265 88 40MB
German Pages 395 [408] Year 1923
Lehrbuch der
Rechtsphilosophie von
Rudolf Stammler Professor an der Universität Berlin
Zweite, durch einen literarischen Nachtrag vermehrte Auflage
B e r l i n und L e i p z i g
1923
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp.
Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten. Copyright by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner — Veit 8t Comp. Berlin und Leipzig 1923.
DER TREUEN GEFÄHRTIN MEINES LEBENS
Vorwort. Das Studium der Rechtsphilosophie hat in den letzten Jahrzehnten einen starken Aufschwung genommen. Das Interesse an den allgemeinen Fragen des Rechtes, des Staates, des sozialen Lebens hat sich weithin verbreitet und vertieft; und es liegt eine Fülle bemerkenswerter Ausführungen über diesen Gegenstand vor. Es fehlte aber bis jetzt an einer Zusammenfassung und übersichtlichen Darstellung für den, der sich über das Ganze der rechtsphilosophischen Lehre unterrichten möchte. Die damit gestellte Aufgabe stimmt in ihrer Art durchaus mit dem Plan uberein, den zahlreiche ausgezeichnete Lehrbücher auf allen anderen Gebieten der Rechtswissenschaft verfolgen. Im besonderen kann hier immer vorbildlich die Weise bleiben, in der seiner Zeit W i n d s c h e i d sein unübertroffenes Lehrbuch des Pandektenrechtes bearbeitet hat. In gleichem Sinne will auch das folgende Lehrbuch zuvörderst jedem dienen, der mit der Rechtsphilosophie noch nicht vertraut ist und sich ihr nun Überhaupt erst nähern will; aber doch auch demjenigen genauere Hilfe bieten, der eine eindringliche Untersuchung eines Problems wünscht. Die hierzu erforderlichen literarischen Angaben bereiten manche Schwierigkeit. Das rechtsphilosophische Schrifttum ist sehr verstreut. Manches wird dem Verfasser entgangen sein; und über die von ihm getroffene Auswahl wird nach Anführung und Berücksichtigung zuweilen Verschiedenheit der Ansichten herrschen können. Selbstredend aber war es angezeigt, tunlichst solche Bücher und Schriften anzugeben, aus denen der Leser weitere Nachweisungen erhält. Es könnte scheinen, als wenn rechtsphilosophische Erörterungen ohne unmittelbare praktische Bedeutung seien. Wer aber den Ausführungen unseres Lehrbuches folgt, wird bald gewahren, daß dem in Wahrheit nicht so ist. Eine folgerichtig durchdachte Lehre ist allenthalben nütze: bei Gericht, im Staatsleben, in all unserem gesellschaftlichen Dasein. Und manche trübe Erfahrung in öffentlichen Schicksalen hätte gespart werden können, wenn eine k r i t i s c h b e g r ü n d e t e Rechtsphilos o p h i e , statt irreleitender Maximen, unterstützend und richtend eingegriffen hätte. Freilich steht es nicht so, daß Würde und Wert der Lehre von dem Begriffe und der Idee des Rechtes aus einzelnen Erfolgen her behauptet werden sollte. Ist es doch gerade umgekehrt: Die innere Berechtigung eines begrenzten Strebens und Tuns leitet sich ja von der einheitlichen Auffassung ab, von der es in seiner Besonderheit geführt wird. So kommt es für jeden nachdenkenden Menschen darauf an, sich vor sich selbst über
Vorwort.
VI
die grundsätzlich bestimmende Art und Weise klar zu werden, der er überall folgt, mag er es zunächst auch noch nicht überschauen. Wer aber entschlossen ist, seinem Leben den festen Halt zu geben, den nur jene kritische Aufklärung zu verleihen vermag, der kann an der Frage nach dem Rechte und dem gemeinschaftlichen Wollen nicht achtlos vorbeigehen. Es gilt, diese Frage in das Ganze einer unbedingt gültigen Grundlehre harmonisch einzufügen. Also zur Erlangung geistiger Freiheit beizutragen, ist das oberste Ziel, das dieses Buch hier entscheidend im Auge hat. Berlin,
den 23. Mai 1921.
Rudolf
Stammler.
Vorwort zur zweiten Auflage. Die zweite Auflage dieses Buches folgt auf daß für wesentliche Änderungen kein Anlaß ausführlicher literarischer Nachtrag zugefügt. Herr Dr. J o h n W u aus China wertvolle ich ihm zu Dank verpflichtet bin. Berlin,
die erste in so kurzer Zeit, vorlag. Es wurde nur ein Bei seiner Feststellung hat Beihilfe geleistet, für die
den 24. Dezember 1922. Rudolf
Stammler.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung. I. D i e A u f g a b e d e r Rechtsphilosophie. § 1. Von dem Begriffe des Rechtes § 2. Von der Idee des Rechtes
1 2
II. D e r G e g e n s t a n d d e r Rechtsphilosophie. § 3. Die reinen Formen der Rechtsgedanken § 4. Unzulässigkeit eines Idealrechtes
4 7
III. D i e M e t h o d e d e r Rechtsphilosophie. | 5. Die kritische Methode § 6. Rechtsphilosophie und allgemeine Rechtslehre
9 10
IV. D i e B e d e u t u n g d e r Rechtsphilosophie. § 7. Grundsätzliche Entscheidung von Einzelfragen § 8. Das Recht in dem Ganzen des Geisteslebens
12 14
V. D i e G e s c h i c h t e d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e . Die rechtsphilosophische Frage Die griechische Theorie des Rechtes Die Jurisprudenz der Römer Die Staatslehre des Mittelalters Die Rechtsbetrachtung der Übergangszeit Das N a t u r r e c h t Das Vernunftrecht Die historische Rechtsschule Die materialistische Geschichtsauffassung Der juristische Empirismus
15 16 21 23 27 28 32 36 38 41
§ 9. ? 10. § 11. $ 12. § 13. § 14. § 15. § 16. § 17. §18.
Erstes Buch.
Der Begriff des Rechtes. Erster Abschnitt Das Feststellen des Rechtsbegriffes. I. N i c h t - k r i t i s c h e Versuche. § 19. Äußere Beschreibung des Rechtes § 20. Unmittelbares Erfassen des Rechtsgedankens § 21. Induktives Suchen des Rechtsbegriffes
46 47 48
II. K r i t i k d e s Rechtsbegriffes. § 22. Das Wesen des Rechtes § 23. Der Rechtsgedanke in dem Grundriß möglicher Wissenschaft § 24. Die unbedingte Gültigkeit des Rechtsbegriffes
50 52 52
VIII
Inhaltsverzeichnis. Zweiter
Abschnitt.
Das Wollen. I. D a s R e i c h 5 26. Ursachen und Zwecke § 26. Die Eigenart des Wollen« § 2 7 . D e r Gedanke der Wahl
der
Zwecke.
s
II. D i e Zweckwissenschaft. § 28. Die wissenschaftliche Behandlung des Wollens § 29. D e r Aufbau der Zweckwissenschaft § 30. Das R e c h t : eine Art des Wollens Dritter
"t» 64 65 56
59 61 63
Abschnitt.
Das Verbinden. I. D a s g e t r e n n t e Wollen. § 3 1 . Grundlegende Einteilung des Wollens § 32. Das Innenleben § 33. Mehrdeutigkeit des Wortes sittlich
66 68 69
II. D a s v e r b i n d e n d e § 34. D e r Katurzustand § 35. Die Gesellschaft § 36. D a s R e c h t : ein verbindendes Wollen
70 72 76
Vierter
Wollen.
Abschnitt.
Die Selbstherrlichkeit. I. D i e K o n v e n t i o n a l r e p e l . 1 37. S i t t e und R e c h t § 38. Wechsel und Wandel sozialer Regeln § 39. Versuche einer Begriffsbestimmung der Konventionairegel
. . .
77 79 80
II. D a s s e l b s t h e r r l i c h v e r b i n d e n d e Wollen. § 40. D e r Begriff der Selbstherrlichkeit § 41. Das R e c h t : ein selbstherrlich verbindendes Wollen § 42. Die Herrschaft des R e c h t e s über die Konventionalregel . . . .
82 83 84
Fünfter
Abschnitt.
Die Unverletzbarkeit. I. D i e Willkür. § 43. Gewalttätige Anordnungen § 44. Die L e g i t i m i t ä t § 45. Inhaltliche Verschiedenheit des selbstherrlichen Wollens . . . .
85 86 87
II. D a s u n v e r l e t z b a r v e r b i n d e n d e Wollen. § 46. D e r Begriff der Unverletzbarkeit § 47. Das R e c h t : das unverletzbar selbstherrlich verbindende Wollen § 48. Grenzfragen zwischen R e c h t und Willkür
88 89 90
IX
Inhaltsverzeichnis.
Zwei es Buch.
Das Werden des Rechtes. Erster I. 5 49. § 50. § 51.
Abschnitt.
Das positive Recht. Die positiven Besonderheiten Rechtsbegriff u n d positives R e c h t Positives R e c h t u n d richtiges R e c h t Vom W e r d e n des R e c h t e s im allgemeinen
II. S c h ö p f e r d e s p o s i t i v e n § 62. Göttlich gesetztes R e c h t § 53. D e r willkürlich freie Gesetzgeber § 54. D e r Wille des Volkes Zweiter
eines
Sette Rechtes. 94 96 97
Rechtsstoffes. 99 101 103
Abschnitt.
Wirtschaft und Recht. I. D i e s o z i a l e W i r t s c h a f t . § 55. Die Materie des sozialen Lebens § 56. Verhältnis von W i r t s c h a f t u n d R e c h t § 57. E i n h e i t s w i r t s c h a f t u n d freie B e i t r ä g e
105 111 115
II. D i e w i r t s c h a f t l i c h e n Erscheinungen. § 58. D e r Begriff einer wirtschaftlichen Erscheinung § 59. Einteilung sozialer Massenerscheinungen § 60. N e g a t i v e soziale P h ä n o m e n e
120 123 126
I. § 61. D a s § 62. Die § 63. D e r
Dritter Abschnitt. Die Entstehung des Redites. D i e G r ü n d e r e c h t , i c h er Änderungen. erste A u f t r e t e n des R e c h t e s Änderungen geschichtlicher Z u s t ä n d e Kreislauf des sozialen Lebens
II. D i e Rechtsquellen. § 64. Rechtlich b e s t i m m t e s R e c h t § 65. Gesetz u n d Gewohnheit § 66. Ursprüngliche R e c h t s e n t s t e h u n g Vierter Abschnitt. Das Gelten des Rechtes. I. D a s P r o b l e m d e s r e c h t l i c h e n § 67. Positives R e c h t u n d geltendes R e c h t § 68. Begriff u n d Geltung des R e c h t e s § 69. Die Bedingungen des rechtlichen Geltens II. R e c h t § 70. Die E i g e n a r t der Macht § 71. Schwaches R e c h t § 72. Verwerfliche Macht
und
127 128 • . 130 133 136 139
Geltens. 143 144 146
Macht. 147 149 151
X
Inhaltsverzeichnis.
Fünfter Abschnitt. Psychologie des Rechtcs. Seite I. D i e A u f g a b e d e r Rechtspsychologie. § 73. Kritische u n d psychologische Art der Rechtsbetrachtung . . . 153 § 74. Beschreibende Sozialpsychologie 155 § 75. Erklärende Sozialpsychologie . 156 II. D i e D u r c h f ü h r u n g d e r R e ' c h t s p y c h o l o g i e . § 76. Psychologische Rückführung des Rechtsbegriffes § 77. Psychologie des rechtlichen Geltens § 78. Unsicherheit über die Geltung eines R e c h t e s
160 162 164
Drittes Buch.
Die Idee des Rechtes. Erster Abschnitt. Das Grundgesetz des Wollcns. I. R i c h t i g e s Wollen. § 79. Der Gedanke der Richtigkeit § 80. Die Methode des Richtens § 81. Absolute und objektive Richtigkeit
167 169 171
II. R e i n e s § 82. Begriff u n d Idee § 83. Idee u n d Wirklichkeit § 84. Von der Freiheit
174 176 178
Wollen.
Zweiter Abschnitt. Die innere Lauterkeit. I. T u g e n d l e h r e . § 85. Die zwei Aufgaben des gesetzmäßigen Wollens § 86. Harmonie im Innenleben § 87. Ethik u n d Ästhetik
181 1S3 184
II. R i c h t i g e M o r a l . § 88. Das Gewissen § 89. Die Grundsätze einer richtigen Moral § 90. Praktische Morallehre
187 189 190
Dritter
Abschnitt.
Die Gerechtigkeit. I. D a s s o z i a l e I d e a l . § 9 1 . Recht u n d Gerechtigkeit § 92. Reine Gemeinschaft § 93. Abweichende Beschreibungen der Rechtsidee
194 197 201
II. R i c h t i g e s Recht. § 94. Die Richtigkeit eines Rechtes § 95. Die Grundsätze eines richtigen Rechtes § 96. Rechtsidee u n d bedingte Maßstäbe
205 207 210
Inhaltsverzeichnis.
XI
Vierter Abschnitt. Der Einzelne und die Gemeinschaft. I. D e r Einzelne. § 97. D e r Subjektivismus § 98. D i e Gültigkeit der Sittengesetze § 99. Pflichten gegen sich selbst
Seite 212 215 217
II. D i e Gemeinschaft. § 100. Gesellschaft und G e m e i n s c h a f t § 101. D e r Träger des gemeinschaftlichen Wollens § 102. D e r Kampf um d a s R e c h t Fünfter
218 220 222
Abschnitt.
Dag Recht des Rechtes. I. D i e A n z w e i f l u n g d e s Rechtszwanges. § 103. D y n a m i s c h e Gründe f ü r d e n R e c h t s z w a n g § 104. D e r K r i e g aller gegen alle § 105. R e c h t s z w a n g u n d Sittlichkeit II.
N o t w e n d i g k e i t der rechtlichen Gemeinschaft. § 106. Die E i n h e i t der sozialen R i c h t i g k e i t § 107. D a s R e c h t als Bedingung sozialer Gesetzmäßigkeit § 108. R e c h t und K i r c h e
224 226 227
Die
229 230 232
Viertes Buch.
Die Behandlung des Rechtes. Erster
Abschnitt.
Die Kategorien des Rechtcs. I. D i e e i n f a c h e n G r u n d b e g r i f f e § 109. Grundbegriffe des R e c h t e s § 110. Feststellung der rechtlichen G r u n d b e g r i f f e § 111. Tafel der rechtlichen G r u n d g e b r i f f e
des
Rechtes.
II. D i e a b g e l e i t e t e n G r u n d b e g r i f f e des § 112. Die zusammengezogenen G r u n d b e g r i f f e des R e c h t e s § 113. Die einreihenden G r u n d b e g r i f f e des R e c h t e s | 114. Die Grundaufgaben des R e c h t e s Zweiter
235 236 237 Rechtes. 239 241 242
Abschnitt.
Das juristische Denken. I. D i e j u r i s t i s c h e Begriffsbildung. f 115. R e i n e u n d bedingte R e c h t s b e g r i f f e § 116. D a s Bilden der R e c h t s b e g r i f f e § 117. Die Geschlossenheit der R e c h t s b e t r a c h t u n g
244 247 249
II. D i e j u r i s t i s c h e Konstruktion. § 1 1 8 . D i e E i n h e i t im R e c h t e § 119. Die rechtliche N a t u r eines WollenB § 120. Die Lehrsätze der juristischen K o n s t r u k t i o n
252 253 254
XII
Inhaltsverzeichnis. Dritter
Abschnitt.
Die Rechtssätze. I. D e r B a u d e r R e c h t s s ä t z e . § 121. Rechtssatz und Rechtsbegriff § 122. Die Arten der Rechtssätze § 123. Rechtssatz und Definition
Seite
255 256 257
II. D i e A u s f ü h r u n g d e r R e c h t s s ä t z e . § 124. Rechtsvoraussetzungen und Rechtsfolgen § 125. Die sogenannten juristischen Fiktionen § 126. Rechtssatz und Rechtseinrichtung
258 259 261
Vierter Abschnitt. Der rechtliche Ausdruck. I. D i e j u r i s t i s c h e T e c h n i k . § 127. Geformtes und auszuwählendes Recht § 128. Kasuistisches und abstraktes Recht § 129. Juristische Hermeneutik
262 264 266
II. D i e E r g ä n z u n g d e s § 130. Die juristische Induktion § 131. Der juristische Analogieschluß § 132. Lücken im Recht
geformten
Rechtes.
Fünfter Abschnitt. Das Einteilen des Rechtes. I. D i e j u r i s t i s c h e Systematik. § 133 Die reinen Einteilungen des Rechtes § 134. Der Begriff einer Rechtsordnung § 135. Die bedingten Rechtssysteme § 1 3 6 . Recht und Staat § 137. Staatloses Recht § 138. Das Weltrecht
II. D e r
Staat.
268 270 271
272 274 276 278 280 281
Fünftes Buch.
Die Bewährung des Rechtes. Erster Abschnitt. Praktische Rechtswissenschaft. I. D a s j u r i s t i s c h e Schließen. § 139. Die Arten des juristischen Schlusses § 140. Obersatz, Untersatz, Schlußfolgerung § 141. Der unmittelbare juristische Schluß
286 287 287
II. D a s a n z u w e n d e n d e R e c h t . § 142. Die praktische Bedeutung der Idee des Rechtes § 143. Das richterliche Ermessen § 144. Möglicher Zwiespalt im Rechte
289 291 293
XIII
Inhaltsverzeichnis Zweiter
Abschnitt.
Grundsätzlich erwägende Praxis. I. D a s A u s w ä h l e n d e s r i c h t i g e n Obersatzes. § 145. Die Möglichkeit des richtigen W ä h l e n s § 146. Natürliches R e c h t s g e f ü h l § 147. Soziologische J u r i s p r u d e n z II. D e r B e r u f d e r j u r i s t i s c h e n Praxis. § 148. Theorie u n d P r a x i s ^ 149. P r a k t i s c h e B r a u c h b a r k e i t eines rechtlichen Y\ ollens . . . . . § 150. Selbständigkeit des Urteilens
I. R § 151. § 152. | 153.
Dritter Abschnitt. Praxis des richtigen Rechtcs. echtsausführung durch rechtshohe A r t e n grundsätzlicher R e c h t s p r a x i s Vorrechte u n d Privilegien Die G n a d e
II. U r t e i l e n n a c h b i l l i g e m § 154. D a s Wesen der Billigkeit § 155. U n b e s t i m m t h e i t einer Leistung § 156. Schadloshaltung a u s Billigkeit
Seite
296 -298 300 302 303 305
Gewalten. 307 309 310
Ermessen. 312 313 314
III. G r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g e R e c h t e u n d § 157. Allgemeine B ü r g e r p f l i c h t e n I 158. Sittliche P f l i c h t e n im Sinne d e s R e c h t e s | 159. E i n e auf den A n s t a n d zu n e h m e n d e Rücksicht
Pflichten. 315 316 317
I V . D i e G r e n z e n d e r V e r t r a g s I r e i h e i t. 5 160. Die V e r t r a g s f r e i h e i t § 161. R e c h t s g e s c h ä f t e gegen ein gesetzliches Verbot § 162. R e c h t s g e s c h ä f t e gegen die guten Sitten
318 318 320
V. R i c h t i g e s A u s f ü h r e n v o n Rechtsvorhältnissen. § 163. A u s ü b u n g der Ausschließungsrechte 322 § 164. L e i s t u n g nach Treu u n d Glauben 323 § 165. Vermeidung des Mißbrauches bei Familienrechten 324 VI. B e g r ü n d e t e s E n d e v o n Rechtsverhältnissen. 325 § 166. Notwendiger Verlust des E i g e n t u m s § 167. Lösung d a u e r n d e r Vertragspflichten 327 ij 168. Die B e g r ü n d u n g des E r b r e c h t e s 331 Vierter
Abschnitt.
Politik. I. D i e R i c h t l i n i e n d e r $ 169. D a s politische Endziel § 170. Mehrheit u n d Richtigkeit § 171. Gleichheit u n d Gerechtigkeit
Politik.
II. P r a k t i s c h e Politik. § 172. Die Bedingtheit politischer M a ß n a h m e n § 173. Die Mittel der Politik § 174. Die politischen Parteien
334 339 341 346 349 353
XIV
Inhaltsverzeichnis. Fünfter
Abschnitt.
Der geschichtliche Fortschritt.
Seite
I. D i e G e s c h i c h t e . § 175. Die Art der geschichtlichen Forschung § 176. Die Geschichte als Lehrmeisterin § 177. Die Einheit der Geschichte
355 358 360
II. D e r Fortschritt. § 178. Der Begriff des Fortschritts § 179. Der Sieg des Richtigen § 180. Das Suchen nach dem vollkommenen Abschluß
363 366 368
Register Nachträge Berichtigungen
373 391 392
Abkürzungen. Folgende Werke sind nur mit dem Namen ihrer Verfasser angeführt: Naturrecht oder Philosophie des Rechtes und des Staates. 6. Aufl. 1870. BLUNTSCHLI Geschichte der neueren Staatswissenschaft. 3 . Aufl. 1881. B R U N N E R Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte. 7 . Aufl. von H E Y AHRENS
MANN. GEYER
1919.
Geschichte
und System
der Rechtsphilosophie
in
Grundzügen.
1863.
Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie. Das klassische Altertum. 1860. HINRICHS Geschichte der Rechts- und Staatsprinzipien seit der Reformation. 3 Bände. 1848—52. H U G O Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts. 4. Aufl. 1819. L A S S O N System der Rechtsphilosophie. 1882. M O H L Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. 3 Bände. 1855 f. R O S S B A C H Die Perioden der Rechtsphilosophie. 1842. S C H M A U S S Neues System des Rechts der Natur 1 7 5 4 . S C H R Ö D E R Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. 5 . Aufl. 1 9 0 7 ; 6 . Aufl. von K Ü N S S B E R G , Erste Hälfte 1917. S T A H L Die Philosophie des Rechts. 3 Bände. 3. Aufl. 1854. S T I N T Z I N G Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. 4 Bände. 1880 ff., vom zweiten Bande an von L A N D S B E R G . ÜBERWEG Grundriß dor Goschichto der Philosophie. Erster Teil. 1 0 . Aufl. von P R A E C H T E R 1 9 0 9 ; zweiter Teil 1 0 . Aufl. von B A U M G A R T N E R 1 9 1 5 ; dritterTeil 1 1 . Aufl. von F R I S C H E I S E N - K Ö H L E R 1 9 1 4 ; vierter Teil 1 1 . Aufl. HILDENBRAND
I
von
Bd.
ÖSTERREICH
1916.
Karl, Geschichte der Philosophie. 2 Bände. 5 . Aufl. 1 9 1 9 . V O R L Ä N D E R Franz, Geschichte der philosophischen Moral, Rechts- und Staatslehre der Engländer und Franzosen 1865. W A R N K O N I G Rechtsphilosophie als Naturlehre des Rechts 1839. WINDSCHEID Lehrbuch des Pandektenrechts. 3 Bände. 9 . Aufl. v. K I P P 1906. Z O E P F L Grundriß zu Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1 8 7 8 . VORLÄNDER
Von den Schriften des Verfassers dieses Lehrbuches sind nachsteherde mit diesen Abkürzungen zitiert: RR. = Die Lehre von dem richtigen Rechte. 1902. RSt. = Rechts- und Staatstheorien der Neuzeit. 1917. TR. = Theorie der Rechtswissenschaft. 1911. WR. = Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. 4. Aufl. 1921. Im übrigen sind regelmäßig die Vorschläge des deutschen Juristentags für die Art der Anführung von Rechtsquellen, Entscheidungen und wissenschaftlichen Werken, 2. Ausg. 1910, befolgt.
Einleitung. I . D i e A u f g a b e der
Rechtsphilosophie.
§ 1. Von dem
B e g r i f f e
des
Rechtes.
Unter R e c h t s p h i l o s o p h i e v e r s t e h e n wir d i e Lehre v o n d e m , w a s sich in rechtlichen E r ö r t e r u n g e n m i t u n b e d i n g t e r A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t aufstellen läßt \ Alle R e c h t s f r a g e n t r e t e n i n b e g r e n z t e n E r l e b n i s s e n auf. Sie e r s c h e i n e n als b e s o n d e r e B e s t r e b u n g e n i m F o r d e r n oder i m Verweigern, angelehnt an bestimmte Sätze u n d Einrichtungen. Und was immer an rechtlichem Begehren und Anordnen erscheint, ist g e s c h i c h tlich bedingt. E s entsteht aus beschränkt gegebener Lage, ist dem Wandel und Wechsel unterworfen und nach abgelaufener Frist dem Untergange geweiht2. Aber allen so e i n g e f ü h r t e n B e t r a c h t u n g e n i s t d e r B e g r i f f d e s R e c h t e s gemeinsam. E r v e r l e i h t i h n e n ihre g l e i c h m ä ß i g e E i g e n a r t J D e r A u s d r u c k Rechtsphilosophie s c h e i n t auf HUGO z u r ü c k z u g e h e n ; s. s e i n e n zivilistischen K u r s u s , bes. B d . 2 Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts 1797. V o r h e r n a h m m a n die s a c h l i c h e R i c h t u n g e i n e s B u c h e s in seinen T i t e l auf oder n a n n t e a l s T h e m a n u r das natürliche Recht. C O N R I N G s p r a c h v o n civilis philosophia (vgl. H U G O L e h r b u c h des r ö m i s c h e n R e c h t s s e i t J u s t i n i a m (3) 1830 S . 3 8 2 ; S T I N T Z I N G I I S . 177). K A N T (§ 15 N . 11) v e r w a n d t e Metaphysik der Sitten: l. Teil. Rtchtslehre. SCHMALZ gab der 4. A u f l a g e seines Reinen Naturrechts 1807 d e n T i t e l Handbuch der Rechtsphilosophie, n a c h d e m s c h o n F R I E S 1803 eine philosophische Rechtslehre, W E I S S 1804 ein Lehrbuch der Philosophie des Rechts v e r f a ß t h a t t e n . S. a u c h
W A R N KÖNIG § 2 S . 4. 2
—
Vgl.
T R
I
8.
Die D a r l e g u n g d e r B e s o n d e r h e i t e n in d e n g e s c h i c h t l i c h geg e b e n e n R e c h t s o r d n u n g e n ist S a c h e d e r t e c h n i s c h e n Jurisp r u d e n z . I h r liegt o b die ü b e r s i c h t l i c h e u n d g e n a u e R e p r o d u k t i o n eines g e g e b e n e n R e c h t s i n h a l t e s . Sie h a t d a s v o r d e m r e c h t l i c h G e w o l l t e a u s d e n Quellen w i e d e r h e r z u s t e l l e n . T R . I V 19; S T A M M L E R Begriff u n d B e d e u t u n g d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e , Z R P h i l o s . 1, 1 ff. — J e d e j u r i s t i s c h e A r b e i t sollte d a r u m s i c h selbst die V o r f r a g e v o r l e g e n : S i n d d e i n e A u s f ü h r u n g e n a l s W i e d e r g a b e der B e s o n d e r h e i t e n eines b e g r e n z t e n , geschichtlichen R e c h t e s g e m e i n t , oder k ö n n e n sie u n a b h ä n g i g d a v o n a 11 g e m e i n g e l t e n ? — B e a c h t e n s w e r t ist zu d i e s e m T h e m a n o c h i m m e r F E U E R B A C H Ü b e r Philosophie u n d E m p i r i e in i h r e m V e r h ä l t n i s s e z u r p o s i t i v e n R e c h t s w i s s e n s c h a f t 1804. Stammler.
Rechtsphilosophie.
1
o
§ 1.
Von dem Begriffe des Rechtes.
und fügt sie zu einer Einheit zusammen. Durch ihn grenzt sich d a s rechtliche Wollen von anderen typischen Möglichkeiten ab, von dem Naturgeschehen so gut. wie von Moral und Sitte oder von willkürlicher Gewalt. Sonach ist d e r B e g r i f f d e s R e c h t e s ein Gedanke von u n bedingter Allgemeingültigkeit3. E r bedeutet d i e s i c h g l e i c h b l e i b e n d e A r t eines Teiles menschlicher Bestrebungen. E r begleitet sie in ihrem jeweiligen Auftreten; aber er besagt nicht wieder eine sich mit ihnen ändernde Einzelheit, sondern ist im Gegenteil d i e e i n h e i t l i c h e B e d i n g u n g ihres gleichmäßigen Erfassens 4 . Damit ist die eine Aufgabe der R e c h t s p h i l o s o p h i e zum Ausdrucke gebracht. Sie hat d e n B e g r i f f d e s R e c h t e s zu entwickeln und sein Auftreten in dem Leben der Menschen darzulegen.
§ 2. Yon
der
Idee
des
Rechtes.
Die zweite Aufgabe der R e c h t s p h i l o s o p h i e Lehre von der Gerechtigkeit1.
bildet d i e
D e r B e g r i f f des Rechtes ist eine Teilvorstellung. E r bezeichnet die eine Art von menschlichem Wollen gegenüber anderen Klassen des letzteren: dem moralischen, dem konventionalen, dem gewalttätigen a Die Allgemeingültigkeit besagt eine E i g e n a r t bestimmter Gedanken. Diese richten sich entweder auf begrenzte und vorübergehende Erlebnisse, oder sio wollen unabhängig von allen beschränkten Besonderheiten sein. Wenn sie d i e s e l e t z t e E i g e n s c h a f t besitzen, so sind sie a l l g e m e i n g ü l t i g . Dagegen kann diese durchgreifende Unterscheidung von bedingt und unbedingt bedeutsamen Gedanker n i c h t i n d e r Z a h l der Personen liegen, die jene Gedanken hegen und billigen. Vgl. § 90 N. 2. Wenn z. B. S I M M E L Philosophie des Geldes (2) 1907 S. 379 sagt: Was wir die objektive Bedeutung der Dinge nennen, das ist in praktischer Hinsicht ihre Gültigkeit für einen größeren Kreis von Subjekten, so wird das der hier eingesetzten grundlegenden Unterscheidung nicht gerecht. Sie wird dabei mittelbar verneint und doch wieder verwendet, denn der angeführte Satz soll doch wohl a l l g e m e i n g ü l t i g sein ? — S. auch §§ 79—81; 101. 1 Der Begriff d e s R e c h t e s ergibt sich, sobald man die Einheit des Bewußtseins erwägt und die Möglichkeit des gleichmäßigen Ordnens von Geschehnissen — in ihrer bloßen Möglichkeit als solcher (vgl. § 21 N. 5) — klarstellt. I n diesem Sinne gehört er zu den allgemeingültigen Gedankengängen, unter deren Bedingung die mannigfaltigen Einzelheiten einheitlich bestimmt werden können (§ 8). Über die zu seiner Erkundung nötige Methode der Untersuchung s. § § 5 ; 22. 1 Cuius mcrito quis nos sacerdotes appellet: iustitiam namque colimus et boni et aegui notitiam profitemur, aequurn ab iniquo separantes, licitum ab illicito discernentes, bonos non solum metu poenarum, verum etiam praemiorum quoque exhortations efficere cupientes, veram nisi fallor philosophiam, non simulatam affectantes. ULPIANUS libro primo insiitutionum, D. I 1. 1 § 1. S. § 11 zu N. 5.
§ 2.
3
Von der Idee des Rechtes.
Wollen. Diese verschiedenen Begriffe sind zuvörderst n a c h l o g i s c h e n A r t m e r k m a l e n festzustellen und gegeneinander abzugrenzen. Hinter und über dieser Aufgabe erhebt sich dann die weitere Frage: ob ein so beobachtetes und eingeteiltes Wollen in seinem Inhalte auch g r u n d s ä t z l i c h b e r e c h t i g t ist. Diese Frage fällt mit der vorhin genannten Zerlegung der Willensinhalte in verschiedene, begrifflich bestimmte Klassen keineswegs zusammen. Man kann beispielsweise den Unterschied der rechtlichen Satzungen und der Gebote der Höflichkeit und äußeren Bräuche nicht so wiedergeben, daß das eine sachlich begründet, das andere unrichtig sei; und ebensowenig geht dies etwa bei der Gegenüberstellung von Recht und Sittlichkeit an, oder auch bei der von rechtlichen und von gewalttätigen Anordnungen 2. Es können vielmehr alle Arten des Wollens in ihrem besonderen Auftreten sowohl innerlich gerechtfertigt, als auch verwerflich sein 3 . Der Gedanke der R i c h t i g k e i t und seines Gegenteils durchschneidet den mannigfachen Inhalt von menschlichem Wollen in anderer Weise, als die begriffliche Zerlegung, von der bis jetzt die Rede war. Er gründet sich auf die Möglichkeit, a l l e jemals denkbaren Bestrebungen i n u n b e d i n g t e r H a r m o n i e miteinander vorzustellen. Dies ist nur eine I d e e , das heißt: die Vorstellung d e s G a n z e n aller je möglichen Erlebnisse. D a s G a n z e ist aber nicht selbst wieder ein begrenzt vorzustellender Gegenstand. Mit ihm wird eine Aufgabe gesetzt, ein jedes besondere Streben nach dem Zusammenstimmen mit der Allheit der denkbaren Einzelheiten zu beurteilen. So bildet die Idee den Leitstern der bedingten Erfahrung, ohne selbst in der empfindbaren Wirklichkeit jemals restlos vorzukommen 4. 2 Damit widerlegt sich die Behauptung von R . L O E N I N G Über Wurzel und Wesen des Rechtes 1907 S. 21: daß die Begriffe Recht und richtig ein und dasselbe wären. Denn es ist in dieser Behauptung übersehen, daß die Feststellung d e s R e c h t s b e g r i f f e s seine Abgrenzung von den anderen Arten des Wollens bedeutet, daß man aber nicht wohl sagen kann, daß das Recht das r i c h t i g e Wollen umfasse, und die anderen (im Texte vorläufig angeführten) Klassen des Wollens in ihrem Inhalte u n r i c h t i g seien. Vgl. R S t . § 8 I V . 3 Selbst bei w i l l k ü r l i c h e r Gewalt kann im besonderen Fall das Bestreben auf ein r i c h t i g e s Ergebnis gerichtet sein, das bei strenger Wahrung des gerade geltenden R e c h t e s in dieser bedingten Sachlage fraglich oder sogar sicher ausgeschlossen erscheint. Man denke an die B i t t e , die Bassanio im Kaufmann von Venedig dem Richter vorträgt: Die Bosheit drückt die Redlichkeit. Ich bitt' euch, Beugt Einmal das Gesetz nach eurem, Ansehn: Tut Heines Unrecht um ein großes Recht. § 106 N. 1. — T R . V I 13; vgl. 16. 4 Die verschiedenen Bestrebungen, die b e g r i f f l i c h als r e c h t l i c h e s Wollen zu bestimmen sind, würden in ihrem Inhalt zerstreut und zufällig sein, wenn sie nicht unter dem Blickpunkte eines unbedingt leitenden, einheitlichen Gedankens zusammengefaßt würden. Die verschiedenen Klassen des menschlichen Wollens, so auch dessen r e c h t l i c h e Art, sind nun in d a s G a n z e des Reiches der Zwecke wieder einzusetzen und nach seinem Grundgesetz zu richten (§§ 79 ff.). — Umgekehrt setzt jede Erörterung d e r
1*
4
§ 3.
Die reinen Formen der Rechtsgedanken.
Es tritt hier also eine weitere wissenschaftliche Erwägung auf, die über die Klarlegung d e s B e g r i f f e s von dem R e c h t e hinausführt6. Es handelt sich nun um d e n i d e a l e n E n d z w e c k , nach dem jedes r e c h t l i c h e Begehren in seiner besonderen Lage zu richten und zu leiten ist, wenn anders e s g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g dastehen soll®. Man kann diese andere r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Aufgabe auch in die Frage kleiden: Worin besteht begründetermaßen d i e I d e e d e s R e c h t e s ? Wie ist sie praktisch zu bewähren, und welches ist ihre Bedeutung für die Geschichte der Menschheit ? II. Der Gegenstand der Rechtsphilosophie. § 3.
Die reinen Formen der
Rechtsgedanken.
Der Gegenstand der r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Untersuchung kann hiernach näher angegeben werden als d a s S y s t e m d e r r e i n e n F o r m e n , in denen wir r e c h t l i c h d e n k e n 1 . Sobald man ein gewisses Streben als ein r e c h t l i c h e s Wollen, auffaßt, oder dieses als g e r e c h t behauptet oder bestreitet, so ist ein bedingter Stoff des Sehnens und Drängens i n e i n e r u n b e d i n g t g l e i c h m ä ß i g e n A r t bedacht. Denn die Gedanken von R e c h t und G e r e c h t i g k e i t sind einheitliche Weisen, irgend ein Begehren zu bestimmen und zu richten. Sie kehren in diesem ihrem ordnenden Tun übereinstimmend immer wieder 2. G e r e c h t i g k e i t selbstredend d e n B e g r i f f d e s R e c h t e s voraus. Wenn STAHL I S. 1 definiert: Rechtsphilosophie ist die Wissenschaft des Gerechten, so ist das in der Fassung zu eng. I n der Ausführung seiner Rechtsu n d Staatslehre geht denn auch STAHL I I S. 191 ff. in grundlegender Absicht auf d e n B e g r i f f des Rechtes und sein Verhältnis zur Moral in k a t e g o r i a l e r und nicht in i d e a l e r Hinsicht ein. 8 S. noch über Begriff und Idee § 82. « MARTENS Der Dialog mit dem Anarchisten 1912, bes. S. 145 ff. Das Bemühen des Verfassers, zu einem festen H a l t zu gelangen, ist für die hier eingeführte Fragestellung interessant. ' Der I n h a l t eines Gedankens ist die ihm eigene Besonderheit. E s ist die Eigenart, durch die er sich von einen anderen unterscheidet. Eine solche Eigenart besitzt jeder Gedanke: Inhalt leere G e d a n k e n g i b t es ü b e r h a u p t n i c h t . Vgl. §§ 25 N . 1; 92 N . 8. I n dem I n h a l t e lassen sich F o r m u n d S t o f f unterscheiden: die bedingende Art u n d Weise u n d das durch sie Bestimmte, z. B. der allgemeingültige Begriff d e s R e c h t e s und e i n e e i n z e l n e Rechtse i n r i c h t u n g , wie die des Mietvertrages, des Vermächtnisses, des Staatsamtes. E s ist also nicht genau, Form u n d Inhalt in erschöpfenden Gegensatz zu bringen. Jene ist e i n T e i l d e s I n h a l t e s , gegenüber dessen stofflich bedingten Bestandteilen. E s gibt aber auch Bewußtseinsinhalte, deren Eigenart darin besteht, daß sie n i c h t s a l s methodische Ordnungs"weisen ( = r e i n e F o r m e n ) sind. 2 Die Unterscheidung von F o r m und S t o f f ist für die klare Erfassung unseres geistigen Besitzes von entscheidender Bedeutung. Man halte immer
§ 3.
Die reinen F o r m e n der Rechtsgedanken.
5
Dieses e i n h e i t l i c h e Ordnen vollzieht j e d e r d e n k e n d e M e n s c h , gleichviel, o b er sich dessen b e w u ß t i s t oder n i c h t 3 . E s vollendet sich i n einer R e i h e r e i n e r B e g r i f f e u n d G r u n d s ä t z e , d i e a l s Ausstrahlungen d e s R e c h t s g e d a n k e n s a u f t r e t e n u n d a l s n o t w e n d i g e B e d i n g u n g e n des j u r i s t i s c h e n D e n k e n s — i m B e g r e i f e n , U r t e i l e n , S c h l i e ß e n — sich herausschälen lassen 4 . D a b e i sind diese reinen F o r m e n d e r R e c h t s g e d a n k e n n i c h t e t w a angeboreni5. Sie f ü h r e n ü b e r h a u p t k e i n e a b g e t r e n n t e E x i s t e n z f ü r sich. Sie k o m m e n n u r i n n e r h a l b des g e s c h i c h t l i c h b e d i n g t e n R e c h t s i n h a l t e s vor und e n t s t e h e n für j e d e n E i n z e l n e n in seinen besonderen rechtlichen Erlebnissen 6 . fest, daß es sich u m die l o g i s c h b e d i n g e n d e n E l e m e n t e e i n e s G e d a n k e n s gegenüber den dadurch l o g i s c h b e s t i m m t e n Bestandteilen gerade dieses zusammengesetzten Gedankens handelt. Vgl. hierzu W R . § 2 2 . NATORP Piatos Ideenlehre. E i n e Einführung in den Idealismus, 1903, bes. S. 5 f f . ; 26 ff. — D a n a c h ist das W o r t formal in unserer Sprache mit bedingend wiederzugeben. D a s Einsetzen dieses deutschen Ausdruckes, an Stelle des oft unerwogen gebrauchten formal, ist zur Förderung begrifflicher K l a r h e i t geeignet.. 3 E s verhält sich nach a l t e m Vergleich hier ähnlich wie m i t der Grammat i k der Muttersprache. 1 Die bedingenden (formalen) E l e m e n t e besonderer Gedanken können f ü r s i c h a l l e i n wissenschaftlich behandelt werden; die d a d u r c h b e s t i m m t e n (materialen) Bestandteile lassen sich selbstredend nur unter der R ü c k s i c h t n a h m e auf jene Bedingungen b e t r a c h t e n . So ist Physik als Wissenschaft nur in mathematischer F o r m möglich, Mathematik aber m a g für sich gesondert betrieben werden ( § 5 N . 1). N u r i n s o f e r n l ä ß t sich die R e c h t s p h i l o s o p h i e m i t der Stellung der M a t h e m a t i k vergleichen. Die Parallele schwindet bei der Einzeldurchführung, da es jene n i c h t , wie diese, m i t den F o r m e n der Anschauung in R a u m und Zeit zu tun hat. S t a t t dessen bietet sich die Gleichheit der Aufgabe in der reinen Naturwissenschaft (Kausalitätsgesetz, Beharrung der Substanz usf.); wobei wiederum m i t der F e s t stellung des gleichen Suchens nach r e i n e n B e g r i f f e n u n d G r u n d s ä t z e n das Zusammengehen m i t der Rechtsphilosophie beendet ist. — Vgl. § 56 N. 6 ; auch § 35 N . 8. 5 D e r alte Streit über das B e s t e h e n angeborener Vorstellungen kann seit K A N T im allgemeinen als erledigt gelten. S. dazu COHEN K a n t s Theorie der Erfahrung 1871 S. 1, (2) 1885. bes. S. 3 0 ; 41. I n der sozialwissenschaftlichen Literatur finden sich aber noch immer Anklänge an die frühere B e j a h u n g jener Frage. ARNOLD K u l t u r und R e c h t s l e b e n 1865 S. 90 ff. unterscheidet die drei Gebiete der W i r t s c h a f t , des R e c h t e s und des Staates und lehrt, daß jedes Gebiet zunächst auf einem besonderen uns angeborenen Triebe ruht, daneben aber zugleich auf denjenigen, die je die ztvei anderen zunächst beherrschen und bestimmen: das wirtschaftliche auf der Selbstliebe, das rechtliche auf dem Rechtssinn, das politische auf dem Oemeinsinn. Diese Triebe oder Anlagen seien etwas allgemein Menschliches, aber doch national verschieden. — PÖZL Über den Rechtssinn, Münch. R e k t . R e d e 1868, versteht unter diesem W o r t e die Achtung vor dem Gesetze, als der Triebfeder des Handelns, l ä ß t deren Herkunft aber als offene Frage stehen. — S. auch § 75 N. 2 ; § 76 a. E . und § 146. 6 Nur die Anlage zum E r w e r b e einheitlich bestimmter Vorstellungen kann man angeboren nennen, der Vorstellungsinhalt ist immer erst bedingt
6
§ 3.
D i e reinen F o r m e n der R e c h t s g e d a n k e n .
Ihre Kennzeichnung als reine Gedanken bezieht sich also nicht aut ihre H e r k u n f t , sondern auf ihren G e l t u n g s w e r t 7 . Sie sind nicht nur zum klärenden Bearbeiten gewisser begrenzter Sonderfragen berufen, sondern zählen zu den ordnenden Weisen j e d e s j e m a l s möglichen Bewußtseinsinhaltes8. Das bewußte Betätigen dieser Ordnungsprinzipien bei der Behandlung des Rechtes erhebt die Jurisprudenz zur W i s s e n s c h a f t 9 . erworben. I n ihm kann dann durch kritische Analyse d i e ordnende F o r m ( = b e d i n g e n d e M e t h o d e ) v o n d e m g e o r d n e t e n S t o f f ( = bes t i m m t e r B e s o n d e r h e i t ) u n t e r s c h i e d e n werden. S. § 5. 7 D i e e r s t e u n d v o r n e h m s t e F r a g e f ü r die Ü b e r s i c h t u n d B e h e r r s c h u n g u n s e r e r Gedankenwelt ist die e r k e n n t n i s k r i t i s c h e E r w ä g u n g u n d n i c h t die p s y c h o l o g i s c h e B e t r a c h t u n g . J e n e geht auf d a s S e i n , die zweite auf d a s W e r d e n . D i e eine stellt die bedingenden Gedankengänge fest, u n t e r denen die einheitliche E r f a s s u n g des Geschehens v e r s t ä n d l i c h ist, die a n d e r e s u c h t die V e r k n ü p f u n g solcher begrifflich b e s t i m m t e n I n h a l t e m i t gewissen Menschen d e u t l i c h zu m a c h e n . Die letztere T ä t i g k e i t setzt d a s Vorliegen der z u e r s t g e n a n n t e n v o r a u s u n d e r g ä n z t sie. W i r haben es d a m i t i m I I . B u c h e zu t u n . Vgl. zu d e m g e n a n n t e n U n t e r s c h i e d §§ 22; 28 N. 4; 80 u n d 83 ; zu der psychologischen F r a g e im besonderen §§ 73 ff. — I n der Ges c h i c h t e der Philosophie t r i t t der g e n a n n t e U n t e r s c h i e d a l s TI ienv u n d ii yiyftrc» vor a l l e m bei P L A T O N u n d A R I S T O T E L E S h e r v o r ; eine Gegenübers t e l l u n g , v o n der G O E T H E einmal sagt, d a ß jeder Mensch eine gewisse Vorliebe gerade f ü r die eine dieser m ö g l i c h e n E r ö r t e r u n g e n , gegenüber der anderen, hege. S. § 10. 8 E s gibt r e i n e u n d b e d i n g t e F o r m e n . J e n e sind G e d a n k e n , die v o n keinen a n d e r e n logisch a b h ä n g e n , s o n d e r n die letzten B e d i n g u n g e n f ü r d a s O r d n e n u n s e r e s B e w u ß t s e i n s sind. Sie n e h m e n n i c h t an, d a ß schon gewisse E i n d r ü c k e u n d B e g e h r u n g e n geordnet sind, setzen vielmehr n i c h t s voraus, a l s d i e M ö g l i c h k e i t des e i n h e i t l i c h e n Ordnens u n s e r e s Geisteslebens ü b e r h a u p t . Der Gegensatz d e r bedingten F o r m e n ergibt sich d a n a c h v o n selbst. So ist der Begriff des Erben eine b e d i n g t e A r t des O r d n e n s , d e r des Rechtssubjelcies eine r e i n e F o r m (vgl. § 21 N . 5): N u r von d e n r e i n e n F o r m e n u n s e r e s D e n k e n s v e r m a g es e i n a b g e s c h l o s s e n e s S y s t e m zu geben. D e n n d a s S y s t e m ist eine e r s c h ö p f e n d gegliederte E i n h e i t (§133). Die d a z u nötige V o l l s t ä n d i g k e i t k a n n d e m unabgeschlossenen S t o f f d e r E i n d r ü c k e u n d Streb u n g e n a l s s o l c h e m n i e m a l s z u k o m m e n (§ 28 N . 1). T R . I 3—5. Vgl. § 115, bes. N . 2 u n d 3. 9 Der j u r i s t i s c h e n B e t ä t i g u n g ist m a n c h m a l der C h a r a k t e r möglicher W i s s e n s c h a f t l i c h k e i t b e s t r i t t e n worden. Besonders eindringlich v o n K I R C H M A N N Die W e r t l o s i g k e i t der J u r i s p r u d e n z als Wissens e h a f t 1848. E r e r h e b t drei E i n w ü r f e : Der Stoff des R e c h t e s sei i m m e r verä n d e r l i c h ; es sei n i c h t b l o ß i m W i s s e n , s o n d e r n a u c h im F ü h l e n ; es b e r u h e auf e i n e m p o s i t i v e n Setzen. — Diese P o l e m i k ist u n g e n ü g e n d . Sie ü b e r s i e h t , d a ß die A r t d e r W i s s e n s c h a f t gerade n i c h t v o n d e m S t o f f a b h ä n g t , d e n sie b e a r b e i t e t , s o n d e r n v o n der F o r m , m i t d e r sie j e n e n b e h e r r s c h t . W i s s e n s c h a f t besagt das Ordnen unserer Gedankenwelt n a c h unb e d i n g t e i n h e i t l i c h e m P l a n . M a n k a n n also b e r e c h t i g t e r m a ß e n n u r f r a g e n , ob solches f ü r die r e c h t l i c h e n Vorstellungen möglich ist. Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e D a r l e g u n g gibt eine k r i t i s c h b e g r ü n d e t e B e j a h u n g dieser F r a g e . — Ü b e r K I R C H M A N N S . S T A H L Rechtswissen-
§ 4.
Unzulässigkeit eines
U n z u l ä s s i g k e i t
§ 4. eines
Idealrechtes.
7
idealrechtes.
E s ist wohl versucht worden, g e g e n ü b e r d e m geschichtlich geword e n e n Recht, d a s sich m a n g e l h a f t u n d w a n d e l b a r erwies, ein v o l l k o m m e n e s Gesetzbuch m i t Gültigkeit für alle Völker u n d Zeiten auszuführen. D a s ist u n m ö g l i c h . D e n n der I n h a l t eines solchen Idealrechtes m ü ß t e d i e R e g e lung von m e n s c h l i c h e m Begehren e n t h a l t e n . D e r Stoff dieses Begehrens bezieht sich aber auf begrenzte B e d ü r f n i s s e u n d auf die Art ihrer B e friedigung. Dadurch ist er u n v e r m e i d l i c h b e d i n g t u n d endlich und. steter Veränderung unterworfen 1 . D i e besondere Ordnung d e s Zusammenwirkens, d a s auf jene Bedürfnisbefriedigung g e r i c h t e t ist, k a n n d a r u m a u c h nur wechselnd u n d bloß v o n relativer A l l g e m e i n h e i t sein 2 . E s i s t kein s c h a f t oder Volksbewußtsein ? 1848. S C H Ö N S T E D T Die B e d e u t u n g der J u r i s p r u d e n z als W i s s e n s c h a f t 1848. S T E R N B E R G I . H . v . K i r c h m a n n u n d seine K r i t i k d e r R e c h t s w i s s e n s c h a f t 1908. S a u c h § 49 N . 2. — W e i t e r e L i t e r a t u r : WINDSCHEID R e c h t u n d R e c h t s w i s s e n s c h a f t , Greifswald 1854; DERS. R e d e a n die S t u d i e r e n d e n , M ü n c h e n , 1S67; DERS. Die A u f g a b e n der R e c h t s w i s s e n s c h a f t , Leipzig 1884. E X N E R Die p r a k t i s c h e A u f g a b e der r o m a n i s t i s c h e n W i s s e n s c h a f t (§11 N . 7). C. E R D M A N N Ü b e r die Stellung der R e c h t s w i s s e n s c h a f t vor dem Richterstulli der Laien u n d der Schwesterwissenschaften, D o r p a t 1875. L O R E N Z V. S T E I N Gegenwart u n d Z u k u n f t der R e c h t s - u n d S t a a t s w i s s e n s c h a f t D e u t s c h l a n d s 1876, bes. S. 104 ff (s. a u c h § 35 N . 1). B R I N Z . R e c h t s w i s s e n s c h a f t u n d Rechtsgesetzgebung, München 1877, a b g e d r u c k t in AI lg. Ztg. 1877 N r . 210 Beil., 211; (§ 123 N . 3). O F N E R Studien sozialer J u r i s p r u d e n z 1894, I . Die J u r i s p r u d e n z als soziale Technik S. 1 ff. L. S A V I G N Y Die Stellung der R e c h t s w i s s e n s c h a f t zur U n i v e r s i t ä t , F r e i b u r g Schweiz, 1895 H . O. L E H M A N N Die S y s t e m a t i k der W i s s e n s c h a f t e n u n d die S t e l l u n g der J u r i s p r u d e n z 1897. SCHWANN D J Z . 7,513 ff. ÜABRUCKER (§115 N. 3). K U H L E N B E C K : Die R e c h t s w i s s e n s c h a f t in ihren Beziehungen zu a n d e r e n W i s s e n s c h a f t e n 1905. L E O N H A R D S t i m m e n des A u s l a n d s ü b e r die Z u k u n f t der R e c h t s w i s s e n s c h a f t 1906. R U M P F Volk u n d R e c h t 1910 S. 86 ff. I s t J u r i s p r u d e n z eine W i s s e n s c h a f t ? N U S S B A U M Ü b e r A u f g a b e n u n d W e s e n der J u r i s p r u d e n z , ZSozialW. 9,1 ff. G A R E I S Moderne Bewegungen in d e r W i s s e n s c h a f t des d e u t s c h e n P r i v a t r e c h t s , München 1912. S T A M M L E R Die Z u k u n f t s a u f g a b e n des R e c h t e s u n d der R e c h t s w i s s e n s c h a f t , in K u l t u r d e r G e g e n w a r t : S y s t e m a t i s c h e R e c h t s w i s s e n s c h a f t (2) 1913 S. 551 ff. K R E T S C H MAR Ü b e r die Methode der P r i v a t r e c h t s w i s s e n s c h a f t 1914; DE RS. G r u n d f r a g e n d e r P r i v a t r e c h t s m e t h o d i k , in J h e r i n g s J . 67, 233 ff. J O E R G E S R e c h t s u n t e r r i c h t u n d R e c h t s s t u d i u m (§74 N . 1), bes. S. 140 f f . ; 159 ff. HUCH D e r Begriff W i s s e n s c h a f t im K a n t i s c h e n Sinne 1917. BOZI I m K a m p f u m ein e r f a h r u n g s wissenschaftliches R e c h t 1917; d a r ü b e r BOVENSIEPEN in S c h m o l l e r s J . 41, 1601 ff., D R i c h t Z . 1918, S. 88. M A R X Der W i s s e n s c h a f t s c h a r a k t e r d e r J u r i s p r u d e n z 1918. SALOMON G r u n d l e g u n g zur R e c h t s p h i l o s o p h i e 1919 S. 13 ff. B I N D E R Der W i s s e n s c h a f t s c h a r a k t e r der R e c h t s w i s s e n s c h a f t , K a n t S t u d i e n 25, 321 ff. 1 S. hierzu W R . §32: U n m ö g l i c h k e i t eines a b s o l u t gültigen R e c h t s i n h a l t e s . — U n t e n §§ 14 ; 15. F r e i l i c h wird es v o r k o m m e n , d a ß gewisse Lehren d e r Weltweisheit einen E i n f l u ß auf rechtliche E i n r i c h t u n g e n u n d juristische E r ö r t e r u n g e n gewinnen. U n d eine k r i t i s c h b e g r ü n d e t e Lehre v o n d e r I d e e d e s R e c h t e s soll d a s j a a u c h t u n . D a n n k a n n eine s p ä t e r e P r ü f u n g d a s auflösen u n d die Quelle
8
§ 4.
Unzuläasigkeit eines I d e a l r e c h t e s .
e i n z i g e r R e c h t s s a t z m ö g l i c h , der in der B e s o n derheit seines Inhaltes unbedingt richtig feststände3. Es gibt hiernach immer nur geschichtlich bedingtes Recht. Auch eine frei erdichtete U t o p i e knüpft an die seitherige Erfahrung an und ist aus dieser hervorgegangen (§ 53). Soweit sie stofflich bedingte Rechtssätze und Einrichtungen vorbringt, besitzt sie k e i n e u n b e d i n g t e Allgemeingültigkeit1. Eine solche kann n u r d e n f o r m a l e n R i c h t l i n i e n des rechtlichen Begreifens und Urteilens zukommen5. einzelner S a t z u n g e n u n d D o k t r i n e n eines b e s t i m m t e n R e c h t e s klarlegen. So die E r ö r t e r u n g e n v o n G Ö P P E R T Über einheitliche, z u s a m m e n g e s e t z t e und Die Philosophie im G e s a m t s a c h e n n a c h röm. R . 1871 u n d S O K O L O W S K I P r i v a t r e c h t . Sachbegriff u n d K ö r p e r in der klassischen J u r i s p r u d e n z u n d der m o d e r n e n Gesetzgebung 1902, d a z u R A B E L in V J S c h r . f. wiss. Philosophie u n d Soziologie 1904 S. 108 ff., ü b e r den E i n f l u ß der stoischen u n d a n d e r e r griechischen Philosophie auf die Lehre v o n der r e c h t l i c h e n B e h a n d l u n g der Sachen i m r ö m i s c h e n R e c h t . Aber das zieht sich i m ganzen auf eine B e t r a c h t u n g von b e g r e n z t e n E i n z e l f r a g e n z u r ü c k , die den K e r n der r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Aufgabe unberührt läßt. 3 Dagegen ist es möglich, zufolge der im N a c h s t e h e n d e n zu entwickelnden L e h r e v o n der Gerechtigkeit (§§ 91 ff.) b e s t i m m t e Grenzen aufzuweisen, außerh a l b d e r e n ein besonderes R e c h t g r u n d s ä t z l i c h u n r i c h t i g sein m u ß . S. § 81 N . 2. 4 Die U t o p i e n sind D i c h t w e r k e , die einen M u s t e r s t a a t s c h i l d e r n ; sie geben E n t w ü r f e f ü r e i g e n t ü m l i c h e R e c h t s e i n r i c h t u n g e n a n u n d schildern deren Folgen. Z u e r s t : T H O M A S M O R U S De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia (1516). E r l e h n t e sich a n P L A T O N S unvollendeten Dialog a n : K r i t i a s oder A t h e n u n d A t l a n t i s 9000 J a h r e vor Solon. (Aber n i c h t a n P L A T O N S S t a a t , s. § 10 N . 10). Seitdem ist d a s oft wiederholt worden, besonders in der Neuzeit. R S t . § 3. Von einem gewöhnlichen R e f o r m v o r s c h l a g der praktischen Politik u n t e r s c h e i d e t sich die U t o p i e n u r d a d u r c h , d a ß sie b e s t i m m t e E i g e n s c h a f t e n der v o n ihr geschilderten Menschen e r s i n n t u n d gewisse technologische Möglichkeiten der L e b e n s f ü h r u n g f r e i erdichtet. W e g e n dieser willkürlichen E r f i n d u n g eines gar n i c h t vorliegenden Stoffes geht ihr der w i s s e n s c h a f t l i c h e W e r t ab. — S. § 53 zu N . 3; ferner § 172, a u c h §§ 17 u n d 57 N . 6. 6 Hiergegen h a t sich C A T H R E I N R e c h t , N a t u r r e c h t , positives R e c h t (2) 1909 S. 164ff. e r k l ä r t . E r f ü h r t als Beispiele b e s o n d e r e r R e c h t s s ä t z e v o n a b s o l u t e r G e l t u n g a n : Du sollst jedem das Seine geben oder Man soll kein Unrecht tun. Aber d a s sind gar keine R e c h t s s ä t z e im Sinne b e d i n g ter Paragraphen. Solche praktischen Urteile, wie jener Schriftsteller sie n e n n t , wiederholen n u r d a s P r o b l e m : d a ß jedes besondere rechtliche Wollen im, Sinne grundsätzlicher Richtigkeit geleitet werden soll. Sie d r ü c k e n den W u n s c h u n d die F r a g e n a c h einer einheitlichen Gesetzmäßigkeit aus, die als d i e I d e e d e s R e c h t e s d a n n n ä h e r zu b e s t i m m e n sein wird. Nimmt m a n dagegen als U n t e r l a g e f ü r das Seine eine besondere E i g e n t u m s o r d n u n g oder f ü r das Unrecht eine b e s t i m m t e Gesetzgebung, so h a t m a n g e s c h i c h t liche Rechtseinrichtungen, die w a n d e l b a r sind u n d in ihrem positiven I n h a l t keineswegs a priori feststehen. Sie b i l d e n d e n b e d i n g t e n S t o f f , der n a c h f o r m a l e n R i c h t l i n i e n d e r G e d a n k e n v o n u n b e d i n g t e r Gültigkeit zu r i c h t e n u n d zu leiten ist. Diesem Grund-
5 5.
I I I . Die
Die
Die kritische Methode.
M e t h o d e der § 5. kritische
9
Rechtsphilosophie.
Methode.
