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German Pages 325 [328] Year 1863
Lessing, Schiller und Goethe.
Erörterungen in Folge deS Widerspruchs gegen
die Vereinigung ihrer Standbilder in Berlin und
gesammelte Blätter
zu Lessings Andenken. Zwei Abtheilungen. Mit Beilagen.
«on
Friedrich B l o e m e r.
Berlin. Verlag von Georg Reimer. 1863.
Obgleich die Erörterungen in der ersten Abtheilung dieser
Schrift an eine bestimmte Veranlassung anzuknüpfen und einen nächsten Zweck im Auge zu behalten hatten, so können sie doch
auch
zur Würdigung von Interessen dienen,
die über diesen
Ich rechne dazu die Geistesge
nächsten Zweck hinauSliegen.
meinschaft unserer drei größten Schriftsteller und dramatischen
Dichter, an deren Ermittelung ich in sofern glaubte Theil neh
men zu dürfen, als ich mich bestreben würde, jedem von ihnen
gerecht zu werden. Die zweite, ansschließlich auf Lessing bezügliche Abthei
lung zerfällt in die Abschnitte:
Lessing in den Augen einiger
seiner Verehrer von 1769 bis 1862, — aus Lessings Leben, und — Lessings Tod.
Dem ersten Abschnitte
wird manches
werthe Blatt fehlen, das eine bessere Vorbereituug und freiere Muße nickt übersehen hätte. sicht bitten. so reich
Gesammelte ist indeß für
sich allein
an Dank und Liebe, daß ich es auch in seiner Un
vollständigkeit biete.
DaS hier
Ich kann deshalb nur um Nach
verwandten Empfindungen
mit Vertrauen dar
Der zweite Abschnitt ist bestimmt, uns nochmal in dem
Herzen Lessings, wie in einem aufgeschlagenen Buche lesen zu
lassen.
Er enthält Auszüge meist auS LesfingS eigenen Briefen,
rv
die uns den Sohn und Bruder, den Freund und Gatten, den Jüngling und den Mann unmittelbar vor Augen stellen. Der britte Abschnitt erinnert daran, wie ein früheres Geschlecht den zu früh Verlomen zu ehren und zu feiern wußte. Die Beilagen geben zu den betreffenden Anführungen der ersten Abtheilung die urkundlichen Beweise. Das über Zweck und Inhalt dieser Schrift, die im Uebrigen, wie jede andere, für sich selbst zu sprechen hat. Warum ich sie dessenungeachtet unter Nennung meines Na mens herausgebe? Weil die Ansichten, denen ich in der ersten Abtheilung entgegentreten mußte, von den Namen, die zu de ren Stütze anderseitig angentfen find, in der Erörterung nicht mehr zu trennen waren, und es mir unter diesen Umständen aus Gründen des gegenseitigen Rechts verboten schien, auf die erhobenen Einwürfe anders, als in gleicher Offenheit, zu antworten. Berlin, den 1. November 1862.
Inhalts-LerzeichniI. Abtheilung. Erörterungen. ------------
Seite
Einleitung--------------------------------------------------------------------------Die künstlerische Unausführbarkeit: Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe Comite vom 14. April 1862
3
10
Gutachten de« Bildhauer«, Professor« Albert Wolfs.................................15
19
Gutachten mehrerer hiesiger Bildhauer Gutachten de« Bildhauer- I. Franz
..........................
Gutachten de« Professor« G. öüderitz.....................
....
20 21
Gutachten det Bildhauers H. Heidel..........................................................24 Gutachten de« Professor« A. Wredow..........................................................26 Gutachten des Baurath- H. Hitzig...............................................................27
Gutachten de- Professors H. F. Maß mann...............................................27 Sachliche- Resultat.................................................................................... 30
Die literaturgeschichtliche Unangemessenheit ................................... 33 Die Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes...................... 39 Der Brief bei Herrn Jacob Grimm.......................................................... 47
Ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten?.... so Ob Lessing und Goethe nicht zu einander gehören?.................. 66 Ob Schiller unter den Dreien nicht die Mitte behaupten kann? 62 Da- Gutachten der Professoren Boeckh und Trendelenburg . . . 106 Personen und Sache ........................................................................ 112 DaS Schauspielhaus ........................................................................ 11s II. Abtheüuug. Gesammelte Blätter zu Lessings Andenken.
Vorwort............................................................................................. 127 Lessing in den Augen einiger seiner Verehrer von 1769 biS 1862: Herder...............................................................................................129 Gugel ............................................................................................... 132 Mathias Claudius .......................................................................136
VI Seite.
Leisewitz . Christian Gottfried Schütz Johann Friedrich Schink ....................................................... Friedrich Schlegel ................................................... Johann G ottfried Eichhorn Schelling ................................................................................... Lud wig Tieck .............................................. Platen . Dr. Ludwig Wachter Wolfgang Menzel Heinrich Heine Dr. G- Riesser Dr. Petri Friedrich Theodor Vischer Daniel Schenkel .... ... Heinrich Laube . . . ........................................................ K. R. Hagen dach . . August Nodnagel Gustav Schwab . ................... Hillebrand - - . . Dr. Heinrich Gelzer ... R. E. Prutz Arnold Rüge ... ... Eduard Devrient Johann Georg Theodor Gräße.............................................. Dr. Th. W. Danzel G. E Guhrauer Berthold Auerbach .............................................. Johann Scherr Dr. Heinrich Kurz F. C. Schlosser Gervinuü . . Radowitz ... Carl Schwarz Dr. Georg Weber ..................................... Lewes Moritz Carriere Julian Schmidt .......................................... Dr. Iohann Wilhelm Schaefer Adolf Stahr ................................................... Aus dem rauhen Hause Werner Hahn .............................................. Moritz Rapp . .
- VH Bette.
Aus dem
Wageuerschea Staat-- and Gesellschafts-Lexikon
216
Rudolph Gottschall....................................................................................217 Bluntschli.........................................................................................................218
.............................................................................................. 221
Carl Goedeke Franz Sandvoß
.........................................................................................221
C. Hehler.........................................................................................................222 Dilmar.............................................................................................................. 222 Heinrich Düntzer......................................................................................... 225
Gustav Freitag...............................................................................................226 Heinrich Lang...............................
226
Dr. Dietrich '.........................................
232
Richard Gosche...............................................................
233
Aus Lessings Leben: Die Selbstbiographie......................................................................................... 239
Der Sohn und Bruder....................................................................................240 Der Freund
.
.
.
......................................................................................... 252
Die Reife de- Leben-........................................................................................ 255
Lessing- Braut................................................................................................... 256 Lessing- Frau....................................................................................................257 Der Gatte und Vater....................................................................................258 Die letzten Jahre............................................................................................... 260
LesfingS Tod: Mendelssohn an Carl Lessing...............................................................263 Derselbe an Henning-........................................
264
Herder an Mendelssohn
265
Au-
dem deutschen Mercur
.......................................................................... 266
Die deutschen Bühnen zu Berlin, Hamburg, Schwedt, Ellrich
267
Beilage». Brilagt
I.
.
.
Seit« -...............................................................................................275
,
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UI................................................................................................ 279 IV. .................................................................... - .... 283 V................................................................................................ 286 VI................................................................................................ 289 VH................................................................................................ 291
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I. Abtheilung. Erörterungen.
Einleitung.
*öi6 in die Mitte des vorigen Jahres 1861 wurde hier mit stei gender Erregtheit darüber gestritten, ob das künftige Schiller-Standbild den Standpunkt, der ihm am Jubelfeste des Dichters, dem 10. November 1859, in der Mitte des Vorplatzes des hiesigen Schauspielhauses ge währt worden, unverändert behalten, oder ob es, in Folge der später beschlossenen Errichtung auch eines Goethe-Standbildes auf diesem Platze, von dem mittleren Standpunkte nachttäglich rechts oder links zur Seite weichen müsse. Die vorgeschlagenen Ausgleichungswege waren von den zunächst Betheiligten, dem Schiller- und dem Goethe-Comitö, nicht be tteten worden. Beide Comites verweigerten einstimmig in die Verbin dung des Schiller- und Goethe-Standbildes zu einer Gruppe einzu willigen. Auf die Verlegung des letzteren Standbildes von dem Gensdarmenmarkte nach einem andem öffentlichen Platze Berlins hatte zuletzt noch das Schiller-Comite in einer Eingabe an den Minister der geist lichen, Unterrichts- und Medirinal-Angelegenheiten, vom 1. September 1860 hingewiesen, indem es zugleich seinen dringenden Anttag erneuerte: „daß mit der Ausführung des Schiller-Denkmals auf der bisherigen Grundlage nunmehr, ohne Auffchub und Rücksicht auf noch andere Zwecke, ensschieden und energisch vorgegangen werde." Das Goethe-Comite lehnte diesen Vorschlag unbedingt ab. „Auf diesen Plan," erklärte es dem Magistrat am 12. September 1860, „können wir nicht eingehen, ohne unsern Allerhöchst sancttonirten Grundgedanken und den ganzen Zweck unsers Bestehens aufzugeben." Zwei Monate später, am 30. November 1860, wandte sich das Schiller-ComitL unmittelbar an Seine Majestät dm König mit der Bitte: „daß der durch die feierliche Legung de» GtundfteinS bereits geweihte Platz vor der Treppe des Königlichm Schauspielhauses für das Schiller-Dmkmal festzuhalten sei;" und nach Ablauf femerer fünf Monate gelangte es, in Beantwortung eines nmm 1*
4 Anschreibens des Magistrates vom 25. April 1861 zu jener in Nr. 124 der Vossischen Zeitung vom 31. Mai 1861 und fast gleich zeitig auch in Nr. 22 des Berliner Communal - Blattes veröffentlichten Schlußerklärung, die den damaligen wahren Stand der Dinge für die ohnehin erschütterten Hoffnungen auf eine bald glückliche Lösung nur zu sehr verdeutlichte: „Nach alledem," so lautete diese mit einem Rückblick auf bestimmte thatsächliche Vorgänge verbundene Schlußerklärung deS Schiller-Comite an den Magistrat vom 18. Mai 1861, „sind wir nicht in der Lage, in irgend welche neue Verhandlungen eintreten zu können. Wir erwarten die Allerhöchste Entscheidung auf unser an des Königs Majestät gerichtetes lJmmediatgesuch vom 30. November v. I. Wir können unterliegen, unsere Mitbürger werden uns dafür niemals verantwottlich machen. Nimmer aber soll uns der Vorwurf treffen, daß wir unsere Ueberzeugung einer pflichtwidrigen Nachgiebigkeit zum Opfer gebracht hätten. Und wir glauben, daß gerade des Königs Majestät es zu würdigen weiß, rotnn Männer an ihrer Ueberzeugung sowie an der ihnen übertragenen Verpflichtung unverbrüchlich festhalten."
So hatte der Stteit lähmend und störend nach beiden Seiten fast ein volles Jahr fortgedauert und der würdigsten Angelegenheit allmählig einen Stempel aufgedrückt, den nur ihre schadenfrohen Gegner nicht be klagten, als eine hier bereits im Anfänge 1861, bei Ernst Kühn, Kronenstraße 33, als Manuskript gedruckte anonyme Schrift: „Drei DichterStandbilder in Berlin, Ein Wort zur Einigung"') nun auch in weiteren Kreisen den Vorschlag zu begründen suchte, dadurch den Frieden herbei zuführen, daß man den beiden Standbildern für Schiller und Goethe auf dem Vorplatze des hiesigen Königlichen Schauspielhauses noch ein drittes Standbild für Lessing hinzufüge. Das Schiller-Standbild behalte dann den ihm in dem Art der feierlichen Grundsteinlegung in der Mitte des Platzes erworbenen Besitzstand und das Goethe-Standbild die ihm hier mit diesem Standbilde zugesicherte locale Gemeinschaft. Zugleich werde durch diese Erweiterung der statuarischen Doppelstellung zu einer Dreistellung ein Art der Gerechttgkeit gegen denjenigen vaterländischen Schriftsteller geübt, der, vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin, mit Schiller und Goethe durchaus die gleiche nationale Huldigung ver diene und dem Preußen, und vor allem die Hauptstadt Preußens, über dies zu ganz besonderer Dankbarkeit verpflichtet sei. Auf die nachfol gende unmittelbare Anregung eines seiner Mitglieder") zog der Magi*) Beilage I.
”) Beilage III.
5 [trat mtb die Stadtverordnetm-Versammlung diesen Vorschlag später in den Kreis amtlicher Erwägungen. Einem darauf gerichteten Ersuchen der letzteren Behörde entsprechend, bewirkte sodann der Magistrat, daß der Vorschlag in einer vereinigten Sitzung von dazu erwählten Bevollmächtigten seiner selbst, der Stadtverordneten - Dersammlurig und deS Schiller- und Goethe-Comitö gemeinschaftlich berathen wurde. DaS Resultat dieser gemeinschaftlichen Berathung war seine allseitige An nahme.') Dann gaben das Magistrats-Collegium und das Plenum der Stadtverordneten - Versammlung dem in jener vereinigten Sitzung allseitig gebilligten Vorschläge, nach vorhergegangener nochmaliger eigener Berathung, ihre korporative Zustimmung, und zwar mit der Folge, daß der Magistrat bei dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheitkn auf die an Allerhöchster Stelle zu bewirkende Genehmigung des Vorschlags nunmehr, ant 30. October 1861, be stimmte Anträge stellte.") Diese Anträge des Magistrats wurden auf die Befürwortung des bezeichneten Herrn Fach-Ministers am 6. Novem ber 1861 Allerhöchst genehmigt. Gleichzeitig wurde an Allerhöchster Stelle die Constituirung eines Comite zur Errichtung eines LessingStandbildes in Berlin zur Seite des künftigen Schiller-StandbildeS gestattet und den Bestrebungen dieses Comite die mit erbetene Aller höchste Huld und Gnade ausdrücklich zugefichert.'") Drei Tage später, am 9. November 1861, richtete der Magistrat an das Schiller- und das Goethe-Comitö das nachfolgende gleichlautende Anschreiben: „Dem verehrlichen Comitö beehren wir uns ganz ergebenst mitzutheilen, daß auf Grund der zwischen uns und Wohldemselben in Betreff der Denk mals-Angelegenheit gepflogenen Unterhandlungen, unserm Anträge gemäß, durch Allerhöchste Ordre vom 6. November d. I. das sogenannte Drei-Statuen-Project nunmehr genehmigt worden ist. Seine Majestät der König haben demnächst zu befehlen geruht, daß das Standbild Schillers über dem bereits gelegten Grundstein errichtet, oder vor dem Schauspielhause um etwas vorgerückt werde, die Standbilder von Goethe und Lessing aber demselben zur Seite treten. Zugleich haben Seine Majestät genehmigt, daß das Concurrenz-Ausschreiben für das SchillerDenkmal zum 10. November, als dem Jahrestage der Grundstein legung, von uns publicirt werde, und haben endlich die Bildung des Comitö für das Lessing-Denkmal huldreichst gestattet. Wir sprechen dem verehrlichten Comitö unsere aufrichttgste Genugthuung über diese erfreuliche Wendung einer so lange venttlirten Angelegenheit aus, und hoffen,
•) Beilage V.
") Beilage VII.
•••) Beilage VIII. und VI.
6 daß Wohldaffelbe daraus neuen Muth schöpfen wird, der baldigen völli
gen Erledigung einer großen nationalen Angelegenheit mit uns alle seine Kräfte
zu
constituirte
In einem öffentlichen Aufrufe vom
Lessing-Comitv. forderte
Am 23. November 1861
widmen."
sich
das
10. Januar 1862
es zu Beiträgen für ein Lessing-Standbild auf, das vor dem
Königlichen Schauspielhause hier
„in harmonischer Verbindung mit den
Standbildern Schillers und Goethes" errichtet werden solle.')
Auf die-
fen öffentlichen Aufruf und zu der darin bezeichneten Bestimmung sind
dem Lessing - Comitö Beiträge von Nah und Fern eingesandt und von
demselben in Empfang genommen worden.
Seinerseits hatte der Ma
gistrat das Concurrenz-Ausschreiben für das Schiller-Standbild bereits am 10. November 1861 letn die Rücksichtnahme
publicirt und darin den concurrirenden Künst-
darauf,
„daß zu beiden Seiten des Schiller-
Denkmals die Statuen von Goethe und Lessing später ihre Stellen fin den sollen," zur ausdrücklichen Bedingung gestellt. Concurrenz endlich ist thatsächlich eingetreten,
Die ausgeschriebene
und so für die Ausfüh-
rung der Dreistellung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes
vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin seit mehr als
sieben
Monaten durch Wort und That in aller Offenkundigkeit und Freudigkeit
gewirkt worden.")
Es war
dem
20. Februar 1862
vorbehalten,
auf
dieses Bild
einer einträchtigen Thätigkeit einen ersten Schatten zu werfen.
In der
Spenerschen Zeitung dieses Tages erschien folgende Mittheilung: „Obschon über die Errichtung der Denkmäler für Schiller, Goeche
und Lessing seit längerer Zeit nichts verlautete, so hat doch die Angele genheit nicht stille gestanden.
Wie bekannt, waren sämmtliche betreffende
Comites darüber einig geworden, daß die Statuen der drei LiteraturHeroen zu einer Gruppe vereinigt werden sollten und hiermit waren die bis dahin zwischen dem Schiller- und dem Goethe-Comite obwaltenden
Sie sind aber in erweiterter Gestalt wieder her
Differenzen beigelegt.
vorgetreten, als es sich um die Ausführung der Gruppe handelte.
Ein
Theil der Betheiligten verlangt nämlich, daß die Schillerstatue, welcher
willig
der Mittelplatz
eingeräumt
stellenden Statuen Goethes
war,
über
und Lessings
die ihr
zur Seite zu
an Größe hervorrage,
und
es ist dafür unter Anderem angeführt worden, es erfordere dies selbst verständlich das Gesetz der Schönheit.
Sowohl das Goethe- als auch
daö Lessing-Comitv sind mit diesem Vorschläge nicht einverstanden und
*) Beilag« IX.
•*) Beilagen X. und XI.
7 erklären, die von ihnm monumentarisch, vertretenen Männer würden dadurch gegen Schiller unverkennbar zurückgesetzt werden, weshalb sie in die Ausführung des qu. Projektes nicht einwilligen könnten. Die An gelegenheit ist auch, wie es nicht anders sein konnte, zur Kenntniß Seiner Majestät gebracht worden, ohne daß von Allerhöchster Seite indessen eine Entscheidung erfolgt wäre. Jedes der genannten ComitLs ist nunmehr im Begriff, fernen eigenen Weg und Planzu verfolgen. Die Mitglieder des Schiller-Comitö beharren natürlich auf dem Gedanken, der Schillerstatue den ihr ursprünglich zugedachten Platz vor dem Schauspielhause auf dem Gensdarmenmarkte unverändert zu belassen, wogegen das Goethe-ComitL, die Gemeinsamkeit aufgebend, den Platz zwischen dem Opernhause und der Königlichen Bibliothek zur Aufstellung seines Monumentes ausersehen hat und wozu auch die Allerhöchste Genehmigung nicht auöbleiben wird. Das Lessing-Comite dagegen hat sich noch nicht entschieden, sondern faßt zwei eventuelle Plätze für seinen Zweck ins Auge. Einer derselben ist der Platz vor der Ricolaikirche, zu dessen Gunsten der Umstand maß gebend ist, daß Lessing, dem alten Berlin angehörig, an einer Stelle gefeiert »erben müsse, die dem Mittelpunkt der Hauptstadt angehöre; andererseits wird auch an eine Stelle vor dem Universitätsgebäude ge dacht, und zwar inmitten der Umgitterung nach dem Opernplatze zu, und man hofft, daß die Königliche Genehmigung in dem Falle eines abzielenbcn definitiven Beschlusses nicht ausbleiben werde. Das Motto für die zuletzt bezeichnete Aufstellung des Denkmals ist in dem wissenschaft lichen Charakter Lessings zu suchen. Diese Ausführung dürfte indeffen weniger Chancen, als die andere für sich haben, da der ihr zu Gmnde liegende Gesichtspunft der literarischen Bedeutung Lessings nur nach einer Sette hin entspricht." Am nächstfolgende» Tage wiederholte die Bossische Zeitung den Wottlaut des Vorstehenden, indem sic zusetzte: „Diese Mittheilung ent hält eine ganze Wcifje unwahrer, jeden Grundes entbehrender Behaup tungen. Im Schiller-Comite ist, soviel wir wissen, niemals die Fordenmg gestellt worden, daß die Statue Schillers an Größe über die Goethes und Lessings hervorragen solle; selbstverständlich können daher auch keine Verhandlungen darüber stattgesunden haben, und am wenigften kann darüber Seiner Majestät dem Könige Beucht erstattet worden sein. Eben so wenig ist im Lessing - (somit«; von einer Abrückung der Lessingsstatue nach dem Platze vor der Nicolaittrche oder vor daS UniversitStsgebäude auch nur die Rede gewesen. Weder daS Goethe- noch daS Lesfing-Comitü haben ttgend eine Mittheilung des Schiller-ComW
8
erhalten, welche zu Differenzen in erweiterter Gestalt hätte Veranlassung geben können. Die ganze Mittheilung der Spenerschen Zeitung beruht daher auf einer völlig schamlosen Mystifikation."
Die Spenersche Zeitung selbst erklärte in ihrer Nr. 45 vom 22. Fe bruar 1862, was folgt: „Die Nachricht von neuen Zerwürfnissen in Angelegenheit der drei Standbilder, welche zu unserm Bedauern und ohne Prüfung der Re daction (die Nachricht lief erst spät Abends, von sonst glaubwürdiger Seite ein) in unserer Nuiymer vom 20. Februar Platz gefunden hat, entbehrt, wie wir nach genauer Information hören, der Begründung, und führt nur auf die Einfälle einzelner Personen zurück. Wir find selbstredend weit entfernt, das Einigungswerk, das zwischen den drei Comites glücklich zu Stande gekommen ist, irgend wie in Frage stellen zu wollen."
Für Diejenigen, die der Haltung der Spenerschen Zeitung in dieser Angelegenheit gefolgt waren, bedurfte es einer solchen Versicherung nicht. „Der glückliche Gedanke, durch Errichtung eines Lessing-Denkmals, in Verbindung mit dem Schiller- und Goethe-Monument, einen langen unerquicklichen Streit zu schlichten und zugleich eine Ehrenschuld unseres Volkes gegen den preußischen Dichter und Denker abzutragen," •— so war die Spenersche Zeitung bereits in ihrer Nr. 165 vom 18. Juli 1861 für diese Angelegenheit eingetreten, — „gewinnt immer mehr an Terrain. Wir haben diesen Gedanken von vorne herein fteudig begrüßt, und nachdem nicht blos die städtischen Behörden denselben begünstigen, sondern auch unter allen Parteien sich immer mehr Stimmen dafür zu erheben scheinen, namentlich aber von Allerhöchster Stelle eine fried liche Einigung so lebhastbetont ist, hegen wir an dem endlichen Ge lingen kaum noch Zweifel. Jedenfalls haben wir die volle Ueberzeugung, daß alle wahren Freunde und Förderer der patriotischen Unternehmungen darüber die lebhafteste Genugthuung empfinden werden." Die Spenersche Zeitung durfte es hiernach in ihrer, die Mittheilung vom 20. Februar 1862 desavonirenden Erklärung vom 22. Februar 1862 mit dem voll sten Recht als „selbstredend" bezeichnen, daß sie weit entfernt sei, daS glücklich zu Stande gekommene Einigungswerk ihrerseits irgend wie nachträglich „wieder in Frage stellen zu wollen." Weder gegen diese letzte Erklärung der Spenerschen Zeitung vom 22. Februar, noch gegen jene der Vossischen Zeitung vom 21. Februar
9 1862 ist eine Reklamation erfolgt. Die Mittheilung in der ersten Zei tung vom 20. Februar 1862 ist also gerichtet. Auch ist die moralische Unmöglichkeit irgend einer Gemeinschaft zwischen dem unbekannt gebliebenen Urheber derselben und den Motiven zu den Verhandlungen im Goethe-Comitö, die anderthalb Monate später, 7. bis 23. April 1862, folgten, hier nicht erst zu documentiren. In Folge und zum Theil als Resultat dieser Verhandlungen ist indeß seitdem eine hier bei Gustav Lange, Friedrichstraße 103, gedruckte Schrift erschienen, unter dem Titel: „Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-Comit^ über die Aufstellung der drei Standbilder von Schiller, Goethe und Lessing auf dem Gensdarmenmarkte in Berlin, nebst Beilagen," worin die durch die Allerhöchste Cabinetsordre vom 6. November 1861 genehmigte Dreistellung jener Standbilder nunmehr öffentlich als künstlerisch unausführbar und litera turhistorisch unangemessen bezeichnet wird. Es soll in Nachfolgendem der Beweis versucht werden, daß Beides unbegründet ist.
10
Die künstlerische Unausführbarkeit
Gutachten der Kunstabtheilung deS Goethe-Comits vom 14. April 1862. Dieses Gutachten giebt für die künstlerische Unausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildem Schillers und Goethes vier Gründe an. Es sind die folgenden:
„Die künstlerische Schwierigkeit, zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer besonderen Geltung komme." Hat diese Schwierigkeit etwa früher davon abgehalten, die Errich tung des Goethe-Standbildes neben dem Schiller-Standbilde in An spruch zu nehmen? „Wenn die Möglichkeit sich dargeboten hat", heißt eö in der Jmmediat-Eingabe des späteren Goethe-Comite, an Seine König liche Hoheit, den damaligen Prinz-Regenten, vom 27. Januar 1860, „eine derartige Zusammengehörigkeit zweier deutscher Männer auf die würdigste Weise und auf dem schönsten Platze mit dem idealen Hinter gründe einer ächt antiken Säulenstellung, neben einer prächtigen Frei treppe, in Standbildem zu verwirllichen und allen kommenden Geschlech tern zu begeisternder Anregung lebendig vor Augen zu stellen, so würde man, unsers Erachtens, nicht recht thun, sie unbenutzt vorübergehen zu lasten. Auch glauben wir, daß Berlin einen gerechten Vorwurf auf sich laden würde, wenn cs nicht Goethe neben Schiller eine Statue errichtete." Ist hier eine Ahnung von der jetzt betonten künstlerischen Schwierigkeit, zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die Natur jeder dieser beiden darzustellenden Persönlichkeiten zu ihrer besondrem Geltung komme? Aber die Wirklichkeit dieser damals nicht geahnten künstlerischen Schwierigkeit der Nebmeinanderstellung zweier Statuen einmal zugegeben, wie in aller Welt kommt dieselbe jetzt an die Spitze der Gründe, wodurch die künstlerische Unausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder neben einander dargethan werden soll? Oder schließt die künstlerische Schwierigkeit einer Doppelstellung von Statuen die künstlerische Unmöglichkeit einer Dreistellung nothwendig in sich? Weil es für den Künstler schwer wäre, zwei Standbüder neben I
11 emonbei zu stellen, sollte eS ihm unmöglich sein, ihnen noch ein britteS zuzufügen? Der Vordersatz dieses ersten Grundes der Kunstabthellung des Goethe-Comite gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Drei stellung läßt sich also mit der früheren Ansicht ihrer Mitglieder eben so schwer vereinigen, als die Schlußfolge, die sie jetzt damit verbinden, offmbar unhaltbar ist. „Die lineare Aufstellung von drei Statuen kann als eine durchaus ungünstige Aufgabe bezeichnet werden." Wer sagt, oder hat gesagt, daß die Aufstellung der Standbilder für Lessing, Schiller und Goethe vor dem Königlichen Schauspielhause hier eine lineare sein soll? Das Jmmediat-Gesuch der späteren Mit glieder des Goethe-Comite vom 27. Januar 1860 hat zu seinem ausdrücklichen Gegenstände nichts mehr und nichts anderes, als: „Ein gesondertes Denkmal für Goethe, gleichwie für Schiller, auf dem Gensdarmenmarkte," und kein anderes Gesuch als dieses ist am 11. Februar 1860 Allerhöchst genehmigt worden. Ebenso wurde am 24. Juli 1861 von den Unterzeichnern der späteren Jmmediat - Eingabe nichts mehr und nichts anderes erbeten, als: „Die Errichtung eines Lessing-Standblldes in Berlin, auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses, als des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe." Endlich hat das Schiller-Comitö am 18. Juli 1861 vor den vereinigten Deputationen des Magistrats und der Stadtverordneten-Dersammlung und vor den Vertretern des Goethe - Comitö durch seine Bevollmächtigten sich bereit erklärt, daß der am 10. November 1859 für das SchillerStandbild gelegte Grundstein in derselben Linie um etwas vorgerückt werde, sofern dieses Vorrücken von der Mitte der Freitreppe des Schau spielhauses nach der Markgrafenstraße zu, bei der Errichtung der drei Standbilder für Lessing, Schiller und Goethe aus ästhetischen oder anderen Gründen etwa nöthig erscheinen möge. Dann ist in dem längst veröffentlichten Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für die Errich tung deö Schiller-Standbildes den concurrirenden Künstlern die Rück sichtnahme darauf zur Bedingung gestellt werden, „daß zu beiden Seiten des Schiller-Denkmals später die Statuen von Goethe und Lessing ihre Stelle erhalten sollen, so jedoch, daß jedenfalls das Schiller-Denkmal, nach vorher angegebenen näheren Raumbesttmmungen, die Mitte des Platzes behauptet." Von einer linearen Aufstellung der drei Stand bilder Lessings, Schillers und Goethes, davon, daß diese drei Stand bilder dort in derselben graben Linie nebeneinander aufgestellt werden sollen, ist bisher nie und nirgendwo die Rede gewesen. Ueber den fünf»
II.
12 tigen Anschluß des Goethe- und des Lessing-Standbilds an daS SchillerStandbild steht zur Zeit nur das Eine fest, daß dieses Standbild zwischen jenen beiden andern die Stelle vor der Mitte der Freitreppe behält, während die Frage, ob die Dreistellung im Dreieck, in einem Kreisbogen, oder wie sonst, zu erfolgen habe, noch eine völlig offene ist, die die zuständigen Behörden vor dem demnächstigen Erlaß der Concurrenz-Ausschreiben für das Goethe- und Lessing-Standbild entscheiden werden. Aus der Ungunst einer linearen Aufstellung dreier Standbilder, die für die Aufstellung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin nicht beschlossen ist, kann also gegm diese Aufstellung mit Erfolg nicht argumentirt werden. Der zweite Gmnd des Gutachtens der Kunstabtheilung deS Goethe-Comitü ist demnach so hinfällig wie der erste.
III.
„Die Schwierigkeit, ja man kann sagen die Unmöglichkeit, daß drei verschiedene Künstler drei solche Aufgaben auf selbständige und eigenthümliche Weise lösen, und die ganze Zusammen stellung, wie diese auch immer beschaffen sei, zu einer gemein samen, einfachen Totalwirkung gelangen könne." Warum ist dieser nämlichen Schwierigkeit bei der Aufstellung der drei Standbilder für Thaer, Schinkel und Beuth auf dem Platze vor der Königlichen Bau-Akademie hier bisher gar nicht gedacht worden? Ist die Ausführung eines jeden dieser drei Standbilder nicht einem anderen Künstler anvertraut gewesen, oder noch anvertraut, ist hier nicht sogar bei Einem Standbilde daö Postament und das Standbild selbst verschiedenen Künstlern zngetheilt worden? Wenn sich diese Art der Ausfühmng mit der schuldigen „Rücksicht auf die weit über die Grenzen des Vaterlandes mit Recht gerühmte Bildhauerschule Berlins" nicht unverträglich gezeigt, wenn weder „ sämmtliche hervorragende Bildhauer Berlins", noch „weitaus der größte Theil" derselben, wenn nicht ein einziger von allen im Interesse der Kunst oder der Ehre seines Standes gegm diese Ausführung Einspruch erhoben, oder auch nur ein Bedenken dagegen geltend gemacht hat, warum soll sie jetzt mit einem Male für künstlerisch unmöglich gehalten, für die Künstler-Ehre verletzend gefunden werden? Sicherlich sind die Richtungen, Bestrebungen und Leistungm, wofür hier Thaer, Schinkel und Beuth Standbilder errichtet werden, wmiger innerlich mit einander verbunden, als es die Richtungm, Be strebungen und Leistungen Lessings, Schillers und Goethes sind. Konnte die Ausfühmng der zu einer Trilogie vereinigten Standbilder der Re präsentanten der Landescultur, der Kunst, des Handels und der Industrie
18 vor der Königlichen Bau-Akademie ohne Versündigung an der „ganzm Zusammenstellung" und an der „gemeinsamen einfachen Totalwirkung" verschiedenen Künstlern übertragen und von ihnen übernommen werden, konnten nammtlich so geschätzte Künstler wie die Herren Fr. Drake, SchievelbM und Bläser noch in die Concurrenz für das diese Trilogie ergänzende Standbild Schinkels eintreten, nachdem über die beiden Stand bilder Thaers und BeuthS bereits vorher anderweitig verfügt war: so wird hoffentlich auch ein Gleiches geschehen sönnen, wo die Verbin dung der zu vereinigenden Standbilder unserer drei größten Schriftsteller und dramatischen Dichter vor dem Königlichen Schauspielhause, in der ausführenden Kunst gewiß überall vorbereitete und gemeinsame Vor stellungen findet. Die hier hervorgehobene Schwierigkeit beweist überdies gegen den Anschluß des Lessing-Standbildes an das Goethe- und SchillerStandbild, d. h. gegen die Dreistellung dieser Standbilder, nicht mehr, als sie auch gegen den Anschluß des Goethe-Standbildes allein, d. h. gegen die bloße D oppelstellung dieser beiden letzten Standbilder, be weist. Denn an dem Maßstabe dieser Schwierigkeit gemessen, müßte es nicht blos Ein Künstler sein, der die drei Standbilder: Lessing, Schiller und Goethe, sondern ebenfalls blos Einer, der die beiden letzteren Standbilder ausführte, was wenigstens bis jetzt noch nicht verlangt worden ist. Endlich gehört dieser dritte Grund gegen die künst lerische Unausführbarkeit einer Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes insofern ganz nüeder in die Kategorie des zweiten Grundes, der linearen Aufstellung, als auch er von der Voraussetzung eines Hindernisses ausgeht, welches in der That nicht vorhanden ist. Wo ist ausgesprochen oder festgestellt, daß die Lösung der Gesammtaufgabe: die Errichtung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause in Berlin, daö Schiller-Standbild in der Mitte, sich nothwendig unter mehrere Künstler vertheil en müsse? Was hindett den einzelnen Künstler, an die Lösung dieser Gesammtaufgabe auf „selbständige und eigenthümliche Weise" heranzutteten, und „die ganze Zusammenstellung" in der Con ceptton seines Geistes „zu einer gemeinsamen, einfachen Totalwirkung" zu erheben? Sind in dem Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für das Schiller-Standbild nicht schon jetzt alle Künstler dazu eingeladen, da sie ja eben Rücksicht darauf nehmen sollen, daß zu beiden Seiten des Schiller-Denkmals später die Statuen von Goethe und Lessing ihre Stelle haben? Wird der Künstler, der dieser Rücksicht wirklich zu genügen strebt, bei der Modellirung des Schiller-Standbildes nicht im großen Ganzm auch schon die künfttgm Standbilder Goethes und Lessings mit vor
14 Augen haben? Wird die entscheidende Behörde, wenn ihr durch Eine Hand die unbezweifelt beste Lösung der Gesammtaufgabe dargeboten wird, diese Lösung nicht mit Freuden in diese Eine Hand legm wollen? Oder auch in verschiedene Hände, wenn sich nach der Entscheidung ebm dieser Behörde die Resultate der späteren Conmrrenz-Ausschreiben zu einem größeren Einklänge mit dem nächstm Resultate für das SchillerStandbild verbinden? Bleibt die Concurrenz für das Goethe- und LessingStandbild später etwa dem Künstler verschlossen, der in der Conmrrenz für das Schiller-Standbild dm Preis erringt? Wmn die künstlerische Ausfühmng einer Trilogie von Standbildem nicht überhaupt unmöglich ist, so kann und wird sie an diesem dritten Gmnde des Gutachtms der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö sicherlich nicht scheitern. Die bereits vorerwähnte „Rücksicht auf die weit über die Grenzm unseres Vaterlandes mit Recht gerühmte Bildhauerschule Berlins, die eine sorgfältige Erwägung dieser künstlerischm Bedenkm gegen das Drei-Statuen-Project zu erheischen scheint," verbun den mit dem Zusätze, daß „nach gemachten Erfahmngm und eingeholten Erkundigungen weitaus der größte Theil, vielleicht sämmtliche hervorragende Bildhauer Berlins die oben ausge sprochenen Ansichtm theilen." Die eigenen Gründe der Kunstabtheilung des Goethe-Comite für die behauptete künstlerische Unausführbackeit der Dreistellung sind also mit den drei vorerwähnten Gründen abgeschlossen, da dieser vierte und letzte Gmnd nur auf die Quellen hinweist, an denen die Kunstabtheilung des Goethe-Comite die Kräftigung ihrer eigenen Gründe gesucht und, ihrer Meinung nach, gefunden hat. Der nähere Hergang dieses Suchens und was dabei im Besondem geleitet hat und beabsichtigt wordm, wird durch eine „Bemerkung" erklärt, die sich in dem veröffentlichten Gutachten dm angefügten Beilagen unmittelbar vorgedmckt findet, und worin gesagt ist: „Bei den Verhandlungen über das Drei-Statuen-Project in der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö war besonders hervorgehoben wordm, daß die Ehre der Bildhauer von Berlin bei einer solchen Aufstellung betheiligt sei nnd daß jeder Schatten, der auf die künftige Ausführung falle, ein Vorwurf für die hiesigen Meister sei. Deshalb erschien es als unumgänglich nöthig, auch das Urtheil der nicht im Comitö befind lichen hiefigm Bildhaner über jenes Project einzuholm. Die betresfmden Künstler find dem ihnm durch den stellverttetenden Vorsttzmdm des Semite in Folge dessen ausgesprochmm Wunsche freundlichst entgegen« gekommen: die folgenden Beilagen enthalten ihre Gutachtm, sowie die IV.
15 besonderen Begründungen einiger Mitglieder des Goethe -Comit« für ihre Ansicht." Don diesen Beilagen, zehn an der Zahl, richten sich acht, die Bei lagen Nr. 3. bis einschließlich 10., gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Dreistellung, währmd die beiden anderen, Nr. 1. und 2., für die behauptete literaturgeschichtliche Unangemessenheit derselben in Bezug ge nommen sind. Hier können also zunächst nur jene erst genannten acht Beilagen in Betracht treten, was, ihres materiellen Inhaltes wegen, in der Reihenfolge der Nummern 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10., und schließlich der Nr. 3. erfolgen soll. Also:
Nr. 4.
Gutachten des Bildhauers, Professors Albert Wolff. „Durch Crw. Hochwohlgeboren geehrte Anfrage" — so beginnt das dieses Gutachten enthaltende Schreiben des Herrn Professors Wolff an dm Herm Professor Dr. F. A. Märcker vom 22. April 1862 — „bin ich zu einer gutachtlichm Aeußerung aufgefordert wordm über die Rathsamkeit einer Aufstellung von drei Statuen: Schillers, Goethes und Lessings auf einem Platze (dem Gensdarmenmarkt). Selbstverständlich leiten mich bet Beantwortung der Frage keine anderen, als rein künst lerische Rücksichten. Ich will nichts reden von der Schwierigkeit für den ausführendm Künstler, eine Statue mit zwei anderen daneben stehenden in Harmonie zu setzen, nichts von den Fesseln, die ihm bei seiner eigmen Arbeit durch Größe, Form der Postamente auferlegt werden, nichts end lich von der Gefahr, die Wirkung seines eigenen Werkes durch die Eigenchümlichkeitm oder Fehler der anderen Denkmäler einzubüßen." Der materielle Inhalt dieses Schlußsatzes ist bereits bei dem dritten eigenen Grunde der Kunstabtheilung des Goethe-Comitv zur Sprache gekommm, worauf daher hier zurückgewiesen wird. Dann heißt es : „Es mag Umstände geben, unter denen eine Trias von Statuen zu einer vollkommenen Einheit sich zusammenfassen und verbinden läßt." Die künstlerische Möglichkeit, eine Trias von Statuen zu einer vollkommmen Einheit zusammenzufassen und zu verbinden, wird also von Herm Professor Wolff im Allgemeinen nicht bestrittm und damit von seiner Serie ein Satz aufgestellt oder zugegeben, mit dessm Gegmsatz wir unS später, in der Beilage Nr. 10., noch des Näheren werdm zu beschäftigen haben.
16 „ Die gegenwärtig zur Aufgabe gestellten drei Männer: Schiller, Goethe und Lessing", fährt Herr Professor Wolff fort, „scheinen mir indessen aus eine so glückliche Weise nicht vereinigt werden zu könnm. Die Bestrebungen eines jeden derselben zeigen nicht gerade für die an deren einen vorwiegend ergänzenden oder, was künstlerisch noch wichtiger ist, einen gegensätzlichen Charakter. Man wird kaum darüber hinaus kommen, einem Jeden einen gewissen nachdenklichen, so oder anders modificirten Ausdruck zu geben, und das scheint mir über die Trias eine Monotonie zu verbreiten, die Langeweile erregen könnte." Warum aber diesen gewissen nachdenklichen Ausdruck, und in seinen Folgen diese Monotonie und diese befürchtete Langeweile? Warum nicht Leben und Anmuth für Alle und Jeden? Wenn uns Goethe noch immer einladet: „So kommt denn, Freunde, wenn auf euren Wegen
Des Lebens Bürde schwer und schwerer drückt,
Wenn eure Bahn ein frisch erneuter Legen Mit Blumen ziert, mit goldnen Früchten schmückt,
Wir gehn vereint dem nächsten Tag entgegen!
So leben wir, so wandeln wir beglückt. Und dann auch soll, wenn Enkel um uns trauern, Zu ihrer Lust noch unsre Liebe dauern;"
wenn uns Lessing aus der Fülle seiner heiligsten Zuversicht noch immer die stohe Botschaft verkündet, daß sie „kommen, daß sie gewiß kommm wird, die Zeit der Vollendung, da der Mensch das Gute thun wird, weil es das Gute ist;" wenn uns Schiller noch immer auffordert, „die Angst des Irdischen von uns zu werfen und die Gottheit in unseren Willen aufzunehmen;" sollen diese drei nicht auch in ihren Standbildern „in Geist und Liebe zu verknüpfen sein, ohne den Charatter des Einzel nen zu schwächen?" Wie viel Herrliches in Kraft und Streben hatten sie gemeinsam, und wie von Grund aus waren sie doch wieder in eigen sten Vorzügen verschieden? Wo sollen denn die Requisite des sich Ergänzenden oder Gegensätzlichen zu einer glücklichen Vereinigung dreier Standbilder noch gefunden werden, wenn sie bei den Standbildern Lessings, Schillers und Goethes nicht zu finden sind? Wie viele Standbilder standen in gedrängter Fülle in Athen? Wenn die Griechen ihre drei größten Tragiker Aeschylus, Sophokles und Euripides auf dem Vorplatze eines ihrer schönsten Schauspielhäuser in vereinigten Stand bildern hätten ehren wollen, würden sie es aus Befürchtung der hier in Frage gebrachten Monotonie und Langeweile imterlassen haben? Sehen wir uns im eigenen Vaterlande um, worin jetzt unter Künstlern
—
—
17
und Laien über die Lessing-Statue Rietschels in Braunschweig wohl nur Eine Stimme der willigsten Md fteudigsten Anerkennung herrscht:
„Nicht der Masse qualvoll «ögerungen, Schlank und leicht, wie Ms dem Nichts entsprungen,
Steht das Bild vor dem entzückten Blick." Und doch, wenn sich diesem Bilde dort noch die Bilder Schillers
und Goethes anschlöffen,
so ganz die Bilder Schillers und Goethes,
wie dieses Bild das Bild Lessings ist, würde unsere Freude geringer oder größer sein?
Falle,
Gewiß tun: noch sicherer,
als dort im unterstellten
wird hier im wirTichen, — „auf dem schönsten Platze Berlins,
mit dem idealen Hintergründe einer ächt antiken Säulensteilung neben einer prächtigen Freitreppe" — das Glückliche gelingen:
„Wenn das Todte bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Thatenvoll der Genius entbrennt." „Auch die Verschiedenheit des Costüms",
fährt das Gutachten des
Herrn Professors Wolff weiter fort, „ist bei nahe mt einander stehenden Statuen von großer Wichtigkeit,
aber auch nur sehr schwer in wohl
thuenden EinklMg zu bringen."
Müssen sie demr aber nahe neben einander steherr,
diese drei
Statuen, und in verschiedenen Costüms nahe neben einander stehen?
Ist der gMze Vorplatz vor dem Königlichen Schauspielhause tricht für ihre Errichtung
fteigeftellt?
Wird
es
für die zustärrdigen Behörden
unmöglich sein, das Raumverhältmß des Anschlusses der beiden Seiten-
Standbilder mi das mittlere Standbild nach künstlerischen oder ästheti schen Gesetzen mit einiger Sicherheit vorher zu ermitteln und voraus bestimmen zu lasten?
Ist es gedenkbar, daß dieselben Behördetr für die
Standbilder Goethes und Lessings später ein anderes Costüm statuiren werden, als sie vorher für das Schiller-Standbild acceptirt haben? Und
wenn dennoch zur Erreichung eines wohlthuenden Einklanges Schwierig keiten zu überwinden bleiben,
soll an ihrer Ueberwindung
im VorMs
verzweifelt, um dieser Schwierigkeit willen im Voraus mtf die Ausfüh
rung der künstlerischen VerbindMg dieser drei Statuen vor dem König lichen SchMspielhaus hier verzichtet werden?
„Alles" — so schließt das Gutachten des Herrn Professors Wolff — „Alles ordnet sich leichter zur vollen Wirkung,
wenn jede Statue auf
ihrem besonderen Platze steht, Md nicht durch die Vergleichung mit den andern Denkmälern beinträchtigt wird."
18 Das Gutachten des Herrn Professors Wolff geht also
daß
dahin,
schließlich
blos das Lessing-Standbild von den Standbildern
nicht
Schillers und Goethes abzuscheiden, reicht blos die Dreistellung auf die
Doppelstellung zurückzuführen, sondern daß, unter Aufgabe auch dieser Doppelstellung, das Goethe-Standbild von dem Schiller-Standbild vor dem Königlichen Schauspielhause aus künstlerischen Gründen zu trennen
und
auf
einem
andern Platze allein und selbständig zu errichten sei.
„Dem hierauf gehenden Vorschläge von Hotho,
v. d. Hude und
Herrmann Grimm" — setzt Herr Professor Wolff seinem Gutachten zu — „kann ich mich daher nur anschließen."
Sind es denn aber künstlerische Gründe gewesen,
die die ge
nannten Herren zur Stellung dieses Vorschlags oder dieses Antrags, in der Sitzung des Goethe-Comitü vom 7. Älpril 1862,
haben? weil
sie
jetzt bestimmt
Haben sie ihn nicht vielmehr darum und ituf darum gestellt, geglaubt haben,
der von ihnen bestrittenen Verbindung des
Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes aus
Gründen der später zu erörternden literaturgeschichtlichen Unangemessenheit
auch noch jetzt entgegentreten zu müssen;
weil sie gehofft haben,
diese
Verbindung durch die von ihnen rrunmehr angestrebte Verlegung des Goethe-Standbildes nach einem anderen Platze auch noch jetzt rückgängig
machen zu können; weil sie die Verbindung des Schiller- und Goethe-
Standbildes
lieber
für
immer
aufgehoben
als
nm
den
Preis
Hinzufügung eines Lessings-Standbildes erhalten sehen wollen?
der Sie,
und alle Mtunterzeichner der Jmmediat-C'ingäbe vom 27. Januar 1860 haben, durch kein ürnstlerisches Bedenken gehindert, die Zusammenstellung der Standbilder für Schiller und Goethe auf dem Gensdarmenmarkte
Allerhöchsten Ortes früher selbst in Anspruch genommen, und auch jetzt noch
ist die Kunstabtheilung des Goethe-Comitv im tiefsten Grunde
ihrer Ueberzeugungen und ihrer Wünsche soweit davon entfernt, die künst lerischen Bedenken des Herrn Professors Wolff gegen die Zusammen stellung dieser beiden Standbilder zu theilen und der Einzelstellnng der selben auf verschiedenen Plätzen vor ihrer Doppelstelluug aus dem Gens-
darmenniarkt den Vorzug zu geben, daß das mitveröffentlichte „Vorwort" ihres jetzigen Gutachtens wenigstens, nicht unterlassen hat, es ausdrücklich
hervorzuheben,
daß „viele treffliche Männer noch immer der Meinung
sind, daß man diesen Grundgedanken des Goethe-Comits nicht aufgeben
dürfe, indem man bei richtiger Einsicht seiner Erfüllung doch noch ent gegensehen könne."
hiernach
vertretenden
Mit dieser, den Grundgedanken des Goethe-Comits
richtigen
Einsicht
finden
sich
die
künstlerischen
19 Gründe des Herrn Professors Wolff daher jedenfalls im offenen Wider
streit,
wie
Hotho,
v.
sehr
sie
auch sonst dem jetzigen Anträge der Herren
sich
d. Hude und Herrmann Grimm
in ihrem Resultate
an
schließen.
5. Gutachten mehrerer hiesiger Li>dhauer. Dieses Gutachten, ausgestellt in einer von den Herren „ A. Fischer,
Herrmann Schievelbein, H. Wittig, Carl Möller und Gustav Bläser" unterzeichneten Crklärung vom 15. April 1862 lautet also: „Die unter zeichneten Künstler erklären hiermit, daß ihnen der Platz vor dem König lichen Schauspielhause nicht als geeignet für die Aufstellung dreier Stand bilder erscheint, und daß es überhaupt unthunlich ist, drei Statuen in drei verschiedenen Aufträgen oder Concurrenzen so herzustellen, daß daraus
eine harmonische Gruppirung entsteht. muß
natürlich
Jede später aufzustellende Statue
durch die zuerst aufgestellte leiden und diese wird die
künstlerische Bedingung für die anderen abgeben, so daß eine Freiheit der
Schöpfung für die später eintretenden Künstler unmöglich ist.
liegenden
Falle
wird
also
Schillers
Standbild
Zm vor
die Abhängigkeit
Statuen Goethes und Lessings von ihm zur Folge haben.
der
Wir halten
deshalb, abgesehen von den inneren Bedingungen, die Aufstellung der drei Standbilder von Schiller, Goethe und Lessing auf dem Gensdarmen-
markte für unzulässig."
Also Unthunlichkeit der Dreistellung aus Gründen der verschiedenm Aufträge oder Concurrenzen.
Müssen
aber um eben derselben Gründe
willm die genannten Herren nicht auch die Errichtung blos des Goetheund des Schiller-Standbildes, d. h. die Doppelstellung, aus diesem Platze
für unthunlich halten, da ja auch dann von mehr als Einem Auftrag
oder Einer Concurrenz gesprochen werden, auch dann die später aufzu
stellende Goethe-Statue
durch
die zuerst
aufgestellte
Schiller-Statue
leiden, auch dann das Schiller-Standbild die Abhängigkeit der GoetheStatue zur Folge haben kann? Und befinden sie sich dann nicht ebenfalls
wieder in offenem Widerspruch mit jenen anderen Herren, die ohne alle
Furcht vor den hier bezeichneten Unzuträglichkeiten die Zusammenstellung deö Goethe- und des Schiller-Standbildes
auf dem Gensdarmenmarkt,
in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 Allerhöchsten Orts in
bestimmten Anspruch genommen haben, mit ihrm nächsten Fachgenossen, 2*
SV den Herren:
Sußmann- Hellborn, Hagen, Drake, Wredow und Kiß?
Sollen die Gefahren der Disharmonie und der Unfreiheit der Schöpfung
für eine in verschiedenen Aufträgen
oder Concurrenzen auszuführende
die diese Herren damals nicht fanden oder nicht fürch-
Doppelstellung,
bei der Frage über die Dreistellung für Alle unüberwindlich ge-
teten,
Daß glücklicherweise auch die thatsächliche Voraussetzung
wordm sein?
dieser Gefahren nicht besteht, fange besteht,
daß dadurch der freien und selbständigen Conception des
einzelnen Künstlers Fesseln
wenigstens nicht in dem Grade und Um
angelegt
hemmende
würden,
ist
das Kunstwerk selbst
oder bereits
vorhin
gefährdende
bei dem dritten eigenen
Grunde des Gutachtens der Kunstabtheilung des Goethe-Comite berührt worden, worauf daher Bezug genommen wird.
Was in dem Schlußsätze des vorstehenden Gutachtens mit „den
wovon abgesehen wird,
inneren Bedingungen" gemeint ist, sehen werden soll,
entzieht sich der Erörterung,
nicht näher bezeichnet,
oder abge-
da diese Bedingungen
oder sonst irgend wie charakterisirt sind.
Aehn-
liches gilt von dem einleitenden ersten Satze des Gutachtens, worin die daß ihnen der Platz vor dem Königlichen Schauspiel
Herren erklären,
hause für die Aufstellung dreier Standbilder als nicht geeignet erscheint. Für die Aufstellung zweier Standbilder ist der Platz vor dem König
lichen Schauspielhause in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 als ganz besonders
geeignet
befunden worden,
namentlich wegen des
idealm Hintergrundes einer ächt antiken Säulenstellung und der pracht
vollen Freitreppe.
Daß er dessenungeachtet für die Aufstellung dreier
Standbilder ungeeignet sei,
bleibt allerdings möglich,
müßte aber, um
erörtert werden zu können, in einiger Weise verdeutlicht sein. nicht geschehen,
Da dies
so muß der letzte wie der erste Satz dieses Gutachtens
lediglich auf sich beruhen bleiben.
6. Gutachten des Bildhauers I. Franz. „Die Ansicht meiner Collegen theile ich, daß bei der jetzt beabsich
tigten Aufstellung der Denkmäler für Goethe und Lessing,
zur Seite
Schillers, eine Harmonie des Ganzen schwer erzielt werden kann.
Die
beiden Seiten-Denkmäler müßten dann doch in der Hauptform überein
stimmen, was bei freier Concurrenz unmöglich ist."
Bezüglich des ersten Satzes dieses Gutachtens,
wird auf das bei
21 dem
vorigen Gesagte zurückoerwiesen
und
bezüglich
des zweiten und
letzten Satzes bemerkt, daß an der Nothwendigkeit der Uebereinstimmung der
beiden Seiten-Denkmäler
zweifeln ist,
der Hauptform
in
allerdings
nicht zu
eine freie Concurrenz aber die Möglichkeit dieser Ueberein
Bei den beiden Seiten-Denk
stimmung durchaus nicht ausschließt.
mälern wird diese freie Concurrenz schwerlich eher eröffnet werden,
als
bis die zuständigen Behörden die Bedingungen ihrer Uebereinstimmung
in
der Hauptfonn
und das deshalb Erforderliche publicirt
festgestellt
Die hier befürchtete Unmöglichkeit ist also in der That nur
haben.
befürchtet.
7. Gutach ten des Professors G. Lüderitz. Dasselbe lautet: „Die Beschlüsse des Goethe-Comitö,
welche am 16. Juli 1861,
im Widerspruch mit der Ansicht der Abtheilung A.
(für die technischen
Vorarbeiten zur Errichtung des Denkmals von Goethe),
so wie mit
Umgehung der Vorprüfung des Central-Ausschusses gefaßt wurden, haben bei dem Borschreiten zu ihrer praktischen Ausführung sich als unhaltbar erwiesen:
von künstlerischer Seite
die Möglichkeit einer
wird
einigermaßen
befriedigenden Lösung der gestellten Aufgabe entschieden in Abrede
gestellt, so wie die competentesten Autoritäten die ästhetische, lite raturhistorische Unangemessenheit der Aufstellung der drei projectirten Statuen neben einander, mit Schiller in der Mitte, in überzeu
gendster Weise hervorheben,
und mit schlagenden Gründen
gegen
ein solches Unternehmen protestiren! Bei
der
unter diesen Umstqndcn
mehr
und mehr sich heraus
stellenden Unausführbarkeit des, ohnehin von einer äußerst kleinen Anzahl
von Mitgliedern, mit geringer Majorität gefaßten Beschlusses, muß sich
daö Goethe-Comito
in die Nothwendigkeit versetzt sehen,
Errichtung der Goethe-Statue, Lessings,
aufzugeben,
und
kann
in Verbindung
es
jetzt
die Idee der
mit der Schillers und
nur als seine Aufgabe be
trachten :
zuvörderst mit Gründlichkeit zu prüfen, ob sein ursprünglicher Plan, die Goethe-Statue in
Verbindung
mit der
Schillers
aus dem
Gensdarmenmarkte zu errichten (bei Ausschließung Lessings),
nicht
doch in angemessener Weise zu ermöglichen sein möchte, selbst unter
22 Respectirung des für das Schiller-Denkmal bezeichneten Platzes vor der Mitte des Schauspielhauses,
und wenn sich dies als unausführbar erweisen sollte: dann mit allen Kräften dahin zu wirken, für die Goethe-Statue
einen anderen würdigen Platz zu gewinnen, wobei eS in freundlichem Ginvernehmen mit dem, sich gewissermaßen in gleicher Lage befindenden Lessing-Comite; vorschreiten könnte." In einer Randbemerkung
der Kunstabtheilung
„des Vorworts"
des Goethe-Comitö
ist auf
zu
dem Gutachten
dieses Gutachten
Herrn Professors Lüderitz im Voraus zum Beweise
dafür
des
mit hinge
wiesen, daß, wie bereits bei deni Gutachten des Herrn Professors Wolff angeführt wurde, viele ttefstiche Männer noch immer der Meinung sind, daß man die Aufstellung des Schiller- und Goethe-Standbildes auf dem GenSdarmenmarkt, diesen Gnindgedanken des Goethe-Comite, nicht
aufgeben dürfe, indem man bei richttger Ginsicht seiner Erfüllung doch noch entgegensehen könne."
Die Existenz dieser Meinung wird durch
dieses Gutachten des Herrn Professors Lüderitz allerdings völlig dargethan. Eigene Gründe indeß gegen die künstlerische Ausführbarkeit der Verbin dung
des Lessing-Standbildes
mit
den
Standbildern Schillers
und
Goethes vor dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin, die hier zu
nächst allein in Frage
steht, oder auch gegen die literaturgeschichtliche
Angemessenheit dieser Verbindung hat Herr Professor Lüderitz in seinem
Gutachten nicht mitgetheilt, und die Prädikate, die er darin den Gründen,
Erklärungen und Protesten Anderer beilegt, können nur die Stärke seines eigenen Glaubens an deren Richtigkeit, nicht diese Richtigkeit selbst be In dem Sinne einer Darlegung eigener oder einer Verdeutli
weisen.
chung oder Entwickelung ftemder Gründe für die erst zu bildende oder
zu berichttgende Ueberzeugung eines Dritten kann also das Gutachten deö Herxn Professors Lüderitz hier nicht in Betracht kommen.
Dagegen kann
es vielleicht der Ausdruck eines doppelten Vorwurfs sein, des Vorwurfs
nämlich,
gefaßt
sei
daß der Beschluß des Goethe-Comite vom
„im Widerspruche mit
der Ansicht
lß. Juli 18ßl
seiner Künstabthei-
lung", oder wie das Gutachten der Kunitabtheilung des Goethe-Comite sich in dieser Hinsicht S. 9. selbst ausdriickr, daß die General-Versamm
lung des Goethe-Comite
damals einen
„allen Erwägungen
der
Abtheilung zuwiderlau senden Beschluß gefaßt habe", sowie, daß
diese Beschlußfassung des Goethe-Comittprüfung
seines Centtal-Ausschusses"
„mit Umgehung der Vor
erfolgt
sei.
Wäre dieses, so
würde zur Würdigung deö alsdann von Herrn Professor Lüderitz erhobentn doppelten Vorwurfs etwa Folgendes zu erwidern bleiben.
23 Die Kunstabtheilung des Goethe-Comite ist nur eine Abtheilung dieses Comitö und steht als solche unter den Beschlüssen desselben. Sie hat das Recht, aus Crfordern des Goethe-Comite, oder auch aus eigenem Antrieb bezüglich der technischen Vorarbeiten zur Errichtung des GoetheDenkmals und in allen anderen damit in Zusammenhang stehenden Fra gen ein Gutachten auszustellen und in der Plenar-Versammlung des Goethe-Comite, und wo und wie es ihr sonst geeignet scheint, nach besten .Kräften zu vertheidigen, aber sie hat nicht das Recht zu verlangen, daß das Goethe-Comite diesem ihrem Gutachten zustimme. Das GoetheComite durste also am 16. Juli 1861 im Widerspruch mit dem Gut achten seiner.Kunstabtheilung, und gegen alle Erwägungen derselben, Beschluss fassen; ja es mußte diesen Beschluß fassen, wenn es denselben nach dem Maße seiner Einsicht für gut und angemessen hielt. Nach einer vom Herrn Herrmann Grimm im April 1862 verfaßten Druck schrift: „Zur Begründung des in der Sitzung des Goethe-Comite am 7. April 1862 von Hotho, v. d. Hude und H. Grimm eingebrachten Antrags, Berlin, Dnrck und Verlag von Gustav Schade," gehörte über dies Herr Professor Lüderitz, wie sich S. 12 dieser Schrift constatirt findet, derjenigen Majorität des Goethe-Comite mit an, die bei dem Beschlusse vom 16. Juli 1861 für die eventuelle Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes, und in dieser Beziehung also gegen das Gutachten der.Kunstabtheilung des Comite ihre Sfimme abgab, so daß der Vorwurf wegen des damali gen Widerspruchs gegen das Gutachten der Kunstabtheilung des GoetheComite, wenn er in dem jetzigen Gutachten des Herrn Profesiors Lüderitz wirklich erhoben wäre, von ihm selbst mitgetragen werden müßte.
Der andere, einigermaßen deutlichere und, seine volle thatsächliche Richfigkeit vorausgesetzt, ungleich schwerere Vorwurf des Herrn Professors Lüderitz, daß der am 18. Juli in der Sitzung auf dem Berliner Rath hause zum Vollzug gekommene Beschluß des Goethe-Comite vom 16. Juli 1861 „mit Umgehung der Vorprüfung des Central-Ausschusses gefaßt worden", würde sich durch die Geschäftsordnung des GoetheComite vom 10. Mai 1860 widerlegen, die von einer solchen Vor prüfung für die RechtSgültigkeit eines Comite - Beschlusses nichts weiß. Er würde ferner nur ein Vorwnrf gegen den Vorstand des GoetheComite sein können, da nur dieser- zur vorherigen Einberufung des Central-Ausschusses berechtigt, und werrn die Geschäftsordnung es vor geschrieben, auch verpflicht etgewesen wäre. Auch hat Herr Professor Lüderitz eine dergleichen Umgehung weder in der Sitzung des Goethe-
24 ßomite vom 16. Juli
1861,
noch später gerügt, sondern ohne jede
Aeußerung eines formellen oder materiellen Bedenkens an jener Abstim
In der oben genannten Schrift des
mung persönlich Theil genommen.
Herrn Herrmann Grimm wird überdies S. 14 bis 15 noch ferner aus drücklich constatirt, daß „in der Sitzung des Goethe-Comite vom 7. April
1862 zu Tage gekommen, daß allerdings der Beschluß vom 18. Juli, der Geschäfts-Ordnung nach, als Unanfechtbar dastehe, zugleich aber auch,
wie wenig trotzdem die unterlegene Partei gewillt sei, sich ihm zu fügen."
8. Gutachten des Bildhauers H. Heidel.
„Zn Folge Ihrer Aufforderung, über das beiliegend zurückerfolgende Gutachten
der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö meine Ansicht
äußern," — schreibt Herr Heidel am
zu
7. Mai 1862 dem Herrn Pro
fessor F. A. Märcker — „erkläre ich, daß, abgesehen von der „Unange messenheit jener Trilogie",
„der künstlerischen Schwierigkeit,
sowie von
zwei Statuen so in Bezug zu einander zu setzen, daß die Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer vollkommenen Geltung komme,"
mir vor Allem und zunächst der gegebene Platz nur für ein Standbild
(aber mitten darauf)
geeignet erscheint.
vom Goethe-Comitv
dem
Ich erkläre mich demnach mit
zuletzt gefaßten Entschluß:
nicht
allein
der
Errichtung einer Hessing-Statue auf dem Gensdarmenmarkte nicht zuzu stimmen, sondern auch von der einer Goethe-Statue daselbst absehen zu wollen, um so lieber einverstanden, als dadurch der ursprünglichen Idee des Schiller-Denkmals ihr Recht wird."
Es bleibt bei diesem Gutachten des Herrn Heidel ungewiß, ob er
dem, wovon er absieht, zustimmt oder aber ob er sich darüber zunächst noch
mung
Jedenfalls hat er
sein Urtheil blos vorbehält. zu
der
der Trilogie"
„Unangemessenheit
Schwierigkeit selbst, „zwei Statuen so
und
seine Zustim der
beregten
in Bezug zu einander zu setzen,
daß die Natur jeder der dargestclltcn Persönlichkeiten
zu ihrer vollkom
menen Geltung komme," wenn er sie in jenem „abgesehen" gegeben hat, unbegründet
gelassen.
Worüber
er
sich
dagegen mit
unzweifelhafter
Deutlichkeit ausspricht, ist dies, daß ihm der Vorplatz vor dem Schau
spielhause nur
für die Errichtung Eines Standbildes geeignet scheint:
derselbe Platz, der in der mehrermähnten Jmmediat-Eingabe vom 27. Ja nuar 1860 von vielen seiner Fachgenossen und überhaupt von allen Un terzeichnern
dieser Eingabe für die Errichtung zweier Standbilder aus
25 dafür angegebenen Gründen so besonders empfohlen worden ist. Bei dem Mangel einer sachlichen Begründung des Gutachtens des Herrn Heidel muß es bei der Constatirung dieses Widerspruchs zwischen ihm und dm andern Herren hier bewenden. Die Schlußbetrachtung des Herm Heidel, daß dadurch, daß man nicht blos von der Errichtung des Lessing-, sondem auch des Goethe-Standbildes auf dem Gensdarmenmarkt Ab stand nehme und nur das Schiller-Standbild dort errichte, der ursprüng lichen Idee dieses Denkmals ihr Recht werde, gründet in einem anderen Bereich als dem, worauf sich bei der hier allein vorliegendm Frage über die künstlerische Ausführbarkeit einer Aufstellung dreier Standbilder auf dem GmSdarmenmarktt die Erörterung zu beschränken hat.
9. Gutachten des 'Professors A. Wredow.
Nach einem Rückblick auf die Motive, die bei dem Beschlusse des Goethe-Comite vom 1C>. Juli 1861 leitend gewesen seien, und nachdem Herr Professor Wredow sich dafür ausgesprochen, daß man auch setzt noch daran festhalten müsse, Goethe von Schiller auf dem Gensdarmen markt ungetrennt zu erhalten, berührt er die Frage der künstlerischen Ausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder auf diesem Platze mit folgenden Worten: „Die Bewegung, welche sich jetzt gegen die Hinzufügung Lessings in größeren Kreisen kund giebt, hat folgerecht, wenn sie durchdringt, als Ergebniß zunächst nur die Aufstellung Lessings auf einem anderen Platze zur Bedingung, denn es handelt sich hier zuvörderst nicht um die prak tische Unmöglichkeit der Stellung dreier Statuen neben einander, sondern darum, daß Lessing, wenn auch noch so groß, als Dichter nicht passend erscheint, neben den beiden andem aufgestellt zu werden."') Nicht also, weil überhaupt nicht drei Standbilder auf dem GenSdarmmmarkte zusammen errichtet werden können, nicht aus künstlerischen Unzuträglichkeiten im Allgemeinen, oder aus eigenthümlichen Mängeln des Platzes für diese Errichtung dreier Standbilder im Besonderen, son dern weil Lessing in seinem dichterischen Werthe Schiller und Goethe
*) „Es würde auch wohl dieser Ansicht auf dem Gensdarmenmarkt genügt werden können, wenn Schiller aus der Mitt« wiche und Lessing, Goethe und Schiller gegenüber, den Rücken der Markgrafenstraße zu, aufgestellt würde," sagt eine hier deigefüzte Note.
26 nicht ebenbürtig erscheint, darum, und zuvörderst nut darum, ist nach der
Ueberzeugung des Herrn Professors Wredow jetzt die Bewegung gegen
die Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes eingetreten.
Hiermit wird der Ausgangs- und Kernpunkt
dieser Bewegung von Herrn Professor Wredow durchaus in das Gebiet
der wirklichen oder vermeintlichen literaturgeschichtlichen Unangemessenheit verlegt, und dem Gebiete rein künstlerischer Bedmken beinahe völlig ent
zogen.
Sein Gutachten ist also weit eher eine offene Anerkennung der
künstlerischen Ausführbarkeit der Dreistellung als ein Protest dagegen.
Gleiches gilt von den ferneren Sätzen des Gutachtens des Herrn Pro fessors Wredoiv, in benen er einen Vorschlag zur Ausführung empfiehlt,
wobei einerseits das künftige Schiller-Standbild den mittleren Platz vor der
Freitreppe
behalten,
und
andererseits
die
Zusammenstellung
des
Goethe-Standbildes mit dem Schiller-Standbilde, ohneHinzunahme
oder vielmehr
unter Wiederbeseitigung des Lessing-Standbildes,
erhalten bleiben soll.
„Man lasse" — sagt Herr Professor Wredow —
„Schiller ruhig seinen Platz und stelle Goethe ihm gegenüber in derselben
Mittellinie vor dem Schauspielhause, Schiller zugekehrt, mitten auf dem
Platz zwischen der Freitreppe und der Seehandlung auf,
Ranch
dem Leben
nachgebildeten Entwürfe,
nach dem von
welcher Goethe in hohem
Alter und ruhiger Stellung, die Hände auf dem Rücken, darstellt und uns das naturgetreuste Bild, welches ein Künstler jetzt noch zu gestalten fähig sein möchte, geben wird.
Aber nicht allein dies ist es, was dieser
Darstellung wohl den Vorzug
vor jeder anderen geben würde,
es ist
auch der dadurch hervorgerufene Gedanke, der mit der Statue dem Be
schauer unmittelbar gegeben würde: es ist der Dichter vor seinem Freunde Schiller stehend, der schönen Zeit männlichen Zusammenwirkens mit dem
früh Dahingeschiedenen gedenkend. Ferner ist, vom künstlerischen Stand punkte betrachtet, diese Darstellung kaum besser möglich für diese Stelle
zu erfinden: sie giebt, wie es die Aufgabe verlangt, ein klares lebendiges Bild jenes Gedankens, in charakteristischer Form
und in
der Goethe,
diesem erhabenen Manne, eigenen Ruhe."
Auch aus diesen letzten Sätzen des Gutachtens ist eher auf alles
Andere, als darauf zu schließen, daß Herr Professor Wredow die Er richtung dreier Standbilder vor
für künstlerisch unausführbar hält.
dem Königlichen Schauspielhause hier Sie machen es dagegen unzweifelhaft,
daß er seinerseits auch die in dem ersten Grunde des Gutachtens der .Kunstabtheilung des Goethe-Eomitö hervorgehobene künstlerische Schwierig
keit,
„zwei Statuen so in Beziehung zu einander zu setzen, daß die
Natur jeder der dargestellten Persönlichkeiten zu ihrer besonderen Geltung
27
komme," nicht entfernt anerkennt, oder doch der vollen Zuversicht ist, sie nach allen Richtungen hin siegreich zu überwinden.
10.
Nu »achte n des Bauraths H. Hitzig. Zn diesem Gutachten
vom 8.
Mai
1862
erklärt Herr Baurath
Hitzig, daß er, „verhindert der Sitzung der Abtheilung A. des Goethe
Comite 's vom 14. April beizuwohnen, nachträglich zu allen Beschlüssen derselben" seine Zustimmung ertheile, bis auf den Cineit Punkt, daß er
für die nunmehrige Aufstellung der Goethe-Statue nicht die Mitte des
Opernplatzes, sondern die Stellung Opernhauses,
„vor der Mitte der Langseite des
der Bibliothek gegenüber,"
als
die
nach
seiner
„schönere und zweckmäßigere" Stelle in Vorschlag bringt.
Ansicht
Gründe für
die künstlerische Unausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Standbildes mit
den
Standbildern
Schillers
und
Goethes
vor
dem Königlichen
Schauspielhause zu Berlin sind von Herrn Baurath Hitzig nicht ange
führt, auch die in
weiter
entwickelt.
den anderen Gutachten
Zu
einer
Erörterung
Gründe gegen diese Ausführung bietet
angeführten von
ihm nicht
oder
entwickelter
neuer
neu
dieses Gutachten also keine Ge
legenheit.
3. Gutachten des Prorrsier H. A. Maümann. Auch dieses Gutachten ist in der Form eines an den Herrn Pro
fessor Dr.
a.
A. Märcker
gerichteten Antwortschreibens des Herrn Pro-
*) Zum Verständniß dieser Bezeichnung wird hier anznführen sein, daß das Goethe-Comit« sich nach seiner Geschäftsordnung vom 10. Mai 1860 in vier Ab theilungen getheilt hat, nämlich A. „für die technischen Vorarbeiten zur Errichtung des Denkmals;" B. für die literarische Thätigkeit und die öffentlichen Kundgebungen; C. für öffentliche Kunstleistungen, wiffenschaftliche Vorlesungen, Ausstellungen :c.; D. für die Geldverwaltung und die allgemeinen geschäftlichen Angelegenheiten. Die hier von Herrn Banrath Hitzig als Abtheilung A. des Goethe-Comite bezeichnete Abtheilung ist später die Kunstabtheilung dieses Comite genannt worden. Jedes Mitglied deS Goethe-Comite, d. h. jeder der 64 Unterzeichner der Jmmedint-Ein gabe an Seine Königliche Hoheit den Prinz-Regenten vom 27. Januar 1860, ge» hört nach seiner Wahl einer oder mehreren dieser vier Abtheilungen an. Der Ufbertritt aus einer Abtheilung in die andere bleibt nach vorheriger Anzeige des betreffenden Mitgliedes bei dem Vorsitzenden des Comite freigestellt.
28
fessors H. F. Maßmann ausgestellt. Es datirt vom 9. Mai 1862 und lautet also:
„Wenn ich wegen der Nebeneinanderstellung von Schiller, Goeche
und Lessing um mein Urtheil gefragt werde, kann die Frage nicht sein, Drei Bildsäulen nebeneinander zu stellen (und
wohin ich mich schlage.
verschlungen könnten doch nur drei Grazien, oder Glaube, Hoffnung werden), gefühl,
Liebe und
dagegen strebt oder sträubt sich schon mein Laim
hätten auch nicht schon Künstler von Fach
und Verfänglichkeit solcher Darstellungen bewiesm.
die Bedenklichkeit
Im wirklichm Fall
der Ausführung (obenein durch verschiedene Künstler) würde man sich kaum mit dem Nacheinanderaufstellen, wie bei Aork und Gneisen«» neben
Blücher getrosten, Männer, von deren Gruppe sich selbst der gegenüber
stehende
Scharnhorst
aus seinem
Wachtposten
bedenklich
abzuwenden
scheint, der sich ihres Thatenbundes im Leben doch gewiß gefreut hat.
Doch es ist gut, daß die Helden der That oder der Freiheitskriege alle
vereint stehen und — standen, ehe die Nike mit ihren Zöglingm achtmal aufgestellt ward. Nun aber glaube ich, könnte zwischm den Helden des siebenjährigen
Krieges
(am Denkmal Friedrichs II.) und den Helden der Befreiungs
kriege (und
nebenbei der
landwirthschaftlichen und gewerblichen Hinter
gruppe) gewiß nichts Würdigeres eingeschoben werden, als auf dem Opern platze Goethe und — erschrecken Sie nicht,
Vorhofe der hohen
Schule, —
Schluß seiner Geisteshelden.
ihm gegenüber, aus dem
Fichte, für Berlin ein nothwendiger
Er verdient so
gut seine Bildsäule wie
Lessing und vertritt ttefflich die Ergänzung Goethes für nattonale That.
Also — Opernplatz! Das Opernhaus ist ja auch Schauspielhalle!
Zugleich darf
Goethe dreist zur Wissenschaftshalle hinüber und einst dem,
der
„klares Denken" als Rettung zur Bedingung setzte, kühn und unge
scheut in die Augen sehen."
Da der letztere
Theil dieses Gutachtms
sich nur mit dem Nach
weise beschäftigt, warum das Goethe-Standbild, als solches, aus dem
Opernplatze seine Aufstellung finden und warum diesem Standbilde dort das Fichte-Standbild auf dem Vorhofe der hohen Schule
gegenüber
gestellt werden müsse, so scheidet er für die hier allein vorliegende Frage nach der künstlerischen Nnausführbarkeit der Errichtung dreier Standbilder vor dem hiesigen Königlichen Schauspielhause gänzlich aus.
Blos der
erste Theil, der die persönliche Abneigung des Herrn Professors Maßmann gegen
die Nebeneinanderstellung der Standbilder von Schiller,
Goeche
29 und Lessing treten.
freilich sofort außer Zweifel setzt,
kann hier in Betracht
„Wegen der Nebeneinanderstellung von Schiller, Goethe und
Lessing um mein Urtheil gefragt, kann die Frage nicht sein, wohin ich mich schlage."
Auch bedarf diese persönliche Abneigung für denjenigen,
dem sie in diesem Grade einmal beiwohnt, kaum des erklärenden Bei satzes: „Drei Bildsäulen neben einander zu stellen, dagegen strebt oder
sträubt sich schon mein Laiengefühl."
Für Andere, die ein anderes Laien
oder individuelles Kunftgefühl haben, müssen zur Klarstellung und zum Beweise der objectiven Berechtigung einer solchen persönlichen Abneigung
sachliche Gründe hinzutreten. mann nicht angegeben.
oder Glaube,
Diese werden von Herrn Professor Maß
Denn der Satz, daß „doch nur drei Grazien,
Liebe und Hoffnung verschlungen werden könnten," und
die Noraussicht, daß „im wirklichen Fall der Ausführung" das Neben einanderstellen von Schiller, Goethe und Lessing noch schlimmer miß-
rathen müsse, als dies
„bei Port und Gneisenau neben Blücher" der
Fall sei, sind keine. — Die Gruppe des Laokoon giebt Gewißheit dar über, daß sich nicht blos drei Grazien, oder blos Glaube, Liebe und
Hoffnung, sondern auch noch drei andere Bilder in Menschengestalt zu einer Gruppe vereinigen lassen.
Wenn es sich sonst empfehlen sollte,
so würden daher auch Lessing, Schiller und Goethe wohl noch zu einer
Gruppe zu vereinigen sein.
Aber die Standbilder Lessings, Schillers
und Goethes sollen eben nicht zu einer Gruppe vereinigt, sondern in getrennten Einzel-Figuren mit einander verbunden werden, und daß dies, wenn die Charaktere Lessings, Schillers und Goethes eine solche Verbin dung sonst gestatteten, künstlerisch ausführbar sei, ist in dem vorher er
wähnten Gutachten des Herrn Professors Wolff, dieser Behauptung des
Herrn Professors Maßmann entgegen, anerkannt.
Wenn sich nach der
Meinung des Herrn Professors Maßmann Scharnhorst auf seinem Wacht
posten von der Dreistellung Ports und Gneisenaus neben Blücher be denklich abzuwenden scheint, so giebt dies für den Grad der Ungunst, den diese Dreistellung Rauchs in den Augen des Herrn Professors Maßmann
findet, allerdings wieder einen greifbaren Maßstab, aber es beweist nichts
gegen deren innere Berechtigung, oder, was dasselbe, nichts gegen den künstlerischen Werth dieser Dreistellung selbst.
Freilich steht diese per
sönliche Ungunst des Herrn Professors Maßmann gegen die Rauch'sche Dreistellung nicht vereinzelt da.
Auch die Kunstabtheilung des Goethe-
Comitv sucht den vorhin erwähnten zweiten Grund, den sie gegen die
künstlerische Ausführung der Verbindung des Lessing-Standbildes mit
den Standbildern Schillers und Goethes auS der linearen Aufstellung dreier Statuen entnimmt, Seite 12 ihres Gutachtens, dadurch zu ver-
30 anschaulichen, daß sie zufügt:
„Auch hier konnte auf ein bestimmtes
Beispiel hingewieien werden, indem die Aufstellung der drei Feldherrn Statuen am Opernhause, ohne dem hohen Verdienste des Meisters und
der Bedeutung der einzelnen Statuen selbst irgmdwie zu nahe zu treten,
doch von künstlerischer Seite aus ungünstig, und der wahrm künstlerischen Wirkung ermangelnd bezeichnet werden mußte."
blos dafür.
Allerdings auch wieder
ein Hinweisen auf einen behaupteten Mangel
und
kein Beweis
Aber, wenn die Rauch'sche Freistellung der Feldherrn-Statuen
am Opernhause,
seinem Ruhm
die Rauch selbst doch mit seiner Künstler-Ehre und
nicht
unverträglich gehalten hat, sei es wegen der
für
linearen Aufstellung oder wegen sonstiger Gründe, nicht blos behaupteter, sondern erwiesener und unwiderleglicher Maßen für mißlungen oder un genügend
erklärt werden müßte:
soll die statuarische Dreistellung als
solche darum überhaupt und an allen Orten und zu allen Zeiten ihrer künstlerischen Ausführbarkeit entkleidet, soll sie dann« für immer aus der
Reihe der Kunstaufgaben gestrichen, soll es darum ein und für allemal
unmöglich geworden sein, die Standbilder unserer drei größten Schrift steller
und dramatischen Dichter vor dem Königlichen Schauspielhause
in Berlin harmonisch zu verbinden?
