortentwicklung des Europäischen Kartellrechts
Von Benedikt Gillessen
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Gillessen, Benedikt: Lockerung des Freistellungsmonopols zugunsten der EU-Staaten : ein Beitrag zur Fortentwicklung des Europäischen Kartellrechts I von Benedikt Gillessen.- Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Wirtschaftsrecht; Bd. llO) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09233-3
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 1998 Duncker &
ISSN 0582-026X ISBN 3-428-09233-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Diese Arbeit wurde im Herbst 1996 der Juristischen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation vorgelegt und für die Drucklegung aktualisiert: Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum 1. August 1997 berücksichtigt werden. Dank schulde ich zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Alexander Riesenkampf[. Er hat die Betreuung des Vorhabens bereitwillig auf sich genommen, den Fortgang liebenswürdig und hilfsbereit beaufsichtigt und mir mit seinen Anregungen aus der Praxis wertvolle Hilfe gegeben. Nicht minder dankbar bin ich Prof. Dr. Fritz Rittner, der in ebenso engagierter Weise der Arbeit und ihrem Verfasser zur Seite stand und so gleichsam zu einem zweiten Doktorvater wurde. Herrn Prof. Dr. Uwe Blaurock gebührt Dank als Zweitkorrektor. Von großem Nutzen waren für mich die Gespräche, die ich mit Praktikern der Wirtschaftspolitik führen konnte. Erwähnen möchte ich besonders Dr. Lothar Dresse!, Leiter der Abteilung Wettbewerbsordnung und Mittelstandspolitik vom Bundesverband der deutschen Industrie e. V., Dr. Armin Jungbluth aus dem Bundesministerium für Wirtschaft (Referate Wettbewerbspolitik und Europäische Wettbewerbspolitik), Christian Dobler, Leiter des Referates Harmonisierung der Kartellrechtspraxis im Bundeskartellamt, und in Brüssel bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Dr. Helmuth Schröter, Generaldirektion IV (Wettbewerb), Direktion A, Allgemeine Wettbewerbspolitik und Koordinierung, und Dr. Paul Nemitz vom Juristischen Dienst. Sie und ihre Mitarbeiter haben mich auch mit Material versorgt. Ihnen allen sei für ihre Hilfe gedankt. Schließlich möchte ich auch der Studienvereinigung Kartellrecht e. V. dafür danken, daß sie diese Arbeit großzügig durch Übernahme der Druckkosten gefördert hat. Benedikt Giltessen
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln I.
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Die Kommission unter der Last der Verfahren
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II. Gründe der Verzögerung I. Die Aufwendigkeit des Verfahrens nach Verordnung Nr. 17/62 2. Die Dehnbarkeit der Zwischenstaatlichkeilsklausel 3. Die Unterschätzung der Arbeitsbelastung von Anfang an 4. Mangel an Personal und Finanzmitteln ........
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III. Die Belastung wird zunehmen .......... I. Rechtskenntnis vermehrt die Verfahren 2. Zunehmende Effizienz "lockt" weitere Anmeldungen 3. Das EG-Kartellrecht wird in immer mehr Staaten gelten 4. Die Zwischenstaatlichkeilsklausel verliert im Binnenmarkt ihre Bremswirkung 5. Mehr Verfahren bald auch wegen der Fusionskontrolle
22 24
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission ...... I. Das unattraktive Angebot an die nationalen Behörden .. a) Die Befugnisse nach geltendem Recht b) Nur wenige Staaten machen mit ...... c) Keine Abhilfe durch eine weitere Bekanntmachung aa) Das Informationsverwertungsverbot bb) Wer ist Herr des Verfahrens- und wie lange? cc) Keine gemeinschaftsweite Geltung nationaler Entscheidungen d) Zwischenergebnis 2. Entlastung durch mehr Gruppenfreistellungen? a) Die Praxis und ihre Fehlentwicklungen aa) Aufweichung des Kartellverbots? bb) Verringerte Kontrolle der Unternehmen cc) Zweifelhafte Rechtssicherheit dd) Versuchung, wettbewerbsfremde Materie gleich "mitzuregeln" ee) Unübersichtlichkeit durch Überschneidungen ff) Defizite des Widerspruchsverfahrens b) Zwischenergebnis ... 3. Wenig Trost durch "comfort letters" a) Ein problematisches Instrument
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VIII
Inhaltsverzeichnis aa) Entscheidungen ohne Verbindlichkeit ............................................ bb) Mangel an Transparenz ................................................................... cc) Verkürzte Verfahrensgarantien für Dritte ....................................... dd) Duldungspraxis anstelle von Entscheidungen ................................. b) Zwischenergebnis .................................................................................. 4. Ausweitung der Gruppe anmeldefreier Vereinbarungen ........................... 5. Andere Maßnahmen zur Entlastung ........................................................... 6. Ergebnis ....... ... ........ .... ........ .... .... .. .. ........ .............. .. .... .................... .... .... .. ..
70 73 74 75 77 77 80 82
B. Lösungsvorschlag .. .... ............ ................ .... ........ ........ ........ .... ............ .... .............. 85 I.
Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission ............... ........... .... .. 1. Erhoffte Vorteile ........................................................................................ 2. Stellungnahme der Kommission ..... ... .............. .... ....... ... .. .. .... ... ...... ..... ...... 3. Stellungnahmen aus der Wirtschaft ............................................................ 4. Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten .. ... .... .... ................. .... .. .. ... .... ... .. .
87 89 92 94 96
II. Ziel der Neuregelung: Effizienzgewinn bei Wahrung der Rechtseinheit ....... 98
C. Probleme des Vorschlags .. .. .. ... .. .. .. .. .. ... .. .. ..... .. .. .... .. .. ... .... ... .. ... .... .. .. ... .. .. .. .. .. ... .. 10 I I.
Zuständigkeitsabgrenzung ("eindeutig nationaler Schwerpunkt") .................. I. Erfordernis und Anwendungsbereich ......................................................... 2. Möglichkeiten für eine Zuständigkeitsregelung ......................................... a) Fester Grenzwert ................................................................................... b) Relativer Grenzwert ............................................................................... c) Inhaltliche Kriterien ............................................................................... 3. Ergebnis ......................................................................................................
101 101 103 103 107 109 111
II. Gewährleistung der Rechtseinheit ....................... ,.......................................... 113 I. Das Erfordernis der einheitlichen Rechtsanwendung ................................ 113 2. Einbindung der Kommission ...................................................................... 120 a) Meldepflicht mit Klagemöglichkeit ...................................................... 120 b) Einvernehmen vor einer Entscheidung .................................................. 122 c) Meldepflicht mit befristetem Widerspruchsrecht ("Veto-Recht") ........ 124 d) Zwischenergebnis .................................................................................. 125 3. Die Geltung dezentral erklärter Freistellungen in anderen Mitgliedstaaten 126 a) Das Erfordernis der Allgemeingültigkeit .............................................. 126 b) Die Reichweite der "inter-omnes"-Wirkung ......................................... 128 aa) Rechtsnatur der Freistellungsentscheidung ..................... ................ 129 bb) Die "inter-omnes"-Wirkung endet an Landesgrenzen .......... .......... 131 c) Wege zur gemeinschaftsweiten Geltung von Freistellungsentscheidungen ................................................................................................... 136 aa) Anerkennung im Einzelfall ............................................................. 136 bb) Anerkennung generell durch bilaterale Verträge ............................ 138 cc) ÄnderungderVO 17 ....................................................................... 139 dd) Änderung des EGV ......................................................................... 140 ee) Die Kommission "leitet durch" ....................................................... 140 ff) Zwischenergebnis ............................................................................ 141
Inhaltsverzeichnis
IX
d) Lösungsvorschlag: Gemeinschaftsweite Geltung durch Verzicht der Kommission auf Widerspruch ............................................................... 141 e) Einzelprobleme ...................................................................................... 143 aa) Rechtsstaatliche Bedenken wegen Übernahme nationaler Entscheidungen? ........................................................................................... 143 bb) Zulässigkeit der Vorgabe von Verfahrensregelungen im Gemeinschaftsrecht .......................................................................... ............ 145 cc) Gewährleistung der Einzelfallprüfung: Die Einwände gegen Widerspruchs-Gruppenfreistellungsverordnungen greifen hier nicht ....... 146 4. Andere Mitgliedstaaten brauchen an der Entscheidung nicht beteiligt zu werden ........................................................................................................ 147 5. Gerichtliche Kontrolle ................................................................................ 150 a) Kontrolle durch nationale Rechtsprechung ........................................... 154 b) Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV ........................ 159 aa) Zaghafte Anwendung ...................................................................... 159 bb) Verzögerung durch unpräzise Fragestellung ................................... 161 cc) Lange Verfahrensdauer ... .. .. ..... ... .. ..... .. .. ..... ........ ...... .. ........... .. ... .. .. 163 dd) Zwischenergebnis ............................................................................ 164 6. Ergebnis .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ..... ..... ... ............ ............ .... ........... ....... .... .... ............ .. 166 III. Verfahrensprobleme ........................................................................................ 167 I. Ermittlungen (Auskunft, Nachprüfung, Zwangsgelder) ............................ 168 a) Hoheitliches Handeln im Ausland ist unzulässig .................................. 169 b) Ermittlungsdurchgriff auf Unternehmen im Konzern ........................... 172 aa) Inländische Konzernmutter ............................................................. 172 bb) Inländische Konzerntochter ............................................................ 173 cc) Beschaffung von Dokumenten ........................................................ 174 c) Amtshilfeersuchen ................................................................................. 175 aa) Amtshilfeersuchen an die Kommission .......................................... 178 bb) Amtshilfeersuchen an andere Mitgliedstaaten ................................ 179 d) Ergebnis ................................................................................................. 182 2. Verfahrenssprachen .................................................................................... 182 3. Veröffentlichung und Zustellung ............................................................... 183 IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befähigt? ............................................. I. Nationale Behörden haben "Überblick" ..................................................... 2. Rechtsanwendung ohne politische Erwägungen ........................................ 3. Der EG-Vertrag hat die Kompetenzverteilung nicht präjudiziert ..............
184 184 186 189
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage ...................................................................... 193 I.
Inhalt des Subsidiaritätsprinzips ..................................................................... 194
li. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips ...................................................... 197 III. Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht ....................................................... 200
Literatur ...................................................................................................................... 205 Sachverzeichnis .......................................................................................................... 223
Abkürzungsverzeichnis ABI. AcP AfP AK AnwBI. AöR Art. AWD BayVBI. BB BDI Bek. BGB BGBI. BGH BGHZ BKartA BMWi BT BR BuiiEG BVerfG BVerfGE CMLR DB DOKbzw. Dok DRiZ DV DVBI. ECLR EFfA EG EGBGB EGKS EGKSV EGV ELR EU EuGel
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Abkürzungsverzeichnis EuGH EuGRZ EuGVÜ EuR EuRAT EURATOM EUV EuZW EWG EWGS EWGV EWiR EWR EWRA EWS FAZ FGG FIW FK FK-VO GD GG GK GRUR GTE GWB IPRax JuS JZ KG KOM Iit. LNRS MDR MRK MUV NJW NVwZ OECD OLG RdE RIW ROW Rs. Slg.
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XI
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Abkürzungsverzeichnis
vo vo 17
VwGO VwVfG WB WM WRP WuW WuWIE ZHR ZPO
Verordnung Verordnung Nr. 17/62 Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wettbewerbsbericht Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb/Entscheidungssammlung Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung
[... ] / ..
Fundstelle als Seitenzahl Fundstelle als Teilziffer oder Randnummer
Einleitung Der 40. Gründungstag der Europäischen Union war zugleich auch der 40. Geburtstag eines gemeinsamen Kartellrechts in den Mitgliedstaaten. Seit der Gründung der Gemeinschaft gelten das Kartellverbot des Art. 85 Abs. I EGV 1 und seine Ausnahmen unmittelbar in allen Ländern der Union. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und die Kommission können inzwischen auch auf eine umfangreiche Entscheidungspraxis zurückblicken, in der sie Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschriften über den schmalen Wortlaut des Art. 85 EGV hinaus entwickelt und dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht ein eigenes Gepräge gegeben haben. Auf Grund der unmittelbaren Wirkung der Vorschriften sind auch die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten grundsätzlich zur Durchsetzung der gemeinsamen Vorschriften berufen. Doch das Kartellverbot hat in die Praxis der nationalen Rechtsprechung bislang nur schleppend Einzug gehalten, und auch die Durchsetzung durch nationale Behörden läßt teilweise zu wünschen übrig. In etlichen Ländern fehlt es auch nach vier Jahrzehnten noch an Kompetenznormen, die jeweils eine entsprechende innerstaatliche Behörde mit der Anwendung betrauen. In Deutschland hat erst vor wenigen Jahren der neue § 47 GWB die Voraussetzungen dafür geschaffen. In den anderen Ländern sieht die Situation ähnlich aus, manche haben noch gar keine vergleichbare Norm. Allerdings - es ist Bewegung gekommen in die Beachtung und Durchsetzung des gemeinschaftlichen Kartellrechts: Nationale Kartellrechte werden der europäischen Regelung (oft bis hin zum Wortlaut) angeglichen, Kartellbehörden sind inzwischen überall entstanden und insgesamt steigt der Bekanntheitsgrad des europäischen Kartellrechts - auch bei den ihm unterworfenen Unternehmen. Das Wort von der "Dezentralisierung" ist populär geworden, und die Mitgliedsländerschaffen nun die Voraussetzungen dafür.
1 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), ursprünglich: Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vom 25.3.1957, BGBI. li 1957,766, berichtigt BGBI. li 1957,1678 und li 1958,64; nach Titellides Vertrages über die Europäische Union (EUV oder auch "Maastricht-Vertrag") vom 7.2.1992, BGBI. II 1992,1253, jetzt EGV. Sofern nicht Unterschiede zwischen den Vertragstexten bestehen, wird in dieser Arbeit stets von EGV gesprochen.
2
Einleitung
Das durch den Maastricht-Vertrag jetzt auch ausdrücklich im EGV verankerte Subsidiaritätsprinzip hat die Diskussion auf nationaler und europäischer Ebene zusätzlich belebt. Mitgliedstaaten - Deutschland an einer der vorderen Stellen - bemühen sich um eine intensivere Anwendung der europäischen Vorschriften und begründen dies auch mit Subsidiaritätserwägungen. Damit kommen sie grundsätzlich auch den Vorstellungen der Kommission entgegen, die von Beginn an mit einer großen Arbeitsbelastung zu kämpfen hat. Ihre Versuche, Entlastung herbeizuführen, finden jedoch aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht ungeteilte Zustimmung - und haben das Überlastungsproblem zudem auch praktisch nicht lösen können: Die Bearbeitung von Anträgen auf Einzelfreistellungen dauert oft mehrere Jahre und damit viel zu lange. Entlastung erhofft man sich allgemein von einer häufigeren Anwendung europäischen Rechts durch nationale Behörden in den Fällen, in denen ein nationaler Schwerpunkt vorliegt. Doch dezentrale Anwendung in diesem Sinne stößt auf Schwierigkeiten. Die nationalen Behörden sind zwar befugt, das Kartellverbot des Art. 85 Abs. I EGV durchzusetzen, die im engen inhaltlichen Zusammenhang mit dieser Vorschrift stehende Freistellungsnorm des Absatz 3 dürfen sie aber nicht anwenden; hier verfügt die Kommission über ein Anwendungsmonopol. Weil sich aber über ein Verbot nur sinnvoll entscheiden läßt, wenn auch die Ausnahmen von diesem Verbot mitbeurteilt werden können, bleibt die dezentrale Anwendung unvollständig. Das Freistellungsmonopol der Kommission ist also eine "Lücke im System". Aus dieser unvollständigen Anwendbarkeit ergeben sich nun für die nationalen Behörden einige Hindernisse, die einer zahlreicheren Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Wege stehen: Die Kommission entscheidet ihrerseits nämlich aus Vereinfachungsgründen vielfach nicht in dem in der Verordnung Nr. 17/622 vorgesehenen Verfahren, sondern verschickt unverbindliche Meinungsäußerungen, sogenannte "comfort letters", in denen sie eine förmliche Freistellung lediglich für möglich hält. Auf die grundsätzliche Nichtigkeit eines Kartells (Art. 85 Abs. 2 EGV) haben solche Schreiben jedoch keinen Einfluß, auch die Mitgliedstaaten sind nicht daran gebunden. Die an einer Kartellvereinbarung beteiligten Unternehmen befinden sich damit auf sandigem Boden: Die Kommission schreitet zwar nicht gegen sie ein, Konkurrenten oder Vertragspartner können aber dennoch gegen sie klagen; ebenso können nationale Ge-
2 Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrages vom 6.2.1962, ABI. 1962 Nr. 13 vom 21.2.1962 [204], in der durch Verordnung Nr. 59, ABI. 1962 Nr. 58 vom 10.7.1962 [1655], Verordnung Nr. 118/63/EWG, ABI. 1963 Nr. 162 vom 7.11.1963 [2696] und Verordnung (EWG) Nr. 2822171, ABI. 1971 L 285 vom 29.12.1971 [49] geänderten und ergänzten Fassung.
Einleitung
3
richte und Behörden gegen sie entscheiden. Aber auch die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten sind mit dieser Situation nicht glücklich. Sie müssen im Falle einer eigenen Entscheidung damit rechnen, daß zu einem späteren Zeitpunkt die Kommission möglicherweise genau umgekehrt urteilt. Sollen sie also nun verbieten, was vielleicht später - sollte die Kommission die Zeit dazu finden oder die Notwendigkeit erkennen- erlaubt wird? Auf Grund der Vorrangwirkung europäischen Rechts sind die Behörden aber auch in der Anwendung ihrer nationalen Kartellrechte gehemmt. Eine Entscheidung auf europäischer Ebene setzt nämlich widersprechende nationale Entscheidungen (Freistellungen oder Verbote) außer Kraft. Hinzukommt, daß die nationalen Behörden im Falle einer Verfahrenseinleitung durch die Kommission ihre Zuständigkeit zur Anwendung europäischen Rechts verlieren. Aus beiden Gründen investieren die Behörden nur ungern Zeit und Arbeitsmittel und nicht zuletzt auch Ehrgeiz- in ein Verfahren, von dem sie nicht wissen, ob es überhaupt von ihnen zu Ende gebracht werden kann. Im wesentlichen rühren die Probleme also daher, daß die Kommission ihrer Aufgabe nur bedingt nachkommt und eine gleichzeitige und umfassende Anwendung von nationalem und europäischem Recht durch die Behörden der Mitgliedstaaten aus rechtlichen Gründen derzeit nicht möglich ist. Der bloße Ruf nach einer vermehrten dezentralen Anwendung bei unveränderter Rechtslage wird also kaum die gewünschte Verbesserung bringen. Von deutscher Seite wird deshalb vor allem auch die Kompetenz nationaler Behörden zur Erteilung von Freistellungen nach europäischem Recht gefordert. Dadurch sollen die genannten Probleme behoben und für die Unternehmen eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden. Diese deutsche Forderung ist in der Literatur und im Ausland sehr verschieden aufgenommen worden. Die Bandbreite reicht von offener Zustimmung über Bedenken, Zweifel und Skepsis bis zu heftiger Ablehnung. Hauptproblem dabei ist, wie sich die Rechtseinheit in der Entscheidungspraxis wahren läßt, ohne daß ein komplizierter Abstimmungsmechanismus die schnellere Behandlung durch die nationalen Behörden zunichte macht. Die meisten Äußerungen zu diesem Thema beschränken sich regelmäßig darauf, nur auf einzelne Aspekte einzugehen und je nach Ergebnis eine Änderung rundweg abzulehnen oder rundweg zu befürworten. Zusammenhängende Untersuchungen sind bislang nicht vorgelegt worden. Es erscheint daher notwendig zu betrachten, wie eine Neuregelung aussehen sollte, damit sie eine dezentrale Anwendung der Freistellungsnorm ermöglicht, für eine schnellere Entscheidung der Fälle sorgt und zugleich eine einheitliche Praxis in den einzelnen Mitgliedstaaten gewährleistet. Das wird hier versucht.
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln I. Die Kommission unter der Last der Verfahren Das System des europäischen Kartellrechts läßt sich grob als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt qualifizieren: Art. 85 Abs. 1 EGV enthält einen unmittelbar in allen Mitgliedstaaten wirkenden 1, generellen Verbotstatbestand für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen2 zwischen Unternehmen. Solche Vereinbarungen (einzelne typische Fälle werden in Art. 85 Abs. 11it. a bis e EGV aufgezählt) sind grundsätzlich nach Art. 85 Abs. 2 EGV nichtig3 . Bei bestimmten Sachverhalten kann jedoch nach Art. 85 Abs. 3 EGV eine "Erlaubnis" erteilt, das heißt das Verbot des Absatz 1 für nicht anwendbar erklärt werden. Man spricht insofern von einer Freistellung vom Kartellverbot Eine solche Freistellung kann gruppenweise durch eine Verordnung mit unmittelbarer Freistellungswirkung für alle darunter fallenden Abreden erfolgen oder aber in einem förmlichen Verfahren nur für einzelne Vereinbarungen auf Antrag. Ob eine Kartellabsprache verboten ist, kann nicht nur die Kommission, sondern können teilweise auch die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten feststellen und sanktionieren. Aber die Kommission verfügt seit dem Inkrafttreten der VO 17
1 EuGH Rs. 13/61, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.4.1962, S1g. 1962,97 [111 f] "De Geus/Bosch und van Rijn"; EuGH Rs. 127173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.1.1974, Slg. 1974,51 [62 /15 f] "BRT 1/SABAM und andere"; EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 199l,I-935 [992/45 f] "Delimitis/Henninger Bräu". Art. I VO 17 hat insofern nur deklaratorischen Charakter; Langen-Bunte Einführung EG 112; Langen-Sauter Art. 1 VO 17/1. 2 Obwohl Art. 85 Abs. 1 EGV nicht nur Vereinbarungen, sondern auch Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen betrifft, wird im folgenden verkürzend lediglich von "Vereinbarungen" gesprochen.
3 Lediglich im Falle einer Anmeldung nach Art. 85 Abs. 3 EGV werden sie solange als vorläufig gültig behandelt, bis über die Anmeldung mit rückwirkender Kraft entschieden ist; vergleiche EuGH Rs. 48172, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [87 /10-13] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht li]. 2 Gillesscn
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
im Jahre 1962 in Bezug auf die Erteilung von Freistellungen über ein Anwendungsmonopol4, das die nationalen Behörden an der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV hindert. Seitdem hat sie mit einem "Massenproblem" zu kämpfen: So drohte schon unmittelbar nach dem Inkrafttreten der VO die bei der Kommission für Wettbewerbsfragen zuständige Generaldirektion IV unter einer Lawine von über 40.000 Anmeldungen zur Freistellung zu ersticken 5. Diese hohe Zahl hängt direkt mit dem weiten Anwendungsbereich des Kartellverbots zusammen. Zum einen erfaßt Artikel 85 Abs. 1 EGV nicht nur (wie zum Beispiel das Kartellverbot in § 1 des deutschen GWB) horizontale Wettbewerbsbeschränkungen (das heißt Vereinbarungen zwischen Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe6), sondern auch vertikale Vereinbarungen 7 , das heißt solche zwischen Unternehmen vor- oder nachgelagerter Wirtschaftsstufen8. So betrafen allein 30.000 Anmeldungen Alleinvertriebsverträge und weitere 5.000 Lizenzverträge9, also jeweils solche vertikalen Vereinbarungen. Der andere Grund für die zahlreichen Anmeldungen liegt in der Unsicherheit über die genaue Auslegung der sogenannten Zwischenstaatlichkeitsklausel 10 des Art. 85 Abs. 1 EGV. Rund 4.000 Vereinbarungen 11 aus der Anfangsphase der europäischen Gemeinschaft berührten den zwischenstaatlichen Handel entweder überhaupt nicht oder nicht spürbar 12. Diese wurden also nur "vorsichtshalber" angemeldet, weil sich die Unternehmen über die Rechtsfolge nicht sicher waren. Im Ergebnis waren also gerade zwei bis drei Prozent aller anfangs angemeldeten Fälle aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wirklich problematisch.
4 Siehe auch EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 1991,1-935 [991 /44] "Delimitis/Henninger Bräu"; vergleiche GKMai1änder (3) Art. 85 /67 zum Kompetenzkonflikt zwischen Kommission und Rat und die dazu ergangene "Ermächtigungsverordnung" (VO Nr. 19/65).
5 Caspari
AnwBI. 1988,497 [498].
6 Zum Beispiel Preiskartell zwischen verschiedenen Produzenten einer bestimmten
Ware. 7 EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [324 /5] "Grundig u. Consten/Kommission". 8 Zum Beispiel beim Weiterverkauf Preisbindung des Händlers durch den Hersteller. 9 Caspari AnwBI. 1988,497 [498]. 10 Zur
Auslegung eingehend Braxator. Caspari AnwBI. 1988,497 [498]. 12 Zum heutigen Verständnis der Zwischenstaatlichkeitsklausel und zur Bagatellbekanntmachung Gliederungspunkt A. II. 2. 11
I. Die Kommission unter der Last der Verfahren
7
Die Flut von Fällen führte dazu, daß auch Jahre später noch bei der Kommission eine große Zahl von Fällen anhängig waren, die nicöt gleich bearbeitet werden konnten. Mitte der 80er Jahre zum Beispiel bestand dieser Überhang noch aus rund 3.500 Fällen. Der "backlog" konnte nach und nach- wenn auch auf anderem Wege 13 als durch förmliche Entscheidung nach der VO 17 schrittweise abgebaut werden und betrug 1994 noch etwas über 1.000 Fälle. Dies bezeichnet die bei der Kommission für Wettbewerbsfragen zuständige Generaldirektion IV als eine nahezu normale Arbeitsbelastung 14, die voraussichtlich nicht weiter zu verringern sei 15. Obwohl die Kommission von einer stetig steigenden Zahl von neuen Fällen mit wettbewerbsbeschränkenden Praktiken spricht 16, zeigt ihre Statistik für die letzten Jahre ein relativ ausgewogenes Bild von jeweils etwa 250 Anmeldungen nach Art. 4 VO 17 mit dem Ziel, eine Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV zu erhalten. Über 150 weitere neue Fälle im Jahr betreffen im wesentlichen Verstöße von Marktteilnehmern gegen die Verbote von Art. 85 Abs. 1 und 86 EGV; dabei greift die Kommission von sich aus etwa zwei Dutzend Fälle auf, alle anderen Verfahrenseinleitungen beruhen auf Beschwerden Dritter. Insgesamt hat die Kommission damit Jahr für Jahr rund 400 neue Fälle zu bearbeiten. In den letzten zehn Jahren hat sie jedoch im Durchschnitt nur selten wesentlich mehr als 20 Verfahren im Jahr durch förmliche Entscheidungen auf dem in der VO 17 vorgesehenen Weg abgeschlossen 17 , knapp eine Handvoll davon sind Freistellungen. Auch im Jahrzehnt davor war die Lage kaum anders: Durchschnittlich kam nur eine förmliche Entscheidung nach der VO 17 auf 30 abgeschlossene Verfahren 18. Was nun Freistellungen betrifft, so sind zwischen dem Tag des Eingangs der Anmeldung bis zum Erlaß einer formellen Entscheidung Wartezeiten von mehr als einem Jahr absolut gewöhnlich 19 . Durchschnittlich vergehen 24 Monate20,
13
Ausführlich dazu vor allem unter Gliederungspunkt A. IV. 2. und 3.
14
Vergleiche Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
15
24. WB 1994 [Anhang III - Statistik].
16 Vergleiche Mehr als 800 Wettbewerbsfälle abgeschlossen, EU-Nachrichten Nr. 33/34 vom 22.8.1994 [5]; Entscheidungspraxis der Kommission in Wettbewerbssachen, EuZW 1994,354.
17 Emmerich, Kartellrecht [519]: im Schnitt 10 bis 12 Fälle pro Jahr durch formelle Entscheidung. 18
2*
Waelbroeck ELR 1986,268 [269] mit weiteren Nachweisen.
19
Vergleiche Bos [1995]7 ECLR 410 [413].
20
Möschel, Entwicklungen [332].
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
8
in schwierigen Fällen kann sich das Verfahren allerdings auch über vier Jahre und noch mehr erstrecken 21 . Aus der Advokatur hört man noch extremere Zahlen22: Danach gibt es Fälle, in denen die Anwälte seit über acht Jahren kein "Lebenszeichen" mehr aus Brüssel gehört haben und gar nicht wissen, ob der von ihnen betreute Fall überhaupt noch bearbeitet wird. Böse Zungen sprechen deshalb auch von einer Art "Bermuda-Dreieck", in dem die Anmeldungen "einfach verschwinden" 23 . Weil aber bei solchen Zeitspannen in der schnellehigen Wirtschaft legalisierbare Kooperationsformen schnell wirtschaftlich uninteressant werden24 , wird allgemein die Verfahrensdauer als zu lange gerügt: Die Langsamkeit der Kommission sei erheblich und inakzeptabel25, ein wettbewerbspolitisches Ärgernis26 und es mangele schlicht an Effizienz27 . Kurz: Es besteht ein "schon an Stillstand der Verwaltungspraxis grenzender, unerträglicher Zustand" 28 . Ein aufschlußreiches Beispiel für die Problematik dieser Situation ist der Fall "Philips-Osram" 29 : Beide Firmen stellten hitzebeständiges Bleiglas her, das in Glühlampen Verwendung findet und etwa zwei bis drei Prozent der Produktionskosten einer Glühlampe ausmacht; Überschußproduktion wurde an andere Lampenhersteller geliefert. Bei Osram waren die Schmelzöfen am Ende ihrer Lebensdauer angelangt, aus Umweltschutzgründen wären für den Standort mitten in Berlin zudem erhebliche Investitionen zur Verringerung der Belastung erforderlich gewesen. Philips besaß eine schadstoffarme Anlage in Belgien und über genügend freie Kapazität, um Osram zu beliefern. Weil Osram nicht von Philips abhängig werden wollte und die Umstellung der Glasöfen in Bel-
21 Antwort der Kommission auf eine parlamentarische Anfrage in ABI. C 255 vom 7. 10.1985; Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [289]; Möschel EWS 1995,249 [250]. 22 Vergleiche dazu auch Bechtold EuR 1992,41 [45]. 23 Möschel EWS 1995,249 [250]; Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiarität [49]. 24 Möschel NJW 1995,281 [282 f]; Möschel, Subsidiarität [49]; Möschel EWS 1995,249 [250]. 25 Bos [1995]7 ECLR 410 [414]. 26 Möschel, Entwicklungen [332].
Mösche1 EWS 1995,249 [250]. Gleiss/Hirsch (4) /1845. 29 Entscheidung der Kommission vom 21.12.1994- IV /34.252 (Philips-Osram); Darstellung des Falles nach Lindemann, Freistellungspraxis (89 f]. 27 28
I. Die Kommission unter der Last der Verfahren
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gien noch weitere Investitionen erforderte, kamen Osram und Philips überein, ein Gemeinschaftsunternehmen zu gründen und damit auch andere Lampenproduzenten zu beliefern. Für das BKartA war das Vorhaben fusionsrechtlich unbedenklich, es sah jedoch§ 1 GWB erfüllt, insbesondere weil Osram und Philips bereits ein anderes Gemeinschaftsunternehmen zur Fertigung von Glaskolben betrieben (Anteil an den Herstellungskosten sieben bis acht Prozent) und es nur wenige Lampenhersteller gebe. Es ließ das Verfahren jedoch ruhen, als die Kommission das Prüfungsverfahren eröffnete. Zwei Jahre lang untersuchte Brüssel das Vorhaben eingehend (Veröffentlichung der Anmeldung, Befragung von Wettbewerbern und Abnehmern), und kam zu dem Ergebnis, daß eine Freistellung möglich sei. Ein qualifizierter comfort letter30 sollte versandt werde. Das BKartA wollte dennoch die Untersagung nach § I GWB aussprechen, die ein comfort Ietter nicht verhindert. Die Unternehmen wandten sich darauf hilfesuchend an die Kommission und konnten sie zur Erteilung einer formellen Freistellung bewegen, die sie nach fast drei Jahren Gesamtverfahrensdauer dann auch in Händen hielten. Osrams Bleiglasöfen haben das Verfahrensende allerdings nicht mehr erlebt, sondern mußten vorher stillgelegt werden: Ihre Lebensdauer ließ sich "bedauerlicherweise nicht entsprechend der Dauer des Kartellverfahrens verIängern31." Dennoch hatte das BKartA in Osram weiterhin einen Wettbewerber gesehen - der freilich über keine Öfen mehr verfügte. Das Bleiglas bezog Osram inzwischen von Philips ... Zwar hat die Kommission bei der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV eigentlich kein Ermessen, denn die Unternehmen haben nach heute 32 ganz herrschender Ansicht einen Anspruch auf Freistellung33 bei Vorliegen der in Absatz 3 genannten Voraussetzungen. (Wenn der Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 EGV insofern von "können" spricht, wird damit nicht ein etwaiges Ermessen der Kommission in Bezug auf die Erteilung der Freistellung zum Ausdruck gebracht, sondern soll dies vielmehr nur auf die rechtliche Befugnis verweisen, Ausnahmen vom generellen Kartellverbot zuzulassen34 .) Aber die Kommission
30 Zu den verschiedenen Arten der comfort letters und ihrer rechtlichen Bedeutung siehe Gliederungspunkt A. IV. 3. a). 31
Lindemann, Freistellungspraxis [90]. damaligen Streit siehe zum Beispiel Baldi [264 ff] mit Nachweisen.
32 Zum
33 Vergleiche nur Grabitz-Koch Art. 85 1157; GTE-Schröter Art. 85 120 I ; Greiffenhagen [160); lpsen, Gemeinschaftsrecht [626); Weindl [299 f]; Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 11833; Bunte/Sauter-Bunte Einführung /36; EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, S1g. 1966,321 [399) "Grundig u. Consten/Kommission". 34 Anderer Ansicht noch Schwarze, Verwaltungsrecht [351).
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
geht dennoch vor allem wegen der geringen personellen und finanziellen Ausstattung35 selektiv bei der Auswahl ihrer durch förmliche Freistellung zu entscheidenden Fälle vor und verhält sich damit so, als habe sie Ermessen36 . Die Kommission beschränkt sich dabei auf ihrer Auffassung nach aus politischen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen besonders wichtige, und damit exemplarische Fälle37 , die Leitentscheidungen darstellen und den Erlaß von Gruppenfreistellungsverordnungen vorbereiten sollen38 : Bei weit über 40.000 Anmeldungen, die nach Erlaß der VO 17 bei der Kommission eingegangen sind, hat die Kommission zwischen 1964 und I 987 85 Freistellungsentscheidungen getroffen und 44 Negativatteste erlassen39 . 1994 waren es 1 Negativattest, aber 17 Freistellungen40, dagegen nur drei im Vorjahr41 . Weil die Kommission mit solchen Verfahren von vornherein überlastet war42 , hat die Einzelfreistellung bislang zahlenmäßig keine größere Rolle gespielt43 . In den Jahren 1989 bis 1993 standen 23 erklärten Freistellungen rund 8360 Anmeldungen gegenüber, von denen freilich einige nicht Art. 85 Abs. 3 EGV betrafen. Im Durchschnitt kommen also etwa 360 Anmeldungen auf eine Freistellung, fünf davon werden jedes Jahr erklärt. Nicht zu unrecht wird daher gefragt, ob dies wirklich alle - rechtlich oder wirtschaftlich - bedeutenden Fälle gewesen sein sollen44 .
35
Vergleiche Neumann RIW 1985,88 [97]; 24. WB 1994/25.
Bechtold EuR 1992,41 [43 f]. Zumindest verlangt sie zusätzlich zu der Anmeldung eine ausdrückliche Erklärung der Unternehmen, daß tatsächlich eine Entscheidung gewünscht wird. 36
Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 85 und 86 des EWGVertrages, ABI. 1993 C 39/6 vom 13.2.1993 114. 37
38 Vergleiche auch SteindorffZHR 142,525 [526 ff]; Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 11846; zu Stand und Zielen der Wettbewerbspolitik siehe zum Beispiel Ehlermann WuW 1992,5 [5 ff] ; Emmerich JuS 1990,695; Everling WuW 1990,995 [995 ff]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [991 ff]; Möschel, Entwicklungen [328 ff]. 39
Auflistung bei Kecht [303 ff].
40
24. WB 1994 [Anhang II1- Statistik].
41
23. WB 1993 [130].
42
Siehe dazu Gliederungspunkt A. II.
43
Vergleiche Rittner, Kartellrecht § 8 /21. Alsbald nach lokrafttreten der VO 17 wurden allein ca. 30.000 Alleinvertriebsvereinbarungen bei der Kommission angemeldet; vergleiche 2. WB 1972 [63]. 44
Zum Beispiel Lindemann, Freistellungspraxis [91).
II. Gründe der Verzögerung
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II. Gründe der Verzögerung 1. Die Aufwendigkeit des Verfahrens nach Verordnung Nr. 17/62 Die hohe Arbeitsbelastung der Kommission läßt sich auf einige wenige Gründe zurückführen. Einer besteht darin, daß das Verfahren der VO 17 sehr aufwendig45 ausgestaltet und auch auf Grund des sehr formalisierten und im Gegensatz zum deutschen GWB nicht an Fristen gebundenen Vorgehens von einer gewissen Behäbigkeit46 gekennzeichnet ist: Der Ausfüllung des für den Antrag nach Art. 4 VO 17 erforderlichen47 , umfangreichen Formblatts AlB und den weiteren Ermittlungen, nebst Anhörung Dritter, folgt zum Beispiel die Beiziehung des beratenden Ausschusses nach Art. 10 Abs. 3 VO 17, dem Vertreter aller Mitgliedstaaten angehören und dessen Sitzung umfangreich vorbereitet werden muß. Ferner sind die Veröffentlichungen gemäß Art. 19 Abs. 3 und 21 VO 17 immer in allen Amtssprachen vorzunehmen. Dieses Verfahren muß in allen Fällen durchgeführt werden, an deren Ende eine förmliche Entscheidung stehen soll - unabhängig davon, welche Tragweite die Entscheidung im Einzelfall hat: Ein Negativattest in einem Fall mit geringer Bedeutung ist verfahrensmäßig nicht anders zu behandeln-als der Freistellungsantrag einer großen Industriekooperation. In der Anfangsphase der Europäischen Gemeinschaft mit zunächst nur sechs Mitgliedstaaten mag dieses Verfahren noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben; inzwischen ist die Zahl der Länder aber auf 15 gestiegen, fast ebensoviele Amtssprachen sind jeweils zu berücksichtigen. Die VO 17 wird daher heute teilweise als "Fehlgriff'48 bezeichnet (besser spräche man wohl davon, daß sie von der tatsächlichen Entwicklung "überholt" wurde); den Anforderungen des Massengeschäfts wird sie jedenfalls mit ihren Vorschriften heute nicht mehr gerecht49 .
45
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [3 f].
Von Meibom!Zinsmeister [54]. EuGH Rs. 100-103/80, Urteil vom 7.6.1983, Slg. 1983,1825 [1902 /93] "Musique Diffusion/Kommission". 48 Held, Diskussion AK Kartellrecht 1994 [20]. 49 Von Meibom/Zinsmeister [54]. 46 47
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
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2. Die Dehnbarkeit der Zwischenstaatlichkeitsklausel
Maßgeblichen Anteil an der heutigen Belastung hat - neben der schon erwähnten Erstreckung von Art. 85 Abs. 1 EGV auch auf vertikale Vereinbarungen - die weite Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel durch Kommission und EuGH50: Der Streit, ob es sich bei der Klausel um eine Sachnorm51 (und damit ein materielles Tatbestandsmerkmal) oder eine Kollisionsregel 52 handelt, ist eigentlich nur begrifflicher Natur53 , denn heute ist jedenfalls allgemein anerkannt, daß sie einseitig den eigenen Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts bestimmt54 . Art. 85 Abs. 1 EGV ist demnach nur anwendbar, wenn die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeilsklausel erfüllt sind. Danach muß die fragliche Vereinbarung geeignet sein, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Der Begriff der Beeinträchtigung umfaßt jede Beeinflussung, gleich ob günstig oder ungünstig, selbst wenn das zu prüfende Verhalten zu einer beträchtlichen Ausweitung des Handelsverkehrs führt 55 . Maßgeblich sei, daß die Freiheit des Handels auf dem Weg zur Errichtung eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nicht in Gefahr gerät56 . Solche Gefahren drohten aber stets, wenn die Wettbewerbsstruktur im Gemeinsamen Markt verändert wird57 oder
°KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [3].
5
Deringer Art. 85 /38; Gleiss/Hirsch (2) Art. 85/35 ff; Sölter WuW 1961,665 [666 f]; Becker [16 f]; Kommission E 11.3.1964, Sache 64/233 "Grosfillex/Fillistorf", ABI. 1964,915; E 1.6.1964, Sache 64/344 "Mertens & Straet/Bendix", ABI. 1964,1426; E 30.7.1964, Sache 64/502 "NicholasNitapro", ABI. 1964,2287. 51
52 Coing ZHR 125,271 [290 f]; D. Schumacher AWD 1968,5 [6] ; H. Schumacher AWD 1965,405 [405]; Steckhan [ 102 ff]. Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 1230 sehen darin beides.
53
Zuleeg EuR 1990,123 [129] .
Heute herrschende Ansicht, zum Beispiel Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [ 115 ff]; Grabitz-Koch Art. 85 /89; GTE-Schröter Art. 85 /139; Bleckmann, Europarecht /1268; Steckhan [104+107]; EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [389] "Grundig u. Consten/Kommission"; EuGH Rs. 6+7173 , Urteil vom 6.3.1974, Slg. 1974,223 [253 /31] "Commercial Solventsund andere/Kommission" ; EuGH Rs. 22/78, Urteil vom 31.5.1979, Slg. 1979,1869 [1899 117] "Hugin/Liptons". 54
55 Vergleiche EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [389 f] "Grundig u. Consten/Kommission"; Braxator [101 f, 119 f] . 56
Baldi [ 177]; Braxator [119].
EuGH Rs. 22178, Urteil vom 31.5.1979, Slg. 1979,1869 [1899 117] "Hugin/Liptons"; EuGel Rs. T-69/89, Urteil vom 10.7.1991, Slg. 1991,11-485 [522 /76] "RTE/Kommission". 57
li. Gründe der Verzögerung
13
wenn eine Wettbewerbsbeschränkung dazu führt, daß sich der Handel zwischen den Mitgliedstaaten unter anderen Voraussetzungen entwickelt als ohne die W ettbewerbsbeschränkung58 . Für das Merkmal der Eignung ist eine objektive Wahrscheinlichkeit erforderlich, aber auch ausreichend, die Beeinträchtigung muß also nicht bereits eingetreten sein. Die Beurteilung muß anhand objektiver rechtlicher und tatsächlicher Umstände vorgenommen werden 59 , besondere Anforderungen werden freilich nicht daran gestellt. So ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Beeinträchtigung und Wettbewerbsbeschränkung nicht erforderlich, auch muß sich die Abrede inhaltlich nicht auf den Leistungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten beziehen, so daß sogar Abreden unter Art. 85 Abs. I EGV fallen können, bei denen die Beteiligten im gleichen Land ansässig sind und die ihre Vereinbarung auf das Marktgeschehen im eigenen Land beschränkt haben 60, sofern es nur mittelbaren Auswirkungen auf die Handelsströme und den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt61 gibt, insbesondere eine mögliche Beeinflussung des Absatzes ausländischer Waren62 . Inzwischen läßt der EuGH sogar Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Niederlassungen ausländischer Unternehmen oder mittelbare Rückwirkungen auf die finanziellen Beziehungen in einem Konzern mit ausländischer Beteiligung genügen63 . 58 Kommission E 23.9.1964, Sache IV/A-0004-03344 "Grundig/Consten", ABI. 1964, S. 2545 [2549]; ähnlichE 29.11.1974, Sache IV/27.095 "Französische-japanische Absprachen über Kugellager", ABI. 1974 Nr. L 343119 [25]. 59 EuGH Rs. 1171, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.5.1971 , S1g. 1971 ,351 [351 11] "Cadillon/Höss". 60 EuGH Rs. 8172, Urteil vom 17.10.1972, S1g. 1972,977 [991/28-30] "Cementhandelaren/Kommission"; EuGH Rs. 61180, Urteil vom 25.3.1981, S1g. 1981,851 [867 /12 f] "Coöperatieve Lab/Kommission"; EuGH Rs. 126/80, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.6.1981, Slg. 1981,1563 [1578 114] "Salonia"; EuGH Rs. 42/84, Urteil vom 11.7.1985, S1g. 1985,2545 [2572 122] "Remia/Kommission"; EuGH Rs. 246/86, Urteil vom 11.7.1989, S1g. 1989,2117 [2190 /33] "Be1asco/Kommission"; zuletzt EuGel Rs. T-66/89, Urteil vom 9.7.1992, Slg. 1992,11-1995 [2017 f /57] "Publisher' s Association/Kommission"; AK Kartellrecht [5, 18 f, 24]; Kartellamt untersagt Gebietsschutzvertrag von Gasversorgern, FAZ vom 21.4.1994 [24]; Braxator [85 f, 105]; vergleiche auch VO Nr. 1983/83 vom 22.6.1983 "Alleinvertriebsvereinbarungen", 3. Verordnungsgrund, ABI. 1983 L 17311+5. 61 EuGel Rs. T-66/89, Urteil vom 9.7.1992, Slg. 1992,11-1995 [2017 /55] "Publisher' s Association/Kommission". 62 Ständige Rechtsprechung, vergleiche EuGH Rs. 246/86, Urteil vom 11.7.1989, Slg. 1989,2117 [2189 f /32 ff] "Belasco/Kommission".
63 Vergleiche EuGH Rs. 45/85, Urteil vom 27.1.1987, S1g. 1987,447 [459/48] "Verband der Sachversicherer und andere/Kommission".
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Insgesamt ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH also ausreichend, wenn die Vereinbarung - entweder alleine oder in Verbindung mit anderen gleichartigen, jeweils für sich gesehen möglicherweise sogar harmlosen Vereinbarungen ("Bündeltheorie")64 - unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach geeignet ist, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann 65 . Wegen dieser weiten Auslegung fallen nur diejenigen wettbewerbsrelevanten Aktivitäten nicht unter das europäische Wettbewerbsrecht, die eine bloß lokale oder regionale Bedeutung haben, bzw. die nicht auf eine grenzüberschreitende Wirkung abzielen66. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel ist daher in der Praxis selten ein ernstzunehmendes Hindernis für die Anwendbarkeit des Kartellverbots67 : Im Fall eines italienischen Gemeinschaftsunternehmens zum Zweck der Messung von Fernseheinschaltquoten sah sich die Kommission zuständig, weil von der festgestellten Wettbewerbsbeschränkung auch ausländische Unternehmen betroffen seien, die in Italien Werbung betreiben wollten 68 . Als der Dachverband der niederländischen Bauwirtschaft Submissions- und Preisabsprachen vornahm, fühlte sich die Kommission zur Verhängung von Bußgeldern berufen, da die Abreden praktisch alle Bauausschreibungen in den Niederlanden beträfen, und damit auch die von ausländischen Kunden69 . Bei einer Neuordnung der schottischen Elektrizitätswirtschaft sah die Kommission die Möglichkeit einer Verringerung der relativen Isolierung des schottischen Marktes und damit einer größeren Verflechtung der Märkte. Deshalb könne es zu einer Zunahme des Stromaustausches zwischen den Mitgliedstaaten kommen, die Kommission sei
64 Grundlegend EuGH Rs. 23/67, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 12.12.1967, Slg. 1967,543 [555 f] "De Haecht/ Wilkin u. Janssen" [de Haecht I]; IMEmmerich § 18 /160+224 ff. 65 EuGH Rs. 56/65, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.6.1966, Slg. 1966,281 [303 f] "LTM/Maschinenbau Ulm"; EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [389] "Grundig u. Consten!Kommission"; EuGH Rs. 31/80, Urteil vom 11.12.1980, Slg. 1980,3775 [3791 118] "L'On!al"; EuGel Rs. T-66/89, Urteil vom 9.7.1992, Slg. 1992,11-1995 [2016 f /55] "Publisher's Association!Kommission". 66 Reich [1071] mit weiteren Nachweisen; Klaue, Energiewirtschaft [407]; AK Kartellrecht [5]; Weindl [298]; auch schon WEGS-Everling Art. 85 /4; Deringer Art. 85 Abs. 1/38; vergleiche auch EuGH Rs. 56+58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [389] "Grundig u. Consten!Kommission". 67 Wiedemann AT /6. 68 ABI. L 306, 1l.l2.1993 [50 ff]. 69
ABI. L 131, 26.5.1994 [ 1 ff] "Niederländische Sauwirtschaft".
II. Gründe der Verzögerung
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also auch hier zuständig70. Im BKartA hält man diese Praxis für zumindest fragwürdig und will eine auffallig hohe Zahl an förmlichen Entscheidungen der Kommission ausgemacht haben gerade in Fällen, in denen das Merkmal der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels nicht unbedingt eindeutig erfüllt sei71 . Gewisse Einschränkungen erfährt die weite Auslegung lediglich72 durch das Erfordernis der Spürbarkeit73 , das vor allem der EuGH als weiteres, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal fordert, ohne es jedoch näher zu quantifizieren74. Eine Konkretisierung erfolgt jedoch durch die sogenannte "Bagatellbekanntmachung"75 der Kommission: Tatbestandsmäßigkeit wird danach regelmäßig verneint, wenn der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen innerhalb eines Geschäftsjahres 30076 Mio. ECU nicht übersteigt und (kumulativ) ihr Marktanteil auf dem relevanten Markt nicht über fünf Prozent liegt, wobei die Werte während zweier aufeinanderfolgender Geschäftsjahre allenfalls um bis zu zehn Prozent überschritten werden dürfen 77 . Während die Kommission
70
ABI. L 178,6.7.1991 [31 ff] "Scottish Nuclear".
71
Vergleiche AK Kartellrecht [21 f].
72 Überlegungen, den Anwendungsbereich des Art. 85 Abs. 1 EGV durch eine einschränkende Auslegung im Sinne einer (aus dem amerikanischen Antitrust-Recht stammenden) "Rule of Reason" gegebenenfalls von vornherein zu verkleinern, werden in der Literatur meist zurückgewiesen; vergleiche ausführlich Ulmer RIW 1985,517 [517 ff] mit weiteren Nachweisen. Allerdings gibt es vereinzelt Urteile des EuGH, die in diese Richtung zeigen; vergleiche Nachweise bei Möschel, Entwicklungen [332 Fußnoten 15+16). 73
Müller-GraffEuR 1992,1 [3).
EuGH Rs. 56165, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.6.1966, Slg. 1966,281 [306] "LTM/Maschinenbau Ulm"; EuGH Rs. 5/69, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 9.7.1969, Slg. 1969,295 [302 /7] "Völk./Vervaecke"; EuGH Rs. 1/71, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.5.1971, Slg. 1971 ,351 [356/7-10] "Cadillon/Höss"; EuGH Rs. 19/77, Urteil vom 1.2.1978, Slg. 1978,131 [ 150 f 115] "Miller International/Kommission". 74
75 Bekanntmachung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fallen, ABI. 1986 C 23112 vom 12.9.1986, Neufassung der Bekanntmachung vom 27.5.1970, ABI. 1970 C 64/1 vom 2.6.1970, ergänzt um den Abschnitt "Bierlieferungsverträge" durch Bekanntmachung vom 13.5.1992.
76 Heraufsetzung der Umsatzschwelle von bisher 200 auf jetzt 300 Mio. ECU durch ABI. 1994 C 368/6 vom 23.12.1994.
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
streng gegen Kartelle vorgeht, die die dort festgeschriebenen Grenzen überschreiten78 , hat sich allerdings der EuGH nicht zu der Bekanntmachung geäußert und folgt ihr auch inhaltlich nicht: Er stellt auf den Einzelfall ab und verneinte die Spürbarkeil bisher regelmäßig lediglich in Fällen, in denen der Marktanteil der beteiligten Unternehmen deutlich unter einem Prozent lag79 . Die Bagatellbekanntmachung vermag daher den beteiligten Unternehmen lediglich anzuzeigen, von welcher Grenze an die Kommission regelmäßig ein Verfahren einleiten wird; kein Schutz besteht auch vor einer Anwendung des europäischen Kartellrechts durch nationale Gerichte und Behörden 80 .
3. Die Unterschätzung der Arbeitsbelastung von Anfang an Obwohl im 4. Verordnungsgrund der VO 17 davon gesprochen wird, daß die zu bearbeitenden Fälle "wahrscheinlich sehr zahlreich" sein werden und daher nicht gleichzeitig geprüft werden könnten, und man auch wußte, daß einige
77 Die Kommission plant eine Änderung dieser Grenzwerte. Nach der Mitteilung der Kommission, ABI. C 29 vom 30.1.1997 [3], abgedruckt auch in WuW 1997,217 [217 ff], sollen nun Gesamtumsätze der beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt von fünf Prozent bei horizontalen oder gemischt horizontal-vertikalen Vereinbarungen und zehn Prozent bei rein vertikalen Verbindungen gelten. Unverändert soll dies auch gelten, wenn die genannten Werte während zweieraufeinanderfolgender Geschäftsjahre um bis maximal ein Zehntel überschritten wurden. 78 So wurden 1994 drei bedeutende Kartelle von 17 Stahlträgerherstellem, 19 Kartonfabrikanten bzw. 33 Zementproduzenten mit Bußgeldern von 104 Mio. ECU, 132,15 Mio. ECU bzw. 248 Mio. ECU mit Bußgeldern behängt. Bei einer vertikalen Vereinbarung im Zusammenhang mit Sportartikeln wurde ein Bußgeld in Höhe von 640.000 ECU verhängt (vergleiche 24. WB 1994 [Anhang III-Statistik]). Ein paar Jahre zuvor hatten die Firmen Solvay, ICI und die BASF-Tochter CFK insgesamt 48 Mio. ECU zu zahlen (vergleiche 20. WB 1990 /92). 79 GTE-Schröter Art. 85 1153. Fünf Prozent Marktanteil sind nach Auffassung des EuGH wohl stets geeignet, spürbare Effekte zu bewirken; vergleice EuGH Rs. 107/82, Urteil vom 25.10.1983, Slg. 1983,3151 [3201 /58] "AEG-Telefunken/Kommission"; EuGH Rs. 19177, Urteil vom 1.2.1978, Slg. 1978,131 [149 /9 f) "Miller International/Kommission".
80 Bagatellbekanntmachung /5 f. Die Kommission versucht ihre Bekanntmachungen gleichwertig neben die Rechtsprechung des EuGH zu stellen; vergleiche KOM Bek. Gerichte /21 +36. Siehe ferner Kirchhoff [237]; Esser-Wellie WuW 1995,457 [461 ]. Bei Inkrafttreten der Bekanntmachung 1970 fielen rund 5.000 Fälle unter die Bagatellbekanntmachung; Caspari AnwBI. 1988,497 [499].
II. Gründe der Verzögerung
17
dieser Fälle Merkmale aufweisen würden, die sie "weniger gefährlich" für die Entwicklung des gemeinsamen Marktes machen würden 81 , haben die Verordnungsgeber die Zahl der zu entscheidenden Fälle 1962 nicht hoch genug eingeschätzt82. Mit 40.000 Anmeldungen allein in den ersten Wochen dürfte niemand gerechnet haben, denn das streng formelle Verfahren der VO widerspricht dem ganz offensichtlich. Wahrscheinlich hat man aber auch nicht daran gedacht, daß hin und wieder Unternehmen mehr Fälle anmelden würden, als eigentlich "notwendig" wäre: Die Praxis zeigt nämlich, daß sich zahlreiche Unternehmen um eine Freistellung bewerben, schon um die Möglichkeit einer Geldbuße im Keim zu ersticken (vergleiche Art. 15 Abs. 5 lit. a VO 17)83 . Und schließlich kommt heute hinzu, daß immer mehr Unternehmen sich zu grenzüberschreitenden Kooperationsvereinbarungen entschließen 84 .
4. Mangel an Personal und Finanzmitteln Die Generaldirektion IV hat mehrfach bekundet, daß sie gerne eine größere Zahl von Fällen aus eigener Initiative aufgreifen würde 85 ; sie mußte jedoch auch an anderer Stelle darauf hinweisen, daß sie nicht den Wunsch, vor allem aber auch nicht die verwaltungsmäßigen und personellen Resourcen hat, in jedem Fall, auf den die Wettbewerbsregeln anwendbar sind, einzugreifen 86 . In der Tat ist die Kommission personell "notorisch völlig unterausgestattet"87: Im Jahr 1985 fanden sich unter den rund 10.000 Beamten der Kommission etwa 80 Fachbeamte in der Generaldirektion IV, die für den Wettbewerb in einem Gebiet mit damals rund 280 Millionen Einwohner bzw. Konsumenten
81
Bunte WuW 1994,5 [13].
82
Von Meibom/Zinsmeister [64].
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [3]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291]. Zahlenmäßig eher gering einzuschätzen sein dürften die Auswirkungen aus der Motivation, einer möglicherweise strengeren Behandlung durch die nationale Kartellbehörde zu entgehen, weil diese mit einer Anmeldung bei der Kommission ihre Zuständigkeit zur Anwendung europäischen Rechts verliert und nach nationalem Recht keine entgegenstehende Entscheidung mehr treffen darf; vergleiche dazu grundlegend EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, Slg. 1969,1 [13 ff /4-9] "Walt Wilhelm/BKartA" [Teerfarben 1]. 83
84
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [3].
Ehlermann WuW 1993,997 [1000]; 20. WB 1990 [17]; 21. WB 1991 [II]. 86 20. WB 1990 [17]; vergleiche Bunte WuW 1994,5 [15+20]. 85
87
Neumann RIW 85,88 [98]; vergleiche auch WolfWM 1992,1730 [1730].
18
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
zuständig waren. Zum Vergleich: Für den Bereich der Agrarpolitik, von der nur etwa 8 Millionen Bauern betroffen waren, arbeiteten zur gleichen Zeit über 800 Beamte88 . Ende 1991 waren bei der GD IV 373 Mitarbeiter beschäftigt, von denen etwas weniger als die Hälfte (46 Prozent) mit Art. 85, 86 EGV -Fällen beschäftigt waren. Etwa 70 arbeiten als Berichterstatter89 . Einige nationale Behörden sind besser dafür ausgestattet, gegen wettbewerbsschädigendes Verhalten vorzugehen als die Kommission mit ihren begrenzten Mitteln90 ; die Kommission beklagt dies vor allem im Zusammenhang mit einen Vorgehen von Amts wegen91 , aber selbstverständlich hat die Personalknappheit in gleichem Maße auch Auswirkungen auf die Bearbeitung von Freistellungsanträgen. Hinzu kommt, daß der häufige Personalwechsel bei der GD IV die Kontinuität in der Arbeit beeinträchtigt92 .
111. Die Belastung wird zunehmen Aus verschiedenen Gründen erscheint es darüber hinaus wahrscheinlich, daß die Zahl der von der Kommission zu bearbeitenden Fälle noch weiter steigen wird93 , und zwar aus folgenden Gesichtspunkten: 1. Rechtskenntnis vermehrt die Verfahren
Unternehmen wie Verbraucher erhalten in zunehmendem Maße Kenntnis von den Rechtsvorschriften der europäischen Gemeinschaft. Damit rücken aber auch die Wettbewerbsregeln stärker ins Bewußtsein der Marktteilnehmer. Je mehr Personen ihre Rechte kennen, desto mehr werden auch auf ihre Einhaltung dringen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in Zukunft mit einer höheren Zahl Beschwerden wegen Verstößen gegen die Verbote der Art. 85 Abs. 1 und 86 EGV, vermutlich aber auch Anträgen auf Freistellungen gerechnet werden muß94 .
88 Die - nicht unpoiemische - Gegenüberstellung der Zahlen stammt von Neumann RIW 85,88 [97]. 89
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [2].
90
24. WB 1994 125.
91
Vergleiche auch KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [2).
92
Rittner JZ 1996,377 [378 f).
93
Vergleiche auch WolfWM 1992,1730 [1730].
94
Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
III. Die Belastung wird zunehmen
19
2. Zunehmende Effizienz "lockt" weitere Anmeldungen Sollten Anmeldungen beschleunigt bearbeitet werden, etwa bei strukturellen kooperativen Gemeinschaftsunternehmen95 , könnte daraus ein Anreiz für Unternehmen erwachsen, ihre Vereinbarungen häufiger anzumelden. So hat in der Vergangenheit zum Beispiel der Erfolg des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 EGV auch zu einer steigenden Zahl von Vorlageersuchen geführt96. Umgekehrt erscheint es zumindest plausibel, wenn angenommen wird, daß auf Grund des kompliziert auszufüllenden97 Formblatts NB bei Freistellungsanträgen sich manche Unternehmen davon abschrecken lassen und einfach auf einen guten Ausgang ihrer Unternehmung vertrauen, sofern diese nicht besonders bußfeldträchtig ist, da Aufwand und Nutzen sonst in keinem Verhältnis stehen9 . Also dürfte bei höherer Effizienz der Fallbearbeitung auch mit einer steigenden Zahl von Anträgen auf Freistellungen bzw. von Beschwerden zu rechnen sein99 .
3. Das EG-Kartellrecht wird in immer mehr Staaten gelten Das EWR-Abkommen 100 vereinbarte in seinen Art. 53 und 54 für die unterzeichnenden EFfA-Vertragsstaaten die Geltung der Wettbewerbsregeln der Europäischen Gemeinschaft. Damit sollten Art. 85 und 86 EGV auch für die sieben damaligen EFfA-Staaten Finnland, Island, Lichtenstein, Norwegen, Österreich, Schweden und die Schweiz gelten - und damit insgesamt für die mit rund 380 Millionen Verbrauchern 101 bedeutendste Handelszone der Welt 102 . Fünf der Staaten haben das Abkommen ratifiziert, so daß es am 1.1.1994 in
95
Erläuterung dazu bei 23. WB 1993 /193.
Vergleiche Beutler [253]. Die Kommission will sich um eine Vereinfachung bemühen, die wegen der Schwierigkeit der im Rahmen einer Freistellung vorzunehmenden Beurteilung aber vermutlich eher gering ausfallen wird; vergleiche 24. WB 1994 /32. 96
97
98
Vergleiche Lindemann, Freistellungspraxis [91 f].
99
Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
100
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) vom
2.5.1992, BGBI. 1993 11,267 in der Fassung des Anpassungsprotokolls vom 17.3.1993, BGBI. 199311,1294. 101
Jakob-Siebert WuW 1992,387 [387].
102 Wolf/Fink
WuW 1994,289 [290].
20
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Kraft treten konnte, die Schweiz trat wegen des negativen Ausgangs des Referendums vom 6.12.1992 dem Abkommen aber nicht bei, das Fürstentum Liechtenstein tat dies ebenfalls nicht, hielt sich aber offen, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Die Kommission hat die Garantie für die Einhaltung der Normen weitgehend übernommen 103 , auf Seiten der EFTA-Staaten ist die EFTAÜberwachungsbehörde für die Anwendung der Wettbewerbsbestimmungen zuständig. Sie wird reine EFTA-Fälle übernehmen, bei gemischten Fällen ist sie nur zu ständig, wenn im EFTA-Gebiet 33 Prozent oder mehr der Gesamtumsätze104 erzielt werden. In allen anderen Fällen ist die Europäische Gemeinschaft zuständig. Die EFTA-Staaten waren 1990 der größte Handelspartner der Europäischen Gemeinschaft: 26,8 Prozent der Exporte aus der Gemeinschaft gingen in die EFTA-Staaten. Mehr als 23 Prozent der Gemeinschaftsimporte stammten aus dem EFTA-Gebiet. Die EFTA-Staaten waren für die Gemeinschaft damit ein größerer Handelspartner als die USA und Japan zusammen; die USA nahmen 20 Prozent der EG-Exporte auf und Japan fünf Prozent. Von der EFTA-Seite aus gesehen gingen 57 Prozent der Exporte in die Gemeinschaft und etwa 60 Prozent der EFTA-lmporte stammten aus der EG 105 . Grundsätzlich ist daher zu erwarten, daß sich hier in den nächsten Jahren eine ganze Reihe von Fällen mit wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen ergeben wird, die von der Europäischen Kommission bearbeitet werden müssen. Mit der letzten Beitrittswelle am 1.1.1995 sind Finnland, Österreich und Schweden inzwischen Mitglieder der Europäischen Union geworden. Zwar hat sich dadurch der europäische Wirtschaftsraum statistisch vergrößert, aber wegen der vorherigen EFTA-Mitgliedschaft dieser Länder wurden zunächst keine besonderen Auswirkungen auf die Wettbewerbspolitik der EU erwartet 106. Allerdings ist 1995 die Zahl der der Kommission vorgelegten Fälle stark angestiegen. Betrachtet man alle Kompetenzbereiche der Kommission zusammen (wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Verhaltensweisen, Fusionen
Art. 56 Abs. 1 lit. b und c EWRA; vergleiche auch Diem DB 1994,823 (823 f]. Diese müssen nicht - anders als bei der FK-VO- identisch sein mit dem Gesamtumsatz der Gruppe. Vielmehr wird der Begriff "Unternehmen" für die Zwecke der Zuweisung definiert als eine "Einheit, welche wirtschaftliche Tätigkeiten wahrnimmt" (freie Übersetzung); siehe dazu Jakob-Siebert WuW 1992,387 [395]. 105 Jakob-Siebert WuW 1992,387 (387] mit weiteren Nachweisen. 106 Vergleiche 24. WB 1994/1. 103
104
III. Die Belastung wird zunehmen
21
und Beihilfen) betrug dieser Anstieg 44 Prozent, was im 25. Wettbewerbsbericht nun doch vor allem auf den Beitritt der drei neuen Mitgliedstaaten zurückgeführt wird 107 . Der Beitritt Norwegens zur EU steht seit dem negativen Ausgang des Referendums vom 27./28.11.1994 wieder "in den Sternen" 108 . Malta und Zypern 109 haben bereits Beitrittsgesuche gestellt, zu nennenswerten Auswirkungen wird es zu gegebener Zeit aber kaum kommen. Verschiedene Staaten Mittelost-, Ost- und Südost-Europas bemühen sich derzeit um den Eintritt in die europäische Gemeinschaft. Mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei wurden im Dezember 1991 sogenannte "EuropaVerträge" 110 abgeschlossen 111 . Die entsprechenden Interimsabkommen sind seit dem 1.3.1992 für den Wirtschaftsverkehr in Kraft: Demnach soll der Regelungsgehaltder Art. 85, 86 und 92 EGV auch im Verhältnis zu diesen Ländern eingeführt werden. Zu diesem Zweck soll ein gemischter Ausschuß innerhalb einer mehrjährigen Frist Durchführungsbestimmungen erlassen. Die Kommission möchte Anfang 1998 jedenfalls mit Estland, Polen, Slowenien, Ungarn, Zypern und der Tschechischen Republik Beitrittsverhandlungen aufnehmen; mit einer Aufnahme'ist allerdings nicht vor dem Jahr 2003 zu rechnen. Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen und die Slowakei, denen in Europa-Verträgen 112 ebenfalls die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt worden ist, müssen sich noch länger gedulden, da nach Ansicht der Kommission die Marktwirtschaft in diesen Ländern noch nicht weit genug fortgeschritten sei,
107 25. EG-Wettbewe;bsbericht 1995 vorgestellt, WuW 1996,577 [578]. Allerdings hat gleichzeitig auch die Zahl der Kommissionsentscheidungen erheblich zu genommen. 108 Vergleiche FAZ vom 30.11.1994 [I] Die Norweger sagen zum zweiten Mal nein zu Europa/Ein neuer Versuch "nicht aktuell". 109 Siehe zum Beispiel FAZ vom 21.11.1995 [17] "Ein wirtschaftlicher Musterknabe will in die EU: Zypern". 110 Bunte
WuW 1994,5 [8]. Art. 32 (EA 62) bzw. 33 (EA 63) und 33 (EA 63) des Interimsabkommens über Handel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Polen, der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik bzw. der Republik Ungarn andererseits vom 16.12.1991, ABI. 1992 L 114/2, 115/2 bzw. 11612 vom 30.4.1992. 111
112 Zum Beispiel Art. 34 (EA 64) des Interimsabkommens über Handel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft führ Kohle und Stahl einerseits und Rumänien andererseits vom 1.2.1993, ABI. 1993 L 8112 vom 2.4.1993. 3 Gillessen
22
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
die Slowakei erfülle darüber hinaus auch die Beitrittsvoraussetzungen hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz noch nicht hinreichend 113 . Der Weg für die Aufnahme weiterer europäischer Staaten in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist damit aber vorgezeichnet. Im Laufe der nächsten 10 Jahre wird voraussichtlich eine größere Anzahl von Staaten in die EG aufgenommen oder an sie herangeführt werden 114. Alles dies wird zu einer noch größeren räumlichen Ausdehnung des EGKartellrechts führen 115 .
4. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel verliert im Binnenmarkt ihre Bremswirkung Die Zwischenstaatlichkeitsklausel (Art. 85 Abs. 1 EGV) diente bislang als Abgrenzungsmerkmal von EG-Zuständigkeiten gegenüber nationalen Befugnissen (siehe oben). Je stärker jedoch die wirtschaftliche Integration voranschreitet und sich die Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedstaaten miteinander verflechten, desto weniger Jassen sich die Märkte noch an den nationalen Grenzen unterscheiden 116. Die weite Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel entspricht dieser Entwicklung. Damit aber wird die Klausel zunehmend ungeeigneter, um die erforderliche Abgrenzung vorzunehmen 117 , denn in der Tendenz vergrößert sich der Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts immer mehr, rein nationale Kartelle werden im Gegenzug immer seltener 118 . Mit Verwirklichung des Binnenmarktes, das heißt eines Handelsmarktes ohne Grenzen innerhalb der Außengrenzen der Europäischen Union, wird die Zwischenstaatlichkeitsklausel entbehrlich: In einem Wirtschaftsraum, in dem es in Bezug auf den Handel keine Grenzen mehr gibt, kann es begrifflich auch keinen zwischenstaatlichen Handel mehr geben. Dann müßten also alle Kartelle
113 FAZ vom 17.7.1997 [ II JSechs Kandidaten für die nächste Erweiterung der Europäischen Union. 114 Siehe zum Beispiel FAZ vom 4.11 .1994 [I J Juppe rechnet mit 30 EU-Mitgliedern in zehn Jahren; FAZ vom 11.7.1997 [6} Die Chancen der Beitrittsaspiranten; Gäbelein [271 f]. 115
Ähnlich Bunte WuW 1994,5 [8}.
116
Vergleiche Langen-Bunte Art. 85/92.
11 7
GTE-Schröter Art. 85/144.
118
Vergleiche Langen-Bunte Art. 85/92.
III. Die Belastung wird zunehmen
23
in den Zuständigkeitsbereich der Kommission fallen 119. Aber schon jetzt wird es auch praktisch immer schwerer festzustellen, ob und inwieweit der Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen betroffen ist. Insofern verschiebt sich also der Schwerpunkt der Fälle von den nationalen Behörden zur Brüsseler EG-Kommission 120. (Zumindest wäre also künftig an eine einschränkendere Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel zu denken 121 , da durch die formelle Errichtung des Binnenmarktes das der weiten Auslegung zugrundeliegende integrationspolitische Ziel in den wesentlichen Grundzügen erreicht sein dürfte 122 . Die bisherige Rechtsentwicklung läßt sich aber nicht auf einen Schlag umkehren, so daß eine entsprechende Forderung zwar theoretisch berechtigt, praktisch aber utopisch istl23.) Doch der Binnenmarkt ist jetzt nur formell vollendet: 1993 beklagten das Europäische Parlament 124 und der deutsche Bundesrat 125 , daß einige Binnenmarktvorschriften zum Ende des Vorjahres noch in keinem Mitgliedstaat umgesetzt waren, die soziale Harmonisierung nur langsam fortschreite und vor allem Grenzkontrollen und technische Handelshemmnisse fortbestünden; wegen der nach 1992 unverändert praktizierten Personenkontrollen an den Grenzen der Mitgliedstaaten hatte das Europäische Parlament sogar Untätigkeitsklage gegen die Kommission erhoben 126. Verbrauchervorlieben, Sprachbarrieren, aber auch die Eigenarten bestimmter Produkte und administrative Maßnahmen tragen dazu bei, daß auch nach dem 31.12.1992 der Gemeinsame Markt noch in nationale Teilmärkte zerfällt und bei weitem nicht alle Marktschranken gefallen sind 127 .
119
Vergleiche von Meibom/Zinsmeister [61].
120 GTE-Schröter
Art. 85 /144; Gäbelein [272 f].
Großbritannien etwa äußerte eine entsprechende Forderung; BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin. 121
123
Vergleiche WolfEuZW 1994,233 [233 Fußnote 12]. BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin.
124
Binnenmarkt: Bilanz und Ausblick, EuZW 1993,173 [173].
122
Bundesrat zur Vollendung des Binnenmarkts, EuZW 1993,303 [303] ; SRDrucksache 59/93 (Beschluß). 125
126
Vergleiche Untätigkeitsklage gegen EG-Kommission, FAZ vom 16.7.1993 [6].
