Lehrbuch der organischen Chemie: Band 1/ Teil 2 Stickstoff- und andere Nichtmetallverbindungen, metallorganische Verbindungen, cyclische Verbindungen u.a. 9783111572512, 9783111200620


128 102 30MB

German Pages 15 [476] Year 1953

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
I. Band, zweite Hälfte
6. Kapitel. Die organischen Stickstoffverbindungen
I. Die Aminoverbindungen
1. Die gesättigten aliphatischen Amine
2. Die Enamine
3. Die aromatischen Amine
4. Die Aminoderivate der organischen Sauerstoffverbindungen
II. Die organischen Derivate anderer gesättigter Stickstoff-Wasserstoff-Verbindungen
1. Die aliphatischen Derivate des Hydroxylamins
2. Die Trialkylaminoxyde
3. Die aromatischen Derivate des Hydroxylamins
4. Die aliphatischen Derivate des Hydrazins
5. Die aromatischen Derivate des Hydrazins
6. Die Isonitramide
7. Tri- und Tetrazanderivate
III. Verbindungen mit einer ungesättigten Kette von Stickstoffatomen
1. Die Diazoverbindungen
2. Die organischen Derivate des Diimins (Azoverbindungen)
3. Die organischen Derivate des Triazens und der Stickstoffwasserstoffsäure
4. Die organischen Derivate des Tetrazens, Hexazens usw
IV. Die Nitroverbindungen
1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften
2. Die aliphatischen Nitroverbindungen
3. Die aromatischen Nitroverbindungen
V. Die Nitrosoverbindungen
1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften
2. Einzelne Nitrosoverbindungen
7. Kapitel. Die organischen Schwefelverbindungen
I. Die organischen Derivate des oxydativ zweiwertigen Schwefels
1. Die Mercaptane und Thiophenole
2. Die Thioäther
3. Die Trialkyl-sulfoniumsalze
4. Die Disulfide
II. Die organischen Derivate der höheren Wertigkeitsstufen des Schwefels
1. Die Sulfonsäuren und ihre Derivate
2. Die Sulfone
3. Die Sulfinsäuren und ihre Derivate
4. Die Sulfoxyde und ihre Derivate
8. Kapitel. Die organischen Verbindungen der übrigen Nichtmetalle
I. Allgemeines
II. Die organischen Derivate des Selens und Tellurs
III. Die organischen Derivate des Phosphors, Arsens und Antimons
1. Die organischen Phosphorverbindungen
2. Die organischen Arsenverbindungen
3. Die organischen Antimonverbindungen
IV. Die organischen Derivate der Nichtmetalle der vierten und dritten Gruppe des Periodensystems
1. Die organischen Siliciumverbindungen
2. Die organischen Germaniumverbindungen
3. Die organischen Borverbindungen
9. Kapitel. Die metallorganischen Verbindungen
I. Darstellung und allgemeine Eigenschaften
II. Die wasserunbeständigen metallorganischen Verbindungen
1. Die organischen Derivate der Alkalimetalle
2. Die magnesiumorganischen Verbindungen
3. Die organischen Zink- und Cadmiumverbindungen
4. Die organischen Derivate des Aluminiums, Galliums und Indiums
III. Die wasserbeständigen metallorganischen Verbindungen
1. Die organischen Quecksilberverbindungen
2. Die organischen Zinnverbindungen
3. Die organischen Bleiverbindungen
4. Die organischen Wismutverbindungen
5. Die organischen Chromverbindungen
10. Kapitel. Verbindungen mit anomalen Funktionen
I. Das Kohlenoxyd und seine Derivate
1. Allgemeines
2. Das Kohlenoxyd
3. Die Isonitrile oder Isocyanide
4. Die Knallsäure
II. Die freien Radikale
1. Die Triarylmethylradikale
2. Sonstige Polyarylalkylradikale
3. Die freien Alkylradikale
4. Die Radikale mit zweibindigem Stickstoff
5. Die Radikale mit dreibindigem Stickstoff
6. Radikale anderer Heteroelemente
III. Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie
1. Die organischen Deuteriumverbindungen
2. Die organischen Verbindungen mit schwerem Sauerstoff
3. Die organischen Verbindungen mit schwerem Stickstoff und Kohlenstoff
4. Organische Verbindungen mit künstlich radioaktiven Elementen
11. Kapitel. Die cyclischen Verbindungen
I. Die alicyclischen Verbindungen
1. Allgemeines über die Cycloparaffine und ihre Derivate
2. Die Cycloparaffine und ihre Derivate
3. Bi- und polycyclische Ringsysteme
4. Die heterocyclischen Verbindungen der alicyclischen Reihe
II. Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus
1. Kondensierte aromatische Kingsysteme
2. Die Verbindungen vom Pyridintypus
3. Sechsgliedrige Ringsysteme mit mehreren Stickstoffatomen
4. Die sauerstoffhaltigen sechsgliedrigen Ringsysteme
5. Die schwefelhaltigen sechsgliedrigen Ringsysteme
III. Die fünfgliedrigen Ringsysteme mit aromatischem Charakter
1. Die Verbindungen vom Pyrroltypus
2. Die Verbindungen vom Furantypus
3. Die Verbindungen vom Thiophentypus
12. Kapitel. Die Reaktion am Kohlenstoîîgeriist
I. Die Oxydationsreaktionen
1. Die direkte Oxydation
2. Die indirekte Einführung von Sauerstoff
3. Die Dehydrierung
II. Die Reduktionsreaktionen
1. Wasserstoff als Reduktionsmittel
2. Sonstige Reduktionsmittel
3. Die indirekte Reduktion
III. Der Aufbau von C—C-Bindungen
1. Synthesen mit negativ polarisiertem Kohlenstoff
2. Die Kondensationsreaktionen
3. Die auf Anlagerungsreaktionen an C---C-Mehrfachbindungen beruhenden synthetischen Verfahren
4. Die oxydierende und reduzierende Verknüpfung von C-Atomen
IV. Der Abbau von C-C-Bindungen
1. Der oxydative Abbau von C••-C-Bindungen
2. Die Spaltung von C••-C-Bindungen unter Erhaltung der Gesamtoxydations- stufe
3. Die Verwendung von Abbaureaktionen zur Strukturaufklärung organischer Verbindungen
Recommend Papers

Lehrbuch der organischen Chemie: Band 1/ Teil 2 Stickstoff- und andere Nichtmetallverbindungen, metallorganische Verbindungen, cyclische Verbindungen u.a.
 9783111572512, 9783111200620

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

FRIEDRICH

KLAGES

Lehrbuch der organischen Chemie I, 2

LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE IN D R E I

BÄNDEN

VON

DR. F R I E D R I C H K L A G E S Professor der organischen Chemie an der Universität M ü n c h e n

1955

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G . J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung G e o r g R e i m e r · Karl J. T r ü b n e r · Veit & Comp.

B E R L I N W 35

LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE 1. B A N D S Y S T E M A T I S C H E O R G A N I S C H E CHEMIE 2. H Ä L F T E STICKSTOFF- U N D A N D E R E N I C H T M E T A L L V E R B I N D U N G E N METALLORGANISCHE VERBINDUNGEN CYCLISCHE V E R B I N D U N G E N U.A.

VON

DR. F R I E D R I C H

KLAGES

Professor der organischen C h e m i e an der Universität M ü n c h e n

MIT

6 ABBILDUNGEN

UND

16

TABELLEN

1953

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. τ-ormals G . J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung G e o r g R e i m e r · Karl J. T r ü b n e r · Veit & Comp.

B E R L I N W 35

Alle Rechte, auch die des auezugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten Copyright by W A L T E R DE G R U Y T E R & Co. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung / J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung / Georg Keimer / K a r l J . Trübner / Veit & Comp. Berlin W 35 Archiv-Nr. 52 94 53 Printed in Germany S a t z : Walter de Gruyter & Co. D r u c k : Günther & Sohn, Berlin

Meinem hochverehrten Lehrer Herrn Geh. Regierungsrat, Prof. Dr. phil., Dr. ing. e. h., Dr. med. h. c., Dr. phil. h. c. HEINRICH

WIELAND

in Dankbarkeit zugeeignet

VII

Vorwort Die Entwicklung der organischen Chemie innerhalb der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat gegenüber der mehr praktisch eingestellten Forschungsrichtung der Vorperiode — bedingt durch den Zwang zum Ausbau des von K E K U L E aufgestellten Systems der organischen Chemie — insofern einen grundsätzlichen Wandel erfahren, als nunmehr wieder rein theoretische Fragen in den Vordergrund des Interesses gerückt sind, so insbesondere die Zusammenfassung des reichhaltigen in dieser Vorperiode aufgefundenen Tatsachenmaterials mit Hilfe moderner physikalischer Methoden zu einem geschlossenen theoretischen Gebäude der „Chemie des Kohlenstoffs". Dieser Entwicklung hat die Mehrzahl der organisch chemischen Lehrbücher, die immer noch, der Forschungsrichtung der Vorperiode entsprechend, im wesentlichen auf eine beschreibende Darstellung der einzelnen Verbindungsklassen und Verbindungen eingestellt ist, bisher nur unvollkommen zu folgen vermocht, so daß ein steigendes Bedürfnis entstanden ist, diese allgemeinen Lehrbücher durch Werke rein theoretischen Inhalts zu ergänzen. Um diese Lücke in der chemischen Lehrbuchliteratur zu schließen, wurde in dem vorliegenden neuen „Lehrbuch der organischen Chemie" der Versuch unternommen, die moderne Forschungsrichtung auch im Rahmen eines allgemeinen Lehrbuchs schon ausführlich zu behandeln und dadurch dem Chemie-Studierenden in einem einzigen Werk ein neuzeitliches Gesamtbild seiner Wissenschaft zu geben. Insbesondere wurde Wert gelegt auf ein tieferes Verständnis für die zahlreichen Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Verbindungen und Verbindungsklassen, die für den noch lernenden Chemiker häufig wichtiger sind als die Einzeltatsachen selbst. Dieser erweiterte Aufgabenbereich machte allerdings eine wesentliche Vergrößerung des bisher üblichen Lehrbuchumfanges und damit die Abfassung eines mehrbändigen Werkes, wie sie auch in den Nachbargebieten (anorganische Chemie, Physik, Mathematik) bereits vorliegen, erforderlich. Doch wurden Umfang und Stoffaufteilung der einzelnen Bände so abgewogen, daß eine über einen längeren Zeitraum gehende ratenweise Anschaffung des Gesamtwerkes ohne wesentliche Beeinträchtigung des Verständnisses möglich ist; denn das Lehrbuch soll ja nicht erst kurz vor dem Examen angeschafft werden, sondern den Studierenden während eines möglichst großen Teil seines Studiums begleiten. Auch hinsichtlich der Stoffeinteilung hat sich die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung gegenüber den bisherigen Gepflogenheiten ergeben. So ist es ζ. B.

VIII

Vorwort

heute nicht mehr möglich, theoretische Fragen, wie etwa die Mesomerielehre oder die Stereochemie, im Rahmen der üblichen Lehrbucheinteilung in eine aliphatische, eine aromatische und eine heterocyclische Reihe erschöpfend zu behandeln, da ihre Darstellung jeweils die Kenntnis sämtlicher Verbindungsklassen der organischen Chemie voraussetzt. Ebenso treten bei den organischen Farbstoffen, den verschiedenen Gruppen von Naturstoffen, der Biochemie usw. häufig Stoffe nebeneinander auf, die verschiedenen Verbindungsklassen angehören, also bei keiner dieser Verbindungsklassen gemeinsam behandelt werden können. Zur Umgehung dieser und ähnlicher Schwierigkeiten wurde daher das Prinzip der geschlossenen Darstellung des gesamten Materials aufgegeben und eine Unterteilung des Stoffes in die folgenden drei, voneinander mehr oder weniger unabhängigen Teile vorgenommen: 1. D i e s y s t e m a t i s c h e o r g a n i s c h e C h e m i e (zwei Halbbände), in der die verschiedenen organisch-chemischen Verbindungsklassen vom Standpunkt der Chemie des Kohlenstoffs aus nebeneinander behandelt werden. Hier wurden im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Lehrbüchern erstmals die aliphatischen und aromatischen Verbindungen nicht mehr getrennt einander gegenübergestellt, sondern sowohl die Unterschiede als auch die zahlreichen Übergänge zwischen den gesättigten, ungesättigten und aromatischen Reihen für jede Verbindungsklasse besonders hervorgehoben. Ferner wurden die bisher stets bei den einzelnen Verbindungsklassen untergebrachten und daher über das ganze Gebiet verstreuten Reaktionen des Kohlenstoffgerüstes (Oxydation, Reduktion, Synthese und Abbau) am Schluß dieses Teils nochmals in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt. 2. Die t h e o r e t i s c h e u n d a l l g e m e i n e o r g a n i s c h e C h e m i e , in der, nach Beschreibung der wichtigsten Einzeltatsachen im ersten Teil und unter Voraussetzung dieser Einzeltatsachen, die theoretischen Grundlagen des gesamten Gebietes von einer höheren Warte aus behandelt werden, und schließlich 3. Die S o n d e r g e b i e t e , die die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen, die organischen Farbstoffe, die Grundlagen der Chemie der hochmolekularen Stoffe, die verschiedenen Gruppen von Naturstoffen und die Grundlagen der Biochemie enthalten. Das Buch ist seiner ganzen Anlage nach in erster Linie für den fortgeschrittenen Chemie-Studierenden (nach dem Diplom-Vorexamen) bestimmt und enthält für ihn, sowie auch für den fertigen Chemiker, über den rein erlernbaren Stoff hinaus genügend (vielfach in Tabellen und Formelbildern übersichtlich geordnetes) Tatsachenmaterial, um sich über sämtliche wichtigeren Gebiete der organischen Chemie einen orientierenden Überblick zu verschaffen. Doch ist die ganze Darstellung, namentlich des ersten systematischen Teiles, so gehalten, daß das Buch auch von einem Anfänger mit den üblichen anorganisch-chemischen Vorkenntnissen gelesen werden kann. Ein derartig umfangreiches Werk, das die Grenzen dessen erreicht, was ein einzelner Autor heute noch zu überblicken vermag, kann natürlich nicht ohne Hilfe

Vorwort

IX

von außen fertiggestellt werden. Insbesondere habe ich von einer sehr großen Anzahl von Kollegen in und außerhalb von München, die ich unmöglich alle namentlich anführen kann, durch Anregungen, Ratschläge, Überlassung von Sonderdrucken und vor allem auch Begutachtung einzelner Kapitel wertvolle Unterstützung erfahren, für die ich an dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Ferner danke ich meinen Mitarbeitern, Herrn Dr. K. M ö n k e m e y e r , sowie den Herren Dipl. ehem. R. H e i n l e , W. Grill, H. Meuresch, W. Mesch und H.-J. Manderla für ihre unermüdliche Hilfe beim Lesen der Korrekturen, sowie meiner lieben Frau für ihre Mitarbeit bei der Abfassung des Manuskripts. Die Hinweise auf einschlägige Stellen in den anderen Teilen des Buches erfolgen stets durch Angabe der Kapitel und Kapitelabschnitte (ζ. B. III, Kap. 4, IV, 2b), so daß sich gegebenenfalls auch bei voneinander unabhängigen Neuauflagen der einzelnen Bände keine Schwierigkeiten ergeben würden. Hierbei bedeuten die vorstehenden fetten römischen Zahlen I, II und III jeweils die oben angeführten drei Bände. Innerhalb der einzelnen Bände, sowie von der zweiten Hälfte der systematischen organischen Chemie zur ersten zurück, werden dagegen stets die Seiten zitiert. München im Mai 1952 Friedrich Klages

χ

Stoffeinteilung I. Band, erste Hälfte: Einführung in das Gesamtwerk 1. Kapitel: Die Grundlagen der organischen Chemie Systematische organische Chemie 2. Kapitel: Die Kohlenwasserstoffe 3. Kapitel: Die organischen Halogenverbindungen 4. Kapitel: Die organischen Sauerstoffverbindungen (Oxyverbindungen, bindungen, Carbonsäuren, Kohlensäurederivate) 5. Kapitel: Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

Oxover-

I. Band, zweite Hälfte: 6. 7. 8. 9. 10.

Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:

Die organischen Stickstoffverbindungen Die organischen Schwefelverbindungen Die organischen Verbindungen der übrigen Nichtmetalle Die metallorganischen Verbindungen Verbindungen mit anomalen Funktionen (Kohlenoxydderivate, freie Radikale, organische Verbindungen mit künstlichen Isotopengemischen) 11. Kapitel: Die cyclischen Verbindungen 12. Kapitel: Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst (Oxydation, Reduktion, Synthese, Abbau) II. Band: Theoretische und allgemeine organische Chemie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:

Die Geschichte der organischen Chemie Die physikalischen Hilfsmittel der organischen Chemie Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie Die Reaktionen und Reaktionsmechanismen der organischen Chemie Tautomerieprobleme Die zwischenmolekularen Kräfte und Assoziationserscheinungen Die Stereo- oder Raumchemie

III. Band: Sondergebiete 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:

Die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen Die organischen Farbstoffe Die Grundlagen der Chemie der hochmolekularen Verbindungen Die Zucker- oder Kohlenhydrate Die Isoprenabkömmlinge Sonstige stickstoffreie organische Naturstoffe (Fette und verwandte Verbindungen, natürliche Phenolderivate) 7. Kapitel: Die stickstoffhaltigen organischen Naturstoffe (Eiweisstoffe, Purinderivate, Alkaloide) 8. Kapitel: Die Grundlagen der Biochemie

XI

Inhalt I . Band, zweite Hälfte 6 . Kapitel. Die organischen Stickstoffverbindungen

Seite

533

I . Die Aminoverbindungen

535

1. Die gesättigten aliphatischen Amine a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Die Derivate der aliphatischen Amine α) Die Metallamide ß) Die Ammoniumsalze γ) Die quartären Ammoniumsalze - [RNH 3 ] + Hal~

NH 3 + R—Hai

+ NH

-

537 ?»

RNH 2

+ X H / ΗαΓ

ν

R 2 NH

+ NH4+ Hal"

RNH 2 + R—Hal

ν

[R 2 NH 2 ]+Har

'

R 2 NH + R—Hai

ν

[R3NH]+ Η β Γ

" S H s >- R 3 X

R 3 X + R—Hai

ν

[R 4 X] + H a i -

+ ΧΗ4+ Hal"

Durch diesen uneinheitlichen Reaktionsverlauf wird die Anwendbarkeit der Methode zur Darstellung b e s t i m m t e r A m i n e , ζ. B. e i n h e i t l i c h e r p r i m ä r e r A m i n e , naturgemäß sehr e i n g e s c h r ä n k t . Doch sind für diesen Fall eine Reihe von V a r i a n t e n entwickelt worden, auf die weiter unten (S. 551 f., 555 u.a.) noch näher eingegangen wird. Außer mit den üblichen Alkylierungsmitteln kann man bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r und in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n die Alkylierung des Ammoniaks auch mit A l k o h o l e n und z.T. sogar m i t Ä t h e r n als Alkylierungsmitteln durchführen. Die auf S. 180 bereits näher beschriebene Reaktion führt im allgemeinen ebenfalls zu einem Gemisch der p r i m ä r e n bis t e r t i ä r e n A m i n e , jedoch n i c h t m e h r zu den q u a r t ä r e n A m m o n i u m v e r b i n d u n g e n , da diese unter den Reaktionsbedingungen n i c h t e x i s t e n z f ä h i g sind (S. 548).

Zu 2. Die Reduktion des Stickstoffs in den organischen Derivaten a n d e r e r S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n , insbesondere in den N i t r o - , N i t r o s o - und D i a z o v e r b i n d u n g e n , sowie auch in den Alkylderivaten des H y d r a z i n s , H y d r o x y l a m i n s und der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e , führt stets zu A m i n e n als E n d p r o d u k t e n , in denen der Stickstoff die n i e d r i g s t e O x y d a t i o n s s t u f e aufweist: R_CH2-N02 -

1-2H° 0

-

R - C H - N H 2 ««

R-CH2-N0 R—CH2—N3

^

χ



+ H, — KH, + 3H,

— NH, + H, — H,0

Θ

Θ

R—CH=N=N R—CH,—NH—OH

Das Verfahren wird allerdings nur selten zur Darstellung e i n f a c h e r A m i n e verwandt, da die zu reduzierenden Stickstoffverbindungen in der aliphatischen Reihe meist nur s c h w e r z u g ä n g l i c h sind. Dagegen eignet es sich zur K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g anderer stickstoffhaltiger Substanzen, denn nur diejenigen Verbindungen, in denen der Stickstoff d i r e k t a n K o h l e n s t o f f gebunden ist, gehen bei der Reduktion in A m i n e über, während anderenfalls, ζ. B. wenn die Bindung des Stickstoffs ü b e r ein O - A t o m erfolgt, A m m o n i a k und ein A l k o h o l entstehen. Isomere Verbindungen, wie etwa die α- und ß-Alkyl-hydroxyla m i n e (S. 590f.) liefern also v e r s c h i e d e n e R e d u k t i o n s p r o d u k t e : R—XH—OH

R—NH 2 + H 2 0

R—Ο—NH2 - + H , - v

R—OH + NH 3

Zu 3. Die Methoden zur Reduktion des Kohlenstoffs (und gegebenenfalls daneben auch des Stickstoffs) in den s t i c k s t o f f h a l t i g e n D e r i v a t e n der h ö h e r e n S a u e r s t o f f - F u n k t i o n e n haben wir zum Teil bereits früher kennen gelernt (vgl. S. 288). Als geeignete Ausgangsmaterialien für die Darstellung von Aminen haben sich vor allem die O x i m e , N i t r i l e und I s o n i t r i l e (S. 740f.) erwiesen, doch ist in gleicher Weise auch die Reduktion von A i d - oder K e t i m i n e n , H y d r a z o n e n , A z i n e n und sonstigen S c n i F F s c h e n B a s e n , sowie auch die Überführung der S ä u r e a m i d e in Amine gelungen:

538

Die Ammoverbindungen

R—CH=N—OH

^

^

±-||j-

R — C H T - N H 0 Δ Ζ

R_C-N R—CH=NH

/

\

R-CH=N—NH2

Va R—CH=N—N=CH—R — HJO

R—CO—NH2

'

Als Reduktionsmittel verwendet man präparativ meistens naseierenden Wasserstoff. In diesem Falle muß die Reduktion der Isonitrile, Oxime und anderen S c H i F F s c h e n Basen wegen deren Instabilität gegen Säuren in neutralem oder gar basischem Medium, d.h. elektrolytisch, mit NatriumAlkohol sowie mit Natrium- oder Aluminiumamalgam durchgeführt werden. Die N i t r i l e lassen sich daneben auch mit Zinn oder Zink und Salzsäure reduzieren, während Säureamide schließlich nur durch Lithium-aluminiumhydrid angegriffen werden. T e c h n i s c h werden die gleichen Reaktionen mit k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f ausgeführt, und zwar nach Versuchen von S A B A T I E R , M E J L H E und C A R O T H E R S entweder in der G a s p h a s e über N i c k e l oder K u p f e r als Kontakt bei 150—200° oder in L ö s u n g mit P a l l a d i u m - K a t a l y s a t o r e n bei Zimmertemperatur. Lediglich die Reduktion der C a r b o n s ä u r e a m i d e erfordert noch schärfere Bedingungen und gelingt erst o b e r h a l b 200° unter hohen Wasserstoffdrucken. Größere S c h w i e r i g k e i t e n bereitet nur die Reduktion der N i t r i l e und zuweilen auch die der O x i m e , die, statt zu den erwarteten p r i m ä r e n , häufig überwiegend zu den s e k u n d ä r e n oder gar t e r t i ä r e n A m i n e n führt. Dieser zunächst überraschende Reaktionsverlauf findet seine Erklärung in der Bildung der A l d i m i n e als Reaktionszwischenprodukte, die dann den Ammoniakstickstoff gegen den Rest des p r i m ä r e n oder auch s e k u n d ä r e n A m i n s austauschen. A m einfachsten ist dieser Austausch über den f r e i e n A l d e h y d als Zwischenprodukt zu formulieren, doch findet er auch bei der Hydrierung in A b w e s e n h e i t v o n W a s s e r , ζ. B. in der G a s p h a s e statt, so daß er zumindest in diesem Falle direkt über ein Anlagerungsprodukt des A m i n s an das I m i n erfolgen muß: R-CH=NH 2 R -C

X -t-31?»-)-

/NH-CH^R

χ

+

\

ν

R—CH

R—CH 2 —JSH 2 '

Κ—CH2X R—CH=N—CH2—R

^NH R—CH2

Diese meist unerwünschte Nebenreaktion kann neuerdings bei der H y d r i e r u n g durch Verwendung von E i s e s s i g oder E s s i g s ä u r e a n h y d r i d als Reaktionsmedium fast vollständig zurückgedrängt werden. Günstige Ergebnisse hatte früher K R A F F T auch mit N a t r i u m und A l k o h o l als Reduktionsmittel erzielt.

Ein interessanter Spezialfall der Bildung von Aminen aus stickstoffhaltigen Derivaten von Oxoverbindungen liegt in der Reduktion von Aldehyden oder Ketonen in Gegenwart von Salmiak vor, bei der die ScHiFFschen Basen (bzw. ihre Salze) als Zwischenverbindungen fungieren. Als Reduktionsmittel verwendet man entweder Ameisensäure oder überschüssigen Aldehyd. Die Reaktion geht in letzterem Falle auf dem Wege einer Disproportionierung vor sich und stellt eine Modellreaktion der biochemischen Bildung der A l k y l - S t i c k s t o f f Bindung dar (vgl. III, Kap. 8, I I I ) : R — C H = 0 + NH 4 C1 + R - C H = O y

»

© [ R — C H = N H J + C r + HaO

[R_CHi,_NH3]+Cr + R— OH

Allgemeine Eigenschaften der Amine

539

Besonders F o r m a l d e h y d ist ein vielfach angewandtes „ M e t h y l i e r u n g s m i t t e l " zur Gewinnung m e t h y l i e r t e r A m i n e , wie im einzelnen bereits auf S. 252 ausgeführt wurde.

Physikalische Eigenschaften. Der am Stickstoff befindliche W a s s e r s t o f f zeigt eine ähnliche, jedoch etwas s c h w ä c h e r e s i e d e p u n k t s e r h ö h e n d e W i r k u n g wie der Hydroxylwasserstoff. Infolgedessen liegen die Siedepunkte der primären Amine etwa in der Mitte zwischen denen der A l k o h o l e und Ä t h e r gleicher Kohlenstoffzahl, die der s e k u n d ä r e n A m i n e etwas tiefer, während die der am Stickstoff wasserstofffreien t e r t i ä r e n A m i n e (wie die der Ä t h e r ) mit denen der P a r a f f i n e verglichen werden können. Tabelle 26 Die S i e d e p u n k t e einiger a l i p h a t i s c h e r Primäre Amine

Cx C2 Ca c4 C5 Ce

Sekundäre Amine

Substituent

Sdp.

Substituenten

Sdp.

CH 3 C,H 5 n-C 3 H 7 n-C 4 H 9 n-C5Hu n-C 6 H 13

—6,5° 17 48 78 103 129

(CH 3 ) 2 CH 3 , C 2 H s (C 2 H 5 ) 2 n-C 4 H 9 , CH 3

7° 35 56 91 109

(C 3 H-) 2

Amine zum Vergleich Alkohol Äther

Tertiäre Amine Substituenten



(CH 3 ) 3 (CH,)„ C 2 H 5 (C 2 H 5 ) 2 , CH 3 (C 2 H 6 ) 3

Sdp.

Sdp.

Sdp.

_

65,5° 78,3 97 117 138 156

—24° 11 34,5 64 91



3,4° 37 66 89

Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften entsprechen die Amine etwa den A l k o h o l e n , d. h. die n i e d e r e n G l i e d e r der Reihe sind infolge der hydrophilen Natur des Aminostickstoffs m i t W a s s e r m i s c h b a r und die h ö h e r e n A m i n e i n ihm mäßig bis s c h w e r l ö s l i c h . Doch finden die einfachen Amine wegen ihres niedrigen Siedepunktes und auch wegen ihrer schweren Zugänglichkeit k e i n e V e r w e n d u n g a l s L ö s u n g s m i t t e l oder Reaktionsmedium. Der G e r u c h der niederen Amine ist dem des A m m o n i a k s ähnlich, doch im allgemeinen b e i g r ö ß e r e r I n t e n s i t ä t w e n i g e r s t e c h e n d . Mit zunehmender Molekülgröße wird der Geruch weniger unangenehm und verschwindet schließlich ganz.

Chemische Eigenschalten. Trotz der großen Ähnlichkeit von W a s s e r und A m m o n i a k (vgl. anorg. Lehrbücher) weichen ihre organischen Derivate, die A l k o h o l e und A m i n e , hinsichtlich ihres chemischen Charakters w e i t g e h e n d v o n e i n a n d e r a b , so daß die wenigen A n a l o g i e f ä l l e nur mit Mühe zu erkennen sind. Die Hauptursache dieses unterschiedlichen Verhaltens ist in der s t a r k e n B a s i z i t ä t des A m i n o s t i c k s t o f f s zu suchen, die der ganzen Verbindungsklasse ihren charakteristischen Stempel aufdrückt. Im einzelnen müssen wir zwischen den folgenden f ü n f R e a k t i o n s g r u p p e n unterscheiden: 1. der S a l z b i l d u n g mit Säuren oder Alkylierungsmitteln, 2. der Bildung von K o m p l e x v e r b i n d u n g e n , 3. der S u b s t i t u t i o n des am Stickstoff befindlichen W a s s e r s t o f f e s , 4. den O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n und 5. den S p a l t u n g s r e a k t i o n e n der C—N-Bindung. Zu 1. Die Basizität der Amine beruht wie beim Ammoniak auf der Tendenz des am Stickstoff befindlichen ungebundenen Elektronenpaares, ein P r o t o n unter Bildung eines A m m o n i u m i o n s anzulagern: H I R- -Nl + H+ I Η

Η I© R—Ν—Η I Η

Die Aminoverbindungen

540

Bei der großen Ähnlichkeit von W a s s e r s t o f f und P a r a f f i n k o h l e n s t o f f (S. 5f.) wird durch die Einführung der Alkylreste in das Ammoniakmolekül die B a s i z i t ä t des Stickstoffs nur u n w e s e n t l i c h v e r ä n d e r t , und zwar infolge der s c h w a c h p o s i t i v e n Natur der A l k y l r e s t e etwas e r h ö h t . Die Dissoziationskonstanten der e i n f a c h e n a l i p h a t i s c h e n A m i n e liegen daher im Durchschnitt etwa um e i n e Z e h n e r p o t e n z über der des A m m o n i a k s , so daß die Amine ebenfalls noch zu den s c h w a c h e n B a s e n gehören: Tabelle 27 Die b a s i s c h e n

Verbindung Ammoniak (z. Vergleich)

D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n und p K - W e r t e Stickstoffverbindungen Κ

Ρκ 5

1,8 . 10"

1. Aliphatische Amine 4,4 · ΙΟ"1 Methylamin Dimethylamin 5,1 · ΙΟ"4 5,5 · ΙΟ"6 Trimethylamin 3,4 · ΙΟ"4 Äthylamin 5,7 · ΙΟ"4 Triäthylamin 5,7 · ΙΟ"6 Allylamin 2,4 · 10"s Benzylamin 2. Aromatische Amine 3,8 · ΙΟ"10 Anilin 1,2 · 10-» Dimethylanilin Phenylhydrazin 1,6 · ΙΟ-9 7,6 · ΙΟ"14 Diphenylamin a-Naphthylamin 8,4 · ΙΟ"11

Verbindung

4,75

3,36 3,29 4,26 3,47 3,25 4,24 4,62

einiger

organischer

Κ

Ρκ

3. Heterocyclen Pyrrolidin Piperidin Piperazin Pyrazol Pyridin Chinolin Pyrrol, Indol, Carbazol

1,3 . 1,6 . . 6,4 · 3,1 · 1,7 · 6,3 ·

10~3 10"3 ΙΟ"5 ΙΟ"12 10"9 10~10

16,0

4. Säurederivate 9,42 8,92 8,80 13,12 10,08

Acetamid Harnstoff Veronal Acetamidin Guanidin

2,51,5 1,1 . 2,0 · 3,2 ·

10- 13 10"14 ίο- 8 10~2 10- 1

12,60 13,82 7,96 1,70 0,50

Wie wir gesehen haben, kann die Salzbildung außer durch Addition eines Protons auch durch E i n w i r k u n g e i n e s A l k y l i e r u n g s m i t t e l s auf das Amin erfolgen. Diese Art der Salzbildung führt stets zu einer E r h ö h u n g der Alkylierungsstufe, also von der p r i m ä r e n in die s e k u n d ä r e , von der s e k u n d ä r e n in die t e r t i ä r e Eeihe und von den t e r t i ä r e n Aminen zu den q u a r t ä r e n Ammoniumsalzen. Sie stellt die einzige s y n t h e t i s c h e Möglichkeit dar, zu letzteren zu gelangen (vgl. auch S. 547 Anm.). Η Ε—Ν! + Κ- -CI Ι

Η primäres Amin

Η I Ε—Ν—Ε I Η

cr

Ε I R—ΝΙ + Ε—C1 I Ε

sekund. Ammoniumsalz fcert. Amin

Ε I R—Ν—Ε I Ε

er

quart. Ammoniumsalz

Zu 2. Ähnlich wie Ammoniak besitzen auch die Amine eine s t ä r k e r e T e n d e n z z u r B i l d u n g v o n K o m p l e x v e r b i n d u n g e n als die entsprechenden Sauerstoffverbindungen. Doch sind diese Komplexe der e i n f a c h e n A m i n e im allgemeinen für den O r g a n i k e r nur von g e r i n g e m I n t e r e s s e und bieten gegenüber den a n o r g a n i s c h e n A m m o n i a k a t e n (vgl. anorg. Lehrbücher) nichts wesentlich Neues.

Allgemeine Reaktionen der Amine

541

Erst, wenn in Verbindungen mit m e h r e r e n F u n k t i o n e n im Molekül das komplex gebundene Metall in ein eyclisches S y s t e m eingebaut werden kann, gewinnen die Verbindungen an Bedeutung. Insbesondere werden wir später in den B l u t - und B l a t t f a r b s t o f f e n (III, Kap. 2, VII), sowie auch in den O x y d a t i o n s f e r m e n t e n (vgl.ΠΙ, Kap. 8, II), sehr interessante n a t ü r l i c h e K o m p l e x v e r b i n d u n g e n dieser Art kennenlernen. Zu 3. Die Substitution des am Stickstoff der p r i m ä r e n und s e k u n d ä r e n Amine noch befindlichen Wasserstoffs führt zu: a) den M e t a l l a m i d e n , in denen der Wasserstoff durch M e t a l l ersetzt ist (NaNHR und NaNR 2 ), b) den noch zu den Aminen selbst zählenden höher a l k y l i e r t e n A m i n e n , in denen er durch weitere A l k y l r e s t e substituiert ist, c) den A c y l a m i n e n (R—NH—CO—R' und R2N—CO—R'), in denen ein S ä u r e r e s t in das Aminmolekül eingetreten ist, sowie schließlich d) den S c H i r r s c h e n B a s e n und sonstigen auf S. 287f. beschriebenen stickstoffhaltigen Derivaten der Oxoverbindungen, in denen der Wasserstoff durch den C a r b o n y l k o h l e n s t o f f ersetzt ist. Die Derivate selbst werden auf S. 544f. beschrieben. An dieser Stelle interessieren uns nur die verschiedenen Möglichkeiten, mit ihrer Hilfe p r i m ä r e , s e k u n d ä r e und t e r t i ä r e Amine zu t r e n n e n . Die wichtigsten Verfahren beruhen auf der Tatsache, daß in den A c y l d e r i v a t e n der p r i m ä r e n Amine (R—NH—Ac) sich am Stickstoff noch ein H - A t o m befindet, in denen der s e k u n d ä r e n Amine (R2N—Ac) der Stickstoff bereits w a s s e r s t o f f f r e i ist, und daß die t e r t i ä r e n Amine (R3N) schließlich überhaupt k e i n e A c y l d e r i v a t e mehr bilden. Insbesondere die folgenden drei Verfahren haben eine präparative Bedeutung erlangt: a) Die Trennung mittels aromatischer Sulfonsäurechloride. Hier reagiert der am S t i c k s t o f f b e f i n d l i c h e W a s s e r s t o f f in den Sulfonamiden der primären Amine (Ar—S02—NH—R) noch sauer (die Sulfonsäuren sind bekanntlich starke Säuren), so daß diese Sulfonamide aus einer ätherischen Lösung mit N a t r o n l a u g e extrahiert werden können. Die wasserstofffreien Amide der s e k u n d ä r e n A m i n e reagieren dagegen nicht mehr mit Natronlauge und verbleiben in der ä t h e r i s c h e n Lösung, während die unveränderten t e r t i ä r e n Amine schließlich als B a s e n mit Salzsäure extrahiert werden können: Primäres Amin:

RNH2

RNH—S02—Ar

Sekundäres Amin: RjNH

+Ar

Tertiäres Amin:

^Ar—so.—(,'V keine Reaktion

R3N

~^, 3 ~ C1 >-

R2N—S02—Ar

Xa0H

ν

RNNa-S0 2 —Ar

JNa0?L>> keine Reaktion

Das Verfahren bietet den weiteren Vorteil der l e i c h t e n R e g e n e r i e r b a r k e i t der primären und sekundären Amine durch Wiederabspaltung der Sulfonsäurereste. b) Die Trennung mittels salpetriger Säure beruht auf dem verschiedenartigen Verhalten def „Nitrosamine" ( = Salpetrigsäure-amide, vgl. S. 550) der primären und s e k u n d ä r e n Amine, denn nur die letzteren sind beständig, während die Nitrosamine der primären Amine sich sofort in die D i a z o v e r b i n d u n g e n umlagern, die in der aliphatischen Reihe unter den Reaktionsbedingungen ebenfalls u n b e s t ä n d i g sind, so daß unter A b s p a l t u n g v o n Sticks t o f f direkt die A l k o h o l e entstehen (Näheres vgl. S. 543). Infolgedessen erhält man bei der Einwirkung von salpetriger Säure aus den primären A m i n e n die A l k o h o l e , aus den sekundären Aminen die N i t r o s a m i n e , während die t e r t i ä r e n Amine wieder unverändert bleiben:

Die Aminoverbindungen

542 Primäre Amine:

R - N H . + 0 = N —Ο—Η — R — O H

Sekundäre Amine:

R j \ · H · HO

Tertiäre Amine:

R3N + 0 = N — O H

X-4)

+ N2

R2N—N=0 keine Reaktion

In diesem Fall ist eine Regeneration der p r i m ä r e n A m i n e natürlich n i c h t m e h r möglich. c) Schließlich liegt für die spezielle Aufgabe der Trennung von M o n o - , Di- und T r i m e t h y l a m i n , die nahezu bei der g l e i c h e n T e m p e r a t u r sieden (vgl. Tab. 26, S. 539), noch ein weiteres Verfahren in der Einwirkung τοη Formaldehyd vor, der die Amine in Oxoderivate v e r s c h i e d e n e r M o l e k ü l g r ö ß e überführt, die sich dann leicht durch f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n trennen lassen: CH 3 C H 3 - N H 2 + 3 0=CH2

(3CH3-N=CH2)

^

^

CH3-N/ n

/CH"3 V m

ch,—

x ch3 Trimethyl-trimethylen-triamin Sdp.106"

2 (CH3)2NH + 0 = C H 2 -

' >

(CH 3 ) 2 N x ^>CH2 ; (CH3)3N + 0 = C H 2 (CH3)2N Sdp. 4°

> keine Reaktion

Tetramethyl-methylen-diamin Sdp. 82,5»

Hier ist eine R e g e n e r i e r u n g des p r i m ä r e n u n d s e k u n d ä r e n A m i n s ohne Schwierigkeit durch S ä u r e s p a l t u n g d e r F o r m a l d e h y d d e r i v a t e möglich.

Zu 4. I n Umkehrung der oben beschriebenen R e d u k t i o n höher oxydierter Stickstoff- und Kohlenstoff-Funktionen zur Aminogruppe ist auch eine Oxydation der Amine am S t i c k s t o f f und am K o h l e n s t o f f möglich. Doch ist ihr Reduktionsvermögen im allgemeinen nur g e r i n g , und sie erweisen sich in den meisten Fällen als ziemlich o x y d a t i o n s s t a b i l . So kann man sie ζ. B. (trotz grundsätzlich gleicher Dehydrierbarkeit) nicht wie die Alkohole durch einfache Oxydationsreaktionen zu den Derivaten der O x o v e r b i n d u n g e n und C a r b o n s ä u r e n dehydrieren. Lediglich bei Temperaturen von 300—350° über N i c k e l als Katalysator und in A b w e s e n h e i t v o n O x y d a t i o n s m i t t e l n ist nach S A B A T I E B (in Analogie zu der auf S. 234 beschriebenen Dehydrierung von Alkoholen zu Aldehyden) eine k a t a l y t i s c h e D e h y d r i e r u n g p r i m ä r e r A m i n e unter Abspaltung von elementarem Wasserstoff möglich, die über die Aldehydstufe hinaus sofort zu den N i t r i l e n führt: Η Η III" R C-X I I Η Η

V /R—C=N \ \

Τ

Η

>• R—C--N

Η.

Eine O x y d a t i o n des S t i c k s t o f f s gelingt häufig mit Hilfe von W a s s e r s t o f f p e r o x i d und führt primär wahrscheinlich stets zu A m i n o x y d e n (S. 592), die aber nur bei den t e r t i ä r e n A m i n e n beständig sind und in der primären Reihe sofort zu den N i t r o s o v e r b i n d u n g e n weiter oxydiert werden: Ο t RÄNI + 0 » R :i N->0 ; R—NH 2 + 0 — — ν R NH 2 / + 0 ( ~ H a 0 ) > R — N = 0 Aminoxyd

Aminoxyd

Nitrosoverbindung

Allgemeine Reaktionen der Amine

543

Zu 5. Die C — N - B i n d u n g ist, der geringen Acidität des Ammoniakwasserstoffs entsprechend, nur noch s c h w a c h p o l a r und steht hinsichtlich ihrer Spaltbarkeit etwa i n d e r M i t t e zwischen der C—0- und C—C-Bindung. Sie gehört also bereits zu den ausgesprochen r e a k t i o n s t r ä g e n B i n d u n g s t y p e n , deren Aufspaltung bei Temperaturen unter 100° w e d e r h y d r o l y t i s c h noch unter A b s p a l t u n g v o n A m m o n i a k z u r D o p p e l b i n d u n g gelingt und auch zwischen 100 und 200° nur mit ü b e r k o n z e n t r i e r t e r J o d w a s s e r s t o f f s ä u r e im Sinn einer A c i d o l y s e @

möglich ist, wenn die reaktionsfähigere C — N - B i n d u n g des A l k y l a m m o n i u m i o n s vorliegt (vgl. S. 546): R—λΉ,

R—Ih3

R—J + NH 4

Die Reaktion erinnert an die ZEiSELsche M e t h o x y l b e s t i m m u n g (S. 211) und Iäßt sich ebenfalls q u a n t i t a t i v durchführen. Sie dient unter der nicht ganz exakten Bezeichnung Methylimid- (statt Methylamino-) Bestimmung in ähnlicher Weise zum quantitativen Nachweis von N - A l k y l g r u p p e n . Erst bei sehr v i e l höherer T e m p e r a t u r wird die C—N-Bindung auch der neutralen Amine labiler. So beobachtet man ζ. B. unter den Bedingungen der Aminbildung aus A l k o h o l e n und A m m o n i a k (S. 180, 537) häufig auch eine direkte Ü b e r t r a g u n g v o n A l k y l r e s t e n zwischen zwei Aminmolekülen, so daß es u. a. möglich ist, s e k u n d ä r e Amine über A l u m i n i u m o x y d bei 380° praktisch vollständig zu t e r t i ä r e n A m i n e n und A m m o n i a k zu disproportionieren, während bei etwa 300° ü b e r M a n g a n o x y d - A k t i v k o h l e als Katalysator die Gegenreaktion überwiegt: ΑΙ,Ο,. 330" 3 R 2 NH , 2 RjN + NH 3 MnO, 300° Ebenso tritt bei höherer Temperatur, ζ. B. im Verlaufe der K o h l e h y d r i e r u n g (III Kap. 1, I, 5a), zuweilen auch eine h y d r i e r e n d e A u f s p a l t u n g der Aminbindung unter Bildung von P a r a f f i n und A m m o n i a k (Gleichung formulieren!) ein.

Bei dieser schweren Spaltbarkeit der C—N-Bindung haben eine Reihe von s p e z i e l l e n V e r f a h r e n , die durch K o p p e l u n g der Spaltungsreaktionen mit a n d e r e n V o r g ä n g e n den Aminabbau w e s e n t l i c h e r l e i c h t e r n , eine größere Bedeutung erlangt: a) Zum Abbau primärer Amine eignet sich am besten die auf S. 541 bereits erwähnte Spaltung mit s a l p e t r i g e r S ä u r e , bei der jedoch nur der o r g a n i s c h e R e s t in Form von Alkohol oder von Olefin und Wasser, nicht aber die Aminogruppe erhalten bleibt: R—CH=C'H2 + H 2 0 CH, - \ H2 + 0 = : N -OH

-570\ ^

R—CH,—CH,—OH

Hier ist es die B i l d u n g s t e n d e n z d e s S t i c k s t o f f m o l e k ü l s bei der Zersetzung der Diazoverbindung, die die Spaltungsneigung der C—N-Bindung erhöht. Bei Verwendung von N i t r o s y l h a l o g e n i d e n entstehen in analoger Weise die A l k y l h a l o g e n i d e bzw. Olefin und H a l o g e n w a s s e r s t o f f : R—CH=CH 2 + H—Hai R—CH2—CH,—N:H2 + ()=-N- Hai '

x

• R—CH,—CH,—Hai

b) Die sekundären Amine führt man nach v. B R A U N in die S ä u r e a m i d c h l o r i d e über, die, wie bereits auf S. 346 erwähnt, als O r t h o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t e die

Die Aminoverbindungen

544

Tendenz aufweisen, sich in n o r m a l e C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e zuriickzuverwandeln, und daher bei mäßigem Erhitzen die Alkylradikale als A l k y l h a l o g e n i d e abspalten : R

Ο " »

\

-HCl HC,

) X — Η + CL—C—R'

τ, ^

Gl Cl : v i )N—C—R'

Ο —C—R'

pcu



'V

RX

R'

Säure-amid-chlorid

V XsC—R' + 2 R—Cl

c) Auch für den Abbau tertiärer Amine h a t v. B R A U N ein brauchbares Verfahren entwickelt, das wir ebenfalls bereits kennen gelernt haben (S. 393). E r führt die Amine durch Anlagerung von B r o m c y a n in die q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e d e s C y a n a m i d s über, die bereits die typische L a b i l i t ä t d e r A l k y l r e s t e in den q u a r t ä r e n A m m m o n i u m v e r b i n d u n g e n (S. 548) zeigen, und bei der t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g ebenfalls unter Abspaltung eines Alkylhalogenidmoleküls zerfallen: Rx R-)KI

R:\ © R—N- - C = N

+ Br- - C = X

Br~

RS,

Erhitzen

)N—C=N + R—Br

W

Aus den hierbei entstehenden D i a 1 k y 1 c y a η a m i d e η läßt sich durch h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g als weiteres Abbauprodukt auch das s e k u n d ä r e A m i n gewinnen. D) Die quartären Ammoniumsalze baut man nach A. W . H O F M A N N am besten durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g d e r q u a r t ä r e n A m m o n i u m b a s e n a b (Näheres vgl. S. 548): [r_CH2—CHA—NRÖ+OH-I

j j ^ -

RjN + R—CH2—CH2—OH

(bzw.R—CH=CH2 +

H20)

Da bei dieser Reaktion die M e t h y l g r u p p e n schwerer als alle anderen Alkylreste abgespalten werden, kann man die Methode auch zum Abbau der höheren Alkylreste aus komplizierteren primären bis t e r t i ä r e n A m i n e n verwenden, indem man diese jeweils bis zur Stufe der quartären Salze m e t h y l i e r t und dann durch thermische Zersetzung der A m m o n i u m b a s e n einen der u r s p r ü n g l i c h e n A l k y l r e s t e abspaltet (HoFMANNScher Abbau durch e r s c h ö p f e n d e Methylierung): R—NH2 + 3 CH3—J + 3 NaOH

-2H-0

[R - N ( C H 3 ) 3 ] ; + O H -

E hitzen

i

>- R—OH + (CH3)3N|

Das Verfahren bietet den Vorteil, die Alkylreste n a c h e i n a n d e r in v e r s c h i e d e n e n R e a k t i o n s s t u f e n abtrennen zu können, und gestattet es auch, aus der Zahl der bis zur Erreichung der quartären Stufe eingeführten Methylgruppen zwischen primären, sekundären und t e r t i ä r e n A m i n e n zu unterscheiden. Es hat insbesondere in früherer Zeit wesentlich mit zur K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g der A l k a l o i d e beigetragen (vgl. ΙΠ, Kap. 7, III).

b) D i e D e r i v a t e d e r a l i p h a t i s c h e n A m i n e Wie wir schon auf S. 541 gesehen haben, leiten sich von den p r i m ä r e n und s e k u n d ä r e n A m i n e n (in ähnlicher Weise wie von den Alkoholen) durch Substitution des Aminwasserstoffs oder durch Besetzung des am Stickstoff befindlichen ungebundenen Elektronenpaares eine Reihe von D e r i v a t e n ab. Sie sind in ihren Eigenschaften den entsprechenden Alkoholderivaten (S. 191ff.) sehr ä h n l i c h und lassen als einzige Verbindungsklasse eine gewisse A n a l o g i e zwischen den A l k o h o l e n und A m i n e n erkennen.

Die Ammoniumsalze

54 5

Λ) Die Metallamide Die M e t a l l a m i d e d e r o r g a n i s c h e n B a s e n entsprechen in jeder Beziehung den M e t a l l a l k o h o l a t e n und können auch in gleicher Weise durch Einwirkung der f r e i e n A l k a l i m e t a l l e oder von m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n auf p r i m ä r e oder s e k u n d ä r e A m i n e gewonnen werden: R—λ'Η 2 + Na

>- R—NHNa + y 2 H 2 ;

R 2 N—Η + R'—Me

» R a NMe + R'—Η

Die uns ausschließlich interessierenden A l k a l i m e t a l l d e r i v a t e sind n a t r i u m a m i d ähnliche, s a l z a r t i g e Verbindungen, die durch W a s s e r und A l k o h o l e sofort z e r s e t z t werden und (in Analogie zu dem System A l k o h o l a t - W a s s e r , S. 193) selbst in f l ü s s i g e m A m m o n i a k nur im Rahmen eines Gleichgewichtes neben dem betreffenden Al k a l i m e t a 11a m i d beständig sind (Gleichung formulieren!). Lediglich von i n d i f f e r e n t e n o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n werden sie nicht angegriffen und sind in Ä t h e r n und t e r t i ä r e n A m i n e n zuweilen auch löslich. Eine praktische Bedeutung haben sie neben dem bei gleicher Reaktionsfähigkeit viel leichter zugänglichen N a t r i u m a m i d nur in Ausnahmefällen erlangt, ζ. B. als Kondensationsmittel für die auf S. 349 u. 795f. beschriebene X i t r i l k o n d e n s a t i o n .

β) Die Ammoniumsalze Die Benennung der Oniumsalze der organischen Amine wird nur sehr unsystematisch durchgeführt und ist immer noch unbefriedigend. Insbesondere die wichtigen h a l o g e n w a s s e r s t o f f s a u r e n S a l z e bezeichnet man in Anlehnung an die frühere i r r i g e Vorstellung, daß es sich in ihnen um „ h y d r a t a r t i g e " Additionsverbindungen der S ä u r e an das A m i n handelt, allgemein mit den wenig schönen Ausdrücken Chlorhydrat, Bromhydrat usw. (ζ. B. Trimethylamin-chlorhydrat). In anderen Fällen, wie ζ. B. beim Trimethylamin-pikrat, leitet man den Namen der Salze von dem der A m i n e , statt von dem der A m m o n i u m i o n e n ab. Streng rationell ist dagegen die Benennung als a l k y l s u b s t i t u i e r t e A m m o n i u m s a l z e (ζ. B. Trimethyl-ammoniumchlorid) oder auch als A d d i t i o n s p r o d u k t e d e r S ä u r e n a n das Amin (Trimethylamin-hydrochlorid).

Die Darstellung der Salze geschieht ausschließlich nach „ a n o r g a n i s c h e n " M e t h o d e n , d . h . entweder direkt durch Zusammengeben von S ä u r e und B a s e in einem (meist organischen) L ö s u n g s m i t t e l oder (seltener) durch Ausfällung w a s s e r u n l ö s l i c h e r S a l z e mittels F ä l l u n g s r e a k t i o n e n . Besonders charakteristische, zur Identifizierung und Analyse geeignete Salze sind die in Alkoholen meist schwer löslichen C h l o r o p l a t i n a t e (RNH 3 ) 2 PtCl e , C h l o r o - a u r a t e (RNH3)2AUC14, P i k r a t e (S. 658), P i k r o n o l a t e und S t y p h n a t e (S. 658). Für den Organiker von Interesse sind insbesondere die Beständigkeitsverhältnisse des a l k y l i e r t e n A m m o n i u m i o n s . Infolge der n i e d r i g e n b a s i s c h e n D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e der Amine zeigt der am Ammoniumstickstoff befindliche Wasserstoff noch eine deutliche A c i d i t ä t . Die alkylierten Ammoniumsalze werden daher (ähnlich wie die einfachen Ammoniumsalze) bereits durch Wasser g e r i n g f ü g i g h y d r o l y s i e r t und durch H y d r o x y l i o n e n praktisch vollständig unter R e g e n e r a t i o n d e s A m i n s zerlegt. Ferner vermag der Wasserstoff bei höherer Temperatur im Rahmen eines G l e i c h g e w i c h t e s auch auf die weniger basischen A n i o n e n der S a l z e überzugehen: [R 3 NH]+Cr

Erhitzen

-

Zimmertemperatur

R 3 N + HCl ,

so daß man namentlich die Ammoniumsalze s c h w a c h e r S ä u r e n bereits durch m ä ß i g e s E r h i t z e n zu einem gewissen Prozentsatz wieder r ü c k w ä r t s in ihre B i l d u n g s k o m p o n e n t e n zerlegen kann. Bei der Gewinnung der S ä u r e a m i d e aus den A m m o n i u m s a l z e n d e r C a r b o n s ä u r e n (S. 341) und bei der WöiiLERSchen H a r n s t o f f s y n t h e s e (S. 400) spielt diese Möglichkeit eine wichtige Rolle.

Die Aminoverbindungen

546

Ähnlich wie die Ν—Η- ist auch die Ν — R - B i n d u n g in den Ammoniumsalzen etwas l a b i l i s i e r t und leichter aufspaltbar als in den Aminen selbst. So findet ζ. B. die auf S. 543 beschriebene Spaltung der A l k y l a m i n e mit Jodwasserstoffsäure in s a u r e m M e d i u m statt. Desgleichen geht die Bildung c y c l i s c h e r A m i n e aus den D i a m i n o v e r b i n d u n g e n (S. 557, 559) und die Gewinnung der sekundären a r o m a t i s c h e n A m i n e aus zwei Molekülen eines primären Amins (S. 564) von den A m m o n i u m s a l z e n aus. Auch bei der A b s p a l t u n g von Salmiak aus dem H y d r o c h l o r i d des V e s t r y l a m i n s (S. 88) macht man von dieser erhöhten Reaktionsfähigkeit der organischen Reste in den alkylierten Ammoniumionen Gebrauch. Vollkommen verschwunden ist in den Ammoniumsalzen schließlich die B a s i z i t ä t des S t i c k s t o f f s , und alle auf dieser Basizität beruhenden Reaktionen können n i c h t m e h r durchgeführt werden. In G e g e n w a r t v o n S ä u r e n kann man Amine infolgedessen n i c h t acylieren, alkylieren oder in Derivate von Oxoverbindungen überführen, da alle diese Substitutionsreaktionen primär über eine A n l a g e r u n g an das u n g e b u n d e n e E l e k t r o n e n p a a r verlaufen (vgl. auch II, Kap. 4, II, 2 u. 4). γ) Die quartären Ammoniumsalze In den quartären Ammoniumsalzen ist der Aminostickstoff mit v i e r o r g a n i s c h e n R e s t e n besetzt. Sie enthalten also k e i n e n W a s s e r s t o f f am Stickstoff mehr und unterscheiden sich dadurch g r u n d l e g e n d von den normalen Ammoniumsalzen, so daß sie als s e l b s t ä n d i g e V e r b i n d u n g s k l a s s e betrachtet werden müssen. Ihre Darstellung geschieht nach zwei verschiedenen Methoden: 1. durch d o p p e l t e U m s e t z u n g aus a n d e r e n S a l z e n des gleichen quartären Ions. So gewinnt man ζ. B. die f r e i e n H y d r o x y l b a s e n , die man in diesem Zusammenhang ebenfalls als „ S a l z e " betrachten kann, fast ausschließlich durch Behandeln der H a l o g e n i d e mit S i l b e r - oder auch T h a l l i u m h y d r o x y d : [R4§']+ H a r + AgOH (bzw. TlOH)

>- [ r J ! ] + OH - + AgHal (bzw. TlHal)

2. auf s y n t h e t i s c h e m W e g e durch Anlagerung der üblichen H a l o g e n i e r u n g s m i t t e l , insbesondere von A l k y l h a l o g e n i d e n , an t e r t i ä r e A m i n e (Gleichung formulieren!). Auch einige andere Halogen Verbindungen, wie z. B . B r o m c y a n , kann man an tertiäre Amine unter Bildung von quartären Ammoniumsalzen anlagern : R3TS< i + Br—C=N|



[R3N—C=Nj]+ Br"~

Doch läßt sich die Anlagerung anderer Halogenverbindungen n i c h t m e h r a l l g e m e i n durchführen, und es ist insbesondere noch nicht gelungen, C a r b o n s ä u r e h a l o g e n i d e zu den quartären Salzen der C a r b o n s ä u r e a m i d e vom Typus Θ

[R—CO—NR 3 ] + C1 - anzulagern. Die Bildung quartärer Ammoniumsalze wird zuweilen in erstaunlichem Ausmaß durch das Lösungsmittel k a t a l y t i s c h beeinflußt. So erfolgt ζ. B. die in H e x a n - l ö s u n g sehr langsam verlaufende Anlagerung von Ä t h y l j o d i d an T r i ä t h y l a m i n in Ä t h y l a l k o h o l als Lösungsmittel bereits mit der 200fachen, in B e n z y l a l k o h o l mit der 750fachen und in A c e t o n i t r i l sogar mit der 5000fachen Geschwindigkeit.

Geht man zur Darstellung der q u a r t ä r e n A m m ο η i u m s a 1 ζ e von den η i e d e r e η A m i n e n oder gar vom A m m o n i a k aus, so muß man zur Einführung von m e h r a l s e i n e m Alkylrest jeweils aus den zunächst entstehenden normalen Ammoniumsalzen

Die quartären Ammoniumsalze

547

die Basen wieder in F r e i h e i t setzen. Nur bei Zusatz von N a t r o n l a u g e oder N a t r i u m c a r b o n a t kann hier also die Bildung der quartären Salze in e i n e m R e a k t i o n s g a n g erreicht werden: R—NH 2 + 3 R—C1 + 2 Na Ο Η

- ^ f f ^

[R 4 N]+Cr

Der v i e r f a c h a l k y l i e r t e S t i c k s t o f f ist, da seine B i n d i g k e i t und W e r t i g k e i t v e r s c h i e d e n sind (vgl. S. 31), nur in Form von I o n e n existenzfähig, so daß wir neben den in Lösung vorliegenden E i n z e l - I o n e n und den in festem Zustand aus I o n e n g i t t e r n aufgebauten q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e n keine in Form von N e u t r a l m o l e k ü l e n auftretende Derivate kennen. Dies bezieht sich insbesondere auch auf das „freie Tetramethylammonium", das, ähnlich wie das f r e i e A m m o n i u m der anorganischen Chemie, bei der E l e k t r o l y s e s e i n e r S a l z e an Q u e c k s i l b e r e l e k t r o d e n als ein unterhalb 0° beständiges A m a l g a m — sowie in f l ü s s i g e m A m m o n i a k als Lösungsmittel auch in Form sehr wenig beständiger b l a u e r L ö s u n g e n , die in jeder Beziehung den bekannten b l a u e n A l k a l i m e t a l l - L ö s u n g e n entsprechen (vgl. anorg. Lehrbücher) — erhalten werden kann. Es wurde früher als ein r a d i k a 1a r t i g e s N e u t r a l m o l e k ü l mit v i e r w e r t i g e m S t i c k s t o f f angesehen, doch ist eine derartige Struktur auf Grund der Elektronentheorie der Valenz n i c h t r QJJ m ö g l i c h , denn k e i n e s der 17 Atome des Tetramethylammonium-Ions I© kann O h n e ü b e r s c h r e i t u n g d e r O k t e t t z a h l (bzw. beim Wasserstoff HjC—Ν—CH 3 der D u b l e t t z a h l ) das überschüssige Elektron binden, so daß dieses, ι CH, wie nebenstehend formuliert, als E i n z e l e l e k t r o n , also ohne nähere Beziehung zu einem bestimmten der 17 Atome, dem positiv geladenen T e t r a m e t h y l a m m o n i u m - I o n gegenüberstehen muß. Das ist aber in Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t d e m e x p e r i m e n t e l l e n B e f u n d nur in einer m e t a l l i s c h e n P h a s e möglich. Ein n e u t r a l e s T e t r a m e t h y l a m m o n i u m m o l e k ü l , wie man es früher annahm, gibt es also n i c h t , und die scheinbare „ E n t l a d u n g " des Ions bei der Salzelektrolyse spielt sich in Wirklichkeit in der Weise ab, daß das u n v e r ä n d e r t e I o n als Ganzes aus der Lösung in d i e m e t a l l i s c h e P h a s e ü b e r t r i t t und diese als Äquivalent ein E l e k t r o n aus dem elektrolysierenden Strom in ihr E l e k t r o n e n g a s aufnimmt. Die Reaktion stellt den e i n z i g e n bisher bekannten Fall des Einbaues einer o r g a n i s c h e n S u b s t a n z in eine m e t a l l i s c h e P h a s e dar.

Die quartären Ammoniumionen verhalten sich bei zahlreichen Reaktionen den w a s s e r s t o f f h a l t i g e n A m m o n i u m i o n e n sehr ähnlich. Insbesondere zeigt der Stickstoff in ihnen ebenfalls k e i n e b a s i s c h e n E i g e n s c h a f t e n mehr und ist n i c h t mehr s u b s t i t u i e r b a r . Ferner geben sie in gleicher Weise schwer lösliche P i k r a t e , C h l o r o p l a t i n a t e usw.1). Der charakteristische Unterschied zwischen beiden Verbindungsgruppen tritt erst gegenüber b a s i s c h e n I o n e n , insbesondere gegenüber dem H y d r o x y l i o n in Erscheinung, an das alle w a s s e r s t o f f h a l t i g e n A m m o n i u m i o n e n auf Grund ihrer Acidität sofort ein P r o t o n abgeben (s. o.), die q u a r t ä r e n A m m o n i u m i o n e n dagegen n i c h t . Diese sind daher als einzige Ammonium Verbindungen g e g e n H y d r o x y l i o n e n (mäßig) b e s t ä n d i g , und die Tetraalkylammoniumhydroxyde verhalten sich infolgedessen wie die Hydroxyverbindungen der A l k a l i m e t a l l e , d.h. sie liegen in v o l l s t ä n d i g d i s s o z i i e r t e r Form vor und zählen zu den s t a r k e n B a s e n . Allerdings kann man diese Salze nicht mehr durch einfaches Zusammengeben von A m i n und S ä u r e oder auch von t e r t i ä r e m A m i n und dem zugehörigen S ä u r e e s t e r darstellen, sondern ist ausschließlich auf das oben unter 1 beschriebene Verfahren der d o p p e l t e n U m s e t z u n g mit andern Salzen angewiesen, das durch den Zwang zur Entf e r n u n g d e s k o r r e s p o n d i e r e n d e n S a l z p a a r e s in der Anwendung mitunter recht umständlich ist.

548

Die Aminoverbindungen

Man muß sich aber stets darüber im klaren sein, daß die Ursache der Basizität der A m i n e und der q u a r t ä r e n A m m o n i u m h y d r o x y d e eine völlig v e r s c h i e d e n e ist. Bei ersteren fungiert der S t i c k s t o f f , bei letzteren das H y d r o x y l i o n als Träger der Basizität. Die unterschiedliche Basizität des Stickstoffs in den A m i n e n , aus denen die quartären Ammoniumbasen entstanden sind, hat auf deren B a s i z i t ä t also gar keinen Einfluß, sondern höchstens auf ihre S t a b i l i t ä t , d. h. die Leichtigkeit, mit der die Tetraalkylammoniumionen die unten näher beschriebenen Zersetzungsreaktionen eingehen. Solange die Hydroxyde aber als q u a r t ä r e A m m o n i u m v e r b i n d u n g e n vorliegen, können sie nur in Form der nicht assoziierenden H y d r o x y l b a s e n existieren, sind also stets gleich starke Basen.

Von den speziellen Reaktionen des quartären Ammoniumions ist vor allem die gegenüber den Aminen gesteigerte R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der A l k y l s t i c k s t o f f bindung von Interesse, die wir grundsätzlich bereits bei den gewöhnlichen Ammoniumionen kennen gelernt haben, die hier jedoch, da ein P r o t o n e n ü b e r g a n g vom Kation zum Anion nicht möglich ist, deutlicher in Erscheinung tritt. Sie äußert sich insbesondere in einer gewissen Tendenz des quartären Ammoniumions, in Umkehr der unter 2 beschriebenen Bildungsreaktion einen A l k y l r e s t auf das zugehörige Anion zu übertragen. So beobachtet man z . B . ein dem System Ammoniak-Chlorwasserstoffganz ähnliches System zwischen t e r t i ä r e n Aminen und A l k y l c h l o r i d e n : _

©

[R3N—;R]+Cr ,

Erhitzen Zimmertemperatur

RjNi + Η · C1 ,

und ähnlich, wie die gewöhnlichen Oniumionen besonders stark basischen An· ionen gegenüber labil sind, geht auch die Zersetzung der quartären Ammoniumionen um so l e i c h t e r vor sich, je s t ä r k e r basisch das zugehörige Anion ist. Man führt den Abbau quartärer Ammoniumsalze daher am besten über die stark basischen H y d r o x y d e aus, und kommt so zu der bereits auf S. 544 beschriebenen H O F M A N N sehen A b b a u r e a k t i o n , die auf Grund dieser Anschauung lediglich eine Alkylierung des H y d r o x y l i o n s durch das q u a r t ä r e Ammoniumion als Alkylierungsmittel darstellt und als echte Alkylierungsreaktion stets von einer A b s p a l t u n g s r e a k t i o n , d.h. der Bildung von Olefin und Wasser (statt des Alkohols) begleitet ist: f 0 H

Η

_

Erhitzen ^ R - C H = C H 2 + INR3 + H 2 0 ^

R—CH 2 —CH 2 —OH + INR 3

Im allgemeinen geht die W a s s e r a b s p a l t u n g etwas l e i c h t e r vor sich als die Alkoholbildung, so daß letztere meistens fast vollständig zurückgedrängt wird. Lediglich die Methyl- und die Benzylgruppe vermögen aus konstitutiven Gründen keine Olefine zu bilden und werden daher stets als Alkohole abgespalten. Sie haften infolgedessen am Stickstoff f e s t e r als alle anderen Alkylr e s t e , wovon man, wie schon auf S. 544 angedeutet, bei der Durchführung des HoFMANNSchen Abbaus zu K o n s t i t u t i o n s b e s t i m m u n g e n auch praktischen Gebrauch macht. Bei der sehr weitgehenden Parallelität zwischen A c i d i t ä t einer S ä u r e und AlkyI i e r u n g s t e n d e n z i h r e r E s t e r (vgl. S. 198) sollte man annehmen, daß die quartären Ammoniumionen wie die normalen Ammoniumionen auch schon bei n i e d e r e r T e m p e r a t u r gegenüber Hydroxylionen u n b e s t ä n d i g sind und lediglich infolge der größeren R e a k t i o n s t r ä g h e i t der A l k y l r e s t e als metastabile Moleküle neben ihnen existieren können. Diese Vermutung trifft tatsächlich zu, denn wenn man versucht, die Tetraalkylammoniumbasen

Die tertiären Imoniumsalze

549

aus ihren wäßrigen Lösungen in S u b s t a n z zu i s o l i e r e n , so bekommt man nur die den Alkalimetallhydroxyd-hydraten analogen k r i s t a l l i s i e r t e n H y d r a t e , die sich zwar je nach den Umständen mehr oder weniger weitgehend, n i e m a l s aber v o l l s t ä n d i g entwässern lassen. Vielmehr tritt selbst beim Trocknen bei normaler T e m p e r a t u r im Hochvakuum nach Überschreiten eines bestimmten Mindestwassergehaltes stets Zerfall in T r i a l k y l a m i n und A l k o h o l (bzw. Olefin und Wasser) ein. Dieser Mindestwassergehalt beträgt beim stabileren Tetramethyl-ammoniumhydroxyd 1, beim labileren Tetraäthyl-ammoniumhydroxyd dagegen, das Spaltung in Äthylen und Wasser erleiden kann, bereits 4 Mol e k ü l e Wasser.

δ) Die tertiären Imoniumsalze Einer weiteren Gruppe von Oniumsalzen, die am Stickstoff ebenfalls keinen Wasserstoff mehr besitzen, begegnen wir in den A l k y l i e r u n g s p r o d u k t e n der ScHiFFSchen Basen: •R' R—CH=N—R'

" u"-"al,

HaP

I n ihnen ist der Stickstoff n i c h t m e h r q u a r t ä r (obgleich man fälschlicherweise auch hier meistens von „ q u a r t ä r e n " A m m o n i u m s a l z e n spricht), da er nur d r e i S u b s t i t u e n t e n enthält, von denen einer d o p p e l t g e b u n d e n ist. Man grenzt sie daher zweckmäßig unter dem Begriff der tertiären Imoniumsalze von den eigentlichen quartären A m m o n i u m s a l z e n ab. Sie enthalten als charakteristischen ©

n e u a r t i g e n B i l l d u n g s t y p u s die sehr reaktionsfähige C = N - D o p p e l b i n d u n g , der wir hier erstmals begegnen. ©

Die Beaktionen der C=N-Doppelbindung sind dadurch charakterisiert, daß einerseits der S t i c k s t o f f n i c h t m e h r b a s i s c h reagiert, so daß die Labilität der normalen C=N-Doppelbindung g e g e n S ä u r e n fortfallt, und daß andererseits die C=N-Doppelbindung durch die p o s i t i v e A u f l a d u n g d e s S t i c k s t o f f s aktiviert wird, wodurch sie wie die C=0-Doppelbindung zur A n l a g e r u n g b a s i s c h e r R e a g e n t i e n , insbesondere von H y d r o x y l i o n e n , befähigt wird. Sämtliche Ammoniumsalze dieses Typus sind daher a l k a l i l a b i l und lagern H y d r o x y l i o n e n ©

mit mehr oder weniger großer Geschwindigkeit an die C=N-Doppelbindung an unter g e g e n s e i t i g e r E n t l a d u n g d e r l o n e n und Bildung eines a l k y l i e r t e n A l d e h y d bzw. K e t o n a m m o n i a k d e r i v a t e s (I), das allgemein Pseudo-amrrumiumbase oder auch Carbinolbase genannt wird. Die Reaktion kann direkt als die U m k e h r e i n e r D i s s o z i a t i o n s r e a k t i o n angesehen werden und verläuft beim Säureznsatz unter Abfangen der Hydroxylionen wieder r ü c k w ä r t s im Sinne einer Dissoziationsreaktion zu den tertiären Imonium-Ionen: θ

R—CH=NR'.

+ OH" - + + H (-H.O)

/OH R—CH( \NR'2

I Danach zeichnen sich alle drei Typen von Oniumionen, die wir hier kennengelernt haben, durch eine mehr oder weniger große L a b i l i t ä t g e g e n H y d r o x y l i o n e n aus. Bei weitem am schnellsten reagieren die e i n f a c h e n A m m o n i u m i o n e n , die ihr Proton stets u n m e ß b a r r a s c h im Rahmen eines normalen S ä u r e n - B a s e n G l e i c h g e w i c h t s abspalten, so daß Ammoniumionen und Hydroxylionen auch kurzzeitig n i c h t i n n e n n e n s w e r t e m U m f a n g nebeneinander auftreten können. Die hier beschriebenen u n g e s ä t t i g t e n I m o n i u m - I o n e n nehmen insofern eine 36

Κ läges,

Lehrbuch der Organischen Chemie I, 2

Die Aminoverbindungen

550

Mittelstellung ein, als die Anlagerung der OH-Ionen im Rahmen einer Z e i t r e a k t i o n erfolgt, so daß man die freien Hydroxylbasen, d. h. die Imonium- und OHIonen nebeneinander, wenigstens kurzzeitig als m e t a s t a b i l e V e r b i n d u n g e n in Lösung erhalten kann. Die q u a r t ä r e n A m m o n i u m i o n e n mit vier Alkylresten am Stickstoff sind schließlich am stabilsten und neben h y d r a t i s i e r t e n H y d r o x y l i o n e n bei Zimmertemperatur auch in k r i s t a l l i s i e r t e m Z u s t a n d b e s t ä n d i g . Ähnlich wie bei den E n o l e n und E n a m i n e n sind auch hier die einfachen Einzel verbindungen der Reihe o h n e B e d e u t u n g gebheben oder, wie das sich vom Formaldehyd ableitende D i m e t h y l m e t h y l e n - i m m o n i u m - j o did [(CH 3 ) 2 N=CHJ J - , nicht existenzfähig bzw. noch nicht beschrieben worden. Doch werden wir komplizierteren Verbindungen dieses Typus immer wieder begegnen — ζ. B. bei den Pyr i d i n i u m s a l z e n (S. 842), den b a s i s c h e n T r i p h e n y l m e t h a n f a r b s t o f f e n (ΠΙ, Kap. 2, III, 2 b), einigen A l k a l o i d e n (III, Kap. 7, III) sowie schließlich auch ©

den D i a z o n i u m s a l z e n (S. 613), die statt der C=N-Doppel- die sich ähnlich θ

verhaltende N=N-Dreifachbindung enthalten. Bei allen diesen Verbindungen beobachtet man in gleicher Weise die beschriebene L a b i l i t ä t g e g e n ü b e r H y droxylionen. ε) Die Säurederivate der Amine Führt man in organische Amine eine A c y l g r u p p e ein, so kommt man zu Verbindungen, die wieder eine D o p p e l n a t u r aufweisen und sowohl als a c y l i e r t e A m i n e als auch als am Stickstoff a l k y l i e r t e S ä u r e a m i d e aufgefaßt werden können. Sie entsprechen in ähnlicher Weise den E s t e r n der Alkoholreihe, wie die t e r t i ä r e n A m i n e mit den Ä t h e r n , die M e t a l l a m i d e mit den A l k o h o l a t e n und die q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e mit den T r i a l k y l o x o n i u m s a l z e n verglichen werden können. Ihre Darstellung geschieht nach den auf S. 341 bereits beschriebenen Methoden zur Gewinnung der einfachen Carbonsäure- und auch Kohlensäureamide, insbesondere durch A c y l i e r u n g d e r A m i n e mit S ä u r e c h l o r i d e n , S ä u r e a n h y d r i d e n , E s t e r n sowie den f r e i e n C a r b o n s ä u r e n selbst. Die allgemeinen Eigenschaften der N - A l k y l c a r b o n s ä u r e a m i d e weichen n i c h t wesentlich von denen der nicht substituierten S ä u r e a m i d e (S. 342 f.) ab. Eine spezielle Bedeutung für die C h a r a k t e r i s i e r u n g d e r A m i n e als leicht zugängliche, gut kristallisierende Derivate haben insbesondere die bei der Addition von I s o c y a n s ä u r e , R h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e und ihren E s t e r n entstehenden u n s y m m e t r i s c h s u b s t i t u i e r t e n H a r n s t o f f e und T h i o h a r n s t o f f e (formulieren! vgl. S. 402, 412 u. a.) erlangt. Von den A l k y l a m i d e n a n o r g a n i s c h e r S ä u r e n haben wir die Dialkylnitrosamine (R2N—NO) bereits kennengelernt (S. 541). Sie entstehen beim Zusammengeben der wäßrigen Lösungen der s a l p e t r i g e n S ä u r e und s e k u n d ä r e r A m i n e (bzw. ihrer Ionen, die sich als Ionen s c h w a c h e r S ä u r e n und s c h w a c h e r B a s e n z.Teil gegenseitig entladen) ohne jede Katalyse auch in der Kälte fast augenblicklich und stellen g e l b e F l ü s s i g k e i t e n dar, die infolge ihres h o h e n D i p o l m o m e n t e s ungewöhnlich h o c h s i e d e n (Dimethylnitrosamin: Sdp. 153°). Sie lassen sich als normale S ä u r e a m i d e durch Kochen mit S a l z s ä u r e wieder rückwärts in die Bildungskomponenten zerlegen: R2N—;H + H O - NO

• R,N

XO

+

| H2NU2i' + HN02.

Die primären Amine

551

worauf ihre oben erwähnte Verwendbarkeit zur Reinigung und Abtrennung der s e k u n d ä r e n A m i n e beruht. Von größerer allgemeiner Bedeutung ist ihre R e d u z i e r b a r k e i t zu den a s - D i a l k y l h y d r a z i n e n (S. 596), die man meistens mit Z i n k s t a u b und E i s e s s i g durchführt: 'N—N=0 + 2H2 B/

ν

ΛΉ 2 r /

Bei der Bildung der Nitrosamine hat also, ähnlich wie bei der des ebenfalls säureamidartig aufgebauten N i t r o g u a n i d i n s (S. 405) und N i t r o h a r n s t o f f s (S. 403), gleichzeitig die S y n t h e s e e i n e s H y d r a z i n s y s t e m s stattgefunden. Als A l k y l a m i d e d e r u n t e r h a l o g e n i g e n S ä u r e n kann man die meistens als Halogenamine schlechthin bezeichneten N-Halogen-alkyl- und -dialkylamine auffassen. Sie entstehen wie die Nitrosamine bereits beim Zusammengeben der u n t e r h a l o g e n i g e n S ä u r e und der A m i n e (bzw. durch doppelte Umsetzung ihrer S a l z e ) in wäßriger Lösung bei t i e f e r T e m p e r a t u r , wobei es ohne Schwierigkeiten gelingt, jeweils s ä m t l i c h e noch am Stickstoff befindlichen Η - A t o m e durch H a l o g e n zu ersetzen: R.X-

l l - f HO - C l

' l r , ° • Rjjts—C1 bzw. R — Ν H 2 + 2 HO—Cl

'2H, K + Hal-R -KHaV

|

(

Ν—R H y d r o i y s ->- |

|

+ R—NH 2 x

30

COOH

Die Aminoverbindungen

552

Eine zweite Möglichkeit, die 1848 zur E n t d e c k u n g d e r A m i n e durch WURTZ führte, liegt in der bereits bei der Berührung mit W a s s e r eintretenden Hydrolyse der I s o c y a n s ä u r e e s t e r (S. 392) vor, in denen die restlichen zwei Η-Atome des Ammoniaks durch den C a r b y l r e s t substituiert sind, und die ihrerseits durch Alkylierung von A l k a l i m e t a l l c y a n a t e n : 0=C=N!Na + Hal—it

0=C=N—R

^ R—NH2 + C0 2 ,

sowie mit Hilfe des C u R T i u s s c h e n A b b a u s der Säureazide (S. 353), gewonnen werden können. Auch der nicht mehr über die Isocyansäureester führende HoFMANNsche A b b a u der Carbonsäureamide (S. 345) hat für die Darstellung einiger primärer Amine präparative Bedeutung erlangt. Dagegen bereitet die Unterbrechung der Alkylierung des n i c h t s u b s t i t u i e r t e n A m m o n i a k s auf der Stufe der primären Amine auch bei Verwendung eines großen A m m o n i a k ü b e r s c h u s s e s , jasogar in f l ü s s i g e m A m m o n i a k als Reaktionsmedium, große S c h w i e r i g k e i t e n , da die alkylierten Amine infolge ihres stärker ausgeprägten l i p o p h i l e n Charakters vom l i p o p h i l e n Alkylierungsmittel b e s s e r b e n e t z t und daher l e i c h t e r weiter alkyliert werden als A m m o n i a k selbst. Erst wenn man N a t r i u m a m i d als besonders s t a r k b a s i s c h e Verbindung in f l ü s s i g e m A m m o n i a k auflöst, erhält man bei der Einwirkung von Alkylierungsmitteln überwiegend die p r i m ä r e n A m i n e . Ebenso bewirkt der Zusatz von S a l m i a k bei der Aminierung der A l k o h o l e mit Z i n k c h l o r i d - A m m o n i a k (S. 180) eine bevorzugte Bildung primärer Amine.

Von den auf S. 537 unter 2 beschriebenen Verfahren kann die Reduktion der N i t r o - , N i t r o s o - , D i a z o - und A z i d o v e r b i n d u n g e n , sowie von den unter 3 beschriebenen Verfahren die der O x i m e , N i t r i l e (bei geeigneter Versuchsführung) und C a r b o n s ä u r e a m i d e aus k o n s t i t u t i v e n G r ü n d e n nur zur Bildung primärer Amine führen. Insbesondere die Reduktion der N i t r i l e findet häufig zu ihrer Darstellung Anwendung. Die primären Amine zeigen außer den angeführten allgemeinen Umsetzungen eine Reihe spezieller Reaktionen, die teils zu ihrem N a c h w e i s dienen, teils aber auch präparative Bedeutung zur Darstellung der hierbei entstehenden Verbindungen erlangt haben. Die wichtigsten von ihnen sind: 1. die beim Kochen mit C h l o r o f o r m und A l k a l i eintretende Bildung von I s o n i t r i l e n , die an ihrem intensiven und w i d e r w ä r t i g e n G e r u c h bereits in S p u r e n zu erkennen sind (Näheres vgl. S. 742):

2. die bereits beschriebene Bildung von I s o c y a n s ä u r e e s t e r n bei der Einwirkung von P h o s g e n (vgl. S. 385, 392). 3. die ebenfalls bereits beschriebene S e n f ö l b i l d u n g bei der Einwirkung von S c h w e f e l k o h l e n s t o f f (vgl. S. 410). Ferner sei von den im allgemeinen Teil angeführten Reaktionen nochmals hingewiesen auf: 4. die unter Abspaltung von e l e m e n t a r e m S t i c k s t o f f erfolgende Alkoholbildung bei der Einwirkung von s a l p e t r i g e r S ä u r e , bzw. A l k y l h a l o g e n i d b i l d u n g bei der Einwirkung von N i t r o s y l h a l o g e n i d e n . 5. die Bildung ScHiFFScher B a s e n mit O x o v e r b i n d u n g e n . 6. die Bildung a l k a l i l ö s l i c h e r S ä u r e a m i d e mit A r y l s u l f o c h l o r i d e n (vgl. S. 541).

Die primären Amine

553

Einzelverbindungen. Methylamin CH 3 —NH 2 tritt im B i n g e l k r a u t in geringer Menge n a t ü r l i c h auf. Es ist ebenso wie das nächst höhere Homologe, das Athylamin C 2 H 5 —NH„ bei normaler Temperatur g a s f ö r m i g . Beide Verbindungen werden daher meistens in Form ihrer s a l z s a u r e n Salze oder a l k o h o l i s c h e n L ö s u n g e n aufbewahrt und zur Reaktion gebracht. Allylamin CH 2 =CH—CH 2 —NH 2 ist eine bei 53° siedende, u n g e s ä t t i g t e B a s e , die aus A l l y l j odid und P h t h a l i m i d k a l i u m nach G A B R I E L dargestellt werden kann (formulieren!). Sie übt ähnlich wie die A l l y l h a l o g e n i d e eine Reizwirkung auf die A u g e n und A t m u n g s o r g a n e aus, verhält sich aber im übrigen infolge der ß , y - S t e l l u n g der Doppelbindung zum Stickstoff wie ein normales a l i p h a t i s c h e s A m i n (vgl. Tabelle 27, S. 540), ähnlich wie auch der A l l y l a l k o h o l zu den A l k o h o l e n zählt. Benzylamin C e H 5 —CH 2 —NH 2 , das einfachste A l k y l a m i n mit der Aminogruppe in der S e i t e n k e t t e eines a r o m a t i s c h e n K e r n s , wird durch Hydrierung von B e n z o n i t r i l sowie (neben der sekundären und tertiären Base) bei der Einwirkung von Ammoniak auf B e n z y l c h l o r i d gewonnen (Gleichungen formulieren!). Es verhält sich ebenfalls wie ein normales a l i p h a t i s c h e s A m i n und ist im Gegensatz zu den isomeren A n i l i n b a s e n (S. 564) eigenartigerweise mit Wasser m i s c h b a r .

Phenäthylamin C e H 5 —CH 2 —CH 2 —NH 2 , das nächst höhere Homologe des B e n z y l a m i n s , kommt natürlich in f a u l e n d e m E i w e i ß als Abbauprodukt des P h e n y l a l a n i n s (III, Kap. 7, I, 1) vor, wird aber meistens s y n t h e t i s c h , am besten durch Hydrierung von B e n z y l c y a n i d über N i c k e l bei 180—200° gewonnen (formulieren!). Es steht konstitutionell den A l k a l o i d e n d e r E p h e d r i n r e i h e (III, Kap. 7, I I I , 2 ß) nahe und zeigt infolgedessen als erste Verbindung der Reihe p h y s i o l o g i s c h e A k t i v i t ä t , die insbesondere in einer b l u t d r u c k s e n k e n d e n W i r k u n g zum Ausdruck kommt. Das um ein C-Atom reichere a-Methyl-ß-phenyl-äthylamin oder Benzedrin C 6 H 5 —CH 2 —CH(CH 3 )—NH 2 ist die eigentliche Muttersubstanz des E p h e d r i n s und übt ähnlich wie C o f f e i n eine starke s t i m u l i e r e n d e W i r k u n g auf das Nerven- und Kreislaufsystem aus. Es dient daher — ebenso wie sein bereits zu den sekundären Aminen zählendes N - M e t h y l d e r i v a t , das Pervitin C e H ä —CH 2 — CH(CH 3 )—NH—CH 3 — als wichtiges Stimulans. Insbesondere wecken beide Verbindungen aus t i e f s t e m S c h l a f und eignen sich daher als G e g e n m i t t e l g e g e n S c h l a f m i t t e l (sog. Weckamine). Im Brom- und Chloräthylamin Hai—CH 2 —CH 2 —NH 2 hegen die einfachsten HalogenalJcyl-amine1) vor. Sie können nach der Methode von GABRIEL durch partielle Umsetzung von Ä t h y l e n c h l o r i d (bzw. - b r o m i d ) mit e i n e m Mol P h t h a l i m i d k a l i u m sowie durch Ringöffnung von Ä t h y l e n i m i n mittels konzentrierter H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e gewonnen werden:

C

°\

QQ/

/

N:K + Cl—CH,—CH,—CI - ~ K ? ' V H»N—CH2—CH2—C1 z 2 Hydrolyse

ι

ι ι Chloräthyl-amin

+HC1

Ä

CH2—bH, i

%

Geht man bei der ersten Methode von den h ö h e r e n P o l y m e t h y l e n d i h a l o g e n i d e n aus, so erhält man in analoger Weise die ω - H a l o g e n a l k y l a m i n e mit g r ö ß e r e m A b s t a n d der Halogen- und Aminogruppe (formulieren!). Die Halogenalkylamine sind infolge der g l e i c h z e i t i g e n Anwesenheit der leicht miteinander in Reaktion tretenden A l k y l h a l o g e n i d - und A m i n o g r u p p e sehr z e r s e t z l i c h e Substanzen, die nur in s a u r e r L ö s u n g beständig sind, wenn der *) Der an sich naheliegende, der Bezeichnung H a l o g e n a l k o h o l e (S. 190) entsprechende einfache Name Halogen-amine findet bereits zur Benennung der N - H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (S. 551) Anwendung.

Die Aminoverbindungen

554

Stickstoff infolge der Bildung des Ammoniumions n i c h t m e h r mit Alkylierungsmitteln zu reagieren vermag (vgl. S. 546). In n e u t r a l e m oder gar a l k a l i s c h e m M e d i u m tritt dagegen, in Analogie zur Bildung c y c l i s c h e r Ä t h e r aus den H a l o g e n a l k o h o l e n (S. 190), sofort i n n e r m o l e k u l a r e A l k y l i e r u n g der Aminogruppe unter Bildung c y c l i s c h e r A m i n e ein: CH 2 ;-Br

I

_HHal

: Η

"

CH2 - N H

CH2X

CH 2 —CH 2 —α

I

!

CH/

CH2—CH2—NH

_HHa]

Η

-•

CH 2 -CH 2



I

>H

CH 2 —CH/

Die Halogenalkylamine sind daher w i c h t i g e A u s g a n g s m a t e r i a l i e n S y n t h e s e c y c l i s c h e r A m i n e (vgl. S. 558).

zur

ß) Die sekundären Amine Die Darstellung e i n h e i t l i c h e r s e k u n d ä r e r A m i n e bereitet im allgemeinen g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n als die der p r i m ä r e n und t e r t i ä r e n V e r b i n d u n g e n , da eine der Methode von G A B B I E L entsprechende Alkylierung und spätere Hydrolyse von Säureamiden relativ s c h w e r durchführbar ist. Dagegen hat sich die auf dem gleichen Prinzip beruhende D i a l k y l i e r u n g v o n A n i l i n mit anschließender Aufspaltung der p - N i t r o s o v e r b i n d u n g (Näheres vgl. S. 664) als brauchbares präparatives Verfahren erwiesen: -NH

AlkyliCTin 2

* Urosim,n, -V

%

Na0H

>

R2ISIH + OX— /

ON-/

ONa

Ein weiteres, speziell zur Darstellung der M e t h y l a l k y l a m i n e geeignetes Verfahren besteht in der R e d u k t i o n v o n I s o n i t r i l e n : Θ

Θ

R—N=C[

4-9H -

>• R—NH—CH3 ,

die sowohl mit k a t a l y t i s c h e m (über N i c k e l bei 160—180°) als auch mit n a s c i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (Natrium und Alkohol, sowie neuerdings auch mit L i t h i u m - a l u m i n i u m - h y d r i d ) durchgeführt werden kann. Da die Isonitrile ihrerseits aus den p r i m ä r e n A m i n e n gewonnen werden (vgl. S. 742), hat man auf diese Weise die Möglichkeit, über die Isonitrile nur e i n e Methylgruppe in p r i m ä r e A m i n e einzuführen. Schließlich erhält man auch bei der Reduktion oder Hydrierung der S c H i F F S c h e n B a s e n p r i m ä r e r A m i n e in glatter Reaktion die sekundären Amine: R—N=CH—R'

--> R—NH—CH2—R'

Von den speziellen Reaktionen der sekundären Amine haben nur die Bildung der N i t r o s a m i n e und der A b b a u über die S ä u r e a m i d c h l o r i d e nach v. B R A U N , die wir bereits kennen gelernt haben, eine größere Bedeutung erlangt. Dimethylamin (CH3)2NH, das Anfangsglied der Reihe, kommt in geringen Mengen in der H e r i n g s l a k e vor. Sein s a l z s a u r e s Salz zeigt eigenartigerweise eine starke L ö s l i c h k e i t in C h l o r o f o r m und kann daher (zusammen mit T r i m e t h y l a m i n - h y d r o c h l o r i d ) leicht vom S a l m i a k und M o n o m e t h y l a m i n - h y d r o c h l o r i d abgetrennt werden. Diese Löslichkeitsverhältnisse sind für seine Gewinnung aus dem bei der Methylierung von S a l m i a k mit F o r m a l d e h y d entstehenden Salzgemisch auch von praktischer Bedeutung.

Sekundäre und tertiäre Amine

555

IHäthylamin (C2H5)2NH wird durch Ä t h y l i e r u n g von A m m o n i a k mit Ä t h y l h a l o g e n i d e n oder A c e t a l d e h y d und A m e i s e n s ä u r e (als Reduktionsmittel, vgl. S. 538) gewonnen. Es findet wegen seines günstigen Siedepunktes (56°) häufig Anwendung in der präparativen Chemie als sekundäres Amin schlechthin, ζ. B. für k a t a l y t i s c h e Reakt i o n e n (S. 247). Von den höheren Gliedern der Reihe haben wir das Pervitin als das N - M e t h y l d e r i v a t des B e n z e d r i n s bereits kennengelernt (S. 553).

y) Die tertiären Amine Tertiäre Amine sind wieder l e i c h t e r z u g ä n g l i c h , da sie einerseits bei einer Reihe von Verfahren, wie z . B . der Amingewinnung aus A l k o h o l e n oder O x o v e r b i n d u n g e n und Ammoniak, die E n d s t u f e d e r A l k y l i e r u n g darstellen, andererseits als Zersetzungsprodukte der q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e nach A. W. H O P M A N N entstehen. Besondere Methoden zur ausschließlichen Darstellung tertiärer Amine sind daher n i c h t entwickelt worden. Hinsichtlich ihrer allgemeinen Eigenschaften unterscheiden sie sich infolge der Substitution a l l e r am Stickstoff befindlichen H-Atome in ähnlicher Weise von den p r i m ä r e n und s e k u n d ä r e n Aminen, wie die Ä t h e r von den A l k o h o l e n . So reagieren sie z . B . n i c h t m e h r mit m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n unter Metallamidbildung und dienen daher zuweilen als Lösungsmittel f ü r G R I G N A R D verbindungen. Auch A c y l i e r u n g s m i t t e l n gegenüber verhalten sie sich normalerweise i n d i f f e r e n t , obgleich hier prinzipiell eine Anlagerung zu den quartären Salzen der Säureamide möglich sein sollte. Eine derartige Reaktion wurde bisher aber nur in wenigen Ausnahmefällen beobachtet (ζ. B. bei der Addition von Bromcyan im Rahmen des v. BitAUNschen Abbaues; vgl. S. 544), so daß man t e r t i ä r e A m i n e , insbesondere P y r i d i n , im allgemeinen als s ä u r e b i n d e n d e s R e a k t i o n s m e d i u m f ü r A c y l i e r u n g s r e a k t i o n e n verwenden k a n n : R—CO—C1 + Η—X + /

Ν



R—CO—X + /

X · HCl

Ein weiteres A c y l i e r u n g s m i t t e l , mit dem sie eigenartigerweise in Reaktion treten, ist s a l p e t r i g e Säure, die bereits bei wenig erhöhter Temperatur einen A l k y l r e s t unter B i l d u n g der N i t r o s a m i n e a b s p a l t e t : R

R

\

R

N—R + H O — N = 0

ν

\

;N—NO + R—OH

R

Die Reaktion ist wahrscheinlich mit der ebenfalls auffallend leicht erfolgenden Äthers p a l t u n g durch Salpeter- und s a l p e t r i g e Säure (S. 211) nahe verwandt und wirkt bei der quantitativen Trennung von s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n A m i n e n (S. 541) zuweilen störend.

Als spezielle, vor allem zur I d e n t i f i z i e r u n g und A n a l y s e geeignete Reaktion dient außer der Bildung der P i k r a t e , C h l o r o p l a t i n a t e usw. insbesondere die bei der Einwirkung von A l k y l j o d i d e n spontan unter E r w ä r m u n g eintretende Bildung der meist gut kristallisierenden q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e . Bezüglich des v. BRAraschen Abbaues vgl. S. 544. Schließlich beobachten wir bei den tertiären Aminen eine wichtige n e u a r t i g e Oxydationsmöglichkeit: die Anlagerung eines s e m i p o l a r g e b u n d e n e n O - A t o m s an das u n g e b u n d e n e E l e k t r o n e n p a a r des Stickstoffs unter Bildung von A m i n o x y d e n (S. 592):

Die Aminoverbindungen

556

R\ R-7NI + Ο R/





R\ R-)N^O Rx

Die Reaktion wird mit H y d r o p e r o x y d als Oxydationsmittel ausgeführt und stellt neben der Bildung der O n i u m i o n e n und M e t a l l k o m p l e x e eine d r i t t e wichtige A b s ä t t i g u n g s m ö g l i c h k e i t u n g e b u n d e n e r E l e k t r o n e n p a a r e dar, wie die Bildung der A z o x y - aus den A z o v e r b i n d u n g e n (S. 631), der N i t r o - aus den N i t r o s o v e r b i n d u n g e n (S. 655), der N i t r i l o x y d e aus den N i t r i l e n (S. 350) sowie auch der S u l f o x y d e (S. 691), P h o s p h i n o x y d e (S. 701), A r s i n o x y d e (S.707) usw. aus den T h i o ä t h e r n , T r i a l k y l p h o s p h i n e n , T r i a l k y l a r s i n e n usw. beweist. Sie tritt in der S t i c k s t o f f r e i h e zwar an allgemeiner Bedeutung noch hinter der S a l z b i l d u n g zurück, steht aber bei den w e n i g e r b a s i s c h e n Elementen der h ö h e r e n P e r i o d e n bei weitem an e r s t e r S t e l l e und läßt sich auch dort fast stets mit P e r o x y d e n als Oxydationsmitteln durchführen. Trimethylamin (CH3)3N kommt ebenfalls in der H e r i n g s l a k e vor und ist der Hauptträger des typischen F i s c h g e r u c h s . Es entsteht als Abbauprodukt des B e t a i n e (S. 362) bei der thermischen Zersetzung von Melasse, wird aber meistens s y n t h e t i s c h durch erschöpfende Methylierung von S a l m i a k mit F o r m a l d e h y d gewonnen (Gleichung formulieren!). Trimethylamin ist ein stark g i f t i g e s , insbesondere das N e r v e n s y s t e m angreifendes Gas. Es findet präparativ und technisch vor allem Anwendung zur Herstellung q u a r t ä r e r A m m o n i u m s a l z e , wie ζ. B. von N e u r i n (S. 562), B e t a i n (S. 586), G I R A R D S R e a g e n s (S. 586) usw., sowie zur Gewinnung von B l a u s ä u r e (S. 363). Trläthylamin hat als einfachstes bei normaler Temperatur flüssiges Trialkylamin eine gewisse päparative Bedeutung erlangt. Seine Darstellung geschieht am besten durch HOFMANNSchen Abbau von T e t r a ä t h y l a m m o n i u m h y d r o x y d oder durch e r s c h ö p f e n d e Ä t h y l i e r u n g von S a l m i a k mit A c e t a l d e h y d und A m e i s e n s ä u r e (Gleichungen formulieren!).