Was bis zur Zusammenstellung der
drei Feldherren-Statuen am Opernhause hier als künstlerisch ausführbar
von Niemand bestritten wurde, hätte seitdem durch die angeblich miß lungene Dreistellung Rauchs diese Eigenschaft unwiederbringlich verloren?
Ich würde fürchten, von der Kunst und der Leistungsfähigkeit der jetzigen Künstler viel zu gering zu denken, wenn ich Eine dieser Fragen bejahte.
Auch ist in der hier später begonnenen und der Vollendung jetzt nahe
gebrachtm Dreistellung der Standbilder Thaers, Schinkels und Beuths ihre Verneinung thatsächlich vor Augen gestellt.
L a cb l i cb e s R e f u 11 a t. Die
auf
die Frage
der
künstlerischen Ausführbarkeit
bezüglichen
Beilagen zu dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe - Comitö Nr. 3 bis 10 sind hiermit,
Ein Rückblick auf sie,
ihrem sachlichen Inhalte nach, mitgetheilt.
aus den betrfsenden Theil des Gutachtens selbst
und auf die Immediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 giebt, sofern eö
im Besondern die vota der dabei betheiligten plastischen Künstler betrifft, folgendes Resultat:
Für die Aufstellung blos eines Standbildes auf dem Gensdarmen-
31 markte sind die Herren: Albert Wolff, A. Fischer, Herrmann Schievelbein,
H. Wittig, Carl Möller, Gustav Bläser, I. Franz und H. Heidel. Für die Ausstellung zweier Standbilder dort waren am 27. Ja
Fr. Drake,
nuar 1860 die Herren:
dow, I. Kiß und Hugo Haagen.
der Kunstabtheilung
Sußmann-Hellborn,
August Wre-
Die beiden erster», in der Sitzung
des Goethe-Comite vom
14. April
1862
anwe
senden Herren sind jetzt für die Trennung des Goethe-Standbildes von dem Schiller-Standbilde,
Standbildes mit den
weil sie gegen die Verbindung des Lessing-
Standbildern
Schillers und Goethes sind.
Die
drei letztem Herren, die in dieser Sitzung nicht anwesend waren, sollen, wie Seite 15 der Druckschrift: „Gutachten der Kunstabtheilung u.s.w."
gesagt ist,
sich
klärt haben.
mit den Beschlüssen dieser Abtheilung einverstanden er
In welcher Weise und
im Besondern gegen wen dieses
Einverständniß ausgesprochen worden, ist nicht angegeben.
die
Ueber
künstlerische
Ausführbarkeit
der
dreier
Aufstellung
Standbilder dort hat sich mit erkennbarer Bestimmtheit nicht ausge sprochen Herr Heidel.
Ausdrücklich bestritten hat sie keiner der Herren,
namentlich dann nicht, wenn die Ausführung in Cine Hand gelegt und von verschiedenen Aufträgen
oder Coucurrenzen dabei abgesehen würde.
Bestimmt anerkannt oder cutgeräumt, das; „es sich hier zuvörderst nicht
um
die
Unmöglichkeit
praktische
der
Stellung
dreier Statuen
neben
einander handelt, sondern darum, das; Lessing, wenn auch noch so groß,
als Dichter nicht passend erscheint, neben den beiden andern ausgestellt zu werden," das hat Herr Professor Wredow.
Nach dieser letzten offenen Crklärtmg eines von der Kunstabtheilung des Goethe-Comite
behauptete
selbst,
künstlerische
Standbildes
mit
den
angerufenen Künstlers vom Fach
Unausführbarkeit
der Verbindung
Standbildern Schillers
Königlichen Schauipielhauie,
wird die
des Lessing-
und Goethes
vor
dem
die sich überdies weder in dem Gutachten
der Kunftabtheilnng des Goethc-Comitö selbst noch in den desfallsigen Beilagen Nr. 3 bis 10 als begründet
erwiesen
hat,
verlassen werden
können.
Die Vossische Zeitung gab am 5. Januar 1861 den Auszug eines
größeren Auft'atzes von Gustav
Freitag aus Nr. 1 der Grenzboten
von 1861: „Der Schillerpreis und die projecttrten Statuen in Berlin" überschrieben,
worin der Verfasser sagte:
„Der Cinwurf darf nicht im
Cmst gemacht werden, daß zwei Statuen sich der gegebenen Oertlichkeit, dem Raum vor der Treppe des Schaitspielhauscs,
besser anpassen wür-
39
bm, als eine. Offenbar ist der erwählte Raum weder für eine noch für zwei Statuen vorzugsweise günstig. Er ist weder für eine noch für zwei unbedingt ungünstig. Es ist eben Aufgabe sowohl des erfindenden Bildhauers, als der helfenden Künste, welche den Raum um das Derckmal zu schmücken haben, ihn so viel als möglich anzupassen. Wir zweifeln nicht, daß das bei zwei Statuen geschehen kann; es wird bei einer nicht weniger möglich sein." Was hier über die damalige Frage, ob ein oder zwei Stand bilder, gewiß mit vollstem Recht gesagt ist, wird wohl auch jetzt bei der Frage, ob zwei oder drei Standbilder, zutreffen.
Es bleibt schließlich noch zu bemerken, daß die Zuschriften des Herrn Professors Dr F. A. Märcker, worauf die Beilagen Nr. 3 bis 10 geant wortet haben, dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-ComitL vom 14. April 1862 nicht zugefügt worden sind, und daß daher in Bezug auf den Inhalt dieser Beilagen der Zusammenhang von Farge und Antwort diesseits nicht gewürdigt werden konnte.
33
Die literiturgeschichtliche Unangemeffeaheit. Die Kunstabtheilung des Goethe-Comite ist Seite 10 ihres Gut achtens vom 14. April 1862 in dieser Beziehung folgender? Meinung: „Keine Auffassung, die zur Motivirung des Drei-Statuen-Projects gemacht werden könnte, kann genügen, deren innere Jnconvenienz und den gegen die historische Stellung der drei Dichter darin enthaltenen Fehler zu verdecken. Dies ist von dem Manne, der am meisten dazu berufen erscheint, über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen, dies ist von Jacob Grimm in dem jetzt gedruckt vorliegenden Briefe an den damali gen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Herrn Simson, in so über zeugender Weise nachgewiesen, daß wir deffen Aeußerungen hier nichts Neues hinzuzufügen wegen." Zn so überzeugender Weise? Und doch nicht überzeugend für den, an den der Brief gerichtet war? Denn sowohl die Jmmediat-Eingabe an Seine Majestät den König vom 24. Juli 1861,') die Verbindung des Lessing-Standbildes mit den Standbildem Schillers und Goethes betreffend, als auch der öffentliche Aufruf des Lessing-Comitö vom 10. Januar 1862, *) ist von Herrn Simson durch ausdrückliche Be vollmächtigung mitunterzeichnet, und seitdem nicht bekannt gewordm, daß Herr Simson seine Ueberzeugung von der Richtigkeit der ihn, und der Unrichtigkeit der den Herrn Jacob Grimm bestimmenden Gründe in Sachen des hier zu errichtenden Lessing-Standbildes und der Verbindung dieses Standbildes mit den Standbildern Schillers und Goethes vor dem hiesigen Königlichen Schauspielhause, irgend wie geändert habe. Aber die Mitglieder der Kunstabtheilung des Goethe-Comitö selbst sind doch ihrerseits von der Richtigkeit der Gründe des Herrn Jacob Grimm in dessen Brief an Herrn Simson so vollständig überzeugt, daß sie seinen Äußerungen hier „nichts Neues hinzuzufügen wagen"?
') Beilagt VI.
’*) Beilage IX.
34 Sie sind es in zwei der allererheblichsten Punkte auch nicht, und
hätten sich daher auf diesen Brief nicht unbedingt betufm dürfen. Der erste Punkt ist die „Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes" und deren dadurch für sie gerechtfertigte Verherrlichung in ver einigten Standbildrm auf Einem Platze, „aus dem schönsten Platze, mit dem idealen Hintergründe einer ächt antiken Säulenstellung nebm einer prächtigen Freitreppe." Die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860, die jetzigen Mitglieder des Goethe-Comite, sowie auch jetzt noch die Mitglieder der Kunstabtheilung dieses Comite, habm sich zu dem Glauben an diese Zusammengehörigkeit und an die Noth wendigkeit der daraus gezogenen Consequenz eben so bestimmt bekannt, als Herr Jacob Grimm in seinem Briefe an Herrn Simson diesen Glaubm nicht theilt und daher auch diese Consequenz nicht anerkennt.
„Die beiden großen Dichter" — heißt es in der Jmmediat-Eingabe vom 27. Januar 1860 — „sind nur mit und durch einander zu be greifen, weil sie in ihren Richtungen und Werken sich gegenseitig ergän zend, das Bild einer großen und erhabenen Einheit im Gedanken dar stellen;" daher wird die Erlaubniß zur Begründung eines Comite, „ behufs der Errichtung eines gesonderten Denkmals für Goethe, gleichwie für Schiller, auf dem Gensdarmenmarkte erbeten." „Seine Königliche Hoheit" — heißt es Seite 7 des Gutachtens — „haben dem Gedanken, daß den beiden Dichterfürsten, welche im Leben mit und neben einander gewirkt haben, die Nachwelt eine gleiche und gemeinsame Anerkennung schulde" — beide Worte sind auch im Text des Gutachtens mit gesperrter Schrift gedruckt, — „Allerhöchst Ihre volle Zustimmung," sowie für das „in Verbindung mit dem SchillerDenkmal zu errichtende Denkmal für Goethe die Allerhöchste Zusicherung eines Beitrags von 10,000 Thalern gegeben." Die Kunstabtheilung deö Goethe-Comite „glaubt heute", am 14. April 1862, wie in ihrer letzten Sitzung (am 12. Juli 1861) S. 10, „daß die Aufstellung zweier Statuen, der Schillers und der Goethes, in gleichem wohlerwogenemVerhältniß zur Umgebung, die schönste Art sei, der Verehrung der deutschen Nation für diese beiden großen Männer einen würdigen und der Natur des Verhältnisies der Beiden zu einander am meisten entsprechenden Ausdruck zu geben." „So würden Beide" — Schiller und Goethe — S. 8 — „gleichberechtigt dem Auge des Beschauers entgegmtreten sönnen, wie sie gleichberechtigt im Bewußtsein der Nation fortleben." Darum eben will und muß die Kunstabtheilung deS Goethe-Comite, von der
35 Bereinigung der Denkmale Schillers und Goeches auf dem Gensdarmenmarkte, das Lessing-Standbild fern gehalten wissen, weil es „beit dieser Vereinigung zu Grunde liegenden Gedanken vollständig aufheben würde"; „diese Vereinigung aber zu erreichen war Grundlage und letztes Ziel aller Bestrebungen des Goethe-Comite." „Ein Aufgeben derselben wäre ein Aufgeben seiner selbst gewesen." „Viele treMche Männer" — setzt dann, um es zu wiederholen, das „Vorwort" des Gutachtens S. 4 noch hinzu — „sind noch immer der Meinung, daß man diesen Grundgedanken des Goethe-Comitö nicht aufgeben dürfe, indem man bei rich tiger Einsicht seiner Erfüllung doch noch entgegen sehen dürfe;" — derselben unveränderten Meinung, wozu sich das Goethe-Comitö auch am 12. September 18(>0 bekannte, als es dem Magistrat erklärte, „auf diesen Plan" — das Goethe-Standbild auf einem anderen Platze, getrennt von den, Schiller-Standbild, zu errichten, — „können wir nicht eingehen, ohne unsern Allerhöchst sanctionirten Grundgedanken und den ganzen Zweck unseres Bestehens aufzugeben." So das Goethe-Comitö, die Kunstabtheilung desselbm und das „Vorwort" zu dem Gutachten des Letzteren. Man wird zugeben, daß stärker, nachhaltiger, und übereinstimmender die unveräußerliche Zusam mengehörigkeit der Standbilder Schillers und Goethes auf Einem Platze, die Nothwendigkeit ihrer bleibenden Verbindung und die absolute Un möglichkeit ihrer Trennung und Aufstellung auf verschiedenen Plätzen kaum auszusprechen war. Und Herr Professor Jacob Grimm in seinem Briefe an den Prä sidenten Simson? „Meine persönliche Ansicht ging nicht einmal dahin, daß Goethe und Schiller beide dieselbe Stelle sollten einnehmen, ich hielt mehr als einen Platz in der großen Stadt für geeignet dazu. Schiller mochte gern aufsteigen, wo man sich an seinem Feste versammelt hatte. Warum sollte nicht Goethes Bild auf dem Leipziger Platz oder auf dem ehema ligen Exercierplatz, den in einigen Jahrzehnten Prachtgebäude einfassen werden, am wirksamsten sein? — Neben Goethe stehen könnte Einer nur, Humboldt. — Bei den Mitgliedem des Goethe-Vereins überwog gleichwohl die Meinung, daß beide Dichter, denen so Vieles gemein war, am besten neben einander ständen."
Wo ist hier die richtige Einsicht, von der das „Vorwort" zu dem Gutachten der Kunstabtheilung spricht, diese Stütze für die Meinung jener S'
36 vielen trefflichen Männer, daß man den Grundgedanken des GoetheComite, das Schiller- und Goethe-Standbild aus demselben Platze zu errichten, nicht aufgeben, sondern seiner Erfüllung doch noch entgegen sehen dürfe? Bei dem zweiten Punkte, dem Rangverhältnifle zwischen Schiller und Goethe, ist die Differenz noch größer, oder hört sie gänzlich auf, da hier zwischen der Ueberzeugung der Kunstabtheilung des GoetheComite und der des Herrn Professors Jacob Grimm der vollkommene Widerspruch beginnt. „Diese Hinzufügung" — des Lessing-Denkmals nämlich — sagt die Kunstabtheilung des Goethe-Comite S. 10 ihres jetzigen Gutach tens" würde jene einzige Erscheinung, daß zwei gleich große Genien in neidloser Einigkeit nicht nur gemeinsam gewirkt, sondern sich dieser ihrer Zusammengehörigkeit auf das Klarste bewußt gewesen sind, eine Erscheinung auf die unsere Nation vor Allem stolz zu sein berechtigt ist, nicht in ihrem hohen Werthe, zu dem ihr gebührenden Ausdruck gelangen lassen; sie würde die Ansicht der Zeitgenossen nicht in ungetrübter Weise auf die Nachwelt bringen, für welche jene Monumente nicht minder, wie für die Gegenwart errichtet werden sollen."
Also Schiller und Goethe „zwei gleich große Genien". Wie wird es mit dieser einzigen Erscheinung, mit diesem Hauptgrund unseres berechtigten Nationalstolzes, mit der Ansicht der Zeitgenossen und dem Anrecht der Nachwelt beschaffen sein, wenn Schiller und Goethe in den Augen Jacob Grimms nun diese zwei gleich großen Genien nicht sind; wenn, seiner Ueberzeugung nach, einer dieser beiden Genien den andern an Erhabenheit so sehr überragt, daß kaum an einen Vergleich, geschweige an eine Gleichstellung zu denken ist? „Goethe, wenn es mich hier doch drängt es auszusprechen" — sagt Herr Professor Grimm in seinem von der Kunstabtheilung des GoetheComitö angerufenen und in ihrem Gutachten abgedruckten Briefe an Herrn Simson — „ist unter den Dreien der größte Genius, an seine Erhabenheit reichen Lessing und Schiller, so herrlich sie sind, nicht von Weitem."
Wenn die Kunstabtheilung des Goethe-Comite also ihrem Glauben an den Mann „der wie kein Anderer berufen scheint über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen," die Ehre giebt, so kann jene einzige Erscheinung
37 der zwei gleich großen
Genien Schiller und Goethe,
für Lessing eine unnahbare wurde, den«
die ihrigen länger nicht im Wege stehen. keit ist
für
dann gebrochen,
Schiller
die zugleich
Anschluß seines StandbüdeS an Der Bann der Ausschließlich
sowohl,
und Goethe
für
wie
Schiller, Goethe und Lessing.
Wie es sich aber auch
damit gestalten mag, der Brief des Herm
Jacob Grimm gewährt uns zugleich einen Rückblick in die Vergangenheit und giebt Beweise über eine Thatsache, die nach den anderen Thatsachen,
die ihr seitdem gefolgt sind, grade jetzt besondere Beachtung verdient.
„Bei den Mitgliedern des Goethe-Vereins" — sagt Herr Jacob Grimm
in seinem Briefe vom 29. Mai 18G1 — „überwog gleichwohl die Mei nung, daß beide Dichter, denen so Vieles gemein war, am besten nebm
sie
einander ständen;"
überwog,
Goethe-Vereins, gegen
Mitglieder
der
diese Meinung
des
die „persönliche Ansicht"
Herrn
des
Jacob
Grimm, daß „Goethe und Schiller beide dieselbe Stelle" nicht einneh-
men sollten. Ich selbst
Grimm, oder
in
von
habe
dee Henn Jacob
dieser persönlichen Ansicht
das Goethe-Standbild nicht auf dem Gensdarmenmarkt nebm
mit dem Schiller-Standbilde,
Verbindung
andern Platze Berlins
aufzurichten,
sondern auf einem
erst durch diesen Brief
Kenntniß
erlangt, wiewohl mir durch die Güte des Henn Professors Dr. Märcker
Gelegenheit gegeben worden,
bei den Vorberathungen über das Jmme-
diat-Gesuch vom 27. Januar 1860 mitzuwirken, dieses Gesuch unterzeichnen und
des Goethe-Eomitö Theil zu haben. Ansicht
des Herrn Jacob Grimm
zu
Auch ist mir über diese persönliche vor
des
vom 29. Mai
diesem Briese
1861 sonst nicht das Mindeste bekannt geworden. sen Brief gelesen,
mit
in Folge dessen jetzt an der Ehre der Mitgliedschaft
Ich bin, bis ich die
festen Glaubens gewesen, daß alle Unterzeichner
der Jmmediat-Eingabc vom 27. Januar 1860 darin nur den gemein
samen Wunsch bekannten,
das Goethe-Standbild
bild auf dem Gensdarmenmarkt anichließcn
dem Schiller-Stand
zu dürfen;
ich habe
vor
Allem früher nicht gewußt, daß zwischen dem Herrn Jacob Grimm und
anderen Herren Standbildes
auf
des Goethe-Vereins über die Errichtung des Goethe-
verschiedenen Plätzen oder aus demselben Platze mit
dem Schiller-Standbilde, eine Meinungsverschiedenheit obgewaltet, daß sie
Gegenstand
von Erörterungen zwischen ihnen
Meinung die andere,
Grimm,
überwogen
gewesen, daß hierbei eine
die Meinung jener Herren die
habe.
Gleichwohl ist
dies nach
des Herrn Jacob
dem Briefe des
38 Herrn Jacob Grimm der Fall gewesen, da nicht anzunehmen, daß Herr Jacob Grimm seiner persönlichen Ansicht im Gegensatze zu der Meinung
Anderer, die überwogen habe, gedenken sollte, wenn er diese seine persönliche Meinung nicht auch jenen Andern vorher mündlich oder schriftlich geäu
ßert, sie ihnen und ihrer Meinung gegenüber in der einen oder andern
Weise nicht auch vorher mehr oder minder begründet hätte.
Jene Herren
warm also damals in dem Falle, dem Uttheile des Henn Jacob Grimm
folgen.
ihrerseits zu
Hättm sie es gethan, so würde vielleicht um die
Errichtung des Goethe-Standbildes auf dem Genödarmenmartt Allerhöch sten Orts gar nicht gebeten und der ganze spätere Stteit zwischen dem
Schiller- und Goethe-Comite zusammt dem schließlichen Einigungovorschlage des Drei-Statuen-Projects vermieden worden sein.
Daß sie es
aus Gründen, die sie ihrerseits für die besseren und richtigeren hielten, auch einem so bedeutenden und geehrten Manne, wie Herr Jacob Grimm,
gegenüber nicht gethan haben, war ihr unbestreitbares Recht, und konnte
ihre unabweisliche Pflicht sein.
Aber dasselbe Recht und dieselbe Pflicht
besteht demselben Manne gegenüber, heute wie damals, auch für Andere. Was damals für Andere unsträflich und erlaubt war, muß es auch noch heute sein.
Wenn die Autorität eines Namens niemals und unter kei-
nen Umständen werden darf,
das Joch
für
die Freiheit
warum sollen die,
einer andern Ueberzeugung
die auftichtig überzeugt sind,
daß die
Verbindung der Standbilder Lessings, Schillers und Goethes vor dem
Königlichen Schauspielhause zu Berlin innerlich berechtigt und wohl be
gründet ist,
nicht
auch
gegen
Jakob
Grimm an ihrer Ueberzeugung
festhalten dürfend und wenn eö anders ist, warum haben bei der frühe
ren Frage
über
über die daraus
ihrer
Standbilder
die Zusammengehörigkeit Schillers
und Goethes und
von ihnen hergeleitete Nothwendigkeit
der Errichtung
auf Einem Platze, jene Herren selbst sich der Auto
rität Jacob Gximms nicht beugen wollen? Den Gründen gegenüber, womit diese Verbindung noch jetzt öffent lich bestritten wird, ist jene ftüherc Frage über die Zusammengehörigkeit
Schillers und Goethes indeß ebenfalls noch jetzt eine gegenwärttge.
Es
gereicht mir zur Genugthuung, daß ich dabei mit meiner eigenen Ueber zeugung ganz auf der Seite Jacob Grimms stehe. dieser Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes,
erfreuen und dafür dankbar sein,
Was wahr ist an dessen soll man sich
baut ihm aber keine Denkmale;
und
was unwahr daran ist und übertrieben, das führt zu Abgötterei und Un gerechtigkeit.
Es soll auch hierfür der Beweis versucht werden.
39
Die Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes.
Ehe Schiller und Goethe sich persönlich kennen lernten und irgend
ein Verhältniß gegenseitigen Austausches oder innerer Ergänzung unter
ihnen begonnen hatte, warm die meistm, und, unter ihnen, die meisten besten Früchte des Goetheschen Geistes gereift und gesammelt: Werther,
von Berlichingen, Wilhelm Meisters Lehrjahre, und „jettet Gmien
Götz
Gesänge:
„Heiß mich nicht reden,
Wer nie sein Brod mit Thränen aß, werde, u. s. w.," der
Theil
des Faust;
in Thule,
Herz
erste
König
Iphigenie,
So
Egmont,
die
will ich schleichm,
An die Thüren
laßt mich
Tasso,
unsterblichen Lieder
mein Herz
scheinen bis ich
die römischen ©legten,
was soll das
und Oden:
„der
In
allen
geben,
guten Stunden, Dem Geier gleich, Welcher Unsterblichen, Welch' ein Ge tümmel füllt Thaliens Haue,
Ueber allen Gipfeln
ist Ruh,
An
dem
Bei dem Glanz der Abendröthe" — und die
reinsten FrühlingSmorgen,
tausend andern Harmonien, in denen sein Volk und die Welt vernahm, daß er der Glückliche
sei,
dem
worden,
es beschicden
Schleier auö der Hand der Wahrheit entgegenzunehmen.
Reichchum während verbindung
Dichtung
der zehnjährigen Dauer der Lebens- und Geistes
mit Schiller
mit Hermann
der
Wohl ist dieser
noch mit manchm Schätzen
und Dorothea,
Verbindung zerrissen,
und,
und unter ihnen
nachdem der Tod Schillers diese
mit andern neuen Schätzen, den Wanderjahrm,
den Wahlverwandtschaften, mit Wahrheit und Dichtung, dem zweiten Theil des Faust, und was er sonst Herrliches dem Gehalt
entnehmen
und durch
die Form seines Geistes
seines Busens
noch auf das Dankenswertheste vermehrt und ausgebreitet worden.
das Höchste hatte Goethe geleistet,
zu
zu verewigm fortfuhr,
Aber
ehe er mit Schiller verbunden war
und seine Verdienste würden so groß sein, wie sein Ruhm unvergänglich
ist, auch wenn er Schiller nie gesehen hätte. im
Wie der Dichter Goethe
großen Ganzen seiner bedeutendsten Cchöpfungett, in
daß sie in ihrer Conception oder Zeitigung
dem Sinne,
auf Schiller zurückzuführen
wären, hiernach nicht mit Schiller zusammengehört, sondertr völlig un
abhängig von diesem, ganz in eigener Kraft und unbedingter Selbstän
digkeit dasteht, so gehörten Goethe und Schiller bis zu den letzten zehn
40 Jahrm des Schillerschen Lebens auch in den Bezügen ihres Herzens und in den Richtungen ihres Geistes nicht zusammen, jo sie fühlten sich darin
so von einander geschieden, daß ihre Verbindung anfänglich ihnen beiden
fast unmöglich schien.
Hören wir darüber Schillers und Goethes eigene Bekenntnisse. Sie finden sich von Neuem zusammengestellt in der Encyclopädie der Künste
von Ersch und Gruber, in der ersten Section des
und Wifienschaften
72. Theils 1861, in einer Darlegung von Hennann Marggraff, der wir hier zunächst folgen wollen.
„Es giebt vielleicht fein zweites Beispiel in der Literatur" — so
beginnt hier der Verfasser — „daß sich zwischen zwei Geistesheroen ein Freundschaftsbund zu einer solchen Innigkeit entwickelte, dem so entschiedme
und Differenzen
Antipathien
vorausgingen.
Schiller
war
am
21. Juli 1787 in Weimar eingetroffen und verweilte dort zunächst bis über die Mitte Mai 1788. Goethe befand sich noch in Italien; Herder, der Schiller fteundlich aufnahm, sich
ohne von ihm viel zu kennen, sprach
über Goethe mit einer solchen Begeisterung aus,
daß Schiller an
seinen Freund Körner schrieb: „„Goethe liebt er mit Leidenschaft, mit einer Art von Vergötterung.""
In einem späteren Briefe vom 12. August
1787 berichtet Schiller weiter,
mehr als Mensch
denn als Schriftsteller
dann gewissenhaft mit, sagt habe.
was Herder Alles
sich damals bei denen,
Diese
fast ausnahmslos
daß Goethe von
sehr vielen Menschen,
mit einer Art von Anbetung genannt, daß er noch
auch außer Herder,
bewundert werde,
und theilt
zu Gunsten Goethes ausge welche ihn genauer
kund gebende gute Meinung
kannten,
für Goethe, der seinen
Anfangs hier und da Anstoß gebenden jugendlichen Uebermuth abgestteift
und sich zu edelster Männlichkeit und reinster Humanität entwickelt hatte, scheint allgemach
für Schiller drückend
geworden
zu sein;
denn dieser
war durch seine precaire Lage, die ihn zur Uebernahme von Brodarbeiten
nöthigte, durch den keineswegs sehr ermuthigenden halben Erfolg
seines
Don Carlos, und durch eigenes Ungcnüge an seinen früheren Schöpfun
gen aufs Tiefste verbittert,
so daß er am 7. Januar 1788 an Körner
schrieb: „„Ich führe eine elende Existenz, elend durch den inneren Zustand meines Wesens.""
Man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, daß
Schiller damals Goethe beneidete, ja als ein Hinderniß für sein eigenes Emporkommen bettachtete und gründlich haßte.
nisse bezeugen dies.
Seine eigenen Bekennt
Am 19. December 1787 schreibt
„„Goethes Zurückkunft ist ungewiß,
und seine
er an Körner:
ewige Trennuirg
von
Staatsgeschäften bei Vielen schon wie entschieden. Während er in Italien
41 malt, müssen die Voigts und Schmidts für ihn wie Lastthiere schwitzen.
Er verzehrt in Italien für Nichtsthun eine Besoldung von 1800 Thlrn.
unirfte müssen für die Hälfte des Geldes doppelte Last tragen." " Schiller
beneidete also Goethe um jene Muße und sorgenfreie Stellung, die er sich selbst von Herzen gegönnt hätte." „Goethe kehrte aus Italien
zurück und Schiller hatte nun Gele
genheit chn persönlich kennen zu lernen.
Dies geschah zum ersten Mal
am 7. September 1788 im Hause der von Lengefeldschen
Familie zu
Rudolstadt.') Schiller schrieb am 18. September an Körner: „„Endlich wie ich weiß, sehr be
kann ich Dir von Goethe erzählen, worauf Du, gierig wartest.
Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in
seiner
Gesellschaft zugebracht, wo er uns mit der Herder, Fra» von Stein und der Frau von S., die Du im Bade gesehen hast, besuchte.
Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich
Sein erster
tief herunter, die man mir
von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte.
mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so;
Er ist von
sein Gesicht ist ver
schlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft und man hängt mit
Vergnügen an seinem Blick.
Bei vielem Ernste hat
viel Wohlwollendes und Gutes.
auszusehen,
Er ist brünett
seine Miene doch
und schien mir älter
als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann.
Stimme ist überaus angenehm,
Seine
seine Erzählung fließend, geistvoll und
belebt; man hört ihn mit überaus vielem Vergnügen, und wenn er bei
gutem Humor ist,
welches diesmal so ziemlich der Fall war,
gern und mit Interesse.
Unsere Bekanntschaft
ohne den mindesten Zwang;
spricht er
war bald gemacht und
freilich war die Gesellschaft
zu groß und
Alles auf seinen Umgang zu eifersüchttg, als daß ich viel allein mit ihm
hätte fein oder etwas Anderes können.
Er spricht
gern und
als allgemeine Dinge mit
mit ihm sprechen
leidenschaftlichen Erinnerungen von
Italien; aber was er mir davon erzählt hat, gab mir die treffendste und gegenwärtigste Vorstellung von diesem Lande und diesen Menschen.
Ganzen
genommen ist meine
in der That große Idee
von ihm
Im nach
dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle,
ob wir einander je sehr nahe kommen werden.
Vieles, was mir jetzt
noch intereflant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat
') Ges ehe» hatten sie sich schon acht Jahre früher, am 13. December 1779, al- Goethe mit seinem fürstlichen Freunde der an diesem Tage auf der Stutt garter Militair-Akademi« stattfindenden Preisvertheilung beiwohnte, „wobei auch der „Eleve" Friedrich Schiller drei Preise erhielt. Goethe stand dabei zur Linken deHerzog- von Württemberg, wie Karl August zur Rechten deffelben."
42 seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir an Jahren
weniger
Lebenserfahrungen und Selbstentwicklung so weit voraus,
als an
daß wir un
terwegs nie mehr zusammenkommen werden; und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang an anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist
nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sich's aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und
gründlich.
Die Zeit wird daö Weitere lehren." "
„Auch nahm Schillers Verstimmung gegen Goethe in der nächsten Zeit nur zu und wuchs bis zu einer in der That grandios zu nennen
den Verkennung der gemüthlichen und menschlichen Seite Goethes. „Am 2. Februar 1789 schrieb er an Körner aus Weimar: „„Oes ters um Goethe zu sein würde mich unglücklich machen; er hat auch ge
gen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an Nichts
zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade.
Er besitzt das Talent die Menschen zu fesseln, und durch kleine
sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen; aber sich selbst weiß er immer frei zu behalten.
Er macht seine Existenz wohlthätig
kund, aber wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben. — Dies scheint mir
eine consequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höch sten Genuß der Eigenliebe calculirt ist.
Ein solches Wesen sollten die
Menschen nicht um sich herum aufiommen hissen.
Mir ist er dadurch
verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß
von ihm denke.
Eine ganz besondere Mischung von Haß und Liebe ist
es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht un
ähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Caesar gehabt haben müssen;
ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben. Die Götter Griechenlands hat er sehr günstig beurtheilt; nur zu lang hat er sie gefunden, worin er auch nicht unrecht haben mag. Sein Kopf ist weit und sein Uttheil über mich eher gegen mich, als für mich par-
theiisch. Weil mir nun überhaupt nur daran liegt, Wahres von mir zu hören, so ist dies grade der Mensch unter Allen, die ich kenne, der mir diesen Dienst thun kann.
Ich will ihn auch mit Lauschern umgeben,
denn ich selbst werde ihn nie über mich beftagen.""
sucht drückte sich fast
noch unverstellter, man
Schillers Eifer
möchte sagen roher, in
seinem Briefe vom 9. März 1789 aus, wo es heißt: „„DieserMensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so ost,
daß das Schicksal mich hart behandelt hat.""
Also das Glück, das
Goethe voraus hatte, mußte er damit entgelten, daß Schiller, der sich
ohnehin von ihm vernachlässigt wähnen mochte, ihn des Egoismus be
schuldigte. Die ursprüngliche Ueberlegenheit des Goetheschen Genies über
43 das seine dagegen erkannte er in einer seiner Aufrichtigkeit und Selbst
erkenntniß nur Ehre machenden Weise vollkommen an.
Schiller schreibt
den 25. Februar 1789 an Körner: „„Mit Goethe messe ich mich nicht,
wenn er seine ganze Kraft anwenden will.
Er hat weit mehr Genie
als ich, eine höhere Sinnlichkeit, und zu allem diesen einen durch Kunst
kenntniß aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn."" „Schon freundlicher lautete im Jahre 1790 Schillers Urtheil über
Goethe.
Dieser hatte damals auf einer Reise Dresden besucht und acht
Tage dort zugebracht.
Körner schrieb über ihn an Schiller den 6. Ok
tober: „„Goethe ist acht Tage hier gewesen, und ich habe viel mit ihm gelebt; es gelang mir ihm bald näher zu kommen, und er war mitthei
lender, als ich erwartet hatte.
Wo wir die meisten Berührungspunkte
fanden, wirst Du schwerlich errathen.
Wo sonst, als in — Kant.
In
der Kritik der teleologischen Urtheilskraft hat er Nahrung für seine Phi
losophie gefunden.""
Schiller schreibt nun nach Goethes Rückkehr den
1. November 1790 aus Jena an Körner: uns und das Gespräch kam bald auf Kant.
„„Goethe war gestern bei Interessant ist's,
wie er
Alles in seine eigne Art und Manier kleidet und überraschend zurückgiebt,
was er las; aber ich möchte doch nicht gern über Dinge, die mich sehr nahe interessiren, mit ihm streiten. Es fehlt ihm ganz an der herzlichen
Ihm ist die ganze Philosophie subjec-
Art sich zu etwas zu bekennen.
tivisch und da hört denn Ueberzeugung und Streit zugleich auf.
Seine
Philosophie mag ich auch nicht ganz; sie holt zuviel aus der Sinnen
welt, wo ich aus der Seele hole.
Ueberhaupt ist seine Vorstellungsart
zu sinnlich und betastet mir zuviel. "" Das war Goethe in den Augen und für das Herz Schillers nach zweijähriger persönlicher Bekanntschaft noch am 1. November 1790. Und
was war Schiller um dieselbe Zeit und nach eben so langer persönlicher Bekanntschaft in den Augen und für das Herz Goethes?
„Einen ganz ähnlichen Gang von der entschiedensten Antipathie bis zur innigsten Geistesoerbrüderung" — fährt Marggraff fort — „machte auch Goethe in seinem Verhältnisse zu Schiller durch; nur beruhte seine
Antipathie auf ganz andern, oder doch nur zum Theil ähnlichen Grün
den.
Weder was das ursprüngliche Talent, noch was die literarischen
Erfolge, noch was Glück und
äußere Lebensstellung betrifft, hatte Goe
the den jüngcrn Mann zu beneiden.
Seine Abneigung gegen Schiller
beruhte einfach auf der principiellen Verschiedenheit ihrer Naturell,
und
insofern war sie bei Goethe eigentlich noch gründlicher und anscheinend unheilbarer.
Schiller ttachtete in Goethes Nähe zu kommen und sein
44 Urtheil über ihn zu erfahren, denn Goethe erschien ihm unter allen Men schen, die er kannte, als der einzige, der ihm den Dienst leisten konnte,
Wahres über ihn zu erfahren.
Goethe dagegen ging Schiller längere
Zeit geflissentlich aus dem Wege.
Schillers dramatische Zugendproducte,
darunter namentlich die von ihm
„„fratzenhaft"" gescholtenen
ber"" widerten ihn an, weil darin ein
„„Räu
„„kraftvolles aber unreifes Ta
lent grade die ethischen und theatralischen Principien, von denen er sich
zu reinigen gestrebt, recht in vollem, hinreißendem Strome über das Va terland ansgegossen hatte."" Dabei schien ihm Schiller in der Behand
lung der Leidenschaften ein sophistisches Talent zu sein, welches die Na tion verderbe. (5r schreibt ein andermal und zwar von dem contemplativen Standpunkte späterer Jahre ans: „„Ich vermied Schillern, der, in
Weimar sich aufhaltend, in meiner Nachbarschaft
wohnte.
Alle An
knüpfungspunkte von Personen, die mir und ihm gleich nahe standen,
lehnte ich ab;
und jo lebten wir eine Zeit lang neben einander fort.
An keine Vereinigung war zu denken.
Selbst das milde Zureden eines
Dalberg, der Schillern nach Würden zu ehren verstand, blieb fruchtlos. Ja meine Gründe, die ich jeder Vereinigung entgegenstellte, waren schwer
zu widerlegen, Niemand konnte leugnen, daß zwischen zwei solchen Geistes antipoden mehr als ein Erd-Diameter die Scheidung mache, da sie denn
beiderseits als Pole gelten mögen,
aber eben deswegen in Eins nicht
zusammensallcn können.""
wußte aber Goethe schon damals
Dabei
„„den redlichen und so seltenen Ernst"" in Allem, was Schiller geschrie
ben und gethan, sehr wohl zu schätzen, und in Don Carlos erkannte er wenigstens das Streben „„sich zu beschränken und dem Rohen, Ueber-
triebenen und Gigantischen zu entsagen.""
„Trotz dieser Antipathie handelte Goethe mit gewohnter Loyalität an Schiller; er wirkte mehr für als gegen ihn. Namentlich geschah dies
von ihm in der Bernfungsangclegmheit Schillers nach Jena. Als diese von
Frau von Stein und dem Koadjutor Dalberg angeregt worden,
ließ es Goethe nicht an sich fehlen, sie zu fördern und handelte zu die sem Zwecke mit dem Geheimen Rathe von Voigt, seinem
Mitarbeiter"" gemeinsam;
„„getreuen
sicherlich bedurfte auch Schiller dieser Für
sprache und Unterstützung, da ihm die zur Uebernahme einer Professur
erforderliche vorschriftsmäßige Qualifikation fehlte, weshalb ihn auch einige
alte
Zöpfe
unter
den
jenaischen
Profestoren
als einen Eindringling
betrachteten und gegen ihn intriguirten. Zugleich suchte Goethe dem an gehenden Docenten Muth einzusprechen, indem er ihn auf das docendo
discitur verwies.
Indessen Ivar Schiller wohl in anderer Absicht nach
Weimar gekommen als in der, Professor in Jena zu werden und Ge-
45 schichtsvorträge zu halten.
Er betrachtete seine Anstellung in Jena (im
Jahre 1789) als eine Art Verbannung und fürchtete davon eine Stö-
mng für seine poetischen und dramatischen Arbeiten.
Schrieb er doch
grade um jene Zeit: „„Ich muß ganz Künstler sein, oder ich will nicht mehr sein.""
Ja er und seine Umgebung gingen sogar soweit, eine In
trigue Goethes dahinter zu vermuthen, roline
von Wolzogen,
schrieb darüber:
und Schillers Schwägerin, Ka „„Schiller war Goethen und
seinem Empfinden damals in Weimar unbequem.
Auch war Schiller
wenig erbaut von der Geschwindigkeit, womit man seine Entfernung von Er fühlte sich übertölpelt, so daß er in dieser Zeit ge
Weimar betrieb.
gen Goethe bis zum Haß verstimmt war."" — Auch läßt sich benfen,
daß das Gefühl des Hasses, welches damals Schiller gegen Goethe er füllte,
und daß schon deshalb der
diesem nicht ganz verborgen blieb,
Verkehr zwischen beiden etwas Gezwungenes hatte.
Goethe aber, wenn
er auch auf die Beobachtung eonventioneller formen hielt, liebte es nicht,
zu heucheln.
Man sah sich selten; doch besuchte Goethe wie schon oben
erwähnt, Schillern im Jahre 1790, als er ihm Grüße von Körner zu
bringen hatte.
Dabei traten immer wieder die früheren Differenzen her
vor und fanden auch wohl gelegentlich ihren literarischen Ausdruck, z. B. in Schillers Abhandlung über Anmuth und Würde.
von den beiderseitigen Freunden,
Inzwischen blieb
von der Familie Lengefeld,
mit der
Goethe ja schon aus siüherer Zeit besieundet war, von dem Appellationsrathe Körner, der nun auch Goethes persönlicher Bekannter und Freund
geworden, und
von dem Verehrer Schillers,
dem Coadjutor Dalberg,
Nichts unversucht, um eine Aussöhnung zwischen beiden zu bewirken und sicherlich hatten diese fortdauernden Vermittlungsversuche einen größeren
Antheil an der endlich stattfindenden Annäherung beider Männer, als man gewöhnlich annimmt." Das ist das Bild der Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes
bis zum 1. November 1790,
bis Goethe
sein 41. Lebensjahr über
schritten hatte. Vier Jahre später erst, erst im Jahre 1794, „als Schiller die Herausgabe der Horen vorbereitete", als er an Goethe schrieb, „daß der Beitritt des berühmten Dichters für den glücklichen Erfolg des Unter
nehmens entscheidend sein werde", als die Goethesche Antwort an Schiller
zurückgelangte:
„Ich werde mit Freuden und von ganzem Herzen von
der Gesellschaft sein.
Was ich an Ungedrucktem Zweckmäßiges besitze,
will ich gern mittheilen, und hoffe, daß die Verbindung mit so wackern
Männern manches
ins Stocken Gerathene
wieder in lebhaften Gang
bringen werde," erst da war das Verhälttriß angeknüpst, aus dem jener
46 Briefwechsel hervorging, dm Marggraff gewiß mit Recht „den großartigftm literarischen Dmkmalm deutscher Nation" zuzählt, dem die Leitiett angehören, das in Wilhelm Teil und Wallenstein seine Kraft be wies; smes Verhältniß, worin sich Schiller „nach wildem Sturm zum Dauemden gewöhnen mochte", während Goethe darin für sich „ein un aufhaltsames Fortschreiten philosophischer Ausbildung und ästhetischer Thätigkeit" pries, das „durch Liebe und Zutrauen, Bedürfniß und Trme mdlich alle seine Hoffnungen übertraf." Wohl mögen währmd der lei der nur zu kurzen Dauer dieses Verhältnisses selten oder nie zwei Menschen in immer wachsmder Geistes- und Herzensgemeinschaft für sich glückli cher, und für andere segenbringender gewesen sein, als Schiller und Goethe. „Wenn ich ihm," — so lauten fernere Dankesworte Goethes über den geschiedenen Freund — „zum Repräsentanten mancher Objecte diente, so hat er mich von der allzustrengen Beobachtung der äußem Dinge und ihrer Verhältnisse aus mich selbst zurückgeführt. Er hat mich die Vielseitigkeit des inneren Mmschen mit mehr Billigkeit anzuschaum gelehrt; er hat mir eine zweite Jugend geschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte." Darum fühlte er sich am 9. Mai 1805 „der Hälfte seines Daseins beraubt", darum hatte er an diesem allgemeinen Trauertage das schmerzenvolle Vorrecht zu fragen: „Nun weint die Welt, und sollten wir nicht weinen?" Aber die Thränen der Welt stossen nicht dem Freunde Goeches, nicht dem Bunde, der nun zwischen dem Vorangegangenen und dem Bleibmden gelöst war. Deutschland hatte seinen edelsten Sohn verloren, und ihm allein galt seine Klage. Ihm allein, der Unschützbarkeit seines Wer thes und seiner Verdienste, nicht seiner „Zusammengehörigkeit" mit Goethe, und noch weniger dem Umstande, daß er und Goethe sich „dieser ihrer Zusammengehörigkeit auf das Klarste bewußt gewesen sind", gilt auch der Dank, wenn es jetzt sein Andenken in der Errichtung seines Standbildes hier verherrlichen will. Nicht weil Schiller und Goethe Freunde, sondern weil diese Freunde Schiller und Goethe waren, setzt ihnen unsere Liebe Monumente. So groß und selten die „Erscheinung einer so späten und doch dann so innigen Freundschaft", wie die ihrige war, diejenige Erscheinung, auf die unsre Natton vor Allem stolz zu sein berechttgt ist, ist sie, Gott sei Dank, noch lange nicht. Noch viel stolzer als auf diese Erscheinung wird die Natton hoffentlich auf jene andere Erscheinung sein, daß sie neben einem Schiller und einem Goethe auch noch einen Lessing hat.
—
47
—
Die bewußte Zusammengehörigkeit Schillers und Goethes für den
Hauptgrund
unseres
berechtigten Nationalstolzes
erklärm,
auch wenn
es gewiß ist, daß der größte Theil des Ruhms des Einen derselben, die ser Zusammengehörigkeit nicht das Allermindeste zu verdanken hat, und
daß ein Standbild Lessings
daraus die Folge herleiten,
in der Nähe
ihrer Standbilder keine Stelle finden dürfe, das führt in der That zu
Abgötterei und Ungerechtigkeit. Zu jettet, weil es das Höchste in Etwas
zu verehren lehrt, was offenbar das Höchste nicht ist, und zu dieser, weil
es etwas
und
wirklich sehr Hohes
höchst Perdienstvolles
viel
zu tief
stellt. Alle schuldige Achtung also vor der Zusammengehörigkeit Schillers
und Goethes, soweit sie wahr ist, aber auch vor der Zusammengehörigkeit Schillers, Goethes
und Lessings, soweit sie ebenfalls wahr ist.
Nur
nicht länger, wenigstens im Norden Deutschlands, in Preußen und ganz
besonders in Berlin nicht länger blos die Eine Zusammengehörigkeit auf
Gefahr und Kosten der Andern: su»m cuique.
Der Brief des Herrn Jacob Grimm.*) Kommm
wir
nun zu
dem näheren Inhalte dieses Briefs
des
Herm Professors Jacob Grimm an den Präsidenten Simson vom 29.
Mai 1861, der jetzigen Beilage No. 1 zu dem Gutachten der Kunst
abtheilung des Goethe - Comitv vom 14. April 1862.
Er enthält das
Urcheil eines Mannes, den Goethe den „gründlichsten Sprachkenner", ja „einen Sprachgewaltigen" genannt hat, in dem die deutsche Wifienschast
seit lange eine ihrer werthesten Zierden,
und der deutsche Bürger einen
braven und in schwerer Zeit bewährten Mitbürger verehrt. — Aber ich hielt und halte das damalige Urtheil dieses Mannes in dieser Sache für
unbegründet und die Sache selbst, gegen die es nachträglich in den Kampf geführt worden, ist mir theuer.
Deswegen widerspreche ich jetzt Herm
Jacob Grimm, trotzdem daß er nach der Meinung und der Aeußerung
der Kunstabtheilung des Goethe-Comite „am meisten berufen erscheint, über diese Fragen sein Urtheil zu sprechen," ja trotz Lessing selbst, der
nach seinen Erfahrungen nur noch glauben wollte, widersprechen zu lasten,
wohl überhaupt
Gelehrten nur die Todten haben."
Wahrheit und dem Recht,
daß „die Gabe sich
eine Gabe sei,
Ich widerspreche ihm,
die unter den weil ich der
wie ich es hier allein zu erkennen vermag,
tiefen Widerspruch schuldig zu sein glaube. Wenn ich dabei irre, so muß und wird mir Jacob Grimm verzeihen; und wenn ich nicht irre, wmn
ich in dem Streben nach Recht und Wahrheit, sei es mit ihm, oder ohne *) Beilage IV. in unverkürztem wörtlichem Abdruck.
48 ihn, oder auch gegen ihn, der Wahrheit und dem Recht selber, nur um
den Werth eines Sandkorns nützlich werde, so kann er sich nur mit mir freuen. Das Gegentheil bei ihm annehmen, wäre nicht mehr seine Ver
ehrung,
sondern von seiner Verehrung das Gegentheil;
wenigstens bin
ich außer Stande, ihm meine aufrichtige und dankbare Verehrung in die sem Falle anders, als ich es thue, bezeugen zu können. Was der Grimmsche Brief über die künstlerische Seite der Frage enthält, ist bereits bei dem Gutachten der Kunstabtheilung des Goethe-
Comit«, das diesem Theile des Briefs seine desfallsigen Argumente ge-
gen die künstlerische Ausführbarkeit der Verbindung des Lessing-Stand bilds mit den Standbildern Schillers und Goethes mit entnommen hat, zur Erörterung gekommen. Nur noch diejenigen Sätze bleiben zu erörtern,
die der wissenschaftlichen Seite der Frage angehören, die sich gegen die literaturgeschichtliche Angemessenheit dieser Verbindung wenden oder deren
Unmöglichkeit
behaupten.
Es sind
hauptsächlich
diese:
„Goethe
und
Schiller leiten sich nicht aus Lessing her;" „Goethe und Schiller würden
uns Lessing nicht ersetzen;"
„Lessing würde uns Goethes und Schillers
Poesie nicht ahnen lassen."
Sobald zu Zweien noch ein Dritter Hinzu
tritt — „kommt es auf die höchste Stelle unter den Dreien an, und diese „gebührt Schiller noch minder",
diese ist nothwendig die Mitte;" als sie Lessing „behaupten kann".
„Es wäre absolut
unmöglich,
es
wäre, als sollte Blücher nicht zwischen Pork und Gneisenau stehen, son
dern zur Seite geschoben werden und einer der beiden letzten den Mittel punct bilden." Also :
das Standbild Lessings darf überhaupt, und also auch vor
dem Königlichen Schauspielhause zu Berlin nicht, mit den Standbildern Schillers und Goethes verbunden werden, und es ist gradezu unmöglich, daß bei einer solchen, demnach an und für sich unstatthaften Verbindung
das Standbild dessen, der „unter den Dreien der größte Genius" war, und an dessen „Erhabenheit Lessing und Schiller,
so herrlich sie sind,
nicht von weitem reichen", einem Standbilde des Einen oder des Andern dieser Beiden als einem mittleren Standbilde mit zur Seite trete.
Die
Zncongruenz Lessings und Goethes unter sich, und die daraus herge leitete Unstatthaftigkeit der Aufstellung ihrer Standbilder als S eiten -
Standbilder eines mittleren Schiller-Standbilds, ist in dem Briefe Jacob Grimms Schrift
des
ausdrücklich
nicht
Herm Herrmann
ausgesprochen.
Grimm
wird
indeß
In
der erwähnten
unmittelbar
nach
dem in eben dieser Schrift zuerst veröffenllichen Briefe des Herrn Jacob
Grimm
von
einem
Auftuf zu Beittägen
für ein Standbild Lessings
49 gesprochen, „das als Pendant zu Goethe" aufgestellt werden sollte. Mit Hinblick hierauf wird sich also die hier zur Diskussion stehende Gesammtstage ihrem materiellen Inhalte nach in die Einzelfragen theilen: ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten? ob Lessing und Goethe nicht zu einander gehören? ob Schiller unter den Dreien nicht die Mitte behaupten kann?
50
Ob Goethe und Schiller sich nicht aus Lessing herleiten?
Goethe hat sein tiefes und lebendiges Dankgefühl für das, was er
persönlich von Lessing empfangen und durch ihn gewonnen, sowie über
haupt sein
Urtheil über den Einfluß der Lessingschen Wirksamkeit auf
die ganze Richtung
und
den Werth unserer jetzigen Bildung, und daß
Beides mit Lessing seinen Anfang genommen, in einzelnen Bekenntnissen ausgesprochen, die wenigstens zu einem Theil hier gesammelt sind. Sie lauten: „Zu seiner Zeit stieg dieses Stück — Emilia Galotti — wie
die
Insel
Delos
aus
der
Gottsched - Gellert - Weißeschen
u. s.
Wasserfluth, um eine kreißende Göttin barmherzig aufzunehmen. jungen Leute ermuthigten uns daran und
w.
Wir
wurden deshalb Lessing viel
schuldig." Minna von Barnhelm ist „ein Werk von vollkommen deutschem National-Gehalt, das vor Allem ehrenvoll zu erwähnen ist.
Es ist die
erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theater-Production, — die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung that. — Diese Produc
tion, die den Blick in eine höhere, bedeutende Welt aus der literarischen
und bürgerlichen, in welcher sich die Dichtkunst bisher bewegt hatte, glück lich eröffnete. Die gehässige Spannung, in welcher Preußen und Sachsen
sich während dieses Krieges gegen einander befanden, Beendigung desselben nicht aufgehoben werden.
konnte durch die
Der Sachse fühlte nun
erst schmerzlich die Wunde, die ihm der überstolz gewordene Preuße ge schlagen hatte.
Durch den polittschen Frieden konnte der Friede zwischen
den Gemüthern nicht sogleich hergestellt werden. dachtes Schauspiel im Bilde thun.
Dieses
aber sollte ge
Die Anmuth und Liebenswürdigkeü
der Sächsinnen überwindet den Werth, die Würde, den Starrsinn der
Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subaltemen wird eine glückliche Vereinigung bizarrer und widersttebender Elemmte kunst gemäß dargestellt."
„Lessing hatte in den zwei ersten Acten der Minna
ein unerreichbares Muster aufgestellt, wie ein Drama zu exponirm sei,
und es war mir nichts angenehmer, als in seinen Geist und seine Absichten einzudringm."
51 Nathan der Weise: „Sie könnm denken," sagte Goethe noch später zu Eckermann, „wie das Stück auf uns junge Leute wirkte, als eS in jener dunkeln Zeit hervortrat. Es war wirklich ein glänzendes Meteor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existire, als wovon die damalige schwache literarische Epoche einen Begriff hatte. Die beiden ersten Acte find wirklich ein Meisterstück der Exposition, wo von man viel lernte und noch immer Ionen kann." „Möge doch die bekannte Erzählung glücklich dargestellt das deutsche Publicum auf ewige Zeiten erinnern, daß es nicht nur berufen, um zu schauen, sondem auch um zu hören und zu vernehmen. Möge zugleich das darin ausgesprochene göttliche Duldungs- und Schonungs-Gefühl do Natton heilig und werch bleiben. — Wir aber können in dramatischer Hinsicht sagen, daß wir unserm Theato Glück wünschen, wenn ein solches Stück darauf bleiben und öftos wiedoholt woden kann." Wiederholen wir noch die Worte des höchsten Dankes und der reinsten Freude GoecheS über Lessings Laokoon, und über den Lessingschen Aufiatz: „Wie die Alten den Tod gebildet" . . . uullique ea tristis imago. „Daho war uns jener Lichtstrahl höchst willkommen, den der vorttefflichste Denker aus düfteni Wolken auf uns hoableitete. Man muß Jüngling sein, um sich zu vergegenwärttgen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte, indem dieses Werk uns aus do Region eines kümmolichen Anschauens in die freien Gefilde des Gedankens Hinriß. Das so lange mißverstandene ut pictura poesis war aus einmal beseittgt, der Unterschied der bildenden und Redekünste war klar. — Wie vor einem Blitz erleuchteten sich uns alle Folgen dieses herrlichen Ge dankens, alle bisherige anleitende und urtheilende Kritik ward wie ein abgettagener Rock weggeworfen. „Am meisten entzückte uns die Schönheit jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als den Bruder des Schlafs anerkannt. — Hier tonnten wir nun erst den Triumph des Schönen höchlich feiern, und das Häß liche jeder Att, da es doch einmal aus do Welt nicht zu vertteiben ist, int Reiche der Kunst nur in den niedrigen Kreis do Lächerlichen voweisen. „Die Herrlichkeit solcher Haupt- und Grundbegriffe erscheint nur dem Gemüth, auf welches sie ihre unendliche Wirksamkeit ausüben, oscheint nur do Zeit, in welcho sie ersehnt, im rechten Augenblick hovortreten. Da beschäftigen sich die, welchen mit solcho Nahrung gedient ist, liebevoll ganze Epochen ihres LebeuS damit, und erfreuen sich eines überschwänglichen Wachsthums, indeffen es nicht an Menschen fehlt, die 4*
52 sich auf der Stelle einer solchen Wirkung widersetzen, und nicht an andern, die in der Folge an dem hohen Sinne markten und mäkeln."
Nach diesen eigenen Bekenntnissen Goethes,
diesen ächtesten Beur-
kundungm des tiefsten nnd reinsten Dankgefühls gegen Lessing, welches
Goethe lebenslang begleitete, ist es mir unmöglich Jacob Grimm darin zuzustimmen, daß Goethe sich nicht
aus Lessing herleite,
wenigstens in dem Sinne nicht daraus herleite, benden Selbstständigkeit
zweier
daß er sich,
worin bei der verblei
bedentende» Persönlichkeiten von
einem
Herleiten der einen aus der andern, hinsichtlich ihrer individuellen Gei
stes-Entwickelung überhaupt gesprochen werden mag.
Ich muß vielmehr
dabei verharren, daß Lessing, dessen besondern Vorzügen
ja
auch
Herr
Jacob Grimm in dem Briefe an den Herrn Simson eine so hohe und bereitwillige Anerkennung zollt, die Vor-Goetheeche Literatur-Epoche, die Gottsched-Gellert-Weißesche u. s. w. Wasserfluth nicht blos ab- und für
immer zurückgedämmt, sondern auch die Goelhesche erschlossen hat; daß in seinen Haupt-Schöpfungen der Geist unserer Zeit schon
vergangenen weht.
und nicht einer
Ich habe dabei das Wort nicht zu unter
drücken, welches über die jetzige Wirksamkeit Eines der drei großen Dra-
men Lessings,
der Emilia Galotti, Goethe seinem Freunde Zelter am
27. März 1830 zurückschrieb, nachdem ihm dieser kurz vorher geschrieben: „Gestern Abend
führte mich mein Weg
hinein ohne zu wissen, was sie spielten.
ist nun eine Tragödie nach
dem Theater vorbei, ich ging
Es war Emilia Galotti. Das
den Regeln des Aristoteles.
Vater und
Mutter traurig, Bräutigam und Braut traurig, ein trauriger Prinz, ein trauriger Maler,
belügen.
ein Lump von Marinelli, — die sich und
Da haben wir den denkenden Künstler;"
die Welt
und einige Tage
später: „In meinem Vorigeu habe ich mich etwas naseweise über Emilia vernehmen lassen;" daß Goethe jetzt dem Freunde zurückschrieb:
„Dein
reines eigenes Verständniß zu Emilia Galotti soll dir nicht verkümmert
werden. Zu jener Zeit stieg dies Stück" u. s. w. — wie es bereits oben, Eingangs dieser Bekenntnisse, mitgetheilt ward, nnd daß er dann mit die
sem Eingang den Zusatz verbindet: „Auf dem jetzigen Grade der Cultur
sann es nicht mehr wirksam sein.
Untersuchen wir's genau,
so haben
wir davor den Respect, wie vor einer Mumie, die uns von alter hoher Würde des Aufbewahrten ein Zeugniß giebt."
Vielleicht, daß sich bei
einer eben so genauen Untersuchung auch noch finden würde, daß Goethe hier dem beunruhigten Freunde etwas sehr viel zu Liebe gethan hat, zu
mal, wenn wir bedenkm, daß noch am 4. März 1812 das Goethesche
Urtheil über Emilia Galotti dahin lautete:
„Uebrigeus steckt das Stück
53
und spricht überhaupt eine
voller Blicke in die Welt,
voller Weisheit,
gegen die wir jetzt schon wieder Barbaren sind.
ungeheure Cultur aus,
Wie dem aber
Zu jeder Zeit müsse das Stück als neu erscheinen."') auch
sei,
freuen
gleich
die
selbst,
wenn
auferwacht
malm!
wir
sie
es je
ist.
daß
uns,
Delos
Insel
„Ha!
war, daß
wir
dieser
verdanken,
wieder
seitdem
wir
spätern
und
die
mit
zu
Mumie
blühendem
zu
unmittelbar
nicht
Mumie
daß
Leben
den Augen
Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den
Pinsel, wie viel geht da verloren!
loren gegangen,
gehm müssen" — das
und soviel
diesem Werke Lessings geht immer glücklich
Aber daß ich weiß,
was hier ver
und wie es verloren gegangen und warum es verlorm andres ewig Schöne und Wahre in
nie mehr verloren,
wiedergefunden.
doch
später
Wen fesselte, von auslangenden Kräften
aufgeführt, Emilia Galotti nicht noch heute? vaterländischen Bühnen
oder wird
giebt die Antwort.
Das Repertoir der besten
Und
selbst
wenn Emilia
Galotti an dem reichen Lebensbaume des Lessingschen Geistes ein abge storbener Zweig wäre,
es wäre immer doch nur Einer,
der unter dem
frischm und schwellenden Grün der andern Zweige spurlos verschwinden
müßte.
Wer hätte dies mehr empfunden und bereitwilliger anerkannt, als
Zelter selbst, in seinem spätern Briefe an Goethe vom 16. Juli 1831,
worin er alle Sünden seiner Naseweisheit über Emilia Galotti, über ihre allseittge Traurigkeit, über den denkenden Künstler und über die Tragödie nach den Regeln des Aristoteles, glänzend abbüßt: „Gestern," — schreibt
er an diesem Tage an Goethe —
„mar Minna von Barnhelm.
Stück hab' ich unendlich oft gesehen und gelesen, wieder in's Theater,
Das
und zog mich gestern
um es im mir eben gegenwärttgen Geiste Deiner
Auslegung zu bettachten, als einer gewissen Zeit entwachsen, die ein fort
währendes Interesse Bescheidenheit das
behält.
Der tteffliche Lessing
hat in angemaßter
Prädicat eines Genies von sich abgewiesen, und sich
gleichwohl durch dies Stück sehr hoch gestellt, als ob er durch die That beweisen wollte,
daß mit dem bloßen Handwerkszeuge, mit dem Aristo
teles in der Hand, ein dauerhaftes Werk entstehen könne.
Auch hat mich
das Stück wieder durchaus erfreut, ergriffen, gerührt; und wenn ich frage
wodurch, so weiß ich nicht zu antworten. Personen von keiner hohen Bedeutung;
Die Begebenheit ist gering,
was mit ihnen geschieht,
kann
täglich geschehen; es ist wie ein Bersöhnnngsact zwischen zwei Brüdern, die um ein Stück Kuchen entzweit waren.
Ein edles, reiches Sachsen-
*) Riemers Mittheilungen über Goethe II. Bd. S. 664. Berlin, Verlag von Duncker und Humblot 1841.
54 Mädchen von freier Empfindsamkeit ist verliebt in einen tapfern Offiner der Gegenpartei, ehe fie ihn persönlich gekannt, wegen einer milden Hand lung im Feindeslande, und will um jeden Preis seiner Großmuth theilhast werden. Der soldatische Liebhaber ist nicht unempfindlich, doch ab hängig von gewohntm Begriffen der Ehre seines Standes, die eine leidenschaftliche Liebe von sich weist. Alle übrigen Personen treiben sich in frommer oder geschäftiger Neigung dazwischen; so triumphirt reine Menschlichkeit über gemachte gesellschaftliche Pflichtigkeit. Die wahre Katharsis scheint hier im Tellheim verborgen, der kein angenehmer Cha rakter ist, und der Dichter hat sich selber als gekränkter Ehrenmann darin zu Buche gebracht, weil Gleiches das Gleiche hervorbringt! — und nun möcht' ich das Stück gleich noch einmal sehen, denn das Alles schreib' ich nicht für Dich, der das Alles tausendmal eher und besser weiß." Auch Schiller hat an der Quelle Lessing geschöpft. „Unter den neuem deutschen dramatischm Dichtem war ihm besonders Lessing werth," berichtet Hoffmeister von dem jungen Schiller in der militairischen Pflanzschule auf der Solitüde, dem spätem Karlsschüler. Doch betrachten wir die Schöpfungen des Dichters selbst. Giebt es keinen Zusammenhang zwischen seiner Lady Milfort und der Lessingschen Gräfin Orsina, zwi schen seinem Secretair Wurm und dem Lessingschen Marinelli, zwischm seinem Großinquisitor und dem Lessingschen Patriarchen, und, soweit es die Seite des Glaubens an eine fortschreitende Menschlichkeit betrifft, zwischen seinem Marquis Posa und dem Lessingschen Nathan?
Nathan: Was will der Sultan? — was? — Ich bin
Aul Geld gefaßt, und er will — Wahrheit, Wahrheit?
Marquis Posa:
Mich will er haben? Mich? — Das kann nicht sein.
— Und was will Er denn von mir? König Philipp:
Aber wie? Was wollte Ich denn? War es nicht Wahrheit, was ich wollte? Nathan:
So lad' ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. — Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen.
55 Hlatquis Posa.
— Das Jahrhundert Ist meinem Ideal nicht reif.
Ich lebe
Ein Bürger derer, welche kommen werden. Nathan: — Saladin,
Wenn Du Dich fühltest dieser weisere Versprochene Mann zu sein. . . Marquis Posa zu König Philipp:
— Sanftere Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten, Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück
Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln
Und die Nothwendigkeit wird menschlich sein. — Werden Sie Von Millionen Königen ein König!
— Werden Sie uns Muster Des Ewigen und Wahren!
Doch der Zufall habe diese Ähnlichkeiten zwischen den Conceptionen und Gestaltungen des älteren Lessing und des jüngeren Schiller herbei geführt. Es bleibt Anderes genug, welches den Zufall ausschließt, und
den bewußten geistigen Zusammenhang Schillers wißheit macht.
mit Lessing zur Ge
Nathan zu Saladin: Es elfte Jeder seiner unbestochnen
Von Vorurtheilen steten Liebe nach! Es sttebe Jedet um die Wette,
Die Ktaft des Steins in seinem Ring an Tag Zu legen!
Komme dieset Ktaft mit Sanfmuth,
Mit hetzlichet Verträglichkeit, mit Wohlthun, Mit innigstet Etgebenheit in Gott, Zu Hülfe!
Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euren Kindeskindern äußern —
„Wie allgemein" — sagt Schiller in seiner Abhandlung: „die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet" — „ist nur seit wenigen Jahren die Duldung der Religionen und Setten gewesen? — noch ehe uns Nathan der Jude und Saladin bet Sarazene beschämten und die göttliche Lehre uns predigten, daß Ergebenheit in Gott von unserm Wähnen über Gott so gar nicht abhängig sei." Nathan zum Tempelherrn: -- Verachtet
Mein Volk so viel Ihr wollt.
Wir haben beide
56 Uns unser Volk nicht auserlesen. Lind Wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Lind Christ und Jude eher Christ und Jute AIS Mensch? Ach! wenn ich einen mehr in Cuch (Sekunden hätte, dem es genügt, ein Mensch Zu heißen." „Und dann endlich" — so lautet der Schluß derselben Schiller
scheu Abhandlung, — „welch' ein Triumph für dich Natur!
— so oft
zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende Natur! — wenn Men schen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und Mode, herausgcrissen aus jedem Drange des Schick
sals, durch Eine allwebende Sympathie verbrüdert, in Ein Geschlecht wieder
aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ur sprünge sich nähern.
Jeder Einzelne genießt
die Entzückungen Aller,
die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, nnd
—
seine Brust giebt jetzt nur Einer Empfindung Raum
es ist diese:
ein Mensch zu sein."
Nathan zum Derwiicb: — Muß! Derwisch! - Derwisch mun? Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte? Die Abhandlung Schillers: „Ueber das Erhabene" ist nur die beab sichtigte lind erklärte Ausführung dieses Gedankens, die mit diesen Sätzen
anhebt: „Kein Mensch muß müssen,"
sagt der Jude Nathan zum
Derwisch, und dieses Wort ist in einem weiteren Sinne wahr, als man dem selben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechts - Eharakter des Menschen und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben.
Vernünftig handelt die ganze Natur: sein Prärogativ
mit Bewußtsein
und Willen
vernünftig handelt.
ist blos, daß er
Alle andere Dinge
müssen, der Mensch ist das Wesen, welches will."
Der Klosterbruder: — Traut mir Nathau! Denn seht, ich denke io! Wenn an das Gute, Tas ich zn thun vermeine, u. s. w. In
Schillers
philosophischen Briefen
lichtet
Julius
an
seinen
Raphael die vorwurfsvolle Frage: „Ersetzt mir Deine Weisheit, was sic mir genommen hat?"-------- Und dann, die Berechtigung zu dieser Frage
zu documcntiren, führt er den vollen Lefsingschen Satz an:
— Wenn an das Gute Das ich zu thun vermeine, all' zu nah' Was gar zu Schlimmes grenzt, so thu' ich lieber Das Gute nicht. —
57 In der Abhandlung Schillers „Ueber das Pathetische" wird „Lessings
vortrefflichem Commentar"
der Dirgilschen
Erzählung nicht blos eine
dankbare Erinnerung gewidmet, sondern auch auf dem durch Lessing ge-
legtm Grunde des Laokoon, von Schiller fortgebaut. Würde Schiller in seinen
„Göttern Griechmlands"
eine Sttophe
wie die folgende geschrieben haben, wenn ihm Lessing in der früher er
wähnten Abhandlung
„Wie die Alten den Tod gebildet" nicht dazu die
Bahn eröffnet, ihm die Bilder von Schlaf und Tod in dem reinen Spiegel
seiner Auffassung nicht vorher gezeigt hätte? „Damals trat kein gräßliches Gerippe Vor das Bett des Sterbenden.
Ein Kuß
Nahm das letzte Leben von der Lippe, Seine Fackel senkt' ein Genius."
Aber nicht
auch der Meister Schillers steht
blos der Vorgänger,
in Lessing vor uns,
wenn wir die Fragen und Klagen
und
die Aus
brüche krankhaften Verzagens, die Schiller jenen schönen Bildern folgen
läßt, mit der Weisheit und Gerechtigkeit und der Fülle ethischer Gesund heit vergleichen,
womit Lessing
fruchtbar zu machen weiß.
seine Abhandlung
Der nach Klarheit
abzuschließen
und
und Vollendung
rin
gende Schiller fragt und klagt: „Schöne Welt, wo bist Du? Kehre wieder Holdes Blüthenalter der Statur!
Ach, nur in dem Feenlant der Lieder Lebt noch Deine fabelhafte Spur. Ausgestorben trauert das Gefilde,
.kleine Gottheit zeigt fick' meinem Blick:
Ach, von jenem lebenswarmen Bilde Blieb der Schatten nur zurück.
„Alle jene Blüthen sind gefallen
Von des Norden'S schauerlichem Weh n: Einen zu bereichern unter allen
Mußte diese Götterwelt vergeh'». traurig such' ich an dem Sternenbogen
Dich, Selene, find ich dort nicht mehr; Durch die Wälder ruf' ich, durch die Wogen,
Ach! sie wiederhallen leer!"
Und nun, hören wir Lessing, den Mann und Meister:
— „Von dieser Seite wäre es also zwar vermuthlich
ligion,
welche das alte, heitere Bild
Kunst verdrungen hätte.
Da jedoch
jene schreckliche Wahrheit — daß
des Todes
eben
auch
unsere Re
aus den Grenzen der
dieselbe Religion uns nicht
der natürliche Tod
die Frucht
58 und der Sold der Sünde sei, wollen;
da auch
zu unserer Verzweiflung offenbaren
—
sie uns versichert,
der Frommen nicht
daß der Tod
anders als sanft und erquickend sein könne: so sehe ich nicht, was unsere
das
Künstler abhalten sollte,
aufzugeben
scheußliche Gerippe wiederum
und sich wiederum in dm Besitz jenes besseren Bildes zu setzen.
Schrift selbst redet von einem Engel des Todes:
sollte nicht
lieber
einen Engel
als ein Gerippe bildm wollm.
die mißverstandene Religion entfernen:
kann
ist ein Beweis
und es
richtig verstandene wahre Religion,
Die
und welcher Künstler
uns von
dem Schönen
für die wahre, wenn
Nur
für
die
überall
sie uns
auf das Schöne zurückbringt."
„Das Publicum," sagte Lessing in der Ankündigung seiner Ham
burgischen Dramaturgie am 22. April l 767, „das Publicum komme nur, und sehe und höre und prüfe und richte.
Seine Stimme soll nie ge
ringschätzig verhöret, sein Urtheil soll nie ohne Unterwerfung vernommen
werden.
Nur daß
sich nicht jeder kleine Kritikaster für das Publicum
halte, und derjenige, dessen Erwartungen getäuscht werden, auch ein wenig
mit sich selbst zu Rathe gehe,
von welcher Art seine Erwartungen ge
wesen."
Ist cs nicht, als ob Lessing wieder auferstanden wäre, wenn
Schiller
am
Museum
11. November 1784 seine rheinische Thalia im deutschen
mit diesen Worten
ankündigt:
„Das Publicum ist mir jetzt
Alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter.
gehöre ich ganz an.
Vor diesem und keinem
Ihm allein
anderen Tribunal werde
ich mich stellen; dieses nur siircht' ich und verehr' ich." Doch verlassen wir, was Schiller und Goethe Lessing im Einzelnen
zu danken haben, oder um das Wort beizubehalten,
wie sie in Diesem
und Jenem sich aus Lessing herleiten, und wenden wir uns wieder zum Allgemeinen.
„Lessing war nur
ihr halber Zeitgenosse"
und „bereits
1781 gestorben, erlebte und empfand er die Höhe der Goetheschen und Schillerschen Dichtung niemals."
Mußte er denn
aber
ihr
ganzer
Zeitgenofle sein, um auf ihre Dichtung und überhaupt auf ihre geistige Wirksamkeit einzuwirken?
Heißt es nicht auch in dem Aufruf zu Bei-
trägm für Goethes Standbild vom 10. Juli 1860, als dessen Verfasser wir nach
der Schrift
Jacob Grimm
daß
des Herrn
verehren
dürfen:
HerrmannGrimm setzt
den Herrn
„ Nur das ist nicht zu verkennen,
wie Goethe Schillern zehn Jahr voranging, er ihn beinahe noch
dreißig Jahre
überlebte".
„Daß Lessing, Winkelmann und Kant älter
waren als ich," gesteht Goethe noch im Jahre 1825 an Eckermann, „und
SS die beiden ersten aus meine Jugmd, der letztere auf mein Alter
war
an Zelter über Emilia Galotti:
wirkte,
Jenes andere Wort Goethes
für mich von großer Bedeutung."
„Wir jungen Leute ermuthigten uns
daran und wurden deshalb Lessing viel schuldig," ist hier nur im Ganzm bestätigt. Schillers
Auch
ist Lessing
nicht blos
von Einfluß gewesen,
auf
die Jugmd Goethes und
sondem sein Geist hat Beidm lebms-
den für Alle ge
lang auf ihren eigenen Bahnen vorgeleuchtet und sie meinsamen Zielen
mit entgegengeführt.
einer anderen Stelle bei Eckermann,
Genies ablehnen;
aber seine
„Lessing" —
sagt Goethe an
— „ wollte den hohen Titel eines
dauemden Wirkungen
zeugen wider ihn
selber. Dagegen haben wir in der Literatur andere und zwar bedeutende
Namen, die, als sie lebten, für große Genies gehalten wurden,
Wirken aber mit ihrem Tode endete,
sie und Andere dachten.
deren
und die also weniger waren, als
Dmn, wie gesagt,
es giebt kein Genie ohne
productiv fortwirkende Kraft, und ferner: es kommt dabei gar nicht auf
das Geschäft, die Kunst und das Metier an, Alles daffelbige.
Oken und Humboldt, Friedrich,
Peter
das Einer
treibt, 'es ist
Ob einer sich in der Wiflenschaft genial erweiset, wie oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie
der Große
und Napoleon, oder ob Einer
ein Lied
macht wie Beranger, es ist Alles gleich, und kommt blos darauf an, ob der Gedanke, das Aperpü, die That lebendig sei, und fortzuleben vermöge."
„Lessing," sagt Goethe am 13. Januar 1825 zu Eckermann, „war der höchste Verstand, und nur ein eben so großer konnte von ihm wahr
haft lernen.
Dem Halbvermögen war er gefährlich;" und am 15. Ok
tober jenes Jahres: „Ein Mann wie Lessing thäte uns noth." Kann eine Anerkennung größer sein, als sie Lessing in den Jemen
von Schiller und Goethe zu Theil geworden?
wo der Eine gegen den
Ungeschmack und die falschen Richtungen in der Literatur,
bei ihm im
Grabe Schutz und Hülfe sucht, und der Andere zu ihm, wie zu einem fortwaltrnden höchsten untrüglichen Richter, aufblickt.
Herakliden. *)
(von Schiller.) Er:
Welche noch kühnere That, Unglücklicher, wagest Du jetzo, Zu den Verstorbenen selbst niederzusteigen in's Grab?
’) Vergl. die Note in der Nachlese zu Schiller- Werken von Hoffmeister S. 204,
—
60
—
Ich-
ich herab, den Seher ;u fragen,
Wegen Ziresiae mußt
Wo ich den guten Geschmack fände, ter nicht mehr zu seh n.
Er: Glauben sie nicht ter Natur und den alten Griechen, so holst Du
Eine Dramaturgie ihnen vergebens heraus.
Achilles. ') (von Goethe.)
Vormals im Leben ehrten wir Dich, wie einen der Götter! Nun Du todt bist, so herrscht über die Geister Dein Geist. „Lessing, bereits 1781 gestorben, erlebte und empfand er die Höhe
Der Schiller
der Goetheschen und Schillerschen Dichtung niemals." scheu allerdings nicht.
Aber auch der Goetheschen nicht? auch eines be
stimmten Werkes der Goetheschen Dichtung nicht, die Goethe selbst mit
zu dem Außerordentlichen seiner Gesammtleistungen zählte? beslieder und meinen Werther," sagte er
nicht zum zweiten Male gemacht.
„Meine Lie
im Jahre 1828, „habe
ich
Jene göttliche Erleuchtung wo
durch das Außerordentliche entsteht, werden wir immer mit der Jugend
und der Productiv!tät im Bunde finden."
„Wenn
ich jede ge
scholtene Stelle hätte tilgen wollen," — lautet dann eine seiner späteren Aeußerungen über Werther — „von dem ganzen Buche wäre keine Zeile
geblieben."
Wer
von Allen
aber,
die gescholten haben, hat darüber
besser als Lessing gescholten' wer so sehr als er durch sein Schelten be wiesen, daß er gesund war in einer kranken Zeit?
„Haben Sie, mein
lieber Eschenburg," — schreibt Lessing diesem am 26. October 1774 —
„tausend Dank für das Vergnügen, welches Sie mir durch Mittheilung des Goetheschen
Romans
gemacht haben.
Ich schicke ihn noch einen
Tag früher zurück, damit auch Andere dieses Vergnügen je eher je lieber
genießen können. Wenn aber' ein so warmes Product nicht mehr Unheil als
Gutes stiften soll:
meinen Sie nicht,
Schlußrede haben müßte?
noch
eine kleine kalte
Ein paar Winke hinterher,
wie Werther zu
daß
es
einem so abenteuerlichen Charakter gekommen, wie ein anderer Jüngling, dem die Nattrr eine ähnliche Anlage gegeben,
habe.
sich dafür zu bewahren
Denn ein solcher dürste die poetische Schönheit leicht für die mo
ralische nehmen und glauben, daß der gut gewesen sein mufft, der un sere Theilnehmung so stark beschäftigt.
•) Daselbst S. 189.
Und das war er doch wahrlich
61 ja wenn unsres I.') Geist völlig in dieser Lage gewesen wäre,
nicht;
so müßte ich
ihn fast verachten.
Glauben Sie wohl daß je ein römi
scher oder griechischer Jüngling sich so, und darum, men?
Gewiß nicht.
ganz anders zu sichern und eQwiog
treibt,
das Leben genom
Die wußten sich vor der Schwärmerei der Liebe
xatoXij,
—
zu Sokrates Zeiten würde man eine solche welche
n
roAfidr
Schau
spieles,
besonders
über den
der Sentenzen,
Vortrag
— machen
die
Dramaturgie zu einer Sammlung höchst interessanter Fragmente, beren man nicht
so frühe Unterbrechung
genug bedauern kann.
Dramaturgie war gleichwohl ein Werk
Laune
eines Kopfes,
seiner Laune,
die Fülle
der durch
Die ganze
aber
freilich der
seiner Kenntnisse
und
den
Reichthum seiner Betrachtungen auch in flüchtigen Blättern mehr gründ
vielen,
gesunde Kritik
und
liche Philosophie
mit sehr
zu geben vermochte, als man in
ernsthaften Anstalten unternommenen Werken antrifft.
eines Denkers.
Seine Spaziergänge waren Zerstreuungen
Nunqnam
minus otiosns erat, qiiam cnm otiosus.“ — „Diese tief eindringende Phüosophie,
dieses
freie
unbestochene Gefühl
der Schönheit
begleitete
ihn überall, mochte er über die epischen Dichter der Griechen und Rö
mer,
über den Euripides
oder Seneca,
den Aesopus
oder Phaedrus,
den Aristophanes oder Terenz, den Anakreon oder Catrrll, über griechi
sche Epigramme
oder über
trachtungen anstellen."
die Sinngedichte
eines Martial
seine Be
„So groß seine Geschicklichkeit war, die verborgen
sten Schönheiten der Alten allfzufinden, so weit war er von der dumpfen Sinnesart solcher Bewunderer entfernt, ist,
für schön
halten."
„So
die alles Alte, blos weil es alt
gestand er
fteimüthig,
daß er an der
Philosophie deß Cicero wenig Geschmack finde, nicht in der Absicht, die sem verdienstvollen Schriftsteller Unrecht zu thun, aber zu sehr mit den
griechischen Quellen der Philosophie bekannt, um den für einen Selbst
denker zu halten, der blos das Verdienst hatte, Gedanken der Ausländer
in seine Muttersprache
nmgesetzt und sie so bei
ßeren Umlaut gebracht zu haben."
