Lessing, Schiller und Goethe: Erörterungen in Folge des Widerspruchs gegen die Vereinigung ihrer Standbilder in Berlin und gesammelte Blätter zu Lessings Andenken, 2 Abth. [Mit Beil., aus: [Schiller-Denkmal 1859-70]. Reprint 2019 ed.] 9783111429731, 9783111064369


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German Pages 325 [328] Year 1863

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Preface
Inhalts
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I. Abtheilung. Erörterungen
II. Abtheilung. Gesammelte Blätter. Zu Lessings Andenken
Beilagen. In chronologischer Folge.
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Lessing, Schiller und Goethe: Erörterungen in Folge des Widerspruchs gegen die Vereinigung ihrer Standbilder in Berlin und gesammelte Blätter zu Lessings Andenken, 2 Abth. [Mit Beil., aus: [Schiller-Denkmal 1859-70]. Reprint 2019 ed.]
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Lessing, Schiller und Goethe.

Erörterungen in Folge deS Widerspruchs gegen

die Vereinigung ihrer Standbilder in Berlin und

gesammelte Blätter

zu Lessings Andenken. Zwei Abtheilungen. Mit Beilagen.

«on

Friedrich B l o e m e r.

Berlin. Verlag von Georg Reimer. 1863.

Obgleich die Erörterungen in der ersten Abtheilung dieser

Schrift an eine bestimmte Veranlassung anzuknüpfen und einen nächsten Zweck im Auge zu behalten hatten, so können sie doch

auch

zur Würdigung von Interessen dienen,

die über diesen

Ich rechne dazu die Geistesge­

nächsten Zweck hinauSliegen.

meinschaft unserer drei größten Schriftsteller und dramatischen

Dichter, an deren Ermittelung ich in sofern glaubte Theil neh­

men zu dürfen, als ich mich bestreben würde, jedem von ihnen

gerecht zu werden. Die zweite, ansschließlich auf Lessing bezügliche Abthei­

lung zerfällt in die Abschnitte:

Lessing in den Augen einiger

seiner Verehrer von 1769 bis 1862, — aus Lessings Leben, und — Lessings Tod.

Dem ersten Abschnitte

wird manches

werthe Blatt fehlen, das eine bessere Vorbereituug und freiere Muße nickt übersehen hätte. sicht bitten. so reich

Gesammelte ist indeß für

sich allein

an Dank und Liebe, daß ich es auch in seiner Un­

vollständigkeit biete.

DaS hier

Ich kann deshalb nur um Nach­

verwandten Empfindungen

mit Vertrauen dar­

Der zweite Abschnitt ist bestimmt, uns nochmal in dem

Herzen Lessings, wie in einem aufgeschlagenen Buche lesen zu

lassen.

Er enthält Auszüge meist auS LesfingS eigenen Briefen,

rv

die uns den Sohn und Bruder, den Freund und Gatten, den Jüngling und den Mann unmittelbar vor Augen stellen. Der britte Abschnitt erinnert daran, wie ein früheres Geschlecht den zu früh Verlomen zu ehren und zu feiern wußte. Die Beilagen geben zu den betreffenden Anführungen der ersten Abtheilung die urkundlichen Beweise. Das über Zweck und Inhalt dieser Schrift, die im Uebrigen, wie jede andere, für sich selbst zu sprechen hat. Warum ich sie dessenungeachtet unter Nennung meines Na­ mens herausgebe? Weil die Ansichten, denen ich in der ersten Abtheilung entgegentreten mußte, von den Namen, die zu de­ ren Stütze anderseitig angentfen find, in der Erörterung nicht mehr zu trennen waren, und es mir unter diesen Umständen aus Gründen des gegenseitigen Rechts verboten schien, auf die erhobenen Einwürfe anders, als in gleicher Offenheit, zu antworten. Berlin, den 1. November 1862.

Inhalts-LerzeichniI. Abtheilung. Erörterungen. ------------

Seite

Einleitung--------------------------------------------------------------------------Die künstlerische Unausführbarkeit: Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe Comite vom 14. April 1862

3

10

Gutachten de« Bildhauer«, Professor« Albert Wolfs.................................15

19

Gutachten mehrerer hiesiger Bildhauer Gutachten de« Bildhauer- I. Franz

..........................

Gutachten de« Professor« G. öüderitz.....................

....

20 21

Gutachten det Bildhauers H. Heidel..........................................................24 Gutachten de« Professor« A. Wredow..........................................................26 Gutachten des Baurath- H. Hitzig...............................................................27

Gutachten de- Professors H. F. Maß mann...............................................27 Sachliche- Resultat.................................................................................... 30

Die literaturgeschichtliche Unangemessenheit ................................... 33 Die Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes...................... 39 Der Brief bei Herrn Jacob Grimm.......................................................... 47

Ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten?.... so Ob Lessing und Goethe nicht zu einander gehören?.................. 66 Ob Schiller unter den Dreien nicht die Mitte behaupten kann? 62 Da- Gutachten der Professoren Boeckh und Trendelenburg . . . 106 Personen und Sache ........................................................................ 112 DaS Schauspielhaus ........................................................................ 11s II. Abtheüuug. Gesammelte Blätter zu Lessings Andenken.

Vorwort............................................................................................. 127 Lessing in den Augen einiger seiner Verehrer von 1769 biS 1862: Herder...............................................................................................129 Gugel ............................................................................................... 132 Mathias Claudius .......................................................................136

VI Seite.

Leisewitz . Christian Gottfried Schütz Johann Friedrich Schink ....................................................... Friedrich Schlegel ................................................... Johann G ottfried Eichhorn Schelling ................................................................................... Lud wig Tieck .............................................. Platen . Dr. Ludwig Wachter Wolfgang Menzel Heinrich Heine Dr. G- Riesser Dr. Petri Friedrich Theodor Vischer Daniel Schenkel .... ... Heinrich Laube . . . ........................................................ K. R. Hagen dach . . August Nodnagel Gustav Schwab . ................... Hillebrand - - . . Dr. Heinrich Gelzer ... R. E. Prutz Arnold Rüge ... ... Eduard Devrient Johann Georg Theodor Gräße.............................................. Dr. Th. W. Danzel G. E Guhrauer Berthold Auerbach .............................................. Johann Scherr Dr. Heinrich Kurz F. C. Schlosser Gervinuü . . Radowitz ... Carl Schwarz Dr. Georg Weber ..................................... Lewes Moritz Carriere Julian Schmidt .......................................... Dr. Iohann Wilhelm Schaefer Adolf Stahr ................................................... Aus dem rauhen Hause Werner Hahn .............................................. Moritz Rapp . .

- VH Bette.

Aus dem

Wageuerschea Staat-- and Gesellschafts-Lexikon

216

Rudolph Gottschall....................................................................................217 Bluntschli.........................................................................................................218

.............................................................................................. 221

Carl Goedeke Franz Sandvoß

.........................................................................................221

C. Hehler.........................................................................................................222 Dilmar.............................................................................................................. 222 Heinrich Düntzer......................................................................................... 225

Gustav Freitag...............................................................................................226 Heinrich Lang...............................

226

Dr. Dietrich '.........................................

232

Richard Gosche...............................................................

233

Aus Lessings Leben: Die Selbstbiographie......................................................................................... 239

Der Sohn und Bruder....................................................................................240 Der Freund

.

.

.

......................................................................................... 252

Die Reife de- Leben-........................................................................................ 255

Lessing- Braut................................................................................................... 256 Lessing- Frau....................................................................................................257 Der Gatte und Vater....................................................................................258 Die letzten Jahre............................................................................................... 260

LesfingS Tod: Mendelssohn an Carl Lessing...............................................................263 Derselbe an Henning-........................................

264

Herder an Mendelssohn

265

Au-

dem deutschen Mercur

.......................................................................... 266

Die deutschen Bühnen zu Berlin, Hamburg, Schwedt, Ellrich

267

Beilage». Brilagt

I.

.

.

Seit« -...............................................................................................275

,

H.....................................................................................................................279

, , , , ,

UI................................................................................................ 279 IV. .................................................................... - .... 283 V................................................................................................ 286 VI................................................................................................ 289 VH................................................................................................ 291

,

vm.

293

, DL ................................................................................................ 294 , X. ................................................................................................ 296 . XI................................................................................................ 310 , xn................................................................................................ au

Zu berichtigende Druckfehler.

Seite

statt: auS ungünstig.

5. v. o.

32.

2. v. u.



Frage,

35.

17. v. o.



der Letzter»

des Letzter«.

52.

13. v. o.



Bor-Goethefche

Vor Goetheeche.

61.

Sarge,



dem unglücklichen

des unglücklichen.

3. v. o.

w

Börne

Vorne. 30. März,

in der Note

es. Zeilt n

lieS: als ungünstig,

30. Zeile

u.



30. März 1751

89.

19. v. o.



überall

übervoll.

98.

1. v. u



Volk

Wort.

106.

17. v. u.



Unfug

109.

13. v. o.



Voran

Woran

117.

13. v. o.



noch eine

noch einen.

150

19



Hohn

Hofe.

o.



posteritatis

posteriteriUtis.

12. v. o.

,

2lsten

23sten

74.

155 238.

3. v

v. u.

6. v

,,

Umfug.

I. Abtheilung. Erörterungen.

Einleitung.

*öi6 in die Mitte des vorigen Jahres 1861 wurde hier mit stei­ gender Erregtheit darüber gestritten, ob das künftige Schiller-Standbild den Standpunkt, der ihm am Jubelfeste des Dichters, dem 10. November 1859, in der Mitte des Vorplatzes des hiesigen Schauspielhauses ge­ währt worden, unverändert behalten, oder ob es, in Folge der später beschlossenen Errichtung auch eines Goethe-Standbildes auf diesem Platze, von dem mittleren Standpunkte nachttäglich rechts oder links zur Seite weichen müsse. Die vorgeschlagenen Ausgleichungswege waren von den zunächst Betheiligten, dem Schiller- und dem Goethe-Comitö, nicht be­ tteten worden. Beide Comites verweigerten einstimmig in die Verbin­ dung des Schiller- und Goethe-Standbildes zu einer Gruppe einzu­ willigen. Auf die Verlegung des letzteren Standbildes von dem Gensdarmenmarkte nach einem andem öffentlichen Platze Berlins hatte zuletzt noch das Schiller-Comite in einer Eingabe an den Minister der geist­ lichen, Unterrichts- und Medirinal-Angelegenheiten, vom 1. September 1860 hingewiesen, indem es zugleich seinen dringenden Anttag erneuerte: „daß mit der Ausführung des Schiller-Denkmals auf der bisherigen Grundlage nunmehr, ohne Auffchub und Rücksicht auf noch andere Zwecke, ensschieden und energisch vorgegangen werde." Das Goethe-Comite lehnte diesen Vorschlag unbedingt ab. „Auf diesen Plan," erklärte es dem Magistrat am 12. September 1860, „können wir nicht eingehen, ohne unsern Allerhöchst sancttonirten Grundgedanken und den ganzen Zweck unsers Bestehens aufzugeben." Zwei Monate später, am 30. November 1860, wandte sich das Schiller-ComitL unmittelbar an Seine Majestät dm König mit der Bitte: „daß der durch die feierliche Legung de» GtundfteinS bereits geweihte Platz vor der Treppe des Königlichm Schauspielhauses für das Schiller-Dmkmal festzuhalten sei;" und nach Ablauf femerer fünf Monate gelangte es, in Beantwortung eines nmm 1*

4 Anschreibens des Magistrates vom 25. April 1861 zu jener in Nr. 124 der Vossischen Zeitung vom 31. Mai 1861 und fast gleich­ zeitig auch in Nr. 22 des Berliner Communal - Blattes veröffentlichten Schlußerklärung, die den damaligen wahren Stand der Dinge für die ohnehin erschütterten Hoffnungen auf eine bald glückliche Lösung nur zu sehr verdeutlichte: „Nach alledem," so lautete diese mit einem Rückblick auf bestimmte thatsächliche Vorgänge verbundene Schlußerklärung deS Schiller-Comite an den Magistrat vom 18. Mai 1861, „sind wir nicht in der Lage, in irgend welche neue Verhandlungen eintreten zu können. Wir erwarten die Allerhöchste Entscheidung auf unser an des Königs Majestät gerichtetes lJmmediatgesuch vom 30. November v. I. Wir können unterliegen, unsere Mitbürger werden uns dafür niemals verantwottlich machen. Nimmer aber soll uns der Vorwurf treffen, daß wir unsere Ueberzeugung einer pflichtwidrigen Nachgiebigkeit zum Opfer gebracht hätten. Und wir glauben, daß gerade des Königs Majestät es zu würdigen weiß, rotnn Männer an ihrer Ueberzeugung sowie an der ihnen übertragenen Verpflichtung unverbrüchlich festhalten."

So hatte der Stteit lähmend und störend nach beiden Seiten fast ein volles Jahr fortgedauert und der würdigsten Angelegenheit allmählig einen Stempel aufgedrückt, den nur ihre schadenfrohen Gegner nicht be­ klagten, als eine hier bereits im Anfänge 1861, bei Ernst Kühn, Kronenstraße 33, als Manuskript gedruckte anonyme Schrift: „Drei DichterStandbilder in Berlin, Ein Wort zur Einigung"') nun auch in weiteren Kreisen den Vorschlag zu begründen suchte, dadurch den Frieden herbei­ zuführen, daß man den beiden Standbildern für Schiller und Goethe auf dem Vorplatze des hiesigen Königlichen Schauspielhauses noch ein drittes Standbild für Lessing hinzufüge. Das Schiller-Standbild behalte dann den ihm in dem Art der feierlichen Grundsteinlegung in der Mitte des Platzes erworbenen Besitzstand und das Goethe-Standbild die ihm hier mit diesem Standbilde zugesicherte locale Gemeinschaft. Zugleich werde durch diese Erweiterung der statuarischen Doppelstellung zu einer Dreistellung ein Art der Gerechttgkeit gegen denjenigen vaterländischen Schriftsteller geübt, der, vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin, mit Schiller und Goethe durchaus die gleiche nationale Huldigung ver­ diene und dem Preußen, und vor allem die Hauptstadt Preußens, über­ dies zu ganz besonderer Dankbarkeit verpflichtet sei. Auf die nachfol­ gende unmittelbare Anregung eines seiner Mitglieder") zog der Magi*) Beilage I.

”) Beilage III.

5 [trat mtb die Stadtverordnetm-Versammlung diesen Vorschlag später in den Kreis amtlicher Erwägungen. Einem darauf gerichteten Ersuchen der letzteren Behörde entsprechend, bewirkte sodann der Magistrat, daß der Vorschlag in einer vereinigten Sitzung von dazu erwählten Bevollmächtigten seiner selbst, der Stadtverordneten - Dersammlurig und deS Schiller- und Goethe-Comitö gemeinschaftlich berathen wurde. DaS Resultat dieser gemeinschaftlichen Berathung war seine allseitige An­ nahme.') Dann gaben das Magistrats-Collegium und das Plenum der Stadtverordneten - Versammlung dem in jener vereinigten Sitzung allseitig gebilligten Vorschläge, nach vorhergegangener nochmaliger eigener Berathung, ihre korporative Zustimmung, und zwar mit der Folge, daß der Magistrat bei dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheitkn auf die an Allerhöchster Stelle zu bewirkende Genehmigung des Vorschlags nunmehr, ant 30. October 1861, be­ stimmte Anträge stellte.") Diese Anträge des Magistrats wurden auf die Befürwortung des bezeichneten Herrn Fach-Ministers am 6. Novem­ ber 1861 Allerhöchst genehmigt. Gleichzeitig wurde an Allerhöchster Stelle die Constituirung eines Comite zur Errichtung eines LessingStandbildes in Berlin zur Seite des künftigen Schiller-StandbildeS gestattet und den Bestrebungen dieses Comite die mit erbetene Aller­ höchste Huld und Gnade ausdrücklich zugefichert.'") Drei Tage später, am 9. November 1861, richtete der Magistrat an das Schiller- und das Goethe-Comitö das nachfolgende gleichlautende Anschreiben: „Dem verehrlichen Comitö beehren wir uns ganz ergebenst mitzutheilen, daß auf Grund der zwischen uns und Wohldemselben in Betreff der Denk­ mals-Angelegenheit gepflogenen Unterhandlungen, unserm Anträge gemäß, durch Allerhöchste Ordre vom 6. November d. I. das sogenannte Drei-Statuen-Project nunmehr genehmigt worden ist. Seine Majestät der König haben demnächst zu befehlen geruht, daß das Standbild Schillers über dem bereits gelegten Grundstein errichtet, oder vor dem Schauspielhause um etwas vorgerückt werde, die Standbilder von Goethe und Lessing aber demselben zur Seite treten. Zugleich haben Seine Majestät genehmigt, daß das Concurrenz-Ausschreiben für das SchillerDenkmal zum 10. November, als dem Jahrestage der Grundstein­ legung, von uns publicirt werde, und haben endlich die Bildung des Comitö für das Lessing-Denkmal huldreichst gestattet. Wir sprechen dem verehrlichten Comitö unsere aufrichttgste Genugthuung über diese erfreuliche Wendung einer so lange venttlirten Angelegenheit aus, und hoffen,

•) Beilage V.

") Beilage VII.

•••) Beilage VIII. und VI.

6 daß Wohldaffelbe daraus neuen Muth schöpfen wird, der baldigen völli­

gen Erledigung einer großen nationalen Angelegenheit mit uns alle seine Kräfte

zu

constituirte

In einem öffentlichen Aufrufe vom

Lessing-Comitv. forderte

Am 23. November 1861

widmen."

sich

das

10. Januar 1862

es zu Beiträgen für ein Lessing-Standbild auf, das vor dem

Königlichen Schauspielhause hier

„in harmonischer Verbindung mit den

Standbildern Schillers und Goethes" errichtet werden solle.')

Auf die-

fen öffentlichen Aufruf und zu der darin bezeichneten Bestimmung sind

dem Lessing - Comitö Beiträge von Nah und Fern eingesandt und von

demselben in Empfang genommen worden.

Seinerseits hatte der Ma­

gistrat das Concurrenz-Ausschreiben für das Schiller-Standbild bereits am 10. November 1861 letn die Rücksichtnahme

publicirt und darin den concurrirenden Künst-

darauf,

„daß zu beiden Seiten des Schiller-

Denkmals die Statuen von Goethe und Lessing später ihre Stellen fin­ den sollen," zur ausdrücklichen Bedingung gestellt. Concurrenz endlich ist thatsächlich eingetreten,

Die ausgeschriebene

und so für die Ausfüh-

rung der Dreistellung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes

vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin seit mehr als

sieben

Monaten durch Wort und That in aller Offenkundigkeit und Freudigkeit

gewirkt worden.")

Es war

dem

20. Februar 1862

vorbehalten,

auf

dieses Bild

einer einträchtigen Thätigkeit einen ersten Schatten zu werfen.

In der

Spenerschen Zeitung dieses Tages erschien folgende Mittheilung: „Obschon über die Errichtung der Denkmäler für Schiller, Goeche

und Lessing seit längerer Zeit nichts verlautete, so hat doch die Angele­ genheit nicht stille gestanden.

Wie bekannt, waren sämmtliche betreffende

Comites darüber einig geworden, daß die Statuen der drei LiteraturHeroen zu einer Gruppe vereinigt werden sollten und hiermit waren die bis dahin zwischen dem Schiller- und dem Goethe-Comite obwaltenden

Sie sind aber in erweiterter Gestalt wieder her­

Differenzen beigelegt.

vorgetreten, als es sich um die Ausführung der Gruppe handelte.

Ein

Theil der Betheiligten verlangt nämlich, daß die Schillerstatue, welcher

willig

der Mittelplatz

eingeräumt

stellenden Statuen Goethes

war,

über

und Lessings

die ihr

zur Seite zu

an Größe hervorrage,

und

es ist dafür unter Anderem angeführt worden, es erfordere dies selbst­ verständlich das Gesetz der Schönheit.

Sowohl das Goethe- als auch

daö Lessing-Comitv sind mit diesem Vorschläge nicht einverstanden und

*) Beilag« IX.

•*) Beilagen X. und XI.

7 erklären, die von ihnm monumentarisch, vertretenen Männer würden dadurch gegen Schiller unverkennbar zurückgesetzt werden, weshalb sie in die Ausführung des qu. Projektes nicht einwilligen könnten. Die An­ gelegenheit ist auch, wie es nicht anders sein konnte, zur Kenntniß Seiner Majestät gebracht worden, ohne daß von Allerhöchster Seite indessen eine Entscheidung erfolgt wäre. Jedes der genannten ComitLs ist nunmehr im Begriff, fernen eigenen Weg und Planzu verfolgen. Die Mitglieder des Schiller-Comitö beharren natürlich auf dem Gedanken, der Schillerstatue den ihr ursprünglich zugedachten Platz vor dem Schauspielhause auf dem Gensdarmenmarkte unverändert zu belassen, wogegen das Goethe-ComitL, die Gemeinsamkeit aufgebend, den Platz zwischen dem Opernhause und der Königlichen Bibliothek zur Aufstellung seines Monumentes ausersehen hat und wozu auch die Allerhöchste Genehmigung nicht auöbleiben wird. Das Lessing-Comite dagegen hat sich noch nicht entschieden, sondern faßt zwei eventuelle Plätze für seinen Zweck ins Auge. Einer derselben ist der Platz vor der Ricolaikirche, zu dessen Gunsten der Umstand maß­ gebend ist, daß Lessing, dem alten Berlin angehörig, an einer Stelle gefeiert »erben müsse, die dem Mittelpunkt der Hauptstadt angehöre; andererseits wird auch an eine Stelle vor dem Universitätsgebäude ge­ dacht, und zwar inmitten der Umgitterung nach dem Opernplatze zu, und man hofft, daß die Königliche Genehmigung in dem Falle eines abzielenbcn definitiven Beschlusses nicht ausbleiben werde. Das Motto für die zuletzt bezeichnete Aufstellung des Denkmals ist in dem wissenschaft­ lichen Charakter Lessings zu suchen. Diese Ausführung dürfte indeffen weniger Chancen, als die andere für sich haben, da der ihr zu Gmnde liegende Gesichtspunft der literarischen Bedeutung Lessings nur nach einer Sette hin entspricht." Am nächstfolgende» Tage wiederholte die Bossische Zeitung den Wottlaut des Vorstehenden, indem sic zusetzte: „Diese Mittheilung ent­ hält eine ganze Wcifje unwahrer, jeden Grundes entbehrender Behaup­ tungen. Im Schiller-Comite ist, soviel wir wissen, niemals die Fordenmg gestellt worden, daß die Statue Schillers an Größe über die Goethes und Lessings hervorragen solle; selbstverständlich können daher auch keine Verhandlungen darüber stattgesunden haben, und am wenigften kann darüber Seiner Majestät dem Könige Beucht erstattet worden sein. Eben so wenig ist im Lessing - (somit«; von einer Abrückung der Lessingsstatue nach dem Platze vor der Nicolaittrche oder vor daS UniversitStsgebäude auch nur die Rede gewesen. Weder daS Goethe- noch daS Lesfing-Comitü haben ttgend eine Mittheilung des Schiller-ComW

8

erhalten, welche zu Differenzen in erweiterter Gestalt hätte Veranlassung geben können. Die ganze Mittheilung der Spenerschen Zeitung beruht daher auf einer völlig schamlosen Mystifikation."

Die Spenersche Zeitung selbst erklärte in ihrer Nr. 45 vom 22. Fe­ bruar 1862, was folgt: „Die Nachricht von neuen Zerwürfnissen in Angelegenheit der drei Standbilder, welche zu unserm Bedauern und ohne Prüfung der Re­ daction (die Nachricht lief erst spät Abends, von sonst glaubwürdiger Seite ein) in unserer Nuiymer vom 20. Februar Platz gefunden hat, entbehrt, wie wir nach genauer Information hören, der Begründung, und führt nur auf die Einfälle einzelner Personen zurück. Wir find selbstredend weit entfernt, das Einigungswerk, das zwischen den drei Comites glücklich zu Stande gekommen ist, irgend wie in Frage stellen zu wollen."

Für Diejenigen, die der Haltung der Spenerschen Zeitung in dieser Angelegenheit gefolgt waren, bedurfte es einer solchen Versicherung nicht. „Der glückliche Gedanke, durch Errichtung eines Lessing-Denkmals, in Verbindung mit dem Schiller- und Goethe-Monument, einen langen unerquicklichen Streit zu schlichten und zugleich eine Ehrenschuld unseres Volkes gegen den preußischen Dichter und Denker abzutragen," •— so war die Spenersche Zeitung bereits in ihrer Nr. 165 vom 18. Juli 1861 für diese Angelegenheit eingetreten, — „gewinnt immer mehr an Terrain. Wir haben diesen Gedanken von vorne herein fteudig begrüßt, und nachdem nicht blos die städtischen Behörden denselben begünstigen, sondern auch unter allen Parteien sich immer mehr Stimmen dafür zu erheben scheinen, namentlich aber von Allerhöchster Stelle eine fried­ liche Einigung so lebhastbetont ist, hegen wir an dem endlichen Ge­ lingen kaum noch Zweifel. Jedenfalls haben wir die volle Ueberzeugung, daß alle wahren Freunde und Förderer der patriotischen Unternehmungen darüber die lebhafteste Genugthuung empfinden werden." Die Spenersche Zeitung durfte es hiernach in ihrer, die Mittheilung vom 20. Februar 1862 desavonirenden Erklärung vom 22. Februar 1862 mit dem voll­ sten Recht als „selbstredend" bezeichnen, daß sie weit entfernt sei, daS glücklich zu Stande gekommene Einigungswerk ihrerseits irgend wie nachträglich „wieder in Frage stellen zu wollen." Weder gegen diese letzte Erklärung der Spenerschen Zeitung vom 22. Februar, noch gegen jene der Vossischen Zeitung vom 21. Februar

9 1862 ist eine Reklamation erfolgt. Die Mittheilung in der ersten Zei­ tung vom 20. Februar 1862 ist also gerichtet. Auch ist die moralische Unmöglichkeit irgend einer Gemeinschaft zwischen dem unbekannt gebliebenen Urheber derselben und den Motiven zu den Verhandlungen im Goethe-Comitö, die anderthalb Monate später, 7. bis 23. April 1862, folgten, hier nicht erst zu documentiren. In Folge und zum Theil als Resultat dieser Verhandlungen ist indeß seitdem eine hier bei Gustav Lange, Friedrichstraße 103, gedruckte Schrift erschienen, unter dem Titel: „Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-Comit^ über die Aufstellung der drei Standbilder von Schiller, Goethe und Lessing auf dem Gensdarmenmarkte in Berlin, nebst Beilagen," worin die durch die Allerhöchste Cabinetsordre vom 6. November 1861 genehmigte Dreistellung jener Standbilder nunmehr öffentlich als künstlerisch unausführbar und litera­ turhistorisch unangemessen bezeichnet wird. Es soll in Nachfolgendem der Beweis versucht werden, daß Beides unbegründet ist.

10

Die künstlerische Unausführbarkeit

Gutachten der Kunstabtheilung deS Goethe-Comits vom 14. April 1862. Dieses Gutachten giebt für die künstlerische Unausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildem Schillers und Goethes vier Gründe an. Es sind die folgenden:

„Die künstlerische Schwierigkeit, zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer besonderen Geltung komme." Hat diese Schwierigkeit etwa früher davon abgehalten, die Errich­ tung des Goethe-Standbildes neben dem Schiller-Standbilde in An­ spruch zu nehmen? „Wenn die Möglichkeit sich dargeboten hat", heißt eö in der Jmmediat-Eingabe des späteren Goethe-Comite, an Seine König­ liche Hoheit, den damaligen Prinz-Regenten, vom 27. Januar 1860, „eine derartige Zusammengehörigkeit zweier deutscher Männer auf die würdigste Weise und auf dem schönsten Platze mit dem idealen Hinter­ gründe einer ächt antiken Säulenstellung, neben einer prächtigen Frei­ treppe, in Standbildem zu verwirllichen und allen kommenden Geschlech­ tern zu begeisternder Anregung lebendig vor Augen zu stellen, so würde man, unsers Erachtens, nicht recht thun, sie unbenutzt vorübergehen zu lasten. Auch glauben wir, daß Berlin einen gerechten Vorwurf auf sich laden würde, wenn cs nicht Goethe neben Schiller eine Statue errichtete." Ist hier eine Ahnung von der jetzt betonten künstlerischen Schwierigkeit, zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die Natur jeder dieser beiden darzustellenden Persönlichkeiten zu ihrer besondrem Geltung komme? Aber die Wirklichkeit dieser damals nicht geahnten künstlerischen Schwierigkeit der Nebmeinanderstellung zweier Statuen einmal zugegeben, wie in aller Welt kommt dieselbe jetzt an die Spitze der Gründe, wodurch die künstlerische Unausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder neben einander dargethan werden soll? Oder schließt die künstlerische Schwierigkeit einer Doppelstellung von Statuen die künstlerische Unmöglichkeit einer Dreistellung nothwendig in sich? Weil es für den Künstler schwer wäre, zwei Standbüder neben I

11 emonbei zu stellen, sollte eS ihm unmöglich sein, ihnen noch ein britteS zuzufügen? Der Vordersatz dieses ersten Grundes der Kunstabthellung des Goethe-Comite gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Drei­ stellung läßt sich also mit der früheren Ansicht ihrer Mitglieder eben so schwer vereinigen, als die Schlußfolge, die sie jetzt damit verbinden, offmbar unhaltbar ist. „Die lineare Aufstellung von drei Statuen kann als eine durchaus ungünstige Aufgabe bezeichnet werden." Wer sagt, oder hat gesagt, daß die Aufstellung der Standbilder für Lessing, Schiller und Goethe vor dem Königlichen Schauspielhause hier eine lineare sein soll? Das Jmmediat-Gesuch der späteren Mit­ glieder des Goethe-Comite vom 27. Januar 1860 hat zu seinem ausdrücklichen Gegenstände nichts mehr und nichts anderes, als: „Ein gesondertes Denkmal für Goethe, gleichwie für Schiller, auf dem Gensdarmenmarkte," und kein anderes Gesuch als dieses ist am 11. Februar 1860 Allerhöchst genehmigt worden. Ebenso wurde am 24. Juli 1861 von den Unterzeichnern der späteren Jmmediat - Eingabe nichts mehr und nichts anderes erbeten, als: „Die Errichtung eines Lessing-Standblldes in Berlin, auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses, als des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe." Endlich hat das Schiller-Comitö am 18. Juli 1861 vor den vereinigten Deputationen des Magistrats und der Stadtverordneten-Dersammlung und vor den Vertretern des Goethe - Comitö durch seine Bevollmächtigten sich bereit erklärt, daß der am 10. November 1859 für das SchillerStandbild gelegte Grundstein in derselben Linie um etwas vorgerückt werde, sofern dieses Vorrücken von der Mitte der Freitreppe des Schau­ spielhauses nach der Markgrafenstraße zu, bei der Errichtung der drei Standbilder für Lessing, Schiller und Goethe aus ästhetischen oder anderen Gründen etwa nöthig erscheinen möge. Dann ist in dem längst veröffentlichten Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für die Errich­ tung deö Schiller-Standbildes den concurrirenden Künstlern die Rück­ sichtnahme darauf zur Bedingung gestellt werden, „daß zu beiden Seiten des Schiller-Denkmals später die Statuen von Goethe und Lessing ihre Stelle erhalten sollen, so jedoch, daß jedenfalls das Schiller-Denkmal, nach vorher angegebenen näheren Raumbesttmmungen, die Mitte des Platzes behauptet." Von einer linearen Aufstellung der drei Stand­ bilder Lessings, Schillers und Goethes, davon, daß diese drei Stand­ bilder dort in derselben graben Linie nebeneinander aufgestellt werden sollen, ist bisher nie und nirgendwo die Rede gewesen. Ueber den fünf»

II.

12 tigen Anschluß des Goethe- und des Lessing-Standbilds an daS SchillerStandbild steht zur Zeit nur das Eine fest, daß dieses Standbild zwischen jenen beiden andern die Stelle vor der Mitte der Freitreppe behält, während die Frage, ob die Dreistellung im Dreieck, in einem Kreisbogen, oder wie sonst, zu erfolgen habe, noch eine völlig offene ist, die die zuständigen Behörden vor dem demnächstigen Erlaß der Concurrenz-Ausschreiben für das Goethe- und Lessing-Standbild entscheiden werden. Aus der Ungunst einer linearen Aufstellung dreier Standbilder, die für die Aufstellung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin nicht beschlossen ist, kann also gegm diese Aufstellung mit Erfolg nicht argumentirt werden. Der zweite Gmnd des Gutachtens der Kunstabtheilung deS Goethe-Comitü ist demnach so hinfällig wie der erste.

III.

„Die Schwierigkeit, ja man kann sagen die Unmöglichkeit, daß drei verschiedene Künstler drei solche Aufgaben auf selbständige und eigenthümliche Weise lösen, und die ganze Zusammen­ stellung, wie diese auch immer beschaffen sei, zu einer gemein­ samen, einfachen Totalwirkung gelangen könne." Warum ist dieser nämlichen Schwierigkeit bei der Aufstellung der drei Standbilder für Thaer, Schinkel und Beuth auf dem Platze vor der Königlichen Bau-Akademie hier bisher gar nicht gedacht worden? Ist die Ausführung eines jeden dieser drei Standbilder nicht einem anderen Künstler anvertraut gewesen, oder noch anvertraut, ist hier nicht sogar bei Einem Standbilde daö Postament und das Standbild selbst verschiedenen Künstlern zngetheilt worden? Wenn sich diese Art der Ausfühmng mit der schuldigen „Rücksicht auf die weit über die Grenzen des Vaterlandes mit Recht gerühmte Bildhauerschule Berlins" nicht unverträglich gezeigt, wenn weder „ sämmtliche hervorragende Bildhauer Berlins", noch „weitaus der größte Theil" derselben, wenn nicht ein einziger von allen im Interesse der Kunst oder der Ehre seines Standes gegm diese Ausführung Einspruch erhoben, oder auch nur ein Bedenken dagegen geltend gemacht hat, warum soll sie jetzt mit einem Male für künstlerisch unmöglich gehalten, für die Künstler-Ehre verletzend gefunden werden? Sicherlich sind die Richtungen, Bestrebungen und Leistungm, wofür hier Thaer, Schinkel und Beuth Standbilder errichtet werden, wmiger innerlich mit einander verbunden, als es die Richtungm, Be­ strebungen und Leistungen Lessings, Schillers und Goethes sind. Konnte die Ausfühmng der zu einer Trilogie vereinigten Standbilder der Re­ präsentanten der Landescultur, der Kunst, des Handels und der Industrie

18 vor der Königlichen Bau-Akademie ohne Versündigung an der „ganzm Zusammenstellung" und an der „gemeinsamen einfachen Totalwirkung" verschiedenen Künstlern übertragen und von ihnen übernommen werden, konnten nammtlich so geschätzte Künstler wie die Herren Fr. Drake, SchievelbM und Bläser noch in die Concurrenz für das diese Trilogie ergänzende Standbild Schinkels eintreten, nachdem über die beiden Stand­ bilder Thaers und BeuthS bereits vorher anderweitig verfügt war: so wird hoffentlich auch ein Gleiches geschehen sönnen, wo die Verbin­ dung der zu vereinigenden Standbilder unserer drei größten Schriftsteller und dramatischen Dichter vor dem Königlichen Schauspielhause, in der ausführenden Kunst gewiß überall vorbereitete und gemeinsame Vor­ stellungen findet. Die hier hervorgehobene Schwierigkeit beweist überdies gegen den Anschluß des Lessing-Standbildes an das Goethe- und SchillerStandbild, d. h. gegen die Dreistellung dieser Standbilder, nicht mehr, als sie auch gegen den Anschluß des Goethe-Standbildes allein, d. h. gegen die bloße D oppelstellung dieser beiden letzten Standbilder, be­ weist. Denn an dem Maßstabe dieser Schwierigkeit gemessen, müßte es nicht blos Ein Künstler sein, der die drei Standbilder: Lessing, Schiller und Goethe, sondern ebenfalls blos Einer, der die beiden letzteren Standbilder ausführte, was wenigstens bis jetzt noch nicht verlangt worden ist. Endlich gehört dieser dritte Grund gegen die künst­ lerische Unausführbarkeit einer Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes insofern ganz nüeder in die Kategorie des zweiten Grundes, der linearen Aufstellung, als auch er von der Voraussetzung eines Hindernisses ausgeht, welches in der That nicht vorhanden ist. Wo ist ausgesprochen oder festgestellt, daß die Lösung der Gesammtaufgabe: die Errichtung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause in Berlin, daö Schiller-Standbild in der Mitte, sich nothwendig unter mehrere Künstler vertheil en müsse? Was hindett den einzelnen Künstler, an die Lösung dieser Gesammtaufgabe auf „selbständige und eigenthümliche Weise" heranzutteten, und „die ganze Zusammenstellung" in der Con­ ceptton seines Geistes „zu einer gemeinsamen, einfachen Totalwirkung" zu erheben? Sind in dem Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für das Schiller-Standbild nicht schon jetzt alle Künstler dazu eingeladen, da sie ja eben Rücksicht darauf nehmen sollen, daß zu beiden Seiten des Schiller-Denkmals später die Statuen von Goethe und Lessing ihre Stelle haben? Wird der Künstler, der dieser Rücksicht wirklich zu genügen strebt, bei der Modellirung des Schiller-Standbildes nicht im großen Ganzm auch schon die künfttgm Standbilder Goethes und Lessings mit vor

14 Augen haben? Wird die entscheidende Behörde, wenn ihr durch Eine Hand die unbezweifelt beste Lösung der Gesammtaufgabe dargeboten wird, diese Lösung nicht mit Freuden in diese Eine Hand legm wollen? Oder auch in verschiedene Hände, wenn sich nach der Entscheidung ebm dieser Behörde die Resultate der späteren Conmrrenz-Ausschreiben zu einem größeren Einklänge mit dem nächstm Resultate für das SchillerStandbild verbinden? Bleibt die Concurrenz für das Goethe- und LessingStandbild später etwa dem Künstler verschlossen, der in der Conmrrenz für das Schiller-Standbild dm Preis erringt? Wmn die künstlerische Ausfühmng einer Trilogie von Standbildem nicht überhaupt unmöglich ist, so kann und wird sie an diesem dritten Gmnde des Gutachtms der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö sicherlich nicht scheitern. Die bereits vorerwähnte „Rücksicht auf die weit über die Grenzm unseres Vaterlandes mit Recht gerühmte Bildhauerschule Berlins, die eine sorgfältige Erwägung dieser künstlerischm Bedenkm gegen das Drei-Statuen-Project zu erheischen scheint," verbun­ den mit dem Zusätze, daß „nach gemachten Erfahmngm und eingeholten Erkundigungen weitaus der größte Theil, vielleicht sämmtliche hervorragende Bildhauer Berlins die oben ausge­ sprochenen Ansichtm theilen." Die eigenen Gründe der Kunstabtheilung des Goethe-Comite für die behauptete künstlerische Unausführbackeit der Dreistellung sind also mit den drei vorerwähnten Gründen abgeschlossen, da dieser vierte und letzte Gmnd nur auf die Quellen hinweist, an denen die Kunstabtheilung des Goethe-Comite die Kräftigung ihrer eigenen Gründe gesucht und, ihrer Meinung nach, gefunden hat. Der nähere Hergang dieses Suchens und was dabei im Besondem geleitet hat und beabsichtigt wordm, wird durch eine „Bemerkung" erklärt, die sich in dem veröffentlichten Gutachten dm angefügten Beilagen unmittelbar vorgedmckt findet, und worin gesagt ist: „Bei den Verhandlungen über das Drei-Statuen-Project in der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö war besonders hervorgehoben wordm, daß die Ehre der Bildhauer von Berlin bei einer solchen Aufstellung betheiligt sei nnd daß jeder Schatten, der auf die künftige Ausführung falle, ein Vorwurf für die hiesigen Meister sei. Deshalb erschien es als unumgänglich nöthig, auch das Urtheil der nicht im Comitö befind­ lichen hiefigm Bildhaner über jenes Project einzuholm. Die betresfmden Künstler find dem ihnm durch den stellverttetenden Vorsttzmdm des Semite in Folge dessen ausgesprochmm Wunsche freundlichst entgegen« gekommen: die folgenden Beilagen enthalten ihre Gutachtm, sowie die IV.

15 besonderen Begründungen einiger Mitglieder des Goethe -Comit« für ihre Ansicht." Don diesen Beilagen, zehn an der Zahl, richten sich acht, die Bei­ lagen Nr. 3. bis einschließlich 10., gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Dreistellung, währmd die beiden anderen, Nr. 1. und 2., für die behauptete literaturgeschichtliche Unangemessenheit derselben in Bezug ge­ nommen sind. Hier können also zunächst nur jene erst genannten acht Beilagen in Betracht treten, was, ihres materiellen Inhaltes wegen, in der Reihenfolge der Nummern 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10., und schließlich der Nr. 3. erfolgen soll. Also:

Nr. 4.

Gutachten des Bildhauers, Professors Albert Wolff. „Durch Crw. Hochwohlgeboren geehrte Anfrage" — so beginnt das dieses Gutachten enthaltende Schreiben des Herrn Professors Wolff an dm Herm Professor Dr. F. A. Märcker vom 22. April 1862 — „bin ich zu einer gutachtlichm Aeußerung aufgefordert wordm über die Rathsamkeit einer Aufstellung von drei Statuen: Schillers, Goethes und Lessings auf einem Platze (dem Gensdarmenmarkt). Selbstverständlich leiten mich bet Beantwortung der Frage keine anderen, als rein künst­ lerische Rücksichten. Ich will nichts reden von der Schwierigkeit für den ausführendm Künstler, eine Statue mit zwei anderen daneben stehenden in Harmonie zu setzen, nichts von den Fesseln, die ihm bei seiner eigmen Arbeit durch Größe, Form der Postamente auferlegt werden, nichts end­ lich von der Gefahr, die Wirkung seines eigenen Werkes durch die Eigenchümlichkeitm oder Fehler der anderen Denkmäler einzubüßen." Der materielle Inhalt dieses Schlußsatzes ist bereits bei dem dritten eigenen Grunde der Kunstabtheilung des Goethe-Comitv zur Sprache gekommm, worauf daher hier zurückgewiesen wird. Dann heißt es : „Es mag Umstände geben, unter denen eine Trias von Statuen zu einer vollkommenen Einheit sich zusammenfassen und verbinden läßt." Die künstlerische Möglichkeit, eine Trias von Statuen zu einer vollkommmen Einheit zusammenzufassen und zu verbinden, wird also von Herm Professor Wolff im Allgemeinen nicht bestrittm und damit von seiner Serie ein Satz aufgestellt oder zugegeben, mit dessm Gegmsatz wir unS später, in der Beilage Nr. 10., noch des Näheren werdm zu beschäftigen haben.

16 „ Die gegenwärtig zur Aufgabe gestellten drei Männer: Schiller, Goethe und Lessing", fährt Herr Professor Wolff fort, „scheinen mir indessen aus eine so glückliche Weise nicht vereinigt werden zu könnm. Die Bestrebungen eines jeden derselben zeigen nicht gerade für die an­ deren einen vorwiegend ergänzenden oder, was künstlerisch noch wichtiger ist, einen gegensätzlichen Charakter. Man wird kaum darüber hinaus­ kommen, einem Jeden einen gewissen nachdenklichen, so oder anders modificirten Ausdruck zu geben, und das scheint mir über die Trias eine Monotonie zu verbreiten, die Langeweile erregen könnte." Warum aber diesen gewissen nachdenklichen Ausdruck, und in seinen Folgen diese Monotonie und diese befürchtete Langeweile? Warum nicht Leben und Anmuth für Alle und Jeden? Wenn uns Goethe noch immer einladet: „So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen

Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,

Wenn eure Bahn ein frisch erneuter Legen Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,

Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!

So leben wir, so wandeln wir beglückt. Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern, Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern;"

wenn uns Lessing aus der Fülle seiner heiligsten Zuversicht noch immer die stohe Botschaft verkündet, daß sie „kommen, daß sie gewiß kommm wird, die Zeit der Vollendung, da der Mensch das Gute thun wird, weil es das Gute ist;" wenn uns Schiller noch immer auffordert, „die Angst des Irdischen von uns zu werfen und die Gottheit in unseren Willen aufzunehmen;" sollen diese drei nicht auch in ihren Standbildern „in Geist und Liebe zu verknüpfen sein, ohne den Charatter des Einzel­ nen zu schwächen?" Wie viel Herrliches in Kraft und Streben hatten sie gemeinsam, und wie von Grund aus waren sie doch wieder in eigen­ sten Vorzügen verschieden? Wo sollen denn die Requisite des sich Ergänzenden oder Gegensätzlichen zu einer glücklichen Vereinigung dreier Standbilder noch gefunden werden, wenn sie bei den Standbildern Lessings, Schillers und Goethes nicht zu finden sind? Wie viele Standbilder standen in gedrängter Fülle in Athen? Wenn die Griechen ihre drei größten Tragiker Aeschylus, Sophokles und Euripides auf dem Vorplatze eines ihrer schönsten Schauspielhäuser in vereinigten Stand­ bildern hätten ehren wollen, würden sie es aus Befürchtung der hier in Frage gebrachten Monotonie und Langeweile imterlassen haben? Sehen wir uns im eigenen Vaterlande um, worin jetzt unter Künstlern





17

und Laien über die Lessing-Statue Rietschels in Braunschweig wohl nur Eine Stimme der willigsten Md fteudigsten Anerkennung herrscht:

„Nicht der Masse qualvoll «ögerungen, Schlank und leicht, wie Ms dem Nichts entsprungen,

Steht das Bild vor dem entzückten Blick." Und doch, wenn sich diesem Bilde dort noch die Bilder Schillers

und Goethes anschlöffen,

so ganz die Bilder Schillers und Goethes,

wie dieses Bild das Bild Lessings ist, würde unsere Freude geringer oder größer sein?

Falle,

Gewiß tun: noch sicherer,

als dort im unterstellten

wird hier im wirTichen, — „auf dem schönsten Platze Berlins,

mit dem idealen Hintergründe einer ächt antiken Säulensteilung neben einer prächtigen Freitreppe" — das Glückliche gelingen:

„Wenn das Todte bildend zu beseelen,

Mit dem Stoff sich zu vermählen,

Thatenvoll der Genius entbrennt." „Auch die Verschiedenheit des Costüms",

fährt das Gutachten des

Herrn Professors Wolff weiter fort, „ist bei nahe mt einander stehenden Statuen von großer Wichtigkeit,

aber auch nur sehr schwer in wohl­

thuenden EinklMg zu bringen."

Müssen sie demr aber nahe neben einander steherr,

diese drei

Statuen, und in verschiedenen Costüms nahe neben einander stehen?

Ist der gMze Vorplatz vor dem Königlichen Schauspielhause tricht für ihre Errichtung

fteigeftellt?

Wird

es

für die zustärrdigen Behörden

unmöglich sein, das Raumverhältmß des Anschlusses der beiden Seiten-

Standbilder mi das mittlere Standbild nach künstlerischen oder ästheti­ schen Gesetzen mit einiger Sicherheit vorher zu ermitteln und voraus bestimmen zu lasten?

Ist es gedenkbar, daß dieselben Behördetr für die

Standbilder Goethes und Lessings später ein anderes Costüm statuiren werden, als sie vorher für das Schiller-Standbild acceptirt haben? Und

wenn dennoch zur Erreichung eines wohlthuenden Einklanges Schwierig­ keiten zu überwinden bleiben,

soll an ihrer Ueberwindung

im VorMs

verzweifelt, um dieser Schwierigkeit willen im Voraus mtf die Ausfüh­

rung der künstlerischen VerbindMg dieser drei Statuen vor dem König­ lichen SchMspielhaus hier verzichtet werden?

„Alles" — so schließt das Gutachten des Herrn Professors Wolff — „Alles ordnet sich leichter zur vollen Wirkung,

wenn jede Statue auf

ihrem besonderen Platze steht, Md nicht durch die Vergleichung mit den andern Denkmälern beinträchtigt wird."

18 Das Gutachten des Herrn Professors Wolff geht also

daß

dahin,

schließlich

blos das Lessing-Standbild von den Standbildern

nicht

Schillers und Goethes abzuscheiden, reicht blos die Dreistellung auf die

Doppelstellung zurückzuführen, sondern daß, unter Aufgabe auch dieser Doppelstellung, das Goethe-Standbild von dem Schiller-Standbild vor dem Königlichen Schauspielhause aus künstlerischen Gründen zu trennen

und

auf

einem

andern Platze allein und selbständig zu errichten sei.

„Dem hierauf gehenden Vorschläge von Hotho,

v. d. Hude und

Herrmann Grimm" — setzt Herr Professor Wolff seinem Gutachten zu — „kann ich mich daher nur anschließen."

Sind es denn aber künstlerische Gründe gewesen,

die die ge­

nannten Herren zur Stellung dieses Vorschlags oder dieses Antrags, in der Sitzung des Goethe-Comitü vom 7. Älpril 1862,

haben? weil

sie

jetzt bestimmt

Haben sie ihn nicht vielmehr darum und ituf darum gestellt, geglaubt haben,

der von ihnen bestrittenen Verbindung des

Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes aus

Gründen der später zu erörternden literaturgeschichtlichen Unangemessenheit

auch noch jetzt entgegentreten zu müssen;

weil sie gehofft haben,

diese

Verbindung durch die von ihnen rrunmehr angestrebte Verlegung des Goethe-Standbildes nach einem anderen Platze auch noch jetzt rückgängig

machen zu können; weil sie die Verbindung des Schiller- und Goethe-

Standbildes

lieber

für

immer

aufgehoben

als

nm

den

Preis

Hinzufügung eines Lessings-Standbildes erhalten sehen wollen?

der Sie,

und alle Mtunterzeichner der Jmmediat-C'ingäbe vom 27. Januar 1860 haben, durch kein ürnstlerisches Bedenken gehindert, die Zusammenstellung der Standbilder für Schiller und Goethe auf dem Gensdarmenmarkte

Allerhöchsten Ortes früher selbst in Anspruch genommen, und auch jetzt noch

ist die Kunstabtheilung des Goethe-Comitv im tiefsten Grunde

ihrer Ueberzeugungen und ihrer Wünsche soweit davon entfernt, die künst­ lerischen Bedenken des Herrn Professors Wolff gegen die Zusammen­ stellung dieser beiden Standbilder zu theilen und der Einzelstellnng der­ selben auf verschiedenen Plätzen vor ihrer Doppelstelluug aus dem Gens-

darmenniarkt den Vorzug zu geben, daß das mitveröffentlichte „Vorwort" ihres jetzigen Gutachtens wenigstens, nicht unterlassen hat, es ausdrücklich

hervorzuheben,

daß „viele treffliche Männer noch immer der Meinung

sind, daß man diesen Grundgedanken des Goethe-Comits nicht aufgeben

dürfe, indem man bei richtiger Einsicht seiner Erfüllung doch noch ent­ gegensehen könne."

hiernach

vertretenden

Mit dieser, den Grundgedanken des Goethe-Comits

richtigen

Einsicht

finden

sich

die

künstlerischen

19 Gründe des Herrn Professors Wolff daher jedenfalls im offenen Wider­

streit,

wie

Hotho,

v.

sehr

sie

auch sonst dem jetzigen Anträge der Herren

sich

d. Hude und Herrmann Grimm

in ihrem Resultate

an­

schließen.

5. Gutachten mehrerer hiesiger Li>dhauer. Dieses Gutachten, ausgestellt in einer von den Herren „ A. Fischer,

Herrmann Schievelbein, H. Wittig, Carl Möller und Gustav Bläser" unterzeichneten Crklärung vom 15. April 1862 lautet also: „Die unter­ zeichneten Künstler erklären hiermit, daß ihnen der Platz vor dem König­ lichen Schauspielhause nicht als geeignet für die Aufstellung dreier Stand­ bilder erscheint, und daß es überhaupt unthunlich ist, drei Statuen in drei verschiedenen Aufträgen oder Concurrenzen so herzustellen, daß daraus

eine harmonische Gruppirung entsteht. muß

natürlich

Jede später aufzustellende Statue

durch die zuerst aufgestellte leiden und diese wird die

künstlerische Bedingung für die anderen abgeben, so daß eine Freiheit der

Schöpfung für die später eintretenden Künstler unmöglich ist.

liegenden

Falle

wird

also

Schillers

Standbild

Zm vor­

die Abhängigkeit

Statuen Goethes und Lessings von ihm zur Folge haben.

der

Wir halten

deshalb, abgesehen von den inneren Bedingungen, die Aufstellung der drei Standbilder von Schiller, Goethe und Lessing auf dem Gensdarmen-

markte für unzulässig."

Also Unthunlichkeit der Dreistellung aus Gründen der verschiedenm Aufträge oder Concurrenzen.

Müssen

aber um eben derselben Gründe

willm die genannten Herren nicht auch die Errichtung blos des Goetheund des Schiller-Standbildes, d. h. die Doppelstellung, aus diesem Platze

für unthunlich halten, da ja auch dann von mehr als Einem Auftrag

oder Einer Concurrenz gesprochen werden, auch dann die später aufzu­

stellende Goethe-Statue

durch

die zuerst

aufgestellte

Schiller-Statue

leiden, auch dann das Schiller-Standbild die Abhängigkeit der GoetheStatue zur Folge haben kann? Und befinden sie sich dann nicht ebenfalls

wieder in offenem Widerspruch mit jenen anderen Herren, die ohne alle

Furcht vor den hier bezeichneten Unzuträglichkeiten die Zusammenstellung deö Goethe- und des Schiller-Standbildes

auf dem Gensdarmenmarkt,

in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 Allerhöchsten Orts in

bestimmten Anspruch genommen haben, mit ihrm nächsten Fachgenossen, 2*

SV den Herren:

Sußmann- Hellborn, Hagen, Drake, Wredow und Kiß?

Sollen die Gefahren der Disharmonie und der Unfreiheit der Schöpfung

für eine in verschiedenen Aufträgen

oder Concurrenzen auszuführende

die diese Herren damals nicht fanden oder nicht fürch-

Doppelstellung,

bei der Frage über die Dreistellung für Alle unüberwindlich ge-

teten,

Daß glücklicherweise auch die thatsächliche Voraussetzung

wordm sein?

dieser Gefahren nicht besteht, fange besteht,

daß dadurch der freien und selbständigen Conception des

einzelnen Künstlers Fesseln

wenigstens nicht in dem Grade und Um­

angelegt

hemmende

würden,

ist

das Kunstwerk selbst

oder bereits

vorhin

gefährdende

bei dem dritten eigenen

Grunde des Gutachtens der Kunstabtheilung des Goethe-Comite berührt worden, worauf daher Bezug genommen wird.

Was in dem Schlußsätze des vorstehenden Gutachtens mit „den

wovon abgesehen wird,

inneren Bedingungen" gemeint ist, sehen werden soll,

entzieht sich der Erörterung,

nicht näher bezeichnet,

oder abge-

da diese Bedingungen

oder sonst irgend wie charakterisirt sind.

Aehn-

liches gilt von dem einleitenden ersten Satze des Gutachtens, worin die daß ihnen der Platz vor dem Königlichen Schauspiel­

Herren erklären,

hause für die Aufstellung dreier Standbilder als nicht geeignet erscheint. Für die Aufstellung zweier Standbilder ist der Platz vor dem König­

lichen Schauspielhause in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 als ganz besonders

geeignet

befunden worden,

namentlich wegen des

idealm Hintergrundes einer ächt antiken Säulenstellung und der pracht­

vollen Freitreppe.

Daß er dessenungeachtet für die Aufstellung dreier

Standbilder ungeeignet sei,

bleibt allerdings möglich,

müßte aber, um

erörtert werden zu können, in einiger Weise verdeutlicht sein. nicht geschehen,

Da dies

so muß der letzte wie der erste Satz dieses Gutachtens

lediglich auf sich beruhen bleiben.

6. Gutachten des Bildhauers I. Franz. „Die Ansicht meiner Collegen theile ich, daß bei der jetzt beabsich­

tigten Aufstellung der Denkmäler für Goethe und Lessing,

zur Seite

Schillers, eine Harmonie des Ganzen schwer erzielt werden kann.

Die

beiden Seiten-Denkmäler müßten dann doch in der Hauptform überein­

stimmen, was bei freier Concurrenz unmöglich ist."

Bezüglich des ersten Satzes dieses Gutachtens,

wird auf das bei

21 dem

vorigen Gesagte zurückoerwiesen

und

bezüglich

des zweiten und

letzten Satzes bemerkt, daß an der Nothwendigkeit der Uebereinstimmung der

beiden Seiten-Denkmäler

zweifeln ist,

der Hauptform

in

allerdings

nicht zu

eine freie Concurrenz aber die Möglichkeit dieser Ueberein­

Bei den beiden Seiten-Denk­

stimmung durchaus nicht ausschließt.

mälern wird diese freie Concurrenz schwerlich eher eröffnet werden,

als

bis die zuständigen Behörden die Bedingungen ihrer Uebereinstimmung

in

der Hauptfonn

und das deshalb Erforderliche publicirt

festgestellt

Die hier befürchtete Unmöglichkeit ist also in der That nur

haben.

befürchtet.

7. Gutach ten des Professors G. Lüderitz. Dasselbe lautet: „Die Beschlüsse des Goethe-Comitö,

welche am 16. Juli 1861,

im Widerspruch mit der Ansicht der Abtheilung A.

(für die technischen

Vorarbeiten zur Errichtung des Denkmals von Goethe),

so wie mit

Umgehung der Vorprüfung des Central-Ausschusses gefaßt wurden, haben bei dem Borschreiten zu ihrer praktischen Ausführung sich als unhaltbar erwiesen:

von künstlerischer Seite

die Möglichkeit einer

wird

einigermaßen

befriedigenden Lösung der gestellten Aufgabe entschieden in Abrede

gestellt, so wie die competentesten Autoritäten die ästhetische, lite­ raturhistorische Unangemessenheit der Aufstellung der drei projectirten Statuen neben einander, mit Schiller in der Mitte, in überzeu­

gendster Weise hervorheben,

und mit schlagenden Gründen

gegen

ein solches Unternehmen protestiren! Bei

der

unter diesen Umstqndcn

mehr

und mehr sich heraus­

stellenden Unausführbarkeit des, ohnehin von einer äußerst kleinen Anzahl

von Mitgliedern, mit geringer Majorität gefaßten Beschlusses, muß sich

daö Goethe-Comito

in die Nothwendigkeit versetzt sehen,

Errichtung der Goethe-Statue, Lessings,

aufzugeben,

und

kann

in Verbindung

es

jetzt

die Idee der

mit der Schillers und

nur als seine Aufgabe be­

trachten :

zuvörderst mit Gründlichkeit zu prüfen, ob sein ursprünglicher Plan, die Goethe-Statue in

Verbindung

mit der

Schillers

aus dem

Gensdarmenmarkte zu errichten (bei Ausschließung Lessings),

nicht

doch in angemessener Weise zu ermöglichen sein möchte, selbst unter

22 Respectirung des für das Schiller-Denkmal bezeichneten Platzes vor der Mitte des Schauspielhauses,

und wenn sich dies als unausführbar erweisen sollte: dann mit allen Kräften dahin zu wirken, für die Goethe-Statue

einen anderen würdigen Platz zu gewinnen, wobei eS in freundlichem Ginvernehmen mit dem, sich gewissermaßen in gleicher Lage befindenden Lessing-Comite; vorschreiten könnte." In einer Randbemerkung

der Kunstabtheilung

„des Vorworts"

des Goethe-Comitö

ist auf

zu

dem Gutachten

dieses Gutachten

Herrn Professors Lüderitz im Voraus zum Beweise

dafür

des

mit hinge­

wiesen, daß, wie bereits bei deni Gutachten des Herrn Professors Wolff angeführt wurde, viele ttefstiche Männer noch immer der Meinung sind, daß man die Aufstellung des Schiller- und Goethe-Standbildes auf dem GenSdarmenmarkt, diesen Gnindgedanken des Goethe-Comite, nicht

aufgeben dürfe, indem man bei richttger Ginsicht seiner Erfüllung doch noch entgegensehen könne."

Die Existenz dieser Meinung wird durch

dieses Gutachten des Herrn Professors Lüderitz allerdings völlig dargethan. Eigene Gründe indeß gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Verbin­ dung

des Lessing-Standbildes

mit

den

Standbildern Schillers

und

Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin, die hier zu­

nächst allein in Frage

steht, oder auch gegen die literaturgeschichtliche

Angemessenheit dieser Verbindung hat Herr Professor Lüderitz in seinem

Gutachten nicht mitgetheilt, und die Prädikate, die er darin den Gründen,

Erklärungen und Protesten Anderer beilegt, können nur die Stärke seines eigenen Glaubens an deren Richtigkeit, nicht diese Richtigkeit selbst be­ In dem Sinne einer Darlegung eigener oder einer Verdeutli­

weisen.

chung oder Entwickelung ftemder Gründe für die erst zu bildende oder

zu berichttgende Ueberzeugung eines Dritten kann also das Gutachten deö Herxn Professors Lüderitz hier nicht in Betracht kommen.

Dagegen kann

es vielleicht der Ausdruck eines doppelten Vorwurfs sein, des Vorwurfs

nämlich,

gefaßt

sei

daß der Beschluß des Goethe-Comite vom

„im Widerspruche mit

der Ansicht

lß. Juli 18ßl

seiner Künstabthei-

lung", oder wie das Gutachten der Kunitabtheilung des Goethe-Comite sich in dieser Hinsicht S. 9. selbst ausdriickr, daß die General-Versamm­

lung des Goethe-Comite

damals einen

„allen Erwägungen

der

Abtheilung zuwiderlau senden Beschluß gefaßt habe", sowie, daß

diese Beschlußfassung des Goethe-Comittprüfung

seines Centtal-Ausschusses"

„mit Umgehung der Vor­

erfolgt

sei.

Wäre dieses, so

würde zur Würdigung deö alsdann von Herrn Professor Lüderitz erhobentn doppelten Vorwurfs etwa Folgendes zu erwidern bleiben.

23 Die Kunstabtheilung des Goethe-Comite ist nur eine Abtheilung dieses Comitö und steht als solche unter den Beschlüssen desselben. Sie hat das Recht, aus Crfordern des Goethe-Comite, oder auch aus eigenem Antrieb bezüglich der technischen Vorarbeiten zur Errichtung des GoetheDenkmals und in allen anderen damit in Zusammenhang stehenden Fra­ gen ein Gutachten auszustellen und in der Plenar-Versammlung des Goethe-Comite, und wo und wie es ihr sonst geeignet scheint, nach besten .Kräften zu vertheidigen, aber sie hat nicht das Recht zu verlangen, daß das Goethe-Comite diesem ihrem Gutachten zustimme. Das GoetheComite durste also am 16. Juli 1861 im Widerspruch mit dem Gut­ achten seiner.Kunstabtheilung, und gegen alle Erwägungen derselben, Beschluss fassen; ja es mußte diesen Beschluß fassen, wenn es denselben nach dem Maße seiner Einsicht für gut und angemessen hielt. Nach einer vom Herrn Herrmann Grimm im April 1862 verfaßten Druck­ schrift: „Zur Begründung des in der Sitzung des Goethe-Comite am 7. April 1862 von Hotho, v. d. Hude und H. Grimm eingebrachten Antrags, Berlin, Dnrck und Verlag von Gustav Schade," gehörte über­ dies Herr Professor Lüderitz, wie sich S. 12 dieser Schrift constatirt findet, derjenigen Majorität des Goethe-Comite mit an, die bei dem Beschlusse vom 16. Juli 1861 für die eventuelle Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes, und in dieser Beziehung also gegen das Gutachten der.Kunstabtheilung des Comite ihre Sfimme abgab, so daß der Vorwurf wegen des damali­ gen Widerspruchs gegen das Gutachten der Kunstabtheilung des GoetheComite, wenn er in dem jetzigen Gutachten des Herrn Profesiors Lüderitz wirklich erhoben wäre, von ihm selbst mitgetragen werden müßte.

Der andere, einigermaßen deutlichere und, seine volle thatsächliche Richfigkeit vorausgesetzt, ungleich schwerere Vorwurf des Herrn Professors Lüderitz, daß der am 18. Juli in der Sitzung auf dem Berliner Rath­ hause zum Vollzug gekommene Beschluß des Goethe-Comite vom 16. Juli 1861 „mit Umgehung der Vorprüfung des Central-Ausschusses gefaßt worden", würde sich durch die Geschäftsordnung des GoetheComite vom 10. Mai 1860 widerlegen, die von einer solchen Vor­ prüfung für die RechtSgültigkeit eines Comite - Beschlusses nichts weiß. Er würde ferner nur ein Vorwnrf gegen den Vorstand des GoetheComite sein können, da nur dieser- zur vorherigen Einberufung des Central-Ausschusses berechtigt, und werrn die Geschäftsordnung es vor­ geschrieben, auch verpflicht etgewesen wäre. Auch hat Herr Professor Lüderitz eine dergleichen Umgehung weder in der Sitzung des Goethe-

24 ßomite vom 16. Juli

1861,

noch später gerügt, sondern ohne jede

Aeußerung eines formellen oder materiellen Bedenkens an jener Abstim­

In der oben genannten Schrift des

mung persönlich Theil genommen.

Herrn Herrmann Grimm wird überdies S. 14 bis 15 noch ferner aus­ drücklich constatirt, daß „in der Sitzung des Goethe-Comite vom 7. April

1862 zu Tage gekommen, daß allerdings der Beschluß vom 18. Juli, der Geschäfts-Ordnung nach, als Unanfechtbar dastehe, zugleich aber auch,

wie wenig trotzdem die unterlegene Partei gewillt sei, sich ihm zu fügen."

8. Gutachten des Bildhauers H. Heidel.

„Zn Folge Ihrer Aufforderung, über das beiliegend zurückerfolgende Gutachten

der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö meine Ansicht

äußern," — schreibt Herr Heidel am

zu

7. Mai 1862 dem Herrn Pro­

fessor F. A. Märcker — „erkläre ich, daß, abgesehen von der „Unange­ messenheit jener Trilogie",

„der künstlerischen Schwierigkeit,

sowie von

zwei Statuen so in Bezug zu einander zu setzen, daß die Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer vollkommenen Geltung komme,"

mir vor Allem und zunächst der gegebene Platz nur für ein Standbild

(aber mitten darauf)

geeignet erscheint.

vom Goethe-Comitv

dem

Ich erkläre mich demnach mit

zuletzt gefaßten Entschluß:

nicht

allein

der

Errichtung einer Hessing-Statue auf dem Gensdarmenmarkte nicht zuzu­ stimmen, sondern auch von der einer Goethe-Statue daselbst absehen zu wollen, um so lieber einverstanden, als dadurch der ursprünglichen Idee des Schiller-Denkmals ihr Recht wird."

Es bleibt bei diesem Gutachten des Herrn Heidel ungewiß, ob er

dem, wovon er absieht, zustimmt oder aber ob er sich darüber zunächst noch

mung

Jedenfalls hat er

sein Urtheil blos vorbehält. zu

der

der Trilogie"

„Unangemessenheit

Schwierigkeit selbst, „zwei Statuen so

und

seine Zustim­ der

beregten

in Bezug zu einander zu setzen,

daß die Natur jeder der dargestclltcn Persönlichkeiten

zu ihrer vollkom­

menen Geltung komme," wenn er sie in jenem „abgesehen" gegeben hat, unbegründet

gelassen.

Worüber

er

sich

dagegen mit

unzweifelhafter

Deutlichkeit ausspricht, ist dies, daß ihm der Vorplatz vor dem Schau­

spielhause nur

für die Errichtung Eines Standbildes geeignet scheint:

derselbe Platz, der in der mehrermähnten Jmmediat-Eingabe vom 27. Ja­ nuar 1860 von vielen seiner Fachgenossen und überhaupt von allen Un­ terzeichnern

dieser Eingabe für die Errichtung zweier Standbilder aus

25 dafür angegebenen Gründen so besonders empfohlen worden ist. Bei dem Mangel einer sachlichen Begründung des Gutachtens des Herrn Heidel muß es bei der Constatirung dieses Widerspruchs zwischen ihm und dm andern Herren hier bewenden. Die Schlußbetrachtung des Herm Heidel, daß dadurch, daß man nicht blos von der Errichtung des Lessing-, sondem auch des Goethe-Standbildes auf dem Gensdarmenmarkt Ab­ stand nehme und nur das Schiller-Standbild dort errichte, der ursprüng­ lichen Idee dieses Denkmals ihr Recht werde, gründet in einem anderen Bereich als dem, worauf sich bei der hier allein vorliegendm Frage über die künstlerische Ausführbarkeit einer Aufstellung dreier Standbilder auf dem GmSdarmenmarktt die Erörterung zu beschränken hat.

9. Gutachten des 'Professors A. Wredow.

Nach einem Rückblick auf die Motive, die bei dem Beschlusse des Goethe-Comite vom 1C>. Juli 1861 leitend gewesen seien, und nachdem Herr Professor Wredow sich dafür ausgesprochen, daß man auch setzt noch daran festhalten müsse, Goethe von Schiller auf dem Gensdarmen­ markt ungetrennt zu erhalten, berührt er die Frage der künstlerischen Ausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder auf diesem Platze mit folgenden Worten: „Die Bewegung, welche sich jetzt gegen die Hinzufügung Lessings in größeren Kreisen kund giebt, hat folgerecht, wenn sie durchdringt, als Ergebniß zunächst nur die Aufstellung Lessings auf einem anderen Platze zur Bedingung, denn es handelt sich hier zuvörderst nicht um die prak­ tische Unmöglichkeit der Stellung dreier Statuen neben einander, sondern darum, daß Lessing, wenn auch noch so groß, als Dichter nicht passend erscheint, neben den beiden andem aufgestellt zu werden."') Nicht also, weil überhaupt nicht drei Standbilder auf dem GenSdarmmmarkte zusammen errichtet werden können, nicht aus künstlerischen Unzuträglichkeiten im Allgemeinen, oder aus eigenthümlichen Mängeln des Platzes für diese Errichtung dreier Standbilder im Besonderen, son­ dern weil Lessing in seinem dichterischen Werthe Schiller und Goethe

*) „Es würde auch wohl dieser Ansicht auf dem Gensdarmenmarkt genügt werden können, wenn Schiller aus der Mitt« wiche und Lessing, Goethe und Schiller gegenüber, den Rücken der Markgrafenstraße zu, aufgestellt würde," sagt eine hier deigefüzte Note.

26 nicht ebenbürtig erscheint, darum, und zuvörderst nut darum, ist nach der

Ueberzeugung des Herrn Professors Wredow jetzt die Bewegung gegen

die Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes eingetreten.

Hiermit wird der Ausgangs- und Kernpunkt

dieser Bewegung von Herrn Professor Wredow durchaus in das Gebiet

der wirklichen oder vermeintlichen literaturgeschichtlichen Unangemessenheit verlegt, und dem Gebiete rein künstlerischer Bedmken beinahe völlig ent­

zogen.

Sein Gutachten ist also weit eher eine offene Anerkennung der

künstlerischen Ausführbarkeit der Dreistellung als ein Protest dagegen.

Gleiches gilt von den ferneren Sätzen des Gutachtens des Herrn Pro­ fessors Wredoiv, in benen er einen Vorschlag zur Ausführung empfiehlt,

wobei einerseits das künftige Schiller-Standbild den mittleren Platz vor der

Freitreppe

behalten,

und

andererseits

die

Zusammenstellung

des

Goethe-Standbildes mit dem Schiller-Standbilde, ohneHinzunahme

oder vielmehr

unter Wiederbeseitigung des Lessing-Standbildes,

erhalten bleiben soll.

„Man lasse" — sagt Herr Professor Wredow —

„Schiller ruhig seinen Platz und stelle Goethe ihm gegenüber in derselben

Mittellinie vor dem Schauspielhause, Schiller zugekehrt, mitten auf dem

Platz zwischen der Freitreppe und der Seehandlung auf,

Ranch

dem Leben

nachgebildeten Entwürfe,

nach dem von

welcher Goethe in hohem

Alter und ruhiger Stellung, die Hände auf dem Rücken, darstellt und uns das naturgetreuste Bild, welches ein Künstler jetzt noch zu gestalten fähig sein möchte, geben wird.

Aber nicht allein dies ist es, was dieser

Darstellung wohl den Vorzug

vor jeder anderen geben würde,

es ist

auch der dadurch hervorgerufene Gedanke, der mit der Statue dem Be­

schauer unmittelbar gegeben würde: es ist der Dichter vor seinem Freunde Schiller stehend, der schönen Zeit männlichen Zusammenwirkens mit dem

früh Dahingeschiedenen gedenkend. Ferner ist, vom künstlerischen Stand­ punkte betrachtet, diese Darstellung kaum besser möglich für diese Stelle

zu erfinden: sie giebt, wie es die Aufgabe verlangt, ein klares lebendiges Bild jenes Gedankens, in charakteristischer Form

und in

der Goethe,

diesem erhabenen Manne, eigenen Ruhe."

Auch aus diesen letzten Sätzen des Gutachtens ist eher auf alles

Andere, als darauf zu schließen, daß Herr Professor Wredow die Er­ richtung dreier Standbilder vor

für künstlerisch unausführbar hält.

dem Königlichen Schauspielhause hier Sie machen es dagegen unzweifelhaft,

daß er seinerseits auch die in dem ersten Grunde des Gutachtens der .Kunstabtheilung des Goethe-Eomitö hervorgehobene künstlerische Schwierig­

keit,

„zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die

Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer besonderen Geltung

27

komme," nicht entfernt anerkennt, oder doch der vollen Zuversicht ist, sie nach allen Richtungen hin siegreich zu überwinden.

10.

Nu »achte n des Bauraths H. Hitzig. Zn diesem Gutachten

vom 8.

Mai

1862

erklärt Herr Baurath

Hitzig, daß er, „verhindert der Sitzung der Abtheilung A. des Goethe

Comite 's vom 14. April beizuwohnen, nachträglich zu allen Beschlüssen derselben" seine Zustimmung ertheile, bis auf den Cineit Punkt, daß er

für die nunmehrige Aufstellung der Goethe-Statue nicht die Mitte des

Opernplatzes, sondern die Stellung Opernhauses,

„vor der Mitte der Langseite des

der Bibliothek gegenüber,"

als

die

nach

seiner

„schönere und zweckmäßigere" Stelle in Vorschlag bringt.

Ansicht

Gründe für

die künstlerische Unausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Standbildes mit

den

Standbildern

Schillers

und

Goethes

vor

dem Königlichen

Schauspielhause zu Berlin sind von Herrn Baurath Hitzig nicht ange­

führt, auch die in

weiter

entwickelt.

den anderen Gutachten

Zu

einer

Erörterung

Gründe gegen diese Ausführung bietet

angeführten von

ihm nicht

oder

entwickelter

neuer

neu

dieses Gutachten also keine Ge­

legenheit.

3. Gutachten des Prorrsier H. A. Maümann. Auch dieses Gutachten ist in der Form eines an den Herrn Pro­

fessor Dr.

a.

A. Märcker

gerichteten Antwortschreibens des Herrn Pro-

*) Zum Verständniß dieser Bezeichnung wird hier anznführen sein, daß das Goethe-Comit« sich nach seiner Geschäftsordnung vom 10. Mai 1860 in vier Ab theilungen getheilt hat, nämlich A. „für die technischen Vorarbeiten zur Errichtung des Denkmals;" B. für die literarische Thätigkeit und die öffentlichen Kundgebungen; C. für öffentliche Kunstleistungen, wiffenschaftliche Vorlesungen, Ausstellungen :c.; D. für die Geldverwaltung und die allgemeinen geschäftlichen Angelegenheiten. Die hier von Herrn Banrath Hitzig als Abtheilung A. des Goethe-Comite bezeichnete Abtheilung ist später die Kunstabtheilung dieses Comite genannt worden. Jedes Mitglied deS Goethe-Comite, d. h. jeder der 64 Unterzeichner der Jmmedint-Ein­ gabe an Seine Königliche Hoheit den Prinz-Regenten vom 27. Januar 1860, ge» hört nach seiner Wahl einer oder mehreren dieser vier Abtheilungen an. Der Ufbertritt aus einer Abtheilung in die andere bleibt nach vorheriger Anzeige des betreffenden Mitgliedes bei dem Vorsitzenden des Comite freigestellt.

28

fessors H. F. Maßmann ausgestellt. Es datirt vom 9. Mai 1862 und lautet also:

„Wenn ich wegen der Nebeneinanderstellung von Schiller, Goeche

und Lessing um mein Urtheil gefragt werde, kann die Frage nicht sein, Drei Bildsäulen nebeneinander zu stellen (und

wohin ich mich schlage.

verschlungen könnten doch nur drei Grazien, oder Glaube, Hoffnung werden), gefühl,

Liebe und

dagegen strebt oder sträubt sich schon mein Laim­

hätten auch nicht schon Künstler von Fach

und Verfänglichkeit solcher Darstellungen bewiesm.

die Bedenklichkeit

Im wirklichm Fall

der Ausführung (obenein durch verschiedene Künstler) würde man sich kaum mit dem Nacheinanderaufstellen, wie bei Aork und Gneisen«» neben

Blücher getrosten, Männer, von deren Gruppe sich selbst der gegenüber­

stehende

Scharnhorst

aus seinem

Wachtposten

bedenklich

abzuwenden

scheint, der sich ihres Thatenbundes im Leben doch gewiß gefreut hat.

Doch es ist gut, daß die Helden der That oder der Freiheitskriege alle

vereint stehen und — standen, ehe die Nike mit ihren Zöglingm achtmal aufgestellt ward. Nun aber glaube ich, könnte zwischm den Helden des siebenjährigen

Krieges

(am Denkmal Friedrichs II.) und den Helden der Befreiungs­

kriege (und

nebenbei der

landwirthschaftlichen und gewerblichen Hinter­

gruppe) gewiß nichts Würdigeres eingeschoben werden, als auf dem Opern­ platze Goethe und — erschrecken Sie nicht,

Vorhofe der hohen

Schule, —

Schluß seiner Geisteshelden.

ihm gegenüber, aus dem

Fichte, für Berlin ein nothwendiger

Er verdient so

gut seine Bildsäule wie

Lessing und vertritt ttefflich die Ergänzung Goethes für nattonale That.

Also — Opernplatz! Das Opernhaus ist ja auch Schauspielhalle!

Zugleich darf

Goethe dreist zur Wissenschaftshalle hinüber und einst dem,

der

„klares Denken" als Rettung zur Bedingung setzte, kühn und unge­

scheut in die Augen sehen."

Da der letztere

Theil dieses Gutachtms

sich nur mit dem Nach­

weise beschäftigt, warum das Goethe-Standbild, als solches, aus dem

Opernplatze seine Aufstellung finden und warum diesem Standbilde dort das Fichte-Standbild auf dem Vorhofe der hohen Schule

gegenüber

gestellt werden müsse, so scheidet er für die hier allein vorliegende Frage nach der künstlerischen Nnausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder vor dem hiesigen Königlichen Schauspielhause gänzlich aus.

Blos der

erste Theil, der die persönliche Abneigung des Herrn Professors Maßmann gegen

die Nebeneinanderstellung der Standbilder von Schiller,

Goeche

29 und Lessing treten.

freilich sofort außer Zweifel setzt,

kann hier in Betracht

„Wegen der Nebeneinanderstellung von Schiller, Goethe und

Lessing um mein Urtheil gefragt, kann die Frage nicht sein, wohin ich mich schlage."

Auch bedarf diese persönliche Abneigung für denjenigen,

dem sie in diesem Grade einmal beiwohnt, kaum des erklärenden Bei­ satzes: „Drei Bildsäulen neben einander zu stellen, dagegen strebt oder

sträubt sich schon mein Laiengefühl."

Für Andere, die ein anderes Laien­

oder individuelles Kunftgefühl haben, müssen zur Klarstellung und zum Beweise der objectiven Berechtigung einer solchen persönlichen Abneigung

sachliche Gründe hinzutreten. mann nicht angegeben.

oder Glaube,

Diese werden von Herrn Professor Maß­

Denn der Satz, daß „doch nur drei Grazien,

Liebe und Hoffnung verschlungen werden könnten," und

die Noraussicht, daß „im wirklichen Fall der Ausführung" das Neben­ einanderstellen von Schiller, Goethe und Lessing noch schlimmer miß-

rathen müsse, als dies

„bei Port und Gneisenau neben Blücher" der

Fall sei, sind keine. — Die Gruppe des Laokoon giebt Gewißheit dar­ über, daß sich nicht blos drei Grazien, oder blos Glaube, Liebe und

Hoffnung, sondern auch noch drei andere Bilder in Menschengestalt zu einer Gruppe vereinigen lassen.

Wenn es sich sonst empfehlen sollte,

so würden daher auch Lessing, Schiller und Goethe wohl noch zu einer

Gruppe zu vereinigen sein.

Aber die Standbilder Lessings, Schillers

und Goethes sollen eben nicht zu einer Gruppe vereinigt, sondern in getrennten Einzel-Figuren mit einander verbunden werden, und daß dies, wenn die Charaktere Lessings, Schillers und Goethes eine solche Verbin­ dung sonst gestatteten, künstlerisch ausführbar sei, ist in dem vorher er­

wähnten Gutachten des Herrn Professors Wolff, dieser Behauptung des

Herrn Professors Maßmann entgegen, anerkannt.

Wenn sich nach der

Meinung des Herrn Professors Maßmann Scharnhorst auf seinem Wacht­

posten von der Dreistellung Ports und Gneisenaus neben Blücher be­ denklich abzuwenden scheint, so giebt dies für den Grad der Ungunst, den diese Dreistellung Rauchs in den Augen des Herrn Professors Maßmann

findet, allerdings wieder einen greifbaren Maßstab, aber es beweist nichts

gegen deren innere Berechtigung, oder, was dasselbe, nichts gegen den künstlerischen Werth dieser Dreistellung selbst.

Freilich steht diese per­

sönliche Ungunst des Herrn Professors Maßmann gegen die Rauch'sche Dreistellung nicht vereinzelt da.

