180 32 185MB
German Pages 761 [770] Year 1916
LEHRBUCH DER
MATHEMATIK FÜR S T U D I E R E N D E DER NATURWISSENSCHAFTEN
UND DER
TECHNIK
EINE EINFÜHRUNG IN DIE DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG UND IN DIE ANALYTISCHE GEOMETRIE
VON
DR. GEORG S C H E F F E R S PROFESSOR D B B DARSTELLENDEN GEOMETRIE AN DER TECHNISCHEN HOCHSCHULE BERLIN-CHARLOTTENBURG
DRITTE VERBESSERTE AUFLAGE MIT 438 FIGUEEN
LEIPZIG V E R L A G VON V E I T & COMP. 1916
D r u c k von Metzger &. Wittig in Leipzig.
Vorwort. Zunächst fasse ich im folgenden einiges zusammen, das seinerzeit im Vorwort zur ersten Auflage stand: Dies Buch ist für solche geschrieben, denen die Mathematik nur eine Hilfswissenschaft ist, namentlich für Studierende der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n und der T e c h n i k . In erster Linie ist es für das S e l b s t s t u d i u m bestimmt. Deshalb geht es von dem denkbar geringsten Maße an Vorkenntnissen aus: Der Leser braucht nur im Buchstabenrechnen, in der Auflösung von Gleichungen ersten Grades mit einer Unbekannten und in der niederen Geometrie bewandert zu sein. Ich habe mir nämlich den Leser vorgestellt als jemanden, der zwar seinen Schulkursus in der Mathematik durchgemacht, jedoch manches davon wieder vergessen, vielleicht auch manches davon nicht ganz verstanden hat. Daher habe ich im Laufe der Betrachtungen alte Schulkenntnisse wieder aufgefrischt; so z. B. wird die Goniometrie mit den Hauptsätzen der Trigonometrie von Grund aus abgeleitet, ebenso die Theorie und Praxis des logarithmischen Rechnens, sogar die Auflösung quadratischer Gleichungen. Ein Kollege gab mir, als er von dem Plane zu diesem Buche hörte, im Scherze den Rat, es als Lehrbuch für Anfänger und solche, die es bleiben wollen, zu bezeichnen. Man wird jedoch bemerken, daß es meine Absicht gewesen ist, den Anfänger von dem niedrigsten Stande an Vorkenntnissen dennoch zu einer solchen Höhe in mathematischen Dingen zu bringen, daß er nach dem Studium dieses Buches ohne weiteres fähig ist, die in seinem besonderen Forschungsgebiete auftretenden Anwendungen der Mathematik zu verstehen und ebenso, wenn er es gebrauchen sollte, schwierigere mathematische Literatur mit Verständnis zu lesen. Man darf sich daher nicht über den Umfang des Buches wundern, denn es ist ein weiter Weg zurück-
IV
zulegen, und er muß langsam durchschritten werden. Erst in den allerletzten Kapiteln wird ein schnellerer Gang eingeschlagen. Dem Leser möchte ich dringend raten, stets Papier und Schreibstift zur Hand zu haben, namentlich auch kariertes Papier zum Einzeichnen von Skizzen. Es wäre, um es kräftig auszudrücken, erwünscht, daß der Leser dem Verfasser aufs äußerste mißtraue und alle Rechnungen selbst nachprüfe. Der Studierende, der diesem Buche ernste Arbeit widmet, ist vielleicht dafür dankbar, daß ich, abweichend von der Gepflogenheit der meisten mathematischen Lehrbücher, die Lehre in einer gewissen behaglichen Breite vortrage. Wem der Schritt zu langsam ist, der wird ja leicht das, was er schneller erfaßt, mit ra3chem Blicke überfliegen können. in der Auswahl des Stoffes habe ich mich durchaus nicht an irgendwelche herkömmlichen Festlegungen gebunden, vielmehr gebracht, was nach meiner Meinung jemand, der die Mathematik nur als Hilfswissenschaft braucht, am allergründlichsten kennen lernen sollte. Man wird daher einiges hier nicht finden, das man sonst vorzutragen pflegt. Dagegen erfahren aber manche für den Techniker und Naturwissenschaftler wichtige Dinge hier eine sonst nicht gewohnte ausführliche Behandlung, z. B. die polytropischen Kurven für Gase und Dämpfe, die so außerordentlich oft auftretenden Exponentialfunktionen und -kurven, die Schwingungen wie überhaupt die periodischen Vorgänge, die gedämpften Schwingungen und anderes mehr. Für Geodäten und Physiker wird die Fehlerfunktion in der Wahrscheinlichkeitsrechnung abgeleitet. Dem Physiker und Elektrotechniker wird der Abriß der Theorie der F O U B I E B sehen Reihen willkommen sein. Dem Maschinenbauer und Ingenieur wird es lieb sein, daß mancherlei Betrachtungen aus der Mechanik gebracht werden. Besonders habe ich überall danach gestrebt, die tote Formel durch Zahlenbeispiele und graphische Konstruktionen zu beleben. Die ungewohnte Fülle von Figuren wird das Verstehen des Textes wirksam unterstützen. — Meine Absicht ist es nicht, die Gründe auseinanderzusetzen, aus denen ich einen von den meisten Lehrbüchern stark abweichenden Gang eingeschlagen habe. Beim ersten Erscheinen dieses Buches (im Jahre 1905) zweifelte ich lebhaft daran, ob es überhaupt Beachtung finden würde. Allerdings war ich so vorsichtig, die Leser nicht von vornherein durch Äußerung dieses Zweifels am eigenen Werke stutzig zu machen. Inzwischen bin ich aber völlig beruhigt. Die große
Vorwort.
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Zahl von Zuschriften aus dem Kreise derer, die das Buch durchgearbeitet haben, zeigt, daß gar mancher dafür dankbar ist, in dein Buche einen kameradschaftlichen Führer gefunden zu haben, durch den er in die Hallen der Mathematik ohne Stolpern an der Schwelle eingeführt worden ist. Die erste Lehrerpflicht ist, immer darüber im klaren zu bleiben, was der Schüler wirklich schon kann. Wer sich von Beruf mit Mathematik beschäftigt, verliert jedoch leicht das Gefühl dafür, was darin dem Neuling oder Gelegenheitsarbeiter besonders schwer wird. Klagen von Fachgenossen über die Breite des Vortrages durften mich deshalb ebensowenig wie bei der Bearbeitung der zweiten Auflage (1911) beeinflussen. Nicht auf das, was meine Leser eigentlich schon wissen müßten, sondern auf das, was sie wirklich wissen, baue ich auf. Verschiedene Anfragen haben gezeigt, daß ich an einigen Stellen nicht klar gesehen hatte, daß da noch Schwierigkeiten für den Leser vorhanden waren. Das waren willkommene Anlässe zu Verbesserungen. Die Betrachtungen aus der analytischen Geometrie der Ebene sind diesmal in einem besondern Kapitel, dem vierten, ausführlicher entwickelt worden. Sie werden weitergeführt durch die Beispiele im zweiten Paragraphen des letzten Kapitels; und im dritten Paragraphen dieses Kapitels sind die Grundlagen der analytischen Geometrie des Raumes ebenfalls ausführlioher als früher dargestellt. Da die Dreieckskoordinaten gelegentlich in der Chemie gebraucht werden, wird ihr Begriff auf Wunsch meines werten Freundes und Kollegen F. DOLEZALEK am Schlüsse des vierten Kapitels gegeben. Fachgenossen werden davon enttäuscht sein, aber die Chemiker freuen sich vielleicht, in einem mathematischen Lehrbuche eine Darstellung der Dreieckskoordinaten zu finden, worin keine Doppelverhältnisse oder andere sie nichts angehende Begriffe der projektiven Geometrie vorkommen. Die Anzahl der Figuren hat abermals eine Vermehrung erfahren. Die mehr als dreihundert Beispiele in kleinerem Drucke sind natürlich möglichst verschiedenen Anwendungsgebieten entnommen. Solche Leser nun, die sich die mathematischen Grundlagen für Anwendungen auf einem bestimmten Gebiete der Naturwissenschaften oder der Technik aneignen wollen, werden wünschen, mehr Beispiele aus ihren Sondergebieten zu bearbeiten. Ich verweise deshalb auf die Aufgabensammlung, die mein lieber Freund
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Vorwort.
DINGELDEY unter dem Titel „Sammlung von Aufgaben zur Anwendung der D i f f e r e n t i a l - und I n t e g r a l r e c h n u n g ' ' in zwei Teilen, von denen sich der erste auf die Differentialrechnung und der zweite auf die Integralrechnung bezieht, in den Jahren 1910 und 1913 in Leipzig hat erscheinen lassen. Dies vortreffliche Werk ist nach meiner Ansicht die beste aller hier in Betracht kommenden Sammlungen. Schon im Jahre 1914 begann der Druck der dritten Auflage meines Buches. Aber der Krieg unterbrach ihn. Inzwischen ist das Buch so viel begehrt worden, besonders auch von unseren Feldgrauen an der Front oder in Erholungsheimen, daß sich das Verlagshaus dazu entschloß, den Neudruck nunmehr schnell zu Ende zu führen. Ich erkenne es dankbar an, daß der Druck trotz der Schwierigkeiten der Zeit mit derselben Sorgfalt wie sonst durchgeführt wurde. Möchte dem Buche diesmal dieselbe freundliche Aufnahme wie früher beschieden sein!
F.
B e r l i n - D a h l e m , im Juli 1916. Georg Schcffers.
Inhalt.1 Erstes § § § §
Größen und Funktionen. 1. Vorläufiger Überblick 2. Das Messen der Größen 3. Konstanten, Veränderliche, Funktionen 4. Koordinaten Zweites
§ § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
1. 2. 3. 4. 5.
1. 2. 3. 4. 5. 6.
1 3 15 27
Kapitel.
101 118 138 159 175
Kapitel.
Einiges aus der analytischen Geometrie. Die G-erade Der Kreis Die Elllipse Die Hyperbel , Schiefwinklige Koordinaten Dreiecikskoordinaten 1
31 46 64 76 93
Kapitel.
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke. Ganze Funktionen Über die Auflösung von Gleichungen Gebrochene Funktionen Die Kettenregel Beispiele Viertes
§ § § § § §
Seite
Begriff des Differentialquotienten. Lineare Punktionen Quadratische Funktionen Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale u. Differentialquotienten Differentialquotienten von Summen, Produkten und Brüchen . . . Ein Rückblick Drittes
§ § § § §
Kapitel.
185 190 194 201 209 215
Ein ¡alphabetisches Sachregister findet sich am Schlüsse des Buches.
vili
Inhalt.
F ü n f t e s Kapitel. Grundbegriffe der Integralrechnung. § § § §
1. 2. 3. 4.
Funktionen mit demselben Differentialquotienten Das Integral Beispiele zur Flächenmessung Verschiedene Anwendungen des Integralbegriffes
Seite
223 229 243 256
S e c h s t e s Kapitel. Die logarithmischen Funktionen. § § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
Der natürliche Logarithmus Berechnung des natürlichen Logarithmus Eigenschaften des natürlichen Logarithmus Der gewöhnliche Logarithmus Ein Rückblick und Folgerungen
276 284 298 . 307 , . . . . 3 1 9
S i e b e n t e s Kapitel. Die Exponentialfunktionen. § § § §
1. Das Gesetz des organischen Wachsens 2. Exponentialfunktionen und Exponentialkurven 3. Polarkoordinaten und logarithmische Spiralen 4. Beispiele
323 335 355 368
Achtes Kapitel. Die Kreisfunktionen. § § § §
1. Die goniometrischen Funktionen 2. Anwendungen der goniometrischen Funktionen 3. Periodische Vorgänge 4. Die zyklometrischen Funktionen
387 406 423 444
Neuntes Kapitel. Höhere Differentialquotienten. § § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
Die Differentialquotienten und Differentialkurven Kennzeichen eines Maximums oder Minimums Krümmung, Evolute und Evolventen Geradlinige Bewegungen Krummlinige Bewegungen
451 .464 481 499 515
Zehntes Kapitel. Berechnung der Funktionen. § 1. Der Mittelwertsatz § 2.
Die F o r m e l von LAGRANOE
§ 8. Die TAYLORsche Formel § 4. Verschiedene Anwendungen der TAYLOR sehen Formel
.525 528
540 557
ix
Inhalt. Elftes
Kapitel.
Auswertung von Integralen.
Seite
§ 1.
Allgemeine Integrationsverfahren
§ 2.
Ubersieht und Anwendungen
590
§ 3.
Besondere Integrationsverfahren
610
§ 4.
Die FooHiERSche Reihe
626
Zwölftes
577
Kapitel.
Funktionen von mehreren Veränderlichen. § ij § § §
1. Partielle Differentiation 2. Differentiation unentwickelter Funktionen 3. Grundbegriffe der analytischen Geometrie des Raumes 4. Funktionen des Ortes in der Ebene 5. Rückblicke und Schlußbemerkungen
.
.
642 659 672 696 715
Anhang. Tafel „ „ „ „ „ ,,
I. Bogenmaß der Winkel II. Natürliche Logarithmen III. Die Vielfachen von M und 1 : M IV. Hyperbolische Funktionen V. Differentialquotienten VI. Näherungsformeln VII. Integralformeln
Sachregister Berichtigungen
726 726 727 728 728 729 730 734 X
Berichtigungen. Seite „ » » „ „ „ » „ „ » „ „ „ „ „ „
29, Zeile 16 von oben lies: wir z. B. „ setze nach Funktionen ein Komma. 76, »» 12 „ H l , »» „ lies: x — h. 2 „ 4 „ unten lies: lim x = — 3. 1 « , ii 153, V 10 „ oben streiche den Artikel vor Minimum. 166, 1» 15 „ unten lies: v von t. 2 „ oben lies: gleich rund 208". 180, >» 250, » 9 „ unten lies: eine gewisse in. 324, >1 9 „ oben lies: um dy. 338, » 18 „ „ lies zuletzt: — ax In a. cx 340, 1t 9 „ unten lies: y = ae~ . 12 „ „ lies: p statt: p. 0 383, Ii 413, Überschrift lies: goniometrischen. 1 71 430, Formel (6) lies: — statt: —• 4 4 440, Fig. 802 lieg: E„ statt: E. 481, Zeile 1 von unten lies: je statt: ja. 623, Formel (23) lies zuletzt: n — 2 statt: n - 1. 624, letzte Formel lies zuletzt: xn statt: x.
Erstes Kapitel.
Größen uiid Funktionell. § l.
Vorläufiger Überblick.