„Mit dem
suchte er, — eine io seltene Kenntniß
der
seiner Nation in
gleichen Geiste
grö
unter
griechischen und lateinischen
Sprache mit einer gleich großen Fertigkeit in der ftanzösischen, englischen, spanischen,
italienischen,
holländischen und einigen
nordischen Sprachen
verbindend, — die Werke der neueren Ausländer, pries jede verborgene
Schönheit und schonte keines, von Anderen übersehenen Fehlers, wo er
141 „Namentlich wandte er einen großen Theil seiner Drama
ihn antraf."
turgie dazu an,
die übertriebene Hochachtung seiner Landsleute vor dm
Franzosm, die bei Manchen Götzendienst
wurde,
niederzuschlagen, und
sie bis auf dm Punkt einer unparteiischen Achtung herabzusetzen.
her mtwickelte er die
großm Fehler des immer
Da
bewunderungswürdigm
und allgemein bewunderten Voltaire mit ebm so viel somalischer Laune,
als treffmdem Urtheil; daher bewies er, daß dem großen Comeille eher der Beiname des Ungeheuren, des Gigantischen, als des Großen, gebührt
hätte;
daß die gepriesene Regelmäßigkeit der französischen Bühne nichts
Anderes, als eine Beobachtung gewisser Formalitäten sei, worüber so ost das Wesentliche versäumt,
und daß sie mit den Regeln des Aristoteles
sich mehr abgefunden, als sie wirklich beobachtet habe.
Dagegen machte
er auf die besten Werke der Engländer und vomehmlich auf Shakespeare
aufmerksam, und sein Urtheil, wie unsere Dichter dieses außerordentliche Genie studiren und nutzen, seine Bemerkungen über den Mittelweg, dm das deutsche Lustspiel zwischen dem englischen und stanzösischen Lustspiel
einhalten müsse,
haben uns großen Vortheil
und werden ihn
gebracht
auch in Zukunft bringen, wenn unsere Dichter anders fortfahren, anstatt
mit Lessings Geiste über
ihre Kunst blos auf's Gerathewohl zu üben,
„Neben dieser Kenntniß des klassischen
ihre Besttmmung nachzudenkm." Alterthums
und
modemen
der
ausländischen Literatur
eine allgemeine Wissenschaft unserer Sprache." Quellen gekostet, von ihrem Sttome der Minnesänger ergoß;
riode zur andem,
von Luther bis auf Qpitz, allem Tiefsinn
er
wie
sich
zur Zeit
fernerm Lauf von einer Pe
er übersah ihren
und so fort bis zu dem Zeittaum,
Er hatte sie mit
getmnken,
er auch
besaß
„Er hatte ihre ersten
von Opitz bis zu Wolf,
dessen größte Zierde er selbst ward.
des Grammattkers
und Lexikographen
studirt und dieses Studium mit aller Belesenheit des Literaten unterstützt.
blieb in
Gleichwohl
seiner Schreibart
nicht
auch
eine Spur von der
gewöhnlichen Aengstlichkeit der erstem, und von der Liebe zum Bunten, von der Sucht nach
antrifft.
Er
dem Sonderbaren,
steuerte
zwischen
Regelmäßigkeit und einer zu der Sprache
glücklich
den
die
man oft bei
zwei Klippen
den
letztem
einer zu sklavischen
despottschen Ungebundenheit im Gebrauche
hindurch.
Neue Wörter
wagte
er
selten,
aber
glückliche Freiheiten wider die Wortfügung erlaubte er sich ebm so selten, doch mied er sie auch da nicht,
Anstand
oder Bedeutung
wo sie
ertheilten.
Schreibart durchaus dem bescheidenen
der Schreibart Schwung
Daher und
gleicht
der Gang
ungekünstelten Gange
oder seiner
einer
Grazie, die sich ebm so weit von abgemessenen und ängstlichm Schrittm, als von dm flatterhaften und üppigen Sprüngm und Wmdungen
142 einet Buhlerin entfernt. So erwarb er sich mit gründlicher Kenntniß der Sprache ausgerüstet, mit allem Reichthum der Philosophie und Be lesenheit versehen, und durch den emsigsten Fleiß der Uebung, unter unsern prosaischen Schriftftellem den obersten Rang. Welche Feinheit und Kürze, und welche Kraft und Ungezwungenheit in seinem Dialog! Welche Natur und Zierlichkeit in seiner Erzählung, welche edle Einfalt, welch lebendiges Interesse in seinem didaktischen Styl! Die trockensten Materien gewinnen, von seiner Hand bearbeitet, ein ftuchtbares Ansehen. Er verabscheute, wie jeder weisere Schriftsteller, das Ungeheuer der poetischen Prosa, und besaß nichtsdestoweniger Mittel genug, der Prosa alle die Anmuth zu geben, die ihre Natur kleidet, ohne sie zu entstellen. Nie hat ein Schriftsteller die Schönheiten der Metapher, der Vergleichung, der Allegorie, der Antithese, glücklicher anzubringen verstanden, al- Lessing. Seine Vergleichungen sind kühn aber immer unterrichtend und treffend; seine Antithesen stellen das Wahre in ein glänzendes Licht, ohne uns mit falschen Farben an seinem Rande zu täuschen; nichts aber übertrifft seine Kunst in der Allegorie, die er so fein und richtig zu webm weiß, daß man unter ihrer Hülle, wie unter einem Gewände, den Körper selbst zu erblicken glaubt. Was diesen Schmuck der Schreibart noch mehr empfiehlt, ist der Umstand, daß seine Bilder, seine Gleichnisse, seine Allegorien niemals erkünstelt zu sein, sondem sich ganz fteiwillig auS dem Strome seiner Phantasie zu ergießm scheinen. Er sucht nicht Lichter, um damit Prunk zu machen, er versteht die Kunst, einem zwar schon sichtbaren und hellen Stoffe, dem wir aber doch noch ein wenig mehr Glanz der Beleuchtung wünschen, grade in dem rechten Augenblicke diese Beleuchtung zu geben; und dann scheint dieses Licht nicht von außen hereingebracht zu sein, sondern sich aus seinen» Stoffe, als habe es in ihm sich nur verborgen gehalten, von selbst herausgearbeitet zu haben." Um dies an einem Beispiele zu veranschaulichen: „Nachdem er darüber gellagt, daß Klotz und einige seiner Partei ihn durchaus zu einem von den Stiftern einer angeblichen Berlinischen Literaturschuk machen wollen, deren Despotismus Einhalt zu thun Herr Klotz seinem Vorgeben nach sich an die Spitze der Mißvergnügten habe stellen müs sen, so setzt er hinzu: „„Viel Glück zu diesen Erscheinungen, und zu allen daraus folgenden Ritterthaten! Aber möchte ein fteundlicher Ge nius die Augen dieser Helden wenigstens nur in Absicht auf mich erleuchten. Ich bin wahrlich nur eine Mühle und kein Riese. Da stehe ich aus meinem Platze, ganz außer dem Dorfe, auf einem Sandhügel allein und komme zu Niemandem und lasse mir von Niemandem hekfm. Wenn ich meinen Stemm etwas aufznschüttm habe, so mahle ich es
143 ab, eS mag sein mit welchem Winde es will.
Winde find meine Freunde.
und
Alle zwei
dreißig
weitm Atmosphäre
Von der ganzen
ver
lange ich nicht einen Kinger breit mehr, als grade meine Flügel zu ih-
Umlauf
rem
können
Mücken
Nur
brauchen.
dazwischen
diesen
aber
schwärmen;
hin
lasse
Umlauf
ihnen
man
muchwillige Buben
müssen nicht alle Augenblick sich darunter durchjagen wollen, niger muß sie eine Hand hemmm wollen,
Wind, der mich umtreibt.
die nicht stärker
Wen meine Flügel
frei.
noch we
ist als der
in die Lust schleu-
mit
dern, der hat es sich selbst zuzuschreiben, auch kann ich ihn nicht sanfter niedersetzm, als er fällt.""
Doch nicht die Kunst des bildlichen Ausdrucks allein war es, was
LesfingS
„didaktischen Styl verschönerte;
der den Leser
ist auch durch den Reiz bevorzugt,
unaufhörlich anzieht,
„Bald stellt er die Schwierigkeiten seiner Unter
ohne ihn zu ermüden."
suchung so gegeneinander,
daß
ähnliche Verwicklung entsteht,
eine
daraus
dem Knoten
des Drama
deren Auflösung der Leser begierig
nach
wie im Laokoon seinen Weg als ein Spazier
bald verfolgt er,
wird;
Darstellungsweise
ganze
seine
gänger, der uns unvermerkt durch scheinbare Nebenwege und Krümmun
gen, die uns doch immer zu weiterem Fortgehen entloben, — zu einem Endpunkte der Untersuchung bringt,
wenn
wir
uns
noch
weit davon
entfernt glaubten; bald hat sein Unterricht, wie in der Dramaturgie di« schnelle Abwechslung, die steimüthige Sprache, das Feuer und die Leb
haftigkeit einer vertraulichen Unterredung. Mann zu hören,
der uns bald von Empfindungen zu Begriffen,
wieder zurück von der Speculation zur Anschauung spiele
immer
nicht müde dm
Man wird
auserlesen,
faßlich und trefflich,
leitet,
bald
desim Bei
dessen Bemerkungen
so
scharffinnig find, ohne spitzfindig zu werden, der uns bald durch meisterhaste Vercheidigung kühn
bald
durch
neue
und
hingeworfener Paradoxen
unerwartete Anwendung
in Erstaunen setzt,
bekannter Gemeinsätze,
auS dmm wir uns keine Nahrung deö Geistes versprechen, überraschet." „Jede seiner Fabeln ist ein Pfeil,
Bogm abgedrückt,
bedeutend,
bimst
in
um
deusschr Schreibart
höchstm
tm Dramm Minna
Anse,
Sein
kein Zug überladen, kein Aus als es sollte.
hat
sich
dramatisches
Vollkommenheit
krästigm
Da ist jedes Beiwort
und trifft.
oder anders gestellt
erworbm.
seiner
der vom schmucklosen aber
fliegt
jede Wmdung zweckmäßig,
druck überflüssig,
Dialog
zum Ziele
Das größte Ver
durch
indessen Lessing
Gespräch,
zu nehmen,
das
man,
seinm
um
es
nach seinm drei letz-
von Bamhelm, Emilia Galotti, und Nathan der
beurtheilen muh,
hält zwischm der Büchersprache,
Sprache des Umgangs die glücklichste Mitte."
und der —
„Zu viel und zu ängst-
144 lich gedrechselte Perioden, schleppende Weitläuftigkeit, allzu gelehrte Sitten sprüche, allzuviel Respect für die regelmäßige Wortfolge, übertriebener Purismus, Fehler, die mehr oder weniger, einzeln oder alle zugleich vor Lessing das deutsche Drama entstellen, waren hier nicht mehr sichtbar." Ihm gebührt „die Ehre, die wahre Kunst des dramatischen Dialogs im deutschen Schauspiel gezeigt und eine Bahn gebrochen zu haben, die nach ihm Engel, Goethe und Leisewitz mit gleich gutem Erfolge be traten. Sein Dialog ist voll Leben, voll Handlung, voll Abwechslung, ein bewegliches, fortschreitendes Gemälde der Sitten und Leidenschaften. Seine Sentenzen kommen, wie er es selbst vorschrieb, aus der Fülle des Herzens, von der der Mund übergeht; seine Personen sagen sie nicht her, um damit zu prahlen; sie fühlen sich gezwungen sie zu sagm, weil sie ihnen die Empfindung abdringt, alle könnten es seiner Fran ziska nachsagen: Macht man das, was einem so einfällt?" Dabei „die so bedeutsame, so kernvolle Kürze des Lessingschen Dialogs, vermöge deren er in eine einzige Ausrufung, in ein einziges Verbindungswort so viel Sinn zu legen versteht, daß wir auf einmal in zwei Wörtern hören, was uns ein Commentar darüber in mehreren Perioden erklären müßte. Jenes gräßliche: „Recht gern!" mit dem der Prinz das Todesurcheil unterschreiben will; jenes höhnische: „Und dann?" und: „Ja wohl!" Marinellis in seiner Unterredung mit Appiani, sind Kürzen, die an dem Orte, wo sie angebracht sind, vortreffliche Wirkung thun, und mit jenem so gepriesenen: „Qii’il mmirfit!“ des Corneille wetteifern können. Doch nicht des dramatischen Dialogs allein war Lessing Mei ster; sein Gespräch für Freimaurer: Ernst und Falk, beweist, welche Kräfte in ihm zum philosophischen Dialog lagen, die er doch hier zum ersten und letzten Male geäußert hat. Es hat dieses Gespräch alle Ein falt, alle Süßigkeit, alten Tieffinn, all' die glückliche Mischung von Ernst und Scherz, die wir an den platonischen Dialogen bewundern." Auch in seinen Kritiken ist er nie „aus der Tonleiter gewichen, die er selbst, im Falle er Kunstrichter hätte sein wollen, für die seinige angab: „„schmeichelnd gegen den Anfänger; mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifeln bewundernd gegen den Meister; abschreckend und positiv gegen den Stümper; höhnisch gegen den Prahler und so bitter als möglich gegen den Cabalenmacher."" „„Es ist nicht Hitze, nicht Uebertreibung,"" sagte er, „„die mich auf den Ton gestimmt, in welchem man mich mit Herm Klotz hört. Es ist der ruhigste Vorbedacht, die langsamste Ueberlegung, mit der ich jedes Wort gegen ihn niederschreibe. Wo man ein spöttisches, bittres, hartes findet, da glaube man nut ja nicht, daß es mir entfahren sei. Ich hatte nach meiner besten Einsicht geur-
145 theilt, daß ihm dieses spöttische, bittere, harte Wort gehöre, und daß ich eS ihm auf keine Weise ersparen könne, ohne an der Sache, die ich gegen ihn vertheidige, zum Verräther zu werden."" „So sprach der Mann von Ehre, der immer offen und bieder blieb, auch wo er gegen feinen Widersacher rauh oder hart zu werden sich gedrungen fühlte; er zwang seine Gegner ihn hochzuachten, wenngleich sie ihn nicht lieben konnten." „gaffen Sie uns," — so schloß vor nunmehr schon achtzig Jahren Professor Schütz diese akademischen Vorlesungen über Lessing, — „lassen Sie uns, meine Herren, auch die Asche eines Mannes noch dank bar ehren, dessen Kunst uns jene herrlichen Blumen erzog, an deren Schönheit unsere Nachkommenschaft noch ihr Auge weiden, deren Wohlgeruch nach Jahrhunderten noch die edelstm Seelen erquicken wird. Lassen Sie uns auch in ihm das so ost verkannte Verdienst der wahren und großen Dichter ehren, das sie sich um die Verfeinerung unserer Empfindung, um die Cultur unseres Verstandes, um die Besserung unseres Herzens, um die edelste Art unseres sinnlichen Vergnügens erwerben, eines Vergnügens, das mehr als irgend ein anderes mensch lichen Geistes würdig ist, und dessen Empfänglichkeit von jeher dm fühlenden Denker von dem rohen Haufen der Menschen unterschieden
hat."--------
Johann Friedrich Schink.*) „Der Name Lessing ist von den Namen einer, deren auch die cultioirtesten Nationen sich nur selten rühmen können. — Was war er nicht alles, dieser außerordentliche Lieder - und Fabeldichter, Epigrammatist und Dramatiker, Kunstüber und Kunstrichter, Geschichtsund AlterthumSkundiger, aufklärender Theolog und tiefdenkender Phi losoph; einheimisch in Griechenland wie in Rom, in Spanien wie in England, in Frankreich wie in Italien; eingedmngen in ihre Sprachen, wie in ihren Geist! Fast überall auf seinkr Stelle, immer sein Geist, kein fremder; überall seine eigne Art, den Stoff zum Dmken aufzufindm, zu mtwickeln, zu verhandeln; immer sich selbst gleich, immer er, und mit jedem neuen Werke größer, kraftvoller, vollendeter; überall sein Ausspruch respectabel, sein Urtheil geltmd!"
') Pantheon der Deutschen.
II. Theil.
Chemnitz 1795.
146
Friedrich Schlegel. Im Jahre 1804 erschien: „Lessings Geist aus seinen Schriften, oder desien Gedanken und Meinungen, zusammengestellt und erläutert von Friedrich Schlegel,") mit einer Vorrede an Fichte, worin der Verfasser sagt: „Nicht weil Lessing, wiewohl in ganz anderen Ver hältnissen und bei Gelegenheit ganz anderer Gegenstände dennoch nach dem gleichen Ziele gestrebt zu haben scheint wie Sie, Gründlichkeit nemlich und Freimüthigkeit der Untersuchung in allen Theilen des Wissms zu verbreiten; nicht weil er Ihnen in diesem Sinne vorgearbeitet hat; nicht weil Sie, wie ich weiß, sein Streben und seine Gesinnung ehren, das Geistvolle in seiner eigenthümlichen Manier mehr als viele Andre zu schätzen und zu lieben wissm, richte ich daS Wenige, was ich in dieser Vorrede zu sagen habe, zunächst an Sie, verchrungswürdiger Freund; sondern deswegen, weil ich dadurch zugleich meine Ueberzeugung an den Tag zu legen Gelegenheit erhalte, daß solche Miscellen und Fragmente von Philosophie, wie Lessing allein zu hinterlassen vermochte, erst dadurch ihren vollen Werth erhalten, wenn in derselben Literatur auch dasjenige vorhanden ist, was ihnen fehlt, oder was sie nur stillschweigend voraussetzen. Nur da, wo auch die ersten Principien des Wahren, deren Entdeckung oder Wiederherstellung das Zeitalter vorzüg lich Ihnen verdankt, in einer streng wissenschaftlichen Methode der Phi losophie gelehrt werden, find auch die fteieren Productionen und Resul tate des blos natürlichen philosophischen Geistes an ihrer Stelle. Für überflüssig aber können diese nie gehalten werden, wären auch die Prin cipien deS Wissens noch so deutlich dargesteUt, die Methode noch so sehr vervollkommnet. Denn daS Wissen ist, wie bekannt, nicht ein blo ßer Mechanismus, sondem geht nur aus dem eignen freien Denken hervor. Schwerlich aber sind noch andre deutsche Schriften besser ge eignet, diesen Geist des Selbstdenkens zu erregen und zu bilden, als die Lessing schm;- die „diese ganz specifische Kraft nicht durch ihren Inhalt allein, sondem auch durch ihre Form haben, und ich gestehe, daß diese und der vortreffliche Styl nicht wenig dazu beigetragm, mich zu dieser Arbeit zu bestimmen." „Damm hat, was Lessing schrieb, eine so eigne Magie, und dämm ist er den vortrefflichsten Schriststellem beizuzählen, weil er nicht blos im Einzelnen gmialische Gedanken hatte, sondem der Gang seines Denkens selbst gmialisch und genieerregend war." Der
') Reue unverändert« Ausgabe. Leipzig, bei I. C. Heinrichs. 1810.
147
Versuch „ Lessings Geist und Gedanken, ihrem Gange und ihrer Entstehung gemäß, soviel als möglich mit feinen eigenen Worten darzustellen," wird im ersten Theile der Schrift selbst mit einer allgemeinen Einleitung: „Vom Wesen der Kritik", mit einer „Vorerinnerung und Nachschriften zu den Lessingschen Briefen und antiquarischen Versuchen; im geeiten Theile mit einer ferneren Einleitung: „Vom combinatorischen Genie" zu den Fragmenten dramaturgischen, lüerarischm und po lemischen Inhalts, und im dritten Theile mit einer schließlichen Ein leitung: „ Vom Charatter der Protestanten" zur „Erziehung des Menschengeschlechts", zu den „Gesprächen zwischen Ernst und Falk" und zum „Nathan", begleitet, wobei Schlegel der letztgenannten Einleitung noch ein Sonett aus Lessings Nathan, einen Prolog und einm Epilog, und dem Ganzen endlich noch das Bruchstück eines dritten Gespräches über Freimaurerei beigesügt hat. Hier zunächst einige Auszüge, soweit sie dem ersten und zweiten Theile der Schlegelschen Ausfühmngen an gehören: Vom Wesm der Krittk: „Lessings Geist war nicht in die enge Sphäre anderer Gelehrten gebannt, die nur im Lateinischen oder Grie chischen Kritiker sind, in jeder andem Literatur aber wahre Unkrittker. Lessing behandelte Alles mit kritischem Geiste; Philosophie und Theo logie nicht minder als Dichtkunst und Anttquitäten. Das Klassische behandelte er oft mit einer Leichttgkeit und Popularität, in der man sonst nur von dem Modernen zu reden pflegt, und das Moderne prüfte er mit der Strenge und Genauigkeit, die man ehedem nur bei Behand lung der Alten nothwendig sand. Er studirte die einheimische alte Li teratur, und war doch mit der ausländischen neueren bekannt genug, um wenigstens den Weg richtig anzuzeigen, wohin man sich zu lenken, waS man zu studiren habe: die ältere englische Literatur nehmlich, statt der bis auf ihn prädominirenden ftanzöfischen, und dann die italienische und spanische. So umfassend aber seine Krittk war, so ist sie doch durchaus populär, ganz allgemein anwendbar. Wenn ein allumfaffender Gelehtter mit großem Geiste, wie Sir William Joneö, nicht blos das Gebäude der Dichtkunst, sondern das ganze Gewebe aller Sprachen durch die Kette der Verwandtschaften bis zu ihrem Ursprünge verfolgt; wenn ein Wolf mit unvergleichlichem Scharfsinn durch das Labyrinth aller Voruttheile, Zweifel, Mißverständnisie, grundlosen Annahmen, Halbheiten und Uebertreibungen, grobem und unmerklich feinern Verfäl schungen und Verwitterungen der Zeit, zum größten Vergnügen deS Forschers endlich durchdringt bis zur Quelle und zur wahren Entstehung deS ältesten Kunstdenkmals der kunstreichen Natton des Altetthums, so 10'
148
ist es in der Natur der Sache gegründet, daß nur wenige an diesen Untersuchungen Theil nehmen sönnen und Theil nehmen sollen. ES ist genug, wenn eS einige Kritiker dieser esoterischen Art in einem Zeitalter giebt, und einige wenige, die sie verstehen. Der Geist der Lessingschen Kritik aber liegt ganz in dem Kreise des allgemeinen Verständlichen. Er sollte überall verbreitet sein in dem ganzen Umkreise der Meratur; denn nichts ist so groß und nichts ist so anscheinend geringfügig in der Literatur, worauf er nicht anwendbar wäre, dieser freimüthig untersuchende, überall nach richtigen Kunstbegriffen strebende, es immer strenger nehmende, und doch so leicht zu bewegende Geist, besonders aber jene billige Verachtung und Wegräumung des Mittelmäßigen oder des Elenden." Schlegel schildert die Lähmung und Korruption unserer Literatur durch das Eimeißen des französischen guten Geschmacks, jenes „unerhörtm Dünkels", daß die Welt noch niemals etwas so Vortreffliches gesehen und gehört habe, als diesen „guten Geschmack", durch die Gutmüchigkeit, sich „jene ftanzösischen Thorheiten aufbürden zu lasten", durch jenen „etenben Provincialismus, wodurch die damalige deustche Meratur noch unter die französische hinabsank, die doch wenigstens durch ihre Einheit alS Phänomen der Nationalität einiges Zntereffe behält." Dann fährt er fort: „Mitten in dieser Gemeinheit wuchs Lessing auf. Er hat das Joch zuerst abgeschüttelt, er hat der herrschenben Gemeinheit tapfer widerstrebt, hat das französische Geschmacksgefpenst kräftig in sein Nichts zusammengerüttelt und die ersten Keime zur besseren deutschen Literatur ausgeworfen. Er kann als Vorbild ange führt werden', wie man immer weiter schreiten, immer strenger werden, immer unerbittlicher das Schlechte verfolgen soll." Vom combinatorischen Geist: „Mit der Fülle und Gediegenheit des Gedachten muß die Freiheit und Lebendigkeit des Denkens im Ver hältniß stehen, und der Jdeenreichthum eines umfastenden SchriststellerS wird dann erst sich wirstam zeigen, wenn darin zugleich eine große Kraft des eigenen Denkens, ein eigenthümliches Gepräge, ein kühn combinirender Geist sichtbar ist. Dieses Combinatorische kann nicht entstehen ohne Universalität, denn nur wo eine Fülle verschiedenartiger Stoffe vereinigt ist, können neue chemische Verbindungen und Durchdringungen derselben vor sich gehen. Diese genialische Kraft ist es aber auch, was der Uni versalität erst ihren wahren Werth giebt, Gültigkeit und Form. In ben Lessingschen Schriften wird nicht leicht Jemand diesen originellen Stempel verkennen können, und ich denke, daß auch in Rücksicht der kühnen und überraschenden Combinationen das Ganze berfelben dem
149 Begriff der aufgestellten Gattung so sehr entspricht, als nur immer ein Werk seinem Begriff entsprechen kann." In der „Nachschrift" zu den Lesfingschen Briefen heißt es: „DaLoos dieses vortrefflichen Mannes war kein glückliches Loos?" Und dann der Schluß: „O, wie ist er zu bewundern, daß er dennoch so viel geleistet, so viel gewirkt hat, so viel Keime ausgestreut des Bestem; daß er sich nicht, kalt verachtend das entartete Geschlecht, in Stillschwei gen zurückzog, sondem, auf eine bessere Nachwelt kühnlich vertrauend, immer thätig blieb. Für uns hat er gelebt und geschriebm; so laßt uns denn auch in seiner Gesinnung weiter leben, dem gleichen Bemfe folgend fortsetzen,' was er nur anfangen konnte und was Keiner vollenden wird!" — Der dritte Theil der Schlegelschen Schrift würdigt zumeist dm religiösen Standpunkt Lessings. „Wie mancher," sagt Schlegel, „der sich viel damit weiß, daß er die Dorurtheile des Christen abgelegt, oder vielmehr sammt allem Guten, womit sie verwebt waren, zugleich abge worfen hat, ist noch bis in sein tiefstes Wesen ganz umwunden von den Dorurtheilen seiner Nation, seines Standes, des bürgerlichm Le bens, seines Kreises, überhaupt der gebildeten Gesellschaft, des Zeitalters mdlich, desten herrschender Charakter Eitelkeit und Dünkel und die da mit nothwendig verbundene Unkenntniß seiner selbst ist. Wie weit Lessing über demselben in Rücksicht auf diese feinem verborgmem Domrtheile stand, das zeigen die Gespräche über Freimaurerei. Ob er damit ihre Grundsätze aufstellen wollen oder was sonst, das mögen die beurtheilen, die Kmntniß von dieser Gesellschaft habm. Gewiß aber ist es, daß die Freimaurerei, so wie er sie aufstellt, etwas Nothwmdiges ist, was gar nicht an diese oder jene Form gebunden sein kann; wovon das Wesentliche von selbst entstehen muß, so bald Mittheilung, Ge meinschaft unter den Denkenden, Unterrichteten Statt findet, was aber auch öffmtlich betrieben werden mag; ja, daß die wahrm Geheimnisse doch immer geheim bleiben; daß die Schriftstellerei selbst, so behandelt, wie sie Lessing behandelte, eine solche öffentliche Freimaurerei ist, die ganz frei wirkt und keiner Aeußerlichkciten bedarf: er selbst, der erste dieses Bundes, der immer weiter sich verbreitet, und ewig bestehen wird, weil er auf ewigem Gmnde ruht. Will man aber diese Schrift Lessings über Freimaurerei lieber auf den Begriff der Humanität beziehen, — so ist dieser Begriff unstreitig ebenfalls nur in seiner reinstm, ächtm Bedeutung auf dieselbe anwendbar. Humanität nehmlich ist in diesem Sinne nicht die Sympathie mit ftemdem Elend und Erbärmlichkeit, son dem die innige Freude und herzliche Theilnahme an dem Verstände
150 — Anderer, der Wunsch, diese Geistessreiheit, so viel an uns ist, zu erre
gen und zu entwickeln, die stets bereitwillige Mitwirkung dazu, und die
rege Aufmerksamkeit auf alle Mittel, die dahin führen." „Alle Einfälle
theologischm Schriften,
Werke und Bruchstücke,
im
und Streitschriften Lessings athmen
Form unverrückt
immer
diesen
und der denkenden Freiheit,
einen
Inhalt
Entwürfe,
in
wie
der
selben Geist des steten Denkens was ich seinen Protestan
und das ist es,
tismus nenne." Als den „wichtigsten Puntt des Lessingschen Glaubensbekenntniffes"
preist
am Schlusie
Schlegel
neuen Evangeliums,
Glaube an mit
er
der
„seine Verkündigung eines
der Schrift:
seine Meinung von einem drittm Weltalter,
eine große Palingenesie der Religion, dem
Jahrhunderten,
Christenthum
eine
Datier
sondern nach Jahrtausenden.
dennoch
ist der
neues Wiederaufleben derselben,
nach
nicht
prophezeite,
einer Zeit,
Zu
sein
feste Zuversicht, wo
die
fast ganz
was äußerlich so heißt,
Religion, wenigstens in demjenigen,
erstorben zu sein scheint,
die
fortdauernde Glaube an ein
der wesentliche Punft, der
die Grenze
zwischen den Religiösen und den Irreligiösen zieht, das einzige, so we
nig es ist, was vor der Hand zu erwarten steht.
cs werden ihrer immer mehr sein;
bens jetzt schon einige,
aber nicht
vergessm,
Es sind dieses Glau
daß es Lessing
zuerst bekannte, wie
laßt es uns die
einsame
Stimme aus der Wüste, mitten unter dem Hofe des Pöbels: „„Es wird das neue Evangelium kommen."" —
„So sagte Lessing, doch die blöde Rotte Gewahrte nicht der autgcschloss'nen Pforte.
Und dennoch, was der Theure vorgenommen
Im Denken, Forschen, Streiten, Ernst und Spotte,
Ist nicht so theuer, wie die wen'gen Worte."
DaS Sonett, dessm Schlußstrophen hier mitgetheilt sind, sich
bereits
früher
abgedruckt in
August Wilhelm Schlegel
und
Königsberg 1801, am Schlüsse
befindet
„Charakteristiken und Kritiken"
Friedrich Schlegel. eines Aussatzes:
1.
Bd.
von
S. 221.
„Ueber Lessing"
von
Friedrich Schlegel, der auf vier Jahre zurück verweist, und worin unter Anderm gesagt ist:
„Noch weniger ist bei dem allgemeinen Mangel an
Sinn für sittliche Bildung und sittliche Größe von Lessinas Charakter
die Rede; von den würdigen, männlichen Grundsätzen, von dem großen, freien Styl seines Lebens, welches vielleicht die
beste praktische Vor
lesung über die Bestimmung des Gelehtten sein dürfte; von der dreisten
Selbstständigkeit,
von der derben Festigkeit seines ganzen Wesens, von
seinem edlen Cynismus,
von
seiner
göttlichen Liberalität;
von
seiner
151 biedern Herzlichkeit, die der sonst nicht empfindsame Mann in Allem, was Kindespflicht, Brudertreue, Vaterliebe, und überhaupt die ersten Bande der Natur und die innigsten Berhältnifle der Gesellschaft betrifft, stets offmbart, und die sich auch hie und da in Werken, welche nur der Verstand gedichtet zu haben scheint, so anziehend und durch chre Selten heit selbst rührender äußert; von jenem tugendhaften Haß der halben und der ganzen Lüge, der knechtischen und der herrschsüchtigen GeisteSfaulheit; von jener Scheu vor der geringsten Verletzung der Rechte und Freiheiten jedes Selbstdenkens; von seiner warmen, thätigen Ehrfurcht vor Allem, was er als Mittel zur Erweiterung der Erkenntniß und in sofern als Eigenthum der Menschheit betrachtete; von seinem reinen Eifer und Bemühungen, von denen er selbst am besten wußte, daß sie, nach der gemeinen Ansicht, fehlschlagen und nichts fluchten würden, die aber, in diesem Sinne gethan, mehr werth sind, wie jeder Zweck; von jener göttlichen Unruhe, die überall und immer nicht blos wirken, son dern aus Jnstinct der Größe handeln muß, und die auf Alles, waS sie nur berührt, von selbst, ohne daß sie es weiß und will, zu allem Guten und Schönen, so mächtig wirket. „Und doch sind es grade diese Eigenschaften und so viele andre ihnen ähnliche noch weit mehr als seine Universalität und Genialität, um derentwillen man es nicht mißbilligen mag, daß ein Freund die er habene Schilderung, welche Cassius beim Shakespeare vom Cäsar macht, auf ihn anwandte: „Ja, er durchschreitet, Freund, die enge Welt
Wie ein KolossnS, und wir kleinen Leute,
Wir wandeln unter seinen Riesenbeinen Und schaun umher nach einem schnöden Grab."
Johann Gottfried Eichhorn.*) „Mit Lessing ttat — zwischen 1755—1767 — die deutsche Poesie in ihre völlige Mündigkeit: er gab dem guten Geschmack Berichttgung und Festigkeit durch eine männliche Kritik und dem Lust- und Trauer spiel seine ersten von in-und ausländischer Nachahmung fleien Meister stücke. — In einem Vortrag voll Fülle, Nachdruck und Nettigkeit, in einem Styl, der sich allen Gegenständen leicht anschlang, in häufig neuen und glänzendm Wendungen, stellte er die Theorie der Fabel *) Geschichte der Literatur von
IV. D.
1. Abth. Gottingen 1807,
ihrem Anfänge bis auf die neuesten Zeiten.
152 und des Sinngedichts auf, gab er in der Dramuturgie geln des Lust- und Trauerspiels an,
bestimmte
er
im
die Re
Laokoon die
Grenzen der Poesie und bildenden Künste. — Lessing führte wieder zu
der ursprünglichen Kürze des Aesop zurück, und zeigte in einer beträcht
schöner prosaischer Fabeln,
lichen Anzahl
daß ein Dichter auch noch
jetzt in dieser Manier neu, nützlich und unterhaltend werden könne. — Sinngedichte trifft man meistens schon in der Anthologie,
Lessings
im Martial und dem lateinischen Epigrammatisten Cordus an; die we nigen, und
ihm
eigenthümlich angehörenden sind
der Zergliederung
der Begriffe.""
—
zweite Periode als Dramattker angetteten,
„„Blitze des Scharfsinns 1763
hatte Lessing
in welcher
er
seine
zuerst mit
ausgebildeter Kraft und reinem männlichem Geschmack Muster im Lust-
und Trauerspiel aufstellte, und dadurch sich zum Gesetzgeber der Bühne
Seine stühern Lustspiele:
legitimirte.
der Misogyn,
die
Juden, der Freigeist, der Schatz, kündigten schon den künstigm Meister
im Drama an, obgleich ihre Welt- und Menschenkenntniß noch blos aus Büchern geschöpft,
dargestellt war.
und diese mit etwas zuviel ftänzösischer Redseligkeit
In der Minna von Barnhelm aber stand (1763)
der vollendete Komiker da,
Charatteren
in Plan und Ausführung selbstständig,
und Sitten deutsch,
und von aller in-
in
und ausländischen
Nachahmung frei; in der Charakterschilderung ein Zeichner nach eigener lebendiger Weltbeobachtung, und im Dialog Meister; in
voll geben,
Witz
Mannichfaltigkeit,
Seine Trauerspiele Epoche machen mußten.
der Sprache
und ächter komischer Kraft."
waren „von so großem innern Wetth,
—
daß sie
In der Miß Sara Sampson, einem Stück
voll zärtlicher und rührender Stellen,
dem aber noch
etwas von der
frühern theatralischen Redseligkeit anklebt, brach er (1755) für daö bür Die innere Oekonomie des Stücks, die
gerliche Trauerspiel Bahn.
Erscheinung von Menschen aus den mittleren Ständen in einem Trauer spiel, welche in der ordentlichen Sprache des Lebens redeten, das treue Gemälde der menschlichen Natur nach
ihren Begierden,
Leidenschaften
und Empfindungen, die Neuheit und Wahrheit der Sprache wirtte tief und nahm so sehr für das bürgerliche Trauerspiel ein,
daß ihm das
heroische nach wenigen Jahren den Schauplatz räumen mußte.
ein kleines Stück kraftvoller Sprache
voll Leben
und Natur
ausgedrückt,
befestigte
und
Philotas,
edler Gesinnungen,
(1759)
den Geschmack
in des
Publikums an dieser Manier, ob er gleich an innerm Werth der Miß
Sara Sampson nachstand; wie viel mehr mußte nun dieses der Fall fein bei Emilia Galotti, einem in jeder Rücksicht vollendeten Meister-
153 stück in dieser Gattung, das in Regelmäßigkeit beiden frühern Versuchen weit vorgeht."
und tragischer Größe
Schelling.**) Schelling preist in „Gotthold Ephraim Lessing einen deut schen Mann, einen Mann erster Größe, herrlich von Geist, durchaus tüchtig von Charakter," — der nicht so leicht bereit war seinen Ver stand aufzugeben; der wußte, waS er an ihm hatte; Anderen mag daS
Opfer leichter fallen."
Ludwig Tieck.**) — „Es kann wieder von Nutzen sein, unsere leer phantasirende Jugend auf Lessing als Dichter aufmerksam zu machen, auf den Scharfsinn und die Tiefe seiner Compositionen, auf die Gründlichkeit seiner Motive, auf den Adel der Charastere und den philosophischen Witz seiner Sprache. Wer das Theater studiren will, muß durchaus den Bemühungen Lessings, auch seinen Schauspielen, eine wiederholte Auf merksamkeit widmen. „Jede Bühne, die sich achtet, sollte immer wieder zu Zeiten Emilia und Minna mit ihren angestrengtesten Kräften darstellen. Es wird dem Theater selbst vom größten Nutzen sein, sich in dieser edlen, fein abge wogenen Sprache zu üben, es bleibt dadurch immer noch eine Möglich keit übrig, sich wieder zum Bessern, zur Wahrheit und zum Adel hin auf zu winden. Das Theater muß von Zeit zu Zeit auch etwas für sich selbst thun, um zu knien und sich zu erheben, selbst wenn daS Publicum diese Bemühungen nur lau aufnehmen sollte; aber glücklicher Weise ist dies nicht der Fall, sondern dieser wahre deutsche Genius wird auch immer noch vom Volke erkannt. Darum wäre es vielleicht zweck mäßig, grade jetzt auch einige andere seiner dramatischen Arbeiten der *) 8- W. I. Schellings Denkmal der Schrift von Herrn
Friedrich
lung.
1812.
Heinrich
Jacobi.
Tübingen, in
den göttlichen Dingen de-
der
Cottaschen
Buchhand
*e) Ueber Emilia Galotti, aufgeführt auf dem Wiener Burgtheater, den 1".
Mai 1825.
Dramaturgische Blätter
von Ludwig Tieck.
Bd. II.
BreSlau 1826.
154 Bühne wieder zurückzugeben, von denen selbst die schwächsten dm größten Theil der bessern unserer Tage so weit überragen."
P l a t e n. Lessings Nathan.
„Deutsche Tragödien hab' ich in Masse gelesen, die beste Schien mir diese, wiewohl ohne Gespenster und Spuk: Hier ist Alles, Charakter und Geist und der edelsten Menschheit Bild, und die Götter vergehn vor dem alleinigen Gott." Cs ist dies daö Urtheil des Sängers des „Saul und David":
„Die schwere Krone löse Dir vom Haupt, Und tret' hinaus in reine Gotteslüfte! Die Lilie prangt, der Busch ist neu belaubt, Die Reben blühen und verschwenden Düfte. „Zwar bin ich nur ein schlichter Hirtensohn, Doch fühl' ich bis zum Himmel mich erhoben: Was mußt Du fühlen, König, auf dem Thron, Wie mutz Dein Herz den Gott der Väter loben!" des Luca Signorelli:
„Nicht klagt er oder stöhnt und schreit, Kein Seufzer wird zum leeren Spiel des Windes, Er setzt sich hin und konterfeit Den schönen Leib deS vielgeliebten Kindes. „Und als er ihn so Zug für Zug Gebildet, spricht er gegen seine Knaben: Der Morgen graut, es ist genug, Die Priester mögen meinen Sohn begraben." der oenetianischen Sonette:
„Die goth'schen Bogen, die sich reich verweben, Sind von Rosetten überblüht, gehalten Durch Marmorschäfte vom Balkon umgeben; Welch' eine reine Fülle von Gestalten, Wo, triefend von des Augenblickes Leben, Tiefsinn und Schönheit im Vereine walten." Wird „eine gerechtere Zeit", worauf er vertraute, nicht auch noch für ihn kommen? Das Marmor-Denkmal, das die Verehrung des Aus-
155
landes auf der Billa Landolina, in der Nähe von Syracus über seiner Gruft errichtm ließ, zeigt einen Apollo mit Leier und gefülltem Köcher und der Inschrift:
„Hic jacet Augustus comes de Platen, poetarum teutonicorum princeps, ingenio germanus, forma graecus, poetellarum terror, novissimum posteriteritatis exemplum. nat. a. 1796. mort. a. 1835.')
Dr. Ludwig Wachter.") „Lessing „begründete und ordnete das heutige geistige Streben in der deutschen Nationalliteratur, deren Bedeu tung er eben so tief erfaßte, als er ihr höheres Ziel richtig ahnete und, vollständiger verstanden von folgenden Ges chlechtern, schärfer bestimmte." —
Wolfgang Menzel."') „Lessing vereinigte das Studium und die Bildung aller Schulen seiner Zeit in sich, und ging durch die Gallomanie, Gräkomanie, Anglo manie wie die Sonne durch den Thierkreis selbstständig, ohne da oder dort hängen zu bleiben, stet aufsteigend die eigene Bahn. In jener Zeit, des ftemden Einflusses, der miteinander streitenden Geschmacksrichtungen, konnten große Geister nicht wie aus eignem Boden hervorwachsen, sie mußten sich mit herculischer Kraft durch die ftemden Hindernifle, Wirrungen und Lockungen hindurchkämpfen; sie mußten sich ver mittelst einer gesunden, umsichtigen, unbestechlichen Krittk erst den Weg räumen. Daher bei Lessing neben der poettschen Kraft die krittsche, daher ihm vor Allem die bewaffnete Pallas zugesellt! Er übte diese Kritik in sehr weitem Sinn auf dem Felde der Theologie, Philosophie, Philologie, Kunst- und Literaturgeschichte, wie auf dem Felde der Poesie. Er bekämpfte die plumpe Rohheit, den fassen Fana tismus und die geistlose Pedanterei des Buchstabenglaubens in seiner be rühmten Fehde wegm der Wolffenbüttler Fragmente, wobei er es zu ') Vergleiche die der Cottaschen Ausgabe der gesammelten Werte del Dichter vorgedruckte Biographie desselben von Karl Gödek«. **) Handbuch der Geschichte der Literatur. Dritte Umarbeitung. III. Th. Leipzig 1333. Verlag von Joh. Ambr. Barth. **’) Deutsche Literatur. Stuttgart 1836.
156
vermeiden wußte in's Extrem des völligen Unglaubens zu fallen, wie auch sein herrlicher Nathan beweist, daher sich die steche Rotte der Got teslästerer allezeit mit Unrecht auf ihn berufen hat. — Indem er aber sein Augenmerk auf die Poesie richtete, wurde er der wahre Hercules Musagetes, der Sieger über den ganzm noch übrigen Wust der Gallo manie und der von ihr unzertrennlichen pathetischen Weitschweifigkeit, sowie nicht minder der treue Eckart vor dem Benusberge der modernen Sentimentalität und poetischen Schwelgerei, dem nach ihm gleichwohl Thür und Thor geöffnet wurden. Niemand wies mit so einleuchtmdem Scharfblick den Unterschied zwischem dem warhast Antiken und der stanzösischen Carricatur desselben nach, als Lessing, und ihm erst ver danken wir die Reinigung unsrer deutschen Bühne vom stei fen Alexandriner und die Reinigung unsrer Sprache über haupt vom Schwulst. Noch ehe die Gräkomanen aufstimen, kämpfte schon Lessing, vor Klopstock, vor Boß, aber er war weit entfernt, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Er rettete die Anttke nicht darum aus dem stanzösischen Bombast, um sie den deutschen Pe danten zu überantworten. Wenn wir Lessing den Dichter betrachten, dürfen wir nicht vergesien, daß er sich — mit hundert andern Din gen neben der Poesie beschäftigte. Daher sind seine frühern Vorstudien und Persuche, sowie seine gelegentlichen poettschen Spielereien, auf die er selbst wenig Werth legte, sehr von den klassischen Werken seiner vol lendeten poettschen Reife zu unterscheiden, nehmlich von Minna von Barnhelm, der Emilia Galotti und dem Nathan, von denen jedes allein schon hinreichen würde, ihn den größten Dichtern aller Zeiten beizugesellen. Als das innerste Princip der Lessingschen Poesie tritt die Ehre hervor, — das Princip von LessingS ganzem Leben war die Ehre. Erdichtete nur in dem Geist, in dem er lebte. Er hatte sein ganzes Dasein hindurch mit Widerwärtigkeiten zu kämpfen, aber er beugte nie sein Haupt. — So war Lessing selbst, und so finden wir ihn wieder in seinem Major Tellheim, in Odoardo Galottt, in Nathan. Nie waren Humanität und Weis heit so innig mit dem romanttschen Wesen männlicher Ehre ge paart, als hier, und kein neuerer Di chter, ich sage keiner, hat diese Grazie der Männlichkeit darzustellen gewußt, wie Lessing. Und welche reizende Töchter hat dieser strenge Vater! welcher Zauber wohnt in Minna, Emilia, Recha! Wer, außer Shakespeare, hat die weibliche Natur in so holder Weichheit, edler Einfachheit, lachender Munterkeit und heiliger Reinheit aufgefaßt, als Lessing? Man staunt das liebliche Wunder der Dichtung an, und möchte doch
157 mit diesen so natürlichen Geschöpfen Worte wechseln, als ob sie vor unS stünden. — Lessing war unser erster moderner Dichter, der erste, der die poetischen Ideale mit dem wirklichen Leben aussöhnte, der es wagte Helden im modernen Kostüm, Heldm von heute, auf die Bühne zu bringen. Bisher kannte man nur die männliche Tugend der alten Römer aus der stanzösischen Komödie. Lessing zeigte in seinem Tellheim und Odoardo, daß man auch in der heutigen prosaischen Welt noch ein Held, ein Mann von Ehre sein könne. Durch dieses moderne Kostüm, durch die Natürlichkeit seiner dramatischen Personen und durch die Prosa, die er dem altstanzösischen Alerandriner wie dem griechischen Hexameter entgegensetzte, übte er mächtigen Einfluß auf die Folgezeit und wurde der Schöpfer der eigentlichen modernen deutschen Poe sie, die das heutige Leben zu schildern unternahm. — Nicolai, Müller warm später als Lessing, und folgten erst seinem Antrieb. Dann kam Goethe, dann Schiller, deren erste prosaische Schauspiele, Götz, Clavigo, die Räuber, Kabale und Liebe, überall die Schule Lessings ver rathen und ohne seinen Vorgang nicht entstanden wären. Zugleich war Lessing der erste, der in Emilia Galotti einen modemm Fürsten schilderte. Bisher kannte man nur steife Komödien-Könige mit Krone und Scepter, oder niederträchtige Hofpoesien, worin die Versailler Orgien in der Form von Schäfergedichten gepriesen wurden. — Wer mag verkennen, daß er eine mächtige Wirkung hervorbrachte. — Lessings Nathan bildet seinem Inhalt nach den Lichtpunkt der im acht zehnten Jahrhundert herrschend gewordenen Humanität. Die Mißachtung, die sein jüdischer Freund, der liebenswürdige Mendels sohn, noch zuweilen erfuhr, veranlaßten ihn zu diesem Meisterwerk, in welchem der tiefste Verstand mit der edelsten Gesinnung gepaart ist. Dieses unsterbliche Gedicht der mildesten, ja ich möchte sagen, süßesten Weisheit, ist zugleich durch seine Form für die deutsche Literatur von hoher Wichtigkeit, denn es ist der Vater der unzähligm Jambentragödien, die nach Lessing zuerst von Schiller und Goethe zur Mode erhoben wurden. Doch hat kein Dichter dm ersten Zauber des deutschen Jambus wieder erreicht, wie er in LessingS Nathan, hold überredend, innig wunderbar das Gemüth ergreift." — Die Summe seines Urtheils über Lessing faßt Menzel dahin zusammen: „Was früher schon zum Theil erstrebt worden, vollendete Lessing, dm man als dm Begründer der neuen deutschen Dramaturgie be trachten darf. Nicht nur, daß er als Kritiker den Geschmack sichtete, der Nation die besten fremden Muster vor Augen hielt und den SchauspielDirectionen und dem Publimm ein allmächtiges Orakel wurde, auch als
158 Dichter selbst gab er das erste Beispiel Drama
auf den Ton,
den
das
deutsche
es seitdem behalten hat.
Emilia
und
stimmte
Galotti war das erste deutsche Trauerspiel, Minna von Barnhelm
das erste Lustspiel."
Heinrich Heine.*) „Lessing" war ein ganzer Mann, der, wmn er mit seiner Polemik
das Alte zerstörend bekämpfte, auch zu gleicher Zeit selber etwas Neues und Besseres schuf; er glich, sagt ein deutscher Autor, jenen
die beim
stammen Juden,
Feinde oft gestört wurden,
zweiten Tempelbau
von den Angriffen der
und dann mit der einen Hand
gegen diese
kämpften und mit der andern Hand am Gotteshause weiter bauten. —
Er war der
Er
uns die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit, die
zeigte
Abgeschmacktheit jener Nachahmungen selbst
wieder
unser Theater von der Fremd
literarische Arminius, .der
herrschaft befreite.
werke, ward
er
Alle Richtungen
der Stifter
eignen Kunst verfolgte dieser
des Lebens
Kunst, Theo
Mann mit Enthusiasmus und Uneigennützigkeit.
logie, Alterthumswissenschaft,
Dichtkunst,
Geschichte, Alles
Theaterkritik,
trieb er mit demselben Eifer und zu demselben Zwecke.
Werken
lebt
dieselbe
den
meisten
Einfluß
—
auf
die
In allen feinen
dieselbe
fort
Die beiden kritischen Schriften,
welche
große
schreitende Humanität.
blos
nicht
neuern Originalliteratur.
der
alle Seiten
des Geistes,
Aber
auch durch seine
durch seine Kritik, sondern
das
stanzösischen Theaters,
des
nachgeahmt schien.
dem griechischen
sociale
Idee,
ausgeübt,
Kunst
sind
seine
ham
burgische Dramaturgie und sein Laokoon.
Seine ausgezeich
neten Theaterstücke
von Barnhelm und
sind: Emilia Galotti, Minna
Nathan der Weise. — Ich kann nicht umhin zu bemerken, daß Lessing in der ganzen Literaturgeschichte derjenige Schriftsteller ist, den ich am
meisten liebe." An einer andern Stelle")
fährt Heine über Lessing
fort:
„Ich
habe hier schon zum zweiten Male den Namen genannt, den kein Deut
scher aussprechen kann, ohne daß in seiner Brust ein mehr oder minder starkes Echo laut wird.
Er war die
sein ganzes Leben war Polemik.
lebendige Kritik seiner Zeit
Diese Kritik machte
weitesten Reiche des Gedankens und Gefühls, in *) Die romantische Schule von H. Heine. 1836. *♦) Der Salon. II. B.
sich
und
geltend im
der Religion, in
der
Hamburg. Hoffmann und Kampe.
159 Kunst. — Diese Polemik überwand jeden Gegner und erstarkte nach jedem Siege. Vor dem Lesfingschm Schwerdte zitterten Alle. Kein Kopf war vor ihm sicher. Za manchen Schädel hat er sogar aus Uebermuth heruntergeschlagen und dann war er dabei noch so boshaft, ihn vom Boden aufzuheben und dem Publicum zu zeigen, daß er inwendig hohl war. — Am gewaltigsten kämpfte er gegen den Buchftabm. Hier schwingt er sein Schwerdt am freudigsten und es leuchtet und tobtet. — Wen sein Schwerdt nicht erreichen konute, dm tödtete er mit dm Pfellen seines Witzes. — Mehre winzige Schriftstellerlein hat er mit dem geist reichsten Spott, mit dem köstlichsten Humor gleichsam umsponnen, und in den Lesfingschen Werken erhalten sie sich nun für ewige Zeiten, wie Jnsecten, die sich in einem Stück Bernstein verfangen. Indem er seine Gegner tödtete, machte er sie zugleich unsterblich. Wer von uns hätte jemals etwas von jenem Klotz erfahren, an welchen Lessing so viel Hohn und Scharfsinn verschwendet! Die Felsmblöcke, die er auf diesen armm Anttquar geschleudert, und womit er ihn zerschmettert, sind jetzt dessen unverwüstliches Dmkmal. — Merkwürdig ist es, daß jener witzigste Mmsch in Deutschland auch zugleich der ehrlichste war. Nichts gleicht seiner Wahrheitsliebe. Lessing machte der Lüge nicht die mindeste Con cession, selbst wenn er dadurch, in der gewöhnlichen Weise der Weltklugm, dm Sieg der Wahrhell befördem konnte. Er konnte Alles für die Wahrheit thun, nur nicht lügen. Wer darauf denkt, sagte er einst, die Wahrheit unter allerlei Larven und Schminken an den Mann zu b-ringm, der möchte wohl gern ihr Kuppler sein, aber ihr Liebhaber ist er nie gewesen. — Das schöne Wort Büffons: Der Styl ist der Mensch selber! ist auf Niemand anwendbarer als auf Lessing. Seine Schreibatt ist ganz wie sein Charatter, wahr, fest, schmucklos, schön und imposant durch die inwohnmde Stärke. Sein Styl ist ganz der Styl der römischm Bauwerke: höchste Solidität, bei der höchsten Einfachheit; gleich Quadersteinen mhm die Sätze aufeinander, und wie bei jenen das Gesetz der Schwere, so ist bei diesen die logische Schlußfolge daö unsichtbare Bin demittel.* Den Tribut seines eigenen ttefen Mitgefühls mit LessingS persönlichm Schmerzen und Heimsuchungm bringt Heine in den Worten: „Es ist herzzerreißend, wenn wir lesen, wie das Schicksal auch jede Freude diesem Manne versagt hat und wie es ihm nicht einmal ver gönnte, in der Umfriedung der Familie sich von seinm täglichm Käm pfen zu erholen. Einmal nur schien Fortuna ihn begünstigen zu wollen, sie gab ihm ein geliebtes Weib, ein Kind, — aber dieses Glück war wie der Sonnmstrahl, der dm Fittig eines vorüberfliegenden Vogels vergoldet." —
160 Dr. G. Riesser.**) „Dem Streiter sür Acht und Freiheit gegen Finsterniß und Knecht schaft, für Duldung und Menschenrecht gegen Glaubenshaß und Unter drückung sind die vor allen Anderen zum Danke verpflichtet, die am härtestm gelitten unter dem Joche des Unrechts, die der Last des ge hässigen Vorurtheils om längsten und schmerzlichsten erlagen. — Schon darum stände uns — den Israeliten Deutschlands — gegen Lessing ein Vorrecht des Dankes zu — aber es ist eine noch nähere und innigere Beziehung, die unser Herz bei seinem Namen bewegt. Wo die Finsterniß die tiefste war, da hat Lessing am hellsten und am glän zendsten die Sonne seines Geistes leuchten lassen; wo der Haß am schlimmsten und verheerendsten seit Jahrhunderten gewüthet hatte, da hat seine Menschenliebe ihre Heilkraft am eifrigsten geübt, am herrlichften bewährt. Sein großes Herz umfaßte die Menschheit mit uner schöpflicher Liebe; sein fester Muth, seine unversiegende Geisteskraft waren jeden Augenblick bereit, gegen jedes Dorurtheil, gegen jede Lüge, gegm jeden ungerechten Haß in die Schranken zu treten; aber das größere Leid, der tiefer gewurzelte Haß, gaben uns ein Vorrecht in seinem Her zen, einen nähern Anspruch auf seine Wirksamkeit, und manche seiner edelsten Gedankm waren dem in uns verkannten Rechte der Menschheit gewidmet. Zu einer Zeit, wo die Unterdrückung in der politischm Sphäre noch allgewaltig, wo noch kein Ring der tausendjährigen Fessel gelöst — — war, da fanden Duldung, Menschenliebe, Versöhnung der Religionen ein herrliches Asyl in dem Zauberreiche der Lessingschen Muse. Es war kein eitleö Bild, das hier dem müßigm Ergötzen auf gestellt wurde; es war ihre Zukunft, ihr Ziel, ihr Ideal, das der Menschheit in dem Zauberspiegel der Dichtung vor Augen geführt wird." —
Dr. P e t r i.') — „Und so lebt denn auch Lessing noch, groß und herrlich in feint« Werken, seinen Geistesschöpfungen, seinen, mit der tiefsten Gründ*) Einige Worte über Lessings Denknial an die Jsraliten Deutschlands. Frank
furt a. M. 1838. *) Hofrath Dr. Victor Friedrich Lebrecht Petri, Profeffor der klassischen und orientalischen Literatur am Herzoglichen Collegio Carolino.
rede
zur Todtenfeier
Sohn, 1838.
Lessings am
15.
Februar.
AuS der Gedächtniß
Braunschweig,
Vieweg und
161 lichkett in so vielen schriftlichen Arbeiten niedergelegten Untersnchungen;
er lebt, wohlchätig, erweckend, adelnd, Sillen, die näher verwandtes Stu-
dium oder das allgemeine Bedürfniß
eines nach höherer Bildnng stre
benden Geistes znr eigenen Beschäftigung mit seinen Werken führt, nicht allein, sondern allen Denen auch, die sich den segensreichen Einfluß, dm
seine schriftstellerische Thätigkeit
auf die edelsten und wichtigsten Ange-
legenheitm und Bestrebungen des menschlichen Daseins gehabt hat, be wußt oder unbewußt angeeignet haben; Lessing lebt und wirkt fort
und fort in Allen,
denen
es
hell
und klar im Geiste,
durch des Geistes lichtvolleres Wesen
und
gut und warm
auch
ums Herz ist; er kann und soll und wird unter dem Auge der
ewigen Vorsicht auch da immer mehr zu leben und zu wirken anfangen, wo der Geist noch finster und das Herz noch
und
kalt
Denn er stand, wie alle geistigen Zierden der Mensch
eng ist.
heit, so hoch über der Welt, daß
Jahrhunderte ablaufen können, ehe
überall so gedacht und gefühlt werden wird, wie er es haben wollte. — „Was
umfaßte
nicht
Alles
sein unverdrossenes
Studium,
und
wie reich strömten »hm bei jeder Veranlassung die Quellen, die es ihm aufgethan hatte!
Gleich geläufig war ihm die Lectüre der Klassiker des
Griechischen und Römischen Alterthums, wie die der Kirchenväter. Bald entwickelt er in
Euripides Art
geistreichen Abhandlungen eines Sophokles und Kunst,
und
bahnt
sich durch
und eines
die scharfsinnigstm
philologischen Erörterungen, die selbst die domige Mühe grammatischer
Untersuchungen nicht scheuen, den Weg, den hohen Genius zu verstehen,
bald
der diese Heroen des alten Hellas beseelte;
sind es die Lustspiele
des Plautus oder die Tragödien des Seneca, in deren geistreicher Ent wickelung sein geschmackvolles Studium schwelgt; bald ist es der große
Epigrammatist Martialis, in dem er nicht ohne geistesverwandtes Stre ben,
ihm
mit
Perlenschnüre
eignem Witze der Griechischen
arbeitet;
bald hat er die
aufgerollt,
und commentirt
nachzuringen,
Anthologie
über die köstlichen Diamanten, die ihm da entgegen funkeln. hier Aristoteles
und Ouintilian stets
zur Hand
Wie ihm
und im Gedächtnisse
sind, seine artistischen Lehren mit ihren goldnen Regeln zu belegen,
find
ihm
dort Justin
der
Märtyrer,
Clemens von Alexandrien
so und
Origenes, Tertullian, Augustinus und Hieronymus zu Fundgruben ge
worden,
die er mit einer Sagacität und Leichtigkeit,
denen man das
innige Interesse, das er selbst an patristischer Forschung fand, so recht
anfieht, für den Theologen zu mannichfacher Belehrung ausbeutet. wie eifrig hat er sich
nicht mit der
alten
und
Und
mittlern Literatur des
deutschen Vaterlandes beschäftigt, wie viel zur Ergründung unserer älte-
162 Wie umfassend
sten Sprachdenkmäler vorgearbeitet!
Kenntniß alles dessen, was
nicht seine
war
die schönen Sprachen des Occidents,
die
Französische, Englische, Italienische, Spanische an großen Geisteswerken
aufzuweisen hatten, eine Kenntniß, die er aus inniger Vertrautheit mit
bequeme Belletristen
selbst, nicht etwa wie
allen diesm Idiomm
Aesthetiker, aus Uebersetzungen schöpfte,
und
wurde ihm
ftuchtbar
und wie
nicht seine Gelehrsamkeit, wie wußte er nicht ihre Schätze zu Nutz und
Frommen bald
bald
dieser,
jener Wissenschaft
wozu es doch dimm
sieht man überall,
Grieche und Lateiner zu sein.
Decamerone, sinnreiche
—
und helfen
kann, ein guter
Mit Begeisterung spricht Lessing vom
aber sie war nicht müßig,
Erzählung vom
zu verarbeiten. — Da
seine Begeisterung;
Juden Melchisedeck und
die
drei Ringen
den
flammten einen Blitz in sein schöpferisches Gemüth, und der Blitz ward
zu Nathan dem Weisen,
dem
bewunderten
Meisterwerke
aller
Zeiten, denen die deutsche Zunge noch nicht verschollen ist!
„Wenden wir uns zu den Resultaten, wodurch sich Lessings Gelehr samkeit und Wissenschaft so ungemein ergiebig zeigte, so ist es zunächst
die Kunst, der sein glückliches Streben galt. — Welch' eine tiefe Be
obachtung der Natur,
welch' ein
scharfes Auge
welch' eine Fülle
Züge und Nüancen,
für
die
der lehrreichsten,
verborgensten psychologischen
und physiognomischen Bemerkungen, welch' eine Philosophie des Herzens,
des Schönen
welche Metaphysik
und
Erhabenen
finden
wir
nicht in
seinem Laokovn, dem vortrefflichen Werke über die Grenzen der Maler
von der einen,
und Bildhauerkunst
Seite!
Wie reiht sich da um
und
der Poesie
von
der
andern
den Hauptgedanken, daß sich der Maler
nicht in die Ideenwelt und Allegorie des Dichters, der Dichter nicht in
die Farbenpracht und den Bilderreichthum des Malers verlieren, daß der Maler Vergangenheit Augenblick
und Zukunft,
concentriren,
der
Ursach
Dichter seinen
allen Zeitdimensionen die Zügel schießen
und Folge in dem Einm Schilderungen
lassen
soll,
aber nach
eine Menge
tief
durchdachter und klar entwickelter Regeln für den Künstlerberuf Beider! Und dem Künstler
der Bühne,
wird
ihm nicht Lessings Dramaturgie
eine unerschöpfliche Quelle der feinsten Winke für sein eben so schwieri ges als achtbares und belohnendes Studium bleiben? —
„Ob Lessing den Namen eines Epheukranz mag
Dichters
verdiene?"
—
„Den
man ihm immerhin nehmm, das antike Zeichen über
wallender Phantasie, wild schwärmender Lyrik und flammenden Geistes flugs, entlehnt vom Gotte der Reben, nicht vom Apollo Musagetes. —
Aber dm
Lorbeerkranz,
der Apollos Schläfe ziert,
das Symbol
der
168 Dichterweisheit, welche die Orakel der Wahrheit spendet, — wird er nicht unverwelklich aus Lessings Haupte grünen?
„Wo — vereint sich die pfindung,
die
zarteste Gemüthlichkeit,
tiefste Em
die
idealischste Erhabenheit der Ansicht und Gesinnung, die
klarste Composition des Planes, die interessanteste Schürzung und Auf
lösung des Knotens, die treueste Haltung und Zeichnung der Eharaktere,
die passendste Angemessenheit des Dialogs und die mustergültigste Portrefflichkeit der Sprache vollständiger, entzückender, bewundernngswürdiger, als — in seiner Minna von Barnhelm, seiner Emilia Galotti, seinem
Nathan dem Weisen?
Wer Zdeale an Herz und Geist in
origineller
Eigenthümlichkeit, wie einen Tellheim, eine Minna, einen Nathan, einen
Saladin,
einen Tempelherrn und alle die großartigen Charaktere seiner
Stücke so frisch und kräftig,
wie der Maler auf die Leinwand,
das bunte Leben der Bühne hineinzaubern kann,
so in
wer den Sturm und
die Fenergluth der Leidenschaft im Strome seiner Gliede io zu reflectiren
versteht,
der ist ein Seelenmaler,
und
der Seelcnmaler
kann
ftiglich
Dichter heißen. —
„Aber gerade da, wo Lessings Wirksamkeit im Gebiete der schönen
höchsten Spitze steht,
Kunst auf der denjenigen Zweig
grenzt
seines literarischen Strebens,
sie auch der,
am engsten an
durch sein ganzes
übriges wissenschaftliches und artistisches Leben verflochten, ordentlichen Namen, den
dem
außer
mir feiern, den herrlichsten und ehrwürdigsten
Glanz verleihet. „Daß Lessing voll heiligen Eifers für Licht und Wahrheit und für das Edelste im Menschen, für Sittlichkeit und Tugend war, und, von
diesem Eifer erfüllt, und von seinem Genius unterstützt, sehr viel dazu
beigetragen, und die zwecknräßigsten Mittel erwählt hat, der Menschheit
für
wahrhafte Erleuchtung über Gott und göttliche Dinge die Augen,
und für
die rein
moralische Größe in Gesinnungen
Herz zu öffnen, wer, kennen?
der nur seinen Nathan
und Thaten das
gelesen — kann es ver
Sieht Auge und Herz, wie dort und in andern seiner drama
tischen Werke,
großartige
Sittengemälde — vor sich vorübergehen,
so
muß ja das Auge von ftoher Erhebung leuchten, so muß es im Herzen zünden.
Und hier eben erblicken wir bei Lessing die seltene Harmonie
zwischen Schönheitssinn und Seelenadel, zwischen künstlerischer und sitt licher Vollendung. —
„Er dichtete und schrieb seinen Nathan, um durch das Saitenspiel der Muse zu erreichen, was den Argumentationen seines kritischen Scharfsinns
und den wissenschaftlichen Bettachtungen seiner Philosophie nicht gelingen
durste. — „„Das Reich Gottes,"" so dachte und fühlte er dem Sttfter des li1
164 Christenthums, dem auch seine Seele gläubig huldigte, nach, „„ist nicht hie oder da, es kommt auch nicht mit äußerlichen Geberdm, sondern es ist in Euch selbst."" — Toleranz und Denk- und Glaubensfreiheit war die Losung und obherrschende Idee des großen Kunstwerks. — Aber die Toleranz, die Lessing wollte, war nicht die negative eines sinn» und glaubensleeren Indifferentismus, der sich nur deswegen von einer besondern Form des kirchlichen Systems fern hält, weil er überhaupt für Heiliges und Göttliches im Menschendasein unempfänglich ist: nein, seine Toleranz war die positive der gegenseitigen Hochachtung und Liebe, womtt jede Religion die andere und diejenigen, welche sie bekennm, ehren und ihre Rechte heilig halten soll."
Friedrich Theodor Bischer. **) „Der Norddeutsche redet einmal in vorherrschend abstrakten Aus drücken. — — Warum eifern die Norddeutschen nicht vielmehr ihrem größten Repräsentanten, dem Manne nach, in welchem der reine Verstand durch die Entschiedenheit und Durchsichtigkeit seiner Ausbildung fast die Wirkung der Poesie erreicht? Lessing sucht keine Bilder, er redet einfach, ganz wie ein Mensch ohne besondern Anspruch auf blühende Sprache zu reden pflegt: aber seine Rede ist dramatisch bewegter Dialog, Frage, Antwott, Einwendung, Schlag auf Schlag, lauter Gestikulation, man sieht immer die Disputirenden persönlich vor sich, sie stehen auf, sie setzen sich, springen wieder auf, geben sich zufrieden — lauter Quecksilber."
Daniel Schenkel.**) „So lange deutsche Herzen schlagen, wird von Lessing die Rede sein, als dem Schöpfer neuen deutschen Lebens in Kunst und
*) Kritische Gänge. I. B.
derger.
Hallische Jahrbücher
Tübingen 1844.
(Dr. Strauß und
für Wissenschaft und Kunst
1838.)
die WüreinBergl.
auch
Bischer» Aesthetik. III. S. 1233. Stuttgart 1857. *) Lessing al»
Krittler,
dargestellt nach deffen Schriften.
historischen Gesellschaft zu Basel.
sche Wiffenschaften.
Herausgegeben
Frauenfeld 1839. 111. Bd.
Borgelesen in der
Au» dem Schweizerischen Museum für von I. I. Hottinger
histori
und W. Wackerncgel.
165 Wissenschaft. Sein rastlos strebender Geist, unaufhörlich schaffend, fand im Hervorgebrachten niemals, nur im Hervorbringen selbst Genuß und Befriedigung. Es giebt keine Stelle des Wissens, die ihn zum Forschen nicht gereizt, nicht wenigstms eine Zeitlang seine Aufmerksam keit gefesselt hätte. — Wenige Menschen haben so entschieden wie er den Beruf in sich gefühlt, in ihrer Zeit das Bewußtsein der Mängel, das Verlangen nach dem Bestem zu erwecken. Es giebt keine Wissmschaft ohne Krittk; bei den meisten Gelehtten ist aber die Kritik nur ein Accidens, sie bedienen sich ihrer, wie der Bergmann des Lichts in den Schachten: bei Lessing ist sie Substanz, die Seele seines Forschens und Sttebens. Das hat er bewiesen in fast allen feinen Schriften, vom kleinsten, spitzfindigsten Epigramm bis hinauf zur Krone seines Wirkens, zu Nathan dem Weisen. — „Um seine kritische Laufbahn überschauen und würdigen zu können, ist es nöthig, sie nach drei von ihm hinterlassenen Hauptwerken zu unterscheiden: der Hamburger Dramaturgie, dem Laokoon und den antiquarischen Briefen, und den Streitschriften wider den Hamburger Hauptpastor Goeze. In diesen drei Werken hat Lessing die drei leiten den kritischen Hauptgedanken seines Lebens ausgesprochen: das deutsche Theater, die deustche classische Gelehrsamkeit, die deutsche Theologie be dürfen einer Wiedergeburt. Das deutsche Theater. „Als Lessing seine dramaturgischen Blätter schrieb, hatte die Gallomanie ihren Gipfel erreicht. — Die Tra giker blieben großentheils langweilig und pathetisch, voll gedehnten rhe torischen Schwulstes, arm an ächt dramattschen Effecten, reich an Effect macherei, am ärmsten an jenen einfachm und erhabenen Gedankm, welche, ungekünstelt und rein, aus der Seele strömen mit ergreifender Gewalt. Diesem schlechten Geschmacke drückte Herr von Voltaire daS Siegel der Elasticität auf. Aug diesem Grunde ging Lessings Bestrebm in den dramaturgischen Blättern hauptsächlich darauf aus, dm französischen Einfluß zu schwächen und zu diesem Ende die Herrschaft Voltaires so viel wie möglich in deutschen Landen zu beschränken. — Es hatte Alles davon abgehangen, die Deutschen von einer falschen Richtung, einem verwöhntm Geschmacke abzubringen, sie auf die rechte Bahn zu rückzuleiten. Das hat Lessing mit aller Wärme und Beredstamkeit, aller Kraft und allem Scharffinn, mit jener Offenheit und jenem Freimuth gethan, die, edeln Gemüthem eigenthümlich, aus der Tiefe der Ueber zeugung fließen. So rief er den Deustchen zu: Ihr habt kein Theater; Ihr wähntet, von dm Franzosen eines zu bekommen; aber auch die Franzosen habm keins, wmn sie schon seit mehr als einem Jahrhundert
166 damit prahlen, das beste in der Welt zu haben.
Galanterie und Politik
lassen kalt und noch ist es keinem Dichter in der Welt gelungen, durch diese Mitleid einzusiößen
wahre Furcht zu erregen.
und
nur nicht mehr, daß man nicht
rührender
und
Man glaube
pathetischer sein könne,
als Corneille und Racine, denn diese haben nur das kahlste, untragischste,
wässrigste Zeug hervorbringen können.
vor Allen, führen uns auf
speare
Die Engländer dagegen, Sheake-
die rechte Bahn, auf die Bahn der
Natur und ungekünstelter Einfachheit wieder zunick. — Lessings Donner Er hat die Franzosen
worte rüttelten aus einem langen Schlafe auf. freilich nicht überall glimpflich,
vielleicht
nicht
Aber er handelte wie ein kühner Gmeral
handelt.
legenen Feind; sten Punkte,
er
genug be
anerkennend
einen über
gegen
warf sich mit allen Streitkräften
auf seine schwäch
einzig von dem Gedanken ihn zu schlagen, zu vernichten,
erfüllt."
Die deutsche classische Gelehrsamkeit:
„Ze mehr er selbst
dm hohen Geist der Alten in sich aufzunehmen und zu würdigen wußte, desto mehr lag ihm daran,
Schulpedanten
zu retten.
dieselben von der Mißhandlungen deutscher
Wo die Gelehrthuerei sich selbstgefällig auf
blähte,
und ohne Recht zu haben, doch Recht haben wollte, da kannte
Lessing
keine Barmherzigkeit
seinem Verfahren
und
in dieser Beziehung
hat
er uns in
gegen den unglücklichen Pastor Lange ein warnendes
Beispiel hinterlassen. — Wenn sich die Frösche in der Wissenschaft zu
so ist es die Pflicht sie
Wallfischen aufblähen wollen,
natur zu erinnern,
und diese Pflicht hat,
an ihre Frosch
wen der Umfug am meisten
empört, und wer zugleich durch eigenthümliche-? Verdienst und Gabe des
Worts im Besitze
der Autorität ist.
Es
traurigeres Mißgeschick, als wenn ihre
giebt
für
eine Nation kein
in die
wissenschaftliche Literatur
Hände eitler Pedanten fällt, die nicht nur langweilen und den gesunden
Geschmack verderben, sondern gewiß Alles aufbieten werden,
um
jeden
Aufschwung des Gmius um sie herum gleich beim ersten Flügelschlage zu erdrücken.
über
die
eigenen
Gegen diesen literarischen Pöbel, der damals großentheils
deutschen Schriftsteller zu Gericht saß, Kreaturen
marktschreiend ausposaunte,
die Machwerke
seiner
Produkte
selbstständige
dagegm verlästerte, mußte irgend ein bedeutmder, mit dem Stempel des Geistes geadelter Mann seine gewichtvolle Stimme erhebm,
ziefer mußte vernichtet werden.
Wie es aber in Lessings Richtung lag,
die Bettler in der Literatur ihres erborgten Purpurs mochte er es aus der andern Seite nicht leidm,
oder
wenigstms bedeutsame
das Unge
Männer
unwürdigem Makel belegt waren.
mit
Seine
daß
schnöder
zu
berauben,
manche
Vergessenheit
s. g. Rettungen
so
tteffliche oder
eines Lem-
167 nius, Cardanus, Cochläus, des Ineptus religiosus, des Horatius, sind nicht etwa aus einem kleinlichen Oppositions-Geiste gegen eine ungün
stige öffentliche Meinung,
sondern aus dem
ehrenwerthm Ver-
höchst
langm zu erklären, bedeutsame literarische Erscheinungen aus dem Schat
ten, in den
gestellt hatte,
einseitiger Parteigeist sie
an das Licht einer
gereinigteren historischen Ansicht zu versetzen. „Das Hauptwerk LessingS aus dieser zweiten Periode bleibt Lao-
Es verdankt ähnlichen, reinigenden Bestrebungen seinen Ursprung
koon.
— Wirkt Laokoon durch treffendeckGeschmacksurtheil, glückliche Auffassung der Alten, scharfe Zergliederung des bisher für richtig geltenden falschen
Kunstbegriffs
Styls,
so
und
eine
herrliche
Durchsichtigkeit
und
Präcision
des
diese Wickungen noch fruchtbarer durch eine Folge
wurden
kühner, scharfer Streitschriften, die von hier aus ihren Ursprung nahmen. Nähere Veranlassung zu
Mann
gab ein gewisser Klotz,
denselben
von etwa 27 Jahren,
ein
der
gutes Latein
ein junger sich mit
schrieb,
Hülfe einiger antiquarischer Abhandlungen hohe Gönner und den Hof
rathstitel
verdient
hatte
und
auf
das Ausplündern
gelehrter Kunst-
kammem sich vortrefflich verstand, auch ftemde Collegienhefte mit Glück auszuschreiben wußte und, durch
alle
diese Eigenschaften
und
einiges
Talent begünstigt, ein ziemlich geschriebenes Buch über die geschnittenen
Steine heransgegeben hatte. Klotz,
In dieser Schrift suchte nun der Hoftath
über des Magister Lessing steigenden Ruhm verdrießlich,
etwas anzuhaben.
diesem
Lessing hatte im Laokoon die Beharlptung aufgestellt,
die alten Künstler hätten den Homer nicht genau nachgebildet.
Diesen
Satz suchte Klotz dahin zu wenden, als ob nach Lessings Meinung die
Alten den Homer gar nicht zum Gegenstände der
bildenden Kunst ge
wählt hätten, und das sei — meinte Klotz — von Seiten Lessings ein
unverzeihlicher Fehler.
Lessing, der sich, wo er in seinem Rechte war,
nicht ungestraft eines unverzechlichen Fehlers zeihen ließ, griff unverzüg
lich den hingeworfenen Handschuh auf, und es entstand jene Reihe an tiquarischer Briefe, aus Lessings Feder floß.
die wohl das Schärfste enthalten, Diese Briefe
was jemals
wickten zwar weniger dadurch
auf ihre Zeit, daß einige abgeschmackte Vorstellungen Klotzens über ge schnittene Steine darin verbessett, einige Citate berichtigt, einige Plagiate nachgewiesen wurden, — sie wirkten durch die Keckheit und die Geistes frische,
womit hier ein
zum Hoftath aufgeblähter literarischer Pfau in
seiner Krähennatur wiederhergestellt wurde.
Die Ehrlichkeit, der Muth,
die Tapferkeit und Gewandtheit, womit hier gekämpft wird, das ist die
Hauptseite,
das
ächt Classische an der Lessingschen Krittk.
könnm untergehen,
gelehrte Forschungen
Ansichten
von Spätem unnütz gemacht
168 werden: Geist und Charakter allein drücken den Stempel der Unver-
gänglichkeit auf.
Die Art
wie Lessing Klotzen bekämpft,
und Weise,
macht ihn zum Ritter nicht etwa nur an diesem Klotze, sondern an dem ganzen Klotzianismus, an der ganzen Zunft vornehmthuender Halbwisser. —
Der
deutsche Gelehrtenpedantismus, u. s. w. sollte
mit
Klotzens
Ruhm todt gemacht werden. — Ciuc der lobenswerthesten Cigenschasten
der Lessingschen Polemik that sich übrigens auch in diesem Kampfe her vor:
sie ward niemals persönlich, dagegen
es grade Klotzens Art war,
den Schriftsteller, der ihm zu mißfallen das Unglück hatte, recht persön
So hatte er von
lich mitzunehmen.
einem
genriffen Conradi
gesagt,
dieser Gelehrte hätte sich in der neuesten Zeit auf den Weinhandel und
das Saufen gelegt und sich endlich Schulden Marburg auf und davon machen müssen. Lessing die denkwürdigen Worte:
und von dem Uebrigcn schweig'!
Ueber diese Gemeinheit spricht
Wer ver
„„Abscheulicher Recensent!
ob
Sag' uns,
langt das zu wissend
halber von Leipzig nach
das Buch schlecht
oder gut ist,
Auch, wenn Alles wahr ist, schweig'!
Denn die Gerechtigkeit hat cs Dir nicht aufgettagen, diese Brandmarke auf die Stim des Unglücklichen zu drücken!
Jeder Tadel, jeder Spott,
den der Kunstrichter mit bem kritisirten Buche in der Hand gut machen kann
ist dem Kunstnchter erlaubt.
wie sanft oder wie hart,
Auch kann ihm Niemand vorschreiben,
lieblich oder wie
wie
bitter er die Ausdrücke
eines solchen Tadels oder Spottes wählen soll; aber, sobald er verräth, daß er von seinem Autor mehr weiß, als
ihm die Schriften desselben
sagen können, sobald er sich von diesem Mehr auch nur des geringsten
nachtheiligen Zuges wider ihn bedient:
Verächtlichste,
sogleich wird sein Tadel persön
Er hört auf Kunstrichter zu sein,
liche Beleidigung.
und wird daS
was ein vernünftiges Geschöpf werden kann:
Klässcher,
Anschwärzer, Pasquillant."" —
„Die brüte Periode der Lessingschen
Die deutsche Theologie:
Kritik fiihrt uns auf einen Kampfplatz, auf welchem zeitbewegende, lange nachwirkende Gedanken hervorttaten, die wie prophettsches Wetterleuchten
damals
schon
eine
gewitterschwüle
„Lessing
war
von
umfassenden
Geiste
Wissenschaft
für
die
Hause
entging
die
Zukunft
andeuteten.
Theolog;
aus
nicht
hohe
Bedeutung
unveräußerlichsten
und
nicht,
allein
welche
seinem diese
heiligsten Interessen der
Menschheit hat. —
„Er ist mit der Orthodoxie allerdings unzufrieden, aber er ist es mit der Neologie noch mehr; jene ist ihm wenigstens eine geschichtliche,
wenn auch veraltete Erscheinung, diese ein stümperhaftes Machwerk deS
Augenblicks.