Auch die Kunstabtheilung des Goethe-

Comitv sucht den vorhin erwähnten zweiten Grund, den sie gegen die

künstlerische Ausführung der Verbindung des Lessing-Standbildes mit

den Standbildern Schillers und Goethes auS der linearen Aufstellung dreier Statuen entnimmt, Seite 12 ihres Gutachtens, dadurch zu ver-

30 anschaulichen, daß sie zufügt:

„Auch hier konnte auf ein bestimmtes

Beispiel hingewieien werden, indem die Aufstellung der drei Feldherrn Statuen am Opernhause, ohne dem hohen Verdienste des Meisters und

der Bedeutung der einzelnen Statuen selbst irgmdwie zu nahe zu treten,

doch von künstlerischer Seite aus ungünstig, und der wahrm künstlerischen Wirkung ermangelnd bezeichnet werden mußte."

blos dafür.

Allerdings auch wieder

ein Hinweisen auf einen behaupteten Mangel

und

kein Beweis

Aber, wenn die Rauch'sche Freistellung der Feldherrn-Statuen

am Opernhause,

seinem Ruhm

die Rauch selbst doch mit seiner Künstler-Ehre und

nicht

unverträglich gehalten hat, sei es wegen der

für

linearen Aufstellung oder wegen sonstiger Gründe, nicht blos behaupteter, sondern erwiesener und unwiderleglicher Maßen für mißlungen oder un­ genügend

erklärt werden müßte:

soll die statuarische Dreistellung als

solche darum überhaupt und an allen Orten und zu allen Zeiten ihrer künstlerischen Ausführbarkeit entkleidet, soll sie dann« für immer aus der

Reihe der Kunstaufgaben gestrichen, soll es darum ein und für allemal

unmöglich geworden sein, die Standbilder unserer drei größten Schrift­ steller

und dramatischen Dichter vor dem Königlichen Schauspielhause

in Berlin harmonisch zu verbinden?

Was bis zur Zusammenstellung der

drei Feldherren-Statuen am Opernhause hier als künstlerisch ausführbar

von Niemand bestritten wurde, hätte seitdem durch die angeblich miß­ lungene Dreistellung Rauchs diese Eigenschaft unwiederbringlich verloren?

Ich würde fürchten, von der Kunst und der Leistungsfähigkeit der jetzigen Künstler viel zu gering zu denken, wenn ich Eine dieser Fragen bejahte.

Auch ist in der hier später begonnenen und der Vollendung jetzt nahe

gebrachtm Dreistellung der Standbilder Thaers, Schinkels und Beuths ihre Verneinung thatsächlich vor Augen gestellt.

L a cb l i cb e s R e f u 11 a t. Die

auf

die Frage

der

künstlerischen Ausführbarkeit

bezüglichen

Beilagen zu dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe - Comitö Nr. 3 bis 10 sind hiermit,

Ein Rückblick auf sie,

ihrem sachlichen Inhalte nach, mitgetheilt.

aus den betrfsenden Theil des Gutachtens selbst

und auf die Immediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 giebt, sofern eö

im Besondern die vota der dabei betheiligten plastischen Künstler betrifft, folgendes Resultat:

Für die Aufstellung blos eines Standbildes auf dem Gensdarmen-

31 markte sind die Herren: Albert Wolff, A. Fischer, Herrmann Schievelbein,

H. Wittig, Carl Möller, Gustav Bläser, I. Franz und H. Heidel. Für die Ausstellung zweier Standbilder dort waren am 27. Ja­

Fr. Drake,

nuar 1860 die Herren:

dow, I. Kiß und Hugo Haagen.

der Kunstabtheilung

Sußmann-Hellborn,

August Wre-

Die beiden erster», in der Sitzung

des Goethe-Comite vom

14. April

1862

anwe­

senden Herren sind jetzt für die Trennung des Goethe-Standbildes von dem Schiller-Standbilde,

Standbildes mit den

weil sie gegen die Verbindung des Lessing-

Standbildern

Schillers und Goethes sind.

Die

drei letztem Herren, die in dieser Sitzung nicht anwesend waren, sollen, wie Seite 15 der Druckschrift: „Gutachten der Kunstabtheilung u.s.w."

gesagt ist,

sich

klärt haben.

mit den Beschlüssen dieser Abtheilung einverstanden er­

In welcher Weise und

im Besondern gegen wen dieses

Einverständniß ausgesprochen worden, ist nicht angegeben.

die

Ueber

künstlerische

Ausführbarkeit

der

dreier

Aufstellung

Standbilder dort hat sich mit erkennbarer Bestimmtheit nicht ausge­ sprochen Herr Heidel.

Ausdrücklich bestritten hat sie keiner der Herren,

namentlich dann nicht, wenn die Ausführung in Cine Hand gelegt und von verschiedenen Aufträgen

oder Coucurrenzen dabei abgesehen würde.

Bestimmt anerkannt oder cutgeräumt, das; „es sich hier zuvörderst nicht

um

die

Unmöglichkeit

praktische

der

Stellung

dreier Statuen

neben

einander handelt, sondern darum, das; Lessing, wenn auch noch so groß,

als Dichter nicht passend erscheint, neben den beiden andern ausgestellt zu werden," das hat Herr Professor Wredow.

Nach dieser letzten offenen Crklärtmg eines von der Kunstabtheilung des Goethe-Comite

behauptete

selbst,

künstlerische

Standbildes

mit

den

angerufenen Künstlers vom Fach

Unausführbarkeit

der Verbindung

Standbildern Schillers

Königlichen Schauipielhauie,

wird die

des Lessing-

und Goethes

vor

dem

die sich überdies weder in dem Gutachten

der Kunftabtheilnng des Goethc-Comitö selbst noch in den desfallsigen Beilagen Nr. 3 bis 10 als begründet

erwiesen

hat,

verlassen werden

können.

Die Vossische Zeitung gab am 5. Januar 1861 den Auszug eines

größeren Auft'atzes von Gustav

Freitag aus Nr. 1 der Grenzboten

von 1861: „Der Schillerpreis und die projecttrten Statuen in Berlin" überschrieben,

worin der Verfasser sagte:

„Der Cinwurf darf nicht im

Cmst gemacht werden, daß zwei Statuen sich der gegebenen Oertlichkeit, dem Raum vor der Treppe des Schaitspielhauscs,

besser anpassen wür-

39

bm, als eine. Offenbar ist der erwählte Raum weder für eine noch für zwei Statuen vorzugsweise günstig. Er ist weder für eine noch für zwei unbedingt ungünstig. Es ist eben Aufgabe sowohl des erfindenden Bildhauers, als der helfenden Künste, welche den Raum um das Derckmal zu schmücken haben, ihn so viel als möglich anzupassen. Wir zweifeln nicht, daß das bei zwei Statuen geschehen kann; es wird bei einer nicht weniger möglich sein." Was hier über die damalige Frage, ob ein oder zwei Stand­ bilder, gewiß mit vollstem Recht gesagt ist, wird wohl auch jetzt bei der Frage, ob zwei oder drei Standbilder, zutreffen.

Es bleibt schließlich noch zu bemerken, daß die Zuschriften des Herrn Professors Dr F. A. Märcker, worauf die Beilagen Nr. 3 bis 10 geant­ wortet haben, dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-ComitL vom 14. April 1862 nicht zugefügt worden sind, und daß daher in Bezug auf den Inhalt dieser Beilagen der Zusammenhang von Farge und Antwort diesseits nicht gewürdigt werden konnte.

33

Die literiturgeschichtliche Unangemeffeaheit. Die Kunstabtheilung des Goethe-Comite ist Seite 10 ihres Gut­ achtens vom 14. April 1862 in dieser Beziehung folgender? Meinung: „Keine Auffassung, die zur Motivirung des Drei-Statuen-Projects gemacht werden könnte, kann genügen, deren innere Jnconvenienz und den gegen die historische Stellung der drei Dichter darin enthaltenen Fehler zu verdecken. Dies ist von dem Manne, der am meisten dazu berufen erscheint, über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen, dies ist von Jacob Grimm in dem jetzt gedruckt vorliegenden Briefe an den damali­ gen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Herrn Simson, in so über­ zeugender Weise nachgewiesen, daß wir deffen Aeußerungen hier nichts Neues hinzuzufügen wegen." Zn so überzeugender Weise? Und doch nicht überzeugend für den, an den der Brief gerichtet war? Denn sowohl die Jmmediat-Eingabe an Seine Majestät den König vom 24. Juli 1861,') die Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildem Schillers und Goethes betreffend, als auch der öffentliche Aufruf des Lessing-Comitö vom 10. Januar 1862, *) ist von Herrn Simson durch ausdrückliche Be­ vollmächtigung mitunterzeichnet, und seitdem nicht bekannt gewordm, daß Herr Simson seine Ueberzeugung von der Richtigkeit der ihn, und der Unrichtigkeit der den Herrn Jacob Grimm bestimmenden Gründe in Sachen des hier zu errichtenden Lessing-Standbildes und der Verbindung dieses Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes vor dem hiesigen Königlichen Schauspielhause, irgend wie geändert habe. Aber die Mitglieder der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö selbst sind doch ihrerseits von der Richtigkeit der Gründe des Herrn Jacob Grimm in dessen Brief an Herrn Simson so vollständig überzeugt, daß sie seinen Äußerungen hier „nichts Neues hinzuzufügen wagen"?

') Beilagt VI.

’*) Beilage IX.

34 Sie sind es in zwei der allererheblichsten Punkte auch nicht, und

hätten sich daher auf diesen Brief nicht unbedingt betufm dürfen. Der erste Punkt ist die „Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes" und deren dadurch für sie gerechtfertigte Verherrlichung in ver­ einigten Standbildrm auf Einem Platze, „aus dem schönsten Platze, mit dem idealen Hintergründe einer ächt antiken Säulenstellung nebm einer prächtigen Freitreppe." Die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860, die jetzigen Mitglieder des Goethe-Comite, sowie auch jetzt noch die Mitglieder der Kunstabtheilung dieses Comite, habm sich zu dem Glauben an diese Zusammengehörigkeit und an die Noth­ wendigkeit der daraus gezogenen Consequenz eben so bestimmt bekannt, als Herr Jacob Grimm in seinem Briefe an Herrn Simson diesen Glaubm nicht theilt und daher auch diese Consequenz nicht anerkennt.

„Die beiden großen Dichter" — heißt es in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 — „sind nur mit und durch einander zu be­ greifen, weil sie in ihren Richtungen und Werken sich gegenseitig ergän­ zend, das Bild einer großen und erhabenen Einheit im Gedanken dar­ stellen;" daher wird die Erlaubniß zur Begründung eines Comite, „ behufs der Errichtung eines gesonderten Denkmals für Goethe, gleichwie für Schiller, auf dem Gensdarmenmarkte erbeten." „Seine Königliche Hoheit" — heißt es Seite 7 des Gutachtens — „haben dem Gedanken, daß den beiden Dichterfürsten, welche im Leben mit und neben einander gewirkt haben, die Nachwelt eine gleiche und gemeinsame Anerkennung schulde" — beide Worte sind auch im Text des Gutachtens mit gesperrter Schrift gedruckt, — „Allerhöchst Ihre volle Zustimmung," sowie für das „in Verbindung mit dem SchillerDenkmal zu errichtende Denkmal für Goethe die Allerhöchste Zusicherung eines Beitrags von 10,000 Thalern gegeben." Die Kunstabtheilung deö Goethe-Comite „glaubt heute", am 14. April 1862, wie in ihrer letzten Sitzung (am 12. Juli 1861) S. 10, „daß die Aufstellung zweier Statuen, der Schillers und der Goethes, in gleichem wohlerwogenemVerhältniß zur Umgebung, die schönste Art sei, der Verehrung der deutschen Nation für diese beiden großen Männer einen würdigen und der Natur des Verhältnisies der Beiden zu einander am meisten entsprechenden Ausdruck zu geben." „So würden Beide" — Schiller und Goethe — S. 8 — „gleichberechtigt dem Auge des Beschauers entgegmtreten sönnen, wie sie gleichberechtigt im Bewußtsein der Nation fortleben." Darum eben will und muß die Kunstabtheilung deS Goethe-Comite, von der

35 Bereinigung der Denkmale Schillers und Goeches auf dem Gensdarmenmarkte, das Lessing-Standbild fern gehalten wissen, weil es „beit dieser Vereinigung zu Grunde liegenden Gedanken vollständig aufheben würde"; „diese Vereinigung aber zu erreichen war Grundlage und letztes Ziel aller Bestrebungen des Goethe-Comite." „Ein Aufgeben derselben wäre ein Aufgeben seiner selbst gewesen." „Viele treMche Männer" — setzt dann, um es zu wiederholen, das „Vorwort" des Gutachtens S. 4 noch hinzu — „sind noch immer der Meinung, daß man diesen Grundgedanken des Goethe-Comitö nicht aufgeben dürfe, indem man bei rich­ tiger Einsicht seiner Erfüllung doch noch entgegen sehen dürfe;" — derselben unveränderten Meinung, wozu sich das Goethe-Comitö auch am 12. September 18(>0 bekannte, als es dem Magistrat erklärte, „auf diesen Plan" — das Goethe-Standbild auf einem anderen Platze, getrennt von den, Schiller-Standbild, zu errichten, — „können wir nicht eingehen, ohne unsern Allerhöchst sanctionirten Grundgedanken und den ganzen Zweck unseres Bestehens aufzugeben." So das Goethe-Comitö, die Kunstabtheilung desselbm und das „Vorwort" zu dem Gutachten des Letzteren. Man wird zugeben, daß stärker, nachhaltiger, und übereinstimmender die unveräußerliche Zusam­ mengehörigkeit der Standbilder Schillers und Goethes auf Einem Platze, die Nothwendigkeit ihrer bleibenden Verbindung und die absolute Un­ möglichkeit ihrer Trennung und Aufstellung auf verschiedenen Plätzen kaum auszusprechen war. Und Herr Professor Jacob Grimm in seinem Briefe an den Prä­ sidenten Simson? „Meine persönliche Ansicht ging nicht einmal dahin, daß Goethe und Schiller beide dieselbe Stelle sollten einnehmen, ich hielt mehr als einen Platz in der großen Stadt für geeignet dazu. Schiller mochte gern aufsteigen, wo man sich an seinem Feste versammelt hatte. Warum sollte nicht Goethes Bild auf dem Leipziger Platz oder auf dem ehema­ ligen Exercierplatz, den in einigen Jahrzehnten Prachtgebäude einfassen werden, am wirksamsten sein? — Neben Goethe stehen könnte Einer nur, Humboldt. — Bei den Mitgliedem des Goethe-Vereins überwog gleichwohl die Meinung, daß beide Dichter, denen so Vieles gemein war, am besten neben einander ständen."

Wo ist hier die richtige Einsicht, von der das „Vorwort" zu dem Gutachten der Kunstabtheilung spricht, diese Stütze für die Meinung jener S'

36 vielen trefflichen Männer, daß man den Grundgedanken des GoetheComite, das Schiller- und Goethe-Standbild aus demselben Platze zu errichten, nicht aufgeben, sondern seiner Erfüllung doch noch entgegen­ sehen dürfe? Bei dem zweiten Punkte, dem Rangverhältnifle zwischen Schiller und Goethe, ist die Differenz noch größer, oder hört sie gänzlich auf, da hier zwischen der Ueberzeugung der Kunstabtheilung des GoetheComite und der des Herrn Professors Jacob Grimm der vollkommene Widerspruch beginnt. „Diese Hinzufügung" — des Lessing-Denkmals nämlich — sagt die Kunstabtheilung des Goethe-Comite S. 10 ihres jetzigen Gutach­ tens" würde jene einzige Erscheinung, daß zwei gleich große Genien in neidloser Einigkeit nicht nur gemeinsam gewirkt, sondern sich dieser ihrer Zusammengehörigkeit auf das Klarste bewußt gewesen sind, eine Erscheinung auf die unsere Nation vor Allem stolz zu sein berechtigt ist, nicht in ihrem hohen Werthe, zu dem ihr gebührenden Ausdruck gelangen lassen; sie würde die Ansicht der Zeitgenossen nicht in ungetrübter Weise auf die Nachwelt bringen, für welche jene Monumente nicht minder, wie für die Gegenwart errichtet werden sollen."

Also Schiller und Goethe „zwei gleich große Genien". Wie wird es mit dieser einzigen Erscheinung, mit diesem Hauptgrund unseres berechtigten Nationalstolzes, mit der Ansicht der Zeitgenossen und dem Anrecht der Nachwelt beschaffen sein, wenn Schiller und Goethe in den Augen Jacob Grimms nun diese zwei gleich großen Genien nicht sind; wenn, seiner Ueberzeugung nach, einer dieser beiden Genien den andern an Erhabenheit so sehr überragt, daß kaum an einen Vergleich, geschweige an eine Gleichstellung zu denken ist? „Goethe, wenn es mich hier doch drängt es auszusprechen" — sagt Herr Professor Grimm in seinem von der Kunstabtheilung des GoetheComitö angerufenen und in ihrem Gutachten abgedruckten Briefe an Herrn Simson — „ist unter den Dreien der größte Genius, an seine Erhabenheit reichen Lessing und Schiller, so herrlich sie sind, nicht von Weitem."

Wenn die Kunstabtheilung des Goethe-Comite also ihrem Glauben an den Mann „der wie kein Anderer berufen scheint über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen," die Ehre giebt, so kann jene einzige Erscheinung

37 der zwei gleich großen

Genien Schiller und Goethe,

für Lessing eine unnahbare wurde, den«

die ihrigen länger nicht im Wege stehen. keit ist

für

dann gebrochen,

Schiller

die zugleich

Anschluß seines StandbüdeS an Der Bann der Ausschließlich­

sowohl,

und Goethe

für

wie

Schiller, Goethe und Lessing.

Wie es sich aber auch

damit gestalten mag, der Brief des Herm

Jacob Grimm gewährt uns zugleich einen Rückblick in die Vergangenheit und giebt Beweise über eine Thatsache, die nach den anderen Thatsachen,

die ihr seitdem gefolgt sind, grade jetzt besondere Beachtung verdient.

„Bei den Mitgliedern des Goethe-Vereins" — sagt Herr Jacob Grimm

in seinem Briefe vom 29. Mai 18G1 — „überwog gleichwohl die Mei­ nung, daß beide Dichter, denen so Vieles gemein war, am besten nebm

sie

einander ständen;"

überwog,

Goethe-Vereins, gegen

Mitglieder

der

diese Meinung

des

die „persönliche Ansicht"

Herrn

des

Jacob

Grimm, daß „Goethe und Schiller beide dieselbe Stelle" nicht einneh-

men sollten. Ich selbst

Grimm, oder

in

von

habe

dee Henn Jacob

dieser persönlichen Ansicht

das Goethe-Standbild nicht auf dem Gensdarmenmarkt nebm

mit dem Schiller-Standbilde,

Verbindung

andern Platze Berlins

aufzurichten,

sondern auf einem

erst durch diesen Brief

Kenntniß

erlangt, wiewohl mir durch die Güte des Henn Professors Dr. Märcker

Gelegenheit gegeben worden,

bei den Vorberathungen über das Jmme-

diat-Gesuch vom 27. Januar 1860 mitzuwirken, dieses Gesuch unterzeichnen und

des Goethe-Eomitö Theil zu haben. Ansicht

des Herrn Jacob Grimm

zu

Auch ist mir über diese persönliche vor

des

vom 29. Mai

diesem Briese

1861 sonst nicht das Mindeste bekannt geworden. sen Brief gelesen,

mit

in Folge dessen jetzt an der Ehre der Mitgliedschaft

Ich bin, bis ich die­

festen Glaubens gewesen, daß alle Unterzeichner

der Jmmediat-Eingabc vom 27. Januar 1860 darin nur den gemein­

samen Wunsch bekannten,

das Goethe-Standbild

bild auf dem Gensdarmenmarkt anichließcn

dem Schiller-Stand­

zu dürfen;

ich habe

vor

Allem früher nicht gewußt, daß zwischen dem Herrn Jacob Grimm und

anderen Herren Standbildes

auf

des Goethe-Vereins über die Errichtung des Goethe-

verschiedenen Plätzen oder aus demselben Platze mit

dem Schiller-Standbilde, eine Meinungsverschiedenheit obgewaltet, daß sie

Gegenstand

von Erörterungen zwischen ihnen

Meinung die andere,

Grimm,

überwogen

gewesen, daß hierbei eine

die Meinung jener Herren die

habe.

Gleichwohl ist

dies nach

des Herrn Jacob

dem Briefe des

38 Herrn Jacob Grimm der Fall gewesen, da nicht anzunehmen, daß Herr Jacob Grimm seiner persönlichen Ansicht im Gegensatze zu der Meinung

Anderer, die überwogen habe, gedenken sollte, wenn er diese seine persönliche Meinung nicht auch jenen Andern vorher mündlich oder schriftlich geäu­

ßert, sie ihnen und ihrer Meinung gegenüber in der einen oder andern

Weise nicht auch vorher mehr oder minder begründet hätte.

Jene Herren

warm also damals in dem Falle, dem Uttheile des Henn Jacob Grimm

folgen.

ihrerseits zu

Hättm sie es gethan, so würde vielleicht um die

Errichtung des Goethe-Standbildes auf dem Genödarmenmartt Allerhöch­ sten Orts gar nicht gebeten und der ganze spätere Stteit zwischen dem

Schiller- und Goethe-Comite zusammt dem schließlichen Einigungovorschlage des Drei-Statuen-Projects vermieden worden sein.

Daß sie es

aus Gründen, die sie ihrerseits für die besseren und richtigeren hielten, auch einem so bedeutenden und geehrten Manne, wie Herr Jacob Grimm,

gegenüber nicht gethan haben, war ihr unbestreitbares Recht, und konnte

ihre unabweisliche Pflicht sein.

Aber dasselbe Recht und dieselbe Pflicht

besteht demselben Manne gegenüber, heute wie damals, auch für Andere. Was damals für Andere unsträflich und erlaubt war, muß es auch noch heute sein.

Wenn die Autorität eines Namens niemals und unter kei-

nen Umständen werden darf,

das Joch

für

die Freiheit

warum sollen die,

einer andern Ueberzeugung

die auftichtig überzeugt sind,

daß die

Verbindung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem

Königlichen Schauspielhause zu Berlin innerlich berechtigt und wohl be­

gründet ist,

nicht

auch

gegen

Jakob

Grimm an ihrer Ueberzeugung

festhalten dürfend und wenn eö anders ist, warum haben bei der frühe­

ren Frage

über

über die daraus

ihrer

Standbilder

die Zusammengehörigkeit Schillers

und Goethes und

von ihnen hergeleitete Nothwendigkeit

der Errichtung

auf Einem Platze, jene Herren selbst sich der Auto­

rität Jacob Gximms nicht beugen wollen? Den Gründen gegenüber, womit diese Verbindung noch jetzt öffent­ lich bestritten wird, ist jene ftüherc Frage über die Zusammengehörigkeit

Schillers und Goethes indeß ebenfalls noch jetzt eine gegenwärttge.

Es

gereicht mir zur Genugthuung, daß ich dabei mit meiner eigenen Ueber­ zeugung ganz auf der Seite Jacob Grimms stehe. dieser Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes,

erfreuen und dafür dankbar sein,

Was wahr ist an dessen soll man sich

baut ihm aber keine Denkmale;

und

was unwahr daran ist und übertrieben, das führt zu Abgötterei und Un­ gerechtigkeit.

Es soll auch hierfür der Beweis versucht werden.

39

Die Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes.

Ehe Schiller und Goethe sich persönlich kennen lernten und irgend

ein Verhältniß gegenseitigen Austausches oder innerer Ergänzung unter

ihnen begonnen hatte, warm die meistm, und, unter ihnen, die meisten besten Früchte des Goetheschen Geistes gereift und gesammelt: Werther,

von Berlichingen, Wilhelm Meisters Lehrjahre, und „jettet Gmien

Götz

Gesänge:

„Heiß mich nicht reden,

Wer nie sein Brod mit Thränen aß, werde, u. s. w.," der

Theil

des Faust;

in Thule,

Herz

erste

König

Iphigenie,

So

Egmont,

die

will ich schleichm,

An die Thüren

laßt mich

Tasso,

unsterblichen Lieder

mein Herz

scheinen bis ich

die römischen ©legten,

was soll das

und Oden:

„der

In

allen

geben,

guten Stunden, Dem Geier gleich, Welcher Unsterblichen, Welch' ein Ge­ tümmel füllt Thaliens Haue,

Ueber allen Gipfeln

ist Ruh,

An

dem

Bei dem Glanz der Abendröthe" — und die

reinsten FrühlingSmorgen,

tausend andern Harmonien, in denen sein Volk und die Welt vernahm, daß er der Glückliche

sei,

dem

worden,

es beschicden

Schleier auö der Hand der Wahrheit entgegenzunehmen.

Reichchum während verbindung

Dichtung

der zehnjährigen Dauer der Lebens- und Geistes­

mit Schiller

mit Hermann

der

Wohl ist dieser

noch mit manchm Schätzen

und Dorothea,

Verbindung zerrissen,

und,

und unter ihnen

nachdem der Tod Schillers diese

mit andern neuen Schätzen, den Wanderjahrm,

den Wahlverwandtschaften, mit Wahrheit und Dichtung, dem zweiten Theil des Faust, und was er sonst Herrliches dem Gehalt

entnehmen

und durch

die Form seines Geistes

seines Busens

noch auf das Dankenswertheste vermehrt und ausgebreitet worden.

das Höchste hatte Goethe geleistet,

zu

zu verewigm fortfuhr,

Aber

ehe er mit Schiller verbunden war

und seine Verdienste würden so groß sein, wie sein Ruhm unvergänglich

ist, auch wenn er Schiller nie gesehen hätte. im

Wie der Dichter Goethe

großen Ganzen seiner bedeutendsten Cchöpfungett, in

daß sie in ihrer Conception oder Zeitigung

dem Sinne,

auf Schiller zurückzuführen

wären, hiernach nicht mit Schiller zusammengehört, sondertr völlig un­

abhängig von diesem, ganz in eigener Kraft und unbedingter Selbstän­

digkeit dasteht, so gehörten Goethe und Schiller bis zu den letzten zehn

40 Jahrm des Schillerschen Lebens auch in den Bezügen ihres Herzens und in den Richtungen ihres Geistes nicht zusammen, jo sie fühlten sich darin

so von einander geschieden, daß ihre Verbindung anfänglich ihnen beiden

fast unmöglich schien.

Hören wir darüber Schillers und Goethes eigene Bekenntnisse. Sie finden sich von Neuem zusammengestellt in der Encyclopädie der Künste

von Ersch und Gruber, in der ersten Section des

und Wifienschaften

72. Theils 1861, in einer Darlegung von Hennann Marggraff, der wir hier zunächst folgen wollen.

„Es giebt vielleicht fein zweites Beispiel in der Literatur" — so

beginnt hier der Verfasser — „daß sich zwischen zwei Geistesheroen ein Freundschaftsbund zu einer solchen Innigkeit entwickelte, dem so entschiedme

und Differenzen

Antipathien

vorausgingen.

Schiller

war

am

21. Juli 1787 in Weimar eingetroffen und verweilte dort zunächst bis über die Mitte Mai 1788. Goethe befand sich noch in Italien; Herder, der Schiller fteundlich aufnahm, sich

ohne von ihm viel zu kennen, sprach

über Goethe mit einer solchen Begeisterung aus,

daß Schiller an

seinen Freund Körner schrieb: „„Goethe liebt er mit Leidenschaft, mit einer Art von Vergötterung.""

In einem späteren Briefe vom 12. August

1787 berichtet Schiller weiter,

mehr als Mensch

denn als Schriftsteller

dann gewissenhaft mit, sagt habe.

was Herder Alles

sich damals bei denen,

Diese

fast ausnahmslos

daß Goethe von

sehr vielen Menschen,

mit einer Art von Anbetung genannt, daß er noch

auch außer Herder,

bewundert werde,

und theilt

zu Gunsten Goethes ausge­ welche ihn genauer

kund gebende gute Meinung

kannten,

für Goethe, der seinen

Anfangs hier und da Anstoß gebenden jugendlichen Uebermuth abgestteift

und sich zu edelster Männlichkeit und reinster Humanität entwickelt hatte, scheint allgemach

für Schiller drückend

geworden

zu sein;

denn dieser

war durch seine precaire Lage, die ihn zur Uebernahme von Brodarbeiten

nöthigte, durch den keineswegs sehr ermuthigenden halben Erfolg

seines

Don Carlos, und durch eigenes Ungcnüge an seinen früheren Schöpfun­

gen aufs Tiefste verbittert,

so daß er am 7. Januar 1788 an Körner

schrieb: „„Ich führe eine elende Existenz, elend durch den inneren Zustand meines Wesens.""

Man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, daß

Schiller damals Goethe beneidete, ja als ein Hinderniß für sein eigenes Emporkommen bettachtete und gründlich haßte.

nisse bezeugen dies.

Seine eigenen Bekennt­

Am 19. December 1787 schreibt

„„Goethes Zurückkunft ist ungewiß,

und seine

er an Körner:

ewige Trennuirg

von

Staatsgeschäften bei Vielen schon wie entschieden. Während er in Italien

41 malt, müssen die Voigts und Schmidts für ihn wie Lastthiere schwitzen.

Er verzehrt in Italien für Nichtsthun eine Besoldung von 1800 Thlrn.

unirfte müssen für die Hälfte des Geldes doppelte Last tragen." " Schiller

beneidete also Goethe um jene Muße und sorgenfreie Stellung, die er sich selbst von Herzen gegönnt hätte." „Goethe kehrte aus Italien

zurück und Schiller hatte nun Gele­

genheit chn persönlich kennen zu lernen.

Dies geschah zum ersten Mal

am 7. September 1788 im Hause der von Lengefeldschen

Familie zu

Rudolstadt.') Schiller schrieb am 18. September an Körner: „„Endlich wie ich weiß, sehr be­

kann ich Dir von Goethe erzählen, worauf Du, gierig wartest.

Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in

seiner

Gesellschaft zugebracht, wo er uns mit der Herder, Fra» von Stein und der Frau von S., die Du im Bade gesehen hast, besuchte.

Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich

Sein erster

tief herunter, die man mir

von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte.

mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so;

Er ist von

sein Gesicht ist ver­

schlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft und man hängt mit

Vergnügen an seinem Blick.

Bei vielem Ernste hat

viel Wohlwollendes und Gutes.

auszusehen,

Er ist brünett

seine Miene doch

und schien mir älter

als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann.

Stimme ist überaus angenehm,

Seine

seine Erzählung fließend, geistvoll und

belebt; man hört ihn mit überaus vielem Vergnügen, und wenn er bei

gutem Humor ist,

welches diesmal so ziemlich der Fall war,

gern und mit Interesse.

Unsere Bekanntschaft

ohne den mindesten Zwang;

spricht er

war bald gemacht und

freilich war die Gesellschaft

zu groß und

Alles auf seinen Umgang zu eifersüchttg, als daß ich viel allein mit ihm

hätte fein oder etwas Anderes können.

Er spricht

gern und

als allgemeine Dinge mit

mit ihm sprechen

leidenschaftlichen Erinnerungen von

Italien; aber was er mir davon erzählt hat, gab mir die treffendste und gegenwärtigste Vorstellung von diesem Lande und diesen Menschen.

Ganzen

genommen ist meine

in der That große Idee

von ihm

Im nach

dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle,

ob wir einander je sehr nahe kommen werden.

Vieles, was mir jetzt

noch intereflant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat

') Ges ehe» hatten sie sich schon acht Jahre früher, am 13. December 1779, al- Goethe mit seinem fürstlichen Freunde der an diesem Tage auf der Stutt­ garter Militair-Akademi« stattfindenden Preisvertheilung beiwohnte, „wobei auch der „Eleve" Friedrich Schiller drei Preise erhielt. Goethe stand dabei zur Linken deHerzog- von Württemberg, wie Karl August zur Rechten deffelben."

42 seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir an Jahren

weniger

Lebenserfahrungen und Selbstentwicklung so weit voraus,

als an

daß wir un­

terwegs nie mehr zusammenkommen werden; und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang an anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist

nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sich's aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und

gründlich.

Die Zeit wird daö Weitere lehren." "

„Auch nahm Schillers Verstimmung gegen Goethe in der nächsten Zeit nur zu und wuchs bis zu einer in der That grandios zu nennen­

den Verkennung der gemüthlichen und menschlichen Seite Goethes. „Am 2. Februar 1789 schrieb er an Körner aus Weimar: „„Oes­ ters um Goethe zu sein würde mich unglücklich machen; er hat auch ge­

gen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an Nichts

zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade.

Er besitzt das Talent die Menschen zu fesseln, und durch kleine

sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen; aber sich selbst weiß er immer frei zu behalten.

Er macht seine Existenz wohlthätig

kund, aber wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben. — Dies scheint mir

eine consequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höch­ sten Genuß der Eigenliebe calculirt ist.

Ein solches Wesen sollten die

Menschen nicht um sich herum aufiommen hissen.

Mir ist er dadurch

verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß

von ihm denke.

Eine ganz besondere Mischung von Haß und Liebe ist

es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht un­

ähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Caesar gehabt haben müssen;

ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben. Die Götter Griechenlands hat er sehr günstig beurtheilt; nur zu lang hat er sie gefunden, worin er auch nicht unrecht haben mag. Sein Kopf ist weit und sein Uttheil über mich eher gegen mich, als für mich par-

theiisch. Weil mir nun überhaupt nur daran liegt, Wahres von mir zu hören, so ist dies grade der Mensch unter Allen, die ich kenne, der mir diesen Dienst thun kann.

Ich will ihn auch mit Lauschern umgeben,

denn ich selbst werde ihn nie über mich beftagen.""

sucht drückte sich fast

noch unverstellter, man

Schillers Eifer­

möchte sagen roher, in

seinem Briefe vom 9. März 1789 aus, wo es heißt: „„DieserMensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so ost,

daß das Schicksal mich hart behandelt hat.""

Also das Glück, das

Goethe voraus hatte, mußte er damit entgelten, daß Schiller, der sich

ohnehin von ihm vernachlässigt wähnen mochte, ihn des Egoismus be­

schuldigte. Die ursprüngliche Ueberlegenheit des Goetheschen Genies über

43 das seine dagegen erkannte er in einer seiner Aufrichtigkeit und Selbst­

erkenntniß nur Ehre machenden Weise vollkommen an.

Schiller schreibt

den 25. Februar 1789 an Körner: „„Mit Goethe messe ich mich nicht,

wenn er seine ganze Kraft anwenden will.

Er hat weit mehr Genie

als ich, eine höhere Sinnlichkeit, und zu allem diesen einen durch Kunst­

kenntniß aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn."" „Schon freundlicher lautete im Jahre 1790 Schillers Urtheil über

Goethe.

Dieser hatte damals auf einer Reise Dresden besucht und acht

Tage dort zugebracht.

Körner schrieb über ihn an Schiller den 6. Ok­

tober: „„Goethe ist acht Tage hier gewesen, und ich habe viel mit ihm gelebt; es gelang mir ihm bald näher zu kommen, und er war mitthei­

lender, als ich erwartet hatte.

Wo wir die meisten Berührungspunkte

fanden, wirst Du schwerlich errathen.

Wo sonst, als in — Kant.

In

der Kritik der teleologischen Urtheilskraft hat er Nahrung für seine Phi­

losophie gefunden.""

Schiller schreibt nun nach Goethes Rückkehr den

1. November 1790 aus Jena an Körner: uns und das Gespräch kam bald auf Kant.

„„Goethe war gestern bei Interessant ist's,

wie er

Alles in seine eigne Art und Manier kleidet und überraschend zurückgiebt,

was er las; aber ich möchte doch nicht gern über Dinge, die mich sehr nahe interessiren, mit ihm streiten. Es fehlt ihm ganz an der herzlichen

Ihm ist die ganze Philosophie subjec-

Art sich zu etwas zu bekennen.

tivisch und da hört denn Ueberzeugung und Streit zugleich auf.

Seine

Philosophie mag ich auch nicht ganz; sie holt zuviel aus der Sinnen­

welt, wo ich aus der Seele hole.

Ueberhaupt ist seine Vorstellungsart

zu sinnlich und betastet mir zuviel. "" Das war Goethe in den Augen und für das Herz Schillers nach zweijähriger persönlicher Bekanntschaft noch am 1. November 1790. Und

was war Schiller um dieselbe Zeit und nach eben so langer persönlicher Bekanntschaft in den Augen und für das Herz Goethes?

„Einen ganz ähnlichen Gang von der entschiedensten Antipathie bis zur innigsten Geistesoerbrüderung" — fährt Marggraff fort — „machte auch Goethe in seinem Verhältnisse zu Schiller durch; nur beruhte seine

Antipathie auf ganz andern, oder doch nur zum Theil ähnlichen Grün­

den.

Weder was das ursprüngliche Talent, noch was die literarischen

Erfolge, noch was Glück und

äußere Lebensstellung betrifft, hatte Goe­

the den jüngcrn Mann zu beneiden.

Seine Abneigung gegen Schiller

beruhte einfach auf der principiellen Verschiedenheit ihrer Naturell,

und

insofern war sie bei Goethe eigentlich noch gründlicher und anscheinend unheilbarer.

Schiller ttachtete in Goethes Nähe zu kommen und sein

44 Urtheil über ihn zu erfahren, denn Goethe erschien ihm unter allen Men­ schen, die er kannte, als der einzige, der ihm den Dienst leisten konnte,

Wahres über ihn zu erfahren.

Goethe dagegen ging Schiller längere

Zeit geflissentlich aus dem Wege.

Schillers dramatische Zugendproducte,

darunter namentlich die von ihm

„„fratzenhaft"" gescholtenen

ber"" widerten ihn an, weil darin ein

„„Räu­

„„kraftvolles aber unreifes Ta­

lent grade die ethischen und theatralischen Principien, von denen er sich

zu reinigen gestrebt, recht in vollem, hinreißendem Strome über das Va­ terland ansgegossen hatte."" Dabei schien ihm Schiller in der Behand­

lung der Leidenschaften ein sophistisches Talent zu sein, welches die Na­ tion verderbe. (5r schreibt ein andermal und zwar von dem contemplativen Standpunkte späterer Jahre ans: „„Ich vermied Schillern, der, in

Weimar sich aufhaltend, in meiner Nachbarschaft

wohnte.

Alle An­

knüpfungspunkte von Personen, die mir und ihm gleich nahe standen,

lehnte ich ab;

und jo lebten wir eine Zeit lang neben einander fort.

An keine Vereinigung war zu denken.

Selbst das milde Zureden eines

Dalberg, der Schillern nach Würden zu ehren verstand, blieb fruchtlos. Ja meine Gründe, die ich jeder Vereinigung entgegenstellte, waren schwer

zu widerlegen, Niemand konnte leugnen, daß zwischen zwei solchen Geistes­ antipoden mehr als ein Erd-Diameter die Scheidung mache, da sie denn

beiderseits als Pole gelten mögen,

aber eben deswegen in Eins nicht

zusammensallcn können.""

wußte aber Goethe schon damals

Dabei

„„den redlichen und so seltenen Ernst"" in Allem, was Schiller geschrie­

ben und gethan, sehr wohl zu schätzen, und in Don Carlos erkannte er wenigstens das Streben „„sich zu beschränken und dem Rohen, Ueber-

triebenen und Gigantischen zu entsagen.""

„Trotz dieser Antipathie handelte Goethe mit gewohnter Loyalität an Schiller; er wirkte mehr für als gegen ihn. Namentlich geschah dies

von ihm in der Bernfungsangclegmheit Schillers nach Jena. Als diese von

Frau von Stein und dem Koadjutor Dalberg angeregt worden,

ließ es Goethe nicht an sich fehlen, sie zu fördern und handelte zu die­ sem Zwecke mit dem Geheimen Rathe von Voigt, seinem

Mitarbeiter"" gemeinsam;

„„getreuen

sicherlich bedurfte auch Schiller dieser Für­

sprache und Unterstützung, da ihm die zur Uebernahme einer Professur

erforderliche vorschriftsmäßige Qualifikation fehlte, weshalb ihn auch einige

alte

Zöpfe

unter

den

jenaischen

Profestoren

als einen Eindringling

betrachteten und gegen ihn intriguirten. Zugleich suchte Goethe dem an­ gehenden Docenten Muth einzusprechen, indem er ihn auf das docendo

discitur verwies.

Indessen Ivar Schiller wohl in anderer Absicht nach

Weimar gekommen als in der, Professor in Jena zu werden und Ge-

45 schichtsvorträge zu halten.

Er betrachtete seine Anstellung in Jena (im

Jahre 1789) als eine Art Verbannung und fürchtete davon eine Stö-

mng für seine poetischen und dramatischen Arbeiten.

Schrieb er doch

grade um jene Zeit: „„Ich muß ganz Künstler sein, oder ich will nicht mehr sein.""

Ja er und seine Umgebung gingen sogar soweit, eine In­

trigue Goethes dahinter zu vermuthen, roline

von Wolzogen,

schrieb darüber:

und Schillers Schwägerin, Ka­ „„Schiller war Goethen und

seinem Empfinden damals in Weimar unbequem.

Auch war Schiller

wenig erbaut von der Geschwindigkeit, womit man seine Entfernung von Er fühlte sich übertölpelt, so daß er in dieser Zeit ge­

Weimar betrieb.

gen Goethe bis zum Haß verstimmt war."" — Auch läßt sich benfen,

daß das Gefühl des Hasses, welches damals Schiller gegen Goethe er­ füllte,

und daß schon deshalb der

diesem nicht ganz verborgen blieb,

Verkehr zwischen beiden etwas Gezwungenes hatte.

Goethe aber, wenn

er auch auf die Beobachtung eonventioneller formen hielt, liebte es nicht,

zu heucheln.

Man sah sich selten; doch besuchte Goethe wie schon oben

erwähnt, Schillern im Jahre 1790, als er ihm Grüße von Körner zu

bringen hatte.

Dabei traten immer wieder die früheren Differenzen her­

vor und fanden auch wohl gelegentlich ihren literarischen Ausdruck, z. B. in Schillers Abhandlung über Anmuth und Würde.

von den beiderseitigen Freunden,

Inzwischen blieb

von der Familie Lengefeld,

mit der

Goethe ja schon aus siüherer Zeit besieundet war, von dem Appellationsrathe Körner, der nun auch Goethes persönlicher Bekannter und Freund

geworden, und

von dem Verehrer Schillers,

dem Coadjutor Dalberg,

Nichts unversucht, um eine Aussöhnung zwischen beiden zu bewirken und sicherlich hatten diese fortdauernden Vermittlungsversuche einen größeren

Antheil an der endlich stattfindenden Annäherung beider Männer, als man gewöhnlich annimmt." Das ist das Bild der Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes

bis zum 1. November 1790,

bis Goethe

sein 41. Lebensjahr über­

schritten hatte. Vier Jahre später erst, erst im Jahre 1794, „als Schiller die Herausgabe der Horen vorbereitete", als er an Goethe schrieb, „daß der Beitritt des berühmten Dichters für den glücklichen Erfolg des Unter­

nehmens entscheidend sein werde", als die Goethesche Antwort an Schiller

zurückgelangte:

„Ich werde mit Freuden und von ganzem Herzen von

der Gesellschaft sein.

Was ich an Ungedrucktem Zweckmäßiges besitze,

will ich gern mittheilen, und hoffe, daß die Verbindung mit so wackern

Männern manches

ins Stocken Gerathene

wieder in lebhaften Gang

bringen werde," erst da war das Verhälttriß angeknüpst, aus dem jener

46 Briefwechsel hervorging, dm Marggraff gewiß mit Recht „den großartigftm literarischen Dmkmalm deutscher Nation" zuzählt, dem die Leitiett angehören, das in Wilhelm Teil und Wallenstein seine Kraft be­ wies; smes Verhältniß, worin sich Schiller „nach wildem Sturm zum Dauemden gewöhnen mochte", während Goethe darin für sich „ein un­ aufhaltsames Fortschreiten philosophischer Ausbildung und ästhetischer Thätigkeit" pries, das „durch Liebe und Zutrauen, Bedürfniß und Trme mdlich alle seine Hoffnungen übertraf." Wohl mögen währmd der lei­ der nur zu kurzen Dauer dieses Verhältnisses selten oder nie zwei Menschen in immer wachsmder Geistes- und Herzensgemeinschaft für sich glückli­ cher, und für andere segenbringender gewesen sein, als Schiller und Goethe. „Wenn ich ihm," — so lauten fernere Dankesworte Goethes über den geschiedenen Freund — „zum Repräsentanten mancher Objecte diente, so hat er mich von der allzustrengen Beobachtung der äußem Dinge und ihrer Verhältnisse aus mich selbst zurückgeführt. Er hat mich die Vielseitigkeit des inneren Mmschen mit mehr Billigkeit anzuschaum gelehrt; er hat mir eine zweite Jugend geschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte." Darum fühlte er sich am 9. Mai 1805 „der Hälfte seines Daseins beraubt", darum hatte er an diesem allgemeinen Trauertage das schmerzenvolle Vorrecht zu fragen: „Nun weint die Welt, und sollten wir nicht weinen?" Aber die Thränen der Welt stossen nicht dem Freunde Goeches, nicht dem Bunde, der nun zwischen dem Vorangegangenen und dem Bleibmden gelöst war. Deutschland hatte seinen edelsten Sohn verloren, und ihm allein galt seine Klage. Ihm allein, der Unschützbarkeit seines Wer­ thes und seiner Verdienste, nicht seiner „Zusammengehörigkeit" mit Goethe, und noch weniger dem Umstande, daß er und Goethe sich „dieser ihrer Zusammengehörigkeit auf das Klarste bewußt gewesen sind", gilt auch der Dank, wenn es jetzt sein Andenken in der Errichtung seines Standbildes hier verherrlichen will. Nicht weil Schiller und Goethe Freunde, sondern weil diese Freunde Schiller und Goethe waren, setzt ihnen unsere Liebe Monumente. So groß und selten die „Erscheinung einer so späten und doch dann so innigen Freundschaft", wie die ihrige war, diejenige Erscheinung, auf die unsre Natton vor Allem stolz zu sein berechttgt ist, ist sie, Gott sei Dank, noch lange nicht. Noch viel stolzer als auf diese Erscheinung wird die Natton hoffentlich auf jene andere Erscheinung sein, daß sie neben einem Schiller und einem Goethe auch noch einen Lessing hat.



47



Die bewußte Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes für den

Hauptgrund

unseres

berechtigten Nationalstolzes

erklärm,

auch wenn

es gewiß ist, daß der größte Theil des Ruhms des Einen derselben, die­ ser Zusammengehörigkeit nicht das Allermindeste zu verdanken hat, und

daß ein Standbild Lessings

daraus die Folge herleiten,

in der Nähe

ihrer Standbilder keine Stelle finden dürfe, das führt in der That zu

Abgötterei und Ungerechtigkeit. Zu jettet, weil es das Höchste in Etwas

zu verehren lehrt, was offenbar das Höchste nicht ist, und zu dieser, weil

es etwas

und

wirklich sehr Hohes

höchst Perdienstvolles

viel

zu tief

stellt. Alle schuldige Achtung also vor der Zusammengehörigkeit Schillers

und Goethes, soweit sie wahr ist, aber auch vor der Zusammengehörigkeit Schillers, Goethes

und Lessings, soweit sie ebenfalls wahr ist.

Nur

nicht länger, wenigstens im Norden Deutschlands, in Preußen und ganz

besonders in Berlin nicht länger blos die Eine Zusammengehörigkeit auf

Gefahr und Kosten der Andern: su»m cuique.

Der Brief des Herrn Jacob Grimm.*) Kommm

wir

nun zu

dem näheren Inhalte dieses Briefs

des

Herm Professors Jacob Grimm an den Präsidenten Simson vom 29.

Mai 1861, der jetzigen Beilage No. 1 zu dem Gutachten der Kunst­

abtheilung des Goethe - Comitv vom 14. April 1862.

Er enthält das

Urcheil eines Mannes, den Goethe den „gründlichsten Sprachkenner", ja „einen Sprachgewaltigen" genannt hat, in dem die deutsche Wifienschast

seit lange eine ihrer werthesten Zierden,

und der deutsche Bürger einen

braven und in schwerer Zeit bewährten Mitbürger verehrt. — Aber ich hielt und halte das damalige Urtheil dieses Mannes in dieser Sache für

unbegründet und die Sache selbst, gegen die es nachträglich in den Kampf geführt worden, ist mir theuer.

Deswegen widerspreche ich jetzt Herm

Jacob Grimm, trotzdem daß er nach der Meinung und der Aeußerung

der Kunstabtheilung des Goethe-Comite „am meisten berufen erscheint, über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen," ja trotz Lessing selbst, der

nach seinen Erfahrungen nur noch glauben wollte, widersprechen zu lasten,

wohl überhaupt

Gelehrten nur die Todten haben."

Wahrheit und dem Recht,

daß „die Gabe sich

eine Gabe sei,

Ich widerspreche ihm,

die unter den weil ich der

wie ich es hier allein zu erkennen vermag,

tiefen Widerspruch schuldig zu sein glaube. Wenn ich dabei irre, so muß und wird mir Jacob Grimm verzeihen; und wenn ich nicht irre, wmn

ich in dem Streben nach Recht und Wahrheit, sei es mit ihm, oder ohne *) Beilage IV. in unverkürztem wörtlichem Abdruck.

48 ihn, oder auch gegen ihn, der Wahrheit und dem Recht selber, nur um

den Werth eines Sandkorns nützlich werde, so kann er sich nur mit mir freuen. Das Gegentheil bei ihm annehmen, wäre nicht mehr seine Ver­

ehrung,

sondern von seiner Verehrung das Gegentheil;

wenigstens bin

ich außer Stande, ihm meine aufrichtige und dankbare Verehrung in die­ sem Falle anders, als ich es thue, bezeugen zu können. Was der Grimmsche Brief über die künstlerische Seite der Frage enthält, ist bereits bei dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-

Comit«, das diesem Theile des Briefs seine desfallsigen Argumente ge-

gen die künstlerische Ausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Stand­ bilds mit den Standbildern Schillers und Goethes mit entnommen hat, zur Erörterung gekommen. Nur noch diejenigen Sätze bleiben zu erörtern,

die der wissenschaftlichen Seite der Frage angehören, die sich gegen die literaturgeschichtliche Angemessenheit dieser Verbindung wenden oder deren

Unmöglichkeit

behaupten.

Es sind

hauptsächlich

diese:

„Goethe

und

Schiller leiten sich nicht aus Lessing her;" „Goethe und Schiller würden

uns Lessing nicht ersetzen;"

„Lessing würde uns Goethes und Schillers

Poesie nicht ahnen lassen."

Sobald zu Zweien noch ein Dritter Hinzu­

tritt — „kommt es auf die höchste Stelle unter den Dreien an, und diese „gebührt Schiller noch minder",

diese ist nothwendig die Mitte;" als sie Lessing „behaupten kann".

„Es wäre absolut

unmöglich,

es

wäre, als sollte Blücher nicht zwischen Pork und Gneisenau stehen, son­

dern zur Seite geschoben werden und einer der beiden letzten den Mittel­ punct bilden." Also :

das Standbild Lessings darf überhaupt, und also auch vor

dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin nicht, mit den Standbildern Schillers und Goethes verbunden werden, und es ist gradezu unmöglich, daß bei einer solchen, demnach an und für sich unstatthaften Verbindung

das Standbild dessen, der „unter den Dreien der größte Genius" war, und an dessen „Erhabenheit Lessing und Schiller,

so herrlich sie sind,

nicht von weitem reichen", einem Standbilde des Einen oder des Andern dieser Beiden als einem mittleren Standbilde mit zur Seite trete.

Die

Zncongruenz Lessings und Goethes unter sich, und die daraus herge­ leitete Unstatthaftigkeit der Aufstellung ihrer Standbilder als S eiten -

Standbilder eines mittleren Schiller-Standbilds, ist in dem Briefe Jacob Grimms Schrift

des

ausdrücklich

nicht

Herm Herrmann

ausgesprochen.

Grimm

wird

indeß

In

der erwähnten

unmittelbar

nach

dem in eben dieser Schrift zuerst veröffenllichen Briefe des Herrn Jacob

Grimm

von

einem

Auftuf zu Beittägen

für ein Standbild Lessings

49 gesprochen, „das als Pendant zu Goethe" aufgestellt werden sollte. Mit Hinblick hierauf wird sich also die hier zur Diskussion stehende Gesammtstage ihrem materiellen Inhalte nach in die Einzelfragen theilen: ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten? ob Lessing und Goethe nicht zu einander gehören? ob Schiller unter den Dreien nicht die Mitte behaupten kann?

50

Ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten?

Goethe hat sein tiefes und lebendiges Dankgefühl für das, was er

persönlich von Lessing empfangen und durch ihn gewonnen, sowie über­

haupt sein

Urtheil über den Einfluß der Lessingschen Wirksamkeit auf

die ganze Richtung

und

den Werth unserer jetzigen Bildung, und daß

Beides mit Lessing seinen Anfang genommen, in einzelnen Bekenntnissen ausgesprochen, die wenigstens zu einem Theil hier gesammelt sind. Sie lauten: „Zu seiner Zeit stieg dieses Stück — Emilia Galotti — wie

die

Insel

Delos

aus

der

Gottsched - Gellert - Weißeschen

u. s.

Wasserfluth, um eine kreißende Göttin barmherzig aufzunehmen. jungen Leute ermuthigten uns daran und

w.

Wir

wurden deshalb Lessing viel

schuldig." Minna von Barnhelm ist „ein Werk von vollkommen deutschem National-Gehalt, das vor Allem ehrenvoll zu erwähnen ist.

Es ist die

erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theater-Production, — die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung that. — Diese Produc­

tion, die den Blick in eine höhere, bedeutende Welt aus der literarischen

und bürgerlichen, in welcher sich die Dichtkunst bisher bewegt hatte, glück­ lich eröffnete. Die gehässige Spannung, in welcher Preußen und Sachsen

sich während dieses Krieges gegen einander befanden, Beendigung desselben nicht aufgehoben werden.

konnte durch die

Der Sachse fühlte nun

erst schmerzlich die Wunde, die ihm der überstolz gewordene Preuße ge­ schlagen hatte.

Durch den polittschen Frieden konnte der Friede zwischen

den Gemüthern nicht sogleich hergestellt werden. dachtes Schauspiel im Bilde thun.

Dieses

aber sollte ge­

Die Anmuth und Liebenswürdigkeü

der Sächsinnen überwindet den Werth, die Würde, den Starrsinn der

Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subaltemen wird eine glückliche Vereinigung bizarrer und widersttebender Elemmte kunst­ gemäß dargestellt."

„Lessing hatte in den zwei ersten Acten der Minna

ein unerreichbares Muster aufgestellt, wie ein Drama zu exponirm sei,

und es war mir nichts angenehmer, als in seinen Geist und seine Absichten einzudringm."

51 Nathan der Weise: „Sie könnm denken," sagte Goethe noch später zu Eckermann, „wie das Stück auf uns junge Leute wirkte, als eS in jener dunkeln Zeit hervortrat. Es war wirklich ein glänzendes Meteor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache literarische Epoche einen Begriff hatte. Die beiden ersten Acte find wirklich ein Meisterstück der Exposition, wo­ von man viel lernte und noch immer Ionen kann." „Möge doch die bekannte Erzählung glücklich dargestellt das deutsche Publicum auf ewige Zeiten erinnern, daß es nicht nur berufen, um zu schauen, sondem auch um zu hören und zu vernehmen. Möge zugleich das darin ausgesprochene göttliche Duldungs- und Schonungs-Gefühl do Natton heilig und werch bleiben. — Wir aber können in dramatischer Hinsicht sagen, daß wir unserm Theato Glück wünschen, wenn ein solches Stück darauf bleiben und öftos wiedoholt woden kann." Wiederholen wir noch die Worte des höchsten Dankes und der reinsten Freude GoecheS über Lessings Laokoon, und über den Lessingschen Aufiatz: „Wie die Alten den Tod gebildet" . . . uullique ea tristis imago. „Daho war uns jener Lichtstrahl höchst willkommen, den der vorttefflichste Denker aus düfteni Wolken auf uns hoableitete. Man muß Jüngling sein, um sich zu vergegenwärttgen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte, indem dieses Werk uns aus do Region eines kümmolichen Anschauens in die freien Gefilde des Gedankens Hinriß. Das so lange mißverstandene ut pictura poesis war aus einmal beseittgt, der Unterschied der bildenden und Redekünste war klar. — Wie vor einem Blitz erleuchteten sich uns alle Folgen dieses herrlichen Ge­ dankens, alle bisherige anleitende und urtheilende Kritik ward wie ein abgettagener Rock weggeworfen. „Am meisten entzückte uns die Schönheit jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als den Bruder des Schlafs anerkannt. — Hier tonnten wir nun erst den Triumph des Schönen höchlich feiern, und das Häß­ liche jeder Att, da es doch einmal aus do Welt nicht zu vertteiben ist, int Reiche der Kunst nur in den niedrigen Kreis do Lächerlichen voweisen. „Die Herrlichkeit solcher Haupt- und Grundbegriffe erscheint nur dem Gemüth, auf welches sie ihre unendliche Wirksamkeit ausüben, oscheint nur do Zeit, in welcho sie ersehnt, im rechten Augenblick hovortreten. Da beschäftigen sich die, welchen mit solcho Nahrung gedient ist, liebevoll ganze Epochen ihres LebeuS damit, und erfreuen sich eines überschwänglichen Wachsthums, indeffen es nicht an Menschen fehlt, die 4*

52 sich auf der Stelle einer solchen Wirkung widersetzen, und nicht an andern, die in der Folge an dem hohen Sinne markten und mäkeln."

Nach diesen eigenen Bekenntnissen Goethes,

diesen ächtesten Beur-

kundungm des tiefsten nnd reinsten Dankgefühls gegen Lessing, welches

Goethe lebenslang begleitete, ist es mir unmöglich Jacob Grimm darin zuzustimmen, daß Goethe sich nicht

aus Lessing herleite,

wenigstens in dem Sinne nicht daraus herleite, benden Selbstständigkeit

zweier

daß er sich,

worin bei der verblei­

bedentende» Persönlichkeiten von

einem

Herleiten der einen aus der andern, hinsichtlich ihrer individuellen Gei­

stes-Entwickelung überhaupt gesprochen werden mag.

Ich muß vielmehr

dabei verharren, daß Lessing, dessen besondern Vorzügen

ja

auch

Herr

Jacob Grimm in dem Briefe an den Herrn Simson eine so hohe und bereitwillige Anerkennung zollt, die Vor-Goetheeche Literatur-Epoche, die Gottsched-Gellert-Weißesche u. s. w. Wasserfluth nicht blos ab- und für

immer zurückgedämmt, sondern auch die Goelhesche erschlossen hat; daß in seinen Haupt-Schöpfungen der Geist unserer Zeit schon

vergangenen weht.

und nicht einer

Ich habe dabei das Wort nicht zu unter­

drücken, welches über die jetzige Wirksamkeit Eines der drei großen Dra-

men Lessings,

der Emilia Galotti, Goethe seinem Freunde Zelter am

27. März 1830 zurückschrieb, nachdem ihm dieser kurz vorher geschrieben: „Gestern Abend

führte mich mein Weg

hinein ohne zu wissen, was sie spielten.

ist nun eine Tragödie nach

dem Theater vorbei, ich ging

Es war Emilia Galotti. Das

den Regeln des Aristoteles.

Vater und

Mutter traurig, Bräutigam und Braut traurig, ein trauriger Prinz, ein trauriger Maler,

belügen.

ein Lump von Marinelli, — die sich und

Da haben wir den denkenden Künstler;"

die Welt

und einige Tage

später: „In meinem Vorigeu habe ich mich etwas naseweise über Emilia vernehmen lassen;" daß Goethe jetzt dem Freunde zurückschrieb:

„Dein

reines eigenes Verständniß zu Emilia Galotti soll dir nicht verkümmert

werden. Zu jener Zeit stieg dies Stück" u. s. w. — wie es bereits oben, Eingangs dieser Bekenntnisse, mitgetheilt ward, nnd daß er dann mit die­

sem Eingang den Zusatz verbindet: „Auf dem jetzigen Grade der Cultur

sann es nicht mehr wirksam sein.

Untersuchen wir's genau,

so haben

wir davor den Respect, wie vor einer Mumie, die uns von alter hoher Würde des Aufbewahrten ein Zeugniß giebt."

Vielleicht, daß sich bei

einer eben so genauen Untersuchung auch noch finden würde, daß Goethe hier dem beunruhigten Freunde etwas sehr viel zu Liebe gethan hat, zu­

mal, wenn wir bedenkm, daß noch am 4. März 1812 das Goethesche

Urtheil über Emilia Galotti dahin lautete:

„Uebrigeus steckt das Stück

53

und spricht überhaupt eine

voller Blicke in die Welt,

voller Weisheit,

gegen die wir jetzt schon wieder Barbaren sind.

ungeheure Cultur aus,

Wie dem aber

Zu jeder Zeit müsse das Stück als neu erscheinen."') auch

sei,

freuen

gleich

die

selbst,

wenn

auferwacht

malm!

wir

sie

es je

ist.

daß

uns,

Delos

Insel

„Ha!

war, daß

wir

dieser

verdanken,

wieder

seitdem

wir

spätern

und

die

mit

zu­

Mumie

blühendem

zu

unmittelbar

nicht

Mumie

daß

Leben

den Augen

Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den

Pinsel, wie viel geht da verloren!

loren gegangen,

gehm müssen" — das

und soviel

diesem Werke Lessings geht immer glücklich

Aber daß ich weiß,

was hier ver­

und wie es verloren gegangen und warum es verlorm andres ewig Schöne und Wahre in

nie mehr verloren,

wiedergefunden.

doch

später

Wen fesselte, von auslangenden Kräften

aufgeführt, Emilia Galotti nicht noch heute? vaterländischen Bühnen

oder wird

giebt die Antwort.

Das Repertoir der besten

Und

selbst

wenn Emilia

Galotti an dem reichen Lebensbaume des Lessingschen Geistes ein abge­ storbener Zweig wäre,

es wäre immer doch nur Einer,

der unter dem

frischm und schwellenden Grün der andern Zweige spurlos verschwinden

müßte.

Wer hätte dies mehr empfunden und bereitwilliger anerkannt, als

Zelter selbst, in seinem spätern Briefe an Goethe vom 16. Juli 1831,

worin er alle Sünden seiner Naseweisheit über Emilia Galotti, über ihre allseittge Traurigkeit, über den denkenden Künstler und über die Tragödie nach den Regeln des Aristoteles, glänzend abbüßt: „Gestern," — schreibt

er an diesem Tage an Goethe —

„mar Minna von Barnhelm.

Stück hab' ich unendlich oft gesehen und gelesen, wieder in's Theater,

Das

und zog mich gestern

um es im mir eben gegenwärttgen Geiste Deiner

Auslegung zu bettachten, als einer gewissen Zeit entwachsen, die ein fort­

währendes Interesse Bescheidenheit das

behält.

Der tteffliche Lessing

hat in angemaßter

Prädicat eines Genies von sich abgewiesen, und sich

gleichwohl durch dies Stück sehr hoch gestellt, als ob er durch die That beweisen wollte,

daß mit dem bloßen Handwerkszeuge, mit dem Aristo­

teles in der Hand, ein dauerhaftes Werk entstehen könne.

Auch hat mich

das Stück wieder durchaus erfreut, ergriffen, gerührt; und wenn ich frage

wodurch, so weiß ich nicht zu antworten. Personen von keiner hohen Bedeutung;

Die Begebenheit ist gering,

was mit ihnen geschieht,

kann

täglich geschehen; es ist wie ein Bersöhnnngsact zwischen zwei Brüdern, die um ein Stück Kuchen entzweit waren.

Ein edles, reiches Sachsen-

*) Riemers Mittheilungen über Goethe II. Bd. S. 664. Berlin, Verlag von Duncker und Humblot 1841.

54 Mädchen von freier Empfindsamkeit ist verliebt in einen tapfern Offiner der Gegenpartei, ehe fie ihn persönlich gekannt, wegen einer milden Hand­ lung im Feindeslande, und will um jeden Preis seiner Großmuth theilhast werden. Der soldatische Liebhaber ist nicht unempfindlich, doch ab­ hängig von gewohntm Begriffen der Ehre seines Standes, die eine leidenschaftliche Liebe von sich weist. Alle übrigen Personen treiben sich in frommer oder geschäftiger Neigung dazwischen; so triumphirt reine Menschlichkeit über gemachte gesellschaftliche Pflichtigkeit. Die wahre Katharsis scheint hier im Tellheim verborgen, der kein angenehmer Cha­ rakter ist, und der Dichter hat sich selber als gekränkter Ehrenmann darin zu Buche gebracht, weil Gleiches das Gleiche hervorbringt! — und nun möcht' ich das Stück gleich noch einmal sehen, denn das Alles schreib' ich nicht für Dich, der das Alles tausendmal eher und besser weiß." Auch Schiller hat an der Quelle Lessing geschöpft. „Unter den neuem deutschen dramatischm Dichtem war ihm besonders Lessing werth," berichtet Hoffmeister von dem jungen Schiller in der militairischen Pflanzschule auf der Solitüde, dem spätem Karlsschüler. Doch betrachten wir die Schöpfungen des Dichters selbst. Giebt es keinen Zusammenhang zwischen seiner Lady Milfort und der Lessingschen Gräfin Orsina, zwi­ schen seinem Secretair Wurm und dem Lessingschen Marinelli, zwischm seinem Großinquisitor und dem Lessingschen Patriarchen, und, soweit es die Seite des Glaubens an eine fortschreitende Menschlichkeit betrifft, zwischen seinem Marquis Posa und dem Lessingschen Nathan?

Nathan: Was will der Sultan? — was? — Ich bin

Aul Geld gefaßt, und er will — Wahrheit, Wahrheit?

Marquis Posa:

Mich will er haben? Mich? — Das kann nicht sein.

— Und was will Er denn von mir? König Philipp:

Aber wie? Was wollte Ich denn? War es nicht Wahrheit, was ich wollte? Nathan:

So lad' ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. — Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen.

55 Hlatquis Posa.

— Das Jahrhundert Ist meinem Ideal nicht reif.

Ich lebe

Ein Bürger derer, welche kommen werden. Nathan: — Saladin,

Wenn Du Dich fühltest dieser weisere Versprochene Mann zu sein. . . Marquis Posa zu König Philipp:

— Sanftere Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten, Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück

Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln

Und die Nothwendigkeit wird menschlich sein. — Werden Sie Von Millionen Königen ein König!

— Werden Sie uns Muster Des Ewigen und Wahren!

Doch der Zufall habe diese Ähnlichkeiten zwischen den Conceptionen und Gestaltungen des älteren Lessing und des jüngeren Schiller herbei­ geführt. Es bleibt Anderes genug, welches den Zufall ausschließt, und

den bewußten geistigen Zusammenhang Schillers wißheit macht.

mit Lessing zur Ge­

Nathan zu Saladin: Es elfte Jeder seiner unbestochnen

Von Vorurtheilen steten Liebe nach! Es sttebe Jedet um die Wette,

Die Ktaft des Steins in seinem Ring an Tag Zu legen!

Komme dieset Ktaft mit Sanfmuth,

Mit hetzlichet Verträglichkeit, mit Wohlthun, Mit innigstet Etgebenheit in Gott, Zu Hülfe!

Und wenn sich dann der Steine Kräfte

Bei euren Kindeskindern äußern —

„Wie allgemein" — sagt Schiller in seiner Abhandlung: „die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet" — „ist nur seit wenigen Jahren die Duldung der Religionen und Setten gewesen? — noch ehe uns Nathan der Jude und Saladin bet Sarazene beschämten und die göttliche Lehre uns predigten, daß Ergebenheit in Gott von unserm Wähnen über Gott so gar nicht abhängig sei." Nathan zum Tempelherrn: -- Verachtet

Mein Volk so viel Ihr wollt.

Wir haben beide

56 Uns unser Volk nicht auserlesen. Lind Wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Lind Christ und Jude eher Christ und Jute AIS Mensch? Ach! wenn ich einen mehr in Cuch (Sekunden hätte, dem es genügt, ein Mensch Zu heißen." „Und dann endlich" — so lautet der Schluß derselben Schiller­

scheu Abhandlung, — „welch' ein Triumph für dich Natur!

— so oft

zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende Natur! — wenn Men­ schen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und Mode, herausgcrissen aus jedem Drange des Schick­

sals, durch Eine allwebende Sympathie verbrüdert, in Ein Geschlecht wieder

aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ur­ sprünge sich nähern.

Jeder Einzelne genießt

die Entzückungen Aller,

die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, nnd



seine Brust giebt jetzt nur Einer Empfindung Raum

es ist diese:

ein Mensch zu sein."

Nathan zum Derwiicb: — Muß! Derwisch! - Derwisch mun? Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte? Die Abhandlung Schillers: „Ueber das Erhabene" ist nur die beab­ sichtigte lind erklärte Ausführung dieses Gedankens, die mit diesen Sätzen

anhebt: „Kein Mensch muß müssen,"

sagt der Jude Nathan zum

Derwisch, und dieses Wort ist in einem weiteren Sinne wahr, als man dem­ selben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechts - Eharakter des Menschen und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben.

Vernünftig handelt die ganze Natur: sein Prärogativ

mit Bewußtsein

und Willen

vernünftig handelt.

ist blos, daß er

Alle andere Dinge

müssen, der Mensch ist das Wesen, welches will."

Der Klosterbruder: — Traut mir Nathau! Denn seht, ich denke io! Wenn an das Gute, Tas ich zn thun vermeine, u. s. w. In

Schillers

philosophischen Briefen

lichtet

Julius

an

seinen

Raphael die vorwurfsvolle Frage: „Ersetzt mir Deine Weisheit, was sic mir genommen hat?"-------- Und dann, die Berechtigung zu dieser Frage

zu documcntiren, führt er den vollen Lefsingschen Satz an:

— Wenn an das Gute Das ich zu thun vermeine, all' zu nah' Was gar zu Schlimmes grenzt, so thu' ich lieber Das Gute nicht. —

57 In der Abhandlung Schillers „Ueber das Pathetische" wird „Lessings

vortrefflichem Commentar"

der Dirgilschen

Erzählung nicht blos eine

dankbare Erinnerung gewidmet, sondern auch auf dem durch Lessing ge-

legtm Grunde des Laokoon, von Schiller fortgebaut. Würde Schiller in seinen

„Göttern Griechmlands"

eine Sttophe

wie die folgende geschrieben haben, wenn ihm Lessing in der früher er­

wähnten Abhandlung

„Wie die Alten den Tod gebildet" nicht dazu die

Bahn eröffnet, ihm die Bilder von Schlaf und Tod in dem reinen Spiegel

seiner Auffassung nicht vorher gezeigt hätte? „Damals trat kein gräßliches Gerippe Vor das Bett des Sterbenden.

Ein Kuß

Nahm das letzte Leben von der Lippe, Seine Fackel senkt' ein Genius."

Aber nicht

auch der Meister Schillers steht

blos der Vorgänger,

in Lessing vor uns,

wenn wir die Fragen und Klagen

und

die Aus­

brüche krankhaften Verzagens, die Schiller jenen schönen Bildern folgen

läßt, mit der Weisheit und Gerechtigkeit und der Fülle ethischer Gesund­ heit vergleichen,

womit Lessing

fruchtbar zu machen weiß.

seine Abhandlung

Der nach Klarheit

abzuschließen

und

und Vollendung

rin­

gende Schiller fragt und klagt: „Schöne Welt, wo bist Du? Kehre wieder Holdes Blüthenalter der Statur!

Ach, nur in dem Feenlant der Lieder Lebt noch Deine fabelhafte Spur. Ausgestorben trauert das Gefilde,

.kleine Gottheit zeigt fick' meinem Blick:

Ach, von jenem lebenswarmen Bilde Blieb der Schatten nur zurück.

„Alle jene Blüthen sind gefallen

Von des Norden'S schauerlichem Weh n: Einen zu bereichern unter allen

Mußte diese Götterwelt vergeh'». traurig such' ich an dem Sternenbogen

Dich, Selene, find ich dort nicht mehr; Durch die Wälder ruf' ich, durch die Wogen,

Ach! sie wiederhallen leer!"

Und nun, hören wir Lessing, den Mann und Meister:

— „Von dieser Seite wäre es also zwar vermuthlich

ligion,

welche das alte, heitere Bild

Kunst verdrungen hätte.

Da jedoch

jene schreckliche Wahrheit — daß

des Todes

eben

auch

unsere Re­

aus den Grenzen der

dieselbe Religion uns nicht

der natürliche Tod

die Frucht

58 und der Sold der Sünde sei, wollen;

da auch

zu unserer Verzweiflung offenbaren



sie uns versichert,

der Frommen nicht

daß der Tod

anders als sanft und erquickend sein könne: so sehe ich nicht, was unsere

das

Künstler abhalten sollte,

aufzugeben

scheußliche Gerippe wiederum

und sich wiederum in dm Besitz jenes besseren Bildes zu setzen.

Schrift selbst redet von einem Engel des Todes:

sollte nicht

lieber

einen Engel

als ein Gerippe bildm wollm.

die mißverstandene Religion entfernen:

kann

ist ein Beweis

und es

richtig verstandene wahre Religion,

Die

und welcher Künstler

uns von

dem Schönen

für die wahre, wenn

Nur

für

die

überall

sie uns

auf das Schöne zurückbringt."

„Das Publicum," sagte Lessing in der Ankündigung seiner Ham­

burgischen Dramaturgie am 22. April l 767, „das Publicum komme nur, und sehe und höre und prüfe und richte.

Seine Stimme soll nie ge­

ringschätzig verhöret, sein Urtheil soll nie ohne Unterwerfung vernommen

werden.

Nur daß

sich nicht jeder kleine Kritikaster für das Publicum

halte, und derjenige, dessen Erwartungen getäuscht werden, auch ein wenig

mit sich selbst zu Rathe gehe,

von welcher Art seine Erwartungen ge­

wesen."

Ist cs nicht, als ob Lessing wieder auferstanden wäre, wenn

Schiller

am

Museum

11. November 1784 seine rheinische Thalia im deutschen

mit diesen Worten

ankündigt:

„Das Publicum ist mir jetzt

Alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter.

gehöre ich ganz an.

Vor diesem und keinem

Ihm allein

anderen Tribunal werde

ich mich stellen; dieses nur siircht' ich und verehr' ich." Doch verlassen wir, was Schiller und Goethe Lessing im Einzelnen

zu danken haben, oder um das Wort beizubehalten,

wie sie in Diesem

und Jenem sich aus Lessing herleiten, und wenden wir uns wieder zum Allgemeinen.

„Lessing war nur

ihr halber Zeitgenosse"

und „bereits

1781 gestorben, erlebte und empfand er die Höhe der Goetheschen und Schillerschen Dichtung niemals."

Mußte er denn

aber

ihr

ganzer

Zeitgenofle sein, um auf ihre Dichtung und überhaupt auf ihre geistige Wirksamkeit einzuwirken?

Heißt es nicht auch in dem Aufruf zu Bei-

trägm für Goethes Standbild vom 10. Juli 1860, als dessen Verfasser wir nach

der Schrift

Jacob Grimm

daß

des Herrn

verehren

dürfen:

HerrmannGrimm setzt

den Herrn

„ Nur das ist nicht zu verkennen,

wie Goethe Schillern zehn Jahr voranging, er ihn beinahe noch

dreißig Jahre

überlebte".

„Daß Lessing, Winkelmann und Kant älter

waren als ich," gesteht Goethe noch im Jahre 1825 an Eckermann, „und

SS die beiden ersten aus meine Jugmd, der letztere auf mein Alter

war

an Zelter über Emilia Galotti:

wirkte,

Jenes andere Wort Goethes

für mich von großer Bedeutung."

„Wir jungen Leute ermuthigten uns

daran und wurden deshalb Lessing viel schuldig," ist hier nur im Ganzm bestätigt. Schillers

Auch

ist Lessing

nicht blos

von Einfluß gewesen,

auf

die Jugmd Goethes und

sondem sein Geist hat Beidm lebms-

den für Alle ge­

lang auf ihren eigenen Bahnen vorgeleuchtet und sie meinsamen Zielen

mit entgegengeführt.

einer anderen Stelle bei Eckermann,

Genies ablehnen;

aber seine

„Lessing" —

sagt Goethe an

— „ wollte den hohen Titel eines

dauemden Wirkungen

zeugen wider ihn

selber. Dagegen haben wir in der Literatur andere und zwar bedeutende

Namen, die, als sie lebten, für große Genies gehalten wurden,

Wirken aber mit ihrem Tode endete,

sie und Andere dachten.

deren

und die also weniger waren, als

Dmn, wie gesagt,

es giebt kein Genie ohne

productiv fortwirkende Kraft, und ferner: es kommt dabei gar nicht auf

das Geschäft, die Kunst und das Metier an, Alles daffelbige.

Oken und Humboldt, Friedrich,

Peter

das Einer

treibt, 'es ist

Ob einer sich in der Wiflenschaft genial erweiset, wie oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie

der Große

und Napoleon, oder ob Einer

ein Lied

macht wie Beranger, es ist Alles gleich, und kommt blos darauf an, ob der Gedanke, das Aperpü, die That lebendig sei, und fortzuleben vermöge."

„Lessing," sagt Goethe am 13. Januar 1825 zu Eckermann, „war der höchste Verstand, und nur ein eben so großer konnte von ihm wahr­

haft lernen.

Dem Halbvermögen war er gefährlich;" und am 15. Ok­

tober jenes Jahres: „Ein Mann wie Lessing thäte uns noth." Kann eine Anerkennung größer sein, als sie Lessing in den Jemen

von Schiller und Goethe zu Theil geworden?

wo der Eine gegen den

Ungeschmack und die falschen Richtungen in der Literatur,

bei ihm im

Grabe Schutz und Hülfe sucht, und der Andere zu ihm, wie zu einem fortwaltrnden höchsten untrüglichen Richter, aufblickt.

Herakliden. *)

(von Schiller.) Er:

Welche noch kühnere That, Unglücklicher, wagest Du jetzo, Zu den Verstorbenen selbst niederzusteigen in's Grab?

’) Vergl. die Note in der Nachlese zu Schiller- Werken von Hoffmeister S. 204,



60



Ich-

ich herab, den Seher ;u fragen,

Wegen Ziresiae mußt

Wo ich den guten Geschmack fände, ter nicht mehr zu seh n.

Er: Glauben sie nicht ter Natur und den alten Griechen, so holst Du

Eine Dramaturgie ihnen vergebens heraus.

Achilles. ') (von Goethe.)

Vormals im Leben ehrten wir Dich, wie einen der Götter! Nun Du todt bist, so herrscht über die Geister Dein Geist. „Lessing, bereits 1781 gestorben, erlebte und empfand er die Höhe

Der Schiller­

der Goetheschen und Schillerschen Dichtung niemals." scheu allerdings nicht.

Aber auch der Goetheschen nicht? auch eines be­

stimmten Werkes der Goetheschen Dichtung nicht, die Goethe selbst mit

zu dem Außerordentlichen seiner Gesammtleistungen zählte? beslieder und meinen Werther," sagte er

nicht zum zweiten Male gemacht.

„Meine Lie­

im Jahre 1828, „habe

ich

Jene göttliche Erleuchtung wo­

durch das Außerordentliche entsteht, werden wir immer mit der Jugend

und der Productiv!tät im Bunde finden."

„Wenn

ich jede ge­

scholtene Stelle hätte tilgen wollen," — lautet dann eine seiner späteren Aeußerungen über Werther — „von dem ganzen Buche wäre keine Zeile

geblieben."

Wer

von Allen

aber,

die gescholten haben, hat darüber

besser als Lessing gescholten' wer so sehr als er durch sein Schelten be­ wiesen, daß er gesund war in einer kranken Zeit?

„Haben Sie, mein

lieber Eschenburg," — schreibt Lessing diesem am 26. October 1774 —

„tausend Dank für das Vergnügen, welches Sie mir durch Mittheilung des Goetheschen

Romans

gemacht haben.

Ich schicke ihn noch einen

Tag früher zurück, damit auch Andere dieses Vergnügen je eher je lieber

genießen können. Wenn aber' ein so warmes Product nicht mehr Unheil als

Gutes stiften soll:

meinen Sie nicht,

Schlußrede haben müßte?

noch

eine kleine kalte

Ein paar Winke hinterher,

wie Werther zu

daß

es

einem so abenteuerlichen Charakter gekommen, wie ein anderer Jüngling, dem die Nattrr eine ähnliche Anlage gegeben,

habe.

sich dafür zu bewahren

Denn ein solcher dürste die poetische Schönheit leicht für die mo­

ralische nehmen und glauben, daß der gut gewesen sein mufft, der un­ sere Theilnehmung so stark beschäftigt.

•) Daselbst S. 189.

Und das war er doch wahrlich

61 ja wenn unsres I.') Geist völlig in dieser Lage gewesen wäre,

nicht;

so müßte ich

ihn fast verachten.

Glauben Sie wohl daß je ein römi­

scher oder griechischer Jüngling sich so, und darum, men?

Gewiß nicht.

ganz anders zu sichern und eQwiog

treibt,

das Leben genom­

Die wußten sich vor der Schwärmerei der Liebe

xatoXij,



zu Sokrates Zeiten würde man eine solche welche

n

roAfidr

Schau­

spieles,

besonders

über den

der Sentenzen,

Vortrag

— machen

die

Dramaturgie zu einer Sammlung höchst interessanter Fragmente, beren man nicht

so frühe Unterbrechung

genug bedauern kann.

Dramaturgie war gleichwohl ein Werk

Laune

eines Kopfes,

seiner Laune,

die Fülle

der durch

Die ganze

aber

freilich der

seiner Kenntnisse

und

den

Reichthum seiner Betrachtungen auch in flüchtigen Blättern mehr gründ­

vielen,

gesunde Kritik

und

liche Philosophie

mit sehr

zu geben vermochte, als man in

ernsthaften Anstalten unternommenen Werken antrifft.

eines Denkers.

Seine Spaziergänge waren Zerstreuungen

Nunqnam

minus otiosns erat, qiiam cnm otiosus.“ — „Diese tief eindringende Phüosophie,

dieses

freie

unbestochene Gefühl

der Schönheit

begleitete

ihn überall, mochte er über die epischen Dichter der Griechen und Rö­

mer,

über den Euripides

oder Seneca,

den Aesopus

oder Phaedrus,

den Aristophanes oder Terenz, den Anakreon oder Catrrll, über griechi­

sche Epigramme

oder über

trachtungen anstellen."

die Sinngedichte

eines Martial

seine Be­

„So groß seine Geschicklichkeit war, die verborgen­

sten Schönheiten der Alten allfzufinden, so weit war er von der dumpfen Sinnesart solcher Bewunderer entfernt, ist,

für schön

halten."