GTE-Schröter Art. 86 /121; Groger/Janicki WuW 1992,991 [1000]; Vergleiche auch Art. 9 Abs. 2 und 3 FK-VO, der ausdrucklieh die Existenz gesonderter nationaler Teilmärkte weiterhin anerkennt; Jung, Subsidiarität [28]. 127
3*
24
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
In diesem Sinne wird also die weitere Verlagerung der Zuständigkeiten in der Praxis zwar langsam vonstatten gehen, jedoch voraussichtlich kontinuierlich weiter fortschreiten 128. 5. Mehr Verfahren bald auch wegen der Fusionskontrolle
Ein letzter Punkt bedarf der Erwähnung, auch wenn er unmittelbar mit der Anwendung der Kartellvorschriften nichts zu tun hat. Doch sind mittelbare Auswirkungen zu erwarten: Seit einiger Zeit wird die Herabsetzung der Eingreifschwelle in der Fusionskontrolle diskutiert 129. Die Schwelle ist z. Zt. gemäß Art. I Abs. 2 FK-V0 130 überschritten, wenn alle beteiligten Unternehmen weltweit einen Gesamtumsatz von über 5 Mrd. ECU erzielen oder zwei Unternehmen im Gemeinschaftsgebiet jeweils mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Bleiben die Unternehmen unter dieser Schwelle, sind die nationalen Behörden zur Anwendung ihres eigenen Fusionskontrollrechts befugt. Übersteigen sie sie, ist die Kommission zuständig und wendet die FK-VO an. Mit einer Absenkung der Schwelle war eigentlich noch im Jahr 1996 zu rechnen 131 : In ihrem Grünbuch hatte die Kommission unter anderem vorgeschlagen, diese Umsatzschwelle für die Kompetenzverteilung zwischen Kommission und nationaler Wettbewerbsbehörde von 5 auf 2 Mrd. ECU herabzusetzen132. Dies stieß in einigen Ländern, darunter auch Deutschland, auf Widerstand; man plante daher eine Absenkung der Schwelle nicht auf 2 Mrd., son-
128 Entsprechend dürfte sich auch die Belastung der Kommission mit Fällen nach der FK-VO verstärken, vergleiche Schlecht [16] und 3. Verordnungsgrund der FK-VO. 129 Vergleiche die Forderung von Unternehmensverbänden nach einer Änderung: BDI, Stellungnahme zur Überprüfung der Schwellenwerte der EG-Fusionskontrollverordnung, Köln 25.3.1993 [10-13]; BDI für Ausweitung der EG-Fusionskontrolle auf kleinere Unternehmen, EuZW 1993,304 [304]; Brüssel überprüft die EG-Fusionskontrolle, FAZ vom 6.4.1993 [17]; van Miert FAZ vom 20.8.1993 [13]. 130 Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 21.12.1989, ABI. L 257 [13]. 131 Vergleiche EG-Kommission schlägt Beibehaltung der Fusionskontrollverordnung bis 1996 vor, EG-Nachrichten - Berichte und Dokumentationen Nr. 30/31 vom 2.8.1993 [4]; Brüssel will vorerst keine schärfere Fusionskontrolle, FAZ vom 29.7.1993 [ 11]; Europäische Kommission will langfristig Fusionskontrolle verschärfen, FAZ vom 20.5.1994 [16] ; Ehlermann FAZ vom 18.6.1994 [13]. 132 Vergleiche Schlecht [16]; gegen eine Absenkung Kamburoglou WuW 1993,273 [275 ff].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
25
dem nur auf 3 Mrd. ECU Weltumsatz und 150 Mio ECU EU-Umsatz 133 . Auf der Sitzung des EG-Ministerrates Mitte November 1996 kam es jedoch dann nicht zu einer entsprechenden Einigung, weil Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien eine noch größere Kompetenzverlagerung nach Brüssel befürchteten 134. Da sich die Kommission aber bei ihrem Anliegen vom EU-Parlament unterstützt weiß 135 , dürfte sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen neuen Vorstoß wagen. Sollte sie dann erfolgreich sein, würde die Kommission insgesamt im europäischen Kartellrecht in noch mehr Fällen zuständig sein und sich ihre Gesamtbelastung also noch zusätzlich erhöhen 136.
IV. Vergehliehe V ersuche zur Entlastung der Kommission Das Europäische Parlament hat das Vollzugsdefizit wiederholt gerügt und Abhilfe angemahnt 137 . Zu Recht: Es besteht nämlich nicht nur die Gefahr einer schleppenden Bearbeitung der Fälle, sondern unter dem Arbeitsdruck können auch Entscheidungen getroffen werden, die dem Problem im Einzelfall nicht gerecht werden. Die Kommission hat auch einige Anstrengungen unternommen, den Rückstau der Fälle abzubauen und dies zu einem guten Stück auch geschafft: Der "backlog" betrug zum 31.12.1994 gerade etwas über 1.000 Fälle. Dennoch hat die Kommission die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen erkannt- und sei es nur um die Belastung nun zumindest gleichbleibend "gering" zu halten, denn mit einer weiteren Verringerung rechnet man vorsichtshalber schon gar nicht mehr138 . In ihren Wettbewerbsberichten hat sie daher mehrfach ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden bei der "dezentralen Anwendung" der Wettbewerbsregeln betont 139. In diesem Zusammenhang hat die Kommission auch eine Bekanntmachung über die vermehrte
133 Kurzinformation: EG-Kommission für Kronzeugenregelung - Kompromiß bei Schwellenabsenkung, WuW 1996,546 [546]. 134 Kurzinformation: Baldige Revision des EG-Wettbewerbsrechts fraglich, WuW
1996,971 [971]. 135
Kurzinformation: Baldige Revision des EG-Wettbewerbsrechts fraglich, WuW
1996,971 [971]. 136
Vergleiche Groger/Janicki WuW 1992,991 [1001].
Zum Beispiel Entschließung zum 20. WB 1990, ABI. Nr. C 13 vom 20.1.1992 [13]; siehe auch Groger/Janicki WuW 1992,991 [994] ohne Nachweise. 137 138
Zum Beispiel 24. WB 1994 [Anhang III - Statistik].
139
20. WB 1990 [17]; 21. WB 1991 [11].
26
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die nationalen Gerichte herausgegeben140, die im Zusammenhang mit den Entlastungsvorschlägen des EuGH in seiner "Delimitis"-Entscheidung 141 steht. Eine weitere Bekanntmachung zur Anwendung durch die nationalen Behörden ist in Vorbereitung. Im wesentlichen lassen sich vier Maßnahmen unterscheiden, die die Kommission unternommen hat oder unternehmen will, um eine Entlastung herbeizuführen: - Ermunterung zu vermehrter Anwendung durch nationale Behörden - Erlaß von weiteren Gruppenfreistellungen -häufigerer Versand von comfort letters, und schließlich - Anreiz zu zahlreicherer Anwendung durch nationale Gerichte. Der erste und letzte Punkt sollen dabei auch den immer lauter werdenden Rufen nach Dezentralisierung und mehr Subsidiarität gerechter werden ohne die Rechtseinheit in der Entscheidungspraxis aufs Spiel zu setzen. Die Mittel und Verfahren, die die Kommission gewählt hat, um dem Massenproblem Herr zu werden, müssen jedoch nicht selten den Vorwurf ertragen, nicht auszureichen oder sich teilweise "am Rande des Vertrages" zu bewegen 142.
1. Das unattraktive Angebot an die nationalen Behörden a) Die Befugnisse nach geltendem Recht Da das Kartellverbot des Art. 85 Abs. l EGV in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht 143 (und daher auch unmittelbar geltendes
140
Siehe dazu unter Gliederungspunkt A. IV. 5.
EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 1991 ,I-935 [992 ff /48 ff] "Delimitis/Henninger Bräu". 141
142 Zum Beispiel Emmerich, Kartellrecht [553] zur Praxis der comfort Ietter und vermehrten Gruppenfreistellungen. 143 Ständige Rechtsprechung, EuGH Rs. 13/61, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.4.1962, Slg. 1962,97 [111 f] "De Geus/Bosch und van Rijn" ; EuGH Rs. 127173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.1.1 974, Slg. 1974,51 [62 /1517] "BRT 1/SABAM und andere"; GTE-Schröter Vor Art. 85-89 17 ff mit weiteren Nachweisen.
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
27
innerstaatliches Recht) 144, ist es von den Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten zu beachten und anzuwenden. Zwar bedarf es keiner Umsetzung in nationales Recht 145 , jedoch ist für die Möglichkeit, Untersagungen auszusprechen, eine nationale Ausführungsvorschrift notwendig, um die Kompetenz einer bestimmten Behörde zuzuweisen 146. Sofern eine entprechende Zuweisung besteht, sind neben 147 der Kommission teilweise auch die nationalen Behörden ermächtigt, das Kartellverbot eigenständig in den Mitgliedstaaten durchzusetzen. Bis vor kurzem verfügten aber einige Mitgliedstaaten noch gar nicht über eine nationale Wettbewerbsgesetzgebung und damit auch nicht über Kartellbehörden, die das gemeinschaftliche Kartellrecht hätten durchsetzen können. Zwar ist dieser Mangel inzwischen behoben 148, aber in nur sieben Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) sind diese Behörden auch verfahrensrechtlich in der Lage, die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft anzuwenden 149, dagegen verfügen Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und Schweden über diese Möglichkeit noch nicht 150. Selbst in Deutschland ist erst 1989 durch die 5. GWB-Novelle 151 mit dem neuen § 47 GWB die verfahrensrechtliche Grundlage geschaffen·worden152, Frankreich folgte Ende 1992 153 .
144 Heute herrschende Ansicht, vergleiche IM-Immenga/Mestmäcker Einleitung /32; Grabitz-Koch Vor Art. 85/8; EuGH Rs. 127173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.1.1974, Slg. 1974,51 [62 /15-1 7] "BRT 1/SABAM und andere''.
145 Die parlamentarische Zustimmung (in Deutschland am 5.7. I957) hierzu diente nicht der Umsetzung der vertraglichen Regelung in das jeweilige nationale Recht, sondern stellte einen "Akt der Verfassungsgebung" der Gemeinschaften dar; vergleiche dazu Nicolaysen, Europäisches Gemeinschaftsrecht [7 f] ; Oppermann /525; Bleckmann, Europarecht /243. Allgemein zu Entstehung und Wirkung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auch Rengeling/Middeke/Gellermann /876 ff mit weiteren Nachweisen. 146
Vergleiche Beschluß des KG vom 4.1 I. 1988 "Landegebühr" WuWIE OLG 4291 .
Teilweise wird wegen Art. 9 Abs. 3 VO 17 von einer nachrangigen oder auch subsidiären Zuständigkeit gesprochen (so zum Beispiel 23. WB 1993 /19 I; Balken [I 28 f] ; Becker [I 26)). Jung, Subsidiarität [221] weist jedoch zu Recht darauf hin, daß wegen des Subsidiaritätsprinzips in Art. 3 b EGV die nationalen Kartellbehörden genaugenommen vorrangig zuständig sind; ähnlich, aber grundsätzlich zur Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten auch Pieper DVBI. 1993,705 [711]. 147
148
Überblick bei Dreher AG 1993,437 [441 ff].
149
24. WB 1994/85; Wolf/Fink WuW 1994,289 [292].
°KOM Dok. DE/04/95/11360100.POO (FR) /4; vergleiche ferner 24. WB 1994/85.
15
28
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Doch auch in den Staaten, in denen die Behörden zum Handeln ermächtigt sind, bleiben die Möglichkeiten zur Durchsetzung des Kartellverbots hinter denen der Kommission zurück: Die weitreichenden Ermittlungsbefugnisse und Sanktionsmöglichkeiten, die die VO 17 zur Verfügung stellt, gelten nur für die Kommission 154. Die nationalen Behörden sind auf die landeseigenen Verfahrensrechte beschränkt (vergleiche für Deutschland § 47 Abs. 2 Satz I GWB), die in ihren Ermächtigungen nicht mit dem europäischen Recht Schritt halten müssen; so kann es den mitgliedstaatliehen Behörden zum Beispiel versagt sein, bestimmte Sanktionen wie etwa Bußgelder zu verhängen 155 , denn auf EG-Ebene reicht für ein Bußgeld ein fahrlässiger Verstoß (das heißt bereits der Abschluß eines verbotenen Vertrages) 156 , wohingegen nach deutschem Recht (vergleiche§ 38 Abs. I Nr. 1 GWB) erforderlich ist, daß sich die Unternehmen bewußt und vorsätzlich über das Verbot hinwegsetzen (zum Beispiel durch Praktizierung der Absprache). Das schärfere Schwert ruht damit in den Händen der Kommission.
151
Vom 22.12.1989, BGBI. I 1989,2486.
Das frühere Gesetz zur Ausführung der VO I 7/62 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 17.8.1967 (BGBI. I 1967,91 I) reichte als Ermächtigungsgrundlage zum eigenständigen Vollzug des europäischen Kartellrechts mit Hilfe nationaler Verfahrensvorschriften nicht aus. Für eine Anwendung durch das BKartA war deshalb eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung durch den nationalen Gesetzgeber erforderlich; Art. 88 EGV genügte nicht. KG 4.1 1.1988, WuW!E OLG 4291 [4294 ff]"Landegebühren"; IM-Klaue § 47 II f; von Gamm § 47 /2; GTE-Schröter/JakobSiebert Art. 87, 2. Teil/2; zur Einführung des § 47 GWB ausführlich Klocker WuW 1990,109 [109 ff]; siehe auch Bunte, Verstärkte Anwendung [3 I 8 ff] und Pietrek RIW 1990,61 I [612+618]. 152
153
Ehlermann WuW 1993,997 [999].
Vergleiche zum Beispiel für Geldbußen nach Art. 15 VO 17 Langen-Bunte Einführung EG /62. 154 155
Behrens [85].
Vergleiche etwa den Fall einer (nie angewandten) Exportverbotsklausel in einem Vertriebsvertrag, ABI. L 233, 15.8.1992 [27 ff] "VIHO/Parker Pen", wobei das EuGel Rs. T-77/92, Urteil vom 14.7.1994, Slg. I 994,II-549 [580 /95] "Parker Pen/Kommission" zwar die Bußgeldentscheidung bestätigte, aber die Höhe von 700.000 auf 400.000 ECU reduzierte. 156
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
29
b) Nur wenige Staaten machen mit Von den Staaten, die verfahrensrechtlich in der Lage sind, das europäische Kartellverbot durchzusetzen könnten, machen nur wenige von dieser Befugnis, und auch dann nur mehr oder minder seltenen Gebrauch. Belgien, Griechenland, Italien und Portugal wären zwar in der Lage, das Kartellrecht der Gemeinschaft anzuwenden, haben dies aber zum Beispiel im Jahr 1994 überhaupt nicht getan. Portugal erklärte, sein nationales Wettbewerbsrecht entsprechend den Grundsätzen der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln anzuwenden, gleiches gilt für die (z. Zt. nicht zur Anwendung von Art. 85 EGV ermächtigten) Behörden Irlands und der Niederlande. Dänemark hat erklärt, sein nationales Recht im Sinne der Subsidiarität anzuwenden 157. Nur in Frankreich, Spanien und Deutschland scheint die Anwendung von Art. 85 Abs. I (und 86) EGV geltende Praxis geworden zu sein. Frankreich meldete für 1994 acht Fälle, auf die Gemeinschaftsrecht anwendbar war, Spanien berichtet von drei Anwendungsfällen des Art. 85 Abs. 1 EGV, wovon allerdings zwei unter Gruppenfreistellungsverordnungen fielen 158 . Das deutsche BKartA wandte Art. 85 Abs. I EGV 1994 dreimal an und nutzte dabei den weiten Anwendungsbereich des Art. 85 Abs. 1 EGV, um damit auch Wettbewerbsbeschränkungen zu erfassen, die dem deutschen Kartellrecht vor allem auf Grund der Ausnahmebereiche der §§ 99 ff GWB nicht unterfallen und bei denen nur im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht beschränkte Eingriffe möglich sind 159 . So betraf gleich der erste Fall einer Untersagung seit Inkrafttreten des neuen § 47 GWB einen Demarkationsvertrag aus dem Bereich der Energiewirtschaft: Das BKartA untersagte die Durchführung einer Gebietsabsprache zwischen der Thyssengas GmbH und der Ruhrgas AG - beides Unternehmen, die große Mengen Gas aus dem europäischen Ausland importieren -, da der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt sei 160 . Zuvor haue die Korn157
24. WB 1994/85.
158
24. WB 1994 [62 f].
159
23. WB 1993 /595; vergleiche AK Kartellrecht [ 18].
BKartA, Beschluß vom 18.4.1994, RdE 1994,154. Die Entscheidung wurde wegen zunächst fehlender Anhörungen kurz vor der Verhandlung vor dem KG zwar vom Kartellamt im März 1996 wieder zurückgenommen, jedoch dann erneut untersagt; FAZ vom 27.7.1995 [11] Kartellamt treibt Musterverfahren zum Energiewettbewerb voran. Die Unternehmen haben dagegen vor dem KG Klage erhoben. Das KG hat inzwischen, mit Zustimmung von BKartA und den Unternehmen Ruhrgas und Thyssengas, die Frage, ob das BKartA berechtigt ist, einen in Deutschland zwischen den Unternehmen gemäß § 103 GWB geltenden Gebietsschutzvertrag nach Art. 85 Abs. 1 EGV zu untersagen, dem EuGH vorgelegt; KG Berlin, Beschluß vom 30.10.1996, Kart. 21/95, WuWIE OLG 5694 [5694 ff] "Ruhrgas-Thyssengas II"; FAZ vom 17.1.1997 [16] EU soll deut160
30
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
missiondem BKartA auf Anfrage schriftlich mitgeteilt, daß sie nicht beabsichtige, ein förmliches Verfahren nach der VO 17 einzuleiten 161 , im Falle einer Anmeldung wolle sie eine Freistellung verweigern 162. (Auch im - allerdings nicht zur Entscheidung gekommenen 163 - Fall "Kieve/RWE" konnte das BKartA wegen der Ausnahmebereiche ausschließlich Art. 85 Abs. 1 EGV anwendenl64.) Die Kommission will bei denjenigen nationalen Wettbewerbsbehörden, die sich auf eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung stützen können, eine steigende Zahl von Anwendungsfällen ausgemacht haben, da 1993 acht neue Anwendungsfälle der Verbote der Art. 85 (und 86) EGV gemeldet wurden 165 . Bei fast ebensovielen Fällen im Jahr 1991 und 1994, dürfte es jedoch schwerfallen, schon von einer Tendenz zu sprechen. Bei einer so niedrigen Zahl erscheint es auch fragwürdig, davon zu sprechen, daß 1993 in der "ganz überwiegenden Mehrzahl" 166 die gemeinschaftsrechtlichen Verbote zusammen mit den entsprechenden Verbotsvorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts durchgesetzt worden seien. Freilich hat auch das BKartA das europäische Kartellverbot nicht nur in den Ausnahmebereichen, sondern auch parallel zum deutschen Recht angewendet: Es untersagte die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das grenzüberschreitende Transporte von PKW-Neuwagen vom Werk bis zum Händlernetz vornehmen sollte, sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht; letzteres insbesondere weil die Unternehmen sich darauf beriefen, daß die grenzüberschreitende Zusammenarbeit keine wesentlichen Auswirkungen im Inland habe 167 . Die dritte vom BKartA ausgesprochene Untersagung gemäß
sehe Energiemonopole beurteilen. Die Entscheidung in dieser Sache hat Präzedenzcharakter für über 20.000 deutsche Gebietsschutzabkommen; Kurzinformation: EuGH soll Zulässigkeil eines Verbots des BKartA von Gebietsschutzverträgen nach EG-Recht prüfen, WuW 1996,778 [778]; Kurzinformation: Musterprozeß vor dem EuGH über die Anwendung des EG-Rechts durch das BKartA bei Demarkationsverträgen, WuW 1996,874 [873 f]. 161
AK Kartellrecht [ 19].
FAZ vom 27.7.1995 [13] Kartellamt treibt Musterverfahren zum Energiewettbewerb voran. 162
163
Siehe dazu Gliederungspunkt A. IV. I. d) bb).
164
23. WB 1993 /595.
165
23. WB 1993/595.
166
Vergleiche 23. WB 1993 /595.
Kooperation bei Transport von Neuwagen untersagt, FAZ vom 29.6.1994 [17]; ATG/Menke/Silcock and Colling, Presseinformation des BKartA vom 27.6. 1994. 167
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
31
Art. 85 Abs. I EGV betraf die gleichlautenden Exklusivitätsvereinbarungen in Hotelverträgen der beiden marktstarken Reiseveranstalter TUI und NUR, die zum Ausschluß des Wettbewerbers Alltours führten 168 . In allen drei Fällen des Jahres 1994 haben die betroffenen Unternehmen gegen die Entscheidung des BKartA Beschwerde beim Kammergericht eingelegt 169.
c) Keine Abhilfe durch eine weitere Bekanntmachung Die Kommission hat die nur schleppende Anwendung des europäischen Rechts durch die Behörden der Mitgliedstaaten mehrfach bedauert 170. Zum einen um sich selbst zu entlasten, zum anderen aber auch um die Akzeptanz und den Bekanntheitsgrad des gemeinsamen Rechts zu erhöhen, möchte sie daher versuchen, die nationalen Behörden (und auch Gerichte 171 ) zu einer intensiveren und effektiveren Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zu bewegen. Entsprechende Überlegungen werden bereits seit einigen Jahren angestellt 172 . 1990 hat die Kommission intern zwei Konzepte entworfen, die die Anwendung der Art. 85 und 86 EGV durch nationale Kartellbehörden 173 und den Informationsaustausch zwischen diesen und den europäischen Behörden174 betreffen. Der Leitgedanke sollte später durch die "Automec"Entscheidung175 bestätigt werden: Ähnlich wie in der Bekanntmachung über die Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten 176 sollen auch hier die Auf-
168
Held (48]; AK Kartellrecht [19].
169
24. WB 1994 [60 f1.
170 20. WB 1990 [17]; 21. WB 1991 [II]; vergleiche auch Ehlermann WuW 1993,997 [999].
171
Siehe dazu KOM Bek. Gerichte.
Vergleiche bereits 15. WB 1985 /42 am Ende; zu den Gründen für die verspätete Einbeziehung der Verwaltungsbehörden Ehlermann, Verwaltungsverfahren {5]; Ehlermann WuW 1993,997 [999]. 172
173 KOM Dok. IV/334/90-DE, Anwendung der EWG-Wettbewerbsregeln durch die nationalen Kartellbehörden. 174 KOM Dok. IV/382/90-DE, Informationsaustausch zwischen der EG-Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden. 175 EuGei Rs. T-24/90, Urt. vom 17.9.1992, Slg. 1992,11-2223 [2275177, 2279/91 ff] "Automec SRL/Kommission"; dazu Besprechung von Cumming, Automec and Asia France vom Commission {1994)1 ECLR 32 [32 ff]. 176 Dort auch schon für die Zusammenarbeit mit den Behörden erwähnt; KOM Bek. Gerichte 114.
32
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
gaben so verteilt werden, daß die Mitgliedstaaten in den Fällen entscheiden, deren Schwerpunkt in ihrem Territorium liegt, die Kommission soll dagegen für die für die Gemeinschaft wirklich bedeutsamen Fälle zuständig sein 177. Fälle eignen sich ihrer Auffassung nach dann für eine dezentrale Anwendung, wenn sich ein Vorhaben im wesentlichen auf dem Territorium eines Landes abspielt, alle betroffenen Unternehmen dort ihren Sitz haben, keine Untersuchungen in anderen Mitgliedstaaten erforderlich sind und auch keine Geldbußen grenzüberschreitend angeordnet werden müssen 178 . Von den Anfang 1994 rund 1.200 bei der Kommission anhängigen Fällen entfielen 280, rund ein Viertel, auf die erstere Kategorie und könnten also durch nationale Behörden behandelt werden 179. In Vorbereitung befindet sich nun eine entsprechende Mitteilung im Amtsblatt 180. Davon erhofft man sich eine wesentliche Entlastung 181 und eine für alle Seiten befriedigende Arbeitsteilung 182. Der Vorentwurf dieser Bekanntmachung 183 sieht vor, daß - ohne Änderung der VO 17 184 und damit ohne Verzicht auf das Freistellungsmonopol - die Kommission die oben genannte Aufgabenteilung dadurch herstellt, daß sie in bestimmten Fällen nach summarischer Prüfung auf besondere Gemeinschaftsrelevanz kein Verfahren einleitet und den nationalen Behörden den Fall zur Bearbeitung überläßt. Ob eine Freistellung in Betracht kommt, möchte sie ebenfalls in einer summarischen Vorprüfung feststellen. Obwohl noch nicht beschlossen, hat das geplante Verfahren der Kommission bereits erste Kritik eingebracht: Mit dem Plan einer lediglich summarischen Prüfung auf Freistellungsfähigkeit bestätige die Kommission ihre bisherige, unzureichende Praxis und schaffe einen "Leitfaden zur Rechtsverweigerung" 185 , da sie sich- wie gewohnt- einer förmlichen Entscheidung entziehen könne 186. 177 22. WB 1992 [15]; 23. WB 1993 /190; Groger/Janicki WuW 1992,991 [996]; BTDrucksache 1215200 [6]; van Miert WuW 1995,553 [558]; AK Kartellrecht [28]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291]. Kritisch zur praktischen Durchführbarkeit einer solchen Aufgabenverteilung zwischen Kommission und nationalen Behörden Hutchings/Levitt [1994]3 ECLR 119 [119 ff] . 178
KOM Dok. IV/334/90-DE/18 f.
179
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [20]; Möschel, Subsidiaritätsprinzip [48].
180
Vergleiche 23. WB 19931191.
181
22. WB 19921120.
182
Ehlermann WuW 1993,997 [999]; Ehlermann Handelsblatt [5].
183
KOM Dok. DE/04/95/11360100.POO (FR).
184
Vergleiche auch 22. WB 1992 /120.
185
BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin.
186
Vergleiche Bunte, Verstärkte Anwendung [320 f].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
33
Unabhängig von den Bedenken gegen die Art und Weise, mit der eine stärkere Dezentralisation der administrativen Anwendung der Wettbewerbsregeln erreicht werden soll, ist auch in der Praxis mit einigen Schwierigkeiten zu rechnen. Schon weil bislang nur wenige Staaten überhaupt europäisches Kartellrecht anwenden können, wird sich der Entlastungseffekt zunächst in Grenzen halten; in diesem Punkt ist allerdings mit der Zeit Besserung zu erwarten. Aber die Hindernisse für eine vermehrte Anwendung, die in der gesetzlichen Situation liegen, werden sich durch eine bloße Bekanntmachung der Kommission nicht beseitigen lassen. Dies hat im wesentlichen folgende Gründe: aa) Das Informationsverwertungsverbot Sofern die Kommission als supranationale Behörde auf der Grundlage des in der VO 17 geregelten gemeinschaftsrechtlichen Kartellverfahrensrechts tätig wird, hat sie das Verfahren stets in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durchzuführen (Art. 10 Abs. 2 VO 17); teilweise bedient sie sich ihrer auch bei den Ermittlungen (Art. 13 VO 17). Im Rahmen dieser gemeinsamen Arbeit übermittelt die Kommission den nationalen Behörden in der Regel alle Informationen, die die nationale Behörde benötigt, um ihren Teil der Aufgabe zu erfüllen bzw. die Situation beurteilen zu können. Dabei handelt es sich vor allem um Informationen, die in den Anträgen und Anmeldungen der Unternehmen nach Art. 2, 4 oder 5 VO 17 enthalten sind, und um den Inhalt der Antworten aus den Auskunftsersuchen der Kommission an die Unternehmen nach Art. 11 VO 17. In Bezug auf diese Informationen hat der EuGH nun in einem Vorlageverfahren unter Hinweis auf Art. 20 Abs. I VO 17 und Art. 214 EGV entschieden, daß die Mitgliedstaaten diese Auskünfte - sofern sie nicht veröffentlicht worden sind - nicht anderweitig als Beweismittel verwerten dürfen 187. Dieses Beweisverwertungsverbot 188 betrifft nicht nur Verfahren nach der jeweiligen nationalen Kartellgesetzgebung bzw. Rechtsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten, sondern auch ein Vorgehen der nationalen Behörden auf Grund europäischen Rechts: Alle von den Unternehmen der Kommission mitgeteilten Informationen, die die Kommission wiederum an die Mitgliedstaaten weitergeleitet hat, sind damit für letztere "tabu" 189. Zwar kön-
187 EuGH Rs. C-67/91, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.7.1992, Slg. 1992,1-4785 [4828 ff /22 ff] "Spanische Privatbanken". 188 Siehe zur vormals herrschenden Meinung Rohlfing [ 182, 185] mit weiteren Nachweisen. 189 Vergleiche Langen-Bunte Einführung EG /64.
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
neo die nationalen Behörden ihre eigene Untersuchung im Rahmen der nationalen Vorschriften einleiten und so (da sie ja nun bereits wissen, wo und wonach sie zu suchen haben) die Beweisstücke, die sie auf Grund der Informationen der Kommission eigentlich bereits vorliegen haben, erneut anfordern bzw. ermitteln190, aber das prinzipielle Verwertungsverbot hat dennoch die Hoffnung auf eine vermehrte Anwendung des europäischen Rechts durch die nationalen Kartellämter erheblich getrübt 191 . bb) Wer ist Herr des Verfahrens- und wie lange? Bei der Anwendung des Kartellverbots in Art. 85 Abs. I EGV konkurrieren die nationalen Behörden mit der Kommission um die Rechtsanwendungskompetenz. Dabei kann man zunächst von einer Doppelzuständigkeit sprechen: Nach Art. 9 Abs. 3 VO I7 sind die nationalen Behörden befugt, Art. 85 Abs. I dezentral nach Maßgabe des Art. 88 EGV anwenden. Sie handeln dabei auf Grund ihrer nationalen Verfahrensbestimmungen. In Deutschland gilt also § 47 GWB 192, der dem BKartA die Kompetenz zuweist und dafür das Instrumentarium zur Verfügung stellt, das der Behörde auch bei einem Vorgehen direkt nach dem GWB zustehen würde. Denkbar sind also Untersagungen nach § 37 a GWB bei Verstößen gegen das Verbot des Art. 85 Abs. I EGV und die Durchführung der hierzu erforderlichen Ermittlungen nach § 46 GWB. (Die gleichen Ermittlungsbefugnisse bestehen auch dann, wenn das BKartA in einem Verfahren der Kommission (vergleiche Art. I3 VO I7) mitwirkt 193 .) Da eine wettbewerbsbeschränkende Absprache den Handel in mehreren Mitgliedstaaten zugleich betreffen kann, können nach der Regelung der VO I7 in Verbindung mit Art. 88 EGV neben der EG-Kommission mehrere Mitgliedstaaten zugleich für einen Fall zuständig sein 194. Jedoch kann auch die Kommission ein Verwaltungsverfahren nach Art. 2, 3 oder 6 VO I7 einleiten 195. In diesem Fall beendet sie gemäß Art. 9 Abs. 3 VO
190 Insofern erscheinen die rechtsstaatliehen Bedenken, die gegen die "direkte" Verwertung der Beweismittel durch die nationalen Behörden geltend gemacht werden, wenig überzeugend; vergleiche von Meibom/Zinsmeister [63]. 191 Bunte,
Verstärkte Anwendung [316 f].
Über entsprechende Regelungen verfügen derzeit auch Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal; Wolf EuZW 1994,233 [235 Fußnote 35]. 192 193
Langen-Bunte Einführung EG /63.
194 Groger/Janicki 195
WuW 1992,991 [996].
Die Kommission spricht hier vornehm von "übernehmen" (23. WB 1993/191.
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
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17 die Zuständigkeit der nationalen Behörde 196 und ist selbst ausschließlich zur Anwendung berufen 197 . Durch eine solche Regelung sollte Einheitlichkeit in der Verwaltungspraxis und für die Unternehmen ein Schutz vor Parallelverfahren erreicht werden 198 . Dabei versteht man unter einer "Einleitung" eines Verfahrens heute in der Regel einen hoheitlichen Rechtsakt der Kommission, der den Willen zum Ausdruck bringt, eine Entscheidung nach den genannten Artikeln herbeizuführen 199. Nicht ausreichend sind jedenfalls Untersuchungshandlungen200 oder die Übersendung eines "comfort letter" 201 . In der Praxis wird meist nach Abschluß der Untersuchungen, und sofern die Kommission noch eine förmliche Entscheidung plant, die Verfahrenseinleitung durch einen besonderen Beschluß den betroffenen Unternehmen und Behörden mitgeteilt202 . Bis dahin bleiben also - obwohl sich die Kommission schon "an die Arbeit" gemacht hat- auch die nationalen Behörden parallel zuständig203 .
196 Mit Ausnahme der FK-VO gilt dieses Prinzip im gesamten europäischen Kartellrecht. Vergleiche Art. 15 VO 1017/68 des Rates vom 19.7.1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, ABI. 1986 L 17511, Art. 14 VO 4056/86 vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr, ABI. 1986 L 378/4 und Art. 17 VO 3975/87 vom 14.12.1987 über Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln aufLuftfahrtuntemehmen, ABI. 1987 L 374/1. 197 BGH Beschluß vom 18.5.1993, WuW/E BGH 2869 [2872] "Pauschalreisenvermittlung II"; Langen-Bunte Einführung EG /61. 198 Schlußanträge GA Roemer, EuGH Rs. 48/72, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [95] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht II]; EuGH Rs. 60/81, Urteil vom 11.11.1981, Slg. 1981,2639 [2653 /18] "IBM/Kommission"; Grabitz-Pemice Nach Art. 87, VO Nr. 17, Art. 9 15; Becker [126]. 199 EuGH Rs. 48172, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973 , Slg. 1973,77 [88 116] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht Il]; EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I 0.7 .1980, Slg. 1980,2481 [2500 /14] "Estee Lauder" ; GTE-Schröter Vor Art. 85-891142 Fußnote 305. 200 Vergleiche Schlußanträge GA Roemer EuGH Rs. 48172, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [94 ff] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht Il]. 201 EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2481 [2500 f 115 f] "Estee Lauder"; Grabitz-Pernice Nach Art. 87, VO 17, Art. 917. 202
Kritisch dazu Gleiss/Hirsch (3) Art. 9 VO 17 /8.
203
Grabitz-Pernice, Nach Art. 87, VO 17, Art. 9 19.
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Dies führt nun dazu, daß die nationalen Behörden bis zum Erlaß einer eigenen Entscheidung nicht sicher wissen können, ob ihnen das Verfahren eines Tages von Brüssel aus der Hand genommen wird. So führte die in Art. 9 Abs. 3 VO 17 getroffene Regelung der Rechtsanwendungskonkurrenz gleich im ersten Fall, in dem das deutsche BKartA nach dem Inkrafttreten des neuen § 47 GWB europäisches Recht anwenden wollte, zum Konflikt: Die Stadt Kleve hatte mit dem Energieversarger RWE einen Konzessionsvertrag geschlossen. Deutsches nationales Kartellrecht war wegen der Ausnahmebestimmung des § I 03 GWB nicht anwendbar, das Kartellamt leitete aber ein Verfahren nach Art. 85 Abs. I EGV ein. In Berlin glaubte man, praktisch in einem Musterverfahren die Monopolstellung der westdeutschen Energiekonzerne aufbrechen zu können und hoffte, damit einen "Domino-Effekt" 204 zu erreichen. Die beteiligten Unternehmen haben daraufhin den Vertrag nach Art. 4 VO 17 bei der EG-Kommission zur Erlangung einer Einzelfreistellung angemeldet. Kurz vor Ablauf der vom BKartA gesetzten Frist bis zum 31. Juli 1993 hat dann auch die Kommission ein Verfahren förmlich eingeleitet und damit die Zuständigkeit des BKartA gemäß Art. 9 Abs. 3 VO 17 beendet205 . In der Literatur wird unter Verweis auf diesen Fall nun teilweise davon gesprochen, daß dieses "Evokationsrecht" der Kommission von vornherein die Bereitschaft zur dezentralen Rechtsanwendung "unterminiere" und zu "großen Frustrationen" beim BKartA geführt habe 206 . Die Wortwahl scheint ein wenig übertrieben, aber richtig ist, daß der Zuständigkeitsverlust beim BKartA nicht gerne gesehen wurde207 . Es gibt Anzeichen dafür, daß das BKartA in Zukunft wenig Interesse an der Verfolgung von Fällen nach Art. 85 Abs. 1 EGV zeigen wird, wenn ihm einige Male das Verfahren aus der Hand genommen werden sollte208 . In der Tat erscheint es wenig sinnvoll, Zeit und Personalmittel in ein Verfahren zu investieren, von dem nicht sicher ist, ob es überhaupt zum Abschluß gebracht werden kann. Doch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die Kommission absichtsvoll die Zuständigkeit der nationalen Behörden beenden will. Das Verfahren Mitteilung des BKartA WuW 1993,180. Die Kommission hat dann aber die materielle Prüfung des Falles unter Verweis darauf eingestellt, daß die Vereinbarung der Vertragsparteien bereits Ende 1995 auslaufe; ZinsmeisterWuW 1997,5 [10]. 204 205
Behrens [84 f]; Bunte, Verstärkte Anwendung [316]. BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin. 208 In diesem Sinne äußerte sich Groger auf dem Symposion "Kartellrecht in der Reform" des Frankfurter Instituts (Stiftung Marktwirtschaft und Politik) am 26.1.1996 im Verlagsgebäude der FAZ. 206 207
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RWE/Kleve gelangte nur deshalb in die Zuständigkeit der Kommission, weil die beteiligten Unternehmen eine Freistellung begehrten und deshalb ihre Vereinbarung in Brüssel anmeldeten. Das "Problem" des BKartA lag also nicht an der Kommission, sondern an den Ausnahmebereichen des GWB, die zu einem Rechtskonflikt mit den europäischen Vorschriften führten. Die Unternehmen haben mit ihrer Anmeldung die dadurch entstehende Lücke ausgenutzt und eine Entscheidung durch die Kommission veranlaßt Ähnliches gilt zum Beispiel auch für die Fälle "Merck/Merieux" und "VW/Ford", in denen das BKartA eine Untersagung angekündigt, die Kommission die Vereinbarungen dann auf die Anmeldungen der Unternehmen hin jedoch genehmigt hat. Da eine Freistellung (bis auf die Fälle des Art. 4 Abs. 2 VO 17) nicht ohne Anmeldung erteilt werden kann, ist die teilweise zu lesende Darstellung, die Kommission habe das Verfahren aufgegriffen und damit die Zuständigkeit der nationalen Behörde beendet209, falsch. Das eigentlich auslösende Moment waren die Anmeldungen der Unternehmen, nicht die förmliche Verfahrenseinleitung durch die Kommission. Insofern kann auch von einem "Evokationsrecht" nicht210 gesprochen werden. Anders lag es im Fall Thyssen/Ruhrgas: Eine Freistellung kam hier nicht in Betracht, auch bestand kein Widerspruch zwischen den Kartellvorschriften, da -jedenfalls nach Ansicht des BKartA - auch § 103 GWB verletzt war211 . Die Kommission konnte daher ganz auf das BKartA vertrauen und mußte kein eigenes Verfahren (nach Art. 85 Abs. I EGV) einleiten, durch das die Zuständigkeit des BKartA beendet worden wäre. Dies zeigt, daß die Kommission kein Interesse daran hat, sich mehr Arbeit aufzuladen als unbedingt nötig212 . Da allerdings immer ein gewisses Risiko besteht, daß die Kommission - aus welchen Gründen auch immer - einen Fall doch noch selbst bescheiden möchte, befinden sich die nationalen Behörden in Bezug auf ihre Anwendungskompetenz
209
[50 f].
Zum Beispiel Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiaritätsprinzip
210 Bzw. nicht wirklich: Ungeklärt ist nämlich noch, ob die Kommission durch eine Anmeldung tatsächlich zum Handeln gezwungen wird. Vergleiche dazu EuGel Rs. T24/90, Urteil vom 18.9.1992, Slg. 1992,11-2223 [2223 ff] "Automec SRUKommission" und die noch zu erwartende Entscheidung in der Sache "RWE-Nordhorn". Sollte danach eine Entscheidungsfreiheit der Kommission verbleiben, wäre der Ausdruck aber nicht ganz falsch. 211 Vergleiche FAZ vom 27.7.1995 [II] Kartellamt treibt Musterverfahren zum Energiewettbewerb voran. 212 Daß die Kommission sich umgekehrt mit dem Abgeben von Fällen noch schwer tut, steht auf einem anderen Blatt und hindert die eben vorgenommene Beurteilung nicht. 4 Gillesscn
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
ständig in einem Schwebezustand, der ihre Bereitschaft zu dezentraler Anwendung zumindest mindern kann. In der Sache "RWE-Nordhorn"- einem "zweiten Anlauf' des BKartA, die Energiemonopole durch ein Musterverfahren aufzubrechen- hat das BKartA dann doch zunächst auf eine Ahmahnung nach Art. 85 Abs. 1 EGV verzichtet, um abzuwarten, ob die Kommission den Fall übernehmen will 213 . Der Fall "Kleve/RWE" hat aber, ebenso wie die vergleichbaren Fälle "Merck/Merieux" und "VW/Ford", den Blick auf ein Problem eröffnet, daß im Freistellungsmonopol der Kommission wurzelt und in engem Zusammenhang mit dem eben Dargestellten steht: Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz des unteilbaren Zusammenhangs von Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV festgestellt 214. Die nationalen Behörden sind jedoch auf die Anwendung von Art. 85 Abs. I EGV beschränkt, so daß eine "integrale" Anwendung durch ein und dasselbe Rechtsanwendungsorgan auf Seiten der nationalen Behörden unmöglich ist215 . Wenn nun Art. 85 Abs . I EGV dezentral angewendet und das Vorhaben der Unternehmen durch eine nationale Behörde untersagt (und möglicherweise sogar mit einem Buß- oder Zwangsgeld belegt) wird, kann es vorkommen, daß die Kommission nach Art. 85 Abs. 3 EGV das Verbot des Absatz 1 für nicht anwendbar erklärt und damit die im Widerspruch dazu stehende nationale Entscheidung wieder "kassiert"216 . Die nationale Behörde hätte dann ihr Verfahren umsonst durchgeführt und für die Unternehmen würde sich die schwer zu klärende Frage stellen, ob und gegen wen sie wegen gegebenenfalls erlittener negativer wirtschaftlicher Folgen auf Grund des dezentral festgestellten Verbotes vorgehen können. Die Gefahr, daß eine Entscheidung der nationa-
213 Siehe FAZ vom 27.7.1995 [II] Kartellamt treibt Musterverfahren zum Energiewettbewerb voran. 214 Vergleiche EuGH Rs. 13/61, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.4.1962, Slg. 1962,97 [113 ff] "De Geus/Bosch und van Rijn"; EuGH Rs. 59177, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 14.12.1977, Slg. 77,2359 [2370 /II] "De Bloos/Bouyer" [Angemeldete Altverträge]. 215 Behrens [85]. Von Bedeutung für diesen Problemkreis wird auch die zu erwartende Entscheidung des EuGH in dem Vorabentscheidungsersuchen des KG Berlin in der Sache "Ruhrgas!Thyssengas" sein. Speziell die Vorlagefragen 4. und 7. des Ersuchens betreffen nämlich die Möglichkeit und das Erfordernis einer integralen Anwendung von Art. 85 Abs. I und 3 EGV. Je nach Entscheidung durch den EuGH könnte dann wegen der mangelnden Befugnis der nationalen Behörden, Freistellungen nach europäischem Recht zu erteilen, Art. 9 Abs. 3 VO 17 gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen und damit das Freistellungsmonopol rechtsungültig sein; vergleiche KG Berlin, Beschluß vom 30.10.1996, Kart. 21/95, WuWIE OLG 5694 [5694 ff] "Ruhrgasffhyssengas II". 216
Groger/Janicki WuW 1992,991 [996].
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len Behörde "überholt" wird, ist zudem relativ groß, denn es geht nur in sehr wenigen Fällen um schlichte Untersagungen. In der Regel spielen nämlich zumindest auch Freistellungsaspekte eine Rolle217 . In seiner "Matra"Entscheidung hat das EuGei zudem festgestellt, daß grundsätzlich jede Vereinbarung freistellbar ist218 . Um nicht in Widerspruch zu der Auffassung der Kommission zu gelangen, müßte die handelnde Behörde also vor einer Entscheidung über Art. 85 Abs. 1 EGV auch den Absatz 3 prüfen, ohne jedoch darüber direkt entscheiden zu dürfen. Kommt sie zu der Auffassung, daß Art. 85 Abs. 3 EGV anwendbar ist, dürfte sie die Untersagung nicht aussprechen, sondern müßte das Verfahren aussetzen 219. Nur wenn eine auf den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt einwirkende Freistellung nicht mehr in Frage kommt oder materiell unter allen erdenklichen Gesichtspunkten ausgeschlossen erscheint, dürfte das Verbot ausgesprochen werden220. Behrens221 möchte aus diesem Dilemma ableiten, daß der Grundsatz der integralen Anwendung nur für die rechtsanwendende Stelle gelten kann, die auch zur Anwendung beider Normen befugt ist. Dementsprechend bräuchten also die nationalen Behörden Art. 85 Abs. 3 EGV nicht berücksichtigen, da sie auch keine Anwendungskompetenz dafür haben. Freilich macht dann der Grundsatz der integralen Anwendung wenig Sinn. Die Ansicht von Bebrens erscheint aber auch deswegen wenig überzeugend, weil dann das in primären Gemeinschaftsrecht festgelegte System des europäischen Kartellrechts, das aus dem Zusammenspiel von Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV besteht, durch sekundäres Gemeinschaftsrecht (Art. 9 Abs. 1 VO 17) im Falle der dezentralen Anwendung gleichsam generell "außer Kraft gesetzt" würde. Gegen die Pflicht, das Verfahren auszusetzen, sobald sich am Horizont eine Freistellungserklärung durch die Kommission abzeichnet, wird zu Recht eingewandt, daß sich dafür keinerlei gesetzliche Grundlage finden läßt222 : Solange die Kommission nicht entschieden hat, kann die nationale Behörde durch eine Verbotsfeststellung auch nicht in deren ausschließlichen Zuständigkeitsbereich übergreifen. Sie kann also das Kartellverbot noch durchsetzen und ist auf 217
Groger/Janicki WuW 1992,991 [997].
EuGel Rs. T-17/93, Urteil vom 15.7.1994, Slg. 1994,11-595 [625 /85] "Matra/Komrnission". 218
219 So für die Anwendung des EG-Kartellrechts durch nationale Gerichte KOM Bek. Gerichte /30; GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil /3. 220
Vergleiche Langen-Bunte Einführung EG /66.
221
Behrens [92].
222 Zum 4*
Beispiel Jung, Subsidiarität [222 f].
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Grund der Direktwirkung auch zur Anwendung der Vorschriften verpflichtet. Aus der bloßen Möglichkeit einer Freistellung und den entsprechenden Absichten der Kommission - die sich ja immer noch ändern können - kann jedenfalls keine präventive, rechtlich bindende Vorwirkung abgeleitet werden. Eine rechtliche Verpflichtung zur Verfahrensaussetzung gibt es also nicht. Freilich hat die Möglichkeit einer Freistellung durch die Kommission tatsächliche Auswirkungen auf die nationale Behörde: Warum sollte sie ein Verfahren weiter führen, wenn - vermutlich oder zumindest möglicherweise - die Kommission zu einem anderen Ergebnis kommen wird? Zeit und Geld könnte man sich sparen, wenn das Verfahren ohnehin seinen Abschluß nicht "wie geplant" finden wird. In der Praxis dürfte also auch die bloße Möglichkeit einer Freistellung die nationalen Kartellbehörden zögern lassen, das Kartellverbot mit Eifer durchzusetzen. Sofern die nationalen Behörden keine Sicherheit223 haben, daß es bei ihren Entscheidungen auch bleibt, muß die Unsicherheit die Bereitschaft zur dezentralen Durchsetzung von Art. 85 Abs. 1 EGV mindern 224 . cc) Keine gemeinschaftsweite Geltung nationaler Entscheidungen Art. 85 EGV erfaßt nur Handlungen, die den zwischenstaatlichen Handel berühren. Unter die Vorschrift fallen also nur Fälle, die grenzüberschreitende Auswirkungen haben (oder zumindest haben könnten). Wenn eine nationale Behörde nun jedoch materielles europäisches Recht anwendet, so tut sie dies auf der Grundlage ihrer nationalen Verfahrensordnungen 225 , die die Einzelheiten für den Erlaß eines Verwaltungsaktes regeln. Diese Verfahrensordnungen haben aber nur Geltung für das eigene Territorium. Im Völkerrecht gilt nach herrschender Lehre226 , daß Hoheitsakte fremder Staaten (insbesondere Verwaltungsakte227 ) wegen des Territorialitätsprinzips nur im Hoheitsbereich des betreffendes Staates und weder unmittelbar noch durch eine Anordnung des Völkerrechts in anderen Staaten gelten. Grundsätz-
223 Etwa durch eine vorangehende, auf dem Ermittlungsergebnis beruhende "Verständigung" (Groger/Janicki WuW 1992,991 [996)) bzw. durch "integriertes Verwaltungshandeln" (Wolf EuZW 1994,233 [235)) zw. Kartellbehörde und Kommission in Form einer Art "discomfort Ietter".
224
Zu Recht auch Behrens [85); Groger/Janicki WuW 1992,991 [996].
EuGH Rs. C-67/91, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.7 .1992, S1g. 1992,1-4785 [4831 /32) "Spanische Privatbanken". 225
226
Strupp/Schlochauer-Geck I [55 f); seltene Ausnahme insofern Folz [236 ff) .
227
Bleckmann NVwZ 1986,1 [2].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
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lieh geht auch das positive Recht eindeutig von der Notwendigkeit der Übernahme des Inhalts fremder Staatsakte als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit auf fremdem Gebiet aus228 . Anerkennungspflichten gibt es nur ganz beschränkt229 . Auch im Europäischen Recht gibt es keine Rechtsgrundlage für eine automatisch extraterritoriale Anwendung des gemeinsamen Kartellrechts 230. Das deutsche BKartA ist daher bei der Vornahme von Hoheitsakten auf den räumlichen Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Entsprechendes gilt für die Behörden anderer Länder. Nur weil europäisches Recht angewendet wird, wirkt die getroffene Entscheidung nicht auch gleich in allen anderen Mitgliedstaaten231 -materielle Rechtsanwendung und verfahrensrechtliche Wirkungen liegen auf zwei verschiedenen Ebenen 232 . Trotz der materiellen "EG-Dimensionen" eines Falles kann die anwendende nationale Behörde verfahrensrechtlich nur mit Wirkung für das eigene Territorium handeln. Es besteht also ein Anwendungsdefizit233 . Das hat weiter keine Auswirkungen, wenn nur Unternehmen aus demselben Land beteiligt sind, denn dann kann auch eine national erklärte Untersagung den Wettbewerb im gemeinsamen Markt wirksam sicherstellen. Sobald die Unternehmen jedoch in mehreren Ländern tätig sind, müßten auch die Behörden mehrerer Länder darüber entscheiden. Es käme dann zu Mehrfachverfahren mit der Gefahr von Entscheidungskonflikten. Zwar gilt das Verbot schon kraft Gesetzes unmittelbar in allen Ländern, jedoch kann man bei der Feststellung der Voraussetzungen zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Das braucht nicht auf Mangel an gutem Willen zu deuten. Das Tatbestandsmerkmal der Marktbeeinflussung erfordert, zu untersuchen, wie weit sich der Markt im jeweiligen Fall erstreckt, also wo seine durch sachliche, zeitliche oder örtliche Umstände gesetzten Grenzen liegen. Man spricht deshalb auch vom für den Fall "relevanten Markt". Die richtige Ermittlung desselben ist das eigentlich Schwierige an einer Kartellrechtsprüfung. Je nachdem, wie der relevante Markt eingeschätzt
228
Bleckmann NVwZ 86,1 [3] .
229
Vergleiche Strupp/Schlochauer-Geck I [55 f) mit weiteren Nachweisen.
230
Bunte, Verstärkte Anwendung [321 f) ; Bunte WuW 1994,5 [16].
23 1 So aber für Art. 85 Abs. 3 EGV Wolf/Fink WuW 1994,289 [292] ; überzogen auch Bleckmann, Europarecht /411, der in Einzelfällen Verwaltungsakte anderer Länder wegen des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue sogar als "inländische" Verwaltungsakte auch der anderen Mitgliedstaaten auffassen will. Zum Grundsatz der Gemeinschaftstreue siehe auch sogleich.
232 Jung, 233
Subsidiarität [236 Fußnote 1494].
Bunte WuW 1994,5 [6+16); Bunte, Verstärkte Anwendung [322).
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wird, ist ein Fall so oder anders zu entscheiden - mit der Folge, daß ein und dieselbe Vereinbarung im einen Land verboten ist, im anderen nicht. Die Nützlichkeit von nur national wirksamen Entscheidungen ist daher begrenzt. Daher stellt sich die Frage, ob es eine Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Verwaltungsakten anderer Mitgliedstaaten gibt. Allgemein bedeutet Anerkennung zunächst, daß ein Staat eine Erstreckung der Wirkungen fremder Hoheitsakte auf sein Territorium zuläßt234. Da grundsätzlich alle Staaten souverän sind, ergibt sich aus dem Völkerrecht keine Verpflichtung zu deren Anerkennung235. Es steht daher im Ermessen eines jeden Staates, ob er ausländische Hoheitsakte anerkennt oder nicht236 . §§ 16 a FGG und 328 ZPO enthalten für die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Regelungen, die jedoch nur die Anerkennung von Urteilen der streitigen und Beschlüssen der freiwilligen 237 Gerichtsbarkeit betreffen238 . Für Verwaltungsakte fehlt es noch gänzlich an entsprechenden Rechtsgrundsätzen239. (Lediglich für die Grenzen der Anerkennung wurden aus dem Rechtsstaatsprinzip Richtlinien entwickelt. Eine Anerkennung scheidet demnach aus, wenn die den Verwaltungsakt erlassende Verwaltungsbehörde international nicht zuständig w~40 oder sein Inhalt gegen den deutschen "ordre public", das heißt gegen wesentliche Grundsätze unseres Rechtssystems verstößt241 . Ob darüber hinaus noch weitere Kriterien, wie Gegenseitigkeit oder förmliche Anerkennungsverfahren, erforderlich sind, ist streitig und von der Art der jeweils getroffenen Regelung abhängig242 .) Auch eine analoge Anwendung der erwähnten Vorschriften kommt nicht in Betracht, weil sie Akte der Streitent-
234
[366].
BGHZ 25,134 [140]; Drobnig ROW 1981,181 [191 ff]; Kreuzer IPRax 1990,365
235 Vergleiche Papier/Olschewski DVBI. 1976,475 [475 ff]; Bleckmann JZ 1985,1072 [ 1073]; Kreuzer IPRax 1990,365 [366]. 236
BVerfGE 63,343 [361]; MK-Sonnenberger Einleitung /92+94.
Verwaltungsakte aus dem Bereich des Kartellrechts fallen jedoch nicht darunter; Jung, Subsidiarität [234 f]. 237
238
Zu den Rechtsquellen der Entscheidungsanerkennung Kropholler [532 f].
239
Vergleiche Kreuzer IPRax 1990,365 [367].
240
Neumeyer [336 f].
241
Eitel [88 ff, insbesondere 93]; König [90 f]; Hoffmann [870]; Papier/Olschewski DVBI. 1976,475 [478]; Kreuzer IPRax 1990,365 [367 f] . 242 Jung, Subsidiarität [235]; vergleiche Neumeyer [336 f, 341 ff]; Kreuzer IPRax 1990,365 [368].
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scheidung oder Rechtsgestaltung durch unabhängige Gerichte in einem justizförmigen Verfahren voraussetzen, während ein Verwaltungsakt nur einseitig ergeht243 . Zwar ist es in der deutschen Verwaltungspraxis durchaus üblich, ausländische Entscheidungen anzuerkennen 244 . Solange es aber keine Verpflichtung dazu gibt - und zwar für alle Staaten gleichermaßen - ist in der Sache für das vorliegende Problem dadurch nicht viel gewonnen: Zu unsicher wäre, ob die Entscheidung im konkreten Fall auch tatsächlich anerkannt werden würde. Daher ist zu klären, ob sich aus dem Europarecht entsprechende Verpflichtungen ergeben. Ausdrückliche Regelungen, vergleichbar etwa dem Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ)245 gibt es nicht. Es ist aber unbestritten, daß Europarecht unmittelbar die Anerkennung von Verwaltungsakten bestimmen kann 246 . So hat der EuGH aus den Grundfreiheiten der Art. 30, 52, 59 und 67 EGV mehrfach eine Pflicht zur Anerkennung hoheitlicher Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten abgeleitet247 : Fremde Befähigungsnachweise (Diplome, Zeugnisse etc.) und Qualitätsstandards, die ein Mitgliedstaat für sich als ausreichend erachtet, werden als auch genügend für die anderen Staaten betrachtet, ohne daß es noch zu einer Harmonisierung der entsprechenden Zulassungs- und Prüfungsregelungen kommen muß 248 . Sie sind daher von anderen Mitgliedstaaten im Wege gegenseitigen Vertrauens auf die Gleichwertigkeit des Kontrollverfahrens und der geschützten Interessen anzuerkennen249. Deshalb haben zum Beispiel auch im Bereich des freien Waren-
243 Kreuzer IPRax 1990,365 [367]. Wegen sachlicher Unübertragbarkeit Neumeyer [337 f]; Jung, Subsidiarität [235]. 244
Vergleiche Hoffmann [799+870].
245
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, BGBI. 1972 11,774, sowie Beitrittsübereinkommen vom 9.10.1978, ABI. 1978 L 304/1, vom 25.10.1982, ABI. 1978 L 388/1 und vom 26.5.1989, ABI. 1978 L 285/1 ; siehe dazu auch das Auslegungsprotokoll von 1971, BGBI. II 1972,836. 246 Vergleiche MK-Sonnenberger Einleitung /271; Schlosser RIW 1983,473 [476]; Bleckmann JZ 1985,1072 [1075,1077). 247
Zusammenfassend Bleckmann JZ 1985,1072 [1075 mit weiteren Nachweisen].
248
Siehe Oppermann /1494.
249
Vergleiche Bleckmann NVwZ 86,1 [4 f] und Oppermann /1533.
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
verkehrs nach Art. 30 EGV (etwa bei der Gleichbehandlung von Import- und Inlandsware) gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen zur Rechtsangleichung ihre große Bedeutung verloren 250. Diese Rechtsprechung dürfte jedoch nicht auf das vorliegende Problem übertragbar sein. Der EuGH wollte damit lediglich schneller die ohnehin in den Harmonisierungsvorschriften genannten Ziele erreichen251 . "Rechtsgrundlage" für Anerkennungspflichten sind also die Harmonisierungsvorschriften. Daraus kann aber kein allgemeiner Anspruch abgeleitet werden, fremde Hoheitsakte anzuerkennen, auch wenn diese auf gemeinsamen Vorschriften beruhen 252 . Es ist aber zu überlegen, ob sich eine Pflicht zur Anerkennung nicht aus Art. 5 EGV ergeben könnte253 . Mit Abschluß des EG-Vertrages haben die einzelnen Gründungsstaaten einen Teil ihrer Souveränität aufgegeben und sich einer supranationalen Rechtsgemeinschaft als Glieder eingefügt mit dem Ziel, bestimmte vertragliche Vorgaben gemeinsam und im Zusammenwirken mit den Institutionen jener Gemeinschaft zu verwirklichen 254 . Um dies zu gewährleisten, verankert Art. 5 EGV im Gemeinschaftsrecht den Grundsatz der Gemeinschaftstreue. Er fordert ein loyales und solidarisches Zusammenwirken der Mitgliedstaaten untereinander und mit den Organen der Gemeinschaft255 . Art. 5 Abs. I 2 EGV verpflichtet dabei die Mitgliedstaaten ausdrücklich, der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern. Für die Mitgliedstaaten bedeutet dies auch, daß sie die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts auf ihrem Territorium schaffen müssen256.
250 Vergleiche EuGH Rs. 120178, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 20.2.1979, Slg. 1979,649 [665] "Cassis de Dijon". 251 Diese Rechtsprechung kann daher eigentlich auch nur als eine Übergangslösung verstanden werden. 252 So aber Bleckmann JZ 1985,1072 [1072 ff); Bleckmann NVwZ 1986,1 [1 ff); Bleckmann, Europarecht /412.
253 Vergleiche Grabitz-v. Bogdany Art. 5/3. 254
Ipsen, Gemeinschaftsrecht [211 ff].
255
Grabitz-v. Bogdany Art. 5 /6+52; v. d. Groeben/Mestmäcker [141 f] .
256 Vergleiche EuGH Rs. 30170, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom
17.12.1970, Slg. 1970,1197 [1207 f /8 f) "Otto Scheer"; EuGH Rs. 51-54171, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 15.12.1971, Slg. 1971,1107 [ 1116 /3 f) "International Fruit Company II" ; EuGH Rs. 39172, Urteil vom 7.2.1973, Slg. 1973,101 [113 /17] "Kommission/Italienische Republik"; EuGH Rs. 240178, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 21.6.1979, Slg. 1979,2137 [2148/4 f) "Atalanta Amsterdam!Produktshap voor Vee en Vlees"; EuGH Rs. 205-215/82, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom
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Was aber nun eine mögliche Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Verwaltungsakten anbetrifft, so kommt Art. 5 Abs. 2 EGV jedenfalls dafür von vornherein nicht in Betracht. Denn nach dieser Vorschrift dürfen keine Maßnahmen ergriffen werden, die die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen257. Es wird also lediglich eine Unterlassungspflicht258 begründet, die nicht zu der Verpflichtung führen kann, Verwaltungsakte anderer Mitgliedstaaten durch aktives Tun anzuerkennen. Nach Art. 5 Abs. 1 1 EGV haben allerdings die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem Vertrag oder Maßnahmen der Gemeinschaft ergeben. Es besteht also eine Rechtspflicht zu positivem Handeln. So ergeben sich aus Art. 5 Abs. I EGV nach allgemeiner Ansicht Pflichten zwischen den Verwaltungen der einzelnen Mitgliedstaaten, etwa Mitteilungspflichten oder Pflichten zur Zusammenarbeit259. Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue verpflichtet die Mitgliedstaaten dabei auch, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gleichmäßig durchzusetzen260. Die Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten verlangt werden, müssen freilich "geeignet" sein. Daraus ergibt sich, daß zwar das konkrete Ergebnis, nicht aber der genaueWeg dorthin dem Mitgliedstaat vorgeschrieben ist. Dieser steht vielmehr in seinem Ermessen. Die Vorschrift ist damit in etwa mit der Verpflichtung aus einem Werkvertrag vergleichba~61 . Wenn der Mitgliedstaat aber insofern die Wahl hat, welchen Weg er beschreiten möchte, so kann ihn nur dann die Pflicht treffen, fremde Verwaltungsakte anzuerkennen, wenn ihm sonst kein Mittel zur Verfügung steht. Hier aber kann der Mitgliedstaat selbst einen entsprechenden Verwaltungsakt erlassen262. Daß das für ihn mehr Aufwand bedeutet, als einfach den fremden Ver-
21.9.1983, Slg. 1983,2633 [2665117] "Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland"; GTE-Zuleeg Art. 5 /6 f. 257 EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, Slg. 1969, I [ 14 /6] "Walt Wilhelrn/BKartA" [Teerfarben I]. 258
Bleckmann, Europarecht /382.
Grabitz-v. Bogdany Art. 5 /51 ; GTE-Zuleeg Art. 5 /13. 260 Schwarze, Verwaltungsrecht [50 f] . 259
261
Vergleiche Bleckmann, Europarecht /384 ff.
Ausreichend dürfte in einigen Fällen sogar sein, wenn der Staat den Verwaltungsakt auf Grund nationaler Rechtsvorschriften und nicht auf Grund Gemeinschaftsrechts erlassen kann, sofern diese Maßnahme in gleichem Maße den Zielen der Gemeinschaft dient. 262
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waltungsakt anzuerkennen, kann diese Beurteilung nicht ändern. Die Öffnung des eigenen Hoheitsgebiets für fremdstaatliche Maßnahmen ist für einen Staat nämlich von erheblichem "Gewicht". Welchen Weg er beschreitet, muß daher ihm überlassen bleiben. Art. 5 EGV begründet also keine Pflicht, einen fremden Verwaltungsakt nach Art. 85 Abs. 1 EGV anzuerkennen. Im Gemeinschaftsrecht gibt es damit insgesamt keine Rechtsgrundlage für die gegenseitige Anerkennung nationaler Verwaltungsentscheidungen263 . Die Reichweite eines dezentral erklärten Verbotes bleibt demnach auf das eigene Territorium beschränkt. d) Zwischenergebnis Erst nach und nach werden in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die rechtlichen Voraussetzungen für eine dezentrale Anwendung europäischen Kartellrechts geschaffen. Zwar verfügen alle Staaten inzwischen über eigene Kartellbehörden, aber nur rund die Hälfte davon ist nach nationalem Verfahrensrecht auch zur Anwendung der europäischen Vorschriften befugt - und auch dann steht nicht das weitreichende Instrumentarium des europäischen Kartellverfahrensrechts zur Verfügung. Die Anwendung kam daher bislang nur schleppend in Gang. Besserung wird von einer Bekanntmachung der Kommission erwartet, nach der den nationalen Behörden Fälle mit einem wirtschaftlichen Schwerpunkt auf ihrem Territorium überlassen werden; am Freistellungsmonopol der Kommission soll sich aber nichts ändern. Aber auch dann schmälern rechtliche Hindernisse das Interesse der nationalen Behörden, von ihren Befugnissen Gebrauch zu machen. Drei Gründe mindern den Anreiz: Informationen, die der Kommission von den Unternehmen zur Verfügung gestellt und von diesen an die nationalen Behörden weitergeleitet wurden, von den nationalen Behörden nicht in anderen Verfahren verwendet werden. Wegen der Anwendungskonkurrenz zwischen nationalen Kartellbehörden und der Kommission, die im Falle einer Verfahrenseinleitung durch die Kommission zum Verlust der nationalen Zuständigkeit führt, können sich die nationalen Behörden noch über den Schluß ihres Verfahrens hinaus nicht sicher sein, ob es bei ihrer Entscheidung bleiben wird. Man kann ihnen nicht verdenken, daß sie sich fragen, ob sich ihr Einsatz überhaupt "lohnt". Und schließlich: Nationale Entscheidungen gelten nur auf dem eigenem Territorium; eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen gibt es nicht. In Fällen, in denen Unternehmen aus mehreren Staaten beteiligt sind, werden mehrere Verfahren erforderlich. Das kann zu Entscheidungskonflikten führen. 263 I.
E. auch Bunte, Verstärkte Anwendung [322]; Bunte WuW 1994,5 [16].
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In all diesen Punkten handelt es sich um Probleme, die in der Zuständigkeitsverteilung und damit der VO 17 wurzeln oder schon im EGV angelegt sind. Durch eine bloße Erklärung oder Bekanntmachung der Kommission lassen sie sich nicht aus der Welt schaffen. Also ist auch keine wesentliche Entlastung der Kommission davon zu erwarten.
2. Entlastung durch mehr Gruppenfreistellungen? a) Die Praxis und ihre Fehlentwicklungen Gruppenfreistellungen ermöglichen es, auf einmal eine ganze Schar von Kartellvereinbarungen vom Verbot des Art. 85 Abs. I EGV auszunehmen. Es handelt sich um Verordnungen, die für bestimmte, im Wirtschaftsverkehr besonders häufige Vertragsarten die unbedenklichen (und damit zulässigen) Vereinbarungen von den kartellrechtswidrigen abgrenzen. Gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV gelten sie unmittelbar im gesamten Gemeinschaftsgebiet Für den Erlaß von Gruppenfreistellungsverordnungen ist allein der Rat nach Art. 87 EGV zuständig. Er hat diese Kompetenz mit vier Durchführungsverordnungen an die Kommission delegiert264 . Es handelt sich dabei vor allem um eine für horizontale Vereinbarungen zuständige Rahmenverordnung 265 und eine entsprechende "vertikale" Verordnung266. Die anderen beiden Verordnungen gelten für Sonderbereiche267 . Auf Grund dieser Ermächtigungen kann die 264 Wiedemann AT /37. Zur Zulässigkeit dieses Vorgehens EuGH Rs. 32/65, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,457 [481 ff] "Italienische Republik/Rat u. Kommission".
265 Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20.12.1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABI. 1971 L 285/46 vom 29.12.1971, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2743/72 vorn 19.12.1972 ABI. 1972 L 291/144 vom 28.12.1972 (Normen- und Typenkartelle, Forschungs- und Entwicklungskooperationen sowie Spezialisierungsvereinbarungen). 266 Verordnung Nr. 19/65/EWG des Rates vom 2.3.1965 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, ABI. 1965 36/533 vorn 6.3.1965 (Alleinvertriebs-, Alleinbezugs- und Lizenzverträge). 267 VO (EWG) Nr. 3976/87 des Rates vom 14.12.1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr, ABI. 1987 L 374/9 vom 31.12.1987, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2344/90 des Rates vom 24.7.1990, ABI. 1990 L 217115 vorn 11.8.1990, und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2411192 des Rates vom 23.7.1992, ABI. 1992 L 240119 vom 24.8.1992. VO (EWG) Nr. 1534/91 des Rates vom 31.5.1991 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
Kommission Einzelheiten der Gruppenfreistellungen festlegen. Sie hat davon auch vielfältig Gebrauch gemacht, etwa mit der Spezialisierungs- 268 und der Forschungs- und Entwicklungs-Gruppenfreistellungsverordnung269 . Dabei sind Überschneidungen denkbar; zum Beispiel enthalten die eigentlich "vertikalen" Patentlizenz- 270 und die Know-how271 -Gruppenfreistellungsverordnungen auch horizontale Aspekte. In der Regel sind Gruppenfreistellungsverordnungen nach gleichem Muster aufgebaut: Der Beschreibung der freistellungsfähigen Vereinbarungen folgen teilweise sehr ausführliche Kataloge mit erlaubten (sogenannten "weißen") und verbotenen (sogenannten "schwarzen") Klauseln, an denen sich die Unternehmen orientieren können. Sofern Unternehmen in ihren Vereinbarungen ausschließlich "weiße" Klauseln verwenden, bewirkt die Gruppenfreistellungsverordnung eine automatische Freistellung der Vereinbarung; sie ist damit zivilrechtlich wirksam und braucht auch nicht mehr angemeldet zu werden 272 . Sollte die Unternehmerische Vereinbarung jedoch eine "schwarze" Klausel enthalten, begründet dies eine Vermutung für die Unvereinbarkeit mit Art. 85 Abs. 3 EGV und die fehlende Freistellungsfähigkeit; die Gruppenfreistellungsverord-
bestimmte Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Bereich der Versicherungswirtschaft, ABI. I 99 I L I 43/1 vom 7.6.I991. 268 VO (EWG) Nr. 4I7/85 der Kommission vom I9.I2.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABI. I985 L 53/1 vom 22.2.I985, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. I5I/93 der Kommission vom 23.12.1992, ABI. I993 L 2118 vom 29. I.l993. 269 VO (EWG) Nr. 4I8/85 der Kommission vom 19.12.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung, ABI. 1985 L 53/5 vom 22.2.1985, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. I51193 der Kommission vom 23.12.1992, ABI. I993 L 2118 vom 29.I.l993. 270 VO (EWG) Nr. 2349/84 der Kommission vom 23 .7.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Patentlizenzvereinbarungen, ABI. 1984 L 2I9/I5 vom 16.8.I984, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. I51193 der Kommission vom 23.I2.I992, ABI. I993 L 2118 vom 29.I.l993. 271 Verordnung (EWG) Nr. 556/89 der Kommission vom 30.11 .1988 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Know-how-Vereinbarungen, ABI. L 611I vom 4.3.1989, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 151/93 vom 23. I 2. I 992, ABI. L 21/8 vom 29.1.1993.
272
Weindl [299 f].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
49
nung ist dann auf den Vertrag insgesamt (sofern keine Abtrennung möglich ist) nicht anwendba~73 -jeder noch so geringe Verstoß schließt eine Freistellung durch die Verordnung aus 274 . Dieses "Alles-oder-Nichts"-Prinzip entspricht dem Grundsatz des grundsätzlichen Kartellverbots: Freigestellt werden darf nur eine Vereinbarung, die den Anforderungen des Art. 85 Abs. 3 EGV entspricht und daraufhin überprüft worden ist. Wettbewerbsbeschränkungen können sich jedoch nicht nur aus einzelnen Klauseln ergeben, sondern auch aus der Gesamtwürdigung verschiedener, für sich gesehen harmloser Vereinbarungen 275 . In den Gruppenfreistellungsverordnungen sind die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der dort angeführten Klauseln und ihre Wirkungen schon im vorhinein überprüft worden. Kommt jedoch nur eine weitere, dort nicht überprüfte Klausel hinzu, kann sich ein ganz anderes Bild ergeben. Da die Zahl neuer Kombinationsmöglichkeiten unendlich ist, konnte darüber unmöglich im Voraus in der Gruppenfreistellungsverordnung etwas gesagt werden. Damit ist die Vereinbarung noch nicht endgültig verboten. Die Unternehmen können noch versuchen, eine Einzelfreistellung im Verwaltungsverfahren zu erwirken. In einigen Gruppenfreistellungsverordnungen finden sich auch Kataloge mit "grauen" Klauseln, die sich weder dem weißen noch dem schwarzen Bereich zuordnen lassen276 . Diese Klauseln unterliegen einem den deutschen Widerspruchskartellen nachempfundenen Widerspruchsverfahren 277 und erlangen Gültigkeit, wenn die Kommission nach Vorlage der Vereinbarung nicht innerhalb von sechs Monaten widerspricht. Das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" wird damit also durchbrachen. Das - nicht unumstrittene278 - Verfahren hat jedoch
Langen-Bunte Art. 85 /157+161 ; EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991 , Slg. 1991 ,I-935 [990 /38 ff] "Delimitis/Henninger Bräu". 273
274 Thieme
DB 1991,748 [748].
EuGH Rs. 23/67, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 12.12.1967, Slg. 1967,543 [555 f] "De Haecht/ Wilkin u. Janssen" [de Haecht 1]. Zur "Bündeltheorie" auch schon oben unter Gliederungspunkt A. II. 2. 275
276 Erstmals in der VO 2349/84; siehe auch VO 417/85, 418/85; vergleiche auch VO (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12.12.1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge, ABI. 1985 L 15116 vom 18.1.1985.
277
Eingehend dazu Wiedemann DB 1988,2345 [2345 ff] .