ö) Die Poly-amine Die den Polyalkoholen entsprechenden a l i p h a t i s c h e n P o l y a m i n e mit m e h r e r e n A m i n o g r u p p e n im Molekül sind von nur geringer Bedeutung. Ihre Darstellung erfolgt in analoger Weise wie die der M o n o - a m i n e , ζ. B. durch Umsetzung von P o l y h a l o g e n v e r b i n d u n g e n mit A m m o n i a k oder, falls man die Reaktion auf die Einführung p r i m ä r e r A m i n o g r u p p e n beschränken will, auch mit P h t h a l i m i d k a l i u m . Ein weiteres, in der Technik vielfach angewandtes Verfahren beruht auf der R e d u k t i o n , insbesondere der k a t a l y t i s c h e n H y d r i e r u n g , von D i n i t r i l e η (Gleichung formulieren!). Die Polyamine sind, ähnlich wie die Polyalkohole, ölige, schlecht kristallisierende Substanzen, die im Verhältnis zu den Monaminen außerordentlich h o c h s i e d e n und m i t W a s s e r m i s c h b a r sind. Tabelle 28 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n e i n i g e r P o l y a m i n e •

Hydrazin (zum Vergleich) Äthylen-diamin Trimethylen-diamin Tetramethylen-diamin (Putrescin)

Sdp.

Smp. 1

113°

1,4°

118° 137° 159»

8,5° —23,5° 23,5°

Sdp. Pentamethylen-diamin (Cadaverin) Hexamethylen-diamin 1,2,3-Triamino-propan

1

Smp. 10°

179° 204° 108°/ 15 mm

+42° —

Die Polyamine

557

Die uns in erster Linie interessierenden D i a m i n e bilden mit Säuren basische und n e u t r a l e S a l z e und zeigen hinsichtlich der Dissoziationskonstanten der e r s t e n A m i n o g r u p p e (die K 2 -Werte sind noch nicht bestimmt worden) ein ähnliches Verhalten wie die D i c a r b o n s ä u r e n (S. 453), d. h. die Kj-Werte nähern sich mit w a c h s e n d e r K e t t e n l ä n g e auch hier dem d o p p e l t e n K - W e r t f ü r e i n f a c h e A m i n e . Nur streben sie, wie aus Abb. 13 hervorgeht, diesem Grenzwert v o n u n t e n zu, da sich die beiden Aminogruppen (im Gegensatz zu der gegenseitigen A c i d i t ä t s s t e i g e r u n g der Carboxylgruppen in den D i c a r b o n s ä u r e n ) in ihrer Basizität g e g e n s e i t i g s c h w ä c h e n , so daß die Basizität der Diamine mit steigender Annäherung der Aminogruppen immer mehr z u r ü c k g e h t .

Abb. 13 Vergleich der Dissoziationskonstanten von Mono- und Diaminen. χ PKi-Werte der Polymethylen-diamine (n = Zahl der zwischen den JyH2-Gruppen befindlichen Methylengruppen. — PKi berechnet = —log (2 Kxthyiamin) = 3,83

Weiterhin beobachtet man wie bei den Verbindungen mit m e h r e r e n S a u e r s t o f f - F u n k t i o n e n im Molekül eine gewisse Tendenz zu R i n g s c h l u ß r e a k t i o n e n , deren Verlauf in der dort beschriebenen Weise von dem g e g e n s e i t i g e n A b s t a n d d e r A m i n o g r u p p e n abhängt. So kann ζ. B. Ä t h y l e n - d i a m i n nur unter Einbau weiterer Atome in den Ring c y c l i s c h e K o m p l e x e oder K o n d e n s a t i o n s p r o d u k t e bilden: H2 CH2—NN CH2—N/

H,

H2 .Ν—CH2 | ?Cu /

—CH2 H,

HC y

I

HC

0



H, N\

Η, Ν'

V

CH,2 —2H,0 HC —V I .CH, HÖ

CH2 :

N

/

/CH2

während die h ö h e r e n D i a m i n e beim Erhitzen ihrer salzsauren Salze eine A m m o n i u m g r u p p e als S a l m i a k abspalten und in die s e k u n d ä r e n c y c l i s c h e n B a s e n übergehen: CH,—CH,

Η CHä—CH.

\ vNH · HCl + NH4C1

Die Amino Verbindungen

558

Äthylendiamiii H 2 N—CH 2 —CH 2 —NH 2 ist aus Ä t h y l e n b r o m i d und A m m o n i a k leicht zugänglich und stellt eine an der Luft rauchende ölige Substanz dar, die mit Wasser in Form eines bei 10° schmelzenden H y d r a t e s kristallisiert. Von seinen Reaktionen ist vor allem die Neigung zur Bildung sehr stabiler c y c l i s c h e r K o m p l e x e mit S c h w e r m e t a l l i o n e n hervorzuheben. Insbesondere der angeführte Kupfer-II-Komplex, in dem jedes Äthylendiaminmolekül z w e i A m m o n i a k m o l e k ü l e des Cu(NH 3 ) 4 + + -Ions (vgl. anorg. Lehrbücher) ersetzt, ist sehr charakteristisch und zeigt eine ä u ß e r s t g e r i n g e Dissoziationstendenz. Von den höheren Homologen des Äthylendiamins treten das Tetramethylendiamin H 2 N—(CH 2 ) 4 —NH 2 unter dem Namen Putrescin und das Pentamethylendiamin H 2 N—(CH 2 ) 6 —NH 2 unter dem Namen Cadaverin als Zersetzungsprodukte der Eiweißaminosäuren O r n i t h i n und L y s i n (III, Kap. 7, I , 1) in f a u l e n d e m E i w e i ß natürlich auf. Sie wurden daher früher als wichtige Bestandteile der L e i c h e n g i f t e angesehen und Ptomaine genannt. Doch sind sie vollkommen u n s c h ä d l i c h . Pustrescin findet zur Herstellung von P o l y a m i d k u n s t s t o f f e n (III, Kap. 7, I, 3) eine beschränkte technische Anwendung und wird zu diesem Zweck s y n t h e t i s c h aus B e r n s t e i n s ä u r e d i n i t r i l (S. 463), sowie durch doppelten HOKMANNsehen Abbau aus A d i p i n s ä u r e d i a m i d , dargestellt (Gleichungen formulieren!). Noch wichtiger als Ausgangsmaterial für Polyamid-Kunststoffe ist das um zwei Methylengruppen reichere Hexamethylen-diamin, das technisch durch Reduktion des bereits auf S. 464 beschriebenen, durch Totalsynthese aus A c e t y l e n , K o h l e n o x y d und B l a u s ä u r e (vgl. Tafel I, S. 128 und Tafel I I , S. 741) leicht zugänglichen A d i p i n s ä u r e d i n i t r i l s im großen gewonnen wird. Die durch l i n e a r e V e r k n ü p f u n g m e h r e r e r Polymethylendiaminmoleküle entstehenden s e k u n d ä r e n P o l y a m i n e treten ζ. T. im m e n s c h l i c h e n S p e r m a natürlich auf. Bisher konnten die bei der Kondensation von e i n bzw. z w e i M o l e k ü l e n T r i m e t h y l e n d i a m i n mit P u t r e s c i n entstehenden Basen: HJJN—(CH 2 ) 3 —NH—(CH 2 ) 4 —NH 2

und

H 2 N—(CH 2 ) 3 —ΝΗ—(CH 2 ) 4 —ΝΗ—(CH 2 ) 3 —NH 2

Spermidin

Spermin

isoliert werden, deren K o n s t i t u t i o n , insbesondere auch auf dem Wege der S y n t h e s e , von DUDLEY (1926/27) sichergestellt wurde. Als Beispiel einer T r i a m i n o v e r b i n d u n g sei schließlich das dem G l y c e r i n nahestehende 1,2,3-Triaminopropan H 2 N—CH 2 —CH(NH 2 )—CH 2 —NH 2 angeführt. E s kann durch Reduktion von 1 , 2 , 3 - T r i n i t r o p r o p a n gewonnen werden und stellt ein dem G l y c e r i n sehr ähnliches v i s k o s e s ö l dar. ε) Die cyclischen A m i n e Die den cyclischen Ä t h e r n entsprechenden cyclischen A m i n e k o m m e n in F o r m ihrer D e r i v a t e z u m Teil natürlich v o r (ζ. B . P i p e r i d i n in den A l k a l o i d e n d e s P f e f f e r s , P y r r o l i d i n im P r o l i n , u s w . ; vgl. I I I , K a p ! 7, I , 1 u. I I I , 3 a ) . I h r e B e n e n n u n g erfolgt, ähnlich wie die der c y c l i s c h e n S ä u r e a m i d e (S. 3 4 5 ) , inkonsequenterweise d u r c h die E n d u n g -imin (ζ. B . Äthylen-imin), obgleich es sich bei ihnen n i c h t u m echte I m i n e m i t d o p p e l t g e b u n d e n e r = N H - G r u p p e (wie bei den A l d e h y d - und K e t i m i n e n ) , sondern u m s e k u n d ä r e a l i p h a t i s c h e A m i n e handelt. F ü r ihre Darstellung k o m m e n insbesondere z w e i allgemein gültige Verfahren in B e t r a c h t , die wir bereits kennengelernt h a b e n : 1. die H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g aus den H a l o g e n a l k y l - a m i n e n (S. 5 5 3 ) , die bei den freien B a s e n meistens s p o n t a n eintritt, und 2 . die thermische A m m o n i a k a b s p a l t u n g aus den halogen wasserstoffsauren Salzen der D i a m i n e (S. 5 5 7 ) . I n Analogie zu den c y c 1 i s c h e η Ä t h e r η (S. 4 2 3 ) zeigen die cyclischen A m i n e gegenüber den n o r m a l e n s e k u n d ä r e n A m i n e n ebenfalls ein e r h ö h t e s D i p o l m o m e n t u n d infolgedessen einen e r h ö h t e n S i e d e p u n k t , eine g e s t e i g e r t e W a s s e r l ö s -

Die cyclischen Amine

559

l i c h k e i t und eine merklich g r ö ß e r e B a s i z i t ä t (vgl. Tab. 27, 540). Dagegen verhalten sie sich in ihren chemischen Reaktionen, vom stark gespannten Ä t h y l e n i m i n (s. u.) abgesehen, den l i n e a r e n Verbindungen sehr ä h n l i c h . Insbesondere lassen sie sich in gleicherweise in N i t r o s a m i n e überführen oder nach v. BBAUN über die S ä u r e a m i d c h l o r i d e abbauen (Gleichung formulieren!). Die hierbei entstehenden P o l y m e t h y l e n d i h a l o g e n i d e werden häufig sogar auf diesem Wege dargestellt (vgl. S. 158). Einzel Verbindungen. Das einen D r e i r i n g enthaltende Äthylenimin Η zeichnet sich infolge seiner s t a r k e n R i n g s p a n n u n g wiederum durch eine b e s o n d e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t aus und hat auch t e c h n i s c h e s CH2—CH, I n t e r e s s e gefunden. Seine D a r s t e l l u n g geschieht nur nach der e r s t e n der angeführten Methoden durch i n n e r m o l e k u l a r e A l k y l i e r u n g der H a l o g e n ä t h y l - a m i n e (I), sowie neuerdings in prinzipiell gleicher Weise auch vom Ä t h y l e n o x y d aus über das Ä t h a n o l a m i n (III), das nach Überführung in den S c h w e f e l s ä u r e e s t e r (II) ebenfalls unter innermolekularer Alkylierung des Stickstoffs in Ä t h y l e n i m i n übergeht: CH.2—Hal

CH2X

Η

H H a

.-

U

I

CH 2 —Ο—SO a H

< _HlS0'

\ N H

ptr

QXT

Η

1 '",0 λ* Η II . III Von seinen Reaktionen ist vor allem die leichte Ö f f n u n g d e s R i n g s y s t e m s bemerkenswert, die, ähnlich wie beim Ä t h y l e n o x y d (S. 424), durch Anlagerung von W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n a l l e r A r t erfolgt und zur Synthese der ß-Subs t i t u t i o n s p r o d u k t e d e s Ä t h y l a m i n s verwandt werden kann:

c u /

CH,

+ Η,Ο

Η Ν\

/

+ NH

/

Äthanolamin

»

-NH,

\

/-ίττ /-~ιττ GH2" — C H ,

+

Athylendiamin 2X

.1 s! r

•6

y R—Ο—CH 2 —CH 2 —NH 2

R—S—CH 2 —CH 2 —NH 2

Hai—CH2—CH2—NH2

Aminoäther

Aminothioäther

Halogenäthylamin

Als K a t a l y s a t o r e n für alle diese Reaktionen sind S ä u r e n erforderlich, offenbar weil die Spaltung der C—N-Bindung auch hier am A m m o n i u m s t i c k s t o f f leichter erfolgt als am A m i n s t i c k s t o f f . Beim Erhitzen von Äthylenimin mit nur w e n i g S ä u r e findet g e g e n s e i t i g e A b s ä t t i g u n g der Äthyleniminomoleküle unter Bildung h o c h m o l e k u l a r e r P r o d u k t e statt:

/

N H

\

η C H a — CH2

1 Jn—2

ν

· · · HN—CH 2 —CH 2 —NH—CH 2 —CH 2 —NH—CH 2 —CH 2

Der Vierring des Trimethylen-imins ist erheblich w e n i g e r g e s p a n n t und entsteht daher bereits in geringer Ausbeute beim Erhitzen von s a l z s a u r e m T r i m e t h y l e n d i a m i n , doch geht man besser vom γ - C h l o r p r o p y l a m i n aus: ^CH 2 ;—NH 2 · HCl; CH2 X

L H

C H 2 — λ Ή · HCl

;

κ Cti^

-· Ν "· < Ι ) .

CH, X

CH2

/(

NH · HCl //


NH CH=CH/

, λ -π· y

CH«—CHo\ I >NH CH 2 —CH/

Auch das einen S e c h s r i n g enthaltende Piperidin (Pentamethylen-imin) kommt in der b e l e b t e n N a t u r vor, jedoch nur in Form der A m i d e u n g e s ä t t i g t e r a r o m a t i s c h e r C a r b o n s ä u r e n in den A l k a l o i d e n d e s P f e f f e r s (daher der Name, vgl. III, K a p . 7, I I I , 3a). Es kann, ähnlich wie das Pyrrolidin aus Putrescin, durch C y c l i s i e r u n g v o n C a d a v e r i n (Gleichung formulieren!) gewonnen werden, wird aber praktisch ebenfalls ausschließlich durch H y d r i e r u n g der entsprechenden a r o m a t i s c h - h e t e r o c y c l i s c h e n B a s e , des im Steinkohlenteer enthaltenen P y r i d i n s , dargestellt: /CH2—CH2\^ NH M3H 2 —0Η 2 /

Piperidin ist auf Grund dieser Reaktion nicht nur das am leichtesten zugängliche c y c l i s c h e sondern auch das am leichtesten zugängliche s e k u n d ä r e A m i n und dient daher in der Praxis neben D i ä t h y l a m i n häufig als s e k u n d ä r e s A m i n schlechthin (ζ. B. als K a t a l y s a t o r f ü r die C r o t o n a l d e h y d - K o n d e n s a t i o n , vgl. S. 247 u. 939). Eine d i s e k u n d ä r e c y c l i s c h e Base liegt im Piperazin vor. Es entsteht, ähnlich wie D i o x a n bei der Verätherung von Glykol, wenn man versucht, Ä t h y l e n d i a m i n durch Erhitzen des s a l z s a u r e n Salzes in eine cyclische Base zu verwandeln: ^NH2-HC1 H2C I 2

CH2 I CH2

+ x

NH 2 - HCl

HCl Λ·ΙΙχ

H!NH

HNH/ HCl

-2NH.C1

v

H2C CH2 | I H.C CH, \nH-" HCl

Piperazin hat seinen Namen auf Grund seiner Beziehungen zum P y r a z i n (S. 854) erhalten. Es unterscheidet sich, abgesehen von seinem gegenüber dem linearen d i s e k u n d ä r e n Amin gleicher K o h l e n s t o f f z a h l auffallend hohen Schmelz- und auch Siedepunkt:

Piperazin Ν,Ν'-Dimethyl-äthylendiamin (CH3—NH—CH2—CH2—NH—CH3)

Sdp.

Smp.

145° 119°

104°

ÖH- H /Ba(OH) a\ ! oder N(CH3)3+OH- \Fäulnis/ Cholin

H CH ± 2 5 a O H -,Η,Ο „ CH. — 2_VaBr, I I N(CH8)3+OHN(CHj)s+BrNeurin

CH,—Br CH I Br

Neurin ist das einzige n a t ü r l i c h v o r k o m m e n d e E n a m i n d e r i v a t und ein sehr s t a r k e s G i f t . Es greift, wie schon der Name sagt (veüpov = der Nerv), insbesondere das N e r v e n s y s t e m an und stellt einen wesentlichen Bestandteil der L e i c h e n g i f t e dar.

Darstellung aromatischer Amine

563

3. Die aromatischen Amine a) D a r s t e l l u n g u n d a l l g e m e i n e E i g e n s c h a f t e n Die eigentlichen aromatischen Amine, d. h. Aminoverbindungen, in denen die NH 2 -Gruppe d i r e k t a m B e n z o l k e r n steht, werden nach ihren einfachsten "Vertretern häufig auch als Anilinbasen bezeichnet. Sie kommen n i c h t n a t ü r l i c h vor, stellen aber eine t e c h n i s c h w i c h t i g e Körperklasse dar, weil sie sich, insbesondere über die D i a z o k ö r p e r , in fast alle anderen aromatischen Verbindungen überführen lassen und dadurch eine wichtige Z e n t r a l s t e l l u n g einnehmen. Für ihre Darstellung kommen in erster Linie die auf S. 536/37 unter 2 und 1 angeführten Reaktionen in Betracht, nämlich 1. die R e d u k t i o n a r o m a t i s c h e r N i t r o v e r b i n d u n g e n und 2. die direkte E i n f ü h r u n g d e r A m i n o g r u p p e in den aromatischen Kern. Daneben findet 3. in beschränktem Umfange auch der HoFMANisrsche oder C u R T i u s s c h e A b b a u aromatischer Carbonsäuren Anwendung. Zu 1. Die Reduktion von Nitroverbindungen steht im Gegensatz zur aliphatischen Reihe bei weitem a n e r s t e r S t e l l e , weil die Nitroverbindungen die am l e i c h t e s t e n z u g ä n g l i c h e n aromatischen Stickstoffverbindungen sind. Die Reaktion ist z i e m l i c h k o m p l i z i e r t und verläuft über m e h r e r e Z w i s c h e n s t u f e n , die mit allen möglichen N e b e n r e a k t i o n e n auf S. 651 f. eingehend beschrieben werden. Als R e d u k t i o n s m i t t e l dient meistens nascierender W a s s e r s t o f f , und zwar verwendet man präparativ Zink oder Zinn und k o n z e n t r i e r t e , technisch E i s e n und sehr v e r d ü n n t e Salzsäure. In letzterem Falle kommt man mit etwa 1 / 40 der molaren Säuremenge aus, da sich das entstehende dreiwertige Eisen infolge Hydrolyse als Oxydhydrat abscheidet, praktisch also alles Eisen direkt in das Oxyd übergeht (Gleichung formulieren!). Weitere technisch wichtige Verfahren sind die e l e k t r o l y t i s c h e R e d u k t i o n sowie neuerdings auch die k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g über K u p f e r als Katalysator bei hohen Wasserst off drucken und Temperaturen. Eine letzte Gruppe von Reduktionsmitteln liegt schließlich im S c h w e f e l w a s s e r s t o f f , S c h w e f e l a m m o n i u m oder den Alk a l i s u l f i d e n vor. Sie haben sich insbesondere für die p a r t i e l l e Reduktion von Polyn i t r o v e r b i n d u n g e n als geeignet erwiesen: /N02 xNH2

\

(NH.).S /

- '

v

/

\

\

/

X 02 N02 Zu 2. Die Einführung der Aminogruppe in den Benzolkern, d. h. die A r y l i e r u n g d e s A m m o n i a k s erfordert, wie alleArylierungsreaktionen(S. 167),ziemlich s c h a r f e B e d i n g u n g e n und gelingt erst beim Erhitzen von A r y l h a l o g e n i d e n mit A m m o n i a k unter D r u c k auf 150—250° in Gegenwart von K u p f e r p u l v e r oder anderen K u p f e r k a t a l y s a t o r e n : ;

V.a.fH-Mi2

< _ ; - W c r

Auch die Einführung eines z w e i t e n und d r i t t e n A r y l r e s t e s in das Ammoniakmolekül ist auf diesem Wege möglich. Da hierzu eine nochmalige (geringfügige) V e r s c h ä r f u n g d e r R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n erforderlich ist, kann man im Gegensatz zur aliphatischen Reihe die einzelnen Arylierungsstufen n a c h e i n a n d e r durchführen. Die Reaktion eignet sich insbesondere zur Überführung p r i m ä r e r in s e k u n d ä r e und s e k u n d ä r e r in t e r t i ä r e a r o m a t i s c h e A m i n e . Doch ist es in diesen Fällen zweckmäßig, die entstehende Salzsäure durch Zusatz von P o t t a s c h e , sowie in der Technik auch von C a l c i u m h y d r o x y d , zu binden (Gleichungen formulieren!).

Die Aminoverbindungen

564

In ähnlicher Weise wie die a l k o h o l i s c h e kann man auch die p h e n o l i s c h e H y d r o x y l g r u p p e durch Erhitzen der Phenole mit C h l o r z i n k a m m o n i a k , oder durch Leiten von P h e n o l - und A m m o n i a k d ä m p f e n über D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n (ζ. B. A1203), gegen die Aminogruppe austauschen: >—NH2

330·

\/

/ >—OH

400« "

\

\ /- N H

2

Beide Reaktionen erfordern gegenüber der aliphatischen Reihe eine um etwa 100° erh ö h t e T e m p e r a t u r , haben aber für die Darstellung der aromatischen Monamine keine praktische Bedeutung erlangt, zumal auch hier die primären, sekundären und tertiären Amine n e b e n e i n a n d e r entstehen. Geht man dagegen von den P o l y p h e n o l e n aus, insbesondere vom R e s o r c i n , P h l o r o g l u c i n und ihren Derivaten, so erfolgt der Austausch der Oxy- gegen die A m i n o g r u p p e in Umkehrung der auf S. 429 und 430 beschriebenen P h e n o l b i l d u n g s r e a k t i o n e n infolge der hier auftretenden K e t o - E n o l - und K e t i m i n - E n a m i n - T a u t o m e r i e wesentlich leichter ζ. T. bereits beim Behandeln mit k o n z e n t r i e r t e m A m m o n i a k : /OH /r~~~ Js, Tautomerie / HO— , 0=< V ^ / \ ^OH

JO \ Ν / ^O

NH,

/ , . - ' HN=< H.O, HCl \

/NH \ Tautomerie Λ > , H22 N — f / V; -NH

/

NH2

\

\NH2

Das gleiche gilt von den N a p h t h o l e n und O x y a n t h r a c h i n o n e n , die ebenfalls infolge einer gewissen A u f l o c k e r u n g des a r o m a t i s c h e n S y s t e m s relativ leicht in die Aminov e r b i n d u n g e n überführbar sind (vgl. z.B. S. 817).

Eine dritte Möglichkeit zur A r y l i e r u n g d e s S t i c k s t o f f s , die allerdings nur zur Einführung eines z w e i t e n A r y l r e s t e s in p r i m ä r e a r o m a t i s c h e A m i n e geeignet ist, liegt schließlich im g e m e i n s a m e n E r h i t z e n des salzsauren Salzes eines p r i m ä r e n a r o m a t i s c h e n A m i n s mit einem weiteren Mol der f r e i e n B a s e auf 2—300° vor. Die Reaktion stellt eine Art „ U m a r y l i e r u n g " dar und ist mit der Darstellung c y c l i s c h e r A m i n e durch thermische Zersetzung der salzsauren Salze von a l i p h a t i s c h e n D i a m i n e n vergleichbar (S. 557, 559): •NH2.HC1 + H—NH—


••>•—NH—
+ NHX1

Eigenschaften: Als wichtigster Unterschied gegenüber der aliphatischen Reihe fallen die außerordentlich h o h e n S i e d e p u n k t e der aromatischen Amine auf, die meistens sogar noch über denen der P h e n o l e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l (vgl. Tab. 12; S.221) liegen. Dagegen schmelzen sie s e h r n i e d r i g , so daß die n i e d e r e n G l i e d e r d e r R e i h e (mit wenigen Ausnahmen) bei normaler Temperatur f l ü s s i g sind (s. Tab. 29). Ihre Wasserlöslichkeit ist etwas g e r i n g e r als die der Phenole. I n ihrem chemischen Verhalten lassen die aromatischen Amine zwei größere Gruppen von Reaktionen erkennen: 1. die Umsetzungen der A m i n o g r u p p e und 2. die Reaktionen des a r o m a t i s c h e n K e r n s . Zu 1. Die Reaktionen der Aminogruppe zeigen gegenüber der aliphatischen Reihe k e i n e g r u n d s ä t z l i c h e n A b w e i c h u n g e n . Am auffallendsten ist die wesentlich g e r i n g e r e B a s i z i t ä t der aromatischen Amine, die auf den gleichen M e s o m e r i e e f f e k t der A r y l r e s t e zurückzuführen ist wie die A c i d i t ä t s e r h ö h u n g der Hydroxylgruppe in den P h e n o l e n (Näheres vgl. II, Kap. 3, III, 2). Diese Basizitätsverminderung hängt stark von der Zahl der am Stickstoff befindlichen A r y l r e s t e ab, da jeder hinzukommende Arylrest eine w e i t e r e B a s i z i t ä t s v e r m i n d e r u n g

Reaktionen der aromatischen Amine

565

bewirkt. So steigt z . B . der b a s i s c h e p i t - W e r t von durchschnittlich 4 in den a l i p h a t i s c h e n A m i n e n über 9—10 in den M o n o a r y l - und 13 — 14 in den D i a r y l - (vgl. Tabelle 27, S. 540) auf etwa 16 in den T r i a r y l - a m i n e n an. Letztere reagieren infolgedessen gegenüber Wasser n i c h t m e h r b a s i s c h . Diesen pk-Werten entsprechend n i m m t die Tendenz der Salze zur h y d r o l y t i s c h e n S p a l t u n g mit w a c h s e n d e m A r y l i e r u n g s g r a d zu. Während ζ. B. die wäßrigen Lösungen der aliphatischen Ammoniumsalze noch n a h e z u n e u t r a l reagieren, färben die Salzlösungen der M o n o a r y l a m i n e Lackmuspapier bereits r o t , und die Salze der D i a r y l a m i n e sind in wäßriger Phase (Schwerlöslichkeit der Base, Löslichkeit der Salze und Säuren) unter A u s f ä l l u n g d e r B a s e n stets v o l l s t ä n d i g g e s p a l t e n . Sie können n u r aus ä t h e r i s c h e r P h a s e (Löslichkeit der Säuren und Basen, Unlöslichkeit der Salze) erhalten werden und lassen sich bestenfalls in h o c h k o n z e n t r i e r t e n M i n e r a l s ä u r e n unzersetzt auflösen. Die T r i a r y l a m i n e bilden schließlich nur noch mit den a l l e r s t ä r k s t e n M i n e r a l s ä u r e n , wie z . B . P e r c h l o r s ä u r e , in Substanz herstellbare, in Wasser jedoch sofort h y d r o l y s i e r e n d e S a l z e . Ferner können sie in w a s s e r f r e i e r S c h w e f e l s ä u r e unter Salzbildung aufgelöst werden. Tabelle 29 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger aromatischer D/T. flüssig

Sdp.

Smp.

Anilin o-Toluidin m-Toluidin p-Toluidin

184° 201° 203» 200°

— 6° 1,022/20» —16» 0,999/20» —44° 0,989/20» + 45» 0,934/79»

2.3-Xylidin 2.4-Xylidin 2.5-Xylidin 2.6-Xylidin 3.4-Xylidin 3.5-Xylidin

222° 214° 218° 218» 226» 220°

Monomethyl-anilin Dimethyl-anilin Diäthyl-anilin o-Phenylendiamin 0,991/15» m-Phenylendiamin 0,978/20» p-Phenylendiamin 16» 0,979/21° Dimethyl-phenylendiamin 0,980/15» Benzidin 49» 1,076/fest Diphenylamin 0,994/0» Triphenylamin

Amine D/T. flüssig

Sdp.

Smp.

194» 193» 217» 257» 283» 267» 262» 405» 302» 348»

—57» 0,987/20» 2° 0,956/20° —38» 0,935/20» 104» 63° 1,139/17° 140» 41» 1,041/15» 128» 1,251/fest 54» 1,159/fest 127»

Mit der V e r m i n d e r u n g d e r B a s i z i t ä t des Stickstoffs läuft eine E r h ö h u n g d e r A c i d i t ä t der a m Stickstoff befindlichen H-Atome parallel. Man kann die M e t a l l a m i d e d e r a r o m a t i s c h e n A m i n e daher auch direkt aus den f r e i e n A m i n e n durch Umsetzen mit N a t r i u m a m i d , ζ. B. in flüssigem Ammoniak oder ü b e r s c h ü s s i g e m A m i n als Lösungsmittel, gewinnen: -

»

NHNa + NH3

Die Reaktion ist mit der Auflösung von P h e n o l e n in N a t r o n l a u g e vergleichbar.

Von den S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n des A m i n o w a s s e r s t o f f s nehmen einen etwas andersartigen Verlauf als in der a l i p h a t i s c h e n Reihe einerseits die Einwirkung von s a l p e t r i g e r Säure auf primäre A m i n e , die zu den in der aromatischen Reihe beständigen D i a z o v e r b i n d u n g e n führt (vgl. S. 616f.), andererseits die Einwirkung von S c h w e f e l k o h l e n s t o f f , die über die Anlagerung zu den Aryld i t h i o c a r b a m i d s ä u r e n (I) hinaus sofort weiter zu den S e n f ö l e n (III) führt. Aber auch diese sind unter den Reaktionsbedingungen noch n i c h t b e s t ä n d i g und lagern sofort noch unverändertes Amin zu den D i a r y l - t h i o h a r n s t o f f e n (II) an. Die Senföle (III) lassen sich daher nur s e k u n d ä r aus diesen Diarylthioharnstoffen durch W i e d e r a b s p a l t u n g e i n e s A m i n r e s t e s mittels Salzsäure gewinnen: 37

Klages,

Lehrbuch der Organischen Chemie

1,2

Die Aminoverbindungen

566

/S

Ar—NH2 + S = C = S

ν I Ar—X—CT

\

|

— H

a



S

| Ar—X=C=S |

Η SH, Ι.

HI

Ar—XH 4- A r N H ,

\

>C=S Ar—XH

-f H C l

-ΑΓ-.ΝΗ,.ΗΠ*

II

.







Ar-X=C=S III

In g l e i c h e r W e i s e wie in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e verlaufen: a) die A l k y l i e r u n g und A c y l i e r u n g d e r A m i n o g r u p p e . Erstere führt ebenfalls zu den q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e n als Endprodukten, bei deren Zersetzung nach A. W. H O F M A N N stets nur die A l k y l g r u p p e n abgespalten werden: • Ar-XH2 + 3 H a l - R

(2Na0HV

[Ar-XR3]+Har

Ar-XR2 + R-OH

Die a c y l i e r t e n a r o m a t i s c h e n A m i n e werden in Analogie zu den S ä u r e a m i d e n Anilide genannt. b) die I s o n i t r i l r e a k t i o n der p r i m ä r e n A m i n e . c) die X i t r o s a m i n b i l d u n g der s e k u n d ä r e n A m i n e . d) die A m i n o x y d b i l d u n g der t e r t i ä r e n A m i n e . e) soweit es sich um g e m i s c h t - a l i p h a t i s c h - a r o m a t i s c h e Amine handelt, die verschiedenen Spaltungsreaktionen der X - A l k y l - B i n d u n g nach v. B R A U N .

Eine h y d r o l y t i s c h e A b s p a l t u n g der aromatisch gebundenen Aminogruppe gelingt durch Einwirkung von S ä u r e n oder Z i n k c h l o r i d in w ä ß r i g e r L ö s u n g bei 280—290°. Diese gegenüber den aliphatischen Aminen deutlich g e s t e i g e r t e L a b i l i t ä t der C—N-Bindung ist wahrscheinlich auf die ersten Anfänge einer K e t i m i n - E n a m i n - T a u t o m e r i e zurückzuführen: S — X H 2 • HCl

\ = N H · HCl)

^

/=°) — \

1°H

+

NH4C1

Wie uns das Beispiel der Darstellung von R e s o r c i n und P h l o r o g l u c i n aus den entsprechenden A m i n o v e r b i n d u n g e n (vgl. S. 429f.) zeigt, nimmt in Übereinstimmung mit dieser Annahme die Leichtigkeit der hydrolytischen Spaltung mit der Z a h l der Aminogruppen und der dadurch bedingten E r h ö h u n g der Neigung zu K e t i m i n - E n a m i n - T a u t o m e r i e zu. Eine weitere Möglichkeit einer allerdings i n d i r e k t e n hydrolytischen Abspaltung der Aminogruppe stellt die auf S. 621 beschriebene P h e n o l v e r k o c h u n g d e r D i a z o n i u m s a l z e dar: 3 )—X=N

H20

>-
—NH2 + 5 H N 0 3

- K o n ^?;?° < ->

0 2 N—


,"Η

Ν 0=CC X

ΛΉ ^ CHS-C-CHJ XCH3 Triacetonr.min

E s zeigt k e i n e r l e i Neigung zur Verharzung mehr und hat wegen seiner dem T r o p i n o n (III, Kap. 7, I I I , 5a) ähnlichen Molekülgestalt pharmazeutische Bedeutung erlangt, da einigs seiner Derivate eine den entsprechenden Tropinonderivaten analoge p h y s i o l o g i s c h e AVirks a m k e i t zeigen und daher als k ü n s t l i c h e A l k a l o i d e Verwendung finden. D i e aromatischen Aminoaldehydc u n d -ketone m i t einer p r i m ä r e n A m i n o g r u p p e im Molekül k ö n n e n i m G e g e n s a t z zur a l i p h a t i s c h e n R e i h e zwar in Substanz, isoliert werden, v e r ä n d e r n sich a b e r b e i m A u f b e w a h r e n i m m e r n o c h sehr r a s c h u n d f i n d e n d a h e r n u r gelegentliche V e r w e n d u n g zu s y n t h e t i s c h e n R e a k t i o n e n (vgl. z . B . die C h i n o l i n s y n t h e s e v o n FRIEDLÄNDER, S . 8 4 7 ) . E r s t die V e r b i n d u n g e n m i t t e r t i ä r e n A m i n o g r u p p e n , wie e t w a der p-Dimethylamino-benzaldehyd ( C H 3 ) 2 N — C e H 4 — C H O , sind wirklich b e s t ä n d i g . Die wichtigste Verbindung dieser R e i h e i s t das a u s D i m e t h y l a n i l i n u n d P h o s g e n (bzw. neuerdings a u c h K o h l e n d i o x y d , vgl. S . 9 3 3 ) m i t Z i n k c h l o r i d (bzw. A1C13) als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l l e i c h t d a r s t e l l b a r e p,p'-Bisdimethylamino-benzophenon (MICHLERS Keton): ( C H J J N — \ - X ( C H

3

)

2

Miclilers K e t o n

E s dient in der F a r b e n i n d u s t r i e als Z w i s c h e n p r o d u k t (vgl. III, K a p . 2 , I I I , 2 b ) u n d zeigt a u f G r u n d der R e g e l v o n ANGELI (vgl. II, K a p . 3 , I I I , 2) eine d e u t l i c h e gegenseitige A b s c h w ä c h u n g der R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der O x o g r u p p e einerseits u n d der D i m e t h y l a m i n o g r u p p e andererseits.

Die Aminoverbindungen

580

d) Die A m i n o c a r b o n s ä u r e n Die wichtigsten sauerstoffhaltigen Aminoverbindungen sind die Aminocarbonsäuren (meistens kurz Aminosäuren genannt), die einerseits als Bausteine der Eiw e i ß k ö r p e r (vgl. III, Kap. 7, I, 1), andererseits als Muttersubstanzen einiger sich sekundär von ihnen ableitender Verbindungsklassen von Interesse sind. Sie zeigen in ihrem allgemeinen Verhalten eine gewisse Ähnlichkeit mit den O x y c a r b o n s ä u r e n und werden wie diese auf Grund der gegenseitigen Stellung von A m i n o - und Carb o x y l g r u p p e unterteilt. Oi) Die 1,2- oder α-Aminocarbonsäuren Die «-Aminocarbonsäuren sind die eigentlichen E i w e i ß b a u s t e i n e und daher bei weitem am wichtigsten. Für ihre Darstellung wurde — abgesehen von ihrer Gewinnung aus N a t u r p r o d u k t e n , insbesondere bei der E i w e i ß h y d r o l y s e — •eine große Anzahl von Methoden entwickelt, die auf den folgenden drei Reaktionen beruhen: 1. der E i n f ü h r u n g d e r A m i n o g r u p p e in ein Carbonsäuremolekül, 2. der gleichzeitigen Einführung der A m i n o - und der C a r b o x y l g r u p p e in ein Aldehydmolekül und 3. der E i n f ü h r u n g e i n e s o r g a n i s c h e n R e s t e s in eine niedrigere Aminocarbonsäure. Zu 1. Die Einführung der Aminogruppe gelingt am einfachsten durch Umsetzung der durch H a l o g e n i e r u n g von F e t t s ä u r e n leicht zugänglichen oc-Halogenfetts ä u r e n (S. 314, 379) mit A m m o n i a k : H2N—;H + Cl—iCHR—COOH

H 2 N—CHR—C00NH 4

Als Nebenprodukte entstehen hierbei in mehr oder weniger großer Ausbeute die s e k u n d ä r e n (HOOC—CHR—)2NH und t e r t i ä r e n A m i n o c a r b o n s ä u r e n (HOOC—CHR—)3N, deren Bildung man jedoch durch überschüssiges A m m o n i a k , meistens durch Verwendung einer konzentrierten wäßrigen Ammoniaklösung als Reaktionsmedium, weitgehend zurückdrängen kann. Zuweilen empfiehlt sich auch •das Arbeiten mit P h t h a l i m i d k a l i u m nach G A B R I E L (S. 551). Eine weitere interessante Möglichkeit zur Einführung der Aminogruppe besteht in der R e d u k t i o n der s t i c k s t o f f h a l t i g e n D e r i v a t e d e r O x o g r u p p e von a - K e t o c a r b o n s ä u r e n , insbesondere der O x i m e und H y d r a z o n e (Gleichungen formulieren!). Die Reaktion konnte neuerdings auch über die I m i n e , die sich intermediär bei der Hydrierung eines Gemisches von B r e n z t r a u b e n s ä u r e und A m m o n i a k über Palladium als Katalysator bilden, durchgeführt werden: Ο / NH \ NH 2 H„C—C—COOH

\H 3 C—C—COOH)

H3C—CH—COOH

Sie stellt damit eine M o d e l l r e a k t i o n der ebenfalls über die α - K e t o c a r b o n s ä u r e n verlaufenden b i o c h e m i s c h e n A m i n o s ä u r e s y n t h e s e dar (vgl. III, Kap. 8, III).

Zu 2. Die g l e i c h z e i t i g e Einführung einer Amino- und einer Carboxylgruppe in •ein A l d e h y d m o l e k ü l gelingt nach S T R E C K E R in der bereits auf S . 239 beschriebenen Weise durch Kombination der C y a n h y d r i n s y n t h e s e mit der B i l d u n g d e r A l d e h y d i m i n e , indem man den um ein C - A t o m ä r m e r e n A l d e h y d mit Amm o n i u m c y a n i d (bzw. B l a u s ä u r e und überschüssigem A m m o n i a k ) behandelt: κΝΗ2 κΝΗ2 R — C H = 0 + XH 3

• (R—CH=NH)

+

R—CH \

Hydrolyse^ C=N

R

_

C H

\

COOH

Die α-Aminocarbonsäuren

581

Zu 3. Zur Verlängerung des Alkylrestes der einfachsten Aminosäure, des Glycins (S. 585), hat E R L E N M E Y E R J U N . ein sehr interessantes Verfahren entwickelt, das auf dem gleichen Prinzip wie die PERKiwsche Z i m t s ä u r e s y n t h e s e (S. 370) beruht. Allerdings würde die Aminogruppe des Glycins bei dieser Reaktion stören. Man geht daher vom b e n z o y l i e r t e n G l y c i n (I), der H i p p u r s ä u r e (S. 585), oder auch vom A c e t y l g l y c i n , der A c e t u r s ä u r e (formulieren!), aus, die beide im Verlaufe der Reaktion unter der Einwirkung von A c e t a n h y d r i d als Kondensationsmittel ein Azlacton genanntes c y c l i s c h e s S ä u r e a n h y d r i d (II) bilden. Erst in diesem sind die / 5 - s t ä n d i g e n Η - A t o m e genügend aktiviert, um im Sinne der Z i m t s ä u r e s y n t h e s e mit dem Aldehyd (der im Gegensatz zurCyanhydrinsynthese zwei C - A t o m e w e n i g e r enthält als die zu bildende Aminosäure) zu kondensieren, und man braucht schließlich in dem K o n d e n s a t i o n s p r o d u k t I I I lediglich die entstandene C = C - D o p p e l b i n d u n g zu hydrieren und den B e n z o y l (bzw. A c e t y l - ) r e s t wieder abzuspalten, um zu der gewünschten gesättigten Aminosäure zu gelangen: C6H6—CO;—C1 +

H N H

C.HJ—CO—NH

HOOC— C = N

0
C= N

0. R — N H — O H

^Reduktion

-no2

Die ß-Monoalkylhydroxylamine sieden infolge der Anwesenheit der stark assoziierenden Hydroxylgruppe wesentlich höher als die «-Verbindungen (z.B. N-Methylhydroxylamin: Sdp. 63°/15 mm) und sind auch in ihrem chemischen V e r h a l t e n dem freien Hydroxylamin viel ähnlicher. Insbesondere wirken sie auf Grund ihrer Dehydrierbarkeit zu den Nitrosoverbindungen: R—NH—OH

-H,

>

R—N=0

ebenfalls stark reduzierend und erleiden oberhalb 100° stürmische bis explosible Zersetzung. Eine h y d r o l y t i s c h e Abspaltung des Alkylrestes ist, im Gegensatz zu den «-Verbindungen, n i c h t möglich. Die β,ß-Dialky Ihydroxylamino (III) können in nicht ganz durchsichtiger Reaktion durch Einwirkung m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n auf N 0 2 erhalten werden. Zur Darstellung besser geeignet ist die Reaktion von A l k y l n i t r a t e n (I) mit drei oder von N i t r o p a r a f f i n e n (II) mit zwei Molekülen einer GRiGNARD-Verbindung: / O

^o + R—Me (Hydrolyse)

' "

M"

1

K-N

OR') xO:Me I

/ Ü

R 2 N—0:H III

0M"

>.

R

_.X II

-H.

,0 _+ E—Me - R O.Mc * \ 0 Θ

R2—x=o

(R—N=0) Sekundärprodukte

592

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

Sie sind, wie in den Formeln bereits angegeben, über das Ammoniumion noch dehydrierbar und wirken daher ebenfalls reduzierend.

Die quartären Trialkyl-hydroxylammonium-Ionen sind zwar in mancher Hinsicht den T e t r a a l k y l a m m o n i u m - I o n e n ähnlich, unterscheiden sich aber in ihrer w i c h t i g s t e n E i g e n s c h a f t , dem Verhalten gegenüber den stark basischen H y d r o x y l i o n e n , grundlegend von ihnen, da sie, wenn auch nicht am Stickstoff, so doch am b e n a c h b a r t e n S a u e r s t o f f noch ein leicht abdissoziierendes H - A t o m enthalten. Infolgedessen sind sie gegenüber Hydroxylionen n i c h t b e s t ä n d i g und gehen mit ihnen sofort unter Protonenabgabe in die n e u t r a l e n A m i n o x y d e über Die Reaktion verläuft wie alle Protonenübergänge r e v e r s i b e l , so daß die T r i a l k y l h y d r o x y l a m m o n i u m s a l z e zu den A m i n o x y d e n in dem gleichen Verhältnis stehen, wie die Salze der A m i n b a s e n zu den freien A m i n e n : R\ g R-A R—Ν—OH

W

+ O H " (— Η.Ο)

,.

R

\

©

Θ

rAn-o

έ/

+ H+

Die Trialkylhydroxylammoniumsalze weisen daher eine D o p p e l n a t u r auf. Sie sind einerseits die q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e d e s H y d r o x y l a m i n s , andererseits die normalen, d. h. durch Anlagerung eines Säuremoleküls entstehenden S a l z e d e r Aminoxyde. 2. Die Trialkylaminoxyde Das u n s u b s t i t u i e r t e A m i n o x y d stellt eine Z w i t t e r i o n e n f o r m des H y d r o x y l a m i n s d a r und steht, da der Übergang zwischen beiden Formen im Rahmen einer Protonenwanderung u n m e ß b a r r a s c h erfolgt, zu diesem im Verhältnis der T a u t o m e r i e (vgl. auch anorg. Lehrbücher): Η

w

;N—OH

^

-

Ηχ H—N^O

w

Im Gegensatz zu den A m i n o c a r b o n s ä u r e n ist hier jedoch praktisch ausschließlich die u n g e l a d e n e H y d r o x y l a m i n f o r m im Gleichgewichtsgemisch vorhanden, und der exakte Nachweis der Anwesenheit der Aminoxydform steht noch aus. Man kann daher beim H y d r o x y l a m i n s e l b s t und auch bei seinen N - A l k y l d e r i v a t e n kaum mehr von einer Tautomerie sprechen, sondern in der in II, Kap. 5, I definierten Weise lediglich von dem V e r s c h w i n d e n e i n e r I s o m e r i e m ö g l i c h k e i t . Die Bildung b e s t ä n d i g e r A m i n o x y d d e r i v a t e ist daher erst möglich, wenn am Stickstoff k e i n W a s s e r s t o f f mehr steht. Die einfachsten Verbindungen, bei denen dies der Fall ist, sind die v o l l s t ä n d i g a l k y l i e r t e n T r i a l k y l a m i n o x y d e R3N->-0, in denen wir das erste Beispiel der auf S. 533 erwähnten Stickstoffverbindungen kennenlernen, deren k o h l e n s t o f f f r e i e G r u n d v e r b i n d u n g e n nicht existenzfähig sind. Infolge dieser Verhältnisse ist die Darstellung der Trialkylaminoxyde ebensowenig durch d i r e k t e A l k y l i e r u n g d e s A m i n o x y d s möglich, wie die der E n o l ä t h e r durch d i r e k t e A l k y l i e r u n g d e r E n o l e , sondern sie muß auf einem Umweg erfolgen. Hierfür kommen insbesondere z w e i V e r f a h r e n in Betracht, die wir bereits kennengelernt haben: 1. die A n l a g e r u n g e i n e s O - A t o m s a n t e r t i ä r e A m i n e , die man fast ausschließlich mittels H y d r o p e r o x y d s oder anderer P e r o x y v e r b i n d u n g e n durchführt (vgl. S. 556) : R3NI + 0 • R3N-+0

Die organischen Derivate des Hydrochxylamins

593

2. die nachträgliche „Polarisierung" der Ν — Ο - B i n d u n g des Hydroxylamins zu einer s e m i p o l a r e n B i n d u n g , die man in der oben beschriebenen Weise über die q u a r t ä r e n T r i a l k y l - h y d r o x y l a m m o n i u m s a l z e in zwei Stufen vornimmt: a) der A u f l a d u n g des S t i c k s t o f f s durch Bildimg des Trialkyl-hydroxylammoniumions und b) der e n t g e g e n g e s e t z t e n A u f l a d u n g des S a u e r s t o f f s durch Abspaltung des Protons mittels Hydroxylionen: R

R

R

Ν—OH + R—Hai

\ S ; R-X-OH

+

ν

Κ

\

X >0

R /

R /

Eigenschaften .Die Aminoxyde weisen infolge des durch d i e s e m i p o l a r e B i n d u n g bedingten Z w i t t e r i o n e n c h a r a k t e r s ein sehr h o h e s D i p o l m o m e n t auf und sind daher in Anbetracht ihrer Molekülgröße sehr h o c h s c h m e l z e n d e und s i e d e n d e Verbindungen, die nur im Vakuum unzersetzt destilliert werden können und in W a s s e r sehr leicht l ö s l i c h sind. Chemisch zeichnen sie sich insbesondere durch die erwähnte Fähigkeit zur S a l z b i l d u n g m i t S ä u r e n aus, die auf der Protonenaffinität des n e g a t i v g e l a d e n e n S a u e r s t o f f s (analog der Basizität der A l k o h o l a t i o n e n ) beruht: R\ © Θ R—Ν->·0 + H r /

R

\ ©

R--N—OH RX

Doch ist die B a s i z i t ä t infolge der Nachbarstellung des positiv geladenen Stickstoffs nur g e r i n g (vgl. II, Kap. 3, I, 5). Die Aminoxyde können sowohl r e d u z i e r e n d als auch o x y d i e r e n d wirken. Als R e d u k t i o n s m i t t e l treten sie insbesondere gegenüber S c h w e r m e t a l l i o n e n in a l k a l i s c h e r L ö s u n g auf, ζ. B. gegenüber F E H L I N G scher Lösung oder a m m o n i a k a l i s c h e r S i l b e r s a l z l ö s u n g . Sie reagieren hierbei grundsätzlich anders als das f r e i e H y d r o x y l a m i n , da eine D e h y d r i e r u n g d e s S t i c k s t o f f s n i c h t m ö g l i c h ist. Der Angriff des Oxydationsmittels muß also an den A l k y l r e s t e n erfolgen, doch sind die Einzelheiten des Reaktionsverlaufes noch nicht geklärt. Die Oxydationswirkung ist eine gemeinsame Eigenschaft aller Verbindungen und insbesondere aller Stickstoffverbindungen mit s e m i p o l a r g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f (ζ. B. der Aminoxyde, der Salpetersäure, des Nitrobenzols, der Sulfoxyde usw.) und beruht wahrscheinlich auf der H y d r i e r b a r k e i t d e r Ν — 0 - B i n d u n g , ist also der des H y d r o p e r o x y d s ähnlich. Insbesondere können die Trialkylaminoxyde durch Z i n k s t a u b und E i s e s s i g reduziert werden und setzen aus saurer Jodkaliumlösung J o d i n F r e i h e i t (Gleichungen formulieren!). Trlmethylaminoxyd, das Anfangsglied der Reihe, kommt im Fleisch von H a i f i s c h e n , H u m m e r n und anderen S e e t i e r e n natürlich vor. Es ist w a s s e r f r e i eine bei 208° schmelzende und bei 180°/10—12 mm sublimierende Substanz, die sich jedoch nur s c h w e r e n t w ä s s e r n läßt und meistens in Form eines H y d r a t e s kristallisiert. Seine B a s i z i t ä t entspricht mit einem p^-Wert von 9,4 etwa der des A n i l i n s . Auch bei anderen natürlichen t e r t i ä r e n A m i n e n , insbesondere einigen A l k a l o i d e n , nimmt man heute an, daß sie auch in Form der N - O x y d e natürlich auftreten.

3. Die aromatischen Derivate des Hydroxylamins In der aromatischen Reihe sind lediglich die / ? - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e des H y d r o x y l a m i n s bekannt. Von größerem Interesse sind insbesondere die Monoarylhydroxylamine, die als Zwischenprodukte bei der Reduktion der N i t r o v e r b i n d u n g e n auftreten und infolge ihrer großen Reaktionsfähigkeit die Lenkung des

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

594

Reduktionsverlaufes in v e r s c h i e d e n e R i c h t u n g e n gestatten (vgl. S. 651 f.). Ihre Darstellung erfolgt auschließlich durch vorsichtige p a r t i e l l e R e d u k t i o n von N i t r o v e r b i n d u n g e n in neutraler Lösung, die man meistens mit Z i n k s t a u b und S a l m i a k l ö s u n g , aber auch mit a m a l g a m i e r t e m A l u m i n i u m und A l k o h o l e n (oder f e u c h t e m Ä t h e r ) durchführt:

O-*02

O-NH-OH

Eine weitere interessante Bildungsweise beruht auf der O x y d a t i o n primärer a r o m a t i s c h e r A m i n e mittels S u l f o - m o n o p e r s ä u r e . Sie führt in Analogie zur Oxydation tertiärer Amine (S. 592) zunächst zu einem A m i n o x y d , das sich anschließend sofort in die tautomere Hydroxylaminform umlagert (Gleichung formulieren!). Dagegen ist eine direkte A r y l i e r u n g des H y d r o x y l a m i n s infolge der Reaktionsträgheit der Arylhalogenide n i c h t m ö g l i c h , da sie viel zu hohe Temperaturen erfordern würde.

Das Phenylhydroxylamin als wichtigstes Beispiel eines Mono-arylhydroxylamins ist eine schön kristallisierende, doch im allgemeinen s e h r z e r s e t z l i c h e Substanz, die auch in r e i n e m Z u s t a n d nur w e n i g e T a g e im Exsikkator aufbewahrt werden kann. Insbesondere in Anwesenheit von F e u c h t i g k e i t tritt rasch Oxydation durch Luftsauerstoff ein, die zur Bildung von N i t r o s o b e n z o l und von diesem aus mit einem zweiten Molekül Phenylhydroxylamin zum A z o x y b e n z o l (Näheres siehe unter 4c) führt: \_NH_OH

< ^ > - N = 0

+ H

°

Die chemische Reaktionsfähigkeit der Mono-arylhydroxylamine ist außerordentlich vielseitig und umfaßt die folgenden v i e r G r u p p e n von Reaktionen, die wir zum Teil bereits kennengelernt haben: 1. die soeben erwähnte Dehydrierung zur Nitrosoverbindung, die außer mit Luftsauerstoff auch mit anderen Oxydationsmitteln, wie z.B. B i c h r o m a t - S c h w e f e l s ä u r e , durchgeführt werden kann. 2. die Reduzierbarkeit zum Amin, die als Teilreaktion bei der Darstellung der aromatischen Amine aus Nitroverbindungen eine wichtige Rolle spielt und zur Vermeidung von Nebenreaktionen am besten in s c h w a c h s a u r e m M e d i u m vorgenommen wird (vgl. S. 651 f.). 3. die durch s t a r k e M i n e r a l s ä u r e n katalysierte Umlagerung in p-Aminophenole (vgl. S. 578). Die Tendenz zur Wanderung der Hydroxylgruppe an den Kern ist hierbei so groß, daß sie auch bei b e s e t z t e r p - S t e l l u n g unter Bildung von C h i n o l - i m i n e n (I), bzw. nach deren, in dem sauren Reaktionsmedium spontan erfolgender Hydrolyse, von C h i n o l e n (II) (vgl. S.298) vor sich geht: JJ

XH

OH

Q

3

\=NH

Hydro y5

' g->

HO

4. eine Reihe von Kondensationsreaktionen, bei denen die Arylhydroxylamine sowohl in der H y d r o x y l a m i n f o r m als sekundäre Amine, als auch in der A m i n o x y d f o r m als Derivate primärer Amine in Reaktion treten. Ersteres ist insbesondere der Fall bei: a) der aus zwei Molekülen des Hydroxylamins in alkalischem Medium unter Wasserabspaltung erfolgenden B i l d u n g e i n e s A z o k ö r p e r s (vgl. S. 630):

Die aliphatischen Derivate dea Hydrazins Η

HO.

+

\

N-

OH

595

>—X=X-

Η

b) der Bildung echter Nitrosamine bei der Einwirkung von salpetriger Säure (Näheres vgl. S. 603): OH OH -X

H

11 + HO— NO

'° !

Dagegen beobachtet man eine Reaktion der A m i n o x y d f o r m bei: c) der ebenfalls in a l k a l i s c h e m M e d i u m stattfindenden Kondensation mit N i t r o s o v e r b i n d u n g e n , die zur Bildung von A z o x y k ö r p e r n führt und als Teilreaktion der a l k a l i s c h e n R e d u k t i o n v o n N i t r o v e r b i n d u n g e n gleichzeitig deren wichtigste Darstellungsweise ist (vgl. S. 632): XU, + 0

X

\

-H.O.

/

Ο "

>—X=X—
—CH=N—N=CH—/ I

±-5=? A -V HY ^ 0L G E ,V

CH=N—N=CH II

Hal-

R-NH-NH,

— H—Hai

2. für die Darstellung der sym-Dialkylhydrazine (auch Ν,N- Dialkylhydrazine oder Hydrazoparaffine1) genannt) die Alkylierung der s y m - D i a c y l h y d r a z i n e mit anschließender W i e d e r a b s p a l t u n g d e r A c y l r e s t e : A

W

/Ac -




Ή

-

Ν/


- / 2 R

N — N = N — N :

') Die Bildungswärme der Ν—N-Bindung beträgt nur 28 kcal gegenüber einem Werf von 82,7 kcal für die C—C-Bindung (vgl. Tabelle in II. Kap. 2, I, 6). 39

Kl ages,

Lehrbach

d e r O r g a n i s c h e n C h e m i e I, 2

Hydroxylamino-, Hydrazine-, Diazoverbindungen usw.

598

Bei der Einwirkung von s a l p e t r i g e r Säure auf M o n o a l k y l h y d r a z i n e entstehen in Analogie zum Verhalten des Hydrazins selbst die Alkylderivate der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e (S. 636), während die T r i a l k y l h y d r a z i n e als s e k u n d ä r e Stickstoffverbindungen in Mtrosohydrazine mit drei a n e i n a n d e r g e b u n d e n e n N-Atomen übergehen. Sie stellen den Nitrosaminen ähnliche gelbe Flüssigkeiten dar:

Ο

Η

ο ττ ο Θ Θ — R — N = N = N

R—N—NH 2 + HO—IN

N .N—NC

;H + HO- NO

R

R

N=0

-H,Q.

\R

R

5. Die aromatischen Derivate des Hydrazins •Ähnlich, wie die A r y l h y d r o x y l a m i n e sind auch die A r y l d e r i v a t e des H y drazins leichter zugänglich und wesentlich r e a k t i o n s f ä h i g e r als die aliphatischen Vertreter der Reihe, so daß sie zum Teil t e c h n i s c h e B e d e u t u n g erlangt haben. Ihre Darstellung erfolgt wegen der L a b i l i t ä t des H y d r a z i n s y s t e m s nicht durch Arylierung des Hydrazins oder seiner Derivate, sondern ausschließlich durch V e r k n ü p f u n g der (gegebenenfalls) bereits a r y l i e r t e n N - A t o m e . a) D i e M o n o - a r y l h y d r a z i n e Für die Darstellung der Mono-arylhydrazine kommt praktisch ausschließlich die p a r t i e l l e R e d u k t i o n der aromatischen D i a z o v e r b i n d u n g e n in Betracht, die bei der Einwirkung von Z i n n - I I - c h l o r i d und S a l z s ä u r e , sowie insbesondere von N a t r i u m s u l f i t (Näheres vgl. S. 625), auf der Stufe des A r y l h y d r a z i n s stehen bleibt: ®

-N=N

1

+

- I - 2 TT

//

\ )—NH—NH 2 + H+

Die Mono-arylhydrazine sind den aromatischen A m i n e n ähnliche, doch etwas labilere und im allgemeinen nur im Vakuum unzersetzt destillierende Substanzen, die sich an der Luft rasch braun färben. Sie sind zu den folgenden s e c h s Gruppen von Reaktionen befähigt: 1. zur Salzbildung mit Säuren, bei der sie infolge des Vorliegens einer nicht aromatisch substituierten Aminogruppe etwas stärker b a s i s c h reagieren als die Monoarylamine (vgl. Tab. 27, S. 540). Doch besitzt ohne Zweifel auch die aryl i e r t e A m i n o g r u p p e eine gewisse Basizität, so daß man neben den Ionen ©

Ar—NH—NH3 in geringem Umfang auch mit der Anwesenheit der Ionen ®

Ar—NH2—NH2 rechnen muß. Diese Basizität reicht aber n i c h t mehr zur Bildung r

©

©

Ί++

_

von wasserbeständigen Di-oniumsalzen der Formel [Ar—NH2—NH3J Hai 2 aus. 2. zu Kondensationsreaktionen der NH2-Gruppe. Hierher gehört vor allem die Bildung der Arylhydrazone der Oxoverbindungen (S. 288), der Arylhydrazide der Carbonsäuren und der Arylosazone der 1,2-Oxy-oxo- bzw. - D i o x o - V e r b i n d u n g e n (S. 433. 439).

Die aromatischen Derivate des Hydrazins

599

3. zu Kondensationsreaktionen der Ar-NH- Gruppe. Sie werden nur eel ten beobachtet. Als Beispiel sei die bei der Einwirkung von s a l p e t r i g e r Säure eintretende Bildung von a-Nitroso-arylhydrazinen angeführt, die als echte Nitrosamine eine gelbe Farbe aufweisen und durch Wasserabspaltung unter Mitbeteiligung auch der zweiten Aminogruppe in die A r y l a z i d e übergeführt werden können: Η

NO

Ar—N—NH2 + HO—iNO

- H.O



Ar—N—NH,

— H.O (undurchsichtig)'

©

Θ

Ar—N=N=N

Eine weitere derartige Kondensationsreaktion wird auf S. 638 beschrieben.

4. zu Ringschlußreaktionen unter Kondensation b e i d e r Aminogruppen. Insbesondere die mit A c e t e s s i g e s t e r eintretende Bildung von P y r a z o l d e r i v a t e n (Näheres vgl. S. 496, 882) h a t große praktische Bedeutung erlangt. 5. zu Oxydationg- bzw. Dehydrierungsreaktionen, die im Gegensatz zur aliphatischen Reihe unter Bildung d e f i n i e r t e r R e a k t i o n s p r o d u k t e durchgeführt werden können. So läßt sich ζ. B. Phenylhydrazin mit K u p f e r - I I - I o n e n in schwach e s s i g s a u r e r L ö s u n g in glatter Reaktion zum unbeständigenPhenyl-diimin(I) dehydrieren, das sofort sekundär in Stickstoff und Benzol zerfällt:

Η Η: •Ν—NH

-Η,

N=NH

V - H + N=N

In stark saurer Lösung mit Q u e c k s i l b e r o x y d als Oxydationsmittel geht die Reaktion noch eine Stufe weiter, und es wird das Phenylhydrazin unter Abspaltung von zwei Molekülen W a s s e r s t o f f direkt zum D i a z o n i u m i o n dehydriert: V - N H - -NH,

+ HT

-2H,

6. zu Reduktionsreaktionen. Sie führen stets zu einer S p a l t u n g d e r Ν — N B i n d u n g . Von spezieller Bedeutung ist die K o p p e l u n g der Reaktion mit der oben beschriebenen D e h y d r i e r u n g , d. h. die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g der Arylhydrazine unter Bildung der a r o m a t i s c h e n A m i n e und von A m m o n i a k einerseits, sowie der a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e und von S t i c k s t o f f andererseits. Sie geht sowohl beim Ü b e r h i t z e n , ζ. B. zum Teil bereits bei der Destillation unter normalem Druck, als auch bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r unter der Einwirkimg von fein verteiltem P l a t i n und anderen H y d r i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n vor sich: N—NH

V - Η + N=N

Η y,

+:

H,N—:NH-

•NH2 + NH 3

Phenylhydrazin C 6 H 5 —NH—NH 2 l das einfachste und bei weitem wichtigste Mono-arylhydrazin, wird t e c h n i s c h durch Reduktion von diazotiertem A n i l i n m i t N a t r i u m s u l f i t gewonnen. E s schmilzt bei 23°, liegt aber infolge geringfügiger Verunreinigungen bei normaler Temperatur meistens als ölige, leicht braun gefärbte Flüssigkeit vor, die bei 244° unter geringer Zersetzung siedet und bei Berührung mit der H a u t zuweilen zu Ekzemen führt. Analytisch dient es als R e a g e n s a u f O x o v e r b i n d u n g e n , technisch als Zwischenprodukt f ü r die Synthese von P y r a z o l d e r i v a t e n . 3D·

Hydroxylaminö-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

600

2,4-Dinitro-phenylhydrazin ist ein wichtiges A l d e h y d - und K e t o n r e a g e n s , das vor allem mit zahlreichen stark wasserlöslichen Oxy-oxo-Verbindungen wasserunlösliche Osazone bildet und so deren A b s c h e i d u n g ermöglicht.

b) D i e D i a r y l h y d r a z i n e Auch in der aromatischen Reihe kennen wir z w e i G r u p p e n von disubstituierten Hydrazinen: 1. die symmetrischen Diarylhydrazine o d e j Hydrazoverbindungen und 2. die asymmetrischen Diarylhydrazine. Zu 1. Die aromatischen Hydrazoverbindungen treten als Reduktionsprodukte der A z o k ö r p e r (daher der Name, vgl. auch S. 627) im Verlaufe der a l k a l i s c h e n R e d u k t i o n aromatischer N i t r o v e r b i n d u n g e n auf (S. 651f.) und werden praktisch ausschließlich auf diesem Wege dargestellt: 4 H „ — 4 HsO > (.VaOH)

-NO, Nitro benzol

>—N=N-

>—NH—NH—
-NH2 Benzidin

Daß es sich bei dieser Umlage rung tatsächlich um den g l e i c h e n Reaktionstypus wie bei der auf S. 568f. beschriebenen p - W a n d e r u n g des am Stickstoff befindlichen Substituenten handelt, geht aus einigen charakteristischen N e b e n r e a k t i o n e n hervor. So entsteht ζ. B. aus H y d r a z o b e n z o l neben B e n z i d i n in geringer Menge auch die als Diphenylin bezeichnete, in o- und p ' - S t e l l u n g zu den Aminogruppen verknüpfte Base:

Die aromatischen Derivate des Hydrazins Hauptreaktion (Benzidin-Umlagerung)

)—NH

-NH, Benzidin

(H+)

V

-NH

601

Nebenreaktion r: r ^

h—T-.

:>-

\ _ /

>-NH,

\ X

NH2 Diphenylin

Vor allem aber wandert bei Hydrazoverbindungen, in denen die eine p - S t e l l u n g b e s e t z t i s t , nur einer der beiden s t i c k s t o f f h a l t i g e n R e s t e (wie jeder am Stickstoff befindliche Substituent) in p- oder auch o-Stellung (unter Bildung einer D i a r y l a m i n b a s e ) . Da neben dieser als o- bzw. p-Semidin-Umlagerung (v. lat. semi = halb) bezeichneten Reaktion auch die Diphenylin-Umlagerung in geringem Ausmaß stattfindet, beobachtet man in diesem Falle die Bildung von d r e i v e r s c h i e d e n e n R e a k t i o n s p r o d u k t e n nebeneinander: R

o-Semidin-Umlaperunfr

R—

-NHH2N-

p-Semidin-UmlagerunK

-NH-

NH NH

—NH,

nh, Diphenylin-Umlaeerung -NH,

R/ Hydrazobenzol C e H 6 — N H — N H — C e H s , die wichtigste Verbindung der Reihe, wird durch Reduktion v o n N i t r o b e n z o l oder auch v o n A z o b e n z o l mit Z i n k s t a u b und a l k o h o l i s c h e r N a t r o n l a u g e dargestellt, in der Technik jedoch meistens o h n e I s o l i e r u n g durch Ansäuern des Reaktionsgemisches sofort zu B e n z i d i n weiter verarbeitet. Zu 2. Die asymmetrischen Diarylhydrazine können in Analogie zur aliphatischen Reihe durch Reduktion der D i a r y l n i t r o s a m i n e gewonnen werden:

Sie finden zuweilen Anwendung als Ketonreagentien. c) D i e

Triarylhydrazine

Die Gewinnung von Triarylhydrazinen bereitet wesentlich g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n und ist nicht mehr allgemein durchführbar. Triphenylhydrazhl wurde erstmals im Jahre 1 9 1 5 von H . W I E L A N D durch Einwirkung von P h e n y l m a g n e s i u m b r o m i d auf D i p h e n y l n i t r o s a m i n gewonnen: : N — N = 0 + BrMg—

Ν—N; OMgX

- HOMgX



x

Ν—N:

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

602

Eine andere, allerdings nur f ü r die Darstellung k e r n n i t r i e r t e r Verbindungen geeignete Reaktion fand ST. GOLDSCHMIDT in der Arylierung von a s - D i a r y l h y d r a z i n e n mit den besonders reaktionsfähigen aromatischen H a l o g e n n i t r o v e r b i n d u n g e n (S. 654):

Die nach beiden Verfahren gewonnenen Verbindungen haben f ü r die Darstellung der auf S. 757 beschriebenen T r i a r y l h y d r a z y l - R a d i k a l e spezielle Bedeutung erlangt.

d) Die T e t r a a r y l - h y d r a z i n e Die T e t r a a r y l - h y d r a z i n e beanspruchen vor allem t h e o r e t i s c h e s I n t e r e s s e im Hinblick auf ihre Tendenz zum Zerfall in freie R a d i k a l e (vgl. S. 756). Ihre Darstellung erfolgt wieder auf einem anderen Wege und zwar ausschließlich durch Zusammenlagerung v o n z w e i D i a r y l s t i c k s t o ffr a d i k a l e n , die man am einfachsten aus D i a r y l a m i n e n durch Herausoxydation des am Stickstoff befindlichen Wasserstoffs mittels K a l i u m p e r m a n g a n a t s oder anderer Oxydationsmittel, sowie auch durch Abspaltung von e l e m e n t a r e m S t i c k s t o f f aus den T e t r a a r y l - t e t r a zenen (S. 638), gewinnt: N =N

.Ν—N:

x;

In den Tetraaryl-hydrazinen ist die Ν—N-Bindung gegenüber den bisher beschriebenen Hydrazinderivaten sehr stark g e s c h w ä c h t und zeigt nicht nur bei normaler oder mäßig erhöhter Temperatur die Tendenz zum Zerfall unter Bildung freier R a d i k a l e (vgl. S. 756), sondern erleidet in Gegenwart von Säuren auch sehr leicht eine h y d r o l y t i s c h e bzw. a c i d o l y t i s c h e Spaltung. In diesem Fall stabilisiert sich das vom D i a r y l h y d r o x y l a m i n (oder auch vom D i a r y l c h l o r amin) abgeleitete Spaltstück sofort unter Abspaltung von Wasser (bzw. HCl) zum dimolekularen Ν,Ν'-Diaryl-phenazinderivat I: C„H5 c.H. •N. : N — N :

+ H,0

\ (bzw. + HCl)> ) = (

S

)NH +

0H(C1) ^

X/a

— H,0(HC1) H5 i

6. Die Isonitramid(n)e Eine letzte Gruppe von hydrazinartigen Verbindungen, in denen die N-Atome jedoch k e i n e n W a s s e r s t o f f mehr enthalten, sondern (mit Ausnahme des organischen Restes) nur mit S a u e r s t o f f abgesättigt sind, liegt in den von TRAUBE beschriebenen I s o n i t r a m i d e n vor. Sie entstehen in Form ihrer A l k a l i s a l z e bei der Einwirkung von S t i c k o x y d und N a t r i u m a l k o h o l a t auf O x o v e r b i n d u n g e n , die eine a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e enthalten. Hierbei werden jeweils bis zu z w e i Η - A t o m e der aktiven Methylengruppe substituiert, und es findet anschließend, falls Wasser zugegen ist, eine h y d r o l y t i s c h e A b s p a l t u n g d e r C a r b o n y l g r u p p e unter Bildung einer am Kohlenstoff sauerstofffreien Verbindung statt. So erhält man ζ. B. aus Acetaldehyd direkt das Methylen-di-isonitramidnatrium (I, vgl. auch S. 246):

Triazane und Tetrazane

603

N=0 I N—ONa OCH—CH 3 — l l 2 BOH

0CH

;—CH

N=0 I N—ONa _ HCOOH ®Η2

Ν—ONa

Ν—ONa

N=0

N=0 ι Die I s o n i t r a m i d e h a b e n i h r e n N a m e n auf G r u n d ihrer Isomerie m i t d e n N i t r a m i d e n R — N H — N 0 2 , die beide O - A t o m e a n e i n e m S t i c k s t o f f t r a g e n , e r h a l t e n u n d sind n u r in L ö s u n g oder i n F o r m i h r e r Salze b e s t ä n d i g . I h r e K o n s t i t u t i o n ergibt sich einerseits a u s i h r e r Ä h n l i c h k e i t m i t d e m a n o r g a n i s c h e n s t i c k o x y d - s c h w e f l i g s a u r e m K a l i u m K O — S 0 2 — N ( O K ) — N O (vgl. a n o r g . L e h r b ü c h e r ) , andererseits a u f G r u n d ihrer R e d u z i e r b a r k e i t zu d e n e n t s p r e c h e n d e n H y d r a z i n o - V e r b i n d u n g e n . Methylen-di-isonitramid ist eine ziemlich starke S ä u r e , die ein neutral reagierendes D i n a t r i u m s a l z liefert und über das schwer lösliche B l e i s a l z leicht gereinigt werden kann. Die Lösungen der freien Säure zerfallen beim Erhitzen unter Bildung von S t i c k o x y d e n , F o r m a l d e h y d , H y d r o x y l a m i n und etwas B l a u s ä u r e . Auch in der a r o m a t i s c h e n R e i h e sind einige Isonitramide bekannt, die hier in Form der f r e i e n S ä u r e n etwas beständiger sind, und die wir als Reaktionsprodukte der A r y l h y d r o x y l a m i n e mit s a l p e t r i g e r Säure bereits kennengelernt haben. Sie werden auf Grund dieser Bildungsweise allgemein Nitroso-arylhydroxylamine genannt. Nitroso-phenylhydroxylamin C 6 H 6 NOH—NO, die wichtigste Verbindung der Reihe, ist mit einem p K -Wert von 4,28 s t ä r k e r s a u e r a l s E s s i g Q Q s ä u r e und bildet infolgedessen ein s t a b i l e s A m m o n i u m N^ —C e H 5 salz. Ferner fällt es m i t E i s e n - I I I - u n d K u p f e r - I I - I o n e n Gu „ 8 6 in Form tief farbiger, s p i r a n a r t i g e r K o m p l e x v e r b i n \ / \ ^ d ü n g e n (ζ. B. von II) aus, die zum speziellen Nachweis Ο Ο π dieser Metalle dienen und daher dem Nitrosophenylhydroxylamin den Namen Cupferron «ingetragen haben. 7. Tri- und Tetrazanderirate Die h ö h e r e n „ H o m o l o g e n " d e s H y d r a z i n s m i t einer g e s ä t t i g t e n K e t t e v o n drei u n d m e h r S t i c k s t o f f a t o m e n w e r d e n als , , A z a - V e r b i n d u n g e n " (vgl. S. 116) d e r P a r a f f i n e d u r c h d i e E n d u n g -azan gekennzeichnet u n d Triazan, Tetrazan u s w . genannt: HjN—NH—NH 2 H,N—NH—NH—NH 2 H 2 N—NH—NH—NH—NH—NH 2 Triazan Tetrazan] Hexazan Die k o h l e n s t o f f f r e i e n G r u n d v e r b i n d u n g e n der R e i h e sind n o c h n i c h t b e k a n n t , u n d a u c h die D a r s t e l l u n g i h r e r organischen D e r i v a t e stieß s t e t s a u f große Schwierigkeiten, so d a ß i h r e E x i s t e n z f ä h i g k e i t bisher n u r i n wenigen F ä l l e n sichergestellt w e r d e n k o n n t e . Ζ. Β. sind organische Triazanderiyate schon mehrfach in der Literatur beschrieben worden. Doch lassen sich die Angaben entweder n i c h t r e p r o d u z i e r e n , oder es sind Zweifel aufgetaucht, ob bei den betreffenden Bildungsreaktionen wirklich ein Triazangerüst entsteht. Lediglich auf dem Wege der Anlagerung von A n i l i n an A z o d i c a r b o n s ä u r e e s t e r (I) scheint bisher eine einwandfreie Synthese eines Triazanderivates (II) gelungen zu sein ( D I E L S 1911):

COOR COOR I χ

COOR >

COOR

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

604

Tetrazane sind bisher nur in der a r o m a t i s c h e n R e i h e dargestellt worden und entstehen nach S T . G O L D S C H M I D T ( 1 9 2 9 ) in relativ einfacher Weise durch Zusammenoxydieren von zwei Molekülen eines d r e i f a c h s u b s t i t u i e r t e n H y d r a z i n s mittels Bleidioxyds oder K a l i u m - e i s e n - I I I - c y a n i d s : I

II 2 Η.

Ν—Ν—-Η + H-i-N—Ν

/

—(

;χ—Ν—Ν—Ν:

Während jedoch die aus den T r i a r y l h y d r a z i n e n hervorgehenden Hexaaryltetrazane (I) eine derart starke R a d i k a l s p a l t u n g s t e n d e n z aufweisen, daß ihre Bildung nur in L ö s u n g im Rahmen einer G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n nachweisbar ist, sind die aus den a , a - D i a r y l - / ? - a c y l - h y d r a z i n e n entstehenden Tetrazanderivate wesentlich b e s t ä n d i g e r und auch in k r i s t a l l i s i e r t e m Z u s t a n d zu er0,N-

;n—N-

N

•Nf ^—NO,

halten. Ihre D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n liegen bei der Mehrzahl der Verbindungen nur zwischen 10~7 und 10~3, so daß das vorstehend formulierte α,α,α^α'-Tetra-pnitrophe.nyl-ß,ß'-dibenzoyl-tetrazan (II) selbst in 0,002 normaler Lösung nur zu etwa 2% in die freien Radikale dissoziiert ist. Hier liegen also auch in Lösung im wesentlichen nur die undissoziierten T e t r a z a n e vor. In ähnlicher Weise glaubten P E C H M A N N und einige andere Forscher durch Zusammenoxydation der P h e n y l h y d r a z o n e von Oxoverbindungen mittels A l f c y l n i t r i t e n , Q u e c k s i l b e r o x y d oder J o d zu n i c h t d i s s o z i i e r e n d e n T e t r a z a n d e r i v a t e n der Konstitution III zu gelangen (Reaktion a), doch tritt hier nach S T O L L E ( 1 9 2 6 ) und neuerdings auch G R A M M A T I C A K I S ( 1 9 4 8 ) ausschließlich die N e u b i l d u n g e i n e r C — N - B i n d u n g zu dem A z o f a r b s t o f f IV auf (Reaktion b), wofür insbesondere die F a r b e und auch die Einzelheiten der A b s o r p t i o n s s p e k t r e n sprechen. Nur die aus einigen B e n z o y l o s a z o n e n vom Typus V (die also an dem zu dehydrierenden N-Atom wie in II einen A c y l r e s t tragen) gebildeten c y c l i s c h e n O s o t e t r a z i n e (VI) scheinen tatsächlich ein Tetrazangerüst zu enthalten (Näheres vgl. S. 857): Ar—CH=N—N—Ar H.) Ar—CH=N—N—Ar

Ar—CH=N—N—Ar'

Ar—CH=N—N—Ar' ( - H»)

A r ' - N = N - CH—Ar

Ar—CH=N—N—Ar'

IV

III

XN-N—CO—C E H 5 FH:

R—Ο-

R—C

V

N-CO-C„H5

Ι

R—C ^

Ή Ν—Ν—CO—CEH5 ^N—Ν—l ν

vi

605

Die Diazoverbindungen

III. Verbindungen mit einer ungesättigten Kette von Stickstoffatomen Während K o h l e n s t o f f k e t t e n durch die Einführung von C=C-Doppel- und C =C-Dreifachbindungen l a b i l i s i e r t werden, beobachtet man bei Verbindungen mit a n e i n a n d e r g e r e i h t e n N - A t o m e n bei der Einführung von N=N-Doppelbindungen umgekehrt eine eindeutige S t a b i l i s i e r u n g der S t i c k s t o f f k e t t e , was insbesondere auf die in II, Kap. 3, I I , 2 e näher erörterte, im Verhältnis zur einfachen N—N-Bindung ungewöhnlich h o h e B i l d u n g s e n e r g i e d e r N = N - D o p p e l b i n d u n g zurückzuführen ist. Wir kennen infolgedessen eine relativ große Anzahl von Verbindungen mit einer u n g e s ä t t i g t e n K e t t e v o n N - A t o m e n , denen auch technisch wichtige Stoffe, insbesondere die große Gruppe der D i a z o v e r b i n d u n g e n und A z o f a r b a t o f f e angehören. Eine Ausnahme macht lediglich die G r u n d v e r b i n d u n g der Reihe, das D i i m i n selbst, das jedoch offensichtlich nur wegen der Tendenz der N = N-Doppelbindung, in die noch stabilere N = N - D r e i f a c h b i n d u n g des Stickstoffmoleküls überzugehen, nicht existenzfähig ist: HN=NH V3NH3 + 2 / 3 N = N Denn das Bindungssystem des Diimins zeichnet sich in einigen organischen Derivaten, die k e i n e n W a s s e r s t o f f am S t i c k s t o f f mehr enthalten und daher n i c h t mehr zur ^ - A b s p a l t u n g neigen, durch eine u n g e w ö h n l i c h e S t a b i l i t ä t aus (vgl. S. 627).

1. Die Diazoverbindungen Definition. Unter dem Begriff der Diazoverbindungen versteht man eine Gruppe von f ü n f v e r s c h i e d e n e n V e r b i n d u n g s t y p e n , die als gemeinsames Charakteristikum einerseits die B i l d u n g aus primären Aminen und salpetriger Säure, andererseits den A u f b a u d e r D i a z o g r u p p e aus zwei aneinander geketteten NAtomen, von denen nur eines mit dem organischen Molekülteil verbunden ist, aufweisen: Θ Θ R—CH=N=N

/
2 R b \ > R' \R Ό Bildung einer / \ I +N2 [Sauerstoifbrücke Bei Reaktion a) kann im Falle der Umsetzung eines A l d e h y d s (R'=H) sowohl der W a s s e r s t o f f im Sinne einer formalen M e t h y l i e r u n g (formulieren!) als auch einer der beiden A l k y l r e s t e (R') an den Methylenkohlenstoff wandern. Ist R' schließlich ein H a l o g e n , d.h. geht man von einem S ä u r e h a l o g e n i d aus, so wird zunächst kein S t i c k s t o f f a b g e s p a l t e n , sondern das hypothetische Zwischenprodukt Ia stabilisiert sich unter HCl-Abspaltung zum D i a z o k e t o n II:

Η (

R

W

\ C

C

Ο )

C H

V -

~^

la]

N I

)

R—C—CH=N=N

I

II

Die Reaktion haben wir auf S. 303 bereits als Teilreaktion der Verlängerung des organischen Restes einer Carbonsäure um eine Methylengruppe kennengelernt.

Zu 2. Anlagerungsreaktionen. Ungesättigten Verbindungen gegenüber verhalten sich die Diazoparaffine ähnlich wie ein P o l y e n und vermögen sie in Analogie zur D i e n s y n t h e s e (S. 947 f.) an den E n d e n des u n g e s ä t t i g t e n S y s t e m s (d.h. hier in 1,3-Stellung) unter Ringbildung anzulagern. Insbesondere die Synthese von statt ihrer die R—OH 2 -Ionen alkyliert werden. Sie werden daher n i c h t in ihre E s t e r übergeführt, sondern katalysieren lediglich die A l k y l i e r u n g des R e a k t i o n s m e d i u m s :

R—OH + H+ A

©

ν R—OH2

_®_Θ (—JNS)

Η ι©

R—0^-CH 3

ν

R—O—CH3 + :H+

Reaktionen aliphatischer Diazoverbindungen

611

P y r a z o l - (III) und 1 , 2 , 3 - T r i a z o l - d e r i v a t e n (IV) durch Anlagerung von A c e t y l e n und B l a u s ä u r e an D i a z o m e t h a n oder auch an Diazoessigester hat Bedeutung für die Gewinnung dieser Verbindungen erlangt (vgl. S.879, 882 u.a.): HC==CH

/ HC==CH\

+

'

HC=^=N + Q

v

HC

I

'

/HC=N\ Ϊ I R

V

h



V

c

CH \

/

n

n

Η hi HC Ν II II H C

\

N

/

N

Η iv

Bei der Einwirkung von Olefinen auf D i a z o e s s i g e s t e r entstehen nach Büchner und Curtitts einfach ungesättigte P y r a z o l i n d e r i v a t e (V), die wesentlich u n b e s t ä n d i g e r sind und beim Erhitzen unter S t i c k s t o f f a b s p a l t u n g in C y c l o p r o p a n v e r b i n d u n g e n (VI) übergehen: R—CH

--CH—R Θ

ROOC—CH^g^N

R—CH

CH—R

ROOC—CH

R—CH

CH—R

'/N ^

ν

vi Das Verfahren ist von Bedeutung für Synthesen in der C y c l o p r o p a n r e i h e (S.782). Ein interessanter Spezialfall dieser Reaktion liegt in der Bildung des Pseudophenylessigsäureesters (VIII) (S. 128, 804) aus Benzol und Diazoessigester vor. Hier kann der primär zu erwartende Pyrazolinkörper (VII) nicht isoliert werden, weil die reaktionsträge aromatische Doppelbindung erst bei höherer Temperatur angegriffen wird, bei der der Pyrrolidinring nicht mehr beständig ist: Λ

S ^ + N=N=CH—COOR

IOOR

\ κ / Λ ^ Ν ν Λ Χ>CH—COOR V W CH-€OOR/ VII VIII Einen weiteren speziellen Fall beobachtet man bei der Einwirkung von Diazoessigester auf Malonester, der in der Enolform (IX) reagiert und zunächst ebenfalls zum P y r a z o l i n d e r i v a t X angelagert wird. Doch vermag sich letzteres hier unter Abspaltung von Alkohol zum P y r a z o l d e r i v a t XI zu stabilisieren, so daß in diesem Falle die Cyclopropanbildung unterbleibt: ROOC ΗΟ χ HO. i X CH—COOR' ' C CH—COOR' RO' ; , ίί I RO y H \ + ü .. ι )C θ/Ν© \ X £r ROOC ROOCTIX Ν ^ROOC χ HO—C C—COOR' -ΚΟΗ II II — — y ROOC—Cx /N \N/ Η χι Sind keine A d d e n d e n da, so kann schließlich auch eine gegenseitige 1,3-Addition zweier Moleküle der Diazoverbindung unter Bildung eines sechsgliedrigen Ringes erfolgen. So entsteht ζ. B. aus Diazoessigester unter der kataly-

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

612

tischen Einwirkung von s t a r k e m A l k a l i bei gleichzeitiger Verseifung der Estergruppen die sich vom D i h y d r o - t e t r a z i n (S. 857) ableitende Bis-diazo-essigsäure (XII): © Θ xN=N ROOC—CR"

y.OH^

+

Θ N=N

COOR

Na00

/N=N\ C-CH CH-COONa \ / Ν—Ν x i i

Zu 3. Sieht man von den Anlagerungsreaktionen ab, so ist eine Umwandlung der aliphatischen Diazogruppe in a n d e r e s t i c k s t o f f h a l t i g e F u n k t i o n e n nur auf dem Wege der R e d u k t i o n möglich. Beispielsweise kann man Diazoessigester in Abwesenheit von Säuren mit E i s e n - I I - o x y d h y d r a t in das H y d r a z o n d e s G l y o x y l s ä u r e e s t e r s , also in ein H y d r a z i n d e r i v a t überführen: R O O C — C H = N = N + H2

ROOC—CH=N—NH 2

Weiterhin entsteht bei e n e r g i s c h e r R e d u k t i o n direkt G l y c i n (bzw. G l y c i n e s t e r ) und A m m o n i a k (Gleichung formulieren!), während eine Reduktion zur H y d r a z i n o e s s i g s ä u r e unter Schonung der Ν—N-Bindung bisher n i c h t g e l u n g e n ist. Θ θ

Diazomethan N = N = C H 2 , das einfachste und wichtigste Diazoparaffin, wurde von PECHMANN bei der alkalischen Zersetzung von N i t r o s o m e t h y l u r e t h a n (S. 608) entdeckt, wird heute jedoch meistens aus dem leichter zugänglichen N i t r o s o m e t h y l h a r n s t o f f gewonnen. Eine dritte Bildungs weise, die jedoch nur v o n t h e o r e t i s c h e m I n t e r e s s e ist, stammt von S T A U D I N G E R , der die Verbindung bei der Einwirkung von C h l o r o f o r m auf H y d r a z i n in a l k o h o l i s c h e r K a l i l a u g e erhielt (vgl. S. 607). : /C1 HoN H- C * Ol +1 Μ »ndurchs.chtiger \X :| lteaktionsverlauf ; C1 ΗΝ—Η

ßs ß H1

+1

3HC1

Diazomethan ist ein sich bei —24° kondensierendes, stark e n d o t h e r m e s gelbes Gas von großer G i f t i g k e i t , das beim Erhitzen unter E x p l o s i o n zerfällt. Es zeigt eine starke Löslichkeit in Äther, ist aber mit Ä t h e r d ä m p f e n f l ü c h t i g (Vorsicht beim Einatmen der Dämpfe!) und findet in der präparativen Chemie eine vielseitige Anwendung als m i l d e s M e t h y l i e r u n g s m i t t e l . Θ

@

Diazoäthan N = N = C H — C H 3 entsteht nach der Methode von PECHMANN nur noch in geringer Ausbeute und hat daher nicht entfernt die Bedeutung des Diazomethans erlangt. Seine Gewinnung ist neuerdings durch das auf S. 608 beschriebene M e s i t y l o x y d v e r f a h r e n etwas vereinfacht worden. Θ

Θ

Diazoessigester N=N=CH—COOC 2 H 5 ist die am längsten bekannte aliphatische DiazoVerbindung. Er wurde von CURTIUS bei der Umsetzung von G l y c i n - e s t e r mit s a l p e t r i g e r S ä u r e entdeckt und wird auch heute noch ausschließlich auf diesem Wege gewonnen. Er ist ebenfalls g e l b und wesentlich b e s t ä n d i g e r als Diazomethan, so daß er auch in reinem Zustand aufbewahrt und im Vakuum n n z e r s e t z t d e s t i l l i e r t werden kann. Erst beim Überhitzen der flüssigen Phase auf Temperaturen oberhalb 100° tritt die Explosionsneigung zutage. Im übrigen ist Diazoessigester zu den g l e i c h e n R e a k t i o n e n (die infolge seiner größeren Stabilität häufig sogar l e i c h t e r d u r c h f ü h r b a r sind) befähigt wie Diazomethan. Insbesondere die oben beschriebenen A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n

Die aromatischen Diazoverbindungen

613

wurden überwiegend am Diazoessigester untersucht. Bei der Reaktion mit S ä u r e n wirkt er ebenfalls als , , A l k y l i e r u n g s m i t t e l " und geht in die Verätherungs- bzw. Veresterungsprodukte der a l k o h o l i s c h e n H y d r o x y l g r u p p e d e s G l y k o l s ä u r e e s t e r s über: R O O C — C H2, — 0 — S

\

\

./

+

h 0

~Tjr)

p //CH,—R

XIV Wir haben die Reaktion mit Wasser als zweite Teilreaktion der Verlängerung des Alkylrestes einer Carbonsäure ebenfalls bereits kennengelernt (S. 308). b) Die a r o m a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n In der aromatischen Reihe liegen die Verhältnisse wesentlich k o m p l i z i e r t e r , da hier die oben angeführten v i e r v e r s c h i e d e n e n F o r m e n d e r D i a z o g r u p p e existieren, zwischen denen die folgenden Beziehungen bestehen: Bei der Darstellung der Diazoverbindungen geht man meistens von den Salzen der p r i m ä r e n A m i n e aus und setzt sie mit s a l p e t r i g e r S ä u r e unter Abspaltung von zwei M o l e k ü l e n W a s s e r zu den in saurer Lösung allein beständigen, am Stickstoff w a s s e r s t o f f f r e i e n (jedoch nicht quartären) D i a z o n i u m s a l z e n um. Diese sind in gleicher Weise wie die tertiären Imoniumsalze der ScHiFFschen Basen (vgl. S. 549) g e g e n A l k a l i e n i n s t a b i l und lagern beim Zusatz von N a t r o n l a u g e 40 Κ lag es, Lehrbuch der Organischen Chemie I, 2

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

614

i m Rahmen einer „ K u p p l u n g s r e a k t i o n " (Näheres vgl. S. 622f.) ein Hydroxylion an das ä u ß e r e N - A t o m an. Hierbei entsteht primär das s a u r e , nicht isolierbare s y n - D i a z o - h y d r o x y d , das sofort ein z w e i t e s M o l N a t r o n l a u g e unter Bildung des s y n - D i a z o t a t s neutralisiert. Aber auch dieses syn-Diazotat ist noch k e i n s t a b i l e s E n d p r o d u k t , sondern geht, namentlich in Gegenwart v o n überschüssiger Natronlauge, leicht in das stereoisomere a n t i - D i a z o t a t als das eigentliche a l k a l i s t a b i l e R e a k t i o n s p r o d u k t über. Säuert m a n schließlich wieder an, so erhält man nach Zusatz v o n g e n a u e i n e m M o l d e r S ä u r e zuweilen das farblose, noch sauer reagierende a n t i - D i a z o - h y d r o x y d , das sich aber sehr leicht in die stabile desmotrope Form, das schwach gelbe und nahezu neutral reagierende N i t r o s a m i n umlagert. Letzteres bildet schließlich mit einem zweiten Mol der Säure das D i a z o n i u m s a l z , mit Alkalien die a n t i - D i a z o t a t e zurück: — 2H.0 Ν

-N=N (

Anilinium-Ion

H,0)

Benzol-diazonium-Ion |OH

Η I -Ν—N=0

Desmotropie

Pi

N-Nitroso-anilin

Ν—OH

\

HO—N/

Benzol-syn-diazohydroxyd

Benzol-anti-diazohydroxyd

N'aOH

= r+ ' NaOH

|NaOH

Y

' V n Ν—ONa

x

TJmlagerung

Natrium-benzol-anti-d iazotat

NaO—Ν Xatrium-teBzol-syn-dlazotat

Der Konstitutionsbeweis der aromatischen Diazoverbindungen hat ebenfalls große Schwierigkeiten bereitet, denn auch hier konnte nur ein T e i l der Fragen mit S i c h e r h e i t beantwortet werden. Die mit Hilfe c h e m i s c h e r M e t h o d e n nachweisbaren Tatsachen sind: 1. Die aromatische Diazogruppe kann nur durch e i n e V a l e n z , und zwar über ein S t i c k s t o f f a t o m an den organischen Rest gebunden sein, denn sie ersetzt nur e i n Η - A t o m und geht bei der Reduktion in eine A m i n o - oder H y d r a z i n o g r u p p e (S. 625) über. 2. Aus der Reduzierbarkeft zu einem H y d r a z i n d e r i v a t sowie aus den auf S. 618 angeführten B i l d u n g s w e i s e n folgt in ähnlicher Weise wie bei den aliphatischen Diazoverbindungen, daß die beiden N-Atome m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n sein müssen. 3. Die aromatische Diazogruppe enthält außer den beiden N-Atomen noch einen n e g a t i v e n R e s t (covalent gebundene ONa-Gruppe in den Diazotaten oder i o n o g e n gebundenes Anion in den Diazoniumsalzen), der auf Grund von Punkt 1 nur an S t i c k s t o f f gebunden sein kann. 4. In den Nitrosaminen und antiDiazotaten muß der Sauerstoff am ä u ß e r e n N - A t o m stehen, denn die Nitrosaminform läßt sich zu den N i t r o s a m i n e n d e r s e k u n d ä r e n A m i n e methylieren (S. 619), und die antiDiazotate können zu der I m i d o f o r m d e r N i t r a n i l i d e oxydiert werden (S. 626). Mit Hilfe dieser vier Argumente läßt sich nur die Konstitution der Diazonium-lonen eindeutig festlegen, da sie als typische O n i u m i o n e n aus einem e i n w e r t i g e n o r g a n i s c h e n R e s t , einem d r e i b i n d i g e n n e u t r a l e n und einem v i e r b i n d i g e n A m m o n i u m s t i c k s t o f f nur in der angegebenen Weise aufgebaut sein können. Auch die Konstitution der antiDiazotat-Ionen ist weitgehend gesichert, denn es lassen sich zwar zwei verschiedene Strukturformeln f ü r sie aufstellen. Doch stehen diese zueinander im Verhältnis der M e s o m e r i e : Θ

Θ

A r — Ν — N = 0 « * A r — N = N — O , so daß sie b e i d e

gemeinsam

die Elektronenstruktur

Konstitution aromatischer Diazoverbindungen

615

erschöpfend wiedergeben. Sehr w a h r s c h e i n l i c h ist schließlich auch die angeführte Konstitution der Nitrosamine, und zwar einerseits auf Grund des auf S. 619 angeführten c h e m i s c h e n K o n s t i t u t i o n s b e w e i s e s , andererseits wegen der mit anderen Kitrosaminen gemeinsamen g e l b l i c h e n Farbe.

Dagegen kann ein eindeutiger Beweis für die angeführten Beziehungen zwischen den s y n - und a n t i - D i a z o t a t e n mit chemischen Mitteln n i c h t e r b r a c h t dweren, und es stehen seit nahezu 50 Jahren zwei g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e d e n e Theorien zur Diskussion, nach denen die Unterschiede zwischen beiden Diazotaten entweder auf eine S t e r e o i s o m e r i e oder auf eine S t r u k t u r i s o m e r i e zurückzuführen sind: Stereoisomerie NaO—Ν primär gebildete „normale" Form

Strukturisomerie ONa — \

/

Ι

0 ©

n-Diazotat

durch Umlagerung gebildete ,,Iso"-lorm

- N = N — ONa Isodiazotat

Die erste Theorie wurde von H A N T Z S C H im Jahre 1900 aufgestellt. Danach liegen die Diazotate, ähnlich wie die O x i m e (vgl. S. 290), in einer s y n - und einer a n t i F o r m vor, von denen die syn-Konfiguration in Analogie zu dem Verhalten anderer geometrisch isomerer Verbindungen mehr oder weniger willkürlich den i n s t a b i l e r e n P r i m ä r p r o d u k t e n und die a n t i - K o n f i g u r a t i o n den s t a b i l e r e n S e k u n d ä r p r o d u k t e n zugeordnet wurde. Für diese Theorie konnten in neuerer Zeit einige interessante Argumente beigebracht werden. So stimmen insbesondere die e l e k t r i s c h e n D i p o l m o m e n t e der s y n - und a n t i D i a z o c y a n i d e (S. 622) sehr gut mit den für die angenommene Stereoisomerie berechneten Werten überein, und bei der Anlagerung von B e n z o l s u l f i n s ä u r e an die N=N-DoppeIbindimg erhält man aus beiden p - C h l o r b e n z o l - d i a z o c y a n i d e n infolge der Aufhebung der Doppelbindung (und damit des Stereoisomeriezentrums) das g l e i c h e a - C h l o r p h e n y l / ? - c y a n - b e n z o l s u l f h y d r a z i d (I):

'

II N—C=N

während bei Annahme der angeführten n - D i a z o t a t s t r u k t u r für die Primärverbindung v e r s c h i e d e n a r t i g e Produkte entstehen sollten.