„So

die alles Alte, blos weil es alt

gestand er

fteimüthig,

daß er an der

Philosophie deß Cicero wenig Geschmack finde, nicht in der Absicht, die­ sem verdienstvollen Schriftsteller Unrecht zu thun, aber zu sehr mit den

griechischen Quellen der Philosophie bekannt, um den für einen Selbst­

denker zu halten, der blos das Verdienst hatte, Gedanken der Ausländer

in seine Muttersprache

nmgesetzt und sie so bei

ßeren Umlaut gebracht zu haben."

„Mit dem

suchte er, — eine io seltene Kenntniß

der

seiner Nation in

gleichen Geiste

grö­

unter­

griechischen und lateinischen

Sprache mit einer gleich großen Fertigkeit in der ftanzösischen, englischen, spanischen,

italienischen,

holländischen und einigen

nordischen Sprachen

verbindend, — die Werke der neueren Ausländer, pries jede verborgene

Schönheit und schonte keines, von Anderen übersehenen Fehlers, wo er

141 „Namentlich wandte er einen großen Theil seiner Drama­

ihn antraf."

turgie dazu an,

die übertriebene Hochachtung seiner Landsleute vor dm

Franzosm, die bei Manchen Götzendienst

wurde,

niederzuschlagen, und

sie bis auf dm Punkt einer unparteiischen Achtung herabzusetzen.

her mtwickelte er die

großm Fehler des immer

Da­

bewunderungswürdigm

und allgemein bewunderten Voltaire mit ebm so viel somalischer Laune,

als treffmdem Urtheil; daher bewies er, daß dem großen Comeille eher der Beiname des Ungeheuren, des Gigantischen, als des Großen, gebührt

hätte;

daß die gepriesene Regelmäßigkeit der französischen Bühne nichts

Anderes, als eine Beobachtung gewisser Formalitäten sei, worüber so ost das Wesentliche versäumt,

und daß sie mit den Regeln des Aristoteles

sich mehr abgefunden, als sie wirklich beobachtet habe.

Dagegen machte

er auf die besten Werke der Engländer und vomehmlich auf Shakespeare

aufmerksam, und sein Urtheil, wie unsere Dichter dieses außerordentliche Genie studiren und nutzen, seine Bemerkungen über den Mittelweg, dm das deutsche Lustspiel zwischen dem englischen und stanzösischen Lustspiel

einhalten müsse,

haben uns großen Vortheil

und werden ihn

gebracht

auch in Zukunft bringen, wenn unsere Dichter anders fortfahren, anstatt

mit Lessings Geiste über

ihre Kunst blos auf's Gerathewohl zu üben,

„Neben dieser Kenntniß des klassischen

ihre Besttmmung nachzudenkm." Alterthums

und

modemen

der

ausländischen Literatur

eine allgemeine Wissenschaft unserer Sprache." Quellen gekostet, von ihrem Sttome der Minnesänger ergoß;

riode zur andem,

von Luther bis auf Qpitz, allem Tiefsinn

er

wie

sich

zur Zeit

fernerm Lauf von einer Pe­

er übersah ihren

und so fort bis zu dem Zeittaum,

Er hatte sie mit

getmnken,

er auch

besaß

„Er hatte ihre ersten

von Opitz bis zu Wolf,

dessen größte Zierde er selbst ward.

des Grammattkers

und Lexikographen

studirt und dieses Studium mit aller Belesenheit des Literaten unterstützt.

blieb in

Gleichwohl

seiner Schreibart

nicht

auch

eine Spur von der

gewöhnlichen Aengstlichkeit der erstem, und von der Liebe zum Bunten, von der Sucht nach

antrifft.

Er

dem Sonderbaren,

steuerte

zwischen

Regelmäßigkeit und einer zu der Sprache

glücklich

den

die

man oft bei

zwei Klippen

den

letztem

einer zu sklavischen

despottschen Ungebundenheit im Gebrauche

hindurch.

Neue Wörter

wagte

er

selten,

aber

glückliche Freiheiten wider die Wortfügung erlaubte er sich ebm so selten, doch mied er sie auch da nicht,

Anstand

oder Bedeutung

wo sie

ertheilten.

Schreibart durchaus dem bescheidenen

der Schreibart Schwung

Daher und

gleicht

der Gang

ungekünstelten Gange

oder seiner

einer

Grazie, die sich ebm so weit von abgemessenen und ängstlichm Schrittm, als von dm flatterhaften und üppigen Sprüngm und Wmdungen

142 einet Buhlerin entfernt. So erwarb er sich mit gründlicher Kenntniß der Sprache ausgerüstet, mit allem Reichthum der Philosophie und Be­ lesenheit versehen, und durch den emsigsten Fleiß der Uebung, unter unsern prosaischen Schriftftellem den obersten Rang. Welche Feinheit und Kürze, und welche Kraft und Ungezwungenheit in seinem Dialog! Welche Natur und Zierlichkeit in seiner Erzählung, welche edle Einfalt, welch lebendiges Interesse in seinem didaktischen Styl! Die trockensten Materien gewinnen, von seiner Hand bearbeitet, ein ftuchtbares Ansehen. Er verabscheute, wie jeder weisere Schriftsteller, das Ungeheuer der poetischen Prosa, und besaß nichtsdestoweniger Mittel genug, der Prosa alle die Anmuth zu geben, die ihre Natur kleidet, ohne sie zu entstellen. Nie hat ein Schriftsteller die Schönheiten der Metapher, der Vergleichung, der Allegorie, der Antithese, glücklicher anzubringen verstanden, al- Lessing. Seine Vergleichungen sind kühn aber immer unterrichtend und treffend; seine Antithesen stellen das Wahre in ein glänzendes Licht, ohne uns mit falschen Farben an seinem Rande zu täuschen; nichts aber übertrifft seine Kunst in der Allegorie, die er so fein und richtig zu webm weiß, daß man unter ihrer Hülle, wie unter einem Gewände, den Körper selbst zu erblicken glaubt. Was diesen Schmuck der Schreibart noch mehr empfiehlt, ist der Umstand, daß seine Bilder, seine Gleichnisse, seine Allegorien niemals erkünstelt zu sein, sondem sich ganz fteiwillig auS dem Strome seiner Phantasie zu ergießm scheinen. Er sucht nicht Lichter, um damit Prunk zu machen, er versteht die Kunst, einem zwar schon sichtbaren und hellen Stoffe, dem wir aber doch noch ein wenig mehr Glanz der Beleuchtung wünschen, grade in dem rechten Augenblicke diese Beleuchtung zu geben; und dann scheint dieses Licht nicht von außen hereingebracht zu sein, sondern sich aus seinen» Stoffe, als habe es in ihm sich nur verborgen gehalten, von selbst herausgearbeitet zu haben." Um dies an einem Beispiele zu veranschaulichen: „Nachdem er darüber gellagt, daß Klotz und einige seiner Partei ihn durchaus zu einem von den Stiftern einer angeblichen Berlinischen Literaturschuk machen wollen, deren Despotismus Einhalt zu thun Herr Klotz seinem Vorgeben nach sich an die Spitze der Mißvergnügten habe stellen müs­ sen, so setzt er hinzu: „„Viel Glück zu diesen Erscheinungen, und zu allen daraus folgenden Ritterthaten! Aber möchte ein fteundlicher Ge­ nius die Augen dieser Helden wenigstens nur in Absicht auf mich erleuchten. Ich bin wahrlich nur eine Mühle und kein Riese. Da stehe ich aus meinem Platze, ganz außer dem Dorfe, auf einem Sandhügel allein und komme zu Niemandem und lasse mir von Niemandem hekfm. Wenn ich meinen Stemm etwas aufznschüttm habe, so mahle ich es

143 ab, eS mag sein mit welchem Winde es will.

Winde find meine Freunde.

und

Alle zwei

dreißig

weitm Atmosphäre

Von der ganzen

ver­

lange ich nicht einen Kinger breit mehr, als grade meine Flügel zu ih-

Umlauf

rem

können

Mücken

Nur

brauchen.

dazwischen

diesen

aber

schwärmen;

hin

lasse

Umlauf

ihnen

man

muchwillige Buben

müssen nicht alle Augenblick sich darunter durchjagen wollen, niger muß sie eine Hand hemmm wollen,

Wind, der mich umtreibt.

die nicht stärker

Wen meine Flügel

frei.

noch we­

ist als der

in die Lust schleu-

mit

dern, der hat es sich selbst zuzuschreiben, auch kann ich ihn nicht sanfter niedersetzm, als er fällt.""

Doch nicht die Kunst des bildlichen Ausdrucks allein war es, was

LesfingS

„didaktischen Styl verschönerte;

der den Leser

ist auch durch den Reiz bevorzugt,

unaufhörlich anzieht,

„Bald stellt er die Schwierigkeiten seiner Unter­

ohne ihn zu ermüden."

suchung so gegeneinander,

daß

ähnliche Verwicklung entsteht,

eine

daraus

dem Knoten

des Drama

deren Auflösung der Leser begierig

nach

wie im Laokoon seinen Weg als ein Spazier­

bald verfolgt er,

wird;

Darstellungsweise

ganze

seine

gänger, der uns unvermerkt durch scheinbare Nebenwege und Krümmun­

gen, die uns doch immer zu weiterem Fortgehen entloben, — zu einem Endpunkte der Untersuchung bringt,

wenn

wir

uns

noch

weit davon

entfernt glaubten; bald hat sein Unterricht, wie in der Dramaturgie di« schnelle Abwechslung, die steimüthige Sprache, das Feuer und die Leb­

haftigkeit einer vertraulichen Unterredung. Mann zu hören,

der uns bald von Empfindungen zu Begriffen,

wieder zurück von der Speculation zur Anschauung spiele

immer

nicht müde dm

Man wird

auserlesen,

faßlich und trefflich,

leitet,

bald

desim Bei­

dessen Bemerkungen

so

scharffinnig find, ohne spitzfindig zu werden, der uns bald durch meisterhaste Vercheidigung kühn

bald

durch

neue

und

hingeworfener Paradoxen

unerwartete Anwendung

in Erstaunen setzt,

bekannter Gemeinsätze,

auS dmm wir uns keine Nahrung deö Geistes versprechen, überraschet." „Jede seiner Fabeln ist ein Pfeil,

Bogm abgedrückt,

bedeutend,

bimst

in

um

deusschr Schreibart

höchstm

tm Dramm Minna

Anse,

Sein

kein Zug überladen, kein Aus­ als es sollte.

hat

sich

dramatisches

Vollkommenheit

krästigm

Da ist jedes Beiwort

und trifft.

oder anders gestellt

erworbm.

seiner

der vom schmucklosen aber

fliegt

jede Wmdung zweckmäßig,

druck überflüssig,

Dialog

zum Ziele

Das größte Ver­

durch

indessen Lessing

Gespräch,

zu nehmen,

das

man,

seinm

um

es

nach seinm drei letz-

von Bamhelm, Emilia Galotti, und Nathan der

beurtheilen muh,

hält zwischm der Büchersprache,

Sprache des Umgangs die glücklichste Mitte."

und der —

„Zu viel und zu ängst-

144 lich gedrechselte Perioden, schleppende Weitläuftigkeit, allzu gelehrte Sitten­ sprüche, allzuviel Respect für die regelmäßige Wortfolge, übertriebener Purismus, Fehler, die mehr oder weniger, einzeln oder alle zugleich vor Lessing das deutsche Drama entstellen, waren hier nicht mehr sichtbar." Ihm gebührt „die Ehre, die wahre Kunst des dramatischen Dialogs im deutschen Schauspiel gezeigt und eine Bahn gebrochen zu haben, die nach ihm Engel, Goethe und Leisewitz mit gleich gutem Erfolge be­ traten. Sein Dialog ist voll Leben, voll Handlung, voll Abwechslung, ein bewegliches, fortschreitendes Gemälde der Sitten und Leidenschaften. Seine Sentenzen kommen, wie er es selbst vorschrieb, aus der Fülle des Herzens, von der der Mund übergeht; seine Personen sagen sie nicht her, um damit zu prahlen; sie fühlen sich gezwungen sie zu sagm, weil sie ihnen die Empfindung abdringt, alle könnten es seiner Fran­ ziska nachsagen: Macht man das, was einem so einfällt?" Dabei „die so bedeutsame, so kernvolle Kürze des Lessingschen Dialogs, vermöge deren er in eine einzige Ausrufung, in ein einziges Verbindungswort so viel Sinn zu legen versteht, daß wir auf einmal in zwei Wörtern hören, was uns ein Commentar darüber in mehreren Perioden erklären müßte. Jenes gräßliche: „Recht gern!" mit dem der Prinz das Todesurcheil unterschreiben will; jenes höhnische: „Und dann?" und: „Ja wohl!" Marinellis in seiner Unterredung mit Appiani, sind Kürzen, die an dem Orte, wo sie angebracht sind, vortreffliche Wirkung thun, und mit jenem so gepriesenen: „Qii’il mmirfit!“ des Corneille wetteifern können. Doch nicht des dramatischen Dialogs allein war Lessing Mei­ ster; sein Gespräch für Freimaurer: Ernst und Falk, beweist, welche Kräfte in ihm zum philosophischen Dialog lagen, die er doch hier zum ersten und letzten Male geäußert hat. Es hat dieses Gespräch alle Ein­ falt, alle Süßigkeit, alten Tieffinn, all' die glückliche Mischung von Ernst und Scherz, die wir an den platonischen Dialogen bewundern." Auch in seinen Kritiken ist er nie „aus der Tonleiter gewichen, die er selbst, im Falle er Kunstrichter hätte sein wollen, für die seinige angab: „„schmeichelnd gegen den Anfänger; mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifeln bewundernd gegen den Meister; abschreckend und positiv gegen den Stümper; höhnisch gegen den Prahler und so bitter als möglich gegen den Cabalenmacher."" „„Es ist nicht Hitze, nicht Uebertreibung,"" sagte er, „„die mich auf den Ton gestimmt, in welchem man mich mit Herm Klotz hört. Es ist der ruhigste Vorbedacht, die langsamste Ueberlegung, mit der ich jedes Wort gegen ihn niederschreibe. Wo man ein spöttisches, bittres, hartes findet, da glaube man nut ja nicht, daß es mir entfahren sei. Ich hatte nach meiner besten Einsicht geur-

145 theilt, daß ihm dieses spöttische, bittere, harte Wort gehöre, und daß ich eS ihm auf keine Weise ersparen könne, ohne an der Sache, die ich gegen ihn vertheidige, zum Verräther zu werden."" „So sprach der Mann von Ehre, der immer offen und bieder blieb, auch wo er gegen feinen Widersacher rauh oder hart zu werden sich gedrungen fühlte; er zwang seine Gegner ihn hochzuachten, wenngleich sie ihn nicht lieben konnten." „gaffen Sie uns," — so schloß vor nunmehr schon achtzig Jahren Professor Schütz diese akademischen Vorlesungen über Lessing, — „lassen Sie uns, meine Herren, auch die Asche eines Mannes noch dank­ bar ehren, dessen Kunst uns jene herrlichen Blumen erzog, an deren Schönheit unsere Nachkommenschaft noch ihr Auge weiden, deren Wohlgeruch nach Jahrhunderten noch die edelstm Seelen erquicken wird. Lassen Sie uns auch in ihm das so ost verkannte Verdienst der wahren und großen Dichter ehren, das sie sich um die Verfeinerung unserer Empfindung, um die Cultur unseres Verstandes, um die Besserung unseres Herzens, um die edelste Art unseres sinnlichen Vergnügens erwerben, eines Vergnügens, das mehr als irgend ein anderes mensch­ lichen Geistes würdig ist, und dessen Empfänglichkeit von jeher dm fühlenden Denker von dem rohen Haufen der Menschen unterschieden

hat."--------

Johann Friedrich Schink.*) „Der Name Lessing ist von den Namen einer, deren auch die cultioirtesten Nationen sich nur selten rühmen können. — Was war er nicht alles, dieser außerordentliche Lieder - und Fabeldichter, Epigrammatist und Dramatiker, Kunstüber und Kunstrichter, Geschichtsund AlterthumSkundiger, aufklärender Theolog und tiefdenkender Phi­ losoph; einheimisch in Griechenland wie in Rom, in Spanien wie in England, in Frankreich wie in Italien; eingedmngen in ihre Sprachen, wie in ihren Geist! Fast überall auf seinkr Stelle, immer sein Geist, kein fremder; überall seine eigne Art, den Stoff zum Dmken aufzufindm, zu mtwickeln, zu verhandeln; immer sich selbst gleich, immer er, und mit jedem neuen Werke größer, kraftvoller, vollendeter; überall sein Ausspruch respectabel, sein Urtheil geltmd!"

') Pantheon der Deutschen.

II. Theil.

Chemnitz 1795.

146

Friedrich Schlegel. Im Jahre 1804 erschien: „Lessings Geist aus seinen Schriften, oder desien Gedanken und Meinungen, zusammengestellt und erläutert von Friedrich Schlegel,") mit einer Vorrede an Fichte, worin der Verfasser sagt: „Nicht weil Lessing, wiewohl in ganz anderen Ver­ hältnissen und bei Gelegenheit ganz anderer Gegenstände dennoch nach dem gleichen Ziele gestrebt zu haben scheint wie Sie, Gründlichkeit nemlich und Freimüthigkeit der Untersuchung in allen Theilen des Wissms zu verbreiten; nicht weil er Ihnen in diesem Sinne vorgearbeitet hat; nicht weil Sie, wie ich weiß, sein Streben und seine Gesinnung ehren, das Geistvolle in seiner eigenthümlichen Manier mehr als viele Andre zu schätzen und zu lieben wissm, richte ich daS Wenige, was ich in dieser Vorrede zu sagen habe, zunächst an Sie, verchrungswürdiger Freund; sondern deswegen, weil ich dadurch zugleich meine Ueberzeugung an den Tag zu legen Gelegenheit erhalte, daß solche Miscellen und Fragmente von Philosophie, wie Lessing allein zu hinterlassen vermochte, erst dadurch ihren vollen Werth erhalten, wenn in derselben Literatur auch dasjenige vorhanden ist, was ihnen fehlt, oder was sie nur stillschweigend voraussetzen. Nur da, wo auch die ersten Principien des Wahren, deren Entdeckung oder Wiederherstellung das Zeitalter vorzüg­ lich Ihnen verdankt, in einer streng wissenschaftlichen Methode der Phi­ losophie gelehrt werden, find auch die fteieren Productionen und Resul­ tate des blos natürlichen philosophischen Geistes an ihrer Stelle. Für überflüssig aber können diese nie gehalten werden, wären auch die Prin­ cipien deS Wissens noch so deutlich dargesteUt, die Methode noch so sehr vervollkommnet. Denn daS Wissen ist, wie bekannt, nicht ein blo­ ßer Mechanismus, sondem geht nur aus dem eignen freien Denken hervor. Schwerlich aber sind noch andre deutsche Schriften besser ge­ eignet, diesen Geist des Selbstdenkens zu erregen und zu bilden, als die Lessing schm;- die „diese ganz specifische Kraft nicht durch ihren Inhalt allein, sondem auch durch ihre Form haben, und ich gestehe, daß diese und der vortreffliche Styl nicht wenig dazu beigetragm, mich zu dieser Arbeit zu bestimmen." „Damm hat, was Lessing schrieb, eine so eigne Magie, und dämm ist er den vortrefflichsten Schriststellem beizuzählen, weil er nicht blos im Einzelnen gmialische Gedanken hatte, sondem der Gang seines Denkens selbst gmialisch und genieerregend war." Der

') Reue unverändert« Ausgabe. Leipzig, bei I. C. Heinrichs. 1810.

147

Versuch „ Lessings Geist und Gedanken, ihrem Gange und ihrer Entstehung gemäß, soviel als möglich mit feinen eigenen Worten darzustellen," wird im ersten Theile der Schrift selbst mit einer allgemeinen Einleitung: „Vom Wesen der Kritik", mit einer „Vorerinnerung und Nachschriften zu den Lessingschen Briefen und antiquarischen Versuchen; im geeiten Theile mit einer ferneren Einleitung: „Vom combinatorischen Genie" zu den Fragmenten dramaturgischen, lüerarischm und po­ lemischen Inhalts, und im dritten Theile mit einer schließlichen Ein­ leitung: „ Vom Charatter der Protestanten" zur „Erziehung des Menschengeschlechts", zu den „Gesprächen zwischen Ernst und Falk" und zum „Nathan", begleitet, wobei Schlegel der letztgenannten Einleitung noch ein Sonett aus Lessings Nathan, einen Prolog und einm Epilog, und dem Ganzen endlich noch das Bruchstück eines dritten Gespräches über Freimaurerei beigesügt hat. Hier zunächst einige Auszüge, soweit sie dem ersten und zweiten Theile der Schlegelschen Ausfühmngen an­ gehören: Vom Wesm der Krittk: „Lessings Geist war nicht in die enge Sphäre anderer Gelehrten gebannt, die nur im Lateinischen oder Grie­ chischen Kritiker sind, in jeder andem Literatur aber wahre Unkrittker. Lessing behandelte Alles mit kritischem Geiste; Philosophie und Theo­ logie nicht minder als Dichtkunst und Anttquitäten. Das Klassische behandelte er oft mit einer Leichttgkeit und Popularität, in der man sonst nur von dem Modernen zu reden pflegt, und das Moderne prüfte er mit der Strenge und Genauigkeit, die man ehedem nur bei Behand­ lung der Alten nothwendig sand. Er studirte die einheimische alte Li­ teratur, und war doch mit der ausländischen neueren bekannt genug, um wenigstens den Weg richtig anzuzeigen, wohin man sich zu lenken, waS man zu studiren habe: die ältere englische Literatur nehmlich, statt der bis auf ihn prädominirenden ftanzöfischen, und dann die italienische und spanische. So umfassend aber seine Krittk war, so ist sie doch durchaus populär, ganz allgemein anwendbar. Wenn ein allumfaffender Gelehtter mit großem Geiste, wie Sir William Joneö, nicht blos das Gebäude der Dichtkunst, sondern das ganze Gewebe aller Sprachen durch die Kette der Verwandtschaften bis zu ihrem Ursprünge verfolgt; wenn ein Wolf mit unvergleichlichem Scharfsinn durch das Labyrinth aller Voruttheile, Zweifel, Mißverständnisie, grundlosen Annahmen, Halbheiten und Uebertreibungen, grobem und unmerklich feinern Verfäl­ schungen und Verwitterungen der Zeit, zum größten Vergnügen deS Forschers endlich durchdringt bis zur Quelle und zur wahren Entstehung deS ältesten Kunstdenkmals der kunstreichen Natton des Altetthums, so 10'

148

ist es in der Natur der Sache gegründet, daß nur wenige an diesen Untersuchungen Theil nehmen sönnen und Theil nehmen sollen. ES ist genug, wenn eS einige Kritiker dieser esoterischen Art in einem Zeitalter giebt, und einige wenige, die sie verstehen. Der Geist der Lessingschen Kritik aber liegt ganz in dem Kreise des allgemeinen Verständlichen. Er sollte überall verbreitet sein in dem ganzen Umkreise der Meratur; denn nichts ist so groß und nichts ist so anscheinend geringfügig in der Literatur, worauf er nicht anwendbar wäre, dieser freimüthig untersuchende, überall nach richtigen Kunstbegriffen strebende, es immer strenger nehmende, und doch so leicht zu bewegende Geist, besonders aber jene billige Verachtung und Wegräumung des Mittelmäßigen oder des Elenden." Schlegel schildert die Lähmung und Korruption unserer Literatur durch das Eimeißen des französischen guten Geschmacks, jenes „unerhörtm Dünkels", daß die Welt noch niemals etwas so Vortreffliches gesehen und gehört habe, als diesen „guten Geschmack", durch die Gutmüchigkeit, sich „jene ftanzösischen Thorheiten aufbürden zu lasten", durch jenen „etenben Provincialismus, wodurch die damalige deustche Meratur noch unter die französische hinabsank, die doch wenigstens durch ihre Einheit alS Phänomen der Nationalität einiges Zntereffe behält." Dann fährt er fort: „Mitten in dieser Gemeinheit wuchs Lessing auf. Er hat das Joch zuerst abgeschüttelt, er hat der herrschenben Gemeinheit tapfer widerstrebt, hat das französische Geschmacksgefpenst kräftig in sein Nichts zusammengerüttelt und die ersten Keime zur besseren deutschen Literatur ausgeworfen. Er kann als Vorbild ange­ führt werden', wie man immer weiter schreiten, immer strenger werden, immer unerbittlicher das Schlechte verfolgen soll." Vom combinatorischen Geist: „Mit der Fülle und Gediegenheit des Gedachten muß die Freiheit und Lebendigkeit des Denkens im Ver­ hältniß stehen, und der Jdeenreichthum eines umfastenden SchriststellerS wird dann erst sich wirstam zeigen, wenn darin zugleich eine große Kraft des eigenen Denkens, ein eigenthümliches Gepräge, ein kühn combinirender Geist sichtbar ist. Dieses Combinatorische kann nicht entstehen ohne Universalität, denn nur wo eine Fülle verschiedenartiger Stoffe vereinigt ist, können neue chemische Verbindungen und Durchdringungen derselben vor sich gehen. Diese genialische Kraft ist es aber auch, was der Uni­ versalität erst ihren wahren Werth giebt, Gültigkeit und Form. In ben Lessingschen Schriften wird nicht leicht Jemand diesen originellen Stempel verkennen können, und ich denke, daß auch in Rücksicht der kühnen und überraschenden Combinationen das Ganze berfelben dem

149 Begriff der aufgestellten Gattung so sehr entspricht, als nur immer ein Werk seinem Begriff entsprechen kann." In der „Nachschrift" zu den Lesfingschen Briefen heißt es: „DaLoos dieses vortrefflichen Mannes war kein glückliches Loos?" Und dann der Schluß: „O, wie ist er zu bewundern, daß er dennoch so viel geleistet, so viel gewirkt hat, so viel Keime ausgestreut des Bestem; daß er sich nicht, kalt verachtend das entartete Geschlecht, in Stillschwei­ gen zurückzog, sondem, auf eine bessere Nachwelt kühnlich vertrauend, immer thätig blieb. Für uns hat er gelebt und geschriebm; so laßt uns denn auch in seiner Gesinnung weiter leben, dem gleichen Bemfe folgend fortsetzen,' was er nur anfangen konnte und was Keiner vollenden wird!" — Der dritte Theil der Schlegelschen Schrift würdigt zumeist dm religiösen Standpunkt Lessings. „Wie mancher," sagt Schlegel, „der sich viel damit weiß, daß er die Dorurtheile des Christen abgelegt, oder vielmehr sammt allem Guten, womit sie verwebt waren, zugleich abge­ worfen hat, ist noch bis in sein tiefstes Wesen ganz umwunden von den Dorurtheilen seiner Nation, seines Standes, des bürgerlichm Le­ bens, seines Kreises, überhaupt der gebildeten Gesellschaft, des Zeitalters mdlich, desten herrschender Charakter Eitelkeit und Dünkel und die da­ mit nothwendig verbundene Unkenntniß seiner selbst ist. Wie weit Lessing über demselben in Rücksicht auf diese feinem verborgmem Domrtheile stand, das zeigen die Gespräche über Freimaurerei. Ob er damit ihre Grundsätze aufstellen wollen oder was sonst, das mögen die beurtheilen, die Kmntniß von dieser Gesellschaft habm. Gewiß aber ist es, daß die Freimaurerei, so wie er sie aufstellt, etwas Nothwmdiges ist, was gar nicht an diese oder jene Form gebunden sein kann; wovon das Wesentliche von selbst entstehen muß, so bald Mittheilung, Ge­ meinschaft unter den Denkenden, Unterrichteten Statt findet, was aber auch öffmtlich betrieben werden mag; ja, daß die wahrm Geheimnisse doch immer geheim bleiben; daß die Schriftstellerei selbst, so behandelt, wie sie Lessing behandelte, eine solche öffentliche Freimaurerei ist, die ganz frei wirkt und keiner Aeußerlichkciten bedarf: er selbst, der erste dieses Bundes, der immer weiter sich verbreitet, und ewig bestehen wird, weil er auf ewigem Gmnde ruht. Will man aber diese Schrift Lessings über Freimaurerei lieber auf den Begriff der Humanität beziehen, — so ist dieser Begriff unstreitig ebenfalls nur in seiner reinstm, ächtm Bedeutung auf dieselbe anwendbar. Humanität nehmlich ist in diesem Sinne nicht die Sympathie mit ftemdem Elend und Erbärmlichkeit, son­ dem die innige Freude und herzliche Theilnahme an dem Verstände

150 — Anderer, der Wunsch, diese Geistessreiheit, so viel an uns ist, zu erre­

gen und zu entwickeln, die stets bereitwillige Mitwirkung dazu, und die

rege Aufmerksamkeit auf alle Mittel, die dahin führen." „Alle Einfälle

theologischm Schriften,

Werke und Bruchstücke,

im

und Streitschriften Lessings athmen

Form unverrückt

immer

diesen

und der denkenden Freiheit,

einen

Inhalt

Entwürfe,

in

wie

der

selben Geist des steten Denkens was ich seinen Protestan­

und das ist es,

tismus nenne." Als den „wichtigsten Puntt des Lessingschen Glaubensbekenntniffes"

preist

am Schlusie

Schlegel

neuen Evangeliums,

Glaube an mit

er

der

„seine Verkündigung eines

der Schrift:

seine Meinung von einem drittm Weltalter,

eine große Palingenesie der Religion, dem

Jahrhunderten,

Christenthum

eine

Datier

sondern nach Jahrtausenden.

dennoch

ist der

neues Wiederaufleben derselben,

nach

nicht

prophezeite,

einer Zeit,

Zu

sein

feste Zuversicht, wo

die

fast ganz

was äußerlich so heißt,

Religion, wenigstens in demjenigen,

erstorben zu sein scheint,

die

fortdauernde Glaube an ein

der wesentliche Punft, der

die Grenze

zwischen den Religiösen und den Irreligiösen zieht, das einzige, so we­

nig es ist, was vor der Hand zu erwarten steht.

cs werden ihrer immer mehr sein;

bens jetzt schon einige,

aber nicht

vergessm,

Es sind dieses Glau­

daß es Lessing

zuerst bekannte, wie

laßt es uns die

einsame

Stimme aus der Wüste, mitten unter dem Hofe des Pöbels: „„Es wird das neue Evangelium kommen."" —

„So sagte Lessing, doch die blöde Rotte Gewahrte nicht der autgcschloss'nen Pforte.

Und dennoch, was der Theure vorgenommen

Im Denken, Forschen, Streiten, Ernst und Spotte,

Ist nicht so theuer, wie die wen'gen Worte."

DaS Sonett, dessm Schlußstrophen hier mitgetheilt sind, sich

bereits

früher

abgedruckt in

August Wilhelm Schlegel

und

Königsberg 1801, am Schlüsse

befindet

„Charakteristiken und Kritiken"

Friedrich Schlegel. eines Aussatzes:

1.

Bd.

von

S. 221.

„Ueber Lessing"

von

Friedrich Schlegel, der auf vier Jahre zurück verweist, und worin unter Anderm gesagt ist:

„Noch weniger ist bei dem allgemeinen Mangel an

Sinn für sittliche Bildung und sittliche Größe von Lessinas Charakter

die Rede; von den würdigen, männlichen Grundsätzen, von dem großen, freien Styl seines Lebens, welches vielleicht die

beste praktische Vor­

lesung über die Bestimmung des Gelehtten sein dürfte; von der dreisten

Selbstständigkeit,

von der derben Festigkeit seines ganzen Wesens, von

seinem edlen Cynismus,

von

seiner

göttlichen Liberalität;

von

seiner

151 biedern Herzlichkeit, die der sonst nicht empfindsame Mann in Allem, was Kindespflicht, Brudertreue, Vaterliebe, und überhaupt die ersten Bande der Natur und die innigsten Berhältnifle der Gesellschaft betrifft, stets offmbart, und die sich auch hie und da in Werken, welche nur der Verstand gedichtet zu haben scheint, so anziehend und durch chre Selten­ heit selbst rührender äußert; von jenem tugendhaften Haß der halben und der ganzen Lüge, der knechtischen und der herrschsüchtigen GeisteSfaulheit; von jener Scheu vor der geringsten Verletzung der Rechte und Freiheiten jedes Selbstdenkens; von seiner warmen, thätigen Ehrfurcht vor Allem, was er als Mittel zur Erweiterung der Erkenntniß und in sofern als Eigenthum der Menschheit betrachtete; von seinem reinen Eifer und Bemühungen, von denen er selbst am besten wußte, daß sie, nach der gemeinen Ansicht, fehlschlagen und nichts fluchten würden, die aber, in diesem Sinne gethan, mehr werth sind, wie jeder Zweck; von jener göttlichen Unruhe, die überall und immer nicht blos wirken, son­ dern aus Jnstinct der Größe handeln muß, und die auf Alles, waS sie nur berührt, von selbst, ohne daß sie es weiß und will, zu allem Guten und Schönen, so mächtig wirket. „Und doch sind es grade diese Eigenschaften und so viele andre ihnen ähnliche noch weit mehr als seine Universalität und Genialität, um derentwillen man es nicht mißbilligen mag, daß ein Freund die er­ habene Schilderung, welche Cassius beim Shakespeare vom Cäsar macht, auf ihn anwandte: „Ja, er durchschreitet, Freund, die enge Welt

Wie ein KolossnS, und wir kleinen Leute,

Wir wandeln unter seinen Riesenbeinen Und schaun umher nach einem schnöden Grab."

Johann Gottfried Eichhorn.*) „Mit Lessing ttat — zwischen 1755—1767 — die deutsche Poesie in ihre völlige Mündigkeit: er gab dem guten Geschmack Berichttgung und Festigkeit durch eine männliche Kritik und dem Lust- und Trauer­ spiel seine ersten von in-und ausländischer Nachahmung fleien Meister­ stücke. — In einem Vortrag voll Fülle, Nachdruck und Nettigkeit, in einem Styl, der sich allen Gegenständen leicht anschlang, in häufig neuen und glänzendm Wendungen, stellte er die Theorie der Fabel *) Geschichte der Literatur von

IV. D.

1. Abth. Gottingen 1807,

ihrem Anfänge bis auf die neuesten Zeiten.

152 und des Sinngedichts auf, gab er in der Dramuturgie geln des Lust- und Trauerspiels an,

bestimmte

er

im

die Re­

Laokoon die

Grenzen der Poesie und bildenden Künste. — Lessing führte wieder zu

der ursprünglichen Kürze des Aesop zurück, und zeigte in einer beträcht­

schöner prosaischer Fabeln,

lichen Anzahl

daß ein Dichter auch noch

jetzt in dieser Manier neu, nützlich und unterhaltend werden könne. — Sinngedichte trifft man meistens schon in der Anthologie,

Lessings

im Martial und dem lateinischen Epigrammatisten Cordus an; die we­ nigen, und

ihm

eigenthümlich angehörenden sind

der Zergliederung

der Begriffe.""



zweite Periode als Dramattker angetteten,

„„Blitze des Scharfsinns 1763

hatte Lessing

in welcher

er

seine

zuerst mit

ausgebildeter Kraft und reinem männlichem Geschmack Muster im Lust-

und Trauerspiel aufstellte, und dadurch sich zum Gesetzgeber der Bühne

Seine stühern Lustspiele:

legitimirte.

der Misogyn,

die

Juden, der Freigeist, der Schatz, kündigten schon den künstigm Meister

im Drama an, obgleich ihre Welt- und Menschenkenntniß noch blos aus Büchern geschöpft,

dargestellt war.

und diese mit etwas zuviel ftänzösischer Redseligkeit

In der Minna von Barnhelm aber stand (1763)

der vollendete Komiker da,

Charatteren

in Plan und Ausführung selbstständig,

und Sitten deutsch,

und von aller in-

in

und ausländischen

Nachahmung frei; in der Charakterschilderung ein Zeichner nach eigener lebendiger Weltbeobachtung, und im Dialog Meister; in

voll geben,

Witz

Mannichfaltigkeit,

Seine Trauerspiele Epoche machen mußten.

der Sprache

und ächter komischer Kraft."

waren „von so großem innern Wetth,



daß sie

In der Miß Sara Sampson, einem Stück

voll zärtlicher und rührender Stellen,

dem aber noch

etwas von der

frühern theatralischen Redseligkeit anklebt, brach er (1755) für daö bür­ Die innere Oekonomie des Stücks, die

gerliche Trauerspiel Bahn.

Erscheinung von Menschen aus den mittleren Ständen in einem Trauer­ spiel, welche in der ordentlichen Sprache des Lebens redeten, das treue Gemälde der menschlichen Natur nach

ihren Begierden,

Leidenschaften

und Empfindungen, die Neuheit und Wahrheit der Sprache wirtte tief und nahm so sehr für das bürgerliche Trauerspiel ein,

daß ihm das

heroische nach wenigen Jahren den Schauplatz räumen mußte.

ein kleines Stück kraftvoller Sprache

voll Leben

und Natur

ausgedrückt,

befestigte

und

Philotas,

edler Gesinnungen,

(1759)

den Geschmack

in des

Publikums an dieser Manier, ob er gleich an innerm Werth der Miß

Sara Sampson nachstand; wie viel mehr mußte nun dieses der Fall fein bei Emilia Galotti, einem in jeder Rücksicht vollendeten Meister-

153 stück in dieser Gattung, das in Regelmäßigkeit beiden frühern Versuchen weit vorgeht."

und tragischer Größe

Schelling.**) Schelling preist in „Gotthold Ephraim Lessing einen deut­ schen Mann, einen Mann erster Größe, herrlich von Geist, durchaus tüchtig von Charakter," — der nicht so leicht bereit war seinen Ver­ stand aufzugeben; der wußte, waS er an ihm hatte; Anderen mag daS

Opfer leichter fallen."

Ludwig Tieck.**) — „Es kann wieder von Nutzen sein, unsere leer phantasirende Jugend auf Lessing als Dichter aufmerksam zu machen, auf den Scharfsinn und die Tiefe seiner Compositionen, auf die Gründlichkeit seiner Motive, auf den Adel der Charastere und den philosophischen Witz seiner Sprache. Wer das Theater studiren will, muß durchaus den Bemühungen Lessings, auch seinen Schauspielen, eine wiederholte Auf­ merksamkeit widmen. „Jede Bühne, die sich achtet, sollte immer wieder zu Zeiten Emilia und Minna mit ihren angestrengtesten Kräften darstellen. Es wird dem Theater selbst vom größten Nutzen sein, sich in dieser edlen, fein abge­ wogenen Sprache zu üben, es bleibt dadurch immer noch eine Möglich­ keit übrig, sich wieder zum Bessern, zur Wahrheit und zum Adel hin­ auf zu winden. Das Theater muß von Zeit zu Zeit auch etwas für sich selbst thun, um zu knien und sich zu erheben, selbst wenn daS Publicum diese Bemühungen nur lau aufnehmen sollte; aber glücklicher Weise ist dies nicht der Fall, sondern dieser wahre deutsche Genius wird auch immer noch vom Volke erkannt. Darum wäre es vielleicht zweck­ mäßig, grade jetzt auch einige andere seiner dramatischen Arbeiten der *) 8- W. I. Schellings Denkmal der Schrift von Herrn

Friedrich

lung.

1812.

Heinrich

Jacobi.

Tübingen, in

den göttlichen Dingen de-

der

Cottaschen

Buchhand­

*e) Ueber Emilia Galotti, aufgeführt auf dem Wiener Burgtheater, den 1".

Mai 1825.

Dramaturgische Blätter

von Ludwig Tieck.

Bd. II.

BreSlau 1826.

154 Bühne wieder zurückzugeben, von denen selbst die schwächsten dm größten Theil der bessern unserer Tage so weit überragen."

P l a t e n. Lessings Nathan.

„Deutsche Tragödien hab' ich in Masse gelesen, die beste Schien mir diese, wiewohl ohne Gespenster und Spuk: Hier ist Alles, Charakter und Geist und der edelsten Menschheit Bild, und die Götter vergehn vor dem alleinigen Gott." Cs ist dies daö Urtheil des Sängers des „Saul und David":

„Die schwere Krone löse Dir vom Haupt, Und tret' hinaus in reine Gotteslüfte! Die Lilie prangt, der Busch ist neu belaubt, Die Reben blühen und verschwenden Düfte. „Zwar bin ich nur ein schlichter Hirtensohn, Doch fühl' ich bis zum Himmel mich erhoben: Was mußt Du fühlen, König, auf dem Thron, Wie mutz Dein Herz den Gott der Väter loben!" des Luca Signorelli:

„Nicht klagt er oder stöhnt und schreit, Kein Seufzer wird zum leeren Spiel des Windes, Er setzt sich hin und konterfeit Den schönen Leib deS vielgeliebten Kindes. „Und als er ihn so Zug für Zug Gebildet, spricht er gegen seine Knaben: Der Morgen graut, es ist genug, Die Priester mögen meinen Sohn begraben." der oenetianischen Sonette:

„Die goth'schen Bogen, die sich reich verweben, Sind von Rosetten überblüht, gehalten Durch Marmorschäfte vom Balkon umgeben; Welch' eine reine Fülle von Gestalten, Wo, triefend von des Augenblickes Leben, Tiefsinn und Schönheit im Vereine walten." Wird „eine gerechtere Zeit", worauf er vertraute, nicht auch noch für ihn kommen? Das Marmor-Denkmal, das die Verehrung des Aus-

155

landes auf der Billa Landolina, in der Nähe von Syracus über seiner Gruft errichtm ließ, zeigt einen Apollo mit Leier und gefülltem Köcher und der Inschrift:

„Hic jacet Augustus comes de Platen, poetarum teutonicorum princeps, ingenio germanus, forma graecus, poetellarum terror, novissimum posteriteritatis exemplum. nat. a. 1796. mort. a. 1835.')

Dr. Ludwig Wachter.") „Lessing „begründete und ordnete das heutige geistige Streben in der deutschen Nationalliteratur, deren Bedeu­ tung er eben so tief erfaßte, als er ihr höheres Ziel richtig ahnete und, vollständiger verstanden von folgenden Ges chlechtern, schärfer bestimmte." —

Wolfgang Menzel."') „Lessing vereinigte das Studium und die Bildung aller Schulen seiner Zeit in sich, und ging durch die Gallomanie, Gräkomanie, Anglo­ manie wie die Sonne durch den Thierkreis selbstständig, ohne da oder dort hängen zu bleiben, stet aufsteigend die eigene Bahn. In jener Zeit, des ftemden Einflusses, der miteinander streitenden Geschmacksrichtungen, konnten große Geister nicht wie aus eignem Boden hervorwachsen, sie mußten sich mit herculischer Kraft durch die ftemden Hindernifle, Wirrungen und Lockungen hindurchkämpfen; sie mußten sich ver­ mittelst einer gesunden, umsichtigen, unbestechlichen Krittk erst den Weg räumen. Daher bei Lessing neben der poettschen Kraft die krittsche, daher ihm vor Allem die bewaffnete Pallas zugesellt! Er übte diese Kritik in sehr weitem Sinn auf dem Felde der Theologie, Philosophie, Philologie, Kunst- und Literaturgeschichte, wie auf dem Felde der Poesie. Er bekämpfte die plumpe Rohheit, den fassen Fana­ tismus und die geistlose Pedanterei des Buchstabenglaubens in seiner be­ rühmten Fehde wegm der Wolffenbüttler Fragmente, wobei er es zu ') Vergleiche die der Cottaschen Ausgabe der gesammelten Werte del Dichter­ vorgedruckte Biographie desselben von Karl Gödek«. **) Handbuch der Geschichte der Literatur. Dritte Umarbeitung. III. Th. Leipzig 1333. Verlag von Joh. Ambr. Barth. **’) Deutsche Literatur. Stuttgart 1836.

156

vermeiden wußte in's Extrem des völligen Unglaubens zu fallen, wie auch sein herrlicher Nathan beweist, daher sich die steche Rotte der Got­ teslästerer allezeit mit Unrecht auf ihn berufen hat. — Indem er aber sein Augenmerk auf die Poesie richtete, wurde er der wahre Hercules Musagetes, der Sieger über den ganzm noch übrigen Wust der Gallo­ manie und der von ihr unzertrennlichen pathetischen Weitschweifigkeit, sowie nicht minder der treue Eckart vor dem Benusberge der modernen Sentimentalität und poetischen Schwelgerei, dem nach ihm gleichwohl Thür und Thor geöffnet wurden. Niemand wies mit so einleuchtmdem Scharfblick den Unterschied zwischem dem warhast Antiken und der stanzösischen Carricatur desselben nach, als Lessing, und ihm erst ver­ danken wir die Reinigung unsrer deutschen Bühne vom stei­ fen Alexandriner und die Reinigung unsrer Sprache über­ haupt vom Schwulst. Noch ehe die Gräkomanen aufstimen, kämpfte schon Lessing, vor Klopstock, vor Boß, aber er war weit entfernt, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Er rettete die Anttke nicht darum aus dem stanzösischen Bombast, um sie den deutschen Pe­ danten zu überantworten. Wenn wir Lessing den Dichter betrachten, dürfen wir nicht vergesien, daß er sich — mit hundert andern Din­ gen neben der Poesie beschäftigte. Daher sind seine frühern Vorstudien und Persuche, sowie seine gelegentlichen poettschen Spielereien, auf die er selbst wenig Werth legte, sehr von den klassischen Werken seiner vol­ lendeten poettschen Reife zu unterscheiden, nehmlich von Minna von Barnhelm, der Emilia Galotti und dem Nathan, von denen jedes allein schon hinreichen würde, ihn den größten Dichtern aller Zeiten beizugesellen. Als das innerste Princip der Lessingschen Poesie tritt die Ehre hervor, — das Princip von LessingS ganzem Leben war die Ehre. Erdichtete nur in dem Geist, in dem er lebte. Er hatte sein ganzes Dasein hindurch mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen, aber er beugte nie sein Haupt. — So war Lessing selbst, und so finden wir ihn wieder in seinem Major Tellheim, in Odoardo Galottt, in Nathan. Nie waren Humanität und Weis­ heit so innig mit dem romanttschen Wesen männlicher Ehre ge­ paart, als hier, und kein neuerer Di chter, ich sage keiner, hat diese Grazie der Männlichkeit darzustellen gewußt, wie Lessing. Und welche reizende Töchter hat dieser strenge Vater! welcher Zauber wohnt in Minna, Emilia, Recha! Wer, außer Shakespeare, hat die weibliche Natur in so holder Weichheit, edler Einfachheit, lachender Munterkeit und heiliger Reinheit aufgefaßt, als Lessing? Man staunt das liebliche Wunder der Dichtung an, und möchte doch

157 mit diesen so natürlichen Geschöpfen Worte wechseln, als ob sie vor unS stünden. — Lessing war unser erster moderner Dichter, der erste, der die poetischen Ideale mit dem wirklichen Leben aussöhnte, der es wagte Helden im modernen Kostüm, Heldm von heute, auf die Bühne zu bringen. Bisher kannte man nur die männliche Tugend der alten Römer aus der stanzösischen Komödie. Lessing zeigte in seinem Tellheim und Odoardo, daß man auch in der heutigen prosaischen Welt noch ein Held, ein Mann von Ehre sein könne. Durch dieses moderne Kostüm, durch die Natürlichkeit seiner dramatischen Personen und durch die Prosa, die er dem altstanzösischen Alerandriner wie dem griechischen Hexameter entgegensetzte, übte er mächtigen Einfluß auf die Folgezeit und wurde der Schöpfer der eigentlichen modernen deutschen Poe­ sie, die das heutige Leben zu schildern unternahm. — Nicolai, Müller warm später als Lessing, und folgten erst seinem Antrieb. Dann kam Goethe, dann Schiller, deren erste prosaische Schauspiele, Götz, Clavigo, die Räuber, Kabale und Liebe, überall die Schule Lessings ver­ rathen und ohne seinen Vorgang nicht entstanden wären. Zugleich war Lessing der erste, der in Emilia Galotti einen modemm Fürsten schilderte. Bisher kannte man nur steife Komödien-Könige mit Krone und Scepter, oder niederträchtige Hofpoesien, worin die Versailler Orgien in der Form von Schäfergedichten gepriesen wurden. — Wer mag verkennen, daß er eine mächtige Wirkung hervorbrachte. — Lessings Nathan bildet seinem Inhalt nach den Lichtpunkt der im acht­ zehnten Jahrhundert herrschend gewordenen Humanität. Die Mißachtung, die sein jüdischer Freund, der liebenswürdige Mendels­ sohn, noch zuweilen erfuhr, veranlaßten ihn zu diesem Meisterwerk, in welchem der tiefste Verstand mit der edelsten Gesinnung gepaart ist. Dieses unsterbliche Gedicht der mildesten, ja ich möchte sagen, süßesten Weisheit, ist zugleich durch seine Form für die deutsche Literatur von hoher Wichtigkeit, denn es ist der Vater der unzähligm Jambentragödien, die nach Lessing zuerst von Schiller und Goethe zur Mode erhoben wurden. Doch hat kein Dichter dm ersten Zauber des deutschen Jambus wieder erreicht, wie er in LessingS Nathan, hold überredend, innig wunderbar das Gemüth ergreift." — Die Summe seines Urtheils über Lessing faßt Menzel dahin zusammen: „Was früher schon zum Theil erstrebt worden, vollendete Lessing, dm man als dm Begründer der neuen deutschen Dramaturgie be­ trachten darf. Nicht nur, daß er als Kritiker den Geschmack sichtete, der Nation die besten fremden Muster vor Augen hielt und den SchauspielDirectionen und dem Publimm ein allmächtiges Orakel wurde, auch als

158 Dichter selbst gab er das erste Beispiel Drama

auf den Ton,

den

das

deutsche

es seitdem behalten hat.

Emilia

und

stimmte

Galotti war das erste deutsche Trauerspiel, Minna von Barnhelm

das erste Lustspiel."

Heinrich Heine.*) „Lessing" war ein ganzer Mann, der, wmn er mit seiner Polemik

das Alte zerstörend bekämpfte, auch zu gleicher Zeit selber etwas Neues und Besseres schuf; er glich, sagt ein deutscher Autor, jenen

die beim

stammen Juden,

Feinde oft gestört wurden,

zweiten Tempelbau

von den Angriffen der

und dann mit der einen Hand

gegen diese

kämpften und mit der andern Hand am Gotteshause weiter bauten. —

Er war der

Er

uns die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die

zeigte

Abgeschmacktheit jener Nachahmungen selbst

wieder

unser Theater von der Fremd­

literarische Arminius, .der

herrschaft befreite.

werke, ward

er

Alle Richtungen

der Stifter

eignen Kunst­ verfolgte dieser

des Lebens

Kunst, Theo­

Mann mit Enthusiasmus und Uneigennützigkeit.

logie, Alterthumswissenschaft,

Dichtkunst,

Geschichte, Alles

Theaterkritik,

trieb er mit demselben Eifer und zu demselben Zwecke.

Werken

lebt

dieselbe

den

meisten

Einfluß



auf

die

In allen feinen

dieselbe

fort­

Die beiden kritischen Schriften,

welche

große

schreitende Humanität.

blos

nicht

neuern Originalliteratur.

der

alle Seiten

des Geistes,

Aber

auch durch seine

durch seine Kritik, sondern

das

stanzösischen Theaters,

des

nachgeahmt schien.

dem griechischen

sociale

Idee,

ausgeübt,

Kunst

sind

seine

ham­

burgische Dramaturgie und sein Laokoon.

Seine ausgezeich­

neten Theaterstücke

von Barnhelm und

sind: Emilia Galotti, Minna

Nathan der Weise. — Ich kann nicht umhin zu bemerken, daß Lessing in der ganzen Literaturgeschichte derjenige Schriftsteller ist, den ich am

meisten liebe." An einer andern Stelle")

fährt Heine über Lessing

fort:

„Ich

habe hier schon zum zweiten Male den Namen genannt, den kein Deut­

scher aussprechen kann, ohne daß in seiner Brust ein mehr oder minder starkes Echo laut wird.

Er war die

sein ganzes Leben war Polemik.

lebendige Kritik seiner Zeit

Diese Kritik machte

weitesten Reiche des Gedankens und Gefühls, in *) Die romantische Schule von H. Heine. 1836. *♦) Der Salon. II. B.

sich

und

geltend im

der Religion, in

der

Hamburg. Hoffmann und Kampe.

159 Kunst. — Diese Polemik überwand jeden Gegner und erstarkte nach jedem Siege. Vor dem Lesfingschm Schwerdte zitterten Alle. Kein Kopf war vor ihm sicher. Za manchen Schädel hat er sogar aus Uebermuth heruntergeschlagen und dann war er dabei noch so boshaft, ihn vom Boden aufzuheben und dem Publicum zu zeigen, daß er inwendig hohl war. — Am gewaltigsten kämpfte er gegen den Buchftabm. Hier schwingt er sein Schwerdt am freudigsten und es leuchtet und tobtet. — Wen sein Schwerdt nicht erreichen konute, dm tödtete er mit dm Pfellen seines Witzes. — Mehre winzige Schriftstellerlein hat er mit dem geist­ reichsten Spott, mit dem köstlichsten Humor gleichsam umsponnen, und in den Lesfingschen Werken erhalten sie sich nun für ewige Zeiten, wie Jnsecten, die sich in einem Stück Bernstein verfangen. Indem er seine Gegner tödtete, machte er sie zugleich unsterblich. Wer von uns hätte jemals etwas von jenem Klotz erfahren, an welchen Lessing so viel Hohn und Scharfsinn verschwendet! Die Felsmblöcke, die er auf diesen armm Anttquar geschleudert, und womit er ihn zerschmettert, sind jetzt dessen unverwüstliches Dmkmal. — Merkwürdig ist es, daß jener witzigste Mmsch in Deutschland auch zugleich der ehrlichste war. Nichts gleicht seiner Wahrheitsliebe. Lessing machte der Lüge nicht die mindeste Con­ cession, selbst wenn er dadurch, in der gewöhnlichen Weise der Weltklugm, dm Sieg der Wahrhell befördem konnte. Er konnte Alles für die Wahrheit thun, nur nicht lügen. Wer darauf denkt, sagte er einst, die Wahrheit unter allerlei Larven und Schminken an den Mann zu b-ringm, der möchte wohl gern ihr Kuppler sein, aber ihr Liebhaber ist er nie gewesen. — Das schöne Wort Büffons: Der Styl ist der Mensch selber! ist auf Niemand anwendbarer als auf Lessing. Seine Schreibatt ist ganz wie sein Charatter, wahr, fest, schmucklos, schön und imposant durch die inwohnmde Stärke. Sein Styl ist ganz der Styl der römischm Bauwerke: höchste Solidität, bei der höchsten Einfachheit; gleich Quadersteinen mhm die Sätze aufeinander, und wie bei jenen das Gesetz der Schwere, so ist bei diesen die logische Schlußfolge daö unsichtbare Bin­ demittel.* Den Tribut seines eigenen ttefen Mitgefühls mit LessingS persönlichm Schmerzen und Heimsuchungm bringt Heine in den Worten: „Es ist herzzerreißend, wenn wir lesen, wie das Schicksal auch jede Freude diesem Manne versagt hat und wie es ihm nicht einmal ver­ gönnte, in der Umfriedung der Familie sich von seinm täglichm Käm­ pfen zu erholen. Einmal nur schien Fortuna ihn begünstigen zu wollen, sie gab ihm ein geliebtes Weib, ein Kind, — aber dieses Glück war wie der Sonnmstrahl, der dm Fittig eines vorüberfliegenden Vogels vergoldet." —

160 Dr. G. Riesser.**) „Dem Streiter sür Acht und Freiheit gegen Finsterniß und Knecht­ schaft, für Duldung und Menschenrecht gegen Glaubenshaß und Unter­ drückung sind die vor allen Anderen zum Danke verpflichtet, die am härtestm gelitten unter dem Joche des Unrechts, die der Last des ge­ hässigen Vorurtheils om längsten und schmerzlichsten erlagen. — Schon darum stände uns — den Israeliten Deutschlands — gegen Lessing ein Vorrecht des Dankes zu — aber es ist eine noch nähere und innigere Beziehung, die unser Herz bei seinem Namen bewegt. Wo die Finsterniß die tiefste war, da hat Lessing am hellsten und am glän­ zendsten die Sonne seines Geistes leuchten lassen; wo der Haß am schlimmsten und verheerendsten seit Jahrhunderten gewüthet hatte, da hat seine Menschenliebe ihre Heilkraft am eifrigsten geübt, am herrlichften bewährt. Sein großes Herz umfaßte die Menschheit mit uner­ schöpflicher Liebe; sein fester Muth, seine unversiegende Geisteskraft waren jeden Augenblick bereit, gegen jedes Dorurtheil, gegen jede Lüge, gegm jeden ungerechten Haß in die Schranken zu treten; aber das größere Leid, der tiefer gewurzelte Haß, gaben uns ein Vorrecht in seinem Her­ zen, einen nähern Anspruch auf seine Wirksamkeit, und manche seiner edelsten Gedankm waren dem in uns verkannten Rechte der Menschheit gewidmet. Zu einer Zeit, wo die Unterdrückung in der politischm Sphäre noch allgewaltig, wo noch kein Ring der tausendjährigen Fessel gelöst — — war, da fanden Duldung, Menschenliebe, Versöhnung der Religionen ein herrliches Asyl in dem Zauberreiche der Lessingschen Muse. Es war kein eitleö Bild, das hier dem müßigm Ergötzen auf­ gestellt wurde; es war ihre Zukunft, ihr Ziel, ihr Ideal, das der Menschheit in dem Zauberspiegel der Dichtung vor Augen geführt wird." —

Dr. P e t r i.') — „Und so lebt denn auch Lessing noch, groß und herrlich in feint« Werken, seinen Geistesschöpfungen, seinen, mit der tiefsten Gründ*) Einige Worte über Lessings Denknial an die Jsraliten Deutschlands. Frank

furt a. M. 1838. *) Hofrath Dr. Victor Friedrich Lebrecht Petri, Profeffor der klassischen und orientalischen Literatur am Herzoglichen Collegio Carolino.

rede

zur Todtenfeier

Sohn, 1838.

Lessings am

15.

Februar.

AuS der Gedächtniß­

Braunschweig,

Vieweg und

161 lichkett in so vielen schriftlichen Arbeiten niedergelegten Untersnchungen;

er lebt, wohlchätig, erweckend, adelnd, Sillen, die näher verwandtes Stu-

dium oder das allgemeine Bedürfniß

eines nach höherer Bildnng stre­

benden Geistes znr eigenen Beschäftigung mit seinen Werken führt, nicht allein, sondern allen Denen auch, die sich den segensreichen Einfluß, dm

seine schriftstellerische Thätigkeit

auf die edelsten und wichtigsten Ange-

legenheitm und Bestrebungen des menschlichen Daseins gehabt hat, be­ wußt oder unbewußt angeeignet haben; Lessing lebt und wirkt fort

und fort in Allen,

denen

es

hell

und klar im Geiste,

durch des Geistes lichtvolleres Wesen

und

gut und warm

auch

ums Herz ist; er kann und soll und wird unter dem Auge der

ewigen Vorsicht auch da immer mehr zu leben und zu wirken anfangen, wo der Geist noch finster und das Herz noch

und

kalt

Denn er stand, wie alle geistigen Zierden der Mensch­

eng ist.

heit, so hoch über der Welt, daß

Jahrhunderte ablaufen können, ehe

überall so gedacht und gefühlt werden wird, wie er es haben wollte. — „Was

umfaßte

nicht

Alles

sein unverdrossenes

Studium,

und

wie reich strömten »hm bei jeder Veranlassung die Quellen, die es ihm aufgethan hatte!

Gleich geläufig war ihm die Lectüre der Klassiker des

Griechischen und Römischen Alterthums, wie die der Kirchenväter. Bald entwickelt er in

Euripides Art

geistreichen Abhandlungen eines Sophokles und Kunst,

und

bahnt

sich durch

und eines

die scharfsinnigstm

philologischen Erörterungen, die selbst die domige Mühe grammatischer

Untersuchungen nicht scheuen, den Weg, den hohen Genius zu verstehen,

bald

der diese Heroen des alten Hellas beseelte;

sind es die Lustspiele

des Plautus oder die Tragödien des Seneca, in deren geistreicher Ent­ wickelung sein geschmackvolles Studium schwelgt; bald ist es der große

Epigrammatist Martialis, in dem er nicht ohne geistesverwandtes Stre­ ben,

ihm

mit

Perlenschnüre

eignem Witze der Griechischen

arbeitet;

bald hat er die

aufgerollt,

und commentirt

nachzuringen,

Anthologie

über die köstlichen Diamanten, die ihm da entgegen funkeln. hier Aristoteles

und Ouintilian stets

zur Hand

Wie ihm

und im Gedächtnisse

sind, seine artistischen Lehren mit ihren goldnen Regeln zu belegen,

find

ihm

dort Justin

der

Märtyrer,

Clemens von Alexandrien

so und

Origenes, Tertullian, Augustinus und Hieronymus zu Fundgruben ge­

worden,

die er mit einer Sagacität und Leichtigkeit,

denen man das

innige Interesse, das er selbst an patristischer Forschung fand, so recht

anfieht, für den Theologen zu mannichfacher Belehrung ausbeutet. wie eifrig hat er sich

nicht mit der

alten

und

Und

mittlern Literatur des

deutschen Vaterlandes beschäftigt, wie viel zur Ergründung unserer älte-

162 Wie umfassend

sten Sprachdenkmäler vorgearbeitet!

Kenntniß alles dessen, was

nicht seine

war

die schönen Sprachen des Occidents,

die

Französische, Englische, Italienische, Spanische an großen Geisteswerken

aufzuweisen hatten, eine Kenntniß, die er aus inniger Vertrautheit mit

bequeme Belletristen

selbst, nicht etwa wie

allen diesm Idiomm

Aesthetiker, aus Uebersetzungen schöpfte,

und

wurde ihm

ftuchtbar

und wie

nicht seine Gelehrsamkeit, wie wußte er nicht ihre Schätze zu Nutz und

Frommen bald

bald

dieser,

jener Wissenschaft

wozu es doch dimm

sieht man überall,

Grieche und Lateiner zu sein.

Decamerone, sinnreiche



und helfen

kann, ein guter

Mit Begeisterung spricht Lessing vom

aber sie war nicht müßig,

Erzählung vom

zu verarbeiten. — Da

seine Begeisterung;

Juden Melchisedeck und

die

drei Ringen

den

flammten einen Blitz in sein schöpferisches Gemüth, und der Blitz ward

zu Nathan dem Weisen,

dem

bewunderten

Meisterwerke

aller

Zeiten, denen die deutsche Zunge noch nicht verschollen ist!

„Wenden wir uns zu den Resultaten, wodurch sich Lessings Gelehr­ samkeit und Wissenschaft so ungemein ergiebig zeigte, so ist es zunächst

die Kunst, der sein glückliches Streben galt. — Welch' eine tiefe Be­

obachtung der Natur,

welch' ein

scharfes Auge

welch' eine Fülle

Züge und Nüancen,

für

die

der lehrreichsten,

verborgensten psychologischen

und physiognomischen Bemerkungen, welch' eine Philosophie des Herzens,

des Schönen

welche Metaphysik

und

Erhabenen

finden

wir

nicht in

seinem Laokovn, dem vortrefflichen Werke über die Grenzen der Maler­

von der einen,

und Bildhauerkunst

Seite!

Wie reiht sich da um

und

der Poesie

von

der

andern

den Hauptgedanken, daß sich der Maler

nicht in die Ideenwelt und Allegorie des Dichters, der Dichter nicht in

die Farbenpracht und den Bilderreichthum des Malers verlieren, daß der Maler Vergangenheit Augenblick

und Zukunft,

concentriren,

der

Ursach

Dichter seinen

allen Zeitdimensionen die Zügel schießen

und Folge in dem Einm Schilderungen

lassen

soll,

aber nach

eine Menge

tief

durchdachter und klar entwickelter Regeln für den Künstlerberuf Beider! Und dem Künstler

der Bühne,

wird

ihm nicht Lessings Dramaturgie

eine unerschöpfliche Quelle der feinsten Winke für sein eben so schwieri­ ges als achtbares und belohnendes Studium bleiben? —

„Ob Lessing den Namen eines Epheukranz mag

Dichters

verdiene?"



„Den

man ihm immerhin nehmm, das antike Zeichen über­

wallender Phantasie, wild schwärmender Lyrik und flammenden Geistes­ flugs, entlehnt vom Gotte der Reben, nicht vom Apollo Musagetes. —

Aber dm

Lorbeerkranz,

der Apollos Schläfe ziert,

das Symbol

der

168 Dichterweisheit, welche die Orakel der Wahrheit spendet, — wird er nicht unverwelklich aus Lessings Haupte grünen?

„Wo — vereint sich die pfindung,

die

zarteste Gemüthlichkeit,

tiefste Em­

die

idealischste Erhabenheit der Ansicht und Gesinnung, die

klarste Composition des Planes, die interessanteste Schürzung und Auf­

lösung des Knotens, die treueste Haltung und Zeichnung der Eharaktere,

die passendste Angemessenheit des Dialogs und die mustergültigste Portrefflichkeit der Sprache vollständiger, entzückender, bewundernngswürdiger, als — in seiner Minna von Barnhelm, seiner Emilia Galotti, seinem

Nathan dem Weisen?

Wer Zdeale an Herz und Geist in

origineller

Eigenthümlichkeit, wie einen Tellheim, eine Minna, einen Nathan, einen

Saladin,

einen Tempelherrn und alle die großartigen Charaktere seiner

Stücke so frisch und kräftig,

wie der Maler auf die Leinwand,

das bunte Leben der Bühne hineinzaubern kann,

so in

wer den Sturm und

die Fenergluth der Leidenschaft im Strome seiner Gliede io zu reflectiren

versteht,

der ist ein Seelenmaler,

und

der Seelcnmaler

kann

ftiglich

Dichter heißen. —

„Aber gerade da, wo Lessings Wirksamkeit im Gebiete der schönen

höchsten Spitze steht,

Kunst auf der denjenigen Zweig

grenzt

seines literarischen Strebens,

sie auch der,

am engsten an

durch sein ganzes

übriges wissenschaftliches und artistisches Leben verflochten, ordentlichen Namen, den

dem

außer­

mir feiern, den herrlichsten und ehrwürdigsten

Glanz verleihet. „Daß Lessing voll heiligen Eifers für Licht und Wahrheit und für das Edelste im Menschen, für Sittlichkeit und Tugend war, und, von

diesem Eifer erfüllt, und von seinem Genius unterstützt, sehr viel dazu

beigetragen, und die zwecknräßigsten Mittel erwählt hat, der Menschheit

für

wahrhafte Erleuchtung über Gott und göttliche Dinge die Augen,

und für

die rein

moralische Größe in Gesinnungen

Herz zu öffnen, wer, kennen?

der nur seinen Nathan

und Thaten das

gelesen — kann es ver­

Sieht Auge und Herz, wie dort und in andern seiner drama­

tischen Werke,

großartige

Sittengemälde — vor sich vorübergehen,

so

muß ja das Auge von ftoher Erhebung leuchten, so muß es im Herzen zünden.

Und hier eben erblicken wir bei Lessing die seltene Harmonie

zwischen Schönheitssinn und Seelenadel, zwischen künstlerischer und sitt­ licher Vollendung. —

„Er dichtete und schrieb seinen Nathan, um durch das Saitenspiel der Muse zu erreichen, was den Argumentationen seines kritischen Scharfsinns

und den wissenschaftlichen Bettachtungen seiner Philosophie nicht gelingen

durste. — „„Das Reich Gottes,"" so dachte und fühlte er dem Sttfter des li1

164 Christenthums, dem auch seine Seele gläubig huldigte, nach, „„ist nicht hie oder da, es kommt auch nicht mit äußerlichen Geberdm, sondern es ist in Euch selbst."" — Toleranz und Denk- und Glaubensfreiheit war die Losung und obherrschende Idee des großen Kunstwerks. — Aber die Toleranz, die Lessing wollte, war nicht die negative eines sinn» und glaubensleeren Indifferentismus, der sich nur deswegen von einer besondern Form des kirchlichen Systems fern hält, weil er überhaupt für Heiliges und Göttliches im Menschendasein unempfänglich ist: nein, seine Toleranz war die positive der gegenseitigen Hochachtung und Liebe, womtt jede Religion die andere und diejenigen, welche sie bekennm, ehren und ihre Rechte heilig halten soll."

Friedrich Theodor Bischer. **) „Der Norddeutsche redet einmal in vorherrschend abstrakten Aus­ drücken. — — Warum eifern die Norddeutschen nicht vielmehr ihrem größten Repräsentanten, dem Manne nach, in welchem der reine Verstand durch die Entschiedenheit und Durchsichtigkeit seiner Ausbildung fast die Wirkung der Poesie erreicht? Lessing sucht keine Bilder, er redet einfach, ganz wie ein Mensch ohne besondern Anspruch auf blühende Sprache zu reden pflegt: aber seine Rede ist dramatisch bewegter Dialog, Frage, Antwott, Einwendung, Schlag auf Schlag, lauter Gestikulation, man sieht immer die Disputirenden persönlich vor sich, sie stehen auf, sie setzen sich, springen wieder auf, geben sich zufrieden — lauter Quecksilber."

Daniel Schenkel.**) „So lange deutsche Herzen schlagen, wird von Lessing die Rede sein, als dem Schöpfer neuen deutschen Lebens in Kunst und

*) Kritische Gänge. I. B.

derger.

Hallische Jahrbücher

Tübingen 1844.

(Dr. Strauß und

für Wissenschaft und Kunst

1838.)

die WüreinBergl.

auch

Bischer» Aesthetik. III. S. 1233. Stuttgart 1857. *) Lessing al»

Krittler,

dargestellt nach deffen Schriften.

historischen Gesellschaft zu Basel.

sche Wiffenschaften.

Herausgegeben

Frauenfeld 1839. 111. Bd.

Borgelesen in der

Au» dem Schweizerischen Museum für von I. I. Hottinger

histori­

und W. Wackerncgel.

165 Wissenschaft. Sein rastlos strebender Geist, unaufhörlich schaffend, fand im Hervorgebrachten niemals, nur im Hervorbringen selbst Genuß und Befriedigung. Es giebt keine Stelle des Wissens, die ihn zum Forschen nicht gereizt, nicht wenigstms eine Zeitlang seine Aufmerksam­ keit gefesselt hätte. — Wenige Menschen haben so entschieden wie er den Beruf in sich gefühlt, in ihrer Zeit das Bewußtsein der Mängel, das Verlangen nach dem Bestem zu erwecken. Es giebt keine Wissmschaft ohne Krittk; bei den meisten Gelehtten ist aber die Kritik nur ein Accidens, sie bedienen sich ihrer, wie der Bergmann des Lichts in den Schachten: bei Lessing ist sie Substanz, die Seele seines Forschens und Sttebens. Das hat er bewiesen in fast allen feinen Schriften, vom kleinsten, spitzfindigsten Epigramm bis hinauf zur Krone seines Wirkens, zu Nathan dem Weisen. — „Um seine kritische Laufbahn überschauen und würdigen zu können, ist es nöthig, sie nach drei von ihm hinterlassenen Hauptwerken zu unterscheiden: der Hamburger Dramaturgie, dem Laokoon und den antiquarischen Briefen, und den Streitschriften wider den Hamburger Hauptpastor Goeze. In diesen drei Werken hat Lessing die drei leiten­ den kritischen Hauptgedanken seines Lebens ausgesprochen: das deutsche Theater, die deustche classische Gelehrsamkeit, die deutsche Theologie be­ dürfen einer Wiedergeburt. Das deutsche Theater. „Als Lessing seine dramaturgischen Blätter schrieb, hatte die Gallomanie ihren Gipfel erreicht. — Die Tra­ giker blieben großentheils langweilig und pathetisch, voll gedehnten rhe­ torischen Schwulstes, arm an ächt dramattschen Effecten, reich an Effect­ macherei, am ärmsten an jenen einfachm und erhabenen Gedankm, welche, ungekünstelt und rein, aus der Seele strömen mit ergreifender Gewalt. Diesem schlechten Geschmacke drückte Herr von Voltaire daS Siegel der Elasticität auf. Aug diesem Grunde ging Lessings Bestrebm in den dramaturgischen Blättern hauptsächlich darauf aus, dm französischen Einfluß zu schwächen und zu diesem Ende die Herrschaft Voltaires so viel wie möglich in deutschen Landen zu beschränken. — Es hatte Alles davon abgehangen, die Deutschen von einer falschen Richtung, einem verwöhntm Geschmacke abzubringen, sie auf die rechte Bahn zu­ rückzuleiten. Das hat Lessing mit aller Wärme und Beredstamkeit, aller Kraft und allem Scharffinn, mit jener Offenheit und jenem Freimuth gethan, die, edeln Gemüthem eigenthümlich, aus der Tiefe der Ueber­ zeugung fließen. So rief er den Deustchen zu: Ihr habt kein Theater; Ihr wähntet, von dm Franzosen eines zu bekommen; aber auch die Franzosen habm keins, wmn sie schon seit mehr als einem Jahrhundert

166 damit prahlen, das beste in der Welt zu haben.

Galanterie und Politik

lassen kalt und noch ist es keinem Dichter in der Welt gelungen, durch diese Mitleid einzusiößen

wahre Furcht zu erregen.

und

nur nicht mehr, daß man nicht

rührender

und

Man glaube

pathetischer sein könne,

als Corneille und Racine, denn diese haben nur das kahlste, untragischste,

wässrigste Zeug hervorbringen können.

vor Allen, führen uns auf

speare

Die Engländer dagegen, Sheake-

die rechte Bahn, auf die Bahn der

Natur und ungekünstelter Einfachheit wieder zunick. — Lessings Donner­ Er hat die Franzosen

worte rüttelten aus einem langen Schlafe auf. freilich nicht überall glimpflich,

vielleicht

nicht

Aber er handelte wie ein kühner Gmeral

handelt.

legenen Feind; sten Punkte,

er

genug be­

anerkennend

einen über­

gegen

warf sich mit allen Streitkräften

auf seine schwäch­

einzig von dem Gedanken ihn zu schlagen, zu vernichten,

erfüllt."

Die deutsche classische Gelehrsamkeit:

„Ze mehr er selbst

dm hohen Geist der Alten in sich aufzunehmen und zu würdigen wußte, desto mehr lag ihm daran,

Schulpedanten

zu retten.

dieselben von der Mißhandlungen deutscher

Wo die Gelehrthuerei sich selbstgefällig auf­

blähte,

und ohne Recht zu haben, doch Recht haben wollte, da kannte

Lessing

keine Barmherzigkeit

seinem Verfahren

und

in dieser Beziehung

hat

er uns in

gegen den unglücklichen Pastor Lange ein warnendes

Beispiel hinterlassen. — Wenn sich die Frösche in der Wissenschaft zu

so ist es die Pflicht sie

Wallfischen aufblähen wollen,

natur zu erinnern,

und diese Pflicht hat,

an ihre Frosch­

wen der Umfug am meisten

empört, und wer zugleich durch eigenthümliche-? Verdienst und Gabe des

Worts im Besitze

der Autorität ist.

Es

traurigeres Mißgeschick, als wenn ihre

giebt

für

eine Nation kein

in die

wissenschaftliche Literatur

Hände eitler Pedanten fällt, die nicht nur langweilen und den gesunden

Geschmack verderben, sondern gewiß Alles aufbieten werden,

um

jeden

Aufschwung des Gmius um sie herum gleich beim ersten Flügelschlage zu erdrücken.

über

die

eigenen

Gegen diesen literarischen Pöbel, der damals großentheils

deutschen Schriftsteller zu Gericht saß, Kreaturen

marktschreiend ausposaunte,

die Machwerke

seiner

Produkte

selbstständige

dagegm verlästerte, mußte irgend ein bedeutmder, mit dem Stempel des Geistes geadelter Mann seine gewichtvolle Stimme erhebm,

ziefer mußte vernichtet werden.

Wie es aber in Lessings Richtung lag,

die Bettler in der Literatur ihres erborgten Purpurs mochte er es aus der andern Seite nicht leidm,

oder

wenigstms bedeutsame

das Unge­

Männer

unwürdigem Makel belegt waren.

mit

Seine

daß

schnöder

zu

berauben,

manche

Vergessenheit

s. g. Rettungen

so

tteffliche oder

eines Lem-

167 nius, Cardanus, Cochläus, des Ineptus religiosus, des Horatius, sind nicht etwa aus einem kleinlichen Oppositions-Geiste gegen eine ungün­

stige öffentliche Meinung,

sondern aus dem

ehrenwerthm Ver-

höchst

langm zu erklären, bedeutsame literarische Erscheinungen aus dem Schat­

ten, in den

gestellt hatte,

einseitiger Parteigeist sie

an das Licht einer

gereinigteren historischen Ansicht zu versetzen. „Das Hauptwerk LessingS aus dieser zweiten Periode bleibt Lao-

Es verdankt ähnlichen, reinigenden Bestrebungen seinen Ursprung

koon.

— Wirkt Laokoon durch treffendeckGeschmacksurtheil, glückliche Auffassung der Alten, scharfe Zergliederung des bisher für richtig geltenden falschen

Kunstbegriffs

Styls,

so

und

eine

herrliche

Durchsichtigkeit

und

Präcision

des

diese Wickungen noch fruchtbarer durch eine Folge

wurden

kühner, scharfer Streitschriften, die von hier aus ihren Ursprung nahmen. Nähere Veranlassung zu

Mann

gab ein gewisser Klotz,

denselben

von etwa 27 Jahren,

ein

der

gutes Latein

ein junger sich mit

schrieb,

Hülfe einiger antiquarischer Abhandlungen hohe Gönner und den Hof­

rathstitel

verdient

hatte

und

auf

das Ausplündern

gelehrter Kunst-

kammem sich vortrefflich verstand, auch ftemde Collegienhefte mit Glück auszuschreiben wußte und, durch

alle

diese Eigenschaften

und

einiges

Talent begünstigt, ein ziemlich geschriebenes Buch über die geschnittenen

Steine heransgegeben hatte. Klotz,

In dieser Schrift suchte nun der Hoftath

über des Magister Lessing steigenden Ruhm verdrießlich,

etwas anzuhaben.

diesem

Lessing hatte im Laokoon die Beharlptung aufgestellt,

die alten Künstler hätten den Homer nicht genau nachgebildet.

Diesen

Satz suchte Klotz dahin zu wenden, als ob nach Lessings Meinung die

Alten den Homer gar nicht zum Gegenstände der

bildenden Kunst ge­

wählt hätten, und das sei — meinte Klotz — von Seiten Lessings ein

unverzeihlicher Fehler.

Lessing, der sich, wo er in seinem Rechte war,

nicht ungestraft eines unverzechlichen Fehlers zeihen ließ, griff unverzüg­

lich den hingeworfenen Handschuh auf, und es entstand jene Reihe an­ tiquarischer Briefe, aus Lessings Feder floß.

die wohl das Schärfste enthalten, Diese Briefe

was jemals

wickten zwar weniger dadurch

auf ihre Zeit, daß einige abgeschmackte Vorstellungen Klotzens über ge­ schnittene Steine darin verbessett, einige Citate berichtigt, einige Plagiate nachgewiesen wurden, — sie wirkten durch die Keckheit und die Geistes­ frische,

womit hier ein

zum Hoftath aufgeblähter literarischer Pfau in

seiner Krähennatur wiederhergestellt wurde.

Die Ehrlichkeit, der Muth,

die Tapferkeit und Gewandtheit, womit hier gekämpft wird, das ist die

Hauptseite,

das

ächt Classische an der Lessingschen Krittk.

könnm untergehen,

gelehrte Forschungen

Ansichten

von Spätem unnütz gemacht

168 werden: Geist und Charakter allein drücken den Stempel der Unver-

gänglichkeit auf.

Die Art

wie Lessing Klotzen bekämpft,

und Weise,

macht ihn zum Ritter nicht etwa nur an diesem Klotze, sondern an dem ganzen Klotzianismus, an der ganzen Zunft vornehmthuender Halbwisser. —

Der

deutsche Gelehrtenpedantismus, u. s. w. sollte

mit

Klotzens

Ruhm todt gemacht werden. — Ciuc der lobenswerthesten Cigenschasten

der Lessingschen Polemik that sich übrigens auch in diesem Kampfe her­ vor:

sie ward niemals persönlich, dagegen

es grade Klotzens Art war,

den Schriftsteller, der ihm zu mißfallen das Unglück hatte, recht persön­

So hatte er von

lich mitzunehmen.

einem

genriffen Conradi

gesagt,

dieser Gelehrte hätte sich in der neuesten Zeit auf den Weinhandel und

das Saufen gelegt und sich endlich Schulden Marburg auf und davon machen müssen. Lessing die denkwürdigen Worte:

und von dem Uebrigcn schweig'!

Ueber diese Gemeinheit spricht

Wer ver­

„„Abscheulicher Recensent!

ob

Sag' uns,

langt das zu wissend

halber von Leipzig nach

das Buch schlecht

oder gut ist,

Auch, wenn Alles wahr ist, schweig'!

Denn die Gerechtigkeit hat cs Dir nicht aufgettagen, diese Brandmarke auf die Stim des Unglücklichen zu drücken!

Jeder Tadel, jeder Spott,

den der Kunstrichter mit bem kritisirten Buche in der Hand gut machen kann

ist dem Kunstnchter erlaubt.

wie sanft oder wie hart,

Auch kann ihm Niemand vorschreiben,

lieblich oder wie

wie

bitter er die Ausdrücke

eines solchen Tadels oder Spottes wählen soll; aber, sobald er verräth, daß er von seinem Autor mehr weiß, als

ihm die Schriften desselben

sagen können, sobald er sich von diesem Mehr auch nur des geringsten

nachtheiligen Zuges wider ihn bedient:

Verächtlichste,

sogleich wird sein Tadel persön­

Er hört auf Kunstrichter zu sein,

liche Beleidigung.

und wird daS

was ein vernünftiges Geschöpf werden kann:

Klässcher,

Anschwärzer, Pasquillant."" —

„Die brüte Periode der Lessingschen

Die deutsche Theologie:

Kritik fiihrt uns auf einen Kampfplatz, auf welchem zeitbewegende, lange nachwirkende Gedanken hervorttaten, die wie prophettsches Wetterleuchten

damals

schon

eine

gewitterschwüle

„Lessing

war

von

umfassenden

Geiste

Wissenschaft

für

die

Hause

entging

die

Zukunft

andeuteten.