D i e rechtlichen Vorstellungen sind z u s a m m e n g e s e t z t e Ge danken. Sie lassen sich in B e s t a n d t e i l e a u f l ö s e n . D i e s e zerfallen in zwei K l a s s e n : 1. Die Besonderheiten, die g e r a d e d i e s e m rechtlichen Wollen zu e i g e n sind, i m U n t e r s c h i e d v o n anderen r e c h t l i c h e n Begehrungen. 2. D i e übereinstimmenden E l e m e n t e , die in i h n e n g l e i c h m ä ß i g e n t h a l t e n sind. Mit d e n letzteren h a t e s d i e R e c h t s p h i l o s o p h i e zu t u n . Die a l l g e m e i n e n u n d die b e s o n d e r e n E l e m e n t e einer rechtlichen Vorstellung liegen aber n i c h t , so zu s a g e n , äußerlich u n d m e chanisch nebeneinander, sondern sind u n t e r sich i m Verhältnisse d e r Bedingung und des dadurch B e s t i m m t e n verschmolzen 1 . D i e so b e d i n g e n d e n (formalen) B e s t a n d t e i l e führen in unserer A u f g a b e auf d e n R e c h t s g e d a n k e n zurück. Sie sind einheitliche W e i s e n d e s Ordnens v o n m a n n i g f a l t i g e m Streben. Also werden wir sie dadurch erhalten, d a ß wir u n s d i e M ö g l i c h k e i t der einheitlichen E r f a s s u n g v o n beliebigem R e c h t s s t o f f klar m a c h e n . D i e Methode d e r U n t e r s u c h u n g ist hier d i e kritische Selbstbesinnung. Wir fragen nach d e n Begriffen und G r u n d s ä t z e n , d i e unerläßlich sind, u m E i n h e i t u n d O r d n u n g in allen j e m a l s denkbaren R e c h t s fragen zu haben 2 . gedanken s t i m m t L. S A V I G N Y Das N a t u r r e c h t s p r o b i e m und die Methode seiner Lösung in Schmollers J . 25, 407 ff. zu. 1 Die Abhängigkeit der einzelnen B e s t a n d t e i l e eines Gedankens u n t e r einander ist die einer l o g i s c h e n B e d i n g t h e i t . Dagegen t r e t e n sie n i c h t e t w a in einer z e i t l i c h e n R e i h e n f o l g e a u f . o d e r gar in einer k a u s a l e n Verknüpfung. Der z u s a m m e n g e s e t z t e G e d a n k c n i n h a l t k o m m t in seinen Teilen g l e i c h z e i t i g zur W e l t . Wir können, sagt K A N T K r i t i k der reinen Vern u n f t I I 1, 2, 2 § Iii, uns nichts als im Objekte verbunden vorstellen, ohne es vorher selbst verbunden zu haben-, jede A n a l y s i s s e t z t eine vorliegende S y n t h e s i s voraus. — W e n n wir aber d a n n eine k r i t i s c h e A u f l ö s u n g v o r n e h m e n , so l ä ß t sich wie oben § 3 N. 4 h e r v o r g e h o b e n , v o n d e r F o r m , d e n logisch b e d i n g e n d e n B e s t a n d t e i l e n , eine eigeno L e h r e f ü r s i c h geben, w ä h r e n d der S t o f f , d a s f o r m a l B e s t i m m t e , n u r in seiner b e s o n d e r e n B e s t i m m t h e i t vorgestellt w e r d e n k a n n u n d bei dem W e g d e n k e n jeder F o r m n u r a l s eine wirre, chaotische Masse a n g e n o m m e n werden k ö n n t e , v o n der a u c h a l s solcher gar keine deutliche Vorstellung b e s t ä n d e , ohne eine f o r m a l e B e s t i m m u n g des Gedankens vorzunehmen. S. die wichtige A n w e n d u n g h i e r v o n bei d e m Begriffe sozial in § 3 5 ; f e r n e r f ü r die Möglichkeit des richtigen W ä h l e n s in § 145 zu N . 3. 2 D ie Möglichkeit des einheitlichen Ordnens ist freilich als l o g i s c h e r A n f a n g jeder k r i t i s c h e n E r w ä g u n g vorausgesetzt. Sie gibt die letzte F o r m e l f ü r die A u f k l ä r u n g u n s e r e s E r k e n n e n s ab. W o l l t e m a n sie wieder a n a n d e r e n G e d a n k e n m e s s e n u n d d a v o n a b h ä n g e n lassen, so w ü r d e m a n a u c h diese wieder e i n h e i t l i c h z u o r d n e n haben. D e m widerspricht es n i c h t , d a ß wir die g e n a n n t e Möglichkeit in ihrer E i g e n a r t uns d u r c h kritische Selbstbesinnung deutlich machen
10
§ 6.
R e c h t s p h i l o s o p h i e u n d allgemeine R e c h t s l e h r e .
Bei dem Aufsuchen und Darstellen der notwendigen Bedingungen eines einheitlichen Bestimmens und Richtens ist alles zu vermeiden, was von n u r b e d i n g t e r Bedeutung ist3. Wir gehen also zwar von der Tatsache d e s g e s c h i c h t l i c h g e g e b e n e n R e c h t e s aus, aber nicht von diesen oder jenen rechtlichen Besonderheiten. Die Methode der r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Untersuchung richten wir auf das Zergliedern m ö g l i c h e r R e c h t s f r a g e n überhaupt. Bs ist darum der ordnende Grundriß für unser Geistesleben soweit aufzunehmen, daß darin die Vorstellung d e s R e c h t e s , und danach der r e c h t l i c h e n Einzelfragen als solcher, einen verständlichen Sinn erhält'. Wir nennen die Rechtsphilosophie, die in der hier dargelegten Weise auf ihre Aufgabe, ihren Gegenstand und ihre Methode sich besinnt, die kritische Rechtstheorie5.
Rechtsphilosophie
und
§ 6. allgemeine
Die R e c h t s p h i l o s o p h i e meinen Rechtslehre1.
Rechtslehre.
ist verschieden von der
allge-
können. — D a n a c h e r h ä l t a u c h erst d e r Gedanke einer Notwendigkeit seinen f e s t e n Sinn. N o t w e n d i g k e i t ist die Ü b e r e i n s t i m m u n g einer E i n z e l h e i t m i t einem grundlegend einheitlichen Verfahren des Ordnens. T R . E 5. S. § 34 zu N . 3. 3 Vgl. noch S C H E I N U n s e r e Rechtsphilosophie u n d J u r i s p r u d e n z 1 8 8 9 . WALLASCHEK Studien zur Rechtsphilosophie 1 8 8 9 . D E L V E C C H I O I pres u p p o s t i filosofici della nozione del d i r i t t o , Bologna 1 9 0 5 ; d a r ü b e r R E I C H E L , K r V J S c h r . 3 F. 11, 209 ff. * E s ist s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , d a ß die einheitlich bedingenden Methoden des rechtlichen D e n k e n s — also die reinen G r u n d b e g r i f f e u n d G r u n d s ä t z e des R e c h t e s — n u r i n n e r h a l b des geschichtlichen E r l e b e n s a u f t r e t e n u n d n u r in i h m e n t d e c k t w e r d e n k ö n n e n . D a s B e d e n k e n , d a ß m a n e t w a s a u ß e r h a l b d e r ü b e r h a u p t d e n k b a r e n E r f a h r u n g n i c h t ableiten k ö n n e , ist in sich u n k l a r . I n diesem Sinne gibt es eine ungeschichlliche F o r s c h u n g ü b e r h a u p t n i c h t . Von e i n e m E r k e n n e n aus reiner Vernunft her ist also bei d e r hier befolgten Methode keine R e d e . E s h a n d e l t sich v i e l m e h r u m die k r i t i s c h e Analyse der g e s c h i c h t l i c h e n E r f a h r u n g . Die E i g e n s c h a f t der R e i n h e i t gewisser G e d a n k e n i n h a l t e b e t r i f f t n i c h t ihre H e r k u n f t , sondern ihren G e 1t u n g s w e r t (§ 3). S. a u c h § 21 N. 5; § 24 N. 3 ; § 110 bes. N. 3 f . ; § 115 N . 4. 5 Zur Methode der k r i t i s c h e n R e c h t s t h e o r i e : T R . E 8. L E O N H A R D D L i t Z . 33, 1221. N A T O R P K a n t - S t u d i e n 18, 1 ff. T E S A R Z S t W . 34, 256 ff. W I E L A N D Die historische u n d die k r i t i s c h e Methode in der R e c h t s w i s s e n s c h a f t 1910. S C H E P P E R Nieuw-kantiaansche R e c h t s b e s c h o u w i n g , H a a r l e m 1917. VORLÄNDER II §72 N r . 3. — Von den S c h r i f t e n des Verfassers dieses Buches s. a u ß e r den oben h i n t e r d e m I n h a l t s v e r z e i c h n i s u n t e r Abkürzungen genannten W e r k e n noch die N a c h w e i s e i n §§ 15 N . 13; 18 N 3 u n d 14; 37 N . 3; 103 N . 2 ; 141 N . 2 ; 143 N . 1. Vgl. § 94 N . 1, a u c h § 115 N. 3. KORNFELD Allgemeine R e c h t s l e h r e u n d J u r i s p r u d e n z 1 9 2 0 . E . H U B E R R e c h t und R e c h t s v e r w i r k l i c h u n g . P r o b l e m e der Gesetzgebung u n d der R e c h t s p h i l o s o p h i e 1 9 2 1 , S . 1 0 ff. — Ü b e r A D . M E R K E L S . § 1 8 N . 2 ff.
§ 6.
Rechtsphilosophie und allgemeine Rechtslehre.
][
Mit dem letzten Ausdruck bezeichnet man die Darstellung rechtlicher Einrichtungen, die sich nicht bloß an einem einzigen Punkt der Geschichte gezeigt haben, sondern mehreren Rechtsordnungen in relativer Allgemeinheit zu eigen sind. z. B . gewisse Arten staatlicher Verfassungen 2 . E s werden dabei einzelne regelmäßig wiederkehrende Fragen aufgeworfen, und die dafür von bestimmten Rechten erteilten Antworten miteinander verglichen3. Jene F r a g e n können a l l g e m e i n g ü l t i g bestehen, z. B . die nach dem Eigentum, als dem letzten W o r t bei Verfügungen über eine Sache; oder die nach E h e und Familie, als der Frage nach dem Verhältnisse der Geschlechter zueinander und zu der Nachkommenschaft 4 . Es kann aber auch sein, daß sie erst u n t e r d e r Voraussetzung a n d e r e r b e s o n d e r e r R e c h t s e i n r i c h t u n g e n auftreten, die in den fraglichen Rechtsordnungen gerade übereinstimmen, z. B . das Hypothekenwesen in den Ländern, die Geldwirtschaft und Grundbücher haben 4 . Auch in dem ersten Falle sind jedoch nur die F r a g e n von allgemeiner Bedeutung : die darauf erteilten A n t w o r t e n sind überall verschieden und wandelbar (§ 114). Darum handelt es sich bei solcher Rechtsvergleichung, mag sie ü b e r e i n s t i m m e n d e oder verschiedenartige Einrichtungen nebeneinander halten, unter allen Umständen lediglich um die Bearbeitung von s t o f f l i c h b e d i n g t e m Rechtsinhalt. E s ist möglich, durch vergleichende Rechtswissenschaft die miteinander verglichenen Rechte in ihrem Sinne und ihrer Bedeutung besser kennen zu lernen, als wenn man auf die Betrachtung des einen von ihnen sich zurückzieht 5 . E s kann durch sie ein Hilfsmittel bei gesetzlichen Reformabsichten gewonnen werden. Auch wird manchmal daraus geradezu die 2
Eine Allgemeine
Staatslehre
ist veröffentlicht
worden von HENSCHEL
1 8 9 0 , BORNHAK 1 S 9 4 , R E H M 1 8 9 9 ( D E R S . in S a m m l u n g G ö s c h e n 1907), J E L U N E K 1 9 0 0 , ( 3 ) 1 9 1 4 ; R I C H . SCHMIDT 1 9 0 1 — 0 3 . S. a u c h EDG. LOENING
in HandW. d. StaatsW. (3) V I I S. 726. PILOTY in Stengels StaatsWörterb. ( 2 ) I I I 1 9 1 4 S. 4 6 4 . 3 Der am größten angelegte Versuch dieser Art ist MONTESQUIEU De l'esprit des lois (1748). S. dazu BLUNTSCHLI S. 298 ff. Ferner die Materialien bei MEITZEL, in HandW, d. StaatsW. (3) VI S. 775. * Dabei ist auch auf eine gewisse Gleichheit der verglichenen Rechtsordnungen nach ihren geschichtlichen Bedingungen und Schicksalen Gewicht zu legen. Etwas weiter geht FEHR Hammurapi und das salische Recht 1910. Vgl. KOSCHAKER Rschtsvsrgleichende Studien zur Gesetzgebung Hammurapis 1917. — S. ferner: CROME Les similitudes du code civil allemand et du code civil français (Extrait du livre du centenaire du code civil 1904). RABEL Die Verfügungsbeschränkungen des Verpfänders besonders in den Papyri 1909, S. 1 ff. 5 E . M. ARNDT Versuch in vergleichender Völkergeschichte (2) 1844. BERNHÖFT in ZVerglR. I (1878) 1 ff. POST Bausteine für eine allgemeine Rechtswissenschaft auf vergleichender ethnographischer Basis, 2 Bde. 1880 f. DERS. Tjber die Aufgaben einer allgemeinen Rechtswissenschaft 1S91. ACHEUS
N a t u r und K u l t u r , in Grenzboten 43, 3 7 5 ff. ( 1 8 8 4 ) .
SEYDEL
Ver-
12
§ 7.
Grundsätzliche E n t s c h e i d u n g von Einzelfragen.
Anregung zur Aufstellung einer neuen Rechtsordnung fließen, sei es, daß diese an die Stelle der seither geltenden gesetzt werden soll, sei es, daß sie über den verglichenen Rechten für den internationalen Verkehr zu treten hat, wie das ius gentium der Römer6. Niemals aber gelangt man auf dem Wege der V e r g l e i c h u n g und der V e r a l l g e m e i n e r u n g von bedingtem Rechtsinhalt zu der Einsicht d e r u n b e d i n g t g ü l t i g e n Gedankenrichtung e n , unter deren "Wahrung die w i s s e n s c h a f t l i c h e Rechtsbetrachtung ü b e r h a u p t e r s t m ö g l i c h ist7. IV. Die Bedeutung der Rechtsphilosophie. § v.
G r u n d s ä t z l i c h e E n t s c h e i d u n g von
Einzelfragen.
Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Arbeit macht eine W i s s e n s c h a f t von dem Recht möglich (§ 3). Das gibt nicht nur für die lehrende Darstellung den Ausschlag, sondern erweist sich auch bedeutsam für die Praxis des Rechtes. Bei jeder praktischen Rechtsfrage stellen sich zwei Richtungen der Gedanken ein. 1. Man erkundet sich zunächst nach positiven Satzungen, die auf den zur Entscheidung stehenden Fall anzuwenden seien. Das sind die Paragraphen der Gesetzbücher und der verschiedenen Verordnungen, die Verfassungsartikel, auch wohl verhärtete Normen des Gewohnheitsrechtes. Hier hat d i e R e c h t s p h i l o s o p h i e die Technik des Ausdrucks gleichende Rechtswissenschaft, in Münch. N N . 1889 N r . 93. HENTIG Rechtsvergleichung u n d Politik, in BIVerglR. I I I (1907) 19 ff. DEL VECCHIO Süll" idea di u n a scienza del diritto universale c o m p a r a t o 1909; darüberHOLLDACK in K r V J S e h r . 3. F. X V I I 440 ff. HOLLDACK Vom Wesen u n d von den Grenzen der Rechtsvergleichung 1912. DEL VECCHIO Die Idee einer vergleichenden universalen Rechtswissenschaft 1914. 6 Eine ähnliche Aufgabe h a t t e n die neuzeitlichen Kodifikationen in L ä n dern mit p a r t i k u l a r zersplittertem R e c h t zu leisten. S. als anschauliches Beispiel Mot. z. B G B . IV. 133 ff. über eheliches Güterrecht. Allgemein: E r l ä u t e r u n g e n z u m Vorentwurf des Schweiz. ZGB. (von HUBER — 2. Ausg. B e r n 1914). — Cf. § 11 N . 11. ' Bei jeder B e t r a c h t u n g eines Rechtes, das mit a n d e r e n verglichen und verallgemeinert wird, sind die notwendigen Bedingungen ( = r e i n e F o r m e n ) seiner w i s s e n s c h a f t l i c h e n E r f a s s u n g s e l b s t v e r s t ä n d l i c h schon vorausgesetzt. E s sind eben zwei verschiedene A u f g a b e n : D i e kritische K l ä r u n g der Möglichkeit einer R a c h t s Wissenschaft ü b e r h a u p t u n d d i e allgemeine Beschreibung gesellschaftlicher Z u s t ä n d e u n d der sie bsdingsnden Rechtseinrichtungen. F ü r d a s letztere s. in ausgezeichneter Weise: W. H . RIEHL (1823—1897) Die N a t u r g e s c h i c h t e des Volkes als G r u n d lage einer deutschen Sozialpolitik. 4 Bde., seit 1853: I. L a n d u n d Leute (11) 1908. I I . Die bürgerliche Gesellschaft (10) 1907. I I I . Die F a m i l i e (12) 1904. I V . W a n d e r b u c h (4) 1 9 0 3 .
deutschen Vergangenheit.
GUSTAV FREYTAG
5 Bde.. seit 1859.
(1816—1895)
Bilder
aus
der
§ 7, Grundsätzliche Entscheidung von Einzelfragen.
13
zu erörtern, die Abhilfe gegen mögliche Mängel und Lücken zu zeigen, die Kunst der Rechtssetzung vorzustellen; dann aber auch eine Lehre von dem juristischen Schließen, also dem Einfügen eines Tatbestandes unter eine Regel, zu geben. Denn alles dieses sind Fragen, die aus der bloßen Wiedergabe von geschichtlichem Rechtsinhalt nicht erledigt werden k-önnen, sondern a l l g e m e i n g ü l t i g für alle Rechtsbetrachtung aufzunehmen und zu beantworten sind. 2. Nun ist aber jeder Paragraph nur ein Versuch, im voraus anzugeben, was einen späteren Streit r i c h t i g entscheiden würde. Da kann immer das Bedenken auftreten, ob ihm seine Absicht gelungen sei. Er unterliegt einem Zweifel in dieser Hinsicht vielleicht in seiner ganzen Aufstellung, oder doch bei seinem Ergreifen des gerade fraglichen Falles. Er wird gemessen an einem x, das sich über den technisch geformten Rechtssätzen erhebt. Nicht selten geht darum die Rechtsordnung so vor, daß sie für gewisse Fragen auf genau gefaßte Paragraphen verzichtet und die Parteien, die Berater, die Urteiler anweist, in einem kommenden Streitfalle selbst zu suchen und zu finden, wie in der dann gegebenen Lage r i c h t i g zu entscheiden sei (§ 127). Man hat für dieses Vorgehen in unserer Gesetzgebung viele Ausdrücke: Treu und Glauben, Billigkeit, sittliche Pflicht, Vermeiden des Mißbrauchs, gute Sitten, wichtiger Grund u. a. m.1. Alle haben aber einen und denselben Sinn: es soll der Rechtssatz a u s g e w ä h l t werden, der alsdann die g r u n d s ä t z l i c h g e r e c h t f e r t i g t e Entscheidung liefert3. Welches ist nun jenes x, das den Maßstab für die prinzipielle Berechtigung eines vorbestimmten oder auszuwählenden Rechtssatzes abgibt ? Die Antwort kann nur von d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e erteilt werden. Sie soll nach dieser Seite der Erwägung eine Methode lehren und Üben, nach der sich b e w e i s e n läßt: daß einem bestimmten Rechtssatze in einer aufgegebenen Einzelfrage die Eigenschaft d e r g r u n d s ä t z l i c h e n R i c h t i g k e i t zukommt 3 . 1 Entsprechende zahlreiche Ausdrücke finden sich bei den römischen Juristen: bonum et aequum, bona fides, aequitas, ius naturale s. naturalis ratio, boni mores s. mos. benevolentia, humanitas, pudor, pietas s. officium pietatis, iusta causa, arbitrium boni viri, iustitia, etc. — Über neuere Partikulargesetzgebungen s. RR. S. 47. 2 Ganz zutreffend sagt P A P I N I A N U S : Generaliter observari convenit b o n a e f i d e i iuiicium. non reeipere praestationem, quae contra bonos mores desideretur (D. X X I I 1,5). 3 Über die Berufung auf das Anstandsgefühl, auf die billig und gerecht Denkenden, oder auf das natürliche Rechtsgefühl s. § 146. Die bloße Verweisung auf den Takt oder das freie Ermessen des Richters befriedigt nicht: jenes könnte höchstens die persönliche Gabe in d e m F i n d e n des Richtigen besagen, nicht aber d a s b e d i n g e n d e M e r k m a l des letzteren angeben ; und das zweite würde übersehen, daß der Richter keineswegs frei nach s u b j e k t i v e m Belieben entscheiden, vielmehr sein Urteil o b j e k t i v b e g r ü n d e n soll (§ 143). So darf von dem Fortschritt der r e c h t s p h i l o -
§ 8.
14 Das
Das Recht in dem Ganzen des Geisteslebens.
Recht
in
dem
§ 8 Ganzen
des
Geisteslebens.
Da d i e R e c h t s p h i l o s o p h i e das Recht in seiner Einheit geschlossen aufnimmt, so gelangt sie folgerichtig zu der weiteren Erwägung, wie sich das Recht nun in das Ganze des Menschendaseins einfügt 1 . Hier richtet sich der Blick auf die unendliche Menge von Erlebnissen, in denen die Geschicke der Menschen in unübersehbarer Reihe sich abrollen. Dies führt zu der Frage nach d e m B e g r i f f der Geschichte. E s ist d.er Grundgedanke festzustellen, nach dem sich das historische Geschehen in seiner Mannigfaltigkeit einheitlich erfassen läßt. Damit verbindet sich das Bedenken, ob die geschichtliche Entwicklung in gesicherter Weise als ein Fortschritt zum Besseren angesprochen werden darf 2 . Im notwendigen Weitergehen aber leitet diese Überlegung, die von d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e ihren Ausgang nimmt, zu dem Suchen nach dem vollkommenen Abschlüsse. E s bringt uns zu der Einsicht und Hingebung an das, was mit Grund ein W e l t b i l d heißen mag, zu dem Besitze einer durchgreifenden Lebensauffassung3. s o p h i s c h e n Ausbildung in der genannten Hinsicht noch manches erwartet werden. 1 Von umgekehrter Seite her kommt F E C H N E R Die praktische Philosophie und ihre Bedeutung für die Rechtsstudien 1888. 2 S. unten §§ 178 ff. 3 Nach Erledigung der einleitenden Erörterungen wird unserer Darstellung der Rechtsphilosophie folgende Anordnung zugrunde gelegt: I. Der Begriff des Rechtes. II. Das Werden des Rechtes. I I I . Die Idee des Rechtes. IV. Die Behandlung des Rechtes. V. Die Bewährung des Rechtes. Zu I. In Aufnahme der oben (§1) gestellten Aufgabe ist die Eigenart d e s R e c h t s g e d a n k e n s aufzuweisen und seine Abgrenzung gegenüber dem Naturerkennen, der Moral, Sitte und willkürlichen Gewalt vorzunehmen. Zu I I . Dem fällt das Auftreten des Rechtsbcgriffes bei der Ordnung menschlicher Bestrebungen zu. Es ist das G e l t e n und das E n t s t e h e n des Rechtes zu betrachten und die P s y c h o l o g i e d e s R e c h t e s zu entwerfen. Dazu kommt die Erwägung des Verhältnisses von der S o z i a l w i r t s c h a f t zu dem Rechte. Zu I I I . Hier ist d i e L e h r e v o n d e r G e r e c h t i g k e i t auszuführen und die Möglichkeit eines begründeten Urteils über objektive Richtigkeit einer rechtlichen Bestrebung darzulegen. Zu IV. Auf dem Grunde alles dessen kann sich eine j u r i s t i s c h e M e t h o d e n l e h r e erheben. Sie geht aus von den Grundbegriffen des Rechtes und von der Möglichkeit einer juristischen Konstruktion. Daran schließt sich die Lehre von dem Rechtssatze, sodann die von seiner Technik, als dem rechtlichen Ausdruck und der Kunst und den Mängeln bei dem Formen des Rechtes; endlich die Erörterung des rechtlichen Systematisierens. Zu V. Den Beschluß macht die T h e o r i e d e r juristischen P r a x i s . Sie hat die Eigenart des juristischen Schließens darzulegen und die Weise einer grundsätzlich erwägenden Praxis zu erörtern. E s ist zu zeigen, wie in Streitfällen der richtige Rechtssatz unter den verschiedenen Möglich-
5 9.
Die rechtsphilosophische F r a g e .
15
V. Die Geschichte der Rechtsphilosophie. Die
§ 9. rechtsphilosophische
Frage.
Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Frage ist die Frage nach dem B e g r i f f e und nach der I d e e des Rechtes. Sie forscht nach dem Wesen von Recht und Gerechtigkeit, nach ihrem Auftreten in der Geschichte, nach ihrer Behandlung und Bewährung 1 . Diese Frage ist immer und überall e i n e u n d d i e s e l b e . Sie war allezeit da und wird in ihrer einheitlichen Art sich stets einfinden, wo Menschen leben und über ihr Dasein nachdenken 2 . Andere Aufgaben, als diese fünf Ausstrahlungen der rechtsphilosophischen Frage gibt es in u n b e d i n g t allgemeingültiger Art in rechtlichen Dingen nicht. Denn wenn eine Lehre die Eigenschaft a b s o l u t e r A l l g e m e i n h e i t besitzen soll, so muß es eine e i n h e i t l i c h b e d i n g e n d e Methode sein; nur einer solchen kann jene a l l g e m e i n g ü l t i g e Beschaffenheit zukommen. Somit erschöpft sich die Möglichkeit rechtlicher Einsicht von absoluter Bedeutung in den reinen Formen des Begreifens und des Beurteilens von rechtlichem Wollen, in der bedingenden Weise seines Entstehens und Geltens, in der methodischen Art seiner wissenschaftlichen Erkenntnis und seiner praktischen Betätigung (§ 81). Auf die also feststehende rechtspliilosophische Frage sind nun aber im Laufe der Zeiten mannigfache Antworten erteilt worden. Die Abweichung der so entstandenen Lehren voneinander zeigt sich in zweifacher Weise. Manchmal besteht eine Unsicherheit über die F r a g e s t e l l u n g , k e i t e n a u s g e w ä h l t w e r d e n k a n n , u n d wie eine w i s s e n s c h a f t l i c h geleitete Polit i k m ö g l i c h ist. D a r a n fügt sich die E i n s t e l l u n g des R e c h t e s in d a s G a n z e d e r Geschichte der Menschheit. 1 S. die A n o r d n u n g der D a r s t e l l u n g dieses W e r k e s in § 8 N. 3. 2 A. M. i s t SPIEGEL in S c h m o l l e r s J . 4 3 , G4 ff. E r weist d a r a u f hin, d a ß eine überwältigende Fülle v o n F o r s c h u n g e n in der G e s c h i c h t e der R e c h t s - u n d S t a a t s p h i l o s o p h i e v o r l i e g e ; u n d d a ß m a n sich z u m Z w e c k e ihrer D a r s t e l l u n g in fremde Subjektivitäten v e r s e n k e n u n d einfühlen m ü s s e . A b e r e r s p r i c h t d o c h a u c h d a v o n , d a ß es s i c h überall d a r u m handele, die juristischen und •politischen Grundfragen z u b e a n t w o r t e n . I n der T a t w ä r e es g a r n i c h t m ö g l i e h , die V e r s c h i e d e n h e i t der einzelnen Auffassungen m i t e i n a n d e r zu vergleichen, wenn n i c h t eine g e m e i n s a m e A u f g a b e einheitlich z u g r u n d e läge. Sämtlich s u c h e n sie n a c h R e c h t u n d G e r e c h t i g k e i t . D a ß sie d a s jeweils in e i g e n a r t i g e r W e i s e t u n u n d v o n ihrer Zeit und den sie begleitenden U m s t ä n d e n a b h ä n g i g sind, ist s e l b s t v e r s t ä n d l i c h . D a s sieht schließlich j e d e r m a n n » u n d s o l c h e g e r i n g e E r k e n n t n i s s t a r k zu b e t o n e n , i s t n i c h t sehr nötig. W o h l a b e r b e s t e h t für die w i s s e n s c h a f t l i c h e E r w ä g u n g ein d r i n g e n d e r A n l a ß , in all der M a n n i g f a l t i g k e i t der B e t r a c h t u n g e n d e n E i n h e i t s g e d a n k e n s i c h k l a r v o r A u g e n zu h a l t e n , ohne d e n m a n n i c h t s a l s einen W i r r w a r r von Einzelheiten haben würde.
§ 10.
16
Die griechische Theorie des Rechtes
die hier notwendig ist. Die rechtsphilosophische Frage, die oben zusammengefaßt wurde, liegt freilich jedem Nachdenken, das sich hier versucht, unvermeidlich in eherner Weise zugrunde. Aber nicht immer kommt sie in ihrer wesentlichen Eigenart dem Suchenden zum Bewußtsein; leicht wird nur die eine Seite ihres Forschens betont oder gar ausschließlich hervorgehoben, möglicherweise ihre Abgrenzung von der Untersuchung der Einzelheiten geschichtlich bedingten Stoffes nicht ausreichend getroffen. Es kann jedoch auch sein, daß die rechtsphilosophische Frage im wesentlichen richtig erkannt ist, ihre Verfolgung aber zu verschiedenen Ergebnissen geführt hat. Dann besteht eine Getrenntheit der Meinungen über die zur Lösung einzusetzende M e t h o d e des Bestimmens und Richtens rechtlicher Gedanken. Die G e s c h i c h t e d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e 3 hat auf beide Möglichkeiten des Schwankens — sei es in der Fragestellung oder in der Methode — acht zu haben. Es hat seinen eigenen Wert, dem zu folgen. Das Beobachten der Betrachtungen, die führende Geister vordem gepflogen haben, wird sich als gutes Mittel zur Klärung der eigenen Gedankenwelt bewähren. Hiernach ist die Aufgabe dieses Abschnittes darin erschöpft, jeweils die allgemeine Richtung darzulegen, in der sich die Gedanken über den B e g r i f f und die I d e e d e s R e c h t e s innerhalb eines größeren Zeitraums bewegt haben. Es sind die grundlegenden Merkmale herauszuarbeiten, nach denen sich die Eigenart der verschiedenen Antworten auf die einheitliche Frage der Rechtsphilosophie bestimmend kennzeichnet. Das kann sich an den Verlauf der Geistesgeschichte im ganzen anschließen, mag immer die eine oder andere Antwort im Gange der Entwicklung gleichmäßig oder etwas verändert wiederkehren. § 10.
Die g r i e c h i s c h e
T h e o r i e des
Rechtes.
Die systematische Betrachtung des rechtlichen Lebens im Staate, im Sinne einer allgemeingültigen Theorie, beginnt im Altertume mit der griechischen Philosophie1. In dieser gelang die Entdeckung des Begriffes Die älteren Bücher über Geschichte der Rechtsphilosophie sind bei Lehrbuch der philosophischen Rechtswissenschaft oder des Naturrechts (6) 1841 S . 20 aufgeführt (vgl. M Ü H L 1 , 217 ff.). Die wichtigsten neueren s. unter Abkürzungen hinter dem Inhaltsverzeichnis. Dazu noch R I V A L T A Diritto naturale e positivo. Saggio storico, Bologna 1899. W U N D T Völkerpsychologie, 9 Bd. Das R e c h t 1918, S. 52—218 (§§ 26 N. 4 ; 31 N. 4 ; 39 N. 3 ; 75 N. 3). 1 I n unwillkürlicher Weise zeigt sich die rechtsphilosophische Frage •(§ 9) ihrem sachlichen Gehalte nach selbstverständlich überall. AHRENS I § 5. Aber eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Besinnung auf sie fehlt in allen uns bekannt gewordenen Auslassungen des Altertums außerhalb der griechischen Philosophie. ÜBERWEG § 6. V O R L Ä N D E R I Eml. Nr. 3. — 3
GROS
§ 10.
17
D i e g r i e c h i s c h e T h e o r i e des R e c h t e s .
der W i s s e n s c h a f t . Es geschah nach manchen unzulänglichen Versuchen 2 in der Lehre des SOKRATES (470—399)3. Er überwand die Zweifel der Sophisten 4 und den bloßen Subjektivismus, der nichts als ein unzusammenhängendes Erleben von lauter Einzelheiten zuließ, in wirrer Masse und unselbständig getrieben von Fall zu Fall 5 . Die Durchführung des Gedankens dagegen von der Möglichkeit eines Ordnens der einzelnen Vorkommnisse n a c h u n b e d i n g t einheitlicher Methode mußte auch zu der rechtsphilosophischen Frage führen. Dabei trat bei den Griechen die Frage nach dem Begriffe und dem Gelten des Rechtes zurück. Sie vertieften sich in die Politik und in die Führung des Staates 6 . Das vollendete sich in glänzender Weise bei PLATON (427—347)', vor allem in seinem Dialog von dem Staate 8 . PLATON war durch das niederdrückende Geschick seiner Vaterstadt Athen zu einem überzeugten Gegner der Massenherrschaft geworden. In tiefem NachMit besonderer S t ä r k e betont das Alte Testament den W e r t u n d die W ü r d e d e s R e c h t e s (Ps. 94, 15). E s s t e l l t seine E i g e n a r t , o h n e ihr k r i t i s c h n a c h z u g e h e n , w i l l k ü r l i c h e r G e w a l t gegenüber u n d p r e i s t die t r e u e B e w ä h r u n g d e s R e c h t e s i n e r h e b e n d e n W o r t e n . V o r n e h m l i c h in d e n S c h r i f t e n d e r P r o p h e t e n , u n d h i e r n a m e n t l i c h bei J e s a i a s ; s. bes. K a p . 9 u n d 3 2 . G U T H E D a s Z u k u n f t s b i l d d e s J e s a j a 1907. Ob die I d e e d e r R i c h t i g k e i t eines R e c h t e s d a r i n e n t h a l t e n ist, b l e i b t z w e i f e l h a f t . Vgl. d a z u B R E U E R Die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n G r u n d l a g e n des j ü d i s c h e n u n d d e s m o d e r n e n R e c h t s , J a h r b . d . j ü d . - l i t . Ges. 8 , 1 ff. A u c h S T R A C K Ein], in d. T a l m u d ( 2 ) 1 8 9 4 . W E I S MANN T a l i o n u n d ö f f e n t l i c h e S t r a f e i m m o s a i s c h e n R e c h t e , in F e s t s c h r . f. W a c h 1 9 1 3 . — S. f e r n e r h i n Z E N K E R Soziale Moral in C h i n a u n d J a p a n 1915. I n t e r e s s a n t ist a u c h H E A R N L a f c a d i o , K y ü s h ü , T r ä u m e u n d S t u d i e n a u s d e m n e u e n J a p a n 1908. 2
SCHMAUSS
S.
10;
HUGO
§ 9;
GEYER
S.
8;
HILDENBRAND
S.
41 ff.;
I S. 3 6 . — F L Ü G E L D i e I d e e des R e c h t s u n d d e r G e r e c h t i g k e i t bei H o m e r u n d H e s i o d 1 9 0 9 . H E R O D O T I I I 3 8 , ; V I I 104. Vgl. a u c h R R . S. 219. — H I R Z E L Ni/uot; (?y()«705, Sachs. Ges. d. W i s s . H i s t . - p h i l . K l . 20. B d . , 1900. — Ü B E R W E G I § 2 8 . V O R L Ä N D E R I , § 104. M E N Z E L P r o t a g o r a s , d e r ä l t e s t e T h e o r e t i k e r d e r D e m o k r a t i e , Z P o l i t . 3, 205 (vgl. § 170 N . 6). AHRENS
3
SCHMAUSS
§ 4 ;
HUGO
§10;
GEYER
S. 9 f.
HILDENBRAND
S. 81 ff.
S o k r a t e s . Sein W e r k u n d seine g e s c h i c h t l i c h e S t e l l u n g 1 9 1 3 . B U S S E Sokrates 1 9 1 4 . V O R L Ä N D E R I § § 1 3 ff. Ü B E R W E G I §33. ED. MEYER G e s c h i c h t e des A l t e r t u m s 4 , 4 3 5 f f . ; 5 , 1 2 5 ff. M E N Z E L U n t e r s u c h u n g e n z u m S o k r a t e s - P r o z e s s e 1902. 4 HILDENBRAND S . 66 f f . ; S A L O M O N D e r Begriff des N a t u r r e c h t s b e i d e n S o p h i s t e n , Z R G (R) 3 2 , 1 2 9 ff. — P L A T O N S Dialog Sophistes, ü b e r s , u . erl. v o n A P E L T in P h i l o s . Bibl. 1 9 1 4 . 5 Vgl. h i e r ü b e r u n t e n § 97. 6 S. a u c h T E S A R S t a a t s i d e e u n d S t r a f r e c h t . I . T e i l : D a s g r i e c h i s c h e R e c h t u n d die griechische L e h r e bis A r i s t o t e l e s 1914. 7 SCHMAUSS § 5; H U G O § l l f . ; G E Y E R § 4 ; HILDENBRAND S. 98ff.; ROSSBACH § § 4 — 7 ; STAHL I S. 8 ff.; A H R E N S I S. 3 7 ff.; LASSON S.50ff. 8 T e x t a u s g a b e v o n H E R M A N N bei T e u b n e r . D i e D i a l o g e d e s P i a t o n s i n d m e h r f a c h i n d a s D e u t s c h e ü b e r t r a g e n , so b e s t e n s v o n F R I E D R . L E O P . G R A F zu S T O L B E R G , S C H L E I E R M A C H E R u n d n e u e s t e n s v o n A P E L T . — M O H L 1 220. E i n e E i n f ü h r u n g in den I d e a l i s m u s 1903. — N A T O R P Piatos Ideenlehre. —
H .
MAIER
S t a m m l e r ,
Rechtsphilosophie,
-
18
§ 10.
Die griechi s e h e Theorie des Rechtes.
denken gelangte er zu dem Gegensatze, der in der Idee des G u t e n einerseits und in dem bloßen Z u s a m m e n z ä h l e n bedingter Interessen andererseits gelegen ist. Gegenüber der verderbten Wirklichkeit der athenischen Demokratie, die mir durch radikale Umänderung der maßgeblichen Grundsätze überwunden werden konnte, schuf er das Bild des idealen Staates durch Aufzeigen der f o r m a l e n R i c h t l i n i e n , denen das Gemeinwesen folgen müsse, um in seinen dann bedingt einsetzenden Ordnungen g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g zu sein. In diesem Sinne unterschied er im Staate die Herrscher, die Krieger, die Geschäftsleute. Nur die beiden ersten Gruppen sollten es, jede in ihrer Aufgabe, mit dem öffentlichen Leben zu tun haben, die große übrige Menge damit gar nicht, sondern nur mit ihren privaten Angelegenheiten beschäftigt sein. Dafür sollen jene allen bedingten Interessen ferne stehen und weder Familie noch Vermögen haben. Besondere Beachtung erfährt dabei die erste Gruppe der Herrscher, die man sich im Sinne P L A T O N S wohl in sehr kleiner Anzahl zu denken hat. Sie wird aus besonders dazu Erzogenen in ihren reiferen Jahren durch das Los gebildet. Der platonische Idealstaat ist nicht ein bloßer persönlicher Einfall 9 ; er ist keine Utopie, denn es fehlt das besondere Merkmal eines solchen Phantasiestückes: daß es die bedingten Möglichkeiten, die nach Recht und Gerechtigkeit zu ordnen sind, f r e i e r f i n d e t 10 . Noch weniger will der Entwurf des P L A T O N etwa eine vernunftrechtliche Verfassung darstellen, die für alle Zeiten und Völker in dem Sinne Geltung hätte, daß sie als eine Summe begrenzter Paragraphen beliebig überall eingeführt werden könnte. P L A T O N S Staatsgebilde ist ein System f o r m a l e r G e d a n k e n . Seine ganze Schilderung liefert nur bedingende Richtlinien, als Angabe der notwendig führenden Gedanken, wenn in einer besonderen Aufgabe, die ganz dahingestellt bleibt, ein gerechtfertigtes Ergebnis erzielt werden soll. Die f o r m a l e n R i c h t l i n i e n entstammen aber der Idee des G u t e n , wie P L A T O N sie auffaßte. Sie gliedern sich nach den drei Tagenden, die jenem Urbilde entstrahlen: der W e i s h e i t , die das grundsätzlich richtige Wollen im gegebenen Falle herausfindet; der T a p f e r k e i t , die in der Bewährung des für recht Erkannten besteht; endlich der S e l b s t b e h e r r s c h u n g , die das eigene Begehren dem gesetz• BURCKHARDT I n d i v i d u u m und Allgemeinheit in Piatons Politeia 1 9 1 3 . M. W U N D T Plato und sein Werk 1 9 1 4 . ANDERHUB Piatons Politeia und die kritische Rechtsphilosophie, ZRPhilos. 3 , 8 9 ff. WILAMOWITZ-MOLLEND O R F Der griechische und der platonische Staatsgedanke 1 9 1 9 . STERNBERG, Moderne Gedanken über Staat und Erziehung bei Piaton 1 9 2 0 . — N A T O R P Piatos Staat und die Idee der Sozialpädagogik 1 8 9 5 (s. § 1 3 2 ) . D E R S . Piaton, in Große Denker, 1 , 9 3 ff. Ü B E R W E G I §§ 3 9 ff., bes. § 4 4 . V O R L Ä N D E R I § § 1 9 ff. SALIN Piaton und die griechische Utopie 1 9 2 1 . — W I N D E L B A N D Piaton, Handw. d. Staatsw. (3) VI 1043 ff. 10 S. hierzu §§ 4 N . 4; 53; auch 172; und 92.
§ 10.
D i e griechische Theorie des R e c h t e s .
19
mäßig haltbaren Wollen unterordnet. Und da der Staat in seinem Aufbau den Anforderungen an den einzelnen Menschen entsprechen soll11, so ergeben sich danach die drei Stände, die oben beschrieben wurden, von denen jeder gerade die ihm zufallende Tugend besonders zu pflegen hätte. Zusammengeschlossen aber wird dieses durch die höchste Tugend der G e r e c h t i g k e i t , welche die drei anderen Tugenden zusammenfasse, jeder aus ihrer Stellung her das rechte Verhältnis zu den andern anweise und so eine vollendete Harmonie des Geistes erstrebe12. Von großem Interesse ist die Fortsetzung, welche jener mächtige Gedankenbau des PLATON 13 durch die allezeit erstaunliche Arbeit des ARISTOTELES (384—322) gefunden hat 14 . Sein Werk ist als Ganzes nicht in gleicher Weise, wie das seines Lehrers, einheitlich abgeschlossen15. Er streitet, wie bekannt, gegen die Herrschaft der platonischen Idee. In dem groß angelegten Werke der Politik geht er davon aus, daß der Staat ein Naturprodukt sei, früher als der Einzelne und die Familien, die seine Teile sind 16 . Danach gibt er eine allgemeine Staatslehre17, mit eindringenden Beobachtungen über die Arten der Staaten, über deren Umwälzungen, 11 E s d ü r f e n n i c h t die Sonderinteressen u n d s u b j e k t i v e n B e g e h r u n g e n h e r r s c h e n , a u c h n i c h t n a c h ihrer q u a n t i t a t i v e n Mehrheit (§ 170), s o n d e r n d e r u n b e d i n g t leitende G e d a n k e der Gerechtigkeit. K e i n begrenztes Ziel k a n n i h n , wie d a s I . B u c h v o m S t a a t e zeigt, v o l l k o m m e n ausfüllen. S. a u c h R e p . I V 427 C ff. — D i e I d e e des G u t e n w i r d n u r d u r c h die Philosophie e r k a n n t . D a h e r d e r b e r ü h m t e A u s s p r u c h : W e n n nicht e n t w e d e r die Philosophen K ö n i g e w e r d e n in den S t a a t e n o d e r die Gewalthaber w a h r h a f t u n d g r ü n d l i c h philosophieren, eher gibt es keine E r h o l u n g von d e m Ü b e l f ü r die S t a a t e n u n d a u c h n i c h t f ü r d a s m e n s c h l i c h e Geschlecht. Rep. V 473 D. — Ü b e r den R e f o r m v e r s u c h des P L A T O N bei D i o n y s i u s I I . v o n S y r a k u s s. die ü b e r a u s anziehende Schilderung bei E D . M E Y E R (N. 3) 5, 500 ff. 12 D a z u bes. R e p . I V 433. H I L D E N B R A N D S. 127. 13 Ü b e r die Dialoge v o n d e n Gesetzen s. H U G O § 1 3 ; H I L D E N B R A N D S. 1 7 5 ff. ; G E Y E R S. 1 5 f. R I T T E R D a r s t e l l u n g des I n h a l t e s m i t A n m e r k u n g e n 1896. PÖHLMANN G e s c h i c h t e des a n t i k e n K o m m u n i s m u s u n d Sozialism u s S. 477 ff. — Ü b e r Kriton s. u n t e n § 48; über den Staatsmann § 143. 11
SCHMAUSS
S. 250 ff.;
STAHLI
§
7;
HUGO
S. 21 ff. ;
§
14;
ROSSBACH
AHRENS I S. 40 ff.;
§§
LASSON
8FF.;
HILDENBRAND
S. 5 5 ff.
ÜBERWEG
ff., bes. § 5 2 . V O R L Ä N D E R I § § 2 7 ff. — L U T O S L A W S K I Erhaltung u n d U n t e r g a n g der S t a a t s v e r f a s s u n g e n n a c h Plato, Aristoteles u n d Machiavelli 1 8 8 8 . R . L O E N I N G Die Z u r e c h n u n g s l e h r e des Aristoteles 1 9 0 3 . SZANTO A r i s t o t e l e s , H a n d w . d. S t a a t s w . (3) I 1224 ff. 15 H i e r h e r gehört vor a l l e m d i e Politik in 8 B ü c h e r n , Ausg. m i t Ü b e r s e t z u n g v o n ST A HR, 1839; übers, in Philos. Bibl. vonROLFES 1912. F e r n e r die Nikomachische Ethik, T e x t a u s g . b. T e u b n e r , von S U S E M I H L u n d A P E L T ; übers, in Philos. Bibliothek v o n K I R C H M A N N 1876 u n d R O L F E S 1911. — M o H L 1 220. 16 Pol. I 1, 6 ff. G e n a u a n s c h l i e ß e n d der B e g r ü n d e r der neuzeitlichen S t a a t s r e c h t s l e h r e B O D I N Six livres de la république 1577, B d . I c. 1. S A VIGNY S y s t e m des h e u t i g e n r ö m i s c h e n R e c h t s 1840, I S. 343 f.: In den Familien nun sind die Keime des Staads enthalten, und der ausgebildete Staat hat die Familien, nicht die Individuen unmittelbar zu Bestandteilen. " S. o b e n § 6. I
§§46
§ 10. Die griechische Theorie des Rechtes.
20
aber auch schon über die Frage nach der besten Staatsverfassung; sodann eine Fülle von Klugheitsregeln für die Politik und das Erziehungswesen. Immer aber wird auch A R I S T O T E L E S auf die Notwendigkeit eines einheitlich bedingenden Zweckes für das r e c h t l i c h e Wollen hingeführt. Und wie der Mensch von Natur ein geselliges Wesen sei, so bedeute die G e r e c h t i g k e i t eine Aufgabe, die mit dem Staate gesetzt ist 1 8 . A R I S T O T E L E S teilt die G e r e c h t i g k e i t in die a u s t e i l e n d e , die zur Sache des Gesetzgebers gehört, und die a u s g l e i c h e n d e , die vom Richter gehandhabt wird. Nach jener sind die Anteile der Einzelnen an den äußeren Gütern und den politischen Rechten zu bemessen. Das hat nach geometrischer Proportion zu geschehen: wie sich der eine Bürger zum andern verhalte, so sei jener Anteil festzustellen. Das Verhältnis aber des einen Bürgers zu dem andern ist der W e r t des Bürgers, der sich, in den einzelnen Staaten verschieden, nach dem Vermögen, nach Geburt und Familie, nach der Tüchtigkeit bestimme. Für die Praxis des Rechtes führte A R I S T O T E L E S die Unterscheidung von g e r e c h t e n Satzungen und b i l l i g e m Ermessen ein10. Das erste sind die Paragraphen, die der Gesetzgeber nach bester Erfahrung in dem Wunsche, richtiges Recht zu geben, in technischer Fassung aufstellt; das zweite ist das Urteilen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des dortigen Falles, geleitet natürlich von dem gleichen idealen Bestreben, wie jenes. Die Bemühungen um die Klärung der Idee des Rechtes setzten demnächst die S t o i k e r (seit etwa 314 v. Chr.) in allgemeiner Weise entscheidend fort 2 0 . Sie betonen besonders stark die grundlegende Gegenstellung des nach der N a t u r und nach der S a t z u n g Gerechten. Sie suchten nach dem einen obersten G e s e t z e , dem mit allem übrigen auch die Ordnung von Staat und Recht zu unterstehen habe, und nannten es: d i e N a t u r . Es gelte, der Natur gemäß zu leben21. In ihrer Anleitung für den einzelnen Menschen für sich hatten sie praktisch großen Erfolg. Sie lehrten die A p a t h i e , die Freiheit von Leidenschaften, die Gleichgültigkeit gegenüber der Einzelheit und Äußerlichkeit. Dagegen wissen wir bei ihnen nichts von einer theoretischen Begründung. Es blieb zweifelhaft, was die Natur eigentlich sei. Für die Rechtsphilosophie war damit der Grund für die spätere Scheidung des Naturrechtes (§ 14) von dem Vernunftrechte (§ 15) gegeben, je nachdem man auf die Natur des M e n s c h e n oder des R e c h t e s zurückging. Mit dem allgemeinen Niedergang der griechischen Philosophie sank auch die dortige Theorie des Rechtes. Die Lustlehre des EPIKUR (341 18
POL. I
L, 12.
Eth. Nie. V. Buch mit der Unterscheidung der fiixaioalvri und der tntt ixt iß. — S. unt. §§ 127 u. 143. 19
20 SCHMAUSS ÜBERWEG I § 5 8 .
21
§ 9 ; HILDENBRAND S. 5 0 5 f f . ; GEYER VORLÄNDER I § 3 8 .
Entsprechend die Kyniker. HILDENBRAND S. 499 ff.
§6;LASSON
ÜBERWEG I
S.67;
§59.
§ 11.
Die Jurisprudenz der Römer.
21
bis 270) führte zu dem vergeblichen Versuche, Sinn und Bedeutung des Rechtes auf den N u t z e n zu gründen 22 . In der Schule der S k e p t i k e r (bes. seit etwa 200 v. Chr.) 23 aber schwand jeder Glaube an die Möglichkeit von Wahrheit und Gerechtigkeit überhaupt dahin 24. § 11. Jurisprudenz
Die
der
Römer.
In dem römischen Reiche gelangte d a s R e c h t zu der ihm zukommenden eigenartigen Stellung. Es erscheint nun als eine genau abgegrenzte Art und Weise des menschlichen Wollens mit einer besonders hervorgehobenen Aufgabe. In glänzender Eingebung handhabten die Römer solches in der Staatskunst und im Privatleben. Selbst in den späteren Zeiten ihrer sinkenden Größe wurde der formale Gegensatz von R e c h t und von W i l l k ü r von ihnen empfunden und als solcher zum Ausdrucke g e b r a c h t u n d bei den Römern war es, daß deutlich festgehalten wurde: daß die Berufung auf boni mores, auf aequitas, auf bona fides und andere Wendungen eine Berufung auf R e c h t s s ä t z e ist. Nur sind es R e c h t s s ä t z e mit der besonderen Beschaffenheit, daß sie die g r u n d s ä t z l i c h e Aufgabe des Rechtes gerade in ihrem Inhalt w e s e n t l i c h übernehmen und nach dieser ihrer Eigentümlichkeit im besonderen Streitfalle a u s g e s u c h t w e r d e n 2 . Eine Zergliederung des R e c h t s b e g r i f f e s nach seinen logisch bedingenden Merkmalen und in seinem Gegensatze zu den anderen Arten der Willensinhalte findet sich bei den römischen Juristen nicht 3 . Und ihre Bemerkungen über Gesetz und Gewohnheitsrecht und über die Notwendigkeit der reohtlichen Ordnung sind dürftig und nicht ausreichend 4. Eine hohe Meinung haben sie von dem Berufe dessen, der dem Rechte, seiner Lehre und seiner Bewährung, sich widmet. Das Recht ist nach 22
SCHMAUSS
§11;
GEYER
§6
II;
HILDENBRAND
S.
5 1 4 ff. ;
LASSON
S. 617 ff. Ü B E R W E G I §§ 60 ff. bes. § 63. V O R L Ä N D E R I § 21. — S. unten § 93 Nr. 1. 23 Besonders bei K A R N E A D E S (213—129). Er führte in Rom an einem Abend in einer Rede das Lob der Gerechtigkeit aus und suchte am nächsten Abend entsprechend darzulegen, daß es überhaupt keine Gerechtigkeit gebe. L A C T A N T I U S Div. instit. (ed. B R A N D T im Corp. script. eccles. latin. XIX S. 444ff.) V 14, 3ff. 16, l f f . 17, 9; 14. Vgl. S C H M A U S S § 12. — Z E L L E R Philosophie der Griechen 1844, (4) 1892, III 1, 518 ff.; 530 f.; C H R I S T . SCHMID Geschichte der griechischen Literatur, (4) II 1, 43. HILDENBRAND
§121.
ÜBERWEG
I
§65,
S . 4 9 3 f.
ff.; L A S S O N S . 7 0 . — Die Neuplatoniker sind für die rechtsphilosophische Frage ohne besondere Bedeutung. S. über sie unten § 11 N. 15. 1 Besonders scharf und deutlich C. I 14, 4. Vgl. WR. S. 501. a Cf. P A P I N I A N U S , D. X X I I 1, 5. — S. § 7 N. 1; § 94 N. 4. 3 J. I 1 und D . I I : De iustitia et iure. 4 D. I 3, 32 § 1; cf. J. I 2: De iure naturali et gentium et civili. 24
HILDENBRAND
S.
518
22
§11.
D i e Jurisprudenz der R ö m e r .
ihnen d i e K u n s t d e s G u t e n u n d d e s G e r e c h t e n , die von den ihm ergebenen Männern wie von P r i e s t e r n zu pflegen und zu üben ist 5 ; und großartig ist ihre Fähigkeit, vor allem in der hierfür klassischen Zeit des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, in den rechtlichen Streitigkeiten der Bürger d a s g r u n d s ä t z l i c h R i c h t i g e zu treffen. So viel sie auch in kommentierender Bearbeitung der Gesetze ausgeführt haben, so liegt doch der Grundzug ihres Wesens nicht in der Wahrung der Paragraphen als solcher. Wohl sind sie zuweilen von prozessualen Formeln abhängig, aber sie gehen im Ganzen ihres Wirkens in solchen Einzelfragen keineswegs auf 6 . Und niemals würden sie eine unweigerlich bleibende Bedeutung in der Geistesgeschichte erlangt und bewahrt haben, wenn wirklich nur ihre wissenschaftliche Begabung in der technischen Jurisprudenz hervorzuheben wäre. Gewiß sind sie Meister in dem Herausarbeiten der einzelnen Rechtsbegriffe und von schöpferischer Kraft im systematischen Ordnen der schier unübersehbaren rechtlichen Erscheinungen. Aber ihre schönste und größte Leistung entsprang doch der Gabe, in zweifelhaften Fragen das alsdann r i c h t i g e R e c h t zu erwählen 7. Dagegen gibt es eine ausgeführte Überlegung und Erörterung der I d e e d e s R e c h t e s im Römertum fast gar nicht 8 . 6
D . I 1 pr. u. § 1 (ob. § 2 N. 1). — § 91 N. 8. Über ins und aeguitas s. K R Ü G E R Geschichte der Quellen und Literatur des römischen Rechts ( 2 ) 1 9 1 2 § 1 7 . K I P P Geschichte der Quellen des römischen Rechts ( 4 ) 1 9 1 9 § 2 . — B E K K E R Über römische und moderne aequitas, J V R W . 1. Bd. 1896. ' Über Wert und B e d e u t u n g des römischen R e c h t s über die Zeit seiner praktischen Geltung hinaus sind zahlreiche Erörterungen vorgebracht worden. Gegenüber sehr absprechenden Äußerungen von Schriftstellern des 18. Jahrhunderts, w i e B E C C A R I A der von Überresten der Gesetze eines Eroberervolkes sprach, trat im 19. Jahrhundert eine gerechtere Würdigung ein. D o c h gehen die Ansichten i m einzelnen auseinander. G L Ü C K Pandekten I 7 9 ff. WINDSCHEID § 6. JHERING Geist des röm. R. ( 2 ) 1 8 6 6 , I § 1 . STAHL I I 5 0 9 ff. — O . M Ü L L E R D i e Stellung der Wissenschaft des röm. R. an den deutschen Hochschulen der Gegenwart, 1 8 5 2 . E X N E R Die praktische Aufgabe der romanistischen Wissenschaft in Staaten m i t kodifiziertem Privatrecht 1869. FRANKEN Romanisten und Germanisten 1 8 8 2 . FRESE D a s volkserziehliche Grundprinzip der römischen Rechtsbildung und die Bedeutung desselben für den Begriff und Zweck des Rechts 1 9 0 1 . LEONH A R D Stimmen des Auslands über die Zukunft der Rechtswissenschaft 1 9 0 6 . SCHÖLTEN D e waarde van het romeinsche recht, Zwolle 1 9 0 7 . — TR. S. 1 6 4 . — Lehrreiches Einzelbeispiel heutiger Stellungnahme zu der römischen Jurisprudenz: K Ü B L E R D a s Utilitätsprinzip als Grund der Abstufung bei der Vertragshaftung i m klassischen römischen Recht, S.-A. aus Festg. für Gierke, 6
1910.
8
DERS.
in
Z R G
(R)
38,
73 ff.
Die Römer der Republik wehrten sich gegen das Eindringen der griechischen Philosophie. Unter dem Einflüsse des älteren C A T O wurden mehrere Senatsschlüsse erlassen, die den griechischen Rhetoren den Aufenthalt in R o m verboten. E s war vergebens und erfolglos. Bedeutsam wurde die Gesandtschaft, die Athen 155 v. Chr. in seinem Streite m i t der böotischen Stadt Oropos nach R o m abordnete. E s waren der Peripatetiker K R I T O L A O S , der Stoiker D I O G E N E S und der Akademiker K A R N E A D E S (§ 10 N . 23). Von da ab ließ
§12.
23
Die Staatslehre des Mittelalters.
C I C E R O (106—43) bietet hierüber noch die größte geschlossene Darlegung 9 . E r geht mit der Lehre der S t o a von der N a t u r im Sinne des G e s e t z e s aus und unterscheidet von dem ius civile das ius naturale, nach dem jede Beschädigung anderer zu unterlassen und jedem das Seinige zu geben sei. Indem er dann mit A R I S T O T E L E S die Entstehung des Staates als einen natürlichen Vorgang von der Familie her beschreibt, nimmt er offenbar eine eigene rechtliche Anlage in der Menschennatur an. Zur vollen Klarheit gelangt das um so weniger, als er, wie ihm mit Grund öfter vorgeworfen wurde, in seine Beweisführung Ansichten anderer griechischer Philosophen eklektisch einmengt.
Die Juristen der Kaiserzeit kennen gleichfalls das ius naturale 10 und meinen damit die rechtlichen Einrichtungen, die sich bei allen Völkern gleichmäßig finden 11 und darum auf einen Grundzug der Natur bei allen Menschen zurückzuführen s e i 1 2 . Das wurde von ihnen jedoch weder theoretisch vertieft noch auch innerhalb der praktischen Anwendung des Rechtes erheblich verwertet 1 3 . Das Ende der antiken Philosophie auf dem Boden des Römerreiches war für die rechtsphilosophische Frage ohne Bedeutung 14. Die N e u p l a t o n i k e r befaßten sich mit ihr n i c h t 1 5 .
§ 12. Die
Staatslehre
des
Mittelalters.
E s ist nicht zweifelhaft, daß in dem weiten Zeiträume, den wir mit sich der Siegeszug der griechischen Denker im Römerreiche nicht mehr aufhalten. — P L U T A R C H Cato C. 22 f. — S C H A N Z Geschichte der römischen I. iteratur, I 1 1909, S. 242 f. ClCHORIUS Untersuchungen zu Lucilius 1908, S. 46 ff. •
SCHMAUSS
GEYER
§
7
I.;
VORLÄNDER I 1 0 Zitate
§ 10;
ROSSBACH
AHRENS I
§ 45.
—
S.
MOHL
46; 1,
§§
17 f.;
LASSON
221
u.
37 S.
f.; 71
HILDENBRAND
f.;
ÜBERWEG
S. I
537
S.
496
ff.; ff.
223.
bei K I P P (N. 6) S. 6 und 7. Sie nennen es auch ius gentium, als Inbegriff des Rechtes, quod peraeque apud omnes gentes cusloditur. Doch bedeutet jener Ausdruck auch das Recht, das im Mischverkehr der cives und pe.regrini, welche letzteren nach ihrem eigenen Zivilrecht lebten, zur Anwendung kam und im wesentlichen der edizierenden Amtstätigkeit des praetor peregrinus seine Entstehung verdankte. Und dann flössen aus diesem eigenen Rechte manche Institute und Sätze in das spezifisch römische Recht über. J . I 2: de iure naturali et gentium et civili. 12 Eine Sonderansicht bei U L P I A N U S in D. I 1, 1 § 3. 13 SCHMAUSS § 9 , S . 3 9 f f . ; H U G O § § 1 5 ; 16; H I L D E N B R A N D S. 5 9 3 f f . ; 11
GEYER
§ 7 1 1 ;
ZÖPFL
S.
13 ff.;
AHRENS I
S. 73 ff.;
STAHL I
S. 4 7 ff.
VOR-
§ 46. —• Die römischen Juristen berufen sich selbst auf die Stoa in D . I 3 , 2 ; auf P L A T O in D. L 11,1. — R E I T Z E N S T E I N Werden und Wesen der H u m a n i t ä t im Altertum 1907. 14 J U S T I N I A N verbot 529, daß in Athen von irgend jemandem Philososophie gelehrt werde; H I L D E N B R A N D § 1 5 6 . Ü B E R W E G I S . 659. K R Ü G E R (N. 6) § 47 N. 8. — In J . I 2 § 11 erklärte er das natürliche R e c h t in seiner Übereinstimmung bei allen Völkern aus der divina quadam Providentia her. Vgl. a u c h G O S C H E L Hand- und Hilfsakten eines Juristen I I , 1835. S . 16; 4 7 7 . LÄNDER
15
I
HILDENBRAND
S.