Grade aber dieser historische Realismus, dieses nicht Preis
169 geben wollen des Alten ins Blinde hinein, den modemen Himmels stürmern gegenüber, die nicht genug abschaffen und einreißen zu können glauben, ist an Lessing höchst bezeichnend. Es ist der Ehrenkranz seines kritischm Ruhmes. Die blos negative Kritik führt am Ende ins Boden lose, das hat unsere Zeit bewiesen. Hier erblicken wir in Lessing einen herrlichen, positiven Hintergrund, den man leider bei der Beurtheilung des Mannes gewöhnlich übetsieht. — „Man hat lange an dem negativen Lessing gehalten und von ihm zerstören gelernt; es ließe sich von dem positiven auch wohl bauen ler nen. Wer die muchwilligen Zerstörer bekämpft, nimmt unwillkührlich unter den Erhaltern auch seine Stelle ein. Wie Lessing in seinem In nern über das Christenthum gedacht, wäre zu ergründen kaum möglich, und gehört nicht hierher. — Er war von zwei Gegensätzen in die Mitte geklemmt, von beiden abgestoßen, von beiden vielfach berührt. Sein Geist lebte in der Zukunft. Was er von den Schwä chen seiner Zeit getheilt, hat er reichlich durch die Schmerzen, die ihm seine Zeit verursachte, abverdient. Er stand wie schon mancher unsterbliche Deutsche, einsam, mehr bewundert als verstanden, gewürdigt und geliebt. Als er nicht mehr war, kamen die Körner und theilten sich in die Habe des Reichen. Wer möchte aber nicht zu denen ge hören, die von seinem Reichthum gezehrt haben?"
Heinrich Laube.*) Hamburgische Dramaturgie. „Mit welchem Jntereffe, mit welcher Freude, mit welcher Genugthuung verweilt man auf diesen zwei Bänden, die bis zum 19. April 1768 gehn! Wie frisch, wie lebendig, wie scharf, wie umsichtig, wie ächt wird alle Regel! Da ist die humani stische Bildung nur ein fteundlicher Zuschauer, dem er Fehler und Vor züge weist, das nächste, eigenste Leben wird beachtet und ver langt, der wirkliche Zustand von Bildung und Nation, der Fortschritt einer modernen Welt wird Lebensbedingung. Und wie straff, wie fein, wie klar ist Alles geschrieben, Alles bürgerliche Prosa, wie es seiner Schlichtheit angemeffen war, wie selbst die Hamburger Kauflmte von
•) Geschichte der deutschen Literatur.
I. Dd. Stuttgart 1839.
170 der Einheit eines Stückes etwas verstehen konnten, — die Sachen könn ten alle heut noch einmal gedruckt sein, Vieles paßt noch in der Fordemng, Vieles im Vorwurfe, und der Ausdruck gälte beim heutigen Journalisten noch musterhaft. „Der ganze Boden unseres nationalen Geschmacks in schöner Kunst, wie er später von den Schlegel und Anderen kultivirt worden ist, er ist von Lessing gelegt; alles kräftige Element, mit welchem wir jetzt so hoch über das kurze Convenienzverhältniß der Franzosen hinwegsehen, es ist Lessings Werk. „Wenn irgmd einem Einzelnen, so ist es Lessing zu danken, daß dieser feinste Gedanke des Nationalen, welcher so ost gemißhandelt wird von der groben Deutschthümlei, rege und thätig wurde; der Gedanke, unser nächstes, wirkliches Lebensinteresse zu begreifen und zu gestalten."
K. R. Hagenbach.*) „Lessing war eine große, eine edle Natur. Sein Wahrheitssinn ist unbestechlich, seine Gradheit überaus ehrwürdig, auch wo sie mit Derb heit gepaart erscheint. — Nirgends scherzt er mit dem Heiligen, überall ist es sein bitterer Ernst, auch wo er spottet. Nicht das Blendende seines Schwertes, sondern die Schärfe desselben war es, was die Geg ner fürchten mußten, wie er dies selbst gegen Goeze ausspricht. Der Witz stand ihm allerdings auch zu Gebote, und in reicherer Fülle viel leicht als Voltaire, aber sein Witz war nicht der ftanzösisch ftivole Witz, nicht ein bloßes Wetterleuchten, es war ein Blitz, hinter welchem immer eine Wolke voll schwerer und ftuchtbarer Gedanken sich entlud."
August Nodnage!.**) „Die Art, wie sich in Lessing die Anlagen zum Krittler, Dichter und Gelehrten vereinigten und gegenseitig in der Entwickelung hemmten
*) Vorlesungen über Wesen und Geschichte der Reformation. Leipzig. Weidmannsche Buchhandlung. 1842. •*) Lessingö Dramen und dramatische Fragmente. Darmstadt 1842.
171
ober förderten, ist unverkennbar einzig. Wir haben keinen zweiten Lessing in unserer Literatur. Seine Phantasie war so innig mit klarem, durch dringendem Verstand verschwistert, daß sie unmöglich jene Uebermacht gewinnen konnte, die sonst bei Dichtergenien begegnet. Er wußte sich genau von allen Regeln der Kunst Rechenschaft zu geben; sie standen ihm stets gebietend vor der Seele. Eine höhere Begeisterung, ein — wenn ich so sagen darf — ganz instinctartiges Auffinden mit dem Gefühl ist bei Geistern von solcher Harmonie nicht zu bemerken. Allein ohne alle schöpferische Phantasie, ohne bedeutendes Dichtertalent schreibt man keine Emilia, keinen Nathan. Er ging mit voller Freiheit des Geistes fernen Weg und fand doch als Denker wieder die Kunstregeln, die schon das classische Alterthum gekannt und befolgt hatte. „Es ist wahr, seine Phantasie konnte oft feuriger, da und dort unabhängiger vom Verstände sein. Dann aber hätte er sich schwerlich mit der Reinigung und Befestigung seines Geschmackes auch immer mehr gekräftigt. — Die Schönheit, getrennt vom Natürlichen und Vernunft gemäßen, kannte er nicht. Das Triviale blieb einem Lessing ebenso fern, als das Sentimentale. „Erstieg er nun auch den sonnigen Höhepunkt nicht, auf welchem uns z. B. Goethe erscheint, so war dennoch sein Einfluß auf die Gesammtbildung der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts so erstaunlich und seine Wirksamkeit für die Bühne so nachhaltig, daß wir ihn getrost neben Goethe stellen und ver muthen dürfen, man werde seine letzten Dramen wenigstens eben so lauge im Repertoir behalten, als Tasso, Egmont und Clavigo. „Goethe und Schiller und nach ihnen die Häupter der roman tischen Schule verdanken ihm das Verständniß deflen, was unsere dra matische Poesie leisten könnte und sollte. — Aristoteles und was er in seiner Poetik über das Drama sagt, wird — in der Lessingschen Dra maturgie — weitläufig erörtert und die Unfehlbarkeit dieser Poetik ge würdigt. Ja, was noch mehr sagen will, was nur einem Lessing da mals gelingen mochte, der Standpunkt wird sicher ermittelt, auf welchem Aristoteles als Träger des antiken Geschmacks und Shakespeare als Re präsentant der modernen Tragödie sich vereinigen lassen. Ohne diese positiven Andeutungen, ich glaube nicht zuviel zu sagen, würde unsere dramatische Literatur noch keineswegs sich würdig mit der Englands mes sen; wir hätten wahrscheinlich nur den Abgott gewechselt, den Götzen dienst aber nicht abgethan. — „Lessings Verdienste um unsere dramattsche Fortbildung erscheinen um so bleibender, je entschiedener er in einer Hinsicht selbst Goethe
172 und Schiller hinter sich läßt. Es sei zugestanden, daß ihn beide an Reichthum der Begabung übertreffen, sind denn aber ihre Dramen in besserm Sinne auch so bühnengerecht wie die seinen? Haben sie die gleiche Einsicht in das Berhältniß des Textes zu den Kräften und Lei stungen der Schauspieler? Man weiß, wie mißlich es in diesem Punkte z. B. um Goethes Götz und Faust steht. — Die Schillerschen Dramen bieten ebenfalls auch einer möglichst sorgfältigen Darstellung nicht ge ringe Schwierigkeiten. — Wie meisterhaft aber sind Lessings drei Haupt werke in die Scene gesetzt! Was kann ein denkender Schauspieler hier lernen, welche unverwelkliche Lorbeern sich erringen, wenn er wie der geniale Eckhof dem Dichter in das Meer der menschlichen Gesinnungen und Leidenschaften so tief nachtaucht, bis er ihn trifft! Es hat daher seit dem Erscheinen dieser Stücke weder ein Schauspieler noch eine Schauspielerin vielseitig und mit dauerndem Erfolge geglänzt, ohne daß sie bei ihm in die Schule gegangen wären."
Gustav Schwab.*)**) „Gotthold Ephraim Lessing: Genius deutscher Forschung und Kritik, Waffenschmied der deutschen Sprache; vernichtender Sieger in literarichen Kriegen."
Hillebrand.") „Lessing brach den Stolz der aristokratischen Schulweisheit, löste den Pedantismus der spießbürgerlichen Bedächtigkeit, beschämte die anmaßliche Zudringlichkeit der gelehrten und orthodoxen Sophistik und zeigte das Lächerliche der seichten und breiten Selbstgenügsamkeit, worin die literarische Mittelmäßigkeit sich in Prosa und Versen erging. Es kam fortan dar auf an, mit Geist und Bestimmtheit, mit Klarheit und Gründlichkeit, *) Die deutsche Poesie von Mosheim bis auf unsere Tage
Stuttgart. Ver
lag von Sam. Gottl. Linsching. 1843. **) Die deutsche Nationalliteratur seit dem Anfänge des
achtzehnten
Jahrhunderts, besonders seit Lessing bis auf die Gegenwart von Dr. Joseph Hille
brand.
Hamburg und Gotha bei Friedrich und Andreas Perthes.
1845.
173 mit Bildung und Energie zu schreiben. Die Bedeutung des Gedankensollte sich mit der Präcision der Form verbinden, jene diese tragen und durchdringen. Lessing selbst gab durch seine Darstellungsweise hierfür unsterbliche Muster. Er schrieb nicht ohne Springfedern und Quellen der gründlichsten Gedanken. Das Horazische scribeudi recte sapere est et principium et so ns erfüllte Niemand so sehr als er. Daher in seinen Werken überall Leben und Bewegung, stische Kraft ohne Uep pigkeit, Tiefe ohne Verstiegenheit, eindringliche Sprache ohne rhetorischen Schwulst, Klarheit bis auf den Grund und in allen Gliedern des Ganzen. „Durch alle seine Werke zieht bei noch so großer Schärfe und syllogistischer Folgerichtigkeit, bei aller kritischen und polemischen Entschiedmheit, selbst bei dem Scheine einer gewissm Härte, ein Zug reiner menschlicher Theilnahme,*) welcher Jeden anspricht, der nicht in weich licher Sentimentalität das Wesen der Gemüthlichkeit findet und selbst gründlich genug denkt und fühlt, um in den Geist und die lebendige Innerlichkeit der Lessingschen Männlichkeit einzugehen. Die germanische Natur dringt in seinem Verkehre wie in seinen Schriften hervor; mit ihr greift er gleich sehr in die Tiefen nnsereö deutschen Volkes wie in die der Mmschheit. In diesem Grunde wurzelte dann auch seine Liebe für die reine Wahrheit und die Freiheit der Ueberzeugung. Die Idee der Wahrheit, der Wahrheit ihrer selbst wegen, bewegte sein Denken, trieb ihn zu jeglicher Forschung und leitete ihn auf dem Wege zur Wissenschaft." Hillebrands Schlußworte über „Lessing und die nationalliterarische Reformation" sind seinem Nathan gewidmet. „Er bleibt," sagt der Verfasser, „ein unvergängliches Denkmal, das die deutsche Muse der Idee der Menschheit und der nationalen Ge sinnung zugleich gesetzt hat." „Und so scheiden wir denn, erbaut und gestärkt, von dem trefflichen Manne, auf den so sehr, wie irgend Einen, die Worte Goethes Anwendung finden dürfen: „„Wer in die Zeiten schaut und strebt, Nur der ist werth, zu sprechen und zu dichten.""
*) »Sa critique est uu traite sur le Coeur humain, autaut qu’une poetique litteraire, sagt Krau v. Stakt über ihn. De l’Allem."
174
Dr. Heinrich Gelzer.*) „Lessings literarische Größe gründet sich vorzugsweise auf seine kritische Kraft und Virtuosität, wobei wir Kritik in dem umfaffendsten und würdigsten Sinne des Worts nehmen: als die überwiegende Macht des zugleich sichtenden und ordnenden Verstandes, als die Genialität der Forschung und folgerechten Verknüpfung. Durch das Vorherrschen dieser Eigenschaften wurde er zu einem Läuterungsfeuer für unsere gesammte Bildung und Literatur. — „Als ästhetischer Reformator hat er sich um seine Nation Ver dienste erworben, deren jeder Deutsche mit fteudigem Danke für immer eingedenk bleiben sollte. „Bei der Beschäftigung mit der antiken Welt schwebte ihm die Nothwendigkeit einer Reform nicht nur der classischen Studien, sondern der gesummten Bildung und Erziehung vor; die unentbehrliche Wechsel wirkung von Schule und Erfahrung, von Wissenschaft und Leben, von Bildung und That wurde einer der höchsten Gesichtspunkte seines Stre bens. — Gegen die damalige Buhlerei mit dem Auslande richtete er schneidende Worte, die wie feurige Pfeile jedes Herz treffen mußten." — „Seit Lessings Dramaturgie war das ftanzösische Vorurtheil vernichtet; die falsch gezeichnete ftanzösische Copie mußte dem griechischen Originale die gebührende Stellung wieder einräumen; das neu geweckte tiefere Verständniß des antiken Drama mußte von nun an dem Ansehen der modernen Nachäffung ein Ende machen. — Gleichzeitig wies er den deutschen Sinn noch auf eine andere dichterische Welt hin, die in Shakespeare nur des rechten Verständnisses warte, um ganz anders, als die französischen Vorbilder es vermochten, in die Tiefen aller Poesie einzuweihen. — „Am unleidlichsten war ihm aber der leichtsinnige Mißbrauch, den sich Viele mit dem Worte „Christenthum" erlauben; er flammte auf, wenn man ihn frischweg für unchristlich erklärte: „„Er (Goeze) sagt mir sogar hier und da recht artige Dinge, nur damit eS mich nicht allzu sehr schmerze, daß er mich aus dem Hause meines Vaters wirst! Genug, daß mein Herz mich nicht verdammt, und ich also mit aller Freudigkeit zu Gott einem jeden intoleranten Heuchler die Larve vom Gesicht rei ßen darf."" „Ueberall
führte er die Sache der Unterdrückten gegen den Be-
*) Die neuere deutsche National Literatur nach ihren ethischen und religiösen Gesichtspunkten. Leipzig 1847. 2. Auflage.
175
bringet und vertheidigte z. B. ernst und glänzend die Brüdergemeinde gegen ihre zelotischen Verfolger; er, in dessen Adern kein Tropfen herrnhutischen Bluts floß, er wies auf den hohen Zweck hin, der den Stifter jener Gesellschaft beseelt hatte: die Bewährung des Glaubens im geben, die Realisirung der Religion als That und Gemein schaft. „Schon gessing selbst verglich seinen literarischen Kampf (mit Goeze) mit einem Sturmwinde, der ja in der Natur unentbehrlich sei, wenn er auch zuweilen einem Schiffe den Untergang bringe. Emm solchen Sturm hat er allerdings in der geistigen Wett mit erregen hel fen, — aber ohne Stürme giebt es keine Reinigung der Atmosphäre. Es verriethe kurzfichttge Beschränktheit oder ein kleinrnüthiges Vertrauen zu der unerschütterlichm Macht der christlichen Wahrheit, wenn man nicht erkennen wollte, daß der von gessing begonnene und noch fort dauernde geistige Kampf ein zugleich tieferes und freieres Verständniß von Religion und Offenbarung, von Geschichte und Ueberlieferung in ihrem inneren Zusammenhänge vorbereitete und daß gerade von diesem fortschreitendm Verständnisse die folgenreichsten Resultate für die missen« schaftliche Schule und die religiöse Gemeinde zu erwarten sind. Die neuere deutsche Theologie und christliche Philosophie stehen und fallen mit der Annahme oder Verwerfung dieser Erkenntniß. „gessing hat unter schweren inneren getben eine tiefere und geisti gere Bettachtung des Christenthums — suchen heißen und Derbreiten helfen. — Wie Plato von feinen Schülern Studium der Mathemattk, Goethe Kenntniß der Natur forderte, so dürfte jedem Theologen, der an den neuesten religiösen Verhandlungen unserer Zeit lebendigen Antheil nehmen will, eine nähere Bekanntschaft mit Lessing zum Gesetz gemacht werden, um im Angesichte dieses scharfen sichtenden Geistes nochmals ben eigenen Standpunkt und Beruf mit offener Stirn zu prüfen und seiner wahren Aufgabe um so klarer bewußt zu werden."
R. E. P r u tz.') „Die ftanzösische Regelmäßigkeit war außerordentlich viel gewesen, im Vergleich zu jenen Ungeheuern von Formlosigkeit und Ungeschmack, *) Vorlesungen über von
die Geschichte
Duncker und Humbtot 1847.
des deutschen Theaters
Berlin.
Verlag
176 welche sie verdrängt hatte; sie war nichts und weniger als nicht-, im Hinblick auf daS, was unsere Dichtung werden sollte. Einer abstracten Formlosigkeit gegenüber war die abstratte Form, als Schule und Büdungsmittel, vollkommen berechtigt gewesen: jetzt dagegen, wo Form und Inhalt, Innerlichkeit und Äußerlichkeit sich aufs Neue durchdringen und versöhnen sollten, brauchten wir andere Führer und andere Muster, als Gottsched und die er gepredigt hatte, die Franzosen. „Dies waren Lessing, Shakespeare und die Griechen. „Keinem andern unserer deutschen Schriftsteller haben Mit- und Nachwelt so volle, unzerstückelte Kränze des Ruhmes gewunden, keineAndern Verdienste sind von jeher so bereitwillig, so gleichmäßig anerkannt und gepriesen worden."*) Es waren „keine einzelnen, genialen Blitze, welche Lessing in daS dämmernde Bewußtsein seiner Zeitgenossen hineinschlmderte: eS war
*) Kein Anderer
ist aber auch von der Seite
gehaht und geschmäht
Wir wollen auf
worden.
selbst auS der neuesten Zeit, in diesen seiner Ehre
rückkommen.
seiner Gegner von jeher mehr unglaubliche Beispiele
„@in köstliches Denkmal" jedoch, wie Heinrich Laug
ligiöse Charaktere.
Wintetthur 1862.
es nennt
zu« (Re
Dergl. auch: Danzel. I. S. 109.)
®. 228.
das Urtheil
möge hier seine Stelle finden,
hierfür,
gewidmeten Blättern nicht
von Lessings Stubenburschen, Johann
Friedrich Fischer, des nachmaligen RectorS der Thomasschule in Leipzig, womit der
bekannte Schriftsteller und Musikkenner Rochlitz bei
seinem
Abgänge von dieser
„Ich will nicht fragen," sagte der Rector zu dem
Schule verttaut gemacht wurde.
abgehenden Schüler, „ob Er es gethan hat. Hat Er's nicht gethan, (nehmlich nicht aufgehört Deutsch jetzt
und
lah Er
oder
zu schreiben,
sich retten
deutsche Verse
vom Verderben,
zu
machen,) so
denn dahin führt'-
Er es
thue
doch
und daS
dauert mich um so mehr, weil ich bei solchen Vergehungen allemal au ein Exempel
denken muh
auS meiner Jugend,
will's Ihm erzählen.
Wie
daS mir noch heute durch die Seele geht. auf die Universität
ich von Coburg hierher
zog ich mit Einem zusammen der schon ein Jahr da Predigersohn auS der Lausitz.
Baderei.
WaS hatte Gott
war,
Ich
kam,
da
guter Leute Kind, ein
Wir wohnten in der Burgstrahe drüben in der alten Was konnte der
dem Menschen für Gaben gegeben!
Griechisch und Latein! Wir brauchten den Ernesti, der damals berühmt war, scilicet, den brauchten wir Beide nicht.
an, den Thucydides zu auch so
einen Hang.
lesen.
Zum Vergnügen,
fingen
wir gleich
damit
Was hätte aus dem werden können! Aber er hatte
Er hatte
schon vorher viel Deutsch gelesen,
und
wöhnte er sich auch, Deutsch zu schreiben, und machte deutsche Verse.
immer weiter und war kein Haltens mehr.
Er war mein
nun ge
Nun ging's
bester Freund, er war
mein einziger auf der ganzen Universität, aber ich zog von ihm, ich konnt'- nicht
mit anseh'n.
Er fing sogar an Komödien zu schreiben.
er nach und nach — ach!
ich mag'S nicht sagen.
verstehen; der Kerl hieh Lessing."
Und nun — nun würd'
Frag' Er nur
die Leute, die's
177 die Frucht gründlicher
wissenschaftlicher Studien,
es war ein heiliger,
den er über seine Zeit
sonniger Tag der Aufklärung,
heraufführte,
eS
war ein ganzes System der Kunst, eine ganze Lehre des Schönen, die er in seinem Laokoon,
seiner Dramatmgie
aufbaute und zu
der nun
einem Jeden der Zutritt offen stand.
„Es begreift sich leicht, worauf das ungeheure geistige Uebergewicht Lessings beruht und woher es kommt, daß alle größten Dichter der fol genden Jahrzehntm, ein Goethe, ein Schiller alle bei ihm anknüpfen.
Lessing ist das incarnirte Bewußtsein seiner Zeit.
was Allen auf der Zunge lag,
wohin Alle in
Wonach Alle rangen,
dunklem Drange jagten
und strebten: er hatte es gefunden, er sprach eS aus, er lehrte es ver stehn, das Große, das Geheimniß des Schönen. — „Auf diese Art ist Lessing der eigentliche geistige Vater unserer
sogenannten classischen Epoche geworden; auf diese Att ist er es, zu dem alle Ströme zurücklenken, den wir Alle als Lehrer und
zu verehren
Meister
uns lebendig,
so lange überhaupt die Kunst unter
haben,
so lange die deutsche Nation im Stande sein wird,
sich
zu erhalten;
das
in der Kunst einen Ausdruck ihres innersten Daseins heißt, so lange sie selber existirt.
„Keine andere Sphäre unseres literarischen und künstlerischen Le
bens — hat diesen
pfunden,
reformatorischen Einfluß Lessings
nachhaltiger em
heimischer angesiedelt,
in keiner andern hat er sich
zu keiner
andern ist er, selbst widerstrebend, selbst gegen seinen Willen, wenigstens
gegen seinen ausgesprochenen Entschluß, dennoch häufiger zurückgekehrt, und
darum
auch in keiner
andern
ist
sein Name
von bedeutendern,
großarttgern Erinnerungen umgeben, als in der Geschichte unseres Thea ters." — „Das deutsche Theater ist der rothe, der blutige Faden,
Herzader
gleichsam,
welche Lessings
die
wechselvollen Dasein Zu
ganzem
sammenhang und Leben giebt." Die Leser werden es uns hoffentlich Dank wissen, wenn
wir aus
den Vorlesungen des verehrten Verfassers hier noch dieses Urtheil über „Dies Lustspiel ist nicht mehr ein
Minna von Barnhelm anschließen.
Familien-, es ist ein polittsches, ein historisches, ein im edelsten Sinne
patriottsches, preußisches, — und doch wieder, ttotz seiner localen Färbung,
ächt menschliches, ächt künstlerisches Stück: wahre,
künstlerische Apotheose
des
die wahre Verklärung, die
preußischen Ruhmes,
ideale Versöhnung der deutschen Nation selbst, nung eines
inneren Krieges,
in der
Kunstwerks sich gleichsam wieder
welche,
zugleich
eine
aus der Span
gemeinsamen Bewunderung dieses
aussöhnte und befteundete.
Niemand
178 hat dies tiefer erkannt und gerechter und einsichtiger gewürdigt als Goethe.-')
Arnold
R n g e. *) **)
„Weder die Philologen, noch die Philosophen, noch die Dichter noch die Theologen, noch die Acsthetiker, — keine Gilde erklärt ihn bei sich für zünftig; und da diese Zünfte noch immer nicht aufgehoben sind, so hat Lessing eö büßen müssen, daß er draußen blieb und bei läufig dem Philologen Klotz, dem Theologen Goeze und einer Menge Aesthetiker und Dichter den Kopf wusch. Alle, die über Lessing ge redet, ohne die Schwachheiten der Gilden- und Kasteneintheilung los zu sein, sind nicht berufen, ihn zu beurtheilen, und sofern sie noch bis heute darin stecken, wird Lessing auch immer noch nicht verstanden. Lessing „ist der Patriarch der deutschen Geistesfreiheit." Er „stellt positiv in Werken des freien Geistes der Kunst und Wissenschaft und polemisch gegen die kastenartig und in glckübiger Gewohnheit gebundene alte Welt die deutsche Aufklärung dar. Niemand thut es würdiger, edler und tiefer. Er sammelt für Deutschland die ganze humane und freie Geistesrichtung der Zeit in Einen Brennpunkt, und indem er das Fremde und das Antike germanisirt, gibt er zugleich dem Zeitgeist eine neue Gestalt. Er ist ein freier Gelehrter, ein freier Künstler, ein freier Mensch und einer von den wenigen Männern, welche ihre Zeit zu einem Abschluß bringen und dadurch die nothwendige Grundlage der Zukunft werden. Es ist nicht blos unsere Kunst und Wissenschaft, es ist auch das religiöse und universelle Zeitbewußssein, welches von ihm ausgeht." — „„Doch Lessing war kein Philosoph."" „Eben so wenig, als er Philolog war"; aber die Philosophie, die er kmnt und voraussetzt, die er verdaut hat und in Anwendung bringt, ist die beste von allen, welche die Welt bisher erreicht hat, und seine Dialektik eine Schule des Den kens, die alle Compendien der alten Logik übertrifft, und vor der aller neuesten das voraus hat, daß sie kein Compendium, sondern lebendige Bewegung in den Zeitinteressen und weithin wirkendes classisches Bei spiel ist. Wenn aber die spätere Generation mit Hülfe aller strengen und überstrengen Philosophie nur in wenigen Köpfen Lessings religiöse,
*) Vergleiche vorstehend S. 50. **) Arnold Rüge'- sämmtliche Werke. Mannheim. Verlag von I. P. Grohe. 1847.
179 logische und politische Freiheitsformen und Gedanken wieder erreicht hat; so
ist
dies
ein Grund mehr,
nur
ihn
als
den
großen Patriarchen
unserer geistigen Befreiung und als einen noch immer lebendigen Loot-
fcii durch alle Klippen der wichtigsten Zeitsragen zu verehren. „Lessing hatte sich von vornherein dem Einfluß der Alten und der
freien Lebenslust der Welt hingegeben. Er verlor sich an kein Fach und hielt sich
mehr
an
das Theater,
mehr an seine eigene Lectüre,
Leben,
als an dm Schulwust.
und hatte er den Muth gehabt,
der Universität,
als an die Hörsäle
als an
die Vorlesungen,
Er lernte
dadurch nur um so mehr;
dem Herkommen der bürgerlichen Be
rufswelt zu trotzen, so trat er auch von vomherein mit der literarischen Welt in Conflict.
der Pedanterei
Er prüfte alle Autoritäten und ließ
gefangm nehmen. — Er war frei,
sich von keiner
mehr an das
„sowohl
religiösen Empfindlichkeit der beschränkten deutschen Welt,
frivolen Autorität der stanzösischen Classicität und Aufklärung." verwarfen an Voltaire die philosophische Freiheit
tisches Genie.
und
von der
als von der
„Andere
ehrten sein poe
Lessing machte es umgekehrt, er ehrte in Voltaire den
freien Denker und hinreißend klaren Schriftsteller, aber er kritisirte seine Dramen mit unerbittlicher Strenge und befreite die Deutschen von der
Dienstbarkeit bei den Franzosen, um dagegen Shakespeare, die Italiener,
die Spanier und vor allen Dingen
die Alten
hervorzuheben.
Seine
Hamburger Dramaturgie und seine Kritik der stanzösischen Dramatiker
war eine förmliche Revolution des Geschmacks." —
Dann würdigt Rüge
die Stellung Lessings
zur Kunst
und zur
Religion, um also zu schließen: „So
führt
er
Einheit zusammen, drücklicher,
alle Gebiete der
und
ergreifender,
geistigen Welt in
bildet den Kern der Zukunft,
ihre
einfache
die wohl aus
reicher und als ein mächtiger Baum aus ihm
erwächst, aber in Allem, was das höchste Interesse der Menschheit an geht, nichts thun kann,
als
diesen
unsterblichen
Kern zu ent
wickeln."
Eduard Devrient.*) „Die nationale Dramatik der andem Völker wurde von rein künst lerischen Genies begründet; Ariosto, Tasso, Lope.de Vega, Shakespeare,
*) Geschichte bet deutschen Schauspielkunst. II. Bb. Leipzig. Verlag von I. Z. Weber. 1848.
180 — Corneille und Möllere waren Dichter und Schauspieler und nichts an deres, sie vertraten ihr abgesondertes Kunstgebiet.
Stifter
Der
des
neuen deutschen Theaters dagegen war ein universelles Genie, es
war derselbe große Geist, Bildung — der sind.
in
die Anfänge unserer ganzen neuen
dem
wissenschaftlichen
der
wie
künstlerischen — zu finden
Derselbe Lessing, welcher neue große Bewegungen in der Poesie,
Philosophie, Theologie und der Wissenschaft des Schönen
erzeugte, der
den deutschen Geist mündig machte, und ihm seine Sprache gab, — der
selbe L essing verfolgte keines seiner Ziele mit so hingebender Nachhal
ligkeit, machte nichts so vollständig zu seiner Lebensaufgabe, als das un
dix nationale Schaubühne von Grund aus
ablässige Bemühen:
neu und selbstständig zu beleben. „Wie bei keiner Nation sammeln
sich so alle Strahlen des neuen
Geisteslebens eines einzigen Geistes und wie bei keiner Nation erscheint
bei uns — eben in
diesem
großen Repräsentanten der neuen
Bildung — das Theater so mit klarem Bewußtsein als edelste Kunst blüthe des socialen Geistes überhaupt, als dasjenige Institut, in welchem
das Nallonalleben sich selbst verständlich werden soll. „War die Schaubühne im Mittelalter von der innigsten Religio
sität und naiven Heiterkeit geweiht,
so wurde nun ihre Bedeutung für
die Neuzeit von großartiger Vernunft, von geläutertem Geschmack und scharffinniger llrtheilskrast anerkannt.
„Eine
war,
merkwürdige Eigenthümlichkeit
daß er sein großes Ziel durch
weder die Prätension machten dennoch waren;
Aber er
des
wußte die
zusammenzufasscn,
wie
Publicums,
und
er
daß
mit
mit
die
sein und beides
Unternehmungen auch nie über die
vorhandene Kraft
Gipfel ihres Vermögens,
Lessings Theaterreform
großarllg zu
noch
der Schauspielkunst,
gegenwärtige Fähigkeit
und Empfänglichkeit
neu
in seinen
er
daß
von
naheliegende Mittel veffolgte,
es
über die Zassungsgabe
war,
eben
hinausging.
immer
und Einsicht
einem
jedem
nie
auf
dem
prakllschen Griffe dergestalt
seiner vier großen dramallschen
Gedichte den ganzen theattalischen Zustand um einen gewaltigen Schritt
vorwärts hieb,
ohne dadurch die bisherige Stellung wankend oder un
Im Gegentheil hat nach jeder Anstrengung,
sicher- gemacht zu haben. welche Lessing
der Schauipielkunst
zugemuthet,
diese
sich
nur um so
sicherer, freier und gesunder gefühlt. —
„Er hatte die vornehme Absonderung des
von der realen Bühne
gänzlich
gelehrten Dichterstandes
über Bord geworfen. —
— So ver
schmolz in Lessing die Gelehrsamkeit mit der poellschen Anschauung und der Vertrautheit mit
der
künstlerischen Ausführung
auf das Innigste.
181 Kein Literat hat, wie er, die Schauspielkunst verstanden und
im
so
keiner
mit ihr gewirkt. —
genauesten Rapport
Schauspielkunst leistete er den unschätzbaren Dienst,
Umherschweifen nach Vorbildern
stellte sie auf den Boden der eignen, brachte sie wahrhaft
dungsweise,
ein (xnbc zu machen,
und Regeln
Der
ihrem verworrenen
er
nationalen Denk- und Empfin
zur Besinnung über sich selbst,
und
gewann ihr die volle Sympathie des Publicums. —
„Von nun
an
der Schauspieler
war
von
allem Herkömmlichen,
oon allen Kunstmustern fort an die Natur gewiesen. schen,
er
hatte Leidenschaften,
Gedanken und Empfindungen auszusprechen,
sie im eigenen Leben fand,
finden konnte.
wie er sie kannte,
wie er
oder doch durch nicht allzuserne Analogien
des deutschen Herzens
Die Geschichte
seiner Kunst geworden.
hatte Men
Er
und Tugenden darzustellen,
Schwächen
brauchte die Natur nicht
Er
ftanzösisches geschliffenes Glas
er
bettachten,
zu
sah
war Gegenstand mehr durch ein
gerade
ihr
ins
Das, was er für Wahrheit hielt, brauchte nicht mehr in ange
Auge.
seinen Ausdruck zu suchen,
ftemdländischen Conventtonen
lernten, aus der
bewegten Brust
durfte
Schauspieler
der
in
stet
deutscher Weise
zum deutschen Zuhörer reden, durste in seiner Darstellung auf des Pu
blicums eigenste Natur, Dingen sich stützen. zwischen Künstler
auf dessen Unverfälscht
eigene (Erfahrung von
menschlichen
geradezu zog
Sympathie
und
und Zuschauer hin
wieder,
und
die
der Angelpunkt deS
gegenseitigen Verständnisses war in der Natur gefunden. “ Minna von Barnhelm.
„Dies Stück (28. Sept. 1767) be
wies, daß Zeitbegebenheiten, Zustände, welche das Publicum selbst durch
daß Gestalten,
gelebt hatte,
waren,
deren
daß deutsche Gesinnung
und einer edlen Theilnahme
Muster
der Gasse
auf
und Empfindung
würdig
sein
wahrhaft künstlerische Weise erfaßt werden.
können,
interessant, wenn
Die Anmuth,
sie
zu finden rührend nur auf
Würde und
Feinheit der Charaktere, die auserlesene und doch so zwanglose Sprache,
waren die wohlthuendsten Aufgaben für die Darstellung grade in diesem Momente.
Der sichere aufmerksame Tact,
mit
welchem Lessing seiner
Zeit folgte und die ihn lehrte, gerade dann, wann Kraft und Empfäng lichkeit reif war, seine Schläge zu führen und nicht um ein Haar breit
zu verfehlen, dieser Tact verkündigte sich auch hier wieder, Lessing war in
so
ununterbrochenem Rapport mit
kunst geblieben,
der Entfaltung der Schauspiel
daß er genau wußte, was
sie
vermochte uwnd as sie
gebrauchte. —
„Er hatte mit den Rollen dieses Stückes
lauter typische
deutsche
Gestalten geschaffen, die zugleich die Hauptunterschiede der Talente, und
182 somit der Rollenfächer, vollständig deckten. Bon nun an wurden die Rollen in Minna von Barnhelm förmlich zum Shiboleth, woran man die Fähigkeit und Eigenthümlichkeit eines Talents zu erkennen pflegte. — „Und so treten alle Elemente des echt volksthümlichen Dramas — nfie wir sie bei dessen Ursprünge im Mittelalter wahrgenommm — in Minna von Barnhelm frisch und lebendig wieder hervor. Es sind die Interessen des Tages, die Gestalten der unmittelbarsten Umgebung, ein künstlerisches Leben, wie aus Fleisch und Blut der Schauspielkunst erzeugt: wir sehen hier das Volksdrama, auf einer neuen Stufe der Nationalbildung von Neuem wieder anfangen.— „Im Jahre 1772 kam Lessings Emilia Galotti auf die Bühne. Er schloß damit seine unmittelbar lebendige Einwirkung auf die Schauspielkunst ab und stellte darin seine Ueberzeugung von dem, was der Kunst jetzt noch Noth thue, der hereinbrechmdm Periode un serer Kraftgenies entgegen. Dies Stück, frei von den Mängeln und der Oekonomie der Handlung, welche seine frühern Wecke noch zeigten, vollendete die Wohlthaten, welche Lessing der Schauspielkunst erwiesen. Er gab ihr dann Charattere, welche an innerm Reichthum und Vollen dung von keinem spätern Dichter übertroffen worden sind, und dennoch dem Darsteller so viel zwischen den Zeilen zu lesen, zu errathen und zu ergänzen übrig lassen. An sämmtlichen Rollen der Emilia kommt die Schauspielkunst niemals zu Ende, sie findet uner schöpfliche Anregungen und Aufgaben darin. Eckhof, der als Odoardo den Gipfel seiner eigenthümlichen Künstlergröße erreichte, antwortete, als ihm Nicolai seine Bewunderung über die Tiefe seiner Auffassung äußecke: „„Wenn der Autor so tief ins Meer der menschlichen Ge sinnungen und Leidenschaften taucht, so muß der Schauspieler wohl nachtauchen, bis er ihn findet. Dies ist fteilich mühsam und mißlich. Nur wenige Autoren machen es dem Schauspieler so schwer wie Lessing: man kann sie leicht haschen, sie schwimmen oben auf, wie Baumrinde."" Das war es, diese unendlich ftuchtbckngende Mühe, diese mißliche Ar beit, welche er der Schauspielkunst in diesen complicicken Charakteren schuf, in diesem knappen Wockausdruck, der überall seine feinere Ver ständigung dem Spiele des Darstellers überläßt; diese ehrenvolle und selbstschöpferische Stellung, welche er damit thatsächlich dem Schauspieler anwies, von dem er überhaupt fordecke: „„er muß überall mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem Dichter etwas Menschliches wider fahren ist, für ihn denken."" — Das waren die unschätzbaren Wohl thaten, welche Eckhof, dieser innige Veckraute des Lessingschen Geistes,
183
so tief verstand, das waren die Beweise: in welchem Umfange Lessing das Wesen der Schauspielkunst erkannte." — Schließen wir hieran die uns von Devrient (Bd. II. S. 324) mitgetheilten eigenen Worte Lessings aus seinen Borstellungen über die Errichtung einer Theater-Philanthropie: „ „Jede Kunst muß eine Schule haben, in der frühesten Jugend durch gute Grundsätze vorbereitet und geleitet werden. Nur dadurch, durch eifriges Studiren und mühsamm Schweiß erwirbt sich der darin gebildete Schauspieler das Recht auf die Achtung und Ehre seiner Zeit genossen. — Durch Jahrtausende hat es die Erfahrung bewiesen, daß die erste Grundlage der Erziehung den Charakter des Menschen für die Zukunft bestimmt. Diese Eindrücke sind unvertilgbar und ihr Einfluß wirft durchs ganze Leben. Alle Empfindungen, Leidenschaften, Neigun gen und Fähigkeiten müssen in ihrem ersten Keim geleitet werden, wo das weiche unbefangene Herz noch jeder Biegung gehorcht. So zweifel los dieser Satz in Ansehung der moralischen Bildung ist, eben so ge wiß ist er es auch in Rücksicht auf die Bildung eines jeden Künstlers; und da durch eine zweckmäßig eingerichtete Theater-Pflanzschule beide Arten erzielt werden können, so ist der unschätzbare Nutzen eines sülchen Instituts offenbar und einleuchtend bewiesen. — Wäre der End zweck des Schauspieles auch blos das Vergnügen des Volks, so ist es schon aus diesem Grunde wichtig, dem Volke seine Unterhaltung nicht durch Jdiotm und sittenlose Menschen Dorttagen zu lassen, für welche es außer den Stunden der Geisteserholung keine besondere Achtung ha ben kann. Allein die Schaubühne ist etwas mehr, kann und soll etwas mehr sein und ihr edler Zweck wird durch unedle, nicht nach Grund sätzen dazu erzogene Mitglieder ebenso vereitelt, als die Wirkung der besten Kanzelrede durch die tadelhasten Sitten des Redners. Beide gleichen einer Uhr, die gut schlägt, aber unrichttg zeigt.""
Johann Georg Theodor Grüße.*) In Minna von Barnhelm „schuf Lessing zuerst ein deutsches Nattonaldrama auf vaterländischem Grund und Boden." — Seine Emilia Galotti, „Lessings Meisterwerk", „gehört noch *) Handbuch
Welt,
von
der
allgemeinen Literaturgeschichte
aller
bekannten Völker
Dr. Johann Georg Theodor Größe, Bibliothekar
Königs von Sachsen. Zweite Ausgabe.
Leipzig.
Sr.
der
Majestät des
Arnoldsche Buchhandlung. 1840.
184 heute zu den seltenen Perlen, welche zuweilen auf dem unfruchtbaren Bühnenmeere aufschwimmen." „Endlich erschien sein unsterblicher Nathan, worin er poetisch daS verwirklicht, was er in seiner Erziehung des Menschengeschlechts philosophisch deducirt hatte. Die Form ist auch hier, obwohl ebenso vol lendet schön wie der Stoff, — nur Nebensache und der eigentliche Kern, Bekämpfung des fanatischen Aberglaubens liegt klar zu Tage. — Leider starb er bald nach diesem Programm seiner Gesinnung am 15. Februar 1781, nachdem er, wie sein Freund Moses Mendelssohn sagte, mehr als ein Menschenalter seinem Jahrhundert vorausgeeilt war."
Dr. Th. W. Danzel.')
„Wer nur etwas Weniges von Lessing weiß, dem ist es bekannt, daß er bei aller Gelehrsamkeit niemals ein zünftiger Gelehrter geworden ist, ja, daß Niemand die Zunft bitterer bekämpft hat als er, daß Niemand mehr dazu beigettagen hat, die Wissenschaft auS ihren Händen loszu winden, und eine freie und geistige Auffassung derselben auch unter de nen zu verbreiten, denen zufolge ihrer bürgerlichen r.nb staatlichen Stel lung beständig die Versuchung nahe liegt, sich als Alleinbesitzer derselben zu denken. „Wir verehren in Lessing einen der freiesten Geister nicht blos un seres Volkes, sein Name ist daS Feldgeschrei in jedem Kampfe für Licht und Wahrheit, das Losungswort bei jeder unerschrockenen und vorurtheilsfreten Mannesthat geworden; wmn es auch ihm als einzelnen Menschen nicht gelungen sein kann, jede Hülle zu durchbrechen, so sind wir doch Alle darüber einig, daß sein inneres Ringen die Tendenz dazu in sich gettagen habe, und wäre die Lebenszeit des Menscher» nicht so kurz be messen, sich zu einem Standpunkt nach dem anbertt emporgesteigert ha ben würde. Gleichwohl würde sich der sehr vergreifen, welcher Lessing unter die Zahl derjenigen rechnen wollte, welche sich über Alles hinwegzusetzen gewußt und die Grundlage des menschlichen Daseins in Abrede zu stellen versucht haben. — Bei aller Unbefangenheit des Uttheils, zu *) Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke, Verlag der Dykschen Buchhandlung. 1850.
I. Bd.
Leipzig.
185 welcher er sich früh genug erhob, hat er sich immer eine gewisse Pietät gegen den Glauben seiner Jugend erhalten, besonders aber einen religiösen Sinn, welchem die richtige Auslegung zu geben, die gebührende Stelle anzuweisen, sein Bestreben war, den er aber als Thatsache aner kannte, und um deswillen er auch gegen das irrige Fürwahrhalten allen falls Nachsicht übte.------„Jene Art von Kritik, welche sich auf eine im Voraus fertig ge machte Theorie stützte, hatte zwar keinen Sinn, und es mußte über kurz oder lang einmal einem Hellen Kopfe einleuchten, daß, wenn überhaupt Kritik, d. h. Einwirkung auf die Productton mittelst des Gedankens, stattfinden solle, diese gar kein besonderes gelehrtes Geschäft sei, zu wel chem man sich mit allerlei äußerlichem Apparat anzuthun habe, sondern gar nichts Anderes, als der Prozeß der Productton selbst, insofern der selbe bei dem Menschen, alö einem mit Bewußtsein begabten Wesen, we nigstens zum Theil vor dem Bewußtsein vorgehen und durch Elemente desselben vermittelt werden müsse. Diese Art von Krittk, welche in un seren Tagen nicht nur allein eine Geltung hat, sondern auch allein ge kannt ist, hat Lessing in den Litteratur-Briefen zuerst ausgeübt, und sie ist es, was diesem Werke seine ewige Jugend giebt, benn Jugend ist, wo der Mensch in ftoher Unbekümmertheit aus dem ftischen Bome der Selbstgewißheit schöpft, und hier sind zuerst auf dem Gebiete der deutschen Literatur alle Stützen und Krücken der Theorie hinweggeworfen, und der Geist ist wie der Lahme, zu welchem der Herr sprach: Nimm Dein Bett und wandle.-------„Warum ist uns Allen die Hamburgische Dramaturgie ein so liebes Buch? Wir wissen doch so ziemlich was darin steht, oder glauben es doch zu wissen. Antwort: sie faßt im Gebiete der drama tischen Literatur dem ftanzösischen Wesen gegenüber in theorettscher Erötterung zuerst einen deutschen Standpunkt, und weil wir diesen sich hier in ftischester Unmittelbarkeit aussprechen sehen, gehen wir als Deutsche immer gern auf das Buch zurück. Eben das ist das Sachoerhältniß bei den Literatur-Briefen, nur in noch allgemeinerem Sinne — — wir sehen hier auf einmal Fleisch von unserm Fleisch und Blut von unserm Blut, womit wir, wie der alte Satiriker sagt, dergleichen mehr zu zeugen begehren; die Grundanschauung der heutigen deutschen Literatur tritt hier auf einmal — hier wird durch das Verglichene selbst ein altes Gleichniß neu — wie Athene aus dem Haupte des Zeus in voller Ausrüstung vor uns hin — die Literatur-Briefe schaf fen diese Grundanschauung. Das ist eine Thatsache, welche Nie mand in Abrede stellen kann, welcher in der geistigen Atmosphäre der
186 neuern Zeit in Deutschland lebt,
und welche
demjenigen,
welcher ihr
fremd ist, durch keine Parallelen anschaulich gemacht werden kann." — Mi nna von Barnhelm.
„(fin solches Werk mußte, wenn es
einmal da war, eine Wirkung haben, wie das göttliche Schöpfungswort,
nachdem es gesprochen worden." —
G. E. Guhraue r. **)
„Nach Corneille ist Voltaire
der dritte in
der Reihe der
großen
französischen Tragiker, an welchem Lessing bald mit dem ganzen Ge wichte sittlicher Würde,
bald mit der schneidenden Schärfe seines Ver
standes, bald mit dem versengenden Feuer des Witzes die unbarmherzigste
Kritik übt.
Ihm war die
leidigten Nationalgeist des dem Manne zu rächen,
beneidenswerthe Aufgabe gefallen,
deutschen Volkes
nach
den
be
hundert Jahren an
welcher gewohnt war, Deutschland nur als die
dunkle Folie Frankreichs zu bettachten. — Lessing läßt keine Gelegenheit vorüber, um die Leichtfertigkeit, Eilfertigkeit und Unwahrheit in so vie lem, was Voltaire als Schriftsteller und Dichter bei unzähligen Anlässen
sagt oder thut,
hervor zu ziehen;
es galt den Befreiungskrieg für die
Selbstständigkeit des deutschen Geistes gegen den talentvollstm und be
rühmtesten seiner damaligen Feinde, gegen den Liebling der Großen in
Deutschland und Europa zu kämpfen, der freilich
von der Höhe seines
Ruhmes herab auf den kecken Dramaturgen in einem Winkel Deutsch
lands mitleidig lächelnd herabsah.
„Ein Mann, welcher in Athen wie in Deutschland zu Hause war,
Fr. August Wolf,
Galotti
auf
äußerte
einmal
bei
dem Theater zu Berlin:
der Vorstellung von Emilia „„daß
eine
solche
gediegene,
gedanken- und klangreiche Sprache ihn an den attischen Zauber erinnere, wenn gleich die mit so fester Hand gezeichnete Charakteristik der auf tretenden Personen,
und die complicirte,
aber konsequent durchgeführte
Handlung nothwendig der Bildung einer neuen Zeit angehöre und keine
Vergleichung mit der alten zulasse.""") „Nathan
hat man für eine Deklamation gegen alle Offenbarung,
*) Gotthold Ephraim Lessings Leben und Werke in der Periode vollendeter Reife. Verlag der Dykschen Buchhandlung. Leipzig 1853. *e) Nach mündlicher Auslassung aus der Erinnerung mitgetheilt von dem Theaterreferenten der Berlinischen (Spenerschen) Zeitung von 1829. Nr. 23. über die Aufführung von Emilia Galotti, zu Lessings hundertjährigem Geburtstage.
187 für eine Satire auf die christliche Religion genommen — jenes wegm der Parabel von den drei Ringen, dieses wegm der Darstellung der christlichen Charaktere in dem Stücke, vorzüglich des Patriarchen, dann aber auch des Tempelherrn, des Laienbruders und der Daja. Ein an deres ist ein dramatisches Gedicht, ein anderes eine theologische Abhand lung. Diese einfache Wahrheit hätte man beachten sollen, und Theologen würden kein Verdammungs-Urtheil über Nathan den Weisen ausgespro chen haben. Das erste Gesetz des dramattschen Dichters ist Wahrheit und Individualität deö Charakters, in dem Zusammenhänge der Zeit wie der Handlung; das sind die ästhettschen Bedingungm, welche aus der Natur eines Kunstwerkes von selbst fließen. Wollte Lessing ein christliches Drama im eigentlichm Sinne des Wortes dichten? Erinnem wir uns, welche Bedenken er in der Dramaturgie bei Gelegenheit von Olint und Sophronia gegen die christliche Tragödie ausspricht, und im Allgemeinen gegen ein jedes Stück, in welchem einzig der Christ als Christ uns interessirt/) Ist der Charakter des wahren Christm nicht etwa ganz untheatralisch? — Man müßte also vor Allem behaupten und beweisen, daß Lessing im Patriarchen und Tempecherrn, in der Daja wahre Christen habe schildem wollen. . . . Dennoch wäre die Forderung derjenigen von vorne herein abzuweisen, welche in den Hauptcharakteren der drei, ganz verschiedenen Bekmntnissen angehörendm, Männer, die durch gegenseittge Achtung und Liebe eins werden, den Unterschied der religiösen Denk- und Anschauungsweise, in scharfen und bestimmten Zügen vermissen wollen. Warum vergessen sie doch den Klosterbruder? Der vertritt am meisten den wahren Christen mit jener stillen Gelassmheit, jener unveränderlichen Sanstmuth und Demuth, die seine wesentlichsten Züge sind. Diese Züge finden wir allerdings weder in dem Tempelherm noch in dem Patriarchen. Mir scheint, der Dichter hat hier nur im Geiste des Sttsters der christlichen Religion gehandett, daß er den einfältigen evangelischen Sinn der Wahrheit und Liebe in dem verachteten Manne aus dem Volke, und nicht in dem hohen Ritter, oder dem noch vornehmem Kirchenfürsten anschaulich macht. Er ist es, welcher in der rührenden Scene mit Nathan, von dem Gefühle der Bewunderung von seiner edlen That durchdrungen, in die Worte ausbricht, welche wie ein Blitz die ganze Tiefe des Stücks beleuchten: “) Bergt. Hamburgische Dramaturgie. 5. Mai 1767. —
188 Ihr seid ein Christ!
— „Nathan! Nathan! Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein bess'rer Christ war nie!" — —
Wer hat diese Liebe, diese Selbstverleugnung zu der höchsten Idee, der wahren Weltreligion
zum Prüfstein
erhoben?
Ist es
nicht
ein
Ist es nicht Lessing, welcher zur selben Zeit sich der Verthei
Christ?
digung des Christenthums gegen dessen innere Feinde von beiden Sei
ten, der Ungläubigen und der lieblosen Zeloten, opferte? nicht,
selbst,
ist Lessing
wie man immer sagt,
Das mögen die bedenken,
Mmdelssohn.
diesem Stück den
andern Religionen
welche das Christenthum in
gegenüber
nicht mit aller Kraft, mit dem Uebergewicht Glaubens vertreten finden.
Nathan, das
jüdischer Freund
sein nicht
würdig
genug,
ihrer Ueberzeugung, ihres
Sie mögen erkennen, daß das Christen
thum vielleicht niemals größere Verherrlichung gefunden, als im Na Wer sich blos an den Buchstaben hält, wer sich von den Ge
than.
schöpfen des Dichters nicht zu der lebendigen Quelle, die ihnen Dasein
und Leben gab, erhebt, wer eben nicht will, daß die Religionen, daß die Brüder, als Brüder, anerkannt und geliebt werden, der
bekennt, daß er sich mit Lessing zu der Idee der wahren Religion nicht erhoben hat.
daners,
Man nenne uns das Stück eines Juden oder Muhame-
welcher
vor Lessing so hoch sich
Das ist es,
erhoben hätte.
„„Nach der Erscheinung des
was schon Mendelssohn ausgesprochen.
Nathan,"" sagt er, „„flüsterte die Kabale jedem seiner Freunde und Be
Lessing habe das Christenthum beschimpft, ob er gleich
kannten ins Ohr:
nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu
machen gewagt hatte.
gestehn
müssen,
hohen Stufe
Im Grunde erreicht sein Nathan, wie wir uns
der Christenheit
der Aufklärung
zur
wahren
Ehre.
und Bildung
Auf
welcher
muß ein Volk
stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesin
nungen hinauf
schwingen, zu dieser feinen Kenntniß gött
licher und menschlicher Dinge ausbilden konnte!""
Berthold Auerbach. Aus
dem
„Epilog zur Lessingfeier"
nach
der
Ausführung
von
„Emilia Galotti" im Königlichen Hoftheater zn Dresden, gesprochen von
Emil Devrient am 16. März 1850.:*)
*) Dresden. Arnoldsche Buchhandlung.
189
„Unabhängig von dem schmuck Prunkender Erscheinung —
Unabhängig von dem Druck
Hergebrachter Meinung."
„Sein Name schon ist zur Idee verklärt, Und wo wir schöner Menschlichkeit begegnen, Da rufen wir: o, das ist Lessings werth!
Und denken sein, um ihn zu segnen."
Ueber „Minna von Barnhelm", die epochemachende Bedeutung die
ses Werks
und
auf die Werke Schillers und Goethes
seinen Einfluß
sagt der Epilog:
„Mit diesem Werk, so rein und hell, Ward Lessing neuen Lichte- Quell:
Ja, Goethes selbst und Schillers Flammen, In ihrer wunderbaren Pracht,
Er ist's, aus dem sie beide stammen,
Er ist es, der sie angefacht."
Jmes
andere
Werk,
„das
tausend
Zungen
preisen",
Lessings
„Nathan" ist später Gegenstand einer besonderen Behandlung Auerbachs
geworden,') worin es heißt:
„Lessings Dichtungen und theoretische Erörterungen sind eine Aka
demie.
Wer
wer den ge-
die Stufe des Dilettantismus überschreiten,
sammten Aufbau und den innern Ausbau eines Kunstwerkes lernen und erkennen will,
kann
von Lessing Gesetz und Maaß entnehmen.
ist die Geschichte des Dramas:
„Nathan der Weise",
zu verschiedenen Zeitpuntten angesehen worden,
zugleich
Dazu
der Art, wie es
eine Geschichte
der Humanität in Deutschland in den letzten acht Jahrzehnten," — „Auf der Höhe seines Lebens, zwei Jahre vor seinem Tode, vollen
dete Lessing dieses Werk (vom 12. November 1778 bis 7. März 1779). Im Kampfe mit einer feindselig ausgehetzten Welt, im Kampfe mit den Sorgen um den Lebensunterhalt und dazu noch tief vereinsamt in Wol fenbüttel, noch schmerzvoll erregt vom Tode seiner Frau und seines ein-
*) Studien und Anmerkungen zu Lessing'» Nathan der Weise.
Auerbachs gesammelte Schriften. Neunzehnter Band.
Cottascher Verlag 1858.
Berthold
Stuttgart und Augsburg.
190 zigen Kindes, inmitten von alle dem gewann Lessing die Kraft, solch ein Werk zu vollenden, und wenn
wir die Höhe
der Dichtung bewundern,
muffen wir nicht minder die Kraft der Seele anstaunm, der es gelingen
und
konnte, aus solchen innern
äußern Bedrängnissen
so klar
heraus
Vollendetes zu gestalten.
„Alles, was Schicksal und Menschen über Nathan verhängen, macht
„ „ Und doch ist Gott!""
ihn nicht irre.
ihm herausringt
„„Und doch
sten Trauer.
Das ist das Wort, das sich
nach dem entsetzlichsten Ungemach und der verzehrend ist
Gott!""
In
diesem doch
liegt
der
ganze sich ermannende Gegensatz, der alles Widersacherische, was Natur und
Menschenwille verhängen, niederkämpst." — — glaubt,
Gott
glaubt
er
trotz
der
herbsten,
auch unverwüstlich
an
„Und wie Nathan, an
unerklärlichsten Schicksalsschläge,
die Güte
so
ttotz ihrer
der Menschen,
grausamen, gemüthszerstörenden Thaten, und aus diesem Glauben heraus
erweckt er die Güte in sich und die in andern. „Wir Deutschen dürfen, ohne des Vorurtheils geziehen zu werden,
behaupten, ein Weck wie Nathan konnte nur ein Deutscher schaffen, und es ist ein erhebender Zug, daß wir hinzusehen dürfen,
das deutsch-na-
ttonale Ideal ist auch zugleich das Ideal der Humanität," nigen
Herzenseigenschaft,
Gemüthsrichtung
von welcher der Verfasser vorher sagte:
oder
d. h. derje
Willensbestimmung,
„Die Humanität ist nicht Ge-
rechttgkeit und nicht Liebe; die Gerechtigkeit allein ist zu streng, die Liebe
allein zu mild, die
Humanität ist
Gerechtigkeit
und
Liebe
vereint." „Glückselig der Deutsche," so schließt die Auerbachsche Abhandlung
über Nathan," dem es vergönnt sein wird, Lessings niedergelegte Feder
wieder aufzunehmen, und der zu sein, den Lessing selbst verkündete mit
den Wocken: „„Wahrlich, er soll noch erscheinen, der Mann, welcher die Religion so bestreitet und der, welcher die Religion so veckheidigt, als es die Wichttgkeit und Würde des Gegenstandes erfordeck.""
Johann — „Wenn Klopstock seines achtet
S ch e r r. *) erkünstelten Germanenthums
unge
an die Engländer sich angeschloffen, wenn Wieland ganz offen
kundig die Franzosen zu Muster nahm, so trat in Gotthold Ephraim
*) Allgemeine Geschichte der Literatur. Stuttgart 1851.
191 Lessing
welcher an der Hand seiner classischen Kritik
der Mann auf,
aus
unsere Poesie
dem Klopstockschen Himmel und aus dem
„roman
tischen Land" Wielands in die Heimat zurückleitete und sie deutsch sein,
sie deutsch und
zugleich frei sprechen
lehrte.
freien Weltverkehr hat er sich gebildet.
An den Alten
und
im
Daher empfahl er in der Kunst
das plastische Ideal, ohne dabei einseitig das Bedürfniß moderner For men zu negiren;
er überall auf die enge Verbindung der
daher drang
dem Leben und
Literatur mit
realen Gehalt deö letzteren.
find alle seine Schriften
Mit
voll von dem
eminentem Witzen ausgestattet,
er Alles geprüft, von Nichts sich bestechen lassen.
hat
Er achtete den ethi
schen Gehalt des Christenthums, den er in den Worten des Evangeliums
Johannis:
„„Kindlein,
liebet euch untereinander!"" ausgedrückt fand,
— Nach allen Seiten hin hat er anregend gewirkt, oft zugleich muster
gebend; selbe
dem Größten wie dem
Achtung, denselben Fleiß
scheinbar Geringfügigsten hat
er
die
dem Schauspiel
gewidmet. — — In
Nathan der Weise, welches durch seine Form, den fünffüßigen Jambus, für unser Drama epochemachend wurde, hat Lessing zum Schluß seiner
dichterischen Laufbahn einen wahren nität und Geiftesfreiheit
kes,
welches
Triumphgesang
geliefert.
der Huma
Die große Idee dieses Wer
der Zelotismus dem deutschen Genius nie
verzeihen wird,
— hat auf die Entwickelung unseres geistigen Lebens einen unberechen
baren Einfluß geübt." — —
Dr. Heinrich Ku rz.*) „Den größten, nachhaltigsten und bildendsten Einfluß auf das deut
sche Drama hat Lessing gehabt, sowohl durch seine eigenen dramatischen
Schöpfungen,
als insbesondere durch seine tiefen Forschungen über das
Wesen der dramatischen Poesie.
Man kann
sagen,
daß
die
deutsche
Tragödie noch in ihren spätesten Erscheinungen den Stempel des
Lessingschen Geistes an sich trägt, und daß LessingS Minna von Bam-
helm noch heute die beste deutsche Komödie ist. Forschungen über
das Drama
legte
Die Ergebnisse seiner
er in der Hamburgischen Drama-
*) Handbuch der deutschen Nationalliteratur von Gottsched bis aus die neuest«
Zeit.
Zürich, Berlag von Meyer und Zeller. 1853.
192
turgie nieder, deren äußere Form schon den großen Mann von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Gelehrten unterscheidet. Denn welcher würde es, wie Lessing, über sich bringen, die Ergebnisse langer Forschungen, die Frucht einer seltenen, ausgebreiteten Gelehrsamkeit in der Form eines für das große, zumal ungelehrte Publicum bestimmten Wochenblattes herauszugeben? in einem Gewände, das bei dm „„gründ lichen"" Deutschen schon von Dome herein dm Verdacht auf sich zieht, der Gründlichkeit zu ermangeln? in einer Sprache, die wegen ihrer Klarheit und leichten Verständlichkeit bei dm Gelehrten von Handwerk an und für sich schon für seicht und oberflächlich gilt? Und in diesem unscheinbaren, verachtetm Gewand hat Lessing ein Werk herausgegebm, das die Zierde und der Stolz der deutschen Literatur ist und bleiben wird, so lange man deutsch spricht und schreibt, ein Werk, dem man nur andere desselben großen Mannes zur Seite setzen kann und das schon um deswillen unsere Liebe und Hochachtung im höchsten Maaße verdient, weil wir ihm, mehr als jeder andern literarischm Erscheinung, die Kräftigung des Nationalbewußtseins verdanken."------ „In Lessing trat das nationale Element des StylS nach Jahrhunderten wieder zum ersten Male kräftig und entschieden hervor; er holte es aus dem Leben, so wie bei den besten Schriftstellern der frühern Zeiten, die er mit Rücksicht auf die Sprache mit gewissenhaftem Fleiß studirte. So gründ lich er die alten und neuen Sprüchen verstand, so vielseitig seine Kennt niß der ftemden Literaturen war, so sah er diese doch stets nur als ein Mittel zu einem Hähern Zwecke an; nie ließ er sich von diesen Kmntniflen beherrschen. Bei hundert guten und geistreichen Schriftstellern kann man mit leichter Mühe bemerken, mit welcher Sprache, mit welcher Literatur sie' sich vorzugsweise beschäftigt haben, — in Lessing, der ohne Zweifel weit mehr Griechisches und Lateinisches, Französisches und Eng lisches las, als Deutsches, wird sich kaum in seinen hingeworfeneu Be merkungen eine Spur finden, welche an das Fremde erinnern könnte. Und diesen nationalen Styl hat er sich selber geschaffen, nachdem er selbst in seinen frühern Schriften den» Zeitgeist gehuldigt und sie in französischer Färbung geschrieben hatte. Von Jahr zu Jahr überwand er dieses mehr, und seine spätern Werke sind noch jetzt glänzmde Muster ächt deutschen Styls, während Goethe, dessen frühere Erzeug nisse in dieser Beziehung das Höchste leisteten, in der letzten Hälfte seiner Wirksamkeit der nationalen Haltung des Styls, die wesentlich zu seinem wohlverdienten Ruhme beigettagen hatte, immer mehr untreu wurde." — — „Wenn wir schon die vollgültigste Ursache haben, den großen Mann wegen desien zu verehren, was er gethan und gewirkt hat, so
193 sind wir ihm dafür noch zu größerm Danke
verpflichtet,
daß
wir in
ihm und seiner Thätigkeit die zuversichtliche Gewähr einer schö
nen Zukunft erblicken, die mit dem Augenblicke eintreten muß, wenn der Geist Lessings,
kräftig sich entfaltet, der
wenn
an
der
Phrasenmacherei,
schen
kindischen Schwärmerei nicht
Empfindsamkeit,
und
bewußte Einsicht in
wenn der
praktische Sinn deö
gelehrter Pedantismus
aber
gesund und
der philosophi
die Stelle
krankhaften
klare
die Lebenöverhältnisse tritt,
Volkes,
deutsche Geist,
wahre
der
und hohles ab-
stracteS Formelwesen unsere Schicksale leitet." — —
F. C. Schlosser.'s „Lessing hatte den Vorzug vor vielen Andern, welche nach ihm die
deutsche Sprache, die deutsche Literatur, das deutsche Leben aus der rei nen und ächten Quelle der Alten und besonders der Griechen bereicher
ten, daß er zwar nach ihrem Muster immer einfach, gediegen, gedrungen schrieb, dabei aber unserer Sprache nie Gewalt anthat.
Er entfernte sich
nie ganz von der Sprache des Umgangs, sondern gab das Muster, wie man diese und
müsse.
mit
zugleich
ihr
Er ist auch dadurch groß,
das
deutsche servile Leben veredle«
daß er nie aus dem Volke heraus
trat, um im Nimbuö der Vornehmheit zu glänzen und in den Salons zu herrschen.
Er verschmähte
schen Seelen
ergriffen werden,
alle elenden Mittel,
um
sich Ansehen
welche zu
von egoisti
verschaffen,
nie
machte er Partei, erschien nie an einem kleinen Hofe bald kriechend, bald
herrschend,
war nie Organ
einer Akademie
oder Universität,
um sich
Clienten, seinem Buchhändler Kunden zu verschaffen. „Lessing verstand allein unter seinen Zeitgenossen die schwere Kunst, zugleich streng logisch,
gründlich, belehrend und doch auch unterhaltend
und lebhaft zu schreiben,
und den Leser durch die Form des Vortrags
zu zwingen, an der Sache selbst Antheil zu nehmen. —
„Lessings Laokoon war die Frucht seines auf Winkelmanns Schrif ten gerichteten Studiums und dieser erkannte noch kurz vor seinem Tode
Lessings Verdienste in Rücksicht auf Beurtheilung der Kunst und Kunst-
lage.
*) Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des neunzehnten. Heidelberg 1853.
Vierte Aus
194 ihn Lessing
Winkelmann gestand dabei, daß
werke an.
in Beziehung
auf Vortrag, Styl und Sprache so weit übertreffe, daß er wünsche ge
schrieben zu haben, wie dieser. „Minna von Barnhelm betrachten wir nicht ästhetisch, sondern
blos in Rücksicht auf Lessings unsterbliches Verdienst um die Er weckung unserer Nation zu einem nationalen
und bürgerli
chen Leben, zur Selbstachtung und zum Vertrauen auf ihre Sprache. „Die Hamburgische Dramaturgie hat nicht blos auf den Ge
schmack,
sondern auch auf daö Leben, Sitten,
Ansichten
der mittleren
Klassen, also des Kerns unserer Nation den größten Einfluß gehabt. —
Lessing war bekannt mit der spanischen, französischen,
englischen drama
tischen Literatur, er kannte die des AltetthumS, wie kein Anderer sie im achtzehnten Jahrhundert
gekannt hat,
Franzosen und aller Neuern, war und versteckt sich oft hinter
zu decken.
er war mit
den
mit dem Aristoteles
Theorien
innig
der
oertraut,
den Letzteren, um sich mit seinem Ansehen
Was den Gang angeht, in welchem ihn entweder ein Jn-
ftinct oder Tact, der den Meister in jeder Gattung aliszeichnet, oder eine
Eingebung leitet, so schreitet er langsam vom Einzelnen zum Allgemeinen fort, und hebt
nicht blos das Fehlerhafte hervor, sondern deutet auch
überall an, wo und wie das Bessere zu finden sei. „Die antiquarischen Briefe sind nicht blos durch meisterhaften
Witz,
durch bewundernswürdige Beredsamkeit,
der Sprache merkwürdig, das Auftehen,
sondern auch
durch Kunst
und Kraft
durch ihre Wirkung und durch
welches in jener Zeit durch Lessings Art der Behandlung
eines wissenschaftlichen Gegenstandes erregt ward. Wirkung angeht,
ganz vernichtet,
so wurden nicht allein Klotz sondern
die
es ward über einzelne Theile der alten Kunst es ward wissenschaftlich
ein neues Licht verbreitet, Laokoon begonnen war.
Was das Erste,
und seine Spießgesellen vollendet,
was im
Was die Darstellung angeht, so wußte Lessing
die Form des Vortrags so einzurichten, daß jeder einigennaßen Gebildete an einer Materie, die ihn durch sich selbst nicht würde angezogen haben,
Antheil nehmen mußte.
Sv sehr sich übrigens Klotz über Grobheit und
Persönlichkeit beschwert, so geht doch Lessing nie weiter als die abgehan
delte Materie durchaus fordert, es läßt sich aber, wenn Leute wie Klotz
blauen Dunst machen, die Person von der Sache un
dem Publicum möglich trennen,
bettachtet.
weil ihre Eitelkeit die Sache nur als ihre persönliche
Die antiquarischen Briefe sind daher zu gleicher Zeit eine
vorttefsiiche wissenschaftliche Behandlung der Materie, wovon darin die Rede ist, und eine meisterhafte und witzige Satyre.
„Lessing
ließ,
seitdem
er — durch
die
Herausgabe
der Wol-
195 fenbüttler
Fragmente
—
den Kampf
mit
den
Orthodoxen —
begonnen hatte, zermalmende fliegende Blätter ausgehen, die so ganz in Luthers Manier und
mit der ganzen Kraft seines Styles und seiner
Sprache geschrieben sind, daß mir ihnen nothwendig einen Platz in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts geben müssen.
Der Streit ist
vergessen, Lessings fliegende Blätter aber werden hoffentlich so lange von unserer Nation gelesen werden, als kräftige deutsche Sprache und deut
scher kräftiger Geist unter uns geachtet sein werden, und wer sollte nicht
wünschen, daß dies ewig so sein möge?" — „Die wüthenden und blin
den Anhänger deö Alten wollten von
keiner Philosophie Horen, keinen
Rath annehmen, keinen Satz anfgcbcn. -
Sie erfuhren,
was früher
oder später alle blinden und tollen Verfechter des Veralte
ten werden erfahren müssen und
was
die Zeloten un
auch
serer Zeit erfahren werden, daß sich früh oder spät eine him
melstürmende Partei erhebt, und
daß sich die Gemäßigten
dieser anschlicßcn, um nicht genöthigt zu sein, sich gleich den
zahlreichen
Augendienern
und
zu
Heuchlern
allem
alten
Wüste zu bekennen, sobald er neu aufgestntzt wird. „Was den mit größter (Erbitterung geftihrten Streit der
gesamm-
ten polemischen Theologen Deutschlands mit Lessing angeht, so erwähnen
wir Lessings Schriften gegen die Obskuranten und Zänker nur als Mei-
sterwerke
des Styls und
des achtzehnten Jahrhunderts
eö nur mit dem
Wir haben
der Sprache.
Verhältnisse derselben zum Geiste der Zeit,
zum Zustande der Bildung
und zum Fortschreiten
aller
Zweige der
Literatur zu thun. „Der Hauptkampf war mit Goezc in Hamburg, und die gegen die sen geschriebenen Flugblätter verdienen den ersten Platz unter den Mei
sterwerken dieser Gattung.
Zu diesen
wir:
rechnen
Luthers Streit
schriften, Demosthenes Reden gegen Philippus, und (Ciceros Reden
gegen Catilina, besonders aber, weil sie näher mit Lessings Manier verwandt
sind, JuniuS Briefe und RonsseauS Brief
an
den Crzbischof
von
Paris, Christophe von Beamnont. — Durch Lessings unsterbliche Schriften
gegen ihn hat auch Goezc unverdienterweise die Unsterblichkeit erlangt. „Lessing kannte selbst, innerhalb welcher Schranken sein Geist schöpfe
risch sei, und schuf innerhalb dieser Meisterwerke. „Lessings Nathan behauptet noch
immer neben Goethes und
Schillers Meisterwerken in unserer dramatischen Literatur den näch sten Platz; er ist daS vorzüglichste Dichterwerk Lessings.
„Die Wirkung ausging
und
der
neuen Literatur,
deren Geist
die
von
Lessing
sich im Nathan ausspricht," 13*
ist
196 Gegenstand der Betrachtung,
womit Schlosser seine Ausführungen über
Lessing abschließt.
G e r v i n u 6.’J Lessing „ließ sich von
keiner Modebegeisterung blenden,
und statt
z. B. Ossian neben Homer zu stellen, so hat er ihn nirgends genannt,
und hab dagegen Shakespeare hervor,
nennen hören.
den
man
vor
kaum
ihm hatte
Diese Reinheit des Geschmacks, die sich Lessing mit der
Zeit erwarb, — denn auch hier kam er erst von der Ginsicht des Fal schen zur Kenntniß des Wahren, — ist fast wunderbar, wenn inan be
dieser Hinsicht hier und da
denkt, wie noch Goethe und Schiller in
irre gingen." —
Er „bildete sich zuletzt jenen merkwürdigen Styl, in dem der ab struseste Inhalt zur angenehmsten Lectüre,
Trockenste picant
wird,
in dem
das Verwirrteste plan, das
unter der innigsten Verflechtung
von
Gedanken und Ausdruck jede Idee mit den oom Sprachgcnius ihr ver
mählten Worten bekleidet ist. „Man kann Gaben an ihm vermissen; aber der Gebrauch, den er
van denen machte, die er besaß, ist ein ewiges Muster. — „Daß
niemals
doch
ein Aesthetiker
oder Literaturhistoriker
über
und niemals
Lessings Dichtungen mit einem Weisheitsdünkel abspreche!
anders darüber rede als mit Lessings eigenen unsterblichen Worten. „Nichts war dem wahrhcitssinnigen Manne
so zuwider,
den Mittelpunkt einer literarischen Clique zu gelten
als
für
Ihm und sei
—
nem Moses war es mit der Erforschung der Wahrheit an und für sich
Ernst,
dafür liegt das Zeugniß
in
Lessings
Corrcspondenz,
die
von dieser Seite nur an Schillers Briefen ihres Gleichen hat."
Laokoon.
„Wer Schillers und Goethes Aussprüche, Theorien
und prakttsche Folgeleistungen kennt, die sich an den Inhalt des Laokoon anreihen,
der übersieht auf
einmal den Einfluß, den
die Dichtung und Kritik der Folgezeit ausübte. — Grund,
auf dem
Goethe,
Schiller
und
dieses Buch auf
Wir sehen hier den
Humboldt
nachher ihre
Theorien ausbilden." —
Schauspiel.
„Lessings Stücke sind für die Aufführung geschrieben
wie keine andern in Deutschland.
Was
man
bei
uns
bühnen-
•) Geschichte der deutschen Dichtung. IV. Band. Vierte verbesserte Ausgabe. Leipzig lsb3.
197 gerechte Stücke nennt, das hat gewöhnlich an Poesie keinen Theil, und
was an Poesie keinen Theil hat, ist nicht bühnengerecht in dem Sinne, wie Shakespeares Stücke es sind, und Lessings zu sein strebten.
„Lessing dachte noch nicht an gelesene Stücke; und als er seinen
Nathan schrieb, in der ausgesprochenen Furcht, daß er vielleicht in einem Jahrhundert noch nicht werde aufgeführt werden, wählte er sogleich eine
behagliche wärmere Manier, und selbst in dieser Gestalt und bei diesem Stoffe ist dennoch selbst geblieben,
Nathan
ein Bühnenstück des ersten Ranges
wie denn Lessings Stücke
aufhören
nicht
werden,
gespielt zu werden, so lange irgend ein Begriff von Schau
spielkunst übrig ist. Denn unsern Künstlern ist nur Er und Shake speare
eine
nur ihm ist es eigen,
Schule gewesen;
zu denken zu geben, ohne ihm mit
das Spiel
zu
fesselnden,
der im Nathan
Reichthum
der
psychologischer
eine Gruppe von reizenden und
zugleich ächten, wahren nnd typischen Charakterformen aus
legen konnte, besitzen."
glatten Versen und Theaterstreichen
erleichtern, nur ihm ist
Erfahrungen gegeben,
dem Schauspieler
wie
wir sie
in
wird
Nachfolgend
keinem
Nathan
weiter
deutschen Stücke „neben
Faust
Goethes
das
eigenthümlichste nnd deutscheste Buch genannt, was unsere neuere Poesie geschaffen hat." Dramaturgie.
„Ein Dcrmächtuiß
für Deutschland
und
ein
Leitstern unserer ganzen folgenden Poesie ward Lessings Dra maturgie.
Hier
endlich
brach
die ganze
lang
seines Zorns gegen die französische Poesie los,
drohende und
Wetterwolke
ich
kein
kenne
Buch, bei dem ein deutsches Gemüth über den Wiederschein ächt
deutscher
Natur,
Tiefe
der Erkenntniß,
Gesundheit
des Kopfes, Energie des Charakters und Reinheit des Ge schmacks
innigere Freude
pfinden dürfte.
und gerechtfertigteren Stolz em
Dies ist das Werk,
das
uns auf Einen Schlag
von dem Joch der Literatur der großen Natton befreite."
Emilia Galotti.
„Was das Stück vielleicht zum tragischsten
aller deutschen Trauerspiele macht, ist der Gebrauch des Schicksals nach den christlichen Begriffen, nach denen sich hier die Menschen mit offen
baren Thaten ihre Geschicke selbst knüpfen,
bis,
an
der verborgensten
Stelle das unsichtbarste Fädchen, zu plump geschlungen, reißt, und das Gewebe unter den Händen jener dämonischen Orsina
auf eine treffliche
und viel feinere Weise
jene
sich
Wahrsager
auflöst, der
Tragödie darstellt, als die Margareta in Shakespeares Richard.
meisterhaft ist die Fabel in Nathan
angelegt,
die
anttken
Ebenso
wo eine Reihe dunkler,
verschlungener, zufällig scheinender, unbegreiflicher Begebenheiten zuletzt
198 in Einem lichten Punkt zusammen fallen, die, indeni sie alle Schicksals
maschinerie, alle unmittelbaren Eingriffe der Gottheit, alle Wunder kühn leugnen und aufhebcn, preisvoll
Wunder
der
die
verkünden,
die
größtes,
Vorsehung
eine
Kinder
ihre
als
Menschen
lenkt und keinen Sperling ohne ihren Willen fallen läßt." Die
des
Erziehung
Frag
Das
Menschengeschlechts.
ment: Ehristenthum der Vernunft. „Diese Stücke sind Muster von philosophischer Geschichtsauffassung und von spekulativer Tiefe und Klar
heit zugleich;
in Theologie und Kirchengeschichtr
sie haben
Anregungen gebracht;
sie
sind
für
eine
ungemeine
künftige Philosophie der Ge
schichte neben einigen historischen Gesehen, die Maechiavclli auffand, eine
wichtigere Vorarbeit, als alle Bücher, die diesen Titel führen; in ihnen steckt der Keim und Kern der ganzen neuen Philosophie, wie
eö Solche gestehen,
die
für die
wir
nächsten Kenner derselben
halten
dürfen. „So lieb Lessing durch diese Tiefe der intellectuellen Einsicht dem
philosophischen Betrachter der menschlichen Dinge wird, so wird er dem
historischen
noch
lieber
durch seine Schonung
der
Volksbegriffe
und
Alles dessen, was in dem Glauben der Menschen heilig geworden war." „Das ganze
humanistische Ehristenthum
Herders,"
heißt cs an
einer andern Stelle, „ruht auf Lessings Schultern, die ganze Behandlung der Kirchengeschichte feit Spittler und Planck auf ihm." —
Die Ausführung
über Lessing
mit
schließt
einem
Rückblick
auf
dessen „Religion Ehristi:"
„Diese Religion Ehristi,"
jagt Geroinus,
„fand er in dem
Testamente Johannis: „„Kindlein, liebet euch unter einander!"" gemüthvolle
Gespräch
Goezen unmöglich
blind gemacht.
von
von
Lessing,
ihm
das
diesen Namen
DaS
schien
führt,
Ihn hatte der Iclotisinuö
herzurühren.
Aber wie viele drücken auch jetzt noch bei all dem daS
Auge gegen ihn gewaltsam zu. Testament nicht Genüge thut,
Gegen diese Ehristomanen, denen dieses
und
Namen zu thun ist, müßte man
wieder anS diesem Aufsatz
sings Testament die Frage richten:
die christliche ReligionL
denen es nur um Buchstaben und als
Les
Also ist die christliche Liebe nicht
O der ichwachmüthigen Wortfcchter, die diesem
Manne, trotz seiner Freigeistern, nicht mit Rührung und Wärme nach
rufen, was sein Klosterbruder dem Nathan sagt:
Christ, ein bess'rer Christ war nie!
Und
o
Bei Gott, er war ein
der Aengstlichen,
die sich
aus Furcht vor Uebernahme unbekannter Schulden weigern wollen, dies
Vermächtniß Lessings
anzunehmcn!
Und doch!
im Nathan der Nation schon zugestossen?
Ist nicht dieses Legat
Haben nicht schon Tausende
199 an diesem Schatze Theil
an
gehabt,
dem
tausendmal Tausende
noch
theilen können? — — Wem hat nicht bei dieser freien, sichern Moral,
die in jedem 3uge großartig
und mannhaft
das Herz geschlagen?
ist,
Und welcher Alaun der spätern Zeiten wäre, den wir uns zum Muster nehmen möchten, und dem
nicht
heiter - ernste Menschlichkeit
diese
ein
Und was könnte man der Folgezeit
neuer Katechismus worden wäre?