Theolog;

aus

nicht

hohe

Bedeutung

unveräußerlichsten

und

nicht,

allein

welche

seinem diese

heiligsten Interessen der

Menschheit hat. —

„Er ist mit der Orthodoxie allerdings unzufrieden, aber er ist es mit der Neologie noch mehr; jene ist ihm wenigstens eine geschichtliche,

wenn auch veraltete Erscheinung, diese ein stümperhaftes Machwerk deS

Augenblicks.

Grade aber dieser historische Realismus, dieses nicht Preis

169 geben wollen des Alten ins Blinde hinein, den modemen Himmels­ stürmern gegenüber, die nicht genug abschaffen und einreißen zu können glauben, ist an Lessing höchst bezeichnend. Es ist der Ehrenkranz seines kritischm Ruhmes. Die blos negative Kritik führt am Ende ins Boden­ lose, das hat unsere Zeit bewiesen. Hier erblicken wir in Lessing einen herrlichen, positiven Hintergrund, den man leider bei der Beurtheilung des Mannes gewöhnlich übetsieht. — „Man hat lange an dem negativen Lessing gehalten und von ihm zerstören gelernt; es ließe sich von dem positiven auch wohl bauen ler­ nen. Wer die muchwilligen Zerstörer bekämpft, nimmt unwillkührlich unter den Erhaltern auch seine Stelle ein. Wie Lessing in seinem In­ nern über das Christenthum gedacht, wäre zu ergründen kaum möglich, und gehört nicht hierher. — Er war von zwei Gegensätzen in die Mitte geklemmt, von beiden abgestoßen, von beiden vielfach berührt. Sein Geist lebte in der Zukunft. Was er von den Schwä­ chen seiner Zeit getheilt, hat er reichlich durch die Schmerzen, die ihm seine Zeit verursachte, abverdient. Er stand wie schon mancher unsterbliche Deutsche, einsam, mehr bewundert als verstanden, gewürdigt und geliebt. Als er nicht mehr war, kamen die Körner und theilten sich in die Habe des Reichen. Wer möchte aber nicht zu denen ge­ hören, die von seinem Reichthum gezehrt haben?"

Heinrich Laube.*) Hamburgische Dramaturgie. „Mit welchem Jntereffe, mit welcher Freude, mit welcher Genugthuung verweilt man auf diesen zwei Bänden, die bis zum 19. April 1768 gehn! Wie frisch, wie lebendig, wie scharf, wie umsichtig, wie ächt wird alle Regel! Da ist die humani­ stische Bildung nur ein fteundlicher Zuschauer, dem er Fehler und Vor­ züge weist, das nächste, eigenste Leben wird beachtet und ver­ langt, der wirkliche Zustand von Bildung und Nation, der Fortschritt einer modernen Welt wird Lebensbedingung. Und wie straff, wie fein, wie klar ist Alles geschrieben, Alles bürgerliche Prosa, wie es seiner Schlichtheit angemeffen war, wie selbst die Hamburger Kauflmte von

•) Geschichte der deutschen Literatur.

I. Dd. Stuttgart 1839.

170 der Einheit eines Stückes etwas verstehen konnten, — die Sachen könn­ ten alle heut noch einmal gedruckt sein, Vieles paßt noch in der Fordemng, Vieles im Vorwurfe, und der Ausdruck gälte beim heutigen Journalisten noch musterhaft. „Der ganze Boden unseres nationalen Geschmacks in schöner Kunst, wie er später von den Schlegel und Anderen kultivirt worden ist, er ist von Lessing gelegt; alles kräftige Element, mit welchem wir jetzt so hoch über das kurze Convenienzverhältniß der Franzosen hinwegsehen, es ist Lessings Werk. „Wenn irgmd einem Einzelnen, so ist es Lessing zu danken, daß dieser feinste Gedanke des Nationalen, welcher so ost gemißhandelt wird von der groben Deutschthümlei, rege und thätig wurde; der Gedanke, unser nächstes, wirkliches Lebensinteresse zu begreifen und zu gestalten."

K. R. Hagenbach.*) „Lessing war eine große, eine edle Natur. Sein Wahrheitssinn ist unbestechlich, seine Gradheit überaus ehrwürdig, auch wo sie mit Derb­ heit gepaart erscheint. — Nirgends scherzt er mit dem Heiligen, überall ist es sein bitterer Ernst, auch wo er spottet. Nicht das Blendende seines Schwertes, sondern die Schärfe desselben war es, was die Geg­ ner fürchten mußten, wie er dies selbst gegen Goeze ausspricht. Der Witz stand ihm allerdings auch zu Gebote, und in reicherer Fülle viel­ leicht als Voltaire, aber sein Witz war nicht der ftanzösisch ftivole Witz, nicht ein bloßes Wetterleuchten, es war ein Blitz, hinter welchem immer eine Wolke voll schwerer und ftuchtbarer Gedanken sich entlud."

August Nodnage!.**) „Die Art, wie sich in Lessing die Anlagen zum Krittler, Dichter und Gelehrten vereinigten und gegenseitig in der Entwickelung hemmten

*) Vorlesungen über Wesen und Geschichte der Reformation. Leipzig. Weidmannsche Buchhandlung. 1842. •*) Lessingö Dramen und dramatische Fragmente. Darmstadt 1842.

171

ober förderten, ist unverkennbar einzig. Wir haben keinen zweiten Lessing in unserer Literatur. Seine Phantasie war so innig mit klarem, durch­ dringendem Verstand verschwistert, daß sie unmöglich jene Uebermacht gewinnen konnte, die sonst bei Dichtergenien begegnet. Er wußte sich genau von allen Regeln der Kunst Rechenschaft zu geben; sie standen ihm stets gebietend vor der Seele. Eine höhere Begeisterung, ein — wenn ich so sagen darf — ganz instinctartiges Auffinden mit dem Gefühl ist bei Geistern von solcher Harmonie nicht zu bemerken. Allein ohne alle schöpferische Phantasie, ohne bedeutendes Dichtertalent schreibt man keine Emilia, keinen Nathan. Er ging mit voller Freiheit des Geistes fernen Weg und fand doch als Denker wieder die Kunstregeln, die schon das classische Alterthum gekannt und befolgt hatte. „Es ist wahr, seine Phantasie konnte oft feuriger, da und dort unabhängiger vom Verstände sein. Dann aber hätte er sich schwerlich mit der Reinigung und Befestigung seines Geschmackes auch immer mehr gekräftigt. — Die Schönheit, getrennt vom Natürlichen und Vernunft­ gemäßen, kannte er nicht. Das Triviale blieb einem Lessing ebenso fern, als das Sentimentale. „Erstieg er nun auch den sonnigen Höhepunkt nicht, auf welchem uns z. B. Goethe erscheint, so war dennoch sein Einfluß auf die Gesammtbildung der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts so erstaunlich und seine Wirksamkeit für die Bühne so nachhaltig, daß wir ihn getrost neben Goethe stellen und ver­ muthen dürfen, man werde seine letzten Dramen wenigstens eben so lauge im Repertoir behalten, als Tasso, Egmont und Clavigo. „Goethe und Schiller und nach ihnen die Häupter der roman­ tischen Schule verdanken ihm das Verständniß deflen, was unsere dra­ matische Poesie leisten könnte und sollte. — Aristoteles und was er in seiner Poetik über das Drama sagt, wird — in der Lessingschen Dra­ maturgie — weitläufig erörtert und die Unfehlbarkeit dieser Poetik ge­ würdigt. Ja, was noch mehr sagen will, was nur einem Lessing da­ mals gelingen mochte, der Standpunkt wird sicher ermittelt, auf welchem Aristoteles als Träger des antiken Geschmacks und Shakespeare als Re­ präsentant der modernen Tragödie sich vereinigen lassen. Ohne diese positiven Andeutungen, ich glaube nicht zuviel zu sagen, würde unsere dramatische Literatur noch keineswegs sich würdig mit der Englands mes­ sen; wir hätten wahrscheinlich nur den Abgott gewechselt, den Götzen­ dienst aber nicht abgethan. — „Lessings Verdienste um unsere dramattsche Fortbildung erscheinen um so bleibender, je entschiedener er in einer Hinsicht selbst Goethe

172 und Schiller hinter sich läßt. Es sei zugestanden, daß ihn beide an Reichthum der Begabung übertreffen, sind denn aber ihre Dramen in besserm Sinne auch so bühnengerecht wie die seinen? Haben sie die gleiche Einsicht in das Berhältniß des Textes zu den Kräften und Lei­ stungen der Schauspieler? Man weiß, wie mißlich es in diesem Punkte z. B. um Goethes Götz und Faust steht. — Die Schillerschen Dramen bieten ebenfalls auch einer möglichst sorgfältigen Darstellung nicht ge­ ringe Schwierigkeiten. — Wie meisterhaft aber sind Lessings drei Haupt­ werke in die Scene gesetzt! Was kann ein denkender Schauspieler hier lernen, welche unverwelkliche Lorbeern sich erringen, wenn er wie der geniale Eckhof dem Dichter in das Meer der menschlichen Gesinnungen und Leidenschaften so tief nachtaucht, bis er ihn trifft! Es hat daher seit dem Erscheinen dieser Stücke weder ein Schauspieler noch eine Schauspielerin vielseitig und mit dauerndem Erfolge geglänzt, ohne daß sie bei ihm in die Schule gegangen wären."

Gustav Schwab.*)**) „Gotthold Ephraim Lessing: Genius deutscher Forschung und Kritik, Waffenschmied der deutschen Sprache; vernichtender Sieger in literarichen Kriegen."

Hillebrand.") „Lessing brach den Stolz der aristokratischen Schulweisheit, löste den Pedantismus der spießbürgerlichen Bedächtigkeit, beschämte die anmaßliche Zudringlichkeit der gelehrten und orthodoxen Sophistik und zeigte das Lächerliche der seichten und breiten Selbstgenügsamkeit, worin die literarische Mittelmäßigkeit sich in Prosa und Versen erging. Es kam fortan dar­ auf an, mit Geist und Bestimmtheit, mit Klarheit und Gründlichkeit, *) Die deutsche Poesie von Mosheim bis auf unsere Tage

Stuttgart. Ver­

lag von Sam. Gottl. Linsching. 1843. **) Die deutsche Nationalliteratur seit dem Anfänge des

achtzehnten

Jahrhunderts, besonders seit Lessing bis auf die Gegenwart von Dr. Joseph Hille­

brand.

Hamburg und Gotha bei Friedrich und Andreas Perthes.

1845.

173 mit Bildung und Energie zu schreiben. Die Bedeutung des Gedankensollte sich mit der Präcision der Form verbinden, jene diese tragen und durchdringen. Lessing selbst gab durch seine Darstellungsweise hierfür unsterbliche Muster. Er schrieb nicht ohne Springfedern und Quellen der gründlichsten Gedanken. Das Horazische scribeudi recte sapere est et principium et so ns erfüllte Niemand so sehr als er. Daher in seinen Werken überall Leben und Bewegung, stische Kraft ohne Uep­ pigkeit, Tiefe ohne Verstiegenheit, eindringliche Sprache ohne rhetorischen Schwulst, Klarheit bis auf den Grund und in allen Gliedern des Ganzen. „Durch alle seine Werke zieht bei noch so großer Schärfe und syllogistischer Folgerichtigkeit, bei aller kritischen und polemischen Entschiedmheit, selbst bei dem Scheine einer gewissm Härte, ein Zug reiner menschlicher Theilnahme,*) welcher Jeden anspricht, der nicht in weich­ licher Sentimentalität das Wesen der Gemüthlichkeit findet und selbst gründlich genug denkt und fühlt, um in den Geist und die lebendige Innerlichkeit der Lessingschen Männlichkeit einzugehen. Die germanische Natur dringt in seinem Verkehre wie in seinen Schriften hervor; mit ihr greift er gleich sehr in die Tiefen nnsereö deutschen Volkes wie in die der Mmschheit. In diesem Grunde wurzelte dann auch seine Liebe für die reine Wahrheit und die Freiheit der Ueberzeugung. Die Idee der Wahrheit, der Wahrheit ihrer selbst wegen, bewegte sein Denken, trieb ihn zu jeglicher Forschung und leitete ihn auf dem Wege zur Wissenschaft." Hillebrands Schlußworte über „Lessing und die nationalliterarische Reformation" sind seinem Nathan gewidmet. „Er bleibt," sagt der Verfasser, „ein unvergängliches Denkmal, das die deutsche Muse der Idee der Menschheit und der nationalen Ge­ sinnung zugleich gesetzt hat." „Und so scheiden wir denn, erbaut und gestärkt, von dem trefflichen Manne, auf den so sehr, wie irgend Einen, die Worte Goethes Anwendung finden dürfen: „„Wer in die Zeiten schaut und strebt, Nur der ist werth, zu sprechen und zu dichten.""

*) »Sa critique est uu traite sur le Coeur humain, autaut qu’une poetique litteraire, sagt Krau v. Stakt über ihn. De l’Allem."

174

Dr. Heinrich Gelzer.*) „Lessings literarische Größe gründet sich vorzugsweise auf seine kritische Kraft und Virtuosität, wobei wir Kritik in dem umfaffendsten und würdigsten Sinne des Worts nehmen: als die überwiegende Macht des zugleich sichtenden und ordnenden Verstandes, als die Genialität der Forschung und folgerechten Verknüpfung. Durch das Vorherrschen dieser Eigenschaften wurde er zu einem Läuterungsfeuer für unsere gesammte Bildung und Literatur. — „Als ästhetischer Reformator hat er sich um seine Nation Ver­ dienste erworben, deren jeder Deutsche mit fteudigem Danke für immer eingedenk bleiben sollte. „Bei der Beschäftigung mit der antiken Welt schwebte ihm die Nothwendigkeit einer Reform nicht nur der classischen Studien, sondern der gesummten Bildung und Erziehung vor; die unentbehrliche Wechsel­ wirkung von Schule und Erfahrung, von Wissenschaft und Leben, von Bildung und That wurde einer der höchsten Gesichtspunkte seines Stre­ bens. — Gegen die damalige Buhlerei mit dem Auslande richtete er schneidende Worte, die wie feurige Pfeile jedes Herz treffen mußten." — „Seit Lessings Dramaturgie war das ftanzösische Vorurtheil vernichtet; die falsch gezeichnete ftanzösische Copie mußte dem griechischen Originale die gebührende Stellung wieder einräumen; das neu geweckte tiefere Verständniß des antiken Drama mußte von nun an dem Ansehen der modernen Nachäffung ein Ende machen. — Gleichzeitig wies er den deutschen Sinn noch auf eine andere dichterische Welt hin, die in Shakespeare nur des rechten Verständnisses warte, um ganz anders, als die französischen Vorbilder es vermochten, in die Tiefen aller Poesie einzuweihen. — „Am unleidlichsten war ihm aber der leichtsinnige Mißbrauch, den sich Viele mit dem Worte „Christenthum" erlauben; er flammte auf, wenn man ihn frischweg für unchristlich erklärte: „„Er (Goeze) sagt mir sogar hier und da recht artige Dinge, nur damit eS mich nicht allzu­ sehr schmerze, daß er mich aus dem Hause meines Vaters wirst! Genug, daß mein Herz mich nicht verdammt, und ich also mit aller Freudigkeit zu Gott einem jeden intoleranten Heuchler die Larve vom Gesicht rei­ ßen darf."" „Ueberall

führte er die Sache der Unterdrückten gegen den Be-

*) Die neuere deutsche National Literatur nach ihren ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Leipzig 1847. 2. Auflage.

175

bringet und vertheidigte z. B. ernst und glänzend die Brüdergemeinde gegen ihre zelotischen Verfolger; er, in dessen Adern kein Tropfen herrnhutischen Bluts floß, er wies auf den hohen Zweck hin, der den Stifter jener Gesellschaft beseelt hatte: die Bewährung des Glaubens im geben, die Realisirung der Religion als That und Gemein­ schaft. „Schon gessing selbst verglich seinen literarischen Kampf (mit Goeze) mit einem Sturmwinde, der ja in der Natur unentbehrlich sei, wenn er auch zuweilen einem Schiffe den Untergang bringe. Emm solchen Sturm hat er allerdings in der geistigen Wett mit erregen hel­ fen, — aber ohne Stürme giebt es keine Reinigung der Atmosphäre. Es verriethe kurzfichttge Beschränktheit oder ein kleinrnüthiges Vertrauen zu der unerschütterlichm Macht der christlichen Wahrheit, wenn man nicht erkennen wollte, daß der von gessing begonnene und noch fort­ dauernde geistige Kampf ein zugleich tieferes und freieres Verständniß von Religion und Offenbarung, von Geschichte und Ueberlieferung in ihrem inneren Zusammenhänge vorbereitete und daß gerade von diesem fortschreitendm Verständnisse die folgenreichsten Resultate für die missen« schaftliche Schule und die religiöse Gemeinde zu erwarten sind. Die neuere deutsche Theologie und christliche Philosophie stehen und fallen mit der Annahme oder Verwerfung dieser Erkenntniß. „gessing hat unter schweren inneren getben eine tiefere und geisti­ gere Bettachtung des Christenthums — suchen heißen und Derbreiten helfen. — Wie Plato von feinen Schülern Studium der Mathemattk, Goethe Kenntniß der Natur forderte, so dürfte jedem Theologen, der an den neuesten religiösen Verhandlungen unserer Zeit lebendigen Antheil nehmen will, eine nähere Bekanntschaft mit Lessing zum Gesetz gemacht werden, um im Angesichte dieses scharfen sichtenden Geistes nochmals ben eigenen Standpunkt und Beruf mit offener Stirn zu prüfen und seiner wahren Aufgabe um so klarer bewußt zu werden."

R. E. P r u tz.') „Die ftanzösische Regelmäßigkeit war außerordentlich viel gewesen, im Vergleich zu jenen Ungeheuern von Formlosigkeit und Ungeschmack, *) Vorlesungen über von

die Geschichte

Duncker und Humbtot 1847.

des deutschen Theaters

Berlin.

Verlag

176 welche sie verdrängt hatte; sie war nichts und weniger als nicht-, im Hinblick auf daS, was unsere Dichtung werden sollte. Einer abstracten Formlosigkeit gegenüber war die abstratte Form, als Schule und Büdungsmittel, vollkommen berechtigt gewesen: jetzt dagegen, wo Form und Inhalt, Innerlichkeit und Äußerlichkeit sich aufs Neue durchdringen und versöhnen sollten, brauchten wir andere Führer und andere Muster, als Gottsched und die er gepredigt hatte, die Franzosen. „Dies waren Lessing, Shakespeare und die Griechen. „Keinem andern unserer deutschen Schriftsteller haben Mit- und Nachwelt so volle, unzerstückelte Kränze des Ruhmes gewunden, keineAndern Verdienste sind von jeher so bereitwillig, so gleichmäßig anerkannt und gepriesen worden."*) Es waren „keine einzelnen, genialen Blitze, welche Lessing in daS dämmernde Bewußtsein seiner Zeitgenossen hineinschlmderte: eS war

*) Kein Anderer

ist aber auch von der Seite

gehaht und geschmäht

Wir wollen auf

worden.

selbst auS der neuesten Zeit, in diesen seiner Ehre

rückkommen.

seiner Gegner von jeher mehr unglaubliche Beispiele

„@in köstliches Denkmal" jedoch, wie Heinrich Laug

ligiöse Charaktere.

Wintetthur 1862.

es nennt

zu« (Re­

Dergl. auch: Danzel. I. S. 109.)

®. 228.

das Urtheil

möge hier seine Stelle finden,

hierfür,

gewidmeten Blättern nicht

von Lessings Stubenburschen, Johann

Friedrich Fischer, des nachmaligen RectorS der Thomasschule in Leipzig, womit der

bekannte Schriftsteller und Musikkenner Rochlitz bei

seinem

Abgänge von dieser

„Ich will nicht fragen," sagte der Rector zu dem

Schule verttaut gemacht wurde.

abgehenden Schüler, „ob Er es gethan hat. Hat Er's nicht gethan, (nehmlich nicht aufgehört Deutsch jetzt

und

lah Er

oder

zu schreiben,

sich retten

deutsche Verse

vom Verderben,

zu

machen,) so

denn dahin führt'-

Er es

thue

doch

und daS

dauert mich um so mehr, weil ich bei solchen Vergehungen allemal au ein Exempel

denken muh

auS meiner Jugend,

will's Ihm erzählen.

Wie

daS mir noch heute durch die Seele geht. auf die Universität

ich von Coburg hierher

zog ich mit Einem zusammen der schon ein Jahr da Predigersohn auS der Lausitz.

Baderei.

WaS hatte Gott

war,

Ich

kam,

da

guter Leute Kind, ein

Wir wohnten in der Burgstrahe drüben in der alten Was konnte der

dem Menschen für Gaben gegeben!

Griechisch und Latein! Wir brauchten den Ernesti, der damals berühmt war, scilicet, den brauchten wir Beide nicht.

an, den Thucydides zu auch so

einen Hang.

lesen.

Zum Vergnügen,

fingen

wir gleich

damit

Was hätte aus dem werden können! Aber er hatte

Er hatte

schon vorher viel Deutsch gelesen,

und

wöhnte er sich auch, Deutsch zu schreiben, und machte deutsche Verse.

immer weiter und war kein Haltens mehr.

Er war mein

nun ge­

Nun ging's

bester Freund, er war

mein einziger auf der ganzen Universität, aber ich zog von ihm, ich konnt'- nicht

mit anseh'n.

Er fing sogar an Komödien zu schreiben.

er nach und nach — ach!

ich mag'S nicht sagen.

verstehen; der Kerl hieh Lessing."

Und nun — nun würd'

Frag' Er nur

die Leute, die's

177 die Frucht gründlicher

wissenschaftlicher Studien,

es war ein heiliger,

den er über seine Zeit

sonniger Tag der Aufklärung,

heraufführte,

eS

war ein ganzes System der Kunst, eine ganze Lehre des Schönen, die er in seinem Laokoon,

seiner Dramatmgie

aufbaute und zu

der nun

einem Jeden der Zutritt offen stand.

„Es begreift sich leicht, worauf das ungeheure geistige Uebergewicht Lessings beruht und woher es kommt, daß alle größten Dichter der fol­ genden Jahrzehntm, ein Goethe, ein Schiller alle bei ihm anknüpfen.

Lessing ist das incarnirte Bewußtsein seiner Zeit.

was Allen auf der Zunge lag,

wohin Alle in

Wonach Alle rangen,

dunklem Drange jagten

und strebten: er hatte es gefunden, er sprach eS aus, er lehrte es ver­ stehn, das Große, das Geheimniß des Schönen. — „Auf diese Art ist Lessing der eigentliche geistige Vater unserer

sogenannten classischen Epoche geworden; auf diese Att ist er es, zu dem alle Ströme zurücklenken, den wir Alle als Lehrer und

zu verehren

Meister

uns lebendig,

so lange überhaupt die Kunst unter

haben,

so lange die deutsche Nation im Stande sein wird,

sich

zu erhalten;

das

in der Kunst einen Ausdruck ihres innersten Daseins heißt, so lange sie selber existirt.

„Keine andere Sphäre unseres literarischen und künstlerischen Le­

bens — hat diesen

pfunden,

reformatorischen Einfluß Lessings

nachhaltiger em­

heimischer angesiedelt,

in keiner andern hat er sich

zu keiner

andern ist er, selbst widerstrebend, selbst gegen seinen Willen, wenigstens

gegen seinen ausgesprochenen Entschluß, dennoch häufiger zurückgekehrt, und

darum

auch in keiner

andern

ist

sein Name

von bedeutendern,

großarttgern Erinnerungen umgeben, als in der Geschichte unseres Thea­ ters." — „Das deutsche Theater ist der rothe, der blutige Faden,

Herzader

gleichsam,

welche Lessings

die

wechselvollen Dasein Zu­

ganzem

sammenhang und Leben giebt." Die Leser werden es uns hoffentlich Dank wissen, wenn

wir aus

den Vorlesungen des verehrten Verfassers hier noch dieses Urtheil über „Dies Lustspiel ist nicht mehr ein

Minna von Barnhelm anschließen.

Familien-, es ist ein polittsches, ein historisches, ein im edelsten Sinne

patriottsches, preußisches, — und doch wieder, ttotz seiner localen Färbung,

ächt menschliches, ächt künstlerisches Stück: wahre,

künstlerische Apotheose

des

die wahre Verklärung, die

preußischen Ruhmes,

ideale Versöhnung der deutschen Nation selbst, nung eines

inneren Krieges,

in der

Kunstwerks sich gleichsam wieder

welche,

zugleich

eine

aus der Span­

gemeinsamen Bewunderung dieses

aussöhnte und befteundete.

Niemand

178 hat dies tiefer erkannt und gerechter und einsichtiger gewürdigt als Goethe.-')

Arnold

R n g e. *) **)

„Weder die Philologen, noch die Philosophen, noch die Dichter noch die Theologen, noch die Acsthetiker, — keine Gilde erklärt ihn bei sich für zünftig; und da diese Zünfte noch immer nicht aufgehoben sind, so hat Lessing eö büßen müssen, daß er draußen blieb und bei­ läufig dem Philologen Klotz, dem Theologen Goeze und einer Menge Aesthetiker und Dichter den Kopf wusch. Alle, die über Lessing ge­ redet, ohne die Schwachheiten der Gilden- und Kasteneintheilung los zu sein, sind nicht berufen, ihn zu beurtheilen, und sofern sie noch bis heute darin stecken, wird Lessing auch immer noch nicht verstanden. Lessing „ist der Patriarch der deutschen Geistesfreiheit." Er „stellt positiv in Werken des freien Geistes der Kunst und Wissenschaft und polemisch gegen die kastenartig und in glckübiger Gewohnheit gebundene alte Welt die deutsche Aufklärung dar. Niemand thut es würdiger, edler und tiefer. Er sammelt für Deutschland die ganze humane und freie Geistesrichtung der Zeit in Einen Brennpunkt, und indem er das Fremde und das Antike germanisirt, gibt er zugleich dem Zeitgeist eine neue Gestalt. Er ist ein freier Gelehrter, ein freier Künstler, ein freier Mensch und einer von den wenigen Männern, welche ihre Zeit zu einem Abschluß bringen und dadurch die nothwendige Grundlage der Zukunft werden. Es ist nicht blos unsere Kunst und Wissenschaft, es ist auch das religiöse und universelle Zeitbewußssein, welches von ihm ausgeht." — „„Doch Lessing war kein Philosoph."" „Eben so wenig, als er Philolog war"; aber die Philosophie, die er kmnt und voraussetzt, die er verdaut hat und in Anwendung bringt, ist die beste von allen, welche die Welt bisher erreicht hat, und seine Dialektik eine Schule des Den­ kens, die alle Compendien der alten Logik übertrifft, und vor der aller­ neuesten das voraus hat, daß sie kein Compendium, sondern lebendige Bewegung in den Zeitinteressen und weithin wirkendes classisches Bei­ spiel ist. Wenn aber die spätere Generation mit Hülfe aller strengen und überstrengen Philosophie nur in wenigen Köpfen Lessings religiöse,

*) Vergleiche vorstehend S. 50. **) Arnold Rüge'- sämmtliche Werke. Mannheim. Verlag von I. P. Grohe. 1847.

179 logische und politische Freiheitsformen und Gedanken wieder erreicht hat; so

ist

dies

ein Grund mehr,

nur

ihn

als

den

großen Patriarchen

unserer geistigen Befreiung und als einen noch immer lebendigen Loot-

fcii durch alle Klippen der wichtigsten Zeitsragen zu verehren. „Lessing hatte sich von vornherein dem Einfluß der Alten und der

freien Lebenslust der Welt hingegeben. Er verlor sich an kein Fach und hielt sich

mehr

an

das Theater,

mehr an seine eigene Lectüre,

Leben,

als an dm Schulwust.

und hatte er den Muth gehabt,

der Universität,

als an die Hörsäle

als an

die Vorlesungen,

Er lernte

dadurch nur um so mehr;

dem Herkommen der bürgerlichen Be­

rufswelt zu trotzen, so trat er auch von vomherein mit der literarischen Welt in Conflict.

der Pedanterei

Er prüfte alle Autoritäten und ließ

gefangm nehmen. — Er war frei,

sich von keiner

mehr an das

„sowohl

religiösen Empfindlichkeit der beschränkten deutschen Welt,

frivolen Autorität der stanzösischen Classicität und Aufklärung." verwarfen an Voltaire die philosophische Freiheit

tisches Genie.

und

von der

als von der

„Andere

ehrten sein poe­

Lessing machte es umgekehrt, er ehrte in Voltaire den

freien Denker und hinreißend klaren Schriftsteller, aber er kritisirte seine Dramen mit unerbittlicher Strenge und befreite die Deutschen von der

Dienstbarkeit bei den Franzosen, um dagegen Shakespeare, die Italiener,

die Spanier und vor allen Dingen

die Alten

hervorzuheben.

Seine

Hamburger Dramaturgie und seine Kritik der stanzösischen Dramatiker

war eine förmliche Revolution des Geschmacks." —

Dann würdigt Rüge

die Stellung Lessings

zur Kunst

und zur

Religion, um also zu schließen: „So

führt

er

Einheit zusammen, drücklicher,

alle Gebiete der

und

ergreifender,

geistigen Welt in

bildet den Kern der Zukunft,

ihre

einfache

die wohl aus­

reicher und als ein mächtiger Baum aus ihm

erwächst, aber in Allem, was das höchste Interesse der Menschheit an­ geht, nichts thun kann,

als

diesen

unsterblichen

Kern zu ent­

wickeln."

Eduard Devrient.*) „Die nationale Dramatik der andem Völker wurde von rein künst­ lerischen Genies begründet; Ariosto, Tasso, Lope.de Vega, Shakespeare,

*) Geschichte bet deutschen Schauspielkunst. II. Bb. Leipzig. Verlag von I. Z. Weber. 1848.

180 — Corneille und Möllere waren Dichter und Schauspieler und nichts an­ deres, sie vertraten ihr abgesondertes Kunstgebiet.

Stifter

Der

des

neuen deutschen Theaters dagegen war ein universelles Genie, es

war derselbe große Geist, Bildung — der sind.

in

die Anfänge unserer ganzen neuen

dem

wissenschaftlichen

der

wie

künstlerischen — zu finden

Derselbe Lessing, welcher neue große Bewegungen in der Poesie,

Philosophie, Theologie und der Wissenschaft des Schönen

erzeugte, der

den deutschen Geist mündig machte, und ihm seine Sprache gab, — der­

selbe L essing verfolgte keines seiner Ziele mit so hingebender Nachhal­

ligkeit, machte nichts so vollständig zu seiner Lebensaufgabe, als das un­

dix nationale Schaubühne von Grund aus

ablässige Bemühen:

neu und selbstständig zu beleben. „Wie bei keiner Nation sammeln

sich so alle Strahlen des neuen

Geisteslebens eines einzigen Geistes und wie bei keiner Nation erscheint

bei uns — eben in

diesem

großen Repräsentanten der neuen

Bildung — das Theater so mit klarem Bewußtsein als edelste Kunst­ blüthe des socialen Geistes überhaupt, als dasjenige Institut, in welchem

das Nallonalleben sich selbst verständlich werden soll. „War die Schaubühne im Mittelalter von der innigsten Religio­

sität und naiven Heiterkeit geweiht,

so wurde nun ihre Bedeutung für

die Neuzeit von großartiger Vernunft, von geläutertem Geschmack und scharffinniger llrtheilskrast anerkannt.

„Eine

war,

merkwürdige Eigenthümlichkeit

daß er sein großes Ziel durch

weder die Prätension machten dennoch waren;

Aber er

des

wußte die

zusammenzufasscn,

wie

Publicums,

und

er

daß

mit

mit

die

sein und beides

Unternehmungen auch nie über die

vorhandene Kraft

Gipfel ihres Vermögens,

Lessings Theaterreform

großarllg zu

noch

der Schauspielkunst,

gegenwärtige Fähigkeit

und Empfänglichkeit

neu

in seinen

er

daß

von

naheliegende Mittel veffolgte,

es

über die Zassungsgabe

war,

eben

hinausging.

immer

und Einsicht

einem

jedem

nie

auf

dem

prakllschen Griffe dergestalt

seiner vier großen dramallschen

Gedichte den ganzen theattalischen Zustand um einen gewaltigen Schritt

vorwärts hieb,

ohne dadurch die bisherige Stellung wankend oder un­

Im Gegentheil hat nach jeder Anstrengung,

sicher- gemacht zu haben. welche Lessing

der Schauipielkunst

zugemuthet,

diese

sich

nur um so

sicherer, freier und gesunder gefühlt. —

„Er hatte die vornehme Absonderung des

von der realen Bühne

gänzlich

gelehrten Dichterstandes

über Bord geworfen. —

— So ver­

schmolz in Lessing die Gelehrsamkeit mit der poellschen Anschauung und der Vertrautheit mit

der

künstlerischen Ausführung

auf das Innigste.

181 Kein Literat hat, wie er, die Schauspielkunst verstanden und

im

so

keiner

mit ihr gewirkt. —

genauesten Rapport

Schauspielkunst leistete er den unschätzbaren Dienst,

Umherschweifen nach Vorbildern

stellte sie auf den Boden der eignen, brachte sie wahrhaft

dungsweise,

ein (xnbc zu machen,

und Regeln

Der

ihrem verworrenen

er

nationalen Denk- und Empfin­

zur Besinnung über sich selbst,

und

gewann ihr die volle Sympathie des Publicums. —

„Von nun

an

der Schauspieler

war

von

allem Herkömmlichen,

oon allen Kunstmustern fort an die Natur gewiesen. schen,

er

hatte Leidenschaften,

Gedanken und Empfindungen auszusprechen,

sie im eigenen Leben fand,

finden konnte.

wie er sie kannte,

wie er

oder doch durch nicht allzuserne Analogien

des deutschen Herzens

Die Geschichte

seiner Kunst geworden.

hatte Men­

Er

und Tugenden darzustellen,

Schwächen

brauchte die Natur nicht

Er

ftanzösisches geschliffenes Glas

er

bettachten,

zu

sah

war Gegenstand mehr durch ein

gerade

ihr

ins

Das, was er für Wahrheit hielt, brauchte nicht mehr in ange­

Auge.

seinen Ausdruck zu suchen,

ftemdländischen Conventtonen

lernten, aus der

bewegten Brust

durfte

Schauspieler

der

in

stet

deutscher Weise

zum deutschen Zuhörer reden, durste in seiner Darstellung auf des Pu­

blicums eigenste Natur, Dingen sich stützen. zwischen Künstler

auf dessen Unverfälscht

eigene (Erfahrung von

menschlichen

geradezu zog

Sympathie

und

und Zuschauer hin

wieder,

und

die

der Angelpunkt deS

gegenseitigen Verständnisses war in der Natur gefunden. “ Minna von Barnhelm.

„Dies Stück (28. Sept. 1767) be­

wies, daß Zeitbegebenheiten, Zustände, welche das Publicum selbst durch­

daß Gestalten,

gelebt hatte,

waren,

deren

daß deutsche Gesinnung

und einer edlen Theilnahme

Muster

der Gasse

auf

und Empfindung

würdig

sein

wahrhaft künstlerische Weise erfaßt werden.

können,

interessant, wenn

Die Anmuth,

sie

zu finden rührend nur auf

Würde und

Feinheit der Charaktere, die auserlesene und doch so zwanglose Sprache,

waren die wohlthuendsten Aufgaben für die Darstellung grade in diesem Momente.

Der sichere aufmerksame Tact,

mit

welchem Lessing seiner

Zeit folgte und die ihn lehrte, gerade dann, wann Kraft und Empfäng­ lichkeit reif war, seine Schläge zu führen und nicht um ein Haar breit

zu verfehlen, dieser Tact verkündigte sich auch hier wieder, Lessing war in

so

ununterbrochenem Rapport mit

kunst geblieben,

der Entfaltung der Schauspiel­

daß er genau wußte, was

sie

vermochte uwnd as sie

gebrauchte. —

„Er hatte mit den Rollen dieses Stückes

lauter typische

deutsche

Gestalten geschaffen, die zugleich die Hauptunterschiede der Talente, und

182 somit der Rollenfächer, vollständig deckten. Bon nun an wurden die Rollen in Minna von Barnhelm förmlich zum Shiboleth, woran man die Fähigkeit und Eigenthümlichkeit eines Talents zu erkennen pflegte. — „Und so treten alle Elemente des echt volksthümlichen Dramas — nfie wir sie bei dessen Ursprünge im Mittelalter wahrgenommm — in Minna von Barnhelm frisch und lebendig wieder hervor. Es sind die Interessen des Tages, die Gestalten der unmittelbarsten Umgebung, ein künstlerisches Leben, wie aus Fleisch und Blut der Schauspielkunst erzeugt: wir sehen hier das Volksdrama, auf einer neuen Stufe der Nationalbildung von Neuem wieder anfangen.— „Im Jahre 1772 kam Lessings Emilia Galotti auf die Bühne. Er schloß damit seine unmittelbar lebendige Einwirkung auf die Schauspielkunst ab und stellte darin seine Ueberzeugung von dem, was der Kunst jetzt noch Noth thue, der hereinbrechmdm Periode un­ serer Kraftgenies entgegen. Dies Stück, frei von den Mängeln und der Oekonomie der Handlung, welche seine frühern Wecke noch zeigten, vollendete die Wohlthaten, welche Lessing der Schauspielkunst erwiesen. Er gab ihr dann Charattere, welche an innerm Reichthum und Vollen­ dung von keinem spätern Dichter übertroffen worden sind, und dennoch dem Darsteller so viel zwischen den Zeilen zu lesen, zu errathen und zu ergänzen übrig lassen. An sämmtlichen Rollen der Emilia kommt die Schauspielkunst niemals zu Ende, sie findet uner­ schöpfliche Anregungen und Aufgaben darin. Eckhof, der als Odoardo den Gipfel seiner eigenthümlichen Künstlergröße erreichte, antwortete, als ihm Nicolai seine Bewunderung über die Tiefe seiner Auffassung äußecke: „„Wenn der Autor so tief ins Meer der menschlichen Ge­ sinnungen und Leidenschaften taucht, so muß der Schauspieler wohl nachtauchen, bis er ihn findet. Dies ist fteilich mühsam und mißlich. Nur wenige Autoren machen es dem Schauspieler so schwer wie Lessing: man kann sie leicht haschen, sie schwimmen oben auf, wie Baumrinde."" Das war es, diese unendlich ftuchtbckngende Mühe, diese mißliche Ar­ beit, welche er der Schauspielkunst in diesen complicicken Charakteren schuf, in diesem knappen Wockausdruck, der überall seine feinere Ver­ ständigung dem Spiele des Darstellers überläßt; diese ehrenvolle und selbstschöpferische Stellung, welche er damit thatsächlich dem Schauspieler anwies, von dem er überhaupt fordecke: „„er muß überall mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem Dichter etwas Menschliches wider­ fahren ist, für ihn denken."" — Das waren die unschätzbaren Wohl­ thaten, welche Eckhof, dieser innige Veckraute des Lessingschen Geistes,

183

so tief verstand, das waren die Beweise: in welchem Umfange Lessing das Wesen der Schauspielkunst erkannte." — Schließen wir hieran die uns von Devrient (Bd. II. S. 324) mitgetheilten eigenen Worte Lessings aus seinen Borstellungen über die Errichtung einer Theater-Philanthropie: „ „Jede Kunst muß eine Schule haben, in der frühesten Jugend durch gute Grundsätze vorbereitet und geleitet werden. Nur dadurch, durch eifriges Studiren und mühsamm Schweiß erwirbt sich der darin gebildete Schauspieler das Recht auf die Achtung und Ehre seiner Zeit­ genossen. — Durch Jahrtausende hat es die Erfahrung bewiesen, daß die erste Grundlage der Erziehung den Charakter des Menschen für die Zukunft bestimmt. Diese Eindrücke sind unvertilgbar und ihr Einfluß wirft durchs ganze Leben. Alle Empfindungen, Leidenschaften, Neigun­ gen und Fähigkeiten müssen in ihrem ersten Keim geleitet werden, wo das weiche unbefangene Herz noch jeder Biegung gehorcht. So zweifel­ los dieser Satz in Ansehung der moralischen Bildung ist, eben so ge­ wiß ist er es auch in Rücksicht auf die Bildung eines jeden Künstlers; und da durch eine zweckmäßig eingerichtete Theater-Pflanzschule beide Arten erzielt werden können, so ist der unschätzbare Nutzen eines sülchen Instituts offenbar und einleuchtend bewiesen. — Wäre der End­ zweck des Schauspieles auch blos das Vergnügen des Volks, so ist es schon aus diesem Grunde wichtig, dem Volke seine Unterhaltung nicht durch Jdiotm und sittenlose Menschen Dorttagen zu lassen, für welche es außer den Stunden der Geisteserholung keine besondere Achtung ha­ ben kann. Allein die Schaubühne ist etwas mehr, kann und soll etwas mehr sein und ihr edler Zweck wird durch unedle, nicht nach Grund­ sätzen dazu erzogene Mitglieder ebenso vereitelt, als die Wirkung der besten Kanzelrede durch die tadelhasten Sitten des Redners. Beide gleichen einer Uhr, die gut schlägt, aber unrichttg zeigt.""

Johann Georg Theodor Grüße.*) In Minna von Barnhelm „schuf Lessing zuerst ein deutsches Nattonaldrama auf vaterländischem Grund und Boden." — Seine Emilia Galotti, „Lessings Meisterwerk", „gehört noch *) Handbuch

Welt,

von

der

allgemeinen Literaturgeschichte

aller

bekannten Völker

Dr. Johann Georg Theodor Größe, Bibliothekar

Königs von Sachsen. Zweite Ausgabe.

Leipzig.

Sr.

der

Majestät des

Arnoldsche Buchhandlung. 1840.

184 heute zu den seltenen Perlen, welche zuweilen auf dem unfruchtbaren Bühnenmeere aufschwimmen." „Endlich erschien sein unsterblicher Nathan, worin er poetisch daS verwirklicht, was er in seiner Erziehung des Menschengeschlechts philosophisch deducirt hatte. Die Form ist auch hier, obwohl ebenso vol­ lendet schön wie der Stoff, — nur Nebensache und der eigentliche Kern, Bekämpfung des fanatischen Aberglaubens liegt klar zu Tage. — Leider starb er bald nach diesem Programm seiner Gesinnung am 15. Februar 1781, nachdem er, wie sein Freund Moses Mendelssohn sagte, mehr als ein Menschenalter seinem Jahrhundert vorausgeeilt war."

Dr. Th. W. Danzel.')

„Wer nur etwas Weniges von Lessing weiß, dem ist es bekannt, daß er bei aller Gelehrsamkeit niemals ein zünftiger Gelehrter geworden ist, ja, daß Niemand die Zunft bitterer bekämpft hat als er, daß Niemand mehr dazu beigettagen hat, die Wissenschaft auS ihren Händen loszu­ winden, und eine freie und geistige Auffassung derselben auch unter de­ nen zu verbreiten, denen zufolge ihrer bürgerlichen r.nb staatlichen Stel­ lung beständig die Versuchung nahe liegt, sich als Alleinbesitzer derselben zu denken. „Wir verehren in Lessing einen der freiesten Geister nicht blos un­ seres Volkes, sein Name ist daS Feldgeschrei in jedem Kampfe für Licht und Wahrheit, das Losungswort bei jeder unerschrockenen und vorurtheilsfreten Mannesthat geworden; wmn es auch ihm als einzelnen Menschen nicht gelungen sein kann, jede Hülle zu durchbrechen, so sind wir doch Alle darüber einig, daß sein inneres Ringen die Tendenz dazu in sich gettagen habe, und wäre die Lebenszeit des Menscher» nicht so kurz be­ messen, sich zu einem Standpunkt nach dem anbertt emporgesteigert ha­ ben würde. Gleichwohl würde sich der sehr vergreifen, welcher Lessing unter die Zahl derjenigen rechnen wollte, welche sich über Alles hinwegzusetzen gewußt und die Grundlage des menschlichen Daseins in Abrede zu stellen versucht haben. — Bei aller Unbefangenheit des Uttheils, zu *) Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke, Verlag der Dykschen Buchhandlung. 1850.

I. Bd.

Leipzig.

185 welcher er sich früh genug erhob, hat er sich immer eine gewisse Pietät gegen den Glauben seiner Jugend erhalten, besonders aber einen religiösen Sinn, welchem die richtige Auslegung zu geben, die gebührende Stelle anzuweisen, sein Bestreben war, den er aber als Thatsache aner­ kannte, und um deswillen er auch gegen das irrige Fürwahrhalten allen­ falls Nachsicht übte.------„Jene Art von Kritik, welche sich auf eine im Voraus fertig ge­ machte Theorie stützte, hatte zwar keinen Sinn, und es mußte über kurz oder lang einmal einem Hellen Kopfe einleuchten, daß, wenn überhaupt Kritik, d. h. Einwirkung auf die Productton mittelst des Gedankens, stattfinden solle, diese gar kein besonderes gelehrtes Geschäft sei, zu wel­ chem man sich mit allerlei äußerlichem Apparat anzuthun habe, sondern gar nichts Anderes, als der Prozeß der Productton selbst, insofern der­ selbe bei dem Menschen, alö einem mit Bewußtsein begabten Wesen, we­ nigstens zum Theil vor dem Bewußtsein vorgehen und durch Elemente desselben vermittelt werden müsse. Diese Art von Krittk, welche in un­ seren Tagen nicht nur allein eine Geltung hat, sondern auch allein ge­ kannt ist, hat Lessing in den Litteratur-Briefen zuerst ausgeübt, und sie ist es, was diesem Werke seine ewige Jugend giebt, benn Jugend ist, wo der Mensch in ftoher Unbekümmertheit aus dem ftischen Bome der Selbstgewißheit schöpft, und hier sind zuerst auf dem Gebiete der deutschen Literatur alle Stützen und Krücken der Theorie hinweggeworfen, und der Geist ist wie der Lahme, zu welchem der Herr sprach: Nimm Dein Bett und wandle.-------„Warum ist uns Allen die Hamburgische Dramaturgie ein so liebes Buch? Wir wissen doch so ziemlich was darin steht, oder glauben es doch zu wissen. Antwort: sie faßt im Gebiete der drama­ tischen Literatur dem ftanzösischen Wesen gegenüber in theorettscher Erötterung zuerst einen deutschen Standpunkt, und weil wir diesen sich hier in ftischester Unmittelbarkeit aussprechen sehen, gehen wir als Deutsche immer gern auf das Buch zurück. Eben das ist das Sachoerhältniß bei den Literatur-Briefen, nur in noch allgemeinerem Sinne — — wir sehen hier auf einmal Fleisch von unserm Fleisch und Blut von unserm Blut, womit wir, wie der alte Satiriker sagt, dergleichen mehr zu zeugen begehren; die Grundanschauung der heutigen deutschen Literatur tritt hier auf einmal — hier wird durch das Verglichene selbst ein altes Gleichniß neu — wie Athene aus dem Haupte des Zeus in voller Ausrüstung vor uns hin — die Literatur-Briefe schaf­ fen diese Grundanschauung. Das ist eine Thatsache, welche Nie­ mand in Abrede stellen kann, welcher in der geistigen Atmosphäre der

186 neuern Zeit in Deutschland lebt,

und welche

demjenigen,

welcher ihr

fremd ist, durch keine Parallelen anschaulich gemacht werden kann." — Mi nna von Barnhelm.

„(fin solches Werk mußte, wenn es

einmal da war, eine Wirkung haben, wie das göttliche Schöpfungswort,

nachdem es gesprochen worden." —

G. E. Guhraue r. **)

„Nach Corneille ist Voltaire

der dritte in

der Reihe der

großen

französischen Tragiker, an welchem Lessing bald mit dem ganzen Ge­ wichte sittlicher Würde,

bald mit der schneidenden Schärfe seines Ver­

standes, bald mit dem versengenden Feuer des Witzes die unbarmherzigste

Kritik übt.

Ihm war die

leidigten Nationalgeist des dem Manne zu rächen,

beneidenswerthe Aufgabe gefallen,

deutschen Volkes

nach

den

be­

hundert Jahren an

welcher gewohnt war, Deutschland nur als die

dunkle Folie Frankreichs zu bettachten. — Lessing läßt keine Gelegenheit vorüber, um die Leichtfertigkeit, Eilfertigkeit und Unwahrheit in so vie­ lem, was Voltaire als Schriftsteller und Dichter bei unzähligen Anlässen

sagt oder thut,

hervor zu ziehen;

es galt den Befreiungskrieg für die

Selbstständigkeit des deutschen Geistes gegen den talentvollstm und be­

rühmtesten seiner damaligen Feinde, gegen den Liebling der Großen in

Deutschland und Europa zu kämpfen, der freilich

von der Höhe seines

Ruhmes herab auf den kecken Dramaturgen in einem Winkel Deutsch­

lands mitleidig lächelnd herabsah.

„Ein Mann, welcher in Athen wie in Deutschland zu Hause war,

Fr. August Wolf,

Galotti

auf

äußerte

einmal

bei

dem Theater zu Berlin:

der Vorstellung von Emilia „„daß

eine

solche

gediegene,

gedanken- und klangreiche Sprache ihn an den attischen Zauber erinnere, wenn gleich die mit so fester Hand gezeichnete Charakteristik der auf­ tretenden Personen,

und die complicirte,

aber konsequent durchgeführte

Handlung nothwendig der Bildung einer neuen Zeit angehöre und keine

Vergleichung mit der alten zulasse.""") „Nathan

hat man für eine Deklamation gegen alle Offenbarung,

*) Gotthold Ephraim Lessings Leben und Werke in der Periode vollendeter Reife. Verlag der Dykschen Buchhandlung. Leipzig 1853. *e) Nach mündlicher Auslassung aus der Erinnerung mitgetheilt von dem Theaterreferenten der Berlinischen (Spenerschen) Zeitung von 1829. Nr. 23. über die Aufführung von Emilia Galotti, zu Lessings hundertjährigem Geburtstage.

187 für eine Satire auf die christliche Religion genommen — jenes wegm der Parabel von den drei Ringen, dieses wegm der Darstellung der christlichen Charaktere in dem Stücke, vorzüglich des Patriarchen, dann aber auch des Tempelherrn, des Laienbruders und der Daja. Ein an­ deres ist ein dramatisches Gedicht, ein anderes eine theologische Abhand­ lung. Diese einfache Wahrheit hätte man beachten sollen, und Theologen würden kein Verdammungs-Urtheil über Nathan den Weisen ausgespro­ chen haben. Das erste Gesetz des dramattschen Dichters ist Wahrheit und Individualität deö Charakters, in dem Zusammenhänge der Zeit wie der Handlung; das sind die ästhettschen Bedingungm, welche aus der Natur eines Kunstwerkes von selbst fließen. Wollte Lessing ein christliches Drama im eigentlichm Sinne des Wortes dichten? Erinnem wir uns, welche Bedenken er in der Dramaturgie bei Gelegenheit von Olint und Sophronia gegen die christliche Tragödie ausspricht, und im Allgemeinen gegen ein jedes Stück, in welchem einzig der Christ als Christ uns interessirt/) Ist der Charakter des wahren Christm nicht etwa ganz untheatralisch? — Man müßte also vor Allem behaupten und beweisen, daß Lessing im Patriarchen und Tempecherrn, in der Daja wahre Christen habe schildem wollen. . . . Dennoch wäre die Forderung derjenigen von vorne herein abzuweisen, welche in den Hauptcharakteren der drei, ganz verschiedenen Bekmntnissen angehörendm, Männer, die durch gegenseittge Achtung und Liebe eins werden, den Unterschied der religiösen Denk- und Anschauungsweise, in scharfen und bestimmten Zügen vermissen wollen. Warum vergessen sie doch den Klosterbruder? Der vertritt am meisten den wahren Christen mit jener stillen Gelassmheit, jener unveränderlichen Sanstmuth und Demuth, die seine wesentlichsten Züge sind. Diese Züge finden wir allerdings weder in dem Tempelherm noch in dem Patriarchen. Mir scheint, der Dichter hat hier nur im Geiste des Sttsters der christlichen Religion gehandett, daß er den einfältigen evangelischen Sinn der Wahrheit und Liebe in dem verachteten Manne aus dem Volke, und nicht in dem hohen Ritter, oder dem noch vornehmem Kirchenfürsten anschaulich macht. Er ist es, welcher in der rührenden Scene mit Nathan, von dem Gefühle der Bewunderung von seiner edlen That durchdrungen, in die Worte ausbricht, welche wie ein Blitz die ganze Tiefe des Stücks beleuchten: “) Bergt. Hamburgische Dramaturgie. 5. Mai 1767. —

188 Ihr seid ein Christ!

— „Nathan! Nathan! Bei Gott, Ihr seid ein Christ!

Ein bess'rer Christ war nie!" — —

Wer hat diese Liebe, diese Selbstverleugnung zu der höchsten Idee, der wahren Weltreligion

zum Prüfstein

erhoben?

Ist es

nicht

ein

Ist es nicht Lessing, welcher zur selben Zeit sich der Verthei­

Christ?

digung des Christenthums gegen dessen innere Feinde von beiden Sei­

ten, der Ungläubigen und der lieblosen Zeloten, opferte? nicht,

selbst,

ist Lessing

wie man immer sagt,

Das mögen die bedenken,

Mmdelssohn.

diesem Stück den

andern Religionen

welche das Christenthum in

gegenüber

nicht mit aller Kraft, mit dem Uebergewicht Glaubens vertreten finden.

Nathan, das

jüdischer Freund

sein nicht

würdig

genug,

ihrer Ueberzeugung, ihres

Sie mögen erkennen, daß das Christen­

thum vielleicht niemals größere Verherrlichung gefunden, als im Na­ Wer sich blos an den Buchstaben hält, wer sich von den Ge­

than.

schöpfen des Dichters nicht zu der lebendigen Quelle, die ihnen Dasein

und Leben gab, erhebt, wer eben nicht will, daß die Religionen, daß die Brüder, als Brüder, anerkannt und geliebt werden, der

bekennt, daß er sich mit Lessing zu der Idee der wahren Religion nicht erhoben hat.

daners,

Man nenne uns das Stück eines Juden oder Muhame-

welcher

vor Lessing so hoch sich

Das ist es,

erhoben hätte.

„„Nach der Erscheinung des

was schon Mendelssohn ausgesprochen.

Nathan,"" sagt er, „„flüsterte die Kabale jedem seiner Freunde und Be­

Lessing habe das Christenthum beschimpft, ob er gleich

kannten ins Ohr:

nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu

machen gewagt hatte.

gestehn

müssen,

hohen Stufe

Im Grunde erreicht sein Nathan, wie wir uns

der Christenheit

der Aufklärung

zur

wahren

Ehre.

und Bildung

Auf

welcher

muß ein Volk

stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesin­

nungen hinauf

schwingen, zu dieser feinen Kenntniß gött­

licher und menschlicher Dinge ausbilden konnte!""

Berthold Auerbach. Aus

dem

„Epilog zur Lessingfeier"

nach

der

Ausführung

von

„Emilia Galotti" im Königlichen Hoftheater zn Dresden, gesprochen von

Emil Devrient am 16. März 1850.:*)

*) Dresden. Arnoldsche Buchhandlung.

189

„Unabhängig von dem schmuck Prunkender Erscheinung —

Unabhängig von dem Druck

Hergebrachter Meinung."

„Sein Name schon ist zur Idee verklärt, Und wo wir schöner Menschlichkeit begegnen, Da rufen wir: o, das ist Lessings werth!

Und denken sein, um ihn zu segnen."

Ueber „Minna von Barnhelm", die epochemachende Bedeutung die­

ses Werks

und

auf die Werke Schillers und Goethes

seinen Einfluß

sagt der Epilog:

„Mit diesem Werk, so rein und hell, Ward Lessing neuen Lichte- Quell:

Ja, Goethes selbst und Schillers Flammen, In ihrer wunderbaren Pracht,

Er ist's, aus dem sie beide stammen,

Er ist es, der sie angefacht."

Jmes

andere

Werk,

„das

tausend

Zungen

preisen",

Lessings

„Nathan" ist später Gegenstand einer besonderen Behandlung Auerbachs

geworden,') worin es heißt:

„Lessings Dichtungen und theoretische Erörterungen sind eine Aka­

demie.

Wer

wer den ge-

die Stufe des Dilettantismus überschreiten,

sammten Aufbau und den innern Ausbau eines Kunstwerkes lernen und erkennen will,

kann

von Lessing Gesetz und Maaß entnehmen.

ist die Geschichte des Dramas:

„Nathan der Weise",

zu verschiedenen Zeitpuntten angesehen worden,

zugleich

Dazu

der Art, wie es

eine Geschichte

der Humanität in Deutschland in den letzten acht Jahrzehnten," — „Auf der Höhe seines Lebens, zwei Jahre vor seinem Tode, vollen­

dete Lessing dieses Werk (vom 12. November 1778 bis 7. März 1779). Im Kampfe mit einer feindselig ausgehetzten Welt, im Kampfe mit den Sorgen um den Lebensunterhalt und dazu noch tief vereinsamt in Wol­ fenbüttel, noch schmerzvoll erregt vom Tode seiner Frau und seines ein-

*) Studien und Anmerkungen zu Lessing'» Nathan der Weise.

Auerbachs gesammelte Schriften. Neunzehnter Band.

Cottascher Verlag 1858.

Berthold

Stuttgart und Augsburg.

190 zigen Kindes, inmitten von alle dem gewann Lessing die Kraft, solch ein Werk zu vollenden, und wenn

wir die Höhe

der Dichtung bewundern,

muffen wir nicht minder die Kraft der Seele anstaunm, der es gelingen

und

konnte, aus solchen innern

äußern Bedrängnissen

so klar

heraus

Vollendetes zu gestalten.

„Alles, was Schicksal und Menschen über Nathan verhängen, macht

„ „ Und doch ist Gott!""

ihn nicht irre.

ihm herausringt

„„Und doch

sten Trauer.

Das ist das Wort, das sich

nach dem entsetzlichsten Ungemach und der verzehrend­ ist

Gott!""

In

diesem doch

liegt

der

ganze sich ermannende Gegensatz, der alles Widersacherische, was Natur und

Menschenwille verhängen, niederkämpst." — — glaubt,

Gott

glaubt

er

trotz

der

herbsten,

auch unverwüstlich

an

„Und wie Nathan, an

unerklärlichsten Schicksalsschläge,

die Güte

so

ttotz ihrer

der Menschen,

grausamen, gemüthszerstörenden Thaten, und aus diesem Glauben heraus

erweckt er die Güte in sich und die in andern. „Wir Deutschen dürfen, ohne des Vorurtheils geziehen zu werden,

behaupten, ein Weck wie Nathan konnte nur ein Deutscher schaffen, und es ist ein erhebender Zug, daß wir hinzusehen dürfen,

das deutsch-na-

ttonale Ideal ist auch zugleich das Ideal der Humanität," nigen

Herzenseigenschaft,

Gemüthsrichtung

von welcher der Verfasser vorher sagte:

oder

d. h. derje­

Willensbestimmung,

„Die Humanität ist nicht Ge-

rechttgkeit und nicht Liebe; die Gerechtigkeit allein ist zu streng, die Liebe

allein zu mild, die

Humanität ist

Gerechtigkeit

und

Liebe

vereint." „Glückselig der Deutsche," so schließt die Auerbachsche Abhandlung

über Nathan," dem es vergönnt sein wird, Lessings niedergelegte Feder

wieder aufzunehmen, und der zu sein, den Lessing selbst verkündete mit

den Wocken: „„Wahrlich, er soll noch erscheinen, der Mann, welcher die Religion so bestreitet und der, welcher die Religion so veckheidigt, als es die Wichttgkeit und Würde des Gegenstandes erfordeck.""

Johann — „Wenn Klopstock seines achtet

S ch e r r. *) erkünstelten Germanenthums

unge­

an die Engländer sich angeschloffen, wenn Wieland ganz offen­

kundig die Franzosen zu Muster nahm, so trat in Gotthold Ephraim

*) Allgemeine Geschichte der Literatur. Stuttgart 1851.

191 Lessing

welcher an der Hand seiner classischen Kritik

der Mann auf,

aus

unsere Poesie

dem Klopstockschen Himmel und aus dem

„roman­

tischen Land" Wielands in die Heimat zurückleitete und sie deutsch sein,

sie deutsch und

zugleich frei sprechen

lehrte.

freien Weltverkehr hat er sich gebildet.

An den Alten

und

im

Daher empfahl er in der Kunst

das plastische Ideal, ohne dabei einseitig das Bedürfniß moderner For­ men zu negiren;

er überall auf die enge Verbindung der

daher drang

dem Leben und

Literatur mit

realen Gehalt deö letzteren.

find alle seine Schriften

Mit

voll von dem

eminentem Witzen ausgestattet,

er Alles geprüft, von Nichts sich bestechen lassen.

hat

Er achtete den ethi­

schen Gehalt des Christenthums, den er in den Worten des Evangeliums

Johannis:

„„Kindlein,

liebet euch untereinander!"" ausgedrückt fand,

— Nach allen Seiten hin hat er anregend gewirkt, oft zugleich muster­

gebend; selbe

dem Größten wie dem

Achtung, denselben Fleiß

scheinbar Geringfügigsten hat

er

die­

dem Schauspiel

gewidmet. — — In

Nathan der Weise, welches durch seine Form, den fünffüßigen Jambus, für unser Drama epochemachend wurde, hat Lessing zum Schluß seiner

dichterischen Laufbahn einen wahren nität und Geiftesfreiheit

kes,

welches

Triumphgesang

geliefert.

der Huma­

Die große Idee dieses Wer­

der Zelotismus dem deutschen Genius nie

verzeihen wird,

— hat auf die Entwickelung unseres geistigen Lebens einen unberechen­

baren Einfluß geübt." — —

Dr. Heinrich Ku rz.*) „Den größten, nachhaltigsten und bildendsten Einfluß auf das deut­

sche Drama hat Lessing gehabt, sowohl durch seine eigenen dramatischen

Schöpfungen,

als insbesondere durch seine tiefen Forschungen über das

Wesen der dramatischen Poesie.

Man kann

sagen,

daß

die

deutsche

Tragödie noch in ihren spätesten Erscheinungen den Stempel des

Lessingschen Geistes an sich trägt, und daß LessingS Minna von Bam-

helm noch heute die beste deutsche Komödie ist. Forschungen über

das Drama

legte

Die Ergebnisse seiner

er in der Hamburgischen Drama-

*) Handbuch der deutschen Nationalliteratur von Gottsched bis aus die neuest«

Zeit.

Zürich, Berlag von Meyer und Zeller. 1853.

192

turgie nieder, deren äußere Form schon den großen Mann von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Gelehrten unterscheidet. Denn welcher würde es, wie Lessing, über sich bringen, die Ergebnisse langer Forschungen, die Frucht einer seltenen, ausgebreiteten Gelehrsamkeit in der Form eines für das große, zumal ungelehrte Publicum bestimmten Wochenblattes herauszugeben? in einem Gewände, das bei dm „„gründ­ lichen"" Deutschen schon von Dome herein dm Verdacht auf sich zieht, der Gründlichkeit zu ermangeln? in einer Sprache, die wegen ihrer Klarheit und leichten Verständlichkeit bei dm Gelehrten von Handwerk an und für sich schon für seicht und oberflächlich gilt? Und in diesem unscheinbaren, verachtetm Gewand hat Lessing ein Werk herausgegebm, das die Zierde und der Stolz der deutschen Literatur ist und bleiben wird, so lange man deutsch spricht und schreibt, ein Werk, dem man nur andere desselben großen Mannes zur Seite setzen kann und das schon um deswillen unsere Liebe und Hochachtung im höchsten Maaße verdient, weil wir ihm, mehr als jeder andern literarischm Erscheinung, die Kräftigung des Nationalbewußtseins verdanken."------ „In Lessing trat das nationale Element des StylS nach Jahrhunderten wieder zum ersten Male kräftig und entschieden hervor; er holte es aus dem Leben, so wie bei den besten Schriftstellern der frühern Zeiten, die er mit Rücksicht auf die Sprache mit gewissenhaftem Fleiß studirte. So gründ­ lich er die alten und neuen Sprüchen verstand, so vielseitig seine Kennt­ niß der ftemden Literaturen war, so sah er diese doch stets nur als ein Mittel zu einem Hähern Zwecke an; nie ließ er sich von diesen Kmntniflen beherrschen. Bei hundert guten und geistreichen Schriftstellern kann man mit leichter Mühe bemerken, mit welcher Sprache, mit welcher Literatur sie' sich vorzugsweise beschäftigt haben, — in Lessing, der ohne Zweifel weit mehr Griechisches und Lateinisches, Französisches und Eng­ lisches las, als Deutsches, wird sich kaum in seinen hingeworfeneu Be­ merkungen eine Spur finden, welche an das Fremde erinnern könnte. Und diesen nationalen Styl hat er sich selber geschaffen, nachdem er selbst in seinen frühern Schriften den» Zeitgeist gehuldigt und sie in französischer Färbung geschrieben hatte. Von Jahr zu Jahr überwand er dieses mehr, und seine spätern Werke sind noch jetzt glänzmde Muster ächt deutschen Styls, während Goethe, dessen frühere Erzeug­ nisse in dieser Beziehung das Höchste leisteten, in der letzten Hälfte seiner Wirksamkeit der nationalen Haltung des Styls, die wesentlich zu seinem wohlverdienten Ruhme beigettagen hatte, immer mehr untreu wurde." — — „Wenn wir schon die vollgültigste Ursache haben, den großen Mann wegen desien zu verehren, was er gethan und gewirkt hat, so

193 sind wir ihm dafür noch zu größerm Danke

verpflichtet,

daß

wir in

ihm und seiner Thätigkeit die zuversichtliche Gewähr einer schö­

nen Zukunft erblicken, die mit dem Augenblicke eintreten muß, wenn der Geist Lessings,

kräftig sich entfaltet, der

wenn

an

der

Phrasenmacherei,

schen

kindischen Schwärmerei nicht

Empfindsamkeit,

und

bewußte Einsicht in

wenn der

praktische Sinn deö

gelehrter Pedantismus

aber

gesund und

der philosophi­

die Stelle

krankhaften

klare

die Lebenöverhältnisse tritt,

Volkes,

deutsche Geist,

wahre

der

und hohles ab-

stracteS Formelwesen unsere Schicksale leitet." — —

F. C. Schlosser.'s „Lessing hatte den Vorzug vor vielen Andern, welche nach ihm die

deutsche Sprache, die deutsche Literatur, das deutsche Leben aus der rei­ nen und ächten Quelle der Alten und besonders der Griechen bereicher­

ten, daß er zwar nach ihrem Muster immer einfach, gediegen, gedrungen schrieb, dabei aber unserer Sprache nie Gewalt anthat.

Er entfernte sich

nie ganz von der Sprache des Umgangs, sondern gab das Muster, wie man diese und

müsse.

mit

zugleich

ihr

Er ist auch dadurch groß,

das

deutsche servile Leben veredle«

daß er nie aus dem Volke heraus­

trat, um im Nimbuö der Vornehmheit zu glänzen und in den Salons zu herrschen.

Er verschmähte

schen Seelen

ergriffen werden,

alle elenden Mittel,

um

sich Ansehen

welche zu

von egoisti­

verschaffen,

nie

machte er Partei, erschien nie an einem kleinen Hofe bald kriechend, bald

herrschend,

war nie Organ

einer Akademie

oder Universität,

um sich

Clienten, seinem Buchhändler Kunden zu verschaffen. „Lessing verstand allein unter seinen Zeitgenossen die schwere Kunst, zugleich streng logisch,

gründlich, belehrend und doch auch unterhaltend

und lebhaft zu schreiben,

und den Leser durch die Form des Vortrags

zu zwingen, an der Sache selbst Antheil zu nehmen. —

„Lessings Laokoon war die Frucht seines auf Winkelmanns Schrif­ ten gerichteten Studiums und dieser erkannte noch kurz vor seinem Tode

Lessings Verdienste in Rücksicht auf Beurtheilung der Kunst und Kunst-

lage.

*) Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des neunzehnten. Heidelberg 1853.

Vierte Aus­

194 ihn Lessing

Winkelmann gestand dabei, daß

werke an.

in Beziehung

auf Vortrag, Styl und Sprache so weit übertreffe, daß er wünsche ge­

schrieben zu haben, wie dieser. „Minna von Barnhelm betrachten wir nicht ästhetisch, sondern

blos in Rücksicht auf Lessings unsterbliches Verdienst um die Er­ weckung unserer Nation zu einem nationalen

und bürgerli­

chen Leben, zur Selbstachtung und zum Vertrauen auf ihre Sprache. „Die Hamburgische Dramaturgie hat nicht blos auf den Ge­

schmack,

sondern auch auf daö Leben, Sitten,

Ansichten

der mittleren

Klassen, also des Kerns unserer Nation den größten Einfluß gehabt. —

Lessing war bekannt mit der spanischen, französischen,

englischen drama­

tischen Literatur, er kannte die des AltetthumS, wie kein Anderer sie im achtzehnten Jahrhundert

gekannt hat,

Franzosen und aller Neuern, war und versteckt sich oft hinter

zu decken.

er war mit

den

mit dem Aristoteles

Theorien

innig

der

oertraut,

den Letzteren, um sich mit seinem Ansehen

Was den Gang angeht, in welchem ihn entweder ein Jn-

ftinct oder Tact, der den Meister in jeder Gattung aliszeichnet, oder eine

Eingebung leitet, so schreitet er langsam vom Einzelnen zum Allgemeinen fort, und hebt

nicht blos das Fehlerhafte hervor, sondern deutet auch

überall an, wo und wie das Bessere zu finden sei. „Die antiquarischen Briefe sind nicht blos durch meisterhaften

Witz,

durch bewundernswürdige Beredsamkeit,

der Sprache merkwürdig, das Auftehen,

sondern auch

durch Kunst

und Kraft

durch ihre Wirkung und durch

welches in jener Zeit durch Lessings Art der Behandlung

eines wissenschaftlichen Gegenstandes erregt ward. Wirkung angeht,

ganz vernichtet,

so wurden nicht allein Klotz sondern

die

es ward über einzelne Theile der alten Kunst es ward wissenschaftlich

ein neues Licht verbreitet, Laokoon begonnen war.

Was das Erste,

und seine Spießgesellen vollendet,

was im

Was die Darstellung angeht, so wußte Lessing

die Form des Vortrags so einzurichten, daß jeder einigennaßen Gebildete an einer Materie, die ihn durch sich selbst nicht würde angezogen haben,

Antheil nehmen mußte.

Sv sehr sich übrigens Klotz über Grobheit und

Persönlichkeit beschwert, so geht doch Lessing nie weiter als die abgehan­

delte Materie durchaus fordert, es läßt sich aber, wenn Leute wie Klotz

blauen Dunst machen, die Person von der Sache un­

dem Publicum möglich trennen,

bettachtet.

weil ihre Eitelkeit die Sache nur als ihre persönliche

Die antiquarischen Briefe sind daher zu gleicher Zeit eine

vorttefsiiche wissenschaftliche Behandlung der Materie, wovon darin die Rede ist, und eine meisterhafte und witzige Satyre.

„Lessing

ließ,

seitdem

er — durch

die

Herausgabe

der Wol-

195 fenbüttler

Fragmente



den Kampf

mit

den

Orthodoxen —

begonnen hatte, zermalmende fliegende Blätter ausgehen, die so ganz in Luthers Manier und

mit der ganzen Kraft seines Styles und seiner

Sprache geschrieben sind, daß mir ihnen nothwendig einen Platz in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts geben müssen.

Der Streit ist

vergessen, Lessings fliegende Blätter aber werden hoffentlich so lange von unserer Nation gelesen werden, als kräftige deutsche Sprache und deut­

scher kräftiger Geist unter uns geachtet sein werden, und wer sollte nicht

wünschen, daß dies ewig so sein möge?" — „Die wüthenden und blin­

den Anhänger deö Alten wollten von

keiner Philosophie Horen, keinen

Rath annehmen, keinen Satz anfgcbcn. -

Sie erfuhren,

was früher

oder später alle blinden und tollen Verfechter des Veralte­

ten werden erfahren müssen und

was

die Zeloten un­

auch

serer Zeit erfahren werden, daß sich früh oder spät eine him­

melstürmende Partei erhebt, und

daß sich die Gemäßigten

dieser anschlicßcn, um nicht genöthigt zu sein, sich gleich den

zahlreichen

Augendienern

und

zu

Heuchlern

allem

alten

Wüste zu bekennen, sobald er neu aufgestntzt wird. „Was den mit größter (Erbitterung geftihrten Streit der

gesamm-

ten polemischen Theologen Deutschlands mit Lessing angeht, so erwähnen

wir Lessings Schriften gegen die Obskuranten und Zänker nur als Mei-

sterwerke

des Styls und

des achtzehnten Jahrhunderts

eö nur mit dem

Wir haben

der Sprache.

Verhältnisse derselben zum Geiste der Zeit,

zum Zustande der Bildung

und zum Fortschreiten

aller

Zweige der

Literatur zu thun. „Der Hauptkampf war mit Goezc in Hamburg, und die gegen die­ sen geschriebenen Flugblätter verdienen den ersten Platz unter den Mei­

sterwerken dieser Gattung.

Zu diesen

wir:

rechnen

Luthers Streit­

schriften, Demosthenes Reden gegen Philippus, und (Ciceros Reden

gegen Catilina, besonders aber, weil sie näher mit Lessings Manier verwandt

sind, JuniuS Briefe und RonsseauS Brief

an

den Crzbischof

von

Paris, Christophe von Beamnont. — Durch Lessings unsterbliche Schriften

gegen ihn hat auch Goezc unverdienterweise die Unsterblichkeit erlangt. „Lessing kannte selbst, innerhalb welcher Schranken sein Geist schöpfe­

risch sei, und schuf innerhalb dieser Meisterwerke. „Lessings Nathan behauptet noch

immer neben Goethes und

Schillers Meisterwerken in unserer dramatischen Literatur den näch­ sten Platz; er ist daS vorzüglichste Dichterwerk Lessings.

„Die Wirkung ausging

und

der

neuen Literatur,

deren Geist

die

von

Lessing

sich im Nathan ausspricht," 13*

ist

196 Gegenstand der Betrachtung,

womit Schlosser seine Ausführungen über

Lessing abschließt.

G e r v i n u 6.’J Lessing „ließ sich von

keiner Modebegeisterung blenden,

und statt

z. B. Ossian neben Homer zu stellen, so hat er ihn nirgends genannt,

und hab dagegen Shakespeare hervor,

nennen hören.

den

man

vor

kaum

ihm hatte

Diese Reinheit des Geschmacks, die sich Lessing mit der

Zeit erwarb, — denn auch hier kam er erst von der Ginsicht des Fal­ schen zur Kenntniß des Wahren, — ist fast wunderbar, wenn inan be­

dieser Hinsicht hier und da

denkt, wie noch Goethe und Schiller in

irre gingen." —

Er „bildete sich zuletzt jenen merkwürdigen Styl, in dem der ab­ struseste Inhalt zur angenehmsten Lectüre,

Trockenste picant

wird,

in dem

das Verwirrteste plan, das

unter der innigsten Verflechtung

von

Gedanken und Ausdruck jede Idee mit den oom Sprachgcnius ihr ver­

mählten Worten bekleidet ist. „Man kann Gaben an ihm vermissen; aber der Gebrauch, den er

van denen machte, die er besaß, ist ein ewiges Muster. — „Daß

niemals

doch

ein Aesthetiker

oder Literaturhistoriker

über

und niemals

Lessings Dichtungen mit einem Weisheitsdünkel abspreche!

anders darüber rede als mit Lessings eigenen unsterblichen Worten. „Nichts war dem wahrhcitssinnigen Manne

so zuwider,

den Mittelpunkt einer literarischen Clique zu gelten

als

für

Ihm und sei­



nem Moses war es mit der Erforschung der Wahrheit an und für sich

Ernst,

dafür liegt das Zeugniß

in

Lessings

Corrcspondenz,

die

von dieser Seite nur an Schillers Briefen ihres Gleichen hat."

Laokoon.

„Wer Schillers und Goethes Aussprüche, Theorien

und prakttsche Folgeleistungen kennt, die sich an den Inhalt des Laokoon anreihen,

der übersieht auf

einmal den Einfluß, den

die Dichtung und Kritik der Folgezeit ausübte. — Grund,

auf dem

Goethe,

Schiller

und

dieses Buch auf

Wir sehen hier den

Humboldt

nachher ihre

Theorien ausbilden." —

Schauspiel.

„Lessings Stücke sind für die Aufführung geschrieben

wie keine andern in Deutschland.

Was

man

bei

uns

bühnen-

•) Geschichte der deutschen Dichtung. IV. Band. Vierte verbesserte Ausgabe. Leipzig lsb3.

197 gerechte Stücke nennt, das hat gewöhnlich an Poesie keinen Theil, und

was an Poesie keinen Theil hat, ist nicht bühnengerecht in dem Sinne, wie Shakespeares Stücke es sind, und Lessings zu sein strebten.

„Lessing dachte noch nicht an gelesene Stücke; und als er seinen

Nathan schrieb, in der ausgesprochenen Furcht, daß er vielleicht in einem Jahrhundert noch nicht werde aufgeführt werden, wählte er sogleich eine

behagliche wärmere Manier, und selbst in dieser Gestalt und bei diesem Stoffe ist dennoch selbst geblieben,

Nathan

ein Bühnenstück des ersten Ranges

wie denn Lessings Stücke

aufhören

nicht

werden,

gespielt zu werden, so lange irgend ein Begriff von Schau­

spielkunst übrig ist. Denn unsern Künstlern ist nur Er und Shake­ speare

eine

nur ihm ist es eigen,

Schule gewesen;

zu denken zu geben, ohne ihm mit

das Spiel

zu

fesselnden,

der im Nathan

Reichthum

der

psychologischer

eine Gruppe von reizenden und

zugleich ächten, wahren nnd typischen Charakterformen aus­

legen konnte, besitzen."

glatten Versen und Theaterstreichen

erleichtern, nur ihm ist

Erfahrungen gegeben,

dem Schauspieler

wie

wir sie

in

wird

Nachfolgend

keinem

Nathan

weiter

deutschen Stücke „neben

Faust

Goethes

das

eigenthümlichste nnd deutscheste Buch genannt, was unsere neuere Poesie geschaffen hat." Dramaturgie.

„Ein Dcrmächtuiß

für Deutschland

und

ein

Leitstern unserer ganzen folgenden Poesie ward Lessings Dra­ maturgie.

Hier

endlich

brach

die ganze

lang

seines Zorns gegen die französische Poesie los,

drohende und

Wetterwolke

ich

kein

kenne

Buch, bei dem ein deutsches Gemüth über den Wiederschein ächt

deutscher

Natur,

Tiefe

der Erkenntniß,

Gesundheit

des Kopfes, Energie des Charakters und Reinheit des Ge­ schmacks

innigere Freude

pfinden dürfte.

und gerechtfertigteren Stolz em­

Dies ist das Werk,

das

uns auf Einen Schlag

von dem Joch der Literatur der großen Natton befreite."

Emilia Galotti.

„Was das Stück vielleicht zum tragischsten

aller deutschen Trauerspiele macht, ist der Gebrauch des Schicksals nach den christlichen Begriffen, nach denen sich hier die Menschen mit offen­

baren Thaten ihre Geschicke selbst knüpfen,

bis,

an

der verborgensten

Stelle das unsichtbarste Fädchen, zu plump geschlungen, reißt, und das Gewebe unter den Händen jener dämonischen Orsina

auf eine treffliche

und viel feinere Weise

jene

sich

Wahrsager

auflöst, der

Tragödie darstellt, als die Margareta in Shakespeares Richard.

meisterhaft ist die Fabel in Nathan

angelegt,

die

anttken

Ebenso

wo eine Reihe dunkler,

verschlungener, zufällig scheinender, unbegreiflicher Begebenheiten zuletzt

198 in Einem lichten Punkt zusammen fallen, die, indeni sie alle Schicksals­

maschinerie, alle unmittelbaren Eingriffe der Gottheit, alle Wunder kühn leugnen und aufhebcn, preisvoll

Wunder

der

die

verkünden,

die

größtes,

Vorsehung

eine

Kinder

ihre

als

Menschen

lenkt und keinen Sperling ohne ihren Willen fallen läßt." Die

des

Erziehung

Frag­

Das

Menschengeschlechts.

ment: Ehristenthum der Vernunft. „Diese Stücke sind Muster von philosophischer Geschichtsauffassung und von spekulativer Tiefe und Klar­

heit zugleich;

in Theologie und Kirchengeschichtr

sie haben

Anregungen gebracht;

sie

sind

für

eine

ungemeine

künftige Philosophie der Ge­

schichte neben einigen historischen Gesehen, die Maechiavclli auffand, eine

wichtigere Vorarbeit, als alle Bücher, die diesen Titel führen; in ihnen steckt der Keim und Kern der ganzen neuen Philosophie, wie

eö Solche gestehen,

die

für die

wir

nächsten Kenner derselben

halten

dürfen. „So lieb Lessing durch diese Tiefe der intellectuellen Einsicht dem

philosophischen Betrachter der menschlichen Dinge wird, so wird er dem

historischen

noch

lieber

durch seine Schonung

der

Volksbegriffe

und

Alles dessen, was in dem Glauben der Menschen heilig geworden war." „Das ganze

humanistische Ehristenthum

Herders,"

heißt cs an

einer andern Stelle, „ruht auf Lessings Schultern, die ganze Behandlung der Kirchengeschichte feit Spittler und Planck auf ihm." —

Die Ausführung

über Lessing

mit

schließt

einem

Rückblick

auf

dessen „Religion Ehristi:"

„Diese Religion Ehristi,"

jagt Geroinus,

„fand er in dem

Testamente Johannis: „„Kindlein, liebet euch unter einander!"" gemüthvolle

Gespräch

Goezen unmöglich

blind gemacht.

von

von

Lessing,

ihm

das

diesen Namen

DaS

schien

führt,

Ihn hatte der Iclotisinuö

herzurühren.

Aber wie viele drücken auch jetzt noch bei all dem daS

Auge gegen ihn gewaltsam zu. Testament nicht Genüge thut,

Gegen diese Ehristomanen, denen dieses

und

Namen zu thun ist, müßte man

wieder anS diesem Aufsatz

sings Testament die Frage richten:

die christliche ReligionL

denen es nur um Buchstaben und als

Les­

Also ist die christliche Liebe nicht

O der ichwachmüthigen Wortfcchter, die diesem

Manne, trotz seiner Freigeistern, nicht mit Rührung und Wärme nach­

rufen, was sein Klosterbruder dem Nathan sagt:

Christ, ein bess'rer Christ war nie!