6 3 4 ff.
VORLÄNDER
I
§§
4 7 ff.
ÜBERWEG I
§§78
ff.
§ 12.
24
Die Staatslehre des Mittelalters.
Mittelalter zu bezeichnen pflegen, unsere Vorfahren ein vielgestaltiges und reiches geistiges Leben geführt haben Aber es bleibt richtig, daß alles Mannigfaltige des damaligen Seins und Tuns, die bunte Art und Menge des äußeren Treibens, wie die verschiedene Weise des Herrschens und des Strebens nach Gewalt, daß all das Kämpfen und Raufen mit seiner wilden Unruhe in letzter Linie von dem einen einigen Gedanken bestimmt war: der Verwirklichung des göttlichen Willens im Sinne desChristentums zu dienen 2 . Dieser höchsten Einheit war selbstredend nun auch Recht und Staat zu unterstellen. Ein selbständiges Erwägen der I d e e d e r G e r e c h t i g k e i t gab es nicht. Sie fiel zusammen mit der göttlichen Satzung, wie sie in ihrem Inhalte aus der Bibel und aus den weiteren Quellen der kirchlichen Lehre zu entnehmen war. Hiernach aber ward systematisch und eindringlich geforscht, und verschiedene Lehrmeinungen traten in bedeutsamer Weise hervor 3 . AUGUSTINUS (354—430) führte das dahin aus, daß der G o 1 1 e s s t a a t , civitas dei, die ausgebildete katholische Kirche dem S t a a t e , der civitas terrena, s c h l e c h t h i n übergeordnet sei*. Damit führte er einen vollendeten Dualismus in dem I n h a l t e des mannigfaltigen menschlichen Wollens und aller seiner Pflichten ein s . Die niederen Aufgaben, die ausschließlich dem irdischen Dasein entspringen, hat der weltliche Staat zu besorgen, — alles, was sich auf das Seelenheil der Christen bezieht, untersteht dem Gesetze der Kirche. Und da jenes erste als Ganzes sich von selbst dem zweiten unterordnet , so kommt dem weltlichen Staate 1 STÖCKL Geschichte der Philosophie des Mittelalters, 3 Bde. 1 8 6 4 ff.. END RES Geschichte der mittelalterlichen Philosophie im christlichen Abendlande; DERS. Honorius Augustodunensis, Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebens im 1 2 . J a h r h u n d e r t , 1 9 0 6 . D E W U L F Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, übersetzt von E I S L E R 1 9 1 3 . V E R W E Y E N Die Philosophie des Mittelalters 1 9 2 1 . — S C H I L L I N G N a t u r r e c h t und S t a a t nach der Lehre der alten K i r c h e 1 9 1 4 . — M O H L 1, 2 2 4 ff.
E I C K E N Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung ( 3 ) 1 9 1 7 . N A T O R P Die W e l t a l t e r des Geistes 1918, bes. S. 109 ff. — B E R N H E I M Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einflüsse auf Politik und Geschichtsschreibung. SCHOLZ Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen. E i n Beitrag zur Geschichte der politischen Anschauungen des Mittelalters, 1903. — G R A B M A N N Der Gegenwartswert der geschichtlichen Erforschung der mittelalterlichen Philosophie 1913. Auch F . J . S C H M I D T in Neue Zeit 38, 1, 553. 3
Inst. div. s. S C H M A U S S S . 7 3 ff.; R O S S B A C H De offieiis: S C H M A U S S , , S . 7 9 ff.; R O S S B A C H , § 5 9 . J . H U B E R Die Philosophie der K i r c h e n v ä t e r 1 8 5 9 S .
LACTANTIUS
AMBROSIUS S.
60ff. 4
—
AUGUSTINI
ÜBERWEG
II
de c i v i t a t e D e i libri X X I I , übers, von S.
149
ff.
VERWEYEN
(N.
1)
SCHRÖDER
S . 2 2 ff.
civitas terrena bei Augustin, in Festg. f. H a r n a c k ,
1921.
§58.
Über I
AHRENS 304
ff.
1914, 3 Bde.
HERMELINK
Die
6 STANGE L u t h e r und das sittliche Ideal 1919, 2, K a p . : Der Dualismus der mittelalterlichen Weltanschauung.
§ 12.
Die Staatslehre des Mittelalters.
vor allem die Bestimmung zu, die äußere Verteidigung der Kirche zu übernehmen und ihre Anordnungen zu vollstrecken 6. Nach manchen Ausführungen anderer 7 vollendet sich das System auch der Staatslehre des Mittelalters bei dem großen Scholastiker THOMAS VON AQUINO (f 1274) 8 . E r unterscheidet das p o s i t i v e und das n a t ü r l i c h e Recht. Jenes entspringt der menschlichen Satzimg, verschieden bei den einzelnen Völkern. Das natürliche Recht kann nur ein Ausfluß des allgemeinen n a t ü r l i c h e n G e s e t z e s sein; und dieses wiederum ist des ewigen, göttlichen Gesetzes Äußerung im Menschen. D a s e w i g e G e s e t z aber ist der Wille Gottes in seiner Vollkommenheit. An ihm nimmt der Mensch teil, zufolge der Begabung mit der Vernunft durch Gott. Allein die Bedingtheit des menschlichen Daseins bewirkt es, daß der göttliche Funke vernunftgemäßen Wollens nur beschränkt zum Ausdrucke kommen kann. Immer aber bleibt die so auf Gott zurückführende vernünftige Erwägung der Maßstab für das grundsätzlich gerechtfertigte Wollen und Tun, auch in dem Rechte und Staate. Daraus ergeben sich eine Reihe grundlegender Einrichtungen, die nach der Lehre des THOMAS den Inhalt des Naturrechtes bilden und als solche ewige und unveränderliche Bedeutung besitzen 9 . Neben diesen Untersuchungen erfuhr das Mittelalter eine rechtsphilosophische Betrachtung noch nach einer anderen Seite hin 10 . Es 6
S. 25.; 7
SCHMAUSS AHRENS PETRUS
SCHMAUSS 8
GEYER
S. 88 ff.; I
LOMBARDUS
S. 98.
SCHMAUSS S.
25
S . 0 4 f.
f.;
— S.
ROSSBACH
(F
VORLÄNDER
100—147; LASSON
§§ 4 8 ,
VORLÄNDER
S.
I
§62,
Nr.
ROSSBACH 7!) ff.
—
NATORP
Sententiarum
1164) I
62 ff.; STAHL I
§ 56.
S. 50 ff.; (IST. 2 ) , S .
libri
GEYER 18
ff.
Daraus
IV.
2.
§§48;
ÜBERWEG
08 I I
ff.; §
STAHL 39.
I
S.
56ff.;
VORLÄNDER
I
§ 65. — B A U M A N N Die Staatslehre des h. Thomas von Aquino 1873. Nachtrag dazu 1909. K O L B Kurzer Abriß der Tugendlehre nach Thomas von Aquino 1918.—BONUCCI La derogabilità del diritto naturale nella scolastica. Perugia 1906. V E R W E Y E N Das Problem der Willensfreiheit in der Scholastik 1909. D E R S . (N. 1) S . 237 ff.; 203 ff. K U H L M A N N Der Gesetzesbegriff bei dem Heil. Thomas von Aquino im Lichte des Rechtsstudiums seiner Zeit 1912. SCHILLING Der vermittelnde Charakter der thomistisclien Staatslehre, in Festg. f. Knöpfler 1917, S. 290 ff. G R A B M A N N Thomas von Aquin. Eine Einführung in seine Persönlichkeit und Gedankenwelt (3) 1917. — B R A N D T Über die Strafrechtsphilosophie des Thomas von Aquino, ZVerglR. 18, 76 ff. 9 Über die Rechtslehre gleichzeitiger Scholastiker, bes. B O N A V E N T U R A (t 1274) und D U N S S C O T U S (f 1308) s. S C H M A U S S S . 147 ff. Über spätere Anhänger dieser Richtung S C H M A U S S § 2 9 ; R O S S B A C H §§ 7 2 f f . ; G E Y E R S . 27 f. SCHREIBER Die volkswirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik seit Thomas von Aquino 1913; darüber A U B I N ZRPhilos. 2, 270 ff. 1 0 Eine eigene Stellung nimmt in reehtsphilosophischer Hinsicht DANTE (1265—1321) ein. S. die Schrift: Über die Monarchie, übers, von H U B A T S C H . Hierüber S T A H L I S. 62 ff. ; C A S S I R E R Erich,Natur-und Völkerrecht im Lichte der Geschichte und der systematischen Philosophie 1919, S. 61 ff. VERWEYEN (N. 1), S. 271. — K O S T A N E C K I Dantes Philosophie des Eigentums, ArchRPhilos. 4, 35 ff. ; 243 ff. ; 422 ff.
§ 12.
26
Die Staatslehre des Mittelalters.
betraf die Begründung des dort geltenden Rechtes durch das L e h n a wesen11.
Nach ihm sandte Gott neben dem geistlichen auch das weltliche Schwert auf die Erde zu beschirmen die Christenheit. Er verlieh dieses dem Kaiser, nach den Einen unmittelbar, nach anderer Auffassung durch den Papst, als Stellvertreter Gottes auf dem Stuhle Petri 12. Der Kaiser belehnte weiter die Großen des Reiches, diese dann ihre Vasallen, die es an ihre Lehnsträger weiter gaben, und so fort. Zusammengehalten aber wurde dieses alles — Lehnsherr, Vasallen, Lehnsgut — durch das B a n d der Tieue13. Es bildete den Grundgedanken des mittelalterlichen Staatswesens und überdauerte dieses, im Ganzen an tausend Jahre geltend, dem Sinne nach bis zu dem Ende des alten deutschen Reiches 14. Es lohnt die Frage : wie sich diese beiden Gedankengänge — der des G o t t e s s t a a t e s und der des L e h n s w e s e n s — zueinander verhalten. Ihre Untersuchung lehrt, daß ein grundsätzlicher Widerstreit in der Sache zwischen ihnen nicht vorlag. Auch das Lehnswesen ward auf göttliche Satzung zurückgeführt. Es beanspruchte, in seiner Weise dem ius naturale zu entsprechen, und wollte keineswegs eine bloße menschliche Einrichtung sein. In der Tat baute es sich auf den Instituten auf, die auch die Vertreter der kirchlichen Lehre als natürliches Recht aufstellten, vor allem auf Eigentum und Vertragstreue. Sein Grundgedanke der treuen Hingebung bis zum Letzten widersprach keineswegs den ethischen Pflichten der christlichen Lebensauffassung 15. So konnten die beiden an sich gut nebeneinander bestehen und harmonisch zusammenstimmen. Sie gingen von der gleichen Grundlage aus und erfüllten nur verschiedene Aufgaben bei deren Ausbau. Der Gedanke des Lehnswesens ging auf die Frage des G e 11 e n s eines bestimmten Rechtes, dessen begriffliche Möglichkeit dabei vorausgesetzt war, und auf die A u s g e s t a l t u n g der besonderen Pflichten und Rechte, die 11
Über das Lehnrecht s. die Nachweise bei GERBER Deutsches Privat-
recht, §§ 103 fr.;
SCHRÖDER
bes.
deutschen Privatrechts (2) 1913,
§ § 2 4 ; 4 0 ; 5 7 ; HÜBNER Grundzüge
S. 297 ff. ; SCHWERIN
des
Deutsche Rechts-
g e s c h i c h t e (2) 1 9 1 5 , S . 9 0 f f . ; BRUNNER § § 2 0 ; 2 5 ; 3 4 ; 3 6 ; 3 9 . 12 S s p . I , 1 ; I I I , 6 3 , § 1. — BLUNTSCHU S . 9 f f . 13
W. STAMMLER Geschichte der niederdeutschen Literatur 1920, S. 9 f.
— EICKEN (N. 2), bes. S. 223 ff.
FREYTAG B i l d e r a u s der d e u t s c h e n Ver-
gangenheit, 2. Bd. GG. MÜLLER Das Recht in Goethes Faust 1912, S. 100; 110 ff.; 199. VEDEL Ritterromantik, 1911; HEIL Die deutschen Städte und Bürger im Mittelalter, 1906; GERDES Geschichte des deutschen Bauernstandes 1910. — Über Lehnsfelonie in einem heutigen Rechtsfalle s. DJZ. 22, 743.
11 SCHLOSSER Briefe über die Gesetzgebung 1789, S. 14 ff. TOCQUEVILLE L'ancien régime et la révolution (2) 1856 (deutsch von OELCKERS 1867) bes. I. 5 und II, 1. — SANDER Feudalstaat und bürgerliche Verfassung 1906. 15 S. auch FE HR Die Staatsauffassung Eikes von Reggau 1916, S.-A. aus ZRG (G) 37, 1 ff., bes. S. 67; 79; 91 ff. ; 108 ff.
§ 13.
27
Die Rechtsbetrachtung der Übergangszeit.
auch eine Begründung nach dem natürlichen Rechte der kirchlichen Lehre besaßen. Dagegen lieferte die Kirche ihrerseits die genauere Erwägung von dem E n d z w e c k e alles Rechtes und die Einordnung des danach gerichteten rechtlichen Wollens in das G e s a m t g e f ü g e einer allgemeingültigen Weltauffassung M. § 13. Die R e c h t s b e t r a c h t u n g der
Übergangszeit.
In dem Zeitalter der Reformation bereitete sich die Auffassung vor, welche das Recht als eine eigene Art des menschlichen Wollens nimmt, dem eine göttlich gesetzte Aufgabe vorsteht 1 . Theologen 2 und Juristen 3 betonen zwar in alter Weise das ius naturale als das Gesetz, das Gott dem Menschen in das Herz geschrieben, und sie handeln die ihm entsprechenden Pflichten nach der Ordnung und Art der zehn Gebote ab. Aber sie werden doch dazu geführt, dem r e c h t l i c h e n Wollen in seiner Wegeleitung nach jenem Grundgedanken eine s e l b s t ä n d i g e Bedeutung zuzugestehen, die folgerichtiger Weise eine Klärung dieser seiner e i g e n a r t i g e n Beschaffenheit nach B e g r i f f und I d e e fordert 4 . In der nun immer stärker werdenden Beschäftigung mit dem römischen und dem kanonischen Rechte, und teilweise im Kampfe mit ihnen, besonders dem letztgenannten 5, setzte sich diese Selbständigkeit des R e c h t s g e d a n k e n s mehr unwillkürlich und nicht klar bewußt, doch tatkräftig 16 D a s ganze Gebiet der in diesem Paragraphen besprochenen Lehre bietet einen Gegenstand überaus lohnender Forschung dar. I m besonderen ist das kanonische Recht in seiner Bedeutung für die Rechtsphilosophie bis jetzt fast ganz unberücksichtigt geblieben. S C H M A U S S § 1 7 . Wenig bietet T H I KQTTER Die metaphysische Grundlage des hierarchisch - jesuitischen Systems 1 8 9 1 . — T R O E L T S C H Die Sozialphilosophie des Christentums, Jahrb. des Freien deutschen Hochstifts, 1911, S. 31 ff. Eine gute Einführung in das neue Gesetzbuch der katholischen Kirche bietet S T U T Z Der Geist des Codex iuris canonici 1 9 1 8 . — H U G E L M A N N Die deutsche Königswahl im Corpus iuris canonici, in Gierkes Untersuchungen, 9 8 . H e f t , 1 9 0 9 . P.HOHENLOHE O. S. B. Beiträge zum Einfluß des kanonischen Rechts auf Strafrecht und Prozeßrecht 1919. — Vgl. § 52 N. 1. 1
2
STAHL
I
S.
74 ff.;
AHRENS
I
§ 13 f.;
ÜBERWEG
III
§ 8.
Über Melanchthon s. S C H M A U S S S . 1 7 3 ff.; H I N R I C H S I 1 1 ff.; S T A H L I S. 7 5 ; B L U N T Z S C H L I S. 7 2 ; S T I N T Z I N G I S. 9 9 ff.; 2 8 3 ff. — Über Zwingli s. B L U N T S C H L I S. 7 3 f. K R E U T Z E R Zwingiis Lehre von der Obrigkeit 1 9 0 9 . DRESKE Zwingli und das Naturrecht, Hall. Diss. 1 9 1 1 . M E Y E R Zwingiis Soziallehren, Zürich. Diss. 1 9 2 1 . —Über Calvin s. B L U N T S C H L I S. 7 5 ; A N E M A Calvinisme en rechtswetenschap, Amsterdam 1897. 3
OLDENDORP ( 1 4 8 0 — 1 5 6 1 ) , HEMMING ( 1 5 1 3 — 1 6 0 0 ) ,
SCHMAUSS I
19ff.;
S.
178
STAHLI
ff.; S. 7 6 ;
WARNKÖNIG GEYER
S.
S. 2 9 f . ;
34;
WINKLER
ROSSBACH
STINTZING
I
311
§§
(1579—1648):
81 ff.;
HINRICHS
ff.
1 VON DER BLEEK Die protestantische Staatsidee 1 9 1 9 . — KAFTAN D a s Verhältnis der lutherischen Kirche zur sozialen Frage 1 8 9 9 . T R O E L T S C H Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, Vortrag, 1906. 5
STINTZING I
273
ff.
28
§ 14.
D a s Naturrecht.
durch. Die Unterstellung der von unten lier durch menschliche Tat aufzubauenden rechtlichen Ordnung unter das göttliche Walten, als alles vereinigenden und beherrschenden Abschlusses, blieb unbezweifelt angenommen 6. Eine ausreichende kritische Analyse der b e g r i f f l i c h e n Vorstellung von d e m R e c h t e , gegenüber den anderen Arten des menschlichen Wollens, zeigt sich jetzt freilich noch nicht; sein Gegensatz zu der w i l l k ü r l i c h e n Gewalt hebt sich noch am stärksten in praktischen politischen Erwägungen hervor sein Unterschied von der M o r a l oder gar von der äußeren S i t t e bleibt unausgetragen. Eindringlicher beschäftigte man sich mit der Frage nach der Notwendigkeit der rechtlichen Ordnung. Sie wird in bewußter Art bejaht 8. Der Einfluß des Römerbriefes (13. Kap.) ist unverkennbar. Aber der neu gewonnene Standpunkt von der damit dem Rechte gesetzten eigenen Aufgabe drückt dieses selbst zunächst etwas herunter. LUTHE tt legt an mehreren Stellen das Hauptgewicht darauf, daß ohne das Recht die schlechten Menschen den guten Übles antun würden 9. In treffenden Ausführungen wird die Bewährung einer grundsätzlichen Richtigkeit innerhalb des Rechtes von L U T H E R bei verschiedenen Anlässen vorgenommen 10. Und noch in seinen letzten Tagen hatte er Gelegenheit, von der Notwendigkeit einer gefesteten Methode, nach der man schwebende Streitigkeiten nach billigem Ermessen entscheiden könne, sich zu überzeugen. Zu einer von ihm selbst gewünschten zusammenfassenden Bearbeitung ist es dann nicht gekommen u .
Das
§ 14. Naturrecht.
Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts tritt d i e r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e F r a g e mit der ihr genau gestellten Aufgabe (§ 9) immer 6 S. auch I H R I N G E R der Schuldbegriff bei den Mystikern der Reformationszeit, B e r n 1912. 7 So in den Schriften L U T H E R S aus Anlaß des Bauernkrieges, über den Wucher, über den gemeinen Kasten. S. auch H O L L Luther und das landesherrliche Kirchenregiment 1911; D E R S . Luther und die mittelalterliche Zunftverfassung, Mitt. d. Luther-Ges. 1919, S. 22. 8 L U T H E R Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523. Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können, 1526. 9 Besonders in' den Tischreden. Vgl. R R . S. 222. — S. auch § 102 N. 2 und § 108 N. 5, sowie § 180 N . 3. 10 WARD Darstellung u n d Würdigung der Ansichten Luthers von d e m Staate und seinen wirtschaftlichen Aufgaben 1898. — HOLL Luther als Erneuerer des christlichen Gemeinschaftsgedankens, Deutsch-Evangelisch, Monatsbl., 8 , 2 4 1 ff. — S T A N G E D i e ältesten ethischen Disputationen Luthers 1 9 0 4 (s. oben § 1 2 N . 5 ) . - H I N R I C H S I 6 ff.; S T A H L I 7 9 ; B L U N T S C H L I S . 5 7 f f . 11 STAMMLER Luther i m Schiedsgericht der Grafen von Mansfeld, i n der Sammlung: W a s Luther u n - heute noch ist, 1917, S. 129 ff. — R R . S. 103; 307 f.
§ 14.
D a s Naturrecht.
29
deutlicher hervor \ Der große K r i e g und die schweren Erlebnisse der damaligen Zeit ließen eine Fülle praktischer Zweifel und Bodenken aufkommen, die durch bloße Anlehnung an begrenzte positive Satzungen nicht zu lösen waren 2 ; das Erstarken der Staatsgewalt, das in jenen Tagen überwältigend einem jeden fühlbar wurde, regte zu grundsätzlichem Besinnen eindringlich an. E s fand sich in den drei Hauptfragen zusammen : W i e es mit dem Gedanken d e s R e c h t e s gegenüber der G e w a l t , aber auch gegenüber der M o r a l stehe; in welcher Weise seine verpflichtende A r t a l l g e m e i n z u b e g r ü n d e n sei; nach w e l c h e 111 R i c h t m a ß e man den Inhalt eines Rechtsgebotes prinzipiell r i c h t e n u n d r e c h t f e r t i g e n könne ? Und nun suchte man nach e i n e r G r ö ß e , aus deren Eingreifen her sich alle drei Fragen i n einer e i n z i g e n F o r m e l beantworten ließen 3. Dieser letztgenannte Versuch ist dann auch aller anderen Rechtsphilosophie bisher eigentümlich geblieben. In dem hier eingeführten Zeitalter ging man dabei auf d i e N a t u r d e s M e n s c h e n zurück. E s wurde der Ausdruck der Natur nicht mehr für den Gedanken des G e s e t z e s selbst gebraucht, sondern unmittelbar für eine Beschaffenheit des Sehnens und Strebens verwendet, die allen Menschen zu eigen wäre. W a s mit ihr übereinstimme; sei Rechtens und in diesem seinem Auftreten sachlich begründet 4 . E t w a hundert Jahre lang wandte man die grö ,te Aufmerksamkeit der Frage zu : Welches denn d i e a l l g e m e i n menschliche N a t u r eigentlich sei ? Der berühmte Niederländer HUGO G R O T I ü S (1583—1645) behauptete für den Menschen — allgemein, aber auch alleinig unter allen Geschöpfen — den appetitus societatis. E r verstand darunter den Trieb nach einem ruhigen und einsichtig geordneten Zusammenleben mit seinesgleichen 5. Dem 1 Tjber Vorläufer dieser Zeit: W A R N K Ö N I G §17; K A L T E N B O R N Die Vorläufer des Hugo Grotius 1848; F . V O R L Ä N D E R S. 8 3 ff. S T A H L I 82 f f . ; AHRENS I § 1 5 ; L A S S O N S. 8 4 f f . ; B L U N T S C H L I S . 7 6 ff. ; F R A N C K Réform a t e u r s et publicistes de l ' E u r o p e X V I I siècle, Paris 1881, S. 13 f f . ; G I E R K E , Althusius (§107 N . 1). C A S S I R E R (§12 N. 10) S. 69 ff. V O R L Ä N D E R I Ubergangsperiode §6. — Verh. des ersten Soziologentages 1910, S. 166 ff. : TROELTSCH D a s stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht. 3 S. hierzu auch unten § 50. — G I E R K E Naturrecht und deutsches Recht 1883. FRANK Naturrecht, geschichtliches Recht und soziales Recht 1 8 9 1 . 3 E s fehlte also die Einsicht von dem Gegensatze des B e g r i f f e s und der I d e e (§ 82), sowie von dem Verhältnis der zweiten F r a g e als Vorbedingung zur praktischen Ausführung der dritten (§ 107). R R . S. 111 ff. * Einzelfrage: S T E R N B E R G Die Begnadigung bei den Naturrechtslehrern, Berl. Diss. 1899. Vgl. § 153. 5
RICHS
SCHMAUSS
I
ZÖPFL S. 89 ff. CATHREIN
60ff.
§§21, STAHL
s. 16f. FRANCK
22.
I
WARNKÖNIG S.
STINTZING (N.
1)
163ff.
III S.
S.
253 ff.
§ 28.
GEYER lff.
S.
ROSSBACH
30ff.
LASSON
CASSIRER
S. (§12
S.
120 ff.
AHRENS 87
f.
N . 10)
I
HEN-
S. 93 ff.
BLUNTSCHLI S. 96 ff.
—
Ist Grotius der Begründer des Naturrechts ?, AxchRPhilos. 4, 387 ff.
§ 14.
30
Das Naturrecht.
widersprach der Engländer HOBBES (1588—1679), der als Grundzug der menschlichen Natur die Furcht des einen vor dem andern erklärte; so daß bei dem Wegdenken der rechtlich geordneten Gesellschaft ein Krieg aller gegen alle als notwendiger Zustand angenommen werden müsse 6. Auch bei den deutschen Naturrechtslehrern ener Zeit, auf welche die Führung dieser Eechtsphilosophie dann überging, fand sich eine Verschiedenheit der Ansichten. P Ü F E N D O R F (1632—1694) stellte als den natürlichen Zustand des Menschen die Schwäche und Hilflosigkeit (imbecilitas) hin, aus der das oberste Gesetz durch vernünftige Betrachtung der menschlichen Natur zu folgern sei Dagegen lehrte I H O M A S I U S (1655 bis 1728), daß das natürliche Streben jedes Menschen darauf gerichtet sei, möglichst lange und glücklich zu leben. Bei der Begünstigung dieses Strebens würden sich drei Arten von Vernunftgeboten ergeben: a) honestum, das Ehrbare, andern zu tun, was sie sich antun sollen; b) decorum, das Wohlanständige, andern zu tun, was man von ihnen wünscht; c) iustum, das Gerechte, andern nicht zuzufügen, was sie einem nicht zufügen sollen. T H O M A S I U S nannte das erste die E t h i k , die auf das Innere wirke und das höchste Gut erschaffe; das zweite die P o l i t i k , als mittleres Gut, das Freunde verschaffe, aber für die Gesinnung gleichgültig sei; das dritte das N a t u r r e c h t , das geringste Gut, das aber das größte Übel abhalte, weil es die Feindschaft hindere. Damit war das Bemühen, den R e c h t s b e g r i f f deutlich zu erkennen und im besondern von der M o r a l abzuscheiden, bemerkenswert vorgerückt 8 .
6
SCHMAUSS
HINRICHS S. 3 3 f .
I
S.
AHRENS
S. 8 8 f.
226
S. 1 4 0 ff.
ff.
STAHL
S.
BLUNTSCHLI
I
WARNKÖNIG
S.
S.
VORLÄNDER
9 8 ff.
ZÖPFL
S.
ff.
119
1 7 5 ff. S.
17
F. ff.
4 5 ff.
ROSSBACH
STINTZING
FRANCK(N.
1)
S. 3G7 ff.
S.
§
3 5 2 ff.
III
S.
9.
ÜBERWEG
118.
GEYER LASSON III
§14.
I I §§5 ff. V A L . M E Y E R Thomas Hobbes. Darstellung und Kritik seiner philosophischen, staatsrechtlichen und kirchenpolitischen Lehren, 1884. T Ö N N I E S Hobbes, der Mann und der Denker (2) 1912. D E R S . Hobbes' Naturrecht, ArchRPhilos. 4, 395 ff. C A S S I R E R (§12, N. 10), S. 138 ff. — Louis Über den Individualismus be. Hobbes, Hall. Diss. 1891. — FEUERBACH Anti-Hobbes, 1798 (s. § 4S N . 6 u. § 144). VORLÄNDER
'
SCHMAUSS
ROSSBACH S.
3 4 ff.
S. 3 3 3 ff. S.
154 ff. 8
S. 120
AHRENS
256ff. ff.
I
III
S. 22.
S.
S.
WARNKÖNIG
HINRICHS I I
S . 1 0 1 ff.
BLUNTSCHLI
SCHMAUSS
HINRICHS ZÖPFL
§§
273
122ff.
S.
S.
W A R N KÖNIG
S.
S.
I
S.
7 1 ff.
50ff.
GROS
STAHL S. 11 ff,
LASSON
STAHL
STINTZING I I I
S. 1 ff.
STINTZING I I I
1 3 6 ff.
ff.
S.
183f. FRANCK
9 1 ff.
54
333
( § 9
S.
N.
182
ff.
ff. 1)
3)
§ 68.
f.
GEYER
FRANCS
CASSIRER
GEYER (N.
I
(§
ROSSBACH S.
37 f.
S.
3 4 4 ff.
N
12
N.
§§
187
AHRENS
1, 10)
ff. §18.
BLUNTSCHLI
ff. A H R E N S I S . 9 4 . — N I C O L A D O N I Chr. Thomasius. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, 1 8 8 8 . LANDSBERG Zur Biographio von Chr. Thomasius, Bonner Festschr. 1 8 9 4 . KRAHMER Ein Colleg bei Chr. Thomasius 1905. S. 2 1 5
§ 14.
Das N a t u r r e c h t .
31
Aber zur vollen Lösung fand T H O M A S I U S vorerst keinen Nachfolger 9 . Andererseits drängte der fehlende Erfolg, die menschliche Natur als allgemeine Größe zu bestimmen, die darauf verwandten Bestrebungen etwas zurück 10 , ließ sie freilich bis heute niemals ganz untergehen u . In der Tat ist das Suchen nach einer allgemeingültigen menschlichen Natur, als einer d a s G r u n d g e s e t z d e s m e n s c h l i c h e n W o l l e n s bestimmenden Größe, unvermeidlich zum Mißerfolge verurteilt 12. Wenn man diesen Gang der Gedanken einschlägt, so bleibt gegenüber der Mannigfaltigkeit in den Eigenschaften und Trieben, wodurch sich die Menschen in der Erfahrung zweifellos unterscheiden, als E i n h e i t nur der Mensch als N a t u r w e s e n übrig. Als solches kommt er zur Welt. Bei dem Beharren in dieser Betrachtung gelangt man daher immer nur zu einer Gleichmäßigkeit in k ö r p e r l i c h e n Funktionen, aber nie zu einem Richtmaße für die rechte Art der Z w e c k setzung.
Der einheitliche Blickpunkt für prinzipiell begründetes W o l l e n kann dem n a t ü r l i c h e n T r i e b l e b e n nicht entnommen werden. Denn nun handelt es sich um das Ordnen des I n h a l t e s natürlich entstehender Begehrungen. Das wüchse an sich wild und wirr durcheinander. Eine gewisse Allgemeinheit, die man dann vergleichsweise in dem wirklichen Vorkommen des menschlichen Strebens beobachten mag, wird immer mit Ausnahmen behaftet sein und so viele Möglichkeiten anderer gelegentlich übereinstimmender Züge neben sich belassen, daß es nicht angeht, jene als u n b e d i n g t h ö c h s t e s G e s e t z zu erklären. Auch die Eigenliebe tritt ja überall in verschiedener Weise und Stärke auf. Die e i n h e i t l i c h e A r t , menschliches Streben in seinem unendlich verschiedenem I n h a l t e übereinstimmend zu richten und danach die g r u n d s ä t z l i c h e B e r e c h t i g u n g eines besonderen Wollens darzutun, liegt eben gar nicht in seinem w i r k l i c h e n e i n z e l n e n A u f t r e t e n , auch wenn solches in bestimmter Lage bei bestimmten Menschen sich einmal in verhältnismäßiger Gleichheit wiederholen sollte. Diese e i n h e i t l i c h e A r t des Richtens kann nur als ein S o l l e n , im Sinne einer idealen Gesetzmäßigkeit, aufgestellt werden 13. * Über S.
296
ff.
das Naturrecht WARNKÖNIG
S.
nach 59—62.
Pufendorf
und
ROSSBACH
§§
Thomasius: 1 3 1 f.
SCHMAUSS
HINRICHS
III
Auch S T I N T Z I N G I I I S . 1 1 2 ff. 1 0 Eigenartig ist der Versuch des C H A R L E S F O U R I E R , auf einer Analyse der psychologischen Triebe des Menschen eine sozialistische Utopie zu gründen. Nachweise in Handw. d. Staatsw. s. v. Fourier (3) I V S. 441. Hervorzuheben L O R . S T E I N Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen F r a n k reich (2) 1848, S. 299 ff. 11 So S C H Ä F E R Die Unvereinbarkeit des sozialistischen Zukunftsstaates m i t der menschlichen N a t u r (2), 1890. Vgl. W R . § 32 Anm. 117 ff. 14 Über Gegner des N a t u r r e c h t s überhaupt s. H A Y M A N N Rousseaus Sozialphilosophie 1898, S. 343 ff., 351, 384 ff. — S T A H L I S. 111 ff. 1 3 S. § 80 bes. N. 8. — D E L V E C C H I O II concetto della n a t u r a e il prineipio del diritto, Turin 1908. Der Verf. n i m m t an, daß allerdings aus der S. 3 0 5 — 3 5 6 .
m
§ 15.
Das
Das Vernunftrecht.
§ 15. Vernunftrecht.
Es war ein Fortschritt für die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h zu ösende Aufgabe, daß seit dem Zeitalter der Aufklärung nach einem N a t u r r e c h t e gesucht wurde, das nicht sowohl aus der Natur d e s M e n s c h e n , als vielmehr aus der Natur d e s R e c h t e s zu begründen war. Denn nun wurde nach dem Sinne und der Bedeutung d e s R e c h t e s selbst gefragt, dessen Bestimmung und Endziel in das Auge gefaßt 1 . Der Begriff, wie die Idee des Rechtes erschien jetzt als Gebot der V e r n u n f t und hatte in seiner positiven Ausgestaltung dieser zu folgen Die ersten Ansätze dazu standen unter dem Banne des philosophischen Dogmatismus jener Zeit 3 . C H R I S T I A N W O L F (1679—1754) gab seine
persönlichen Einfälle als vernünftige Gedanken heraus. Er ging davon aus, daß jeder so handeln solle, daß die Vollkommenheit des Menschen und seines Zustandes befördert werde; das sei in natürlichen Pflichten gegen sich selbst, gegen den Nächsten und gegen Gott zu üben 4. Die Möglichkeit dieses Gedankens nach seinen notwendigen Bedingungen wurde von ihm kritisch nicht erwogen; und die Klärung des Rechtsbegriffes, im besonderen gegenüber der Moral, erfuhr dadurch keine Förderung. Die englische und französische Rechtstheorie jener Zeit nahm als e m p i r i s c h e n N a t u r des Menschen k e i n N a t u r r e c h t gefolgert werden könne, wohl a b e r a u s der intelligibeln N a t u r des Menschen ( § 5 0 N. 2). — S. a u c h NATORP H e r b a r t , Pestalozzi u n d die h e u t i g e n A u f g a b e n der Erziehungslehre 1906, S. 138 ( a u c h in s e i n e n Ges. Abhdlgen I (1907) S. 330). 1 L O T M A R V o m R e c l i t o , d a s m i t u n s g e b o r e n ist, V o r t r a g , 1 8 9 3 . D a r ü b e r STAMMLER A r c h S o z G c s G . 6 , 6 1 5 ff. H E R T Z V o m R e c h t e , d a s m i t u n s g e b o r e n i s t , Z R P h i l o s . 1, 95 ff. — R R . I I I 1 S. 93 ff. * FRIEDRICHS Klassische Philosophie u n a Wirtschaftswissenschaft. U n t e r s u c h u n g e n z u r G e s c h i c h t e d e s d e u t s c h e n G e i s t e s l e b e n s im 19. J a h r h , 1913. L E W K O W I T Z Die klassische Rechts- u n d Staatsphilosophie von M o n t e s q u i e u bis H e g e l 1914. S Y D O W D e r G e d a n k e des I d e a l r e i c h e s in der i d e a l i s t i s c h e n P h i l o s o p h i e v o n K a n t bis H e g e l 1914. S. r.uch § ¿0. Üb^r L E I B N I Z " R e c h t s p h i l o s o p h i e s. W A R N K Ö N I G S. 6 2 ff. ROSSBACH
§ 133.
HINRICHS
S. 23 ff. FRANCK
(§14
III N.
1)
S.
1 ff.
AHRENS
1
S.
S. 4 8 5 ff. BLUNTSCHLI
109 ff.
STINTZING
III
S. 1 6 5 ff. Ü B E R W E G
III
ff., .'jes. 14, N r . 4 . C A S S I R E R ( § 1 2 N. 1 0 ) S. 2 0 0 ff. — M O L L A T R e c h t s p h i l o s o p h i s c h e s a u s L e i b n i z e n s u n g e d r u c k t e n Schriften, 1 8 8 5 . HARTMAN N L e i b n i z als J u r i s t unti R e c h t s p h i l o s o p l i 1892. R U C K . Die Leibnizsche Staatsidee 1 9 0 9 . § 18.
VORLÄNDER
1
SCHMAUSS
RICHS I I I S. 1 9 8 ff.
II
§§
§35.
S. 3 5 7 ff. BLUNTSCHLI
12
WARNKÖNIG
STAHL-1
S.
5 . 2 4 8 ff.
S.
186 ff. LASSON
65 ff.
ROSSBACH
AHRENS I S. 9 4 f.
S.
114 ff.
ÜBERWEG
134 ff.
HIN-
STINTZING III
§ 30.
III
VOR-
LÄNDER I I §2CI. R S t . § 7 . — F R A N K Die Wölfische Strafrcchtsphilosophio u n d iitr V e r h ä l t n i s z u r k r i m i n a l p o l i t i s c h e n A u f k l ä r u n g i m 18. J a h r h . 1887. F I S C H L D e r E i n f l u ß d e r A u i k l ä r u n g s p h i l o s o p h i e auf die E n t w i c k l u n g des S t r a f r e c h t s 1913. — PlUR S t u d i e n z u r s p r a c h l . W ü r d i g u n g Chr. W o l f s , Hall. Diss. 1903.
15.
D a s Vernunftrechfc.
angeblichen Grundgedanken des Rechtes das G l ü c k der Rechtsangehörigen auf 3 . B E N T H A M (1748—1832) meint, daß der Begriff gut dann erfüllt sei, wenn eine Handlung zur persönlichen Glückseligkeit führe; danach müßte das Endziel des Rechtes der Nutzen aller oder doch wenigstens das größte Glück der größten Zahl sein. Schärfer durchdacht war die Lehre des R O U S S E A U (1712—1778). Nach ihm ist die rechtliche Ordnung im Sinne eines contrat social, das ist eines Gesellschaftsvertrages unter gleichberechtigten Teilhabern aufzufassen; und der Zweck dieser Gesellschaft sei die volonté générale, das ist ein Wille, der auf das Glück aller Menschen gerichtet sei \ Die k r i t i s c h e P h i l o s o p h i e K A N T S (1724—1804) räumte mit dem Dogmatismus auf 7. Die Kritik der reinen Vernunft (1781) erneuerte die Methode des S O K R A T E S (§ 10). Sie bestand auf der grundlegenden Aufgabe., daß man vor dem Aufstellen allgemeiner Lehrsätze deren s a c h l i c h e M ö g l i c h k e i t erst darlegen müßte, und daß es darum vor allem nötig sei, die n o t w e n d i g e n B e d i n g u n g e n des wissenschaftlichen Erkennens klar einzusehen, denen, als f o r m a 1 e n R i c h t l i n i e n des einheitlichen Ordnens, allein eine a l l g e m e i n g ü l t i g e Bedeutung und ein a b s o l u t e r Geltungswert zukommen könne 8 . Die Kritik der praktischen Vernunft (1788) vernichtete die Lehre 5
W A R N KÖNIG
§§
39 ff.
MOHL
3,
5 9 3 ff.
F.
VORLÄNDER
bes.
S.
522
ff.
S. 1 3 3 ff. — R S t . § 9 . — H E N T I G F o u c h é . E i n B e i t r a g zui T e c h n i k d e r p o l i t i s c h e n Polizei in n a c h r e v l u t i o n ä r e n P e r i o d e n 1919, S. 11 ff. LEVY Steuergerechtigkeit u n d englische Sozialphilosophie im 1 7 . u n d — 18. J a h r h . , Z R P h i l o s . 2, 142 ff.
AHRENS
6
I
W A R N KÖNIG
LÄNDER
S.
6 4 5 ff.
S. 9 0 ff.
CASSIRER
§§ 4 1 ff.
STAHL
AUKENS (§12
N.
i 10)
S.
I
S.
124 ff.
S. 2 2 5 ff.
2 9 9 ff.
GEYER
BLUNTSCHLI ÜBERWEG I I I
S. S. §29.
47 ff. 334
F.
ff.
VOR.
LASSON
VORLÄNDER
II
Die Rechtsphilosophie des R o u s s e a u 1 8 9 8 . Ü b e r d i e s e b e i d e n J U N G , Z e i t s c h r . f. f r a n z . S p r a c h e 2 1 1 9 8 ff. D E L VECCHIO SU la t e o r i a d e l c o n t r a t t o s o c i a l e , B o l o g n a 1 9 0 6 D a r ü b e r R E I C H E L , K a n t - S t u d i e n 1 5 , 2 9 6 . S T A M M L E R N o t i o n e t p o r t é e de l a volonté générale c h e z R o u s s e a u , R e v u e d e m é t a p h y s i q u e e t d e m o r a l e 1912 S. 3 8 3 f f . D E L V E C C H I O Ü b e r e i n i g e G r u n d g e d a n k e n d e r P o l i t i k R o u s s e a u s 1912. D a r ü b e r H A Y M A N N , Z R P h i l o s . 3, 85 ff. S A K M A N N J . J . R o u s s e a u , 1913. P E R E T I A T K O W I C Z R e c h t s p h i l o s o p h i e d e s R o u s s e a u 1916. NATORP R o u s s e a u s S o z i a l p h i l o s o p h i e , Z R P h i l o s . 2, 1 ff. R S t . § 10. — S. a u c h §§ 94 N . 2 ; 171 f. 7 I n t e r e s s a n t ist d i e B e o b a c h t u n g d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e u n t e r d e m E i n f l ü s s e K a n t s , aber vor dessen eigener Rechtslehre. H U G O § 2 6 . W A R N KÖNIG § 48. GEYER § 7. STINTZING III S. 5 1 1 ff. — D a z u bes. A B I C H I K r i t i s c h e Briefe über die Möglichkeit einer w a h r e n wissenschaftlichen Moral, Theologie, R e c h t s l e h r e 1 7 9 3 . F E U E R B A C H K r i t i k des n a t ü r l i c h e n R e c h t s 1796. (S. § 1 N . 2 . F L E I S C H M A N N A . V. F e u e r b a c h , D e r J u r i s t als Philosoph. DÖRING F e u e r b a c h s S t r a f t h e o r i e n u n d ihr V e r h ä l t n i s zur K a n t i s c h e n P h i l o s o p h i e , E r g . - H e f t d. K a n t s t . N r . 3 , 1 9 0 7 . ) M E L L I N G r u n d l e g u n g z u r M e t a p h y s i k d e r R e c h t e 1 7 9 6 . F I C H T E (N. 1 3 ) G r u n d l a g e d e s N a t u r r e c h t s n a c h P r i n z i p i e n d e r W i s s e n s c h a f t s l e h r e 1796. 8 D i e G r u n d g e d a n k e n d e s k r i t i s c h e n I d e a l i s m u s s i n d ir. d e n drei H a u p t w e r k e n K A N T S niedergelegt: K r i t i k der reinen V e r n u n f t § 26.
—
HAYMANN
S t a m m l e r ,
(§
14
N.
Rechtsphilosophie.
12).
LIEPMANN
3
34
§ IC.
D a s Vernunftrecht
des Eudämonismus, die den fatalen Widerspruch enthält, daß em n u i s u b j e k t i v gültiges Lustbegehren o b j e k t i v richtig sei". Aber K A N T hat in seiner Rechtslehre die kritische Methode selbst nicht voll durchgeführt. Er blieb bei dem Fehler aller Anhänger des natürlichen Rechtes stehen, daß der B e g r i f f und die I d e e des Rechtes zusammengelegt wurden. Der R e c h t s b e g r i f f aber bedeutet eine bestimmte Art des menschlichen Wollens, die sich von anderen Arten des Wollens nach festen Merkmalen unterscheidet, so daß diese k a t e g o r i a 1 e Einteilung jedesmal, so oft ein rechtliches Wollen auftritt, r e s t l o s e r f ü l l t i s t . Dagegen besagt die R e c h t s i d e e die Aufgabe, in der Allheit der also begrifflich bestimmten Willensinhalte nach unbedingter Harmonie zu streben: ein i d e a l e r Gedanke, der sich n i e m a l s v o l l e n d e t v e r w i r k l i c h e n l ä ß t 1 0 . Durch die Yermengung der beiden Fragen, deren Trennung gerade durch das Befolgen der k r i t i s c h e n M e t h o d e geboten war, kam keine von ihnen zu ihrem Rechte. Und es führte das zu dem weiteren unhaltbaren Unternehmen, ein angeblich vernunftgemäßes Rechtsbuch mit fest gefügten Institutionen und Paragraphen zu entwerfen und den unmöglichen Versuch stets auf das Neue zu wiederholen: ein Idealrecht auszuarbeiten, dessen b e d i n g t e Satzungen von' u n b e d i n g t e r Gültigkeit sein sollten (§ 4) u . Die rechtsphilosophischen Nachfolger K A N T S gingen gleichfalls 1781, (2) 1787. K r i t i k der praktischen Vernunft 1788. K r i t i k der Urteils k r a f t 1790. Zur E i n f ü h r u n g in die Philosophie K a n t s ist immer ein S t u d i u m seiner P r o l a g o m e n a zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissens c h a f t wird auftreten können (1783) anzuempfehlen; bes. zu beachten dort §§ 36—38 (s. a u c h § 98 N . 1). HUGO schrieb in seinem zivilistischen K u r s u s als 5. B d . eine philosophische E n z y k l o p ä d i e f ü r J u r i s t e n , die eine vortreffliche D a r s t e l l u n g der K a n t i s c h e n Lehre gab. H e u t e k a n n der Anfänger namentlich hingewiesen werden auf STANGE Der Gedankengang der K r i t i k der reinen Vernunft. E i n L e i t f a d e n für die Lektüre. (3) 1907. STADLER K a n t s Teleologie 1874 S. 1 — 2 0 ; DERS. die G r u n d s ä t z e der reinen Erkenntnistheorie in der K a n t i s c h e n Philosophie 1876. — F ü r die R e c h t s philosophie k o m m t unmittelbar in B e t r a c h t : KANT Metaphysik der Sitten. E r s t e r Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 1797, (2) 1798 (N. 11). 9 S. hierüber § 93 Nr. 1; auch §§ 96; 149; 171. 1 0 S. § 82: Begriff und Idee. 11 KANT schrieb 1785 eine Grundlegung zur Metaphysik dei Sitten, worin der so berühmt gewordene A u s d r u c k v o m kategorischen Imperativ auftritt. Die R e c h t s l e h r e behandelte er s y s t e m a t i s c h aber erst in dem B u c h e Metaphysik der Sitten. E r s t e r Teil, 1797, (2) 1798 (N. 8). Kleinere Schriften KANTS, die für die Rechtsphilosophie von Interesse sind, werden in der D a r s t e l l u n g dieses Lehrbuches geeigneten Ortes bemerkt werden. Die L i t e r a t u r über die K a n t i s c h e Rechtslehre läßt noch manches o f f e n . H U G O § 2 7 . WARNKÖNIG S . 1 2 7 f f . ROSSBACH S. 157 ff. STAHL I S . 1 9 3 f f . G E Y E R S . 4 9 f f . A H R E N S S . 1 3 6 f f . ZÖPFL S . 2 2 f f . STINTZING I I I S. 503 ff. BLUNTSCHU S . 3 7 2 f f . LASSON S . 9 7 f f . C A S S I R E R (§ 1 2 N . 1 0 ) S . 2 6 4 f f . Ü B E R W E G I I I § 3 9 . VORLÄNDER I I § 4 1 . R S t . § 1 0 —
15. Das Vernunftrecht.
35
nach den beiden, eben gekennzeichneten Richtungen weiter vor 12 . Zu bemerken ist FICHTE (1762—1814) mit seinem utopischen Entwürfe vom geschlossenen Handelsstaat (1800) U . Des weiteren sind hervorzuheben SCHELLENG (1775—1854) U , FRIES (1773—1843) KRAUSE (1781—1832) 18, SCHLEIERMACHER (1768 bis 1834) HERBART (1776—1841) 18, SCHOPENHAUER (1788—1860) Von besonderem Einflüsse war HEGEL (1770—1831), der in seiner Rechtsphilosophie ebenfalls ein Lehrbuch fester rechtlicher Einrichtungen als Kritik der reinen rechtlich-gesetzgebenden Vernunft oder K a n t s Rechtsphilosophie 1 8 9 6 . BARGMANN Der Formalismus in K a n t s Rechtsphilosophie, Leipz. Diss. 1 9 0 2 . WILBRANDT K a n t und der Zweck des Staates, SchmollersJ. 2 8 , 9 0 3 ff. K A L I S C H E R K a n t s Staatsphilosophie 1 9 0 4 . M E T Z G E R Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre K a n t s und Fichtes 1 9 1 2 . B A U C H Das Rechtsproblem in der Kantischen Philosophie, ZRPhilos. 3 , 1 ff. — S E E G E R Die Strafrechtstheorie K a n t s u n d seiner Nachfolger im Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen der kritischen Philosophie, in Festg. f. Berner 1892. ELEUTHEROPULOS
12
W A R N KÖNIG
S.
134,
137 ff.
ROSSBACH
S.
184 ff.
GEYER
S.
60 ff.
L'idée du droit en Allemagne depuis K a n t jusqu'à nos jours, Paris 1 C 9 3 . Dazu F R A N K in ZStW. 2 0 , 3 6 2 ff.
AGUILERA 13
HUGO
STAHL
I
§
S.
S. 395 ff.
28.
WARNKÖNIG
220 ff.
GEYER
LASSON
S.
S.
100 ff.
S.
135
55 ff.
ff.
AHRENS
ÜBERWEG
IV
ROSSBACH I
§3.
S.
S.
150 ff.
172—184. BLUNTSCHLI
VORLÄNDER I I
§ 48.
—
Fichte als Sozialpolitiker, Hall. Diss., 1 8 9 4 . M E S S E R Fichte und Machiavelli, Kant-Stud. 2 4 , 1 1 6 ff. P E T R O N E Lo stato mercantile chiuso di Fichte, Neapel 1 9 0 4 ; dazu D E L V E C C H I O , Rivista Ital. di sociol. Roma 1 9 0 5 . STAMMLER Sozialismus u n d Christentum 1 9 2 0 , S . 4 7 ff. SCHNEIDER
14
W A R N KÖNIG
GEYER
S. 66 ff.
S.
1 4 8 f.
AHRENS I
ROSSBACH S.
180 ff.
S.
227.
BLUNTSCHLI
STAHL
I
S.
S. 597 ff.
377 ff.
ÜBERWEG
I V , § 4 . V O R L Ä N D E R § § 5 0 ff. Vgl. L O E N I N G ( § 1 6 , N . 3 a. E . ) . — An Schelling schloß sich B A A D E R an. Darüber R E I C H E L Die Sozietätsphilosophie Baaders, ZStaatsW. 57, 193 ff. 15 Über F R I E S S. unten ¿ 2 0 N . 1 . — Ü B E R W E G I V § 12. VORLÄNDER 18
II
§ 45
GEYER
S.
^r.
5,
80 ff.
S.
267 ff.
ÜBERWEG
IV
§ 8.
VORLÄNDER
II
§ 52,
Nr.
8.
y C A L D E R Ó N Resumen de filosofia del derecho, Madrid 1898; D I E S . Zur Vorschule des Rechts. Kurz gefaßte Grundsätze des Naturrechts, übers, v. Röder, hrsg. v. Hohlfeld u n d Wünsche 1907. — K R A U S E Grundlagen dès Naturrechts, 2. Abt. Aus d. handschr. Nachlaß d. Verf. hrsg. v. Mollat 1890. GINER
17
STAHL
I
S.
521 ff.
GEYER
S.
85 ff.
VORLÄNDER
II
§
56.
S. 1 0 9 ff., der die Lehre H e r b a r t s geradezu als das System der Rechtsphilosophie vorträgt. Ü B E R W E G IV §§ 1 3 , 2 0 . V O R L Ä N D E R II § 5 8 . F L Ü G E L Das Ich und die sittlichen Ideen im Leben der Völker ( 3 ) 1 8 9 6 ; DERS. Die Probleme der Philosophie ( 2 ) 1 8 8 8 . — Z I L L E R Allgemeine philosophische Ethik 1 8 8 0 — V g l . N A T O R P ( § 1 4 N . 1 3 ) . — Ü b e r B E N E K E 18
s.
GEYER
ÜBERWEG
I V
§ 15.
VORLÄNDER
II
§
59.
§ 61. DAMM Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie, Hall. Diss. 1 9 0 0 . B O V E N S I E P E N Die Rechtsu n d Staatsphilosophie Schopenhauers, ZStaatsW. 7 1 , 1 8 5 ff. V. D . P F O R D T E N Staat und R e c h t bei Schopenhauer 1 9 1 6 . — H O L S T E I N Die Staatsphilosophie Richard Wagners, ArchRPhilos. 9, 398 ff. 18
ÜBERWEG
IV,
§
11.
VORLÄNDER I I ,
3*
§ 16.
36
Die historische Rechtsschule.
u n b e d i n g t anzunehmenden Entwurf darbot: über Eigentum, Vertrag, U n r e c h t ; einen Abschnitt über Mor alitât, der vor allem die Schuldlehre a u f n a h m ; eine Erörterung über Familie, Gesellschaft, S t a a t 8 0 . N o c h ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen, daß von katholischer Seite i m 19. Jahrhundert die Rechtsphilosophie bemerkenswert gepflegt wurde. Sie g i n g zumeist v o n der Grundlage der Scholastik a m ( § 1 2 ) , versäumte aber nicht, die Betrachtungen d e s Naturrechtes (§14) u n d d e s Vernunftrechtes (§ 15) systematisch einzuarbeiten 2 1 .
§ 16. Die
historische
Rechtsschule.
D i e allgemeine R i c h t u n g der R o m a n t i k , die sich vor mehr als hundert Jahren, namentlich in Deutschland, verbreitete, ergriff auch die Betrach20 W A R N KÖNIG S . 1 5 0 f f . ROSSBACH S . 2 3 2 f f . STAHL I S . 4 1 4 f f . GEYER S . 7 0 f f . A H R E N S I S . 1 8 3 f f . ZÖPFL S . 2 5 f . LASSON S . 1 0 3 f f . Ü B E R W E G I V § 7. VORLÄNDER I I § 5 5 . GIELLE L a d o t t r i n a d e l l o s t a t o
di H e g e l , P a v i a 1880. MAYER-MOREAU H e g e l s Sozialphilosophie 1910. ROSENZWEIG Hegel u n d der S t a a t 1920. BÜLOW Die E n t w i c k l u n g der H e g e i s c h e n Sozialphilosophie 1920. R S t . § 15 I I . — SYDOW, Die Bedeutung d e s Volkes im S y s t e m Hegels, ZRPhilos. 1 , 1 8 8 ff. — EBBINGHAUS, Relativer u n d a b s o l u t e r I d e a l i s m u s . H i s t o r i s c h - s y s t e m a t i s c h e U n t e r s u c h u n g über d e n W e g v o n K a n t zu Hegel, 1910. DERS. B e n e d e t t o Croces Hegel, K a n t - S t u d i e n 16, 54 ff. HAMMACHER Die B e d e u t u n g der Philosophie Hegels f ü r die G e g e n w a r t 1911. SCHOLZ Die B e d e u t u n g der Hegeischen Philosophie f ü r d a s philosophische D e n k e n der G e g e n w a r t , Philos. Vortr. d. K a n t - G e s . N r . 26, 1921. — I n d e n F o r m e n der H e g e i s c h e n Philosophie geht vor ZENTHÖFER D a s s u b j e k t i v e R e c h t n a c h allgemeinen Grunds ä t z e n u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der b e s t e h e n d e n Gesetze u n d des Entwurfes eines B G B . 1891. 21
DE MAISTRE
Du pape,
3 B d e . , 1817.
TROXLER
Rechtslehre
der
N a t u r u n d des Gesetzes m i t R ü c k s i c h t auf die I r r l e h r e n der Liberalität u n d Legitimität
1820.
ROSSBACH
S.
300 ff.
TH. MEYER D i e G r u n d s ä t z e
der
S i t t l i c h k e i t u n d des R e c h t s . Nacli M a ß g a b e der i m Syllabus § V I I verz e i c h n e t e n I r r t ü m e r 1868. HERTLING Z u r B e a n t w o r t u n g der Göttinger Jubil. - Rede 1887. DERS. Naturrecht und Sozialpolitik 1893. DERS. Uber Ziel u n d Methode der Rechtsphilosophie, Philos.J a h r b . 1895, S. 117 ff. PESCH Liberalismus, Sozialismus u n d christliche G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g , 3 Bde., 1898 ff. HARING Der Rechts- u n d Gesetzesbegriff in der k a t h o l i s c h e n K i r c h e 1899. SCHERER Sittlichkeit u n d R e c h t , N a t u r r e c h t u n d richtiges R e c h t , Philos. J a h r b . 1905 S. 1 ff. AUG. MÜLLER Die s t a a t l i c h e n Gesetze in ihrer Beziehung zur sittlichen W e l t o r d n u n g . A u s d. F e s t s c h r . z u m B i s c h o f s j u b i l ä u m , 1906. HERTLING R e c h t , S t a a t u n d G e s e l l s c h a f t , 1906. CATHREIN Moralphilosophie. E i n e wissenschaftliche D a r l e g u n g der sittlichen, einschließlich der rechtlieher Ordn u n g (5), 1911. DERS. R e c h t , N a t u r r e c h t u n d p o s i t i v e s R e c h t (§ 4 >T. 5). MAUSBACH Die k a t h o l i s c h e Moral u n d ihre Gegner (4) 1918. DE RS. N a t u r r e c h t u n d V ö l k e r r e c h t 1918. HOHENLOHE, OSB., Die natürlichen R e c h t s g r u n d s ä t z e i m L i c h t e der ehr istlichen W a h r h e i t e n , Vortrag, A r c h R P h i los. 11, Die i m T e x t e n u n folgenden F o r m u l i e r u n g e n dor G r u n d s ä t z e eines r i c h t i g e n R e c h t e s sind Beschreibungen der bedingend e n R i c h t u n g e n , in d e n e n sich d e r eine einige G e d a n k e n r e i n e r Gem e i n s c h a f t b e d e u t s a m zeigen k a n n . E s k a n n möglich sein, diese form a l e n G e d a n k e n g ä n g e , d i e m a n b e i d e r B e w ä h r u n g d e s s o z i a l e n I d e a l e s (§ 92) u n v e r m e i d l i c h e i n s c h l ä g t , im Ausdruck etwas anders z u b e s c h r e i b e n , — a b e r s a c h l i c h w i r d es i m m e r auf d a s s e l b e h i n a u s k o m m e n : auf d a s Verneinen des einseitig subjektivistischen Begehrens als Gesetz. Man m a c h e sich klar, d a ß die A u f g a b e eben d a r i n b e s t e h t : eine B e Schreibung dieser f o r m a l e n ( = logisch bedingenden) W e i s e n des N a c h d e n k e n s zu geben, in deren e i n h e i t l i c h e m E i n s e t z e n d e r Begriff d e r Gerechtigkeit (§ 92 a . E . ) s i c h b e w ä h r t . S. § 83 N . 2. D a r a n s c h l i e ß t sich e r s t d i e w e i t e r e A u f g a b e : u n s e r e G r u n d s ä t z e , a l s B e d i n g u n g e n des einheitlichen Richtens, i n n e r h a . b d e s s t o f f l i c h b e d i n g t e n I n h a l t e s rechtlicher Erörterungen und Streitigkeiten w i e d e r z u e r kennen. D a n n sieht der kritisch g e s c h ä r f t e Blick, wie die eine der eina n d e r widerstreitenden B e g e h r u n g e n als h ö c h s t e s Gesetz den Subj e k t i v i s m u s hegt, w ä h r e n d d a s andere, ihr entgegengesetzte Verlangen in der Richtlinie der G e s e t z m ä ß i g k e i t f ü r den I n h a l t eines v e r b i n d e n d e n Wollens sich bewegt, — g e f ü h r t von den o r d n e n d e n Prinzip i e n , d i e in i h r e r r e i n e n F o r m in W a h r h e i t Grundsätze zu heißen verdienen. — W i e a l s d a n n ein so g e a r t e t e s e m p i r i s c h e s B e g e h r e n , das von den G r u n d s ä t z e n der Richtigkeit eines R e c h t e s beding e n d g e l e i t e t w i r d (§ 80 z u N . 5 f.), d e n O b e r s a t z d e s U r -
§ 95.
Die Grundsätze eines richtigen Rechtes.