Insbesondere wird die Ermächtigung der Kommission durch den Rat in Zweifel gezogen. Siehe zur Kritik Neumann RIW 85,88 [96 f] ; Axster GRUR 1985,581 [594]; Grabitz-Koch Art. 85 /342; Venit CMLR 1985,167 [177 ff] ; siehe ferner unter Gliederungspunkt A. IV. 2. b) ff). 278
50
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
kaum praktische Bedeutung erlangt279 und sich auch nach Auffassung der Kommission nicht bewährt280 ; die Gruppenfreistellungsverordnung für Technologievereinbarungen281 (eine "Fusion" aus der VO 2349/84 und der VO 556/89) enthält daher kein Widerspruchsverfahren mehr, sondern - erstmalig Marktanteilsschwellen für die betroffenen Unternehmen. Sofern diese überschritten sind, soll eine gruppenweise Freistellung ausgeschlossen sein. In den Gruppenfreistellungsverordnungen sind stets auch Regelungen enthalten, die der Kommission gestatten, den begünstigten Unternehmen die Freistellungswirkung der VO im Sinne einer Mißbrauchsaufsicht auch wieder zu entziehen282. Da die Gruppenfreistellungsverordnungen Gesetze im materiellen Sinn sind und damit auch Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten binden, wirken sie auf eine unbestimmte Zahl von Absprachen. In der Rechtspraxis sollen sie in erheblichem Umfang zur Rechtssicherheit und Verwaltungsvereinfachung beitragen283. Lange Zeit existierten nur zwei Gruppenfreistellungsverordnungen: Die Gruppenfreistellungsverordnung für Alleinvertriebsvereinbarungen von 1967 und die für Spezialisierungsvereinbarungen aus dem Jahre 1972. Seit der Mitte der achtziger Jahre hat die Kommission jedoch häufiger auf diese Möglichkeit zurückgegriffen, so daß zur Zeit 12 Gruppenfreistellungsverordnungen der Kommission in Geltung sind. Zwei weitere sind vom Rat erlassen worden284. Es ist darüber hinaus aber erklärte Politik der Kommission, weitere Gruppenfreistellungen zu erlassen 285 bzw. bei der Neufassung von zahlreichen, in den nächsten Jahren auslaufenden Verordnungen den Anwendungsbereich eventu eil zu erweitern286 . Das Europäische Parlament befürwortet eine verstärkte
279
Langen-Bunte Art. 85/161.
280
24. WB 1994/115.
281
VO (EG) Nr. 240/96 der Kommission zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des EG-Vertrages auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen, ABI. 1996 L 31/2 vom 9.2.1996. Dazu ausführlich Ebe1, WuW 1996,779 [779 ff]. 282
AK Kartellrecht [ 10 ff].
283
Vergleiche Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [310]; Weindl [299 f].
284
Zur Rechtshistorie zum Beispiel Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [110 f].
285 Ehlermann WuW 1993,997 [1000]; siehe auch Antwort der Kommission der E. G. auf die Entschließung zum 20. Bericht über die Wettbewerbspolitik, [13]; Ehlermann, Verwaltungsverfahren [5]; Doherty [1994] 6 ECLR 315 [315]. 286
Van Miert WuW 1995,553 [558].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
51
Hinwendung zu Gruppenfreistellungen ausdrücklich287 . Vor einigen Jahren hat der Wirtschafts- und Sozialausschuß sogar eine Freistellungsmöglichkeit auch für Art. 86 EGV gefordert288 . Die Gruppenfreistellungen haben wesentlich zur Entlastung der Kommission beigetragen. Ein Beispiel dafür: Nach lokrafttreten der VO 17 waren bei der Kommission mehr als 5.000 Patentlizenzverträge zur Freistellung angemeldet worden 289 - trotz der Ausnahmeregelung für Patentlizenzvereinbarungen in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 b VO 17. Die Situation konnte zwar kurzfristig durch eine moderate Haltung der Kommission zu solchen Verträgen in der sogenannten "Weihnachtsbekanntmachung" vom 24.12.1962290 entspannt werden. Die Kommission verschärfte ihre Politik jedoch Anfang der siebziger Jahre und so stapelten sich vom I. Januar 1985 an - dem Tag des Inkrafttretens der Patentlizenz-Gruppenfreistellungsverordnung291 - wieder rund 1.150 unerledigte Anmeldungen292. In den vorigen Jahren waren jeweils etwa I 00 Neuanmeldungen eingegangen. Im Jahr 1985 sank die Zahl auf nur noch 12 Anmeldungen293 , in den folgenden Jahren ging die Zahl sogar noch weiter zurück294. Ein zweites Beispiel: Von den 30.000 Anmeldungen, die nach lokrafttreten der VO 17 Alleinvertriebsbindungen betrafen, fielen rund 25.000 Verträge unter die erste Gruppenfreistellungsverordnung oder konnten an sie angepaßt werden295 . Wenn sich auch nicht bei allen Gruppenfreistellungsverordnungen der Entlastungs-Effekt mit so dramatischen Zahlen darstellen läßt296, so läßt sich
287 Europäisches Parlament, Entschließung zum Neunzehnten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik, in: 20. WB 1990 [296 /33]. 288 Vergleiche Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum Achtzehnten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik, in: 19. WB 1989 [257 /2.1.2.4]. 289
Caspari AnwBI. 1988,497 [498].
Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABI. 1962 139 vom 24.12.1962 [2921]. 290
291
VO (EWG) Nr. 2349/84.
15. WB 1985 /21. Die im 14. WB 1984/35 angegebene Zahl von 2.000 Anmeldungen entsprach nicht den Tatsachen, da zahlreiche Vereinbarungen abgelaufen bzw. aufgehoben worden waren. 292
293
15. WB 1985/21.
294
Wiedemann GRUR International 1990,807 [808].
295
Caspari AnwBI. 1988,497 [499].
296
Vergleiche Wiedemann GRUR International 1990,807 [808].
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
doch feststellen, daß der stufenweise Abbau des "backlog" sich zu wesentlichen Teilen auf den Gebrauch von Gruppenfreistellungsverordnungen zurückführen läßt. Der Erfolg der Gruppenfreistellungen ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Kritiker werfen der Kommission vor, die Arbeitsentlastung sei teuer erkauft297:
aa) Aufweichung des Kartellverbots? Durch Gruppenfreistellungsverordnungen, so wird eingewandt, die normativ eine unbestimmte Zahl von Verträgen freistellen, wird für den entsprechenden Geltungsbereich das generelle Verbotsprinzip des europäischen Kartellrechts aufgehoben 298 . Durch die Gruppenfreistellungsverordnungen können teilweise auch schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen wie Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen automatisch freigestellt werden, was in der Tendenz zu einer Aushöhlung des Kartellverbots führen kann299 . Je mehr Gruppenfreistellungen aber nun erlassen werden und je weiträumiger sie bestimmte Vertragstypen erfassen, um so mehr Bereiche werden damit auch dem Kartellverbot entzogen. Auf vielen Gebieten wird dann die Erlaubnis eines Kartells die Regel, statt des Verbots 300. Es erscheint dem Verbot damit ähnlich zu ergehen wie dem des deutschen GWB: Dessen § 1 wurde von Novelle zu Novelle durch immer neue Ausnahmen durchlöchert301 . Gegen diese Sichtweise läßt sich nun anführen, daß beim Erlaß einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung stets auch die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 3 EGV erfüllt sein müssen 302 . Es werde also gruppenweise auch nur freigestellt, was sonst im Einzelverfahren freigestellt werden müßte - wie zum Beispiel erwünschte Kooperationen, die auch vom Kartellverbot des Art. 85 Abs. 1 EGV nicht verboten werden sollten und daher lediglich seinem grenzenlos weiten Anwendungsbereich 303 wieder entzogen werden. Siehe etwa Wolf/Fink WuW 1994,289 [293]. AK Kartellrecht [24]. 299 Wolf WM 1992,1730 [1730]; vergleiche auch Hossenfelder!Parlasca WuW 1994,474 [475]. Diese Auffassung wird offenbar auch von der Kommission selbst geteilt; dazu AK Kartellrecht [31 ]. 297 298
zum Beispiel Jung EuZW 1993,690 [699 ff, insbesondere 696 f1. Dauses-Emmerich H-1. /47 a. 302 Vergleiche etwa Bunte, Diskussion AK Kartellrecht [9]. 303 Rittner JZ 1996,377 [379]. 300 Vergleiche 301
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
53
Allerdings besteht die Gefahr, daß Bestimmungen in einer Gruppenfreistellungsverordnung - insbesondere wenn sie unter der erklärten Zielsetzung einer Entlastung der Kommission stehen304 - nicht mit der nötigen Präzision entworfen werden, die garantiert, daß tatsächlich nur Vereinbarungen freigestellt werden, die keine schädlichen Wirkungen haben. bb) Verringerte Kontrolle der Unternehmen Zwar sind die Kommission bzw. die nationalen Behörden berechtigt, Unternehmensvereinbarungen auf ihre Vereinbarkeil mit einer Gruppenfreistellungsverordnung zu überprüfen. Da die von der Gruppenfreistellungsverordnung erfaßten Vereinbarungen keiner Anmeldepflicht unterliegen, läßt sich in der Praxis nur schwer kontrollieren, ob die Freistellungsvoraussetzungen tatsächlich eingehalten werden: In der Regel erhält die Kartellbehörde nämlich auch gar keine Kenntnis von der Existenz des Kartellvertrages. Nur beim Einzelfreistellungsverfahren nach der VO 17 ist das anders. Bei Gruppenfreistellungsverordnungen fehlt es an jeder Kontrolle (oder auch nur Information) sowohl über die Zahl der Kartelle als auch deren,Bedeutung305 . Besonders problematisch wird dies, wenn Marktanteilsbegrenzungen zu den Freistellungsvoraussetzungen gehören: Dann bleibt nämlich das Problem der korrekten Abgrenzung des relevanten Marktes in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht den Unternehmen überlassen und mithin rechtlich unkontrolliert306 . Lediglich im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht und gegebenenfalls bei einem in der Gruppenfreistellungsverordnung vorgesehenen Widerspruchsverfahren bietet sich die Chance, die Einhaltung der Freistellungsvoraussetzungen zu überprüfen. Widerspruchsverfahren können jedoch nur auf Antrag von Unternehmen innerhalb kurzer Frist eingeleitet werden und haben kaum praktische Bedeutung erlangt307 . Mittlerweile denkt man deswegen über ihre Abschaffung nach 308 . In allen anderen Fällen, in denen es zur Überprüfung der Kartellabrede kommt309 , ist das Kind dann aber meist schon in den Brunnen gefallen. So hat
304 Ehlermann
WuW 1993,997 [1000]. Möschel NJW 1995,281 [283 f]; Möschel, Subsidiarität [51]. 306 Vergleiche AK Kartellrecht [31]; Möschel NJW 1995,281 [284]; Möschel, Subsidiarität [51]. 305
307
23. WB 1993/337 ff; Langen-Bunte Art. 85/161.
308
24. WB 1994/ll5.
Dies setzt eine umfassende Marktbeobachtung durch gut funktionierende Kartellbehörden voraus, die aber noch nicht in allen Mitgliedstaaten existiert. 309
5 Gillcssen
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
54
sich die Kommission in verschiedenen Verfahren im Bereich des Seeverkehrs bemüht, die Ausdehnung von Vereinbarungen über die Gruppenfreistellungsverordnung310 hinaus zu verhindern. Reedereien hatten den LinienschiffFrachtverkehr zwischen Frankreich und elf afrikanischen Staaten in sogenannten Reederausschüssen unter sich aufgeteilt. In einer förmlichen Untersagung stellte die Kommission fest, daß ein Zusammenschluß im Rahmen von Linienkonferenzen zwar freigestellt sei, nicht hingegen die Kartellierung des Seeverkehrs auf einzelnen Strecken311 . Insgesamt findet also durch die Gruppenfreistellungsverordnungen zwar nicht in rechtlicher Hinsicht ein Wechsel vom Verbots- zum Mißbrauchsprinzip statt312 . Aber je mehr Verordnungen erlassen werden, um so mehr läuft es darauf hinaus.
cc) Zweifelhafte Rechtssicherheit Die Kommission zeigt sich in ihren Gruppenfreistellungsverordnungen teilweise ziemlich detailfreudig 313 . Die ausführlichen Regelungen vor allem in ihren weißen Katalogen veranlassen die Unternehmen, sich möglichst eng an den Wortlaut zu halten, obwohl dazu keine Pflicht besteht314. Andernfalls würden die Unternehmen jedoch riskieren, aus dem Anwendungsbereich der Gruppenfreistellungsverordnung herauszufallen. Faktisch besteht daher ein nicht zu unterschätzender Zwang zur Anpassung 315 . Innovative Vertragsgestaltungen werden dadurch zur Seltenheit, Impulse für die Rechtsentwicklung bleiben aus 316 . 310 VO (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr, ABI. 1986 L 378/4 vom 31.12.1986. 311 ABI. L 13411 vom 18.5.1992; siehe Art. I Abs. 3 lit. b VO 4056/86. 312 Bunte, Diskussion AK Kartellrecht [9]; anders Wolf, Zusammenwirken (5]; AK Kartellrecht [24]. 313
gen".
Möschel, Entwicklungen [333] spricht von einem "Wust spezieller Partialregelun-
EuGH Rs. 10/86, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 18.12.1986, Slg. 1986,4071 [4088 /12] "V AG France/Magne"; mit zustimmenden Anm. von Bunte EWiR 1987,157 [157 f]; 16. WB 1986 [106 f]; vergleiche auch Weltrieb DB 1988,1481 [1481]. 314
Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [132]. Müller-Graff EuR 1992,1 [39 f] spricht deshalb auch von einer "wettbewerbsbeschränkenden" Wirkung von Gruppenfreistellungsverordnungen. Vergleiche auch Bechtold EuR 1992,41 [53]; Axster, Verhältnis [213 f]. 315
316
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
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Teilweise passen ganze Industriezweige den Wortlaut ihrer Verträge haargenau den vorgeschlagenen Klauseln an 317 . Trotz dieser Detailliertheil auf der einen Seite finden sich auf der anderen unvermittelt auch Bestimmungen, in denen es generalklauselartig heißt, der Vertrag werde unter der Bedingung freigestellt, daß die getroffene Vereinbarung für den Schutz der Rechte einer bestimmten Person "erforderlich ist" 318 . Die erhellende Wirkung solcher Bestimmungen319 hält sich in engen Grenzen: Im Einzelfall wird man kaum wissen können, ob die in den Vertrag aufgenommene und in der Gruppenfreistellungsverordnung bezeichnete Klausel tatsächlich freigestellt ist320. Es spricht viel dafür, anzunehmen, daß auch der Verordnungsgeber nicht immer genau weiß, ob eine bestimmte Klausel nun freigestellt ist oder nicht- nur so lassen sich Wendungen wie "im allgemeinen", "in der Regel" und "erfahrungsgemäß" in Gruppenfreistellungsverordnungen erklären 321 . Freilich kann eine typisisierende Bewertung nicht die Eindeutigkeit einer Einzelfallbeurteilung erreichen. Eigentlich müßte man dann aber Verträge mit solchen Klauseln der Kommission vorsorglich zur Entscheidung im Einzelfall vorlegen 322 - womit der entlastende Effekt der Gruppenfreistellungsverordnung wieder verloren ginge. Zugleich verlagert sich damit auch die Prüfungskompetenz von der Kommission auf die nationalen Gerichte323 : Diese dürfen eigentlich keine Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV erteilen (siehe oben). Gruppenfreistellungen unterliegen jedoch als normative Regelungen der Anwendung und damit auch Interpretation durch die Gerichte. Diese treffen dann zwar keine Entscheidung
317 Vergleiche 17. WB 1987 [41 f] zur Erklärung aller europäischen Kfz-Hersteller, ihre Vertriebsverträge mit den Tochtergesellschaften in den Mitgliedstaaten exakt an die entsprechende Gruppenfreistellungsverordnung anzupassen. 318 Zum Beispiel Art. 3 Abs. I lit. a der VO 4087/88. 319 Weitere Beispielen bei Müller-GraffEuR 1992,1 [9] mit weiteren Nachweisen.
320
Vergleiche Skaupy DB 1989,765 [767]; Wiedernano GRUR International 1990,807 [809] ; Weltrich DB 1988,1481 [1486]; Weltrich RIW 1989,90 [92 ff]. 321
Müller-GraffEuR 1992,1 [31].
Jakob-Siebert CR 1990,241 [245]. In allen "zweifelhaften" Fällen dürfte jedenfalls auch ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse vorliegen. Ein Fehlen desselben nimmt die Kommission immer dann an, wenn eine Vereinbarung "offensichtlich" einer Gruppenfreistellungsverordnung entspricht; vergleiche Müller-Graff EuR 1992, I [28] mit weiteren Nachweisen. 323 Bunte/Sauter Einführung /97 f; Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [1 33 Fußnote 322
115].
5*
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nach der Freistellungsnorm324 . Je vager aber die darin enthaltenen Klauseln sind, um so mehr Spielraum haben die Gerichte damit im Einzelfall325 . Diesem Spielraum werden nur durch die Vorlagebefugnisse und -pflichten an den EuGH nach Art. 177 EGV Grenzen gesetzt326 . Die hohe Komplexität der Gruppenfreistellungen führt zu einem weiteren Problem: Die Unternehmen versuchen sich zwar mit ihren Verträgen eng am "Musterwortlaut" der Gruppenfreistellungsverordnungen zu halten. Die aus diesen für die Vertragsgestaltung abzuleitenden Anforderungen sind aber für den Normadressaten oft nur schwer zu erschließen. Zu unübersichtlich ist dafür teilweise der Aufbau, zu kompliziert der Inhalt327 . Die Bemühungen der Kommission, durch möglichst genaueVorgaben ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit zu erreichen, schießen gelegentlich über das Ziel und bewirken dann das Gegenteil. Die Unternehmen jedenfalls tragen ein hohes Subsumtionsrisiko328 . Im Ergebnis wird der bei Einzelfreistellungen zur Verfügung stehende Beurteilungsspielraum durch unbestimmte Rechtsbegriffe für Unternehmen, Gerichte und Behörden ersetzt und deren Anwendung und damit das Risiko fehlerhafter Auslegung auf diese verlagert329 . Im Zusammenhang mit dem "Alles-oderNichts-Prinzip", nach dem schon durch eine knappe "Verfehlung" der ganze Vertrag der Nichtigkeitssanktion des Art. 85 Abs. 2 EGV anheimfallen kann, ist diese Entwicklung besonders bedenklich. Der sorgfältigen und sehr detaillierten Überprüfung der Verträge und der Vertragspraxis kommt deswegen eine besonders hohe Bedeutung zu 330.
324 EuGH Rs. 63175, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 3.2.1976, Slg. 1976,111 [I I8 /IO f] "Fonderies Roubaix!Roux und andere"; erneut EuGH Rs. C234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2. I 991, Slg. 1991,1-935 [992 /46] "Delimitis/Henninger Bräu". 325 Nach Auffassung der Kommission liege damit eine Befugnis der nationalen Behörden zur Awendung von Art. 85 Abs. 3 EGV vor; Kommission, Dr. Helmuth Schröter, Gespräch am I 1.3.1996 in Brüssel. Die dadurch erreichte, gewisse Dezentralisierung erfolgt aber zu Lasten der Unternehmen; vergleiche Müller-Graff EuR 1992,1 [34]. 326 Zu den Aussetzungszwängen nach §§ 96 Abs. 2, 97 GWB vergleiche K. Schmidt, EG-Gruppenfreistellung [675 ff]. 327 Siehe zum Beispiel Wiedemann GRUR International 1990,807 [814] zur VO 556/89. 328 Wiedemann GRUR International I 990,807 [808 ff, insbesondere 811]; MüllerGraff EuR I 992,1 [28]. Siehe dazu auch unter Gliederungspunkt A. IV. 2. b) ff). 329 Müller-Graff EuR I 992, I [33 f]. Vergleiche etwa Art. 2 ff VO 4I 8/85, zum Beispiel Art. 6lit. h "ohne objektiv gerechtfertigten Grund". 330
Neumann RIW 85,88 [91].
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IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
dd) Versuchung, wettbewerbsfremde Materie gleich "mitzuregeln" Die Detailfreude der Kommission hat im Einzelfall auch dazu geführt, daß Klauseln in die Verordnungen Eingang gefunden haben, die eigentlich keinen wettbewerbliehen Anlaß hatten 331 : Regelungen etwa im Hinblick auf die Vertragsgerechtigkeit mögen bei branchenmäßiger Betrachtung zwar teilweise angezeigt sein, sind in wettbewerblicher Hinsicht jedoch neutral und sollten - da es sich nicht um kartellrechtliche Sachverhalte handelt - der freien Vereinbarung der Parteien überlassen bleiben332 . Der sachgerechte Ausgleich der Parteiinteressen ist nicht Aufgabe der Kommission auf Grund wettbewerbsrechtlicher Ermächtigungsnormen. Die jüngste Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1475/95 über Kraftfahrzeugsvertriebs- und Kundendienstvereinbarungen enthält beispielsweise Regelungen, die nur wenig Zusammenhang mit Kartellvorschriften erahnen lassen333 , so daß von einem bisherigen Höhepunkt einer fragwürdigen Gesetzgebungspraxis die Rede ist334 . Die rechtliche Kompetenz der Kommission, derartige Regelungen zu treffen, ist jedenfalls höchst fraglich 335 . ee) Unübersichtlichkeit durch Überschneidungen Zusätzlich zu der oben erwähnten Komplexität der Gruppenfreistellungsverordnungen bereitet den Unternehmen eine gewisse Rechtszersplitterung zwischen den verschiedenen Verordnungen Schwierigkeiten336 . Martinek/Habermeier337 gehen in einer Untersuchung soweit, die Gruppenfreistellungsverordnungen für sich und in Beziehung zueinander als ein "Chaos" zu bezeichnen: Sie zeigen im einzelnen auf, inwiefern sich verschiedene Gruppenfreistellungs-
331 Siehe zum Beispiel Wiedemann GRUR Internationall990,807 [814] zu Regelungen in der VO 556/89 über die Verbesserungs- und Anwendungserfindungen; Mailänder GRUR International 87,523 [532 f] zu Freistellungsregeln, die die Höhe der Vergütung für die Überlassung von Know-how betreffen; Gutbrod EuZW 1991,235 [235 ff] und andere zu einer Regelung in der VO 123/85, wonach die Freistellung davon abhängt, ob der Kfz-Vertragshändler unbillig behindert wird. 332 Groger/Janicki WuW 1992,991 [992]. 333 Rittner JZ 1996,377 [382 f]. 334 Rittner JZ 1996,377 [382]. 335 Vergleiche Wiedemann GRUR nek/Habermeier ZHR 158,107 [133 f]. 336
Groger/Janicki WuW 1992,991 [992].
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ZHR 158,107 [ 107 ff] .
International
1990,807
[814];
Marti-
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verordnungen - zum Beispiel bei Vertriebsregelungen - überschneiden. Dabei ist oft nicht leicht zur durchschauen, ob und welche Gruppenfreistellungsverordnungen parallel nebeneinander anwendbar sind, bzw. wie sich die Anwendungsbereiche genau gegeneinander abgrenzen lassen338 . Eine zuverlässige Abgrenzung ist aber unerläßlich, den je nach dem, welche Verordnung einschlägig ist, werden an die Freistellung verschiedene Voraussetzungen geknüpft339. Für Unübersichtlichkeit sorgt darüber hinaus, daß sich in den verschiedenen Verordnungen für vergleichbare Probleme teilweise verschiedene Regelungen finden. Dieses "Chaos" bringt mit sich, daß die im gemeinsamen Markt tätigen Unternehmen kaum noch in der Lage sind, das ihnen insgesamt vorliegende, komplexe Normengefüge des Gruppenfreistellungsrechts zu überblicken und auf ihren Fall anzuwenden. Vor allem kleinere und mittelständische Betriebe, die mit größeren Unternehmen in Kooperationsverhandlungen treten, sehen sich mit überraschend hohen Beratungskosten für die hochspezialisierten Rechtsanwälte konfrontiert: Die undurchsichtigen Regelwerke umfassen zusammen mit den Verordnungsgründen, erläuternden und klarstellenden Bekanntmachungen und auslegungsrelevanten Wettbewerbsberichten manchmal mehrere hundert Seiten340. Die Kommission sah sich sogar zu "Briefaktionen" veranlaßt, in denen sie den betroffenen Unternehmen in Anschreiben ihre Haltung zu erläutern versuchte341. Ein deutliches Zeichen dafür, daß Gruppenfreistellungsverordnungen manchmal mehr als Spiegel eines mühsamen politischen Kompromisses einzuschätzen sind, denn als Rechtsetzung im herkömmlichen Sinne342 . Die Unübersichtlichkeit der Gruppenfreistellungsverordnungen wurde in der Vergangenheit mehrfach, freilich bislang ohne viel Erfolg gerügt343 . Inzwischen will die Kommission nun V arschläge prüfen, eine Rahmen-
338 Vergleiche Axster, Verhältnis [217 ff]; Müller-Graff EuR 1992, I [34 ff]; Wiedemann AT 1271. 339 Dauses-Emmerich H. I. /47 a; Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [136 ff]. 340 Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [112]. 341 Vergleiche zum Beispiel!?. WB 1987 [41].
Rittner JZ 1996,377 [381]. Vergleiche Europäisches Parlament, Entschließung Nr. C 16 zur FranchiseGruppenfreistellungsverordnung, Dok. A 2-17/8, ABI. C 187/189; Merke CR 1989,457 [462]; Dresse! GRUR International 1989,186 [186]; v. Winterfeld RIW 1984,929 [930 f]; Rohard WuW 1993,124 [124]; vergleiche auch Spormann AWD 1967,175 [176] . 342 343
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Gruppenfreistellungsverordnung für Gruppenfreistellungen zu erlassen344 und so eine Vereinfachung herbeizuführen345 . ff) Defizite des Widerspruchsverfahrens Der Vollständigkeit halber und weil später noch darauf zu sprechen kommen sein wird, sei hier auch schon auf die Problematik der in einigen Gruppenfreistellungsverordnungen346 enthaltenen Möglichkeit einer Freistellung durch Nichtwiderspruch hingewiesen: Wenn die Kommission dabei nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten ihre Bedenken gegen die Vereinbarung geltend macht, wird diese automatisch durch Zeitablauf vom grundsätzlichen Kartellverbot freigestellt. Dieses spezielle Verfahren stößt in der Literatur auf Vorbehalte: Bis zur Einführung von Gruppenfreistellungsverordnungen mit einem Widerspruchsverfahren galt ausnahmslos das "Alles-oder-Nichts-Prinzip". Enthält danach ein Vertrag auch nur eine einzige Klausel, die nicht explizit in der entsprechenden Gruppenfreistellungsverordnung als freistellbar aufgeführt ist, kommt die ganze Vereinbarung 'hiebt in den Genuß der Gruppenfreistellungsverordnung und bedarf dann zu ihrer Wirksamkeit einer Einzelfreistellung. Dieses Prinzip, so wird eingewandt, werde durch das Widerspruchsverfahren mit seinen "grauen" Klauseln durchbrochen. Diese Klauseln sind weder eindeutig "weiß" noch "schwarz", sondern können je nach dem Umfeld der Verwendung zwischen Schädlichkeit und Unbedenklichkeit changieren 347 . Indem nun auch solche Klauseln freigestellt werden könnten, werde dieses - schon im EGV angelegte348 - Prinzip umgangen. Die Gegenansicht verweist jedoch darauf, daß durch das Widerspruchsverfahren nur die Bewertung der fraglichen Klausel nachgeholt werde, die wegen ihrer verschiedenen Auswirkungen nicht von vornherein in eine weiße oder schwarze Liste aufgenommen werden konn-
344 Martinek/Habermeier ZHR 158,107 [147 f]; Müller-Graff EuR 1992,1 [36 f]; Wiedernano AT 176; Gäbelein [279]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [992]. 345
Van Miert WuW 1995,553 [558].
Erstmals in der Art. 4 VO 2349/84; siehe auch Art. 4 VO 417/85, Art. 7 VO 418/85; vergleiche auch VO 123/85. 346 347
[97 f] . 348
Dazu schon unter Gliederungspunkt A. IV. 2. a); ferner Neumann RIW 85,88 Neumann RIW 85,88 [97 Fußnote 63].
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
te. Ein Nichtwiderspruch kommt also nur in Betracht, wenn die Klausel, hätte man ihre Bedeutung schon beim Erlaß der Gruppenfreistellungsverordnung gekannt, in die weiße Liste einzusortieren gewesen wäre 349 . Dieser Einwand vermag aber nur dann zu entlasten, wenn eine derartige Überprüfung auch tatsächlich stattfindet. An diesem Punkt setzt die Hauptkritik an. Es könnten nämlich durch das Widerspruchsverfahren allein durch Zeitablauf Verträge freigestellt werden, die eigentlich nicht freistellungsfähig sind350 . Im Falle des bloßen Fristablaufs werde die bei den grauen Klauseln erforderliche Einzelfallprüfung nämlich nicht durchgeführt; also werde auch nicht überprüft, ob der fragliche Teil der Vereinbarung im konkreten Fall schädliche Auswirkungen habe351 . Da nicht gleichzeitig mit Einführung der Widerspruchsverfahren auch der Resourcenknappeit bei der Kommission abgeholfen worden und die Sechsmonatsfrist für eine ausreichende Prüfung zu kurz sei, werde durch das Widerspruchsverfahren der Marktbeherrschung durch einzelne Unternehmende facto Vorschub geleistet352 . Der Ausdruck "Vorschub leisten" dürfte wohl zu weitgehend sein. Doch besteht tatsächlich Gefahr, daß allein auf Grund des formellen Kriteriums "Zeitablauf' materiell nicht freistellungsfähige Vereinbarungen vom Kartellverbot befreit werden. Die Kritiker sehen deshalb auch im Widerspruchsverfahren trotz entgegenstehender Äußerungen der Kommission 353 - eine teilweise Abkehr vom grundsätzlichen Kartellverbot mit Erlaubnisvorbehalt hin zu einem Erlaubnisgrundsatz mit Verbotsvorbehalt354 . Weil Freistellungen auch ohne Prüfung möglich seien, werde gegen die Vorschrift des Art. 85 Abs. I EGV verstoßen und auch dem Erfordernis nach Prüfung der in Absatz 3 aufgeführten Freistellungskriterien nicht Rechnung getragen 355 . Zugleich werde damit auch gegen Art. 3 lit. g EGV verstoßen, der einen unverfälschten Wettbewerb sicherstellen so11 356 . Zu weit dürfte es jedoch gehen, eine Gefahr darin zu sehen, daß Unternehmen die Kommission absichtlich überlasten könnten, um dann eine Vereinba-
Vergleiche Bunte/Sauter Einführung 1119. Neumann RIW 85,88 [97 f]; Grabitz-Koch Art. 85/342. 351 Neumann RIW 85,88 [96 f]. 352 Neumann RIW 85,88 [96 f] . 353 13. WB 1983 [64], wonach die Kommission weder die Absicht noch die Macht habe, den Verbotsgrundsatz in eine Mißbrauchskontrolle umzuwandeln. 354 Neumann RIW 85,88 [98]. 355 Neumann RIW 85,88 [97]; Grabitz-Koch Art. 85 1342. 349
350
356
Neumann RIW 85,88 [98].
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rung anzumelden, bei der die Kommission nicht mehr in der Lage wäre, fristgemäß zu widersprechen; diese Vereinbarung würde dann plangemäß durch Fristablauf freigestellt werden und die Unternehmen hätten, was sie wollten 357 . Die Unternehmen haben es nämlich gar nicht in der Hand, zu bestimmen, welche Vereinbarungen die Kommission auf Grund der Überlastung nicht bearbeiten könnte. Unabhängig davon hat sich gezeigt, daß das Widerspruchsverfahren in der Praxis kaum in Anspruch genommen worden ist358 , so daß eine Überlastung allenfalls auf Grund des Verfahrensstaus durch Einzelfreistellungsanträge droht. Ohnehin könnte die Kommission notfalls durch ihren Widerspruch den Ablauf des Verfahrens einfach stoppen und dann in Ruhe in einem Einzelfreistellungsverfahren die rechtlichen Aspekte erwägen359 . Weiter wird gerügt, daß die verfahrensrechtlichen Garantien der VO 17 (vor allem Beteiligungsrechte Dritter bzw. der Mitgliedstaaten) umgangen werden würden 360 . In der Sache handele es sich daher bei der Einführung des Widerspruchsverfahrens um eine Änderung der VO 17. Damit würden aber die Grenzen der Ermächtigungsverordnungen Nr. 19/65 und 2821171 des Rates überschritten. Denn diese erlauben der Kommission nur den Erlaß von Gruppenfreistellungen, nicht aber die Änderung des Einzelfreistellungsverfahrens. Aus den gleichen Gründen werde auch gegen Art. 85 Abs. 3 EGV verstoßen 361 . Die Gegenansicht stellt sich auf den Standpunkt, daß die Ermächtigungsverordnungen zwar das Widerspruchsverfahren nicht ausdrücklich erwähnten, jedoch jeweils in Art. 1 Abs. 2 und anderen Vorschriften eine gruppenweise Beschreibung von "sonstigen Voraussetzungen" zuließen, die für den Eintritt einer Freistellungswirkung erfüllt sein müssen. Unter diese Formulierung müssten nach dem Wortlaut und bei teleologischer Auslegung nicht nur materielle Kriterien, sondern könnte auch eine formelle Lösung wie das Widerspruchsverfahren fallen362. Bedenken wurden ferner auch bezüglich der Vereinbarkeit des Verfahrens mit dem Begründungszwang nach Art. 190 EGV wegen mangelnder Veröffentlichung geäußert363 .
357
Eventuell will Neumann RIW 85,88 [97] in diesem Sinne verstanden werden.
358
Vergleiche Bunte/Sauter Einführung /120; ferner Gliederungspunkt A. IV. 2. a).
359
Wiedemann AT /208.
360 Venit CMLR 1985,167 [179 f]; Grabitz-Koch Art. 85/342. 361
Venit CMLR 1985,167 [177 ff] ; Grabitz-Koch Art. 85/342.
362 Wiedemann 363
AT /205.
Grabitz-Koch Art. 85 /342; dagegen Wiedemann AT /209.
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Die Gegenansicht überzeugt indes nicht immer, so etwa wenn die Einwände damit abgetan werden, sie ließen einen allzu starken und realitätsfernen Hang zu dogmatischer Perfektion erkennen 364 . Auf die eben benannten Bedenken kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden; doch sollte zumindest gezeigt werden, daß die Zweifel an der Rechtmäßigkeit sich nicht ohne weiteres zerstreuen lassen 365 . b) Zwischenergebnis Der Entlastungseffekt, den die gruppenweise Freistellung von Verträgen auf das Arbeitspensum der Kommission hat, dürfte unbestreitbar sein. Die Notwendigkeit zur Einzelprüfung und Einzelentscheidung zahlreicher wettbewerbsrechtlich unproblematischer Vereinbarungen entfällt einerseits, weil bei Inkrafttreten einer Gruppenfreistellungsverordnung "auf einen Schlag" eine Vielzahl von bestehenden Verträgen unter die Verordnung fällt, und andererseits, weil die Unternehmen versuchen, ihre Verträge mit den Gruppenfreistellungen - sei es nachträglich oder bei einem neuen Vertragsschluß - in Einklang zu bringen366 . Damit werden Gruppenfreistellungen einem wesentlichen Ziel der Kommission gerecht367 . Das Massenproblem ist freilich noch immer nicht grundsätzlich gelöst368 . Die derzeitige Situation stößt aus verschiedenen Aspekten auf Bedenken: Unter Gruppenfreistellungsverordnungen fallende Vereinbarungen müssen anders als bei den nach §§ 2-8 GWB freigestellten Kartellen 369 - nicht angemeldet werden. Es fehlt daher an Rechtssicherheit und Transparenz370. Eine gewisse Sicherheit gibt es nur bei wörtlicher Übereinstimmung der Vereinbarung mit dem Musterwortlaut der Verordnungen. Dies verhindert teilweise jedoch auf den Einzelfall zugeschnittene Vertragswerke. Während sich die Probleme der Inhomogenität, der Widerspruchsverfahren und der wettbewerbsfremden Regelungsmaterien bei - disziplinierten - Neufas-
365
Axster GRUR 1985,581 594. Trotz Zweifeln bejaht ferner Kerse [69 f1 die rechtliche ZulässigkeiL
366
20. WB 1990 /41.
364
AK Kartellrecht [24]. Gäbelein [279]. 369 Mit Ausnahme der "schlicht kontrollierten" Kartelle; dazu Rittner, Kartellrecht § 8/4, 27 ff. 370 Rittner JZ 1996,377 [381]. 367 368
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sungen beherrschen lassen dürften, und damit auch die Rechtssicherheit erhöht würde, sind die in Bezug auf die Gefahr einer Aufweichung des Kartellverbots zugunsten einer Mißbrauchskontrolle mangels "Überblick" vorgebrachten Bedenken grundsätzlicher Art. Sie dürften sich durch weitere Gruppenfreistellungen noch verschärfen und sprechen damit gegen eine zu forsche Gangart beim Erlaß weiterer Gruppenfreistellungen bzw. der Ausdehnung ihrer Anwendungsbereiche.
3. Wenig Trost durch "comfort letters" Einzelfreistellungen nach der VO 17 sind zeitaufwendig. Die Kommission hat daher als praxis praeter legem 371 ein Verfahren entwickelt, mit dem sie die entsprechenden Unternehmen auf deren Bitte hin wissen lassen kann, ob ihr Vorhaben im Hinblick auf das europäische Kartellrecht auf Bedenken stößt. Es handelt sich um die seit 1982 verwendeten "Verwaltungsschreiben" 372 oder auch "comfort letters" 373 , die weder im EGV noch im sekundären Gemeinschaftsrecht, etwa der VO 17 eine gesetzliche Grundlage haben. In einem comfort Ietter erklärt die Kommission formlos über eine ihrer Verwaltungsstellen374, daß sie derzeit keine Veranlassung sieht, auf Grund des vorliegenden Sachverhalts gegen die vorliegende Vereinbarung nach europäischem Kartellrecht vorzugehen 375 , und also das Verfahren einstellen wi11 376 . 371
Rittner, Kartellrecht § 8110 Fußnote 9.
So der üblicherweise von der Kommission verwendete Begriff; vergleiche EuGH Rs. 37/79, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2481 [2499 /9] "Estee Lauder". 373 Die Kommission bezeichnet solche Schreiben teilweise auch als "Zwischenbescheid"; sie stellen jedoch keine Verwaltungsakte dar; vergleiche Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission über die Verfahren bei Anmeldungen nach der Verordnung Nr. 17 des Rates, ABI. 1983 Nr. C 295/6. 372
374 Es unterzeichnen hier nicht die Kommissare, sondern ein höherer Beamter der GD IV; vergleiche Bellamy/Child 11-064; van Bael/Bellis Para. 1126; Geiger Art. 85/42. Zur Rolle der GD IV Ehlermann EuZW 1994,647 [652]. 375
13. WB 1983/62 ff; Bechtold EuR 1992,41 [45]; Venit CMLR 1985,167 [169 f].
Vergleiche EuGH Rs. 253178 u. 1-3/79, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2373 f 112] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain"; EuGH Rs. 99179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2511 [2533 ff 11 0+ 17] "Lancöme/Etos"; EuGH Rs. 31/80, Urteil vom 11.12.1980, Slg. 1980,3775 [3789 110] "L'Oreal"; 11. WB 1981 /15; 12. WB 1982/30; 13. WB 1983 /72; Mitteilung der Kommission über die Verfahren bei Anmeldungen nach der Verordnung Nr. 17 des Rates, ABI. 1983 Nr. C 295/6 [6] ; Antwort von Herrn Suther376
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Im Prinzip handelt es sich damit lediglich um die Bekanntgabe einer innerbehördlichen Auffassung durch eine hochrangige Verwaltungsstelle377 der Kommission378, mithin also um die Wiedergabe von bloßen Verwaltungsinterna379 . Anders als die Freistellung oder das Negativattest enthalten comfort letters keine Entscheidung380 : Zwingendes Merkmal einer Kommissionsentscheidung ist es nämlich, Rechtswirkungen hervorzurufen 381 . Gerade solche Rechtswirkungen entfaltet der comfort Ietter aber nicht382 , denn die Kommission will damit nur 'zu erkennen geben, daß sie überhaupt nichts unternehmen will - also weder positive noch negative Schritte. Es fehlt daher am Regelungscharakter383, wie ihn zum Beispiel Negativattest und Freistellung enthalten384 . land auf die schriftliche Anfrage Nr. 173/85 von Frau Joyce Quin an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 19.4.1985, ABI. 1985 C 255/27; AK Kartellrecht [II]; Bellamy/Child 3-019, 11-004, 11-063 bis 11-066; van Bael/Bellis Para 1123, 1126; GTE-Schröter/Jakob Siebert Art. 87 2. Teil /46 f; Grabitz-Pemice, Nach Art. 87, VO 17, Art. 9 /11; Kerse [193, 196,311 f]. 377
Die Kommission als Kollegialorgan wird in diesem Fall nicht tätig.
EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2373 f 112] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain"; BKartA Arbeitsunterlage Arbeitskreis Kartellrecht 1994 [11]; Stevens [1994] 2 ECLR 81 [83]. 378
379 Wiedemann AT /29, bezeichnete sie sogar als "rechtliches Nullum"; nach Ansicht von Ehricke ZHR 158,170 [ 180] dagegen überschreiten jedenfalls "formal comfort letters" die "Schwelle der bloßen Innerbehördlichkeit" wegen der Beteiligungsmöglichkeit Dritter. 380 AK Kartellrecht [11]; Stevens [1994] 2 ECLR 81 [82, anders aber de lege ferenda 84+88]; EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2374 /13] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain"; EuGH Rs. 99179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2511 [2533/11] "Lancöme!Etos"; EuGH Rs. 31/80, Urteil vom 11.12.1980, Slg. 1980,3775 [3789 111] "L'Oreal"; EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I 0. 7.1980, Slg. 1980,2481 [2499 /9] "Estee Lauder"; anderer Ansicht jedenfalls für sogenannte "formal comfort letters" Ehricke ZHR 158,170 [179 ff]. 381 Zusammenfassend Schlußanträge GA Reischl, EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I 0.7.1980, Slg. 1980,2481 [2502 ff mit weiteren Nachweisen] "Estee Lauder". 382
Wolf EuZW 1994,233 [234]; Siehe ferner Korah [1994] 3 ECLR 175 [175 f].
Anderer Ansicht Ehricke ZHR 158,170 [ 181]: auch eine negative Entscheidung sei eine "Entscheidungen in rem" und daher zu beachten. 383
384 Zum Rechtsschutz gegen Verwaltungsschreiben siehe Sehrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [403 ff]; Bleckmann, Europarecht /1369 gesteht comfort letters die gleichen Rechtswirkungen wie Negativattesten zu, da sie ein verfahrensökonomischer Ersatz dafür seien; ebenso Grabitz-Koch Vor Art. 85 /54. Historisch gesehen ist das
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Der Begriff "comfort Ietter" hat keine einheitliche Bedeutung, vielmehr können die Gründe für eine Versendung sehr verschieden sein385 : Entweder liegen die Eingriffsvoraussetzungen des Art. 85 Abs. I EGV 386 nicht vor oder das Vorhaben fällt unter eine Gruppenfreistellungsverordnung. Auch kann eine Einzelfreistellung in Frage kommen oder es sprechen einfach Zweckmäßigkeitserwägungen dafür, zum Beispiel weil die Vereinbarung unter die "de minimis"-Regel fällt 387 . Insofern kann es sich also auch um eine Duldungszusage für wettbewerblieh weniger problematische Fälle handeln 388 . Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Arten von comfort letters unterscheiden: Unter einem qualifizierten comfort Ietter wird in der Regel ein Verwaltungsschreiben verstanden, dem eine Veröffentlichung der wesentlichen Teile der Anmeldung im Amtsblatt vorausgegangen ist, verbunden mit der Aufforderung an Dritte, zu dieser Anmeldung Stellung zu nehmen; zudem enthält das Schreiben eine Begründung389 . Das Verfahren entspricht dabei also teilweise den für förmliche Einzelfreistellungen in der VO 17 aufgestellten Voraussetzungen. Einfache Verwaltungsschreiben ohne Veröffentlichung der Anmeldung und Beteiligung Dritter sind also die andere Art comfort letter390 .
richtig, da comfort letters ursprünglich als vereinfachtes Verfahren bei Negativattesten entwickelt wurden (vergleiche 12. WB 1982 /30). Es wird jedoch übersehen, daß sich die Rechtspraxis seitdem weiterentwickelt hat. 385 Der Adressat bekommt ihn - außer bei sogenannten "formal comfort letters" in der Regel nicht mitgeteilt; AK Kartellrecht [23].
386 Verwaltungsschreiben können darüber hinaus auch im Zusammenhang mit Art. 86 EGV versandt werden. 387 Antwort von Herrn Sutherland auf die schriftliche Anfrage Nr. 173/85 von Frau Joyce Quin an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 19.4.1985, ABI. 1985 C 255/27; GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87 2. Teil /46; Sehrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [403 f]; 15. WB 1985 /1; 14. WB 1984 /47; vergleiche van Bael CMLR 1986,61 [63 f].
388
Groger/Janicki WuW 1992,991 [994].
Gewöhnlich werden dem Adressaten die Gründe für den comfort Ietter nicht mitgeteilt; AK Kartellrecht [23]; Ehricke ZHR 158,170 [174]. Das begründete und nach einer Publikation gemäß Art. 19 Abs. 3 VO 17 erlassene Verwaltungsschreiben wird teilweise auch "formal" comfort Ietter genannt; vergleiche Bellamy/Child 3-019 und 11065; GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil /46; Anders allerdings die Darstellung bei van Baei/Bellis Para 1126. 389
390 Bechtold EuR 1992,41 [45]; Ehricke ZHR 158,170 [179]; von Meiborn/Zinsmeister [54]; Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 11777; Esser-Wellie WuW 1995,457 [459].
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Ferner gibt es jeweils noch eine Sonderform: Im discomfort Ietter wird die Freistellungsfähigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung verneint, das Verfahren aber dennoch beendet391 . Es herrscht jedoch eine gewisse begriffliche Verwirrung, denn teilweise wird unter einem (mini-) comfort Ietter auch einfach ein Verwaltungsschreiben analog einem Negativattest, unter einem qualifizierten (maxi-) comfort Ietter dagegen eines analog einer Freistellung verstanden 392 . Diese Namensgebung erscheint jedoch wenig einprägsam, weswegen ihr hier nicht weiter gefolgt werden soll. Unabhängig von der Benennung ist allen Arten zu eigen, daß durch sie das entsprechende Verfahren formlos eingestellt wird. Da das Verfahren aber nicht offiziell abgeschlossen wird, bleibt die Vereinbarung formalrechtlich weiterhin angemeldet. Das hat zwar Immunität vor Geldbußen nach Art. 15 Abs. 5 VO 17 zur Folge393 . Damit erschöpft sich aber im Prinzip schon die Gedenfalls ausdrückliche) rechtliche Wirkung eines comfort Ietter. Da die Kommission im Falle eines comfort Ietter gerade keine verbindliche Entscheidung treffen will, wird prinzipiell auch keine rechtliche Bindung bewirkt. Nach den verwaltungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes führt der comfort Ietter jedoch zu einer gewissen Selbstbindung der Kommission394, obwohl keine verbindliche Zusage einer positiven Entscheidung enthalten ist395 . Verwaltungsschreiben analog einem Negativattest begründen Vertrauensschutz und hindem die Kommission an andersart~en Entscheidungen, sofern sich die tatsächlichen Umstände nicht ändern 39 . Auch kann die förmliche Erteilung einer Freistellung - falls erforderlich - nicht mehr abgelehnt werden, solange sich die maßgeblichen Umstände nicht geändert haben 397 . Zivilrechtliche Wirkungen zeitigt der comfort Ietter jedoch nicht. Eine gegen Art. 85 Abs. 1 EGV verstoßende Vereinbarung muß dahertrotzeines Verwaltungsschreibens, das den Vertrag als freistellungsfähig bezeichnet, weiterhin
Insgesamt dazu auch Langen-Bunte Art. 851152 f. So. zum Beispiel Gilchrist, Vortrag bei der Brüsseler Informationstagung des FIW am 14.10.1992, FIW-Skript Nr. 15, 1993, zit. bei Gäbelein [279 Fußnote 33]. 393 Bechtold EuR 1992,41 [45 f] . 394 Vergleiche EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2373 f 112 f] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain". 391
392
Dauses-Krück H-1. /383. GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil /47. 397 Vergleiche Dauses-Krück H-1. /383. Diese Frage liegt derzeit dem EuGH zur Entscheidung vor; Auskunft BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Telefonat am 26.2.1996. 395
396
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als unwirksam behandelt werden. Die nationalen Gerichte werden durch das Schreiben nicht gebunden398 , auch wenn die Kommission gegenteilige Erwartungen zu hegen scheint399 . Sie können einen comfort Ietter jedoch als "tatsächlichen Umstand" berücksichtigen400 bzw. sollen die Absprache entsprechend der acte-clair-Doktrin401 tunliehst als wirksam behandeln402 . Gegebenenfalls bleibt aber oft nur, das Verfahren auszusetzen und eine förmliche Entscheidung der Kommission einzuholen403 . Vereinzelt wird gefordert, qualifizierten comfort letters wegen der im Amtsblatt veröffentlichten Aufforderung an Dritte, zur der Anmeldung Stellung zu nehmen, eine Bindungswirkung für Gerichte zukommen zu lassen. Das Verfahren sei schließlich vergleichbar mit dem in der VO 17 vorgesehenen für den Erlaß eines Negativattests oder einer Freistellung. Durch die Anhörung Dritter seien deren Interessen ausreichend geschützt. Im übrigen werde durch die Veröffentlichung der Anmeldung und der Anhörung Dritter den formalen Bedingungen des Gerichtshofs in den Parfüm-Urteilen Rechnung getragen404 . Gegen eine Bindungswirkung in solchen Fällen spricht jedoch folgendes: Die nationalen Gerichte müßten dann eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung als zivilrechtlich wirksam betrachten. Dies setzt aber voraus, daß ein konstitutiver Akt die schwebende Unwirksamkeit der Vereinbarung beseitigt. Ein comfort Ietter - auch ein qualifizierter - soll jedoch nichts anderes dokumentieren, als daß die Möglichkeit dazu besteht. Damit würde der Brief der
398 EuGH Rs. 99/79, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2511 [2533 lll] "Lancöme/Etos"; Schwarze, Verwaltungsrecht [1323]; Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 11777; Wiedemann AT /29; GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil /47; Sehrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [406]; KOM Bek. Gerichte /28. 399 Siehe dazu jeweils mit weiteren Nachweisen Müller-Graf EuR 1992,12; Ulmer RIW 1985,517 [523]; Venit CMLR 1985,167 [170]; Manssen [338 f]. 400 EuGH Rs. 31/80, Urteil vom ll.l2.1980, Slg. 1980,3775 [3789 f /11] "L'Oreal"; EuGH Rs. 37/79, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2481 [2499 /10] "Estee Lauder"; KOM Bek. Gerichte /20. 401 Danach darf der nationale Richter das Rechtsgeschäft nur dann für nichtig erklären, wenn der Verstoß gegen Art. 85 Abs. l EGV außer Zweifel steht (LNRS § l lEG 127). Andernfalls hat er den Rechtsstreit entweder zu entscheiden, also keinen Verstoß anzunehmen, oder ihn auszusetzen und eine Stellungnahme der Kommission über eine Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV einzuholen.
402
Rittner, Kartellrecht § 8 110.
403
Langen-Bunte Art. 851153.
404 Ehricke ZHR 158,170 [ 178 ff]; vergleiche ähnlich auch die Überlegung von Langen-Sauter Art. 19 VO 17 /28.
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Generaldirektion IV über den Umweg des nationalen Gerichts schließlich die konstitutive Wirkung erhalten, die EGV und VO 17 ausschließlich einer förmlichen Freistellung durch die Kommission zugedacht haben. Das nationale Gericht würde praktisch konstitutiv tätig - und damit in das Freistellungsmonopol der Kommission eingreifen, was der Gerichtshof aber ausdrücklich abgelehnt hat4os. Auch die nationalen Behörden sind durch einen comfort Ietter in ihrer Entscheidungsfreiheit nicht gebunden (s. dazu o.), insbesondere dürfen sie eigenes Kartellrecht anwenden406 . Auch sie können aber die Auffassung der Kommission berücksichtigen. Oben wurde bereits erwähnt, daß es comfort letters gibt, denen eine Veröffentlichung der Sachverhalte und ihrer Beurteilung durch die Kommission nach Art. 19 Abs. 3, 21 VO 17 vorausgegangen ist. Dies geschieht jedoch nur in Ausnahmefällen, etwa bei wichtigen Rechtsfragen oder bei Beteiligung von bedeutenden wirtschaftlichen Unternehmen407 . Es war geplant, durch ein "vereinfachtes Verfahren" bei Anträgen auf Erteilung von Negativattesten nach Art. 2 VO 17 oder einer Freistellung gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV der Bescheidung mit einem comfort Ietter regelmäßig eine Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts der durch die Kommission zu treffenden Entscheidung nach Art. 19 Abs. 3, 21 VO 17 vorausgehen zu lassen. Dadurch sollten die Interessen Dritter berücksichtigt und der Aussagewert des comfort Ietter verstärkt werden 408 . Solche Fälle sind jedoch selten geblieben409 . Die Kommission sieht sich angesichts der Vielzahl der Fälle und der beschränkten Personal- und Verwaltungsmittel nicht in der Lage, jeden Fall förmlich zu entscheiden410. Comfort letters sind daher in den vergangeneo Jahren augenscheinlich zu einem häufig angewandten Instrument der Kommission ge-
405 EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 1991,1-935 [991 /44] "Delimitis/Henninger Bräu"; GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil /47; Kerse [313 f]; Esser-Wellie, WuW 1995,457 [465 f]. 406 EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2374 /13] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain" ; EuGH Rs. 99179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2511 [2533 111] "Lancöme/Etos". 407
Vergleiche 6. WB 1976 [II); Kerse [193 f].
12. WB 1982 /30; 13. WB 1983 172; dazu auch v. Winterfeld RIW 1984,929 [929 f]. 408
409
Vergleiche 20. WB 1990 /90; Schrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [404].
410
Vergleiche 20. WB 1990/90.
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
69
worden: In der Zeit von 1989 bis 1992 zum Beispiel stieg die Zahl der Verwaltungsschreiben von 46 auf 176 pro Jahr411 , mit steigender Tendenz; 1994 waren es schon 197412. Im gleichen Zeitraum (1989-1992) wurden insgesamt gerade 79 förmliche Entscheidungen getroffen, 1994 waren es mit 33413 relativ viele. Wenn die Kommission heute eine "Entscheidung" im Einzelfall trifft, so ist der comfort Ietter die Regel 414, die förmliche Entscheidung die - fast schon eine Rarität415 zu nennende - große Ausnahme416. Diese Tendenz wird sich auch nach der Vollendung des Binnenmarktes weiter fortsetzen 417 . Die vermehrte Aushilfe mit dem comfort Ietter hat - neben den schon behandelten Gruppenfreistellungen - wesentlichen Anteil am Abbau des Fallüberhangs418. Die Kommission will daher auf diese Stütze ihrer täglichen Arbeit nicht mehr verzichten419 und künftig sogar noch mehr nutzen 420. Während sie sich bei förmlichen Entscheidungen auf bedeutsame Fälle konzentrieren will (siehe oben), sieht sie für die große Masse im comfort Ietter inzwischen den regelmäßigen Verfahrensabschluß421 . Der große Vorteil der Verwaltungsschreiben, gerade auch für Unternehmen, liegt zweifelsohne in der verhältnismäßig zügigen Bearbeitung der Anmeldungen422. Dennoch stößt die Praxis der Kommission auf begründete Kritik.
411 Vergleiche 19. WB 1989 [55]; 20. WB 1990 [85]; 21. WB 1991 [67 ff] ; 22. WB 1992 [4 ff]; 23. WB 1993 [129 ff]. 412
24. WB 1994 [Anhang III- Statistik].
413
24. WB 1994 [Anhang III - Statistik].
Vergleiche 19. WB 1989 /35; 20. WB 1990/101. Wolf/Fink WuW 1993,289 [289]. 416 Vergleiche etwa 16. WB 1986/44; 19. WB 1989/35; 20. WB 1990/90. 417 KOM Bek. Gerichte /1+13 f; Sehrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [403]. 418 Vergleiche vorstehende WB ; ferner Wolf/Fink WuW 1993,289 [289 f] ; Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6 f]. 419 Ehlermann WuW 1993,997 [1000]. 414 415
420 Siehe Antwort der Kommission der E. G. auf die Entschließung zum 20. Bericht über die Wettbewerbspolitik [13]. 421 KOM Bek. Gerichte /14. 422
Sehrödermeier/Wagner WuW 1994,403 [403]; Möschel EWS 1995,249 [250].
6 Gillessen
70
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
a) Ein problematisches Instrument
aa) Entscheidungen ohne Verbindlichkeit Oben wurde schon dargestellt, daß nationale Gerichte und Behörden nicht durch comfort letters gebunden werden, auch in Bezug auf die Kommission tritt nur eine beschränkte Bindungswirkung ein. Zivilrechtlich bleibt die Vereinbarung unwirksam. Weder Parteien noch Dritte, insbesondere auch nicht nationale Kartellbehörden sind daran gehindert, jederzeit diese Unwirksamkeit geltend zu machen. Die Unternehmen wissen nur, daß sie keine Geldbuße mehr gewärtigen müssen, ihr Verhalten also jedenfalls sanktionslos bleibt. Als Hauptkritikpunkt bei der Anwendunf der comfort Ietter wird deshalb meist die fehlende Rechtssicherheit genannt42 , da alle weiteren Rechtsfolgen unter dem Vorbehalt einer späteren Entscheidung der Kommission stehen424 . Die - seltenen - Verwaltungsschreiben mit Veröffentlichung dürften zwar wegen der Publizität des Verfahrens und der dadurch ermöglichten Berücksichtigung von Einwendungen Dritter einen erhöhten Aussagewert im Hinblick auf die kartellrechtliche Bewertung durch die Kommission haben, sie bleiben aber rechtlich, wie gezeigt, grundsätzlich ebenso bedeutungslos wie die einfachen comfort letters. Immerhin haben sie den tatsächlichen Vorteil, daß die Kommission auf dieser Grundlage wohl mit großer Sicherheit eine förmliche Einzelfreistellung mit Rückwirkung zum Datum der Anmeldung erlassen dürfte, wenn dies bald darauf erforderlich werden sollte425 . Das Risiko, daß die Kommission in ihrer Kollegialentscheidung von der im comfort Ietter geäußerten Ansicht der Generaldirektion IV, dürfte als sehr gering einzuschätzen sein426 . Das Interesse an formellen Entscheidungen wird auch von der Kommission nicht verkannt, da sie sich vorbehält, eine förmliche Entscheidung nachzuschieben427. Insofern hat der comfort Ietter für die beteiligten Unternehmen einen gewissen Wert, denn er reduziert erheblich die Neigung der Vertragspartner
423 Möschel EWS 1995,249 [250]; Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6 f] ; Lindemann, Freistellungspraxis [94]; Dauses-Krück H-1. /385; Behrens [86]; AK Kartellrecht [23]. 424
Bechtold EuR 1992,41 [46]; Manssen [338 f] ; Behrens [86].
425
Lindemann, Freistellungspraxis [94].
426
Skeptischer allerdings Lindemann, Freistellungspraxis [94], unter Verweis auf die Schwierigkeit, aus den Vorgesprächen für einen comfort Ietter verläßliche Informationen zu gewinnen. 427
Vergleiche Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
71
oder Dritter, sich auf die schwebende Unwirksamkeit der Vereinbarung zu berufen. Mit fortschreitender Kenntnis der Marktteilnehmer von den EGKartellrechtsvorschriften und der darin enthaltenen Beteiligungsrechte für Dritte besteht jedoch die Aussicht, daß es in Zukunft zu einer größeren Zahl an Zivilklagen kommen wird428 . Bisher allerdings ist - soweit ersichtlich - noch kein Fall bekannt geworden, bei dem die Kommission die anmeldenden Unternehmen später gegen andere Marktteilnehmer unterstützen mußte429 . Allerdings sind wegen der ebenfalls fehlenden Bindung der Behörden auch von dieser Seite Konfliktsituationen denkbar. So hat sich das deutsche BKartA im Fall Philips/Osram430 trotz der Ankündigung eines qualifizierten comfort Ietter durch die Kommission, in dem die Freistellungsfähigkeit der Vereinbarung bestätigt werden sollte, nicht davon abhalten lassen, ihr zunächst ruhendes Verfahren nach § 1 GWB wieder aufzugreifen: Die Verbotsverfügung konnte nur abgewendet werden, weil die betroffenen Unternehmen die Kommission zur Erteilung einer förmlichen Freistellung bewegen konnten. In allen wirtschaftlich, politisch oder rechtlich bedeutenden Fällen möchte die Kommission eine förmliche Entscheidung treffen, die Masse der unbedeutenden Fälle aber eher mit einem comfort Ietter bescheiden. Sie scheint ihrer Praxis allerdings nicht ganz treu zu sein: Allein 1993 hat sie 25 kooperative Gemeinschaftsunternehmen mit strukturellem Charakter mit comfort Ietter abgeschlossen431. Gerade mit solchen Gemeinschaftsunternehmen sind aber oft erhebliche Investitionen verbunden. Hier ist Rechtssicherheit in besonderem Maße erforderlich432 . Auch erscheint fraglich, ob unter den vielen hundert Anmeldungen im Jahr tatsächlich nur durchschnittlich fünf bedeutende Fälle sind (siehe oben). Immer wieder ist zu beobachten, daß die Kommission Fälle von großer wirtschaftlicher Bedeutung, an denen beispielsweise Unternehmen mit hohen Marktanteilen beteiligt sind, bzw. die mit erheblichen Investitionen verbunden
428
Wolf/Fink WuW 1994,289 [290].
Wiedemann AT /29. Allerdings sind umgekehrte Fälle bekannt: So hat die Kommission in Bezug auf die Grundig-EG-Vertriebsbindung zunächst die Möglichkeit einer Freistellung verneint, später jedoch auf Grund geänderter Auffassung dennoch eine Freistellung erteilt; vergleiche Kommission Entscheidung vom 10.7.1985, ABI. L 23311 vom 30.8.1985 und BGH Urteil vom 9.5.1985, WuWIE BGH 2183 [2186]. 429
6*
430
Dazu schon Gliederungspunkt A. I.
431
23. WB 1993 [130].
432
Vergleiche Lindemann, Freistellungspraxis [91 ].
72
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
sind, oder gar Präzedenzfälle mit comfort Ietter regelt433 . Auf eine Beteiligung der Mitgliedstaaten oder Dritter wird dabei, wie oben erwähnt, verzichtet. Ein paar Beispiele, die die Problematik verdeutlichen sollen: Die fünf größten europäischen Mietwagenunternehmen betreiben zusammen ein computergestütztes Buchungssystem; es entsteht das Risiko eines identifzierenden Preisinformationssystems und einer Diskriminierung von Nichtmitgliedern. Die Kommission sah in der Vereinbarung - ohne jede Begründung eine Förderung des Wettbewerbs434 . Die Unternehmen UTC und MTU haben eine Kooperationsvereinbarung zur Entwicklung von Flugzeugmotoren geschlossen, wobei die Zusammenarbeit freilich auf einzelne Projekte begrenzt war. Die Kommission sah den damit verbundenen bedeutenden Austausch von Spitzentechnologie als freistellungsfähig an435 . Auch die nach deutschem Recht zulässige aber dem Verbot des Art. 85 Abs. I EGV unterliegende Buchpreisbindungssystem, dem Tausende von Unternehmen, Verlagen und Buchhändlern angeschlossen sind, wurde durch (einfachen) comfort Ietter "freigestellt", obwohl hier eine solide rechtliche Grundlage angebracht gewesen wäre436. Zwei weitere Beispiele aus dem Bereich der "strategischen Allianzen": VW und Toyota, die weltweit viert- und drittgrößten Automobilanbieter, haben einen Know-how-Lizenzvertrag geschlossen: Der europäische Bedarf für einen von Toyota zur Serienreife entwickelten Kleintransporter soll bei VW in Wolfsburg gebaut, zu zwei Dritteln unter der Marke VW, zu einem Drittel unter dem Namen Toyota über die jeweiligen Vertriebsnetze verkauft werden, wobei die Fahrzeuge technisch wie äußerlich nahezu identisch sind. Der in der Automobilindustrie wichtige Modellwettbewerb besteht zwischen beiden Fabrikaten daher praktisch nicht. Beide Konkurrenten wären in der Lage gewesen, ein eigenes Modell zu entwickeln. Die Kommission sah jedoch nur begrenzte Auswirkungen auf den Wettbewerb. Ein Verbot nach§ I GWB durch das BKartA blieb nur aus, weil man in Berlin ein baldiges ökonomisches Ende der Zusammenarbeit erwartete437 . Und schließlich: Die Bayer AG und die Hoechst AG haben einen Kooperationsvertrag zur gemeinsamen Entwicklung, Herstellung und vor allem Ver-
433
AK Kartellrecht [24]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [290].
434
ABI. C 149/9 vom 25.5.1993.
435
Dazu ABI. C 149/9 vom 29.5.93; 23. WB 1993 [479].
436
Dazu auch näher Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95
[6 f]. 437
Genauer dazu Basedow/Jung [52 ff mit weiteren Nachweisen].
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
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marktung von Medikamenten gegen die Krankheitsursachen von AIDS geschlossen438. Im Erfolgsfall entstünde ein außerordentlich großer Markt, für den die beiden Unternehmen das Monopol hätten. Wegen der Zusammenarbeit in der Vermarktungsphase wäre das Vorhaben zwar gemäß Art. 85 Abs. 3 lit. b EGV nicht mehr freistellungsfähig gewesen, doch wurde hier aus politischen Gründen eine Abwägung der einzelnen Freistellungsvoraussetzungen gegeneinander vorgenommen. Die Generaldirektion IV hat wegen der Förderung des wissenschaftlichen Fortschritts auch einen völligen Ausschluß des Wettbewerbs mit dem zu entwickelnden Produkt hingenommen. bb) Mangel an Transparenz In der großen Masse der Fälle, die durch comfort Ietter abgeschlossen werden, wird weder der Antrag der Unternehmen auf Freistellung, noch die von der Generaldirektion IV geplante Entscheidung veröffentlicht. Andere Marktteilnehmer erhalten daher von den Vorhaben der Unternehmen und der Haltung der Kommission dazu im Regelfall keine Kenntnis439 . Zudem begründet die Generaldirektion IV ihre Haltung im comfort Ietter meist nicht oder nur unzureichend kurz. Es ist daher für die Mitgliedstaaten, Dritte oder gar die Unternehmen selbst oft nur schwer nachzuvollziehen, warum nach Ansicht der Generaldirektion die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung oder ein Negativattest vorliegen 440. Dies hat Folgen: Um nicht mit dem Freistellungsmonopol der Kommission zu kollidieren, werden die Gerichte nur dann über einen bei ihnen anhängigen Fall entscheiden wollen, wenn die Situation eindeutig ist und eine Freistellung nicht in Betracht kommt: Entweder die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. l EGV liegen nicht vor oder eine Freistellung scheidet ganz sicher aus441 . In den
438 Vergleiche Pressemitteilung der Kommission IP (90) 857 vom 26.10.1990; genauer Basedow/Jung [155 ff] . Mittlerweile kündigte Bayer aus Gründen der Kostenbegrenzung ähnliche Kooperationsverträge mit anderen Pharma-Untemehmen an; vergleiche Noch kein Aids-Medikament von Bayer und Hoechst in Sicht, FAZ vom 28.9.1994 [20]. 439
Zum Beispiel Möschel EWS 1995,249 [250].
AK Kartellrecht [23]; Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6 f). 440
441 EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991 , Slg. 1991 ,1-935 [993/52) "Delimitis/Henninger Bräu"; EuGH Rs. C-250/92, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 15.12.1994, Slg. 1994,1-5641 [5693 /58) "G:ttrupKlim/DLG"; KOM Bek. Gerichte /30.
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
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Fällen, in denen eine Anmeldung der Vereinbarung erfolgt ist, jedoch die Kommission auf diese Anmeldung noch nicht reagiert hat, müssen die Gerichte also eine Prognose über das Verhalten der Kommission abgeben. Teilweise versuchen sie dazu frühere Entscheidungen der Kommission mit dem vorliegenden Fall zu vergleichen442 . Dies ist schon schwierig genug, denn Einzelfreistellungen liegen oftmals sehr spezielle Sachverhalte zugrunde, so daß sich aus den bisher ergangenen Entscheidungen nur schwer "Leitsätze" ablesen lassen443 . Die Gerichte stehen nun aber zusätzlich vor dem Problem, daß nicht nur förmliche Entscheidungen äußerst selten ergehen, sondern auch die comfort letters wegen fehlender Veröffentlichung und knapper oder gar fehlender Begründung nur geringen Erkenntniswert haben. Der "Fundus", aus dem die Gerichte bei ihren Prognosen zu schöpfen versuchen, ist also sehr klein. Auch in Fällen, in denen das Gericht einem schon ergangenen comfort Ietter im Ergebnis folgen will, kann es diesem nur selten Anhaltspunkte zur Stütze für die eigene Entscheidung entnehmen. cc) Verkürzte Verfahrensgarantien für Dritte Weil regelmäßig keine Veröffentlichung der Anmeldung und der geplanten Entscheidung erfolgt, erfahren Dritte im Sinne des Art. 19 VO 17 erst von der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung, wenn diese bereits praktiziert wird. In der großen Mehrzahl der Verfahren haben sie keine Möglichkeit, ihre Bedenken oder Ansichten zu äußern mit der Aussicht, Gehör zu finden. Ihre in der VO 17 festgeschriebenen Beteiligungsrechte werden im Verfahren, das auf Erteilung eines einfachen comfort Ietter gerichtet ist, schlichtweg umgangen444 . Entsprechendes gilt für die Mitgliedstaaten. Nach Art. 10 Abs. 3 VO 17 sind vor jeder "Entscheidung" die Mitgliedstaaten in einer Sitzung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen anzuhören. Da es sich beim comfort Ietter nicht um eine Entscheidung im Sinne der VO 17 handelt, finden die Anhörungen nicht statt445 . Damit bleiben aber auch etwaige Verhandlungen
Vergleiche etwa OLG Köln, RIW 1988,992; OLG Düsseldorf WRP 1986,150. Gleiss/Hirsch (4) Art. 85 /1846. 444 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6 f]; AK Kartellrecht [23]. 445 Gäbelein [280 f] ; Möschel NJW 1995,281 [283] ; Möschel, Subsidiarität [49]. Gleiches gilt danach auch für die Mitwirkungsrechte aus Art. 13 VO 17; Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [6 f]; Möschel EWS 1995,249 [250]. 442 443
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
75
der Kommission mit den Unternehmen über mögliche Änderungen der Vorhaben intransparent446 .
dd) Duldungspraxis anstelle von Entscheidungen Faktisch ftihrt die Praxis der comfort letters zu einer Aushöhlung der VO 17447 . In der Mehrzahl der Fälle hat sich eine Praxis der Nicht-Entscheidung von Freistellungsanträgen herausgebildet, denen durch die Schriftlichkeit der Verwaltungsschreiben der Anschein der Förmlichkeit gegeben wird. Da der comfort Ietter im Prinzip nur zu einer Duldung des eigentlich nach Art. 85 Abs. 1 EGV verbotenen - wenn auch möglicherweise freistellbaren - Verhaltens führt, besteht die Gefahr einer schleichenden Umwandlung des im EGKartellrecht angelegten Systems eines grundsätzlichen Kartellverbots zu einer Art Mißbrauchskontrolle448 . Dies widerspricht klar der vom EGV vorgegebenen Linie. Teilweise wird in diesem Zusammenhang sogar vermutet, daß die unbefriedigende Verfahrenssituation Auswirkungen auf die Zahl der Anmeldungen hat. Der Rückgang von durchschnittlich jeweils 2900 Anmeldungen in den Jahren 1985 bis 1989 auf nur noch rund 750 im Jahr 1993449 wird von Lindemann450 nicht nur auf die Gruppenfreistellungsverordnungen zurückgeführt, sondern auch auf eine Art "Rule-of-Reason" durch comfort letters: Wenig bußgeldträchtige Vereinbarungen werden von den Unternehmen schon gar nicht mehr angemeldet, weil die aufwendige Arbeit des Ausfüllens eines Formblatts NB "doch nur" einen comfort Ietter zur Folge habe, also gleichfalls keine zivilrechtliche Folge auslöse. Sofern kein Bußgeld zu erwarten steht, gewinnen die Unternehmen durch einen comfort Ietter nichts. Damit erreiche die Kommission möglicherweise auch, was sie wolle: Nur noch die wesentlichen Fälle entscheiden zu müssen! Man könnte in der Kritik sogar noch weiter gehen: Die weitreichenden Ermittlungsbefugnisse der VO 17 wurden der Kommission zur Verfügung gestellt "zur Erfüllung der in der VO vorgesehenen Aufgaben". Der comfort Ietter gehört als nicht normierte Praxis nicht dazu. Die meisten Verfahren sind von An-
446
AK Kartellrecht [23].
AK Kartellrecht [23]. Ähnlich Bechto1d EuR 1992,41 [46ft]; Dauses-Krück H-1. /385. 449 23. WB 1993 [129].
447 448
450
Lindemann, Freistellungspraxis [91 f1.