Und

o

Bei Gott, er war ein

der Aengstlichen,

die sich

aus Furcht vor Uebernahme unbekannter Schulden weigern wollen, dies

Vermächtniß Lessings

anzunehmcn!

Und doch!

im Nathan der Nation schon zugestossen?

Ist nicht dieses Legat

Haben nicht schon Tausende

199 an diesem Schatze Theil

an

gehabt,

dem

tausendmal Tausende

noch

theilen können? — — Wem hat nicht bei dieser freien, sichern Moral,

die in jedem 3uge großartig

und mannhaft

das Herz geschlagen?

ist,

Und welcher Alaun der spätern Zeiten wäre, den wir uns zum Muster nehmen möchten, und dem

nicht

heiter - ernste Menschlichkeit

diese

ein

Und was könnte man der Folgezeit

neuer Katechismus worden wäre?

Heilsameres wünschen, als was auch schon Goethe ungefähr gewünscht hat: daß dieser reizende Kodex

religiöser

und

weltlicher Moral

immer

tiefer in die Herzen unseres Polles greifen möchte, dem es so vorzüglich gegeben

ohne

schien,

zu

ohne

glauben

Perzweiflnng

und

frei

zu zweifeln

Aberglauben,

zu

denken

frivol

ohne

zu

___________

handeln."

R a d o lv i tz.

In einem Gedcnkblatt

den General

ans

von Radowitz aus dem

Jahre 1854*) heißt es: „Eine solche Stunde war cs, als wir im letzten Sommer, kurz zu­ vor, ehe er zum Tode erkrankte,

am

späten Nachmittage in seiner klei­

nen Gartenlaube mit ihm znsammensaßen. Das Gespräch wandte sich auf seinen deutschen Liebling, auf Lessing. „„Wo,"" sagte er, „„fan­

den tiefste Schmerzen einen ergrcifendern Ausdruck als in dem kurzen Briefe Lessings über den Tod seines Kindes.

Der Brief ist gar zu bedeutend.

Wir wollen ihn gleich hier noch einmal hören,"" und als nun auf dm Wink des Paters der betreffende Band durch seinen Joseph sogleich zur

Hand war, las er uns mit der ihm

leise ge­

so ganz cigenthümlichm,

dämpften und doch so durchdringlich vernehmlichen Stimme die bezeich­

nete Stelle.

Die fast feierlich

gesprochenen Schlußworte

des Briefes:

„ „Ich wollte cö mtd) einmal so gut haben, wie andere Menschen, —

aber es ist mir schlecht bekommen,"" sind uns unvergeßlich."

Für den persönlichen Werth des Mannes, dem diese Aeußerung über Lessing angehört und von dem der Gingang deö Gedenkblatts sagt: „Der

Tod

deS Generals

von Radowitz

dem sein Leben verfallen war,

hat den Streit

der Beurtheilungen,

gibt

nicht geschlichtet,"

der

Schlußsatz

folgendes Zeugniß:

„Manches reine Opfer ist dem Todten dargcbracht worden. ist der Stolz und Lichtpunct

„„Es

meines Lebens,"" — so konnte einer der

edelsten Zeitgenossen seiner gedenken

— „„ihm

so

nahe

gestanden zu

*) Joseph v on Radowitz. Ein Gedcnkblatt den Freunden. Berlin 1854. Verlag von W. Moeser und Kühn.

200 sein, mich seines liebevollen Wohlwollens haben erfreut« zu können, ihn begriffen zu haben, zu bewundern, wie so viel Stärke und Hoheit des Willens mit so kindlicher Milde des Gemüthts verschwistert gewesen ist."" „Es hat uns gedrängt, ihm diesen (Ährenkranz persönlicher Anerkennung,

den ihm, wenige Tage nach seinem Scheiden, in einem Briefe an eine hochverehrte Freundinn,

von

Alerandcr

gewunden, in

Humboldt

stiller Verehrung auf das Grab zu legen."

Carl Schwarz.*) „Noch jetzt lesen wir Lessings Schriften

als wenn sie der heutige Tag

geworden oder abgestanden!

mit demselben Entzücken,

Nichts

geboren hätte.

ist in

ihnen alt

Wie Achilles, der früh dahin Geraffte, im

Andenken der Griechen fortlebte in ewiger Jugend-Schöne, so lebt auch

Lessing fort im Andenken seines Volkes, mit dem Siegeskranz geschmückt um die jugendliche Stirn!

Und

in

diese Jünglingsnatur,

der Alles

frisches, keckes, sprudelndes, von Geistesfülle und Kampfeslust überströ­

mendes Leben ist, — sie ist dadurch nur um so hinreißender,

die Kraft des Mannes, die Festigkeit

das

und die Reife

sichere Maß

des Charakters

zur Seite

daß ihr

des Urtheils,

Die Verbindung

steht.

des

Mistens mit dem Charakter, die ethische Kraft, welche das ganze Geistes­

leben durchzieht

und zusammenhält,

ein die Wahrheit

nicht

dem Eigenthümlichsten

zu

gehört

und Besten des Lessingschen Wesens.

Er ist darin ein wahrer Heros,

allein wissender,

sondern

auch mit der ganzen

Kraft der Persönlichkeit für sie eintretender und kämpfender Held! -

„Wenn irgend Jemand, ist er es, der den Verstand und die Kritik

wieder zu Ehren bringen kann.

Er,

mit

seiner

köstlichen

Geistes-

Gesundheit kann, wenn wir überhaupt noch Sinn und Unterscheidungs­

kraft in

dieser Richtung haben,

uns

das Gefühl

der

haftigkeit, Ueberreiztheit und geistigen Fänlniß geben. entzückenden Einfachheit,

Zusammengesetzte sondern

sichtige war, dessen

dem

die Wahrheit

das Allereinfachste,

eigenen Krank­

Er,

mit

seiner

nie das Künstliche und

das

vollkommen Durch­

simplificirendes Streben auch gerade aus die Theo­

logie so heilsame Anwendung fand — kann uns das Bewußtsein geben

über die eigene Verschrobenheit und Künstlichkeit, welche dem Tiefsinnigen und Mysteriösen nachjagt und darüber die einfache vor den Füßen liegende

*) Gotthold Ephraim Lessing, als Theologe. Halle 1854.

201 Er, in dem der religiöse und der ethische Sinn so

Wahrheit übersieht!

tief und fest verbunden war, kann die Ueberzeugung in uns wecken, wie gefährlich die Loslösung dieses Bandes, nnd wie die Religion, wenn ihr der Nerv

des

sittlichen Willens

fehlt,

ihren Kern

und

substantiellen

Halt verliert, sich in Gefühlsschwelgerei oder Phantasterei, in Specula-

tion oder Dogmatismus anflöst. — „Die ernste und heilige Aufgabe seines Lebens, ein Reinigungsfeuer zu sein,

gemeinen ilnd

das alle schlaffeil,

confusen Elemente der Zeit

verzehre; den Verdunkelungen der Wahrheit, den unabsichtlichen wie den absichtlichen, wo er sie treffe, ungescheut entgegen zu treten, vornehmlich

aber denjenigen,

welche

sprungen ---------- diese

aus

zünftiger Gemeinheit und Egoismus ent­

ernste und

heilige Aufgabe hielt er

sie

mit warmer Begeisterung fest,

für

Aufopferung.

Begeisterung,



ethische

Die

Kampfes für das Wohl

kämpfte

er mit

das

der Menschheit, geht wie

unausgesetzt rücksichtsloser

Geftihl ein

des

guten

warmer Odem

auch noch durch die kälteste Verspottung hindurch. „Das Praktisch-Religiöse, dieser Einheits-Punkt des Religiö­ sen und Sittlichen — die Liebe, die aufopfernde, hingebende, tragende

und anerkennende Liebe,

wie

sie

nur

andern Namen

einen

und eine

concrete Erscheinungsform hat in der Toleranz anders Denkender und Glaubender, in der die Unterschiede der Stände, Völker und Religionen überwindenden Humanität, ist für Lessing unzweifelhaft der Kern der

christlichen Religion. „Ueberall soll die Idee der Menschheit, der höchste Gattungsbegriff,

auch die bestimmende

und durchschlagende Gewalt

alle Unterschiede des wirklichen Lebens, die religiösen, sollen gleichsam flüssig Feuer

der Menschenliebe,

alle

des Handelns

die socialen, gemacht

werden

nichtigen Vornrtheile,

sein;

die politischen wie in dem heiligen alle

angeblichen

Vorzüge und bevorrechteten Stellungen zusammenschmelzen in der Glut dieser Liebesflamme.

„Eine ganz

ausdrückliche Ausfiihrung

Lessings Gesprächen über Freimaurerei.

hat diese Idee

erhalten in

Die ideale Freimaurerei,

die, welche immer war, von welcher Viele der Eingeweihten nichts wissen,

und viele nicht Eingeweihte wissen, — sie besteht in nichts Anderem^ als in der Ausbildung der Humanität, in der Bewahrung der heilia^' Flamme auf dem Altar der Menschheit. — Ihre Aufgabe ist, die 9ar=

im wirklichen Leben aller Orten

austhürmenden Schranken, Vorur

und Vorrechte immer wieder niederzureißen, die große, einander entft gu(ill8 und verfeindete Familie der Menschheit immer wieder mit dem Gefü"

Einheit, mit dem warmen Odem des Familien-Geistes zu durch

202 Sn der „Schlußbetrachtung" der Schrift heißt es: „Die Capricen,

die Phantasie-Ueberreizungeu, die falschen Geist-

reichigkeiten, die Illusionen und Selbstbelügungen, wie sie das Product eines genialen Spielens mit der Wahrheit waren, sind ihm noch völlig

ftemd.

Er will nirgend das Geistreiche,

Verstand ist die grauitne Basis

überall den sichersten Halt.

sondern das Wahre.

ganzen Wesens,

seines

Dazu steht der

Der

er gibt ihm

intellectuelle und der

ethische Factor bei ihm in so vollkommenem Einklang, daß er vor gro­

ben Wahrheits-Verirrungen sicher geschützt ist.

Das Sittliche

ist bei

ihm überall das Correlatum des Religiösen und die sittliche Anwend­ barkeit und Fruchibarkett das Regulativ

für die Echtheit der Religion.

Das grade Umgekehrte gilt von der Romantik und ihren bis tief in die

Gegenwart hineinziehenden Strebungen.

Hier hat sich

die Religion

ftagmentlich losgerisseu von der sichern Leüung der Moral.

einer Gefühls- oder Phantasie-Schwelgerei geworden,

Sie ist zu

die sich weit er­

haben glaubt über die triviale Welt der sittlichen Ordnungen, zu geistreich ist, um die Moral nur noch

die viel

eines Blickes zu würdigen,

ja, die es als eine besondere Gunst erscheinen läßt, wenn sie nicht grade-

zu die bürgerliche Sittlichkeit auf den Kopf stellt.

„Lessing war unter allen Aufklärern der Einzige, der diesen Namen

wirklich verdiente, der ausklärte ohne zu verflachen, der verein­

fachte ohne

zu

verkürzen,

der

reinigte ohne

die

Wahr­

heits-Schätze zu verschleudern."

Dr.

Georg

Weber*)

„Lessing gehört zu den ersten Größen unserer Literatur, deren hohe Blüthe durch seine vielseittge und anregende Thätigkeit ganz besonders

gefördert ward.

Er war ausgezeichneter Kritiker,

einer kräftigen edlen Prosa,

Reformator

des

Schöpfer

Geschmacks,

scharfsinniger Denker und großer Dichter."---------

ebrlmch der Weltgeschichte mit Rücksicht auf Cultur, Literatur und Reli. Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelinann. 1854.

203 Lewes') „Gotthold Ephraim Lessing, einer der größten Kritiker, den die Welt je gesehen und sicherlich

saist." — „Seine Wirkungen umfassen

Gelehrsamkeit;

sophie, Kunst, Drama,

größte deutsche Pro­

der

alle Gebiete: Religion, Philo­

überall

schuf

er Neues, überall

war er scharf, klar, bestimmt; ein Nachahmer war er nirgends.

„Lessing hatte die Gelehrsamkeit eines Deutschen, aber- nie war ein

deutscher Gelehrter so sehr der volle Gegensatz eines Bücherwurms,

er.

als

Die umfasseudsten Kenntnisse waren bei ihm mit der höchsten Ach­

tung vor der menschlichen Vernunft und ihren Regeln gepaart, wie sie in

Zum Studium des Homer,

den Meisterwerken classischer Zeiten vorliegen. Sophokles, PlautuS

und Shakespeare

nicht zu ihrer Nachahmung; wo nicht als solche,

rief

er

seine Nation auf,

er siegeln bekämpfte,

sondern als unvernünftig,

aber

bekämpfte er sie

eben so wenig wie er

und

die Regel für die Mutter des Genies hielt, sah er in ihr eine drückende Fessel.

„Wie Lessing stritt, wie unablässig, wie edel, das weiß jeder Kenner der deutschen Literatur, und seine Kämpfe und Siege strahlen un­

ter den stolzesten Glorien seiner Nation."

Moritz Carriere.") „Wie er ein Mann war, im vollen aber auch im ausschließlichen

Sinne deö Worts, so daß

lichen, deö ruhigen Friedens,

sein des

selbstbewußtes Ringen

des Ewigweib­

stillen Wachsthums in

der Hut der

Natur, des passiv weichen Sichhingebens ermangelt, so war ihm in der Kunst das Musikalische,

das ahnungsreiche Helldunkel

der lyrische Selbstgenuß

des Gefühls versagt,

aber

der Stimmung,

die Poesie

der

That und des Gedankens war seine eigene im Sinngedicht, in der Fabel,

im Drama,

und wer ihm den Lorbeer des Dichters versagen

wollte, der würde verkennen, daß die Poesie vorzugsweise die Kunst des

bewußten Geistes ist, der seine Gedankenwelt im Worte offenbart, wäh­ rend der Bildner die Anschauungen der Phantasie int Raume verkörpert,

der Musiker das Weben der Gefühle

durch den Ton in der Zeit har­

monisch gestaltet. — —

*) Goethes Leben und Schriften von G. H. LeweS. Ueberseht von Dr. Julius Frese. Berlin. Verlag von Franz Duncker. 1857. **) Wcstermanns Jllustrirte deutsche Monatshefte. August 1857.

204 „Im Unabhängigkeitstrieb seiner stets forschenden, strebenden Natur erwählte Messing das Schriftstellerthum zum Lebensberuf, aber er that es mit der Größe des Geistes, und dem Ernste der Gesinnung, womit im

Alterthum ein Demosthenes sich zmn Volksredner ausgebildet und als solcher

gewirkt

Tagesblätter,

Die Presse mußte

hat.

die Zeitschriften trugen

Lande und versammelten

die Tribüne ersehen, dir

ihm

sein

geflügeltes Wort

durch

die

die Gebildeten der Nation um ihn; er wollte

in allen Angelegenheiten humaner Cultur ihr Sprecher sein, sie aufklären über sich selbst und über die Zwecke des Lebens und der Kunst, erleuch­

tend und belehrend sie zum selbstständigen Denken, zum freien Handeln und menschenwürdigen Dasein erwecken »nd hinleiten. — —

„Lessing verlangte Duldung und Achtung für die Freidenker wie für die Traditionen

für jede Ueberzeugung,

des Volkes,

indem

er den

Fanatismus bekämpfte, wollte er die Pietät für die Religion der Väter

bewahrt wissen.

— — „Wir haben gesehen, wie er die

für die Kunst,

Literatur,

Religion gewonnene Einsicht zugleich auch mit productiver Phantasie

dramatisch gestaltete und an den Laokoon, Minna von Barnhelm; an die Hamburger Dramaturgie, Cmilia Galotti; an den Streit über die Wol-

fenbüttler Fragmente Nathan den Weisen anreihte; es war

der gleiche

Sinn für Wahrheit, Natur und Cinfachheit, der hier den Dichter, dort den Denker beseelte. — — „Auch für die Philosophie der Geschichte und der Religion war sein

Wirken grundlegend und bahnbrechend, und er steht als einer der Pro­ pheten unserer gegenwärtigen Arbeit da. — —

„Erst Lessing

erkannte

eine geschichtliche Entwickelung der Ideen,

eine stufenmäßige Entfaltung der Wahrheit, eine Gestaltung derselben in verschiedenen Formen nach nationaler Eigenthümlichkeit und zeitgemäßem

Bildungsgrade.

Orthodoxie wie Aufklärer hatten die Offenbarung Gottes

an die Menschheit für unbegreiflich erklärt, nur daß die Einen sie den­

noch behaupteten, die andern sie verwarfen; Lessing verstand sie zu begreifen." — —

Julian Schmidt.*) „Lessing war der erste Dichter,

der mit empfänglichem Sinn für

das Schöne begabt, und aus voller Begeisterung für das Große, diesen

') Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod. Leipzig 1858.

205 Adel der Seele nicht zu entwürdigen glaubte, wenn er sich in die wirk­

lichen Verhältnisse

vertiefte.

Getragen von diesem Realismus des



Lebens entwöhnte er die Deutschen des Kanzleistyls der Liebe und Ehre, des romantischen Spiels mit fertigen Formen und lehrte sie die Sprache

der Freiheit: er lehrte sie, individuelle, eigene Menschen fassen und dar­

stellen. — Wenn die Verworrenheit der damaligen Bildung hauptsächlich eine geniale Kritik erforderte, so war es ein seltenes Glück, daß Lessing,

der schärffte Verstand seines Zeitalters,

zugleich

eine productive Natur

Freilich sollten nach seiner eigenen Erklärung seine Tragödien nur

war.

beweisen,

daß die Kritik bis zu einem gewissen Grade fähig sei, den

schöpferischen Drang zu ersetzen, und man hat diese Erklärung dazu be­

ihm die Poesie abzusprechen.

nutzt,

Aber man kann nicht oft genug

wiederholen, daß Lessing, obgleich seine Willenskraft und sein Verstand

bei dem Schaffen thätiger waren als bei anderen Dichtern, ein

echter,

sondern

ein großer Dichter ist.

Deutschen Charaktere geschaffen, die Widersprüche

belebt,

die

man Thaten

wie

Minna

er

zuerst

hat den Deutschen ge­

Begebenheiten künstlerisch grnppiren soll.

und

von Barnhelm

Emilia Galotti,

scharf begrenzt und doch organisch

der Wirklichkeit in sich ertragen und sich doch

mit innerer Nothwendigkeit bewegen;

zeigt,

nicht blos

Er hat zuerst den

ist

künstlerisch

noch

heute das beste deutsche Lustspiel,

betrachtet, noch heute die

beste deutsche

Tragödie. — „Wenn das belebende Princip bei Winkelmann die Schönheit, bei

Klopstock das Erhabene war,

so steigerte sich bei Lessing die Wahrheit

zur Leidenschaft, sie war sein Glück und sein Schmerz."

Dr. Johann Wilhelm Sckaefec.') „Blicken wir auf die Geschichte unserer deutschen Bühne zurück, so

sind alle dramatischen Dichtungen, die der Minna vorangingen, Lessings eigne Dramen nicht ausgenommen,

diesem Stücke

treten

wir

von der Bühne verschwunden;

in die neue Aera der

mit

dramatischen

Kunst. —

„Fast ein Menschenalter hindurch galt Emilia Galotti für

größte deutsche Tragödie.

die

Und mit Recht! denn eine ganze dramatische

Literatur rankt sich an diesem Stamme empor.

Es waren erst wenige

*) Geschichte der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Weigel. 1859.

Leipzig. T. O.

206 Jahre verflossen, seit Lessing in den Schlußworten der Dramaturgi'e — von sich das

ablegte:

berühmte Geständniß

spieler noch Dichter.

Man erweiset mir zwar manchmal die Ehre, mich

für den letzter» zu erkennen,

aber wir weil mmr mich verkennt.

einigen dramatischen Versuchen, so freigebig folgern.

„„Ich bin weder Schau­

die ich gewagt habe,

Nicht jeder,

Ms

sollte man nicht

der den Pürsel in die Hand nimmt

wid Farben verguistet, ist ein Maler.

Die ältesten von jenen Versuche»

sind in den Jahren hingeschrieben, in welchen mmr Lust und Leichtigkeit so gern für Genie hält.

Was in de» neuern Erträgliches ist, davon

bin ich

daß ich es edrzig

mir sehr bewußt,

verdanken habe.

und

allem der Kritik zu

Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch

eigene Krast sich emporarbeitet, durch eigne Krast in so reichen, so sti-

schen, so reinen Strahlen aufschießt; ich muß Alles durch Druckwerk und Röhren aus mir herauspressen." "

Das strenge Urtheil, welches Lessing,

der ost so großartig bescheiden ist,

hier gegen sich ansspricht, hätte die

romantische Schule gern so ausgelegt, daß Lessing aus der Reihe unserer Mein, das eben

großen dramatischen Dichter gestrichen worden wäre.

ist die Größe von Lessings. Genius, daß die Kritik unter seinen Händen

in die poetische Production übergeht, daß seine kritische Forschung immer zuletzt in einen: Dichtwerke ihrerr Abschluß erhält.

sagen, daß

Er konnte von sich

er die drmnatische Kunst studirt habe.

ist die volle, reife

Emilia Galotti

Frucht der umfassendsten Kemrtniß

der tragischen

Kunst, der durchdachtesten Prüstmg ihrer Gesetze. — — „Seine Gesnndheitt litt, seit ihn der schwere Schlag (der Verlust

seirrer Frau) betroffen; doch sein Geist leuchtete in seinem vollsten Glanze, als habe ihn der Schmerz nur. gereist mrd zur reinsten Humanität verklärt.

Er begamr

die Bearbeitung der freimaurerischen Gespräche Ernst und

Falk, und gab in Nathan dem Weisen und in der gedankenschweren

Mhmrdlung: Die Erziehung des Menschengeschlechts, Vermächtniß

seines

Geistes.

Ihrem Inhalte nach

Schriften ein zusammenhängendes Ganzes.

bilden

das letzte

diese drei

Sie sind nicht die unmittel­

baren Früchte der Polemik, sondern fassen unter einem höher» Gesichts­

punkte die Ergebnisse seiner religionsphilosophischcn Spekulation zusam­ men.

Der

gemeinsame Grundzug ist die Idee der Hnmmrität, welche

Lessing dahin umfaßt: Es besteht unter den Menschen eine innere; durch die Natur mrd

die

geschichtlichen Verhältnisse

alle aber sind zu einem höhern Ziele berufen,

wickelung ist die Erziehung

begründete Ungleichheit;

und

diese ihre Fortent­

des Menschengeschlechts. — Je höher die

Religion steht, desto mehr bewährt sie sich durch thätige Menschenliebe,

207 durch Duldung der Mitmenschen, die selbst in den minder Vorgeschritte­

nen nur schwächere Mitschüler sieht. — „Vor Allem ist hervorzuheben, daß in Lessing die sittliche und

die geisttge Größe im engsten Bunde standen!

Wahrheit und Freiheit

waren die Grundbedingungen seines Seelenlebens, seines Charakters wie seines Dmkens.

„Seine persönliche Erscheinung machte den Eindruck der Offenheit der Biederkeit

und Wahrheit,

und

freien Männlichkeit.

Würde und

Entschlossenheit war in der Haltung seines Hauptes, Anmuth und Sicher­ heit in allen

griff

schon

Blick

klaren

Die Lebendigkeit seines Geistes er­

seinen Bewegungen. in

seiner

klangreichen ausdrucksvollen (Stimme;

blauen

seines

Auges

Geist

sprachen

aus

dem

Herzensgüte

und

zugleich.

„So hat

ihn

Rietschels

Meisterhand

in

dem Standbilde

zu

die durch das Costüm jener Zeit

Braunschweig als liebevolle Gestalt,

an charattervoller Plastik nur gewonnen hat, wieder vor die nachfolgenden Geschlechter hingestellt.

Während die Linke ein eben vollendetes Werk

hält, ruht die Rechte auf der Brust, gleichsam den lebendig emporwal­ lenden Drang des kühnen Forschers andeutend.

hebt sich das schöne Haupt

empor,

Mit männlicher Hoheit

wenig zur Rechten

ein

gewendet,

als erwarte er mit festem Blicke den Gegner zum Kampfe.

„„He was a man, take him for all in all, I shall not look upon Inin like again.““

Adolf Stahr.') war die erste

„Das Dademecum (für Samuel Gottlob Lange)

selbstständige kritische Arbeit Lessings. Mann,

Sie war gerichtet gegen einen

den die damalige Zeit zu ihren großen Dichtem, zu den ersten

Autoritäten des ästhetischen Geschmacks

und

der Bildung

zählte,

gegen eine Leistung desselben, die bisher Niemand anders als zu erwähnen gewagt hatte.

unerbittliche Grausamkeit, Verachtung,

handelt,

mit

kommen

Der Erfolg war außerordentlich. der vemichtende

welchen Lessing in aus Rechnnng

Hohn

dieser Schrift

seiner

Antastung seiner eigenen sittlichen Würde.

und

die

und

rühmend —

Die

souveraine

seinen Gegner be­

gerechten Entrüstung über die Ohne diese Aufteizung hätte

er vielleicht seinem Gegner die zweite Züchtigung erlassen oder sie doch *) G. E. Lessing

Sein Leben und seine Werke. Berlin 1859.

208 Daß er

milder geübt.

seinen Brief

an

den Gegner

gleich Anfangs

vollkommen nach dem Muster einer Predigt eintheilt, ist ein vortrefflicher

Zug

humoristischer Ironie

der Sprache

Kritik,

noch

seiner Polemik

wenn er am Schlüsse

und

mit dm Worten recapitulirt:

„„Ich habe Ihnen gezeigt, daß Sie we­

Geschichte,

noch

Alterthümer

weder

weder

Kenntniß der Erde noch des Himmels besitzen, kurz, daß Sie keine von

dm Eigenschaften

haben,

die

zu

einem

des Horaz noth­

Uebersetzer

wendig erfordert werden"", so müssen wir hinzufiigen, daß Lessing noch mehr gethan hat, indem er mit seiner Kritik zugleich dem ganzen Trei­

ben der Halleschen Dichterschnle, der Lange angehörte, und deren ästhe­ der Hallesche

tisches Orakel

Professor

das Urtheil

war,

Meier

seiner

Oberflächlichkeit und Nichtigkeit sprach.')

„Die Literatur-Briefe Lessings sind die wichtigste und folgen­

reichste

Erscheinung

hunderts.

deutschen

der

Entstanden

in

Joumalistik

einer Zeit

voll

achtzehnten Jahr­

des

gehobener Stimmung

der

Gemüther, sind sie in ihrer schwungvollen Kühnheit ein treues Spiegel­ bild dieser tapfern und

gewann

die

kriegslustigen Zeitstimmung.

deutsche Kritik

den

In

männlichen Ernst,

ihnen

zuerst

der auf den Kern

und das Wesen der literarischen Erscheinungen eingeht, und das Urtheil nach dem Ganzen eines

über dieselben nicht nach Einzelheiten sondern Werkes bemißt. —

„Der neue Boden, auf dessen Gewinnung es Lessing

kritischen Literatur-Briefen abgesehen hatte,

mit seinen

war aber kein anderer,

als der Boden für eine im wahren Sinne nationale, d. h. eine eigen­

thümlich deutsche, aus dem innersten Wesen und Leben der Nation her­ vorgehende Literatur, in welcher sich das geistige Wesen und der Lebens­ gehalt der Gegenwart rein und unbefangen abspiegeln sollte.



Die

Ungründlichkeit und Oberflächlichkeit des Wissens und der Studien,

die

Nachlässigkeit in der Behandlung der Sprache, die seichte Pielschreiberei

untergeordneter Geister, hielten und

von

die sich nichts desto

dienstwilligen Freunden

leistung auch für solche erklärt wurden, Literatur einen Grad erreicht,

nur einen

weniger

alle für Genies

unter Vorbehalt

hatten

der Gegen­

damals in der deutschen

von dem uns selbst die Literatur-Briefe

annährenden Begriff

geben

können.

Mitten

unter

dieses

selbstgefällige Treiben der gedankenlosen und arbeitscheuen Mittelmäßig­

keit

schleuderte

nun Lessing

die

zündenden Blitze

seiner

vernichtenden

Kritik. — — „Lessings Minna von Barnhelm

* Danzel 1. S. 252 ff.

ist

das erste deutsche Na-

209 tionallustspiel, und wenn wir ehrlich sein wollen, ist es auch bis heute

das einzige geblieben.

Denn wo ist in der ganzen deutschen Literatur

nach Lessing bis auf den heutigen Tag ein solches Drama,

zurückgreifend in eine entfernte Vergangenheit,

das,

nicht

sondern anknüpfend

an

die unmittelbare Wirklichkeit des Lebens, die den Dichter (als damaligen Gouvernements - Secretair

des

Generals

Tauenzien

in

Breslau

1760—1765) umgab, an das bedeutendste Ereigniß und den gefeiertsten

Helden und Herrscher des Jahrhunderts, den specifisch deutschen Nationalge­ halt dieses Lebens mit solcher Klarheit und Einfachheit in so plastisch lebens­ wahren Gestalten wiederspiegelte, und das, während es den großen Trä­

ger dieser Zeit in ehrerbietiger Ferne die edelste

und Bedeutung und

hielt,

doch

zugleich

seine Größe

die Gerechtigkeit,

seiner Eigenschaften,

so ungesucht verherrlichte.')-------- Noch heute, nach einem Jahrhunderte ungeheuerster Wandlungen im Leben des deutschen Volkes,

wirken Les­

sings Eharaktere durch ihre poetische Wahrheit, sprechen sie uns an als Zeugen und Mithandelnde einer bedeutenden, in ihrer Art einzigen Zeit.

„Tellheim, nicht Minna, ist die Hauptperson dieses Stückes, dessen Motiv die Soldatenehre, die Ehre des Officierstandes, himmelweit ver­

schieden ist von dem halbverrückten Ehrbegriffe der spanischen Cavaliere in Lopes und Calderons Dramen." — —

„Tellheim

ist

das Muster

eines Officiers, ein echt ritterlicher Charafter in der schönsten Bedeutung dieses viel mißbrauchten Wortes. — — Die Ehre ist es, die der Liebe

den Kranz

flicht in diesem

unvergleichlichen Werke,

dem

schönsten,

das je ein Herz voll Liebe und Ehre gedichtet hat."

Ueber Laokoon „den Stolz der ästhetischen Literatur Deutschlands" heißt es,

bezüglich

Aufstellung

der

„Resultate und Wirkungen"

der Schönheit

als des

desselben:

höchsten Princips für die

„Die

bildende

Kunst der Alten; die scharfe Umgrenzung ihres Gebiets und der Nach­

weis,

auf welche Weise allein der bildende Künstler

mit dem Dichter

zu wetteifern im Stande sei; die Stellung der Poesie über alle andem Künste; die Erweiterung ihres Bereichs über die ganze sichtbare und

unsichtbare Welt des Daseins und Lebens;

der Nachweis,

daß Hand­

lung die Seele der Poesie sei; die Hervorhebung Homers gegen Virgil,

— dies Alles und wie vieles Andere noch, waren Gewinne von unschätz­

barem Werthe, und wurden Fermente für die ästhetische Cultur der gan­ zen nachfolgenden Zeit.

Sie wurden es bis auf die Gegenwart unserer

Tage."---------

*) r. Tellheim: „Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet!" (Minna von Barnhelm: Fünfter Aufzug, Neunter Auftritt.)

210 Die Hamburgische Dramaturgie. „Auch dies Werk Lessings war noch

weit

diese

fliegenden Blätter,

„„systematisches Buch"".

als Laokoon ein

weniger

die der zufälligen Anregung

Aber

ihr Dasein und

Inhalt verdanken, werden zu einer Philosophie der dramatischen Poesie, weil sie aus

einem

heroorgingen,

einem Geiste

durchgehenden

Princip

beherrscht,

dessen Gedankenbildung, von allen

in

ihren Aeußerungen

eben nur Radien eines sonnenhellen Mittelpunktes erscheinen ließ. —

„Es

galt

seiner Natton

Wahrheit zu sagen, dem Traume jener

die

die Wahrheit,

ungeschmückte

ganze

um sie zur Selbfterkenntniß zu bringen,

faulen Selbstbespiegelung

aufzurütteln,

und aus

welcher

zu

sie allezeit nur zu viele Neigung gehabt hat.---------

„Die Revolution,

war eine wesentlich kon­

welche er unternahm,

servative und der große Agitator des achtzehnten Jahrhundettö erscheint

auch hier — wie überall zugleich als der treueste Bewahrer aller wahr­ haften Errungenschaften der Vergangenheit des Menschengeistes." Die

antiquarischen

Briefe gegen Klotz.

„Seit dem Vade-

mecum für den Pastor Lange war kein solches Sttafgcricht abgehalten worden, wie es in den anttquarischen Briefen über Klotz erging. Ansprüche

auf wissenschaftliches Verdienst

Gelehrter wurden vollständig vernichtet,

Kenntnisse,

und

und

die Oberflächlichkeit seiner

die Hohlheit

die Nichttgkeit seiner Studim,

Seine

auf eine Stellung als seines

ganzen

wissenschaftlichen Treibens ebenso wie die Kniffe und Ränke seiner Po­ lemik überzeugend dargethan. — Mit ruhigstem Vorbedacht, mit lang­

samster Ueberlegung und mit

kältestem Blute schleuderte er jedes seiner

tödtlichen Geschosse auf die elenden Prahler und Cabalenmacher, die sich

groß zu machen Staub zogm.

die

strebten,

indem

sie

der Natton in den

Größen

die

Die Materien, die er in denselben behandeln mußte, um

wiffmschastliche Blöße

und Armseligkeit

interesfirten ihn unendlich weniger,

als

die

des Gegners

eben

aufzudecken,

im Werden be-

erst

griffene Nationalliteratur und die Bildung seines Volks,

die

er

durch

das Treiben jener Menschen bedroht sah." — „Die Briefe Lessings und seiner Geliebten sind von einer Einfachheit und Wahrheit der Empfindung,

Ausdrucks, Kraft

der

die uns Neigung

immer aufs Neue

zweier

vom

Leben

von einer Schlichtheit des

entzücken.



durchgeprüften

ist

die volle

und

gereiften

Menschen, das volle Bewußtsein der gegenseitigen Zusammengehörigkeit,

die klare Uebereinstimmung in Denkart und Charakter, in Grundsätzen und Maximen,

in Welt- und Menschenbettachtung,

Beruhen des Einen auf der Gediegenheit

das tiefe,

sichere

und Tüchtigkeit wie auf der

Treue und Hingebung des Andern, welche diesen Briefwechsel zu dem

211 schönsten Zeugnisse Liebe

machen,

der

würdigsten,

reinsten

und

reifsten

die vielleicht jemals zwei bedeutende Menschen verbun­

den hat." — „Ein volles Jahrhundert

Emilia Galotti.

ist verflosten,

seit

Lessing diese Schöpfung begann, mit der er den ersten granitnen Grund­

stein legte, zu dem Baue eines eignen tragischen Dramas unserer Na­ tion, wie er in seiner Minna von Barnhelm das erste nationale Lustspiel gegeben

— —

hatte.

Seit

drei

Menschenaltern

haben

Meister deutscher Schauspielkunst bis auf diesen Tag ihre eingesetzt und ihre

glänzendsten Erfolge

errungen

in

die

größten

besten Kräfte

der Darstellung

eines Werks, das schon die Herzen unserer Großväter — erschütterte." — Der Kampf mit Goeze.

„Achtzig Jahre sind vergangen, seit

diese klingenden Pfeile dem Bogen des unsterblichen Helden entflogen,

aber noch immer sind sie neu und glänzend scharf wie am ersten Tage,

immer noch sind sie das Entzücken aller derer, die sich zu seiner Fahne bekennen, wie sie der Schrecken sind für die in unsern Tagen so über­

aus

zahlreich

empor

gewucherten

Nachfahrer

des

Zionswächters

von

Hamburg." Der Berfafler sagt am Schlufle

seiner

desfallsigcn

nähern Aus­

führungen :

„Hier

kurze Zeit den Gang unserer Darstellung

müssen wir für

unterbrechen, und, ehe wir dem großen Freiheitskämpfer weiter auf der glorreichen Siegesbahn seiner letzten Lebensjahre folgen, einen Blick auf seine persönlichen Zustände

und

auf die

bittern Leiden

werfen,

unter

deren blutiger Dornenlast er seine letzten und größten Geistesthaten — (Nathan

der

Weise,

Ernst und Falk,

die

Erziehung

des

Menschengeschlechts) — gethan hat." Die Schilderungen von Lessings „Lieben und Leiden" und die sich anschließenden Bettachtungen und Urtheile über jene letzten und größten

Geistesthaten Lessings

wollen

wir

hier nicht

ferner im Auszuge

mit­

theilen, sondern sprechen statt dessen den Wunsch aus, daß das Stahrsche

Werk selbst in immer zen

unseres

weitern Kreisen Eingang finde, und dem Her­

Volkes,

dem

es

gewidmet

ist,

mehr und mehr zu

eigen werde. Der Titel ist geschmückt mit den Motten:

„Das echte Abbild von der Menschheit Adel, Der treu'ste Ritter aller Geisteswahrheit, Ihr Spiegelbild Er Selbst, in Sonnenklarheit, Der Freiheitskämpfer ohne Furcht und Tadel. "

212 Aus dem rauhen Hause.*) „Lessing hat

die

Deutschen

und

auch

mittelbar

die

andern

Völker der Gegenwart wieder recht aus dem Grunde selbst denken und uttheilen

gelehrt

in

den Gebieten,

das Denken

wo

am

Schwersten

ist, und wo Naturanlage, Gewohnheit, Ueberlieferung und dunkles Ge­

fühl die Menge der Menschen am unbedingtesten zu leiten pflegen,

im

Gebiete des Schönen und des Guten und Göttlichm,

der

Kunst,

der Sittlichkeit

und

in Sachen

Zu Gott und zur Natur

der Religion.

zurück, heißt ihm vor Allem zu sich selbst zurückkehren, zu dem Mensch-

lichsten im Menschen, zum eignen, selbstverleugnenden Suchen und Er­

Zn seinem

greifen der Wahrheit.

ersten

dichterischen Versuche

sucht

Vielheit der Welten"", im 17. Jahre,

„„die

junge Lessing schon

der

auf eigne Gefahr die „beste Welt", und ruft aus: „Besorgter als ('einmb, trat ich den Luftweg an, Wo leichter als zur See die Kühnheit scheitern kann.

Mag doch die Sinnlichkeit des frommen Frevels fluchen, Genug, die scheitern schön, die scheiternd Welten suchen." „Das ist schon ganz das Privilegium, auf dem Wege zur Wahrheit

ewig irren zu dürfen,

wag er sich von Gott kindlich ausgebeten haben

wollte, weil nicht die Wahrheit als Besitz, sondern die Mühe, kostet sie zu erlangen,

den Wetth

schon ganz der Mann,

des Menschen

ausmache.

die es Das ist

von dem Saladin im Nathan sagt, daß er da

nicht stehen bleibt, „„wo der Zufall der Geburt ihn hingeworfen,

oder

wenn er bleibt, bleibt er auö Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern." " Wmn Wieland sich der jugendlich annahm

Natur

weiblichen

Seite der menschlichen

zum Weibischen, Frivolen und Faselhaften, wenn

bis

Klopstock die höhere, geschlechtslose Kindlichkeit des Menschen, durch

die er vom Himmel stammt und zum Himmel strebt, zu Ehren brachte, ohne

nicht

sich

in's Stammelnde

bis

Kindheit zu verlieren;

und

Greisenhafte

der zweiten

so liegen Lessings Vorzüge und Fehler alle auf

Seiten der entschiedenen und einseitigen Männlichkeit. — Lessing hat da Fuß gefaßt, wo,der Germane mit der Welt der alten Grie­

chen und Römer und ihrer sittlichen Cultur

gegnet an,

und selbstständig

ihnen

wo die Humanitätsstudien

nacheifert.

innere

Mission

No. ü. und 8.

(Vorsteher des Hauses.) der

deutschen

Er knüpft wieder

des Reformattonszeitalters waren abge-

") Fliegende Blätter aus dem rauhen Hause zu Dr. Wickern.

sich geistig be­

Horn

bei Hamburg,

von

Organ des Central-Ausschusses für die

evangelischen

Kirche.

XVIII.

Serie.

1860.

213 bei Reuchlin,

bei Ulrich von Hutten,

brochen worden,

lanchthon u. s. w., und

will ihnen

bei Mebereiten,

Zukunft

eine neue

nicht als bloße Archäologie wie Winkelmann, sondern als sittlicher,

denkender, deutscher Mensch schlechtweg. — „Nach

darf von ihm,

Objekte, mit

greift

allen Seiten

und Dichter in

als Schriftsteller

dieser Mann

grade

größten Probleme

die

der Weltgeschichte

zumal als Dichter sagen:

er ist

ein.

Man

größer noch durch die

beiten er immer und überall, selbst im Lustspiel, zu thun

hat, als durch das, was er aus den Objecten macht.

Bei einem Dich­

ter wie Goethe, der so durchaus Poet, Gestaltenschöpfer war, selbst in der wissenschaftlichen Forschung ist dies vielmehr umgekehrt.

ler

steht

wicht.

Zn Schil­

dem Dichter je länger je mehr in Gleichge­

der Denker mit

und nur

und ganz und gar Denker,

Lessing ist vor Allem

durch die wunderbare Eigenthümlichkeit, Schärfe und Bestimmtheit, wo­

mit der Denkprozeß in ihm arbeitet,

er

ist

geworden.

Dichter

auch

Er ist der incarnirte Verstand der deutschen Nation.') —

englischen

starken Rest

englischen

die

von der Uebertreibung und

ähnlicher

zu

sich

selbst

und auf

heimischer Und

Geist und Herzen.

moralischen

eingeführt,

Clarissen

er vollends

Füßen

in seiner Sarah Sampson

Trauerspiel

in

Vorbildern

nnd Familienlebens

gerlichen

ist

schon das

hatte

„Lessing

nach

und

noch

gekommen, und

steht

und

denkt

mit

einem

Sentimentalität

falschen

Romanfiguren.

Erde,

bür­

des

Conflicte

wenngleich

In stracks fühlt

der

der

Minna

aus eignen mit

eignem

damit war auch die Emancipation des deut­

schen Geistes von aller Fremdherrschaft zuerst besiegelt; wir lernten uns sittlich selbst verstehen

und

selbst achten.

Wie

ein

anderer Odysseus

kehrte endlich der deutsche Geist aus langen Irrfahrten kreuz und quer in sein stilles heimisches Zthaka zurück.

Aber nur erst schlafend gelangte

er ans Gestade und lange nachher erst erkannte er vollends die ersehnte und entbehrte Heimath und küßte den Boden.

Sittlich ernst ist diese

unsere einzige Nationalkomödie in dem Grade, daß sie ganz und durch­ aus auf die Lösung einer sittlichen Aufgabe gebaut ist und aus ihr sich heraus entfaltet.

Menschenwerth und ManneSwerth ist im All ge-

meinen der Kern der Dichtung,

nemlich als

unabhängig

und rein in

sich gegründet im Verhältniß zu allen äußeren Glücksgütern, selbst zur

Liebe des Weibes,

so

weit

Glücksgüter mit sich führt.

dieselbe

ein äußeres Gut

ist

und

andre

Der ächte, bescheidene Mann von sittlichem

*) Lessing, le plus grand penseur de l’Allemagne Pierre Leroux de l’humanite. Paris 1845.

depuis Leibnitz.

214 mit Armuth und mit Berkennung der schlimmsten

in Conflict

Werth,

Art von Seiten seiner Dvrgesetztcn, kann sich nicht herbeilassen, von der

geliebten Frau, je wahrer er liebt, Güter des Glücks und der Chre le­

diglich zu empfangen.

Aber die ächte, liebende Frau wähnt auch nicht,

dem Manne erst verleihen zu können, was er in sich selbst besitzt; lieber will sie

von

seinem Cdelmuth

von ihm empfangen,

seiner Armuth

und

ihr gleiches Theil

So entspricht

als für seine Wohlthäterin gelten.

der wahren männlichen Liebe,

die lieber Alles daran geben,

als etwas

zum Nachtheil der Geliebten empfangen will, die ächte des Weibes, die

Daß solche Liebe zuletzt siegreich

grade im Hinnehmen ihre Ehre sucht.

wird über alle Mißverhältnisse, ist doch der eigentliche Grundgedanke. „Merkwürdig genug hat Lessing das gleiche Problem in sehr ernst­ hafter Weise in seinem späteren Leben zu lösen gehabt und auf

wür­

digste Weise gelöst. — Man muß darauf Hinweisen, um es entschieden

An

aussprechen zu dürfen:

ja

keit,

an Heroismus

wahrer,

keuscher Sittlich­

ernster,

wirklichen selbstverleugnenden

der

Liebe,

nicht sinnlicher Leidenschaft,

ragt Lessing

unsere

sämmtlichen großen

und

Dichter

großen Männer überhaupt empor. ein

an das Christenthum

war

es

Christ

in

weit über

meisten

die

über

So weit man ohne Glauben der

That

sein kann, so weit

Lessing und er beschämt dadurch die Massen derer, die mit

Allem, was christlich an ihnen ist und heißt, doch keine Jünger Christi sind im Geist und in der Wahrheit, sondern meist nur in der Form."

Der Unterschied Ueberzeugungen

des

des

religiösen

ungenannten Verfassers

der

und

Standpunktes

dieser Blätter

religiösen aus

dem

rauhen Hause zu dem religiösen Standpunkte und den religiösen Ueber­

zeugungen Lessings ist in den letzten Worten hinlänglich angedeutet, und in andern Stellen

des

sehr ausführlichen

Entschiedenheit wiederholt ausgesprochen.

Auftatzes

mit

bestimmtester

Es geschieht dies zuerst in der

Beurtheilung von Emilia Galotti, die „bei aller entschiedenen sitttlichen Hoheit und wunderbaren dramatischen Kraft

doch

schon heidnisch­

römisch angethan ist," und dann in erhöhtem Maße in der Beurtheilung

des Lessingfchen Nathan, wie sehr der Verfasset im klebrigen auch den Worten Wackernagels über dieses Werk")

zustimmt, daß es

„„mit

so reichen Fäden wie kein Gedicht sonst in das ganze Getriebe der Zeit und ihrer Literatur verwoben,

wirkung noch für

keines sonst auch

unsere Zeit bedeutsam"" sei.

in

so lebendiger Fort­

Sein eigenes Urtheil

*) Protestantische Monatöblätter für inner« Zeitgeschichte, herausgegeben von Dr. Heinrich Gelzer. VI. Bd. 232. Gotha 1855.

215 über Lessings Nathan ist schließlich von dem Verfasser dahin zusammen­ gefaßt, daß er „tief unter dem Niveau des Christenthums Christi und der Apostel, unter der wirklichen Religion Christi steht," weil seine Liebe „tief unter ihrer Liebe steht, vor Allem auch seine Liebe zu Gott und zur göttlichen Wahrheit, um deren Willen allein die Menschen gründlich zu lieben find." „Aber, und das ist freilich ein großes und bedenkliches aber," — setzt der Verfasser seiner Verwahrung gegen eine Gleichstellung des Einen und des anderen Christenthums und der Einen und der an­ dern Liebe hinzu, — „wie tief steht zu allen Zeiten das Christen­ thum der Kirchen und Confessionen, auch unser heuttges, immerhin geläutettes Christenthum und Kirchenwesen unter .dem Niveau der Liebe Christi, von welcher der Apostel sagen durfte: „„Die Liebe Christi dringet uns."" „Wie ttef steht die christliche Religion in diesem Sinne wirklich unter der Religion Christi! Wie viel Verachtung ftemden Glaubens mischt sich noch heute in das Bekenntniß Christi, wie viel beschräntte Bekehrungssucht in den Glaubenseifer, die dem Andern nicht das Heil, von der Liebe Gottes ihm wie Allen zugedacht und zubereitet, verkündigen, sondem ihm eine bestimmte irdische Form und Fassung dieses Heils aufdrängen möchte oder auffchmeicheln aus eigner Herrsch­ sucht. Wie wenig ist von dem apostolischen: „„Allen Alles werden"" im Ganzen und Großen zu finden, selbst bei der unleugbar großen Selbstverleugnung in den Missionen. Mie wenig Mühe giebt man sich bei allem Reden von der Liebe sein enges Herz zum Herzen Gottes zu erweitern, wie es in Christo lebt und die Welt umfaßt, wie es die Apostel drängte, eine jede Seele in ihrer Weise zum Vater zu führen, ein jedes Volk in seiner eigenthümlichen Natur ihm untetthan zu ma­ chen. Denn in seines Vaters Hause sind viele Wohnungen und,er wäre nicht der Weg schlechthin und die Wahrheit und daS Leben selber, wenn er nicht jedes Menschenherz in seiner eigensten Freiheit und Eigen­ thümlichkeit — ohne Zwang und Schablone — zu ergreifen vermöchte und in sein Bild umzuwandeln, wenn er nicht den letzten Funken deS Gott suchenden Geistes auch im völlig verwahrlosten und Gott entfremdeten Menschen als ein Heiligthum liebend achtete und pflegte. — „Nur die Liebe, so voll und wahr wie sie in Christo wohnte, kann auch heute noch die elend zerrissene Welt Heilmd überwinden und überwindend heilen. Das ist der ewig wahre, der eigentliche Sinn von Lessings Nathan und von seinem ganzen Denken und Dichten, daS ist die Religion Christi, die er der christlichen Religion und Kirche mahnend entgegen hält."

216

Werner Hahn.*)**) „— — Die Hamburgische Dramaturgie

ist



aus

einer

Theaterzeitung zu einem classischen Werke geworden, welches die Grund­ gesetze des Dramas, besonders nach der Poetik des Aristoteles, außerdem dem Vorbilde Shakespeares

nach

erläutert, —

ein Werk, mit welchem

in der deutschen Literatur die Nachahmung der Franzosen und der Jrrtijum, daß die französischen Dichter dm Charakter des griechischen Dra­

mas begriffen hätten, für alle Zeit überwunden wurde.

Goethes vol­

lendete Meisterwerke (Iphigenie, Tasso) sind die Früchte, die

nur an diesen Lessingschen Studien reifen konnten."---------

Moritz Rapp.") „Man darf wohl sagen, daß sein Laokoon und

seine Dramaturgie

den ersten Grund zu einer nattonaldeutschen Aesthetik gelegt

war der erste Deutsche,

haben;

der sich von der Anbeterei des Auslandes

er

be­

freite und die Kunst aus sich selbst zu begreifen unternahm." —

Aus dem Wagenerschen Staats- und GeseÜschasts.Lexikon.*'*) — „Schon auf der Schule zu Meißen hatte der junge Lessing den fernen Kanonendonner

der Schlacht von Kesselsdorf vernommen,

hatte

dm Keim zur Bewunderung des großen Feldherm und Regmten gelegt, dm

wir später

sehen.

bei dem Jüngling Lessing

zu

voller Blüthe

aufgehen

Lessing wurde der eigentliche Befreier Deutschlands von der Herr­

schaft des französischen Geschmacks; mit seinen theologischen und archäo-

logischm Stteitschriften hebt

unsere wiffenschaftliche,

mit innen gehalt­

reichen Arbeiten für die Literatur-Briefe, seinem Laokoon, seiner Drama­

turgie, die ihm dm Kranz der Unsterblichkeit geflochten hat, ästhettsche Krittk an. *) Geschichte

Wilhelm Herz.

hebt unsere

In seinen drei Musterdramen Minna von Barn-

der poetischen Literatur (Bessersche Buchhandlung.)

der

Deutschen.

Berlin.

Verlag von

1860.

**) Das goldne Alter der deutschen Poesie.

Tübingen 1861.

"*) Staats- und Gesellschafts-Lexikon, herausgegeden von Hermann Wagener. 63. und 54. Heft. 1861.

217 Nathan

Helm, Emilia Galotti,

der Weise,

hat er den Ton der Kunst

herzustellen gewußt, und der deutschen Schaubühne, die durch seine Werke noch

geziert ist,

neue

Wege angewiesen,

selbst

muthiger Führer

als

vorangehend und die dramatischen Dichter seiner Zeit weit hinter sich zurücklassend." —

Rudolph Gottschalk."„Wie Herder

ein Mann der Empfindung,

die oft in Empfind­

lichkeit umschlug, so war Lessing ein Mann des Verstandes, und zwar eines so großen, klaren und scharfen Verstandes, daß die deutsche Lite-

ratur ihm keinen Nebenbuhler an die Seite stellen kann.---------Lessings Analyse war eine rettende That, und in ihm kam der rechte Mann zur rechten Zeit. — — Ihm verdankt die deutsche Bühne ihre Wiedergeburt,

die deutsche Kritik ein bis jetzt unerreichtes Vorbild,

die

deutsche Pro-

ducfion einenSchatz von goldenen Regeln und einen Compaß, den sie stets nur zu ihrem Schaden unbeachtet läßt.

Lessings

Kritik war kein Brillantfeuer geistreicher Einfälle, kein Messen nach will­ kürlichen

Maßstäben

und von

einseitigen Standpunkten aus;

sie legte

Nichts hinein und schob Nichts unter, sie lebte sich nur in ihren Gegen­ stand,

in das Kunstwerk hinein und suchte es mit innerer Nothwendig-

keit kritisch

Praxis klar,

nachzugestalten.

Denn

daß das Dichten

er machte zuerst

Phantasie, sondern auch einen großen erfordere.

Der Verstand

große

nicht blos eine

sollte nicht

und

in Theorie und

und schöpferische

schöpferischen Verstand

blos die Phantasie beauffichfigen

und beschränken; beide sollten organisch mit einander verbunden sein und

wie Kops und Herz im lebendigen Menschen in ungetrennter Thätigkeit wirken. — Indem Lessing das Gesetz des Aristoteles durch den Kanon der Natur und

der innern Wahrheit belebte und

der rhetorischen Ver­

flachung die freie Entfaltung des Charakteristischen gegenüberstellte, ebnete er der deutschen Production die Bahn zu bedeutenden Schöpfungen und

machte einen gewaltsamen Bruch mit der Vergangenheit nothwendig. — Doch Lessing gab nicht blos das Gesetz; er gab auch das Beispiel.

Die

Energie seines Verstandes war so groß, daß sie selbst dichterische Schö­ pfungen hervorbrachte,

die sonst

nur

aus

dem

freien Triebe

genialer

•) Die deutsche National Literatur in der ersten Hälft« des neunzehnten Jahr­ hunderts. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Breslau, Verlag von Eduard Trewendt. 1861.

218 Phantasie entstehen. — — Nur

was

die Gegenwart wahrhaft

interessirt, wird auch einst die Zukunft

liefert Messings Minna ein glänzendes Beispiel.

interessiren.

Dafür

Doch auch in formeller

Beziehung, durch Wahrheit der Charakteristik, durch glücklichen Ausdruck

gesunder Cmpfindung, durch vorzügliche Handhabung einer eben so kla­

ren wie kräftigen Prosa war sie von unberechenbarem Einflüsse auf die Fortbildung

des

deutschen

Dramas. — —

Nathan

Lessings

der

Weise, das große Drama religiöser Toleranz, das in seiner Art in un­ serer Literatur einzig blieb.

Es ist — dieses Drama — gleichsam



Lessings Vermächtnis«, welches in der Nation so tiefe Wurzel geschlagen

hat, daß alle Verkehrtheit frömmelnder Richtungen es nicht auszurotten im Stande ist.

Lessings Polemik gegen die Orthodoxie war nur engern

Kreisen zugänglich; in seinem Nathan verpflanzte er den posittoen Kern seines Wirkens auf die Bühne, und hier wuchs er zum Baume empor, der seine Segnungen bereits dem

Theil werden läßt. Praxis

der

dritten und vierten Geschlecht zu

Er fand in der Menschen- und Bruderliebe, in der

religiösen Gesinnung

concentrischen

aller

den Mittelpunkt

Kreise, welch? die einzelnen Religionen beschreiben, wie verschieden auch ihre dogmatischen Radien sind. — —

Durch seine kritischen Thaten so­

wohl, wie durch seine dramatischen Muster wurde Lessing der Vorläufer von Goethe und Schiller,

mit

denen

zusammen er trotz der

frühern Zeit seines Wirkens, dem neunzehnten Jahrhundert

noch so vollständig und wesentlich angehört,

wie

dem acht­

zehnten."

B l ll n t s ch l i.*) „Die politische Bedeutung Lessings

wird gewöhnlich untcr-

ichätzt, «veil sie uns nicht in unmittelbarer Erscheinung aus seinen Wer­

ken entgegen tritt.

Lessing

hat keine

einzige Schrift

von staatöwissen-

schaftlichcm Inhalte oder direkter politischer Tendenz herausgegeben, und

ttotzdem eine tiefer gehende und nachhaltigere polittsche Wirkung auf die deutsche Nation ausgeübt, als alle deutschen staatswissenschaftlichen und

polittschcn

Schriftsteller

seines Jahrhunderts;

denn

vor

allen Andern

ist Lessing als der geistige Befreier seiner Natton zu ehren.

„Lessing gehört ganz und gar dem modernen Leben an, ') Deutsche» Staats-Wörterbuch. 55. und 56. Heft. 1861. —

dem er

Stuttgart und Leipzig.

219 in Deutschland in seiner bürgerlichen Art als Literat im besten

Sinne des Worts eben so Bahn gebrochen hat, wie Friedrich der

Große als Staatsmann

und Gesetzgeber.

„Weit über das Gebiet der Theologie hinaus muß die Entknech-

führen

tung des wissenschaftlichen Denkens

die

vornehm­

wir Lessing

lich verdanken, wenn er die Theologen von dem geistlähmenden Buch­ Lag nicht die Philologie und die Jurispru­

stabendienst befreite.

denz in ähnlichem Duchstabendienst gefangen?

Waren nicht die Philo­

logen gewohnt, die alten klassischen Schriften mit eben so stumpftinniger

Demuth zu betrachten, wie die Theologen die Bibel?

War es den Ju­

risten eher klar, daß die Gesetze mehr noch der Ausdruck des lebendigen

Rechts als dessen Grund und Quelle seien,

daß das Christenthum

als

den Geistlichen gewiß,

nicht daS Werk der heiligen Schriften sei?

Zn

allen diesen Beziehungen hat der Anstoß, den Lessing gegeben, noch nicht

das Cnde seiner Wirksamkeit erreicht.

Wir müssen fort und fort daran

erinnern, welche noch ungebahnte Wege er dem Wahrheitsstreben eröff­ net hat.

„Bei alledem war es Lessing nicht um die Gelehrten zu thun. arbeitete

für

bte geistige Erweckung,

Volkes, und weiter noch für die Fortbildung der Menschheit. bemühte er sich,

die größten

Er

Befteiung und Veredlung seines Deshalb

und fruchtbarsten Wahrheiten in eine ge­

fassen und für Jedermann zugänglich und

meinverständliche Form

zu

anschaulich zu machen.

Er sprach sie in kurzen klaren Sätzen der Prosa

aus, und er führte sie

in dem

reichen Schmuck der Poesie dem Volke

vor.---------

„Den Gedanken, die

Menschengeschlechts

religiöse Offenbarung

zu fassen,

hatten

als Erziehung

des

auch ältere Denker vor ihm

gehabt, aber er zuerst hat diesen Gedanken mit dem Fleiße ausgebildet und mit der Energie ausgesprochen, durch welche eine geistreiche Bemer­

kung in leuchtend: Wahrheit verwandelt wird. „Ihren glänzendsten Triumph hat die religiöse Humanität Lessings

in dem herrlichen Drama: Nathan der Weise genwärtig giebt

es

keinen bedeutenden Ort



gefeiert.

in Deutschland

— Ge­

mehr,

wo

Lessing gehindert würde, die Kanzel der Bühne zu besteigen und in dem Nathan zum Aerger aller Zeloten seine prächtige Predigt gegen die re­

ligiöse Eitelkeit

und Selbstgefälligkeit

und

gegen

den

kirchlichen Ver-

ketzenlngseifer vor allem Volk zu halten.

„Auch Voltaire

hat in dieser Richtung befteiend

gewirkt;

aber

wenn der Franzose und der Deutsche an Verstand und Witz einander

ebenbürtig und an literarischem Ruhm bei ihrer Natton vergleichbar find,

220 — so ist doch Lessing durch seinen Charaster

und seine Wissenschaftlichkeit

dem genialen Boltaire sehr überlegen.

„Auf die Frivolität und Liederlichkeit, mit der Voltaire die religiö­ sen Voruriheile und

die kirchliche Autorität angriff, mußte die Revo­

lution folgen; der sittliche Ernst und die Wahrhaftigkeit, welche Lessing in seinen Kämpfen bewährte, konnte die Hoffnung erwecken, daß Deutsch­

land durch die Reform gereinigt werde.

„Die

einzige allgemein

bekannte Schrift,

da auf einem Umwege das Ziel für

Gespräche

er

versuchte.

anstrebt,

Freimaurer."

Schon

seiner

eine

in

welcher Lessing den

näher bespricht, obwohl er sogar

Staat und die bürgerliche Gesellschaft

sind:

und

Falk,

fteilich,

welche

„Ernst

Nicht

die

ersten

Jugendarbeiten,

einzige

die

Bear­

beitung der Tragödie Henzi — Henzi wurde im Jahre 1749 ju Bern hingerichtet

zeittg

sofort

und

erlebten Stoff

nahm

wollte darin,

Lessing

Jüngling

der

deutung.

Er

Auftührer

im Gegensatze mit dem Patrioten

nach

diesen

gleich-

eine eminent polittsche Be­

in Angriff, — hatte seiner

Aussage:

eigenen

und

Gegensatze mit dem wahren Oberhaupte schildern.

„„den

den Unterdrücker im Henzi ist der Pa­

triot, Dücret der Auftührer, Steiger das wahre Oberhaupt und dieser

oder jener Rathsherr der Unterdrücker."" „Auch über

die

deutsche Freiheit

und

über

die Reichsver­

fassung hat er Studien gemacht, die unter andem äußern Umständen

wohl zu kostbaren Werken geführt hätten.

Aber es sah damals in dem

verwesenden heiligen römischen Reiche so ganz elend aus,

es fehlten so

völlig die Bedingungen zu einer polittschen Reform, daß auch ein Mann, wie Lessing, es vorzog, eher noch den religiösen als den polittschen Fragen

seine Zeit und Kraft zu widmen. — —

„Er kannte seine Natton gut genug, um zu wissen, daß erst ihre religiöse und geistige Befteiung vorhergehen müsse, bevor ihre polittsche

Erhebung möglich werde.

jene und

Daher arbeitete er mit aller Anstrengung für

hinterließ den spätern

durch

ihn

erzogenen Geschlechtern

die

Pflicht, die polittsche Aufgabe zu lösen. — —

„Obwohl Lessing vorzugsweise

die deutsche Nattonalität wieder zu

Ehren gezogen und in manchem Bettacht als

der Deutscheste unter

unsern classischen Schriftstellern erscheint — so hält er sich doch

von der beschräntten Deutschthümelei vieler Spätern ganz frei. nicht blind gegen

die Vorzüge der

dankbar für ihre Verdienste;

andem Culturvölker

Er ist

und nicht un­

er sucht nicht die Schwächm und Fehler

des deutschm Wesens zu verheimlichen, sondem bemüht sich, dieselben zu corrigiren.

Er vergißt nie über der deutschen Natton die größere Mmsch

221 heit, beten bloßer Theil jene ist, und ordnet den Anordnungen der Hu­ manität, ohne zu zögern oder zu markten, willig die Ansprüche seines Volkes unter. Er ist, wie seine jüngern Zeitgenossen Herder, Goethe, Schiller, mehr noch Weltbürger als deutscher Patriot. Er weiß genau, wo Patriotismus Tugend zu sein aushört."

Carl Goedeke.*) „Mit Lessings Wirksamkeit, die keinen andern Mittelpunkt kannte als rastlose Forschung, kam das eigentlich bewegende Leben in die deut­ sche Literatur. Für ihn gab es keine Autoritäten; er brach mit der Schulgelehrsamkeit und fragte den Glauben, die Offenbarung selbst nach dm Gründen. — In alle Richtungen der Kunst und philosophischen Wissenschaften, in Theologie und Aesthetik brachte er die befruchtende Anregung."

Franz Sandvoß**) „Lessing war ein Apostel der Humanität, ein strahlmdes Muster deutscher Redlichkeit, deutschen Fleißes, deutscher Geistestiefe."

•) Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung.

Zweite Ausgabe 1862.

”) In seinem Aufsätze: Lessing, Goeze und Röpe, in No. 185 der er­ sten Beilage zur Vossischen Zeitung vom 10. August 1862. Vergl. „Johann Melchior Goeze" Eine Rettung von Dr. Georg Reinhard Röpe, Hamburg 1860. Heroldsche Buchhandlung, und die dadurch hervorgerufene Gegenschrift: „Lessing und Goeze." Ein Beitrag zur Literatur- und Kirchengeschichte des acht­ zehnten Jahrhunderts. Zugleich als Widerlegung der Röpeschen Schrift von August Boden. Leipzig und Heidelberg. C. F. Wintersche VerlagShandlunz 1862. In der Vorrede zu seiner Schrift sagt Röpe: „Die Verehrung gegen den gro­ ßen Schriftsteller, die willige und freudige Anerkennung alles dessen, was er in der Kritik, Poesie und Archäologie Großes und Herrliches geleistet, bleibt jeden­ falls bestehen; und wer Lessing wirklich als einen Wahrheitsfreund erkannt hat, wie er es denn sicher gewesen ist, muß doch auch zugestehen, daß derjenige in LessingS Sinn handelt, der ein von ihm gethaneS Unrecht wieder gut macht, so fern es nur in der Wahrheit geschieht und in der Liebe." — Boden dagegen spricht in der Vorrede zu seiner umfassenden und tief eingehenden Gegenschrift die Hoffnung aus, daß, „wer den großen Mann wahrhaft zu schätzen weiß, mit Ver­ gnügen und Befriedigung wahrnehmen werde, wie gerechtfertigt er auch in seinem Streite mit Goeze nach dem von ihm hergestellten und un­ verfälscht wiedergegebenen Thatbestände desselben dastehe."

222

C. Heble r.*>**) „Lessings Kampf gegen Es waren

nicht

allein

ihre

die Franzosen

war

kein blos ästhetischer.

schlechten Tragödien, ihre Witzeleien ohne

ihr esprit ohne Geist, waS ihn ärgerte ; es empörte ihn der na­

Witz,

tionale Hochmnth, womit dieses Schlechte

auf dem einen Nheinufer für

gut ausgegeben, und die nationale Demuth, womit es auf dem andern

abgenommen und nachgcäsft wurde. — Eine der 1759 erschienenen Fa­ beln lautet:

„ „Nenne mir ein so geschicktes Thier, dem ich nicht nach­

ahmen könnte!""

so

prahlte der

Affe

gegen

den Fuchs.

Der Fuchs

aber erwiderte: „„Und Du, nenne mir ein so geringschätziges Thier, dem

Dir nachzuahmen.""

es einfallen könnte,

Schriftsteller meiner Nation!

Mutz ich mich noch deutlicher erklären?""

ist Lessing bekanntlich

nichts angelegener,

Auch

in der Dramaturgie

als seine Landsleute von der

Ueberschätzung des Ausländischen, besonders des Französischen,

zurückzu­

bringen, sie zu vermögen eine eigene Nation sein zu wollen — hierin

sollten sie den Franzosen nacheifern, nacheifern z. B. in dem patriotischen Stolz auf die Thaten der Vorfahren und in der Dankbarkeit gegen die

Dichter, welche diese Thaten verherrlichen. — „Wohl verfocht Lessing sein Vaterland mit aller Wärme gegen die

Fremde, aber ganz gewiß würde er, wenn sich seine Nation Uebergriffe

sie — in ihrer Mitte —

erlaubt hätte, gegen letzten

genommen

Er war

haben.

wenig als in Liebe,

geschweige denn,

die Pattei

kein Franzosenfresser,

wie

es

sonst

der ver­

in Haß

vorkommen

so

mag,

nach einander in beiden."

V i l m a r." ) „Lessings Leben und ein Theil seiner literarischen Thätigkeit pflegt

auf viele beim ersten Anblick nicht den günstigsten Eindruck zu machen, es scheint ihn eine nie gestillte Unruhe hin- und herzutteiben, eine fast

planlose Vielgeschäftigkeit zu verzehren.

In

*) Lessing-Studien.

zu zerspalten

diesem Tadel

Bern.

und

seine Kräfte

vor der Zeit

liegt allerdings etwas Wahres; bald

Verlag von Huber und Comp. 1862.

**) Geschichte der deutschen National-öiteratur

Neunte Aufl.

Marburg. 1862.

223 in Leipzig

bald in Berlin

in Leipzig

und wieder

und in Berlin,

Breslau, Hamburg und Wolfenbüttel und nirgends befriedigt,

in

nirgends

zufrieden, mit unzähligen Plänen beschäftigt und rastlos thättg, und doch,

mit verhältnißmäßig wenig Ausnahmen nur Vereinzeltes und Zufälliges hervorbringend — so finden wir ihn;

Zerstreuung und Vielgeschäftigkeit,

aber

könnte

wer

bei

all dieser

dieser Beweglichkeit und Unruhe

bei

die innere feste Einheit der kräftigen Seele, die tiefste Ruhe des klarsten die unerschütterte Selbstständigkeit eines den Außendingen

Bewußtseins,

überlegenen starken Geistes verkennen? — Mit einer Ueberlegenheit gegen

die kein Widerspruch aufkam, mit einer Scharfsichtigkeit, der nichts ver­

borgen blieb, mit einer Aufrichtigkeit und Offenheit, die nichts verschweigt, nichts beschönigt,

werden.

der Zeit

mußte

ihre Aufgabe

Und das hat Lessing gethan.

und ihr Ziel gezeigt

Durch ihn erst ist die Abhän­

gigkeit von unsern modernen Nachbarn, den Franzosen, völlig gebrochen, durch ihn der drohenden Unterordnung unter die Engländer eine Schranke

gesetzt, durch ihn das strenge Maß und die durchsichtige Form der An­ tike zu unserm Maß und zu unserer Form erhoben worden.

cher Weise

gleicher Schärfe

mit

und

Zn glei­

gegen

sich Lessing

richtete

den

großen Duns, wie er ihn nannte, gegen Gottsched und dessen geistlosen

Formelkram,

wie

im Messias,

gegen die unfähigen Bearbeiter und Nachahmer des Horaz,

gegen Klopstock

(den Dichter Lange),

wie

und dessen gestaltlose Darstellungen,

gegen den

neuen Nachahmer der Franzosen,

seinen alten Freund Weiße, gegen die breite Fabeldichtung des Hagedorn

Gellett und Lichtwer,

und

gegen die Lehrpoesie überhaupt,

wie gegen

die Sucht in der Poesie zu schildern und zu malen; er stellt wie Bod­

mer die erfindende, schöpferische Kunst des Dichters als erstes Erforder­

niß der wahrhaften Dichtung auf,

aber

neben

die Kraft

setzt

er das

strengste Maß und die festeste Regel: im Drama gilt ihm neben Sha­

kespeare, den zwar Wieland zuerst 1762 übersetzte, auf den aber Lessing zuerst mit vollem Bewußtsein und vollem Erfolge hinwies,

der Kanon

des Aristoteles.

„Diese reinigende,

nicht zerstörende, das Herkommen vernichtende,

aber eine neue Regel schaffende, lebm,

Mitfortschreiten,

diese

überall zum Mitforschen,

auffordernde Kritik,

wie

sie

noch

Mit-

niemals in

Deutschland vorhanden war und seitdem nicht wieder vorhanden gewesen

ist, hat Lessing zunächst in seinen didaktischen und kritischen Schrif­ deren Aufzählung

ten bewiesen,

hervorzuheben, Prosa,

der

daß

er

Erzeuger

Eigenthümliche

derselben

nächst der

nicht hierher gehört. Luther,

modernen

ist

die

der

zweite

Prosa

Darstellung

Wohl Schöpfer

geworden des

ist.

aber

ist

unserer

Das

dialektischen

224 Processes

seiner

vollen

in Lessings Styl

wir hören

welchem

in

ein

gleichsam

Wahrheit

ein

höchsten

und

belebtes

geistreiches,

treffender

den

auf

Gedanke

Lebhaftigkeit;

Gespräch,

andern

in

wartet,

einer den andern hervorlockt, einer von dem andern abgelöst, durch den

andern berichtigt, gefördert, entwickelt und vollendet wird; Gedanke folgt auf Gedanke, Zug auf Zug, im heitersten Spiele und dennoch mit un­

fast zauberhafter Gewalt

begreiflicher,

fortreißend, beredend, überzeugend,

auf

uns

uns mit

eindringend,

wir können uns der

überwältigend:

Theilnahme an dem Gespräche nicht mtziehm, wir glauben selbst mitzu­

reden, und zwar mit solcher Lebhaftigkeit, Klarheit, Bestimmtheit mitzu­ reden,

wir

wie

Widerlegung,

Zweifel und Erläuterung wechselung,

niemals

noch

sonst

Zugeständniß

und

folgen

gesprochen

Beschränkung, aufeinander

in

Antwort,

und

ununterbrochener Ab­

bis alle Seiten des Gegenstandes nach

kehrt und besprochen sind,

Einrede und

haben; Frage

einander herausge­

daß doch bei einer einzigen nur einen

ohne

Augenblick länger verweilt würde, als zur vollständigen Darlegung der­ selben nöthig ist:

da ist

kein müßiger Gedanke,

kein

ausschmückender

Satz, kein überflüssiges Wort, nichts was nur angedeutet,

halb ausge­

sprochen, dem Besinnen und Errathen überlassen wäre, der Gegenstand muß sich unserm Denken,

unserer Anschauung ganz und gar hergebm;

er wird vollständig durchdrungen,

aufgelöst und in unser innerstes gei­

stiges Leben hineingezogen, unserm Geiste im Ganzen und in allen feinen Theilen assimilirt.

„Diejenige Gattung

der Dichtkunst,

in

schaffend

welcher Lessing

und Weg bahnend auftrat, war das Drama. — Minna

von

Barnhelm.

„Specifisch erhaben über seine Zeit

wurde das Stück dadurch,

daß es zum Hintergründe die großen, welt­

bewegenden Begebmheitm

des siebenjährigen

Krieges hatte,

und

zum

Inhalte ein nicht bloß gemachtes sondern ein wahres Leben, eine nicht

in dm engen Schrankm häuslicher Zufälle und kleinlicher Verlegmheitm sich bewegmde, sondern aus dem großen Conflict der Völker und Staa­

ten entsprossene Handlung,

nicht Zustände,

für

Gang des Stücks Theilnahme künstlich erweckt für welche dieselbe bereits vorhanden war, bei einzelnen Klassm der Gesellschaft,

selbm,

ja

bei dem

Volke,

so daß

und

welche

erst durch dm

werdm mußte,

sondem

zwar nicht etwa allein

sondem bei dem

wir Minna

Ganzen

der-

von Barnhelm mit

Recht als unser erstes Nationalbühnenstück, als ein Volksdrama, so wett dasselbe

damals überhaupt noch möglich war,

bettachten,

und es

fortwährend unfern Bühnen-Dichtern als das bedeutendste Muster

der Behandlung historischer Stoffe für das Theater Vorhallen müssen.

225 Emilia Galotti.

„Vertritt Minna die lebendigen,

begeisternden Stoffe des Dramas,

nationalen,

so vertritt Emilia die strenge,

feste

Regel, die undurchbrechlichen aber klaren und durchsichttgen Formen, in denen sich eine wahrhafte Tragödie

Seite her wird,

wie

auf lange Zeit hinaus

das

wett mehr zu lernen ist,

genommen.

bewegen

zu

von jener Minna,

hat,

und

von

dieser

Lessings Emilia Galotti noch

bedeutendste Vorbild bleiben, an dem

als an allen Dramen

Schillers

zusammen

Musterhaft ist insbesondere, der Minna gleich, ja sie noch

übertteffend, die Klarheit der Erposition, vortrefflich und wahrhaft klas­ sisch das Zusammenwirken der Begebenheiten und der Handlung — dies

in einem Grade, wie wir es bis dahin in keinem Drama unse­ rer Nation wieder gefunden haben — fein und scharf, und doch

und Härten,

alle Ecken

die Zeichnung

der Charattere, so

daß

darin kaum Goethe in seinem Tasso mit Lessing wetteifern kann.

Die

ohne

Sprache des Stücks ist die gemessenste,

die sich denken läßt.

knappste,

Verehrer Lessings haben sie, nicht um ihn zu loben, epigrammatisch genannt, Goethe bezeichnet sie als

so gab auch mit

Tragödie betrifft,

ganze

folgende

Zeit,

Was den Stoff dieser

lakonisch.

den Ton

diesem Lessing

für Schiller

für

die

selbst und alle Nachfolger des­

selben und noch für unsereZeit an: den der bürgerlichen Tragik." Nathan.

„Erwähnenswerth ist noch besonders, daß Lessing durch

dieses Drama den

schon

von T. Heinrich Schlegel

Weiße u. A. versuchten fünffüßigen Zambus

angebahnten,

von

zum stehenden Verse

des Dramas für unsere ganze Zeit erhoben hat."

Heinrich Düntzcr.')

„Wir haben

den

reichen Gehalt

der Dramaturgie ausführlich

zu entwickeln gesucht.

Den schärfsten, in das Wesen der Kunst eindrin­

genden Beobachtungen

und Lehren begegneten

dem eifrigsten Bestreben,

Wege zu zeigen, Dichter

wir hier überall, überall

dem noch unmündigen

und Schauspieler

deutschen Drama die

mit dem Geftihle

hohen Würde ihrer Kunst zu durchdringen, deren Preis

nur

von der dem aus-

dauerndsten Ringen einer begabten Natur zu Theil werde, die Zuschauer von ihrer leeren Unterhaltungssucht und niedrigen Geschmacklosigkeit zu einem höhern Standpunkt zu erheben und auf diese Weise alle auf Das-

*) Lessing als Dramatiker und

Klassikern.)

VI. Abtheilung.

Dramaturg.

Wenigen Jena.

(Erläuterungen zu den deutschen

1862.

226 — jmige hinzuweisen, was Noth thue, aber nur durch edles gemeinsames Zusammenwirken zu erreichen stehe."



„Das erste wahre Lustspiel, die erste Tragödie und das erste einen

hohen Gedankm der Menschheit in belebter Gestaltung ausführende rüh­

der auch auf dem Felde

rende Schauspiel verdanken wir dem Manne,

edelster Aufklärung so manche Schlachten siegreich geschlagen: aber auch er sollte dem Loose des stärksten der hellenischen Helden, des unsterblichen Achill nicht entgehn, auch ihn sollte, so

lange er das Licht der Sonne

schaute, bitterstes Wehe fressen."

Gustav Freitag.*)

„Der den Laokoon und

die Dramaturgie schrieb, war selbst

ein Dichter; und Goethe und Schiller, dieselben Männer, denen der

Born der Erfindung

so voll

und reich

strömte, blickten auch mit der

gespannten Aufmerksamkeit ruhiger Gelehrten in seine Fluth, die Lebens­ gesetze ihrer Dramen, Romane, Balladen untersuchend."

Heinrich Lang.**) „Nirgends hat es sich mehr bewähtt,

daß

der Styl der Mensch

ist, nirgends wird von dem gedruckten Blatte der Charatter so treu und klar zurückgespiegelt. —

„Aus jedem Stein schlägt er Funken und wo er seinen Stab hin­

legt, entspringen Quellen. — „Wenn

seit

der Mitte des

schwerfällige Büchergelehrsamkeit

durch eine geistreiche,

18ten Jahrhunderts die massenhafte,

im Allgemeinen verdrängt

lebensvolle Behandlung

ist

der Wisienschaften, wenn

überhaupt seit dieser Zeit ein neues Bildungs-Ideal

kommen

worden

unter

uns aufge­

ist, das Ideal einer dem Fachgelehrten wie dem Nicht­

gelehrten gemeinsamen, allgemeinen, rein menschlichen Bil­

dung, so

hat Lessing zu dieser Umwandlung des öffentlichen Geistes

dm ersten nachhaltigen Anstoß gegeben.

*) Neue Bilder au« dem Leben des deutschen Volkes. 1862. **) Religiöse Charaktere. Dargestellt von Heinrich Lang. I. Baud. thur. Verlag von Gustav Lücke. 1862.

Winter­

227 ein Deutscher

„An Gelehrsamkeit

und Keinem seiner Zeitgenossen

an Umfang des Wifsms nachstehend, und doch wie noch nie ein andrer Gelehrter

das

Ausspruch

der

Gegentheil

Bücherwurms;

eines

größte Kritiker Europas und

Macaulays

nach

doch von einer schöpferi­

schen Tiefe und Kraft, die in der Poesie unvergängliche Werke schuf und in allen Gebieten, auf denen sein Geist thätig

zerstörten Vorurtheile

Stelle der unnachsichtig Gesichtspunkte

die positiven Wahrheiten

und

war,

an

die

beftuchtend die richtigen was er

setzte. — Alles,

behandelt und schreibt, ist gelegentlich, wie ihm durch Ort und Umstände

etwas in die Hände geräth; es sind leichte Papierschnitzel, es sind mei-

stms Flugblätter, Tages hinein

die er

große Ansprüche

ohne

flattern läßt;

aber in

in das

Getriebe des

das Einzelne legt er wie spielend

das Ganze hinein; im Kleinen und Gelegentlichen streift er, überall auf

den Kern, auf das Wesentliche losstürzend, wie der Löwe auf die Beute,

an die letzten Gründe und Ziele der Dinge;

er sich auf das

während

Nächste und Erreichbare beschränkt, sind seine Ideen von so unendlicher Tragweite; was er sagt ist kurz, aber es trifft und erschöpft. verkehrte Richtungen des

öffentlichen Geistes,

Wie viel

die ganze Zeit

in denen

gefangen war, hat er mit ein paar schlagenden befteienden Worten ge­ zeichnet und gerichtet.