209
Hieraus ergeben sich nachstehende Richtlinien des Nachdenkens, welche d i e G r u n d s ä t z e eines richtigen Rechts heißen können: 1. Grundsätze des Achtens. a) Es darf nicht der Inhalt eines Wollens der Willkür eines andern anheimfallen. b) Jede rechtliche Anforderung darf nur in dem Sinne geschehen, d a ß der Verpflichtete sich noch der Nächste sein kann. 2. Grundsätze des Teilnehmens. a) Es darf nicht ein rechtlich Verbundener nach Willkür von der Gemeinschaft ausgeschlossen sein. b) Jede rechtlich verliehene Verfügungsmacht darf nur in dem Sinne ausschließend Sein, d a ß der Ausgeschlossene sich noch der Nächste sein kann 8 . Gegen den ersten grundsätzlichen Gedanken verstößt ein Begehren, welches ein fremdes Bestreben einseitig zu seinem Mittel nimmt, ohne den Gedanken des v e r b i n d e n d e n Wollens in unbedingt r e i n e r Art zu führen und n a c h i h m die eigenen Zwecke als Mittel des ihm Verbundenen einzusetzen; — gegen die zweite Art vergeht sich, wer die Grenzen der fraglichen V e r b i n d u n g in b l o ß s u b j e k t i v e r Weise stecken möchte 4 . Bei jeder der beiden Wendungen, in denen die I d e e d e s R e c h t e s richtend auftritt, kann sie entweder die V o r a u s s e t z u n g e n eines besonderen Rechtsverhältnisses und rechtlichen Forderns ergreifen, oder die F o l g e n einer zweifellos bestehenden Rechtsbeziehung in Frage stellen. Das nähere Eingreifen dieser r e i n e n G r u n d s ä t z e ist in der Lehre von der Bewährung des Rechtes, sowohl in der Rechtsprechung, wie in der Politik, darzulegen (s. bes. §§151 ff.; ff.). Schon jetzt ist hier zu betonen, d a ß jene Prinzipien n i c h t K e c h t s s ä t z e sind, unter die ein streitiges Wollen einzuordnen wäre. Für das letztere kommen immer n u r b e d i n g t e R e c h t s s ä t z e in B e t r a c h t 5 . Die Aufgabe besteht darin, unter verschiedenen bedingten Rechtssätzen, die sich als maßgeblich darbieten und im geschichtlichen Laufe der Dinge auftreten, den richtigen a u s z u w ä h l e n . Die Grundsätze teils in dem dortigen bedingten Drängen und Kämpfen abzugeben hat, ist in der Lehre von der P r a x i s d e s r i c h t i g e n R e c h t e s zu zeigen. S. unten N. 6 und in weiterer Ausführung § 141. 3 Einstweilige Beispiele zur Übung des Wiedererkennens der Grundsätze eines richtigen Rechtes in besonderen gesetzlichen Aufstellungen (die Grundsätze nach der im Texte angegebenen Reihenfolge mit Ziffern und Buchstaben bezeichnet): 1. a) BGB. 138; 826. 1. b) BGB. 242; ZPO. 721. 2. a) H G ß . 74; ReichsG. v. 10. 6. 14. D. XVII 2, 29, 2. 2. b) BGB. 904; 1020. 1 RR. S. 204 ff. — KAUFMANN Das Wesen des Völkerrechts (§ 138 N . 2 ) 'S. 2 0 6 f f . 6
GOKPEL
(§ 8 1 N . 2 ) S . 17 f .
S. § 141: Der unmittelbare juristische Sohluß. — Auch § 152 N. 5. Stammler, Rechtsphilosophie. 14
210
§ 96.
Rechtsidee und bedingte Maßstäbe.
eines richtigen Rechtes haben mithin nur die Bedeutung m e t h o d idischer D e n k r i c h t u n g e n , die einem bei der Vornahme d i e s e r W a h l helfen sollen 6 . Rechtsidee
§ 96. und b e d i n g t e
Maßstäbe.
Das letzte Ziel des R e c h t e s ist die G e r e c h t i g k e i t . Eine juristische Entscheidung ist nur dann g r u n d s ä t z l i c h richtig, wenn sie von der I d e e d e s R e c h t e s geleitet i s t 1 . Statt dessen finden sich zuweilen Wendungen, wie die: daß Bedürfnisse des Lebens den Ausschlag zu geben haben, oder: daß ein gesunder Blick für die Anforderungen des Verkehrs nötig sei, oder: daß auf wirtschaftliche Anschauungen Rücksicht genommen werden müsse, u. a. m. — Das sind zunächst bloße Schlagworte. Das Leben usw. hat weder einen Standpunkt noch Meinungen oder Wünsche. Es fragt sich also, was sich hinter jenen a n s i c h u n d e u t l i c h e n Angaben verbirgt. Da zeigt sich, daß sie die Vorstellung von einem b e s o n d e r e n und b e g r e n z t e n Wollen bezeichnen, das unter b e d i n g t e n Einzelh e i t e n auftaucht und in solchen untergeht. Ob ein solches einzelnes Bedürfnis oder Anfordern b e s t i m m t e r M e n s c h e n nun aber i n n e r l i c h b e g r ü n d e t ist, will immer wieder k r i t i s c h e r w o g e n sein und führt dann notwendig auf das s o z i a l e Ideal als Maßstab zurück 2 . Bei der Auskunft, daß die R i c h t i g k e i t eines Rechtes nach Beiner Zweckmäßigkeit zu bestimmen sei, ist n i c h t folgerichtig a u s g e d a c h t . Denn jenes besagt ja nur, daß ein besonderes rechtliches Wollen ein taugliches Mittel z u e i n e m begrenzten Z w e c k e sei. Ob es dann g r u n d s ä t z l i c h gerechtfertigt ist, hängt nun notwendig von der gleichen Frage für das angestrebte 6 Die Grundsätze der Richtigkeit eines R e c h t e s sind f o r m a l e Richtl i n i e n d e r G e d a n k e n , aber keine Verfassungsartikel, wie die sog. Grundrechte. Die letzteren gehören zum positiven R e c h t e (§ 49). JELLINEK Die E r k l ä r u n g der Menschen- und Bürgerrechte (3) 1919. Neue Reiclis-Verf. A r t . 109 ff. D a s Gleiche gilt von den völkerrechtlichen Grundrechten. LLSZT Völkerrecht (6) 1910 § 19 I I . 1 Die Begriffsbestimmung s. in § 92 a. E . Man halte fest, d a ß Gerechtigkeit die E i g e n s c h a f t eines r e c h t l i c h e n Wollens ist, die darin besteht, daß es nach der I d e e r e i n e r G e m e i n s c h a f t gerichtet ist. 2 Zur Erkenntnis dieser W a h r h e i t kann die Beschäftigung m i t MANDEVILLE The fable of the bees 1705 dienen. Der grundlegende Fehler dieser drastischen Schilderung, der nicht auf den ersten Blick zu entdecken ist, liegt in einem doppelten. Sie n i m m t als höchstes Gesetz des Gemeinwesens das Sammeln von R e i c h t u m und einer d a r a u f gegründeten M a c h t a n ; und setzt dazu den zweiten I r r t u m , daß sie als Gegensatz zu ihrem bedingten Maßstab die A s k e s e der Einzelnen a n n i m m t . STAMMLER Mandevilles Bienenfabel. Die letzten Gründe einer wissenschaftlich geleiteten Politik 1917, m i t L i t e r a t u r S. 8. BOBERTAG Mandevilles Bienenfabel 1914/19.
§ 96.
Rechtsidee und bedingte Maßstäbe.
211
b e s o n d e r e Ziel ab. Ein fester Halt wird aber erst bei dem bewußten Einsetzen einer u n b e d i n g t e i n h e i t l i c h e n M e t h o d e des Ordnens erreicht. Das gleiche gilt von der Bezugnahme auf -praktische Brauchbarkeit. Auch damit werden n u r b e d i n g t e Z i e l e als maßgeblich eingeführt: eine e n d g ü l t i g e n t s c h e i d e n d e R i c h t l i n i e ist mit jenem Hinweise nicht angegeben 3 . Es ist eine in sich verkehrte Grundauffassung, die die Frage stellt: ob man mit der Einsicht in die grundlegenden Bedingungen der Richtigkeit nun auch etwas anfangen könne ? D a s E i n z e l n e i s t in seinem Werte nach dem Ganzen abzuschätzen, nicht aber h ä n g t u m g e k e h r t die B e d e u t u n g der kritischen Aufklärung über die grundlegende E i n h e i t von i h r e m N u t z e n f ü r E i n z e l h e i t e n ab. Wer eine besondere Bestrebung, etwa die Rechtfertigung gewisser gesetzgeberischer Vorschläge, als festen Punkt nimmt und die Einsicht in die Bedingungen der Richtigkeit eines Wollens nur als dienendes Mittel für jene erachtet, müßte ja das begrenzte Wollen, das er voranstellt, auf Anfordern als richtig b e g r ü n d e n können, also die formale Möglichkeit dieses Begriffes und Beweises wieder notwendig voraussetzen 4 . Wie kommt es nun, daß sich so häufig der eigentlich leicht einzusehende Fehler zeigt: daß d i e e i n z e l n e A n w e n d u n g der Wissenschaft für wichtiger, als d i e W i s s e n s c h a f t selbst gehalten wird, und so d a s B e s t i m m b a r e als der Prüfstein für d a s n o t w e n d i g B e s t i m m e n d e erscheint? E s erklärt sich daraus, daß alsdann der E u d ä m o n i s m u s als Prinzip v e r s t e c k t z u g r u n d e l i e g t . Es ist die u n b e w u ß t angenommene Grundauffassung, daß d a s o b e r s t e G e s e t z des menschlichen Wollens d a s V e r s c h a f f e n v o n Lustgefühlen, d i e A b w e h r v o n U n l u s t sei' 5 . In Wahrheit ist das H ö c h s t e , was der Mensch erreichen kann, die O b j e k t i v i e r u n g s e i n e r G e d a n k e n w e l t . Es gilt, all sein Bewußtsein r i c h t i g zu gestalten. Die Aufklärung über die notwendigen Bedingungen, unter denen das überhaupt erst möglich ist, trägt sonach ihren Sinn und Wert in sich selbst; und der Zweifel, wozu man solche aufklärende Arbeit brauchen könne, schwindet dann völlig in sich zusammen.
Über die praktische Brauchbarkeit eines rechtlichen Wollens s. § 149. SCHILLER Arcliimedes und der Schüler. 6 HUBER Die Rechtsanschauungen in Jeremias Gotthelf's Erzählung Geld und Geist, S.-A. a. d. pol. Jahrb. d. Schweiz. Eidgen. 1913. — § 93 N r . l . 3
*
14*
§ 97.
212
Der Subjektivismus.
Vierter
Abschnitt.
Der Einzelne und die Gemeinschaft. I. Der Einzelne. Der
§97. Subjektivismus.
Alles grundsätzliche Nachdenken geht schließlich auf die Frage nach dem Sinne des Lebens zurück. Welches ist die Bestimmung des Menschen, worin liegt der Endzweck seines Daseins? Die Erörterungen hierüber lassen sich in die zwei gegensätzlichen Arten teilen: in S u b j e k t i v i s m u s und in O b j e k t i v i t ä t . Jener nimmt als das Maß aller Dinge das einzelne Individuum in seiner bedingten Eigenart und zufälligen Beschaffenheit, die zweite Richtung unterwirft das Denken und Wollen unbedingt feststehenden Weisen des Ordnens. Der S u b j e k t i v i s m u s tritt wiederum in doppelter Gestalt auf: entweder sieht jemand die Möglichkeit eines o b j e k t i v r i c h t i g e n Erkennens und Strebens ein, allein er verwirft dieses und will n u r s u b j e k t i v g ü l t i g e Ziele als letzte Gesetze annehmen, — oder aber er möchte gerne o b j e k t i v r i c h t i g e Ergebnisse haben, sieht jedoch ihre Möglichkeit nicht ein und bleibt darum bei der Behauptung b l o ß s u b j e k t i v g ü l t i g e r Urteile, sei es im ganzen oder in begrenztem Umfange, stehen. 1. B e w u ß t e Verwerfung des Strebens nach objektiver Richtigkeit1. Diese Lebensauffassung ist in sich sinnlos und führt in das Lächerliche. Wenn das jeweilige Ich in seinem augenblicklichen Begehren die höchste Instanz für menschliches Tun und Treiben abgeben soll, so wäre die unerläßliche Folge für jeden Anhänger dieser Lehre eine impositio silentii. Zu niemandem könnte er sagen: Du hast dich geirrt, du hast unrecht, — denn er würde damit ja die Möglichkeit eines Urteils behaupten, das von dem persönlichen Meinen und Drängen unabhängig wäre und über diesem stände. So kann schon im praktischen Ergebnisse es keinem mit der Ablehnung gegenständlich geltender Überlegung ernst sein. Aber schärfer als das: Wenn jemand diese Ablehnung durchführen wollte, so würde er in einem unlöslichen inneren Widerspruch befangen sein. Es käme die radikal zweifelnde Behauptung versteckt doch darauf hinaus, daß das ausschließliche Zurückgehen auf die n u r p e r s ö n l i c h gültigen Begehrungen d a s e i n z i g R i c h t i g e sei. Während er 1 Dahin geht S T I R N E R Der Einzige und sein Eigentum 1845 (neu hrsg. bei Reclam). S. dazu W R . § 66 S. 358 ff. — In diesem Buche § 103.
§ 97.
Der Subjektivismus.
213
vorgibt, das Streben nach o b j e k t i v richtigem Ergebnisse ü b e r h a u p t zu verwerfen, stellt er zugleich die Forderung auf, daß man in einer b e s t i m m t e n Hinsicht e i n e m s o l c h e n Streb e n zu folgen habe 2. 2. Z w e i f e l a n d e r M ö g l i c h k e i t o b j e k t i v e r R i c h tigkeit. Dieser grundsätzliche S k e p t i z i s m u s kann sich auf alle Gebiete des menschlichen Geisteslebens erstrecken. Auch für die Erwägung des R e c h t e s und der G e r e c h t i g k e i t hat er sich eingestellt. Hier findet er sich in zweierlei Gestalt: a) E r zweifelt daran, daß man den Begriff und die Idee des Rechtes a l l g e m e i n g ü l t i g feststellen und danach o b j e k t i v g ü l t i g e Urteile fällen könne. Aber w i e will er d i e Unmöglichkeit jener Feststellung a priori beweisen? Wenn er sie selbst in voller Allgemeinheit behaupten wollte, so müßte er den allgemeingültigen Satz aufstellen, daß man überhaupt keinen allgemeingültigen Satz aufstellen könnte, — sich also in einem regelrechten Zirkel bewegen. Sofern er seine Leugnung aber auf die r e c h t l i c h e Erörterung beschränkt, so kann er sogar durch die Tat widerlegt werden: durch das Aufzeigen der Möglichkeit, eine kritisch begründete Theorie der Rechtswissenschaft zu haben. 8 b) Neuere Zweifler wollen einen Unterschied zwischen Tatsachen des sozialen Lebens und zwischen Werturteilen machen. Nur über jene sei eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Erörterung möglich. Außerdem bliebe es jedem Staatsbürger überlassen, sich über die Tauglichkeit von besonderen Mitteln zu einzelnen, begrenzten Zwecken zu vergewissern; über weitere Wertungen gebe es keine w i s s e n s c h a f t l i c h e Entscheidung *. A SCHILLER Der philosophische Egoist, Ged. d. 3 Per. — Freilich wird die O b j e k t i v i t ä t im Gegensätze zum E g o i s m u s nicht gut mit Altruismus ausgedrückt. GUSTI Egoismus und Altruismus. Zur soziolo« gischen Motivation des praktischen WoJlens, Leipzig. Diss. 1903. Handw. d. Staatsw. (3) 1, 428 ff.; 7, 436 ff. 3 Dieser Skeptizismus geht in das griechische Altertum zurück. S. oben § 10 zu N. 4 f. u. N. 23. STÄUDLIN Geschichte und Geist des Skeptizismus vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion, 2 Bde. 1794. K R E I B I G Geschichte und Kritik des ethischen Skeptizismus 1896. Hierher gehört die berühmte Darlegung von K A N T in der Vorrede zur Kr. d. rein. V. 1. Aufl. (§ 98 N. 1). Von mittelbarem Interesse für die Fragen des Textes ist G. E . S C H U L Z E Aenesidemus 1792, Neudruck 1911. — In abgeschwächter Weise zeigt sich der grundsätzliche Skeptizismus im modernen Empirismus. S. § 18 N. 1. Novellistisch: F R E S K A Phosphor 1913. — Über Relativismus 8. § 18 N. 16. * Bes. vertreten von M. W E B E R Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, ArchSozW. 19, bes. S. 23 ff.; Verh. d. Vereins f. Soz. Pol. 1909 S. 582; 603; ArchSozW. 24, 94 ff. Dazu W R . Anm. 232 G O E P E L (§ 81 N. 2) S. 23. — G L E R K E Die soziale Aufgabe des Privatrechts 1889. — Oben § 56 Nr . 5.
214
§ 97.
Der Subjektivismus.
Diese Aufstellung scheitert vollständig dadurch, daß sie über den Begriff Tatsachen des sozialen Lebens im Unklaren bleibt. Etwas als eine Tatsache dartun, heißt: eine bedingte Besonderheit nach einer grundlegenden Methode einheitlich bestimmen. Die Eigenart einer Tatsache kann also nur angegeben werden, wenn die Methode, nach der sie einheitlich bestimmt ist, erkenntniskritisch eingesehen wird 5 . Nun ist das s o z i a l e L e b e n ein Z u s a m m e n w i r k e n , das ist ein Verbinden von Zwecken mehrerer Menschen als wechselseitiger Mittel füreinander. Folglich ist eine Tatsache des sozialen Lebens eine einheitlich bestimmte Z w e c k s e t z u n g im Sinne eines verbindenden Wollens. Es liegen nicht zunächst Tatsachen der N a t u r vor — was ja nur einheitlich bestimmte Wahrnehmungen von Körpern wären —, sondern es ist bei der s o z i a l e n Erörterung v o n v o r n h e r e i n gar nichts anderes gegeben, als Verbindungen von Z w e c k e n u n d M i t t e l n , bei deren Erwägung nach ihrer Tauglichkeit der Gedanke des Wertes in zweiter Linie erscheint 6 . Wenn somit die gesamte Betrachtung des s o z i a l e n Lebens eine Z w e c k b e t r a c h t u n g ist, und wir es dabei mit dem Inhalte m e n s c h l i c h e r B e s t r e b u n g e n zu tun haben: so ist hierbei eine Zweiteilung von Tatsachen und Wertungen unbegründet. Die zu bearbeitenden Gegenstände sind von einer und derselben methodischen Art und durch die gleiche Weise begrifflicher Erfassung bestimmt. Die besprochene empiristische Richtung ist nun geneigt, einem Teile der Wertungen, aus denen, nach dem Gesagten, das s o z i a l e Leben überhaupt besteht, den Charakter o b j e k t i v e r Gültigkeit zuzugestehen, nämlich denjenigen, bei denen die Erwägung an b e g r e n z t e n Z w e c k e n haften bleibt. Wenn man einen solchen b e s o n d e r e n G e g e n s t a n d eines Strebens vor sich habe, so könne man die Berechtigung der dafür geeigneten Mittel a n d i e s e m G e g e n s t a n d e messen; darüber hinaus erscheine alles unfaßbar und bloß s u b j e k t i v e m Urteilen zugänglich. ' In unserer Rechts- und Gesetzsprache wird häufig der Ausdruck Tatsache im Sinne der V o r a u s s e t z u n g einer Rechtsfolge gebraucht. So in der Lehre von den j u r i s t i s c h e n T a t s a c h e n im materiellen Recht und namentlich im Gebiete des gerichtlichen Verfahrens und d e s prozessualen
Beweisrechtes.
S.
§ 124.
WINDSCHEID
§ 67 f.
STEIN
Komm. z. ZPO. zu § 282 N. 3. In besonderer Anwendung erscheint jenes Wort als Voraussetzung der E h r e , das ist: des anerkannton Besitzes guter Eigenschaften. StGB. 186; BGB. 824. FRANK Komm. z. StGB., bes. zu § 263 II 1). KATTENBUSCH Ehren und Ehre. Eine ethisch-soziologische Untersuchung 1909. SAUER Die Ehre und ihre Verletzung 1915. DERS. Das Wesen der Ehre, Logos 9, 64 ff. ENGELHARD Die Ehre als Rechtsgut im Strafrecht 1921. ' G. RÜMELIN d. J. Werturteile und Willensentscheidungen im Zivil recht, Freib. Rede, 1 8 9 1 . S T A U D i N G E R Empirische und rationale Methode in der Philosophie, Arch. f. syst. Philos. 7, 295 ff.
§ 98.
Die Gültigkeit der
Sittengesetze.
215
Es ermangelt jene Lehre also vollständig des Begriffes von der g r u n d s ä t z l i c h e n Richtigkeit eines Wollens. Sie sieht nicht, daß dieser Begriff auf einem scharf umrissenen und feststehenden Gedanken fußt, nämlich auf der Möglichkeit einer v o l l e n d e t e n H a r m o n i e unter dem unendlich verschiedenen Inhalte menschlicher Bestrebungen. Wie das Mannigfache der äußeren sinnlichen Eindrücke in der Naturwissenschaft als eine E i n h e i t zu nehmen ist, mit der Aufgabe ihres v o l l k o m m e n e n Zusammenstimmens, so besitzen wir die Möglichkeit des w i s s e n s c h a f t l i c h e n Ordn e n s aller je vorkommenden Zweckinhalte durch ihre Bearbeitung im Sinne eines u n b e d i n g t e n E i n k l a n g e s . Dieser Einklang wird dadurch erzielt, daß die Zielstrebungen in ihrer stofflichen Verschiedenheit einer a b s o l u t g l e i c h m ä ß i g e n Art und Weise der Beurteilung unterworfen werden. Es kommt nur darauf an, die Idee des u n b e d i n g t e i n h e i t l i c h e n R i c h t e n s des menschlichen Wollens, in ihrer Eigenart als Idee der W i l l e n s r e i n h e i t , sich erkenntniskritisch deutlich zu machen und die Möglichkeit ihrer jeweiligen Anwendung auf gegebene Willensinhalte methodisch zu zeigen. Daß eine klärende Einsicht hierüber und ihre stete Bewährunir ein für allemal und für jedermann unzugänglich sei, und es dafür nur individuelles Meinen geben könne, ist eine unbewiesene und unbeweisbare Behauptung 7.
Die
Gültigkeit
§ 98. der
Sittengesetze.
Das Streben nach einer O b j e k t i v i t ä t , deren Möglichkeit wir grundsätzlich einsehen, vollendet sich in der e i n h e i t l i c h e n B e a r b e i t u n g bedingt erwachsender Vorkommnisse. Wir versichern 7
Die Behauptung bloß individuell bedeutsamer Werturteile darf nicht mit der Lehre von dem W e r t e verwechselt werden, die RICKERT gegeben hat. Er sieht in ihm eine neue grundlegende Einheit. S. sein Buch Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung 1902, (2) 1913; den Vortrag Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft 1899, (4/5) 1921; und vor allem den Aufsatz Zwei Wege der Erkenntnistheorie, Kant-Studien 14, 169 ff. Dazu TR. VI 18 S. 536 ff. Sodann RICKERT Psychologie der Weltanschauungen und Philosophie der Werte, Logos 9, 1 ff. DERS. Die Philosophie des Lebens 1920. DERS. System der Philosophie. I. Teil. Allgemeine Grundlegung 1921. JASPER Psychologie der Weltanschauungen 1919. MÜLLER-FREIENFELS Grundzügo einer neuen Wertlehre, Ann. d. Philos.
1, 319 ff.
— ÜBERWEG I V
§ 4 1 ; vgl.
§ 43. REISCHLE W e r t u r t e i l e
und Glaubensurteile 1900. JANSSEN Das Wesen der Gesetzesbildung 1910. OSTWALD Die Philosophie der Werte 1913. HESSE Die Werturteile in der Nationalökonomie, ConradsJ. 3. F. 43, 179 ff. WIEDERHOLD Wertbegriff und Wertphilosophie, Erg. H. d. Kant-Studien Nr. 52, 1920. HORNEFFER Der moderne Individualismus, Kant-Studien 23, 406 ff. SCHMALENBACH Individualität und Individualismus, Kant - Studien 24, 365 ff. — HAERING Untersuchungen zur Psychologie der Wertung 1020.
§ 98.
216
Die Gültigkeit der
Sittengesetze.
uns einer unbedingt gültigen M e t h o d e d e s O r d n e n s (vgl. §§5; 80). Ihre erfolgreiche Anwendung auf besondere Fragen liefert o b j e k t i v r i c h t i g e Ergebnisse, wenngleich nicht a b s o l u t feststehende (§81). Eindrücke und Strebungen werden einem jeden persönlich gegeben und entstehen im geschichtlichen Verlaufe der Dinge, — aber sie treten einem als Aufgabe gegenüber. Es ist die Bestimmung des Menschen: daß er all sein Sinnen und Trachten nach einheitlich fester Weise ordne und beherrsche. Diese damit erneut in Erinnerung gerufene Wegeleitung gilt gleichermaßen für das W a h r n e h m e n , wie für das W o l l e n . Man hat das bestreiten wollen. Die Gesetze der Natur möchten unabhängig von der Erkenntnis des Menschen gültig sein, die Gesetze des Wollens aber könnten nur behauptet werden, sofern sie von den ihnen Unterstellten gebilligt würden. Keines von beiden ist begründet. Die N a t u r g e s e t z e sind e i n h e i t l i c h e E r f a s s u n g e n gegebener Wahrnehmungen. Sie fliegen nicht in der Luft umher, sondern sind eine Tat des menschlichen Erkennens. Sobald man von der Möglichkeit des letzteren Abstand nimmt, hat der Gedanke eines Naturgesetzes überhaupt keinen Sinn mehr. E r besteht nur durch unser Denken und als solches Die S i t t e n g e s e t z e sind e i n h e i t l i c h e Erfassung e n gegebener Bestrebungen. Jedes von ihnen, das in besonderer Gestalt auftritt, ist ein Versuch, den Inhalt von bestimmtem Begehren im Einklang mit anderem Streben zu halten und eine formale Harmonie innerhalb des stofflich verschiedenen Wollens zu schaffen. So sind die Sittengesetze, in gleicher Weise wie die Naturgesetze, Schöpfungen des Nachdenkens über mögliche Ordnung und Einheit in dem unendlich mannigfachen Inhalte menschlichen Drängens und Trachtens. Und sie sind in der Frage ihrer g r u n d s ä t z l i c h e n R i c h t i g k e i t von der subjektiven Anerkennung eines besonderen Individuums ebenso unabhängig, wie das einheitliche Ordnen der äußeren Erscheinungen 2. Es ist eine Täuschung, zu glauben, daß man für das letztere in dem Eindrucke d e r S i n n e eine größere Gewähr der G e s e t z m ä ß i g k e i t hätte, als für die Erwägung des S o 11 e n s. Denn die sinnliche Wahrnehmung verschafft keine Erkenntnis eines G e s e t z e s ; das tut nur der ordnende Verstand. Die höchste Instanz für d i e G ü l t i g k e i t eines g e s e t z m ä ß i g behaupteten Lehrsatzes ist also immer nur das kritisch geEntscheidend sind hier die oben (§ 15 N. 8) zitierten Ausführungen von Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können 1883 §§ 36—38, im Zusammenhalt mit der Kritik der reinen Vernunft (1) 1781 S. 125 ff., (2) 1787 S. 163 ff. 2 L1EBERT Das Problem der Geltung (§ 68 N. 5). D E R S . Der Geltungswert der Metaphysik, Philos. Vortr. d. Kantges. Nr. 1 0 , 1 9 1 5 . E L C K E R T Uber logische und ethische Geltung, Kant-Studien 19, 182 ff. STÖRRING Die sittlichen Forderungen und die Frage ihrer Gültigkeit 1820. 1
KANT
§ 99. Pflichten gegen sich selbst.
217
leitete Nachdenken. Es gibt nur e i n e n e i n z i g e n B e g r i f f der Gültigkeit eines Gesetzes, nämlich: die erfolgreiche Anwendung des Gedankens unbedingter Einheit des Bewußtseins auf gegebene Erlebnisse. D i e s e r B e g r i f f der Gültigkeit ist e i n u n d d e r s e l b e für N a t u r g e s e t z e und für S i t t e n g e s e t z e .
Pflichten
§ 99. gegen sich
selbst.
Die G e s e t z m ä ß i g k e i t des Wollens ist die u n b e d i n g t g l e i c h m ä ß i g e A r t , alle denkbaren Begehrungen zu richten. Ihr untersteht sonach auch das Wollen des v e r e i n z e l t e n Menschen. Dabei ist es gleichgültig, ob sich jemand in verhältnismäßiger Abgeschlossenheit für sich hält und einsam lebt, oder ob es sich um einen Menschen handelt, der — wie der Robinson — in vorübergehender Zeit gänzlich außerhalb der menschlichen Gesellschaft haust, oder endlich, ob man sich eine Person im Naturzustande vorstellt und ihr Auftreten phantasievoll ohne alle Berührung mit anderen Menschen in Gedanken ausmalt. In allen diesen Fällen bleibt die Frage bestehen, wie es sich mit der Möglichkeit eines g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g e n Wollens verhalte, wie also die Verantwortung und die Erwägung von Pflichten gegen sich selbst zur Aufgabe gestellt werden können Das macht keine Schwierigkeit, solange wir es mit der Ordnung der wünschenden Gedanken für sich zu tun haben (§32). Hier ist es die Harmonie des Sehnens, die methodisch bewirkt und durchgeführt werden soll: Es handelt sich nun um das I n n e n l e b e n des einzelnen Menschen, das nach der Idee unbedingter Reinheit zu ordnen und zu richten ist. Da diese Erwägung in ihrer wesentlichen Eigenart den Einzelnen g e t r e n n t f ü r s i c h aufnimmt, so ist es gleichgültig, ob für diesen Menschen außerdem noch eine s o z i a l e Betrachtung möglich ist. Seine durchgängige Verbindlichkeit besteht gegenüber d e m G r u n d g e s e t z der Willensreinheit überall in gleicher Weise. Durch die Beobachtung einer mehr oder weniger weitgehenden ä u ß e r e n V e r e i n z e l u n g kommt in der geschilderten Richtung weder etwas Neues hinzu, noch auch wird etwas ändernd hinweggenommen. Das gleiche Ergebnis, wie für die w ü n s c h e n d e n Gedank e n , erhält man aber auch für das H a n d e l n u n d W i r k e n eines vereinzelten Menschen. Freilich ist diese Vorstellung, wie früher (§34) ausgeführt, immer unvollendet. Sie ist notwendigerweise von vorläufigem Charakter und führt bei folgerichtigem Ausdenken unvermeidlich Sozu dem Gedanken des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Lebens hin. lange aber ein Einzelner in seinem äußeren Tun v e r e i n z e l t erwogen 1
NATORP
Sozialpädagogik
(4)
1920
Ein sozialphilosophischer Entwurf, Arch. V I 10 u. 11. Oben § 34 N. 4.
§
10.
—
KoiGEN
f. syst. Phil. 8,
Einsamkeit.
456 ff.
TR.
218
§ 100.
Gesellschaft und Gemeinschaft,.
wird, ist auch für ihn — in seiner Vereinzelung — das unbedingte Grundgesetz des AVollens durchzuführen 2 . Das ist näher so zu denken, daß er in seinen bedingten Antrieben und Begehrungen unter die Aufgabe widerspruchslosen Ordnens gestellt ist. Dem kann er nur gerecht werden, wenn er in dem Ganzen seiner Persönlichkeit sich niemals zum bloßen Mittel für begrenztes Drängen macht. Als der o b e r s t e Blickpunkt darf nicht ein b e s o n d e r e s Treiben und Trachten bestehen. Vielmehr ist das letztere allezeit so aufzufassen und zu leiten, daß es im Sinne reinen Ordnens beherrscht und in das Ganze des wollenden Bewußtseins harmonisch eingefügt wird. In diesem Sinne gibt es also auch für das äußere Wirken und Tun des Menschen P f l i c h t e n g e g e n s i c h s e l b s t . Er hat in sich den S e l b s t z w e c k , im Sinne des Trägers der I d e e , zu achten und darf sich, als ein Ganzes, nicht an eine Einzelheit und an eine besondere Begierde als O b j e k t wegwerfen, noch ihr unterordnen. Einen Menschen, dem es gelingt, solches in selbständigem Entschlüsse aufzunehmen und es im Vereine mit richtigem sozialen Wollen zu bewähren, soviel nur angeht, bezeichnet man seit alten Zeiten auch als eine P e r sönlichkeit3. II. Die Gemeinschaft. Gesellschaft
§ 100. und Gemeinschaft.
Wir unterscheiden, im Interesse sachlicher Klarheit, die Ausdrücke Gesellschaft
und
Gemeinschaft.
Unter Gesellschaft ist das V e r b i n d e n von Menschen in seiner b e g r i f f l i c h e n Möglichkeit zu verstehen. Es werden ihre Zwecke wechselseitig als Mittel für einander gesetzt (§§ 31; 35). Hierdurch bestimmt sich der Begriff des s o z i a l e n L e b e n s der Menschen, das dem g e t r e n n t e n I n n e n l e b e n eines jeden für sich gegenübersteht. Es handelt sich also bei diesem Begriffe der G e s e l l s c h a f t um die Zerlegung des menschlichen Wollens nach einem allgemeingültigen Merkmale,'das sich in der Erfahrung voll verwirklichen läßt: jedesmal, wenn ein Verbinden von Zwecken mehrerer Menschen in der angegebenen 1 HILLER Das R e c h t über sich selbst. E i n e strafrechtsphilosophische Studie 1908. 3 KANT K r . d. p r a k t . V. (§ 80 N. 7) I 1, 3 a. E . ; Religion (§ 87 N 2 ) S. 18 f. — Volle und Knecht und, Ueberwinder Sie gestehn zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit. GOETHE West-östlicher Divan, B u c h Suleiko (Cotta 4, 88). DEL VECCHIO Diritto e personalità u m a n a nella storia del pensiero, Bologna 1904. NIEBERGALL Person und Persönlichkeit 1911. ROSIKAT Individualität und Persönlichkeit 1911. DLTTRLCH Individualismus, Universalisrrus, Perscnalisrrus, Philcs. Vortr.
d. Ivantges.
Nr.
anschauung 1918.
14,
1917.
MÜLLER-FREIEN FELS
Persönlichkeit
und
Welt-
§ 100
G e s e l l s c h a f t und G e m e i n s c h a f t .
219
Art stattfindet, ist der Begriff der G e s e l l s c h a f t oiine allen Rest erfüllt. Dagegen ist die Gemeinschaft die Eigenschaft einer besonders gearteten Gesellschaft, nämlich einer solchcn, deren verbindendes Wollen von der Idee reinen Wollens geleitet ist 1 . Diese Idee besagt aber den Gedanken eines unbedingten Einklanges unter allen jemals möglichen menschlichen Bestrebungen. Sie kann daher in der empfindbaren Wirklichkeit bedingter Erfahrung niemals restlos verwirklicht werden (§83). Der Gedanke einer r e i n e n Gemeinschaft bedeutet also einen m e t h o d i s c h e n B l i c k p u n k t , nach dem eine in der Erfahrung gegebene G e s e l l s c h a f t gerichtet werden muß, wenn ihr Auftreten g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g sein soll. E s ist danach abzulehnen, in der G e m e i n s c h a f t ein rätselhaftes Urding zu sehen, von weiter Ausdehnung und großer Stärke. Und sie bedeutet auch nicht ein w i r k l i c h e s Z i e l , das in späteren, vielleicht sehr entlegenen Zeiten einmal erreicht werden könnte. Sie ist ein l e i t e n d e r G e d a n k e für die besondere Erfahrung, tritt in diese aber niemals als bedingter Gegenstand ein. Ehe also der Gedanke der G e m e i n s c h a f t in die bedingte Wirklichkeit eingreifen kann, ist es nötig, daß ein besonderes v e r b i n d e n d e s W o l l e n , mit begrenztem Inhalte, vorliegt. Denn jener ideale Gedanke ist eine r e i n e F o r m des Leitens und Richtens. Wenn kein begrenztes soziales Begehren vorliegt, so bleibt er im Stande bloßer Möglichkeit, ohne eine greifbare Ausgestaltung gewinnen zu können. Für die Praxis des sozialen Lebens folgt hieraus vor allem, daß d i e I d e e d e r G e r e c h t i g k e i t , als der Gedanke reiner Gemeinschaft, den Stoff geschichtlicher Rechtsordnungen braucht, um in gegebener Lage überhaupt ausgeführt zu werden. E s ist gleichgültig, ob das dann im Innern dieser Gesellschaft geschieht, oder sich in ihrem Verhältnisse zu anderen rechtlichen Verbindungen bemerkbar macht. Dagegen läßt sich die Idee der Gemeinschaft n i c h t unverm i t t e l t etwa auf die gesamte Menschheit anwenden. Dazu wäre nötig, daß die letztere in einer bedingten Verbindung nach positivem Rechte zusammengefaßt wäre; dann würde auf die Art dieser besonderen 1 E s wird sich k a u m ein anderer A u s d r u c k als Gemeinschaft f i n d e n lassen, u m die ideale Richtlinie a u c h f ü r d a s äußere Z u s a m m e n l e b e n der Menschen z u kennzeichnen. Freilich wird d a s g e n a n n t e W o r t von g a r verschiedener S e i t e , u n d d a n n jeweils m i t verschiedener S c h a t t i e r u n g g e b r a u c h t , a) In d e r technischen J u r i s p r u d e n z für die gesetzliche R e c h t e p e r r e i n s c b a f t im P r i v a t r e c h t gegenüber d e m G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g . WINDSCHEID § 449. ENGLÄNDER D i e regelmäßige R e c h t s g e m e i n s c h a f t 1914. b ) In der Sozialökonomie. TÖNNIES G e m e i n s c h a f t und G e s e l l s c h a f t 1 8 8 7 , (3) 1020. D a z u S T A M M L E R , Philos. Monatsh. 26, 347 ff. c) I n der E t h i k . GÖRLAND ( § 3 2 N. 1; auch § 2 9 N. 1). d) I n der Religion. L U T H E R Großer K a t e c h i s m u s 1529, dritter Artikel. Auch als G r r r e i n f c l a f t m i t Gott. L U T H E R E i n S e r m o n von d e m B a n n e 1520. S T A N G E Die L e h r e von den S a k r a m e n t e n 1920.
§ 101.
220
Der Träger des gemeinschaftlichen Wollens.
Verbindung die ideale Richtlinie des gemeinschaftlichen Wollene leitend einzusetzen sein. F ü r die geschichtliche Wirklichkeit hat dieser phantastische Entwurf natürlich keine Bedeutung 2 .
§ 101. Der
Träger
des
gemeinschaftlichen
Wollens.
Das Wesen des idealen Gedankens der G e m e i n s c h a f t besteht in einer formalen Eigenart eines sozialen Wollens. Ein gemeinschaftliches Wollen ist ein b e s o n d e r s g e a r t e t e s Wollen. Darum ist bei seiner Erwägung auch nicht gleich nach d e m T r ä g e r des gemeinschaftlichen Wollens gefragt worden. Diese Frage ist f ü r d i e E i g e n a r t des Gedankens vom g e m e i n s c h a f t l i c h e n Wollen gleichgültig. Und die Person, die diesen eigenartigen Gedanken besitzt und betätigt, kann nicht mit gleicher Allgemeingültigkeit angegeben werden, wie die beschriebene gedankliche Eigenart selbst. E s läßt sich nur sagen, daß der Geist des g e m e i n s c h a f t l i c h e n Wollens, wenn es mit rechten Dingen zugeht, von j e d e r m a n n gehegt und gepflegt werden soll, — ob es in Wirklichkeit geschieht, und ob es von dem geschieht, der des Rechtes zu walten hat, bleibt offene Frage des geschichtlichen Erlebens Darum ist das alte Problem vom Verhältnis des Einzelnen zur G e m e i n s c h a f t in Wahrheit nicht so schwer zu nehmen, sobald man die G e m e i n s c h a f t als d i e i d e a l e Eigenart 2 Hierin liegt die theoretische Berechtigung des n a t i o n a l e n Gedankens, die innere Notwendigkeit für die Pflege der " V a t e r l a n d s l i e b e . Eine entschlossene und bewußte Aufnahme dieses Gedankens gehört in Deutschland erst der neueren Zeit seit der Ausbildung der klassischen Literatur an. Nach den Oden und Gesängen von K L O P S T O C K , G R A F S T O L B E R G und anderen, der Darstellung der Hermannsschlacht von K L E I S T faßt es sich mit hinreißender Wirkung in S C H I L L E R S Wilhelm Teil zusammen. Nach diesem ergriff es F I C H T E in Reden an die deutsche Nation 1808, besonders in der achten Rede. Aus der heutigen Literatur: MEINECKE Weltbürgertum und Nationalstaat ( 2 ) 1 9 1 1 . Verh. d. deutsch. Soziologentages 1 9 1 2 S. 2 1 ff.; 1 4 0 ff. B A U C H Vom Begriff der Nation, KantStudien 2 1 , 1 3 9 ff. N A T O R P Die Seele des Deutschen 1 9 1 8 . GÖTZ Das Wesen der deutschen Kultur 1 9 1 8 . F E L D K E L L E R Der Patriotismus. Eine kulturphilosophische Monographie. 1. Teil: Psychologie des patriotischen Denkens 1 9 1 8 . DERS. Vaterland 1 9 1 9 . STAMMLER Materialistische Geschichtsauffassung (§ 17 N. 3 a. E . ) S. 77 ff. 1 Man darf sich nicht die G e m e i n s c h a f t als ein selbständiges Ding denken, als ein großes Wesen. Sie gehört nicht zu den uns umgebenden Naturerscheinungen von einer vielleicht riesenhaften räumlichen Ausdehnung. Der ideale Gedanke r e i n e r G e m e i n s c h a f t bedeutet eine b e d i n g e n d e R i c h t u n g bei dem Setzen und Verfolgen menschlicher Zwecke. Das g e m e i n s c h a f t l i c h e Wollen ist e i n e A r t des Wollens, die durch die Leitung nach der Idee der W i l l e n s r e i n h e i t (§ 80) für das v e r b i n d e n d e Wollen (§ 31) ausgezeichnet ist. S. auch §§ 16; 54. — G O L D S C H E I D Ethik des Gesamtwillens 1902.
§ 101.
Der Träger des gemeinschaftlichen Wollens.
221
des verbindenden Wollens faßt 2 . Sobald das letztere in der Richtung des sozialen Ideales gelenkt wird, ist das genannte Problem befriedigend aufgelöst. E s ist dann nicht weiter von Bedeutung, ob wir die Frage von der Seite der Verbindung oder von der der verbundenen Willensinhalte her betrachten. Und umgekehrt muß es notwendig zu peinlichem Zusammenstoße führen, sobald jenes Richten im Sinne reiner Gemeinschaft einem verbindenden Wollen fehlt 3 . Endlich ist zu beachten, daß auch die gemeinsame Verfolgung einer anderen Idee, als der der G e r e c h t i g k e i t , sich vielfach als innere Gemeinschaft dargestellt hat. So schon als G e m e i n s c h a f t derer, in einem die der N a t u r w i s s e n s c h a f t oder der K u n s t gleichen Sinne anhängen; besonders aber in Dingen der R e l i g i o n . Hier ist jedoch ein Unterschied gegenüber dem seither besprochenen Sinne von G e m e i n s c h a f t deutlich zu erkennen. Bei dem g e meinschaftlichen Wollen, als einem besonders gerichteten v e r b i n d e n d e n Wollen, besteht eine notwendige Trennung zwischen den Einzelnen und zwischen der Axt ihrer Verbindung; — bei der G e meinschaft in der jetzt neu hinzugefügten Bedeutimg kann es a Das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft kann nach der Seite des s t o f f l i c h b e d i n g t e n Inhaltes des Denkens und Wollens betrachtet werden. Hier erhält jeder aus dem gerade vorliegenden Zusammenleben mit anderen seine Impulse und sein besonderes Dasein, und er wiederum gibt das Seinige zurück. In dem hier zu erörternden Zusammenhange handelt es sich aber um die zutreffenden Gedankenrichtungen, in denen der Einzelne den ihm Verbundenen begründetermaßen gegenübertreten soll. Dazu s. N. 3. Über jenes erste verbreitet sich namentlich gut F R E Y T A G in der Einleitung zu Bilder aus der deutschen Vergangenheit (§ 6 N. 7). — SCHMITT Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen 1914. 3 E s findet sich wohl die Frage: Ob der Einzelne für die Gesellschaft da sei oder umgekehrt ? Das ist aber keine notwendige Wahl. I n relativem Betracht ist beides zu bejahen, in absolutem Sinne beides zu verneinen. Denn ein jeder steht zugleich als Einzelner f ü r s i c h und zugleich als Gegenstand des v e r b i n d e n d e n Wollens in Frage ( § 3 1 ) . — T O L S T O I (§ 93 N. 4) wollte statt dessen drei Grundbeziehungen aufstellen, die der Mensch zu der ihn umgebenden Welt einnehmen kann: Die primitiv persönliche oder tierische, da der Mensch bloß sich selbst dient (Genuß), die gesellschaftliche oder heidnische, in der der Zweck des Lebens sei, der Gemeinschaft zu dienen (Ruhm), der göttliche oder christliche, nach der der Sinn des Lebens darin liegt, dem göttlichen Willen zu dienen (Liebe). — Das ist keine haltbare Unterscheidung. Der entscheidende Gegensatz liegt immer nur in der Gegenstellung von b e d i n g t e n Fragen und von r e i n e n Richtlinien. Sucht also jemand nach dem Sinn des Lebens, wie oft geschehen ist, — so lautet die Antwort: I d e a l i s i e r u n g d e s b e d i n g t erw a o h s e n d e n S t r e b e n s ! Dieses geht auf die zwei eben genannten Stellungen, in denen sich jeder unvermeidlich und immer befindet: auf sein Innenleben und auf sein Zusammenleben mit andern. Und er kann sich von den Bedingtheiten ebensowenig v ö l l i g entfernen, wie er diese doch nicht als sein o b e r s t e s G e s e t z nehmen soll. E s liefert dem gegenüber die W i s s e n s c h a f t die M ö g l i c h k e i t e n richtigen Eikennens und Wollens, die R e l i g i o n dagegen den Antrieb, sich diesem zu weihen und hinzugeben. S. § 93 Nr. 2 ; und § 180.
§ 102.
222
Der
K a m p f um das R e c h t .
sich immer nur um eine Gemeinsamkeit von einzelnen Bewußtseinsinhalten handeln. Während das Wesen der r e c h t l i c h e n Verbindung gerade darin besteht, daß sie nicht eine Summe von Einzeläußerungen ist, sondern ein besonders geartetes Wollen, das s e l b s t h e r r l i c h v e r b i n d et (§ 41), so handelt es sich in den nun zur Sprache gekommenen Fällen notwendig um eine Verständigung unter s e l b s t ä n d i g b l e i b e n d e m Streben. Es mag sein, daß jedes einzelne Bewußtsein in dem Gefühle teilnehmender "Übereinstimmung in sich eindringlicher und inniger ausgestaltet wird, aber das Ganze der Zusammenschließung ergibt nicht einen n e u e n G e g e n s t a n d der Erwägung (wie es bei der s o z i a l e n Betrachtung der Fall ist), sondern eine Anzahl sich berührender und fördernder, einzelner Erlebnisse 4.
Der
Kampf
§ 102. um d a s
Recht.
Wie weit ist es Pflicht, sich um das Setzen und Bewähren des R e c h zu bemühen ? Es findet sich dafür die Behauptung, daß eine solche Pflicht als unbedingtes Gebot bestehe, sowohl als Pflicht gegen sich selbst, wie als solche gegen das Gemeinwesen. Andernfalls könnte keine Antwort erteilt werden, die mit dem Bestehen der Rechtsordnung und der Idee der Persönlichkeit verträglich wäre. Auch bestehe jene Pflicht gleichermaßen für die Befugnis, die dem einzelnen Rechtssubjekt nach einem geltenden Rechte zukomme, wie für die Verwirklichung dieser Rechtsordnung selbst 1 . Hier wird doch noch zu unterscheiden sein. Bloß deshalb, weil ein r e c h t l i c h e s Wollen d a i s t , braucht es noch nicht g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g zu sein. Darum kann auch eine g r u n d s ä t z l i c h e P f l i c h t der Durchsetzung eines geltenden Rechtes nicht für jeden behauptet werden. Eine solche Pflicht basteht für denjenigen, der das Rscht zu wahren hat, für den Richter und Verwalter der Rechtsordnung in ihrer Hoheit; dagegen keineswegs für den einzelnen Rechtsunterstellten, dem eine rechtliche Befugnis zuerkannt ist. Jener hat die Sorge, daß nicht an die Stelle des r e c h t l i c h e n Wollens eine w i l l k ü r l i c h e Gewalttat eintrete, — für den zweiten dagegen ist eine solche Pflicht aus der Beobachtung des p o s i t i v e n R e c h t e s her nicht allgemeingültig zu entnehmen 2 . Soll also eine Verpflichtung zum Kampfe um das Recht für den einzelnen Rechtsunterstellten in unbedingter Weise bestehen, so kann sie nur aus der I d e e d e s R e c h t e s abgeleitet werden. Wenn z. B. tes
4 Die verschiedenen Schattierungen und Verwendungen im Gebrauche des Wortes Gemeinschaß dürfen nicht irre machen. S. § 100 N. 1. JHERING Der K a m p f u m s R e c h t (§ 18 N. 7). 2 In eigener Wendung h a t L U T H E R die obige Unterscheidung auch für den einzelnen Rechtsunterstellten ausgeführt in Tisclireden 2. B d . (Weimarer Ausgabe) S. 224 Z. 3 2 3 ; 593 Z. 19. 1
§ 102.
Der Kampf um das Recht.
223
jemand eine Berechtigung geerbt hat, so hat er für die hier erörterte Frage zu prüfen, ob das Durchsetzen jener Berechtigung nach den Grundsätzen des r i c h t i g e n R e c h t e s veranlaßt i s t 3 . Ein anderer Maßstab, als der Grundgedanke der G e r e c h t i g k e i t selbst, vermag in letzter Linie dabei nicht einzutreten. Die Berufung auf das notwendige Bestehen der Rechtsordnung überhaupt ändert an jener Überlegung nichts. Dieses Bestehen der Rechtsordnung überhaupt ist von einer a u s n a h m s l o s e n Durchführung der von ihr verliehenen Berechtigungen an und für sich nicht abhängig. Und die Bezugnahme auf die Persönlichkeit des gerade positiv Berechtigten entscheidet nicht. Das verletzende Vorgehen gegen einen solchen kann sehr wohl noch ein Ausfluß eines bloßen Gegendruckes gegen seine n u r s u b j e k t i v begründeten Begehrungen sein Soweit nun ein Kampf um das Recht nach der Idee der G e r e c h t i g k e i t sachlich gerechtfertigt erscheint, bezieht sich dieses freilich ebensowohl auf das Ausführen eines schon in K r a f t befindlichen Rechtes, als auch auf das Anstreben eines anderen rechtlichen Ordnens, das in seinem Inhalte richtiger, als das jetzt geltende, sein mag. Allein unter allen Umständen ergibt sich da eine weitere Grenze. Sie zeigt sich, sobald in einer der beiden zuletzt erwähnten Richtungen ein b e s o n d e r e s bestrittenes Wollen auftritt. Denn dieses ist eine E i n z e l h e i t . Ihre Verfolgung kann wiederum nicht als das u n b e d i n g t h ö c h s t e Gesetz des Strebens oder als eine daraus fließende b e d i n g u n g s l o s e Pflicht aufgestellt werden. Das Gegenteil ist vielmehr genau zu betonen. Denp nur zu leicht erhebt jemand, der sich in seinem Rechte verletzt glaubt, sein b e s o n d e r e s und e i n z e l n e s Begehren zu dem l e t z t e n G e b o t für all sein Wünschen und Trachten; — wiederum sowohl im geschäftlichen Leben, als auch in Fragen politischer Bestrebungen. Und dann wird der Kampf um das Recht nicht sowohl zur Erfüllung einer P f 1 i c h t , als vielmehr zur Betätigung eines s i t t l i c h v e r w e r f l i c h e n Wollens 5 . E s ist die Idee der W i l l e n s r e i n h e i t , in ihrer Anwendung auf das rechtlich verbindende Wollen, die das einzelne Fordern und Verneinen o b j e k t i v b e r e c h t i g t macht: und sie wiederum ist es, die zu der grundsätzlichen Anleitung führt, keine Einzelheit in den Mittelpunkt 3 Ein hübscher Rechtsfall hierzu bei S T Ö B E R Die Zwillinge, Ausgewählte Erzählungen 1902, 5. Bd. S. Hfl ff. 4 Über die Verfehltheit der Lehre vom Klassenkampf als angeblich h ö c h s t e m Gesetz des sozialen Strebens s. § 63 N. 3. 6 Der Kampf um das Recht ist immer nur ein Kampf um eine Einzelh e i t . Anders kann er gar nicht auftreten. Sonach ist nicht das Erreichen dieses b e s o n d e r e n Zieles selbst d a s G r u n d g e s e t z , sondern will immer an der Hand des letzteren gerechtfertigt w erden. Darum kennt das Strafrecht mit Fug die Überschreitung der Kotvehr. — Vgl. § 89 N. 3.
224
§ 103.
Dynamische Gründe für den Rechtszwang.
seines Daseins zu stellen (§89), also auch nicht ein begrenztes rechtliches Begehren, sei es an und für sich auch noch so gerechtfertigt 6 . So erhalten wir die nachstehende Formel als Antwort auf die Eingangs gestellte Frage: Der Kampf um das Recht ist für den einzelneu Rechtsunterstellten begründet, wenn es sich um das Durchsetzen von r i c h t i g e m R e c h t e handelt; -— er hört aber auch dort auf, innerlich gerechtfertigt zu sein, sobald er, in seiner Besonderheit, den M i t t e l p u n k t des Strebens einer Person einnimmt 7 .
Fünfter
Abschnitt.
Das Recht des Rechtes. I. Die Anzweiflung des Rechtszwanges. Dynamische
§ 103. Gründe für den
Rechtszwang.
Das R e c h t tritt als ein s e l b s t h e r r l i c h e s und u n v e r l e t z b a r e s Verbinden menschlicher Bestrebungen auf. Es fragt sich, ob es in dieser seiner Eigenart, durch die es sich von k o n v e n t i o n a l e r (§ 41) und von w i l l k ü r l i c h e r (§ 47) Regelung begrifflich unterscheidet, grundsätzlich gerechtfertigt werden kann. Die Frage zeigt sich praktisch besonders in der ersterwähnten Richtung, da das r e c h t l i c h e Wollen im Sinne eines Z w a n g s g e b o t e s erscheint. Dadurch erregt es in sich schon einen gewissen Widerspruch der rechtlich verbundenen Menschen, von denen jeder einen Drang nach eigener Entschließung in sozialen Fragen hegt und äußert. Inter• So ist der Vorsatz, auf ehrliche Weise Geld zu verdienen, ein b e d i n g t e s Streben. Wird es von jemand a l s u n b e d i n g t e s G r u n d g e s e t z all seines Wollens genommen, so ist das für folgerichtige kritische Erwägung minderwertig und indiskutabel. S . H L B E R Rechtsansel avurpen bei Gotthelf (§ 96 N. ß). Das Entsprechende kann auch da vorkcrrrren, wo einer an nichts, als an naturwissenschaftliche Forschung denkt. E r gelangt dann wohl nach der einen Seite hin zu einer Objektivierung der Gedarken. Aber diesem Plane, der als solcher b e g r e n z t ist, nun schlechterdirgs a l l e s andere zu opfern, wäre wieder verfehlt und kritisch nicht bedacht. E s wird mit jenem Vorhaben, wenn es richtig eingestellt wird, dann wchl eine objektiv richtige Besonderheit bezeichnet, aber keineswegs wiederum d a s G r u n d g e s e t z des Wollens selbst (§ 80 f.) in genügender Weise gekennzeichnet. 7 Danach berichtigt sich auch die Beurteilung, die J H E R I N G der E r zählung von K L E I S T über Michael Kohlhaas angedeihen läßt. CARO Heinrich v. Kleist und das Becht 1911. C A S S I R E R Kleist und die kantische Philosophie, Erg.H. der Kant-Studien Nr. 22, 1919. Vgl. § 144 N. 4.
§ 103.
Dynamische Gründe für den Rechtszwang.
225
essante Beispiele eines solchen Widerstrebens sind mehrfach in der gerichtlichen Praxis und im sonstigen öffentlichen Lehen beobachtet worden1. Außer diesen Einzelfällen hat aber vor allem die Theorie des A n a r c h i s m u s die Berechtigung des Rechtszwanges allgemein angegriffen und verneint 2 . Dem gegenüber hat man versucht, d a s R e c h t d e s R e c h t e s dadurch zu begründen, daß auf die unvermeidliche V e r u r s a c h u n g der r e c h t l i c h e n Weise des sozialen Lebens hingewiesen wurde. Überall in der geschichtlichen Erfahrung begegne man gerade diesem r e c h t l i c h e n Wollen in seiner Eigenart, so daß daraus auf eine Notwendigkeit seiner Entstehung geschlossen werden könne. Und zwar in doppelter Hinsicht. Es sei anzunehmen, daß die Menschen, die dazu die tatsächliche Macht besäßen, von dem r e c h t l i c h e n Verbinden immer Gebrauch machen werden; und man könne andererseits wahrnehmen, daß eine Unterwerfung unter die r e c h t l i c h e Gewalt in Wirklichkeit stets geschehen werde 3. 1 M e n n o n i t e n , A d v e n t i s t e n , N a z a r e n e r , Conscientious Objectors h a b e n sich a u s Gewissensbedenken geweigert, K r i e g s d i e n s t e r r i t d e r W a f f e zu t u n . A n h ä n g e r einer b e s t i m m t e n H e i l m e t h o d e l e h n e n es a b , d e m gesetzlichen I m p f z w a n g e zu gehorchen. Gerichtlich v e r n o m m e n e Zeugen e r k l ä r t e n , d a ß sie u n t e r k e i n e n U m s t ä n d e n einen E i d leisten w e r d e n . Parteigängerinnen des F r a u e n s t i m m r e c h t s in E n g l a n d v e r ü b t e n z e r s t ö r e n d e G e w a l t t a t e n u n d e r k l ä r t e n , a n die Gesetze, die sie n i c h t mitbeschlossen h ä t t e n , n i c h t g e b u n d e n zu sein. Vgl. § 1C8 N . 1. 2 GARIN D i e A n a r c h i s t e n 1887. M A C K A Y Die Anarchisten, Kulturg e m ä l d e a u s d e m E n d e des 19. J a h r h . 1891. S T A M M L E R D i e T h e o r i e d e s A n a r c h i s m u s 1894. SIEGFRIED D u r c h A t h e i s m u s z u m A n a r c h i s m u s 1895. MACKAY und STEINER (§§ 35 N . 11; 55 N . 10; 56 N . 12) D e r i n d i v i d u a l i s t i s c h e A n a r c h i s m u s , Briefwechsel, ftiag. f. L i t e r . 67, 13 (1898). R E I C H E S BERG Sozialismus u n d A n a r c h i s m u s 1S95. Z E N K E R D e r A n a r c h i s m u s 1895. TUCKER D e r S t a a t in seiner Beziehung z u m I n d i v i d u u m 1899. ELTZBACHER D e r A n a r c h i s m u s 1900. L E N Z D e r A n a r c h i s m u s u n d d a s S t r a f r e c h t , Z S t W . 16, 1 ff. J E L L I N E K Allg. S t a a t s ! . (§ 6 N . 2) 7. K a p . B I E R MANN ( § § 5 7 N . 5 ; 84 N . 5). D I E H L (§§ 56 N . 2 ; 57 N . 5). B O R G I U S D i e n e u e r e E n t w i c k l u n g des A n a r c h i s m u s , ZPolit. 1, 514 ff. R A M U S William Godwin, der T h e o r e t i k e r des k o m m u n i s t i s c h e n A n a r c h i s m u s 1907. B O V E N S L E P E N A n a r c h i s m u s u n d R e c h t , D . H i l f e 13, 534 f. A D L E R Anarchismus, H a n d w . d . S t a a t s w . (3) I 444 ff. S F O Ö R A j o g f o g a l m a ¿s az a n a r c h i s m u s p r o b l e r r a j a , B u d a p e s t 1911. B Ü C K L I N G Der E i n z e l n e u n d d e r S t a a t bei S t i r n e r u n d M a r x , S c h m o l l e r s J . 44, 1071 ff. — "Über T O L S T O I S. §§ 34 N . 7 ; 92 N . 6 ; 93 N . § 101 N . 3. 3 D i e s o g e n a n n t e Vertragstheorie (§ 31 N . 6), die noch n i c h t e i n m a l d a s Gelten eines R e c h t e s in seinen bleibenden B e d i n g u n g e n k l a r z u s t e l l e n v e r m a g (§ 69 N . 1), reicht n i c h t aus, d i e B e r e c h t i g u n g des R e c h t s z w a n g e s zu b e g r ü n d e n (§ 107 N . 1). D e n n es k o m m t bei d e r l e t z t e r e n auf die R e c h t f e r t i g u n g d e r s e l b s t h e r r l i c h verbindenden A r t d e s R e c h t e s a n . N a c h dieser ist d a s r e c h t l i c h e V e r b i n d e n v o n d e m Wollen d e r V e r b u n d e n e n u n a b h ä n g i g u n d k a n n auf d e r e n a n g e b lich vertragsmäßige Zustimmung n i c h t gestützt werden. V i e l m e h r ist die r e c Ii t l i e h e A r t des Verbindens a l s e i n n o t w e n d i g e s M i t t e l z u n o t w e n d i g e m Z w e c k e darzutun. S t a m m l e r , Rechtsphilosophie. 15
§ 104.
226
Der Krieg aller gegen alle.