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A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
fang an nur auf die Erteilung eines comfort Ietter gerichtet. Genaugenammen wären im Rahmen der Ermittlungen vorgenommene Eingriffe mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig. Nur weil man die comfort letters als Vorstufe zu einer förmlichen Entscheidung ansehen kann451 , wird man jedoch von einem solchen Ergebnis Abstand nehmen. Weil der comfort Ietter dann aber stets nur als Etappenziel verstanden werden kann, dem eine förmliche Entscheidung eigentlich (irgendwann) noch nachfolgen wird, wird zu Recht darauf hingewiesen, daß eine solche Entwicklung auch rechtspolitisch problematisch ist: Eine Behörde, die immer nur vorläufige, aber nie oder kaum endgültige Entscheidungen trifft, wie sie das Gesetz vorschreibt, "verweigert"452 sich im Ergebnis einer Entscheidung vor dem Anspruch des Bürgers. Ein aktueller Fall ist die beim KG Berlin anhängige Sache "RWENordhorn": Das BKartA hatte einen zwischen der Stadt Nordhorn und dem Energieversarger RWE Energie Aktiengesellschaft geschlossenen Stromkonzessionsvertrag gemäß Art. 85 Abs. 1 EGV untersagt. Darauf hin hat die RWE den Vertrag bei der Kommission angemeldet, die jedoch die Einleitung eines Verfahrens abgelehnt hat und eine endgültige Entscheidung aus Deutschland abwarten will. Die beteiligten Unternehmen haben daraufhin am 22.8.1996 Untätigkeitsklage gegen die Kommission beim EuGel eingereicht453 . Das Gericht wird dabei zu berücksichtigen haben, daß aus dem Freistellungsmonopol der Kommission auch ihre Pflicht folgt , Anträge auf Gewährung einer Freistellung zu prüfen und zu entscheiden. Dies muß insbesondere auch deshalb gelten, weil eine Entscheidung der nationalen Behörde wegen der Vorrangwirkung europäischen Rechts nicht endgültig sein kann, sondern immer unter dem Vorbehalt steht, daß später keine anderslautende Entscheidung auf Europäischer Ebene ergeht454 . Vom Ausgang dieses Verfahrens wird daher viel auch für die weitere Praxis der comfort Ietter abhängen. Das KG Berlin hat das bei ihm anhängige Verfahren inzwischen aufgrund eines Vorlagebeschlusses ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt455 .
451 Obwohl meist von Beginn an feststeht, daß eine förmliche Entscheidung nicht ergehen wird. 452 Wolf, Zusammenwirken [4 f]. 453 Vergleiche Klage der RWE Energie Aktiengesellschaft gegen die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ABI. Nr. C 318 vom 26.10.1996 [ 19]. 454 Zinsmeister WuW 1997,5 [II]. 455 KG Berlin, Beschluß vom 23.12.1996, Kart. 7/96 "Stadt Nordhorn", WuW/E OLG 5795-5804; Vorabentscheidungsersuchen des KG an den EuGH in Verwaltungssache RWFJNordhorn, WuW 1997,418 [418 ff], abgedruckt auch in ABI. C 94 vom
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b) Zwischenergebnis
Zweifelsohne hat sich die Kommission mit dem comfort Ietter ein einfach zu handhabendes Mittel an die Hand gegeben, mit dem sie in der Vergangenheit eine große Zahl von Fällen verhältnismäßig zügig behandelt und den Fallüberhang ein gutes Stück verringert hat. Auch die Unternehmen profitieren davon, nicht zuletzt wegen der Bußgeldfreiheit Allerdings entfaltet der comfort Ietter keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten bzw. den nationalen Behörden und Gerichten. Im Streitfall führt daher kein Weg an einer förmlichen Entscheidung vorbei. Zwar ist es noch nicht vorgekommen, aber auch nicht ausgeschlossen, daß eine förmliche Entscheidung nicht mit dem zuvor versandten comfort Ietter übereinstimmt - eine gewisse Rechtsunsicherheit bleibt, denn das Schreiben gibt lediglich wieder, in welche Richtung die Kommission im Falle einer Entscheidung wohl tendieren wird. Rechtsunsicherheit besteht auch hinsichtlich der Prognostizierbarkeil von Entscheidungen, denn comfort Ietter werden in der Regel weder begründet noch veröffentlicht. Was die Kommission zu einer bestimmten Haltung bewegt hat, läßt sich also schwer erkennen. Problematisch ist ferner, daß die in der VO 17 den anderen Marktteilnehmern und auch den Mitgliedstaaten eingeräumten Mitwirkungsrechte durch die ungeregelte Praxis der comfort Ietter schlichtweg umgangen wird und das System des Kartellverbots mit Ausnahmemöglichkeit Gefahr läuft, schleichend zu einer bloßen Mißbrauchskontrolle zu erodieren. Das wäre alles "nur" ein dogmatisches Problem, wenn nicht in der Praxis auch in Fällen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung comfort letters anstelle förmlicher Entscheidungen ergingen. Das Risiko für die Unternehmen kann also erheblich sein, wenngleich für eine Vielzahl der Fälle der comfort Ietter trotz aller rechtlichen Bedenken praktisch ausreichend ist. Insgesamt stellen sich Verwaltungsschreiben daher als das dar, was sie eigentlich auch sind: Eine Übergangslösung, aus der Not geboren, sehr hilfreich aber eben auch unvollkommen und halbherzig. Am Ende sind auch sie daher nicht die Lösung des Massenproblems. 4. Ausweitung der Gruppe anmeldefreier Vereinbarungen Durch Artikel 4 Absatz 2 und Art. 5 Absatz 2 VO 17 werden bestimmte Gruppen wettbewerbsbeschränkender Absprachen von dem Erfordernis der
22.3.1997 [7]; siehe ferner WuW 1997,100 [100]; FAZ vom 17.1.1997 [16] EU soll deutsche Energiemonopole beurteilen.
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Anmeldung ausgenommen, weil sie "besondere Merkmale aufweisen, die sie weniger gefährlich für die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes machen können". Der Gemeinschaftsgesetzgeber war 1962 davon ausgegangen, daß die anmeldepflichtigen Vereinbarungen "sehr zahlreich" sein und wahrscheinlich nicht gleichzeitig geprüft werden können456 . Er hat deshalb für bestimmte Vereinbarungen eine Befreiung von der Anmeldepflicht vorgesehen, ohne ihre Zulässigkeit im Hinblick auf Art. 85 EGV zu präjudizieren. Es wird nun überlegt, die Zahl der Anmeldungen von vornherein dadurch zu verringern, daß bestimmte Arten von Vereinbarungen, ähnlich Art. 4 Abs. 2 VO 17 generell von der Anmeldepflicht befreit werden457 . Dies soll nicht durch eine Änderung der VO 17 geschehen, sondern vielmehr soll der Kommission im Rahmen der VO Nr. 19/65 des Rates (Ermächtigungsverordnung für die Gewährung von Gruppenfreistellungen) eine eigene Ermächtigung erteilt werden, mit der sie "die Befreiung von der Anmeldepflicht an die Entwicklung der Anmeldungen anpassen" 458 kann. Mit empirischen Untersuchungen sollen bestimmte Gruppen von Vereinbarungen ausgefiltert werden, insbesondere solche, die sich "aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit nur schwer durch eine Freistellungsverordnung abdecken lassen"459. Weiter wird ausgeführt, daß mit einer Befreiung von der Anmeldepflicht das Interesse an einer Anmeldepflicht sinke, da die Kommission (sollte es in der Praxis Probleme geben) auch ohne Anmeldung eine rückwirkende Freistellung erteilen kann 460 . Die Unternehmen sollen also ihre Vereinbarung praktizieren können und nur bei Problemen will die Kommission einschreiten und (gegebenenfalls) eine Freistellung erteilen. Der Schritt zur Mißbrauchskontrolle ist nicht mehr fern! Zu recht halten daher Wolf/Fink461 eine dergestalt einseitig auf Entlastung der Kommission zielende und nicht wettbewerbsrechtlich und -politisch begründbare Maßnahme für höchst bedenklich. Unabhängig davon ist der Erfolg einer solchen Maßnahme fraglich: Die Rechtsfolgen von Art. 4 Abs. 2 VO 17 sind nämlich keineswegs geklärt. In materieller Hinsicht gilt zwar das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV noch fort, so daß
Vierter Verordnungsgrund VO 17. Ehlermann WuW 1993,997 [1000]; "vertrauliches Papier" (19]. 458 "Vertrauliches Papier (20]. 459 "Vertrauliches Papier" [20]. 460 Art. 6 Absatz 2 VO 17 ermöglicht damit eine Ausnahme von der in Art. 6 Abs. I Satz 2 VO 17 vorgesehenen Regel, daß Freistellungen rückwirkend maximal bis zum Tag der Anmeldung erteilt werden dürfen. 461 Wolf/Fink WuW 1994,289 [293]. 456 457
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man eine schwebende Unwirksamkeit annehmen muß462 . In Bezug auf das Verfahrensrecht folgert die herrschende Meinung463 aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 2, der in seiner Eingangsformel auf den gesamten Absatz I der Vorschrift verweist, daß die Kommission entgegen der Regel des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 für nichtanmeldebedürftige Kartelle von Amts wegen eine Freistellung vom Kartellverbot aussprechen könne. Die Gegenansicht464 sieht dagegen kein Bedürfnis, den Beteiligten von Amts wegen einen Rechtsvorteil zu verschaffen, den sie nicht ausdrücklich begehren. Der Gerichtshof jedenfalls scheint in seiner Rechtsprechung davon auszugehen, daß jede individuelle Freistellung vom Kartellverbot einen Antrag der jeweiligen Unternehmen - und damit eine Anmeldung- voraussetzt465 . In der Praxis ist noch kein Fall aufgetreten466, in dem die Frage relevant geworden wäre: Regelmäßig machen nämlich in solchen Fällen die Unternehmen - vorsichtshalber - von der ihnen in Art. 4 Abs. 2, letzter Satz VO 17 eingeräumten Möglichkeit der freiwilligen Anmeldung Gebrauch. Denn lehnt die Kommission die Erteilung einer Nichtanwendbarkeitserklärung ab, so treten ex tune die Rechtsfolgen des gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbots, insbesondere die Nichtigkeit der Kartellabsprache nach Art. 85 Absatz 2 EGV ein. Der Gerichtshof hat diese Rechtsauffassung unter Änderung seines früheren Standpunktes467 im Urteil "de Haecht II" ausdrücklich bestätigt. In den Entscheidungsgründen heißt es, die Befreiung von dem Anmeldeerfordernis stelle ledig-
462 BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin; GTE-Schröter/JakobSiebert Art. 87, 2. Teil/17. 463 Zum Beispiel Gleiss/Hirsch (3) VO 17, Art. 4 /10; GK-Mailänder (3) VO 17 Art. 4/5 /42; Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [513); weitere Nachweise bei GTESchröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil/17.
464
Deringer VO 17 Art. 4 /6 f; LNRS § I lEG I 05.
EuGH Rs. 126/80, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.6.1981 , Slg. 1981,1563 [ 1582 /30) "Salonia"; in diesem Urteil wurde die Freistellungsmöglichkeit eines unter Art. 4 Abs. 2 Nr. I VO 17 fallenden "lnlandskartells" wegen fehlender Anmeldung verneint. Anders noch die Urteile EuGH Rs. 37/79, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I 0. 7.1980, Slg. 1980,2481 [2498 17) "Estee Lauder"; EuGH Rs. 99179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2511 [2532 /8] "Lancöme/Etos"; EuGH Rs. 31/80, Urteil vom 11.12.1980, Slg. 1980,3775 [3788 /8) "L'Oreal". Bei nichtanmeldebedürftigen Kartellen muß jedoch die Anwendbarkeit von Art. 85 Abs. 3 von Amts wegen geprüft werden, bevor eine Verbotsentscheidung ergeht; siehe EuGH Rs. 240-242+261+262+268+269/82, Slg. 1985,3831 [3879175) "SSI". 465
466
GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil/17.
Siehe EuGH Rs. 43/69, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 18.3.1970, Slg. 1970,127 [137 /10) "Bilger/Jehle". 467
80
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
lieh ein nicht ausschlaggebendes Indiz dafür dar, daß die betreffenden Kartelle im allgemeinen weniger schädlich für das einwandfreie Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sind468 . Eine Vergrößerung der Gruppe anmeldefreier Vereinbarungen dürfte also wegen der erheblichen Rechtsunsicherheit die Zahl der Anmeldungen nicht spürbar verringern. 5. Andere Maßnahmen zur Entlastung
Die Kommission hat über die eben beschriebenen Anstrengungen hinaus noch einige andere Maßnahmen unternommen, um die Arbeitsbelastung zurückzuführen und plant weitere. Eine weitere Möglichkeit, die Zahl der Neuanmeldungen zu verringen, sieht sie zum Beispiel in der Heraufsetzung ("Aktualisierung") der Umsatzschwelle469 in der Bagatellbekanntmachung von 200 auf 300 Mio. ECU470 . Zwar wurde dabei die Marktanteilsschwelle von fünf Prozent belassen471 , jedoch zeigt die allein durch Entlastungsbestrebungen motivierte Änderung der Umsatzschwelle, wie sorglos bei der Kommission teilweise über die Gefährlichkeit eines Kartells geurteilt wird: Offensichtlich sollen möglichst wenig Einzelfallentscheidungen getroffen werden. Überspitzt gesagt: Was man nicht unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fassen kann, läßt man am besten ganz aus dem Kartellverbot herausfallen ... Ferner ist die Bekanntmachung über die beschleunigte Behandlung von Anmeldungen von kooperativen Gemeinschaftsunternehmen472 zu erwähnen. Sie enthält kurze Fristen, die allerdings rechtlich nicht verbindlich sind. Sie sind nur als verwaltungsinterne Richtlinie zu verstehen. Die Kommission ist jedoch um Einhaltung bemüht und will dadurch eine Straffung des Verfahrens errei-
468 EuGH Rs. 48/72, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [87 /13] "Oe Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht II]. 469
Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
470
ABI. C 368 vom 23.12.1994 [20].
471
Vergleiche "vertrauliches Papier" [20].
Bekanntmachung der Kommission über die Beurteilung kooperativer Gemeinschaftsunternehmen nach Artikel 85 des EWG-Vertrages, ABI. 1993 C 43/2 vom 16.2.1993. 472
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
81
chen473 . Mit bloße internen Fristen ohne Verbindlichkeit verhält es sich jedoch so ähnlich, wie dem Versuch das Rauchen aufzugeben oder abzunehmen: Eine kleine Zeitlang geht es wunderbar, doch wenn es "hart auf hart" kommt, nützt alles nichts. Der Erfolg war bislang auch nicht "durchschlagend": Der Wettbewerbsbericht für das Jahr 1994 nennt 18 angemeldete strukturelle kooperative Gemeinschaftsuntemehmen474. Die Zweimonatsfrist konnte aber nur in sechs Fällen eingehalten werden475 . Nun will man neue- jedoch weiterhin nur interne- Verfahrensregeln zur Verbesserung ausarbeiten476 . Auch von der Absicht, die Wettbewerbsregeln vermehrt durch die nationalen Gerichte durchzusetzen477, werden keine allzugroßen Entlastungswirkungen ausgehen: Die Kommission drängt auf eine stärkere Dezentralisierung bei der Durchsetzung der Wettbewerbsverbote des Art. 85 Abs. I und 86 EGV, indem die mitgliedstaatliehen Gerichte von ihren Möglichkeiten stärker Gebrauch machen sollen478 und bietet dazu verfahrenstechnische - rechtlich aber umstrittene479 - Hilfe an. Die Kommission möchte damit erreichen, daß bei ihr seltener um Verwaltungsrechtsschutz nachgesucht wird480, da die nationalen Gerichte den Betroffenen Möglichkeiten bieten könnten, die der Kommission verschlossen sind (zum Beispiel den Erlaß einstweiliger Anordnungen und die gleichzeitige Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche). Außerdem erhofft man sich von der größeren Bekanntheit der Wettbewerbsregeln eine Abschreckungswirkung auf Kartellverstöße, wenn ein zivilrechtliches Verfahren zu befürchten sei481 . Eine gleichberechtigte Stellung der nationalen Gerichte, 473 Ehlermann WuW 1993,997 [1000]; van Miert WuW 1995,553 [558]. Ein anderes Ziel der Bekanntmachung war aber vor allem auch die Beseitigung der Diskriminierung durch die FK-VO, bei der es sehr kurze Fristen gibt- im Gegensatz zur VO 17, die überhaupt kein zeitliches Limit kennt. 474
24. WB 1994 [Anhang III - Statistik].
Zwei Seiten später gibt die Statistik allerdings - wohl versehentlich - das umgekehrte Verhältnis an. 475
476
24. WB 1994 [Anhang III - Statistik].
477 Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den
Gerichten der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Art. 85 und 86 EWGV, ABI. EG Nr. C 1993 39/6-12 vom 13.2.1993. 478
Behrens [86].
Siehe zum Beispiel Esser-Wellie WuW 1995,457 [471 f]; Bornkamm [59]; Bebrens [98 f]. 479
°KOM Bek. Gerichte /4+34.
48
BT-Drucksache 12/5200 [6]; Das ist freilich ein zweischneidiges Schwert, da mit gesteigerter Kenntnis auch vermehrt von der Klagemöglichkeit Gebrauch gemacht werden könnte. 481
82
A. Verfahrensstau wegen Verfahrensmängeln
insbesondere die Befugnis zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV wollte man den Gerichten der Mitgliedstaaten allerdings nicht einräumen 482 . Da aber ein Großteil des Verfahrensstaus gerade aus dem Wunsch der Unternehmen an einer positiven Klärung der Freistellungsfähigkeit einer Kartellvereinbarung entsteht, wird die vermehrte Anwendung durch nationale Richter nur begrenzte Entlastungswirkungen zur Folge haben483 . Im ersten Jahr nach Veröffentlichung der Bekanntmachung sind jedenfalls auch keine "Wunder" eingetreten484: 1994 gab es gerade zwei Auskunftsersuchen von Gerichten an die Kommission. Das eine bezog sich auf eine Auslegungsfrage, das andere war ein Informationsersuchen. Beide Anfragen erfolgten ohne Bezugnahme auf die Bekanntmachung485.
6. Ergebnis Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit einer erheblichen Arbeitsbelastung zu kämpfen. Weit mehr Anträge auf Freistellung vom Kartellverbot gehen ein, als sie in dem in der VO 17 vorgeschriebenen Verfahren bewältigen kann. Voraussichtlich wird die Belastung sogar noch weiter zunehmen. Die Kommission hat deshalb versucht, sich durch verschiedene Maßnahmen Entlastung zu verschaffen. Aus den vorstehenden Betrachtungen wird aber klar, daß alle bislang angewandten oder vorgeschlagenen Verfahren nicht geeignet sind, das Problem grundsätzlich zu lösen. Das gilt vor allem für drei Ansätze: die Zuflucht zu Gruppenfreistellungsverordnungen, die Praxis der sogenannten comfort letters und schließlich dem Versuch, nationale Behörden stärker in die Verwaltungspraxis einzubinden. Die beiden ersten Methoden haben in der Vergangenheit durchaus beachtliche Entlastungserfolge herbeigeführt. Gegen weitere Gruppenfreistellungsverordnungen und die Verwendung von comfort letters anstelle von förmlichen Entscheidungen sprechen aber hauptsächlich die mangelnde Rechtssicherheit vor allem für die beteiligten Unternehmen, die drohende Aufweichung der im EGV getroffenen Grundentscheidung für ein Kartellverbot mit eng begrenzten Ausnahmen zugunsten einer Duldungspraxis und der klare Widerspruch der
482 Vergleiche 21. WB 1991 170; Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum 21. EG-Wettbewerbsbericht, WuW 1993,288 [290); Ehlermann, Verwaltungsverfahren [5). 483 Groger/Janicki WuW 1992,991 [995). 484 Vergleiche dazu auch WolfWM 1992,1730 [1730]. 485 24. WB 1994 /49 f.
IV. Vergebliche Versuche zur Entlastung der Kommission
83
Rechtspraxis zu den geltenden Verfahrensregeln. (Aus den gleichen Gründen kann auch die Praxis der Kommission, in Fällen minderer "Bedeutung" einfach die Akten zu schließen oder möglicherweise darauf zu vertrauen, daß sie sich durch Zeitablauf erledigen486 , keine Lösung sein.) Doch auch auf dem dritten Weg, sich von Fällen zu befreien, die durch andere Behörden erledigt werden können, damit die Kommission selbst Zeit und Kraft für das "Wesentliche" und damit eben auch für Freistellungen hat, wird zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Da wegen des Freistellungsmonopols der Kommission die nationalen Behörden von der Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV ausgeschlossen sind, können sie zwar das Verbot des Absatz 1 durchsetzen. Auf diesen Punkt setzt die Kommission daher große Hoffnungen. Nationale Behörden sollen mehr Fälle des Art. 85 Abs. 1 EGV übernehmen und die Kommission damit entlasten. Aber selbst wenn eines Tages alle nationalen Behörden zur Anwendung europäischen Rechts befugt sein sollten, wird die geltende Rechtslage die nationalen Behörden aus rechtlichen und praktischen Gründen an einer vermehrten Beteiligung hindern. Kern des Problems ist dabei der Grundsatz der "integralen Anwendung": Über Art. 85 Abs. I EGV läßt sich nämlich oft nur sinnvoll entscheiden, wenn auch Absatz 3 gleich mitberücksichtigt wird487 , was den nationalen Behörden jedoch verwehrt ist. Dies aber hat zur Folge, daß der Kommission ein "letztes Wort" eingeräumt werden muß, um gegebenenfalls dem Anspruch der Unternehmen auf eine Freistellung gerecht zu werden. Dementsprechend sehen die Verfahrensvorschriften auch vor, daß die nationalen Behörden ihre Zuständigkeit verlieren, sobald der Fall bei der Kommission anhängig wird. Die nationalen Behörden müssen also stets damit rechnen, daß sie ihren Fall eines Tages an die Kommission "verlieren". Das mindert ihre Begeisterung für· die dezentrale Anwendung. Solange die Kommission also über ein Freistellungsmonopol verfügt, wird sich eine zahlreicherer Anwendung von Art. 85 Abs. I EGV nicht recht erreichen lassen.
486
Gleiss/Hirsch (4) 11847.
487
Vergleiche zum Beispiel Baldi [239 ff, 249 Fußnote 44].
B. Lösungsvorschlag Nach Art. 3 g1 in Verbindung mit Art. 2 EGV ist die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt, eine der wesentlichen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft. Art. 3 g EGV hat Verfassungsrang, ist ein zentraler Punkt der Gemeinschaftspolitik und eines der dem Gesamtsystem zugrunde liegenden Prinzipien2 . Auch aus Art. 3 a Abs. 1 und 130 Abs. 3 Satz 2 EGV wird deutlich, daß das Wettbewerbsprinzip für das Funktionieren der Gemeinschaft erhebliche Bedeutung hat. Die Vorschrift des Art. 85 EGV dient (zusammen mit Art. 86) der Durchsetzung dieser Prinzipien, indem diese in (zumindest einigermaßen 3) handhabbare Verbote umgesetzt werden4 . Wegen der hohen Bedeutung der darin konkretisierten, allgemeinen Vertragsziele ist es erforderlich, daß diese Vorschriften unmittelbar, gleichzeitig und einheitlich5 durchgesetzt werden. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß im Bereich des Vollzugs des europäischen Wettbewerbsrechts erhebliche Defizite bestehen6 . Die bisherigen Bemühungen der Kommission um Verbesserung, so ist dargelegt worden, sind entweder aus rechtlichen Gründen bedenklich oder haben nur marginale Auswirkungen auf die effektive Durchsetzung des gemeinsamen Rechts. Sofern nationale Instanzen häufiger beteiligt werden sollen, scheitern die erhofften Entlastungswirkungen stets am Freistellungsmonopol der Kommission, das eine integrale Anwendung von Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV verhindert. 1 Ehemals
Art. 3 fEWGV.
Dazu vor allem EuGH Rs. 6/72, Urteil vom 21.2.1973, Slg. 1973,215 [244 ff /24 f] "Continental Can und andere/Kommission" . 2
3 Ähnlich dem ersten US-amerikanischen Kartellgesetz, dem Sherman Act aus dem Jahr 1890, ist auch Art. 85 Abs. I EGV noch so weit und unbestimmt gefaßt, daß eigentlich erst die ergänzenden Bestimmungen und vor allem die Spruchpraxis die Vorschrift mit der Zeit anwendbar machten; Rittner JZ 1996,377 [378]. 4 EuGH Rs. 6/72, Urteil vom 21.2.1973, Slg. 1973,215 [240 ff, 244 /23] "Continental Can und andere/Kommission".
5 Dauses-Stettner B-Ill. /9.
Bechtold nennt in EuR 1992,41 [54] die augenblickliche Praxis nicht eine Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV sondern "Vernebelung". 6
7 Gillessen
86
8. Lösungsvorschlag
In jüngerer Zeit sind nun eine Reihe von (Einzel-) Vorschlägen zur Verbesserung gemacht worden. Sie beziehen sich zum Teil auf eine Vereinfachung des Verfahrens bei der Kommission, zum Teil auf eine zahlreichere Einbeziehung nationaler Instanzen. Die ganze Bandbreite der Regelungsmöglichkeiten steht dabei wieder zur Verfügung, auch der "radikale" Ansatz aus der Diskussion um den Erlaß der VO 17, nach dem die Zuständigkeit zur Anwendung des europäischen Kartellrechts (also auch in Bezug auf die Anwendung des Art. 85 Abs. I EGV) vollständig auf die Kommission verlagert werden sollte7 . Meist wird jedoch von der gegebenen Zuständigkeitsverteilung ausgegangen und vorgeschlagen in Fällen mit einem "nationalen Schwerpunkt", in denen in der Regel nur Unternehmen aus ein oder zwei Staaten beteiligt sind, die Kommission zu entlasten. Dabei wird zum Beispiel überlegt, in solchen Fällen trotz EGRechts-Geltung Freistellungen nach nationalem Recht zu erteilen, was jedenfalls angesichts der zunehmenden Angleichung der nationalen Rechtsordnungen an europäisches Recht immer weniger problematisch werde 8 ; denkbar wäre dann zum Beispiel, daß die Kommission auf Grund einer Regelung ähnlich der sogenannten "deutschen Klausel" in Art. 9 FK-VO den Fall in die Zuständigkeit der nationalen Behörde verweist. Man könnte aber auch überlegen, für jeden Fall ad hoceine "Mini"-Kommission von insgesamt nur zwei oder drei Bearbeitern zu bilden (aus je einem Mitglied der von dem Fall betroffenen Staaten), die den vorliegenden Fall behandelt9 . Nach einem anderen Vorschlag könnte eine "cartel task force" installiert werden. Sie soll vorrangig aus Mitgliedern nationaler Kartellbehörden gebildet werden und nach dem Vorbild der europäischen merger task force in der Fusionskontrolle für schnellere Verfahren sorgen 10. Ferner wird diskutiert, Freistellungen automatisch durch Nichtwiderspruch der Kommission in bestimmter Frist zu erteilen 11 , ein Verfahren
7 Vergleiche Europäisches Parlament, Protokolle der Sitzung vom 19.10.1961, zitiert bei Deringer VO 17 Art. 9 /1.
8
Bunte WuW 1994,5 [20].
9
Vergleiche Mozet [119], dessen Vorschlag allerdings nicht auf die Europäische Union bezogen, sondern für eine weltweite Zusammenarbeit von Kartellbehörden gedacht war. Der Gedanke läßt sich jedoch auch auf die hier vorliegende Situation anwenden. 10 Möschel, Herausforderungen [44] ; Möschel EWS 1995,249 [251]; vergleiche zuvor auch schon BDI, (interner) Ergebnisvermerk zur gemeinsamen Sitzung der Arbeitskreise Kartellrecht sowie Marktbeherrschung und Fusionskontrolle am 25.10.1994 [3]. Etwas ähnliches gibt es bereits: Seit 1996 verfügt die Generaldirektion IV im Direktorat E (Grundstoffindustrie) über ein Referat "Kartelle und Inspektionen", das die bisherige, dem Generaldirektor direkt unterstellte Einheit "Kartelle" ersetzt.
II
Bechtold EuR 1992,41 [53].
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
87
also, das der in einigen Gruppenfreistellungen getroffenen Regelung ähnelt. Auch ein Europäisches Kartellamt 12 würde die Verfahren schneller als die Kommission führen können; die Befürworter eines gemeinsamen Kartellamtes erhoffen sich von seiner Errichtung aber vor allem ein durch politische Interessen weniger beeinflußbares Entscheidungssystem. Wieder ein anderer Vorschlag schließlich sieht eine "Auftragsverwaltung" vor, nach der die nationalen Wettbewerbsbehörden Einzelfälle für die Kommission übernehmen würden; die Kommission würde dabei am Ende die Verantwortung für die Tätigkeit der nationalen Kartellämter tragen 13 . Wegen der großen Verschiedenheit der Vorschläge kann auf sie hier nicht im einzelnen eingegangen werden.Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll vielmehr ein weiterer Vorschlag sein, der vor allem vom deutschen Bundeskartellamt vertreten und vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützt wird.
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission Das BKartA fordert - mit Unterstützung des BMWi 14 - eine vermehrte eigenverantwortliche Einschaltung der nationalen Kartellbehörden in die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts für Fälle mit nationalem Schwerpunkt. Selbstverständlich und unbestritten gehört dazu der Vollzug des Art. 85 Abs. 1 EGV durch die nationalen Gerichte 15 , aber auch der Vollzug des Kartellverbots durch die nationale Kartellbehörde, in deren Gebiet der Schwerpunkt des Kartellverstoßes liegt 16. Wie gezeigt, gehen auch die Bemühungen der Kommission in diese Richtung. Strittiger Kern des Vorschlags ist jedoch
12 Dazu zum Beispiel Ehlermann EuZW 1994,647 [650 ff]; zahlreichen Nachweise auch bei Dreher, Europäischer Markt [13 Fußnote 53]. 13 Hinweis darauf bei BDI, (interner) Ergebnisvermerk zur gemeinsamen Sitzung der Arbeitskreise Kartellrecht sowie Marktbeherrschung und Fusionskontrolle am 25.10.1994 [3], unter Verweis auf einen in der UNICE gemachten Vorschlag; ähnlich auch BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln.
14 Kurzinformation WuW 1993,464 [464]; Stellungnahme der Bundesregierung zu TB 1991192 [1]. 15 Groger/Janicki WuW 1992,991 [995 f] ; Kurzinformation WuW 1993,464 [464]; Kamburoglou WuW 1993,273 [281]; KOM Bek. Gerichte 117 ff; BT-Drucksache 12/5200 [6].
16 Groger/Janicki 7*
WuW 1992,991 [996]; Gäbelein [283].
88
B. Lösungsvorschlag
die Forderung, nicht nur Dezentralisierung 17 und Delegation 18 bei gegebener Zuständigkeitsverteilung durchzuführen, sondern de lege ferenda eigenverantwortliches Handeln auf der Ebene der Mitgliedsstaaten 19 zu ermöglichen: Es geht um die Aufhebung oder zumindest Lockerung des Freistellungsmonopols der Europäischen Kommission20. Nationale Behörden und Gerichte sollen Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV erteilen dürfen21 . Durch eine Änderung der VO 17 sollen die Zuständigkeiten neu verteilt werden, so daß die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten in Fällen von zwischenstaatlicher Bedeutung, aber mit einem eindeutig nationalen wirtschaftlichen Schwerpunkt22 (also Fällen, in denen das Gemeinschaftsinteresse zurücktritt) die Befugnis erhalten, nicht nur wie bisher Verbote auszusprechen, sondern im Einzelfall auch Freistellungserklärungen gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV abzugeben23. Nicht berührt werden soll demnach das Monopol der Kommission in Be17
Vergleiche BT-Drucksache 1215200 [6]; so aber Ehlermann WuW 1993,997 [998
f] und 15. WB 1985/39. 18
20. WB 1990 [17]; 21. WB 1991 [II].
19
BT-Drucksache 12/5200 [6]; Wolf, Zusammenwirken [2].
Wolf/Fink WuW 1994,289 [291 f]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; vorsichtig noch Stellungnahme der Bundesregierung zum TB BKartA 1989/90 [V]; ferner Arbeitsunterlage Arbeitskreis Kartellrecht [33]; Hossenfelder/Parlasca WuW 1995,474 [475 f]. 20
21 Kurzinformation WuW 1993,464 [464]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; Wolf EuZW 1994,233 [235]; Wolf, Zusammenwirken [5]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291 f]; Wolf WM 1992,1730 [1730]; Wiedernano GRUR International 1990,807 [817 Fußnote 68]; Gäbelein [283]; Wolf und Rexrodtin Kurzinformation: Vertreter europäischer und nationaler Kartellbehörden zur Weiterentwicklung der EGWettbewerbspolitik, WuW 1993,464 [464]; Kartellpräsident Mehr nationale Kompetenz, FAZ vom 14.5.1993 [12]; Nationale Behörden sollen europäisches Wettbewerbsrecht anwenden, FAZ vom 2.8.1994 [II]; BKartA TB 1991/92 [7]; ebenso Stellungnahme der Bundesregierung zum TB BKartA 1989/90 [V] und 1991/92 [1, VI]; Delegation der Einzelfreistellungsbefugnis an Mitgliedstaaten, EuZW 1992,752 [752]; AK Kartellrecht [33]. 22 Kurzinformation WuW 1993,464 [464]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; Wolf EuZW 1994,233 [235]; Wolf, Zusammenwirken [5]; Wolf, WM IV 1992,1730 [1730]; Gäbelein [283].
23 Vergleiche Delegation der Einzelfreistellungsbefugnis an Mitgliedstaaten, EuZW 1992,752 [752]; Wolf und Rexrodt in Kurzinformation: Vertreter europäischer und nationaler Kartellbehörden zur Weiterentwicklung der EG-Wettbewerbspolitik, WuW 1993,464 [464]; Kartellpräsident Mehr nationale Kompetenz, FAZ vom 14.5.1993 [12]; TB BKartA 1991/92 [7]; AK Kartellrecht [33]; Stellungnahme der Bundesregierung zum TB BKartA 1989/90 [V] und 1991192 [1, VI, 36]; Nationale Behörden sollen europäisches Wettbewerbsrecht anwenden, FAZ vom 2.8.1994 [11]; Wolf EuZW 1994,233
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
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zug auf Gruppenfreistellungsverordnungen. Hierbei handelt es sich um privatrechtsausgestaltende24 Gesetzgebung im sekundären Gemeinschaftsrecht, nicht um Verwaltungsvollzug25. Der Vorschlag geht - soweit ersichtlich - auf eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Tätigkeitsbericht des BKartA 1989/9026 zurück. In der Folgezeit wurde er vor allem vom Präsidenten des Bundeskartellamts, Dieter Wolf27 , vertreten. Eine positive Grundhaltung nehmen in der Literatur vor allem Groger/Janicki28 (aus dem BMWi) und Gäbelein 29 ein. Andere Autoren schließen sich dem Vorschlag an, ohne sich jedoch näher mit der Sache zu befassen30. 1. Erhoffte V orteile
Von einer entsprechenden Neuregelung erhofft man sich gleich eine ganze Reihe von Verbesserungen. Allen voran soll die neue Kompetenzverteilung natürlich dem Verfahrensstau ein Ende bereiten und zu spürbarer Entlastung der Kommission führen 31 . Der Abbau des "backlog" steht also an erster Stelle32 . [235]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291 f] ; BT-Drucksache 12/5200 [6 f]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; Kurzinformation: Novellierung des Wettbewerbsrechts zwischen Bonn und Brüssel kontrovers diskutiert, WuW 1994,720; SR-Drucksache 245/94 [36]; BT-Drucksache 13/370 [25]. Siehe ferner auch Editorial Comments CMLR 1995,1 [3 ff]; Lenz, Hannonisierung [29]; Gäbelein [283]; Kurzinformation: Brüssel will Kartellverfahren straffen und an nationale Behörden delegieren, WuW 1993,4 [4]; Für Europa eine Verfassung der Freiheit, FAZ vom 28.8.1993 [11]; Meyer-Koester [3]; Nationale Behörden sollen europäisches Wettbewerbsrecht anwenden, FAZ vom 2.8.1994 [11]; 21. WB 1991 /69. 24 Siehe zum Begriff der Privatrechtsausgestaltung im Gegensatz zu Privatrechtsgestaltung Manssen [6 ff]. 25 Wenn im Folgenden also von "Freistellungen" gesprochen wird, sind damit regelmäßig Einzelfreistellungen gemeint.
26
BT-Drucksache 12/847 [V]; vergleiche auch Held [49].
27
Siehe voranstehende Nachweise.
28
Groger/Janicki WuW 1992,991 [991 ff].
29
Gäbelein [283].
30 Zum Beispiel Jung, Subsidiarität [226 f], auf Subsidiaritätserwägungen fixiert. 31 Vergleiche BT-Drucksache 12/5200 [6]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291]; Wolf EuZW 1994,233 [235]; Held [49]. 32 Bei der Anwendung der FK-VO ist die Kommission weitaus schneller; vergleiche Ehlermann WuW 1993,997 [997].
90
B. Lösungsvorschlag
Gleichzeitig soll damit auch eine deutliche Verkürzung der bei Anmeldungen mit zwei, teilweise sogar vier und mehr Jahren sehr langen Verfahrensdauer einhergehen33 . Auch das andere große Übel soll mit einer Änderung der VO 17 an der Wurzel gepackt werden: Wenn die nationalen Behörden nach der neuen Regelung förmliche Entscheidungen treffen könnten, kann auf das rechtlich unverbindliche Instrument des comfort Ietter verzichtet werden. Damit bestünde für alle Beteiligten Rechtssicherheit Auch eine kürzere Verfahrensdauer erhöhte die Rechtssicherheit, da sehr viel schneller Klarheit über den Bestand eines Vertrages herrschte. Auf Grund der dann möglichen integralen Anwendung von Art. 85 Abs. I und 3 EGV auch für die nationalen Behörden wäre zudem auch die Problematik der Rechtsanwendungskonkurrenz gelöst. Die Durchführung eines förmlichen Verfahrens würde ferner auch wieder die nötige Transparenz für Dritte herbeiführen, die auf Grund der Praxis, bei comfort letters grundsätzlich auf Veröffentlichungen zu verzichten, verlorengegangen ist. Auch Kostengründe werden geltend gemacht: Da auf Grund der weiten Zwischenstaatlichkeitsklausel den nationalen Behörden Fälle "verlorengegangen" sind, bestehen dort nun freie Kapazitäten. Diese Resourcen könnten nun wieder genutzt werden, was billiger sei, als eine Aufstockung des Personals in Brüssei34. Ferner wird auch das in den 80er Jahren in Mode ~ekommene Schlagwort der "Bürger- bzw. Unternehmensnähe" wieder bemüht 5: Durch die vermehrte Anwendung des europäischen Kartellrechts würden die Behörden der Mitgliedstaaten für die Wirtschaft kompetente Ansprechpartner für EG-Kartellsachen werden 36 . Dies sei vor allem für kleine und mittlere Unternehmen vorteilhaft, die sich keine eigenen fremdsprachlich versierten und mit den Brüsseler Verhältnissen vertrauten Rechtsabteilungen leisten können37 . Häufig seien ohnehin die nationalen Kartellbehörden wegen ihrer Marktnähe und in der Regel umfas-
33 34
35
Wolf/Fink WuW 1994,289 [289+291]. Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiarität [49]. BT-Drucksache 12/5200 [6]; Groger/Janicki 1992,991 [997]; Wolf/Fink WuW
1994,289 [291]. 36 Wolf/Fink 37
WuW 1994,289 [291]; Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]. Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; BT-Drucksache 12/5200 [6].
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
91
senderen Ermittlungsbefugnissen besser in der Lage zu handeln 38 . Zudem werde auch mehr dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen als durch die bisherige Praxis39 . Die Kommission könnte sich auf die nur zentral behandelbaren Aufgaben von besonderer Bedeutung für die Gemeinschaft konzentrieren 40. Ein weiterer Vorteil wäre, daß die Verfahren von nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Relevanz gleichzeitig vor der nationalen Behörde abgeschlossen werden könnten41 . Dies entspräche dem schon in der Fusionskontrolle geltenden Prinzip vom "one-stop-shop": Die Unternehmen müßten nicht sowohl in Brüssel als auch bei der nach nationalem Recht zuständigen Behörde um ihr Recht ersuchen. Die Hoffnungen der Fürsprecher richten sich weiter auch darauf, daß durch eine Anwendung des europäischen Rechts im eigenen Land und durch eigene Behörden das in gewissem Umfang bestehende Mißtrauen bei den Mitgliedstaaten gegenüber der Zentralverwaltung in Brüssel abgebaut werden könnte und zugleich die Akzeptanz des gemeinsamen Rechts - speziell des Wettbewerbsprinzips - erhöht würde42 . Auch würde dies die weitere Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen ohne "Druck von oben" fördern, also im Wege einer "soft harmonisation" 43 . Schließlich werden noch weitere Aspekte von geringerer Bedeutung ins Feld geführt: Möschel44 erörtert die Gefahr, daß die nationale Wettbewerbsbehörde an Attraktivität für gute Juristen verlöre, wenn nur die nationalen Bagatellfälle zu bearbeiten seien. Guter Nachwuchs bliebe aus. "Verwaltungsmuff' wäre die Folge, und dieser schwäche die Aufrechterhaltung des Rechtsbewußtseins im Hinblick auf den Wettbewerbsschutz.
38 Vergleiche Bunte WuW 1994,5 [20] (unter der Fragestellung, ob überhaupt noch ein nationales Kartellrecht nötig ist), der allerdings eine Angleichung des GWB an EGRecht favorisiert und damit die Anwendung nationalen Rechts meint in Fällen, in denen zwar europäisches Recht angewendet werden könnte, die Kommission dies aber - mangels verwaltungsmäßigen und personellen Resourcen - nicht tut. 39
Jung, Subsidiarität [222].
40 Ehlermann
WuW 1993,997 [999], Wolf/Fink WuW 1994,289 [291].
41
Wolf/Fink WuW 1994,289 [291]. Siehe dazu 23. WB 1993 /595.
42
Wolf/Fink WuW 1994,289 [293].
43 Wolf/Fink WuW 1994,289 [293]; WolfEuZW 1994,233 [235]. 44
Möschel EWS 1995,249 [250].
92
B. Lösungsvorschlag
2. Stellungnahme der Kommission Die Haltung der Kommission bzw. der für Wettbewerbsfragen zuständigen Generaldirektion IV zu diesem Vorschlag ist eindeutig und läßt sich knapp darstellen: Brüssel widerspricht energisch45 und steht auf dem Standpunkt, daß nur die Kommission in der Lage sei, Freistellungen zu erteilen46. Die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV setze die Bewertung komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge und die Nutzung eines umfassenden Ermessensspielraums unter anderem dann voraus, wenn gleichzeitig verschiedene Ziele des EGV zu berücksichtigen seien. Dies könne nur die Kommission47 . Eine andere Regelung sei wegen der Verpflichtung der Kommission, die verschiedenen Vertragsziele miteinander in Einklang zu bringen, nicht möglich. Eine entsprechende Änderung der VO 17 komme daher nicht in Betracht. Allerdings wird zugestanden, daß Fälle nach Art. 85 Abs. 1 EGV, die zwar den innergemeinschaftlichen Handel erheblich beeinträchtigen, sich aber hauptsächlich auf nur einem nationalen Markt auswirken, durch die Behörde des betreffenden Mitgliedstaates behandelt werden sollten48 . Faktisch habe man gerade im Bereich des Wettbewerbsrechts schon immer das Subsidiaritätsprinzip verfolgt. Die von der Kommission angestrebte Abgrenzungslinie zwischen nationaler Administration - sei es des eigenen Rechts, sei es des europäischen Rechts - und der Administration des europäischen Rechts durch Brüssel orientiere sich im wesentlichen daran, ob Wettbewerbsbeschränkungen sich hauptsächlich nur auf einem nationalen Markt auswirken oder "das freie Spiel des Wettbewerbs in der gesamten Gemeinschaft bzw. in einem weit über das Territorium eines einzelnen Mitgliedstaates hinausgehenden Teil der Gemeinschaft erheblich beeinflussen" 49 . Dem entsprächen auch die oben dargestellten Dezentralisierungsbemühungen der Kommission. Darüber hinaus scheint man aber wenig bereit zu sein, über Änderungen im Sinne des Vorschlages weiter nachzudenken50, insbesondere nicht über das FreistellungsmonopoL Wegen des Zu-
45 23. WB 1994/190; Ehlermann WuW 1993,997 [997 ff); Kurzinformation: Nove1lierung des EG-Wettbewerbsrechts zwischen Bonn und Brüssel kontrovers diskutiert WuW 1994,720 [720]; vergleiche ebenso Schütz WuW 1994,520 [520 ff); ferner Bechtold NJW 1994,3211 [3213 f].
Kommission, Dr. Helmuth Schröter, Gespräch am 11.3.1996 in Brüssel. 23. WB 1993 [1190]. 48 23. WB 1993 [382 u. /190]; Dreher, Europäischer Markt [ 16]. 49 23. WB 1993 1190. 50 So mein Eindruck nach einem Gespräch mit Dr. Helmuth Schröter (Kommission) in Brüssel am 11.3.1996; ähnlich Held [48]. 46
47
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
93
ständigkeitsverlusts der nationalen Behörden bei Aufgreifen eines Falles durch die Kommission gehe es im Bereich des Wettbewerbsrechts auch weniger um Subsidiarität, sondern vielmehr um eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und der Kommission, durch die eine angemessene Dezentralisierung erreicht werden solle51 . Die Forderungen des deutschen BKartA stoßen daher insgesamt bei der Kommission nicht auf großes Verständnis52 . Man befürchtet unter anderem, daß Freistellungen auch in Fällen erteilt werden könnten, in denen nationale Interessen mit den Interessen der beteiligten Unternehmen gleichliefen53 . Teilweise wird der Vorschlag auch pauschal mit der Behauptung abgewehrt, die Zeit sei noch nicht reif dafür54 oder das Kartellrecht eigne sich nicht für eine im Sinne des deutschen Subsidiaritätsverständnisses geänderte, dezentrale Anwendung55. Die Kommission hat allerdings durchaus die - sogar dringende - Erforderlichkeil einer Änderung der VO 17 erkannt. Insbesondere wird zugegeben, daß die geäußerte Kritik (vor allem bezüglich der comfort lettersundder Langsamkeit) auch nach ihrer Auffassung tatsächlich die empfindlichen Punkte betrifft56. Dennoch will man sich jetzt noch nicht 57 , sondern frühestens um die Jahrtausendwende an eine Änderung der VO 17 machen 58 . Es wird vermutet, daß die Kommission fürchte, eine "Büchse der Pandora"59 werde geöffnet und deswegen die Verordnung am liebsten so lange wie möglich unangetastet lassen möchte60 . 51
24. WB 1994/23.
Vergleiche Ehlermann, Verwaltungsverfahren [5]; Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum 21. EG-Wettbewerbsbericht WuW 1993,288 /6.1. und 6.2.; Brittan [1993] I ECLR R-ll [R-12]; WuW 1994,720. Sehr kritisch auch (vornehmlich aus politischen und praktischen Gründen) Schütz WuW 1994,520 [520 f]; Siehe ferner Held [48]. 52
53
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [11].
54 Brittan
[1993] 1 ECLR R-11 [R-12].
55
Vergleiche Wolf, Zusammenwirken [3].
56
24. WB 1994/25.
57
24. WB 1994 /26.
58
Kommission, Dr. Helmuth Schröter, Gespräch am 11 .3.1996 in Brüssel.
59 Vergleiche BDI, (interner) Ergebnisvermerk zur gemeinsamen Sitzung der Ar-
beitskreise Kartellrecht sowie Marktbeherrschung und Fusionskontrolle am 25.10.1994 [3]. 60 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [10]; "vertrauliches Papier" [20] unter Verweis auf die Überlegungen, die Ausdehnung der Gruppe anmelde-
94
B. Lösungsvorschlag
3. Stellungnahmen aus der Wirtschaft Bei den Industrieunternehmen in der Gemeinschaft herrscht entsprechend den oben dargestellten Problemen Unzufriedenheit über die Situation: Die Verfahren seien zu langwierig, zu selten ergingen förmliche Entscheidungen und generell werde die dezentralisierte Anwendung dadurch behindert, daß die Behörden der Mitgliedstaaten in notifizierten Fällen erst die Entscheidung der Kommission abwarteten61 . Deshalb wird zum Beispiel beim Bundesverband der Deutschen Industrie eine Dezentralisierung grundsätzlich befürwortet; die Klagen richten sich vor allem gegen die antiquierte VO 17 mit ihrem aufwendigen Entscheidungsverfahren, zugeschnitten auf nur wenige Mitgliedstaaten. Am liebsten hätte man allerdings die Anwendung allein des nationalen Rechts durch die jeweiligen Behörden. Durch eine Rechtsangleichung könnte das nationale Recht jedenfalls im wesentlichen dem europäischen Recht entsprechen. Man könnte sich aber auch ein System der "Auftragsverwaltung" vorstellen 62 , bei dem die nationalen Behörden einer europäischen Institution unterstellt wären. Der BDI befürchtet, daß durch die Vermengung von europäischem und deutschem Wettbewerbsrecht bei der Anwendung, wie etwa im Fall RWE/Kleve63 , die Wertungen des nationalen Gesetzgebers konterkariert werden64. Zwar besteht kein besonderes Interesse daran, den bislang konfliktreichen Ausnahmebereich der Energiewirtschaft weiter im GWB verankert zu wissen65 . Aber da er erst in der 5. GWB-Novelle- und damit zusammen mit dem neuen § 47 GWB- eingeführt worden ist, erscheine es doch einigermaßen bedenklich, wenn die Wertungen des Gesetzgebers in § 103 GWB durch § 47 GWB gleich wieder ausgehebelt werden würden66 . Den Vorschlag aber, das Freistellungsmonopol zugunsten der Mitgliedstaaten zu lockern, hält der BDI für ein "überzogenes Dezentralisierungs- bzw.
freier Vereinbarungen nicht durch eine Änderung der VO 17 zu erreichen, sondern durch eine eigene Ermächtigung ähnlich der für Gruppenfreistellungsverordnungen. 61 24. WB 1994/27. 62 Auskunft BOI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln. 63 Dazu Gliederungspunkt A. IV. I. d) bb). 64 BOI, (interner) Ergebnisvermerk zur gemeinsamen Sitzung der Arbeitskreise Kartellrecht sowie Marktbeherrschung und Fusionskontrolle am 25.10.1994 [2 f]. 65 BOI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln: Ausnahmebereiche "gerne streichen". 66 Auskunft BOI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln.
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
95
Subsidiaritätskonzept"67 . Effizienz, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit im Europäischen Wettbewerbsrecht dürften nicht gefährdet werden. Eine Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln teilweise durch die Kommission, teilweise durch nationale Behörden würde jedoch gerade dazu führen und im Ergebnis mehr Probleme aufwerfen als Verbesserungen bringen. Für die ablehnende Haltung der Kommission hat man daher volles Verständnis68 . Auch ist man mit der Entscheidungspraxis der Kommission nicht so unzufrieden (insbesondere bei Gemeinschaftsunternehmen und bedingt auch bei der Praxis der comfort letters), als daß es sich lohnen würde, die Rechtseinheit aufs Spiel zu setzen69 . Aus Sicht der Unternehmen besteht nämlich für Freistellungen ein seltener Idealzustand: Eine einzige Behörde, eine Rechtsordnung, keine Mehrfachverfahren und insgesamt damit eine einheitliche Entscheidungspraxis. Damit ist der one-stop-shop-Grundsatz verwirklicht. Warum sollte man das aufgeben? Es müßten schon schwerwiegende Gründe dagegen bestehen: Die bloße Behauptung des BKartA, die Kommission sei überlastet, oder der Wunsch der Kommission, nicht jeden Fall übernehmen zu müssen, reiche jedenfalls nicht aus, um eine Gefahrdung der Rechtseinheit zu riskieren70. Von Rohr71 unterstellt den Berliner Wettbewerbshütern nicht bloß gute Absichten, wenn sie die Kommission entlasten wollen. Er sieht den Reiz einer Freistellungsbefugnis für das BKartA und andere nationale Behörden vor allem darin, daß der nationale Gesetzgeber unterlaufen werden könne, wenn ihnen der nationale Regelungsbestand nicht behage72 . Ferner habe man mehr Fälle zu entscheiden, wenn man auch europäisches Recht anwende, und damit wachse
67 BDI, Standortfaktor Wettbewerbspolitik- Reformbedarf auf deutscher und europäischer Ebene, Februar 1995 [ 13].
68 BDI, Standortfaktor Wettbewerbspolitik- Reformbedarf auf deutscher und europäischer Ebene, Februar 1995 [13].
69
Auskunft BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln.
Auskunft BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln; ähnlich auch von Rohr, Redebeitrag in Podiumsdiskussion, abgedruckt in: FIW 165 71 [73]. Dresse! und von Rohr weisen darauf hin, daß die Belastung in der Regel bloß vom BKartA behauptet wird, von der Kommission jedoch praktisch keine Klagen zu hören sind. Allerdings wird dabei übersehen, daß die Kommission - gesetzt den Fall, sie hält sich selbst für überlastet - sich hüten würde, dies allzu offen zu sagen, um dem "Gegner" BKartA keine Argumente in die Hand zu spielen. 70
71 72
Vorsitzender des Vorstandes der Klöckner-Werke AG (Duisburg).
Vergleiche die bereits erwähnten Fälle "RWE/Kieve" und "Thyssengas/Ruhrgas" aus dem Energiesektor.
96
B. Lösungsvorschlag
die eigene Daseinsberechtigung. Drittens schließlich stärke man auch die eigene Bedeutung gegenüber denjenigen, die meinen, zur Europäischen Kommission ausweichen zu können- oder zu müssen73 . Kritische Töne kommen auch aus der die Großindustrie beratenden Anwaltschaft: Schütz74 hält die Forderungen des BKartA für bloßes "Gerede", denn eine Lösung für das Problem, wie sich Rechtseinheit und Effizienzgewinn miteinander verbinden lassen, werde von den Befürwortern praktisch nicht angeboten. Seiner Ansicht nach gebe es dafür auch keine Lösung75 . Der Vorschlag findet also bei der deutschen Wirtschaft keine rechte Unterstützung76. Vielleicht spielt hinein, daß Berlin und Brüssel sich in der Beurteilung von wettbewerbsbeschränkenden Abreden nicht immer einig sind. Unabhängig von den Ausnahmebereichen im GWB gibt es nämlich Fälle, die in BerIin wohl anders entschieden worden wären als in Brüssel: Die Fälle VW/Ford und Merck/Merieux sind bekannte Beispiele für eine eher großzügige Behandlung von Unternehmenskooperationen durch die Kommission77 . Es verwundert daher nicht, wenn die Unternehmen mit der Behandlung durch Brüssel - und damit der Möglichkeit einer Flucht vor deutschen "Wettbewerbsideologen" 78 ganz gut leben können.
4. Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten Ähnliche Bedenken lassen sich auch aus anderen Mitgliedstaaten vernehmen79: Großbritannien etwa hat generell Vorbehalte gegen eine häufigere An-
73
Von Rohr, Redebeitrag in Podiumsdiskussion, abgedruckt in: FIW 165 71 [73].
74
Syndikus der Daimler-Benz AG (Stuttgart).
Schütz WuW 1994,520 [520], freilich ohne dies selbst hinreichend detailliert zu begründen - von zwei nicht ohne Polemik aufgezeigten Konfliktsituationen abgesehen. 75
76
Vergleiche auch Ehlermann WuW 1993,997 [997].
77
Vergleiche Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiaritätsprinzip [50 f].
78
Vergleiche Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiaritätsprinzip [50 f].
Siehe dazu KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2. Das Papier ist jedoch in der Sache wenig ergiebig und bringt lediglich die jeweils sehr verschiedenen Standpunkte der Mitgliedstaaten und auch der Kommission zum Ausdruck. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, daß es sich um eine "bereinigte" Fassung handelt: Nach Auskunft der Kommission sei "Stillschweigen" über die Diskussionen verabredet worden, die- vorhandenen - Aufzeichnungen über den genauen Wortlaut werden daher nicht an Außenstehende weitergegeben; Auskunft Kommission, Dr. Helmuth Schröter, Gespräch am 11.3.1996 in Brüssel. 79
I. Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission
97
wendung des Art. 85 EGV durch nationale Behörden. Das Freistellungsmonopol der Kommission sei ein wichtiger Faktor für die einheitliche Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Dezentralisierung sollte daher lediglich als eine vermehrte Anwendung des eigenen Rechts verstanden werden. Ähnlich äußerte sich auch Italien80. Auch fast alle anderen Mitgliedstaaten sprachen sich gegen eine Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission aus. Als Grund wurde vor allem die Wahrung der Einheitlichkeit in der Anwendung genannt. Sie wiederholen das Argument der Kommission, nur eine Gemeinschaftsinstitution sei in der Lage, eine Wettbewerbspolitik zu verfolgen, die gegebenenfalls verschiedene Vertragsziele miteinander verknüpft. Ferner sei es verfahrenstechnisch und politisch problematisch, ob eine nationale Behörde eine Freistellung nicht nur für das eigene Territorium, sondern auch mit Wirkung für das ganze Gemeinschaftsgebiet erteilen könne81 . Lediglich Frankreich steht einer Dezentralisierung, insbesondere der Erteilung einer Befugnis zur Freistellungserklärung durch nationale Behörden, grundsätzlich positiv gegenüber. Es wird aber keine sofortige Änderung der Verordnung Nr. 17 gefordert, sondern auf die Möglichkeiten der nationalen Behörden verwiesen, in eindeutigen Fällen den beteiligten Unternehmen entweder Verbotsverfügungen nach Art. 85 Abs. 1 EGV (solange die Kommission das Verfahren nicht an sich gezogen hat) zu erteilen oder eine Art nationalen comfort Ietter zu erlassen, der ihre positive Einschätzung der Situation widerspiegelt. Auf diesem Wege könnte man zunächst zumindest zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie durch förmliche Freistellungen 82 . Was die Frage der Reichweite national erklärter Freistellungen betrifft, so unterscheidet sich die französische Position von der deutschen auch dadurch, daß Frankreich solche Freistellungen nur mit Geltung für das jeweils eigene Territorium erklärt wissen möchte83 . Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß der deutsche Vorschlag auf internationaler Ebene - mit Ausnahme Frankreichs, jedoch auch dort nur in Teilen- keine Unterstützung findet.
°KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [6 f].
8
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [II f]. KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [10]. 83 KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [12].
81
82
98
B. Lösungsvorschlag
II. Ziel der Neuregelung: Effizienzgewinn bei Wahrung der Rechtseinheit Das Bundeskartellamt und die anderen Verfechter des Vorschlags weisen oft auf die Vorteile ihres Änderungswunsches hin; allerdings wird die Bitte um Änderung heute nicht mehr mit der gleichen Vehemenz vorgetragen, wie noch vor zwei oder drei Jahren84. Man hat wohl erkannt, daß eine ent;rrechende Änderung - wenn überhaupt - nur langfristig erreicht werden kann 8 , aber auch erreicht werden muß, denn es erscheint unvorstellbar, daß die Kommission in einer Europäischen Union, die eines Tages vielleicht 20 oder mehr Mitglieder haben wird, ohne die Hilfe der nationalen Behörde, den Binnenmarkt vor Verfälschungen zu schützen, erfüllen kann 86 . Die meisten Äußerungen, in denen der Vorschlag vertreten wird, lassen jedoch eine systematische Auseinandersetzung darüber vermissen, ob die genannten Vorteile sich tatsächlich erreichen lassen 87 . Entweder wird Subsidiarität als Allheilmittel gepriesen ohne näher über die Anforderungen und Schwierigkeiten eines entsprechenden Verfahrens nachzudenken88 , oder - so der Regelfall - die Probleme werden pauschal behandelt: So etwa, daß "natürlich dafür zu sorgen ist, daß einheitliche Rechtsanwendung europaweit auch bei dezentraler Anwendung gesichert bleibt" 89, oder daß Mehrfachzuständigkeiten und Zuständigkeitskonflikte "in kooperativer Weise gelöst" werden sollen. Dabei wird auch schwammig auf irgendeine Art von Einvernehmensverfahren mit der Kommission hingewiesen90. Wolf zum Beispiel meint, entsprechende Vorschläge eines Kodezisions- oder Vetorechts der Kommission lägen längst auf
84
Auskunft BMWi, Dr. Arrnin Jungbluth, Telefonat am 26.2.1996.
85
KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [10].
86 Zinsmeister WuW
1997,5 [5].
Ausnahme insofern teilweise Groger/Janicki WuW 1992,991 [991 ff], die sich mit ihrem Aufsatz mitunter wörtlich auf eine interne Untersuchung des BMWi, datiert vom 16.12.1992, Dok. 2B30Jl02, stützen können. 87
88 Zum Beispiel Jung, Subsidiarität [226 f]. Vergleiche auch Wolf EuZW 1994,233 [235]; Nationale Behörden sollen europäisches Wettbewerbsrecht anwenden, FAZ vom 2.8.1994 [11]; Schütz WuW 1994,520 [521 f] behauptet dagegen, wegen ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit hätte diese Idee überhaupt nichts mit Subsidiarität zu tun. 89 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.1995 [12]; ähnlich Lenz, Harrnonisierung [29 f]; Held [49]. 90 W. Harrns, Diskussion AK Kartellrecht [16]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [292]; Wolf, Zusammenwirken [2 f, 5].
II. Ziel der Neuregelung: Effizienzgewinn bei Wahrung der Rechtseinheit
99
dem Tisch91 - doch beschränken sich die Vorschläge in der Regel bloß auf die Nennung solcher Begriffe92 : Eine Untersuchung, wie ein solches Verfahren im Einzelnen aussehen könnte, ist in der Literatur kaum aufzufinden93 . Auch der stichwortartige Hinweis, am Ende könne doch der EuGH die Rechtseinheit sichern94, bedarf sicher noch eines etwas genaueren Blickes. Auch bei den Gegenstimmen hält sich die Detailfreude in Grenzen: Oft beschränken sich die Autoren hier mit allgemeinen Hinweisen auf die Probleme, um dann den Vorschlag insgesamt abzulehnen. Es mag zwar sein, daß der für eine einheitliche Anwendung zu entrichtende Preis an Verfahrensaufwand und -Verzögerung im Rahmen einer Einvernehmens-95 , Widerspruchs- oder anderen Lösung96 im Einzelfall hoch sein kann97 - ohne eine Untersuchung, wie ein entsprechendes Verfahren aussehen könnte, erscheint die Bemerkung jedoch verfrüht. Auch der Hinweis, daß ein möglichst eindeutiges Verfahren gefunden werden muß, nach dem sich die Zuständigkeit einer bestimmten nationalen Behörde im Einzelfall ergibt98 , ist richtig - aber wie könnte denn nun eine solche Regelung aussehen und wie sollte sie es nicht? Damit steht das Ziel dieser Arbeit fest: Wie könnte ein Verfahren aussehen, das die Rechtseinheit bei dezentraler Entscheidungsbefugnis wahrt und zugleich effizienter als die augenblicklich geltenden Vorschriften ist? Kann es ein solches Verfahren überhaupt geben? Ausgehend vom deutschen Vorschlag zur Änderung der Zuständigkeitsverteilung in der VO 17 soll daher hier untersucht werden, ob sich durch eine Zuständigkeitsverlagerung die erhofften Vorteile erreichen lassen und die Nach-
91 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.1995 [12] ohne Nachweise.
92 Vergleiche etwa Wolf/Fink WuW 1994,289 [292], die von einem "wirksamen Mechanismus" reden, jedoch nicht sagen, wie der genau aussehen soll.
93 Schütz WuW 1994,520 [520]; teilweise Ausnahme Groger/Janicki WuW 1992,991 [991 ff]). 94 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [12]; Wolf, Zusammenwirken [2 f].
95
So Groger/Janicki WuW 1992,991 [997]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [292].
96
Zum Beispiel einer Interventionslösung bereits innerhalb des Freistellungsverfah-
rens. 97
Dreher, Europäischer Markt [ 16 f].
98
Dreher, Europäischer Markt [ 18].
100
B. Lösungsvorschlag
teile vermieden werden können 99 . Hauptpunkt der Untersuchung muß daher die Möglichkeit einer Wahrung der einheitlichen Anwendung der Wettbewerbsregeln durch Behörden und Gerichte sein. Dabei gilt es, sowohl Entscheidungswidersprüche zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, aber auch zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission durch verfahrensmäßige Vorkehrungen zu vermeiden.
99 Auf ökonomische Gesichtspunkte kann dabei nur sehr beschränkt Rücksicht genommen werden. Juristische bzw. rein rationale Überlegungen müssen hier im Vordergrund stehen.
C. Probleme des Vorschlags I. Zuständigkeitsabgrenzung ("eindeutig nationaler Schwerpunkt") 1. Erfordernis und Anwendungsbereich
Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 VO 17 skizziert nach Ansicht des BKartA gut den Hauptteil der Fälle, die dezentral angewendet werden sollen 1: Bei Fällen, die zwar Auswirkungen auf den gemeinsamen Markt haben, bei denen jedoch nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind und die nicht die Ein- oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten betreffen, läßt sich die Zuständigkeit des entsprechenden Landes unproblematisch feststellen. Der Wunsch nach Zuständigkeit geht jedoch noch über diese in Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 VO 17 genannten Fälle hinaus. Ein nationaler Schwerpunkt kann nämlich auch dann noch vorliegen, wenn auch Unternehmen aus anderen Ländern an der Vereinbarung beteiligt sind. Zwar wird es auch hier Fälle geben, die auf den ersten Blick als "eindeutig" charakterisiert werden können: Etwa wenn 97 Prozent des Umsatzes 2 in einem einzigen Mitgliedsland gemacht werden, die restlichen drei Prozent sich auf andere Länder verteilen. Was ist aber, wenn das Prozentverhältnis keine derart klare Aussage zuläßt? Wo fängt die Eindeutigkeit an? Bei 95, 90, 75 oder 66 Prozent, oder muß man schon bei 51 Prozent die Grenze ziehen?
Zwar geht es bei den Fällen, die das BKartA für eine dezentrale Anwendung im Auge hat vor allem um einen, seltener um zwei oder mehr beteiligte Mitgliedstaaten. Konfliktfälle, in denen sich nicht schon auf den ersten Blick ein Schwerpunkt erkennen läßt, mögen daher relativ selten sein 3. Jedoch ist gerade wegen solcher denkbaren Konfliktfälle eine Abgrenzungsregelung erforderlich. Ein Beispiel: In Italien werden 51 Prozent des Umsatzes der beteiligten Unternehmen getätigt, es läge also ein nationaler Schwerpunkt vor4 . Aber ist der 1 BKartA,
Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin.
2 Vorausgesetzt, man macht Umsatzzahlen zum entscheidenden Kriterium. Siehe
dazu sogleich unter Gliederungspunkt B. I. 2. a). 3 BKartA, 4
Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin.
Vergleiche Gäbelein [283].
8 Gillcssen
102
C. Probleme des Vorschlags
Schwerpunkt tatsächlich eindeutig? Wenn in Frankreich die restlichen 49 Prozent des Umsatzes erfolgen, dürfte die Eindeutigkeit wegen des geringen Unterschieds verneint werden können. Wenn sich aber die gleichen 49 Prozent auf zehn andere Mitgliedstaaten verteilen, so daß auf keinen Staat mehr als fünf Prozent entfallen, liegt wiederum Eindeutigkeit vor, obwohl der Umsatz in Italien unverändert bei 51 Prozent liegt. Es ist daher notwendig, das Kriterium eines Schwerpunkts so zu konkretisieren, daß möglichst vielen verschiedenen Konstellationen Rechnung getragen wird. Die Zuständigkeitsabgrenzung über einen "eindeutig nationalen Schwerpunkt" muß dabei zwei Aufgaben zugleich erfüllen: Es geht nämlich nicht nur um die Abgrenzung des Kompetenzbereichs zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, sondern es ist auch eine Regelung darüber erforderlich, in welchen Fällen ein Mitgliedstaat und in welchen Fällen die Kommission zuständig sein soll5 . Die Regelung muß so präzise sein, daß Kompetenzstreitigkeiten weitgehend vermieden werden. Zwar ist Eindeutigkeit zugunsten eines Mitgliedstaates mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gegeben, sobald ein zweiter Staat die Zuständigkeit auch für sich beansprucht6 , aber als Abgrenzungsmerkmal dürfte eine entsprechend formulierte Regelung nicht taugen: Sonst könnte man einem anderen Mitgliedstaat - aus welchen Gründen auch immer - die Zuständigkeit einfach dadurch entziehen, da man den konkreten Fall zum Streitfall erklärt und damit die Eindeutigkeit in Frage stellt. Auch aus Sicht der Unternehmen ist eine leicht handhabbare, möglichst eindeutige Zuständigkeitsabgrenzung erforderlich, damit das Verfahren nicht unnötig in die Länge gezogen wird: Um Anmeldungen bei der falschen Behörde zu vermeiden, müssen die Unternehmen möglichst auf den ersten Blick erkennen können, ob sie ihre Vereinbarung in Land A, Land B oder aber bei der Kommission anmelden müssen. Die einfachste Regelung hat der deutsche Gesetzgeber im GWB zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen. BKartA und Landeskartellämtern getroffen: Sobald die Wirkungen eines Falles die Landesgrenzen überschreiten ist ausschließlich das BKartA zuständig (§ 44 Abs. 1 Nr. I lit. d GWB). Zwar wäre eine Übertragung dieser Regelung wegen des zwar nicht bundesstaatlichen, aber insofern doch vergleichbaren Aufbaus der Europäischen Union auf die hier vorliegende Frage denkbar, entspräche aber ganz und gar nicht den hierzulande vorgetragenen Wünschen nach einer Änderung der VO 17: Insbesondere wegen der weiten Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel 7 würde BT-Drucksache 12/5200 [6). BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin. 7 Siehe Gliederungspunkt A. II. 2.
5
6
I. Zuständigkeitsabgrenzung ("eindeutig nationaler Schwerpunkt")
103
dies zu einer praktisch vollständigen Zentralisierung aller Kompetenzen (also nicht nur der Freistellungsbefugnis, sondern auch der für Untersagungen nach Art. 85 Abs. 1 EGV) bei der Kommission führen. Kritiker des deutschen Vorschlags halten dem BKartA nicht ganz zu unrecht vor, daß seine Forderung nach einer Verlagerung der Zuständigkeiten, die nicht einmal im eigenen Lande praktiziert werde, nur bedingt überzeugend wirke. 2. Möglichkeiten für eine Zuständigkeitsregelung
a) Fester Grenzwert
Bei einer Abgrenzung, die an einen bestimmten Grenzwert anknüpft, bietet es sich an, Umsatzzahlen der beteiligten Unternehmen als maßgebliches Kriterium heranzuziehen. Diesen Weg hat die Kommission auch in ihrer Bagatellbekanntmachung beschritten, in der sie die Umsatzgrenze auf jetzt 300 Mio. ECU festgelegt hat. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine Zuständigkeitsabgrenzung, sondern lediglich um die für andere unverbindliche Auslegung eines materiellen Tatbestandsmerkmals8 durch die Kommission. Da die Regelung aber den Unternehmen anzeigt, von welcher Grenze an die Kommission regelmäßig ein Verfahren einleiten wird, kann die Bagatellbekanntmachung hier zumindest als Beispiel angeführt werden, wie eine an festen Grenzwerten orienterte Zuständigkeitsregelung aussehen könnte. Danach ist also allein ein absolutes Kriterium maßgeblich, auf Besonderheiten der von der marktbeeinflussenden Absprache betroffenen Produkte oder Dienstleistungen, insbesondere auf die Größe des relevanten Marktes, kommt es nicht an9 . Auch in der FK-VO findet sich ein Beispiel für einen festen Grenzwert: Art. 1 Abs. 2 der Verordnung regelt die Anwendbarkeit der Verordnung und trennt mit seiner derzeit geltenden Schwelle von 5 Mrd. ECU 10 im großen und ganzen gut die Fälle von Gemeinschaftsinteresse von denen mit nationalem Schwe~unkt 11 ; so wird denn auch bezüglich des Grenzwerts von einem "guten Griff' 1 gesprochen. 8 EuGH und nationale Behörden und Gerichte sind nicht daran gebunden. Die Bekanntmachung führt jedoch zu einer Selbstbindung der Kommission in Bezug auf Auslegungsfragen. Zur Bagatellbekanntmachung siehe Gliederungspunkt A. II. 2.
Lediglich im Rahmen des anderen Kriteriums der Bagatellbekanntmachung (FünfProzent-Klausel) wird darauf Rücksicht genommen. 9
10
Zu der geplanten Herabsetzung auf 3 Mrd. ECU bereits Gliederungspunkt A. IV.
11
Schlecht[l6].
5.
Die Kommission ist freilich anderer Ansicht und will die Schwelle auf 2 Mrd. ECU absenken; dazu Gliederungspunkt A. IV. 5. 12
R*
104
C. Probleme des Vorschlags
Der große V orteil einer Regelung über feste Umsatzzahlen besteht in der leichten Überschaubarkeit: Eindeutige Kriterien lassen grundsätzlich auch eindeutige Entscheidungen zu. Im Prinzip müßten Unternehmen und Behörden nur in einer Tabelle nachsehen, ob die entsprechenden Grenzwerte überschritten werden oder nicht, um die Zuständigkeit in ihrem Fall genau bestimmen zu können. Unabhängig von der hier anzusetzenden Höhe einer solchen UmsatzschweiIe13 istjedoch allgemein zu bemängeln, daß die Eindeutigkeit einer solchen Zuständigkeitsverteilung nur scheinbar besteht. Sie setzt nämlich voraus, daß sich die Umsatzzahlen der Unternehmen genau bestimmen lassen. Legt man - wie die Bagatellbekanntmachung und auch die FK-VO - den Gesamtumsatz der Unternehmen in dem der Vereinbarung vorangegangenen Jahr zugrunde, mag dies auch noch zutreffen. Die Gefährlichkeit eines Kartells hängt indessen nicht davon ab, wie groß die Umsätze der beteiligten Unternehmen insgesamt sind, sondern von den Verhältnissen auf dem "relevanten Markt", das heißt bekanntlich dem in sachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht maßgeblichen Wirtschaftssektor14. Ein Unternehmen kann nämlich insgesamt hohe Umsätze haben, auf dem Geschäftszweig, den die Vereinbarung betrifft, jedoch nur ein geringes Gewicht haben. Sinnvoller wäre es daher, die Umsätze nur in dem betroffenen Geschäftszweig zu ermitteln. Die Ermittlung des relevanten Marktes ist aber bereits entscheidender und zugleich schwierigster Teil einer kartellrechtlichen Prüfung. Hier werden oft schon die entscheidenden Weichen für ein positives oder negatives Ergebnis gestellt 15. Eine unterschiedliche Beurteilung des relevanten Marktes würde dann zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Zuständigkeit führen. Das deutsche BKartA hat zum Beispiel bei Lastkraftwagen Fahrzeuge der Gewichtsklasse von 6 bis 16 Tonnen als einem einheitlichen Markt zugehörig angenommen, die Kommission zählt dagegen auch schon Fahrzeuge mit 5 Tonnen dazu 16. Es wären nun Fälle in solchen Grenzbereichen denkbar, etwa die Produktion eines Fahrzeuges mit 5,4 t. Je nach Auslegung
13 Frankreich könnte sich 250 bis 300 Mio. ECU vorstellen. Der Vorschlag bezieht sich allerdings nicht speziell auf Freistellungen, sondern ist als generelles Abgrenzungskriterium für eine dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts gedacht; KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [8]. Von den Fällen, die die Kommission für prüfungsrelevant hält (vergleiche Bagatellbekanntmachung), würde dann allerdings kein einziger in die Zuständigkeit der nationalen Behörden fallen!