Auf zwei Wegen kann man versuchen, eine mathematische Aufgabe zu lösen, durch die Z e i c h n u n g und durch die R e c h n u n g . Die d a r s t e l l e n d e G e o m e t r i e und g r a p h i s c h e S t a t i k lehren, daß sich viele Aufgaben am besten durch Konstruktion mit Zirkel und Lineal auf dem Zeichenbrette bewältigen lassen. Die zeichnerischen Hilfsmittel sind jedoch beschränkt und erlauben nicht, über einen gewissen Grad der Genauigkeit hinauszugehen. Dieser Grad reicht für viele Zwecke vollkommen aus, aber nicht immer. Der Zeichnung haftet noch ein anderes Übel an: sie sagt etwas ganz Bestimmtes aus, so daß sie, einmal hergestellt, keine Abänderungen von Grund aus mehr verträgt. Es kommt aber gerade bei den Anwendungen der Mathematik oft darauf an, in den Voraussetzungen, auf denen man a u f b a u t , gewisse Willkürlichkeiten zu lassen, einstweilen noch nicht festzusetzen, wie groß dieser oder jener dabei auftretende Faktor sein soll, vielmehr die geeignete Wahl erst späterer, nachträglicher Überlegung vorzubehalten Diese absichtliche Unbestimmtheit kann man bei der zeichnerischen Lösung häufig nur schwer, j a zuweilen gar nicht berücksichtigen. Dagegen ist die Rechnung auch dann bis zu einem gewissen Ziele durchf ü h r b a r , wenn darin noch Buchstaben a,b, c . . . vorkommen, die irgendwie gewählte Zahlen bedeuten. Gerade auf dem Rechnen mit Buchstaben, auf der A l g e b r a , gründet sich die Tragweite der rechnenden Mathematik und ihre Überlegenheit über der konstruierenden. Dazu tritt ein anderer Vorteil: Das r e c h n e n d e oder a n a l y t i s c h e V e r f a h r e n gestattet, die Lösung einer Aufgabe mit jedem SCHEFFERS, Mathematik.
3. Aufl.
1
2 beliebigen gewünschten Grade der Genauigkeit zu gewinnen. Außerdem gibt es viele Probleme, die sich schlechterdings nur rechnerisch lösen lassen. Man möge dies aber nicht falsch verstehen: Es gibt auch viele und wichtige Probleme, die der rechnerischen Behandlung die größten Hindernisse bieten, während ihre angenäherte Lösung auf zeichnerischem Wege leicht gelingt. Trotzdem wir in diesem Buche das Gewicht auf die rechnerische Behandlung der Aufgaben legen, bietet es eine sehr große Anzahl von Figuren. Sie sollen dem Leser eine bessere Anschauung von der Sache geben, als es die ausführlichste Durchrechnung vermag. Denn das muß man ohne Einschränkung zugestehen, daß Figuren bedeutend weniger Abstraktion verlangen als Formeln. Sie erleichtern erheblich das Verstehen der Rechnungen, und deshalb erläutern wir unsere Formeln durch Figuren. Eigentliche graphische Methoden werden wir aber nur in bescheidenem Umfange benutzen. Ausführlichen Unterricht über zeichnerische Verfahren muß man in den Lehrbüchern der darstellenden Geometrie und der graphischen Statik suchen. Damit sich nun der Leser in der großen Lehrbücherliteratur zurechtfinde, erklären wir hier noch ganz knapp und bloß vorläufig und demnach auch nur unvollkommen einige Kunstausdrücke. Das Verfahren, geometrische Untersuchungen durch rechnerische Methoden durchzuführen, nennt man die a n a l y t i s c h e G e o m e t r i e . Wie man ferner mit sogenannten unendlich kleinen Größen zu rechnen hat, lehrt die I n f i n i t e s i m a l r e c h n u n g . Gerade ihrer Entwicklung ist. zu nicht geringem Teile der großartige Aufschwung der Naturwissenschaften seit dem siebzehnten Jahrhundert zu danken, seitdem die Naturforscher von der bloß qualitativen Erfassung ihrer Aufgaben zur quantitativen übergingen. Bei den verwickelten Beziehungen nämlich, die zumeist in den Naturerscheinungen vorkommen, muß sich der Forscher häufig damit begnügen, zu erkennen, welcher Einfluß auf die Ergebnisse seiner Versuche geübt wird, wenn er einige Bedingungen oder Voraussetzungen seiner Experimente nur außerordentlich wenig abändert. Dagegen ist es ihm oft nicht möglich, ohne weiteres die Tragweite solcher Abänderungen zu erkennen, die beträchtlich sind. Hier ist vielmehr das Hilfsmittel anzuwenden, das die Infinitesimalrechnung darbietet, die den Zusammenhang zwischen unendlich kleinen und beträchtlichen Änderungen zu erkennen gestattet. Auch das Umgekehrte ist häufig der Fall: Oft kann der Forscher experimentell nur solche Einflüsse untersuchen, die durch beträchtliche Abänderungen der Voraussetzungen seiner
3 Versuche ausgelöst werden. Andererseits aber ist es ihm klar, daß ein gewisser großer Zug der Stetigkeit sehr vielen Naturerscheinungen innewohnt, d. h. daß sich jene beträchtlichen Abänderungen als eine Summe von lauter sehr kleinen darstellen werden und daß in den Wirkungen dieser sehr kleinen Änderungen die eigentlichen Grundgesetze der Erscheinungen zum Ausdrucke kommen. Hier ist wieder die Infinitesimalrechnung am Platze; denn sie zeigt auch, wie man aus beträchtlichen Veränderungen auf ihre Elemente, auf die sehr kleinen Veränderungen zurückschließen kann. Die Lehrbücher der Infinitesimalrechnung zerlegen ihre Betrachtungen meistens in zwei Teile, in die D i f f e r e n t i a l r e c h n u n g und in die I n t e g r a l r e c h n u n g . Das Wort Differential bedeutet eine unendlich kleine Größe, das W o r t Integral eine aus Differentialen gebildete Summe. Wir werden jene Scheidung in einzelne Teile außer acht lassen; was wir dadurch an Einheitlichkeit verlieren, hoffen wir an Verständlichkeit zu gewinnen. Die vorstehenden Bemerkungen sind, da sie sich auf erst noch zu lehrende Dinge beziehen, nur sehr oberflächlicher Natur und nicht von jener bestimmten Klarheit, die man von mathematischen Auseinandersetzungen zu verlangen berechtigt ist. Sie sollen eben nur einen vorläufigen Uberblick geben.
§ 2. Das Messen der Größen. Da wir rechnende Mathematik lehren wollen, sind die Gegenstände unserer Betrachtungen G r ö ß e n , d. h. Dinge oder Begriffe, die m e ß b a r sind. Es gibt lauter verschiedene Arten von Größen, die nicht miteinander durch Abmessen vergleichbar sind, wie z. B. Zeiten und Temperaturen. Vielmehr steht jede Größenart für sich: alle Größen d e r s e l b e n Art lassen sich als Vielfache einer G r ö ß e d e r s e l b e n A r t , a l s o a l s Z a h l e n a u s d r ü c k e n . Alle geradlinigen Strecken z. B. lassen sich mit dem Meter messen, alle Zeiten mit der Stunde, alle Temperaturen mit dem Grad Celsius usw. Die eine Größe, mit der man alle Größen derselben Art mißt, nennt man die E i n h e i t der Größenart. Das Abmessen kann nur bis zu einem gewissen Grade der Genauigkeit getrieben werden. Wenn ich sage, eine Länge betrage 2,439 m, so heißt dies nur, daß sie zwischen 2,4385 und 2,4395 m liegt. Die Zahlen, die man bei der praktischen Anwendung der Mathematik benutzt, sind eben stets mit Ungenauigkeiten behaftet. Daraus folgt, daß man bei der Anl*
4
Erstes
Kapitel-.
Größen und
Funktibnen.
wendung richtiger mathematischer Methoden doch immer nur einen gewissen Grad der Genauigkeit erreichen kann, der von Umständen abhängt, die außerhalb des Bereiches der Mathematik liegen. Hieraus ziehen wir einen wichtigen Schluß: Wir dürfen unsere Verfahren so einrichten, daß sie nur bis zu dem praktisch gewünschten Grade der Genauigkeit ausreichen. Häufig werden wir daher Lösungen, die mathematisch vollkommen richtig sind, durch angenäherte Lösungen ersetzen, die für die Anwendungen genügen. Die W a h l der E i n h e i t einer bestimmten Größenart ist eigentlich willkürlich, doch muß sie so vollzogen werden, daß man die Einheit im Bedarfsfalle immer hinreichend genau herstellen kann. So sind z. B. besondere Vorkehrungen getroffen worden, um die Einheit der Länge, das in Paris aufbewahrte Urmeter, vor schädlichen äußeren Einflüssen zu schützen. Jedermann könnte sich, theoretisch genommen, die Einheiten nach Belieben wählen. Dies würde aber zu Unzuträglichkeiten führen, sobald man sich anderen mitzuteilen wünschte. Man muß daher Übereinkommen treffen. Solche Vereinbarungen liegen zum Teil geschichtlich sehr weit zurück (z. B. „Stunde"), zum Teil sind sie noch recht neu. Sie sind für die Allgemeinheit so wichtig, daß sie Gegenstände diplomatischer Verhandlungen und der Gesetzgebung gewesen sind. Allerdings sieht man sich bei besonderen Untersuchungen manchmal genötigt, von diesen Vereinbarungen bewußt abzuweichen. So zeigt die Optik, daß die Wellenlänge des roten Lichtes bei der FBAUNHOFEB sehen Linie C des Spektrums gleich 0,000000656 m ist. Statt dessen sagt man, sie betrage 0,656 (i, indem man nicht das Meter, sondern sein Milliontel fi als Einheit benutzt, nur um bequemere Zahlen zu haben. Hier ist eben die gebräuchliche Längeneinheit viel zu groß; man weicht absichtlich davon ab, wählt aber als neue Einheit eine Länge, die zum Meter in einem „runden" Zahlenverhältnisse steht, so hier 0,000001 m, um, wenn nötig, ohne Mühe wieder zur sonst gebräuchlichen Einheit übergehen zu können. Wenn wir in der Folge Zeichnungen herstellen, die in kariertes Papier eingetragen werden, wählen wir die Längeneinheit je nach Bedarf bald als den Abstand zweier aufeinander folgender Linien des Netzes, bald als das Doppelte, Zehnfache usw. oder als den zehnten, hunderten Teil usw. dieses Stückes. Wir scheuen uns dabei durchaus nicht, z. B. ein Meter durch eine ganz kurze Strecke, etwa durch ein Zentimeter, graphisch darzustellen. Unsere Figur ist dann ein verkleinertes, aber sonst getreues Abbild der eigentlichen Figur, die zu groß ausfallen würde.
§ 2.
Das Messen der
5
Größen.
Die E i n h e i t der Z e i t ist die S t u n d e oder, wenn dies Maß für feinere Beobachtungen unverhältnismäßig groß ist, ihr sechzigster Teil, die Minute, oder auch der sechzigste Teil der Minute, die Sekunde. Wir erwähnen noch einige Größenarten von mathematischer Natur: Zunächst die F l ä c h e n i n h a l t e ebener Figuren. Als Einheit benutzt man den Inhalt eines Quadrates, dessen Seitenlänge man zweckmäßig gleich der Längeneinheit, also gleich dem Meter wählt, so daß die Flächeneinheit das Quadratmeter ist. Entsprechendes gilt von den E a u m g r ö ß e n oder V o l u m e n . Hier wird als Einheit das Kubikmeter benutzt. Dieses Maß ist für viele Zwecke zu groß, so daß man oft eine viel kleinere Einheit anwendet, so namentlich den Inhalt eines Würfels, dessen Kantenlänge ein Dezimeter beträgt, also das Liter. Von mathematischen Größenarten wären ferner noch die Winkel zu erwähnen. Vorher aber wollen wir einen wichtigen Umstand hervorheben: Alle G r ö ß e n einer b e s t i m m t e n G r ö ß e n a r t sind g r a p h i s c h als S t r e c k e n d a r s t e l l b a r , s o b a l d m a n die E i n h e i t der bet r e f f e n d e n A r t d u r c h eine S t r e c k e d a r g e s t e l l t hat. Wird z.B. eine Stunde durch einen Zentimeter dargestellt, so bedeuten 3,4 cm der Zeichnung 3,4 Stunden. Beim Thermometer werden die Temperaturgrade durch die Skala geradezu als Strecken dargestellt. Der Vorteil der Darstellung von Größen durch Strecken liegt in der großen Anschaulichkeit, indem sich die Längen von Strecken schon durch den bloßen Anblick leicht ziemlich genau vergleichen lassen. In Fig. 1 haben wir die Flächeninhalte einiger Länder: Deutschland,
i D
Ö
F
I
S
E
Fig. l.
Österreich-Ungarn, Italien, Frankreich, Spanien und England als Inhalte von Quadraten veranschaulicht. Das besonders angegebene kleine Quadrat bedeutet dabei 40000 qkm. In Fig. 2 (nächste Seite) sind die Inhalte als Strecken veranschaulicht, wobei die besonders angegebene kleine Strecke 100000 qkm vorstellen soll. Man sieht sofort, daß sich die Flächeninhalte mittels der zweiten Figur viel leichter als mittels der ersten vergleichen lassen.
6
Erstes Kapitel:
Größen und
Funktionen.