Allein das R e c h t ist eine Art des menschlichen W o 11 e n s (§30). E s kann also nur als ein notwendiges M i t t e l zu einem begründeten Z w e c k e gerechtfertigt werden. Die bloße Feststellung, daß sich eine gewisse Weise des Verbindens der Menschen im geschichtlichen Erleben wirklich durchsetzen werde, ist für den Z w c ' c l , ob dieses m i t prinzipieller Berechtigung geschehe, in sich gleichgültig. F ü r das R e c h t aber kommt im besonderen hinzu, d a ß es seiner begrifflichen Eigenart nach ebensowohl von der W i l l k ü r des Machthabers unabhängig sein will (§47), als es andererseits seine bestimmende Art nicht, wie die K o n v e n t i o n a i r e g e l , von der jeweiligen Anerkennung der ihm Unterstellten ableitet (§ 41). Sein Einsetzen kann deshalb nicht durch den tatsächlichen Erfolg, mit dem die eine oder die andere Seite der Verbundenen vorgeht, genügend begründet werden
Der
Krieg
§ 104. aller gegen
alle.
E i n e öfter vertretene Meinung, die aus älterer Zeit herrührt, gibt an, daß das R e c h t zur E r h a l t u n g des Menschengeschlechtes notwendig sei. Danach würde ohne r e c h t l i c h e s Wollen unter den Menschen ein ständiger K r i e g a l l e r g e g e n a l l e bestehen. E s könnte, nach dieser Ansicht, ohne einen Zustand mit r e c h t l i c h bestimmenden Gesetzen niemand vor der Gewalttätigkeit ¿ e s andern sicher sein. E s müßte ein Vernichtungskampf der Menschen untereinander eintreten, wenn nicht das R e c h t diesem E i n h a l t täte. Diese Auffassimg wird von der einen Seite her durch Bezugnahme auf die menschliche Natur gestützt. Der Grundzug dieser letzteren sei die F u r c h t des einen Menschen vor dem andern, ein Mißtrauen, das gerechtfertigt sei, da jeder der Beschädigung an Körper und Leben durch den Mitmenschen in weitem Maße ausgesetzt s e i 1 . Die so begründete Lehre von der Notwendigkeit des Rechtszwanges kann sich allerdings nicht auf die Erfahrung berufen, weil in dieser ein Zustand der R e c h t l o s i g k e i t niemals erlebt worden ist. Aber es läge doch in dem Gedanken des n i c h t - r e c h t l i c h e n Daseins, daß jeder tun und lassen könnte, was ihm gerade beliebt; es ergebe sich ein Naturzustand, in dem jeder seinem eigenen Kopfe folgen würde. Zur Überwindung dieses verderblichen Ergebnisses sei nur das r e c h t l i c h e Wollen erforderlich 2 . 1 Man kann es auch dahin ausdrücken: Das Problem der Begründung des Rechtszwanges ist n i c h t eine Erwägung unter dem Kausalg e s e t z , sondern eine solche nach dem F i n a l g e s e t z . Dieses aber lautet: Jedes S t r e b e n ist als ein M i t t e l für einen zu bewirkenden Z w e c k aufzufassen. Vgl. § 120. Somit ist das Recht des Rechtes t e l e o l o g i s c h , und nicht ä t i o l o g i s c h (dynamisch) darzutun. 1
1
S o HOBBES
(§ 1 4 N .
C).
RSt.
§ 4,
112.
Dies ist ausgeführt bei KANT Rechtslehre (§§ 15 N. 11; — 88 N. 7) § 44.
§ 105.
Rechtszwang und Sittlichkeit.
227
In Wahrheit wendet sich die genannte Begründung nur gegen das Einsetzen eines n i c h t - s o z i a l e n Lebens der Menschen. Es ist richtig, daß die Hypothese des N a t u r z u s t a n d e s nur eine Summe einzelner, subjektiver Begehrungen besagt, die unter sich nicht zusammenhängen und zu dem oben geschilderten Ergebnisse führen müßten. Aber diese Vorstellung des N a t u r z u s t a n d e s ist, wie früher (§34) ausgeführt, nur eine v o r l ä u f i g e : ihr gegenüber ist der Gedanke des s o z i a l e n Lebens der Menschen l o g i s c h notwendig. Hier aber handelt es sich nun nicht um den Gegensatz des g e s e l l s c h a f t l i c h e n Daseins und eines u n s o z i a l e n Lebens, sondern um die grundlegende Art und Weise i n n e r h a l b des sozialen Lebens. E s fragt sich, ob ohne das r e c h t l i c h e Wollen ein Bestehen der Menschen i n d e r G e s e l l s c h a f t unmöglich wäre. Das kann nicht unbedingt allgemeingültig behauptet werden. E s läßt sich denken, daß das s o z i a l e Leben der Menschen nur in k o n v e n t i o n a l e r Weise durchgeführt würde. Die Eigenart der S e l b s t h e r r l i c h k e i t , die nach dieser Seite hin das bedingende Merkmal des Rechtsbegriffes ausmacht (§ 41), gibt nicht immer den stärksten Anlaß zur Befolgung der gerade in Frage stehenden sozialen Ordnung a b ; die Konventionairegel drückt vielleicht noch stärker. E s handelt sich aber in dieser Erwägimg überhaupt nicht um einzelne praktische Abänderungsvorschläge, sondern um die Klärung der Gedankengänge, in denen wir unseren geistigen Besitz ordnen. Nun hat die K o n v e n t i o n a l r e g e l , wie früher (§ 103) bemerkt, einen Vorsprung vor dem selbstherrlichen R e c h t e , weil sie die Freiheit des einzelnen Menschen unangetastet läßt, nach der ihn doch sein persönlicher Drang treibt. Ein s o z i a l e s Dasein, und mit ihm ein weiterer n a t ü r l i c h e r Bestand des Menschengeschlechtes ist mit bloß k o n v e n t i o n a l e n Verbindungen wohl vereinbar. Folglich muß für den grundsätzlichen Vorzug des r e c h t l i c h e n Wollens vor der k o n v e n t i o n a l e n Regel ein anderer und stärkerer Grund angeführt werden, als die Bezugnahme auf das Vermeiden des Vernichtungskampfes unter den Menschen liefert.
Rechtszwang
§ 105. und
Sittlichkeit.
E s findet sich die Behauptung, daß das R e c h t eine sittlich notwendige Zwangsordnung s e i l . Damit würde in der Richtung der an dieser Stelle behandelten Erwägung, gesagt sein, daß der Rechtszwang eine notwendige Bedingung zu m ö g l i c h e r S i t t l i c h k e i t bedeute, 1 Dahingehende Wendungen finden sich in der Literatur häufig, meist kurz angegeben. Auch S O H M Weltliches und geistliches Recht, S.-A. au» Leipz. Festg. f. Binding, 1914 S. 14 wählt in seinen sehr bemerkenswerten Ausführungen (vgl. § 108) S. 17 die Fassung: Recht ist sittlich notwendige Oemeinschaftsordnung.
15*
§ 105.
228
Rechtszwang und Sittlichkeit.
daß die letztere ohne jenen nicht vorliegen würde. kurzer Hand nicht angenommen werden.
Allein das kann so
Das Wort sittlich hat, wie vordem (§ 33) dargelegt, verschiedene Bedeutungen. Wenn es im Gegensatze zu rechtlich und zu sozial gebraucht wird, so kann es nur die Frage des I n n e n l e b e n s betreifen (§32), gegenüber dem gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen. Bs hat dann zum Gegenstande d i e w ü n s c h e n d e n G e d a n k e n , die in Ordnung zu stellen und nach der Idee des reinen Wollens zu leiten sind. In dieser Hinsicht ist nun zweifellos die r e c h t l i c h e Art des sozialen Daseins keine notwendige Bedingung. Das Bestehen des R e c h t s z w a n g e s ist zur Erfüllung der genannten s i t t l i c h e n Aufgabe sicherlich nicht erforderlich. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die richtige Ausgestaltung des I n n e n l e b e n s gerade von der s e l b s t h e r r l i c h e n Art der s o z i a l e n Regelung abhängig sein soll und nicht auch bei einer nur k o n v e n t i o n a l e n Weise des Zusammenlebens erfüllt werden könnte. Dem gegenüber ist sogar darauf hinzuweisen, daß em erzwungenes Streben der Idee der L a u t e r k e i t im Innenleben (§ 86) nicht ausreichend nachfolgen würde. Hier muß vielmehr die freie Entschließung eines jeden eingreifen, wenn dem Gedanken des r e i n e n W o l l e n s nachgelebt werden soll 2 . Man darf nicht einwenden, daß bei bloß k o n v e n t i o n a l e m Zusammenleben der Einzelne sich dem besonderen Einflüsse anderer frei zu entziehen vermöchte. Es sei immer noch besser, würde dann gemeint sein, daß jemand zu einem richtigen Wollen g e z w u n g e n würde, als daß er dem gar nicht nachkäme. Soweit das zugegeben werden muß, entscheidet es das Problem nach der grundsätzlichen Berechtigung des Rechtszwanges a l s s o l c h e n gar nicht. Denn diese Zweifelsfrage richtet sich auf den prinzipiellen Vorzug des r e c h t l i c h e n Wollens o h n e alle R ü c k s i c h t auf s e i n e n I n h a l t . Jener oben genannte Einwand würde aber nur ein solches Recht rechtfertigen, das die ihm Unterstellten zu gutem Wollen anhielte. Hier aber handelt es sich um das Bedenken der Begründung des Rechtszwanges auch in solchen Fällen, da der von ihm gesetzte Inhalt in sich zweifelhaft oder sogar sicher verwerflich ist. Aber vielleicht ist das r e c h t l i c h e Wollen in seiner Eigenart, besonders gegenüber der k o n v e n t i o n a l e n Regel, in dem Sinne sittlich notwendig, daß sittlich in der Bedeutung von richtig oder gesetzmäßig gebraucht wird ? Dann würden wir es nicht mehr mit dem I n n e n l e b e n des einzelnen Menschen für sich zu tun haben, sondern gerade 3
LIPPS
BREUER
Die
(§ 2 2 N .
ethischen 2).
Grundfragen 1899 S. 107.
Nicht so deutlich
§ 106.
Die E i n h e i t d e r sozialen R i c h t i g k e i t .
229
mit dem s o z i a l e n L e b e n und der ihm gestellten Aufgabe. Hier wird in der Tat die Lösung des besprochenen Problems zu finden sein 3 . II. Die Notwendigkeit der rechtlichen Gemeinschaft. § 106. Die E i n h e i t der sozialen R i c h t i g k e i t . Die Anwendung des Grundgesetzes der W i l l e n s r e i n h e i t auf das r e c h t l i c h verbindende Wollen ergibt die Idee der r e i n e n G e m e i n s c h a f t . Sie steht neben der Idee der i n n e r e n L a u t e r k e i t (§86) und tritt auf, sobald als ideal zu richtender Gegenstand der einheitliche Gedanke des V e r b i n d e n s menschlicher Zwecke genommen wird (§92). Darum beherrscht sie das g a n z e G e b i e t des s o z i a l e n Wollens, also außer dem r e c h t l i c h e n auch das w i l l k ü r l i c h e und das k o n v e n t i o n a l e Wollen. Diese drei Arten des s o z i a l e n oder v e r b i n d e n d e n Wollens unterscheiden sich d e m B e g r i f f e n a c h . Sie trennen sich, wie früher ausgeführt wurde, nach den Artmerkmalen des b l e i b e n d e n Verbindens und desjenigen v o n F a l l z u F a l l , je nach subjektivem Belieben entweder des verbindenden oder des verbundenen Wollens. Jede Art des Verbindens aber wird von dem Grundgesetze für a l l e s menschliche Wollen ergriffen, wonach das in ihr begrifflich abgeteilte Streben entweder r i c h t i g oder u n r i c h t i g zu sein vermag. Auch W i l l k ü r kann im einzelnen Falle ihrem Inhalte nach gerechtfertigt sein. Sie entspricht alsdann der Idee reiner Gemeinschaft besser, als ein ihr entgegenstehendes R e c h t es in dießer fraglichen Lage fertig bringt. So konnte ein Akt der Kabinettsjustiz in einem gegebenen Streitfalle das sachlich richtigere Ergebnis liefern, als das Festhalten an dem gerade geltenden Rechte es tat 1 . Nicht minder ist die Erwägung grundsätzlicher Richtigkeit auch bei einer einzelnen K o n v e n t i o n a l r e g e l einzusetzen. Hier steht der Inhalt eines einladenden Forderns in Frage. Es ist kein Grund • Ü b e r die v o n B I N D E R v o r g e s c h l a g e n e F o r m e l , d a ß d a s R e c h t ein Z w a n g s v e r s u c h z u r Sittlichkeit sei, s. § 91 N . 4 a . E . 1 D a s gilt a b e r n u r f ü r die m e t h o d i s c h e E r w ä g u n g des einzelnen F a l l e s in seiner Vereinzelung. D e n n bei i h m b l e i b t d a s u n h e i l b a r e B e d e n k e n , d a ß er d e n R e c h t s g e d a n k e n a l s solchen in d a s W a n k e n b r i n g t , d e r in seiner möglichen a l l g e m e i n g ü l t i g e n B e g r ü n d u n g (§ 107) d e m g u t e n E r g e b n i s s e des b e s o n d e r e n Falles vorgehen m u ß . Schlagend a u s g e d r ü c k t bei S H A K E S P E A R E K a u f m a n n v o n Venedig in d e m W o r t e d e r P o r z i a : Es würde als ein Vorgang angejahrt, Und mancher Fehltritt nach demselben Beispiel Griff um sich in dem Staat; es kann nicht sein. (§ 2 N . 3.)— D a r u m k a n n e i n w i l l k ü r l i c h e s B r e c h e n des R e c h t e s n u r d a m ö g l i c h e r weise sich u n a b w e n d b a r u n d g e r e c h t f e r t i g t erweisen, wo es wieder zu einem n e u e n R e c h t e f ü h r e n soll. U n d a u c h d a n n bei B e n ö t i g u n g v o n einseitiger G e w a l t m i t s c h w e r e m H e r z e n . H i e r b l e i b t d e r Satz a u s S C H I L L E R S W i l h e l m Teil: Sind alle sanften Mittel auch versucht 1 . . Schrecklich immer. Auch in gerechter Sache, ist Gewalt. — S. a u c h § 48 u n d § 144 N . 5.
230
§ 107.
Das Recht als Bedingung sozialer Gesetzmäßigkeit.
ersichtlich, weshalb nicht auch über den dort auftretenden Inhalt des nur konventional verbindenden Wollens der Zweifel nach seiner sachlichen Begründetheit aufgeworfen werden könnte. Und dann bleibt als richtende Methode gleichfalls die Idee einer Gemeinschaft rein wollender Menschen bestehen 2 . E s gibt also für alle E i n z e l f r a g e n des s o z i a l e n Lebens nur eine einzige Methode des Richtens. Sie gilt gleichermaßen für das r e c h t l i c h e , wie für das w i l l k ü r l i c h e und das k o n v e n t i o n a l e Wollen. Aber hat nicht eines von diesen einen g r u n d s ä t z l i c h e n V o r z u g vorden andern, sobald man auf d a s G a n z e des s o z i a l e n L e b e n s g e h t ? Das führt zu der Frage nach der allgemeingültigen Begründung d e s Rechtes. § 107. Das
R e c h t als Bedingung Gesetzmäßigkeit.
sozialer
Der Inhalt eines Wollens ist dann g r u n d s ä t z l i c h berecht i g t , wenn er in seinem Wesen frei ist von n u r subjektivem Belieben. E r ist s a c h l i c h b e g r ü n d e t , wenn er nicht in einem b l o ß p e r s ö n l i c h e n Begehren seine Eigenart findet, sondern die Beschaffenheit der A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t gegenüber anderen abweichenden Gedanken besitzt Unter den verschiedenen Arten des sozialen Wollens kommt diese 1 So kann es r i c h t i g e und u n r i c h t i g e Konventionalr e g e l n geben, in ihrem Bestände freilich nur i n n e r h a l b der r e c h t l i c h e n Ordnung und unter ihrer Verantwortung (§ 42). Dagegen sind K o n v e n t i o n a l g e m e i n s c h a f t e n im genauen Sinne ja nicht möglich (§ 41 N. 4). E s ist sogar angängig, von einer richtigen oder unrichtigen Ausübung konventionaler Sätze zu handeln, wobei eine Parallele zu richtiger R e c h t s o u s ü b u n g (§§ 163 ff.), immer gedanklich in derselben Methode des Richtens, eingesetzt wird; z. B . bei dem Austragen eines Zweikampfes. 1 Die Begründetheit der r e c h t l i c h e n Ordnung a l s solcher kann nur teleologisch erbracht werden, indem dargetan wird, daß sie ein notwendiges Mittel zu rechtem Zwecke ist (§ 103). Dagegen geht es nicht an, die verpflichtende Bedeutung des Rechtes von einer Größe außerhalb seiner abzuleiten, wie in den §§ 5 2 — 5 4 genannten Versuchen gleichfalls unternommen worden ist. Denn hier fehlt jede Notwendigkeit, daß gerade ein r e c h t l i c h e s Wollen unter den übrigen s o z i a l e n Regeln als grundsätzlich geboten eingesetzt wird. — Über das Recht des Starkem s. § 72 N. 1. — Auch war es ein verfehltes Vorgehen, die bindende Weise von Recht und Staat in grundsätzlicher Art auf die Unterlage eines Vertrages zu stützen. S. oben § 103 N. 3. Denn bei diesem erhebt sich j a die zweifelnde Frage nach seiner Bindungsmöglichkeit selbst wieder von Neuem. K A E R S T Die Entstehung der Vertragstheorie im Altertum, ZPolit. 2 , 5 0 5 ff. G L E R K E Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien 1880, (3) 1913. STINTZING 1 , 4 6 8 ff. D A L L A R I Le nuove dottrine contrattualiste I N torno allo stato, al diritto e alla societa, Modena 1 9 0 1 . C A S S 1 R E R ( § 1 2 N . 1 0 ) S. 84 ff. Vgl. auch § 69 N. 1.
§ 107.
Das Recht als Bedingung sozialer Gesetzmäßigkeit.
231
Eigenschaft der O b j e k t i v i t ä t ausschließlich dem r e c h t l i c h e n Wollen zu. Das k o n v e n t i o n a l e Verbinden enthält nur eine Einladung, die die Frage des Verbundenseins in das p e r s ö n l i c h e Erm e s s e n des Angeredeten stellt (§40). Das w i l l k ü r l i c h e Machtgebot vollends behält den Bestand des Verbundenseins der s u b j e k t i v e n L a u n e des Anredenden vor (§46). Sie kennen beide ihrem Wesen nach nur ein Eingreifen v o n F a l l z u F a l l . Dagegen steht das r e c h t l i c h e Wollen gegenüber der k o n ventional verbindenden Art s e l b s t h e r r l i c h fest; und es •weist die w i l l k ü r l i c h e Gewalt in dem Sinne u n v e r l e t z b a r e r Regelung ab. Beides faßt sich dahin zusammen, daß das r e c h t l i c h e Verbinden seinem unwandelbaren Begriffe nach die Eigenschaft des b l e i b e n d e n Verbindens inne hat*. Jene beiden ersten Arten des sozialen Lebens lösen das letztere in eine Anzahl subjektiver Einfälle auf, die ihrem eigenen Sinne nach immer n u r b e g r e n z t e E i n z e l h e i t e n sein können. Dagegen besteht das Wesen des R e c h t e s in der b l e i b e n d e n Weise des Zusammenlebens. Das r e c h t l i c h bestimmte gesellschaftliche Dasein wird also i n s e i n e m f o r m a l e n B e s t ä n d e als d a u e r n d gesetzt, — nur d i e s t o f f l i c h b e d i n g t e n Besonderh e i t e n seines Inhaltes unterliegen dem steten geschichtlichen Wandel. Damit wird erst das s o z i a l e Dasein der Menschen a l l g e m e i n g ü l t i g ermöglicht und für seine g e s e t z m ä ß i g e Ausgestaltung Raum gewonnen s . D a s R e c h t d e s R e c h t e s ist hiernach grundsätzlich darin beschlossen, daß es d e n B e s t a n d des sozialen Lebens a 1 s s o l c h e n fest macht. Erst wenn dies außer Frage ist, kann an das o b j e k t i v e Behandeln der Einzelheiten im Inhalte eines verbindenden Wollens gedacht werden. Darum ist das R e c h t , in seiner begrifflichen Eigenart, ein unentbehrliches Mittel zu m ö g l i c h e r G e s e t z m ä ß i g k e i t des sozialen Lebens, und es vollendet sich hierin seine allgemeingültige Begründung.
Sozialismus u. Christentum (§15 N. 13) S . 55 ff.; 72 ff. — Rechtfertigung des Rechtes 1919. Eine besondere Anwendung ist von diesem methodischen Gedanken gegenüber dem individualistischen Anarchismus (§ 103) zu machen. Da dieser vorschlägt, n u r k o n v e n t i o n a l e s Verbinden grundsätzlich anzuerkennen (RSt. § 16), so würde nach ihm ein soziales Leben überhaupt nur in den Fällen statthaben, in denen eine freie Konvention gerade möglich ist und nun zufällig beliebt wird. Er verstößt also gegen die a l l g e m e i n g ü l t i g e Begründung des Rechtes, die darin liegt, daß das letztere durch seine Eigenart des b l e i b e n d e n Verbindens d e n B e s t a n d des sozialen Lebens a l s 3 o 1 c h e n allein festzustellen vermag. Vgl. WR. §§ 97 und 98. Mißverständlich faßt dies K A N T O R O W I C Z ArchRPhilos. 2, 50 auf. 1
STAMMLER
GERMANN 3
232
§ 108.
Recht und Kirche. § 108.
Recht
und
Kirche.
Die K i r c h e ist eine Verbindung von Menschen des gleichen religiösen Glaubens. Die k i r c h l i c h e Verbindung erscheint im Laufe der Geschichte überall unter der F o r m d e s R e c h t e s . E s steht außer Zweifel, daß eine ä u ß e r e K i r c h e und ein Kirchenrecht in irgend einer Weise in der gesamten Christenheit wirklich d a i s t . Dem gegenüber ist das Bedenken laut geworden, ob die r e c h t l i c h e Ordnung der Kirche auch i n n e r l i c h begründet sei1. Prüft man den Sinn dieser Frage, so kann der hier erhobene Zweifel wiederum nicht d a s ä u ß e r e V e r b i n d e n an und für sich betreffen. E s ist gewiß, daß das religiöse Leben zum Vereine mit Gleichgesinnten drängt, mag immer ein jeder für sich zunächst sich in die Gemeinschaft mit seinem Gott begeben. In der gemeinsamen Andacht und Verehrung eines göttlichen Willens erhebt erst ein jeder sich selbst. Und es ist von elementarer Notwendigkeit, in diesen letzten Fragen, die den Menschen bewegen mögen, sich im Aufnehmen von Gedanken anderer zu fördern und zu vervollkommnen 2 . Und vollends die Überlieferung 1 Sohm Kirchenrecht I . Bd. Die geschichtlichen Grundlagen 1892. Mit den Leitsätzen: Das Kirchenrecht steht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch. Das geistliche Wesen der Kirche schließt das Recht als ihre Ordnung aus, da dieses weltlich ist. Im Widerspruch zu dem Wesen c'er Kirche ist es zu einem Kirchenrecht gekommen. Dazu Sohm Weltliches und geistliches Recht (§ 105 N. 1). D e r s . früher: Das Verhältnis von Staat und Kirche aus dem Begriffe von Staat und Kirche entwickelt, S.-A. aus ZKirchR. 1873. Aus Sohms Nachlaß: Das altkatholische Kirchenrecht und das Decretum Gratians 1918. 2 Freilich ist diese Notwendigkeit des V e r b i n d e n s im Interesse r e l i g i ö s e r Förderung eine andere, als die Notwendigkeit des v e r b i n d e n d e n Wollens im Zusammenleben der Menschen ü b e r h a u p t . Das letztere, das s o z i a l e Wollen, ist l o g i s c h n o t w e n d i g (§ 34). Man kann nicht mehrere Menschern in Gedanken nebeneinander haben, ohne ihr Wollen zueinander i n B e z i e h u n g z u s e t z e n , das ist: ohne den Gedanken d e s v e r b i n d e n d e n W o l l e n s zu heben, der dann durch kritische Besinnung klarzulegen und in seiner bedingenden Bedeutung festzustellen ist. Dagegen ist es möglich, die verschiedenen Menschen in ihrem I n n e n l e b e n jeweils g e t r e n n t voneinander zu denken. Das bezieht sich auf die s i t . l i e h e Frage, wie im besonderen auf das r e l i g i ö s e Empfinden. Für diese letzteren Betrachtungen hat das Verbinden zum Zwecke wechselseitiger Förderung nur r e l a t i v e Bedeutung, während der Begriff des s o z i a l e n Lebens ohne die logische Bedingung des Gedankens vom v e r b i n d e n d e n W o l l e n eine contradictio in adiecto sein würde. Soweit aber es angezeigt ist, in s i t t l i c h e n und r e l i g i ö s e n Dingen, nach der genauen Erwägung dieser beiden Begriffe und ihres sachlich abgegrenzten Gebietes, ein V e r b i n d e n der dort hinein fallenden Ziele vorzunehmen, soweit hat dann das r e c h t l i c h e Verbinden wiederum einen in sich begründeten Vorrang vor der k o n v e n t i o n a 1 e n oder vor der w i l l k ü r l i c h e n Art des Verbindens. Damit beantwortet sich die Frage, die in gutem sachlichen Bedenken SAUER, ZStW. 42, 230 gestellt hat.
§ 108.
Recht und
Kirche.
233
der ererbten Lehren, ihre Übertragung in Sinn und Denkweise jeder neu werdenden Zeit fordert eine eigene Verbindung zwecks gemeinsamer Pflege dieser höchsten geistigen Güter. Auch das religiöse Sein der Einzelnen führt in folgerichtigem Ausdenken zu dem Verknüpfen ihrer Zwecke als Mittel füreinander 3 . Die oben aufgeworfene Frage kann sich daher nur auf den r e c h t l i c h e n Sinn des k i r c h l i c h e n Verbindens beziehen. Der Zweifler könnte das Bestehen der K i r c h e als solcher zugeben, aber sie nur unter bloßen K o n v e n t i o n a i r e g e l n zulassen. Gegenüber diesem Skeptizismus greift jedoch die gleiche Erwägung durch, die zu der allgemeingültigen Begründung d e s Rechtes ü b e r h a u p t führt (§ 107). Die Kirche soll sich zu dem Zwecke wechselseitiger Förderung und Vervollkommnung in o b j e k t i v r i c h t i g e r Weise ausbauen. Das kann sie nicht gewährleisten, wenn sie wirklich nichts anderes wäre, als eine Summe k o n v e n t i o n a l e r Verabredungen, die n a c h s u b j e k t i v e m B e l i e b e n die Verbindung halten oder auch nicht. Es ist vielmehr nötig, auch d i e k i r c h l i c h e V e r b i n d u n g als eine i n s i c h b l e i b e n d e zu setzen. Ihr Bestand muß a l s s o l c h e r unabhängig feststehen, damit sie ihrer inhaltlichen Aufgabe gerecht zu werden vermag. Das aber heißt: die Einrichtung der K i r c h e im Sinne eines r e c h t l i c h e n Wollens zu treffen. Das K i r c h e n r e c h t schließt sich den übrigen r e c h t l i c h e n Möglichkeiten in voller Gleichartigkeit an. Es bildet mit ihnen allen eine b e g r i f f l i c h e Einheit. Darum haben sie sich in ihrem besonderen Auftreten i n e i n a n d e r z u f ü g e n , und es ist dann des weiteren eine geschichtlich bedingte Frage, wer d a s l e t z t e W o r t der Entscheidung in den rechtlichen Dingen der gerade gegebenen Sachlage führt. Auf dieser Grundlage erhebt sich nun auch hier die abschließende Frage nach d e m b e r e c h t i g t e n I n h a l t des Kirchenrechtes. Es kommt d i e G r e n z e in Betracht, bis zu der das Aufstellen k i r c h e n r e c h t l i c h e r Bestimmungen allein g r u n d s ä t z l i c h g e r e c h t f e r t i g t sein kann 4 . Das löst sich dahin, daß der Gedanke reiner Gemeinschaft (§92) auf d i e k i r c h l i c h e V e r b i n d u n g leitend und richtend angewandt wird. 3
Dabei können praktische Zweifel darüber auftreten, ob es sich im gegebenen Falle um eine r e l i g i ö s e oder um eine r e c h t l i c h e Frage handelt. S. die Rechtsfälle RG. 57, 250; Christi. Welt v. 8. 6. 16. S T A M M L E R Recht und Kirche (§ 37 N. 3) S. 30 ff. * STAMMLER a . a . O . (N. 3) S . 57 ff.; 85 ff. Weitere Literatur das. S . 119 f. Dazu noch F A L C O Ii concetto giuridico di separazione della chiesa dallo stato, Turin 1913. F R I E D R I C H , ZPol. 2, 119 ff. D E R S . , ZKirchR. 16, 75 ff. M A R S S O N Austritt aus der Kirche, DJZ. 25, 742. — Neue ReichsVerf. 137.
§ 108.
234
Recht und Kirche.
Daraus folgt in abgrenzender Hinsicht, daß es verfehlt ist, einem Menschen den Inhalt seines religiösen Empfindens durch Rechtsgebot beschaffen zu wollen. Da andernfalls diese Innenfrage nach außen verlegt •wird, so ist nie zu wissen möglich: ob jemand die von ihm geäußerten Gedanken, über die er sich mit seinem Gott auseinanderzusetzen hat, in Wahrheit besitze und hege. Dagegen wird eine k i r c h e n r e c h t l i c h e Einrichtung und Bestimmimg soweit g r u n d s ä t z l i c h berechtigt sein, als sie ein wahres Mittel ist, einem jeden in seinem eigenen Streben nach religiöser Vervollkommnung, in dem Suchen nach dem Frieden seiner Seele in Gott h i l f r e i c h u n d f ö r d e r n d zur Seite zu stehen. Denn dieses stellt sich dann als ein g e m e i n s c h a f t l i c h e s Wollen dar, das in seinen jeweiligen Besonderheiten der Idee des r e i n e n Verbindens folgt und darum o b j e k t i v r i c h t i g sein kann, soweit nur in Menschenhand steht 5 . ' Über die Stellung
LUTHERS
ZU
diesen Fragen s. § 13 N. 7ff.
235
Viertes Buch.
Die Behandlung des Rechtes. Erster
Abschnitt.
Die Kategorien des Rechtes. I. Die einfachen Grundbegriffe des Rechtes. § 109. G r u n d b e g r i f f e des
Rechtes.
Die rechtlichen Sätze und Einrichtungen bilden für sich eine wilde und wirre Masse, die im Laufe der Geschichte kaum übersehbar entsteht. Um sie wissenschaftlich zu begreifen, braucht man feste Methoden. Das sind gleichmäßige formale Arten, jenes Getümmel von Einzelheiten zu sichten und zusammenzuziehen. Wir nennen diese Bedingungen des einheitlichen Ordnens d i e G r u n d b e g r i f f e d e s R e c h t e s 1 . Die M ö g l i c h k e i t rechtlicher Grundbegriffe liegt in d e m B e g r i f f e d e s R e c h t e s selbst. Er bedeutet eine unbedingt einheitliche Art des Ordnens für den Inhalt des Bewußtseins (§§1; 24). In seiner Reinheit ist er eine notwendige Bedingung für die gleichmäßige Bestimmung jenes Inhaltes (§23). Danach sind die Grundbedriffe des Rechtes die einzelnen Gedankengänge, die unausweichlich eingeschlagen werden, sobald ein besonderes Wollen in seiner Eigenschaft als ein r e c h t l i c h e s Wollen erkannt wird. Ihre Eigenart besteht darin, daß es r e i n e F o r m e n des Begreifens sind. Sie sind M e t h o d e n d e s O r d n e n s unserer Gedanken 1 Sobald jemand eine begrenzte Rechtsfrage bearbeitet, wird er mit einer gewissen elementaren Gewalt zu immer a l l g e m e i n e r e n Begriffen geführt. Darum ist es wohl immer angenommen worden, daß es Grundbegriffe der Rechtswissenschaft geben müsse, die von den Besonderheiten des Inhaltes dieser oder jener Rechtsordnung unabhängig seien. Man fühlt, daß man nur auf diesem Wege zu einer w i s s e n s c h a f t l i e h e n Behandlung der Rechtsfragen gelangen kann. Bezeichnend z. B . WINDSCHEID § 24. F.TTING Die Anfänge der Rechtsschule zu Eolcgna 1888 S. 68 f. — H E L F F E R I C H Die Kategorien des Rechts auf geschichtlicl.ei Grundlage 1863. BEKKER Grundbegriffe des Rechts und Mißgriffe der Gesetzgebung 1910.
236
§ HO.
Feststellung der rechtlichen Grundbegriffe.
und greifen bei a l l e n j e m a l s d e n k b a r e n Möglichkeiten eines rechtlichen Wollens Platz, bloß weil diese gerade ein r e c h t l i c h e s Wollen abgeben 2 . Die Bedeutung der rechtlichen Grundbegriffe liegt darin, daß durch ihre Erkenntnis es verständlich wird, wie Jurisprudenz als W i s s e n s c h a f t möglich ist. 3 Eine w i s s e n s c h a f t l i c h e Behandlung des Rechtes kann nur darin bestehen, daß der so stark zersplitterte und so verschiedene Stoff der geschichtlichen Rechtsfragen in einer u n b e d i n g t e i n h e i t l i c h e n Art und Weise aufgenommen und begriffen wird. Dazu braucht es jener einheitlichen Methoden der zusammenfassenden Betrachtung, wie sie d i e r e c h t l i c h e n Grundbegriffe sind. Nur unter ihrer Bedingung kann es geschehen, in völlig durchsichtiger Weise darzulegen, wie eine einzelne Frage sich in d a s G a n z e der Rechtsbetrachtung in einheitlichem Sinne einfügt 4 . § 110.
Feststellung
der
rechtlichen
Grundbegriffe.
Alles besondere rechtliche Wollen stellt einen zusammengesetzten Gedankeninhalt dar. Es enthält einmal d i e B e s o n d e r h e i t des fraglichen Begehrens und ferner die a l l g e m e i n e E i g e n a r t , daß es gerade ein r e c h t l i c h e s Wollen ist Da nun diese f o r m a l e E i g e n a r t in allen denkbaren r e c h t l i c h e n Fragen notwendig die g l e i c h e ist, so sind ihr die elementaren Gedankenrichtungen zu entnehmen, die als logische Bedingungen der einheitlichen Erfassung überall übereinstimmend wiederkehren. Wir werden daher diese letztgenannten G r u n d b e g r i f f e dann im einzelnen einsehen, wenn wir die elementaren Bestandteile kritisch bedenken, in deren einheitlicher Synthesis d e r R e c h t s b e g r i f f besteht 2 Die nähere Ausführung hierzu wird in der Tafel der Kategorien des Rechtes gegeben S. § 111. Man wähle zur Illustrieiung des allgemeiren Gedankens von den rechtlichen Grundbegriffen daraus einstweilen Beispiele, etwa den des Rechtssubjektes, des Rechtsverhältnisses usw. 3 Vgl. § 3 bes. N. 9. 4 Es darf hier wiederholt werden, daß niemals der zu bearbeitende S t o f f geschichtlicher Rechtsordnungen a l s s o l c h e r es ist, der seiner Bearbeitung den w i s s e n s c h a f t l i e h e n Charakter gibt. Das tut allein die f o r m a l e A r t , in der die Bearbeitung geschieht. Wenn man aber diese bedingende Weise des Vorgehens in kritischer Eesinnung klarstellen will, so heißt das dasselbe, wie die Methoden des Ordnens — das sind hier d i e r e c h t l i c h e n G r u n d b e g r i f f e — in ihrem unbedingt einheitlichen Eingreifen, also in ihrer bedingenden Eigenart, herauszuarbeiten. 1 Dasselbe Begehren kann ohne Veränderung seines Inhaltes auch als k o n v e n t i o n a l e s oder als ein w i l l k ü r l i c l i e s Fordern gedacht sein. S. §§ 38; 45. Vgl. § 5 N. 1. 2 Die Lehrsätze des Textes ergeben sich mit analytischer Notwendigkeit. Die juristischen Grundbegriffe müssen, als gleichmäßige Denkformen,
§ 111. Tafel der rechtlichen Grundbegriffe.
237
Es genügt also nicht, bloß einen begrenzten geschichtlichen Rechtsstoff in seiner Besonderheit zu analysieren, um die allgemeingültigen Kategorien des Rechtes zu erhalten: es kommt vielmehr auf ein Nachsinnen über d i e M ö g l i c h k e i t d e r Vereinheitlichung jenes Rechtsstoffes an 3 . Andererseits ist es gewiß, daß zur erfolgreichen Durchführung dieser Aufgabe eine umfassende Beherrschung von positivem Rechte erforderlich ist: der Gedanke vollends, solche Einsicht überhaupt außerhalb der Erfahrung zu gewinnen, ist in sich sinnlos 4 .
Tafel
der
§ 111. rechtlichen
Grundbegriffe.
Der Begriff d e s R e c h t e s weist vier grundlegende Gedankenrichtungen auf: Wollen, Verbinden, Selbstherrlichkeit, Unverletzbarkeit Daraus ergeben sich folgende Kategorien des Rechtes 2 , die bei jedem Satze, den jemand als einen r e c h t l i c h e n ausspricht, unweigerlich bedingend enthalten s i n d 3 . schlechterdings für jedes jemals mögliche Recht anwendbar sein, sonst ist eine durchgreifende Ordnung nicht herzustellen. Allem Rechte, das einmal geschichtlich werden kann, ist aber nur der Begriff des Rechtes selbst gemeinsam. Folglich können die reinen rechtlichen Grundbegriffe nur Gedankenrichtungen sein, die in dem Rechtsbegriffe selbst enthalten sind. J S. § 5 N. 4; dazu § 22 bes. N. 7c). Unklar W U N D T (§ 9 N. 3) S. 199 f. Auch B I N D E R (§ 18 N. 12) S. 16 verfehlt grundlegend den Gegensatz von g e n e t i s c h e r u n d von s y s t e m a t i s c h e r Betrachtungsweise und d a m i t die doppelte Bedeutung des Wortes a priori, nämlich einrral die H e r k u n f t außerhalb aller Erfahrung, — was es überhaupt, nicht gibt (§ 24 N . 3) — und zum andern den G e l t u n g s w e r t unabhängig von den Besonderheiten einer begrenzt empfundenen Erfahrung, — also d i e e i n h e i t l i c h e A r t d e s O r d n e n s dieser letzteren. Diese einheitliche Art des Ordnens ist durch k r i t i s c h e s B e s i n n e n auf die notwendigen Bedingungen möglicher Vereinheitlichung klarzustellen, also zwar nicht aus d e n B e s o n d e r h e i t e n einer einzelnen E r f a h r u n g her, wohl aber in a l l g e m e i n g ü l t i g e r Erwägung der Möglichkeit von e i n h e i t l i c h g e o r d n e t e n Eindrücken und Strebungen ü b e r h a u p t . Vgl. auch §§ 21 N. 5; 30 N. 1; 94 N. 3; 115 N. 4. 4 Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, daß es ihr im luftleeren Baume noch viel besser gelingen werde. K A N T Kr it. d. rein. V. (§ 15 N. 8) 2. Aufl. Einl. I I I S. 8. 1 Über die V o l l s t ä n d i g k e i t dieser reinen Gedankenrichtungen gilt das Gleiche, was oben § 81 N. 8 über die a b s o l u t e Gültigkeit reiner Ordnungsweisen gesagt ist. a Jede der oben wiederholten vier Gedankenrichtungen, die- mit dem Rechtsbegriffe eingestellt ist, weist bei ihrem möglichen Bestimmen eines begrenzten Begehrens zwei gegenüberstehende Möglichkeiten auf, wie sie aus der nun folgenden Tafel sich ergeben. * Beispiel: Dieses Buch gehört mir, ich habe es geerbt, der Besitzer enth ä l t es mir vor und soll es herausgeben. Die acht Grundbegriffe müssen hier jedem kritisch Bedenkenden doch sofort entgegenleuchten. S. auch § 112 N. 1. Aber ebenso in dem Satze: Der Angeklagte hat eine Urkunde gefälscht .
238
§ 111.
Tafel der rechtlichen Grundbegriffe.
1. R e c h t s s u b j e k t : die Vorstellung eines Wesens, das nach einem besonderen rechtlichen Wollen im Sinne eines S e l b s t z w e c k e s zu begreifen i s t 4 ; — R e c h t s o b j e k t dagegen, das in gleicher Lage a l s b l o ß e s M i t t e l zu bedingten Zwecken genommen wird 6 . 2. R e c h t s g r u n d ist die Vorstellung des rechtlichen B e s t i m m e n s mehrerer Willensinhalte als Mittel füreinander; — R e c h t s v e r h ä l t n i s ist das rechtliche B e s t i m m t s e i n jener Willensinhalte 6 . die z u m Beweise v o n R e c h t e n erheblich ist, u n d wird v o r d a s S t r a f g e r i c h t gezogen; o d e r : Zwei S t a a t e n schließen einen H a n d e l s v e r t r a g mit Zollverg ü n s t i g u n g f ü r gewisse vVaren. — D a b e i darf die logische S e l b s t ä n d i g k e i t d e r a c h t j u r i s t i s c h e n K a t e g o r i e n gegenüber d e m R e c h t s b e e r i f f e n i c h t befremden. Sie b e d e u t e n j a jeweils n u r eine verschiedene giundlegende A l t inu n d Weise, in d e r d e r Rechtsbegriff einen b e d i n g t e n Villensinhalt in lieit e r f a ß t . 4 E s h a n d e l t sich d a b e i u m d e n I n h a l t eines rechtlich verbindenden » V ö l l e n s , a b e r n i c h t u m eine natürliche F ä h i g k e i t jemandes. J e n e r R e c h t s i n h a l t wird in d e r P a r a l l e l e zu der allgem e i n g ü l t i g e n B e t r a c h t u n g jeder Zweckerwägung b e s t i m m t . Mittel u n d Zwecke g e h e n in ihrem b e d i n g t e n A u f t r e t e n n a c h beiden Seiten h i n o h n e E n d e vor. U m sie zu o r d n e n u n d alles d e n k b a r e Streben in u n b e d i n g t e r E i n h e i t zu erfassen, b r a u c h t m a n einen logischen A n f a n g , ein vollendet d u i c h greifendes V e r f a h r e n des Ordnens, d a s als E n d z w e c k alles Wollens b e s t e h t . H i e r s e t z t e r s t die V o r s t e l l u n g eines Wesens ein, d a s zu j e n e m E n d z w e c k f ä h i g ist u n d d a r u m S e l b s t z w e c k heißen kann. Und nun k o m m t die l o g i s c h e P a r a l l e l e hierzu i n n e r h a l b d e s Willensgebietes, d a s n a c h d e m R e c h t s b e g r i f f e a b g e g r e n z t ist. E s geschieht n o t w e n d i g , weil eben d a s R e c h t seiner e r s t e n K e n n z e i c h n u n g n a c h eine A r t d e s . W o l l e n s ist. T R . I I I 5 S. 194 ff. — W I N D S C H E I D §§ 49 ff. W A L L A S C H E K (§ 5 N . 3) S. 114 ff. BIERLING Kritik (§ 18 N . 13) 2, 75 f f . ; P r i n z i p i e n l e h r e 1, 201 ff. S C H U P P E D e r Begriff d e s s u b j e k t i v e n Rechts 1887 S. 290 ff. D E R S . E t h i k (§ 18 N . 13) S. 294 f. S T A M M L E R U n b e s t i m m t h e i t d e s R e c h t s s u b j e k t s , S.-A. a u s Gieß. F e s t g . , l'J07. BINDER K r V S c h r . 3. F . 13, 247 ff. SCHWARZ R e c h t s s u b j e k t u n d R e c h t s z w e c k , A r c l i B ü r g R . 32, 12 ff. DERS. K r i t i s c h e s ü b e r R e c h t s s u b j e k t u n d R e c h t s zweck, A r c h B ü i g R . 35, 1 ff. NICOL - SPEYER (§ 18 N . 13) S . 274 ff. KRÜCKMANN E i n h e i t , S u b j e k t , P e r s o n , A i c h Z i v P r . 114, 143 ff. — T R E N DELENBURG Z u r G e s c h i c h t e des W o r t e s P e i s o n , K a n t - S t u d i e n 13, 1 f f . 6 P I E R L I N G (N. 4) P r i n z i p i e n l e h r e 1, 239 ff. S O H M D e r G e g e n s t a n d . E i n Grundbegriff d e s B G B . 1905. B I N D E R V e r m ö g e n s r e c h t u n d Gegens t a n d , A r c h L ü . g R . 34, 209 ff. K I C O L - S P E Y E R (N. 4) S . 233 ff. * R e c h t s v e r h ä l t n i s s e f i n d e n n u r u n t e r M e n s c h e n s t a t t , die a l s R e c h t s s u b j e k t e a n e r k a n n t sind. D a g e g e n n i c h t im V e r h ä l t n i s s e v o n Menschen zu S a c h e n . D e n n d a s R e c h t s v e r h ä l t n i s ist ein B e s t i m m t s e i n eines W i l l e n s i n h a l t e s , ur.d ein solcl er k e r n im letzten E n d e n u r einem Menschen z u k o m m e n (§ 76 a. E.). D a s E i n s e t z e n a n d e r e r R e c h t s s u b j e k t e d u r c h ein b e s o n d e r e s r e c h t l i c h e s Wollen l ä ß t sich i n n er auf R e c h t s v e r h ä l t n i s s e u n t e r M e n s c h e n z u i ü c k f ü h r e n u n d in diese auilösen. D a s A u f stellen solcher R e c h t s s u b j e k t e b e d e u t e t also d a s Aufstellen v e n e i n f a c h e n F o r m e l n zur Beherrschung verwickelter Feehtsbeziehurgcn unter M a n schen (vgl. a u c h § 125). F ü r diese R e c h t s s v l j c k t e k e r n e n a k o auch w i f c e r R e c h t s v e r h ä l t n i s s e g e d a c h t w e i d e n , weil j a n W a h i h e i t a u c h in diesen F ä i l e n d a s B e s t i m m t s e i n v o n menschlichen Willensinhalten a l s
§ 112.
Die zusammengezogenen Grundbegriffe des Rechtes.
239
3. R e c h t s h o h e i t ist die Gedankenrichtung eines rechtlichen Wollens, nach der es den Zweck seines Bestimmens i n s i c h trägt; — R e c h t s u n t e r s t e l l t h e i t ist das Einordnen rechtlich v e r b u n d e n e r Willensinhalte als M i t t e l für ein v e r b i n d e n d e s Wollen 7 . 4. R e c h t m ä ß i g k e i t ist die Ü b e r e i n s t i m m u n g der verbundenen Willensinhalte mit dem sie verbindenden rechtlichen Wollen; — Rechtswidrigkeit besagt den W i d e r s p r u c h in der gleichen Richtung 8 .
II. Die abgeleiteten Grundbegriffe des Rechtes. § 112. Die
zusammengezogenen Grundbegriffe Rechtes.
des
Die einfachen rechtlichen Grundbegriffe kehren in jeder rechtlichen Erörterung w i e d e r A b e r sie erschöpfen für sich allein nicht die ordnenden Gedankengänge für besonderes rechtliches Wollen. E s zeigt sich bei eindringender Untersuchung, daß es weitere r e i n e Denkformen gibt, die bei dem einheitlichen Bestimmen rechtlicher Fragen gebraucht werden. Das erklärt sich daraus, daß die einfachen Grundbegriffe des Rechtes sich untereinander verknüpfen lassen und nun eigene zusammengezogene Grundbegriffe abgeben. Mittel füreinander stattfindet. — Über Rechtsverhältnisse s. auch W R . § 43. 7 Dieses sind reine Denkformen, sobald man zwei Anwendungen von rechtlichem Wollen in Beziehung zueinander setzt. So ist jedes subjektive Recht ( = rechtsunterstelltes Wollen) abhängig von einem objektiven Rechte ( = rechtshohem Wollen); s. § 133. Aber dieses letztere in seiner Bedingtheit ist auch wieder nur eine Einzelheit und muß deshalb in die Unbegrenztheit des Weltrechtes eingefügt werden (§ 138), welches letztere wiederum nicht ein b e d i n g t e s Recht a l s o b e r s t e S p i t z e bedeutet, die e i n f ü r a l l e m a l feststände, sondern auch immer nur in bedingten Anwendungen unserer reinen Grundbegriffe erscheint. — Siehe für diese zwei Grundbegriffe auch die Ausführungen in § 64. 8 T R . I I I 8 S . 2 1 2 f f . NATORP ( § 2 9 N . 4 ) S . 4 2 f . — BIERLING P r i n z i p i e n l e h r e ( § 1 8 N . 1 3 ) 3 , 1 7 0 f f . HOLD V. FERNECK D i e R e c h t s w i d r i g k e i t I . B d . 1 9 0 3 „
I I . Bd. 1905. DOHNA Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen 1905. DERS. ZStW. 24, 53 ff. FISCHER Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts 1911. NAGLER Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit Festg. f. Binding 1911, 2, 273 ff. MAYER Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts 1915 S. 9 ff.; 173 ff. SPIR Recht und Unrecht 1919. ROMELIN Über den Rechtswidrigkeitsirrtum, ZStW. 41, 495 ff. 1 Beispiele s. oben § 111 N. 3. Oder: Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gibt sie wieder her, — der Bestohlene als Rechtssubjekt beruft sich auf das Rechtsverhältnis des Eigentums an dem Rechtsobjekt, das er nach einem bestimmten Rechtsgrund erworben hatte, gegenüber dem rechtsunterstellten Dieb, der rechtswidrig eingriff und nun nach der Rechtshoheit des Gesetzes, den rechtmäßigen Zustand wieder herstellen soll.
240
§
Die zusammengezogenen Grundbegriffe des Rechtes.
Die so gewonnenen Begriffe stellen dann wiederum einheitliche Denkarten dar. die noch nichts von den Besonderheiten eines s i n n l i c h e m p f i n d b a r e n Begehrens in sich tragen, sondern auch nur m e t h o d i s c h e W e i s e n des ordnenden Bestimmens irgend eines begrenzten rechtlichen Wollens bedeuten; aber sie lassen sich in die einfachen Grundbegriffe des Rechtes auflösen und enthalten jeweils mehrere von diesen in zusammengezogener Weise 2 . Die so eingreifenden reinen Begriffe lassen sich danach in Beobachtung der genannten logischen Eigenart erschöpfend gewinnen. Ihre systematische Ausführung ergibt folgende Übersicht 3 : Rechtssubjekt
Rechtsobjekt
Rechtsgrund Rechtsverhältnis
Rechtsbindung Rechtsleistung
Rechtsverfügung Rechtsausschlie ßung
Rechtshoheit Rechtsunterstelltheit
Rechtssetzung Rechtsausführung
Rechtsgemeinsamkeit Rechtsanteil
Rechtmäßigkeit Rechtswidrigkeit
Rechtsbefugnis Rechtsschuld
Rechtspflicht Rechtsschaden
Rechtsgrund
Rechtsverhältnis
Rechtshoheit Rechtsunterstelltheit
Rechtsursprünglichkeit Rechtsableitung
Rechtsgesamtheit Rechtssonderheit
Rechtmäßigkeit Rechtswidrigkeit
Rechtsgültigkeit Rechtsverneinung
Rechtserwerb Rechtsverlust
2 Auch dieses ist selbstredend in kritischer Methode gemeint, also in der Besinnung darauf, welche bestimmenden Elemente in einem Gedanken v e r k n ü p f t sind. Z. B. ist Rechtsbejvgnis das rechtmäßige Wollen eines Lechtssubjekts. Dagegen darf es nicht etwa psychologisch genommen werden, also m i t der Meinung, d a ß der eine Begriff durch zwei andere zeitlich hinteiher hervorgebracht werde. Richtig ausgeführt bei G O E P E L ( § 8 1 N . 2 ) S . 1 4 . 3 Hier ist ein großer R a u m f ü r weitere monographische Arbeit. Die Bedeutung einer jeden reinen Rechtskategorie k a n n nicht nur in ihrer jeweiligen Anwendung auf ein bestimmtes geschichtliches Recht ausgeführt werden — was in der seitherigen juristischen Literatur fast ausschließlich geschehen ist —, sondern ist zuvörderst auch in ihrer Beziehung zu den übergeordneten Grundbegriffen und ihrer Überleitung zu dem Rechtsgedenken überhaupt vorzunehmen, im Verhältnis zu den sie umgebenden reinen Rechtebegriffen zu erwägen u n d von anderen rechtlichen Vorstellungen abzugrenzen, die sich a n sie herandrängen, obschon sie gar nicht von allgemeingültiger Bedeutung sind. So ist S c h u l d ein reiner Rechtsbegriff, wie die Übersicht des Textes ergibt, V e r d i e n s t im Sinne von L o h n dagegen nicht. Denn der letztere Gedanke setzt schon bestimmte, stofflich b e d i r g t e Rechtseinrichtungen, wie Vermögen, Vertrag u. a. voraus und leitet sich nicht einfach von dem R e c h t s b e g r i f f e als solchem ab. A. M. JREICHEL Die Mäklerprovision 1 9 1 3 S. 1 2 8 .
§ 113. Die einreihenden Grundbegriffe des Rechtes. Rechtshoheit Rechtmäßigkeit Rechtswidrigkeit
Die
einreihenden
241
Rechtsunterstelltheit Rechtsforderung Rechtsweigerung
Rechtsgebot Rechtsverbot § 113. Grundbegriffe
des
Rechtes.
Die vorstehend (§§ 111; 112) aufgeführten Grundbegriffe geben die reinen Denkformen an, die in einem jeden rechtlichen Willensinhalt einheitlich ordnend eingreifen. Nun geschieht aber das rechtliche Wollen fortgesetzt im Gange der Zeit, und es bietet sich gleichzeitig als weit ausgedehnter Stoff von Eiazelheiten dar. Das Einreihen des einzelnen rechtlichen Wollens in d e n z e i t l i c h e n Zusammenhang, in dem alles Recht sich darstellt, und fernerhin d a s V e r g l e i c h e n von rechtlich bestimmtem Wollen untereinander geschieht nun wiederum in gleichmäßigem Verfahren, ohne welches die hier nötige Betrachtung ungeordnet und verworren bleiben müßte. Es gibt darum schließlich, nach dieser Seite des Erwägens, e i n r e i h e n d e Grundbegriffe des Rechtes, und zwar in der genannten Doppelrichtung 1. D i e z e i t l i c h e i n r e i h e n d e n r e c h t l i c h e n begriffe: rechtlicher Anfang — rechtliche Fortsetzung rechtliche Beharrung — rechtliche Änderung rechtliche Endgültigkeit — rechtliche Vorläufigkeit rechtliche Aufschiebung — rechtliche Auflösung 2 .
Grund-
2. D i e l o g i s c h begriffe:
Grund-
einreihenden
rechtlichen
rechtliche Einfachheit — rechtliche Zusammensetzung rechtliche Bestimmtheit — rechtliche Bedingtheit rechtlicher Vorgang — rechtliches Nachstehen rechtliches Zusammenstimmen — rechtliche Verschiedenheit. 1 K A N T hat in Kritik d. rein. V. (§ 15 N. 8) S. 108 d. 2. Aufl. auf die P r ä d i k a b i l i e n , im Gegensatze zu den P r ä d i k a m e n t e n , in durchschlagender Weise hingewiesen. Er nennt als Etispiele die Begriffe der Kraft, der Handlung und einige andere, vei ziehtet aber an der dortigen Stelle auf nähere und vollendet systematische Ausfülirung, um den Gesamtbau seines Werkes nicht zu stören. Er ist später, auch in den Fragen der reinen Naturwissenschaft, nur noch kurz in einer Anmerkung zum § 39 der Prolegomena f f . D E R S . Induktion i n der Jurisprudenz, GrünhutsZ. 3 2 , 9 9 f f . B U B N O F F Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion, Kant-Studien 13, 357 ff. 2 S. § 133 Nr. 2: Allgemeines und besonderes Recht.
§ 131.
270
Der juristische Analogieschluß.
in ihrem durchgreifenden formalen Verfahren allgemeingültig beschreiben, aber sie stützt sich dabei auf die Einsicht in die notwendigen Bedingungen rechtlicher Gedanken überhaupt. Die reinen Formen des rechtlichen Begreifens und Urteilens können auf i n duktivem Wege nicht gefunden werden, sondern nur nach krit i s c h e r Methode (§ 5); so gelangt man mit dem Verfahren der j u ristischen Induktion allein niemals zu der Lösung der der Rechtsphilosophie im ganzen gesetzten A u f g a b e 3 . § 131. Der juristische Analogieschluß. Die Frage der A n a l o g i e t r i t t auf, sobald eine in sich unentschiedene Frage sich an eine sonst getroffene Entscheidung anlehnen möchte. Während also die I n d u k t i o n die a l l g e m e i n e r e Gattung von B e s o n d e r h e i t e n sucht, so handelt es sich in der Frage der Analogie um einen Schluß von einem B e s o n d e r e n auf ein neben ihm stehendes B e s o n d e r e s . Das i n d u k t i v e Verfahren sucht dabei die G l e i c h h e i t in den wesentlich bedingenden Gedanken verschiedenen rechtlichen Wollcns (§ 130), bei der A n a l o g i e lehnt sich eine besondere Rechtsfrage an die Entscheidung einer anderen a n , die ä h n l i c h ist. Nun besagt aber der Begriff der Ä h n l i c h k e i t nichts anderes als eine t e i l w e i s e G l e i c h h e i t . Dies kann bei r e c h t l i c h e n Erörterungen in bestimmender Weise so verwertet werden, daß in den Voraussetzungen zweier Tatbestände eine teilweise Gleichheit vorliegt. Aus einer solchen teilweisen Gleichheit der Voraussetzungen wird dann auf d i e G l e i c h h e i t d e r Folgen geschlossen. Sie sind für den einen Tatbestand angegeben und werden nun für den andern eingesetzt 1 . Ob eine t e i l w e i s e G l e i c h h e i t der Voraussetzungen vorliegt, kann nur in demselben Verfahren festgestellt werden, wie es bei der I n d u k t i o n stattfindet. E s ist auch bei der A n a l o g i e auf das übereinstinjnende Auftreten reir.er rechtlicher Grundbegriffe zu achten. Die Voraussetzungen zweier Rechtssätze sind dann einander ä h n l i c h , wenn in ihnen d i e g l e i c h e n r e c h t l i c h e n Grundb e g r i f f e in einer übereinstimmenden Art des Eingreifens z u m T e i l zu beobachten sind 2 . Auch bei dem j u r i s t i s c h e n A n a l o g i e s c h l u ß geht der Weg der Gleichsetzung über einen gemeinsamen Obersatz. Aus ihm 3 1
S. oben 5 21 N. 5. — T R . V I I 14 bes. S. 630.
THOL
(§18
N.
5)
§ 64.
VVINDSCHEID
§ 22
N
5—8;
§ 23 N.
la.
BlNDiNG H a n d b u c h des S t r a f r e c h t s 1. 1885 § 46. FALK D i e Analogie i m R e c h t 1906. BlERLlNG Prinzipienlehre (§ 18 N. 13) 4, 401 ff. 2 Formel: (a + b) : f = ( a + - c ) : x. T R . V I I 15 633 ff. — MARBE
Die Gleichförmigkeit in der Welt 1916
§ 132.
Lücken im Rechte.
271
sind die übereinstimmenden Folgen der gerade aufgeworfenen Rechtsfragen zu entnehmen. Das eigentliche Ziel ist hier aber nicht das erschöpfende Herausarbeiten jenes Obersatzes, sondern der überzeugende Schlußvon der einen Besonderheit auf die besondere Frage, für welche eine Entscheidung als r e c h t s ä h n l i c h zu finden ist 3 . Für die praktische Handhabung des j u r i s t i s c h e n Analog i e s c h l u s s e s sind zwei Fragen genau zu unterscheiden: 1. In welchem l o g i s c h e n V e r f a h r e n vollzieht sich eigentlich das Feststellen einer R e c h t s ä h n l i c h k e i t in einem gegebenen Fall? 2. Liegt es i m S i n n e e i n e s p o s i t i v e n R e c h t e s , daß von einer möglichen Analogie auch Gebrauch gemacht werden darf? Bei der j u r i s t i s c h e n Induktion kommt eine solche Unterscheidung nicht in Betracht. Für sie versteht es sich von selbst, daß mit den gesetzten Besonderheiten eines rechtlichen Wollens die mögliche Zusammenfassung in einem höheren Gattungsbegriffe besteht; die positive Gesetzgebung kann das induktive Zusammenfassen weder fördern noch verhindern, es ist ausschließlich Sache der w i s s e n s c h a f t l i c h e n L e h r e . Wohl aber kann ein Gesetz d i e A n w e n d u n g d e r A n a l o g i e verbieten. So kennt unser geltendes Strafrecht das Verbot der Analogie, soweit es sich um das Aufstellen von verbrecherischen Tatbeständen und um die Begründung der zu verhängenden Strafe handelt 4 . Man hat die seither hier besprochene Möglichkeit der Analogie auch mit dem engeren Namen der G e s e t z e s a n a l o g i e versehen. Es lehnt sich dabei eine Entscheidung an einen rechtsähnlichen Fall an, der t e c h n i s c h g e f o r m t erledigt ist. Wenn ein solcher sich nicht findet, so ist eine andere und weiter führende Erwägung einzusetzen l§ 132).
Lücken
§ 132. im R e c h t e .