Die zweite Auffassung stammt von B A M B E R G E R und wurde später hauptsächlich von A N G E L I , sowie neuerdings auch von E U G E N M Ü L L E R vertreten. Sie führt als Hauptargument an, daß zwischen beiden Verbindungsreihen einige tiefer greifende chem i s c h e U n t e r s c h i e d e bestehen (Näheres vgl. S. 619), die durch eine Stereoisomerie allein nur schwer erklärbar sind. Eine absolut sichere Entscheidung zwischen beiden Theorien ist noch n i c h t m ö g l i c h , da auch die BAMBERGERSche Formulierung u n t e r s c h i e d l i c h e D i p o l m o m e n t e für beide Molekülarten erwarten läßt und grundsätzlich die Möglichkeit 40*

616

Hydroxylamino-, Hydrazine»-, Diazoverbindungen usw.

besteht, daß vor der angeführten Anlagerung von Benzolsulfinsäure an die D i a z o eyanide eine Isomerierung der labilen n- in die stabile I s o d i a z o v e r bindung stattgefunden hat. Doch neigt heute die Mehrzahl der Forscher der Ü A N T z s c H s c h e n Formulierung zu, die daher auch den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden soll. Die Darstellung der aromatischen Diazoverbindungen geschieht 1. (praktisch ausschließlich) durch Umsetzung der Salze der primären Amine mit salpetriger Säure, sowie 2. durch Umwandlung anderer S t i c k s t o f f - F u n k t i o n e n in die Diazogruppe. Z u l . Die alsDiazotierung bezeichnete Bildung der Diazoverbindungen bei der Einwirkung von salpetriger Säure auf die Salze primärer aromatischer Amine in stark saurer Lösung wurde bereits im Jahre 1858 von P e t e r Griess entdeckt und ist auch heute noch das einzige praktisch brauchbare D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n . Es kommt in vielen V a r i a n t e n zur Anwendung, um die bei der außerordentlichen Reaktionsfähigkeit der Diazoverbindungen leicht eintretenden Nebenreaktionen auszuschließen. So muß man ζ. B. sämtlicheDiazotierungsreaktionen bei t i e f e r T e m p e r a t u r (0° bis + 5 ° ) durchführen, da sonst leicht die auf S. 620 beschriebene A b s p a l t u n g d e s S t i c k s t o f f s unter Phenolbildung eintritt. Aber auch unter diesen Bedingungen sind nicht alle Diazoverbindungen existenzfähig, und man erhält zuweilen trotz aller Vorsichtsmaßregeln die entsprechenden Phenole. Als Beispiel sei die Bildung von p - O x y - c h i n o l i n (II) aus p - A m i n o - c h i n o l i n (I) unter den Bedingungen der Diazotierungsreaktion angeführt :

ho-NO

-2 HaO



11

I 11

+ H'(—>J II

Eine weitere störende Nebenreaktion ist die „ K u p p l u n g " der gebildeten Diazoverbindungen mit noch nicht umgesetztem A m i n , das sich mit der bereits entstandenen Diazoverbindung schneller zur D i a z o a m i n o v e r b i n d u n g ( I I I ) umsetzt ( „ k u p p e l t " , vgl. S.623) als mit der salpetrigen Säure zum D i a z o n i u m s a l z : /

\_NzeN + H

2

N — \

s-

N=N—NH—/

^

+

III

Man kann daher die Diazotierungsreaktion nur in stark saurer Lösung durchführen und muß, da auch die im Rahmen der Hydrolyse der Salze in geringer Menge auftretende Anilinbase störend eingreift (vgl. S. 623), stets einen großen Überschuß starker Mineralsäuren (mindestens 1/2—l Mol pro Mol Base) verwenden. Im Falle der Diazotierung der leicht hydrolysierenden Salze des nur sehr schwach basischen o - N i t r a n i l i n s (S.658) läßt sich die Salzhydrolyse in wäßriger Lösung auch durch einen großen Säureüberschuß nicht mehr genügend zurückdrängen, so daß man in konzent r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e als Reaktionsmedium unter Verwendung von N i t r o s y l s c h w e f e l säure als Diazotierungsmittel arbeiten muß: \

e

N—NH,

+

Ο

V

ho3so

->

0,N—

-N=N

h2so4 + h 2 o

617

Die Diazotierungsreaktion

Auch die Verwendung von k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e als Reaktionsmedium, aus der man die zum Diazotieren erforderliche salpetrige Säure durch Zusatz eines R e d u k t i o n s m i t t e l s (ζ. B. von K a l i u m d i s u l f i t 1 ) ) während der Reaktion herstellt, wurde vorgeschlagen. In dem weiteren Spezialfall, daß in o - S t e l l u n g der zu diazotierenden Aminogruppe ein Substituent steht, der mit der Diazogruppe unter R i n g s c h l u ß zu „ k u p p e l n " (vgl. S. 623) vermag, konnte diese Kupplungsreaktion bisher ü b e r h a u p t n i c h t ausgeschlossen werden. Einige charakteristische Beispiele, die gleichzeitig die Bedeutung dieser Xebenreaktion f ü r die S y n t h e s e h e t e r o c y c l i s c h e r V e r b i n d u n g e n erkennen lassen, sind in den folgenden Formeln wiedergegeben: ΝΉ, Diazotierunß

-N

innerniolek. Kuppiung

CK Diazo-oxyd (4, j-B^nzox-diazol)

OH

innermol ek. 3,4-l>ihydro-D,6-benzo-l,2,3-triaziii Ν /Ν Azimido benzol (4,5-Benzo-l,2,3-triazol)

Eine letzte störende Nebenreaktion beobachtet man schließlich bei den Diazoniumsalzen (V) des P i k r a m i d s (IV) und ähnlicher h o c h n i t r i e r t e r A m i n o v e r b i n d u n ge n. Hier bewirkt die Diazoniumgruppe eigenartigerweise die h y d r o l y t i s c h e Abs p a l t u n g einer der o - s t ä n d i g e n N i t r o g r u p p e n als salpetrige Säure, so daß man bei der normalen Diazotierung stets ein o - O x y - d i a z o n i u m s a l z (VI) erhält: ,OH Diazotierung

o.

> 0„N— ν

vi

Diese Schwierigkeit k a n n durch Verwendung von E i s e s s i g als Reaktionsmedium umgangen werden.

Von den (wenigen) schwer löslichen Verbindungen abgesehen, fallen die Diazoniumsalze bei allen diesen Verfahren in Form ihrer w ä s s e r i g e n (bzw. s c h w e f e l sauren oder essigsauren) Lösungen an, aus denen sie infolge ihrer Zersetzlichkeit nur schwer in Substanz isoliert werden können, so daß man in der Praxis die Lösungen direkt weiter verarbeitet. 1

) Früher K a l i u m p y r o s u l f i t genannt, vgl. anorg. Lehrbücher.

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

618

Zur Darstellung der festen Salze muß man L ö s u n g s m i t t e l wählen, aus denen sie unl ö s l i c h ausgefällt werden können. Ζ. B. hat sich für die Gewinnung der festen D i a z o n i u m chloride insbesondere das Arbeiten in a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g unter Verwendung der S a l p e t r i g s ä u r e e s t e r als Diazotierungsmittel bewährt, da hierbei als e i n z i g e s a l z a r t i g e V e r b i n d u n g das Diazoniumsalz entsteht (Gleichung formulieren!), das dann mit Ä t h e r ausgefällt werden kann. Ähnlich stellt man in k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e als Reaktionsmedium die D i a z o n i u m n i t r a t e dar, die ebenfalls mit Ä t h e r ausgefällt werden.

Zu 2. Die verschiedenen Möglichkeiten der Umwandlung anderer stickstoffhaltiger Funktionen in die Diazogruppe haben nur den Charakter von B i l d u n g s w e i s e n erlangt. Sie sind jedoch von theoretischer Bedeutung für die K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g der Diazoverbindungen (s. o.). Die wichtigsten dieser Reaktionen sind: a) die bereits auf S. 599 beschriebene z w e i f a c h e D e h y d r i e r u n g von s a l z s a u r e m P h e n y l h y d r a z i n mit Quecksilberoxyd zum D i a z o n i u m s a l z und b) die Kondensation von N i t r o s o b e n z o l mit H y d r o x y l a m i n in alkalischer Lösung, die als einzige Bildungsreaktion nicht primär zu den Diazoniumsalzen, sondern d i r e k t z u m D i a z o t a t führt und formal der O x i m b i l d u n g eines A l d e h y d s (vgl. S. 289) an die Seite gestellt werden kann: CH - 0 J-· H 2 X -OH

~h,0>

(NaüuV

—CH—Ν—OH

O - X - N - O X a

Die Eigenschaften der aromatischen Diazoverbindungen müssen wir unterteilen in 1. das physikalische und chemische Verhalten der e i n z e l n e n V e r b i n d u n g s t y p e n und 2. die allen Diazoverbindungen mehr oder weniger g e m e i n s a m e n Umsetzungen. Zu 1. Die Diazoniumsalze sind sehr z e r s e t z l i c h e S u b s t a n z e n , die auch in wäßriger Lösung und bei Temperaturen um 0° nur wenige Stunden beständig sind, und infolgedessen gleich weiter verarbeitet werden müssen. Die trockenen Salze zeigen eine außerordentlich s t a r k e E x p l o s i o n s n e i g u n g und detonieren zuweilen bereits bei geringster Berührung mit großer Gewalt, so daß sie nur mit großer Vorsicht und in kleinen Mengen gehandhabt werden können. Erst wenn man die A n i o n e n d u r c h K o m p l e x b i l d u n g stark v e r g r ö ß e r t (innermolekulare Verdünnung!), werden auch die lösungsmittelfreien Salze beständiger, und man kann z . B . die D i a z o n i u m - b o r f l u o r i d e o d e r - p e r b r o m i d e o h n e j e d e G e f a h r in trockenem Zustand aufbewahren und weiter verarbeiten. Die Diazoniumsalze der s t a r k e n M i n e r a l s ä u r e n reagieren als am Stickstoff wasserstofffreie Imoniumsalze in wäßriger Lösung v o l l k o m m e n n e u t r a l und zeigen keinerlei Neigung zur Hydrolyse. Durch Umsetzung der C h l o r i d e mit S i l b e r o x y d lassen sich sogar kurzzeitig die Lösungen der f r e i e n D i a z o n i u m ©

b a s e n [R—N=N_| + O H - herstellen, doch erleiden diese, da das Diazoniumion gegen Hydroxylionen n i c h t b e s t ä n d i g ist, ziemlich rasch die auf S. 614 beschriebene Umlagerung in die s y n - und a n t i - D i a z o t a t e . Die Darstellung der syn-Diazotate erfolgt nur von den Diazoniumsalzen aus (durch Zusatz von mindestens z w e i Mol N a t r o n l a u g e , S. 614). Sie lagern sich zuweilen derart leicht in die s t a b i l e r e n a n t i - D i a z o t a t e um, daß ihre Isolierung n i c h t i m m e r m ö g l i c h ist. Lediglich in wenigen Ausnahmefällen, ζ. B. beim p-Methoxy-benzol-diazotat, sind die s y n - V e r b i n d u n g e n s t a b i l e r und lassen sich nur schwer in die anti-Diazotate überführen.

Allgemeine Reaktionen aromatischer Diazoverbindungen

619

Auch in ihrem allgemeinen Verhalten sind die syn-Diazotate w e s e n t l i c h unbes t ä n d i g e r als die anti-Verbindungen und neigen u. a. beim Erhitzen zum V e r puffen. Ferner zeigen sie eine ganze Reihe von Reaktionen, denen die anti-Diazotate n i c h t mehr zugänglich sind. So bilden sie mit Säuren nicht die Diazoniumsalze zurück, sondern gehen in die sehr reaktionsfähigen Diazo-anhydride über, deren Konstitution noch u n b e k a n n t ist. Ferner sind sie im Gegensatz zu den Isodiazotaten zur K u p p l u n g befähigt (s. u.) und vermögen, ähnlich wie die Aminoxyde, den Sauerstoff an R e d u k t i o n s m i t t e l abzugeben. Alle diese Reaktionen machen nach A N G E L I und E U G E N M Ü L L E R eine S t r u k t u r - und nicht nur eine Stereoisomerie mit den anti-Diazotaten wahrscheinlich. Die anti-Diazotate können, abgesehen von ihrer Bildung aus Nitrosoverbindungen und Hydroxylamin (s. oben), ebenfalls nur über die D i a z o n i u m s a l z e gewonnen werden und entstehen, wie wir gesehen haben, als stabiles Endprodukt der Einwirkung von Alkalien auf alle anderen Diazoverbindungen. Sie sind beständige, auch in t r o c k e n e m Z u s t a n d längere Zeit haltbare Stoffe, die zuweilen als „wasserfreie Diazoverbindungen" in den Handel kommen und keine interessanten Reaktionen mehr zeigen. Die Nitrosamine schließlich, die in Analogie zur Nitrosaminbildung der sekundären Amine durch Einwirkung von s a l p e t r i g e r S ä u r e auf p r i m ä r e A m i n e in neutraler Lösung besonders leicht darstellbar sein sollten, können infolge der beschriebenen Nebenreaktionen nur a u f dem g e s c h i l d e r t e n Umweg über die D i a z o n i u m s a l z e , die syn- und a n t i - D i a z o t a t e sowie gegebenenfalls auch die a n t i - D i a z o h y d r o x y d e erhalten werden. Sie fallen im allgemeinen als n i c h t ionogene V e r b i n d u n g e n beim Zersetzen der anti-Diazotate mit genau einem Mol Säure u n l ö s l i c h aus und sind ziemlich b e s t ä n d i g e S u b s t a n z e n , die jedoch keine praktische Anwendung gefunden haben. Für den Konstitutionsbeweis ist die Beobachtung von Bedeutung, daß sie mit A l k y l h a l o g e n i d e n in Gegenwart von S i l b e r o x y d zu den N i t r o s a m i n e n s e k u n d ä r e r Amine alkyliert werden können. H

CH 3

Zu 2. Alle übrigen Reaktionen dieser vier Gruppen von Diazoverbindungen müssen g e m e i n s a m behandelt werden, da sie häufig, je nach den Bedingungen, von den verschiedenen Verbindungsklassen aus durchgeführt werden. Sie sind sehr v i e l s e i t i g und verlaufen im allgemeinen z i e m l i c h g l a t t , so daß ihnen bei der leichten Zugänglichkeit der Diazoverbindungen eine große p r a k t i s c h e B e d e u t u n g zukommt. Doch ist der Reaktionsverlauf im einzelnen stets k o m p l i z i e r t , zum Teil sogar h y p o t h e t i s c h . Wir wollen uns daher im folgenden zunächst mit einer mehr b e s c h r e i b e n d e n Wiedergabe der Umsetzungen begnügen, und die eingehende Erörterung des Reaktionsmechanismus auf später (II, Kap. 4, I I I , 3 c) verschieben. Man kann drei große Gruppen von Reaktionen linterscheiden: a) Umsetzungen, die unter A b s p a l t u n g von e l e m e n t a r e m S t i c k s t o f f verlaufen, b) die als K u p p l u n g s r e a k t i o n bezeichnete Einführung der Azogruppe (R—N=N—) in andere Moleküle und c) die U m w a n d l u n g der D i a z o g r u p p e in andere stickstoffhaltige Funktionen. Zu a) Die Abspaltung von elementarem Stickstoff erfolgt besonders leicht bei der t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g der D i a z o n i u m s a l z e , in denen das N2-Molekül bereits vorgebildet ist. Die Reaktion verläuft formal stets in der Weise, daß der nach Herausspaltung des Stickstoffs zurückbleibende p o s i t i v geladene orga-

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

620

n i s c h e R e s t sich m i t dem A n i o n des u r s p r ü n g l i c h e n D i a z o n i u m s a l z e s (oder mit einer anderen anwesenden b a s i s c h e n S u b s t a n z unter Abspaltung eines Protons, vgl. ζ. B. unter ß) zu einem N e u t r a l m o l e k ü l vereinigt:

Ο

Θ

—N = N χ -

|Ns=N| + (

Sie stellt also praktisch eine A r y l i e r u n g d e r V e r b i n d u n g Η — X dar und zeigt damit eine gewisse Analogie zu der A l k y l i e r u n g s r e a k t i o n der a l i p h a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n (S. 609). Doch kommt ihr in Anbetracht der Reaktionsträgheit der üblichen Arylierungsmittel (S. 167) eine weit größere praktische Bedeutung zu, und sie ist die wohl w i c h t i g s t e a l l g e m e i n a n w e n d b a r e Methode zur E i n f ü h r u n g n e g a t i v e r R e s t e in d e n B e n z o l k e r n überhaupt. Bei der Anwendung dieser Methode muß man beachten, daß der Substituent X in dem zur Einwirkung kommenden Ion X - stets eine um zwei E i n h e i t e n n i e d r i g e r e Oxyd a t i o n s s t u f e aufweist, als in der zur Substitution eines a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f s benötigten Verbindung X—OH oder X—Cl: Η + HO—X

—H,0

©

—X

>—N=N χ -

Für die Darstellung der N i t r o v e r b i n d u n g e n muß man also die D i a z o n i u m n i t r i t e für die der S u l f o n s ä u r e n die S u l f i t e , für die der Arsonsäuren die A r s e n i t e usw. verwenden, während die direkte Substitution des Kohlenwasserstoffs mit S a l p e t e r s ä u r e , S c h w e f e l s ä u r e , A r s e n s ä u r e usw. vorgenommen wird.

Die Reaktion geht je n a c h d e n e i n z u f ü h r e n d e n S u b s t i t u e n t e n unter v e r s c h i e d e n e n Bedingungen vor sich, so daß wir fünf verschiedene Untergruppen unterscheiden. α) Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei der Einwirkung der relativ s t a r k b a s i s c h e n A n i o n e n s c h w a c h e r S ä u r e n wie ζ. B. dem N3~, S , RO—CS—S AsO(OH);f und SbO(OH) 2 ~-Ion, sowie auch dem infolge seiner hohen P o l a r i s i e r b a r k e i t zu dieser Gruppe gehörenden J o d ion. Hier findet die Reaktion bereits beim Z u s a m m e n g e b e n d e r I o n e n , gegebenenfalls nach kurzem Erhitzen, im Sinn der oben angeführten Gleichung statt. W

+ N,

-
-

+

O ^

j

^

O—R

Die Reaktion verläuft aber sehr w e n i g g l a t t und kann nur mit M e t h y l a l k o h o l in leidlicher Ausbeute durchgeführt werden. Bei Verwendung h ö h e r e r A l k o h o l e überwiegt die unter ε) beschriebene N e b e n r e a k t i o n .

Y) Außer den Anionen der starken Säuren treten auch die Anionen zahlreicher s c h w a c h e r S ä u r e n , wie ζ. B. CN~, S0 3 H~, S0 2 H~ und N0 2 ~, nicht ohne weiteres in den Benzolkern ein, da sie mit der Diazoverbindung k u p p e l n (s. u.). Diese Schwierigkeit konnte erst auf Grund der wichtigen Beobachtung von S A N D M E Y E R überwunden werden, daß die Anwesenheit von K u p f e r - I - V e r b i n d u n g e n oder von m e t a l l i s c h e m K u p f e r (das wohl intermediär zumindest an der Oberfläche in Kupfer-I-Verbindungen übergeht) die K e r n s u b s t i t u t i o n gegenüber der Kupplungsreaktion und auch der Phenolbildung begünstigt, und es ist nunmehr möglich, alle unter ß) und γ) genannten Ionen in normaler Weise in den Benzolkern einzuführen. So setzt man ζ. B. zur A r y l i e r u n g v o n C h l o r - , B r o m - und C y a n - I o n e n die Lösung eines beliebigen Diazoniumsalzes direkt mit CuCl bzw. CuBr oder CuCN um, während zur Darstellung der Nitroverbindungen und der Sulfonsäuren im allgemeinen der Zusatz von K u p f e r p u l v e r zu der Lösung der betreffenden Ionen genügt. Ebenso kann man den S u l f i n s ä u r e r e s t mit Hilfe von S 0 2 H ~ - I o n e n in Gegenwart von K u p f e r p u l v e r einführen:

Doch arbeitet man liier besser mit S0 2 , das durch K u p f e r p u l v e r oder durch zugesetzten A l k o h o l intermediär zum S0 2 KT-Ion reduziert wird. Die einzigen der wichtigeren Substituenten, deren Einführung auf diese Weise bisher nicht gelungen ist, sind der P h o s p h o r s ä u r e r e s t und das F l u o r i o n . 8) Die D i a z o n i u m f l u o r i d e verhalten sich wie die Salze s t a r k e r S ä u r e n , d. h. sie gehen bei der Verkochung in P h e n o l e über, und selbst dann, wenn man zur Zurückdrängung der Phenolbildung in 70%iger F l u o r w a s s e r s t o f f s ä u r e arbeitet, sind die Ausbeuten an Arylfluoriden noch s e h r k l e i n . Da diese auch nach dem Verfahren von S A N D M E Y E R nicht erhalten werden können, galten sie lange Zeit als schwer zugänglich. Erst im Jahre 1934 gelang S C H I E M A N N die Überwindung dieser Schwierigkeiten nach einem grundsätzlich n e u a r t i g e n V e r f a h r e n : durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g der trockenen D i a z o n i u m b o r f l u o r i d e : Erhitzen

>

V — F + J f e N + BF 3

Das Prinzip der Methode beruht darauf, daß einerseits durch Verwendung der wasserfreien Salze die P h e n o l b i l d u n g v e r m i e d e n wird, andererseits die Stabilität der Diazoniumfluoride durch Überführung des Fluorions in den voluminöseren B o r f l u o r i d k o m p l e x derart g e s t e i g e r t wird, daß sie, namentlich in Mischung mit Sand, o h n e j e d e E x p l o s i o n s g e f a h r thermisch zersetzt werden können.

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

622

€) Schließlich läßt sich die Diazogruppe auch durch W a s s e r s t o f f ersetzen. Die Reaktion verläuft nach einem ganz a n d e r e n M e c h a n i s m u s als die bisher beschriebenen Substitutionsreaktionen, da der Stickstoff n i c h t d i r e k t , sondern erst nach Umwandlung der D i a z o in die schon mehrfach erwähnte D i i m i n o g r u p p e (vgl. S. 626) abgespalten wird: ©

-N=N

+ H2

— HT

-N=N- H

•H + N = N

Als Reduktionsmittel wählt man meistens eine s t a r k a l k a l i s c h e S t a n n i t l ö s u n g . Doch kann die Reduktion auch in s a u r e m Medium mit A l k o h o l e n , die hierbei in A l d e h y d e übergehen, durchgeführt werden (Gleichung formulieren!). Letztere Möglichkeit ist vor allem als störende Nebenreaktion bei der unter β beschriebenen Phenolätherbildung von Interesse.

Zu b) Die e i n f a c h s t e K u p p l u n g s r e a k t i o n haben wir auf S. 614 in der Umwandlung der Diazoniumsalzie. in die syn- und a n t i - D i a z o t a t e bereits kennen gelernt. Bei ihr ist der für die Kupplungsreaktion wesentliche Vorgang die Anlagerung des b a s i s c h e n H y d r o x y l i o n s an das ä u ß e r e N - A t o m (also nicht an den Oniumstickstoff!) des Diazoniumions, wobei unter g e g e n s e i t i g e r E n t l a d u n g beider Ionen das Neutralmolekül des D i a z o h y d r o x y d s entsteht (Reaktion a, Näheres über den Mechanismus vgl. II, Kap. 4, III, 3 c). In ähnlicher Weise kann man (in Abwesenheit von Kupfer, um die Sandmeyer sehe Reaktion auszuschalten) auch andere b a s i s c h e A n i o n e n an das Diazoniumion anlagern, wie u. a. die Bildung der undissoziierten D i a z o c y a n i d e (Reaktion b) und D i a z o s u l f o n a t e (Reaktion c) beim Zusammengeben der entsprechenden Ionen zeigt: θ

a)

-N=N

+ OH"

>—Ν HO—Ν

o

-

-Ν Ν—OH

syn-Diazohydroxyd anti-Diazohydroxyd (beide nur in Form der Salze beständig) ©

b)

•N=N

+ C=N"

-N N=C—Ν syn-Diazo-cyanid

•N II

N— C = N

anti-Diazo-cyanid

©

c)

-N=N

+ IS0 3 NaNa0 3 S—Ν svn-Diazoaulfonat

Ν—S0 3 Na anti-Diazosulfonat

Bei vielen dieser Reaktionen entstehen in der angegebenen Weise primär die s y n - V e r b i n d u n g e n , die sich dann sekundär mehr oder weniger leicht in die s t a b i l e r e n a n t i - V e r b i n d u n g e n umlagern. Diese «teilen stets die E n d s t u f e d e r K u p p l u n g s r e a k t i o n dar und werden in den meisten Fällen unter Überspringung der Stufe der syn-Verbindungen als a l l e i n i g e s K u p p l u n g s p r o d u k t erhalten. Man läßt die s y n - V e r b i n d u n g e n daher vielfach überhaupt aus der Reaktionsgleichung fort und definiert als K u p p l u n g s r e a k t i o n s c h l e c h t h i n die bei der Anlagerung b a s i s c h e r V e r b i n d u n g e n j e d e r A r t an Diazoniumionen (und zuweilen auch an andere Diazoverbindungen) eintretende Bildung von D e r i v a t e n des D i i m i n s ohne Rücksicht auf den s t e r i s c h e n A u f b a u des R e a k t i o n s p r o d u k t e s . Als basische Reaktionspartner können hierbei fungieren: α) Anionen, die in der angegebenen Weise stets unter Bildung einer n e u t r a l e n D i a z o v e r b i n d u n g angelagert werden. Danach kann man die Kupplung als U m k e h r r e a k t i o n e i n e r e l e k t r o l y t i s c h e n D i s s o z i a t i o n auffassen, d. h. die Kupp-

Die Kupplungsreaktion

623

lungsprodukte stellen die undissoziierte und die Diazoniumsalze die dissoziierte Form der aromatischen Diazoverbindungen dar: Θ

Χ-

-N=N

N=N—Χ

Die L a g e d e s D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t e s — das sich im Gegensatz zu anorganischen Dissoziationsreaktionen allerdings nur im Rahmen einer Z e i t r e a k t i o n einstellt, so daß ζ. B. die freien Diazoniumhydroxyd-Basen in Lösung kurzzeitig beständig sind (S. 618) — hängt naturgemäß einerseits von den e l e k t r i s c h e n E i g e n s c h a f t e n d e s L ö s u n g s m i t t e l s , andererseits von der B a s i z i t ä t d e r A n i o n e n ab. So wird sich das G l e i c h g e w i c h t z.B. in W a s s e r und ähnlichen Lösungsmitteln, die infolge ihrer h o h e n D i e l e k t r i z i t ä t s k o n s t a n t e n die elektrolytische Dissoziation begünstigen, stärker zu den D i a z o n i u m s a l z e n und in rein o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n mit ihren g e r i n g e n D i e l e k t r i z i t ä t s k o n s t a n t e n mehr zu den n e u t r a l e n D i a z o v e r b i n d u n g e n hin verschieben. Die Abhängigkeit der Dissoziations- bzw. Kupplungsneigung von der Basizität der Anionen kann man nach D I M R O T H sehr schön an Hand einiger P h e n o l d e r i v a t e verfolgen. Während D i a z o n i u m p i k r a t (I) infolge der geringen Basizität des Anions ( P i k r i n s ä u r e ist eine s t a r k e S ä u r e , vgl. Tabelle 31, S. 654) in ähnlicher Weise stets v o l l k o m m e n d i s s o z i i e r t ist wie die D i a z o n i u m c h l o r i d e , - s u l f a t e und - n i t r a t e , beobachtet man bei den Diazoniumsalzen des bereits wesentlich schwächer sauren p - N i t r o p h e n o l s (II) einen deutlichen B ü c k g a n g d e r L e i t f ä h i g k e i t gegenüber dem aus der Summe der Ionenleitfähigkeiten berechneten Wert. Hier liegt also bereits ein e c h t e s D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t mit dem u n d i e s o z i i e r t e n D i a z o ä t h e r I I I vor, und der Dissoziationsgrad beträgt nur noch w e n i g e P r o z e n t . Das Pentamethylphenolat-Ion schließlich wird, ähnlich wie das Cyan- und Sulfit-Ion, q u a n t i t a t i v zu dem n i c h t m e h r i o n i s i e r b a r e n Diazoäther IV angelagert: Θ

κ

1+

-N=N

+ &0 ι

—NO,

^

IV kein Dissoziationsgleichgewicht

02N/

kein Assoziationsgleichgewicht + ©

-N=N

+ ~0—
—N=N—0—:

—NO,

II Dissoziations- bzw.

Assoziationsgleichgewicht

Durch starke Säuren werden alle diese Kupplungsreaktionen wieder rückgängig gemacht, da die starken Säuren einerseits die Anionen der schwachen Säuren abfangen und dadurch das Gleichgewicht in der e n t g e g e n g e s e t z t e n E i c h t u n g verschieben, andererseits durch Bildung von Oniumionen (z.B. von V) die Ablösung des Substituenten am äußeren Stickstoff erleichtern:

V

ß) basische Neutralverbindungen, insbesondere Anilinbasen, die primär zu den Diazoaminoverbindungen (VI) angelagert werden: 1+ N=N—NH2—/

+ H 2 N. —N=N—NH—; + ΚΓ

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

624

Die Reaktion unterscheidet sich von der vorhergehenden lediglich dadurch, daß primär ein K a t i o n entsteht, das erst in der Sekundärreaktion durch A b g a b e e i n e s P r o t o n s entladen wird. Sie ist bis zu einem gewissen Grade r e v e r s i b e l , so daß man durch s t a r k e S ä u r e n , die das auf der linken Seite der Gleichung stehende Anilin a b f a n g e n , eine v o l l s t ä n d i g e R e a k t i o n s u m k e h r erzwingen und die Diazoaminoverbindungen unter Regeneration der D i a z o n i u m s a l z e wieder a u f s p a l t e n kann. γ ) aktivierte olefinische und aromatische Verbindungen, die, wie wir auf S. 90 und 130 gesehen haben, primär a m m o n i a k a n a l o g reagieren und sich daher ebenfalls an das ä u ß e r e D i a z o n i u m - N - A t o m anzulagern vermögen. Auch hier muß das zunächst entstehende Kation in der Sekundärreaktion durch A b g a b e e i n e s P r o t o n s (unter gleichzeitiger R e g e n e r a t i o n d e r D o p p e l b i n d u n g ) stabilisiert werden (Näheres über den Reaktionsmechanismus vgl. II, Kap. 4, III, 3c). Die Reaktion kommt also praktisch auf eine S u b s t i t u t i o n d e s O l e f i n - bzw. B e n z o l w a s s e r s t o f f s durch die Diazogruppe hinaus, erfordert aber einerseits besonders a n l a g e r u n g s f r e u d i g e D i a z o n i u m s a l z e (ζ. B. 2 , 4 - D i n i t r o b e n z o l - d i a z o n i u m c h l o r i d ) , andererseits besonders a k t i v e K o h l e n w a s s e r s t o f f e wie B u t a d i e n und eigenartigerweise auch M e s i t y l e n : /NO, H3(X —> ,+

0,N—(

>—N=N—C

-CH,

+C,H„ j

0 2 N-

/NO, L

OoN-

Ν=N—CH=CH—CH=CH,

Hier ist eine nachträgliche Wiederabspaltung der angelagerten Kohlenwasserstoffreste durch Säuren n i c h t m e h r m ö g l i c h . Noch leichter als mit den reinen Kohlenwasserstoffen geht die Kupplungsreaktion mit den a k t i v i e r t e n a r o m a t i s c h e n S y s t e m e n d e s A n i l i n s und des P h e n o l a t - I o n s vor sich, die, wie auch bei anderen Substitutionsreaktionen, fast ebenso leicht im K e r n (und zwar bevorzugt in p - S t e l l u n g zum Heteroatom) wie am S t i c k s t o ff bz w . S a u e r s t o f f substituiert werden. Insbesondere das P h e n o l a t - I o n kuppelt normalerweise a u s s c h l i e ß l i c h im K e r n und kann nur bei B e s e t z u n g d e r ρ - S t e l l u n g in die Diazoäther (VII) übergeführt werden: + Θ ο-NO. -NO, —OH Bei den A n i l i n b a s e n beobachtet man umgekehrt normalerweise primär die Bildung der auf S. 623 beschriebenen D i a z o a m i n o v e r b i n d u n g e n (VIII) und nur bei vollständiger B e s e t z u n g des S t i c k s t o f f s mit Alkylresten (ζ. B. beim D i m e t h y l a n i l i n ) eine d i r e k t e K e r n s u b s t i t u t i o n zur p - A m i n o - a z o - V e r b i n d u n g I X :

Θ

-NsN

)—N=N—NH—• VIII

J~ " V •ST(CH,), . / -H+

.CH, -N=N— < IX

NC

CH,

Sonstige Reaktion der Diazoverbindungen

625

Doch kann man bei den Diazoaminoverbindungen durch n a c h t r ä g l i c h e B e h a n d l u n g mit s c h w a c h e n S ä u r e n eine Kernwanderung des am Stickstoff befindlichen Substituenten, d. h. eine U m l a g e r u n g in d i e p - A m i n o - a z o - V e r b i n d u n g e n erzielen (S. 634), so daß man im Endeffekt sowohl die P h e n o l e als auch die A n i l i n b a s e n ohne Schwierigkeit in die k e r n s u b s t i t u i e r t e n K u p p l u n g s p r o d u k t e überführen kann, wovon bei der Synthese der A z o f a r b s t o f f e technisch in großem Maßstab Gebrauch gemacht wird. Auch die E n o l a t e d e r 1,3 -Dicar bony 1 Verbindung en lagern sich bei der Kupplung mit einem C-Atom, und zwar mit dem zum Enolsauerstoff/?-ständigen K o h l e n s t o f f (,, OrthoStellung"), an die Diazogruppe an. Man erhält infolgedessen als Kupplungsprodukt primär die A z o v e r b i n d u n g X, die jedoch i n s t a b i l ist und sich sofort in das A r y l - h y d r a z o n einer T r i c a r b o n y l v e r b i n d u n g (XI) umlagert:

R—C=0 I

CH +

R—C—0°

R—C=0 Umlagerung

I

C

I R—C=0 Da man schließlich dieses Arylhydrazon zum Triketon (XII) selbst verseifen kann, ist die ganze Reaktionsfolge gleichbedeutend mit einer partiellen R e d u k t i o n der D i a z o v e r b i n dung bis zur Stufe des A r y l h y d r a z i n s unter gleichzeitiger Oxydation einer a k t i v e n Methylen- zur Carbonylgruppe (vgl. auch S. 925).

Außer den Diazoniumionen vermögen auch die s y n - D i a z o t a t e mit den genannten Verbindungen, insbesondere mit P h e n o l a t e n und A n i l i n b a s e n im Kern, zu kuppeln. Die Reaktion ist hier natürlich k e i n e A n l a g e r u n g s r e a k t i o n mehr, sondern eine S u b s t i t u t i o n der labileren, in c i s - S t e l l u n g zum Benzolkern befindlichen O N a - G r u p p e durch den in t r a n s - S t e l l u n g eintretenden R e s t d e r K u p p l u n g s k o m p o n e n t e , die wahrscheinlich im Sinne der in II, Kap. 4, I I , 2a beschriebenen S . \ - 2 - R e a k t i o n verläuft:

y—N(CH 3 ) 2

ν

X



7

II

/

ν + NaOH \-N(CH3)2

Zu c) Von den verschiedenen Umwandlungsmöglichkeiten der Diazogruppe in andere stickstoffhaltige Substituenten ist bei weitem am wichtigsten die R e d u k t i o n z u r H y d r a z i n o g r u p p e , die wir auf S. 598 bereits kurz gestreift haben. Sie wird, abgesehen von der soeben beschriebenen Hydrazonbildung bei der K u p p l u n g s r e a k t i o n d e r E n o l a t e , entweder nach E. F I S C H E R mit N a t r i u m s u l f i t oder nach V. M E Y E R mit Z i n n - I I - c h l o r i d in stark saurer Lösung als Reduktionsmittel durchgeführt. Das w i c h t i g e r e und auch elegantere Verfahren von E. F I S C H E R beruht n i c h t auf einer Reduktion im üblichen Sinn, sondern auf einer z w e i m a l i g e n Anlagerung und Wiederabspaltung des Schwefels in v e r s c h i e d e n e n O x y d a t i o n s s t u f e n . In der ersten Phase entsteht durch Kupplung der Diazoverbindung mit dem Sulfit-Ion das oben beschriebene a n t i - D i a z o s u l f o n a t , das an die N=N-Doppelbindung noch ein z w e i t e s Mol schweflige Säure (in Form des Bisulfit-Ions) zur N , N ' - A r y l h y d r a z i n - D i s u l f o n s ä u r e anlagert. Diese spaltet dann beim Erhitzen mit Salzsäure die beiden Sulfogruppen in Form von S c h w e f e l s ä u r e , also

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

626

unter A u s t a u s c h d e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs und des Schwefels (vgl. auch S. 925), wieder ab, so daß einerseits ein Überschreiten der Reduktionsstufe des H y d r a z i n s , andererseits aber auch die intermediäre Bildung des sofort unter Stickstoffabspaltung zerfallenden M o n o - a r y l d i i m i n s (S. 622) als primären Reduktionsproduktes unmöglich gemacht wird: ®

~N=NI H SO,Iva

+ : SO s Na-

-N—NH—SO,Na

HydrolyM

N=N—SO,Na V

—NH—NH 2 + 2 NaHSO.

Das Verfahren von V. M E Y E R hat demgegenüber nur t h e o r e t i s c h e B e d e u t u n g erlangt im Hinblick auf das unterschiedliche Verhalten der Diazoverbindungen gegenüber zweiwertigem Zinn in saurer und a l k a l i s c h e r Lösung. Der genaue Reaktionsmechanismus ist hier nicht bekannt.

Weiterhin kann man die stabile anti-Diazotatgruppe auch o x y d a t i v unter E r h a l t u n g d e r N = N - D o p p e l b i n d u n g verändern, indem man in der üblichen Weise durch Einwirkung von H y d r o p e r o x y d semipolar gebundenen S a u e r s t o f f an das einsame Elektronenpaar e i n e s der beiden N-Atome anlagert. Hierbei entstehen nebeneinander die Alkalisalze des N i t r a m i d s und des I s o n i t r a m i d s (bzw. C u p f e r r o n s , S. 603): Ο ηΘ " N=N—Ο Θ

Θ -N=N—Ο Na + + Oi

- N = 0

Na+

mesomere Formen des Natrium-Cupferrons

«

ο

N

Ο

, Na+ Ο

X

mesomere Formen des Natrium-phenyl-nitramids

Schließlich ist es auch möglich, die Diazogruppe durch Kondensation von A r y l d i a z o n i u m p e r p r o m i d e n mit Ammoniak in die A z i d o g r u p p e überzuführen (Näheres vgl. S. 636).

2. Die organischen Derivate des Diimins (AzoVerbindungen) a) A l l g e m e i n e s Von den verschiedenen Hydrierungsstufen des elementaren Stickstoffs: N = N Stickstoff

Η—N=N—Η Diimin[(Azowasserstoff)

H2N—NH2 Hydrazin

und

H3N NH Ammoniak

s

ist nur das Diimin nicht bekannt, weil es unter Wasserstoffabspaltung sofort in A m m o n i a k und den wesentlich stabileren e l e m e n t a r e n S t i c k s t o f f übergeht (vgl. anorg. Lehrbücher). In ähnlicher Weise zerfallen auch die Monoalkyl- und Monoaryl-diimine im Augenblick ihre Bildung in elementaren Stickstoff und einen Kohlenwasserstoff: Κ N=--N Η >- Κ - Η + |N=NI eine Reaktion, die wir bereits in d r e i v e r s c h i e d e n e n F ä l l e n als die Ursache der auffallend leicht erfolgenden Substitution s t i c k s t o f f h a l t i g e r R e s t e durch W a s s e r s t o f f kennen gelernt haben:

Die Azoverbindungen — R 2 C H 2 + IN=N!

R 2 C=N—NH 2 Reaktion von Η Η X—XH

627

KISHNER

Η,

und

N=N

WOLFF

(S. 265)

Η

-Η + ΙΝ=ΝΙ

Dehydrierung von Mono-aryl-hydrazinen (S. 599) -N=N—-

— OH

( O

N=N

Η

H+!N=NI

partielle Reduktion von Diazoverbindungen (S. 626). Erst wenn man an b e i d e n S e i t e n des Diiminmoleküls den Wasserstoff substituiert, wird die N=N-Gruppe b e s t ä n d i g e r , wie die Existenzfähigkeit der u n t e r s a l p e t r i g e n S ä u r e , sowie die der im vorigen Abschnitt beschriebenen I s o d i a z o t a t e , I s o d i a z o c y a n i d e usw. zeigt, und sie erreicht schließlich in den allgemein als Azoverbindungen bezeichneten Diaryl-diiminen eine derartige Stabilität, daß man ζ. B. A z o b e n z o l bei 293° unter Atmosphärendruck u n z e r s e t z t destillieren kann. , Die Benennung der organischen Derivate des Diimins beruht auf einem historischen Irrtum und weicht daher nicht unerheblich von den üblichen Nomenklaturprinzipien der organischen Chemie ab. Man glaubte nämlich früher, daß das Diphenyldiimin (CeHj—N=N—CeH5) als eines der Reduktionsprodukte des Nitrobenzols monomolekular sei, in seiner Zusammensetzung (CeH5—N) also dem Chlorbenzol (CeHs—Cl) entspreche, und nannte es daher in analoger Weisβ Azobenzol (= Stickstoff benzol). Diese Bezeichnungsart wurde auch später, als man die wahre Natur der Azoverbindungen erkannte, beibehalten, so daß die Azogruppe (—N=N—) und einige verwandte Gruppierungen heute die einzigen zweiwertigen organischen Funktionen sind, deren Namen im Sinne eines einwertigen Substituenten Anwendung finden. Unter Azobenzol, Azomelhan usw. versteht man also Verbindungen, in denen die Η-Atome von zwei Benzol- bzw. zwei Methanmolekülen durch die zweiwertige Azogruppe substituiert sind. Der Nachteil dieser Benennungsart tritt insbesondere dann in Erscheinung, wenn auf beiden Seiten der Azogruppe verschiedene Reste stehen. So müßte man ζ. B. die Verbindung CeH6—N=N—CH3 folgerichtig „Azobenzolmethan" benennen, doch sind derartige gemischt aliphatisch-aromatische Azoverbindungen ohne jede Bedeutung geblieben. In dem praktisch wichtigeren Fall der Azofarbstoffe, die meistens Diaryl-azoverbindungen mit verschiedenartigen Arylresten darstellen, hilft man sich häufig in der Weise, daß man vom Azobenzol als Grundverbindung ausgeht und die zu benennende Substanz als unsymmetrisch substituiertes Azobenzol auffaßt. So führt ζ. B. der einfachste basische Azofarbstoff, das Anilingelb CeH6—N=N—CeH4—NH2, den rationellen Namen p-Aminoazobenzol. Den gleichen unglücklichen Nomenklaturverhältnissen begegnen wir auch bei einigen nahe verwandten Verbindungsklassen. So enthalten ζ. B. die auf S. 632 f. beschriebenen Azoxykörper als oxydierte Azoverbindungen ebenfalls eine zweiwertige S t i c k s t o f f F u n k t i o n und zwei Benzolkerne im Molekül. Insbesondere aber werden die symmetrisch disubstituierten Hydrazine (S. 596, 600) auf Grund ihrer wichtigsten Darstellungsweise nicht als Hydrazinderivate, sondern als Hydrazokörper, d. h. als hydrierte Azoverbindungen, bezeichnet. Der Ausdruck „Hydrazo" hat also überhaupt nichts mit dem Hydrazinsystem zu tun.

628

Hydroxylamino-, Hydrazino-, DiazoVerbindungen usw.

Schließlich findet in dem erwähnten historischen Irrtum auch der eigenartige Unterschied der Benennung der A z o - und D i a z o v e r b i n d u n g e n , die ja beide jeweils zwei zusammenhängende N-Atome enthalten, also d e r s e l b e n V e r b i n d u n g s k l a s s e angehören sollten (ζ. B. kann man die Diazotate Ar—N = N—Ο Na, Diazosulfonate Ar—N = N — S 0 3 N a und Diazoeyanide Ar—N = N — C = N , [vgl. S. 622] ebensogut als A z o v e r b i n d u n g e n auffassen), seine befriedigende Erklärung: Die Azokörper sind Verbindungen, die e i n N - A t o m und die Diazokörper Verbindungen, die z w e i N - A t o m e pro Arylrest enthalten.

b) Die a l i p h a t i s c h e n A z o v e r b i n d u n g e n Die „ A z o p a r a f f i n e " sind wesentlich unbeständiger als die aromatischen Azoverbindungen und haben daher nur geringe Bedeutung erlangt. Ihr einfachster Vertreter, das Azomethan CH 3 —N=N—CH 3 , wurde im Jahre 1909 von THIELE entdeckt und kann wie alle Azoverbindungen durch vorsichtige Dehydrierung des entsprechenden H y d r a z o k ö r p e r s mit Q u e c k s i l b e r o x y d dargestellt werden: Η ff M.JT CH3—Ν—Ν—CHj

CH3—N=N—CH3

Azomethan ist ein farbloses, sich bei 2° zu einer gelben Flüssigkeit kondensierendes Gas. Es besitzt also bereits die für alle Azoverbindungen charakteristischen F a r b e i g e n s c h a f t e n , die somit der A z o g r u p p e s e l b s t zugeordnet werden müssen. Von seinen c h e m i s c h e n U m s e t z u n g e n interessiert vor allem die leichte Überführbarkeit in das M e t h y l h y d r a z o n d e s F o r m a l d e h y d s , die häufig, insbesondere in flüssigem Zustand, bereits s p o n t a n eintritt: H3C—N=N—CH3

ν H2C=N—NH—CHj

Der gleichen Reaktion sind wir bereits bei der Stabilisierung der K u p p l u n g s p r o d u k t e d e r E n o l a t e (S. 625) begegnet. Sie stellt die eigentliche U r s a c h e d e r I n s t a b i l i t ä t der aliphatischen Azoverbindungen dar und kann ihrer ganzen Natur nach etwa mit der auf S. 663 beschriebenen Umlagerung der aliphatischen N i t r o s o v e r b i n d u n g e n in O x i m e verglichen werden. Insbesondere scheint genau wie dort die im Rahmen eines T a u t o m e r i e g l e i c h g e w i c h t e s zu erwartende R ü c k r e a k t i o n selbst bei höherer Temperatur n u r in S p u r e n zu erfolgen. Denn normalerweise kann man die Azo- neben der Hydrazonform n i c h t n a c h w e i s e n , und nur der l a n g s a m e A b b a u d e r K e t o n h y d r a z o n e nach KISHNER-WOLFF (S. 265), bei dem eine derartige Rückreaktion zur Bildung des intermediär auftretenden monosubstituierten Diimins erforderlich ist, spricht für die Möglichkeit der Ausbildung einer T a u t o m e r i e . Der u n g e s ä t t i g t e Charakter der N = N - D o p p e l b i n d u n g ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen auf S. 605 erheblich s c h w ä c h e r ausgeprägt als der der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g . Ferner weist sie aus den in II, Kap. 3, II, 2e diskutierten Gründen einen gänzlich a n d e r e n R e a k t i o n s t y p u s auf, da das erste N-Atom n i c h t a m m o n i a k a n a l o g mit seinem einsamen Elektronenpaar sondern s ä u r e n a n a l o g („kationoid", vgl. II, Kap. 4, II, 1) mit einer E l e k t r o n e n l ü c k e in Reaktion tritt. Sie reagiert daher nicht mehr mit den üblichen Olefinreagentien ( B r o m , O z o n , K a l i u m p e r m a n g a n a t usw.), sondern muß mit der C = 0 - D o p p e l b i n d u n g oder der k a t i o n o i d reagierenden C=C-Doppelbindung des asD i p h e n y l - ä t h y l e n s (S. 141) verglichen werden, mit denen sie die Fähigkeit zur Anlagerung von A l k a l i m e t a l l e n , m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen und n a s c i e r e n d e m W a s s e r s t o f f gemeinsam h a t :

Die Azoverbindungen

629

R' R

+ Li-R'

Ν

+ 2 Li

Ν I R

+2 Η

I Li

R—Ν—N—R L i

L i

R—Ν—Ν—R R—NH—NH—R

Etwas beständiger als die r e i n e n A z o p a r a f f i n e sind einige D i a c y l d e r i v a t e d e s D i i m i n s , die n i c h t m e h r in die Hydrazonform umgewandelt werden können. Hier muß vor allem der interessante Azodicarbonsäureester hervorgehoben werden, der als K o h l e n s ä u r e d e r i v a t d e s D i i m i n s aus H y d r a z i n und C h l o r k o h l e n s ä u r e e s t e r über den H y d r a z o d i c a r b o n s ä u r e e s t e r (vgl. anorg. Lehrbücher) gewonnen wird: N H — Η Cl—COOR | i + N H — Η Cl—COOR

a H1 PI C1

-

V

NH—COOR | NH—COOR



N—COOR i, N—COOR

>

Azodicarbonsäureester

E r stellt eine o r a n g e r o t e Flüssigkeit dar, die erst oberhalb 150° Zersetzung erleidet und im Vakuum unzersetzt destilliert werden kann. Die N=N-Doppelbindung ist infolge der Aktivierung durch die Carboxylgruppen e t w a s r e a k t i o n s f ä h i g e r als bei den Azoparaffinen und läßt infolgedessen, abgesehen von der auch hier möglichen M e t a l l a n l a g e r u n g und H y d r i e r u n g zur HydrazoVerbindung, sehr schön die auf Grund des GRiMMSchen H y d r i d v e r s c h i e b u n g s s a t z e s (vgl. anorg. Lehrbücher) geforderte M i t t e l s t e l l u n g zwischen der 0 = 0 - und C = C - D o p p e l b i n d u n g erkennen. So vermag ζ. B. Azodicarbon säureester einerseits O l e f i n e in Allylstellung unter Bildung einer H y d r a z o v e r b i n d u n g zu substituieren, eine Reaktion, die als Modellreaktion der A u t o x y d a t i o n d e r Olef i n e (S. 99) angesehen werden kann: COOR COOR I I

Ν

NH

\C=CH-C^

cooe coor

.·'· *

η

*

0—0—Η

\ C = C H + - ° = ° - v

\ C = C H ,

andererseits in Analogie zum M a l e i n s ä u r e a n h y d r i d als p h i l o d i e n e Komponente bei der Diels-Aldbrsehen Diensynthese (S. 947 f.) zu fungieren: R 0 0 C

\

N

/\

K00C 1

R O O C / ^

R

\n

\

ν

°ÜC/''

/

oc /OC,

- o ^

;



0 G

\ / \

o; X O C / V

Eine letzte interessante Reaktion der N=N-Doppelbindung, die weder in der Olefinreihe noch beim elementaren Sauerstoff ihr Analogon findet, beobachtet man bei der Einwirkung von A l k a l i , durch das die Doppelbindung in glatter Reaktion unter Bildung eines U r e t h a n s und einer N i t r o s o v e r b i n d u n g hydrolysiert wird: ROOC—N—N—R00R + H 2 0

-

—N=N—

Die Reaktion stellt die U m k e h r u n g der bei den Azodicarbonsäureestern beschriebenen H y d r o l y s e d e r A z o g r u p p e dar und hat spezielle Bedeutung zur Synthese u n s y m m e t r i s c h s u b s t i t u i e r t e r A z o v e r b i n d u n g e n erlangt. Ihr nahe verwandt ist die in alkalischer Lösung vor sich gehende Kondensation von zwei Molekülen eines a r o m a t i s c h e n H y d r o x y l a m i n s (vgl. S. 595).

Eigenschaften. Die aromatischen Azoverbindungen können sich infolge der t e r t i ä r e n Natur der Arylreste n i c h t m e h r in Hydrazone umlagern. Sie sind daher wesentlich b e s t ä n d i g e r als die aliphatischen Glieder der Reihe und erleiden im allgemeinen e r s t o b e r h a l b 300° Zersetzung. Insbesondere zeichnen sie sich durch eine sehr i n t e n s i v e , bei den einfachen Verbindungen meistens g e l b bis r o t e F a r b e aus, die sie, namentlich in Anbetracht ihrer allgemeinen Beständigkeit, hervorragend zu F a r b s t o f f e n geeignet macht. Weiterhin kann man an ihnen sehr schön die große p h y s i k a l i s c h e Ä h n l i c h k e i t der Azo- und JUAy?e»gruppierung erkennen, die insbesondere in einer weitgehenden Analogie zwischen Azobenzol und Stilben zum Ausdruck kommt. So konnte H A R T L E Y im Jahre 1937 nachweisen, daß das n o r m a l e Azobenzol in gleicher Weise wie das n o r m a l e Stilben t r a n s K o n f i g u r a t i o n besitzt, und daß es in Analogie zum Stilben möglich ist, das stabile transAzobenzol durch U . V . - B e s t r a h l u n g (teilweise) in die l a b i l e r e c i s - V e r b i n d u n g umzulagern:

Die Azoverbindungen

HC—
—N=N—N;

XCH,

CH,

Insbesondere das als Beispiel angeführte l-Phenyl-3,3-dimethyltriazen erwies sich infolge der Substitution sämtlicher Η-Atome des Triazenmoleküls als recht b e s t ä n d i g e S u b s t a n z , die u. a. bei 230° ohne Zersetzung destilliert werden kann. Lediglich S ä u r e n gegenüber ist es u n b e s t ä n d i g und daher nur in wenigen Fällen zur S a l z b i l d u n g (ζ. B. eines P i k r a t s ) befähigt. Für die d i s u b s t i t u i e r t e n Verbindungen der Reihe besteht nach D I M R O T H ( 1 9 0 3 ) eine weitere interessante Bildungsweise in der Einwirkung von G R i G N A R D v e r b i n d u n g e n auf Arylazide: /

\

®

Θ

χ

_ χ/MgX

χ

N=N=N + R—MgX

^

N

yH

\R c) Die A z i d e

Die organischen Derivate der S t i c k s t o f f w a s s e r st o f f s ä u r e , formal ihre E s t e r , werden in Analogie zu den ihnen sehr ähnlichen H a l o g e n i d e n allgemein als Alkyl- bzw. Arylazide bezeichnet. Die Deutung ihrer Konstitution ist im wesentlichen ein a n o r g a n i s c h e s P r o b l e m und fallt mit der Konstitutionsermittlung der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e zusammen, denn aus ihrer Reduzierbarkeit zu p r i m ä r e n A m i n e n , sowie ihrer Synthese durch A l k y l i e r u n g bzw. A r y l i e r u n g von S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e folgt eindeutig, daß der organische Rest durch eine e i n f a c h e C — Ν - B i n d u n g mit der N 3 -Gruppe der Stickstoffwasserstoffsäure verbunden sein muß. Die Struktur der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e ergibt sich u. a. auf Grund ihrer n a h e n V e r w a n d t s c h a f t m i t dem D i a z o m e t h a n . Beide Verbindungen zeigen hinsichtlich ihrer D a r s t e l l u n g und den meisten U m s e t z u n g e n eine derartig weitgehende Analogie (s. u.), daß man ihnen seit jeher die g l e i c h e S t r u k t u r zugeordnet, d. h. die Stickstoffwasserstoffsäure als ein ,,Aza-diazomethan" betrachtet hat. Infolgedessen herrscht in der älteren Literatur für die Azidogruppe ebenfalls eine von C U R T I U S vorgeschlagene c y c l i s c h e F o r m e l ( I ) vor, die später von A N G E L I und T H I E L E durch die g e s t r e c k t e W e r t i g k e i t s f o r m e l II und neuerdings durch die ihr gleichwertige E l e k t r o n e n f o r m e l III (im folgenden meistens vereinfacht ohne e i n s a m e E l e k t r o n e n p a a r e geschrieben) ersetzt wurde (vgl. auch S. 606 f. u. Π, Kap. 3, III, 6): Η — Ι Ν

Θ

Η—N=N=N π

S

H—N=N=N) HI

Auch hier konnte die l i n e a r e A n o r d n u n g der N-Atcme mit Hilfe p h y s i k a l i s c h e r Met h o d e n bestätigt werden. F ü r die Darstellung der organischen Azide kommen z w e i grundsätzlich verschiedene Verfahren in Betracht: 1. die Einführung der feitigen Azidogruppe in das organische Molekül, die man mit Hilfe milder A l k y l i e r u n g s - oder A r y l i e r u n g s r e a k t i o n e n durchführen kann, z . B . durch Umsetzung von M e t a l l a z i d e n mit A l k y l h a l o g e n i d e n oder durch Abspaltung von Stickstoff aus den A r y l - d i a z o n i u m - a z i d e n (S. 620): R - H a l + NaN 3 ~ N a H a V

R- Ν

Χ

X

'-

R — Nr ΝΓΧ,"

636

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

2. die Synthese der Azidogruppe aus anderen stickstoffhaltigen Funktionen. Sie kann auf z w e i verschiedenen Wegen erfolgen: a) in Analogie zur Bildung von D i a z o e s s i g e s t e r durch Umsetzung m o n o s u b s t i t u i e r t e r H y d r a z i n e mit s a l p e t r i g e r S ä u r e : ROOC—CH-NH,2 +1 Ο Λ'

\ :H

9TTO

©

HO /

R—Ν—N H 2 + Ο Χ :H HO i

Θ

ROOC—CH=N=N Θ

— 2H.0

^=N R—N=N

b) durch Umsetzung von A r y l d i a z o n i u m - p e r b r o m i d e n mit A m m o n i a k . Es ist anzunehmen, daß die Reaktion über das im allgemeinen auf diesem Wege nicht darstellbare A r y l t r i a z e n (bzw. Diazobenzolamid, I) als Zwischenprodukt verläuft, das durch das Br3-Ion sofort zum Arylazid d e h y d r i e r t wird:

N=N + Br 3 - + NH3 » /

,

• \

NH 2 j + HBr3 ©

Θ

1

\ — N = N = N + 3 HBr

Die zweite Teilreaktion läßt sich auch mit Q u e c k s i l b e r o x y d als Oxydationsmittel durchführen und stellt eine w e i t e r e B i l d u n g s m ö g l i c h k e i t der Azidogruppe dar (vgl.

S. 633). Die niederen Azide sind t i e f s i e d e n d e Flüssigkeiten (ζ. B. Methylazid Sdp. 21°, Äthylazid Sdp. 48°), die eine starke E x p l o s i o n s n e i g u n g aufweisen und daher nur unter großer Vorsicht gehandhabt werden können. Sie werden jedoch mit wachsender Molekülgröße (innermolekulare Verdünnung der Azidogruppe) stabiler, so daß ζ. B. P h e n y l a z i d bereits b i s 100° e x p l o s i o n s b e s t ä n d i g ist und ohne Gefahr mit Wasserdampf oder im Vakuum (Sdp. 59°/14 mm) d e s t i l l i e r t werden kann. In ihrem physikalischen Verhalten zeigen sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (die Azidogruppe rechnet zu den P s e u d o h a l o g e n e n , vgl. anorg. Lehrbücher), die sich auch auf o p t i s c h e E i g e n s c h a f t e n erstreckt. Einige aliphatische Azidokörper, insbesondere die α - A z i d o - c a r b o n s ä u r e n , haben daher bei der Konfigurationsermittlung der optisch aktiven H a l o g e n - und A m i n o c a r b o n s ä u r e n eine wichtige Rolle gespielt (vgl. II, Kap. 7, II, 2d). Die chemischen Umsetzungen der Azide wurden meistens an den etwas stabileren A r y l a z i d e n , speziell dem Phenylazid, untersucht und spielen sich ausschließlich an der N 3 -Gruppe ab, da die Bindung des organischen Restes durch eine e i n f a c h e C—N-Bindung erfolgt und damit h y d r o l y s e n b e s t ä n d i g ist sowie innerhalb der e n g e n S t a b i l i t ä t s g r e n z e n der Azidogruppe auch auf andere Weise nicht gespalten werden kann (vgl. S. 543). Sieht man einmal von der unübersichtlich verlaufenden Zersetzung durch Explosion ab, so können wir d r e i G r u p p e n von Reaktionen unterscheiden, die den Umsetzungen a l i p h a t i s c h e r D i a z o v e r b i n d u n g e n weitgehend a n a l o g verlaufen: 1. Die organischen Azide sind zwar S ä u r e n g e g e n ü b e r wesentlich beständiger als die aliphatischen Diazoverbindungen (S. 609), vermögen aber prinzipiell in a n a l o g e r W e i s e mit ihnen zu reagieren. So findet ζ. B. bei der Einwirkung k o n z e n t r i e r t e r M i n e r a l s ä u r e n ebenfalls Abspaltung von elementarem Stickstoff unter Anlagerung b e i d e r S ä u r e - I o n e n an das g l e i c h e A t o m des Rumpfmoleküls, d. h. in diesem Fall an das i n n e r e N - A t o m der ursprünglichen Azidogruppe, statt. Allerdings können die N-substituierten Reaktionsprodukte im allgemeinen n i c h t i s o l i e r t

Die Tetrazene usw.

637

w e r d e n , da die a m S t i c k s t o f f b e f i n d l i c h e G r u p p e in dem s a u r e n R e a k t i o n s m e d i u m sofort in den K e r n wandert. Man erhält infolgedessen beim Behandeln v o n P h e n y l a z i d mit k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e direkt p - C h l o r a n i l i n , bzw. mit mäßig konzentrierter Schwefelsäure p - A m i n o p h e n o l : /0H(C1)\ θ Θ + Η,Ο, in Ggw. vonH,SQ. -N - · Ν = Ν (bzw. + HCl) -

—•

NH,

(C1)H0—

2. Ebenfalls in Analogie zu den D i a z o v e r b i n d u n g e n (S. 610 f.) findet bei der E i n w i r k u n g einiger O l e f i n - oder A c e t y l e n k o h l e n w a s s e r s t o f f e , sowie auch v o n B l a u s ä u r e , eine der Diensynthese ähnliche A n l a g e r u n g unter Bildung c y c l i s c h e r R e a k t i o n s p r o d u k t e statt, wobei hier die u m jeweils e i n N - A t o m r e i c h e r e n 1 , 2 , 3 - T r i a z o l i n - (I), 1 , 2 , 3 - T r i a z o l - (II) und T e t r a z o l d e r i v a t e (III) entstehen: R—CH II E—CH

N© Ii N© Ν/" "

+

y

R—CH I R—CH

Ν

HC !:l + HC

Ν

\,

κ

I

1

/

Ν

/v

D-

III +

HC

Ν© : N©



J

Ν

Ν

HC

Ν

II

1



Ill

Die Reaktion geht etwas schwerer vor sich als bei den Diazoverbindungen und ist daher n i c h t a l l g e m e i n durchführbar. 3. Durch v o r s i c h t i g e Reduktion von Phenylazid kann D i a z o b e n z o l a m i d (S. 633), durch e n e r g i s c h e Reduktion das p r i m ä r e A m i n erhalten werden: -N=N=N

>- /

\—N="V—NH.

/

- X H , + 2 NH 3

Die Reaktion entspricht der Reduktion des D i a z o e s s i g e s t e r s zum H y d r a z o n d e r G l y o x y l s ä u r e bzw. zu G l y c i n und A m m o n i a k (S. 612). In ähnlicher Weise wie Wasserstoff lassen sich auch m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n zu den gemischt aromatisch-aliphatischen 1 , 3 - d i s u b s t i t u i e r t e n T r i a z e n e n anlagern (vgl. S. 635). 4. Die organischen Derivate des Tetrazens, Hexazens usw. Verbindungen mit v i e r a n e i n a n d e r g e k e t t e t e n N - A t o m e n werden durch Einführung einer D o p p e l b i n d u n g womöglich in noch stärkerem Maße als die Triazene stabilisiert. Am wichtigsten sind die s y m m e t r i s c h e n Tetraalkyl- und -aryltetrazene, f ü r die H. W I E L A N D eine a l l g e m e i n e D a r s t e l l u n g s w e i s e in der auf S. 597 beschriebenen D e h y d r i e r u n g asymmetrischer D i a l k y l - bzw. D i a r y l h y d r a z i n e mittels Q u e c k s i l b e r o x y d s a u f gefunden h a t :

Hydroxylamino-, Hydrazino-, Diazoverbindungen usw.

638 2

R\ y N — N H ? + 2 ΟHg ir

Rv g

/R N=N—N^

R

R

Sie sind bis 100° durchaus beständige, s c h w a c h b a s i s c h e , säurelabile Verbindungen, die in der aliphatischen Reihe zum Teil u n z e r s e t z t d e s t i l l i e r t werden können, beim Ü b e r h i t zen jedoch explodieren. Ihre interessanteste Reaktion ist die beim vorsichtigen Erwärmen eintretende H e r a u s s p a l t u n g d e r A z o g r u p p e als elementarer Stickstoff, wobei die beiden zurückbleibenden Molekülbruchstücke entweder sich zum t e t r a s u b s t i t u i e r t e n H y d r a z i n zusammenlagern (aromatische Reihe, S. 602) oder aber D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in ein s e k u n d ä r e s A m i n und die S C H I F F S c h e B a s e eines p r i m ä r e n A m i n s (aliphatische Reihe) erleiden: -i-N=N-

: N — N ;

R—CH2v

— N, •

:N - N = N R—CH

CHo—R

+

R — C H = N —CH 2 —R

Ein a s y m m e t r i s c h d i s u b s t i t u i e r t e s T e t r a z e n mit asymmetrischer Lage der Doppelbindung, das 1,3-Diphenyl-tetrazen (I), gewinnt man nach W O H L (1900) mit Hilfe der (unten formulierten) Kupplung von B e n z o l - d i a z o n i u m - I o n e n mit P h e n y l h y d r a z i n , bei der — wie bei der auf S. 599 beschriebenen Nitrosierung — das s e k u n d ä r e N - A t o m des Hydrazinsystems angegriffen wird. Zu einer s e c h s g l i e d r i g e n S t i c k s t o f f k e t t e mit zwei D o p p e l b i n d u n g e n , einem Hexaza-dien, gelangt man durch Einwirkung von D i a z o n i u m s a l z e n auf f r e i e s H y d r a z i n , also durch eine Verdoppelung der zu den D i a z o - a m i n o - V e r b i n d u n g e n führenden Kupplungs-Reaktion (S. 632, 634): Θ

Ar—N=N

® N=N—Ar

• H 2 N—NHJJ +

-2ΗΪ

Ar—N=N—NH—NH—N=N—Ar

Ein O c t a z a - t r i e n - D e r i v a t mit acht N-Atomen in ununterbrochener Kette, das l,3,6,8-Tetraphenyl-octaza-trieti-l,4,7 (Π), konnte W O H L (1900) schließlich aus dem oben beschriebenen a s y m m e t r i s c h e n T e t r a z e n d e r i v a t I durch Zusammenoxydation der Aminogruppen mittels Q u e c k s i l b e r o x y d s (in Analogie zur angeführten Tetrazensynthese) aufbauen: CeHs C«H5 © I ι C e H 5 —N=N + NH—NH 2 — C e H 5 —Ν=N—Ν Η—NH 2

η C,H5-N=N-N(CeH,)-N -?«>. i/ t Ii CjH 6 —N=N—N(C e H s )—Ν I II Verbindungen mit einer noch längeren o f f e n e n S t i c k s t off k e t t e konnten bisher n i c h t s y n t h e t i s i e r t werden. Erst wenn man die N-Atome teilweise in h e t e r o c y c l i s c h e R i n g s y s t e m e einbaut, die infolge der hierbei frei werdenden A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e (vgl. S. 879) noch s t ä r k e r stabilisierend wirken als die Einführung von D o p p e l b i n d u n g e n , werden die Verbindungen wieder b e s t ä n d i g e r . Man hat auf diese Weise in dem auf S. 888 beschriebenen Ι,Ι'-Azotetrazol eine ununterbrochene Kette von zehn Stickstoffatomen aufbauen können: Ν—N=N—Ν—N=N—Ν—N=N—Ν (Hg0>

X R

R

639

Konstitution der Nitroverbindungen

IV. Die Nitroverbindungen 1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften In den Nitroverbindungen begegnen wir erstmals einer Reihe von organischen Stickstoffderivaten, die sich von den S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n d e s S t i c k s t o f f s ableiten. Sie kommen n i c h t n a t ü r l i c h vor und enthalten die g l e i c h e G r u p p e N 0 2 wie die auf S. 203 beschriebenen S a l p e t r i g s ä u r e e s t e r der Struktur R—Ο—Ν Ο. Nur haftet diese Gruppe bei den Nitroverbindungen mit dem S t i c k /

-0\

S t o f f am organischen Rest [ R — N ^ ], so daß beide Verbindungsklassen im Ver0 . \ / hältnis der I s o m e r i e zueinander stehen. Die Nitroverbindungen weisen infolge dieser Zusammensetzung eine D o p p e l n a t u r auf: Von der S a l p e t e r s ä u r e leiten sie sich durch Substitution der O H - G r u p p e durch einen o r g a n i s c h e n R e s t ab — ein Vorgang, der ζ. B. in der N i t r i e r u n g s r e a k t i o n verwirklicht werden kann — und teilen mit ihr insbesondere die S t r u k t u r d e s N - A t o m s , das in ihnen ebenfalls e i n d o p p e l t und e i n s e m i p o l a r g e b u n d e n e s O - A t o m sowie e i n e n e i n f a c h g e b u n d e n e n R e s t enthält. Mit der s a l p e t r i g e n S ä u r e stimmt dagegen die O x y d a t i o n s s t u f e d e s S t i c k s t o f f s überein, denn der organische Rest ersetzt seiner ganzen Natur nach viel eher ein H - A t o m als eine H y d r o x y l g r u p p e (vgl. S. δ). Nach dieser Auffassung stellen die Nitroverbindungen die „ E s t e r " der t a u t o m e r e n F o r m der salpetrigen Säure mit v i e r b i n d i g e m S t i c k s t o f f (vgl. anorg. Lehrbücher) dar und entstehen bei einigen Veresterungsreaktionen, ζ. B. bei der Umsetzung von S i l b e r n i t r i t mit A l k y l i e r u n g s m i t t e l n (S. 643) auch tatsächlich n e b e n den normalen Salpetrigsäureestern.

Zwischen den N i t r o v e r b i n d u n g e n , der S a l p e t e r s ä u r e , der s a l p e t r i g e n S ä u r e und den S a l p e t r i g s ä u r e e s t e r n bestehen also die folgenden Beziehungen: -Ο R - H + 1ΓΟ - Ν .Χ \

,0

Λ) R-N


1 j

'

-CH--NO,

E s zeichnet sich insbesondere durch die Fähigkeit zur Ausbildung der (im folgenden Absatz beschriebenen) f r e i e n A c i n i t r o - V e r b i n d u n g aus, deren Bildungstendenz durch die Konjugation der e n t s t e h e n d e n C = C - D o p p e l b i n d u n g mit dem a r o m a t i s c h e n K e r n gegenüber der der Nitroparaffine wesentlich e r h ö h t wird.

Nitro- und Nitrosoverbindungen

650

Aci-phenylnitromethan C e H 5 —CH=NOOH gewinnt man durch Ansäuern der Lösung von n o r m a l e m P h e n y l n i t r o m e t h a n in N a t r o n l a u g e . Es ist eine metastabile, schön kristallisierende Substanz vom Smp. 84°, die ihre Natur als Aciverbindung in der stark s a u r e n R e a k t i o n und der e l e k t r i s c h e n L e i t f ä h i g k e i t ihrer wässerigen Lösungen, sowie in Analogie zu den E n o l e n (S. 217) auch in einer Farbreaktion mit E i s e n - I I I - c h l o r i d und der Fähigkeit zur unmeßbar raschen A n l a g e r u n g v o n B r o m , zu erkennen gibt. Im Verlaufe mehrerer Stunden verwandelt sie sich unter Verflüssigung in das stabile n o r m a l e P h e n y l n i t r o m e t h a n zurück, das zu allen diesen Reaktionen n i c h t b e f ä h i g t ist. Nitroäthylen CH2 = CH—N0 2 als Beispiel eines ungesättigten Nitrokörpers zeigt ebenfalls eine nahe Verwandtschaft zur entsprechenden C a r b o n y l v e r b i n d u n g , dem A c r o l e i n (S. 2 5 5 ) . So kann es nach H. W I E L A N D in Analogie zu diesem durch vorsichtige W a s s e r a b s p a l t u n g aus N i t r o ä t h y l a l k o h o l gewonnen werden, da auch die Nitrogruppe die Abspaltbarkeit einer ß-ständigen Hydroxylgruppe e r h ö h t : OH Η ...j ! I " CH2—CH—N02

H 0

CH 2 =CH—N0 2

Ferner zeichnet es sich in gleicher Weise durch eine s t a r k e P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g und eine R e i z w i r k u n g auf die Augen aus. Die bei der Anlagerung von N 2 0 3 und N 2 0 4 an Olefine entstehende Pseudonitroeite und DinitroVerbindungen (S. 90) weisen als neuartige Reaktion eine auffallend leichte Abspaltbarkeit der (einen) Nitrogruppe als salpetrige Säure auf: NO N0 2 ι —CH ι CH 2

2

,„ -

n

"

NO OH I —CH I CH 2

2

N0 2 N0 2

I 2i—CH2 CH

,„ _ - Η Λ Ο"-

NOa OH ι —CH ι CH 2

2

Sie sind infolgedessen s e h r u n b e s t ä n d i g e Substanzen, die keinerlei praktische Bedeutung erlangt haben. Die Abspaltungsreaktion erfolgt insbesondere auch bei den meisten Versuchen, die N i t r o - zur A m i n o g r u p p e zu r e d u z i e r e n , worauf die auf S. 92 beschriebenen Schwierigkeiten bei der Konstitutionsermittlung in erster Linie zurückzuführen sind.

3. Die aromatischen Nitroverbindungen Die aromatischen u n d aliphatischen Nitroverbindungen unterscheiden sich im wesentlichen darin, d a ß die aromatischen Glieder der Reihe infolge der t e r t i ä r e n N a t u r des Arylrestes n i c h t zur Nitro-Acinitro-Tautomerie u n d zu anderen d u r c h die a k t i v e Methylengruppe bedingten R e a k t i o n e n befähigt sind. Dagegen beobachtet m a n eine s e h r s t a r k e Beeinflussung der R e a k t i o n s f ä h i g k e i t d e s a r o m a t i s c h e n K e r n s u n d der a n diesem K e r n befindlichen S u b s t i t u e n t e n d u r c h die Nitrogruppe, so d a ß m a n zu folgender Unterteilung der R e a k t i o n e n gelangt: 1. die Umsetzungen der N i t r o g r u p p e , 2. das Verhalten des a r o m a t i s c h e n K e r n s , 3. das Verhalten der in o- u n d p - S t e l l u n g z u r N i t r o g r u p p e befindlichen S u b s t i t u e n t e n . I h n e n schließt sich 4. die Bildung z w i s c h e n m o l e k u l a r e r A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n , insbesondere m i t aromatischen K o h l e n w a s s e r s t o f f e n , an, auf die jedoch erst in II, K a p . 6, I I I , l b n ä h e r eingegangen werden k a n n . Zu 1. Die Nitrogruppe zeigt i m wesentlichen die g l e i c h e Reaktionsfähigkeit wie in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e , doch sind die Reaktionsmöglichkeiten infolge der teilweisen M i t b e t e i l i g u n g d e s a r o m a t i s c h e n K e r n s an den Umsetzungen m a n n i g f a l t i g e r u n d h a b e n a u c h eine größere praktische B e d e u t u n g erlangt. Bei weitem a n erster Stelle stehen wiederum die Reduktionsreaktionen, die in Abhängigkeit v o m R e a k t i o n s m e d i u m verschiedenartig verlaufen u n d insbesondere

Die Reduktion aromatischer Nitroverbindungen

651

von H A B E R , G A T T E R M A N N und E L B S aufgeklärt wurden. Danach spielen sich etwa die folgenden Vorgänge a b : Als p r i m ä r e R e d u k t i o n s p r o d u k t e einer aromatischen Nitroverbindung erhält man stets die N i t r o s o v e r b i n d u n g und das A r y l h y d r o x y l a m i n , die jedoch b e i d e wesentlich r a s c h e r weiter reagieren, als die Nitroverbindung reduziert wird, so daß sie im allgemeinen n i c h t i s o l i e r b a r sind 1 ). Vor allem das reaktionsfähige A r y l h y d r o x y l a m i n erleidet in Abhängigkeit vom p-gdes Reaktionsmediums verschiedene s e k u n d ä r e U m w a n d l u n g e n , so daß wir die folgenden vier Reaktionsmöglichkeiten unterscheiden müssen: a) I n stark saurer Lösung erfolgt die auf S. 569,594 beschriebene ρ - W a n d e r u n g d e r H y d r o x y l g r u p p e sehr viel rascher als die weitere Reduktion des Arylhydroxylamins, so daß a u s s c h l i e ß l i c h p - A m i n o p h e n o l e (S. 578) entstehen (Gleichung formulieren!). Verwendet man Z i n n - I I - c h l o r i d - S a l z s ä u r e als Reduktionsmittel, so beobachtet man zuweilen auch den Eintritt eines C h l o r a t o m s statt der H y d r o x y l g r u p p e in den aromatischen K e r n :

—'* ( < 3 / ~

N H



H

)

( x Z V ™ ^

1

)

Cl-(^>-NH2

b) I n schwach saurer Lösung überwiegt die weitere Reduktion des Arylhydroxylamins zur A m i n o g r u p p e (vgl. S. 563). c) I n neutraler Lösung in Gegenwart von Salmiak bleibt die Reduktion auf der Stufe des A r y l h y d r o x y l a m i n s stehen (vgl. S. 594). d) I n alkalischer Lösung geht die Reduktion ebenfalls nicht über die Stufe des A r y l h y d r o x y l a m i n s hinaus, und dieses fängt in der auf S. 595 beschriebenen Weise aus einer zweiten Reduktionskette die N i t r o s o v e r b i n d u n g unter Kondensation zur A z o x y V e r b i n d u n g (S. 632) ab. Letztere kann dann je nach den Reaktionsbedingungen entweder d i r e k t i s o l i e r t oder gleich weiter zur H y d r a z o v e r b i n d u n g , bzw. unter sehr energischen Bedingungen auch bis zur A m in ο Verbind u n g , reduziert werden. Neben diesen Hauptreaktionen können sich in alkalischem Medium grundsätzlich auch die folgenden N e b e n r e a k t i o n e n abspielen: 1. die K o n d e n s a t i o n von zwei Molekülen des A r y l h y d r o x y l a m i n s zur A z o v e r b i n d u n g (S. 595), 2. die K o n d e n s a t i o n der u. U. gebildeten A m i n o v e r b i n d u n g mit dem N i t r o s o k ö r p e r zur A z o v e r b i n d u n g (S. 630) und 3. die K o n p r o p o r t i o n i e r u n g d e r Nitroverbindung mit dem Hydrazokörper zur mittleren Oxydationsstufe der A z o x y v e r b i n d u n g (Gleichungen formulieren!).

Alle diese Reaktionen sind in dem folgenden Schema nochmals übersichtlich zusammengestellt, wobei die im Rahmen der H a u p t r e a k t i o n e n in einem Reaktionsgang isolierbaren Verbindungen durch F e t t d r u c k , die H a u p t r e a k t i o n e n durch a u s g e z o g e n e und die möglichen N e b e n r e a k t i o n e n d u r c h p u n k t i e r t e P f e i l e gekennzeichnet sind: *) Sie können jedoch durch rascher verlaufende K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n abgefangen und nachgewiesen werden. So eignet sich ζ. B. zum Nachweis der N i t r o s o v e r b i n d u n g •die auf S. 618 beschriebene Kondensation mit H y d r o x y l a m i n zum D i a z o k ö r p e r , der seinerseits an der Bildung von A z o f a r b s t o f f e n bei der Einwirkung von P h e n o l a t e n leicht zu erkennen ist. Zum Abfangen des A r y l h y d r o x y l a m i n s verwendet man insbesondere B e n z a l d e h y d , der, wie wir auf S. 595 gesehen haben, mit A r y l h y d r o x y l a m i n e n zu einen Nitron zusammentritt.

Nitro- und Nitrosoverbindungen

652

Nitrobenzol Alkali

HCl

p-Chloranilin

Azoxybenzo]

Nitrosobenzol

Alkali

H,

p-Aminophenol

-
0 v R—CH=N—Ar H! p _ R - S - C S - O R (—COS,-ROH) , λ J-V

C Ο

—• V2 R—S—S—R

Statt der Alkylhalogenide oder Dimethylsulfat kann man auch die A l k o h o l e s e l b s t als Alkylierungsmittel verwenden, indem man sie entweder mit P h o s p h o r p e n t a s u l f i d zu den Mercaptanen umsetzt — eine Reaktion, die jedoch nur in sehr s c h l e c h t e r A u s b e u t e vor sich geht: 2 R—OH + P 2 S 5 • 2 R—SH + P 2 S 3 0 2 — oder aber nach Zusatz von k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e und anschließender Neutralisation in Form der a l k y l s c h w e f e l s a u r e n Salze mit Alkalihydrosulfiden zur Reaktion bringt. Ferner lassen sich einige Alkohole über D e h v d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n oder

T T L X

Die Mercaptane u n d Thiophenole

669

A l u m i n i u m s u l f i d bei 300—500° mit Schwefelwasserstoff in die Mercaptane ü b e r f ü h r e n . Doch überwiegt bei der hier erforderlichen hohen R e a k t i o n s t e m p e r a t u r meistens bereits die O l e f i n b i l d u n g (S. 86): τ>

/ΊΤΤ

2

Γΐττ

Ατι ι τι

ς

τι

AljOj (bzw. Al,Sj) 300-5,K,· " "

„ R—CH,—CH.>—SH H 2 O + ( b z w , K ! - C H = C H 2 + H 2 S)

TT

Die A r y l i e r u n g der Alkalihydrosulf ide erfordert wie alle Arylierungen mit aromatischen Halogenverbindungen (S. 167) Reaktionstemperaturen um 200° und Kupferp u l v e r als Katalysator. Sie führt ebenfalls zu den T h i o ä t h e r n als Nebenprodukten. Ferner steht als wesentlich milderes i n d i r e k t e s A r y l i e r u n g s v e r f a h r e n wiederum die Zersetzung von Diazoniumsalzen (S. 620) zur Verfügung, die man zur Vermeidung der Thioätherbildung zweckmäßig wie oben mit den X a n t h o g e n a t e n oder A l k a l i d i s u l f i d e n durchführt (Gleichungen formulieren!). Von theoretischem Interesse als Bildungsreaktion ist schließlich noch der E r s a t z der S u l f o n s ä u r e - durch die S H - G r u p p e , der beim Verschmelzen der A l k a l i s a l z e der A r y l s u l f o n s ä u r e n m i t A l k a l i h y d r o s u l f i d e n vor sich geht (vgl. S. 684): Xa,
• R—S—Ο—R + MeCl

Abgesehen von dieser Reduktion durch metallorganische Verbindungen können die Sulfochloride als einzige Derivate der Sulfonsäuren auch a n d e r w e i t i g r e d u z i e r t werden, wobei unter e n e r g i s c h e n B e d i n g u n g e n , z.B. mit Zinn und Salzs ä u r e , die M e r c a p t a n e und T h i o p h e n o l e , bei v o r s i c h t i g e m A r b e i t e n , wie etwa bei der Einwirkung von m e t a l l i s c h e m Zink und W a s s e r , die S u l f i n s ä u r e n (bzw. deren Salze) entstehen: R—SOjjH y Z n ' H ! °- R—S02· -Cl

Sn, HCl

• R—S—Η

682

Die organischen Schwefelverbindungen

b) Die Sulfochloride lassen sich in der angegebenen Weise in symmetrische Anhydride (zwischen zwei Sulfonsäuremolekülen) und gemischte Anhydride mit Carbonsäuren überführen, die jedoch beide bisher keine praktische Bedeutung erlangt haben.

c) Die Gewinnung der Ester geschieht fast ausschließlich durch Umsetzung von Sulfochloriden mit Alkoholen in der K ä l t e , da bei der d i r e k t e n V e r e s t e r u n g der Sulfonsäuren mit den Alkoholen der bereits gebildete E s t e r leicht auf den überschüssigen Alkohol unter Ä t h e r b i l d u n g alkylierend einwirkt (Gleichung formulieren!), wodurch die Ausbeute an Ester vermindert wird. Die Sulfonsäureester sind im Vakuum unzersetzt destillierbare Flüssigkeiten (bzw. niedrig schmelzende feste Körper), die infolge des Fehlens von S=0-Doppelbindungen eine alkylierende S p a l t u n g erleiden (S. 197f.) und bei ihrer leichten Zugänglichkeit als Ester starker Säuren wichtige präparative Alkylierungsmittel darstellen. d) Die Sulfonsäureamide (Sulfonamide) sind vorzüglich kristallisierende, sehr beständige Substanzen, die, soweit sie noch Wasserstoff am N-Atom enthalten, als Amide s t a r k e r Säuren schwach sauer reagieren und daher in Alkalien löslich sind. Auf die Verwendung dieser Reaktion zur Trennung p r i m ä r e r und sekundärer Amine wurde bereits hingewiesen (S. 541). Im übrigen können die Sulfonamide in ähnlicher Weise wie die Carbonsäureamide durch Kochen mit s t a r k e n S ä u r e n oder A l k a l i e n rückwärts gespalten werden. Sie eignen sich infolgedessen hervorragend zur Identifizierung und Reinigung der S u l f o n s ä u r e n und auch der Amine.

Eine eigenartige „anomale Spaltung" erleiden die N - A l k y l s u l f o n a m i d e bei der Einwirkung von s t a r k e n A l k a l i e n . Hierbei wird nicht die Sulfonsäure zurückgebildet, sondern es entsteht unter A u s t a u s c h der O x y d a t i o n s s t u f e n des K o h l e n s t o f f s und S chwefels die S u l f i n s ä u r e und ein Aldimin (über den Mechanismus, vgl. II, Kap. 4, I I , 2b): R—S0 2 —NH—CH 2 —R'

R—SO a Na + H N = C H — R '

Schließlich sind auch die sekundären Sulfonsäureamide R — S 0 2 — N H — S 0 2 — R bekannt, die fälschlicherweise allgemein als Sulf(on)lmide bezeichnet werden. Sie sind als s e k u n d ä r e Amide starker Säuren s t a r k s a u e r und bilden n e u t r a l r e a g i e r e n d e S a l z e , die wegen ihrer s e i f e n ä h n l i c h e n Eigenschaften als W a s c h - und E m u l g i e r m i t t e l dienen. E c h t e Sulf( on)imide des Typus R—SO(NH)—OH, die eine d o p p e l t bzw. s e m i p o l a r gebundene NH-Gruppe enthalten, existieren dagegen n i c h t . e) Die Sulfhydroxamsäuren zeichnen sich gegenüber den Hydroxamsäuren der C a r b o n s ä u r e r e i h e vor allem durch ihre bei der Einwirkung von A l k a l i erfolgende a n o m a l e S p a l t u n g aus, die der oben beschriebenen anomalen Spaltung der N-Alkylsulfamide analog verläuft und ebenfalls unter A u s t a u s c h der O x y d a t i o n s s t u f e n des K o h l e n s t o f f s und S c h w e f e l s vor sich geht. Hierbei wird neben der S u l f i n s ä u r e das an sich unbeständige N i t r o x y l ( H N = 0 ) in Freiheit gesetzt, das durch zugesetzte A l d e h y d e unter Bildung von A c y l h y d r o x a m s ä u r e n abgefangen und nachgewiesen werden kann: R_S02—NH—OH

, °">

N AR

R—S0,Na + H N = 0

xN—OH

R'—Cf

OH

Auf dieser Reaktion beruht der Aldehydnachweis von Angeu und Rimini (S. 249).

Zu 3. Die Beeinflussung der Reaktionsfähigkeit des organischen Molekülteils durch die Sulfogruppe ist der Wirkung der Nitro- und C a r b o x y l g r u p p e insofern ähnlich, als sie ebenfalls s t a r k a c i d i f i z i e r e n d wirkt. Infolgedessen sind ζ. B. die Ester der M e t h a n - d i s u l f o n s ä u r e (I), ähnlich wie die der M e t h a n t r i c a r b o n s ä u r e (S. 465), ausgesprochene Säuren und als solche einerseits in N a t r o n lauge unter Salz bildung löslich, andererseits mit Diaz ο me t h a n m e t h y l i e r b a r :

683

Reaktionen der Sulfonsäuren R—Ο—S0 2 \

R—O—so2

ΧΉ 3

\n/ /U

CH3

© Θ

2CH,=N=N -

i\e /CH Na+

R—Ο—S02

Besonders die letztere Reaktion ist von einem gewissen theoretischen Interesse, weil bei ihr die Methylgruppen an den K o h l e n s t o f f treten, wodurch bewiesen wird, daß tatsächlich der am K o h l e n s t o f f befindliche Wasserstoff sauer ist (vgl. II, Kap. Y 5, II, 3). Dagegen zeigen die Methan-disulfonsäureester ( I I I ) im Gegensatz zu den analog konstituierten 1,3-DicarbonylVerbindungen (II) keinerlei Enolisationsvermögen. Dieser vom Standpunkt der klassischen Theorie auffallende Befund wird von der Elektronentheorie direkt g e f o r d e r t und kann als Beweis für deren Richtigkeit angesehen werden. Denn die Bildung einer enolartigen Molekülform setzt das Vorhandensein von doppelt gebundenem Sauerstoff voraus, wie er in den Carbonyl-, N i t r o s o - und auch N i t r o v e r b i n d u n g e n , nicht aber in den S c h w e f e l s a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n , vorliegt: Ο

R—C=0 I CH2 I R—0=0 Ii

R—C—OH Keto-EnolI! " CH ; Tautomerie | R—C=0 .

t R—0—S->-0 I Keine EnolisationsCH« .. L1 | moglichkeit R—Ο—S-HI-0

I ο

in

Die aliphatischen Sulfonsäuren und auch ihre Derivate vermögen daher keine -mit der Enolisation zusammenhängenden Reaktionen, wie z.B. die ÖLAisENkondensation (S. 943), mehr einzugehen. Auch die Labilisierung einer am gleichen Kohlenstoff befindlichen Carboxylgruppe durch die Sulfogruppe ist wesentlich schwächer als bei den entsprechenden Oxo- und Nitrocarbonsäuren, so daß die Sulfo-essigsäure (s.u.) sich im Gegensatz zur labilen Acetessigsäure (S. 499) oder gar der nicht mehr existenzfähigen Nitroessigsäure (S. 648) erst bei 250° zu zersetzen beginnt. In der aromatischen R e i h e tritt der Unterschied der aktivierenden Wirkung der Sulfo- und der Nitrogruppe in ähnlicher Weise in Erscheinung. Zwar lenkt die Sulfogruppe als Substituent zweiter Ordnung den neu eintretenden Substituenten ebenfalls in m-Stellung und erschwert die weitere Substitution des Benzolkerns, doch fällt auch hier die Möglichkeit der Ausbildung tautomerer Formen mit doppelt gebundenem Schwefel (insbesondere bei den den Nitrophenolen und Nitroanilinen entsprechenden Phenol- und Anilinsulfonsäuren) fort und damit auch die A k t i v i e r u n g der in o- und ρ - S t e l l u n g zur Sulfogruppe befindlichen Substituenten. Zu 4. Spaltungsreaktionen. Abgesehen von dem speziellen Fall der A l d e h y d und K e t o n b i s u l f i t a d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n (S. 283), in denen die Sulfogruppe in «-Stellung zu einer Oxygruppe steht, ist eine Abspaltung der aliphatisch gebundenen Sulfogruppe bisher weder hydrolytisch noch auf einem anderen Wege gelungen. Dagegen lassen sich aromatische Sulfonsäuren durch Erhitzen mit Wasser auf 180° unter Druck in Umkehrung der Sulfonierungsreaktion wieder in den ursprünglichen Kohlenwasserstoff und Schwefel-

684

Die organischen Schwefelverbindungen

s ä u r e zerlegen, und in ähnlicher Weise tritt bei der Einwirkung von k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e Substitution der S u l f o - durch die N i t r o g r u p p e ein: A r — N O , + H, SO.

+ ΗΟ— NO. .

-
·

R — X + Na 2 S0 3

B e i d e Spaltungsmöglichkeiten gestatten es, in ähnlicher Weise wie mit Hilfe der SANDMEYERSchen Reaktion (jedoch ohne den kostspieligen Umweg über die Diazoverbindungen) eine Reihe von S u b s t i t u e n t e n in den Benzolkern einzuführen. Die wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten sind in dem folgenden Schema kurz zusammengestellt: •C=N

-- R—SO,—R'

Die Reaktion erfordert infolge der gegenüber Schwefelsäure v e r m i n d e r t e n A c i d i t ä t der Sulfonsäuren etwas s c h ä r f e r e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n als die Sulfonierung und findet daher nur in der a r o m a t i s c h e n Reihe statt. Hier tritt sie aber zuweilen als uner-

Die organischen Schwefelverbindungen

688

w ü n s c h t e N e b e n r e a k t i o n neben letzterer ein, da a u s s c h l i e ß l i c h die Schwefelsäure das Reaktionswasser zum Hydrat bindet, so daß sie bei zu s t a r k e r H y d r a t i s i e r u n g langsamer reagiert als die als Primärprodukt entstehende S u l f o n s ä u r e .

2. in Analogie zur Sulfonsäuredarstellung durch Alkylierung von Alkalisulfiten (S. 679) auf dem Wege der A l k y l i e r u n g von s u l f i n s a u r e n S a l z e n , -wobei ebenfalls die Alkylgruppe ausschließlich an den Schwefel tritt: Ο Ο t0 R—S—R' + Hal" R—SI +R' -Hai — Ο Das vollständige Ausbleiben der Bildung der n o r m a l e n S u l f i n s ä u r e e s t e r (R—SO •—Ο—R') bei dieser Reaktion deutet bereits auf deren gegenüber den Sulfonen verminderte S t a b i l i t ä t hin. Letztere kommt u. a. auch darin zum Ausdruck, daß man die anderweitig hergestellten Sulfinsäureester mit Hilfe von A l k a l i j o d i d e n oder - r h o d a n i d e n — also in voller Analogie zu der auf S. 202 beschriebenen Umlagerung der S c h w e f l i g s ä u r e e s t e r in A l k y l s u l f o n s ä u r e e s t e r — unter Wanderung der Alkylgruppe vom Sauerstoff zum Schwefel in die S u l f o n e umlagern kann:

R:

ο t R—S—R R—S I Ο Ä 3. Bei weitem am wichtigsten ist die Oxydation von T h i o ä t h e r n oder M e r c a p t a l e n , die bei der Verwendung s t a r k e r O x y d a t i o n s m i t t e l , wie etwa von Kaliumpermanganat oder konzentrierter Salpetersäure, unter Überspringung der Stufe der S u l f o x y d e direkt zu den S u l f o n e n führt und namentlich in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e fast ausschließlich zu deren Darstellung Anwendung findet: 0 t ~ R- -S—R R—S-—R K M n 0 \ R—έ—R 1 Ο Die Sulfone sind n e u t r a l e , infolge des hohen D i p o l m o m e n t e s der semipolaren Bindungen gut kristallisierende und s e h r h o c h s i e d e n d e Substanzen (Diäthylsulfon: Sdp. 248°), die sich durch eine außerordentliche Beständigkeit und R e a k t i o n s t r ä g h e i t auszeichnen. Insbesondere kann man die S0 2 -Gruppe infolge des Pehlens reaktionsfähiger S=0-Doppelbindungen fast überhaupt nicht zur Reaktion bringen, und selbst die R e d u k t i o n zu den T h i o ä t h e r n bereitet g r o ß e S c h w i e r i g k e i t e n . Dagegen wirkt die Sulfongruppierung auf b e n a c h b a r t e M e t h y l e n g r u p p e n in ähnlicher Weise aktivierend* ein wie die S u l f o n e s t e r g r u p p e (S.682),sodaß bereits die bei der Oxydation v o n A l d e h y d - m e r c a p t a l e n entstehenden Alkyliden-disulfone deutlich s a u e r reagieren. So sind sie ζ. B. in A l k a l i e n löslich und werden mit D i a z o m e t h a n , sowie in Form der A l k a l i s a l z e auch mit normalen Alkylierungsmitteln, a m K o h l e n s t o f f a l k y l i e r t , wie am Beispiel der Darstellung der unten beschriebenen Schlafmittel T r i o n a l (R=CH 3 ) und T e t r o n a l (R=C 2 H 6 ) gezeigt sei: NaJ, NaSCNu.a.

C,HS

Oxydation

HC< Propionaldehyd(liäthylmercaptal

JiaOH

>- c


689

Die Sulfinsäuren

Diese Acidität des C—Η-Wasserstoffs wird bei Einführung eines d r i t t e n S u l f o n y l r e s t e s in das Methanmolekül nochmals wesentlich g e s t e i g e r t , so daß die Trisulfonylmethane bereits s t a r k e Säuren darstellen (vgl. II, Kap. 5, II, 3). Zahlreiche Sulfone besitzen h y p n o t i s c h e E i g e n s c h a f t e n und dienen daher als S c h l a f m i t t e l . Am bekanntesten ist das Sulfonal: das in der oben unter 3 angeführten Weise durch Oxydation von A c e t o n - , 3 d i ä t h y l m e r c a p t a l (Gleichung formulieren!) gewonnen wird. Durch Ein- I C2H5 führung weiterer Ä t h y l g r u p p e n in das Molekül kann die hypnotische Wirkung g e s t e i g e r t werden und man hat daher als wirksamste Mittel j S0 2 —C 2 H 5 dieser Reihe das Trional und das Tetronal entwickelt, die insgesamt drei CH 3 , bzw. vier Äthylgruppen im Molekül enthalten und in der angegebenen sulfonal Weise gewonnen werden.