Treten mehrere Größenarten, z. B. zwei, auf, so kann man die Einheit einer jeden durch eine beliebig gewählte Strecke darstellen, also beide Einheiten v e r s c h i e d e n lang in der Figur wählen. Dies hat seinen Grund darin, daß Größen verschiedener Art überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind, jede Art vielmehr nur durch eine Größe ihrer eigenen Art meßbar ist. Nun wenden wir uns zur Besprechung der W i n k e l . Der Handwerker benutzt als Einheit den rechten Winkel und spricht von einem halben, drittel usw. rechten Winkel. Der Seemann gebraucht eine andere Einheit: Die Windj rose hat 32 Striche, so daß ein Strich ein Achtel des rechten Winkels bedeutet. Hier ist also die Einheit ein Strich. Der Astronom benutzt zu gewissen Zwecken als Winkeleinheit die Stunde, indem er eine naheliegende Yergleichung mit der Zeit heranzieht: Da die Sonne in 24 Stunden scheinbar einen Kreis am Himmel durchläuft, teilt D Ö I F S E der Astronom den ganzen Umlauf um einen Punkt Fig. 2. in 24 gleiche Teile und nennt einen Teil, d. h. also den sechsten Teil des rechten Winkels, eine Stunde. Hier ist mithin die Stunde eine Winkeleinheit und nur scheinbar eine Zeiteinheit. In der niederen Mathematik und ihren Anwendungen benutzt man als Winkeleinheit den G r a d , d. h. den neunzigsten Teil des rechten Winkels. Den Grad zerlegt man in bO M i n u t e n , jede Minute in 60 S e k u n d e n . Minute und Sekunde sind hier wieder nur scheinbar Zeitgrößen, in Wirklichkeit Winkelgrößen. Gegen die Einheit: Grad läßt sich einwenden, daß sie nur durch die Überlieferung begründet ist. Von manchen Seiten wird gewünscht, die Teilung des rechten Winkels in hundert Grade — die Z e n t e s i m a l t e i l u n g — einzubürgern, wobei ein Grad in hundert Minuten, eine Minute in hundert Sekunden zerlegt werden soll. Aber auch diese dem Dezimalsystem unserer Zahlenrechnung angepaßte neue Winkeleinheit wäre in der reinen Mathematik häufig unbequem und zwar aus Gründen, die wir erst später deutlich auseinandersetzen können. Als vorläufiger Notbehelf möge die folgende Erläuterung dienen: Wir können in der Ebene und im Räume die gegenseitigen Lagenbeziehungen zwischen verschiedenen Punkten vollkommen erschöpfend dadurch feststellen, daß wir ihre Entfernungen voneinander, also Längen, abmessen. Aber wir können dabei, wie es der Feld-
7 messer tut, auch Winkel benutzen. So ist z. B. Gestalt und Größe eines Dreiecks einerseits vollkommen bestimmt, sobald man die drei Seitenlängen kennt, andererseits aber auch, sobald man eine Seitenlänge und die Größen der beiden anliegenden Winkel kennt. Zwischen Längen und Winkeln müssen demnach Beziehungen bestehen. Auf diese Beziehungen, die der Gegenstand der Trigonometrie sind, gehen wir gegenwärtig nicht genauer ein. Es genügt uns, die Folgerung zu ziehen, daß es wünschenswert ist, das M e s s e n der W i n k e l in e n g e r e B e z i e h u n g zum M e s s e n der L ä n g e n zu b r i n g e n . (siehe Fig. 3) Dies geschieht, indem wir einen Winkel AOB dadurch bestimmen, daß wir einerseits die Länge des R a d i u s OA eines um seinen Scheitel 0 geschlagenen Kreises und andererseits die Länge des B o g e n s A B abmessen, den der Winkel auf diesem Kreise ausschneidet. Wählen wir den Radius größer, etwa gleich OA', so wird auch der Bogen länger, gleich A'B'. Aber die Figuren 0 AB und 0 A' B' sind einander ähnlich. Daher ist das V e r h ä l t n i s der B o g e n l ä n g e • p;g. 3. zur R a d i u s l ä n g e , A B : O A , für einen bestimmt gewählten Winkel immer dasselbe, wie groß auch der Kreisradius sein mag. Man spricht dies so aus: Die Bogenlänge A B eines bestimmt gewählten Winkels ist zur Radiuslänge OA p r o p o r tional. W i r m e s s e n d e m n a c h einen W i n k e l AOB durch das V e r h ä l t n i s d e r B o g e n l ä n g e AB, die der W i n k e l a u f e i n e m b e l i e b i g e n K r e i s e um s e i n e n S c h e i t e l 0 a u s s c h n e i d e t , zur L ä n g e des g e w ä h l t e n R a d i u s 0 A. Da es sich nur um das Verhältnis zweier Längenmaße handelt, ist die Wahl der Längeneinheit ohne Einfluß auf diese Maßzahl des Winkels. Ob wir mit Meter oder Zoll oder Meile usw. messen, jenes Verhältnis wird für einen Winkel immer dieselbe Maßzahl ergeben. Diese Maßzahl heißt das B o g e n m a ß des W i n k e l s . Unter dem Winkel Eins, d. h. unter der W i n k e l e i n h e i t , haben wir hiernach denjenigen Winkel AOB zu verstehen, dessen Bogen A B gerade so lang wie der Radius 0 A ist (siehe Fig. 4 nächste Seite). Um ihn zu zeichnen, schlägt man um 0 irgendeinen Kreis und trägt auf seinem Umfange von einem Punkte A aus den Radius OA als B o g e n ein. Dies geschieht a n g e n ä h e r t dadurch, daß man 0 A in eine größere Anzahl von recht kleinen Teilen teilt
Erstes Kapitel: Größen und Funktionen.
8
und diese kleinen Teile als S e h n e n nacheinander von A aus in den Kreis einträgt. Über die genaue Bestimmung dieses Winkels sprechen wir nachher. Wenn wir den Radius 0 A nicht als Bogen, sondern als S e h n e AC von A aus im Kreise eintragen, gelangen wir zu einem Punkte C, der augenscheinlich weiter von A entfernt ist als der richtige Punkt B. Da das Dreieck AOC gleichseitig ist, hat der Winkel AOC gerade 60°. Mithin ist d i e W i n k e l e i n h e i t im Fig. 4. Bogenmaß etwas kleiner als der W i n k e l von 60°. Gehen wir zu Fig. 3 zurück und lassen wir den Schenkel O B sich um 0 drehen, während wir die Radiuslänge beibehalten, so ändert sich der Winkel A O B . Dabei bleibt aber das Verhältnis aus seiner Gradzahl und der zugehörigen Bogenlänge AB immer dasselbe, d. h. d a s G r a d m a ß i s t z u r B o g e n l ä n g e p r o p o r t i o n a l . Da der Radius 0 A dabei unverändert bleibt, ist das Gradmaß auch proportional zum Verhältnisse aus der Bogenlänge und der Radiuslänge, mit anderen Worten: D a s G r a d m a ß e i n e s W i n k e l s i s t zu s e i n e m B o g e n m a ß e p r o p o r t i o n a l . Eine entsprechende Erscheinung tritt stets ein, wenn man für eine und dieselbe Größenart zwei verschiedene Einheiten benutzt. 1 Wenn man z. B. Längen mit dem Meter oder Zoll mißt, ist die Zahl der Meter, die eine beliebige Strecke hat, stets p r o p o r t i o n a l zur Zahl ihrer Zolle. Das Verhältnis aus beiden Maßzahlen ist augenscheinlich gleich dem Verhältnisse der Länge eines Zolls zur Länge eines Meters. Das Gradmaß des gestreckten Winkels beträgt 180, und sein Bogenmaß ist gleich dem Verhältnisse des halben Kreisumfanges n r zum Radius r, also gleich n. Wegen der Proportionalität von Gradmaß g und Bogenmaß b muß daher auch für jeden anderen Winkel 9
m K
'
180
-
b ~
n
sein, und hieraus gehen die beiden Formeln hervor: 180 g = — b; , b = — qy .
/0\ (2) (3) K '
180
1
Über eine scheinbare Ausnahme sprechen wir auf S. 14.
§ 2.
Das Messen der
Größen.
9
Die erste dient zur Berechnung des Gradmaßes g aus dem gegebenen Bogenmaße b und die zweite zur Berechnung des Bogenmaßes b aus dem gegebenen Gradmaße g. So einfach diese beiden Formeln sind, sollen sie uns doch noch einige Zeit beschäftigen, indem wir über die Art ihrer praktischen Benutzung sprechen. Die in ihnen auftretende Zahl n = 3 , 1 4 1 5 9 2 6 . . . nämlich können wir immer nur irgendwie abgerundet in Rechnung stellen, so daß also bei der Anwendung der an sich genauen Formeln stets ein F e h l e r gemacht wird. Dieser Fehler, der sogenannte a b s o l u t e F e h l e r , ist die Differenz zwischen dem durch die angenäherte Formel gewonnenen Werte und dem wirklichen Werte der zu berechnenden Größe. Man muß sich darüber Klarheit verschaffen, um w e l c h e n B r u c h t e i l das Ergebnis im ungünstigsten Falle falsch ausfallen kann, d. h. wie groß das Verhältnis des absoluten Fehlers zum wahren Werte werden kann. Dies Verhältnis heißt der r e l a t i v e F e h l e r ; es ist der erwähnte Fehler, jedoch gemessen mit dem wirklichen Werte der zu berechnenden Größe, also dividiert mit dieser Größe. In den beiden vorliegenden Fällen (2) und (3) gestaltet sich nun die Betrachtung so: Wird statt des wahren Wertes der Zahl % ein Näherungswerte' benutzt, z. B. 3,14 oder 3,142 oder usw., und ist das Bogenmaß b eines Winkels gegeben, so liefert die Formel, die nun an die Stelle von (2) tritt, nur einen angenähert richtigen Wert für das Gradmaß g, nämlich
Die Differenz zwischen g und dem in (2) angegebenen richtigen Werte g ist der a b s o l u t e Fehler: n n Der r e l a t i v e Fehler geht hieraus durch Division mit dem richtigen Werte g hervor. E r ist also: n -—n'n _ b_ 9' ~ 9 _ j gQ n 9 n' n g' wofür man wegen (1) auch schreiben kann: /A) (4)
9' - 9 _ 9
n-n' n
Wenden wir uns jetzt zur Formel (3), indem wir annehmen, daß das Gradmaß g eines Winkels gegeben sei. Wenn statt % ein
10
Erstes Kapitel:
Größen und Funktionen.
Näherungswert %' angewandt wird, ergibt sich für das Bogenmaß b des Winkels ein nur angenähert richtiger Wert, nämlich: n'
y
180 9 '
Die Differenz zwischen b' und dem in (3) angegebenen richtigen Werte b ist der a b s o l u t e Fehler: v
~
6
~%)9-
= iä)i - Ii?* =
Der r e l a t i v e Fehler geht hieraus durch Division mit dem wahren Werte b hervor und ist daher: b' - b
1 t >
\ 9
wofür man wegen (1) auch schreiben kann: rK\
b' — b
- r -
=
ri
— n
— — •
Die Zähler der beiden relativen Fehler (4) und (5) haben verschiedene Vorzeichen, denn wenn z. B. ri größer als % ist, stellt j a % — ri eine negative und ri — % eine positive Zahl dar. Dieser Unterschied ist erklärlich, denn wenn man statt n z. B. einen Näherungswert ri größer als n annimmt, wird die Formel (2) den Wert von g zu k l e i n , dagegen die Formel (3) den Wert von b zu g r o ß ergeben, d. h. dann wird g' — g negativ und b' — b positiv. Gerade umgekehrt liegt die Sache, wenn der Näherungswert ri kleiner als % gewählt wird. Die Nenner der beiden relativen Fehler (4) und (5) sind ri und n und weichen daher wenig voneinander ab. Wenn man z. B. statt 71 den sehr rohen Näherungswert ri — 3 benutzt, ist n - ri _ 0,1415926 •.. ^ ^ ri - n _ 0,1415926 . . . n 3,1415926... und diese beiden Werte weichen abgesehen von ihren verschiedenen Vorzeichen nur wenig voneinander ab, nämlich um weniger als 0,05, obgleich % durch den sehr rohen Näherungswert 3 ersetzt worden war. Noch viel größer wird die Übereinstimmung, falls man für 7i einen besseren Näherungswert anwendet. Da es sich nun doch nur um eine Abschätzung des Fehlers handelt, dürfen wir also sagen: Der bei der Anwendung der Formel (2) entstehende relative Fehler ist, abgesehen vom Vorzeichen, fast genau derselbe wie der bei der Anwendung der Formel (3) entstehende, nämlich wie der Wert: (6)
*f
=
TT
§ 2.
Das
Messen
der
Größen.
11
Dieser Bruch aber enthält im Zähler den Fehler von it und im Nenner n selbst, ist also nichts anders als der relative Fehler der statt 7i benutzten Zahl A l s o wird bei der A n w e n d u n g der b e i d e n F o r m e l n (2) und (3) ein r e l a t i v e r F e h l e r b e g a n g e n , der a b g e s e h e n vom V o r z e i c h e n g l e i c h dem r e l a t i v e n F e h l e r d e s s t a t t % ben u t z t e n N ä h e r u n g s w e r t e s ist. Wenn man z. B. die Zahl n bis auf höchstens 1 °/0 falsch wählt, werden auch die Ergebnisse der Formeln (2) und (3) höchstens um 1 °/0 falsch ausfallen. Übrigens sind die in (2) und (3) vorkommenden Brüche 180: n und jt: 180 auf vier Dezimalstellen abgerundet genau diese: - ^ - = 57,2958,
- ^ = 0,0175.
Wir erlauben uns hier die Anmerkung, daß es Sache des Lesers ist, diese Behauptung auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen! 1. B e i s p i e l : Auf Grund der Formel (2) soll das Gradmaß g eines Winkels, der nicht größer als ein rechter ist, b i s a u f d i e S e k u n d e n z a h l g e n a u berechnet werden. Welcher Nährungswert darf dabei für n benutzt werden? Der gesuchte Winkel beträgt höchstens 90° oder 324000"; gestattet ist ein Fehler von höchstens d. h. der relative Fehler darf höchstens gleich 324000
- 0,0000015 . . .
sein. Dies sind rund 1 •!• Milliontel. Daher genügt es, s t a t t e einen Näherungswert zu verwenden, der um nicht mehr als 1-j Milliontel der Zahl n oder also um nicht mehr als 0,000004 7 . . . von n abweicht. Ein derartiger W e r t ist z. B. 3,14159. Mithin gibt die Formel Jq
=
180
3,14159
, b
das Gradmaß g genau bis auf die Sekundenzahl. 2. B e i s p i e l : Wieviel Grad, Minuten und Sekunden hat die Winkeleinheit, d. h. der Winkel mit dem Bogenmaße Eins? Wir sahen schon oben, daß die Gradzahl ein wenig kleiner als 60 ist (siehe Fig. 4, S. 8). Auf Grund des ersten Beispiels ergibt sich die Gradzahl 180 „ 92937 = o7 3,14159 314159 Der Überschuß über 57° beträgt, in Minuten ausgedrückt: 92937-60 _ 314159
235517 314159 '
der Überschuß über 17', in Sekunden ausgedrückt: 235517-60
-
12
Erstes
Kapitel:
Größen und
Funktionen.
Hierbei deutet der Strich über der 5 an, daß sich eine Zahl zwischen 44,5 und 45 ergibt. Die Winkeleinheit hat also 57" 17'45". 3. B e i s p i e l : Es soll das Bogenmaß von 1° berechnet werden, indem man n durch den Näherungswert 3+ ersetzt. Zugleich soll man den Fehler abschätzen. Die Formel (3) gibt, wenn man darin n = 3 j und .9 = 1 setzt, das Bogenmaß 0,0174603 . . . Da 3-1 von n um weniger als -yV/o abweicht, ist auch dieser Wert bis auf -¡\"l0 genau, woraus man wieder leicht schließt, daß das Bogenmaß von 1° auf vier Dezimalstellen abgerundet genau den Wert 0,0175 hat, der schon oben (auf S. 11) genannt wurde.