Heilsameres wünschen, als was auch schon Goethe ungefähr gewünscht hat: daß dieser reizende Kodex
religiöser
und
weltlicher Moral
immer
tiefer in die Herzen unseres Polles greifen möchte, dem es so vorzüglich gegeben
ohne
schien,
zu
ohne
glauben
Perzweiflnng
und
frei
zu zweifeln
Aberglauben,
zu
denken
frivol
ohne
zu
___________
handeln."
R a d o lv i tz.
In einem Gedcnkblatt
den General
ans
von Radowitz aus dem
Jahre 1854*) heißt es: „Eine solche Stunde war cs, als wir im letzten Sommer, kurz zu vor, ehe er zum Tode erkrankte,
am
späten Nachmittage in seiner klei
nen Gartenlaube mit ihm znsammensaßen. Das Gespräch wandte sich auf seinen deutschen Liebling, auf Lessing. „„Wo,"" sagte er, „„fan
den tiefste Schmerzen einen ergrcifendern Ausdruck als in dem kurzen Briefe Lessings über den Tod seines Kindes.
Der Brief ist gar zu bedeutend.
Wir wollen ihn gleich hier noch einmal hören,"" und als nun auf dm Wink des Paters der betreffende Band durch seinen Joseph sogleich zur
Hand war, las er uns mit der ihm
leise ge
so ganz cigenthümlichm,
dämpften und doch so durchdringlich vernehmlichen Stimme die bezeich
nete Stelle.
Die fast feierlich
gesprochenen Schlußworte
des Briefes:
„ „Ich wollte cö mtd) einmal so gut haben, wie andere Menschen, —
aber es ist mir schlecht bekommen,"" sind uns unvergeßlich."
Für den persönlichen Werth des Mannes, dem diese Aeußerung über Lessing angehört und von dem der Gingang deö Gedenkblatts sagt: „Der
Tod
deS Generals
von Radowitz
dem sein Leben verfallen war,
hat den Streit
der Beurtheilungen,
gibt
nicht geschlichtet,"
der
Schlußsatz
folgendes Zeugniß:
„Manches reine Opfer ist dem Todten dargcbracht worden. ist der Stolz und Lichtpunct
„„Es
meines Lebens,"" — so konnte einer der
edelsten Zeitgenossen seiner gedenken
— „„ihm
so
nahe
gestanden zu
*) Joseph v on Radowitz. Ein Gedcnkblatt den Freunden. Berlin 1854. Verlag von W. Moeser und Kühn.
200 sein, mich seines liebevollen Wohlwollens haben erfreut« zu können, ihn begriffen zu haben, zu bewundern, wie so viel Stärke und Hoheit des Willens mit so kindlicher Milde des Gemüthts verschwistert gewesen ist."" „Es hat uns gedrängt, ihm diesen (Ährenkranz persönlicher Anerkennung,
den ihm, wenige Tage nach seinem Scheiden, in einem Briefe an eine hochverehrte Freundinn,
von
Alerandcr
gewunden, in
Humboldt
stiller Verehrung auf das Grab zu legen."
Carl Schwarz.*) „Noch jetzt lesen wir Lessings Schriften
als wenn sie der heutige Tag
geworden oder abgestanden!
mit demselben Entzücken,
Nichts
geboren hätte.
ist in
ihnen alt
Wie Achilles, der früh dahin Geraffte, im
Andenken der Griechen fortlebte in ewiger Jugend-Schöne, so lebt auch
Lessing fort im Andenken seines Volkes, mit dem Siegeskranz geschmückt um die jugendliche Stirn!
Und
in
diese Jünglingsnatur,
der Alles
frisches, keckes, sprudelndes, von Geistesfülle und Kampfeslust überströ
mendes Leben ist, — sie ist dadurch nur um so hinreißender,
die Kraft des Mannes, die Festigkeit
das
und die Reife
sichere Maß
des Charakters
zur Seite
daß ihr
des Urtheils,
Die Verbindung
steht.
des
Mistens mit dem Charakter, die ethische Kraft, welche das ganze Geistes
leben durchzieht
und zusammenhält,
ein die Wahrheit
nicht
dem Eigenthümlichsten
zu
gehört
und Besten des Lessingschen Wesens.
Er ist darin ein wahrer Heros,
allein wissender,
sondern
auch mit der ganzen
Kraft der Persönlichkeit für sie eintretender und kämpfender Held! -
„Wenn irgend Jemand, ist er es, der den Verstand und die Kritik
wieder zu Ehren bringen kann.
Er,
mit
seiner
köstlichen
Geistes-
Gesundheit kann, wenn wir überhaupt noch Sinn und Unterscheidungs
kraft in
dieser Richtung haben,
uns
das Gefühl
der
haftigkeit, Ueberreiztheit und geistigen Fänlniß geben. entzückenden Einfachheit,
Zusammengesetzte sondern
sichtige war, dessen
dem
die Wahrheit
das Allereinfachste,
eigenen Krank
Er,
mit
seiner
nie das Künstliche und
das
vollkommen Durch
simplificirendes Streben auch gerade aus die Theo
logie so heilsame Anwendung fand — kann uns das Bewußtsein geben
über die eigene Verschrobenheit und Künstlichkeit, welche dem Tiefsinnigen und Mysteriösen nachjagt und darüber die einfache vor den Füßen liegende
*) Gotthold Ephraim Lessing, als Theologe. Halle 1854.
201 Er, in dem der religiöse und der ethische Sinn so
Wahrheit übersieht!
tief und fest verbunden war, kann die Ueberzeugung in uns wecken, wie gefährlich die Loslösung dieses Bandes, nnd wie die Religion, wenn ihr der Nerv
des
sittlichen Willens
fehlt,
ihren Kern
und
substantiellen
Halt verliert, sich in Gefühlsschwelgerei oder Phantasterei, in Specula-
tion oder Dogmatismus anflöst. — „Die ernste und heilige Aufgabe seines Lebens, ein Reinigungsfeuer zu sein,
gemeinen ilnd
das alle schlaffeil,
confusen Elemente der Zeit
verzehre; den Verdunkelungen der Wahrheit, den unabsichtlichen wie den absichtlichen, wo er sie treffe, ungescheut entgegen zu treten, vornehmlich
aber denjenigen,
welche
sprungen ---------- diese
aus
zünftiger Gemeinheit und Egoismus ent
ernste und
heilige Aufgabe hielt er
sie
mit warmer Begeisterung fest,
für
Aufopferung.
Begeisterung,
—
ethische
Die
Kampfes für das Wohl
kämpfte
er mit
das
der Menschheit, geht wie
unausgesetzt rücksichtsloser
Geftihl ein
des
guten
warmer Odem
auch noch durch die kälteste Verspottung hindurch. „Das Praktisch-Religiöse, dieser Einheits-Punkt des Religiö sen und Sittlichen — die Liebe, die aufopfernde, hingebende, tragende
und anerkennende Liebe,
wie
sie
nur
andern Namen
einen
und eine
concrete Erscheinungsform hat in der Toleranz anders Denkender und Glaubender, in der die Unterschiede der Stände, Völker und Religionen überwindenden Humanität, ist für Lessing unzweifelhaft der Kern der
christlichen Religion. „Ueberall soll die Idee der Menschheit, der höchste Gattungsbegriff,
auch die bestimmende
und durchschlagende Gewalt
alle Unterschiede des wirklichen Lebens, die religiösen, sollen gleichsam flüssig Feuer
der Menschenliebe,
alle
des Handelns
die socialen, gemacht
werden
nichtigen Vornrtheile,
sein;
die politischen wie in dem heiligen alle
angeblichen
Vorzüge und bevorrechteten Stellungen zusammenschmelzen in der Glut dieser Liebesflamme.
„Eine ganz
ausdrückliche Ausfiihrung
Lessings Gesprächen über Freimaurerei.
hat diese Idee
erhalten in
Die ideale Freimaurerei,
die, welche immer war, von welcher Viele der Eingeweihten nichts wissen,
und viele nicht Eingeweihte wissen, — sie besteht in nichts Anderem^ als in der Ausbildung der Humanität, in der Bewahrung der heilia^' Flamme auf dem Altar der Menschheit. — Ihre Aufgabe ist, die 9ar=
im wirklichen Leben aller Orten
austhürmenden Schranken, Vorur
und Vorrechte immer wieder niederzureißen, die große, einander entft gu(ill8 und verfeindete Familie der Menschheit immer wieder mit dem Gefü"
Einheit, mit dem warmen Odem des Familien-Geistes zu durch
202 Sn der „Schlußbetrachtung" der Schrift heißt es: „Die Capricen,
die Phantasie-Ueberreizungeu, die falschen Geist-
reichigkeiten, die Illusionen und Selbstbelügungen, wie sie das Product eines genialen Spielens mit der Wahrheit waren, sind ihm noch völlig
ftemd.
Er will nirgend das Geistreiche,
Verstand ist die grauitne Basis
überall den sichersten Halt.
sondern das Wahre.
ganzen Wesens,
seines
Dazu steht der
Der
er gibt ihm
intellectuelle und der
ethische Factor bei ihm in so vollkommenem Einklang, daß er vor gro
ben Wahrheits-Verirrungen sicher geschützt ist.
Das Sittliche
ist bei
ihm überall das Correlatum des Religiösen und die sittliche Anwend barkeit und Fruchibarkett das Regulativ
für die Echtheit der Religion.
Das grade Umgekehrte gilt von der Romantik und ihren bis tief in die
Gegenwart hineinziehenden Strebungen.
Hier hat sich
die Religion
ftagmentlich losgerisseu von der sichern Leüung der Moral.
einer Gefühls- oder Phantasie-Schwelgerei geworden,
Sie ist zu
die sich weit er
haben glaubt über die triviale Welt der sittlichen Ordnungen, zu geistreich ist, um die Moral nur noch
die viel
eines Blickes zu würdigen,
ja, die es als eine besondere Gunst erscheinen läßt, wenn sie nicht grade-
zu die bürgerliche Sittlichkeit auf den Kopf stellt.
„Lessing war unter allen Aufklärern der Einzige, der diesen Namen
wirklich verdiente, der ausklärte ohne zu verflachen, der verein
fachte ohne
zu
verkürzen,
der
reinigte ohne
die
Wahr
heits-Schätze zu verschleudern."
Dr.
Georg
Weber*)
„Lessing gehört zu den ersten Größen unserer Literatur, deren hohe Blüthe durch seine vielseittge und anregende Thätigkeit ganz besonders
gefördert ward.
Er war ausgezeichneter Kritiker,
einer kräftigen edlen Prosa,
Reformator
des
Schöpfer
Geschmacks,
scharfsinniger Denker und großer Dichter."---------
ebrlmch der Weltgeschichte mit Rücksicht auf Cultur, Literatur und Reli. Leipzig. Verlag von Wilhelm Engelinann. 1854.
203 Lewes') „Gotthold Ephraim Lessing, einer der größten Kritiker, den die Welt je gesehen und sicherlich
saist." — „Seine Wirkungen umfassen
Gelehrsamkeit;
sophie, Kunst, Drama,
größte deutsche Pro
der
alle Gebiete: Religion, Philo
überall
schuf
er Neues, überall
war er scharf, klar, bestimmt; ein Nachahmer war er nirgends.
„Lessing hatte die Gelehrsamkeit eines Deutschen, aber- nie war ein
deutscher Gelehrter so sehr der volle Gegensatz eines Bücherwurms,
er.
als
Die umfasseudsten Kenntnisse waren bei ihm mit der höchsten Ach
tung vor der menschlichen Vernunft und ihren Regeln gepaart, wie sie in
Zum Studium des Homer,
den Meisterwerken classischer Zeiten vorliegen. Sophokles, PlautuS
und Shakespeare
nicht zu ihrer Nachahmung; wo nicht als solche,
rief
er
seine Nation auf,
er siegeln bekämpfte,
sondern als unvernünftig,
aber
bekämpfte er sie
eben so wenig wie er
und
die Regel für die Mutter des Genies hielt, sah er in ihr eine drückende Fessel.
„Wie Lessing stritt, wie unablässig, wie edel, das weiß jeder Kenner der deutschen Literatur, und seine Kämpfe und Siege strahlen un
ter den stolzesten Glorien seiner Nation."
Moritz Carriere.") „Wie er ein Mann war, im vollen aber auch im ausschließlichen
Sinne deö Worts, so daß
lichen, deö ruhigen Friedens,
sein des
selbstbewußtes Ringen
des Ewigweib
stillen Wachsthums in
der Hut der
Natur, des passiv weichen Sichhingebens ermangelt, so war ihm in der Kunst das Musikalische,
das ahnungsreiche Helldunkel
der lyrische Selbstgenuß
des Gefühls versagt,
aber
der Stimmung,
die Poesie
der
That und des Gedankens war seine eigene im Sinngedicht, in der Fabel,
im Drama,
und wer ihm den Lorbeer des Dichters versagen
wollte, der würde verkennen, daß die Poesie vorzugsweise die Kunst des
bewußten Geistes ist, der seine Gedankenwelt im Worte offenbart, wäh rend der Bildner die Anschauungen der Phantasie int Raume verkörpert,
der Musiker das Weben der Gefühle
durch den Ton in der Zeit har
monisch gestaltet. — —
*) Goethes Leben und Schriften von G. H. LeweS. Ueberseht von Dr. Julius Frese. Berlin. Verlag von Franz Duncker. 1857. **) Wcstermanns Jllustrirte deutsche Monatshefte. August 1857.
204 „Im Unabhängigkeitstrieb seiner stets forschenden, strebenden Natur erwählte Messing das Schriftstellerthum zum Lebensberuf, aber er that es mit der Größe des Geistes, und dem Ernste der Gesinnung, womit im
Alterthum ein Demosthenes sich zmn Volksredner ausgebildet und als solcher
gewirkt
Tagesblätter,
Die Presse mußte
hat.
die Zeitschriften trugen
Lande und versammelten
die Tribüne ersehen, dir
ihm
sein
geflügeltes Wort
durch
die
die Gebildeten der Nation um ihn; er wollte
in allen Angelegenheiten humaner Cultur ihr Sprecher sein, sie aufklären über sich selbst und über die Zwecke des Lebens und der Kunst, erleuch
tend und belehrend sie zum selbstständigen Denken, zum freien Handeln und menschenwürdigen Dasein erwecken »nd hinleiten. — —
„Lessing verlangte Duldung und Achtung für die Freidenker wie für die Traditionen
für jede Ueberzeugung,
des Volkes,
indem
er den
Fanatismus bekämpfte, wollte er die Pietät für die Religion der Väter
bewahrt wissen.
— — „Wir haben gesehen, wie er die
für die Kunst,
Literatur,
Religion gewonnene Einsicht zugleich auch mit productiver Phantasie
dramatisch gestaltete und an den Laokoon, Minna von Barnhelm; an die Hamburger Dramaturgie, Cmilia Galotti; an den Streit über die Wol-
fenbüttler Fragmente Nathan den Weisen anreihte; es war
der gleiche
Sinn für Wahrheit, Natur und Cinfachheit, der hier den Dichter, dort den Denker beseelte. — — „Auch für die Philosophie der Geschichte und der Religion war sein
Wirken grundlegend und bahnbrechend, und er steht als einer der Pro pheten unserer gegenwärtigen Arbeit da. — —
„Erst Lessing
erkannte
eine geschichtliche Entwickelung der Ideen,
eine stufenmäßige Entfaltung der Wahrheit, eine Gestaltung derselben in verschiedenen Formen nach nationaler Eigenthümlichkeit und zeitgemäßem
Bildungsgrade.
Orthodoxie wie Aufklärer hatten die Offenbarung Gottes
an die Menschheit für unbegreiflich erklärt, nur daß die Einen sie den
noch behaupteten, die andern sie verwarfen; Lessing verstand sie zu begreifen." — —
Julian Schmidt.*) „Lessing war der erste Dichter,
der mit empfänglichem Sinn für
das Schöne begabt, und aus voller Begeisterung für das Große, diesen
') Geschichte der deutschen Literatur seit Lessings Tod. Leipzig 1858.
205 Adel der Seele nicht zu entwürdigen glaubte, wenn er sich in die wirk
lichen Verhältnisse
vertiefte.
Getragen von diesem Realismus des
—
Lebens entwöhnte er die Deutschen des Kanzleistyls der Liebe und Ehre, des romantischen Spiels mit fertigen Formen und lehrte sie die Sprache
der Freiheit: er lehrte sie, individuelle, eigene Menschen fassen und dar
stellen. — Wenn die Verworrenheit der damaligen Bildung hauptsächlich eine geniale Kritik erforderte, so war es ein seltenes Glück, daß Lessing,
der schärffte Verstand seines Zeitalters,
zugleich
eine productive Natur
Freilich sollten nach seiner eigenen Erklärung seine Tragödien nur
war.
beweisen,
daß die Kritik bis zu einem gewissen Grade fähig sei, den
schöpferischen Drang zu ersetzen, und man hat diese Erklärung dazu be
ihm die Poesie abzusprechen.
nutzt,
Aber man kann nicht oft genug
wiederholen, daß Lessing, obgleich seine Willenskraft und sein Verstand
bei dem Schaffen thätiger waren als bei anderen Dichtern, ein
echter,
sondern
ein großer Dichter ist.
Deutschen Charaktere geschaffen, die Widersprüche
belebt,
die
man Thaten
wie
Minna
er
zuerst
hat den Deutschen ge
Begebenheiten künstlerisch grnppiren soll.
und
von Barnhelm
Emilia Galotti,
scharf begrenzt und doch organisch
der Wirklichkeit in sich ertragen und sich doch
mit innerer Nothwendigkeit bewegen;
zeigt,
nicht blos
Er hat zuerst den
ist
künstlerisch
noch
heute das beste deutsche Lustspiel,
betrachtet, noch heute die
beste deutsche
Tragödie. — „Wenn das belebende Princip bei Winkelmann die Schönheit, bei
Klopstock das Erhabene war,
so steigerte sich bei Lessing die Wahrheit
zur Leidenschaft, sie war sein Glück und sein Schmerz."
Dr. Johann Wilhelm Sckaefec.') „Blicken wir auf die Geschichte unserer deutschen Bühne zurück, so
sind alle dramatischen Dichtungen, die der Minna vorangingen, Lessings eigne Dramen nicht ausgenommen,
diesem Stücke
treten
wir
von der Bühne verschwunden;
in die neue Aera der
mit
dramatischen
Kunst. —
„Fast ein Menschenalter hindurch galt Emilia Galotti für
größte deutsche Tragödie.
die
Und mit Recht! denn eine ganze dramatische
Literatur rankt sich an diesem Stamme empor.
Es waren erst wenige
*) Geschichte der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Weigel. 1859.
Leipzig. T. O.
206 Jahre verflossen, seit Lessing in den Schlußworten der Dramaturgi'e — von sich das
ablegte:
berühmte Geständniß
spieler noch Dichter.
Man erweiset mir zwar manchmal die Ehre, mich
für den letzter» zu erkennen,
aber wir weil mmr mich verkennt.
einigen dramatischen Versuchen, so freigebig folgern.
„„Ich bin weder Schau
die ich gewagt habe,
Nicht jeder,
Ms
sollte man nicht
der den Pürsel in die Hand nimmt
wid Farben verguistet, ist ein Maler.
Die ältesten von jenen Versuche»
sind in den Jahren hingeschrieben, in welchen mmr Lust und Leichtigkeit so gern für Genie hält.
Was in de» neuern Erträgliches ist, davon
bin ich
daß ich es edrzig
mir sehr bewußt,
verdanken habe.
und
allem der Kritik zu
Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch
eigene Krast sich emporarbeitet, durch eigne Krast in so reichen, so sti-
schen, so reinen Strahlen aufschießt; ich muß Alles durch Druckwerk und Röhren aus mir herauspressen." "
Das strenge Urtheil, welches Lessing,
der ost so großartig bescheiden ist,
hier gegen sich ansspricht, hätte die
romantische Schule gern so ausgelegt, daß Lessing aus der Reihe unserer Mein, das eben
großen dramatischen Dichter gestrichen worden wäre.
ist die Größe von Lessings. Genius, daß die Kritik unter seinen Händen
in die poetische Production übergeht, daß seine kritische Forschung immer zuletzt in einen: Dichtwerke ihrerr Abschluß erhält.
sagen, daß
Er konnte von sich
er die drmnatische Kunst studirt habe.
ist die volle, reife
Emilia Galotti
Frucht der umfassendsten Kemrtniß
der tragischen
Kunst, der durchdachtesten Prüstmg ihrer Gesetze. — — „Seine Gesnndheitt litt, seit ihn der schwere Schlag (der Verlust
seirrer Frau) betroffen; doch sein Geist leuchtete in seinem vollsten Glanze, als habe ihn der Schmerz nur. gereist mrd zur reinsten Humanität verklärt.
Er begamr
die Bearbeitung der freimaurerischen Gespräche Ernst und
Falk, und gab in Nathan dem Weisen und in der gedankenschweren
Mhmrdlung: Die Erziehung des Menschengeschlechts, Vermächtniß
seines
Geistes.
Ihrem Inhalte nach
Schriften ein zusammenhängendes Ganzes.
bilden
das letzte
diese drei
Sie sind nicht die unmittel
baren Früchte der Polemik, sondern fassen unter einem höher» Gesichts
punkte die Ergebnisse seiner religionsphilosophischcn Spekulation zusam men.
Der
gemeinsame Grundzug ist die Idee der Hnmmrität, welche
Lessing dahin umfaßt: Es besteht unter den Menschen eine innere; durch die Natur mrd
die
geschichtlichen Verhältnisse
alle aber sind zu einem höhern Ziele berufen,
wickelung ist die Erziehung
begründete Ungleichheit;
und
diese ihre Fortent
des Menschengeschlechts. — Je höher die
Religion steht, desto mehr bewährt sie sich durch thätige Menschenliebe,
207 durch Duldung der Mitmenschen, die selbst in den minder Vorgeschritte
nen nur schwächere Mitschüler sieht. — „Vor Allem ist hervorzuheben, daß in Lessing die sittliche und
die geisttge Größe im engsten Bunde standen!
Wahrheit und Freiheit
waren die Grundbedingungen seines Seelenlebens, seines Charakters wie seines Dmkens.
„Seine persönliche Erscheinung machte den Eindruck der Offenheit der Biederkeit
und Wahrheit,
und
freien Männlichkeit.
Würde und
Entschlossenheit war in der Haltung seines Hauptes, Anmuth und Sicher heit in allen
griff
schon
Blick
klaren
Die Lebendigkeit seines Geistes er
seinen Bewegungen. in
seiner
klangreichen ausdrucksvollen (Stimme;
blauen
seines
Auges
Geist
sprachen
aus
dem
Herzensgüte
und
zugleich.
„So hat
ihn
Rietschels
Meisterhand
in
dem Standbilde
zu
die durch das Costüm jener Zeit
Braunschweig als liebevolle Gestalt,
an charattervoller Plastik nur gewonnen hat, wieder vor die nachfolgenden Geschlechter hingestellt.
Während die Linke ein eben vollendetes Werk
hält, ruht die Rechte auf der Brust, gleichsam den lebendig emporwal lenden Drang des kühnen Forschers andeutend.
hebt sich das schöne Haupt
empor,
Mit männlicher Hoheit
wenig zur Rechten
ein
gewendet,
als erwarte er mit festem Blicke den Gegner zum Kampfe.
„„He was a man, take him for all in all, I shall not look upon Inin like again.““
Adolf Stahr.') war die erste
„Das Dademecum (für Samuel Gottlob Lange)
selbstständige kritische Arbeit Lessings. Mann,
Sie war gerichtet gegen einen
den die damalige Zeit zu ihren großen Dichtem, zu den ersten
Autoritäten des ästhetischen Geschmacks
und
der Bildung
zählte,
gegen eine Leistung desselben, die bisher Niemand anders als zu erwähnen gewagt hatte.
unerbittliche Grausamkeit, Verachtung,
handelt,
mit
kommen
Der Erfolg war außerordentlich. der vemichtende
welchen Lessing in aus Rechnnng
Hohn
dieser Schrift
seiner
Antastung seiner eigenen sittlichen Würde.
und
die
und
rühmend —
Die
souveraine
seinen Gegner be
gerechten Entrüstung über die Ohne diese Aufteizung hätte
er vielleicht seinem Gegner die zweite Züchtigung erlassen oder sie doch *) G. E. Lessing
Sein Leben und seine Werke. Berlin 1859.
208 Daß er
milder geübt.
seinen Brief
an
den Gegner
gleich Anfangs
vollkommen nach dem Muster einer Predigt eintheilt, ist ein vortrefflicher
Zug
humoristischer Ironie
der Sprache
Kritik,
noch
seiner Polemik
wenn er am Schlüsse
und
mit dm Worten recapitulirt:
„„Ich habe Ihnen gezeigt, daß Sie we
Geschichte,
noch
Alterthümer
weder
weder
Kenntniß der Erde noch des Himmels besitzen, kurz, daß Sie keine von
dm Eigenschaften
haben,
die
zu
einem
des Horaz noth
Uebersetzer
wendig erfordert werden"", so müssen wir hinzufiigen, daß Lessing noch mehr gethan hat, indem er mit seiner Kritik zugleich dem ganzen Trei
ben der Halleschen Dichterschnle, der Lange angehörte, und deren ästhe der Hallesche
tisches Orakel
Professor
das Urtheil
war,
Meier
seiner
Oberflächlichkeit und Nichtigkeit sprach.')
„Die Literatur-Briefe Lessings sind die wichtigste und folgen
reichste
Erscheinung
hunderts.
deutschen
der
Entstanden
in
Joumalistik
einer Zeit
voll
achtzehnten Jahr
des
gehobener Stimmung
der
Gemüther, sind sie in ihrer schwungvollen Kühnheit ein treues Spiegel bild dieser tapfern und
gewann
die
kriegslustigen Zeitstimmung.
deutsche Kritik
den
In
männlichen Ernst,
ihnen
zuerst
der auf den Kern
und das Wesen der literarischen Erscheinungen eingeht, und das Urtheil nach dem Ganzen eines
über dieselben nicht nach Einzelheiten sondern Werkes bemißt. —
„Der neue Boden, auf dessen Gewinnung es Lessing
kritischen Literatur-Briefen abgesehen hatte,
mit seinen
war aber kein anderer,
als der Boden für eine im wahren Sinne nationale, d. h. eine eigen
thümlich deutsche, aus dem innersten Wesen und Leben der Nation her vorgehende Literatur, in welcher sich das geistige Wesen und der Lebens gehalt der Gegenwart rein und unbefangen abspiegeln sollte.
—
Die
Ungründlichkeit und Oberflächlichkeit des Wissens und der Studien,
die
Nachlässigkeit in der Behandlung der Sprache, die seichte Pielschreiberei
untergeordneter Geister, hielten und
von
die sich nichts desto
dienstwilligen Freunden
leistung auch für solche erklärt wurden, Literatur einen Grad erreicht,
nur einen
weniger
alle für Genies
unter Vorbehalt
hatten
der Gegen
damals in der deutschen
von dem uns selbst die Literatur-Briefe
annährenden Begriff
geben
können.
Mitten
unter
dieses
selbstgefällige Treiben der gedankenlosen und arbeitscheuen Mittelmäßig
keit
schleuderte
nun Lessing
die
zündenden Blitze
seiner
vernichtenden
Kritik. — — „Lessings Minna von Barnhelm
* Danzel 1. S. 252 ff.
ist
das erste deutsche Na-
209 tionallustspiel, und wenn wir ehrlich sein wollen, ist es auch bis heute
das einzige geblieben.
Denn wo ist in der ganzen deutschen Literatur
nach Lessing bis auf den heutigen Tag ein solches Drama,
zurückgreifend in eine entfernte Vergangenheit,
das,
nicht
sondern anknüpfend
an
die unmittelbare Wirklichkeit des Lebens, die den Dichter (als damaligen Gouvernements - Secretair
des
Generals
Tauenzien
in
Breslau
1760—1765) umgab, an das bedeutendste Ereigniß und den gefeiertsten
Helden und Herrscher des Jahrhunderts, den specifisch deutschen Nationalge halt dieses Lebens mit solcher Klarheit und Einfachheit in so plastisch lebens wahren Gestalten wiederspiegelte, und das, während es den großen Trä
ger dieser Zeit in ehrerbietiger Ferne die edelste
und Bedeutung und
hielt,
doch
zugleich
seine Größe
die Gerechtigkeit,
seiner Eigenschaften,
so ungesucht verherrlichte.')-------- Noch heute, nach einem Jahrhunderte ungeheuerster Wandlungen im Leben des deutschen Volkes,
wirken Les
sings Eharaktere durch ihre poetische Wahrheit, sprechen sie uns an als Zeugen und Mithandelnde einer bedeutenden, in ihrer Art einzigen Zeit.
„Tellheim, nicht Minna, ist die Hauptperson dieses Stückes, dessen Motiv die Soldatenehre, die Ehre des Officierstandes, himmelweit ver
schieden ist von dem halbverrückten Ehrbegriffe der spanischen Cavaliere in Lopes und Calderons Dramen." — —
„Tellheim
ist
das Muster
eines Officiers, ein echt ritterlicher Charafter in der schönsten Bedeutung dieses viel mißbrauchten Wortes. — — Die Ehre ist es, die der Liebe
den Kranz
flicht in diesem
unvergleichlichen Werke,
dem
schönsten,
das je ein Herz voll Liebe und Ehre gedichtet hat."
Ueber Laokoon „den Stolz der ästhetischen Literatur Deutschlands" heißt es,
bezüglich
Aufstellung
der
„Resultate und Wirkungen"
der Schönheit
als des
desselben:
höchsten Princips für die
„Die
bildende
Kunst der Alten; die scharfe Umgrenzung ihres Gebiets und der Nach
weis,
auf welche Weise allein der bildende Künstler
mit dem Dichter
zu wetteifern im Stande sei; die Stellung der Poesie über alle andem Künste; die Erweiterung ihres Bereichs über die ganze sichtbare und
unsichtbare Welt des Daseins und Lebens;
der Nachweis,
daß Hand
lung die Seele der Poesie sei; die Hervorhebung Homers gegen Virgil,
— dies Alles und wie vieles Andere noch, waren Gewinne von unschätz
barem Werthe, und wurden Fermente für die ästhetische Cultur der gan zen nachfolgenden Zeit.
Sie wurden es bis auf die Gegenwart unserer
Tage."---------
*) r. Tellheim: „Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet!" (Minna von Barnhelm: Fünfter Aufzug, Neunter Auftritt.)
210 Die Hamburgische Dramaturgie. „Auch dies Werk Lessings war noch
weit
diese
fliegenden Blätter,
„„systematisches Buch"".
als Laokoon ein
weniger
die der zufälligen Anregung
Aber
ihr Dasein und
Inhalt verdanken, werden zu einer Philosophie der dramatischen Poesie, weil sie aus
einem
heroorgingen,
einem Geiste
durchgehenden
Princip
beherrscht,
dessen Gedankenbildung, von allen
in
ihren Aeußerungen
eben nur Radien eines sonnenhellen Mittelpunktes erscheinen ließ. —
„Es
galt
seiner Natton
Wahrheit zu sagen, dem Traume jener
die
die Wahrheit,
ungeschmückte
ganze
um sie zur Selbfterkenntniß zu bringen,
faulen Selbstbespiegelung
aufzurütteln,
und aus
welcher
zu
sie allezeit nur zu viele Neigung gehabt hat.---------
„Die Revolution,
war eine wesentlich kon
welche er unternahm,
servative und der große Agitator des achtzehnten Jahrhundettö erscheint
auch hier — wie überall zugleich als der treueste Bewahrer aller wahr haften Errungenschaften der Vergangenheit des Menschengeistes." Die
antiquarischen
Briefe gegen Klotz.
„Seit dem Vade-
mecum für den Pastor Lange war kein solches Sttafgcricht abgehalten worden, wie es in den anttquarischen Briefen über Klotz erging. Ansprüche
auf wissenschaftliches Verdienst
Gelehrter wurden vollständig vernichtet,
Kenntnisse,
und
und
die Oberflächlichkeit seiner
die Hohlheit
die Nichttgkeit seiner Studim,
Seine
auf eine Stellung als seines
ganzen
wissenschaftlichen Treibens ebenso wie die Kniffe und Ränke seiner Po lemik überzeugend dargethan. — Mit ruhigstem Vorbedacht, mit lang
samster Ueberlegung und mit
kältestem Blute schleuderte er jedes seiner
tödtlichen Geschosse auf die elenden Prahler und Cabalenmacher, die sich
groß zu machen Staub zogm.
die
strebten,
indem
sie
der Natton in den
Größen
die
Die Materien, die er in denselben behandeln mußte, um
wiffmschastliche Blöße
und Armseligkeit
interesfirten ihn unendlich weniger,
als
die
des Gegners
eben
aufzudecken,
im Werden be-
erst
griffene Nationalliteratur und die Bildung seines Volks,
die
er
durch
das Treiben jener Menschen bedroht sah." — „Die Briefe Lessings und seiner Geliebten sind von einer Einfachheit und Wahrheit der Empfindung,
Ausdrucks, Kraft
der
die uns Neigung
immer aufs Neue
zweier
vom
Leben
von einer Schlichtheit des
entzücken.
Eö
durchgeprüften
ist
die volle
und
gereiften
Menschen, das volle Bewußtsein der gegenseitigen Zusammengehörigkeit,
die klare Uebereinstimmung in Denkart und Charakter, in Grundsätzen und Maximen,
in Welt- und Menschenbettachtung,
Beruhen des Einen auf der Gediegenheit
das tiefe,
sichere
und Tüchtigkeit wie auf der
Treue und Hingebung des Andern, welche diesen Briefwechsel zu dem
211 schönsten Zeugnisse Liebe
machen,
der
würdigsten,
reinsten
und
reifsten
die vielleicht jemals zwei bedeutende Menschen verbun
den hat." — „Ein volles Jahrhundert
Emilia Galotti.
ist verflosten,
seit
Lessing diese Schöpfung begann, mit der er den ersten granitnen Grund
stein legte, zu dem Baue eines eignen tragischen Dramas unserer Na tion, wie er in seiner Minna von Barnhelm das erste nationale Lustspiel gegeben
— —
hatte.
Seit
drei
Menschenaltern
haben
Meister deutscher Schauspielkunst bis auf diesen Tag ihre eingesetzt und ihre
glänzendsten Erfolge
errungen
in
die
größten
besten Kräfte
der Darstellung
eines Werks, das schon die Herzen unserer Großväter — erschütterte." — Der Kampf mit Goeze.
„Achtzig Jahre sind vergangen, seit
diese klingenden Pfeile dem Bogen des unsterblichen Helden entflogen,
aber noch immer sind sie neu und glänzend scharf wie am ersten Tage,
immer noch sind sie das Entzücken aller derer, die sich zu seiner Fahne bekennen, wie sie der Schrecken sind für die in unsern Tagen so über
aus
zahlreich
empor
gewucherten
Nachfahrer
des
Zionswächters
von
Hamburg." Der Berfafler sagt am Schlufle
seiner
desfallsigcn
nähern Aus
führungen :
„Hier
kurze Zeit den Gang unserer Darstellung
müssen wir für
unterbrechen, und, ehe wir dem großen Freiheitskämpfer weiter auf der glorreichen Siegesbahn seiner letzten Lebensjahre folgen, einen Blick auf seine persönlichen Zustände
und
auf die
bittern Leiden
werfen,
unter
deren blutiger Dornenlast er seine letzten und größten Geistesthaten — (Nathan
der
Weise,
Ernst und Falk,
die
Erziehung
des
Menschengeschlechts) — gethan hat." Die Schilderungen von Lessings „Lieben und Leiden" und die sich anschließenden Bettachtungen und Urtheile über jene letzten und größten
Geistesthaten Lessings
wollen
wir
hier nicht
ferner im Auszuge
mit
theilen, sondern sprechen statt dessen den Wunsch aus, daß das Stahrsche
Werk selbst in immer zen
unseres
weitern Kreisen Eingang finde, und dem Her
Volkes,
dem
es
gewidmet
ist,
mehr und mehr zu
eigen werde. Der Titel ist geschmückt mit den Motten:
„Das echte Abbild von der Menschheit Adel, Der treu'ste Ritter aller Geisteswahrheit, Ihr Spiegelbild Er Selbst, in Sonnenklarheit, Der Freiheitskämpfer ohne Furcht und Tadel. "
212 Aus dem rauhen Hause.*) „Lessing hat
die
Deutschen
und
auch
mittelbar
die
andern
Völker der Gegenwart wieder recht aus dem Grunde selbst denken und uttheilen
gelehrt
in
den Gebieten,
das Denken
wo
am
Schwersten
ist, und wo Naturanlage, Gewohnheit, Ueberlieferung und dunkles Ge
fühl die Menge der Menschen am unbedingtesten zu leiten pflegen,
im
Gebiete des Schönen und des Guten und Göttlichm,
der
Kunst,
der Sittlichkeit
und
in Sachen
Zu Gott und zur Natur
der Religion.
zurück, heißt ihm vor Allem zu sich selbst zurückkehren, zu dem Mensch-
lichsten im Menschen, zum eignen, selbstverleugnenden Suchen und Er
Zn seinem
greifen der Wahrheit.
ersten
dichterischen Versuche
sucht
Vielheit der Welten"", im 17. Jahre,
„„die
junge Lessing schon
der
auf eigne Gefahr die „beste Welt", und ruft aus: „Besorgter als ('einmb, trat ich den Luftweg an, Wo leichter als zur See die Kühnheit scheitern kann.
Mag doch die Sinnlichkeit des frommen Frevels fluchen, Genug, die scheitern schön, die scheiternd Welten suchen." „Das ist schon ganz das Privilegium, auf dem Wege zur Wahrheit
ewig irren zu dürfen,
wag er sich von Gott kindlich ausgebeten haben
wollte, weil nicht die Wahrheit als Besitz, sondern die Mühe, kostet sie zu erlangen,
den Wetth
schon ganz der Mann,
des Menschen
ausmache.
die es Das ist
von dem Saladin im Nathan sagt, daß er da
nicht stehen bleibt, „„wo der Zufall der Geburt ihn hingeworfen,
oder
wenn er bleibt, bleibt er auö Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern." " Wmn Wieland sich der jugendlich annahm
Natur
weiblichen
Seite der menschlichen
zum Weibischen, Frivolen und Faselhaften, wenn
bis
Klopstock die höhere, geschlechtslose Kindlichkeit des Menschen, durch
die er vom Himmel stammt und zum Himmel strebt, zu Ehren brachte, ohne
nicht
sich
in's Stammelnde
bis
Kindheit zu verlieren;
und
Greisenhafte
der zweiten
so liegen Lessings Vorzüge und Fehler alle auf
Seiten der entschiedenen und einseitigen Männlichkeit. — Lessing hat da Fuß gefaßt, wo,der Germane mit der Welt der alten Grie
chen und Römer und ihrer sittlichen Cultur
gegnet an,
und selbstständig
ihnen
wo die Humanitätsstudien
nacheifert.
innere
Mission
No. ü. und 8.
(Vorsteher des Hauses.) der
deutschen
Er knüpft wieder
des Reformattonszeitalters waren abge-
") Fliegende Blätter aus dem rauhen Hause zu Dr. Wickern.
sich geistig be
Horn
bei Hamburg,
von
Organ des Central-Ausschusses für die
evangelischen
Kirche.
XVIII.
Serie.
1860.
213 bei Reuchlin,
bei Ulrich von Hutten,
brochen worden,
lanchthon u. s. w., und
will ihnen
bei Mebereiten,
Zukunft
eine neue
nicht als bloße Archäologie wie Winkelmann, sondern als sittlicher,
denkender, deutscher Mensch schlechtweg. — „Nach
darf von ihm,
Objekte, mit
greift
allen Seiten
und Dichter in
als Schriftsteller
dieser Mann
grade
größten Probleme
die
der Weltgeschichte
zumal als Dichter sagen:
er ist
ein.
Man
größer noch durch die
beiten er immer und überall, selbst im Lustspiel, zu thun
hat, als durch das, was er aus den Objecten macht.
Bei einem Dich
ter wie Goethe, der so durchaus Poet, Gestaltenschöpfer war, selbst in der wissenschaftlichen Forschung ist dies vielmehr umgekehrt.
ler
steht
wicht.
Zn Schil
dem Dichter je länger je mehr in Gleichge
der Denker mit
und nur
und ganz und gar Denker,
Lessing ist vor Allem
durch die wunderbare Eigenthümlichkeit, Schärfe und Bestimmtheit, wo
mit der Denkprozeß in ihm arbeitet,
er
ist
geworden.
Dichter
auch
Er ist der incarnirte Verstand der deutschen Nation.') —
englischen
starken Rest
englischen
die
von der Uebertreibung und
ähnlicher
zu
sich
selbst
und auf
heimischer Und
Geist und Herzen.
moralischen
eingeführt,
Clarissen
er vollends
Füßen
in seiner Sarah Sampson
Trauerspiel
in
Vorbildern
nnd Familienlebens
gerlichen
ist
schon das
hatte
„Lessing
nach
und
noch
gekommen, und
steht
und
denkt
mit
einem
Sentimentalität
falschen
Romanfiguren.
Erde,
bür
des
Conflicte
wenngleich
In stracks fühlt
der
der
Minna
aus eignen mit
eignem
damit war auch die Emancipation des deut
schen Geistes von aller Fremdherrschaft zuerst besiegelt; wir lernten uns sittlich selbst verstehen
und
selbst achten.
Wie
ein
anderer Odysseus
kehrte endlich der deutsche Geist aus langen Irrfahrten kreuz und quer in sein stilles heimisches Zthaka zurück.
Aber nur erst schlafend gelangte
er ans Gestade und lange nachher erst erkannte er vollends die ersehnte und entbehrte Heimath und küßte den Boden.
Sittlich ernst ist diese
unsere einzige Nationalkomödie in dem Grade, daß sie ganz und durch aus auf die Lösung einer sittlichen Aufgabe gebaut ist und aus ihr sich heraus entfaltet.
Menschenwerth und ManneSwerth ist im All ge-
meinen der Kern der Dichtung,
nemlich als
unabhängig
und rein in
sich gegründet im Verhältniß zu allen äußeren Glücksgütern, selbst zur
Liebe des Weibes,
so
weit
Glücksgüter mit sich führt.
dieselbe
ein äußeres Gut
ist
und
andre
Der ächte, bescheidene Mann von sittlichem
*) Lessing, le plus grand penseur de l’Allemagne Pierre Leroux de l’humanite. Paris 1845.
depuis Leibnitz.
214 mit Armuth und mit Berkennung der schlimmsten
in Conflict
Werth,
Art von Seiten seiner Dvrgesetztcn, kann sich nicht herbeilassen, von der
geliebten Frau, je wahrer er liebt, Güter des Glücks und der Chre le
diglich zu empfangen.
Aber die ächte, liebende Frau wähnt auch nicht,
dem Manne erst verleihen zu können, was er in sich selbst besitzt; lieber will sie
von
seinem Cdelmuth
von ihm empfangen,
seiner Armuth
und
ihr gleiches Theil
So entspricht
als für seine Wohlthäterin gelten.
der wahren männlichen Liebe,
die lieber Alles daran geben,
als etwas
zum Nachtheil der Geliebten empfangen will, die ächte des Weibes, die
Daß solche Liebe zuletzt siegreich
grade im Hinnehmen ihre Ehre sucht.
wird über alle Mißverhältnisse, ist doch der eigentliche Grundgedanke. „Merkwürdig genug hat Lessing das gleiche Problem in sehr ernst hafter Weise in seinem späteren Leben zu lösen gehabt und auf
wür
digste Weise gelöst. — Man muß darauf Hinweisen, um es entschieden
An
aussprechen zu dürfen:
ja
keit,
an Heroismus
wahrer,
keuscher Sittlich
ernster,
wirklichen selbstverleugnenden
der
Liebe,
nicht sinnlicher Leidenschaft,
ragt Lessing
unsere
sämmtlichen großen
und
Dichter
großen Männer überhaupt empor. ein
an das Christenthum
war
es
Christ
in
weit über
meisten
die
über
So weit man ohne Glauben der
That
sein kann, so weit
Lessing und er beschämt dadurch die Massen derer, die mit
Allem, was christlich an ihnen ist und heißt, doch keine Jünger Christi sind im Geist und in der Wahrheit, sondern meist nur in der Form."
Der Unterschied Ueberzeugungen
des
des
religiösen
ungenannten Verfassers
der
und
Standpunktes
dieser Blätter
religiösen aus
dem
rauhen Hause zu dem religiösen Standpunkte und den religiösen Ueber
zeugungen Lessings ist in den letzten Worten hinlänglich angedeutet, und in andern Stellen
des
sehr ausführlichen
Entschiedenheit wiederholt ausgesprochen.
Auftatzes
mit
bestimmtester
Es geschieht dies zuerst in der
Beurtheilung von Emilia Galotti, die „bei aller entschiedenen sitttlichen Hoheit und wunderbaren dramatischen Kraft
doch
schon heidnisch
römisch angethan ist," und dann in erhöhtem Maße in der Beurtheilung
des Lessingfchen Nathan, wie sehr der Verfasset im klebrigen auch den Worten Wackernagels über dieses Werk")
zustimmt, daß es
„„mit
so reichen Fäden wie kein Gedicht sonst in das ganze Getriebe der Zeit und ihrer Literatur verwoben,
wirkung noch für
keines sonst auch
unsere Zeit bedeutsam"" sei.
in
so lebendiger Fort
Sein eigenes Urtheil
*) Protestantische Monatöblätter für inner« Zeitgeschichte, herausgegeben von Dr. Heinrich Gelzer. VI. Bd. 232. Gotha 1855.
215 über Lessings Nathan ist schließlich von dem Verfasser dahin zusammen gefaßt, daß er „tief unter dem Niveau des Christenthums Christi und der Apostel, unter der wirklichen Religion Christi steht," weil seine Liebe „tief unter ihrer Liebe steht, vor Allem auch seine Liebe zu Gott und zur göttlichen Wahrheit, um deren Willen allein die Menschen gründlich zu lieben find." „Aber, und das ist freilich ein großes und bedenkliches aber," — setzt der Verfasser seiner Verwahrung gegen eine Gleichstellung des Einen und des anderen Christenthums und der Einen und der an dern Liebe hinzu, — „wie tief steht zu allen Zeiten das Christen thum der Kirchen und Confessionen, auch unser heuttges, immerhin geläutettes Christenthum und Kirchenwesen unter .dem Niveau der Liebe Christi, von welcher der Apostel sagen durfte: „„Die Liebe Christi dringet uns."" „Wie ttef steht die christliche Religion in diesem Sinne wirklich unter der Religion Christi! Wie viel Verachtung ftemden Glaubens mischt sich noch heute in das Bekenntniß Christi, wie viel beschräntte Bekehrungssucht in den Glaubenseifer, die dem Andern nicht das Heil, von der Liebe Gottes ihm wie Allen zugedacht und zubereitet, verkündigen, sondem ihm eine bestimmte irdische Form und Fassung dieses Heils aufdrängen möchte oder auffchmeicheln aus eigner Herrsch sucht. Wie wenig ist von dem apostolischen: „„Allen Alles werden"" im Ganzen und Großen zu finden, selbst bei der unleugbar großen Selbstverleugnung in den Missionen. Mie wenig Mühe giebt man sich bei allem Reden von der Liebe sein enges Herz zum Herzen Gottes zu erweitern, wie es in Christo lebt und die Welt umfaßt, wie es die Apostel drängte, eine jede Seele in ihrer Weise zum Vater zu führen, ein jedes Volk in seiner eigenthümlichen Natur ihm untetthan zu ma chen. Denn in seines Vaters Hause sind viele Wohnungen und,er wäre nicht der Weg schlechthin und die Wahrheit und daS Leben selber, wenn er nicht jedes Menschenherz in seiner eigensten Freiheit und Eigen thümlichkeit — ohne Zwang und Schablone — zu ergreifen vermöchte und in sein Bild umzuwandeln, wenn er nicht den letzten Funken deS Gott suchenden Geistes auch im völlig verwahrlosten und Gott entfremdeten Menschen als ein Heiligthum liebend achtete und pflegte. — „Nur die Liebe, so voll und wahr wie sie in Christo wohnte, kann auch heute noch die elend zerrissene Welt Heilmd überwinden und überwindend heilen. Das ist der ewig wahre, der eigentliche Sinn von Lessings Nathan und von seinem ganzen Denken und Dichten, daS ist die Religion Christi, die er der christlichen Religion und Kirche mahnend entgegen hält."
216
Werner Hahn.*)**) „— — Die Hamburgische Dramaturgie
ist
—
aus
einer
Theaterzeitung zu einem classischen Werke geworden, welches die Grund gesetze des Dramas, besonders nach der Poetik des Aristoteles, außerdem dem Vorbilde Shakespeares
nach
erläutert, —
ein Werk, mit welchem
in der deutschen Literatur die Nachahmung der Franzosen und der Jrrtijum, daß die französischen Dichter dm Charakter des griechischen Dra
mas begriffen hätten, für alle Zeit überwunden wurde.
Goethes vol
lendete Meisterwerke (Iphigenie, Tasso) sind die Früchte, die
nur an diesen Lessingschen Studien reifen konnten."---------
Moritz Rapp.") „Man darf wohl sagen, daß sein Laokoon und
seine Dramaturgie
den ersten Grund zu einer nattonaldeutschen Aesthetik gelegt
war der erste Deutsche,
haben;
der sich von der Anbeterei des Auslandes
er
be
freite und die Kunst aus sich selbst zu begreifen unternahm." —
Aus dem Wagenerschen Staats- und GeseÜschasts.Lexikon.*'*) — „Schon auf der Schule zu Meißen hatte der junge Lessing den fernen Kanonendonner
der Schlacht von Kesselsdorf vernommen,
hatte
dm Keim zur Bewunderung des großen Feldherm und Regmten gelegt, dm
wir später
sehen.
bei dem Jüngling Lessing
zu
voller Blüthe
aufgehen
Lessing wurde der eigentliche Befreier Deutschlands von der Herr
schaft des französischen Geschmacks; mit seinen theologischen und archäo-
logischm Stteitschriften hebt
unsere wiffenschaftliche,
mit innen gehalt
reichen Arbeiten für die Literatur-Briefe, seinem Laokoon, seiner Drama
turgie, die ihm dm Kranz der Unsterblichkeit geflochten hat, ästhettsche Krittk an. *) Geschichte
Wilhelm Herz.
hebt unsere
In seinen drei Musterdramen Minna von Barn-
der poetischen Literatur (Bessersche Buchhandlung.)
der
Deutschen.
Berlin.
Verlag von
1860.
**) Das goldne Alter der deutschen Poesie.
Tübingen 1861.
"*) Staats- und Gesellschafts-Lexikon, herausgegeden von Hermann Wagener. 63. und 54. Heft. 1861.
217 Nathan
Helm, Emilia Galotti,
der Weise,
hat er den Ton der Kunst
herzustellen gewußt, und der deutschen Schaubühne, die durch seine Werke noch
geziert ist,
neue
Wege angewiesen,
selbst
muthiger Führer
als
vorangehend und die dramatischen Dichter seiner Zeit weit hinter sich zurücklassend." —
Rudolph Gottschalk."„Wie Herder
ein Mann der Empfindung,
die oft in Empfind
lichkeit umschlug, so war Lessing ein Mann des Verstandes, und zwar eines so großen, klaren und scharfen Verstandes, daß die deutsche Lite-
ratur ihm keinen Nebenbuhler an die Seite stellen kann.---------Lessings Analyse war eine rettende That, und in ihm kam der rechte Mann zur rechten Zeit. — — Ihm verdankt die deutsche Bühne ihre Wiedergeburt,
die deutsche Kritik ein bis jetzt unerreichtes Vorbild,
die
deutsche Pro-
ducfion einenSchatz von goldenen Regeln und einen Compaß, den sie stets nur zu ihrem Schaden unbeachtet läßt.
Lessings
Kritik war kein Brillantfeuer geistreicher Einfälle, kein Messen nach will kürlichen
Maßstäben
und von
einseitigen Standpunkten aus;
sie legte
Nichts hinein und schob Nichts unter, sie lebte sich nur in ihren Gegen stand,
in das Kunstwerk hinein und suchte es mit innerer Nothwendig-
keit kritisch
Praxis klar,
nachzugestalten.
Denn
daß das Dichten
er machte zuerst
Phantasie, sondern auch einen großen erfordere.
Der Verstand
große
nicht blos eine
sollte nicht
und
in Theorie und
und schöpferische
schöpferischen Verstand
blos die Phantasie beauffichfigen
und beschränken; beide sollten organisch mit einander verbunden sein und
wie Kops und Herz im lebendigen Menschen in ungetrennter Thätigkeit wirken. — Indem Lessing das Gesetz des Aristoteles durch den Kanon der Natur und
der innern Wahrheit belebte und
der rhetorischen Ver
flachung die freie Entfaltung des Charakteristischen gegenüberstellte, ebnete er der deutschen Production die Bahn zu bedeutenden Schöpfungen und
machte einen gewaltsamen Bruch mit der Vergangenheit nothwendig. — Doch Lessing gab nicht blos das Gesetz; er gab auch das Beispiel.
Die
Energie seines Verstandes war so groß, daß sie selbst dichterische Schö pfungen hervorbrachte,
die sonst
nur
aus
dem
freien Triebe
genialer
•) Die deutsche National Literatur in der ersten Hälft« des neunzehnten Jahr hunderts. Zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe. Breslau, Verlag von Eduard Trewendt. 1861.
218 Phantasie entstehen. — — Nur
was
die Gegenwart wahrhaft
interessirt, wird auch einst die Zukunft
liefert Messings Minna ein glänzendes Beispiel.
interessiren.
Dafür
Doch auch in formeller
Beziehung, durch Wahrheit der Charakteristik, durch glücklichen Ausdruck
gesunder Cmpfindung, durch vorzügliche Handhabung einer eben so kla
ren wie kräftigen Prosa war sie von unberechenbarem Einflüsse auf die Fortbildung
des
deutschen
Dramas. — —
Nathan
Lessings
der
Weise, das große Drama religiöser Toleranz, das in seiner Art in un serer Literatur einzig blieb.
Es ist — dieses Drama — gleichsam
—
Lessings Vermächtnis«, welches in der Nation so tiefe Wurzel geschlagen
hat, daß alle Verkehrtheit frömmelnder Richtungen es nicht auszurotten im Stande ist.
Lessings Polemik gegen die Orthodoxie war nur engern
Kreisen zugänglich; in seinem Nathan verpflanzte er den posittoen Kern seines Wirkens auf die Bühne, und hier wuchs er zum Baume empor, der seine Segnungen bereits dem
Theil werden läßt. Praxis
der
dritten und vierten Geschlecht zu
Er fand in der Menschen- und Bruderliebe, in der
religiösen Gesinnung
concentrischen
aller
den Mittelpunkt
Kreise, welch? die einzelnen Religionen beschreiben, wie verschieden auch ihre dogmatischen Radien sind. — —
Durch seine kritischen Thaten so
wohl, wie durch seine dramatischen Muster wurde Lessing der Vorläufer von Goethe und Schiller,
mit
denen
zusammen er trotz der
frühern Zeit seines Wirkens, dem neunzehnten Jahrhundert
noch so vollständig und wesentlich angehört,
wie
dem acht
zehnten."
B l ll n t s ch l i.*) „Die politische Bedeutung Lessings
wird gewöhnlich untcr-
ichätzt, «veil sie uns nicht in unmittelbarer Erscheinung aus seinen Wer
ken entgegen tritt.
Lessing
hat keine
einzige Schrift
von staatöwissen-
schaftlichcm Inhalte oder direkter politischer Tendenz herausgegeben, und
ttotzdem eine tiefer gehende und nachhaltigere polittsche Wirkung auf die deutsche Nation ausgeübt, als alle deutschen staatswissenschaftlichen und
polittschcn
Schriftsteller
seines Jahrhunderts;
denn
vor
allen Andern
ist Lessing als der geistige Befreier seiner Natton zu ehren.
„Lessing gehört ganz und gar dem modernen Leben an, ') Deutsche» Staats-Wörterbuch. 55. und 56. Heft. 1861. —
dem er
Stuttgart und Leipzig.
219 in Deutschland in seiner bürgerlichen Art als Literat im besten
Sinne des Worts eben so Bahn gebrochen hat, wie Friedrich der
Große als Staatsmann
und Gesetzgeber.
„Weit über das Gebiet der Theologie hinaus muß die Entknech-
führen
tung des wissenschaftlichen Denkens
die
vornehm
wir Lessing
lich verdanken, wenn er die Theologen von dem geistlähmenden Buch Lag nicht die Philologie und die Jurispru
stabendienst befreite.
denz in ähnlichem Duchstabendienst gefangen?
Waren nicht die Philo
logen gewohnt, die alten klassischen Schriften mit eben so stumpftinniger
Demuth zu betrachten, wie die Theologen die Bibel?
War es den Ju
risten eher klar, daß die Gesetze mehr noch der Ausdruck des lebendigen
Rechts als dessen Grund und Quelle seien,
daß das Christenthum
als
den Geistlichen gewiß,
nicht daS Werk der heiligen Schriften sei?
Zn
allen diesen Beziehungen hat der Anstoß, den Lessing gegeben, noch nicht
das Cnde seiner Wirksamkeit erreicht.
Wir müssen fort und fort daran
erinnern, welche noch ungebahnte Wege er dem Wahrheitsstreben eröff net hat.
„Bei alledem war es Lessing nicht um die Gelehrten zu thun. arbeitete
für
bte geistige Erweckung,
Volkes, und weiter noch für die Fortbildung der Menschheit. bemühte er sich,
die größten
Er
Befteiung und Veredlung seines Deshalb
und fruchtbarsten Wahrheiten in eine ge
fassen und für Jedermann zugänglich und
meinverständliche Form
zu
anschaulich zu machen.
Er sprach sie in kurzen klaren Sätzen der Prosa
aus, und er führte sie
in dem
reichen Schmuck der Poesie dem Volke
vor.---------
„Den Gedanken, die
Menschengeschlechts
religiöse Offenbarung
zu fassen,
hatten
als Erziehung
des
auch ältere Denker vor ihm
gehabt, aber er zuerst hat diesen Gedanken mit dem Fleiße ausgebildet und mit der Energie ausgesprochen, durch welche eine geistreiche Bemer
kung in leuchtend: Wahrheit verwandelt wird. „Ihren glänzendsten Triumph hat die religiöse Humanität Lessings
in dem herrlichen Drama: Nathan der Weise genwärtig giebt
es
keinen bedeutenden Ort
—
gefeiert.
in Deutschland
— Ge
mehr,
wo
Lessing gehindert würde, die Kanzel der Bühne zu besteigen und in dem Nathan zum Aerger aller Zeloten seine prächtige Predigt gegen die re
ligiöse Eitelkeit
und Selbstgefälligkeit
und
gegen
den
kirchlichen Ver-
ketzenlngseifer vor allem Volk zu halten.
„Auch Voltaire
hat in dieser Richtung befteiend
gewirkt;
aber
wenn der Franzose und der Deutsche an Verstand und Witz einander
ebenbürtig und an literarischem Ruhm bei ihrer Natton vergleichbar find,
220 — so ist doch Lessing durch seinen Charaster
und seine Wissenschaftlichkeit
dem genialen Boltaire sehr überlegen.
„Auf die Frivolität und Liederlichkeit, mit der Voltaire die religiö sen Voruriheile und
die kirchliche Autorität angriff, mußte die Revo
lution folgen; der sittliche Ernst und die Wahrhaftigkeit, welche Lessing in seinen Kämpfen bewährte, konnte die Hoffnung erwecken, daß Deutsch
land durch die Reform gereinigt werde.
„Die
einzige allgemein
bekannte Schrift,
da auf einem Umwege das Ziel für
Gespräche
er
versuchte.
anstrebt,
Freimaurer."
Schon
seiner
eine
in
welcher Lessing den
näher bespricht, obwohl er sogar
Staat und die bürgerliche Gesellschaft
sind:
und
Falk,
fteilich,
welche
„Ernst
Nicht
die
ersten
Jugendarbeiten,
einzige
die
Bear
beitung der Tragödie Henzi — Henzi wurde im Jahre 1749 ju Bern hingerichtet
zeittg
sofort
und
erlebten Stoff
nahm
wollte darin,
Lessing
Jüngling
der
deutung.
Er
Auftührer
im Gegensatze mit dem Patrioten
nach
diesen
gleich-
eine eminent polittsche Be
in Angriff, — hatte seiner
Aussage:
eigenen
und
Gegensatze mit dem wahren Oberhaupte schildern.
„„den
den Unterdrücker im Henzi ist der Pa
triot, Dücret der Auftührer, Steiger das wahre Oberhaupt und dieser
oder jener Rathsherr der Unterdrücker."" „Auch über
die
deutsche Freiheit
und
über
die Reichsver
fassung hat er Studien gemacht, die unter andem äußern Umständen
wohl zu kostbaren Werken geführt hätten.
Aber es sah damals in dem
verwesenden heiligen römischen Reiche so ganz elend aus,
es fehlten so
völlig die Bedingungen zu einer polittschen Reform, daß auch ein Mann, wie Lessing, es vorzog, eher noch den religiösen als den polittschen Fragen
seine Zeit und Kraft zu widmen. — —
„Er kannte seine Natton gut genug, um zu wissen, daß erst ihre religiöse und geistige Befteiung vorhergehen müsse, bevor ihre polittsche
Erhebung möglich werde.
jene und
Daher arbeitete er mit aller Anstrengung für
hinterließ den spätern
durch
ihn
erzogenen Geschlechtern
die
Pflicht, die polittsche Aufgabe zu lösen. — —
„Obwohl Lessing vorzugsweise
die deutsche Nattonalität wieder zu
Ehren gezogen und in manchem Bettacht als
der Deutscheste unter
unsern classischen Schriftstellern erscheint — so hält er sich doch
von der beschräntten Deutschthümelei vieler Spätern ganz frei. nicht blind gegen
die Vorzüge der
dankbar für ihre Verdienste;
andem Culturvölker
Er ist
und nicht un
er sucht nicht die Schwächm und Fehler
des deutschm Wesens zu verheimlichen, sondem bemüht sich, dieselben zu corrigiren.
Er vergißt nie über der deutschen Natton die größere Mmsch
221 heit, beten bloßer Theil jene ist, und ordnet den Anordnungen der Hu manität, ohne zu zögern oder zu markten, willig die Ansprüche seines Volkes unter. Er ist, wie seine jüngern Zeitgenossen Herder, Goethe, Schiller, mehr noch Weltbürger als deutscher Patriot. Er weiß genau, wo Patriotismus Tugend zu sein aushört."
Carl Goedeke.*) „Mit Lessings Wirksamkeit, die keinen andern Mittelpunkt kannte als rastlose Forschung, kam das eigentlich bewegende Leben in die deut sche Literatur. Für ihn gab es keine Autoritäten; er brach mit der Schulgelehrsamkeit und fragte den Glauben, die Offenbarung selbst nach dm Gründen. — In alle Richtungen der Kunst und philosophischen Wissenschaften, in Theologie und Aesthetik brachte er die befruchtende Anregung."
Franz Sandvoß**) „Lessing war ein Apostel der Humanität, ein strahlmdes Muster deutscher Redlichkeit, deutschen Fleißes, deutscher Geistestiefe."
•) Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung.
Zweite Ausgabe 1862.
”) In seinem Aufsätze: Lessing, Goeze und Röpe, in No. 185 der er sten Beilage zur Vossischen Zeitung vom 10. August 1862. Vergl. „Johann Melchior Goeze" Eine Rettung von Dr. Georg Reinhard Röpe, Hamburg 1860. Heroldsche Buchhandlung, und die dadurch hervorgerufene Gegenschrift: „Lessing und Goeze." Ein Beitrag zur Literatur- und Kirchengeschichte des acht zehnten Jahrhunderts. Zugleich als Widerlegung der Röpeschen Schrift von August Boden. Leipzig und Heidelberg. C. F. Wintersche VerlagShandlunz 1862. In der Vorrede zu seiner Schrift sagt Röpe: „Die Verehrung gegen den gro ßen Schriftsteller, die willige und freudige Anerkennung alles dessen, was er in der Kritik, Poesie und Archäologie Großes und Herrliches geleistet, bleibt jeden falls bestehen; und wer Lessing wirklich als einen Wahrheitsfreund erkannt hat, wie er es denn sicher gewesen ist, muß doch auch zugestehen, daß derjenige in LessingS Sinn handelt, der ein von ihm gethaneS Unrecht wieder gut macht, so fern es nur in der Wahrheit geschieht und in der Liebe." — Boden dagegen spricht in der Vorrede zu seiner umfassenden und tief eingehenden Gegenschrift die Hoffnung aus, daß, „wer den großen Mann wahrhaft zu schätzen weiß, mit Ver gnügen und Befriedigung wahrnehmen werde, wie gerechtfertigt er auch in seinem Streite mit Goeze nach dem von ihm hergestellten und un verfälscht wiedergegebenen Thatbestände desselben dastehe."
222
C. Heble r.*>**) „Lessings Kampf gegen Es waren
nicht
allein
ihre
die Franzosen
war
kein blos ästhetischer.
schlechten Tragödien, ihre Witzeleien ohne
ihr esprit ohne Geist, waS ihn ärgerte ; es empörte ihn der na
Witz,
tionale Hochmnth, womit dieses Schlechte
auf dem einen Nheinufer für
gut ausgegeben, und die nationale Demuth, womit es auf dem andern
abgenommen und nachgcäsft wurde. — Eine der 1759 erschienenen Fa beln lautet:
„ „Nenne mir ein so geschicktes Thier, dem ich nicht nach
ahmen könnte!""
so
prahlte der
Affe
gegen
den Fuchs.
Der Fuchs
aber erwiderte: „„Und Du, nenne mir ein so geringschätziges Thier, dem
Dir nachzuahmen.""
es einfallen könnte,
Schriftsteller meiner Nation!
Mutz ich mich noch deutlicher erklären?""
ist Lessing bekanntlich
nichts angelegener,
Auch
in der Dramaturgie
als seine Landsleute von der
Ueberschätzung des Ausländischen, besonders des Französischen,
zurückzu
bringen, sie zu vermögen eine eigene Nation sein zu wollen — hierin
sollten sie den Franzosen nacheifern, nacheifern z. B. in dem patriotischen Stolz auf die Thaten der Vorfahren und in der Dankbarkeit gegen die
Dichter, welche diese Thaten verherrlichen. — „Wohl verfocht Lessing sein Vaterland mit aller Wärme gegen die
Fremde, aber ganz gewiß würde er, wenn sich seine Nation Uebergriffe
sie — in ihrer Mitte —
erlaubt hätte, gegen letzten
genommen
Er war
haben.
wenig als in Liebe,
geschweige denn,
die Pattei
kein Franzosenfresser,
wie
es
sonst
der ver
in Haß
vorkommen
so
mag,
nach einander in beiden."
V i l m a r." ) „Lessings Leben und ein Theil seiner literarischen Thätigkeit pflegt
auf viele beim ersten Anblick nicht den günstigsten Eindruck zu machen, es scheint ihn eine nie gestillte Unruhe hin- und herzutteiben, eine fast
planlose Vielgeschäftigkeit zu verzehren.
In
*) Lessing-Studien.
zu zerspalten
diesem Tadel
Bern.
und
seine Kräfte
vor der Zeit
liegt allerdings etwas Wahres; bald
Verlag von Huber und Comp. 1862.
**) Geschichte der deutschen National-öiteratur
Neunte Aufl.
Marburg. 1862.
223 in Leipzig
bald in Berlin
in Leipzig
und wieder
und in Berlin,
Breslau, Hamburg und Wolfenbüttel und nirgends befriedigt,
in
nirgends
zufrieden, mit unzähligen Plänen beschäftigt und rastlos thättg, und doch,
mit verhältnißmäßig wenig Ausnahmen nur Vereinzeltes und Zufälliges hervorbringend — so finden wir ihn;
Zerstreuung und Vielgeschäftigkeit,
aber
könnte
wer
bei
all dieser
dieser Beweglichkeit und Unruhe
bei
die innere feste Einheit der kräftigen Seele, die tiefste Ruhe des klarsten die unerschütterte Selbstständigkeit eines den Außendingen
Bewußtseins,
überlegenen starken Geistes verkennen? — Mit einer Ueberlegenheit gegen
die kein Widerspruch aufkam, mit einer Scharfsichtigkeit, der nichts ver
borgen blieb, mit einer Aufrichtigkeit und Offenheit, die nichts verschweigt, nichts beschönigt,
werden.
der Zeit
mußte
ihre Aufgabe
Und das hat Lessing gethan.
und ihr Ziel gezeigt
Durch ihn erst ist die Abhän
gigkeit von unsern modernen Nachbarn, den Franzosen, völlig gebrochen, durch ihn der drohenden Unterordnung unter die Engländer eine Schranke
gesetzt, durch ihn das strenge Maß und die durchsichtige Form der An tike zu unserm Maß und zu unserer Form erhoben worden.
cher Weise
gleicher Schärfe
mit
und
Zn glei
gegen
sich Lessing
richtete
den
großen Duns, wie er ihn nannte, gegen Gottsched und dessen geistlosen
Formelkram,
wie
im Messias,
gegen die unfähigen Bearbeiter und Nachahmer des Horaz,
gegen Klopstock
(den Dichter Lange),
wie
und dessen gestaltlose Darstellungen,
gegen den
neuen Nachahmer der Franzosen,
seinen alten Freund Weiße, gegen die breite Fabeldichtung des Hagedorn
Gellett und Lichtwer,
und
gegen die Lehrpoesie überhaupt,
wie gegen
die Sucht in der Poesie zu schildern und zu malen; er stellt wie Bod
mer die erfindende, schöpferische Kunst des Dichters als erstes Erforder
niß der wahrhaften Dichtung auf,
aber
neben
die Kraft
setzt
er das
strengste Maß und die festeste Regel: im Drama gilt ihm neben Sha
kespeare, den zwar Wieland zuerst 1762 übersetzte, auf den aber Lessing zuerst mit vollem Bewußtsein und vollem Erfolge hinwies,
der Kanon
des Aristoteles.
„Diese reinigende,
nicht zerstörende, das Herkommen vernichtende,
aber eine neue Regel schaffende, lebm,
Mitfortschreiten,
diese
überall zum Mitforschen,
auffordernde Kritik,
wie
sie
noch
Mit-
niemals in
Deutschland vorhanden war und seitdem nicht wieder vorhanden gewesen
ist, hat Lessing zunächst in seinen didaktischen und kritischen Schrif deren Aufzählung
ten bewiesen,
hervorzuheben, Prosa,
der
daß
er
Erzeuger
Eigenthümliche
derselben
nächst der
nicht hierher gehört. Luther,
modernen
ist
die
der
zweite
Prosa
Darstellung
Wohl Schöpfer
geworden des
ist.
aber
ist
unserer
Das
dialektischen
224 Processes
seiner
vollen
in Lessings Styl
wir hören
welchem
in
ein
gleichsam
Wahrheit
ein
höchsten
und
belebtes
geistreiches,
treffender
den
auf
Gedanke
Lebhaftigkeit;
Gespräch,
andern
in
wartet,
einer den andern hervorlockt, einer von dem andern abgelöst, durch den
andern berichtigt, gefördert, entwickelt und vollendet wird; Gedanke folgt auf Gedanke, Zug auf Zug, im heitersten Spiele und dennoch mit un
fast zauberhafter Gewalt
begreiflicher,
fortreißend, beredend, überzeugend,
auf
uns
uns mit
eindringend,
wir können uns der
überwältigend:
Theilnahme an dem Gespräche nicht mtziehm, wir glauben selbst mitzu
reden, und zwar mit solcher Lebhaftigkeit, Klarheit, Bestimmtheit mitzu reden,
wir
wie
Widerlegung,
Zweifel und Erläuterung wechselung,
niemals
noch
sonst
Zugeständniß
und
folgen
gesprochen
Beschränkung, aufeinander
in
Antwort,
und
ununterbrochener Ab
bis alle Seiten des Gegenstandes nach
kehrt und besprochen sind,
Einrede und
haben; Frage
einander herausge
daß doch bei einer einzigen nur einen
ohne
Augenblick länger verweilt würde, als zur vollständigen Darlegung der selben nöthig ist:
da ist
kein müßiger Gedanke,
kein
ausschmückender
Satz, kein überflüssiges Wort, nichts was nur angedeutet,
halb ausge
sprochen, dem Besinnen und Errathen überlassen wäre, der Gegenstand muß sich unserm Denken,
unserer Anschauung ganz und gar hergebm;
er wird vollständig durchdrungen,
aufgelöst und in unser innerstes gei
stiges Leben hineingezogen, unserm Geiste im Ganzen und in allen feinen Theilen assimilirt.
„Diejenige Gattung
der Dichtkunst,
in
schaffend
welcher Lessing
und Weg bahnend auftrat, war das Drama. — Minna
von
Barnhelm.
„Specifisch erhaben über seine Zeit
wurde das Stück dadurch,
daß es zum Hintergründe die großen, welt
bewegenden Begebmheitm
des siebenjährigen
Krieges hatte,
und
zum
Inhalte ein nicht bloß gemachtes sondern ein wahres Leben, eine nicht
in dm engen Schrankm häuslicher Zufälle und kleinlicher Verlegmheitm sich bewegmde, sondern aus dem großen Conflict der Völker und Staa
ten entsprossene Handlung,
nicht Zustände,
für
Gang des Stücks Theilnahme künstlich erweckt für welche dieselbe bereits vorhanden war, bei einzelnen Klassm der Gesellschaft,
selbm,
ja
bei dem
Volke,
so daß
und
welche
erst durch dm
werdm mußte,
sondem
zwar nicht etwa allein
sondem bei dem
wir Minna
Ganzen
der-
von Barnhelm mit
Recht als unser erstes Nationalbühnenstück, als ein Volksdrama, so wett dasselbe
damals überhaupt noch möglich war,
bettachten,
und es
fortwährend unfern Bühnen-Dichtern als das bedeutendste Muster
der Behandlung historischer Stoffe für das Theater Vorhallen müssen.
225 Emilia Galotti.
„Vertritt Minna die lebendigen,
begeisternden Stoffe des Dramas,
nationalen,
so vertritt Emilia die strenge,
feste
Regel, die undurchbrechlichen aber klaren und durchsichttgen Formen, in denen sich eine wahrhafte Tragödie
Seite her wird,
wie
auf lange Zeit hinaus
das
wett mehr zu lernen ist,
genommen.
bewegen
zu
von jener Minna,
hat,
und
von
dieser
Lessings Emilia Galotti noch
bedeutendste Vorbild bleiben, an dem
als an allen Dramen
Schillers
zusammen
Musterhaft ist insbesondere, der Minna gleich, ja sie noch
übertteffend, die Klarheit der Erposition, vortrefflich und wahrhaft klas sisch das Zusammenwirken der Begebenheiten und der Handlung — dies
in einem Grade, wie wir es bis dahin in keinem Drama unse rer Nation wieder gefunden haben — fein und scharf, und doch
und Härten,
alle Ecken
die Zeichnung
der Charattere, so
daß
darin kaum Goethe in seinem Tasso mit Lessing wetteifern kann.
Die
ohne
Sprache des Stücks ist die gemessenste,
die sich denken läßt.
knappste,
Verehrer Lessings haben sie, nicht um ihn zu loben, epigrammatisch genannt, Goethe bezeichnet sie als
so gab auch mit
Tragödie betrifft,
ganze
folgende
Zeit,
Was den Stoff dieser
lakonisch.
den Ton
diesem Lessing
für Schiller
für
die
selbst und alle Nachfolger des
selben und noch für unsereZeit an: den der bürgerlichen Tragik." Nathan.
„Erwähnenswerth ist noch besonders, daß Lessing durch
dieses Drama den
schon
von T. Heinrich Schlegel
Weiße u. A. versuchten fünffüßigen Zambus
angebahnten,
von
zum stehenden Verse
des Dramas für unsere ganze Zeit erhoben hat."
Heinrich Düntzcr.')
„Wir haben
den
reichen Gehalt
der Dramaturgie ausführlich
zu entwickeln gesucht.
Den schärfsten, in das Wesen der Kunst eindrin
genden Beobachtungen
und Lehren begegneten
dem eifrigsten Bestreben,
Wege zu zeigen, Dichter
wir hier überall, überall
dem noch unmündigen
und Schauspieler
deutschen Drama die
mit dem Geftihle
hohen Würde ihrer Kunst zu durchdringen, deren Preis
nur
von der dem aus-
dauerndsten Ringen einer begabten Natur zu Theil werde, die Zuschauer von ihrer leeren Unterhaltungssucht und niedrigen Geschmacklosigkeit zu einem höhern Standpunkt zu erheben und auf diese Weise alle auf Das-
*) Lessing als Dramatiker und
Klassikern.)
VI. Abtheilung.
Dramaturg.
Wenigen Jena.
(Erläuterungen zu den deutschen
1862.
226 — jmige hinzuweisen, was Noth thue, aber nur durch edles gemeinsames Zusammenwirken zu erreichen stehe."
—
„Das erste wahre Lustspiel, die erste Tragödie und das erste einen
hohen Gedankm der Menschheit in belebter Gestaltung ausführende rüh
der auch auf dem Felde
rende Schauspiel verdanken wir dem Manne,
edelster Aufklärung so manche Schlachten siegreich geschlagen: aber auch er sollte dem Loose des stärksten der hellenischen Helden, des unsterblichen Achill nicht entgehn, auch ihn sollte, so
lange er das Licht der Sonne
schaute, bitterstes Wehe fressen."
Gustav Freitag.*)
„Der den Laokoon und
die Dramaturgie schrieb, war selbst
ein Dichter; und Goethe und Schiller, dieselben Männer, denen der
Born der Erfindung
so voll
und reich
strömte, blickten auch mit der
gespannten Aufmerksamkeit ruhiger Gelehrten in seine Fluth, die Lebens gesetze ihrer Dramen, Romane, Balladen untersuchend."
Heinrich Lang.**) „Nirgends hat es sich mehr bewähtt,
daß
der Styl der Mensch
ist, nirgends wird von dem gedruckten Blatte der Charatter so treu und klar zurückgespiegelt. —
„Aus jedem Stein schlägt er Funken und wo er seinen Stab hin
legt, entspringen Quellen. — „Wenn
seit
der Mitte des
schwerfällige Büchergelehrsamkeit
durch eine geistreiche,
18ten Jahrhunderts die massenhafte,
im Allgemeinen verdrängt
lebensvolle Behandlung
ist
der Wisienschaften, wenn
überhaupt seit dieser Zeit ein neues Bildungs-Ideal
kommen
worden
unter
uns aufge
ist, das Ideal einer dem Fachgelehrten wie dem Nicht
gelehrten gemeinsamen, allgemeinen, rein menschlichen Bil
dung, so
hat Lessing zu dieser Umwandlung des öffentlichen Geistes
dm ersten nachhaltigen Anstoß gegeben.
*) Neue Bilder au« dem Leben des deutschen Volkes. 1862. **) Religiöse Charaktere. Dargestellt von Heinrich Lang. I. Baud. thur. Verlag von Gustav Lücke. 1862.
Winter
227 ein Deutscher
„An Gelehrsamkeit
und Keinem seiner Zeitgenossen
an Umfang des Wifsms nachstehend, und doch wie noch nie ein andrer Gelehrter
das
Ausspruch
der
Gegentheil
Bücherwurms;
eines
größte Kritiker Europas und
Macaulays
nach
doch von einer schöpferi
schen Tiefe und Kraft, die in der Poesie unvergängliche Werke schuf und in allen Gebieten, auf denen sein Geist thätig
zerstörten Vorurtheile
Stelle der unnachsichtig Gesichtspunkte
die positiven Wahrheiten
und
war,
an
die
beftuchtend die richtigen was er
setzte. — Alles,
behandelt und schreibt, ist gelegentlich, wie ihm durch Ort und Umstände
etwas in die Hände geräth; es sind leichte Papierschnitzel, es sind mei-
stms Flugblätter, Tages hinein
die er
große Ansprüche
ohne
flattern läßt;
aber in
in das
Getriebe des
das Einzelne legt er wie spielend
das Ganze hinein; im Kleinen und Gelegentlichen streift er, überall auf
den Kern, auf das Wesentliche losstürzend, wie der Löwe auf die Beute,
an die letzten Gründe und Ziele der Dinge;
er sich auf das
während
Nächste und Erreichbare beschränkt, sind seine Ideen von so unendlicher Tragweite; was er sagt ist kurz, aber es trifft und erschöpft. verkehrte Richtungen des
öffentlichen Geistes,
Wie viel
die ganze Zeit
in denen
gefangen war, hat er mit ein paar schlagenden befteienden Worten ge zeichnet und gerichtet.
Seine Worte sind wie die Pfeile des ferntreffen-
dm Apollo: glatt und leicht, aber sie gehen in's tiefste Herz. Einer,
Nie hat
weder vor noch nachher, die deutsche Prosa mit so künstlerischer
Vollendung gehandhabt, wie Lessing. „Ueber die gelehrtesten Dinge, in den verwickelsten Untersuchungen spricht er mit der frischen Unmittelbarkeit
Aber die Krone aller
der mündlichen Unterhaltung.
dieser glänzenden Eigenschaften, die den Schrift
steller zieren, ist der große sittliche Charakter.