Hiervon spricht man in zwei Fällen: 1. wenn man auf neu auftauchende Fragen in einem besonderen Rechte keine Antwort findet; 2. wenn das Gesetz eine Auskunft erteilt, der Kritiker hält sie aber nicht für richtig und wünscht eine andere Entscheidung 3
Aus der neueren Praxis: RG. 74, 114. OTTO Die Gewißheit des Richterspruches 1915 S. 55 ff. HEIN Identität der Partei (§ 114 N. 5) S. 74 N. 6—8; S. 138 N. 6; vgl. S. 41 N. 66. JoERGES ZRPhilos. 3, 64 ff. 4 FRANK. Kommentar zum StGB. § 2, I 2. 1 JUNG Von der „logischen Geschlossenheit" des Rechts, S.-A. aus Festg. f. Dernburg 1900. KRAUS (§ 18 N. 9) S. 789 ff.: Lücken im Strafrecht, 1902. ZLTELMANN Lücken im R e c h t , R e d e , 1903. BRÜTT (§ 139 N . 2). BIERLIH&
Prinzipienlehre (§ 18 N. 13) 4, 383 ff. ELZE Lücken im Gesetz. Begriff und Ausfüllung. Ein Beitrag zur Methodologie des Rechts 1913. HERRFAHRDT Lücken im Recht, Bonn. Diss. 1915. HEIN (§ 114 N. 5) S. 364 N. 81. ZEVENBERGEN Leemten in de Wet, Rede, Amsterdam 1920. JUNG Rechtsregel und Rechtsgewissen, ArchZivPinx. 118, 1 ff. Nr. 13: Die Lücken des überlieferten Rechts. HUBER (§ 6 N. 1) S. 350 ff.
•272
§ 133.
Die reinen Einteilungen des Rechtes.
Solche Lücken gibt es in beiderlei Hinsicht nur beim g e f o r m t e n Rechte (§ 127). Das Recht a l s s o l c h e s liefert i m m e r eine Antw o r t von einer sachlich voll befriedigenden Art. Wenn aber in der zuerst genannten Weise eine Lücke sich zeigt, also eine bestimmte Entscheidung einer gerade aufgeworfenen Frage Dach technisch g e f o r m t e m Rechte sich n i c h t finden läßt, so ist es zunächst mit der A n a l o g i e zu versuchen. Aber es ist ungewiß, ob sich jedesmal ein schon geformter Rechtssatz findet, den man analog anwenden kann. Und es ist nicht unbedingt notwendig, daß jede Rechtsordnung das Einsetzen des rechtsähnlichen Schlusses gestattet (§ 131). Wenn nun das g e f o r m t e Recht in einem aufgegebenen Falle keine Auskunft liefert, so ist es wieder nötig, die Entscheidung auszuwählen, die in jener Lage g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g ist. Denn es wiederholt sich dann die Erwägimg, die für das Auslegen von zweifelhaftem Rechtsinhalte als abschließende Wegeleitung gegeben wurde (§ 129). Da alles Recht d e n Z u g n a c h d e m R i c h t i g e n in sich trägt, so muß das, was g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g ist, überall eingesetzt werden, wo nicht ein geltendes Recht etwas anderes im besonderen angibt 2 . Sollte freilich das letztere der Fall sein 3 , so erscheint die Empfindung einer Lücke in dem zweiten, oben angegebenen Sinne. Dann aber muß dieses angeblich lückenhafte Recht, das in Wahrheit in seinem positiven Bestände ja gar keine Lücke aufweist (vgl. § 50), in der rechtlichen Praxis durchgeführt werden, und es bleibt nur die Frage einer anzustrebenden Abänderung des dann geltenden Rechtes*. Fünfter
Abschnitt.
Das Einteilen des Rechtes. I. Die juristische Systematik. Die reinen
§ 133. Einteilungen
des
Rechtes.
Das S y s t e m ist eine erschöpfend gegliederte Einheit 1 . Einen Stoff systematisch behandeln, heißt: ihn n a c h e i n e r f e s t e n A r t u n d W e i s e d u r c h d e n k e n , die sich durch die 2 Beispiel: BGB. 1620 stellt die Verpflichtung zur Aussteuer einer Tochter auf, sagt aber nichts über die Art und Weise, ob in Geld oder Naturalien usw. Hier verbleibt nur Zurückgelin auf BGB. 242 (vgl. unten § 164). 3 Vielleicht auch in dem Versapen einer von manchen gewünschten Folge, z. B. dem Versagen der Bestrafung dieser oder jenes Vergehens; s. 5 131 N. 4. * S. unten § 142: Die praktische Bedeutung der Idee des Rechtes. 1 TR. V 1 ff. — S. oben § 122.
§ 133.
Die reinen Einteilungen des Rechtes.
273
genannten drei Merkmale kennzeichnet: 1. E s werden dabei alle Einzelheiten als Teile eines Ganzen genommen, das durch einen einheitlichen Zielpunkt bestimmt ist. 2. Die einzelnen Glieder werden in Überund Unterordnung zueinander gesetzt. 3. Ihre Anordnung muß so geschehen, daß sie alle denkbaren Möglichkeiten in sich aufzunehmen geeignet ist. Das Gebiet des r e c h t l i c h e n Wollens kann einer solchen systematischen Behandlung unterworfen werden, weil alle hierher gehörigen Vorstellungen durch den R e c h t s g e d a n k e n bestimmt sind und durch ihn sich in Einheit fassen lassen 2 . Dabei wird der bedingte Stoff menschlichen Begehrens in reinen Denkformen ergriffen und nach ihnen in gleichmäßiger Weise bestimmt. Nach diesen allgemeingültigen Kategorien des juristischen Denkens, die sich jeweils in notwendiger Weise zwiespältig gegenüberstehen (§ 111), läßt sich sonach jedes besondere rechtliche Wollen allgemeingültig anordnen und in unbedingt erschöpfender Art einteilen. Daraus ergibt sich, daß man viermal mit solchen reinen Einteilungen des Rechtes einsetzen kann: 1. P e r s ö n l i c h e s und s a c h l i c h e s R e c h t . Das erste liegt vor, sobald es bei einem Rechtsinhalte darauf ankommt, etwas über ein Rechtssubjekt auszusagen, das zweite dagegen, falls jener Inhalt auf die R j c h t s o b j e k t e sich richtet. Bei jenem wird von den Besonderheiten eines rechtlichen Selbstzweckes ausgegangen, bei diesem über die Art und Folgen rechtlicher Mittel als solcher eine Anordnung gegeben 3 . 2. A l l g e m e i n e s und b e s o n d e r e s Recht. Diese Einteilung geht aus den reinen Grundbegriffen des Rechtsgrundes und des Rechtsverhältnisses hervor. Wir gewahren in dem einen rechtlichen Wollen, daß es für ein anderes logisch bestimmend ist, bei dem letzteren, daß eine Bestimmtheit durch jenes erste vorliegt. Danach bauen sich die allgemeinen Teile unserer Rechtswissenschaft und Gesetzgebung aus (§ 1 3 0 ) 4 . LOR. STEIN (§ 3 N. 9) S. 118 ff. LEHMANN Rechtsbegriff und Rechtssystem 1895. D E R S . Die Systematik der Wissenschaften und die Jurisprudenz 1897. RADBRUCH Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der rechtswissenschaftlichen Systematik 1903. STURM Die Einteilung des Rechts und die Abtrennung des internationalen Privatrechts sowie des Friedensrechts 1 9 1 2 . C O R N E L I U S Transszendentale Systematik 1916. 3 S. oben §§ 111 N. 4; 114 N. 3; 120 N. 1 i. A. * HUBER in Erl. z. Vorentwurfe eines Schweiz. ZGB. 1901 I S. 22 ff. ZLTELMANN Der Wert eines „Allgemeinen Teils" des bürgerlichen Rechts 1905. — Die Beherrschung der Einzelheiten wird durch diese Technik der neueren Gesetzbücher für den noch nicht genau Bewanderten keineswegs erleichtert. Er muß von der besonderen Frage zu den allgemeineren Vorschriften aufsteigen und sie in Einklang miteinander bringen. Z. B. von BBG. 554 zu 326 zu 284 ff.; von 481 und Kais. VO. v. 27. 3. 99 zu 459 zu 276 zu 119. Vgl. K R A H M E R Gegenseitige Verträge. Studien zur Systematik des Reichsrechts 1904. S t a m m l e r , Rechtsphilosophie. 18 2
§ 134.
274
D e r Begriff einer R e c h t s o r d n u n g .
3. O b j e k t i v e s und subjektives Recht, je n a c h d e m ein rechtliches Wollen i m Sinne der R e c h t s h o h e i t oder der Rechtsunterstelltheit b e s t i m m t ist 6 . 4. M a t e r i e l l e s und f o r m e l l e s Recht. D a s eine äußert sich darüber, w a s in seinem Sinne unverletzbar bestehen soll, d a s andere g i b t an, w i e diese Unverletzbarkeit bewahrt und durchgeführt werden soll § 134. Der
Begriff
einer
Rechtsordnung.
D i e rechtlichen Fragen treten in der Geschichte immer in der Abteilung von e i n z e l n e n Rechtsordnungen auf. E s fragt sich also, wodurch sich dieser Begriff einer Rechtsordnung kennzeichnet. W a s i s t eine Rechtsordnung? W o r i n liegt ihr bedingendes Merkmal1? E s ist klar, d a ß diese Frage den Begriff d e s R e c h t e s vorauss e t z t . Dieser kann i m Unterschiede von anderen Arten des menschlichen Wollens in sicherer Weise angegeben werden, ohne d a ß man eine be5 E s ist eine a l t e S t r e i t f r a g e , wie d a s R e c h t im, subjektiven Sinne wissenschaftlich zu bestimmen sei. Eine L ö s u n g ist solange unmöglich, als n i c h t klargestellt wird, d a ß subjektives Hecht in d r e i e r l e i B e d e u t u n g g e b r a u c h t wird, die sachlich verschieden ist: a) = R e c h t s v e r h ä l t n i s , z . B . E i g e n t u m s r e c h t ; b) - - R e c h t s b e f u g n i s , z . B . V e r k a u f s r e c h t des P f a n d g l ä u b i g e r s ; c) = r e c h t s u n t e r s t e l l t e s Wollen, als Gegenstück zu dem d a r ü b e r stehenden obj e k t i v e n R e c h t e . Bei a) ist es ein einfacher reiner Grundbegriff des R e c h t e s (§ 111); er h a t als Gegenstück (§ 55 Nr. 4) den Begriff des R e c h t s grundes. Bei b) ist es ein zusammengezogener rechtlicher Grundbegriff (§ 112), m i t d e m Gegenstück der R e c h t s p f l i c h t . Bei c) h a n d e l t es sich ü b e r h a u p t n i c h t mehr u m einen rechtlichen Grundbegriff, sondern u m eine systematische Einteilung v o n rechtlich bestimmten Villensinhalten. Hier wird also geschichtlich gegebenes Wollen zerlegt, das schon nach d e m bedingenden Gedanken d e s R e c h t e s und seiner r e i n e n D e n k w e i s e n b e s t i m m t ist. D a diese Einteilung aber doch eine a l l g e m e i n g ü l t i g e sein soll, die bei j e d e m d e n k b a r e n R e c h t e e i n g e b r a c h t zu werden vermag, so m u ß sie in ihrer E i g e n a r t auch wieder auf die bedingenden Ordnungsweisen des juristischen D e n k e n s z u r ü c k f ü h r e n . D a s geschieht, wie a u s der Zusammenstellung des T e x t e s ersichtlich ist, durch die m e t h o d i s c h e n G e d a n k e n der R e c h t s h o h e i t u n d der R e c h t s unterstelltheit (§ 111). — L i t e r a t u r zur F r a g e des s u b j e k t i v e n R e c h t s : V V I N D S C H E I D § 37. Jon. BIERMANN Bürgerliches R e c h t 1908 § 12. Besonders bezeichnend B E K K E R System des P a n d e k t e n r e c h t s I 1886 § 18. 6 D a s S t r a f r e c h t gehört also eigentlich zum f o r m e l l e n R e c h t e (s. §114 N. 10), wird aber n a c h der E i n t e i l u n g des T e x t e s als m a t e r i e l l e s S t r a f r e c h t gegenüber d e m S t r a f p r o z e ß r e c h t e wieder abgeteilt. Und es findet sich diese U n t e r s c h e i d u n g , in einer eigenen H y p o s t a s i e r u n g , sogar i n n e i h a l b des P r o z e ß r e c h t e s wieder. SAUER G r u n d l a g e n des Prozeßrechtes 1919. 1 E s ist m e r k w ü r d i g , d a ß diese F r a g e in der im T e x t e gestellten Weise in der ganzen seitherigen rechtstheoretischen L i t e r a t u r unseres Wissens n o c h niemals aufgeworfen worden ist. T R V 8 S. 384 ff.
275
§ 134. Der Begriff einer Rechtsordnung.
stimmte einzelne Rechtsordnung dabei vor Augen hat; dagegen ist die letztgenannte Vorstellung e i n e b e s o n d e r e A n w e n d u n g des allgemeingültigen Rechtsgedankens. Diese Anwendung setzt sonach eine bedingte geschichtliche Erfahrung voraus. Ohne die letztere ist die Abgrenzung verschiedener Rechtsordnungen untereinander nicht möglich. Andererseits soll d e r B e g r i f f einer Rechtsordnung von dieser oder jener Besonderheit eines Rechtsinhaltes unabhängig sein und eine bedingende Denkweise bedeuten, die bei allem r e c h t l i c h e n Wollen vorkommen kann. Die bedingenden Merkmale dieses Begriffes müssen also reine Denkformen d e s r e c h t l i c h e n B e g r e i f e n s sein; und da es sich um d a s A b t e i l e n rechtlicher Willensinhalte handelt, so ist auf die Möglichkeit d e r r e i nen E i n t e i l u n g e n d e s R e c h t e s (§ 133) zurückzugehen. Die vier Möglichkeiten reiner Einteilung des Rechtes stehen logisch im Range einander gleich. Für das Ziel der begrifflichen Bestimmung des Gedankens von einer Rechtsordnung kommen aber die Gegensätze von persönlichem und sachlichem, sowie von materiellem und formellem Rechte nicht in Betracht. Wohl aber greift hierfür alsbald die Gegenüberstellung von a l l g e m e i n e m und b e s o n d e r e m Rechte ein. Das erstere gibt den bedingenden Grund des letzteren an. Gerade dieser erscheint aber in dem Begriffe einer R e c h t s o r d n u n g als bestimmendes Merkmal. Denn sie will selbst wieder anderes Recht ordnen, will den Rechtsgrund der einzelnen in ihr und unter ihr zusammengefaßten rechtlichen Willensinhalte abgeben. Der Begriff der Rechtsordn u n g fällt also unter die bedingende Vorstellung von a l l g e m e i n e m Recht. Dazu tritt der Gebrauch des Unterschiedes von objektivem und s u b j e k t i v e m Recht. Wir denken bei der Aufstellung mehrerer Rechtsordnungen nebeneinander an die Anwendung der Kategorie der Rechtshoheit. Die Rechtsordnung soll als Ganzes die Möglichkeit für anderes, rechtsunterstelltes Wollen abgeben, selbst aber nicht ein abhängiges Mittel solchen Wollens sein. Sobald sie auftritt, haben wir ein ü b e r g e o r d n e t e s rechtliches Ganzes festzustellen. Eine R e c h t s o r d n u n g ist hiernach der Inbegriff von bestimmtem objektiven Rechte, das als Rechtsgrund alles darunter stehenden, rechtlichen Wollens gedacht ist. Durch die Abgrenzung der Rechtsordnungen untereinander entsteht der Gegensatz von ö f f e n t l i c h e m und b ü r g e r l i c h e m Rechte innerhalb ihrer 2 . Das öffentliche Recht betrifft die Rechtseinrichtungen, 2 Diese Einteilung ist in sicherem Empfinden von den römischen Juristen zur Grundlage ihrer Erwägungen genorriren worden. D. I 1, 1, 2 = J . I I , 4. LEONHARD Institutionen des römischen Rechts 1894 § 11 X S. 32 f. Sie ist durchgängig an die Stelle früherer allgemeiner Einteilurgsversuche getreten, nämlich a) Jus utrumque, das ist das römirche und das kanonische Recht, die Lehrart der mittelalterlichen Universitäten. KTINT» ZING I S. 3ff.; 25 ff.; 658ff. b) Land- und Lehnrecht, die Unterscheidung-
18*
§ 135.
276
Die bedingten Rechtssysteme
die auf die Ermöglichung und die Aufrechterhaltung dieser Rechtsordnung abzielen, — das bürgerliche Recht umfaßt die Regelung der dieser Ordnung unterstellten Rechtsverhältnisse s . Im Gange des sozialen Lebens kann die Frage zweifelhaft werden, ob eine R e c h t s o r d n u n g in gegebener Lage wirklich anzunehmen ist. Das ist dann nach der Lehre von dem G e l t e n des Rechtes zu beantworten (§ 69). Es ist also zu prüfen, ob für das dortige rechtliche Wollen die vorhin angegebenen Merkmale einer R e c h t s o r d n u n g anzunehmen sind, und ob in dieser rechtlichen Zusammenfassung der Gedanke der Rechtshoheit d i e M ö g l i c h k e i t s e i n e r D u r c h s e t z u n g besitzt.
Die
bedingten
§ 135. Rechtssysteme.
Das Einteilen und Darstellen eines geschichtlich gegebenen Rechtes geschieht in einem Ü b e r - u n d U n t e r o r d n e n . Es wird ein allgemeiner Begriff durch Weglassen einzelner Besonderheiten gewonnen, der als logische Bedingung diese Besonderheiten gemeinsam zusammenfaßt. Dieses Aufsteigen ist n a c h o b e n h i n abgeschlossen. Es gipfelt schließlich in dem Gedanken des Rechtes selbst. Es haben sich also die übergeorcti^en Gattungsbegriffe an die Möglichkeiten, die in den reinen Einteilungen des Rechtes bestehen, anzuschließen; z. B. die Zerlegung einer Rechtsordnung in das öffentliche und das bürgerliche Recht an die bedingende Denkweise des allgemeinen und des objektiven Rechtes (§ 134). Der l o g i s c h e Vorgang des juristischen Systematisierens ist hiernach von dem bei der juristischen Konstruktion (§§118 ff.) methodisch nicht geschieden. Bei der letzteren geht man von einer Einzelheit aus und sucht ihre Einfügung in das bedingende Verfahren des juristischen Denkens, bei dem rechtlichen Systematisieren wird das Ganze einer Rechtsder altdeutschen Rechtsbücher SCHRÖDER §§ 24; 40. BRUNNER §§ 26 ff. S. oben § 12 N. 11 ff. 3 Der Unterschied von ö f f e n t l i c h e m und b ü r g e r l i c h e m Recht kann also nur von dem Begriffe d e r f ü r s i c h abgeschloss e n e n R e c h t s o r d n u n g aus klargestellt werden. Andere Methoden haben nicht zum Ziele geführt. Vgl. die bezeichnende Eröffnung der Motive zum Entwürfe eines BGB. 1888,1 1: Das bürgerliche Recht läßt sich im allgemeinen als der Inbegriff derjenigen Normen bezeichnen, welche die den Personen zukommende rechtliche Stellung und die Verhältnisse, in welchen die Personen als Privatpersonen untereinander stehen, zu regeln bestimmt sind. Mit dem Abstellen auf die Privatpersonen ist der hier fragliche Gegensatz schon vorausgesetzt, ohne Angabe des logisch bedingenden Mf-rkmals. Aus der neueren Literatur: BIERLING Kritik (§ 18 N. 13) 2, 149 ff. HOLLIGER Das Kriterium des Gegensatzes zwischen dem öffentlichen und dem Privatrecht 1904. SCHENK Die Abgrenzung des öffentlichen und Privatrechts, Zöff-R. 1, 63 ff. SOMLO (§ 18 N. 13) S. 490 ff. JUNG Über die Abgrenzung des Privatrechts vom öffentlichen Recht und über die Gliederung des gesamten Rechtsstoffes, ZRPhilos. 2, 293 ff. — MERKL Staatszweck und öffentliches Interesse, VerwArch. 27, 268 ff.
§ 135. Die bedingten Rechtssysteme.
277
Ordnung von oben nach unten durchgegangen und im Sinne des juristischen Denkens erschöpfend geordnet. N a c h u n t e n h i n besteht dabei eine unabgeschlossene Betrachtung. Der bedingte Stoff geschichtlich vorkommenden Rechtes ist nicht begrenzt x . Wie er nach den Anforderungen eines S y s t e m s (§ 133) zutreffend zu behandeln ist, das bleibt überall eine E i n z e l f r a g e , deren Erledigung eben von seiner besonderen Beschaffenheit abhängt. Bei dem kritischen Durchleuchten der Aufgabe, die dem Rechtssysteme gestellt ist, wird sonach dem begründeten Ansprüche des geschichtlich gegebenen R e c h t s s t o f f e s keine Gewalt angetan. Seine selbständige Beachtung zeigt sich in zweierlei: a) Er kann sich im Rahmen der reinen Einteilungen des Rechtes beliebig zersplittern, ausbreiten und neu zeigen, b) Es steht jeder Rechtssetzung frei, von den Möglichkeiten allgemeiner Rechtseinteilung einen anderen Gebrauch zu machen, als sonstige geschichtliche Rechte es getan haben, z. B. können die Grenzen zwischen öffentlichem und bürgerlichem Rechte (§ 134) von den einzelnen Rechtsordnungen verschieden gezogen werden. Es gibt also kein a b s o l u t g ü l t i g e s System, sobald man die Besonderheiten historischen Rechtsinhaltes im Sinne hat. Ein Musterschema, das die Darstellung eines inhaltlich ausgeführten Systems wiedergebe, vermag immer nur eine r e l a t i v e Bedeutung zu haben. Es kann ja keine besondere Rechtsordnung den Gedanken einer u n b e d i n g t e n V o l l s t ä n d i g k e i t ausführen. Auch ist es ihr nicht möglich, eine a b s o l u t durchgreifende Gliederung wiederzugeben ; es wird in dem Stoffe ihres Inhaltes immer Übergänge geben 2 . Aber deshalb darf man nicht sagen, daß über den Wert eines bedingten Rechtssystems überhaupt kein Urteil gefällt werden könnte. Es braucht jede besondere Rechtsbetrachtung, um wissenschaftl i c h bestehen zu können, einen Halt im Anlehnen an die Einheit des Rechtsgedankens und die Verwertung der hiervon ausstrahlenden reinen Denkweisen. So wird ein besonderes System, das für eine gegebene Rechtsordnung aufgestellt wird, dann s a c h l i c h b e g r ü n d e t sein, wenn 1
S. hierzu § 28 N. 1. KAERGER Zwangsrechte. Ein Beitrag zur Systematisierung der Rechte 1882. EBBECKE Grundriß eines Systems der Rechtsordnung nach praktischen Zwecken 1888. DOHNA Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW. 27, 329 ff. AFFOLTER Das System des Code civil, RheinZ. 1, 474 ff. MEUMANN Observations sur le système du droit privé, Genf 1909. STAMPE Grundriß der Wertbewegungslehre. Zur Einleitung in ein freirechtliches System der Schuldverhältnisse. I 1912. DERS. Einführung in das bürgerliche Recht. Ein kurzes Lehrbuch nach neuem System und neuer Lehrmethode I 1920. MESZLÉNY Das Vermögen im BGB. und im Schweiz. ZGB. 1908. DERS. Das Privatrecht als Organisationsrecht, (§ 35 N. 1). ROSENBERG Das System des russischen Zivilrechts, D JZ. 23, 602 ff. JUNG Erläuterungen zum BGB. und zu den Zivilgesetzentwürfen Ungarns und Bulgariens, I. Über die Bedeutung richtiger Stoffgliederung in umfassenden Gesetzbüchern, JheringsJ. 69, 30 ff. 2
§ 136.
278
R e c h t und Staat.
es der formalen Methode des juristischen Systematisierens genügt und in seiner Lage die notwendigen Bedingungen dieses logischen Verfahrens erfüllt 3 .
II. Der Staat. Recht
§ 136. und
Staat.
R e c h t und S t a a t sind nicht gleichgeordnete Begriffe. Jenes ist die formale Beschaffenheit eines menschlichen Wollens, die sich allgemeingültig abgrenzen läßt; und es bezeichnet dann auch ein dem entsprechendes besonderes Wollen (§ 49). Der Staat bedeutet eine besonders geartete rechtliche Ordnung, nämlich eine solche, die für fest angesiedelte Menschen eines gewissen Gebietes gilt 1 . Das notwendige Verhältnis der genannten beiden Begriffe zueinander ist hiernach das, daß der Begriff d e s R e c h t e « die logische Bedingung für die Vorstellung von dem Staate ist. Der Begriff d e s Rechtes läßt sich in seinem Unterschiede von anderen Arten des menschlichen Wollens angeben, ohne daß man dabei die Vorstellung Staat als bedingende Gedankenrichtung nötig hätte. Dagegen ist es unmöglich, den Begriff d e s S t a a t e s anzugeben, ohne den formalen Gedanken des r e c h t l i c h e n Wollens dabei als maßgebliche Bestimmung einzusetzen. Mehr als das. Der Gedanke d e s R e c h t e s ist eine r e i n e F o r m des Bewußtseins. Auf ihn stoßen wir, sobärC wir die notwendigen Bedingungen für Einheit und Ordnung unseres geistigen Lebens in kritischer Selbstbesinnung klarstellen. Die Vorstellung eines b l e i benden Verbindens m e n s c h l i c h e r Zwe c k s e t zu ng , das ist: der Rechtsgedanke (§ 47), ist in dem vollständigen Grundrisse, nach dessen imbedingt festem Plan der wissenschaftliche Aufbau unserer Gedankenwelt zu geschehen hat, nicht zu entbehren, sondern unausweichlich enthalten (§8). Dagegen bedeutet der Begriff von dem Staate k e i n e reine D e n k f o r m . Wie das Wort Staat erst nach dem Ende des Mittelalters aus dem italienischen stato her allmählich Aufnahme gefunden hat, so ist die mit ihm verknüpfte Vorstellung an gewisse Bedingtheiten, wie sie im 3
§ 81:
1
LOENING
Absolute und objektive Richtigkeit. Der Staat, Handw. d. Staatsw. (3) V I I 6 9 2 f f . BORNHAK. Ges. u. R. 18, 130. RÜHLMANN Staatsanschauungen. Quellenstücke zur Geschichte des Staatsgedankens von der Antike bis zur Gegenwart 1918. — KAUFMANN Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt in den Vereinigten Staaten von Amerika 1908 S. 99 ff., bes. 113. M A Y E R Die rechtliche Bedeutung des Staatsgebietes für den Staatsbegriff, historisch und dogmatisch dargestellt, Greifsw. Diss. 1915. WERMINGHOFF Der Rechtsgedanke von der Unteilbarkeit des Staates in der deutschen und brandenburgisch- preußischen Geschichte, Rede, 1915. — M O H L 1, 227 ff. B Ä H R Der Rechtsstaat 1864 Ruck (8 169 IST 10 a TS V
§ 136.
Recht und Staat.
279
Eingange dieses Paragraphen genannt wurden, unweigerlich gebunden. Welche r e c h t l i c h e n Vereinigungen man gerade als Staaten bezeichnen will, welche nicht, das ist mehr Sache der Konvention 2 . Der u n b e dingt allgemeingültigen Kennzeichnung des Staatsbegriffes steht der eben genannte Umstand entgegen, d a ß er keine für das wissenschaftliche Denken überhaupt notwendige Kategorie besagt. E r erlaubt nur eine Beschreibung von v e r h ä l t n i s m ä ß i g allgemeiner Art. So kann es zwar eine a l l g e m e i n e S t a a t s l e h r e geben (§6), aber keine Staats-philosophie (vgl. § 3 ) 3 . Zu einer Abhängigkeit d e s Rechtes von d e m Staate gelangt man in einer a l l g e m e i n g ü l t i g e n Weise auch nicht, falls die E n t s t e h u n g von r e c h t l i c h e m Wollen in Erwägung gezogen wird. Da der Rechtsgedanke die logische Voraussetzung des Staatsbegriffes ist, und nicht umgekehrt, so kann jener a l s eigene A r t d e s v e r b i n d e n d e n W o l l e n s auch nicht von dem Staate ausgehen. Richtet man dagegen den Blick auf das Werden von b e s t i m m t e m e i n z e l n e n R e c h t e , so ist zwischen der Herkunft des positiven Inhaltes und zwischen der formalen Weise, in der es in die Erscheinung tritt, zu unterscheiden (II. Buch). Nur in der letztgenannten Hinsicht, also in der Lehre von den R e c h t s q u e l l e n , kann bei der Rechtssetzung, die sich von geltendem Rechte ableitet (§ 64), insbesondere bei der Frage nach Gesetz und Gewohnheit (§65), die Betrachtung d e s S t a a t e s im neuzeitlichen Sinne herangezogen werden. Das aber sind dann Erörterungen, die selbst schon die Besonderh e i t e n eines gegebenen Rechtes betreffen und eine W i e d e r g a b e von b e d i n g t e m Rechtsinhalte mit sich führen. Alle u n b e d i n g t a Daß sich Recht in Familien verbänden und bei fahrenden Stäiriren und Horden gebildet hat, die niemand als Staat bezeichnet, ist außer Zweifel. Vgl. § 39 N. 1; auch § 137 N. 2. Über Recht und Kirche s. § 108. 3 FRIES Politik (§ 20 N. 1) S. 11 ff. HAGENS Staat, Recht und Völkerrecht 1890. KLÖPPEL Gesetz und Obrigkeit. Zur Klärung des Staats- und Rechtsbegriffs 1891. HELD Studie über das sogenannte Staatsabstraktum, VolkswirtVJSchr. 29, 1 ff. BENOIST Die Lehre vom Staat, übers, v. Hauff 1896. BRUNO SCHMIDT Der Staat. Eine öffentlich-rechtliche Studie 1896. SEIDLER Das juristische Kriterium des Staates 1905; dazu WR. Anm. 134.
GRABOWSKY
Recht
und
S t a a t 1908.
KELSEN
(§
27
N.
5);
dazu
LAUN
ArchöffR. 30, 389. PILOTY Staat und Staatswissenschaften, Stengels Wörterb. d. Staats- u. VerwR. (2) 3, 457 ff. DERS. Autorität und Staatsgewalt 1905. MENZEL Zur Psychologie des Staates, Rede, 1915. MENDELSSOHN-BARTHOLDY Der Staat als sittliches Wesen, ArchRPhilos. 9, 29 ff.; 162 ff. ED. MEYER Der Staat, sein Wesen und seine Organisation, Südd. Monatsh. 1916 S. 999 ff. (vgl. § 61 N. 1). TÖNNIES Der englische Staat und der deutsche Staat 1917. SOMLO (§ 18 N. 13) S. 251 ff. MOLL Staat und Abgabenrecht 1917 § 1. KJELLEN Der Staat als Lebensform 1918; dazu MARCK, Kant-Studien 23, 77 ff. BINDING Zum Werden und Leben der Staaten. Zehn staatsrechtliche Abhandlungen 1920. WOLZENDORFF Der reine Staat 1920; S.-A. aus ZStaatsW. 75, 199 ff. — DERNBURG Die Bedeutung der Rechtswissenschaft für den modernen Staat, Rede 1884. LEIST Kann die zivilistische Rechtswissenschaft dem Staate nützen ? Rede 1908.
280
§ 137.
Staatloses Recht.
a l l g e m e i n g ü l t i g e n Betrachtungen über das Werden des Rechtes, insbesondere die R e c h t s p s y c h o l o g i e , haben mit dem Begriffe d e s S t a a t e s keineswegs wesentlich zu tun und sind von ihm nicht abhängig. Endlich führt das Suchen nach d e m Z w e c k e des Staates selbstverständlich auf dessen Eigenschaft als einer besonders gearteter rechtlichen Vereinigung zurück. Es kann der Zweck d e s S t a a t e s im letzten Grunde kein anderer sein, als die ideale Aufgabe d e s R e c h t e s (§§91 ff.). Eine neue Richtlinie der Gedanken, die neben d e r I d e e d e s R e c h t e s selbständig als Staatszweck herliefe, ist begründetermaßen nicht möglich (vgl. § 169). § 137. Staatloses Recht. Es gibt weite Flächen auf der Erde, die unter keiner Staatsgewalt stehen. Zu den s t a a t l o s e n Gebieten zählt das offene Meer, aber auch, nicht immer bedeutungslos, manche Teile des Festlandes. Wenn sonach eine s t a a t l i c h e Gewalt an manchen Orten, da Menschen zusammentreffen können, fehlen mag, so ist doch überall ein r e c h t l i c h e s Verbinden unter denen, die dort zusammenkommen, möglich; und es ist alsdann n o t w e n d i g , ein R e c h t i m s t a a t l o s e n G e b i e t e festzustellen 1 . Diese N o t w e n d i g k e i t ist k e i n e u r s ä c h l i c h e . Man kann nicht sagen, daß es nach n a t u r g e s c h i c h t l i c h e r Betrachtung nötig sei, daß überall r e c h t l i c h e s Wollen bestehe. Das läßt sich nicht beweisen. Wenngleich wir nach aller Erfahrung nichts davon wissen, daß Menschen ohne Recht gelebt hätten, so ist doch ein u n b e d i n g t a l l g e m e i n g ü l t i g e r Nachweis aus dieser geschichtlichen Beobachtung her nicht zu erbringen2. Daß ein R e c h t auch im s t a a t l o s e n Gebiete notwendig ist, folgt zunächst aus der l o g i s c h e n Notwendigkeit, bei dem Bedenken des menschlichen Strebens den Begriff des v e r b i n d e n d e n Wollens einzusetzen. Denn die Vorstellung des vereinzelt lebenden Menschen ist nur eine vorläufige. W e n n w i r a u s d e n k e n , so 1 S T A M M L E R (§ 34 N . 3). F I N G E R GerS. 76, 461. M A U E R , D J Z . 15, 366 f. — H I N R I C H S 1, 61 ff.; 107 ff. L L S Z T Völkerrecht § 2 6 . Über die Freiheit des Meeres sind während des Krieges mehrere Abhandlungen ersehienen. so W . C A L K E R Das Problem der Meeresfreiheit und die deutsche Völkerrechtspolitik. S I E M E N S Die Freiheit der Meere. S T I E R - S O M L O Die Freiheit der Meere und das Völkerrecht. M E U R E R Das Problem der Meeresfreiheit. T R I E P E L Die Freiheit der Meere und der künftige Friedensschluß L I E P M A N N Die Freiheit der Meere, D J Z . 2 2 , 9 2 2 . — B O S C H A N Der Streit um die Freiheit der Meere im Zeitalter des Hugo Grotius 1919. 2 Vgl. hierzu auch § 61: Das erste Auftreten des Rechtes. Ferner über die Versuche, r e c h 11 o s oder gar überhaupt u n s o z i a l lebende Menschen zu entdecken: W R . Anm. 49.
§ 138.
Das Weltrecht.
281
müssen wir sein Wollen mit dem von anderen in Verbindung setzen und. danach ihr Verhalten gegeneinander ordnen (§34). Daß aber dieses v e r b i n d e n d e Wollen, dessen b e g r i f f l i c h e Notwendigkeit feststeht, in r e c h t l i c h e r A r t zu gestalten ist, folgt aus der Notwendigkeit der I d e e des Rechtes. Es kann geschehen, daß das v e r b i n d e n d e Wollen in seinem wirklichen Auftreten willkürlich, vielleicht sogar nur konventional bleibt; aber dann ist wiederum n i c h t folgerichtig ausged a c h t , weil die mögliche Einheit im Inhalte des menschlichen Wollens, nach der Idee des reinen Wollens, vernachlässigt ist, und das sonst auftretende soziale Begehren als Ganzes wild und wirr bleibt und nur von Fall zu Fall eingreifen könnte (§ 107). Wenn sonach auch im s t a a t l o s e n Gebiete rechtliches Wollen nicht zu umgehen ist, so fragt es sich, woher es seinen Inhalt nehmen soll 3 . Die Antwort hierauf wird durch die Lehre von der u r s p r ü n g lichen Rechtsentstehung gegeben. Sie zeigt, daß man mit einer Übertragung bestehenden Rechtes in staatlose Gebiete nicht ausk o m m t 4 , daß vielmehr im staatlosen Gebiete bei dem Zusammentreffen mehrerer Menschen n e u e s R e c h t sich bilde; sie berichtet über die verschiedenen Möglichkeiten dieser Entstehungsweise von Recht und hat die wissenschaftliche Erklärung solcher mejkwürdigen Vorgänge zu geben (§ 66). § 138. D a s W e 11 r e c h t. Wenn die berechtigt
einzelnen Rechtsgemeinschaften gegeneinander sein sollen, so müssen sie das notwendig von einem
3 Verschieden von dieser Frage ist die nach den s t a a t l o s e n Pers o n e n . Dahin zählen weniger solche, die aus staatlosen Gebieten herstammen, als vielmehr Deutsche und Ausländer, die ihre Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, ohne eine neue in einem anderen Staate erworben zu haben; festzustellen nach ReichsG. v. 22. 7. 13. öfter mit Schwierigkeiten bei Abkömmlingen verbunden, weil die einzelnen Staaten bald Territorialitäts-, bald Personalitätsprinzip haben. Auch die Zigeuner zählen vielfach hierher, obwohl es häufig unsicher bleibt. — Alle solche s t a a t l o s e n Personen stehen zweifellos unter dem R e c h t e ihres Aufenthaltes. a) Für die Zigeuner: R A . v. 1500 § 28. MJ. 7. 2. 06 und 4. 2. 11; JM. 5. 7. 06. VO. 27. 11. 96, I I A 4. Verh. d. preuß. A H . 29. 412. BITTER HandWB. d. preuß. Verw. s. v. Zigeuner. GRUNBERG HandW.d.Staatsw. (3) 2, 601. BREITTON Die Zigeuner und der deutsche Staat 1911. HessRsprech. 7, 31; vgl. DJZ.
18,1160.
b) Allgemein:
BITTER
a. a. O . 1,
552 f f . ; 165 f f .
KAYSER-LOENING,
HandW.d.Staatsw. (3) 2, 314 ff. KELLER-TRAUTMANN ICom. z. StAngG. S. 52Sff. FRISCH Das Fremdenrecht 1914. c) Militärdienst staatloser Ausländerr MilG. 22. 7. 73 § 11; StAngG. § 12; dort auch über jetzt staatlose ehemalige Deutsche § § 9 : 1 ) und 31, in Vergleichung mit §§ 11; 13; 30. d) Juristische Personen mit Sitz in staatlosem Gebiete, z. B. Spitzbergen: Es gilt das allgemeine Recht über ausländische Vereine. BGB. 23; GO. 23, 1. 4 Vgl. StGB. 4; ReichsG. 7. 4. 00 § 77. — Hierher gehört auch die internationale Vereinbarung über unterseeische Kabel v. 14. 3. 84.
§ 138
282
Das Weltrecht.
ü b e r i h n e n stehenden rechtlichen Wollen ableiten. Andernfalls würde das Verbot, in fremdes Staatsgebiet einzudringen (z. B. auch bei der Verfolgung eines flüchtigen Verbrechers) gar nicht als r e c h t l i c h e Weigerung zu begreifen sein; es würde ein R e c h t der Notwehr gegenüber anderen Rechtsverbänden nicht behauptet werden können; usf. Hieraus ergibt sich in notwendiger Folge das W e 11 r e c h t. Es ist nicht ein bestimmter Rechtsinhalt, der vielen oder allen gleichzeitig bekannten Rechtsordnungen gemeinsam wäre 1 . Das W e l t r e c h t umfaßt die Rechtssätze, die notwendig sind, um den Bestand gesonderter Rechtsordnungen zu begreifen. Es trennt sich von dem Völkerrechte, auch soweit dieses sich auf seine allgemeine Grundlage besinnt; denn das letztere nimmt nur Rücksicht auf die Staatengemeinschaft westeuropäischer Zivilisation 2 . In dem W e l t r e c h t e dagegen bewährt sich die U n b e g r e n z t h e i t des Rechtsgedankens; es hat zum Inhalte das rechtliche Wollen, das von dem Gedanken des einheitlichen Zusammenhanges alles besonderen Rechtes getragen ist 3 . Das Bestehen selbständiger Rechtsgemeinschaft e n , vor allem das Bestehen s o u v e r ä n e r S t a a t e n , ist damit nicht im Widerspruche. Sie sind auch unter dem Gedanken des W e l t r e c h t e s möglich, so gut, wie es innerhalb der einzelnen Rechtsordnung die R e c h t s s u b j e k t e , im Sinne rechtlich anerkannter S e l b s t z w e c k e zu geben vermag (§ 111); und wie diesen dort d a s l e t z t e W o r t der Entscheidung über Rechtsobjekte als E i g e n t u m zuge1 Allerdings wird der genannte Ausdruck öfter auch in diesem Sinne gebraucht. So: ZITELMANN Die Möglichkeit eines Weltrechts, Vortrag 1888. OFNER Der Grundgedanke des Weltrechts 1889. KLEIN Die Möglichkeit eines Weltprivatrechts 1913. DERS. Internationalrechtliche Privatrechtseinheit, ZlnternatR. 18, 1 ff. — JHERING (§ 18 N. 8) Geist des R R . (2 ) 1866 § 1. BRINZ Über Universalität, Rede 1876. DERS. Lehrbuch der Pandekten (2) 1873 I § 22. 2 Es ist auch hier daran zu erinnern, daß das V ö l k e r r e c h t die Eigenschaft des R e c h t e s hat (§ 71). Das verbindende Wollen, das in jenem sich zeigt, weist alle Merkmale des R e c h t s g e d a n k e n s auf (§ 47). Man hätte übrigens niemals fragen sollen, ob es, statt Völker r e c h t nur eine VölkermoraZ gebe, sondern, ob statt jenes n u r eine Völker k o n v e n t i o n oder eine Völker w i 11 k ü r bestehe. Denn es handelt sich ja nicht um s i t t l i c h e s Leben im Innern des Menschen, sondern um s o z i a l e Regelung; und es können mit Fug im Leben der Völker miteinander nur die d r e i A r t e n des s o z i a l e n Wollens in Frage gestellt werden. — Die Literatur des positiven Völkerrechts gehört nicht zu unserem Thema. In besonderer Hinsicht sind methodologisch von Interesse BRUNO SCHMIDT Uber die völkerrechtliche clausula rebus sie stantibus sowie einige verwandte Völkerrechtsnormen. Zugleich ein Beitrag zu grundsätzlichen Problemen der Rechtslehre 1907. KAUFMANN Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sie stantibus. Rechtsphilosophische Studie zum RechtsStaats- und Vertragsbegriffe 1911 (§ 167 N. 3). VAN DER VLUGT Vragen
van
methode
(§ 22 N. 2).
KELSEN (§ 67 N . 2).
Vgl. § 111 N. 7. Es ist also das W e l t r e c h t immer da, sobald überhaupt der Gedanke des r e c h t l i c h e n Wollens in Gestalt abgegrenzter Rechtsordnung verwirklicht ist. S. § 134, bes. N. 3. 3
§ 138.
Das Weltrecht.
283
teilt werden kann (§114), so ist das Gleiche im Verhältnisse der Rechtsordnungen zueinander mit Zuteilung der S o u v e r ä n i t ä t an die einzelnen Staaten möglich und wohl verständlich 4 . Hieraus folgt, daß alle internationalen Vereinigungen einzelner Menschen oder besonderer, abgegrenzter Kreise von ihnen kein neues Recht ü b e r den verschiedenen Rechtsordnungen begründen können. E s kommt für jede Einzelperson nur die besondere rechtliche Verbindung in Frage, der sie gerade unterstellt ist. Daraus mögen sich wohl auch Reibungen und Streitigkeiten zwischen sogenannten internationalen Bestrebungen und den nationalen Rechtsordnungen ergeben. Im Grunde laufen aber auch jene ersteren wieder darauf hinaus, in den letzteren einen geänderten Inhalt der dortigen rechtlichen Einrichtungen herbeizuführen, keineswegs aber auf ein Streichen der Selbständigkeit und ein Vernichten der einzelnen Rechtsordnungen. Daß das jemals aufhören könnte, und es bloß e i n e einzige rechtliche Vereinigung aller Menschen in der Erfahrung geben würde, ist eine Chimäre. Ihr Vorbringen führt keinen logischen Widerspruch in sich, zeigt jedoch unüberwindliche Schwierigkeiten bei dem Ausbau des Gedankens. Dieser bleibt daher eine gleichgültige, subjektive Meinungssache 6 . Statt dessen ist das W e l t r e c h t , das im oben beschriebenen Sinne die einzelnen Rechtsordnungen erst wahrhaft ermöglicht und gewährleistet, in den Besonderheiten seines Inhaltes immer mehr und besser auszubauen. Wenn diese selbstverständliche Aufgabe in der heutigen Zeit unter dem Worte des Völkerbundes mit eigener Stärke betont worden ist, so ist damit m e t h o d i s c h kain neuer Gedanke geliefert. Die Frage nach ihm war mit der Eigenart des r e c h t l i c h e n Wollens von selbst gefordert und ist seit langem systematisch beachtet worden 6 . Es ist nicht an dem, d a ß d i e A u f g a b e d e s W e l t r e c h t e s erst durch einen bedingten und begrenzten Bur.d unter einzelnen Völkern geschaffen würde. Eine Beschränkung auf bestimmte Vertragschließerde hat für die systematische Erwägung der hier vorliegenden Probleme keine Bedeutimg, Sie kann bloß Einzelheiten in der Regelung be4 Wieweit dabei die Beherrschung gehen soll, ist offene Frage nach dem begründeten Inhalte des übergeordneten Rechtes. S . zu N . 5 . — F E U E R B A C H Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit, Kl. Schriften 1833. S 34 ff. HÄRTUNG Die Lehre von der Weltherrschaft im Mittelalter, ihr Werden und ihre Begründung, Hall. Diss. 1909. 5 Vgl. § 100 N. 2. Auch § 179. HILL Völkerorganisation und der moderne Staat, übers, v. T H O M A S 1911. LISZT Die rechtliche Natur des Völkerbundes, DJZ. 23, 6 6 1 ff. V O R LÄNDER Kant und der Gedanke des Völkerbundes 1 9 1 9 . SPRANCER Völkerbund und Rechtsgedanke, Rede 1 9 1 9 . S C H Ä T Z E L Probleme des Völkerbundes 1 9 2 0 . RÜHLMANN Der Völkerbundsgedanke. Materialiensammlung 1 9 2 0 . — H O L L D A C K Grenzen der Erkenntnis ausländischen Rechts 6
1919.
284
S 138.
Das Weltrecht.
sonderer Fragen betreffen, niemals aber dem Gedanken ausweichen, daß in dem Verhältnisse der Völker zueinander die r e c h t l i c h e Verbindung — auch ohne allen Bund — b e r e i t s b e s t e h t und als grundsätzlich allein berechtigte Art der sozialen Regelung (§ 107) mit Fug nicht beseitigt werden kann Hieraus folgt, daß bei dem Ausbau der Einzelfragen, die sich in einer gegebenen geschichtlichen Lage erheben mögen, überall d e r B e g r i f f und d i e I d e e d e s R e c h t e s zu wahren ist. E s ist für das Zusammenleben, das auch die Völker in ihren Gesamtschicksalen miteinander zu führen haben, der Gedanke d e s 7 Die Erörterung eines Völkerbundes ist nur insofern eine r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Frage, als sich bei ihr d i e Unbegrenztheit des Rechtsgedankens zeigt. Es ist selbstverständlich, daß der Gedanke d e s R e c h t e s nicht an den Grenzen eines bestimmten Staatswesens halt machen kann; denn das letztere ist in seiner besonderen Erscheinung j a selbst nur e i n e b e d i n g t e A n w e n d u n g des allgemeingültigen Rechtsgedankens (§ 136; s. auch § 134). Aber andererseits betrifft jeder Vorschlag eines eigens ausgebauten Völkerbundes wieder nur eine technisch b e s c h r ä n k t e Erwägung. Ob er, der Völkerbund, wirklich das durchgreifende Mittel ist, um r e c h t l i c h e Zustände in sicherem Sinne zu schaffen, bleibt überall o f f e n e F r a g e . Denn jeder Völkerbund ist wieder nur eine Äußerung des s o z i a l e n oder v e r b i n d e n d e n Wollens (§§ 31 ff.). Dann aber gilt die Möglichkeit von d r e i K l a s s e n einer Verbindung von Zwecken auch für den Bund von Völkern: die konventionale, die r e c h t l i c h e , die willkürliche Art. E s muß also für die E m p fehlung eines bestimmten Völkerbundes in erster Linie geprüft werden: ob er eine Gewähr bietet, daß er unter seinen gegebenen Verhältnissen und den erkennbaren Begehrungen der einzelnen Gemeinwesen, die er nun verbinden will, auch wirklich r e c h t l i c h e s Wollen beschafft. E s kann sein, daß ein besonderer Völkerbund in seiner leidigen Eigenart jene Gewähr des r e c h t l i c h e n Verbindens sehr vermissen läßt. E r vermag wohl auch zum Mittel brutaler W i l l k ü r zu werden. So ist es nicht ausgeschlossen, daß das Verwirklichen d e s R e c h t s b e g r i f f e s im Nebeneinanderleben der Völker durch die R e c h t s e i n r i c h t u n g geregelter Selbsth i l f e eines jeden Staates (§ 48 Nr. 5), unter gerade gegebenen geschichtlichen Bedingtheiten, besser gewährleistet ist, als unter jenem Bunde. Es ist, wie betont, o f f e n e F r a g e , — das bloße Stichwort Völkerbund gibt eine Sicherheit für einen r e c h t l i c h e n Zustand unter ihm noch nicht. 1 — Und endlich, falls jenes Bedenken unter bestimmten Zuständen nicht begründet ist, aus deren methodischer Betrachtung her es sich allein beheben l ä ß t : so kommt es nun entscheidend darauf an, ob der fragliche besondere Völkerbund so geartet ist, daß er in seinem inhaltlichen Streben der I d e e d e s R e c h t e s folgt. Auch hier ist klar einzusehen und scharf zu betonen, daß nicht die Einrichtung eines Völkerbundes a l s s o l c h e eine Gewähr für g e r e c h t e Zustände unter den Völkern bietet. Wieder ist es mithin n i c h t d i e ä u ß e r e A u f s t e l l u n g eines Bundes, die den o b e r s t e n Richtpunkt für g u t e soziale Beziehungen abgeben könnte. Nur d i e k r i t i s c h e B e s i n n u n g auf die Möglichkeit o b j e k t i v r i c h t i g e n Wollens ü b e r h a u p t kann auch in den r e c h t l i c h e n Fragen des internationalen Daseins begründete)maßen den Ausschlag darüber geben, ob in bestimmter Lage ein Völkerbund am Platze ist, und ob der vorgeschlagene Inhalt seiner besonderen Bestrebungen billigenswert ist oder nicht.
138.
Das Weltrecht.
285
R e c h t e s nach seinen bleibenden Artmerkmalen als feste Grundlage zu nehmen (§ 47); esgenügt nicht, von Fall zu Eall nach subjektivem Belieben miteinander einmal verknüpft zu sein, sei es in freier Konvention, unter mehr Gleichstehenden, oder gar nach willkürlicher Gewalt, bei größerer Macht des einen Teils, Und es darf nie der Richtpunkt der G e r e c h t i g k e i t außer acht bleiben, — nicht als leeres Schlagwort, sondern in kritischem Besinnen darauf, daß auch im Völkerleben die Idee r e i n e r G e m e i n s c h a f t den Leitstern abzugeben hat 8 . So lenkt sich auch von dieser Betrachtung her der B'ick abschließend darauf: wie die bedingende Weise einzusehen und zu üben ist, in der unter den Besonderheiten gegebener Umstände d i e B e w ä h r u n g d e s R e c h t e s nach Begriff und Idee aufzunehmen und zu vollziehen ist, 8 Es findet sieh wohl die Meinung, daß der ideale Blickpunkt der Gerechtigkeit und das Suchen nach einem objektiv richtigen Rechte nur in der i n n e r e n Politik seine Stelle habe, während in der ä u ß e r e n Politik ausschließlich die eigenen Interessen der einzelnen Völker die Entscheidung zu liefern hätten. Das mag als tatsächliches Vorkommnis freilich nur zu oft. wenn nicht fast immer geschehen sein. Und beim Vorgeben einer entgegengesetzten Maxime wird gar manche Heuchelei und Unwahrliaftigkeit untergelaufen sein. Hier aber steht die M ö g l i c h k e i t eines gesetzm ä ß i g e n Inhaltes sozialer Regelung in Frage. Und d i e s e Frage ist von a l l g e m e i n g ü l t i g e r Bedeutung. Sie wird durch üble Taten, die als Ausflüsse des S u b j e k t i v i s m u s erlebt werden (§ 97), nicht widerlegt und in ihrer Einheit durch die Verschiedenheit einzelner besonderer Aufgaben, die sich im sozialen Dasein der Mensehen stofflich eigenartig erheben können, nicht weiter berührt. S. auch § 169, bes. zu N. 3.
286
Fünftes
Buch.
Die Bewährung des Rechtes. Erster
Abschnitt.
Praktische Rechtswissenschaft. I. Das juristische Schließen. § 139. Arten des j u r i s t i s c h e n Schlusses. Die Jurisprudenz zählt zu den p r a k t i s c h e n Wissenschaften, das heißt: ihre Sätze und Lehren besitzen die sachliche Eigentümlichkeit, daß sie sich auf besondere, in der Erfahrung vorkommende Fälle anwenden lassen. Die praktische Betätigung des Rechtes geschieht durch das j u ristische Schließen1. Es ist das Ableiten eines rechtlichen Urteiles aus allgemein gegebenen Voraussetzungen. Wir nennen diese Tätigkeit auch die j u r i s t i s c h e Subsumtion2. Es gibt zwei Arten des juristischen Schlusses: 1. Der m i t t e l b a r e juristische Schluß. Er ist erforderlich, wenn eine besondere Rechtsfrage nach den Besonderheiten technisch geformter Rechtsregeln beurteilt werden soll, die als endgültig entscheidend von einem bestimmten Rechte aufgestellt sind. 2. Der u n m i t t e l b a r e juristische Schluß. Er setzt ein, sobald es auf ein Urteilen nach g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g e m Rechte Logik 1873 I §§ 49 ff. L O T Z E Logik (2) 1880 S . 108 ff. Grundriß der Logik 1881 S. 158 ff. Ü B E R W E G Logik (§ 115 N. 7) §§ 74 ff. S T A D L E R Logik (§ 68 N. 4) S. 145 ff. LINDNER und LECLAIR Lehrbuch der allgemeinen Logik (4) 1907 §§ 51 ff. RIEHL Logik und Erkenntnistheorie, in Kultur der Gegenwart, Systematische Philosophie 1907, A. Logik IV. N e u e Schlußlehre. 2 BÜLOW Gesetz und Richteramt 1 8 8 5 . S T E I N D i e Kunst der Rechtsprechung, Vortrag 1900. 13 R OTT Die Kunst der Rechtsan Wendung. Zugleich ein Beitrag zur Methodenlehre der Geisteswissenschaften 1 9 0 7 . E I E R LING Prinzipienlehre ( § 1 8 N. 1 3 ) 4 , 3 ff. R U M P F Oesetz und Richter 19C6; D E R S . Volk und Recht. (§ 1 2 8 N. 6 ) S. 7 ff. D Ü R I N G E R Richter und Rechtsprechung 1 9 0 9 . — G M Ü R Die Anwendung des Rechts nach Art. 1 des Schweiz. ZGB. 1908. — S. auch §§ 143 und 145. 1
SIGWART
STRÜMPELL
§ 140.
Obersatz. Untersatz, Schlußfolgerung.
287
ankommt; hier ist als Obersatz derjenige Rechtssatz auszuwählen, der in dieser besonderen Frage die p r i n z i p i e l l begründete Entscheidung abgibt. § 140. Obersatz,
Untersatz,
Schlußfolgerung.
Die Richtlinie des juristischen Schließens geht nach dem Satze: Was unter die V o r a u s s e t z u n g e n eines Rechtssatzes fällt, das fällt auch unter seine F o I g e n 1 . Das zeigt sich zunächst deutlich bei dem mittelbaren juristischen Schluß. E r besteht in dem allgemeinen logischen Schema: Wenn V, so F, A ist ein V, F ü r A gilt F. Der Obersatz ist in seinen Voraussetzungen und Folgen ein hypothetisches Urteil, das in den Paragraphen einer Rechtsordnung sich findet; sein Sinn ist im Wege der Auslegung festzustellen. Die Einordnung des Untersatzes ist jedoch nicht immer in voller E x a k t h e i t möglich. Denn es werden hier besonders Rechtsvorstellungen nebeneinander gestellt, von denen jede in ihrer bedingten Eigenart H a l t m a c h t und diese nun mit der der anderen auswählend vergleicht: so entfällt jeder innere Grund der notwendigen Deckung des einen durch den anderen, und es bleibt nur eine gewisse Wahrscheirlichkeit, die durch die Formung der auf langer Erfahrung ruhenden Obersätze verhältnismäßig sicher eingreift 2 . § 141. Der
unmittelbare
juristische
Schluß.
I n der juristischen Praxis werden die bedingten Begehrungen der Streitteile fertig geliefert. Sie liegen entweder als geformte Anträge in einem Rechsstreito vor, oder sie lassen sich überall in Gedanken gegenüberstellen, sobald man eine Forderung von der einen Seite vor sich sieht, weil alsdann der Urteiler zu jedem Fordern dessen Gegenteil in der dortigen Lage sich vorzustellen vermag. B e i dem Urteilen nach Treu und Glauben etc. hat der Urteiler sonach die Aufgabe, den richtig entscheidenden Obersatz unter mehreren g e g e b e n e n Möglichkeiten a u s z u w ä h l e n . E i n s c h e m a t i c h e s Hilfsmittel bei der alsdann vorzunehmenden Wahl liegt darin, daß wir uns die Streitteile in einer Sonder1
REICHEL
GrünhutsZ.
32, 99 ff.
(§ 130
N . 1).
WEHU
Beiträge
zur
Analyse der Urteilsfindung 1913. GIESKER-ZELLER Die Rechtsanwendbarkeitsnormen 1914. 2 JOH. BIERMANN Die Gründe der Zweifelhaftigkeit rechtlicher Ergebnisse, Rede 1911. OTTO Die Gewißheit des Richterspruches (§ 131 N. 3). DERS. Der Prozeß als Spiel 1918.
.288
§ 141.
Der unmittelbare juristische Schluß.
gemeinschaft verbunden vorstellen. Jeder bedingte Stoff eines Rechtsfalles läßt zunächst dieses Schema zu; denn es handelt sich überall um den Jnhalt eines v e r b i n d e n d e n Wollens (§§ 31; 36), dessen maßgebliche Entscheidung g r u n d s ä t z l i c h richtig sein soll (§ 94). Denkt man sich also die beiden gegnerischen Willensinhalte in ihrer Eigenschaft als v e r b u n d e n e s Wollen, so wird sich die R i c h t l i n i e , die e i n e m j e d e n von i h n e n i n n e w o h n t (§ 145), in ihrer Beziehung zu dem Blickpunkte r e i n e r G e m e i n s c h a f t (§92) leichter und deutlicher hervorheben. Indem wir uns dabei auf d i e G r u n d s ä t z e e i n e s r i c h t i g e n R e c h t e s besinnen (§ 95), zeigt sich: welcher der formalen Gedanken, die das Bestreben des einen und dasjenige seines Gegenparts führen, in der Richtung d e s s o z i a l e n I d e a l s vorgeht. Dem bedingten Rechtssatze, der diese letztgenannte Richtimg bejaht, ist dann als Obersatz des nun zu fällenden Urteils der Vorzug zu geben. Überlest O man diese Art des Urteilens,' so sind zwei Mißverständnisse zu vermeiden: 1. als hätte man ein bedingtes Begehren, das grundsätzlich richtig wäre, in seiner Besonderheit z u erschaffen. Ein solches s c h ö p f e r i s c h e s Tun ist dem Menschen überhaupt ganz unmöglich. Das besondere Streben und Fordern erwächst vielmehr in geschichtlichen Prozessen und stellt sich in seiner Begrenztheit dem Urteiler fertig vor; dieser hat nun unter den einander widerstreitenden Angeboten e i n e W a h l zu t r e f f e n 1 ; 2. als sollte in unserer Aufgabe unter die Grundsätze des richtigen Rechtes ( § 9 5 ) s u b s u m i e r t werden. Vielmehr wird auch bei dem Urteilen nach richtigem Rechte ein besonderes Verlangen einer Partei einem begrenzten Rechtssatze untergeordnet. Dieser tritt gerade als mögliche Norm der Entscheidung mit anderen widersprechenden Sätzen vor den Urteiler hin. Er stellt sich gleichfalls als ein hypothetisches Urteil mit bedingten Voraussetzungen und Folgen dar; er besitzt nur die formale Beschaffenheit, daß er in dieser Lage von dem Grundgedanken des Rechtes g e l e i t e t ist, während sein Gegenteil dem zuwiderläuft. Diese Art des juristischen Schließens nennen wir u n m i t t e l b a r (§ 139), weil der Untersatz, den das einzuordnende besondere Wollen darstellt, inhaltlich dem Obersatze gegenüber nichts neues mehr 1 Wie es überhaupt unmöglich ist, die W i s s e n s c h a f t vom Rechte als eine R e c h t s q u e l l e zu nehmen (§ 116 N. 3), so kann es auch niemals so aufgefaßt werden, als wenn d e r S t o f f des rechtlichen Wollens von demjenigen h e r v o r g e b r a c h t werden könnte, der e i n z e l n e S t r e i t f r a g e n unter rechtsunterstellten Parteien a l s rechtlich geordnete z u b e u r t e i l e n h a t . — Darüber, daß die I d e e des Rechts selbst n i c h t s c h ö p f e r i s c h ist, s. §§ 83 N. 2 ; 172.
§ 142.