Um das Umrechnen yon Gradmaß in Bogenmaß und umgekehrt zu erleichtern, hat man eine Tafel hergestellt, die zu jeder ganzen Gradzahl, zu jeder ganzen Minutenzahl und zu jeder ganzen Sekundenzahl das Bogenmaß angibt. Man findet sie in den Sammlungen von Logarithmentafeln unter der Überschrift: „Länge der K r e i s b ö g e n f ü r den H a l b m e s s e r Eins." Zur Erklärung dieser Uberschrift sei bemerkt: Da das Bogenmaß gleich dem Verhältnisse aus dem Bogen zum Radius ist, folgt: D a s B o g e n m a ß e i n e s W i n k e l s ist gleich d e r L ä n g e des B o g e n s , den der Winkel auf einem K r e i s e um s e i n e n S c h e i t e l mit dem R a d i u s E i n s a u s s c h n e i d e t . Diese Bemerkung dient dazu, daß man sich mit Leichtigkeit die Beziehung zwischen Bogenmaß und Gradmaß merkt. Da der Kreis vom Radius Eins den Umfang 2 % hat, gehört zu 4 Rechten das Bogenmaß 2}r, also zu 90° das B o g e n m a ß Wenn wir künftig von den Winkeln n, \ n, | %, ^ n, J n usw. sprechen, braucht der Leser nur n durch 180 zu ersetzen, um die Gradmaße 180°, 90°, 60°, 45°, 30° dieser Winkel vor Augen zu haben. E s ist n ü t z l i c h , sich d a r a n zu g e w ö h n e n , s t a t t von einem r e c h t e n W i n k e l von dem W i n k e l zu s p r e c h e n . Man wird nämlich, um es nochmals zu wiederholen, später erkennen, daß die Benutzung des neu eingeführten Bogenmaßes der Winkel keine Spielerei ist, wie der Anfänger denken könnte; vielmehr wird man dazu geradezu gezwungen. Der Leser möge zu uns das Vertrauen haben, daß wir hier in der Tat keine für ihn nutzlosen mathematischen Übungen anstellen. Unsere T a f e l I im Anhange gibt einen kurzen Auszug der vorhin erwähnten Tafel. Darin sind für 1 bis 9 Grad, 1 bis 9 Minuten und für 1 bis 9 Sekunden die Bogenmaße fünf Dezimalstellen abgerundet angegeben. Querstriche über letzten Dezimalen bedeuten dabei, daß die Zahlen nach oben gerundet sind.
aus für auf den ab-
13 4. B e i s p i e l : Wie groß ist das Bogenmaß von 27°36'45"? gibt das Schema: 20° = 2° 10 7° 30' = 3' 10 6' 40" = 4" 10 5"
Die Tafel I
0,349l 0,1222 0,0087 0,0017 0,0002 0,0000 0,4819
Daß wir auf höchstens vier Dezimalstellen abrunden m ü s s e n , ist klar. W i r haben hier die Zahl 0,00175 auf 0,0017 abgerundet, nicht auf 0,0018, weil j a 0,00175 schon zu groß ist. Von den letzten Dezimalen der Zahlenreihe sind drei zu groß, drei zu klein. Es ist also w a h r s c h e i n l i c h , daß sich die Fehler ziemlich ausgleichen, d. h. daß das Ergebnis 0,4819 auch in der vierten Dezimalstelle richtig ist. E x a k t können wir nur folgern, daß das Ergebnis zwischen 0,4819 - 3-0,00005 und 0,4819 + 3-0,00005, also zwischen 0,48175 und 0,48205 liegt, so daß wir nur auf drei Dezimalstellen 0,482 abrunden dürfen. Praktisch aber wird der Wahrscheinlichkeitsschluß zur Ausgleichung der Fehler vollkommen genügen. In der Tat gibt genauere Berechnung, abgerundet auf fünf Dezimalstellen, 0,48193. 5. B e i s p i e l : Aus einem Kreise von 3,4000 m Radius soll ein Zentriwinkel von 27 0 36' 45" ausgeschnitten werden. W i e lang ist der zugehörige Bogen? Er ist gleich dem soeben gefundenen Bogenmaße 0,4819, multipliziert mit dem Radius 3,4000. Wir benutzen hier abgekürzte Multiplikation, da es nur auf vier Dezimalstellen ankommt: 0,4819-3,400 1,4457 1928 1,6385 m. 6. B e i s p i e l : Eine Kreisscheibe von 0,2300 m Radius soll 200 Zähne bekommen. W i e lang ist der Bogen eines jeden Zahns? Die Summe der Zähne und Zahnlucken ist 400. Der zu einem Zahne gehörige Zentriwinkel ist in Gradmaß gleich 360°: 400 = 0,9° = 54'. Nach Tafel I ist das zugehörige Bogenmaß gleich 0,0157. Also ist zu rechnen: 0,0157-0,2300 0,0031 5 0,0036 m.
Zum Schlüsse dieses Paragraphen müssen wir noch erwähnen, daß es Größen gibt, die n e g a t i v e M a ß z a h l e n haben. Allerdings, die Länge eines Metallstabes z. B. können wir uns nicht negativ vorstellen, weil es unter allen Stäben einen kürzesten gibt, den von der Länge Null. Handelt es sich aber nicht um die Länge
14
eines konkreten Gegenstandes, so kann die Maßzahl sehr wohl gleich Null oder negativ sein. Dies ist z. B. der Fall bei der Angabe der Höhe eines Punktes über der Meeresoberfläche. Minus 4 m Meereshöhe bedeutet eben 4 m Tiefe unterhalb der Meeresoberfläche. Hat ein Punkt die Höhe a m und ein anderer die Höhe b m über dem Meere, so ist der erste Punkt stets [a — b) m höher als der zweite, wobei es ganz gleichgültig ist, ob a oder b oder beide negativ sind. Wenn nämlich das Ergebnis (a — b) m negativ ist, bedeutet dies, daß der erste Punkt tiefer als der zweite liegt. Wenn z. B. der erste Punkt 4 m unter der Meereshöhe und der zweite 7 m über der Meereshöhe liegt, ist a = — 4, b = + 7, also a — b = — 4 — 7 = — 11, d. h. der erste Punkt liegt 11 m t i e f e r als der zweite. — Wir sprechen auch von negativen Temperaturen. Der Vorstellung immer niedrigerer Temperaturen ist keine Grenze gesetzt, und man bezeichnet deshalb mit 0° Wärme eine ziemlich willkürlich gewählte Temperatur, so nach CELSIUS und R&AUMUB die des schmelzenden Schnees, nach FAHKENHEIT dagegen die einer gewissen Mischung aus Eis und Salmiak. Temperaturen unterhalb des Nullpunktes werden negativ in Rechnung gesetzt. Auch hier ist es stets richtig, daß der Unterschied zweier Temperaturen gleich der Differenz ihrer Gradzahlen ist, ganz gleichgültig, ob die Gradzahlen positiv oder negativ sind. Die Willkür bei der Wahl des Nullpunktes zeigt, daß es unsinnig ist, z. B. zu sagen, daß 80° C. eine doppelt so hohe Temperatur als 40° C. sei, denn in Fahrenheit sind dies 176° und 104°. Man darf höchstens sagen: Der Temperaturunterschied von 80° C. und von schmelzendem Eise ist doppelt so groß wie der von 40° C. und von schmelzendem Eise, d. h. m a n m u ß a u f d e n w i l l k ü r l i c h g e w ä h l t e n N u l l punkt bezug nehmen. Wenn wir auf S. 8 sagten, daß die Maßzahlen einer Größenart, sobald man eine neue Einheit einführt, zu den alten Maßzahlen proportional sind, wie z. B., wenn wir Längen mit dem Meter oder mit dem Zoll messen, so gilt dies, wie es das Beispiel der Temperaturen zeigt, nur unter der Einschränkung, daß bei beiden Methoden der Messung von demselben Nullpunkte ausgegangen wird. So sind die Celsiusangaben zu den R6aumurangaben proportional — sie verhalten sich zueinander wie 5 zu 4 —, dagegen nicht zu den Fahrenheitangaben.
15
§ 3.
Konstanten, Veränderliche, Funktionen.
Erfahrung hat den Menschen gelehrt, zwischen den mannigfaltigen in der Natur auftretenden Größen verborgene gesetzmäßige Beziehungen zu vermuten, eine Überzeugung, die ihren Ausdruck darin findet, daß man sagt, jede bestimmte Ursache rufe bestimmte Wirkungen hervor. W i r haben die feste Vorstellung, daß die anorganische Natur an sich keine Willkür duldet, daß vielmehr mit Notwendigkeit aus jedem bestimmten Geschehnisse nach Gesetzen bestimmte neue Geschehnisse hervorgehen. Auch auf einen großen Teil der Erscheinungen im Gebiete der organischen Natur erstreckt sich diese Vorstellung, so weit eben, als nicht die willkürlichen Lebensäußerungen mit ins Spiel kommen. Jene verborgenen Gesetze zu erkennen und zu benutzen, ist die Aufgabe der Naturforschung und der Technik. Nun aber treten bei jeder Naturerscheinung viele verschiedene Größen auf, so daß es häufig sehr schwer fallen würde, die noch unbekannten Zusammenhänge zu ergründen, wenn wir nicht imstande wären, die Wirkungen der einzelnen Naturgesetze gewissermaßen zu isolieren. Dies geschieht durch das E x p e r i m e n t , den V e r s u c h , bei dem man dafür sorgt, s o w e i t m ö g l i c h d i e v e r s c h i e d e n e n Größen durch geeignete V o r k e h r u n g e n bei bestimmten W e r t e n zu e r h a l t e n , so daß sich nur e i n i g e w e n i g e G r ö ß e n n o c h zu ä n d e r n v e r m ö g e n . W i l l man z. B. erkennen, wie Temperaturänderungen auf das Volumen eines Gases einwirken, so sorgt man dafür, daß die Spannung des Gases bei jenen Temperaturänderungen immer dieselbe bleibt, da man bemerkt, daß auch die Spannung wesentlich auf das Volumen des Gases einwirkt. W i l l man die Gesetze der Schwere untersuchen, indem man den freien Fall beobachtet, so muß man daran denken, daß die Gesetze an verschiedenen Stellen der Erde verschieden sein werden. Man muß daher zunächst die Untersuchung an einem bestimmten Orte, d. h. f ü r eine bestimmte geographische Länge und Breite anstellen. Man wird also dafür sorgen, daß eine Reihe von vorkommenden Größen während des Experimentes unverändert bleiben. Sie heißen Konstanten. Natürlich kann man nachher, indem man weitere Experimente anstellt, diese Größen doch wieder sich ändern lassen. E i n e G r ö ß e h e i ß t e b e n k o n s t a n t nur i n s o f e r n , a l s sie s i c h w ä h r e n d d e r g e r a d e im G a n g e b e f i n d l i c h e n U n t e r s u c h u n g oder Ü b e r l e g u n g nicht ändert.
16 Sorgen wir so dafür, daß sich nur noch einige Größen änderu können, so sind sie die einzigen V e r ä n d e r l i c h e n des Problems. Bei einer bestimmten Experimentenreihe, die dazu dienen soll, ein verborgenes Naturgesetz herauszubringen, spielen nun die Veränderlichen zwei wesentlich verschiedene Rollen. Man wird nämlich dafür Sorge tragen, daß einige Größen während des Experimentes nach und nach verschiedene bestimmt gewählte Werte annehmen und durch die Experimente feststellen, welche Werte der übrigen veränderlichen Größen sie nach sich ziehen. Wenn man z. B. die Wechselwirkung zwischen Volumen, Temperatur und Spannung einer Gasmenge feststellen will, wird man zunächst etwa die Temperatur durch ein Wasserbad k o n s t a n t erhalten, so daß noch zwei Veränderliche, das Volumen und die Spannung, verbleiben. Gibt man nun dem Volumen nach und nach verschiedene bestimmte Werte, so ziehen sie verschiedene bestimmte Werte der Spannung nach sich. Da man hier die Volumina nach eigenem Ermessen verschiedenartig hat wählen können, ohne an bestimmte Werte gebunden zu sein, heißt bei diesem Experiment das Volumen die u n a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e . Die zugehörige Spannung dagegen, die der Beobachter durch das Experiment erkennt, heißt hier die a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e . Man kann aber auch das Experiment insofern verwickelter gestalten, als man der Temperatur und dem Volumen nach und nach verschiedene bestimmte Werte gibt. Die Erfahrung lehrt, daß dann zu jeder bestimmten Temperatur und zu jedem bestimmten Volumen eine bestimmte Spannung des Gases gehört. Hier sind die Temperatur und das Volumen die b e i d e n u n a b h ä n g i g e n Veränderlichen, während die Spannung die einzige a b h ä n g i g e Veränderliche ist. Wie in diesen einfachen Beispielen wird es bei allen Versuchen unter den Veränderlichen zwei verschiedene Klassen von Größen geben. Die Größen der einen Klasse kann man durch geeignete Vorkehrungen nach und nach auf verschiedene irgendwie gewählte bestimmte Werte bringen, während die Größen der anderen Klasse durch die Wahl jener in ihren Werten vollkommen bedingt werden, indem sie sich durch das Experiment ergeben, ohne daß der Experimentator noch irgendwelchen bestimmenden Einfluß darauf hat. Die Größen der ersten Klasse sind die u n a b h ä n g i g e n V e r ä n d e r l i c h e n , die der zweiten die a b h ä n g i g e n V e r ä n d e r l i c h e n . Zunächst wollen wir — und zwar für ziemlich lange Zeit — nur gesetzmäßige Beziehungen zwischen zwei veränderlichen Größen betrachten. Erst später nehmen wir ihrer mehrere an.
§ 3.
Konstanten,
Veränderliche,
17
Funktionen.
Unsere Ausdrucks weise: g e s e t z m ä ß i g e B e z i e h u n g z w i s c h e n z w e i v e r ä n d e r l i c h e n G r ö ß e n ist allerdings vorerst noch nicht scharf mathematisch definiert. E h e wir zu einer mathematischen Formulierung übergehen, empfiehlt sich die Betrachtung einiger Beispiele. Namentlich die Physik bietet massenhaft Beispiele, unter anderen das folgende: 1. B e i s p i e l : Wird 1 cdm Waaser von 4° C. erwärmt oder abgekühlt, so wird sein Volumen größer. Doch ist der Überschuß über 1 cdm so gering, daß wir ihn in Kubikzentimetern ausdrücken. Er beträgt nämlich bei
0° 0,13 2° 0,03 4 ° 0,00 6° 0,03
8°
0,11
10° 0,25 12» 0,45 14° 0,70
16° 18° 20°
0,99 1,35 1,74
Diese Tabelle wird übersichtlicher, wenn wir sie durch eine Figur veranschaulichen. Auf kariertem Papier ziehen wir (siehe Fig. 5) eine der wagerechten Linien stärker aus und bringen auf ihr eine S k a l a an, indem wir von einem Punkte, dem Nullpunkte 0, ausgehend in immer gleichem, übrigens beliebig wählbaren Ab/ / stände die Bezeichnungen 1°,2°,3°..• ! eintragen oder wenigstens, wenn f das vollständige Einschreiben die / Skala undeutlich macht, angemessen
zum Punkte einer dieser Zahlen / soll graphisch die Temperatur an/ deuten, z. B. O A die Temperatur / von 8°. An den Stellen 0», 2°, 4 ° . . . / / / bis 20° tragen wir auf den lot-rechten Linien des Papiers Strecken •s auf, die uns die oben angegebenen Kubikzentimeter versinn- O Fig. 5. lichen sollen. Dabei kann die Strecke, die 1 ccm bedeutet, beliebig lang gewählt werden. Am bequemsten ist es, die lotrechte Grade durch O von diesem Punkte aus in gleichen Abständen mit den Bezeichnungen 0,1 ccm, 0,2 ccm usw. zu versehen, also die Skala der Kubikzentimeter anzugeben oder wenigstens anzudeuten. Nun geht das Eintragen rasch vonstatten. Die Strecke A B z. B. bedeutet nach der Skala 0,11 ccm. Unsere Tabelle liefert uns so 11 Punkte; und man ist von vornherein nicht überrascht durch die Regelmäßigkeit, in der sie aufeinander folgen. J a man erwartet, daß sich, wenn noch mehr Angaben vorliegen, wenn z. B. jener Volumenüberschuß auch bei 1 3 ° . . . , bei 0,5°, 1 , 5 ° . . . oder für andere zwischen 0° und 20° gelegene Temperaturen durch Experimente bestimmt wird, alsdann die zugehörigen neuen Bildpunkte so in die Reihe der SCHEFFERS, Mathematik. 3. Aufl.