Er legt in Alles,
was er schreibt, den ganzen Menschen, seinen Charakter hinein. „Man lese seine Minna von Barnhelm,
da ist nicht blos klarer Verstand,
man lese seinen Nathan,
es ist das eigene Herzblut des Dich
ters, mit dem er schreibt und zeichnet, es ist die Gluth der Begeisterung
für die idealen Güter unseres Geschlechts, die den Arbeiten seines schar fen, schneidenden Verstandes jene Wärme, jenen Hauch des Gefühls und
der Phantasie mittheilt, womit er überall zugleich auf das Herz und den Willen des Lesers wirkt;
es
ist nicht
der Verstand,
der
aus Lessings
Werken zu uns spricht, es ist der Mensch, der lebendige Mensch, der sich überall für die Sache einsetzt, zens,
mit
der Energie
mit der ganzen Theilnahme
seines Charakters,
mit
der
seines Her
Leidenschaft
seiner
Wahrheitsliebe, mit dem Enthusiasmus seines Wahrheitsmuthes.
„Schön ist in dieser Beziehung über Lessing
gesagt 15*
worden:
der
228 Drang nach Wahrheit war seine Seele, seine Qual und sein Trost. war der Geist der Unruhe, der
Er
die Trägheit des deutschen Bewußtseins
aufgerüttelt hat. „Minna von Barnhelm, die schönste und gehaltreichste,
man
darf
sagen, die einzige National-Komödie, welche Deutschland besitzt. — Wenn der Vorhang fällt, ist es nicht blos die Beftiedigung des ästhetischen Ge
schmacks, es ist die Befriedigung unseres ganzen sittlichen Wesens, es ist
der höchste Friede eines heitern,
mit
sich
ausgesöhnten
der Welt
und
Gemüthes, womit wir den Schauplatz verlassen. —
„Laokoon, jenes Meisterwerk, darstellte und abgrenzte,
die ewigen Gesetze der Dicht
das
kunst, die Grundgesetze des Schönen
in mustergültiger Weise aust'pürte,
welches dem schöpferischen Sturm und Drang
der Geister, welcher bald hereinfluthete, Maß, Form und Regel
geben
sollte. — „Voltaire und Lessing
—
die zwei
größten
Gegensätze
nach
Charakter und Geistesart innerhalb der Aufklärung des achtzehnten Jahr hunderts.
—
Voltaire behandelt
die Religion
Lessing als Angelegenheit des Gewissens; heiligen Emstes und tiefer Pietät;
als Sache des Witzes,
Voltaire
stivol,
Lessing voll
Voltaire Vertreter der stanzösischen
Aufklärung mit dem kalten Verstandes-Fanatismus, der fteilich gegen die verrotteten Zustände in Kirche und Staat ganz am Platze war, Lessing
Vertteter der eigentlich deutschen Aufklärung mit ihrer kritischen Gewissen
haftigkeit, wissenschaftlichen Tiefe, ächten Toleranz auch gegen den Glau
ben; dort frivoler Witz und Religionsspötterei, hier tiefer sittlicher
und
religiöser Ernst. —
„Seine Geisteswerke aus der letzten Periode seines Lebens (1770—
1781) sind mehr als alle anderen ein Eigenthum seiner Nation, ja der Wer labt sich nicht an dieser heiteren Lichthöhe
Menschheit geworden.
des Dichters und Denkers?
„Aber wie Diele wissen es, daß diese Lichtwerke alle der drückenden
Macht körperlicher und gemüthlicher Leiden abgerungen werden mußten, daß diese Goldkörner der Wahrheit, die jetzt jedes Auge erquicken, welches
die Wahrheit Schachte
lieber
hat
der Trübsal
als
oft
die Finsterniß,
erst
aus
dem
einsamen
heraufgeholt
werden
wissenschaftlicher Erötterung
getrübt
mit blutendem Herzen
mußten! „Wo die Leidenschaftslosigkeit
wurde durch Hochmuth
und Aufgeblasenheit,
verband mit Niedrigkeit der Gesinnung
wo
die Unwissenheit sich
oder gar mit Verfolgungssucht,
da schwang er seine Geißel ganz erbarmungslos und fühtte allen Zorn seines lautern Charakters und alle Waffen seines glänzenden Geistes in
229 — das Feld; da wollte
schliffene, keiner
von Dem nichts hören, waS die zahme, abge
er
kräftigen
Leidenschaft
fähige Welt Anstand und
guten
Ton nennt. — Viele haben damals und jetzt die Kriegsführung Lessings nicht verträglich gefunden Liebe.
Aber diese vergessen,
doch Liebe im Herzen
den Forderungen
mit
christlicher Milde und
daß man mit Kolben drein schlagen und
tragen kann,
— daß
ohne
nichts
Leidenschaft
Großes in der Welt vollbracht wird, — daß auch Christus nicht jenes
heiligen Zorns, mit dem er die Pharisäer und Schristgelehrten vernichtete,
fähig gewesen, wenn sein Herz nicht von Liebe Überflossen wäre. Wenn
Lessing und
Goeze
steht
gegeneinanderstehen,
nicht
Person
gegen
Person, sondern Sache gegen Sache, Gedanken gegen Gedanken, Princip
gegen Princip;
die schließen sich aus und sollen keine Milde und Liebe
kennen; aber derselbe, der eben mit der ganzen Entrüstung seines Wahr
heitseifers im Gegner das falsche Princip und dessen abscheuliche Folgen gegeißelt hat — er würde das Leben des Gegners aus den Wellen oder
dessen Ehre aus dem Munde des Verleumders retten, wenn
sich Gele
genheit böte.
„Lessings „Nathan" — dieses Evangelium der Humanität und der
Liebe, das Evangelium Jesu Christi selber
welcher er bisher am Wenigsten
nach derjenigm Seite,
gekannt und geübt worden.
nach
— Man
hat den Nathan eine Sottise auf das Christenthum gescholten und auch Gemäßigtere haben darin ein Unrecht gegen das Christenthum gefunden,
daß im Nathan die Christen fast alle lieblos und inhuman, dagegen der
Jude und der Muhamedaner als die Vertreter der Liebe und der wah
ren Humanität dargestellt werden. — Wenn Christus, der als Jude zu Juden sprach, in der bekannten Parabel vom barmherzigen Samariter —
dem geistesverwandten Vorläufer des Nathan Träger der
über Nationalität
menschlichen Liebe,
— den Samariter zum
und Glaubensbekenntniß
erhabenen rein
dagegen den jüdischen Priester und Leviten zu Ver
tretern der Lieblosigkeit machen durfte
und machen mußte, sofern seine
Parabel ihren Zweck erreichen sollte — warum soll es Lessing,
Christ zu Christen sprach, zum Vorwurf gereichen, daß er in
der als seinem
Falle eben so verfuhr?
Wäre Lessing Muhamedaner unter Muhameda-
nent gewesen,
um den Lehrzweck seines Gedichtes
er hätte,
an
seinem
Volke zu erreichen, nothwmdig alsdann die Christen und Juden als die
Träger der Humanitätsreligion beschämend dem Muhamedaner gegenüber
stellen müssen. „Aber" — frägt man— „was ist die Lehre des Stücks? Auf waS
läuft der Nathan hinaus?
Doch am Ende auf den trostlosesten Jndiffe-
rentiSmus und Skepticismus!
Es ist gleichgültig, was Du glaubst,
ob
280 Du ein Jude oder ein Türke oder ein Heide oder ein Christ bist, wenn Du nur rechtschaffen lebst.
läßt sich doch nicht finden,
Die Wahrheit
der ächte Ring kann doch von den falschen auf Erden nicht unterschieden werden! Das soll Lessing
haben lehren wollen, Lessing, dem der Drang
nach Wahrheit seine Seele, seine Qual und sein Trost war!
unablässigen
Wahrheitsforschung
den
einzigen Werth
Der in der
Lebens
des
er
kannte? — Nur eine völlige Gedankenlosigkeit kann das in Nathan und
überhaupt
in Lessings Denkungsart
finden.
Nein!
Es
ist gar nicht
gleichgültig, was und ob Du Etwas glaubst, ob Du eine Ueberzeugung habest oder keine. — Seines Glaubens, des Glaubens, der Jedem sein
innerstes, heiligstes Eigmthum ist, weil er seiner Geistesanlage und seinen
Gemüthsbedürfnissen entspricht, weil er ihn
sich erworbm durch Kampf
und Anstrengung, durch Benutzung aller ihm gegebenen Bildungsmittel, durch Nachdenken und
unablässiges Ringen — diesen Glauben an die
Wahrheit, diese innerste Selbstgewißheit der Wahrheit als eines ihn be seligenden Gutes, muß Jeder haben,
der
nicht
unbeständig
sein
will
— „Aber sollte mit dieser Ausprägung
„„in allen seinen Wegen"".
der eignen Individualität und Ueberzeugung die Toleranz,
die liebe
volle Anerkennung fremder Individualität
nicht ver
und Ueberzeugung
einbar sein? — Jeder forsche, prüfe, untersuche und fördere das gemein
same, nie abgeschlossene Geschäft
der Wahrheitsforschung.
Streit und
Widerspruch der Ansichten kann bei der großen von Gott gewollten Ver schiedenheit der Menschen nicht ausbleiben;
nie vergessen, daß ihre erste
sein, das allen
aber die Streitenden sollen
Menschen zu
und letzte Bestimmung ist,
gemeinsame,
rein Menschliche,
das
zugleich
das wahrhaft Göttliche ist, in reiner Sittlichkeit und selbst
verleugnender, entwickeln.
opferfreudiger
Liebe
auszubilden
und zu
Das ist der Grundgedanke des Nathan."
Lessing der Dichter.
„Man hat ihm wollen den Dichterberuf ab
sprechen. — Aber wer wird es glauben, daß man eine Minna oder einen
Nathan nur aus dem Aermel der Kritik schöpfen könne, ohne ein ächtes, tiefes Dichtergemüth
voll
unbefangener Lust und Liebe
zu Welt
und
Menschen, ohne schöpferische Phantasie, ohne erhöhtes Gefühlsleben? — „Das ist das Große an Lessing: Das stete Beisichsein des Geistes;
nicht blos der klare Verstand,
der immer
sondern der Manneswille, der Charafter.
die Zügel
in der Hand hat,
In dem rauschenden Strome
des Weltlebens in Breslau, in der sorglosen Stimmung der Freude ver gißt er die objectiven Zwecke der Wissenschaft, die allgemeinen Jntereffen
der Menschheit, die eigene Lebensaufgabe eben so wenig als am Sterbe
bette seiner Frau und seines Kindes.
Seiner Stimmung
läßt
er dm
231 vollen Lauf, die Freude, wie den Schmerz hat er mit kräftiger Empfäng lichkeit durchgekostet, aber er ist immer bei sich,
in des Wortes
tiefster Bedeutung.
er ist stets ein Mann
jene Formvollendung, mit
Daher
welcher er fortgerissen von seiner Meinung doch wieder
über
derselben
steht, den tiefsten Schmerz sich gegenüberstellt, belauscht und nach seinem eigenthümlichen Wesen in Worte faßt.
„Ist das nicht der Dichter, der mit einer gewaltigm Seelenstim mung, mit kräftiger Leidenschaft,
und tiefster Empfindung
wieder
des Gefühls
leichter Erregbarkeit
mit
jene Ruhe
und Klarheit
des Geistes
verbindet, mit welcher er im Stande ist, den inneren Sinn gen und die innere Erfahrung geläutert in
den Rahmen
Aber das ist eben auch der große Charakter.
zu süssen?
zum Dichter macht,
zu bewälti-
der Dichtung
Was Lessing
das macht ihn in einem gewissen Sinne zugleich
Liegt nicht das Geheimniß der Gesundheit,
zum großen Menschen.
welches uns aus allen Geisteswerken Lessings in
so einziger Weise ent
gegenweht, eben zumeist in dieser kräftigen und harmonischen Ausbildung
von Geistesvermögen,
von
Menschen so leicht das Eine tritt?
denen
Gesinnung,
Anderen,
auch
ausgezeichneten
oder Andere einseitig hervor- oder zurück
Der Klarheit seines Geistes,
Tapferkeit seines Willens
bei
stand
dem Umfange seines Wissens, der
der Adel der Seele, die Lauterkeit der
die Wärme des Herzens, ebenbürttg zur Seite, und wenn
in seiner geistigen Verfassung überhaupt von einem Zuviel
geredet wer
den dürste, so wäre es ein Zuviel auf Seiten des Herzens, ein Ueber
maß der Herzensgüte."')
•) „Ich habe ihn öfter«! vermahnt," erzählte Garves würdige Mutter, als daö
Gespräch zu Breslau im häuslichen Kreise auf Lessing kam, „bedachtsamer in seiner Freigebigkeit zu sein und an sein künftiges Alter zu denken.
aber:
„„Hoffentlich wird es mir nicht an Geld fehlen,
Er antwortete mir
so lange
ich
diese drei
Finger habe, und es hier — aus die Stirn zeigend — nicht fehlen wird.""
ihm einst vorgestellt wurde, entgegnete er:
Als
daß der Bittende die Unterstützung nicht verdiene,
„„Ach Gott, wenn auch wir nur bekämen,
dienen, wie viel würden wir dann wohl haben!""
was wir ver (Mitgetheilt von
Dittmar in der Zeitschrift: Geschickt« und Politik, herauSgeg. von Ä. 8. Wolk
in ann.
I.
Berlin 1800., nach Guhrauer II. 328.)
232
Dr. Dietrich.*) „Wenn jetzt ein
sagen,
den
daß
sich
an
ein
anderes
so
lebte und schriebe,
Lessing
Schriften
solche
aus
die
Publicum,
einem solchen recht zugänglich sein.
ein
würde ich nicht
Sie
gehörten.
Schule
reiferes,
richten
und
wür
nur
aber Gotthold Ephraim
Nachdem
Lessings Werke hundert Jahre lang in unserm Volke gewirkt,
nachdem
Lessingsche Gedanken mit in Fleisch und Blut wenigstens der Gebildeteren
in demselben übergegangen sind,
kann auch die Heranwachsende Jugend
der gebildeteren Kreise angeleitet werden, an der Quelle selber bei ihm zu schöpfen und in diesen klaren Brunnen sich zu vertiefen. — In der
That sind sie es werth wegen all der großen Vorzüge, die wir an ihnen
und ruhigen Hellen Klar
Dieser durchdringenden Schärfe
bewundern.
heit des Denkens, dieser einfachen und festen Bestimmtheit und der un
gequälten
schmucklosen Angemessenheit des Ausdrucks, der unerschütterli
chen, selbstlosen Wahrheitsliebe beim Forschen, der neidlosen und strengen
Gerechtigkeit gegen Freund und Feind beim Beurtheilen, des nachdrück» lichen Zornes gegen nichts, als gegen hohle Anmaßung, Falschheit und
Tücke.
Es bedarf nicht meines Preises, um der Würdigkeit und Wort»
richtigkeit der hier
für unsere Jugend
kennung zu verschaffen.
gewinnenden Nahrung Aner
zu
wie die Begriffe und
Man kann in der Art,
Gedanken so in ihre einfachen Elemente
und aus denselben zu
zerlegt
sammengesetzt und mit mäßigen festen Schritten ruhig weiter
entwickelt
werden, eine Aehnlichkeit mit manchen Schriften von Plato finden, aber
in das Spitzfindige,
Sophistische
verliert
sich
diese Art hier fast nie.
Durch die Richtigkeit und strenge Angemeffenheit des Ausdrucks werden
wir an Ciceros einzige Proprietät der Sprache erinnert, aber wir haben hier stets die keusche Sprache stiller uneigennütziger Forschung, dort die
den Glanz suchende und selbst den Prunk nicht verschmähende Rhetorik, welche von dem Gewirre des Markts ausgehend bis in die philosophische
Einsamkeit hinein sich geltend macht. nach Wahrheit mag ihm Kant Wahrheit
darzustellen
In
dem
verglichen werden;
ringt doch Kant
unparteiischen Suchen aber
die
gefundene
immer mit der Form und mit
dem ihm widerstrebenden Mittel der Sprache, die Lessings Geiste willig
folgt,
und
leicht fügt.
stets
über
sich in seine einfachen,
aber auch nie verletzenden Formen
So könnte man den Ernst seines sittlichen «Strebend, seine
das Gemeine und Gewöhnliche
hinaus auf das Höhere ge-
*) Gymnasial Direktor zu Hirschberg in Schlesien. Aut der Zeitschrift für daS Gymnasialwesen. Verlag von Chr. 8r. Enslin. Berlin 1862.
233 hmde Richtung mit Schillers oder wiederum mit Kants Wesen verglei Aber es ist eben die besondere Vereinigung
chen.
schaften, durch welche Lessing unvergleichlich ist;
aller dieser Eigen
um dieser Vereinigung
willen verdient er theils neben, theils vor diesen und den meisten andem Heroen der Literaturen studirt zu
werden
und
von
der Jugend grade
Zumal in unserer Zeit, wo vermöge des riesenhaft
studirt zu werden.
sich steigenden persönlichen und literarischen Verkehrs und bei dem immer lebhaftem ja heftigen Kampfe der Meinungen in Politik, Religion und
allen möglichen Gebieten des
geistigen Lebens Anschauungen und Vor
verwirrender Mannigfaltigkeit und
Gedanken und Lehren in
stellungen,
Gegensätzlichkeit schon auf die jugendlichen Geister einstürmen, und diese
vor Allem Fähigkeit zu denken und zu urti) eilen brauchen. — „Doch
es
ist
nicht
blos
formale Charakter der Lessingsche»
der
Schriften, um deswillen sie vorzugsweise auf der Schule verhandelt zu werden verdienen; auch ihres Stoffes und Inhaltes wegen empfehlen sie Indeß wird
sich dazu vor andern.
Scheidung
unter
den
allerdings in dieser Beziehung eine
einzelnen Schriften
wird man besser dem Schüler zu eigener
zu machen fein.
Manches
stiller Lectüre empfehlen und
überlassen, Manches wird er ohne Schaden oder sogar mit mehr Nutzen
fürs Erste ungelesen lassen. „Es wird wenig Widerspruch finden,
den meisten Werth unter den
wenn ich für unseren Zweck
ästhetischen Schriften Lessings vor Allem
den Abhandlungen über die Fabel und über das Epigramm, dem Laokoon, der Hamburgischen Dramaturgie zuspreche. mensten,
die einflußreichsten,
die am dauerndsten wirkenden von seinen
prosaischen Schriften überhaupt;
hören ihnen vorzugsweise an. Universität geht,
Es sind die vollkom
alle die oben bezeichneten Vorzüge ge
Sie sollten von Keinem, der zur
ungelesen sein,
von keinem nur oberfläch
lich gelesen."
Richard Gosche.") „Die Ruhelosigkeit,
welche
ein dämonisches Schicksal zieht,
sich
durch Lessings ganzes Leben wie
wird in ihrer Bedeutung für das All-
*) Lessing in Berlin, aus der Zeitschrift: „Unser Vaterland." Blätter für deutsche Geschichte, Cultur und Heimathskunde. Herausgegeben von D. Proehle. Berlin, 1862. £. Seehagen.
234 gemeine durch den in sich
sichern Charakter des einzigen Mannes und
durch seine scharfe Erkenntniß
letzten Ziele auf so
der
Weise verklärt, daß jeder Aufenthaltsort,
eigenthümliche
wenn er ihn noch so zufällig
gewählt zu haben scheint, dennoch zu einer wichtigen Station für seinen
und den unserer deutschm Literatur erhobm
eigenen Entwickelungsgang wird.---------
„Berlin nahm unter allen Städten, welche Lessing in seinem un widerstehlichen Bildungsdrange aussuchte,
eigenthümlichste Stellung
die
Denn es war nicht mit dem kleinen Paris, Leipzig, zu vergleichen,
ein.
noch mit dem selbstbewußtm kaufmännisch aristokratischm Hamburg, son
dern
ihm
hatte
der Beisatz einer französischen Bevölkerung einen sehr
bestimmten Charakter ausgeprägt. Edikts
von
hatten die
Nantes
Seit der Aufhebung
— —
Refügiös, welche einen sehr acht
baren Bruchtheil des französischen Volkes ausmachten, ristisch getheilten Zügen
nach
sich in charaktedie Kaufleute
gewendet:
und
nach Deutschland kamen Gelehrte, Künstler, Militärs
und
Handwerker.
die
dem Auslande
nach Holland, England
und die Jndusttiellen gingen Dänemark;
des
vorwiegend
Brandenburg wurde diesen französischen Colonisten durch
Hochherzigkeit
des
großen Kurfürsten
und
seiner Nachfolger
aufgethan und sie haben sich dankbar bewiesen, nicht allein in den Rich-
tungen des äußern, auf mechanische Künste oder Handel gerichteten Le
Zn demselben Zeitalter
bens.
des Kurfürsten Friedrich Wilhelm hatte
der brandenburgisch-preußische Geist seine Augen aufgeschlagen und schaute
sie
kamen in den zugleich
charaktervollen und doch französischen Refügies.
In der Hauptstadt des
Bildung verlangend nach Lehrmeistern um; jungen preußischen Staats
entwickelte sich
eine Bildung,
welche
durch
und durch französisch war, aber, frei von allen Beschränktheiten des Zu sammenhanges
mit
den
Zufälligkeiten
der
polittschen
und
kirchlichen
Verfassung des Heimatlandes, vertteten durch Männer, welche der Ho heit oder auch nur des Eigensinns
eines Martyrerthums
fähig waren;
in dem Mittelpuntte des norddeutschen Lebens tauchte der scharfkrittsche, unerschrocken verständige und dabei sich populär leicht vermittelnde fran
zösische Geist auf,
um
in
derselben Weise
den Berliner Geist zu er
ziehen, wie sie etwa ein Jahrhundert früher Descartes in seiner Unter suchung über die Methode für Frankreich selbst vorgezeichnet hatte. —
„Dieser kritischen und klaren Richtung, wie sie sich in Berlin ent wickelt hatte, mußte Lessings ganze Art verwandt begegnen.--------- Aber
Lessing,
bei seiner Strebsamkeit und sittlichen Anlage, war weit davon
entfernt,
sich mit einem noch so glänzend
begnügen: er mußte einen Jnhatt haben.
entwickelten Formalismus zu
235 „Einen solchen Inhalt hatte Friedrich der Große der Begeiste
rung und dem Denken seines Zeitalters verliehen, ihm die großen Prin
In
cipien der Selbstgewißheit und der Nationalität wieder hingestellt.
den großen und klaren blauen Augen des einzigen Fürsten und in seiner noch tieferen und klarerern Seele der Bewegungen
spiegelten
des 18. Jahrhunderts
sich diese
mußte Lessings ganzes Interesse entgegen fliegen;
sich überall fest auf sich
selber stellte,
beiden Momente
erkannt
scharf
er,
vermochte
wieder.
Ihm
der Kritiker, der
den Fürsten zu ver-
stehen, der seinen Staat auf seine eigene Kraft, gegenüber einer Ueber-
macht anweisen wollte;
heraustretend aus der Bildungsschule des fran-
zösischen Formalismus,
hatte er selbst schon seinen Blick auf die Mög
lichkeit einer nationalen deutschen Poesie gerichtet und sah nun, wie der preußische Trommelschlag das von ihm gesuchte Volk schon erweckte, wie es lebmdig wurde in den Trümmern des heiligen römischen Reichs, wie der theatralisch decorirte Tempel im Süden, der noch das-deutsche Reich
bedeutete, zu wanken begann, wie der Schwerpunkt der deutschen Geschichte sich verrückte und im Norden
sich das Leben
dem Rufe des großen Preußenkönigs warum;
man rieb
und
sammelte.
wußte
nicht
Man
folgte
recht bestimmt
sich noch den Schlaf des heiligen römischen Reichs
aus den Augen, man hatte fast so absichtslos die Augen aufgethan wie
schlummernde Kinder, denen
zufällig die Sonne ins Gesicht scheint —
das neue deutsche Reich war im Anzuge, — — „Lessing ging nach Berlin
als
typisches Vorbild des deut
schen Geistes, der nach dem Preußen Friedrichs des Großen strebt. — —
„Vor Allem muß man hier einen
sittlichen Zug bewundern,
der
ihn zur schärfsten Opposition gegen alle Hohlheit und Pedanterie führt; der junge Schriftsteller, den heiterer Witz und unerschöpfliche Laune in
allen Kreisen willkommen erscheinen ließen, nimmt sich in der Residenz
stadt Berlin mit ihrer so sehr gelockerten Sittlichkeit die Mühe,
dogmatische und sittliche Fragen
zu
bereits
erörtern und den Grund zu jenen
religiös-philosophischen und geschichtlich-philosophischen Betrachtungen zu legen, welche sein späteres Leben krönen.
Dabei bricht überall eine na
tionale Begeisterung durch, die ihn schon in die bestimmteste Opposition zu dem Französischen bringt;
ihn schmerzt es, daß der deutsche Dichter
Klopstock eine dänische Pension bezieht, und er läßt gern seine Begeiste rung
für Friedrich
den Großen
Weltweisen machen mußte,
weil
durchbrechen,
sie ihn
„„den
die Natur zum
zu einem Urbilde der Könige
machen wollte."" — —
„In Minna von Barnhelm leuchtet Lessings Patriotismus in
236 einem concentrirten Glanze zum Letztenmale auf.
In diesem Lustspiele
liegt der ganze Gewinn seines Breslauer und überhaupt seines preußi überall in der weiten geschichtlichen Perspective sehen wir
schen Lebens:
die machtvolle Gestalt Friedrichs des Großen so deutlich durchschimmern,
daß späterhin das Hamburger Theater für die Aufführung eine officielle Erlaubniß von Preußen
nachsuchen zu müssen glaubte;
in dem verab
schiedeten Officier Tellheim zuckt der volle Stolz des Standes und die ganze
tiefbegründete
des
Empfindlichkeit
Ehrgefühls,
naive Uebermuth des sächsischen Fräuleins sich von
Rücksichten ihres Standes
stellt
übrigen Personen
während
der
allm herkömmlichen
der Treue und der Natürlichkeit der
befreit;
der Dichter
mit tiefbedeutsamem Spotte einen
französischen Repräsentanten der schwindelnden Aeußerlichkeit gegenüber. Das Ganze ist
Friedens,
ein poetisches
Nachspiel
deö
Hubertsburger
eine künstlerische Besiegelung des Friedensschlusies zwischen
Preußen und Sachsen:
der preußische Officier wird von der sächsischen
Schönheit erobert.---------
„Man durfte hoffen, einem Dichter und Forscher von Lessings Be deutung
und eigenthümlich patriotischer Richtung endlich
würdige
eine
Stellung in Preußen zu bereiten und grade jetzt bot sich die passendste
Gelegenheit.
Der Königl. Bibliothekar La Croze
war Anfangs
des
Jahres 1763 gestorben und der von Friedrich dem Großen mit seinem Vertrauen beehrte Oberst Ouintus Jcilius schlug Lessing zum Nachfolger
vor.
Wir wissen nicht, ob der König des Conftictes Lessings mit Vol
taire gedachte, als er diesen Vorschlag abwies: wahrscheinlicher ist, daß der an ftanzösische Eleganz und Leichtigkeit gewöhnte Fürst einem deut
Zu neuen Vorschlägen aufgefordert,
schen Gelehrten nicht traute.
em
pfahl der grade für deussche Gelehrsamkeit begeisterte Oberst den großen
Winkelmann, der aber die eingeleiteten Unterhandlungen in wenig gezie
mender und von ihm selbst bereuter Weise abschnitt. Jcilius noch einmal
in
der wärmsten Weise
ftanzösischen Bibliothekar
König bestand auf einen
zu,
der
statt
und
zurück;
der
ein ironischer
unbrauchbaren Benedictiner Anton Joseph
Zufall führte ihm einen sehr
Pernetty
Jetzt kam Quintus
auf Lessing
eines
berühmten und gelehrten Namensvetters
kam und sich im Jahre 1783 aus Furcht vor dem von einem evange
lischen Geistlichen angekündigten Weltuntergänge davon machte.
„Dies war das Einzige, so lange gehofft,
war
es
und worauf man ihn so lange vertröstet,
fehlgeschlagen.
Bibliothek von etwa 6000 lau erworben
wie Lessing es selbst gesteht, worauf er
hatte,
zu
Er
mußte
Bänden, öttfcuifcn
daran
denken,
und
seine
nun schöne
welche er hauptsächlich in Bres und
sich
anderwärts eine
Stelle
237 zu
Die
begründen:
verändert.
von
denn
Physiognomie
Berlin wegzugehen,
der Residenz
AlS er von Sachsen
hatte sich
ihm jetzt leicht.
schien
in
Lessings
Augen
war
Berlin übersiedelte,
nach
sehr
Alles
in lebendigstem Aufschwünge begriffm; der junge König schien das Jahr hundert bestimmm zu können
und zu
wollen;
der
siebenjährige Krieg
endete nicht so, wie die Anspannung aller Kräfte von Seiten Preußens welcher
für den König,
Der Enthusiasmus
es verdient hätte.
ergriffen hatte,
das ganze begeisterungsfähige Deutschland
vorher
verengte sich
sehr naturgemäß, aber für Lessing, der in seiner universalen Natur im
sehr
tadelnswerth,
mer den Weltbürger über den Patrioten
stellte,
einen ganz realistischm Patticularismuö;
dazu kam, daß eine natürliche
in
Abspannung in dem allgemeinen Leben sich zeigte, die je mehr und mehr
in Unsittlichkeit ausartete. Daher kann er
Das Alles widerstand der Lessingschen Natur.
offen äußern,
Berlin zu verlassen,
daß es ihm nicht
schwer
fallen
werde,
was er überhaupt auf der ver
und bitter fragen,
zweifelten Galeere zu thun hätte. „Im December 1777, als er seinen ältesten Stteffohn, der sich mit dem preußischen Militärwesen bekannt machen wollte, nach Berlin schickte, zog wohl etwas Sehnsucht von ihm mit. — — Da er zuletzt als der
reife Mann in Berlin
alters und seines
erschien,
der in
neuen Vaterlandes
hatte, bemerkte er,
daß
sich alle Anregungen des Zeit
dichterisch
Es fand sich keine Stelle für ihn.
und
hinter ihm
die Umgebung
ethisch
verarbeitet
zurückgeblieben sei.
Aeußerlich und innerlich drückt und
verfolgt ihn eine Art Heimatlosigkeit
bis
an
seinen Tod;
hat kein
er
Vaterland, das von Rechtswegen Preußen sein mußte, und dies trostlose
Gefühl wurde vielleicht llärt.
zuletzt nur durch
seinen Mcnschheitsbegriff ver-
Aber wie eine Ironie erscheint es,
seinem Tode,
daß die Stadt,
welche nicht
fast noch achtzig Jahre nach
wußte,
wohin
sie
Leben stellen sollte, selbst darüber zu zweifeln begonnen hat,
ihn im
wohin sie
am Besten ein nachttäglicheS Standbild von ihm bringe."
Ich hoffe der billigenden Zustimmung des um die Würdigung und
Derehmng Lessings
so sehr verdienten Herrn Verfassers gewiß zu sein,
ja seinen eigenen Wünschen durchaus zu entsprechen, indem ich den letz
ten Wotten, womit hier zugleich
diese
auszüglichen Mittheilungen aus
einigen frühern und gegenwärtigen Urtheilen und Aeußerungen über Les
sings Werth und Wicken abschließen, Folgendes hinzufüge: Wer
immer
über
den Ock
der Aufstellung
Standbildes für Lessing jetzt hier zu die Stadt ist es nicht.
Denn
wie
zweifeln
aus
eines nachträglichen
begonnen
hat, —
den übereinstimmenden Be
schlüssen ihrer gesetzlichen Repräsentanten, des Magisttats und der Stadt-
238 verordneten - Versammlung,
der Antrag
deS
Magistrats bei dem
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom
30. October 1861 hervorging, ein Standbild Lessings
daß mit dem Standbilde Goeches auch
dem Schiller-Standbilde,
als
dem bleibenden
Mittelpunkte, auf dem Vorplatze des hiesigen königlichen SchauspiechauseS
angeschlosien werde,
wie der Magistrat unmittelbar nach der Genehmi
gung dieses Antrags durch die Allerhöchste Cabinets-Ordre vom 6. No vember 1861, am 9. November 1861, dem Schiller- und dem Goe-
the-ComitL seine „aufrichtige Genugthuung über diese erfreu
einer
liche Wendung aussprach
und
der
so
lange
„baldigen
ventilirten Angelegenheit"
völligen
„alle seine Kräfte zu widmen"
Erledigung"
verhieß;
wie er ferner,
Lessings-Comitv
heit
baldige
nunmehr
eines in
einer
Nachricht
großen
am 23.
„von der erfolg
November 1861, den bestimmten Wunsch äußerte reichen Thätigkeit
derselben
definitiv
zu
bildenden
nationalen Angelegen
erhalten,"') so hat er am 29. Mai
zu
1862, nach den vorhergegangenen erneuerten Verhandlungen des GoetheComite vom 7. bis 23. April,
bereitwillig
und
schützenden
in den Wunsch des Lessing-Comite
eingestimmt,
ausdrücklich
„daß
unseres Königs
Ausspicien
das unter
gonnene vaterländische Werk durch Eintracht lichkeit
zur
glücklichen Vollendung
Einen ganz
haben die
sings
und Wendelin
liches lungen
besonders
und
Les
neuern Herausgeber seiner Werke: Karl Lachmanu
von Maltzahn. geblieben,
den oder
Für Alles, was
sonst Verdienst
vorstehenden
auszüglichen Mitthei
darin
genugsam
nicht
wurde, kann nur wiederholt um Nachsicht gebeten werden.
') Beilage X. ') Beilage XI.
Beharr
gelange."")
wirksameu Antheil an der Verehrung
und Dankenswerthes in unerwähnt
den
vertrauensvoll be
gewürdigt
239
Aus Lessings Leben. Die Selbstbiographie. Berlin, den 16. October 1754.
An Johann David Michaelis! „Euer rc. bezeigten in Dero Brief eine für mich sehr schmei chelhafte Begierde, nähere Umstände von mir zu wissen,
genauer zu kennen.
um mich
kann man von einem Menschen ohne
Allein
Bedienung, ohne Freunde, ohne Glück viel Wichtigeres sagen,
als
seinen Namen? Noch kann ich mich durch wenig Anders, als durch
diesen unterscheiden.
Ich bin ein Oberlausitzer von Geburt;
mein
Vater ist oberster Prediger in Camenz. — Welche Lobsprüche würde
ich
ihm nicht beilegen,
wmn
er nicht mein Vater wäre! — —
Er ist einer von den ersten Uebersetzern des Tillotson.
Ich habe
in der Fürstenschule zu Meißen, und hernach zu Leipzig und Wit tenberg studirt.
Man
setzt mich aber in eine große Verlegenheit,
wenn man mich fragt, was? geworden.
An dem letzten Orte bin ich Magister
Ich bin also etwas mehr als ein bloßer Student, wie
mich der Herr Pastor Lange
nennt,
und
etwas
weniger als ein
Prediger, für welchen mich der Herr Professor Walch gehalten hat.
Ich befinde mich seit 1748 in Berlin, und habe mich während die ser Zeit nur ein halbes Jahr
Ich suche hier keinem
andern
an einem andem Orte aufgehalten.
keine Beförderung, und lebe blos hier, weil ich an leben
großen Orte
mein Alter hinzusetze,
welches
ist mein Lebenslauf fertig.
Vorsehung überlassen.
—
sich
Was
kann. — — Wenn ich noch
auf
25 Jahre beläuft, — so
noch kommen soll, habe ich der
Ich glaube schwerlich,
daß ein Mensch
gegen das Zukünftige gleichgültiger sein kann, als ich." —
240
Der Sohn und Bruder. Berlin, den 20 Januar 1749. Hochzuehrende Frau Mutter! — „Erlauben Sie mir, daß ich nur mit wenigen Zügen Ih nen meinen ganzen Lebenslauf auf Universitäten abmahlen darf, ich
bin gewiß versichert,
Sie werden alsdann mein jetziges Verfahren Ich komme jung von Schulen, in der gewissen
gütiger beurtheilen.
Ueberzeugung, daß mein ganzes Glück in den Büchern bestehe.
wo man die ganze Welt im
komme nach Leipzig, an einen Ort,
Kleinen sehen kann.
Ich lebte
Ich
die ersten Monate so eingezogen,
Stets bei den Büchern, nur
als ich in Meißen nicht gelebt hatte.
mit mir selbst beschäftigt, dachte ich eben so selten an die übrigen
Menschen, als vielleicht an Gott.
Dieses Geständniß kömmt
mir
etwas sauer an, und mein einziger Trost dabei ist, daß mich nichts
Schlimmeres als
der Fleiß
Doch cs dauerte
närrisch machte.
so
nicht lange, so gingen mir die Augen auf. Soll ich sagen, zu mei
nem Glück oder meinem Unglück? Ich (ernte einsehen,
Die künftige Zeit wird es ent
die Bücher
würden
mich wohl ge
lehrt, aber nimmermehr zu einem Menschen machen.
Ich wagte mich
scheiden.
von meiner Stube unter meines Gleichen.
Guter Gott! was für
eine Ungleichheit wurde ich zwischen mir und Andern gewahr. bäuerische Schüchternheit, ein verwilderter
eine
Unwissenheit
gänzliche
in
Sitten
Eine
und ungebauter Körper,
und
verhaßte
Umgänge,
Mienen, aus welchen Jedermann seine Verachtung zu lesen glaubte, das
waren die guten Eigenschaften,
niemals empfunden hatte.
die
bei
mir
Ich empfand
Beurtheilung übrig blieben.
die Wirkung
Und
meiner eigenen
eine Scham,
derselben
die
ich
war
der
feste Entschluß, mich hierin zu bessern, es koste was es wolle. wissen selbst wie ich es tigiren.
anfing.
Ich
Ich will in diesem Briefe
nen, ich kann also auch das Gute
diesen Uebungen so weit,
daß
lernte tanzen, fechten, vol-
meine Fehler aufrichtig beken
von mir
wollten,
einigermaßen
Dieser gute Anfang ermunterte mich heftig.
Körper war ein wenig geschickter geworden,
schaft
Ich kam in
sagen.
mich Diejenigen selbst, die mir im
Voraus alle Geschicklichkeit darin absprechen bewunderten.
um nun auch
Sie
leben zu lernen.
Ich
Mein
und ich suchte Gesell
legte
die
emsthasten
Bücher eine Zeitlang auf die Seite, um mich in denjenigen umzu sehen,
die
weit
angenehmer
und
vielleicht eben so
Die Komödien kamen mir zuerst zur Hand.
nützlich sind.
Es mag unglaublich
241 vorkommen, wem es will, mir haben sie große Dienste gethan. Zch
lernte daraus eine artige und gezwungene, eine grobe und natürliche Aufführung unterscheiden.
Ich lernte wahre und falsche Tugenden
daraus kennen, und die Laster eben
so
ihres Lächer
sehr wegen
lichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen.
Ich lernte mich
—
selbst kennen, und seit der Zeit habe ich gewiß über Niemanden mehr weiß
gelacht und nicht
als
über
was mich damals für
eine
gespottet,
mich
Doch
selbst.
Thorheit
überfiel,
ich auf den Entschluß kam, selbst Komödien zu machen.
ich daß
Ich wagte es,
und als sie ausgeführt wurden, wollte man mich vcrsichem, daß ich nicht unglücklich darin wäre. Man darf mich nur in einer Sache loben,
wenn einer haben will, daß ich sie mit wahrem Ernste treiben soll. Ich sann daher Tag und Nacht, wie ich in einer Sache eine Stärke
zeigen möchte, in der, wie ich glaubte, sich noch kein Deutscher all
zusehr hervorgethan hatte.
Aber plötzlich ward ich in meinen Be
mühungen durch Dero Befehl, nach Hause zu kommen, gestört."
(Nun Erinnerungen an die Rückkehr nach Camenz,
maligen
Besuch Leipzigs,
Wittenberg,
Berlins, dann
an
an
in
an die dort überstandene Krankheit, und wie hierauf
der alte Vorsatz erwacht, wieder nach Berlin zu gehen.) und bin noch da,
bcßten.
den aber
den Aufenthalt
in
was
„Ich kam
für Umständen, missen Sie selbst am
Ich hätte längst Unterkommen können, wenn ich mir, was
die Kleidung anbelangt, ein besseres Ansehen hätte machen können.
Es ist dieses in einer Stadt gar zu nöthig, wo man meistens den Augen in Beurtheilung eines Menschen ttauet.
Nun
beinahe vor
hatten Sie mir eine neue Kleidung zu versprechen
einem Jahre,
die Güte gehabt.
Sie mögen daraus schließen,
Bitte allzu unbesonnen gewesen ist. ter dem Vorwande,
hier in Berlin wäre.
als ob ich,
ich
Sie schlagen eS mir ab, un wem zu Gefallen
weiß nicht
Ich will nicht zweifeln, daß meine Stipen
Ich
dien wenigstens noch bis Ostern dauern sollen. daß meine Schulden
ob meine letzte
genugsam
damit bezahlt
werden.
glaube also,
Aber ich
sehe wohl, daß die nachtheilig gefaßte Meinung von einem Men
schen, der, wenn er mir auch sonst nie Gefälligkeiten erzeigt hätte,
mir sie doch gewiß jetzt erzeigt, da sie mir just am nöthigsten sind, daß, sage ich, Ursache ist,
zuwider sind. Welt hielten.
diese nachtheilig gefaßte Meinung die vornehmste
warum Sie mir in meinen Unternehmungen so sehr
Es scheint ja, daß Sic ihn fiir einen Abscheu aller Geht
dieser Haß nicht zu weit?
daß ich in Berlin eine Menge
Mein Trost ist,
rechtschaffner und vornehmer Leute 16
242 finde, die eben so viel aus ihm machen, als ich. Doch Sie sollen sehen, daß ich nicht an ihn gebunden bin. Sobald ich eine noch malige Antwort von Ihnen erhalte, worin Sie mir eben das sagen, waö ich aus dem letzten Briefe habe schließen müssen, will ich mich ungesäumt von Berlin wegbegeben. Nach Hause komme ich nicht. Auf Universitäten gehe ich jetzt auch nicht wieder, weil außerdem die Schulden mit meinen Stipendiis nicht können bezahlt werden, und ich Ihnen diesen Aufwand nicht zumuthen kann. Ich gehe dann gewiß nach Wien, Hamburg oder Hannover. Doch können Sie versichert sein, daß ich, ich mag sein wo ich will, allzeit schrei ben und niemals die Wohlthaten vergessen werde, die ich von Ih nen so lange genossen. Ich finde an allen drei Orten sehr gute Bekannte und Freunde von mir. Wenn ich auf meiner Wander schaft nichts lerne, so lerne ich mich doch in die Welt schicken. Nutzen genug. Ich werde doch wohl noch an einen Ort kommen, wo sie so einen Flickstein brauchen, wie mich. Darf.ich noch was bitten, so ist es dieses, daß Sie gewiß glauben mögen, daß ich meine Aeltern allezeit so sehr wie mich geliebt habe. Ich werde an den Herrn Jnspector und Herrn Pastor Lindnern gewiß schrei ben, sobald als es nicht mehr scheinen wird, daß meine Briefe nichts als eine Aufmunterung zu neuen Wohlthaten sind. Durch meine Entfernung von Berlin glaube ich Ihnen kein geringes Merk mal meines Gehorsams zu geben, der ich auch Zeitlebens verharren werde, Dero gehorsamster Sohn Lessing."
Berlin, den 28. April 1749. Hochzuverehrender Herr Later! „Meinen Koffer erwarte ich mit großem Verlangen, und ich bitte nochmals inständig, alle die Bücher hineinzulegen, die ich in einem meiner Briefe benannt habe. Ich bitte mir auch das Vor nehmste von meinen Manuskripten mit auS, auch die einigen Bo gen: Wein und Liebe. Es sind freie Nachahmungen des Anakreon, wovon ich schon einige in Meißen gemacht habe. Ich glaube nicht, daß mir sie der strengste Sittenrichter zur Last legen kann. Vita vcrecunda est, musa jocosa mihi. So entschuldigt sich Martial im gleichen Falle. — — Wenn man nicht versucht, welche Sphäre uns eigentlich zukömmt, so wagt man sich oftmals in eine falsche, wo man sich kaum über das Mittelmäßige erheben sonn, da man sich in einer andern vielleicht bis zu einer wundernswürdigen Höhe hätte schwingen können. Sie werden aber auch
243 vielleicht gefunden haben, daß ich mitten in dieser Arbeit abge brochen habe, und es müde geworden bin, mich in solchen Kleinig
keiten zu üben. „Wenn man mir mit Recht den Titel eines deutschen Moliöre beilegen könnte, so könnte ich gewiß eines ewigen Namens versichert sein. Die Wahrheit zu gestehen, so habe ich zwar große Lust ihn zu verdienen, aber sein Umfang und meine Ohnmacht sind zwei Stücke, die auch die größte Lust ersticken können. Seneca giebt den Rath: omnem operam impende ut te aliqua dote notabilem facias. Aber es ist sehr schwer sich in einer Wissenschaft notabel zu machen, worin schon all zu Viele excellirt haben. Habe ich denn also sehr übel gethan, daß ich zu meinen Jugendarbeiten etwas gewählt habe, worin noch sehr wenige meiner Landsleute ihre Kräfte versucht haben? Und wäre eö nicht thöricht eher aufzu hören, als bis man Meisterstücke von mir gelesen hat. Den Beweis warum ein Komödienschreiber kein guter Christ sein könne, kann ich nicht ergründen. Ein Komödienschreiber ist ein Mensch, der die Laster auf ihrer lächerlichen Seite schildert. Darf denn ein Christ über die Laster nicht lachen? Verdienen die Laster so viel Hochachtung? Und wenn ich Ihnen nun gar verspräche eine Komödie zu machen, die nicht nur die Herren Theologen lesen, sondern auch loben sollen? Halten Sie mein Versprechen für un möglich? Und wenn ich eine auf die Freigeister und auf die Ver ächter Ihres Standes machte? Ich weiß gewiß, Sie würden Vie les von Ihrer Schärfe fallen lasten. — Ich verbleibe nebst ergebenstem Empfehl an die Frau Mutter Dero gehorsamster Sohn Lessing.
Berlin, den 30. Mai 1749.
Hochzuehrender Herr Vater! „Die Zeit soll Richter sein. Die Zeit soll es lehren, ob ich Ehrfurcht gegen meine Eltern, Ueberzeugung in meiner Religion und Sitten in meinem Lebenswandel habe. Die Zeit soll lehtnt, ob der ein beßerer Christ ist, der die Grundsätze der christlichen Lehre im Gedächtniste, und oft ohne sie zu verstehen, im Munde hat, in die Kirche geht, und alle Gebräuche mit macht, weil sie gewöhnlich sind, oder der, der einmal ftüglich gezweifelt hat und durch den Weg der Untersuchung zur Ueberzeugung gelangt ist, oder sich wenigstens noch darzu zu gelangen bestrebet. — — So
16*
244 lange ich nicht sehe, daß man Eins der vornehmsten Gebote des Christenthums, seinen Feind zu lieben, nicht besser beobachtet, so lange zweifle ich, ob diejenigen Christen sind, die sich davor ausgeben." -------„Werde ich niemals des Dorwurfs los werden können, den Sie mir wegen M. machen? Sed facile ex Tuis querelis que-
relas matris agnosco, quae licet alias pia et integra in hnnc nimio flagrat odio. Nostra amicitia nihil unquam aliud fiiit, adhuc est et in omne tempus erit, quam communicatio studiorum. Illane culpari potest ? Karns imo nullus mihi cum ipso sermo intercedit, de parentibus meis, de officiis quae ipsis vel praestauda vel deneganda sint, de cnltu Dei, de pietate, de fortuna hac vel illa via amplificanda, ut habeas quem in illo seductorem et ad minus justa instigatorem meum timeas. Cave, ne de mulicbri odio nimiuni participes. Sed virum te sapientem scio, jnstum aequumque: et satis mihi constat te illud, quod scripsisti, amori in uxurem amore tuo dignissimam, dedisse. Veniam dabis me paucula latino sermone literis mandassc, sunt enim quae matrem ad suspicionem nimis proclivem offendere possint. Deum tarnen obtestor me illam maxumi facere, amare et omni pietate colere. — Ich verbleibe nebst ergebenstem Empfehl an die Frau Mutter Dero gehorsamster Sohn Lessing."
Berlin, den 2. November 1750. Hochzuehrender Herr Vater! „Wer Ihnen geschrieben hat, daß es mir sehr schlecht ginge, weil ich bei Henn Rüdiger nicht mehr den Tisch und andere Ein nahme hätte, der hat Ihnen eine große Lüge geschrieben. Ich habe mit diesem alten Manne nie länger etwas wollen zu thun haben, als bis ich mir seine große Bibliothek recht bekannt gemacht hätte. Dieses ist geschehen, und wir waren also geschiedene Leute. Der Tisch bekümmert mich tu Berlin am allerwenigsten. Ich kaun für 1 Sgr. 6 Pf. eine starke Mahlzeit thun." — —
Potsdam, den 4. August 1763. Hochzuehrender Herr Vater!
— — „Ich habe — dem Bruder Gottlob — 170 Rthlr. in Sächsisch '|3 mitgegeben; davon sind 60 Rthlr. für den Bruder
245 Carl in Leipzig
auf zwei Quartale
als
Die übrigen 110 Thaler
der ausgesetzten Zubuße.
nach Befinden
werden der Herr Vater
unter die übrigen Geschwister vertheilen,
würde es mir
besonders
angenehm sein, wenn Gottlob davon sich examiniren lassen könnte,
weil er mich versichert, daß seine Beförderung bloß und allein hier
von abhange. — — Ich empfehle mich meinen werthesten Aeltern und verharre lebenslang Dero gehorsamster Sohn Gotthold."
Breslau, den 9. Februar 1764.
Hochzuehrender Herr Vater! Ich schmeichle mir, der That von meinem
von
daß Sie
meiner
aufrichtigen Liebe
überzeugt sind,
gegen mein Geschwister zu wohl
bisherigen Stillschweigen
als daß Sie in
auf
die betrübte
Nachricht von dem Tode meines Bruders Gottfried eine üble Aus
Ich habe seinen Tod empfunden, als man
legung machen sollten.
nur immer einen solchen Zufall
empfinden kann;
leicht, als man ihn empfinden sollte.
und mehr
viel
Die Betrübniß ward durch
den Antheil vermehrt, den ich meine werthesten Aeltern daran neh men sah.
meinigen
Aber eben dieser Antheil befahl mir die Bezeigung des
zurückzuhalten.
einander ihre
sollen Traurige
Warum
Traurigkeit mittheilen, und sie vorsätzlich dadurch verstärken?
einzige wahre Pflicht,
die mir
Die
der Tod meines Bruders anflegen
kann, ist diese, daß ich mein übriges Geschwister desto inniger liebe, und die Zuneigung,
die ich
gegen den Todten nicht mehr zeigen
Viele bedauern im Tode, was
kann, auf die Lebendigen übertrage. sie im Leben nicht geliebt haben.
mir die Natur zu lieben befiehlt, als möglich zu bedauern suchen.
Ich will im Leben lieben, was und
schwister nur auch so ersprießlich sein wünschte.
An
den Bruder Carl
ich vermuthe,
können,
in Leipzig
dem Tode so wenig als
sie
habe
es zu sein
ich schon vor
und ihm 8 Ducaten geschickt.
länger als vier Wochen geschrieben, Er kann ferner auf meinen
nach
Möchte meine Liebe meinem Ge
geringen Beistand
daß nunmehr Gottlob
ich mich ergebenst zu empfehlen bitte)
rechnen.
Und da
bei dem Herrn Vetter (dem in Gottfrieds Stelle treten
dürste: — so habe ich Carlen vorgeschlagen, ob er nach Ostem zu mir kommen und vor der Hand bei mir leben wolle. — Ich um
arme meine Geschwister und empfehle mich meinen liebsten Aeltern, deren ruhiges und glückliches Alter Wünschen ist.
der eifrigste von allen meinen
Dero gehorsamster Sohn, Gotthold."
246
Hamburg, den 20. März 1768. H ochzuehrenter Herr Vater! „Gott weiß es, daß ich auf Dero letztes Schreiben nicht eher
antworten können!
Ich erliege unter Arbeit und Sorgen, und von
diesen letztem ist es gewiß nicht meine
daß ich meine
geringste,
Aeltem in so dringender Verlegenheit wissen muß,
und nicht im
Stande bin, ihnen so geschwind beizustehen, als ich wünschte.
Ich
hoffe, daß mich mein Vater kennt, und daß er nicht glauben wird, daß ich bloße Ausflüchte
und Weigerungen mache.
Es geht mir
durch die Seele, daß ich Ihnen, liebster Later, unmöglich zu Ostern
mit
dem Verlangten
helfen
kann.
Aber
zu Johannis
will
ich
Rath schaffen, es mag Herkommen, woher es will, — — auf Jo
wiederhohl ich noch einmal,
hannis,
will ich
die
hundert Thaler
ganz gewiß und baar senden.--------- Ich hoffe, daß Sic sich sonst
mit der Frau Mutter
gesund und
munter befinden.
Haben Sie
nur, bitte ich sie allesammt,. nicht die schlimme Meinung von mir,
daß ich mich wenig darum anssieht.
bekümmern
möge,
mit der That rechtfettigen kann?
wie
es
zu Hause
wenn man sich nicht
Aber was Hilst das Bekümmern,
Ich mache meinen Bttef so kurz
als möglich, denn ich weiß eö am besten, was ich dabei empfinde.
Sollte ich, wider Vermuthen, Gelegenheit finden, mein Versprechen eher zu halten, so können Sie gewiß vcrsichett sein, einen längern
Brief zu erhalten, als diesen.
Ich
den
ich mit
empfehle
mehr Vergnügen schreiben werde,
mich Ihrer väterlichen Liebe
und bin
zeitlebens Dero gehorsamster Sohn Gotthold."
Hamburg, den 26. März 1768. An Carl Lessing! „— Ich hätte Dich gern wieder bei mir;
weder logitt, ist.
aber ich bin jetzt
noch sonst in den Umständen, daß es wohl möglich
Gott sei Dank, bald kommt
die Zeit
wieder,
daß ich keinen
Pfennig in der Welt mein nennen kann, als den, den ich erst ver
dienen soll.
muß. —
Ich bin unglücklich, wenn es mit Schreiben geschehen
Nimm
meinen brüderlichen Rath und gieb den Vorsatz
ja auf, vom Schreiben zu leben. — Sieh, daß Du ein Secretär wirst, oder in ein Collegium kommen kannst.
Weg, über
kurz oder
lang nicht zu darben!"
Es ist der einzige
— —
„Auch die
247
glücklichste Autorschaft," heißt es in einem spätern Briefe vom 4. Januar 1770," ist das armseligste Handwerk." —
Hamburg, den 28. October 1768.
An Carl Lessing!
— „Nimm mir meine Erinnerung nicht übel. Studire fleißig Moral, lerne Dich gut und richtig ausdrücken, und cultivire Deinen eigenen Charakter: ohne das kann ich mir keinen guten dramatischen Schriftsteller denken."--------
Hamburg, den 6. Juli 1769.
An Carl Lessing!
— „Ich habe Dir es schon so oft mündlich gesagt, woran ich glaube, daß es Dir fehlt. Du hast zu wenig Philosophie und arbeitest viel zu leichtsinnig. Um die Zuschauer so lachen zu machen, daß sie nicht zugleich über uns lachen, muß man auf seiner Stu dierstube lange sehr ernsthaft gewesen sein. Man muß nie schrei ben, was einem zuerst in den Kopf kommt. Deine Sprache zeugt von Deiner Ruschelei. Auf asten Seiten sind grammatische Fehler, und correct, eigen und neu ist fast keine einzige Rede.-------------Nun genug gehofmeistert. Schreibe mir doch, lieber Bmder, was von meinen Büchern noch vorräthig ist, notire die vorzüglichsten nur mit einem Worte auf, damit ich urtheilen kann, ob es flch der Mühe verlohnt, sie hierher kommen und verauctioniren zu lassen. Ich muß Alles zu Gelde machen, was ich noch habe; und auch so noch werde ich meine Reise nur kümmerlich be streiten können. Das Herz blutet mir,wenn ich an unsere El tern denke. Aber Gott ist mein Zeuge, daß es nicht an meinem Willen liegt, ihnen ganz zu helfen. Ich bin in diesem Augen blick so arm, als gewiß keiner von unserer ganzen Familie ist. Denn der Aermste ist doch wenigstens nichts schuldig; und ich stecke bei dem Mangel des Nothwendigsten ost in Schuldm bis über die Ohren. Gott mag helfen! Lebe wohl und sei verflchert, daß ich es recht gut mit Dir meinen muß, da ich so mnd mit Deiner Eigenliebe zu Werke gehe. Dein treuer Bruder Gotthold."
248
Wolfenbüttel, den 27. Juli 1770.
Hochzuehrender Herr Vater! --------- „Es wäre mir eine wahre Freude gewesen, dergleichen ich sicherlich ■ in der Welt noch wenige gehabt, wenn es mir meine
Umstände hätten erlauben wollen,
alten Vater
meinen
aus einer
Verlegenheit zu reißen, in die ich wohl weiß, daß ihn einzig seine
Aber so gut hat mir es nicht werden
Söhne
gebracht
sollen
Schon damals, als ich es versprach, waren meine Umstände
haben.
in der äußersten Verwirrung und die ganze folgende Zeit sind sie
Ich war endlich in eine
immer schlechter und schlechter geworden.
Last
von Schulden gerathen,
von der ich
mich
noch lange nicht
durch den gänzlichen Verkauf aller meiner Bücher befreien können;
und eß war die höchste Zeit, daß ich durch die hiesige Versorgung, wiederum eine gewisse Einnahme erhielt.
prinz, welcher mich
hierher gebracht.
Eigentlich ist es der Erb
Er ließ mich auf die gnä
digste Art zu sich einladen, und ihm allein habe ich es zu danken, daß die Stelle des Bibliothekars,
welche gar nicht
mich eigentlich leer gemacht ward.
Auch der regierende Herzog hat
leer war,
für
mir hierauf alle Gnade erwiesen, deren ich mich von dem gesammten Hause zu
rühmen habe,
Personen der Welt besteht.
welches aus
den leutseligsten, besten
Ich bin indeß der Mensch nicht, der
sich zu ihnen dringen sollte."----------
Wolsenbüttel, den 8. September 1770. An Theophilus Lessing! — „Das schwarze Siegel ließ mich gleich Alles besorgen. — Ich denke ich habe zu brauchen,
von
es bei Dir nicht nöthig,
viel
klägliche Worte
um Dich zu versichern, wie sehr mich die Nachricht
dem Tode
unseres Vaters betrübt
und niedergeschlagen hat.
Ich kann noch kaum wieder zu mir selbst kommen.
Seine Gesund
heit, von der er mich noch in seinem letzten Schreiben
versicherte,
ließ mich nichts weniger, als sein so nahes Ende besorgen.
Was
mich einigermaßen tröstet, ist, daß er nach seinem Wunsche gestor ben.
Laß uns, mein lieber Bruder, eben so rechtschaffen leben, als
er gelebt hat, um wünschen zu dürfen, eben so plötzlich zu sterben, als er gestorben ist.
Das wird die einzige beßte Weise sein,
Andenken zu
—
ehren.
Mein
nächster Kummer
sein
geht dabei auf
unsere Mutter. — Mache — daß weder Sie noch unsere Schwe-
249 ster sich wegen der Zukunft bekümmern. — Schaffe Du nur, mein lieber Bruder,
finden. —
das
vor
erste
Rath — es müssen sich Schulden
Ich nehme sie alle auf mich, und will sie alle ehrlich
bezahlen; nur muß man mir Zeit laffen.
Schreibe mir, was man
für Versicherung desfalls von mir verlangen kann, und ich will sie mit Vergnügen stellen.
Nur muß unsere Mutter dadurch völlig Ruhe
bekommen.--------- Versichere meine Mutter von meiner Wehmuth und
innigsten Zärtlichkeit gegen sie,
durch
viele Worte
unsere Schwester,
die ich lieber durch
beweisen will;
und sage
die That,
als
und zugleich umarme für mich daß ich meine Thränen mit den
ihr,
ihrigen verbinde, und sie nicht vergessen soll, daß Sie einen Bruder
hat, der bereit ist,
alles für sie zu thun,
was ihm
in
der Welt
nur möglich ist." —
Wolfenbüttel, tcn 7. Januar 1771. Meine liebste Mutter! --------- „Sie müssen es lediglich meinem Unvermögen zuschrei ben, wenn ich dieses Mal nicht mehr als
25 Rthlr. senden kann:
auf künftige Johannis können Sie aber zuverlässig auf 50 Rthlr. rechnen; und so will ich von Zeit zu Zeit fortfahren, alles, was ich
erübrigen kann, zu Abtragung einer Schuld anzuwenden, die fteilich die größte ist, die ich auf der Welt haben kann.
—
—
Sollten
daher die, — • von welchem mir die Schwester schreibt, nicht ohnedem Umsicht haben wollen, so bin ich gern erbötig, auf gewisse Termine
ihnen
meinen
Wechsel
oder
Obligation
darüber
auszustellen;
in der festen Absicht, sie als ein ehrlicher Mann zu beftiedigen, so
bald cs meine eigene Umstände,
die noch
bis jetzt selbst sehr ver-
wirrt und kümmerlich sind, nur immer zulassen werden.--------- Ich
nehme an den Kränkungen, die ihnen beiden — (brr Mutter und
der Schwester) in (samenz widersahren, sehr viel Antheil: aber wie
kann ich denselben abhclfen? Ueber eine Art dieser Kränkungen nur, nämlich über die, welche Ihnen von den elenden College» des seeligen Vaters erwiesen werden, müssen Sie sich hinwegsetzen, und sie
blos mit Verachtung ansehcn." —
Wolfcubüttel, den 7. Juli 1771.
Meine liebe Mutter! „— — Sie werden mir es also vergeben, daß die zngesagten 50 Rthlr. erst nunmehr hierbei erfolgen; womit ich nichts als
250
die Bitte verknüpfe, gewiß von mir zu glauben, daß ich die Summe gerne vermehret hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre.
Ich hoffe
indeß, und will mein Beßtes dazu thun, daß ich Ihnen in einigen
Monaten wiederum eine kleine Remesse machen kann. — —
Es
ist allerdings unsere Schuldigkeit, daß die Schulden, in welche ein so guter Vater durch
seine Kinder gerathen ist,
Kindern bezahlt werden.
auch von
seinen
Ich habe mich auch schon mehr als ein
mal erboten, sie sämmtlich über mich zu nehmen. — Wem dieses
gefällig ist, der kann
zu der Zeit,
gewisse Bezahlung versprechen.
die ich ihm festsetzen will, sich
Wer aber aus Grobheit oder Eigen
sinn sogleich baar bezahlt sein will, — dem helfe Gott! Ich kann ihm nicht helfen,
und zu Unmöglichkeiten ist kein Mensch verbun
Es bekümmert mich auch wenig, was die Leute indeß sagen.
den.
Zch bin bei mir überzeugt, daß ich es mit dem Andeukm meines Va und kein Mensch soll mit der Zeit einen
ters rechtschaffen meine,
Heller durch ihn verloren haben. —
Was das zu druckende An
denken betrifft, so will ich mit Nächsten
an Theophilus weitläufig
darüber schreiben.-------- Ich habe es mir fest vorgenommen, etwas aufzusetzen;
aber es soll etwas sein, was man weiter als Camenz
und länger als ein Halbjahr
aber brauche
ich Zeit
nach dem Begräbnisse liefet.
und Gesundheit,
fehlet. — Beruhigen Sie sich
über diesen Punkt.
woran
Dazu
es mir leider jetzt
also immer, meine
liebste Mutter,
Die beste Ehre, die wir unserm verstorbenen
Vater erzeigen können,
ist,
daß wir Sie um so viel mehr lieben
Beides dieses gelobe ich
und so sehr als möglich ist, unterstützen.
Ihnen hiermit aus ganzem Herzen; und ich bin es auch von mei
nen übrigen Brüdern überzeugt, daß sie sich um die Wette darum bemühen werden.
Leben Sie
indeß
mit
der Schwester, die ich
vielmal grüße, recht wohl, und versichern Sie mich bald, daß Sie
in
allezeit
Gutem
an
denken.
mich
Dero
gehorsamster Sohn
Gotthold."
Wolsenbüttel, den 15. Juni 1776. Meine liebe Mutter! — „Ich würde Ihnen eher geschrieben haben, wenn ich eher
im Stande
gewesen
beilegen zu können.
wieder worden,
aufs Reine
wäre,
das
Gegenwärttge
Endlich bin ich,
und
(„10 Louisd'or")
Gott sei Dank, so ziemlich
in meinen Umständen
so weit verbessert
daß ich aufs Künftige keine Entschuldigung
habe,
wenn
251 ich meine Pflicht nicht besser beobachte.
Aber ich hoffe auch, Sie
und daß mich mein bis
daß ich sie gern beobachte,
trauen mir,
genug
heriges Unvermögen
gekränkt
die Schwester
Wenn
hat.
eben so unbillig gegen mich gewesen, als sie es gegenwärtig gegen (Satin ist, so mag es manchmal artig über mich hergegangen sein. Im Ernst, meine liebe Mutter, verweisen Sie ihr doch diese Lieb Weil der arme Junge jetzt
losigkeit.
darum schlechter denken, nun todt wäre?
ken,
weil
nicht, mit
einer
und
als
—
denn
er
muß
Wenn er
oder will ihn die Schwester lieber zu Tode krän-
er doch
nicht helfen kann?
uns — — aber
genug
das will sie gewiß
Doch
sie es nicht.
so böse meint
ihrem Närgeln und Schmähen?
von
nicht kann,
sonst gedacht hat?
er
Aber was will sie denn
Carl
meint es so gut,
davon.
als
Die Schwester mag
Ich habe manchen auch
mir diesen Ausputzer nicht übel nehmen.
von ihr verttagen müssen.--------- Nun leben Sie recht wohl, meine liebe Mutter,
Du,
und
entziehen Sie
liebe Schwester,
lebe recht wohl,
Zeitlebens verbunden sein, Mutter
so
angelegen
Auch
nie Ihren Segen.
mir
und
wir wollen Dir alle
wenn Du Dir ferner das Wohl unsrer
sein
Dero
lässest.
gehorsamster
Sohn
Gotthold."
Wolienbüttel, den 20.Mär; 1777.
Meine liebe Schwester! „Wie sehr
rührt hat,
mich die Nachricht
in Seinem
letzten Briese ge
Denn so gar schlecht
brauche ich Dir nicht zu sagen.
bin ich bei Dir nicht angeschrieben, daß Du von meiner Liebe ge
gen unsere seelige Mutter
nnr
erst durch meine Klage über ihren
Tod überzeugt werden müßtest.
Die beste Art über sie zu klagen,
glaube ich,
ist,
Dich nicht zu vergessen,
die Du
ihr
die
letzten
Jahre ihres LebenS so erttäglich gemacht hast, indem Du Dich für
uns Alle Deiner Pflicht aufgeopfert. Kleinigkeit,
die Du
gegenwärtige
vielleicht zu den Kosten der Leichenbestattung
noch wirst nöthig haben und sei soll.
Nimm indeß
versichert,
daß bald mehr folgen
Was macht Theophilus?"----------
W oIfeubütteI, den 20. Mär; 1777. An ('arl Lessing. „Liebster Bruder. — Daß
auch Du unsere gute Mutter ge
liebt hast, wirst Du nicht besser zeigen können, als wenn Du die
252 Schwester nicht vergißt, die sich wirklich für uns Alle ihrer Pflicht aufgeopfert hat.
Ich habe
ihr schon geantwortet und fürs Erste
so viel beigetragen, als ich in der Eil thun können." — —
Den 28. December 1778.
Meine liebe Schwester! „Gott weiß es, daß ich Dich nicht vergessen, sondern allezeit
mit Wehmuth
sehr ost an Dich
gedacht
habe.
Aber
wenn Du
wüßtest, in welchen Sorgen ich seit dem Tode meiner Frau gelebt habe und wie küminerlich
ich habe leben müssen.
mit beigchenden 5 Louisd'or vorlieb.
zu schicken.
Lebe wohl.
— —
Nimm
Ich hoffe Dir ehestens mehr
Dein treuer Bruder Gotthold."
Den 30. December 1778. An Earl Lessing! — „Wenn Du
in
dein
alten Jahre
gewesen, so hohl es in dem neuen nach. Was macht mehl Pathe?
Mache,
Du einen andern Jungen bekommst,
nicht zustieden genug
Grüße mir Deine Fran.
daß er laufen kann, so
nehme
ich
und daß
ihn Dir ab.
Gotthold."
Der Freund. Leipzig,- den 10. Mai 1757. An G! ei m! „Wie froh
werde ich sein,
wenn ich
wieder in Berlin bin,
wo ich nicht länger nöthig haben werde, es meinen Bekannten nur
ins Ohr zu sagen, daß der König von Preußen dennoch ein großer
König ist."
Berlin, den 28. Juli 1759.
An Den selben! „Ans meiner Sommerstnbe sollte es Ihnen gewiß nicht miß
fallen.
Nur glauben Sie
um Gotteswillen nicht, daß ich da ar
beite.
Ich bin nie fauler,
als wenn ich in dieser meiner Einsie-
253 betet bin.
Wenn es hoch kömmt, mache ich Projekte: Projekte zu
spiele ich
die
Tragödien und Komödien;
danken, lache und weine in Gedanken,
in Gedanken, oder vielmehr
laste
mir denn selbst in Ge
und klatsche mir auch selbst
mir
auf bereit
meine Freunde,
Beifall ich am stolzesten bin, in Gedanken klastchen." —
33erlitt, den 6. September 1759. An Denselben? Ueber
Tod:
K le ist's
Er ist todt.
wahr.
liebster Freund, es ist leider
„Ach,
Wir haben ihn gehabt.
und in den Armen des Professors Nicolai
Er ist in dem Hause
Er ist be
gestorben.
ständig, auch unter den größten Schmerzen, gekästen und heiter ge
Er hat verlangt seine Freunde noch zu sehen.
wesen.
Meine Traurigkeit über diesen Fall ist eine
doch möglich gewesen!
sehr wilde Traurigkeit. einen
andern
da steht. Sie;
Weg
Aber ich
manchmal
Ich verlange zwar nicht, nehmen
verlange,
verleitet
sollen,
weil
ein
daß der ehrliche
mich
Schmerz,
der
daß die Kugeln
Mann
ehrlicher
Mann — Sehen auf
Mann
den
Er hatte schon drei, vier Wun
den er angeht.
selbst zu zürnen,
Wäre es
den; warum ging er nicht? Es haben sich Generale mit wenigeren und kleinern Wunden
sterben wollen.
unschimpslich
bei Seite gebracht.
Er
Pergeben Sie mir, wenn ich ihin zuviel thue.
wäre auch an der letzten Wunde
er ist versäumt worden. wen ich rasen soll.
nicht gestorben,
hat Er
aber
sagt man;
Versäumt worden! Ich weiß nicht, gegen
Die Elenden, die ihn versäumt haben!" —
Brcsla u, den 6. December 1760.
An Ramler! „Und nun? Was machen unsere Freunde?
Was macht mein
lieber Gase und sein Haus? Empfehlen Sie mich ihm, ihr, Kindem (hier wird er sich ein väterliches Air geben)
seinen
und Allen,
mit welchen wir in Ihrer Gesellschaft so manchesmal lustig gewesen
sind; vornehmlich der Madame Thcrbusch. — Und alsdann, unsern Klub nicht zu vergessen! Alle Freitag Abends klopft mir das Herz,
wenn ich mich noch jetzt
und ich weiß nicht, was ich darum gäbe, alle Wochen
einmal
in Gesellschaft
so
vieler rechtschaffnen Leute
satt essen, satt lachen, und satt zanken könnte; besonders über Dinge
satt zanken könnte,
die ich nicht verstehe.
ment an die Herren Quantz und Agricola.
Mein
großes Kompli
Die griechische Musik
254 war doch besser, als die auf dm Breslauischen Kaffeehäusern. Un sern lieben Krause rechne ich mit zum Klub.
nem Vaterlande, und bei Gott,
Ich bin jetzt in sei
er hat recht wohl daran gethan,
daß er in Schlesien jung geworden ist." —
Breslau, den 30. März 1761. An Moses Mendelssohn! „Ach, bester Freund, Ihr Lessing ist verloren! In Jahr und
Tag werden Sie ihn nicht mehr kennen. meine Zeit,
O meine Zeit,
mein Alles,
ich weiß nicht was für Absichten
Er ist selbst nicht mehr. was ich habe — sie so,
aufzuopfern!
Hundertmal
habe
ich schon den Einfall gehabt, mich mit Gewalt aus dieser Verbin dung zu reißen.
Doch kann man einen unbesonnenen Streich mit
einem andern wieder gut machen? nur einen so finstern Tag,
Aber vielleicht
habe
ich
heute
an welchem sich mir nichts in seinem
Morgen schreibe ich Ihnen vielleicht heiterer.
wahren Lichte zeigt.
O schreiben Sie mir doch ja recht oft; aber mehr als bloße Vor würfe
über
mein Stillschweigen.
wegen ertheilen?
gute Stunde, Ihre. mit
Ihre Briefe sind für mich ein
Und wollen Sie Almosen nur der Vergeltung
wahres Almosen.
Leben Sie wohl, mein liebster Freund.
die mir
mein Mißvergnügen
Die erste
läßt, ist ganz gewiß
Ich sehe ihr mit alle dem unruhigen Verlangen entgegen, welchem
ein Schwärmer
himmlische Erscheinungen
erwartet.
Lessing."
Breslau, 7. September 1761. An Ramler! —
„Sobald
wir
wieder
zusammenkommen
werden!
Aber
wenn wird das geschehen? Wenn ich in dem alten römischen Sinne
beatus sein werde? Ach, liebster Freund, dazu
gehört viel.
Und
bei mir gehört gleich noch einmal so viel dazu, als bei einem an dern.
Indeß bin ich von dieser Seite so ziemlich zufrieden;
und
wenn es Ihr Emst ist, daß Sie mein Tresorier werben wollen: gut, lassm Sie
nur
die Wege
wieder
längstms den December herankommen.
recht sicher werden,
Zehnmal so viel, als Sie
jetzt weggeben, könnte ich Ihnen schon schicken.
Vielleicht könnte ich auch
ich nicht
so
schon noch einmal
viel Bücher kaufte,
deren
oder
Aber was ist das?
so viel haben, wenn
ich bereits hier dreimal so
255 viel habe, als ich Ihnen zurückgelaffen. Dazu kommen noch zwan zig andere Ausgaben: und kurz ich bin kein Wirth. Die Wahr heit zu sagen, ich mag es auch nicht sein. Dmn vielleicht, daß ich so, weit eher wieder in meine alte Sphäre zurückkomme, als wenn ich es wäre, als wenn ich mir das Zeitliche zu sehr angelegen sein ließe, und dadurch nach und nach an einer Lebensart Geschmack fände, die für Keinen ist,
Quem tu, Melpomene gerne! Nasceutem placido lumine videris — — „Was sagen meine Freunde in Berlin von mir? Kaum bin ich es werth, noch welche zu haben. Doch nein; ich habe nie welche gehabt, wenn ich sie nicht noch habe, und sie durch mein bisheriges Stillschweigen kaltsinnig geworden sind. Dies Compliment machen Sie nur Allen, und machen Sie auch sich selbst, wenn Sie anders — Nein, Sie, liebster Freund, kenne ich zu gut. Sie sind der nachsichtsvollste von Allen, und ich weiß, daß Ihnen meine schlechte Seite eben so lieb ist, als meine gute. Leben Sie wohl. Ich umarme Sie tausendmal." — —
Die Reife des Lebens. Breslau, den 5. August 1764. An Ramler.
„Liebster Freund. Tausmd Dank für Ihre besorgte Freund schaft. — Krank will ich wohl einmal sein, aber sterben will ich deswegen noch nicht. Ich bin so ziemlich wieder hergestellt; außer daß ich noch mit häufigem Schwindel beschwert bin. Ich hoffe, daß sich auch dieser bald verlieren soll; und alsdann werde ich wie neugeborm sein. Alle Veränderungm unseres Temperaments, glaube ich, sind mit Handlungen unserer animalischm Oeconomie verbundm. Die ernstliche Epoche meines Lebms nahet heran; ich beginne ein Mann zu werden, und schmeichle mir, daß ich in die sem hitzigen Fieber den letzten Rest meiner jugendlichen Thorheiten verraset habe.-------- Wünschen Sie mich also gesund, liebster Freund; aber wo möglich, mit einem kleinen Denkzeichen gesund, mit einem flehten Pfahl im Fleische, der den Dichter von Zeit zu Zeit den hinfälligen Menschen empfinden laste, und ihm zu Gemüthe führe, daß nicht alle Tragici mit dem Sophokles 90 Jahr werden; aber, wenn sie es auch mürben, daß Sophokles auch
256 an die neunzig Trauerspiele,
ich
und
erst
einziges gemacht!
ein
Auf einmal überfällt mich ein Schwindel!
Neunzig Trauerspiele!
O lassen Sie mich davon abbrechen, liebster Freund!" —
Lessings Braut. Hamburg, den 25. November 1771.
Mein liebster, bester Freund!
„Die ganze verflossene Zeit zurück denken,
eine Neigung zu gestehen,
war,
meines Lebens
bis auf den Augenblick,
worin
kann
ich ruhig
schwach genug
ich
ich zu verbergen so fest be
die
schlossen hatte; wenigstens so lange, bis meine Umstände eine glück Ich bin überzeugt, Sie würden dennoch
liche Wendung nähmen.
einen freundschaftlichen Antheil an Allem
genommen
was
haben,
allein Sie hätten nicht meine Angelegenheiten
mir begegnet wäre;
zu den eigenen gemacht, wie Sie jetzt thun; ob Sie es gleich nicht
sollten.
Denn der Porsatz bleibt unumstößlich: bin ich unglücklich,
es allein,
so bleibe
ich
meinigen
verflochten.
mit
dem
Meine Gründe hierüber wissen Sie;
noch
und Ihr Schicksal
wird
nicht
mehr, Ihre Aufrichtigkeit erlaubte Ihnen nicht, sic zu mißbilligen; nennen Sie sie also nicht Ausflüchte — das Wort Ausflucht hat mich gekränket.
Fragen Sie Ihr Herz,
—
ob es in dem nehm
lichen Fall nicht so handeln würde, und antwortet es Ihnen Nein, so glauben Sie nur,
ich Sie liebe.
daß Sie mich nicht halb so sehr lieben, als
Das Einzige, warum ich Sie bitten will, ist, daß
Sie sich durch mich in Ihrem Plan nicht irre machen lassen, son dern eben das thun, was Sie gethan hätten, wenn Sie mich nicht
kennten. — und erinnern sich Ihrer sehr
„Meine Kinder sind alle wohl, oft.
Sie enipfehlen sich Ihnen, und Molchen danket ergebenst für Sie leidet sehr am Frost; ich
die Sorge, die Sie für sie tragen.
wünsche nur,
daß die Salbe ihr
Erbsen haben so große Eile
helfen mag.
nicht;
Die Linsen
und
wenn Sie sie nur nicht ganz
vergesien wollen. — —
„Sie
klagen
wieder
fleißig mit kaltem Wasser, Mittel,
die
man Ihnen
über Ihre Augen! und
anräth,
Waschen
brauchen Sie
so
wie Sie
ja
nicht
Sie
sie
alle die
gewöhnlich
thun.
Wollte der Himmel, ich könnte Ihnen die Abende nicht durch Ge danken,
sondern persönlich verkürzen helfen!
Alle meine Wünsche
257 wären erfüllt. Ich denke noch immer, sie sollen erfüllt werden. Nach solchen traurigen Tagen, wie ich nun habe, müssen wieder heitere kommen, und die können nicht wieder kommen, wenn ich nicht wenigstens das Glück habe, mit Ihnen an einem Orte zu leben. Lebm Sie wohl, mein theurer und redlicher Freund. Ihre ganz ergebenste Freundin E. C. König."
Lessings Fra«. Spittler an Meusel. „In Wolfenbüttel war ich fast drei Wochen, und es waren drei der glücklichsten und lehrreichsten meines Lebens, da mir Les sing einen völlig freien Zutritt in sein Haus und einen eben so völlig ungehinderten Gebrauch der dasigen Bibliothek gestattete. Ich weiß nicht, ob Sie Lessing persönlich kennen. Zch darf Sie versichern, daß er der größte Menschenfreund, der thättgste Beför derer aller Gelehrsamkeit, der hülfreichste und der herablassendste Gönner ist. Man wird unvermertt so vettraut mit ihm, daß man schlechterdings vergessen muß, mit welch großem Manne man um geht; und wenn es möglich wäre, mehr Menschenliebe, mehr thättges Wohlwollen irgend anzutteffen, als bei Lessing — so wäre's bei Lessings Gatttn.') Eine solche Frau hoffe ich nimmermehr kennen zu lernen. Die unstudirte Güte ihres Herzens, immer voll von der göttlichen Seelenmhe, die sie auch durch die bezau berndste Sympathie Allen mittheilt, welche das Glück haben mit ihr umzugehen. Das Beispiel dieser großen, würdigen Frau hat meine Begriffe von ihrem Geschlechte unendlich erhöht, und viel leicht bin ich noch viel zu kurz in Wolfenbüttel gewesen, um sie nach allen ihren Vorzügen kennen zu lernen."")
*) Lessing» Vermählung mit der Wittwe seine» im Jahre 1769 verstorbenen Freunde», de» Kaufmann» König in Hamburg, war daselbst am 8. October 1776 erfolgt. ”) Vergl. a. a. O. Adolf Stahr II. S. 219 und Schäfer II. S. 62. 17
258
Der Gatte und Bater. Wolfenbüttel, den 3. Januar 1778.
An Eschenburg! „Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Be
sinnung liegt,
für Ihren
um Ihnen
Meine Frmde war nur kurz.
sen Sohn!
gütigen Antheil zu danken.