289
Die praktische Bedeutung der Idee des Rechtes.
bietet, also die Folgerung aus dem letzteren eine u n m i t t e l b a r e ist. Beispiele: Wenn in einem Vertrage der eine Teil dem andern eine Verfügung über Leib und Leben jenes einräumt, so ist das Rechtsgeschäft nichtig (BGB. 138); — A. hat dem B. vertragsmäßig eine Verfügung über Leib und Leben des A. eingeräumt; — das Rechtsgeschäft ist nichtig. Wenn ein wohlhabender Mann seinen verarmten Bruder unterstützt, so unterliegt diese Schenkung nicht der Rückforderung und dem Widerrufe (BGB. 534); — der wohlhabende A. hat seinen verarmten Bruder B . unterstützt; — die Schenkung des A. an B . unterliegt nicht u. s. f. Die Prüfung, ob der Obersatz, dem das eingebrachte Verlangen des einen Teiles entspricht, in der Richtung des sozialen Ideales liegt, muß für die Frage nach der g r u n d s ä t z l i c h e n R i c h t i g k e i t einer besonderen Forderung i n j e d e m R e c h t s f a l l e n e u w i e d e r h o l t w e r d e n . Man darf nicht hoffen, für diese Aufgabe des p r i n z i p i e l l R i c h t i g e n gewisse Regeln in technisch geformten Satzungen, etwa als sogenannte Kulturnormen, festlegen und sammeln zu können: denn das gäbe wieder Paragraphen, deren Eintreten als schlechterdings maßgebliche Obersätze sich von dem Urteilen nach Treu und, Glauben etc. ja gerade durchgreifend unterscheiden würde 2 . II. Das anzuwendende Recht. § 142. Die p r a k t i s c h e B e d e u t u n g der Idee des R e c h t e s . Gemäß der allgemeinen Aufgabe der Rechtsphilosophie (§ 3) beschreibt d i e L e h r e v o n d e m r i c h t i g e n Recht die Gedankengänge, die wir unausweislich verfolgen, w e n n es darauf ankommt, in einem besonderen Falle das richtige Recht a u s z u w ä h l e n . Sie will also eine f o r m a l e M e t h o d e deutlich machen und geht in der Klarlegung dieser r e i n e n F o r m e n des Urteilens auf. Sie liefert eine Einsicht in das Wesen der I d e e des Rechtes und zeigt deren m ö g l i c h e s Eingreifen in den praktischen Aufgaben des sozialen Lebens 2 MAYER Rechtsnormen und Kulturnormen (§ 114 N. 1). DERS. Strafrecht ( § 1 1 1 N . 8) S . 37 ff. Dagegen D O H N A , GerS. 63, 355ff. GER. L A N D , KritVSchr. 3. F . 10, 417 ff., bes. 453. WR. Anm. 202 f. S T A M M L E R Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft, Kultur der Gegenwart I I 8: Systematische Rechtswissenschaft (2) 1913 S. 4C. 1 Ob das immer mit vollem Erfolge positiv durchgeführt werden kann, bleibt schließlich für jeden aufgegebenen Fall selbstverständlich offene Frage. Das besteht im ganzen Gebiete des wissenschaftlichen Denkens und Forschens überall in gleichem Sinne. Die Methode des Ordnens läßt sich in kritischem Besinnen restlos darlegen, ihre Anwendung und Bewährung kann Zweifel übrig lassen. Stets aber liefert jene kritische Betrachtung den Vorteil in negativer Hinsicht, daß man bei ihrem Einsetzen vor Phrasen und oberflächlichem Empfinden zufälligen Charakters bewahrt bleibt und vor allem nicht glaubt und vorgibt, etwas wissenschaftlich dargelegt zu haben, was in Wahrheit nur ein s u b j e k t i v e s Meinen ist. K A N T Krit. d. rein. V. (§ 15
Stammler,
Rechtsphilosophie.
19
290
§ 142.
Die praktische Bedeutung der Idee des Rechtes.
Dagegen gibt sie als solche keineswegs an, was für ein Recht in gegebener Zeit und unter gegebenen Menschen a n z u w e n d e n sei. Das ist vielmehr eine F r a g e nach dem Inhalte d e s g e r a d e geltenden Rechtes. E i n positives R e c h t (§ 49) h a t aber immer die zwei Mittel und Wege zur Verfügung: entweder selbst die Paragraphen t e c h n i s c h zu f o r m e n , die in der P r a x i s anzuwenden sind, oder aber die Beteiligten auf d a s e i g e n e A u s w ä h l e n des in gegebener Lage grunds ä t z l i c h r i c h t i g e n R e c h t e s zu verweisen (§ 127). Und soweit ein so auftretendes positives R e c h t dann in Geltung steht (§ 67), ist es selbstverständlich und genau zu beobachten und durchzuführen, auch wenn es einmal durch zwingend eingreifenden eigenen Sinn ein u n r i c h t i g e s Ergebnis liefern sollte (§ 144) 2 . Übrigens können Zweifel gerade darüber entstehen, ob ein positives R e c h t in dieser oder jener F r a g e technisch geformte Bestimmungen z w i n g e n d getroffen hat, oder ob nach seiner Anordnung das gerade r i c h t i g e R e c h t a u s g e w ä h l t werden soll; und es bestehen solche Zweifel sogar nach dem heute geltenden deutschen bürgerlichen Rechte. Aber diese Frage ist n i c h t eine solche der Rechtsphilosophie und kann n i e in einer allgemeinN. 8) Vorrede z. 2. Aufl. S. X X I V f. HUGO Naturrecht (4) 1819 §§ 29 ff. R R . 311: Denn es verhält sich die Praxis des richtigen Rechtes zu seiner Methode, wie die Feldmeßkunst zur Geometrie. Jene ist in ihren Ergebnissen nichc mehr allgemeingültig und nicht immer unbedingt beweisbar. 2 Dabei ist die K r i t i k v o n R e c h t s r e g e l n , wenn sie w i s s e n s c h a f t l i c h begründet sein soll, natürlich nach der einheitlichen Methode der R e c h t s p h i l o s o p h i e überhaupt vorzunehmen. E s genügt nicht, gewisse Folgerungen aus geformten Rechtssätzen darzulegen und nun an ein persönliches Empfinden des Angeredeten zu appellieren, in unklarer Weise mit der Redewendung vom Rechtsgefühl hantierend (§ 146). Ein solches Verfahren, das man noch immer nicht selten antreffen kann, trägt weder der F o r m , noch dem S t o f f e gebührende Rechnung. Eine wissenschaftlich gesicherte M e t h o d e liegt dann eigentlich überhaupt nicht mehr vor. Und für das M a t e r i a l ist nicht beachtet, daß es sich bei der Erörterung einer v e r h ä l t n i s m ä ß i g a l l g e m e i n e n Regel doch selbstredend um die Betrachtung g l e i c h h e i t l i c h e r Massenerscheinungen (§ 58) handelt, denen jene gegenübersteht. Notgedrungen kann der, der die Regel setzt, nur einen D u r c h s c h n i t t befriedigend treffen. Vgl. ARISTOTELES Nikomachische Ethik 5. B u c h ; oben § 10 N. 19. D a fernerhin jede solche Rechtsregel für eine gewisse Zeitspanne als Norm gelten will, so müssen weiterhin die Tendenzen der Entwicklung in Betracht gezogen werden, die sich in den angezweifelten Fragen darbieten. I n der vorigen Note wiesen wir darauf hin, daß nach der Lehre der k r i t i s c h e n Rechtst h e o r i e (§ 5 u. f.) eine Anwendung der Rechtsidee auf jeden einzelnen Fall n i c h t i m m e r in unmittelbarer einleuchtender Weise erfolgen kann, — in der jetzigen Betrachtung zeigt sich das Gleiche erst recht bei der Kritik von Rechtsregeln. Hart im Räume stoßen sich die Sachen: der Verwicklungen sind gar manchesmal allzu viele und unübersehbare, und wir müssen uns des negativen Vorteils, dessen, wir oben gedachten, dann genügen lassen. S. auch §§ 145; 173 Nr. 3.
§ 143.
Das richterliche Ermessen.
291
g ü l t i g e n Weise entschieden werden. Es ist lediglich Sinn und Bedeutung d e r b e s o n d e r e n R e c h t s o r d n u n g , wie sie w i r k l i c h gerade da ist, in ihrem Inhalte festzustellen. Und nur das läßt sich allgemein sagen, daß in dem Falle, da die positiven Bestimmungen dieser besonderen Rechtsordnimg ihrem eigenen Sinne nach zweifelhaft bleiben, die V e r m u t u n g dafür spricht, daß sie den Weg der Rechtsfindung gemeint hat, auf dem ein g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g e s Z i e l zu erreichen ist 3 . § 143. Das r i c h t e r l i c h e Ermessen. Der in der Überschrift genannte Ausdruck wird wohl hier und da im Gegensätze zu g e n a u e r u n d z w e i f e l s f r e i e r Gesetzesbestimmung gebraucht. Dann stellt man sich vor, daß eine Entscheidung vom objektiven Rechte nicht e r s c h ö p f e n d u n d z w e i f e l l o s bereitgestellt sei, und weil man nun über den streitigen Fall verschiedener Ansicht sein könne, so habe das richterliche Ermessen einzugreifen. Das ist viel zu imbestimmt. In Wahrheit gibt es kaum einen einzigen Fall, in dem nicht eine Verschiedenheit der Meinungen möglich wäre. Wenn das Gesetz selbst einen bestimmten Paragraphen aufstellt, so kann es schwer vermieden werden, daß nicht einmal eine von der andern abweichende Auslegung erfolge (§ 129); und falls der Obersatz für sich klar steht, so wird die Subsumtion nicht immer außer Bedenken sein (§ 140). Dazu kommt die Möglichkeit des Streitens über unterliegende Tatfragen, die nach freier Beweiswürdigung festgestellt werden sollen (ZPO. 286). So wird mit d e r M ö g l i c h k e i t verschiedener Meinungen ein sicheres Merkmal für d e n B e g r i f f des richterlichen Ermessens, als besonders gearteter Weise des rechtlichen Urteilens, n i c h t angegeben 1 . Ein solches Merkmal besteht nur in d e m selbsttätigen * S. § 91 N. 4. — L I E B E N T H A L Kantischer Geist in unserem neuen bürgerlichen Recht, Vortrag 1897. S T A M M L E R Die Bedeutung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches iür den Fortschritt der Kultur, Rede 1900. B . A. SCHMIDT Das bürgerliche Gesetzbuch als Erzieher unseres Volkes, Rede 1901. 1 S E U F F E R T Über richterliches Ermessen, Gieß. Rede 1880. STAMMLER Die grundsätzlichen Aufgaben des Juristen in Rechtsprechung und Verwaltung, VerwArch. 15, 1 ff.; vgl. D J Z . 8, 192 ff. S T I E R - S O M L O Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, aus staatsrechtl. Abh. f. Laband 1908, 2, 445 ff. LA UN Das freie Ermessen und seine Grenzen 1910; dazu R E I C H E L LitZtrbl. 1911, 532 ff. LAUN Zum Problem des freien Ermessens, aus Festschr. f. Zitelmann 1913. J E L L 1 N E K Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägungen 1913. REICHEL Gesetz und Kichterspruch. Zur Orientierung über Rechtsquellen- und Rechtsanwendungslehre der Gegenwart 1915. — SCHOEN Zur Frage der Überprüfung polizeilicher Verfügungen im Verwaltungsstreitverfahren, VerwArch, 27, 85 ff. 19»
§ 143. Das richterliche Ermessen.
292
A u s w ä h l e n des grundsätzlich richtigen Obersatzes gegenüber dem z w i n g e n d g e f o r m t e n Rechte. Der Richter kann aber eine Anweisung zu seinem Ermessen n a c h g r u n d s ä t z l i c h e r R i c h t i g k e i t in zweifacher Art erhalten; wobei das gemeinsam ist, daß alles immer auf gesetzlicher Bestimmung ruht (§ 142). 1. E s erscheint jene Anweisung v o n v o r n h e r e i n , indem das Gesetz für manche kommende Fälle auf eigens geformte Regelung allgemein v e r z i c h t e t und die Beteiligten auf jenes A u s w ä h l e n d e s R i c h t i g e n verweist (§ 7). 2. E s tritt jenes i n n e r h a l b d e s t e c h n i s c h g e f o r m t e n R e c h t e s auf (§ 127). Hier gibt es eine Zweiteilung, die seit alter Zeit viel beachtet und betont worden ist. E s ist der Gegensatz des z w i n g e n d e n und des n a c h g i e b i g e n Rechtes 2 . Das letztere kommt wieder in zwei Unterarten vor: a) Zunächst dahin, daß die gerade beteiligten Rechtsunterstellten gewisse Fragen durch eigene Bestimmungen regeln dürfen, und das Gesetz nur e r g ä n z e n d e Sätze für den Fall des Ausbleibens jener Parteibestimmungen aufstellt 8 . b) Außerdem in der Weise, daß die von der Rechtsordnung aufgestellten Paragraphen nur eine vorläufige und immaßgebliche Angabe für den Richter sein wollen, die er dann zu verlassen hat, wenn ihnen zufolge im aufgegebenen Streitfalle ein g r u n d s ä t z l i c h u n r i c h t i g e s Ergebnis erzielt werden würde In der neueren Zeit sind Bestrebungen aufgetreten, welche auf das ausnahmslose Eingreifen d e s r i c h t e r l i c h e n Ermess e n s in dem hier angegebenen Sinne gerichtet sind 5 . Man nennt sie in Deutschland die f r e i r e c h t l i c h e Bewegung 6 . Ihre wesentlich maßgeblichen Gedanken gehen nach zwei Seiten vor: 1. In p r a k 2 3
Zwingendes R e c h t : B G B . 276,2; 544; 619; usf. Nachweise
bei
WINDSCHEID R R . S . 252
§
30.
STAMMLER
Vgl. auch § 161.
Schuldverhältnisse
(§ 125 N. 4) §§ 14 ff. ff. ; 337 ff. 4 Dahin gehören die Verweisungen der Rechtsordnung, wie sie zu § 7 N. 1 f. angegeben sind; s. ferner § 127. Beispiel: Der Mieter muß die Mietsache a m Ende der Mietzeit zurückgeben, B G B . 556. D a s hat er auszuführen nach B G B . 242, vielleicht also mit schonendem Hinausschieben bei Krankheit u. dergl., bes. wiederholt ZPO. 721. — Vgl. unten § 164. 6 Die Tätigkeit des römischen Prätors bietet hierzu keine vollständige Parallele. E r war zwar befugt, während seines Amtsjahres für seine gerichtliche Tätigkeit andere Regeln, als die des ius civile zu befolgen, sollte dann aber auch an solche, von ihm im Edikte aufgestellten Sätze fest gebunden sein. KIPP (§ 11 N. 6) § 10. Vgl. WENGER Antikes Richterkönigtum, Festschr. f. österr. A B G B . 1911, I S. 479 ff. 9 In Frankreich ist diese Richtung vornehmlich durch den Gerichtspräsidenten MAGNAUD in Château-Thierry seit mehreren Jahrzehnten in d i e Praxis übergeleitet worden. LEYRET Les jugements du président Magnaud I 1900, I I 1903. MAGNAUD hat seine Meinung in der Wochenschrift Morgen 1 9 0 8 N r . 2 8 f. a u s g e f ü h r t .
— GENY
(§ 1 2 9 N .
2).
§ 144.
Möglicher Zwiespalt im Rechte.
293
t i s c h e r Hinsicht fordern sie, daß keine technisch geformte Bestimmung äußerer Gesetze einen z w i n g e n d e n Charakter haben dürfe. — Dies übersieht jedoch, daß ein Verzicht auf dieses gesetzgeberische Mittel z w i n g e n d e r Sätze und Einrichtungen manches Mangelhafte m i t sich führen müßte. Manche Institute, wie Wechsel, Scheck und andere Wertpapiere können ihre Funktion im Verkehre nur unter Beobachtung zwingender Formvorschriften erfüllen; andere Einrichtungen, wie Grundbuch, Testament und sonstige würden durch die Beseitigung ihrer formalistischen Art eine unerwünschte Unsicherheit erhalten. F ü r manche Fragen ist ein zwingendes Durchgreifen von gewissem mechanischen Charakter unvermeidlich, so bei dem Festsetzen eines Lebensalters als Voraussetzung für bestimmtes rechtliches Handeln, welche Grenze von F a l l zu Fall nach prinzipieller Erwägung festzusetzen schwierig, in mancher Lage geradezu unmöglich sein müßte oder doch, wie bei der Lehre von der Verjährung, Verwirrung anrichten würde. So ist es ein unbegründetes doktrinäres Verlangen, die Hilfe von geeigneten zwingenden Vorschriften im Rechtsleben a u s n a h m s l o s zu verschmähen. E s sind beide Möglichkeiten, die des zwingenden und die des nachgiebigen Rechtes, als taugliche Mittel vom Gesetzgeber zu verwerten. Wo dabei die Grenze zu ziehen ist, bleibt immer eine Einzelfrage ( § 1 7 2 ) . — 2. In t h e o r e t i s c h e r Hinsicht meint jene Bewegung, daß alles in der Rechtsprechung besser und gut ausfallen würde, wenn nur der Richter frei urteilen könnte. Denn es handelt sich — Allein das ist im Grunde n i c h t s s a g e n d . um die Behauptung einer g r u n d s ä t z l i c h e n Berechtigung der hier zu erzielenden Ergebnisse. Dann muß man sich auch klar machen, w o r i n d e r G e d a n k e der grundsätzlichen Berechtigung eigentlich besteht. D a s aber wird nicht durch das Schlagwort einer freien Rechtsfindung gelöst, sondern nur durch kritische Besinnung auf die Bedingungen der R i c h t i g k e i t eines R e c h t e s überhaupt § 144. M ö g l i c h e r Z w i e s p a l t im Rechte. Durch das Auftreten eines z w i n g e n d g e f o r m t e n Rechtes ist die Möglichkeit eines Widerstreites zwischen solchem und zwischen dem ' Die Literatur über die freirechtliche Bewegung ist in einer, die sachliche Bedeutung der Frage weit überragenden Menge angeschwollen. Nachweise: ERHLICH Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft 1903. KANTOROWICZ Gnanus Flavius, Der Kampf um die Rechtswissenschaft 1906, (2) 1908. OERTMANN Gesetzeszwang und Richterfreiheit 1909. FUCHS (§ 118 N. 1). RUNDSTEIN Freie Rechtsfindung und Differenzierung des Rechtsbewußtseins, ArchBürgR. 34,1 ff. REICHEL Zur Freirechtsbewegung, DRichtZ. 2, 464 ff. STAMPE Die Freirechtsbewegung 1911 (s. a u c h § 1 3 5 N . 2 ) . RLCH. SCHMIDT D i e R i c h t e r v e r e i n e 1 9 1 1 S . 7 0 ff. T R . VIII 1 5 f. STAFFEL D R i c h t Z . 3, 7 2 4 ff. GMELIN B a y Z . 7 , 4 5 3 ff. GELLER Ö Z B 1 . 2 5 , 4 6 5 ff. MANIGK ( § 1 6 N . 2 ) . GAREIS S e u f f B l . 7 5 , 7 ff HEIN
(§ 114 N. 5 ) S. 2 9 0 ; 3 6 6 N . 84. CARLO (§ 129 N . 3 ) S. 3 7 . — S. a u c h VON DER DECKEN (§ 6 6 N . 1 ) S. 3 8 ff. VINOGRADOFF F r e i e R e c h t s p r e c h u n g
und die athenische Demokratie, ArchRPhilos. 6, 81 ff.
294
§ 144.
Möglicher Zwiespalt im Rechte.
gegeben, was in einer sich dann einstellenden besonderen Lage g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g i s t 1 . Dadurch, daß ein vollständiger Verzicht auf jenes erste nicht angängig erscheint (§ 143), ist die Möglichkeit eines solchen Konfliktes erhöht und oft erlebt worden 2 . Dieser Konflikt kann ohne Rest niemals aufgelöst werden. Denn das z w i n g e n d g e f o r m t e Recht kann nicht darauf verzichten, während seiner Geltung u n v e r l e t z b a r zu sein (§ 4 7 ) s ; und es ist andererseits doch auch nur ein M i t t e l im Dienste der I d e e d e s Rechtes (§ 91) 4 . Die Frage, ob der genannte Zwiespalt im Laufe der Zeiten sich 1 Man spricht hier wohl zuweilen von einem Konflikt zwischen Rechtsg e b o t und Sittlichkeit. Allein das letztere Wort wird alsdann in der Bedeutung von g r u n d s ä t z l i c h e r R i c h t i g k e i t gebraucht (§ 33). E s hat mit der Bedeutung von sittlichem Wollen für das I n n e n l e b e n . (§ 31 f.) nichts zu tun. Vielmehr liegt hier i m m e r ein Zwiespalt innerhalb der s o z i a l e n Frage vor. Das ist auch dann der Fall, wenn etwa ein Rechtssatz den Versuch machen wollte, jemandem bestimmte G e d a n k e n in dessen Innern vorzuschreiben, namentlich auch im Hinblick auf sein r e l i g i ö s e s Empfinden (vgl. § 162 N. 2). Ein Konflikt zwischen R e c h t und S i t t l i c h k e i t wäre auch dann nicht gegeben. Der s i t t ' i c h e Grundsatz der W a h r h a f t i g k e i t (§ 89) bleibt dabei unberührt stehen. Ihm kann jeder dort Angeredete allezeit nachkommen und vor sich und anderen g e t r e u bekennen, wie es innerlich mit ihm steht. Aber soll er alsdann dem u n r i c h t i g e n R e c h t e Folge leisten oder darf es in w i l l k ü r l i c h e r Handlung nach persönlichem Ermessen mißachtet werden ? Das letztere geht nicht an, denn es würde d i e B e d i n g u n g aller sozialen Richtigkeit, das u n v e r l e t z b a r verbindende Wollen des Rechtes verneinen (§ 107) und damit jede soziale Richtigkeit folgeweise u n m ö g l i c h machen. Andererseits bedeutet die Forderung, ein verwerfliches R e c h t auszuführen, im E i n z e l f a l l die Zumutung einer schlechten Tat. Hier sträubt sich des also Godrängten Wollen bis zu dem Satze, daß man Gott mehr gehorchen solle denn den Menschen (Ap. Gesch. 5, 29). Dies ist das Problem, das vor allem in L U T H E R S Schrift von der Obrigkeit (§ 13 N. 8) treffend ausgeführt ist. Und dann bleibt in Wahrheit keine Lösung, als die, die auch schon P L A T O N im Kriton dem Sokrates zuschreibt: daß man die Folgen des Rechtes für mangelndes Ausführen des letzteren voll auf sich nehmen und sie leiden muß (§ 10 N. 13). S. auch unten N. 2. 2 Ergreifend ausgeführt bei S O P H O K L E S Antigone. — M A N N H E I M über Ludwigs Erbförtter, ZRPhilos. 3, 281 ff. 3 B E K K E R Recht m u ß Recht bleiben 1896. — H i e r mildernd einzugreifen, gehört zum Berufe der Gnade. S. § 153 zu N. 10. * Hier setzt die Wendung ein: Summum ius, summa iniuria, CICERO de offieiis I 10, 3 3 ; zu begleiten mit dem Wahlspruch Fiat iustitia, et pereat mundus; s. B Ü C H M A N N Geflügelte Worte, Geschichtliche Zitate. Die technisch geformte E i n z e l b e s t i m m u n g eines p o s i t i v e n Rechtes darf nicht als das h ö c h s t e Gesetz für menschliches Wollen ü b e r h a u p t genommen werden. R R . S. 33 ff. — Übrigens kann es geschehen, daß ein. willkürlicher Rechtsbruch veranlaßt wird, um ein technisch erwünschtes Ergebnis zu erzielen, zunächst noch ohne abschließende Frage nach der grundsätzlichen Richtigkeit des so erlangten Erfolges. Auch hier bleibt nur Vermeiden der Willkür und Festhalten am riecht möglich, mit Eingreifen der Gnade (§ 152). So das Problem bei K L E I S T Prinz Friedrich von Homburg; gerade entgegengesetzt im Michael Kohlhaas, dessen Auffassung bei J H E R I N G Kampf ums Recht (§ 18 N. 8) schwerlich zutrifft. Vgl. oben § 102 N. 7.
§144.
Möglicher Zwiespalt im Rechte.
295
mildern und verringern werde, fällt der problematischen Erörterung nach einem möglichen Fortschritte des Menschengeschlechtes in der Geschichte anheim (§ 179). Man hat in diesem Zusammenhange auch von einem R e c h t e z u r R e v o l u t i o n gesprochen. Hier ist zu unterscheiden: 1. Meint man die Frage, ob sich ein R e c h t s u n t e r s t e l l t e r einem inhaltlich u n r i c h t i g e n Rechte nach seiner eigenen Entschließung widersetzen dürfe, so ist das so lange z u v e r n e i n e n , als darin ein w i l l k ü r l i c h e r R e c h t s b r u c h gelegen sein würde. Denn es ist immer nötig, die r e c h t l i c h e Verbindung, als die Quelle m ö g l i c h e r G e s e t z m ä ß i g k e i t im sozialen Leben (§ 107), a l s s o l c h e festzuhalten und nicht durch w i l l k ü r l i c h e Gewalt zu ersetzen. Ein anderes, als das Dulden der i m G a n z e n feststehenden r e c h t l i c h e n Gewalt bleibt für den einzelnen fraglichen Fall nicht übrig. 2. Meint man dagegen die Frage, ob ein Anlaß gegeben sein kann, n e u e s R e c h t an die Stelle des seitherigen R e c h t e s , entgegen den Bestimmungen des letzteren zu setzen, so kann das in besonderer Lage gerechtfertigt erscheinen. Denn alsdann ist es möglich, d e n B e g r i f f d e s R e c h t e s zu wahren, indem das seitherige R e c h t durch u r s p r ü n g l i c h e Entstehung von neuem R e c h t e abgelöst wird (§ 66). Und es kann eine Notwendigkeit dazu dann vorliegen, wenn ohne ein derartiges u r s p r ü n g l i c h e s Eingreifen eine Verwirklichung von r i c h t i g e m Rechte, geleitet von der I d e e d e r G e r e c h t i g k e i t , u n m ö g l i c h erscheint. Ob das vorliegt, kann nur für eine besonders gegebene Sachlage nach m e t h o d i s c h e r Erwägung der g r u n d s ä t z l i c h e n R i c h t i g k e i t entschieden werden. Eine weitere a l l g e m e i n g ü l t i g e Festlegung ist nicht möglich 5. SALUTATI Tractatus de tyranno, 14. Jahrh.; darüber ZRPhilos. 3, 44 ff. L U T H E R Von weltlicher Obrigkeit (§ 13 N. 8). T H O M A S I U S (§ 14 N. 8) Institutiones iurisprudentiae divinae III 6, 86; 120. F E U E R B A C H Anti-Hobbes (§ 14 N. 6). G E Y E R S. 43 ff. L A S S O N S. 85 ff. T R E U M A N N Die Monarchomachen 1895. CATHREIN Recht, Naturrecht (§ 15 N. 21) III 4, 2 § 4. K E R N Gottesgnadentum (§ 52 N. 3). WOLZENDORFF Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstand des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt 1916. FEHR Das Widerstandsrecht, Mitt. d. Inst. f. österr. Geschichtsforsch. 38, 1 ff. LIEBERT Vom Geist der Revolutionen 1919. S C H A N Z E Revolution und Recht, ZRPhilos. 3, 225 ff. (§ 66 N. 8). — S H A K E S P E A R E König Richard I I . , bes. IV 1, Bischof von Carlisle. 5
COLUCCIO
HENRICH
296
§ 145.
Die Möglichkeit des richtigen Wählens.
Zweiter
Abschnitt.
Grundsätzlich erwägende Praxis. I . D a s A u s w ä h l e n des r i c h t i g e n O b e r s a t z e s . § 145. Die Möglichkeit des richtigen Wählens. D a s Aufsuchen des jeweils o b j e k t i v richtigen Rechtes gründet sich auf den Gedanken von der möglichen Gesetzmäßigk e i t d e s Wollens Dieser Gedanke bedeutet aber die leitende I d e e : d a ß unter a l l e n je denkbaren menschlichen Bestrebungen eine H a r m o n i e sein k a n n (§ 79). E s k o m m t also darauf an, in zweifelhaften 1 E s sei eine Zusammenfassung des Gedankenganges, der zur Begründ u n g des sozialen Ideales (§ 92) f ü h r t , hier eingesetzt: 1. R i c h t i g u n d u n r i c h t i g . Dies ist d i e l e t z t e m ö g l i c h e Einteilung des B e w u ß t seins, die Einteilung, die allen b e d i n g t e n Urteilen notwendig bedingend zug r u n d e liegt (§ 79). 2. R i c h t i g = e i n h e i t l i c h g e o r d n e t . Der G e d a n k e der E i n h e i t besagt d i e l e t z t e F o r m e l , von der alle menschliche Einsicht abhängig i s t ; einmal m u ß das einen logischen A n f a n g h a b e n (§§ 5 N . 2 ; 25 N. 1). 3. F o r m u n d S t o f f : Art d e s einheitlichen Ordnens u n d das so B e s t i m m t e (§§ 3 ; 56 Nr. 6). 4. A b s o l u t richtig u n d o b j e k t i v richtig. U n b e d i n g t gültig sind n u r d i e r e i n e n F o r m e n des einheitlichen Ordnens der Gedanken, bloß b e d i n g t richtig d a s nach ihnen E r k a n n t e . Ein besonderes rechtliches Wollen k a n n i m m e r n u r o b j e k t i v richtig sein (§§ 81; 94 ; vgl. § 4). 5 J'ie r e i n e n F o r m e n sind nicht etwa angeborene Vorstellungen. Aller I n h a l t unseres Bewußtseins wird b e d i n g t e r w o r b e n . Aber i n n e r h a l b seiner l ä ß t sich d i e u n b e d i n g t g ü l t i g e A r t des einheitlichen Ordnens von d e m wechselnden u n d veränderlichen Stoffe, der in begrenzter E m p f i n d b a r k e i t h e r v o r t r i t t , unterscheiden (§ 3 N. 5 f.). 6. Die r e i n e n Formen k o m m e n in der e m p f i n d b a r e n Wirklichkeit f ü r s i c h a l l e i n gar n i c h t vor. Sie finden sich i m m e r n u r in V e r b i n d u n g m i t bedingtem Stoffe, d e r d u r c h sie b e s t i m m t u n d gerichtet ist. So setzt sich jedes Urteil über d i e grundsätzliche Berechtigung eines gegebenen rechtlichen Wollens a u s d e n Besonderheiten g e r a d e d i e s e s Bestrebens und Forderns und aus dem e i n h e i t l i c h bedingenden Gedanken d e r R i c h t i g k e i t z u s a m m e n (§ 80, vgl. § 22). 7. Die Einsicht der reinen F o r m e n geschieht durch k r i t i s c h e S e l b s t b e s i n n u n g . Es ist zu f r a g e n : Welche A r t d e s O r d n e n s ist notwendig, u m allen d e n k b a r e n Bewußtseinsinhalt in u n b e d i n g t einheitlicher Weise zu b e s t i m m e n u n d zu richten ? (§§ 5 ; 7 9 f . ; 110). Die Methode des P r ü f e n s ergibt als o b e r s t e n Leits t e r n f ü r alles menschliche Wollen die I d e e der Willensreinheit (§ 80) u n d als ihre B e w ä h r u n g f ü r d a s v e r b i n d e n d e Wollen den formalen G e m e i n s c h a f t s g e d a n k e n ( § 9 2 ) . E r ist als d e r o b e r s t e Maßs t a b d a d u r c h bewiesen, d a ß bei seiner kritischen K l ä r u n g r e s t l o s ausg e d a c h t ist, der fragliche G e d a n k e n i n h a l t v o l l k o m m e n analys i e r t u n d g e o r d n e t erscheint (§ 96.)
j 145.
Die Mög ichkeit des richtigen Wählens.
297:
Fällen, denjenigen Willensinhalt zu wählen und festzuhalten, der in seiner wesentlichen Richtung diesem leitenden Grundgedanken folgt 2 . Dabei ist das Verhältnis der maßgeblichen f o r m a l e n Richtung eines Wollens zu den s t o f f l i c h e n Besonderheiten dieses Willensinhaltes nicht so zu denken, daß zeitlich zuerst die B e s o n d e r h e i t e n da wären und dann hinterher nach einer r i c h t e n d e n Art für sie gesucht wurde: vielmehr ist darauf acht zu haben, daß jedes b e s o n d e r e Wollen die f o r m a l e Richtung, in der es grundsätzlich geleitet ist, u n v e r m e i d l i c h s c h o n i n s i c h t r ä g t . Die kritische Erwägung, die wir in dem Suchen des r i c h t i g e n Wollens anstellen, bedeutet also wieder nicht eine schöpferische Tätigkeit, sondern eine klärende Analyse dessen, w a s s c h o n d a i s t . In diesem Sinne ist die W a h l zwischen einem aufgetauchten Streben und seinem g r u n d s ä t z l i c h e n Gegenteil zu treffen 3 . Man hat versucht, statt dieses W ä h 1 e n s , das in jedem aufgegebenen Einzelfall s t e t s v o n n e u e m einzusetzen hat, eine a l l g e m e i n e Anleitung zu geben, welche die möglichen Besonderheiten in verschiedene Klassen einteilte und also zur praktischen Anwendung bereit stellte. Es sollte danach zwischen höheren und niederen Interessen der Einzelnen unterschieden werden, zwischen denen ein Ausgleichen stattfinden müßte 4 . — Aber der letztgenannte Ausdruck kann verständiicherweise nur das Einsetzen des Obersatzes bedeuten, der i,i der gerade gestellten Aufgabe die Eigenschaft o b j e k t i v e r Richtigkeit besitzt. Dies führt also unausweichlich zu unserem Gedankengange von grundsätzlicher Rechtfertigung eines verbindenden Willensinhaltes zurück und macht nur vor der Frage, wie sich das Befolgen d i e s e r R e c h t f e r t i g u n g kritisch einsehen und beschreiben lasse, mit einem bloßen Stichworte unentschlossen Halt. Jene Klasseneinteilung aber widerstrebt nicht nur der unübersehbaren Mannigfaltigkeit des jemals möglichen Strebens; sie verkennt auch, daß in der sozialen Frage, und so in jedem Rechtsfalle, im letzten Grunde nicht zwei g e trennte Zweckinhalte einander gegenüberstehen, sondern daß es sich um ein v e r b i n d e n d e s Wollen handelt, das eigenartig über A SAUER Die Möglichkeit eines juristischen Grundgesetzes, ZRPhilos. 2, 336 ff. SANDER Die transszendentale Methode der Rechtsphilosophie und der Begriff des Rechtsverfahrens, ZÖffR. 1, 468 ff. NATORP Sozialidealismus. Neue Richtlinien sozialer Erziehung 1920. DEL VECCHIO Sur principi generali del diritto, Estr. dall. Arch. Giur. Vol. L X X X V fasc. I, Modena 1921. 3 Über besondere, aushelfende Methoden s. §§ 95 N. 1; 155 N. 2. — Vgl. § 5 N. 1. 4
1235.
StAMPE D J Z . 10, 417 f f . ; 713 ff. S. F e r n e r StAMPE (§§ 1 1 6 N . 1 ; 1 4 3 N .
das. 10, 9 2 1 ; 1 0 1 7 ; 11, 3 9 4 ; 7). HECK D a s Problem der
Rechtsgewinnung, Tüb. Rede 1912. DERS. Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz (§ 129 N. 3). — Über die Frage von idealen Gütern s. §§ 55 Nr. 5 ; 91 N. 12.
298
§ 146.
Natürliches Rechtsgefühl.
den Streitteilen steht (§31) und nun in seinem, i h m e i g e n e n Inhalte prinzipielle Begründetheit aufweisen soll (§ 85) 6 . Noch ist das Bedenken aufgeworfen worden, ob nicht in der gleichen Lage mehrere Entscheidungen zugleich r i c h t i g sein können s . Die Antwort ist dahin zu geben, daß mehrere Pläne und Bestrebungen, die i n i h r e n B e s o n d e r h e i t e n verschieden sind, sich i n i h r e r g r u n d s ä t z l i c h e n A r t nicht notwendig zu widersprechen brauchen; z. B. zwei Reisewege nach demselben Orte. Sobald sich aber zwei Begehrimgen g e r a d e d a r i n widersprechen, ob sie nach der I d e e reinen Wollens gerichtet sind, so können sie beide in ihrem Widerstreite miteinander immöglich zu gleicher Zeit r i c h t i g sein. In entsprechender Weise würde es mit der Frage stehen, ob nicht zwei verschiedene Behauptungen bezüglich derselben Frage gleichzeitig u n r i c h t i g sein können. Das kann zutreffen, so lange man es bloß mit mehreren bedingten Aufstellungen i n i h r e r B e g r e n z t h e i t zu tun hat; z. B. verschiedene Anträge in der Mitgliederversammlung eines Vereins. Aber jede dieser b e d i n g t e n Strebungen vermag nach der Richtlinie d e s s o z i a l e n I d e a l e s geprüft zu werden; wird sie d a b e i ungenügend befunden, so ist das ihr entgegenstehende Wollen, d e s s e n G e g e n ü b e r s t e l l u n g durch die Befolgung der genannten idealen Richtlinie bestimmt ist, o b j e k t i v r i c h t i g begründet. § 146. Natürliches Rechtsgefühl. Die Auswahl des Rechtssatzes, der in einer gegebenen Frage g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g entscheidet, wollen manche dem G e f ü h l überlassen. Das findet sich sogar in Entscheidungsgründen höherer Gerichte. Es tritt bald als natürliches Rechtsgefühl auf bald wird als Merkmal d e r g r u n d s ä t z l i c h e n Richtigkeit eines rechtlichen Wollens das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden vorgeführt 8 . Das genügt keineswegs zur Lösung der Aufgabe, d a s W e s e n d e r G e r e c h t i g k e i t und i h r e n o t w e n d i g e n Beding u n g e n klar und deutlich einzusehen. Es bleibt dabei ja gerade die Frage, was billig und gerecht als einheitliche Weise des Urteilens be6 S C H M I D T Gesetz und Urteil 1 9 1 2 : Eine Entscheidung sei dann richtig, wenn ein anderer Richter ebenso entschieden hätte. Ein anderer Richter bedeutet hier den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten Juristen. Darüber H O L L D A C K Kant-Studien 1 7 , 4 6 4 ff. 4 LEONHARD Deutsche Literaturzeitung 1912 Nr. 21 S. 1289. 1 RG. 45, 173 (in dem berühmten Prozesse gegen die Photographen der Leiche des Fürsten Bismarck); 46, 79. 2 RG. 48, 124; 53, 177; 65, 373; 75, 123; 80, 221; 81, 263; 83, 114; 90, 183. Vgl. SeuffArch. 69 Nr. 243 S. 455. S. auch § 7 N. 3 ; § 94 N. 5; § 158 N . 4; § 159 N. 2; § 162 N. 2.
§ 146.
Natürliches Rechtsgefühl.
299
deutet, völlig unausgetragen, so daß der eben angegebene Satz von einem besonders gearteten Anstandsgefühl für das Aufnehmen des hier grundlegenden rechtsphilosophischen Problems sich im Kreise dreht 8 . Alle Verweisung auf ein Gefühl, dem man die r i c h t i g e Entschliessung verdanke, setzt der Gedanken m ö g l i c h e r Richtigk e i t in systematischer Weise voraus. Jenes sagt ja nur, daß man die s a c h l i c h b e g r ü n d e t e Beschaffenheit eines Wollens aus einem dunklen Entstehungsprozesse her erhalte; — eine Behauptung, die regelmäßig kaum für den Behauptenden selbst recht befriedigend sein kann, bei anderen, denen er es vorbringt, den Zweifel an der Begründetheit seines Vorbringens sowohl der Entstehung, wie der systematischen Stütze nach stark erwecken muß 4 . Gesetzt aber auch, daß jener E n t s t e h u n g s p r o z e ß wissenschaftlich klarer überschaut würde, als die bloße Berufung auf das Gefühl es durchschlagend zu tun vermag, so handelt es sich bei der so entspringenden Meinung um eine s a c h l i c h b e g r ü n d e t e Aufstellung. Diese Eigenschaft g r u n d s ä t z l i c h e r R i c h t i g k e i t der gerade fraglichen Behauptung bleibt von dem Hinweise auf eine besondere Weise der E n t s t e h u n g in sich schon u n b e r ü h r t 5 . In Wahrheit bringt kein Mensch eine allgemeingültige und bleibende Art seines Urteilens in sozialen Dingen mit auf die Welt. Ein neu geborenes Naturwesen weiß nichts von G e r e c h t i g k e i t und ihrem Gegenteil. Es mag eine Anlage dazu von Natur erhalten haben, aber ihre notwendige Ausbildung vollzieht sich unter unübersehbaren einzelnen Umständen und keineswegs in einem und demselben, überall gleich laufenden Erleben 6 . So ist schließlich das, was man vulgär Rechtsgefühl nennt, tatsächlich nichts anderes, als eine b e l i e b i g z u s a m m e n 3 Diesen Fehler vermeidet Schweiz. ZGB. 1, 2, wonach der Richter beim Fehlen technisch geformten Rechtes nach der Regel entscheiden soll, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Hier ist das Problem als solches gut herausgehoben. Über eine entsprechende Wendung bei ARISTOTELES S. WENGER (§ 143 N . 5) S. 486. * DEL VECCHIO II sentimento giuridico (2) Roma 1908. BEROLZHEIMER Die Gefahren der Gefühlsjurisprudenz in der Gegenwart 1911. MÜLLER-ERZBACH Gefühl oder Vernunft als Rechtsquelle?, S.-A. aus ZHR.
B d . 73, 1913.
KÜBL D a s R e c h t s g e f ü h l
1913.
MARWITZ
Das Rechtsgefühl
im Wandel der Zeiten, Grenzboten 1913 Nr. 40 S. 11 ff. DEHNOW Wesen und Wert des Rechtsgefühls, ARch. f. syst. Philos. 20, 9 0 f f . SAUER Gesetz und Rechtsgefühl, ZStW. 33, 785 ff. BOASSON H e t Rechtsbewustzijn, Gravenhage 1919. MANNHEIM Rechtsgefühl und Dichtung, ZRPhilos. 3, 2 5 1 ff. N . 2).
— V g l . a u c h PÖZL (§ 3 N . 5 ) . AFFOLTER JUNG (§ 1 8 N . 1 3 ) b e s . S . 3 6 f f .
(§22
N.
2).
STURM
(§
75
5 Über den Unterschied der s y s t e m a t i s c h e n und der g e n e t i s c h e n Erwägung s. § 22 N. 7 Nr. 3. • S. §§ 3 N. 5 ; 14; 84 Nr. 3a); 172. — Ist dem Menschen ein Rechtsgefühl angeboren?, Ges. u. R. 17, 563 f.
300
§ 147.
Soziologische Jurisprudenz.
g e r a f f t e Kenntnis von Recht und gesellschaftlichem Leben und eine s u b j e k t i v e und z u f ä l l i g e Weise des Urteilens Der vergebliche Versuch, die b e g r i f f l i c h e K l ä r u n g und sachliche Begriindetheit eines Rechtsgedankens durch Verweisung auf ein b l o ß e s Gefühl liefern zu wollen, unterscheidet sich von der Betrachtung des Rechtsgefühles • als einer persönlichen E m p f i n d u n g , die eine rechtliche Erfahrung b e g l e i t e t . Diese bedeutet dann ein Fühlen von Befriedigung oder umgekehrt von Abneigung gegenüber einem rechtlichen Erlebnis. Es handelt sich hierbei also um eine p s y c h o l o g i s c h e Betrachtung; denn es kommt alsdann auf die s u b j e k t i v e Beziehung eines o b j e k t i v festgestellten Gedankeninhaltes zu jemandem und auf d i e E i g e n a r t dieser V e r k n ü p f u n g an (§ 73). Eine solche p s y c h o l o g i s c h e Erörterung vermag die notwendig unterliegende k r i t i s c h e Erwägimg zwar niemals zu e r s e t z e n , wohl aber in manchem zu e r g ä n z e n (§ 77) 8. § 147. Soziologische Jurisprudenz. Die Hauptschwierigkeit in dem Gedanken der G e r e c h t i g k e i t liegt darin, daß er nur ein b e d i n g e n d e r B l i c k p u n k t i s t , nur eine f o r m a l e M e t h o d e , um irgend welches stofflich bedingte Begehren danach zu richten. Diese Gegenstellung von e i n e r I d e e und b e g r e n z t e m E r l e b e n bringt für das Verständnis des sie Beschauenden starke Anforderungen mit sich, in ihrem Erfassen, wie in ihrem Bewähren. Es ist nicht immer leicht, die z e n t r a l e Lebensauffassung im Rechte durchzuführen und alle E i n z e l h e i t e n in ihrer Abhängigkeit von dem e i n h e i t l i c h e n Grundgedanken des sozialen Ideales einzusehen; und es will manchem kaum gelingen, die bedingende Führung aller b e s o n d e r e n Vorkommnisse durch ein u n b e d i n g t g ü l t i g e s V e r f a h r e n des Richtens, das ist: durch eine r e i n e F o r m des Urteilens, überall festzuhalten. Die Energie auf t e c h n i s c h b e g r e n z t e Ziele, die wohl zunächst beobachtet werden kann, stellt sich der kritisch geläuterten Lehre gar oft hindernd in den Weg. Ihr entspringt eine Richtung neuerer Rechtsphilo' Wenn man sich im Walde verirrt hat, so sagt wohl einer, daß nach seinem Gefühl eine bestimmte Richtung des Weges nun zutreffend sei; die Köchin nimmt zu einem - Gericht vom Salz oder vom Zucker nach dem Gefühl. Das hat w i s s e n s c h a f t l i c h nicht mehr Wert, als das Vorgehen jenes, der da meinte, die Entfernung nach dem Monde am sichersten nach dem Augenschein abschätzen
a. E. (Werke 20, 56). 8 ZIEGLER Das Gefühl.
KORNFELD D a s
zu
k ö n n e n . — JEAN PAUL F l e g e l j a h r e
Nr.
7
Eine psychologische Untersuchung (4) 1908.
R e c h t s g e f ü h l , Z R P h i l o s . 1,
135 f f . ; 2 ,
2 8 ff.
BÜTTNER
Im
Banne des logischen Zwanges 1914. Die beiden letzten sind gekrönte Preisschriften, s. Ivant-Studien 18, 313 ff. S. auch § 77 N. 3.
§ 147.
Soziologische J u r i s p r u d e n z .
301
sophie, die sich selbst gern als s o z i o l o g i s c h e Jurisprudenz bezeichnet. Sie zeigt sich in zweierlei H i n s i c h t . 1. Forderung, d a ß auf d a s lebende R e c h t besonders geachtet werde. E s soll die W i r k l i c h k e i t d e s R e c h t s l e b e n s g e n a u in das Auge gefaßt werden 1 . Nun steht es richtig, d a ß der soziale Verkehr sich keineswegs einfach a n die früher schon geregelten Arten d e s rechtlichen Verbindens hält. Immer wieder tauchen neue Weisen von BereduDgen und geschäftlichen Feststellungen auf, die in den seitherigen Gesetzen noch keine besonders ausgeführte Regelung erfahren haben 2 . U m g e k e h r t g i b t es m a m h e n gesetzgeberischen Versuch, d e m das Leben einfach nicht folgt. Sie bleiben bloße Möglichkeiten, ohne von d e m Verkehre aufgenommen und merklich ausgeführt zu werden. Von Interesse ist hier die Beobachtung, d a ß unter d e m gleichen Rechte, ohne dessen wesentliche Änderung, die gerichtliche P r a x i s nach und nach mit ganz anderen Fragen t y p i s c h beschäftigt ist, als im Beginne der Geltung jenes H e c h t e s 3. E s ist nicht zu bezweifeln, d a ß alles solches Suchen nach d e m lebenden R e c h t ebenso interessant wie n ö t i g ist, u m die besonderen Rechts.zustände einer bestimmten Zeit und Gegend zuverlässig zu kennen. Ebenso sicher ist es jedoch, d a ß das für die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Aufg a b e ohne Bedeutung bleibt. Jenes Suchen setzt die Methode der t e c h 1
EHRLICH Soziologie und J u r i s p r u d e n z , S.-A. a u s ÖRichtZ. 1906. FUCHS R e c h t u n d W a h r h e i t in u n s e r e r heutigen J u s t i z 1908. DERS. DRiehtZ. 2 , 303 ff. SINZHEIMER Die soziologische Methode in der P r i v a t r e c h t s W i s s e n s c h a f t 1909. GMELIN Q i o u s q u e ? B e i t r ä g e zur soziologischen Rechtf i n d u n g 1910. DERS. D R i e h t Z . 2, 123; vgl. RUMPF das. 219 ff. Verh. des 1. deutsch. Soziologentags 1910 S. 275 ff. KELSEN Über Grenzen zwischen j u r i s t i s c h e r und soziologischer Methode, Vortrag 1911. MANIGK Die E r f o r s c h u n g des lebenden R e c h t s , ÖZB1. 1912. POUND T h e scope a n d purpose of soziological jurisprudence, Cambridge 1912. WÜSTENDÖRFER Zur H e r m e n e u t i k der soziologischen R e c h t s f i n d u n g s t h e o r i e , ArchRPhilos. 9, 170 f f . ; 289 f f . ; 422 ff. DERS. T a t s a c h e n u n d N o r m e n des Seeschiffbaues. E i n Beit r a g zum I n d u s t r i e r e c h t u n d z u m P r o b l e m der dogmatischen Methode 1920. NUSSBAUM
Ziele
der
Rechtstatsachenforschung,
LZ.
1920 N r .
22/23
(s.
N . 4). KELSEN Der Staatsbegriff der „ v e r s t e h e n d e n Soziologie", ZVolksw.SozPol. N. F. 1, 104 ff. — § 169 N. 6. a D a h i n zählen die contractas sui generis. D. X I X 5, 4. So der Garantievertrag, STAMMLER A r c h Z i v P r a x . 69, 1 ff. D e r Werklieferungsvertrag, RIEZLER W e r k v e r t r a g S. 67 ff. Lehrlingsvertrag, J h e r i n g s J . 40, 253. Lizenzv e r t r a g , das. 40, 254. D e r D i e n s t v e r s c h a f f u n g s v e r t r a g ; Verträge auf U n t e r l a s s e n ; Verträge n a c h B G B . 445 u n d 493; K r e d i t v e r s i c h e r u n g u. v. a. m. S. auch HÖNIGER Die g e m i s c h t e n V e r t r ä g e in ihren G r u n d f o r m e n 1910. — I m Gebiete des Sachenrechtes k o m m e n vor allem n e u e A r t e n v o n Dienstb a r k e i t e n in B e t r a c h t . B G B . 1018 f. 8 Beispiele: A L R . I I 5, 177 f f . : Von H a u s o f f i z i a n t e n . B G B . 2066 ff. gibt viele Auslegungsvorschriften f ü r T e s t a m e n t e , bei d e n e n sehr zu bezweifeln ist, ob die Rechtsfälle, d e n e n sie e n t s p r u n g e n sind, sich in gleicher Weise wiederholen werden.
§ 148,
302
Theorie und Praxis.
n i s c h e n Jurisprudenz voraus und will sie nur im einzelnen, aber nach jener wissenschaftlichen Methode fördern, berichtigen und ergänzen. Und es hat die genannte Bestrebung nichts mit der Frage nach der I d e e d e s R e c h t e s , nach ihrer kritischen Durchleuchtung und praktischen Bewährung zu tun; sie geht lediglich auf den s t o f f l i c h b e g r e n z t e n Bestandteil in dem Inhalte dieses oder jenes Rechtes *. 2. Einsetzung der w i r t s c h a f t l i c h e n Betrachtung des Rechtes. Diese sollte ebenso für die Erkenntnis eines positiven Rechtes, wie für dessen grundsätzliche Richtlinien eingreifen 5 . Aber alle v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e Untersuchung steht unter der logischen Bedingung eines bestimmten Rechtes (§ 56). Und es sind nicht die wirtschaftlichen Begriffe die Voraussetzung von rechtlichen Begriffen, sondern gerade umgekehrt. (§ 117 Nr. 4). Gar nicht aber ist jene wirtschaftliche Erörterung brauchbar zur Klarstellung des i d e a l e n G r u n d g e d a n k e n s für die menschliche Gesellschaft. Wenn in solchem Sinne die Berücksichtigung realer Interessen empfohlen worden ist, so ist das für die zutreffende Beschreibung der I d e e d e s R e c h t e s entweder ungenügend oder unrichtig. Ebenso sagt der Hinweis auf das soziale kmpfinden gar nichts und ist wo möglich noch dürftiger, als die Berufung auf das natürliche Rerhtsgelühl (§ 146) Und wenn für die hier gestellten Probleme auf eine induktiv-reale Betrachtungsweise bezvg «enommen wird, so ist man lediglich einem ungeprüften Schlagworte verfallen In ledern Falle kann die bloße Beobachtung, wie ein gewisses soziales Leben s i c h w i r k l i c h v o l l z i e h t , nicht den i d e a l e n Richtpunkt ersetzen, unter dessen Festhalten es allein möglich sein kann, bedingt gegebene rechtliche Begehrungen e i n h e i t l i c h zu richten und zu führen und damit s a c h l i c h zu begründen. II. Der Beruf der juristischen Praxis. § 148. Theorie und Praxis. P r a x i s ist die Behandlung von Einzelfällen (vgl. § 139). Sie unterscheidet sich von der T e c h n i k . Diese hat es in 4
Über Änderung von Aufgaben der Gerichtspraxis ohne Änderung des Rechts s. § 62 Nr. 3. — NUSSBAUM Beiträge zur Kenntnis des Rechtslebens. 1. Heft. Tatsachen und Begriffe im deutschen Kommissionsrechfc 1917; 2. Heft. Das Nießbrauchsrecht des BGB. unter den Gesichtspunkten der Rechtstatsachenforschung 1 9 1 9 . SONTAG Die Aktiengesellschaften im Kampfe zwischen Macht und Recht 1918. 6 DANK WARDT Nationalökonomie und Jurisprudenz, 4 Hefte 1857 ff. DERS. Nationalökonomisch-zivilistische Studien, mit Vorwort von ROSCHER 2 B d e . 1862—69.
N.
LOR STEIN G e g e n w a r t u n d Z u k u n f t (§ 3 N .
— S. §§ 5 6 N. 4 ; 1 1 7 N. 6 . • S. den Bericht über den Vortrag von FUCHS (s. ob. N. 16, 580 f. — Vgl. auch oben § 96.
9, vgl.
§ 61
I).
1) in DJZ.
§ 149.
Die praktische Brauchbarkeit eines rechtlichen Wollens.
303
Dingen des Rechtes mit der Lehre von dem rechtlichen Ausdruck und dem geformten Rechte zu tun (§ 127). Die Technik liefert die Beherrschung der bedingten Obersätze, unter welche der Praktiker den einzelnen Rechtsfall zu subsumieren hat (§ 110). Ihr Wesen geht also darin auf. daß sie zwar R e g e l n von verhältnismäßiger Allgemeinheit bietet, aber immer sich nur mit einem b e d i n g t e n Inhalte a 1 a s o l c h e m befaßt. Da also die t e c h n i s c h e Art der Betrachtung immer auf ein b e g r e n z t e s Ziel gerichtet ist, so bedarf sie zur g r u n d s ä t z l i c h e n Befestigung der von ihr behandelten Sätze der T h e o r i e . Dieses Wort ist freilich im Laufe der Zeiten recht abgegriffen und schier undeutlich geworden. In seiner reinen und klaren Bedeutung besagt es eine Lehre von u n b e d i n g t a l l g e m e i n g ü l t i g e r Art. Es ist also T h e o r i e und d o k t r i n ä r e T e c h n i k ganz verschieden. Die letztere ist bloß ein v o r l ä u f i g e r Halt, dessen e n d g ü l t i g e Festsetzung n u r durch eine T h e o r i e im genannten Sinne erfolgen kann 1 . Alle r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Lehre ist somit eine T h e o r i e in der wahren Bedeutimg des Wortes (§1). Hieraus ergibt sich ein geklärtes Verhältnis von T h e o r i e und P r a x i s in der Rechtswissenschaft. Jene gibt d i e a l l g e m e i n gültigen Methoden des juristischen Denkens an. Sie fußt auf d e m B e g r i f f e und d e r I d e e d e s R e c h t e s . Sie lehrt die grundlegende Art des r e c h t l i c h e n B e g r e i f e n s und U r t e i 1 e n s. Folglich ist sie bei allem Sinnen und Tun in Dingen des Rechtes unweigerlich vorausgesetzt und ganz von selbst angewandt. Ein guter juristischer Praktiker hat somit in grundlegender Weise dreierlei zu beherrschen: Eine methodische Einsicht in die T h e o r i e des Rechtes ü b e r h a u p t in ausgeführter rechtsphilosophischer Betrachtung ; eine t e c h n i s c h e Beherrschung des bedingten Rechtsinhaltes, den er zu bewähren berufen ist; eine p r a k t i s c h e Fertigkeit in dem j u r i s t i s c h e n S c h l i e ß e n , sowohl in dem Einfügen unter das dortige technisch geformte Recht, wie in dem Auswählen des grundsätzlich richtigen Obersatzes, sobald solches von dem Gesetze, dem er untersteht, selbst wieder angeordnet ist 2 . § 149. praktische Brauchbarkeit eines rechtlichen Wollens. In der neueren Jurisprudenz ist der Ausdruck der Praktikabilität bei rechtlichen Einrichtungen aufgekommen. Man versteht darunter das durchschnittliche Festlegen von Rechtsvoraussetzungen in typischer Die
S. § 127 in A. und das. N. 1—3 * Vgl. die § 139 N. 2 gegebenen literarischen Nachweise. Dazu Bozi Die Weltanschauung der Jurisprudenz. EGGER Schweizerische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft 1913. 1
304
§ 149,
Die praktische Brauchbarkeit des rechtlichen Wüllens.
"Weise, z. B. Bestimmung des Alters der Volljährigkeit oder der Wahlfähigkeit nach Tag und Stunde, statt nach dem Nachweise der persönlichen Befähigung eines Individuums in seiner besonderen Lage Das betrifft nun zunächst die T e c h n i k des Rechtes. Es ist von Interesse für die Gegenstellung von geformtem und von auszuwählendem Rechte (§ 127) und von zwingendem und von nachgiebigem Rechte (§ 143). Sobald aber der Zweifel hineinkommt, ob ein bestimmtes Vorgehen eines Gesetzgebers i n n e r l i c h b e g r ü n d e t ist, sind wir auf die eine f e s t e M e t h o d e der Überlegung angewiesen, die in ihrem letzten Ende auf die I d e e d e s R e c h t e s hinführt. Wenn statt dessen manchmal auf die praktische Brauchbarkeit einer bestimmten Einrichtung hingewiesen worden ist, so ist das nicht genau bis zum Ende ausgeführt. Es nennt dann einer etwas praktisch, was gerade für die b e s o n d e r e n Bestrebungen, die er seinerseits hegt, ein taugliches Mittel abgeben kann. Aber das sind doch zunächst n u r p e r s ö n l i c h e Wünsche und Begehrungen. Und es werden damit immer b l o ß b e d i n g t e Ziele als Maßstab eingeführt. Sollen diese einer g r u n d s ä t z l i c h e n Anzweiflung standhalten, so hat man auf d e n G r u n d g e d a n k e n , der allem Rechte als Aufgabe dient, kritisch zurückzugehen (§ 96). Das wird auch nicht anders, wenn jemand die D u r c h f ü h r b a r k e i t einer rechtlichen Maßnahme anführt und in gegebener Lage dartut. Das kann selbstverständlich einmal geschehen. Aber dann ist wiederum nicht ein z w e i t e r Maßstab n e b e n dem der g r u n d s ä t z l i c h e n R i c h t i g k e i t eingeführt. Es ist alsdann nicht etwas als richtig, aber als undurchjiihrbar dargetan, sondern falls das letztere vorliegt, so ist das betreffende Verlangen eben u n r i c h t i g 2 . Mit Recht hat man sich gegen den Satz erklärt, der im Stile eines Schlagwortes sich findet: daß etwas in der Theorie gut sein möge, für die Praxis aber nicht tauge 3 Der Satz ist unklar und verworren. Wenn etwas für die P r a x i s nicht taugt, so ist diese b e s o n d e r e Aufstellung doch an einer a l l g e m e i n e n Regel gemessen, die wieder auf eine T h e o r i e , als feste methodische Richtlinie, zurückführt 4 . Jene zuerst eingebrachte Theorie ist dann in Wahrheit ein Satz, der nicht haltbar ist, da man ihn an der z w e i t e n , b e g r ü n d e t e n Lehre 1
JHERING (§ 18 N. 9) Geist d. röm. R. (2) § 38. S. hierzu auch HR. S. 270. KANT Über den Gemeinspruch: Das mag in derTheorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, Berl. Monatschr. 1793 S. 201 ff. (Werke hrsg. v. Hartenstein V 363 ff.) 4 Und zwar dürfte eine kritische Nachprüfung dann oft, wenn nicht fast immer, ergeben, daß jene Berufung auf die Praxis als notwendige t h e o r e t i s c h e Unterlage immer wieder den E u d ä m o n i s m u s hat, daß sie also als h ö c h s t e s G e s o t z des menschlichen Wollens das Streben nach s u b j e k t i v e r Annehmlichkeit und Lust im Sinne hat. S. § 93 Nr. 1; auch § 15 zu N. 9, sowie § 96 und § 171. !
3
§ 150.