2
18 elf Punkte einordnen, daß die Begelmäßigkeit nur noch stärker hervortritt. Man vermutet also, daß alle zwischen 0° und 20° gelegenen Temperaturen solche Volumenüberschüsse ergeben, für die die Bildpunkte in der Figur eine gewisse stetig fortschreitende k r u m m e L i n i e oder K u r v e liefern. D i e s e K u r v e ist das geometrische A b b i l d der gesetzmäßigen B e z i e h u n g zwischen der Temperatur und der Volumenvergrößerung, die 1 cdm Waaser von 4° C. erfährt, sobald seine Temperatur geändert .wird. Entsprechendes wie in diesem Beispiele wird man immer erwarten, sobald man a\is dem Studium der Naturerscheinungen die Überzeugung gewonnen hat, daß eine physikalische Größe gesetzmäßig von einer anderen abhängt und daß dieser Zusammenhang nicht für gewisse W e r t e der einen oder anderen Größe plötzliche Störungen erfährt. Ganz andere Verhältnisse liegen in dem folgenden Beispiele vor: 2. B e i s p i e l : Auf Grund zahlreicher Messungen hat ein Forscher die mittlere Körperlänge von männlichen Personen in Deutschland für die Lebensalter von 0 bis zu 20 Jahren wie folgt festgestellt: Jahre
cm
Jahre
cm
Jahre
cm
0 1 2 3 4 5 6
50 71 80 87 93 99 105
7 8 9 10 11 12 13
116 122 128 133$ 137£ 142
14 15 16 17 18 19 20
147 152 156 162 166 167 168
Ein anderer Forscher hat gleicherweise in Belgien folgende mittlere Zahlenwerte gefunden: Jahre
cm
Jahre
cm
Jahre
cm
0 1 2 3 4 5 6
50,0 69,8 79,1 86,4 92,7 98,7 104,6
7 8 9 10 11 12 13
110,4 116,2 121,8 127,3 132,5 137,5 142,3
14 15 16 17 18 19 20
146,9 151,3 155,4 159,4 163,0 165,5 167,0
Man erkennt, daß der erste Forscher auf halbe, der zweite auf zehntel Zentimeter abgerundet hat. Beide Tabellen fuhren wir uns graphisch vor Augen, indem wir auf kariertem Papier eine Skala für die Jahre wagerecht und eine für die Zentimeter senkrecht herstellen. Da die Körpergrößen mit 50 cm beginnen, werden wir, um Platz zu sparen, die cm-Skala mit 50 zu zählen anfangen. Die Einheiten beider Skalen kann man beliebig annehmen. Unsere Fig. 6 enthält die Wertepaare beider Tabellen, dargestellt durch kleine leere bzw. gefüllte Kreise,
19 deren Höhen die Zentimeter über 50 angeben. Man sieht, daß beide Tabellen nur geringfügig voneinander abweichen. Über diese Abweichungen wird man nicht überrascht sein. Ja man wird vermuten, daß andere For•'! scher auf Grund von Messungen 7 wieder andere Ergebnisse finden Z!Z , H werden. Andererseits aber ist ® tm man darauf gefaßt, daß neue Z ZZZZZZZZZZZZZZZZ,_ZZZZ Ergebnisse doch nicht allzusehr ¡— von den mitgeteilten abweichen ZZZZZZZZZZZZ werden. Will man sich ein : Bild von der mittleren Körpergroße männlicher Personen in Z , a man Mitteleuropa in den Jahren 0 bis 1 20 machen, so wird man, da i ZZZZZZZZZZZZZZZZZZZZZ man Schwankungen vernünftiger; A 1 weise bei der Art dieses BeiZZZZZZ spiels voraussieht, nicht wie im n -< vorigen Beispiele eine feine Kurve — « ziehen, sondern vielmehr eine _Z st cm Linie von solcher Stärke, daß -¿j j/ g >3 7 V r ihre Breite einen Spielraum läßt, r . der jenen Schwankungen vermutFig, 6. Fig. lieh gerecht werden wird. So gelangt man etwa zu Fig. 7. Hier also wird die gesetzmäßige Beziehung zwischen Lebensalter und Körpergröße nicht durch eine Kurve, sondern durch einen K u r v e n s t r e i f e n bildlich zum Ausdrucke gebracht. Kurvenstreifen statt scharfer, feingezogener Kurven wird man überall da erwarten, wo die gesetzmäßige Beziehung zwischen den beiden betrachteten Größen nicht nur von physikalischen, sondern wie hier auch von organischen Ursachen abhängt, überdies da, wot man nur Mittelwerte aus Beobachtungen benutzt, wie es hier der Fall ist.
Wieder etwas anderes bietet das folgende 3. B e i s p i e l : Ein Schnellzug von Luzern über die Gotthardbahn nach Chiasso hält unterwegs an fünf Stationen. In der folgenden Tabelle sind nach dem Kursbuche statt der Stationsnamen ihre Entfernungen von Luzern in Kilometern angegeben sowie die Zeiten, zu denen der Zug an den betreffenden Stellen ist. 2*
20
Erstes Kapitel: km
0
28
Zeit
9h 8
9h 37—42
Größen und 60
Funktionen.
89
170
10b 20 l l h 5—13 12h34—40
199
225
l h 24
l h 54
Auch hier können wir die graphische Darstellung benutzen, indem wir eine wagerechte Zeitskala und eine lotrechte Kilometerskala zeichnen und nun diejenigen Punkte eintragen, die den angegebenen Zeiten und Kilometern entsprechen. So geht Fig. 8 hervor. Wir haben die Kilometerskala lotrecht nach u n t e n angebracht, weil der Zug von Nord nach Süd — im großen ganzen — fährt und wir gewohnt sind, diese Richtung nach unten zu zeichnen. Die t n\
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1 Fig. 8.
kleinen wagerechten Striche entsprechen den kurzen Aufenthalten auf den Stationen, denn z. B. zu a l l e n Zeiten zwischen 11" 5 und l l b 13 hat der Zug, da er rastet, die Entfernung 89 km von der Ausgangsstation. Das Kursbuch gibt uns keinen Aufschluß darüber, wie schnell der Zug zwischen den Stationen fährt. Wir können also z. B. nur sagen, daß von 9 b 42 bis 10b 20 die Kilometerzahl beständig zunimmt und zwar von 28 bis 60. Dies könnten wir graphisch durch irgendeine von der Stelle A bis zur Stelle B beständig nach rechts unten laufende Kurve, wie z. B. die punktierte, zum Ausdrucke bringen. In Ermangelung genauerer Angaben ziehen wir die einfachste Linie zwischen je zwei bestimmten Punkten, nämlich die Gerade.1 So kommen wir hier dazu, e i n e g e s e t z m ä ß i g e B e z i e h u n g d u r c h eine g e b r o c h e n e L i n i e d a r z u s t e l l e n . Das Gesetz ist nicht in der Natur gegeben, sondern durch Vorschriften der Eisenbahn Verwaltung. Übrigens sei nebenbei bemerkt, daß sich 1 Dies ist, wie wir auf S. 43 sehen werden, die richtige Darstellung, wenn der Zug zwischen beiden Stationen überall dieselbe Geschwindigkeit hat.
21 aus der Art der gebrochenen Linie deutlich erkennen läßt, zwischen welchen Stationen der Zug besonders langsam fährt, nämlich zwischen den zu B und 0 gehörigen Stationen (es ist dies der Aufstieg zur Höhe des Gebirgsstockes).
Diese drei Beispiele, zu denen der Leser selbst noch viele hinzufügen kann, zeigen drei Arten der graphischen Darstellung des gesetzmäßigen Zusammenhanges zwischen zwei veränderlichen Größen, nämlich durch eine K u r v e , einen K u r v e n s t r e i f e n und eine g e b r o c h e n e L i n i e . Aber auch im zweiten und dritten Falle, wo das Gesetz der Natur der Sache nach nicht scharf sein kann, ließe sich doch der Verlauf der Erscheinung mit großer Annäherung durch eine einzige Kurve wiedergeben, da wir sowohl in Fig. 6 als auch in Fig. 8 leicht eine Kurve einzeichnen können, die durch die markierten Punkte geht oder ihnen doch sehr nahe kommt. Umgekehrt: Zeichnen wir in kariertes Papier zwei Werteskalen O X und N 0 Y ein, die eine wagerecht, Jdie andere lotrecht, wobei wir für jede die Einheit irgendwie wählen — siehe Fig. 9 —, und ziehen wir Fig. 9. aufs Geratewohl irgendeine von l i n k s n a c h r e c h t s f o r t s c h r e i t e n d e krumme Linie, s o g i b t u n s d i e s e K u r v e e i n e g e s e t z m ä ß i g e B e z i e h u n g z w i s c h e n zwei v e r ä n d e r l i c h e n G r ö ß e n , die wir x und y nennen wollen. Zu jedem Punkte der Kurve gehört nämlich ein bestimmter Zahlenwert der einen und ein. bestimmter Zahlenwert der anderen Skala, und diese Werte sind zueinander gehörige Werte Von x und y. In Unserer Figur gehört z. B. zu x = 6 der Wert y = 1,8 (siehe Punkt Ä), zu x = 10 der Wert y = 10 (siehe Punkt B), zu x — 14 der Wert y = 10 (siehe Punkt C] usw. Allerdings sind die Werte nur soweit abzulesen, als es die Genauigkeit der Skalen erlaubt. Auch zu n e g a t i v e n Werten von x können Werte von y gehören. Die negativen Werte von x lesen wir auf der linken Seite der von dem Punkte 0 ausgehenden 2>Skala ab. So gehört in unserer Figur zu x = — 14 der Wert y = 2,3 (siehe Punkt I)). Ferner ist für x = 2 der zugehörige Kurvenpunkt unterhalb der ar-Skala gelegen, d. h. zu diesem
¥
N
22
Erstes
Kapitel:
Größen und
Funktionen.
Werte von x gehört ein negativer Wert von y, nämlich y = — 2,4 (siehe Punkt E). Es kann auch vorkommen, daß zu negativen Werten von x negative Werte von y gehören; z.B. zu dem Punkte F gehört x = — 6 und y — — 1,2. Also z u s a m m e n g e f a ß t : Auf beiden Skalen setzen wir eine positive und eine negative Richtung fest. Alsdann wird durch jede von links nach rechts gezogene Kurve eine gesetzmäßige Beziehung zwischen zwei veränderlichen Größen x und y festgelegt. Zusammengehörige Wertepaare ergeben sich, wenn man durch einen beliebigen Punkt P der Kurve die Parallelen zu den Skalen zieht und die Zahlenwerte abliest, die sie auf den Skalen abschneiden. Dabei ist das Vorzeichen + oder — zu wählen, je nachdem der Schnittpunkt mit der Skala auf der positiven oder negativen Seite der Skala liegt. J e n e Kurve d e f i n i e r t u n s a l s o ein G e s e t z z w i s c h e n x und y und zwar mit der G e n a u i g k e i t , mit der wir die Z a h l e n w e r t e der S k a l e n a b l e s e n können. Verschiedene Kurven stellen verschiedene Gesetze der Abhängigkeit zwischen x und y dar. So haben wir zunächst auf g r a p h i s c h e m Wege eine Möglichkeit, gesetzmäßige Beziehungen zwischen zwei veränderlichen Größen festzustellen. Ihr haftet aber der Mangel an, daß diese Feststellung in gleichem Maße ungenau, nur angenähert ist, wie jede Figur nur angenähert dem Idealbilde einer Figur entspricht, bei der die geraden Linien und Kurven wirklich ohne Dicke sind. Dagegen hat dies Verfahren den Vorzug, ein Gesetz sehr anschaulich darzustellen. Nun können wir schließlich auf m a t h e m a t i s c h e m Wege gesetzmäßige Beziehungen zwischen zwei veränderlichen Größen x und y herstellen, die den erwähnten Mangel nicht haben, aber auch nicht die große Anschaulichkeit. Dies geschieht nämlich am einfachsten dadurch, daß wir eine Gleichung ansetzen, auf deren linker Seite nur y steht, auf deren rechter Seite dagegen eine Formel steht, in der y nicht vorkommt, wohl aber x. 4. B e i s p i e l : Setzen wir z. B. die Gleichung an:
y=
- 4x + 2).
Sie definiert ein Gesetz. Wie wir nämlich die Größe x wählen mögen, immer gibt uns diese Gleichung dazu einen Wert von y. Setzen wir z. B. x = 5, so liefert die Gleichung y = T'6 (25 - 20 + 2) = 0,7. In folgender Tabelle haben wir für x nacheinander eine Reihe von Werten b e l i e b i g gewählt und mittels der angenommenen Gleichung die zugehörigen Werte von y berechnet:
23 1
x
-4
-3
-2
-1
0
y
3,4
2,3
1,4
0,7
0,2
- 0,1
2
3
-0,2
- 0,1
4
5
0,2
0,7
In Fig. 10 haben wir auf Grund zweier Skalen die zugehörigen Punkte eingezeichnet; so gehört der Punkt A zu x = 5 und y = 0,7. Offenbar können wir beliebig viele Wertepaare auf Grund der angenommenen Gleichung herstellen. Wir haben ja hier nur einige ganzzahlige i Werte von x herausgegriffen. Zu x = 6,3 z. B. gehört , f , iJT ¡ H i l l y = 1,649; dies Wertepaar gibt den Punkt .B. Man — ;.^ ! kann hier folgende Beobachtung machen: Je mehr — — -1j - ^ q¿ : l Wertepaare man berechnet, um so enger ketten sich ^ * die zugehörigen Bildpunkte in stetiger Folge an-—* ^ A einander. Haben wir einmal eine bestimmte Glei- f - P * T x
Fig. 15.
die Strecke, die durch den gegebenen Wert von y — mit Rücksicht auf die »/-Einheit — bestimmt wird, aufzutragen, wodurch man ebenfalls zu dem gesuchten Punkte kommt. Siehe Fig. 14 für den Punkt P, dessen x = 2 und y = 3 ist. Dabei hat man das Vorzeichen von y zu beachten. Ist es positiv, so ist die Strecke auf dem Lote im Sinne der positiven y-Achse aufzutragen, wie eben in Fig. 14, ist es aber negativ, wie in Fig. 15 für den Punkt P, dessen x = 2 und y = — 3 ist, so hat man die Strecke auf dem Lote im Sinne der negativen y-Achse aufzutragen. Diese Figuren 14 und 15 geben uns zugleich den Grund für zwei andere Bezeichnungen: Die x-Koordinate heißt die A b s z i s s e
30
Erstes Kapitel: Größen und
Funktionen.