3. Die Sulfinsäuren und ihre Derivate Ο t

Die Sulfinsäuren enthalten die Gruppe —S—OH. In ihnen trägt der Schwefel nur noch ein semipolar gebundenes O-Atom, und sie stehen demnach zu der schwefligen und unterschwefligen Säure in einer ähnlichen Beziehung wie die Sulfonsäuren zur Schwefelsäure und schwefligen S ä u r e : O O O 0 0 0 t HO—S—OH

-

schweflige Säure

t R—S—OH

t H—S—OH

ΐ HO—S—OH

I

0 Sulflns&ure

unterschweflige Säure

Schwefelsäure

t R—S—OH

i

0 Sulfonsäure

t H—S—OH

i 0

schweflige Säure

Ihre Nomenklatur und Konstitutionsermittlung lehnen sich eng an die der Sulfon säuren an. Insbesondere findet man im älteren Schrifttum in gleicher Weise ausO schließlich die Doppelbindungsformel R—S—OH vor, die auch hier erst durch die Oktett· -Theorie verdrängt wurde. Ferner erfolgt die Darstellung in beiden Verbindungsreihen nach grundsätzlich g l e i c h a r t i g e n Methoden, doch weichen die Verfahren im einzelnen, sowie hinsichtlich ihrer allgemeinen Bedeutung häufig weitgehend voneinander ab. Die wichtigsten Bildungsreaktionen sind: 1. die der Sulfonierung entsprechende Sulfinierung von K o h l e n w a s s e r s t o f f e n , 2. die Arylierung der unterschwefligen Säure und 3. die Umwandlung anderer S c h w e f e l f u n k t i o n e n in die Sulfinsäuregruppe. Zu 1. Die Sullinierung von Kohlenwasserstoffen wird mit S 0 2 durchgeführt, verläuft also formal der Sulfonierung mit S 0 3 analog: R—Η + S 0 2

ν

R—S02H

Doch ist Schwefeldioxyd zu r e a k t i o n s t r ä g e , um bereits als solches in Reaktion zu treten. Es muß vielmehr durch Zusatz von A l u m i n i u m c h l o r i d ( a r o m a t i s c h e Reihe) oder B o r f l u o r i d ( a l i p h a t i s c h e Reihe) aktiviert werden. Als zusätzlicher Aktivator ist in der aromatischen Reihe eine geringe Menge von C h l o r w a s s e r s t o f f erforderlich, der wahrscheinlich intermediär mit dem Schwefeldioxyd das an sich unbeständige H a l b c h l o r i d der s c h w e f l i g e n S ä u r e (I) — das (in Analogie zum A m e i s e n s ä u r e c h l o r i d bei der Synthese von GATTERMANN-KOCH; S. 257) ohne Zweifel ebenfalls durch die Komplexbildung mit dem A l u m i n i u m c h l o r i d stabilisiert wird — als das eigentlich aktive Agens bildet:

Ο IS0 2 + HC1

Λ ΐ α

*

\

\ HO—S —C'l /

ι

Ο "

>-

HO—S—Ar

690

Die organischen Schwefelverbindungen

Die Reaktion ist danach etwa mit der Aldehydsynthese von vergleichbar.

GATTERMANN-KOCH

(S.

257)

Eine wichtige Abart des Verfahrens besteht in der Aktivierung der Kohlenwasserstoffkomponente durch Verwendung m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n , die sich s p o n t a n mit Schwefeldioxyd zu den S a l z e n d e r S u l f i n s ä u r e n umsetzen (vgl. S. 721): Ο Ο R—Me + J i = 0

ν

R—S—OMe

Die Reaktion findet vor allem in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e Anwendung und verläuft so glatt, daß es zuweilen vorteilhaft ist, die aliphatischen S u l f o n s ä u r e n über die Sulfinsäuren darzustellen (S. 680). Zu 2. Eine normale A l k y l i e r u n g oder A r y l i e r u n g der u n t e r s c h w e f l i g e n Säure ist bei ihrer schweren Zugänglichkeit bisher noch n i c h t durchgeführt worden. Dagegen ist anzunehmen, daß die Sulfinsäurebildung bei der Zersetzung von D i a z o n i u m s a l z e n in Gegenwart von ü b e r s c h ü s s i g e m S0 2 und K u p f e r p u l v e r (bei Verwendung der n e u t r a l e n Diazoniumsulfite entstehen bekanntlich die S u l f o n s ä u r e n , S. 620) auf einer intermediären Reduktion des Schwefeldioxyds zur u n t e r s c h w e f l i g e n Säure beruht:

Ο IS02 + 2 Η

>- Η - S- OH

Ο •

Ar

S

OH

Auch mit K u p f e r - I I - S a l z e n als Katalysator und A l k o h o l e n als Reduktionsmittel erhält man aus D i a z o n i u m s a l z e n und S c h w e f e l d i o x y d die Sulfinsäuren (vgl. auch S. 621).

Zu 3. Die Überführung anderer Schwefelfunktionen in die Sulfinsäuregruppe erfordert wegen deren m i t t l e r e r O x y d a t i o n s s t u f e ähnliche Vorsichtsmaßregeln wie die Darstellung der A l d e h y d e aus den A l k o h o l e n oder C a r b o n s ä u r e n . Am besten gelingt sie durch vorsichtige Reduktion von S u l f o c h l o r i d e n , z . B . mit Z i n k s t a u b und W a s s e r (S. 681). Das Verfahren findet namentlich in der a r o m a t i s c h e n Reihe Anwendung. Eine weitere von den S u l f o c h l o r i d e n ausgehende Bildungsweise liegt in der auf S. 681» 723 erwähnten Reaktion mit m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n vor. Ebenso haben wir in den oben beschriebenen anomalen Spaltungen der Sulf h y d r o x a m s ä u r e n und der N - A l k y l s u l f o n a m i d e (S. 682), die unter Austausch der Oxydationsstufen des S c h w e f e l s einerseits und des S t i c k s t o f f s bzw. K o h l e n s t o f f s andererseits vor sich gehen, interessante Möglichkeiten zur Überführung der Sulfon- in die Sulfinsäuregruppe kennengelernt.

Die Sulfinsäuren sind in ihrem physikalischen Verhalten den Sulfonsäuren ähnlich» s c h m e l z e n jedoch etwas h ö h e r und zeigen eine g e r i n g e r e W a s s e r l ö s l i c h k e i t · Hinsichtlich der chemischen Eigenschaften sind die Unterschiede zwischen beiden Verbindungsreihen größer. Insbesondere stellen die Sulfinsäuren infolge ihrer m i t t l e r e n O x y d a t i o n s s t u f e eine ziemlich l a b i l e Körperklasse dar, die etwa mit den A l d e h y d e n oder N i t r o s o v e r b i n d u n g e n verglichen werden kann. Ihre Reaktionen beschränken sich ausschließlich auf die Umsetzungen der — S 0 2 H - G r u p p e und können unterteilt werden in: 1. die S ä u r e r e a k t i o n e n , 2. die T a u t o m e r i e e r s c h e i n u n g e n und 3. die R e d u k t i o n s - und O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n . Zu 1. Die Sulfinsäuren sind wesentlich s c h w ä c h e r s a u e r als die Sulfonsäuren und stehen hinsichtlich ihrer Acidität den C a r b o n s ä u r e n nahe. Von ihren S a l z e n sind nur die meist schwer löslichen B l e i s a l z e charakteristisch, die häufig zu ihrer Isolierung dienen. Die E s t e r stellt man am besten durch direkte Veresterung der Sulfinsäuren mit Alkoholen ohne Zusatz eines Katalysators dar. Sie erleiden bei Spaltungsreaktionen infolge des Fehlens von S=0-Doppelbindungen eine a l k y -

691

Sulfinsäuren, Sulfoxyde

lierende S p a l t u n g , wie das spezielle Beispiel der bereits erwähntenUmlagerung in die Sulfone zeigt (S. 688). Bezüglich der Stereochemie der Sulfinsänreester vgl. II, Kap. 7, V, 3. Zu 2. Das Sulfinat-Ion enthält sowohl am S a u e r s t o f f als auch am Schwefel ungebundene E l e k t r o n e n p a a r e . Infolgedessen leiten sich von ihm in ähnlicher Weise wie von der schwefligen Säure zwei tautomere Säuren ab: OH I

t

HO—SI

ψ

ο

OH

HO—S—Η

R—SI

ι

Ο

ι

Ο

I

I

0

Schweflige Säure

ο i

R—S—Η 0

Sulfinsäuren

Über die L a g e des T a u t o m e r i e g l e i c h g e w i c h t s in den freien Sulfinsäuren ist n i c h t s bekannt, doch kann man von beiden tautomeren Formen A l k y l d e r i v a t e darstellen, die wir bereits kennengelernt haben. Die am S a u e r s t o f f alkylierten Verbindungen werden als die eigentlichen S u l f i n s ä u r e e s t e r bezeichnet, während die „ E s t e r " der I s o f o r m die Sulfone sind, die — in Analogie zur Bildung der Sulfonsäuren bei der Alkylierung der Alkalisulfite — als alleinige Alkylierungsprodukte der A l k a l i s u l f i n a t e entstehen (S. 688).

Zu 3. Die Sulfinsäuren sind in Analogie zu den Aldehyden s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l und werden vielfach bereits durch L u f t s a u e r s t o f f zu den Sulfonsäuren oxydiert (Gleichung formulieren!). Andererseits werden sie durch starke R e d u k t i o n s m i t t e l in Mercaptane übergeführt, ohne daß irgendwelche Zwischenprodukte isoliert werden können. Auch D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s r e a k t i o n e n sind bekannt. So erhält man ζ. B. bei der trockenen Destillation von B e n z o l s u l f i n s ä u r e oberhalb 100° die B e n z o l s u l f o n s ä u r e und D i p h e n y l - d i s u l f o x y d , ein Sulfoxydder Disulfidreihe: 3

S0 2 H



SOjH +

\—SO—SO-^

4. Die Sulfoxyde und ihre Derivate

+ H20

0

Die Sulfoxyde (auch Svlfinoxyde genannt) enthalten die zweiwertige —i-j—. Gruppe und stehen damit einerseits zu den S u l f i n s ä u r e n in der gleichen Beziehung wie die Sulfone zu den Sulfonsäuren, andererseits zu den T h i o ä t h e r n in einem ähnlichen Verhältnis wie die Aminoxyde (S. 592) zu den t e r t i ä r e n Aminen: ?

1

R—S—OH

R—S—R

R—S—R

Sulfinsäure

Sulfoxyd

Thioäther

Ihre Nomenklatur und Konstitutionsermittlung schließen sich an die der Sulfone an. Insbesondere hat man auch hier längere Zeit an der alten Formulierung mit

(

)

II doppelt gebundenem S a u e r s t o f f \R—S—R') festgehalten. Die Darstellung der Sulfoxyde erfolgt in Analogie zur Aminoxydbildung am besten durch Oxydation von T h i o ä t h e r n , d.h. durch Anlagerung eines S a u e r s t o f f a t o m s an eines der ungebundenen Elektronenpaare des Schwefels, wozu neben verdünnter S a l p e t e r s ä u r e auch hier H y d r o p e r o x y d geeignet ist:

Die organischen Schwefelverbindungen

692

Die Sulfoxyde sind gut kristallisierende, bei normaler Temperatur durchaus beständige Verbindungen, die oberhalb 200° unter Wiederabspaltung des Sauerstoffs die T h i o ä t h e r zurückbilden und durch s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l leicht zu den S u l f o n e n oxydiert werden können (Gleichung formulieren!). Ihre sonstigen physikalischen und chemischen Eigenschaften lassen in besonders schöner Weise den Vorteil erkennen, den die Einführung des Begriffs der s e m i p o l a r e n B i n d u n g für die Beschreibung der Sauerstoffverbindungen des Schwefels gebracht hat. Sie stellen daher ein wichtiges Argument f ü r die Berechtigung der E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r Valenz dar. Besonders charakteristisch sind die folgenden vier Punkte: 1. Die Sulfoxyde zeigen ein sehr h o h e s D i p o l m o m e n t . Sie sieden infolgedessen um 150—200° h ö h e r als die sauerstofffreien T h i o ä t h e r , so daß sie nur in wenigen Fällen und im Vakuum ohne Zersetzung destilliert werden können. 2. Die Sulfoxyde sind wie die Aminoxyde s c h w a c h b a s i s c h und bilden mit starken Säuren S a l z e , in denen das Proton an den Sauerstoff gebunden ist, die also den T r i a l k y l s u l f o n i u m s a l z e n nahe stehen: OH

Ο t R—S—R + HC104



R—S—R

C1 ί, π R_s—R

Η

+ >° -^γϊηοΓ"

τ> τ> R—S—R

RO +2NaOB — 2NaCl

v

OR

R—S—R

Die Sulfoxyde

693

Schließlich muß man auch den von WITTIG (1952) entdeckten Tetraphenylschwefel zu den Derivaten des v i e r w e r t i g e n S c h w e f e l s rechnen. Er entsteht in Analogie zum T r i p h e n v l j o d (S. 170) bei der Umsetzung von T r i p h e n y l - s u l f o n i u m c h l o r i d mit P h e n y l l i t h i u m bei tiefer Temperatur:

-C.BL·© )'S—C 6 H 6 κ c,H/

Ί+ Cl- + Li —CeH,

LiCl

C e H 6> \

CeHä

T e t r a p h e n y l s c h w e f e l erweist sich mit einer Zersetzungstemperatur von —60° als noch l a b i l e r a l s T r i p h e n y l j o d , mit dem er auch hinsichtlich seiner B i n d u n g s V e r h ä l t n i s s e — er enthält ebenfalls ein E l e k t r o n e n d e z e t t — verglichen werden kann. Eine weitere interessante Analogie zu den organischen Verbindungen mit m e h r w e r t i g e m J o d besteht darin, daß auch hier der (experimentell noch nicht verwirklichte) schrittweise Ersatz der Chloratome des (mit dem P h e n y l j o d i d c h l o r i d vergleichbaren) D i p h e n y l s u l f i d c h l o r i d s durch weitere Phenylreste infolge des Auftretens des salzartigen T r i p h e n y l - s u l f o n i u m c h l o r i d s als Zwischenstufe mit einem z w e i m a l i g e n W e c h s e l d e s B i n d u n g s t y p u s verbunden ist.

45

Elages,

L e h r b u c h der Organischen Chemie I , 2

8. K a p i t e l

Die organischen Verbindungen der übrigen Nichtmetalle I. Allgemeines Die Kohlenstoffderivate der übrigen Nichtmetalle sind für den Organiber gegegenüber den bisher besprochenen Verbindungen nur mehr von g e r i n g e m I n t e r e s s e , denn einerseits kommen sie n i c h t n a t ü r l i c h vor, und es gehören ihnen, abgesehen von einigen A r s e n v e r b i n d u n g e n , keine Stoffe von praktischer Bedeutung an, andererseits bieten sie auch theoretisch nicht viel Neues, da sich stets die gleichen (bzw. analoge) Verbindungsklassen wiederholen. Insbesondere ist es wie beim Stickstoff und Schwefel fast immer möglich, von a l l e n b e k a n n t e n O x y d a t i o n s s t u f e n der Elemente o r g a n i s c h e D e r i v a t e herzustellen, die dann in voller Analogie zu den bisher beschriebenen Stoffen als S ä u r e n , n e u t r a l e S u b s t a n z e n oder in selteneren Fällen auch als B a s e n fungieren. Wir können uns daher mit einem kurzen Überblick über die wichtigsten Verbindungsklassen begnügen. Der chemische Charakter aller hierher gehörenden Stoffe wird in noch höherem Maße als bei den Stickstoff- und Schwefelverbindungen durch die R e a k t i o n e n d e s H e t e r o a t o m s bestimmt, neben denen die des organischen Molekülteils f a s t v ö l l i g zurücktreten. Vom a l l g e m e i n c h e m i s c h e n S t a n d p u n k t aus müßten diese Verbindungen also in erster Linie als D e r i v a t e d e r H e t e r o e l e m e n t e und nicht als typische Kohlenstoffverbindungen angesehen werden. Ihre Eigenschaften ändern sich von Element zu Element nur noch w e n i g , entfernen sich jedoch mit w a c h s e n d e m A t o m g e w i c h t des Heteroelements immer mehr von denen der vorbesprochenen Verbindungen und gehen über die der Derivate der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e allmählich in die typischen Eigenschaften d e r m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n über, bei denen wieder die Reaktionen des K o h l e n s t o f f s v o r h e r r s c h e n . Eine scharfe Grenze zwischen den n i c h t m e t a l l - und den m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen läßt sich daher n i c h t z i e h e n , und es wurden im folgenden mehr oder weniger willkürlich die W i s m u t v e r b i n d u n g e n , die bereits die typische H y d r o l y s e der Organometallverbindungen zeigen, sowie die Z i n n - u n d B l e i v e r b i n d u n g e n , bei denen das Heteroatom auch in den sauerstofffreien Verbindungen in m e h r e r e n W e r t i g k e i t s s t u f e n auftritt, zur m e t a l l o r g a n i s c h e n R e i h e gerechnet. In ihren physikalischen Eigenschaften zeigen die sauerstofffreien Alkylderivate aller Nichtmetalle und auch zahlreicher Metalle eine bemerkenswerte Ä h n l i c h k e i t . Insbesondere sieden und schmelzen sie a u f f a l l e n d t i e f und lassen interessante S i e d e p u n k t s r e g e l m ä ß i g k e i t e n erkennen, die im einzelnen aus Tabelle 33 zu entnehmen sind:

Allgemeine Eigenschaften

695

Tabelle 33 Die p h y s i k a l i s c h e n

VerbindungsTypus X = CH 3 X C2H5X

K o n s t a n t e n der organischen D e r i v a t e 1·—β Stellen vor einem Edelgas

1. Periode Sdp. 1 Smp.

2. Periode

FLuor Ch or —79° —142» —24° — 98» 12» —139° —38° —1430

X =

Stick Stoff Phos phor — 7° — 92» —14» 38» —85» 40 —124» 25» 17° — 81» —115» 127» 93°

(CH 3 ) 3 X C 2 H5XH 2 (C2H5)3X X = CH3XH3

(CH 3 ) 4 X C2H5XH3

(C2H5)4x

x= (CH 3 ) 3 X (C,H5)3X

χ= (CH 3 ) 2 X (C2H5)2X

Br om — 43» 38» —119» 40

Schv .'efel Se len 6» —121» 38» — 83° 58» 35» —147" 54° 92» —102» 108»

Saue rstoff 65° — 97» —24° —139» 78° —115» 35° —116»

CH3XH2

Ai

sen

Mag η esium subli110°/ — 12» mierbar 15Torr

Elemente

5. Periode Sdp. 1 Smp.

Jd 42» — 66» 72» —109» Te lur 57» 82» 90» 138° Anti mon

Wis mut

81»

110°

160°

107»/ 79mm



52» 36° 142»

Kohle nstoff Germ anium Silia lum — —89° —172» —57» —157» 10° — 20» 26» 43° —88° —45° —190» 139° — 41» 154» 164° —90» Β or Alumi nium Gal ium —22» —160° 125° 15° 56° —16» 95° — 93° 207» 1431) —85» Bery lium

4. Periode

Sdp. 1 Smp. Sdp. 1 Smp. Sdp. 1 Smp.

X = CH 3 XH (CH 3 ) 2 X C 2 H 5 XH (C 2 H 5 ) 2 X

3. Periode

der

Zi nk 46» —40» 118» —28»

Zi nn 77»

B1ei 110» —28»

181» —112» >200° Ind ium 136» 88°

Thallium

Cadr nium Queck silber 106» — 5» 95» 64»/ — 21» 159» 19Torr

*) extrapoliert. Danach beobachtet man in den (hier waagerecht angeordneten) G r u p p e n d e s P e r i o d e n s y s t e m s das erwartete Ansteigen der Siedepunkte gleichkonstituierter Verbindungen mit dem A t o m g e w i c h t d e s H e t e r o a t o m s . Eine Ausnahme machen nur die A l k o h o l e und das M o n o m e t h y l a m i n , die infolge des assoziierenden Wasserstoffs u n g e w ö h n l i c h h o c h sieden. Weiterhin beobachtet man in den (hier untereinander angeordneten) e i n z e l n e n P e r i o d e n ein ausgesprochenes S i e d e p u n k t s m a x i m u m bei den Alkylverbindungen der Elemente der s e c h s t e n G r u p p e , das insbesondere beim Vergleich der Verbindungen g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l deutlich hervortritt. Der auffallend niedrige Siedepunkt der Verbindungen der Elemente der f ü n f t e n und besonders der v i e r t e n G r u p p e ist anscheinend auf die g e r i n g e n D i p o l m o m e n t e dieser Stoffe sowie bei den persubstituierten Verbindungen auch auf die A b s c h i r m u n g d e s E i n f l u s s e s d e s Z e n t r a l a t o m s durch die allseitig stehenden Alkylreste zurückzuführen. Dagegen kann man die relativ niedrigen Siedepunkte der Alkvlhalogenide nicht so einfach erklären. Schließlich sei noch auf die ungewöhnlich h o h e n Siedepunkte der A l u m i n i u m t r i a l k y l e hingewiesen, die auf ihre d o p p e l t e M o l e k ü l g r ö ß e (vgl. S. 729) zurückzuführen sind. 45

696

Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

II. Die organischen Derivate des Selens und Tellurs Vom Selen und Tellur sind nur wenige organische Derivate bekannt, deren Zusammensetzung und Eigenschaften sich eng an die der analog konstituierten Schwefelverbindungen anlehnen. So entsprechen ζ. B. den Thioäthern die Dialkylselenide R 2 Se und -telluride R 2 Te, die durch Alkylierung von Selen- bzw. Tellurwasserstoff mit Alkylhalogeniden oder Dialkylsulfaten und Alkali gewonnen werden: i—Hai :—Hai

Na:

R

Na

R

+ :S e

R - -Hai

\se ;

Ri—Hai

+

Nai iTe Nai

R„ \Te R

Auch das Äthylselen-mercaptan C2H5—Se—Η und Äthyltellur-mercaptan C2H5—Te—Η sowie die den tertiären Sulfoniumsalzen entsprechenden Trialhyl- (bzw. aryl-)selenonium- und -telluroniumsalze (z.B. I) sind bekannt. Besonders interessant sind die von W I T T I G (1952) dargestellten Tetraphenylverbindungen des Selens und T e l l u r s , die in jeder Beziehung mit dem auf S. 693 beschriebenen Tetraphenylschwefel verglichen werden können, jedoch infolge des Übergangs zu Derivaten der Elemente höherer Perioden bereits wesentlich beständiger sind als dieser. Ζ. B. liegt der Zersetzungspunkt des Tetraphenyleelens bei + 8° und der des Tetraphenyltellurs bei + 60°. Infolge dieser größeren Stabilität kann man diese Verbindungen auch auf einem einfacheren Wege, durch direkten Austausch der Chloratome des Diphenylselenid- bzw. -telluridchlorids gegen den Phenylrest mittels Phenyllithiums, gewinnen, wobei die sonst als Ausgangsmaterial für die Gewinnung derartiger Polyphenylverbindungen gebräuchlichen phenylierten Oniumsalze der Zentralatome als Zwischen Verbindungen auftreten: C»H6N pi + Li-C,HS C A \ /C e H 5 ° « Η ' \ © / + Li:—C,Hj _ i.ici ;z( • Ζ—C.Ht e r Z / C1 ~LiC1 C„H/ C6H / \c„HS »*'« I (Z = Se oder Te) Diese hier erstmals experimentell verwirklichte Substitution ist wieder mit einem zweimaligen Wechsel des Bindungstypus verbunden (vgl. S. 169, 693). Derivate der Sauerstoffverbindungen sind nur vom sechswertigen Selen bekannt. Hier entsprechen den Sulfonsäuren die Selenonsäuren R—Se0 3 H, die in analoger Weise durch „Sehnonierung", d. h. durch Einwirkung der der Schwefelsäure sehr ähnlichen Selensäure auf aromatische Kohlenwasserstoffe entstehen: V Ar—Η + HO—Se—OH

'

Hs

° >•

? Ar—Se—OH

ö δ Sie sind in ihrem äußeren Habitus den Sulfonsäuren sehr ähnlich und haben ebensowenig eine praktische Bedeutung erlangt wie die den Sulfonen entsprechenden Selenone, die man ebenfalls in analoger Wpise durch Oxydation der Dialkylselenide als schön kristallisierende neutrale Substanzen erhält: Ο

R—Se—R ~ — ' >

R—iL—R

III. Die organischen Derivate des Phosphors, Arsens und Antimons Die organischen Derivate der h ö h e r e n E l e m e n t e der fünften Gruppe zeigen vielfach die gleiche Zusammensetzung wie die S t i c k s t o f f V e r b i n d u n g e n . Doch beschränkt sich diese Analogie, ähnlich wie die zwischen Sauerstoff- und Schwefelverbindungen, im allgemeinen auf die f o r m a l e Z u s a m m e n s e t z u n g , während bei den c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n tiefer greifende Unterschiede beobachtet werden.

Organische Phosphorverbindungen

697

Sie sind insbesondere auf die p o s i t i v e r e N a t u r dieser Elemente und die dadurch bedingte Empfindlichkeit gegenüber O x y d a t i o n s m i t t e l n , sowie auf die verminderte Befähigung zur Ausbildung von Doppelbindungen, zurückzuführen. Die Verbindungen aller drei Elemente lassen sich auf Grund der Oxydationsstufe des Heteroatoms unterteilen in 1. die organischen Derivate der d r e i w e r t i g n e g a t i v e n Elemente, die nur o r g a n i s c h e R e s t e bzw. neben diesen nur noch W a s s e r s t o f f am Zentralatom gebunden enthalten, 2. die organischen Derivate der d r e i w e r t i g p o s i t i v e n Elemente, die neben den organischen Resten ausschließlich n e g a t i v e S u b s t i t u e n t e n am Zentralatom enthalten, und schließlich 3. die organischen Derivate der f ü n f w e r t i g e n E l e m e n t e , in denen das ursprünglich ungebundene Elektronenpaar des Zentralatoms mit semipolar gebundenem S a u e r s t o f f abgesättigt ist. 1. Die organischen Phosphorverbindungen a) Die o r g a n i s c h e n D e r i v a t e des d r e i w e r t i g n e g a t i v e n P h o s p h o r s . Die den A m i n e n und q u a r t ä r e n A m m o n i u m s a l z e n entsprechenden organischen Derivate des P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s werden Phosphine und quartäre Phos•pkoniumsalze genannt. Für ihre Darstellung stehen drei Methoden zur Verfügung: 1. die der Aminbildung analoge Umsetzung des P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s mit A l k y l i e r u n g s m i t t e l n , die man jedoch wegen seiner geringen Basizität in Gegenwart von Z i n k o x y d vornehmen muß, um die entstehende Säure zu binden, und bei der ebenfalls alle vier Alkylierungsstufen n e b e n e i n a n d e r entstehen: + V^ZnO -'ί,Η,Ο, — V.ZnJ,*" + 1,äZnO -•/,Η',Ο, —V.ZnJ,*" (CH3)2PH

PH 3 + C H 3 - J

CHjj—PH2 ~b CH3—J ©

(CH3)2PH + CH3—J P(CH3)3 + CH3—J

(CHa ,PH

_ + V, ZnO -V.H.O, — V.ZnJ, P(CH3)3

P(CH3)4

Das Verfahren eignet sich nur für die Darstellung der a l i p h a t i s c h e n Phosphine. Eine interessante A b a r t , die lediglich zur Bildung der p r i m ä r e n und s e k u n d ä r e n Phosphine führt, besteht in der thermischen Zersetzung von P h o s p h o n i u m j o d i d mit A l k o h o l e n , die intermediär mit dem abgespaltenen Jodwasserstoff das als Alkylierungsmittel erforderliche A l k y l j o d i d bilden: + κ—OH_ + '/, ZnO PH 3 + R—J -ν,Η,Ο,-'/,Ζηϋ, R—PH, — ph 3 + h j ~ —H„0

2. die Umsetzung m e t a l l o r g a n i s c h e r trihalogeniden: /Hal Me —R -Hal + Me R s Hal Me - R

Verbindungen

P

mit

Phosphor-

/R / r R

Bei dieser Reaktion sind gegenüber der sonst üblichen Alkylierung von W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n die Oxydationsstufen v e r t a u s c h t . Sie eignet sich naturgemäß nur zur Darstellung der t e r t i ä r e n P h o s p h i n e , ist hier aber infolge des einheitlichen Reaktionsverlaufes dem ersten Verfahren überlegen. Wir begegnen in ihr erstmals einer für die Darstellung der organischen Derivate aller s c h w e r e n E l e m e n t e einschließlich der m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n allgemein anwendbaren Methode.

698

Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

3. die R e d u k t i o n der unten beschriebenen A r y l - p h o s p h i n - d i c h l o r i d e , deren aliphatische Analoga noch nicht bekannt sind. Die Methode diente daher bisher ausschließlich zur Darstellung der primären a r o m a t i s c h e n Phosphine: Ar—PC1 2 *+2H 2

ν

Ar—PH 2 + 2 HCl

Die Phosphine sind niedrig siedende und schmelzende Substanzen von u n a n g e n e h m e m G e r u c h und großer G i f t i g k e i t , die in Wasser s c h w e r und in organischen Lösungsmitteln u n b e g r e n z t löslich sind. Ihre B a s i z i t ä t ist z w a r g e r i n g e r als die des Ammoniaks, doch sind sie (insbesondere bei h ö h e r e m A l k y l i e r u n g s g r a d ) wesentlich s t ä r k e r b a s i s c h als P h o s p h o r w a s s e r s t o f f , so daß die Salze der s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n Phosphine in Gegenwart ü b e r s c h ü s s i g e r M i n e r a l s ä u r e n durch Wasser n i c h t mehr zersetzt werden. Im übrigen zeigen die Phosphine einen von den Aminen völlig a b w e i c h e n d e n C h a r a k t e r , da das ungebundene Elektronenpaar des Phosphors in ihnen — in Über einstimmung mit seinem Verhalten in anderen Verbindungen m i t d r e i b i n d i g e m P h o s p h o r , insbesondere im e l e m e n t a r e n P h o s p h o r selbst, und im Gegensatz zu seiner geringen Basizität — eine auffallend große Tendenz zur Absättigung mit S a u e r s t o f f oder anderen negativen Resten aufweist. Die Phosphine sind daher s t a r k a u t o x y d a b l e Substanzen, die den Sauerstoff der Luft so begierig anziehen, daß häufig S e l b s t e n t z ü n d u n g eintritt und auch bei vorsichtig geleiteter Reaktion stets die Oxydationsendprodukte, d. h. die unten beschriebenen Verbindungen mit f ü n f w e r t i g e m P h o s p h o r , entstehen. Die verschiedenen Anlagerungsreaktionen lassen sich am besten an den t e r t i ä r e n P h o s p h i n e η untersuchen, die keinen störenden Wasserstoff mehr am Phosphor enthalten. Sie führen zu den folgenden Reaktionsprodukten: R 3 P->0 Trialkyl-phosphinoxyd R 3 PCI 2 Trialkyl-phosphin(di)chlorid r3P^S Trialkyl-phosphinsulfid

R3PI



+ 0],

/

I J

+• τ

Θ ©

4-N=N=HN Θ © + N=N=CÄ,

+ CS,

®

Tetraalkyl-phosphoniumjodid

•N 2 Trialkyl-phosphmimid Tiialkyl-phosphazin © ß R3P—Cfe X S SchwefelkohlenstoffAddit ions Verbindung

Während die Struktur der Triallcyl-phosphinoxyde, -sulfide und -chloride in Analogie zu der der S u l f o x y d e (S. 691 f.), der P b l y s c h w e f e l w a s s e r s t o f f e (vgl. anorg. Lehrbücher), der J o d i d c h l o r i d e (S. 159) und der S u l f i d c h l o r i d e (S. 692) ohne Schwierigkeit durch Annahme einer s e m i p o l a r e n oder „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g " (S. 29) gedeutet werden kann, sind für die angeführten stickstoffhaltigen Verbindungen und das rote — also unter weitgehender B e t e i l i g u n g der B i n d u n g s e l e k t r o n e n entstehende — Additionsprodukt des Schwefelkohlenstoffs k e i n e A n a l o g i e f ä l l e bekannt. Die angeführte Konstitution ist daher in diesen Fällen mit einer gewissen Unsicherheit belastet.

Die quartären Phosphoniumbasen sind, wie alle am Zentralatom wasserstofffreien Oniumbasen, den A l k a l i h y d r o x y d e n ähnliche, s t a r k b a s i s c h e Verbindungen, die jedoch bereits merklich labiler sind als die T e t r a a l k y l - a m m o n i u m b a s e n . Ihre t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g erfolgt erstmals nicht mehr im Sinne des H o F M A N N s c h e n A b b a u s , sondern unter Bildung eines T r i a l k y l p h o s p h i n o x y d s und eines K o h l e n w a s s e r s t o f f s (bez. des Reaktionsmechanismus vgl. II, Kap. 4, II, 2 a λ ) .

Organische Phosphorverbindungen ; R 3 I ' - R : HO"



699

B 3 T>-.0 + R - H

Auch bei dieser Reaktion tritt also die außerordentlich große A f f i n i t ä t des P h o s p h o r s z u m S a u e r s t o f f in Erscheinung. Ein weiterer Unterschied gegenüber den quartären Ammoniumsalzen ist darin zu erblicken, daß vom Phosphor auch T e t r a a r y l p h o s p h o n i u m s a l z e bekannt sind, die eine gewisse Analogie zu den D i a r y l j o d o n i u m - (S. 169) und T r i p h e n y l s u l f o n i u m s a l z e n (S. 693) aufweisen. Danach scheint bei den Elementen der h ö h e r e n P e r i o d e n die v o l l s t ä n d i g e A r y l i e r u n g d e r O n i u m a t o m e geringere Schwierigkeiten zu bereiten als beim Stickstoff und Sauerstoff. Eine weitere Verbindungsklasse mit d r e i w e r t i g e m Phosphor liegt in den Phosphoverbindungen vor, deren Namen dem der analog zusammengesetzten A z o v e r b i n d u n g e n nachgebildet wurde. Sie sind nur in der a r o m a t i s c h e n R e i h e bekannt und werden — in Analogie zur Bildung der A z o k ö r p e r aus Anilin und Nitrosoverbindungen — durch Kondensation der p r i m ä r e n a r o m a t i s c h e n P h o s p h i n e mit den A r y l p h o s p h i n d i c h l o r i d e n (s. unten) erhalten: ^>--PH2 + C l g i P — ^

""2H(V

-l'.=P·

")>

Phosphobenzol

Die Phosphoverbindungen sind im Gegensatz zu den Azoverbindungen f a r b l o s e S u b s t a n z e n , denen allgemein die angeführte Struktur mit einer e c h t e n D o p p e l b i n d u n g zwischen den Phosphoratomen zuerteilt wird. Doch steht der exakte Konstitutionsbeweis noch aus.

b) D i e o r g a n i s c h e n D e r i v a t e des p o s i t i v d r e i w e r t i g e n P h o s p h o r s Von den organischen Derivaten des positiv dreiwertigen Phosphors sind bisher nur einige p r i m ä r e Verbindungen der a r o m a t i s c h e n R e i h e bekannt geworden: 1. Die den A l k y l - d i c h l o r a m i n e n (S. 551) entsprechenden Arylphosphindichloride sind organische Derivate des P h o s p h o r t r i c h l o r i d s und werden auch aus diesem und B e n z o l beim Durchleiten der Dämpfe durch ein glühendes Rohr oder in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d dargestellt: /

—Η

Cl—PCL, - ~ H C I >

PC12

Phenylphosphin-dichlorid

Phenylphosphin-dichlorid ist eine bei etwa 180° siedende, beständige Flüssigkeit mit einem zum Husten reizenden Geruch. Es kann infolge der R e a k t i o n s f ä h i g k e i t d e s H a l o g e n s in zahlreiche andere Phosphorverbindungen übergeführt werden, wie die erwähnte R e d u z i e r b a r k e i t zum primären P h o s p h i n und die ebenfalls bereits beschriebene Kondensation mit diesem Phosphi» zur P h o s p h o v e r b i n d u n g zeigen. Auch die Darstellung der anschließend beschriebenen A r y l p h o s p h i n - s ä u r e n geht von den Arylphosphindihalogeniden aus. 2. Unter Arylphoepbinsäuren (früher arylphospkinige Säuren1)) versteht man eine Reihe

/H

von Säuren, die die einwertige Gruppe —P—»O enthalten, also zur p h o s p h o r i g e n und \θΗ u n t e r p h o s p h o r i g e n S ä u r e in der gleichen Beziehung stehen, wie die S u l f i n s ä u r e n (S. 689) zur s c h w e f l i g e n und u n t e r s c h w e f l i g e n Säure (formulieren!). Sie werden aus*) Die Benennung der organischen Sauerstoffsäuren des P h o s p h o r s (sowie auch die der analog konstituierten A r s e n - und A n t i m o n v e r b i n d u n g e n ) erfolgt sehr wenig einheitlich. Ζ. Β. findet man im Beilstein selbst für die Bezeichnung der g l e i c h a r t i g k o n s t i t u i e r t e n

Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

700

schließlich durch Hydrolyse von A r y l p h o s p h i n d i c h l o r i d e n gewonnen und lassen sich ähnlich leicht wie die Phosphine (und in Analogie zu den Sulfinsäuren) zu den P h o s p h o n s ä u r e n oxydieren:

\ ) H Phenylphoaphinsäure

Phenylphosphone&ure

OH

Die Arylphosphinsäuren entsprechen hinsichtlich der O x y d a t i o n s s t u f e des Phosphors den N i t r o s o v e r b i n d u n g e n , können aber nicht zu analogen P h o s p h o s o v e r b i n d u n g e n entwässert werden, da die P = 0 - D o p p e l b i n d u n g n i c h t existenzfähig ist.

c) Die o r g a n i s c h e n D e r i v a t e des f ü n f w e r t i g e n P h o s p h o r s Die Verbindungen mit fünfwertigem Phosphor werden ausschließlich durch Oxydation der primären bis tertiären Phosphine dargestellt, wobei die folgenden drei Verbindungsklassen entstehen: *0 R — P — O H (Mono)alkyl(aryl)-phosphonsfiuren \OH R\ 5?0 Oxydation \τ>/ > Dialkyl(aryl)-phosphonsäuren Κ OH R\ Oxydation D X-r, ~ ιί—r-» \τ-\ ι tSr—rl W

Die Monoalkyl- bzw. -arylphosphonsäuren entsprechen hinsichtlich der Oxydationsstufe des Phosphors den N i t r o v e r b i n d u n g e n , liegen jedoch infolge des Nichtauftretens von P = 0 - D o p p e l b i n d u n g e n ausschließlich in h y d r a t i s i e r t e r Form vor, ähnlich wie auch die Phosphorsäure gegenüber der Salpetersäure nur Säuren des Typus R Z 0 3 H 2 (Ζ = P , As oder Sb) neben der häufigeren Endung -onsäuren ζ. T. auch noch die früher gebräuchliche Endung -insäwren. Ferner werden die z w e i f a c h a l k y l i e r t e n (bzw. arylierten Säuren des Typus R a Z 0 2 H in der Mehrzahl der Fälle noch durch die Endung -insäuren gekennzeichnet, obgleich diese Endung vielfach auch zur Benennung der früher als -inige Säuren bezeichneten Derivate der d r e i w e r t i g e n E l e m e n t e dient. I m folgenden sollen in Übereinstimmung mit den modernen Nomenklaturbestrebungen alle Säuren der o x y d a t i v f ü n f w e r t i g e n E l e m e n t e (mit semipolar gebundenem Sauerstoff) in Analogie zu den S u l f o n s ä u r e n einheitlich durch die Endung -ansäuren.gekennzeichnet werden, während die Hydroxylverbindungen der o x y d a t i v d r e i w e r t i g e n Elemente (mit einsamem Elektronenpaar am Zentralatom) — soweit sie S ä u r e n sind — in Analogie zu den S u l f i n s ä u r e n die Endung -insäuren erhalten, bzw. — soweit sie n e u t r a l e V e r b i n d u n g e n darstellen — mit der Endung -hydroxyde benannt werden, so daß sich das folgende einfache Nomenklaturschema ergibt: Rx 0O R-Z~OH ;Z( \OH r / OH Alkyl(Aryl)-phosphonsäuren Dialkyl(aryl)-phosphonsäuren bzw. -areonsäuren bzw. -areonsäuren bzw. -stibonsäuren bzw. -stibonsäuren

.OH r_Z(

Rv

)Z-OH OH RX Alkyl(Aryl)-phosphinsäuren Dialkyl(aryl)bzw. -ars insäure η phosphor-hydroxyde bzw. -stlbinsäuren bzw. -arsenhydroxyde bzw. -antimonhydroxyde

Organisohe Arsenverbindungen

701

in der Ortho form auftritt. Sie müssen daher strukturell eher mit den S u l f o n s ä u r e n verglichen werden, sind jedoch nur m i t t e l s t a r k e Säuren. Eine Reduktion zu den Phosphinen ist bisher n i c h t gelungen. Man hat auch versucht, die aromatischen Phosphonsäuren in Analogie zur Sulfonierung oder Nitrierung durch „Phosphonierung" aromatischer Kohlenwasserstoffe mit konzentrierter P h o s p h o r s ä u r e oder durch Zersetzung von D i a z o n i u m p h o s p h i t e n nach S A N D M E Y E R (Gleichungen formulieren!) zu gewinnen, doch wurden bisher keine brauchbaren Ergebnisse erzielt. In den Dlalkyl-phosphonsäuren sind z w e i Hydroxylgruppen der Phosphorsäure durch organische Beste ersetzt, ohne daß damit eine wesentliche Verminderung der Acidität verbunden ist. Sie besitzen in der Stickstoffchemie k e i n A n a l o g o n . Die Trialfeyl-phosphinoxyde reagieren wegen des Ersatzes aller drei Hydroxylgruppen der Phosphorsäure durch organische Reste nicht mehr sauer und entsprechen formal den A m i n o x y d e n , mit denen sie auch den s c h w a c h b a s i s c h e n Charakter des O-Atoms gemeinsam haben. Sie sind aber infolge der positiveren Natur des Phosphors viel b e s t ä n d i g e r als diese und können in ihren allgemeinen Eigenschaften am ehesten mit den S u l f o n e n verglichen werden. Auch die auf S. 698 beschriebenen A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g e n d e r T r i a l k y l p h o s p h i n e gehören bereits zu den Derivaten des f ü n f w e r t i g e n P h o s p h o r s . Ihnen schließt sich als weitere interessante Verbindung der von W I T T I G ( 1 9 4 9 ) aus T e t r a p h e n y l p h o s p h o n i u m j o d i d und L i t h i u m p h e n y l erhaltene Pentaphenylphosphor an.

\ \]

/

/ "

J - + Li—:V .

-T.iJ

-

-C.H^ —HCl

\

/ \

(Aici,)

κ

\ /

8

A.SC12

-

< ~ ) - A S C 1

2

+C.H„-HC1_ A1C < W

Sämtliche Verbindungen der Reihe üben bereits in sehr geringen Konzentrationen eine u n e r t r ä g l i c h e R e i z w i r k u n g auf die Atmungsorgane aus und dienten daher vielfach im ersten Weltkrieg als K a m p f s t o f f e . Chemisch zeichnen sie sich insbesondere durch die leichte Ersetzbarkeit des Halogens durch andere n e g a t i v e R e s t e aus. So gehen ζ. B. die Monoalkylarsindichloride durch H y d r o l y s e in die M o n o a l k y l a r s i n o x y d e über und können aus diesen durch Einwirkung von konzentrierter S a l z s ä u r e zurückgewonnen werden: R—AsCl»

H,0 HCl

R— AsO

In den Monoalkyl-arsinoxyden begegnen wir einem völlig neuen V e r b i n d u n g s t y p , denn sie können weder durch. H y d r a t i s i e r u n g in die den Phosphinsäuren analogen ,,Arsinsäuren" übergehen, noch zeigen sie irgendwelche Verwandtschaft mit dem N i t r o s o benzol. Wahrscheinlich liegen sie, da die As=0-Doppelbindung nicht existenzfähig ist, in Form trimerer R i n g m o l e k ü l e vor. In ihren chemischen Eigenschaften sind sie am ehesten mit dem ebenfalls polymeren A r s e n t r i o x y d zu vergleichen, das in gleicher Weise bei der Einwirkung starker Salzsäure reversibel in die Halogenverbindung übergeht (vgl. anorg. Lehrbücher).

Noch interessanter sind die Austauschreaktionen des Halogens in der s e k u n d ä r e n R e i h e , die ζ. T. bereits im J a h r e 1839 von B T T N S E N an den als Kakodylverbindungen bezeichneten Dimethylarsinkörpern aufgeklärt werden konnten, und die seinerzeit als ein wichtiges Argument f ü r die damals gerade in Blüte stehende R a d i k a l t h e o r i e galten:

Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

704 H3Cx V2

_ /CH 3

H3cx

Zn

ABAs—Cl

H0C

)As—OH H3C Dimethyl-arsinhydroxyd (Kakodylhydroxyd)

Dimethyl-arsinchlorid (Kakodylchlorid)

NaCN

H.CK

HCl

HCl

H,CN

.CH, ;As—O—ASC CH,

Dimethyl-arsincyanid (Kakodyl-cyanid)

Dimethyl-arsinoxyd (Kakodyloxyd)

Einzelverbindungen: Methyl- und Äthyl-arsindichlorid R—ASC12 zeichnen sich durch eine starke R e i z w i r k u n g auf die A t m u n g s o r g a n e aus und dienten im ersten Weltkrieg auf deutscher Seite als K a m p f s t o f f e , während das durch Anlagerung von A r s e n t r i c h l o r i d an A c e t y l e n in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d entstehende Chlorvinyl-arsindichlorid Cl—CH=CH—AsCla eine ähnliche Wirkung auf die Haut ausübt wie D i c h l o r d i ä t h y l s u l f i d (vgl. S. 674) und daher von den USA unter dem Namen Lewisit als Kampfstoff der G e l b k r e u z r e i h e (Berührungsgift) entwickelt wurde, jedoch nicht mehr zum Einsatz kam. Dimethyl-arsinoxyd (CH3)2AS—Ο—As(CH3)2 hat wegen seines unangenehmen Geruchs den Namen Kakodyloxyd erhalten und damit der ganzen Gruppe der K a k o d y l v e r b i n d u n g e n den Namen gegeben. Es ist die am längsten bekannte organische Arsenverbindung und wurde bereits im Jahre 1760 von CADET bei der thermischen Destillation von K a l i u m a c e t a t mit A r s e n t r i o x y d entdeckt, auf welchem Wege es auch heute noch dargestellt wird. Der Reaktionsverlauf im einzelnen ist noch undurchsichtig: As 2 0 3 + 4 CH3—COOK

>· (CH^aAs—0—As(CH3)2 + 2K 2 C0 3 + 2C0 2

Die physiologisch interessantesten Verbindungen der Reihe sind die Diarylarsin-chloride und -cyanide:

As—Cl

Diphenylarsinchlorid Clark [

As—C=N

Diphenylarslncyanid Clark I I

κ

ΗΝ \

As—Cl /

Diphenylaminarsinchlorid Adamsit

Sie üben in Form f e i n e r N e b e l eine ungewöhnlich große Reizwirkung auf die Atmungsorgane aus, so daß sie bereits in einer Konzentration von 0,01 mg im cbm Luft störend wirken und den Aufenthalt in einer Atmosphäre, die nur 1 mg pro cbm L u f t enthält, unmöglich machen. Trotzdem ist man auch hier von der Wahrnehmung einzelner Moleküle noch weit entfernt. Alle drei Verbindungen dienten unter den angeführten Decknamen im ersten Weltkrieg als Kampfstoffe der Blaukreuzgruppe.

Organische Arsenverbindungen

705

c) D i e o r g a n i s c h e n D e r i v a t e d e s f ü n f w e r t i g e n A r s e n s Die organischen Derivate des f ü n f w e r t i g e n Arsens entsprechen in jeder Beziehung den auf S. 700f. beschriebenen P h o s p h o n s ä u r e n und P h o s p h i n o x y d e n und können auch in analoger Weise durch Oxydation der A r s i n e dargestellt werden: „O Oxydation R—Asc -OH Alkyl- bzw. Aryl-arsonsäuren1) R—AsH, ΌΗ

R\

R\

)A8H W

0xydati n

R

Oxydation

\ R-AAs BT

° -,

-#0 Dialkyl- bzw. Diaryl-arsonsSuren

)as( R R

OH

\

Trialkyl- bzw. Triaryl-arsinoxyde

w

Bei weitem am wichtigsten sind die Arsonsäuren, die man — in Analogie zur Darstellung der entsprechenden Sulfonsäuren von der schwefligen Säure aus (vgl. S. 679) — präparativ fast ausschließlich durch Alkylierung bzw. Arylierung (mittels des Diazoverfahrens, S. 620) von arseniger Säure gewinnt. Auch hier tritt der organische Rest ausschließlich an das Z e n t r a l a t o m , so daß eine E s t e r b i l d u n g auf diesem Wege n i c h t möglich ist: Οθ ,0 R—As; -OH s OH

R—Hai + IAs^-0H

^OH bzw.

ΟΘ Θ ) — N = N + IAs^-OH

^OH

'

OH

Daneben ist in der P h e n o l - und A n i l i n r e i h e auch eine der S u l f o n i e r u n g analog verlaufende „Arsonierung" des Benzolkerns möglich, die man ζ. B. durch Verschmelzen der P h e n o l e und A m i n e mit A r s e n s ä u r e erreichen kann, und die zumindest bei der A r s a n i l s ä u r e g e w i n n u n g ebenfalls über das N - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t als Zwischenverbindung verläuft:

)—NH—:H + HO- As^OH ^OH Umlagerung >

Η(

— H,0

ΛΑ8_/

V-NH—

-NH,

HO

Die Arsonsäuren sind wasserlösliche m i t t e l s t a r k e Säuren, die je nach den angewandten Reduktionsmitteln zu den M o n o a l k y l - a r s i n o x y d e n , den A r s e n o v e r b i n d u n g e n und auch den p r i m ä r e n A r s i n e n reduziert werden können. Alle drei Reaktionen stellen bei der leichten Zugänglichkeit der Arsonsäuren zugleich die gebräuchlichsten Darstellungsweisen für diese Verbindungsklassen dar (s. o.). ') Der Name ist dem der S u l f o n s ä u r e n und C a r b o n s ä u r e n nachgebildet (vgl. S. 699, Anm.) und man spricht daher zuweilen auch von einer Benzol- und Methan-arsonsäure (statt Phenyl- und Methyl-arsonsäure).

706

Sonstige nichtmetallorganische Verbindungen

Wie alle Derivate des f ü n f w e r t i g e n Arsens sind auch die Arsonsäuren für den menschliehen Organismus weniger g i f t i g als die Verbindungen des d r e i w e r t i g e n Arsens. Ihnen gehören daher p h a r m a z e u t i s c h wichtige Arsenpräparate an. So dient z.B. bereits die einfachste Verbindung der Reihe, die Methylarsonsäure, als Mittel gegen H a u t k r a n k h e i t e n . Von erheblich größerer Bedeutung sind einige Derivate der p-Amino-phenylarsonsäure, die in Analogie zur S u l f a n i l s ä u r e allgemein als Arsanilsäure bezeichnet und heute meistens vom p - N i t r a n i l i n ausgehend auf dem folgenden Wege dargestellt wird:

y ' y" ^ NO,

NO, I

HNO,

{

I

NO, I

+ ASOJHJ-

NH, I

f ^ N

Reduktion

f ^ N

NHj N2© ÄS03H2 A r s aÄS0 n i l s ä 3uH r e2 Arsanilsaures Natrium dient unter der Bezeichnung Atoxyl als Mittel gegen die S c h l a f k r a n k h e i t , wird aber neuerdings vielfach durch seine weniger giftigen Derivate, wie z.B. das N - A c e t y l - D e r i v a t (Arsacetin) und das sich vom Glycinamid ableitende Tryparsamid ersetzt: H.N—/

—As^OH xONa

CH,—CO—NH—/ 3

'

x

Atoxyl

Arsacetin

\As—f-OH OH

H2N—CO—CH2—NH— Tryparsamid

Eine dritte Gruppe von pharmazeutisch wichtigen Arsenpräparaten liegt im Salvarsan und seinen Derivaten vor, die von P. E H R L I C H als Mittel gegen P l a s m o d i e n , S p i r i l l e n , S p i r o c h ä t e n und T r y p a n o s o m e n eingeführt wurde. Salvarsan gehört nicht mehr der Arsonsäurereihe selbst an, sondern stellt eine komplizierte A r s e n o v e r b i n d u n g dar, deren Gewinnung jedoch ebenfalls über die A r s a n i l s ä u r e erfolgt: >—AsO.H, 2

vt/-,

HO—

/-v v t

^'trierungto

O x a l y l - oder Acetyl-Verbindving

Α ο

_

Ν Η

o,N t/

nmaiiscue ixcuunuu« utri αίιιιο-

der Nitro—AsO,H,- und —alkalische — -- Reduktion --, -As0 H,-Uruppe mit N a j S j O , 4

J

3

/

\

_

)

\

/

As0 ~

,H 3

2

AtopaU.

der A c - X H - G r u p p e

τχ/-ν

HO

Es ist eine h e l l g e l b e , nur in heißem Wasser lösliche a m p h o t e r e Verbindung, die sowohl mit S ä u r e n als auch mit B a s e n Salze bildet und entweder als H y d r o chlorid oder als k o m p l e x e s S i l b e r s a l z (Silbersalvarsan) in den Handel kommt. Ein wichtiges Salvarsanderivat ist das Neosalvarsan, das bei der Kondensation von S a l v a r s a n mit R o n g a l i t (S. 284) gebildet wird und aus einem Gemisch der folgenden beiden Verbindungen besteht:

Organische Antimonverbindungen

707 -As

-As-

und

>—OH ;NH

CH,—SO,Na

CH,— S0 2 Na NaS0 2 —CH/

Die an sich u n w i r k s a m e n Arsenoverbindungen erleiden im Organismus einen o x y d a t i v e n A b b a u , der zunächst zum S a l v a r s a n o x y d (mit einer Ar-AsO-Gruppe) als dem eigentlichen die S p i r o c h ä t e n s c h ä d i g e n d e n Agens und über dieses hinaus schließlich zur •wieder u n w i r k s a m e n und auch ungiftigen A r s o n s ä u r e führt. Die letztere Reaktion ist insbesondere aus dem Grunde von Bedeutung, weil sie eine den Wirtsorganismus nicht schädigende A b s c h e i d u n g d e s A r s e n s durch die Nieren ermöglicht. Die Sialkylarsonsäuren sind wesentlich s c h w e r e r zugänglich und spielen daher nur eine untergeordnete Rolle. Kalcodylsäure (I) (= Dimethylarsonsäure) erhält man durch Oxydation verschiedener K a k o d y l d e r i v a t e . Sie ist nur noch s c h w a c h s a u e r und vermag über das semipolar gebundene O-Atom auch mit S ä u r e n salzartige Verbindungen (II) zu bilden: CH,

„0

C H

3 \ >

© / O H
HO—C6H5 > H—OH «

Η—C

>

Η

H—OR > Η—NH2 >

Η—C=C—Η

>

Von diesen „Säuren" vermögen A c e t y l e n und alle l i n k s von ihm stehenden Verbindungen n o r m a l e G R i G N A R D v e r b i n d u n g e n bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r zu zersetzen. F l u o r e n reagiert dagegen mit GRiGNARDverbindungen erst b e i 100°, und die r e c h t s von ihm stehenden Stoffe bis zum C h l o r b e n z o l können nur noch mit a l k a l i m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n umgesetzt werden. Beim B e n z o l und M e t h a n ist die Acidität des Wasserstoffs schließlich so g e r i n g , daß sie metallorganischen Verbindungen gegenüber überhaupt n i c h t m e h r i n E r s c h e i n u n g t r i t t und nur noch auf indirektem Wege nachgewiesen werden kann. D i e B e d e u t u n g der R e a k t i o n liegt einerseits in der Möglichkeit der Darstellung sonst s c h w e r z u g ä n g l i c h e r Metallverbindungen, wie ζ. B . zahlreicher A l k o h o l a t e (S. 192), der Metallderivate v o n organischen A m i n e n (S. 545) sowie schließlich auch v o n m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n selbst (s. o.), andererseits in der Möglichkeit zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g v o n „aktivem", d. h. ,,saurem" Wasserstoff, die m a n nach ZEKEWITINOFF durch Zersetzung v o n M e t h y l m a g n e s i u m j o d i d u n d volumetrische Messung des entwickelten M e t h a n s (Gleichung formulieren!) vornimmt. Schließlich ist die R e a k t i o n auch v o n einer gewissen „ n e g a t i v e n B e d e u t u n g " , da infolge der Labilität gegenüber a k t i v e n Wasserstoffverbindungen sämtliche U m s e t z u n g e n metallorganischer Verbindungen unter - s t r e n g e m F e u c h t i g k e i t s a u s s c h l u ß u n d in i n d i f f e r e n t e n L ö s u n g s m i t t e l n (meistens Ä t h e r η oder t e r t i ä r e n A m i n e n , vgl. auch unter 5) durchgeführt werden müssen. Erst der nur noch schwach „saure" Wasserstoff der sogenannten „ a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e n " reagiert mit GRiGNARDverbindungen so l a n g s a m , daß hier die unter 3. beschriebene A n l a g e r u n g an die Carbonylgruppe l e i c h t e r erfolgt. Doch ist es durch Verwendung stark r a u m b e a n s p r u c h e n d e r Metallalkyle (meistens von T r i t v l n a t r i u m ) , deren An-

Die metallorganischen Verbindungen

720

lagerung an die Carbonylgruppe s t e r i s c h b e h i n d e r t wird (vgl. II, Kap. 7, IV, 2), mehrfach gelungen, auch den Wasserstoff der CO—CHg-Gruppe durch Metall zu ersetzen. Ζ. B. konnte K. ZIEGLER (1942) auf diesem Wege k o m p l i z i e r t e r e C a r b o n s ä u r e e s t e r unter I n t a k t l a s s e n der C a r b o n y l g r u p p e in α-Stellung m e t a l l i e r e n und über die hierbei entstehende metallorganische Verbindung a l k y l i e r e n , eine Reaktion, die sonst nur über die K e t o - c a r b o n s ä u r e e s t e r oder M a l o n s ä u r e e s t e r (vgl. S. 497f) möglich ist: CH3 +_CH3J_ + (C,H,),CXa R—CH,—COOR R—CHNa—COOR R—CH—COOR — (C,H.),CH — NaJ Auch bei der auf S. 942 beschriebenen Verwendung von Tritylnatrium als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l für die CLAisENkondensation von I s o b u t t e r s ä u r e e s t e r macht man von dieser Reaktion Gebrauch.

Zu 2. Erst wenn k e i n a k t i v e r W a s s e r s t o f f mehr vorhanden ist, der infolge seiner Beweglichkeit immer b e v o r z u g t in Reaktion tritt, vermögen metallorganische Verbindungen auch mit anderen (gesättigten) p o l a r e n Verbindungen, insbesondere mit H a l o g e n V e r b i n d u n g e n , im Sinn einer normalen doppelten Umsetzung zu reagieren. Hierbei tritt der K o h l e n s t o f f wieder an den p o s i t i v e n M o l e k ü l t e i l , so daß gänzlich a n d e r e R e a k t i o n s p r o d u k t e entstehen als bei der Alkylierung mit A l k y l h a l o g e n i d e n : R—J

I R;—J

I ,F

.-Hg/ : F

R—F

>

+ R—F

R—:Me Ί

R—iMe

C1N + Cr/

Hg

-2 MeC]

R, )Hg

R

Die Reaktion ist praktisch ebenfalls von großer Bedeutung und dient: 1. bei der Einwirkung von M e t a l l h a l o g e n i d e n zur Darstellung anderer m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n (s. oben), 2. bei der Einwirkung von N i c h t m e t a l l h a l o g e n i d e n zur Darstellung der o r g a n i s c h e n D e r i v a t e zahlreicher N i c h t m e t a l l e (vgl. S.697, 701 u.a.), sowie schließlich 3., wenn man A l k y l h a l o g e n i d e auf die metallorganischen Verbindungen einwirken läßt, zur S y n t h e s e v o n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n . In diesem letzteren Falle findet eine g e g e n s e i t i g e A l k y l i e r u n g von p o s i t i v und n e g a t i v g e l a d e n e n K o h l e n w a s s e r s t o f f r e s t e n statt: R-~Xa · Hal—R'

R—R' + NaHal

Diese gegenseitige Alkylierung von Alkylhalogeniden und Metallalkylen ist mit der zweiten Teilreaktion der auf S. 6 9 beschriebenen W U R T Z sehen S y n t h e s e — bei der der eigentliche A u f b a u d e r K o h l e n s t o f f k e t t e stattfindet —• identisch und stellt daher in gewissem Sinne eine a n d e r e A u s f ü h r u n g s f o r m dieser Synthese dar. Sie wird daher oft auch direkt als WuRTZSche S y n t h e s e bezeichnet. Wesentlich schwieriger als organisch gebundenes Halogen lassen sich bereits e i n w e r t i g e S a u e r s t o f f r e s t e mittels metallorganischer Verbindungen substituieren. Insbesondere die a l i p h a t i s c h e Ä t h e r g r u p p e ist gegen metallorganische Verbindungen weitgehend s t a b i l , wie u. a. aus der Möglichkeit der Verwendung vonÄthern als R e a k t i o n s m e d i u m f ü r GRiGNARDreaktionen hervorgeht. Erst die wesentlich aktiveren, als Alkylierungsmittel wirkenden E s t e r s t a r k e r S ä u r e n (wie ζ. B. D i m e t h y l s u l f a t ) sowie auch die relativ leicht spaltbaren O r t h o c a r b o n s ä u r e und O r t h o k o h l e n s ä u r e e s t e r vermögen unter L ö s u n g e i n e r C — O - B i n d u n g den organischen Rest auf das Alkylradikal von metallorganischen Verbindungen zu übertragen:

Reaktionen metallorganischer Verbindungen / 0 - CH, _ M e , 8 0 t ^ 2 R- Me + 0 2 S / X 0— ,0—R' R- - Me + R'—O— CH^ Ο—R' yO—R' R—Me + R'—O—C^-O—R' Ο—R'

2 R

_

721

C H

yO—R' - R—CH' Ο—R' , ^

/OR' R—C^OR' OR'

Insbesondere die letzten beiden Reaktionen haben wir als Bildungsmöglichkeiten für Acetale (S. 235, 261) und O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r (S. 336) bereits kennengelernt. Zu 3. I n der Addition an polare, speziell an Carbonyldoppelbindungen, liegt ohne Zweifel die präparativ wichtigste Reaktion der metallorganischen Verbindungen vor. Sie verläuft s t e t s in dem Sinne, daß das n e g a t i v e C - A t o m der Organometalle an den p o s i t i v e n C a r b o n y l k o h l e n s t o f f und das positive M e t a l l a t o m an den negativen S a u e r s t o f f t r i t t (bez. des Mechanismus vgl. auch S. 724 u. II, Kap. 3, II, 2b): 0 M e ^ ) c = 0 + R—Me • \ p c /^ R Die Reaktion erfolgt bei der großen Reaktionsfähigkeit b e i d e r Komponenten im allgemeinen bereits beim Zusammengeben der Reaktionspartner bei Z i m m e r t e m p e r a t u r und gestattet daher eine große Anzahl von Synthesen unter s c h o n e n d e n Bedingungen. Sie ist prinzipiell bei a l l e n Carbonylverbindungen (mit Ausnahme der aktiven Wasserstoff enthaltenden Carbonsäuren und Carbonsäureamide) möglich und führt stets, wie aus der Reaktionsgleichung hervorgeht, zu einer E r h ö h u n g d e r C a r b u r i e r u n g s - und E r n i e d r i g u n g d e r O x y d a t i o n s s t u f e des Carbonyl-C-Atoms. Man spricht daher vielfach von einer „aufbauenden Reduktion" oder „aufbauender Hydrierung". Die einzelnen Möglichkeiten haben wir bereits im 4. Kapitel kennengelernt, so daß wir uns an dieser Stelle mit einem kurzen schematischen Überblick über den außerordentlich großen Anwendungsbereich dieser Reaktion begnügen können (s. S. 722). Danach kann man mit Ausnahme der rechtsstehenden Methanderivate sämtliche Verbindungen, die eine e i n f a c h e S a u e r s t o f f - F u n k t i o n im Molekül enthalten, mit Hilfe einer derartigen Anlagerungsreaktion (ausgezogene Pfeile) darstellen und, wenn man die unter 2. beschriebene WtritTzsche S y n t h e s e (gestrichelte Pfeile) dazu nimmt, auch die sauerstofffreien K o h l e n w a s s e r s t o f f e . Jede derartige ,,GRIGNARD-Reaktion" f ü h r t dabei von der Ausgangsverbindung zu der l i n k s ü b e r i h r angeordneten Substanz. I n gleicher Weise wie die Carbonyldoppelbindung t r e t e n auch a n d e r e p o l a r e M e h r f a c h b i n d u n g e n mit metallorganischen Verbindungen in Reaktion. So erhält man ζ. B. aus N i t r i l e n die K e t i m i n e und durch deren Hydrolyse die K e t o n e (S. 261), sowie aus den kohlenstofffreien Doppelbindungen in den N i t r o s o v e r b i n d u n g e n und im S c h w e f e l d i o x y d die sekundären H y d r o x y l a m i n e (595) und die S u l f i n s ä u r e n (S. 690): Ar. JO xO Ar—N=0 + Ar—Me > )N—OMe bzw. IS' + R—Me R— V Α/ OMe

722

Eie metallorganischen Verbindungen

Reaktionen metallorganischer Verbindungen

723

Zu 4. Olefilligchen Doppelbindungen gegenüber verhalten sich die metallorganischen Verbindungen dagegen bei Zimmertemperatur im allgemeinen i n d i f f e r e n t , und nur die besonders aktiven A l k a l i m e t a l l d e r i v a t e lagern sich an bestimmte Olefine, wie ζ. B. an a s y m m e t r i s c h e D i a r y l o l e f i n e (S. 141) oder an 1 , 3 - D i e n e (S. 104), an. Erst bei Temperaturen um 100° vermögen eine Reihe von metallorganischen Verbindungen auch mit n o r m a l e n O l e f i n e n zu reagieren. Bemerkenswert ist vor allem die von K . Z I E G L E R (1952) beobachtete Addition von A l u m i n i u m t r i ä t h y l an Ä t h y l e n , die nicht beim A l u m i n i u m t r i b u t y l halt macht, sondern unter erneuter Anlagerung der B u t y l r e s t e — sowie der aus diesen entstehenden H e x y l r e s t e usw. — an weitere Athylenmoleküle im Sinne einer Ä t h y l e n p o l y m e r i s a t i o n weitergeführt werden kann. (Im folgenden nur f ü r ein Äquivalent formuliert): —CJH5

al—CH 2 —CH 2 —C 2 H 5

al—CH 2 —CH 2 —CH 2 —CH 2 —C 2 H 5

+

usw

Da die entstehenden A l u m i n i u m t r i a l k y l e sich durch nachträgliche H y d r o l y s e d e r Al — C - B i n d u n g leicht in die zugehörigen Kohlenwasserstoffe überführen lassen (Gleichung formulieren!), kann man auf diese Weise ohne Schwierigkeit die ganze Reihe der g e r a d z a h l i g e n (bzw. bei Verwendung von A l u m i n i u m t r i p r o p y l als Ausgangsverbindung auch der u n g e r a d z a h l i g e n ) n - P a r a f f i n e mit Molekulargewichten bis zu 5000 darstellen. Zu 5. 0xydationsreaktionen.Ähnlieh wie die P h ο s ρ h i η e , S t i b i η e , Β ο r a η e u s w . zeigen auch zahlreiche metallorganische Verbindungen eine derartige A f f i n i t ä t z u m S a u e r s t o f f , d a ß sie bereits a n der L u f t unter S e l b s t e n t z ü n d u n g reagieren. A l s Oxydationsprodukte e n t s t e h e n bei vorsichtig geleiteter R e a k t i o n die A l k o h o l a t e , die formal unter Einschiebung eines O - A t o m s zwischen das M e t a l l a t o m u n d d e n o r g a n i s c h e n R e s t entstehen: R—Me + Ο

• R—Ο—Me

I n analoger W e i s e wirken elementarer S c h w e f e l u n d die H a l o g e n e unter B i l d u n g v o n M e r c a p t i d e n bzw. A l k y l h a l o g e n i d e n spaltend auf die C—Me-Bindung e i n : R—Cl + MeCl -

" Π"

R—Me

• R—S—Me

Zuweilen t r i t t auch bei anderen Umsetzungen statt der erwarteten normalen Anlagerungsoder Substitutionsreaktionen eine O x y d a t i o n der metallorganischen Verbindung ein. Dies ist insbesondere bei den Substanzen der Fall, die s e m i p o l a r g e b u n d e n e n S a u e r s t o f f enthalten, der leicht o x y d a t i ν abgespalten wird. So geht ζ. B., wie bereits auf S. 681 ausgeführt, bei der Einwirkung von S u l f o n s ä u r e c h l o r i d e n auf GRiGNARDVerbindungen eines der semipolar gebundenen O-Atome zur m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g über, und man erhält nicht das erwartete Sulfon, sondern den S u l f i n s ä u r e e s t e r . Auch Substanzen mit nicht sehr aktiven Doppelbindungen, wie ζ. B. die N i t r o v e r b i n d u n g e n , wirken o x y d i e r e n d auf metallorganische Verbindungen ein, wenn sie gleichzeitig s e m i p o l a r g e b u n d e n e n S a u e r s t o f f enthalten. Aus diesem Grunde ist ζ. B. die so einfach erscheinende Darstellung der noch unbekannten Verbindungsklasse der Dialkylnitronsäuren

/R\

/Nv

\

I durch Einwirkung von m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n auf N i t r o \kR OH/ ö r p e r (Gleichung formulieren!) bisher n i c h t gelungen. Schließlich findet auch bei n o r m a l e n Additionsreaktionen zuweilen eine O x y d a t i o n der metallorganischen· Verbindung als N e b e n r e a k t i o n statt. Insbesondere die auf S. 721 beschriebene Bildung der D i a l k y l h y d r o x y l a m i n e aus N i t r o s o v e r b i n d u n g e n verläuft aus diesem Grunde nur wenig glatt. Ferner beobachtet man in den Fällen, in denen eine s t e r i s c h e B e h i n d e r u n g der Anlagerung, z.B. an Ketone mit stark r a u m b e a n s p r u c h e n d e n A l k y l r e s t e n , zu erwarten ist (vgl. z.B. II, Kap. 7, IV, 2), häufig eine Red u k t i o n des Ketons unter gleichzeitiger O l e f i n b i l d u n g als Ausweichreaktion:

Die metallorganischen Verbindungen

724 Κ

R. V J = 0 + R'—CH2—CHJ,—MgX

yO—MgX

>

ν/

+

Κ

R'—CH=CH2

Ή

Zu 6. Eine Reaktion, bei der ausschließlich die M e t a l l a t o m e in Reaktion treten, und die daher von Metall zu Metall einen v e r s c h i e d e n a r t i g e n Verlauf nimmt, liegt in der Bildung von Komplexverbindungen mit dem L ö s u n g s m i t t e l vor. Hier ist das Metallatom jeweils bestrebt, seine Elektronenschale zum O k t e t t z u vervollständigen. Es werden daher von den l i t h i u m o r g a n i s c h e n Verbindungen jeweils d r e i , von den z i n k - und m a g n e s i u m o r g a n i s c h e n Verbindungen z w e i Lösungsmittelmoleküle und von den a l u m i n i u m o r g a n i s c h e n Verbindungen nur noch e i n e s komplex gebunden, während die organischen Derivate der Metalle der v i e r t e n G r u p p e d e s P e r i o d e n s y s t e m s schließlich überhaupt n i c h t m e h r zur Komplexbildung befähigt sind, weil in ihnen das Zentralatom bereits ein v o l l s t ä n d i g e s O k t e t t enthält: ,OR2 R—Lii—OR2 "OR 2

R\ ,ΟΚ2 /MS\ X Hal OR 2

Rv /Z R

()K 2 n

\ OR2

Rv R^AlMg(R)X bilden, die bei der Hydrolyse das noch u n v e r ä n d e r t e K e t o n zurückliefert. Erst in dieser Komplexverbindung besitzt dann anscheinend die durch die Komplexbindung a k t i v i e r t e C a r b o n y l g r u p p e (vgl. II, Kap. 3, I I , 2b) eine genügende Reaktionsfähigkeit, um nunmehr mit ü b e r s c h ü s s i g e r G R I G N A R D V e r b i n d u n g die e i g e n t l i c h e A d d i t i o n s r e a k t i o n zu erleiden. Zu 7. L i t h i u m - , Magnesium-, und A l u m i n i u m - a l k y l - V e r b i n d u n g e n erleiden bei Temperaturen zwischen 100 und 200° eine Abspaltung des betreffenden M e t a l l h y d r i d s zum Olefin: Me—CH2—CH2—R

^

Me—H+CH

2

=CH—R

Zusammen mit der auf S. 717 beschriebenen Anlagerung der gleichen Metallhydride an Olefine und der auf S. 723 beschriebenen Anlagerung a l u m i n i u m o r g a n i s c h e r Verbindungen an Olefine kann man nach K. ZIEGLER (1952) diese Reaktion im Sinne einer durch A l u m i n i u m h y d r i d (bzw. wahrscheinlicher durch ein D i a l k y l a l u m i n i u m h y d r i d des Typus R2A1—H) katalysierten O l e f i n d i m e r i s a t i o n auswerten: R—CH=CH 2 + al—Η R—CH ο—CH« I R—CH—CHa—al

• R—CH2—CH2—al a]

jj: -

+H^CH=CH^

R—CHo—CH« I R—C=CH 2

725

Alkalimetallorganische Verbindungen

II. Die wasserunbeständigen metallorganischen Verbindungen 1. Die organischen Derivate der Alkalimetalle Von den alkalimetallorganischen Verbindungen sind bisher nur die Derivate des L i t h i u m s , N a t r i u m s und K a l i u m s dargestellt worden. Ihre R e a k t i o n s f ä h i g k e i t und auch ihre Labilität nimmt in der genannten Reihenfolge derart zu, daß lediglich die von Z I E G L E R (1930) in die chemische Praxis eingeführten Lithiumverbindungen eine größere präparative Bedeutung erlangt haben. Ihre D a r s t e l l u n g erfolgt allgemein durch Umsetzen von metallischem Lithium mit A l k y l - oder A r y l h a l o g e n i d e n , wobei die einzige Schwierigkeit, die teilweise Zerstörung des b e r e i t s g e b i l d e t e n Lithiumalkyls durch noch n i c h t u m g e s e t z t e Halogenverbindung im Rahmen einer normalen WuRTzschen Reaktion: 2Li

R-Li

— LiHal

-+

— LiHal

R-R,

'

durch Verwendung g e e i g n e t e r L ö s u n g s m i t t e l umgangen werden kann. Weiterhin gewinnt man zahlreiche organische Lithiumverbindungen mit Hilfe der auf S. 717 unter 2a beschriebenen Verdrängung des M e t a l l a t o m s aus a n d e r e n l i t h i u m o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n sowie durch Anlagerung von metallischem Lithium oder lithiumorganischen Verbindungen a n a r y l s u b s t i t u i e r t e olefmische Doppelbindungen (S. 141).

Die lithiumorganischen Verbindungen sind a m o r p h e , nicht ohne Zersetzung schmelzende Pulver, die mit Ausnahme des Lithiummethyls auch in K o h l e n w a s s e r s t o f f e n löslich sind und in Lösung den elektrischen Strom n i c h t l e i t e n . Sie gehören also n i c h t zu den Salzen. Chemisch zeichnen sie sich durch eine außerordentliche L u f t - und W a s s e r e m p f i n d l i c h k e i t aus und werden daher im allgemeinen gleich in Lösung weiter verarbeitet. Sie sind prinzipiell zu allen oben angeführten Umsetzungen befähigt, doch verwendet man sie in Anbetracht ihres teuren Preises praktisch nur zu Reaktionen, denen die billigeren m a g n e s i u m o r g a n i s c h e n Verbindungen noch n i c h t z u g ä n g l i c h sind. Als Beispiel einer derartigen, nur mit den Lithium- (und anderen Alkalimetall-)alkylen durchführbaren Reaktion sei die Anlagerung eines L i t h i u m a l k y l s an P y r i d i n angeführt, die für die Synthese der « - s u b s t i t u i e r t e n P y r i d i n e und D i h y d r o p y r i d i n e von praktischer Bedeutung ist (S. 842): TT Η

TT Η /

HCT

II

H D

CH /

Ν

I

H

, „

"

TI

'·' »

C

Oxydation \

HCT

*

I JB.

HC.

Ν

Li

R

i X

_

V

{

CH

II

/

II

Hydrolyse

11

( + H,0,-Ü0Hf*

II X

N

/

V

|

R Η

1/

n/\R Η

Ferner vermögen nur die l i t h i u m o r g a n i s c h e n und andere a l k a l i m e t a l l o r g a n i sche Verbindungen sich an konjungierte olefinische D o p p e l b i n d u n g e n anzulagern und auf diese Weise die Polymerisation der 1,3-Diene zu katalysieren (vgl. S. 104).

Die Kalium- und Natriumalkyle können n i c h t mehr nach dem Alkylhalogenidverfahren dargestellt werden, da sich hier in jedem Fall das gesamte Alkylhalogenid ausschließlich im Sinne der bei der Bildung der lithiumorganischen Verbindungen nur als Nebenreaktion in Erscheinung tretenden WuRTZschen S y n t h e s e (s. oben) umsetzt. Sie sind infolgedessen ziemlich schwer zu47

Kluges,

L e h r b u c h der O r g a n i s c h e n Chemie I , 2

Die metallorganischen Verbindungen

726

gängliche Substanzen und werden nach W. SCHLENK: (1917) am besten aus Quecks i l b e r d i a l k y l e n und den freien A l k a l i m e t a l l e n gewonnen: HgR 2 + 2 Na(K)

Hg + 2 R—Na(K)

Die niederen Natrium- und Kaliumalkyle fallen ebenfalls in Form amorpher P u l v e r an, die in indifferenten Lösungsmitteln bereits unlöslich sind und sich mit L u f t s a u e r s t o f f und F e u c h t i g k e i t nahezu explosionsartig umsetzen. Sie haben infolge ihrer schwierigen Handhabung keine praktische Anwendung gefunden. Doch dürften sie bei der N a t r i u m p o l y m e r i s a t i o n des B u t a d i e n s und I s o p r e n s — sowie bei der normalen WuRTzschen Synthese bei Verwendung von N a t r i u m oder K a l i u m als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l — als n i c h t f a ß b a r e Zwischenprodukte auftreten. Die interessantesten Natriumalkyle sind ohne Zweifel die intensiv roten arom a t i s c h - a l i p h a t i s c h e n Verbindungen Benzylnatrium und Tritylnatrium, die beide in Schwefeldioxyd als Lösungsmittel den e l e k t r i s c h e n S t r o m leiten, also als einzige bisher bekannte Verbindungen den Alkylrest a l s C a r b e n i a t - I o n abzudissoziieren vermögen: !Ha Na+ -CH,—Na o Daß es sich bei diesen stark farbigen Verbindungen tatsächlich um echte Salze mit (im wesentlichen) freien Carbeniat-Anionen handelt, geht insbesondere auch daraus hervor, daß man die Alkalimetall-Ionen ohne wesentliche Änderung des Bindungscharakters durch das T e t r a m e t h y l a m m o n i u m - I o n ersetzen kann, das grundsätzlich n i c h t mehr zur Ausbildung einer Atombindung zwischen dem Stickstoff und dem Anion befähigt ist. Die Darstellung dieser eigenartigen „metallorganischen" Verbindungen geschieht nach S C H L E N K (1917) durch doppelte Umsetzung der n a t r i u m - o r g a n i s c h e n Verbindungen mit T e t r a m e t h y l - a m m o niumchlorid in ätherischer Lösung:

[(C,H 5 ) 3 C|] X a · + Cr[(CH 3 ) 4 N Γ

-NaCl

[(C e H 6 ) 3 C|] [(CH 3 ) 4 N] +

Das angeführte Tetramethyl-ammonium-tritylat fällt hierbei als intensiv rotes Pulver aus, das in Pyridin gelöst den elektrischen Strom l e i t e t . Auch in seinen übrigen Eigenschaften zeigt es das erwartete Verhalten einer m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindung. Ζ. B. tritt mit Wasser sofort Hydrolyse ein, und Kohlendioxyd wird unter Bildung von Triphenylessigsäure (bzw. deren Tetramethylammoniumsalz) angelagert: (CHS)4N

OH~

© r + coa

+ H.0 _ (CeH6 -(C,H,),CH

(CH3)4N

r

(CeH6)3C—C

.οι x

O

(CH3)4N

Dagegen ist die Darstellung eines salzartigen „ P e n t a m e t h y l - s t i c k s t o f f s " oder von Tetramethylammoniumsalzen mit anderen e i n f a c h e n o r g a n i s c h e n R e s t e n als Anionen (ζ. B. von I) bisher n i c h t gelungen, da derartige Anionen wesentlich r e a k t i o n s f ä h i g e r sind als das Tritylat-Ion, und einer der am Stickstoff befindlichen Alkylgruppen ein Proton unter Bildung des Trlmethyl-ammonium-methylids (II) entreißen:

CH,

Χ

i c r + Li—C„H 6 CHa

N

U,:1

-

®a\ > CHq

© /CH3 \

CH„ Η

— C.H,

CH,. CH. /

/CH, N

\ CH,

II

727

Magnesiumorganische Verbindungen

Das Trimethylammonium-methylid gehört der völlig neuartigen Verbindungsklasse der TriaLkylammonium-alkylidc an. Sie entsprechen in ihrer Struktur d e n T r i a l k y l a m i n o x y d e n (S. 592), von denen sie sich lediglich durch Ersatz des semipolar gebundenen Sauerstoffs durch eine s e m i p o l a r g e b u n d e n e Methylen- (in III, bzw. allgemein A l k y l e n - ) g r u p p e unterscheiden (GRiMMScher Hydrid Verschiebungssatz!). Sie sind jedoch wesentlich r e a k t i o n s f ä h i g e r . Insbesondere weist das ungebundene Elektronenpaar an der Alkylidgruppe grundsätzlich noch die gleiche Reaktionsfähigkeit auf wie in den m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n , wie die folgenden Reaktionen zeigen: _+ CH,·—J _

+ H,0

[ (CH 3 ) 3 N—CH 3 ] + OH" Tetramethyl-ammonium-hydroxyd

+ J,

[(CH3)3N-CH2-J]+ J-

CH,. CH CH.

Trimethyl-jodmethyl-ammonium-jodid

(,,*Wurtzsche Synthese")

[(CH 3 ) 3 N—CH 2 —CH 3 ] + J Trimethyl-äthyl-ammoniumjodid Θ

-*CH,

Ο Θ

+ B,C=0

I

(CH 3 ) 3 N—CH 2 —CRJ

III

Zwitterion des Trimethyl-colamins

2. Die magnesiumorganischen Verbindungen Von den organischen Derivaten der Erdalkalimetalle haben nur die nach ihrem ersten Bearbeiter allgemein als G R i G N A R D v e r b i n d u n g e n bezeichneten A l k y l bzw. A r y l m a g n e s i u m h a l o g e n i d e eine größere Bedeutung erlangt. Sie stellen infolge ihrer leichten Darstellbarkeit und Handhabung die wichtigsten metallorganischen Verbindungen überhaupt dar, und an ihnen sind auch die meisten der auf S. 718f beschriebenen Reaktionen untersucht worden. Diese Ausnahmestellung verdanken die GRIGNARDVerbindungen hauptsächlich dem Umstand, daß sie einerseits bei b i l l i g e r e r D a r s t e l l u n g s m ö g l i c h k e i t kaum reaktionsträger als die alkalimetallorganischen Verbindungen sind, und daß ihre B e s t ä n d i g k e i t andererseits gegenüber Luftsauerstoff bereits derart zugenommen hat, daß sie in Lösung in n o r m a l e n G e f ä ß e n (lediglich unter F e u c h t i g k e i t s a u s s c h l u ß ) verarbeitet werden können. Sie weisen also ein O p t i m u m der wichtigsten G e b r a u c h s e i g e n s c h a f t e n auf. Ihre Darstellung erfolgt nach G R I G N A R D ausschließlich durch Umsetzung der A l k y l - bzw. A r y l h a l o g e n i d e mit M a g n e s i u m p u l v e r oder - s p ä n e n in ätherischer Lösung, wobei stets die oben beschriebenen Ä t h e r k o m p l e x e entstehen: R. R—Hai + Mg + 2 R 2 0

*

yOR2

/Mgi Har

X

OR 2

Die Reaktion verläuft meistens stürmisch unter lebhaftem Aufsieden des Äthers, kommt jedoch bei den reaktionsträgen Chlor- und B r o m v e r b i n d u n g e n häufig nur schwer in Gang und muß in diesem Falle durch Zusatz von einem Körnchen J o d oder etwas M e t h y l m a g n e s i u m j o d i d l ö s u n g , sowie auch durch A k t i v i e r u n g d e s M a g n e s i u m s durch vorheriges Erhitzen mit wenig Jod, zum A n l a u f e n gebracht werden. A l k y l f l u o r i d e reagieren schließlich überhaupt n i c h t m e h r mit Magnesium. Auch bei der Darstellung der GRIGNARD Verbindungen tritt die WuRTZSche Synthese zuweilen als N e b e n r e a k t i o n auf (formulieren!), kann hier aber stets durch S e n k u n g der Temperatur zurückgedrängt werden. Es empfiehlt sich daher, den Ansatz bei der Bereitung der GRIGNARD-Lösungen nicht allzu stürmisch aufsieden zu lassen.

Auf Grund ihrer Bildungsweise glaubte man lange Zeit, die G R I G N A R D Verbindungen als wirkliche g e m i s c h t e A l k y l m a g n e s i u m h a l o g e n i d e der Formel R—MgX ansehen zu müssen. Wie jedoch S C H L E N K ( 1 9 2 9 ) zeigen konnte, liegt in der ätherischen Lösung stets ein G e m i s c h der d r e i Verbindungen R—Mg—R, 47·

728

Die metallorganischen Verbindungen

R—MgX und MgX 2 vor, das durch Zusatz von D i o x a n in die unlöslich ausfallenden Verbindungen R—MgX und MgX 2 einerseits und das in Lösung verbleibende M a g n e s i u m d i a l k y l R—Mg—R andererseits zerlegt werden kann. Dieser Befund ist f ü r die praktische Anwendbarkeit der GRIONARD Verbindungen zu synthetischen Reaktionen b e l a n g l o s , da es in diesem Fall nur auf die Z a h l der in Lösung vorhandenen M g — R - B i n d u n g e n , nicht aber auf den sonstigen Bindungszustand des Metalls ankommt. E r ist jedoch von t h e o r e t i s c h e m linteresse als wichtiges Argument f ü r die n i c h t - i o n o g e n e Natur der C—Mg-Bindung, denn nur in diesem Falle ist die Abscheidung der A l k y l m a g n e s i u m h a l o g e n i d e neben den M a g n e s i u m h a l o g e n i d e n zu erwarten, da beim Vorliegen von f r e i e n I o n e n nur die s c h w e r s t l ö s l i c h e Komponente, also das in Dioxan vollkommen unlösliche MgX 2 ausfallen sollte. Die GRIGNARDVerbindungen sind in Form ihrer in der Praxis ausschließlich verwandten ä t h e r i s c h e n L ö s u n g e n hinreichend o x y d a t i o n s b e s t ä n d i g , reagieren jedoch beim Durchleiten von L u f t auch in Lösung (oder gar in l ö s u n g s m i t t e l fr eiern Zustand) sehr heftig mit Luftsauerstoff. Zur Darstellung der ä t h e r f r e i e n Verbindungen muß man die Alkylhalogenide daher in X y l o l oder T o l u o l als Reaktionsmedium mit Magnesium umsetzen. Sie gehen hier n i c h t m e h r in Lösung und fallen als g r a u e P u l v e r an. Reine Magnesiumdialkyle R—Mg—R gewinnt man nach GILMAN (1927) durch Umsetzen von Q u e c k s i l b e r d i a l k y l e n mit metallischem Magnesium (Gleichung formulieren!) oder nach E. WIEERG (1952) durch Eindunsten ihrer beim Fällen von normalen GRIGNARDlösungen mit D i o x a n (s. oben) entstehenden Lösungen im H o c h v a k u u m bei Z i m m e r t e m p e r a t u r . Sie sind ebenfalls graue, amorphe Pulver, die sich bereits vor Erreichen des Schmelz- oder Sublimationspunktes (im H o c h v a k u u m ) bei 175° unter Abspaltung von O l e f i n e n und Hinterlassung des nicht flüchtigen M a g n e s i u m w a s s e r s t o f f s zersetzen (vgl. S. 7 2 4 ) .

3. Die organischen Zink- und Cadmiumverbindungen Z i n k und C a d m i u m stehen wie das Magnesium s e c h s Stellen vor einem Edelgas und bilden ebenfalls sehr reaktionsfähige organische Derivate, die aber bereits f l ü s s i g sind und leicht d e s t i l l i e r t werden können (vgl. Tab. 33, S. 695). Die wichtigeren Zinkverbindungen werden im Gegensatz zu den GRIGNARDVerbindungen o h n e L ö s u n g s m i t t e l direkt aus Z i n k s t a u b und den A l k y l h a l o g e n i d e n gewonnen, wobei zunächst in ähnlicher Weise die A l k y l - z i n k h a l o g e n i d e entstehen, die sich jedoch leicht durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g zu den abdestillierenden Zinkdialkylen und den neutralen Z i n k d i h a l o g e n i d e n disproportionieren lassen: R—Hal + Zn > R—ZnHal E r - h - - r U i/ 2 ZnR 2 + V2 ZnHal 2 Ein anderes wichtiges Verfahren geht von den Q u e c k s i l b e r d i a l k y l e n aus und setzt diese in der üblichen Weise mit Z i n k s t a u b um (Gleichungen formulieren!).

Die Zinkdialkyle sind infolge ihrer Flüchtigkeit und ihrer allgemeinen Anwendung in lösungsmittelfreiem Zustand bei etwa g l e i c h e r R e a k t i o n s f ä h i g k e i t in der Handhabung viel e m p f i n d l i c h e r als die GitiGNARDverbindungen. So reagieren sie ζ. B. mit L u f t s a u e r s t o f f sofort unter S e l b s t e n t z ü n d u n g und können nur in g e s c h l o s s e n e n Gefäßen aufbewahrt werden. Sie dienten vor Einführung der Alkylmagnesiumsalze als wichtigste metallorganische Verbindungen in der präparativen organischen Chemie. Die bei der Darstellung der Zinkdialkyle primär entstehenden Alkylzinkhalogenide sind bereits deutlich r e a k t i o n s t r ä g e r als die entsprechenden Magnesiumverbindungen und finden infolgedessen zuweilen Verwendung als m i l d e R e a g e n t i e n . So verwendet man sie ζ. B. s t a t t GRiGNARoverbindungen, wenn S ä u r e h a l o g e n i d e zu K e t o n e n umgesetzt werden sollen,

Zink- und aluminiumorganische Verbindungen

729

ohne daß Weiterreaktion zum tertiären Alkohol eintritt (vgl.S. 261). Auch bei der Methode von R E F O R M A T Z K Y (vgl. S. 928) ist ein intermediär auftretendes Alkylzinkhalogenid das eigentlich wirksame Agens. Die Organo-cadmiumverbindungen sind hinsichtlich ihrer D a r s t e l l u n g , Z u s a m m e n s e t z u n g und auch hinsichtlich ihrer a l l g e m e i n e n E i g e n s c h a f t e n ( v g l . T a b . 3 3 , S. 695) den Zinkverbindungen sehr ähnlich, so daß auf ihre nähere Besprechung hier verzichtet werden kann. Ihre c h e m i s c h e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t ist gegenüber der der Zinkdialkyle bereits wesentlich a b g e s c h w ä c h t und nähert sich der der reaktionsträgen Q u e c k s i l b e r v e r b i n d u n g e n . Immerhin rauchen sie noch an der L u f t und scheiden mit Feuchtigkeit einen Niederschlag aus. 4. D i e organischen Derivate des A l u m i n i u m s , Galliums und Indiums D i e Aluminiumtrialkyle stellt m a n entweder durch U m s e t z u n g v o n A l u m i n i u m c h l o r i d m i t G R i G N A R D v e r b i n d u n g e n i n ätherischer Lösung dar oder durch Einwirkung v o n A l k y l h a l o g e n i d e n auf eine A l u m i n i u m - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g der Z u s a m m e n s e t z u n g Al 2 Mg 3 ohne Lösungsmittel, wobei i m Sinne der Ausführungen auf S. 716 die H a l o g e n a t o m e ausschließlich a n das elektronegativere M a g n e s i u m t r e t e n (Gleichungen formulieren!). D i e Aluminiumtrialkyle sind i m Gegensatz zu d e n magnesium- u n d alkalimetallorganischen Verbindungen l e i c h t f l ü c h t i g e , a n der L u f t s e l b s t e n t z ü n d l i c h e Flüssigkeiten, die eigenartigerweise i m f l ü s s i g e n Z u s t a n d — sowie dicht oberhalb der Siedetemperatur a u c h i m D a m p f z u s t a n d — in F o r m v o n D o p p e l m o l e k ü l e n vorliegen. I m übrigen sind sie nicht mehr z u allen oben beschriebenen U m s e t z u n g e n befähigt. Insbesondere m i t C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n tritt normalerweise k e i n e R e a k t i o n mehr ein. D a g e g e n bilden sie wie die GRiGNARDverbindungen sehr beständige Ä t h e r a t e u n d A m i n a t e u n d reagieren, wie schon erwähnt (S. 723), oberhalb 100° m i t O l e f i n e n . Weitere interessante organische Aluminiumverbindungen, in denen sich als erste Annäherung an die n i c h t m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen, und zwar speziell an die A l k y l b o r a n e , neben dem organischen Rest noch W a s s e r s t o f f a m A l u m i n i u m befindet, kann man nach E. W I B E R G (1942) beim Durchleiten von A l u m i n i u m t r i a l k y l - D ä m p f e n im W a s s e r s t o f f s t r o m durch eine G l i m m e n t l a d u n g s r ö h r e erhalten: AlRa + n H j • AlRa-n Hn + η R — Η ( n = 1 2 3 ) Sie zeigen als Übergangsverbindungen zum hochmolekularen A l u m i n i u m w a s s e r s t o f f (vgl. anorg. Lehrbücher) mit steigendem Wasserstoffgehalt eine zunehmende P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g . Näher untersucht wurde bisher lediglich der Diäthyl-aluminium-Wasserstoff (C2HS)2A1—H, den man nach K . Z I E G L E R (1952) präparativ am besten durch Reduktion von D i ä t h y l - a l u m i n i u m c h l o r i d mit L i t h i u m a l u m i n i u m h y d r i d in ätherischer Lösung gewinnt (Gleichung formulieren!). Er liegt bei Zimmertemperatur in der d i m e r e n F o r m vor und ist, insbesondere in ätherischer Lösung, relativ beständig, so daß er als mildes R e d u k t i o n s m i t t e l v o m M e t a l l h y d r i d t y p u s präparative Verwendung finden kann. Auch vom Indium und Gallium sind f l ü s s i g e , destillierbare Trimethylverbindungen bekannt, die nach E. W I B E R G ( 1 9 4 3 ) am besten aus den f r e i e n E r d m e t a l l e n und Q u e c k s i l b e r d i m e t h y l nach dem auf S. 718 beschriebenen Verfahren (Gleichungen formulieren!) gewonnen werden. Sie sind im Gegensatz zu den Aluminiumtrialkylen m o n o m o l e k u l a r . Die Gallium Verbindungen können ebenfalls in der G l i m m e n t l a d u n g s r ö h r e mit elementarem W r asserstoff zu dimeren OaUiumalkylwasseratoff-Verbindungen umgesetzt werden.

III. Die wasserbeständigen metallorganischen Verbindungen D i e Organoverbindungen der übrigen S c h w e r m e t a l l e u n d Ü b e r g a n g s e l e m e n t e sind viel b e s t ä n d i g e r u n d werden bei normaler Temperatur n i c h t m e h r durch Wasser zersetzt. Sie sind für d e n O r g a n i k e r vielfach o h n e B e d e u t u n g , d a ihre R e a k t i o n e n lediglich i m Z u s a m m e n h a n g m i t den sonstigen E i g e n s c h a f t e n

Die metallorganischen Verbindungen

730

des betreffenden Elementes (vgl. anorg. Lehrbücher) interessieren, so daß wir uns, obwohl von f a s t j e d e m S c h w e r m e t a l l organische Derivate dargestellt worden sind, an dieser Stelle auf einige wenige Beispiele beschränken können. 1. Die organischen Quecksilberverbindungen Wie die n i c h t - i o n o g e n e N a t u r des Q u e c k s i l b e r - I I - c y a n i d s und auch die Unlöslichkeit aller Q u e c k s i l b e r - S c h w e f e l - V e r b i n d u n g e n z e i g t , ist das Quecksilber gegenüber den meisten anderen Metallen durch eine eigenartige Neigung zur Bildung s t a b i l e r A t o m b i n d u n g e n mit den verschiedenartigsten Elementen, insbesondere mit S c h w e f e l , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f , ausgezeichnet. Diese Ausnahmestellung des Quecksilbers macht sich auch in einer e r h ö h t e n S t a b i l i t ä t seiner organischen Derivate bemerkbar, die einem ganz a n d e r e n V e r b i n d u n g s t y p u s als die bisher besprochenen metallorganischen Verbindungen angehören. Für ihre Darstellung sind eine große Anzahl von Methoden entwickelt worden. So erhält man die Ällcyl- und auch Arylqueckailberhalogenide in Analogie zu den entsprechenden Aluminiumverbindungen sowohl durch Behandlung von Q u e c k s i l b e r mit A l k y l h a l o g e n i d e n als auch bei der Einwirkung von Q u e c k s i l b e r h a l o g e n i d e n auf e i n Mol einer G R I G N A R D V e r b i n d u n g . Ferner entstehen sie bei der A b s p a l t u n g nur eines A l k y l r e s t e s aus Q u e c k s i l b e r d i a l k y l e n mittels J o d s . Auch für die Darstellung der Quecksilber-dialkyle gibt es mehrere Möglichkeiten: Man kann sie entweder direkt in einem Reaktionsgang durch Einwirkung von N a t r i u m a m a l g a m auf A l k y l h a l o g e n i d e (vgl. S. 717) bzw. D i a l k y l s u l f a t e — sowie auch durch Umsetzung der Q u e c k s i l b e r d i h a l o g e n i d e mit z w e i Molen einer ORiGNARDverbindung — gewinnen, oder aber man stellt sie in einer Z w e i s t u f e n r e a k t i o n über die A l k y l q u e c k s i l b e r h a l o g e n i d e dar, die sowohl beim Erhitzen unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g als auch bei der Einwirkung eines z w e i t e n Mols einer GRiGNARDverbindung in die Dialkylverbindungen übergehen. In letzterem Fall kann man durch V a r i a t i o n der A l k y l r e s t e auch gemischte Quecksilberdialkyle aufbauen. Alle diese Möglichkeiten sind in dem folgenden Schema nochmals übersichtlich zusammengestellt: Hg + R—Hai

• R — H g — Hai °

1 ! 0ö0J* i + X Ο 1 i? i Η »!s L + (R5 'S HITC ^ w »IM I. 5'

HgNaa

+ 2 Β,—Χ

Τ

υ

-pv

R — uH g — R

·

+ It—MgHal, —MgHal2

— Mg Hal a

HgHal 2

R—Hg—R'

+ 2 E —MgHal

— 2 MgHalj

Schließlich ist in der aromatischen Reihe auch die direkte „Mercurierung" Benzolkerns mittels Q u e c k s i l b e r a c e t a t s möglich. Hierbei entstehen unter spaltung von einem Mol E s s i g s ä u r e die Arylquecksilberacetate (I), die bei Reduktion mit a l k a l i s c h e r Z i n n - I I - c h l o r i d l ö s u n g in Q u e c k s i l b e r die Quecksilberdiaryle (II) zerfallen: /

Ή -·- A c - Ο

Hg-O-Ac

— V,Hg;—AoOH

--

C

-

0 H

'2 \

^ /

des Abder und

\_Hg—0—Ac

/ II

Die erste Reaktion geht bereits beim Kochen von B e n z o l oder noch leichter von P h e n o l e n (S. 224) mit alkoholischer Q u e c k s i l b e r a c e t a t l ö s u n g vor sich und stellt die einzige bisher bekannte direkte Substitution von a r o m a t i s c h g e b u n d e n e m W a s s e r s t o f f durch Metall dar.