Seine Worte sind wie die Pfeile des ferntreffen-

dm Apollo: glatt und leicht, aber sie gehen in's tiefste Herz. Einer,

Nie hat

weder vor noch nachher, die deutsche Prosa mit so künstlerischer

Vollendung gehandhabt, wie Lessing. „Ueber die gelehrtesten Dinge, in den verwickelsten Untersuchungen spricht er mit der frischen Unmittelbarkeit

Aber die Krone aller

der mündlichen Unterhaltung.

dieser glänzenden Eigenschaften, die den Schrift­

steller zieren, ist der große sittliche Charakter.

Er legt in Alles,

was er schreibt, den ganzen Menschen, seinen Charakter hinein. „Man lese seine Minna von Barnhelm,

da ist nicht blos klarer Verstand,

man lese seinen Nathan,

es ist das eigene Herzblut des Dich­

ters, mit dem er schreibt und zeichnet, es ist die Gluth der Begeisterung

für die idealen Güter unseres Geschlechts, die den Arbeiten seines schar­ fen, schneidenden Verstandes jene Wärme, jenen Hauch des Gefühls und

der Phantasie mittheilt, womit er überall zugleich auf das Herz und den Willen des Lesers wirkt;

es

ist nicht

der Verstand,

der

aus Lessings

Werken zu uns spricht, es ist der Mensch, der lebendige Mensch, der sich überall für die Sache einsetzt, zens,

mit

der Energie

mit der ganzen Theilnahme

seines Charakters,

mit

der

seines Her­

Leidenschaft

seiner

Wahrheitsliebe, mit dem Enthusiasmus seines Wahrheitsmuthes.

„Schön ist in dieser Beziehung über Lessing

gesagt 15*

worden:

der

228 Drang nach Wahrheit war seine Seele, seine Qual und sein Trost. war der Geist der Unruhe, der

Er

die Trägheit des deutschen Bewußtseins

aufgerüttelt hat. „Minna von Barnhelm, die schönste und gehaltreichste,

man

darf

sagen, die einzige National-Komödie, welche Deutschland besitzt. — Wenn der Vorhang fällt, ist es nicht blos die Beftiedigung des ästhetischen Ge­

schmacks, es ist die Befriedigung unseres ganzen sittlichen Wesens, es ist

der höchste Friede eines heitern,

mit

sich

ausgesöhnten

der Welt

und

Gemüthes, womit wir den Schauplatz verlassen. —

„Laokoon, jenes Meisterwerk, darstellte und abgrenzte,

die ewigen Gesetze der Dicht­

das

kunst, die Grundgesetze des Schönen

in mustergültiger Weise aust'pürte,

welches dem schöpferischen Sturm und Drang

der Geister, welcher bald hereinfluthete, Maß, Form und Regel

geben

sollte. — „Voltaire und Lessing



die zwei

größten

Gegensätze

nach

Charakter und Geistesart innerhalb der Aufklärung des achtzehnten Jahr­ hunderts.



Voltaire behandelt

die Religion

Lessing als Angelegenheit des Gewissens; heiligen Emstes und tiefer Pietät;

als Sache des Witzes,

Voltaire

stivol,

Lessing voll

Voltaire Vertreter der stanzösischen

Aufklärung mit dem kalten Verstandes-Fanatismus, der fteilich gegen die verrotteten Zustände in Kirche und Staat ganz am Platze war, Lessing

Vertteter der eigentlich deutschen Aufklärung mit ihrer kritischen Gewissen­

haftigkeit, wissenschaftlichen Tiefe, ächten Toleranz auch gegen den Glau­

ben; dort frivoler Witz und Religionsspötterei, hier tiefer sittlicher

und

religiöser Ernst. —

„Seine Geisteswerke aus der letzten Periode seines Lebens (1770—

1781) sind mehr als alle anderen ein Eigenthum seiner Nation, ja der Wer labt sich nicht an dieser heiteren Lichthöhe

Menschheit geworden.

des Dichters und Denkers?

„Aber wie Diele wissen es, daß diese Lichtwerke alle der drückenden

Macht körperlicher und gemüthlicher Leiden abgerungen werden mußten, daß diese Goldkörner der Wahrheit, die jetzt jedes Auge erquicken, welches

die Wahrheit Schachte

lieber

hat

der Trübsal

als

oft

die Finsterniß,

erst

aus

dem

einsamen

heraufgeholt

werden

wissenschaftlicher Erötterung

getrübt

mit blutendem Herzen

mußten! „Wo die Leidenschaftslosigkeit

wurde durch Hochmuth

und Aufgeblasenheit,

verband mit Niedrigkeit der Gesinnung

wo

die Unwissenheit sich

oder gar mit Verfolgungssucht,

da schwang er seine Geißel ganz erbarmungslos und fühtte allen Zorn seines lautern Charakters und alle Waffen seines glänzenden Geistes in

229 — das Feld; da wollte

schliffene, keiner

von Dem nichts hören, waS die zahme, abge­

er

kräftigen

Leidenschaft

fähige Welt Anstand und

guten

Ton nennt. — Viele haben damals und jetzt die Kriegsführung Lessings nicht verträglich gefunden Liebe.

Aber diese vergessen,

doch Liebe im Herzen

den Forderungen

mit

christlicher Milde und

daß man mit Kolben drein schlagen und

tragen kann,

— daß

ohne

nichts

Leidenschaft

Großes in der Welt vollbracht wird, — daß auch Christus nicht jenes

heiligen Zorns, mit dem er die Pharisäer und Schristgelehrten vernichtete,

fähig gewesen, wenn sein Herz nicht von Liebe Überflossen wäre. Wenn

Lessing und

Goeze

steht

gegeneinanderstehen,

nicht

Person

gegen

Person, sondern Sache gegen Sache, Gedanken gegen Gedanken, Princip

gegen Princip;

die schließen sich aus und sollen keine Milde und Liebe

kennen; aber derselbe, der eben mit der ganzen Entrüstung seines Wahr­

heitseifers im Gegner das falsche Princip und dessen abscheuliche Folgen gegeißelt hat — er würde das Leben des Gegners aus den Wellen oder

dessen Ehre aus dem Munde des Verleumders retten, wenn

sich Gele­

genheit böte.

„Lessings „Nathan" — dieses Evangelium der Humanität und der

Liebe, das Evangelium Jesu Christi selber

welcher er bisher am Wenigsten

nach derjenigm Seite,

gekannt und geübt worden.

nach

— Man

hat den Nathan eine Sottise auf das Christenthum gescholten und auch Gemäßigtere haben darin ein Unrecht gegen das Christenthum gefunden,

daß im Nathan die Christen fast alle lieblos und inhuman, dagegen der

Jude und der Muhamedaner als die Vertreter der Liebe und der wah­

ren Humanität dargestellt werden. — Wenn Christus, der als Jude zu Juden sprach, in der bekannten Parabel vom barmherzigen Samariter —

dem geistesverwandten Vorläufer des Nathan Träger der

über Nationalität

menschlichen Liebe,

— den Samariter zum

und Glaubensbekenntniß

erhabenen rein

dagegen den jüdischen Priester und Leviten zu Ver­

tretern der Lieblosigkeit machen durfte

und machen mußte, sofern seine

Parabel ihren Zweck erreichen sollte — warum soll es Lessing,

Christ zu Christen sprach, zum Vorwurf gereichen, daß er in

der als seinem

Falle eben so verfuhr?

Wäre Lessing Muhamedaner unter Muhameda-

nent gewesen,

um den Lehrzweck seines Gedichtes

er hätte,

an

seinem

Volke zu erreichen, nothwmdig alsdann die Christen und Juden als die

Träger der Humanitätsreligion beschämend dem Muhamedaner gegenüber

stellen müssen. „Aber" — frägt man— „was ist die Lehre des Stücks? Auf waS

läuft der Nathan hinaus?

Doch am Ende auf den trostlosesten Jndiffe-

rentiSmus und Skepticismus!

Es ist gleichgültig, was Du glaubst,

ob

280 Du ein Jude oder ein Türke oder ein Heide oder ein Christ bist, wenn Du nur rechtschaffen lebst.

läßt sich doch nicht finden,

Die Wahrheit

der ächte Ring kann doch von den falschen auf Erden nicht unterschieden werden! Das soll Lessing

haben lehren wollen, Lessing, dem der Drang

nach Wahrheit seine Seele, seine Qual und sein Trost war!

unablässigen

Wahrheitsforschung

den

einzigen Werth

Der in der

Lebens

des

er­

kannte? — Nur eine völlige Gedankenlosigkeit kann das in Nathan und

überhaupt

in Lessings Denkungsart

finden.

Nein!

Es

ist gar nicht

gleichgültig, was und ob Du Etwas glaubst, ob Du eine Ueberzeugung habest oder keine. — Seines Glaubens, des Glaubens, der Jedem sein

innerstes, heiligstes Eigmthum ist, weil er seiner Geistesanlage und seinen

Gemüthsbedürfnissen entspricht, weil er ihn

sich erworbm durch Kampf

und Anstrengung, durch Benutzung aller ihm gegebenen Bildungsmittel, durch Nachdenken und

unablässiges Ringen — diesen Glauben an die

Wahrheit, diese innerste Selbstgewißheit der Wahrheit als eines ihn be­ seligenden Gutes, muß Jeder haben,

der

nicht

unbeständig

sein

will

— „Aber sollte mit dieser Ausprägung

„„in allen seinen Wegen"".

der eignen Individualität und Ueberzeugung die Toleranz,

die liebe­

volle Anerkennung fremder Individualität

nicht ver­

und Ueberzeugung

einbar sein? — Jeder forsche, prüfe, untersuche und fördere das gemein­

same, nie abgeschlossene Geschäft

der Wahrheitsforschung.

Streit und

Widerspruch der Ansichten kann bei der großen von Gott gewollten Ver­ schiedenheit der Menschen nicht ausbleiben;

nie vergessen, daß ihre erste

sein, das allen

aber die Streitenden sollen

Menschen zu

und letzte Bestimmung ist,

gemeinsame,

rein Menschliche,

das

zugleich

das wahrhaft Göttliche ist, in reiner Sittlichkeit und selbst­

verleugnender, entwickeln.

opferfreudiger

Liebe

auszubilden

und zu

Das ist der Grundgedanke des Nathan."

Lessing der Dichter.

„Man hat ihm wollen den Dichterberuf ab­

sprechen. — Aber wer wird es glauben, daß man eine Minna oder einen

Nathan nur aus dem Aermel der Kritik schöpfen könne, ohne ein ächtes, tiefes Dichtergemüth

voll

unbefangener Lust und Liebe

zu Welt

und

Menschen, ohne schöpferische Phantasie, ohne erhöhtes Gefühlsleben? — „Das ist das Große an Lessing: Das stete Beisichsein des Geistes;

nicht blos der klare Verstand,

der immer

sondern der Manneswille, der Charafter.

die Zügel

in der Hand hat,

In dem rauschenden Strome

des Weltlebens in Breslau, in der sorglosen Stimmung der Freude ver­ gißt er die objectiven Zwecke der Wissenschaft, die allgemeinen Jntereffen

der Menschheit, die eigene Lebensaufgabe eben so wenig als am Sterbe­

bette seiner Frau und seines Kindes.

Seiner Stimmung

läßt

er dm

231 vollen Lauf, die Freude, wie den Schmerz hat er mit kräftiger Empfäng­ lichkeit durchgekostet, aber er ist immer bei sich,

in des Wortes

tiefster Bedeutung.

er ist stets ein Mann

jene Formvollendung, mit

Daher

welcher er fortgerissen von seiner Meinung doch wieder

über

derselben

steht, den tiefsten Schmerz sich gegenüberstellt, belauscht und nach seinem eigenthümlichen Wesen in Worte faßt.

„Ist das nicht der Dichter, der mit einer gewaltigm Seelenstim­ mung, mit kräftiger Leidenschaft,

und tiefster Empfindung

wieder

des Gefühls

leichter Erregbarkeit

mit

jene Ruhe

und Klarheit

des Geistes

verbindet, mit welcher er im Stande ist, den inneren Sinn gen und die innere Erfahrung geläutert in

den Rahmen

Aber das ist eben auch der große Charakter.

zu süssen?

zum Dichter macht,

zu bewälti-

der Dichtung

Was Lessing

das macht ihn in einem gewissen Sinne zugleich

Liegt nicht das Geheimniß der Gesundheit,

zum großen Menschen.

welches uns aus allen Geisteswerken Lessings in

so einziger Weise ent­

gegenweht, eben zumeist in dieser kräftigen und harmonischen Ausbildung

von Geistesvermögen,

von

Menschen so leicht das Eine tritt?

denen

Gesinnung,

Anderen,

auch

ausgezeichneten

oder Andere einseitig hervor- oder zurück­

Der Klarheit seines Geistes,

Tapferkeit seines Willens

bei

stand

dem Umfange seines Wissens, der

der Adel der Seele, die Lauterkeit der

die Wärme des Herzens, ebenbürttg zur Seite, und wenn

in seiner geistigen Verfassung überhaupt von einem Zuviel

geredet wer­

den dürste, so wäre es ein Zuviel auf Seiten des Herzens, ein Ueber­

maß der Herzensgüte."')

•) „Ich habe ihn öfter«! vermahnt," erzählte Garves würdige Mutter, als daö

Gespräch zu Breslau im häuslichen Kreise auf Lessing kam, „bedachtsamer in seiner Freigebigkeit zu sein und an sein künftiges Alter zu denken.

aber:

„„Hoffentlich wird es mir nicht an Geld fehlen,

Er antwortete mir

so lange

ich

diese drei

Finger habe, und es hier — aus die Stirn zeigend — nicht fehlen wird.""

ihm einst vorgestellt wurde, entgegnete er:

Als

daß der Bittende die Unterstützung nicht verdiene,

„„Ach Gott, wenn auch wir nur bekämen,

dienen, wie viel würden wir dann wohl haben!""

was wir ver­ (Mitgetheilt von

Dittmar in der Zeitschrift: Geschickt« und Politik, herauSgeg. von Ä. 8. Wolk­

in ann.

I.

Berlin 1800., nach Guhrauer II. 328.)

232

Dr. Dietrich.*) „Wenn jetzt ein

sagen,

den

daß

sich

an

ein

anderes

so

lebte und schriebe,

Lessing

Schriften

solche

aus

die

Publicum,

einem solchen recht zugänglich sein.

ein

würde ich nicht

Sie

gehörten.

Schule

reiferes,

richten

und

wür­

nur

aber Gotthold Ephraim

Nachdem

Lessings Werke hundert Jahre lang in unserm Volke gewirkt,

nachdem

Lessingsche Gedanken mit in Fleisch und Blut wenigstens der Gebildeteren

in demselben übergegangen sind,

kann auch die Heranwachsende Jugend

der gebildeteren Kreise angeleitet werden, an der Quelle selber bei ihm zu schöpfen und in diesen klaren Brunnen sich zu vertiefen. — In der

That sind sie es werth wegen all der großen Vorzüge, die wir an ihnen

und ruhigen Hellen Klar­

Dieser durchdringenden Schärfe

bewundern.

heit des Denkens, dieser einfachen und festen Bestimmtheit und der un­

gequälten

schmucklosen Angemessenheit des Ausdrucks, der unerschütterli­

chen, selbstlosen Wahrheitsliebe beim Forschen, der neidlosen und strengen

Gerechtigkeit gegen Freund und Feind beim Beurtheilen, des nachdrück» lichen Zornes gegen nichts, als gegen hohle Anmaßung, Falschheit und

Tücke.

Es bedarf nicht meines Preises, um der Würdigkeit und Wort»

richtigkeit der hier

für unsere Jugend

kennung zu verschaffen.

gewinnenden Nahrung Aner­

zu

wie die Begriffe und

Man kann in der Art,

Gedanken so in ihre einfachen Elemente

und aus denselben zu­

zerlegt

sammengesetzt und mit mäßigen festen Schritten ruhig weiter

entwickelt

werden, eine Aehnlichkeit mit manchen Schriften von Plato finden, aber

in das Spitzfindige,

Sophistische

verliert

sich

diese Art hier fast nie.

Durch die Richtigkeit und strenge Angemeffenheit des Ausdrucks werden

wir an Ciceros einzige Proprietät der Sprache erinnert, aber wir haben hier stets die keusche Sprache stiller uneigennütziger Forschung, dort die

den Glanz suchende und selbst den Prunk nicht verschmähende Rhetorik, welche von dem Gewirre des Markts ausgehend bis in die philosophische

Einsamkeit hinein sich geltend macht. nach Wahrheit mag ihm Kant Wahrheit

darzustellen

In

dem

verglichen werden;

ringt doch Kant

unparteiischen Suchen aber

die

gefundene

immer mit der Form und mit

dem ihm widerstrebenden Mittel der Sprache, die Lessings Geiste willig

folgt,

und

leicht fügt.

stets

über

sich in seine einfachen,

aber auch nie verletzenden Formen

So könnte man den Ernst seines sittlichen «Strebend, seine

das Gemeine und Gewöhnliche

hinaus auf das Höhere ge-

*) Gymnasial Direktor zu Hirschberg in Schlesien. Aut der Zeitschrift für daS Gymnasialwesen. Verlag von Chr. 8r. Enslin. Berlin 1862.

233 hmde Richtung mit Schillers oder wiederum mit Kants Wesen verglei­ Aber es ist eben die besondere Vereinigung

chen.

schaften, durch welche Lessing unvergleichlich ist;

aller dieser Eigen­

um dieser Vereinigung

willen verdient er theils neben, theils vor diesen und den meisten andem Heroen der Literaturen studirt zu

werden

und

von

der Jugend grade

Zumal in unserer Zeit, wo vermöge des riesenhaft

studirt zu werden.

sich steigenden persönlichen und literarischen Verkehrs und bei dem immer lebhaftem ja heftigen Kampfe der Meinungen in Politik, Religion und

allen möglichen Gebieten des

geistigen Lebens Anschauungen und Vor­

verwirrender Mannigfaltigkeit und

Gedanken und Lehren in

stellungen,

Gegensätzlichkeit schon auf die jugendlichen Geister einstürmen, und diese

vor Allem Fähigkeit zu denken und zu urti) eilen brauchen. — „Doch

es

ist

nicht

blos

formale Charakter der Lessingsche»

der

Schriften, um deswillen sie vorzugsweise auf der Schule verhandelt zu werden verdienen; auch ihres Stoffes und Inhaltes wegen empfehlen sie Indeß wird

sich dazu vor andern.

Scheidung

unter

den

allerdings in dieser Beziehung eine

einzelnen Schriften

wird man besser dem Schüler zu eigener

zu machen fein.

Manches

stiller Lectüre empfehlen und

überlassen, Manches wird er ohne Schaden oder sogar mit mehr Nutzen

fürs Erste ungelesen lassen. „Es wird wenig Widerspruch finden,

den meisten Werth unter den

wenn ich für unseren Zweck

ästhetischen Schriften Lessings vor Allem

den Abhandlungen über die Fabel und über das Epigramm, dem Laokoon, der Hamburgischen Dramaturgie zuspreche. mensten,

die einflußreichsten,

die am dauerndsten wirkenden von seinen

prosaischen Schriften überhaupt;

hören ihnen vorzugsweise an. Universität geht,

Es sind die vollkom­

alle die oben bezeichneten Vorzüge ge­

Sie sollten von Keinem, der zur

ungelesen sein,

von keinem nur oberfläch­

lich gelesen."

Richard Gosche.") „Die Ruhelosigkeit,

welche

ein dämonisches Schicksal zieht,

sich

durch Lessings ganzes Leben wie

wird in ihrer Bedeutung für das All-

*) Lessing in Berlin, aus der Zeitschrift: „Unser Vaterland." Blätter für deutsche Geschichte, Cultur und Heimathskunde. Herausgegeben von D. Proehle. Berlin, 1862. £. Seehagen.

234 gemeine durch den in sich

sichern Charakter des einzigen Mannes und

durch seine scharfe Erkenntniß

letzten Ziele auf so

der

Weise verklärt, daß jeder Aufenthaltsort,

eigenthümliche

wenn er ihn noch so zufällig

gewählt zu haben scheint, dennoch zu einer wichtigen Station für seinen

und den unserer deutschm Literatur erhobm

eigenen Entwickelungsgang wird.---------

„Berlin nahm unter allen Städten, welche Lessing in seinem un­ widerstehlichen Bildungsdrange aussuchte,

eigenthümlichste Stellung

die

Denn es war nicht mit dem kleinen Paris, Leipzig, zu vergleichen,

ein.

noch mit dem selbstbewußtm kaufmännisch aristokratischm Hamburg, son­

dern

ihm

hatte

der Beisatz einer französischen Bevölkerung einen sehr

bestimmten Charakter ausgeprägt. Edikts

von

hatten die

Nantes

Seit der Aufhebung

— —

Refügiös, welche einen sehr acht­

baren Bruchtheil des französischen Volkes ausmachten, ristisch getheilten Zügen

nach

sich in charaktedie Kaufleute

gewendet:

und

nach Deutschland kamen Gelehrte, Künstler, Militärs

und

Handwerker.

die

dem Auslande

nach Holland, England

und die Jndusttiellen gingen Dänemark;

des

vorwiegend

Brandenburg wurde diesen französischen Colonisten durch

Hochherzigkeit

des

großen Kurfürsten

und

seiner Nachfolger

aufgethan und sie haben sich dankbar bewiesen, nicht allein in den Rich-

tungen des äußern, auf mechanische Künste oder Handel gerichteten Le­

Zn demselben Zeitalter

bens.

des Kurfürsten Friedrich Wilhelm hatte

der brandenburgisch-preußische Geist seine Augen aufgeschlagen und schaute

sie

kamen in den zugleich

charaktervollen und doch französischen Refügies.

In der Hauptstadt des

Bildung verlangend nach Lehrmeistern um; jungen preußischen Staats

entwickelte sich

eine Bildung,

welche

durch

und durch französisch war, aber, frei von allen Beschränktheiten des Zu­ sammenhanges

mit

den

Zufälligkeiten

der

polittschen

und

kirchlichen

Verfassung des Heimatlandes, vertteten durch Männer, welche der Ho­ heit oder auch nur des Eigensinns

eines Martyrerthums

fähig waren;

in dem Mittelpuntte des norddeutschen Lebens tauchte der scharfkrittsche, unerschrocken verständige und dabei sich populär leicht vermittelnde fran­

zösische Geist auf,

um

in

derselben Weise

den Berliner Geist zu er­

ziehen, wie sie etwa ein Jahrhundert früher Descartes in seiner Unter­ suchung über die Methode für Frankreich selbst vorgezeichnet hatte. —

„Dieser kritischen und klaren Richtung, wie sie sich in Berlin ent­ wickelt hatte, mußte Lessings ganze Art verwandt begegnen.--------- Aber

Lessing,

bei seiner Strebsamkeit und sittlichen Anlage, war weit davon

entfernt,

sich mit einem noch so glänzend

begnügen: er mußte einen Jnhatt haben.

entwickelten Formalismus zu

235 „Einen solchen Inhalt hatte Friedrich der Große der Begeiste­

rung und dem Denken seines Zeitalters verliehen, ihm die großen Prin­

In

cipien der Selbstgewißheit und der Nationalität wieder hingestellt.

den großen und klaren blauen Augen des einzigen Fürsten und in seiner noch tieferen und klarerern Seele der Bewegungen

spiegelten

des 18. Jahrhunderts

sich diese

mußte Lessings ganzes Interesse entgegen fliegen;

sich überall fest auf sich

selber stellte,

beiden Momente

erkannt

scharf

er,

vermochte

wieder.

Ihm

der Kritiker, der

den Fürsten zu ver-

stehen, der seinen Staat auf seine eigene Kraft, gegenüber einer Ueber-

macht anweisen wollte;

heraustretend aus der Bildungsschule des fran-

zösischen Formalismus,

hatte er selbst schon seinen Blick auf die Mög­

lichkeit einer nationalen deutschen Poesie gerichtet und sah nun, wie der preußische Trommelschlag das von ihm gesuchte Volk schon erweckte, wie es lebmdig wurde in den Trümmern des heiligen römischen Reichs, wie der theatralisch decorirte Tempel im Süden, der noch das-deutsche Reich

bedeutete, zu wanken begann, wie der Schwerpunkt der deutschen Geschichte sich verrückte und im Norden

sich das Leben

dem Rufe des großen Preußenkönigs warum;

man rieb

und

sammelte.

wußte

nicht

Man

folgte

recht bestimmt

sich noch den Schlaf des heiligen römischen Reichs

aus den Augen, man hatte fast so absichtslos die Augen aufgethan wie

schlummernde Kinder, denen

zufällig die Sonne ins Gesicht scheint —

das neue deutsche Reich war im Anzuge, — — „Lessing ging nach Berlin

als

typisches Vorbild des deut­

schen Geistes, der nach dem Preußen Friedrichs des Großen strebt. — —

„Vor Allem muß man hier einen

sittlichen Zug bewundern,

der

ihn zur schärfsten Opposition gegen alle Hohlheit und Pedanterie führt; der junge Schriftsteller, den heiterer Witz und unerschöpfliche Laune in

allen Kreisen willkommen erscheinen ließen, nimmt sich in der Residenz­

stadt Berlin mit ihrer so sehr gelockerten Sittlichkeit die Mühe,

dogmatische und sittliche Fragen

zu

bereits

erörtern und den Grund zu jenen

religiös-philosophischen und geschichtlich-philosophischen Betrachtungen zu legen, welche sein späteres Leben krönen.

Dabei bricht überall eine na­

tionale Begeisterung durch, die ihn schon in die bestimmteste Opposition zu dem Französischen bringt;

ihn schmerzt es, daß der deutsche Dichter

Klopstock eine dänische Pension bezieht, und er läßt gern seine Begeiste­ rung

für Friedrich

den Großen

Weltweisen machen mußte,

weil

durchbrechen,

sie ihn

„„den

die Natur zum

zu einem Urbilde der Könige

machen wollte."" — —

„In Minna von Barnhelm leuchtet Lessings Patriotismus in

236 einem concentrirten Glanze zum Letztenmale auf.

In diesem Lustspiele

liegt der ganze Gewinn seines Breslauer und überhaupt seines preußi­ überall in der weiten geschichtlichen Perspective sehen wir

schen Lebens:

die machtvolle Gestalt Friedrichs des Großen so deutlich durchschimmern,

daß späterhin das Hamburger Theater für die Aufführung eine officielle Erlaubniß von Preußen

nachsuchen zu müssen glaubte;

in dem verab­

schiedeten Officier Tellheim zuckt der volle Stolz des Standes und die ganze

tiefbegründete

des

Empfindlichkeit

Ehrgefühls,

naive Uebermuth des sächsischen Fräuleins sich von

Rücksichten ihres Standes

stellt

übrigen Personen

während

der

allm herkömmlichen

der Treue und der Natürlichkeit der

befreit;

der Dichter

mit tiefbedeutsamem Spotte einen

französischen Repräsentanten der schwindelnden Aeußerlichkeit gegenüber. Das Ganze ist

Friedens,

ein poetisches

Nachspiel

deö

Hubertsburger

eine künstlerische Besiegelung des Friedensschlusies zwischen

Preußen und Sachsen:

der preußische Officier wird von der sächsischen

Schönheit erobert.---------

„Man durfte hoffen, einem Dichter und Forscher von Lessings Be­ deutung

und eigenthümlich patriotischer Richtung endlich

würdige

eine

Stellung in Preußen zu bereiten und grade jetzt bot sich die passendste

Gelegenheit.

Der Königl. Bibliothekar La Croze

war Anfangs

des

Jahres 1763 gestorben und der von Friedrich dem Großen mit seinem Vertrauen beehrte Oberst Ouintus Jcilius schlug Lessing zum Nachfolger

vor.

Wir wissen nicht, ob der König des Conftictes Lessings mit Vol­

taire gedachte, als er diesen Vorschlag abwies: wahrscheinlicher ist, daß der an ftanzösische Eleganz und Leichtigkeit gewöhnte Fürst einem deut­

Zu neuen Vorschlägen aufgefordert,

schen Gelehrten nicht traute.

em­

pfahl der grade für deussche Gelehrsamkeit begeisterte Oberst den großen

Winkelmann, der aber die eingeleiteten Unterhandlungen in wenig gezie­

mender und von ihm selbst bereuter Weise abschnitt. Jcilius noch einmal

in

der wärmsten Weise

ftanzösischen Bibliothekar

König bestand auf einen

zu,

der

statt

und

zurück;

der

ein ironischer

unbrauchbaren Benedictiner Anton Joseph

Zufall führte ihm einen sehr

Pernetty

Jetzt kam Quintus

auf Lessing

eines

berühmten und gelehrten Namensvetters

kam und sich im Jahre 1783 aus Furcht vor dem von einem evange­

lischen Geistlichen angekündigten Weltuntergänge davon machte.

„Dies war das Einzige, so lange gehofft,

war

es

und worauf man ihn so lange vertröstet,

fehlgeschlagen.

Bibliothek von etwa 6000 lau erworben

wie Lessing es selbst gesteht, worauf er

hatte,

zu

Er

mußte

Bänden, öttfcuifcn

daran

denken,

und

seine

nun schöne

welche er hauptsächlich in Bres­ und

sich

anderwärts eine

Stelle

237 zu

Die

begründen:

verändert.

von

denn

Physiognomie

Berlin wegzugehen,

der Residenz

AlS er von Sachsen

hatte sich

ihm jetzt leicht.

schien

in

Lessings

Augen

war

Berlin übersiedelte,

nach

sehr

Alles

in lebendigstem Aufschwünge begriffm; der junge König schien das Jahr­ hundert bestimmm zu können

und zu

wollen;

der

siebenjährige Krieg

endete nicht so, wie die Anspannung aller Kräfte von Seiten Preußens welcher

für den König,

Der Enthusiasmus

es verdient hätte.

ergriffen hatte,

das ganze begeisterungsfähige Deutschland

vorher

verengte sich

sehr naturgemäß, aber für Lessing, der in seiner universalen Natur im­

sehr

tadelnswerth,

mer den Weltbürger über den Patrioten

stellte,

einen ganz realistischm Patticularismuö;

dazu kam, daß eine natürliche

in

Abspannung in dem allgemeinen Leben sich zeigte, die je mehr und mehr

in Unsittlichkeit ausartete. Daher kann er

Das Alles widerstand der Lessingschen Natur.

offen äußern,

Berlin zu verlassen,

daß es ihm nicht

schwer

fallen

werde,

was er überhaupt auf der ver­

und bitter fragen,

zweifelten Galeere zu thun hätte. „Im December 1777, als er seinen ältesten Stteffohn, der sich mit dem preußischen Militärwesen bekannt machen wollte, nach Berlin schickte, zog wohl etwas Sehnsucht von ihm mit. — — Da er zuletzt als der

reife Mann in Berlin

alters und seines

erschien,

der in

neuen Vaterlandes

hatte, bemerkte er,

daß

sich alle Anregungen des Zeit­

dichterisch

Es fand sich keine Stelle für ihn.

und

hinter ihm

die Umgebung

ethisch

verarbeitet

zurückgeblieben sei.

Aeußerlich und innerlich drückt und

verfolgt ihn eine Art Heimatlosigkeit

bis

an

seinen Tod;

hat kein

er

Vaterland, das von Rechtswegen Preußen sein mußte, und dies trostlose

Gefühl wurde vielleicht llärt.

zuletzt nur durch

seinen Mcnschheitsbegriff ver-

Aber wie eine Ironie erscheint es,

seinem Tode,

daß die Stadt,

welche nicht

fast noch achtzig Jahre nach

wußte,

wohin

sie

Leben stellen sollte, selbst darüber zu zweifeln begonnen hat,

ihn im

wohin sie

am Besten ein nachttäglicheS Standbild von ihm bringe."

Ich hoffe der billigenden Zustimmung des um die Würdigung und

Derehmng Lessings

so sehr verdienten Herrn Verfassers gewiß zu sein,

ja seinen eigenen Wünschen durchaus zu entsprechen, indem ich den letz­

ten Wotten, womit hier zugleich

diese

auszüglichen Mittheilungen aus

einigen frühern und gegenwärtigen Urtheilen und Aeußerungen über Les­

sings Werth und Wicken abschließen, Folgendes hinzufüge: Wer

immer

über

den Ock

der Aufstellung

Standbildes für Lessing jetzt hier zu die Stadt ist es nicht.

Denn

wie

zweifeln

aus

eines nachträglichen

begonnen

hat, —

den übereinstimmenden Be­

schlüssen ihrer gesetzlichen Repräsentanten, des Magisttats und der Stadt-

238 verordneten - Versammlung,

der Antrag

deS

Magistrats bei dem

Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom

30. October 1861 hervorging, ein Standbild Lessings

daß mit dem Standbilde Goeches auch

dem Schiller-Standbilde,

als

dem bleibenden

Mittelpunkte, auf dem Vorplatze des hiesigen königlichen SchauspiechauseS

angeschlosien werde,

wie der Magistrat unmittelbar nach der Genehmi­

gung dieses Antrags durch die Allerhöchste Cabinets-Ordre vom 6. No­ vember 1861, am 9. November 1861, dem Schiller- und dem Goe-

the-ComitL seine „aufrichtige Genugthuung über diese erfreu­

einer

liche Wendung aussprach

und

der

so

lange

„baldigen

ventilirten Angelegenheit"

völligen

„alle seine Kräfte zu widmen"

Erledigung"

verhieß;

wie er ferner,

Lessings-Comitv

heit

baldige

nunmehr

eines in

einer

Nachricht

großen

am 23.

„von der erfolg­

November 1861, den bestimmten Wunsch äußerte reichen Thätigkeit

derselben

definitiv

zu

bildenden

nationalen Angelegen­

erhalten,"') so hat er am 29. Mai

zu

1862, nach den vorhergegangenen erneuerten Verhandlungen des GoetheComite vom 7. bis 23. April,

bereitwillig

und

schützenden

in den Wunsch des Lessing-Comite

eingestimmt,

ausdrücklich

„daß

unseres Königs

Ausspicien

das unter

gonnene vaterländische Werk durch Eintracht lichkeit

zur

glücklichen Vollendung

Einen ganz

haben die

sings

und Wendelin

liches lungen

besonders

und

Les­

neuern Herausgeber seiner Werke: Karl Lachmanu

von Maltzahn. geblieben,

den oder

Für Alles, was

sonst Verdienst­

vorstehenden

auszüglichen Mitthei­

darin

genugsam

nicht

wurde, kann nur wiederholt um Nachsicht gebeten werden.

') Beilage X. ') Beilage XI.

Beharr­

gelange."")

wirksameu Antheil an der Verehrung

und Dankenswerthes in unerwähnt

den

vertrauensvoll be­

gewürdigt

239

Aus Lessings Leben. Die Selbstbiographie. Berlin, den 16. October 1754.

An Johann David Michaelis! „Euer rc. bezeigten in Dero Brief eine für mich sehr schmei­ chelhafte Begierde, nähere Umstände von mir zu wissen,

genauer zu kennen.

um mich

kann man von einem Menschen ohne

Allein

Bedienung, ohne Freunde, ohne Glück viel Wichtigeres sagen,

als

seinen Namen? Noch kann ich mich durch wenig Anders, als durch

diesen unterscheiden.

Ich bin ein Oberlausitzer von Geburt;

mein

Vater ist oberster Prediger in Camenz. — Welche Lobsprüche würde

ich

ihm nicht beilegen,

wmn

er nicht mein Vater wäre! — —

Er ist einer von den ersten Uebersetzern des Tillotson.

Ich habe

in der Fürstenschule zu Meißen, und hernach zu Leipzig und Wit­ tenberg studirt.

Man

setzt mich aber in eine große Verlegenheit,

wenn man mich fragt, was? geworden.

An dem letzten Orte bin ich Magister

Ich bin also etwas mehr als ein bloßer Student, wie

mich der Herr Pastor Lange

nennt,

und

etwas

weniger als ein

Prediger, für welchen mich der Herr Professor Walch gehalten hat.

Ich befinde mich seit 1748 in Berlin, und habe mich während die­ ser Zeit nur ein halbes Jahr

Ich suche hier keinem

andern

an einem andem Orte aufgehalten.

keine Beförderung, und lebe blos hier, weil ich an leben

großen Orte

mein Alter hinzusetze,

welches

ist mein Lebenslauf fertig.

Vorsehung überlassen.



sich

Was

kann. — — Wenn ich noch

auf

25 Jahre beläuft, — so

noch kommen soll, habe ich der

Ich glaube schwerlich,

daß ein Mensch

gegen das Zukünftige gleichgültiger sein kann, als ich." —

240

Der Sohn und Bruder. Berlin, den 20 Januar 1749. Hochzuehrende Frau Mutter! — „Erlauben Sie mir, daß ich nur mit wenigen Zügen Ih­ nen meinen ganzen Lebenslauf auf Universitäten abmahlen darf, ich

bin gewiß versichert,

Sie werden alsdann mein jetziges Verfahren Ich komme jung von Schulen, in der gewissen

gütiger beurtheilen.

Ueberzeugung, daß mein ganzes Glück in den Büchern bestehe.

wo man die ganze Welt im

komme nach Leipzig, an einen Ort,

Kleinen sehen kann.

Ich lebte

Ich

die ersten Monate so eingezogen,

Stets bei den Büchern, nur

als ich in Meißen nicht gelebt hatte.

mit mir selbst beschäftigt, dachte ich eben so selten an die übrigen

Menschen, als vielleicht an Gott.

Dieses Geständniß kömmt

mir

etwas sauer an, und mein einziger Trost dabei ist, daß mich nichts

Schlimmeres als

der Fleiß

Doch cs dauerte

närrisch machte.

so

nicht lange, so gingen mir die Augen auf. Soll ich sagen, zu mei­

nem Glück oder meinem Unglück? Ich (ernte einsehen,

Die künftige Zeit wird es ent­

die Bücher

würden

mich wohl ge­

lehrt, aber nimmermehr zu einem Menschen machen.

Ich wagte mich

scheiden.

von meiner Stube unter meines Gleichen.

Guter Gott! was für

eine Ungleichheit wurde ich zwischen mir und Andern gewahr. bäuerische Schüchternheit, ein verwilderter

eine

Unwissenheit

gänzliche

in

Sitten

Eine

und ungebauter Körper,

und

verhaßte

Umgänge,

Mienen, aus welchen Jedermann seine Verachtung zu lesen glaubte, das

waren die guten Eigenschaften,

niemals empfunden hatte.

die

bei

mir

Ich empfand

Beurtheilung übrig blieben.

die Wirkung

Und

meiner eigenen

eine Scham,

derselben

die

ich

war

der

feste Entschluß, mich hierin zu bessern, es koste was es wolle. wissen selbst wie ich es tigiren.

anfing.

Ich

Ich will in diesem Briefe

nen, ich kann also auch das Gute

diesen Uebungen so weit,

daß

lernte tanzen, fechten, vol-

meine Fehler aufrichtig beken­

von mir

wollten,

einigermaßen

Dieser gute Anfang ermunterte mich heftig.

Körper war ein wenig geschickter geworden,

schaft

Ich kam in

sagen.

mich Diejenigen selbst, die mir im

Voraus alle Geschicklichkeit darin absprechen bewunderten.

um nun auch

Sie

leben zu lernen.

Ich

Mein

und ich suchte Gesell­

legte

die

emsthasten

Bücher eine Zeitlang auf die Seite, um mich in denjenigen umzu­ sehen,

die

weit

angenehmer

und

vielleicht eben so

Die Komödien kamen mir zuerst zur Hand.

nützlich sind.

Es mag unglaublich

241 vorkommen, wem es will, mir haben sie große Dienste gethan. Zch

lernte daraus eine artige und gezwungene, eine grobe und natürliche Aufführung unterscheiden.

Ich lernte wahre und falsche Tugenden

daraus kennen, und die Laster eben

so

ihres Lächer­

sehr wegen

lichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen.

Ich lernte mich



selbst kennen, und seit der Zeit habe ich gewiß über Niemanden mehr weiß

gelacht und nicht

als

über

was mich damals für

eine

gespottet,

mich

Doch

selbst.

Thorheit

überfiel,

ich auf den Entschluß kam, selbst Komödien zu machen.

ich daß

Ich wagte es,

und als sie ausgeführt wurden, wollte man mich vcrsichem, daß ich nicht unglücklich darin wäre. Man darf mich nur in einer Sache loben,

wenn einer haben will, daß ich sie mit wahrem Ernste treiben soll. Ich sann daher Tag und Nacht, wie ich in einer Sache eine Stärke

zeigen möchte, in der, wie ich glaubte, sich noch kein Deutscher all­

zusehr hervorgethan hatte.

Aber plötzlich ward ich in meinen Be­

mühungen durch Dero Befehl, nach Hause zu kommen, gestört."

(Nun Erinnerungen an die Rückkehr nach Camenz,

maligen

Besuch Leipzigs,

Wittenberg,

Berlins, dann

an

an

in

an die dort überstandene Krankheit, und wie hierauf

der alte Vorsatz erwacht, wieder nach Berlin zu gehen.) und bin noch da,

bcßten.

den aber­

den Aufenthalt

in

was

„Ich kam

für Umständen, missen Sie selbst am

Ich hätte längst Unterkommen können, wenn ich mir, was

die Kleidung anbelangt, ein besseres Ansehen hätte machen können.

Es ist dieses in einer Stadt gar zu nöthig, wo man meistens den Augen in Beurtheilung eines Menschen ttauet.

Nun

beinahe vor

hatten Sie mir eine neue Kleidung zu versprechen

einem Jahre,

die Güte gehabt.

Sie mögen daraus schließen,

Bitte allzu unbesonnen gewesen ist. ter dem Vorwande,

hier in Berlin wäre.

als ob ich,

ich

Sie schlagen eS mir ab, un­ wem zu Gefallen

weiß nicht

Ich will nicht zweifeln, daß meine Stipen­

Ich

dien wenigstens noch bis Ostern dauern sollen. daß meine Schulden

ob meine letzte

genugsam

damit bezahlt

werden.

glaube also,

Aber ich

sehe wohl, daß die nachtheilig gefaßte Meinung von einem Men­

schen, der, wenn er mir auch sonst nie Gefälligkeiten erzeigt hätte,

mir sie doch gewiß jetzt erzeigt, da sie mir just am nöthigsten sind, daß, sage ich, Ursache ist,

zuwider sind. Welt hielten.

diese nachtheilig gefaßte Meinung die vornehmste

warum Sie mir in meinen Unternehmungen so sehr

Es scheint ja, daß Sic ihn fiir einen Abscheu aller Geht

dieser Haß nicht zu weit?

daß ich in Berlin eine Menge

Mein Trost ist,

rechtschaffner und vornehmer Leute 16

242 finde, die eben so viel aus ihm machen, als ich. Doch Sie sollen sehen, daß ich nicht an ihn gebunden bin. Sobald ich eine noch­ malige Antwort von Ihnen erhalte, worin Sie mir eben das sagen, waö ich aus dem letzten Briefe habe schließen müssen, will ich mich ungesäumt von Berlin wegbegeben. Nach Hause komme ich nicht. Auf Universitäten gehe ich jetzt auch nicht wieder, weil außerdem die Schulden mit meinen Stipendiis nicht können bezahlt werden, und ich Ihnen diesen Aufwand nicht zumuthen kann. Ich gehe dann gewiß nach Wien, Hamburg oder Hannover. Doch können Sie versichert sein, daß ich, ich mag sein wo ich will, allzeit schrei­ ben und niemals die Wohlthaten vergessen werde, die ich von Ih­ nen so lange genossen. Ich finde an allen drei Orten sehr gute Bekannte und Freunde von mir. Wenn ich auf meiner Wander­ schaft nichts lerne, so lerne ich mich doch in die Welt schicken. Nutzen genug. Ich werde doch wohl noch an einen Ort kommen, wo sie so einen Flickstein brauchen, wie mich. Darf.ich noch was bitten, so ist es dieses, daß Sie gewiß glauben mögen, daß ich meine Aeltern allezeit so sehr wie mich geliebt habe. Ich werde an den Herrn Jnspector und Herrn Pastor Lindnern gewiß schrei­ ben, sobald als es nicht mehr scheinen wird, daß meine Briefe nichts als eine Aufmunterung zu neuen Wohlthaten sind. Durch meine Entfernung von Berlin glaube ich Ihnen kein geringes Merk­ mal meines Gehorsams zu geben, der ich auch Zeitlebens verharren werde, Dero gehorsamster Sohn Lessing."

Berlin, den 28. April 1749. Hochzuverehrender Herr Later! „Meinen Koffer erwarte ich mit großem Verlangen, und ich bitte nochmals inständig, alle die Bücher hineinzulegen, die ich in einem meiner Briefe benannt habe. Ich bitte mir auch das Vor­ nehmste von meinen Manuskripten mit auS, auch die einigen Bo­ gen: Wein und Liebe. Es sind freie Nachahmungen des Anakreon, wovon ich schon einige in Meißen gemacht habe. Ich glaube nicht, daß mir sie der strengste Sittenrichter zur Last legen kann. Vita vcrecunda est, musa jocosa mihi. So entschuldigt sich Martial im gleichen Falle. — — Wenn man nicht versucht, welche Sphäre uns eigentlich zukömmt, so wagt man sich oftmals in eine falsche, wo man sich kaum über das Mittelmäßige erheben sonn, da man sich in einer andern vielleicht bis zu einer wundernswürdigen Höhe hätte schwingen können. Sie werden aber auch

243 vielleicht gefunden haben, daß ich mitten in dieser Arbeit abge­ brochen habe, und es müde geworden bin, mich in solchen Kleinig­

keiten zu üben. „Wenn man mir mit Recht den Titel eines deutschen Moliöre beilegen könnte, so könnte ich gewiß eines ewigen Namens versichert sein. Die Wahrheit zu gestehen, so habe ich zwar große Lust ihn zu verdienen, aber sein Umfang und meine Ohnmacht sind zwei Stücke, die auch die größte Lust ersticken können. Seneca giebt den Rath: omnem operam impende ut te aliqua dote notabilem facias. Aber es ist sehr schwer sich in einer Wissenschaft notabel zu machen, worin schon all zu Viele excellirt haben. Habe ich denn also sehr übel gethan, daß ich zu meinen Jugendarbeiten etwas gewählt habe, worin noch sehr wenige meiner Landsleute ihre Kräfte versucht haben? Und wäre eö nicht thöricht eher aufzu­ hören, als bis man Meisterstücke von mir gelesen hat. Den Beweis warum ein Komödienschreiber kein guter Christ sein könne, kann ich nicht ergründen. Ein Komödienschreiber ist ein Mensch, der die Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert. Darf denn ein Christ über die Laster nicht lachen? Verdienen die Laster so viel Hochachtung? Und wenn ich Ihnen nun gar verspräche eine Komödie zu machen, die nicht nur die Herren Theologen lesen, sondern auch loben sollen? Halten Sie mein Versprechen für un­ möglich? Und wenn ich eine auf die Freigeister und auf die Ver­ ächter Ihres Standes machte? Ich weiß gewiß, Sie würden Vie­ les von Ihrer Schärfe fallen lasten. — Ich verbleibe nebst ergebenstem Empfehl an die Frau Mutter Dero gehorsamster Sohn Lessing.

Berlin, den 30. Mai 1749.

Hochzuehrender Herr Vater! „Die Zeit soll Richter sein. Die Zeit soll es lehren, ob ich Ehrfurcht gegen meine Eltern, Ueberzeugung in meiner Religion und Sitten in meinem Lebenswandel habe. Die Zeit soll lehtnt, ob der ein beßerer Christ ist, der die Grundsätze der christlichen Lehre im Gedächtniste, und oft ohne sie zu verstehen, im Munde hat, in die Kirche geht, und alle Gebräuche mit macht, weil sie gewöhnlich sind, oder der, der einmal ftüglich gezweifelt hat und durch den Weg der Untersuchung zur Ueberzeugung gelangt ist, oder sich wenigstens noch darzu zu gelangen bestrebet. — — So

16*

244 lange ich nicht sehe, daß man Eins der vornehmsten Gebote des Christenthums, seinen Feind zu lieben, nicht besser beobachtet, so lange zweifle ich, ob diejenigen Christen sind, die sich davor ausgeben." -------„Werde ich niemals des Dorwurfs los werden können, den Sie mir wegen M. machen? Sed facile ex Tuis querelis que-

relas matris agnosco, quae licet alias pia et integra in hnnc nimio flagrat odio. Nostra amicitia nihil unquam aliud fiiit, adhuc est et in omne tempus erit, quam communicatio studiorum. Illane culpari potest ? Karns imo nullus mihi cum ipso sermo intercedit, de parentibus meis, de officiis quae ipsis vel praestauda vel deneganda sint, de cnltu Dei, de pietate, de fortuna hac vel illa via amplificanda, ut habeas quem in illo seductorem et ad minus justa instigatorem meum timeas. Cave, ne de mulicbri odio nimiuni participes. Sed virum te sapientem scio, jnstum aequumque: et satis mihi constat te illud, quod scripsisti, amori in uxurem amore tuo dignissimam, dedisse. Veniam dabis me paucula latino sermone literis mandassc, sunt enim quae matrem ad suspicionem nimis proclivem offendere possint. Deum tarnen obtestor me illam maxumi facere, amare et omni pietate colere. — Ich verbleibe nebst ergebenstem Empfehl an die Frau Mutter Dero gehorsamster Sohn Lessing."

Berlin, den 2. November 1750. Hochzuehrender Herr Vater! „Wer Ihnen geschrieben hat, daß es mir sehr schlecht ginge, weil ich bei Henn Rüdiger nicht mehr den Tisch und andere Ein­ nahme hätte, der hat Ihnen eine große Lüge geschrieben. Ich habe mit diesem alten Manne nie länger etwas wollen zu thun haben, als bis ich mir seine große Bibliothek recht bekannt gemacht hätte. Dieses ist geschehen, und wir waren also geschiedene Leute. Der Tisch bekümmert mich tu Berlin am allerwenigsten. Ich kaun für 1 Sgr. 6 Pf. eine starke Mahlzeit thun." — —

Potsdam, den 4. August 1763. Hochzuehrender Herr Vater!

— — „Ich habe — dem Bruder Gottlob — 170 Rthlr. in Sächsisch '|3 mitgegeben; davon sind 60 Rthlr. für den Bruder

245 Carl in Leipzig

auf zwei Quartale

als

Die übrigen 110 Thaler

der ausgesetzten Zubuße.

nach Befinden

werden der Herr Vater

unter die übrigen Geschwister vertheilen,

würde es mir

besonders

angenehm sein, wenn Gottlob davon sich examiniren lassen könnte,

weil er mich versichert, daß seine Beförderung bloß und allein hier­

von abhange. — — Ich empfehle mich meinen werthesten Aeltern und verharre lebenslang Dero gehorsamster Sohn Gotthold."

Breslau, den 9. Februar 1764.

Hochzuehrender Herr Vater! Ich schmeichle mir, der That von meinem

von

daß Sie

meiner

aufrichtigen Liebe

überzeugt sind,

gegen mein Geschwister zu wohl

bisherigen Stillschweigen

als daß Sie in

auf

die betrübte

Nachricht von dem Tode meines Bruders Gottfried eine üble Aus­

Ich habe seinen Tod empfunden, als man

legung machen sollten.

nur immer einen solchen Zufall

empfinden kann;

leicht, als man ihn empfinden sollte.

und mehr

viel­

Die Betrübniß ward durch

den Antheil vermehrt, den ich meine werthesten Aeltern daran neh­ men sah.

meinigen

Aber eben dieser Antheil befahl mir die Bezeigung des

zurückzuhalten.

einander ihre

sollen Traurige

Warum

Traurigkeit mittheilen, und sie vorsätzlich dadurch verstärken?

einzige wahre Pflicht,

die mir

Die

der Tod meines Bruders anflegen

kann, ist diese, daß ich mein übriges Geschwister desto inniger liebe, und die Zuneigung,

die ich

gegen den Todten nicht mehr zeigen

Viele bedauern im Tode, was

kann, auf die Lebendigen übertrage. sie im Leben nicht geliebt haben.

mir die Natur zu lieben befiehlt, als möglich zu bedauern suchen.

Ich will im Leben lieben, was und

schwister nur auch so ersprießlich sein wünschte.

An

den Bruder Carl

ich vermuthe,

können,

in Leipzig

dem Tode so wenig als

sie

habe

es zu sein

ich schon vor

und ihm 8 Ducaten geschickt.

länger als vier Wochen geschrieben, Er kann ferner auf meinen

nach

Möchte meine Liebe meinem Ge­

geringen Beistand

daß nunmehr Gottlob

ich mich ergebenst zu empfehlen bitte)

rechnen.

Und da

bei dem Herrn Vetter (dem in Gottfrieds Stelle treten

dürste: — so habe ich Carlen vorgeschlagen, ob er nach Ostem zu mir kommen und vor der Hand bei mir leben wolle. — Ich um­

arme meine Geschwister und empfehle mich meinen liebsten Aeltern, deren ruhiges und glückliches Alter Wünschen ist.

der eifrigste von allen meinen

Dero gehorsamster Sohn, Gotthold."

246

Hamburg, den 20. März 1768. H ochzuehrenter Herr Vater! „Gott weiß es, daß ich auf Dero letztes Schreiben nicht eher

antworten können!

Ich erliege unter Arbeit und Sorgen, und von

diesen letztem ist es gewiß nicht meine

daß ich meine

geringste,

Aeltem in so dringender Verlegenheit wissen muß,

und nicht im

Stande bin, ihnen so geschwind beizustehen, als ich wünschte.

Ich

hoffe, daß mich mein Vater kennt, und daß er nicht glauben wird, daß ich bloße Ausflüchte

und Weigerungen mache.

Es geht mir

durch die Seele, daß ich Ihnen, liebster Later, unmöglich zu Ostern

mit

dem Verlangten

helfen

kann.

Aber

zu Johannis

will

ich

Rath schaffen, es mag Herkommen, woher es will, — — auf Jo­

wiederhohl ich noch einmal,

hannis,

will ich

die

hundert Thaler

ganz gewiß und baar senden.--------- Ich hoffe, daß Sic sich sonst

mit der Frau Mutter

gesund und

munter befinden.

Haben Sie

nur, bitte ich sie allesammt,. nicht die schlimme Meinung von mir,

daß ich mich wenig darum anssieht.

bekümmern

möge,

mit der That rechtfettigen kann?

wie

es

zu Hause

wenn man sich nicht

Aber was Hilst das Bekümmern,

Ich mache meinen Bttef so kurz

als möglich, denn ich weiß eö am besten, was ich dabei empfinde.

Sollte ich, wider Vermuthen, Gelegenheit finden, mein Versprechen eher zu halten, so können Sie gewiß vcrsichett sein, einen längern

Brief zu erhalten, als diesen.

Ich

den

ich mit

empfehle

mehr Vergnügen schreiben werde,

mich Ihrer väterlichen Liebe

und bin

zeitlebens Dero gehorsamster Sohn Gotthold."

Hamburg, den 26. März 1768. An Carl Lessing! „— Ich hätte Dich gern wieder bei mir;

weder logitt, ist.

aber ich bin jetzt

noch sonst in den Umständen, daß es wohl möglich

Gott sei Dank, bald kommt

die Zeit

wieder,

daß ich keinen

Pfennig in der Welt mein nennen kann, als den, den ich erst ver­

dienen soll.

muß. —

Ich bin unglücklich, wenn es mit Schreiben geschehen

Nimm

meinen brüderlichen Rath und gieb den Vorsatz

ja auf, vom Schreiben zu leben. — Sieh, daß Du ein Secretär wirst, oder in ein Collegium kommen kannst.

Weg, über

kurz oder

lang nicht zu darben!"

Es ist der einzige

— —

„Auch die

247

glücklichste Autorschaft," heißt es in einem spätern Briefe vom 4. Januar 1770," ist das armseligste Handwerk." —

Hamburg, den 28. October 1768.

An Carl Lessing!

— „Nimm mir meine Erinnerung nicht übel. Studire fleißig Moral, lerne Dich gut und richtig ausdrücken, und cultivire Deinen eigenen Charakter: ohne das kann ich mir keinen guten dramatischen Schriftsteller denken."--------

Hamburg, den 6. Juli 1769.

An Carl Lessing!

— „Ich habe Dir es schon so oft mündlich gesagt, woran ich glaube, daß es Dir fehlt. Du hast zu wenig Philosophie und arbeitest viel zu leichtsinnig. Um die Zuschauer so lachen zu machen, daß sie nicht zugleich über uns lachen, muß man auf seiner Stu­ dierstube lange sehr ernsthaft gewesen sein. Man muß nie schrei­ ben, was einem zuerst in den Kopf kommt. Deine Sprache zeugt von Deiner Ruschelei. Auf asten Seiten sind grammatische Fehler, und correct, eigen und neu ist fast keine einzige Rede.-------------Nun genug gehofmeistert. Schreibe mir doch, lieber Bmder, was von meinen Büchern noch vorräthig ist, notire die vorzüglichsten nur mit einem Worte auf, damit ich urtheilen kann, ob es flch der Mühe verlohnt, sie hierher kommen und verauctioniren zu lassen. Ich muß Alles zu Gelde machen, was ich noch habe; und auch so noch werde ich meine Reise nur kümmerlich be­ streiten können. Das Herz blutet mir,wenn ich an unsere El­ tern denke. Aber Gott ist mein Zeuge, daß es nicht an meinem Willen liegt, ihnen ganz zu helfen. Ich bin in diesem Augen­ blick so arm, als gewiß keiner von unserer ganzen Familie ist. Denn der Aermste ist doch wenigstens nichts schuldig; und ich stecke bei dem Mangel des Nothwendigsten ost in Schuldm bis über die Ohren. Gott mag helfen! Lebe wohl und sei verflchert, daß ich es recht gut mit Dir meinen muß, da ich so mnd mit Deiner Eigenliebe zu Werke gehe. Dein treuer Bruder Gotthold."

248

Wolfenbüttel, den 27. Juli 1770.

Hochzuehrender Herr Vater! --------- „Es wäre mir eine wahre Freude gewesen, dergleichen ich sicherlich ■ in der Welt noch wenige gehabt, wenn es mir meine

Umstände hätten erlauben wollen,

alten Vater

meinen

aus einer

Verlegenheit zu reißen, in die ich wohl weiß, daß ihn einzig seine

Aber so gut hat mir es nicht werden

Söhne

gebracht

sollen

Schon damals, als ich es versprach, waren meine Umstände

haben.

in der äußersten Verwirrung und die ganze folgende Zeit sind sie

Ich war endlich in eine

immer schlechter und schlechter geworden.

Last

von Schulden gerathen,

von der ich

mich

noch lange nicht

durch den gänzlichen Verkauf aller meiner Bücher befreien können;

und eß war die höchste Zeit, daß ich durch die hiesige Versorgung, wiederum eine gewisse Einnahme erhielt.

prinz, welcher mich

hierher gebracht.

Eigentlich ist es der Erb­

Er ließ mich auf die gnä­

digste Art zu sich einladen, und ihm allein habe ich es zu danken, daß die Stelle des Bibliothekars,

welche gar nicht

mich eigentlich leer gemacht ward.

Auch der regierende Herzog hat

leer war,

für

mir hierauf alle Gnade erwiesen, deren ich mich von dem gesammten Hause zu

rühmen habe,

Personen der Welt besteht.

welches aus

den leutseligsten, besten

Ich bin indeß der Mensch nicht, der

sich zu ihnen dringen sollte."----------

Wolsenbüttel, den 8. September 1770. An Theophilus Lessing! — „Das schwarze Siegel ließ mich gleich Alles besorgen. — Ich denke ich habe zu brauchen,

von

es bei Dir nicht nöthig,

viel

klägliche Worte

um Dich zu versichern, wie sehr mich die Nachricht

dem Tode

unseres Vaters betrübt

und niedergeschlagen hat.

Ich kann noch kaum wieder zu mir selbst kommen.

Seine Gesund­

heit, von der er mich noch in seinem letzten Schreiben

versicherte,

ließ mich nichts weniger, als sein so nahes Ende besorgen.

Was

mich einigermaßen tröstet, ist, daß er nach seinem Wunsche gestor­ ben.

Laß uns, mein lieber Bruder, eben so rechtschaffen leben, als

er gelebt hat, um wünschen zu dürfen, eben so plötzlich zu sterben, als er gestorben ist.

Das wird die einzige beßte Weise sein,

Andenken zu



ehren.

Mein

nächster Kummer

sein

geht dabei auf

unsere Mutter. — Mache — daß weder Sie noch unsere Schwe-

249 ster sich wegen der Zukunft bekümmern. — Schaffe Du nur, mein lieber Bruder,

finden. —

das

vor

erste

Rath — es müssen sich Schulden

Ich nehme sie alle auf mich, und will sie alle ehrlich

bezahlen; nur muß man mir Zeit laffen.

Schreibe mir, was man

für Versicherung desfalls von mir verlangen kann, und ich will sie mit Vergnügen stellen.

Nur muß unsere Mutter dadurch völlig Ruhe

bekommen.--------- Versichere meine Mutter von meiner Wehmuth und

innigsten Zärtlichkeit gegen sie,

durch

viele Worte

unsere Schwester,

die ich lieber durch

beweisen will;

und sage

die That,

als

und zugleich umarme für mich daß ich meine Thränen mit den

ihr,

ihrigen verbinde, und sie nicht vergessen soll, daß Sie einen Bruder

hat, der bereit ist,

alles für sie zu thun,

was ihm

in

der Welt

nur möglich ist." —

Wolfenbüttel, tcn 7. Januar 1771. Meine liebste Mutter! --------- „Sie müssen es lediglich meinem Unvermögen zuschrei­ ben, wenn ich dieses Mal nicht mehr als

25 Rthlr. senden kann:

auf künftige Johannis können Sie aber zuverlässig auf 50 Rthlr. rechnen; und so will ich von Zeit zu Zeit fortfahren, alles, was ich

erübrigen kann, zu Abtragung einer Schuld anzuwenden, die fteilich die größte ist, die ich auf der Welt haben kann.





Sollten

daher die, — • von welchem mir die Schwester schreibt, nicht ohnedem Umsicht haben wollen, so bin ich gern erbötig, auf gewisse Termine

ihnen

meinen

Wechsel

oder

Obligation

darüber

auszustellen;

in der festen Absicht, sie als ein ehrlicher Mann zu beftiedigen, so

bald cs meine eigene Umstände,

die noch

bis jetzt selbst sehr ver-

wirrt und kümmerlich sind, nur immer zulassen werden.--------- Ich

nehme an den Kränkungen, die ihnen beiden — (brr Mutter und

der Schwester) in (samenz widersahren, sehr viel Antheil: aber wie

kann ich denselben abhclfen? Ueber eine Art dieser Kränkungen nur, nämlich über die, welche Ihnen von den elenden College» des seeligen Vaters erwiesen werden, müssen Sie sich hinwegsetzen, und sie

blos mit Verachtung ansehcn." —

Wolfcubüttel, den 7. Juli 1771.

Meine liebe Mutter! „— — Sie werden mir es also vergeben, daß die zngesagten 50 Rthlr. erst nunmehr hierbei erfolgen; womit ich nichts als

250

die Bitte verknüpfe, gewiß von mir zu glauben, daß ich die Summe gerne vermehret hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre.

Ich hoffe

indeß, und will mein Beßtes dazu thun, daß ich Ihnen in einigen

Monaten wiederum eine kleine Remesse machen kann. — —

Es

ist allerdings unsere Schuldigkeit, daß die Schulden, in welche ein so guter Vater durch

seine Kinder gerathen ist,

Kindern bezahlt werden.

auch von

seinen

Ich habe mich auch schon mehr als ein­

mal erboten, sie sämmtlich über mich zu nehmen. — Wem dieses

gefällig ist, der kann

zu der Zeit,

gewisse Bezahlung versprechen.

die ich ihm festsetzen will, sich

Wer aber aus Grobheit oder Eigen­

sinn sogleich baar bezahlt sein will, — dem helfe Gott! Ich kann ihm nicht helfen,

und zu Unmöglichkeiten ist kein Mensch verbun­

Es bekümmert mich auch wenig, was die Leute indeß sagen.

den.

Zch bin bei mir überzeugt, daß ich es mit dem Andeukm meines Va­ und kein Mensch soll mit der Zeit einen

ters rechtschaffen meine,

Heller durch ihn verloren haben. —

Was das zu druckende An­

denken betrifft, so will ich mit Nächsten

an Theophilus weitläufig

darüber schreiben.-------- Ich habe es mir fest vorgenommen, etwas aufzusetzen;

aber es soll etwas sein, was man weiter als Camenz

und länger als ein Halbjahr

aber brauche

ich Zeit

nach dem Begräbnisse liefet.

und Gesundheit,

fehlet. — Beruhigen Sie sich

über diesen Punkt.

woran

Dazu

es mir leider jetzt

also immer, meine

liebste Mutter,

Die beste Ehre, die wir unserm verstorbenen

Vater erzeigen können,

ist,

daß wir Sie um so viel mehr lieben

Beides dieses gelobe ich

und so sehr als möglich ist, unterstützen.

Ihnen hiermit aus ganzem Herzen; und ich bin es auch von mei­

nen übrigen Brüdern überzeugt, daß sie sich um die Wette darum bemühen werden.

Leben Sie

indeß

mit

der Schwester, die ich

vielmal grüße, recht wohl, und versichern Sie mich bald, daß Sie

in

allezeit

Gutem

an

denken.

mich

Dero

gehorsamster Sohn

Gotthold."

Wolsenbüttel, den 15. Juni 1776. Meine liebe Mutter! — „Ich würde Ihnen eher geschrieben haben, wenn ich eher

im Stande

gewesen

beilegen zu können.

wieder worden,

aufs Reine

wäre,

das

Gegenwärttge

Endlich bin ich,

und

(„10 Louisd'or")

Gott sei Dank, so ziemlich

in meinen Umständen

so weit verbessert

daß ich aufs Künftige keine Entschuldigung

habe,

wenn

251 ich meine Pflicht nicht besser beobachte.

Aber ich hoffe auch, Sie

und daß mich mein bis­

daß ich sie gern beobachte,

trauen mir,

genug

heriges Unvermögen

gekränkt

die Schwester

Wenn

hat.

eben so unbillig gegen mich gewesen, als sie es gegenwärtig gegen (Satin ist, so mag es manchmal artig über mich hergegangen sein. Im Ernst, meine liebe Mutter, verweisen Sie ihr doch diese Lieb­ Weil der arme Junge jetzt

losigkeit.

darum schlechter denken, nun todt wäre?

ken,

weil

nicht, mit

einer

und

als



denn

er

muß

Wenn er

oder will ihn die Schwester lieber zu Tode krän-

er doch

nicht helfen kann?

uns — — aber

genug

das will sie gewiß

Doch

sie es nicht.

so böse meint

ihrem Närgeln und Schmähen?

von

nicht kann,

sonst gedacht hat?

er

Aber was will sie denn

Carl

meint es so gut,

davon.

als

Die Schwester mag

Ich habe manchen auch

mir diesen Ausputzer nicht übel nehmen.

von ihr verttagen müssen.--------- Nun leben Sie recht wohl, meine liebe Mutter,

Du,

und

entziehen Sie

liebe Schwester,

lebe recht wohl,

Zeitlebens verbunden sein, Mutter

so

angelegen

Auch

nie Ihren Segen.

mir

und

wir wollen Dir alle

wenn Du Dir ferner das Wohl unsrer

sein

Dero

lässest.

gehorsamster

Sohn

Gotthold."

Wolienbüttel, den 20.Mär; 1777.

Meine liebe Schwester! „Wie sehr

rührt hat,

mich die Nachricht

in Seinem

letzten Briese ge­

Denn so gar schlecht

brauche ich Dir nicht zu sagen.

bin ich bei Dir nicht angeschrieben, daß Du von meiner Liebe ge­

gen unsere seelige Mutter

nnr

erst durch meine Klage über ihren

Tod überzeugt werden müßtest.

Die beste Art über sie zu klagen,

glaube ich,

ist,

Dich nicht zu vergessen,

die Du

ihr

die

letzten

Jahre ihres LebenS so erttäglich gemacht hast, indem Du Dich für

uns Alle Deiner Pflicht aufgeopfert. Kleinigkeit,

die Du

gegenwärtige

vielleicht zu den Kosten der Leichenbestattung

noch wirst nöthig haben und sei soll.

Nimm indeß

versichert,

daß bald mehr folgen

Was macht Theophilus?"----------

W oIfeubütteI, den 20. Mär; 1777. An ('arl Lessing. „Liebster Bruder. — Daß

auch Du unsere gute Mutter ge­

liebt hast, wirst Du nicht besser zeigen können, als wenn Du die

252 Schwester nicht vergißt, die sich wirklich für uns Alle ihrer Pflicht aufgeopfert hat.

Ich habe

ihr schon geantwortet und fürs Erste

so viel beigetragen, als ich in der Eil thun können." — —

Den 28. December 1778.

Meine liebe Schwester! „Gott weiß es, daß ich Dich nicht vergessen, sondern allezeit

mit Wehmuth

sehr ost an Dich

gedacht

habe.

Aber

wenn Du

wüßtest, in welchen Sorgen ich seit dem Tode meiner Frau gelebt habe und wie küminerlich

ich habe leben müssen.

mit beigchenden 5 Louisd'or vorlieb.

zu schicken.

Lebe wohl.

— —

Nimm

Ich hoffe Dir ehestens mehr

Dein treuer Bruder Gotthold."

Den 30. December 1778. An Earl Lessing! — „Wenn Du

in

dein

alten Jahre

gewesen, so hohl es in dem neuen nach. Was macht mehl Pathe?

Mache,

Du einen andern Jungen bekommst,

nicht zustieden genug

Grüße mir Deine Fran.

daß er laufen kann, so

nehme

ich

und daß

ihn Dir ab.

Gotthold."

Der Freund. Leipzig,- den 10. Mai 1757. An G! ei m! „Wie froh

werde ich sein,

wenn ich

wieder in Berlin bin,

wo ich nicht länger nöthig haben werde, es meinen Bekannten nur

ins Ohr zu sagen, daß der König von Preußen dennoch ein großer

König ist."

Berlin, den 28. Juli 1759.

An Den selben! „Ans meiner Sommerstnbe sollte es Ihnen gewiß nicht miß­

fallen.

Nur glauben Sie

um Gotteswillen nicht, daß ich da ar­

beite.

Ich bin nie fauler,

als wenn ich in dieser meiner Einsie-

253 betet bin.

Wenn es hoch kömmt, mache ich Projekte: Projekte zu

spiele ich

die

Tragödien und Komödien;

danken, lache und weine in Gedanken,

in Gedanken, oder vielmehr

laste

mir denn selbst in Ge­

und klatsche mir auch selbst

mir

auf bereit

meine Freunde,

Beifall ich am stolzesten bin, in Gedanken klastchen." —

33erlitt, den 6. September 1759. An Denselben? Ueber

Tod:

K le ist's

Er ist todt.

wahr.

liebster Freund, es ist leider

„Ach,

Wir haben ihn gehabt.

und in den Armen des Professors Nicolai

Er ist in dem Hause

Er ist be­

gestorben.

ständig, auch unter den größten Schmerzen, gekästen und heiter ge­

Er hat verlangt seine Freunde noch zu sehen.

wesen.

Meine Traurigkeit über diesen Fall ist eine

doch möglich gewesen!

sehr wilde Traurigkeit. einen

andern

da steht. Sie;

Weg

Aber ich

manchmal

Ich verlange zwar nicht, nehmen

verlange,

verleitet

sollen,

weil

ein

daß der ehrliche

mich

Schmerz,

der

daß die Kugeln

Mann

ehrlicher

Mann — Sehen auf

Mann

den

Er hatte schon drei, vier Wun­

den er angeht.

selbst zu zürnen,

Wäre es

den; warum ging er nicht? Es haben sich Generale mit wenigeren und kleinern Wunden

sterben wollen.

unschimpslich

bei Seite gebracht.

Er

Pergeben Sie mir, wenn ich ihin zuviel thue.

wäre auch an der letzten Wunde

er ist versäumt worden. wen ich rasen soll.

nicht gestorben,

hat Er

aber

sagt man;

Versäumt worden! Ich weiß nicht, gegen

Die Elenden, die ihn versäumt haben!" —

Brcsla u, den 6. December 1760.

An Ramler! „Und nun? Was machen unsere Freunde?

Was macht mein

lieber Gase und sein Haus? Empfehlen Sie mich ihm, ihr, Kindem (hier wird er sich ein väterliches Air geben)

seinen

und Allen,

mit welchen wir in Ihrer Gesellschaft so manchesmal lustig gewesen

sind; vornehmlich der Madame Thcrbusch. — Und alsdann, unsern Klub nicht zu vergessen! Alle Freitag Abends klopft mir das Herz,

wenn ich mich noch jetzt

und ich weiß nicht, was ich darum gäbe, alle Wochen

einmal

in Gesellschaft

so

vieler rechtschaffnen Leute

satt essen, satt lachen, und satt zanken könnte; besonders über Dinge

satt zanken könnte,

die ich nicht verstehe.

ment an die Herren Quantz und Agricola.

Mein

großes Kompli­

Die griechische Musik

254 war doch besser, als die auf dm Breslauischen Kaffeehäusern. Un­ sern lieben Krause rechne ich mit zum Klub.

nem Vaterlande, und bei Gott,

Ich bin jetzt in sei­

er hat recht wohl daran gethan,

daß er in Schlesien jung geworden ist." —

Breslau, den 30. März 1761. An Moses Mendelssohn! „Ach, bester Freund, Ihr Lessing ist verloren! In Jahr und

Tag werden Sie ihn nicht mehr kennen. meine Zeit,

O meine Zeit,

mein Alles,

ich weiß nicht was für Absichten

Er ist selbst nicht mehr. was ich habe — sie so,

aufzuopfern!

Hundertmal

habe

ich schon den Einfall gehabt, mich mit Gewalt aus dieser Verbin­ dung zu reißen.

Doch kann man einen unbesonnenen Streich mit

einem andern wieder gut machen? nur einen so finstern Tag,

Aber vielleicht

habe

ich

heute

an welchem sich mir nichts in seinem

Morgen schreibe ich Ihnen vielleicht heiterer.

wahren Lichte zeigt.

O schreiben Sie mir doch ja recht oft; aber mehr als bloße Vor­ würfe

über

mein Stillschweigen.

wegen ertheilen?

gute Stunde, Ihre. mit

Ihre Briefe sind für mich ein

Und wollen Sie Almosen nur der Vergeltung

wahres Almosen.

Leben Sie wohl, mein liebster Freund.

die mir

mein Mißvergnügen

Die erste

läßt, ist ganz gewiß

Ich sehe ihr mit alle dem unruhigen Verlangen entgegen, welchem

ein Schwärmer

himmlische Erscheinungen

erwartet.

Lessing."

Breslau, 7. September 1761. An Ramler! —

„Sobald

wir

wieder

zusammenkommen

werden!

Aber

wenn wird das geschehen? Wenn ich in dem alten römischen Sinne

beatus sein werde? Ach, liebster Freund, dazu

gehört viel.

Und

bei mir gehört gleich noch einmal so viel dazu, als bei einem an­ dern.

Indeß bin ich von dieser Seite so ziemlich zufrieden;

und

wenn es Ihr Emst ist, daß Sie mein Tresorier werben wollen: gut, lassm Sie

nur

die Wege

wieder

längstms den December herankommen.

recht sicher werden,

Zehnmal so viel, als Sie

jetzt weggeben, könnte ich Ihnen schon schicken.

Vielleicht könnte ich auch

ich nicht

so

schon noch einmal

viel Bücher kaufte,

deren

oder

Aber was ist das?

so viel haben, wenn

ich bereits hier dreimal so

255 viel habe, als ich Ihnen zurückgelaffen. Dazu kommen noch zwan­ zig andere Ausgaben: und kurz ich bin kein Wirth. Die Wahr­ heit zu sagen, ich mag es auch nicht sein. Dmn vielleicht, daß ich so, weit eher wieder in meine alte Sphäre zurückkomme, als wenn ich es wäre, als wenn ich mir das Zeitliche zu sehr angelegen sein ließe, und dadurch nach und nach an einer Lebensart Geschmack fände, die für Keinen ist,

Quem tu, Melpomene gerne! Nasceutem placido lumine videris — — „Was sagen meine Freunde in Berlin von mir? Kaum bin ich es werth, noch welche zu haben. Doch nein; ich habe nie welche gehabt, wenn ich sie nicht noch habe, und sie durch mein bisheriges Stillschweigen kaltsinnig geworden sind. Dies Compliment machen Sie nur Allen, und machen Sie auch sich selbst, wenn Sie anders — Nein, Sie, liebster Freund, kenne ich zu gut. Sie sind der nachsichtsvollste von Allen, und ich weiß, daß Ihnen meine schlechte Seite eben so lieb ist, als meine gute. Leben Sie wohl. Ich umarme Sie tausendmal." — —

Die Reife des Lebens. Breslau, den 5. August 1764. An Ramler.

„Liebster Freund. Tausmd Dank für Ihre besorgte Freund­ schaft. — Krank will ich wohl einmal sein, aber sterben will ich deswegen noch nicht. Ich bin so ziemlich wieder hergestellt; außer daß ich noch mit häufigem Schwindel beschwert bin. Ich hoffe, daß sich auch dieser bald verlieren soll; und alsdann werde ich wie neugeborm sein. Alle Veränderungm unseres Temperaments, glaube ich, sind mit Handlungen unserer animalischm Oeconomie verbundm. Die ernstliche Epoche meines Lebms nahet heran; ich beginne ein Mann zu werden, und schmeichle mir, daß ich in die­ sem hitzigen Fieber den letzten Rest meiner jugendlichen Thorheiten verraset habe.-------- Wünschen Sie mich also gesund, liebster Freund; aber wo möglich, mit einem kleinen Denkzeichen gesund, mit einem flehten Pfahl im Fleische, der den Dichter von Zeit zu Zeit den hinfälligen Menschen empfinden laste, und ihm zu Gemüthe führe, daß nicht alle Tragici mit dem Sophokles 90 Jahr werden; aber, wenn sie es auch mürben, daß Sophokles auch

256 an die neunzig Trauerspiele,

ich

und

erst

einziges gemacht!

ein

Auf einmal überfällt mich ein Schwindel!

Neunzig Trauerspiele!

O lassen Sie mich davon abbrechen, liebster Freund!" —

Lessings Braut. Hamburg, den 25. November 1771.

Mein liebster, bester Freund!

„Die ganze verflossene Zeit zurück denken,

eine Neigung zu gestehen,

war,

meines Lebens

bis auf den Augenblick,

worin

kann

ich ruhig

schwach genug

ich

ich zu verbergen so fest be­

die

schlossen hatte; wenigstens so lange, bis meine Umstände eine glück­ Ich bin überzeugt, Sie würden dennoch

liche Wendung nähmen.

einen freundschaftlichen Antheil an Allem

genommen

was

haben,

allein Sie hätten nicht meine Angelegenheiten

mir begegnet wäre;

zu den eigenen gemacht, wie Sie jetzt thun; ob Sie es gleich nicht

sollten.

Denn der Porsatz bleibt unumstößlich: bin ich unglücklich,

es allein,

so bleibe

ich

meinigen

verflochten.

mit

dem

Meine Gründe hierüber wissen Sie;

noch

und Ihr Schicksal

wird

nicht

mehr, Ihre Aufrichtigkeit erlaubte Ihnen nicht, sic zu mißbilligen; nennen Sie sie also nicht Ausflüchte — das Wort Ausflucht hat mich gekränket.

Fragen Sie Ihr Herz,



ob es in dem nehm­

lichen Fall nicht so handeln würde, und antwortet es Ihnen Nein, so glauben Sie nur,

ich Sie liebe.

daß Sie mich nicht halb so sehr lieben, als

Das Einzige, warum ich Sie bitten will, ist, daß

Sie sich durch mich in Ihrem Plan nicht irre machen lassen, son­ dern eben das thun, was Sie gethan hätten, wenn Sie mich nicht

kennten. — und erinnern sich Ihrer sehr

„Meine Kinder sind alle wohl, oft.

Sie enipfehlen sich Ihnen, und Molchen danket ergebenst für Sie leidet sehr am Frost; ich

die Sorge, die Sie für sie tragen.

wünsche nur,

daß die Salbe ihr

Erbsen haben so große Eile

helfen mag.

nicht;

Die Linsen

und

wenn Sie sie nur nicht ganz

vergesien wollen. — —

„Sie

klagen

wieder

fleißig mit kaltem Wasser, Mittel,

die

man Ihnen

über Ihre Augen! und

anräth,

Waschen

brauchen Sie

so

wie Sie

ja

nicht

Sie

sie

alle die

gewöhnlich

thun.

Wollte der Himmel, ich könnte Ihnen die Abende nicht durch Ge­ danken,

sondern persönlich verkürzen helfen!

Alle meine Wünsche

257 wären erfüllt. Ich denke noch immer, sie sollen erfüllt werden. Nach solchen traurigen Tagen, wie ich nun habe, müssen wieder heitere kommen, und die können nicht wieder kommen, wenn ich nicht wenigstens das Glück habe, mit Ihnen an einem Orte zu leben. Lebm Sie wohl, mein theurer und redlicher Freund. Ihre ganz ergebenste Freundin E. C. König."

Lessings Fra«. Spittler an Meusel. „In Wolfenbüttel war ich fast drei Wochen, und es waren drei der glücklichsten und lehrreichsten meines Lebens, da mir Les­ sing einen völlig freien Zutritt in sein Haus und einen eben so völlig ungehinderten Gebrauch der dasigen Bibliothek gestattete. Ich weiß nicht, ob Sie Lessing persönlich kennen. Zch darf Sie versichern, daß er der größte Menschenfreund, der thättgste Beför­ derer aller Gelehrsamkeit, der hülfreichste und der herablassendste Gönner ist. Man wird unvermertt so vettraut mit ihm, daß man schlechterdings vergessen muß, mit welch großem Manne man um­ geht; und wenn es möglich wäre, mehr Menschenliebe, mehr thättges Wohlwollen irgend anzutteffen, als bei Lessing — so wäre's bei Lessings Gatttn.') Eine solche Frau hoffe ich nimmermehr kennen zu lernen. Die unstudirte Güte ihres Herzens, immer voll von der göttlichen Seelenmhe, die sie auch durch die bezau­ berndste Sympathie Allen mittheilt, welche das Glück haben mit ihr umzugehen. Das Beispiel dieser großen, würdigen Frau hat meine Begriffe von ihrem Geschlechte unendlich erhöht, und viel­ leicht bin ich noch viel zu kurz in Wolfenbüttel gewesen, um sie nach allen ihren Vorzügen kennen zu lernen."")