(Abschnitt auf der a>Achse), die ¿/-Koordinate die O r d i n a t e (Lot zur a;-Achse). Je nachdem wir also rechnen oder zeichnen, brauchen wir die in folgender Tafel angegebenen Benennungen: Rechnung:
Zeichung:
x, y bedeuten: Veränderliche oder Koordinaten. x bedeutet: unabhängige Veränderliche „ Abszisse. y „ abhängige Veränderliche „ Ordinate. Zur Abkürzung bezeichnen wir den Punkt, dessen x = 2, y = 3 ist (siehe Fig. 14), kurz als Punkt (2; 3). So z. B. auch den Punkt P in Fig. 15 kurz als Punkt (2; - 3). Beispiele: a) Wo liegt in Fig. 14 der P u n k t ( - 3; — 4)? b) Was kann man über die Lage eines Punktes aussagen, wenn sein x positiv, sein y negativ ist? c) Wo liegen die Punkte (0; o), d.h. die Punkte, deren x = 0 ist, während ihr y irgendeinen Wert a hat? d) Wo liegen die Punkte (a; 0)? e) Wo liegen alle Punkte, deren x = 4 ist? f) Wo liegen alle Punkte, deren y = — 2 ist? g) Welche Koordinaten hat der Punkt 0, welche der Einheitspunkt der a;-Achse, welche der Einheitspunkt der y-Achse? h) Was kann man über die Koordinaten derjenigen Punkte aussagen, die auf der x-Achse liegen? In den Figuren 13, 14, 15 haben wir die positive x-Achse wagerecht nach rechts und die positive y-Achse senkrecht nach oben gezeichnet. Das ist natürlich nicht nötig. Im allgemeinen werden wir jedoch diese Anordnung beibehalten. Schon einmal, in Fig. 8, S. 20, sind wir davon aus einem äußerlichen Grunde abgewichen. Das kann auch sonst geschehen. Wenn wir z. B. die Fallgesetze besprechen, bei denen die Richtung nach unten so wichtig ist, werden wir die y-Achse nach unten hin positiv wählen. Natürlich könnten wir die Achsen auch schräg zeichnen, wenn sie nur aufeinander senkrecht stehen. Handelte es sich z. B. in einem Punkte Mitteldeutschlands (51 0 nördlicher Breite) um die Betrachtung des Gesetzes eines Pendels, daß von Norden nach Süden schwingt, so würden wir etwa den Meridian dieses Ortes als Kreis zeichnen und das Achsenkreuz wie in Fig. 16 wählen. Solange aber kein triftiger Grund für eine schiefe Lage des Achsenkreuzes vorhanden ist, bleiben wir bei der gewohnten Lage.
Zweites Kapitel.
Begriff des Differentialquotienten. § 1. Lineare Funktionen.
Gesetzt, x sei eine beliebig veränderliche Größe und die Größe«/ hänge von x ab, so daß zu jedem Werte von x ein gewisser Wert von y gehört. Doch sei uns das Gesetz dieser Abhängigkeit nicht bekannt; vielmehr wollen wir annehmen, wir wüßten nur das folgende: Zunächst habe x einen bestimmten Wert a und y einen bestimmten Wert b. Nun ändere sich x von dem Anfangswerte a an, wobei sich auch y, und zwar vom Anfangswerte b an, ändert; dabei soll die Ä n d e r u n g von y s t e t s d a s s e l b e V i e l f a c h e , etwa das c f a c h e , der z u g e h ö r i g e n Ä n d e r u n g von x sein. Wenn also x von a an um 1 oder 2 oder 3 usw. gewachsen ist, soll y von b an um c bzw. 2c bzw. 3c usw. gewachsen sein, c bedeute somit wie a und b eine bestimmte Zahl, nur nicht gerade die Null. Wir fragen also nach dem G e s e t z e z w i s c h e n x und y, bei dem d a s W a c h s t u m von y zu dem von x p r o p o r t i o n a l ist. Dieser Fall liegt oft vor; wir erwähnen vorläufig nur ein Beispiel: 1. B ei sp i el: Zu jeder Temperatur, gemessen mit dem Celsiusthermometer, gehört eine gewisse Gradzahl des Fahrenheitthermometers. 0°C. entsprechen bekanntlich 32° F. Außerdem ist bekannt, daß, wenn die .Celsiusgrade um je 5 zunehmen, die Fahrenheitgrade um je 9 wachsen. Hier ist die Fahrenheitgradzahl y eine Funktion der Celsiusgradzahl x. Die Anfangswerte sind für x und y die Zahlen 0 und 32. Außerdem ist die Änderung von y das £ fache der «on x. Im vorliegenden Falle ist also a — 0, b = 32, c = f . Wir schließen nun so: Wächst die Temperatur nach Celsius von 0° bis x", so ändert sich ihre Maßzahl um x. Zugleich wachse die Temperatur nach Fahrenheit von 32° bis y". Ihre Zahl ändert sich dann um y — 32. Diese Änderung ist das 'fache der vorigen, also: y- 32 = Ix oder: y = Ix + 32. Diese Formel liefert das Gesetz, mittels dessen y von x abhängt. Beispielsweise für x = 10 gibt sie y = 50, d. h. 10° C. sind dasselbe wie 50° F.
Der Schluß, den wir in diesem Beispiele gemacht haben, führt auch allgemein zum Ziele: Wenn die unabhängige Veränderliche von a bis x wächst, nimmt sie um x — a zu. Zugleich wächst die
32
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
abhängige Veränderliche von b bis y, d. h. sie nimmt um y — b zu. Deshalb ist nach Voraussetzung: (1) oder:
y — b = c(x — a) y = c(x - a) + b
oder auch: y = cx + b — ca. Da a, b, c bestimmte Zahlen oder Konstanten sind, ist auch b — ca eine bestimmte Zahl, etwa die Konstante k. Also hat sich ergeben: (2) y = cx + h. Wir haben hiermit den einfachen, aber wichtigen Satz gefunden: Satz 1:] W e n n e i n e Größe y von e i n e r Größe x derart a b h ä n g t , daß diejenige Ä n d e r u n g , d i e die Größe y von i h r e m A n f a n g s w e r t e aus e r f ä h r t , b e s t ä n d i g g l e i c h dem c f a c h e n d e r j e n i g e n Ä n d e r u n g ist, die die Größe x von i h r e m A n f a n g s w e r t e aus e r f ä h r t , so ist y = cx + k, wo k e b e n s o wie c e i n e K o n s t a n t e b e d e u t e t . Da in dieser Formel rechts x nur in der e r s t e n Potenz oder, wie man auch sagt, nur l i n e a r vorkommt, nennt man eine derartige Funktion y = konat. x + konst. eine F u n k t i o n e r s t e n G r a d e s oder kürzer eine l i n e a r e F u n k t i o n 1 von x. Demnach läßt sich der Satz 1 auch so aussprechen: Satz 2: W e n n e i n e Größe y von einer Größe x in der W e i s e a b h ä n g t , daß die Ä n d e r u n g , die die Größe y von i h r e m A n f a n g s w e r t e aus erfährt, b e s t ä n d i g g l e i c h dem c f a c h e n der Ä n d e r u n g ist, die die Größe x von i h r e m A n f a n g s w e r t e aus e r f ä h r t , so i s t y eine l i n e a r e F u n k t i o n von x, bei der x den k o n s t a n t e n K o e f f i z e n t e n c hat, n ä m l i c h : y = cx + konst. Anstatt zu sagen, daß die Änderung der abhängigen Größe c fache der Änderung der unabhängigen Größe sein soll, können auch sagen: J e d e r Z u n a h m e der u n a b h ä n g i g e n Größe eine E i n h e i t s o l l e i n e Zunahme der a b h ä n g i g e n Größe c Einheiten entsprechen. 1
das wir um um
Genauer eine „ganze" Funktion ersten Grades oder eine „ganze" lineare Funktion, was aber erst später auseinandergesetzt werden kann.
§ 1.
Lineare
Funktionen.
33
2. B e i s p i e l : Ein Eisenstab, der bei 15° C. I m lang ist, wird bei a;0 C. eine gewisse Länge, etwa y m, haben. Der Anfangswert von x ist 15, der von y dagegen 1. Die Physik lehrt, daß die Ausdehnung des Stabes durch die Wärme proportional zur Temperaturzunahme ist. Dabei entspricht jedem Grad eine Ausdehnung um 0,000012 m. Also ist hier e = 0,000012. Folglich wird: oder:
y - 1 = 0,000012 (x - 15)
oder:
y = 0,000012 a; - 0,00018 + 1
y = 0,99982 + 0,000012 a; Wir haben hier den konstanten Summanden vorangesetzt, weil er der größere ist, falls die Temperatur x nicht gar zu hoch gewählt wird. Die Formel gibt die Länge des Stabes bei beliebigen Temperaturen an, auch bei Temperaturen u n t e r h a l b des Anfangswertes 15°. Denn wenn die Temperatur unter 15" sinkt, also abnimmt, sagen wir: ihre Zunahme ist negativ. Sinkt sie bis auf a;°(< 15°), so ist x — 15 nach wie vor die Zunahme der Temperatur, nämlich eine negative Zahl. Zugleich zieht sich der Stab zusammen, d. h. seine Ausdehnung y — 1 ist ebenfalls negativ, aber immer noch das 0,000012 fache der Zunahme der Temperatur. Die Formeln gelten also auch jetzt. F ü r x = 0 z. B. gibt die letzte Gleichung y = 0,999 82, d. h. bei 0° C. hat der Stab 0,999 82 m Länge. W a s wir hier über n e g a t i v e Zunahmen- g e s a g t haben, gilt g a n z allgemein: W e n n die u n a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e v o m A n f a n g s werte a a u s bis x a b n i m m t , a l s o x < a ist, s a g e n wir doch, daß x um x — a z u n i m m t . D i e s e Größe ist j a d a n n von selbst negativ. A u c h d i e Z a h l c k a n n s e h r w o h l n e g a t i v s e i n . D a s bedeutet, daß y m i t w a c h s e n d e m x a b n e h m e n soll. S c h r e i b e n wir z. B . vor, d a ß , wenn d i e u n a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e v o m W e r t e a an b i s x wächst, a l s d a n n die a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e e t t i a u m das D ö p p e l t e der Ä n d e r u n g von x n i c h t zu- sondern a b n e h m e n s o l l , so ist c = — 2. W i r s a g e n d a n n : D i e a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e soll u m das — 2 f a c h e der Z u n a h m e von x z u n e h m e n . Eine A b n a h m e ist eben vom m a t h e m a t i s c h e n S t a n d p u n k t e aus i m m e r als eine negative Z u n a h m e z u b e t r a c h t e n . T u t m a n dies, so bleiben die S c h l ü s s e die alten. D i e s erläutert zum U b e r f l u s s e das f o l g e n d e 3. B e i s p i e l : Welche Zeit hat ein Ort, der xa w e s t l i c h von Ferro liegt, wenn die Uhr in Greenwich Mittag zeigt? Die Zeit sei y h nach Mitternacht. Da Greenwich 1 7 f 0 östlich von Ferro ist, liegt der Ort (x + 17f)° westlich von Greenwich. Weil sich die Erde in 24 Stunden einmal um sich selbst von West nach Ost dreht, hat ein Ort, der 1° weiter westlich als ein anderer liegt, seine Mittagszeit ^ V oder yy Stunde später als der andere, d. h. seine Zeit ist TV Stunde v o r dem Mittag. Dies bedeutet: y ist eine lineare Funktion von x. Der Zunahme von x um 1 0 entspricht eine Abnahme von y um T ' F Stunde; demnach ist hier c = — TV. Die Anfangswerte von x und y sind — 17} und 12 (warum - 17}?). Also kommt: y - 12 = - ^(x SCHEFFERS, M a t h e m a t i k .
3. Aufl.
+ 17}) 3
34 oder:
Zweites Kapitel: Begriff des
Differentialquotienten.
37 45
15
Neuyork z. B. liegt 57 J0 westlich von Ferro. Für x = 57 J aber kommt y = 7, d. h. ist es in Greenwich Mittag, so ist ea in Neuyork erst 7 Uhr morgens. Natürlich rechnet man bequemer, wenn man alle Orte von vornherein in ihrer geographiechen Länge auf Greenwich bezieht; das haben wir hier nicht getan, um die Theorie an einem leicht verständlichen Beispiele erläutern zu können.
Die Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, läßt sich auch graphisch sehr anschaulich lösen, wenn man ein Koordinatensystem — siehe Fig. 17 — benutzt. Zu jedem Werte von x soll ein Wert von y gehören. Zu beiden gehört jedesmal ein Punkt der Ebene, nämlich der Punkt (x; y) mit den Koordinaten x und y. Die F r a g e ist die, wie alle diese Punkte in unserem besonderen Falle liegen. W i r hatten angenommen, die Anfangswerte von x und y seien a und b. Zu ihnen gehört ein Punkt (a; b) oder P 0 . Nun soll die x-Koordinate um ein beliebiges Stück wachsen, und dabei soll die y-Koordinate um das c fache dieses Stückes zunehmen. Wenn also die x-Koordinate um die Einheit wächst, soll die y-Koordinate um cEinheiten zunehmen. Natürlich ist die eine Strecke mit dem x-Maßstabe, die andere mit dem y-Maßstabe zu messen. Wir kommen so zu dem Punkte (« + 1; b + c), Fig. 17. der in Fig. 17 mit bezeichnet ist, indem g e m e s s e n m i t d e r ^ - E i n h e i t , vorstellen die Konstante c, soll. Wächst die Abszisse des Punktes P 0 um 2, 3, 4 . . . Einheiten, so soll die Ordinate um 2 c, 3 c, 4 c . . . Einheiten zunehmen. Dies liefert die Punkte P 2 , P 3 , P 4 . . . Es erhellt ohne weiteres, daß alle Punkte auf einer G e r a d e n liegen. Dies gilt auch, wenn die Abszisse nicht um eine ganze Zahl von Einheiten zunimmt, sondern z. B. um 2 | Einheiten, wobei die Ordinate um 2 | c Einheiten wächst usw. Stets nämlich sind die rechtwinkligen Dreiecke, P0P1Q1, P0 P 2 Q2 usw. in der Figur einander ä h n l i c h u n d ä h n l i c h g e l e g e n . Auch wenn die Abszisse abnimmt, kommen wir zu Punkten derselben GeradeD. Nimmt sie z. B. um 2 Einheiten ab, so heißt dies, daß sie um — 2 Einheiten zunimmt. Die Ordinate soll dann nach Vorschrift um — 2 c Einheiten zunehmen, also um 2 c Einheiten abnehmen. So kommen wir zu dem Punkte (a — 2; b — 2c) oder P _ 2 der Figur usw. Also folgt: Zusammengehörige Werte von x und y sind die Koordinaten der Punkte (x; y) einer Geraden durch den Punkt P 0 oder (a; b), d. h.:
§ 1. Lineare
Funktionen.