Quecksilber- und zinnorganische Verbindungen

731

Die Q u e c k s i l b e r d i a l k y l e sind wie die entsprechenden Zink- und Cadmiumverbindungen farblose, leicht flüchtige (Tabelle 33, S. 695) Flüssigkeiten, die in Anbetracht ihrer G e r u c h l o s i g k e i t sehr gefährliche A t e m g i f t e darstellen. Sie sind gegen Wasser auffallend b e s t ä n d i g , so daß sie ohne Schwierigkeit mit Wasserdampf d e s t i l l i e r t oder durch Ausschütteln mit K a l i l a u g e von Verunreinigungen befreit werden können. Erst durch S ä u r e n werden sie in der üblichen Weise unter Entwicklung von K o h l e n w a s s e r s t o f f e n (Gleichung formulieren!) zersetzt. Ferner sind sie in stark a b g e s c h w ä c h t e m Maße auch zu einigen der oben beschriebenen s y n t h e t i s c h e n Reaktionen befähigt. Die organischen Quecksilberverbindungen vermögen die Alkylreste leicht auf andere Metalle (undauchNichtmetalle) zu übertragen. Sie finden daher vor allem Anwendung zur Synthese anderer O r g a n o m e t a l l e , sowie in der a r o m a t i s c h e n Reihe auch zur Einführung von J o d in bestimmte Stellen des Benzolkerns (S. 165). Ferner stellen einige mercurierte Phenole pharmazeutisch wichtige und zur S c h ä d l i n g s b e k ä m p f u n g geeignete Quecksilberpräparate dar, und schließlich macht man bei der katalytischen Beeinflussung der N i t r i e r u n g s - und S u l f o n i e r u n g s r e a k t i o n durch zugesetztes Quecksilber auch i n d i r e k t von ihrer Bildung Gebrauch (vgl. S. 643, 679).

2. Die organischen Zinnverbindungen Zinn ist bereits ein typisches Ü b e r g a n g s e l e m e n t , und seine organischen Derivate ähneln den S i l i c i u m - und G e r m a n i u m v e r b i n d u n g e n . Insbesondere die Tetraalkylstannane, die man nicht nur in Analogie zu den T e t r a a l k y l s i l a n e n durch Umsetzung von Z i n n t e t r a c h l o r i d mit G R I O N A R D Verbindungen, sondern auch wie andere metallorganische Verbindungen durch Einwirkung von A l k y l h a l o g e n i d e n auf Z i n n p u l v e r (oder besser eine Z i n n - N a t r i u m - L e g i e r u n g ; vgl. S. 717) erhalten kann: 4 R—Hai + Na 4 Sn

— 4?TaHal

R R

V /

R / \ NT

.-•JteXCi.

4 X M g

-R + Sn Cl4

sind den entsprechenden T e t r a a l k y l s i l a n e n sehr ähnlich (vgl. Tab. 33, S. 695) und erweisen sich ebenfalls als gegen L u f t und W a s s e r außerordentlich b e s t ä n d i g . Interessanter sind die partiell alkylierten Zinnhalogenide, die bei beiden Darstellungsverfahren in mehr oder weniger guter Ausbeute neben den Tetraalkylstannanen erhalten werden und bei der Einwirkung von A l k a l i e n in die folgenden s a u e r s t o f f h a l t i g e n D e r i v a t e übergehen: + NaOH — N'aJ

R—rSnR / Trialkylzinojodid

E

\ •SnJ

Trialkylzinnhydroxyd (Trialkylstannol)

_ + 2 Na Ο Η 2

Κ

R \ R-vSu-0H yR·

- 2 NA J , — H , 0 ~

Vn

R R I Sn—O— Sn—Ο !

Ι

Κ

Dialkylzinnjodid

I

R

R Sn—Ο-

I

_ π—2 Κ

Dialkylstannon

R R—SnJ 3 Alkylzinnjodid

+ 3 Na O H — iNaJ,

\!n

~ R

R

Sn—O— Sn—OOH

_ OH

-Sn—O-

,n-2R

Alkylstannonsäure

Die metallorganischen Verbindungen

732

Alle drei Sauerstoffverbindungen sind gegen weitere h y d r o l y t i s c h e Einflüsse sehr b e s t ä n d i g und zeigen in interessanter Weise, d a ß die S ä u r e n - oder B a s e n n a t u r eines Metalls, weniger von seiner a l l g e m e i n e n W e r t i g k e i t , wie es häufig formuliert wird, sondern ausschließlich von der Z a h l der mit ihm verbundenen 0 - A t o m e abhängt. So sind bei g l e i c h e r Wertigkeit des 2 i n n s die Trialkylstannole ausgesprochene B a s e n , die die Hydroxylgruppe als A n i o n abzudissoziieren vermögen, die Stannone annähernd n e u t r a l e (jedoch noch zur S a l z b i l d u n g mit s t a r k e n S ä u r e n befähigte) Substanzen und die Stannonsäuren schließlich s c h w a c h e S ä u r e n , die in A l k a l i e n gelöst werden können. I m übrigen sind auch hier, wie beim Silicium, nur die Stannole m o n o m o l e k u l a r e , d e s t i l l i e r b a r e Verbindungen, während die Stannone und Stannonsäuren wegen der Nichtexistenz von S n = O - D o p p e l b i n d u n g e n in hochmolekularer, unschmelzbarer Form vorliegen und nur unter S a l z b i l d u n g gelöst werden können. Weiterhin erhält m a n a u s d e n T r i a l k y l z i n n h a l o g e n i d e n W U E T Z s c h e r S y n t h e s e die Hexaalkyl-distannane: R 3 S n - .) · : · 2 N a

.1- -SnK 3

durch eine Art

R 3 Sn—SnR 3

Sie sind den H e x a a l k y l - d i s i l a n e n sehr ähnlich u n d w e r d e n in gleicher Weise durch S ä u r e n oder elementare H a l o g e n e a u f g e s p a l t e n (vgl. S. 711). Abweichend vom Silicium kennt man auch organische Derivate des zweiwertigen Zinns. Sie entstehen in analoger Weise bei der Einwirkung von GRicNARDverbindungen auf Z i n n - I I chlorid: Κ MgX Cls Κχ + \Sn ^Sn κ - MgX er r Die Zinndialkyle sind g e l b e , noch wenig untersuchte Flüssigkeiten, die wesentlich leichter durch L u f t s a u e r s t o f f und von W a s s e r angegriffen werden als die tetraalkylierten Verbindungen. Auch die festen und ebenfalls gelben Zinndiaryle sind autoxydabel.

3. Die organischen Bleivcrbindungen V o m Blei sind bereits d r e i R e i h e n organischer D e r i v a t e b e k a n n t , die sich v o m z w e i - , d r e i - u n d v i e r w e r t i g e n B l e i ableiten. A m w i c h t i g s t e n sind die Bleitetraalkyl-Verbindungen m i t v i e r w e r t i g e m Blei, die e n t w e d e r a u s B l e i a m a l g a m u n d A l k y l h a l o g e n i d e n (S. 717) oder aus B l e i - I I - c h l o r i d u n d GitiGNARDverb i n d u n g e n dargestellt werden. I n letzterem Falle ist a n z u n e h m e n , d a ß zunächst eine Bleidialkyl-Verbindung e n t s t e h t , die sich d a n n sekundär in die TetraalkylVerbindung u n d metallisches Blei disproportioniert: R—MgX I +

CK \pb

R—!MgX

er !

„ Λ,,„ ~2MrXC1-

/R. \ ( )pb) \R

„ . Rx - D,sP - r0P0rti0n,er ""-> V, /

/

F b

R

yR \

+V2rb R

Bei größeren, insbesondere s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n A l k y l r e s t e n bleibt die Disproportionierungsreaktion — offenbar infolge s t e r i s c h e r H i n d e r u n g — leicht auf der Stufe der B l e i t r i a l k y l - V e r b i n d u n g I mit d r e i w e r t i g e m B l e i (s.u.) stehen, doch kann man diese meistens zu den T r i a l k y l b l e i - C h l o r i d e n I I n a c h c h l o r i e r e n und dann durch erneute Reaktion mit einer GRiGNARDverbindung den v i e r t e n A l k y l r e s t einführen: R

1,5 κ

\ )Pb;

-

1

K · \ + i/ C], R \ / 2 -Pb· + Rr-^Pb· -—-—--»• R - ) P b - C l '

r

/

R

I

/

+XMü-K' . . M „ XU1 -

R \ R-)Pb-R' R

II

/

Bleiorganische Verbindungen

733

Die Bleitetraalkyle sind wie die Quecksilberdialkyle sehr g i f t i g e , farblose Flüssigkeiten, die in ihrem p h y s i k a l i s c h e n V e r h a l t e n (Tab. 33, S. 695), sowie in ihrer B e s t ä n d i g k e i t gegenüber Wasser und Luftsauerstoff, den T e t r a a l k y l s i l a n e n und - s t a n n a n e n noch nahe stehen. Doch zeigen sie bereits einige neuartige Reaktionen, von denen insbesondere die leichte t h e r m i s c h e A b s p a l t b a r k e i t der Alkylreste unter Bildung f r e i e r A l k y l r a d i k a l e hervorgehoben werden muß (Näheres vgl. S. 755): Pb(CH 3 ) 4

-

300

--

-Pb· + 4 H 3 0

Das hierbei entstehende metallische Blei wird in Form eines M e t a l l s p i e g e l s an den Gefäßwänden — oder bei Zersetzung im Rahmen einer Explosion als f e i n e r M e t a l l s t a u b —• abgeschieden. Da dieser Metallstaub die Entwicklung einer d e t o n i e r e n d e n V e r b r e n n u n g in Ottomotoren verhindert (Näheres vgl. III, Kap. 1, I I 3), dient Bleitetraäthyl als wichtiges A n t i k l o p f m i t t e l f ü r Treibstoffe.

Weiterhin sind die Tetraalkylblei-Verbindungen bereits bei —75° gegen die e l e m e n t a r e n H a l o g e n e und bei Zimmertemperatur gegen die H a l o g e n w a s s e r s t o f f e unbeständig. Von beiden Reagentien werden sie unter Abspaltung eines der Alkylreste (bei Verwendung der freien Halogene des k l e i n s t e n ) als A l k y l h a l o g e n i d bzw. P a r a f f i n in die bereits kurz gestreiften Trialkylblei-halogenide übergeführt. Da sich in diesen, wie wir gesehen haben, das Halogen bei erneuter Einwirkung einer GBIGNARDverbindung wieder d u r c h e i n e n A l k y l r e s t e r s e t z e n läßt, kann man die Reaktion nach G R Ü T T N E R (1917) — gegebenenfalls unter mehrfacher Wiederholung der Operationsfolge — zur Darstellung g e m i s c h t e r B l e i t e t r a a l k y l e , ζ. B. des Methyl-äthyl-propyl-butyl-bleis, verwenden: (CH 3 ) 4 Pb -c^Br—

-

(CH 3 ) 3 PbBr

+

(CH 3 ) 3 (C 2 H s )Fb

(CH 3 ) 2 (C 2 H 5 )PbBr

(CH 3 ) ä (C 2 H 6 )(C 3 H 7 )Fb

HMgX

P

b

Cl/

.

2 Mgxci '

< I X

Etwas weniger leicht lagern sich b a s i s c h e V e r b i n d u n g e n an die dreifache Bindung an. Insbesondere sind Isonitrile bei Zimmertemperatur gegen A l k a l i e n vollständig b e s t ä n d i g , und die Anlagerung von f r e i e m A n i l i n zum Formamidin erfolgt (im Gegensatz zu der der Aniliniumsalze) erst bei T e m p e r a t u r e n u m 200°: © Θ R—N=C| + H2N—Ar

• R—N=CH—NH—Ar

Schließlich wird (ebenfalls wie beim Kohlenoxyd) auch eine Reihe von f r e i e n E l e m e n t e n addiert, die, soweit es sich um negative Elemente handelt, in analoger Weise ausschließlich an den K o h l e n s t o f f unter Bildung von K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n treten: R-N=C=0

(Oxydationsmittel)

ffi Θ Γ R — N = C | -----:=J

^ ~ R—N=C=S



1

1

" — ^

1

R-*=CC12 R—NH—CHj

+ 2 H>

Die mit der K o h l e n o x y d h y d r i e r u n g vergleichbare Anlagerung von z w e i M o l e k ü l e n H 2 zum s e k u n d ä r e n A m i n hat eine gewisse präparative Bedeutung erlangt, da sie den einfachsten Weg darstellt, um sekundäre Amine, die eine Met h y l g r u p p e enthalten, aufzubauen. Alle diese Reaktionen können gleichzeitig als Strukturbeweis für die Isonitrile angesehen werden, da sie e i n d e u t i g e A r g u m e n t e dafür liefern, daß der organische Rest a m S t i c k s t o f f steht, dieser also den organischen Rest vom typischen Isonitril-C-Atom trennt. Dagegen sind, wie wir oben gesehen haben, Aussagen über den B i n d u n g s z u s t a n d der Atome innerhalb des Isonitrilmoleküls auf Grund c h e m i s c h e r R e a k t i o n e n n i c h t m ö g l i c h .

Abgesehen von diesen normalen Anlagerungsreaktionen vermögen die Isonitrile auf Grund ihres sehr aktiven u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e s am dreifach gebundenen C-Atom auch eine Reihe von Komplexverbindungen zu bilden, von denen wir die S i l b e r - i s o n i t r i l - j o d i d e (I) und - c y a n i d e (II) als Zwischenprodukte der unter 1 beschriebenen Darstellungsreaktion bereits kennengelernt haben. Noch interessanter sind die dem N i c k e l t e t r a c a r b o n y l entsprechenden Nickel-tetraisonitrile mit oxydativ 0 - w e r t i g e m N i c k e l , die man nach W. H I E B E R (1950) und F. K L A G E S (1950) auf Grund der größeren Reaktionsfähigkeit der Isonitrile glatt durch V e r d r ä n g u n g d e s K o h l e n o x y d s aus Nickeltetracarbonyl mittels der einzuführenden Isonitrile darstellen kann: © fifl © lOsC^GeyfeO! © / - ^ KN © |0=σ CfeO|

+

4

© DQ © Ar—N==C^e©^ΟξΝ—Ar

j§-,f__Ar , Θ

®

-Ίΐυ^Ο'

*

©

Ar—N=C

X

©

C=N—Ar

Die Nickel-tetraaryl-isonitrile sind schön kristallisierende gelbe Substanzen, die in L ö s u n g a u t o x y d a b e l sind und zu N i - I I - I o n e n und K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n abgebaut werden. Zuweilen zeigen die Isonitrilmoleküle in derartigen Komplexen eine a u f f a l l e n d e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t . Als Beispiel sei die von F. K L A G E S (1952) beobachtete, bereits bei Zimmertemperatur spontan eintretende H y d r o l y s e von an K u p f e r - I - p h e n y l a c e t y l e n i d komplex gebundenen A r y l i s o n i t r i l e n erwähnt. Sie führt, da gleichzeitig eine A n l a g e r u n g der als 48'

Verbindungen mit anomalen Funktionen

744

Hydrolysenprodukt zu erwartenden A n i l i n b a s e an ein z w e i t e s I s o n i t r i l m o l e k ü l erfolgt, zur Bildung von je einem Molekül K o h l e n o x y d und D i a r y l f o r m a m i d i n aus zwei Molekülen Isonitril: Θ e Ar—N=CI - — f 1 ! ^

(Ar—NH 2 )

-H^y-Ar

>

Ar—NH—CH=N—Ar

— | c=o l 4. Die Knallsäure Das interessanteste Kohlenoxydderivat ist ohne Zweifel die K n a l l s ä u r e , in der die Elektronenstruktur des N s - bzw. CO-Moleküls am s t ä r k s t e n a u f g e l o c k e r t ist, und die infolgedessen sehr v i e l s e i t i g r e a g i e r t . Sie trägt am Isonitrilstickstoff eine Oxvgruppe, so daß sie früher als O x i m d e s K o h l e n o x y d s (Formel I) aufgefaßt wurde ( N E F 1 8 9 4 ) . Doch kommt ihr ohne Zweifel ebenfalls die normale Isonitrilstruktur (II) zu, und wir müssen den Sauerstoff infolge der O n i u m n a t u r d e s S t i c k s t o f f s eher mit dem A m i n o x y d - , speziell dem N i t r i l o x y d - S a u e r s t o f f (S. 350), als mit dem Oximsauerstoff vergleichen. Dies geht insbesondere aus den unten beschriebenen P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n hervor, die von einer tautomeren N i t r i l o x y d - F o r m der Knallsäure, dem Blausäureoxyd (III), auszugehen scheinen: Θ

C=N—OH

©

|C=N—OH

I

- Η—C=N^O

II

III

Abgesehen von dieser Tautomerie mit dem als E i n z e l v e r b i n d u n g u n b e k a n n t e n Blausäureoxyd ist die Knallsäure auch i s o m e r mit der C y a n s ä u r e H O — C s N . Diese Isomerie ist vor allem von h i s t o r i s c h e m Interesse, da sie den e r s t e n e i n d e u t i g n a c h g e w i e s e n e n Isomeriefall darstellt, dessen Aufklärung wir L I E B I G und W Ö H L E R verdanken. Beide Forscher kamen bei der Analyse der Silbersalze der K n a l l s ä u r e ( L I E B I G 1 8 2 3 ) und der C y a n s ä u r e ( W Ö H L E R 1 8 2 2 ) zu der gleichen Summenformel AgCON und fanden, nachdem sie sich nach anfänglichen Zweifeln von der Richtigkeit ihrer Analysen überzeugt hatten, auch sofort die richtige Erklärung, daß nämlich die Atome in beiden Verbindungen v e r s c h i e d e n a r t i g a n g e o r d n e t sind. Von L I E B I G stammt ferner die für die S t r u k t u r a u f k l ä r u n g der Knallsäure wichtige Beobachtung, daß sie bei der Hydrolyse mit Salzsäure über das von ihm allerdings noch nicht aufgefundene F o r m - h y d r o x a m s ä u r e c h l o r i d (IV, auch F o r m y l c h l o r i d - o x i m genannt) in H y d r o x y l a m i n und A m e i s e n s ä u r e zerfällt: | 8 = N — O H

-

+

(

H

Hvdroivse^ HCl +

\ C = N — O H )

\cv

H

2

N — O H

+

HCOOH

I IV

Die Darstellung der Knallsäure kann nach v e r s c h i e d e n e n M e t h o d e n erfolgen, die sämtlich auf dem bei der Kohlenoxydbildung beschriebenen Prinzip der Abspaltung ζ w e i e r e n t g e g e n g e s e t z t p o l a r i s i e r t e r S u b s t i t u e n t e n von einem, in diesem Fall oximierten, C a r b o n y l - C - A t o m beruhen und in dem folgenden Formelschema zusammengestellt sind: HK

H \ C = N — O H

CV Formylchloridoxim H\ „„ ΛΤ C=N—OH TT ΧΓ' ; 2

Formamidoxim

^ ^ - - ,

, — -

|

,

V

O

» —

OI~~I iP "

; E -

X

O H

Methylnitrolsäure ON\\ ;: „

j — y„ —H,o (anstelle des nicht beständigen H„N öS—NHS)

2

:

Amino-

methylnltroaolsäure

Die Knallsäure

745

Von allen diesen Bildungsweisen hat nur die Spaltung der Methylnitrolsäure praktische Bedeutung erlangt, über die letzten Endes die bereits im Jahre 1800 von dem englischen Chemiker H O W A R D aufgefundene und auch heute noch allgemein gebräuchliche Darstellung von Knallquecksilber durch Kochen von Alkohol mit konzentrierter Salpetersäure in Gegenwart von metallischem Quecksilber vor sich geht. Der im einzelnen sehr komplizierte Reaktionsverlauf wurde von H . W I E L A N D ( 1 9 1 0 ) eingehend untersucht und konnte in allen Teilreaktionen sichergestellt werden. Danach erfolgt in voller Analogie zur Chloroformbildung (S. 160) primär eine Dehydrierung des Alkohols zum Acetaldehyd (V), der dann in «-Stellung zur Carbonylgruppe nitrosiert wird (zur „Isonitrosoverbindung" VI) und schließlich durch Decarboxylierung des bei erneuter Dehydrierung (zu VII) und Nitrierung entstehenden Nitrolsäurederivates der Essigsäure (VIII) in die Methylnitrolsäure (IX) als die eigentliche Muttersubstanz der Knallsäure (II) übergeht: CH3—CH2—OH

~H'

-> C H A — C H = 0

HON=CH—COOH VII

^

ν



+

~ΗΛ0'

HON=CH—CH=0

vi

HONX > ^C—COOH

Ο,ν/

~

C

VIII

V

J

H, =

Ο,Ν/

N

O

H

IX

•— ΗΧΟ, Θ © |C=N—OH II

Die freie Knallsäure ist eine äußerst unbeständige Verbindung, die nur in ätherischer Lösung für kurze Zeit in freiem Zustand gewonnen werden kann und sich als eine blausäureähnlich riechende, mit Ätherdämpfen flüchtige Substanz erweist. Sie wird infolge ihrer Unbeständigkeit ausschließlich in Form ihrer Salze dargestellt und zur Reaktion gebracht. Ihre ehemischen Umsetzungen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: 1. die Anlagerungsreaktionen und 2. die (z.T. bereits von L I E B I G untersuchten) Polymerisationsreaktionen. Zu 1. Die Anlagerung erfolgt stets in prinzipiell gleicher Weise wie beim K o h l e n o x y d und den I s o n i t r i l e n , läßt sieh jedoch infolge der großen Polymerisationsneigung der Knallsäure nur in wenigen Fällen einwandfrei verwirklichen. Die einzigen ohne Nebenreaktionen durchführbaren Umsetzungen sind: 1. die A n l a g e r u n g von C h l o r w a s s e r s t o f f bei der Einwirkung von konzentrierter Salzsäure zum F o r m y l - c h l o r i d - o x i m , und 2. die Anlagerung von s a l p e t r i g e r S ä u r e zur M e t h y l n i t r o l s ä u r e , die beide in Umkehrung der oben beschriebenen Bildungsreaktionen verlaufen (Gleichungen formulieren!). Die Reaktion mit W a s s e r führt dagegen über die zunächst zu erwartende Anlagerung zur F o r m h y d r o x a m s ä u r e (formulieren!) hinaus zur A m e i s e n s ä u r e , und bei der Einwirkung der e l e m e n t a r e n H a l o g e n e (sowie auch von T r i t y l c h l o r i d ) auf Knallquecksilber entstehen unter sekundärer Abspaltung der Queeksilberhalogenide die s u b s t i t u i e r t e n N i t r i l o x y d e (bzw. deren S t a b i l i s i e r u n g s p r o d u k t e ) : ΒΓ

"

N« O h g

Br'

·. Br- - C = X — O h g

Br—C=Ji->0


( C J H 6 ) 3 C — C = N ->-0

beständiges Nitriloxyd Zu 2. Die insbesondere von H. W I E L A N D (1909—1929) in allen Einzelheiten aufgeklärten Vorgänge bei der Polymerisation der Knallsäure lassen sich am besten von der auf S.744 beschriebenen B l a u s ä u r e o x y d - F o r m (III) aus erklären. Danach er-

Verbindungen mit anomalen Funktionen

746

leidet d a s B l a u s ä u r e o x y d z u n ä c h s t eine l i n e a r e P o l y m e r i s a t i o n z u der d i m e r e n V e r b i n d u n g X u n d d e r t r i m e r e n V e r b i n d u n g X I , die sich beide als i n s t a b i l e N i t r i l o x y d v e r b i n d u n g e n s o f o r t s e k u n d ä r zur Isocyanilsäure X I I u n d Metafulminursäure X I I I als d e n e r s t e n f a ß b a r e n P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t e n d e r K n a l l s ä u r e stabilisieren: Ο t Ν II! HC

Η

+

OH Ο I t • Ν Ν !l III HC—C χ

Γ"

ι Dimerisierung zum Furoxan-Derivat

Η i

98»/ο

+ !

C=N->-0

OH OH I ι Ν N HC- - C — C = N - - 0 XI

..J ο- H Ι Ν Ν HC-

Η -o \ I N-»0 Ν -C - - —CH

-CXII

N5

Γ

-0

N—OH !l -C=N—OH HC- -C XIII

Hierbei entsteht die t e t r a m e r e Isocyanilsäure nicht etwa durch s c h r i t t w e i s e P o l y m e r i s a t i o n , sondern durch n a c h t r ä g l i c h e D i m e r i s i e r u n g des dimeren BlausäureoxydsX auf dem Wege einer normalen N i t r i l o x y d - D i m e r i s i e r u n g zum Furoxanderivat (S. 350). Doch ist die Ausbeute mit 2% nur gering, weil die Anlagerung eines weiteren Blausäureoxydmoleküls zum t r i m e r e n B l a u s ä u r e o x y d X I sehr viel r a s c h e r erfolgt. Dagegen geht dessen Stabilisierung zu der als Hauptprodukt entstehenden M e t a f u l m i n u r s ä u r e (XIII) als innermolekulare R i n g s c h l u ß r e a k t i o n so schnell vor sich, daßman w e d e r das Auftreten eines n o r m a l e n Tetramerisierungsproduktes, n o c h das eines der Isocyanilsäure entsprechenden F u r o x a n d e r i v a t e s aus s e c h s K n a l l s ä u r e m o l e k ü l e n beobachtet. Beide Reaktionsprodukte lassen noch die Struktur der an ihrem Aufbau beteiligten Knallsäuremoleküle erkennen (in den Formeln durch die dünnpunktierten Linien angedeutet). Sie sind immer noch sehr labile Verbindungen und zu einer Reihe s e k u n d ä r e r U m l a g e r u n g s r e a k t i o n e n befähigt. D i e wichtigsten D e r i v a t e der K n a l l s ä u r e sind ihre Salze ( F u l m i n a t e ) v o n d e n e n wir d a s Knallquecksilber b e r e i t s als E n d p r o d u k t der technischen Knallsäuregew i n n u n g k e n n e n g e l e r n t h a b e n . E s wird, ebenso wie d a s in analoger Weise a u s S a l p e t e r s ä u r e , Ä t h y l a l k o h o l u n d metallischem S i l b e r e n t s t e h e n d e Knallsilber, bereits d u r c h H i t z e oder Schlag z u r D e t o n a t i o n g e b r a c h t (Name!) u n d d i e n t e d a h e r lange Zeit in d e r T e c h n i k als I n i t i a l z ü n d e r . I n n e u e r e r Zeit wird es zunehmend durch das etwas beständigere B l e i a z i d verdrängt. Diese Schwermetallfulminate besitzen mit großer Wahrscheinlichkeit die S t r u k t u r XIV mit einer Me t a l l - K o h l e n s t o f f - B i n d u n g , d.h. sie leiten sich von der oben Me—C=N- -O beschriebenen B l a u s ä u r e o x y d f o r m (III) der Knallsäure ab. Hierfür XIV spricht u.a. auch ihre Befähigung zum Aufbau von ähnlichen K o m p l e x e n , wie wir sie von den S c h w e r m e t a l l c y a n i d e n her kennen. Beispielsweise entspricht dem bekannten N a t r i u m - e i s e n - I I - c y a n i d Na 2 Fe(CN) e das N a t r i u m - e i s e n - I I - f u l m i n a t Na 2 Fe(CN0) e .

II. Die freien Radikale Bei allen bisher b e s p r o c h e n e n V e r b i n d u n g e n h a t t e n wir es m i t v i e r w e r t i g e m K o h l e n s t o f f zu t u n . D a n e b e n gibt es a b e r a u c h eine R e i h e v o n V e r b i n d u n g e n , in d e n e n der K o h l e n s t o f f n u r d r e i V a l e n z e n b e t ä t i g t , w ä h r e n d d a s v i e r t e A u ß e n e l e k t r o n als n i c h t g e b u n d e n e s E i n z e l e l e k t r o n a m Z e n t r a l a t o m v e r b l e i b t u n d

Die freien Radikale

747

diesem damit in bezug auf diese e i n e V a l e n z den Charakter eines f r e i e n A t o m s verleiht. Diese Verbindungen nennt man freie Radikale. Sie stehen im Gegensatz sowohl zu den n o r m a l e n Radikalen der c h e m i s c h e n N o m e n k l a t u r , die einen i n B i n d u n g b e f i n d l i c h e n M o l e k ü l t e i l darstellen (vgl. S. 18), als auch zu den als C a r b e n i u m - K a t i o n e n und C a r b e n i a t - A n i o n e n (vgl. S. 35) bezeichneten radikalartigen Atomgruppen, die o h n e A u f l ö s u n g d e s B i n d u n g s e l e k t r o n e n p a a r e s während einer Reaktion ihren Platz wechseln. Die freien Radikale haben eine sehr interessante Entdeckungsgeschichte. Nach der Einführung des Radikalbegriffes in die organische Chemie in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts (II, Kap. 1, II, 2) glaubte man zunächst, daß ihre Darstellung k e i n e S c h w i e r i g k e i t e n bereitet und sie insbesondere bei den verschiedenen Formen der WuRTZSchen Synthese entstehen: R—Hal + Me· ^ R · + MeHal Die e x a k t e F a s s u n g des M o l e k ü l b e g r i f f e s und vor allem die zahlreichen Möglichkeiten der M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g zeigten jedoch bald, daß in k e i n e m dieser Fälle wirklich freie Radikale auftreten, sondern daß sich diese stets gegenseitig unter Bildung der d i m e r e n Verbindungen absättigen. Diese Erkenntnis gipfelte in dem nahezu zum Dogma erhobenen Postulat der a u s s c h l i e ß l i c h e n V i e r w e r t i g k e i t des K o h l e n s t o f f s , von dessen A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t man so fest überzeugt war, daß die t a t s ä c h l i c h e Entdeckung der ersten freien Radikale durch den amerikanischen Forscher GOMBERG im Jahre 1 9 0 0 — die eigenartigerweise mit Hilfe der früher vergeblich in dieser Richtung untersuchten R e a k t i o n von W U R T Z gewonnen wurden—zunächst allseitigem Mißtrauen begegnete und erst nach Jahren ihre a l l g e m e i n e A n e r k e n n u n g fand.

Beständigkeitsverhältnisse. Die relativ s c h w i e r i g e D a r s t e l l b a r k e i t und die außerordentliche L a b i l i t ä t der freien Radikale werden sofort verständlich, wenn man bedenkt, daß jede von einem C-Atom ausgehende B i n d u n g im D u r c h s c h n i t t etwa 80 kcal/Mol zu ihrer Auf lösung benötigt. Die freien Radikale sind infolgedessen sehr s t a r k e n d o t h e r m e Verbindungen, deren Reaktionsfähigkeit noch dadurch erhöht wird, daß sie wegen des Vorliegens eines nicht in Bindung befindlichen E i n z e l e l e k t r o n s zu ihren Umsetzungen eine nur sehr g e r i n g e A k t i v i e r u n g s e n e r g i e erfordern (vgl. S. 38). Sie sind daher nicht allgemein sondern nur beim Vorliegen besonderer B i n d u n g s s y s t e m e , auf die wir im zweiten Teil dieses Buches näher eingehen werden (II, Kap. 3, III, 7), längere Zeit existenzfähig, und auch dann ist es nur in ganz wenigen Fällen gelungen, sie in S u b s t a n z zu isolieren. Im allgemeinen muß man sich mit ihrem Nachweis i n L ö s u n g oder in h o c h v e r d ü n n t e n G a s e n begnügen. Der exakte Nachweis des tatsächlichen Vorliegens freier Radikale bereitete anfangs große Schwierigkeiten, da sie meistens mit den dimeren Verbindungen im G l e i c h g e w i c h t stehen und sich ihre Reaktionen im allgemeinen auch v o n d i e s e n a u s durch Annahme einer s e h r r e a k t i o n s f ä h i g e n B i n d u n g erklären lassen. Die wichtigsten der für das Auftreten wirklicher freier Radikale sprechenden Argumente sind: 1. das Vorliegen eines echten Dissoziationsgleichgewichtes in Lösung, das dem OsTWALDSchen Verdünnungsgesetz gehorcht und sowohl osmotisch als auch durch k o l o r i m e t r i s c h e Bestimmung 1 ) der sehr intensiv f a r b i g e n freien Radikale bestätigt werden konnte. 1 ) Besonders charakteristisch ist die N i c h t e r f ü l l u n g des B E E R S c h e n G e s e t z e s , das besagt, daß die Gesamtfarbintensität eines gelösten Farbstoffes u n a b h ä n g i g v o n s e i n e r K o n z e n t r a t i o n ist. Verdünnt man infolgedessen die Lösung des Farbstoffs o h n e Ä n d e r u n g d e s L ö s u n g s q u e r s c h n i t t e s in der Blickrichtung — ζ. B. in einem Reagens-

Verbindungen mit anomalen Funktionen

748

2. der Paramagnetismus, denn auf Grund der Elektronentheorie ist der S p i n d e s E i n z e l e l e k t r o n s des Radikalatoms n i c h t k o m p e n s i e r t , und das Molekül muß daher p a r a m a g n e t i s c h sein (vgl. S. 23). Die erwartete p a r a m a g n e t i s c h e S u s c e p t i b i l i t ä t (bez. der Definition vgl. II, Kap. 2,1, 5) wurde auch tatsächlich in allen Fällen, in denen mit dem Auftreten freier Radikale gerechnet werden kann, in der erwarteten Größenordnung gefunden und dient heute q u a l i t a t i v und q u a n t i t a t i v als wichtigster N a c h w e i s für das Vorliegen wirklicher freier Radikale. Die bisher dargestellten freien Radikale können in die folgenden s e c h s U n t e r g r u p p e n eingeteilt werden: 1. die T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e , 2. die sonstigen P o l y a r y l a l k y l r a d i k a l e , 3. die freien A l k y l r a d i k a l e , 4. die Radikale mit z w e i b i n d i g e m S t i c k s t o f f , 5. die Radikale mit d r e i b i n d i g e m S t i c k s t o f f und 6. die Radikale a n d e r e r H e t e r o e l e m e n t e . 1. Die Triarylmethylradikale In den H e x a a r y l ä t h a n e n (S. 140) ist aus den in II, Kap. 3, III, 7 erörterten Gründen die Ä t h a n - C — C - B i n d u n g derart l a b i l i s i e r t , daß sie in Lösimg im Rahmen eines G l e i c h g e w i c h t e s unter Bildung der freien Triarylmethylradikale aufgespalten wird:

Die Triarylmethylradikale sind infolgedessen in den L ö s u n g e n der Hexaaryläthanverbindungen s t e t s e n t h a l t e n , so daß man ihre D a r s t e l l u n g meistens mit der der d i m e r e n V e r b i n d u n g e n verknüpft. Dies geschieht im allgemeinen in der Weise, daß man die bei der Einwirkung von M e t a l l e n (meist Z i n k , S i l b e r oder Q u e c k silber) auf Lösungen der T r i a r y l m e t h y l h a l o g e n i d e in indifferenten organischen Lösungsmitteln nach W U R T Z (Gleichung formulieren!) entstehenden Lösungen der Hexaaryläthane d i r e k t zur Untersuchung der Radikaleigenschaften verwendet. Hierzu sind insbesondere die folgenden fünf Reaktionen geeignet: 1. Die freien Triarylmethylradikale sind stets s t a r k f a r b i g und können auf Grund dieser Farbigkeit qualitativ und quantitativ nachgewiesen werden (s. o.). 2. Sie absorbieren L u f t s a u e r s t o f f unmeßbar rasch unter Bildung von T r i a r y l methylper oxyden: 'Χ

/ + 0=0 +

Die t e i l w e i s e d i s s o z i i e r t e Lösung von Hexaphenyläthan in Benzol wird daher beim S c h ü t t e l n mit L u f t entfärbt. Doch erscheint die Farbe nach einiger Zeit wieder, kann durch nochmaliges Schütteln mit Luft erneut z u m Verschwinden gebracht werden, glas, das man v o n oben betrachtet —, so kann man keinerlei Änderung der Färb I n t e n s i t ä t beobachten. Bei der Lösung eines in freie R a d i k a l e d i s s o z i i e r e n d e n S t o f f e s tritt jedoch infolge der Zunahme des D i s s o z i a t i o n s g r a d e s mit der Verdünnung eine reversible Erhöhung der F a r b i n t e n s i t ä t ein, und ebenso kann man beim Erwärmen eine r e v e r s i b l e I n t e n s i t ä t s e r h ö h u n g beobachten.

Die Triarylmethylradikale

749

erscheint ein drittes Mal usw., bis alles Hexaphenyläthan in das Triphenylmethyl-peroxyd übergeführt ist. Diese als ScHMiDLiNSches P h ä n o m e n bezeichnete Reaktionsfolge ist sehr charakteristisch f ü r die f r e i e n T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e und beruht darauf, daß die Dissoziation des Hexaphenyläthans im Gegensatz zur Sauerstoffaufnahme der freien Radikale z i e m l i c h l a n g s a m erfolgt, so daß sich letztere immer erst nach einiger Zeit nachbilden. Die Sauerstoffaufnahme der Triarylmethyle ist auch vom Standpunkt der R e a k t i o n s k i n e t i k von Interesse und eignet sich auf Grund ihres eigenartigen Reaktionsmechanismus als k a t a l y t i s c h e r E f f e k t f ü r a n d e r e O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n (Näheres vgl. II, Kap.4,1,1). 3. Ähnlich wie Sauerstoff werden fast momentan die e l e m e n t a r e n H a l o g e n e , A l k a l i m e t a l l e (bzw. n a s c i e r e n d e r W a s s e r s t o f f ) und andere f r e i e n R a d i k a l e angelagert:

KD-1^no'

.0 \ / \

+ Kj. ( < ^ > - ) c - R

j

\ /

-V;.

_±v,q.._r KI».0-*1 _ + Sa(H)

\ Z X

^

(\Z)~)3

C

-

N a ( H )

Vor allem die Absättigung mit anderen freien Radikalen ist zuweilen von praktischer Bedeutung f ü r den N a c h w e i s des Auftretens freier Radikale, da vielfach die entstehenden gemischten Verbindungen eine g e r i n g e r e D i s s o z i a t i o n s t e n d e n z aufweisen als die symmetrischen Dimerisierungsprodukte beider Radikale und daher beim gleichzeitigen Auflösen von zwei v e r s c h i e d e n e n dissoziierenden Stoffen irreversibel entstehen: 2 Ar3C · + 2 Ar2N · - ir - e - ve - rsibe U 2Ar 3 C—NAr a

Ar3C—CAr3 + Ar a N—NAr 2

Besonders etabil und daher zum Nachweis geeignet sind die in obiger Reaktionsgleichung angeführten Anlagerungsprodukte der D i a r y l s t i c k s t o f f r a d i k a l e (S. 757) sowie auch die durch Anlagerung des ebenfalls radikalartigen N 0 2 entstehenden N i t r o v e r b i n d u n g e n . 4. Weiterhin vermögen die freien Triarylmethylradikale mit 1 , 3 - D i e n e n in Reaktion zu treten, die entweder an beiden Enden, also in 1 , 4 - S t e l l u n g , abgesättigt werden, oder durch e i n s e i t i g e A d d i t i o n neue Radikale bilden, die sich an weitere Dienmoleküle anlagern und auf diese Weise eine P o l y m e r i s a t i o n des Diens auslösen: Ar3C · + 0 H a = C H — C H = C H 2

Ar3C CH2 I CH _+=II CH

Ar s C—CH a —CH=CH—CH a —CAr 3

+ ArsC · CH 2

Ar3C 1 1 CH a CH a | I 1 1 CH CH +=· " IIII IIII CH CH j I 1 CH 2 - —CH 2

Auch andere p o l y u n g e s ä t t i g t e S y s t e m e mit konjugierten Doppelbindungen lagern zuweilen Triarylmethylradikale an. So verhält sich ζ. B. C h i n o n dem O a - M o l e k ü l (S. 748) a n a l o g und bildet unter 1 , 6 - A d d i t i o n die den Di-triarylmethyl-peroxyden entsprechenden Hydrochinon-ditriarylmethyl-äther: Ar3C · + 0 = / ~ \ = 0

+ · CAr3

• Ar3C-0-^

0—CAr 3

5. Eine letzte für Radikale typische Reaktion, die bei den Triarylmethylradikalen allerdings erst bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r eintritt, ist die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g zweier Radikale unter Übertritt eines n e u t r a l e n W a s s e r s t o f f a t o m s , wobei beide Reaktionspar tner wieder in Verbindungen mit einer g e r a d e n E l e k t r o n e n z a h l übergehen. I m allgemeinen wandert hierbei der zum Radikalkohlenstoff o - s t ä n d i g e

750

Verbindungen mit anomalen Funktionen

Wasserstoff, da nur in diesem Falle eine Stabilisierung des bei der Wasserstoffabspaltung entstehenden D i r a d i k a l s (I) unter D i m e r i s i e r u n g zum R i n g m o l e k ü l I I möglich ist: C e H j5x

\ / •α

CeH5N

/C„H5 Η

I> /

+ η/

Η

/CeH5

X

: c - h

5

+

Η

\ C«H, Dimerisierung

π

C , H /

\lH

_J

5

T r i p h e n y l m e t h y l ist in einprozentiger benzolischer Lösung bei Zimmertemperatur nur zu 2—3, bei 80° zu 25—30% im Gleichgewichtsgemisch enthalten. Man erhält daher bei Versuchen zu seiner Isolierung stets die farblose d i m e r e Verbindung. Durch entsprechende S u b s t i t u t i o n der Benzolkerne ist es jedoch möglich, die Dissoziationsneigung der Hexaaryläthane stark zu e r h ö h e n , so daß in einigen wenigen Ausnahmefällen umgekehrt n i c h t m e h r die gesättigten dimeren Verbindungen, sondern ausschließlich die f r e i e n R a d i k a l e in Form tief f a r b i g e r , an der Luft äußerst u n b e s t ä n d i g e r K r i s t a l l e zur Abscheidung kommen. Von den einfachen Triarylmethylradikalen ist dies insbesondere beim Tri-p-biphenyl-methyl C · , häufig auch kurz Trixenyl-methyl genannt, der Fall, das I S C H L E N K im Jahre 1910 als erstes freies Radikal in S u b s t a n z herstellen konnte. Es läßt k e i n e n a c h w e i s b a r e A s s o z i a t i o n s n e i g u n g mehr erkennen, so daß seine Lösungen weder das ScHMiDLiNSche P h ä n o m e n (S. 749) noch die beschriebene N i c h t e r f ü l l u n g des BEEBSchen G e s e t z e s (S. 747 Anm.) zeigen. Ihm extrem gegenüber steht das Pentaphenyläthan (III), dessen Zerfall in freie Radikale nur dadurch nachweisbar ist, daß es bei höherer Temperatur in H e x a p h e n y l ä t h a n und das n i c h t m e h r d i s s o z i i e r e n d e und sich daher an dem Dissoziationsgleichgewicht nicht mehr beteiligende Tetraphenyläthan (IV) disproportioniert:

150° reversibel

In Tabelle 34 sind die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n und der p r o z e n t u a l e S p a l t u n g s g r a d in 0,1 molarer benzolischer Lösung bei Zimmertemperatur f ü r eine Reihe weiterer Hexaaryl-äthane zusammengestellt. Die insbesondere von MARVEL und Mitarbeitern (ab 1937) bestimmten Werte lassen erkennen, daß praktisch jede Substitution des Benzolkerns, insbesondere, wenn sie in o - S t e l l u n g erfolgt, zu einer E r h ö h u n g d e r D i s s o z i a t i o n s n e i g u n g führt (vgl. auch II, Kap. 3, III, 7).

Tetraphenyl-allyl, Diradikale

751

Tabelle 34 Die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n der R a d i k a l s p a l t u n g (K) und die z u g e h ö r i g e n p r o z e n t u a l e n S p a l t u n g s g r a d e in 0,1 m o l a r e r b e n z o l i s c h e r L ö s u n g bei Z i m m e r t e m p e r a t u r (α) f ü r e i n i g e P o l y a r y l - ä t h a n e α

sym-Tetraphenyl-äthan Pentaphenyl-äthan

κ · 103

keine Spaltung Spaltung bei | höherer Temperatur nachweisbar

Hexa-phenyl-äthan Di-o-toluyl-tetraphenyl-äth. Di-p-toluyl-tetraphenyl-äth. Hexa-p-toluyl-äthan

~2,5% 25,0% 5,0% 40,0%

~0,26 33,0 1,0 100,0

α

Κ · 103

Hexa-p-äthylphenyl-äthan Di-o-anisyl-tetraphenyl-äthan Tetra-o-anisyl-diphenyl-äthan Hexa-o-anisyl-äthan

14,0 17,0% 0,6 3,8% 2,3 7,3% 42,5% 125,0

Di-m-biphenyl-tetraphenyl-äthan \ Hexa-m-biphenyl-äthan J

40,0%

100,0

10,0% 100,0%

4,4

Di-p-biphenyl-tetraphenyl-äthan Hexa-p-biphenyl-äthan

OO

In neuerer Zeit hat man weiterhin versucht, die aromatischen Reste unter Erhaltung der Radikalbildungstendenz mehr oder weniger vollständig durch alip h a t i s c h e R e s t e zu ersetzen. Dies ist insbesondere in zwei R i c h t u n g e n gelungen : 1. Führt man nach ZIEGLER (1923) eine D i a r y l v i n y l g r u p p e statt eines Phenylrestes in das Triphenylmethylradikal ein, so kommt man zu den Tetraaryl-allylradikalen, in denen die beiden neu eingeführten Arylreste immer noch durch ein k o n j u g i e r t e s Doppelbindungssystem mit dem Radikalkohlenstoff verbunden sind, und die daher ebenfalls als freie Radikale existenzfähig sind:

Tetraphenyl-allyl

Sie zeigen infolge der (in II, Kap. 3, III, 7 an anderen Beispielen erörterten) e r w e i t e r t e n Mesomeriemöglichkeit sogar eine wesentlich geringere Assoziationsneigung als das Triphenylmethylradikal selbst und liegen daher in Lösung in fast v o l l s t ä n d i g dissoziierter Form vor. 2. Grundsätzlich anders verhält sich der ebenfalls von ZIEGLER (1942) untersuchte zweite Verbindungstypus, bei dem die Arylreste mehr oder weniger weitgehend durch g e s ä t t i g t e Alkylgruppen, insbesondere durch die stark raumbeanspruchenden Cyclohexylr e s t e , ersetzt werden können, ohne daß eine wesentliche Abschwächung der Radikalbildungstendenz erkennbar ist. So benötigt ζ. B. das nebenstehend formulierte Tetracyclohexyl-diphenyl-äthan als bisheriges Endglied der Reihe mit 21 kcal/Mol eine geringere A k t i v i e r u n g s e n e r g i e zur Radikalspaltung als das stärker aromatisierte D i c y c l o h e x y l - t e t r a p h e n y l - ä t h a n (25 kcal) und steht dem H e x a p h e n y l - ä t h a n (19 kcal) hinsichtlich seiner Radikalbildungstendenz kaum nach. Schließlich hat man auch versucht, Verbindungen mit zwei R a d i k a l - C - A t o m e n in einem Molekül darzustellen. Hierbei wurde die Beobachtung gemacht, daß die Tendenz zur Vereinigung der beiden Einzelelektronen zu einem E l e k t r o n e n p a a r so groß ist, daß in allen Fällen, in denen dieses durch m e s o m e r e E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g — z. B.in Vunter Ausbildung des c h i n o i d e n Bindungssystems VI — auch über eine g r o ß e E n t f e r n u n g der

'

752

Verbindungen mit anomalen Funktionen

C-Atome hinweg möglich ist, k e i n e R a d i k a l e nachweisbar sind. Dagegen können bei m- S t e l l u n g der Radialatome am Benzolkern infolge der Unmöglichkeit der Ausbildung einer Chinonstruktur Diradikale (ζ. Β. VII) erhalten werden: ( c e H 5) a C\ (C,Hs)aC-^_^-C(C,H6)ä

> (CeH6)2C=/ _ \ = C ( C e H 5 ) 2 ;

~

,C(CeH6)2 |

||

^

Ν

VI

VII beständiges Diradikal

keine Radikalbildung nachweisbar

Bez. weiterer Möglichkeiten der Ausbildung von Diradikalen vgl. II, Kap. 3, III, 7.

2. Sonstige Polyarylalkylradikale Außer den Hexaaryläthanen zeigen auch zahlreiche andere p o l y a r y l i e r t e Verbindungen die Tendenz zum Zerfall in freie Radikale. So erhält man ζ. B. aus den D e k a a r y l b u t a n e n in analoger Weise die Pentaaryläthylradikale (I), wobei auffällt, daß die Radikalspaltung nur in der Mitte des Moleküls, nicht aber daneben auch, wie durch den d ü n n p u n k t i e r t e n P f e i l angedeutet, asymmetrisch zu einem T r i p h e n y l m e t h y l - und einem H e p t a p h e n y l p r o p y l - r a d i k a l erfolgt: Ar

Ar

Ar

I -C— - c

Ar-

Ar

Ar

Ar

Ar

I o— -Ar

Ar 2 Ar-

Ar

Ar

I -c

I c·

Ar

Ar

ι

Keine K-adikalspaltung

Einem ganz anderen Radikaltypus gehört das von Z I E G L E R im Jahre 1925 dargestellte Pentaphenyl-cyclopentadienyl (III) an, das bei vorsichtiger D e h y d r i e r u n g von Pentaphenyl-cyclopentadien (II) entsteht und nur e i n e n P h e n y l r e s t pro C-Atom enthält: C»H, /CeH5 \ Η c c — H· v yC C.Hj / \ =C\ c„H 6 C«H. CfiH,κ ' C«H S

II

III

Trotzdem ist aus den in II, Kap. 3, III, 7 erörterten Gründen die Radikalbildungstendenz so g r o ß , daß es wie das Trixenylmethyl bisher a u s s c h l i e ß l i c h in Form des m o n o m e r e n f r e i e n R a d i k a l s dargestellt werden konnte. Eine Gruppe s a u e r s t o f f h a l t i g e r R a d i k a l e hat W. S C H L E N K (1911 — 13) in den bei der Anlagerung von Alkalimetallen an a r o m a t i s c h e K e t o n e entstehenden Metallketylen (IV) aufgefunden, die wir auf S. 265 bereits als Zwischenverbindungen bei der Pinakonbildung kennengelernt haben: OK OK Ai\ Ar Ar. | N )c—OK — ) C = 0 + K· \Ar Ar/ Ar/ Die Metallketyle stehen mit den P i n a k o n a t e n ( V ) in einem ähnlichen D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t wie die Triarylmethyle mit den Hexaphenyläthanen, und man

Sonstige Polyarylalkylradikale

753

beobachtet eine ähnliche Abhängigkeit der D i s s o z i a t i o n s t e n d e n z von d e n S u b s t i t u e n t e n der Benzolkeme. Eine besonders s t a r k e Dissoziationsneigung zeigen die d u n k e l b l a u e n Kaliumverbindungen von B e n z o p h e n o n und M I C H L E R S K e t o n (S. 579), die selbst im f e s t e m Z u s t a n d bei Zimmertemperatur zu 77 bzw. 96% in der Radikalform vorliegen, während auf der anderen Seite die g e l b - r o t e n Kaliumverbindungen des F l u o r e n o n s (S. 836) und C h r o m o n s (S. 864), die S C H L E N K ebenfalls als freie Radikale angesprochen hatte, nur in Form der d i m e r e n P i n a k o n a t e auftreten. Auch durch Wechsel des M e t a l l a t o m s kann man die Dissoziationstendenz der Pinakonate s t a r k v e r ä n d e r n . Im allgemeinen sind die Lithiumverbindungen a m w e n i g s t e n und die Kaliumverbindungen a m s t ä r k s t e n in die freien Radikale aufgespalten. Für das strukturell den Metallketylen nahestehende Monobenzilkalium (VII) liegt eine interessante Bildungsweise in der Abgabe von einem Kaliumatom des S t i l b e n - d i o l - k a l i u m s (VI, vgl. S.427) an B e n z i l vor, bei der die a l i p h a t i s c h e n C - A t o m e beider Moleküle jeweils in die g l e i c h e O x y d a t i o n s s t u f e übergehen. Die Reaktion stellt also die U m k e h r e i n e r D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s r e a k t i o n dar und wird daher auch Konproportionierung genannt: OK OK

0

0

0

OK

Die Radikale vom Typus des Monobenzilkaliums sind sehr nahe mit den nachstehend beschriebenen S e m i c h i n o n e n verwandt, von denen sie sich lediglich dadurch unterscheiden, daß die beiden CO-Gruppen d i r e k t und nicht über ein System konjugierter Doppelbindungen miteinander verbunden sind. Sie neigen daher ebensowenig wie die Semichinone zur D i m e r i s a t i o n und zerfallen in saurem Medium sofort unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g , d.h. unter Umkehr der angegebenen Bildungsreaktion, in je ein Molekül B e n z i l und B e n z o i n (Gleichung formulieren!).

Die von W E I T Z (ab 1925) entdeckten und später auch von M I C H A E L I S untersuchten Semichinone (vgl. auch S. 302) entstehen aus je einem Molekül eines C h i n o n s und des zugehörigen H y d r o c h i n o n s (bzw. dessen D i n a t r i u m v e r b i n d u n g ) i n s t a r k a l k a l i s c h e r L ö s u n g in ähnlicherWeise durch K o n p r o p o r t i o n i e r u n g wie das oben beschriebene Monobenzilkalium:

R-y

/R

^.R w

0 = / x

R

\ = 0 + NaO-7

\/\yR +R

R / V ' ^ R

R/

y

Ο Chinon

\R

Ο—Η Hydrochinon

C h i n h y d r o n e und Semichinone sind demnach v e r s c h i e d e n e Verbindungsklassen der gleichen m i t t l e r e n O x y d a t i o n s s t u f e , die aus je einem Chinonmolekül und H y d r o c h i n o n m o l e k ü l entstehen. Erstere sind im allgemeinen in saurem, letztere in alkalischem Medium beständig. Doch ist nicht jedes Chinon sowohl zur Semichinon- als auch zur C h i n h y d r o n b i l d u n g befähigt. So kennt man z.B. vom alkali-unbeständigen p - B e n z ο c h i n o n (R = H ) selbst kein Semichinon sondern nur das C h i n h y d r o n , während D u r o c h i n o n (R = CH 3 ) umgekehrt nur ein Semichinon und kein C h i n h y d r o n zu bilden vermag. Auch von den basischen C h i n o n - i m i n e n leiten sich semichinoide Derivate ab, die jedoch im Gegensatz zu den eigentlichen Semichinonen in saurem M e d i u m , d.h. wieder nur in Form von R a d i k a l - I o n e n , beständig sind. Das bekannteste Beispiel ist der Farbstoff Wursters B o t (X), der beim Zusammengeben von je einem Mol s a l z s a u r e m p - A m i n o d i m e t h y l a n i l i n ( V I I I ) und seinem D e h y d r i e r u n g s p r o d u k t ( I X ) m o m e n t a n e n t s t e h t :

Η ,—, ι /CH, V>—·χ·« i /χ h2N—< C1- + x

= /

©

X CH3

_

©/

3

HN=< >=N\ \ = / \|CH,

viii

Cl"

IX

•=\ •

© /CH3 /

= N

\

cr

und dessen Radikalnatur durch den auftretenden Paramagnetismus einwandfrei nachgewiesen werden konnte.

3. Die freien Alkylradikale Während die bisher besprochenen freien Radikale infolge des stabilisierenden Einflusses der A r y l g r u p p e n noch r e l a t i v b e s t ä n d i g e Verbindungen sind, liegen in den freien Alkylradikalen Substanzen vor, die aus ihren Dimerisierungsprodukten nur durch Spaltung einer ungeschwächten C—C-Bindung hervorgehen, diesen gegenüber also mit etwa 40 kcal pro Radikal e n d o t h e r m sind. Man glaubte daher lange Zeit, daß sie nur i n n e r h a l b des M o l e k ü l b e r e i c h e s im Verlaufe von chemischen Reaktionen existenzfähig seien und sich bei Versuchen zu ihrer Darstellung stets m o m e n t a n anderweitig stabilisieren. Das ist jedoch nicht der F a l l , und genau wie die Rekombination der f r e i e n W a s s e r s t o f f a t o m e eine Aktivierung erfordert und daher nur im Rahmen einer Z e i t r e a k t i o n erfolgt, geht auch die Rekombination oder anderweitige Stabilisierung der freien Alkylradikale nicht m o m e n t a n vor sich, sondern benötigt eine gewisse Zeit. Infolgedessen sind die freien Alkylradikale kurze Z e i t e x i s t e n z f ä h i g und können bei geeigneter Versuchsanordnung in einer gewissen Entfernung vom Ort ihrer Entstehung nachgewiesen werden.

755

Die freien Alkylradikale

Freie Alkylradikale entstehen an sich bereits bei der thermischen Zersetzung von P a r a f f i n e n (S. 76). Doch sind für die Paraffinvercrackung bereits derart hohe Temperaturen erforderlich, daß sofort Sekundärreaktionen eintreten, und der Radikalnachweis auf diesem Wege nicht mehr möglich ist. Man muß daher zu ihrer Darstellung Verbindungen wählen, die leichter spaltbar sind. Hierfür haben sich nach P A N E T H (1929) insbesondere die B l e i - t e t r a a l k y l e (S. 733) und die W i s m u t - t r i a l k y l e (S. 734) als brauchbar erwiesen, die beim Leiten ihrer Dämpfe im Vakuum (in Mischung mit Wasserstoff als Trägergas) durch ein auf etwa 300° erhitztes Rohr unter Abscheidung eines Metallspiegels die freien A l k y l r a d i k a l e abspalten: Pbß 4

300 °

> Pb+4R·

BiR 3

-i™!-,

Bi + 3 R ·

Die Alkylradikale sind bei der starken Strömung der hochverdünnten Gase trotz ihrer kurzen Lebensdauer (die Halb werts zeit beträgt etwa 1 /100 bis 1 /1000 Sekunden) noch einige Dezimeter hinter der Erhitzungsstelle nachweisbar und können an der Auflösung von Metallspiegeln (z.B. von Blei, Wismut oder Quecksilber) unter Rückbildung flüchtiger Organometallverbindungen erkannt werden. Insbesondere die Auflösung eines Quecksilberspiegels ist zu ihrem Nachweis sehr geeignet, da die Quecksilberdialkyle unter den Versuchsbedingungen nur aus den freien R a d i k a l e n und metallischem Quecksilber entstehen können und sich durch Überführung in die kristallisierten A l k y l q u e c k silberhalogenide leicht identifizieren lassen. Das Prinzip einer derartigen Vereuchsanordnung ist in Abb. 14 wiedergegeben: Für Halbwertszeit charakteristischer Abstand

^

••- Pb'CHj^

]g|| /1

— — - z H g ( C H

ßieispiege/

3

)

2

Λ

r

Quecksilberspiegel

Gefrierfalle

A b b . 14

Sie gestattet, aus der E n t f e r n u n g des aufzulösenden Metallspiegels von der Erhitzungsstelle und aus der A u f l ö s u n g s g e s c h w i n d i g k e i t Rückschlüsse auf die L e b e n s d a u e r der Radikale zu ziehen.

Ist kein zweiter Metallspiegel vorhanden oder der Abstand zwischen den beiden Metallspiegeln zu groß, so stabilisieren sich die Radikale innerhalb der angegebenen Lebensdauer in gleicher Weise wie die T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e durch Dimerisierung (Reaktion a) oder durch Disproportionierung unter Wanderung eines neutralen W a s s e r s t o f f a t o m s (Reaktion b): '

CHG—CH2—CH2—CHJ - H + HJC—CH2

*

>· H 2 C = C H ,

Mit Sicherheit konnten bisher als selbständige, auch in einer gewissen Entfernung vom Ort ihrer Bildung existenzfähige Substanzen die Radikale Methyl, Äthyl, η-Propyl

und η-Butyl nachgewiesen werden, während die Existenz-

fähigkeit des freien Methylens Η—C—Η noch z w e i f e l h a f t ist. Alle diese Radikale sind als freie Verbindungen bisher ohne praktische Bedeutung geblieben. Wesentlich wichtiger ist dagegen die Bildung und unmittelbar anschließende weitere Umsetzung derartiger freier Radikale am O r t i h r e r E n t s t e h u n g , d.h. das A u f t r e t e n f r e i e r R a d i k a l e als Z w i s c h e n p r o d u k t e b e i c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n . Doch haben

Verbindungen mit anomalen Funktionen

756

wir es hier nicht mehr mit selbständigen Verbindungen im Sinne der systematischen organischen Chemie zu tun. Ihre eingehende Behandlung erfolgt daher erst später im Zusammenhang mit der Beschreibung der chemischen R e a k t i o n e n in Π, Kap. 4, II, sowie in ΙΠ, Kap. 3, III.

4. Die Radikale mit zweibindigem Stickstoff Die Auffindung der freien Triarylmethylradikale legt die Frage nach der Existenz ähnlicher Radikale in der S t i c k s t o f f r e i h e nahe, zumal vom Stickstoff bereits zwei a n o r g a n i s c h e Radikalverbindungen, das -NO und das -NC^1), bekannt sind, die ebenfalls eine u n g e r a d e E l e k t r o n e n z a h l aufweisen. Es ist das Verdienst von H. WIELAND (1911—22), diesen Gedankengang verfolgt und die den Triarylmethylradikalen analogen Diarylstickstoffradikale aufgefunden zu haben. Sie entstehen in ähnlicher Weise durch Dissoziation der T e t r a a r y l h y d r a z i n e (S.602), so daß ihre Gewinnung praktisch auch hier mit der der Dimerisierungsprodukte (vgl. S. 748) zusammenfällt: ,/N-H —

^

/ ^ X / ^ X / ^ X

2

x = V

N

·

Die Diarylstickstoffradikale sind in ihrem physikalischen und chemischen Verhalten den freien Triarylmethylradikalen sehr ähnliche, s t a r k f a r b i g e Verbindungen, die ebenfalls nur in Lösung untersucht werden können. Ihre wichtigsten Eigenschaften lassen sich zu den folgenden drei P u n k t e n zusammenfassen: 1. Die Diarylstickstoffradikale weisen einerseits eine g r ö ß e r e A s s o z i a t i o n s t e n d e n z , andererseits eine wesentlich g e r i n g e r e S t a b i l i t ä t auf als die Triarylmethylradikale. Infolgedessen beginnt die Radikaldissoziation im allgemeinen erst bei T e m p e r a t u r e n um 100° merklich zu werden, bei denen die freien Radikale n i c h t mehr b e s t ä n d i g sind, so daß man nur ihre D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s p r o d u k t e erhält, die in Analogie zur Disproportionierung der Triarylmethylradikale (S. 750) unter W a n d e r u n g eines Η - A t o m s und D i m e r i s i e r u n g des sich hierbei bildenden D i r a d i k a l s (I) entstehen: CeHa

CjH6

j

XXXH x /

>

+

x

X Jh

^

Y

\ —

-

.

,/

Η

V N H +

Mi

•i X

I;

Η I

;h

!

J I

Dimerisierung

J

N,N'-Diphenyl-phenazin

Insbesondere das Radikal N0 2 zeigt ein den Triarylmethylradikalen sehr ähnliches Verhalten. Es ist ebenfalls stark farbig und steht zwischen 0° (vollständige Assoziation) und 150° (vollständige Dissoziation) mit dem in jeder Beziehung den Hexaaryläthanen entsprechenden, nahezu farblosen N 2 0 4 in einem reversiblen Dissoziationsgleichgewicht.

757

Die organischen Stickstoffradikale

Die charakteristischen Farbreaktionen der freien Radikale (S. 747 f.), insbesondere die Nichterfüllung des B E E R s c h e n Gesetzes, können daher hier n i c h t b e o b a c h t e t werden, sondern der Radikalnachweis ist nur i n d i r e k t über die beschriebenen U m w a n d l u n g s p r o d u k t e möglich. 2. Außer durch Disproportionierung können die Diarylstickstoffradikale auch durch eine Reihe von Anlagerungsreaktionen abgefangen werden. Zwar erweisen sie sich im Gegensatz zu den Kohlenstoffradikalen als gegen elementaren Sauerstoff s t a b i l , sie absorbieren statt dessen aber sehr energisch das R a d i k a l NO unter Bildung der N i t r o s a m i n e sekundärer Diarylamine (III). Weitere charakteristische Anlagerungsprodukte sind die oben bereits erwähnten, nicht mehr dissoziierenden gemischten Additionsverbindungen der Triarylmethyl- und Diarylstickstoffradikale (V). Schließlich werden in gleicher Weise wie bei den Triarylmethylradikalen nascierender W a s s e r s t o f f und A l k a l i m e t a l l e unter Bildung von D i a r y l a m i n e n (IV) bzw. deren Metallamiden (II) angelagert: I

+ .xo ^

( O - ) n - N = 0

3. Auch bei den Diarylstickstoffradikalen kann man durch V a r i a t i o n der S u b s t i t u e n t e n an den Benzolkernen die Dissoziationstendenz der zugehörigen Tetraarylhydrazine s t a r k verändern. Eine H e r a b s e t z u n g des Spaltungsgrades beobachtet man insbesondere bei der Einführung von Nitrogruppen, während die M e t h o x y l - und dieDimethylaminogruppe die Radikalbildung begünstigen. Die stärkste Dissoziationstendenz weist nach bisherigen Beobachtungen das Tetrap-dimethylamino-tetraphenyl-hydrazin, [(CH 3 ) 2 N—C„H 4 —] 2 N—N[—C e H 4 —N(CH 3 )J 2 auf, das in Nitrobenzol als Lösungsmittel bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r bis zu 21% in die freien ßadikale dissoziiert ist, so daß man an ihm auch in der Stickstoffreihe die t y p i s c h e n F a r b r e a k t i o n e n der freien Kadikaie ( N i c h t e r f ü l l u n g des B E E R s c h e n Gesetzes, r e v e r s i b l e Erhöhung der Farbintensität bei mäßigem Erwärmen) beobachten kann.

Eine weitere interessante Gruppe von Stickstoffradikalen hat S T . GOLDSCHMIDT (1922) in den den Pentaaryläthyl-Radikalen entsprechenden t r i s u b s t i t u i e r t e n R a d i k a l e n des Hydrazins aufgefunden. Diese sog. Hydrazyle entstehen durch Dissoziation der auf S. 604 beschriebenen p e r s u b s t i t u i e r t e n T e t r a z a n e : Ar (bzw. Ac) Ar (bzw. Ac) | | .Ar )N—Ν Ν— N( Ar \Ar Ar.

Ar (bzw. Ac) Ατχ | —)N—Ν · Ar/

Die Radikalbildungstendenz nimmt beim Übergang von den am Radikalstickstoff b e n z o y l i e r t e n Verbindungen, die eine Dissoziationskonstante von maximal etwa 10 —3 aufweisen, zu den H e x a a r y l t e t r a z a n e n stark zu. Insbesondere das am Radikalstickstoff einen P i k r y l r e s t enthaltende, nebenstehend formulierte N-Trinitrophenyl-N.N'-diphenyl-hydrazyl zeigt, ähnlich wie das T r i x e n y l m e t h y l (S. 750), keine Assoziationsneigung mehr und liegt auch in festem Zustand ausschließlich in Form der stark farbigen freien R a d i k a l e vor. 49

Xlages,

Lehrbuch der Organischen Chemie I , 2

Verbindungen mit anomalen Funktionen

758

5. Die Radikale mit dreibindigem Stickstoff I n den Diarylstickstoffradikalen besitzt der Stickstoff noch ein u n g e b u n d e n e s E l e k t r o n e n p a a r , das man unter Erhaltung des Radikalcharakters in der üblichen Weise sowohl durch O n i u m s a l z b i l d u n g als auch durch Anlagerung eines S ä u e r s t o f f a t o m s absättigen kann. Im ersten Falle kommt man zu den von WEITZ (1926—27) entdeckten s a l z a r t i g e n Ammeniumradikalen. Sie entstehen aus den T r i a r y l a m i n e n und auch den T e t r a a r y l h y d r a z i n e n durch Einwirkung von C h l o r t e t r o x y d (in statu nascendi), das infolge der außerordentlichen starken Bildungstendenz des P e r c h l o r a t - I o n s den Stickstoffverbindungen ein E l e k t r o n entreißt und auf diese Weise die R a d i k a l b i l d u n g bewirkt: A r

A /

Α Γ

\ \ > \



CIO,

+ -CIO, Ar

Ar

Ar

Ar x .. .Ar XN/

Ar. © /Ar-] + · C104

C104-

N

A r/ ~\x A r

Triarylammenium-perchlorat

Tetraarylhydrazenium-perchlorat

Die Triarylammeniumsalze haben insbesondere theoretisches Interesse als M o d e l l s u b s t a n z e n der T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e gefunden. Genau wie in den Tetraalkylammoniumsalzen vermag auch hier der Oniumstickstoff v o l l w e r t i g ein C-Atom zu ersetzen, und man beobachtet daher eine weitgehende A n a l o g i e zwischen beiden Verbindungsreihen, die sich u. a. auch auf das gleichartig aufgebaute A b s o r p t i o n s s p e k t r u m erstreckt. Als einziger wesentlicher Unterschied muß die völlig m a n g e l n d e A s s o z i a t i o n s n e i g u n g der Ammeniumradikale angeführt werden, die aber einerseits in der g e r i n g e r e n Bildungstendenz der Ν — Ν - B i n d u n g , andererseits in der starken gegenseitigen A b s t o ß u n g der p o s i t i v gel a d e n e n N - A t o m e ihre befriedigende Erklärung findet. Da sich am Stickstoff k e i n W a s s e r st off mehr befindet, zeigen die Ammeniumsalze im Gegensatz zu den Salzen der T r i a r y l a m i n e selbst eine a u f f a l l e n d e B e s t ä n d i g k e i t gegen h y d r o l y t i s c h e Einflüsse. Die mangelnde Neigung des dreifach arylierten Stickstoffs zur Salzbildung macht sich hier jedoch in anderer Weise, und zwar in einer starken O x y d a t i o n s w i r k u n g bemerkbar, d. h. die Triarylammonium-Ionen sind bestrebt, Anionen unter B ü c k b i l d u n g d e r T r i a r y l a m i n e zu entladen: R R \ \ + J- — )N> + V.J. X R R R / R Lagert man an das ungebundene Elektronenpaar des Stickstoffs in den Diarylstickstoffradikalen ein O - A t o m an, so kommt man zu den DiarylstickstoffoxydRadikalen (II). Ihre Darstellung gelingt nach H . W I E L A N D ( 1 9 1 4 — 2 2 ) am besten durch vorsichtige Dehydrierung von D i a r y l h y d r o x y l a m i n e n , geht also primär über ein Sauerstoff radikal (I) vor sich, das sich erst n a c h t r ä g l i c h im R a h m e n einer M e s o m e r i e durch Elektronenverschiebung in das S t i c k s t o f f r a d i k a l umlagert: Ν—Ο—Η

— Η·

;Ν—0 ·

Ν -.01

Die Diarylstickstoffoxydradikale sind v o l l s t ä n d i g d i s s o z i i e r t e , stark farbige Verbindungen, die sich (abgesehen von der m a n g e l n d e n A s s o z i a t i o n s n e i g u n g ) ihrem a n o r g a n i s c h e n A n a l o g o n , dem ' Ν 0 2 , sehr ähnlich verhalten. Insbesondere zeigen sie nahezu das g l e i c h e A b s o r p t i o n s s p e k t r u m und sind zu analogen A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n befähigt, die allerdings meistens von sekundären Umsetzungen begleitet sind.

759

Kadikaie anderer Heteroelemente

Als Beispiel sei die Anlagerung von -NO angeführt. Dieses bildet mit · Ν 0 2 D i s t i c k s t o f f t r i o x y d (N 2 0 3 ), das seinerseits durch die N i t r o s a m i n b i l d u n g bei der Einwirkung von sekundären Aminen nachgewiesen werden kann. In analoger Weise entsteht aus -NO und einem D i a r y l s t i c k s t o f f o x y d r a d i k a l das dem N 2 0 3 entsprechende N - O x y d des Dia r y l n i t r o s a m i n s (III), dessen Bildung ebenfalls durch seine Tendenz zur Überführung sekundärer Amine in N i t r o s a m i n e nachweisbar ist, das aber normalerweise sofort unter A u s t a u s c h d e r O x y d a t i o n s s t u f e n der Stickstoffatome in ein D i a r y l n i t r a x n i d (IV) übergeht:

Ο

Ο

t 0=N ·

+ -NO

0

t Ar,Ν ·

t

0=N—N=0 Ο

•NO

t

..

Ar2N—N=0

Β,ΧΗ _ - +0=N—0H~ — H,\H — Ar,N—OH

J

Umlagerung

HI

Ο -N=0 iv

Auch in der oben erwähnten m e s o m e r e n F o r m des Sauerstoffradikals (I) vermögen die Diarylstickstoffoxydradikale zu reagieren. So werden ζ. B. T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e zu den Sauerstoffäthern der D i a r y l h y d r o x y l a m i n e (V) angelagert:

/ N—0· +

>0|

6. Radikale anderer Heteroelemente Auch von anderen Elementen sind verschiedentlich r a d i k a l a r t i g e Verbindungen dargestellt worden. So haben wir ζ. B. eben in den T r i a r y l s t i c k s t o f f o x y d e n Substanzen kennengelernt, die im Rahmen einer Mesomerie auch in S a u e r s t o f f r a d i k a l e überzugehen vermögen. Eine Gruppe von a u s s c h l i e ß l i c h in Form der Sauerstoffradikale reagierenden Verbindungen hat S T . G O L D S C H M I D T (1922) in den P h e n a n t h r o x y l e n (II) aufgefunden, die mit den dimeren P e r o x y d e n (I) im Gleichgewicht stehen (X = OR oder Hai):

/N ,0—Ox



J (C,H5)3C-0

X X Sie zeichnen sich gegenüber den Kohlenstoff- und auch Stickstoffradikalen einerseits durch eine außerordentlich l a n g s a m e Einstellung des D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e wichtes (mehrere Stunden), andererseits durch ihre Indifferenz gegenüber L u f t s a u e r s t o f f (Beweis, daß keine deutlich ausgeprägte Mesomerie mit C-Radikalen vorliegt) und NO aus. Im übrigen sind sie zu ähnlichen Reaktionen wie alle bisher besprochenen Radikale befähigt. Z.B. lagern sie A l k a l i m e t a l l e zu P h e n o l a t e n (III) und T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e zu sehr stabilen Ä t h e r n (IV) an, so daß ihre Konstitution gesichert erscheint. 40*

760

Verbindungen mit anomalen Funktionen

Eine interessante Gruppe von Radikalverbindungen des Bors entsteht bei der Anlagerung von A l k a l i m e t a l l e n an B o r t r i a r y l e (vgl. S. 760): Ar Arxe A r - B + Na • Ar—Β • Na+ Ar/ Ar/ Sie stellen in analoger Weise wie die Ammeniumsalze (S. 758) „Modelle" der T r i a r y l m e t h y l r a d i k a l e dar, nur daß das Bor im Gegensatz zum Stickstoff eine n e g a t i v e Ladung aufnehmen muß um ein C-Atom ersetzen zu können. Aus der i n t e n s i v e n F a r b e dieser Salze kann geschlossen werden, daß die Anionen nicht assoziieren, sondern auch in f e s t e m Zustand vollständig in Form der f r e i e n R a d i k a l e vorliegen, was aus den gleichen Gründen wie bei den Triarylammeniumverbindungen (s. o.) verständlich erscheint. Ferner liegen in den Bleitrialkylverbindungen (S. 733) und im Tetraphenylchromehlorid (S. 735) Substanzen mit einer u n g e r a d e n E l e k t r o n e n z a h l vor, die in gewissem Sinne ebenfalls als f r e i e R a d i k a l e angesprochen werden müssen. Hier ist es jedoch noch unsicher, inwieweit diese Verbindungen infolge der Möglichkeit, das Einzelelektron in einer der inner e n E l e k t r o n e n s c h a l e n des Zentralatoms unterzubringen, d i r e k t mit den f r e i e n Radik a l e n der K o h l e n s t o f f c h e m i e verglichen werden können.

III. Künstliche Isotopengemische in der organischen Chemie Infolge der neuerdings in technischem Maßstab durchführbaren A n r e i c h e r u n g oder gar Reindarstellung einzelner Isotope der wichtigsten organischen Elemente (vgl. anorg. Lehrbücher) ist es g r u n d s ä t z l i c h möglich, alle bisher beschriebenen Verbindungen auch mit k ü n s t l i c h e n I s o t o p e n g e m i s c h e n dieser Elemente aufzubauen. Diese zunächst nur als S p i e l e r e i erscheinende Möglichkeit hat sich sehr rasch zu einer der w i c h t i g s t e n modernen Methoden zur Aufk l ä r u n g der Mechanismen organisch - chemischer Reaktionen entwickelt, so daß man bereits von einer o r g a n i s c h e n Chemie k ü n s t l i c h e r Isotopeng e m i s c h e sprechen kann. Im wesentlichen handelt es sich bei allen diesen Verfahren immer um das gleiche Prinzip: Die Verbindungen verschiedener Isotope eines Elementes zeigen bei einem gewissen Unterschied ihrer p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n praktisch die g l e i c h e chemische R e a k t i o n s f ä h i g k e i t . Man kann infolgedessen durch Einführung eines künstlichen Isotopengemisches an Stelle eines natürlichen Elementes b e s t i m m t e Atome in einem Molekül „markieren", ohne daß ihre Reaktionsfähigkeit merklich verändert wird, und anschließend durch Bestimmung der physikalischen Eigenschaften der Umsetzungsprodukte feststellen, ob der markierte Molekülteil in Reaktion getreten ist oder nicht. Das erste dieser „künstlichen Elemente", das eine größere praktische Bedeutung erlangt hat, ist der als Deuterium bezeichnete und durch das Symbol D charakterisierte schwere W a s s e r s t o f f 2H (vgl. anorg. Lehrbücher). Doch haben daneben in neuerer Zeit auch der schwere S a u e r s t o f f 18 0, der schwere S t i c k s t o f f 16N und eine große Anzahl von Elementen mit k ü n s t l i c h e r R a d i o a k t i v i t ä t , darunter insbesondere der r a d i o a k t i v e Kohlenstoff 14C, in steigendem Maße Anwendung gefunden. 1. Die organischen Deuteriumverbindungen

Zur Benennung der Deuteriumverbindungen wird der schwere Wasserstoff allgemein als n o r m a l e r S u b s t i t u e n t aufgefaßt. So sind ζ. B. für die verschiedenen „ d e u t e r i e r t e n " M e t h a n e die folgenden Bezeichnungen gebräuchlich.

Die organischen Deuteriumverbindungen Ηχ H^C—D TV llonodeutero-methan

Hx ,Ό V W \d Dideutero-methan

761 /D c/5

Λ> Η—C^D \D Trideutero-methan

(Tetra)deutero-methan

Die Einführung des Deuteriums in organische Verbindungen geschieht nach v i e r verschiedenen Methoden: 1. durch d i r e k t e n A u s t a u s c h von Wasserstoff gegen Deuterium, 2. durch k a t a l y t i s c h e „ D e u t e r i e r u n g " von olefinischen Doppelbindungen, 3. durch H y d r o l y s e von O r g a n o m e t a l l v e r b i n d u n g e n mit schwerem Wasser und schließlich 4. durch D e c a r b o x y l i e r u n g von —COOD-Gruppen. Zu 1. Im Rahmen der S ä u r e n - B a s e n - B e z i e h u n g (vgl. anorg. Lehrbücher) findet bekanntlich zwischen W a s s e r als Lösungsmittel einerseits und sowohl sauren als auch b a s i s c h e n V e r b i n d u n g e n andererseits ein dauernder P r o t o n e n a u s t a u s c h unter Einstellung eines „ D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t e s " statt. Löst man nun die sauren bzw. basischen Substanzen in sch weremWasser auf, so erfolgt ein analoger Austausch zwischen P r o t o n e n und D e u t e r o n e n , so daß man im Endeffekt eine g l e i c h m ä ß i g e V e r t e i l u n g der Deuteronen und Protonen auf alle anwesenden a u s t a u s c h f ä h i g e n Gruppen erhält: Χ—Η + D 2 0 X—H + DOH

_ — - [HOD2]+X~ —- [H 2 OD] + X-

K2XH + D2O

[R 2 ndh] + OD~

R2NH + DOH

[R2NDH]+OH~

X—D + HOD „ -—-

X—D + H 2 0 R2ND + HOD

— - R2ND + H 2 0

Mit Hilfe dieser Methode ist es möglich, sämtliche an S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und S c h w e f e l gebundenen Η-Atome u n m e ß b a r r a s c h bis zu einem durch die Konzentrationsverhältnisse bedingten, exakt definierten Prozentsatz durch Deuterium zu ersetzen und damit gleichzeitig das t a t s ä c h l i c h e V o r l i e g e n eines derartigen — bisher nur t h e o r e t i s c h a n g e n o m m e n e n — Protonenaustausches zwischen aktiven Wasserstoffverbindungen n a c h z u w e i s e n . Im allgemeinen sind aber gerade diese an den H e t e r o a t o m e n deuterierten Verbindungen für den Organiker weniger w e r t v o l l , denn ihn interessieren in erster Linie die Vorgänge am K o h l e n s t o f f a t o m . Auch spalten sie bei Berührung mit normalem Wasser ihre Deuteriumatome genau so rasch wieder ab, wie die Einführung erfolgte, so daß sie sehr u n b e s t ä n d i g sind. Die am K o h l e n s t o f f deuterierten Verbindungen sind demgegenüber zwar"wesentlich s t a b i l e r , aber auf dem genannten Wege n i c h t mehr a l l g e m e i n dars t e l l b a r , da der C—H-Wasserstoff normalerweise nicht mehr sauer reagiert und damit n i c h t s u b s t i t u i e r b a r ist. Erst wenn man ihn in den sog. aktiven Methylengruppen durch C a r b o n y l - , Cyan-, N i t r o - oder S u l f o g r u p p e n aktiviert, wird er „ b e w e g l i c h " (d. h. hier sauer) und kann nunmehr durch D e u t e r i u m e r s e t z t werden, wobei sich der weitere Vorteil ergibt, daß das Deuterium nur in ganz b e s t i m m t e S t e l l e n des organischen Moleküls eintritt. Allerdings geht der Ersatz des Wasserstoffs bei Aktivierung der Methylengruppe durch nur eine der genannten Atomgruppen n i c h t mehr u n m e ß b a r r a s c h vor sich, sondern erfolgt — dem geringen Säuregrad der C—H-Verbindungen entsprechend — nur unter güns t i g e n R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n im Rahmen einer Z e i t r e a k t i o n .

Verbindungen mit anomalen Funktionen

762

So muß man ζ. B. die Deuterierung des A c e t o n s in a l k a l i s c h e m Medium vornehmen, das die A b s p a l t u n g d e s P r o t o n s begünstigt. Noch schwieriger gelingt die Deuterierung von F e t t s ä u r e n in Λ-Stellung zur Carboxylgruppe, da das in alkalischem Medium entstehende C a r b o x y l a t - I o n den Wasserstoff n i c h t m e h r aktiviert (S.325). Hier hilft eine Katalyse durch k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e , die wahrscheinlich auf der intermediären Bildung von C a r b o x o n i u m - l o n e n (S. 337f) beruht, da diese eine wesentlich s t ä r k e r a k t i v i e r t e α-ständige Methylengruppe enthalten. Ferner kann man infolge der unterschiedlichen Aktivität der am Sauerstoff und der am Kohlenstoff befindlichen Η-Atome die Fettsäuren an verschiedenen Stellen des Moleküls deuterieren: R—CH2—COOD ^

I>sS

R—CH2—COOH

"' - R—CD2—COOD

K,

° -> R—CDa—COOH

Erst bei den z w e i f a c h a m M e t h a n k o h l e n s t o f f substituierten Verbindungen, wie ζ. B. bei der M a l o n s ä u r e oder der M e t h i o n s ä u r e (S. 684), geht die Substitution des Methylenwasserstoffs r a s c h e r v o r s i c h und erfolgt auch bei Einwirkung von schwerem Wasser allein. Zn 2. Die „ D e u t e r i e r u n g " olefinischer Doppelbindungen verläuft der H y d r i e r u n g analog und wird unter den g l e i c h e n B e d i n g u n g e n durchgeführt: D D + D2 Sie eignet sich insbesondere zur Darstellung p a r t i e l l d e u t e r i e r t e r Verbindungen. Zu 3. D i e Zersetzung v o n m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n mit s c h w e r e m W a s s e r dient insbesondere zur Einführung e i n z e l n e r D - A t o m e in Kohlenwasserstoffe: CH3—MgX + D 2 0

-

ν H3C—D + X.MgOD

Verwendet man statt der Organometallverbindungen h y d r o l y s i e r b a r e C a r b i d e , so kann man auch zu den v o l l s t ä n d i g d e u t e r i e r t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n gelangen, •L. B. vom A14C3 aus zum Tetradeuieromethan (Gleichung formulieren!) oder vom C a l c i u m c a r b i d aus zum Dideuteroacetylen und durch dessen weitere Deuterierung zum Hexadeuteroäthan: CaC2 + 2 D 2 0

• Ca(OD)2 + D—C=C—D

-+-2D3C—CD3

Zu 4. Die D e c a r b o x y l i e r u n g s m e t h o d e findet hauptsächlich Anwendung in der a r o m a t i s c h e n R e i h e sowie zur Darstellung einer p a r t i e l l deuterierten E s s i g s ä u r e aus M a l o n s ä u r e : iCOONa + NaOiD

D-OOC:—CH»—OOOD

>

(Dehydrierung)/

\0D

Η-D

(Hydrierung)

R—CO—OD

1/2R_CHD_0H

Das ist aber n i c h t der F a l l , sondernder entstehende Β e n z y l a l k oh ol enthält nach B O N H O E I T E R und F R E D E N H A G E N (1937) am Kohlenstoff nur l e i c h t e n W a s s e r s t o f f . Es muß also ein Mechanismus vorliegen, bei dem der Übergang des am Kohlenstoff befindlichen Aldehydwasserstoffs u n m i t t e l b a r von einem Aldehydmolekül zum anderen stattfindet. Dies scheint am einfachsten auf dem bereits auf S. 244 formulierten Wege über das Additionsprodukt des A l d e h y d h y d r a t e s an ein n i c h t h y d r a t i s i e r t e s B e n z a l d e h y d m o l e k ü l möglich zu sein. 3. Bei der Elektrolyse der Propionsäure nach K O L B E (vgl. S. 69) findet zum überwiegenden Teil weder eine B u t a n s y n t h e s e noch eine D i s p r o p o r t i o n i e r u n g der entstehenden Äthylradikale in Äthan und Äthylen statt, sondern man beoba chtet im wesentlichen lediglich die Bildung von W a s s e r s t o f f und Ä t h y l e n : COO"

I

/C00-\

CH 2 — I CH 3



C

H

/I

\ 2

V1 \CH 3

-co

/ /

CH

| CH 3

- • - -

*

II +V,Ht CH 2

Für die Bildung des Äthylens aus dem Äthylradikal kommen zwei v e r s c h i e dene Mechanismen in Betracht: a) Der vom Äthylradikal abgespaltene Wasserstoff stammt vom R a d i k a l - C A t o m , und das entstehende Rumpfmolekül (I) stabilisiert sich unter W a n d e r u n g eines Η - A t o m s (Reaktion a). b) Der Wasserstoff spaltet sich von dem dem R a d i k a l a t o m b e n a c h b a r t e n C-Atom zu dem Diradikal II ab, dessen Radikalelektronen dann u n m i t t e l b a r die Ä t h y l e n d o p p e l b i n d u n g bilden (Reaktion b): Η Η—C

Η

J_j-

JJ

Q

(K^kt^ir V°H2— — H·

(Reaktion h)

CH2 ^ _ CH

CH2 CH

II

Η Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Reaktionsmechanismen erscheint nun möglich, wenn man die Elektrolyse einmal mit der «, « - D i d e u t e r o p r o p i o n s ä u r e CH3—CD2—COOH und ein zweites Mal mit der/?,/?,/3-Trideutero-propionsäure CD3—CH2—COOH (vgl. S. 763) durchführt, denn dann sollte man im Falle des Mechanismus a) v e r s c h i e d e n e R e a k t i o n s p r o d u k t e (und zwar aus der oc,xSäure CH 2 =CHD und aus der /?,/?,/?-Säure CD 2 =CHD), im Falle des Mechanis-

Verbindungen mit anomalen Punktionen

766

mus b) dagegen beide Male das gleiche a s - D i d e u t e r o ä t h y l e n (CH 2 =CD 2 ) erwarten (Gleichungen formulieren!). Da ausschließlich diese zweite Möglichkeit eintritt, kann somit der Mechanismus a) als eindeutig widerlegt gelten. Diese Beispiele zeigen gleichzeitig, daß es mit Hilfe der Deuteriumverbindungen lediglich möglich ist, einen in Frage kommenden Reaktionsmechanismus eindeutig zu widerlegen, niemals aber die Richtigkeit eines anderen Mechanismus ebenso eindeutig zu beweisen, denn prinzipiell besteht immer die Möglichkeit, daß noch ein weiterer, bisher n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t e r Reaktionstypus zu den gleichen R e a k t i o n s p r o d u k t e n führt. 2. Organische Verbindungen mit schwerem Sauerstoff

Auch beim S a u e r s t o f f ist es gelungen, eines seiner n a t ü r l i c h vorkommenden Isotope, und zwar das meistens als schwerer Sauerstoff schlechthin bezeichnete S a u e r s t o f f i s o t o p le O, bis zu einen gewissen Grade anzureichern und in größerer Menge herzustellen. Seine organischen Derivate werden daher ebenfalls häufig zur A u f k l ä r u n g von R e a k t i o n s m e c h a n i s m e n verwandt. Da sein Nachweis wie der des Deuteriums durch Dichtebestimmung des bei der Verbrennung der organischen S u b s t a n z entstehenden Wassers erfolgt, ist es natürlich nicht möglich, schweren Wasserstoff und schweren Sauerstoff gleichzeitigzubestimmen. Versuche mit schwerem Wasserstoff und solche mit schwerem Sauerstoff müssen daher g e t r e n n t durchgeführt werden. Die Darstellung des reinen 1 8 0 - I s o t o p s ist noch nicht möglich, sondern man begnügt sich, ähnlich] wie bei den meisten Untersuchungen mit deuterierten Verbindungen, mit seiner Anreicherung auf etwa 0,3—0,5% des Gesamtsauers t o f f s , die für den Nachweis vollkommen ausreichen. Im übrigen geschieht seine Einführung in organische Moleküle nach ähnlichen Methoden wie die des Deuteriums: 1. durch A u s t a u s c h r e a k t i o n e n , denen — wieder in Übereinstimmung mit unseren theoretischen Vorstellungen — in erster Linie der C a r b o n y l s a u e r s t o f f über die H y d r a t e zugänglich ist: 1βΟΗ X

/

)C=160 +

le

OH a , _ — -

X

/

;c(

\iaOH

; C = 1 8 0 + «OH 2

/

Auch hier beobachtet man eine graduelle Abstufung der Reaktionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der A k t i v i t ä t der Carbonylverbindungen. So setzt sich ζ. B. B e n z a l d e h y d bereits bei 25° innerhalb weniger Stunden quantitativ um, während C a r b o n s ä u r e n bei etwa 75° und die fast ausschließlich in der C y c l o a c e t a l - F o r m vorliegenden K o h l e n h y d r a t e sogar erst bei 100° mit m e r k b a r e r Geschwindigkeit in Reaktion treten. Überhaupt nicht ausgetauscht werden kann schließlich Alkohol- und Phenols a u e r s t o f f , da der einfach gebundene Sauerstoff, wie die Stabilität der Ä t h e r zeigt, außerordentlich fest am Kohlenstoff haftet.

2. durch Alkylierung von 18 0-haltigem Wasser (bzw. Natriumhydroxyd) oder Alkohol (bzw. Alkoholat): R -Hai + -Va '«Ο- Η

' " N ' aH " ! > R—1βΟ—Η

R -Hai ί N"a,fiO—R' —

R_i80_R'

U

sw.

Die organischen Verbindungen mit schwerem Sauerstoff sind noch wenig bek a n n t und haben bisher bei weitem nicht die Bedeutung der Deuterium Verbindungen erlangt. Sie eignen sich insbesondere zur Aufklärung von h y d r o l y t i s c h e n Vorgängen. So gewährt ζ. B. bereits die unter 1. angeführte Darstellungsweise

Organische Verbindungen mit schwerem Sauerstoff und Stickstoff

767

einen interessanten Einblick in die sonst nur schwer nachzuweisende H a f t f e s t i g k e i t d e s S a u e r s t o f f s am Kohlenstoff in den verschiedenen organischen Verbindungen. Auch die wichtige Hypothese, daß die V e r e s t e r u n g s r e a k t i o n und die E s t e r h y d r o l y s e bei den Carbonsäuren einen a c y l i e r e n d e n V e r l a u f nehmen (S. 198f.), ist ohne weitere Hilfsmittel experimentell n i c h t n a c h z u p r ü f e n . F ü h r t man diese R e a k t i o n e n dagegen mit einem an 1 8 0 a n g e r e i c h e r t e n A l k o h o l bzw. E s t e r durch, so erhält man — dieser Annahme entsprechend — im ersten Falle auch bei Verwendung einer l e i c h t e n C a r b o n s ä u r e stets den s c h w e r e n E s t e r , im zweiten Falle auch bei Verwendung von l e i c h t e m W a s s e r stets den s c h w e r e n Alkohol: V

3

Κ—C -·· Η —Ή) —Η' • "OH

-

"OH,

+ Η

> R—Ctr18

--

"OLL

> C—R^

!- H'»0 -It' 1β

0—R'



Es läßt sich also einwandfrei nachweisen, daß stets die A c - O - B i n d u n g gespalten wird. 3. Die organischen Verbindungen mit schwerem Stickstoff und Kohlenstoff Auch die Anreicherung des S t i c k s t o f f i s o t o p s 15 N (vgl. anorg. Lehrbücher) hat f ü r die organische Chemie praktische Bedeutung erlangt, da es mit Hilfe der im 6. Kapitel beschriebenen Reaktionen ohne Schwierigkeiten gelingt, den „ s c h w e r e n S t i c k s t o f f " mit Hilfe von „ s c h w e r e m A m m o n i a k " oder „ s c h w e r e m N a t r i u m n i t r i t " in organische Moleküle einzubauen. Eine interessante Anwendungsmöglichkeit dieses schweren Stickstoffisotops zu einem chemischen Konstitutionsbeweis der aliphatischen Diazogruppe (vgl. S.607) wurde von K. C L U S I U S (1952) aufgefunden: Stellt man D i a z o e s s i g e s t e r i n der bekannten Weise aus Glycinester mit Hilfe von s c h w e r e m N a t r i u m n i t r i t her, so lassen die beiden zur Diskussion stehenden Konstitutionsformeln I und II die folgende Verteilung der N-Atome erwarten:

"N / ROOC—CH { \l4

e Θ ROOC—CH="N= 1S N

N

I

II

In I sind die beiden N-Atome strukturell gleichwertig. Hier sollte daher bei der hydrierenden S p a l t u n g des Diazoessigesters in G l y c i n e s t e r und Ammoniak (S. 612) eine g l e i c h m ä ß i g e Verteilung der 15 N- und der 14N-Atome auf beide Spaltstücke, d.h. die Bildungeines „ h a l b s c h w e r e n " A m m o n i a k s und eines „halbschweren" G l y c i n e s t e r s , erfolgen. Aus einer Verbindung der Struktur II kann dagegen nur das äußere N - A t o m als Ammoniak abgespalten werden, so daß man hier bei der hydrierenden Spaltung einen reinen 14 N - G l y c i n e s t e r und einen reinen 1 5 N-Ammoniak erwarten sollte. Das Experiment sprach — in Übereinstimmung mit den schon früher diskutierten physikalischen Strukturbeweisen — eindeutig für die zweite Möglichkeit.

Ihr Hauptanwendungsgebiet haben die Verbindungen mit schwerem Stickstoff jedoch in der Biochemie gefunden, da sie in gleicher Weise wie die n a t ü r l i c h e n Verbindungen v o m O r g a n i s m u s v e r a r b e i t e t werden, und es anschließend durch eine einfache D i c h t e b e s t i m m u n g des aus den verschiedenen Stoffwechselprodukten gewonnenen A m m o n i a k s möglich ist, Näheres über das Schicksal der verfütterten Verbindungen im Organismus zu erfahren. Noch wichtiger erscheint eine andere, von R I T T E N B E R G (1940) eingeführte Anwendungsmöglichkeit zu werden. Wie in III, Kap. 7, I, 3 gezeigt wird, bereitet die quantitative Trennung des bei der Spaltung von E i w e i ß s u b s t a n z e n auftretenden

Verbindungen mit anomalen Funktionen

768

A m i n o s ä u r e n g e m i s c h e s oft u n ü b e r w i n d l i c h e S c h w i e r i g k e i t e n . Setzt man jedoch dem zu spaltenden Eiweiß von vornherein einen gewissen Prozentsatz der zu bestimmenden Aminosäure in Form der 1 5 N - h a l t i g e n V e r b i n d u n g zu, so erhält m a n bei der Hydrolyse ein Gemisch der n o r m a l e n und der s c h w e r e n A m i n o s ä u r e und k a n n aus dem D u r c h s c h n i t t s a t o m g e w i c h t des Stickstoffs einer k l e i n e n P r o b e dieser Mischsäure auch ohne ihre vollständige Isolierung q u a n t i t a t i v auf das V e r h ä l t n i s der beiden Aminosäuren und damit auf die ursprüngliche M e n g e d e r n a t ü r l i c h e n A m i n o s ä u r e schließen. Will man z.B. in 2 0 g einer Eiweiß-Substanz den L e u c i n g e h a l t bestimmen und setzt vielleicht V 2 g eines (synthetisch gewonnenen) schweren Leucine mit einem 16N-Gehalt von 0,4% des G e s a m t s t i c k s t o f f s hinzu, so folgt aus der Tatsache, daß man nach der Hydrolyse ein Misch-Leucin mit einem 0,05% 15 N enthaltenden Stickstoff findet, eind e u t i g , daß (unter der Voraussetzung einer t o t a l e n Hydrolyse) in dem ursprünglichen Eiweißkörper χ = 0,5

—l j = 3,5 g = 17,5% Leucin enthalten waren.