14
Vergleiche dazu zum Beispiel Emmerich [234 ff].
15 Möschel EWS 1995,249 [250 f]. 16
Vergleiche Bach WuW 1992,583 [Fußnote 66].
I. Zuständigkeitsabgrenzung ("eindeutig nationaler Schwerpunkt")
I 05
des relevanten Marktes würden sich hier also andere Zuständigkeitsverhältnisse ergeben können. Widersprüchliche Beurteilungen der Zuständigkeitsfrage ließen sich nur dadurch vermeiden, daß entweder eine zentrale Behörde die Zuständigkeit feststellt oder aber ihre Einhaltung kontrolliert. Beides setzt eine umfassende Prüfung des Falles voraus. Diese Prüfung an zentraler Stelle widerspräche aber dem Dezentralisierungsgedanken und brächte in der Praxis keinerlei Verfahrensbeschleunigung. Im Interesse einer praktikablen Regelung sollte die Zuständigkeit daher wie auch in der Bagatellbekanntmachung und der FKVO am Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen festgemacht werden. Aus dem gleichen Grund erscheint es auch als sinnvoll, der Beurteilung die in der Vergangenheit erzielten, und nicht die für die Zukunft auf Grund der Vereinbarung erwarteten Umsätze zugrunde zu legen. Letztere wären zwar sachgerechter, lassen sich aber praktisch nicht ermitteln 17 ; es ließe sich nur auf Erwartungen auf vager Grundlage abstellen. Insgesamt ist zu berücksichtigen, daß es hier ja lediglich um die Verteilung der Zuständigkeiten geht und nicht schon - wie in der Bagatellbekanntmachung - um eine Einstufung der Vereinbarung als gefährlich oder ungefährlich. Auch soll das im folgenden zu entwerfende Verfahren die Einheitlichkeit in der Entscheidung bei der Anwendung der Freistellungsvorschriften durch verschiedene Behörden sichern 18 ; ein solches Verfahren vorausgesetzt ist es in materieller Hinsicht also gleich, welche Behörde den Fall entscheidet. Es ist zwar möglich, daß sich die Bedeutung der Unternehmen auf dem relevanten Markt und ihre Gesamtumsatzzahlen verschieden zueinander verhalten, vielfach dürfte aber eine gewisse Parallelität gegeben sein. Im Interesse einer überschaubaren Lösung scheint es daher vertretbar, die Ungenauigkeit einer auf die bisherigen Gesamtumsatzzahlen abstellenden Zuständigkeitsregelung in Kauf zu nehmen. Gegen eine Regelung über feste Grenzwerte sprechen aber zwei grundsätzliche Bedenken: Der eine Grund wurde eben schon genannt: Kartelle sind nicht erst ab einer bestimmten, absoluten Größe gefährlich. Anderes gilt bei Fusionen, denn dort läßt sich eine grundsätzliche Gefährlichkeit annehmen, wenn das Unternehmen eine bestimmte Finanzkraft erreicht hat und auf Grund der Größe Gefahr auch für andere Wirtschaftsbereiche droht. Die Gefährlichkeit eines Kartells hängt stärker von den Umständen des Einzelfalles ab. Handelt es sich zum Beispiel um ein selten benötigtes Spezialteil, das eines komplizierten Herstellungsverfahrens bedarf und nicht von jedermann durchgeführt werden
17 So auch die Einschätzung von BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in 8erlin. 18 Vergleiche zu der entsprechenden Forderung Gliederungspunkte 8. I. 4. und 5. sowie 8 . 2, zu den Lösungsmöglichkeiten C. II.
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C. Probleme des Vorschlags
kann, so kann eine wettbewerbsbeschränkende Absprache schon gefährlich für den (nur sehr kleinen) relevanten Markt sein, auch wenn die Grenzwerte einer Umsatzschwelle noch lange nicht erreicht sind. Aus diesem Grund ist auch die in der Bagatellbekanntmachung ausgedrückte Meinung der Kommission, man könne die Gefährlichkeit eines Kartells generell unter 300 Mio. ECU verneinen, bedenklich 19 . Umgekehrt kann es auch Fälle geben, die die Umsatzschwelle weit überschreiten, aber dennoch für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes nicht so bedeutend sind, daß eine Zuständigkeit der Kommission angebracht wäre. Also wäre es nicht sinnvoll, eine Regelung zu treffen, nach der bei einem bestimmten Grenzwert ein Mitgliedstaat zuständig sein soll, ab einem anderen Grenzwert aber die Kommission. Der andere Grund, warum ein fester Schwellenwert nicht zu befürworten ist, liegt darin, daß sich ein solcher Wert nur zur Abgrenzung zwischen zwei oder mehr Behörden eignet, die in vertikaler Linie voneinander abhängen. Problemlos wäre eine Umsatzschwelle zur Abgrenzung der Zuständigkeit der Kommission gegenüber der der Mitgliedstaaten (zum Beispiel Schwellenwert 300 Mio. ECU: Bei Umsätzen darüber ist die Kommission zuständig, darunter sind es die Mitgliedstaaten). Auf horizontaler Ebene funktioniert ein Schwellenwert nicht: Der Schwellenwert könnte nämlich in zwei oder mehr Ländern zugleich erreicht werden. Auch könnten alle Länder den für eine Zuständigkeit erforderlichen Wert verfehlen, ohne, daß der für die Zuständigkeit der Kommission erforderliche Wert erreicht wird- dann wäre zunächst niemand zuständig20 . Eine auf absolute Größen abstellende Regelung würde zudem kleinere Länder gegenüber größeren, eher wirtschaftsstarken Staaten benachteiligen, denn in diesen würden die eine Zuständigkeit begründenden Umsatzzahlen möglicherweise seltener erreicht, als in jenen21 . Wie oft die Behörde des einen Landes gegenüber der anderen "zum Zuge" kommt, darf zwar kein Kriterium sein, denn maßgebend ist allein der wirtschaftliche Schwerpunkt des Einzelfalles. Dem Einwand läßt sich aber die Erkenntnis entnehmen, daß bei Regelungen, die nicht allen Ländern "gleiche" Möglichkeiten einräumen, mit politischem Widerstand zu rechnen ist.
19 Der EuGH nimmt deshalb auch vielmehr auf den Einzelfall Rücksicht; dazu Gliederungspunkt A. II. 2.
20 Auf Grund einer Auffangregelung könnte man zwar für solche Fälle die Zuständigkeit der Kommission festlegen. Aber für die dezentrale Anwendung wäre dann nichts gewonnen. 21
Kommission, Juristischer Dienst, Dr. Paul Nemitz, Gespräch am 11.3.1996 in Brüssel.
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Unabhängig davon läßt sich aber nun festhalten, daß eine auf feste Werte abstellende Regelung zur Zuständigkeitsabgrenzung als ungeeignet erscheint.
b) Relativer Grenzwert Wie aber sähe es aus, wenn nicht ein fester Schwellenwert maßgeblich wäre, sondern eine "relative" Grenze? Ein Beispiel für eine solche Regelung findet sich in Art 56 Abs. 1 b) EWRA. Danach ist die Kommission zur Anwendung des (fast wörtlich mit Art. 85 EGV übereinstimmenden) Art. 53 EWRA zuständig, wenn weniger als 33 Prozent des Umsatzes der betreffenden Unternehmen im Vertragsgebiet der Europäischen Union erzielt werden. Zu dem Schwellenwert von 33 Prozent kam es auf Grund folgender Erwägungen: Die EFfA-Seite wies darauf hin, daß die Errichtung eines eigenen Überwachungsorgans (vergleiche Art. 55 EWRA) aufwendig und nur dann zu rechtfertigen sei, wenn für diesen auch genügend Arbeit bestünde. Viele der europaweit tätigen Unternehmen erzielten den größeren Teil ihres Umsatzes in der Gemeinschaft und nicht auf dem erheblich kleineren EFfA-Markt- so beträgt das Bruttoinlandsprodukt der EFfA-Staaten nur etwa 15 Prozent dessen der Gemeinschaft, bei einer Einwohnerzahl von weniger als 35 Millionen22 . Aus diesem Grund schied daher die zunächst scheinbar einfachste Lösung der hälftigen Aufteilung aus. Ein weiteres Problem lag in der - zwangsläufig unzureichenden - Verfügbarkeil vollständiger und umfassender Daten, welche eine genaue Prognose über die künftige Entwicklung hätten ermöglichen können. So kam es zu einer Einigung über eine etwa in der Mitte zwischen 50 und 15 liegende Zahl 23 . Bei 33 Prozent handelt es sich also um einen Genauigkeit nur vortäuschenden, eher zufällig bestimmten Grenzwert. Für die bei einer Änderung der VO 17 zu treffenden Abgrenzung dürfte eine Übertragung des dahinter stehenden Gedankens aber aus einem anderen Grund nicht wirklich in Frage kommen: Bei dem EWRA stehen sich nur zwei Parteien gegenüber, nämlich der "Block" der EU und der der EFfA-Staaten. Innerhalb der Europäischen Union haben wir es jedoch mit zur Zeit 15 Vertragsstaaten zu tun. Die Regelung müßte also Umsatzzahlen und Bruttosozialprodukte (oder vergleichbare andere wirtschaftlich aussagekräftige Daten) aus allen 15 Ländern berücksichtigen und daraus ein entsprechendes Kräfteverhältnis der einzelnen Staaten zueinander ableiten. Ganz offensichtlich wäre eine solche Rege-
22
EFfA Trade 1989 [30 Fußnote 5].
23
Siehe zum ganzen Jakob-Siebert WuW 1992,387 [395].
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C. Probleme des Vorschlags
lung überaus kompliziert24 . Da sich derartige Daten binnen weniger Jahre erheblich ändern können, müßten zudem die Regelungen stets angepaßt werden. Ein mathematisches Regelungschaos wäre die unausweichliche Folge. In noch größerem Maße als beim EWRA aber würde eine solche Detailliertheil vortäuschende Regelung an den Erfordernissen der Wirklichkeit vorbeigehen. Denn der im Einzelfall relevante Markt kann ganz andere Umsatzschwerpunkt haben, als eine nach dem Bruttosozialprodukt getroffene Regelung; das eine hat mit dem anderen fast nichts mehr zu tun. Bei einer Lösung, die lediglich auf Prozentzahlen abstellt (also etwa 51 zu 4925 oder 67 zu 33 Prozent26) lassen sich also sinnvoll immer nur zwei Länder im Verhältnis zueinander berücksichtigen. Zwar wäre eine "Koalitionsbildung" möglich, indem zum Beispiel 67 Prozent des Umsatzes im zuständigen Mitgliedstaat getätigt werden, die restlichen 33 Prozent sich auf (beliebig viele) andere Staaten verteilen könnten. Aber wie oben erwähnt, hängt vom Einzelfall ab, ob nicht auch schon 50 Prozent oder sogar noch weniger zu einem "nationalen Schwerpunkt" führen können, etwa, wenn sich die anderen 50 Prozent zu kleinen Teilen auf viele andere Mitgliedstaaten verteilen. Sinnvoller erscheint daher eine Regelung, daß dasjenige Land zuständig sein soll, in dem mindestens der x-fache Umsatz eines anderen Landes (zum Beispiel des an Umsatzstärke auf Platz 2 liegenden) erreicht wird. "x" könnte zum Beispiel für den Faktor 1,5 oder 2 stehen. Mit einer solchen Regelung würde man auch die beiden oben genannten Nachteile umgehen: Zum einen ließe sich unabhängig von der absoluten Größe der Vertragsbeteiligten allein auf die Beteiligung der verschiedenen Länder im Verhältnis zueinander abstellen. Die Verzerrungen, zu denen eine feste Umsatzschwelle bei der Zuständigkeitsverteilung führen würde, träten hier nicht auf. Zum anderen ließe sich so auch problemlos die Verteilung zwischen den Mitgliedstaaten untereinander gestalten. Die Zuständigkeit der Kommission dagegen würde sich - praktisch subsidiär - immer dann ergeben, wenn das erforderliche Umsatzverhältnis nicht erreicht wird.
24 Die Kompliziertheit würde ins Unermeßliche wachsen, wenn man - wie eigentlich erforderlich - auch noch Regelungen träfe für Fälle, bei denen mehr als zwei Staaten betroffen sind. 25 Gäbelein [283]: ab 50 Prozent. 26 Für eine solche 2/3-Lösung ist etwa Bos [1995) 7 ECLR 410 [414).
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c) Inhaltliche Kriterien Das Kriterium der "gemeinschaftsweiten Bedeutung" braucht nicht über Zahlenwerte definiert zu werden, sondern kann auch rein inhaltlich verstanden werden. Selbstverständlich ist ein solches inhaltliches Abgrenzungskriterium weit davon entfernt, die Eindeutigkeit etwa der Umsatzschwellen in der FKVO zu erreichen27 . Wie solche inhaltlichen Kriterien aussehen könnten, zeigt die neue Bekanntmachung der Kommission zur dezentralen Anwendung des Europäischen Kartellrechts28. Entscheidungen sollen danach möglichst "bürgernah" getroffen werden: Die Kommission soll immer dann zuständig sein, wenn die Maßnahme auf Grund ihrer Tragweite oder Wirkung am besten auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden kann. Das sei dann der Fall, wenn ein besonderes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse der Gemeinschaft an der Behandlung des Falles durch die Kommission bestehe. Ein rechtliches Interesse soll dann bejaht werden, wenn ein Vorgang Rechtsfragen aufwirft, zu denen weder die Kommission noch die europäischen Gerichte Entscheidungen bzw. Urteile erlassen haben. Ein wirtschaftliches Interesse soll immer dann gegeben sein, wenn wichtige Belange anderer Mitgliedstaaten berührt sind. Nationale Behörden kämen dagegen zum Zuge, wenn sie die Maßnahme ebensogut durchführen könnten29. Die Abgrenzung sollen drei "präzise" Kriterien übernehmen: Auswirkungen des Vertrags, Art des Verstoßes und Wirksamkeit des von der nationalen Behörde geleisteten Schutzes. Es mag zwar sein, daß sich mit diesen Kriterien eine entsprechende Abgrenzung vornehmen läßt - aber was an diesen Kriterien präzise sein soll, läßt sich nicht recht erkennen. Jedes dieser Kriterien wird in dem Vor-Entwurf der Kommission zwar noch jeweils eine halbe Seite lang erläutert, aber auch aus diesen Bemerkungen dürfte sich eine eindeutige Entscheidung nur schwer ableiten Jassen, denn dort ist nur die Rede vom "Regelfall", und daß etwas "normalerweise" ... entschieden werden "sollte". Die Aussagekraft dieser Kriterien ist also nur unwesentlich höher, als die Formulierung, daß ein "nationaler Schwerpunkt" die Zuständigkeit des Falles festlege. Es ist offensichtlich, daß man unterschiedlicher Auffassung darüber sein kann, ob ein Sachverhalt neue Rechts-
Koenigs, Diskussion AK Kartellrecht [14]. KOM Dok. DFJ04/95111360 1OO.POO (FR) /6 ff und zugehöriges Grundlagendokument [1+8]. 29 Die Vorstellung, eine nationale Behörde könnte in Einzelfällen nicht nur gleich gut, sondern sogar besser (das heißt effektiver) handeln, kam der Kommission anscheinend überhaupt nicht in den Sinn! 27
28
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problerne aufwirft oder nicht. Und die Beachtung der Belange anderer Staaten deutet eher auf die Berücksichtigung einer wirtschaftspolitischen, denn einer wirtschaftlichen Bedeutung des jeweiligen Falles30 - eine Betrachtungsweise, die man sich nach deutscher Auffassung von der Funktion eines Kartellrechts im Gegensatz zu der in romanistischen Länder vertretenen Sicht jedenfalls nicht erhofft31 . Nun kann man argumentieren, daß diese Kriterien durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung noch präzisiert werden könnten. Aber was nützt eine Zuständigkeitsregelung, deren Sinngehalt erst nach einigen Jahren und etlichen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen einigermaßen konturiert am Horizont erscheint? Je variabler die Regelung zudem in der Auslegung ist, umso mehr wird es auch zu Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten oder Unsicherheiten auf Seite der anmeldenden Unternehmen kommen. Es bedarf dann zumindest wieder einer zentralen Stelle, die die Einheitlichkeit bei der Auslegung wahrt, insofern kann auf das oben32 dazu ausgeführte verwiesen werden. Eine Definition der Zuständigkeit über inhaltliche Kriterien erscheint daher insgesamt als denkbar schlechte Lösung. Lediglich das Kriterium des "wirksamen Schutzes" sollte Eingang in die Zuständigkeitsregelung finden 33 : Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß nur die Länder für einen Fall zuständig werden dürfen, die auch über entsprechende Behörden verfügen, das europäische Recht wirkungsvoll anzuwenden. Bei den Ländern, die derzeit noch nicht über eine § 47 GWB entsprechende Regelung verfügen, muß vorübergehend die Kommission zuständig bleiben. Alle anderen Länder müssen aber ohne weitere Bedenken in die Pflicht genommen werden können; dabei kann man darauf vertrauen, daß das Recht hier auch angemessen zur Anwendung kommt. Sollte dies nicht der Fall sein, kann dem im Einzelfall durch eine Rückübertragung der Zuständigkeit an die Kommission nachgeholfen werden. Es dürfte aber der Durchsetzung europäischen Rechts nicht dienen, wenn man einige Mitgliedstaaten schon bei der Zuständigkeit ausschlösse, und ihnen so das "Vertrauen" in die Fähigkeit, europäisches Recht wirksam anzuwenden, verweigerte.
30 So
auch Zinsmeister WuW 1997,5 [7].
31 Vergleiche dazu unter C. II. I. 32
Gliederungspunkt C. I. 2. a).
Als Mindestkriterium sähe es deshalb auch das BKartA gerne; BKartA, Christian Dobler, Gespräch am 7.3.1996 in Berlin. 33
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3. Ergebnis
An den Nachteilen der denkbaren Zuständigkeitsregelungen zeigt sich schon ein grundsätzliches Problem, das auch die Kritiker einer Neuregelung vorgetragen haben: Eine absolut gleiche Beurteilung von Sachverhalten läßt sich nur bei einer zentralen Entscheidungsstelle erreichen. Wer dezentralisiert, muß entweder gewisse Ungenauigkeiten in Kauf nehmen oder ein Kontrollverfahren einrichten, das wieder zeitliche Verzögerungen verursacht. Eine Zentralverwaltung hat insofern prinzipbedingte Vorteile. Durch eine zentrale Vergabestelle ließen sich Unsicherheiten über den Ort der Anmeldung, Streitigkeiten zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und verschiedene Auslegungen des relevanten Marktes vollständig vermeiden. Man muß sich freilich über eins im Klaren sein: Die Mehrzahl der Fälle wird in der Zuständigkeitsfrage unproblematisch sein. Auch besteht - jedenfalls zwischen dem deutschen BKartA und der Kommission (mit Ausnahme des oben erwähnten LKW-Falls) - praktisch kein Streit über die im Einzelfall zutreffende Abgrenzung des relevanten Marktes. Uneinigkeit besteht gegebenenfalls nur in der Prognose34 , beispielsweise in den Fällen "AEG Daimler-Benz/ABB" 35 und "Daimler-Benz/Kässbohrer" 36, in denen die Kommission den Sachverhalt anders bewertete als das BKartA. Auf eine dem Dezentralisierungsgedanken widersprechende gemeinsame Anmeldestelle kann daher verzichtet werden. Die Vereinbarungen sollten vielmehr direkt bei der Behörde angemeldet werden, die den Fall auch bearbeiten wird. Sie kann dann sofort mit der Untersuchung beginnen. Die Kommission und die Behörden der anderen betroffenen Mitgliedstaaten erhalten lediglich eine entsprechende Information. Da das Verfahren möglichst sehnen in Gang kommen soll, erscheint eine Zuständigkeitsvergabe nach Umsatzzahlen erfolgversprechender und nachvollziehbarer als über inhaltliche Kriterien. Eine feste Umsatzgrenze wie bei der Bagatellbekanntmachung eignet sich aber nicht zur Abgrenzung der Mitgliedstaaten untereinander. Der hier zusammengefaßte Regelungsvorschlag dürfte sich daher-trotzder Unschärfe bei einer Beurteilung nach dem bislang erzielten Gesamtumsatz- als gangbarer Weg erweisen:
34 BMWi,
Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn.
Vergleiche FAZ vom 19.10.1995 [25] Brüssel genehmigt Gemeinschaftsunternehmen von ABB und AEG; FAZ vom 22.3.1995 [22] Für Wolf ist die Bahnfusion "weniger unschön" als Siemens/AEG. 35
36
Vergleiche FAZ vom 12.1.1995 [12] Die Übernahme von Kässbohrer ist noch nicht ausgemacht.
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C. Probleme des Vorschlags
Die Zuständigkeit wird nach dem Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen bestimmt. Es ist die Behörde des Staates zuständig, in dem mindestens der (zum Beispiel) zweifache Umsatz des nächstumsatzstärksten Landes erreicht wird. Wird dieses Verhältnis nicht erreicht, liegt kein nationaler Schwerpunkt vor und ist die Kommission zuständig. Gleiches gilt vorübergehend, wenn das entsprechende Land die europäischen Vorschriften noch nicht anwenden kann. Die Vereinbarungen werden direkt bei der entsprechenden Behörde angemeldet. Teilweise wird gefordert, ab einer bestimmten Gesamtumsatzstärke aller beteiligten Unternehmen eine Zuständigkeit der Kommission anzunehmen 37 , um in wirtschaftlich besonders bedeutsamen Fällen dem Interesse der Kommission38 nach einer zentralen Behandlung des Falles Rechnung zu tragen. Notwendig dürfte dies jedoch nicht sein: Das in der FK-VO als "wenig gelungener Kompromiß" bemängelte Problem39 , daß auf Grund der in § I festgeschriebenen Zweidrittelklausel sogar Zusammenschlüsse von Großunternehmen allein der nationalen Fusionskontrolle unterliegen, wenn nämlich 2/3 des Umsatzes in einem Mitgliedstaat getätigt wird, besteht hier nämlich nicht. Die zuständige nationale Behörde hat ja nicht ihr eigenes, sondern stets europäisches Recht anzuwenden. Sofern der Fall also nicht besondere inhaltliche Anforderungen stellt40, können nationale Behörden zu den gleichen Ergebnissen kommen wie die Kommission und ist ein Bedürfnis für eine Entscheidung des Falles durch die Kommission allein wegen seiner größeren finanziellen Bedeutung nicht zu erkennen. Je größer die Umsätze sind, desto eher wird sich die Vereinbarung ohnehin in mehreren Ländern auswirken. Damit steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß mangels nationalen Schwerpunkts die Kommission zuständig ist. Es ist daher nicht notwendig, der Kommission eine Zuständigkeit für "wirtschaftlich besonders bedeutende" Fälle einzuräumen.
37
Zum Beispiel Gäbelein [283]: 2,5 Mrd. ECU.
EuGel Rs. T-24/90, Urteil vom 18.9.1992, Slg. 1992,11-2223 [2277 f /85 f] "Automec SRUKommission". Auch in ihrem Grünbuch zur Änderung der FK-VO möchte die Kommission in Fällen, in denen eine Fusion in mehreren Mitgliedstaaten angemeldet wird und es sich um wirklich grenzüberschreitende Fälle handelt, ihre Kompetenz reklamiert wissen; Schlecht [16]. 38
39 Niederleithinger, Prognosen [647]; Riesenkampff [493 f]; Bechtold, Fusionskontrolle [49]; Emmerich, Kartellrecht [594] mit weiteren Nachweisen. 40
Vergleiche dazu auch Gliederungspunkt C. IV. 1.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
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II. Gewährleistung der Rechtseinheit 1. Das Erfordernis der einheitlichen Rechtsanwendung Es ist ein bekanntes Phänomen- und eine "Katastrophe" für Juristen41 -, daß ein gleicher Gesetzeswortlaut je nach Hintergrund zu sehr verschiedenen Lösungen führen kann, die für sich genommen durchaus alle "richtig" sein können. Jeder Rechtsanwender versucht nämlich, Vorschriften im Lichte der jeweils eigenen Rechtstradition und geprägt von seiner nationalen Rechtsordnung mit ihrem teils sehr verschiedenen Begriffssystemen und Methodenlehren sich zu erschließen und umzusetzen42 . So hat zum Beispiel in der Vergangenheit das Fehlen einer zentralen Ordnungsinstanz beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATI)43 oder den Abkommen über das Einheitliche Wechselgesetz44 und das Einheitliche Scheckgesetz45 trotz gleicher Vertragstexte in den einzelnen Signalarstaten zu einer sehr verschiedenen Auslegung geführt46 . Es kommt aber noch schlimmer: Der Wortlaut des EGV kann in den verschiedenen Vertragssprachen divergieren. Beispielsweise scheint die Zwischenstaatlichkeitsklausel des Art. 85 Abs. 1 EGV in der deutschen 47 , niederländischen48 und italienischen49 Fassung eine negative Auswirkung auf den Handel zu verlangen, während nach dem französischen Text50 jegliche, also auch neutrale Beeinflussungen ausreichen - nach Art. 248 EGV ist aber der Wortlaut aller Fassungen gleichermaßen verbindlich! Zwar ist dieser spezielle Streit51 seit dem Urteil "Grundig u. Consten/Kommission" 52 zugunsten jegli-
41
Vergleiche Säcker, Diskussion AK Kartellrecht [ 15].
42
Dazu auch Lieber [7 f] mit weiteren Nachweisen; Bleckmann, Europarecht /612.
43
Vom 5. Dezember 1950.
44
Vom 7. Juni 1930.
45
Vom 19. März 1931.
46
GTE-Krück Art. 177 /4.
47
"beeinträchtigen".
48
"ongunstig ... beinvloeden".
49
"pregiudicare".
50
"affecter Je commerce".
51 Vergleiche zum Beispiel Sölter WuW 1961,665 [667 f] ; weitere Nachweise bei
Jung, Subsidiarität [42 f]. 52
EuGH Rs. 56 und 58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [389 f] "Grundig u. Consten/Kommission".
114
C. Probleme des Vorschlags
eher Beeinflussung entschieden, jedoch läßt sich daran gut erkennen, daß einheitliche oder vermeintlich einheitliche Vorschriften noch lange nicht automatisch auch einheitlich ausgelegt werden müssen 53 . Mit welchem "Vorverständnis" haben wir es nun in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu tun? Alle Staaten haben eigene Wettbewerbsgesetze und mit ihrer Durchsetzung betraute Behörden. Viele Länder haben dabei in den letzten Jahren tiefgreifende Novellierungen und Änderungen vorgenommen. Neun Staaten haben sich nach 1989 ein völlig neues Kartellrecht gegeben 54 , in drei Staaten wurde es erheblich novelliert55 . Heute bietet sich nun - in aller Kürze - folgendes Bild56 : Das Verbotsprinzip bildet die Regel 57 . So verfügen zum Beispiel Belgien58 , Frankreich59 , Griechenland60, Irland61 , Italien62 , Portugal63 und Spanien64 über Gesetze mit einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Dabei bestehen oft gro-
53 Vergleiche auch 23. WB 1993/81; Europäisches Parlament, Entschließung zu 21. Bericht der Kommission, ABI. C 21 vom 25.1.93 121. 54 Dänemark 1989, Spanien 1989, Österreich 1989/90, Italien 1990, Island 1991, Finnland 1992, Belgien 1993, Schweden 1993 und Portugall994. 55
Deutschland 1989, Griechenland 1991 und Niederlande 1993/94.
56
Ausführlich zum ganzen Dreher AG 1993,437 [437 ff].
57
GTE-Schröter Art. 85 /3 f.
58 Kartellgesetz vom 13.7.1991 über den Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs, in Kraft seit 1.4.1993 zusammen mit den Ausführungsbestimmungen das Gesetz vom 5.8.91 über den Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Die Anwendung ist auf mehrere Organe verteilt, es gibt die Möglichkeit von Einzel- und Gruppenfreistellungen.
Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986 über die Freiheit der Preise und des Wettbewerbs, JORF 1986,14773, und Dekret Nr. 86-1309 vom 29. Dezember 1986, JORF 1986,15775. 59
60 Gesetz Nr. 703177 über die Kontrolle von Monopolen und Oligopolen und über den Schutz des freien Wettbewerbs, Ph. EK Nr. 278177 vom 26.9.1977.
61
Competition Act von 1991, in Kraft seit 1.10.1991, Freistellungen sind möglich.
62
Gesetz Nr. 287 vom 10. Oktober 1990 zum Schutze des freien Wettbewerbs, GU vom 13.10.1990; Damit hat sich Italien als letzter Mitgliedstaat nach 1945 ein neues Kartellgesetz gegeben und sein altes Gesetz Nr. 834 vom 16.6.1932 ersetzt. 63 Gesetzesdekret Nr. 422/83 zum Schutze des Wettbewerbs, DR I Nr. 278 vom 3.12.1983. Verschmelzung mit dem Gesetzesdekret über die Kontrolle von Untemehmenszusammenschlüssen. Zugleich wichtige Änderungen. 64 Gesetz Nr. 16/1989 vom 17. Juli 1989 zum Schutze des Wettbewerbs, BOE Nr. 170 vom 18.7.1989, S. 22747.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
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ße inhaltliche Übereinstimmungen mit Art. 85 EGV. Teilweise gleichen sich sogar die Textfassungen in hohem Maße65 , obwohl für die Mitgliedstaaten keinerlei Verpflichtung besteht, mit den im EG-Vertrag vor~esehenen Regeln übereinstimmende innerstaatliche Vorschriften einzuführen 6. In Großbritannien sind seit langem Überlegungen im Gange, die nationalen Vorschriften umfassend zu reformieren und ebenfalls den europäischen Vorschriften anzupassen67 und damit der allgemeinen Tendenz68 zu folgen: Der Gesetzentwurf von August 199669 sieht vor, Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV für horizontale Verträge zu übernehmen, während vertikale Verträge gesondert geregelt werden sollen70 . Auf die fast vollständige Übereinstimmung der im EWR-Abkommen enthaltenen Wettbewerbsregeln mit denen im EGV wurde oben bereits hingewiesen, gleiches gilt auch für die mit den Ländern Osteuropas geschlossenen "EuropaVerträge"71. Deutschland folgt zwar ebenfalls dem Verbotsprinzip, hat sich aber über die letzten 40 Jahre seine eigenen, vom europäischen Recht sehr verschiedenen Vorschriften bewahrt. Derzeit ist die Diskussion über eine 6. GWB-Novelle in vollem Gange. Zu gewissen Teilen soll es dabei auch hier zu einer Angleichung mit dem europäischen Recht kommen, obschon die eine oder andere deutsche Eigenart bewahrt werden soll und europäische Regelungen nur dort übernommen werden sollen, wo diese strenger als das bisherige deutsche Recht sind72 . Das neue finnische Kartellrecht sieht lediglich ein Verbot bestimmter Kartelle vor73 . Auch Österreich hat immer noch nicht das reine Verbotsprinzip ver65
Etwa in Belgien; 23. WB 1993 /588.
66
23. WB 1993/81.
Vergleiche Information in GRUR International 1990,83; Nachweise bei Dreher, Europäischer Markt [9 Fußnote 38]. 67
68
Vergleiche 23. WB 1993/587.
69
Zusammenfassung in WuW 1996,1006 [1006 ff].
°
7 Kurzinformation: Britisches Wettbewerbsrecht soll europäischem Recht angegli-
chen werden, WuW 1996,970 [970 f]. 71
Siehe Gliederungspunkt A. III. 3.; ferner 23. WB 1993 /81.
Vergleiche dazu Eckpunkte des Bundeswirtschaftsministeriums für eine 6. GWBNovelle, WuW 1996,359-360; siehe aber auch Kurzinformation: 11. Hauptgutachten der Monopolkommission vorgestellt- Gegen 6. GWB-Novelle, WuW 1996,546 [546]; FAZ vom 17.2.1997 [13] Die Kartellnovelle kommt nun doch auf die Tagesordnung; FAZ vom 1.8.1997 [13] Das deutsche Kartellrecht wird an Europa angepaßt; FAZ vom 1.8.1997 [ 15] BDI für Mißbrauchsaufsicht über vertikale Beschränkungen. 72
73 §
11 des Gesetzes vom 27. Mai 1992, dt. Text in EuZW 1993,91.
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C. Probleme des Vorschlags
wirklicht74 . Schweden hat in seinem noch jungen Kartellrecht die Art. 85 und 86 EGV wörtlich übernommen, sieht aber weitreichende politische Einflußnahmen vor75 . Dem Mißbrauchsprinzip folgen noch Großbritannien 76 , Dänemark77 , Luxemburg78 und die Niederlande79, die damit noch stark von den europäischen Vorschriften abweichen. Ebenso wie Großbritannien planen aber auch die Niederlande (im Rahmen einer allgemeinen Verschärfung der Wettbewerbspolitik zur Belebung der niederländischen Wirtschaft) längerfristig die Einführung eines verbotsorientierten Wettbewerbsgesetzes, das sich eng an das europäische Wettbewerbsrecht anlehnen soll80. Ferner hat Dänemark eine Kommission eingesetzt mit der Aufgabe, ein verbotsorientiertes Gesetz auszuarbeiten, das nach Möglichkeit für Übereinstimmung zwischen den europäischen und dänischen Wettbewerbsregeln sorgen soll81 . Insgesamt besteht damit in den nationalen Rechtsordnungen eine deutlich größere Konvergenz zum EGV als noch vor rund 15 Jahren, als die einzelnen Kartellgesetze noch viel mehr von nationalen Traditionen geprägt waren 82 . Doch obwohl der Prozeß der Rechtsangleichung vorangeschritten ist, sind die nationalen Kartellvorschriften und ihre Anwendung noch zu verschieden, als daß bereits von einem im wesentlichen einheitlichen Bild gesprochen werden könnte 83 . Insbesondere existieren ofttrotztextlicher Übereinstimmungen große 74 Bundesgesetz vom 19.10.1988 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, BGBI. 1988,600. 75 § 34 Abs. 2 Nr. 2 Wettbewerbsgesetz vom 14.1.1993, englischer Text in Supplement zu Heft 4/93 ECLR.
76 Gesetz über Kartelle (Restrictive Trade Practices Act 1976, c. 34), über das Kartellgericht (Restrictive Trade Practice Court Act 1976, c. 35) und über Wiederverkaufspreise (Resale Plices Act 1976, c. 53). 77 Gesetz Nr. 370/89 vom 2. Juni 1989 über den Wettbewerb, Lb Nr. 370 vom 7.6.1989, s. 1256. 78 Gesetz vom 17. Juni 1970 über wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, Memorial A Nr. 36 vom 1.7 .1970, S. 892.
79 Gesetz vom 28. Juni 1956 über den wirtschaftlichen Wettbewerb, geändert durch Gesetz vom 14. November 1989.
80 23. WB 1993 /590; Kartellverbot für die Niederlande angestrebt, FAZ vom 4.5.1996 [14}.
81 23. WB 1993/592. 82
Siehe dazu die ausführliche Untersuchung von Rittner, Konvergenz [31 ff] .
Dreher, Europäischer Markt [17 f}: materielles Kartellrecht zwar sich jetzt sehr ähnlich, aber formelles Recht hat noch "weiten Weg vor sich". Siehe auch Gliederungspunkt A. IV. I. a). 83
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
117
Unterschiede in der Rechtsanwendung und damit der Durchsetzung. Grund dafür sind divergierende nationale Verfahrensordnungen und eine mehr oder weniger große Bereitschaft, von den vorgegebenen Verfahren abzuweichen, ferner Unterschiede in der gerichtlichen Kontrolldichte und voneinander abweichende Auffassungen von Wirtschaftspolitik84. So wird in den romanischen Ländern "Wettbewerb" (und damit Kartellrecht) nur als ein wirtschaftspolitisches Instrument neben anderen verstanden85 . Weiter ist zu berücksichtigen, daß auch in den Ländern, die textlich mit dem EGV übereinstimmende Gesetze geschaffen haben, der Wandel hin zur europäischen Linie doch oft erst in den letzten Jahren stattgefunden. Die entsprechenden Behörden und Gerichte haben also noch wenig Erfahrung mit dem eigenen Recht sammeln können. Wegen der schleppenden Anwendung europäischen Rechts durch die nationalen Behörden und Gerichte86 fehlt es auch an der Vertrautheit mit den gemeinsamen Vorschriften. Eine "Lernphase" steht also noch bevor. Besondere Schwierigkeiten bei der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV bereiten die außerordentlich zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe im Zusammenhang mit der Frage, ob die objektiven Vorteile eines Kartells auch spürbar sind87 . Angesichts der tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Einschätzung ökonomischer Sachverhalte und der wirtschaftlichen Gesamtwürdigung wird der rechtsanwendenden Behörde damit ein erheblicher Beurteilungsspielraum eröffnet88. (Allerdings folgt der EuGH wohl nicht der im deutschen Verwaltungsrecht üblichen Trennung zwischen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestands- und Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite89 , sondern sieht - in unverkennbarer Anlehnung an das französische Verwaltungsrecht -
84 Vergleiche Rittner, Konvergenz [50]; Dreher AG 1993,437 [437 ff] ; Gäbelein [278]; Held, Diskussion AK Kartellrecht [20]; I. Schmidt, Diskussion AK Kartellrecht [4]; Schütz WuW 1994,520 [520]; Europäisches Parlament, Entschließung zu 21. Bericht der Kommission, ABI. C 21 vom 25.1.93/21.
I. Schmidt, Diskussion AK Kartellrecht [4]. Gliederungspunkt A. IV. I. a) und b). 87 GTE-Schröter Vor Art. 85-89/147. 88 GTE-Schröter Art. 85 /201; Schwarze, Verwaltungsrecht [354]; EuGH Rs. 56 und 58/64, Urteil vom 13.7.1966, Slg. 1966,321 [396] "Grundig u. Consten/Kommission"; EuGH Rs. 8-11/66, Urteil vom 15.3.1967, Slg. 1967,99 [123] "NCA"; EuGH Rs. 71174, Urteil vom 5.5.1975, Slg. 1975,563 [585 /43] "Frubo und andere!Kommission"; EuGH Rs. 17174, Urteil vom 23.10.1974, Slg. 1974,1063 [1081 /16] "Transocean Marine Paint/Kommission"; EuGH Rs. 45/85, Urteil vom 27.1.1987, Slg. 1987,447 [461 f/ 58+61] "Verband der Sachversicherer und andere!Kommission". 85
86
89
Vergleiche Maurer [128 ff].
9 Gillesscn
118
C. Probleme des Vorschlags
darin eher zwei Teilaspekte eines umfassenden Phänomens der administrativen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit90.) Dieser weite Beurteilungsspielraum läßt damit aber auch u. U. recht verschiedene Lösungen zu. Da bei Beurteilungsspielräumen nur eine beschränkte gerichtliche Kontrolle möglich ist, ließen sich Ungleichheiten in der Anwendung also kaum mehr korrigieren. Es ist daher ein Verfahren erforderlich, das bei dezentraler Anwendung der Freistellungsnorm eine einheitliche Auslegung im gesamten Gemeinschaftsgebiet gewährleistet91 und ein Eingreifen ermöglicht, sofern durch Disparitäten die Zielsetzung der Gemeinschaft gefährdet und Wettbewerbsverzerrungen und Diskriminierungen heraufbeschworen werden92. Schließlich gründet auch das Freistellungsmonopol der Kommission auf dem Mißtrauen gegenüber nationalen Organen: Die Mitgliedstaaten könnten nämlich - wenn sie in Wettbewerbsbeschränkungen mit verwickelt sind93 - nicht ganz unbefangen entscheiden94 und also nicht immer vom Zieleuropaweiten Wettbewerbs geleitet sein95 . Diese Sorge führte in der Frühzeit der EU dazu, daß selbst Gerichten eine Anwendung der Freistellungsnorm versperrt blieb. Bis heute hat sich an dieser Einstellung bekanntlich nichts geändert96. In der Tat besteht gerade bei Freistellungsentscheidungen die Gefahr, daß die Interessen von den an der Abrede beteiligten Unternehmen und der genehmigenden nationalen Behörde - etwa aus wirtschaftspolitischen Gründen - auf das gleiche Ziel hin ausgerichtet sind. Es könnte also vorkommen, daß Freistellungen auch ohne Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen erteilt werden, weil dies den nationalen öffentlichen Interessen entspricht. Nun wird behauptet, eine Sicherung auf Verwaltungsebene sei notwendig, weil es mangels divergierender Interessenlagen zwischen Unternehmen und staatlicher Behörde
90
Schwarze, Verwaltungsrecht [281]; Everling WuW 1989,877 [881].
91
Vergleiche EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, Slg. 1969,1 [13 ff /4-9] "Walt Wilhelrn/BKartA" [Teerfarben I]; EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I 0.7.1980, Slg. 1980,2327 [2374 f 115 f] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain". 92
Vergleiche Dauses-Stettner B-Ill. /9.
93
Zu denken wäre dabei nicht nur an staatseigene Betriebe, sondern ganz allgemein auch an lndustriepolitik, etwa Regionalpolitik zur Förderung bestimmter Wirtschaftszweige oder Forschungspolitik. 94 Vergleiche Europäisches Parlament, Entschließung zu 21. Bericht der Kommission, ABI. C 21 vom 25.1.93121.
95 96
Mozet [121].
Bunte, Verstärkte Anwendung [320]; Möschel NJW 1995,281 [283]; Möschel, Subsidiarität [49].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
119
- anders als bei Untersagungsverfügungen - sonst nicht zu einer gegebenenfalls erforderlichen gerichtlichen Korrektur käme97 . Aus dieser Prämisse ergebe sich also die Forderung nach einer möglichst lückenlosen Kontrolle durch ein Gemeinschaftsorgan. Dagegen läßt sich aber einwenden, daß die Kontrolle "von Amts wegen" dann nicht lückenlos sein muß, wenn es noch eine andere Kontrollinstanz gibt. Dies ist der Fall: Die anderen Marktteilnehmer werden nämlich sehr genau darauf achten, ob durch Freistellungen ihre Rechte unzulässig verkürzt werden. Sie haben die Möglichkeit gegen solche drittbelastende Verwaltungsakte als Betroffene vorzugehen98 . Damit können sie eventuell vorkommende Rechtsfehler in der Anwendung auffangen. Das soll nicht heißen, daß ein völliger Verzicht auf eine Kontrolle durch ein Gemeinschaftsorgan möglich sei - auch wegen der wirtschaftspolitischen Beurteilung durch die Kommission wäre das nicht sinnvoll -, aber die zeitraubenden Anforderungen, die eine wirklich lückenlose Kontrolle stellen würde, müssen nicht gänzlich erfüllt sein. Das alles führt nun nicht dazu, daß "von vornherein" und zwingend99 nur ein Freistellungsmonopol der Kommission in Betracht kommt, denn die Gefahren einer laxen oder böswillig unterlassenen Rechtsanwendung lauern auch bei der Anwendung des Art. 85 Abs. I EGV und bei allen anderen EU-Vorschriften. Es ist ausreichend, wenn zumindest das "letzte Wort" bei einer zentralen Instanz liegt 100. Im Verwaltungsverfahren dürfte dies die Kommission sein, im Gerichtsverfahren ist es der EuGH. Auch damit wäre der Feststellung des EuGH entsprochen, "daß die Kommission für die Durchführung und die Ausrichtung der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft verantwortlich ist" 101 . Ob bei einer Lockerung des Freistellungsmonopols zugunsten nationaler Behörden ein über Kontrollmechanismen die Rechtseinheit sicherstellendes Verfahren dem Dezentralisierungsgedanken wirklich widerspricht - wie Kritiker dem Vorschlag vorwerfen, weil am Ende doch wieder eine zentrale Entscheidung stehen würde 102 -, hängt von der Ausgestaltung des Verfahrens ab. Nur weil eine solche Entscheidung möglich ist, braucht sie noch lange nicht auch zu ergehen. Solange sie die Ausnahme bleibt, kann guten Gewissens von Dezen-
97
Groger/Janicki WuW 1992,991 [997].
98
Vergleiche dazu auch Gliederungspunkt C. II. 3. b).
99
So aber Behrens [90].
100 Ähnlich
Wolf/Fink WuW 1994,289 [292].
EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 1991,1-935 [991 /44] "Delimitis/Henninger Bräu". 101
102 9*
Etwa Dreher, Diskussion AK Kartellrecht [15 f].
120
C. Probleme des Vorschlags
tralisierung gesprochen werden. Auf einem anderen Blatt steht allerdings, ob ein solches (Kontroll-) Verfahren wirklich effektiver sein kann als die im Moment geltenden Regelungen 103.
2. Einbindung der Kommission Grundsätzlich sind zwei Verfahren denkbar, um die Rechtseinheit in der Entscheidungspraxis sicherzustellen: Man kann in das Verwaltungsverfahren zur Erteilung einer Freistellung einen Abstimmungsmechanismus zwischen der den Fall behandelnden Behörde und der Kommission einfügen 104 (durch Einvernehmen vor Erlaß der nationalen Entscheidung oder ein Widerspruchsrecht der Kommission unmittelbar danach) - falls man nicht einfach den EuGH als die Kontrollinstanz betrachtet (Klagemöglichkeit nach der nationalen Entscheidung)I05.
a) Meldepflicht mit Klagemöglichkeit Nach Art. 169 EGV hat die Kommission die Möglichkeit, beim EuGH Aufsichtsklage gegen einen Mitgliedstaat zu erheben, wenn sie der Auffassung ist, daß der Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtugg aus dem EG-Vertrag bzw. dem gesamten europäischen Gemeinschaftsrecht 1 verstoßen hat. Unabhängig davon, daß eine Klage wegen Vertragsverletzung gegen einen Mitgliedstaat ein
103
Zweifelnd Möschel EWS 1995,249 [250 f].
104 So
zum Beispiel Gäbelein [285]. Vergleiche auch das Verfahren für die Zusammenarbeit in Kartellfragen zwischen den Staaten der EFfA und der EU: Grundsätzlich sind vorgesehen ein Informationsaustausch und gegenseitige Anhörung bei der Bearbeitung der betreffenden Fälle, Zusammenarbeit bei den Ermittlungen (Vertreter der federführenden Instanz können an solchen Ermittlungen aktiv teilnehmen) und die gemeinsame Durchführung der Entscheidungen. Bei allen gemischten Sachen erhält die jeweils andere Überwachungsinstanz eine Durchschrift der Anmeldungen; außerdem kann sie - genau wie ihre Mitgliedstaaten - bei den Anhörungen der betreffenden Unternehmen intervenieren und an den Sitzungen der Beratenden Ausschüsse - allerdings ohne Stimmrecht - teilnehmen. Sachen, die irrtümlich einer unzuständigen Überwachungsinstanz zugewiesen wurden, sind der anderen Instanz zu übermitteln; 22. WB 1992 /92. 105
106 Vergleiche Däubler NJW 1968,325 [325 ff] ; Riegel NJW 1975,1049 [1054]; EuGH Rs. 20/59, Urteil vom 15.7.1960, Slg. 1960,681 [711 f] "Italien/Hohe Behörde EGKS"; EuGH Rs. 25/59, Urteil vom 15.7.1960, Slg. 1960,743 [779 ff] "Niederlande/Hohe Behörde".
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
121
Mittel ist, dessen Einsatz gut überlegt sein sollte 107 , eignet sich ein solches Vorgehen nur sehr bedingt, um auf dem Umweg über den EuGH eine einheitliche Entscheidungspraxis zu gewährleisten: Es ist nämlich umstritten, ob ein Verfahren nach Art. 169 EGV auch gegen vertragswidriges Handeln der Verwaltungsbehörden möglich ist. Da diese dem EuGH nach Art. 177 EGV keine Vorlagen machen können, wird teilweise gefolgert, daß der EGV zunächst einmal ein vertragswidriges Verhalten der Behörden hinnimmt und dem entsprechenden Staat Gelegenheit gibt, die Vertragsverletzung durch seine Gerichte rückgängig zu machen, wobei bekanntlich die letzte Instanz eine Vorlagepflicht trifft 108 . Nach dieser Auffassung wäre eine Korrektur der nationalen Entscheidung zwar möglich - aber erst nachdem der gesamte nationale Instanzenzug bewältigt wäre. Die Gegenauffassung 109 will eine Klage auch gegen Entscheidungen der Verwaltungsbehörden mit folgender Begründung zulassen: Zu der gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung kann es nach der zuvor genannten Ansicht nur kommen, wenn sich der betroffene Bürger (bzw. das betroffene Unternehmen) zu einer Klage entschließt. Nimmt er die rechtswidrige Entscheidung hin, ist die Gemeinschaft machtlos dagegen. Allein an seiner Entscheidung hängt damit die Möglichkeit einer Korrektur. Art. 169 EGV dient aber nicht dem Schutz von Individuen, sondern dem Interesse der Gemeinschaft an der Aufrechterhaltung der objektiven Gemeinschaftsordnung. Also muß auch gegen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden die Klage möglich sein, wenn diese die gemeinsame Rechtsordnung verletzen. Aber selbst wenn man den Streit im Sinne dieser Gegenauffassung entschiede - wofür gute Gründe sprechen -, dürfte sich die Klage nach Art. 169 EGV nicht als Kontrollmechanismus eignen: Denn auch dann noch würde eine Klage die Verfahrensdauer entscheidend in die Länge ziehen. Wenn die Kommission aber nicht schon am Verwaltungsverfahren beteiligt ist, müssen die Unternehmen zumindest eine zeitlang noch mit der Möglichkeit rechnen, daß die Kommission Klage gegen den Mitgliedstaat erhebt. Solange eine solche Klage möglich ist, besteht demnach noch keine Rechtssicherheit Daher scheidet ein Verfahren, das regelmäßig erst auf dem Klageweg die Rechtseinheit sicherstellen kann, jedenfalls aus Effizienzgesichtspunkten aus.
107
Bonn.
"Das macht man nicht!"; BMWi, Dr. Arrnin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in
108 Däubler NJW 1968,325 [327]; Mertens de WilmarsNerougstraete CMLR 1970,385 [388 ff]. 109
Zum Beispiel Bleckmann, Europarecht /511 .
122
C. Probleme des Vorschlags
Hinzu kommt, daß es im Klageverfahren schwieriger ist, der Forderung der Kommission Rechnung zu tragen, bei einer Entscheidung nach Art. 85 Abs. 3 EGV die anderen Ziele des EGV berücksichtigen zu können 110. Voraussetzung für eine erfolgreiche Klage der Kommission wäre nämlich, daß ein Mitgliedstaat rechtswidrig gehandelt hat. Da die Mitgliedstaaten aber die anderen Vertragsziele überhaupt nicht berücksichtigen dürfen 111 , wird es bei Fällen, in denen die Kommission anders als die nationalen Behörden entscheiden möchte, im Regelfall an der Rechtswidrigkeit fehlen. Dagegen könnte und müßte die Kommission bei einer Lösung über eine verfahrensmäßige Beteiligung in den Fällen, in denen sie eine wettbewerbspolitische Entscheidung haben will, steuernd eingreifen. b) Einvernehmen vor einer Entscheidung Prima facie erscheint daher eine Beteiligung der Kommission bereits während des Verwaltungsverfahrens am sinnvollsten. Ein Lösungsweg mit einer verfahrensrechtlichen Beteiligung könnte nun so aussehen, daß die nationalen Kartellbehörden bei ihren Freistellungen in jedem Fall an das Einvernehmen der Kommission gebunden wären 112. Nach diesem Modell müßte das Verfahren die Verpflichtung der nationalen Behörde vorsehen, die Kommission von der beabsichtigten Entscheidung in Kenntnis zu setzen und vor der förmlichen Freistellung ihr Einverständnis einzuholen. Die Kommission erhielte dann von allen Entscheidungen vorab Kenntnis und würde gegebenenfalls Einfluß auf die nationalen Kartellbehörden nehmen können. Falls nationale Behörde und Kommission sich nicht auf eine Entscheidung einigen können, wäre denkbar, entweder den Beratenden Ausschusses einzuschalten 113 oder der Kommission ein Weisungsrecht einzuräumen. Bei einem solchen Verfahren ist aber zu befürchten, daß allein die Frage, ob sich nationale Behörde und Kommission auf eine Lösung verständigen können, erhebliche Zeit beanspruchen kann. Die Stellungnahme der einen Seite kann nämlich wieder eine Reaktion der anderen erforderlich machen, mit der Folge, daß dazu erneut Stellung genommen werden muß und so fort ... Dies würde natürlich auch dem erstrebten Ziel einer Entlastung der Kommission zuwiderlaufen.
110 Vergleiche 111
Gliederungspunkte B.l. 3. und vor allem C. IV. 2. a).
Gliederungspunkt C. IV. 2. a).
112 Groger/Janicki 113
WuW 1992,991 [997].
Wolf/Fink WuW 1994,289 [292].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
123
Aber selbst wenn sich nach einiger Zeit herausstellt, daß Einigung nicht zu erzielen sein wird, und der Fall an den Beratenden Ausschuß abgegeben werden wird, ist ein zügiger Abschluß noch längst nicht in Sicht: Der Beratende Ausschuß in seiner jetzigen Form (Art. 11 Abs. 4 VO 17) mit Beamten aus allen Mitgliedstaaten, Ladungsfristen und genau vorzubereitenden Sitzungen (Art. 11 V VO 17) ist ein schwerfälliges, wenig zeitgemäßes Instrument aus der Anfangsphase der Europäischen Union 114, als diese erst sechs Mitglieder hatte. Manche Fälle 115 machen es erforderlich, zur Vorbereitung der Sitzungen Hunderte Seiten Text in die verschiedenen Amtssprachen zu übersetzen. Wegen der verschiedenen Rechtstraditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten fällt es mitunter schwer, sich in den Sitzungen zu einer gemeinsamen Stellungnahme durchzuringen 116. Bedenkt man, daß es bei dem hier zu entwerfenden Verfahren um Fälle geht, in denen vielleicht zwei, maximal drei Mitgliedstaaten beteiligt sind, erscheint es als unnötig, diesen langwierigen Prozeß unter Beteiligung aller Staaten in Gang zu setzen. Zwar könnte man ein ad-hoc-Gremium aus Vertretern der von dem Fall jeweils betroffenen Staaten und der Kommission bilden 117 und so eine clearing-Stelle 118 schaffen. Aber wie bei allen Einvernehmensverfahren bestünde auch hier die Gefahr, daß der Fall zunächst ausführlich "zerredet" wird. Die Zuweisung eines Falles an nur einen Entscheidungsträger hat unter zeitlichen Gesichtspunkten enorme Vorteile gegenüber Einvernehmenslösungen. Eine solche Zuweisung bestünde im Falle eines (Einzel-) Weisungsrechts, mit dem der Kommission das letzte Wort eingeräumt wird. Ein solches Verfahren stieße freilich ebenfalls auf Bedenken: Weisungen sind dem System der europäischen Verwaltung mit einer Aufgabenteilung zwischen zentraler Verwaltung durch Gemeinschaftsorgane und dezentraler Anwendung durch die Behörden der Mitgliedstaaten bislang fremd geblieben und würden einen schwerwiegenden Eingriff in die Verwaltungsorganisation und Verwaltungshierarchie der einzelnen Mitgliedstaaten darstellen 119. BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn. In jüngerer Zeit zum Beispiel in Verfahren im Zusammenhang mit Kartellabsprachen von Zementhersteilem 116 WolfWM 1992,1730 [1730]. 117 Vergleiche Mozet [ 119]. 118 BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn. 119 Dazu Rengeling EuR 1974,216 [234 ff] mit weiteren Nachweisen, allerdings unter dem Hinweis, daß bei vorangeschrittener Integration u. U. anders zu entscheiden sein könnte; Rengeling, Rechtsgrundsätze [42]; ferner Ipsen, Gemeinschaftsrecht [220]; vergleiche auch v. d. Groeben!Mestmäcker [141 f]; generell ablehnend Weber, Rechtsfragen [66 f]; vergleiche auch Art. 4 und 5 der VO Nr. 1608174 vom 26.6.1974 ABI. L 114 115
170/39.
124
C. Probleme des Vorschlags
c) Meldepflicht mit befristetem Widerspruchsrecht ("Veto-Recht") Es bleibt daher nur der Weg, die Kommission nach Erlaß der Entscheidung über ein Widerspruchs- oder auch Veto-Recht 120 zu beteiligen. Eine solche Konstruktion würde vorsehen, daß die nationale Behörde ihre Entscheidung der Kommission mitteilt. Diese müßte dann innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen. Tut sie dies nicht, wird die Entscheidung wirksam. Im Interesse der Unternehmen, die möglichst schnell Rechtsklarheit über den Bestand ihrer Vereinbarung erhalten sollen, muß die Frist, in der die Kommission widersprechen kann, kurz gehalten werden. Dadurch entsteht zwar ein gewisser Zeitdruck, dieser Druck ließe sich aber abfedern, wenn die Kommission regelmäßig über den Stand des Verfahrens informiert wird. Das bedeutet nun nicht, daß ständig zwei Behörden parallel arbeiten, sondern sollte dazu führen, daß in Fällen, die offensichtlich unproblematisch sind, die Kommission auf die nationale Behörde vertraut. Bei den problematischen Sachverhalten aber kann sie mit wachen Augen den Fortgang des Verfahrens verfolgen (gegebenenfalls auch - allerdings unverbindliche - Anregungen und Hinweise geben). So ist sie inhaltlich gut darauf vorbereitet, notfalls fristgerecht Widerspruch einlegen zu können. Einer solchen Fristenlösung könnte man nun den Vorwurf der Halbherzigkeil machen: Dann könne man doch auch gleich Fristen einführen, die nicht erst das Widerspruchsrecht der Kommission bei einer Entscheidung durch nationale Behörden betreffen, sondern schon im Zusammenhang mit einer Anmeldung der Vereinbarung direkt bei der Kommission stehen. Widerspräche die Kommission einer Anmelduny also nicht innerhalb eine~. bestimmten Frist, würde die Vereinbarung wirksam 21 . Dies entspräche einer Ubertragung des in einigen Gruppenfreistellungsverordnungen verwirklichten Konzeptes der Wirk-
120 Den Ausdruck "Veto" hört man in Brüssel nicht gerne: Ein Vetorecht ist ein politisches Recht, kein juristisches Mittel. Allerdings ist die Kommission insgesamt (zumindest auch) ein politisches Organ. So versucht schon jetzt der entsprechende Kommissar stets die juristisch erforderliche oder zumindest mögliche Lösung intern auch und vor allem politisch zu begründen und so seine Meinung vor dem Rest der Kommission zu vertreten; Kommission, Juristischer Dienst, Dr. Paul Nemitz, Gespräch am 11.3.1996 in Brüssel. 121 Für solche rechtlich verbindlichen Fristen: Brittan, in einer Vortragsveranstaltung am 7.12.1992 im Center of European Policy Studies in Brüssel, zitiert bei Gäbelein [283 Fußnote 39]; ebenso Gäbelein [283]; ähnlich wohl auch von Meibom/Zinsmeister [55+64].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
125
samkeitsfiktion auf das Einzelfreistellungsverfahren. Dann aber wären auch die Nachteile einer solchen Lösung 122 übertragbar: Das Personal in Brüssel reicht nicht aus, um die Fristen des teilweise komplexen Prüfungsverfahrens bei Art. 85 EGV stets einhalten zu können. Ohnehin machen der Kommission Baushaltskürzungen zu schaffen 123. Damit entsteht die Gefahr, daß Vereinbarungen allein durch Fristablauf freigestellt werden, die eigentlich nicht freistellungsfähig sind. Nach der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise betrifft die Frist jedoch nur Fälle, die schon einmal durch eine Behörde behandelt worden sind. Es geht insofern nur um eine Nachuntersuchung. Ein solches Verfahren erscheint weit weniger problematisch, denn kein Fall bleibt ungeprüft, wie dies bei den Widerspruchsverfahren in den betreffenden Gruppenfreistellungsverordnungen der Fall sein kann. Sollte die Kommission wirklich einmal die Frist nicht einhalten können, so wird es sich wahrscheinlich nicht um einen eklatant falsch entschiedenen Fall handeln - der Fehler wäre sonst gewiß auch bei oberflächlicher Betrachtung aufgefallen. Insgesamt wird sich die Kommission gut überlegen müssen, welche Fälle es ihr wert sind, auf ein Veto hin korrigiert zu werden. Vor einem allzugroßen Eifer dürfte die Kommission durch die Einsicht bewahrt werden, daß die nationalen Behörden das Interesse an einer sachgerechten Prüfung des Falles verlieren, wenn die Kommission später "ohnehin" macht, "was sie will" 124. Zudem würde sie Gefahr laufen, sich zuviel Arbeit aufzuladen, wenn sie alle fraglichen Fälle überprüft. Tut sie es dagegen zuwenig, riskiert sie, die einheitliche Anwendungspraxis aufzugeben. In der Praxis wird sich daher mit großer Wahrscheinlichkeit eine Balance einspielen. Ohnehin - daran sei nochmals erinnert - betrifft das Veto ja nur einen Teil aller 'Fälle. Selbst wenn die Kommission alle im Ergebnis fraglichen Fälle neu aufrollt, so werden doch viele andere Fälle unproblematisch und ohne Einwände der Kommission abgeschlossen werden können. Eine Verbesserung der augenblicklichen Situation wäre auf jeden Fall erreicht. d) Zwischenergebnis Da ein Abstimmungsverfahren, das auf Einvernehmen zwischen Kommission und nationaler Behörde vor Erlaß der Entscheidung zielt, und die rechtlich 122 Gliederungspunkt
A. IV. 2. b) ft).
123 Ehlerrnann WuW 1993,997 [1000 f]. 124 In diesem Sinne äußerte sich etwa Held auf dem Symposion "Kartellrecht in der Reform" des Frankfurter Instituts (Stiftung Marktwirtschaft und Politik) am 26.1.1996 im Verlagsgebäude der FAZ.
126
C. Probleme des Vorschlags
unsichere Möglichkeit einer Korrektur von nationalen Entscheidungen durch den EuGH auf Antrag der Kommission das Verfahren deutlich in die Länge ziehen, erscheint ein Veto-Recht der Kommission innerhalb kurzer Frist nach Entscheidung der nationalen Behörde als geeignetster Weg zu einer zügigen Entscheidung. Zwar gilt auch für dieses Modell, daß die Kommission sich -jedenfalls in den problematischeren Fällen - parallel zur nationalen Behörde in die Situation einarbeiten muß. Das ist der Preis, der für eine einigermaßen einheitliche Entscheidungspraxis zu zahlen ist. Bei dem hier vorgeschlagenen Verfahren wird aber nur gerade soviel Zeit aufgewendet, wie wirklich notwendig ist. Ansonsten kann aber das Verfahren von der zuständigen Behörde so schnell wie möglich durchgeführt werden. Regelmäßige Informationen an die Kommission gewährleisten, daß diese gegebenenfalls unverzüglich eingreifen kann. 3. Die Geltung dezentral erklärter Freistellungen in anderen Mitgliedstaaten
a) Das Erfordernis der Allgemeingültigkeit Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Fälle, die nach Vorstellung des BKartA dezentral behandelt werden sollten, nicht auf Unternehmen eines Mitgliedstaates beschränkt sein müssen, sondern das Gebiet mehrerer Länder berühren können 125 . Damit ist aber auch erforderlich, daß die Freistellung in allen Ländern (gleich ob aktuell oder potentiell betroffen 126) wirken 127. Sonst entstünde die mißliche Situation, daß die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zwar in dem schwerpunktmäßig betroffenen Staat freigestellt wird, aber das grundsätzliche Verbot des Art. 85 Abs. I EGV in den anderen, nur am Rande berührten Staaten unverändert weiter gelten würde. Dieser Staat hätte aber wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des "Schwerpunktstaates" keine Möglichkeit, selbst eine Freistellung zu erteilen. Die Folge wäre, daß die betei-
125
Gliederungspunkt C. I. I.
126
Vergleiche Gliederungspunkt A. II. 2. zur Auslegung der Zwischenstaatlichkeitsklausel. 127 SchUtz WuW 1994,520 [521]; Ehlermann WuW 1993,997 [998]; Ehlermann, Verwaltungsverfahren [5]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [292]; Bunte WuW 1994,5 [16]; Bunte, Verstärkte Anwendung [322]; Möschel auf dem Symposion "Kartellrecht in der Reform" des Frankfurter Instituts (Stiftung Marktwirtschaft und Politik) am 26.1.1996 im Verlagsgebäude der FAZ.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
127
ligten Unternehmen in diesen Staaten gegen das Kartellverbot verstießen und zivilrechtliehen Schadensersatzansprüchen Dritter (in Deutschland zum Beispiel gemäߧ 823 Abs. 2 BGB) ausgesetzt wären 128 . Es stellt sich daher - ähnlich wie bei Art. 85 Abs. 1 EGV - die Frage, ob die von der Behörde eines Mitgliedstaates erteilte Freistellung auch für die anderen Staaten gilt, oder, falls dies nicht der Fall sein sollte, wie eine solche Geltung erreicht werden kann. Dieses Problem hat sich der Verwaltungspraxis schon einmal gestellt: Die Grundkonzeption des EGV in der Fassung des EWGV legte die Hauptverantwortung für die administrative Durchsetzung des Art. 85 zunächst in die Hände der nationalen Behörden 129. Nach Art. 88 EGV waren diese zur umfassenden Anwendung von Art. 85 EGV zuständig und ausdrücklich auch zur Erteilung von Freistellungsentscheidungen befugt. Vorschriften bezüglich der Vermeidung von doppelt geführten Verfahren oder widersprüchlicher Entscheidungen gab es nicht, da man offenbar darauf vertraute, daß sich die Behörden der EG und die der Mitgliedstaaten in ihrer Tätigkeit sinnvoll ergänzen würden 130. Die unkomplizierte Regelung sollte sicherstellen, daß das europäische Wettbewerbsrecht vom ersten Tag an - noch ohne VO 17 und zuständige europäische Behörde - durchgesetzt würden 131 . Art. 88 EGV stellt sich daher schon im Wortlaut als Übergangsvorschrift dar 132 und ist ebenso wie Art. 89 durch die VO 17 inhaltlich weitgehend überholt worden 133 . Heute belegen Art. 88 und 89 daher im wesentlichen nur noch den ursprünglichen Schwerpunkt der Verwaltungszuständigkeit bei den nationalen Behörden. Von diesen ihnen eingeräumten Möglichkeiten haben die Mitgliedstaaten seinerzeit kaum Gebrauch gemacht 134: Förmliche Entscheidungen sind nur zu Art. 85 ergangen. Als einzige Behörde hat das deutsche BKartA zugleich mit
128 In Deutschland würde man den Unternehmen dadurch helfen können, daß man die Frage des für die Schadensersatzansprüche erforderlichen Verschuldens verneint. In anderen Ländern kann auf Grund anderer Anspruchsgrundlagen aber eventuell anders zu entscheiden sein. 129
Basedow, Anm. zu KG, Beschluß vom 4.11.1988, TranspR 1989,212 [217 f] .
130
Vergleiche GTE-Schröter Art. 89/6.
131 Grabitz-Pemice Art. 8811; GTE-Schröter Art. 88/1; EWGS-Everling Art. 88/5; Balken [107].
132
WEGS-Everling Art. 8811 .
Vergleiche Grabitz-Pernice Art. 88 12; GTE-Schröter Art. 88 /3; Geiger Art. 89 11; WEGS-Everling Art. 89 11. 133
134
Langen-Jungbluth Art. 88/1 .
128
C. Probleme des Vorschlags
Verfahren nach dem ebenfalls neuen GWB auch einige Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV erklärt 135. (Wegen des KG-Beschlusses, der zum neuen § 47 GWB geführt hat 136 , müßte man diese Entscheidungen heute ohnehin als wegen mangelnder Zuständigkeit rechtswidrig bezeichnen.) Das Problem der Reichweite dieser Entscheidungen ist damals offenbar nicht gesehen worden. Heute wird vereinzelt behauptet, Freistellungserklärungen hätten wegen Anwendung von materiellem Gemeinschaftsrecht automatisch gemeinschaftsweite Bedeutung 137. b) Die Reichweite der "inter-omnes "-Wirkung Im Zusammenhang mit der Feststellung eines Verbots gemäß Art. 85 Abs. 1 EGV durch nationale Behörden wurde oben 138 schon dargestellt, daß solche Verwaltungsakte wegen des Territorialitätsprinzips nur Geltung für das eigene Landesgebiet beanspruchen können. Auch bei durch nationale Behörden erklärten Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV handelt es sich um Verwaltungsakte, die zwar materiell auf Grund europäischen Rechts ergehen, formell aber auf den Vorschriften der nationalen Verfahrensrechte beruhen. Deshalb entfalten auch sie grundsätzlich nur Wirkung im Gebiet des Staates, dessen Behörde die Freistellung erteilt 139. Die Rechtslage könnte bei Freistellungen jedoch ausnahmsweise anders sein als bei den lediglich das Verbot des Art. 85 Abs. I EGV festellenden Entscheidungen. Es ist zu überlegen, ob Freistellungsentscheidungen eine "interomnes"-Wirkung entfalten, also automatisch gegenüber allen Beteiligten gelten. Dann könnten die (Rechts-) Wirkungen nämlich möglicherweise auch über die Landesgrenzen hinweg eintreten.
135 BKartA 19.12.1959 WuWfE 25,28,29 Gewindeschneidemaschinen; 20.6.1960 WuWfE 254,258; 23.8.1960 WuWfE 241,250 Terrazzo; Februar 1962 WuWfE 465,478 Federkerne; s. ferner BKartA TB 1959 [54 f], 1960 [50], 1962 [75]; vergleiche Deringer Art. 88/89/42-47; Gleiss/Hirsch (3) Art. 88/1. 136
Siehe dazu bereits oben Gliederungspunkt A. IV. 1. a).
137
Wolf/Fink WuW 1994,289 [292]; Ehlermann, Verwaltungsverfahren [5].
138
Gliederungspunkt A. IV. 1. d) cc).
Anderer Ansicht Wolf/Fink WuW 1994,289 [292], die aus der Tatsache, daß nationale Behörden nach Art. 88 EGV einmal zur Erteilung von Freistellungen befugt waren, herauslesen wollen, daß automatisch eine gemeinschaftsweite Geltung eintrete. 139
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
129
aa) Rechtsnatur der Freistellungsentscheidung Nach dem Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 EGV wird durch eine Freistellungserklärung das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV "für nicht anwendbar" auf die vorliegende Absprache erklärt. Es wird also nicht lediglich eine kraft Gesetzes bestehende Rechtslage festgestellt, sondern es soll das grundsätzliche Verbot bei einer bestimmten Absprache ausnahmsweise nicht gelten. Art. 85 Abs. 3 EGV ermächtigt damit die Verwaltung, den Geltungsbereich primären Vertragsrechts nach eigener Subsumtion und Abwägung zu reduzieren. Da nach Art. 85 Abs. 2 EGV verbotene Absprachen nichtig sind, hebt die Freistellung aber nicht nur das Verbot nach Absatz 1 auf, sondern verhindert gleichzeitig auch die Nichtigkeitssanktion nach Absatz 2. Damit verhilft sie der konkreten Absprache (wieder140) zur zivilrechtliehen Wirksamkeit. Die Verwaltungsentscheidung ändert also die zivilrechtliche Rechtslage im Einzelfall und schafft insoweit konstitutiv neues Recht. Solche Verwaltungsakte nennt man daher auch privatrechtsgestaltend141, wobei die erforderliche Genehmigung als Rechtsbedingung qualifiziert wird 142. Bei einer Freistellung handelt es sich also um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt mit konstitutiver Wirkung 143 . Die Wirksamkeit der wettbewerbsbeschränkenden Absprache ist nicht nur für die Vertragsparteien von Bedeutung (etwa wegen der gegenseitigen Bindungen), sondern hat zugleich auch Auswirkungen auf Dritte 144. Da Art. 85
140 Auf Grund der Privatautonomie ist grundsätzlich jede Absprache möglich. Das Gesetz verbietet nun wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die Freistellung wiederum verhindert die Sanktionen des Gesetzes und stellt so die ursprüngliche Vertragsfreiheit wieder her. 141 Forsthoff [209]; Badura [261]; L. Schmidt mit zahlreichen Beispielen. Der Begriff der Rechtsgestaltung geht zurück auf v. Schrutka-Rechtenstein [619]. Zur Unterscheidung von privatrechtsgestaltende Hoheitsmaßnahmen in privatrechtsmitgestaltende und privatrechtsausgestaltende siehe Manssen [6 ff]. 142
Vergleiche Erman-Battes Vor 275-292 /19; Wolff/Bachof [647].