35
Satz 3: H ä n g t eine G r ö ß e y von e i n e r G r ö ß e x in der W e i s e ab, daß d i e j e n i g e Ä n d e r u n g , die die G r ö ß e y von i h r e m A n f a n g s w e r t e b a u s e r f ä h r t , b e s t ä n d i g gleich dem c f a c h e n d e r j e n i g e n Ä n d e r u n g ist, die die G r ö ß e x von i h r e m A n f a n g s w e r t e a a u s e r f ä h r t , so ist d e r Ort a l l e r zug e h ö r i g e n B i l d p u n k t e {x\y) im K o o r d i n a t e n s y s t e m d i e j e n i g e g e r a d e L i n i e , die d u r c h den P u n k t {a\b) u n d d u r c h den P u n k t ( a + l ; i + c) geht. Kürzer ausgesprochen nach Satz 2: Satz 4: D a s g r a p h i s c h e Bild einer l i n e a r e n F u n k t i o n y = cx + h
i s t eine g e r a d e Linie. In Fig. 17 haben wir c positiv angenommen. Ist c negativ — wie im 3. Beispiele —, so liegt der Fall der Figur 18 vor. Je nachdem also c, der P r o p o r t i o n a l i t ä t s f a k t o r , positiv oder negativ ist, geht die Bildgerade von links unten nach rechts oben oder von links oben nach rechts unten. Der Faktor c, der in den Figuren 17 und 18 als S t r e c k e dargestellt ist, die, mit der ¿/-Einheit gemessen,
die Z a h l c bedeutet, bestimmt die R i c h t u n g der Geraden. Wäre nämlich das Anfangswertepaar a, b ein anderes gewesen, etwa wie in Fig. 19, so wäre der Punkt P0 an anderer Stelle gelegen, so daß sich eine andere Gerade ergeben hätte. Hat aber hier c denselben Wert wie in Fig. 17 auf S. 34, so ist die neue Gerade offenbar zur alten parallel, vorausgesetzt natürlich, daß wir dasselbe Koordinatensystem zugrunde legen, also auch dieselbe .r- und y-Einheit wie in Fig. 17 wählen. Dies aber ist in Fig. 19 geschehen. Da somit die Zahl c die Richtung der Bildgeraden bestimmt und die Gerade — von l i n k s n a c h r e c h t s d u r c h l a u f e n ged a c h t — steigt (Fig. 17) oder fällt (Fig. 18), je nachdem c positiv oder negativ ist, nennen wir c passend die S t e i g u n g der G e r a d e n , indem wir von der Geraden in Fig. 18 sagen, daß sie eine negative 3*
36
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
Steigung habe, d. h. falle. Natürlich, wenn man die Gerade im entgegengesetzten Sinne durchliefe, würde sie steigen und nicht fallen. Der Begriff der Steigung bezieht sich also wohlbemerkt auf einen ganz bestimmten Sinn des Durchlaufens der Geraden, nämlich auf den Sinn des Fortschreitens von links nach rechts. Besser gesagt, da ja die Lage des Achsenkreuzes nach S. 30 schief sein kann: W i r d u r c h l a u f e n d i e G e r a d e so, d a ß d i e A b s z i s s e n i h r e r P u n k t e b e s t ä n d i g z u n e h m e n . Oder: So, daß der Fußpunkt des Lotes, das man vom laufenden Punkte auf die x-Achse fällen kann, diese ar-Achse im positiven Sinne durcheilt. Dieselbe Festsetzung werden wir auch später treffen, wenn wir statt gerader krumme Linien betrachten. D e r L e s e r t u t d a h e r g u t , s i c h d i e s e V e r a b r e d u n g zu m e r k e n . Da die linearen Funktionen y = cx + k durch gerade Linien veranschaulicht werden und gerade Linien leicht zu zeichnen sind, k a n n m a n A u f g a b e n , b e i d e n e n l i n e a r e F u n k t i o n e n v o r k o m m e n , sehr b e q u e m d u r c h die Z e i c h n u n g l ö s e n . Hierfür werden wir im Laufe dieses Paragraphen noch eine Reihe von Beispielen bringen. Zunächst noch ein Wort darüber, wie m a n s c h n e l l die G e r a d e z e i c h n e t , die eine v o r g e l e g t e l i n e a r e F u n k t i o n vera n s c h a u l i c h t . Liegt z. B. die lineare Funktion y = 2x-
5
vor, so brauchen wir von der zu zeichnenden Geraden nur zwei Punkte zu kennen, um sie dann mittels des Lineals ziehen zu können. Solche Punkte finden wir, wenn wir i zwei Paare zusammengehöriger Werte von x und y berechnen und die zugehörigen Punkte —:E - 8-- 1—1 aufsuchen. F ü r x — 0 z. B. gibt die Formel -5 i > '' y = — 5, also ist (0; — 5) ein Punkt A der A Geraden. E r liegt auf der y-Achse, siehe Fig. 20. Setzen wir ferner etwa x = 4, so kommt y = 3. Also liegt auch der Punkt (4; 3) 1 C oder B auf der Geraden. Beide Punkte A und B werden nun mittels des Lineals durch Fig. 20. die gerade Linie verbunden. Will man eine genaue Zeichnung haben, so tut man gut, d i e b e i d e n H i l f s p u n k t e m ö g l i c h s t w e i t v o n e i n a n d e r e n t f e r n t zu w ä h l e n , was man erreicht, wenn man für x zwei recht verschiedene
37 Werte wählt. Setzt man z. B. x — — 5, so ist y = — 15, setzt man x = 5, so ist y = 5. Die Punkte (— 5; — 15) und (5; 5) oder C und I) der Figur liegen weiter voneinander entfernt als die vorhin benutzten, geben also auch eine genauere Zeichnung. Es ist eine Tatsache, daß Anfänger gegen diese Regel, eine Gerade durch zwei möglichst weit voneinander entfernte Punkte zu bestimmen, oft sündigen. Wer bei dieser schlechten Gewohnheit bleibt, ist ein unpraktischer Mensch. Wenn man die Anfangswerte a und b von x und y sowie den Proportionalitätsfaktor c kennt, der aussagt, das Wievielfache des Zuwachses von x der Zuwachs von y sein soll, so zeichnet man die Gerade, die das graphische Bild der linearen Funktion y von x ist, am bequemsten, indem man zunächst den Punkt (a ; b) aufsucht, dann die Abszisse a um irgend eine ganze Zahl von ^-Einheiten "vergrößert und entsprechend die Ordinate b um das cfache dieser Zahl — natürlich ¿/-Einheiten — vergrößert. Ist c negativ, so wird die Ordinate verringert. Jedenfalls kommt man so zu einem zweiten Punkte der zu zeichnenden Geraden. Wie viele Einheiten man nimmt, um die a vermehrt wird, ist t h e o r e t i s c h gleichgültig, p r a k t i s c h aber wird man eine möglichst große und runde Zahl wie 10, 20, 100 u. dgl. wählen. 4. B e i s p i e l : Bei x" C. zeige das Fahrenheitthermometer y0 an. Alsdann ist, wie wir im ersten"Beispiel sahen: Diese lineare Funktion ist in Fig. 21, ¿T. wo wir die x- und ^-Einheit gleichgroß gewählt haben, durch die Gerade F dargestellt. Sie wurde erstens aus dem Punkte (0 ; 32) der ^-Achse und zweitens aus dem Punkte A 7 konstruiert, der sich ergibt, wenn man x = — 40 setzt. Da dann y = — 40 folgt, ist A der Punkt iZ ( - 40 ; - 40). Die Gerade F gestattet, zu jeder Celsius-Temperaturangabe sofort die Fahreuheitangabe abzulesen, z. B. zu 13 0 C. suchen wir den Punkt auf F mit x = 13, indem wir von der zugehörigen Stelle U der x-Achse senkrecht zur x-Achse bis zur Geraden F Fig. 21. gehen, wodurch wir zum Punkte W kommen, dessen Abszisse 13 und dessen Ordinate y = 56 ist. Also entsprechen 13° C. u n g e f ä h r 56° F. Der Maßstab unserer Figur ist nämlich so klein,
t
38
Zweites
Kapitel:
Begriff
des
Differentialquotienten.
daß man hier die Genauigkeit nicht über 1 0 bringen kann. Genau kommt 55,4° F Die in Fig. 21 gezeichnete Gerade R dient ebenso zum Ablesen der Rcaumurgrade. Sind nämlich x° C. dasselbe wie y° R., so ist ja bekanntlich V = Thüles ist auch eine lineare Funktion von x. Sie wird durch die Gerade R dargestellt, die durch den Anfangspunkt geht, weil zu 0° C. auch 0° R. gehört. Der auf der Geraden R gelegene Punkt V des vorhin benutzten Lotes in U hat die Ordinate 11, d.h. 13° C. entsprechen ungefähr 11° R. (genau 10,4°;. Die Fig. 21 gestattet überhaupt, zu jeder Temperaturangabe eines der drei Thermometer die entsprechende Angabe für die beiden anderen Thermometer abzulesen. Bei 50° F. z. B. suchen wir die Stelle der Geraden F, deren Ordinate 50 ist und loten von ihr herunter. Das Lot trifft die Gerade R im Punkte mit der Ordinate 8, gibt also 8 0 R., und es trifft die aj-Aehse im Punkte mit der Abszisse 10, gibt also 10° C. Um die Frage zu beantworten, bei wieviel Grad Celsius das Fahrenheit- und das Reaumurthermometer übereinstimmen, haben wir den Schnittpunkt B von R und F zu benutzen. Er hat die Abszisse — 32. Also lautet die Antwort: Bei — 32° C. Wie groß ist dann die Fahrenheit- oder Riaumurtemperatur? Die in Fig. 21 strich-punktierte Gerade enthält alle Punkte, für die die Abszisse gleich der Ordinate ist. Sie trifft F in A. Dies zeigt: — 40° C. sind dasselbe wie — 40° F.
5. B e i s p i e l : Kleiden wir einmal einen Scherz in mathematisches Gewand! Man hört zuweilen die folgende Regel darüber, wie alt das junge Mädchen sein soll, das ein Mann heiraten will: Man soll zum Alter des Mannes 10 Jahre addieren und die Summe halbieren. Die hervorgehende Zahl gibt das Alter der Erkorenen an, wie es sein sollte. Ist z. B. der Mann 30 Jahre t , so soll er eine 20j6hrige zur Frau nehmen. Sei x das Alter des Mannes (in Jahren), y das der Zukünftigen. Dann soll sein y ••= \ {x + 10) = + 5. Man stelle diese lineare Funktion graphisch durch eine Gerade dar. Wenn sich ein Punkt auf einer geraden oder krummen Bahn so bewegt, daß er in g l e i c h e n Z e i t e n i m m e r g l e i c h l a n g e W e g e , also in doppelter Zeit den doppelten Weg usw. zurücklegt, so ist die Zunahme des Weges beständig zur Zunahme der Zeit proportional, d. h. der zurückgelegte Weg ist eine lineare Funktion der Zeit. Wenn wir also die Zeiten als Abszissen, die Wege als Ordinaten benutzen, wird diese Funktion d u r c h e i n e g e r a d e L i n i e v e r a n s c h a u l i c h t , o b g l e i c h die B a h n des P u n k t e s k r u m m s e i n kann. Man muß sich eben hier davor hüten, jene Bildgerade mit dem Wege zu verwechseln. D i e B i l d g e r a d e g i b t n u r d i e B e z i e h u n g z w i s c h e n Z e i t und W e g l ä n g e a n s c h a u l i c h w i e d e r . Solche Bewegungsaufgaben, bei denen es von vornherein klar ist, daß der Fortschritt längs des Weges zur Zeit proportional ist, oder wo dies stillschweigend vorausgesetzt wird, lassen sich daher bequem graphisch lösen. Hierzu einige Beispiele: 6. B e i s p i e l : Ein Bote ging um 6 Uhr morgens vom Orte A nach dem 8 km entfernten Orte B (siehe Fig. 22), den er in 2 Stunden erreichte. Nach-
39 dem er 6 km zurückgelegt hatte, war er einem von B nach A gehenden Boten begegnet. Als der erste Bote von B mittels der Bahn nach A zurückgelangte, wo er um 8 f Uhr eintraf, sah er gerade den zweiten Boten in A ankommen. Wann ist der zweite Bote von B aufgebrochen? Auf der x-Achse tragen wir (siehe Fig. 23) die von 6h an gemessenen Stunden, auf der y-Achse die von A an gemessenen Kilometer des Weges als Strecken ab. Die Beziehung zwischen der Entfernung von A und der Zeit wird bei jedem der beiden Boten durch eine Gerade dargestellt. Da der erste Bote zur Zeit x = 0, d. h. um 6h, noch in A war, also den W e g 0 zurückgelegt hatte, und da er zur Zeit x = 2,
Fig. 22.