Als letztes der einfachen organischen Elemente kann auch der Kohlenstoff in verschiedene Isotope aufgespalten werden. Insbesondere ist eine merkliche Anreicherung des 1 3 C - I s o t o p s in einem „ s c h w e r e n M e t h a n " gelungen, das jedoch wegen seines schwierigen Einbaues in andere organische Verbindungen bisher noch k e i n e A n w e n d u n g zur Lösung organisch chemischer Probleme gefunden h a t und heute von den unten beschriebenen Derivaten des r a d i o a k t i v e n 14C völlig in den Hintergrund gedrängt worden ist. 4. Organische Verbindungen mit künstlich radioaktiven Elementen Neben der Anreicherung bestimmter Isotope der n a t ü r l i c h e n E l e m e n t e h a t in neuerer Zeit auch die Gewinnung k ü n s t l i c h r a d i o a k t i v e r E l e m e n t e eine steigende Bedeutung f ü r die organische Chemie erlangt, insbesondere, nachdem es mit Hilfe der U r a n s p a l t u n g möglich geworden ist, fast von jedem Element eines oder mehrere r a d i o a k t i v e I s o t o p e in ausreichender Menge herzustellen. Allerdings werden die radioaktiven Isotope den natürlichen Elementen stets n u r in u n w ä g b a r k l e i n e n M e n g e n beigemischt, so daß sie mit Hilfe der üblichen physikalischen Methoden (ζ. B. durch Dichtemessung oder mit Hilfe des Ramaneffekts) n i c h t m e h r e r k a n n t werden können. Doch sind sie auf Grund ihrer R a d i o a k t i v i t ä t ebenso sicher und häufig sogar viel bequemer nachweisbar als der schwere Wasserstoff oder Sauerstoff, und man kann daher mit ihrer Hilfe in gleicher Weise den Verlauf chemischer Reaktionen verfolgen, wie mit Hilfe der oben beschriebenen Isotopengemische. Bei weitem die größte Bedeutung für die organische Chemie h a t der radioaktive Kohlenstoff der Masse 14 (14C) erlangt, der im Verlauf der U r a n s p a l t u n g durch N e u t r o n e n b e s c h u ß von S t i c k s t o f f a t o m e n auf Grund der folgenden Kernreaktion entsteht: "Ν + η

- — "C + ρ

und sich mit e"iner H a l b w e r t s z e i t v o n 5 8 0 0 J a h r e n unter Aussendung einer sehr weichen ß-Strahlung in Stickstoff zurückverwandelt. Die lange Lebensdauer bietet den großen Vorteil, daß er nach der Herstellung über w e i t e S t r e c k e n t r a n s p o r t i e r t und beliebig l a n g e g e l a g e r t werden kann, ohne daß ein merklicher Aktivitätsverlust eintritt. Ferner kann man auch bei sehr langwierigen Versuchen mit einer k o n s t a n t e n A k t i v i t ä t rechnen.

Organische Verbindungen mit künstlich radioaktiven Elementen

769

14C entsteht in geringem Ausmaß auch unter n a t ü r l i c h e n B e d i n g u n g e n aus a t m o s p h ä r i s c h e m S t i c k s t o f f im Rahmen der durch die H ö h e n s t r a h l u n g ausgelösten Kernprozesse. Das K o h l e n d i o x y d d e r A t m o s p h ä r e und infolge der Assimilation auch die K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n a l l e r L e b e w e s e n sind daher u C-haltig und zeigen eine zwar äußerst geringe, jedoch einwandfrei nachzuweisende R a d i o a k t i v i t ä t . Diese Radioaktivität klingt bei allen organischen Stoffen, die nicht mehr mit der Atmosphäre im Gleichgewicht stehen, langsam ab und ist nach etwa 60000 J a h r e n ( = 10 Halbwertszeiten) praktisch verschwunden. Der Kohlenstoff unserer S t e i n - und B r a u n k o h l e n ist daher v o l l s t ä n d i g i n a k t i v . Innerhalb des erwähnten Zeitraums von 60000 Jahren kann man das Abklingen der Aktivität in der bekannten Weise zur A l t e r s b e s t i m m u n g f o s s i l e r o r g a n i s c h e r M a t e r i a l i e n verwenden.

Das künstliche 14C kommt meistens in Form von C a r b o n a t e n in den Handel und läßt sich von diesen aus mit Hilfe der bekannten synthetischen Methoden — z.B. durch Umsetzen von 14C02 mit G R I G NARDverbindungen — in b e l i e b i g e organische V e r b i n d u n g e n an b e l i e b i g e n S t e l l e n einbauen. Als praktisches Anwendungsbeispiel für eine mit Hilfe von 14C durchgeführte Aufklärung eines Reaktionsmechanismus sei die von H.A.BARKER (1944/45) untersuchte Buttersäuregärung des Bazillus Relgeri angeführt, bei der im Sinne der folgenden summarischen Reaktionsgleichung aus f ü n f M o l e k ü l e n Milchsäure drei M o l e k ü l e B u t t e r s ä u r e und drei M o l e k ü l e C 0 2 entstehen: 5 CH3—CHOH—COOH

-> 3 CH 3 —CH 2 —CH 2 —COOH + 3 C0 2 + 3 H 2 0

Danach entweichen nur drei der C a r b o x y l - C - A t o m e der Milchsäure in Form von C 0 2 , und die restlichen beiden C-Atome müssen in irgendeiner Form in die entstehende Buttersäure e i n g e b a u t werden. Hierfür gibt es nun zwei Möglichkeiten: 1. Es tritt im Rahmen des normalen b i o c h e m i s c h e n Milchsäureabbaues zunächst ein vollständiger Z e r f a l l der Milchsäure in Essigsäure und C 0 2 ein, und die Buttersäure wird erst n a c h t r ä g l i c h aus diesen Spaltstücken mit Hilfe der freiwerdenden Reduktionsäquivalente s y n t h e t i s i e r t . 2. Die K o h l e n s t o f f k e t t e der Milchsäure bleibt bei drei der fünf eingesetzten Moleküle e r h a l t e n , und die Milchsäure wird auf einem anderen W e g e durch A n g l i e der ung eines C x — B r u c h s t ü c k e s in die Buttersäure übergeführt. Setzt man nun dem Gärungsversuch a) eine Essigsäure zu, deren C a r b o x y l C - A t o m mit 14C markiert ist und b) eine Essigsäure, deren C H 3 - G r u p p e 14C-haltig ist, sowie schließlich c) 1 4 C-haltiges K o h l e n d i o x y d , so beobachtet man die folgenden Reaktionsprodukte: Im ersten Fall entsteht eine Buttersäure, deren C2 - und C 3 - A t o m , und im zweiten Fall eine Buttersäure, deren C 2 - und C 4 - A t o m radioaktiv sind, während man beim Versuch c) eine Buttersäure erhält, deren s ä m t l i c h e C - A t o m e 1 4 C-haltig sind. Aus den Versuchen a) und b) folgt eindeutig, daß die Buttersäure nur im Sinne einer normalen biochemischen F e t t s ä u r e s y n t h e s e aus zwei Molekülen f r e i e r Essigsäure aufgebaut wird, da andernfalls der Einbau der zugesetzten f r e i e n 1 4 C-haltigen Essigsäuren in das Reaktionsprodukt u n m ö g l i c h wäre. Versuch c) zeigt weiterhin, daß die Bakterien imstande sind, das Buttersäuremolekül aus v i e r M o l e k ü l e n K o h l e n d i o x y d (wahrscheinlich ebenfalls über Essigsäure als Zwischenprodukt) aufzubauen, und daß eine anderweitige Synthese — etwa aus Milchsäure und C 0 2 , bei der nur eines der vier C-Atome der Buttersäure radioaktiv sein dürfte — nicht stattfindet. Wir müssen infolgedessen die oben gegebene summarische Reaktionsgleichung folgendermaßen auflösen:

770

Verbindungen mit anomalen Funktionen

5CH 3 —CHOH—C00H + 5 H 2 0 2 C02 + 8 Η - - 6 CH3—COOH + 12 Η in summa 5 CH3—CHOH—COOH

>• 5 CH3—COOH + 5 C0 2 + 20 Η -» CH 3 —C00H + 2 H 2 0 3 CH3—CH2—CH2—COOH + 6 H 2 0 * 3 CH3—CH2—CHa—COOH + 3C02 + 3 H 2 0

Ein weiteres wichtiges Anwendungsbeispiel des radioaktiven Kohlenstoffs ]4C werden wir in III, Kap. 2, VII, 1 in der Aufklärung des Verlaufs der B i o s y n t h e s e des B l u t f a r b s t o f f s kennenlernen. Von den zahlreichen sonstigen in der organischen Chemie gebräuchlichen k ü n s t l i c h r a d i o a k t i v e n E l e m e n t e n seien insbesondere der relativ langlebige radioaktive Phosphor si P mit einer Halbwertszeit von 14 Tagen und der radioaktive Schwefel 35 S mit einer Halbwertszeit von 87 T a g e n angeführt, die in der Biochemie häufig zum Nachweis des Verbleibs phosphor- und s c h w e f e l h a l t i g e r V e r b i n d u n g e n im Verlauf von Lebensprozessen Anwendung finden. Eine interessante Anwendung des radioaktiven Jods , S 8 J (heute würde man für ähnliche Zwecke das bei der Uranabspaltung entstehende 1 3 1 J mit einer Halbwertszeit von 8 Tagen verwenden) zur Aufklärung des M e c h a n i s m u s von R a c e m i s i e r u n g s v o r g ä n g e n werden wir in II, Kap. 7, III, 1 kennenlernen.

11. K a p i t e l

Die cyclischen Verbindungen Die Eigenschaften der meisten der bisher beschriebenen Verbindungen werden durch das Verhalten der jeweiligen c h a r a k t e r i s t i s c h e n F u n k t i o n e n bedingt, und die Struktur des Kohlenstoffgerüstes spielt nur eine u n t e r g e o r d n e t e Rolle. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Substanzen, denen gerade das K o h l e n s t o f f g e r ü s t ihr charakteristisches Gepräge verleiht. Es sind dies in erster Linie die cyclischen Verbindungen, mit denen wir uns nunmehr etwas näher beschäftigen wollen. Einteilung. Man unterteilt die cyclischen Verbindungen allgemein in die carbooder isocyclischen Verbindungen einerseits und die heterocyclischen V e r b i n d u n g e n andererseits in Abhängigkeit davon, ob der Ring nur aus K o h l e n s t o f f a t o m e n besteht, oder neben C-Atomen auch ein oder mehrere H e t e r o a t o m e enthält. Diese Einteilung lediglich auf Grund der f o r m a l e n Z u s a m m e n s e t z u n g läßt jedoch die wirklichen Zusammenhänge nur schwer erkennen, denn die charakteristischen Eigenschaften der cyclischen Verbindungen hängen in erster Linie davon ab, ob in ihnen ein g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e s π - E l e k t r o n e n s y s t e m enthalten ist oder nicht, und sind in derartig hohem Maße u n a b h ä n g i g von der Natur der Atome, die das Ringsystem aufbauen, daß z.B. das schwefelha'tige T h i o p h e n dem isocyclischen B e n z o l viel ähnlicher ist als das ebenfalls isocyclische N a p h t h a l i n oder A n t h r a c e n . Ferner werden die typischen Reaktionen der Heteroelemente durch den Einbau in das konjugierte Bindungssystem häufig w e i t g e h e n d v e r ä n d e r t , wobei man ebenfalls eine s t a r k e A b h ä n g i g k e i t von dem jeweiligen ungesättigten Bindungssystem beobachtet. Es soll daher in diesem Buche von der üblichen Unterteilung in carbo- und heterocyclische Verbindungen abgesehen werden, und die Einteilung der cyclischen Verbindungen lediglich a u f G r u n d d e r in i h n e n e n t h a l t e n e n u n g e s ä t t i g t e n B i n d u n g s s y s t e m e zu den folgenden drei Gruppen von Verbindungen erfolgen: 1. den allgemein als alicyclische Verbindungen bezeichneten Substanzen, deren Ring k e i n g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e s D o p p e l b i n d u n g s s y s t e m enthält. Hierher gehören in erster Linie die bereits auf S. 63 kurz gestreiften C y c l o p a r a f f i n e und ihre Derivate mit einem g e s ä t t i g t e n oder o l e f i n i s c h u n g e s ä t t i g t e n isocyclischen Ringsystem. Ferner zählen zu dieser Verbindungsgruppe die einfachen g e s ä t t i g t e n h e t e r o c y c l i s c h e n Verbindungen, die wir im einzelnen in den c y c l i s c h e n Ä t h e r n (S.422) und A m i n e n (S.558f.) — sowie deren Oxoderivater, den L a c t o n e n (S. 478), L a c t a m e n (S. 587), c y c l i s c h e n S ä u r e a n h y d r i d e n (S. 322, 462 u. a.) und c y c l i s c h e n s e k u n d ä r e n S ä u r e a m i d e n (S. 345) — bereits kennengelernt haben. Alle diese Verbindungen weichen in ihren Eigenschaften noch nicht grundsätzlich von den Substanzen mit kettenförmigem Molekülaufbau ab.

Die cyclischen Verbindungen

772

2. cyclischen Verbindungen, die einen oder mehrere Sechsringe mit einem geschlossen k o n j u g i e r t e n System von D o p p e l b i n d u n g e n enthalten. Hierher gehören in allererster Linie das Benzol und seine Derivate, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung bereits allgemein behandelt wurden. Weiterhin müssen zu •dieser Gruppe das Naphthalin und ähnlich gebaute Verbindungen mit mehreren „kondensierten" Benzolringen gerechnet werden, die jeweils ein g e m e i n s a m e s S y s t e m geschlossen k o n j u g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n enthalten, sowie von der heterocyclischen Reihe die Pyridin-, Pyrylium-, Pyron- und Thiopyron-Derivate. 3. einer Gruppe von h e t e r o c y c l i s c h e n F ü n f r i n g e n mit zwei, zum Hetero•atom«, /J-ständigen k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n , in denen, wie später (S. 869 u.a.) ausführlich dargelegt wird, das Heteroatom mit Hilfe eines ungeb u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e s ebenfalls die beiden Doppelbindungen zu einem g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n S y s t e m zu verknüpfen vermag. Das Heteroatom •ersetzt also funktionell eine —CH=CH Gruppe des Benzolkerns:

Benzol

»aromatischer" Fünfring

so daß wiederum ein „ a r o m a t i s c h e s " R i n g s y s t e m entsteht. Zu dieser Gruppe gehören insbesondere das Pyrrol, das Furan und das Thiophen, sowie die sekundär von diesen Ringsystemen abgeleiteten „Azole". Nomenklatur. Die einfachen Ringsysteme haben, von den wenigen C y c l o p a r a f f i n e n abgesehen, ausschließlich T r i v i a l n a m e n erhalten, und nur ihre D e r i v a t e werden rationell benannt. Dies geschieht in prinzipiell gleicher Weise wie bei den Benzolverbindungen (S. 122), indem man jeweils die g e s ä t t i g t e n oder auch arom a t i s c h e n W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n als Grundverbindungen wählt und die Stellung der Seitenketten oder sonstigen Funktionen durch Zahlen festlegt. Die .Zählung beginnt nach Möglichkeit bei einem a u s g e z e i c h n e t e n Atom — z.B. bei •den heterocyclischen Verbindungen beim H e t e r o a t o m — und erfolgt auch hier stets in der Richtung, daß die jeweiligen Substituenten (bzw. weitere Heteroatoine) «ine m ö g l i c h s t n i e d r i g e Zahl erhalten. Außer durch Zahlen ist vielfach auch die Benennung der Stellung der Substituenten mit g r i e c h i s c h e n B u c h s t a b e n üblich, ohne daß sich hier jedoch allgemeine Regeln angeben lassen. Schließlich verwendet man zur Unterscheidung von s e i t e n k e t t e n - und kernständigen Substituenten oder Doppelbindungen, zuweilen auch die Ausdrücke endocyclisch und exocyclisch. So ist z.B. I ein e n d o c y c l i s c h e r , II ein e x o c y c l i s c h e r Alkohol des Cyclobutans, während III eine endocyclische und zwei exocyclische Doppelbindungen enthält, von denen die vom Ring ausgehende häufig auch als semicyclische Doppelbindung bezeichnet wird: H,

H.QH

H2

H, Ι

H2

Η CHjj—OH

H2

H, II

III

Isomerieverhältnisse

773

I. D i e a l i c y c l i s c h e n V e r b i n d u n g e n 1. Allgemeines über die Cycloparaffine und ihre Derivate Die wichtigsten alicyclischen Verbindungen gehören der c a r b o c y c l i s c h e n R e i h e an und leiten sich in gleicher Weise von den C y c l o p a r a f f i n e n ab wie die n o r m a l e n a l i p h a t i s c h e n V e r b i n d u n g e n von den k e t t e n f ö r m i g e n P a r a f finen. Ihre Benennung erfolgt der der P a r a f f i n d e r i v a t e analog, indem man die Grundkohlenwasserstoffe in leicht ersichtlicher Weise als Cyclopropan, Cyclobutan usw. bezeichnet. Die Zahl der Ringglieder beträgt mindestens drei 1 ) und ist nach oben theoretisch u n b e g r e n z t . Doch ist man über eine Ringgliederzahl von 35 in einheitlichen Verbindungen noch nicht hinausgekommen. Die Isomerieverhältnisse der substituierten Cycloparaffine sind ziemlich kompliziert. Ζ. B. unterscheiden sich die C y c l o h e x a n d e r i v a t e von den entsprechenden B e n z o l d e r i v a t e n dadurch, daß einerseits an jedem C-Atom zwei S u b s t i t u e n t e n stehen können, andererseits die Substituenten infolge der Tetraederstruktur des Kohlenstoffs nicht mehr in der R i n g e b e n e liegen, so daß geomet r i s c h e l s o m e r i e auftritt. Man muß daher gegenüber den drei Disubstitutionsprodukten des Benzols bereits vier s t r u k t u r i s o m e r e disubstituierte Cyclohexane unterscheiden, von denen die den Benzolderivaten entsprechenden o-, m- und pVerbindungen wiederum in je einer cis- (beide Substituenten auf der gleichen S e i t e der Ringebene) und einer trans-Form (die Substituenten stehen auf vers c h i e d e n e n S e i t e n der Ringebene) auftreten können, wie im folgenden am Beispiel der sieben strukturisomeren und geometrisch isomeren C y c l o h e x a n d i c a r b o n s ä u r e n gezeigt sei: COOH

/ — — \ Η Η > \j '/ HOOC COOH

COOH Cyclohexan-l,l-dicar bonsäure

cia-

y COOH H000

COOH /

Η

x

HOOC \

ciatransm-Cyciohexan-dicarbonsäure

Η

COOH

trans· o-Cyclohexan-dicarbonsäure

Η /

HOOC

/ ^ COOH Η

Η

/COOH cis-

HOOC/

— \ H

HN

/COOH

transp-Cyclohexan-dicarbonsÄure

Eine weitere Steigerung der Isomerenzahlen wird durch die r ä u m l i c h e A s y m m e t r i e einiger dieser isomeren Verbindungen bedingt. Bei zwei g l e i c h a r t i g e n S u b s t i t u e n t e n , wie sie ζ. B. in den angeführten Cyclohexandicarbonsäuren vorliegen, sind nur die t r a n s F o r m e n der o- und m - R e i h e asymmetrisch, so daß sich die Isomerenzahl nochmals um zwei auf neun erhöht. Sind dagegen zwei v e r s c h i e d e n a r t i g e S u b s t i t u e n t e n vorhanden, wie ζ. B. in den O x y c a r b o n s ä u r e n , so werden auch die zugehörigen c i s - V e r b i n d u n g e n asymmetrisch, und wir müssen im ganzen elf v e r s c h i e d e n e I s o m e r e unterscheiden (formulieren!).

Trotz dieser Komplizierung der Isomerieverhältnisse gegenüber der Benzolreihe liegt die Zahl der möglichen Isomeren immer noch weit unter der der k e t t e n Zwischen zwei Atomen ist kein B i n g , sondern nur eine D o p p e l b i n d u n g möglich, wie in II, Kap. 3, II, 1 näher abgeleitet wird. 60

Klages,

Lehrbuch der Organischen Chemie I , 2

774

Die alicyclischen Verbindungen

förmigen Verbindungen, da infolge des Fehlens von Molekülenden alle CH2Gruppen der Cycloparaffine gleichwertig sind. Infolgedessen liefern alle Cycloparaffine nur ein M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t , während man bei den k e t t e n förmigen P a r a f f i n e n auch bei Monosubstitution bereits vom Propan ab I s o merengemische erhält1). Man untersucht insbesondere aus diesem Grunde den Verlauf von Paraffinreaktionen häufig am Cyclohexan. Vorkommen. Die Cycloparaffine und ihre Derivate treten in zahlreichen Vertretern natürlich auf: Die g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e stellen einen wesentlichen Bestandteil des k a u k a s i s c h e n E r d ö l s (Naphtha) dar und führen als solche zusammenfassend den Trivialnamen Naphthene. Ferner begegnet man zahlreichen komplizierter gebauten u n g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n , den sogenannten „Terpenen", in den als T e r p e n t i n ö l bezeichneten flüchtigen Harzölen der Nadelhölzer. Eine noch größere Bedeutung haben die s a u e r s t o f f h a l t i g e n Derivate dieser Terpene (insbesondere die Campher) erlangt, die die hauptsächlichen Duftstoffe der pflanzlichen ä t h e r i s c h e n ö l e darstellen. Ihnen schließen sich als biochemisch wichtigste Substanzgruppen schließlich die unter dem Namen Steroide zusammengefaßten Gallensäuren, S t e r i n e und S e x u a l h o r m o n e an, die sämtlich ein kompliziertes tetracyclisch.es Ringsystem der alicyclischen Reihe enthalten. Es liegen hier also außerordentlich wichtige Verbindungen vor, auf deren einzelne Vertreter allerdings erst in ΠΙ, Kap. 5 näher eingegangen werden kann, während wir uns an dieser Stelle mit einem kurzen Überblick über die Grundverbindungen der Reihe begnügen wollen. Für die Darstellung der Cycloparaffine und ihrer Derivate stehen, soweit man bereits von anderen a l i c y c l i s c h e n Verbindungen ausgehen kann, prinzipiell alle früher beschriebenen Verfahren der gegenseitigen Umwandlung der verschiedenen Funktionen zur Verfügung. Dazu kommen an neuartigen Reaktionen die verschiedenen Möglichkeiten der S y n t h e s e des Cycloparaffinringes. Hierzu sind ebenfalls alle bereits beschriebenen Methoden zum Aufbau von C—C-Bindungen geeignet mit der einen Einschränkung, daß die beiden miteinander in Reaktion tretenden Gruppen an die gleiche K o h l e n s t o f f k e t t e gebunden sein müssen. Dies ist z . B . bei der WuBTZschen S y n t h e s e oder der K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n (s. u.), nicht aber bei der Cyanhydrinsynthese (S. 238) oder sonstigen Nitrilsynthesen (S. 307) möglich. Weiterhin hängt der Verlauf der Reaktion in gleicher Weise wie bei den cyclischen Äthern, Lactonen usw. in hohem Maße von der Ringweite der zu synthetisierenden Verbindungen ab (vgl. S. 422). Insbesondere erfolgt auch hier die Bildung des Drei- und Vierringes wegen der erheblichen R i n g spannung etwas schwieriger als die des Fünf- und Sechsringes, doch ist sie weniger von Ausweichreaktionen, wie ζ. B. der bimolekularen Synthese eines Sechsringes aus zwei C3-Bausteinen (in Analogie zur D i o x a n - [S. 418] oder L a c t o l i d b i l d u n g [S.435]; formulieren!), begleitet. Bei den g r ö ß e r e n R i n g w e i t e n begegnet man erst vom Cyclo-octanring ab ernsteren Schwierigkeiten, auf die wir auf S. 797 f. näher eingehen werden. Die wichtigsten der für die Synthese von Cycloparaffinen gebräuchlichen Methoden sind: Ζ. B. liefert n - H e x a n gegenüber Cyclohexan bereits drei s t r u k t u r i s o m e r e Monos u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e , von denen die in C2- und C3-Stellung substituierten Verbindungen a s y m m e t r i s c h sind und sich in zwei optische Antipoden zerlegen lassen, so daß die Gesamtzahl der Isomeren auf fünf (formulieren!) ansteigt. Ähnlich groß ist der Unterschied der Zahl der D i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e , denn hier stehen den oben abgeleiteten elf struktur- und stereoisomeren Cyclohexanderivaten mit zwei v e r s c h i e d e n a r t i g e n Subs t i t u e n t e n im ganzen 46 isomere n - H e x a n d e r i v a t e gegenüber (formulieren!).

Ringschlußreaktionen

775

1. CH,2 /

-2.\aj"'

CH2-C(COOR)2

CH2-C(COOR)2

Die WuRTZsche Synthese eignet sich insbesondere zum Aufbau des C y c l o p r o p a n - und C y c l o b u t a n r i n g e s , da hier die anderen Methoden häufig versagen. Für die Synthese von Ringen mit m e h r a l s s e c h s Gliedern ist sie wegen des Überwiegens der l i n e a r e n Kondensation zu K e t t e n m o l e k ü l e n (formulieren!) ungeeignet. 2. die trockene Destillation der Calcium- und häufig auch der Thoriumsalze von Diearbonsäuren: CH2—CH2— C

CH2—CHg—C-

CH2 'CH2 \ , C = 0 + CaC03 CH.—CH/

oCa

Sie führt stets zu C y c l o k e t o n e n und hat sich insbesondere zur Synthese des C y c l o p e n t a n - , C y c l o h e x a n - und C y c l o h e p t a n r i n g e s als brauchbar erwiesen. Sie kann aber nach R U Z I C K A (ab 1926) — allerdings nur mit geringer Ausbeute, — auch zum Aufbau h ö h e r g l i e d r i g e r R i n g e (S. 797) verwandt werden. In dem speziellen Fall der Cyclisierung von A d i p i n s ä u r e oder anderer 1 , 4 - P a r a f f i n d i c a r b o n s ä u r e n tritt die Ketonbildung bereits bei der Einwirkung von E s s i g s ä u r e a n h y d r i d ein. Auf die Bedeutung dieser Reaktion zur Konstitutionsbestimmung von Dicarbonsäuren (BLANcache Regel) wurde bereits auf S. 455 hingewiesen.

S. die cyclische Esterkondensation von D i c a r b o n s ä u r e e s t e r n . Sie führt zu c y c l i s c h e n 1 , 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r n und von diesen aus durch Ketonspaltung (S. 497) ebenfalls zu c y c l i s c h e n K e t o n e n : GH2

• CH2X \p I

CH2—CH—Η 50·

COOR

OR

π

—ROH

CH«—CH„V

v, „ /X = 0

> CH2 - CH

COOR

KetonSpaltung

CH,—CH,X >-

/, CH2—CH/



( J = U

776

Die alicyclischen Verbindungen

Die Reaktion findet in ihrer einfachsten Form neben der billigeren Kalksalzdestillation eine nur geringe Anwendung für den Aufbau e m p f i n d l i c h e r S u b s t a n z e n . Dagegen hat sich die d o p p e l t e E s t e r k o n d e n s a t i o n zuweilen zur Synthese cyclischer Naturstoffe bewährt. Als Beispiel sei die für die C a m p h e r s y n t h e s e (III, Kap. 5, II, 2d) wichtige Kondensation von O x a l s ä u r e e s t e r mit 3,3-Dim e t h y l g l u t a r s ä u r e e s t e r (I) zum Ester der A p o c a m p h e r s ä u r e (II) angeführt: CO—OR

I

Η:

CH—COOR

CO

I •f* H3C-—C—CH3 ;

— 2 ROH

CH—COOR

IH3C—C—CH3

CO- -i:H—1COOR 1 Selbst eine d r e i f a c h e E s t e r k o n d e n s a t i o n ist möglich und führt ζ. B. vom M a l o n e s t e r ausgehend zum P h l o r o g l u c i n t r i c a r b o n s ä u r e e s t e r (III): CO:—OR

H-

-CH—COOR

.COOR

^COOR

COI—OR + Hi—CH

X30 —OR

ROOC—CH \H J R O -

CO—(Ή-

— 3 ROH

^CO—CH ROOC—CH

^>CO

\C0—CH

Η

COOR

N

III

\C00R

Als eine Variation dieser Methode muß die c y c l i s c h e K o n d e n s a t i o n von D i c a r b o n s ä u r e d i n i t r i l e n angesehen werden, die von Z I E G L E R insbesondere für den Aufbau h o c h g l i e d r i g e r R i n g e entwickelt wurde (Näheres vgl. S. 797 f.).

4. Auch die Crotonaldehydkondensation (S. 939) findet nur bei m e h r f a c h e r K o n d e n s a t i o n praktische Anwendung zur Synthese von Ring Verbindungen. Sie führt normalerweise direkt zu den m e h r f a c h u n g e s ä t t i g t e n Oxo Verbindungen (oder auch K o h l e n w a s s e r s t o f f e n ) , kann aber in Gegenwart von A m m o n i a k oder primären A m i n e n — wahrscheinlich auf dem Wege einer Anlagerung des Amins an das zunächst ebenfalls entstehende doppelt ungesättigte Cycloketon (ζ. Β. VI) — auch unter Einbau des Stickstoffs in das Ringsystem verlaufen, so daß sie zur Synthese von A l k a l o i d e n geeignet ist. Als Beispiel für den ersten Fall sei auf die Synthese von M e s i t y l e n aus drei Molekülen A c e t o n (S. 123) verwiesen, während eine Reaktion des zweiten Typus in der für die Tropinsynthese (III, Kap. 7, I I I , 4) wichtigen Kondensation von B e r n s t e i n s ä u r e d i a l d e h y d (IV) mit A c e t o n d i c a r b o n s ä u r e e s t e r (V) und M e t h y l a m i n zum T r o p i n o n d i c a r b o n s ä u r e e s t e r (VII) vorliegt: CH2—CH;=0

HJIC—COOR

! CH,—CH

CO --0

— 2 H,0

hA-'COOR

+ CHg

C=0 CH 2 —CH=i—COOR)

vi

CH2—CH-

-CH—COOR

CH2—CH-

-CH—COOR

XHj

YII

Eigenschaften von Ringverbindungen

777

5. Von den sonstigen synthetischen Reaktionen h a t allenfalls noch die Pinakonreduktion (S. 265) von Diketonen Anwendung zum Aufbau cyclischer Verbindungen gefunden: Ο OH CH2—CH2—C—R CH2—CH2—c—R

2 Hydrolyse

OH2—CH2—0—R •2—CIL,—L "

c:

1

O iOH , Neben diesen allgemein anwendbaren Methoden gibt es noch einige spezielle Verfahren, die n u r zum A u f b a u b e s t i m m t e r R i n g s y s t e m e geeignet sind. Als wichtigste Beispiele seien die D i e n s y n t h e s e (S. 789, 947), die zu e i n f a c h u n g e s ä t t i g t e n Cyclohexanderivaten f ü h r t und insbesondere zum A u f b a u p o l y c y c l i s c h e r V e r b i n d u n g e n (S. 806) Anwendung findet, die D i m e r i s a t i o n d e r O l e f i n e zu Verbindungen d e r C y c l o b u t a n r e i h e (S. 784) und d i e C y c l o p r o p a n s y n t h e s e aus aliphatischen D i a z o v e r b i n d u n g e n und O l e f i n e n (S. 782) angeführt (Gleichungen formulieren!). I m physikalischen Verhalten schließen sich die alicyclischen Verbindungen eng an die analogen Substanzen mit offener Kette an. Doch liegen infolge der r e g e l m ä ß i g e r e n M o l e k ü l g e s t a l t , der meist h ö h e r e n D i p o l m o m e n t e und auch des Fortfalles der raumbeanspruchenden Molekülenden die Schmelzpunkte um etwa 30—100°, die Siedepunkte um 10—30° und die Dichtewerte um 10—20% über denen der normalen aliphatischen Verbindungen g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l , wie im einzelnen aus Tab. 36 zu entnehmen ist (vgl. auch Tabelle 4, S. 126): Tabelle 36 Vergleich der p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n von Ring- und K e t t e n v e r b i n d u n g e n gleicher K o h l e n s t o f f z a h l Cyclische Verbindung Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Cyclohexan Cycloheptan

Sdp. —34° 12» 50» 81° 118»

Smp.

D/T. flüssig

—127» — 80° — 93° 6,4» — 12°

0,720/-79» 0,703/0» 0,754/20» 0,779/20» 0,810/20°

Kettenverbindung analoger Struktur Propan n-Butan n-Pentan n-Hexan n-Heptan

Methylcyclopentan Methylcyclohexan

72» 100»

—141° —127»

0,746/20» 0,772/17»

Cyclopentanol Cyclohaxanol Cyclopentanon Cyclohexanon Cyclopropancarbonsäure Cyclopentancarbonsäure Cyclohexancarbonsäure

140» 161» 131» 155» 185" 215» 232»

24» — 53» — 26» 18» — 3» 31»

0,940/21» n-Amylalkohol 0,937/34» n-Hexylalkohol 0,942/22» n-Pentanon-2 0,947/20° n-Hexanon-2 1,088/20° Iso-buttersäure 1,051/20» Diäthylessigsäure 1,025/34° a -Äthylvaleriansäure

2-Methylpentan 2-Methylhexan

Sdp. —45» 1» 36» 69» 98»

Smp.

D/T. flüssig

—190» 0,584/45» —135» 0,600/0» —131° 0,634/150» — 94° 0,660/20» — 90» 0,684/20»

60» 0,658/15° 90» —119» 0,684/15» 138» 156» 102° 127» 154» 194»

— — — — — —

79» 0,887/15» 52° 0,818/20» 84» 0,811/15» 57° 0,830/0° 47» 0,968/0° 15» 0,920/18»

209»

Auch im chemischen Verhalten besteht eine w e i t g e h e n d e A n a l o g i e zwischen beiden Verbindungsreihen, so daß man — von dem speziellen Fall der stark gespannten und daher besonders reaktionsfähigen C y c l o p r o p a n - und C y c l o b u t a n v e r b i n d u n g e n abgesehen — alle bei den normalen aliphatischen Stoffen be-

778

Die alicyelischen Verbindungen

schriebenen Reaktionen grundsätzlich auch bei den alicyclischen Verbindungen beobachtet. Wir brauchen daher an dieser Stelle nur auf die n e u a r t i g e n R e a k t i o n e n einzugehen, von denen insbesondere 1. die R i n g ö f f n u n g s r e a k tionen und 2. die verschiedenen Möglichkeiten zur V e r ä n d e r u n g der Ringweite von allgemeinem Interesse sind. Zu 1. Zur Ringöffnung sind grundsätzlich alle bereits beschriebenen A b b a u r e a k t i o n e n von C—C-Bindungen geeignet, sofern sie nicht (wie ζ. B. die Decarboxylierung) auf dem Angriff der Kette von ihrem Ende her beruhen. Im einzelnen unterscheiden wir die folgenden Möglichkeiten: a) die ο xydative Spaltung cyclischer Ketone bzw. der in diese leicht überführbaren cyclischen Alkohole: CH,—CH 2ί—CH—OH | * | CH2—CHjj—CH2



CH | 2—CH2—CO j CH2—CH2—CH2

. . CH,—CH,—COOH i Oxydation^ | ' CH2—CH2—COOH

Λ

Die Reaktion hat große praktische Bedeutung, insbesondere zur K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g cyclischer Naturstoffe, erlangt, da man aus dem Verhalten der entstehenden Dicarbonsäuren gegen E s s i g s ä u r e a n h y d r i d Rückschlüsse auf die R i n g w e i t e des ursprünglichen Cycloketons ziehen kann (BLANcsche Regel, vgl. S. 455). Sie dient aber auch zur technischen Gewinnung von Dicarbonsäuren, wie die Darstellung der A d i p i n s ä u r e aus Phenol über das Cyclohexanon (S.463) zeigt. b) Unter erheblich milderen Bedingungen verläuft der Ozonabbau (S. 953) einfach ungesättigter Cycloolefine und die Bleitetraacetat- (S. 911) bzw. Perjodsäurespaltung (S. 912) cyclischer 1,2-Glykole, bei denen jeweils Dioxoverbindungen entstehen:

CH2—CH2—CH



CH2—CH2—CH

Hydrieru g

I

II

^

"

CH,—CH,—CH=0 j

CH2—CHa—CH=0

,

CH2—CH2—CH—OH

«

CH 2 -CH 2 -CH-OH

"D(UAC)j

üder H J 0

ι

ί

Die Reaktionen dienen ebenfalls hauptsächlich zur K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g und können im Falle der Bleitetraacetatspaltung auch zur K o n f i g u r a t i o n s b e s t i m m u n g , d. h. zur Entscheidung der Frage, ob die beiden Hydroxylgruppen in cis- oder in t r a n s - S t e l l u n g stehen, mit herangezogen werden (Näheres vgl. S. 912).

c) In dem relativ seltenen Fall des Vorliegens von cyclischen 1,3-Diketonen oder 1 , 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r n kann man auch die auf S. 498 beschriebene Säurespaltung zur Ringöffnung verwenden: CH 2 —CO—CH 2

+ Na0H

CH2—CH2—CO CH2—CH2—CH—COOR

I

CH2—CO—CH3 CH2—CH2—COONa

+, 2 NaOH — ROH

CH,—CH,—CH,—COONa

Praktische Beispiele dieser Art haben wir bereits beim P h l o r o g l u c i n (S. 431) sowie in der Überführung von S a l i c y l s ä u r e in P i m e l i n s ä u r e (S. 489) kennengelernt.

d) Einige weitere spezielle Abbaureaktionen beobachtet man zuweilen bei Cyclobutan- und Cyclohexanderivaten, die u. U. bei hoher Temperatur in Umkehr der O l e f i n d i m e r i s a t i o n bzw. der D i e n s y n t h e s e zerfallen:

Ringspaltung, Ringweitenänderung

779

R—CH—CH—R

hohe Temp.

R—CH=CH—R

R—CH—CH—R

tiefe

R—CH=CH—R

'~

Temp·

,C0X II

I

^

>

/CO

| 4- l| tiefeTemp

\ A < x /

·

%

>0

\

c

< /

e) Eine interessante Möglichkeit zur indirekten Ringöffnung besteht in der (allerdings nur in Einzelfällen durchführbaren) Umlagerung c a r b o c y c l i s c h e r in h e t e r o c y c l i s c h e Verbindungen, deren Ring dann h y d r o l y t i s c h aufgespalten werden kann. Als Beispiele seien die BECKMANNSche Umlagerung (S. 290) der Oxime c y c l i s c h e r K e t o n e und die auf S. 480 beschriebene Überführung cyclischer Ketone in L a c t o n e mittels S u l f o m o n o p e r s ä u r e angeführt: CH,—CH 2 —C=N—OH _ . , , CH2 CH, C—OH & 4 • z ι Beckmann sehe , Λ ,, CH2 —CHj—CHj umlagerung (^CH.-CH.-N -COOH Hydrolyse CH,—CH, 1 x I 2 CO CHj—CHj/

H„ S 0

'

' ,

u „ , |CH,—CH,—CO Hydrolyse^

CH,—CH,—COOH i '

CH2—CHj—Ο

CH2—CH,—OH

f ) Schließlich k a n n man die alicyclische C—C-Bindung auch hydrierend aufspalten. Die Reaktion zeigt eine interessante Abstufung der Spaltungsgeschwindigkeit in Abhängigkeit vom S p a n n u n g s z u s t a n d des Ringsystems, geht aber auch beim u n g e s p a n n t e n C y c l o p e n t a n r i n g noch wesentlich l e i c h t e r vor sich als die Spaltung k e t t e n f ö r m i g e r P a r a f f i n e bei der Hydrierung von Schwer- zu Leichtbenzin (vgl. III, Kap. 1 , 1 , 5 a), wie die folgende Zusammenstellung der günstigsten Reaktionsbedingungen zeigt: Tabelle 37 Die Hydrierungsbedingungen der C—C-Bindung in Abhängigkeit vom Spannungszustand Katalysator Äthylen (z. Vergleich)

Nickel

Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Paraffine (bei Kohlehydrierung)

Nickel Nickel Platin Molybdänsulfid

Temperatur

Druck (in Atmosphären)

40°

1

80° 180° 300° 450°

1 1 1 200—300

Zu 2. I n der Möglichkeit der Änderung der Ringweite alicyclischer Verbindungen begegnen wir einer eigenartigen Gruppe von Reaktionen, deren Verlauf zum Teil noch etwas undurchsichtig ist. Die Zahl der Ringglieder ändert sich jeweils nur um e i n C-Atom, und man k a n n die meisten der unten beschriebenen Reaktionen je nach der Stellung der Substituenten sowohl zur R i n g e r w e i t e r u n g als auch zur R i n g v e r e n g e r u n g verwenden. Am besten untersucht und auch in ihrem Verlauf am leichtesten zu überblicken ist die Ringweitenänderung mit Hilfe der bekannten U m l a g e r u n g s r e a k t i o n e n . So führt ζ. B. die Pinakolinumlagerung (S. 419) cyclischer Pinakone mit zwei e n d o c y c l i s c h e n Hydroxylgruppen zu einer R i n g v e r e n g e r u n g , während umgekehrt bei exocyclischer Stellung einer oder beider Hydroxylgruppen eine R i n g e r w e i t e r u n g beobachtet wird:

780

Die alicyclischen Verbindungen OH

Ο

OH

Pinakolin-TJmlag. (Ringerweiter.)

Pinakolinumlag. (Ringverengerg.)

α,α'-Dioxy-dicyclopentyl Ebenso können die Retropinakolin-Umlagerung (II, Kap. 4, III, 4 b, ε) und die Umlagerung ditertiärer Oletinoxyde in K e t o n e je nach der Lage der ursprünglichen Substituenten sowohl zu einer K i n g v e r e n g e r u n g als auch zu einer R i n g e r w e i t e r u n g verwandt werden: CH,

OH

CH,

•CH Retropinakolin-Umlagerung ι (Ringerweiterung)

!H, CH., CH3

J

Retropinakolin-Umlagerung (ohne Bing Weitenänderung) 75% !

Ha

/ H

\/\qjj

ηI Retropinakolin-TJml. (Ringverengerung) 25%

I X^CI

ch

HgC

CHj

3

,—X

Oleflnoxyd-Umlag. (Ringverengerung)

ο

.CH. CO—CH,

CH,

,—s

.0

C H .3 CH,

Olefinoxyd-Umlag. (Ringerweiterung)

=0 ,ch3 \CH,

Dagegen lassen sich mit Hilfe der Benzilsäure-Umlagerung nur R i n g v e r e n g e r u n g e n ausführen, da von den an der Reaktion beteiligten Carbonyl-C-Atomen n i c h t g l e i c h z e i t i g eine Seitenkette abzweigen kann, wie es für eine R i n g e r w e i t e r u n g erforderlich wäre: ~l=0 =

0

KOH • (/ \ V/ * I

I

0 H

COOK

Eine andere Reaktion, die umgekehrt n u r z u r R i n g e r w e i t e r u n g geeignet ist, liegt in der auf S. 610 beschriebenen Einschiebung einer Methylengruppe zwischen das Carbonyl-C-Atom und einen der Alkylreste eines K e t o n s bei der Einwirkung von D i a z o m e t h a n vor: = 0 + ch

2

© Θ =N=N

ch2 -

Lο

Cyclopropan und Derivate

781

In dem speziellen Fall der Einwirkung von Diazomethan auf I s a t i n (S. 877) findet dieser Einbau der Methylengruppe nicht nur in der erwarteten Weise zwischen dem Benzolkern und der / J - s t ä n d i g e n C a r b o n y l g r u p p e zum 2 , 3 - D i o x y c h i n o l i n , sondern auch zwischen dem Benzolkern und dem I n d o l s t i c k s t o f f zum 3 , 4 - I s o c h i n o l i n s t a t t : + CH,N,

ι

ι Η

1= 0 I

i

ΟΗ Aromatisierung 2,3-Dioxy-chinolin

I η ο

Π

Η Isatin

OH Ο

Ι__+0=£·

!

ΝΗ

V\/\/

OH Aromatisierung

;

-

Ν

W 3,4-Dioxy-isochinolin

Ferner werden auch bei so einfach erscheinenden Reaktionen wie der A b s p a l t u n g der alkoholischen Hydroxylgruppe zu Olefinen, der E i n f ü h r u n g d e r N i t r o g r u p p e nach V. M e y e r oder der Überführung der A m i n o - in die a l k o h o l i s c h e H y d r o x y l g r u p p e mittels salpetriger Säure neben den normalen Umsetzungen (a) häufig u n e r w a r t e t e Ä n d e r u n g e n d e r R i n g w e i t e als Nebenreaktionen (b)> beobachtet, wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht (vgl. auch Π, Kap. 4 r I I I , 4b): ι—!=CHa

(a)

ι—ι—CH,—OH

— H,0_ (b)

/NO, AgNO,

(a) ι—ι—OH

HNO,

HNO,

AR>TO,

(bf~ hno (b)

l

HNO, (b)

—CH,—OH

-OH

Zu den weniger ü b e r s i c h t l i c h verlaufenden Umlagerungsreaktionen gehört insbesondere die bereits auf S. 77 beschriebene reversible Umwandlung von C y c l o h e x a n in M e t h y l c y c l o p e n t a n bei der Einwirkung von f e u c h t e m A l u m i n i u m c h l o r i d (Nenitzesktj 1933). Man muß wegen dieser Möglichkeiten bei der Konstitutionsermittlung c y c l i s c h e r Verbindungen stets b e s o n d e r s s o r g f ä l t i g vorgehen. 2. Die Cycloparaffine und ihre Derivate a) D a s C y c l o p r o p a n u n d s e i n e D e r i v a t e Das Ringsystem des Cyclopropans hat vor allem t h e o r e t i s c h e s I n t e r e s s e gefunden, da es infolge der starken Ringspannung eine u n g e w ö h n l i c h e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t a u f w e i s t . Ferner treten in den Terpenen und Camphern der T h u j a n - und C a r a n g r u p p e (III, Kap. 5, II, 2a u. b) einige kompliziertere Cyclopropanderivate natürlich auf.

Die alicyclischen Verbindungen

782

F ü r die Synthese der Kohlenwasserstoffe der Cyclopropanreihe eignet sich in erster Linie die oben beschriebene innermolekulare WuitTzsche Synthese, d. h. der Umsatz von 1 , 3 - D i h a l o g e n p a r a f f i n e n mit m e t a l l i s c h e m N a t r i u m oder Z i n k (Gleichungen formulieren!), da bei allen anderen Reaktionen zunächst die Derivate entstehen. So erhält man ζ. B. bei der Einwirkung des D i n a t r i u m m a l o n e s t e r s auf Äthylenbromid in der auf S. 775 angegebenen Weise primär die 1,1C y c l o p r o p a n d i c a r b o n s ä u r e , die als Malonsäurederivat zwar leicht Kohlendioxyd zur M o n o c a r b o n s ä u r e abspaltet (Gleichung formulieren!), jedoch bei der Instabilität des Cyclopropanringes n i c h t vollständig decarboxyliert werden kann. Ebenso erhält man aus K e t e n und D i a z o m e t h a n C y c l o p r o p a n o n (in Form des Hydrates), aber auch dieses ist so u n b e s t ä n d i g (s. u.), daß an eine Reduktion zum Kohlenwasserstoff n i c h t gedacht werden kann:

+

V o

- (h/ \

i|H2;c=o)

V o ) /

VCH/

/

7 V

0 H

CH 2 / / ^ O H

Die Darstellung der Cyclopropanderivate geschieht hauptsächlich auf dem auf S. 611 (vgl. auch S. 882) beschriebenen Wege durch thermische Zersetzung der durch Addition von a l i p h a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n an O l e f i n e leicht zugänglichen P y r a z o l i n d e r i v a t e . Diesem Reaktionstypus gehört ζ. B. die soeben angeführte C y c l o p r o p a n o n s y n t h e s e an. Als weiteres Beispiel sei die Synthese der C y c l o p r o p a n - 1 , 2 , 3 - t r i c a r b o n s ä u r e aus Diazoessigester und Maleinsäureanhydrid angeführt: CO CO I I CH-CH ROOC—CH + V® © Ίί—-N

κ°\

CO >

CO

,CH -CH - — ROOr I Hydrolyse kuul—c, . Ν NH

.CH—COOH HOOC—CH CH—COOH

Eigenschaften. Die starke R i n g s p a n n u n g des Cyclopropanringes macht sich insbesondere in einem gegenüber den normalen Paraffinen wesentlich e r h ö h t e n E n e r g i e g e h a l t bemerkbar. Die Energiedifferenz beträgt 10,5 kcal p r o C—CB i n d u n g , also 31,5kcal für das g e s a m t e M o l e k ü l , so daß sich gegenüber der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g (Energiedifferenz zwischen C=C-Doppelbindung und zwei C—C-Einfachbindungen im Mittel 24 kcal pro Mol) sogar noch eine S t e i g e r u n g d e s u n g e s ä t t i g t e n C h a r a k t e r s ergibt. Diese molekulare Energiedifferenz von 31,5 kcal wird nun bei allen Ringöffnungsreaktionen bereits in der e r s t e n R e a k t i o n s s t u f e frei, da sofort die beiden anderen C—C-Bindungen in den ungespannten Normalzustand zurückkehren. Jede S p a l t u n g s r e a k t i o n des C y c l o p r o p a n r i n g e s ist daher gegenüber der analogen Spaltung einer normalen Paraffinkette energetisch um etwa 31 kcal b e g ü n s t i g t , und wir beobachten infolgedessen vielfach ein den ungesättigten Verbindungen ä h n l i c h e s V e r h a l t e n , das u. a. in den folgenden Umsetzungen zum Ausdruck kommt: 1. Ähnlich wie die Olef ine sind auch die Cyclopropanverbindungen zu zahlreichen Additionsreaktionen befähigt, die hier unter Ringöffnung und Anlagerung der Addenden in 1,3-Stellung verlaufen:

Cyclobutan und Derivate /CH 2 —Βγ

/CH

TT r

CH3

2

+ H '80») (Nickel

xj r -Π-2^ CH2

CH2

Br

783

TT r CH3

Alles in allem ist diese Anlagerungsneigung aber trotz der größeren Wärmetönung w e s e n t l i c h g e r i n g e r als in der Olefinreihe. Ζ. B. erfordert die k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g eine um 40° höhere Temperatur (vgl. Tab. 37, S. 779) und die Anlagerung von B r o m oder J o d die Aktivierung durch S o n n e n l i c h t . Ferner wirkt C h l o r nicht mehr spaltend, sondern nur noch s u b s t i t u i e r e n d auf den Cyclopropanring ein, und gegenüber dem typischen Olefinreagens K a l i u m p e r m a n g a n a t sowie auch gegenüber k o n z e n t r i e r t e n M i n e r a l s ä u r e n verhält er sich völlig i n different. 2. Infolge des gegenüber der olefmischen Doppelbindung g e s t e i g e r t e n E n e r g i e g e h a l t e s zeigen sämtliche Cyclopropanderivate die Tendenz zur Umlagerung in Olefine mit offener Kette. So kann man ζ. B. C y c l o p r o p a n beim Leiten des Gases durch ein glühendes Rohr in glatter Reaktion i n P r o p y l e n verwandeln, eine Reaktion, die in Gegenwart von Platin oder anderen Metallkatalysatoren bereits u n t e r 100° vor sich geht: \ρτι

I / CH/

ο

2

Pt < 10()

oder Rotglut

r

Auch wenn andere D o p p e l b i n d u n g e n entstehen können, findet zuweilen eine derartige Umlagerung statt, wie aus der außerordentlich leicht erfolgenden Isomerisierung des C y c l o p r o p a n o n h y d r a t e s zur Propionsäure hervorgeht: CH2 .OH X)

i )c( • CH3—CH2—Q>( x x ch/ oh oh 3. Der Cyclopropanring ist infolge seiner Labilität nicht mehr zur Bildung aller bei den kettenförmigen Verbindungen und den höhergliedrigen Ringen beschriebenen Derivate befähigt. Vor allem ist es n i c h t m ö g l i c h , eine Doppelbindung in den Ring zu legen, also ein Cyclopropen darzustellen, und selbst Verbindungen, in denen vom Cyclopropanring eine s e m i c y c l i s c h e D o p p e l b i n d u n g ausgeht, wie ζ. B. /CHjj Methencyclopropan C H 2 = C i , konnten bisher nicht (oder nur unter SchwierigX CH2 keiten) dargestellt werden. Aus dem gleichen Grunde ist es bisher nicht gelungen, das oben erwähnte sehr labile C y c l o p r o p a n o n h y d r a t zum C y c l o p r o p a n o n zu entwässern. b) D a s C y c l o b u t a n u n d s e i n e D e r i v a t e Auch die Cyclobutanverbindungen sind in erster Linie von t h e o r e t i s c h e m I n t e r e s s e als Übergangsverbindungen von den stark gespannten Cyclopropanderivaten zu den sich bereits normal verhaltenden Verbindungen des C y c l o p e n t a n s und C y c l o h e x a n s . Einige kompliziertere Derivate treten ebenfalls in der belebten Natur auf (vgl. ζ. B. III, Kap. 5, II, 2 c). Die Darstellung der Kohlenwasserstoffe durch d i r e k t e WuKTZsche Synthese aus 1 , 4 - A l k y l e n b r o m i d e n (Gleichungen formulieren!) stößt im Gegensatz zur Cyclopropansynthese eigenartigerweise auf Schwierigkeiten. Sie läßt sich nach W i l l s t ä t t e r mit erträglicher Ausbeute nur nach dem D i n a t r i u m - m a l o n e s t e r v e r f a h r e n durchführen:

Die alicyclischen Verbindungen

784 xCH, -Br + Na. C(

H„C

CH, —Br

COOR COOR

/CH 2 ——r^H,C 2V

-CONH2

CH/

Hofmann'scher Abbau

/

X

COOR COOR

Decarboxylierung H,C 2 Hydrolyse

| .—NH2 MethyI I lierung

/0Η2χ CH—COOH CH,

-N(CH3)3+OH-

Erhitzen Die scheinbar recht umständliche Eliminierung der zweiten Carboxylgruppe verläuft trotz der zahlreichen Reaktionsstufen r e c h t g l a t t und ist typisch für eine Reihe ähnlicher Reaktionen bei anderen cyclischen Verbindungen (vgl. ζ. B. S. 793, 794). Unter diesen Umständen hat die O l e f i n d i m e r i s i e r u n g eine erhöhte praktische Bedeutung als E i n f a l l s t o r in die C y c l o b u t a n r e i h e gefunden. Allerdings ist die Reaktion nur auf Verbindungen mit a k t i v i e r t e r D o p p e l b i n d u n g , wie sie z . B . in der Z i m t s ä u r e (S. 378) oder in den symmetrischen d i a r y l i e r t e n Olef i n e n (S. 141) vorliegen, beschränkt: 2 / N—CH \ / II HOOC—CH

/ \ CH—CH—/ \ / CH—CH—COOH > \ / | | X / oder X / Ι I / \ HOOC—CH—CH—COOH HOOC—CH—CH—< Tmxillsäuren (vgl. S.785)

R e i n a l i p h a t i s c h e Olefine können nur in Ausnahmefällen [z.B. (CH 3 ) 2 C=CH 2 ] zu Cyclobutanderivaten dimerisiert werden. Eigenschaften. Auch der Cyclobutanring weist gegenüber den normalen Paraffinen noch eine gewisse I n s t a b i l i t ä t auf, die einerseits in der bereits bei 180° erfolgenden h y d r i e r e n d e n R i n g s p a l t u n g durch katalytischen Wasserstoff (vgl. Tab. 37, S. 779), andererseits in der in Umkehrung zur Olefindimerisation erfolgenden t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g in zwei O l e f i n m o l e k ü l e zum Ausdruck kommt: CH2—CH2 | | CH2—CH2

CH2—CH3 ζ )—CH—CH—COOH ' , | ; x — / | | Erhitzen , 2 / (1,i ' 18 ° 0) X CH2—CH3 / CH—CH—COOH H o

CH=CH—COOH

Dagegen bereitet es hier keine Schwierigkeiten mehr, eine D o p p e l b i n d u n g in den Ring einzuführen und das C y c l o b u t e n darzustellen, das sich, wie aus der WiLLSTÄTTEBschen Cyclobutansynthese hervorgeht, wie ein n o r m a l e s Olefin verhält. Auch die Gewinnung des wasserfreien Cyclo b u t anons ist grundsätzlich möglich, muß jedoch auf dem folgenden Umweg durch HorMAnnschen Abbau d e r « - B r o m c y c l o b u t a n - c a r b o n s ä u r e durchgeführt werden, da beim Versuch der direkten Dehydrierung des Cyclobutanols A u s w e i c h r e a k t i o n e n erfolgen:

Cyclobutan und Derivate

xBr v

/Br

Ί\

COOH

Br

KOBr, K O H (Hofmann'scher Abbau)

CONHJJ

-ι=ΝΕ

— Η Br

785

Η,Ο

!

XH,

:=°

Erst, wenn man versucht, zwei D o p p e l b i n d u n g e n in den Cyclobutanring einzuführen und das als Benzolanalogon interessierende C y c l o b u t a d i e n mit zwei g e s c h l o s s e n konjug i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n (formulieren!) herzustellen, macht sich wieder die Instabilität des Cyclobutanringes bemerkbar, und man beobachtet A u s w e i c h r e a k t i o n e n :

HBr

C H , — C H — B r (KOH > lOO") I | CH,—CH—Br -2HBr (Chinolin)

—Br

( K f ) l i , £10°/

CH2=CH—CH—CH2

gy TT Ρ Γ»ΧΓ 2 H C = L H

Verharzungsprodukte

Von den Einzelverbindungen der Cyclobutanreihe haben lediglich die Truxillsäuren, denen wir als Dimerisationsprodukte der Z i m t s ä u r e n (s. o.) bereits begegnet sind, ein gewisses Interesse erlangt. Sie treten in z w e i s t r u k t u r i s o m e r e n Formen auf, die tx-Truxillsäure oder Truxillsäure schlechthin und ß- oder IsotruxiUsäure genannt werden, und von denen erstere die folgenden f ü n f : COOH CH,

COOH

COOH

CH, C.H, COOH;

CA CA pen -

COOH epi -

y-

CA ε-

Truxillsäure

und letztere sogar s e c h s g e o m e t r i s c h i s o m e r e Formen erwarten läßt: COOH

COOH

COOH

COOH

COOH COOH

000 C A

Truxillsäure

Aber auch damit sind die Isomeriemöglichkeiten noch n i c h t erschöpft, denn einige dieser 11 Verbindungen sind r ä u m l i c h a s y m m e t r i s c h und lassen sich in o p t i s c h e A n t i p o d e n aufspalten (vgl. II, Kap. 7,1, l a u. c). Alle theoretisch erwarteten Truxillsäuren sind tatsächlich aufgefunden worden und bestätigen damit die Richtigkeit unserer Vorstellungen vom räumlichen Bau der Moleküle. Ihre K o n s t i t u t i o n ergibt sich einerseits aus der (bei höherer Temperatur reversiblen) B i l d u n g a u s Z i m t s ä u r e , andererseits aus dem o x y d a t i v e n A b b a u der Isoverbindungen zu B e n z i l , der f ü r die 1,2-Stellung der Phenyl- und damit auch der Carboxylgruppen in dieser Reihe beweisend ist:

Die alicyclischen Verbindungen

786

HOOC—CH—CH—COOH "Χ

CH

AH

Ζ

-

Ο Ο

' \

_J

Γ

Einige Truxillsäuren treten n a t ü r l i c h als saure Komponente der Ε e g o n i n a l k a l o i d e auf (vgl. III, Kap. 7, I I I , 4b). c) D a s C y c l o p e n t a n u n d s e i n e D e r i v a t e ImCyclopentanring haben wir den ersten wirklich b e s t ä n d i g e n carbocyclischen Ring vor uns, dessen Umsetzungen sich nur noch in wenigen Punkten, wie z.B. den beschriebenen R i n g e r w e i t e r u n g s - und - V e r e n g e r u n g s r e a k t i o n e n , von denen der normalen aliphatischen Paraffinketten unterscheiden. Seine Synthese kann durch eineinnermolekulare WuRTzsche Synthese aus d e n P e n t a m e t h y l e n d i h a l o g e n i d e n erfolgen (Gleichung formulieren!), doch wählt man als Einfallstor in die Cyclopentanreihe meistens das C y c l o p e n t a n o n , das durch Kalksalzdestillation der A d i p i n s ä u r e leicht zugänglich ist und sich etwa auf dem folgenden Wege in die wichtigsten anderen C y c l o p e n t a n d e r i v a t e überführen läßt: CH2—CH2—COOH CH2—CH2—COOH

GH»—CH,\ Kalksalzdestillation

Ο

· "· v

CH»—CH,

Adipinsäure

Cyclopentanon

KCN

C=N

J

• HHal

-Hai

Cyclopentylcyanid

Cyclopentylhalogenid

jHydrolyse

_/ I

r>

COOH

Cyclopentan-carbonsäure

Cyclopenten

B r

— L >

Cyclopentadien

OH

Cyclopentanol P Hai,

1

XH

CH«—CH«

>C

&

/

Dibromcyclopentan

·· Br,

|

|+H

ä

Cycl opentan

Die g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e der Cyclopentanreihe bieten nur geringes Interesse. Cyclopentan selbst kommt im k a u k a s i s c h e n und in geringer Menge auch im a m e r i k a n i s c h e n E r d ö l vor und zeigt alle Eigenschaften eines normalen P a r a f f i n s . Ähnlich verhält sich das einfach ungesättigte Cyclopenten wie ein normales O l e f i n .

Erst im Cyclopentadien begegnen wir einer interessanteren Substanz. Es entsteht in der angegebenen Weise durch Addition von Brom an C y c l o p e n t e n und anschließende Abspaltung von z w e i M o l e k ü l e n Bromwasserstoff und zeigt eine gegenüber den normalen 1,3-Dienen nochmals g e s t e i g e r t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t . Insbesondere vermag es trotz des Fehlens einer endständigen Doppelbindung zu p o l y m e r i s i e r e n und ist zur DiELs-AtDERSchen D i e n s y n t h e s e (S. 947) befähigt. Ferner besitzt es eine für einen Kohlenwasserstoff außerordentlich stark a k t i v i e r t e M e t h y l e n g r u p p e , die mit metallischem K a l i u m unter W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g reagiert (vgl. II, Kap. 4, III, 4b):

I



Ι

C H - K + Va H 2

! = /

Auch gegenüber O x o v e r b i n d u n g e n zeigt die CH 2 -Gruppe eine e r h ö h t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t und ist zu ähnlichen K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n be-

Cyclopentan und Derivate

787

fähigt wie die durch C a r b o n y l - oder N i t r o g r u p p e n aktivierten Methylengruppen. Hierbei entstehen sehr interessante ungesättigte Verbindungen mit „verzweigt" konjugierten Doppelbindungen, die Fulvene genannt werden:

/

.CH,

— Η ,0_

0:0 CH,

(xäöSr

CH3 Bimethyl-fulven

Die auffallendste Eigenschaft der Fulvene ist ihre F a r b i g k e i t , die bei keiner anderen Verbindungsklasse mit nur drei konjugierten olefinischen Doppelbindungen beobachtet wird und ohne Zweifel auf die eigenartigen B i n d u n g s v e r h ä l t n i s s e des Cyclopentadienringes zurückzuführen ist. Die Farbe schlägt bei Vergrößerung des konjugierten Systems, insbesondere bei paarweiser Substitution der M e t h y l g r u p p e n durch D i p h e n y l e n r e s t e , von Gelb über Orange nach R o t um (vgl. S. 836). Im übrigen sind die Fulvene, namentlich das einfache nicht substituierte Fulven selbst, sehr u n b e s t ä n d i g e und r e a k t i o n s f ä h i g e Substanzen.

Von den K e t o n e n der Cyclopentanreihe haben wir das Cyclopentanon als Ausgangsverbindung für die Gewinnung der meisten anderen Cyclopentanderivate bereits kennengelernt. Es zeigt — abgesehen von seinem (durch ein relativ hohes elektrisches D i p o l m o m e n t bedingten) unerwartet h o h e n S i e d e p u n k t (vgl. Tab 36, S. 777) — keine besonderen Eigenschaften. Dagegen liegt ein sehr interessantes P o l y k e t o n in dem (nur in Form seines T e t r a h y d r a t e s existenzfähigen) Cyclopentapenta-on vor. Es entsteht bei der alkalischen Oxydation von H e x a o x y b e n z o l (S. 432) über das in alkalischem Medium nicht faßbare T r i c h i n o y l (S. 791) und die daraus durch R i n g v e r e n g e r u n g im Rahmen einer B e n z i l s ä u r e u m l a g e r u n g (mit anschließender Decarboxylierung) hervorgehende K r o k o n s ä u r e : H0\

/OH

HO—/

%—OH

HO

OH

-3H,

° V

=0

/

Benzilsäureumlagerung

— ^

.COOK O

H

Trichinoyl

/OH >-0H

Ox

A

o ^ v

Hexaoxybenzol

Decarboxylierung, Bildung der Endiolform

X 0=

-H,

ΛΧ

HO



Krokonsäure

+ 4H.0

OH OH OH HO

Cyclopenta-penta-on

>=o

OH OH OH Leukonsäure

Das Cyclopenta-penta-on zeigt, in Analogie zur M e s o x a l s ä u r e und ihren Derivaten (S. 494), infolge der Nachbarstellung aller Carbonylgruppen eine starke Tendenz zur H y d r a t i s i e r u n g und ist nur in Form des T e t r a h y d r a t e s beständig, das infolge der Anhäufung negativer Gruppen s a u e r ragiert und den Namen Leukonsäure erhalten hat. Da der Kohlenstoff in ihr k e i n e n W a s s e r s t o f f mehr gebunden enthält, kann man die Leukonsäure — ähnlich wie die M e i l i t h s ä u r e (S. 472) — als eine Art „ U n t e r k o h l e n s ä u r e " auffassen. Leukonsäure ist eine relativ b e s t ä n d i g e Substanz und zeigt im wesentlichen die der angegebenen Konstitution entsprechenden Reaktionen eines P e n t a k e t o n h y d r a t e s . Ζ. B. entsteht mit H y d r o x y l a m i n ein P e n t o x i m und mit o - P h e n y l e n d i a m i n (S. 574) ein Dic h i n o x a l i n d e r i v a t (I), dessen letzte freie Carbonylgruppe ebenfalls noch zu Carbonyl reaktionen (ζ. B. zur Bildung des Oxims II) befähigt ist:

788

Die alicyclischen Verbindungen

Ο — 8HaO

i ^ V ^ V

i

T

ΝΟΗ Ύ

Τ

T

W

1

Η,ΝΟΗ II

Beim Versuch der E n t w ä s s e r u n g zum Cyclopenta-penta-on zerfällt die Leukonsäure in fünf Moleküle K o h l e n o x y d , was bei der großen Bildungstendenz dieses Gases verständlich erscheint. Die bei der Leukonsäurebildung als Zwischenprodukt auftretende Krokonsäure liegt praktisch ausschließlich in der angeführten E n d i o l f o r m vor, deren Bildung durch die Konjugation der olefinischen mit drei C a r b o n y l d o p p e l b i n d u n g e n begünstigt wird. Sie reagiert als Endiol s t a r k s a u e r und ist außerordentlich l e i c h t o x y d i e r b a r .

Auch vom Cyclopentan leiten sich zahlreiche Carbonsäuren ab, die mit Hilfe der bekannten synthetischen Verfahren leicht gewonnen werden können und, soweit der Cyclopentanring mehrere Substituenten enthält, ebenfalls in mehreren raumisomeren Formen auftreten. Sie haben zum Teil als Abbauprodukte komplizierter Naturstoffe für deren K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g spezielle Bedeutung erlangt. Als Beispiele zweier n a t ü r l i c h vorkommender Cyclopentencarbonsäuren seien die -(CH2)12—COOH

und die um 2 C-Atome ärmere

Chaulmoograsäure

|

(CH2)10—COOH Bydnocarpussäure

genannt. Sie sind beide in Form ihrer E s t e r im Chaulmoograöl, dem Samenöl einiger Hydnocarpusarten, enthalten und stellten lange Zeit die einzigen bisher mit Erfolg gegen Lepra angewandten Therapeutika dar. d) Das Cyclohexan und seine D e r i v a t e Im Cyclohexanring liegt das bei weitem wichtigste alicyclische Ringsystem vor. Denn abgesehen davon, daß sich von ihm die wichtige natürliche Verbindungsklasse der c y c l i s c h e n Terpene und Campher (vgl. ΙΠ, Kap. 5, II) ableitet, stellen die Cyclohexanderivate die g e s ä t t i g t e n M u t t e r s u b s t a n z e n der Gesamtheit der a r o m a t i s c h e n Verbindungen dar und werden daher häufig auch hydroaromatische Verbindungen genannt. Η Η Hj Hj Η Η

Benzol (aromatische Reihe)

Hg Hg

Cyclohexan (hydroaromatische Reihe)

Infolge dieser nahen Beziehungen zwischen beiden Reihen leitet sich die Nomenklatur der Cyclohexanverbindungen vielfach direkt von der der B e n z o l d e r i v a t e ab. So bezeichnet man ζ. B. die D i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e , in denen die Substituenten an verschiedenen C-Atomen stehen, ebenfalls als o-, m- und φ-, sowie die T r i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e als sym-, as- und vic-Verbindungen. Ferner werden vielfach die Trivialnamen der aromatischen Reihe beibehalten, und man

Cyclohexan und Derivate s p r i c h t v o n Hexahydro-toluol,

Hezahydro-benzoesäure,

789 Hexahydro-phthalsäure

usw.,

statt umgekehrt die Namen der „ u n g e s ä t t i g t e n " a r o m a t i s c h e n V e r b i n d u n g e n von denen der g e s ä t t i g t e n C y c l o h e x a n d e r i v a t e abzuleiten. Eine gewisse Schwierigkeit bereitet lediglich die Unterscheidung der beiden Verbindungsreihen in der a b g e k ü r z t e n S c h r e i b w e i s e , da das für den Benzolring allgemein gebräuchliche e i n f a c h e S e c h s e c k gleichzeitig das Symbol für den alicyclischen Cyclohexanring darstellt. Hier hilft man sich in der Weise, daß man bei den Cyclohexanderivaten entweder alle Η - A t o m e m i t s c h r e i b t , oder den hydrierten Zustand durch ein großes Η in der Mitte des Ringes andeutet, während der Benzolring meistens ohne A n g a b e der H - A t o m e , gegebenenfalls unter Einzeichnung der Doppelbindungen, wiedergegeben wird:

Η2κ \

/ \ w x/

n /vw 2

H2 H2 S c h r e i b w e i s e n des C y c l o h e x a n r i n g e s

S c h r e i b w e i s e n des B e n z o l r i n g e s

Für den Cyclohexanring sind eine große Anzahl von Synthesen bekannt, von denen hier nur kurz auf die innermolekulare W U R T Z sehe Synthese aus H e x a m e t h y l e n d i b r o m i d , die Kalksalzdestillation von P i m e l i n s ä u r e (Gleichungen formulieren!) sowie die auf S. 123 bereits angeführten Synthesen des Benzolringes (mit anschließender Hydrierung) hingewiesen sei. Eine praktische Bedeutung kommt allen diesen Reaktionen n i c h t zu, da die hydroaromatischen Verbindungen allgemein sehr bequem durch H y d r i e r u n g a r o m a t i s c h e r S u b s t a n z e n (vgl. S. 128) gewonnen werden können. Von speziellen Reaktionen hat lediglich die D I E L S - A L D E R s e h e D i e n s y n t h e s e ein größeres Anwendungsgebiet zur Synthese komplizierterer Cyclohexenderivate gefunden (vgl. auch S. 806): /CO

I

+ Ii

/ X /

>

C 0

- Ii I

\

/ X /

>

COOH

II I

Die Cyclohexanderivate zeigen — von dem interessanten sterischen Aufbau des Cyclohexanringes abgesehen (vgl. II, Kap. 7, IV, 1) — weder in ihren physikalischen noch in ihren c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n nennenswerte Unterschiede gegenüber den normalen aliphatischen Verbindungen. Als einzige speziell für die Cyclohexanreihe charakteristische Reaktion muß die dreifache D e h y d r i e r u n g zu B e n z o l d e r i v a t e n hervorgehoben werden, die infolge der großen Bildungstendenz des Benzolsystems — namentlich bei m i t t l e r e n T e m p e r a t u r e n (vgl. S. 134) — wesentlich l e i c h t e r erfolgt als die Dehydrierung der normalen Paraffine zu Olefinen (S. 88) und insbesondere in Form der von D I E L S eingeführten S e l e n d e h y d r i e r u n g (Näheres vgl. S. 916) ein großes praktisches Anwendungsgebiet gefunden hat. Die A r o m a t i s i e r u n g s t e n d e n z bei diesen Dehydrierungsreaktionen ist so groß, daß häufig auch Alkylreste an q u a r t ä r e n R i n g - C - A t o m e n (ζ. B. an den Verzweigungs-CAtomen mehrgliedriger Ringsysteme), die die Aromatisierung verhindern würden, abges p a l t e n werden oder an ein N a c h b a r a t o m wandern. Beide Möglichkeiten treten nach LINSTEAD bei der Dehydrierung des 9 - M e t h y l d e k a l i n s (III), (vgl. auch S. 803) nebeneinander auf: CH, CH3 Ha H2 nS I

51

i:

Klages,

| +

s 5 H

2

*

4UÜ° ~

Η^

^^H

2 H

Κ 2

2

\ / \ /

H

L e h r b u c h der O r g a n i s c h e n C h e m i e I , 2.

2

w l ' ^

" |

II

| +

CH4 +

4H

2

Die alicyoliachen Verbindungen

790

Auch in der leicht erfolgenden I s o m e r i s i e r u n g dreifach ungesättigter Cyclohexanverbindungen mit einer e x o - oder s e m i c y c l i s e h e n Doppelbindung zu Benzolderivaten, wofür ein Beispiel aus der Terpenreihe angeführt sei (A. K L A G E S 1 9 0 6 ) : CH3

Qjj

/

\

Qjj

\ ^ * Erwärmen qjj / \QJJ Eisessig—HCl 2-Methyl-mentha-trien-2,6,8(9) 2-Metliyl-cymoI oder in der in Gegenwart von Hydrierungskatalysatoren bereits bei 35° vor sich gehenden D i s p r o p o r t i o n i e r u n g des Cyclohexadiens und Cyclohexens zu C y c l o h e x a n und B e n z o l kommt diese starke Aromatisierungstendenz zum Ausdruck: \

3

Λ

JP'i.

:+2< Η

\

\ = /

^

\ = /

+

+

\ i /

Einzelverbindungen: Die Grundverbindung der Reihe, das Cyclohexan selbst, wird durch Hydrierung von B e n z o l im großen gewonnen und gilt als Prototyp eines C y c l o p a r a f f i n s . Es dient wegen seiner Einheitlichkeit (im Gegensatz zu den meistens in Form von G e m i s c h e n vorliegenden kettenförmigen Paraffinen) häufig als b e n z i n a r t i g e s L ö s u n g s m i t t e l und wird auch vielfach als Ausgangssubstanz zum Studium von S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n in d e r P a r a f f i n r e i h e verwandt, da es infolge der Gleichwertigkeit aller C-Atome nur ein M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t liefert (vgl. S. 774). Von den höheren H o m o l o g e n d e s C y c l o h e x a n s haben vor allem das als M e n t h a n schlechthin bezeichnete p-Menthan (IV) und das weniger wichtige . -—. , \—. , m-Menthan (V) eine gewisse Bedeutung als Muttersubstanzen — Η ^ — Η — z a h l r e i c h e r C a m p h e r und T e r p e n e erlangt. Beide KohlenWasserstoffe entstehen als Endprodukte der Reduktion bzw. Iv v Hydrierung der natürlichen T e r p e n e und C a m p h e r , kommen aber selbst n i c h t in der Natur vor.

Das einfach ungesättigte Cyclohexen stellt man am besten durch Wasserabspaltung aus C y c l o h e x a n o l dar (Gleichung formulieren!). Es verhält sich wie ein normales Olefin und dient als Ausgangsmaterial für die Gewinnung des 1,3-Cyclohexadiens: \ ^ \ 11 / •ΒΓ (Chinolin) \ = / ' Cyclohexen 1,3-Cyclohexadien das ebenfalls in jeder Beziehung mit einem normalen 1,3-Dien verglichen werden kann. So ist es ζ. B. zur DiELs-ALDERschen Diensynthese befähigt (vgl. S. 806) und zeigt im Gegensatz zum C y c l o p e n t a d i e n keine besondere Aktivität der Methylengruppen. Erst nach Einführung der d r i t t e n D o p p e l b i n d u n g in der auf S. 118 gezeigten Weise verschwindet der olefinische Charakter, und wir kommen zum a r o m a t i s c h e n Benzol. Außer dem 1,3- ist auch ein 1,4-Cyclohexadien

mit zwei i s o l i e r t e n Doppel-

bindungen bekannt, das zuweilen neben der häufigeren 1,3-Verbindung als Nebenprodukt entsteht. Es zeigt k e i n e b e s o n d e r e R e a k t i o n s f r e u d i g k e i t mehr und lagert sich leicht in das energetisch begünstigte 1,3-Dien um. Hinsichtlich seiner Konstitution konnte es durch O z o n i -

Cyclohexan und Derivate

791

s i e r u n g oder anderweitigen o x y d a t i v e n A b b a u (zu zwei Molekülen M a l o n s ä u r e , formulieren!) eindeutig aufgeklärt werden. Weitere ungesättigte Kohlenwasserstoffe der Cyclohexanreihe werden wir später in den c y c l i s c h e n T e r p e n e n kennenlernen (III, Kap. 5. II).

Von den Halogenderivaten des C y c l o h e x a n s muß vor allem das bei der Anlagerung von Chlor an Benzol entstehende Hexachlor-cyclohexan erwähnt werden. Es tritt wie der I n o s i t (s. u.) in s i e b e n d i a s t e r e o m e r e n F o r m e n (Näheres vgl. II, Kap. 7, I, lc) auf, von denen die y-Form unter den Decknamen Gammexan, 666, HCH usw. als wichtiges K o n t a k t i n s e k t i c i d Verwendung findet (ähnlich dem DDT, S. 168). Auch die d - V e r b i n d u n g (Dexan) ist für Kleinlebewesen toxisch, zeigt jedoch eine mehr b a k t e r i c i d e W i r k u n g . Cyclohexanol (Cyclohexylalkohol) Η OH ist als Endprodukt der Hydrierung von P h e n o l der am leichtesten zugängliche c y c l i s c h e A l k o h o l . Es ist eine ziemlich dickflüssige, campherartig riechende Substanz, die bereits bei 25° erstarrt, jedoch aus den beim Glycerin angeführten Gründen (S. 420 Anm.), sowie auf Grund ihrer ungewöhnlich h o h e n k r y o s k o p i s c h e n K o n s t a n t e n (vgl. Tab. 38, S. 807), bei normaler Temperatur meistens in f l ü s s i g e r F o r m vorliegt. Ein z w e i w e r t i g e r A l k o h o l des Cyclohexans ist der Chinit, der durch Hydrierung von H y d r o c h i n o n oder C h i n o n (daher der Name!) gewonnen wird und in einer eis- und einer t r a n s - F o r m auftritt (vgl. II, Kap. 7, I, 1, c): Ο

OH

Ii O

OH

ι

cis-Chinit

trans-Chinit

Ebenso kann man die auf S. 427f. beschriebenen P o l y p h e n o l e durch Hydrierung in c y c l i s c h e P o l y a l k o h o l e überführen, die sehr komplizierte Stereoisomerie-Er3cheinungen (vgl. II, Kap. 7,1, lc) zeigen. Eine größere Bedeutung haben nur die bereits den K o h l e n h y d r a t e n nahestehenden und auch dort beschriebenen (III, Kap. 4, II, 5) I n o s i t e und Querc i t e erlangt.

Cyclohexanon Η ^>=0 , das einfachste K e t o n der Cyclohexanreihe, entsteht als schwer faßbares Zwischenprodukt bei der Reduktion von P h e n o l zu C y c l o h e x a n o l und wird daher meistens rückwärts durch Oxydation von C y c l o h e x a n o l dargestellt (Gleichung formulieren!). Es ähnelt in seinen Eigenschaften dem C y c l o p e n t a n o n und zeigt ebenfalls einen unerwartet h o h e n S i e d e p u n k t (vgl. Tab. 36, S. 777), hat aber bei der leichten Hydrierbarkeit der aromatischen Verbindungen keine analoge Bedeutung als Einfallstor in die Cyclohexanreihe erlangt. Auch in der Cyclohexanreihe sind einige P o l y k e t o n e von allgemeinem Interesse. So sind wir dem symmetrischen Triketon als Ketoform des P h l o r o g l u c i n s (S. 430) bereits früher begegnet. In ähnlicher Weise ist das 8,ä-Diketocyclohexen tautomer mit R e s o r c i n (S. 429) und schließlich liegt im Triehlnoyl (der Name leitet sich von der dreifachen Chinongruppierung in einem Ring ab) das der (wasserfreien) Leukonsäura entsprechende Cyelohexahexa-on vor, das aber ebenfalls nur in Form eines T e t r a h y d r a t e s existenzfähig ist. Es wird durch s a u r e O x y d a t i o n (z.B. mit Salpetersäure) von H e x a o x y b e n z o l oder dem leichter zugänglichen l , 2 , 4 , 5 - T e t r a o x y - 3 , 6 - d i a m i n o b e n z o l gewonnen, da in saurem Medium die oben beschriebene Ringverengerung zu Krokonsäure n i c h t m ö g l i c h ist: 51·

Die alicyclischen Verbindungen

792

Ο

Ho HO

\X/ A:Η

Ο

oH

Ο

οχ — 3H,_ + 4 HjO

•4HaO

ΝΗ I ,0

HO.

Hy

drolyse

OH

η ο Λ ^ Ο Η νη2

< / Γ \ >

Ο

Ο

ΝΗ2 1 OH

ΝΗ

ο Trichinoyltetrahydrat zerfäUt wie die Leukonsäure beim Versuch der Entwässerung quantitativ in K o h l e n o x y d und Wasser. Auch Alkalien gegenüber ist es sehr unbeständig, da diese sofort die beschriebene Benzilsäureumlagerung zur Krokonsäure (vgl. S. 787) bewirken.

Cyclohexancarbonsäuren sind in großer Zahl bekannt. Sie treten mit Ausnahme der einfachen Hexahydrobenzoesäure ebenfalls in mehreren r a u m i s o m e r e n F o r m e n auf, haben aber nur geringes Interesse gefunden. Eine komplizierte T e t r a o x y - h e x a h y d r o b e n z o e s ä u r e liegt in der Chinasäure (V) vor, die auf Grund ihres Vorkommens in der Chinarinde ihren Namen erhalten hat. Ihre Konstitution ergibt sich nach H. 0 . Fischer (1932) in sehr eleganter Weise aus der Tatsache, daß das beim (hier vereinfacht wiedergegebenen) Curtittsschen Abbau des C h i n a s ä u r e - a z i d s entstehende T r i o x y c y c l o h e x a n o n (VI) mit Phenylhydrazin k e i n O s a z o n liefert, sich also in Orthostellung zur Carboxylgruppe k e i n e O x y g r u p p e befinden kann. Dies ist nur bei der angenommenen Konstitution eines 3 , 4 , 5 - T r i o x y c y l o h e x a n o n s möglich: H0 X

> - x .OH HO-/ Η V \ - /\C00H HO/ ν H0 V HOH0ϊX/

„ t. .s , ,,r f:ur, '"r "" Abbau

H >=0

/ HOx / > \ /OH > HO-/ Η V \ \ --/\NH2 \ HO/

C,H.—.\H-XH,

kein Osazon.

vi

Bezüglich der Konfigurationsbestimmung der Chinasäure vgl. II, Kap. 7, II, 3. Der Chinasäure sehr nahe verwandt ist die in den Früchten von Illicium religiosum auftretende Shikimisäure. Sie geht in der Pflanze wahrscheinlich durch W a s s e r a b s p a l t u n g aus Chinasäure hervor.

HO -COOH

HOHO

Shikimisäure

e) D a s C y c l o h e p t a n u n d s e i n e D e r i v a t e Die Cycloheptanverbindungen treten an allgemeiner Bedeutung bereits etwas zurück und bieten nicht viel Neues. Immerhin kommen sie zuweilen auch in der b e l e b t e n N a t u r vor. Ζ. B. enthalten die A z u l e n e (S. 804) und die Alkaloide der T r o p i n r e i h e (III, Kap. 7, III, 4a u. b) einen in ein b i c y c l i s c h e s R i n g s y s t e m eingebauten siebengliedrigen Ring. Der Cycloheptanring ist den meisten synthetischen Reaktionen n i c h t m e h r z u g ä n g l i c h , d a b e i seiner Ringgröße die z w i s c h e n m o l e k u l a r e Atom ve rknüpfung bereits l e i c h t e r als der innermolekulare Ringschluß erfolgt. Nur die trockene Destillation von k o r k s a u r e m K a l k (Calciumsuberat) führt in geringer Ausbeute zum Cyclohe/ptanon, das auf Grund dieser Bildungsweise den Namen Suberon erhalten h a t :

Cycloheptan und Derivate

CH2—CH2—CHj—C qKJCI

793

CH 2'—CHJ—CHJ

Destillation , 5 % Ausbeute)

C = 0 + CaCO, CH2—CH2—CH 27

Λ Ο Um so wichtiger als s p e z i e l l e B i l d u n g s w e i s e eines siebengliedrigen Ringsystems ist die beim Erwärmen auf 160° spontan eintretende Umlagerung des durch Anlagerung von D i a z o e s s i g e s t e r an Benzol leicht erhältlichen P s e u d o p h e n y l e s s i g e s t e r s (I; vgl. S. 128, 804) in den Cycloheptatrien-carbonsäureester (II):

I

II -j- N2CH—COOR

I

|>CH—COOR

-

I

^

^

V-COOR II

Ferner gelangt man vom Tropin aus durch Elimination des Stickstoffs auf dem Wege der z w e i m a l i g e n e r s c h ö p f e n d e n M e t h y l i e r u n g nach A. W. HOFMANN zum Cy c l o h e p t a t r i e n :

CH A—CH, 0H—OH |

X—CH, CH

j

CH2—CH

I

CH2

CH2—CH

Tropin

_JL·i^P^Ji^y.'i«™?».

I

Hofmann'scher Abbau

CH2

Tropidln

CHj—CH

CH

J'//TH \ Λ(011 3)2 v

CH2—CH

/STI Oll 1

CH=CH—CH -- erschöpfende Methylierung ^Z—, ;— rrr Hofmann scher Abbau

*

1LT Oll |

- CH

des-Methyl-tropidin

Oyclohepta-trien

Der Cycloheptanring steht trotz seiner wesentlich schwierigeren Bildung hinsichtlich der B e s t ä n d i g k e i t dem Cyclopentan- und Cyclohexanring n i c h t n a c h , da die geringere Bildungstendenz in diesem Fall nicht energetisch, sondern s t e r i s c h , d . h . durch das schwierige Sichfinden der Molekülenden beim Schließen des Ringes bedingt ist. Von seinen Derivaten muß vor allem das interessante Cycloheptatrien hervorgehoben werden, das neben Benzol die erste cyclische Verbindung mit d r e i k o n j u g i e r t e n R i n g d o p p e l b i n d u n g e n darstellt, der wir begegnen. Es verhält sich im Gegensatz zum Benzol wie ein normales a l i p h a t i s c h e s P o l y e n (ζ. B. verharzt es schnell an der Luft), weil hier infolge der ungeraden Gliederzahl die Bildung eines geschlossen konjugierten Doppelbindungssystems u n m ö g l i c h ist. Das interessanteste Cycloheptatrienderivat ist ohne Zweifel das Tropolon genannte l-Oxy-cycloheptatrien-on-2, das auf Grund der eigenartigen M e s o m e r i e v e r h ä l t n i s s e (insbesondere seines A n i o n s ) das einzige Cycloheptanderivat mit a r o m a t i s c h e m C h a r a k t e r darstellt. Seine Existenz und Eigenschaften wurden 1945 von M. J . S. D E W A R auf Grund t h e o r e t i s c h e r Ü b e r l e g u n g e n vorausgesagt, worauf in II, Kap. 3, III, 2 näher eingegangen wird. Seine Synthese aus S u b e r o n gelingt nach J . W. C O O K (1951) verhältnismäßig einfach auf dem folgenden Wege.

794

Die alicyclischen Verbindungen ,0

(X V _SeO. |x

Ä)

0. Ä) Ο. /OH Ο. .OH BrvVy.Br \ / xBr V / ι _+_3Br, Υ • _ NaOH •< + Η, _ — 4ΗΒΓ~* ί - · II Ii.( Hllr, \ / Enolisieruiii») \ // (Pd) Suberon Cycloheptadion Tropolon Das Tropolonsystem t r i t t verschiedentlich auch n a t ü r l i c h auf, ζ. Β. im Colc h i c i n (III, Kap. 7, III, 6d). /

f) D a s C y c l o - o c t a n u n d s e i n e D e r i v a t e Das Cyclo-octan gehörte früher bereits zu den s c h w e r z u g ä n g l i c h e n V e r b i n d u n g e n , da die Bildungstendenz des achtgliedrigen Ringes nur mehr sehr gering ist. Als Ausgangsmaterial für seine Herstellung diente damals ausschließlich das Alkaloid P s e u d o - p e l l e t i e r i n (III, Kap. 7, I I I , 4c), das bereits ein Cyclo-octangerüst enthält und sich nach W I L L S T Ä T T E K (1912) auf dem folgenden umständlichen — dem Tropinabbau zum Cycloheptatrien analogen — Wege i n C y c l o - o c t a - t e t r a e n (und von diesem ausgehend in verschiedene andere Cyclo-octanderivate) überführen läßt: CH»—CH - CHo I I | / H ch2 nch3 c { I I I oh CH2—CH - CH2 N-Methyl-granatoliu

+H

Pseudo-pelletierin

CH II CH

CHa—CH 1. erschöpf. Methylier. Hofmann'scher Abbau CH2 N(CH3

ΗΟ *

2. erschöpf. Methylier. Hofmanu'scher Abbau

CH I CH,

CH—CH II CH

CH2—CH=CH Cyclo-octa-trien

CH des-IMmethylgranateniu HO(CH3)3N

Br

CH—CH=CH I I CH2 CH I II CH,—CH—CH

CH2—CH CH 11 I I CH* NCH3 CH I, I I CH2—CH - CHj N-Methylgranatenin

CH- -CH=CH I I CH,2 CH 1 11 II -CH

2 N'(CH, (2 AgOH)

CH—CH=CH 3. Hofmann- CH CH scher Abbau ^ ^ CH=CH—CH Cyclo-octa-tetraen

Br i(CH3)3OH Dibrom-cyclo-octa-dien Heute dient als wichtigstes Einfallstor in die Chemie des Cylo-octans das C y c l o o c t a - t e t r a e n , das man nach R E P P E (1945) durch T e t r a m e r i s i e r u n g v o n A c e t y l e n unter Druck an N i c k e l c y a n i d - oder - r h o d a n i d - k a t a l y s a t o r e n bei mäßig erhöhten Temperaturen in bis zu 70%iger Ausbeute erhält: Η Ck

Η -;C HC

+

HCs Η

CH CH

Cyclo-octan und Derivate

795

Aber auch auf anderem Wege — ζ. B. mit Hilfe der auf S. 797 beschriebenen cyclischen Kondensation von D i c a r b o n s ä u r e - d i n i t r i l e n in großer Verdünnung (ZIEGLER 1933) oder durch D i m e r i s i e r u n g v o n B u t a d i e n bei erhöhter Temperatur (ZIEGLER 1947) — kann man heute bereits auf synthetischem Wege in die Cyclo-octanreihe eindringen: YCH,

/

XaX

\ rΟΞΞΧ -

_

_M\w,

{ I

Q = \

,=NNa I C=N

_ _ Hydrolyse Decarboxyiier.

ι |

|

Μ ----Trotz der relativ schwierigen Bildung des Cyclo-octanringes zeigen auch die Cyclo-octanderivate die g l e i c h e B e s t ä n d i g k e i t wie die analogen Verbindungen des C y c l o p e n t a n s , C y c l o h e x a n s oder C y c l o h e p t a n s . Wir können uns daher hier auf die Beschreibung des wichtigsten Cyclo-octanderivates, des Cyclo o c t a - t e t r a e n s beschränken. Cyclo-octa-tetraen beansprucht a i s h ö h e r e s V i n y l e n - h o m o l o g e s des B e n z o l s mit einem g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n S y s t e m von vier C=C-Doppelbindungen in erster Linie t h e o r e t i s c h e s I n t e r e s s e . Doch wurden, wie wir in II, Kap. 3, III noch eingehend erörtern werden, die seinerzeit an seine Darstellung geknüpften Erwartungen n i c h t e r f ü l l t , denn es erwies sich im Gegensatz zum sehr s t a b i l e n und f a r b l o s e n aromatischen Benzol als eine u n b e s t ä n d i g e g e l b e Flüssigkeit, die das typische Verhalten eines a l i p h a t i s c h e n P o l y e n s zeigt, ζ. B. in der Hitze sehr rasch (und bei längerem Stehen auch in der Kälte) p o l y m e r i s i e r t , an der Luft A u t o x y d a t i o n erleidet usw. Bei den e i n h e i t l i c h verlaufenden Reaktionen beobachtet man weiterhin häufig eine starke Tendenz des Moleküls, unter Umgruppierung der C-Atome ein a r o m a t i s c h e s B e n z o l - oder ein bicyclisches C y c l o h e x a d i e n d e r i v a t z u bilden. Zwischenstufen bei diesen unterMolekülumlagerung verlaufenden Reaktionen sind n i c h t b e k a n n t , sondern es hat stets den Anschein, als ob das Cyclo-octa-tetraen von vornherein in mehreren „tautomeren" Grenzformen reagieren kann. Man muß die Reaktionen des Cyclo-octa-tetraens daher in drei grundsätzlich verschiedene Gruppen unterteilen: 1. Reaktionen, die o h n e S t r u k t u r ä n d e r u n g e n des Kohlenstoffgerüstes verlaufen, 2. Reaktionen, bei denen D e r i v a t e d e s pX y l o l s entstehen, und 3. Reaktionen, bei denen intermediär eine Isomerisierung des Cyclo-octa-tetraens zum B i c y c l o - [ 0 , 2 , 4 ] - o c t a - t r i e n - 2 , 5 , 7 1 ) (I) mit aneinander kondensiertem Cyclohexadien- und Cyclobutenring stattfindet:

\

k

|

»· |

|

II (nur im Kähmen anderer Reaktionen möglich)

I Zu 1. Ohne Veränderung des Ringskeletts verlaufen insbesondere alle H y d r i e r u n g s r e a k t i o n e n , die in einem Reaktionsgang sowohl vollständig bis zum Cycloo c t a n als auch (ζ. B. in nicht sauren Lösungsmitteln) nur bis zur Stufe des Cycloo c t e n s durchgeführt werden können. Von letzterem aus sind dann ohne Schwierigkeiten eine Reihe w e i t e r e r C y c l o - o c t a n - D e r i v a t e zugänglich: *) Bezgl. der Nomenklatur der bicyclischen Verbindungen vgl. S. 800

Die alicyclischen Verbindungen

796

IHI

\

+ 4 H, I

/

+ 3H, I

Η

Η Hydrolyse

|\0H

OAc

EisessiR_| "ΐϊ,βο,

Auch die Reaktion des Cyclo-octa-tetraens mit B e n z o p e r s ä u r e zum M o n o o l e f i n o x y d und die Anlagerung von zwei L i t h i u m a t o m e n , die in 1 , 4 - S t e l l u n g addiert werden, gehen ohne Änderung des Ringskeletts vor sich: Li

+0

|

(Benzopersäure)

i

| ^ ^

+ 2 Iä

COOLi

+ 2 CO,

| ^

/

I

Li

COOLi

Zu 2. Bei allen anderen Oxydationsreaktionen t r i t t bereits die erwähnte Isomerisierung des Cyclo-octa-tetraen-Ringes zu p-Xylolderivaten ein. So entsteht ζ. B. bei der Einwirkung von a l k a l i s c h e r H y p o c h l o r i t l ö s u n g zum überwiegenden Teil T e r e p h t h a l a l d e h y d (III) (neben Benzaldehyd und Benzoesäure) und bei der Oxydation mit E i s e s s i g - C h r o m t r i o x y d T e r e p h t h a l s ä u r e (II): COOH

HOOC—

CrO,

NaOCl (NaOH)

(Eisessig)

OCH

II

CHO III

Auch unter den Bedingungen der S e l e n d e h y d r i e r u n g undurchsichtiger Reaktion z. Teil in ρ - X y l o l über.

geht Cyclo-octa-tetraen in

Zu 3. Derivate des Bicyclo- [0,2,4] -octa-triens-2,5,7 erhält man insbesondere bei der Einwirkung von H a l o g e n i e r u n g s m i t t e l n . Ζ. B. entsteht bei der Addition von z w e i C h l o r a t o m e n mittels S u l f u r y l c h l o r i d s die Verbindung IV, die ein noch intaktes 1 , 3 - D i e n s y s t e m enthält und daher zur D i e n s y n t h e s e befähigt ist. Von Interesse ist vor allem die Addition von N a p h t h o c h i n o n zur Verbindung V, da diese bei 180° in A n t h r a c h i n o n und D i c h l o r - c y c l o b u t e n zerfällt (Konstitutionsbeweis) :

so.o·.