Deringer VO 17 Art. 9 /3; Grabitz-Koch Art. 85 /154 f; LNRS/Ritter § I GWB/ EG 105; Grabitz-Pernice, Nach Art. 87, Art. 6 VO 17 11 und Art. 9/11; GTE-Schröter Vor Art. 85-89 /146; Bunte/Sauter Einführung 134; Langen-Bunte Art. 85 /146; Balken [116]; Caspar [43 f] ; Ehricke ZHR 158,170 [173]; Müller-Graf EuR 1992,1 [ll]; Baldi [247]; EuGH Rs. 31180, Urteil vom 1l.l2.1980, Slg. 1980,3775 [3788 f /8,3792 f /22 f] "L'On!al"; ferner Scholz [100] zur Kartellerlaubnis im GWB. 143
144 Scholz [42]; Soell, Konkurrentenschutz [439]; Soell DV 6,499 [500 f]; weitere Nachweise bei Manssen [310 Fußnote 14]; vergleiche auch K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht [50], wonach sich das Gesetz gerade auf Grund der Drittwirkung für marktbeherrschende Abreden interessiere. Insofern ist es terminologisch berechtigt, allgemein von "Dritten" und nicht nur von "Konkurrenten" zu sprechen, denn betroffene Dritte
130
C. Probleme des Vorschlags
Abs. 1 EOV Schutzgesetz zum Beispiel im Sinne des deutschen § 823 Abs. 2 BOB ist 145 , bleibt eine Freistellung nicht ohne Auswirkung auf die privatrechtliehe Rechtslage 146 . Je nachdem, ob die Absprache zulässig oder unzulässig ist, können Dritte Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BOB in Verbindung mit Art. 85 Abs. 1 EOV gegen die Kartellmitglieder geltend machen oder nicht. Der Bestand dieser Ansprüche Dritter hängt damit ebenfalls von der Verwaltungsentscheidung über die Freistellung ab. Zugleich mit der Begünstigung der Kartellmitglieder verändert die Freistellungserklärung also die Stellung dritter Marktteilnehmer zu ihrem Nachteil 147 . Eine Freistellung gestaltet damit nicht nur punktuell um, sondern einen ganzen Rechten- und Pflichtenkomplex und hat also eine "Breitenwirkung" 148 zur Folge. In einer Vorabentscheidung für ein Zivilstreitverfahren hat der EuOH dementsprechend auch festgestellt, daß Freistellungsentscheidungen den Parteien eines Kartells Rechte verleihen, auf die sie sich nicht nur gegenüber nationalen
sind durchaus nicht immer Konkurrenten im eigentlichen Sinn, sondern u. U. auch Kunden oder Lieferanten. E. Koch [22]; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht [591]). 145 Für die Regelungen des MUV zunächst ablehnend BGHZ 30,74 [87]; später für eine Schutzgesetzeigenschaft von Normen der europäischen Verträge im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB aber EuGH Rs. 127173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.l.l974, Slg. 1974,51 [62/16] "BRT 1/SABAM und andere": "Da die in den Art. 85 Abs. 1 und 86 enthaltenen Verbote ihrer Natur nach geeignet sind, in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen zu erzeugen, lassen sie unmittelbar in deren Person Rechte entstehen, welche die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben." Ebenso EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2481 [2500 /13] "Estee Lauder"; ausführlich Baur EuR 1988,257 [260 ff]; ferner Grabitz-Koch, Art. 85 /149; Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [574 ff]; Wiedemann AT /18. 146 Siehe für das Verhältnis der Vertragspartner zueinander EuGH Rs. 48172, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [87 /10] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht II]; für Ansprüche Dritter EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2481 [2500 I I 3] "Estee Lauder". Deutlich Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [578]: Die Freistellung vom Verbot nach Art. 85 Abs. 3 EGV führe dazu, daß mit der Tatbestandsmäßigkeit auch die Rechtswidrigkeit der Handlung gegenüber Dritten entfalle. Das dürfte sich im übrigen auch aus Art. 9 Abs. 3 VO 17 ergeben. 147
Ehricke ZHR 158,170 [I 73].
Der Ausdruck stammt von Scholz [41 f]; vergleiche K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht [62]; Soell, Konkurrentenschutz [439]; Soell Die Verwaltung 6,499 [500]; Manssen [357]. 148
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
131
Behörden und Gerichten berufen können, sondern auch gegenüber jedem Dritten, der gemäß Art. 85 Abs. 2 EGV dessen Nichtigkeit geltend zu machen versucht149.
bb) Die "inter-omnes"-Wirkung endet an Landesgrenzen Insgesamt ergibt sich daraus, daß eine Rechtslage etwas Allgemeines ist und Änderungen notwendigerweise gegenüber allen eintreten 150. Eine Rechtslage kann also grundsätzlich nur so oder anders sein, jedoch nicht für den einen so, für den anderen anders. Dies wiederum hat zur Folge, daß eine durch Freistellungserklärung eines Staates hergestellte Nichtanwendbarkeit des Verbots von Art. 85 Abs. I EGV eigentlich automatisch auch für alle anderen Staaten gelten müßte. Manche Autoren halten nun jedoch die grundsätzliche Allgemeingültigkeit einer Rechtslage für eine "körperweltlichen", naturwissenschaftlichen Kategorien verhaftete Vorstellung und damit für verfehlt 151 . Eine Rechtsänderung müsse nicht notwendig einheitlich gegen jedermann eintreten. Diese Behauptung wird unterlegt mit Beispielen aus dem Zivilrecht, die eine lediglich relativ wirkende Gestaltung zulassen. So bestimmt§ 135 BGB, daß Verfügungen, die gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot verstoßen, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt, nur diesen Personen gegenüber unwirksam sind. Eine ähnliche relative Unwirksamkeit gilt auch bei § 883 Abs. 2 BGB und § 7 KO. Folgte man dieser Auffassung und ließe eine nur relative Wirkung von Freistellungserklärungen nach Art. 85 Abs. 3 EGV zu, wären etwa Schadensersatzansprüche Dritter im einen Land-möglich, im anderen aber, in dem die Freistellung erteilt wurde, nicht. Jedoch läßt sich dieser Ansicht entgegenhalten, daß sie das Phänomen der relativen Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit zur Regel erhebt, obwohl es sich gerade um Ausnahmen 152 handelt. Denn in den genannten Vorschriften werden
149 EuGH Rs. 31/80, Urteil vom 11.12.1980, Slg. 1980,3775 [3788 f /8, 3792 f /22 f] "L'Oreal"; allgemeine Meinung, zum Beispiel GTE-Schröter/Jakob-Siebert Art. 87, 2. Teil/3. 150 Vergleiche Randak JuS 1992,33 [37]; Grabitz-Pemice, Nach Art. 87, VO 17, Art. 9111; H. Schumacher Die Aussprache 13,42 [44]; Jung, Subsidiarität [238 f]. 151
Zum folgenden vor allem Seibert [103]; siehe aber auch schon Goldschmidt AcP
117,1 [22 ff]; Kipp [211 f]; Jesch [95 ff] mit weiteren Nachweisen.
152 Siehe dazu auch Bachof MDR 1950,375 [376], der eine nur relativ wirkende Gestaltung als "logische Ungeheuerlichkeit" bezeichnet.
132
C. Probleme des Vorschlags
spezielle Sondersituationen beschrieben, die einer ausdrücklichen Regelung nur bedurften, weil grundsätzlich und ungeschrieben eben das Gegenteil gilt: Eine Änderung der Rechtslage tritt gegenüber jedermann ein. Die Beispiele bestätigen also gerade die Regel und widerlegen sie nicht! Weiter wird aber gegen eine "inter-omnes"-Wirkung der Einwand erhoben, daß nicht einzusehen sei, welcher "inneren Rechtfertigung" es entspreche, daß der gestaltende Verwaltungsakt Rechtswirkungen auch gegenüber Dritten entfalte, während dies bei feststellenden Verwaltungsakten nicht geschehe 153 . Dabei wird aber übersehen, daß eine besondere Bindung an feststellende Verwaltungsakte gar nicht erforderlich ist, denn durch diese wird ja lediglich eine ohnehin kraft Gesetzes bestehende Situation festgestellt. Auch ist zu berücksichtigen, daß der rechtsgestaltende Verwaltungsakt trotz des mißverständlichen Ausdrucks von der konstitutiven Wirkung - nicht etwas völlig Neues schafft, sondern lediglich die Rechtslage wiederherstellt, wie sie auf Grund der Privatautonomie der Beteiligten eigentlich bestand, die durch das Verbot aber aufgehoben wurde. Ohne das Verbot wäre durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung in gleichem Umfang in die Rechte Dritter eingegriffen worden, wie nun mit der Befreiung von diesem Verbot. Die rechtsschöpferische Kraft der Freistellung hält sich also in engen Grenzen; sie schafft nicht etwas "eigenes". Sie wird auch nicht von der Verwaltung oder gar dem Verwaltungsakt "aus sich heraus" beansprucht, sondern beruht auf dem Gesetz, das den Gestaltungsakt als Voraussetzung der Rechtsfolge in seinen Tatbestand aufgenommen hat 154. Der Eingriff in die Rechtsstellung Dritter ist schon im Gesetz angelegt, das die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der ursprünglichen Rechtslage regelt. Dies gilt jedenfalls, solange kein Ermessen besteht und die Verwaltung bei ihrer Entscheidung gebunden ist 155. Damit wird der Wesentlichkeitstheorie 156 Rechnung getragen, nach der alle wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden müssen. Wenn es- wie hier- um die Aberkennung von Ansprüchen geht, sind stets Grundrechte berührt. Beim Vollzug durch die Verwaltung müssen die Behörden daher möglichst vollständig rechtlich gebunden sein, Ermessen ist dann unzulässig. Art. 85 Abs. 3 EGV räumt auch kein Ermessen ein, sondern nur einen Beurteilungsspielraum 157 . Läßt aber ein Beurteilungsspielraum den Eintritt einer Breitenwirkung zu? 153
Seibert [103].
154
Vergleiche Kelsen AöR 31 ,53+ 190 [217 f1; Nicklisch [ 129 ff].
155
Dazu Manssen [336 f]; Soell, Konkurrentenschutz [448]; Liebs [43 f].
156
Siehe dazu zum Beispiel Stern [811 ff] mit weiteren Nachweisen.
157
Gliederungspunkt C. II. 1.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
133
Dafür spricht, daß nur eine "möglichst" vollständige Bindung gefordert ist. Eine stärkere Bindung ist im Hinblick auf eine wirksame Wettbewerbskontrolle im Einzelfall wegen der Schwierigkeit einer exakten Einschätzung von wirtschaftlichen Sachverhalten kaum möglich. Möglicherweise spricht jedoch dagegen, daß der EuGH nicht wie im deutschen Recht zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum unterscheidet, sondern beides als zwei Aspekte eines Gesamtphänomens begreift. Da aber der EuGH selbst jedenfalls bei Art. 85 Abs. 3 von einer Breitenwirkung ausgeht 158 , kann im Ergebnis festgehalten werden, daß ein Beurteilungsspielraum der Aberkennung von Ansprüchen nicht entgegensteht und der Einwand einer mangelnden Rechtfertigung nicht greift. Man könnte deshalb hier durchaus eine "inter-omnes"-Wirkung annehmen. Beachtenswert erscheint jedoch der Einwand, eine "inter-omnes" wirkende Gestaltung dürfe nicht zu einem Eingriff in die Rechtsstellung unbeteiligter Dritter führen, ohne daß diese die Möglichkeit hatten, sich ausreichend zur Wehr zu setzen 159. Sofern allein deswegen generell eine "inter-omnes"Wirkung abgelehnt werden soll 160, erscheint dies verfrüht: Kann nicht sein, was nicht sein darf? Der Einwand weist aber zu Recht auf rechtsstaatliche Anforderungen an ein entsprechendes Verfahren: Art. 19 Abs. 4 und 20 GG sind dabei in Deutschland der Maßstab 161 . Sie fordern eine weitgehende Beteiligung Dritter am Kartellverfahren wegen der intensiven Auswirkungen der kartellbehördlichen Maßnahmen auch auf die lnteressen~häre der Konkurrenten 162. Eine Bindung des Dritten an die Gestaltung kann 1 3 nicht eintreten, wenn er am Verfahren nicht beteiligt wurde und kein Recht auf Beteiligung hat 164. Sonst würde er durch eine Bindung an die rechtswidrige Kartellerlaubnis einem Verfahrensbeteiligten gleichgestellt und unzulässig benachteiligt werden, weil ihm im Gegensatz
EuGH Rs. 37179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom I0.7.I980, Sig. I 980,248 I [2500 /13] "Estee Lauder". 158
159
Seibert [ 103].
Bei Seibert [I03] ist nicht ganz klar, ob er dies als eigenständige Begründung oder nur als Zwischenschritt dazu anführt. Siehe auch drei Fußnoten weiter unten. 160
161
Manssen [330].
162
Soell, Konkurrentenschutz [454]; vergleiche auch Scholz [I04 ff].
Gemeint ist wohl "darf'. Eventuell ist der gleiche Fehler auch Seibert [103] geschehen. 163
164
Soell, Konkurrentenschutz [448].
10 GiBessen
134
C. Probleme des Vorschlags
zu Letzterem rechtliches Gehör 165 nicht gewährt worden war 166. Wenn also im Verwaltungsverfahren subjektive Drittrechte beseitigt werden, so muß auch der betroffene Dritte 167 die Möglichkeit der Beteiligung am Kartellverwaltungsverfahren und am eventuell anschließenden Gerichtsverfahren haben 168. In Deutschland gilt für das Verwaltungsverfahren § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, der eine klare, rechtsstaatliehen Erfordernissen entsprechende Linie vorgibt: Jeder, dem durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt private Rechte aberkannt oder entgegen einer gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit vorenthalten werden können 169 oder wem Pflichten auferlegt werden, ist, soweit dies der Behörde bekannt ist, von dem Verfahren zu unterrichten (§ 13 Abs. 2 Satz 2 2. Hs. VwVfG) und auf seinen Antrag hin beizuladen (I. Hs). Im Verwaltungsprozeß führt die Möglichkeit einer Beeinträchtigung von privatrechtlichen Positionen (vor allem von Schadensersatz-, Beseitigungs- oder Un-
165 Siehe dazu EuGH Rs. 17174, Urteil vom 23.10.1974, Slg. 1974,1063 [1080 f 115] "Transocean Marine PaintJKommission"; ferner EuGH Rs. 85176, Urteil vom 13.2.1979, Slg. 1979,461 [511 /9] "Vitamin". 166
Soell, Konkurrentenschutz [448 f].
Dabei stellt sich die Frage, wer Dritter sein kann und wie dieser zu bestimmen ist. Bei direkten, marktstarken Konkurrenten ist eine solche Bestimmung unproblematisch zu treffen. Aber die Zwischenstaatlichkeitsklausel läßt bereits "möglicherweise" eintretende Beeinträchtigungen des Handels für ein Kartellverfahren ausreichen. Also müssen auch "möglicherweise" betroffene Dritte am Verfahren beteiligt werden. Nun läßt sich aber praktisch nicht mit letzter Gewißheit voraussagen, wie weit genau die Auswirkungen einer (möglicherweise) wettbewerbsbeschränkenden Abrede sein werden. Dies hängt von vielen, teils auch in der Zukunft liegenden Faktoren ab. Im Zeitpunkt der Abrede und des darüber geführten Verfahrens läßt sich dann aber noch gar nicht feststellen, wer alles davon betroffen sein kann. Möglicherweise wissen es die entsprechenden Marktteilnehmer selber noch nicht einmal. Allerdings ist bei Auftreten von wirklich neuen Betroffenen im Zweifelsfall eine Veränderung des relevanten Marktes anzunehmen, so daß eine allzu weitreichende Beteiligungsvorschrift nicht erforderlich ist. Vielmehr können deren Belange dann in einem neuen Verfahren hinreichend berücksichtigt werden. Es ist daher vollkommen ausreichend, nur gegenwärtig Betroffene im Verfahren zu berücksichtigen, und solche Marktteilnehmer, bei denen die zukünftige Betroffenheit gegenwärtig schon feststeht oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. 167
So zum§ 35 GWB: KG, B. vom 19.12.1979, WuW/E OLG 1980,2193 [2194]; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht [509]; K. Schmidt, Gerichtsschutz [50]; K. Schmidt BB 1981,758 [761]; vergleiche aber auch K. Schmidt AG 1987,333 [340 f]; GK-Hinz (4) § 62 /22; IM-K. Schmidt §51 /47. 169 Zu dieser notwendigen Ergänzung des Wortlauts des§ 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG um den Aspekt der Möglichkeit siehe Knack-Ciausen § 13 /4.1. 168
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
135
terlassungsansprüchen) durch einen Verwaltungsakt zu einer Anfechtungsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO bzw. zum Recht auf notwendige Beiladung nach§ 65 Abs. 2 VwGo 170. Umgekehrt läßt sich nun daraus entnehmen, daß man zumindest den Verwaltungsakten eine Breitenwirkung zugestehen muß, die auf Grund eines Verfahrens erlassen wurden, bei dem Dritte hinreichende Beteiligungsmöglichkeiten hatten (zum Beispiel auf Grund einer Beteiligungsmöglichkeit bei Eröffnung des Verfahrens). Denn in diesem Fall konnten sie ihre Rechte wahrnehmen, und es besteht dann kein Bedürfnis, auf sie noch weitere Rücksicht zu nehmen. Die bisherige Ausgestaltung des Freistellungsverfahrens nach Art. 85 Abs. 3 EGV in Verbindung mit den Vorschriften der VO 17 dürfte diesen rechtsstaatliehen Anforderungen entsprechen (vergleiche die Anhörungspflicht des Art. 19 Abs. 2 Satz 2 VO 17, sofern ein ausreichendes Interesse glaubhaft gemacht wird, und die Publizitätsvorschrift des Art. 19 Abs. 3, durch die betroffene Dritte vom laufenden Verfahren Kenntnis erlangen können und dadurch die Möglichkeit haben, sich in das Verfahren einzuschalten) 171 . Würden nun nationale Behörden in einem entsprechenden Verfahren Freistellungen erteilen 172, so wäre dennoch eine "inter-omnes"-Wirkung zu verneinen: Nach § 43 VwVfG beispielsweise werden nämlich alle (also auch rechtsgestaltende) Verwaltungsakte nur insofern wirksam, als sie den Betroffenen auch bekanntgegeben wurden. Durch diese Vorschrift wird also eine relativen Wirksamkeit angeordnet, die sich gerade nicht mit einer automatischen "interomnes"-Wirkung verträgt. Es handelt sich dabei also um eine den oben genannten zivilrechtliehen Vorschriften entsprechende verwaltungsrechtliche Sonderregelung. Sie entspricht zwar den oben genannten rechtsstaatliehen Anforderungen, schießt aber über das Ziel hinaus, wenn sie nicht zwischen festellenden und gestaltenden Verwaltungsakten unterscheidet. An dieser Stelle läßt sich also festhalten, daß eine "inter-omnes"-Wirkung grundsätzlich bei Beachtung der rechtsstaatliehen Anforderungen möglich ist. In Deutschland steht dem jedoch § 43 VwVfG entgegen, der nicht zwischen feststellenden und gestaltenden Verwaltungsakten differenziert 173 . Diesem Er-
°K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht [463]; Manssen [301 ff, 311 f].
17
Manssen [334]. Die Gewähr rechtlichen Gehörs ist auch über die Landesgrenzen hinweg möglich; vergleiche Gliederungspunkt C. III. 3. am Ende. 171
172
173 Wenn heute dennoch - trotz abgelehnter inter-omnes-Wirkung - eine Kartellerlaubnis Ansprüche Dritter negativ beeinflussen kann, so hängt dies nicht mit der Gestaltungs-, sondern der Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes zusammen. Der Richter ist zwar nicht an den Inhalt der Kartellerlaubnis gebunden, er muß jedoch ihr Vorhandensein anerkennen. Haben Kartellmitglieder im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit daJO•
136
C. Probleme des Vorschlags
gebnis entspricht auch die Rechtslage vor Inkrafttreten des VwVfG. Damals nahm man an, daß die Wirksamkeit von Verwaltungsakten, die zugleich begünstigen und belasten, einheitlich für alle schon mit Bekanntgabe an den Adressaten eintritt. Doch selbst wenn man eine Änderung des § 43 VwVfG in Betracht zöge, könnte man damit keine grenzüberschreitende "inter-omnes"-Wirkung erzielen: Eben wurde bereits ausgeführt, daß eine solche Breitenwirkung die umfassende Beteiligung Dritter (oder zumindest die Möglichkeit dazu) voraussetzt. Eine solche Beteiligung läßt sich aber nicht in nationalen Verfahrensordnungen regeln, da Personen anderer Staaten Rechte aberkannt würden. Hierzu hat der regelnde Staat keine Kompetenz. Sofern eine "inter-omnes"-Wirkung überhaupt eintritt, endet sie wegen des Territorialitätsprinzips jedenfalls an den Landesgrenzen.
c) Wege zur gemeinschaftsweiten Geltung von Freistellungsentscheidungen Verschiedene Konstruktionen sind denkbar, mit denen sich die Geltung einer dezentral erklärten Freistellung auch in anderen Mitgliedstaaten erzielen ließe. aa) Anerkennung im Einzelfall Als erstes käme ein Mittel in Betracht, das den Regelfall im internationalen Verwaltungsverfahren darstellt: Die Anerkennung von Verwaltungsentscheidungen anderer Staaten im Einzelfall. Damit ließen sich unbestritten die Wirkungen der Freistellungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates auch jeweils auf das eigene Staatsgebiet übertragen. Anders als derzeit bei einer Entscheidung nach Art. 85 Abs. 1 EGV 174 wäre bei einer Freistellung nur ein Staat zuständig. Die anderen Mitgliedsstaaten ha-
von Gebrauch gemacht und sich innerhalb der darin festgelegten Schranken gehalten, liegt im Regelfall weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vor. Damit besteht aber auch kein Schadensersatzanspruch. Selbst wenn man im Hinblick auf eine Anwendung des europäischen Kartellrechts eine derartige Bindung der Gericht auch an ausländische Verwaltungsakte annimmt, so ist dennoch für das vorliegende Problem keine Lösung gefunden. Zwar führt diese Tatbestandswirkung im Hinblick auf Schadensersatzansprüche Dritter zu einer in der Praxis ausreichenden Lösung, aber in der Theorie bleibt dies unbefriedigend, da die Vereinbarung in andere Mitgliedstaaten dennoch verboten bleibt. 174 Dazu
bereits Gliederungspunkt A. IV. 1. d) cc).
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
137
ben dann nicht die Möglichkeit, selbst ebenfalls eine Entscheidung zu treffen auch nicht, wenn diese vollkommen gleichlautend wäre. Zwar könnten die anderen betroffenen Staaten gegebenenfalls eine Freistellung auf Grund ihrer nationalen Kartellrechte erteilen. Diese Freistellung würde dann jedoch mit dem mangels "inter-omnes-Wirkung" in ihrem Land unverändert geltenden Verbot aus Art. 85 Abs. 1 EGV kollidieren. In diesem Fall greift aber der Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts ein, nach dem nationale Entscheidungen nur solange möglich sind, wie sie in ihren Rechtsfolgen nicht mit europäischen Entscheidungen kollidieren. Im Konfliktfall setzt sich nicht die strengere von beiden Entscheidungen 175 , sondern die auf europäischer Ebene getroffene durch 176. Eine nationale Freistellung würde also hinter das unverändert kraft Gesetzes geltende Verbot zurücktreten müssen. Damit stellt sich erneut die Frage nach einer Pflicht zur Anerkennung aus Art. 5 Abs. 1 EGV. Da die Staaten hier keine eigene Möglichkeit haben, der Vereinbarung auch auf ihrem Territorium Geltung zu verschaffen, wird man entsprechend den Ausführungen zu Art. 85 Abs. 1 EGV 177 eine derartige Verpflichtung wegen des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue annehmen müssen. Genaugenammen besteht die Verpflichtung zur Anerkennung aber nur, wenn der fremde Verwaltungsakt den gemeinsamen Zielen der Gemeinschaft auch wirklich dient. Mit dieser Voraussetzung läuft man aber Gefahr, daß der Anerkennung regelmäßig eine Überprüfung durch die jeweils eigenen Behörden vorausgeht. Dies wiederum führt aber dann zu erheblichen Verzögerungen. Zudem kann die eigene Prüfung mit einem negativen Ergebnis enden und die Anerkennung dann verweigert werden. Zwar ließe sich über eine Klage nach Art. 170 EGV bei zu Recht erklärter dezentraler Freistellung eine Verpflichtung des anderen Mitgliedstaates aussprechen, die Entscheidung förmlich anzuerkennen. Aber mit einem solchen Verfahren wäre ein neuer Verzögerungsfaktor ins Spiel gebracht; vor allem ginge für die Unternehmen wieder die oben gewonnene Rechtssicherheit verloren, da sie mit der Möglichkeit der Nichtanerkennung zumindest rechnen müßten.
So die früher vertretene Zweischrankentheorie: Begründet von Koch BB 1959,241; ausführlich dazu auch Niederleithinger ORDO 43,393 [393 ff]. 176 "Modifizierte Zweischrankentheorie": ständige Rechtsprechung seit EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, S1g. 1969,1 [13 ff /4-9] "Walt Wilhelm/BKartA" [Teerfarben I]; zum Beispiel EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2374 115-17] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain". 177 Siehe Gliederungspunkt A. IV. I. c) cc). 175
138
C. Probleme des Vorschlags
Ein solches Anerkennungsverfahren ist also zwar rechtlich möglich, erscheint aber kaum praktikabel, da es für den täglichen Verfahrensablauf zu viele Risiken für Komplikationen und Verzögerungen birgt. bb) Anerkennung generell durch bilaterale Verträge Eine andere Möglichkeit wäre, die Anerkennung gleichsam vorwegzunehmen und eine automatische Übernahme des Inhalts des Verwaltungsakts durch bilaterale 178 Verträge zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sicherzustellen 179 . Der Vorteil einer solchen Lösung wäre sicherlich, daß die Anerkennung im Einzelfall nicht verzögert oder gar verweigert werden kann. Allerdings wären - um eine flächendeckende Wirkung im gesamten Gemeinschaftsgebiet zu erzielen - unzählige praktisch gleichlautende Verträge erforderlich (bei 15 Staaten müssten 105 Verträge geschlossen werden!). Wenn aber auch nur ein Land oder gar ein Vertrag fehlt, kann dies das Gesamtziel wieder in Frage stellen, denn dort käme es dann auf eine Anerkennung im Einzelfall an - mit den oben genannten Problemen. Im Hinblick auf eine Erweiterung der Staatengemeinschaft 180 erschiene eine solche Lösung ebenfalls als wenig geglückt, denn mit jedem weiteren Staat müßte wieder eine Vielzahl einzelner Verträge abgeschlossen werden. (Nicht auszudenken ferner, was passiert, wenn man nicht nur im Kartellrecht, sondern auch in anderen Bereichen auf die Idee käme, ein einziges Problem durch eine solche Vielzahl von Verträgen lösen zu müssen!) Auch erscheint es nicht praktikabel, zunächst und übergangsweise entsprechende Verträge nur zwischen einigen wenigen Staaten zu schließen 181 , die zum Beispiel vergleichsweise häufig europäisches Kartellrecht anwenden (also etwa Frankreich, Spanien, Deutschland 182). Denn sobald ein Fall ein Land betrifft, das nicht in das Vertragsnetz eingebunden ist, müßte der Vertrag schnellstmöglich nachgeholt werden oder es müßte wiederum eine Anerkennung im Einzelfall erfolgen.
178 Zu der Möglichkeit eines multilateralen Vertrages siehe sogleich unter Gliederungspunkt C. II. 3. c) dd). 179 Bunte, 180 Dazu
Verstärkte Anwendung [322].
Gliederungspunkt A. III. 3.
181
So aber Held in einer privaten Äußerung während des Symposions "Kartellrecht in der Reform" des Frankfurter Instituts (Stiftung Marktwirtschaft und Politik) am 26.1.1996 im Verlagsgebäude der FAZ. 182 Gliederungspunkt
A. IV. I. b)
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139
cc) Änderung der VO 17 Nach dem Vorschlag des BKartA sollen die Mitgliedstaaten durch eine Änderung der VO 17 befugt werden, Freistellungen zu erteilen 183 . Würde eine Änderung der VO 17 bei der Frage der europaweiten Geltung der Freistellungsentscheidungen helfen? Wenn ein Staat die Befugnis erhalten soll, mit Wirksamkeit nicht nur für eigenes Hoheitsgebiet, sondern auch für fremdes Territorium zu entscheiden, so setzt dies eine Öffnung des anderen Staates für solche fremden Hoheitsakte voraus. Damit die Gemeinschaft die europaweit geltende Wirkung von nationalen Verwaltungsakten anordnen kann, müßten die Mitgliedstaaten also ihren Hoheitsbereich entsprechend geöffnet und die Gemeinschaft damit zu einer entsprechenden Regelung ermächtigt haben. Nur dann kann eine Änderung des sekundären Gemeinschaftsrechts (also der VO 17) auch entsprechende Wirkungen haben. Es geht also um eine Ermächtigungsgrundlage für die Gemeinschaftsorgane der Union im primären Gemeinschaftsrecht, die europaweite Geltung von dezentral erklärten Freistellungen festzulegen. Dem EGV lassen sich nun aber keine Anhaltspunkte für eine derartige Ermächtigung entnehmen. Insbesondere hilft Art. 5 EGV nicht weiter. Denn wenn sich allenfalls eine Pflicht zur Anerkennung von national erklärten Freistellungen durch die anderen Mitgliedstaaten damit begründen läßt 184 , dann kann jedenfalls noch lange nicht auch die automatische Geltung derselben angeordnet werden. Zwar ermächtigt Art. 87 EGV den Rat zum Erlaß "aller zweckdienlichen" Verordnungen und Richtlinien. Dabei enthält Art. 87 Abs. 2 EGV einen nichtabschließenden Beispielkatalog, in dem einige Regelungsziele aufgeführt werden. Der Vergleich mit diesen Zielen zeigt jedoch, daß eine so tiefgreifende Regelung, wie die Öffnung des eigenen Hoheitsbereichs für fremdstaatliche Verwaltungsakte, nicht darunter fallen kann. So spricht auch Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV nur davon, die "Einzelheiten" der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV festzulegen - hier würde es sich jedoch um einen erheblichen Eingriff in die durch völkerrechtliche Grundsätze geschützten nationalen Kompetenzen handeln, so daß dies keinesfalls mehr lediglich als "Einzelheit der Anwendung" bezeichnet werden kann. Auch ginge es bei einer solchen Regelung nicht um das Verhältnis von innerstaatlichen Vorschriften einerseits und den Wettbewerbsregeln des EGV anderseits (vergleiche Art. 87 Abs. 2 lit. e EGV), sondern viel-
183
B. I. I.
184
Vergleiche dazu Gliederungspunkte A. IV. I. d) cc) und C. II. 3. c) aa).
140
C. Probleme des Vorschlags
mehr steht hier das Verhältnis von innerstaatlichen Vorschriften des einen Landes zu innerstaatlichen Vorschriften des anderen Landes in Frage. Die anderen Punkte des Beispielkatalogs betreffen ohnehin nur Detailfragen. Zwar handelt es sich bei den in Absatz 2 genannten Punkten nur um Beispiele. Aber insgesamt zeigt der Katalog, daß nur Fragen von weniger großer Bedeutung geregelt werden können und sollen, nicht aber völkerrechtlich relevante Sachverhalte. Hätten die vertragsschließenden Staaten tatsächlich einen solchen Eingriff, wie er hier zur Diskussion steht, zulassen wollen, hätten sie ihn wegen seiner besonderen Bedeutung für die Mitgliedstaaten ausdrücklich mit in den Katalog aufgenommen. Eine Richtlinie nach Art. 87 EGV kommt unter diesen Umständen ohnehin nicht in Betracht. Denn ohne eine entsprechende Ermächtigung im EGV kann den Staaten durch eine Richtlinie nicht aufgegeben werden, ihre Verfahrensordnungen dahingehend zu ändern, fremde Verwaltungsakte anzuerkennen. Art. 100 a EGV greift ebenfalls nicht. dd) Änderung des EGV Aus diesem Grund wäre also an eine Änderung des primären Gemeinschaftsrechts zu denken. Eine Ermächtigungsgrundlage zur Änderung der VO 17 oder sogar schon die direkte Anordnung der gemeinschaftsweiten Wirkung von Freistellungserklärungen im EGV wäre zweifelsohne die rechtlich einfachste und eindeutigste Lösung. Die Freistellung gälte schon vom Augenblick der Entscheidung an europaweit. Dem steht allerdings entgegen, daß es in politischer Hinsicht nicht den "Hauch einer Verwirklichungschance" 185 für eine solche Änderung gibt. Derzeit dürfte ein entsprechender Vorschlag also Wunschtraum bleiben. Aus den gleichen Gründen wird sich auch kein multilateraler Vertrag mit allen Mitgliedstaaten schließen lassen. ee) Die Kommission "leitet durch" Schließlich könnte man auch auf den Gedanken kommen, daß die Entscheidung der nationalen Behörde ungeprüft von der Kommission übernommen wird. Die Vorgehensweise wäre dabei, daß die nationale Behörde den Fall prüft
185
Möschel EWS 1995,249 [251].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
141
und "entscheidet". Das Ergebnis leitet sie der Kommission zu. Diese setzt im Prinzip nur noch ihren Stempel darunter bzw. schreibt die Entscheidung auf eigenem Briefpapier ab. Die Kommission stellt die Entscheidung dann den Beteiligten zu. Weil damit eine "Handlung" der Kommission vorläge, könnte man zu dem Ergebnis einer gemeinschaftsweiten Geltung kommen. Dieses Verfahren hätte den großen Vorteil, fast ohne Zeitverlust auszukommen: Sogleich nach der Entscheidung der nationalen Behörde träte die Wirksamkeit in allen Staaten ein. Dabei würde man aber übersehen, daß bloßes "Durchleiten" materiell überhaupt nicht zu einer "Entscheidung" der Kommission führt, obwohl es nach außen hin so scheint. Die Kommission "erließe" dann jeweils einen Verwaltungsakt, mit dem sie eigentlich gar nichts zu tun hat. Es fehlt damit - in deutschen Verwaltungsrechtsbegriffen gesprochen - am Merkmal der "Regelung", denn die Kommission träfe keine Entscheidung. ff) Zwischenergebnis Die voranstehenden Überlegungen· haben noch keine Lösung des Problems erbracht. Zwar erscheinen einige Wege als rechtlich durchaus gangbar (Anerkennung im Einzelfall oder durch Verträge, Änderung des EGV). Aber entweder bergen sie für die Praxis erhebliche Risiken oder sind politisch irreal (Änderung des EGV, multilateraler Vertrag). Die anderen vorgestellten Ansätze dagegen können aus rechtlichen Gründen von vornherein nicht zum Ziel führen.
d) Lösungsvorschlag: Gemeinschaftsweite Geltung durch Verzicht der Kommission auf Widerspruch Es ist daher weiter zu überlegen, ob es noch einen anderen Weg gibt, mit dem sich eine gemeinschaftsweite Geltung praktisch automatisch ergibt. Denn nur eine Automatik verhindert streitige Auseinandersetzungen im Einzelfall und sorgt zügig für Rechtssicherheit für die Unternehmen. Ausgehend von dem unter Gliederungspunkt C . II. 3. c) ee) vorgestellten, rechtsstaatlich unzulässigen Weg könnte man fragen, wie sich die Kommission die nationale Entscheidung "zu eigen" machen kann, ohne daß dies rechtlich bedenklich wäre.
C. Probleme des Vorschlags
142
Oben wurde schon festgestellt, daß die Kommission über ein Veto-Recht an der Entscheidung beteiligt werden sollte, um die Rechtseinheit zu wahren 186. Die nationale Behörde prüft und entscheidet also den Fall, und sofern die Kommission innerhalb einer bestimmten Frist ihr Veto nicht einlegt, wird die Entscheidung für das Landesterritorium 187 gültig. Eine solche Regelung kann auch in der VO 17 getroffen werden, da Art. 87 EGV als Ennächtigungsgrundlage dazu ausreicht: Das Problem einer fehlenden Ennächtigung für eine Erstrekkung der Wirksamkeit auf fremdes Territorium stellt sich hier nicht 188 . Vielmehr verhindert sekundäres Gemeinschaftsrecht lediglich die sofortige Wirksamkeit auf eigenem Territorium und macht sie insgesamt von einem Nichtwiderspruch durch die Kommission abhängig. Eine solche Regelung erscheint daher insbesondere im Hinblick auf Art. 87 Abs. 2 lit. b und e EGV unbedenklich, denn speziell in Art. 87 Abs. 2 lit. e EGV wird die Möglichkeit eingeräumt, das Verhältnis zwischen den innerstaatlichen Rechtsvorschriften einerseits und dem pimären und sekundären Gemeinschaftskartellrecht andererseits festzulegen. Kann aber auch die weitergehende Regelung, daß bei Nichtwiderspruch der Kommission die Entscheidung der nationalen Behörde im gesamten Gemeinschaftsgebiet gelten soll, in der VO 17 getroffen werden? Grundsätzlich ist dies zu verneinen. Denn für eine Anordnung von solcher Reichweite fehlt es an der Ennächtigungsgrundlage 189. Wenn aber nach dem oben vorgeschlagenen Widerspruchsverfahren die Kommission schon frühzeitig über das laufende Verwaltungsverfahren infonniert würde 190, wäre die Kommission von Anfang an mit dem Fall befaßt - auch wenn sie nur oberflächlich den Fortgang vor der nationalen Behörde verfolgt. Da sie den Fall also (zumindest in Grundzügen) kennt, stellt Nichtwiderspruch im Regelfall eine bewußte Entscheidung dar. Indem die Kommission also nicht widerspricht, koppelt sie an die Entscheidung der Behörde (Freistellung im eigenen Lande) eine eigene Regelung an und macht sich die nationale Entscheidung zu eigen: Die Freistellung soll auch in allen anderen Ländern gelten. Diese Rechtsfolge des Nichtwiderspruchs aber läßt sich in der VO 17 regeln, denn es handelt sich dabei lediglich um eine Verfahrensregelung für die Kommission. Genaugenammen liegt die für eine Entscheidung erforderliche Handlung der Kommission in der Veröffentlichung des nationalen Verwaltungsakts im EG-
186 Gliederungspunkt
C. II. 2. c).
187
Gliederungspunkt A. IV. 1. d) cc).
188
Vergleiche Gliederungspunkt C. II. 3. c) cc).
189 Gliederungspunkt C.
II. 3. c) cc).
190 Gliederungspunkt C.
II. 2. c).
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
143
Amtsblatt. Kraft Regelung in der VO 17 würde die Kommission den Inhalt der nationalen Freistellung durch Veröffentlichung konkludent übernehmen. Nach Ablauf der Frist würde den beteiligten Unternehmen eine Anspruch auf unverzügliche Veröffentlichung zustehen, da die Kommission nun nicht mehr widersprechen kann. Daß Entscheidungen (insbesondere Freistellungen) der Kommission aber in allen Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen können, ist unbestritten 191 . Solche Entscheidungen würden nach den bekannten Grundsätzen über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts 192 auch eventuell schon erklärten Untersagungsverfügungen anderer nationaler Behörden vorgehen. Um den Vorschlag noch einmal kurz zusammenzufassen: Die nationale Behörde prüft und entscheidet den Fall für ihr eigenes Territorium. In der VO 17 wird angeordnet, daß die Wirksamkeit der nationalen Entscheidung auf ihrem Territorium aber erst eintritt, wenn innerhalb einer bestimmten, kurzen Frist die Kommission nicht widerspricht. Widerspricht sie nicht, wird die Entscheidung im Amtsblatt veröffentlicht und zugleich im Land des Erlasses gültig. Die Kommission gibt dadurch zu erkennen, daß sie sich den nationalen Akt zu eigen macht und ihm Wirksamkeit auch in allen anderen Ländern verleiht. Damit wird dann die Entscheidung der nationalen Behörde gleichzeitig im Ursprungs land wie auch im übrigen Gemeinschaftsgebiet wirksam. e) Einzelprobleme aa) Rechtsstaatliche Bedenken wegen Übernahme nationaler Entscheidungen? Da die Kommission sich die Entscheidung der nationalen Behörde zu eigen macht, zwischen Entscheidung und Ablauf der Frist jedoch nur wenig Zeit ist, um die Entscheidung zu überprüfen, könnte man überlegen, ob rechtsstaatliche Bedenken bestehen. Zwar führt die Kommission das Verfahren nur zu einem ganz geringen Teil selbst. Sie wird jedoch laufend über den Fortgang des Verfahrens von der nationalen Behörde unterrichtet und kann auch Anregungen zur weiteren Behandlung geben, die die nationale Behörde unter dem Blickwinkel möglicher Beurteilungsfehler nicht einfach übergehen kann. Sobald der Kommission die endgültige Entscheidung der nationalen Behörde vorliegt, kann sie anband der be-
Vergleiche nur Jung, Subsidiarität [237 ff]. Grundlegend EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, Slg. 1969,1 [13 ff /4-9] "Walt Wilhelm/BKartA" [Teerfarben 1]. 191
192
144
C. Probleme des Vorschlags
reits zur Verfügung stehenden Unterlagen (und eventuell in der Zwischenzeit vorgenommenen eigenen Ermittlungen) das Ergebnis zumindest in den wesentlichen Punkten überprüfen. Die Frist soll einerseits sehr kurz bemessen sein, andererseits jedoch inhaltlich auch nicht mehr als eine Widerspruchsfrist sein. Die Kommission muß in diesem Zeitraum nicht eine neue Entscheidung treffen. Durch den Widerspruch leitet sie lediglich ein neues Verfahren bei sich ein (dies entspricht also dem bisherigen Eröffnungsbeschluß 193 ). Der Widerspruch stoppt die Legalisierungswirkung des Fristablaufs und verlängert den zivilrechtlichen Zustand der schwebenden Unwirksamkeit der Vereinbarung 194. Dann kann eine erneute Prüfung - ohne Frist - stattfinden. Sollte die Kommission dann feststellen, daß die Entscheidung richtig war, kann sie sie kurzerhand und dann endgültig "von Hand" in Kraft setzen, andernfalls trifft sie eine eigene Entscheidung. Im Regelfall wird die Frist eingehalten werden können. Praktisch jeder Fall wird damit von der Kommission auch zumindest oberflächlich geprüft. Rechtsstaatlich ist dies unbedenklich. Freilich sind dabei "Unfälle" denkbar, zum Beispiel daß die Kommission versäumt, rechtzeitig Widerspruch einzulegen. Dann würde tatsächlich eine rechtlich möglicherweise unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zivilrechtlich wirksam werden mit allen Auswirkungen auf den Markt und Dritte. Dogmatisch gesehen ist dies nicht wünschenswert, tatsächlich aber nicht sonderlich bedenklich: Betroffenen Dritten steht dann ja immer noch der Klageweg offen, auf dem sie ihre Rechte wahren können. Der widerspruchslose Fristablauf führt nur dazu, daß die Kommission ihr Recht verliert, auf die Entscheidung der nationalen Behörde Einfluß nehmen zu können. Allerdings würde dies dazu führen, daß die Kommission für einen Verwaltungsakt förmlich geradestehen müßte, mit dem sie inhaltlich nichts, auch keine Kurzprüfung gemein hat. In diesem Zusammenhang muß jedoch eines berücksichtigt werden. Zwar fordert das Rechtsstaatsgebot eine den Gesetzen entsprechende Entscheidung. Diese Forderung kollidiert aber mit einer weiteren, ebenfalls aus dem Rechtsstaatsgebot entspringenden: Die betroffenen Bürger (hier: die Unternehmen) haben auch Anspruch auf Entscheidung innerhalb eines absehbaren Zeitraums 195 . Wenn also eine gerechte Lösung nur in einem sehr zeitaufwendigen Verfahren sichergestellt werden kann, so widerspricht es nicht
193 Gliederungspunkt
A. IV. I. d) bb).
Vergleiche EuGH Rs. 48/72, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.2.1973, Slg. 1973,77 [87 /10] "De Haecht/Wilkin u. Janssen" [de Haecht II] ; ferner Manssen [313 f] zum Widerspruch bei Gruppenfreistellungsverordnungen. 194
195 Vergleiche Kamburoglou WuW 1993,273 [276] zur Entscheidung über Zusammensch1ußvorhaben.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
145
dem Rechtsstaatsgebot, wenn einer deutlich schnelleren Lösung der Vorzug gegeben wird, sofern sich die Einbußen in Bezug auf die Gerechtigkeit der Entscheidung in engen Grenzen halten. Nach dem hier vorgeschlagenen Verfahren ist der fragliche Fall schon einmal von einer Behörde eines Rechtsstaats 196 entschieden worden, zudem besteht die Möglichkeit einer gerichtlichen Korrektur. Daß also "unter dem Strich", wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, die Entscheidung noch rechtswidrig ist, ist nicht wahrscheinlicher, als wenn die Kommission selbst und wie bislang in jedem Verfahren entscheidet. Aus rechtsstaatlicher Sicht bestehen daher gegen dieses Verfahren keine wirklichen Bedenken.
bb) Zulässigkeil der Vorgabe von Verfahrensregelungen im Gemeinschaftsrecht Grundsätzlich ist für den dezentralen, das heißt indirekten Vollzug von Gemeinschaftsrecht vorgesehen, daß die materiellen Bestimmungen des gemeinsamen Rechts auf der Grundlage der nationalen Verfahrensordnungen (bezüglich Verwaltungsorganisation und Verwaltungsverfahren) vollzogen werden 197 . Die nationalen Behörden und Gerichte werden also formell auf Grund ihrer eigenen, nationalen Vorschriften tätig 198 . Hier müßte nun die VO 17 eine formelle Vorschrift erhalten, die die Wirksamkeit der nationalen Entscheidung bis zum Fristablauf hindert. Das ist ungewöhnlich, aber nicht grundsätzlich unzulässig 199. Soweit eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts aber durch Verweis auf die mitgliedstaatliehen Verwaltungsvorschriften allein nicht gewährleistet werden kann, läßt sich
196 Richtig ist die Forderung, daß das nationale Verfahren rechtsstaatliehen Mindestanforderungen entsprechen muß (vergleiche dazu auch Hossenfelder!Parlasca WuW 1995,474 [477] unter Hinweis auf Diskussion AK Kartellrecht). Ob dies in allen Mitgliedstaaten tatsächlich der Fall ist, kann hier nicht näher untersucht werden, wird aber unterstellt. 197 Allgemeine Meinung, vergleiche Nachweise bei Rengeling/Middeke/Gellermann /959 [Fußnote 70].
Weber, Verwaltungsverfahren [60]; EuGH Rs. 205-215/82, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 21.9.1983, Slg. 1983,2633 [2665 117] "Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland". 198
199 Vergleiche zum Beispiel die Nachweise zur Verwaltungsverfahrensregelung durch europäische Vorschriften für nationale Behörden im Bereich des Agrarrechts bei Schwarze, Verwaltungsrecht [44 f, 50].
C. Probleme des Vorschlags
146
eine Kompetenz zur punktuellen Regelung auch des Verfahrens- und Organisationsrechts sowie des allgemeinen materiellen Verwaltungsrechts aus den entsprechenden Vertragsvorschriften 200 und ergänzend aus den Generalermächtigungen der Art. 100 und 235 EGV begründen201 . Ebenso wie im Bereich des direkten Vollzugs gilt auch hier für den Erlaß von Verordnungen gemäß Art. 235 EGV, daß eine solche Maßnahme nur zulässig ist, wenn sie erforderlich ist, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen und eine ausdrückliche Kompetenz nicht vorgesehen ist202 . Die Vorgabe von Verfahrensbestimmungen im EG-Recht ist also möglich203 , sofern ein entsprechendes Erfordernis besteht. Das Erfordernis ergibt sich hier widerspruchslos aus den bislang angestellten Erwägungen. cc) Gewährleistung der Einzelfallprüfung: Die Einwände gegen Widerspruchs-Gruppenfreistellungsverordnungen greifen hier nicht Gegen die Widerspruchslösung in einigen Gruppenfreistellungsverordnungen sind eine Reihe von Bedenken vorgebracht worden, zu denen oben schon Stellung genommen worden ist204 . An dieser Stelle soll nun untersucht werden, ob sich bei der hier vorgeschlagene Widerspruchslösung die gleichen Probleme stellen, mit der Folge, daß mit den gleichen Einwänden zu rechnen wäre. Nur zwei Einwände erscheinen bei dem vorgeschlagenen Verfahren überhaupt relevant: Der eine Vorwurf ging dahin, daß eine Widerspruchslösung bei Gruppenfreistellungsverordnungen gegen Art. 85 Abs. 1 EGV verstoße, weil das grundsätzliche Kartellverbot auch ohne jegliche Untersuchung allein durch Fristablauf aufgehoben werden könnte205 . Hier allerdings ist die Vereinbarung ja schon durch eine nationale Behörde ausführlich überprüft worden, erst dann setzt Frist ein und hat nicht mehr die gleiche Bedeutung. Dieser Einwand kann hier also nicht greifen.
200 Für eine Kompetenz auf Grund der sog. "implied powers" hier Rengeling, Rechtsgrundsätze, [14 ff]; Rengeling, Fragen [485 f1. 201
Schwarze, Band I, [50].
202
Schwarze, Band I, [50].
Vergleiche EuGH Rs. 205-215/82, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 21.9.1983, Slg. 1983,2633 [2665 /17] "Deutsche Milchkontor/Bundesrepublik Deutschland"; weitere Nachweise bei Rengeling/Middeke/Gellermann /959 [Fußnote 71]. 203
204
Gliederungspunkt A. IV. 2. b) ff).
Für ein Verfahren mit einer solchen Freistellungsfikiton nach Fristablauf auch für Einzelfreistellungen aber Bechtold EuR 1992,41 [53]. 205
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
147
Der andere Punkt betrifft das Ermessen. Auf die Unzulässigkeil eines Ermessens bei der Aberkennung von Ansprüchen ist wegen der Grundrechtsrelevanz solcher Maßnahmen oben schon hingewiesen worden 206 . Die Kommission muß daher zum Eingreifen verpflichtet sein, wenn nach ihrer Auffassung die Entscheidung einer nationalen Behörde rechtswidrig ist. Eine Regelung wie bei Art. 4 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 VO 2349/84, nach der die Kommission Widerspruch gegen die Freistellung erheben oder zurücknehmen "kann", darf nicht getroffen werden. Unter dieser Bedingung ist das Widerspruchsverfahren unproblematisch.
4. Andere Mitgliedstaaten brauchen an der Entscheidung nicht beteiligt zu werden Bei formellen Entscheidungen der Kommission sind die Mitgliedstaaten nach Art. 10 Abs. 3 und 4 VO 17 am Verfahren beteiligt: Jeder Mitgliedstaat entsendet einen Beamten in den Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen, der vor jeder Entscheidung von der Kommission anzuhören ist, obgleich dessen Stellungnahme nicht bindend ist. Es stellt sich daher die Frage, ob auch bei einer dezentralen Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV andere Mitgliedstaaten am Verfahren zu beteiligen sind. Dabei ließe sich zum einen unterscheiden zwischen Staaten, deren Gebiet durch die wettbewerbsbeschränkende Absprache der Unternehmen betroffen ist, und denen, die davon nicht berührt werden. Zum anderen müßte man überlegen, ob eine solche Beteiligung lediglich der Information dienen, dadurch dem anderen Staat eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben oder die Entscheidung gar einvernehmlich getroffen werden soll. Das derzeitige Verfahren hat sich als außerordentlich schwerfällig erwiesen und wird wegen der erheblich gestiegenen Zahl der Mitgliedstaaten als inzwischen überholt angesehen207 . Insbesondere die Übersetzung der teils umfangreichen Dokumente in die verschiedenen Sprachen der Mitgliedstaaten208 kostet erhebliche Zeit. Wenn aber nun Mitgliedstaaten durch einen Fall überhaupt nicht berührt werden, so ist auch nicht zu sehen, daß ihre Rechte oder Rechte ihrer Bürger durch die Entscheidung eines anderen Staates oder der Kommission verletzt werden könnten. Es besteht also kein Bedarf, von vornherein alle
206
Gliederungspunkt C. II. 3. b) bb).
207
Gliederungspunkte A. II. I. und B. I. 4.
208
Gliederungspunkt C. II. 2. b).
148
C. Probleme des Vorschlags
Staaten zu beteiligen. (Daß dies im Hinblick auf die Akzeptanz des europäischen Rechts sinnvoll sein kann, ist freilich eine andere Frage. Rechtlich erforderlich ist eine solche Beteiligung jedenfalls nicht.) Damit wäre für die Verfahrensbeschleunigung schon ein gutes Stück gewonnen. Wenn aber ein Staat allein über etwas entscheidet, was auch den anderen betrifft, besteht die Gefahr, daß dessen Interessen und Rechte nicht gebührend berücksichtigt werden209 . Für die Beteiligung eines betroffenen Staates stehen grundsätzlich die schon oben genannten Möglichkeiten zur Verfügung. Zu einer bloß informatorischen Beteiligung läßt sich sagen, daß sie lediglich kosmetischen Charakter hätte: Kenntnis von der Entscheidung würde der Staat spätestens mit der Veröffentlichung erhalten, ohnehin dürfte er in einigen Fällen wegen der Ermittlungen und damit zusammenhängenden Amtshilfeersuchen schon lange vorher von dem Verfahren haben. Daß er kurz vor der Entscheidung auch den geplanten Inhalt erfahren könnte, hat für ihn keinen praktischen Nutzen, wenn er nicht darauf Einfluß nehmen kann. Sinnvoller erscheint daher die Möglichkeit, (wenn auch unverbindliche) Stellungnahmen abgeben zu können, um die inhaltliche Prägung der Entscheidung in Maßen beeinflussen zu können. Eine Verpflichtung gar zur einvernehmlichen Entscheidung hätte sicher den Vorteil, die Akzeptanz für die Geltung fremder Verwaltungsakte auf eigenem Territorium zu erhöhen. Denn schließlich würde die Entscheidung inhaltlich voll mitgetragen und so - zwar nicht rechtlich aber doch inhaltlich - auch zu einer eigenen Entscheidung werden. Allerdings wäre dann die SchwerpunktZuständigkeit nicht mehr sehr bedeutsam: Zwar hätte ein Staat noch die Federführung bei der Behandlung des Falles, er wäre aber stets auf den anderen Staat angewiesen und könnte nichts wesentliches ohne ihn unternehmen. Jede Form der Stellungnahme der betroffenen anderen Staaten - gleich ob unverbindlich oder bindend für den zuständigen Staat - hätte aber erhebliche zeitliche Verzögerungen bei der Behandlung des Falles zur Folge: Eine Äußerung des einen Staates kann wieder Äußerungen anderer Staaten verursachen; auch muß begründet werden, warum oder warum nicht der Anregung gefolgt wird. So kann sich die Zeitdauer des Verfahrens erheblich verlängern. Müssen Länder, deren Territorium durch die Abrede berührt wird, überhaupt beteiligt werden? Hier erscheint ein Rückgriff auf die Absicht von Kartellvorschriften sinnvoll: Kartellrecht soll die Freiheit des Wettbewerbs schützen. Dabei ist Schutzgut zum einen der Wettbewerb als Institution, zum anderen aber
209
Vergleiche Mozet [118].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
149
die wirtschaftliche Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit des Einzelnen 210. Wegen letzterem ist auch Art. 85 Abs. 1 EGV als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt211 . Daß davon betroffene Marktteilnehmer am Verfahren beteiligt werden müssen, wurde oben schon festgestellt 212 . Da diese ihre Rechte aiieine wahrnehmen können, kann sich eine Verpflichtung, die Mitgliedstaaten am Verfahren zu beteiligen, also nur aus dem erstgenannten Schutzgut ergeben: dem freien Wettbewerb als Institution. Dabei handelt es sich jedoch um einen grenzüberschreitenden Wettbewerb, nämlich den Wettbewerb im gemeinsamen Markt. Es geht also um gemeinsame Interessen, nicht um Interessen des einzelnen Staates. Um solche gemeinsamen Interessen wahrzunehmen ist aber die europäische Gemeinschaft geschaffen worden (vergleiche Art. 3 lit. g EGV). Aus Gründen der Rechtseinheit und Gemeinsamkeit in der politischen Linie ist deshalb auch bereits eine Beteiligung der Kommission am Entscheidungsverfahren als erforderlich angesehen worden 213 . Damit ist aber eine Beteiligung auch der Mitgliedstaaten in das Verfahren nicht mehr notwendig. Schließlich werden ja nicht direkt Rechte des einzelnen Staates bei einem Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 oder einer Freistellung nach Absatz 3 berührt, sondern lediglich die von Marktteilnehmern und die der Europäischen Gemeinschaften. Auch hier gilt aber: Möglich ist eine Beteiligung der Staaten natürlich, in politischer Hinsicht vielleicht auch wünschenswert. Aber rechtlich wie praktisch (im Hinblick auf eine kurze Verfahrensdauer) erscheint sie als überflüssig. Dessen ungeachtet ist der jeweils auch von einem Fall betroffene Staat von dem begonnenen Verwaltungsverfahren zu informieren. Die erste Information müßte freilich zunächst nur mitteilen, daß die Behörde mit der Prüfung des bestimmten Falles zur Erteilung einer Freistellung begonnen habe. Daran führt kein Weg vorbei: Andernfalls riskierte man stets, daß ein anderer Staat eine Untersagungsverfügung vorbereitet, weil er von dem Freistellungsbegehren der Unternehmen nicht erfahren hat. Sollte es dennoch in einem anderen Mitgliedstaat zu einer Untersagung nach nationalem Recht kommen oder gekommen sein, so gelten die Grundsätze über die Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts214. Denn nach dem oben vorgeschlagenen Verfahren wird die national erklärte Freistellung von der Kommission übernommen und erhält dadurch ge-
Rittner, Kartellrecht [119]. Vergleiche Gliederungspunkt C. II. 3. b) aa). 212 Gliederungspunkt C. II. 3. b) bb). 213 Gliederungspunkt C. II. 1. 214 Vergleiche Nachweise unter Gliederungspunkt C. II. 3. c) aa).
210 211
II Gillessen
150
C. Probleme des Vorschlags
meinschaftsweite Wirkung215 . Damit geht eine dezentral erklärte Freistellung auch nationalen Untersagungen anderer Staaten vor. Gleichermaßen würde eine Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV einer national erklärten Untersagung nach Art. 85 Abs. I EGV vorgehen. Um aber dennoch solche Konflikte möglichst ganz zu vermeiden und das Interesse der Behörden an einer Anwendung der europäischen Vorschriften nicht zu mindern 216, empfiehlt sich zum einen eine entsprechende Information, zum anderen aber auch eine Regelung ähnlich dem jetzigen Art. 9 Abs. 3 VO 17, wonach die anderen Mitgliedstaaten die Kompetenz zur Anwendung des Art. 85 Abs. I EGV verlieren sobald der "Schwerpunktstaat" ein Verfahren nach Art. 85 Abs. 3 EGV begonnen hat. Zwar werden die Unternehmen, sobald sie von auf Untersagung gerichteten Überlegungen der Behörden anderer Staaten Kenntnis erhalten, schon im eigenen Interesse diese schnellstens über ihr Freistellungsbegehren informieren, so daß spätestens dann die Behörde von der Tätigkeit der anderen wüßte. Aber auch mit Blick auf eine spätere Zusammenarbeit bei Ermittlungen empfiehlt sich eine frühzeitige Information der anderen betroffenen Staaten. Diese könnten sich dann von Anfang an am Geschehen beteiligt fühlen. Das erleichtert die politische Durchsetzbarkeil des gesamten Vorhabens.
5. Gerichtliche Kontrolle Es wurde oben schon erörtert, daß als letztes Mittel der EuGH die Rechtseinheit bei der Anwendung der Freistellungsnorm durch nationale Behörden bewahren und Fehler in der Rechtsanwendung korrigieren soll 217 , wie dies seiner in Art. 164 EGV festgelegten Aufgabe entspricht. Art. 164 EGV begründet dabei keine allumfassende Zuständigkeit des EuGH für sämtliche Rechtsstreitigkeiten, die das Gemeinschaftsrecht betreffen oder berühren218 . Vielmehr teilen sich der EuGH (zusammen mit seinem beigeordneten Gericht I. Instanz) und die nationalen Gerichte diese Aufgabe. Das Verfahren vor den mitgliedstaatliehen Gerichten stellt sogar den Regelfall dar, denn diese sind immer dann befugt (und verpflichtet), die Unvereinbarkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts wegen Verstoßes gegen EG-Recht festzustellen, wenn die Zuständigkeit nicht vom Vertrag in einem enumerativen
215
Gliederungspunkt C. II. 3. d).
216
Vergleiche Gliederungspunkt A. IV. I.
zum Beispiel Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [12]; Wolf/Fink WuW 1994,289 [292]; Wolf, Zusammenwirken [2 f]. 217
218
GTE-Krück Art. 164/1.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
151
Kompetenzkatalog ausdrücklich dem EuGH zugewiesen ist219 . Ist dies allerdings der Fall, sind die innerstaatlichen Gerichte von jeder Rechtsprechungstätigkeit ausgeschlossen. Soweit die Gemeinschaft selbst Partei ist, ist dieser Grundsatz auch in Art. 183 EGV niedergelegt. Grundsätzlich kann also jedes nationale Gericht die Unvereinbarkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines nationalen Rechtsakts wegen Verstoßes gegen unmittelbar geltendes EG-Recht feststellen 220. Das Gericht hat allerdings die Regeln des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 177 EGV) zu berücksichtigen, das zu einer arbeitsteiligen Kooperation von EuGH und nationaler Gerichtsbarkeit führt221 . Über die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsrecht selbst dürfen die nationalen Gerichte allerdings nicht entscheiden. Nach dem im europäischen Recht verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung222 (Art. 3 b Abs. I und Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGV) ist dies alleinige Aufgabe des EuGH223. Umgekehrt obliegt diesem nicht der Rechtsschutz im innerstaatlichen Bereich224. Die Notwendigkeit einer Rechtsschutzverpflichtung der nationalen Gerichte ergibt sich im übrigen auch aus der unmittelbaren Wirkung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsnormen 225 ; ihre normative Grundlage findet sie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH in Art. 5 EGV226. Insgesamt hat das System für den Betroffenen den Vorteil, daß er es grundsätzlich mit einem ihm vertrauten Rechtsschutzsystem im eigenen Land zu tun hat227 . 219 Vergleiche BVerfGE 31,145 [169 f]. Zum Rechtsschutz vor deutschen Gerichten gegen nationale Durchführungsakte vergleiche Weber, Rechtsfragen [95 ff] ; Rengeling/Middeke/Gellermann /10. 220 BVerfGE 31,145 [169 f]; Oppermann /620. 221 Riegel NJW 1975,1049 [1049 ff]; Oppermann /619; ausführlich dazu auch Basse [insbesondere 195 ff] . 222 Eingehend hierzu lpsen [425 ff]; Kraußer [16 ff] ; vergleiche auch Rengeling, Rechtsgrundsätze [ 14]. 223 Oppermann/Hiermaier JuS 80,782 [783]; Schweitzer/Hummer [60 f] .
Rengeling, Rechtsgrundsätze [43 f]; zum Hintergrund der hoheitlichen Zuordnung Riegel BayVBI. 78,289 [289 ff] . 225 Vergleiche EuGH Rs. 26/62, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 5.2.63, Slg. 1963,1 [24 ff] "Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung". 224
226 EuGH Rs. 33176, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.12.1976, Slg. 76,1989 [1998 /5] "REWE/Landwirtschaftskammer für das Saarland"; EuGH Rs. 45176, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.12.1976, Slg. 76,2043 [2053 111-16] "Comet/Produktschap voor Siergewassen"; EuGH Rs. 811179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2545 [2554 f 112] "Amministrazione delle Finanze/Ariete"; Seherer/Zuleeg [231]. 227 II*
Klinke 112.
152
C. Probleme des Vorschlags
Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV228 sieht nun vor, daß der nationale Richte~29 Fragen bezüglich der Gültigkeit und Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, die sich ihm im Rahmen eines vor ihm schwebenden Verfahrens stellen, dem EuGH zur Beantwortung vorlegen kann. Da der EuGH nicht in die nationalen Rechtszüge eingeordnet ist, sind letztinstanzliehe Gerichte allerdings zur Vorlage verpflichtet. Dadurch ist sichergestellt, daß der EuGH mit dem fraglichen Aspekt wenigstens einmal im Laufe des Instanzenzugs befaßt wird230. Das Vorabentscheidungs- oder auch Vorlageverfahren entspricht damit ganz der Konzeption des EGV231 , daß der EuGH zur Interpretation des Gemeinschaftsrechts berufen, das nationales Gericht dagegen zu seiner Anwendung berufen ist. Zum einen soll durch dieses Verfahren der nationale Richter bei seiner mitunter schwierigen Aufgabe bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts entlastet und damit auch die Scheu vor der Anwendung der teilweise noch ungewohnten Vorschriften verringert werden, vor allem aber soll damit eben auch der drohenden Rechtszersplitterung vorgebeugt werden, indem eine einheitliche und gleichmäßige Auslegung durch eine zentrale Stelle ermöglicht wird232. Damit ist Art. 177 EGV von entscheidender Bedeutung dafür, daß das vom Vertrag geschaffene Recht wirklich gemeinsames Recht bleibt; denn jede Lükke im System würde die Wirksamkeit der Vertragsvorschriften und des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts in Frage stellen233 .
228
Weitgehend übereinstimmend auch Art. 150 EURATOM und Art. 41 EGKSV.
In Art. 107 EWRA ist vorgesehen, daß auch die EFrA-Staaten ihre Gerichte ermächtigen können, Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des EWR-Vertrages einzuholen. 229
230 Vergleiche zum Vorlageverfahren zusammenfassend Dauses, Vorabentscheidungsverfahren [33 ff, 87 ff]; rechtstatsächlich Schwarze, Vorabentscheidungen [12 ff, 21 ff, 26 ff]. 231
Nachweise bei Rengeling/Middeke/Gellermann /368 [Fußnote 79].
EuGH Rs. 166173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.1.1974, Slg. 1974,33 [38/2] "Rheinmüh1en"; EuGH Rs. 107176, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 24.5.1977, Slg. 1977,957 [972/5] "Hoffmann-La Roche/Centrafarm"; Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [34]; vergleiche auch BVerfG BayVBI. 1991,239 [241]; GTEKrück, Art. 177 /5; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren [25 ff]; Fastenrath JA 1986,283 [283]; Schweitzer!Hummer [122]; Grabitz-Wohlfahrt Art. 171 /1; Gündisch [90]; zahlreiche weitere Nachweise auch bei Basse [201 Fußnote 29]. 232
233 EuGH Rs. 166173, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.1.1974, Slg. 1974,33 [38/2] "Rheinmühlen"; EuGH Rs. 107176, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 24.5.1977, Slg. 1977,957 [972/5] "Hoffmann-La Roche/Centrafarm"; Oppermann /651.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
153
Bei dem Vorabentscheidungsverfahren handelt es sich nicht - wie Bezeichnung und Stellung im EGV vermuten lassen könnten - um ein streitiges Gerichtsverfahren (etwa im Sinne eines Rechtsbehelfsverfahrens, mit dem die Parteien des Rechtsstreits die Verletzung europäischer Vorschriften durch das nationale Gericht rügen könnten 234), sondern um ein objektives prozessuales Zwischenverfahren235 , das einen Teilausschnitt des vor dem nationalem Gericht anhängigen Gesamtverfahrens bildet236: Stellt das nationale Gericht fest, daß es im vorliegenden Verfahren auf die Gültigkeit bzw. Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift ankommt, so setzt es das Verfahren aus und legt dem EuGH die Frage zur - abstrakten - Klärung vor. Anschließend fährt es im Rechtsstreit fort und trifft die konkrete Entscheidung. Durch diese Tätigkeit wird die Verzahnung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht entscheidend gefördert237 . Die Befugnis, Auslegungsfragen autoritativ zu klären, gibt dem EuGH zugleich die Möglichkeit, das Gemeinschaftsrecht interpretativ fortzubilden. Auch deswegen hat sich das Vorabentscheidungsverfahren zum entscheidenden europäischen Integrationselement auf rechtlicher Ebene entwickelt238 . Viele grundlegende Prinzipien hat der EuGH in Vorlageverfahren entworfen239 , darunter auch das vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts240 und seiner unmittelbaren Anwendbarkeit241 . Auch die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Vorabentscheidungssachen sind Gegenstand rund der Hälfte aller Entscheidungen des EuGH: Bis Ende 1994 hat der EuGH insgesamt 3.915 Entscheidungen gefällt, davon allein 1.967 in Vorabentscheidungsverfahren242 . Diese erstaunlich hohe Zahl243 belegt die Effektivität des "Dialogs" von nationaler und euro-
234
Vergleiche Beutler [252].
235
Mortelmans CMLR 1979,557 [557 ff].
236 Beutler [252]; Krück in GTE Art. 177 /7; Fastenrath JA 1986,283 [283]; Lieber [20]; Grabitz-Wohlfahrt Art. 177 12; Schaub NJW 1994,81 [84]; Rengeling!Middeke/Gellermann /350. 237
Eingehend Dauses, Vorabentscheidungsverfahren.
238
Kutscher EuR 81,392 [397]; Lieber [11].
239
Grabitz-Wohlfahrt Art. 177 /7; Lenz NJW 1993,2664 [2665].
240 EuGH Rs. 6/64, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 15.7.1964, Slg. 1964,1251 [1269 ff] "Costa/ENEL". 241 EuGH Rs. 26/62, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 5.2.63, Slg. 1963,1 [24 ff] "Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung". 242
EuZW 1995,227.
Vergleiche Dauses-Dauses P-V.; Lenz NJW 1993,2664 [2664]; Lenz AnwBI. 1993,477 [477 ff] mit umfangreichen Daten. 243
154
C. Probleme des Vorschlags
päischer Gerichtsbarkeit244. Art. 177 EGV hat damit eine Bedeutung erlangt, die sich die Gründer der Gemeinschaft wohl kaum vorgestellt haben dürften 245 . Es ist daher nicht verwunderlich, wenn das Vorabentscheidungsverfahren als das in der Praxis des EuGH bedeutsamste Verfahren bezeichnet wird, den "Schlußstein des gesamten Rechtsschutzgebäudes der Gemeinschaften"246• a) Kontrolle durch nationale Rechtsprechung Bei einer Neuregelung im Sinne des oben genannten Vorschlags ist nun zu überlegen, ob auch die gerichtliche Kontrolle vor einem nationale Gericht stattfinden oder der EuGH (bzw. das ihm beigeordnete Gericht 1. Instanz) zuständig sein soll247 . Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch bei einer gerichtlichen Kontrolle in allen Ländern der Gemeinschaft die gleiche Rechtslage herrschen muß. Das heißt nicht nur, daß vergleichbare Fälle in den einzelnen Ländern auch ähnlich entschieden werden müssen, sondern auch daß eine Aufhebung einer Freistellung gemeinschaftsweit wirkt. Wenn nämlich die Entscheidung der nationalen Behörde im eigenen Land durch ein Gericht wieder aufgehoben werden, ihr bisheriger Inhalt aber wegen der Übernahme durch die Kommission in den übrigen Ländern fortgelten würde, wäre nichts gewonnen. Das spräche zunächst für eine Zuständigkeit des EuGH. In der Handlung der Kommission, durch die die nationale Entscheidung Wirksamkeit auch für die anderen Mitgliedstaaten erhält (Veröffentlichung des nationalen Verwaltungsakts im EG-Amtsblatt248), liegt eine Maßnahme, die gemäß Art. 173 EGV durch den EuGH überprüft werden kann. Hierbei ist nun aber zu unterscheiden, ob die Veröffentlichung vor oder nach Fristablauf erfolgt ist. Nach Ablauf der Frist war die Kommission nämlich zur Veröffentlichung verpflichtet, da ihr ein Vetorecht nicht mehr zustand 249 . Da der EuGH aber nur die Handlungen der Kommission auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vergleiche Art. 173 EGV), liefe die Kontrolle des EuGH allein darauf hinaus, festzustellen, ob die für den Widerspruch der Kommission
244
Beutler [252].
245
Vergleiche Dauses DRiZ 84,349 [350]; Ipsen DVBI. 1977,128 [131].
246 Lieber (14]; Rengeling/Middeke/Gellermann /352. 247
Die Frage wird nur angeschnitten bei Bos [1995] 7 ECLR 410 [413].
248
Gliederungspunkt C. li. 3. d).
249
Gliederungspunkt C. li. 2. c).
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
155
maßgebliche Frist verstrichen ist. Zu einer inhaltlichen Korrektur der Entscheidung durch den EuGH kann es in dieser Konstellation also nicht mehr kommen. Wenn aber die Kommission die Entscheidung der nationalen Behörde vor Fristablauf veröffentlicht, weil sie ihr zustimmt, dies aber nicht hätte tun dürfen, könnte der EuGH prinzipiell die Rechtmäßigkeit der Zustimmung überprüfen. Problematisch wäre dann aber, was im Falle einer Aufhebung der Kornmissionsentscheidung mit der Freistellung im zuständigen Mitgliedstaat geschieht. Hierbei handelt es sich ja um einen nationalen Verwaltungsakt, der nicht durch den EuGH justiziabel ist250 und also zunächst einmal fortgelten würde. Es dürfte wohl zu einfach sein, zu behaupten, die dezentral erklärte Entscheidung trete auf Grund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts251 hinter die Entscheidung des EuGH zurück. Hier konkurrieren nämlich nicht europäisches und nationales Recht, sondern die gleichen, europäischen Vorschriften, dielediglich durch verschiedene Organe mit verschiedenem Ergebnis angewandt worden sind. Die Grundsätze aus "Walt Wilhelm" und der nachfolgenden Rechtsprechung des EuGH252 werden sich nicht generell übertragen lassen. Freilich könnte man überlegen, der Entscheidung des EuGH, als "Richterrecht", Vorrang vor dem nationalen Verwaltungsakte einzuräumen. Aber bei einem solchermaßen automatischen Rücktritt der nationalen Entscheidung käme dies einer direkten gerichtlichen Kontrolle eines nationalen Rechtsakts durch den EuGH gleich, die es nicht gibt. Daher wird der Mitgliedstaat vielmehr "alle geeigneten Maßnahmen" im Sinne des Art. 5 Abs. I EGV treffen müssen, um den Entscheidungswiderspruch zu beseitigen. Wegen der zusätzlichen zeitlichen Verzögerung und der Ungeklärtheit, wie der Mitgliedstaat genau dies bewirken soll, wäre eine solche Lösung allerdings nicht zu empfehlen. Denkbar wäre freilich eine zweite Klage vor dem zuständigen nationalen Gericht. Damit wäre das Problem theoretisch zwar gelöst, in der Praxis hätte dies aber für die Unternehmen und Marktteilnehmer die unliebsame Folge, doppelte
250 Gliederungspunkt C. II. 5. a). 251 Dazu unter anderem Gliederungspunkt C. Il. 3. c) aa). 252 EuGH Rs. 14/68, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 13.2.1969, Slg. 1969,1 [13 ff /4-9] "Walt Wilhelm/BKartA" [Teerfarben I]; aus späterer Zeit zum Beispiel EuGH Rs. 253178 u. 1-3179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 10.7.1980, Slg. 1980,2327 [2374 115-17] "Procureur de Ia Republique/Giry u. Guerlain".