Und ich verlor ihn so ungern, die
Denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! —
Glauben Sie nicht, mich schon zu so
daß dir wenigen Stunden meiner Vaterschaft
einem Äffen
von Vater
haben!
gemacht
Ich
weiß, was ich sage. — War es nicht Verstand, daß man ihn mit daß er so bald Un
eisernen Zangen auf die Welt ziehen mußte?
rath merkte? — War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegen heit ergriff sich wieder davon zu machen? — Freilich zerrt mir der
Ueine Ruschelkopf
auch die Mutter mit fort!
wenig Hoffnung,
daß ich sie behalten werde.
Denn noch ist
—
Ich
—
auch einmal so gut haben, wie andere Menschen.
wollte es
Aber es ist mir
schlecht bekommen."
Den 5. Januar.
An Carl Lessing! — „Ich lief Gefahr meine Frau zu verlieren, lust mir dm Rest
meines Lebens
verbittert
welcher Ver
haben würde.
Sie
ward mtbunden, und machte mich zum Vater eines recht hübschm
Jungen, der gesund und munter war.
Er blieb es aber nur vier
und zwanzig Stunden, und ward hernach das Opfer der grausamen Art,
mit welcher er auf die Welt gezogen werden mußte. — —
Die Freude war so kurz, und die Bettübniß ward von der größten Besorgniß überschrieen!
Denn
die Mutter
lag
ganzer neun bis
zehn Tage ohne Verstand, und alle Tage, alle Nächte, sagte man
mich ein paarmal von ihrem Bette,
mit dem Bedeuten,
ihr den letzten Augenblick nur sauer mache. noch bei
aller Abwesenheit ihres Geistes.
Krankheit auf einmal umgeschlagen,
und
daß ich
Denn mich kannte sie Endlich
hat sich die
seit drei Tagen habe ich
die zuverlässige Hoffnung, daß ich sie diesmal noch behaltm werde, beten Umgang mir jede Stunde, auch in ihrer gegmwärttgen Lage
immer unentbehrlicher wird.
259 De« 7. Zauuar.
An Eschenburg! „Ich kann mich kaum erinnern,
was für ein tragischer Brief
das kann gewesen sein, den ich Ihnen soll geschrieben haben.
Ich
schäme mich recht herzlich, wenn er das geringste von Verzweiflung
verräth.
Auch ist nicht Verzweiflung,
sondern vielmehr Leichtsinn
mein Fehler, der sich manchmal nur ein wenig bitter und menschen
feindlich ausdrückt. so dulden,
wie
Meine Freunde müssen mich nun ferner schon
ich bin. — Die Hoffnung
Frau ist seit einigen Tagen
wieder sehr
zur Beflerung meiner
gefallen;
und
eigentlich
habe ich jetzt nur Hoffnung, bald wieder hoffen zu dürfen."--------
Den 10. Januar. An Denselben! „Meine Frau ist todt; auch gemacht.
und
Ich freue mich,
rungm nicht mehr übrig
nun
diese Erfahrung habe ich daß
mir viele dergleichen Erfah-
sein können zu machen;
und
bin
ganz
leicht. — Auch thut es mir wohl, daß ich mich Ihres, und unserer übrigen Freunde in Braunschweig, Beileids versichert halten darf."
Den 12. Januar.
An Carl Lessing! „Zu was
für
einen
muß ich Dich machen!
traurigen Boten
—
an
Und gleichwohl
meinen Stiefsohn
weiß ich,
daß Dein
gutes Bruderherz selbst nöthig haben dürfte, vorbereitet zu werden.
— Seine gute Mutter, meine Frau, ist todt. kannt hättest!
— Aber man sagt, es sei nichts als Eigenlob seine
Frau zu rühmen.
Nun gut, ich sage nichts weiter von ihr.
wenn Du sie gekannt hättest! der so sehen,
Wenn Du sie ge
als
Aber
Du wirst mich, fürchte ich, nie wie
unser Freund Moses
mich
gefunden
hat:
so
ruhig, so zufrieden, in meinen vier Wänden!" —
Den 14. Januar.
An Cschenburg! „Gestern Morgen ist mir der Rest meiner Frau vollends aus dem Gesichte gekommen.
— Wenn ich noch mit der einen Hälfte
meiner übrigen Tage das Glück erkaufen könnte, die andere Hälfte
17*
260 in Gesellschaft dieser Frau zu verleben; wie gern wollt' ich eS thun! Aber das geht nicht; und ich muß nur wieder anfangm, meinen Weg allein so fort zu duseln. Ein guter Vorrath an Laudanum literarischer und theologischer Zerstreuung wird mir einen Tag nach dem andern schon ganz leidlich überstehen helfen." —
Die letzte« Jahre. Wolfenbüttel, den S. August 1778.
An Elise Reimarus! „Ich bin mir hier ganz allein überlassen. Ich habe keinm einzigen Freund, dem ich mich ganz vertrauen könnte. Ich werde täglich von hundert Verdrießlichkeiten bestürmt. Ich muß ein ein ziges Jahr, das ich mit einer vernünftigen Frau gelebt habe, theuer bezahlen. — — Wie oft möchte ich es verwünschen, daß ich auch einmal so glücklich sein wollen, als andere Menschen! Wie oft wünsche ich mit eins in meinen alten isolirten Zustand zurückzu treten, nichts zu sein, nichts zu wollen, nichts zu thun, als was der gegenwärtige Angenblick mit sich bringt! — Sehen Sie, meine gute Freundin, so ist meine wahre Lage. — — Doch ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, — knirsche eins mit den Zähnen, — und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollm. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will." —
Den 6. September 1778. An Dieselbe! — „Das Angeschlossene ist eine Ankündigung, über welche meine Freunde sich zum Theil wundern werden. Aber wenn Sie im Decameron des Boccaz (I. 3.) die Geschichte vom Juden Melchisedech, welche in meinem Schauspiel zu Grunde liegen wird, aufschlagen wollen, so werdm Sie den Schlüstel dazu leicht findm. Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."
261
Den 20. October 1778.
An Carl Lessing!
„Jetzt ist man hier auf meinen Nathan gespannt, und besorgt sich davon, ich weiß nicht was. Aber, lieber Bruder, selbst Du hast Dir eine ganz unrechte Idee davon gemacht. Es wird nichts weniger, als ein satirisches Stück, um den Kampfplatz mit Hohn gelächter zu verlassen. Es wird ein so rührendes Stück, als ich nur immer gemacht habe." —
Den 16. December 1778.
An Elise Reimarus!
„Wie es mir sonst geht, — wenn ich nur gesund bin — daran ist nicht viel gelegen. Ein bischen Verdruß habe ich sogar mit unter gern; und der liebe Gott weiß wohl, was ich gern habe und mir gesund ist."
Den 28. November 1780. An Dieselbe!
„Ich wette, Sie errathen nicht, was ich Ihnen diesmal zu melden habe. — Sie vermuthen ohne Zweifel, eine besondere Kri sis meiner Krankheit? — Das hat sich wohl! — Doch was nicht ist, das kann noch werden. Und der Tod selbst ist ja wohl auch eine Krisis der Krankheit. Ich komme eben von Braunschweig, wo mich der Herzog gestern rufen ließ, um mir kund zu thun, — — was meinen Sie wohl? — — daß ihm Sein Gesandter in Regensburg gemeldet, wie ihm der Sächsische Gesandte im Ver trauen eröffnet, daß nächstens an den Braunschweigischen Hof ein Excitatorium von dem Gesammten Corpore Evangclicoram ge langen werde, um mich, den Herausgeber und Verbreiter des schändlichen Fragments von dem Zwecke Christi und seiner Jünger zur verdienten Strafe zu ziehn. Dieses sagte mir der Herzog auf eine so freundschaftliche und beruhigende Art, daß ich cs zuletzt fast bereuet hätte, ihm so gleichgültig und sicher darauf geantwortet zu haben. Wenigstens hätte ich es wohl Unterlasten können, ihn ausdrücklich zu bitten, daß er sich meiner in keinem Stücke an nehmen solle, sondern in allem, ohne die geringste Rücksicht auf mich, so verfahren möge, wie er glaube, daß ein deustcher Reichs-
262 stand verfahren müsse. solche
Aeußerung
Denn ich
Niemand
begreife
verdient,
der
daß eine
nun wohl,
uns
nützlich
zu
sein
wünscht.«---------
Den 21. Januar 1781. An Dieselbe! „Allerdings, meine Liebe, bin ich wieder krank — und kränker als jemals.
Nicht daß mein Kopf noch in meinem Magen logirte.
Dank sei es den Pillen Ihres Herrn Bruders! Aber meine Augen
logiren drinnen,
und ich bin so gut,
wie blind. — — Aber ich
schreibe Ihnen doch: werden Sie sagen. heller Tag,
und ich habe eine
Bruder wird sich erinnern,
über meine Augen geklagt habe.
Büchschen,
wovon
neue
daß
ich
Es ist ein außerordentlich
herrliche Brille. ihm
Damals gab er mir zwei kleine
eine sehr klein und versiegelt war,
ich mich recht erinnere,
mein Unglück schicken,
und wenn
ein Arcanum oon van Swieten sein sollte.
Dieses habe ich noch unerbrochen in meinem Pulte. ich dieses jetzt probirte?
Ihr Herr
schon vor zehn Jahren
Ich
welches
lernte
mich
damals
auch
Wie, wenn
vielleicht nur in
noch nicht sehr groß war.
— Gott, wenn das auch wieder so werden soll! — Und wenn Sie
vollends wüßten, wie lange ich über diesen Brief geschrieben!" — Es war sein letzter an sie.
Am 15. Februar starb er.
263
Lessings Tod. Lessing hatte sich Anfangs des Jahres 1781 von Wolfenbüttel nach Braunschweig begeben. „Hier indeß, wo er Erholung und Genesung suchte, nahm," wie in dem Danzel-Guhrauerschen Werke und auch sonst übereinstimmend berichtet wird, „die Krankheit unvermuthet rasch einen lebensgefährlichen Charatter an. Auf die bettübende Nachricht eilte seine Stteftochter, Amalie König, aus Wolfenbüttel herbei, um mit liebender Hand die Leiden des stillen Dulders zu lindern. Der 15. Februar ließ noch einmal einen schwachen Sttahl der Hoffnung aufleuchten,' indem sich gerade an diesem Tage der Kranke bedeutend er leichtert fühlte, und heiter an seinem Schmerzenslager die Besuche theilnehmender Freunde annahm. Ja, mitunter scherzte er sogar mit dem Hof-Medicus Brückmann und Angott und Daveson. Aber dieses Lebens feuer war nur das letzte Aufflackern eines erlöschenden Lichtes. Am Abend dieses verhängnißvollen Tages saß die bekümmerte Tochter vor der Schwelle des Krankenzimmers, um vor dem Auge des geliebten Va ters ihre Thränen zu verbergen. Man meldete dem Kranken, daß im Vorzimmer Freunde zum Besuche seien. Da öffnet sich die Thür und Lessing tritt herein, ein Bild des herzzerschneidensten Anblicks! Das edle Antlitz, schon durch hypottatische Züge markitt und vom kalten Todes schweiße überdeckt, -leuchtet von himmlischer Verklärung. Stumm und unter einem unaussprechlichen seelenvollen Blicke, drückt er seiner Tochter Hand. Darauf neigt er sich freundlich gegen die übrigen Anwesmden, und mit so entsetzlicher Anstrengung es auch geschieht, nimmt er ehrerbiettg seine Mütze vom Haupte, aber die Füße versagen den Dienst; er wird zum Lager zurückgeführt und ein Schlagfluß endet, auch dem ängst lichsten Besorgnisse noch überraschend, das theure Leben." Moses Mendelssohn schrieb bald darauf an Carl Lessing, deS Hingeschiedenen Bruder: „Nicht ein Wort, mein Bester! von unserm Verluste, von der großen Niederlage, die unser Herz erlitten. Das An denken des Mannes, welchen wir verloren, ist mir jetzt zu heilig, um es durch Klagen zu entweihen. Es erscheint mir nunmehr in einem
264 Lichte, das Ruhe
breitet. loren.
that,
und erquickende Heiterkeit
die Gegmstände ver
auf
Nein! ich rechne nicht mehr, was ich durch seinen Hintritt ver Mit gerührtem Herzen danke ich der Vorsehung
daß sie mich so früh,
der
Mann kennen lassen,
in
meine Seele gebildet hat,
Handlung, welche ich vor hatte,
für die Wohl
meiner Jugend, hat einen
der Blüthe
bei
den ich
welche
bei jeder Zeile,
jeder
ich hinschreiben
sollte, mir als Freund und Richter vorstellte und den ich mir zu allen
Zeiten noch als Freund und Richter vorstellen Schritt von Wichtigkeit zu thun habe.
genug war
so oft ich
einen
Wenn sich in diese Bettachtnng
noch etwas Melancholisches mit einmischt,
daß ich seine Fühning nicht gehörig
werde,
so ist es
benutzt habe,
nach seinem lehrreichen Umgänge,
vielleicht die Reue, daß ich
daß ich
nicht geizig
manche Stunde
vernachlässigte, in der ich mich mit ihm hätte unterhalten können.
Ach!
seine Unterhaltung war eine ergiebige Quelle, aus welcher man unauf
hörlich neue Ideen des Guten und Schönen schöpfen konnte, die er wie
gemeines Wasser von
sich sprudelte,
zu Jedermanns Gebrauch.
Die
Milde, mit welcher er seine Einsichten mittheilte, setzte mich zuweilen in
denn sie schien ihn in keine Unko
Gefahr, das Verdienst zu verkennen:
und
sten zu setzen;
zuweilen schob er
sie den
daß ich sie nicht mehr unterscheiden konnte.
meinigen so mit unter,
Ueberhaupt war seine Mild
thätigkeit hierin nicht von der engherzigen Art mancher Reichen,
die es
fühlen lassen, daß sie Almosen ausspenden; sondern es spornte den Fleiß an, ließ verdienen, was er gab.
„Alles wohl überlegt, mein Liebster!
gerade zur
ist Ihr Bruder
rechten Zeit abgegangen, nicht nur in dem Plane des Weltalls zur rech
ten Zeit: denn da geschieht eigentlich nichts zur Unzeit, sondern auch in
unserer engen Sphäre,
zur rechten Zeit. System bekannt
die kaum
Von
vom Durchmesser hat,
Fontenelle sagt von Eopernicns: er machte sein neues
und starb.
Der Biograph
eben dem Anstande sagen können: starb.
eine Spanne
Ihres Bruders
er schrieb Nathan
wird mit
den Weisen und
einem Werke deS Geistes, das eben so sehr über Nathan
hervorragte, als dieses Stück in meinen Augen über Alles, dahin geschrieben, kann ich mir keinen Begriff machen.
was er bis
Er konnte nicht
höher steigen, ohne in eine Region zu kommen, die sich unfern sinnlichen
Augen völlig entzieht, und dies that er.
Nun stehen wir da,
Jünger des Propheten und staunen den Ort an,
wo
wie die
er in die Höhe
fuhr und verschwand." Ebenso schrieb Mendelssohn später seinem Freunde v. Hennings
in Kopenhagen: „Mich beschäftigt itzt der einzige Gedanke: Lessings Tod.
Er macht
265
aber er ist mir immer gegenwärtig,
mich nicht traurig, nicht tieffinnig:
wie
Ich schlafe mit ihm
das Bild einer Geliebten.
ihm, wache
ein,
träume von
mit ihm auf und danke der Borsehung für die Wohlthat,
die sie mir erzeigt hat, daß ich diesen Mann so frühzeitig habe kennen
lernen, und daß ich seinen freundschaftlichen Umgang so lange genoffen Die Welt keimt seinen schriftstellerischen Werth, wenige aber ken
habe.
nen seinen freundschaftlichen Werth;
daß
ja ich finde,
Werth überhaupt von vielen sogar mißkannt werde.
sein moralischer
Auch die Begriffe
von Tugend und Sittlichkeit sind der Mode unterworfen, und wer sich den Modebegriffen seines Jahrhunderts
nicht nach
schmiegen kann, der
wird von seinen Zeitgenoffen verkannt und verschrieen.
So viel scheint
mir indessen außer allem Zweifel zu sein: Wenn irgend ein Mensch
besser war, als er sich in seinen Schriften zu erkennen gab,
so war es Lessing.
wußte
Die am meisten wider ihn eingenommen waren,
er in einer Stunde persönlichen Umgangs
gleichwohl ist ihm meines Wissens
aus dem Munde gegangen;
ja,
nie
eine
zu
gewinnen,
und
geflissentliche Schmeichelei
er hatte sogar die — wie soll ich eS
nennen? — Bizarrerie, ein abgesagter Feind von der äußern Höflichkeit zu sein.
Seine gesellschaftlichen Tugenden
Theilnehmung, aufrichtiger Dienstbeflissenheit,
bestanden
in
mehr
in
ächter
der äußersten Entfer-
nung von Eigennutz und Eigendünkel, und in der milden Bereitwillig keit, einem Jeden mit seinem Reichthum an Begriffen so zuvorzukommen,
daß man sich in einer Unterredung mit ihm allezeit scharffinniger glaubte, als man
wirklich war,
Ueberlegenheit jeden Geck,
innerlich
ob
man
gleich nicht unterlassen konnte, dessen
recht zu ftihlen.
Sarkastisch
und
bitter gegen
der sich die Wahrheit allein gefunden zu haben einbildete,
war er liebreich und bescheiden gegen Jeden,
der Wahrheit suchte, und
zu allen Zeiten bereit, ihm mit seinem Porrathe zu dienen." *)
Am 21. Februar 1781 schrieb Herder an Mendelssohn: „Ohne Zweifel, lieber theurer Mendelssohn, wissen Sie so gut, wie
ich, Lessings Tod;
ich
kann
zwei Tagen damit trage und
aber nicht umhin,
da ich mich schon seit
gegen Niemand mein Herz darüber recht
ausschütten und losmachen kann, an Sie, liebster Mendelssohn, zu schrei
ben, an Sie, dessen Freund er so sehr war, und den ich mir in meinen
ersten Jahren so
gern und oft mit
ihm zusammendachte.
hung hat auch hierbei, wie bei Allem,
Die Vorse
ihre weisen guten Zwecke und
Wege: er ist bald und frühe des unvollkommnen Wirrwars losgeworden,
*) Moses Mendelssohn. Sein Leben und seine Werke, von Dr. M. Keyser ling. Leipzig, Hermann Mendelssohn 1862. S- 531.
266 in und mit dem wir uns hier schleppen, um nun die ersten Blicke der Wahrheit und festen Seelenfreiheit thun zu können; Ihnen aber brauche
sagen, was Deutschland, was die Wissenschaften,
ich's gewiß nicht zu
was die edle männliche Bestrebung in den Wissenschaften an ihm ver
loren und lange nicht wiedersinden werden.
Mir ist's noch immer,
so
entfernt wir von einander arbeiteten und dachten, so leer zu Muth, als ob Wüste, weite Wüste um mich wäre."") — —
Dann im Märzhefte des deutschen Mercurs des Jahres 1781: „Mit jedem Tage fühl' ich's schmerzlicher, was wir an diesem sel
tenen Manne verloren haben.
so
mannichfaltige,
große
Denn
Talente
wie
in
selten
werden so
Einer Person
viele,
vereinigt!
so
Und
wenn ich überdenke, was ein einziges Werk, wie Nathan der Weise, ist, — was es für mich, für jeden, der einen Sinn für die Vollkommenheit
in Werken des Geistes hat, ist — was nur etliche,
die Erziehung Gewinn,
des Menschengeschlechts,
welche Entschädigung
für
für
solche Bogen, wie
waren — welch ein
mich
ganze Jahre von Dürre, Mangel
und Mißwachs! — und mir denn sagen muß:
Er ist nicht mehr, der
Von dem ich noch
meinem Geist und Herzen solibe Feste geben konnte!
von Licht
soviel hoffen konnte!
Diese Quelle
immer verstopft!
Es ist traurig,
—
und Kraft
so die Besten
ist
nun auf
seines Volks und
seiner Zeit zu überleben — und traurig zu sehen, wie Wenige die Größe
eines solchen Verlustes nur zu fühlen fähig sind. den Neid nicht mehr reizen,
Und doch, da er nun
die Dummheit nicht mehr in Verlegenheit
setzen, die Tartüffen nicht mehr beunruhigen, und keinem der wohlmeinen den Leute, die wider ihn geschrieben haben, mehr Antwort geben kann,
—
nun
oder noch schreiben werden,
werden Sie
sehen,
wie sich alle
Stimmen vereinigen werden, die Größe des Mannes — den so wenige
zu würdigen int Stande sind, —
anzuerkennen.
Man wird sich um
sehen, nach einem, der diesen leergewordenen Stuhl an der kleinen Tafel runde der Weisen ausfüllen könnte. — Man wird sich fragen:
wo ist
nun der Denker, der Helle, tief blickende, weitumschauende, philosophische
Denker,
der uns
diesen Denker, — wo ist
diesen Meister in der Kunst
der Schriftsteller, der uns
der Composition und Darstellung — wo
ist der Kenner der menschlichen Natur,
der
uns diesen Menschenkenner
— wo der Mann von Geschmack und feinem, scharfem, sicherm Urtheil, der uns diesen Mann ersetzen könne?
wort geben können.
Und man wird sich keine Ant
Wie klein ist selbst die Zahl derer, die noch übrig
sind, uns wegen eines solchen Verlustes zu trösten.
*) Kayserling a. a. O. S. 544.
Und doch, glücklich,
267 daß wir noch so Manche haben, deren Tod einst alle Edlen und Gutm
eben so betrüben,
deren Verlust
ihn selbst — den Lichtgeist,
der
eben so unersetzlich sein wird! in
diesem
sehr außer seinem wahren Elemente lebte
Denn
dumpfichten Nebellande so Ihn bedauern wir nicht.
—
Ohne Zweifel gilt nun von 3hm, was der große Leibnitz einst auf den
Mann,
dem
und dem
er
die Veranlassung zu
unser Freund
seiner Theodice zu danken hatte,
an Scharfsinn,
Freiheit des Geistes, Umfang
der Kenntnisse, und dem Talent zum Schreiben so ähnlich war, anwendete: Candidus insuetmn miratur limcn Olympi
Sub pcdibus videt nubcs et sidera — — tief unter ihm Die Wolken und der Sterne wandelnd Heer,
Und wahren Lichtes aus dem Urquell voll, Blickt er herunter aut die dicke Nacht
Die unsern Geist erdrückt."
So
empfanden
den Tod
Lessings
damals
Wie ihn die deutschen Bühnen empfanden,
die
edelsten Freunde.
bezeugt ein Bericht aus
dem Gothaischen „Theater-Kalender auf das Zahr 1782."*)
Ein Aus
zug auö demselben soll diese Erinnerungen an Lessings Tod beschließen:
— ctii pudor, nudaquc veritas
quando ullum inveiiient purem? „Deutschland kann kein Beispiel einer
allgemeiner gefühlten Verlustes,
bei
aufweisen, als bei LessingS Tode.
einstimmigern Klage,
dem Tode
eines
eines
seiner Gelehrten
Seine Verdienste kannten, betrauerten
Alle, der Gelehrte wie der Ungelehrte, der Hohe wie der Niedrige, denn er war
eingegangen
in
jedes Heiligthu>n
der Künste
war nicht einseitig, sondern überall gegründet.
Kennzeichen des Genies — dieser in
und sein Ruhm
Wenn es ein unttügliches
unsent Tagen
so
oft erniedrigen-
ten, so oft verschwendeten Würde — ist, daß es sich nur einer Wissen
schaft zu weihen braudjt, kommen zu werden,
um
darin schnell,
nie mittelmäßig, oft voll
wer war mehr Genie als Lessing?
dürsten sich in unserm Vaterlande neben ihm stellen?
Der vor Tausenden zu glänzen, Hohen, hohen Geist empfing;
Aber, zwischen Lorbeerkränzen
Demuthsooll, in Zweifeln ging!
’) Gotha, bei Karl Wilhelm Ettinger
und wie Viele
268 „Ich fürchte,
es ist nur zu wahr,
was eine Stimme der Nation
daß die Stätte, die er füllte, lange ledig blei
an seinem Grabe zeugt,
ben wird!
„Die Künstler
des Vaterlandes haben
die Trauer des Volks um
seinen Liebling durch Denkmäler geheiligt.
Gin Bildhauer zu Braun
schweig stellte seine Büste in Marmor auf.
—
Abramson
prägte sein
und setzte auf die Kehrseite die unverloschene
Bildniß auf eine Münze,
Lampe, die trauernde Wahrheit und Natur, und die Erinnerung an das
letzte Meisterstück des Verstorbene«; Markgraf von Schwedt,
und Seine Königliche Hoheit, der
ließen Lessings
und Shakespeares Büsten auf
den Vorhang Ihrer Bühne malen, mit der Unterschrift:
fünfzig Jahr; der Zeitraum, zurücklegten.
Alt
zwei und
in welchem beide ihre rühmliche Laufbahn
Doch ehrenvoller noch war die Rührung eben dieses edlen
Großen bei Lessings Gedächtnißfeier!
Man sah einen deutschen Fürsten,
der um einen deutschen Weisen weinte!
Laut tönte
die Wehklage
des
deutschen Schauspiels, an der Urne des Mannes, dem es Alles verdankt, Lehre, Größe, Vorbild, der ihm Muster gab, die es kühn seinen frem-
den Schwestern entgegen halten, und ihnen zurufen darf:
seht, sie wä
gen die eurigen auf!" „Die erste Bühne, welche Lessings Todtenfeier beging, war die
Döbbelinische zu Berlin, am 24. Februar des vergangenen Jahres.
Das Theater stellte ein
erleuchtetes Castrum doloris mit dem Grab
mal und Bildniß des Verstorbenen dar,
zn
dessen Seiten der
größte
Theil der Schauspieler und Schauspielerinnen, an deren Spitze sich auch Herr Döbbelin befand, in Trauerkleidern standen. Eröffnung
machte.
der Bühne auf
jeden Zuschauer
den
Ein Anblick, der bei
lebhaftesten
Eindruck
Sobald der Vorhang aufgegangen war, hörte man hinter der
Bühne eine Trauermusik, bei welcher das Bendaische Chor
am Grabe
Julians mit einiger Abänderung des Textes zu Grunde gelegt war. vortreffliche Stimme herzeindringcndcr.
Die
der Demoiselle Niclas machte diesen Gesang noch
'Jtadj Endignng desselben hielt Demoiselle Döbbelin
folgende vom Professor Engel verfertigte Rede: „Ten ihr bewundertet; Er, kessen Meisterhand
Emilien erschuf, ter Leidenschaft mit Witze, Geschmack mit Phantasie, wie keiner noch verband;
Er, ter voran an aller Deutschen Spitze
Lo ruhmvoll unk so einzig stand: — (tr ist nicht mehr! aus öffentlicher Scene,
Aue voller Brust dem Edlen hingeweint,
Sei unsres Danks gerechte stemme Thräne
269 Mit Eurem Dank und Eurem Schmerz vereint! Wenn Er ein Deutscher nicht, wenn Er ein Britte wäre: Da schlösse seinen Sarg die Gruft der Kön'ge ein, Da würd' ein Volk, gefühlvoll für die Ehre, Ihm öffentlich ein ewig Denkmal weih'n —
O gönnt dann Ihr des großen Mannes Asche, Daß jenen Todtenkrug, der sie gesammelt hat, Die deutsche Künstlerin, in Deutschlands erster Stadt, Mit töchterlichen Thränen wasche!
Sie ist zu klein, Verdienst, wie so ein Geist erwarb, Mehr als bewundernd zu empfinden; Zu arm, mit Blumen nur die Urne zu umwinden: Denn ach! — fie welken, da Er starb! „Die allgemeine Stille,
die
während
dieses ganzen Auftritts im
Schauspielhause herrschte, war ein Beweis der aufrichtigen Theilnehmung
Dieser Trauer-Feierlichkeit folgte die Aufführung der
des Publicums.
Emilia Galotti; auch hier erschienen die meisten Schauspieler noch in Trauer. — Da das Schauspielhaus die Menge der Zuschauer, die sich an diesem Tage
hinzudrängte, nicht fassen konnte, so wurden sämmtliche Vorstellungen am
27. desselben Monats auf dringendes Verlangen nochmals wiederholt." Hamburgs
„Auch der
Schaubühne klagte am 9. März den Ersten
dramatischen Dichter.
Nach
der Aufführung
der Emilia Galotti
hörte man eine vortteffliche Trauermusik, unter welcher der Vorhang ge
öffnet wurde. det:
ment
Das Theater
war durchaus mit schwarzem Tuch beklei
in der Mitte stand auf einem durch fünf Stufen erhöhten Posta eine Urne,
um
welche
Trauer gruppirt waren.
alle Mitglieder
des Theaters
in
tiefster
Dann folgte ein feierliches Chor von Madame
Benda, Mademoiselle Keilholz und Mademoiselle Kreß angestimmt und
vom Herrn Hönicke componirt; hierauf ein Recitativ und Arie von Ma dame Benda gesungen, und endlich eine Rede von Herrn Schröder ge
sprochen:
— „Nur unverwunden bleibt die Trauer,
Mit welcher unsre Kunst den Schlag beklagt; Denn diese klagt um mehr, ist um die Dauer Der vaterländ'schen Kunst verzagt; Sieht nur den kleinen Trost von weiten, Hofft, daß noch Dichter in der Ferne stehn,
Die nur den
einzigenbewährten Richter scheuten,
Und kühner nun auf seinem Pfade gehn, Hofft, daß sein Geist auf ihnen schwebe, Und Segen noch auf ihre Werke streu',
270 — Daß Deutschlands Weh um ihn sie noch belebe, Und Sporn ihm nachzustreben sei. — Ihm selbst, dem Edlen, Ihm ist wohl!
Er weiß nun, welche höh're Stelle
Ein höh'rer Geist bekleiden soll,
Ihn dürstete; nun ist er an der Quelle,
Er spürte nach der Erde Leidenschaften, Nach Groß' und Schönheit der Natur;
Nun sieht er ihre ersten Faden hasten, Tritt auf der Grundgesetze erste Spur, Nun weiß er, daß der treue Sucher
Erst hinter den entfernten Vorhang dringt,
Daß ird'sche Weisheit Millionen Wucher Und kleine Aussaat große Früchte bringt!
Sprichst, Deutschland, Du von Dir, erwähne seiner;
An Neid und Undank sei die Rache Dein; Ja unsre Kunst soll am Altare keiner Sich, ohne Ihm zu opfern, weihn.
Laß, Vaterland, ihn nicht durch kleines Lob,
Durch Schmeicheln und Nachahmung schmähen, Auf seinem Grabe mag der Künstler Fahne wehen, Die Ewigkeit sei ihre Krone drob!"
„Die Menge der Zuschauer und ihr feierliches Schweigen war ein deutlicher Beweis ihres Antheils an diesem großen Verlust."
„Zu Schwedt befahl der Markgraf, der Wissenschaft und Talent wägt und schätzt, der Asche des großen Mannes ein Trauersest zu weihen. Die Bühne, vorne schwarz bekleidet, stellte einen Eichenhain vor, im Hintergründe den Tempel der Unsterblichkeit, an dessen Schwelle lagen zween trauernde Barden; im Innern stand Lessings Urne und Büste auf einem allegorischen Altar; auf beiden Seiten die Bildsäulen der personificirten Ideen: Natur, Erziehung, Toleranz, Poesie, Philosophie, Ge schichte; auch sah man in Medaillons die Namen der sechs großen Schauspiele des Dichters. Unter einer dazu passenden schönen Ouvertüre, die von einem ausdrucksvollen Orchester mit inniger Theilnehmung vor getragen wurde, erschienen sämmtliche Schauspieler in Trauer mit Lor beerkränzen und Weihrauch in den Händen, unter ihnen Möller als Odoardo Galotti, der nach Endigung der Musik folgende in diesem Cha rakter gesetzte Rede hielt: — Nur eine Unschuld ruft Emilia! — Ein Lessing nur, seufzt laut Germania! — Und diesen lieben großen Einen!! —
271 Ha! wär' nur Albion sein Vaterland Wie bald ständ' dann an Avon's Strand
Von seinem Volk ein Denkmal für Ihn da; Wie würd' um Ihn sein König weinen, Und noch im Grabe sich mit Ihm vereinen! —' So hast denn Du, Germania, In Deinem weit gestreckten Lande
Nicht solch' ein Volk, solch einen Fürsten? — Schande! —
Za Schande war's! — Doch, meine Mutter, doch! —
Du hast solch' einen Fürsten noch.
Tenn Friedrich Heinrich lebt — und Lessing lebt! — Ich seh' ihn — den erhab nen Schatten: Hoch in des Gmpyräums Kreisen schwebt
Gr da, wo Shakespeare sich und Leibnitz zu Ihm gatten, Wo sie sich haben, die noch nie sich hatten.
Vergöttert winkt Gr Dank mir zu, für Dich,
Nimm hin — empfang' ihn feierlich,
Und theile, großer Brennussohn, das Opfer, Das noch Melpomene dem Liebling heut
Zn diesem Lorbeer bringt — Unsterblichkeit." —
„Die Thräne in den Augen des Fürsten bei der vortrefflichen Declamation des Redners gab diesem Austritte seinen völligen Werth.*) „Am 25. März feierte das Privattheater in Ellrich am Harze Lessings Andenken. Die Bühne war schwarz bezogen und stellte ein Castrum doloris vor, welches einen Sarg trug, auf dem Dolch und Maske, mit einem Lorbeerkranze umschlungen, auf einem Kissen von Silberstück lagen. Im Hintergründe hielt ein Genius mit umgekehrter Lebensfackel Lessings Bildniß. Das Portrait war mit Spiegel-Wandleuchtern umgeben, der Sarg mit Gueridons. Auf der rechten Seite des Sarges stauden die Schauspielerinnen, auf der linken die Schau spieler, alle in tiefer Trauer. Nach dem Eingänge einer dazu besonders gesetzten Trauermusik ward ein Grablied auf den Verstorbenen, bald im Chor, bald im Duett abgesungen, und hierauf durch Madame Rhenzel eine vorttefliche Rede von Goekingk vorgetragen." „Nach Endigung der Rede verlor sich die Musik in sanften Schmerz. Hinterher ward Miß Sara Sampson aufgeführt."
') Bergl. Guhrauer II. 319.
Beilagen. In chronologischer Folge.
275
Beilage I.
Drei Dichter - Standbilder in Berlin. Ein Wort zur Einigung. Um zu der so wünschenswerten baldigen und völligen Ausgleichung der über die Errichtung des Schiller- und Goethe-Standbildes bestehenden Diffe renzen beizutragen, müssen wir zunächst auf das Thatsächliche mit einigen Worten zurückkommen. Das vaterländische Fest des 10. November 1859 hatte in der Grund steinlegung zu einem StandbUde für den geliebten Dichter hier seinen bedeutsamsten Ausdruck gefunden. Vor einem der schönsten Gebäude, womit die Meisterhand Schinkels diese deutsche Hauptstadt zu schmücken wußte, der Freitreppe und Säulenhalle dieses Gebäudes mitten gegenüber, wurde au diesem Tgge die Stelle für das Schiller-Standbild öffentlich und feierlich in Besitz genommen, auf ihr ruhten damals die gerührten Blicke vieler Tausende, und Nichts schien gewiffer, als daß sich auf derselben Stelle die kunstverklärte Ge stalt des Gefeierten demnächst dauernd erheben werde. Später trat die Be strebung ins Leben, hier dem Standbilde Schillers ein Standbild Goethes beizugesellen. Sie schien in ihrer thatsächlichen Verwirklichung die Folge einzuschließen, daß das Schiller-Standbild die Stelle in Mitte der Freitreppe verlieren und, rechts oder links davon ab, zur Seite weichen müsse. Gerade die Folge aber bildet, unserer Annahme nach, fortwährend den Hauptgrund der Mißstimmung, den die Bestrebung für das Goethe-Standbild in den Kreisen Derer findet, die sich mit ihrem Herzen zumeist oder ausschließlich nur bei der Errichtung des Schiller-Standbildes betheiligen. Wo in diesen Kxeisen die bestehende Mißstimmung auf diesem Grunde beruht, sind wir nicht im Stande, gegen sie einen Vorwurf zu erheben. Denn die Liebe für Schiller ist nicht ungerecht gegen Goethe, wenn sie mit eifersüchtiger Sorge darauf wacht, daß ihrem Lieblinge nachttäglich nichts von dem verloren gehe, was ihm die Begeisterung eines allgemeinen Freudentages an ehrenvollster Auszeichnung einmal gewährt hat. So wenig wir unserer SeitS daher dem Wunsche entgegen zu taten vermögen, daß dem Standbilde Schillers der Standpunkt unverändert erhal18*
276 teu werde, der ihm
am
10. November 1859
Grundsteinlegung symbolisch zugeeignet ward, andern Seite den vollgültigen Anspruch
in dem Act der
verkennen,
feierlichen
können wir auf der
so wenig
der seitdem im Namen
deutscher Dankbarkeit und Gerechtigkeit dafür laut geworden
daß
ist,
dem
Standbilde Schillers auf dem Vorplätze unseres Schauspielhauses das Stand
bild Goethes zur Seite trete.
Wir gehen bei der Begründung
dieses Anspruchs
der Mei
nicht von
die während der Schlußperiode des
nung aus, daß die seltene Gemeinschaft,
Schillerschen Lebens Goethe und Schiller so fest und segensreich mit einander
verbunden hat, unter allen Umständen und zu jeder Zeit zu vereinigten Ehren für Beide führen muffe.
Namentlich glauben wir nicht,
daß das Jubelfest
deS 10. November 1859, sofern es durch die Grundsteinlegung zu einem Stand bilde Schillers seine besondere Weihe
28.
August 1849
nothwendig
zu
durch
empfing, mit einer Nachfeier für den
Errichtung
verbinden
gewesen.
eines Standbildes
auch
für
Goethe
Aller Gemeinschaft unbeschadet stehen
Schiller und Goethe in eignem Werth und in dem Reichthum ihrer besonderen Vorzüge so selbstständig und von einander unabhängig da,
zu ihrer
äußern Verherrlichung Einer
daher in der hier am das Schiller-Standbild
des Andern
10. November 1859
nicht
daß sie auch
erfolgten Grundsteinlegung
eine Eigenschaft des Schillerschen Geistes
feiert werden sollen, die diesem
Wenn
bedürfen.
für
hätte ge-
und wenn
allein oder vorzugsweise eignete,
diese Absicht aus der zur Grundsteinlegung erwählten Localität irgendwie er kennbar geworden wäre, so würden auch wir der Ansicht sein, daß das Stand
bild Schillers in der Ausschließlichkeit seiner Ehre erhalten, daß davon abge» standen werden müsse, ihm hier ein Standbild Goethes zur Seite zu stellen. Wo aber der Grundstein zu dem Standbilde Schillers
am Tage seines Ju
belfestes wirklich gelegt worden ist, auf dem Vorplatze des Schauspiel
hauses, da kann und wird Schiller zunächst immer nur in seiner Bedeutung als dramatischer Dichter aufgefaßt werden,
und das Verhältniß,
windliches Recht behaupten. Schöpfer des Don Carlos,
daß ihn in
verbunden hat, sein unüber
dieser Eigenschaft mit seinem großen Freunde
Eine Ehre, die deutsche Herzen und Hände dem des Tell, des Wallenstein darbringew,
innersten Natur nach untrennbar von der Darbringung
ist ihrer
einer gleichen Ehre
für den Schöpfer des Faust, des Egmont, des Götz von Berlichingen.
Was
immer sie sonst voneinander geschieden, in diesen und andern verwandten Mei
sterwerken deutscher Kunst stehen Schiller und Goethe vor den Augen der Welt und
dem
Stolz und
Pflichtgefühl
des
eigenen
Volkes
mit
vereinigten
An
sprüchen da, hier sind sie im höchsten Sinne des Wortes Freunde und Brü der, hier repräsentiren sie denselben Ruhm,
und
fordern und
verdienen die
selbe Ehre. Darum also, daß das Standbild Schillers auf dem Vorplatze des Schauspiel hauses die Stelle unverändert behalte, die ihm
dort in Mitte der Freitreppe
am 10. November 1859 zugewiesen worden ist, und daß sich ihm auf dem selben Platze das Standblld Goethes anschließe, darum werde dort neben dem
277
Standbilde Schillers nicht blos das Standbild Goethes, sondern auch daStandbild Lessings ausgerichtet, werde Schillers Standbild, als der bleibende Mittelpunkt einer herrlichen Dreizahl, dort von den Standbildern Goethes und Lessings beiderseitig einge schlossen. Was kann diesem Vorschlag entgegenstehen? Ist Lessing unwürdig, dort mit Goethe die Verherrlichung Schillers zu theilen, oder muß überhaupt dar auf verzichtet werden, für ein Standbild Lessings nachfolgend ähnliche Mittel zu erlangen, wie sie für das Schiller-Standbild längst gesichert find, und für daS Goethe-Standbild in naher Frist gesichert scheinen? Welche Tugenden des Menschen und des Schriftstellers sprechen wir in dem Namen Lessing aus! Welches reine, schöne, mitfühlende Herz, welche un erschütterliche Wahrhaftigkeit, welcher rastlose Fleiß, welcher unbeugsame, nie capitulirende Stolz und Zorn gegen das Schlechte und Böse! Ist je ein Bekenntniß durch That und Leben mehr bewährt worden, als und der große Mann in diesen unvergänglichen Worten hinterlassen hat: „Nicht die Wahr heit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit besteht. Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahr heit, obschon mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm in Demuth in seine Linke, und sagte: Vater gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!" Und was gab ihm Gott, und wie hat er diese Gaben für sein Volk und für die Welt verwandt! Wahrlich Schiller und Goethe stehen uns Beide sehr hoch aber so hoch stehen sie uns nicht, daß wir Lessing in irgend einem Be tracht für unwürdig hielten, hier in gleicher öffentlicher Ehren-Auszeichnung mit ihnen gefeiert zu werden. Was war Deutschland vor Lessing und was ist es zumeist durch ibn geworden? Von wie viel Ungeschmack und Roh heit hat er uns befreit, wie viel Uebermuth, Anmaßung, Lüge und Schein heiligkeit hat er gebeugt und zu Schanden gemacht? Wer stürzte den Götzen dienst des falschen Klassicismus und führte uns zu der Natur und Wahrheit der Kunst zurück? Was haben auch Schiller und Goethe ihm zu danken? Unter welchen Erschwerungen hat er ihnen vorschreitend in Sprache und Er kenntniß die Bahnen gebrochen? Selbst aus dem Gebiete dramatischer Schö pfungen: wer von Allen, die ihm bisher gefolgt sind, hat so sehr wie er verdient, neben Schiller und Goethe verehrt zu werden? Seine Minna von Barnhelm, seine Emilia Galotti, sein Nathan der Weise: was bedarf eS mehr, als auf diese unversiegbaren Quellen deutscher HerzenS- und Seelen stärkung hinzuweisen, um für den, der sie uns erschlossen hat, der Ehrenstelle an der Seite Schillers gewiß zu sein? Und wenn er diese Ehrenstelle verdient, kann der Wille, können die ma-
278 seriellen Mittel mangeln, sie ihm zu gewähren, — ihm, dem edlen deutschen
Manne, der bei allen seinen Geistesgaben
kühn wie Schiller hätte
sagen
dürfen, „den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht mehr werth war, al- seine Werke", — dem großen Vorkämpfer für Humanität und GlaubensDuldung, dem sich im ganzen Vaterlande und weit über dessen Grenzen hin
aus so Diele nah verbunden und tief verpflichtet- wissen? Andere
dankbare Städte des Vaterlands,
Braunschweig sind mit der Errichtung Goethes, Lessings vorangegangen. Weimars
Stuttgart, Frankfurt a. M.,
der einzelnen Standbilder Schillers,
Dann wurden auf dem geweihten Boden
die Standbilder der beiden Erstern
Welcher neue Gewinn,
zu Einer Gruppe verbunden.
der Metropole deutscher Kunst und Wissen
nun in
schaft, hier, wo Lessing lebend und wirkend Freundschaft und Liebe sand, und unter günstigeren Sternen vielleicht eine zweite Heimach gesunden hätte, sein
Standbild mit den Standbildern Schillers und Goethes zu einem würdigsten ®(tilgen und zum dauernden Genusse vieler nachkommenden Geschlechter, har
monisch zu vereinigen! den wir baldgeneigter Prüfung empfehlen,
Das ist der Vorschlag,
da
er zu spät kommt, wenn die bisher blos auf die Errichtung zweier Stand
bilder berechnete Ausschmückung des Vorplatzes unseres Schauspielhauses, unverändertem Vollzug dieser Berechnung,
langt.
Die Errichtung
symmetrischer
eines dritten Standbildes ist dann nach
Gesetzen
die Hinzunahme
vierten
Nothwendigkeit
Standbildes auf
in
zur thatsächlichen Ausführung ge
ohne
noch
eines
dem SchauspielhauS-Platze überhaupt nicht mehr gestattet,
oder, was in dem zu befürchtenden Resultate dasselbe, die Aussicht ist unwie
derbringlich verloren oder doch aufs Höchste gefährdet,
daß sich den Stand
bildern Schillers und Goethes das Standbild Lessings künftig hier anreihe.
Wird dagegen jetzt diese Aussicht erhalten, des Schiller-
sowohl
ihren
Fortgang
nehmen,
Lssfing - Standbildes
so
kann die Ausführung
als des Goethe-Standbildes jeden nächsten Augenblick
in
ohne
durch
den
irgend
einer
Weise
nachfolgenden
behindert
Hinzutritt
oder
des
aufgehalten
zu sein. DaS Lessing-Standbild schließt sich dann hier später seinem Mittelpunkte,
dem Schiller-Standbilde, eben so zustimmend an, wie an einer andern Stelle die spätern Standbilder Aorks und Gneisenaus das
ftühere Standbild Blü
chers untschlossen und verherrlicht haben.
Einigen wir uns denn, so lange es noch Zeit ist, die Möglichkeit dieses Abschlusses einer nähern oder fernern Zukunft ungeschmälert
der gemeinsamen Hoffnung und Zuersicht, daß sich in der Verherrlichung Schillers nun
so
zu erhalten, in
die Mahnung Goethes,
schön
erfüllt,
auch
hier zur Wahrheit werde: „So feiert Ihn! Denn was dem Mann das Leben Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben."
die
für Lessing
279
Beilage II. Berlin, den 5. Mai 1861.
Ihre Majestät die Königin haben mich beauftragt, Ihnen, hochgeehrtester Herr Präsident, mitzutheilen, daß Allerhöchstdieselben des Ober-Tribunalsraths Bloemer
Vorschlag,
das Standbild
Schillers
Grundstein einmal gelegt, und zu seiner Rechten
dort
aufzustellen,
wo der
und Linken Goethes und
Lessings Monumente zu errichten, sehr angemeffen finden und für den Fall dieser Plan zur Ausführung käme, für Lessings Denkmal denselben Beitrag
aus Allerhöchst Ihrer Schatulle
aussetzen wollen,
welchen die Allergnädigste
Herrin zur Errichtung der beiden übrigen Denkmäler bereits gewährt hat. Genehmigen Sie, hochgeehrtester Herr Präsident,
den Ausdruck meiner
vorzüglichsten Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu verharren
Ihr
ganz ergebenster B r a u d i
Dr.
An
den Präsidenten des Hauses der Abgeordneten, Ober-
Appellations - Gerichts - Vice - Präsident, Herrn Dr. Simson
Hochwohlgeboren
hier.')
Beilage III. Dem Magistrat beehre ich mich in der Anlage ganz ergebenst eine Brochüre zu überreichen, welche mir vor
zugegangen ist,
einigen Tagen anonym per Stadtpost
und die, äußerem aber unverbürgtem Vernehmen nach, den
Geheimen Ober-Tribunalsrath Bloemer, Verfasser hat.
Dieselbe führt den Titel
Mitglied
„Drei
des
Herrenhauses,
Dichterstandbilder
zum in
Berlin" und sucht die noch immer schwebende Streitfrage, ob die SchillerStatue
auf
ihrem
Grundstein im Gensdarmenmarkt
verbleiben,
oder an
eine andere Stelle gerückt werden soll, um dem Goethe-Monument neben sich
Raum zu lasten, dadurch zu erledigen, daß der Vorschlag gemacht wird, zwar
Schiller in seinem wohlerworbenen Rechte d. h. auf
seinem Grundsteine zu
erhalten, außer der Goethe-Statue aber noch eine Lessing-Statue hinzuzufügen *) Veröffentlicht in den hiesigen Blättern nach der Veröffentlichung der Aller
höchsten CabinetS-Ordre vom 6. November 1861.
280 — und das Schiller-Monument von beiden Seiten durch die anderen Statuen gleichsam einzurahmen. Der Vorschlag wird in der Brochüre mit Geist und Geschick vertheidigt und scheint jedenfalls der eingehenden Prüfung durch die städtischen Behörden vollkommen würdig zu sein. Indem ich dazu durch die gegenwärtige Vor lage eine amtliche Veranlassung geben möchte, erlaube ich mir zur Unter stützung respective weiteren Ausführung Nachstehendes ganz ergebenst vorzu tragen. Die ganze Schiller-Frage hat sich augenblicklich, wie man zu sagen pflegt, in eine Sackgasse verrannt, in der sie weder rück- noch vorwärts kom men kann, während alle Parteien gleichmäßig auf ihre Erledigung hindrän gen. Für das Schiller-Denkmal ist bei einem historisch wichtigen Anlaß der Gensdarmenmarkt bestimmt worden, und die Stelle selbst durch feierliche und öffentliche Grundsteinlegung fixirt. Königliche Ordre, ministerielle Rescripte, städtische Beschlüsse und die Thätigkeit eines Privat-Comit^, haben gleich mäßig und übereinstimmend dabei mit- und zusammengewirkt. Diesem gegen über ist drei Monate später auf den Antrag eines anderen Privat - ComitH ebenfalls durch Königliche Ordre und ministerielles Rescript die Genehmigung ertheilt worden, „Hierselbst in Verbindung mit dem für Schiller bestimmten Denkmale auch Goethe ein Monument zu errichten" und „um die bei den Unternehmungen in Einklang zu setzen" eine weitere gemein same Berathung vorbehalten worden. Nachweislich ging man regierungsseitig von dem vollkommen gerechtfertigten Gedanken aus, daß den beiden Dichterfürsten, „welche im Leben mit und neben einander gewirkt, die Welt eine gleiche und gemeinsame Anerkennung schulde." Diese schöne Idee scheiterte an äußern, zum Theil vielleicht kleinlichen Motiven. Die Berathungen haben stattgefunden, allein sie haben, — statt des erwarteten Einklanges, nur einen bis heute ungelösten Conflict zwischen den Vertretern und Beförderern der beiden genannten Sta tuen hervorgerufen. Denn soll Goethe, wie den Unternehmern seines Denk mals Allerhöchstwillig zugesichert ist, „in Verbindung" mit Schiller aufgestellt werden, so muß Letzterer aus ästhetischen Gründen von seinem Grundstein weichen, und dazu wollen sich die Beförderer seines Monumente, auf ihr wohlerworbenes Recht gestützt, eben so wenig verstehen, als die Goetheaner ihre Königliche Zusicherung aufzugeben geneigt sind. Der Gegensatz hat sich vielmehr um so leidenschaftlicher gestaltet, als, bedauerlich genug, auch hier die politischen Strömungen des Tageö ins Mittel traten und Schiller als den Vertreter der demokratischen, Goethe als den der aristokratischen Richtung fignalisirten, so daß es sich nun für jede Partei zu einer politischen Ehrenund Interessen - Sache zu gestalten schien, von ihrem behaupteten Rechte Nichts aufzugeben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Staatsgewalt schließlich in der Lage sein wird, von ihrem obersten Rechte der Entscheidung Gebrauch zu machen und dadurch den Conflict zu lösen. Indeß es ist ebenso gewiß, daß die Staatsgewalt zu diesem Entscheidungsrechte nur ungern greifen wird,
281
well dadurch immer nach einer Seite hin in eine freudige und gehobene Be wegung Mißstimmung getragen werden muß, und weil jedenfalls die for mellen Rechte der unterliegenden Seite verletzt werden müssen. Ja, es ist nicht zu verkennen, daß aus dem oben berührten politischen Gegensatz sich noch weitere Erwägungen ergeben, die eine solche dictatorische Entscheidung dann geradezu bedenklich machen, wenn sie zu einer Verlegung beider Statuen nach verschiedenen Plätzen führen würde; denn es könnte sich dann im Laufe bewegter Zeitverhältnisse wohl ereignen, daß die beiden Dichterfürsten, ent gegen ihrem Wesen und ihrer Bedeutung, zu politischen Standbildern gestem pelt würden, um welche sich die jedesmaligen Parteibewegungen mit ihren politischen Ovationen gruppirten. So viel äußerlich wahrnehmbar geworden ist, verlangen die Schillerianer ausdrücklich die Versetzung Goethes nach einem andern Platz, dem sich jedoch die Goetheaner mit gleicher Entschiedenheit widersetzen. Unter allen Umständen erhellt bei dieser Sachlage, daß jedes Auskunftsmittel einer friedlichen Verständignng weitaus das Erwünschteste bleiben muß, und daß diese friedliche Verständigung um so mehr Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie von keiner Partei ein principielles Opfer verlangt. Geht man hiervon aus, so erscheint der Vorschlag der Eingangs beregten Brochüre völlig geeignet, eine Lösung der Conflicte herbeizuführen. Schiller behält seinen Grundstein auf dem Gensdarmenmarkt, Goethe kann „in Verbindung mit dem für Schiller bestimmten Denkmale" auf der einen Seite sein Mo nument erhalten, Lessing wird es auf der andern Seite einnehmen — allen Forderungen ist genügt, kein wohlerworbenes Recht wird weiter getrübt, und hat somit Niemand ferner begründeten Anlaß zu irgend einer Zurücksetzung oder Mißstimmung. Die Gründe, weshalb gerade Lessing diese Ehre vindicirt werden soll, sind so geistvoll und so schlagend in der gedachten Brochüre entwickelt, daß ich mich lediglich darauf beziehen kann. Ich will nur noch hinzufügen, daß, wenn man einmal von politischen Nebengedanken ausgehen will, weder De mokraten noch Aristokraten gegen den großen Kunstkritiker etwas einzuwenden haben dürften, auf dessen gewaltigen reformatorischen Grundlagen die schöpfe rischen Gebilde Goethes wie Schillers sich gleicherweise auferbauten, ja erst auferbauen konnten. Ich will aber weiter bemerken, daß meiner Ansicht nach das Erwünschteste dieser Drei-Statuen-Jdee gerade darin liegt, den lei digen politischen Nebengedanken in den Hintergrund zu drängen und die rein dichterische Bedeutung der monumentalen Verherrlichung in ihr volles und ausschließliches Recht einzusetzen. Nicht Aristokraten oder Demokraten sollen und werden sich dann hier versammeln, sondern alle Diejenigen, die die culturgeschichtliche Aufgabe unseres Volkes in diesen drei Genien erkennen und bewundern und sich dabei des wahren Ausspruches eines neueren Sängers erinnern: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, Als auf der Zinne der Partei."
282
Einen Haupteinwand wird allerdings der Kostenpunkt bilden, diesen aber glaube ich in den folgenden Vorschlägen ziemlich befriedigend erledigen zu können. Nach vorheriger vertraulicher Verständigung mit den betreffenden Herren Ministern über die Drei - Statuen - Idee würde es darauf ankommen, sich in gesonderten Berathungen sowohl mit dem Schiller-, als mit dem Goethe-Comit« dieserhalb zu benehmen. Es versteht sich, daß keinem dieser beiden Comites ein eigentliches DLderspruchsrecht dabei eingeräumt werden wird, weil ja ihre Ansprüche nicht mehr collidiren, es kommt aber darauf an, im Interesse der Ausführung deneuen Vorschlages, sich möglichst ihrer Mitwirkung zu versichern. Der Fonds des Schiller-Comite in Gemeinschaft mit den städtischen und staatlichen An theilen reicht schon jetzt über den Kostenbedarf des Schiller-Denkmals hinaus. Das Goethe-Comite wird sich wahrscheinlich in einiger Zeit in ähnlich gün stiger Lage befinden, zumal wenn, was nun nicht länger aufzuschieben sein dürfte, für das Goethe-Monument aus städtischen Mitteln ebenfalls die im Grunde schon zugesagten 10000 Rthlr. angewiesen werden. Die beiden Comites würden dann dahin zu disponiren sein, im EinVerständniß mit der Drei-Statuen-Idee ihre Sammlungen für eine LessingStatue fortzusetzen, und gleichzeitig dasjenige, was aus dem Schiller- respective Goethe-Fonds später übrig bleiben sollte, mit für einen Lessings-Fonds aufzuwenden. Gleiche Verbindlichkeiten würden für ihre Antheile die städti schen Behörden und respective die Staatskasse einzugehen haben, letztere Beide mit dem freien Vorbehalt, im Laufe der Zeit zu dem etwa Fehlenden eben falls zuzuschießen. Mit anderen Worten kann man dies auch so ausdrücken: die Fonds der Goethe- und Schiller-Statuen werden in einen Drei-StatuenFonds verwandelt und sämmtliche Betheiligte, Staat, Commune und Private übernehmen die Verpflichtung, für die weitere Förderung dieses Fonds bis zur gänzlichen Erfüllung seiner Aufgabe zu wirken, vorbehaltlich der Vorzüge der einzelnen Statuen in der Reihenfolge ihrer Ausführung. Ist hierüber Einverständniß erzielt, so würde dadurch der Friede hergestellt und als erste Frucht desselben gewonnen sein, daß der sofortigen Ausführung der Schiller. Statue kein Hinderniß mehr in den Weg treten könnte. Es würden die Ausschreiben in Betreff der Anfertigung der Modelle ungesäumt zu erlassen, und nunmehr auf alle drei Statuen gleichzeitig zu richten sein. Die Ausführung erfolgte aber erst, so wie die Gelder disponibel sind, also für Schiller unverzüglich, für Goethe wahrscheinlich demnächst, für Lessing zuletzt. Dieses Arrangement hätte den großen Nutzen, daß aller Hader geschlichtet, dem an sich berechtigten Verlangen der endlichen Ausführung des SchillerMonuments bei längst vorhandenen Mitteln ein weiteres Hinderniß nicht in den Weg gelegt, aber auch gegen Goethe poetische Gerechtigkeit geübt und gegen Lessing eine Schuld eingelöst würde, deren Anerkenntniß die lebende Generation sich schwerlich noch entziehen kann. In diesen Vortheilen glaube ich die ausreichenden Motive für die beiden
283
gedachttü EomitLS zu erblicken, auf den Vorschlag ohne Einrede einzugehen, sobald er in geeigneter Weise zu ihrer Kenntniß und Beschlußnahme gebracht wird. Der Staat hätte dann noch weniger Anlaß, einen Widerspruch zu er heben. Für die Stadtkasse liegt aber ein Bedenken auch nicht darin, denn sie soll sich ihrerseits zu einem Beittage für das Lessing-Denkmal nicht verpflich ten, vielmehr einen solchen lediglich ihrem freien Ermessen und den weitern Zeitumständen vorbehalten. Bevor der Lessing-Fonds nicht beisammen ist, wird das Denkmal nicht gesetzt werden, und hierin liegt wieder ein weiterer Anttieb für die beiden Comit^S, das ganze Werk durch ihre Thätigkeit bald möglichst zum völligen Abschluß zu bringen. Vielleicht würde es sich dann empfehlen, den undeutschen und heute inhaltlosen Namen des Platzes mit dem ediern und bezeichnendern „Dichter-Platz" zu vertauschen. Ich stelle ergebenst anheim, nach diesen flüchtigen Andeutungen, deren Formlosigkeit ich mit dem Drange anderweiter Geschäfte zu entschuldigen bitte, die Angelegenheit in Erwägung und respective in weiteren Angriff zu neh men und dadurch, wenn möglich, einer allseitig befriedigenden Erledigung in kürzester Frist entgegen zu führen. Berlin, den 23. Mai 1861.
gez. Woeniger.
An den Magistrat hier.
Beilage IV.
Brief deS Professors Jacob Grimm an den Appellations-Dice-Präsidenten Dr. Ed. Simson.
Ich habe Blömers edle schrift gelesen und einige tage hingehn lassen, um ihres eindrucks sicher zu werden, bevor ich mein urtheil dartiber abgebe, sie hebt nicht die obwaltenden Schwierigkeiten, son dern erhöht sie, dünkt mich, bedeutend. Die symbolische, daraus hergeleitete berechtigung, dasz am 10. noveihber der Schillerverein seine Stangen vor dem schauspielhause auf steckte und einen leichten grundstein in den boden schob, scheint mir doch übertrieben zu werden, damals war die ganze lüft voll von dem gedanken an Standbilder, denselben tag der feier, wo der act erging, hielt ich, weder dazti eingeladen noch von seinem erfolg unterrichtet,
284 in unserer academie die schon eine Zeitlang vorher niedergeschriebene rede, deren schlusz ausdrücklich ans bildsäulen für Goethe und Schil ler hinauslief, ich dachte mir keine derselben als unmittelbar bevor stehend, weissagte sie blosz. Als nun wirklich sogleich mit Schiller vorangegangen wurde, war nichts natürlicher, als dasz sich auch ein Goetheverein leiblich nieder setzte und das ich will nicht sagen höhere, wenigstens gleiche recht für ihn wahrte, meine persönliche ansicht ging nicht einmal dahin, dasz Goethe und Schiller beide dieselbe stelle sollten einnehmen, ich hielt mehr als einen platz in der groszen stadt für geeignet dazu, Schiller mochte gern aufsteigen, wo man sich an seinem feste ver sammelt hatte, bei den mitgliedem des Goethevereins überwog gleich wohl die meinung, dasz beide dichter, denen so vieles gemein war, am besten nebeneinander ständen. Wenn zwei bildsäulen in unmittelbarer nähe, d. h. hier auf dem vorplatze des Schauspielhauses errichtet werden, wirken sie aufeinander und dem bildhauer werden rücksichten aufgelegt, er ist gleichsam ge zwungen die ruhige epische aufiassung fahren zu lassen und seinem werk etwas einzumischen, doch auf ein rechts oder links kommt es eben nicht an. vom standpunct der bilder selbst würde das rechts stehende zwar die ehrenstelle zu haben scheinen, wie der mann einer von ihm geführten frau die rechte band läszt, vom standpunct der an schauenden aus steht aber der links gestellte zur rechten, der rechts stehende zur linken seite. Sobald noch ein dritter hinzutritt wird das Verhältnis verwickelter und jene gleichheit der beiden schwindet, jetzt kommt es auf die höchste stelle unter den dreien an und diese ist nothwendig die mitte, wer einen vater mit seinen beiden söhnen darzustellen hätte, könnte den vater mir mitten zwischen beide stellen, der erste gedanke nun für die angenommene dreiheit Lessing, Goethe, Schiller wäre, dasz Lessing als ältester und vorangehender den mittelplatz einnähme. Goethe und Schiller leiten sich nicht aus Lessing her, er war nur ihr halber zeitgenosz, bereits 1781 gestorben, erlebte und empfand er die höhe der goethischen und schillerschen dichtung niemals, wer weisz, ob er die sogar als seinen gedanken ebenbürtig und gerecht anerkannt haben würde? Lessings geistvolle natur, sein scharf eindringender verstand war noch dazu von classischer gelehrsamkeit durchdrungen, die jenen beiden gebrach, die fruchtbare dichterpoesie, die Goethe und Schiller auszeichnet, war ihm dagegen nicht verliehen. Goethe und S hiller würden unsLessing nicht ersetzen, Lessing würde uns Goeihes und Schillers poesie nie ahnen lassen Lessing kann also unter den dreien die mitte nicht behaupten. Noch minder gebührt sie Schiller, es wäre absolut unmöglich, es wäre als sollte Blücher nicht zwischen York und Gneisenau stehen,
285 sondern zur seite geschoben werden und einer der beiden letzten den mittelpunct bilden. Goethe» wenn es mich hier doch drängt es auszusprechen, ist un ter den dreien der grösztc genius, an seine erhabenheit reichen Lessing und Schiller, so herrlich sie sind, nicht von weitem; er scheint mir dennoch nicht zwischen sie zu passen, denn Lessing würde da durch unverdienter abbruch geschehn, er würde aus seiner früheren periode gezogen in eine spätere, und man lese Schillers brief an Goe the, wie er selbst Goethes walten über sich fühlt, in Schiller hat sich mehr dramatische stärke entfaltet, darum wirkt er auch tiefer auf das volk. Die vorgeschlagene trilogie, ich gestehe es, scheint mir unfähig practisch geltend gemacht zu werden. Warum sollte nicht Goethes bild auf dem Leipzigerplatz oder auf dem ehemaligen exercierplatz, den in einigen jahrzehenden prachtgebäude einfassen werden, am wirksamsten sein? die jetzt für Schiller eifern, wären auf einmal beschwichtigt; Schiller gehört allerdings mehr vor die stufen zum theater und dieser gründ bedeutet mir mehr, als das ihm von dem fest her entnommene recht, freilich die absichten der regierung, wenn sie jetzt schon welche gefaszt hat, sind unbe kannt, vielleicht geneigt sie, leere räume vorläufig aufzuheben für krieger und Staatsmänner, für Lessing würde sich sicher ein platz vermitteln und ich gehöre zu denen, die dabei sind, wenn es gilt, seine grösze und seinen rühm öffentlich anzuerkennen. Ein abstand bleibt zwischen grösze und rühm, bildsäulen von Winkelmann, Möser, Stein, Arndt, Beuth, die unsere bewundrung und dankbarste empfindung aufrichten, werden nach verlauf einiger jahrhunderte erblassen, während man an könig Friedrichs Säule immer be geistert vorübergehn wird und jene drei sonnen Lessing, Goethe und Schiller unverrückt an unserm himmel kreisen werden, neben Goethe stehen könnte einer nur, Humboldt. Jacob Grimm. Nach bet Bemerkung zum Gutachten der Kunstabtheilung
des Goethe -
ComitL vom14. April 1862 (S. 17.) ist dieser Brief in der jetzigen Schrift des
Herrn Herrmann Grimm zuerst bekannt gemacht worden. Er wurde, wie in dieser
Schrift und auch bei besten Wiederabdruck in dem Gutachten selbst zugesügt
wird, am 29. Mai (1861) geschrieben und abgeschickt. auch in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht worden.
Derselbe ist unlängst
286 Beilage V. Verhandelt: Berlin, den 18. Juli 1861.
Gegenwärtig waren: A. Von der städtischen gemischten Deputation:
Der Herr Stadtrath Dr. Woeniger, als Vorsitzender, der Herr Stadtrath Dr. Noht, die Herren Stadtverordneten:
Geheime Sanitäts-Rath Dr. BreSler,
Amtmann Seidel, Professor Dr. Virchow, Kaufmann Elster,
Verlags-Buchhändler Guttentag. B. Vom Schiller-Comitä: Herr Redacteur Dr. Lindner,
Herr Commerzien-Rath Reichenheim. C. Vom Goethe-Comitö:
Herr Ober-Tribunals-Rath Bloemer, Herr Professor Dr. Maercker, Herr Gymnasial-Director August,
Herr Professor und Bildhauer Wredow,
Herr Kaufmann Jacques Meyer.
In der Angelegenheit, betreffend das Schiller-Denkmal, hatte die Stadtverordneten-Versammlung unter dem 20. Juni d. I. den Beschluß gefaßt:-
den Magistrat
zu
ersuchen, nochmals
eine Berathung
in
der "schon
früher ernannten gemischten Deputation, unter Zuziehung des Schiller-
und Goethe -Comitös,
sowie
jetzt v-rliegeudeu
unter Benutzung des
Materials zu veranlassen, um dadurch,
wenn
möglich,
eine Einigung
der
obschwebendeu Differenzen
herbeizuführen.
Der Magistrat war diesem Beschlusse beigetreten und stand für die Deputations-Berathung heute im Berlinischen Rathhause Termin an, zu welchem
sowohl
die
Mitglieder
der
städtischen Deputation,
als
des Schiller- und
Goethe-Comites ordnungsmäßige Einladung erhalten hatten.
In Folge der
selben waren die nebenbezeichneten Personen erschienen, und übernahm in Ab
wesenheit des Bürgermeisters Herrn Hedemann, der Referent, Stadtrath Dr. Woeniger auch den Vorsitz.
Der Vorsitzende eröffnete die Berathung mit
einem ausführlichen Vor
trage über die gegenwärtige Lage der Angelegenheit.
Er begann mit einer hi
storischen Darstellung der Bildung des Schiller- und des Goethe-Comitss und
entwickelte
dann die Conflicte, in welche Beide dadurch gerathen seien, daß
jedes Comitü auf seinem behaupteten formellen Rechte beharrte, während doch
287 diese formellen Rechte ohne Weitere- nicht neben einander bestehen Würde unter diesen Umständen nur übrig
geblieben sein,
eine
könnten.
dictatorische
so habe doch Seine Majestät der
Entscheidung der Staatsgewalt anzurufen,
König, von der wohlwollenden Absicht geleitet, in eine freudige und gehobene
Bewegung keinen Mißton kommen zu lassen, den dringenden Wunsch ausge sprochen, eine ftiedliche Verständigung herbeigeführt zu sehen.
Diesen Wunsch
mit aller Lebhaftigkeit zu unterstützen, hätten die städtischen Behörden für ihre
zumal
Pflicht gehalten,
großen Vorthelle
sich
jetzt ein Auskunftsmittel
in sich vereine,
ausführbar zu machen, ohne einem von ihnen
darbiete,
die
welches
beider Comites
die Wünsche
vollständig
principielles Opfer anzu-
ein
Das Auskunftsmittel liege in dem Vorschläge:
sinnen.
dem Schiller-
und Goethe-Denkmal
noch ein Monument für Lessing
hinzuzufügen und alle drei Monumente gemeinsam auf dem GenSdar-
menmarkt zu errichten, so zwar,
daß Schiller auf seinem Grundstein
verbliebe, die andern beiden Statuen aber ihm zur Seite träten.
Dieser zuerst in einer kleinen Flugschrift aufgetauchte Vorschlag sei von
ihm, dem Vorsitzenden, in einem beiliegenden Anttage
vom 23. Mai dieses
Jahres motivitt und dem Magistrat mit dem Ersuchen überreicht worden:
dadurch eine allseitig befriedigende Erledigung
in kürzester Frist
ent
gegen zu führen.
ES bilde dieser Anttag wesentlich das — wie Eingangs bemerkt — von
„jetzt vorliegende Material"
der Stadtverordneten-Versammlung angedeutete
uns es solle darüber nunmehr die Debatte eröffnet werden. Der Vorsitzende schloß mit
schönen
und glücklichen Idee
die
der Bemerkung,
Verwirklichung
eines Drei-Statuen-Projects
dieser
sei zweifellos das
kräftigste Mittel, alle Differenzen mit einem Schlage zu lösen, sie werde den
hohen und edlen Jntenttonen Seiner Majestät des Königs Rechnung fragen, das gesammte Publicum
mit Befriedigung
erfüllen
und
unserer Stadt ein
neues öffentliches Denkmal sichern, mit dessen Errichtung man vielleicht schon zu lange gezögert.
Es begann nun eine lebhafte und ausführliche Debatte,
in
welcher zu
nächst der allgemeine Gedanke eines Drei-Statuen-Projects nach allen Seiten
für und wider erwogen
wurde,
jedoch
in sehr
überwiegender Mehrheit sich
einer entschiedenen Billigung zu erfreuen hatte. Hierauf traten die Mitglieder der verschiedenen Comites mit ihren Er klärungen hervor. Die
Vertreter
Reichenheiw
und
des Schiller-ComiteS,
die
Herren
Commerzien - Rath
Redacteur Dr. Lindner, erklärten Namens ihrer Commit-
tenten:
Allerdings
sei
es ihnen unmöglich,
fteiwillig
von dem Verlangen zu
weichen, daß das Schiller-Denkmal seinen Grundstein und damit den Haupt platz vor der großen Freitreppe auf dem Gensdarmenmarkt behalte.
boteue Rücksicht auf die Committeuteu,
früheren Allerhöchsten Anordnungen,
die
eigene Ehre
auf welche
hin
und
Die ge-
besonders die
sie berettS eine weitere
288 beantragt hätten,
Allerhöchste Entscheidung
Werde
geböten ein solches
Beharren.
für Goethe
jedoch Seitens des Goethe-Comites daran festgehalten,
ebenfalls ein Denkmal auf dem Gensdarmenmarkt zu errichten, fei dazu gleich
falls die Allerhöchste Zustimmung ertheilt und lasse sich dieser Plan unläugbar durch das Lessing-Project am Geeignetsten verwirklichen, so seien sie be
reit, mit Entschiedenheit auch für letzteres einzutreten.
Ihre Anträge gingen
daher dahin, mit der Aufstellung der Schiller-Statue sofort vorzugehen, hier nächst könne das Goethe-Comite sich ihrer thätigen Theilnahme und persön
lichen Mitwirkung für die Errichtung des Goethe-Denkmals versichert halten und endlich würde man sich mit vereinten Kräften der schnellsten Verwirkli
chung der Lessing-Statue zuwenden.
Sollte
es außerdem bei diesem Drei-
Statuen-Project etwa aus ästhetischen oder anderen Gründen nöthig werden,
daß der Schillerstein in derselben Linie um Etwas
vorgerückt werde, so er
kläre das Schiller-Comite auch dazu seine Zustimmung, sofern , der Grund stein nur die Mitte des Platzes vor der großen Freitreppe behielte.
Hierauf ließen die Vertreter
des Goethe-Comites,
die
Herren Ober-
Tribunals-Rath Bloemer, Professor Dr. Maerker, Direktor August, Professor
Wredow und Kaufmann Meyer sich folgendermaßen vernehmen: Sie hätten allerdings zunächst von ihren Committenten den Auftrag, da hin zu wirken, daß das Schiller-Comite sich bereit finden lasse, im Interesse
der Kunst und Aesthetik nicht auf seinem Grundstein zu beharren, vielmehr
soweit rechts oder links damit zur Seite zu rücken, daß Goethe neben Schiller gestellt werde,
denn nur
dann glaube das Goethe-Comite
„Goethe in Verbindung mit Schiller"
ein Denkmal
seine
zu setzen,
Aufgabe
vollständig
gelöst. Sollte jedoch das Schiller-Comite es entschieden von der Hand weisen,
in solcher Art dem Goethe-Comite
entgegen zu kommen und
dadurch
mehr den Gesetzen der Symmetrie entsprechende Aufstellung Goethes
möglichen,
dann habe
das Goethe-Comite beschlossen, dem
eine
zu er
Drei-Statuen-
Projeet ebenfalls in der Weise beizutreten, daß neben Schiller außer Goethe auch Lessing gestellt und so eine friedliche Einigung der bisherigen Differenzen herbeigeführt werde.
Nachdem die Mitglieder des Schiller-Comites ihre bestimmte Weigerung
wiederholt hatten, weitere Concessionen zu machen, als in ihrer obigen Erklä
rung enthalten seien, vereinigten sich die Mitglieder beider Comites einstimmig in folgendem Beschluß:
Die Mitglieder des Schiller- und des Goethe-Comites erklären Na mens ihrer Committenten einstimmig,
daß sie in dem Vorschläge der
Mitaufnahme des Lessing- Standbildes zu den auf dem Gensdarmen
markt projeetirten Statuen Schillers und Goethes eine völlig befrie
digende Einigung der bisher bestandenen Differenzen erkennen und sich
bereit erklären, mit allen Kräften für die Erreichung dieses gemein samen Zieles einzutreten. Nachdemdieser Beschluß gefaßt war, traten die Mitglieder der städtischen
289 Deputation zu kurzer gesonderter Berathung über Werth und Bedeutung des
selben
für die städtische Verwaltung zusammen.
DaS Ergebniß dieser Be
sprechung wurde mit allen gegen 2 Stimmen in folgender Erklärung nieder gelegt: Die stattgefundene Einigung
der beiden Comitös
als da» glücklichste
Auskuuftsmittel bestandener Differenzen und als praktische Grundlage
für die Ausführung der drei Statuen, je nach den bereitesten Mitteln den
städtischen
Behörden
zur
und
Annahme
Förderung
zu
em
mit
der
pfehlen.
G.
B.
U.
Städtische Deputation.
gez.
Bormann,
Woeaiger.
als Protokollführer.
als Vorsitzender.
Seidel.
Noht.
Elster.
Guttentag.
DaS Schiller-Comitv. Dr. C. Lindner.
Reichenheim.
Da» Goethe-Comit«.
August.
Bloemer.
Meyer.
Aug. Wredow.
Beilage VI.
An Seine Majestät, den König,
in Baden-Baden. Allerdurchlauchtigster,
Großmächtigster König, Allergnädigster. König und Herr? Euer Königlichen Majestät
nahen
sich
die allerunterthänigst
treu
gehorsamst Unterzeichneten
ehrfurchtsvollen Bitte, ihnen Allergnädigst zu gestatten:
zur Bildung
und Constituirung
Comitös
eines
eines Lesfing-StandbildeS in Berlin,
auf
für die Errichtung
dem Vorplatze
des König
lichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, al» des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing,
Schiller und Goethe, baldigst vorschreiten zu dürfen, und daß es Euer Königlichen Majestät gefallen wolle, den Bestrebungen dieses Comitüs
mit
Allerhöchst
zu sein.
Ihrer
Königlichen
Huld
und
Gnade
zugethan
290 Sie erbitten Die- von Euer Königlichen Majestät in Uebereinstimmung mit den de-falls jetzt erfolgten Erklärungen des unter Allerhöchstdero Schutz und Beistand hier bestehenden Schiller- und Goethe-Comites, im Verttrauen auf die fördernde Geneigtheit der hiesigen städtischen Behörden, im Glamben an das lebendige Dankgesühl der deutschen und in erhöhtem Maaße? der preußischen Herzen, vor Allem in der vollen, freudigen Zuversicht auf Euer Majestät eigenes Herz, worin unsere Zeit auch diejenigen Tugenden verrehrt, gegen deren Gegensätze Lessing einst seine nie genug zu preisenden KLmpfe führte. Wie für die Bildung und Veredelung des deutschen Geistes Lessing, Schiller und Goethe mit vereinigten Kräften fortwirken, so mögen auch ihre kunstverklärten Gestalten sich jetzt hier in ungetrennten Ehren erhebem, zur Freude des Vaterlandes und zum neuen Ruhm und Schmuck dieser dewtschen Hauptstadt. Unter den heißen und einmüthigen Dankgebeten eines treuen Volkes und in der tröstenden Gewißheit, daß über dem geheiligten Haupte des allveriehrten und geliebten Königs die Hand der Vorsehung auch ferner schirmend und segnend walten werde, ersterben, der Allergnädigsten Gewährung ihrer Bitte verttauensvoll entgegenharrend, in tiefster Ehrfurcht Berlin, den 24. Juli 1861. Euer Königlichen Majestät allerunterthänigst-tteugehorsamste: Bloemer, Ober-TribunalS-Rath, Mitglied des Goethe-Comitös. Professor Dr. Joh. Gust. Dropsen. Le Coq, Kaufmann, Mitglied des GoetheComites. Friedländer, Geheimer Ober-Justizrath. Dr. Gosche, Pro fessor a. d. Königlichen Universität. F. W. Gubitz, Professor der König lichen Akademie der Künste, Mitglied des Goethe-Comites. Guttentag, Buchhändler, Mitglied des Goethe-Comites. Hüben er, Ober-Bau-Director. Ernst Kühn, Buchbruckerei-Besitzer, Mitglied des Goethe-Co mites. R. Lessing, Gerichts-Assessor. Dr. Lindner, Mitglied deS Cen ttal-Comites für Schiller. Jacques Meyer, Fabrik-Besitzer, Mitglied des Goethe-ComiteS. Dr. H. Parthey, Buchhändler, Mitglied der Aka demie der Wissenschaften und des Goethe-Comitös. Professor Dr. von Raumer. Leonor Reichenheim, Commerzienrath, Mitglied deS CenttalComitös für Schiller. Schüller, Geheimer Ober-Posttath, Mitglied de§ Goethe-Comites. Dr. Johannes Schulze, Wirklicher Geheimer OberRegierungs-Rath, Mitglied des Goethe-ComiteS. Dr. Simson, Professor und Appellations-Vice-Präfident. Dr. A. Twesten, Professor an der Kö niglichen Friedrich-Wilhelms-Universität. Dr. M. Veit, Stadtverordneter von Webern, General-Lieutenant a. D. Dr. Woenig er, Stadttath, Mitglied de- ComitSS für Goethe und der städttschen Deputation für Schiller.