*) Lessing» Vermählung mit der Wittwe seine» im Jahre 1769 verstorbenen Freunde», de» Kaufmann» König in Hamburg, war daselbst am 8. October 1776 erfolgt. ”) Vergl. a. a. O. Adolf Stahr II. S. 219 und Schäfer II. S. 62. 17

258

Der Gatte und Bater. Wolfenbüttel, den 3. Januar 1778.

An Eschenburg! „Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Be­

sinnung liegt,

für Ihren

um Ihnen

Meine Frmde war nur kurz.

sen Sohn!

gütigen Antheil zu danken.

Und ich verlor ihn so ungern, die­

Denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! —

Glauben Sie nicht, mich schon zu so

daß dir wenigen Stunden meiner Vaterschaft

einem Äffen

von Vater

haben!

gemacht

Ich

weiß, was ich sage. — War es nicht Verstand, daß man ihn mit daß er so bald Un­

eisernen Zangen auf die Welt ziehen mußte?

rath merkte? — War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegen­ heit ergriff sich wieder davon zu machen? — Freilich zerrt mir der

Ueine Ruschelkopf

auch die Mutter mit fort!

wenig Hoffnung,

daß ich sie behalten werde.

Denn noch ist



Ich



auch einmal so gut haben, wie andere Menschen.

wollte es

Aber es ist mir

schlecht bekommen."

Den 5. Januar.

An Carl Lessing! — „Ich lief Gefahr meine Frau zu verlieren, lust mir dm Rest

meines Lebens

verbittert

welcher Ver­

haben würde.

Sie

ward mtbunden, und machte mich zum Vater eines recht hübschm

Jungen, der gesund und munter war.

Er blieb es aber nur vier

und zwanzig Stunden, und ward hernach das Opfer der grausamen Art,

mit welcher er auf die Welt gezogen werden mußte. — —

Die Freude war so kurz, und die Bettübniß ward von der größten Besorgniß überschrieen!

Denn

die Mutter

lag

ganzer neun bis

zehn Tage ohne Verstand, und alle Tage, alle Nächte, sagte man

mich ein paarmal von ihrem Bette,

mit dem Bedeuten,

ihr den letzten Augenblick nur sauer mache. noch bei

aller Abwesenheit ihres Geistes.

Krankheit auf einmal umgeschlagen,

und

daß ich

Denn mich kannte sie Endlich

hat sich die

seit drei Tagen habe ich

die zuverlässige Hoffnung, daß ich sie diesmal noch behaltm werde, beten Umgang mir jede Stunde, auch in ihrer gegmwärttgen Lage

immer unentbehrlicher wird.

259 De« 7. Zauuar.

An Eschenburg! „Ich kann mich kaum erinnern,

was für ein tragischer Brief

das kann gewesen sein, den ich Ihnen soll geschrieben haben.

Ich

schäme mich recht herzlich, wenn er das geringste von Verzweiflung

verräth.

Auch ist nicht Verzweiflung,

sondern vielmehr Leichtsinn

mein Fehler, der sich manchmal nur ein wenig bitter und menschen­

feindlich ausdrückt. so dulden,

wie

Meine Freunde müssen mich nun ferner schon

ich bin. — Die Hoffnung

Frau ist seit einigen Tagen

wieder sehr

zur Beflerung meiner

gefallen;

und

eigentlich

habe ich jetzt nur Hoffnung, bald wieder hoffen zu dürfen."--------

Den 10. Januar. An Denselben! „Meine Frau ist todt; auch gemacht.

und

Ich freue mich,

rungm nicht mehr übrig

nun

diese Erfahrung habe ich daß

mir viele dergleichen Erfah-

sein können zu machen;

und

bin

ganz

leicht. — Auch thut es mir wohl, daß ich mich Ihres, und unserer übrigen Freunde in Braunschweig, Beileids versichert halten darf."

Den 12. Januar.

An Carl Lessing! „Zu was

für

einen

muß ich Dich machen!

traurigen Boten



an

Und gleichwohl

meinen Stiefsohn

weiß ich,

daß Dein

gutes Bruderherz selbst nöthig haben dürfte, vorbereitet zu werden.

— Seine gute Mutter, meine Frau, ist todt. kannt hättest!

— Aber man sagt, es sei nichts als Eigenlob seine

Frau zu rühmen.

Nun gut, ich sage nichts weiter von ihr.

wenn Du sie gekannt hättest! der so sehen,

Wenn Du sie ge­

als

Aber

Du wirst mich, fürchte ich, nie wie­

unser Freund Moses

mich

gefunden

hat:

so

ruhig, so zufrieden, in meinen vier Wänden!" —

Den 14. Januar.

An Cschenburg! „Gestern Morgen ist mir der Rest meiner Frau vollends aus dem Gesichte gekommen.

— Wenn ich noch mit der einen Hälfte

meiner übrigen Tage das Glück erkaufen könnte, die andere Hälfte

17*

260 in Gesellschaft dieser Frau zu verleben; wie gern wollt' ich eS thun! Aber das geht nicht; und ich muß nur wieder anfangm, meinen Weg allein so fort zu duseln. Ein guter Vorrath an Laudanum literarischer und theologischer Zerstreuung wird mir einen Tag nach dem andern schon ganz leidlich überstehen helfen." —

Die letzte« Jahre. Wolfenbüttel, den S. August 1778.

An Elise Reimarus! „Ich bin mir hier ganz allein überlassen. Ich habe keinm einzigen Freund, dem ich mich ganz vertrauen könnte. Ich werde täglich von hundert Verdrießlichkeiten bestürmt. Ich muß ein ein­ ziges Jahr, das ich mit einer vernünftigen Frau gelebt habe, theuer bezahlen. — — Wie oft möchte ich es verwünschen, daß ich auch einmal so glücklich sein wollen, als andere Menschen! Wie oft wünsche ich mit eins in meinen alten isolirten Zustand zurückzu­ treten, nichts zu sein, nichts zu wollen, nichts zu thun, als was der gegenwärtige Angenblick mit sich bringt! — Sehen Sie, meine gute Freundin, so ist meine wahre Lage. — — Doch ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, — knirsche eins mit den Zähnen, — und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollm. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will." —

Den 6. September 1778. An Dieselbe! — „Das Angeschlossene ist eine Ankündigung, über welche meine Freunde sich zum Theil wundern werden. Aber wenn Sie im Decameron des Boccaz (I. 3.) die Geschichte vom Juden Melchisedech, welche in meinem Schauspiel zu Grunde liegen wird, aufschlagen wollen, so werdm Sie den Schlüstel dazu leicht findm. Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."

261

Den 20. October 1778.

An Carl Lessing!

„Jetzt ist man hier auf meinen Nathan gespannt, und besorgt sich davon, ich weiß nicht was. Aber, lieber Bruder, selbst Du hast Dir eine ganz unrechte Idee davon gemacht. Es wird nichts weniger, als ein satirisches Stück, um den Kampfplatz mit Hohn­ gelächter zu verlassen. Es wird ein so rührendes Stück, als ich nur immer gemacht habe." —

Den 16. December 1778.

An Elise Reimarus!

„Wie es mir sonst geht, — wenn ich nur gesund bin — daran ist nicht viel gelegen. Ein bischen Verdruß habe ich sogar mit unter gern; und der liebe Gott weiß wohl, was ich gern habe und mir gesund ist."

Den 28. November 1780. An Dieselbe!

„Ich wette, Sie errathen nicht, was ich Ihnen diesmal zu melden habe. — Sie vermuthen ohne Zweifel, eine besondere Kri­ sis meiner Krankheit? — Das hat sich wohl! — Doch was nicht ist, das kann noch werden. Und der Tod selbst ist ja wohl auch eine Krisis der Krankheit. Ich komme eben von Braunschweig, wo mich der Herzog gestern rufen ließ, um mir kund zu thun, — — was meinen Sie wohl? — — daß ihm Sein Gesandter in Regensburg gemeldet, wie ihm der Sächsische Gesandte im Ver­ trauen eröffnet, daß nächstens an den Braunschweigischen Hof ein Excitatorium von dem Gesammten Corpore Evangclicoram ge­ langen werde, um mich, den Herausgeber und Verbreiter des schändlichen Fragments von dem Zwecke Christi und seiner Jünger zur verdienten Strafe zu ziehn. Dieses sagte mir der Herzog auf eine so freundschaftliche und beruhigende Art, daß ich cs zuletzt fast bereuet hätte, ihm so gleichgültig und sicher darauf geantwortet zu haben. Wenigstens hätte ich es wohl Unterlasten können, ihn ausdrücklich zu bitten, daß er sich meiner in keinem Stücke an­ nehmen solle, sondern in allem, ohne die geringste Rücksicht auf mich, so verfahren möge, wie er glaube, daß ein deustcher Reichs-

262 stand verfahren müsse. solche

Aeußerung

Denn ich

Niemand

begreife

verdient,

der

daß eine

nun wohl,

uns

nützlich

zu

sein

wünscht.«---------

Den 21. Januar 1781. An Dieselbe! „Allerdings, meine Liebe, bin ich wieder krank — und kränker als jemals.

Nicht daß mein Kopf noch in meinem Magen logirte.

Dank sei es den Pillen Ihres Herrn Bruders! Aber meine Augen

logiren drinnen,

und ich bin so gut,

wie blind. — — Aber ich

schreibe Ihnen doch: werden Sie sagen. heller Tag,

und ich habe eine

Bruder wird sich erinnern,

über meine Augen geklagt habe.

Büchschen,

wovon

neue

daß

ich

Es ist ein außerordentlich

herrliche Brille. ihm

Damals gab er mir zwei kleine

eine sehr klein und versiegelt war,

ich mich recht erinnere,

mein Unglück schicken,

und wenn

ein Arcanum oon van Swieten sein sollte.

Dieses habe ich noch unerbrochen in meinem Pulte. ich dieses jetzt probirte?

Ihr Herr

schon vor zehn Jahren

Ich

welches

lernte

mich

damals

auch

Wie, wenn

vielleicht nur in

noch nicht sehr groß war.

— Gott, wenn das auch wieder so werden soll! — Und wenn Sie

vollends wüßten, wie lange ich über diesen Brief geschrieben!" — Es war sein letzter an sie.

Am 15. Februar starb er.

263

Lessings Tod. Lessing hatte sich Anfangs des Jahres 1781 von Wolfenbüttel nach Braunschweig begeben. „Hier indeß, wo er Erholung und Genesung suchte, nahm," wie in dem Danzel-Guhrauerschen Werke und auch sonst übereinstimmend berichtet wird, „die Krankheit unvermuthet rasch einen lebensgefährlichen Charatter an. Auf die bettübende Nachricht eilte seine Stteftochter, Amalie König, aus Wolfenbüttel herbei, um mit liebender Hand die Leiden des stillen Dulders zu lindern. Der 15. Februar ließ noch einmal einen schwachen Sttahl der Hoffnung aufleuchten,' indem sich gerade an diesem Tage der Kranke bedeutend er­ leichtert fühlte, und heiter an seinem Schmerzenslager die Besuche theilnehmender Freunde annahm. Ja, mitunter scherzte er sogar mit dem Hof-Medicus Brückmann und Angott und Daveson. Aber dieses Lebens­ feuer war nur das letzte Aufflackern eines erlöschenden Lichtes. Am Abend dieses verhängnißvollen Tages saß die bekümmerte Tochter vor der Schwelle des Krankenzimmers, um vor dem Auge des geliebten Va­ ters ihre Thränen zu verbergen. Man meldete dem Kranken, daß im Vorzimmer Freunde zum Besuche seien. Da öffnet sich die Thür und Lessing tritt herein, ein Bild des herzzerschneidensten Anblicks! Das edle Antlitz, schon durch hypottatische Züge markitt und vom kalten Todes­ schweiße überdeckt, -leuchtet von himmlischer Verklärung. Stumm und unter einem unaussprechlichen seelenvollen Blicke, drückt er seiner Tochter Hand. Darauf neigt er sich freundlich gegen die übrigen Anwesmden, und mit so entsetzlicher Anstrengung es auch geschieht, nimmt er ehrerbiettg seine Mütze vom Haupte, aber die Füße versagen den Dienst; er wird zum Lager zurückgeführt und ein Schlagfluß endet, auch dem ängst­ lichsten Besorgnisse noch überraschend, das theure Leben." Moses Mendelssohn schrieb bald darauf an Carl Lessing, deS Hingeschiedenen Bruder: „Nicht ein Wort, mein Bester! von unserm Verluste, von der großen Niederlage, die unser Herz erlitten. Das An­ denken des Mannes, welchen wir verloren, ist mir jetzt zu heilig, um es durch Klagen zu entweihen. Es erscheint mir nunmehr in einem

264 Lichte, das Ruhe

breitet. loren.

that,

und erquickende Heiterkeit

die Gegmstände ver­

auf

Nein! ich rechne nicht mehr, was ich durch seinen Hintritt ver­ Mit gerührtem Herzen danke ich der Vorsehung

daß sie mich so früh,

der

Mann kennen lassen,

in

meine Seele gebildet hat,

Handlung, welche ich vor hatte,

für die Wohl­

meiner Jugend, hat einen

der Blüthe

bei

den ich

welche

bei jeder Zeile,

jeder

ich hinschreiben

sollte, mir als Freund und Richter vorstellte und den ich mir zu allen

Zeiten noch als Freund und Richter vorstellen Schritt von Wichtigkeit zu thun habe.

genug war

so oft ich

einen

Wenn sich in diese Bettachtnng

noch etwas Melancholisches mit einmischt,

daß ich seine Fühning nicht gehörig

werde,

so ist es

benutzt habe,

nach seinem lehrreichen Umgänge,

vielleicht die Reue, daß ich

daß ich

nicht geizig

manche Stunde

vernachlässigte, in der ich mich mit ihm hätte unterhalten können.

Ach!

seine Unterhaltung war eine ergiebige Quelle, aus welcher man unauf­

hörlich neue Ideen des Guten und Schönen schöpfen konnte, die er wie

gemeines Wasser von

sich sprudelte,

zu Jedermanns Gebrauch.

Die

Milde, mit welcher er seine Einsichten mittheilte, setzte mich zuweilen in

denn sie schien ihn in keine Unko­

Gefahr, das Verdienst zu verkennen:

und

sten zu setzen;

zuweilen schob er

sie den

daß ich sie nicht mehr unterscheiden konnte.

meinigen so mit unter,

Ueberhaupt war seine Mild­

thätigkeit hierin nicht von der engherzigen Art mancher Reichen,

die es

fühlen lassen, daß sie Almosen ausspenden; sondern es spornte den Fleiß an, ließ verdienen, was er gab.

„Alles wohl überlegt, mein Liebster!

gerade zur

ist Ihr Bruder

rechten Zeit abgegangen, nicht nur in dem Plane des Weltalls zur rech­

ten Zeit: denn da geschieht eigentlich nichts zur Unzeit, sondern auch in

unserer engen Sphäre,

zur rechten Zeit. System bekannt

die kaum

Von

vom Durchmesser hat,

Fontenelle sagt von Eopernicns: er machte sein neues

und starb.

Der Biograph

eben dem Anstande sagen können: starb.

eine Spanne

Ihres Bruders

er schrieb Nathan

wird mit

den Weisen und

einem Werke deS Geistes, das eben so sehr über Nathan

hervorragte, als dieses Stück in meinen Augen über Alles, dahin geschrieben, kann ich mir keinen Begriff machen.

was er bis

Er konnte nicht

höher steigen, ohne in eine Region zu kommen, die sich unfern sinnlichen

Augen völlig entzieht, und dies that er.

Nun stehen wir da,

Jünger des Propheten und staunen den Ort an,

wo

wie die

er in die Höhe

fuhr und verschwand." Ebenso schrieb Mendelssohn später seinem Freunde v. Hennings

in Kopenhagen: „Mich beschäftigt itzt der einzige Gedanke: Lessings Tod.

Er macht

265

aber er ist mir immer gegenwärtig,

mich nicht traurig, nicht tieffinnig:

wie

Ich schlafe mit ihm

das Bild einer Geliebten.

ihm, wache

ein,

träume von

mit ihm auf und danke der Borsehung für die Wohlthat,

die sie mir erzeigt hat, daß ich diesen Mann so frühzeitig habe kennen

lernen, und daß ich seinen freundschaftlichen Umgang so lange genoffen Die Welt keimt seinen schriftstellerischen Werth, wenige aber ken­

habe.

nen seinen freundschaftlichen Werth;

daß

ja ich finde,

Werth überhaupt von vielen sogar mißkannt werde.

sein moralischer

Auch die Begriffe

von Tugend und Sittlichkeit sind der Mode unterworfen, und wer sich den Modebegriffen seines Jahrhunderts

nicht nach

schmiegen kann, der

wird von seinen Zeitgenoffen verkannt und verschrieen.

So viel scheint

mir indessen außer allem Zweifel zu sein: Wenn irgend ein Mensch

besser war, als er sich in seinen Schriften zu erkennen gab,

so war es Lessing.

wußte

Die am meisten wider ihn eingenommen waren,

er in einer Stunde persönlichen Umgangs

gleichwohl ist ihm meines Wissens

aus dem Munde gegangen;

ja,

nie

eine

zu

gewinnen,

und

geflissentliche Schmeichelei

er hatte sogar die — wie soll ich eS

nennen? — Bizarrerie, ein abgesagter Feind von der äußern Höflichkeit zu sein.

Seine gesellschaftlichen Tugenden

Theilnehmung, aufrichtiger Dienstbeflissenheit,

bestanden

in

mehr

in

ächter

der äußersten Entfer-

nung von Eigennutz und Eigendünkel, und in der milden Bereitwillig­ keit, einem Jeden mit seinem Reichthum an Begriffen so zuvorzukommen,

daß man sich in einer Unterredung mit ihm allezeit scharffinniger glaubte, als man

wirklich war,

Ueberlegenheit jeden Geck,

innerlich

ob

man

gleich nicht unterlassen konnte, dessen

recht zu ftihlen.

Sarkastisch

und

bitter gegen

der sich die Wahrheit allein gefunden zu haben einbildete,

war er liebreich und bescheiden gegen Jeden,

der Wahrheit suchte, und

zu allen Zeiten bereit, ihm mit seinem Porrathe zu dienen." *)

Am 21. Februar 1781 schrieb Herder an Mendelssohn: „Ohne Zweifel, lieber theurer Mendelssohn, wissen Sie so gut, wie

ich, Lessings Tod;

ich

kann

zwei Tagen damit trage und

aber nicht umhin,

da ich mich schon seit

gegen Niemand mein Herz darüber recht

ausschütten und losmachen kann, an Sie, liebster Mendelssohn, zu schrei­

ben, an Sie, dessen Freund er so sehr war, und den ich mir in meinen

ersten Jahren so

gern und oft mit

ihm zusammendachte.

hung hat auch hierbei, wie bei Allem,

Die Vorse­

ihre weisen guten Zwecke und

Wege: er ist bald und frühe des unvollkommnen Wirrwars losgeworden,

*) Moses Mendelssohn. Sein Leben und seine Werke, von Dr. M. Keyser­ ling. Leipzig, Hermann Mendelssohn 1862. S- 531.

266 in und mit dem wir uns hier schleppen, um nun die ersten Blicke der Wahrheit und festen Seelenfreiheit thun zu können; Ihnen aber brauche

sagen, was Deutschland, was die Wissenschaften,

ich's gewiß nicht zu

was die edle männliche Bestrebung in den Wissenschaften an ihm ver­

loren und lange nicht wiedersinden werden.

Mir ist's noch immer,

so

entfernt wir von einander arbeiteten und dachten, so leer zu Muth, als ob Wüste, weite Wüste um mich wäre."") — —

Dann im Märzhefte des deutschen Mercurs des Jahres 1781: „Mit jedem Tage fühl' ich's schmerzlicher, was wir an diesem sel­

tenen Manne verloren haben.

so

mannichfaltige,

große

Denn

Talente

wie

in

selten

werden so

Einer Person

viele,

vereinigt!

so

Und

wenn ich überdenke, was ein einziges Werk, wie Nathan der Weise, ist, — was es für mich, für jeden, der einen Sinn für die Vollkommenheit

in Werken des Geistes hat, ist — was nur etliche,

die Erziehung Gewinn,

des Menschengeschlechts,

welche Entschädigung

für

für

solche Bogen, wie

waren — welch ein

mich

ganze Jahre von Dürre, Mangel

und Mißwachs! — und mir denn sagen muß:

Er ist nicht mehr, der

Von dem ich noch

meinem Geist und Herzen solibe Feste geben konnte!

von Licht

soviel hoffen konnte!

Diese Quelle

immer verstopft!

Es ist traurig,



und Kraft

so die Besten

ist

nun auf

seines Volks und

seiner Zeit zu überleben — und traurig zu sehen, wie Wenige die Größe

eines solchen Verlustes nur zu fühlen fähig sind. den Neid nicht mehr reizen,

Und doch, da er nun

die Dummheit nicht mehr in Verlegenheit

setzen, die Tartüffen nicht mehr beunruhigen, und keinem der wohlmeinen­ den Leute, die wider ihn geschrieben haben, mehr Antwort geben kann,



nun

oder noch schreiben werden,

werden Sie

sehen,

wie sich alle

Stimmen vereinigen werden, die Größe des Mannes — den so wenige

zu würdigen int Stande sind, —

anzuerkennen.

Man wird sich um­

sehen, nach einem, der diesen leergewordenen Stuhl an der kleinen Tafel­ runde der Weisen ausfüllen könnte. — Man wird sich fragen:

wo ist

nun der Denker, der Helle, tief blickende, weitumschauende, philosophische

Denker,

der uns

diesen Denker, — wo ist

diesen Meister in der Kunst

der Schriftsteller, der uns

der Composition und Darstellung — wo

ist der Kenner der menschlichen Natur,

der

uns diesen Menschenkenner

— wo der Mann von Geschmack und feinem, scharfem, sicherm Urtheil, der uns diesen Mann ersetzen könne?

wort geben können.

Und man wird sich keine Ant­

Wie klein ist selbst die Zahl derer, die noch übrig

sind, uns wegen eines solchen Verlustes zu trösten.

*) Kayserling a. a. O. S. 544.

Und doch, glücklich,

267 daß wir noch so Manche haben, deren Tod einst alle Edlen und Gutm

eben so betrüben,

deren Verlust

ihn selbst — den Lichtgeist,

der

eben so unersetzlich sein wird! in

diesem

sehr außer seinem wahren Elemente lebte

Denn

dumpfichten Nebellande so Ihn bedauern wir nicht.



Ohne Zweifel gilt nun von 3hm, was der große Leibnitz einst auf den

Mann,

dem

und dem

er

die Veranlassung zu

unser Freund

seiner Theodice zu danken hatte,

an Scharfsinn,

Freiheit des Geistes, Umfang

der Kenntnisse, und dem Talent zum Schreiben so ähnlich war, anwendete: Candidus insuetmn miratur limcn Olympi

Sub pcdibus videt nubcs et sidera — — tief unter ihm Die Wolken und der Sterne wandelnd Heer,

Und wahren Lichtes aus dem Urquell voll, Blickt er herunter aut die dicke Nacht

Die unsern Geist erdrückt."

So

empfanden

den Tod

Lessings

damals

Wie ihn die deutschen Bühnen empfanden,

die

edelsten Freunde.

bezeugt ein Bericht aus

dem Gothaischen „Theater-Kalender auf das Zahr 1782."*)

Ein Aus­

zug auö demselben soll diese Erinnerungen an Lessings Tod beschließen:

— ctii pudor, nudaquc veritas

quando ullum inveiiient purem? „Deutschland kann kein Beispiel einer

allgemeiner gefühlten Verlustes,

bei

aufweisen, als bei LessingS Tode.

einstimmigern Klage,

dem Tode

eines

eines

seiner Gelehrten

Seine Verdienste kannten, betrauerten

Alle, der Gelehrte wie der Ungelehrte, der Hohe wie der Niedrige, denn er war

eingegangen

in

jedes Heiligthu>n

der Künste

war nicht einseitig, sondern überall gegründet.

Kennzeichen des Genies — dieser in

und sein Ruhm

Wenn es ein unttügliches

unsent Tagen

so

oft erniedrigen-

ten, so oft verschwendeten Würde — ist, daß es sich nur einer Wissen­

schaft zu weihen braudjt, kommen zu werden,

um

darin schnell,

nie mittelmäßig, oft voll­

wer war mehr Genie als Lessing?

dürsten sich in unserm Vaterlande neben ihm stellen?

Der vor Tausenden zu glänzen, Hohen, hohen Geist empfing;

Aber, zwischen Lorbeerkränzen

Demuthsooll, in Zweifeln ging!

’) Gotha, bei Karl Wilhelm Ettinger

und wie Viele

268 „Ich fürchte,

es ist nur zu wahr,

was eine Stimme der Nation

daß die Stätte, die er füllte, lange ledig blei­

an seinem Grabe zeugt,

ben wird!

„Die Künstler

des Vaterlandes haben

die Trauer des Volks um

seinen Liebling durch Denkmäler geheiligt.

Gin Bildhauer zu Braun­

schweig stellte seine Büste in Marmor auf.



Abramson

prägte sein

und setzte auf die Kehrseite die unverloschene

Bildniß auf eine Münze,

Lampe, die trauernde Wahrheit und Natur, und die Erinnerung an das

letzte Meisterstück des Verstorbene«; Markgraf von Schwedt,

und Seine Königliche Hoheit, der

ließen Lessings

und Shakespeares Büsten auf

den Vorhang Ihrer Bühne malen, mit der Unterschrift:

fünfzig Jahr; der Zeitraum, zurücklegten.

Alt

zwei und

in welchem beide ihre rühmliche Laufbahn

Doch ehrenvoller noch war die Rührung eben dieses edlen

Großen bei Lessings Gedächtnißfeier!

Man sah einen deutschen Fürsten,

der um einen deutschen Weisen weinte!

Laut tönte

die Wehklage

des

deutschen Schauspiels, an der Urne des Mannes, dem es Alles verdankt, Lehre, Größe, Vorbild, der ihm Muster gab, die es kühn seinen frem-

den Schwestern entgegen halten, und ihnen zurufen darf:

seht, sie wä­

gen die eurigen auf!" „Die erste Bühne, welche Lessings Todtenfeier beging, war die

Döbbelinische zu Berlin, am 24. Februar des vergangenen Jahres.

Das Theater stellte ein

erleuchtetes Castrum doloris mit dem Grab­

mal und Bildniß des Verstorbenen dar,

zn

dessen Seiten der

größte

Theil der Schauspieler und Schauspielerinnen, an deren Spitze sich auch Herr Döbbelin befand, in Trauerkleidern standen. Eröffnung

machte.

der Bühne auf

jeden Zuschauer

den

Ein Anblick, der bei

lebhaftesten

Eindruck

Sobald der Vorhang aufgegangen war, hörte man hinter der

Bühne eine Trauermusik, bei welcher das Bendaische Chor

am Grabe

Julians mit einiger Abänderung des Textes zu Grunde gelegt war. vortreffliche Stimme herzeindringcndcr.

Die

der Demoiselle Niclas machte diesen Gesang noch

'Jtadj Endignng desselben hielt Demoiselle Döbbelin

folgende vom Professor Engel verfertigte Rede: „Ten ihr bewundertet; Er, kessen Meisterhand

Emilien erschuf, ter Leidenschaft mit Witze, Geschmack mit Phantasie, wie keiner noch verband;

Er, ter voran an aller Deutschen Spitze

Lo ruhmvoll unk so einzig stand: — (tr ist nicht mehr! aus öffentlicher Scene,

Aue voller Brust dem Edlen hingeweint,

Sei unsres Danks gerechte stemme Thräne

269 Mit Eurem Dank und Eurem Schmerz vereint! Wenn Er ein Deutscher nicht, wenn Er ein Britte wäre: Da schlösse seinen Sarg die Gruft der Kön'ge ein, Da würd' ein Volk, gefühlvoll für die Ehre, Ihm öffentlich ein ewig Denkmal weih'n —

O gönnt dann Ihr des großen Mannes Asche, Daß jenen Todtenkrug, der sie gesammelt hat, Die deutsche Künstlerin, in Deutschlands erster Stadt, Mit töchterlichen Thränen wasche!

Sie ist zu klein, Verdienst, wie so ein Geist erwarb, Mehr als bewundernd zu empfinden; Zu arm, mit Blumen nur die Urne zu umwinden: Denn ach! — fie welken, da Er starb! „Die allgemeine Stille,

die

während

dieses ganzen Auftritts im

Schauspielhause herrschte, war ein Beweis der aufrichtigen Theilnehmung

Dieser Trauer-Feierlichkeit folgte die Aufführung der

des Publicums.

Emilia Galotti; auch hier erschienen die meisten Schauspieler noch in Trauer. — Da das Schauspielhaus die Menge der Zuschauer, die sich an diesem Tage

hinzudrängte, nicht fassen konnte, so wurden sämmtliche Vorstellungen am

27. desselben Monats auf dringendes Verlangen nochmals wiederholt." Hamburgs

„Auch der

Schaubühne klagte am 9. März den Ersten

dramatischen Dichter.

Nach

der Aufführung

der Emilia Galotti

hörte man eine vortteffliche Trauermusik, unter welcher der Vorhang ge­

öffnet wurde. det:

ment

Das Theater

war durchaus mit schwarzem Tuch beklei­

in der Mitte stand auf einem durch fünf Stufen erhöhten Posta­ eine Urne,

um

welche

Trauer gruppirt waren.

alle Mitglieder

des Theaters

in

tiefster

Dann folgte ein feierliches Chor von Madame

Benda, Mademoiselle Keilholz und Mademoiselle Kreß angestimmt und

vom Herrn Hönicke componirt; hierauf ein Recitativ und Arie von Ma­ dame Benda gesungen, und endlich eine Rede von Herrn Schröder ge­

sprochen:

— „Nur unverwunden bleibt die Trauer,

Mit welcher unsre Kunst den Schlag beklagt; Denn diese klagt um mehr, ist um die Dauer Der vaterländ'schen Kunst verzagt; Sieht nur den kleinen Trost von weiten, Hofft, daß noch Dichter in der Ferne stehn,

Die nur den

einzigenbewährten Richter scheuten,

Und kühner nun auf seinem Pfade gehn, Hofft, daß sein Geist auf ihnen schwebe, Und Segen noch auf ihre Werke streu',

270 — Daß Deutschlands Weh um ihn sie noch belebe, Und Sporn ihm nachzustreben sei. — Ihm selbst, dem Edlen, Ihm ist wohl!

Er weiß nun, welche höh're Stelle

Ein höh'rer Geist bekleiden soll,

Ihn dürstete; nun ist er an der Quelle,

Er spürte nach der Erde Leidenschaften, Nach Groß' und Schönheit der Natur;

Nun sieht er ihre ersten Faden hasten, Tritt auf der Grundgesetze erste Spur, Nun weiß er, daß der treue Sucher

Erst hinter den entfernten Vorhang dringt,

Daß ird'sche Weisheit Millionen Wucher Und kleine Aussaat große Früchte bringt!

Sprichst, Deutschland, Du von Dir, erwähne seiner;

An Neid und Undank sei die Rache Dein; Ja unsre Kunst soll am Altare keiner Sich, ohne Ihm zu opfern, weihn.

Laß, Vaterland, ihn nicht durch kleines Lob,

Durch Schmeicheln und Nachahmung schmähen, Auf seinem Grabe mag der Künstler Fahne wehen, Die Ewigkeit sei ihre Krone drob!"

„Die Menge der Zuschauer und ihr feierliches Schweigen war ein deutlicher Beweis ihres Antheils an diesem großen Verlust."

„Zu Schwedt befahl der Markgraf, der Wissenschaft und Talent wägt und schätzt, der Asche des großen Mannes ein Trauersest zu weihen. Die Bühne, vorne schwarz bekleidet, stellte einen Eichenhain vor, im Hintergründe den Tempel der Unsterblichkeit, an dessen Schwelle lagen zween trauernde Barden; im Innern stand Lessings Urne und Büste auf einem allegorischen Altar; auf beiden Seiten die Bildsäulen der personificirten Ideen: Natur, Erziehung, Toleranz, Poesie, Philosophie, Ge­ schichte; auch sah man in Medaillons die Namen der sechs großen Schauspiele des Dichters. Unter einer dazu passenden schönen Ouvertüre, die von einem ausdrucksvollen Orchester mit inniger Theilnehmung vor­ getragen wurde, erschienen sämmtliche Schauspieler in Trauer mit Lor­ beerkränzen und Weihrauch in den Händen, unter ihnen Möller als Odoardo Galotti, der nach Endigung der Musik folgende in diesem Cha­ rakter gesetzte Rede hielt: — Nur eine Unschuld ruft Emilia! — Ein Lessing nur, seufzt laut Germania! — Und diesen lieben großen Einen!! —

271 Ha! wär' nur Albion sein Vaterland Wie bald ständ' dann an Avon's Strand

Von seinem Volk ein Denkmal für Ihn da; Wie würd' um Ihn sein König weinen, Und noch im Grabe sich mit Ihm vereinen! —' So hast denn Du, Germania, In Deinem weit gestreckten Lande

Nicht solch' ein Volk, solch einen Fürsten? — Schande! —

Za Schande war's! — Doch, meine Mutter, doch! —

Du hast solch' einen Fürsten noch.

Tenn Friedrich Heinrich lebt — und Lessing lebt! — Ich seh' ihn — den erhab nen Schatten: Hoch in des Gmpyräums Kreisen schwebt

Gr da, wo Shakespeare sich und Leibnitz zu Ihm gatten, Wo sie sich haben, die noch nie sich hatten.

Vergöttert winkt Gr Dank mir zu, für Dich,

Nimm hin — empfang' ihn feierlich,

Und theile, großer Brennussohn, das Opfer, Das noch Melpomene dem Liebling heut

Zn diesem Lorbeer bringt — Unsterblichkeit." —

„Die Thräne in den Augen des Fürsten bei der vortrefflichen Declamation des Redners gab diesem Austritte seinen völligen Werth.*) „Am 25. März feierte das Privattheater in Ellrich am Harze Lessings Andenken. Die Bühne war schwarz bezogen und stellte ein Castrum doloris vor, welches einen Sarg trug, auf dem Dolch und Maske, mit einem Lorbeerkranze umschlungen, auf einem Kissen von Silberstück lagen. Im Hintergründe hielt ein Genius mit umgekehrter Lebensfackel Lessings Bildniß. Das Portrait war mit Spiegel-Wandleuchtern umgeben, der Sarg mit Gueridons. Auf der rechten Seite des Sarges stauden die Schauspielerinnen, auf der linken die Schau­ spieler, alle in tiefer Trauer. Nach dem Eingänge einer dazu besonders gesetzten Trauermusik ward ein Grablied auf den Verstorbenen, bald im Chor, bald im Duett abgesungen, und hierauf durch Madame Rhenzel eine vorttefliche Rede von Goekingk vorgetragen." „Nach Endigung der Rede verlor sich die Musik in sanften Schmerz. Hinterher ward Miß Sara Sampson aufgeführt."

') Bergl. Guhrauer II. 319.

Beilagen. In chronologischer Folge.

275

Beilage I.

Drei Dichter - Standbilder in Berlin. Ein Wort zur Einigung. Um zu der so wünschenswerten baldigen und völligen Ausgleichung der über die Errichtung des Schiller- und Goethe-Standbildes bestehenden Diffe­ renzen beizutragen, müssen wir zunächst auf das Thatsächliche mit einigen Worten zurückkommen. Das vaterländische Fest des 10. November 1859 hatte in der Grund­ steinlegung zu einem StandbUde für den geliebten Dichter hier seinen bedeutsamsten Ausdruck gefunden. Vor einem der schönsten Gebäude, womit die Meisterhand Schinkels diese deutsche Hauptstadt zu schmücken wußte, der Freitreppe und Säulenhalle dieses Gebäudes mitten gegenüber, wurde au diesem Tgge die Stelle für das Schiller-Standbild öffentlich und feierlich in Besitz genommen, auf ihr ruhten damals die gerührten Blicke vieler Tausende, und Nichts schien gewiffer, als daß sich auf derselben Stelle die kunstverklärte Ge­ stalt des Gefeierten demnächst dauernd erheben werde. Später trat die Be­ strebung ins Leben, hier dem Standbilde Schillers ein Standbild Goethes beizugesellen. Sie schien in ihrer thatsächlichen Verwirklichung die Folge einzuschließen, daß das Schiller-Standbild die Stelle in Mitte der Freitreppe verlieren und, rechts oder links davon ab, zur Seite weichen müsse. Gerade die Folge aber bildet, unserer Annahme nach, fortwährend den Hauptgrund der Mißstimmung, den die Bestrebung für das Goethe-Standbild in den Kreisen Derer findet, die sich mit ihrem Herzen zumeist oder ausschließlich nur bei der Errichtung des Schiller-Standbildes betheiligen. Wo in diesen Kxeisen die bestehende Mißstimmung auf diesem Grunde beruht, sind wir nicht im Stande, gegen sie einen Vorwurf zu erheben. Denn die Liebe für Schiller ist nicht ungerecht gegen Goethe, wenn sie mit eifersüchtiger Sorge darauf wacht, daß ihrem Lieblinge nachttäglich nichts von dem verloren gehe, was ihm die Begeisterung eines allgemeinen Freudentages an ehrenvollster Auszeichnung einmal gewährt hat. So wenig wir unserer SeitS daher dem Wunsche entgegen zu taten vermögen, daß dem Standbilde Schillers der Standpunkt unverändert erhal18*

276 teu werde, der ihm

am

10. November 1859

Grundsteinlegung symbolisch zugeeignet ward, andern Seite den vollgültigen Anspruch

in dem Act der

verkennen,

feierlichen

können wir auf der

so wenig

der seitdem im Namen

deutscher Dankbarkeit und Gerechtigkeit dafür laut geworden

daß

ist,

dem

Standbilde Schillers auf dem Vorplätze unseres Schauspielhauses das Stand­

bild Goethes zur Seite trete.

Wir gehen bei der Begründung

dieses Anspruchs

der Mei­

nicht von

die während der Schlußperiode des

nung aus, daß die seltene Gemeinschaft,

Schillerschen Lebens Goethe und Schiller so fest und segensreich mit einander

verbunden hat, unter allen Umständen und zu jeder Zeit zu vereinigten Ehren für Beide führen muffe.

Namentlich glauben wir nicht,

daß das Jubelfest

deS 10. November 1859, sofern es durch die Grundsteinlegung zu einem Stand­ bilde Schillers seine besondere Weihe

28.

August 1849

nothwendig

zu

durch

empfing, mit einer Nachfeier für den

Errichtung

verbinden

gewesen.

eines Standbildes

auch

für

Goethe

Aller Gemeinschaft unbeschadet stehen

Schiller und Goethe in eignem Werth und in dem Reichthum ihrer besonderen Vorzüge so selbstständig und von einander unabhängig da,

zu ihrer

äußern Verherrlichung Einer

daher in der hier am das Schiller-Standbild

des Andern

10. November 1859

nicht

daß sie auch

erfolgten Grundsteinlegung

eine Eigenschaft des Schillerschen Geistes

feiert werden sollen, die diesem

Wenn

bedürfen.

für

hätte ge-

und wenn

allein oder vorzugsweise eignete,

diese Absicht aus der zur Grundsteinlegung erwählten Localität irgendwie er­ kennbar geworden wäre, so würden auch wir der Ansicht sein, daß das Stand­

bild Schillers in der Ausschließlichkeit seiner Ehre erhalten, daß davon abge» standen werden müsse, ihm hier ein Standbild Goethes zur Seite zu stellen. Wo aber der Grundstein zu dem Standbilde Schillers

am Tage seines Ju­

belfestes wirklich gelegt worden ist, auf dem Vorplatze des Schauspiel­

hauses, da kann und wird Schiller zunächst immer nur in seiner Bedeutung als dramatischer Dichter aufgefaßt werden,

und das Verhältniß,

windliches Recht behaupten. Schöpfer des Don Carlos,

daß ihn in

verbunden hat, sein unüber­

dieser Eigenschaft mit seinem großen Freunde

Eine Ehre, die deutsche Herzen und Hände dem des Tell, des Wallenstein darbringew,

innersten Natur nach untrennbar von der Darbringung

ist ihrer

einer gleichen Ehre

für den Schöpfer des Faust, des Egmont, des Götz von Berlichingen.

Was

immer sie sonst voneinander geschieden, in diesen und andern verwandten Mei­

sterwerken deutscher Kunst stehen Schiller und Goethe vor den Augen der Welt und

dem

Stolz und

Pflichtgefühl

des

eigenen

Volkes

mit

vereinigten

An­

sprüchen da, hier sind sie im höchsten Sinne des Wortes Freunde und Brü­ der, hier repräsentiren sie denselben Ruhm,

und

fordern und

verdienen die­

selbe Ehre. Darum also, daß das Standbild Schillers auf dem Vorplatze des Schauspiel­ hauses die Stelle unverändert behalte, die ihm

dort in Mitte der Freitreppe

am 10. November 1859 zugewiesen worden ist, und daß sich ihm auf dem­ selben Platze das Standblld Goethes anschließe, darum werde dort neben dem

277

Standbilde Schillers nicht blos das Standbild Goethes, sondern auch daStandbild Lessings ausgerichtet, werde Schillers Standbild, als der bleibende Mittelpunkt einer herrlichen Dreizahl, dort von den Standbildern Goethes und Lessings beiderseitig einge­ schlossen. Was kann diesem Vorschlag entgegenstehen? Ist Lessing unwürdig, dort mit Goethe die Verherrlichung Schillers zu theilen, oder muß überhaupt dar­ auf verzichtet werden, für ein Standbild Lessings nachfolgend ähnliche Mittel zu erlangen, wie sie für das Schiller-Standbild längst gesichert find, und für daS Goethe-Standbild in naher Frist gesichert scheinen? Welche Tugenden des Menschen und des Schriftstellers sprechen wir in dem Namen Lessing aus! Welches reine, schöne, mitfühlende Herz, welche un­ erschütterliche Wahrhaftigkeit, welcher rastlose Fleiß, welcher unbeugsame, nie capitulirende Stolz und Zorn gegen das Schlechte und Böse! Ist je ein Bekenntniß durch That und Leben mehr bewährt worden, als und der große Mann in diesen unvergänglichen Worten hinterlassen hat: „Nicht die Wahr­ heit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahr­ heit, obschon mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm in Demuth in seine Linke, und sagte: Vater gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!" Und was gab ihm Gott, und wie hat er diese Gaben für sein Volk und für die Welt verwandt! Wahrlich Schiller und Goethe stehen uns Beide sehr hoch aber so hoch stehen sie uns nicht, daß wir Lessing in irgend einem Be­ tracht für unwürdig hielten, hier in gleicher öffentlicher Ehren-Auszeichnung mit ihnen gefeiert zu werden. Was war Deutschland vor Lessing und was ist es zumeist durch ibn geworden? Von wie viel Ungeschmack und Roh­ heit hat er uns befreit, wie viel Uebermuth, Anmaßung, Lüge und Schein­ heiligkeit hat er gebeugt und zu Schanden gemacht? Wer stürzte den Götzen­ dienst des falschen Klassicismus und führte uns zu der Natur und Wahrheit der Kunst zurück? Was haben auch Schiller und Goethe ihm zu danken? Unter welchen Erschwerungen hat er ihnen vorschreitend in Sprache und Er­ kenntniß die Bahnen gebrochen? Selbst aus dem Gebiete dramatischer Schö­ pfungen: wer von Allen, die ihm bisher gefolgt sind, hat so sehr wie er verdient, neben Schiller und Goethe verehrt zu werden? Seine Minna von Barnhelm, seine Emilia Galotti, sein Nathan der Weise: was bedarf eS mehr, als auf diese unversiegbaren Quellen deutscher HerzenS- und Seelen­ stärkung hinzuweisen, um für den, der sie uns erschlossen hat, der Ehrenstelle an der Seite Schillers gewiß zu sein? Und wenn er diese Ehrenstelle verdient, kann der Wille, können die ma-

278 seriellen Mittel mangeln, sie ihm zu gewähren, — ihm, dem edlen deutschen

Manne, der bei allen seinen Geistesgaben

kühn wie Schiller hätte

sagen

dürfen, „den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht mehr werth war, al- seine Werke", — dem großen Vorkämpfer für Humanität und GlaubensDuldung, dem sich im ganzen Vaterlande und weit über dessen Grenzen hin­

aus so Diele nah verbunden und tief verpflichtet- wissen? Andere

dankbare Städte des Vaterlands,

Braunschweig sind mit der Errichtung Goethes, Lessings vorangegangen. Weimars

Stuttgart, Frankfurt a. M.,

der einzelnen Standbilder Schillers,

Dann wurden auf dem geweihten Boden

die Standbilder der beiden Erstern

Welcher neue Gewinn,

zu Einer Gruppe verbunden.

der Metropole deutscher Kunst und Wissen­

nun in

schaft, hier, wo Lessing lebend und wirkend Freundschaft und Liebe sand, und unter günstigeren Sternen vielleicht eine zweite Heimach gesunden hätte, sein

Standbild mit den Standbildern Schillers und Goethes zu einem würdigsten ®(tilgen und zum dauernden Genusse vieler nachkommenden Geschlechter, har­

monisch zu vereinigen! den wir baldgeneigter Prüfung empfehlen,

Das ist der Vorschlag,

da

er zu spät kommt, wenn die bisher blos auf die Errichtung zweier Stand­

bilder berechnete Ausschmückung des Vorplatzes unseres Schauspielhauses, unverändertem Vollzug dieser Berechnung,

langt.

Die Errichtung

symmetrischer

eines dritten Standbildes ist dann nach

Gesetzen

die Hinzunahme

vierten

Nothwendigkeit

Standbildes auf

in

zur thatsächlichen Ausführung ge­

ohne

noch

eines

dem SchauspielhauS-Platze überhaupt nicht mehr gestattet,

oder, was in dem zu befürchtenden Resultate dasselbe, die Aussicht ist unwie­

derbringlich verloren oder doch aufs Höchste gefährdet,

daß sich den Stand­

bildern Schillers und Goethes das Standbild Lessings künftig hier anreihe.

Wird dagegen jetzt diese Aussicht erhalten, des Schiller-

sowohl

ihren

Fortgang

nehmen,

Lssfing - Standbildes

so

kann die Ausführung

als des Goethe-Standbildes jeden nächsten Augenblick

in

ohne

durch

den

irgend

einer

Weise

nachfolgenden

behindert

Hinzutritt

oder

des

aufgehalten

zu sein. DaS Lessing-Standbild schließt sich dann hier später seinem Mittelpunkte,

dem Schiller-Standbilde, eben so zustimmend an, wie an einer andern Stelle die spätern Standbilder Aorks und Gneisenaus das

ftühere Standbild Blü­

chers untschlossen und verherrlicht haben.

Einigen wir uns denn, so lange es noch Zeit ist, die Möglichkeit dieses Abschlusses einer nähern oder fernern Zukunft ungeschmälert

der gemeinsamen Hoffnung und Zuersicht, daß sich in der Verherrlichung Schillers nun

so

zu erhalten, in

die Mahnung Goethes,

schön

erfüllt,

auch

hier zur Wahrheit werde: „So feiert Ihn! Denn was dem Mann das Leben Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben."

die

für Lessing

279

Beilage II. Berlin, den 5. Mai 1861.

Ihre Majestät die Königin haben mich beauftragt, Ihnen, hochgeehrtester Herr Präsident, mitzutheilen, daß Allerhöchstdieselben des Ober-Tribunalsraths Bloemer

Vorschlag,

das Standbild

Schillers

Grundstein einmal gelegt, und zu seiner Rechten

dort

aufzustellen,

wo der

und Linken Goethes und

Lessings Monumente zu errichten, sehr angemeffen finden und für den Fall dieser Plan zur Ausführung käme, für Lessings Denkmal denselben Beitrag

aus Allerhöchst Ihrer Schatulle

aussetzen wollen,

welchen die Allergnädigste

Herrin zur Errichtung der beiden übrigen Denkmäler bereits gewährt hat. Genehmigen Sie, hochgeehrtester Herr Präsident,

den Ausdruck meiner

vorzüglichsten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu verharren

Ihr

ganz ergebenster B r a u d i

Dr.

An

den Präsidenten des Hauses der Abgeordneten, Ober-

Appellations - Gerichts - Vice - Präsident, Herrn Dr. Simson

Hochwohlgeboren

hier.')

Beilage III. Dem Magistrat beehre ich mich in der Anlage ganz ergebenst eine Brochüre zu überreichen, welche mir vor

zugegangen ist,

einigen Tagen anonym per Stadtpost

und die, äußerem aber unverbürgtem Vernehmen nach, den

Geheimen Ober-Tribunalsrath Bloemer, Verfasser hat.

Dieselbe führt den Titel

Mitglied

„Drei

des

Herrenhauses,

Dichterstandbilder

zum in

Berlin" und sucht die noch immer schwebende Streitfrage, ob die SchillerStatue

auf

ihrem

Grundstein im Gensdarmenmarkt

verbleiben,

oder an

eine andere Stelle gerückt werden soll, um dem Goethe-Monument neben sich

Raum zu lasten, dadurch zu erledigen, daß der Vorschlag gemacht wird, zwar

Schiller in seinem wohlerworbenen Rechte d. h. auf

seinem Grundsteine zu

erhalten, außer der Goethe-Statue aber noch eine Lessing-Statue hinzuzufügen *) Veröffentlicht in den hiesigen Blättern nach der Veröffentlichung der Aller­

höchsten CabinetS-Ordre vom 6. November 1861.

280 — und das Schiller-Monument von beiden Seiten durch die anderen Statuen gleichsam einzurahmen. Der Vorschlag wird in der Brochüre mit Geist und Geschick vertheidigt und scheint jedenfalls der eingehenden Prüfung durch die städtischen Behörden vollkommen würdig zu sein. Indem ich dazu durch die gegenwärtige Vor­ lage eine amtliche Veranlassung geben möchte, erlaube ich mir zur Unter­ stützung respective weiteren Ausführung Nachstehendes ganz ergebenst vorzu­ tragen. Die ganze Schiller-Frage hat sich augenblicklich, wie man zu sagen pflegt, in eine Sackgasse verrannt, in der sie weder rück- noch vorwärts kom­ men kann, während alle Parteien gleichmäßig auf ihre Erledigung hindrän­ gen. Für das Schiller-Denkmal ist bei einem historisch wichtigen Anlaß der Gensdarmenmarkt bestimmt worden, und die Stelle selbst durch feierliche und öffentliche Grundsteinlegung fixirt. Königliche Ordre, ministerielle Rescripte, städtische Beschlüsse und die Thätigkeit eines Privat-Comit^, haben gleich­ mäßig und übereinstimmend dabei mit- und zusammengewirkt. Diesem gegen­ über ist drei Monate später auf den Antrag eines anderen Privat - ComitH ebenfalls durch Königliche Ordre und ministerielles Rescript die Genehmigung ertheilt worden, „Hierselbst in Verbindung mit dem für Schiller bestimmten Denkmale auch Goethe ein Monument zu errichten" und „um die bei­ den Unternehmungen in Einklang zu setzen" eine weitere gemein­ same Berathung vorbehalten worden. Nachweislich ging man regierungsseitig von dem vollkommen gerechtfertigten Gedanken aus, daß den beiden Dichterfürsten, „welche im Leben mit und neben einander gewirkt, die Welt eine gleiche und gemeinsame Anerkennung schulde." Diese schöne Idee scheiterte an äußern, zum Theil vielleicht kleinlichen Motiven. Die Berathungen haben stattgefunden, allein sie haben, — statt des erwarteten Einklanges, nur einen bis heute ungelösten Conflict zwischen den Vertretern und Beförderern der beiden genannten Sta­ tuen hervorgerufen. Denn soll Goethe, wie den Unternehmern seines Denk­ mals Allerhöchstwillig zugesichert ist, „in Verbindung" mit Schiller aufgestellt werden, so muß Letzterer aus ästhetischen Gründen von seinem Grundstein weichen, und dazu wollen sich die Beförderer seines Monumente, auf ihr wohlerworbenes Recht gestützt, eben so wenig verstehen, als die Goetheaner ihre Königliche Zusicherung aufzugeben geneigt sind. Der Gegensatz hat sich vielmehr um so leidenschaftlicher gestaltet, als, bedauerlich genug, auch hier die politischen Strömungen des Tageö ins Mittel traten und Schiller als den Vertreter der demokratischen, Goethe als den der aristokratischen Richtung fignalisirten, so daß es sich nun für jede Partei zu einer politischen Ehrenund Interessen - Sache zu gestalten schien, von ihrem behaupteten Rechte Nichts aufzugeben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Staatsgewalt schließlich in der Lage sein wird, von ihrem obersten Rechte der Entscheidung Gebrauch zu machen und dadurch den Conflict zu lösen. Indeß es ist ebenso gewiß, daß die Staatsgewalt zu diesem Entscheidungsrechte nur ungern greifen wird,

281

well dadurch immer nach einer Seite hin in eine freudige und gehobene Be­ wegung Mißstimmung getragen werden muß, und weil jedenfalls die for­ mellen Rechte der unterliegenden Seite verletzt werden müssen. Ja, es ist nicht zu verkennen, daß aus dem oben berührten politischen Gegensatz sich noch weitere Erwägungen ergeben, die eine solche dictatorische Entscheidung dann geradezu bedenklich machen, wenn sie zu einer Verlegung beider Statuen nach verschiedenen Plätzen führen würde; denn es könnte sich dann im Laufe bewegter Zeitverhältnisse wohl ereignen, daß die beiden Dichterfürsten, ent­ gegen ihrem Wesen und ihrer Bedeutung, zu politischen Standbildern gestem­ pelt würden, um welche sich die jedesmaligen Parteibewegungen mit ihren politischen Ovationen gruppirten. So viel äußerlich wahrnehmbar geworden ist, verlangen die Schillerianer ausdrücklich die Versetzung Goethes nach einem andern Platz, dem sich jedoch die Goetheaner mit gleicher Entschiedenheit widersetzen. Unter allen Umständen erhellt bei dieser Sachlage, daß jedes Auskunftsmittel einer friedlichen Verständignng weitaus das Erwünschteste bleiben muß, und daß diese friedliche Verständigung um so mehr Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie von keiner Partei ein principielles Opfer verlangt. Geht man hiervon aus, so erscheint der Vorschlag der Eingangs beregten Brochüre völlig geeignet, eine Lösung der Conflicte herbeizuführen. Schiller behält seinen Grundstein auf dem Gensdarmenmarkt, Goethe kann „in Verbindung mit dem für Schiller bestimmten Denkmale" auf der einen Seite sein Mo­ nument erhalten, Lessing wird es auf der andern Seite einnehmen — allen Forderungen ist genügt, kein wohlerworbenes Recht wird weiter getrübt, und hat somit Niemand ferner begründeten Anlaß zu irgend einer Zurücksetzung oder Mißstimmung. Die Gründe, weshalb gerade Lessing diese Ehre vindicirt werden soll, sind so geistvoll und so schlagend in der gedachten Brochüre entwickelt, daß ich mich lediglich darauf beziehen kann. Ich will nur noch hinzufügen, daß, wenn man einmal von politischen Nebengedanken ausgehen will, weder De­ mokraten noch Aristokraten gegen den großen Kunstkritiker etwas einzuwenden haben dürften, auf dessen gewaltigen reformatorischen Grundlagen die schöpfe­ rischen Gebilde Goethes wie Schillers sich gleicherweise auferbauten, ja erst auferbauen konnten. Ich will aber weiter bemerken, daß meiner Ansicht nach das Erwünschteste dieser Drei-Statuen-Jdee gerade darin liegt, den lei­ digen politischen Nebengedanken in den Hintergrund zu drängen und die rein dichterische Bedeutung der monumentalen Verherrlichung in ihr volles und ausschließliches Recht einzusetzen. Nicht Aristokraten oder Demokraten sollen und werden sich dann hier versammeln, sondern alle Diejenigen, die die culturgeschichtliche Aufgabe unseres Volkes in diesen drei Genien erkennen und bewundern und sich dabei des wahren Ausspruches eines neueren Sängers erinnern: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, Als auf der Zinne der Partei."

282

Einen Haupteinwand wird allerdings der Kostenpunkt bilden, diesen aber glaube ich in den folgenden Vorschlägen ziemlich befriedigend erledigen zu können. Nach vorheriger vertraulicher Verständigung mit den betreffenden Herren Ministern über die Drei - Statuen - Idee würde es darauf ankommen, sich in gesonderten Berathungen sowohl mit dem Schiller-, als mit dem Goethe-Comit« dieserhalb zu benehmen. Es versteht sich, daß keinem dieser beiden Comites ein eigentliches DLderspruchsrecht dabei eingeräumt werden wird, weil ja ihre Ansprüche nicht mehr collidiren, es kommt aber darauf an, im Interesse der Ausführung deneuen Vorschlages, sich möglichst ihrer Mitwirkung zu versichern. Der Fonds des Schiller-Comite in Gemeinschaft mit den städtischen und staatlichen An­ theilen reicht schon jetzt über den Kostenbedarf des Schiller-Denkmals hinaus. Das Goethe-Comite wird sich wahrscheinlich in einiger Zeit in ähnlich gün­ stiger Lage befinden, zumal wenn, was nun nicht länger aufzuschieben sein dürfte, für das Goethe-Monument aus städtischen Mitteln ebenfalls die im Grunde schon zugesagten 10000 Rthlr. angewiesen werden. Die beiden Comites würden dann dahin zu disponiren sein, im EinVerständniß mit der Drei-Statuen-Idee ihre Sammlungen für eine LessingStatue fortzusetzen, und gleichzeitig dasjenige, was aus dem Schiller- respective Goethe-Fonds später übrig bleiben sollte, mit für einen Lessings-Fonds aufzuwenden. Gleiche Verbindlichkeiten würden für ihre Antheile die städti­ schen Behörden und respective die Staatskasse einzugehen haben, letztere Beide mit dem freien Vorbehalt, im Laufe der Zeit zu dem etwa Fehlenden eben­ falls zuzuschießen. Mit anderen Worten kann man dies auch so ausdrücken: die Fonds der Goethe- und Schiller-Statuen werden in einen Drei-StatuenFonds verwandelt und sämmtliche Betheiligte, Staat, Commune und Private übernehmen die Verpflichtung, für die weitere Förderung dieses Fonds bis zur gänzlichen Erfüllung seiner Aufgabe zu wirken, vorbehaltlich der Vorzüge der einzelnen Statuen in der Reihenfolge ihrer Ausführung. Ist hierüber Einverständniß erzielt, so würde dadurch der Friede hergestellt und als erste Frucht desselben gewonnen sein, daß der sofortigen Ausführung der Schiller. Statue kein Hinderniß mehr in den Weg treten könnte. Es würden die Ausschreiben in Betreff der Anfertigung der Modelle ungesäumt zu erlassen, und nunmehr auf alle drei Statuen gleichzeitig zu richten sein. Die Ausführung erfolgte aber erst, so wie die Gelder disponibel sind, also für Schiller unverzüglich, für Goethe wahrscheinlich demnächst, für Lessing zuletzt. Dieses Arrangement hätte den großen Nutzen, daß aller Hader geschlichtet, dem an sich berechtigten Verlangen der endlichen Ausführung des SchillerMonuments bei längst vorhandenen Mitteln ein weiteres Hinderniß nicht in den Weg gelegt, aber auch gegen Goethe poetische Gerechtigkeit geübt und gegen Lessing eine Schuld eingelöst würde, deren Anerkenntniß die lebende Generation sich schwerlich noch entziehen kann. In diesen Vortheilen glaube ich die ausreichenden Motive für die beiden

283

gedachttü EomitLS zu erblicken, auf den Vorschlag ohne Einrede einzugehen, sobald er in geeigneter Weise zu ihrer Kenntniß und Beschlußnahme gebracht wird. Der Staat hätte dann noch weniger Anlaß, einen Widerspruch zu er­ heben. Für die Stadtkasse liegt aber ein Bedenken auch nicht darin, denn sie soll sich ihrerseits zu einem Beittage für das Lessing-Denkmal nicht verpflich­ ten, vielmehr einen solchen lediglich ihrem freien Ermessen und den weitern Zeitumständen vorbehalten. Bevor der Lessing-Fonds nicht beisammen ist, wird das Denkmal nicht gesetzt werden, und hierin liegt wieder ein weiterer Anttieb für die beiden Comit^S, das ganze Werk durch ihre Thätigkeit bald möglichst zum völligen Abschluß zu bringen. Vielleicht würde es sich dann empfehlen, den undeutschen und heute inhaltlosen Namen des Platzes mit dem ediern und bezeichnendern „Dichter-Platz" zu vertauschen. Ich stelle ergebenst anheim, nach diesen flüchtigen Andeutungen, deren Formlosigkeit ich mit dem Drange anderweiter Geschäfte zu entschuldigen bitte, die Angelegenheit in Erwägung und respective in weiteren Angriff zu neh­ men und dadurch, wenn möglich, einer allseitig befriedigenden Erledigung in kürzester Frist entgegen zu führen. Berlin, den 23. Mai 1861.

gez. Woeniger.

An den Magistrat hier.

Beilage IV.

Brief deS Professors Jacob Grimm an den Appellations-Dice-Präsidenten Dr. Ed. Simson.

Ich habe Blömers edle schrift gelesen und einige tage hingehn lassen, um ihres eindrucks sicher zu werden, bevor ich mein urtheil dartiber abgebe, sie hebt nicht die obwaltenden Schwierigkeiten, son­ dern erhöht sie, dünkt mich, bedeutend. Die symbolische, daraus hergeleitete berechtigung, dasz am 10. noveihber der Schillerverein seine Stangen vor dem schauspielhause auf­ steckte und einen leichten grundstein in den boden schob, scheint mir doch übertrieben zu werden, damals war die ganze lüft voll von dem gedanken an Standbilder, denselben tag der feier, wo der act erging, hielt ich, weder dazti eingeladen noch von seinem erfolg unterrichtet,

284 in unserer academie die schon eine Zeitlang vorher niedergeschriebene rede, deren schlusz ausdrücklich ans bildsäulen für Goethe und Schil­ ler hinauslief, ich dachte mir keine derselben als unmittelbar bevor­ stehend, weissagte sie blosz. Als nun wirklich sogleich mit Schiller vorangegangen wurde, war nichts natürlicher, als dasz sich auch ein Goetheverein leiblich nieder­ setzte und das ich will nicht sagen höhere, wenigstens gleiche recht für ihn wahrte, meine persönliche ansicht ging nicht einmal dahin, dasz Goethe und Schiller beide dieselbe stelle sollten einnehmen, ich hielt mehr als einen platz in der groszen stadt für geeignet dazu, Schiller mochte gern aufsteigen, wo man sich an seinem feste ver­ sammelt hatte, bei den mitgliedem des Goethevereins überwog gleich­ wohl die meinung, dasz beide dichter, denen so vieles gemein war, am besten nebeneinander ständen. Wenn zwei bildsäulen in unmittelbarer nähe, d. h. hier auf dem vorplatze des Schauspielhauses errichtet werden, wirken sie aufeinander und dem bildhauer werden rücksichten aufgelegt, er ist gleichsam ge­ zwungen die ruhige epische aufiassung fahren zu lassen und seinem werk etwas einzumischen, doch auf ein rechts oder links kommt es eben nicht an. vom standpunct der bilder selbst würde das rechts stehende zwar die ehrenstelle zu haben scheinen, wie der mann einer von ihm geführten frau die rechte band läszt, vom standpunct der an­ schauenden aus steht aber der links gestellte zur rechten, der rechts stehende zur linken seite. Sobald noch ein dritter hinzutritt wird das Verhältnis verwickelter und jene gleichheit der beiden schwindet, jetzt kommt es auf die höchste stelle unter den dreien an und diese ist nothwendig die mitte, wer einen vater mit seinen beiden söhnen darzustellen hätte, könnte den vater mir mitten zwischen beide stellen, der erste gedanke nun für die angenommene dreiheit Lessing, Goethe, Schiller wäre, dasz Lessing als ältester und vorangehender den mittelplatz einnähme. Goethe und Schiller leiten sich nicht aus Lessing her, er war nur ihr halber zeitgenosz, bereits 1781 gestorben, erlebte und empfand er die höhe der goethischen und schillerschen dichtung niemals, wer weisz, ob er die sogar als seinen gedanken ebenbürtig und gerecht anerkannt haben würde? Lessings geistvolle natur, sein scharf eindringender verstand war noch dazu von classischer gelehrsamkeit durchdrungen, die jenen beiden gebrach, die fruchtbare dichterpoesie, die Goethe und Schiller auszeichnet, war ihm dagegen nicht verliehen. Goethe und S hiller würden unsLessing nicht ersetzen, Lessing würde uns Goeihes und Schillers poesie nie ahnen lassen Lessing kann also unter den dreien die mitte nicht behaupten. Noch minder gebührt sie Schiller, es wäre absolut unmöglich, es wäre als sollte Blücher nicht zwischen York und Gneisenau stehen,

285 sondern zur seite geschoben werden und einer der beiden letzten den mittelpunct bilden. Goethe» wenn es mich hier doch drängt es auszusprechen, ist un­ ter den dreien der grösztc genius, an seine erhabenheit reichen Lessing und Schiller, so herrlich sie sind, nicht von weitem; er scheint mir dennoch nicht zwischen sie zu passen, denn Lessing würde da­ durch unverdienter abbruch geschehn, er würde aus seiner früheren periode gezogen in eine spätere, und man lese Schillers brief an Goe­ the, wie er selbst Goethes walten über sich fühlt, in Schiller hat sich mehr dramatische stärke entfaltet, darum wirkt er auch tiefer auf das volk. Die vorgeschlagene trilogie, ich gestehe es, scheint mir unfähig practisch geltend gemacht zu werden. Warum sollte nicht Goethes bild auf dem Leipzigerplatz oder auf dem ehemaligen exercierplatz, den in einigen jahrzehenden prachtgebäude einfassen werden, am wirksamsten sein? die jetzt für Schiller eifern, wären auf einmal beschwichtigt; Schiller gehört allerdings mehr vor die stufen zum theater und dieser gründ bedeutet mir mehr, als das ihm von dem fest her entnommene recht, freilich die absichten der regierung, wenn sie jetzt schon welche gefaszt hat, sind unbe­ kannt, vielleicht geneigt sie, leere räume vorläufig aufzuheben für krieger und Staatsmänner, für Lessing würde sich sicher ein platz vermitteln und ich gehöre zu denen, die dabei sind, wenn es gilt, seine grösze und seinen rühm öffentlich anzuerkennen. Ein abstand bleibt zwischen grösze und rühm, bildsäulen von Winkelmann, Möser, Stein, Arndt, Beuth, die unsere bewundrung und dankbarste empfindung aufrichten, werden nach verlauf einiger jahrhunderte erblassen, während man an könig Friedrichs Säule immer be­ geistert vorübergehn wird und jene drei sonnen Lessing, Goethe und Schiller unverrückt an unserm himmel kreisen werden, neben Goethe stehen könnte einer nur, Humboldt. Jacob Grimm. Nach bet Bemerkung zum Gutachten der Kunstabtheilung

des Goethe -

ComitL vom14. April 1862 (S. 17.) ist dieser Brief in der jetzigen Schrift des

Herrn Herrmann Grimm zuerst bekannt gemacht worden. Er wurde, wie in dieser

Schrift und auch bei besten Wiederabdruck in dem Gutachten selbst zugesügt

wird, am 29. Mai (1861) geschrieben und abgeschickt. auch in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht worden.

Derselbe ist unlängst

286 Beilage V. Verhandelt: Berlin, den 18. Juli 1861.

Gegenwärtig waren: A. Von der städtischen gemischten Deputation:

Der Herr Stadtrath Dr. Woeniger, als Vorsitzender, der Herr Stadtrath Dr. Noht, die Herren Stadtverordneten:

Geheime Sanitäts-Rath Dr. BreSler,

Amtmann Seidel, Professor Dr. Virchow, Kaufmann Elster,

Verlags-Buchhändler Guttentag. B. Vom Schiller-Comitä: Herr Redacteur Dr. Lindner,

Herr Commerzien-Rath Reichenheim. C. Vom Goethe-Comitö:

Herr Ober-Tribunals-Rath Bloemer, Herr Professor Dr. Maercker, Herr Gymnasial-Director August,

Herr Professor und Bildhauer Wredow,

Herr Kaufmann Jacques Meyer.

In der Angelegenheit, betreffend das Schiller-Denkmal, hatte die Stadtverordneten-Versammlung unter dem 20. Juni d. I. den Beschluß gefaßt:-

den Magistrat

zu

ersuchen, nochmals

eine Berathung

in

der "schon

früher ernannten gemischten Deputation, unter Zuziehung des Schiller-

und Goethe -Comitös,

sowie

jetzt v-rliegeudeu

unter Benutzung des

Materials zu veranlassen, um dadurch,

wenn

möglich,

eine Einigung

der

obschwebendeu Differenzen

herbeizuführen.

Der Magistrat war diesem Beschlusse beigetreten und stand für die Deputations-Berathung heute im Berlinischen Rathhause Termin an, zu welchem

sowohl

die

Mitglieder

der

städtischen Deputation,

als

des Schiller- und

Goethe-Comites ordnungsmäßige Einladung erhalten hatten.

In Folge der­

selben waren die nebenbezeichneten Personen erschienen, und übernahm in Ab­

wesenheit des Bürgermeisters Herrn Hedemann, der Referent, Stadtrath Dr. Woeniger auch den Vorsitz.

Der Vorsitzende eröffnete die Berathung mit

einem ausführlichen Vor­

trage über die gegenwärtige Lage der Angelegenheit.

Er begann mit einer hi­

storischen Darstellung der Bildung des Schiller- und des Goethe-Comitss und

entwickelte

dann die Conflicte, in welche Beide dadurch gerathen seien, daß

jedes Comitü auf seinem behaupteten formellen Rechte beharrte, während doch

287 diese formellen Rechte ohne Weitere- nicht neben einander bestehen Würde unter diesen Umständen nur übrig

geblieben sein,

eine

könnten.

dictatorische

so habe doch Seine Majestät der

Entscheidung der Staatsgewalt anzurufen,

König, von der wohlwollenden Absicht geleitet, in eine freudige und gehobene

Bewegung keinen Mißton kommen zu lassen, den dringenden Wunsch ausge­ sprochen, eine ftiedliche Verständigung herbeigeführt zu sehen.

Diesen Wunsch

mit aller Lebhaftigkeit zu unterstützen, hätten die städtischen Behörden für ihre

zumal

Pflicht gehalten,

großen Vorthelle

sich

jetzt ein Auskunftsmittel

in sich vereine,

ausführbar zu machen, ohne einem von ihnen

darbiete,

die

welches

beider Comites

die Wünsche

vollständig

principielles Opfer anzu-

ein

Das Auskunftsmittel liege in dem Vorschläge:

sinnen.

dem Schiller-

und Goethe-Denkmal

noch ein Monument für Lessing

hinzuzufügen und alle drei Monumente gemeinsam auf dem GenSdar-

menmarkt zu errichten, so zwar,

daß Schiller auf seinem Grundstein

verbliebe, die andern beiden Statuen aber ihm zur Seite träten.

Dieser zuerst in einer kleinen Flugschrift aufgetauchte Vorschlag sei von

ihm, dem Vorsitzenden, in einem beiliegenden Anttage

vom 23. Mai dieses

Jahres motivitt und dem Magistrat mit dem Ersuchen überreicht worden:

dadurch eine allseitig befriedigende Erledigung

in kürzester Frist

ent­

gegen zu führen.

ES bilde dieser Anttag wesentlich das — wie Eingangs bemerkt — von

„jetzt vorliegende Material"

der Stadtverordneten-Versammlung angedeutete

uns es solle darüber nunmehr die Debatte eröffnet werden. Der Vorsitzende schloß mit

schönen

und glücklichen Idee

die

der Bemerkung,

Verwirklichung

eines Drei-Statuen-Projects

dieser

sei zweifellos das

kräftigste Mittel, alle Differenzen mit einem Schlage zu lösen, sie werde den

hohen und edlen Jntenttonen Seiner Majestät des Königs Rechnung fragen, das gesammte Publicum

mit Befriedigung

erfüllen

und

unserer Stadt ein

neues öffentliches Denkmal sichern, mit dessen Errichtung man vielleicht schon zu lange gezögert.

Es begann nun eine lebhafte und ausführliche Debatte,

in

welcher zu­

nächst der allgemeine Gedanke eines Drei-Statuen-Projects nach allen Seiten

für und wider erwogen

wurde,

jedoch

in sehr

überwiegender Mehrheit sich

einer entschiedenen Billigung zu erfreuen hatte. Hierauf traten die Mitglieder der verschiedenen Comites mit ihren Er­ klärungen hervor. Die

Vertreter

Reichenheiw

und

des Schiller-ComiteS,

die

Herren

Commerzien - Rath

Redacteur Dr. Lindner, erklärten Namens ihrer Commit-

tenten:

Allerdings

sei

es ihnen unmöglich,

fteiwillig

von dem Verlangen zu

weichen, daß das Schiller-Denkmal seinen Grundstein und damit den Haupt­ platz vor der großen Freitreppe auf dem Gensdarmenmarkt behalte.

boteue Rücksicht auf die Committeuteu,

früheren Allerhöchsten Anordnungen,

die

eigene Ehre

auf welche

hin

und

Die ge-

besonders die

sie berettS eine weitere

288 beantragt hätten,

Allerhöchste Entscheidung

Werde

geböten ein solches

Beharren.

für Goethe

jedoch Seitens des Goethe-Comites daran festgehalten,

ebenfalls ein Denkmal auf dem Gensdarmenmarkt zu errichten, fei dazu gleich­

falls die Allerhöchste Zustimmung ertheilt und lasse sich dieser Plan unläugbar durch das Lessing-Project am Geeignetsten verwirklichen, so seien sie be­

reit, mit Entschiedenheit auch für letzteres einzutreten.

Ihre Anträge gingen

daher dahin, mit der Aufstellung der Schiller-Statue sofort vorzugehen, hier­ nächst könne das Goethe-Comite sich ihrer thätigen Theilnahme und persön­

lichen Mitwirkung für die Errichtung des Goethe-Denkmals versichert halten und endlich würde man sich mit vereinten Kräften der schnellsten Verwirkli­

chung der Lessing-Statue zuwenden.

Sollte

es außerdem bei diesem Drei-

Statuen-Project etwa aus ästhetischen oder anderen Gründen nöthig werden,

daß der Schillerstein in derselben Linie um Etwas

vorgerückt werde, so er­

kläre das Schiller-Comite auch dazu seine Zustimmung, sofern , der Grund­ stein nur die Mitte des Platzes vor der großen Freitreppe behielte.

Hierauf ließen die Vertreter

des Goethe-Comites,

die

Herren Ober-

Tribunals-Rath Bloemer, Professor Dr. Maerker, Direktor August, Professor

Wredow und Kaufmann Meyer sich folgendermaßen vernehmen: Sie hätten allerdings zunächst von ihren Committenten den Auftrag, da­ hin zu wirken, daß das Schiller-Comite sich bereit finden lasse, im Interesse

der Kunst und Aesthetik nicht auf seinem Grundstein zu beharren, vielmehr

soweit rechts oder links damit zur Seite zu rücken, daß Goethe neben Schiller gestellt werde,

denn nur

dann glaube das Goethe-Comite

„Goethe in Verbindung mit Schiller"

ein Denkmal

seine

zu setzen,

Aufgabe

vollständig

gelöst. Sollte jedoch das Schiller-Comite es entschieden von der Hand weisen,

in solcher Art dem Goethe-Comite

entgegen zu kommen und

dadurch

mehr den Gesetzen der Symmetrie entsprechende Aufstellung Goethes

möglichen,

dann habe

das Goethe-Comite beschlossen, dem

eine

zu er­

Drei-Statuen-

Projeet ebenfalls in der Weise beizutreten, daß neben Schiller außer Goethe auch Lessing gestellt und so eine friedliche Einigung der bisherigen Differenzen herbeigeführt werde.

Nachdem die Mitglieder des Schiller-Comites ihre bestimmte Weigerung

wiederholt hatten, weitere Concessionen zu machen, als in ihrer obigen Erklä­

rung enthalten seien, vereinigten sich die Mitglieder beider Comites einstimmig in folgendem Beschluß:

Die Mitglieder des Schiller- und des Goethe-Comites erklären Na­ mens ihrer Committenten einstimmig,

daß sie in dem Vorschläge der

Mitaufnahme des Lessing- Standbildes zu den auf dem Gensdarmen­

markt projeetirten Statuen Schillers und Goethes eine völlig befrie­

digende Einigung der bisher bestandenen Differenzen erkennen und sich

bereit erklären, mit allen Kräften für die Erreichung dieses gemein­ samen Zieles einzutreten. Nachdemdieser Beschluß gefaßt war, traten die Mitglieder der städtischen

289 Deputation zu kurzer gesonderter Berathung über Werth und Bedeutung des­

selben

für die städtische Verwaltung zusammen.

DaS Ergebniß dieser Be­

sprechung wurde mit allen gegen 2 Stimmen in folgender Erklärung nieder­ gelegt: Die stattgefundene Einigung

der beiden Comitös

als da» glücklichste

Auskuuftsmittel bestandener Differenzen und als praktische Grundlage

für die Ausführung der drei Statuen, je nach den bereitesten Mitteln den

städtischen

Behörden

zur

und

Annahme

Förderung

zu

em­

mit

der

pfehlen.

G.

B.

U.

Städtische Deputation.

gez.

Bormann,

Woeaiger.

als Protokollführer.

als Vorsitzender.

Seidel.

Noht.

Elster.

Guttentag.

DaS Schiller-Comitv. Dr. C. Lindner.

Reichenheim.

Da» Goethe-Comit«.

August.

Bloemer.

Meyer.

Aug. Wredow.

Beilage VI.

An Seine Majestät, den König,

in Baden-Baden. Allerdurchlauchtigster,

Großmächtigster König, Allergnädigster. König und Herr? Euer Königlichen Majestät

nahen

sich

die allerunterthänigst

treu

gehorsamst Unterzeichneten

ehrfurchtsvollen Bitte, ihnen Allergnädigst zu gestatten:

zur Bildung

und Constituirung

Comitös

eines

eines Lesfing-StandbildeS in Berlin,

auf

für die Errichtung

dem Vorplatze

des König­

lichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, al» des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing,

Schiller und Goethe, baldigst vorschreiten zu dürfen, und daß es Euer Königlichen Majestät gefallen wolle, den Bestrebungen dieses Comitüs

mit

Allerhöchst

zu sein.

Ihrer

Königlichen

Huld

und

Gnade

zugethan

290 Sie erbitten Die- von Euer Königlichen Majestät in Uebereinstimmung mit den de-falls jetzt erfolgten Erklärungen des unter Allerhöchstdero Schutz und Beistand hier bestehenden Schiller- und Goethe-Comites, im Verttrauen auf die fördernde Geneigtheit der hiesigen städtischen Behörden, im Glamben an das lebendige Dankgesühl der deutschen und in erhöhtem Maaße? der preußischen Herzen, vor Allem in der vollen, freudigen Zuversicht auf Euer Majestät eigenes Herz, worin unsere Zeit auch diejenigen Tugenden verrehrt, gegen deren Gegensätze Lessing einst seine nie genug zu preisenden KLmpfe führte. Wie für die Bildung und Veredelung des deutschen Geistes Lessing, Schiller und Goethe mit vereinigten Kräften fortwirken, so mögen auch ihre kunstverklärten Gestalten sich jetzt hier in ungetrennten Ehren erhebem, zur Freude des Vaterlandes und zum neuen Ruhm und Schmuck dieser dewtschen Hauptstadt. Unter den heißen und einmüthigen Dankgebeten eines treuen Volkes und in der tröstenden Gewißheit, daß über dem geheiligten Haupte des allveriehrten und geliebten Königs die Hand der Vorsehung auch ferner schirmend und segnend walten werde, ersterben, der Allergnädigsten Gewährung ihrer Bitte verttauensvoll entgegenharrend, in tiefster Ehrfurcht Berlin, den 24. Juli 1861. Euer Königlichen Majestät allerunterthänigst-tteugehorsamste: Bloemer, Ober-TribunalS-Rath, Mitglied des Goethe-Comitös. Professor Dr. Joh. Gust. Dropsen. Le Coq, Kaufmann, Mitglied des GoetheComites. Friedländer, Geheimer Ober-Justizrath. Dr. Gosche, Pro­ fessor a. d. Königlichen Universität. F. W. Gubitz, Professor der König­ lichen Akademie der Künste, Mitglied des Goethe-Comites. Guttentag, Buchhändler, Mitglied des Goethe-Comites. Hüben er, Ober-Bau-Director. Ernst Kühn, Buchbruckerei-Besitzer, Mitglied des Goethe-Co­ mites. R. Lessing, Gerichts-Assessor. Dr. Lindner, Mitglied deS Cen­ ttal-Comites für Schiller. Jacques Meyer, Fabrik-Besitzer, Mitglied des Goethe-ComiteS. Dr. H. Parthey, Buchhändler, Mitglied der Aka­ demie der Wissenschaften und des Goethe-Comitös. Professor Dr. von Raumer. Leonor Reichenheim, Commerzienrath, Mitglied deS CenttalComitös für Schiller. Schüller, Geheimer Ober-Posttath, Mitglied de§ Goethe-Comites. Dr. Johannes Schulze, Wirklicher Geheimer OberRegierungs-Rath, Mitglied des Goethe-ComiteS. Dr. Simson, Professor und Appellations-Vice-Präfident. Dr. A. Twesten, Professor an der Kö­ niglichen Friedrich-Wilhelms-Universität. Dr. M. Veit, Stadtverordneter von Webern, General-Lieutenant a. D. Dr. Woenig er, Stadttath, Mitglied de- ComitSS für Goethe und der städttschen Deputation für Schiller.