156
C. Probleme des Vorschlags
Verfahren betreiben zu müssen mit dem bekannten Risiko eines Entscheidungswiderspruchs, der am Ende253 dann erst durch den EuGH korrigiert werden könnte. Eine Kontrolle durch den EuGH hätte den weiteren Nachteil, daß damit alle streitigen Fälle sofort auf die Schreibtische der europäischen Richter gelangten. Man liefe also Gefahr, das Überlastungsproblem der Kommission - zumindest in Bezug auf problematische Fälle - einfach auf den EuGH zu verlagern. Der aber kann selbst nicht über mangelnde Arbeit klagen: EuGH und EuGel sehen sich nämlich unverändert einer Prozeßlawine gegenüber254. Unter dem Aspekt des Effizienzgewinns bringt eine solche Kontrollmöglichkeit also kaum Vorteile. Hinzu kommt, daß eine Überprüfung vor einem europäischen Gericht im Prinzip inkonsequent wäre: Warum sollte ein praktisch vollständig national geführtes Verfahren durch den EuGH überprüft werden? Dezentralisation kann eigentlich auch hier nur heißen: Kontrolle vor dem nationalen Gericht, in dessen Land auch die Entscheidung getroffen wurde. Dann ist aber wieder sicherzustellen, daß das Urteil des nationalen Gerichts auch gemeinschaftsweit Folgen für die Freistellung hat. Hier könnte man nun zunächst an eine Anerkennung des fremden Urteils gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVü255 denken. Das EuGVÜ ist jedoch gemäß seinem Art. 1 nur in Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuGVÜ kann es ausdrücklich nicht in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten herangezogen werden. Freistellungsentscheidungen sind aber Verwaltungsakte aus dem Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Das EuGVÜ ist daher bei Klagen über die Rechtmäßigkeit von Freistellungen nicht einschlägig. Auch § 328 ZPO hilft für Deutschland nur bedingt weiter. Zwar ließen sich so in zivilrechtliehen Schadensersatzprozessen Urteile von Verwaltungsgerichten anderer Länder berücksichtigen. Doch die verwaltungsrechtliche Wirksamkeit der fremden Freistellung wäre davon unberührt. Zudem ist in § 328 ZPO
253 Sofern der Entscheidungswiderspruch bis zur letzten Instanz des nationalen Gerichtszugs mitgeführt wird, ist das Gericht dann zur Vorlage der Frage an den EuGH verpflichtet. 254
Vergleiche EuZW 1995,227 [227).
Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, BGBI. 1972 11,774; vergleiche ferner die Beitrittsübereinkommen vom 9.1 0.1978, ABI. Nr. L 304/1, vom 25.10.1982, ABI. Nr. L 38811 und vom 26.5.1989, ABI. Nr. L 285/1. 255
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
157
nur der umgekehrte Fall geregelt: Unter den dort aufgeführten Voraussetzungen darf ein fremdes Urteil auf keinen Fall anerkannt werden. Ob und gegebenenfalls welche Urteile aber anerkannt werden müssen, ist dort nicht geregelt. Eine Anerkennung des fremden Urteils wäre entbehrlich, wenn sich die Lösung bereits aus dem oben vertretenen Vorschlag ergibt, mit dem auch die Wirksamkeit der national erklärten Freistellung für das Gemeinschaftsgebiet erzielt werden kann: Das nationale Gericht kann nur nationale Verwaltungsakte aufheben. Es kann nicht Entscheidungen der Kommission überprüfen. Wenn aber die Entscheidung der Kommission sich so an die national erklärte Freistellung ankoppelt, daß ihr Bestand von dieser abhängig ist256 , hat eine Aufhebung der Freistellung durch das zuständige nationale Gericht zur Folge, daß der Entscheidung der Kommission die Grundlage entzogen wird. Ihre Regelung greift dann ins Leere und hat keinerlei Auswirkungen mehr: Sie ist eine bloße Hülle ohne materiellen Gehalt. Problematisch könnte dabei sein, daß sich die Kompetenzen des nationalen Gerichts mit denen des EuGH zwar nicht rechtlich, aber doch praktisch überschneiden: Scheinbar ist der EuGH nämlich befugt, im Zusammenhang mit der angeordneten gemeinschaftsweiten Geltung der national erklärten Freistellung diese gleichfalls inhaltlich zu kontrollieren (siehe oben). Damit könnte er inhaltlich das gleiche überprüfen wie das nationale Gericht. Die Lösung dieses Problems ist aber einfach: Eine Klage vor dem EuGH kann zwar alle Wirkungen der Freistellung in den übrigen Mitgliedstaaten beseitigen, die Freistellung selbst bleibt aber davon unberührt, wirkt also im Ursprungsland fort. Klagt der Antragsteller dagegen vor dem zuständigen Gericht des Landes, in dem auch die Freistellung erteilt wurde, kann er zugleich Freistellung und deren Wirkung in den anderen Mitgliedstaaten beseitigen. Da der EuGH praktisch also nur ein "Minus" zu den Leistungen des nationalen Gerichts bieten, umfassender Rechtsschutz aber nur in dem entsprechenden Mitgliedstaates erlangt werden kann, besteht für eine Klage vor einem Gericht, daß dem Antragsteller nur teilweise helfen kann, keine Notwendigkeit. Es fehlt also am Rechtsschutzbedürfnis. Damit ist aber eine Klage vor dem EuGH bezüglich der inhaltlichen Anforderungen an eine Freistellungserklärung insgesamt nicht statthaft. Dem EuGH obliegt also lediglich die Kontrolle, ob die Voraussetzungen für eine Pflicht der Kommission zur Veröffentlichung (wegen Fristablauf) gegeben waren 257 .
256 Etwa durch die Formulierung: "Die Entscheidung der nationalen Behörde gilt gleichermaßen auch in den übrigen Mitgliedstaaten." 257 Natürlich kann man den "Zuständigkeitskonflikt" auch durch eine ausdrückliche Vergabe der Zuständigkeit an das entsprechende nationale Gericht regeln.
158
C. Probleme des Vorschlags
Der nationale Richter ist also - ganz im Sinne des Dezentralisierungsgedankens - zur Kontrolle der durch die nationale Behörde erklärten Freistellung berufen. Das nationale Gericht erteilt dabei selbst keine Freistellung, sondern entscheidet ausschließlich über die Rechtmäßig- und damit Gültigkeit der von einer nationalen Behörde erteilten Freistellung. Der weite Beurteilungsspielraum, den der EuGH der Kommission bei Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV zugestanden hat258 , muß dann freilich auch hier gelten. Zu überlegen ist ferner, ob sich hinsichtlich der Klagebefugnis Besonderheiten ergeben. Natürlich können die Vertragsparteien und auch möglicherweise beeinträchtigte Marktteilnehmer klagen (vergleiche §§ 62 Abs. 2, 51 Abs. 2 und 3 GWB). Sollen aber auch die Kommission oder andere Mitgliedstaaten klagebefugt sein? Bislang waren Mitgliedstaat, Rat (und Kommission) nach Art. 173 EGV zur Klage berechtigt, weil ihr Interesse an der Wahrung des Rechts beim Erlaß von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane unwiderleglich vermutet wird259 . Hier handelt es sich nun jedoch nicht mehr um Rechtsakte der Gemeinschaft. Zudem konnte die Kommission, was politische Einwände betrifft, bereits im Verwaltungsverfahren auf die Entscheidung Einfluß nehmen. In Bezug auf rechtliche Vorbehalte ist aber kein Bedürfnis zu erkennen, warum etwa der Kommission ein Klagerecht vor nationalen Gerichten eingeräumt werden soll. Dadurch würde ihr eine Stellung verschafft werden, die ihr in anderen, nicht das Kartellrecht betreffenden Fällen auch nicht zusteht. Es wäre auch einigermaßen merkwürdig, wenn die Kommission sich bei einer Beteiligung am nationalen Gerichtsverfahren zunächst der Entscheidung unterwerfen müßte, dagegen aber mit einer Aufsichtsklage nach Art. 169 EGV vorgehen könnte. Eine Klagebefugnis vor nationalen Gerichten ist daher nicht notwendig; das Instrumentarium, mit dem die Gemeinschaft gegen den Mitgliedstaat bei rechtsfehlerhaften Entscheidungen vorgehen kann, ist vollkommen ausreichend. Dementsprechend ist auch eine Klagebefugnis für andere Mitgliedstaaten nicht erforderlich. Diese haben die Möglichkeit einer Klage wegen Vertragsverletzung. Ohnehin steht den Staaten wie der Kommission Zurückhaltung in Bezug auf Klagen nicht schlecht an: Vorrangig geht es um Rechte der Parteien und Marktteilnehme~60. Diese können selbst gut entscheiden, ob ihnen Gerechtigkeit widerfahren ist oder Rechtsmittel erforderlich sind. Die Hilfe des Staates brauchen sie dazu nicht. Auch das gehört im weitesten Sinne zur Privatautonomie.
258
Gliederungspunkt C. II. I.
259
Geiger 173 /13.
260 Gliederungspunkt
C. II. 2. c).
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
159
Ferner wurde vorgeschlagen, der Kommission ein Klagerecht vor europäischen Gerichten gegen Entscheidungen der nationalen Kartellbehörden einzuräumen261. Ein Erfordernis dazu ist indes nicht einzusehen 262 : Die nationalen Gerichte können die Kontrolle - unter Berücksichtigung der Möglichkeit des Vorlageverfahrens - wirksam durchführen. So besteht zumindest eine gute Chance, daß der EuGH nicht mit allen Fällen behelligt wird, weil der größere Teil in den einzelnen Mitgliedstaaten erledigt werden kann. Auch wurde gefordert, Betroffenen bei Divergenz nationaler Entscheidungen mit europäischen Entscheidungen Klagerechte bei der oder Rechtsmittel zur europäischen Gerichtsbarkeit einzuräumen263 . Auch die Berechtigung dieser Forderung ist nicht zu erkennen: Rechtsmittel stehen im eigenen Lande zur Verfügung und jedenfalls sind letztinstanzliehe Gerichte zur Vorlage verpflichtet. Hinter beiden Forderungen scheint ein gewisses Mißtrauen gegenüber dem Vorlageverfahren zu stehen. Tatsächlich hat das Vorabentscheidungsverfahren einige Nachteile. Die Forderung nach einem besonderen - aber systemfremden - eigenen Rechtsmittel für das Kartellrecht wäre nur dann berechtigt, wenn die Nachteile ihres Fehlens besonders ins Gewicht fielen.
b) Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV In der Theorie gibt es keinen Anlaß zu zweifeln, daß über das Vorabentscheidungsverfahren eine einheitliche Rechtspraxis in den Mitgliedstaaten gewährleistet werden kann. In der Praxis aber - so wird verschiedentlich vorgetragen - funktioniert das Verfahren nicht immer so, wie es sollte. aa) Zaghafte Anwendung Trotz einer grundsätzlichen Akzeptanz des Vorabentscheidungsverfahrens (bei einer allerdings verschieden zahlreichen Anwendung in den einzelnen Mitgliedstaaten264) halten sich in vielen Ländern die nationalen Gerichte mit der
261
Gäbelein [285]; Wolf, Zusammenwirken [5].
262
Ohne jede Begründung ablehnend auch Lenz, Harmonisierung [30].
263
Gäbelein [285].
160
C. Probleme des Vorschlags
Vorlage von Rechtsfragen zurück 265 . Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen266. Einige Richter haben keine oder nur geringe Kenntnis vom Gemeinschaftsrecht; in den Gerichtsbibliotheken fehlt es oft schon an grundlegender Literatur. Im Fall "Bilger/Jehle" 267 beispielsweise war sich der Präsident des vorlegenden Karlsruher OLG-Zivilsenats nicht sicher, ob Art. 85 Abs. 1 EGV überhaupt anwendbar sei 268 . Und auch nach nunmehr rund 40-jähriger Geltung der europäischen Kartellvorschriften haben deren Nichtigkeitsfolge und Schadensersatzansprücheselbst für viele Vertragspartner, aber auch für manche Gerichte und Anwälte noch immer einen gewissen "Überraschungseffekt" 269 . Auch liegt es einfach an Unkenntnis über die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH270 wegen FehJens praxisnaher Orientierungshilfen trotz einer fast nicht mehr überschaubaren Menge an Erörterungen in den einzelnen Mitgliedstaaten271 . Die Richter meinen manchmal auch, Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte bedenken zu müssen; so machen sie eine Vorlage davon abhängig, ob die Frage eine über den Fall hinausgehende Bedeutung haben könnte und ein Beitrag zur Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts sei. Bei einigen Richtern mangelt es auch einfach am Vertrauen, durch den EuGH Hilfe im konkreten Fall erfahren zu können 272 . Bei deutschen Richtern kommt zusätzlich allgemeine Überlastung ins Spiel: Die Formulierung eines Vorlagebe-
Vergleiche dazu Lenz NJW 1993,2664 [2664]: Sehr wenige Fälle zum Beispiel aus Spanien und Portugal. 264
265 Der EuGH möchte die Zusammenarbeit zwischen nationalem und europäischem Gericht "noch fruchtbarer" machen und hat daher kürzlich entsprechende Hinweise veröffentlicht, durch die er sich eine regere Vorlagetätigkeit erhofft; Tätigkeitsbericht des EuGH und EuGel Nr. 34/96 vom 9.12.1996; der entsprechende Auszug ist auch abgedruckt in WuW 1997,223 [223 ff]. 266 Siehe zum Folgenden vor allem Voß EuR 1986,95 [104 f] und Everling, Vorabentscheidungsverfahren [76 f]. 267 EuGH Rs. 43/69, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 18.3.1970, Slg. 1970,127 [ 127 ff] "Bilger/Jehle". 268
Rittner JZ 1996,377 [379].
269
Rittner JZ 1996,377 [377].
Vergleiche nur Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6.3.1985 Az. M 5851 I 84. 270 271
Nachweise bei Everling, Vorabentscheidungsverfahren [9 Fußnote I].
272
Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [71]; vergleiche auch Voß EuR 1986,95 [111].
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
161
schlusses ist eine zusätzliche Arbeitsleistung; es muß die Frage herausgearbeitet werden, wofür teilweise hohe Abstraktion erforderlich ist. Auch kann eine eigene Stellungnahme sinnvoll sein. Und nach einer Antwort tauchen eventuell neue Rechtsprobleme auf. Es gibt sogar - wenn auch relativ selten - Fälle, in denen Gerichte gebotene Vorlagen 273 schlichtweg verweigern274, auch letztinstanzliche, ausdrücklich zur Vorlage verpflichtete Gerichte, wobei teilweise einfach behauptet wird, es fehle an jedem vernünftigen Zweifel (sog. "acte-clair-Doktrin") bezüglich einer anderen Auslegung von Vorschriften, die bekanntermaßen zu den kompliziertesten im Gemeinschaftsrecht gehören275 . In Deutschland ist in solchen Fällen das GG wegen Entzug des gesetzlichen Richters verletzt276 . Denkbar ist auch das- wenn auch wenig praktikable- Vertragsverletzungsverfahren. Abgesehen von einigen Willensbekundungen hat die Kommission jedoch noch nie in dieser Weise reagiert277 . Vorsichtshalber sei aber wiederholt, daß es sich bei den zuletzt genannten Fällen um Ausnahmen handelt. Was die zuerst genannten Gründe für eine nur zögerliche Anwendung betrifft, so dürfte eine mit der Zeit automatisch gesteigerte Kenntnis von Gemeinschaftsrecht und den Voraussetzungen für ein Vorabentscheidungsersuchen noch für Verbesserungen sorgen. Es liegt auch an den Parteien, bei Gericht eine entsprechende Vorlage gegebenenfalls nachdrücklich anzuregen. bb) Verzögerung durch unpräzise Fragestellung Der Europäische Gerichtshof hatte in der Vergangenheit manchmal mit dem Problem zu kämpfen, nicht genau zu wissen, was der vorlegende Richter mit seiner Frage wohl gemeint habe. Obwohl es sich bei dem Ersuchen stets um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage handelt, läßt sich die Frage doch meist nur beantworten, wenn auch der Bezug zum konkreten Rechtsstreit zu durchschauen ist. Dabei müssen die Richter am EuGH zum Beispiel auch wissen,
273 Zur Vorlagepflicht siehe EuGH Rs. 283/81, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.10.1982, Slg. 1982,3415 (3428 ff /6 ff] "CILFIT". 274 Dazu näher Lieber; vergleiche auch Weber, Rechtsfragen [80 ff]. 275 Nachweise bei Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [70 Fußnote 42], der auch vermutet, daß diese Gerichte bestimmte Fragen einfach nicht durch den EuGH geklärt wissen wollen; vergleiche auch Beutler [253]. 276 Voß, Verhältnis [32]. Nach Auffassung des BVerfG, Beschluß vom 13.2.1978 BvR 1347/76 allerdings nur bei Willkürlichkeit. 277 Nachweise bei Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [71 Fußnote 43].
162
C. Probleme des Vorschlags
wie die anderen im Fall relevanten, nationalen Rechtsvorschriften ausgelegt werden. Bei unpräziser Fragestellung mußte der EuGH bislang manches mal eine Antwort formulieren, bei der er sich nicht sicher war, ob sie dem Anliegen des nationalen Richters gerecht wird. Es fehlt insgesamt meist an genügender Rücksprache während des Verfahrens. Nur in Bezug auf eine etwa erforderliche Ergänzung der Akten und ähnliche Formalitäten besteht hinreichender Kontakt, ansonsten herrscht "große Zurückhaltung" 278 . Es ist vorgeschlagen worden, die nationalen Verfahrensrechte, die - etwa in den romanischen Ländern - eine "informelle" Kontaktaufnahme mit dem EuGH zur Präzisierung verhindern, entsprechend zu ändem 279 . Dagegen wurde allerdings vorgetragen, daß dann ein zeitraubender, das Verfahren in die Länge ziehender Dialog entstehen könne, zudem müssten eventuell die betroffenen Parteien aus Gründen des rechtlichen Gehörs an den Rückfragen beteiligt werden, was für zusätzliche Verzögerungen sorge280. Zwar kann man unabhängig davon hoffen, daß bei einer weiter vermehrten Inanspruchnahme der Vorlagemöglichkeit die nationalen Gerichte noch besser erfahren, welche Informationen der EuGH zur umfassenden Beantwortung der Frage benötigt. Aber zum "täglichen Geschäft" wird eine solche Vorlage für den einzelnen Richter nie werden, so daß sich Mißverständnisse nicht werden vermeiden lassen. Das Vorlageverfahren erbringt also im Regelfall die gewünschte Klärung, in einigen Fällen wird die gestellte Rechtsfrage aber nur unzureichend geklärt werden können281 .
278
Dazu insgesamt Everling, Vorabentscheidungsverfahren [75].
279 Everling, 280
Vorabentscheidungsverfahren [75 f].
Voß EuR 1986,95 [98].
281 Voß, Verhältnis [25 f] weist aber auch auf die teilweise großzügige Hilfestellung des EuGH hin, indem dieser ungenaue Fragestellungen nachträglich umzuformulieren oder zu präzisieren versucht; vergleiche etwa EuGH Rs. 16-20179, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 6.11.1979, Slg. 1979,3327 [3338 /6] "Preisstop für Agrarerzeugnisse" und EuGH Rs. 83178, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 29.11.1978, Slg. 1978,2347 [2368 /26] "Pigs/Redmond". Es ist allerdings unklar, wie lange der EuGH angesichts zunehmender Belastung dieses Entgegenkommen wird bieten können.
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
163
cc) Lange Verfahrensdauer Ein anderes, hier besonders bedeutsames Problem ist die Verfahrensdauer. Ein Blick auf die einzelnen Stationen zeigt, daß eine Entscheidung innerhalb kurzer Zeit nicht möglich ist. Die Gesamtlänge setzt sich nämlich zusammen aus: - Dauer der Übersetzung des Vorlagebeschlusses - in der Satzung festgelegte Frist für die Abgabe der schriftlichen Erklärungen282 - Vorbereitung der Sache durch den Berichterstatter - der Erörterung in der Verwaltungssitzung - Dauer einer etwaigen Beweisaufnahme - Ansetzung der mündlichen Verhandlung - Vorbereitung der Schlußanträge durch den Generalstaatsanwalt und schließlich - für die Beratung benötigte Zeit283 . Während früher ein Vorlagebeschluß durchschnittlich innerhalb von 9 Monaten erging, war 1987 ein Zeitraum von einem Jahr realistisch284 . 1991 dauerte das Verfahren vor dem EuGH schon 15 Monate285 und 1993/94 wurden in der Regel zwischen 18 und 20,4 Monaten benötigt286. Im Vergleich dazu dauerten Direktklagen vor dem für Wettbewerbssachen zuständigen Gericht 1. Instanz 1994 im Durchschnitt 23 Monate287 . Bemühungen des Gerichts, das Verfahren zu beschleunigen288 , etwa durch die Bildung von Kammern mit fünf
282 Diese Frist wird ohnehin für zu kurz gehalten. Vergleiche Änderungsvorschläge der britischen Regierung vom 9. Oktober 1978, BuiiEG Nr. 10/1978; dazu Mortelmans CMLR 1979,557 [586]. Auch wird gerügt, daß die Stellungnahmen gleichzeitig ergehen und auf die der anderen erst in der mündlichen Verhandlung reagiert werden kann; Everling, Vorabentscheidungsverfahren [74]. 283
Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [41].
284
Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [41]; vergleiche auch Voß EuR 1986,95 [1 10].
285
Beutler [253].
286
EuZW 1995,227 [227].
287
EuZW 1995,227 [227].
C. Probleme des Vorschlags
164
statt drei Richtern mit der Folge eines erhöhten Durchsatzes289 , waren offensichtlich erfolglos. Hinzukommt, daß ausgerechnet der oben dargelegte Erfolg des Vorabentscheidungsverfahrens wiederum die Effektivität des Verfahrens behindert. So sehr aus integrationspolitischer Sicht zu wünschen ist, daß noch mehr Richter von der Möglichkeit einer Vorlage Gebrauch machen, so sehr wird dies weiter ungünstigen Einfluß auf die Dauer des Verfahrens haben. Damit besteht aber auch wieder die Gefahr, daß die nationalen Richter von einem Ersuchen abgeschreckt werden 290 . Eine Erhöhung der Richterzahl ist aber - im Gegensatz zu der der Beamten bei der Kommission - nicht möglich, da der EuGH ein oberstes Gericht ist291 . Auch durch die Errichtung des Gerichts 1. Instanz konnten nur mittelbar Entlastungswirkungen erreicht werden. Denn das EuGel ist nicht für Vorabentscheidungsverfahren zuständig. Sonst würde in einem der Klärung von Rechtsfragen dienenden Verfahren ein Gericht entscheiden, das selbst einer Kontrolle unterliegt292. Vorlageersuchen verbleiben deshalb beim EuGH, der freilich durch die Abgabe anderer Fälle etwas entlastet wird. Nicht vergessen werden darf stets, daß die Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens ja zu der des nationalen Gerichtsverfahrens addiert werden muß. (Auch muß man sich vor Augen halten, daß ein Rechtsstreit mit der Entscheidung des EuGH noch längst nicht entschieden ist - oft wird dann nämlich noch über die Auslegung der Entscheidung gestritten. Eine erneute Vorlage wäre in solchen Fällen zwar nicht ausgeschlossen, aber kaum ein Gericht wird sich dazu entschließen können 293 .)
dd) Zwischenergebnis Das Vorabentscheidungsverfahren hat sich in der Vergangenheit im Prinzip bewährt. Es ist ein geeignetes und als solches auch akzeptiertes Verfahren, die
288
Pescatore BayVBI. 1987,33+68 [41].
289 Everling, 290
Vorabentscheidungsverfahren [73].
Beutler [253]; Everling, Vorabentscheidungsverfahren [73]; Lenz NJW
1993,2664 [2665].
Voß EuR 1986,95 [110]. Vorabentscheidungsverfahren [73 f]. 293 Voß, Verhältnis [22+27]. 291
292 Everling,
II. Gewährleistung der Rechtseinheit
165
Rechtseinheit bei dezentraler Anwendung von Gemeinschaftsrecht durch die nationalen Gerichte zu gewährleisten. Seine große Schwäche ist jedoch die lange Verfahrensdauer, die im Zweifel noch steigen wird. Zwar läßt sich durch das Vorlageverfahren die Rechtseinheit bei der gerichtlichen Kontrolle von dezentral erklärten Freistellungsentscheidungen wahren. Aber in den Fällen, in denen das notwendig wird, übersteigt die Gesamtverfahrensdauer (nationales Gerichtsverfahren und zwischengeschaltete Vorlage zum EuGH) die bisherige Dauer einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission. Allerdings: Diese Fälle werden nur einen Teil aller streitigen Verfahren ausmachen. Zwar handelt es sich bei Art. 85 Abs. 3 EGV (wie auch bei Absatz 1) um eine kornplizierte Vorschrift, die auf Grund der unbestimmten Rechtsbegriffe nicht leicht in den Griff zu bekommen ist. Aber genau aus diesem Grund gibt es dazu auch eine umfängliche Rechtsprechung des EuGH. Die Hoffnung ist also nicht unbegründet, daß eine ganze Reihe von Streitigkeiten vor einem nationalen Gericht ohne die Notwendigkeit einer Vorlage entschieden werden können. Die nicht unerhebliche Verlängerung der wirklich kornplizierten Fälle wird man in Kauf nehmen können zugunsten einer zügigeren Bearbeitung aller anderen. Hinzu kommt, daß die Fälle, in denen sich eine komplexe, schwierig zu beurteilende Konstellation abzeichnet, teilweise ohnehin von der Kornmission an sich gezogen werden dürften. Im Falle eines Rechtsstreits über deren Entscheidung bliebe es dann bei der Direktklage zum EuGel. Eine bloße Verlagerung des "backlogs" von der Kornmission auf den EuGH wird also nicht stattfinden. Was die anderen Nachteile betrifft294, so gelten sie allgernein für alle Arten von dezentraler Rechtsanwendung, nicht nur für Kartellverfahren. Wollte man deswegen nun eine Verlagerung der Freistellungskompetenzen auf die nationalen Behörden verweigern, so müßte man grundsätzlich eine dezentrale Rechtsanwendung in Frage stellen, denn eine Direktklage führt im Zweifel immer zu einer absoluten Klärung (schon weil - bis auf die Fälle, in denen zunächst das EuGel zuständig ist - kein Rechtsmittel gegen die europäische Entscheidung möglich ist), und es bei nationalen Gerichtsverfahren einen Instanzenzug gibt. Fordert nun das Kartellverfahren eine besondere Behandlung? Im Verwaltungsverfahren selbst ist der Kornmission eine hinreichende Einflußmöglichkeit gegeben worden, die eine gerneinsame Linie ermöglichen soii295 . Damit werden verschiedene Auslegungen durch die Mitgliedstaaten weitgehend ver-
294 295
Gliederungspunkte C. II. 5. c) aa) und bb). Gliederungspunkt C. II. 3. d).
12 Gillcssen
166
C. Probleme des Vorschlags
hindert: Entweder entscheidet der Mitgliedstaat (im wesentlichen) im Sinne der Kommission oder die Kommission zieht das Verfahren an sich und entscheidet· selbst. Kommt es dennoch zum Rechtsstreit über eine national getroffene Entscheidung, dann wird es sich also meistens um Fälle handeln, in denen die Kommission zumindest ähnlich geurteilt hätte. Es steht also zu vermuten, daß es zu den entsprechenden Klagen auch kommen würde, wenn die Kommission selbst entschieden hätte. An der Zahl der Klagen dürfte sich also "unter dem Strich" wenig ändern. In Bezug auf den Mangel einer möglicherweise unzureichenden Klärung der Rechtsfragen oder gar der Verweigerung der Möglichkeit einer Vorlage kann auf ein schon an anderer Stelle verwendetes Argument zurückgegriffen werden: Es geht dabei nur noch um einen Bruchteil aller Fälle, die von nationalen Behörden entschieden werden. Da für die große Menge der Entscheidungen aber Verfahrensverkürzungen zu erwarten sind, steht das Rechtsstaatsprinzip einer hin und wieder längeren oder nicht ganz einwandfreien Entscheidung nicht entgegen. Es bleibt dabei: Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein geeignetes Instrument, um auch im Kartellverfahren die Rechtseinheit zu wahren.
6. Ergebnis Trotz einer erkennbaren Bewegung auf das gleiche Ziel hin bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch erhebliche Unterschiede in der Auffassung, wie wirksamer Wettbewerb zu gewährleisten ist. Es ist also zu befürchten, daß die europäische Freistellungsnorm im Falle einer dezentralen Anwendung einige Zeit lang sehr verschieden angewendet werden wird. Verfahrensvorschriften müssen sicherstellen, daß die Rechtseinheit in den Mitgliedstaaten gewahrt wird. Da auch im Falle einer dezentralen Anwendung der europäischen Vorschriften die Verwaltungsentscheidungen der nationalen Behörden auf Grund des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips nur Geltung im eigenen Lande beanspruchen können, muß das Verfahren vor allem regeln, wie Mehrfachverfahren mit der Gefahr von Entscheidungswidersprüchen vermieden werden können. Das hier vorgeschlagene Verfahren wird diesen Anforderungen gerecht. Es sieht vor, daß die nationalen Behörden den in ihre Zuständigkeit fallenden Sachverhalt entscheiden. Die Entscheidung wird jedoch im eigenem Territorium nur wirksam, wenn die Kommission ihr nicht innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht. Innerhalb der gleichen Frist muß die - vorab stets über den Fortgang des Verfahrens unterrichtete- Kommission überprüfen, ob sie anders entscheiden möchte und gegebenenfalls ihr Veto einzulegen. Tut sie dies nicht, hat sie den Verwaltungsakt der nationalen Behörde im Amtsblatt der EU zu
III. Verfahrensprobleme
167
veröffentlichen. Damit macht sie sich die Entscheidung zu eigen und verleiht ihr Wirksamkeit auch für die anderen Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung damit praktisch gleichzeitig wie im Land der entscheidenden Behörde in Kraft tritt. Der Rechtsschutz wird vor den Gerichten des entsprechenden Landes gewährleistet. Gegebenenfalls kann über das Vorabentscheidungsverfahren eine Kontrolle durch den EuGH stattfinden. Die dadurch in Einzelfällen entstehende zeitliche Verzögerung kann in Kauf genommen werden, da insgesamt eine zügigere Bearbeitung als nach derzeitiger Rechtslage zu erwarten ist.
111. Verfahrensprobleme Die grundsätzlichen, materiellen Probleme dürften damit gelöst sein. Der Vollständigkeit halber soll hier aber noch auf eine Reihe von praktischen Hindernissen eingegangen werden, die sich in der täglichen Arbeit ergeben können. So wird etwa vermutet, daß zur Umsetzung des deutschen Vorschlags die nationalen Verfahrensordnungen weitreichend harmonisiert werden müßten296 . In der Tat haben die nationalen Behörden je nach Ausgestaltung der nationalen Verfahrensordnungen nicht die gleichen, weitreichenden Befugnisse zur Verfügung wie die Kommission. So darf die Kommission beispielsweise auch nach Informationsquellen suchen, die noch nicht bekannt oder nicht vollständig bezeichnet sind und ist nicht auf vorher genau bezeichnete Unterlagen festgelegt297. Vor allem aber kann sie Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Unternehmen auch ohne richterliche Anordnung durchführen 298 , da der EuGH eine Erstreckung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung auf Geschäftsräume ablehne 99 . Er verweist dabei auch auf Art. 8 Abs. 2 MRK; Art. 14 VO 17 stelle eine entsprechende gesetzliche Grundlage dar und diene der Abwehr von Wettbewerbsverfälschungen zum Schaden des öffentlichen Inter-
296 Bos [1995]7 ECLR 410 [413]. Er hält eine solche Harmonisierung aber nicht für durchsetzbar. 297 EuGH Rs. 46/87+227/88, Urteil vom 21.9.1989, Slg. 1989,2859 [2926 127] "Polyäthylen".
298
Generalanwalt Wamer bezeichnete dies in seinem Schlußantrag als "ungewöhnlich", EuGH Rs. 136/79, Urteil vom 26.6.1980, Slg. 1980,2033 [2068] "National Panasonic/Kommission". 299 EuGH Rs. 46/87+227/88, Urteil vom 21.9.1989, Slg. 1989,2859 [2924 /17] "Polyäthylen". 12*
168
C. Probleme des Vorschlags
esses300. Im deutschen Kartellrecht dagegen sind vergleichbare Durchsuchungen nur ausnahmsweise bei Gefahr im Verzug möglich(§ 46 Abs. 4 GWB) 301 . Den nationalen Behörden stehen also nicht die gleichen "Waffen" zur Verfügung wie der Kommission 302 . Es mag zwar zu bedauern sein, daß die Kommission mehr Rechte hat. Da aber alle nationalen Verfahrensordnungen ihren Behörden zumindest das wesentliche Instrumentarium an die Hand geben, um Wettbewerbsbeschränkungen zu bekämpfen, ist nicht zu erkennen, warum eine Harmonisierung erforderlich sein so11 30 . Der wesentliche Punkt betrifft aber die Konsequenzen, die sich aus der grenzüberschreitenden Wirkung von Fällen für das Verwaltungsverfahren ergeben. Zu denken ist hierbei insbesondere an Verfahrensschritte wie Ermittlungen, Anhörungen und die Frage der Verfahrenssprachen, ferner aber auch, wie dem Transparenzerfordernis Rechnung getragen werden kann. Die Kommission befürchtet hier erhebliche Hindernisse und meint, eine ausschließliche Freistellungskompetenz der Kommission sei effizienter304 . Die den Dezentralisierungsvorschlag vertretende Gegenseite hält diese "eher technischen" Probleme bei entsprechender Bereitschaft von Kommission und Mitgliedstaaten jedoch für lösb~ 05 .
1. Ermittlungen (Auskunft, Nachprüfung, Zwangsgelder) Eine nationale Behörde kann den Fall nur dann sinnvoll bearbeiten, wenn sie sich alle erforderlichen Informationen verschaffen kann. Dabei ist auch zu be-
300 EuGH Rs. 136/79, Urteil vom 26.6.1980, Slg. 1980,2033 [2057 119 f] "National Panasonic/Kommission". 301 Sedemund [60 f] weist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BVerfGE 32,54 [69 ff] zu§ 17 Abs. 2 Handwerksordnung hin, wonach Geschäftsräume zwar Wohnungen seien, jedoch - unter einschränkender Auslegung des Art. 13 Abs. 2 GG - geringeren Anforderungen bei Eingriffen in das Schutzgut unterlägen. Obwohl die Eingriffsbefugnisse der Kommission nach Art. 14 Abs. 3 VO 17 wohl weiter gehen, dürfte die Grundrechtsproblematik von Art. 14 VO 17 dadurch an Bedeutung verloren haben. 302 Pietrek RIW 1990,611 [612]; siehe dazu auch schon oben Gliederungspunkt A. IV. I. a). 303 Bos [ 1995] 7 ECLR 410 [413] gibt selbst keinerlei nähere Begründung für seine Auffassung. 304
Paulis, Diskussion AK Kartellrecht [16].
305
Wolf/Fink WuW 1994,289 [292].
III. Verfahrensprobleme
169
rücksichtigen, daß es wenig nutzt, wenn zwar das Recht besteht, Auskünfte von Unternehmen zu verlangen oder deren Akten einzusehen, dieses aber gegebenenfalls nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. Es muß also notfalls auch die Verhängung von Zwangsgeldern möglich sein306 . Sofern die zuständige Behörde Ermittlungen im eigenen Land durchführen muß, ist dies im Rahmen der nationalen Vorschriften und Verfahrensordnungen möglich (vergleiche § 47 GWB)307 . Schwierig werden Ermittlungen jedoch, wenn Unternehmen im Ausland betroffen sind308. a) Hoheitliches Handeln im Ausland ist unzulässig Verfahrenshandlungen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmen, aber auch Befragungen und Zeugenvernehmungen mit Androhung einer öffentlichrechtlichen Zwangsmaßnahme im Falle der Auskunftsverweigerung sind Fälle von Ausübung hoheitlicher Gewalt. Der Staat wird dabei im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Über-/Unterordnungsverhältnisses tätig309 . Dieses Verhältnis besteht jedoch nur zwischen dem entsprechenden Staat und seinen eigenen Bürgern bzw. auf eigenem Gebiet. Dieser völkerrechtliche310 Gebietsgrundsatz, auch Territorialitätsprinzip genannt311 , führt nun dazu, daß im Ausland hoheitliche Gewalt nur angewendet werden darf, wenn der fremde Staat diesen "Übergriff' auf sein Territorium gestattet hat. Andernfalls ist dies unzulässig312. Wenn also der nationalen Kartellbehörde durch den fremden Staat nicht ausnahmsweise ausdrücklich die Ermittlungen auf ihrem Territorium erlaubt wurden, kann diese keine entsprechenden Handlungen vornehmen 313 . 306 Für Geldbußen gilt dies nicht im gleichen Maße, denn sie hängen nur mittelbar mit dem Verwaltungsverfahren zusammen, da sie durch falsche Auskünfte zwar ausgelöst werden, die Bußgelder aber als Verwaltungsstrafe verhängt werden und nicht zur Auskunftserzwingung. Es muß also nicht der ermittelnde Staat das Bußgeld verhängen, sondern es ist ausreichend, wenn dies der jeweilige Staat macht, in dem die falsche Auskunft erteilt wurde. 307
Zu den Prüfungsrechten nach deutschem Recht ausführlich Wieckmann.
308
Vergleiche zu diesem Abschnitt stets auch Mozet.
309
Stockmann WuW 1975,243-254 [244].
310 Vergleiche
Rehbinder [336]; Strupp/Schlochauer-Herndl II [433].
Erstmals formuliert in der "Lotus"-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs von 1927, StiGHE 5,71 [90]. 311
312 GTE-Meng Vor Art. 85-89 144+ 112; Strupp/Schlochauer-Geck I [795]; SeidlHohenveldem /1504; Rehbinder [336 f].
313
IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/312; Meessen [15 ff]; vergleiche zur Vomahme von
170
C. Probleme des Vorschlags
Nun ist aber auch denkbar, daß die ermittelnde Behörde eines Staates ohne Androhung von Zwangsmaßnahmen freiwillige Auskünfte erbittet, also informell und augenscheinlich wie eine Privatperson auftritt. Dabei handelt es sich formal nicht um hoheitliche Tätigkeit314. Dennoch werden die Unternehmen dadurch unter Druck gesetzt, denn falls sie dem Ersuchen nicht "freiwillig" nachkommen, entsteht die Gefahr, in ihren Handelsbeziehungen mit dem ermittelnden Land in Zukunft beeinträchtigt zu werden 315 . Weil aber die so erlangten Informationen in einem hoheitlichen Verfahren verwendet werden sollen und im Zusammenhang mit dem zu erlassenden Verwaltungsakt gegen das inländische Unternehmen stehen, werden solche nicht-hoheitlichen Ermittlungen für völkerrechtlich unzulässig 316 gehalten 317 . Und schließlich ist auch nicht zu sehen, warum eine durch die freiwillige Herausgabe der Informationen zumindest konkludent erklärte "Einwilligung" der betroffenen Unternehmen Einfluß auf die völkerrechtliche Rechtslage haben sollte: Diese sind nämlich als Privatpersonen am völkerrechtlichen Verkehr nicht beteiligt318 . Auch aus diesem Grund sind solche Ermittlungen also als unzulässig anzusehen 319 . Vorstehende Bedenken erscheinen allerdings nicht angebracht bei allgemein zugänglichen Quellen im Ausland (zum Beispiel Literatur, veröffentlichten Statistiken, Testkäufen etc.)320.
Verfahrenshandlungen im Ausland auch Grassfeld [184 ff]; Nordmann [61]; Hermanns, Grenzen [74]; Stockmann WuW 1975,243 [243, 246 ff]; vergleiche auch Mestmäcker, Wettbewerbsrecht [157]; KOM Dok. IV/334/90-DE 117. 314
Vergleiche BVerfGE 16,27 [61 f].
Vergleiche das bei Grützner [122] im Original zitierte, in dieser Hinsicht eindeutig formulierte Schreiben der Antitrust Division des amerikanischen Justizministeriums: "... gibt es unserer Meinung nach gute Gründe, warum Ihre Firma umfassend mit uns zusammenarbeiten sollte ... In zahlreichen Fällen haben Unternehmen freiwillig unseren Anfragen entsprochen, um ihre künftige Geschäftsentwicklung in den Vereinigten Staaten nicht zu beeinträchtigen." 315
316 Das BVerfG hat allerdings die Verwertung von völkerrechtswidrig erlangten Erkenntnissen für zulässig erachtet, BVerfG NJW 86,1427 [1427 ff] und 3021 [3021 f]. Dagegen Mann NJW 1986,2167 [2167 f] . 317 So die herrschende Meinung, vergleiche zum Beispiel Hermanns, Grenzen [17 f] ; Rehbinder [396]; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2 /314; Seidl-Hohenveldern AWD 1963,73 [75]; Nordmann [57 ff]; BT-Drucksache 8/4404; anderer Ansicht Stockmann WuW 1975,243 [246+253]; siehe auch weitere Nachweise bei IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/312 f. 318
Strupp-Schlochauer III [665 ff].
319
Nordmann [59].
320
MK-Immenga Nach Art. 37 EGBGB 179.
III. Verfahrensprobleme
171
Freilich bestehen zwischen einem auf Freistellung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung vom grundsätzlichen Kartellverbot und einem auf Durchsetzung dieses Verbots durch Untersagung gerichteten Verfahren bedeutsame Unterschiede: Während beim Untersagungsverfahren die betroffenen Unternehmen mit der Behörde "am liebsten nichts zu tun" haben wollen, haben sie beim Freistellungsverfahren selbst den Kontakt zu der Behörde gesucht. Sie sind also gerade daran interessiert, den Kontakt mit der Behörde aufrecht zu erhalten. Man könnte deshalb in die VO 17 eine Vorschrift des Inhalts aufnehmen, daß die Unternehmen im Land der entscheidenden Behörde einen Bevollmächtigten zu benennen haben, der Zustellungen entgegenzunehmen und Auskünfte zu erteilen hat321 . Damit ließen sich zumindest informelle, freiwillige Auskünfte von Unternehmen aus dem Ausland einholen, ohne mit Völkerrechtsgrundsätzen zu kollidieren 322 . Bei entsprechender Kooperationsbereitschaft durch die Unternehmen kann die Einrichtung eines derart Bevollmächtigten das Freistellungsverfahren trotz grenzüberschreitender Fallkonstellation in erheblichem Maße erleichtern. Sollten sich auf diesem Wege nicht alle erforderlichen Informationen erhalten lassen, könnte es zu der - völkerrechtlich unbedenklichen 323 - "Sanktion" kommen, daß die beantragte Freistellung verweigert werden kann. Wenn allerdings darüber hinaus keine weitere Konsequenzen zu befürchten wären, kann dies dazu führen, daß die Unternehmen im Einzelfall einfach versuchen, eine Freistellung zu erhalten, und dabei auch falsche oder unvollständige Angaben machen. Zu verlieren hätten sie ja nichts. Aus diesem Grund ist es erforderlich, daß falsche oder unvollständige Angaben notfalls auch mit Zwangsmitteln bedroht werden. Solche Zwangsmittelließen sich aber wegen des Territorialitätsprinzips nur gegen den im Inland benannten Bevollmächtigten anwenden - dort würden sie aber nicht weiterhelfen, da dieser keinen Einfluß auf die Unternehmen im Ausland hat und ja gewissermaßen nur als "Briefkasten" dient. Im Ausland sind Zwangsmaßnahmen oder Bußgelder aber wie dargestellt nicht möglich 324 . Mit anderen Worten: Die Kanonen des BKartA reichen nur bis Aachen 325 .
321 Vergleiche § 57 Abs. I Satz 3 GWB zur Einrichtung eines Zustellungsbevollmächtigten im deutschen Kartellrecht 322 Vergleiche in diesem Zusammenhang auch Nordmann [183 ff] und die dort dargestellten Fälle. 323 Vergleiche Nordmann [183 ff]. 324 Siehe auch Bunte, Verstärkte Anwendung [321 f]. 325 Staatssekretär Schlecht vom BMWi in Zusammenhang mit der FK-VO, vergleiche Bonn hofft auf Restkompetenz, SZ vom 29.11.1989.
172
C. Probleme des Vorschlags
Die nationale Kartellbehörde hat insgesamt keine Möglichkeit, bei "Widerstand" der Unternehmen im Ausland selbst zu ermitteln 326 . Änderungen dieser Rechtslage sind schon aus politischen Gründen nahezu ausgeschlossen und international nicht durchsetzba?27 . b) Ermittlungsdurchgriff auf Unternehmen im Konzern Wenn völkerrechtliche Gesichtspunkte direkte Ermittlungen im Ausland ver~ hindern, werden die nationalen Gerichte und Behörden sich bemühen, die Informationen nach Möglichkeit im Inland zu erhalten. Damit stellt sich die Frage des Unternehmensdurchgriffs: Können nationale Gerichte und Behörden von den inländischen Töchtern ausländischer Konzerne- unter Verweis auf die im Verwaltungsverfahren geltende Auskunftspflicht - Herausgabe von Informationen oder Unterlagen verlangen, die bei den Konzernmüttern oder anderen Konzerngesellschaften im Ausland belegen sind? Und müssen umgekehrt inländische Konzernmütter Informationen und Unterlagen über ihre ausländischen Konzerntöchter herausgeben? aa) Inländische Konzernmutter Auskunfts- und Vorlageverlangen müssen sich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Unternehmen beziehen 328 . Aus diesem Grund werden Ermittlungen bei einem deutschen Unternehmen über eine ausländische Tochter allgemein als zulässig angesehen, denn zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Adressaten einer Prüfungsanordnung sind auch die der mit ihm verbundenen Unternehmen zu rechnen 329 . Dies gilt allerdings nur für solche Informationen, die dem beherrschenden Unternehmen im Rahmen ordnungsgemäßer
326
[212].
Vergleiche KOM Bek. Gerichte /17; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/316 f; Immenga
327 Vergleiche in diesem Zusammenhang aber das - wenngleich nur bilaterale - Abkommen zur engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit (Closer Economic Relations Trade Agreement, CER-Agreement) von Australien und Neuseeland aus dem Jahre 1983, durch das unter anderem Unternehmen im einen Land auch der Jurisdiktion der Kartellbehörde aus dem anderen Land unterliegen und direkte Auskünfte verlangt werden können. Siehe dazu Mozet [75 ff mit weiteren Nachweisen]. 328 IM-Rehbinder § 98 Abs. 2 /300; GK-Junge (4) § 46 /13; GK-Koenigs (4) § 98 Abs. 21142; Langen-Jungbluth § 98 Abs. 2/209. 329
KG Ber1in Beschluß vom 4.2.1981, Wu WIE OLG 2433 "Metro-Kaufhof'.
111. Verfahrensprobleme
173
Beteiligungsverwaltung zufließen 330. Die Abhängigkeit allein genügt für den Ermittlungsdurchgriff also nicht. Daten, die dem herrschenden Unternehmen nicht bekannt sind und auch nicht bekannt zu sein brauchen, zum Beispiel die von der Tochter abgeschlossenen einzelne Rechtsgeschäfte, können nicht erfragt werden 331 . Entsprechendes gilt für die Beziehungen zwischen Unternehmen in einem transnationalen Konzern 332.
bb) Inländische Konzerntochter Im umgekehrten Fall (Ermittlungen bei einer deutschen Tochter über die ausländische Mutter) ist streitig, ob der Durchgriff zulässig ist. Nach der einen Ansicht sollen über die inländische Tochtergesellschaft grundsätzlich auch Auskünfte über die wirtschaftlichen Verhältnisse der ausländischen Muttergesellschaft verlangt werden können333 . Insbesondere darf ein Durchgriff stattfinden, wenn sich die inländische Tochtergesellschaft auf Weisung der ausländischen Muttergesellschaft an dem Wettbewerbsverstoß beteiligt oder wenn das materielle Recht durch Konzernklauseln eine Einheitsbetrachtung zugrundelegt334. Die Ge~enmeinung hält entsprechende Auskunftsersuchen dagegen für unzulässig33 :Nach dem Wortlaut des§ 46 GWB sind die Unternehmen nur über
°
33 KG Berlin Beschluß vom 13.11.1981, WuWIE OLG 2607 [2610] "RaffinerieAbnahmepreise"; vergleiche auch KG Berlin Beschlüsse vom 12.9.1985, WuWIE OLG 3542 "Aldi"; Langen-Schultz § 46 /20; anderer Ansicht LNRS § 46 /II, wo eine Auskunftspflicht bei Beherrschung bejaht wird. 331
GK-Koenigs (4) § 98 Abs. 2/141.
KG Berlin Beschluß vom 4.2.1981, WuWIE OLG 2433 [2438] "Metro-Kaufhof'; KG Berlin Beschluß vom 13.11.1981, WuWIE OLG 2607 [2609] "RaffinerieAbnahmepreise"; GK-Koenigs (4) § 98 Abs. 21141; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/301. 332
KG Berlin Beschluß vom 14.5.1974, WuWIE OLG 1467 [1469] "BP", wo in einem obiter dieturn ausgeführt wird, daß "die Kartellbehörde gemäß § 46 in Verbindung mit § 98 Abs. 2 GWB die erforderlichen Auskünfte auch von dem ausländischen Konzernunternehmen - eventuell über die Beschwerdeführerin" (das ist die inländische Tochtergesellschaft) verlangen könne; ebenso LNRS § 46111; Westrick/Loewenheim § 46 /11; Basedow NJW 1989,627 [631 ]; ähnlich KG Berlin Beschluß vom 28.2.1986, WuW/E OLG 3734 [3735] "französische Muttergesellschaft". 333
334
Langen-Jungbluth § 98 Abs. 2/210.
IM-Klaue § 46 116; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2 /303; Wieckmann [67]; GKKoenigs (4) § 98 Abs. 2 /142; FK-Quack § 46 /38+40; GK-Junge (4) § 46 113; Hermanns, Grenzen [75]; KG Berlin Beschluß vom 30.11.1977, WuW/E OLG 1961 [1964] "Flug-Union"; KG Berlin Beschluß vom 13.11.1981, WuWIE OLG 2607 [2610] 335
174
C. Probleme des Vorschlags
"ihre" wirtschafliehen Verhältnisse zur Auskunft verpflichtet. Ausländische Mütter sind dagegen grundsätzlich Dritte. Würde über sie Auskunft geschuldet, widerspräche336 dies dem Grundsatz der rechtlichen Selbständigkeit von juristischen Personen337 . Auch aus einem anderen Grund ist dieser Ansicht zu folgen: § 39 Abs. I Nr. 1 GWB enthält eine Bußgeldandrohung für unrichtig erteilte Auskünfte. Eine solche Sanktion ist aber nur dann sinnvoll, wenn der Betroffene in der Lage ist, die richtige Auskunft zu beschaffen. Daraus läßt sich aber ableiten, daß nur der zur Auskunft verpflichtet sein kann, der auch eine Verantwortung für die Richtigkeit der Aussage übernehmen kann 338 . Bei abhängigen Unternehmen ist dies aber regelmäßig nicht der Fall, denn diese haben grundsätzlich nicht den Überblick über die Geschäftstätigkeit der Konzernmutter oder anderer Unternehmen im Konzern und können diese auch nicht verlangen. cc) Beschaffung von Dokumenten Was nun die Frage der Beschaffungspflicht von Dokumenten betrifft, so ist zunächst festzustellen, daß das Einsichts- und Prüfungsrecht der Behörde bezüglich von Geschäftsunterlagen nur soweit geht, wie auch das Auskunftsrecht (und damit die entsprechende Pflicht der Unternehmen) reicht339 . Oben wurde bereits festgestellt, daß ein Unternehmen aber nur über seine eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse auskunftspflichtig ist, Konzernunternehmen jedoch grundsätzlich Dritte sind340 . Die Behörde muß daher ihre Anfrage direkt an das Unternehmen richten, dessen Unterlagen geprüft werden sollen. Sie kann nicht das deutsche Unternehmen auffordern, Dokumente der ausländischen Konzernmütter oder -töchter vorzulegen 341 , denn eine Pflicht, Unterlagen von Dritten herbeizuschaffen, besteht nicht. "Raffinerie-Abnahmepreise"; KG Berlin Beschluß vom 28.2.1986, WuWIE OLG 3734 [3735] "französische Muttergesellschaft". 336 GTE-Meng
Vor Art. 85-89/49.
Vergleiche GK-Junge (4) § 46/13; IM-Klaue§ 46/26; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/303; KG Berlin Beschluß vom 30.1l.l977, WuWIE OLG 1961 [1962] "Flug-Union". 337
338 KG Berlin Beschluß vom 28.2.1986, WuWIE OLG 3734 [3735] "französische Muttergesellschaft"; Mozet [10]; IM-Klaue § 46 /26; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2 /303; vergleiche auch Wieckmann [67]. 339 GK-Junge (4) § 46 /20; Hermanns, Ermittlungsbefugnisse [112]; Westrick/Loewenheim § 46/23. 340 IM-Klaue§ 341
Mozet [10].
46/26; IM-Rehbinder 98 Abs. 2/303.
III. Verfahrensprobleme
175
Allerdings müssen die Unternehmen Dokumente, die zwar ihre eigenen, jedoch zur Zeit im Ausland belegen sind, vorlegen und zu diesem Zweck auch herbeischaffen 342 . Auch kann von einer deutschen Tochter die Vorlage von ihr zustehenden Unterlagen verlangt werden, die sich auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen, sich aber bei der Muttergesellschaft im Ausland befinden343. Dies folgt auch aus dem Recht der Behörde auf aktive Mitwirkung der Unternehmen, bei denen ermittelt wird 344 . c) Amtshilfeersuchen Sofern die nationalen Ermittler nicht durch eigene Ermittlungen die gewünschten Informationen erlangen können, sind sie also auf die Amtshilfe ihrer ausländischen Kollegen angewiesen. Um die Ermittlungen in Verwaltungsverfahren mit Auslandsbezug zu erleichtern, sind in der Vergangenheit bereits einige Abkommen geschlossen worden. Hier sind die OECD-Empfehlungen zur Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Wettbewerbsbeschränkungen zu nennen. Die OECDEmpfehlung von 1967345 sieht vor, den fremden Staat von Ermittlungen zu informieren (Notifizierung), Informationen auszutauschen und Ermittlungen zu koordinieren. Sie schuf jedoch keine Pflicht, selbst Untersuchungen vorzunehmen. Die Empfehlung betrifft nur die Weitergabe bereits vorhandener Materialien346. Die OECD-Empfehlung von 1973347 führt die Aspekte der gegenseitigen Konsultation und einer gegebenenfalls erforderlichen Schlichtung in die
342
IM-Rehbinder § 98 Abs. 2 /299; ähnlich wohl auch FK-Quack § 46 /82.
343
Rehbinder [388 Fußnote 47]; IM-Rehbinder § 98 Abs. 2/301.
344
Westrick/Loewenheim § 46/26.
Recommendation of the Counci1 concerning Co-operation between Member countries on restrictive business practices affecting international trade vom 5.10.1967, OECD-Dok. C (67) 53 (Final) vom 10.10.1967, deutscher Text in: WuW 1969,29 [29 345
ff].
Report by the Committee of Experts on Restrictive Business Practices concerning Co-operation between member countries on restrictive business practices affecting international trade. OECD-Dok. C (67) 53 vom 12.6.1967, Appendix [5], Textziffer I (b). 346
347 Recommendation of the Council concerning a consultation and conciliation procedure on restrictive business practices affecting international trade vom 3.7.1973, OECD-Dok. C (73) 99 (Final), deutscher Text in: WuW 1974,251 [251 f] .
176
C. Probleme des Vorschlags
Zusammenarbeit ein. Die OECD-Empfehlung von 1979348 ersetzt die beiden vorangegangenen und führt geringfügige Änderungen ein, die OECDEmpfehlungen von 1986349 schließlich erweitert die vorangegangene um einen Anhang und sieht die Regierungen als Adressaten vor. Der Wert der Empfehlungen ist begrenzt. Obwohl sie unverbindlich sind, werden sie zwar faktisch respektiert. Aber sie betreffen eben nur die Weitergabe bereits vorhandenen Materials350. Ermittlungen im Auftrag ausländischer Behörden gibt es nicht. Für die Praxis des deutschen BKartA sind sie daher auch ohne besondere Bedeutung geblieben: Trotz einer Reihe von Kontakten mit ausländischen Behörden wurde kein Fall anders abgeschlossen, als er auch ohne die internationale Zusammenarbeit entschieden worden wäre351 . Auch sonst ist die Statistik ernüchternd: Nur ein Viertel aller von der OECD gezählten Kontakte betreffen überhaupt den Informationsaustausch und sind damit geeignet, die Ermittlungen zu fördern. Der überwiegende Teil bestand nur aus N otifizierungen352 . Speziell für die verwaltungsverfahrensrechtliche Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es ein entsprechendes Amtshilfeübereinkommen353. Kartellverfahren sind von seinem Anwendungsbereich nicht ausgenommen. Inhaltlich geht es über die OECD-Empfehlungen hinaus, denn nach Art. 15 kann ein anderer Mitgliedstaat um eigene Ermittlungen ersucht werden. Dennoch wurde es bislang von den Kartellbehörden nie ange-
348 Recommendation of the Council concerning co-operation between Member countries on restrictive business practices affecting international trade vom 25.10.1979, OECD-Dok. C (79) 154 (Final), deutscher Text in: WuW 1981,781 [781 ft]. 349 Recommendation of the Council for co-operation between Member countries in areas of potential conflict between competition and trade policies vom 23.10.1986, OECD-Dok. C (86) 65 (Final), Text in: OECD, Competition policy [24ft]; Revised Recommendation of the Council concerning co-operation between Member countries on restrictive business practices affecting international trade vom 21.5.1986, OECD-Dok. C (86) 44 (Final), deutscher Text in: WuW 1987,214 [214 ff].
350
Vergleiche Abschnitt I A 2 der OECD-Empfehlung von 1986.
351
Vergleiche Mozet [87+97].
Nachweise bei Mozet (83]. Siehe dort [97 ff] auch die weiteren Erklärungsversuche für den geringen Erfolg der Empfehlungen. 352
353 Europäisches Übereinkommen über die Erlangung von Auskünften und Beweisen in Verwaltungssachen im Ausland vom 15.3.1978, BGBI. II 1981,550-559 und Ausführungsgesetz vom 20.7.1981, BGBI. I 1981,665-666, jeweils vom 25.7.1981; siehe speziell Art. 14und 15.
III. Verfahrensprobleme
177
wandt: Bislang sind nur Deutschland, Belgien, Italien, Luxemburg und Portugal Vertragspartner. Auf Grund des eingeschränkten Geltungsbereiches ist der praktische Nutzen gering. Weiter könnte man an das Haager Beweisübereinkommen von 1970354 denken. Es ist jedoch auf die verwaltungsrechtlichen Kartellverfahren nicht anwendbar355. Zwischen Deutschland und Frankreich gibt es ein spezielles Abkommen für Kartellverfahren 356 . Es dient aber vorrangig der Vermeidung von Souveränitätsverletzungen. Die Informationsbeschaffung ist eher zweitrangig. Da nach Art. 1 Abs. 2 des Abkommens die Vorschriften des EGV unberührt bleiben, ist also eine Amtshilfe bei der Anwendung des Art. 85 durch eine Behörde der beiden Länder möglich 357 . Allerdings funktioniert das Verfahren "mehr schlecht als recht" 358 : In den Jahren 1984-1988 wurden nur zwei Auskunftsersuchen an Frankreich gestellt359 . Schließlich soll noch ein kurzer Blick auf das bei der EFfA eingeführte, sogenannte "Kopenhagener Verfahren" 360 geworfen werden: Wenn ein Unternehmen glaubt, daß seine Tätigkeit durch eine Wettbewerbsbeschränkung in einem anderen Mitgliedstaat behindert wird, kann es sich an die Behörden des eigenen Landes wenden. Diese versuchen in unverbindlichen Gesprächen mit den Behörden des anderen Landes festzustellen, ob ein Verstoß gegen Art. 15 EFTAVertrag vorliegt. Dabei kann die mit der Bearbeitung der Sache betraute Überwachungsinstanz die andere Instanz bitten, die Ermittlungen nach ihren eigenen Regeln vorzunehmen. Vertreter der federführenden Instanz können an solchen Ermittlungen aktiv teilnehmen 361 . Gegebenenfalls wird der andere Staat entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsbeschränkung zu unterbinden. Falls sich die betroffenen Staaten nicht gütlich einigen können, besteht die Möglichkeit, den Fall auch mit anderen Ländern zu diskutieren oder ihn
354 Haager Übereinkommen vom 18.3.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen, BGBI. 111977,1472-1484. 355 Vergleiche Mozet [46] mit weiteren Nachweisen. 356 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Zusammenarbeit in Bezug auf wettbewerbsbeschränkende Praktiken vom 28.5.1984, BGBI. II 1984,758-762 vom 8.6.1984. 357 Mozet [69].
Basedow NJW 1989,627 [631]. Mozet [70]. 360 Siehedazu WuW 1966,167 [167 f]. 361 22. WB 1992/93. 358 359
178
C. Probleme des Vorschlags
formell dem Rat vorzulegen. Dann gilt Art. 31 EFTA-Vertrag362 . Das Kopenhagener Verfahren ist inzwischen in einigen Fällen angewandt worden 363 . Auch haben einige Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Art. 15 EFTA-Vertrag Gesetze erlassen, die die Zusammenarbeit mit den Kartellbehörden anderer Mitgliedstaaten erleichtern sollen364 . Wegen der Beitritte von einigen Staaten zur Europäischen Union 365 , wird die Bedeutung dieses Verfahrens allerdings weiter sinken. Die niedrige Statistik kann nur beschränkt Auskunft über den Erfolg des Verfahrens geben. Die meisten der hier genannten Verfahren waren in der Praxis nur beschränkt erfolgreich. Dies liegt an dem geringen Geltungsbereich und an der Unverbindlichkeit der Regelungen. Meist sind nur informatorische Kontakte oder die Weitergabe von offen zugängliche Informationen vorgesehen. Eigene Ermittlungen werden (abgesehen vom EFTA-Verfahren) praktisch nicht durchgeführt. Damit liegt aber in der Regel auch keine "echte" Amtshilfe vor. Was nun die Amtshilfe bei einer dezentralen Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV betrifft, so sind wieder zwei Modelle denkbar: Die nationale Behörde bittet die Kommission um Mithilfe oder sie wendet sich direkt an den betreffenden Mitgliedstaat. aa) Amtshilfeersuchen an die Kommission Der große Vorteil des bisher in der Europäischen Union geübten Verfahrens gegenüber den oben genannten Versuchen, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Kartellfragen zu erreichen, besteht darin, daß die Kommission als supranationale Behörde Ermittlungsbefugnisse in allen Mitgliedstaaten hat. Sie braucht nicht um Amtshilfe zu bitten, sie kann sie verlangen. Entsprechend dem oben für die gemeinschaftsweite Wirkung von dezentral erklärten Freistellungsentscheidungen entworfenen Verfahren könnte man nun überlegen, die Kommission zum ausführenden Organ für die Ermittlungswünsche der nationalen Behörden zu machen. Die gegenwärtige Konstellation würde damit in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht die nationale Behörde hilft der Kommission, sondern die Kommission der nationalen Behörde bei ihren Ermittlungen. Sobald ein Mitgliedstaat bei seinen Untersuchungen an die Grenzen des
362
Mozet [45].
363
OECD, Competition Law Enforcement [67].
364
Mozet [45].
365
Gliederungspunkt A. III. 3.
III. Verfahrensprobleme
179
Territorialitätsprinzips stößt, bittet er die Kommission um Amtshilfe. Diese führt dann die Untersuchungen in den anderen Mitgliedstaaten durch und leitet die Ergebnisse wieder der nationalen Behörde zu. Unabhängig davon, daß ein solches Verfahren bei der Kommission auf größte Widerstände stoßen dürfte, wird sich auch kein Mitgliedstaat davon blenden lassen, daß die Kommission handelndes Organ, federführend jedoch der fremde Mitgliedstaat ist, der die Untersuchung auf verstecktem Wege "aufzwingt". Auch die Staaten der europäischen Union werden sich mit einem solchen Verfahren also kaum einverstanden erklären können. Eine solche Lösung ist politisch nicht durchsetzbar. bb) Amtshilfeersuchen an andere Mitgliedstaaten Einzig sinnvoll erscheint daher nur der direkte und "höflichere" Weg, den betroffenen Mitgliedstaat direkt um Amtshilfe zu bitten. Aus Art. 5 EGV ergibt sich auch die Verpflichtung, dieser Bitte Folge zu leisten 366 . Der Mitgliedstaat führt dann die Ermittlungen auf Grund seiner eigenen Verfahrensrechte durch. An dieser Stelle wird in der Literatur367 manchmal darauf verwiesen, daß ein Mitgliedstaat auf Grund eigener industrie- und wirtschaftspolitischer Vorstellungen "kein großes Interesse" an einer allzu genauen Ermittlung über Unternehmen des eigenen Landes haben könnte. Da der von ihm ermittelte Befund dann ein verzerrtes Bild gebe, auf das sich die zuständige Behörde bei ihrer Freistellungsentscheidung verlassen müßte, ließe sich durch unvollständige Ermittlungen das Ergebnis beeinflussen. Tendenz der Aussage: Protektionismus seien Tür und Tor geöffnet. Diese Gefahr besteht in der Tat. Wegen der Unterschiede des Wirtschaftsniveaus sowie der in einigen Ländern noch jungen Kartellrechtsgesetzgebung und mehr oder minder ausgeprägtem Willen zu strenger Kartellpolitik lassen sich Verfälschungen des Lagebildes nicht ausschließen 368 . Staaten könnten sich veranlaßt fühlen, in ihrem speziellen Fall eine "Ausnahme" von den Gemeinschaftsregeln als gerechtfertigt anzusehen. Zwar sind gegen Verstöße Vertragsverletzungsverfahren denkbar. Sie setzen aber voraus, daß dem zuständigen Staat bekannt ist, daß der andere bewußt unvollständig ermittelt hat. Das dürfte nur selten der Fall sein.
367
Grabitz-v. Bogdany Art. 5/51; GTE-Zuleeg Art. 5 /13. Zum Beispiel Möschel EWS 1995,249 [250 f].
368
Siehe dazu bereits unter Gliederungspunkt C. II. I .
366
180
C. Probleme des Vorschlags
Man könnte die Möglichkeit vorsehen, daß bei Konflikten oder in Verdachtsfällen das Ermittlungsverfahren an die Kommission abgegeben werde ähnlich dem EFfA-Verfahren - und diese dann die Ermittlungen durchführen kann. Das widerspräche Prinzip der Dezentralisierung, und belastete im Einzelfall nun die Kommission wieder mit den Ermittlungen. Wo blieben dann "unter dem Strich" noch die Vorteile einer neuen Zuständigkeitsverteilung? Warum entscheidet dann die Kommission nicht gleich selbst - und wie bisher? Drei Punkte müssen berücksichtigt werden. Erstens wird mit großer Wahrscheinlichkeit die bloße Möglichkeit einer Abgabe an die Kommission die Mitgliedstaaten davon abhalten, es allzu dreist zu treiben. Denn eine Abgabe "wegen Problemen" erweckt zumindest den Anschein einer Maßregelung und kein Mitgliedstaat wird sich gerne die Schelte einfangen, unseriös ermittelt zu haben. "Böswillige" Fehlermittlungen werden sich also vermutlich zumindest zu einem Teil vermeiden lassen. Unabsichtliche Fehler dagegen werden immer vorkommen. Hier hilft gegebenenfalls nur ein Vertragsverletzungsverfahren wie auch bei einem Fehler der Kommission nur eine Klage helfen würde. Insofern besteht kein Unterschied. Auch ist zu bedenken, daß andere, an der Absprache nicht beteiligte Marktteilnehmer, das Verfahren beobachten werden und gegebenenfalls der Behörde des zuständigen Landes Hinweise und Anregungen geben können. Man kann auch hier auf die Eigenständigkeil der Marktteilnehmer vertrauen- man braucht nicht für alles Behörden! Zweitens geht es um geringe Mengen. Die Zahl der Fälle, in denen ein Ermittlungsfehler relevant wird, wird gering sein. Soll man - nur weil Schwierigkeiten auftauchen können - gleich die Flinte ins Korn werfen und die Verfahrensänderung ganz ablehnen? In dieser Untersuchung wurde davon ausgegangen, daß die Fälle, die dezentral geregelt werden sollen, sich vorrangig auf dem Territorium jeweils eines einzigen Landes abspielen, und nur mitunter auch andere Länder betreffen369 . Wenn es nun hin und wieder in diesen zu Komplikationen kommt, so ist das zwar lästig, vermag aber im Zweifel nicht die Vorteile aufzuwiegen, die eine Neuregelung für die Masse der Fälle bringen dürfte. Drittens: Wichtigste Informationsquelle bei Freistellungsentscheidungen waren bislang die Anträge der beteiligten Unternehmen selber370. Bei Freistellungen muß in der Regel nicht mit Zwang gearbeitet werden, wie dies bei Verfahren der Fall sein kann, deren Abschluß ein Verbot erwarten läßt. Ermittlungen bei Unternehmen und auf fremdem Territorium spielen daher längst nicht die Rolle wie bei Verbotsverfügungen, derentwegen vor allem die Nachprüfungs-
369
Gliederungspunkt B. I. I. und C. I. I.
370 Vergleiche Dauses-Krück H-1. 1389; vergleiche auch 24. WB 1994/32.
III. Verfahrensprobleme
181
rechte der Kommission geschaffen worden sind371 . Auch aus diesem Grund dürfen die durch Auslandsermittlungen entstehenden Verfahrenshindernisse also nicht allzu hoch eingeschätzt werden. Wegen der letzten beiden Punkte erscheint auch das bei Amtshilfeersuchen gewöhnlich auftretende Problern der langen Verfahrensdauer als nicht übermäßig schwierig. Weil die Zustellung der Ersuchen ebenso wie die Beantwortungen und Rückfragen jeweils auf diplomatischen Wege, das heißt über die jeweiligen Außenministerien bzw. ähnlich hohe Regierungs- und Verwaltungsstellen der beteiligten Länder zu erfolgen haben, kann die Beantwortung auf dem Weg durch die verschiedenen Behörden der Länder Jahre auf sich warten lassen 372 . Oben wurde aber schon darauf verwiesen, daß lange Wartezeiten für die Wirtschaft nicht hinnehmbar sind. Die Marktverhältnisse insgesamt oder aber die Situation der beteiligten Unternehmen können sich im Zeitpunkt der Entscheidung bereits grundlegend verändert haben 373 . Sofern sich der Fall auf dem Territorium eines einzigen Landes abspielt oder sich die für die Entscheidung notwendigen Informationen im wesentlichen aus den Anmeldeunterlagen ergeben, ist eine wesentlich kürzere Bearbeitungszeit durch die zuständige nationale Behörde zu erwarten. Anders verhält es sich in den (eher seltenen) Fällen, die grenzüberschreitende Ermittlungen erfordern. Eine Randbemerkung erscheint noch erforderlich: Die Grundsätze der Privatbanken-Entscheidung des EuGH374 mit der Folge eines Informationsverwertungsverbots375 müssen dann auch zwischen den Behörden der Mitglied staaten gelten. Übermittelt ein Staat dem anderen Informationen, die auf Auskunftsverlangen von den Unternehmen erteilt, jedoch nicht veröffentlicht worden sind, oder Angaben, die in Anträgen oder Anmeldungen der Unternehmen enthalten sind, damit der andere Staat Nachprüfungen vornehmen kann, darf dieser die Informationen später nicht in einem eigenen Verfahren gegen die Unternehmen verwerten.
371 Vergleiche EuGH Rs. 374/87, Urteil vom 18.10.1989, Slg. 1989,3283 [3347 /15] "Orkem/Kommission". 372 Nordmann [38 f]; vergleiche auch Krabbe RIW 1986,126 [129] zum EGAmtshilfegesetz, BGBI. I 1985,2436 [2441 ], das nur bei Steuersachen gilt. 373
Siehe unter Gliederungspunkt A. I. zum Fall "Philips/Osram".
EuGH Rs. C-67/91, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 16.7.1992, Slg. 1992,1-4785 [4828 ff /22 ff] "Spanische Privatbanken". 374 375
Dazu schon Gliederungspunkt A. IV. I. d) aa).
13 Gillessen
182
C. Probleme des Vorschlags d) Ergebnis
Die nationalen Behörden können auf Grund des völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatzes nicht selbst im Ausland ermitteln. Dies gilt nicht nur etwa für Auskünfte unter Androhung von Zwangsmaßnahmen, sondern auch für die Bitte um freiwillige Auskunftserteilung. Da im Rahmen eines Freistellungsverfahrens die beteiligten Unternehmen aber im Regelfall mit der Behörde kooperieren, läßt sich über die Einsetzung eines inländischen Beauftragten sicherstellen, daß es zu einem zügigen Informationsfluß kommt. Sollten die Unternehmen den Ermittlungen der nationalen Behörde allerdings Widerstand entgegenbringen, führt an Amtshilfeersuchen an das betreffende Land kein Weg vorbei. Eine- eng begrenzte- Ausnahme gilt nur für Unternehmen im Konzern: Bei dem inländischen Unternehmen können alle Auskünfte oder Unterlagen gefordert werden, die dessen wirtschaftlichen Verhältnisse betreffen, unabhängig davon, ob die Information im Ausland erst noch beschafft werden muß; Auskünfte über das Konzernunternehmen mit Sitz im Ausland werden aber nicht geschuldet. Amtshilfeersuchen können die Gesamtverfahrensdauer erheblich in die Länge ziehen. Mit der bei Freistellungsverfahren grundsätzlich zu erwartenden Kooperationsbereitschaft können die Unternehmen selbst aber erheblich dazu beitragen, das Verfahren zügig zum Abschluß zu bringen. Salopp formuliert: Wer nicht mithilft und Zwangsmaßnahmen oder Amtshilfeersuchen provoziert, ist selber schuld. Ohnehin ist auch hier wieder zu berücksichtigen, daß die Mehrheit der Fälle sich in einem Mitgliedstaat abspielen wird und damit nur einige wenige länger dauernden Fälle der Masse der zügiger zu bearbeitenden gegenüberstehen. Zweifel an der Zuverlässigkeit von auf Grund von Amtshilfeersuchen durchgeführten Ermittlungen sollten nicht überbewertet werden. Zwar läßt sich eine solche Möglichkeit nicht ausschließen, aber es sprechen gute Gründe dagegen, daß die Mitgliedstaaten sie allzu dreist nutzen.