305
Selbständigkeit des Urteilens.
mißt, die der Redende dabei unbewußt im Auge hat. Eine T h e o r i e aber kann immer nur durch eine a n d e r e T h e o r i e widerlegt werden, jedoch niemals durch eine P r a x i s ; denn die letztere ist ja nur die Behandlung von E i n z e l f ä l l e n an der Hand allgemeiner Regeln (§ 148). Wohl aber kann die p r a k t i s c h e Tätigkeit eine An r e g u n g geben, um einen, ihr z u n ä c h s t entgegentretenden Lehrsatz n o c h e i n m a l gründlich zu untersuchen und vielleicht zu berichtigen. Denn wenn jemand eine allgemeine Regel in besonderen Fällen anzuwenden hat, vermag er auf den Sinn jener Regel erst genauer aufmerksam zu werden. Von dieser Erwägung her läuft der angeblich mögliche Gegensatz von T h e o r i e und P r a x i s auf den banalen Satz hinaus: Es ist möglich, daß etwas a u f d e n e r s t e n B l i c k als relativ allgemeine Regel einleuchtet, daß aber diese Theorie b e i kritischer P r ü f u n g , aus Anlaß von Einzelfällen her, a l s unhaltbare L e h r e , sich herausstellt. § 150. S e l b s t ä n d i g k e i t d e s U r t e i l e n s. Die Rechtsgeschichte weist manche eigentümliche Einrichtung auf, wonach ein zum Urteilen Berufener den Inhalt seines Spruches von anderer Seite her entnehmen sollte. So bei dem ius respondendi der Römer 1 , bei der Aktenversendung an die Juristenfakultäten bis in die neuere Zeit 8 u. a. m. 3 . Für die M e t h o d e des juristischen Urteilens ist das ohne Belang; es wird ja die Frage dadurch nur äußerlich um ein Glied zurückgerückt 4 . Eine Besonderheit zeigt sich dabei mit dem Zurückgehen auf die Verkehrssitte. Sie kommt nur bei der Vornahme des m i t t e l b a r e n juristischen Schlusses (§ 140) vor. Dort wird sie bei der Feststellung des U n t e r s a t z e s benutzt. Sie besteht in übereinstimmenden Urteilen über einzelne Rechtsfragen, die im Verkehre gleichmäßig entstanden 1
KIPP (§ 11 N .
6)
§ 17 S.
107 ff.;
§ 23
S.
145.
Cf. C. I
14,
12.
" WETZELL System des ordentlichen Zivilprozesses (3) 1878 § 44 N. 39 ff. 3 ALR. Einl. § 4 7 ; AGO. I 13, 3 2 ; im Anschlüsse an Corp. iur. Fridericiani Vorrede § 29 und CO. v. 14. 4. 1789, welche den Richtern und Behörden gebot, in zweifelhaften Fällen sich an die Gesetzkommission zur Entscheidung des Bedenkens zu wenden, die wieder dem Könige zu berichten hatte, falls eine Rechtsänderung angezeigt erschien. Aufgehoben durch CO. v. 8. 3. 1798. BORNEMANN Systematische Darstellung des preußischen Zivilrechts (2) 1842, I S. 37 ff. HEYDEMANN Einleitung in das System des preußischen Zivilrechts (2) 1861 I S. 122 ff. DERNBURG Lehrbuch des preußischen Privat rechts (5) 1894 I § 9. 4 Neue Reichsverf. 13, 2 ; und danach ReichsG. v. 8. 4. 20. — ZEILER Gerichtshof für Gesetzesauslegung (§ 129 N. 3). — Hierher gehört auch die Frage nach den Präjudizien und der Bindung der Gerichte an eigene oder fremde Entscheidungen in früheren Fällen. GVG. 1 3 7 ; GBO. 79, 2 und 3 ; 81. S t a m m l e r, Rechtsphilosophie. 20
306
§ 150.
Selbständigkeit des Urteilens.
sind. Sie wird in äußerer Statistik festgestellt, indem die Urteile gewisser Personen und Kreise in den fraglichen Fällen gesammelt werden; zuweilen sogar wieder mit Hilfe anderer, die über das Vorhandensein solcher gemeinsamen dortigen Auffassungen Zeugnis ablegen 8 . Auch sie gehört somit, nach ihrem Einsetzen und Durchführen, der t e c h n i s c h e n Rechtslehre an; und ihr Begriff bietet, außer den methodischen Eigentümlichkeiten, die eben angeführt wurden, der allgemeingült i g e n Erwägung rechtlicher Dinge weiter nichts. Dagegen kommen für die r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e Erwägung einige Versuche in Betracht, die bei dem Forschen nach d e m g r u n d s ä t z l i c h R i c h t i g e n in einer Rechtsfrage nicht selbständig vorgehen, sondern den dann nötigen unmittelbaren Schluß (§ 141) anderen Leuten überlassen wollen. Man spricht hier von einem Verweisen auf herrschende Anschauungen, die sich über eine grundsätzlich gestellte Frage gebildet hätten. Das ist übel getan, — gemessen an der Aufgabe k r i t i s c h e r K l ä r u n g d e r e i g e n e n Gedanken. Der in jener Verweisung gelegene Verzicht auf das eigene Urteil ist schon deshalb sehr ungünstig, weil die Behauptung, daß ein bestimmtes Urteil über den dortigen Einzelfall herrschend wäre, sich nur zu leicht als willkürlich ausgesprochen und ohne Stütze erweist. Wenn aber dieser Umstand einmal keinen Anlaß zu Bedenken geben sollte, so ist nicht einzusehen, weshalb eine herrschende Anschauung immer g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g sein soll. Die bloße Verweisung auf h e r r s c h e n d e A n s c h a u u n g e n sagt über den Gedanken d e r Gerechtigkeit gar nichts aus und läßt jede m e t h o d i s c h e Überlegung über d i e i n n e r e B e g r ü n d e t h e i t eines besonderen rechtlichen Wollens vermissen 6 . Es ist keine Besserung dieses Mangels, wenn als Maßstab einer grundsätzlich richtigen Erwägung das Schlagwort des volkstümlichen Rechtes eingesetzt wird. Das Wort Volk ist vieldeutig; es kommt immer auf den Gegensatz an, zu dem es gebraucht wird. In unserer Frage handelt es sich um die Gegenstellung von V o l k und J u r i s t e n . Zu den letzteren zählen diejenigen, die das geformte Recht 5 S. § 42 N. 1 und § 38. Dazu § 116 N. 3. — HAGEN Die Usance und Treu und Glauben im Verkehre 1894. « WR. Anm. 202 (oben § 141 N. 2). Über ARDIGOS soziale Idealitäten B. CARIO ArchRPhilos. 3, 212 ( § 1 8 , 1 2 ) . Meist tritt die Anlehnung an Aerrschende Anschauungenin einer rnehrei'igdahinfliehendenErwähnungauf. S. auch § 146 N. 2. Sachlich liegt freilich notwendig darin die Meinung, daß man hier einen Halt habe, der in seinem formalen Hervortreten u n b e d i n g t a l l g e m e i n g ü l t i g sei. Aber es fehlt die forschende Frage: mit welcher» Rechte man das tue. Wie ist jene angeblich absolute Instanz der herrschenden Anschauungen möglich T Und in welcher Art der Überlegung will man das feststellen und beweisen ? — Fehlt hier nicht manchmal das, was d i e E n e r g i e d e s D e n k e n s heißen muß, die doch eine sittliche Pflicht eines jeden v o r s i c h s e l b s t ist ? (§ 89.)
§ 151.
Arten grundsätzlicher Rechtspraxsi.
307
kennen und vor allem eine gesicherte Methode der Beherrschung aller ihnen vorkommenden Rechtsfragen besitzen. Daß das Fehlen dieser Fähigkeiten das bestimmende Richtmaß für r i c h t i g e s Recht sein müsse, ist mit Grund nicht wohl zu behaupten So bleibt als Beruf der juristischen Praxis bei der Auswahl von p r i n z i p i e l l begründetem Rechte, daß sie nach kritischer Methode i n e i g e n e m B e s i n n e n den Satz sucht und feststellt, der in der gegebenen Lage von der I d e e d e s R e c h t e s geleitet wird 8 . Und dann hat sie dieses, soviel es geht, volkstümlich z u m a c h e n , das heißt: es möglichst vielen einleuchtend zu beschaffen, daß die im dortigen Falle getroffene Wahl g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g i s t 9 .
Dritter
Abschnitt.
Praxis des richtigen Rechtes. I. Rechtsausführung durch rechtshohe Gewalten. § 151. Arten grundsätzlicher Rechtspraxis. Wenn wir das rechtliche Wollen in Bewegung nehmen und das Verhältnis des e i n z e l n e n S u b j e k t e s zu einer rechtlichen Verbindung nach deren Grundbegriffen der R e c h t s h o h e i t und der R e c h t s u n t e r s t e l l t h e i t bedenken (§ 111), so vollzieht sich jene Bewegung in den Möglichkeiten der R e c h t s s e t z u n g und der R e c h t s a u s f ü h r u n g (§ 112). Es gehört zu den notwendigen Er7 DANZ Rechtsprechung nach der Volksanschauung und nach dem Gesetz 1908. R U M P F Das Ideal des volkstümlichen Rechts, Rede 1913 (§§ 128 N. 6 ; 139 N. 2). Die volkstümliche Gestaltung unseres bürgerlichen Rechts, Ges. u. R. 16, 177 ff. H U B E R (§ 6 N. 1) S . 448; vgl. 3 9 4 ; 433. — S. auch § 146 und § 143. R R . S. 149 ff. T R . S. 570 f . ; 710 ff. 8 Kannst Du nicht stehn auf dich selbst und bedarfst du der Hilfe von außen, Wahrlich, so bist du ein Mann, wie ein Arm ohne Hand. HEBBEL Jugendgedichte 1 8 2 9 ff. Selbstvertrauen. — K A N T Beantwortung der F r a g e : Was ist Aufklärung 1, Berl. Monatsschr. 1784 S. 481 ff. (Werke hrsg. v. Hartenstein I 109 ff.): Safere andel Habe Mut, dich deines eigenen Verstände$ zu bedienenl ist also der Wahlspruch der Aufklärung. 9 In dieser Richtung des Überlegens wird die Bezugnahme auf die volkstümliche Art einer Betrachtung eine p s y c h o l o g i s c h e Frage. Während in der vorhin angegebenen Erwägung es sich um eine erkenntnisk r i t i s c h e Aufgabe handelte, nämlich: d i e f e s t e u n d b l e i b e n d e A r t z u b e s c h r e i b e n , in der die R i c h t i g k e i t eines Urteils begründet werden kann, — so steht nunmehr das Ziel vor: im Sinne jener festen und bleibenden Art b e s t i m m t e n M e n s c h e n sichere Auffassungen z u v e r s c h a f f e n . Das aber ist eine Frage p r a k t i s c h e r Psychologie. S. dazu §§ 7 5 ; 7 8 ; — § 173 Nr. 1 und 2.
308
§ 151.
Arten grundsätzlicher Rechtspraxis.
fordernissen eines guten Gemeinwesens, in seinen äußeren Einrichtungen diesen allgemeinen Kategorien zu folgen und die Tätigkeit der G e s e t z g e b u n g und der A u s f ü h r u n g des Rechtes zu trennen 1 . Die A u s f ü h r u n g eines von dem r e c h t s h o h e n Wollen gesetzten Rechtes kommt aber nicht etwa bloß den e i n z e l n e n R e c h t s u n t e r s t e l l t e n , als Gliedern der fraglichen Gesellschaft zu, sondern ist von den Organen eines solchen R e c h t s g a n z e n im Interesse richtiger Art der dortigen Verbindung gleichfalls zu wahren. So kommt es, daß innerhalb der rechtlich a u s f ü h r e n d e n Tätigkeit sich nach zwei Seiten hin p r a k t i s c h e Fragen systematisch zerteilen lassen. Im Anschlüsse an die mögliche Zerlegung des Inhaltes einer Rechtsordnung in ö f f e n t l i c h e s und bürgerliches Recht (§ 134) ergibt sich die Aufgabe der V e r w a l t u n g und die der Rechtsprechung. Das ist seit längerem als die Lehre von den d r e i G e w a l t e n des Staates bekannt und äußerst wohltätig für das praktische Rechtsleben verwertet worden 2 . Ihre Ausgestaltung in den verschiedenen Rechtsordnungen der Neuzeit bildet einen wichtigen Abschnitt vornehmlich des heutigen Staats- und Verwaltungsrechtes. Hier dient es nur zur Einführung und Übersicht der Arten grundsätzlicher Rechtspraxis, welche letztere ja überhaupt kein S y s t e m im theoretischen Sinne (§ 133) darstellt s . Danach fällt die Praxis einer g r u n d s ä t z l i c h gerechtf e r t i g t e n G e s e t z g e b u n g den Aufgaben der P o l i t i k zu (§ 169), ebenso aber auch die V e r w a l t u n g , die als Ausführung von ö f f e n t l i c h e m Rechte geschieht. In dem hier begonnenen Abschnitte sollen dagegen, als beleuchtende Proben d e s b e g r ü n d e t e n A u s w ä h l e n s unter mehreren sich darbietenden, s t o f f l i c h b e g r e n z t e n O b e r s ä t z e n (§ 141), Fragen aus dem Gebiete der R e c h t s p r e c h u n g in Streitigkeiten von rechtsunterstellten Bürgern erörtert werden. Auch solche Fragen können außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch Eingriffe rechtshoher Gewalten beeinflußt und geordnet werden. Wir senden diese Möglichkeiten von Privilegien (§ 152) und von Gnade (§ 153) hier voran. 1 BEYER Rechtsetzende und rechtsausführende Gewalt 1 9 0 9 . EHLERT Gesetzgebende, ausführende und erkennende Macht 1921. 2 Sie führt auf M O N T E S Q U I E U zurück. S. § 6 N . 3 ; auch § 6 4 N . 4 ff. FEUERBACH Anti-Hobbes (§ 14 N. 6) S. 30 ff. bringt die Regierungsrechte in vier Klassen: Recht der Oberaufsicht, zu verfügen, zu richten und alles nach diesen drei Rechten Bestimmte zu exequieren. Dagegen trennt H E G E L in seiner Philosophie des Rechtes ( § 15 N. 20) bei der Lehre vom Staate §§ 275 ff. •die fürstliche Gewalt, die Regierungsgewalt und die gesetzgebende Gewalt. 3 Verschieden hiervon ist die Frage nach der tatsächlichen Gewalt und Beeinflussung, die sich im sozialen Leben mannigfach ergibt. WLESER Über die gesellschaftlichen Gewalten, Monatsschr. Deutsche Arbeit, Prag 1902 S. 261 ff. — Vgl. hierzu §§ 37 zu N. 5 ; 77 f.
§ 152.
Vorrechte und Privilegien.
309
§ 152. Vorrechte und Privilegien. Die Begriffe V o r r e c h t und P r i v i l e g i u m sind zu unterscheiden Das V o r r e c h t bedeutet eine Rechtsfolge, die von einer verhältnismäßig allgemeiner bestimmten Rechtsfolge mit ungleichartigem Inhalte abweicht. Dies kann durch das Gesetz im voraus bestimmt sein, z. B. eine besondere Behandlung des Arbeitslohnes, eigene Rechte der Beamten in Mietverträgen, Vorrechte des Fiskus, Bevorzugung gewisser Gläubigerarten im Konkurs des Schuldners 2 . Das P r i v i l e g i u m ist eine rechtliche Willenserklärung, die nach einem dazu ermächtigenden Gesetze auf Eegründurg eines Vorrechtes gerichtet ist. Hier wird also ein Vorrecht nicht nach einer allgemein bestimmten juristischen Tatsache, sondern durch eine b e s o n d e r e A n o r d n u n g als e i n z e l n auftretende Rechtsfolge geschaffen, z. B. Verleihung der juristischen Persönlichkeit an einen es nachsuchenden Verein, Dispens von Ehehindernissen, Ehelichkeitserklärung durch die Staatsgewalt, Erteilung eines Patentes, Enteignung eines Grundstückes 3 . Die Vorschriften über Zulässigkeit, Erteilung und Ende von Privilegien gehören der technischen Rechtslehre an 4 . Immer werden bei ihrem Einsetzen Zweifel nach der s a c h l i c h e n Begründeth e i t ihres Inhaltes auftauchen. Und dann zeigt sich, daß die verschiedenartige Regelung verschiedener B e s o n d e r h e i t e n gar nicht zu umgehen ist, wenn sie nach u n b e d i n g t e i n h e i t l i c h e r Methode gerichtet sein sollen. Wollte man für b e d i n g t gegebene Fragen immer nur eine und dieselbe Regel einsetzen, so würde ja gerade wegen ihrer s t o f f l i c h e n Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit eine u n r i c h t i g e Behandlung eintreten. Das zeigt sich bei jeder Beobachtung, mit der man eine technisch formende Gesetzgebung verfolgen mag. Alle diese gesetzgeberische Technik ist eine fortlaufende Korrektur von zu allgemein gefaßten Regeln. 1
STAMMLER Privilegien und Vorrechte, Rede 1903.
2
Z. B . B G B . 4 0 0 ; 5 7 0 ; 9 2 8 ; 2249;
8
KO.
21.
Z. B. 22; 795; 1322; 1745. Enteignung; Polizeiverfügung über Schließen eines baufälligen Hauses; PrGes. v. 7. 4. 13 §§ 46 ff. * Über das römische Recht (cf. D. I 3, 16) s. SAVIGNY System des heutigen römischen Rechts 1840, I 62 ff.; VII 227 f. WINDSCHEID §§ 135 ff. — Aus dem kanonischen Rechte s. bes. X. V. 33; VI. V 7. STUTZ Der Geist des Codex iuris canonici (§ 12 N. 16) bes. S. 39; 133; 148 f.; 262 N. 5; 276 ff. — Das einzige Gesetzbuch, das eine ausgeführte Lehre von den Privilegien enthält, ist ALR. Einl. §§ 54—58; 62—72. Dazu ALR. II 13 § 7. PrVerf. v. 31. 1. 50 Art. 49; 50. DERNBURG Lehrbuch des preußischen Privatrechts (5) 1894, I §§ 23 ff. — SeuffArch. 40 Nr. 173; 46 Nr. 164. RG. 67, 221; 80, 2 5 ; 80, 3 6 9 ; 87, 200. — KAISER
D e r Härteparagraph, D J Z .
24,
425.
—
Verbot der Privilegien: EG. z. KO. 4; RGes. v. 11. 6. 70 § 60 und v. 19. 6. 01 § 64 (oben § 48 N. 5).
310
§ 153.
Die Gnade.
Beispiel: der Verwahrer hat die anvertraute Sache unversehrt zurückzugeben; er wird frei bei zufälliger Unmöglichkeit der Rückgabe; der Gastwirt haftet darüber hinaus bis zur höheren Gewalt; dies aber nicht, wenn der Schaden von dem Gaste verursacht wird ; und für eingebrachtes Geld nur bis zu tausend Mark ; es sei denn, daß er dessen Aufbewahrung besonders übernommen hat; u. s. f. 6 . Alle relativ allgemeinen Regeln, die eine technisch formende Gesetzgebung aufstellt, können immer nur einen D u r c h s c h n i t t in sachlich befriedigender Weise erledigen. Es werden sich stets Fälle ereignen, in denen bei rücksichtsloser Durchführung eines Paragraphen ein u n r i c h t i g e s Ergebnis sich herausstellt. Und dann mag es veranlaßt sein, durch privilegierende Sondermaßregel im Sinne des Grundgedankens alles rechtlichen Wollens eine begründete Erledigung dieses einzelnen Falles zu erreichen. Eine Berufung auf die Gleichheit vor dem Gesetze widerspricht dem Gesagten nicht. Denn die G l e i c h h e i t , als quantitativ gleichmäßige Verteilung von Annehmlichkeiten, ist überhaupt kein Ausdruck für die I d e e des Rechtes und von dem Gedanken der G e r e c h t i g k e i t ganz verschieden; sie besagt vielmehr einen theoretischen Irrtum, da sie auf den Eudänomismus als angebliches Grundgesetz des Wollens zurückführt (§ 93 Nr. 3). Die Verfassungsartikel mit der Forderung, daß alle vor dem Gesetze gleich seien, können nur bedeuten, daß alle ihre sozialen Beziehungen nach dem Begriffe und der Idee d e s R e c h t e s zu ordnen seien (§ 171). Ihre buchstäbliche Überführung in die Praxis würde zu widersinnigen Ergebnissen bringen6 § 153. Die
Gnade.
Die Begnadigung 1 ist ein besonderer Akt eines dazu Berechtigten 2 . E r vollzieht sich entweder in den Formen der Gesetzgebung, z.B. als Am6 S. hierzu § 50 zu N. 4 ; auch § 95 zu N. 3. — Über die dabei nötige Vermeidung von Willkür s. § 48 N. 5. 8 Besonders reichhaltig ist die Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts zum Art. 4 der Eidgenössischen Verfassung. Zur Einführung: A F F O L T E R Die Individualrechte in der bundesgerichtlichen Praxis (2) 1915 S. 83 ff. — G I E R K E Unsere Friedensziele 1917 S. 41 f. H Ü T T N E R Sammlung rechtsbelehrender Schriften, 1. Heft 1917 S. 12 ff. H A U S S M A N N Der Rechtsgrundsatz der Gleichmäßigkeit im preußischen Kommunalabgabenrecht und seine Verletzung als Ungültigkeitsgrund kommunaler Abgabenverordnungen und Steuervereinbarungen 1917. 1 L L S Z T Lehrb. d. Strafr. § 7 5 . Neuere Literatur: R R . S . 1 2 2 ff.; D O H N A Über den Beruf der Gnade im Tag 1 9 0 7 Nr. 5 3 9 ; B E Y E R L E Von der Gnade im deutschen Recht 1 9 1 0 ; F A L C K Die Begnadigung, DeutschR. 3 , 3 3 7 ff. Riss Recht und Gnade, DRichtZ. 6 , 8 0 4 ff. R E I C H E L ebda. 6 , 8 6 8 f. 1 Die Begnadigung wird besonders mit dem Strafrecht in Verbindung gebracht, findet aber auf dem ganzen Rechtsgebiete ihre Anwendung. Von eigener Bedeutung war nach römischem Rechte die in integrum, veslilutio. SOHM Institutionen § 36 I I I . W L N D S C H E I D §§ 114 ff.
§ 153.
Die Gnade.
311
nestiegesetz 8 , oder als einzeln wirkende Handlung, sei es des auf sein Recht verzichtenden Rechtsangehörigen, 4 oder eines öffentlichen Organs 5 . Dabei treten zwei Fragen auf: 1. Die technische Vorfrage nach den Fällen, da Begnadigungen n a c h e i n e r b e s t i m m t e n Rechtsordnung zulässig sind; und die Feststellung der danach gesetzlich zuständigen Persönlichkeit oder Behörde®. Ö. Die sachliche Hauptfrage nach dem maßgeblichen Gesichtspunkte für die i n n e r e Ber e c h t i g u n g der Vornahme und der Ausgestaltung eines besonderen Gnadenaktes'. In dieser Richtung ist die Gnade ein Mittel, um in einer gegebenen Lage r i c h t i g e s R e c h t zu erhalten 8 . Die Gnade kann sich in folgender Art bewähren: 1. Wegen Unsicherheit nach gesetztem Rechte. Dies trifft wohl ein bei nicht genügender Klarstellung des abgeurteilten Tatbestandes; vielleicht aber auch bei einer Unsicherheit über den wirklichen Sinn rechtlicher Normen, die in einem zweifelhaften Falle zur Anwendung gebracht worden sind 9 . 2. Zur Berichtigung von gesetztem Rechte. Hier hat die Gnade einzusetzen, wenn die starren Folgen eines zwingend anordnenden Rechtes zu einem unrichtigen Ergebnisse im Einzelfalle führen 1 0 . Es ist aber auch 3 Interessant i9t Wehrbeitragsg. 3. VII. 13 § 68. * Der Gedanke der Gnade besagt zunächst eine Begünstigung jemandes u n d eine Befreiung von drückenden gesetzlichen Folgen. Daß andere davon Nachteil haben, wie der gnädig Verzichtende oder der Restitutionsgegner oder bei der strafrechtlichen Begnadigung die Gesamtheit, kommt erst in zweiter Linie. 6 Nur dem Wortlaute, nicht der Sache nach gehört hierher die Entziehung der königlichen Gnade in der fränkischen Zeit. SCHRÖDER § 17 N. 64. BRUNNER § 21. KOSTLER Huldentziehung als Strafe. Eine kirchenrechtliche Untersuchung mit Berücksichtigung des römischen u n d deutschen R e c h t e s 1910. 4 Die Rechtsgeschichte zeigt interessante Versuche, die richterl i c h e Tätigkeit u n d die b e g n a d i g e n d « Macht zu trennen. Über d a s römische Recht s. MOMMSEN Römisches Strafrecht 1899. S 167. I m altdeutschen Gerichtsverfahren konnte der eines Verbrechens Angeklagte sich m i t freiwilligem Geständnisse in die Gnade des Richters begeben. SCHRÖDER §§ 12; 36. — Über richterliches Begnadigungsrecht in neuzeitlichen F r a g e n s. FINGER Lehrb. d. deutsch. Strafr. S. 558 ff.; Ges. u, R .
21,
468.
7
Die Gnade darf kein Akt subjektiver Willkür sein. Sie ist begründeterm a ß e n das Gegenteil von Tel est notre plaisir, wie die Ordonnanz Karls V I I I von Frankreich 12. I I I . 1497 sagte. 8 Dieser notwendige Gedanke verbirgt sich, wenn m a n als Ziel der Gnade Ausdrücke wählt, wie Sicherheitsventil des Rechtes, oder sie teils aus Liebe {§ 93 Nr. 2), wohl auch Wohlwollen oder Güte, teils aus Staatsklugheit oder Politik (§ 169) eintreten lassen will. 9 I m 18. J a h r h u n d e r t finden sich prinzipielle Anzweiflungen des ganzen I n s t i t u t e s der Begnadigung; s. auch KANT, Rechtslehre 1797 I I . Teil 1. Abschnitt I I . Das begreift sich nur aus den besonderen historischen Verhältnissen jener Zeit u n d hat keine allgemeinere Bedeutung. 10 E i n hübscher Rechtsfall in D. X X I X 2, 86 pr.
§ 154.
312
Das Wesen der Billigkeit.
möglich, daß eine Begnadigung zur Berichtigung von Rechtsfolgen angezeigt ist, die damals wohl begründet waren, j e t z t aber durch Änderung der unterliegenden Zustände es nicht mehr sind; z. B . persönliche Wandlung des Verbrechers; Wechsel in politischen Verhältnissen u . Das rechtliche Merkmal der G n a d e gegenüber den r i c h t e r l i c h e n U r t e i l e n , die gleichfalls nach richtigem Rechte zu fällen sind, besteht darin: daß für die letzteren eine P f l i c h t des Richters besteht 1 2 , während die Gnade nur ein R e c h t des Inhabers der Gnadenmacht bedeutet 1 3 .
I I . Urteilen nach billigem E r m e s s e n . Das
Wesen
§ 154. der Billigkeit.
Die erste Bedeutung des Ausdruckes Billigkeit zeigt den gleichen Sinn, wie g r u n d s ä t z l i c h e Richtigkeit. E s ist dann von dem Gedanken der G e r e c h t i g k e i t überhaupt nicht verschieden. So ist es der Fall, wenn man von einem Verlangen sagt, daß es nur recht und billig sei, — das heißt: dem positiven Rechte sowohl, wie der I d e e d e s R e c h t e s gemäß vorgehe. In etwas engerem Sinne wird B i l l i g k e i t für einen richtig ausgewählten Obersatz in einem besonderen Streitfalle gebraucht. Hier bildet die G e r e c h t i g k e i t insofern einen Gegensatz, als sie das Bestreben nicht des Richters, sondern des Gesetzgebers bezeichnet, wonach er prinzipiell begründete Paragraphen formt und aufstellt \ Endlich kommt die Billigkeit noch i n n e r h a l b der richterlichen Tätigkeit in den Fällen vor, wo es sich um das Ziehen einer Grenze zwischen zwei Streitteilen handelt, die durch ein g a n z unbestimmtes Gebiet zu legen ist. In dieser engsten Bedeutung spricht man heute zumeist von billigem Ermessen. E s findet seine Anwendung bei der Teilung von Ausschließungsrechten, welche in Zusammenstoß geraten sind, wie bei dem Austragen von Schuldverhältnissen (§ 155), aber auch bei dem Bestimmen einer Schadloshaltung aus billiger Erwägung (§ 156). 2 11 Eine Schwierigkeit entstand der kanonischen Lehre und jeder Doktrin, die ein ius naturale mit absolutem Inhalte annahm (§§ 14 f.). S. die Rechtfertigung von Dispensationen und Privilegierungen bei Ivo VON CHARTRES in der Vorrede zu dem Deeretum. 12 Z. B. BGB. 3—5 gegenüber 1734. 13 Die Art derQnade weiß von keinem, Zwang, SHAKESPEARE Kaufmann v o n Venedig IV 1. 1 Dies führt auf ARISTOTELES zurück. S. § 10 N. 19; § 127. — Es ist nicht gut, zu sagen, daß dann nach den Umständen geurteilt werde (vgl. auch BGB. 254); sondern die Umstände sind gerade der Gegenstand der Beurteilung, die ihren Maßstab grundsätzlicher Erwägung entnimmt. A
THÖL
SCHE1D
§
(§ 18 N . 5 ) § 40.
28.
UBBELOHDE
BESCHORNER
Über
Über
und
Recht
die
Billigkeit
Billigkeit
1887.
1858.
WIND-
OERTMANN
5 155.
Unbestimmtheit einer Leistung.
313
§ 155. Unbestimmtheit
einer
Leistung.
Bleibt bei einem Streite unter zwei Nachbarn die streitige Grenze ganz u n s i c h e r , so ist die Grenze nach B i l l i g k e i t zu ziehen \ Das Gleiche gilt bei sonstigen Teilungen, für die keine positive Anordnung bestimmt vorliegt. Man hat in der Praxis zu allen Zeiten gerne nach dem Hilfsmittel gegriffen, daß dann der eine teilen, der andere unter den gemachten Teilen wählen solle; hat auch wohl dabei das Los verwertet 2 . Aber das wird nicht immer angängig sein. Und dann ist nach b i l l i g e m E r m e s s e n dahin vorzugeben, daß derjenige Obersatz als maßgeblich für die Teilung eingesetzt wird, der in seiner wesentlichen Bestimmung im Sinne der Grundsätze des richtigen Eechtes geleitet ist. Wir denken dabei die Streitenden alsGlieder einer Sondergemeinschaft; wieviel jeder eingeschossen hat, bleibt unter den gegebenen Umständen nicht bestimmbar. So werden sie in dem Sinne auseinandergesetzt, daß auf jeden dem andern gegenüber volle Rücksicht als auf einen Gemeinschafter genommen wird. Es handelt sich um den zweiten Grundsatz des Teilnehmens (§ 95), da jeder der beiden teilweise ausgeschlossen werden soll; und es hat jeder das Seinige so zu erhalten, daß er bei der Teilung sich der Nächste bleibt und nicht Objekt des einseitigen Begehrens des Gegners werde. Die entsprechende Aufgabe erhebt sich mehrfach bei Schuldverhältnissen; besonders da, wo eine Leistung von den Beteiligten bei der Begründung der Schuld u n b e s t i m m t gelassen worden ist 8 . Die alsdann objektiv einzusetzende Höhe der Leistung, namentlich in Gestalt einer festen Geldsumme, kann Schwierigkeiten bereiten 4 . Sie braucht aber nicht unmöglich zu sein 6 . Es kommt überall auf die AufDas Billigkeitsprinzip :m BGB., das Recht 4. Jahrg. 1900 Nr. 1 und 2. SCHMÖLDER Die Billigkeit als Grundlage des bürgerlichen Rechts 1907. BRIE Billigkeit und Recht, ArchRPhilos. 3, 526 ff.; R E I C H E L ebda. 534 ff.; K L S S ebda. 536 ff. G I L L I S Die Billigkeit 1914. 1 BGB. 920; — entsprechend 1024; 1060; vgl. EG. 184. — D. VII 1, 13, 3. 2 1. Mos. 13, 9—14; Sachsenspiegel III 29, 2; X. III 29, 1; G A I L L Pract. Observ. 1578 II 116, 14. Vgl. ALR. II 11, 895. — Interessant war in dieser Hinsicht der sog. Meeraugenprozeß, der die Feststellung der Grenze zwischen Galizien und Ungarn im Tatragebirge betraf und durch Spruch des Schiedsgerichtes v. 13. IX. 1902 erledigt wurde. — Vgl. oben § 95. 3 BGB. 315—319; 2048; 2155 f. Andere Fälle: 660; 745 u. 752, sowie 1246; sodann 253 mit 847 u. 1300, ferner 1579; 971; auch 343. 4 Beispiele aus dem röm. Recht: D. X L 5, 41, 4; X X X 66; X X I 1, 42; — X I I I 7, 25; — cf. XL VI 3,1. 6 Dies behauptet K A N T Rechtslehre, Einl. Anh. Er meint, daß bei unbestimmt gelassenen Anteilen der Mitglieder einer Erwerbsgesellschaft einefeste richterliche Entscheidung überhaupt nicht möglich sei. Das widerlegt sich durch die Lösung der römischen Juristen; s. D. XVII 2, 6; 76—80; cf. 29. Die letztere wird in der Regel sachlich richtiger sein, als die Vorschrift von BGB. 722 über diese Frage.
314
§ 156.
Schadloshaltung aus Billigkeit.
gäbe an, sich in Sinn und Bedeutung des idealen Grundgedankens der r e i n e n G e m e i n s c h a f t zu versetzen. Je energischer jemand diesem nachdenkt und ihn sich zum Führer wählt, um so sicherer wird ihm die b e g r ü n d e t e Entscheidung eines einschlagenden Streitfalles vor Augen stehen 6 . § 156. Schadloshaltung aus Billigkeit. Unter dem Einflüsse des römischen Rechtes besteht in den heute geltenden Gesetzgebungen meistens der Satz, daß ein Schaden, den jemand einem andern, mit dem er nicht in Rechtsbeziehung stand, zugefügt hat, von dem Schädiger nur dann zu ersetzen ist, wenn ihn eine Schuld trifft. Und es ist die Tragung des Schadens regelmäßig in einer sich gegenseitig ausschließenden Weise bestimmt, so daß der eine entweder vollen Ersatz bekommt oder gar nichts \ In beiderlei Hinsicht hat die moderne Rechtsbildung weiter gedrängt. Es trat das Streben auf, daß bei einer unverschuldeten Schädigung jemand den von ihm verursachten Schaden gleichwohl insoweit zu ersetzen habe, als d i e B i l l i g k e i t eine Schadloshaltung erfordere 2 . In dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuche ist das schließlich nur für Schädigungen durch Unzurechnungsfähige aufgenommen worden 8 . Damit setzt das Recht die am Schaden aktiv und passiv Beteiligten für die Ersatzfrage in eine Sondergemeinschaft. Verlust und etwaiger Vorteil aus der Abwälzung auf den Beschädigten werden von beiden Seiten eingeschossen; und wieder erhalten wir eine richtende A bleitung in dem Gedanken der Ausführung und Auseinandersetzung im Sinne des sozialen Ideales, nach dem der entscheidende Obersatz dann auszuwählen ist 4 . • R R . 373 ff. Aus der neueren Praxis: D J Z . 9, 554; JW. 1908, 711; R e c h t 1910 Nr. 12, Spruchbeil. Ziff. 2173; R G . 69, 167 f f . ; 87, 261 ff. 1 Abweichende Einzelbestrebungen in der lex Rhodia de iactu und den ihr folgenden Sätzen des neueren Schiffahrtsrechtes. WINDSCHEID § 403. — Allgemein im Falle gegenseitigen Verschuldens. Heutiges R e c h t : B G B . 254. RÜMELIN D i e Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des B G B . zur objektiven Schadensersatzpflicht 1896. DERS. Das Verschulden in Straf- und Zivilrecht, R e d e 1909. DERS. Schadensersatz ohne Verschulden, Rede 1910. MAUCZKA Der Rechtsgrund des Schadensersatzes außerhalb bestehender Schuldverhältnisse 1904. 2 Entwurf I des BGB! 752. In späteren Anträgen, die dann die Unterlage der jetzt geltenden Regelung abgaben, hieß es: soweit die Verweigerung der Ersatzleistung gegen die guten Sitten verstoßen würde. 3 B G B . 829. — SCHWARTZ D a s Billigkeitsurteil nach § 829 des B G B . 1904. Daselbst näher über die Frage, ob die Ersatzpflicht nachträglich entstehen kann, wenn die Vermögensverhä'tnisse sich verschoben haben, und die Möglichkeit des Ersatzes auf der Seite des Unzurechnungsfähigen erst später eintritt. 4 Danach erledigte Rechtsfragen und methodische Kasuistik in R R . 469 ff. Die neuere Rechtsprechung bietet über diese Frage auffallend wenig. Vgl. RG. 94, 220 ff.
§ 157.
Allgemeine Bürgerpflichten.
315
III. Grundsätzlich richtige Rechte und Pflichten. § 157. Allgemeine Bürgerpflichten. -Mit diesem Ausdrucke bezeichnen wir meistens Obliegenheiten, die einem jeden Staatsbürger ohne Ausnahme zukommen. Genauer bedacht sind es die a l l g e m e i n e n R e c h t s v e r h ä l t n i s s e , in denen ein jeder Rechtsunterstellte zu allen ihm rechtlich Verbundenen steht, gegenüber den b e s o n d e r e n . Hierüber ist das Folgende zu bemerken: 1. Die genannte Unterscheidung geht auf die verschiedene Art zurück, in der sich der Begriff des R e c h t s g r u n d e s mit dem des Rechtsv e r h ä l t n i s s e s verknüpft (vgl. §111). Es kann nämlich das Bestimmtsein eines Willeninhaltes durch einen andern, das dem Gedanken des R e c h t s v e r h ä l t n i s s e s entspricht, b l o ß a u f Grund der r e c h t l i c h e n V e r b i n d u n g a l s s o l c h e r auftreten oder e r s t n a c h einem bedingt angegebenen Ums t ä n d e einsetzen, den man eine juristische Tatsache zu nennen pflegt (§124). Jenes sind die a 1 l g e m e i n e n , dieses die b e s o n d e r e n Rechtsverhältnisse. 2. Der I n h a l t der a l l g e m e i n e n Rechtsverhältnisse wird nach den Anordnungen einer einzelnen Rechtsordnung gegeben. In ziemlicher Übereinstimmung mit den übrigen ausgebildeten Rechten gibt das deutsche Gesetz hierfür an: a) Die Unversehrtheit der Rechtsangehörigen, wie des Rechtsganzen b) Das grundsätzlich richtige Verhalten der rechtlich Verbundenen gegeneinander (Nr. 4 und 5). 3. Die praktische Durchführung der a l l g e m e i n e n Rechtsverhältnisse, gegenüber den b e s o n d e r e n , zeigt sich zuvörderst darin, daß sie nicht im Wege der F e s t s t e l l u n g s k l a g e geltend gemacht werden können; da es sich bei ihnen um Rechtsbeziehungen handelt, die unter allen rechtlich Verbundenen bereits an und für sich bestehen, so ist für einen besorderen Feststellungsprozeß kein Anlaß und Raum 2 . Ihre Verwirklichung geschieht durch v o r b e u g e n d e s Eingreifen öffentlicher Gewalten 3 und durch Versagen des M i ß b r a u c h e s besonderer Rechte durch die Rechtssubjekte, denen sie an sich zugewiesen waren 4 . 4. Vor allem findet sich in Ausführung grundlegender Gedanken des römischen Rechtes in den neueren Gesetzgebungen der Satz, daß B G B . 823 in Verbindung mit 847. ZPO. 25C. H E L I W I G System des deutschen Zivilprozeßrechts 1912 §§ 107 ff. S T E I N Grundriß des Zivilprozeßrechts 1920 § 7. 3 ALR. I I 17, 10. JOH. B I E R M A N N Privatrecht und Polizei in Preußen 1897. 4 BGB. 226. SchweizZGB. 2, 2. R R . S. 362 ff. B L Ü M N E R Die Lehre vom böswilligen Rechtsmißbrauch (Chikane) 1900. R A M D O H R Rechtsmißbrauch, GruchotsBeitr. 46, 577 ff.; 806 ff. K. H U B E R Über den Rechtsmißbrauch 1910. — Unten § 163 zu N. 1; § 165. 1
2
316
§ 158.
Sittliche Pflichten im Sinne des Rechtes.
vorsätzliche Schädigung gegen die guten Sitten zum Schadeners a t z e verpflichtet 5 . 5. Endlich kennt das hier interessierende Recht den Satz, daß eine B e r e i c h e r u n g herausgegeben werden muß, durch deren Empfang einer gegen die guten Sitten verstoßen hat 6 . In allen diesen Fällen ist aber der Obersatz auszuwählen, bei dessen maßgeblichem Einsetzen im gegebenen Falle es vermieden wird, daß der Fordernde in e i n s e i t i g e r Begehrlichkeit den andern a u s s c h l i e ß l i c h in Nachteil setzt, ihn als bloßes Mittel zu seinem subjektiven Erstreben behandelte, so daß der Gedanke r e i n e r G e m e i n s c h a f t unbeachtet gelassen und nicht zum Führer erkoren würde.
Sittliche
Pflichten
§ 158. im S i n n e
des
Rechtes.
Es gibt seit alter Zeit rechtliche Schuldverhältnisse, die nicht im Klagewege geltend gemacht werden können. Solche u n v o l l k o m menen Rechtsverbindlichkeiten (obligationes naturales) kamen im römischen Sklavenwesen auf; hier betraf diese Einrichtung die Obligationen der servi. Sie wurden dann aber auch im neueren Rechte für manche Fragen im Interesse sachlich r i c h t i g e r Regelung beibehalten 1 . Es handelt sich dabei also nicht um bloß k o n v e n t i o n a l e Anforderungen (§ 37), sondern um r e c h t l i c h bindende Beziehungen, die aber klaglos sind 2 . Dabei findet sich die Verweisung des Gesetzgebers auf die Beachtung einer sittlichen Pflicht. Der Ausdruck leidet von vornherein unter der Mehrdeutigkeit des Wortes sittlich (§ 33) 3 . E s ist natürlich nicht eine gute Gesinnung in rechter Beherrschung des I n n e n l e b e n s gemeint, sondern ein Befolgen r i c h t i g e n R e c h t e s 4 . Die hier aufgestellte Pflicht fordert, die Art des Zusammenlebens in einer a 11 g e 5 B G B . 826. R R . S. 4 7 4 ff. HEIN Die V e r l e i t u n g z u m V e r t r a g s b r u c h 1906. * B G B . 817. R R . S. 441 ff. OERTMANN K o m m e n t a r z. B G B . I I . B d . (3 u. 4 ) 1910, zu § 817. REICHEL R e c h t s k r a f t u n d u n g e r e c h t f e r t i g t e
Bereicherung 1913. 1 BGB. 222 f.; 656; 762 ff.; 1297; 1624. KO. 193. 2 Welche Rechtsfolgen sich positiv damit verknüpfen, ist in den einzelnen Fällen vom Gesetze verschieden geordnet. So schon im römischen Recht: WINDSCHEID § 2 8 8 . 3 JL>. X X X X V I 3, 95, 4 : vinculum
aequitatis.
B G B . 534; 814; 1446;
1641;
1804; 2113; 2205; 2330. 4 So ist z. B. die Voraussetzung vom BGB. 534 erfüllt, auch wenn einer aus niedriger und selbstsüchtiger Absicht seinen bedürftigen Brüdern eine Schenkung gemacht hat. RG. 54, 155 gebraucht nebeneinander in gleichem Sinne sittlich
und jede
vernünftige
Rechtsordnung.
B e d e n k l i c h ist dagegen Oesinnungs-
die W e n d u n g vom vornehmen Denken, RG. 55, 372, oder von gemeinheit, RG. 58, 220. S. auch § 146 N. 2.
§ 159.
Eine auf den Anstand zu nehmende Rücksicht.
317
meingültigen Art zu führen und nicht den andern ein bloßes Mittel für das eigene s u b j e k t i v e Begehren sein zu lassen 6 . Diese sittlichen Pflichten treten daher neben solche des g e f o r m t e n R e c h t e s (§ 127) und werden durch bloße Berufung auf dieses letztere gerade nicht erfüllt. Danach kann eine solche sittliche Pflicht nach praktischer Erfahrung zweimal vorkommen: 1. Pflicht zur Leistung, die man nach technisch geformtem Rechte hätte verweigern können, wenn durch die Weigerung dieses besondere Rechtsverhältnis in einer nur einseitig begünstigenden Weise geregelt, und der Gegner zum Gegenstande der Willkür des Weigernden werden würde. 2. Pflicht zur Leistung an einen nahe Verbundenen, der keine einklagbare Forderung hat, ohne dieses aber vereinzelt dem Kampfe um das Dasein preisgegeben würde6.
Eine
auf
§ 159. d e n A n s t a n d zu n e h m e n d e
Rücksicht.
Damit sind k o n v e n t i o n a l e Regeln gemeint. Das Gesetz nimmt ihr Bestehen wahr und knüpft r e c h t l i c h e Folgen an sie Die laxe Sprechweise, die das Wort anständig zuweilen in der gleichen Bedeutung, wie sittlich gut gebraucht, bleibt hier beiseite 2 . Vielmehr hat in der besonderen Aufgabe, die der Gesetzgeber mit der jetzt besprochenen Verweisung auf den Anstand gestellt hat, der Urteiler nur zu prüfen, ob ein solcher Gebrauch, wie der von dem einen Streitteile angeführte, in dem dortigen Kreise t a t s ä c h l i c h b e s t e h t . Nur ist zuzusehen, daß er n i c h t g e g e n die Grundsätze des richtigen Rechtes (§ 95) verstößt. Im besonderen sind sonach die Schenkungen, bei denen das geltende bürgerliche Recht auf die jetzige Frage namentlich eingeht, folgendermaßen in der hier interessierenden Richtung der Gedanken zu unterscheiden: Solche, die durch richtiges Recht a) geboten sind — sittliche Pflicht (§ 158); b) nicht verboten sind — und dann entweder dem Anstände entsprechen oder ganz freistehen 3 . JACOBI Die sittliche Pflicht im B G B . 1900. — Hess. Rsprech. 20, 177. S. auch B O V E N S I E P E N Zur Bedeutung des § 825 der ZPO. Zugleich ein Beitrag zur Anwendbarkeit der Lehre vom richtigen Recht im Zwangsvollstreckungsverfahren, ZRPhilos. 1, 389 ff. • Aus der Praxis: R R . S. 447 ff. 1 §§ 37 ff., insbes. § 42 N. 1. S. auch § 150. 2 Vgl. § 146 N. 2. 3 Die im heutigen, bürgerlichen Recht so zu behandelnden Fälle sind in den Paragraphen aufgeführt, die von Leistungen und Schenkungen aus sittlicher Pflicht sprechen, und mit den letzteren äußerlich verbunden. Zitate oben § 158 N. 3, R R . S. 463 ff. 5
318
§ 160.
D i e Vertragsfreiheit.
IV. Die Grenzen der Vertragsfreiheit. § 160. Die V e r t r a g s f r e i h e i t . Alle Rechtsordnungen, die für die heutigen Zustände von Interesse sind, kennen die Einrichtung der V e r t r a g s f r e i h e i t 1 . Sie rechtfertigt sich grundsätzlich durch die Erwägung, d a ß bei der sozialwirtschaftlichen Art der f r e i e n B e i t r ä g e (§ 57) die Verantwortlichkeit eines jeden gesteigert und die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit, gegenüber einem bloßen Gegenstande unmittelbaren, zentralisierten Zwanges, begünstigt wird 2 . Andererseits birgt ein zu scharfes Festhalten eines Versprechenden oder Verfügenden die Gefahr des Mißbrauches in sich. Die Rechtsordnung sucht deshalb den Einzelnen vor seinem eigenen rechtlichen Binden zu schützen. Sie stellt G r e n z e n d e r V e r t r a g s f r e i h e i t a u f 8 . Dazu bieten sich wieder (§ 127) zwei Mittel und Wege d a r : 1. T e c h n i s c h g e f o r m t e P a r a g r a p h e n , durch die der Tatbestand der nicht gestatteten Rechtsgeschäfte angegeben wird (§ 161).
2. Das allgemeine Verbot der g r u n d s ä t z l i c h verwerfl i c h e n R e c h t s g e s c h ä f t e . Im Anschlüsse an die Ausdrucksweise der römischen Juristen spricht die heutige Gesetzgebung und Rechtslehre alsdann von Rechtsgeschäften gegen die guten Sitten (§ 162) 4 . § 161. R e c h t s g e s c h ä f t e gegen ein g e s e t z l i c h e s Verbot. Bei den in technischer Begrenztheit aufgestellten Verboten bestimmter Rechtsgeschäfte haben sich in hauptsächlicher Verschiedenheit drei Arten des Vorgehens gezeigt: 1 Sie gehört mit dem Institut des Privateigentums und dem der privaten Bewerbung zu den Grundlagen der heutigen Gesellschaftsordnung in deren güterrechtlicher Hinsieht. S. § 114. — Gut ausgedrückt in den zwölf Tafeln: Uti Lingua nuneupassit, ila ius esto, tab. VI 1, V 3. Die späteren Gesetzbücher haben den Satz oft nicht allgemein aufgestellt, sondern nur in einzelnen Anwendungen wiedei gegeben. So B G B . 1937—41; vgl. 1432; auch 305. Jetzt n e u e Reiehsverf. 152. S. auch Verf. d. Ver. Staaten von Amerika Art. I Sect. X . Schweiz. OblR. v. 1911 Art 19. — D a ß dabei der freie Abschluß von Rechtsgeschäften überhaupt, auch von einseitigen Willenserklärungen gemeint ist, versteht sich von selbst. 8 Vgl. hierzu § 99; — § 57 N. 6; § 173 N. 9. 3 Dabei treten Schwierigkeiten dann auf, wenn nur ein T e i l der geschäftlichen Willenserklärungen diese Grenze überschreitet. B G B . 139. E i n e theoretisch befriedigende Erledigung dieser Frage steht noch aus. 4 Eine zusammenfassende Monographie der Lehre von der Vertragsfreiheit und ihren Grenzen fehlt. WINDSCHEID § 81. STAMMLER Vertrag und Vertragsfreiheit-, H e n d w . d. Staat sw. V l l i 339 ff. R R . III 2 S. 387 ff. SLBER Die snhuldrecht liehe Vertragsfreiheit, JheringsJ. 70, 223 ff. O S E R i m Kommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht 1915 zu Art. 20.
§ 161.
Rechtsgeschäfte gegen ein gesetzliches Verbot.
31&
1. Unmittelbare kasuistische Weise der Feststellung von mißbilligten Voraussetzungen (vgl. § 128) Diese betreffen dann meist das Rechtsgeschäft in dem Ganzen seines Auftretens, bezeichnen aber zuweilen auch nur einzelne besondere Klauseln, die nach dem Gesetze als ungültig zu streichen sind, während die sonstigen Bestimmungen des Geschäftes in Kraft bleiben 8 . In allen diesen Fällen der ersten Art ist es eine begründete Meinung, daß ein derartiges Verbotsgesetz nicht ohne Not zu eng und buchstäblich aufgefaßt und ausgelegt werden darf; geschieht es doch r so wird eine in jener Weise absichtlich eingesetzte Umgehung von dem fraglichen Verbote natürlich gleichfalls getroffen s . 2. Die strafrechtliche Androhung für die Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte läßt diese regelmäßig nichtig erscheinen. Doch ist solches nicht durchgreifend und für jedes einzelne Gesetz im besonderen zu entscheiden In jenem Regelfalle können vorkommen : a) Verträge auf Herbeiführung strafbarer Handlungen durch Versprechen von Vorteilen oder von Bewahren vor Nachteilen, abgegeben an den Verbrecher 6 ^ b) Vereinigimg zu einer gemeinsam zu begehenden strafbaren Handlung 6 . 3. Aufstellen von allgemeinen Rechtseinrichtungen (§ 126) zwingenden Charakters (§ 143). Rechtsgeschäfte von Privatpersonen, die jener allgemeinen Art widersprechen, sind damit mittelbar für unzulässig erklärt. Dahin gehören alle Folgerungen aus dem bestimmenden Gedanken der monogamischen Ehe 7 , sowie aus der Gesamtauffassung der elterlichen Gewalt 8 ; aus dem Treuverhältnis des Vormundes 9 oder des 1 B G B . 248, 310 und 312; 399 ff. ; 1229; 1714; 2302; u. v. a. m. E i n e besondere Regolung haben dio gosetzlichen, gerichtlichen und geschäftlichen Veräußerungsverbote nach B G B . 135—137, im wesentlichen im Anschlüsse an das römische Recht, erfahren. 2 So BGB. 925; 1433; 2263. 3 D. I 3, 29; 30. C. 1 5, 5. PFAFF Zur Lehre vom sogenannten in fraudem legis agere 1892. VETSCH Die Umgehung des Gesetzes (in fraudem legis agere). Theorie, Rechtsprechung und Gesetzgebung. Ein Beitrag zur a'lgemeinen Rechtslehre 1917. FUCHS Umgehung des Gesetzes 1918. Prot. z. B G B .
1, 1 2 3 : D i e K o m m e n t a r e z u B G B . 1 3 4 v o n PLANCK MANN N r . 8 . — SeuffertsArch. 22 Nr. 12; 40 Nr. 190; 6, 1 8 6 ; 13, 2 0 3 ; 2 6 , 1 8 0 ; 61, 2 9 9 . Ges. u. R. 2 1 , 4 7 7 .
N r . 5 ; v o n OERT4 6 N r . 1 u. 2. R G .
4 Beispiele: Geschäfte gegen die Sonntagsruhe, gegen StGB. 288, gegen das Börsengesetz v. 22. 6. 96 und 30. 5. 08 §§ 75—78. Vgl. Mot. z. B G B . 1, 210. RG. 60, 276. 5 S. die Unterscheidung von ALR. I, 4 § 146. • So RG. 14, 84; 18, 79; 268. SeuffertsArch. 52 Nr. 9. Eigentümlich© Rechtslage bei RG. 42, 295. Unzulässig sind Verträge auf Ehescheidung durch falsche Angaben; Verlöbnisse eines Ehegatten während des Bestehens seiner E h e ; Abfindung eines Verhältnisses aus wilder E h e (a. M. RG. nach Ges. u. R. 21, 272). — SeuffertsArch. 12 Nr. 311; Ges. u. R. 21, 199; 388. — S. auch § 114 N. 6. 8 Streitig die Möglichkeit von Erziehungsverträjen unter geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern. R G . 60, 266 ff. ANDRÉ Verträge zwischen E l t e r n über die Erziehung ihrer Kinder 1905.
-320
§ 162.
Rechtsgeschäfte gegen die guten Sitten.
öffentlichen B e a m t e n 9 ; aber auch aus allgemeinen Kegeln des Handels und Wandels, wie beispielsweise die Gewerbefreiheit eine i s t 1 0 .
§ 162. Rechtsgeschäfte
gegen
die guten
Sitten.
Der Ausdruck stammt aus dem römischen R e c h t E s ist ein zweifelloser Verlegenheitsausdruck. Sachlich kann er gar nichts anderes besagen wollen, als d a ß eine Willenserklärung eines Rechtsunterstellten nicht mit dem Grundgedanken alles Rechtes in Widerspruch stehen und doch eine Anerkennung des dortigen Rechtes fordern darf. Die Verweisung auf ein sittliches Gefühl bleibt ungeklärt; die Bezugnahme auf die Sittlichkeit übersieht in elementarer Weise, daß das W o r t sittlich mehrere Bedeutungen hat (§ 33). E s kann h i e r aber nicht in seiner eigentlichen und logisch abgeteilten Gegensätzlichkeit zu dem s o z i a l e n Leben stehen, denn es dreht sich ja in unserer Frage gerade um ein s o z i a l e s Wollen. Also heißt bei dem Einsetzen des Wortes sittlich an dieser Stelle dieses so viel, wie g r u n d s ä t z l i c h r i c h t i g . E s soll das fragliche r e c h t l i c h e Wollen, das zur Beurteilung steht, in dieser seiner besonderen Lage o b j e k t i v gerechtfertigt, soll ein r i c h t i g e s rechtliches Wollen s e i n 2 . E i n Rechtsgeschäft ist dann g r u n d s ä t z l i c h verwerfl i c h , wenn ihm zufolge der eine Teil dem willkürlichen Belieben des anderen Teils überliefert wird. Denn alsdann wird er als b l o ß e s M i t t e l zu dem subjektiven Begehren des ardern behandelt, ohne im Sinne des bedingenden Gedankens r e i n e r G e m e i n s c h a f t , als der notwendigen i d e a l e n E i n h e i t alles Rechtes, in jeder Sor.derverbindung noch als Selbstzweck zu bestehen (§ 92). • Ungültig das Versprechen an einen Vormund, damit dieser Veräußerung von Mündelgut betreibe, — oder an einen Vereinsvorstand, damit dieser eine bestimmte Person als Nachfolger empfehle; vgl. Ges. u. R. 14, 235. RR. S. 408 f. — Bei sogenannten Schweigege'dern wird zu unterscheiden sein, ob das Gesetz von jedermann öffentliche Anzeige verlangt (StGB. 139; 340) oder nicht; im letzten Falle, ob das Recht des Strafantrages emandem in der Erwartung objektiver Ausübung verliehen wird (z.B. StGB. 162) oder nach persönlichem Belieben (z. B. StGB. 194), so daß auch eine zivilrechtliche Verfügung über die Ausübung dieses Rechtes zulässig erscheint. 10 Z. B. RG. 63, 333 ff.; 390 ff. 78, 14 ff.; 78 ff. 1 S. ob. § 7 N. 1 f. C. VIII 38, 4. E r ist offenbar aus dem Griechischen übernommen, vgl. 1 Kor. 15,33: x e i ' P r o t - z- B G B - J> 1 2 3 f2 Es stehen nicht zwei Gesetzbücher nebeneinander: ein rechtliches und ein s i t t l i c h e s , wie etwa das StGB, und das BGB., so daß in BGB. 138 die Verweisung auf die Paragraphen jenes rätselhaften Kodex der Sittlichkeit gelegen wäre. Hier kann nicht eher Klarheit eintreten, bis man die doppelte Bedeutung des Wortes sittlich beachtet und die notwendigen Folgerungen daraus gezogen hat. S. auch § 144 N. 1. — Daß eine Verweisung auf ein dunkles Gefühl nicht genügt, darüber § 146, bes. N. 2. Eaß es sich in unserer Frage um b e s o n d e r s g e a r t e t e s R e c h t handelt, darüber § 94, bes. N. 3. — JOERGES, ZRPhilos. 1, 208 ff.; 2, 261 ff.
§ 162.
Rechtsgeschäfte gegen die guten Sitten.
321
Nach dieser leitenden I d e e d e s R e c h t e s ist unter den verschiedenen, einander widerstreitenden Möglichkeiten die zutreffende Rechtsbestimmung als Obersatz des dann zu fällenden Urteils auszuwählen (§ 141). Es darf nicht in der gedachten Sondergemeinschaft zweier Parteien der eine Teil bloß Rechte, der andere ausschließlich Pflichten auferlegt erhalten (§95). Die Erwägung aber, ob das vorliegt oder zu verneinen ist, hat auch in den hier fraglichen Streitfällen stets von Neuem nach unbedingt begründeter Methode einzusetzen; die Anlehnung an andere konkrete Entscheidungen und präjudiziell eingesetzte Lehren setzt ja voraus, daß das so eingeführte Muster als prinzipiell richtig angenommen werde, hat somit den geforderten Gang der kritischen Erwägung im Grunde schon zurückgelegt. Da es aber bei der r e c h t s p h i l o s o p h i s c h e n Lehre darauf ankommt, d i e a l l g e m e i n g ü l t i g e n Gedankengänge, im Sprachgebrauche der Schule: d i e r e i n e n F o r m e n , klarzulegen, in denen wir alle je möglichen, einzelnen Vorkommnisse des rechtlich bestimmten sozialen Lebens ordnen, so ist jede zu sehr ausgeführte Sammlung von Beispielen und wirklichen Streitfragen vorerst gefährlich 3 . Nur mit diesem Vorbehalte wird als Anweisung zur Praxis folgende Beobachtung von verhältnismäßiger Allgemeinheit gegeben. Die Unzulässigkeit eines Rechtsgeschäfts kann sich aus einer Verpflichtung zu einem Tun oder einem Unterlassen ergeben. Bei jedem ist es möglich, daß der Gebundene mißbraucht wird in seiner Person oder in denen, die seiner rechtlichen Fürsorge unterstehen oder in seinem Vermögen. Beispiele für jenes ergeben sich bei Geschäften über Körper oder Geist jemandes, besonders in religiöser Hinsicht; über Kinder und Kranke; in der Ausbeutung und dem Wucher. In der zweiten Richtung: der Verzicht auf Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten für sich oder seine Angehörigen; mißbrauchendes Konkurrenzverbot; freiwilliges Einstellen unter Bevormundung jemandes durch Rechtsgeschäft; bedingungslose Unterwerfung unter die Anordnung des einen Teils ohne Rechtsweg oder Schiedsgericht 4 . 3 Dabei wird hiermit ausdrücklich gewarnt, daß nicht in den Fehler verfallen werde, die Begründetheit der Lehre vom sozialen Ideal an besonderen Entscheidungen zu messen, während man doch die grundsätzliche Rechtfertigung jeder der letzteren nur von einem f e s t s t e h e n d e n Grundg e d a n k e n her behaupten kann. Andernfalls liegt nur t e c h n i s c h e B e s c h r ä n k t h e i t vor, mit der charakteristischen Eigenart, daß der •dort Urteilende über sein eigenes Geistesleben nicht i n m e t h o d i s c h e r W e i s e mittels k r i t i s c h e r Selbstbesinnung aufgeklärt ist. Vgl. auch § 5 und § 148. 4 Nur ad colorandum einige Beispiele aus der neueren Gerichtspraxis und Gesetzgebung: ALR. 1 4 § 9; RG. 57, 250 ff. (§ 108 N. 2). RG. 60, 266