C1 Γ

υ

ci/

IV

CK

180» CK

I

797

Cycloparaffine größerer Ringweite

Auch das Cyclo-octa-tetraen selbst ist bereits zur D i e n s y n t h e s e befähigt, wobei es ebenfalls nur in Form des isomeren Bicyclo- [0,2,4] -octa-triens in Reaktion t r i t t : /—/V\ jl I 11 "

+ :+

/

c o

\

0

I -

Schließlich muß man zuweilen auch mit einer i n t e r m e d i ä r e n B i l d u n g des bicyclischen Ringsystems rechnen. Dies ist insbesondere bei zahlreichen O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n m i t Q u e c k s i l b e r - I I - s a l z e n der Fall, die stets unter Ö f f n u n g d e s C y c l o b u t a n r i n g e s und A r o m a t i s i e r u n g d e s C y c l o h e x a n r i n g e s zum P h e n y l a c e t a l d e h y d oder seinen Derivaten f ü h r e n :

-

ί

^

/Λ-7,\

(

Λ

:

on)

-

-

y u

H

+H O — R -( b z w . H O — A c ) i f ^ ' Ι'· L , X 0 R ( A C ) |

^ + HOK(Ac)

|

j



CH(OR), bzw. (OAc),

ΗΙ

g) C y c l o p a r a f f i n e g r ö ß e r e r R i n g w e i t e Darstellung. Die bewährte Methode der Kalksalzdestillation v e r s a g t beim Versuch der Herstellung cyclischer Ketone mit n e u n und z e h n R i n g g l i e d e r n praktisch vollkommen, so daß, da auch keine Naturprodukte dieser Ringgröße bekannt waren, die Bildung höhergliedriger Cycloparaffine lange Zeit als u n m ö g l i c h g a l t . Diese Anschauung konnte jedoch R U Z I C K A (ab 1926) widerlegen, indem er zeigte, daß —• nach einem B i l d u n g s m i n i m u m bei einer Gliederzahl von z e h n R i n g a t o m e n — die Ausbeute an Ringketonen bei der Kalk- (oder Thorium-)salzdestillation noch höhergliedriger Dicarbonsäuren w i e d e r z u n i m m t . So kann man ζ. B. auf diese Weise, wenn auch in maximal nur etwa 5 % i g e r A u s b e u t e , cyclische Ketone mit 12—25 Ringgliedern ohne Schwierigkeit synthetisieren. Aber erst bei dem von Z I E G L E R (1933) eingeführten Verfahren der innermolekularen Kondensation von D i c a r b o n s ä u r e - d i n i t r i l e n in Gegenwart von ä t h e r l ö s l i c h e n M e t a l l - a l k y l a n i l i d e n (vgl. S. 349) wurden die Ausbeuteverhältnisse derart verbessert, daß die höhermolekularen Cycloketone heute zu den verhältnismäßig l e i c h t z u g ä n g l i c h e n Verbindungen gehören: Γ" (CH2)n iCH2-€

XaX I

J\CH—COOR + N2 ,

V d. h. es liegt, von den Doppelbindungen abgesehen, das gleiche Ringgerüst wie in den Terpenen der C a r a n r e i h e (III, Kap. 5, I I , 2) vor. Man bezeichnet die Verbindung daher zuweilen auch als nor-Caradien-carbonsäureester. Wir begegnen hier erstmals der Vorsilbe „nor"- in der rationellen organischen Nomenklatur. Sie ist eine Abkürzung für den Ausdruck n o r m a l und wird immer dann angewandt, wenn sich der Name einer Verbindung n i c h t von dem einfachen Grundkohlenwasserstoff ableitet, sondern umgekehrt der Name des G r u n d k o h l e n w a s s e r s t o f f e s von dem des (meistens als Naturstoff) bekannteren D e r i v a t e s . Hierbei versteht man unter der norV e r b i n d u n g immer den einfachsten g e s ä t t i g t e n oder zuweilen auch a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f (bzw. die einfachste h e t e r o c y c l i s c h e V e r b i n d u n g ) , die das g l e i c h e R i n g s y s t e m ohne jede Seitenkette oder sonstige funktionelle Gruppe enthält. In unserem speziellen Fall liegt der Benennung das natürliche Terpen C ar e η (I) (Näheres vgl. III, Kap. 5, II, 2) zugrunde, dem der gesättigte Kohlenwasserstoff C a r a n (II) entspricht. Von diesem leiten sich dann sekundär der seitenkettenfreie Kohlenwasserstoff n o r - C a r a n (III), das zwei Doppelbindungen im Ring enthaltende n o r - C a r a - d i e n (IV) und schließlich der n o r - C a r a - d i e n c a r b o n s ä u r e e s t e r (V) ab:

IX I

II

i

l>

I

III

!> IV

I

!>-coor v

Weiterhin gehören auch die eigenartigen Azulene diesem Verbindungstypus an. I n ihnen ist ein C y c l o p e n t a d i e n - mit einem C y c l o h e p t a t r i e n r i n g in der Weise kondensiert, daß die fünf Doppelbindungen in dem ä u ß e r e n R i n g in f o r t l a u f e n d e r K o n j u g a t i o n angeordnet sind. Die Darstellung des Grundkörpers der Reihe geschieht am besten vom I n d e n (VI) aus durch Erweiterung des Benzolringes mit Hilfe der D i a z o e s s i g e s t e r r e a k t i o n (S. 793) und nachträgliche Einführung der fehlenden Doppelbindung nebst Decarboxylierung: v

II

II + N,CH—COOR

II

,—COOR

-COOR

Hydrolyse Decarboxylierung Azulen

Azulen besitzt vor allem t h e o r e t i s c h e s I n t e r e s s e , da es sich vom N a p h t h a l i n (in der A N S C H Ü T Z sehen Schreibweise, vgl. S. 814) bei einem gleichen System von f ü n f i m ä u ß e r e n R i n g geschlossen konjugierten Doppelbindungen nur durch die Lage der den äußeren Ring unterteilenden B r ü c k e n b i n d u n g unterscheidet:

Bicyclische Ringsysteme mit mehr als zwei gemeinsamen Atomen

vV

π

Naphthalin nach Anschütz

I

1

805

I i

\/\/ Azulen

Es sollte daher als „ a l i c y c l i s c h e s " Modell des Naphthalins einen a r o m a t i s c h e n C h a r a k t e r zeigen. Das ist aber nicht (bzw. nur in stark abgeschwächtem Maße) der Fall, denn es verhält sich wie ein typisches P o l y o l e f i n , wie u. a. aus der tief d u n k e l b l a u e n F a r b e (daher der Name!), dem niedrigen Schmelzpunkt und der U n b e s t ä n d i g k e i t gegenüber L u f t s a u e r s t o f f hervorgeht. Das Azulen ist infolgedessen für die Aufklärung der Konstitutionsprobleme des Naphthalins von ähnlicher Bedeutung gewesen wie das C y c l o - o c t a t e t r a e n für die des B e n z o l s (Näheres vgl. II, Kap. 3, III). Abgesehen von diesen theoretischen Überlegungen sind die Azulene nur von geringem Interesse. Einige Alkylderivate kommen natürlich vor und stehen den Sesquiterpenen (III, Kap. 5, II, 3 b) nahe, aus denen sie wahrscheinlich durch Wasserabspaltung und Dehydrierung hervorgehen. So stehen ζ. B. das Vetivazulen und das S-Guajazuleii dem Maig'öckchenduftstoff Farnesol nahe: X /

-H20 - 3HZ

Vetiv azulen F a r n e s o l (verschiedene Schreibweisen) S-Guajazulen Die natürlichen Azulene gehören damit der großen Gruppe der Isoprenabkömmlinge an (vgl. ΠΙ, Kap. 5) und lassen auch noch deutlich den Aufbau aus Isoprenresten erkennen (dünnpunktierte Linien). Ihre Konstitutionsaufklärung wurde von P F A U und P L A T T N E R (1936) durchgeführt und konnte später von P L A T T N E R (1939) durch eine übersichtlich verlaufende Synthese des Vetivazulens, die im Prinzip ebenfalls auf der oben angeführten Einwirkung von Diazoessigester auf Benzolderivate beruht, bestätigt werden. d) B i c y c l i s c h e R i n g s y s t e m e m i t m e h r als zwei, b e i d e n R i n g e n gemeinsamen Atomen Noch komplizierter werden die Verhältnisse schließlich, wenn die beiden miteinander verknüpften Ringe m e h r als zwei A t o m e gemeinsam haben. In diesem Falle erscheinen die gemeinsamen Atome als eine „ b r ü c k e n a r t i g e " V e r k n ü p f u n g der Atome eines großen ä u ß e r e n R i n g e s , und man spricht häufig sogar direkt von einer ,,endo-Methylen·" oder „endo-Äthylen-brücke", wie im folgenden an den Beispielen des „endo-Methylen-cyclohexans" und des ,,endo-Äthylen-cyclohexans" gezeigt sei:

CH, I Χ)Η/

CH2

IM,

endo -Methylen-cyclohexa η (Bicyclo-[l,2,2]-heptan)

HoC

CH2 CH2 CH, CH«

ΜΗ /

endo- Athylen-cycloliexaü (Bicyclo-[2,2,2]-octan)

Diese Bezeichnungsart ist jedoch in gewissem Sinne irreführend, da die „Brücke" durchaus nicht versteckt im Inneren des Ringes liegt oder sonstwie eine Sonderstellung gegenüber den beiden anderen Ringarmen einnimmt. Sie stellt vielmehr, wie bereits aus den allgemeinen Ausführungen auf S. 801 hervorgeht, eine den anderen Ringarmen völlig gleichwertige dritte Verbindung zwischen den beiden Verzweigungs-C-Atomen dar, so daß ζ. B. 52 Klages, L e h r b u c h der Organischen Chemie I, 2

806

Die alicyclischen Verbindungen

das endo-Äthylen-cyclohexan aus h o c h s y m m e t r i s c h e n K u g e l m o l e k ü l e n besteht, in denen die Verzweigungs-C-Atome durch drei, jeweils einen Winkel von 120° einschließende Äthylengruppen miteinander verbunden sind (vgl. Abb. 16):

Abb. 16 Raumformel des endo-Äthylen-cyclohexans bzw. Bicyclo-[2,2,2]-octans

Infolge dieser Verhältnisse ist es gleichgültig, welche der drei Alkylengruppen wir als Brücke bezeichnen, und es sind ζ. B. die folgenden drei Formeln für den Campher identisch: CH3 CH.

C

ch3 CO

H3C—c—ch3 ί I I — CH CH2

ch3

„σ CH2 ί CH,

CO \ /CH 3 ι X CH2 X CH, ~~-CH/

/C H3C

/ c

H^C

) ( \

CH2 CO ι i CH m CH

Um diese scheinbare, den Tatsachen nicht gerecht werdende Sonderstellung der endo-Gruppe in der Nomenklatur auszuschalten, hat man die auf S. 800 f. ausführlich beschriebene s y s t e m a t i s c h e N o m e n k l a t u r entwickelt, auf Grund derer alle drei die Verzweigungs-C-Atome miteinander verbindenden Ringarme g l e i c h w e r t i g erscheinen. Die Synthese der Bicyclen dieses Typus bereitet an sich k e i n e g r u n d s ä t z l i c h e n Schwierigkeiten, ist jedoch meistens s e h r u m s t ä n d l i c h durchzuführen, so daß sie nur in speziellen Fällen, ζ. B. bei der Konstitutionsermittlung wichtiger Naturstoffe (vgl. ζ. B. III, Kap. 5, II, 2), zur Anwendung kommt. Erst in neuerer Zeit ist in der D i e n s y n t h e s e von D I K L S und A L D E B , (ab 1928, vgl. auch S. 947) ein allgemein brauchbares Verfahren aufgefunden worden, das — bei Verwendung c y c l i s c h e r D i e n e — die verschiedenen Ringsysteme relativ leicht zugänglich macht: CO .COOK / \ ,COOR /CO ' f \ CH.2 / \ I < H2 i · !j CH2 . + | >0

807

Bicyclische Ringsysteme mit mehr als zwei gemeinsamen Atomen

Die Bicycloparaffine dieser Reihe sind trotz ihres komplizierten Aufbaues völlig oder nahezu s p a n n u n g s f r e i e V e r b i n d u n g e n (vgl. II, Kap.7, IV, I), die in ihrem c h e m i s c h e n V e r h a l t e n kaum von den normalen Paraffinen abweichen. Dagegen zeigen sie infolge ihrer eigenartigen Molekülgestalt interessante physikalische Eigenschaften. Insbesondere bewirkt die stark angenäherte K u g e l f o r m (kleine Oberfläche und als Folge davon g e r i n g e z w i s c h e n m o l e k u l a r e K r ä f t e ) , verbunden mit der durch die enge Atomverknüpfung weitgehend aufgehobenen freien Drehbarkeit der einzelnen Atomgruppen (leichte E i n o r d n u n g in ein K r i s t a l l g i t t e r ) , daß die Bicycloparaffine bei relativ g r o ß e r F l ü c h t i g k e i t sehr h o c h s c h m e l z e n und nur wenig zur Unterkühlung neigen. Sie sind daher vorzüglich kristallisierende Verbindungen, die zu den wenigen organischen Stoffen gehören, die erst in der Nähe des Siedepunktes schmelzen, d. h. deren Dampfdruck beim Schmelzpunkt bereits dem A t m o s p h ä r e n d r u c k nahekommt oder diesen gar ü b e r s t e i g t , so daß sie nur in g e s c h l o s s e n e n G e f ä ß e n geschmolzen werden können. Ferner ist ihre F l ü c h t i g k e i t bereits bei normaler Temperatur so groß, daß die Kristalle bei längerem Lagern ein k u g e l f ö r m i g e s A u s s e h e n erhalten, weil die an den K r i s t a l l s p i t z e n und - k a n t e n b3findlichen Moleküle besonders leicht absublimieren. Als weitere Besonderheit zeigen sie infolge der geringen zwischenmolekularen Kräfte eine auffallend n i e d r i g e S c h m e l z w ä r m e , und aus der Kombination von niedriger Schmelzwärme und hohem Schmelzpunkt folgt wiederum eine h o h e k r y o s k o p i s c h e K o n s t a n t e 1 ) , die im Durchschnitt etwa den 10 bis 20-fachen Wert der Konstanten normaler organischer Verbindungen annimmt. Die Verbindungen dieser Reihe sind daher in hohem Maße als L ö s u n g s m i t t e l f ü r k r y o s k o p i s c h e M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g e n geeignet, wie im einzelnen aus Tabelle 38 zu entnehmen ist. Tabelle 38 Vergleich der für das k r y o s k o p i s c h e Verhalten w i c h t i g e n

physikalischen

Konstanten1) einiger Verbindungen mit ketten- und kugelförmigem A u f b a u bicyclische Kugelmoleküle

Kettenmoleküle und einfache Ringmoleküle

Eisessig Benzol Phenol Cyclohexanol

Smp.

S R bsob.

16,65° 5,45° 40,0° 22,45'

43,7 30,4 24,9 4,38

ir

1

beob. Kber. )

3,9 5,1 7,3 38,3

3,8 5,04 7,85 39,6

Campher Bicyclo-[2,2,2]03tan0n-3 Dichlorcampher Dibromcampher

Smp.

S g beob.

178°

10,7

178° 174° 170°

— —



KbeobjKber.1) 40,0

38,0

32,9 56,2 80,9

— —



Die wichtigsten Einzelverbindungen dieser Gruppe sind die in III, Kap. 5, II, 2 beschriebenen T e r p e n e und C a m p h e r der P i n a n - und C a m p h a n r e i h e , deren Konstitutionsermittlung wesentlich mit zur Aufklärung des gesamten Gebietes beigetragen hat. Die einfachen Grundverbindungen sind dagegen erst relativ spät dargestellt worden. So wurde z.B. das erwähnte Bicyclo-[2,2,2]-octen erstmals im Jahre 1934 von ALDER u n d STEIN auf dem folgenden Wege synthetisiert: *) Die kryoskopische Konstante Κ eines Lösungsmittels errechnet sich aus der absoluten Schmelztemperatur Τ und der Schmelzenthalpie Sg ( = Schmelzwärme in cal/g bei konstantem Druck) zu τ,, D

Κ — 62*

'



1000 ·

Hg

808

Die alicyclischen Verbindungen ΛΗ=0

F=CH—O-Ac

CH 0

Hydrierung ( desSemicariazons)

Oiensynthase

Ozonspa/tung

Essigsäure ( Enoiisierungj

Reduktion (Kishner-t

e) P o l y c y c l i s c h e

Ringsysteme

Yon den zahlreichen möglichen polycyclischen Ringsystemen sei hier nur das Adamantan als Beispiel eines besonders regelmäßig gebauten t r i c y c l i s c h e n P a r a f f i n s angeführt, das in einigen E r d ö l e n natürlich vorkommt und von P R E L O G im Jahre 1941 auf dem folgenden Wege synthetisiert werden konnte: Η

ROOC—C.

\

H,C

Br— :CH2—Br :Na Na:

Η

CO \

C

H.C H /

I

CH,

XC- C O O R

ROOC—C; 2 NaOR (als /i-Keto- ' carbonsäureester)

CO

+

;C—COOR H2C^

\ C H /

CO

I

H,C

CH,

\CH/

CO

CH/

Bicyclo-[l,3,3]-nonadion-dicarbonsäureester /CH, ROOC—CX

ι xco

— 2SaBr

; H2C

/CH2X /C—COOR

HC.

Kjy ι

\CH/ CH2

!

Verseifuae Decarboxyl.

.CH C

H 2 C/ i ; H /

CO

CH'

Reduktion

; \co ! \

CH'

HCV

CH2

HOC/

/CH

\ C H /

ijH, ^CTK Adamantan

Das Adamantan besitzt die gleiche k u g e l s y m m e t r i s c h e Atomanordnung wie das U r o t r o p i n (S. 287). Seine Moleküle zeigen daher eine o p t i m a l e A n n ä h e r u n g a n d i e K u g e l g e s t a l t , wie insbesondere aus dem in Abb. 17a wiedergegebenen STUART-Modell hervorgeht, und man beobachtet bei ihm die charakteristischen Eigenschaften der aus K u g e l m o l e k ü l e n aufgebauten Verbindungen in besonders hohem Maße.

Die alicyclischen Heterocyclen

809

Dies ist vor allem bei dem für einen gesättigten Kohlenwasserstoff mit nur 10 C - A t o m e n ungewöhnlich h o h e n S c h m e l z p u n k t v o n 268° der Fall, der den auf etwa 190° geschätzten Sublimationspunkt um nahezu 80° übersteigt! Adamantan kann daher erst unter einem Dampfdruck von 8,3 A t m o s p h ä r e n , dem h ö c h s t e n bisher ü b e r h a u p t b e o b a c h t e t e n T r i p e l p u n k t s d r u c k , geschmolzen werden.

Weiterhin ist bemerkenswert, daß das Kohlenstoffgerüst des Adamantans v ö l l i g s p a n n u n g s f r e i ist und gleichzeitig die e n g s t m ö g l i c h e V e r k n ü p f u n g von 10 C-Atomen in t e t r a e d r i s c h e r A n o r d n u n g aufweist. Es muß infolgedessen innerhalb dieses kleinen Bezirkes von 10 C-Atomen mit dem D i a m a n t g i t t e r vollständig übereinstimmen. Das ist auch tatsächlich der Fall, wie Abb. 17 b zeigt, in der das Adamantangerüst als A u s s c h n i t t a u s d e m D i a m a n t g i t t e r dargestellt ist:

Abb. 17 a Raummodell des Adamantans (Stuartmodell)

Abb. 17 b Kohlenstoffgerüst des Adamantans als Ausschnitt aus dem Diamantgitter

Stoffe wie das Adamantan, deren Kohlenstoffgerüst bereits im Diamantgitter vorgebildet ist, nennt man diamantoide Stoffe, was auch in dem Xamen Adamantan zum Ausdruck kommen soll. Zu ihnen gehört außer dem Adamantan insbesondere auch das T e t r a m e t h y l m e t h a n , das die k l e i n s t m ö g l i c h e E l e m e n t a r z e l l e des D i a m a n t s mit vier tetraedrisch um ein C-Atom angeordneten weiteren C-Atomen enthält.

4. Die heterocyclischen Verbindungen der alicyclischen Reihe Ähnlich wie die C-Atome zeigen auch die H e t e r o a t o m e beim Einbau in ein alicyclisches Ringsystem k e i n e Ä n d e r u n g ihres chemischen Verhaltens. Ihre Eigenschaften hängen vielmehr — genau wie in den Kettenmolekülen — ausschließlich von der O x y d a t i o n s s t u f e des mit dem Heteroatom verbundenen C - A t o m s ab, so daß die Sauerstoffverbindungen als c y c l i s c h e Ä t h e r (S. 422), A c e t a l e (S. 417), E s t e r (S. 478), S ä u r e a n h y d r i d e (S. 462, 469 u. a.), sowie schließlich in den O z o n i d e n (S. 92) auch als cyclische P e r o x y V e r b i n d u n g e n , erscheinen. Ebenso fungieren die stickstoffhaltigen Verbindungen als c y c l i s c h e A m i n e (S. 558 f.) oder

810

Die alicyclischen Verbindungen

als eyclische primäre (S. 587) und sekundäre Säureamide (S. 345). Lediglich wenn nahe Beziehungen zu den Heterocyclen vom aromatischen Typus bestehen, wie z.B. bei der Darstellung des T e t r a h y d r o f u r a n s , P y r r o l i d i n s , Piperidins usw. durch Hydrierung von F u r a n , P y r r o l und P y r i d i n , sowie auch in den besonders reaktionsfähigen dreigliedrigen Ringsystemen vom Ä t h y l e n o x y d und Ä t h y l e n i m i n t y p u s , tritt ihre Natur als cyclische Verbindung etwas stärker in Erscheinung. Wir können uns daher an dieser Stelle auf die Beschreibung einiger kompliz i e r t e r e r b i c y c l i s c h e r Verbindungen dieser Reihe beschränken, die ausschließlich vom Standpunkt der in ihnen enthaltenen R i n g s y s t e m e von Interesse sind. Sie lehnen sich in ihren physikalischen Eigenschaften eng an die analog gebauten Verbindungen mit isocyclischen R i n g s y s t e m e n an, da die Heteroatome jedes C-Atom der letzteren sterisch vollwertig ersetzen können mit der einen Einschränkung, daß die B i n d i g k e i t zur Übernahme der Funktion des zu ersetzenden C-Atoms ausreichen muß. So kann ζ. B. der vierbindige Z e n t r a l k o h l e n s t o f f der S p i r a n e nur durch Elemente ersetzt werden, die ebenfalls vierbindig aufzutreten vermögen, also insbesondere durch Ammoniumstickstoff: CH2—CH2. @ /CHjj—CH2 CH,—CH,

CH2—CH2

x

sowie in sauerstoffhaltigen Verbindungen auch durch B o r und komplexbildende Metalle. Einige Beispiele für den letzten Fall haben wir in den komplexen B o r s ä u r e e s t e r n der zweiwertigen Alkohole (I) (S. 417) und auch des B r e n z c a t e c h i n s (S. 498), den K u p f e r - e n o l a t e n der 1,3-DicarbonylVerbindungen (II) (S. 446), den K u p f e r s a l z e n der Aminosäuren (III) (S. 584) und auch dem N i c k e l - d i m e t h y l g l y o x i m (IV) (S. 441) bereits kennengelernt: CH2—CK

Θ

,0—CH2 Ο—CH,

CH»—NHa Ο CO « \ / Cu V, CO ο/ nh 2 —ch 2

H+

R—C—Ο HCf R—C=0'

0=C—R It

O—C^-R OH J\'=C—CH.

CH3—C=N I OH

N=C—CH3 i Ο

IV III Weitere heterocyclische Spirane sind von M I L L S in großer Zahl aufgebaut worden und hinsichtlich der S t e r e o c h e m i e der in ihnen enthaltenen H e t e r o e l e m e n t e von Interesse (vgl. II, Kap. 7, V). Der dreibindige A m i n o s t i c k s t o f f vermag bereits nicht mehr als Spiroatom sondern bestenfalls noch als Verzweigungsatom eines kondensierten bicyclischen Ringsystems zu fungieren. Dies ist ζ. B. bei dem in den China-alkaloiden enthaltenen bicyclischen Ringsystem des Chinuclidins der Fall, das sich vom B i c y c l o [2,2,2]-octan (S. 806) durch Ersatz eines Verzweigungs-C-Atoms durch ein N-Atom ableitet. Die einfache Grundverbindung selbst wurde von L Ö F F L E R (1909) auf dem folgenden Wege synthetisiert:

Die alicyclischen Heterooyclen

CH,=0 + CH3

^

CH2—OH I CH, Hydrierung ^

CH2—OH I

HJ

811

_

CH2—J I *jH2

*

\

N

Η

/

\n/ Η

-HJ

(Ringsehluß)-*

^

, !,

I

Chinuclidin

Chinuclidin zeigt infolge dieses ähnlichen sterisehen Aufbaues ebenfalls die für Verbindungen mit Kugelmolekülen charakteristischen p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n , insbesondere wiederum eine g r o ß e F l ü c h t i g k e i t bei h o h e m S c h m e l z p u n k t und n i e d r i g e r S c h m e l z w ä r m e . Es neigt daher ebenfalls zur S u b l i m a t i o n und weist eine ungewöhnlich h o h e k r y o s k o p i s c h e K o n s t a n t e a u f . Auch das auf S. 287 beschriebene U r o t r o p i n gehört dieser Verbindungsklasse an. Es leitet sieh sterisch vom A d a m a n t a n durch Ersatz der vier V e r z w e i g u n g s - C - A t o m e durch N - A t o m e ab, enthält also wie dieses ein t r i c y c l i s c h e s R i n g s y s t e m .

S ä u e r s t off kann schließlich infolge seiner Z w e i b i n d i g k e i t auch k e i n e V e r z w e i g u n g s a t o m e mehr bilden und kommt daher in kompli.. /CH, zierteren Ringmolekülen nur in Form von S a u e r s t o f f b r ü c k e n -CO^ vor, denen wir verschiedentlich in Naturstoffen begegnen (vgl. z . B . Ο yO III, Kap. 5, II). Eine relativ einfach gebaute Verbindung dieser Art s ist das Cantharidin, der Giftstoff der s p a n i s c h e n F l i e g e und a einiger L a u f k ä f e r . Seine Konstitution wurde von Gadmer (ab 1914) Cantharidin im Sinne der nebenstehenden Formel aufgeklärt und von Ziegler (1942) durch Synthese erhärtet.

812

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

II. Die cyclischen Verbindungen vom Benzoltypus 1. Kondensierte aromatische Ringsysteme a) Allgemeines Kondensiert man an den Benzolring weitere u n g e s ä t t i g t e Sechsringe, deren Doppelbindungen mit denen des ersten Benzolkerns ein geschlossen konjugiertes System bilden, wie es etwa bei den folgenden Kohlenwasserstoffen der Fall ist: _ _

Naphthalin

Anthracen

Phenanthren

Chrysen

Perylen

so kommt man zu weiteren sich aromatisch verhaltenden Ringsystemen, die als „Benzobge" des Benzols bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich von den vorbesprochenen alicyclischen Verbindungen insbesondere dadurch, daß von j e d e m Ring-C-Atom eine Doppelbindung ausgeht. Alle Ringatome müssen infolgedessen eine ebene Substituentenanordnung aufweisen (Näheres vgl. II, Kap. 3, II, 1), und hieraus folgt wiederum zwangsläufig, daß alle Ringatome mit den an ihnen befindlichen S u b s t i t u e n t e n in einer Ebene liegen. Die diesem Typus angehörenden Ringsysteme sind daher auch bei großer Ausdehnung vollkommen eben gebaut und besitzen infolge der völligen Aufhebung der freien Drehbarkeit eine starre Molekülgestalt. Sie zeigen deshalb allgemein höhere Schmelzpunkte und eine wesentlich größere K r i s t a l l i sation st'endenz als die aus ihnen durch Hydrierung hervorgehenden alicyclischen Verbindungen. Weiterhin ist auch hier wegen der t e r t i ä r e n Natur der aromatischen Ring-C-Atome die Zahl der Isomeriemöglichkeiten wesentlich geringer als in der alicyclischen Reihe, und schließlich können die einzelnen Sechsringe nur in o-Stellung aneinander kondensiert sein, da die Valenzen in m- und p-Stellung räumlich zu sehr auseinander streben, um noch durch Propenylen- bzw. Äthenylengruppen zu Sechsringen miteinander verbunden werden zu können. Ferner besteht auch dem Benzol gegenüber ein grundsätzlicher Unterschied darin, daß es durchaus nicht mehr erforderlich und auch möglich ist, jedem Sechsring drei konjugierte Doppelbindungen zuzuordnen. Die Doppelbindungen bilden vielmehr über alle kondensierten Ringe hinweg ein gemeinsames, geschlossen konjugiertes System, das dadurch gekennzeichnet ist, daß jede Doppelbindung nach beiden Seiten mit mindestens einer anderen Doppelbindung in Konjugation steht, bzw., daß jede einfache Bindung zwei Doppelbindungen miteinander ,,konjugiert". Hierbei ist es durchaus möglich, daß ein Sechsring nur zwei (ζ. B. in der oben angeführten Anthracenformel der rechte Ring) oder gar überhaupt keine Doppelbindung enthält (ζ. B. der mittlere Ring im Perylen). Weiterhin sind, ähnlich wie wir es ja auch schon beim Benzol gesehen haben (S. 119), stets mehrere Anordnungen der Doppelbindungen möglich, die miteinander in Mesomerie stehen. Die Zahl dieser möglichen Anordnungen nimmt — namentlich bei den komplizierteren, bienenwabenartig aufgebauten Flächenmolekülen (S. 831 f.) — mit der Zahl der aneinander kondensierten Sechsringe s t a r k zu, so daß man hier meistens auf die Wiedergabe der Doppelbindungen verzichtet.

Das Naphthalin

813

Die verschiedenen Ringsysteme führen fast ausnahmslos T r i v i a l n a m e n , und es sind nur Ansätze einer systematischen Nomenklatur zu erkennen. So bezeichnet man ζ. B. ein Ringsystem, das in irgendeiner Weise durch A n g l i e d e r u n g e i n e s w e i t e r e n B e n z o l r i n g e s aus einem anderen Ringsystem hervorgegangen ist, als dessen Benzo-Derivat. Danach ist N a p h t h a l i n ein Benzo.benzol, ebenso A n t h r a c e n ein 1,2,4,5- und P h e n a n t h r e n ein 1,2,3,4-Dibenzo - b e n z o l . Doch kann man die beiden letzteren Verbindungen ebensogut auch B e n z o - n a p h t h a l i n e nennen.

Vorkommen. Die wichtigsten Kohlenwasserstoffe dieser Gruppe kommen in mehr oder weniger großer Menge im S t e i n k o h l e n t e e r vor und werden, soweit sich technisch wichtige Stoffe von ihnen ableiten, auch aus diesem gewonnen. Ihre meistens r e c h t u m s t ä n d l i c h e Synthese hat daher im allgemeinen nur spezielle Bedeutung zur Ergänzung der K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g erlangt. Eigenschaften. Die polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe und auch eine große Anzahl ihrer Derivate zeichnen sich durch eine für organische Verbindungen ungewöhnliche T e m p e r a t u r s t a b i l i t ä t aus, der sie u. a. auch ihr A u f t r e t e n im S t e i n k o h l e n t e e r verdanken (vgl. III, Kap. 1). Man kann daher bei ihnen wesentlich h ö h e r e Reaktionstemperaturen verwenden als bei aliphatischen Substanzen und auch den meisten Benzolderivaten, so daß A r b e i t s t e m p e r a t u r e n von 3—400°, in einigen Fällen sogar 500°, durchaus keine Seltenheit sind. Eine weitere gemeinsame Eigenschaft, die unter Umständen f ü r ihre R e i n i g u n g , I d e n t i f i z i e r u n g und zuweilen auch I s o l i e r u n g von Bedeutung ist, zeigen alle polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe in ihrer Fähigkeit zur Bildung gut kristallisierender, schwer löslicher A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n mit P i k r i n - oder S t y p h n i n s ä u r e (Näheres vgl. II, Kap. 6, III, 7 b).

b) Das N a p h t h a l i n u n d seine D e r i v a t e Das einfachste und zugleich wichtigste kondensierte aromatische Ringsystem liegt im N a p h t h a l i n vor, dessen Molekül aus zwei k o n d e n s i e r t e n B e n z o l k e r n e n besteht. Seine Struktur ergibt sich insbesondere aus dem o x y d a t i v e n A b b a u von « - N i t r o n a p h t h a l i n , das bei direkter Einwirkung des Oxydationsmittels an dem reaktionsfähigeren, n i c h t - s u b s t i t u i e r t e n Benzolkern angegriffen wird, so daß man eine N i t r o p h t h a l s ä u r e erhält, während nach der Reduktion der Nitro- zur A m i n o g r u p p e , der a m i n i e r t e B e n z o l k e r n reaktionsfähiger ist, und die nicht-substituierte P h t h a l s ä u r e entsteht: X02 H O O C

Vk Μ II I

HOOC/^^

N02 dt

joxydat. Abbau

| Ii, V

V

, ;

NH 2

, Reduktion

R d k

; ; | . I

, oxydat. Abbau

y\/ | I

C 0 0 H

V'XCOOH

Danach müssen sowohl die substituierte als auch die nicht-substituierte Molekülhälfte einen Benzolring enthalten. Weitere Strukturbeweise ergeben sich aus zahlreichen S y n t h e s e n des Naphthalinringes, von denen hier nur die älteste, von F I T T I G (1885) durchgeführte und die moderne, besonders elegante, auf einer D i e n s y n t h e s e des Naphthochinons ( D I E L S . A L B E R 1929) aus p-Benzochinon und Butadien beruhende T o t a l s y n t h e s e des N a p h t h a l i n s wiedergegeben seien:

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

814 ,CH; Λ

|

/

CH CH»

J,—;H

- H , Q , Enolisierung (Destillation)

Zn-Staubdestillation

HO- 4 c / ο PhenyJ-isocrotonsäure

Naphthalin

c © 'Ζ \ 3 I

ο

0

Diensyntliese

+

I' j

Ο

ι

0 Tetrahydro-naphthochinon

Naphthochlnon

Weniger leicht als die Festlegung der Struktur des Kohlenstoffgerüstes war auch hier die Bestimmung der Lage der Doppelbindungen. Von den zahlreichen vorgeschlagenen Formeln haben sich nur z w e i als brauchbar erwiesen. Die älteste von ihnen (I) stammt von E r l e n m e y e r sen. und enthält z w e i w i r k l i c h e B e n z o l k e r n e mit je drei konjugierten Doppelbindungen, während in der Formel von A N S C H Ü T Z (II) mit f ü n f im ä u ß e r e n R i n g fortlaufend k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n der eine Sechsring nur z w e i Doppelbindungen enthält, also kein normaler „Benzolring" mehr ist:

I

II

Wie häufig in der aromatischen Chemie erwies sich auch hier die Diskussion zwischen diesen beiden Formeln als S c h e i n p r o b l e m , da sie sich nur in der E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n unterscheiden, also zueinander im Verhältnis der Mesom e r i e stehen und gemeinsam eine tatsächlich vorliegende m i t t l e r e E l e k t r o n e n k o n f i g u r a t i o n umschreiben (Näheres vgl. II, Kap. 3, III, 4 c). Die Isomerieveihältnisse der Naphthalinderivate sind infolge der g e r i n g e r e n S y m m e t r i e des Moleküls etwas k o m p l i z i e r t e r als in der Benzolreihe. So gibt es bereits zwei

M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e und bei g l e i c h e n Substituenten z e h n , bei u n g l e i c h e n Substituenten sogar 14 D i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e (formulieren!). Zu ihrer Benennung ist außer der offiziellen Ortsangabe durch Z ä h l u n g auch die angeführte Kennzeichnung der C-Atome durch g r i e c h i s c h e B u c h s t a b e n (in Abhängigkeit von ihrem A b s t a n d v o n d e n V e r z w e i g u n g s - C - A t o m e n ) gebräuchlich. Dagegen spielen die in der Benzolreihe üblichen Bezeichnungen o-, m-, ρ - S t e l l u n g usw. in der Naphthalinreihe eine nur u n t e r g e o r d n e t e R o l l e , da sie zum Teil z w e i d e u t i g sind. (Ζ. B. kennt man je nach dem Abstand der Substituenten von den Verzweigungsatomen zwei o - S t e l l u n g e n , nämlich die 1,2- und die 2 , 3 - S t e l l u n g ) . Nur für zwei charakteristische Anordnungen, in denen sich die beiden Substituenten in v e r s c h i e d e n e n B e n z o l k e r n e n befinden, sind abgekürzte Bezeichnungen eingeführt worden. Es sind dies die

Das Naphthalin

815

und die X

7

2,0- oder a m p h i - S t e l l u n g

1,8- oder peri-Stellung

Von ihnen ist die der Orthosteilung ähnliche p e r i - S t e l l u n g insofern von besonderem Interesse, als auch periständige Substituenten infolge ihrer räumlichen Annäherung miteinander unter R i n g s c h l u ß reagieren können. Ζ. B. vermag die unten beschriebene N a p h t h a l s ä u r e (S.821) ein A n h y d r i d zu bilden, und auch im A c e n a p h t h y l e n (S. 836) und P v r e n (S.831) sind an das Naphthalin weitere Ringe in p e r i - S t e l l u n g kondensiert.

Die Ortsbestimmung der Substituenten bereitet wegen der zahlreichen Variations möglichkeiten größere Schwierigkeiten als in der Benzolreihe. Sie wird meistens durch o x y d a t i v e n A b b a u zu substituierten Phthalsäurederivaten durchgeführt, aus denen man dann rückwärts auf die Stellung der Substituenten im ursprünglichen Naphthalinmolekül schließen kann. Sitzen zwei Substituenten in v e r s c h i e d e n e n K e r n e n , so muß man nach Methoden Ausschau halten, durch die das eine Mal der e i n e und das andere Mal der a n d e r e B e n z o l k e r n zur Phthalsäure abgebaut wird, um die Stellung b e i d e r S u b s t i t u e n t e n ermitteln zu können. Die physikalischen Eigenschaften der wichtigsten Naphthalinderivate sind in Tab. 39 wiedergegeben. Danach ist im Verhältnis zur Benzolreihe insbesondere der Schmelzpunkt des u n s u b s t i t u i e r t e n N a p h t h a l i n s auffallend hoch, da hier die oben beschriebene starre, sich leicht in ein Kristallgitter einordnende Molekül gestalt besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Eigenartigerweise sind auch die S i e d e p u n k t e der Naphthalinderivate etwas h ö h e r als die der a l i c y c l i s c h e n V e r b i n d u n g e n gleicher Molekülgröße. Doch können sehr viele Naphthalinderivate bei der Thermostabilität der kondensierten aromatischen Ringsysteme trotzdem u n z e r s e t z t d e s t i l l i e r t werden. Tabelle 39 Die physikalischen Eigenschaften einiger Name Naphthalin «-Methylnaphthalin a-Naphthol /?-Naphthol ά -Naphtholmethyläther /3-Naphtholmethyläther (Nerolin) α -Naphthylamin β -Naphthylamin

Sdp.

Smp.

Naphthalinderivate

D/T.

Name

Smp.

218° 80° 242° —22° 279° 96° 286° 123° 269° —

1,168/22 (fest) 1,001/19 (fl.) 1,224 (fest) 1,217 (fest) 1,096 (fl.)

271° 301° 306°

1,108/50 (fl.) 1,061/98 (fl.)

α -Naphthalinsulfonsäure /J-Naphthalinsulfonsäure α -Naphthoesäure /ß-Naphthoesäure 1,4-Naphthochinon 1,2-Naphthochinon α -Nitronaphthalin /?-Nitronaphthalin

90° 91° 101° 185° 126° 120° 62° 79°

75« 50° 112°



Hinsichtlich seiner chemischen Reaktionsfähigkeit ist der Naphthalinkern dem Benzolkern s e h r ä h n l i c h . Doch kann man nicht mehr von einem B e n z o l s y s t e m i m e n g e r e n S i n n sprechen, denn jeder der beiden Kerne beeinflußt den anderen derart, daß ein völlig n e u e s B i n d u n g s s y s t e m mit e i g e n e m c h e m i s c h e m C h a r a k t e r entsteht. Im einzelnen ist Naphthalin selbst infolge seiner g e r i n g e r e n S y m m e t r i e etwas r e a k t i o n s f ä h i g e r als Benzol und steht hinsichtlich seiner Substituierbarkeit etwa in der Mitte zwischen den K o h l e n w a s s e r s t o f f e n und P h e n o l e n der Benzolreihe. Ζ. B. findet die Bromierung bereits o h n e K a t a l y s a t o r statt, und auch die Nitrierung und katalytische Hydrierung erfolgen wesentlich l e i c h t e r als beim Benzol.

Cyclische Verbindungen vom Eenzoltypus

816

Besonders das Verhalten bei der katalytischen Hydrierung läßt sehr schön die charakteristischen Eigenschaften des Naphthalinsystems erkennen Die Aufnahme des e r s t e n H 2 M o l e k ü l s erfordert wie beim Benzol (S. 127f.) einen g e w i s s e n E n e r g i e b e t r a g , da das Naphthalinsystem zerstört werden muß, und infolgedessen kann die Hydrierung der ersten und zweiten Doppelbindung des zuerst angegriffenen Kerns auch hier n i c h t g e t r e n n t durchgeführt werden. Die drei Doppelbindungen des z w e i t e n K e r n s stabilisieren sich dagegen bereits nach Aufnahme des ersten H 2 -Moleküls zu einem B e n z o l s y s t e m , so daß die Anlagerung des d r i t t e n H 2 - M o l e k ü l s infolge der großen Stabilität des Benzolkerns sogar noch s c h w e r e r erfolgt als die des ersten. Man kann die Hydrierung des Naphthalins daher ohne Schwierigkeit nach Absättigung des ersten Kerns, also auf der Stufe des T e t r a l i n s (S. 837) unterbrechen:

H, I

II

I

+ Ha (langsam)

H2 n i c h t isolierbar

HH, H,

|H2

(langsam)

/H, HH,

+ 2H,_ (rasch)

])ekalin

nicht isolierbar

Der etwas schwächer aromatische Charakter des Naphthalins kommt auch darin zum Ausdruck, daß es zuweilen wie ein an einen Benzolkern kondensiertes a l i p h a t i s c h e s Dio l e f i n reagiert. Dies ist insbesondere bei der Reduktion mit N a t r i u m und A l k o h o l der Fall, die unter 1,4-Addition des Wasserstoffes zum 1,4-Dihydronaphthalin führt (die reagierenden Doppelbindungen sind durch Fettdruck hervorgehoben):

I

I

II

II

I

J

+ H , (nasciereiul)

-

ί

Π

il

II

Seine Isolierbarkeit unter diesen Reaktionsbedingungen ist vor allem aus dem Grunde möglich, weil die entstehende i s o l i e r t e D o p p e l b i n d u n g gegen n a s c i e r e n d e n W a s s e r s t o f f beständig ist (vgl. S. 96, 920).

Bei den üblichen Substitutionsreaktionen wirken die V e r k n ü p f u n g s a t o m e der Ringe bereits auf den ersten in den Naphthalinkern eintretenden Substituenten d i r i g i e r e n d ein und lenken ihn bevorzugt in die zu ihnen o-ständige α - S t e l l u n g . So entsteht ζ. B. bei direkter N i t r i e r u n g von Naphthalin ausschließlich oc-Nitron a p h t h a l i n , und / ? - N i t r o n a p h t h a l i n kann, ähnlich wie o- und p-Dinitrobenzol (S. 644), nur auf dem Umweg ü b e r / ? - N a p h t h y l a m i n und dessen D i a z o v e r b i n dung gewonnen werden (Gleichung formulieren!). Auch die S u l f o n i e r u n g erfolgt unterhalb 80° nur in α-Stellung. Einzelverbindungen. Naphthalin, der Stammkörper der Reihe, ist zu etwa 6% im S t e i n k o h l e n t e e r enthalten und kann auf Grund seiner hervorragenden Kristallisationsfähigkeit ohne Schwierigkeit aus der M i t t e l ö l f r a k t i o n (vgl. III, Kap. 1,1, 2) abgetrennt werden. Es wird auf diesem Wege technisch im großen gewonnen und dient in erster Linie als Z w i s c h e n p r o d u k t für die Darstellung sämtlicher N a p h t h a l i n d e r i v a t e und für die P h t h a l s ä u r e g e w i n n u n g (S.469). Die nicht-substituierte Verbindung selbst findet dagegen nur eine beschränkte Anwendung, ζ. B. als M o t t e n b e k ä m p f u n g s m i t t e l .

Naphthalinderivate

817

Yon den beiden möglichen Mononitro-naphthalinen entsteht die λ - V e r b i n d u n g bereits bei der Einwirkung von gewöhnlicher k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e auf Naphthalin bei 80°, doch zieht man technisch im allgemeinen die Nitrierung mit S t i c k o x y d e n oder N i t r i e r s ä u r e vor. α-Nitronaphthalin dient in ähnlicher Weise wie Nitrobenzol ausschließlich als Z w i s c h e n p r o d u k t für die Darstellung α-substituierter Naphthalinderivate. ß-Nitronaphthalin ist infolge der erwähnten Darstellungsschwierigkeiten ohne Bed e u t u n g geblieben. Dagegen finden die verschiedenen, unter schärferen Reaktionsbedingungen entstehenden Di- und Polynitronaphthaline ebenfalls praktische Anwendung als Zwischenprodukte in der Farbenindustrie.

Weitere wichtige Zwischenprodukte für die Darstellung technisch benötigter Naphthalinverbindungen sind die Naphthalin-sulfonsäuren, von denen die λ - V e r b i n d u n g bei der Sulfonierung von Naphthalin mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e bei Temperaturen u n t e r h a l b 80° und die ^-Verbindung bei etwa 160—180° (beide ausschließlich) entstehen. Auch ist es möglich, die « - V e r b i n d u n g durch Erhitzen auf Temperaturen o b e r h a l b 130° in die ß-Verbindung umzulagern. Beide Sulfonsäuren können mit Hilfe der auf S. 684 beschriebenen Reaktionen ohne Schwierigkeit in die entsprechenden N a p h t h o l e und N a p h t h o - n i t r i l e übergeführt werden (formulieren!). Vor allem die /^-Verbindung ist wichtig, da über sie der e i n z i g e p r a k t i s c h g a n g b a r e W e g zur Gewinnung anderer ß-Substitutionsprodukte des Naphthalins führt: /OH

ί

Γ

Ι

Ι

)

/ v /

ya0 _ H _

I

Ι

S03Na

Ι

/

^^ΧΞΕΧ

NaCX

Ιη den allgemein als Naphthole bezeichneten Oxynaphthalinen begegnen wir den ersten t e c h n i s c h w i c h t i g e n Naphthalinderivaten. Sie kommen in geringer Menge im S t e i n k o h l e n t e e r vor, werden aber für technische Zwecke meistens s y n t h e t i s c h durch Alkalischmelze aus den entsprechenden S u l f o n s ä u r e n , sowie im Falle der «-Verbindung auch aus N i t r o n a p h t h a l i n über das N a p h t h y l a m i n (s.u.), gewonnen. Sie zeigen in ihrem chemischen Verhalten die typischen Eigenschaften eines P h e n o l s . Ζ. B. sind sie ebenfalls in A l k a l i e n löslich, geben mit E i s e n - I I I - c h l o r i d l ö s u n g Farbreaktionen (bzw. farbige Niederschläge) und werden sehr leicht substituiert. Ferner sind sie als K u p p l u n g s k o m p o n e n t e n für die Darstellung von A z o f a r b s t o f f e n (III, Kap. 2, VI) geeignet, worauf auch ihre hauptsächliche technische Verwendung beruht. Im übrigen zeigen sie — ähnlich wie Naphthalin bereits wesentlich reaktionsfähiger ist als B e n z o l — eine gegenüber den einfachen Phenolen nochmals g e s t e i g e r t e A u f l o c k e r u n g des aromatischen Systems, so daß ihre Reaktionen in gewissem Sinne an die dss R e s o r c i n s (S. 429) erinnern. Insbesondere macht sich auch hier die beginnende T a u t o m e r i c mit der zugehörigen Ketoform in einem relativ leicht erfolgenden gegenseitigen Austausch der O x y - und A m i n o g r u p p e bemerkbar, der ohne jeden Katalysator bei etwa 200° vor sich geht und nur über die K e t o - und K e t i m i n f o r m als Zwischenstufen gedeutet werden kann:

Eine weitere technisch wichtige Möglichkeit zur Überführung der Naphthole in die N a p h t h y l a m i n e liegt nach B U C H E R E R in der Einwirkung von A m m o n i u m b i s u l f i t vor,

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

818

das wahrscheinlich über den N a p h t h o l h a l b e s t e r der s c h w e f l i g e n S ä u r e (1) und die B i s u l f i t v e r b i n d u n g der K e t o f o r m (II) den Austausch der Substituenten bewirkt:

Λ / γ

0

"

+

H,SO,

— Η,Ο

^ Y Y W

V

0

"

S 0 , H

- l x s o :Η 3 /

I

II

NH, V V ' V

/

X / ' V

In gewissen Spezialfällen — ζ. B. bei Verwendung von N a p h t h i o n s ä u r e (S. 821) als Ausgangsmaterial -— ist die Reaktion auch umkehrbar.

Von den D e r i v a t e n d e r N a p h t h o l e haben vor allem die einfachen Alkyläther des /?-Naphthols unter den Bezeichnungen Nerolin (C 13 H 7 —Ο—CH 3 ) und Nerolin neu (C U H 7 —Ο—C 2 H 5 ) Verwendung als k ü n s t l i c h e R i e c h s t o f f e gefunden. Sie werden durch Alkylierung v o n / } - N a p h t h o l mit D i m e t h y l - bzw. D i ä t h y l s u l f a t in Gegenwart von Alkali gewonnen. Weiterhin dienen die S a l i c y l s ä u r e e s t e r beider Naphthole in ähnlicher Weise wie S a l o l (S. 490) in der Medizin als Antiseptika. Eine letzte wichtige Körperklasse stellen schließlich die zahlreichen bei der Sulfonierung der Naphthole entstehenden Naphthol-mono-, di- und auch -trisulfons ä u r c n dar, die für die Gewinnung von A z o f a r b s t o f f e n noch häufiger Verwendung finden als die Naphthole selbst. Die wichtigsten der durch d i r e k t e S u l f o n i e r u n g der Naphthole zugänglichen Säuren sind mit den gebräuchlichen Trivialnamen in dem folgenden Formelbild (nebenstehend) zusammengestellt: Von den zehn möglichen Dioxynaphthaünen (formulieren!) haben lediglich die 1,4-, 1,8-, 2.3- und 2,7-Verbindungen eine beschränkte Anwendung als K u p p l u n g s k o m p o n e n t e n in der Farbstoffindustrie erlangt. Sie werden sämtlich durch Alkalischmelze der entsprechenden N a p h t h o l s u l f o n s ä u r e n gewonnen. Als Beispiel einer Sulfon_ , x/ säure der Dioxynaphthalinreihe sei die als Chromotropsäure N 3 3 bezeichnete 1,8-Dioxynaphthalin-3,β-disulfonsäure angeführt, Chromotropsäure die ebenfalls als K u p p l u n g s k o m p o n e n t e für A z o f a r b s t o f f e Verwendung findet. Polyoxy naphthaline treten als Reduktionsprodukte der in III, Kap. 2, IV, 1 beschriebenen Naphthochinon-Farbstoffe zuweilen n a t ü r l i c h auf. Als Beispiel sei das neben dem Farbstoff J u g l o n in W a l n u ß s c h a l e n enthaltene 1,4,5-Trioxynaphthalin (Hydrojuglon) angeführt.

Vom Naphthalin leiten sich drei Chinone ab, die in Analogie zu den drei Benzochinonen Naplithochinonc genannt werden: Ο Ο Ii ο 'Ι ο I I! I I II II I I I II ο 1,2- oder o-Naphthochinon

1,4- oder p-Naphthochinon

2,6- oder amphi-Naphthochinon

Die Darstellung aller drei Verbindungen erfolgt am besten durch Dehydrierung der entsprechenden D i o x y n a p h t h a l i n e oder O x y a m i n o v e r b i n d u n g e n (in diesem Fall mit anschließender Hydrolyse des zunächst entstehenden C h i n o n i m i n s ; Gleichung formulieren!). Die auch hier an erster Stelle stehende p - V e r b i n d u n g kann daneben auch durch direkte O x y d a t i o n v o n N a p h t h a l i n mit Luftsauer-

Naphthalinderivate

819

OH I

J

Γ

L

Γ' SO,Η

Η OH

.OH

HO SO,H a-Naphthol-2-sulfonsaure Schaffer'sche α-Säure

a-Naphthol-4-sulfonsäure (Neville-Winther'sche Säure)

_1

L.

Ί

0-Naphthol-6-sulfonsaure Schaff er'sche β· Säure

0-Naphthol-8-suIfonsfcure (Crocein-säure)

1

π

•f

Γ OH .SO,Η

OH H0 3 S / /

* I+

/ \ / \ /

OH

HO,

/'\S03H

iosH ö-Naphthol-2,4-disulfonsäure

/J-Naphthol-6,8-disulfons&ure (G-Säure)

l-Jiaphthol-3,e-disulfonsäure (R-Säure)

I I

~i OH ; H03S/

a-Jiaphthol-2,4,7-trisulfonsäure

Γ S03H w

OH \SO 3 H

iä-Iiaphthol-3,6,8-trisulion8äuie

stoff (bei höherer Temperatur über Kontaktsubstanzen) oder mit Hilfe der D i e n s y n t h e s e aus B e n z o c h i n o n und B u t a d i e n (S. 814) gewonnen werden. Die ound die p - V e r b i n d u n g entsprechen in jeder Beziehung den Benzochinonen (S. 295f.), von denen sie sich lediglich durch Angliederung eines zweiten Benzolringes ableiten. Im amphi-Naphthochinon sind dagegen b e i d e B e n z o l k e r n e chinoid, wobei wiederum auffällt, daß der Übergang b e i d e r Ringe vom h y d r o c h i n o i d e n in den c h i n o i d e n Zustand durch Abspaltung von nur zwei Η - A t o m e n bewirkt wird (Gleichung formulieren!). Die Naphthochinone selbst haben keine praktische Bedeutung erlangt. Dagegen werden wir später verschiedenen Oxyderivaten als n a t ü r l i c h e n F a r b s t o f f e n begegnen (III, Kap. 2, IV, 1). In den Naphthylaminen liegen die dem Anilin entsprechenden M o n o a m i n o v e r b i n d u n g e n des Naphthalins vor. Von ihnen ist infolge der schwierigen Darstellbarkeit des/J-Nitronaphthalins nur die « - V e r b i n d u n g durch R e d u k t i o n d e s N i t r o k ö r p e r s zugänglich, während das / ? - N a p h t h y l a m i n m e i s t e n s v o m / J - N a p h t h o l aus mit Hilfe des auf S. 818 beschriebenen A m m o n i u m s u l f i t v e r f a h r e n s gewonnen wird. Chemisch verhalten sich die Naphthylamine wie typische A n i l i n b a s e n . Insbesondere lassen sie sich wie diese über die D i a z o v e r b i n -

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

820

d ü n g e n in zahlreiche N a p h t h a l i n d e r i v a t e überführen und mit anderen Diazokörpern zu A z o v e r b i n d u n g e n kuppeln. Auf beiden Reaktionen beruht ihre wichtigste technische Anwendung zur Darstellung von F a r b s t o f f e n . Von den s p e z i e l l e n R e a k t i o n e n als Naphthalinderivate wurde auf die nahen Beziehungen zu den N a p h t h o l e n bereits hingewiesen. Von Interesse ist weiterhin das unterschiedliche Verhalten beider Naphthylamine bei der p a r t i e l l e n H y d r i e r u n g zum Tetralinderivat. In der β - V e r b i n d u n g wird zunächst der n i c h t - s u b s t i t u i e r t e Ring hydriert, und es entsteht das sich wie ein a r o m a t i s c h e s A m i n verhaltende 2 - A m i n o t e t r a l i n (I), während das α - A m i n o n a p h t h a l i n zunächst an dem die Aminogruppe enthaltenden Ring angegriffen wird, so daß das a l i c y c l i s c h e und stark b a s i s c h e l ' - A m i n o t e t r a l i n (II) entsteht: „„ NH,

NH,

NH,

NH,

+ 2H,

+ !H,

!!

I

I

II

Von den D e r i v a t e n der N a p h t h y l a m i n e haben wiederum zahlreiche, unter verschiedenen Sulfonierungsbedingungen entstehende S u l f o n s ä u r e n praktische Bedeutung als Kupplungskomponenten für A z o f a r b s t o f f e erlangt. Die wichtigsten von ihnen sind mit den in der Technik gebräuchlichen Trivialnamen in der folgenden Übersicht zusammengestellt: NH,

NH,

NH,

Η 2 SO, 180—200°

bei längerer H ? S 0 4 Einwirkuug nacheinander

so 3 h A-Iiaphthylamin-4-sulfonsäure (Naphthionsäure)

SO3H a-Naphthylamin-5-sulfonsäure (α-Naphthylamin-sulfonsäure L oder Naphthalidinsäure)

j ι NH,

NH,

HO

S03H

0

•— (CH2)8

-(CH,),,

hat damit die bis dahin streng g ü l t i g e Regel, daß ein zweiter Ring an einen Benzolkern nur in o - S t e l l u n g kondensiert werden kann, durchbrochen, bzw. den Gültigkeitsbereich dieser Regel auf eine Ringgröße u n t e r h a l b des „Ringb i l d u n g s m i n i m u m s " von 10Ringatomen (vgl. S.798) beschränkt. Auf die im Zusammenhang mit diesen neuartigen Ringmolekülen auftauchenden s t e r e o c h e m i s c h e n Probleme werden wir später noch näher zu sprechen kommen (vgl. II, Kap. 7,1, Id c; IV, 1; VI, 2 u. a.). LÜTTRINGHATTS

2. Die Verbindungen vom Pyridintypus a) A l l g e m e i n e s Ersetzt man im Benzolring eine CH-Gruppe durch ein Ν - A t o m , so kommt man zu der wichtigsten heterocyclischen Verbindung, dem Pyridin. Seine Bedeutung liegt einerseits auf dem Gebiete der t h e o r e t i s c h e n o r g a n i s c h e n Chemie, da es als A z a d e r i v a t des B e n z o l s weitgehend dessen aromatischen Charakter beibehalten hat, andererseits auf dem der Naturstoffe, insbesondere der Alkaloide, da diese vielfach einen P y r i d i n r i n g enthalten. Schließlich treten Pyridin und einige seiner einfachen Derivate auch im S t e i n k o h l e n t e e r auf. Die Struktur des Pyridinringes ist durch mehrere S y n t h e s e n und auch Abb a u r e a k t i o n e n absolut sichergestellt. Am einfachsten ergibt sie sich aus den nahen Beziehungen des Pyridins (III) zu dem auf S. 560 beschriebenen Piperidin(II)

Pyridin und Derivate

839

und den P e n t a m e t h y l e n d i h a l o g e n i d e n (I), aus denen es in r e v e r s i b l e r R e a k t i o n gewonnen werden kann. Eine andere Synthese, die die engen Beziehungen zum Benzol besonders deutlich erkennen läßt, haben wir bereits auf S. 112 in der gemeinsamen Trimerisierung von A c e t y l e n und B l a u s ä u r e kennengelernt: Η Η

/CH*—CH, -Hai CH,

* CHa—CH2—Hal

Hx

2 HHal

i )NH -v. Braun'scher

+

Hi

Abbau

- 3 H,

NH

\

:i H,

. y

HC

Ν

C

+

CX

C -C

Ν

Η Η I II III Schließlich ist auch die etwas umständliche HANTZSCHsche C o l l i d i n s y n t h e s e für die Struktur des Pyridinringes beweisend. Sie beruht auf einer Verknüpfung der aktiven Methylengruppen zweier A c e t e s s i g e s t e r m o l e k ü l e durch die Carbonylgruppe eines A c e t a l d e h y d m o l e k ü l s unter gleichzeitigem Einbau des als Kondensationsmittel dienenden A m m o n i a k s in den entstehenden Ring. Dieser setzt sich also aus vier einzelnen T e i l s t ü c k e n zusammen: COOR CH,

I

I

,c Η ;H =0; Η !H

COOR CH3

c

+

\ h

)NH

i

-3H.0

\

ΟΗ

k

Dihydro-collidin-dicarbonsäureester

COOR CH,

(Ν,Ο,)

CH, y

C

('

COOR CH3

COOR CH,

-H, _

NH

Ν

=/

CH3 Esterverseifune - 2 CO,

I

Ν

CH,

(ioQR CH dl 3 COOR

CH3

Coll idin-di- carbo η säureest er

Collidin

Die Reaktion ist nur zur Darstellung von P y r i d i n h o m o l o g e n geeignet, hat hier aber infolge der zahlreichen V a r i a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n eine gewisse präparative Bedeutung erlangt. Später ist es T S C H I T S C H I B A B I N ( 1 9 2 4 ) gelungen, die gleiche Synthese bei hoher Temp e r a t u r unter Verwendung von A 1 2 0 3 - K o n t a k t e n auch mit den reaktionsträgeren K e t o n e n (an Stelle der Ketocarbonsäureester) durchzuführen und dadurch kostspielige organische Substanz einzusparen: CH,

;

/

H: : H

I=O; :

-

C H

(

\

Ο

- -

O

H: :H

\CH-

I

CH,

CH 3

+ H NH

-3H.0

/

CH=C

ΧΉ, \

NH

I

CH,

-H,

CH,

Ν CH,

Die Benennung der Pyridinverbindungen erfolgt vielfach durch T r i v i a l n a m e n , die sich von den Namen der jeweiligen N a t u r s t o f f e ableiten, die das betreffende 54*

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

840

Pyridinderivat enthalten (ζ. B. ist P i p e r i d i n ein Bestandteil des Alkaloids P i p e r i n ; III, Kap. 7, I I I 3 a ) oder beim Abbau liefern (ζ. B. entsteht N i c o t i n s ä u r e beim oxydativen Abbau v o n N i c o t i n ; III, Kap. 7, III, 4). 4 Die daneben gebräuchliche r a t i o n e l l e B e n e n n u n g erfolgt in der /y\, üblichen Weise durch A b z ä h l u n g der C-Atome oder durch Verwendung g r i e c h . B u c h s t a b e n zur Charakterisierung des Abstandes 1 v o m Pyridinstickstoff: Die physikalischen Eigenschaften der Pyridinverbindungen sind denen der B e n z o l d e r i v a t e ähnlich, weichen jedoch in einigen P u n k t e n charakteristisch v o n ihnen ab, wie im einzelnen aus Tab. 40 zu entnehmen ist. Tabelle 40 T r i v i a l n a m e n und physikalische K o n s t a n t e n einiger P y r i d i n - und Chinolinderivate Trivialnamen Pyridin a-Picolin /3-Picolin y-Pi colin a,y-Lutidin sym-C(K)ollidin a-Pyridon y-Pyridon — — — —

rat. Benennung

Sdp.

Smp.

D/T. fl.

2-Methylpyridin 3-Methylpyridin 4-Methylpyridin 2,4-Dimethylpyridin 2,4,6-Trimethylpyridin

116° 128» 143» 143» 159» 171»

-42» —70»

0,977/20» 0,950/15» 0,961/15» 0,957/15° 0,938/14» 0,917/20»

2-Oxypyridin 4-Oxypyridin 2 -Pyridinaldehyd 3-Nitropyridin 2-Aminopyridin 3-Aminopyridin

280° Zers. 181» 216» 204» 251°

107» 149»



Picolinsäure Nicotinsäure Nicotinsäureamid Isonicotinsäure Chinolinsäure

2-Pyridincarbonsäure 3-Pyridincarbonsäure 3-Pyridincarbonsäureamid 4-Pyridincarbonsäure 2,3-Pyridindicarbonsäure

Lutidinsäure Cinchomeronsäure

2,4-Pyridindicarbonsäure 3,4-Pyridindicarbonsäure

Chinolin Chinaldin Lepidin Isochinolin Acridin

2,3 - Benzopyridin 2-Methylchinolin 4-Methylchinolin 3,4- Benzopyridin 2,3,5,6-Dibenzopyridin

— — — — —

— —

238» 247» 259» 241» 346»

— — — —



41» 56» 65° 137" 237» 121» 317° 190—195» (Zers.) 249° 258° —15° — 1» 10» 25» 110»

— —

1,126/25» — — —

— — — — —

— • —

1,093/20° 1,059/20» 1,086/20» 1,098/20° —

Danach beobachtet man gegenüber den entsprechenden Benzolabkömmlingen bei den nicht besonders stark assoziierenden Verbindungen einen im Durchschnitt um etwa 30° höheren S i e d e p u n k t , der auf das relativ hohe Dipolmoment des heterocyclischen Ringsystems zurückzuführen ist (S. 423,558), und eine — offenbar durch die größere U n s y m m e t r i e des Moleküls bedingte — deutliche S c h m e l z p u n k t s s e n k u n g . Besonders groß werden die Unterschiede zwischen beiden Reihen bei den stark assoziierenden Verbindungen, wie ζ. B. bei den zur Ausbildung von Z w i t t e r i o n e n neigenden C a r b o n s ä u r e n und den zur Bildung von W a s s e r s t o f f b r ü c k e n befähigten O x y - und A m i n o v e r b i n d u n g e n , die sämtlich

Pyridin und Derivate

841

sehr h o c h s c h m e l z e n und s i e d e n . Hier treten zwischen α- und y-Derivaten ähnliche Unterschiede auf, wie wir sie beim o- und p - O x y b e n z a l d e h y d (S. 439), dem o- und p - N i t r o p h e n o l (S. 656) usw. kennengelernt haben (vgl. auch II, Kap. 6, III, lc).

Sehr interessant sind auch die Lösungseigenschaften. Die Pyridinbasen verhalten sich infolge der Anwesenheit des A m i n o s t i c k s t o f f s ausgesprochen h y d r o p h i l und gehören daher zu den wenigen, k e i n e n a k t i v e n W a s s e r s t o f f im Molekül enthaltenden organischen Verbindungen, die bei Mischbarkeit mit allen lipophilen organischen Solventien nicht nur gleichzeitig mit W a s s e r mischbar sind, sondern sogar ausgesprochen l i p o p h o b e Stoffe, wie S a l z e und konzentrierte M i n e r a l s ä u r e n , zu lösen vermögen. Da sie ferner infolge ihrer unten beschriebenen b a s i s c h e n N a t u r in Lösung befindliche Säuren unter Salzbildung n e u t r a l i s i e r e n , spielen P y r i d i n und auch C h i n o l i n in der präparativen organischen Chemie eine wichtige Rolle als b a s i s c h e R e a k t i o n s m e d i e n , die die Aufgabe haben, bei der Reaktion als Nebenprodukt auftretende Säuren in h o m o g e n e r P h a s e zu binden. Ein praktisches Anwendungsbeispiel haben wir auf S. 323 in der A c y l i e r u n g n a c h E I N H O R N kennengelernt. Die chemischen Reaktionen des Pyridinkerns lassen sich in drei größere Gruppen unterteilen: 1. die Reaktionen des S t i c k s t o f f s , 2. die a r o m a t i s c h e n Reaktionen des Pyridinkerns und 3. die s o n s t i g e n R e a k t i o n e n des Pyridinkerns. Zu 1. Der Stickstoff hat im großen und ganzen den gleichen Bindungszustand wie in den ScHiFFschen B a s e n und reagiert daher b a s i s c h . Doch ist seine Basizität wesentlich g e r i n g e r als die des Stickstoffs der aliphatischen Amine und entspricht mit einem ρκ - W e r t von 8,77 für P y r i d i n und 9,20 für C h i n o l i n etwa der der A n i l i n b a s e n (vgl. Tab. 27, S. 540). Ferner sind sämtliche Pyridinbasen zur Bildung von N - A l k y l - p y r i d i n i u m - s a l z e n befähigt, von denen wir einen Spezialfall, die bei der Addition von S0 3 entstehende b e t a i n a r t i g e A n h y d r o - p y r i d i n s c h w e f e l s ä u r e , bereits als S u l f o n i e r u n g s m i t t e l kennengelernt haben (vgl. S. 678). Zu 2. Pyridin und seine Derivate sind typisch aromatische Substanzen, in denen das N-Atom keinen größeren Einfluß auf das Doppelbindungssystem ausübt als ein n o r m a l e r S u b s t i t u e n t d e s B e n z o l k e r n s . Speziell verhält der Pyridinstickstoff sich wie ein S u b s t i t u e n t z w e i t e r O r d n u n g , d. h. einerseits ist der Pyridinkern s c h w e r e r a n i o n o i d zu s u b s t i t u i e r e n und im allgemeinen auch o x y d a t i o n s b e s t ä n d i g e r als der Benzolkern, andererseits werden bei a n i o n o i d e r S u b s t i t u t i o n die neueintretenden Liganden ausschließlich in m - S t e l l u n g z u m S t i c k s t o f f (3- bzw. ^-Stellung des Pyridinringes) dirigiert, so daß die Gewinnung der Λ- und y-substituierten Derivate zuweilen Schwierigkeiten bereitet. Auch die am Pyridinkern befindlichen Substituenten reagieren wie typisch a r o m a t i s c h e L i g a n d e n , wobei wieder die Ähnlichkeit τη it einem mit Substituenten z w e i t e r O r d n u n g besetzten Benzolderivat auffällt. So sind ζ. B. in Analogie zu den Substitutionsreaktionen der P i k r i n s ä u r e d e r i v a t e in

C / X

CH,_

()(1), VII

Dagegen ist die scheinbar so einfache S u b s t i t u t i o n des P y r i d i n s t i c k s t o f f s durch S a u e r s t o f f unter Intaktlassung der Kohlenstoffkette und damit die Darstellung der auf den beiden anderen Wegen nicht zugänglichen G r u n d v e r b i n d u n g der R e i h e ( X ) erst in neuester Zeit durch Behandeln des bei der hydrolytischen Aufspaltung des Pyridinringes (S. 842) entstehenden N a t r i u m e n o l a t s des Glut a c o n - d i a l d e h y d s ( V I I I ) mit P e r c h l o r s ä u r e gelungen (F. K l a g e s 1952): ©

Θ

Ν—SO,

+ NaOH - H.O " -^Η,Χ—SC>7iT

+ 2 HClQj

— KaClO,'

-=0ΗΊ + =—OH

C104"

IX

— Ha0

C10,

Hierbei tritt das Oxoniumperchlorat des Glutacondialdehyds ( I X ) als Zwischenprodukt auf. Die Pyryliumsalze sind strukturell mit den t e r t i ä r e n I m o n i u m s a l z e n (S. 549) zu vergleichen, mit denen sie einerseits das F e h l e n v o n W a s s e r s t o f f am O n i u m a t o m und damit die Unmöglichkeit der Darstellung einer N e u t r a l base, andererseits eine vom Oniumatom ausgehende sehr a k t i v e D o p p e l b i n dung gemein haben. Sie sind daher, und zwar als O x o n i u m s a l z e in wesentlich stärkerem Maße als die Imoniumsalze, gegen basische R e a g e n t i e n unbeständig und lagern insbesondere H y d r o x y l i o n e n sofort zu Pseudobasen ( X I ) an, die einerseits in Gegenwart starker Säuren die Hydroxylgruppe unter R ü c k b i l d u n g

860

Cyclische Verbindungen vom Benzoltvpus

d e r P y r y l i u m s a l z e wieder a b z u d i s s o z i i e r e n vermögen, andererseits den Charakter der C y c l o f o r m e i n e s E n o l a l d e h y d s (XII) aufweisen und daher mit diesem t a u t o m e r sind 1 ): OH CH=0

oh+ H+, — HjO

--CH—OH XI xu Von den s o n s t i g e n R e a k t i o n e n der Pyryliumsalze ist von allgemeinem Interesse lediglieh die bei der Behandlung mit A m m o n i a k (gegebenenfalls auch in Form von A m m o n i u m a c e t a t ) erfolgende Substitution des Oxoniumsauerstoffs durch Stickstoff zur entsprechenden P y r i d i n b a s e , die als K o n s t i t u t i o n s b e w e i s zu bewerten ist und die nahe Verwandtschaft zwischen d e r P y r y l i u m s a l z - und d e r P y r i d i n r e i h e besonders deutlich erkennen läßt: CIO.

— H20,— λ'Η,ΟΙΟ,

Π ι v = /

b) D i e P y r o n e Die P y r o n e sind im Gegensatz zu den Pyryliumsalzen ausschließlich aus n e u t r a l e n A t o m e n aufgebaut. Sie enthalten daher zunächst k e i n benzolaromatisches Doppelbindungssystem, sondern können dieses, wie unten noch näher erörtert wird, nur im Rahmen einer M e s o m e r i e mit einer Z w i t t e r i o n e n s t r u k t u r ausbilden und durch S a l z b i l d u n g stabilisieren. Die Neutral Verbindungen müssen strukturell daher eher mit den C h i n o n e n verglichen werden, mit denen sie die K o n j u g a t i o n einer C a r b o n y l g r u p p e mit z w e i C = C - D o p p e l b i n d u n g e n gemein haben, und von denen sie sich lediglich darin unterscheiden, daß der Ring (und auch das geschlossen konjugierte π-Elektronensystem) statt durch eine zweite Carbonylgruppe durch ein Ä t h e r s a u e r s t o f f a t o m geschlossen wird. Wir unterscheiden daher wie bei den Chinonen o- oder, wie man hier allgemein sagt, a-Pyrone und p- oder γ-Pyrone, von denen nur die letzteren zur Bildung b e n z o l a r o m a t i s c h e r O x o n i u m s a l z e befähigt sind: Ο Η



HC

CH

HC

C

V0X\

0

α-1'yron (Cumalin)

\ CH II CH \0/

HC II II HC

y-Pyron

Die α-Pyrone sind E n o l l a c t o n e α,/S-ungesättigter 1 , 5 - O x o c a r b o n s ä u r e n . Die Grundverbindung der Reihe, das Cumalin, kann man durch Einwirkung von k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e auf Ä p f e l s ä u r e über das E n o l d e s M a l o n h a l b a l d e h y d s (I) und die C u m a l i n s ä u r e (II) als Zwischenprodukte gewinnen: 1

) Grundsätzlich ist die Anlagerung auch an einer a n d e r e n S t e l l e d e s k o n j u g i e r t e n S y s t e m s möglich. Ζ. Β. würde eine Addition des Hydroxylions in 4-Stellung des P y r y l i u m k a t i o n s IV zu dem eben angeführten 4 - P y r a n o l - d e r i v a t (Formel III) führen, das, wie seine leichte Rückumwandlung in das P y r y l i u m i o n IV zeigt, auch tatsächlich den Charakter einer P s e u d o b a s e aufweist.

Die Pyrone COOH HOOC Η I CHOH K o h l e m x y d c !I !l s p a l t u n g ( S . 474) HC

CH,

Η HO— C: \

+

OH

861

CH I



:>.

c

Η2 Ο

HO

CH

-co,

-->• ι

c

COOH

Η

HOOC.

HC

I

C

^0

Cumalin

I

II

Das Ringsystem des α-Pyrons ist infolge der L a c t o n g r u p p i e r u n g in alkalischem Medium relativ l e i c h t s p a l t b a r und zeigt keine neuartigen Eigenschaften, so daß es in diesem Zusammenhang ohne Interesse ist. Doch sind einige N a t u r s t o f f e der λ-Pyronreihe bekannt. Am wichtigsten ist das 5 , 6 - B e n z o - c u m a l i n , das wir unter dem Xamon Cumarin bereits alsLacton der o - O x y z i m t s ä u r e kennengelernt haben(S.490),und das als Duftstoff des Waldmeisters von Bedeutung ist. Weiterhin t r i t t das phenanthrenartige 3 , 4 , 5 , 6 - D i b e n z o c u m a l i n , das den Trivialnamen Diphenylmethylolid erhalten hat, in Form einiger Oxyderivate natürlich auf, die in Zusammenhang mit den G e r b s t o f f e n (III, Kap. 6, II, 3b) von Interesse sind:

Ss Cumarin

Diphenylmethylolid

In den γ-Pyronen ist der Ringsauerstoff b e i d e r s e i t s e n o l ä t h e r a r t i g gebunden. Dadurch wird der Ring a l k a l i b e s t ä n d i g , und es kommen die charakteristischen Eigenschaften des Pyronringes besser zum Ausdruck. Die bestuntersuchte Verbindung der Reihe ist das a, « ' - D i m e t h y l - y - p y r o n (kurz Dimethylpyron genannt), das wir bereits als Zersetzungsprodukt der D e h y d r a c e t s ä u r e kennengelernt haben (S. 502). Zu seiner Darstellung dient meistens die Kondensation von zwei Mol A c e t e s s i g e s t e r — in Form des K u p f e r s a l z e s der E n o l f o r m (I) — mit Phosgen zum 3 , 5 - D i c a r b ä t h o x y - h e p t a t r i o n - 2 , 4 . 6 . das in der Dienolform I I unter der Einwirkung von verdünnter S c h w e f e l s ä u r e die Carbäthoxygruppen abspaltet ( K e t o n s p a l t u n g , vgl. S. 497) und gleichzeitig unter Wasserabspaltung in Dimethylpyron (III) übergeht: Ο ROOC

Η C

C1

C1

ο'

Η Tr

ROOC

COOR — 2 HCl Hydrolyse

CH,

Ca' I Ο .Cs HC Deearboxylierung

CH

C

C

HjC^o/^CHa III

COOR

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

862

Dimethylpyron ist eine sehr interessante Verbindung, denn es zeigt in mehrfacher Hinsicht n i c h t die auf Grund seiner Konstitution erwarteten Reaktionen. Insbesondere fallen eine Reihe von K e t o n r e a k t i o n e n aus (ζ. B. die Oxim- und S e m i c a r b a z o n b i l d u n g ) , und auch die für einen Enoläther charakteristische S ä u r e s p a l t u n g tritt nicht ein. Andererseits reagiert die Verbindung trotz des Fehlens von Aminostickstoff ausgesprochen b a s i s c h und vermag mit Säuren b e s t ä n d i g e Salze zu bilden, die beim Dimethylpyron selbst zwar in wäßriger Lösung noch teilweise hydrolysieren1), bei einigen Derivaten, wie ζ. B. den in III, Kap. 2, VIII, 5 beschriebenen A n t h o c y a n e n , aber infolge der Aromatisierung von gleichzeitig zwei S e c h s r i n g e n bereits derart hydrolysenbeständig sind, daß die in diesem Falle mit einem F a r b u m s c h l a g verbundene Salzbildung bereits in der Nähe des N e u t r a l p u n k t e s erfolgt. Diese eigenartige Basizität der Pyrone wurde schon frühzeitig durch Annahme einer O x o n i u m s a l z b i l d u n g gedeutet. Doch fand man lange Zeit keine Erklärung für die im Gegensatz zu anderen Sauerstoffverbindungen relativ s t a r k e B a s i z i t ä t des S a u e r s t o f f s . Auch die Frage, welches von den beiden O-Atomen in den Oniumzustand übergeht, ließ sich nicht in einfacher Weise entscheiden, denn bei Versuchen, durch Methylierung der Pyrone t e r t i ä r e O x o n i u m s a l z e herzustellen, wird unerwarteterweise der in anderen Verbindungen völlig neutrale C a r b o n y l s a u e r s t o f f methyliert (s. u.). Man kommt jedoch sofort zu einem Verständnis dieser Reaktionen, wenn man die starke A r o m a t i s i e r u n g s t e n d e n z mehrfach ungesättigter Sechsringe berücksichtigt. Eine A r o m a t i s i e r u n g des Dimethylpyrons (IV) ist nämlich bereits durch eine m e s o m e r e E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g möglich, indem der Ringsauerstoff durch den Aufbau einer d r i t t e n D o p p e l b i n d u n g mit Hilfe eines seiner ung e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e in den O n i u m z u s t a n d übergeht und dafür der Carbonylsauerstoff unter Aufrichtung der C=0-Doppelbindung die Funktion eines P h e n o l a t s a u e r s t o f f s übernimmt: Ο/

:o=

01

12 \

IV

/

V

An einer derartigen Mesomerie zwischen der aus N e u t r a l a t o m e n aufgebauten Struktur IV und der Z w i t t e r i o n e n s t r u k t u r V dürfte die letztere, die infolge der bei ihrer Ausbildung freiwerdenden A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e auf einem besonders niedrigen Energien i v e a u liegt, stärker beteiligt sein, als es normalerweise bei Zwitterionenstrukturen der Fall ist. Sie diktiert daher in erster Linie das chemische V e r h a l t e n der Pyrone. So wird ζ. B. der K e t o n c h a r a k t e r aus dem Grunde geschwächt, weil die Zwitterionenstruktur V überhaupt keine Carbonylgruppe mehr enthält, diese also nur von der N e u t r a l s t r u k t u r IV aus, deren Ausbildung eine Energiezufuhr erfordert, in Reaktion treten kann. Weiterhin fungiert bei der Salzbildung der P h e n o l a t s a u e r s t o f f der Zwitteri o n e n s t r u k t u r V als s t ä r k s t basischer Molekülteil und lagert das P r o t o n oder Alkylk a t i o n an: Θ

OH

Λ

ι Θ Ii

er

+ HCl — HCl

Ο I I Α ο Λ V

0—R R—J ©

VI

!) Die basische D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e des Dimethylpyrons liegt mit einem Ρκ-Wert von 13,7 nur um etwa zwei E i n h e i t e n über der des Wassers (15,8).

863

Die Pyrone

Im Gegensatz zur n o r m a l e n O n i u m s a l z b i l d u n g von Neutralbasen ist also nicht der spätere O x o n i u m s a u e r s t o f f der Träger der Basizität, sondern es sind, ähnlich wie bei der Salzbildung der Aminoxyde (S. 593), v e r s c h i e d e n e A t o m e , die als A c c e p t o r e n des P r o t o n s (bzw. Alkylkations) und als Träger der posit i v e n L a d u n g fungieren. Die bei der Alkylierung entstehenden Salze vom Typus VI sind normale P y r y l i u m s a l z e , deren Eigenschaften durch die Alkoxygruppe n i c h t g r u n d l e g e n d v e r ä n d e r t werden. Sie zeigen daher ähnliche ΒsständigkeitsVerhältnisse wie die oben beschriebenen sauerstofffreienVerbindungen. Insbesondere können sie durch Alkalien nicht mehr unter Protonenabgabe in neutrale Pyronderivate zurückverwandelt werden, sondern bilden ebenfalls P s e u d o b a s e n . Ferner gehen sie beim Behandeln mit A m m o n i a k i n normaler Weise in die entsprechenden P y r i d i n d e r i v a t e über (vgl. S. 860), woraus die Stellung der A l k y l g r u p p e an dem ursprünglichen Carbonyl- bzw. P h e n o l a t s a u e r s t o f f des Pyronmoleküls mit Sicherheit folgt: //— R—Ο—, Ο \r=/

+

C 1 04 -

-

Η,Ο,-JiH.CK),

Die unerwartet große Tendenz des Pyronsauerstoffs zum Übergang in den Oniumzustand findet danach ihre befriedigende Erklärung darin, daß der Pyronring bei der Salzbildung einen a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s z u s t a n d annehmen kann. Infolgedessen wird die N e u t r a l i s a t i o n s w ä r m e des Pyrons gegenüber der e i n f a c h e r S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n um die freiwerdende A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e des Sechsringes erhöht und das Gleichgewicht entsprechend z u g u n s t e n d e r O n i u m s a l z b i l d u n g verschoben. Wir werden später im P y r r o l (S. 869) eine Verbindung kennenlernen, bei der umgekehrt das aromatische System bei der Salzbildung aufgehoben wird, so daß die Neutralisationswärme gleich der D i f f e r e n z der bei der normalen A m m o n i u m s a l z b i l d u n g auftretenden Wärmetönung und der Aromatisierungsenergie ist, und bei der infolgedessen die Basizität des Stickstoffs nahezu vollständig v e r s c h w i n d e t .

Die einfachen Pyrone sind ohne Bedeutung geblieben. Q Dagegen treten eine Reihe komplizierter Pyronderivate n a t ü r l i c h auf, von denen insbesondere die in Gegenwart /OH einiger Bakterien aus K o h l e n h y d r a t e n unter D e h y d r i e HC C rung und Abspaltung von zwei Molekülen W a s s e r entstehende Kojisäure von Interesse ist, da sie die ursprüngJr^ liehe Anordnung der Atome im Glukosemolekül noch gut HO—CH, Ο erkennen läßt. Auch in vitro ist die Überführung der GluKojisäure cose in Kojisäure gelungen. Ein weiteres natürliches Pyronderivat ist das Maltol, das u. a. in Fichtennadeln auftritt und wahrscheinlich ebenfalls aus K o h l e n h y d r a t e n entstanden ist. Es entsteht ferner beim B r e n z e n v o n Malz (Name!) und dient auf Grund seiner violetten Farbreaktion mit E i s e n I l l - c h l o r i d (als Enol) in der Lebensmittelchemie zur Unterscheidung von M a l z - und K o r n k a f f e e . Von den C a r b o n s ä u r e n des y-Pvrons treten die Mekonsäure und die Chelidon· säure als saure Komponenten verschiedener Alkaloide natürlich auf. M e k o n s ä u r e geht bei der Brenzung unter Decarboxylierung in P y r o m e k o n s ä u r e über, die man auch als „ N o r m a l t o l " bezeichnen könnte:

^COOH HO.

/CH»

\ 0=(

/ Ο Maltol

HOx

\ _ 0=(

HO x

ο

Pyromekonsäure

\ o=x

/COOH

/ ο

Mekonsäure

^

/

0=( x

/ = =

\

o —< _

Chelidonsäure

r

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

864

2,3-Benzopyrcm (III) ist der Grundkörper zahlreicher n a t ü r l i c h e r F a r b s t o f f e (Näheres vgl. III, Kap. 2, VIII, 4) und h a t daher den Namen Chromon erhalten. Seine Synthese — und in analoger Weise auch die seiner Derivate — f ü h r t man am besten durch Kondensation von o - O x y - a c e t o p h e n o n (I) mit C a r b o n s ä u r e e s t e r n durch. So entsteht ζ. B. bei Verwendung von O x a l s ä u r e e s t e r über den C h r o m o n c a r b o n s ä u r e e s t e r (II) das C h r o m o n (III) selbst, bei Verwendung von B e n z o e s ä u r e e s t e r sein wichtigstes Derivat, das Phenylchromon oder Flavon (IV), von dem sich ebenfalls zahlreiche natürliche Farbstoffe ableiten: Ο Ο II CH

Ή2·Όν i + >C—COOR OH Iii) :

L

' - o

-H,0 -KOH

j!

Vprseifunii -cos

COOR

--H20 — llOH

IV

Flavon kann auch in z w e i S t u f e n durch Kondensation von o - O x y a c e t o p h e n o n mit B e n z a l d e h y d zum o - O x y - b e n z a l - a c e t o p h e n o n (V), das sich seinerseits beim Kochen mit Säuren zum leicht dehydrierbaren D i h y d r o f l a v o n (VI) umlagert, gewonnen werden:

Ο

Ο

X'CH

η," 0 = CH—; OH

CH

— H.O s

CH-

\

X

0H

ν

inneriTiolekul. Addition

CH—'

C h r o m o n und F l a v o n sind ebenfalls zur Bildung von O x o n i u m s a l z e n befähigt, die allerdings leichter hydrolysieren als die Salze des Pyrons und daher nur in w a s s e r f r e i e m M e d i u m , ζ. B. in k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e , beständig sind. Während der Chromonring in s a u r e r L ö s u n g durch die Oxoniumsalzbildung und Aromatisierung s t a b i l i s i e r t wird, ist er g e g e n ü b e r A l k a l i e n u n b e s t ä n d i g und wird in Umkehrung der ersten der beschriebenen Synthesen wieder a u f g e s p a l t e n . Hierbei ist es möglich, in a l k o h o l a t - a l k a l i s c h e m M e d i u m die bei der Synthese nicht als Zwischenprodukte faßbaren 1 , 3 - D i k e t o n e i n Form der Enolate (VIII) abzufangen, während bei Verwendung von w ä ß r i g e m A l k a l i anschließend sofort die typische K e t o n s p a l t u n g der 1,3-Dioxoverbindungen (vgl. S. 448) einsetzt, und das o - O x y a c e t o p h e n o n direkt entsteht:

Die Thiopyrone

865 01 I

ο μ

CH ^

0X

/

\

\

/

XaOK. Γ.ΟΗ (Enolätherspaltuiig)

C —, 0Xa

"

Ο

νιι ι

°Xa

i:

Dibenzopyron hat den Namen Xanthon erhalten und ist ebenfalls die Muttersubstanz einer Reihe von N a t u r f a r b s t o f f e n (III, Kap. 2, I I I , 4c). Seine Synthese erfolgt am besten durch Erhitzen von S a l i c y l s ä u r e mit wasserabspaltenden Mitteln, wobei aus z w e i M o l e k ü l e n der Säure durch gleichzeitige K e t o n - und Ä t h e r b i l d u n g der Ringschluß erfolgt: Ο Ii

COOH



+

OH

HOOC\/\ ;

j! I ^ S ^ H

;:

Ii

|+2H2o

+

co 2

HO " Χ . ^ · Xanthon

Xanthon ist infolge der relativ geringen Bildungstendenz des anthracenartigen Bindungssystems noch w e n i g e r b a s i s c h als Chromon oder Flavon und bildet daher nur noch mit P e r c h l o r s ä u r e ein b e s t ä n d i g e s Oxoniumsalz. Durch A l k a l i e n wird die S a u e r s t o f f b r ü c k e wie beim Chromon aufgespalten, doch bleibt der Abbau hier auf der Stufe des o , o ' - D i o x y b e n z o p h e n o n s (Gleichung formulieren!) stehen. Eine letzte Gruppe s a u e r s t o f f h a l t i g e r S e c h s r i n g e , in denen der heterocyclisehe Ring gleichzeitig ein X - A t o m e n t h ä l t , liegt schließlich in den verschiedenen Oxazinen vor. Von ihnen ist das 1,4-Oxazin in Form seines anthrachinonartig gebauten D i b e n z o d e r i v a t e s , des Phenoxazins, als Muttersubstanz einiger Farbstoffe von Interesse (vgl. III, Kap. 2, III, 4e):

Η

/

i!

X

Η

\

':

I

ιί X

1,4-Oxazin

0'

Phenoxazin

5. Die schwefelhaltigen sechsgliedrigen Ringsysteme Wie so häufig kann man auch in der heterocyclischen Reihe S a u e r s t o f f durch z w e i w e r t i g e n S c h w e f e l ersetzen, ohne den Verbindungscharakter wesentlich zu verändern. Insbesondere die den y - P y r o n e n entsprechenden γ-Thiopyronc (allgemein kurz Thiopyrone genannt) sind in dieser Beziehung sehr interessant, weil in ihnen der Schwefel n i c h t n u r f o r m a l sondern — ähnlich wie bei den K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n (S. 406f.) — auch hinsichtlich seiner c h e m i s c h e n R e a k t i o n s f ä h i g k e i t den Sauerstoff v o l l w e r t i g zu vertreten vermag. Die Gewinnung der wichtigsten Verbindung der Reihe, des α,α'-Dimethylthiopyrons (II) erfolgt in Analogie zu der auf S. 861 beschriebenen Dimethylpyronsynthese durch Behandeln von H e p t a t r i o n - 2 , 4 , 6 (I) mit P h o s p h o r p e n t a sulfid:

866

Cyclische Verbindungen vom Benzoltypus

ο PiS,

Di-enolisierung

Die Thiopyrone zeigen wie die Pyrone eine auffallende S c h w ä c h u n g d e s K e t o n c h a r a k t e r s , und im Zusammenhang damit kann die Thioäthergruppe n i c h t m e h r ohne weiteres zur S u l f o n - G r u p p e oxydiert werden. Ferner beobachtet man, ebenfalls wie bei den Pyronen, das Auftreten einer deutlichen Β a s i z i t ä t und die Tendenz zur Bildung von am S a u e r s t o f f substituierten Oniumsalzen. Alle diese Erscheinungen werden auch hier befriedigend durch eine M e s o m e r i e zwischen der aus N e u t r a l a t o m e n aufgebauten G r u n d s t r u k t u r I I I und der Z w i t t e r i o n e n s t r u k t u r IV erklärt, wenn man annimmt, daß in erster Linie die letztere den c h e m i s c h e n C h a r a k t e r der Verbindung diktiert:

:o=< 10—Η

I 0—R HClOj

CIO,

©Sl

HCIOj '

f/\ V

IV

R-J I eil VI

Es fungiert also wiederum der Ketonsauerstoff als T r ä g e r d e r B a s i z i t ä t , während der Schwefel zwar in den O n i u m z u s t a n d übergeht, aber wie der Ringsauerstoff in den Pyronen den Säurewasserstoff n i c h t zu b i n d e n vermag. Die Bildung von Sulfoniumionen, die eine SH-Gruppe enthalten, findet also auch hier n i c h t s t a t t (vgl. S. 674). Während die Stabilität und Bildungstendenz der t e r t i ä r e n S u l f o n i u m s a l z e deutlich g r ö ß e r ist als die der O x o n i u m s a l z e (vgl. S. 674), zeigen die T h i o p y r o n e eine wesentlich g e r i n g e r e B a s i z i t ä t als die Pyrone. Sie können daher nur noch mit s e h r s t a r k e n S ä u r e n (ζ. B. mit Perchlorsäure) beständige Salze (V) bilden, die durch Wasser h y d r o l y t i s c h zersetzt werden. Erst die am Sauerstoff alkylierten t e r t i ä r e n T h i o p y r o n i u m s a l z e vom Typus VI sind auch g e g e n W a s s e r stabil. Von weiteren schwefelhaltigen seehsgliedrigen Ringsystemen sei kurz auf das Thiazin als Muttersubstanz der T h i a z i n f a r b s t o f f e (III, Kap. 2, III, 47) hingewiesen. Einige andere diliydroanthracenartige Ringsysteme mit ein bzw. zwei S-Atomen im mittleren Ring liegen im Thioxanthren und Thianthren vor:

Thioxanthren

Pyrrol und Derivate

867

III. Die fünfgliedrigen Ringsysteme mit aromatischem Charakter Wie bereits auf S. 772 angeführt, leiten sich sämtliche Ringsysteme dieser Gruppe von den drei Grundverbindungen: 4 - 3 4 :! 4 3 ß• Ρ β' f> , ß' ß und 1 ·, χ' a χ' Λ λ' α 5 2 5 2 5 W χ 0 / ' \ s / 2 7 i Pyrrol Furan Thiophen ab, die jeweils eines der drei wichtigsten Heteroelemente der organischen Chemie als Ringatom enthalten, und deren Derivate in der angegebenen Weise durch Z a h l e n oder g r i e c h i s c h e B u c h s t a b e n benannt werden.

1. Die Verbindungen vom Pyrroltypus Bei weitem die größte Bedeutung kommt den Verbindungen vom P y r r o l t y p u s zu, die in zahlreichen Varianten n a t ü r l i c h auftreten, und von denen sich eine Reihe von t e c h n i s c h wichtigen S t o f f e n sowie zahlreiche P h a r m a z e u t i k a ableiten. Man unterteilt sie, ähnlich wie die Verbindungen der Pyridinreihe, in a) die eigentlichen P y r r o l d e r i v a t e , b) die p o l y c y c l i s c h e n Verbindungen, in denen der Pyrrolring mit a n d e r e n R i n g s y s t e m e n k o n d e n s i e r t ist, und c) die A z a d e r i v a t e des P y r r o l s , in denen eine oder mehrere der CH-Gruppen durch weitere N - A t o m e ersetzt sind. a) D a s P y r r o l u n d s e i n e D e r i v a t e Die Konstitution des Pyrrolringes ergibt sich einerseits aus seinen nahen Beziehungen zum P y r r o l i d i n (II) (S. 560) und T e t r a m e t h y l e n - d i c h l o r i d (I), aus denen es in reversibler Reaktion entsteht, andererseits aus mehreren S y n t h e s e n , von denen wir die Kondensation von B e r n s t e i n s ä u r e - d i a l d e h y d (III) und A m m o n i a k , die man bei Variation der Ausgangsmaterialien auch zur Synthese von P y r r o l d e r i v a t e n verwenden kann, bereits kennengelernt haben (vgl. S. 450): CH«—(H ,i CH. CH. C1 !H

+ Η

Η

CH,—CH, _2 H,(Pd 300·) CH—CH _9H 1 I I —" Ii Ii «CH CH +2H,(PdSü·) 2 Z CH CH v.Braun'scher Abbau \ N / V Η Η Pyrrol II

Eine andere, von K N O R R aufgefundene Synthese falls auf einer Kondensationsreaktion und findet bei c a r b o n s ä u r e e s t e r n (V) auf die aus K e t o n e n leicht zugänglichen (S. 289) c c - I s o n i t r o s o - k e t o n e d u k t i o n s m i t t e l n statt:

H:—CH—CH—Ή I CH CH n Ο: Η

Ο

+

Η

des Pyrrolringes beruht ebender Einwirkung von ß - K e t o und S a l p e t r i g s ä u r e e s t e r n (IV) in Gegenwart von R e -

868

Fünfgliedrige aromatische Ringsysteme

R—C=0 I

H,C—COOR

+ 2B,

— H;0

HC

C—R

OH IV

- 2 H,0

R—C

C—COOK

I H,C,

yC

R—C-

U

HCX

-C—COOR /C—R

Η Pyrrolenin-form Pyrrol-form eines Pyrrolderivates Sie ist insbesondere zur Darstellung C - s u b s t i t u i e r t e r P y r r o l d e r i v a t e geeignet, während man für die Gewinnung der N - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e und auch des P y r r o l s selbst meistens die einfacher durchzuführende Brenzung der s c h l e i m s a u r e n S a l z e primärer A m i n e , bzw. des A m m o n i a k s , (VI) vorzieht, die ebenfalls für die Anordnung der Atome beweisend ist: OH Η ...I : i / C O Ο Η • NH(R)

CH—Οχ--jr ;\OH OH

COOH ^ (CH=C

-JiHailWH,)

CH—Ci | [ COOH· NHj (RNHj)

OH

Η

I

:NH(R)

ι CH=C COOH/

— 2 CO,

CH=CH X KH(R) CH=CH

vi

Weniger eindeutig läßt sich dagegen die Lage der Doppelbindungen im Pyrrolkern angeben, denn wie bereits die KNORRSche Synthese zeigt, ist neben der normalen Pyrrolform (VII) prinzipiell auch die als ,,Pyrrolenin" bezeichnete Form (VIII) möglich:

Hl ι

H

iiH

H

V Η vn

H,

,H

Hv / H , N' VIII

Zwischen beiden Mo'ekü'.formen besteht eine Art K e t i m i n - E n a m i n - T a u t o m e r i e , doch liegt das Gleichgewicht wegen der Mitbeteiligung des u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e s des Stickstoffs am konjugierten Bindungssystem in VII (S. 772) fast vollständig auf Seiten der n o r m a l e n P y r r o l f o r m .

Physikalisch zeichnen sich die Pyrrolverbindungen vor allem durch einen auffallend h o h e n S i e d e p u n k t aus, der beim Pyrrol selbst (Sdp. 130°) um mehr als 40° über dem des gesättigten P y r r o l i d i n s und um 75° über dem des D i ä t h y l a m i n s (gleiche Anzahl von C-Atomen) liegt. Hinsichtlich der L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n bestehen — abgesehen von der f e h l e n d e n B a s i z i t ä t (s. u.) und dem dadurch bedingten Verschwinden der Befähigung zum Abfangen von Säuren — keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den Verbindungen der Pyridinreihe. Doch eignen sich die Pyrrolverbindungen n i c h t zur Verwendung als Lösungsmittel, da sie an der Luft unter Braunfärbung v e r h a r z e n . Die chemischen Umsetzungen des Pyrrolkerns lassen sich in die folgenden vier Gruppen unterteilen: 1. die Reaktionen der s e k u n d ä r e n A m i n o g r u p p e , 2. die a r o m a t i s c h e n R e a k t i o n e n des Pyrrolkerns, 3. die Reaktionen des Pyrrolkerns als P o l y o l e f i n und 4. die verschiedenen R i n g e r w e i t e r u n g s r e a k t i o n e n .