2. Verfahrenssprachen Bislang mußten Dokumente mit Rücksicht auf den Beratenden Ausschuß stets in alle Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Künftig könnte man sich grundsätzlich während des Verfahrens auf die Sprachen der beteiligten Länder beschränken. Dies führt zu einer Reduzierung von über einem Dutzend auf gerade zwei, vielleicht drei Sprachen. Die dadurch freiwerdenden Kapazitäten können dann anderweitig genutzt werden. Man kann noch darüber
III. Verfahrensprobleme
183
hinausgehen und die freiwillige Wahl einer einzigen Verfahrenssprache zulassen376. Wenn die Unternehmen dies wünschen, scheint dies unproblematisch377 und kann einer weiteren Beschleunigung des Verfahrens dienen.
3. Veröffentlichung und Zustellung Keine besonderen Probleme ergeben sich weiter aus der Frage der Veröffentlichung von Entscheidungen. Diese Veröffentlichungen sind wegen der Drittwirkung der Freistellungsentscheidung notwendig 378 und dienen zugleich der Anzeige des Nichtwiderspruchs der Kommission 379 . Die in dieser Hinsicht vorbildliche Transparenz der VO 17380 läßt sich auch bei Zuständigkeit einer nationalen Behörde beibehalten. Sämtliche Veröffentlichungen könnten und sollten im gemeinsamen Amtsblatt erscheinen. Dadurch ist sichergestellt, daß alle möglicherweise Betroffenen im Gebiet der Gemeinschaft Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Hier führt dann allerdings kein Weg an einer Übersetzung in die verschiedenen Sprachen vorbei. Die Unternehmen können zwar in Bezug auf den sie betreffenden Schriftverkehr und die Verhandlungen eine einzige Verfahrenssprache wählen, Dritten muß es aber unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs unbenommen bleiben, sich in ihrer Landessprache zu beteiligen. Deshalb müssen auch die Veröffentlichungen in allen Sprachen vorgenommen werden. Um bei der Beteiligung Dritter sicher zu gehen, sollte man nicht auf Übersetzungen in alle Sprachen verzichten. Daß eine zentrale Veröffentlichung die Bemühungen um Dezentralisierung nach dem Subsidiaritätsprinzip auf den Kopf stellen würde381 , ist nicht zu erkennen. Hierbei handelt es sich um eine rein bürokratische Aufgabe, die keine inhaltlichen Anforderungen stellt. Sie wird zweckmäßig und kostengünstig an einer zentralen Stelle wahrgenommen. Was die Zustellung anbetrifft, so kann dies im zuständigen Land durch die entscheidende Behörde erfolgen, in anderen Ländern ergibt sich nach der oben vorgeschlagenen Lösung eine Zustellung über die Kommission.
376
Vergleiche Ehlermann WuW 1993,997 [1000].
Anderes gilt wegen der Drittwirkung der beabsichtigen Entscheidung bei Veröffentlichungen, siehe dazu sogleich unter Gliederungspunkt C. III. 3. 377
378
Dazu Gliederungspunkt C. II. 3. b).
379
Gliederungspunkt C. II. 3. d).
380 Ehlermann WuW 381 13•
1993,997 [998].
Ehlermann WuW 1993,997 [998].
184
C. Probleme des Vorschlags
Bei der Zustellung ist die Situation besonders einfach: Oben wurde schon der Sinn und das Erfordernis eines von den beteiligten Unternehmen zu benennenden Bevollmächtigten im Inland erörtert382. Dieser ist nicht nur für die Empfangnahme von Auskunftsersuchen u. ä., sondern auch für die Entgegennahme der abschließenden Entscheidung der Behörde zuständig. Probleme aus der grenzüberschreitenden Wirkung ergeben sich daraus nicht383 . Schreiben bezüglich der Gewährung rechtlichen Gehörs 384 können ohnehin mit einfacher Post an das ausländische Unternehmen gesandt werden: Dabei handelt es sich anders als eine förmlich zu bewirkende Zustellung - nicht um den Erlaß eines Hoheitsakts auf fremdem Staatsgebiet385 .
IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befähigt? Die Kommission lehnt eine Änderung der geltenden Rechtslage ab, in der nur sie Freistellungen erteilen könne386 . Diese Aussage gibt Anlaß zu Überlegungen in zweierlei Hinsicht: Sind nationale Behörden auf Grund ihres eingeschränkten Blickwinkels in tatsächlicher Hinsicht nicht in der Lage, einen Fall sachgerecht zu entscheiden? Fehlt es ihnen an hinreichendem "Überblick"? Und zweitens: Ist eine Änderung der augenblicklichen Rechtslage aus rechtlichen Erwägungen überhaupt zulässig?
1. Nationale Behörden haben "Überblick" Vor einer Freistellungsentscheidung steht ein umfassendes, prüfendes Verwaltungsverfahren, das unter anderem der Feststellung des relevanten Marktes dienen soll. Nun wird jedoch behauptet, die Aufgabe der Durchführung dieses Verfahrens komme "naturgemäß" der Kommission zu 387 . Es liege "in der Natur
382
Gliederungspunkt C. III. I. a).
Ohnehin ist das "Problem" der Zustellung nur von marginaler Bedeutung, wennwie hier vorgeschlagen - die internationale Wirkung auf Grund einer Kommissionsentscheidung und der Veröffentlichung des Nichtwiderspruchs erreicht wird. Einer Zustellung bedarf es dann nicht mehr zwingend. 383
384
Vergleiche§ 53 GWB filr das deutsche Kartellrecht
385
Vergleiche GK-Koenigs (4) § 98 Abs. 2 /146; GTE-Meng Vor Art. 85-89/112.
386
23. WB 1993/190.
IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befähigt?
185
der Sache", daß Brüssel von einer höheren Warte zu anderen Resultaten gelange als eine nationale Kartellbehörde388 . Warum? Argumentationen, die sich darauf beschränken, daß etwas "natürlicher Weise" nur so, nicht aber anders sein könne, ohne das weiter zu begründen, stimmen verdächtig. Sie behaupten eine Allgemeingültigkeit, die im Einzelfall nicht stimmen muß. Auch die Natur kennt Ausnahmen. Allein die Kommission, so wird unterstellt, könne sich hinreichenden Überblick über die Marktsituation verschaffen. Die verhältnismäßig kleinen Kartellbehörden der Mitgliedstaaten dagegen könnten kaum wirklich umfassend kontrollierend tätig werden 389 . In grenzüberschreitenden Fällen dürfte dies allein wegen der erheblichen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung390 kaum zu bestreiten sein, insbesondere, wenn sich Fälle nicht nur über verschiedene Mitgliedstaaten, sondern sogar über das Unionsgebiet hinaus auswirken391. Aber der Änderungsvorschlag des BKartA betrifft Fälle mit einem nationalem Schwerpunkt. Ein beträchtlicher Teil davon wiederum sind Fälle, die sich allein auf dem Territorium eines einzigen Staates abspielen. Warum sollte dabei die Kommission mehr Überblick besitzen, als die nationale Behörde, die hier "zu Hause" ist? Schließlich sind die Kartellbehörden auch nach Auffassung der Kommission für die Aufdeckung und Verfolgung nichtangemeldeter Kartelle meist besser gerüstet dank ihrer "Bürgernähe" und teilweise größeren Ermittlungsbefugnisse (Durchsuchungsbefugnisse beispielsweise). Manche Kartellbehörden sind im ganzen Land präsent, sie arbeiten wirtschaftsnah und können schon früh erkennen, wenn der Wettbewerb nicht mehr funktioniert. Klein- und Mittelbetriebe wenden sich mit Beschwerden auch eher an das Kartellamt ihres Landes als eine Kartellbehörde in Brüssel 392 . Aber auch grenzüberschreitende Fälle, die hier zur Debatte stehen, haben meist einen nationalen Schwerpunkt. Der größere Teil der zu leistenden Ermittlungsarbeit liegt dann auf eigenem Territorium; die insgesamt zu berücksichtigende Marktsituation wird also in wesentlichen Teilen mit der Situation im ei-
387 Vergleiche Kamburoglou WuW 1993,273 [276] zum Verfahren bei der Fusions-
kontrolle.
388 Paulis & Harms, AK Kartellrecht [11]. 389 IM-Emmerich § 35 /II, Emmerich ZHR 140,97 [117]; E. Koch [68]; vergleiche auch BGH OB 1984,1674 [1675). 390 Gliederungspunkt C. III. 1.
391 Vergleiche 24. WB 1994 125. 392 KOM Dok. IV/603/94-DE Rev 2 [2].
186
C. Probleme des Vorschlags
genen Lande übereinstimmen. Damit kann die nationale Behörde aber auch hier auf einem Terrain arbeiten, das ihr vertraut ist. Was die Ermittlungen im Ausland etc. angeht, so sind sie zwar kompliziert, aber sie sind nicht unmöglich. Erinnert sei hier auch daran, daß wesentliche Informationsquelle die Anmeldungen der Unternehmen selbst sind. Und nochmals: Ermittlungen spielen bei Freistellungen nicht die gleiche Rolle wie bei Untersagungsverfügungen. Es kann also nicht behauptet werden, daß von vornherein nur die Kommission für das Verwaltungsverfahren ausreichend qualifiziert ist. Es verhält sich eher umgekehrt: Der Kommission wird vorgeworfen, über die Erhebung von Vertragstexten hinaus kaum umfangreiche Sachverhaltsermittlungen zu unternehmen. Die Kommission spricht zwar von eigenen Nachforschungen, substantiiert sie aber in ihren Begründungen nicht, was nahelegt, daß sie das tatsächliche Verhalten der Beteiligten nicht systematisch überprüft hat393 . Zumindest die nationalen Kartellbehörden, die Erfahrung im Umgang mit nationalem Wettbewerbsrecht haben und es ernst nehmen, dürften von einer solchen Arbeitsweise weit entfernt sein. Es besteht damit kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß die nationalen Behörden in den fraglichen Fällen ihre Aufgabe in tatsächlicher Hinsicht sachgerecht erfüllen könnten.
2. Rechtsanwendung ohne politische Erwägungen Wettbewerbsrecht und Wettbewerbspolitik werden oft einander gleichgesetzt. Doch ist zwischen beiden Begriffen zu unterscheiden: Die Wettbewerbspolitik ist zunächst durch die Grundsatzentscheidungen der Gründer der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Ihre wettbewerbspolitischen Prinzipien normiert der EGV (Art. 3 lit. g) und konkretisiert sie in Art. 85 ff des Vertrages. Soweit es aber um die Durchsetzung der darin enthaltenen Verbotsnormen geht, handelt es sich um Rechtsvollzug, der sich durch strenge Bindung an das Gesetz auszeichnet394 . Insofern ist auch eine Anwendung der entsprechenden Vorschriften durch nationale Behörden prinzipiell möglich. Für Entscheidungen über Abweichungen oder Ausnahmen vom Verbot ist jedoch ein Grund erforderlich. Er kann darin liegen, daß das Wettbewerbsprinzip mit anderen Grundsätzen und Zielen des Vertrages, zum Beispiel der Er-
393
Vergleiche Steindorff ZHR 142,525 [526] mit Nachweisen.
394
GTE-Schröter Vor Art. 85-94122.
IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befähigt?
187
richtung des Binnenmarktes oder dem lntegrationziel, in Einklang gebracht werden soll. In diesem Fall hat die Entscheidung also auch politischen Charakter395 Gemeinschaftspolitik zu betreiben ist grundsätzlich nicht Sache der Mitgliedstaaten und ihrer Behörden396. Sondern dies obliegt der Kommission als (neben dem Rat) "dem" politischen Organ der Gemeinschaft397 . Die Argumentation der Kommission, nur sie dürfe Freistellungserklärungen erteilen 398, ist unter der Voraussetzung richtig, daß eine einheitliche Rechtsanwendung anders nicht gesichert werden kann. Sollte dies aber der Fall sein, ist nicht zu sehen, daß nationale Behörden nicht gleichfalls Kartellabsprachen freistellen könnten. Betrachtet man die Vorschrift des Art. 85 Abs. 3 EGV isoliert, so enthält sie keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Berücksichtigung anderer Vertragsziele. Auch sonst findet sich im EGV kein entsprechendes ausdrückliches Gebot399 , das auf Art. 85 Abs. 3 EGV verweist. Vielmehr enthält Art. 85 Abs. 3 EGV bereits alle Leitlinien, die für eine wirksame Wettbewerbspolitik notwendig sind400. Eine besondere Rücksichtnahme auf andere Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ist nicht erforderlich, um den Wettbewerb zwischen Unternehmen und Verbrauchern sicherzustellen. Nur weil wettbewerbliehe Kriterien wie der Verbraucherschutz oder die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts daneben auch anderen Zielen401 dienen oder dienen können, müssen diese anderen Ziele nicht noch einmal gesondert in die Wertung eingebracht werden402. Solche Kriterien sind typisch für das Wettbewerbsrecht (vergleiche zum Beispiel § 5 Abs. 2 Satz I GWB). Nationale Behörden sind also mit derartigen Vorschriften durchaus vertraut. Bislang ist zudem keine Freiste)-
395
Vergleiche GTE-Schröter Vor Art. 85-94/22.
So auch BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn; ähnlich BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln; vergleiche auch Kamburoglou WuW 1993,273 [277] zurFusionskontrolle. 396
397 Die politische Aufgabe zeigt sich im Verwaltungsverfahren schon an der Abstimmungsprozedur, bei der alle Kommissare das gleiche Stimmgewicht haben. 398
23. WB 1993 1190; siehe auch Gliederungspunkt B. I. 3.
So auch BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn; auch BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln. 399
400 BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn; vergleiche auch EuGel Rs. T-17/93, Urteil vom 15.7.1994, Slg. 1994,11-595 [618 ff /59 ff] "Matra/Kommission".
401
Vergleiche zum Beispiel Art. 31it. c, I, m und s EGV.
402
Ähnlich BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn.
188
C. Probleme des Vorschlags
lungsentscheidung ergangen, die ausdrücklich andere Vertragsziele berücksichtigt hat und in diesem Sinne politisch war403 . (Lediglich die MannesmannRöhren-Entscheidung404 kann man als "politisch" bezeichnen: Damals unterlag der Wettbewerbskommissar Karel van Miert mit 8 zu 9 Stimmen in der Kommission405.) Inhaltlich setzt Art. 85 Abs. 3 EGV also die Berücksichtigung anderer Vertragsziele nicht voraus, vielmehr enthält er ein komplettes "Programm" zu seiner Anwendung. Dies spricht also für eine Möglichkeit, die Vorschrift auch von nationalen Behörden anwenden zu lassen. Die Kommission als Gemeinschaftsorgan hat allerdings gemäß Art. 2 und 130 a EGV auch die Aufgabe, eine ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen. Dabei hat sie die verschiedenen Vertragsziele miteinander in Einklang zu bringen406 und muß also bei der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV auch die anderen in Art. 3 und 3 a EGV genannten Bereiche berücksichtigen. Der weite Beurteilungsspielraum bei Art. 85 Abs. 3 EGV gibt ihr dazu einen gewissen Freiraum. Wird die Preisteilungsnorm dagegen durch eine Behörde angewendet, für die das Integrationsgebot der Art. 2 und 130 a EGV nicht gilt, bleibt es beim den allgemeinen Regeln. Damit bleibt es aber auch bei dem eben festgestellten Ergebnis, daß die nationalen Behörden die Freistellungsnorm ebenfalls anwenden können. Nur dürfen diese dabei - mangels Ermächtigung - die anderen Vertragsziele nicht berücksichtigen. Was die politische Entscheidungsbefugnis der Kommission anbetrifft, so ist festzuhalten, daß auch die Freistellungsentscheidungen der Kommission einer rechtlichen Kontrolle jederzeit standhalten müssen407 . Die Kommission darf zwar politische Motive berücksichtigen, muß ihre Handlungen aber im Rahmen der vertraglichen Vorschriften halten. Ihre Entscheidungen sind - abgesehen von dem Beurteilungsspielraum- voll gerichtlich überprüfbar408 .
Vergleiche Gliederungspunkt C. II. 2. c); auch der BDI sieht in den Kommissionsentscheidungen kaum politische Aspekte. Auskunft BDI, Lothar Dresse!, Gespräch am 12.3.1996 in Köln. 403
404
"Mannesmann/Vallourec/Dalmine".
405
Vergleiche FAZ vom 27.1.1994 [14) Kommission billigt Röhren-Kooperation.
406
Ehlermann WuW 1993,997 [998].
407 BMWi, Dr. Armin Jungbluth, Gespräch am 8.3.1996 in Bonn; so zum Beispiel auch die umstrittene Ford/VW-Entscheidung. 408 Dies macht den Unterschied aus zu der Ministererlaubnis nach Art. 8 GWB, die nicht justiziabel ist. Dort besteht nur eine Kontrolle hinsichtlich eines Ermessensmißbrauchs; vergleiche Rittner, Kartellrecht [226].
IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befähigt?
189
Die Vorschrift des Art. 85 Abs. 3 EGV läßt sich also unterschiedlich lesen: Bei Anwendung durch die Kommission liegt eine Rechtsanwendung vor, bei der politische Erwägungen Einfluß haben können; sie ist damit ein Instrument, das zur Erreichung der grundlegenden Ziele der Gemeinschaft beiträgt. Die Wettbewerbspolitik der Kommission hat stets auch die Auswirkungen auf andere Politikbereiche der Kommission in Betracht zu ziehen409. Sie ist insofern mit der Ministererlaubnis des GWB vergleichbar410. Da Art. 85 Abs. 3 EGV aber selbst keinen Hinweis auf andere Vertragsziele enthält oder in anderen Vertragsvorschriften auf sie verwiesen wird, kann man Art. 85 Abs. 3 EGV auch als reine Rechtsanwendungsvorschrift für alle anderen Behörden begreifen411; in diesem Fall entspräche sie eher den anderen Freistellungsmöglichkeiten des GWB. Mit Politik hat eine solche Anwendung dann nicht zu tun. Bezeichnenderweise spricht übrigens auch der EuGH nicht davon, daß nur die Kommission Freistellungen erteilen "könne", sondern daß dies auf Grund der VO 17 so "ist"412 . Damit steht aber einer Anwendung der Vorschrift durch eine nationale Behörde nichts im Wege413 . Ohnehin würde der Kommission nach dem oben vorgeschlagenen Verfahren die Möglichkeit eingeräumt, die Entscheidung einer nationalen Behörde über ihr Veto-Recht aus politischen Gründen zu ändern. 3. Der EG-Vertrag hat die Kompetenzverteilung nicht präjudiziert Wann immer über den Änderungsvorschlag des BKartA diskutiert wird, ist von einer entsprechenden Änderung der VO 17 die Rede414. Der Vollständigkeit halber muß daher hier untersueht werden, ob eine Änderung der VO 17 überhaupt genügen würde; man könnte nämlich auch auf den Gedanken kommen, daß eine Kompetenzzuweisung schon im EGV angelegt ist. Dann wäre eine Änderung des primären Gemeinschaftsrechts erforderlich, um den nationalen Behörden eine Freistellungsbefugnis einzuräumen. Sollte dies der Fall sein, wäre der deutsche Vorschlag von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn eine Änderung des EGV setzt Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten voraus, die
409 Vergleiche van Miert WuW 1995,553 [553 f] . 410
BOI, Lothar Dressel, Gespräch am 12.3.1996 in Köln.
411
So zum Beispiel Möschel EWS 1995,249 [250].
412 Vergleiche zum Beispiel EuGH Rs. C-234/89, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 28.2.1991, Slg. 1991,I-935 [991 /44] "Delimitis/Henninger Bräu". 413
BOI, Lothar Dressel, Gespräch am 12.3.1996 in Köln.
414
Held [49]; weitere Nachweise unter Gliederungspunkt B. I. 1.
190
C. Probleme des Vorschlags
in dieser Frage aus politischen Gründen nicht zu erzielen sein wird. Für eine Änderung der VO 17 dagegen genügt nach Art. 87 EGV schon eine qualifizierte Mehrheit415 . Zwei Ausgangspunkte kommen für entsprechende Argumentationsversuche in Betracht: Art. 87 und 88 EGV. Art. 88 EGV spricht davon, daß "bis" zum lokrafttreten der entsprechenden Vorschriften nationale Behörden zuständig seien, "insbesondere" für Freistellungen. Das Wort "insbesondere" ist auffällig: Es stellt eine Besonderheit heraus - sonst wäre das Wort überflüssig und die bloße Nennung von Art. 85 EGV ausreichend. Für "danach" enthält die Vorschrift weiter keine Aussage. Bei einer sehr wörtlichen Auslegung des Wortes "bis" könnte man annehmen, daß hier eine Grenze gezogen werden sollte: Die Kompetenz für Freistellungen sollte eben nur bis zum Erlaß einer entsprechenden Vorschrift nach Art. 87 EGV bei den Mitgliedstaaten gelegen haben, danach wäre sie unwiderruflich auf ein Gemeinschaftsorgan übergegangen. (Im Sinne einer gespannten Mausefalle, die irgendwann ausgelöst wird und bei der es kein Zurück gibt). Art. 88 EGV spricht aber nicht nur von der Freistellungskompetenz, sondern auch von der Anwendung von Art. 85 Abs. 1 EGV. Dann würde mit Erlaß der Vorschrift auch diese Kompetenz der nationalen Behörde erlöschen. Das war aber offensichtlich nicht gewollt, denn die nationalen Behörden sollten ja gerade Art. 85 Abs. 1 EGV anwenden können. Das ergibt sich schon aus der Normierung als unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirkendes Verbot. Zudem: Würde man Art. 88 EGV als so endgültig festlegende Kompetenzvorschrift verstehen, wäre für den Zeitpunkt "danach" im EGV keine Regelung getroffen. Dann wäre aber kraft Vertrages nicht die Kommission zuständig, sondern läge die Kompetenz nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung grundsätzlich bei den Behörden der Mitgliedstaaten. Die Formulierung "bis" sollte also auch deswegen nicht in diesem strengen Sinn ausgelegt werden. Es bleibt dann aber noch die Formulierung "insbesondere" zu erklären: Bis zum Erlaß der Ausführungsvorschriften konnte die Kommission nicht oder nur beschränkt tätig werden416, es fehlte also am ausführenden Organ. Da Art. 85 Abs. 3 EGV aber anders als das Verbot des Absatz 1 nicht direkt in den Mit-
415 Eine Änderung der FK-VO dagegen setzt wieder Einstimmigkeit voraus, da diese Verordnung zusätzlich zu Art. 87 und 88 auch auf Art. 235 EGV gestützt ist. 416
Gliederungspunkt C. II. 3. a).
IV. Sind Mitgliedstaaten zur Freistellung befahigt?
191
gliedstaaten gilt, gehört er typischerweise zu den verwaltungsrechtlichen Mitteln zur Durchsetzung des Kartellrechts. Insofern war eine ausdrückliche Nennung angebracht. Durch Art. 88 EGV wird also keine endgültige Kompetenzzuweisung vorgenommen, die allenfalls durch eine Vertragsänderung umgekehrt werden könnte. Dieses Ergebnis stützt auch eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1986417 , also nach lnkrafttreten der VO Nr. 17/62: Es handelte sich um einen Fall aus dem Bereich des Flugverkehrs. Dieser Wirtschaftssektor war zunächst vom Anwendungsbereich der VO Nr. 17/62 erfaßt, jedoch nachträglich der Anwendung wieder entzogen worden, ohne daß bis zum Zeitpunkt der EuGHEntscheidung eine Neuregelung getroffen worden war. In dem Vorlageverfahren entschied der EuGH (freilich ohne sich inhaltlich länger mit dem Problem zu befassen), daß in Ermangelung der in Art. 87 EGV vorgesehen Regelung die Art. 88 und 89 EGV anwendbar blieben418 . Demnach ging auch der EuGH nicht von einer "Einbahnstraße" aus und hielt auch eine Vertragsänderung nicht für notwendig, da er das Wiederaufleben der nationalen Kompetenz auf Grund der VO Nr. 141/62 zuließ, also auf Grund einer Regelung im sekundären Gemeinschaftsrecht. Art. 88 EGV steht also einer Kompetenzverlagerung auf die nationalen Behörden durch bloße Änderung der VO Nr. 17/62 nicht entgegen. Nun zum zweiten Ansatz: Nach Art. 87 Abs. I EGV soll die VO Nr. 17/62 der Verwirklichung der in den Art. 85 und 86 EGV festgelegten Grundsätze dienen. Der Rechtsetzungsauftrag ließ dabei grundsätzlich freien Spielraum, forderte in Art. 87 Abs. 2 EGV jedoch bestimmte Einzelheiten ("insbesondere"). Eine freie Kompetenzzuweisung war daher nur möglich, wenn in Art. 87 Abs. 2 EGV nicht schon einige Regelungen vorgenommen waren: Nach Art. 87 Abs. 2 lit. d EGV sollen die Aufgaben der Kommission und des Gerichtshofs bei der Anwendung der in Absatz 2 vorgesehenen Vorschriften abgrenzt werden. Bezöge man dies nun auf Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV, nach dem die Einzelheiten der Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV festgelegt werden sollen, könnte man zu der Auffassung kommen, der EGV schriebe fest, daß nur entweder die Kommission oder der EuGH Art. 85 Abs. 3 EGV anwenden dürfe, keinesfalls aber Dritte, also zum Beispiel die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten. Die VO Nr. 17/62 würde demnach in Bezug auf Art. 85 Abs. 3 EGV nur die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gemeinschaftsorganen regeln, während die Kompetenz zur Freistellung auf Grund des EGV jedenfalls bei einem der beiden Gemeinschaftsorgane festliege. 417 EuGH Rs. 209-213/84, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 30.4.1986, Slg. 1986,1425 [1467 /52) "Ministere Public/Lucas Asjes". 418
Gemeint ist wohl: die Anwendbarkeit wiederauflebte.
192
C. Probleme des Vorschlags
Allerdings handelt es sich bei der Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV um eine Verwaltungstätigkeit Die oben genannte Auslegung würde demnach die Möglichkeit eröffnen, dem EuGH eine Verwaltungstätigkeit zuzuordnen. Die Konzeption des EGV ist jedoch eine andere: Der Gerichtshof hat nach Art. 164 EGV die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern, die Kommission soll dagegen nach Art. 155 EGV für die Anwendung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts Sorge tragen. Damit ist der Grundsatz der Gewaltenteilung im EGV normiert. Im Bereich der Zwangsmaßnahmen dagegen hat der Vertrag keine Aufgabenverteilung zwischen Kommission und EuGH vorgenommen. Art. 87 Abs. 2 lit. d EGV kann sich daher nicht auf Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV, sondern nur auf lit. a beziehen: Nach Art. 172 EGV ist es dem Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich überlassen, ob er dem EuGH in einer Ratsverordnung eine Befugnis zu einer unbeschränkten Ermessensnachprüfung und zur Änderung oder Verhängung der in der Verordnung vorgesehenen Sanktionen einräumen will. Damit trifft Art. 87 Abs. 2 EGV aber auch keine Entscheidung hinsichtlich einer Freistellungskompetenz nur durch ein Gemeinschaftsorgan. Eine zentrale Anwendung ist daher insgesamt vom EGV nicht vorgegeben419 .
419
[29].
Ohne jede Begründung oder nähere Untersuchung auch Lenz, Harrnonisierung
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß die Unternehmen in der Europäischen Union einem in zeitlicher und rechtlicher Hinsicht nicht zufriedenstellenden Verfahren ausgesetzt sind. Förmliche Freistellungen ergehen zu selten, die Verfahren dauern zu lange. Die Versuche der Kommission, Abhilfe zu schaffen, sind entweder rechtlich fragwürdig und kennzeichnen Fehlentwicklungen (deutlich bei den Gruppenfreistellungsverordnungen und den comfort letters) oder müssen erfolglos bleiben (geplante Bekanntmachung zur vermehrten Anwendung europäischen Kartellrechts durch die nationalen Behörden). Ursächlich für den Verfahrensstau ist das Freistellungsmonopol der KommissiOn. Eine kritische Überprüfung des Änderungsvorschlags des BKartA hat ergeben, daß die teilweise Verlagerung von Freistellungskompetenzen auf nationale Behörden in rechtlicher Hinsicht durchführbar ist. Eine dezentrale Bearbeitung der Freistellungsanträge wird in vielen Fällen zur erhofften Verfahrensbeschleunigung führen. In einigen anderen, so ist ebenfalls gezeigt worden, erscheint dagegen eine zentrale Behandlung der Anträge offensichtlich vorteilhafter. Die ganze Frage der Lockerung des Freistellungsmonopols der Kommission zugunsten der Mitgliedstaaten hat indessen auch noch eine verfassungspolitische Seite, die bisher unberücksichtigt geblieben ist. Die Ausgestaltung des Kartellrechts hat Bedeutung für die verfassungspolitische Entwicklung der Gemeinschaft. Es geht, wie in jedem Staatenbund auf dem Weg zum Bundesstaat, um das Verhältnis zwischen der Zentralgewalt und den Gliedstaaten. Die Bundesfreundlichkeit der Gliedstaaten steht in Beziehung mit dem Bedürfnis der Gliedstaaten nach Bewahrung ihrer Selbständigkeit. Aus dieser Überlegung hat die Regierungskonferenz von Maastricht im Jahr 1992 den Grundsatz der "Subsidiarität" als Art. 3 b Abs. 2 in die Verfassung der Union aufgenommen 1. Der Präsident des BKartA ist der Auffassung, das Subsidiaritätsprinzip "gebiete" geradezu eine Änderung der Zuständigkeit2 . Andere sprechen unscharf
1 Vergleiche 2
zum Diskussionstand zum Beispiel Lambers EuR 1993,229 [229 ff]. WolfEuZW 1994,233 [235].
194
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage
von einem "Beitrag zu mehr Subsidiarität" 3. Andere wenden ein, daß das Subsidiaritätsprinzip keineswegs das Zauberwort für schnellere und bessere Verwaltung sei4 . Speziell den deutschen Landesregierungen wird vorgeworfen, dem Subsidiaritätsgedanken einseitig die Rolle eines "eschatologischen Erlösungsprinzips gegen die Übermacht des Leviathan der Brüsseler Eurokratie" zuzuweisen5 . Welche Bedeutung hat das Subsidiaritätsprinzip für die hier behandelte Frage?
I. Inhalt des Subsidiaritätsprinzips Nach Art. 3 b Abs. 2 EGV wird die Union nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips ist dabei, daß nationale Behörden und Organe der Europäischen Union konkurrierend bzw. parallel6 zuständig sind. Wenn die Zuständigkeit dagegen schon an eine von beiden Seiten ausschließlich vergeben ist, kommt man überhaupt nicht zu der Frage, ob die andere Seite das entsprechende Ziel besser erreichen könnte. Mangels Befugnis "kann" sie das Ziel nämlich überhaupt nicht erreichen7. Das Subsidiaritätsprinzip findet dann von vornherein keine Anwendung. Es berührt nicht die Befugnisse, über die die Europäische Gemeinschaft auf Grund
3
Vergleiche zum Beispiel Jung, Subsidiarität [227].
Das Zauberwort für Europa-Müde, DIE ZEIT vom 23.10.1992 [23]; Lecheier [63]: "Ailzweckwaffe"; vergleiche auch Möschel, Subsidiaritätsprinzip [45] und Möschel NJW 1995,281 [281]. 5 Weber, Verfassungsstruktur [127]. 4
6 Vergleiche Geiger Art. 5/25,28 f; GTE-Bieber Art. 4/40; Lambers EuR 1993,229 [234]; Möschel, Subsidiaritätsprinzip [45]; Möschel NJW 1995,281 [281]. 7 Vergleiche in diesem Zusammenhang auch das "Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung", nach dem Gemeinschaftsorgane nur tätig werden können, sofern für diese Tätigkeit eine ausdrückliche oder zumindest konkludente Rechtsgrundlage innerhalb der Verträge vorhanden ist. Vergleiche dazu zum Beispiel Oppermann /432 f. Das Prinzip hat inzwischen in Art. 3 b Abs. I EGV eine normative Verankerung gefunden.
I. Inhalt des Subsidiaritätsprinzips
195
des Vertrages entsprechend der Auslegung des EuGH verfügt8, und es darf diese Befugnisse nicht in Frage stellen9. Für den Bereich der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft schreibt Art. 3 b Abs. 2 EGV dies wörtlich fest. Der Subsidiaritätsgrundsatz enthält weiter die wichtige Aussage, daß es keine Dezentralisierung "um jeden Preis" gibt 10. Es sollen nämlich nicht alle Fragen von den Behörden der Mitgliedstaaten behandelt werden, sondern die jeweils kompetentere Behörde wird mit der Zuständigkeit betraut 11 . Zu fragen ist also im Einzelfall, wer den Zielen des Vertrags am besten zum Durchbruch verhilft 12. Allerdings ist den nationalen Stellen ein kleiner Vorteil eingeräumt: Die Union soll nur tätig werden, wenn sie die Aufgabe "besser" 13 erfüllen kann und also erhöhten Anforderungen gerecht wird 14. Sofern nationales und supranationales Organ gleichermaßen für die Fallbearbeitung geeignet sind, ist demnach die nationale Stelle zuständig. Insofern kann man also von einer vorrangigen Zuständigkeit der nationalen Behörden ausgehen 15 . (Dem entspricht es auch, daß die Gemeinschaft ihr Tätigwerden besonders begründen muß 16 mit der Folge einer Umkehrung der Beweislast Nicht die Mitgliedstaaten sind im Verfahren des Normerlasses verpflichtet, die Überschreitung der Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips nachzuweisen, sondern die Gemeinschaft muß ihr Tätigwerden legitimieren 17.) Umgekehrt führt dies dazu, daß mit dem Subsidiaritäts-
8
Blanke, Normativer Gehalt [I 05].
EuRAT, Schlußfolgerungen [141]; Möschel NJW 1995,281 [281]; Möschel, Subsidiarität [45]. 9
10 Vergleiche EuRAT, II
Schlußfolgerungen (141].
24. WB 1994/23.
12 Schmidhuber/Hitzler NVwZ 1992,720 (722]; Schmidhuber DVBI. 1993,417 (419]; vergleiche auch Europäisches Parlament, Rechtsetzung und Subsidiaritätsprinzip, EuZW 1994,484 (484].
13 Sog. "Mehrwert-Test", durch den das supranationale Plus gegenüber der Summe der mitgliedstaatliehen Maßnahmen zu ermitteln ist: Was ist also der besondere Vorteil, das "Plus" einer Maßnahme von Gemeinschaftsorganen gegenüber dezentralen Handlungen? Vergleiche etwa Blanke, Normativer Gehalt [102]. 14
[581].
Vergleiche Schwartz AfP 1993,409 [412]; Schweitzer/Fixson JURA 1992,579
15 Ähnlich auch BR-Drucksache 182 und 259/93 (Beschluß), Zusammenfassung in: Bundesrat zum Subsidiaritätsprinzip, EuZW 1993,434 [434]; Jung, Subsidiarität [140, 221]; vergleiche auch EuRAT, Schlußfolgerungen [142 f]. 16
Vergleiche Art. 190 EGV.
196
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage
prinzip Maßnahmen der Gemeinschaft nicht nur unterbunden, sondern auch gefordert werden können 18 . Art. 3 b EGV wurde in das Gemeinschaftsrecht erst durch den Vertrag von Maastricht eingefügt. Das Subsidiaritätsprinzip war jedoch bereits in den Römischen Verträgen angelegt und hat noch weiter zurückreichende philosophische und politische Wurzeln 19• In Maastricht fand damit lediglich eine "Rückbesinnung" auf das im Grundsatz bereits anerkannte Prinzip statt. Es soll bewirken, daß Entscheidungen so "bürger- bzw. unternehmensnah" wie möglich getroffen werden 20 und die Identität der einzelnen Mitgliedstaaten und ihrer Regierungssysteme gewahrt bleibt21 . Es soll das gemeinschaftliche Denken und Handeln fördern und die Wertschätzung des Gemeinschaftsrechts erhöhen. Eigene Mitwirkung durch selbständige Anwendung von EG-Recht kann Mißtrauen gegenüber einer entfernt operierenden Zentralverwaltung abbauen 22 und- in Bezug auf die Art. 85 ff EGV - auch zu höherer Akzeptanz des Wettbewerbsprinzips in der Gemeinschaft führen 23 . Im Vollzug verspricht man sich eine weitere Harmonisierung der nationalen Wettbewerbsgesetze. Das Interesse an einer dezentralen Durchsetzung der gemeinsamen Wettbewerbsvorschriften insbesondere fordere, daß mehr und meh~4 Länder ihre Wettbewerbsbehörden in die Lage versetzen, Art. 85 Abs. 1 und 86 EGV - neben eigenem Kartellrecht -effektiv anzuwenden25 . Art. 3 b Abs. 2 EGV, der das eben beschriebene Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne enthält, steht in engem Zusammenhang mit dem I. und 3. Absatz des Art. 3 b EGV. Teilweise wird daher insgesamt von Art. 3 b EGV auch vom
17 Pieper DVBI. 1993,705 [711]; Schmidhuber/Hitzler NVwZ 1992,720 [725]; vergleiche auch Schmidhuber DVBI. 1993,417 [419]; Jarass EuGRZ 1994,209 [213]. 18
Vergleiche Blanke, Normativer Gehalt [106].
Siehe dazu zum Beispiel von Bornes EuR 1994,263 [265] mit weiteren Nachweisen; Jung, Subsidiarität [167 ff]; ausführlich Lecheier [29 ff] mit weiteren Nachweisen. 19
20 Lambers EuR 1993,229 [232]; Pipkorn EuZW 1992,697 [698]; Lecheier [85 ff] ; Wolf/Fink WuW 1994,289 [291]. 21
Von Bornes EuR 1994,263 [271 f]; Lecheier [87 ff].
22 Vergleiche Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [7 f] un-
ter Verweis auf die Angst vor dem "Brtlsseler Leviathan". 23
Groger/Janicki WuW 1992,991 [993 f].
24
Dazu bereits unter Gliederungspunkt C. II. I.
25
Ehlermann WuW 1993,997 [999].
II. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips
197
Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne gesprochen26 . In Absatz 1 ist seit der Neufassung des EGV das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung27 festgeschrieben, nach dem die Gemeinschaft nur tätig werden darf, wenn ihr die entsprechende Befugnis - zumindest implizit28 - zugewiesen worden ist. Dieser Grundsatz bestand schon vorher; er wurde durch die Aufnahme in den EGV lediglich präzisiert und stellt keine Änderung der Rechtslage da? 9 . Absatz 3 enthält eine Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der ebenfalls schon zuvor als ungeschriebener Rechtsgrundsatz anerkannt war30. Bislang galt er jedoch vor allem für das Verhältnis der Gemeinschaft zum einzelnen (was in Zusammenhang mit der Abwehrfunktion der Grundrechte steht), nun wirkt er jedoch auch auf die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ein31 . Insgesamt ist das Subsidiaritätsprinzip ein für alle Gemeinschaftsorgane verbindliches Rechtsprinzip32 . Es gilt für alle Tätigkeiten der Gemeinschaft33 und hat damit Verfassungsrang 34 ; nachrangiges europäisches Recht hat ihm zu entsprechen.
II. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips Das Subsidiaritätsprinzip gilt, wie dargelegt, nicht, wenn die entsprechende Materie ausschließlich in den Kompetenzbereich der Gemeinschaft fällt. Die Ausrichtung der Wettbewerbspolitik in der EU fällt in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft35 . Alle Kompetenzen, die sich auf die Definition des Inhalts der Wettbewerbsregeln beziehen, müssen zentral wahrgenommen werden, da die Regeln für alle Mitglieder identisch sein müssen. Die für den Binnenmarkt konstitutive Wettbewerbspolitik ist daher zwingend eine 26 Vergleiche zum Beispiel zu Art. 3 b Abs. I EGV Pieper, Subsidiarität [184 f]; zu Art. 3 b Abs. 3 zum Beispiel von Borries EuR 1994,263 [270] mit weiteren Nachweisen. 27 Sieh~ dazu auch schon Gliederungspunkt C. II. 5. a). 28 Kraußer [59 ff]; Lambers EuR 1993,229 [233]; Lecheier [14]; Pieper [185]. 29 Stein [29] mit weiteren Nachweisen. 30 Vergleiche Schwarze, Verwaltungsrecht [661 ff, 830 ff]. 31 Von Borries EuR 1994,263 [269].
Stein [35 f]; Lambers EuR 1993,229 [240]; Pieper, Subsidiarität [275]. Cass CMLR 1992,1107 [1134). 34 Wolf, Redemanuskript Kartellrechtsforum St. Gallen 27.4.95 [7). 35 Gliederungspunkt C. IV. 2. a); ferner Groger/Janicki WuW 1992,991 [994]. 32
33
14 Gillessen
198
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage
Aufgabe, die "wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen" nicht nur "besser", sondern überhaupt nur auf Gemeinschaftsebene erfüllt werden kann 36 . Durch den hier zu untersuchenden, deutschen Änderungsvorschlag ist jedoch nur der Vollzug der Wettbewerbsregeln betroffen. Für die hier vorliegende Fragestellung ist daher zu klären, ob die Freistellungskompetenz allein einem Gemeinschaftsorgan zugewiesen ist. Oben wurde bereits festgestellt, daß sich eine solche Zuweisung nicht bereits aus dem EGV ergibt37 . Vielmehr wird die ausschließliche Kompetenz zur Erteilung von Freistellungen der Kommission auf Grund von Art. 9 Abs. 1 VO 17 - einer Durchführungsverordnung - eingeräumt. Das Anwendungsmonopol beruht also auf Sekundärrecht Das BKartA verneint deshalb eine ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft in Bezug auf die Anwendung der Wettbewerbsregeln. Der Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips könne nämlich nur durch eine Vorschrift der gleichen Hierarchiestufe bestimmt werden, nicht aber durch nachrangiges Gemeinschaftsrecht38 . Allgemein formuliert könne sich also die Geltungskraft von Verfassungsprinzipien des primären EG-Rechts nicht nach dem Inhalt von Ausführungsverordnungen richten. Diese Auffassung führt zu dem Ergebnis, daß das Subsidiaritäts~rinzip anwendbar ist und die VO 17 als nachrangiges Recht möglicherweise3 dagegen verstößt. Die Gegenansicht will eine ausschließliche Zuständigkeitsvergabe nicht nur durch den EGV selbst, sondern auch durch das vertragsgemäße sekundäre Gemeinschaftsrecht zulassen40. Zuständigkeit sei also Zuständigkeit, gleich ob deren Erteilung im primären oder sekundären Gemeinschaftsrecht erfolgt ist. Da bei den Freistellungen vom europarechtlichen Kartellverbot die Zuständigkei-
36 Behrens [93).
37 Gliederungspunkt C. IV. 2. b). 38 Vergleiche BKartA, TB 1991/92 [6); vergleiche auch WolfEuZW 1994,233 [235); Wolf/Fink WuW 1994,289 [291). 39 Dies hängt davon ab, ob alle anderen Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips erfüllt sind und also eine dezentrale Anwendung geboten ist. Siehe dazu sogleich. 40 Kamburoglou meint in WuW 1993,273 [281) sogar, Art. 89 EGV (er spricht fehlerhaft von Art. 88) erfordere eine Vertragsänderung. Allgemein aufschlußreich ist insoweit die Antwort des Rates in ABI. EG Nr. C 1994 102/4: "Das Subsidiaritätsprinzip ist in der Rechtsordnung der Gemeinschaft kein Grundsatz, der die Aufteilung der Befugnisse zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ... regelt."
II. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips
199
ten auf Grund der VO 17 von vornherein ausschließlich bei den Gemeinschaftsorganen liege, fehle jeder Ansatzpunkt für Subsidiaritätserwägungen. Der Rat könne wohl davon abweichen (Art. 87 EGV), müsse es aber nicht41 . Gegen die erste Ansicht wird eingewandt, sie übersehe, daß sich der EGV in Art. 87 und 88 selbst zur Disposition stelle, indem er die nähere Ausgestaltung von Zuständigkeiten zur Anwendung seiner Wettbewerbsvorschriften späteren Ausführungsverordnungen überlasse. Die Zuständigkeitsverteilung der auf dieser Ermächtigungsgrundlage beruhenden VO 17 konkretisiere also nur die im Vertrag angelegte Grundstruktur und schaffe damit bei der Prüfung von Einzelmaßnahmen durchaus den maßgebenden rechtlichen Rahmen für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips42. Begründet wird die Zulässigkeil einer solchen Regelung im sekundären Gemeinschaftsrecht auch mit Rechtssicherheitserwägungen: Folgte man der Auffassung des BKartA, müßte man konsequenterweise in jedem Augenblick des Verfahrens immer wieder überprüfen, ob nicht nationale Behörden besser in der Lage wären, die Ziele des EG-Vertrages zu erreichen. Zweckmäßigerweise solle diese Entscheidung jedoch vorher ein für allemal fallen, um widersprüchliche Ergebnisse innerhalb derselben Rechtsordnung zu vermeiden und den beteiligten Unternehmen nicht mehr Planungssicherheit zu nehmen als unbedingt erforderlich43. Mit dieser Begründung ließe sich aber das Subsidiaritätsprinzip immer aushebeln. In der Tat könnte man nämlich bei jeder Maßnahme ständig und immer wieder eine Prüfung unternehmen, um festzustellen, ob zum derzeitigen Augenblick die andere Partei zur Durchführung möglicherweise besser geeignet ist. Das ist vom Subsidiaritätsprinzip aber offensichtlich nicht gewollt. Insofern ist richtig, daß eine anfangs getroffene Entscheidung nicht während des Verfahrens wieder umgekehrt werden soll. Dies betrifft aber eben nur den Zeitraum nach Vergabe der Zuständigkeit. Nicht abgeleitet werden kann daraus, wie die Zuständigkeitsvergabe selbst aussehen soll. Was hat es mit der anderen Behauptung auf sich, daß die VO 17 nur die im EGV angelegte Grundstruktur konkretisiere und deshalb das Subsidiaritätsprinzip begrenzt sei? Art. 87 EGV weist die Regelungskompetenz zur Verwirklichung der in Art. 85 EGV niedergelegten Grundsätze dem Rat und damit einem
Schütz WuW 1994,520 [521 f] ; vergleiche auch Ehlerrnann WuW 1993,997 [997 f] und Ehlerrnann, Verwaltungsverfahren [5]; zweifelnd Groger/Janicki WuW 1992,991 [994]. 41
42
Jung, Subsidiarität [ 180 f].
43
Jung, Subsidiarität [ 183].
14•
200
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage
Gemeinschaftsorgan zu. Aber läßt sich aus dieser Tatsache bereits eine ausschließliche Zuständigkeit eines Gemeinschaftsorgans für die Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV ableiten? Art. 87 überläßt es dem Rat, die Durchführung durch alle zweckdienlichen Verordnungen und Richtlinien sicherzustellen. Der Rat hat damit sehr weitgehende gesetzgebensehe Gestaltungsmöglichkeiten. Er könnte auch eine Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV durch die nationalen Behörden als zweckdienlich erachten. Daß die Gründer der Europäischen Gemeinschaft dies für möglich gehalten haben, zeigt sich daran, daß nach Art. 88 EGV die Mitgliedstaaten einmal die sogar ausschließliche Freistellungskompetenz innehatten. Es kann also keine Rede davon sein, daß das Sekundärrecht (VO 17) lediglich die schon im EGV angelegten Grundsatzentscheidungen konkretisiere und deshalb den primärrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatz im Anwendungsbereich beschneiden könnte: Der EGV hat ja gerade keine Entscheidung in dieser Hinsicht getroffen 44. Also kann auch nichts konkretisiert werden! Also ist es nicht gerechtfertigt, das Subsidiaritätsprinzip durch "kollidierendes Verfassungsrecht" (nämlich die in den primärrechtlichen Wettbewerbsvorschriften angeblich niedergelegten Grundsatzentscheidungen) zu beschneiden. Da aber Primärrecht stets dem Sekundärrecht vorgeht, kann Art. 9 Abs. 1 VO 17 die Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips nicht ausschließen. Die Grundsätze des Subsidiaritätsprinzips sind also bei der hier vorliegenden Frage zu beachten.
111. Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht Nun ist eine Regelung durch die Mitgliedstaaten gemäß dem Subsidiaritätsprinzip immer dort besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, wo grenzüberschreitende Wirtschaftsvorgänge berührt werden oder wo es um den grenzüberschreitenden Zugang zu (nationalen) Märkten geht. Bei Ermittlungen im Ausland beispielsweise ist dies sehr gut zu erkennen 45 . Eine gemeinschaftsweite, zentrale Regelung ist in solchen Fällen deshalb besonders Jeistungsfähig46. Würde man indessen generell nach dieser Erkenntnis handeln, müßte man den Organen der Gemeinschaft dann stets Vorrang vor denen der Mitgliedstaaten einräumen, denn es läßt sich vertreten, daß eine zentrale Stelle im Zweifel
44
Gliederungspunkt C. IV. 2. b).
45
Gliederungspunkt C. I1I 1.
46
Jarass EuGRZ 1994,209 [215]; Blanke, Normativer Gehalt [1 09].
III. Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht
201
immer "besser" geeignet ist, sobald ein Fall auch nur ansatzweise grenzüberschreitende Wirkungen haben könnte. Zu Recht wird daher darauf hingewiesen47, daß das Gemeinschaftsrecht nicht verlangen kann, daß das nationale Alternativverfahren in sämtlichen Aspekten den Anforderungen des supranationalen Referenzverfahrens genügt. Dies ergibt sich schon aus der Verwendung des Tatbestandsmerkmals "nicht ausreichend" in Art. 3 b Abs. 2 EGV. Danach ist nämlich keine perfekte Zielverwirklichung von den Mitgliedstaaten verlangt48 , vielmehr ist ausreichend, wenn die wesentlichen materiellen und prozeduralen Aspekte gleichwertig sind49 . Die oben angestellten Überlegungen haben gezeigt, daß es Verfahrenswege gibt, mit denen sich auch in grenzüberschreitenden Fällen durch nationale Regelungen die gewünschten Wirkungen erzielen lassen. Die "Gleichwertigkeit" von nationalen Verfahrensergebnissen mit Entscheidungen auf Gemeinschaftsebene läßt sich durchaus erreichen. Allerdings sind bei einigen Verfahrensschritten Umwege zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses notwendig; zu denken ist hierbei insbesondere an die für Ermittlungen im Ausland erforderliche Amtshilfe50. Dies hat Auswirkungen vor allem auf die Zeit, in der ein Verfahren abgeschlossen werden kann, und auf die Kosten. Es stellt sich daher die Frage, ob Verhältnismäßigkeitserwägungen die Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips mitbestimmen. Genauer: Inwieweit schränken Verhältnismäßigkeitserwägungen im Sinne des Art. 3 b Abs. 3 EGV das Subsidiaritätsprinzip des Absatz 2 ein 51 ? Dazu ist zu klären, ob der in Art. 3 b Abs. 3 EGV enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz tatsächlich das System der Kompetenzverteilung betrifft, wie einige Autoren vertreten 52 . Das BVerfG hat von Art. 3 b Abs. 3 EGV als einer Regelung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesprochen, den es als "drittes grundlegendes Prinzip der Gemeinschaftsverfassung" begreift53 . Daran ist zu erkennen, daß es darunter eine umfassende Regelung versteht. 47
Vergleiche SR-Drucksache 810/92 (Beschluß), IV Ziffer 17.
Scherer DVBI. 1993,281 [283 Fußnote 42) unter Verweis auf den unglücklichen Wortlaut der deutschen Fassung des Vertragstextes; Pipkom EuZW 1992,697 [699]. 48 49
Jarass EuGRZ 1994,209 [217]; Blanke, Normativer Gehalt [109].
50 Gliederungspunkt C. 51
III I.
Vergleiche Groger/Janicki WuW 1992,991 [994).
52 Zum Beispiel Scherer DVBI. 1993,281 [283]; Schweitzer/Fixson JURA 1992,579 [581); Schmidhuber/Hitzler NVwZ 1992,720 [721 ff] unter Betonung des "engen Zusammenhangs" der drei Absätze des Art. 3 b EGV; vorausgesetzt wohl auch in Groger/Janicki WuW 1992,991 [994].
53
BVerfGE 89,155 [212].
202
D. Kartellrecht als Verfassungsfrage
Nach der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über das Subsidiaritätsprinzip handele es sich dagegen bei Art. 3 b Abs. 3 EGV um ein den Subsidiaritätsgrundsatz ausgestaltendes "lntensitätskriterium", das zwar eine Gewähr für die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" liefern solle, sich aber nicht auf das Problem der Kompetenzzuordnung auswirken dürfe 54 . Vielmehr solle, wenn es zu Maßnahmen der Gemeinschaft komme, ein Vorrang von Unterstützungsmaßnahmen vor einer umfassenden Reglementierung, von gegenseitiger Anerkennung vor Harmonisierung, von Rahmenrichtlinien vor detaillierten Regelungen etc. sichergestellt werden, bevor "in letzter Instanz zwingende Regelungen erlassen würden" 55 . Weiterhin müssten das gewählte Instrument und die daraus resultierenden Belastungen für die Mitgliedstaaten in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Gemeinschaftsregelung verfolgten Zweck stehen. Art. 3 b Abs. 3 EGV kann insofern allenfalls als eine partielle Kodifizierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur inhaltlichen Ausformung des Subsidiaritätsprinzips im Hinblick auf das "Wie" einer Maßnahme bewertet werden56. Nur eine solche übergreifende Sichtweise entspricht der Systematik des Art. 3 b EGV, der von einem engen inhaltlichen Zusammenhang der Regelungen in seinen drei Absätzen ausgeht57 : Während das Verhältnismäßigkeitsprinzip das gewählte Mittel zu einem vorgegebenen Zweck in Relation setzt, ist für das Subsidiaritätsprinzip allein die Legitimität des Zecks nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit zu ermitteln58 . Das Bedürfnis einer Regelung auf Gemeinschaftsebene wird durch das Übermaßverbot nicht in Frage gestellt, sondern es kann allein die Intensität gemeinschaftsrechtlicher Regelungen begrenzt werden in Form einer SelbstbeschränkungsklauseL Art. 3 b Abs. 3 EGV gilt daher vor allem im Bereich der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen59 .
54 KOM, Subsidiaritätsprinzip; ähnlich Antwort des Rates in ABI. EG Nr. C 1994 102/4; vergleiche auch Stein [29 f]: Grundsatz für die Kompetenzausübung, nicht eine Kompetenzzuweisung.
55 KOM, Subsidiaritätsprinzip [Anhang I 2); vergleiche Schmidhuber DVBI. 1993,417 [418 f]. 56 Zu dieser Unterscheidung zwischen Verhältnismäßigkeit als der Frage des "Wie"
und Subsdiarität als der Frage des "Ob" erstmals Dürig JZ 1953,193 [199).
57 So bereits Blanke DVBI. 1993,819 [827); ähnlich Pieper DVBI. 1993,705 [709);
Kahl AöR 118,414 [426 ff) sowie Jarass EuGRZ 1994,209 [214) ordnen zutreffend die Regelungen des Art. 3 b Abs. 2 und 3 EGV dem weiten Begriff der Subsidiarität zu. Siehe auch von Borries EuR 1994,263 [269 ff); ferner Lecheier [14]. 58
Blanke DVBI. 1993,819 [827).
59
Blanke, Normativer Gehalt [108]; vergleiche auch Lecheier [16).
III. Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht
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Der Wortlaut von Art. 3 b Abs. 3 EGV entspricht dieser Interpretation: Danach dürfen "die Maßnahmen" der Gemeinschaft nicht über ein bestimmtes Ziel hinausgehen. Damit ist lediglich das "Wie" einer Maßnahme der Gemeinschaft gemeint. Das "Ob" dagegen, also die Frage der Befugnis zum Tätigwerden, wird hier bereits als positiv beantwortet vorausgesetzt. Art. 3 b Abs. 3 EGV hat also keine direkten Auswirkungen auf das Subsidiaritätsprinzip. Allenfalls ließe sich nun überlegen, ob sich aus dem allgemeinen und im Gemeinschaftsrecht anerkannten 60 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung herleiten lassen61 . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner überkommenen Form entwickelte sich aus Bemühungen um Gerechtigkeit im Strafrecht, also um proportionale Tatvergeltung. Einen neuen Anstoß erhielt er, als die im 19. Jahrhundert vordringende liberale Staatsauffassung die Verfassungsregel entwickelte, daß die Staatstätigkeit sich auf begrenzte oder zumindest abgrenzbare Zwecke zu beschränken habe. Diese nicht mehr von der ursprünglichen Gerechtigkeitsidee umfaßte Quelle des Verhältnismäßigkeitsprinzips beruht auf der Vorstellung, daß Recht nützlich zu sein habe, also zweckrational und somit auch in einer Mittel-Zweck-Relation zu einem gewünschten Erfolg stehen müsse62 . Dahinter steht der rechtsphilosophische Gedanke63 , daß öffentliches Handeln nicht nur durch gesellschaftliche Zwecke, sondern auch durch seine Zweckmäßigkeit und damit durch seine Proportionalität zu dem jeweils verfolgten Interesse legitimiert sein muß64 . Auch wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor allem der Aktualisierung und Effektuierung grundrechtliehen Freiheitsschutzes dient65 , so läßt sich allgemein aus diesem zweiten Grundgedanken doch ableiten, daß Zweckmäßigkeitserwägungen bezüglich der Einfachheit oder Kompliziertheit eines Verfahrens und dessen Kosten berücksichtigt werden müssen. Auch könnte man die Formulierung "Umfang" in Art. 3 b Abs. 2 EGV nicht nur in Bezug auf die Intensität des Eingriffs in die Kompetenz der Mitgliedstaaten begreifen, sondern auch als Hinweis auf den für das Ziel zu treibenden Aufwand. In diese Abwägung könn-
60 EuGH Rs. 122178, Urteil in Vorabentscheidungsverfahren vom 20.2.1979, Slg. 1979,677 [684 f 116] "Buitoni"; EuGH Rs. 41+121+796179, Urteil vom 19.6.1980, S1g. 1980,1979 [1997 /21] "Vittorio Testa und andere/BfA"; Kutscher, Verhältnismäßigkeit [89 ff] . 61 Ähnlich- noch vor Aufnahme des Art. 3 bin den EGV- Kraußer [154 ff]. 62 Schwarze, Verwaltungsrecht [662]. 63 Siehe dazu Wieacker [879] unter Verweis auf von Jhering, der in verschiedenen Schriften den dem Recht innewohnenden Zweckcharakter besonders hervorgehoben hat. 64 Schwarze, Verwaltungsrecht [663]. 65 Schwarze, Verwaltungsrecht [663].
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ten dann nämlich auch Zeit- und Kostenfaktoren Einfluß finden. Schließlich kann es nicht im Interesse der Mitgliedstaaten liegen, wenn - im Extremfall die Verfahrensdauer sich vervielfacht und die Kosten explodieren, "nur" weil die Mitgliedstaaten das betreffende Ziel im Sinne der Subsidiarität in materieller Hinsicht genauso gut erreichen können wie die Gemeinschaft und deswegen zuständig sind. Wenn man also die Möglichkeit der Berücksichtigung der Verfahrensdauer und der Kosten einmal unterstellt66 und auch unberücksichtigt läßt, ob neben der ausdrücklichen Regelung des Art. 3 b Abs. 3 EGV überhaupt noch allgemeine Verhältnismäßigkeitserwägungen in die Beurteilung einfließen können, bleibt offen, ob eine Anwendung der Freistellungsnorm durch nationale Behörden tatsächlich "geboten" ist: Wie bisher gezeigt, ist eine Verlagerung der Kompetenz auf die nationalen Behörden zwar rechtlich und tatsächlich möglich, in einem Teil der Fälle kann dies jedoch mit einem höheren Aufwand verbunden sein. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Verfahrensaufwand und den für eine einheitliche Anwendung erforderlichen Vorkehrungen ergeben, dürften nicht deutlich geringer sein, als die, die als Folge aus der Überlastung der Kommission entstanden sind. Die Abwägung führt daher zu keinem Ergebnis, das ganz eindeutig für oder wider eine Kompetenzverlagerung spricht. Also kann auch keine Rede davon sein, daß das Subsidiaritätsprinzip eine Verlagerung "gebiete". Allerdings- und das ist das Entscheidende - wird mangels eines eindeutigen Abwägungsergebnisses auch keine Aussage in umgekehrter Richtung getroffen: Das Subsidiaritätsprinzip steht einer Kompetenzverlagerung also auch nicht im Wege. Immerhin: Im Zweifel gebührt der dezentralen Regelung der Vorrang.
66 Vergleiche auch die - durchaus überzeugende - Begründung für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Sinne einer Kompetenzausübungsschranke bei Kraußer [154 ff].
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5. Bundesrat, Bundestag, Bundesregierung BT-Drucks. 8/4404, Monopolkommission, 3. Hauptgutachten 1978179, Fusionskontrolle bleibt vorrangig. BT-Drucks. 12/847 [V], Stellungnahme der Bundesregierung zum Tätigkeitsbericht des BKartA 1989/90. BT-Drucks. 13/370 [25], Bundesregierung, Jahreswirtschaftsbericht 1995. BR-Drucks. 810/92 (Beschluß). BR-Drucks. 182+259/93 (Beschluß). BR-Drucks. 245/94 [36], 53. Integrationsbericht der Bundesregierung.
6. Andere Quellen BDI, (interner) Ergebnisvermerk zur gemeinsamen Sitzung der Arbeitskreise Kartellrecht sowie Marktbeherrschung und Fusionskontrolle am 25. Oktober 1994, i. ü. unveröffentlicht. BDI, Stellungnahme zur Überprüfung der Schwellenwerte der EG-Fusionskontrollverordnung, Köln 25.3.1993 [10-13]. · BDI, Standortfaktor Wettbewerbspolitik- Reformbedarf auf deutscher und europäischer Ebene, Februar 1995. WuW 1966,167-168, Zur Durchführung der EFTA-Wettbewerbsregeln. WuW 1993,4, Kurzinformation: Brüssel will Kartellverfahren straffen und an nationale Behörden delegieren. WuW 1993,180, BKartA will gegen Strom-Monopol nach EG-Recht vorgehen. WuW 1994,641-644, 23. Wettbewerbsbericht der EG-Kommission vorgestellt. WuW 1994,720, Kurzinformation: Novellierung des EG-Wettbewerbsrechts zwischen Bonn und Brüssel kontrovers diskutiert. WuW 1996,778, Kurzinformation: EuGH soll Zulässigkeil eines Verbots des BKartA von Gebietsschutzverträgen nach EG-Recht prüfen. WuW 1996,873-874, Kurzinformation: Musterprozeß vor dem EuGH über die Anwendung des EG-Rechts durch das BKartA bei Demarkationsverträgen. WuW 1996,970-971, Kurzinformation: Britisches Wettbewerbsrecht soll europäischem Recht angeglichen werden. WuW 1996,971, Kurzinformation: Baldige Revision des EG-Wettbewerbsrechts fraglich.
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Sachverzeichnis Abgrenzung 22, 92, 101, 102, 109 Abstimmung 3, 120, 125 acte-clair-Doktrin 67, 161 Alleinvertrieb 6, 50, 51 Amtshilfe 148, 175, 176, 177, 178, 179, 181, 182,201 Anerkennung 41, 42, 44, 138 Anfechtungsbefugnis 135 Anhörung 11, 67, 74, 135, 168 Anwendungsbefugnis 37, 39 Anwendungsdefizit 41 Anwendungskonkurrenz 46 Anwendungsmonopol 2, 6, 198 Aufsichtsklage 120, 158 Auftragsverwaltung 87, 94 Ausführungsvorschrift 27, 190, 198, 199 Auskunft 33, 82, 169, 172, 173, 174, 177, 181, 182, 184 Auslandsermittlungen 181 Ausnahmebereich 29, 30, 37, 94, 96 Ausnahmemöglichkeit 77 Ausnahmeregelung 51 backlog 2, 6, 7, 25, 26, 52, 61, 62, 69, 77, 82,89, 156,165,193 Bagatellbekanntmachung 15, 16, 80, 103, 104, 105, 106, 111 Bagatellfälle 91 Beitritt 20, 21 Beteiligung 61, 71, 74, 135, 173 Beurteilungsfehler 143 Beurteilungsspielraum 56, 117, 118, 132, 133, 158, 188 Beweisverwertungsverbot 33 Bindungswirkung 67, 70 Bündeltheorie 14 Bußgeld 19, 75, 77, 174 clearing-Stelle 123
comfort Ietter 2, 9, 26, 35, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77,82,90,93,95,97, 193 Dezentralisierung 2, 3, 32, 34, 38, 46, 83, 92, 93, 94, 98, 99, 101, 105,111, 118, 119, 123, 126, 136, 137, 139, 150, 155, 158, 165, 168, 178, 180, 193 Direktwirkung 40 discomfort Ietter 66 Doppelzuständigkeit 34 Drittwirkung 183 Duldung 65, 82 Effizienz 96, 121, 156 Eingreifschwelle 24 Eingriffsvoraussetzungen 65 Einvernehmen 98, 123, 147, 148 Einzelentscheidung 62 Einzelermächtigung 151, 190, 197 Einzelfall 52, 55, 60, 62, 80 Einzelfreistellung 2, 10, 36, 49, 56, 59, 63, 65, 70, 73, 74 Einzelfreistellungsantrag 61 Einzelfreistellungsverfahren 53, 61, 125 Entlastung 26, 33, 62, 80, 81, 82, 85, 164 Entscheidungswiderspruch 41, 46, 100, 155, 156, 166 Erlaubnisgrundsatz 5, 60, 114 Ermächtigung 57, 61, 78, 139, 140, 142, 199 Ermessen92,117,192 Ermittlungen 28, 34, 75, 91, 173, 178, 180, 185 Freistellung 2, 3, 5, 6, 7, 9, 10, 17, 18, 19, 30, 32, 37, 39, 40, 48, 49, 50, 51, 55, 56, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 66, 67, 68, 71, 73, 76, 78, 79, 82, 83, 86, 88, 92,
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Sachverzeichnis
93, 95, 97, 118, 119, 120, 122, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135, 136, 137, 139, 140, 142, 143, 147, 149, 150, 154, 155, 156, 157, 158, 166, 171, 180, 184, 186, 188, 189, 190, 191, 193, 198,204 Freistellungsantrag 11, 18, 19, 75, 149, 150, 193 Freistellungsentscheidung 10, 118, 127, 128, 130, 136, 139, 156, 165, 178, 179, 180, 183, 184, 188 Freistellungserklärung 39, 88, 97, 128, 129, 130, 131, 140, 157, 187 Freistellungsfähigkeit 32, 48, 51, 60, 66, 71, 72, 73, 82, 125, 189 Freistellungskompetenz95, 103,165,168, 189, 190, 192, 193, 198, 200 Freistellungskriterien 53, 60, 73, 105 Freistellungsmonopol 2, 32, 38, 46, 68, 73, 76, 83, 85, 88, 92, 94, 97. 118, 119, 193 Freistellungsverfahren 135, 171, 182 Frist 60, 61, 124, 125, 144, 145, 146, 154, 155, 157 Fusion 9, 24, 86, 91, 112 Gemeinschaftsorgan 119, 123, 139, 158, 188, 190, 191, 192, 197, 198, 199,200 Gesamtumsatz 15, 20, 24, 104, 105, 111, 112 Gestaltungs 118, 132 Grenzwert 103, 104, 105, 106, 107 Gruppenfreistellungsverordnung 10, 26, 29, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 69, 75, 78, 80, 82, 87, 89, 124, 125, 146, 193 Hoheitsakt 40, 41, 42, 44, 139, 184 Hoheitsbereich 40, 139 Hoheitsgebiet 46, 139
Kartell 2, 5, 47, 53, 79, 81, 82, 87, 130, 187 Kartellrecht 1, 3, 24, 33, 37, 57, 71, 116, 137, 148, 160, 179 Kartellverbot 1, 2, 5, 6, 9, 14, 26, 27, 28, 29, 30, 34, 39, 40, 49, 52, 59, 60, 63, 75, 77, 79, 80, 82, 87, 127, 146, 171, 198 Kartellverfahren 9, 33, 46, 133, 134, 165, 166, 176, 177 Klagebefugnis 158 Kollisionsregell2 Kommissionsentscheidung 64, 155 Kompetenz 1, 24, 25, 89, 102, 151 , 189, 190, 191,201,202,203,204 Kontrolle43, 111,119,121,156 Konzern 172, 174, 182 Konzessionsvertrag 36 Kooperation 17, 58,72 Legalisierungswirkung 144 Marktanteil 50, 53, 80 Marktbeeinflussung 41, 103 Marktbeherrschung 60 Mehrfachverfahren 35, 41, 95, 166 Mehrfachzuständigkeiten 98 Ministererlaubnis 189 Mißbrauchsaufsicht 29, 50, 53, 63, 75, 77, 78 Negativattest 10, 11, 64, 66, 67, 68, 73 Nichtanwendbarkeit 79, 131 Nichtigkeit 56, 129, 160 Patentlizenzverträge 48, 51 Privatrechtsgestaltung 89, 129, 134 Prüfungskompetenz 55, 174
Rechtsangleichung 44, 94, 116 Rechtsanwendungskompetenz 34 Informationsverwertungsverbot 181 innerstaatlich I, 27, 115, 139, 140, 142, Rechtsanwendungskonkurrenz 36, 90 !51 Rechtseinheit 3, 26, 95, 96, 99, 119, 120, inter-ornnes-Wirkung 128, 132, 133, 135, 121, 142,149, 150, 165, 166 136, 137 Rechtsgestaltung 43, 132, 135
Sachverzeichnis Rechtsstaatsprinzip 42, 144, 145, 166 Rechtsunsicherheit 77,80 Schadensersatz 81, 127, 130, 131, 156, 160 Schwellenwert l 06, l 07 Schwerpunkt 126, 150 Selbstbindung 66 Spürbarkeit 15, 16 Subsidiariätsprinzip 2, 93, 95, 194, 195, 198,199,200,201,202 Territorialitätsprinzip 40, 128, 136, 166, 169, 171, 179, 182 Übermaßverbot 202 Überwachungsinstanz 177 Überwachungsorgan 20, 107 Umsatz 103, 104, 106, 107, 108, 111 Umsatzschwelle 24, 80, 103, 104, 106, 108,109,111 Umsatzschwerpunkt I 08 Unterlassung 45, 135 Untersagung 119,143,149,171,186 Verbot 30, 39, 71, 97, 180, 186 Verbotsprinzip 52, 114, 115 Verbotsvorbehalt 60 Verfahren 3, 35, 37, 46, 75, 133, 138, 168, 169,201 Verfahrensaussetzung 40 Verfahrensdauer 3, 8, 90, 105, 121, 148, 149, 163, 165, 166, 181, 193,204 Verfahrensende 9, 69 Verfahrenshindernis 181 Verfahrensrecht 28, 34, 40, 46, 79, 81, 83, 117, 128, 136, 140, 142, 145, 146, 162, 166, 167, 168, 169, 179, 180 Verfahrenssprache 168, 183 Verfassung 85, 197, 198, 203 Verhältnismäßigkeit 197, 201, 202, 203, 204 Vertragsgestaltung 54, 56, 191 Vertragsverletzung 120, 121, 158, 161, 179, 180
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Vertrauensschutz 66 Vertriebsvertrag 58, 72 Verwaltungsentscheidung 46, 129, 130, 136, 166 Verwaltungsgericht 156 Verwaltungsprozeß 134 Verwaltungsverfahren 8, 34, 35, 43, 49, 50, 82, 110, 119, 120, 121, 122, 123, 127, 134, 136, 142, 145, 149, 158, 165, 168, 172, 175, 184, 186, 192 Verwertungsverbot 34 Völkerrecht 171 Vorabentscheidungsverfahren 19, 33, 76, 130, 151, 152, 153, 154, 159, 161, 162, 164, 165, 166, 167, 172, 191 Vorlagebeschluß 76, 161, 163 Vorlagemöglichkeit 56, 162 Vorlagepflicht 121 Vorrangwirkung 3, 76, 149 Vorwirkung 40 Wesentlichkeitstheorie 132 Wettbewerbsbeschränkung 5, 7, 18, 20, 23, 34, 67, 74, 77, 96, 106, 126, 129, 132, 144, 147, 167, 171, 173 Wettbewerbspolitik 8, 20, 97, 116, 119, 122, 186, 187, 189, 197 Wettbewerbsprinzip 85, 91, 186, 196 Wettbewerbsrecht 1, 6, 14, 17, 18, 19, 20, 25, 26, 27, 29, 30, 31, 33, 57, 62, 78, 81, 85, 87, 92, 93, 94, 95, 100, 114, 115,116,127,139,186,187,196,197, 198, 199, 200 Widerspruch 49, 50, 53, 59, 60, 61, 62, 120, 124, 125, 142, 144, 146, 147 Wirksamkeitsfiktion 125 Zuständigkeitskonflikt 98, II 0 Zuständigkeitsregelung 36, 47, 86, 88, 93, 99, 102, 103, 104, 105, 107, 108, 110, 111, 180, 191, 198, 199 Zwangsgeld 38, 169 Zweckmäßigkeit 65, 160, 203 Zwischenstaatlichkeitsklausel 6, 12, 14, 22,23,90, 102,113