291 Beilage VII. Berlin, den 30. October 1861. Euer Excellenz verfehlen wir nicht, nunmehr auf den verehrlichen Erlaß vom 3. April d. I., worin uns in Folge Allerhöchsten Befehls aufgegeben wurde, nochmals einen Versuch zu machen, um eine friedliche Einigung zwi schen dem Schiller- und Goethe-Comitü in Betreff der Aufstellung des Schillerund Goethe-Monuments herbeizuführen, nachstehend gehorsamst zu berichten. Wir erlauben uns zunächst mit ein Paar Worten an die Entstehung und den Inhalt der Differenzen zwischen dem Schiller- und dem GoetheComitö zu erinnern. Nachdem am Tage der Säcularfeier von Schillers Geburtstage auf der Mitte des GeuSdarmenmarktes vor der großen Freitreppe des Schauspiel hauses unter Mitwirkung eines Privat -Comitö feierlich der Grundstein zu einem Schiller-Denkmal gelegt war, bildete sich ein zweites Comits, um in Gemeinschaft mit Schiller auch Goethe auf demselben Platz ein Monument zu errichten. Seine Majestät der König, unzweifelhaft geleitet durch ein Ge fühl poetischer Gerechtigkeit und durch die sich unabweisbar aufdrängende Rücksicht auf die innere Zusammengehörigkeit der beiden großen Dichterfürsten, ertheilte auch dazu gern die Allerhöchste Genehmigung und concessionirte zu dem gedachten Zweck neben dem Schiller-Comite das Goethe-Comite. Als nun aber mit der Veröffentlichung des Concurrenzausschreibens für die Anfer tigung von Modellen zur Schillerstatue vorgegangen werden sollte, ergab sich die auS den Gesetzen der Symmettie entspringende Schwierigkeit, daß ent weder Schiller von dem Grundstein werde weichen, oder das Projekt werde auf gegeben werden müssen, Goethe in Verbindung mit Schiller vor dem Schau spielhause ein Monument zu errichten. Keins der beiden genannten Comites wollte sich jedoch zu einer Nachgiebigkeit verstehen, indem das Schiller-Comitö auf dem gelegten, nach seinem Dafürhalten wohlerworbenen Grundstein be harrte, das Goethe-Comite aber an seinem Allerhöchst bestätigten Project der Verbindung beider Dichter-Statuen festhielt. In diesem unlösbaren Conflict erstatteten wir unseren gehorsamsten Bericht vom 3. December v. I., worin wir in Uebereinstimmung mit der Stadtverordneten-Versammlung um Aller höchste Definitiv-Entscheidung über die Art und Weise der Aufstellung beider Monumente baten, indem wir eventualiter unsere Bereitwilligkeit ausdrückten, den gelegten Grundstein wieder aufzugeben, ohne Privat-Vereinen dabei eine weitere Mitwirkung zuzugestehn. Hierauf ist der Eingangs erwähnte verehrliche Erlaß Euer Excellenz vom 3. April d. I. ergangen, wonach Seine Majestät der König in der wohlwollenden Absicht, Mißstimmung und Spaltung unter den verschiedenen Betheiligten zu vermeiden, die erbetene DefinitivEntscheidung zur Zeit ablehnen, noch einen Versuch gütlicher Einigung gemacht wissen wollen und dabei insbesondere auf eine die beiden Dichterfürsten gemeinsam darstellende Gruppe verweisen. Wir find bemüht gewesen, dem Erlaß Eurer Excellenz in jeder Weife 19*
292 nachzuleben und haben nunmehr die große Freude,
der Hauptsache den
in
Merhöchsten Intentionen vollständig entsprochen zn sehen. Wenn dem Allerhöchsten Hmweise
auf eine
gemeinsame Gruppe beider
Dichter ohne Zweifel das Motiv mit zum Grunde lag,
die Schwierigkeiten
der Aufstellungen zu beseitigen,
wegen des Grundsteins und
so haben wir
fteilich hiermit gleichwohl nicht durchdringen können, da Euer Excellenz
et«
innerlich sein wird, welcher Widerspruch Seitens des Schiller-ComitL schon
in der am 3. März 1860 unter Höchstihrem Vorsitz abgehaltenen Conferenz jedem Gedanken an eine Gruppe entgegen gesetzt wurde.
Dieser Widerspruch
ist bis auf den heutigen Tag geblieben und scheint im Goethe-Comitö mehr seitig getheilt zn werden;
wir haben daher in dieser Beziehung zu unserem
schmerzlichen Bedauern de» Allerhöchsten Intentionen nicht zu
vermocht.
entsprechen
Desto vollständiger ist dagegen der Allerhöchsten Weisung in Be
treff einer Einigung der streitenden Comitvs Genüge
geleistet und zwar auf
Grundlagen, die, wie wir kaum zweifeln, sich der Merhöchsten Zustimmung Seiner Majestät vollständig zu erfreuen haben dürsten. Es war im Frühjahr dieses Jahres bereits in der Preffe der Vorschlag
aufgetaucht,
man möge alle» Hader dadurch schlichten, daß noch eine dritte
Statue und zwar die Lessings hinzugenommen würde,
so daß dann Schiller
auf dem Grundstein verbleiben könne, Goethe aber auf der einen Seite und
Lessing auf der anderen seine Aufstellung erhielte. wurde Seitens
Dieser Vorschlag
men und
der Communalverwaltung aufgenom-
Euer Excellenz aus
er hat, wie
dem in Abschrift
beigefügten
Sitzungsprotokoll vom 18. Juli d. I. geneigtest entnehmen wollen, z« einer völligen Versöhnung
der streitenden Comitäs geführt.
Nicht minder haben
sich aber auch sowohl der Magistrat als die Stadtverordneten durch ausdrück liche Communalbeschlüfse damit einverstanden
erklärt und
unser ergebenes
Gesuch geht demnach jetzt dahin:
Euer Excellenz
wollten
die Merhöchste Zustimmung dazu
geneigen,
einzuholen, wobei noch zu bemerken,
daß wir uns
mit den Comitös dahin verständigt
haben, nach Umständen den Grundstein zum Schiller-Denkmal Schritte vorzurücken, so jedoch,
um einige
daß er die Mitte des Platzes vor der Frei
treppe des Schauspielhauses behauptet.
Einer Darlegung der Gründe, weshalb sich gerade die Statue Lessings zur Mitaufnahme empfiehlt, glauben wir uns enthalten zu können, beantragen
jedoch unter Voraussetzung der Merhöchste» Genehmhaltung des vorgedachten Auskunstsmittels, jetzt weiter,
daß Euer Excellenz
Veröffentlichung
des
nunmehr auch Entwurfs
des
die Allerhöchste Zustimmung zur
Concurrenzausschreibens
znm
Schiller-Deukmal erwirken wollten.
Wir erlauben «ns zu diesem Behuf noch einmal Abschrift des schon un serem Bericht vom 3. December angeschloffenen Entwurfs mit dem ergebenen
Bemerken beizufügen, daß nur ad 6 des Entwurfs diejenige Aenderung vor-
293 welche durch den nunmehrigen Hinzutritt der Lessing-Statue
genommen ist,
geboten wird. Die Ausführung der Statuen Goethes und Lessings soll dann demjeni-
gen Zeitpunkt Vorbehalten bleiben, wo die dazu erforderlichen Gelder vorhan
den, respective durch die zu diesem Zweck gebildeten Privat-ComiteS beschafft sein werden.
Aller
nach wird dieser Fall zuerst bei Goe
Wahrscheinlichkeit
the, zuletzt bei Lessing eintreten.
In letzterer Beziehung haben wir nur noch
den ergebenen Wunsch, eS möge Euer Excellenz gefallen:
auch die Allerhöchste Zustimmung
zu
dem
inzwischen auS sehr acht
baren Einwohnern zusammengettetenen, durch den
vom
15.
August d. I.
zu
unserer
amtlichen
verehrlichen Erlaß
Kenntniß
gebrachten
Lessing-Comite baldmöglichst zu erwirken,
damit daffelbe seine finanzielle Thätigkeit beginnen kann.
Endlich gestatten wir uns noch die Bitte auszusprechen, Euer Excellenz
möchten uns, wenn thunlich, in Stand setzen, das Concurrenzausschreiben für die Schiller-Statue
zum 10. November d. I., als dem zweiten Jahrestage
nach der Säcularfeier, publiciren zu können.
Es würde hierdurch einem leb-
haften Wunsch zahlreicher, für den Gegenstand lebhaft interessirter Einwohner
erfteulicheS Genüge geleistet werden. Magistrat hiesiger Königlichen Haupt-
und Residenzstadt. gez:
H e d e m a n n.
An den Königlichen Staats- und Minister der geistlichen-, Unterrichts- und MedicinalAngelegenheiten, Ritter hoher Orden, Herrn Dr. von Bethmann-Hollweg,
Excellenz.
Beilage VIII. Durch Allerhöchste Ordre vom 6. d. MtS. König geruht, mich zu
haben
Seine Majestät
Unterzeichnern der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli d. I. zu eröffnen, Seine Majestät
die
der
beaufttagen, Euer Hochwohlgeboren und den übrigen
Bildung
eines Gönnte
zur Errichtung eines
daß
Stand
bildes für Lessing in Berlin, auf dem Dorplatze des Königlichen Schauspiel-
Hauses,
zur Seite des künftigen Schiller-StandblldeS, Allergnädigst gestatten
und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade versichern
wollen.
Dom Dorstehenden ersuche ich Euer Hochwohlgeboren die übrigen Unter-
294 zeichner der gedachten Jmmediat - Eingabe gefälligst in Kenntniß setzen zn wollen.
Berlin, den 8. November 1861. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- mrd Medizinal-Angelegenheiten.
gez:
v. Bethmann-Hollweg.
An den Königlichen Ober - Tribunalsrath, Herrn Bloemer,
Hochwohlgeboren Hierselbst. Beilage IX.
Aufruf zur Errichtung des Lessiug-StandLildes in Berlin.
Jene hochgesegnete Epoche nnserer Geistesbildung, die, mit Lessing be
ginnend, sich in Schiller zu ihrer idealen VerMrung erhebt und in Goe the ihre Vollendung feiert, soll in der harmonischen Verbindung der Stand
bilder dieser drei Heroen jetzt, hier ihre dauernde Verherrlichung finden: dem Standbilde Schillers, zn dem am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung den Grundstein legte, sollen die Stand
bilder Goethes und Lessings znr Seite treten, und, mit ihm, dem Vor
platze des Königlichen Schauspielhauses dieser deutschen Hcntptstadt den reich sten und edelsten Schmuck verleih«.
So ist es jetzt entschieden; und wie die freudigen Opfer des Dankes
für Schiller längst gesammelt find, und für Goethe iit hoffentlich naher Frist gesammelt sein werden, so dürfen wir sie, der gnädigen Zustimmung
unseres Königs gewiß, nun auch für den Verfasser des Laokoon und der Hamburgischen
Dramaturgie, für den Schöpfer der Minna von
Barnhelm, der Emilia Galotti, des Nathan, vereinigen; — für ihn,
der
in Sprache und Kritik bahnbrechend und gestaltend voranging, daß
Schiller und Goethe mit ihren Siegen folge» konnten, der unsere Kunst
von den falschen Regeln des Auslandes entfesselte nnd ihr den verlornen
Adel der Natur zurückgab, dessen ganzes Leben ein rastloser Kampf für Wahrheit und Recht, für Licht und Schönheit war, der, nur auf sich nnd
seine Pflicht gestützt, die Ueberzeugungen seines
deutschen Herzens unüber-
wiMich vertheidigte und für immer unverlierbar machte.
Die Zeitgenossen haben den Lohn dieses Kampfes nicht gespendet,
nnd
auch dem Vollerrdeten ist seither nur dort, wo er die Stätte seines unstörbaren Friedens fand, ein würdiges Denkmal gesetzt worden.
Jetzt der Unvergärrglichkeit seiner Verdienste den schuldigen Tribut der
gemeinsamen Huldigung darzubringen, und s ein Andenken, mit den theuersten
295 Erinnerungen unseres nationalen Ruhmes vereinigt, in sichtlicher Erkennbarkeit den
kommenden Geschlechtern
zu
ist
überliefern,
woran in wetteifernder Treue Theil
nehmen,
vaterländische Unter
das
zu nehmen wir Alle,
die
in
Lessing den großen Schriftsteller und Charakter verehren, Me, die sich ihm
verpstichtet fühlen, Alle,
die das Bild des
edlen Mannes in ihrem Herzen
tragen, mit fester Zuversicht aufrufen. und von dessen Friedrich er
Für Preußen, das ihm so werth war, in bewundernder Liebe sang:
„Er ist der Fürsten Fürst, er ist der Held der Helden, Er füllt die Welt und meine Brust!"
für Preußen ist unsere Zuversicht Gewißheit. Schon gab unsere huldreiche Königin den ersten Beitrag. Zur Empfangnahme der ferneren Beiträge und
deren Einzeichnung
zu
in das Beitragö-Berzeichniß für das Lessing-Standbild in Berlin, werden ne
ben dem Schatzmeister, sämmtliche Unterzeichnete bereit sein.
Berlin, den 10. Januar 1862.
Das Comite zur Errichtung des Lessing-Standbildes zu Berlin. Baudouin. Geheimer Commercien-Rath, Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft. H oll weg.
Leipziger-Straße Nr. 110. 111. — von Bethmann-
Medicinal-Angelegenheiten.
Tribunals-Rath.
Minister
der geistlichen,
(Vorsitzender.)
Nr. 68.
Zimmer-Straße
Victoria-Straße Nr. 13. — Friedlaender.
Justiz-Rath.
Ober-
Le Coq.
Koch-Straße Nr. 70. — Guttentag.
Stadtverordneter.
Unterwasser-Straße Nr. 7.
meister und Geheimer Regierungs-Rath. Hübener.
Geheimer Ober-
—
Dorotheen-Straße Nr. 13.
Ober-Bürgermeister nnd Geheimer Ober-Regierung--
Mohren-Straße Nr. 41. —
Buchdruckerei - Besitzer.
Ernst Kühn.
Kronen-Straße Nr. 33. — Robert Lessing.
Gerichts-Affessor.
Behren-Straße Nr. 63. — Dr. O. Lindner.
Schriftführers.)
Bürger
Hirschel-Straße Nr. 4. — von Hülsen.
Ober-Bau-Director.
— Lüttig.
Buchhändler und
Hedemann.
Schöneberger-Straße Nr. 11. —
General-Intendant der Königlichen Schauspiele. — Dr. Krausnick.
Professor.
Professor der Königlichen Aka
demie der Künste.
führer.)
—
Askanischer Platz Nr. 3. — Dr. Richard Gosche.
Ritter-Straße Nr. 35. —- F. W. Gubitz.
Rath.
Unterrichts- und
Unter den Linden Nr. 4. — Blo emer.
Neue Friedrichs-Straße Nr. 37. — Dr. Joh. Gust. Dropsen.
Kaufmann. Professor.
und
Staatsminister
Redaction
der Dossischen Zeitung.
Breite - Straße
Vorsitzender der Stadtverordneten-Versammlung.
Nr. 11. — Dr. G. Magnus.
Professor,
(Schrift
(Stellvertreter des Nr. 8.
Post-Straße
zeitiger Rector der Königlichen
Friedrich-Wilhelms-Universität.
Kupfer-Graben Nr. 7. — Mendelssohn.
Geheimer Commercien - Rath.
Jäger-Straße 51.
Fabrik-Besitzer.
18.
20.
—
(Stellvertreter
des Schatzmeisters.)
Dr. G. Parthey.
—
Jacques
Meyer.
Köpnicker Straße. Jlt.
Buchhändler, Mitglied der Academie der
296 Wissenschaften.
Brüder - Straße Nr. 13. — Dr. von Peucker.
General
der Infanterie und General - Inspecteur des militairischen Erziehungs - und
Bildungswesens der Armee. Bellevue-Straße Nr. 12. — Dr. von Raumer. Professor und Geheimer Rath. Koch-Straße Nr. 67. — Leonor Reichen
heim.
Commercien-Rath.
(Schatzmeister.)
Spandauer-Straße Nr. 16. —
Schäffer. Stellvertreter des Vorsitzenden der Stadtverordneten-Versammlung. Jäger-Straße Nr. 61.
—
Geheimer Ober-Post-Rath.
I. C. Schüller.
Köthener-Straße Nr. 6. — Dr. Johannes Schulze. Wirklicher Geheimer
Ober-Regierungs-Rath. Nr. 6.
(Stellvertreter des Vorsitzenden.)
a. d. O. — Dr. A. Twesten. — Dr. M. Veit.
Warschauer.
Professor.
Stadtverordneter.
Kommandanten-Straße Nr. 84.
Leipziger Platz Nr. 18. —- Robert
Commercien-Rath, Stellvertreter des Aeltesten-Vorstehers der —
Kaufmannschaft.
Behren-Straße Nr. 18.
Lieutenant a. D.
Friedrichs-Straße Nr. 191.
Stadtrath.
Kupfer-Graben
Appellations - Vice - Präsident in Frankfurt
— Dr. Ed. Simson.
—
von Webern.
General-
Dr. A. T. Woeniger.
Louisen-Straße Nr. 36.
Beilage X. An
den verehrlichen Magistrat hiesiger Königlichen
Haupt- und Residenz-Stadt.
Die Differenzen, die zwischen dem Schiller- und dem Goethe - Somit« darüber ausgebrochen waren, ob das Schiller-Standbild den Standpunkt, der
ihm am Jubelfeste des Dichters,
dem 10. November 1859, in der Mitte
des Vorplatzes des Königlichen Schauspielhauses eingeräumt worden, unver
ändert behalten, oder ob es in Folge der später beschlossenen Errichtung auch eines Standbildes für Goethe auf diesem Plätze, von jenem mittleren Stand
punkte nachträglich rechts oder links zur Seite weiche» müsse, hatten ohne zu irgend einer gedeihlichen Lösung zu kommen, lange Zeit die öffentliche
Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, als sich im Anfänge Juli v. I. einige
hiesige Einwohner: der Ober-Tribunals-Rath Bloemer, der Professor Dr.
Dropsen, der Geheime Ober-Justiz-Rath Friedlaender, Director Hübener,
Buchhändler Dr. G.
der Ober-Bau-
der Gerichts-Assessor Robert Lessing,
Parthey,
der
der Verlags-
Geheime Rath Professor Dr. von
Raumer, der Geheime Ober-Post-Rath Schüller, der Wirkliche Geheime Ober-Regierungs-Rath Dr. Johannes Schulze, der damalige Rector der
Universität,
Ober-Consistorialrath Professor Dr. A. Twesten, der Stadt
verordnete Dr. M. Veit und der General-Lieutenant von Webern in dem Gedanken begegneten, diese Lösung in der Weise anzubahnen, daß außer dem
Goethe-Standbild auch ein Lessing.Standbild dem Schiller-Standbild auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses beigesellt und dadurch sowohl
dem Schiller-Standbild der Besitzstand des Grundsteins in der Mitte des
297 Platze-, als dem Goethe-Standbild die Stellung zur Seite des SchillerStandbildes ebendaselbst, erhalten werde. Bon dieser Absicht setzten sie damals die Mitglieder des Schiller- und Goethe-Comite, sowie die hiesigen städtischen und die betreffenden Staats behörden sofort in genaue Kenntniß. „Wir erlauben uns," — so lautete ihre deSfallsige an jedes einzelne Mitglied des Schiller- und des Goethe - ComitL gerichtete Mittheilung vom 10. Juli 1861 — „Ihnen hiermit ganz ergebenst anzuzeigen, daß wir uns, in Uebereinstimmung mit einem unlängst bekannt gewordenen Vorschläge*) zu vorbereitenden Schritten für die Errichtung eines Lessing-Standbildes in Berlin zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses, heute vereinigt haben. Wir hofstn dadurch zu dem angestrebten doppelten Zwecke mitzuwirken, daß das vaterländische Fest des 10. November 1859 ungetrübt und gesegnet bleibe, und daß die Dankbarkeit des gesummten Deutschlands und in erhöhtem Maaße die Dankbarkeit Preußens und Berlins jetzt hier auch dem deutschen Schriftstelln gerecht werde, der in der Macht und Unvergänglichkeit seiner Einwirkung auf die Bildung und den Geist der Nation von Schiller und Goethe nicht zu trennen ist, sondern mit ihnen jene unerreichte Dreizahl bildet, die das größte Verdienst und den höchsten Ruhm unserer Litera tur in sich zusammenfaßt. Wir begleiten diese Anzeige mit dem Wun sche, daß es Ihnen genehm sein möge, sich uns zur gedeihlichsten Förderung dieses Zwecke- baldmöglichst anzuschließen und gemeinschaftlich mit und an der demnächstigen Beschlußfassung über die Bildung und Constituirung eineLessing-Counts wirksamen Antheil zu nehmen. Ihre zustimmende Erklärung würden wir an den mitunterzeichueten Dr. G. Parthey, Nicolaische Ver lagsbuchhandlung, Brüderstraße Nr. 13. hier, gelangen zu taffen bitten." Hierauf erklärten sichzustimmend, Seitens des Schiller - Comitö die Herren Dr. O. Lindner und Commercien-Rath Leonor Reichenheim, die seitdem als die Mandatare des Schiller-Comits fungirt haben, außerdem Herr Ferdinand Schmidt. Für Herrn Rechts-Anwalt Lewald wurde angezeigt, daß er sich auswärts im Bade befinde. Seitens des Goethe-Comits traten ihren vorgenannten Collegen: Bloemer, Dr. Parthey, Schüller und Dr. Johannes Schulze und den andern Unterzeichnern der Einladung vom 10. Juli 1861 bei: Professor F. W. Gubih, Professor Gosche,**) Stadtverordneter Guttentag, Buchdruckerei-Besitzer Ernst Kühn und Stadtrath Dr. Woeniger. Die an Dr. Parthey gerichtete schriftliche Erwiderung des Mitgliedes des Goethe-Comite, Herrn Professor Dr. Bo eckh, lautete wörtlich: „Verehrter Herr College. Durch das gefällige Schreiben •) Drei Dichter- Standbilder Al- Manuscript gedruckt. **) Dieser
Berlin 1861.
sofortige Zutritt
in
Berlin.
Ein Wort zur Einigung.
Druck von Ernst Kühn, Kronenstraße 33.
deS Herrn Profeffor Gosche beruht
allerdings
auf thatsächlicher Richtigkeit; zu berichtigen dagegen ist die Annahme, daß auch er dem Goethe-Comits angehört habe.
298 der ausgezeichneten. Männer, welche zusammengetreten sind, um Lessings An denken würdig zn ehren, mit meiner Erklärung an Sie gewiesen, bitte ich ergebenst meine Entschuldigung anzunehme» und bei den übrigen Herren zu
vertreten.
Mein Wer und
mein Gesundheitszustand erlauben mir nicht,
außer meinen Amtsgeschüften noch andere Verpflichtungen einzugehen, und
Sie wissen selbst, daß ich auch einen Theil der ersteren abgewalzt habe, weil
ich der Ruhe bedarf.
Haben Sie die Güte-, mich bestens zu entschuldigen.
Berlin, den 12. Juli 1861.
Ihrige Boeckh."
Mit aller Hochachtung und Ergebenheit, der
Die zustimmende Erklärung des Goethe-Comitö-Mitglieds,
Königlichen Musik-Direetors Herr» Jaehus, ist wegen längerer Abwesenheit desselben erst am 17. August 1861 eingetroffen.
Eine Erklärung des Herrn
Carl Heyman« vom 21. August 1861 ging dahin:
„Das Wort zur
Einigung, welches mir zugegangen, hat mich überzeugt und in meiner frü
heren Ansicht bestärkt, daß die Monumenten-Trias nicht würdiger und ange messener hingestellt werden könne, als durch ein Denkmal für Lessing.
Wenn
die Sarmnlmrgen beginnen, werde ich gern auch Seitens meiner dabei thätig sein, wie ich schon für Camenz ein Gleiches mit Erfolg gethan."
Gleichzeitig mit dieser Mittheilung an die Mitglieder des Schiller- und des Goethe - Comite erfolgte, wie gesagt,' auch bei de» hiesigen städtische»
Behörden über das bezweckte Vorhaben die sofortige Anzeige.
Sie schloß
der Stadivervrdneten-Versammlung gegenüber mit den Worten:
„Wir hoffen
dadurch demselben patriotischen Unternehmen, welches in der verehrlichen Ver
sammlung bereits eine erste geneigte Jnbetrachtnahme gefunden hat,
eine»
Dienst zn leisten, indem wir in einiger Weise dazu Leizutragen suchen, daß ein Act der vaterländischen Dankbarkeit in dieser
deutschen
Hauptstadt zugleich ein Act des Friedens und der gemeinsamen
Freude werde;" und gegenüber dem verehrlichen Magistrat:
„Lessings
Antheil an Allem, was unsere Nation in Geist und Wahrheit aufgerichtet
und veredelt hat, ist eben so unschätzbar als unvergänglich, und wenn das
dankbare Vaterland jetzt in dieser, deutschen Hauptstadt für Schiller und Goethe die verdienten Ehren - Denkmale gründet, so wird es Lessings nicht
vergesse» wolle»; namentlich wird dies Preußen nicht, das er in seinem großen Könige verherrlichte, namentlich Berlin nicht, das er so sehr liebte und dem dauernd anzugehören, der Wunsch
seines Lebens war." Unterdeß hatte der Magistrat seinerseits bereits auf den 18. Juli v. I.
eine Versanunlnng von Deputirten sowohl des Schiller- und des GoetheComits, als der Stadtverordneten-Versammlung und seiner selbst auf das
RaHhaus
einberufen,
um über
den angeregten Einigungs-Vorschlag:
den
Standbildern Schillers und Goethes das Standbild Lessings auf dem Vor platze des Königlichen Schauspiechauses anzuschließen, nach nochmaliger Ver
handlung bestimmte Erklärungen äbzugeben. Diese Versammlung hat ant bezeichneten 18. Juli v. I. aus dem Rach
hause wirklich stattgefunden.
Sie bestand Seitens der städtischen gemischten
299 Deputation aus den Herren Stadträthen Dr. Woeniger und Dr. Noht und den Herren Stadtverordneten: Geheimrath Dr. Breßler, Amtmann Seidel, Professor Dr. Virchow, Kaufmann Elster und Verlags-Buchhändler Guttentag; sodann aus den Herren: Dr. Lindner und Commercien-Rath Leonor Reichenheim, als den Deputirten des Schiller- und den Herren: Professor Dr. Maercker, Gymnasial-Director August, Ober-TribunalsRath Bloemer, Kaufmann JacqueS Meyer und Professor Wredow, als den Deputirten des Goethe-Comite. Inhalts des über diese Verhandlung aufgenommenen, und uns unter dem 2). November v. I. demnächst von dem Magistrate abschriftlich mitgetheilten Protokolls, erklärten damals die vorgenannten beiden Vertreter des Schiller-Comite Namens ihrer Committenten: „Allerdings sei es ihnen unmöglich, freiwillig von dem Verlangen zu weichen, daß daS Schiller-Standbild seinen Grundstein und damit den Hauptplatz vor der großen Freitreppe auf dem Gensdarmenmarkte behalte. Die gebotene Rücksicht auf die Committenten, die eigene Ehre und besonders die früheren Allerhöchsten Anordnungen, auf welche hin sie bereits eine weitere Allerhöchste Entscheidung bean tragt hätten, geböten ein solches Beharren. Werde jedoch Seitens des Goethe-Comitö daran festgehalten, für Goethe ebenfalls ein Denk mal auf dem Gensdarmenmarkte zu errichten, sei dazu gleichfalls die Allerhöchste Genehmigung ertheilt und lasse sich dieser Plan unleugbar durch daS Lessing-Project am geeignetsten verwirklichen, so seien sie be reit, mit Entschiedenheit auch für Letzteres einzutreten. Ihre Anträge gingen daher dahin, mit Aufstellung der Schiller-Statue sofort vor zugehen, hiernächst könne das Goethe-Comite sich ihrer thätigsten Theilnahme und persönlichen Mitwirkung für die Errichtung des Goethe-Denkmals versichert halten, und endlich würde man sich mit vereinigten Kräften der schnellsten Verwirklichung der Lessing-Statue zuwenden. Sollte es außerdem bei diesem Drei-Statuen-Project etwa aus ästhetischen oder anderen Gründen nöthig werden, daß der Schiller stein in derselben Linie um etwas vorgerückt werde, so erkläre das Schiller-Comite auch dazu seine Zustimmung, sofern der Grundstein nur die Mitte des Platzes vor der großen Freitreppe behalte." Hierauf ließen die Vertreter des Goethe-Comite sich folgendermaßen vernehmen: „Sie hätten allerdings zunächst von ihren Committenten den Auftrag, dahin zu wirken, daß das Schiller-Comite sich bereit finden lasse, im Interesse der Kunst und Aesthetik nicht auf seinem Grundstein zn be harren, vielmehr soweit rechts oder links damit zur Seite zu rücken, daß Goethe neben Schiller gestellt werde, denn nur dann glaube daS Goethe-Comite seine Aufgabe, Goethe in Verbindung mit Schiller ein Denkmal zu setzen, vollständig gelöst. Sollte jedoch das SchillerComitö entschieden von der Hand weisen, in solcher Art dem Goethe-
300 Comite entgegen zu kommen und dadurch eine mehr den Gesetzen der
Symmetrie
entsprechende Aufstellung Goethes
zu ermöglichen, dann
habe das Goethe-Comite beschlossen, dem Drei-Statuen-Project eben
falls in der Weise beizutreten, daß neben Schiller außer Goethe auch Lessing gestellt und so eine ftiedliche Einigung der bisherigen Diffe
renzen herbekgeführt werde." Nachdem die Mitglieder des Schiller-Comite ihre bestimmte Weigerung wiederholt hatten, weitere Concesstonen zu machen, als in ihrer obigen Erklä rung enthalten seien, vereinigten sich die Mitglieder beider Comites einstim
mig in folgenden Beschluß: „Die Mitglieder des Schiller- und des Goethe-Comite,
mens ihrer Committenten einstimmig,
erklären Na
daß sie in dem Vorschläge der
Mitaufnahme des Lessing-Standbildes zu den auf dem Gensdarmenmarkte prosectirten Statuen Schillers und Goethes eine völlig befrie
digende Einigung der bisher bestandenen Differenzen erkennen und sich
bereit erklären, mit allen Kräften für die Erreichung dieses gemeinsamen
Zieles einzutreten." Nachdem dieser Beschluß gefaßt war, traten die Mitglieder der städtischen Deputation zu kurzer gesonderter Berathung über Werth und Bedeutung des
selben für die städtische Verwaltung zusammen.
Das Ergebniß
Lieser Be
sprechung wurde mit allen gegen zwei Stimmen in folgender Erklärung nie
dergelegt:
„Die stattgefundene Einigung der beiden Comites als das glücklichste Anskunftsmittel bestandener Differenzen und als praktische Grundlage
für die Ausführung der drei Statuen, je nach den bereitesten Mit
teln, den städtischen Behörden zur Annahme und Förderung zu
em
pfehlen." Auf Grund dieses Ergebnisses
in der Sitzung auf dem hiesigen Rath
hause "vom 18. Juli v. I. erging wenige Tage nachher, am 24. Juli 1861, die Jmmedkat-Eingabe an Seine Majestät den König in Baden-Baden, wo
Merhöchstderselbe damals noch verweilte. Sie trug außer den Unterschriften der jenigen hiesigen Einwohner, von denen jene erste Anzeige und Einladung vom
10. Juli 1861 ausgegangen war, und den Unterschriften der Mitglieder des Schiller- und Goethe-Comits, die dieser Einladung seitdem gefolgt, noch die
Unterschrift zweier ferner
beigetretener Mitglieder
des Goethe-Comits,
des
Kaufmanns le Coq und des Fabrikbesitzers Jacques Meyer hier, so wie des Llppellationsgerichts-Vice-Präsidenten Dr. Ed. Simson in Frankfurt a. O.,
welcher Letztere sich,
während seiner
vorhergegangenen längeren Anwesenheit
hier/ des Drei-Statuen-Projects mit lebhaftem Eifer angenommen hatte.
Die
Unterzeichner der Jmmediat-Gingabe, nunmehr zwei und zwanzig an der Zahl darunter eilf Mitglieder des Goethe-Comits und
zwei Mitglieder des Central-
Counts für Schiller, richteten an dem bezeichneten 24. Juli 1861 an Seine
Majestät den König stattet:
die
ehrfurchtsvollste Bitte, ihnen Allergnädigst zn ge
301 und Eonstituirung
„Zur Blldung
für
eines ComitL
die Errichtung
eines Lessing-Standbildes in Berlin, auf dem Vorplatze
des Königli
chen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, als des bleibenden Mittelpunktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe baldigst vorschreiten zu dürfen, und daß es Sei
gefallen wolle,
ner Majestät
den Bestrebungen
mit
Comite
dieses
Allerhöchst Seiner Königlichen Huld und Gnade zugethan zu sein." Sie erbaten dies von Seiner Majestät: „in Uebereinstimmung mit den desfalls jetzt — am 18. Juli 1861 —
erfolgten Erklärungen des unter Allerhöchstem Schutz
und Beistände
hier bestehenden Schiller- und Goethe-Comite, im Vertrauen auf die
fördernde Geneigtheit der hiesigen städtischen Behörden, im Glauben
an das Lebendige Dankgefühl der deutschen und in erhöhetem Maaße der preußischen Herzen, vor Allem in der vollen, fteudigen Zuversicht auf Seiner Königlichen Majestät eigenes Herz, worin unsere Zeit auch
diejenigen Tugenden verehrt, gegen deren (Gegensätze Lessing einst seine nie genug zu preisenden Kämpfe führte."
„Wie für dieBildung
und V er edlung deS deutschen Geistes und Herzen s Lessing,
Schiller und Goethe mit vereinigten Kräften unvergäng lich fortwirken,, so mögen
kunstverklärten Ge
auch ihre
stalten sich jetzt hier in ungetrennten Ehren erheben, zur
Freude
des
Vaterlandes
und
Ruhme
neuen
zum
und
Schmuck dieser deutschen Hauptstadt." Am 8. November 1861,
nachdem
zwischenzeitlich
der
fast
einmüthige
Zutritt sowohl des Magistrats als auch der Stadtverordneten-Versammlung zu den übereinstimmenden
Erklärungen
der städtischen Deputationen
in
der
Sitzung auf dem Rathhause vom 18. Juli 1861 bekannt geworden, setzte der Herr Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten die
Unterzeichner
der Jmmediat- Eingabe vom 24. Juli 1861
davon in Kennt
niß, daß:
„durch Allerhöchste Ordre vom geruht,
ihn
Allerhöchstderselbe
die Bildung
Seine Majestät
6. November 1861
zu beauftragen, diesen Unterzeichnern
eines
Comite
Standbildes, für Lessing auf dem Vorplatze
zur
zu
eröffnen,
Errichtung
daß
eines
des Königlichen Schau
spielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes Allergnädigst gestatten und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Huld und Gnade ver
sichern wollen."
Die dankbare Freude über die nunmehrige Gewißheit dieser lang ersehn
ten Allerhöchsten Entscheidung wurde für uns bald nachfolgend noch durch die Zuschrift gesteigert, welche der Magistrat die Geneigtheit hatte, am 21. No
vember 1861 an die Unterzeichner jener auch an ihn gerichteten ersten Anzeige vom 10. Juli 1861 gelangen zu lassen.
Sie verbürgte uns, daß unsere nur
durch die Liebe zum gemeinsamen Besten erweckte und autorifirte Bitte mit den Ueberzeugungen und den amtlichen Anträgen der verehrlichen Stadtbehör-
— 302 den unterdeß durchaus Hand in Hand gegangen, und daß das jetzt erreichte Resultat zugleich
die Erfüllung eines von den Repräsentanten dieser König
lichen Haupt- und Residenz-Stadt getheilten und nachdrücklichst befürworteten eigenen Wunsches war. den ihr beigefügten,
Daher wurde diese Zuschrift des Magistrats sammt
das -vorerwähnte Protokoll der Sitzung vom 18. Juli
1861 Anschließenden Anlagen sofort bei der Constituirung des Lessing-Comits
am 23. November 1861 der Versammlung urschriftlich vorgelegt,
und sie
bildet fortwährend eine zu unschätzbare Stiitze für die ganze Wirksamkeit des
Lessing-Comits, als daß wir nicht bei ihrem ftir uns so ermuthigenden als verpflichtenden Inhalt hier verweilen sollten.
„Es traf uns jene Anzeige vom 10. Juli 1861" — so eröffnete uns nun der Magistrat — „gerade in einem Augenblicke, als in unserer eigenen
Mitte der anderweit in die Oeffentlichkeit getretene Vorschlag, die Lekarmten
Differenzen zwischen dem Schiller- und Goethe-Comits wegen Aufstellung ihrer Statuen durch Hinzunahme eines Lessing-Denkmals zu schlichten, bereits
aufgenommen war und lebhaft verhandelt wurde. gangs erwähnte Mittheilung
Wir haben daher die Ein-
(über die stattgehabte Vereinigung zn vorberei
tenden Schritten ftir diesen Zweck) mit lebhafter Genugthuung entgegen ge nommen und uns beeilt, dem Projekte eines Lessing-Denkmals sowohl in den
Unterhandlungen mit dem Schiller- und Goethe-Comits, als mit der Stadtverordneten-Versammlnng,
und später in unseren,
auf Grund dieser Unter
handlungen höheren Orts formirten Anträgen allen Vorschub zu leisten. Ms Belag hierfür fügen wir Abschrift unseres unter dem 30. Oktober an den
Herrn Minister für die geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten
erstatteten bezüglichen Berichts nebst allen
genauere
Anlagen bei, -deren
Kenntnißnahme auch für die weiteren Schritte in der Lessing-Angelegenheit
von Wichtigkeit sein dürfte.
die ver-
Wir haben nuirmehr das Vergnügen,
ehrlichen Unterzeichner des Schreibens vom 10. Juli d. I. ergebenst zu be
nachrichtigen, daß zufolge hohen Erlasses des gedachten Herr» Ministers vom
8. d. M. von Seiner Majestät dem Könige mittels Merhöchster Ordre vom 6. d. M. auf unsere Anträge huldreichst genehmigt worden ist:
1. „daß den Denkmälern für Schiller und Goethe auf dem hiesigen
Gensdarmenmarkt noch
ein Monument für Lessing und zwar
dergestalt hinzugefügt werde, daß das Standbild Schillers die Mitte des Platzes vor dem Schauspielhause behauptet, die andern beiden
Standbilder aber ihm zur Seite treten;"
2. daß die Unterzeichner der unter dem 24. Juli an Seine Majestät
den König gerichteten allerunterthänigsten Vorstellung,
betreffend
das Lessing-Deickmäl, sich nunmehr als Comitö eonstituiren Behufs
Errichtung eines Standbildes für Lessing in Berlin auf den Vor
platze des Königlichen Schauspielhauses zur Seite des C Standbildes."
„Indem wir" — so schließt diese Zuschrift des Magistrats vom vember 1861 — „den verehrlichen Unterzeichnern der Eingabe vom
303
d. I. in Erwiderung auf ihre Mittheilungen hiervon ergebenst Kenntniß ge ben, wird eS uns aufrichtig freuen, von der erfolgreichen Thätigkeit eines nunmehr definitiv zu bildenden Lessing-ComitS in einer großen nationalen Angelegenheit baldige Nachricht zu erhalten." Dieser ehrenvollen Aufforderung des Magistrats wünscht das LessingComitL zu entsprechen, indem es nach den vorher bezeichneten Entwickelungs stufen seiner Begründung nunmehr zu der folgenden ergebensten Mittheilung über seine hierauf erfolgte fernere Gestaltung und seitherige Wirksamkeit übergeht. Die Frage, die sich die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli 1861 bei ihrem ersten Zusammenttitt nach Erlaß und Publication der Allerhöchsten Ordre vom 6. November am 23. November zunächst vorlegten, war die, ob der Kreis der Mitglieder des Lessing-Comite auf die Zahl dieser Unterzeichner zu beschränken oder darüber hinaus auszudehnen, und im letzte ren Falle, ob die Constituirung des Comite bis dahin, daß sich die Erfolge etwaiger fernerer Einladungen würden übersehen lassen, zu beanstanden sei. Die Versammlung entschied in ihrer Majorität, daß der Zweck des Comite die möglichste Beschleunigung seiner Constituirung unter den obwaltenden Umständen dringend gebiete, jedenfalls die Aussetzung der Constituirung bis nach dem Ausfall jener Eventualität nicht zulaffe. Hierauf schritt die Ver sammlung zur Constituirung des Lessing-Comite mittelst Wahl eines auS sieben ComitL-Mitgliedern bestehenden geschäftsleitenden Ausschuffes, und wählte durch schriftliche Stimm-Abgabe zum Vorsitzenden: den Ober-TribunalS-Rath Bloemer, zu dessen Stellvertteter den Geheime-Rath Dr. Jo hannes Schulze, zum Schriftführer den Gerichts-Assessor Robert Lessing, zu dessen Stellvertreter den vr. O. Lindner, zumSchatzmeister den Commercien-Rath Leonor Reichenheim, zu dessen Stellvertteter den Fabrikbesitzer Jacques Meyer, und als zuttetendeS ferneres Mitglied des Ausschuffes: den Ober-Bau-Director Hüb en er. Die angemessene Erweiterung des dadurch zunächst auf die Unterzeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli beschränkten Lessing-Comite war der Gegenstand fottgesetzter Verhandlung in den nächsten Sitzungen vom 27. No vember und vom 7. December 1861. Als eine angemessene Erweiterung wurde nur diejenige erachtet, welche die Möglichkeit einer persönlichen Ver letzung für den Nicht-Eingeladenen ausschließe. Von dieser Rücksicht geleitet, beschloß die Versammlung die Erweiterung des Lessing-Comite allerdings unverzüglich zu versuchen, sie jedoch über die nachfolgenden Einladungen an: den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, den General-Jnspecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungs Wesens, den zeitigen Rector der Universität, den General-Director der Königlichen Museen, den General-Intendanten der Königlichen Schauspiele,
304 den Ober-Bürgermeister und Bürgermeister hiesiger Haupt- und
Residenzstadt, den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtverordneten-Versammlung,
den Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft und dessen Stellvertreter, und das Haupt derjenigen hiesigen Familie, deren Ehrennamen mit
dem Namen Lessing durch das Band der edelsten Freundschaft
für immer verbunden ist, nicht auszudehnen.
Dieselbe Rücksicht wurde namentlich auch in Bezug auf
den Kreis der hiesigen ausübenden plastischen Künstler für maaßgebend erach
tet, da eine Einladung an alle Glieder dieses Kreises aus Gründen sachlich nothwendiger Begrenzung der Mitgliederzahl des Lessing-Comite unangänglich, eine Wahl unter den betreffenden Herren
aber dem Comite durchaus verbo
ten schien.
Der Ober-Bürgermeister und
der Bürgermeister Berlins,
sowie
der
Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Stadtverordneten-Versammlung, die Herren Dr. Krausnick,
Hedemann,
Lüttig und Schäffer
haben
der an sie ergangenen Einladung bereitwilligst entsprochen; das Lessing-Cowitä
hat die Genugthuung, die sämmtlichen Repräsentanten der hiesigen städtischen
Behörden jetzt nicht blos zu seinen Begünstigern, sondern zu seinen Mitglie dern zu zählen.
Dasselbe gilt von allen anderen vorbezeichneten Herren, bis
aus Herrn von Olfers.
Da das thatsächliche Nichttheilnehmen des Letztern
an dem Lessing-Comittz mehrfach zu unrichtigen Auffassungen geführt hat, so glauben wir es der Sache, dem verehrlichen Magistrat und uns selbst schuldig zu sein, durch eine vollständige Darlegung des factischen Hergangs ferneren
Unrichtigkeiten, so viel an uns ist, vorzubeugen.
Als es sich in der vorbezeichneten Sitzung des Lessing-Comitö davon han delte, dieses Comite in der eben angedeuteten Begrenzung
bezüglich
zu erweitern, ist
des Herrn von Olfers nicht unerörtert geblieben, was durch per
sönliche und sachliche Rücksichten unserer pflichtmäßigen Erwägung nahe ge legt war.
Es kam zur Sprache, daß Herr von Olfers auf die auch an
ihn, als Mitglied des Goethe-Comite, am 10. Juli 1861 ergangene frühere
Anzeige und Einladung
die darin erbetene zustimmende Erklärung seinerseits
nicht abgegeben, und daß kurz nachher die für die technischen Vorarbeiten zur
Errichtung des Goethe-Denkmals abgezweigte Abtheilung des Goethe-Comite sich unter dem Vorsitze des Herrn von Olfers gegen das Drei-StatuenProject, also gegen die Grundlage und Vorbedingung des jetzt constituirten
Lesstng-Comitö,
gutachtlich ausgesprochen habe.
Die General-Versammlung
des Goethe-Comite habe diesem Gutachten ihrer technischen Abtheilung am 16. Juli 1861
zwar allerdings
in sofern die Zustimmung versagt,
als sie
nach längerer Erwägung beschlossen, eventuell auch ihrerseits dem Drei-Sta
tuen-Project beizutreten und als sie demgemäß ihre Deputirten zur Abgabe einer desfallsigen Erklärung in der von dem Magistrate auf den 18. Juli 1861
305
onbcraumten Sitzung mit Vollmacht versehen; auch sei diese eventuelle Zu stimmung für das Drei-Statnen-Project Namens des Goethe-ConM am 18. Juli 1861 durch dessen Deputirte wirklich abgegeben worden; dies gebe aber immerhin keine Gewißheit, daß sich Herr von Olfers nunmehr geneigt bezeigen werde, an der Ausführung dieses Projects durch Eintritt in das Lesfing-Comite Theil zu nehmen. Dagegen wurde in Betracht gezogen, daß durch die Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 die Ausführung des Drei-Statuen-ProjectS nunmehr endgültig entschieden sei, und daß das kessingEomit4 jedenfalls kein Recht habe, anzunehmen, daß es in den Wünschen des Herrn vonOlfers liegen könne, auch jetzt einem Comite nicht anzugehören, dessen Constituirung Seine Majestät der König seitdem nicht blos gestattet, sondern der Zusicherung Seiner Allerhöchsten Huld und Gnade ausdrücklich gewürdigt habe. DaS Lessing-Comite bleibe verpflichtet, seinerseits nichts un versucht zu lassen, dantit, neben den anderen einstußreichen und hochverehrten hiesigen Vertretern der Kunst und Wissenschaft und des städtischen Gemein wohls in dem, nach diesen Seiten hin zu erweiternden Kreise seiner Mitglie der, der General-Director der Königlichen Museen nicht vermißt werde. Die letztere Betrachtung überwog; die Versammlung beschloß Herrn vonOlfers nochmals um Anschluß an das Lessing-Comite zu ersuchen, und das desfallö an ihn zu richtende Schreiben durch eines ihrer Mitglieder bei Herrn von Olfers persönlich überreichen zu lassen. Dieses Schreiben lautete: „Seiner Ercellenz, dem General-Director der Königlichen Museen, Herrn Wirklichen Geheimen Rath Dr. von Olfers hier.
Berlin, den 20. December 1861.
„Seine Majestät der König haben Inhalts hochverehrlichen Rescripts des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, Herrn von B ethmann-Hollweg, Excellenz, vom 8. d. M. durch Allerhöchste Ordre vom 6. desselben Monats uns auf unsere Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli d. I. eröffnen zu lassen geruht: daß Allerhöchstdieselben die Bildung eines Comite zur Errichtung eines Standbildes für Lessing in Berlin, auf dem Vorplätze des Königlichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen SchillerStandbildes., Allergnädigst gestatten und dieses Comite Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade versichern wollen. „Von dem lebhaften Wunsche erfüllt, diese Allerhöchste Gestattung in gedeihlichster Weise zu verwirklichen, haben wir am 7. d. M. einstim mig beschlossen, Ew. Excellenz zu bitten, daß es Hochdemselben im Interesse des schönen vaterländischen Zweckes genehm sein möge, sich uns als Mitglied des Lesfing-Comite durch Mitunterzeichnung des von demselben nunmehr zu veröffentlichenden Aufrufs hochgeneigtest anzuschließen, und ist Herr General von Webern dabei zu der 20
306 freundlichen Zusage bereit gewesen, Euer Excellenz das Original des
Auftufs zugleich mit diesem Ausdruck unserer ergebensten Bitte per
sönlich zu überreichen.
Das Comite zur Errichtung des Lessing-Standbildes in Berlin. In dessen Auftrag:
Dr. Joh. Schulze. Dieses
Bloemer."
gelangte hierauf mittelst des nachfolgenden an den
Schreiben
General-Lieutenant v o n W ebern. „Euer Excellenz
bitte ich um die Erlaubniß in der beifolgenden Mappe das Original
unseres
Lessing-Auftufs sammt den Behändigungsschreiben
an
die
Herren von Peucker, von Hülsen und von Olfers, bei Hoch-
denselben einzureichen
und die durch den Drang
der Zeit gebotene
Bitte um baldgeneigte Rücksendung nach hoffentlich erreichtem Erfolge gehorsamst anschließen zu dürfen.
Wie Euer Excellenz Sich zu Ih
rer Freude überzeugen werden, sind die Vertreter der hiesigen städti
schen Behörden,
die Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kauf
mannschaft und der Rector unserer Friedrich-Wilhelms-Universttät, die Herren:
Krausnick, Hedemann, Lüttig, Schäffer, Baudouin, War
schauer und Magnus, indem sie der desfalls an sie ergangenen Ein ladung bereitwilligst entsprochen haben, jetzt mit uns verbunden.
In
der von des Königs Majestät Allerhöchstselbst nunmehr gestatteten und
öffentlich in Schutz genommenen Verehrung
der den Tellheim schrieb,
des deutschen Mannes,
Voltaire entthronte und mit Winkelmann
die neue Kunst schuf, werden uns die Leiter und Bewahrer der mili tärischen Erziehung und der Kunstbildung in Preußen ebenfalls nicht
fehlen wollen.
„Meine Legitimation zur Unterzeichnung des Aufrufs für den Appellationsgerichts-Viee-Präsidenten Herrn Simson in Frankfurt a. O. —
der das Jmmediat-Gesuch vom 24. Juli v. I. mitunterzeichnete —ist in dem an mich
gerichteten Antwortschreiben
desselben
vom 20.
v. M. sub pet. rem. ebenfalls angefügt.
„Genehmigen Euer Excellenz die Versicherung der aufrichtigen Hoch achtung, womit
ich
die Ehre
habe
zu
verharren
als Hoch-
desselben ganz gehorsamster Bloemer."
Die Erwiederung des Herrn General-Lieutenants von Webern auf diese
letztere Zuschrift lautet:
307
Berlin, den 4. Januar 1862. „Ew. Hochwohlgeboren habe ich unter Rücksendung beikommender Mappe, in welcher daOriginal unseres Lessing-Aufrufs liegt, freundlich ergebenst Bericht zu erstatten über das Ergebniß des von mir übernommenen Geschäfts im Interesse unserer Angelegenheit. „Wie Sie sich aus den Unterschriften überzeugen wollen, haben Herr von Peucker und Herr von Hülsen die für sie ehrenvolle Aufforderung, dem Comite zuzutreten, bereitwillig, und mit dem Zu satz, nach Kräften nützlich und förderlich zu sein, doch mit der Bitte, sie mit jedem Amt und Geschäft zu verschonen, zugesagt. Anders war es mit Herrn von Olfers, der entschieden abgelehnt, und dabei aus seiner Verpflichtung als Goethe-Comite-Mitglied Verhinderungs gründe anführte, deren Gültigkeit ich zwar nicht einsehen konnte, aber doch auch nicht bestreiten wollte. Das Comite wird daher schon wohl auf den Beitritt des Herrn von Olfers unter diesen Um ständen verzichten müssen. „Mit dem Ausdruck wahrhafter Hochachtung und fteundlicher Ergebenheit herzlich zugethaner von Webern."
Die direkte schriftliche Antwort des Herren von OlferS war fol gende : „Der verehrlichen Aufforderung des Comite für Errichtung des Lessing. Standbildes vom 20. December, welche mir heute behändigt worden, bedauere ich nicht entsprechen zu können, indem meine vielfach in Anspruch genommene Zeit mich hat bestimmen müssen, aus VereinsVorständen zu scheiden, an welchen ich lange Zeit Theil genommen hatte; um so weniger würde ich daher neue Verpflichtungen zu über nehmen im Stande sein. Hochachtungsvoll und ganz ergebenst von OlferS. Berlin, den 3. Januar 1862. An daS Comite für Errichtung des LesfingStandblldeS z. H. des Königl. Wirklichen Geh. Ober-Regierungs-RathS Herrn Schulze Hochwohlgeboren hier."
308 Das Lessing-Comite, durch den allseitigen Beitritt der vorgenannten an
deren verehrten Herren auf die Gesammtzahl von 33 Mitgliedern erweitert,
hat hierauf mit dem von ihnen
allen unterzeichneten, Berlin, 10. Januar
1862, datirten „Aufruf zur Errichtung
des Lessing-Standbildes in Berlin,"
seine öffentliche Wirksamkeit begonnen.
Es hat datin in Gemeinschaft mit
Unterrichts- und Medicinal - Angelegenheiten,
dem Minister der geistlichen,
Herrn von Bethmann-Hollweg,
der für eine so
persönlicher Theilnahme mitwirken zu wollen,
gute Sache
auch in
sich sofort bereit erklärte, die
Allerhöchste Entscheidung verkündet, daß „dem Standbilde Schillers, zu dem
am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung
den Grundstein legte, die Standbilder Goethes und Lessings nun zur Seite
treten, und mit ihm dem Vorplatze des Königlichen Schauspiel hauses
dieser deutschen Hauptstadt den reichsten und edelsten
Schmuck verleihen sollen."
Es hat „Alle, die in Lessing den großen
Schriftsteller und Charakter verehren, Alle, die sich ihm verpflichtet fühlen,
Alle,
die das Bild des edeln Mannes in ihrem Herzen tragen,
an dem vaterländischen Unternehmen Theil zu nehmen:
aufgerufen,
Lessings Andenken,
theuersten Erinnerungen unseres nationalen Ruhmes
mit den
vereinigt, in sichtlicher Erkennbarkeit den kommenden Geschlechtern zu über liefern."
Es hat diesen Aufruf mit der Kundgabe schließen können, daß un
sere huldreiche Königin bereits „den ersten Beitrag" zu dem Lessing-Stand bilde gegeben,
d. h. durch die That besiegelt habe, was Allerhöchstdieselbe
gleich nach
dem ersten Bekanntwerden des Drei-Statuen-Projects in einer
von Herrn
Dr. Brandts
an
den Appellationsgerichts - Vice - Präsidenten
Simson gerichteten Zuschrift aussprechen zu laffen geruht hatten, daß Ihre Majestät den Vorschlag: „das Standbild Schillers dort aufzustellen, wo der Grundstein einmal
gelegt, und zu seiner Rechten und Linken Goethes und Lessings Mo numente zu errichten, sehr angemeffen finden, und für den Fall dieser
Plan zur Aufführung käme, für Lessings Denkmal denselben Beitrag aus Allerhöchst Ihrer Schatulle aussetzen wollen, welchen die Aller gnädigste Herrin zur Errichtung der beiden übrigen Denkmäler bereits gewährt hat."
Den Redactionen der hiesigen und vieler anderer auswärtigen Blätter
und Zeitschriften sind wir für die sofortige Aufnahme
des Ausrufs und die
dem Zwecke unserer Bestrebung dadurch geleisteten wirksamen Dienste zu dank
barer Anerkennung verpflichtet.
Mit Ausnahme eines einzigen, zuerst in der
Spenerschen Zeitung veröffentlichten Artikels,
den die verehrliche Redaction
dieses Blattes indeß unmittelbar nachher selbst als aus falscher Mittheilung hervorgegangen bezeichnet, und dessen Aufnahme sie bedauert hat, hat stcl unseres Wissens die Redaction keines vaterländischen oder ausländischen Blat tes bisher in einem anderen, als in dem der Allerhöchsten Entscheidung vom
6. November 1861 zustimmenden Sinne ausgesproche. Dem ersten glückverheißenden Beitrag Ihrer Majestät der Königin ha-
309 ben sich seit dem
andere Beiträge
der Näh und Feme
aus
Wir erwähnen mit besonderer Freude
des Beitrages
angeschlossen.
des Herrn Professors
Geppert ans dem Resultat der von demselben hier zum Vesten des LessingStandbildes
unlängst bewirkten Aufführung
Herr Professor
die ihm dabei
von dem General-Inten
Herrn von Hülsen, zu Theil geworden.
Auch von derMunificenz
wesentlichen Hülfeleistnng gedacht, danten
des Endens.
mit großem Danke der eben so freundlichen als
Geppert hat seinerseits
des Prinzen Georg von Preußen, Königlichen Hoheit, die sich bei dieser Gelegenheit abermals bewährt,
erfreuliche Kenntniß
in dessen Vorlesungen
hat Herr Professor
Geppert dem Comite
Die Zuhörer des Herrn Professor Werder
gegeben.
über Nathan
sollen
den Tribut
ihres Dankes gegen
den verehrten Lehrer in einer vereinigten Gabe für das Lessing-Standbild zu spenden bestimmt haben.
Gosche hat über Lessings Leben
Herr Professor
und Geistes-Entwicklung gleichzeitig zahlreich besuchte öffentliche Vorlesungen gehalten, deren Nachwirkungen unseren Bestrebungen ebenfalls zum bleibenden Nutzen gereichen werden.
In unserer letzten Comite-Sitzung ist beschlossen worden, mit der Vertheilung der Beitragslisten für das Lessing - Standbild nunmehr in der Art
vorzugehen,
daß zunächst den Comite - Mitgliedern selbst einzelne Nummern
dieser Listen zur Cirkulation in den Kreisen ihrer Freunde mitzutheilen seien.
und Bekannten
Demgemäß haben alte in dieser Sitzung anwesende Mit
glieder, jedes derselben drei Nummern dieser Beitragslisten an sich genommen
und ihre bestmöglichste Bemühung zur Förderung des Zweckes zugesagt.
Den
in der Sitzung nicht anwesenden Comite-Mitgliedern sind seitdem zu gleichem Zwecke ebenfalls einzelne Nummern der Beitragsliste zugestellt.
Für die ge
eignete Vertheilung der Beitragslisten in den hiesigen Stadtbezirken durch die
geneigte Vermittlung der betreffenden Herren Bezirksvorsteher hat Herr Bürger
meister Geheime Rath Hcdemann
kn
eben.dieser Sitzung die erforderliche
Einleitung in nahe Aussicht gestellt.
Die
Mitbetheiligung
der vaterländischen Hochschulen und Gymnasien,
Bühnen-Vorstände und Kunst- und wissenschaftlichen Anstalten an unsere»
Bestrebungen ist in besonderen, unserem Aufrufe beizufügenden Begleitschreiben
vorbereitet.
Das Comite
hat
sich
für
die deshalb erforderlich gewesenen
Vorarbeiten auch hier zweien seiner Mitglieder, den Herren Professoren Go sche und Gubitz, zu Dank zu bekennen.
Einzelne Kreise von Verehrern besonders verbunden wissen,
Lessings,
lassen uns
die
sich
seinen Gesinnungen
auf gesegnete Resultate
vereinigter
Anstrengungen schließen, andere Kreise, die das Andenken Lessings in beson
derer Dankbarkeit heilig halten, haben dazu die bestimmte Aussicht eröffnet. Neben so viel Erfreulichem beklagen wir den Verlust des Stadtverord neten Herrn Guttentag, den ein unerwarteter Tod aus unserer Mitte abberufen hat.
Wie Herr Guttentag
sofort
mit freudiger Entschlossenheit
unseren Bestrebungen zugetreten, so hat er ihnen in der leider nur zu kurzen Scmer seiner uns gewidmeten thätigen Mithülfe stets mit ganzem Herzen zn
310
hielten gesucht. Auch das Lessing-Comits wird nicht aufhören, sich des wer then Mitbürgers mit verdienter Anhänglichkeit zu erinnern. Wir schließen unsere Mittheilung an den verehrlichen Magistrat mit dem aufrichtigen Danke für die uns von ihm und der StadtverordnetenVersammlung seither in so entgegenkommender und wirksamer Weise zuge standene Unterstützung, mit der lebhaften Bitte um deren unverminderte kräf tige Fortgewährung und in der zuversichtlichen Hoffnung, daß das unter den schützenden Auspieien unseres Königs vertrauensvoll begonnene vaterländische Werk durch Eintracht und Beharrlichkeit zur glücklichen Vollendung gelange. Berlin, den 8. Mai 1862. Der Ausschuß des Comite zur Errichtuug des Lessing-
Staudblldes in Berlin:
Bloemer. Dr. Johannes Schulze. Robert Lessing. Dr. O. Lindner. Reichenheim. Jacques Meyer. Hnbener.
Beilage XI.
Von dem uns übersandten Bericht des verehrlichen Comits, ä. S. Ber lin, den 8. d. 3)1., betreffend die bisherige Thätigkeit für die Errichtung des Lessing-Denkmals haben wir mit lebhaftem Interesse Kenntniß genommen, und indem wir in den Wunsch Wohldesselben „daß das unter den schützenden Auspieien unseres Königs vertrauens voll begonnene vaterländische Werk durch Eintracht und Beharrlichkeit zur glücklichen Vollendung gelange/' gern einstimmen, schließen wir mit den Versicherungen unseres Dankes und unserer fortgesetzten Theilnahme. Berlin, den 29. Mai 1862. Magistrat hiesiger Königlichen Haupt- und Residenzstadt, gez. Kransnick. An das Comits zur Errichtung des LessingStandbildes in Berlin, z. H. des Vor sitzenden, Herrn Geheimen Ober-TribunalsRaths Bloemer, Ritter re. Hochwohlgeboren. sä 726. Mai.
311
Beilage
XH.
Auszug aus dem Protokoll der in der Königlichen Bau-Akademie zu Berlin am 16. Juni 1862, Nachmittags 6 Uhr, stattgehabten Sitzung des
Lessing-ComiW. Wegen eingetretener Abhaltung hatten sich für die heutige, durch Einla
dung des Vorsitzenden vom 12. d. M.
einberufene Sitzung ent
schuldigt die Herren:
Aeltesten-Vorsteher der Corporation der Kaufmannschaft,
Geh.
Commereien-Rath B and ou in;
dessen Stellvertreter, Commereien-Rath Robert Warschauer; Ober-Bau-Director Hüb euer; Geheimer Ober-Postrach Schülsler; Commercien-Rach Leonor Reichenheim; General-Lieutenant von Webern;
für den General-Intendanten der Königlichen Schauspiele Herrn
von Hülsen war angezeigt, daß er nach London verreist sek.
Anwesend waren die Herren: Ober-Tribunals-Rath Bloemer, Vorsitzender; Wirklicher Geheime Ober-Regierungs-Rath Dr. Johannes Schulze;
Dr. Q. Lindner; Fabrikbesitzer Jacques Meyer; Professor Dr. Joh. Gust. Droysen;
Professor Dr. Robert Gosche; Buchdruckerei-Besitzer Ernst Kühn; Kaufmann Le Coq;
der zeitige Rector der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Uuiversität Professor Dr. A. Magnus; Geheimer Commercien-Rach Alexander Mendelssohn; Verlags-Buchhändler Dr. G. Parthey;
Geheimer Rath, Professor Dr. Friedrich von Raumer;
Ober-Consistorial-Rach, Professor Dr. A. Twesten; Stadtverordneter Dr. M. Veit; Stadt-Rath Dr. Woeniger; Gerichts-Assessor Robert Lessing, Schriftführer.
Der Vorsitzende theilt der Versammlung eine an ihn gerichtete und ur schriftlich vorliegende Zuschrift des Herrn Vorsitzenden
des
Goethe-Comit«
vom 26. Mai c. mit, deren Empfang er demselben am 27. Mai e. mit dem
Beifügen angezeigt,
daß er den Inhalt der Zuschrift dem Ausschuß des
312 Lessing-Comits, als dem vorberathenden und geschkstsleitenden Theile dieses Comite, sofort zur Kenntniß bringen werde, und sich seinerseits zunächst auf diese Anzeige beschränken müsse.
Der Ausschuß ist auf die Einladung des
Vorsitzenden vom 29. Mai c. am 4. Juni c. zu einer Vorberathung zusam
mengetreten.
Das Resultat dieser Vorberathung ist der an diesem Tage von
dem Ausschuß einstimmig gefaßte Antrag, den derselbe gegenwärtig der Ver
sammlung zur Berathung und Beschlußfassung stellt.
sammlung vor,
das in der Zuschrift
Comite vom 26. Mak c. bezogene
Ebenso liegt der Ver
des Herrn Vorsitzenden des Goethe„Gutachten"
Goethe-Comite vom 14. April c., kn Exemplaren
der
einer
Abtheilung A. des
„nebst Beilagen"
und einem „Vorwort" veröffentlichten Druckschrift, die, jener Zuschrift Herrn Vorsitzenden des
des
Goethe-Comite gemäß, den einzelnen Mitgliedern
des Lessing-Comits in je einem Exemplare zugestellt
werden sollte und zu
gestellt worden ist.
Die Versammlung ist hierauf in die Berathung dieser Angelegenheit ein getreten, und nach gepflogener Verhandlung aus den nachfolgenden Bestimmungsgründen zu der am Schluffe angegebenen Erklärung gelangt:
In
Erwägung:
daß Seine Majestät der König in einer an Allerhöchstdenselben gerichteten Jmmediat-Ekngabe vom 24. Juli 1861 ehrfurchtsvoll ge beten worden ist, den Unterzeichnern dieser Eingabe Allergnädigst zu gestatten: „zur Bildung und Constktuirung eines Comitö für die Errkch-
tung eines Lessing-Standbildes in Berlin,
auf dem Vorplatze
des Königlichen Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller-Standbildes, als des bleibenden Mittel
punktes der drei Dichter-Standbilder Lessing, Schiller und Goethe,
baldigst vorschreite» zu dürfen, und daß es Seiner
Königlichen Majestät gefallen wolle, den Bestrebungen dieses Coiitife mit Allerhöchst Ihrer Königlichen Huld und Gnade zugethan zu sein; daß, drei Monate später, der Herr Minister der geistlichen, Unter
richts- und Medicinal-Angelegenheiten den Unterzeichnern dieser Jm-
mediat-Eingabe mittelst hohen Reseripts vom 8. November 1861 eröffnet hat:
„daß durch Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 Se. Majestät
die Bildung eines Comite zur Errichtung eines Standbildes für
Lessing
in Berlin,
auf dem Vorplatze
des
Königlichen
Schauspielhauses, zur Seite des künftigen Schiller'
Standbildes Allergnädigst gestatten und dieses Comitö Allerhöchst
Ihrer Huld und Gnade versichern wollen;" daß auch der Magistrat hiesiger Königlichen Haupt- und Resii stadt den Unterzeichnern einer desfalls an ihn gerichteten ftüheren An-
313 zeige vom 10. Juli 1861
am 21. November 1861 die amtliche
Benachrichtigung ertheilt hat:
„daß zufolge hohen Erlasses
des Herrn Ministers
der geistlichen,
Unterrichts- und Medieinal-Angelegenheiten vom 8. November 1861
von Seiner Majestät dem Könige mittelst Allerhöchster Ordre vom
6. November 1861
auf die Anträge des Magistrats huld
reichst genehmigt worden:
1. daß den Denkmälern für Schiller und Goethe auf dem hiesigen Gensdarmenmarkte noch ein Monument für Les sing, und zwar dergestalt hinzugefügt werde, daß
das Standbild Schillers die Mitte des Platzes
vor
dem Schauspielhause behauptet, die anderen
beiden Standbilder aber ihm zur Seite treten;
2. daß
die Unterzeichner der unter dem 24. Juli 1861
an
Seine Majestät den König gerichteten Allerunterthänigsten Vorstellung, betreffend das Lessing-Standbild, sich nunmehr Errichtung eines Stand
als Comite eonstituiren Behufs
bildes für Lessing
in Berlin,
auf
dem Vorplatze
des
Königlichen Schauspielhauses zur Seite des künf tigen Schiller-Standbildes;" daß auf Grund der Allerhöchsten Ordre vom 6. November 1861
die Constituirung
des
Lessing-Comite
am
23. November 1861
wirklich erfolgt ist; daß sich diesem zunächst aus den
Unterzeichnern der Jmmediat-
Eingabe vom 24. Juli 1861 bestehenden Comite bald nachfolgend
andere Männer als Mitglieder
des Lessing-Comite bereitwilligst
angeschlossen haben, in denen die Einladenden hochgeschätzte Ver treter der Kunst und Wissenschaft und des städtischen Gemeinwohls,
den Unterrichts-Minister, den Chef Bildungswesens,
des Militär-Erziehungs- und
den Oberbürgermeister und den Vorsitzenden der
Stadtverordneten-Versammlung Berlins an der Spitze, zu verehren hatten; daß, unter ausdrücklicher Berufung auf die durch die Allerhöchste
Ordre vom 6. November 1861 getroffene Königliche Entscheidung
und huldreichst ertheilte Zustimmung, das nach diesen Richtungen hin erweiterte Lessing-Comite am 10. Januar 1862 einen, von allen seinen Mitgliedern unterzeichneten öffentlichen Aufruf zur Errichtung
des Lessing-Standbildes in Berlin erlassen hat, in dessen Eingang
wörtlich gesagt ist: „Jene
hochgesegnete
Epoche unserer Geistesbildung,
die
mit
Lessing beginnend, sich in Schiller zu ihrer idealen Verklä rung erhebt und in Goethe ihre Vollendung feiert, soll in der harmonischen
Verbindung
der
Standbilder
dieser
drei Heroen jetzt ihre dauernde Verherrlichung finden:
dem
314 zu dem am Jubelfeste des geliebten Dichters die allgemeinste und innigste Verehrung den Grund
Standbilds Schillers,
stein legte, sollen die Standbilder Goethes und Lessings
zurSeite treten, und mit ihm dem Vorplatze des König
lichen Schauspielhauses dieser deutschen Hauptstadt den reichsten und edelsten Schmuck verleihen;"
und weiter:
„Jetzt der Unvergänglichkeit der Verdienste Lessings de» schul digen Tribut der gemeinsamen Huldigung darzubringen und sein
Andenken, mit den theuersten Erinnerungen unseres na tionalen Ruhmes vereinigt,
in sichtlicher Erkennbarkeit den
kommenden Geschlechtern zu überliefern, ist das vaterländische Unter
nehmen, woran in wetteifernder Treue Theil zu nehmen, wir Alle, die in Lessing den großen Schriftsteller und Charakter verehren, Alle, die sich ihm verpflichtet fühlen, Alle, die das Bild des edlen
Mannes in chrem Herzen tragen, mit fester Zuversicht aufrufen;"
daß in dem „Vorwort" zu dem jetzigen Gutachten der „für die technischen Vorbereitungen zur Errichtung des Goethe-Denkmals" ab gezweigten Abtheilung A. des Goethe-Comite vom 14. April 1862, S. 4. der veröffentlichten Druckschrift, zwar versichert wird, daß „für
das Drei-Statuen-Project, Schiller in der Mitte, sich kein Künstler,
kein Alaun der Wissenschaft erklärt hat;"
daß das Lessing-Comite, welches die Vertretung dieser Versicherung sowohl überhaupt als auch gegenüber der eignen Majorität des Goethe-
Comite bei dessen gleich zu erwähnendem Beschluß vom
1861, lediglich jener Seite selbst überlassen muß,
umfassender Weise hier gegeben ist,
16. Juli
von der sie iit so
seinerseits in dem Glauben an
die Wahrheit und das Recht des Gedankens fest verharrt, den die zuständigen städtischen und Staatsbehörden allseitig prüften und befür
worteten, und dessen hierauf an Merhöchster Stelle genehmigte Ver wirklichung von der erklärten Huld und Gnade eben dieser Allerhöchsten Stelle begleitet wird;
daß nach Erlaß des Auftufs vom 10. Januar 1862 Beiträge aus
der Nähe und Ferne sich
dem ersten Beitrage angeschlossen haben
und anschließen, den Ihre Majestät die Königin in sofortiger that sächlicher Bestätigung Allerhöchst Ihrer vorher ausgesprochenen Billi gung des Drei-Statuen-Projekts, Schiller in der Mitte, bereits am
12. November 1861 zu der von des Königs Majestät am 6. Novem ber 1861 Allerhöchst genehmigten Errichtung des Lessing-Standbildes in Berlin, von Breslau aus einsenden zu lassen die Gnade hatten;
daß die Allerhöchste Ordre vom 6. November 1861 jetzt daher seit
mehr als sieben Bionaten in factischem Vollzüge begriffen ist;
daß namentlich auch das in unmittelbarer Folge dieser Allerhöchsten Ordre publicirte Concurrenz-Ausschreiben des Magistrats für die Er-
315 richtung des Schiller-Standbildes die Rücksichtnahme darauf, daß die sem SLandbilde die Standbilder Goethes und Lessings später zur
Seite treten werden, den concurrirenden Künstlern zur ausdrücklichen Bedingung gestellt hat; daß das Goethe-Comite, nachdem es sich allen diesen offenkundigen
Thatsachen gegenüber seither vollkommen schweigend verhalten hat, in der
Eingangs erwähnten Zuschrift seines Herrn Vorsitzenden an den
Vorsitzenden des Lessing-Comite
vom 26. Mai d. I. nunmehr, un
ter Bezugnahme auf seinen jüngsten desfallsigen Beschluß vom 23.
April 1862, der Sache nach,
die Zustimmung des
Lessing-Comite
dafür in Anspruch nimmt, daß von der Errichtung des Lessing-Stand
bildes auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspielhauses jetzt wie
der abgestanden,
statt dieses Platzes für die Errichtung des Lessing-
Standbildes ein anderer dazu mehr geeigneter Platz auserwählt und
zur erleichterten Erreichung dieses Zweckes
von dem Lessing-Cowite
auf den Vorschlag eingegangen werde, „aus seiner Mitte drei Mitglieder zur näheren Verhandlung mit der gleichen Anzahl von Mitgliedern des Goethe-Comite abordnen zu wollen," welcher „Commission die Vorsitzenden beider Comites
bekzutreten haben würden;" daß dieser neueste Beschlußdes Goethe-Comite vom 23. April 1862
nicht blos gegen die Grundlage und die ganze bisherige Wirksamkeit des Lessing-Comite, 'sondern auch gegen den zur thatsächlichen Aus
führung gelangten früheren eigenen Beschluß des Goethe-Comite vom 16. Juli 1861 anstreitet,
da das Goethe-Eomite sich in diesem Be
schlusse vom 16. Juli 1861, und.zwar nach vorheriger Kennt
nißnahme und
Erörterung des
damaligen
Gutachtens seiner
Abtheilung A. vom 12. Juli 1861, bereit erklärte, der Errichtung
des Lessing-Standbilds auf dem Vorplätze des Königli chen Schauspielhauses und der dadurch dort bezweckten Ausführung des Drei-Statuen-Projeets, zuzuftimmen, wenn das Schiller-Comite auf der Errichtung des Schiller-Standbildes in
der Mitte des Platzes verharren sollte, und da die zum Vollzüge dieses Beschlusses vom 16. Juli 1861 bevollmächtigten Vertreter des
Goethe-Comite am 18. Juli 1861 vor den Vertretern des SchillerComite und den vereinigten Deputationen
des Magistrats und der
Stadtverordneten - Versammlung in der Sitzung auf dem hiesigeu Rathhause diese Zustimmung des Goethe-Comite wirklich
erklärt
haben;
daß, wenn das Goethe-Comite sich durch das nunmehrige erneuerte Gutachten seiner Abtheilung A. vom 14. April 1862 und den da raus gestützten Majoritäts-Beschluß seines Central-Ausschusses vom
16. April 1862 jetzt genöthigt glaubt, die durch den Vollzug des Beschlusses vom 16. Juli 1861 seinerseits definitiv
geordnete Ange-
316 legenheit nachträglich doch wieder in Frage zu stellen, oder, die eignen
Worte seines jüngsten Beschlusses vom 23. April 1862 anzuführen, „sich den Gründen des Central-Ausschusses und der Abtheilung A.
wegen Aufhebung
des Beschlusses vom 16 Juli 1861
nicht zu verschließen vermag," und in Folge dessen sich
zu dem vorangeführten Vorschläge bei dem
Lessing-Comits bewogen gefunden hat, dies allerdings nur dem Ge
biete seiner eigenen Auffassungen und Entschließungen angehört; daß das Lesstng-Comitö jedoch seinerseits ebenwohl nur seinen Ueber
zeugungen zu folgen vermag; daß es sich aus dem Standpunkte dieser Ueberzeugungen in keiner
Weise die Gründe aneignen kann, die in dem Gutachten der Abthei
lung A. des Goethe - (Somite
vom 14. April 1862 des Nähern zu
entwickeln gesucht werden; daß das Lessing-Comitö vielmehr nach ernster Würdigung aller hier zu Tage liegenden rechtlichen und thatsächlichen Momente und der dadurch gebotene» Pflichten und Rücksichten sich mit diesem Gutachten und seinen Beilagen und Bezugnahmen im entschiedenen Gegensatze
befindet;
daß das Lessing-Comits es im Besondern, den desfallstgen Anfüh rungen gegenüber, nicht für angemessen,
passend.,
sondern
und noch weniger für un
für wohlbegründet und würdig
hält,
daß
den
drei größten Schriftstellern und dramatischen Dichtern Deutschlands auf dem Vorplatze des Königlichen Schau
spielhauses in Berlin drei Standbilder aufgerichtet, d.h. daß jene von Seiner Majestät dem Könige am 6. November 1861
gebilligten Wünsche und Hoffnungen erfüllt werden, die die "Unter
zeichner der Jmmediat-Eingabe vom 24. Juli 1861 damals vor Aller-
höchstdemselben in den Worten aussprachen:
„Wie für die Bildung
und Veredlung des deutschen Geistes Lessing, Schiller und Goe the mit vereinigten Kräften unvergänglich fortwirken, so mögen
auch ihre kunstverklärten Gestalten sich jetzt hier in ungetrennten
Ehren erheben, zur Freude des Vaterlandes und zum neuen Ruhm und Schmuck dieser deutschen Hauptstadt;" daß die am 6. November 1861
von Seiner Majestät dem Könige
Allerhöchst genehmigte Dreistellung der Standbilder Lessing, Schil ler und Goethe auf dem Vorplatze des Königlichen Schauspiel
hauses hier überdies jetzt zum drittenmale eine Kunstaufgabe erneuert, die an einer andern Stelle hiesiger Stadt für die Standbilder von
Bork, Blücher und Gneisenau in ihrer Weise thatsächlich längst gelöst, und wieder an einer anderen Stelle und in anderer Weise sür
die Standbilder von Thaer, Schinkel und Beuth ihrer thatsäch lichen Lösung nahe ist;
317 diesen
aus
Gründen
erklärt das Lessing-Comite, dem einstimmigen Anträge seines Ausschusses einstimmig betretend, daß es bei aller Bereitwilligkeit und dem lebhaften
Wunsche, zur besten Ausführung des durch
die Allerhöchste Ordre vom 6.
November 1861 genehmigten vaterländischen Werkes mit dem Goethe-Comite
jederzeit einträchtig zusammen zu wirken,
auf den ihm in der Zuschrift des
Herrn Vorsitzenden des Goethe-Comite vom 26. Mai 1862 mitgetheilten,
Ausführung selbst entgegentretenden Vorschlag einzu
dieser
gehen, sich außer Stande sieht. seinen Ausschuß, diese Erklärung eines Auszugs aus dem Protokolle
Zugleich beauftragt das Lessing-Comite
Goethe-Comitö durch Mittheilung
dem
der heutigen Sitzung
zur Kenntniß zu
bringen.
Zur Ergänzung des Thatbestandes bleibt zuzusetzen:
Der von
den Herren Hotho, v. d. Hude und Hermann Grimm
in der Sitzung des Goethe-Comite vom 7. April 1862 gestellte Antrag lau tet nach Angabe der bei Gustav Lange hier gedruckten Schrift:
der Kunstabtheilung des Goethe-Comites u. s. w."
„In Anbetracht, schlüsse
„Gutachten
S. 5. wörtlich:
daß durch die am 16. Juli 1861 gefaßten Be
die wahren Grundlagen
des Goethe-Comite als
beseitigt, anzusehen wären, beschließt das Goethe-Comite von feinem Plane, die Goethe-Statne auf dem Gensdarmenmarkte aufzu
stellen, abzugehn, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, einen andern des Dichters würdigen Platz zu gewinnen,
und mit allen Kräften die Ausführung der Statue zu betreiben."
In der Sitzung der Kunstabtheilung des Goethe-Comilö vom 14.
April 1862 ist dieser Antrag, — wie es S. 13. derselben Schrift heißt, —
„in folgender amendirter Gestalt" einstimmig angenommen worden: „In Anbetracht, daß durch
schlüsse
das
Gelingen
Goethe-Denkmals
die am 16. Juli 1861 gefaßten Be
der
künstlerischen
Wirkung
des
unmöglich gemacht zu werden scheint,
und somit die wahren Grundlagen des Goethe-Comitö als beseitigt anzusehen wären, beschließt das Goethe-Comite u. s.. w."
von hier
an ganz wie vorstehend.
„In
der demnächst zusammenberufenen Sitzung des Central-Aus
schusses des Goethe-Cornitö vom 16. April 1862, wurde, — wie dieselbe
Schrift S. 15.
weiter bekundet,
—
Maercker folgender Beschluß gefaßt:
„unter dem Vorsitz des
Professors
318 „Der General-Versammlung ist folgender Antrag vorzulegen:
„a. Da nach einstimmiger Ansicht der Abtheilung A. durch die am 16. Juli 1861
gefaßten Beschlüsse der General-Versammlung
das Gelingen der künstlerischen Wirkung des Goethe-Denkmals unmöglich gemacht wird, beschließt das Goethe-Comitv" u. s. w.
von hier wieder ganz
wie im Anträge
der Herren Hotho,
v. d. Hude und Herman» Grimm und der Abtheilung A. „b. Die beiden andern Anträge der Abtheilung A.,
betreffend die
Aufstellung des Goethe-Denknials auf dem Opernplatz »nd die Verhandlung
des Goethe-Comits mit dem für eine Lessing-
Statue zusammengetretenen Comite, wurden gleichfalls zur Em pfehlung an die General-Versammlung durch Stimmenmehrheit angenommen." Der Unterschied
in der Begründung des Antrags der Herren Hotho,
v. d. Hude und Hermann Grimm vom 7. April 1862 und
schlusses der Kunstabtheilung
des Be
oder Abtheilung A. des Goethe-Comite vom
14. April 1862 ist in den hier in gesperrter Schrift gedruckten Stellen hin länglich klar gestellt.
Die Begründung dieses Abtheilungs-Beschlusses vom
14. April 1862 selbst ist in dem Majoritäts-Beschluß des Central-Ausschusses
vom 16. Zlpril 1862 nicht ganz richtig wiedergegeben; dort heißt es:
„un
möglich gemacht zu werden scheint," hier: „unmöglich gemacht
wird."
Druck von Ernst Kühn in Berlin.