Pyrrol und Derivate

869

Zu 1. Ähnlich wie der Pyronsauerstoff verliert auch der Pyrrolstickstoff durch den Einbau in das heterocyclische Bindungssystem weitgehend seine normale Reaktionsfähigkeit. Am auffälligsten ist das fast völlige V e r s c h w i n d e n d e r B a s i z i t ä t , so daß Pyrrol nicht nur in wässeriger Lösung weitgehend n e u t r a l reagiert, sondern auch in wasserfreiem Zustand n i c h t z u r S a l z b i l d u n g mit Säuren befähigt ist. Lediglich mit s e h r s t a r k e n Säuren, wie ζ. B . mit P e r c h l o r s ä u r e oder auch E i s e n - I I - c y a n w a s s e r s t o f f s ä u r e , vermag es salzartige Additionsverbindungen einzugehen, aus denen man aber das Pyrrol n i c h t m e h r u n v e r ä n d e r t r e g e n e r i e r e n kann. Diese mangelnde Basizität des Pyrrolstickstoffs wird sofort verständlich, wenn man berücksichtigt, daß das ungebundene Elektronenpaar des Stickstoffs zur Bildung des geschlossen konjugierten Bindungssystems des Pyrrolkerns benötigt wird (vgl. II, Kap. 3, III, 4b), also für die Salzbildung nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung steht. Beim Übergang in das Oniumion muß daher zunächst der aromatische Bindungszustand aufgehoben und in ein aliphatisches 1,3-Diensystem übergeführt werden, so daß sich die Neutralisationswärme des Pyrrolstickstoffs als die Differenz der Neutralisationsenergie des normalen Aminostickstoffs (ca. 13 kcal) und der Aromatisierungsenergie des Pyrrolkerns (ca. 22 kcal) errechnet: _

\N/

,

Energiezufuhr

Η

.

• I

\N/ \Ά/Χ

Pyrrol aromatisch (energiearm)

Pyrrol olefinisch (energiereich)

Η

Η

Pyrrolium-Ion

Danach ist die Neutralisation des Pvrro's im Gegensatz zu der des Ammoniaks eine endotherme Reaktion! Die Verhältnisse liegen also gerade umgekehrt wie bei den Pyronen, bei denen durch die Aromatisierungstendenz des Pyronringes die Neigung des Heteroatoms zur Oniumsalzbildung erhöht wird (vgl. S. 863). Der verminderten Basizität entspricht eine etwas e r h ö h t e A c i d i t ä t der Aminogruppe, die etwa die Acidität der a l k o h o l i s c h e n H y d r o x y l g r u p p e erreicht. Insbesondere vermag Pyrrol mit metallischem K a l i u m (eigenartigerweise jedoch nicht mit Natrium) unter W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g eine sehr stabile K a l i u m v e r b i n d u n g , das Pyrrolkalium, zu bilden, das in der üblichen Weise mit M e t h y l i e r u n g s - oder A c y l i e r u n g s m i t t e l n unter Bildung der N - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e umgesetzt werden kann (vgl. auch S. 871):

yf

Nif + Κ

-.VjSl^

= X

N K yS

t Ha,-R(AC U — Küal

^=\ _R(Ac) ^

Von den sonstigen Metallderivaten des Pyrrols sind insbesondere die bei der Einwirkung von Grignardverbindungen entstehenden Pyrrolmagnesiumhalogenide C4H4NMgX. im Hinblick auf die unter 2 c beschriebenen Reaktionen von Interesse. Eine h y d r o l y t i s c h e oder anderweitige s o l v o l y t i s c h e Spaltung der C—NBindung erfolgt infolge der E n a m i n s t r u k t u r des Pyrrolstickstoffs etwas l e i c h t e r als bei den a l i p h a t i s c h e n A m i n e n , läßt sich aber nur in wenigen Fällen in ü b e r s i c h t l i c h e r Reaktion verwirklichen, da mit S ä u r e n , dem eigentlichen Spaltungsmittel für S c H i F F s c h e Basen und Enamine, die unter 3 beschriebenen V e r h a r z u n g e n eintreten. Immerhin kann man beim Leiten von P y r r o l - und W a s s e r d ä m p f e n über Aluminiumoxyd bei 450° die NH-Gruppe in r e v e r s i b l e r R e a k t i o n durch Sauerstoff ersetzen ( J u r j e w 1936): 56

Klages,

Lehrbuch der Organischen Chemie I , 2

870

Fünfgliedrige aromatische Ringsysteme

NH -.

KH.

Pyrrol

i

J

Ο

= /

Furan

Noch auffallender ist das Verhalten des Pyrrolringes gegenüber H y d r o x y l a m i n , das trotz der weitgehenden A l k a l i s t a b i l i t ä t derPyrrolbasen(man kann Pyrrol ζ. Β. über f e s t e m Ä t z n a t r o n trocknen) den Ring in normaler Weise a m i n o l y t i s c h aufspaltet. Hierbei erhält man aus Pyrrol in Umkehr der auf S.450 beschriebenen Bildungsreaktion B e r n s t e i n s ä u r e d i a l d e h y d , und zwar in Form seines D i o x i m s , zurück: \

H:—NH—OH

/

Hl—NH—OH

NH+

:

NI

,

/ CH=CH—NH—OH\

|

\CH=CH—NH—OH/

>

Zu 2. Bei einer Reihe von Reaktionen reagiert das geschlossen konjugierte Bindungssystem des Pyrrolkerns als Ganzes, und wir beobachten ein phenolaromatisches Verhalten. Die wichtigsten dieser Umsetzungen sind: a) die katalytische Hydrierung, bei der, ähnlich wie bei der Benzolhydrierung (S. 127), bereits zur Absättigung der ersten Doppelbindung das aromatische Bindungssystem aufgehoben werden muß. Infolgedessen erfordert auch hier die Aufnahme des ersten H2-Moleküls die Zuführung der g e s a m t e n A r o m a t i s i e r u n g s energie und verläuft ziemlich langsam, während die zweite Doppelbindung wie eine normale olefinische Doppelbindung reagiert. Das als Zwischenprodukt zu erwartende P y r r o l i n kann daher hier ebensowenig isoliert werden wie Cyclohexen oder Cyclohexadien bei der Benzolhydrierung: |i il \N/ Η Pyrrol

(langSam)

/I ί! \N/ \ Η 2-Pyrrolin

οα»

\N/ Η / 3-Pyrrolin

+ »·

(SChnel,)

I" 'i \N/ Η Pyrrolidin

Die Benennung der Hydrierungsproduktc des P y r r o l s und aller von ihm abgeleiteten Heterocyclen geschieht in der Weise, daß die D i h y d r o v e r b i n d u n g e n durch Anhängung der Endung -in, und die vollständig hydrierten T e t r a h y d r o V e r b i n d u n g e n durch Anhängung der — vom P i p e r i d i n (S. 560) als Hexahydropyridin abgeleiteten — Endung -idin an den Namen der jeweiligen Pyrrolbase gekennzeichnet werden. Dem Pyrrolin und Pyrrolidin entsprechen also in der P y r a z o l r e i h e das Pyrazolin und Pyrazolidin (S. 882), in der T r i a z o l r e i h e das Triazolin und Triazolidin (z.B. S. 887) und in der O x a z o l r e i h e das Oxazolin und das Oxazolidin (z.B. S. 896).

b) eine Reihe von Substitutionsreaktionen, die den auf S. 222f. beschriebenen Substitutionsreaktionen des Phenols analog verlaufen, jedoch wegen der unter 3 beschriebenen Verharzungsneigung der Pyrrolbasen in Gegenwart s t a r k e r Säuren nur auf die in alkalischem oder schwach saurem Medium vor sieh gehenden Reaktionen beschränkt sind. Insbesondere läßt sich Pyrrol wie Phenol bereits in Abwesenheit von Katalysatoren halogenieren, mit aromatischen Diazoverbindungen kuppeln, sowie mit Chloroform und Alkali in eine Aldehydoverbindung überführen. Ferner sind die in saurem Medium erfolgende Phenolaldehydbildung mit Hilfe eines Gemisches von HCl und HCN nach G A T T E R M A N N (S. 438) und die analoge P h e n o l k e t o n b i l d u n g nach H O E S C H (S. 438) — sowie in einigen Fällen auch die Substitution nachFBiEDEL-CRAETS (S. 932) — bei vorsichtigem Arbeiten auf die Darstellung der entsprechenden P y r r o l d e r i v a t e übertragbar. Dagegen stieß man bei Versuchen zur Nitrierung und Sulfonierung des Pyrrolkerns bisher auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Bei allen Substitutionsreaktionen tritt der neu eintretende Substituent bevorzugt in Λ- und erst nach deren Besetzung in ß - S t e l l u n g .

Pyrrol und Derivate

871

Diese dirigierende ΛΥirkung des Pyrrolstickstoffs entspricht vollkommen der Wirkung der a u ß e r h a l b d e s R i n g e s stehenden A m i n o g r u p p e auf den Benzolkern des Anilinmoleküls(I), denn das der p-Stellung entsprechende, zum Stickstoff C—R OH H O ' Οκ III (Imid-Form) V IV s t e h t n a c h B E R G M A N N in n a h e r B e z i e h u n g z u r E i w e i ß c h e m i e (vgl. III, K a p . 7, I). D o c h ist d e r N a c h w e i s d e r a r t i g e r O x a z o l i n g r u p p i e r u n g e n i m n a t ü r l i c h e n E i w e i ß n o c h n i c h t m i t S i c h e r h e i t e r b r a c h t . E i n Oxazolon-Derivat h a b e n wir schließlich auf S. 581 u n t e r d e m N a m e n Azlacton als Z w i s c h e n p r o d u k t bei d e r A m i n o s ä u r e s y n t h e s e v o n E R L E N M E Y E R JUN. kennengelernt. 1,2-Oxazole oder Isoxazole sind H y d r o x y l a m i n d e r i v a t e und entstehen daher allgemein bei vorsichtigem W a s s e r e n t z u g aus den E n o l e n der M o n o x i m e von 1,3Dicarbonyl Verbindungen: HC --• C—R II II R—C Ν ' O H HO-

- Η,ο

HC --- C—R II II R—C Ν s O-

In ihnen ist (ähnlich wie im P y r a z o l die Labilität des H y d r a z i n s y s t e m s ) infolge der Ausbildung des aromatischen Bindungssystems die L a b i l i t ä t d e r H y d r o x y l a m i n g r u p p i e r u n g weitgehend v e r s c h w u n d e n . Sie kommen nicht natürlich vor HO—N=C CH und haben auch keine praktische Bedeutung erlangt. Als Beispiel I II eines komplizierten I s o x a z o l i n d e r i v a t e s sei die bei der Polymerisa^ tion von K n a l l s ä u r e entstehende Metafulminursäure (vgl. S. 746) ^ genannt. Metafulminursäure y o n , j e n verschiedenen möglichen D i a z a d e r i v a t e n des Furans sind — neben den bereits auf S. 617 als innermolekularen Kupplungsprodukten der ο - A m i n o p h e n o l e beschriebenen Benz-ox-diazolen (Diazo-oxyden) — nur die als Furazane schlechthin bezeichneten Oi,a'-Diazafurane bekannt, die als „ätherartige" Anhydrisierungsprodukte der D i o x i m e von 1 , 2 - D i o x o v e r b i n d u n g e n aus diesen relativ leicht durch Wasserentzug mittels P h o s p h o r p e n t o x y d s dargestellt werden können: R—C Ii Ν X

C—R II

Ν O H HO x

—Hao (P A O.) '

R—C Ί Ν

C—R Ii

Ν \ Q /

Dialkyl-furazan Auch in ihnen ist die L a b i l i t ä t d e r H y d r o x y l a m i n g r u p p i e r u n g vollkommen v e r s c h w u n d e n , so daß das Ringsystem von den Heteroatomen aus kaum angegriffen werden kann. Die an beiden C-Atomen s u b s t i t u i e r t e n Furazane sind daher gegen h y d r o l y t i s c h e und o x y d i e r e n d e Agentien sehr b e s t ä n d i g , und man kann in ihnen ζ. B. Seitenketten mittels K a l i u m p e r m a n g a n a t s zu C a r b o x y l g r u p p e n abbauen: H a C - r - ^ -CH3 K M n 0 < HOOG 1-— COOH i i * il N N N N χ κ ο Lediglich in den Verbindungen mitnicht-substituiertenMethingruppen zeigen die am K o h l e n s t o f f befindlichen Η - A t o m e eine gewisse Tendenz, in alkalischem Medium unter R i n g ö f f n u n g und Ausbildung einer N i t r i l g r u p p e zum S a u e r s t o f f zu wandern. So lagert sich ζ. B. 3 - M e t h y l f u r a z a n (VI) in Gegenwart von A l k a l i e n bereits in der Kälte in das O x i m des B r e n z t r a u b e n s ä u r e n i t r i l s (VII) u m :

Thiophen und Derivate :H:C

897

-C—CH,

N N

N N HO7

VI

VII

Der Furazanring gehört zu den wenigen Heterocyclen, in denen der A z a - S t i c k s t o f f zur Anlagerung von S a u e r s t o f f befähigt ist. Die hierbei entstehenden N-oxydderivate der Furazane werden Furoxane genannt und durch Wasserabspaltung aus den P s e u d o n i t r o s i t e n (IX) (vgl. S. 92) oder durch Dimerisierung von N i t r i l o x y d e n (VIII) (vgl. S. 350) gewonnen: R—C in+ Ν

C—R iii N->0

-

R—C—C—R I i I i Ν N->0

/R—C/ Ν

" 0 VIII

\

C—R\ ι : \ *_... N^O

\>H

HO-"

R—CH ι Ν

1

CH—R ι N^O

^O

Dialkylfuroxazan

tf IX

Sie sind sehr b e s t ä n d i g e Verbindungen, deren Konstitution von H . WIELAND (1908) durch Reduktion zu den F u r a z a n e n und durch mehrere alkalische A b b a u r e a k t i o n e n sichergestellt werden konnte. 3. Die Verbindungen v o m Thiophentypus a) A l l g e m e i n e s I n d e n V e r b i n d u n g e n v o m T h i o p h e n t y p u s ersetzt der S c h w e f e l die C H = C H Brücke des Benzolkerns noch v o l l k o m m e n e r , als es der S a u e r s t o f f i m F u r a n oder die N H - G r u p p e i m P y r r o l r i n g vermag. I m Thiophen liegt infolgedessen das bei w e i t e m beste „ B e n z o l m o d e l l " 1 ) vor, das wir kennen. Sämtliche Τ h i ο p h e n -

Vergleich

Tabelle 41 der physikalischen K o n s t a n t e n einiger ThiophenThiophenderivat

Substanz

Sdp.

Thiophen a-Thiotolen yß-Thiotolen 3,4-Thioxen 2,3-Thioxen 2,4-Thioxen 2,5-Thioxen

84° 113 114 145 137 138 136

a -Thiophen-aldehyd α -Thiophen-carbonaäure α -Nitro-thiophen α - Amino-thiophen

198 260 224 78

x

221 226 332 117

Benzolderivate

Benzolderivat Smp. —40° —

-

-R R—CH—Ο—I

Ο—OH I

R—C=0

Die zweite Sauerstoffmodifikation, das Ozon, ist infolge seiner großen Reaktionsfähigkeit bereits bei t i e f e r T e m p e r a t u r zu Oxydationsreaktionen befähigt. Es findet aber gerade wegen seiner starken Oxydationswirkung, die häufig zu einer vollständigen M o l e k ü l v e r b r e n j i u n g führt, sowie auch wegen seiner u m s t ä n d l i c h e n H a n d h a b u n g , eine nur geringe Anwendung als Oxydationsmittel, die sich fast ausschließlich auf die O z o n s p a l t u n g d e r O l e f i n e (S. 92) zum Zwecke der Konstitutionsermittlung (S. 953) beschränkt.

Eine letzte Gruppe von Oxydationsmitteln, die sich vom elementaren Sauerstoff ableiten und ebenfalls eine 0--0-Bindung enthalten, ist die der Peroxyverbindungen. Sie vermögen wie der Sauerstoff selbst im allgemeinen den Kohlenstoff erst bei h o h e r T e m p e r a t u r anzugreifen und sind daher beliebte s e l e k t i v e O x y d a t i o n s m i t t e l für bestimmte Verbindungstypen. So haben wir ζ. B. in der Benzopersäure und neuerdings auch der Peressigsäure die wichtigsten präparativen Oxydationsmittel zur Überführung o l e f i n i s c h e r Doppelbindungen in O l e f i n o x y d e

906

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

kennengelernt (S. 91). Ähnlich verwendet man in der Technik Hydroperoxyd zur G l y k o l g e w i n n u n g aus O l e f i n e n . Ferner eignen sich H y d r o p e r o x y d , sowie insbesondere die C.iRosche Säure und die Perschwefelsäure, zur Anlagerung von Sauerstoff an die u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e von Heteroatomen (S. 556): -+ Ar—N=N—Ar

R3N-0 Ο t

+

R3AS->-0

+

— • Ar—N=N—Ar +

Bzgl. der Anwendung von Hydroperoxyd als Dshydrierungsmittel vgl. S. 914.

b) K a l i u m p e r m a n g a n a t , C h r o m t r i o x y d u n d S a l p e t e r s ä u r e Im Gegensatz zum elementaren Sauerstoff wirken die höheren Sauerstoffverbindungen des S t i c k s t o f f s und der Metalle der 6. und 7. N e b e n g r u p p e des Periodensystems bereits bei Temperaturen u n t e r h a l b 100° auf organische Verbindungen oxydierend ein. Salpetersäure, Kaliumpermanganat und Chromtrioxyd mit seinen Derivaten (insbesondere Kaliumbichromat und Chromylchlorid) gelten daher seit jeher als die wichtigsten O x y d a t i o n s m i t t e l der organischen Chemie, die grundsätzlich f a s t i m m e r anwendbar sind. Sie zeigen jedoch infolge dieser g e r i n g e n S p e z i f i t ä t den Nachteil, daß sich die Reaktionen häufig schlecht auf der gewünschten Oxydationsstufe unterbrechen oder auf bestimmte Stellen des Moleküls beschränken lassen, und finden daher insbesondere dann Anwendung, wenn die Reaktion bis zur O x y d a t i o n s e n d s t u f e (z.B. zur Keto- oder Carboxylgruppe) durchgeführt oder zur A b o x y d a t i o n v o n S e i t e n k e t t e n oder R i n g s y s t e m e n verwandt werden soll. Als weitgehend o x y d a t i o n s s t a b i l — bzw. nur bei Verbrennung des Gesamtmoleküls oxydierbar — erwiesen sich diesen Oxydationsmitteln gegenüber lediglich eine Reihe von a r o m a t i s c h e n R i n g s y s t e m e n (ζ. B. der nicht mit Heteroatomen besetzte B e n z o l r i n g und zahlreiche der im 11. Kap. beschriebenen H e t e r o c y c l e n v o m P y r i d i n t y p u s , nicht aber N a p h t h a l i n , P y r r o l usw.), die n - P a r a f f i n e und die Paraffinradikale der C a r b o n s ä u r e n , Ä t h e r und t e r t i ä r e n A m i n e . Schon die geringfügige Aktivierung der Paraffinradikale durch benachbarte B e n z o l k e r n e oder O x o g r u p p e n genügt jedoch, um sie Oxydationsreaktionen zugänglich zu machen. Bei v o r s i c h t i g e m A r b e i t e n kann man diese Oxydationsmittel auch zu sel e k t i v e n oder p a r t i e l l e n O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n verwenden. So zeigt ζ. B. Kaliumpermanganat eine spezielle Oxydationswirkung gegenüber o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g e n , die bei vorsichtigem Arbeiten auf Grund des beim O s m i u m t e t r o x y d beschriebenen Mechanismus (S. 908) lediglich bis zur Stufe des G l y k o l s oxydiert werden. Ein charakteristisches Beispiel dieser Art stellt die Oxydation von A c r o l e i n zu G l y c e r i n a l d e h y d dar, die trotz der Oxydationsempfindlichkeit der entstehenden G l y k o l g r u p p i e r u n g nach Schützen der Aldehydgruppe durch A c e t a l i s i e r u n g in glatter Reaktion mit K a l i u m p e r m a n g a n a t als Oxydationsm i t t e l d u r c h g e f ü h r t w e r d e n k a n n (WOHL 1900):

Die direkte Oxydation Aceta.is.erun^

907

_CH_CH(0R)2

CH

Hydrolyse^

KM„0. ,

OH OH iH2-CH-CH(OR)2

OH OH C H a —CH—CH=0

Bei Salpetersäure beobachtet man demgegenüber die Tendenz, die M o l e k ü l e n d e n unter Schonung sämtlicher mittelständiger Gruppen in C a r b o x y l g r u p p e n umzuwandeln. Sie findet daher vielfach Anwendung zur Überführung organischer Verbindungen in C a r b o n s ä u r e n g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l , wie z . B . die praktisch wichtige A d i p i n s ä u r e g e w i n n u n g aus C y c l o h e x a n o l (S. 463), sowie die Überführbarkeit der K o h l e n h y d r a t e in Z u c k e r s ä u r e n unter Schonung sämtlicher sekundärer alkoholischer Hydroxylgruppen (III, Kap. 4, I, 5e), zeigt. Die Oxydationswirkung der r e i n e n S a l p e t e r s ä u r e i s t nur relativ g e r i n g und tritt vielfach hinter ihrer N i t r i e r w i r k u n g zurück. Insbesondere a r o m a t i s c h e V e r b i n d u n g e n können daher häufig n i c h t durch Salpetersäure oxydiert werden. Eine Erhöhung der Oxydationswirkung beobachtet man stets bei Anwesenheit von s a l p e t r i g e r S ä u r e (bzw. N 2 0 3 ). die mit Salpetersäure in D i s t i c k s t o f f t e t r o x y d als das· e i g e n t l i c h e O x y d a t i o n s m i t t e l übergeht und im Sinne der folgenden Gleichung auch in geringer Menge die Oxydationsreaktion k a t a l y t i s c h beschleunigt: 2 H N 0 3 + N203



2

N204

> !N,03: + 2 N 0 + 3 0

Will man daher Salpetersäure vornehmlich als O x y d a t i o n s m i t t e l verwenden, so wird man die Stickoxyde gelöst enthaltende r o t e r a u c h e n d e S ä u r e bevorzugen, während man auf der anderen Seite einer Säure, die ausschließlich N i t r i e r z w e c k e n dient, häufig etwas H a r n s t o f f zusetzt, der auch die letzten Spuren der evtl. noch vorhandenen salpetrigen Säure im Sinne der R e a k t i o n v o n B O U V E A U L T (S.344, Gleichung formulieren!) zerstört und daher ihre Oxydationswirkung auf ein Minimum herabsetzt. Als weitere die Oxydationswirkung der Salpetersäure erhöhende Katalysatoren haben wir auf S.643 verschiedene Q u e c k s i l b e r s a l z e , insbesondere Q u e c k s i l b e r n i t r a t , kennengelernt. Chromtrioxyd weist schließlich die geringste Neigung zu speziellen Oxydationsreaktionen auf. Erst wenn man zu seinen D e r i v a t e n übergeht, kann man mitunter eine a b g e s t u f t e O x y d a t i o n s w i r k u n g beobachten. So bleibt z . B . nachILTARD (1881) die Oxydation von am Benzolkern befindlichen M e t h y l g r u p p e n bei der Einwirkung v o n C h r o m y l c h l o r i d leicht auf der Stufe der A l k o h o l e oder A l d e h y d e stehen: ITU.1,1,

/

\

f,TT

π TT

—CH=0

Aufgrund derartiger S p e z i f i t ä t s u n t e r s c h i e d e zwischen den einzelnen Oxydationsmitteln dieser Gruppe ist es häufig möglich, eine organische Substanz nach Belieben an v e r s c h i e d e n e n S t e l l e n des Moleküls anzugreifen. Beispielsweise wird, ohne daß sich eine Ursache für dieses unterschiedliche Verhalten zu erkennen gibt, p - C y m o l (I) durch S a l p e t e r s ä u r e primär an der I s o p r o p y l - und durch K a l i u m p e r m a n g a n a t primär an der M e t h y l g r u p p e angegriffen, so daß man zu v e r s c h i e d e n e n O x y d a t i o n s p r o d u k t e n gelangt: CH VMn0'X CH3

HOOC-/~VcH

CH X

H,C— ^

>—CH

i

3

CHa

H,C—\—COOH

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

908

c) M o d e r n e O x y d a t i o n s m i t t e l Diesen „klassischen" Oxydationsmitteln gegenüber sind in neuerer Zeit eine Reihe von weiteren Oxydantien in Anwendung gekommen, die ausschließlich mit e i n e m oder nur w e n i g e n B i n d u n g s t y p e n zu reagieren vermögen, hier aber infolge ihres s p e z i e l l e n R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s , der ein Ü b e r s c h r e i t e n der gewünschten Oxydationsstufe s t r e n g a u s s c h l i e ß t , eine gewisse Bedeutung erlangt haben. So ist ζ. B. Osmiumtetroxyd eine bis 150° beständige Substanz, die eine nur sehr g e r i n g e T e n d e n z zur Übertragung des Sauerstoffs auf andere Verbindungen aufweist. Lediglich o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g e n gegenüber ist es sehr reaktionsfähig und lagert sich an sie mit z w e i S a u e r s t o f f a t o m e n unter Bildung eines c y c l i s c h e n O s m i u m - Y I - s ä u r e e s t e r s (I) an, der dann bei der anschließenden Hydrolyse in die O s m i u m - V I - s ä u r e (II) selbst und das dem Olefin entsprechende G l y k o l zerfällt: R—CH

R—CH—Ov

H

|

R—CH

„0

\0s(*

R—CH—Cr

Hydrolyse_^

^O

R—CH—OH



HO +

R—CH—OH

Ι

„0

\

/

HOx

l

0

II

Hier bietet sich also die Möglichkeit die Olefinoxydation auf der Stufe der an sich leicht weiter oxydierbaren 1 , 2 - G l y k o l e zu unterbrechen. Da das P e r m a n g a n a t - I o n die g l e i c h e S t r u k t u r wie das Osmiumtetroxyd aufweist, macht dieser von CRIEGEE (1936) aufgeklärte Reaktionsmechanismus gleichzeitig die oben beschriebene spezifische Oxydationswirkung des K a l i u m p e r m a n g a n a t e s gegenüber Olefinen verständlich. Nur kann man in diesem Falle das als Reduktionsprodukt des Permanganat-Ions zu erwartende H y p o m a n g a n a t - I o n mit 5 - w e r t i g e m Mangan (III) nicht isolieren, da es sich unter den Reaktionsbedingungen sofort in Mn0 2 und das P e r m a n g a n a t - I o n disproportioniert: R—CH—0 V /OQ I >Mn< R—CH—Cr -O

R—CH

II

+ ΜηΟΓ

R—CH

Hydrolyse^

R—CH—OH

ΗΟ χ

R—CH—OH

HO/

,

Θ



2

/ 3 Mn0 2 + 1/3Mti04"

>Mn
r

Die Reaktion mit aktiven Methylengruppen eignet sich nicht nur zur Darstellung der E s t e r v o n a r o m a t i s c h e n A l k o h o l e n , sondern auch zur Einführung von Acetoxygruppen in α - S t e l l u n g zu C a r b o n y l g r u p p e n , wie z.B. die Bildung von D i a c e t y l - d i o x y a c e t o n Ac—0—CH 2 —CO—CH 2 —0—Ac aus A c e t o n , von A c e t y l - t a r t r o n s ä u r e e s t e r ROOC—CH(OAc)—COOR aus M a l o n s ä u r e e s t e r und von A c e t o x y - a c e t e s s i g e s t e r CH 3 —CO—CH(OAc)—COOR aus A c e t e s s i g e s t e r beweist (Gleichungen formulieren!). I n allen diesen Fällen bietet das Verfahren weiterhin den Vorteil, daß die entstehenden acetylierten 1 , 2 - O x y - o x o v e r b i n d u n g e n nicht mehr zur I s o m e r i s i e r u n g bzw. T a u t o m e r i s i e r u n g durch W a n d e r u n g d e r C a r b o n y l g r u p p e (vgl. S. 436) befähigt sind. Auch der dem Benzylkohlenstoff sehr ähnliche A l l y l k o h l e n s t o f f wird durch Bleit e t r a a c e t a t angegriffen, doch konkurriert diese Reaktion bereits mit der Anlagerung an die olefinische Doppelbindung. Eine Verbindung wie C y c l o p e n t e n liefert infolgedessen bei der Einwirkung von Bleitetraacetat ein Mono-, ein Di- und ein Tri-acetoxyderivat nebeneinander:

Pb(0Ac)4

_

j

|—OAc ^

l

J—OAc ^

IB'lo

_

J

62°/o

_

20%

- 1—0 Ac "" l

OAc

J—OAc OAc

Ähnlich wie Bleitetraacetat vermögen auch a n d e r e D i a c e t o x y v e r b i n d u n g e n oxydierend auf organische Verbindungen einzuwirken, sofern sie ein geeignetes O x y d a t i o n s p o t e n t i a l aufweisen. Insbesondere die Axyljodidacetate mit d r e i w e r t i g e m J o d (vgl. S. 169) zeigen eine bis ins einzelne gleichartige Tendenz zur Übertragung von zwei A c e t o x y g r u p p e n auf die zu oxydierende Substanz, wie aus den folgenden Beispielen — sowie der auch mit diesen Verbindungen durchführbaren G l y k o l s p a l t u n g (S. 911 f.) — hervorgeht: Ar—CH2—O—Ac H—0—Ac

-L '

'

-C.H.-J

R—CH—O- Ac R

_

C

H

_

0

_

A

C

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

910

Das oben bereits kurz gestreifte Oxydationsmittel Bleidioxyd, sowie auch Mangandioxyd, greifen, wahrscheinlich mit Hilfe eines ä h n l i c h e n R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s , ebenfalls bevorzugt a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e n an. Doch geht hier die Reaktion aus den angeführten Gründen meistens über die Alkoholstufe hinaus. Immerhin kann man A l d e h y d e zuweilen in erträglicher Ausbeute erhalten, so daß diese Oxydationsmittel u. a. zur Darstellung von B e n z a l d e h y d aus Toluol (S. 234) geeignet sind.

Ein letztes interessantes selektives Oxydationsmittel liegt schließlich im Selendioxyd vor. Es zeigt eine ausgesprochene Affinität zu a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e n , die unter Schonung aller anderen oxydierbaren Gruppen, insbesondere auch der A l d e h y d g r u p p e , maximal bis zur Stufe der O x o v e r b i n d u n g e n oxydiert werden. Man k a n n infolgedessen mit seiner Hilfe selbst oxydationsempfindliche Stoffe wie M e s o x a l s ä u r e e s t e r , D i k e t o b u t t e r s ä u r e e s t e r oder P h e n y l g l y o x a l durch direkte Oxydation der entsprechenden M e t h y l e n v e r b i n d u n g e n ( M a l o n e s t e r , A c e t e s s i g e s t e r und A c e t o p h e n o n ) gewinnen: COOR

€OOR |

€H 2

€OOR

Se0

-·-» c = o ; I COOR

COOR i OH, „„ Y * SeO a C=0 CH,

COOR 1 c=o C=0 1 CH3

Auch D i p h e n y l m e t h a n läßt sich in analoger Weise in B e n z o p h e n o n (Gleichung formulieren!) überführen, während A l l y l k o h l e n s t o f f meistens nur noch bis zur A l k o h o l s t u f e oxydiert wird. Lediglich bei den niederen Gliedern der Olefinreihe kann unter Umständen auch die D o p p e l b i n d u n g angegriffen werden. 2. Die indirekte Einführung von Sauerstoff

Die i n d i r e k t e O x y d a t i o n einer organischen Verbindung ist häufig von großer praktischer Bedeutung, weil sie infolge des Fehlens eines eigentlichen Oxydationsmittels die Einführung des Sauerstoffs unter den m i l d e s t e n B e d i n g u n g e n erlaubt und insbesondere jede w e i t e r e R e a k t i o n über die gewünschte Stufe hinaus, sowie die Oxydation anderer e m p f i n d l i c h e r Molekülteile, g r u n d s ä t z l i c h ausschließt. Ein erstes Beispiel einer derartigen indirekten Oxydation haben wir in der Anlagerung polarer Sauer st of{Verbindungen an Olefine (S. 93f.) und Acetylene (S. 110) kennengelernt. Sie führt von den Olefinen ausgehend stets zu A l k o h o l e n oder ihren D e r i v a t e n und vom A c e t y l e n ausgehend entweder zu O x o v e r b i n d u n g e n und ihren S a u e r s t o f f d e r i v a t e n (Acetalen oder Esteracetalen, S. 280) oder zu E n o l ä t h e r n und E n o l e s t e r n (S. 218):

?-Αο _ίΑ·=2». R—CH—CH3

Γ

„-CH-CH.

ü—CH—C 3 R—CH—CH Ο

'

• R — C O — C = 0 + H,K—R

1

R

R

Diese „Oxydationsreaktion" kann im Falle der Kondensation einer aktiven M e t h y l g r u p p e mit s a l p e t r i g e r S ä u r e durch anschließende W a s s e r a b s p a l t u n g aus dem primär entstehenden O x i m (S. 290) sogar bis zur Stufe der C a r b o x y l g r u p p e weitergeführt werden: Ä—CH 3 + 0 = N

OH

A-CH=N-0H -

A-feN

A-COOH

Wie aus den angeführten Beispielen hervorgeht, ist diese Art der indirekten Oxydation auf die Sauerstoffverbindungen der ausgesprochen n e g a t i v e n E l e m e n t e beschränkt, die n a c h d e r K o n d e n s a t i o n gegenüber dem Kohlenstoff als n e g a t i v e B i n d u n g s p a r t n e r aufzutreten vermögen. Als „Oxydationsmittel" dienen daher fast ausschließlich N i t r o s o v e r b i n d u n g e n und Derivate der s a l p e t r i g e n S ä u r e , die bei der Reaktion zur Stufe des p r i m ä r e n A m i n s bzw. H y d r o x y l a m i n s „reduziert" werden. In selteneren Fällen kann man aber auch S c h w e f e l s ä u r e verwenden, die bei der Reaktion in s c h w e f l i g e S ä u r e übergeht. Als praktisch wichtigstes Beispiel hierfür haben wir die P h e n o l s c h m e l z e der aus aromatischen Kohlenwasserstoffen und Schwefelsäure leicht erhältlichen a r o m a t i s c h e n S u l f o n s ä u r e n kennengelernt (vgl. S. 220), bei der das Benzol indirekt durch die S c h w e f e l s ä u r e zum P h e n o l „oxydiert" wird: alkalische χ

) —II · HO ..S03H ^

-

< > -

O H

+

H

-SO°H

schmelze)

Eine weitere interessante Möglichkeit der indirekten Oxydation des Kohlenstoffs beobachten wir bei der Glykolspaltung mittels Bleitetraacetats. Hier wirkt nach Untersuchungen von CRIEGEE ( 1 9 3 1 ) das Glykol zunächst a l k o h o l y s i e r e n d auf das Bleitetraacetat ein, und es bildet sich das c y c l i s c h e A l k o h o l a t I mit noch v i e r w e r t i g e m Blei, das dann in einer z w e i t e n Reaktionsstufe unter Abspaltung von B l e i - I I - a c e t a t in das hypothetische R u m p f m o l e k ü l I I mit r a d i k a l a r t i g e m S a u e r s t o f f übergeht. Erst in einer d r i t t e n R e a k t i o n s s t u f e findet dann die Oxydation des Kohlenstoffs statt, indem das Rumpfmolekül — ohne daß aber auch hier eine N e u e i n f ü h r u n g v o n S a u e r s t o f f erfolgt — unter oxydativer Spaltung der C—C-Bindung in zwei Moleküle einer (bzw. verschiedener) Ο χ ο Verb i n d u n g (en) zerfällt:

Die Reaktionon am Kohlenstoffgerüst

912 R—CH—OH

ι

AoO\ :

; +

R—CH—0|H

/OAc

> ; p kx

x

AcO ;

-2 HOAo

OAe

.

> —Η

ΟΙ-

- c -

0->AlCI3 -R — HCl

-C—R

+ nH,0_ -AI(H20)nL'la

und man benötigt m i n d e s t e n s ein (praktisch etwa 1,5) Mol Aluminiumchlorid. c) Noch größere Aluminiumchloridmengen sind bei Verwendung von C a r b o n s ä u r e n oder C a r b o n s ä u r e a n h y d r i d e n erforderlich, da diese Verbindungen, etwa den folgenden Reaktionsgleichungen entsprechend, primär in S ä u r e c h l o r i d e übergeführt werden müssen und hierbei, sowie ebenfalls durch K o m p l e x b i l d u n g , m e h r e r e AlCl 3 -Moleküle unwirksam machen:

Kondensationsreaktionen der Alkohole R—COOH + A1CK

935

>- R—CO—C1 + HO—AlClä

0->A1C1j R—CO—C1 + C„H e + AICI3 - - • -> R—C—C 6 H 5 + HCl

in summa:

R—COOH + C e H e + 2 AIC1,

(R—CO—)20 + AlClj E—CO—C1 + C e H„ + A1C1 3 -

R— CO—0—A1C12 + AICI3 in summa:

(R—CO—) 2 0 + C e H e + 3 A1C13

-

O-^AlClj II

* R — C - C 6 H s + HO—A1C1, + HCl > R—CO—CI + R—CO—0—AlCIj O-AICI3 II > R—C—C 6 H 5 + HCl O-AlCl, II > R—C—O—A1C12 0^A1C1 3 O^AICI 3 II 11 - R—C—C e H 5 + R—C—0—A1C12 + HCl

Man benötigt daher im Falle der Verwendung von C a r b o n s ä u r e n mindestens z w e i (praktisch 2,5) und von S ä u r e a n h y d r i d e n mindestens d r e i (praktisch 3,3) M o l des Kondensationsmittels. Die genaue Diskussion des Reaktionsmechanismus erfolgt in II, Kap. 4, II, 3 b.

b) D i e K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n d e r A l k o h o l e Alkohole können in der auf S. 125 beschriebenen AVeise mit aromatischen Kohlenwasserstoffen kondensieren:

O - H + HO-R (ll5X, > O-R

Die Reaktion entspricht weitgehend der Synthese von F R I E D E L - C R A F T S bei Verwendung von A l k y l h a l o g e n i d e n als p o s i t i v e n Kondensationskomponenten, wie u. a. aus der ebenfalls fast ausschließlichen 1 ) Verwendung a r o m a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n als n e g a t i v e n Kondensationskomponenten hervorgeht. Ferner kann man die Alkohole in gleicher Weise wie die Alkylhalogenide durch die entsprechenden O l e f i n e ersetzen, und es wird auch hier die Reaktion nur durch saure Katalysatoren beschleunigt. Der einzige größere Unterschied zwischen beiden Verfahren besteht darin, daß man im allgemeinen mit m ä ß i g k o n z e n t r i e r t e n M i n e r a l s ä u r e n als Kondensationsmitteln arbeitet. Aber auch mit A l u m i n i u m c h l o r i d t r i t t Kondensation ein, die jedoch nicht unbedingt diesem Reaktionstypus angehören muß, da sie ebenso gut über eine primäre Umwandlung des Alkohols in ein A l k y l c h l or i d oder Olef in verlaufen kann, das dann im Sinne einer echten F R I E D E L C R A F T s s c h e n Synthese reagiert (Gleichungen formulieren!). Bezüglich des Reaktionsmechanismus vgl. II, Kap. 4, I I 3b. 1 ) Als nicht verallgemeinerungsfähiger Ausnahmefall, bei dem unter ähnlichen Bedingungen auch a l i p h a t i s c h e r W a s s e r s t o f f substituiert wird, sei die I s o o c t e n s y n t h e s e aus tert.Butylalkohol und Isobutylen angeführt, die unter Herausspaltung eines in A l l y l s t e l l u n g befindlichen Η-Atoms vor sich geht und wahrscheinlich eine Teilreaktion der ersten der auf S. 70 beschriebenen technischen Synthesen darstellt: CH 2 CH 3 CH, CH 3 CH. I| I il I h so H Cil CH3—C + H 2 0 ' CH.,· C -OH ' CH 3 —C—CH 2 —C—CH 3 H, I I ° I CH 3 CH3 CHj Iso-octen

00;

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

936

c) Die K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n d e r

Oxoverbindungen

Die Oxoverbindungen sind infolge des Vorhandenseins einer C a r b o n y l d o p p e l b i n d u n g wesentlich r e a k t i o n s f ä h i g e r als die Alkohole und insbesondere auch zur Kondensation in a l k a l i s c h e m M e d i u m befähigt. J e nachdem, ob bei der Reaktion eine e i n f a c h e oder eine d o p p e l t e C—C-Bindung entsteht, unterscheidet man zwei verschiedene Reaktionstypen, die nach ihren wichtigsten Vertretern A l d o l k o n d e n s a t i o n und C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n genannt werden. ιχ) Die Aldolkondensation und verwandte Reaktionen Wie wir bereits auf S. 247 gesehen haben, beruht die Aldolkondensation auf der Anlagerung einer a k t i v e n W a s s e r st o f f v e r b i n d u n g an die Carbonylgruppe einer O x o v e r b i n d u n g . Sie gehört also noch n i c h t zu den Kondensationsreaktionen im eigentlichen Sinn, da die für diese charakteristische A b s p a l t u n g e i n e r p o l a r e n W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g gar nicht stattfindet'): Ο OH II I CH.,—CH + Η—CH,—CH=0

CH a —CH—CH,—CH=0

Die Reaktion geht jedoch durch n a c h t r ä g l i c h e W a s s e r a b s p a l t u n g leicht in eine w i r k l i c h e K o n d e n s a t i o n über und wird daher allgemein zu den Kondensationsreaktionen gerechnet. Die Aldolkondensation findet bereits in w ä ß r i g - a l k a l i s c h e r L ö s u n g statt und führt als r e v e r s i b l e Reaktion stets zu einem stark temperaturabhängigen G l e i c h g e w i c h t , dessen Lage in einigen Fällen bestimmt werden konnte. So geht ζ. B. der I s o b u t y r a l d e h y d bei 0° zu 90%, bei 100° nur noch zu 10% in das zugehörige Aldol über (formulieren!). Hinsichtlich der Reaktionsfähigkeit der Oxo-Komponente besteht etwa die folgende Abstufung: Am reaktionsfähigsten ist die Carbonylgruppe des F o r m a l d e h y d e , dann folgt die der normalen A l d e h y d e und schließlich die der K e t o n e . Formaldehyd bildet daher mit a l l e n a n d e r e n A l d e h y d e n und K e t o n e n ausschließlich die entsprechenden O x y m e t h y l v e r b i n d u n g e n (vgl. S. 251). Ferner tritt ü b e r s c h ü s s i g e r F o r m a l d e h y d mit aktiven Methylengruppen n i c h t n u r e i n m a l in Reaktion sondern kondensiert mit s ä m t l i c h e n a n w e s e n d e n I i A t o m e n , so daß in dieser Reaktion die einfachste Möglichkeit vorliegt, Verbindungen mit q u a r t ä r e n C - A t o m e n aufzubauen: 3 H 2 C = 0 + HäC—CO—R

HO—CH2s --» HO—CH2--C—CO—R HO—CH/

Ähnlich wie der Formaldehyd gegenüber den normalen Aldehyden fungieren diese bei der Reaktion zwischen A l d e h y d e n und K e t o n e n stets als O x o k o m p o n e n t e und lagern die K e t o n e unter Ketolbildung an die C a r b o n y l g r u p p e an: Lediglich wenn man die Aldolkondensation vom A l d e h y d h y d r a t aus formuliert, wozu man in Anbetracht des Arbeitens in w ä ß r i g e r L ö s u n g in gewissem Sinn berechtigt ist, findet formal eine Wasserabspaltung statt und wir kommen zu einer e c h t e n K o n d e n sationsreaktion: OH CH,—CH—ÖH + H—CH 2 —CH=0

OH -

CH3—CH—CH2—CH=0 + H 2 0

Die Aldolkondensation

937 OH

R ' — C H = 0 + Η—CH i —CO—R

-

R'—CH—CH 2 —CO—R

Auch hier ist die O x o k o m p o n e n t e noch aktiv genug, um u. U. m e h r f a c h mit der g l e i c h e n M e t h y l e n g r u p p e in Reaktion zu treten. So erhält man ζ. B. als Nebenprodukt der Acetaldolbildung aus Acetaldehyd stets etwas 3-Formyl-pentan-diol-2,4 (I), das in der Technik durch Reduktion zu dem mehrwertigen Alkohol Hexall-triol (II) verwertet wird: HO—CH—CH 3 0=CH-CH,

.

+

20

0H CH

= -

·-.

o=CH—CH HO—CH—CH^ 1

HO—CH—CH 3 H0-CH24H HO—CH—CHj 11

Lediglich bei der Kondensation von zwei A l d e h y d - oder zwei K e t o n m o l e k ü l e n lassen sich k e i n e genauen Voraussagen darüber machen, welcher Aldehyd (bzw. Keton) die kondensierende Carbonylgruppe stellt. Doch geht die A l d o l b i l d u n g aus zwei Aldehydmolekülen infolge der größeren Reaktionsfähigkeit der Aldehydgruppe wesentlich l e i c h t e r vor sich als die K e t o l b i l d u n g aus zwei Ketonmolekülen, so daß letztere, da gleichzeitig die / 3 - O x y a l d e h y d e etwas bes t ä n d i g e r sind als die / ? - O x y k e t o n e , häufig erst unter Bedingungen erfolgt, unter denen bereits eine nachträgliche Wasserabspaltung zum u n g e s ä t t i g t e n K e t o n möglich ist. Die Dimerisation der Ketone zu Ketolen tritt daher hinter der eigentlichen Aldolkondensation an Bedeutung zurück. Als Kondensationsmittel für die Aldolkondensation dienen außer w ä ß r i g e r N a t r o n l a u g e , die als starkes Alkali häufig unerwünschte N e b e n r e a k t i o n e n (z.B. die D i s m u t a t i o n der Aldehyde nach C A N N I Z Z A R O ) auslöst, insbesondere auch s c h w a c h e A l k a l i e n wie B l e i h y d r o x y d , K a l i u m c a r b o n a t , N a t r i u m s u l f i t oder t e r t i ä r e s N a t r i u m p h o s p h a t . Ferner kann man die Reaktion mit s a u r e n K a t a l y s a t o r e n — wie ζ. B. S a l z s ä u r e oder zuweilen auch A l u m i n i u m c h l o r i d — durchführen, und selbst einige K o n t a k t v e r f a h r e n sind entwickelt worden. So entsteht z.B. A c e t a l d o l beim Leiten von g a s f ö r m i g e m A c e t a l d e h y d über a m p h o t e r e M e t a l l h y d r o x y d e (Al(OH)3, Fe(OH) 3 , Sb(OH) 3 usw. ) bei Temperaturen u n t e r h a l b seiner Z e r s e t z u n g s t e m p e r a t u r ( J A K O E R 1933). Eine letzte interessante Gruppe von Kondensationsmitteln liegt schließlich in G R I G N A R D V e r b i n d u n g e n mit v e r z w e i g t e n Alkylresten(wiez.B. im I s o p r o p y l m a g n e s i u m c h l o r i d ) vor, die infolge s t e r i s c h e r H i n d e r u n g nicht mit der C a r b o n y l g r u p p e in Reaktion treten. Sie setzen sich daher wie andere basische Reagentien mit dem a k t i v e n W a s s e r s t o f f der Methylengruppe um und ermöglichen auf diese Weise den auf S. 929 formulierten Mechanismus. Sie finden insbesondere zur Kondensation sonst nur schwer ketolisierbarer K e t o n e Anwendung: R—C=0 R D p Λ Ό ρ Λ I I I 4. + (CH,),CH-MgX ; J ^ R-CO-CH.-R·^ p.'—CH- C—CH — R ' R'—CH, ~CjH' R'—CH—MeX | OMgX Die Reaktion kann auch in der Weise aufgefaßt werden, daß der a k t i v e W a s s e r s t o f f der Methylengruppe primär das Metall unter Bildung einer a n d e r e n m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g verdrängt (S. 7 1 7 ) , und daß diese dann rascher als die ursprüngliche G R I G N A R D Verbindung die auf S. 722 beschriebene Anlagerungsreaktion erleidet.

Als negative Kondensationskomponente kommen außer den bisher betrachteten O x o v e r b i n d u n g e n mit «-ständigen Methylengruppen auch andere Verbindungen mit a k t i v i e r t e r M e t h y l e n g r u p p e in Betracht. Insbesondere 1 , 3 - D i c a r b o n y l -

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

938

V e r b i n d u n g e n , aliphatische N i t r o k ö r p e r (vgl. S. 647) u n d die M e t h y l g r u p p e des tx- u n d y - P i c o l i n s (vgl. S. 811), s o w i e die s o n s t weniger h e r v o r t r e t e n d e n Met h y l e n g r u p p e n i m G l y c i n e s t e r u n d i m C h l o r e s s i g e s t e r (hier u n t e r n a c h t r ä g licher H C l - A b s p a l t u n g z u m G l y c i d s ä u r e e s t e r , v g l . S. 483), sind i n G e g e n w a r t a l k a l i s c h e r K o n d e n s a t i o n s m i t t e l zur A n l a g e r u n g a n A l d e h y d e b e f ä h i g t :

CH,—CO—CH,—COO R

+ OCH—CH.

HO—CH—CHj ι I -CO—CH—COOR

HO—CH—CH, OCH—CH.

-CH,—CO—C—COOR

III

HO—CH—CH 3 IV OH

OH Ν

ν—CH, + 0 = C H — R

Ν

Λ —CH 2 —CH—R

X R'OOC—CH,

0=CH—R

Alkali ( ? Ö r X - cTödeTsH,")"

X I R'OOC—CH

OH I CH—R

.0. R'OOC—CH—CH—R

(für X = Cl) N i c h t in R e a k t i o n t r e t e n d a g e g e n die M e t h y l e n g r u p p e n in e i n f a c h e n C a r b o n s ä u r e e s t e r n u n d B e n z y l v e r b i n d u n g e n , w ä h r e n d F l u o r e n gleich w e i t s r u n t e r F u l v e n b i l d u n g reagiert (S. 941). Bei einigen dieser Verbindungen geht die Kondensation auch über die Bildung der Alkohole hinaus, und es t r i t t (abgesehen von der unter β beschriebenen Crotonaldehydkondensation) die Carbonylgruppe unter Herausspaltung von Wasser gleich mit z w e i M o l e k ü l e n d e r M e t h y l e n k o m p o n e n t e in Reaktion. Als Beispiel sei die Bildung der V e r b i n d u n g V als Nebenprodukt neben den oben beschriebenen Verbindungen I I I und IV bei der Einwirkung von A c e t a l d e h y d auf A c e t e s s i g e s t e r a n g e f ü h r t : CH,—CH=0

+ CH 3 —CO

+ +

Η I •C—COOR Η =0 Η

— H.0

CH 3 —CH—OH I CH,—CO—C—COOR I c h 3 - -CH I CH,—CO- -CH—COOR

CH 3 —CO—CH—COOR Eine weitere derartige Verknüpfung von zwei A c e t e s s i g e s t e r m o l e k ü l e n durch ein A c e t a l d e h y d m o l e k ü l , bei der gleichzeitig das K o n d e n s a t i o n s m i t t e l mit in das Reaktionsprodukt eingebaut wird, haben wir auf S. 839 in der C o l l i d i n s y n t h e s e von Hantzsch kennengelernt. ROOC. .CH, ROOC—C — C--CH, \ / II Η Η 0 H3C—< NH H2NH - 3 =0 + \ = / x 0 Η Η ROOC/ CH3 IIII \ / ; Dihydrocollidin-dicarbonsäureester ROOC—C C-- c h 3

Die Crotonaldehydkondensition

939

Neben den eigentlichen aktiven Methylengruppen ist auch p h e n o l a r o m a t i s c h e r W a s s e r s t o f f z u einer aldolkondensationsartigen Anlagerung an A l d e h y d e befähigt. Doch f ü h r t hier die Reaktion noch leichter als beim Acetessigester über die Alkoholstufe hinaus zur V e r k n ü p f u n g von zwei Phenolresten durch das ursprüngliche C a r b o n y l - C - A t o m : HO—;

Η

-

CH,5 (l ' —

HO ·/

HO—;

'

^ y—CHjj—OH

>—CH,—/

+ Η-
CI3C—C—CH3 ch3

ß) Die Crotonaldehydkondensation und verwandte Reaktionen Durch n a c h t r ä g l i c h e W a s s e r a b s p a l t u n g geht die Aldolkondensation leicht in eine e c h t e K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n über. Das bekannteste Beispiel haben wir auf S. 248 in der direkten Bildung von C r o t o n a l d e h y d aus zwei Molekülen A c e t a l d e h y d unter der Einwirkung von o r g a n i s c h e n A m i n e n oder deren A c e t a t e n kennengelernt: Ο =CH—HC H ? + 0=jCH—CH 3

0=CH-CH=CH-CH3 .

Weitere Kondensationsmittel sind N a t r i u m a c e t a t , A l u m i n i u m a l k o h o l a t , Z i n k c h l o r i d sowie D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n bei Temperaturen zwischen 200 und 300°, also oberhalb der Zersetzungstemperatur der Aldole. Auch die3e Kondensationsreaktion ist letzten Endes eine Gleichgewichtsreaktion. Man kann infolgedessen in Gegenwart von 60%iger Schwefelsäure als Katalysator aus Benzal-aceton den Benzal-Rest durch das aktivere Furfurol und aus dem hierbei entstehenden F u r f u r y l i d e n - a c eton (I) den Furfuryliden-Rest durch die noch aktiveren aliphatischen Aldehyde verdrängen ( T S C H E L I N Z E W 1938, u. a.). +

C,Hj—CH=CH—CO—CH 3 ·' " "' " " —

I;

CHO

_

\ C

/ - C H O .H

T

-CHO—"

-



/—CH=CH—CO—CH 3 Ο ι

> R—CH =CH—CO—CH 3

«

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

940

Neben der Kondensation zweier Oxoverbindungen lassen sich auch alle anderen oben beschriebenen Aldolkondensationen, an denen Methylengruppen beteiligt sind, durch entsprechende Auswahl der K a t a l y s a t o r e n in der Richtung beeinflussen, daß unter Ü b e r s p r i n g u n g der A l d o l s t u f e direkt die u n g e s ä t t i g t e n Verbindungen entstehen. Insbesondere wenn die neu entstehende D o p p e l b i n d u n g in ein größeres System k o n j u g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n eingebaut wird, ist dies sehr leicht der Fall, wie aus den folgenden wichtigsten Anwendungsbeispielen hervorgeht : 1. der PERKiNschen Zimtsäuresynthese (S. 370), die auf der Kondensation arom a t i s c h e r Aldehyde mit der aktiven Methylengruppe eines Carbonsäureanhydrids unter der katalytischen Einwirkung von N a t r i u m a c e t a t beruht: /

y—CH

Ο -. Il2CH- CO -O- \c

'Na0Al' -

CH=CH—COOH + AcOH

Hier wird die Wasserabspaltung durch die Konjugation der entstehenden Doppelbindung sowohl mit dem Benzolkern als auch mit der Carbonyldoppelbindung der Carboxylgruppe, sowie durch die Bindung des Wassers bei der S ä u r e a n h y d r i d hydrolyse, begünstigt. Aber auch mit anderen Methylengruppen tritt zuweilen direkt die Bildung der ungesättigten Verbindung ein, wie der Spezialfall der Amino-

s ä u r e s y n t h e s e von ERLENMEYER JITN. (S. 581) beweist. In Gegenwart von Essigsäureanhydrid können auch mit f r e i e n C a r b o n s ä u r e n analoge Kondensationsreaktionen durchgeführt werden. Ein Beispiel haben wir auf S. 142 in der D i p h e n y l o c t a t e t r a e n - S y n t h e s e von R. KUHN kennengelernt, bei der zwei Moleküle Z i m t a l d e h y d mit einem Molekül f r e i e r B e r n s t e i n s ä u r e in Essigsäureanhydrid als Reaktionsmedium mittels molarer Mengen Bleioxyds unter gleichzeitiger Decarboxylierung kondensiert werden: V-CH=CH—CH;=0

H s Ο - COOK

>—CH=CH—CH;=0

H. c— C O O H

; +

ι

— 2 Ha0 (Acetanhydrid,

Bleioxyd)

>—CH=CH—CH=CH

C0 2

>—CH=CH—CH=CH

CO,

2. der KNOEVENACLschen Zimtsäuresynthese (S. 370), bei der die gleiche Kondensation zwischen einem a r o m a t i s c h e n Aldehyd und Malonester oder auch der freien Malonsäure in Gegenwart organischer Basen durchgeführt wird. In letzterem Falle tritt die Decarboxylierung bereits während der Kondensation ein: COOH CH 3—C—CH2—CH , ;

n

CH,

CH,

945

Die MicHAEL-Addition

und 2. die in Gegenwart von P e r o x y d e n erfolgende Anlagerung der HCO-Gruppe von Aldeh y d e n an Olefine zu g e s ä t t i g t e n Ketonen:

Ο II R—CH=CH2 + H—C—R'

Ο II R-CH.—CH2—C—R'

Ebenso kommt die in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d nach FRIEDEL-CRAFTS sowie die unter dem Einfluß k o n z e n t r i e r t e r M i n e r a l s ä u r e n verlaufende Reaktion von Olefinen mit a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n (S. 933, 935) formal auf eine Anlagerung der letzteren an die C=C-Doppelbindung hinaus, und schließlich liegt in der über Aktivkohle zwischen 200 und 600° in allerdings schlechter Ausbeute erfolgenden B u t a d i e n s y n t h e s e aus je einem Mol A c e t y l e n und Ä t h y l e n eine Anlagerungsreaktion des Ä t h y l e n s an die Acetylenbindung vor: H 2 C=CH—Η + HC=CH > H 2 C=CH—CH=CH 2

Erst, wenn man durch K o n j u g a t i o n mit einer z w e i t e n D o p p e l b i n d u n g , insbesondere einer C = 0 - D o p p e l b i n d u n g , die N e i g u n g der C=C-Doppelbindung zu „ k a t i o n o i d e n " A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n (vgl. II, Kap. 3, I I , 3a) steigert, zeigt diese eine größere Tendenz zur Anlagerung von Kohlenstoffverbindungen, wie u. a. bereits die auf S. 104 und 141 beschriebene Addition m e t a l l o r g a n i s c h e r Verbindungen an 1 , 3 - D i e n e zeigt. Die bei weitem wichtigste Anlagerungsreaktion dieses Typus ist die von C L A I S E N (1883) entdeckte, später hauptsächlich von A. M I C H A E L bearbeitete und auch nach diesem Forscher benannte MiCHAEL-Addition oder (in Anlehnung an die ähnlich verlaufende A l d o l k o n d e n s a t i o n ) MiciiAEL-Kondensation. Sie beruht auf der Anlagerung einer eine a k t i v e C H - G r u p p e enthaltenden Verbindung an eine durch Konjugation mit einer p o l a r e n M e h r f a c h b i n d u n g aktivierte C = C D o p p e l b i n d u n g , ζ. B. eines 1 , 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r s an M e t h v l - v i n y l keton: Ο COOR

Ο

II

II

R—C—CH—Η + CH2=CH—C—CH,

Alkali

••-->•

Ο COOR

Ο

II

II

R—C—CH—CH2—CH2—C—CH3,

ι und wird wie die Aldolkondensation durch b a s i s c h e „ K o n d e n s a t i o n s m i t t e l · ' ausgelöst. Die C H - G r u p p e muß ziemlich stark s a u e r sein, so daß nur durch z w e i C = 0 oder C = N - G r u p p e η aktivierte Methylen- bzw. Methinverbindungen (ζ. B. M a l o n ester, 1,3-Dioxoverbindungen, 1,3-Oxocarbonsäureester, Cyanessige s t e r , M a l o - d i n i t r i l und deren C - M o n o a l k y l d e r i v a t e ) als Anlagerungskomponenten fungieren können. Als o l e f i n i s c h e K o m p o n e n t e kommen vor allem α , / 3 - u n g e s ä t t i g t e O x o v e r b i n d u n g e n und α , / 3 - u n g e s ä t t i g t e C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e (insbesondere Ester und Nitrile) in Betracht. Die Hauptbedeutung der Reaktion liegt darin, daß sich in der bei der angeführten Anlagerung eines j S - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r s (oder auch einer 1,3-Dioxov e r b i n d u n g ) an M e t h y l v i n y l k e t o n (oder auch an andere u n g e s ä t t i g t e K e t o n e ) entstehenden Verbindung I erneut zwei zu e i n e r K o n d e n s a t i o n b e f ä h i g t e G r u p p e n gegenüberstehen, so daß in a l k a l i s c h e m M e d i u m — häufig unter gleichzeitiger K e t o n s p a l t u n g der in I immer noch enthaltenen 1 , 3 - D i c a r b o n y l g r u p p i e r u n g — R i n g s c h l u ß zu einem C y c l o h e x e n d e r i v a t stattfindet: ROOC.

ROOCx

Kondensation I

I

rw

]

u. K e t o n s p a l t u n g

Kondensation ~

2

H

I

|

n

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

946

Die M I C H A E L - A d d i t i o n mit anschließender C r o t o n a l d e h y d - oder auch A l d o l k o n d e n s a t i o n stellt daher neben der unten beschriebenen Diensynthese das wichtigste Verfahren zum A u f b a u h y d r o a r o m a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n dar. Sie hat in neuerer Zeit bei verschiedenen Naturstoffsynthesen insbesondere zur Angliederung eines weiteren Cyclohexanringes an ein s c h o n v o r h a n d e n e s R i n g s y s t e m gedient (vgl. ζ. B. die in III, Kap. 5, I I I , 2 angeführte C h o l e s t e r i n synthese von W O O D W A R D ) . Eine interessante Variante der MICHAEL-Addition wurde V O H M A N N I C H (ab 1937) und R O B I N S O N (ab 1938) entwickelt, die statt des - u n g e s ä t t i g t e n K e t o n s ein in /j - S t e 11 u η g durch eine Trimethyl-ammonium-Gruppe substituiertes Keton (II, sog. M A N N I C H - B a s e ) als olefinische Reaktionskomponente verwenden. Denn dieses spaltet unter den Reaktionsbedingungen intermediär Trimethylamin ab und liefert die benötigte anlagerungsfähige Doppelbindung in s t a t u nascendi. Letztere wird dadurch stark aktiviert, so daß sie nunmehr in Gegenwart von Natriumamid nicht nur 1,3-Dicarbonylverbindungen sondern auch einfache K e t o n e anzulagern vermag. Da weiterhin Natriumamid gleichzeitig die zum Ringschluß erforderliche anschließende Crotonaldehydkondensation katalysiert, ist es auf diese Weise möglich, aus der Μ ANN ICH - B a s e und einem einfachen Keton in einem Reaktionsgang ein Cyclohexenderivat zu synthetisieren, wofür der folgende, als Modellreaktion für Steroidsynthesen wichtige Ringschluß als Beispiel angeführt sei: N(CH3)3

-X(CH3)„ - H + (NaSHj) kO^CH,, CH3 II — H.O(Sa.VHj) Zu 3. Die P o l y m e r i s a t i o n der Olefine und Acetylene ist nur schwer auf der Stufe der D i - oder T r i m e r i s i e r u n g s p r o d u k t e zu unterbrechen, da beide als ungesättigte Verbindungen „ i n s t a t u n a s c e n d i " unter den Reaktionsbedingungen leichter weiter reagieren als das Ausgangsmaterial. Eine l i n e a r e Di- oder Trimerisierung ungesättigter Verbindungen ist daher nur in S p e z i a l f ä l l e n möglich, von denen hier die Dimerisierung von S t y r o l (I) und I n d e n (II) unter der Einwirkung von S a l z s ä u r e sowie die D i - und T r i m e r i s i e r u n g von A c e t y l e n zu V i n y l (III) und D i v i n y l a c e t y l e n (IV) (vgl. S. 112) als Beispiele angeführt seien: jv

2i

;

- hci , ι

i

.

21

;.

ί

·;

,

ι

- V \ ιί l

ι

CH=CH,

OH=CH-

1

HC=CH

i

"

(

"

" > H 2 C=CH—C^CH III

II ;

t;H

> H 2 C=CH—C=C—CH=CH 2 IV

Erst wenn die Polymerisation unter Ausbildung einer weiteren C—C-Bindung zu c y c l i s c h e n V e r b i n d u n g e n führt, erhält man gegen die weitere Polymerisation beständige Reaktionsprodukte. Die wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen sind: a) die Dimerisierung von Olefinen zu C y c l o b u t a n d e r i v a t e n (S. 96, 784). Sie findet insbesondere bei Verbindungen statt, die einerseits infolge des Fehlens einer endständigen Vinylgruppe n i c h t z u r P o l y m e r i s a t i o n neigen, und in denen andererseits (von wenigen Ausnahmen abgesehen, vgl. ζ. B. S. 784) die olefinische Doppelbindung durch Konjugation mit A r y l r e s t e n oder C a r b o x y l g r u p p e n aktiviert ist. Die wichtigsten Beispiele haben wir in der Dimerisierung des S t i l b e n s (S. 141) und der Z i m t s ä u r e (S. 378) bereits kennengelernt.

Die Diensyntheäe

947

b) die Trimerisierung und Tetramerisierung des Acetylene zu B e n z o l und C y c l o o c t a t e t r a e n , die im einzelnen bereits früher beschrieben wurden (vgl. S. l l l f . ) . c) die b e r e i t s a u f S. 105 k u r z g e s t r e i f t e D i e n s y n t h e s e v o n D i e l s u n d A l d e r ( a b

1928), die sich im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Methoden zum Aufbau h y d r o a r o m a t i s c h e r Verbindungen entwickelt hat. Sie beruht auf der 1,4-Anl a g e r u n g einer allgemein als philodiene (oder auch dienophile) Komponente bezeichneten Verbindung mit einer e i n f a c h e n o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g an ein 1,3 - D i e η

(Dienkomponente): iI

/

+

,eo

i! x

Dien-Komponente

CCK

\ο

κ ν

cox

\ ο CO

philodiene Komponente

Beide Komponenten können innerhalb gewisser Grenzen v a r i i e r e n . So sind ζ. B. als Dienkomponente außer den einfachen 1 , 3 - D i e n e n auch solche Substanzen verwendbar, in denen eine der beiden Doppelbindungen durch eine C = 0 - oder C = N D o p p e l b i n d u n g ersetzt ist. Als Beispiele seien angeführt einerseits die bei höherer Temperatur bereits s p o n t a n eintretende D i m e r i s i e r u n g v o n V i n y l m e t h y l k e t o n (V), andererseits das α - M e t h y l e n - c y c l o h e x a n o n (VI), das bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r nahezu ausschließlich in der d i m e r e n F o r m (VII) existiert: Ο /χ Ο + ί I/'1 x ο =0 =0 vi

Weiterhin können die Diendoppelbindungen in ein a l i c y c l i s c h e s und selbst in ein a u f g e l o c k e r t e s a r o m a t i s c h e s B i n d u n g s s y s t e m (ζ. B. in Anthracen, S. 823, oder Furan, S. 891; nicht aber in Benzol oder Naphthalin) eingebaut sein, so daß sich die Methode auch zum Aufbau von p o l y c y c l i s c h e n V e r b i n d u n g e n (S. 806) eignet : CH=0

.CH=0

COOR

COOR (JH,

CH.'

CH,

CH,

Ο

Eine letzte Variationsmöglichkeit ist schließlich dadurch gegeben, daß eine der beiden Doppelbindungen durch eine d r e i f a c h e C = C - B i n d u n g ersetzt werden kann. In diesem Falle entstehen naturgemäß d o p p e l t u n g e s ä t t i g t e Sechsringe, und in dem Spezialfall, daß auch die p h i l o d i e n e K o m p o n e n t e eine A c e t y l e n b i n d u n g enthält, können direkt a r o m a t i s c h e S u b s t a n z e n synthetisiert verde η: xCH=0

.

CH=0

/JOOR

,COOR

I N

COOR

%/\COOR

Die Reaktionen am Kohlenatoffgerüst

948

I n der philodienen Komponente ist die o l e f i n i s e h e D o p p e l b i n d u n g im allgemeinen mit einer C a r b o n y l g r u p p e (oder mit einer anderen p o l a r e n D o p p e l b i n d u n g ) konjugiert. In diesen Fällen geht die Diensynthese bereits bei n i e d r i g e r T e m p e r a t u r vor sich und gehört zu den wenigen katalytisch n i c h t b e e i n f l u ß b a r e n synthetischen Reaktionen der organischen Chemie. Die wichtigsten philodienen Verbindungen dieser Art lassen sich auf die folgenden Verbindungstypen zurückführen: Ο II

Ο

Ο

,CH

OR

ο II .CH

Ο

Zimtaldehyd

Chinon

Ο Maleinsäureanhydrid

Acrolein

Acrvlsäureester

Aber auch andere p o s i t i v i e r e n d e S u b s t i t u e n t e n , die eine P o l a r i s a t i o n der Doppelbindungbewirken, aktivieren sie zur Reaktion mit der Dienkomponente. Insbesondere bei A l l y l h a l o g e n i d e n (CH 2 = CH—CH 2 —Hai) und S u l f o n y l v e r b i n d u n g e n ( C H 2 = C H — S 0 2 — R ) ist dies der Fall, aber n i c h t b e i V i n y l h a l o g e n i d e n .

Weiterhin vermag auch eine der beiden Doppelbindungen der D i e n k o m p o n e n t e selbst als p h i l o d i e n e G r u p p e zu fungieren. Die Reaktion führt in diesem Falle naturgemäß zu einer D i m e r i s i e r u n g des Diens, findet aber, wie die relativ große Beständigkeit der 1,3-Diene beweist, nicht mehr spontan bei Zimmertemperatur statt, sondern erst bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r , gegebenenfalls in Gegenwart eines K a t a l y s a t o r s . Als Beispiel sei die Dimerisierung von I s o p r e n angeführt, die die folgenden v i e r v e r s c h i e d e n e n R e a k t i o n s p r o d u k t e erwarten läßt in Abhängigkeit davon, w e l c h e der beiden Doppelbindungen des Isoprens als philodiene Komponente (durch Fettdruck hervorgehoben) reagiert und in w e l c h e r R i c h t u n g die Addition verläuft:

Π

Γ

Dien-Komponente

W A G N E R - J A U R E G G (1931) konnte jedoch nur d r e i dieser vier Reaktionsmöglichkeiten verwirklichen. In analoger Weise entsteht bei der Dimerisierung von B u t a d i e n Tinyl-cyclohexen (Gleichung formulieren!), das daher bei der Bunasynthese als Nebenprodukt anfällt.

Eine letzte Variationsmöglichkeit der philodienen Komponente ist schließlich dadurch gegeben, daß man die C=C-Doppelbindung durch andere u n p o l a r e D o p p e l b i n d u n g e n , insbesondere durch die N = N - D o p p e l b i n d u n g des A z o d i c a r b o n s ä u r e e s t e r s (S. 629) ersetzen kann.

Neben der reinen Diensynthese beobachtet man zuweilen auch eine „substituierende" Anlagerung, bei der sich die D i e n k o m p o n e n t e mit e i n e r e n d s t ä n d i g e n

Dehydrierende Synthesen

949

C — H - G r u p p e an die p h i l o d i e n e K o m p o n e n t e anlagert, so daß die Dienkomponente unter E r h a l t u n g d e r D i e n - D o p p e l b i n d u n g e n durch einen ges ä t t i g t e n R e s t substituiert erscheint. Die Reaktion findet insbesondere bei der Einwirkung von M a l e i n s ä u r e a n h y d r i d (als philodiener Komponente) auf P y r r o l , P y r a z o l und ähnliche Heterocyclen mit einem aufgelockerten aromatischen Bindungssystem (als Dienkomponente) s t a t t : CH—CCK

ii l'.

CH2—COx

!| II /O κ—Η + CH—CCK

• [ι Χ

Ν Η

II : )o jl—CH —CCK ΪΓ Η

4. Die oxydierende und reduzierende Verknüpfung von C-Atomen Eine oxydierende Verknüpfung zweier C-Atome ist nur auf dem Wege der D e h y d r i e r u n g im Sinne der folgenden Gleichung möglich: Η Η · Η -R

.

Κ - Η + ll 2

Die Reaktion ist n i c h t a l l g e m e i n , sondern nur bei bestimmten Verbindungstypen durchführbar, die es in Anbetracht der Reaktionsträgheit der C—H-Bindung wahrscheinlich machen, daß p r i m ä r die beiden zu verknüpfenden C-Atome i n W e c h s e l w i r k u n g treten und erst n a c h t r ä g l i c h die W a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g stattfindet. Eine praktische Bedeutung haben insbesondere diejenigen Reaktionen erlangt, bei denen der Wasserstoff aus zwei g l e i c h a r t i g e n M o l e k ü l e n a n der g l e i c h e n S t e l l e abgespalten wird, so daß praktisch eine V e r d o p p e l u n g d e s M o l e k ü l s stattfindet. I m einzelnen können wir die folgenden drei Reaktionsgruppen unterscheiden: 1. Reaktionen, bei denen elementarer Wasserstoff bei h o h e r T e m p e r a t u r herausgespalten wird. Hierher gehören insbesondere die beim Leiten der Dämpfe aromatischer Verbindungen durch glühende Röhren stattfindenden Synthesen von D i p h e n y l (S. 138), F l u o r e n (S. 835), P h e n a n t h r e n (S. 828), P e r y l e n (S. 832), B i p h e n y l e n o x y d (S. 894), C a r b a z o l (S. 878), A c r i d i n (S. 850) usw. sowie die N a t r i u m o x a l a t - S y n t h e s e durch Dehydrierung von N a t r i u m f o r m i a t (S. 456). Der Zusammens chluß von zwei B e n z o l k e r n e n kann in Gegenwart von A1 u m i η i u m c h l o r i d zuweilen auch schon bei Temperaturen zwischen 100 u n d 200° durchgeführt werden (vgl. z . B . die P y r a n t h r o n s y n t h e s e (S. 833). Doch sind die Ausbeuten hier zuweilen s c h l e c h t , weil der gebildete Wasserstoff nicht entweicht, sondern unter Bildung u n e r w ü n s c h t e r N e b e n p r o d u k t e in die Reaktion eingreift. 2. die dehydrierende Verknüpfung der Benzolkerne von P h e n o l e n und a r o m a t i s c h e n A m i n e n unter der Einwirkung von Oxydationsmitteln, der wir u. a. bei der D i p h e n y l a m i n r e a k t i o n der S a l p e t e r s ä u r e (S. 569) bereits begegnet sind. Technisch wichtige Synthesen dieser Art sind die Bildung von E l l a g s ä u r e durch Dehydrierung von G a l l u s s ä u r e (S. 266) und die I n d i g o s y n t h e s e durch Dehydrierung von I n d o x y l (S. 877), die beide bereits bei t i e f e r T e m p e r a t u r und mit m i l d e n O x y d a t i o n s m i t t e l n , wie Luftsauerstoff, Eisen-III-chlorid usw., durchgeführt werden können. Schließlich findet auch bei der Benzidin-Umlagerung (S. 600) eine bereits bei t i e f e r T e m p e r a t u r erfolgende dehydrierende Verknüpfung zweier Benzolkerne statt. Nur ist es hier eine im g l e i c h e n M o l e k ü l befindliche Atomgruppe, und zwar die N — N - B i n d u n g , die als Wasserstoffacceptor wirkt, so d a ß die „ S y n t h e s e " hier im Sinne einer „ U m l a g e r u n g " verläuft. «1

Kluges,

Lehrbuch der Organischen Chemie I , 2

950

Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst

Unter reduzierender Synthese im weitesten Sinne versteht man alle R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n , bei denen S a u e r s t o f f oder andere n e g a t i v e E l e m e n t e nicht durch Wasserstoff, sondern durch K o h l e n s t o f f ersetzt werden. Das ist streng genommen bereits bei den typischen GRioNAKDsynthesen (S. 722) der Fall, die man daher zuweilen auch als aufbauende Hydrierungen bezeichnet. Im allgemeinen faßt man jedoch den Begriff der reduzierenden Synthese enger und beschränkt ihn auf R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n , bei denen nicht wie bei der normalen Hydrierung zwei H - A t o m e pro Molekül aufgenommen werden, sondern bei denen sich die bei Aufnahme nur eines M e t a l l a t o m s entstehenden radikalartigen Molekülbruchstücke durch D i m e r i s a t i o n g e g e n s e i t i g a b s ä t t i g e n . Die einfachste und wichtigste derartige Reaktion stellt die auf S. 265 beschriebene P i n a k o n r e d u k t i o n der Ketone dar, der die analog verlaufende O x a l a t b i l d u n g bei der Einwirkung von K o h l e n d i o x y d auf A l k a l i m e t a l l e (S. 456) an die Seite gestellt werden kann: K2C=0

/R a C—ONa\

ι

+ 2 Na

R2C=O

I

'

ι

R 2 C—ONa

ι

ι

R 2 C—OH

Ansäuern

"j

\R 2 C—ONa/

R 2 C—OH

CO,

/COONa\

COONa

CO,

\ COONa/

COONa

I

Ansäuern

COOH I

COOH

Eine andere interessante Reaktion dieser Art ist BUSCH in der auf S. 138 beschriebenen hydrierenden Verknüpfung von mehreren D i b r o m b e n z o l m o l e k ü l e n mittels H y d r a z i n s als Wasserstoffdonator gelungen: η Br-

\

-Br

- - HaN—NIIj Ι-1*,

Br—/

-Br

-(2n—2) H B r

IV. D e r Abbau von C . . . C - B i n d u n g e n Der Abbau von C--C-Bindungen ist im allgemeinen von geringerer präparativer Bedeutung als ihre Synthese, da jeder Abbau des Kohlenstoffgerüstes naturgemäß mit dem V e r l u s t wertvoller o r g a n i s c h e r S u b s t a n z verbunden ist, so daß man die meisten organischen Verbindungen besser aus n i e d e r m o l e k u l a r e n Substanzen a u f b a u t . Nur in den wenigen Fällen, in denen die höhermolekulare Verbindung b i l l i g zur Verfügung steht, wie es etwa beim N a p h t h a l i n als Ausgangsmaterial für die P h t h a l s ä u r e g e w i n n u n g oder bei zahlreichen N a t u r s t o f f e n der Fall ist, findet auch der A b b a u organischer Verbindungen eine präparative und technische Anwendung. Dagegen haben sich verschiedene Abbaureaktionen als sehr wichtig für die K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n erwiesen, denn nur auf dem Wege einer Zerlegung des Kohlenstoffgerüstes ist es möglich, unbekannte höhermolekulare Substanzen in b e k a n n t e V e r b i n d u n g e n k l e i n e r Molekülgröße überzuführen. Allerdings sind n i c h t alle Spaltungsreaktionen zu diesem Zweck geeignet, denn in zahlreichen Fällen tritt völlige M o l e k ü l z e r s t ö r u n g (ζ. B. bei der Verbrennung) oder Spaltung von C---C-Bindungen an n i c h t v o r h e r b e s t i m m b a r e n Stellen (ζ. B. bei der Paraffinvercrackung) ein. Die uns hier interessierenden, für Konstitutionsermittlungen brauchbaren Abbaumsthoden, beschränken sich daher auf diejenigen Spaltungsreaktionen, die in ü b e r s i c h t l i c h e m V e r l a u f an einer genau d e f i n i e r t e n S t e l l e des Moleküls zur Lösung einer C---CB i n d u n g führen.

Die Spaltung endständiger C··· C-Bindungen

951

J e nach der Oxydationsstufe der entstehenden Spaltungsprodukte unterscheiden wir: 1. die o x y d a t i v e S p a l t u n g von C· • -C-Bindungen und 2. deren Abbau unter E r h a l t u n g d e r G e s a m t o x y d a t i o n s s t u f e , während die dritte Möglichkeit, die h y d r i e r e n d e S p a l t u n g von C··-C-Bindungen, nur zuweilen in der Technik (ζ. B. bei der K o h l e h y d r i e r u n g ) eine gewisse Rolle spielt, jedoch wegen der mangelnden Beschränkungsmöglichkeit der Reaktion auf bestimmte Bindungen für die Zwecke der Konstitutionsermittlung ohne Bedeutung geblieben ist. 1. Der oxydative Abbau von C—C-Bindungen Der Abbau von C—C-Einfachbindungen auf dem Wege der O x y d a t i o n wird stets in der Weise durchgeführt, daß man die zu trennende Bindung durch Oxydation der beiden an ihr stehenden C-Atome bis zur h ö c h s t e n o h n e M o l e k ü l z e r s t ö r u n g e r r e i c h b a r e n O x y d a t i o n s s t u f e derart labilisiert (vgl. S. 266), daß sie nunmehr unter E r h a l t u n g a l l e r ü b r i g e n C — C - B i n d u n g e n aufgespalten werden kann. Doch ist es vielfach — wie ζ. B. beim oxydativen Abbau der K e t one (S. 266) oder bei der O z o n s p a l t u n g der Olefine (S. 92) —• nicht möglich, die sehr labilen, auf beiden Seiten der zu spaltenden Bindung oxydierten Ausgangsverbindungen der eigentlichen Spaltungsreaktion als Z w i s c h e n p r o d u k t e zu isolieren. I n diesen Fällen spricht man daher meistens von der oxydativen Spaltung der m i n d e r o x y d i e r t e n V e r b i n d u n g e n (ζ. B. der K e t o n e oder t e r t i ä r e n A l k o h o l e ) oder der überhaupt keinen Sauerstoff im Molekül enthaltenden Verbindungen (z.B. der O l e f i n e ) schlechthin. F ü r den uns in erster Linie interessierenden Zweck der S t r u k t u r a u f k l ä r u n g der abzubauenden Verbindung sind besonders wichtig: a) die Verfahren zum s t u f e n w e i s e n A b b a u e i n e r P a r a f f i n k e t t e von ihrem E n d e her und b) die Verfahren zur Aufspaltung einer längeren K e t t e in der M i t t e . a) D e r s t u f e n w e i s e A b b a u e i n e r P a r a f f i n k e t t e v o n i h r e m E n d e h e r Die Aboxydation der endständigen Methylgruppe einer längeren Paraffinkette ist n i c h t ohne weiteres möglich, da primäre C-Atome schwerer angegriffen werden als sekundäre oder gar tertiäre. Man kann diesen Abbau daher nur von den O x y d a t i o n s p r o d u k t e n des primären C-Atoms, also den A l k o h o l e n , A l d e h y d e n oder C a r b o n s ä u r e n aus durchführen, von denen die ersten beiden ebenfalls zunächst zur C a r b o n s ä u r e als dem eigentlichen Ausgangsprodukt der Abbaureaktionen oxydiert werden müssen. Aber auch die o x y d a t i v e A b s p a l t u n g d e r C a r b o x y l g r u p p e bereitet einige Schwierigkeiten, da die einfachen Carbonsäuren gegen Oxydationsmittel praktisch s t a b i l sind (S. 316). Sie läßt sich, wie wir gesehen haben, nur dann in einfacher Weise durchführen, wenn auch das zur Carboxylgruppe α - s t ä n d i g e C - A t o m oxydiert ist, wie es z . B . in der O x a l s ä u r e (S. 457), den « - O x o - (S. 492) und auch den Ä - O x y c a r b o n s ä u r e n (S. 474) der Fall ist. Die in «-Stellung n i c h t - s u b s t i t u i e r t e n Carbonsäuren muß man daher zunächst in l e i c h t e r a n g r e i f b a r e Verbindungen umwandeln und f ü h r t sie zu diesem Zweck entweder durch gemeinsame Destillation ihrer K a l k s a l z e mit C a l c i u m a c e t a t in die um e i n C - A t o m r e i c h e r e n M e t h y l k e t o n e oder durch G R I G JTARDreaktion der E s t e r in die um z w e i C - A t o m e r e i c h e r e n t e r t i ä r e n A l k o h o l e über, die beide — infolge der größeren R e a k t i o n s t r ä g h e i t d e r M e t h y l g r u p p e n — bei der Oxydation bevorzugt zwischen der l ä n g e r e n K e t t e und dem u r s p r ü n g l i c h e n C a r b o x y l C - A t o m aufgespalten werden (vgl. z . B . S. 266): Ol«

Die Reaktionen, am Kohlenstofigerüst

952

Kalksalzdestillation ρ «ρI m i ^ c ä Y Ö O C — ~ ^ * -C0—CH,J

oxytot

— ^ Ii—COOH·

Spaltung

Ε—CH,—COOH

Veresterung

?/CH3 _ c \( CH,

• K-

xCH3 X! a u v "Spaltung ' " - R—COOH + o c . \ CH,

Durch systematische W i e d e r h o l u n g dieser Operationen kann man die Kette Schritt für Schritt um jeweils e i n C - A t o m abbauen, bis man zu einer b e k a n n t e n V e r b i n d u n g kommt oder auf ein V e r z w e i g u n g s - bzw. R i n g - C - A t o m stößt (8.

U.)·

Ein praktisches Beispiel für die Anwendbarkeit der ersten Methode haben wir bereits auf S. 368 in dem von K R A F F T durchgeführten S t e a r i n s ä u r e a b b a u kennengelernt. Das Verfahren versagt bei h ö h e r m o l e k u l a r e n Säuren, die n i c h t mehr zur Kalksalzdestillation befähigt sind. H . W I E L A N D ( 1 9 2 6 ) hat daher den G a l l e n s ä u r e a b b a u nach der zweiten Methode durchgeführt.

Eine weitere, wesentlich m i l d e r e R e a k t i o n dieser Art, bei der die C a r b o n s ä u r e n zu den n ä c h s t n i e d e r e n A l d e h y d e n abgebaut werden, liegt in der auf S. 912 erwähnten B l e i t r e t a a c e t a t s p a l t u n g von α - O x y c a r b o n s ä u r e n vor, in die sich die einfachen Carbonsäuren über die «-Halogencarbonsäuren relativ leicht überführen lassen: C1 R—CH,—COOH J

n

OH

OH OH I I yd 0

' >- R—CH—CO - - , i -"-» R—CH—CO

iyse

— UUL,

R—CH=0

Schließlich gehören auch die Carbonsäure-Abbaumethoden von H O F M A N N und C U R T I U S (S. 316), bei denen die Carbonsäuren über die S ä u r e a m i d e (bzw. -azide) zu den um ein C - A t o m ärmeren primären A m i n e n abgebaut werden, diesem Reaktionstypus an.

Neben der , , α - S p a l t u n g " der Fettsäuren ist auch eine „ ß - S p a l t u n g " , d . h . der gleichzeitige Abbau von jeweils z w e i C - A t o m e n , bekannt. Diese Möglichkeit ist vor allem beim b i o c h e m i s c h e n F e t t s ä u r e a b b a u (ΠΙ, Kap. 8, III) verwirklicht, kann allerdings in vitro nur s c h w e r n a c h g e a h m t werden. Befindet sich eine paraffinartige Kohlenstoffkette schließlich am B e n z o l k e r n , so wird sie n i e m a l s von ihrem f r e i e n E n d e sondern ausschließlich von dem am B e n z o l k e r n befindlichen Ende her abgebaut, da das B e n z y l - C - A t o m stets am s t ä r k s t e n a k t i v i e r t ist. Man erhält daher unabhängig von der Länge der Seitenkette zunächst immer ein g e m i s c h t - a r o m a t i s c h - a l i p h a t i s c h . e s K e t o n und durch dessen weiteren Abbau eine a r o m a t i s c h e C a r b o n s ä u r e : rr 3 KM:,: 4

~CH2—R

° ·

'

.

y—c—R

-—>•

y—COOH

Da das gemischt-aromatisch-aliphatische Keton im allgemeinen l e i c h t e r weiter oxydiert wird als das A u s g a n g s m a t e r i a l , ist es nur in Ausnahmef&llen isolierbar. Als Beispiel soi der Abbau von N a p h t h a l i n zu P h t h a l s ä u r e a n h y d r i d (S. 469) angeführt, der bei vorsichtigem Arbeiten auf der Stuf« der P h t h a l o n s ä u r e (I) unterbrochen werden kann:

/ycovcooH

/ γ \ I

I

I O.vyduiioil

,

I I

\ \

C 0 0 H

I I \/N-C00K

X//

\C00H i on^yi.srho Oxydation

/y

/" /

Die Spaltung mittelständiger C"-C-Bindungen

953

b) Die S p a l t u n g m i t t e l s t ä n d i g e r C — C - B i n d u n g e n Besonders wertvoll für Konstitutionsaufklärungen ist die Möglichkeit der Spaltung einer der m i t t l e r e n C — C - B i n d u n g e n längerer Kohlenstoffketten, da hier mit einem Schritt gleich eine wesentliche M o l e k ü l v e r k l e i n e r u n g unter Bildung z w e i e r d e f i n i e r t e r R e a k t i o n s p r o d u k t e erreicht wird. Die zu derartigen Spaltungsreaktionen geeigneten Funktionen bzw. Verbindungsklassen sind: 1. die o l e f i n i s c h e D o p p e l b i n d u n g , 2. die 1 , 2 - G l y k o l e , 3. die K e t o n e , die mindestens e i n e C — H - G r u p p e in Nachbarstellung zur C=0-Gruppe enthalten, und 4. die 1 , 2 - D i c a r b o n y l v e r b i n d u n g e n , die, wie wir auf S. 913 gesehen haben, bereits auf dem Wege der D e h y d r i e r u n g abgebaut werden. Zu 1. Die wichtigste Methode zur Olefinspaltung stellt die auf S. 92 beschriebene O z o n a d d i t i o n mit nachträglicher h y d r o l y t i s c h e r oder h y d r i e r e n d e r S p a l t u n g der primär gebildeten O z o n i d e dar. Sie bietet vor der früher häufig angewandten P e r m a n g a n a t s p a l t u n g (S. 91) den Vorteil, daß eine geringere Tendenz zur Wanderung der Doppelbindungen v o r E i n t r e t e n d e r S p a l t u n g s r e a k t i o n besteht, so daß sie in besonderem Maße zur Aufklärung von Strukturfragen geeignet ist. Umgekehrt liegt in der auf S. 372 beschriebenen A l k a l i s c h m e l z e ungesättigter Fettsäuren ein Spaltungsverfahren vor, dem wegen der Möglichkeit der W a n d e r u n g d e r D o p p e l b i n d u n g in ^-Stellung zur Carboxylgruppe k e i n e r lei B e w e i s k r a f t für die ursprüngliche Lage cler Doppelbindungen zukommt. Neben diesen direkten Spaltungsreaktionen kann man auch i n d i r e k t einen Abbau der C=C-Doppelbindung durchführen, indem man die O l e f i n e mittels O s m i u m e t r o x y d s oder B l e i t e t r a a c e t a t s , sowie auch über die O l e f i n o x y d e , in G l y k o l e verwandelt und diese dann der im nächsten Abschnitt beschriebenen G l y k o l s p a l t u n g unterwirft.

Zu 2. Auch die verschiedenen Möglichkeiten der Glykolspaltung haben wir bereits kennengelernt. Wegen der besonders milden Reaktionsbedingungen dienen vor allem die auf S. 911/12 beschriebenen Methoden der B l e i t e t r a a c e t a t - und der Ü b e r j o d s ä u r e s p a l t u n g , bei denen die Oxydation jeweils auf der Stufe der O x o v e r b i n d u n g e n stehen bleibt, zur Konstitutionsermittlung. Aber auch stärkere Oxydationsmittel wie K a l i u m p e r m a n g a n a t führen (über die primär entstehenden 1 , 2 - D i o x o v e r b i n d u n g e n ) in glatter Reaktion zur M o l e k ü l s p a l t u n g , bei cler in diesem Falle jedoch sofort z w e i C a r b o n s ä u r e m o l e k ü l e e n t s t e h e n (S. 91): R—COOH , 1

R—COOH

/R—C=0\ WasscraniagiTUnc-, J)ehydriürunii

j I

| I

\R—C=0/

R—CH—OH 1 I

0[n04 (l>?hydi ierai»-)

|

R—CH=0 P b f O A c l , , H.TO,

R—CH—OH

R—CH=0

Zu 3. Wie bereits auf S. 266 ausführlich beschrieben, wird der Wert des oxydativen Kctonabbaus für die Aufklärung von S t r u k t u r f r a g e n dadurch etwas eingeschränkt, daß einerseits die Spaltung auf b e i d e n S e i t e n d e r C a r b o n y l g r u p p e eintreten kann, so daß u. U. ein Gemisch von v i e r v e r s c h i e d e n e n C a r b o n s ä u r e n entsteht: ? R—CH 2 —C—CH—R'

, \

-> R - C H : - C O O H + H O O C - R ' Reaktion

b ^

J>—COOH + HOOC—CHt—R'

und daß andererseits Ketone mit b e i d e r s e i t s t e r t i ä r e n R e s t e n , wie ζ. B. B e n z o p h e n o n , überhaupt n i c h t a u f g e s p a l t e n werden. Ein eindeutiger Reaktionsverlauf wird dagegen bei g e m i s e h t - a r o m a t i s c h - a l i p h a t i s c h e n K e t o n e n (Bildung a r o m a t i s c h e r C a r b o n s ä u r e n ) und bei M e t h y l k e t o n e n (Bildung

954

Die Reaktionen im Kohlenstoffgerüst

von E s s i g s ä u r e ) beobachtet (Näheres vgl. S. 266). Ferner nimmt die Reaktion bei Ketonen, die in « - S t e l l u n g zur Carbonylgruppe v e r z w e i g t sind, insofern einen andersartigen Verlauf, als hier nur e i n e C a r b o n s ä u r e und daneben ein n e u e s K e t o n als Spaltprodukte auftreten: R'

Ο

R'

I

Ii

I

R—CH—C—R"

- > R — C = 0 + HOOC—II"

Aus der Natur der Spaltprodukte kann man also auf das Vorhandensein von Molek ü l v e r z w e i g u n g e n in N a c h b a r s t e l l u n g z u r C a r b o n y l g r u p p e schließen (vgl. S. 959). 2. Die Spaltung yon C •C-Bindungen unter Erhaltung der Gesamtoxydationsstufe Eine Spaltung der einfachen C—C-Bindung unter E r h a l t u n g d e r G e s a m t o x y d a t i o n s s t u f e kann auf den folgenden v i e r W e g e n durchgeführt werden: 1. durch Auflösung der Bindung unter Bildung von zwei f r e i e n R a d i k a l e n , 2. durch d i s p r o p o r t i o n i e r e n d e Z e r s e t z u n g , 3. durch h y d r o l y t i s c h e Zers e t z u n g und 4. durch A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n unter Bildung einer Doppelbindung. Zu 1. Die Badikalsp<ung der C—C-Bindung hat, abgesehen von der Darstellung der f r e i e n R a d i k a l e selbst, keine praktische Bedeutung, insbesondere nicht zur Klärung von Strukturfragen, erlangt. Auf eine n i c h t ü b e r s i c h t l i c h v o r l a u f e n d e Radikalspaltung ist wahrscheinlich die Vercrackung der P a r a f f i n e bei höherer Temperatur (vgl. S. 76) zurückzuführen:

Η R _ C H - C H , ; R'

—> R—CH—CH, + -R' " i i ^

0 1

^

1

^^

R - C H = C H , + H—R'

Zu 2. Die wichtigste disproportionierende Spaltungsreaktion liegt in der auf S. 71 und 315 beschriebenen Decarboxylierung von Carbonsäuren vor, bei der der C a r b o x y l k o h l e n s t o f f zur Stufe des Kohlendioxyds o x y d i e r t und der α-ständige Kohlenstoff r e d u z i e r t wird. (Bzgl. des Reaktionsmechanismus vgl.II, Kap. 4, II, la): R—COOH

• R—Η · C()2

Wie im einzelnen bereits näher ausgeführt wurde, zeigen die verschiedenen Carbonsäuren eine sehr u n t e r s c h i e d l i c h e Neigung zur Abspaltung der Carboxylgruppe, und man kennt neben Säuren, die n u r in F o r m i h r e r D e r i v a t e existenzfähig sind, auch Carbonsäuren, die ohne Zuhilfenahme von Alkali überhaupt n i c h t d e c a r b o x y l i e r t werden können. Im allgemeinen beobachtet man etwa die folgende Abstufung der Reaktionsfähigkeit: ß - N i t r o - und ß, ß - D i c a r b o n y l - c a r b o n s ä u r e n (ζ. B. M e t h a n - t r i c a r b o n s ä u r e , S. 464) spalten derart l e i c h t C0 2 ab, daß sie auch bei tiefer Temperatur n i c h t e x i s t e n z f ä h i g sind. A c e t e s s i g s ä u r e und andere ßK e t o c a r b o n s ä u r e n ( S . 498f.) können zwar für kurze Zeit isoliert werden, zerfallen aber schon beim A u f b e w a h r e n b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r . M a l o n s ä u r e ist dagegen bereits bis zu ihrem Schmelzpunkt (134°) u n b e g r e n z t h a l t b a r und beginnt sich erst bei 140—150° in stärkerem Ausmaß zu zersetzen (vgl. S. 460, 648). Ihr folgen die ebenfalls thermisch noch spaltbaren α - S u l f o - (S. 683) und α - A m i n o c a r b o n s ä u r e n (S. 585) sowie die P h e n o l - (S. 489) und A n i l i n c a r b o n s ä u r e n (S. 589), während die einfachen a r o m a t i s c h e n und, soweit sie nicht Nebenreaktionen eingehen, auch a l i p h a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n nur noch in Form ihrer A l k a l i s a l z e mit ü b e r s c h ü s s i g e m A l k a l i h y d r o x y d decarboxyliert werden können, so daß man hier schon von einer h y d r o l y t i s c h e n S p a l t u n g der C—C-Bindung sprechen muß (s. unter 3.).

Die hydrolytische Spaltung von C—C-Bindungen

955

Eine eigenartige Gruppe von decarboxylierbaren Verbindungen stellen schließlich die λ - K e t o c a r b o n s ä u r e η dar, die in reinem Zustand zwar ziemlich temperaturbeständig sind, so daß ζ. B. die B r e n z t r a u b e n s ä u r e bei Atmosphärendruck u n z e r s e t z t d e s t i l l i e r t werden kann, deren Decarboxylierung jedoch im Gegensatz zu der aller anderen Carbonsäuren durch gewisse A m i n o v e r b i n d u n g e n derart beschleunigt wird, (Näheres vgl. S. 492 u. III, Kap. 8, II), daß schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r Zersetzung erfolgt. Auch bei der Kohlenoxydspaltung der Carbonsäuren (S. 315) tritt eine d i s p r o p o r t i o n i e r e n d e Z e r s e t z u n g der C—C-Bindung ein, bei der jedoch gegenüber der Decarboxylierung die Oxydationsstufen v e r t a u s c h t werden, so daß der λ - s t ä n d i g e K o h l e n s t o f f in einer h ö h e r e n und der C a r b o x y l k o h l e n s t o f f in einer n i e d r i g e r e n O x y d a t i o n s s t u f e anfällt: R—COOH -

lrsS0