291 Beilage VII. Berlin, den 30. October 1861. Euer Excellenz verfehlen wir nicht, nunmehr auf den verehrlichen Erlaß vom 3. April d. I., worin uns in Folge Allerhöchsten Befehls aufgegeben wurde, nochmals einen Versuch zu machen, um eine friedliche Einigung zwi­ schen dem Schiller- und Goethe-Comitü in Betreff der Aufstellung des Schillerund Goethe-Monuments herbeizuführen, nachstehend gehorsamst zu berichten. Wir erlauben uns zunächst mit ein Paar Worten an die Entstehung und den Inhalt der Differenzen zwischen dem Schiller- und dem GoetheComitö zu erinnern. Nachdem am Tage der Säcularfeier von Schillers Geburtstage auf der Mitte des GeuSdarmenmarktes vor der großen Freitreppe des Schauspiel­ hauses unter Mitwirkung eines Privat -Comitö feierlich der Grundstein zu einem Schiller-Denkmal gelegt war, bildete sich ein zweites Comits, um in Gemeinschaft mit Schiller auch Goethe auf demselben Platz ein Monument zu errichten. Seine Majestät der König, unzweifelhaft geleitet durch ein Ge­ fühl poetischer Gerechtigkeit und durch die sich unabweisbar aufdrängende Rücksicht auf die innere Zusammengehörigkeit der beiden großen Dichterfürsten, ertheilte auch dazu gern die Allerhöchste Genehmigung und concessionirte zu dem gedachten Zweck neben dem Schiller-Comite das Goethe-Comite. Als nun aber mit der Veröffentlichung des Concurrenzausschreibens für die Anfer­ tigung von Modellen zur Schillerstatue vorgegangen werden sollte, ergab sich die auS den Gesetzen der Symmettie entspringende Schwierigkeit, daß ent­ weder Schiller von dem Grundstein werde weichen, oder das Projekt werde auf­ gegeben werden müssen, Goethe in Verbindung mit Schiller vor dem Schau­ spielhause ein Monument zu errichten. Keins der beiden genannten Comites wollte sich jedoch zu einer Nachgiebigkeit verstehen, indem das Schiller-Comitö auf dem gelegten, nach seinem Dafürhalten wohlerworbenen Grundstein be­ harrte, das Goethe-Comite aber an seinem Allerhöchst bestätigten Project der Verbindung beider Dichter-Statuen festhielt. In diesem unlösbaren Conflict erstatteten wir unseren gehorsamsten Bericht vom 3. December v. I., worin wir in Uebereinstimmung mit der Stadtverordneten-Versammlung um Aller­ höchste Definitiv-Entscheidung über die Art und Weise der Aufstellung beider Monumente baten, indem wir eventualiter unsere Bereitwilligkeit ausdrückten, den gelegten Grundstein wieder aufzugeben, ohne Privat-Vereinen dabei eine weitere Mitwirkung zuzugestehn. Hierauf ist der Eingangs erwähnte verehrliche Erlaß Euer Excellenz vom 3. April d. I. ergangen, wonach Seine Majestät der König in der wohlwollenden Absicht, Mißstimmung und Spaltung unter den verschiedenen Betheiligten zu vermeiden, die erbetene DefinitivEntscheidung zur Zeit ablehnen, noch einen Versuch gütlicher Einigung gemacht wissen wollen und dabei insbesondere auf eine die beiden Dichterfürsten gemeinsam darstellende Gruppe verweisen. Wir find bemüht gewesen, dem Erlaß Eurer Excellenz in jeder Weife 19*

292 nachzuleben und haben nunmehr die große Freude,

der Hauptsache den

in

Merhöchsten Intentionen vollständig entsprochen zn sehen. Wenn dem Allerhöchsten Hmweise

auf eine

gemeinsame Gruppe beider

Dichter ohne Zweifel das Motiv mit zum Grunde lag,

die Schwierigkeiten

der Aufstellungen zu beseitigen,

wegen des Grundsteins und

so haben wir

fteilich hiermit gleichwohl nicht durchdringen können, da Euer Excellenz

et«

innerlich sein wird, welcher Widerspruch Seitens des Schiller-ComitL schon

in der am 3. März 1860 unter Höchstihrem Vorsitz abgehaltenen Conferenz jedem Gedanken an eine Gruppe entgegen gesetzt wurde.

Dieser Widerspruch

ist bis auf den heutigen Tag geblieben und scheint im Goethe-Comitö mehr­ seitig getheilt zn werden;

wir haben daher in dieser Beziehung zu unserem

schmerzlichen Bedauern de» Allerhöchsten Intentionen nicht zu

vermocht.

entsprechen

Desto vollständiger ist dagegen der Allerhöchsten Weisung in Be­

treff einer Einigung der streitenden Comitvs Genüge

geleistet und zwar auf

Grundlagen, die, wie wir kaum zweifeln, sich der Merhöchsten Zustimmung Seiner Majestät vollständig zu erfreuen haben dürsten. Es war im Frühjahr dieses Jahres bereits in der Preffe der Vorschlag

aufgetaucht,

man möge alle» Hader dadurch schlichten, daß noch eine dritte

Statue und zwar die Lessings hinzugenommen würde,

so daß dann Schiller

auf dem Grundstein verbleiben könne, Goethe aber auf der einen Seite und

Lessing auf der anderen seine Aufstellung erhielte. wurde Seitens

Dieser Vorschlag

men und

der Communalverwaltung aufgenom-

Euer Excellenz aus

er hat, wie

dem in Abschrift

beigefügten

Sitzungsprotokoll vom 18. Juli d. I. geneigtest entnehmen wollen, z« einer völligen Versöhnung

der streitenden Comitäs geführt.

Nicht minder haben

sich aber auch sowohl der Magistrat als die Stadtverordneten durch ausdrück­ liche Communalbeschlüfse damit einverstanden

erklärt und

unser ergebenes

Gesuch geht demnach jetzt dahin:

Euer Excellenz

wollten

die Merhöchste Zustimmung dazu

geneigen,

einzuholen, wobei noch zu bemerken,

daß wir uns

mit den Comitös dahin verständigt

haben, nach Umständen den Grundstein zum Schiller-Denkmal Schritte vorzurücken, so jedoch,

um einige

daß er die Mitte des Platzes vor der Frei­

treppe des Schauspielhauses behauptet.

Einer Darlegung der Gründe, weshalb sich gerade die Statue Lessings zur Mitaufnahme empfiehlt, glauben wir uns enthalten zu können, beantragen

jedoch unter Voraussetzung der Merhöchste» Genehmhaltung des vorgedachten Auskunstsmittels, jetzt weiter,

daß Euer Excellenz

Veröffentlichung

des

nunmehr auch Entwurfs

des

die Allerhöchste Zustimmung zur

Concurrenzausschreibens

znm

Schiller-Deukmal erwirken wollten.

Wir erlauben «ns zu diesem Behuf noch einmal Abschrift des schon un­ serem Bericht vom 3. December angeschloffenen Entwurfs mit dem ergebenen

Bemerken beizufügen, daß nur ad 6 des Entwurfs diejenige Aenderung vor-

293 welche durch den nunmehrigen Hinzutritt der Lessing-Statue

genommen ist,

geboten wird. Die Ausführung der Statuen Goethes und Lessings soll dann demjeni-

gen Zeitpunkt Vorbehalten bleiben, wo die dazu erforderlichen Gelder vorhan­

den, respective durch die zu diesem Zweck gebildeten Privat-ComiteS beschafft sein werden.

Aller

nach wird dieser Fall zuerst bei Goe­

Wahrscheinlichkeit

the, zuletzt bei Lessing eintreten.

In letzterer Beziehung haben wir nur noch

den ergebenen Wunsch, eS möge Euer Excellenz gefallen:

auch die Allerhöchste Zustimmung

zu

dem

inzwischen auS sehr acht­

baren Einwohnern zusammengettetenen, durch den

vom

15.

August d. I.

zu

unserer

amtlichen

verehrlichen Erlaß

Kenntniß

gebrachten

Lessing-Comite baldmöglichst zu erwirken,

damit daffelbe seine finanzielle Thätigkeit beginnen kann.

Endlich gestatten wir uns noch die Bitte auszusprechen, Euer Excellenz

möchten uns, wenn thunlich, in Stand setzen, das Concurrenzausschreiben für die Schiller-Statue

zum 10. November d. I., als dem zweiten Jahrestage

nach der Säcularfeier, publiciren zu können.

Es würde hierdurch einem leb-

haften Wunsch zahlreicher, für den Gegenstand lebhaft interessirter Einwohner

erfteulicheS Genüge geleistet werden. Magistrat hiesiger Königlichen Haupt-

und Residenzstadt. gez:

H e d e m a n n.

An den Königlichen Staats- und Minister der geistlichen-, Unterrichts- und MedicinalAngelegenheiten, Ritter hoher Orden, Herrn Dr. von Bethmann-Hollweg,

Excellenz.

Beilage VIII. Durch Allerhöchste Ordre vom 6. d. MtS. König geruht, mich zu

haben

Seine Majestät

Unterzeichnern der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli d. I. zu eröffnen, Seine Majestät

die

der

beaufttagen, Euer Hochwohlgeboren und den übrigen

Bildung

eines Gönnte

zur Errichtung eines

daß

Stand­

bildes für Lessing in Berlin, auf dem Dorplatze des Königlichen Schauspiel-

Hauses,

zur Seite des künftigen Schiller-StandblldeS, Allergnädigst gestatten

und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade versichern

wollen.

Dom Dorstehenden ersuche ich Euer Hochwohlgeboren die übrigen Unter-

294 zeichner der gedachten Jmmediat - Eingabe gefälligst in Kenntniß setzen zn wollen.

Berlin, den 8. November 1861. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- mrd Medizinal-Angelegenheiten.

gez:

v. Bethmann-Hollweg.

An den Königlichen Ober - Tribunalsrath, Herrn Bloemer,

Hochwohlgeboren Hierselbst. Beilage IX.

Aufruf zur Errichtung des Lessiug-StandLildes in Berlin.

Jene hochgesegnete Epoche nnserer Geistesbildung, die, mit Lessing be­

ginnend, sich in Schiller zu ihrer idealen VerMrung erhebt und in Goe­ the ihre Vollendung feiert, soll in der harmonischen Verbindung der Stand­

bilder dieser drei Heroen jetzt, hier ihre dauernde Verherrlichung finden: dem Standbilde Schillers, zn dem am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung den Grundstein legte, sollen die Stand­

bilder Goethes und Lessings znr Seite treten, und, mit ihm, dem Vor­

platze des Königlichen Schauspielhauses dieser deutschen Hcntptstadt den reich­ sten und edelsten Schmuck verleih«.

So ist es jetzt entschieden; und wie die freudigen Opfer des Dankes

für Schiller längst gesammelt find, und für Goethe iit hoffentlich naher Frist gesammelt sein werden, so dürfen wir sie, der gnädigen Zustimmung

unseres Königs gewiß, nun auch für den Verfasser des Laokoon und der Hamburgischen

Dramaturgie, für den Schöpfer der Minna von

Barnhelm, der Emilia Galotti, des Nathan, vereinigen; — für ihn,

der

in Sprache und Kritik bahnbrechend und gestaltend voranging, daß

Schiller und Goethe mit ihren Siegen folge» konnten, der unsere Kunst

von den falschen Regeln des Auslandes entfesselte nnd ihr den verlornen

Adel der Natur zurückgab, dessen ganzes Leben ein rastloser Kampf für Wahrheit und Recht, für Licht und Schönheit war, der, nur auf sich nnd

seine Pflicht gestützt, die Ueberzeugungen seines

deutschen Herzens unüber-

wiMich vertheidigte und für immer unverlierbar machte.

Die Zeitgenossen haben den Lohn dieses Kampfes nicht gespendet,

nnd

auch dem Vollerrdeten ist seither nur dort, wo er die Stätte seines unstörbaren Friedens fand, ein würdiges Denkmal gesetzt worden.

Jetzt der Unvergärrglichkeit seiner Verdienste den schuldigen Tribut der

gemeinsamen Huldigung darzubringen, und s ein Andenken, mit den theuersten

295 Erinnerungen unseres nationalen Ruhmes vereinigt, in sichtlicher Erkennbarkeit den

kommenden Geschlechtern

zu

ist

überliefern,

woran in wetteifernder Treue Theil

nehmen,

vaterländische Unter­

das

zu nehmen wir Alle,

die

in

Lessing den großen Schriftsteller und Charakter verehren, Me, die sich ihm

verpstichtet fühlen, Alle,

die das Bild des

edlen Mannes in ihrem Herzen

tragen, mit fester Zuversicht aufrufen. und von dessen Friedrich er

Für Preußen, das ihm so werth war, in bewundernder Liebe sang:

„Er ist der Fürsten Fürst, er ist der Held der Helden, Er füllt die Welt und meine Brust!"

für Preußen ist unsere Zuversicht Gewißheit. Schon gab unsere huldreiche Königin den ersten Beitrag. Zur Empfangnahme der ferneren Beiträge und

deren Einzeichnung

zu

in das Beitragö-Berzeichniß für das Lessing-Standbild in Berlin, werden ne­

ben dem Schatzmeister, sämmtliche Unterzeichnete bereit sein.

Berlin, den 10. Januar 1862.

Das Comite zur Errichtung des Lessing-Standbildes zu Berlin. Baudouin. Geheimer Commercien-Rath, Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft. H oll weg.

Leipziger-Straße Nr. 110. 111. — von Bethmann-

Medicinal-Angelegenheiten.

Tribunals-Rath.

Minister

der geistlichen,

(Vorsitzender.)

Nr. 68.

Zimmer-Straße

Victoria-Straße Nr. 13. — Friedlaender.

Justiz-Rath.

Ober-

Le Coq.

Koch-Straße Nr. 70. — Guttentag.

Stadtverordneter.

Unterwasser-Straße Nr. 7.

meister und Geheimer Regierungs-Rath. Hübener.

Geheimer Ober-



Dorotheen-Straße Nr. 13.

Ober-Bürgermeister nnd Geheimer Ober-Regierung--

Mohren-Straße Nr. 41. —

Buchdruckerei - Besitzer.

Ernst Kühn.

Kronen-Straße Nr. 33. — Robert Lessing.

Gerichts-Affessor.

Behren-Straße Nr. 63. — Dr. O. Lindner.

Schriftführers.)

Bürger­

Hirschel-Straße Nr. 4. — von Hülsen.

Ober-Bau-Director.

— Lüttig.

Buchhändler und

Hedemann.

Schöneberger-Straße Nr. 11. —

General-Intendant der Königlichen Schauspiele. — Dr. Krausnick.

Professor.

Professor der Königlichen Aka­

demie der Künste.

führer.)



Askanischer Platz Nr. 3. — Dr. Richard Gosche.

Ritter-Straße Nr. 35. —- F. W. Gubitz.

Rath.

Unterrichts- und

Unter den Linden Nr. 4. — Blo emer.

Neue Friedrichs-Straße Nr. 37. — Dr. Joh. Gust. Dropsen.

Kaufmann. Professor.

und

Staatsminister

Redaction

der Dossischen Zeitung.

Breite - Straße

Vorsitzender der Stadtverordneten-Versammlung.

Nr. 11. — Dr. G. Magnus.

Professor,

(Schrift­

(Stellvertreter des Nr. 8.

Post-Straße

zeitiger Rector der Königlichen

Friedrich-Wilhelms-Universität.

Kupfer-Graben Nr. 7. — Mendelssohn.

Geheimer Commercien - Rath.

Jäger-Straße 51.

Fabrik-Besitzer.

18.

20.



(Stellvertreter

des Schatzmeisters.)

Dr. G. Parthey.



Jacques

Meyer.

Köpnicker Straße. Jlt.

Buchhändler, Mitglied der Academie der

296 Wissenschaften.

Brüder - Straße Nr. 13. — Dr. von Peucker.

General

der Infanterie und General - Inspecteur des militairischen Erziehungs - und

Bildungswesens der Armee. Bellevue-Straße Nr. 12. — Dr. von Raumer. Professor und Geheimer Rath. Koch-Straße Nr. 67. — Leonor Reichen­

heim.

Commercien-Rath.

(Schatzmeister.)

Spandauer-Straße Nr. 16. —

Schäffer. Stellvertreter des Vorsitzenden der Stadtverordneten-Versammlung. Jäger-Straße Nr. 61.



Geheimer Ober-Post-Rath.

I. C. Schüller.

Köthener-Straße Nr. 6. — Dr. Johannes Schulze. Wirklicher Geheimer

Ober-Regierungs-Rath. Nr. 6.

(Stellvertreter des Vorsitzenden.)

a. d. O. — Dr. A. Twesten. — Dr. M. Veit.

Warschauer.

Professor.

Stadtverordneter.

Kommandanten-Straße Nr. 84.

Leipziger Platz Nr. 18. —- Robert

Commercien-Rath, Stellvertreter des Aeltesten-Vorstehers der —

Kaufmannschaft.

Behren-Straße Nr. 18.

Lieutenant a. D.

Friedrichs-Straße Nr. 191.

Stadtrath.

Kupfer-Graben

Appellations - Vice - Präsident in Frankfurt

— Dr. Ed. Simson.



von Webern.

General-

Dr. A. T. Woeniger.

Louisen-Straße Nr. 36.

Beilage X. An

den verehrlichen Magistrat hiesiger Königlichen

Haupt- und Residenz-Stadt.

Die Differenzen, die zwischen dem Schiller- und dem Goethe - Somit« darüber ausgebrochen waren, ob das Schiller-Standbild den Standpunkt, der

ihm am Jubelfeste des Dichters,

dem 10. November 1859, in der Mitte

des Vorplatzes des Königlichen Schauspielhauses eingeräumt worden, unver­

ändert behalten, oder ob es in Folge der später beschlossenen Errichtung auch eines Standbildes für Goethe auf diesem Plätze, von jenem mittleren Stand­

punkte nachträglich rechts oder links zur Seite weiche» müsse, hatten ohne zu irgend einer gedeihlichen Lösung zu kommen, lange Zeit die öffentliche

Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, als sich im Anfänge Juli v. I. einige

hiesige Einwohner: der Ober-Tribunals-Rath Bloemer, der Professor Dr.

Dropsen, der Geheime Ober-Justiz-Rath Friedlaender, Director Hübener,

Buchhändler Dr. G.

der Ober-Bau-

der Gerichts-Assessor Robert Lessing,

Parthey,

der

der Verlags-

Geheime Rath Professor Dr. von

Raumer, der Geheime Ober-Post-Rath Schüller, der Wirkliche Geheime Ober-Regierungs-Rath Dr. Johannes Schulze, der damalige Rector der

Universität,

Ober-Consistorialrath Professor Dr. A. Twesten, der Stadt­

verordnete Dr. M. Veit und der General-Lieutenant von Webern in dem Gedanken begegneten, diese Lösung in der Weise anzubahnen, daß außer dem

Goethe-Standbild auch ein Lessing.Standbild dem Schiller-Standbild auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses beigesellt und dadurch sowohl

dem Schiller-Standbild der Besitzstand des Grundsteins in der Mitte des

297 Platze-, als dem Goethe-Standbild die Stellung zur Seite des SchillerStandbildes ebendaselbst, erhalten werde. Bon dieser Absicht setzten sie damals die Mitglieder des Schiller- und Goethe-Comite, sowie die hiesigen städtischen und die betreffenden Staats­ behörden sofort in genaue Kenntniß. „Wir erlauben uns," — so lautete ihre deSfallsige an jedes einzelne Mitglied des Schiller- und des Goethe - ComitL gerichtete Mittheilung vom 10. Juli 1861 — „Ihnen hiermit ganz ergebenst anzuzeigen, daß wir uns, in Uebereinstimmung mit einem unlängst bekannt gewordenen Vorschläge*) zu vorbereitenden Schritten für die Errichtung eines Lessing-Standbildes in Berlin zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses, heute vereinigt haben. Wir hofstn dadurch zu dem angestrebten doppelten Zwecke mitzuwirken, daß das vaterländische Fest des 10. November 1859 ungetrübt und gesegnet bleibe, und daß die Dankbarkeit des gesummten Deutschlands und in erhöhtem Maaße die Dankbarkeit Preußens und Berlins jetzt hier auch dem deutschen Schriftstelln gerecht werde, der in der Macht und Unvergänglichkeit seiner Einwirkung auf die Bildung und den Geist der Nation von Schiller und Goethe nicht zu trennen ist, sondern mit ihnen jene unerreichte Dreizahl bildet, die das größte Verdienst und den höchsten Ruhm unserer Litera­ tur in sich zusammenfaßt. Wir begleiten diese Anzeige mit dem Wun­ sche, daß es Ihnen genehm sein möge, sich uns zur gedeihlichsten Förderung dieses Zwecke- baldmöglichst anzuschließen und gemeinschaftlich mit und an der demnächstigen Beschlußfassung über die Bildung und Constituirung eineLessing-Counts wirksamen Antheil zu nehmen. Ihre zustimmende Erklärung würden wir an den mitunterzeichueten Dr. G. Parthey, Nicolaische Ver­ lagsbuchhandlung, Brüderstraße Nr. 13. hier, gelangen zu taffen bitten." Hierauf erklärten sichzustimmend, Seitens des Schiller - Comitö die Herren Dr. O. Lindner und Commercien-Rath Leonor Reichenheim, die seitdem als die Mandatare des Schiller-Comits fungirt haben, außerdem Herr Ferdinand Schmidt. Für Herrn Rechts-Anwalt Lewald wurde angezeigt, daß er sich auswärts im Bade befinde. Seitens des Goethe-Comits traten ihren vorgenannten Collegen: Bloemer, Dr. Parthey, Schüller und Dr. Johannes Schulze und den andern Unterzeichnern der Einladung vom 10. Juli 1861 bei: Professor F. W. Gubih, Professor Gosche,**) Stadtverordneter Guttentag, Buchdruckerei-Besitzer Ernst Kühn und Stadtrath Dr. Woeniger. Die an Dr. Parthey gerichtete schriftliche Erwiderung des Mitgliedes des Goethe-Comite, Herrn Professor Dr. Bo eckh, lautete wörtlich: „Verehrter Herr College. Durch das gefällige Schreiben •) Drei Dichter- Standbilder Al- Manuscript gedruckt. **) Dieser

Berlin 1861.

sofortige Zutritt

in

Berlin.

Ein Wort zur Einigung.

Druck von Ernst Kühn, Kronenstraße 33.

deS Herrn Profeffor Gosche beruht

allerdings

auf thatsächlicher Richtigkeit; zu berichtigen dagegen ist die Annahme, daß auch er dem Goethe-Comits angehört habe.

298 der ausgezeichneten. Männer, welche zusammengetreten sind, um Lessings An­ denken würdig zn ehren, mit meiner Erklärung an Sie gewiesen, bitte ich ergebenst meine Entschuldigung anzunehme» und bei den übrigen Herren zu

vertreten.

Mein Wer und

mein Gesundheitszustand erlauben mir nicht,

außer meinen Amtsgeschüften noch andere Verpflichtungen einzugehen, und

Sie wissen selbst, daß ich auch einen Theil der ersteren abgewalzt habe, weil

ich der Ruhe bedarf.

Haben Sie die Güte-, mich bestens zu entschuldigen.

Berlin, den 12. Juli 1861.

Ihrige Boeckh."

Mit aller Hochachtung und Ergebenheit, der

Die zustimmende Erklärung des Goethe-Comitö-Mitglieds,

Königlichen Musik-Direetors Herr» Jaehus, ist wegen längerer Abwesenheit desselben erst am 17. August 1861 eingetroffen.

Eine Erklärung des Herrn

Carl Heyman« vom 21. August 1861 ging dahin:

„Das Wort zur

Einigung, welches mir zugegangen, hat mich überzeugt und in meiner frü­

heren Ansicht bestärkt, daß die Monumenten-Trias nicht würdiger und ange­ messener hingestellt werden könne, als durch ein Denkmal für Lessing.

Wenn

die Sarmnlmrgen beginnen, werde ich gern auch Seitens meiner dabei thätig sein, wie ich schon für Camenz ein Gleiches mit Erfolg gethan."

Gleichzeitig mit dieser Mittheilung an die Mitglieder des Schiller- und des Goethe - Comite erfolgte, wie gesagt,' auch bei de» hiesigen städtische»

Behörden über das bezweckte Vorhaben die sofortige Anzeige.

Sie schloß

der Stadivervrdneten-Versammlung gegenüber mit den Worten:

„Wir hoffen

dadurch demselben patriotischen Unternehmen, welches in der verehrlichen Ver­

sammlung bereits eine erste geneigte Jnbetrachtnahme gefunden hat,

eine»

Dienst zn leisten, indem wir in einiger Weise dazu Leizutragen suchen, daß ein Act der vaterländischen Dankbarkeit in dieser

deutschen

Hauptstadt zugleich ein Act des Friedens und der gemeinsamen

Freude werde;" und gegenüber dem verehrlichen Magistrat:

„Lessings

Antheil an Allem, was unsere Nation in Geist und Wahrheit aufgerichtet

und veredelt hat, ist eben so unschätzbar als unvergänglich, und wenn das

dankbare Vaterland jetzt in dieser, deutschen Hauptstadt für Schiller und Goethe die verdienten Ehren - Denkmale gründet, so wird es Lessings nicht

vergesse» wolle»; namentlich wird dies Preußen nicht, das er in seinem großen Könige verherrlichte, namentlich Berlin nicht, das er so sehr liebte und dem dauernd anzugehören, der Wunsch

seines Lebens war." Unterdeß hatte der Magistrat seinerseits bereits auf den 18. Juli v. I.

eine Versanunlnng von Deputirten sowohl des Schiller- und des GoetheComits, als der Stadtverordneten-Versammlung und seiner selbst auf das

RaHhaus

einberufen,

um über

den angeregten Einigungs-Vorschlag:

den

Standbildern Schillers und Goethes das Standbild Lessings auf dem Vor­ platze des Königlichen Schauspiechauses anzuschließen, nach nochmaliger Ver­

handlung bestimmte Erklärungen äbzugeben. Diese Versammlung hat ant bezeichneten 18. Juli v. I. aus dem Rach­

hause wirklich stattgefunden.

Sie bestand Seitens der städtischen gemischten

299 Deputation aus den Herren Stadträthen Dr. Woeniger und Dr. Noht und den Herren Stadtverordneten: Geheimrath Dr. Breßler, Amtmann Seidel, Professor Dr. Virchow, Kaufmann Elster und Verlags-Buchhändler Guttentag; sodann aus den Herren: Dr. Lindner und Commercien-Rath Leonor Reichenheim, als den Deputirten des Schiller- und den Herren: Professor Dr. Maercker, Gymnasial-Director August, Ober-TribunalsRath Bloemer, Kaufmann JacqueS Meyer und Professor Wredow, als den Deputirten des Goethe-Comite. Inhalts des über diese Verhandlung aufgenommenen, und uns unter dem 2). November v. I. demnächst von dem Magistrate abschriftlich mitgetheilten Protokolls, erklärten damals die vorgenannten beiden Vertreter des Schiller-Comite Namens ihrer Committenten: „Allerdings sei es ihnen unmöglich, freiwillig von dem Verlangen zu weichen, daß daS Schiller-Standbild seinen Grundstein und damit den Hauptplatz vor der großen Freitreppe auf dem Gensdarmenmarkte behalte. Die gebotene Rücksicht auf die Committenten, die eigene Ehre und besonders die früheren Allerhöchsten Anordnungen, auf welche hin sie bereits eine weitere Allerhöchste Entscheidung bean­ tragt hätten, geböten ein solches Beharren. Werde jedoch Seitens des Goethe-Comitö daran festgehalten, für Goethe ebenfalls ein Denk­ mal auf dem Gensdarmenmarkte zu errichten, sei dazu gleichfalls die Allerhöchste Genehmigung ertheilt und lasse sich dieser Plan unleugbar durch daS Lessing-Project am geeignetsten verwirklichen, so seien sie be­ reit, mit Entschiedenheit auch für Letzteres einzutreten. Ihre Anträge gingen daher dahin, mit Aufstellung der Schiller-Statue sofort vor­ zugehen, hiernächst könne das Goethe-Comite sich ihrer thätigsten Theilnahme und persönlichen Mitwirkung für die Errichtung des Goethe-Denkmals versichert halten, und endlich würde man sich mit vereinigten Kräften der schnellsten Verwirklichung der Lessing-Statue zuwenden. Sollte es außerdem bei diesem Drei-Statuen-Project etwa aus ästhetischen oder anderen Gründen nöthig werden, daß der Schiller­ stein in derselben Linie um etwas vorgerückt werde, so erkläre das Schiller-Comite auch dazu seine Zustimmung, sofern der Grundstein nur die Mitte des Platzes vor der großen Freitreppe behalte." Hierauf ließen die Vertreter des Goethe-Comite sich folgendermaßen vernehmen: „Sie hätten allerdings zunächst von ihren Committenten den Auftrag, dahin zu wirken, daß das Schiller-Comite sich bereit finden lasse, im Interesse der Kunst und Aesthetik nicht auf seinem Grundstein zn be­ harren, vielmehr soweit rechts oder links damit zur Seite zu rücken, daß Goethe neben Schiller gestellt werde, denn nur dann glaube daS Goethe-Comite seine Aufgabe, Goethe in Verbindung mit Schiller ein Denkmal zu setzen, vollständig gelöst. Sollte jedoch das SchillerComitö entschieden von der Hand weisen, in solcher Art dem Goethe-

300 Comite entgegen zu kommen und dadurch eine mehr den Gesetzen der

Symmetrie

entsprechende Aufstellung Goethes

zu ermöglichen, dann

habe das Goethe-Comite beschlossen, dem Drei-Statuen-Project eben­

falls in der Weise beizutreten, daß neben Schiller außer Goethe auch Lessing gestellt und so eine ftiedliche Einigung der bisherigen Diffe­

renzen herbekgeführt werde." Nachdem die Mitglieder des Schiller-Comite ihre bestimmte Weigerung wiederholt hatten, weitere Concesstonen zu machen, als in ihrer obigen Erklä­ rung enthalten seien, vereinigten sich die Mitglieder beider Comites einstim­

mig in folgenden Beschluß: „Die Mitglieder des Schiller- und des Goethe-Comite,

mens ihrer Committenten einstimmig,

erklären Na­

daß sie in dem Vorschläge der

Mitaufnahme des Lessing-Standbildes zu den auf dem Gensdarmenmarkte prosectirten Statuen Schillers und Goethes eine völlig befrie­

digende Einigung der bisher bestandenen Differenzen erkennen und sich

bereit erklären, mit allen Kräften für die Erreichung dieses gemeinsamen

Zieles einzutreten." Nachdem dieser Beschluß gefaßt war, traten die Mitglieder der städtischen Deputation zu kurzer gesonderter Berathung über Werth und Bedeutung des­

selben für die städtische Verwaltung zusammen.

Das Ergebniß

Lieser Be­

sprechung wurde mit allen gegen zwei Stimmen in folgender Erklärung nie­

dergelegt:

„Die stattgefundene Einigung der beiden Comites als das glücklichste Anskunftsmittel bestandener Differenzen und als praktische Grundlage

für die Ausführung der drei Statuen, je nach den bereitesten Mit­

teln, den städtischen Behörden zur Annahme und Förderung zu

em­

pfehlen." Auf Grund dieses Ergebnisses

in der Sitzung auf dem hiesigen Rath­

hause "vom 18. Juli v. I. erging wenige Tage nachher, am 24. Juli 1861, die Jmmedkat-Eingabe an Seine Majestät den König in Baden-Baden, wo

Merhöchstderselbe damals noch verweilte. Sie trug außer den Unterschriften der­ jenigen hiesigen Einwohner, von denen jene erste Anzeige und Einladung vom

10. Juli 1861 ausgegangen war, und den Unterschriften der Mitglieder des Schiller- und Goethe-Comits, die dieser Einladung seitdem gefolgt, noch die

Unterschrift zweier ferner

beigetretener Mitglieder

des Goethe-Comits,

des

Kaufmanns le Coq und des Fabrikbesitzers Jacques Meyer hier, so wie des Llppellationsgerichts-Vice-Präsidenten Dr. Ed. Simson in Frankfurt a. O.,

welcher Letztere sich,

während seiner

vorhergegangenen längeren Anwesenheit

hier/ des Drei-Statuen-Projects mit lebhaftem Eifer angenommen hatte.

Die

Unterzeichner der Jmmediat-Gingabe, nunmehr zwei und zwanzig an der Zahl darunter eilf Mitglieder des Goethe-Comits und

zwei Mitglieder des Central-

Counts für Schiller, richteten an dem bezeichneten 24. Juli 1861 an Seine

Majestät den König stattet:

die

ehrfurchtsvollste Bitte, ihnen Allergnädigst zn ge­

301 und Eonstituirung

„Zur Blldung

für

eines ComitL

die Errichtung

eines Lessing-Standbildes in Berlin, auf dem Vorplatze

des Königli­

chen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, als des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe baldigst vorschreiten zu dürfen, und daß es Sei­

gefallen wolle,

ner Majestät

den Bestrebungen

mit

Comite

dieses

Allerhöchst Seiner Königlichen Huld und Gnade zugethan zu sein." Sie erbaten dies von Seiner Majestät: „in Uebereinstimmung mit den desfalls jetzt — am 18. Juli 1861 —

erfolgten Erklärungen des unter Allerhöchstem Schutz

und Beistände

hier bestehenden Schiller- und Goethe-Comite, im Vertrauen auf die

fördernde Geneigtheit der hiesigen städtischen Behörden, im Glauben

an das Lebendige Dankgefühl der deutschen und in erhöhetem Maaße der preußischen Herzen, vor Allem in der vollen, fteudigen Zuversicht auf Seiner Königlichen Majestät eigenes Herz, worin unsere Zeit auch

diejenigen Tugenden verehrt, gegen deren (Gegensätze Lessing einst seine nie genug zu preisenden Kämpfe führte."

„Wie für dieBildung

und V er edlung deS deutschen Geistes und Herzen s Lessing,

Schiller und Goethe mit vereinigten Kräften unvergäng­ lich fortwirken,, so mögen

kunstverklärten Ge­

auch ihre

stalten sich jetzt hier in ungetrennten Ehren erheben, zur

Freude

des

Vaterlandes

und

Ruhme

neuen

zum

und

Schmuck dieser deutschen Hauptstadt." Am 8. November 1861,

nachdem

zwischenzeitlich

der

fast

einmüthige

Zutritt sowohl des Magistrats als auch der Stadtverordneten-Versammlung zu den übereinstimmenden

Erklärungen

der städtischen Deputationen

in

der

Sitzung auf dem Rathhause vom 18. Juli 1861 bekannt geworden, setzte der Herr Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten die

Unterzeichner

der Jmmediat- Eingabe vom 24. Juli 1861

davon in Kennt­

niß, daß:

„durch Allerhöchste Ordre vom geruht,

ihn

Allerhöchstderselbe

die Bildung

Seine Majestät

6. November 1861

zu beauftragen, diesen Unterzeichnern

eines

Comite

Standbildes, für Lessing auf dem Vorplatze

zur

zu

eröffnen,

Errichtung

daß

eines

des Königlichen Schau­

spielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes Allergnädigst gestatten und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Huld und Gnade ver­

sichern wollen."

Die dankbare Freude über die nunmehrige Gewißheit dieser lang ersehn­

ten Allerhöchsten Entscheidung wurde für uns bald nachfolgend noch durch die Zuschrift gesteigert, welche der Magistrat die Geneigtheit hatte, am 21. No­

vember 1861 an die Unterzeichner jener auch an ihn gerichteten ersten Anzeige vom 10. Juli 1861 gelangen zu lassen.

Sie verbürgte uns, daß unsere nur

durch die Liebe zum gemeinsamen Besten erweckte und autorifirte Bitte mit den Ueberzeugungen und den amtlichen Anträgen der verehrlichen Stadtbehör-

— 302 den unterdeß durchaus Hand in Hand gegangen, und daß das jetzt erreichte Resultat zugleich

die Erfüllung eines von den Repräsentanten dieser König­

lichen Haupt- und Residenz-Stadt getheilten und nachdrücklichst befürworteten eigenen Wunsches war. den ihr beigefügten,

Daher wurde diese Zuschrift des Magistrats sammt

das -vorerwähnte Protokoll der Sitzung vom 18. Juli

1861 Anschließenden Anlagen sofort bei der Constituirung des Lessing-Comits

am 23. November 1861 der Versammlung urschriftlich vorgelegt,

und sie

bildet fortwährend eine zu unschätzbare Stiitze für die ganze Wirksamkeit des

Lessing-Comits, als daß wir nicht bei ihrem ftir uns so ermuthigenden als verpflichtenden Inhalt hier verweilen sollten.

„Es traf uns jene Anzeige vom 10. Juli 1861" — so eröffnete uns nun der Magistrat — „gerade in einem Augenblicke, als in unserer eigenen

Mitte der anderweit in die Oeffentlichkeit getretene Vorschlag, die Lekarmten

Differenzen zwischen dem Schiller- und Goethe-Comits wegen Aufstellung ihrer Statuen durch Hinzunahme eines Lessing-Denkmals zu schlichten, bereits

aufgenommen war und lebhaft verhandelt wurde. gangs erwähnte Mittheilung

Wir haben daher die Ein-

(über die stattgehabte Vereinigung zn vorberei­

tenden Schritten ftir diesen Zweck) mit lebhafter Genugthuung entgegen ge­ nommen und uns beeilt, dem Projekte eines Lessing-Denkmals sowohl in den

Unterhandlungen mit dem Schiller- und Goethe-Comits, als mit der Stadtverordneten-Versammlnng,

und später in unseren,

auf Grund dieser Unter­

handlungen höheren Orts formirten Anträgen allen Vorschub zu leisten. Ms Belag hierfür fügen wir Abschrift unseres unter dem 30. Oktober an den

Herrn Minister für die geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten

erstatteten bezüglichen Berichts nebst allen

genauere

Anlagen bei, -deren

Kenntnißnahme auch für die weiteren Schritte in der Lessing-Angelegenheit

von Wichtigkeit sein dürfte.

die ver-

Wir haben nuirmehr das Vergnügen,

ehrlichen Unterzeichner des Schreibens vom 10. Juli d. I. ergebenst zu be­

nachrichtigen, daß zufolge hohen Erlasses des gedachten Herr» Ministers vom

8. d. M. von Seiner Majestät dem Könige mittels Merhöchster Ordre vom 6. d. M. auf unsere Anträge huldreichst genehmigt worden ist:

1. „daß den Denkmälern für Schiller und Goethe auf dem hiesigen

Gensdarmenmarkt noch

ein Monument für Lessing und zwar

dergestalt hinzugefügt werde, daß das Standbild Schillers die Mitte des Platzes vor dem Schauspielhause behauptet, die andern beiden

Standbilder aber ihm zur Seite treten;"

2. daß die Unterzeichner der unter dem 24. Juli an Seine Majestät

den König gerichteten allerunterthänigsten Vorstellung,

betreffend

das Lessing-Deickmäl, sich nunmehr als Comitö eonstituiren Behufs

Errichtung eines Standbildes für Lessing in Berlin auf den Vor­

platze des Königlichen Schauspielhauses zur Seite des C Standbildes."

„Indem wir" — so schließt diese Zuschrift des Magistrats vom vember 1861 — „den verehrlichen Unterzeichnern der Eingabe vom

303

d. I. in Erwiderung auf ihre Mittheilungen hiervon ergebenst Kenntniß ge­ ben, wird eS uns aufrichtig freuen, von der erfolgreichen Thätigkeit eines nunmehr definitiv zu bildenden Lessing-ComitS in einer großen nationalen Angelegenheit baldige Nachricht zu erhalten." Dieser ehrenvollen Aufforderung des Magistrats wünscht das LessingComitL zu entsprechen, indem es nach den vorher bezeichneten Entwickelungs­ stufen seiner Begründung nunmehr zu der folgenden ergebensten Mittheilung über seine hierauf erfolgte fernere Gestaltung und seitherige Wirksamkeit übergeht. Die Frage, die sich die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli 1861 bei ihrem ersten Zusammenttitt nach Erlaß und Publication der Allerhöchsten Ordre vom 6. November am 23. November zunächst vorlegten, war die, ob der Kreis der Mitglieder des Lessing-Comite auf die Zahl dieser Unterzeichner zu beschränken oder darüber hinaus auszudehnen, und im letzte­ ren Falle, ob die Constituirung des Comite bis dahin, daß sich die Erfolge etwaiger fernerer Einladungen würden übersehen lassen, zu beanstanden sei. Die Versammlung entschied in ihrer Majorität, daß der Zweck des Comite die möglichste Beschleunigung seiner Constituirung unter den obwaltenden Umständen dringend gebiete, jedenfalls die Aussetzung der Constituirung bis nach dem Ausfall jener Eventualität nicht zulaffe. Hierauf schritt die Ver­ sammlung zur Constituirung des Lessing-Comite mittelst Wahl eines auS sieben ComitL-Mitgliedern bestehenden geschäftsleitenden Ausschuffes, und wählte durch schriftliche Stimm-Abgabe zum Vorsitzenden: den Ober-TribunalS-Rath Bloemer, zu dessen Stellvertteter den Geheime-Rath Dr. Jo­ hannes Schulze, zum Schriftführer den Gerichts-Assessor Robert Lessing, zu dessen Stellvertreter den vr. O. Lindner, zumSchatzmeister den Commercien-Rath Leonor Reichenheim, zu dessen Stellvertteter den Fabrikbesitzer Jacques Meyer, und als zuttetendeS ferneres Mitglied des Ausschuffes: den Ober-Bau-Director Hüb en er. Die angemessene Erweiterung des dadurch zunächst auf die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli beschränkten Lessing-Comite war der Gegenstand fottgesetzter Verhandlung in den nächsten Sitzungen vom 27. No­ vember und vom 7. December 1861. Als eine angemessene Erweiterung wurde nur diejenige erachtet, welche die Möglichkeit einer persönlichen Ver­ letzung für den Nicht-Eingeladenen ausschließe. Von dieser Rücksicht geleitet, beschloß die Versammlung die Erweiterung des Lessing-Comite allerdings unverzüglich zu versuchen, sie jedoch über die nachfolgenden Einladungen an: den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, den General-Jnspecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungs­ Wesens, den zeitigen Rector der Universität, den General-Director der Königlichen Museen, den General-Intendanten der Königlichen Schauspiele,

304 den Ober-Bürgermeister und Bürgermeister hiesiger Haupt- und

Residenzstadt, den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtverordneten-Versammlung,

den Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft und dessen Stellvertreter, und das Haupt derjenigen hiesigen Familie, deren Ehrennamen mit

dem Namen Lessing durch das Band der edelsten Freundschaft

für immer verbunden ist, nicht auszudehnen.

Dieselbe Rücksicht wurde namentlich auch in Bezug auf

den Kreis der hiesigen ausübenden plastischen Künstler für maaßgebend erach­

tet, da eine Einladung an alle Glieder dieses Kreises aus Gründen sachlich nothwendiger Begrenzung der Mitgliederzahl des Lessing-Comite unangänglich, eine Wahl unter den betreffenden Herren

aber dem Comite durchaus verbo­

ten schien.

Der Ober-Bürgermeister und

der Bürgermeister Berlins,

sowie

der

Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Stadtverordneten-Versammlung, die Herren Dr. Krausnick,

Hedemann,

Lüttig und Schäffer

haben

der an sie ergangenen Einladung bereitwilligst entsprochen; das Lessing-Cowitä

hat die Genugthuung, die sämmtlichen Repräsentanten der hiesigen städtischen

Behörden jetzt nicht blos zu seinen Begünstigern, sondern zu seinen Mitglie­ dern zu zählen.

Dasselbe gilt von allen anderen vorbezeichneten Herren, bis

aus Herrn von Olfers.

Da das thatsächliche Nichttheilnehmen des Letztern

an dem Lessing-Comittz mehrfach zu unrichtigen Auffassungen geführt hat, so glauben wir es der Sache, dem verehrlichen Magistrat und uns selbst schuldig zu sein, durch eine vollständige Darlegung des factischen Hergangs ferneren

Unrichtigkeiten, so viel an uns ist, vorzubeugen.

Als es sich in der vorbezeichneten Sitzung des Lessing-Comitö davon han­ delte, dieses Comite in der eben angedeuteten Begrenzung

bezüglich

zu erweitern, ist

des Herrn von Olfers nicht unerörtert geblieben, was durch per­

sönliche und sachliche Rücksichten unserer pflichtmäßigen Erwägung nahe ge­ legt war.

Es kam zur Sprache, daß Herr von Olfers auf die auch an

ihn, als Mitglied des Goethe-Comite, am 10. Juli 1861 ergangene frühere

Anzeige und Einladung

die darin erbetene zustimmende Erklärung seinerseits

nicht abgegeben, und daß kurz nachher die für die technischen Vorarbeiten zur

Errichtung des Goethe-Denkmals abgezweigte Abtheilung des Goethe-Comite sich unter dem Vorsitze des Herrn von Olfers gegen das Drei-StatuenProject, also gegen die Grundlage und Vorbedingung des jetzt constituirten

Lesstng-Comitö,

gutachtlich ausgesprochen habe.

Die General-Versammlung

des Goethe-Comite habe diesem Gutachten ihrer technischen Abtheilung am 16. Juli 1861

zwar allerdings

in sofern die Zustimmung versagt,

als sie

nach längerer Erwägung beschlossen, eventuell auch ihrerseits dem Drei-Sta­

tuen-Project beizutreten und als sie demgemäß ihre Deputirten zur Abgabe einer desfallsigen Erklärung in der von dem Magistrate auf den 18. Juli 1861

305

onbcraumten Sitzung mit Vollmacht versehen; auch sei diese eventuelle Zu­ stimmung für das Drei-Statnen-Project Namens des Goethe-ConM am 18. Juli 1861 durch dessen Deputirte wirklich abgegeben worden; dies gebe aber immerhin keine Gewißheit, daß sich Herr von Olfers nunmehr geneigt bezeigen werde, an der Ausführung dieses Projects durch Eintritt in das Lesfing-Comite Theil zu nehmen. Dagegen wurde in Betracht gezogen, daß durch die Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 die Ausführung des Drei-Statuen-ProjectS nunmehr endgültig entschieden sei, und daß das kessingEomit4 jedenfalls kein Recht habe, anzunehmen, daß es in den Wünschen des Herrn vonOlfers liegen könne, auch jetzt einem Comite nicht anzugehören, dessen Constituirung Seine Majestät der König seitdem nicht blos gestattet, sondern der Zusicherung Seiner Allerhöchsten Huld und Gnade ausdrücklich gewürdigt habe. DaS Lessing-Comite bleibe verpflichtet, seinerseits nichts un­ versucht zu lassen, dantit, neben den anderen einstußreichen und hochverehrten hiesigen Vertretern der Kunst und Wissenschaft und des städtischen Gemein­ wohls in dem, nach diesen Seiten hin zu erweiternden Kreise seiner Mitglie­ der, der General-Director der Königlichen Museen nicht vermißt werde. Die letztere Betrachtung überwog; die Versammlung beschloß Herrn vonOlfers nochmals um Anschluß an das Lessing-Comite zu ersuchen, und das desfallö an ihn zu richtende Schreiben durch eines ihrer Mitglieder bei Herrn von Olfers persönlich überreichen zu lassen. Dieses Schreiben lautete: „Seiner Ercellenz, dem General-Director der Königlichen Museen, Herrn Wirklichen Geheimen Rath Dr. von Olfers hier.

Berlin, den 20. December 1861.

„Seine Majestät der König haben Inhalts hochverehrlichen Rescripts des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, Herrn von B ethmann-Hollweg, Excellenz, vom 8. d. M. durch Allerhöchste Ordre vom 6. desselben Monats uns auf unsere Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli d. I. eröffnen zu lassen geruht: daß Allerhöchstdieselben die Bildung eines Comite zur Errichtung eines Standbildes für Lessing in Berlin, auf dem Vorplätze des Königlichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen SchillerStandbildes., Allergnädigst gestatten und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade versichern wollen. „Von dem lebhaften Wunsche erfüllt, diese Allerhöchste Gestattung in gedeihlichster Weise zu verwirklichen, haben wir am 7. d. M. einstim­ mig beschlossen, Ew. Excellenz zu bitten, daß es Hochdemselben im Interesse des schönen vaterländischen Zweckes genehm sein möge, sich uns als Mitglied des Lesfing-Comite durch Mitunterzeichnung des von demselben nunmehr zu veröffentlichenden Aufrufs hochgeneigtest anzuschließen, und ist Herr General von Webern dabei zu der 20

306 freundlichen Zusage bereit gewesen, Euer Excellenz das Original des

Auftufs zugleich mit diesem Ausdruck unserer ergebensten Bitte per­

sönlich zu überreichen.

Das Comite zur Errichtung des Lessing-Standbildes in Berlin. In dessen Auftrag:

Dr. Joh. Schulze. Dieses

Bloemer."

gelangte hierauf mittelst des nachfolgenden an den

Schreiben

General-Lieutenant v o n W ebern. „Euer Excellenz

bitte ich um die Erlaubniß in der beifolgenden Mappe das Original

unseres

Lessing-Auftufs sammt den Behändigungsschreiben

an

die

Herren von Peucker, von Hülsen und von Olfers, bei Hoch-

denselben einzureichen

und die durch den Drang

der Zeit gebotene

Bitte um baldgeneigte Rücksendung nach hoffentlich erreichtem Erfolge gehorsamst anschließen zu dürfen.

Wie Euer Excellenz Sich zu Ih­

rer Freude überzeugen werden, sind die Vertreter der hiesigen städti­

schen Behörden,

die Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kauf­

mannschaft und der Rector unserer Friedrich-Wilhelms-Universttät, die Herren:

Krausnick, Hedemann, Lüttig, Schäffer, Baudouin, War­

schauer und Magnus, indem sie der desfalls an sie ergangenen Ein­ ladung bereitwilligst entsprochen haben, jetzt mit uns verbunden.

In

der von des Königs Majestät Allerhöchstselbst nunmehr gestatteten und

öffentlich in Schutz genommenen Verehrung

der den Tellheim schrieb,

des deutschen Mannes,

Voltaire entthronte und mit Winkelmann

die neue Kunst schuf, werden uns die Leiter und Bewahrer der mili­ tärischen Erziehung und der Kunstbildung in Preußen ebenfalls nicht

fehlen wollen.

„Meine Legitimation zur Unterzeichnung des Aufrufs für den Appellationsgerichts-Viee-Präsidenten Herrn Simson in Frankfurt a. O. —

der das Jmmediat-Gesuch vom 24. Juli v. I. mitunterzeichnete —ist in dem an mich

gerichteten Antwortschreiben

desselben

vom 20.

v. M. sub pet. rem. ebenfalls angefügt.

„Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung der aufrichtigen Hoch­ achtung, womit

ich

die Ehre

habe

zu

verharren

als Hoch-

desselben ganz gehorsamster Bloemer."

Die Erwiederung des Herrn General-Lieutenants von Webern auf diese

letztere Zuschrift lautet:

307

Berlin, den 4. Januar 1862. „Ew. Hochwohlgeboren habe ich unter Rücksendung beikommender Mappe, in welcher daOriginal unseres Lessing-Aufrufs liegt, freundlich ergebenst Bericht zu erstatten über das Ergebniß des von mir übernommenen Geschäfts im Interesse unserer Angelegenheit. „Wie Sie sich aus den Unterschriften überzeugen wollen, haben Herr von Peucker und Herr von Hülsen die für sie ehrenvolle Aufforderung, dem Comite zuzutreten, bereitwillig, und mit dem Zu­ satz, nach Kräften nützlich und förderlich zu sein, doch mit der Bitte, sie mit jedem Amt und Geschäft zu verschonen, zugesagt. Anders war es mit Herrn von Olfers, der entschieden abgelehnt, und dabei aus seiner Verpflichtung als Goethe-Comite-Mitglied Verhinderungs­ gründe anführte, deren Gültigkeit ich zwar nicht einsehen konnte, aber doch auch nicht bestreiten wollte. Das Comite wird daher schon wohl auf den Beitritt des Herrn von Olfers unter diesen Um­ ständen verzichten müssen. „Mit dem Ausdruck wahrhafter Hochachtung und fteundlicher Ergebenheit herzlich zugethaner von Webern."

Die direkte schriftliche Antwort des Herren von OlferS war fol­ gende : „Der verehrlichen Aufforderung des Comite für Errichtung des Lessing. Standbildes vom 20. December, welche mir heute behändigt worden, bedauere ich nicht entsprechen zu können, indem meine vielfach in Anspruch genommene Zeit mich hat bestimmen müssen, aus VereinsVorständen zu scheiden, an welchen ich lange Zeit Theil genommen hatte; um so weniger würde ich daher neue Verpflichtungen zu über­ nehmen im Stande sein. Hochachtungsvoll und ganz ergebenst von OlferS. Berlin, den 3. Januar 1862. An daS Comite für Errichtung des LesfingStandblldeS z. H. des Königl. Wirklichen Geh. Ober-Regierungs-RathS Herrn Schulze Hochwohlgeboren hier."

308 Das Lessing-Comite, durch den allseitigen Beitritt der vorgenannten an­

deren verehrten Herren auf die Gesammtzahl von 33 Mitgliedern erweitert,

hat hierauf mit dem von ihnen

allen unterzeichneten, Berlin, 10. Januar

1862, datirten „Aufruf zur Errichtung

des Lessing-Standbildes in Berlin,"

seine öffentliche Wirksamkeit begonnen.

Es hat datin in Gemeinschaft mit

Unterrichts- und Medicinal - Angelegenheiten,

dem Minister der geistlichen,

Herrn von Bethmann-Hollweg,

der für eine so

persönlicher Theilnahme mitwirken zu wollen,

gute Sache

auch in

sich sofort bereit erklärte, die

Allerhöchste Entscheidung verkündet, daß „dem Standbilde Schillers, zu dem

am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung

den Grundstein legte, die Standbilder Goethes und Lessings nun zur Seite

treten, und mit ihm dem Vorplatze des Königlichen Schauspiel­ hauses

dieser deutschen Hauptstadt den reichsten und edelsten

Schmuck verleihen sollen."

Es hat „Alle, die in Lessing den großen

Schriftsteller und Charakter verehren, Alle, die sich ihm verpflichtet fühlen,

Alle,

die das Bild des edeln Mannes in ihrem Herzen tragen,

an dem vaterländischen Unternehmen Theil zu nehmen:

aufgerufen,

Lessings Andenken,

theuersten Erinnerungen unseres nationalen Ruhmes

mit den

vereinigt, in sichtlicher Erkennbarkeit den kommenden Geschlechtern zu über­ liefern."

Es hat diesen Aufruf mit der Kundgabe schließen können, daß un­

sere huldreiche Königin bereits „den ersten Beitrag" zu dem Lessing-Stand bilde gegeben,

d. h. durch die That besiegelt habe, was Allerhöchstdieselbe

gleich nach

dem ersten Bekanntwerden des Drei-Statuen-Projects in einer

von Herrn

Dr. Brandts

an

den Appellationsgerichts - Vice - Präsidenten

Simson gerichteten Zuschrift aussprechen zu laffen geruht hatten, daß Ihre Majestät den Vorschlag: „das Standbild Schillers dort aufzustellen, wo der Grundstein einmal

gelegt, und zu seiner Rechten und Linken Goethes und Lessings Mo­ numente zu errichten, sehr angemeffen finden, und für den Fall dieser

Plan zur Aufführung käme, für Lessings Denkmal denselben Beitrag aus Allerhöchst Ihrer Schatulle aussetzen wollen, welchen die Aller­ gnädigste Herrin zur Errichtung der beiden übrigen Denkmäler bereits gewährt hat."

Den Redactionen der hiesigen und vieler anderer auswärtigen Blätter

und Zeitschriften sind wir für die sofortige Aufnahme

des Ausrufs und die

dem Zwecke unserer Bestrebung dadurch geleisteten wirksamen Dienste zu dank­

barer Anerkennung verpflichtet.

Mit Ausnahme eines einzigen, zuerst in der

Spenerschen Zeitung veröffentlichten Artikels,

den die verehrliche Redaction

dieses Blattes indeß unmittelbar nachher selbst als aus falscher Mittheilung hervorgegangen bezeichnet, und dessen Aufnahme sie bedauert hat, hat stcl unseres Wissens die Redaction keines vaterländischen oder ausländischen Blat­ tes bisher in einem anderen, als in dem der Allerhöchsten Entscheidung vom

6. November 1861 zustimmenden Sinne ausgesproche. Dem ersten glückverheißenden Beitrag Ihrer Majestät der Königin ha-

309 ben sich seit dem

andere Beiträge

der Näh und Feme

aus

Wir erwähnen mit besonderer Freude

des Beitrages

angeschlossen.

des Herrn Professors

Geppert ans dem Resultat der von demselben hier zum Vesten des LessingStandbildes

unlängst bewirkten Aufführung

Herr Professor

die ihm dabei

von dem General-Inten­

Herrn von Hülsen, zu Theil geworden.

Auch von derMunificenz

wesentlichen Hülfeleistnng gedacht, danten

des Endens.

mit großem Danke der eben so freundlichen als

Geppert hat seinerseits

des Prinzen Georg von Preußen, Königlichen Hoheit, die sich bei dieser Gelegenheit abermals bewährt,

erfreuliche Kenntniß

in dessen Vorlesungen

hat Herr Professor

Geppert dem Comite

Die Zuhörer des Herrn Professor Werder

gegeben.

über Nathan

sollen

den Tribut

ihres Dankes gegen

den verehrten Lehrer in einer vereinigten Gabe für das Lessing-Standbild zu spenden bestimmt haben.

Gosche hat über Lessings Leben

Herr Professor

und Geistes-Entwicklung gleichzeitig zahlreich besuchte öffentliche Vorlesungen gehalten, deren Nachwirkungen unseren Bestrebungen ebenfalls zum bleibenden Nutzen gereichen werden.

In unserer letzten Comite-Sitzung ist beschlossen worden, mit der Vertheilung der Beitragslisten für das Lessing - Standbild nunmehr in der Art

vorzugehen,

daß zunächst den Comite - Mitgliedern selbst einzelne Nummern

dieser Listen zur Cirkulation in den Kreisen ihrer Freunde mitzutheilen seien.

und Bekannten

Demgemäß haben alte in dieser Sitzung anwesende Mit­

glieder, jedes derselben drei Nummern dieser Beitragslisten an sich genommen

und ihre bestmöglichste Bemühung zur Förderung des Zweckes zugesagt.

Den

in der Sitzung nicht anwesenden Comite-Mitgliedern sind seitdem zu gleichem Zwecke ebenfalls einzelne Nummern der Beitragsliste zugestellt.

Für die ge­

eignete Vertheilung der Beitragslisten in den hiesigen Stadtbezirken durch die

geneigte Vermittlung der betreffenden Herren Bezirksvorsteher hat Herr Bürger­

meister Geheime Rath Hcdemann

kn

eben.dieser Sitzung die erforderliche

Einleitung in nahe Aussicht gestellt.

Die

Mitbetheiligung

der vaterländischen Hochschulen und Gymnasien,

Bühnen-Vorstände und Kunst- und wissenschaftlichen Anstalten an unsere»

Bestrebungen ist in besonderen, unserem Aufrufe beizufügenden Begleitschreiben

vorbereitet.

Das Comite

hat

sich

für

die deshalb erforderlich gewesenen

Vorarbeiten auch hier zweien seiner Mitglieder, den Herren Professoren Go­ sche und Gubitz, zu Dank zu bekennen.

Einzelne Kreise von Verehrern besonders verbunden wissen,

Lessings,

lassen uns

die

sich

seinen Gesinnungen

auf gesegnete Resultate

vereinigter

Anstrengungen schließen, andere Kreise, die das Andenken Lessings in beson­

derer Dankbarkeit heilig halten, haben dazu die bestimmte Aussicht eröffnet. Neben so viel Erfreulichem beklagen wir den Verlust des Stadtverord­ neten Herrn Guttentag, den ein unerwarteter Tod aus unserer Mitte abberufen hat.

Wie Herr Guttentag

sofort

mit freudiger Entschlossenheit

unseren Bestrebungen zugetreten, so hat er ihnen in der leider nur zu kurzen Scmer seiner uns gewidmeten thätigen Mithülfe stets mit ganzem Herzen zn

310

hielten gesucht. Auch das Lessing-Comits wird nicht aufhören, sich des wer­ then Mitbürgers mit verdienter Anhänglichkeit zu erinnern. Wir schließen unsere Mittheilung an den verehrlichen Magistrat mit dem aufrichtigen Danke für die uns von ihm und der StadtverordnetenVersammlung seither in so entgegenkommender und wirksamer Weise zuge­ standene Unterstützung, mit der lebhaften Bitte um deren unverminderte kräf­ tige Fortgewährung und in der zuversichtlichen Hoffnung, daß das unter den schützenden Auspieien unseres Königs vertrauensvoll begonnene vaterländische Werk durch Eintracht und Beharrlichkeit zur glücklichen Vollendung gelange. Berlin, den 8. Mai 1862. Der Ausschuß des Comite zur Errichtuug des Lessing-

Staudblldes in Berlin:

Bloemer. Dr. Johannes Schulze. Robert Lessing. Dr. O. Lindner. Reichenheim. Jacques Meyer. Hnbener.

Beilage XI.

Von dem uns übersandten Bericht des verehrlichen Comits, ä. S. Ber­ lin, den 8. d. 3)1., betreffend die bisherige Thätigkeit für die Errichtung des Lessing-Denkmals haben wir mit lebhaftem Interesse Kenntniß genommen, und indem wir in den Wunsch Wohldesselben „daß das unter den schützenden Auspieien unseres Königs vertrauens­ voll begonnene vaterländische Werk durch Eintracht und Beharrlichkeit zur glücklichen Vollendung gelange/' gern einstimmen, schließen wir mit den Versicherungen unseres Dankes und unserer fortgesetzten Theilnahme. Berlin, den 29. Mai 1862. Magistrat hiesiger Königlichen Haupt- und Residenzstadt, gez. Kransnick. An das Comits zur Errichtung des LessingStandbildes in Berlin, z. H. des Vor­ sitzenden, Herrn Geheimen Ober-TribunalsRaths Bloemer, Ritter re. Hochwohlgeboren. sä 726. Mai.

311

Beilage

XH.

Auszug aus dem Protokoll der in der Königlichen Bau-Akademie zu Berlin am 16. Juni 1862, Nachmittags 6 Uhr, stattgehabten Sitzung des

Lessing-ComiW. Wegen eingetretener Abhaltung hatten sich für die heutige, durch Einla­

dung des Vorsitzenden vom 12. d. M.

einberufene Sitzung ent­

schuldigt die Herren:

Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft,

Geh.

Commereien-Rath B and ou in;

dessen Stellvertreter, Commereien-Rath Robert Warschauer; Ober-Bau-Director Hüb euer; Geheimer Ober-Postrach Schülsler; Commercien-Rach Leonor Reichenheim; General-Lieutenant von Webern;

für den General-Intendanten der Königlichen Schauspiele Herrn

von Hülsen war angezeigt, daß er nach London verreist sek.

Anwesend waren die Herren: Ober-Tribunals-Rath Bloemer, Vorsitzender; Wirklicher Geheime Ober-Regierungs-Rath Dr. Johannes Schulze;

Dr. Q. Lindner; Fabrikbesitzer Jacques Meyer; Professor Dr. Joh. Gust. Droysen;

Professor Dr. Robert Gosche; Buchdruckerei-Besitzer Ernst Kühn; Kaufmann Le Coq;

der zeitige Rector der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Uuiversität Professor Dr. A. Magnus; Geheimer Commercien-Rach Alexander Mendelssohn; Verlags-Buchhändler Dr. G. Parthey;

Geheimer Rath, Professor Dr. Friedrich von Raumer;

Ober-Consistorial-Rach, Professor Dr. A. Twesten; Stadtverordneter Dr. M. Veit; Stadt-Rath Dr. Woeniger; Gerichts-Assessor Robert Lessing, Schriftführer.

Der Vorsitzende theilt der Versammlung eine an ihn gerichtete und ur­ schriftlich vorliegende Zuschrift des Herrn Vorsitzenden

des

Goethe-Comit«

vom 26. Mai c. mit, deren Empfang er demselben am 27. Mai e. mit dem

Beifügen angezeigt,

daß er den Inhalt der Zuschrift dem Ausschuß des

312 Lessing-Comits, als dem vorberathenden und geschkstsleitenden Theile dieses Comite, sofort zur Kenntniß bringen werde, und sich seinerseits zunächst auf diese Anzeige beschränken müsse.

Der Ausschuß ist auf die Einladung des

Vorsitzenden vom 29. Mai c. am 4. Juni c. zu einer Vorberathung zusam­

mengetreten.

Das Resultat dieser Vorberathung ist der an diesem Tage von

dem Ausschuß einstimmig gefaßte Antrag, den derselbe gegenwärtig der Ver­

sammlung zur Berathung und Beschlußfassung stellt.

sammlung vor,

das in der Zuschrift

Comite vom 26. Mak c. bezogene

Ebenso liegt der Ver­

des Herrn Vorsitzenden des Goethe„Gutachten"

Goethe-Comite vom 14. April c., kn Exemplaren

der

einer

Abtheilung A. des

„nebst Beilagen"

und einem „Vorwort" veröffentlichten Druckschrift, die, jener Zuschrift Herrn Vorsitzenden des

des

Goethe-Comite gemäß, den einzelnen Mitgliedern

des Lessing-Comits in je einem Exemplare zugestellt

werden sollte und zu­

gestellt worden ist.

Die Versammlung ist hierauf in die Berathung dieser Angelegenheit ein­ getreten, und nach gepflogener Verhandlung aus den nachfolgenden Bestimmungsgründen zu der am Schluffe angegebenen Erklärung gelangt:

In

Erwägung:

daß Seine Majestät der König in einer an Allerhöchstdenselben gerichteten Jmmediat-Ekngabe vom 24. Juli 1861 ehrfurchtsvoll ge­ beten worden ist, den Unterzeichnern dieser Eingabe Allergnädigst zu gestatten: „zur Bildung und Constktuirung eines Comitö für die Errkch-

tung eines Lessing-Standbildes in Berlin,

auf dem Vorplatze

des Königlichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, als des bleibenden Mittel­

punktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe,

baldigst vorschreite» zu dürfen, und daß es Seiner

Königlichen Majestät gefallen wolle, den Bestrebungen dieses Coiitife mit Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade zugethan zu sein; daß, drei Monate später, der Herr Minister der geistlichen, Unter­

richts- und Medicinal-Angelegenheiten den Unterzeichnern dieser Jm-

mediat-Eingabe mittelst hohen Reseripts vom 8. November 1861 eröffnet hat:

„daß durch Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 Se. Majestät

die Bildung eines Comite zur Errichtung eines Standbildes für

Lessing

in Berlin,

auf dem Vorplatze

des

Königlichen

Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller'

Standbildes Allergnädigst gestatten und dieses Comitö Allerhöchst

Ihrer Huld und Gnade versichern wollen;" daß auch der Magistrat hiesiger Königlichen Haupt- und Resii stadt den Unterzeichnern einer desfalls an ihn gerichteten ftüheren An-

313 zeige vom 10. Juli 1861

am 21. November 1861 die amtliche

Benachrichtigung ertheilt hat:

„daß zufolge hohen Erlasses

des Herrn Ministers

der geistlichen,

Unterrichts- und Medieinal-Angelegenheiten vom 8. November 1861

von Seiner Majestät dem Könige mittelst Allerhöchster Ordre vom

6. November 1861

auf die Anträge des Magistrats huld­

reichst genehmigt worden:

1. daß den Denkmälern für Schiller und Goethe auf dem hiesigen Gensdarmenmarkte noch ein Monument für Les­ sing, und zwar dergestalt hinzugefügt werde, daß

das Standbild Schillers die Mitte des Platzes

vor

dem Schauspielhause behauptet, die anderen

beiden Standbilder aber ihm zur Seite treten;

2. daß

die Unterzeichner der unter dem 24. Juli 1861

an

Seine Majestät den König gerichteten Allerunterthänigsten Vorstellung, betreffend das Lessing-Standbild, sich nunmehr Errichtung eines Stand­

als Comite eonstituiren Behufs

bildes für Lessing

in Berlin,

auf

dem Vorplatze

des

Königlichen Schauspielhauses zur Seite des künf­ tigen Schiller-Standbildes;" daß auf Grund der Allerhöchsten Ordre vom 6. November 1861

die Constituirung

des

Lessing-Comite

am

23. November 1861

wirklich erfolgt ist; daß sich diesem zunächst aus den

Unterzeichnern der Jmmediat-

Eingabe vom 24. Juli 1861 bestehenden Comite bald nachfolgend

andere Männer als Mitglieder

des Lessing-Comite bereitwilligst

angeschlossen haben, in denen die Einladenden hochgeschätzte Ver­ treter der Kunst und Wissenschaft und des städtischen Gemeinwohls,

den Unterrichts-Minister, den Chef Bildungswesens,

des Militär-Erziehungs- und

den Oberbürgermeister und den Vorsitzenden der

Stadtverordneten-Versammlung Berlins an der Spitze, zu verehren hatten; daß, unter ausdrücklicher Berufung auf die durch die Allerhöchste

Ordre vom 6. November 1861 getroffene Königliche Entscheidung

und huldreichst ertheilte Zustimmung, das nach diesen Richtungen hin erweiterte Lessing-Comite am 10. Januar 1862 einen, von allen seinen Mitgliedern unterzeichneten öffentlichen Aufruf zur Errichtung

des Lessing-Standbildes in Berlin erlassen hat, in dessen Eingang

wörtlich gesagt ist: „Jene

hochgesegnete

Epoche unserer Geistesbildung,

die

mit

Lessing beginnend, sich in Schiller zu ihrer idealen Verklä­ rung erhebt und in Goethe ihre Vollendung feiert, soll in der harmonischen

Verbindung

der

Standbilder

dieser

drei Heroen jetzt ihre dauernde Verherrlichung finden:

dem

314 zu dem am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung den Grund­

Standbilds Schillers,

stein legte, sollen die Standbilder Goethes und Lessings

zurSeite treten, und mit ihm dem Vorplatze des König­

lichen Schauspielhauses dieser deutschen Hauptstadt den reichsten und edelsten Schmuck verleihen;"

und weiter:

„Jetzt der Unvergänglichkeit der Verdienste Lessings de» schul­ digen Tribut der gemeinsamen Huldigung darzubringen und sein

Andenken, mit den theuersten Erinnerungen unseres na­ tionalen Ruhmes vereinigt,

in sichtlicher Erkennbarkeit den

kommenden Geschlechtern zu überliefern, ist das vaterländische Unter­

nehmen, woran in wetteifernder Treue Theil zu nehmen, wir Alle, die in Lessing den großen Schriftsteller und Charakter verehren, Alle, die sich ihm verpflichtet fühlen, Alle, die das Bild des edlen

Mannes in chrem Herzen tragen, mit fester Zuversicht aufrufen;"

daß in dem „Vorwort" zu dem jetzigen Gutachten der „für die technischen Vorbereitungen zur Errichtung des Goethe-Denkmals" ab­ gezweigten Abtheilung A. des Goethe-Comite vom 14. April 1862, S. 4. der veröffentlichten Druckschrift, zwar versichert wird, daß „für

das Drei-Statuen-Project, Schiller in der Mitte, sich kein Künstler,

kein Alaun der Wissenschaft erklärt hat;"

daß das Lessing-Comite, welches die Vertretung dieser Versicherung sowohl überhaupt als auch gegenüber der eignen Majorität des Goethe-

Comite bei dessen gleich zu erwähnendem Beschluß vom

1861, lediglich jener Seite selbst überlassen muß,

umfassender Weise hier gegeben ist,

16. Juli

von der sie iit so

seinerseits in dem Glauben an

die Wahrheit und das Recht des Gedankens fest verharrt, den die zuständigen städtischen und Staatsbehörden allseitig prüften und befür­

worteten, und dessen hierauf an Merhöchster Stelle genehmigte Ver­ wirklichung von der erklärten Huld und Gnade eben dieser Allerhöchsten Stelle begleitet wird;

daß nach Erlaß des Auftufs vom 10. Januar 1862 Beiträge aus

der Nähe und Ferne sich

dem ersten Beitrage angeschlossen haben

und anschließen, den Ihre Majestät die Königin in sofortiger that­ sächlicher Bestätigung Allerhöchst Ihrer vorher ausgesprochenen Billi­ gung des Drei-Statuen-Projekts, Schiller in der Mitte, bereits am

12. November 1861 zu der von des Königs Majestät am 6. Novem­ ber 1861 Allerhöchst genehmigten Errichtung des Lessing-Standbildes in Berlin, von Breslau aus einsenden zu lassen die Gnade hatten;

daß die Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 jetzt daher seit

mehr als sieben Bionaten in factischem Vollzüge begriffen ist;

daß namentlich auch das in unmittelbarer Folge dieser Allerhöchsten Ordre publicirte Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für die Er-

315 richtung des Schiller-Standbildes die Rücksichtnahme darauf, daß die­ sem SLandbilde die Standbilder Goethes und Lessings später zur

Seite treten werden, den concurrirenden Künstlern zur ausdrücklichen Bedingung gestellt hat; daß das Goethe-Comite, nachdem es sich allen diesen offenkundigen

Thatsachen gegenüber seither vollkommen schweigend verhalten hat, in der

Eingangs erwähnten Zuschrift seines Herrn Vorsitzenden an den

Vorsitzenden des Lessing-Comite

vom 26. Mai d. I. nunmehr, un­

ter Bezugnahme auf seinen jüngsten desfallsigen Beschluß vom 23.

April 1862, der Sache nach,

die Zustimmung des

Lessing-Comite

dafür in Anspruch nimmt, daß von der Errichtung des Lessing-Stand­

bildes auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses jetzt wie­

der abgestanden,

statt dieses Platzes für die Errichtung des Lessing-

Standbildes ein anderer dazu mehr geeigneter Platz auserwählt und

zur erleichterten Erreichung dieses Zweckes

von dem Lessing-Cowite

auf den Vorschlag eingegangen werde, „aus seiner Mitte drei Mitglieder zur näheren Verhandlung mit der gleichen Anzahl von Mitgliedern des Goethe-Comite abordnen zu wollen," welcher „Commission die Vorsitzenden beider Comites

bekzutreten haben würden;" daß dieser neueste Beschlußdes Goethe-Comite vom 23. April 1862

nicht blos gegen die Grundlage und die ganze bisherige Wirksamkeit des Lessing-Comite, 'sondern auch gegen den zur thatsächlichen Aus­

führung gelangten früheren eigenen Beschluß des Goethe-Comite vom 16. Juli 1861 anstreitet,

da das Goethe-Eomite sich in diesem Be­

schlusse vom 16. Juli 1861, und.zwar nach vorheriger Kennt­

nißnahme und

Erörterung des

damaligen

Gutachtens seiner

Abtheilung A. vom 12. Juli 1861, bereit erklärte, der Errichtung

des Lessing-Standbilds auf dem Vorplätze des Königli­ chen Schauspielhauses und der dadurch dort bezweckten Ausführung des Drei-Statuen-Projeets, zuzuftimmen, wenn das Schiller-Comite auf der Errichtung des Schiller-Standbildes in

der Mitte des Platzes verharren sollte, und da die zum Vollzüge dieses Beschlusses vom 16. Juli 1861 bevollmächtigten Vertreter des

Goethe-Comite am 18. Juli 1861 vor den Vertretern des SchillerComite und den vereinigten Deputationen

des Magistrats und der

Stadtverordneten - Versammlung in der Sitzung auf dem hiesigeu Rathhause diese Zustimmung des Goethe-Comite wirklich

erklärt

haben;

daß, wenn das Goethe-Comite sich durch das nunmehrige erneuerte Gutachten seiner Abtheilung A. vom 14. April 1862 und den da­ raus gestützten Majoritäts-Beschluß seines Central-Ausschusses vom

16. April 1862 jetzt genöthigt glaubt, die durch den Vollzug des Beschlusses vom 16. Juli 1861 seinerseits definitiv

geordnete Ange-

316 legenheit nachträglich doch wieder in Frage zu stellen, oder, die eignen

Worte seines jüngsten Beschlusses vom 23. April 1862 anzuführen, „sich den Gründen des Central-Ausschusses und der Abtheilung A.

wegen Aufhebung

des Beschlusses vom 16 Juli 1861

nicht zu verschließen vermag," und in Folge dessen sich

zu dem vorangeführten Vorschläge bei dem

Lessing-Comits bewogen gefunden hat, dies allerdings nur dem Ge­

biete seiner eigenen Auffassungen und Entschließungen angehört; daß das Lesstng-Comitö jedoch seinerseits ebenwohl nur seinen Ueber­

zeugungen zu folgen vermag; daß es sich aus dem Standpunkte dieser Ueberzeugungen in keiner

Weise die Gründe aneignen kann, die in dem Gutachten der Abthei­

lung A. des Goethe - (Somite

vom 14. April 1862 des Nähern zu

entwickeln gesucht werden; daß das Lessing-Comitö vielmehr nach ernster Würdigung aller hier zu Tage liegenden rechtlichen und thatsächlichen Momente und der dadurch gebotene» Pflichten und Rücksichten sich mit diesem Gutachten und seinen Beilagen und Bezugnahmen im entschiedenen Gegensatze

befindet;

daß das Lessing-Comits es im Besondern, den desfallstgen Anfüh­ rungen gegenüber, nicht für angemessen,

passend.,

sondern

und noch weniger für un­

für wohlbegründet und würdig

hält,

daß

den

drei größten Schriftstellern und dramatischen Dichtern Deutschlands auf dem Vorplatze des Königlichen Schau­

spielhauses in Berlin drei Standbilder aufgerichtet, d.h. daß jene von Seiner Majestät dem Könige am 6. November 1861

gebilligten Wünsche und Hoffnungen erfüllt werden, die die "Unter­

zeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli 1861 damals vor Aller-

höchstdemselben in den Worten aussprachen:

„Wie für die Bildung

und Veredlung des deutschen Geistes Lessing, Schiller und Goe­ the mit vereinigten Kräften unvergänglich fortwirken, so mögen

auch ihre kunstverklärten Gestalten sich jetzt hier in ungetrennten

Ehren erheben, zur Freude des Vaterlandes und zum neuen Ruhm und Schmuck dieser deutschen Hauptstadt;" daß die am 6. November 1861

von Seiner Majestät dem Könige

Allerhöchst genehmigte Dreistellung der Standbilder Lessing, Schil­ ler und Goethe auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspiel­

hauses hier überdies jetzt zum drittenmale eine Kunstaufgabe erneuert, die an einer andern Stelle hiesiger Stadt für die Standbilder von

Bork, Blücher und Gneisenau in ihrer Weise thatsächlich längst gelöst, und wieder an einer anderen Stelle und in anderer Weise sür

die Standbilder von Thaer, Schinkel und Beuth ihrer thatsäch­ lichen Lösung nahe ist;

317 diesen

aus

Gründen

erklärt das Lessing-Comite, dem einstimmigen Anträge seines Ausschusses einstimmig betretend, daß es bei aller Bereitwilligkeit und dem lebhaften

Wunsche, zur besten Ausführung des durch

die Allerhöchste Ordre vom 6.

November 1861 genehmigten vaterländischen Werkes mit dem Goethe-Comite

jederzeit einträchtig zusammen zu wirken,

auf den ihm in der Zuschrift des

Herrn Vorsitzenden des Goethe-Comite vom 26. Mai 1862 mitgetheilten,

Ausführung selbst entgegentretenden Vorschlag einzu­

dieser

gehen, sich außer Stande sieht. seinen Ausschuß, diese Erklärung eines Auszugs aus dem Protokolle

Zugleich beauftragt das Lessing-Comite

Goethe-Comitö durch Mittheilung

dem

der heutigen Sitzung

zur Kenntniß zu

bringen.

Zur Ergänzung des Thatbestandes bleibt zuzusetzen:

Der von

den Herren Hotho, v. d. Hude und Hermann Grimm

in der Sitzung des Goethe-Comite vom 7. April 1862 gestellte Antrag lau­ tet nach Angabe der bei Gustav Lange hier gedruckten Schrift:

der Kunstabtheilung des Goethe-Comites u. s. w."

„In Anbetracht, schlüsse

„Gutachten

S. 5. wörtlich:

daß durch die am 16. Juli 1861 gefaßten Be­

die wahren Grundlagen

des Goethe-Comite als

beseitigt, anzusehen wären, beschließt das Goethe-Comite von feinem Plane, die Goethe-Statne auf dem Gensdarmenmarkte aufzu­

stellen, abzugehn, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, einen andern des Dichters würdigen Platz zu gewinnen,

und mit allen Kräften die Ausführung der Statue zu betreiben."

In der Sitzung der Kunstabtheilung des Goethe-Comilö vom 14.

April 1862 ist dieser Antrag, — wie es S. 13. derselben Schrift heißt, —

„in folgender amendirter Gestalt" einstimmig angenommen worden: „In Anbetracht, daß durch

schlüsse

das

Gelingen

Goethe-Denkmals

die am 16. Juli 1861 gefaßten Be­

der

künstlerischen

Wirkung

des

unmöglich gemacht zu werden scheint,

und somit die wahren Grundlagen des Goethe-Comitö als beseitigt anzusehen wären, beschließt das Goethe-Comite u. s.. w."

von hier

an ganz wie vorstehend.

„In

der demnächst zusammenberufenen Sitzung des Central-Aus­

schusses des Goethe-Cornitö vom 16. April 1862, wurde, — wie dieselbe

Schrift S. 15.

weiter bekundet,



Maercker folgender Beschluß gefaßt:

„unter dem Vorsitz des

Professors

318 „Der General-Versammlung ist folgender Antrag vorzulegen:

„a. Da nach einstimmiger Ansicht der Abtheilung A. durch die am 16. Juli 1861

gefaßten Beschlüsse der General-Versammlung

das Gelingen der künstlerischen Wirkung des Goethe-Denkmals unmöglich gemacht wird, beschließt das Goethe-Comitv" u. s. w.

von hier wieder ganz

wie im Anträge

der Herren Hotho,

v. d. Hude und Herman» Grimm und der Abtheilung A. „b. Die beiden andern Anträge der Abtheilung A.,

betreffend die

Aufstellung des Goethe-Denknials auf dem Opernplatz »nd die Verhandlung

des Goethe-Comits mit dem für eine Lessing-

Statue zusammengetretenen Comite, wurden gleichfalls zur Em­ pfehlung an die General-Versammlung durch Stimmenmehrheit angenommen." Der Unterschied

in der Begründung des Antrags der Herren Hotho,

v. d. Hude und Hermann Grimm vom 7. April 1862 und

schlusses der Kunstabtheilung

des Be­

oder Abtheilung A. des Goethe-Comite vom

14. April 1862 ist in den hier in gesperrter Schrift gedruckten Stellen hin­ länglich klar gestellt.

Die Begründung dieses Abtheilungs-Beschlusses vom

14. April 1862 selbst ist in dem Majoritäts-Beschluß des Central-Ausschusses

vom 16. Zlpril 1862 nicht ganz richtig wiedergegeben; dort heißt es:

„un­

möglich gemacht zu werden scheint," hier: „unmöglich gemacht

wird."

Druck von Ernst Kühn in Berlin.