Fig. 23.
d. h. um Sh, in B war, also einen W e g von 8 km erledigt hatte, ziehen wir die Gerade vom Anfangspunkte (0; 0) nach dem Punkte (2; 8). Vom W e g e des zweiten Boten wissen wir zweierlei: Zuerst, daß er dem ersten Boten 6 km von A entfernt begegnet ist. W i r suchen also auf der schon gezeichneten Geraden den Punkt, dessen Ordinate gleich 6 ist. Dies ist der Punkt U. Seine Abszisse gibt an, wann sich die Boten begegneten. Zweitens traf der zweite Bote um 8 f- Uhr in A ein, d. h. hier ist y = 0 für x = 2|. Dadurch erhalten wir den Punkt ( 2 f ; 0) oder V. Die Gerade UV gibt die Beziehung zwischen Zeit unt W e g beim zweiten Boten an. Die gestellte Frage ist nun mathematisch aufgefaßt diese: Wann war für den zweiten Boten die Entfernung von A gleich 8 km? W i r suchen also auf der Geraden UV den Punkt W , dessen O r d i n a t e gleich 8 ist. Seine Abszisse ist, wie die Figur lehrt, gleich etwa 1 T ' 7 . Da wir die Abszissen von 6h an messen, heißt dies: Der zweite Bote ist um Tt\ Uhr oder 1h 5m von B aufgebrochen. 7. B e i s p i e l : Ein Bote geht von einem Orte A über einen Ort 3 nach einem dritten Orte C, ein zweiter bricht zur selben Zeit von B nach C auf. Der erste Bote kommt nach 1-j- Stunden durch B, während in derselben Zeit der zweite Bote nur einen f so langen W e g zurückgelegt hat. Wann holt der erste Bote den zweiten ein ? Bei beiden Boten ist wieder (B) 7 » die jeweilige Entfernung 7 von A eine lineare Funktion der seit dem Auf- (¿fy ¿. U •ist 3M. •SSI. O" bruche verflossenen Zeit, Fig. 24. da wir wie im vorigen
Ist
40
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
Beispiele annehmen dürfen, daß jeder Bote ein und dasselbe „Tempo" beibehalte, d. h. daß sein Weg proportional zur Zeit sei. Der Proportionalitätsfaktor ist jedoch bei beiden verschieden. In Fig. 24 bedeute die Strecke von (A) bis (B) auf der «/-Achse die Entfernung von A bis B. Die beiden Geraden geben für jeden der Boten die Beziehung zwischen Zeit und Entfernung von A an. Dabei ist VW = | UV. Holt der zweite Bote den ersten ein, so heißt dies: Beide Boten haben zu einer gewissen Zeit dieselbe Entfernung von A. In der Figur bedeutet dies: W i r müssen den g e m e i n s a m e n P u n k t S b e i d e r G e r a d e n bestimmen. Seine Abszisse gibt an, daß der erste Bote den zweiten 5 Stunden nach dem Aufbruche einholt. W i e in diesem B e i s p i e l e g e b e n überhaupt bei einer Aufgabe, in der es sich u m die B e w e g u n g zweier Individuen h a n d e l t und bei der die beiden B e w e g u n g e n graphisch durch Geraden abgebildet werden, d i e A b s z i s s e u n d d i e O r d i n a t e d e s S c h n i t t p u n k t e s b e i d e r G e r a d e n a n , w a n n und wo beide Individuen einander beg e g n e n oder einholen. 8. B e i s p i e l : Wann decken die beiden Uhrzeiger einander? Für jeden Zeiger ist der von der 12 h -Stellung an zurückgelegte Winkel — etwa gemessen in Graden — proportional zur Zeit von 12h an, etwa gemessen in Stunden. Stellen also die Abszissen x die Stunden, die Ordinaten y die Winkelgrade dar
Fig. 25. Der kleine Zeiger ist zur Zeit x = 0 an der Stelle y = 0, zur Zeit x = 12 an der Stelle y = 360; wir ziehen also die Gerade vom Nullpunkte nach dem Punkte (12; 360). Da der große Zeiger während der 12 Stunden zwölfmal eine ganze Umdrehung macht, haben wir für ihn 12 Geraden zu ziehen, die vom Nullpunkte nach der Stelle (1;360), dann die vom Punkte (1; 0) nach der Stelle (2; 360) usw. Die S c h n i t t p u n k t e der zuerst gezeichneten schrägen Geraden mit diesen 12 steilen Geraden geben durch ihre Abszissen an, w a n n sich die beiden Zeiger decken, durch ihre Ordinaten, wo sie sich decken. Z.B. ungefähr um 2h lO1" (genau 2T2Th) decken sie sich und bilden mit der 12 h -Stellung einen Winkel von ungefähr 65° (genau 65T5-,"). 9. B e i s p i e l : Zwischen zwei Orten A und B verkehren Straßenbahnwagen hin und zurück im Fünf-Minuten-Betriebe. Sie brauchen für den ganzen Weg von A nach B j e \ Stunde und kehren am Ende ohne nennenswerten Aufenthalt sofort wieder um. Einem Fußgänger, der ein Stück des Weges von A
41 nach B geht, begegnen dabei 15 Wagen, während ihn 7 überholen. Wie lange und ein wie großes Stück des Weges geht er ungefähr? In Fig. 26 stellen die Geraden des Netzes die Beziehung zwischen Zeit und Weg bei den Wagen dar. Für den Fußgänger haben wir eine Strecke so zu zeichnen, daß sie von links unten nach rechts oben geht und 15 Geraden der einen Art sowie 7 Geraden der anderen Art trifft. Dabei bleibt natürlich ein gewisser Spielraum. Der Fußgänger geht ungefähr eine Stunde, wobei er etwa f des ganzen Weges zurücklegt.
W i r wollen j e t z t g l e i c h z e i t i g zwei l i n e a r e F u n k t i o n e n von x b e t r a c h t e n , die wir nicht beide wie bisher y nennen, sondern dadurch unterscheiden, daß wir für die eine das Zeichen yx und für die andere das Zeichen y2 anwenden. Es mögen also etwa yx = cx x + ¿i und y2 = c2 x -f h2 die beiden linearen Funktionen von x sein. Dabei bedeuten cl, und c 2 , k2 Konstanten. Da nun zu jedem Werte von x ein beY
/
X o
Q
\
Q'
t
' S2
Fig. 27.
stimmter Wert von yl und ein bestimmter Wert von y2 gehört, gibt es auch einen dazu gehörigen bestimmten Wert der S u m m e yx + yv und ihn wollen wir mit y selbst bezeichnen. Es ist leicht zu berechnen: y = Vi + Vi = ( c i + c %) x + ( Ä i + K)Man sieht hieraus, d a ß die S u m m e y1 + y2 o d e r y z w e i e r l i n e a r e r F u n k t i o n e n yx u n d y2 w i e d e r e i n e l i n e a r e F u n k t i o n ist. Dies hat eine geometrische Bedeutung: Beide Funktionen yj und y2 werden durch Geraden dargestellt, etwa durch die Geraden yx und g2 in Fig. 27, und da nun die Summe y ebenfalls linear ist, muß auch sie durch eine gewisse Gerade g dargestellt werden. Weil aber diese Summe y durch Addition der zu irgend einem x gehörigen Werte y l und y2 entsteht, bedeutet dies geometrisch: Man wähle irgend eine Abszisse x = 0 Q und errichte in Q das Lot zur x-Achse. Trifft es y1 und g2 in P1 und P2, so sind die Strecken Q P j und Q P 2 , gemessen mit dem «/-Maßstäbe, die zu dem an-
42
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
genommenen Werte von x gehörigen Werte von y1 und yY Um also auch den zugehörigen Wert der Summe y = yx + y2 graphisch darzustellen, hat man die Strecken QPX und QP 2 zu addieren und ihre Summe Q P als neue Ordinate in Q aufzurichten; der so hervorgehende Endpunkt P muß auf der Geraden g gelegen sein. Man bekommt also alle Punkte der Geraden g, indem man überall, d. h. für jede Stelle Q der ar-Achse, die zugehörigen beiden bis gx und g2 reichenden Ordinaten addiert. Auf dem Lote z. B., das in Q' errichtet ist, fällt die erste Ordinate — hier Q'PX genannt — positiv und die zweite — hier Q' P2' genannt — negativ aus. Deshalb ist hier die Summe Q' Px + Q' P2 in Wahrheit eine Differenz und zwar gleich Q' P', wodurch ein Punkt P' von g hervorgeht. (Nebenbei bemerkt: Der Leser möge überlegen, welche besondere Bedeutung die in der Figur mit U und V bezeichneten Punkte haben.) Die Addition zusammengehöriger, d. h. zu demselben x gehöriger, Ordinaten zweier Geraden gx und g2 liefert als die Ordinaten einer dritten Geraden die man die S u m m e n g e r a d e nennen kann. Dies läßt sich verallgemeinern: Wenn d r e i lineare Funktionen
yx = cx x + kx,
y , = c2
x
+
\
,
y3
= c3
x + k3
vorliegen und wenn wir sie mit drei Konstanten a , a2, a3 multiplizieren und darauf addieren, kommt eine neue Funktion, nämlich: y = «i Vi + a2 Vt + aa y3 = K ci + a% c2 + as c3)x + (ai K + «2 h + as K)Die beiden Klammern enthalten Konstanten, und man sieht, daß hier wieder eine lineare Funktion vorliegt. Noch allgemeiner ergibt sich so der Satz 5: I s t im A c h s e n k r e u z e e i n e K e i h e von G e r a d e n gx, g2, g3 . . . g e z e i c h n e t u n d k o n s t r u i e r t m a n f ü r j e d e A b s z i s s e x die S u m m e d e r z u g e h ö r i g e n m i t K o n s t a n t e n Oj, a a , a3... m u l t i p l i z i e r t e n O r d i n a t e n d e r e i n z e l n e n G e r a d e n a l s n e u e O r d i n a t e , so i s t d e r O r t d e r B i l d p u n k t e wieder eine Gerade. 10. B e i s p i e l : Ein Behälter hat zwei Zufluß- und eine Abflußöffnung, sie seien mit A, B, C bezeichnet. Durch A fließen in der Minute 20 Liter, durch B 25 Liter und durch C 80 Liter. Zunächst ist nur A geöffnet, nach 5 Minuten wird auch B geöffnet, nach weiteren 10 Minuten auch G. Man stelle den Inhalt des zuerst leeren Behälters graphisch als Funktion der Zeit dar. Wann ist der Behälter wieder leer? Die Wirkung von A allein wird in Fig. 28 durch die Gerade (J.) dargestellt, die von B allein durch die Gerade (B). Während der ersten 5 Minuten kommt nur die Gerade (Ä) in Betracht, während
§ 1.
Lineare
Funktionen.
43
der nächsten 10 Minuten wirken beide Zuflußöffnungen; die durch sie einströmenden Wassermengen summieren sich. Mithin ist von x = 5 bis x = 15 nach dem Vorhergehenden die Summengerade der beiden Geraden (.4) und (B) zu konstruieren. Dies gibt die Gerade (Ä + B). Die Wirkung des Abflußrohres C allein, das erst zur Zeit x = 15 geöffnet wird, veranschaulicht die nicht steigende, sondern fallende Gerade (C). Von der Zeit x = 15 an wirken alle drei OfifnuDgen, die dritte negativ, d. h. von x — 15 an ist die Gerade (A + B — C) zu konstruieren, deren Ordinaten die Summen der Ordinaten der Geraden (Ä) und (B), vermindert um die Ordinaten der Geraden (C), sind. Die stark gezeichnete gebrochene Linie gibt zu jeder Zeit x (in Minuten) durch ihre Ordinate Fig. 28. die im Behälter befindliche Wassermenge (in Litern) an. Man sieht, daß der Behälter in ungefähr 31 Minuten wieder geleert ist.
In diesem Beispiele haben wir den Behälterinhalt [ = yLiter) graphisch als Funktion der Zeit ( = x Minuten) mittels einer g e b r o c h e n e n L i n i e dargestellt. Im ersten Kapitel hatten wir im 3. Beispiele auf S. 19—21 einen ähnlichen Fall. Dort dürfen wir in der Tat geradlinige Strecken ziehen, wenn wir voraussetzen, daß der Eisenbahnzug zwischen zwei Stationen immer in gleichen Zeiten gleiche Wege zurücklegt, so daß hier der Weg eine lineare Funktion der Zeit ist. Die geraden Linien haben eine Eigenschaft, die keiner krummen Linie zukommt: J e d e Gerade l ä ß t sich in sich v e r s c h i e b e n . 1 Da nun die Geraden die Bilder der linearen Punktionen y
=
cx + k
sind, heißt dies: Nicht nur, wenn man von den früher gewählten Anfangswerten a und b von x und y ausgeht, sondern überhaupt, wenn man von irgend einem zusammengehörigen Wertepaare von x und y ausgeht, ist der Zuwachs des y stets das c fache des Zuwachses des x. Dies läßt sich leicht rechnerisch nochmals beweisen. Vorher führen wir aber noch eine recht zweckmäßige abkürzende Bezeichnung ein: Wenn sich eine Größe x ändert, erfährt sie einen Z u w a c h s , auch wenn sie abnimmt, indem der Zuwachs alsdann negativ ausfällt. Die Worte „Zuwachs von x" bezeichnen wir nun kurz mit Ax. 1 Eine entsprechende Eigenschaft kommt von allen Kurven in der Ebene nur den Kreisen zu: Jeder Kreis läßt sich in sich d r e h e n .
44
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
Das Delta oder griechische D soll dabei an Differenz erinnern; der Zuwachs von x ist nämlich die Differenz des neuen und alten Wertes von x. Bedeutet t die Zeit in Sekunden, so soll also At einen Zuwachs dieser Zeit, gemessen in Sekunden, vorstellen. Bedeutet p ein Gewicht in Kilogrammen, so soll Ap eine Zunahme dieses Gewichts, gemessen in Kilogrammen, sein. Stellt v ein Volumen in Litern dar, so bedeutet Av einen Zuwachs dieses Volumens, gemessen in Litern. E s ist also t + At die neue Zeit, p + Ap das neue Gewicht und v + Av das neue Volumen. D a s Z e i c h e n A, v o r e i n e V e r ä n d e r l i c h e g e s e t z t , s o l l a l s o z u s a m m e n mit d i e s e r V e r ä n d e r l i c h e n einen b e l i e b i g e n Zuwachs der V e r ä n d e r l i c h e n a u s d r ü c k e n , und zwar darf der Zuwachs auch negativ sein, so daß er dann eine Abnahme bedeutet. Man hat sich davor zu hüten, in Ax das A als einen Koeffizienten von x, als einen F a k t o r , aufzufassen. Ax ist durchaus k e i n Produkt von zwei Größen, sondern e i n e Größe, der Zuwachs von x. D a s Z e i c h e n A a l l e i n ges c h r i e b e n h a t g a r k e i n e B e d e u t u n g . Eine einfache Bemerkung nebenbei: Ist c eine Konstante, so ist Ac = 0. Wir kehren nach dieser Einschaltung zu dem versprochenen rechnerischen Nachweise zurück, indem wir die lineare Funktion (2)
y = cx + k
betrachten. Denken wir uns, daß der Veränderlichen x irgend ein Zuwachs Ax erteilt wird, so daß x + Ax an die Stelle von x tritt, so wird sich auch y infolge der Vorschrift (2) um einen gewissen Zuwachs Ay ändern, so daß y + Ay der zu x + Ax gehörige Wert der abhängigen Veränderlichen ist. Da nach (2) allgemein die abhängige Veränderliche gleich dem c fachen der unabhängigen Veränderlichen, vermehrt um k, sein soll, muß auch y + Ay gleich dem cfachen von x -f- Ax, vermehrt um k, sein, d. h. es ist: (3)
y + Ay = c (x + Ax) +
k.
Um nun links nur die Zunahme Ay von y zu haben, ziehen wir die Formel (2) von der Formel (3) ab. Dann kommt: Ay=
cAx,
in Worten: Der Zuwachs von y ist stets gleich dem cfachen des Zuwachses von x, womit der gewünschte Nachweis geliefert ist. Dividieren wir die letzte Formel mit Ax, so kommt: Satz 6: B e i e i n e r l i n e a r e n F u n k t i o n y = cx -j- k
§ 1. Lineare
Funktionen.
45
i s t d a s V e r h ä l t n i s a u s e i n e m Z u w a c h s von y u n d d e m z u g e h ö r i g e n Z u w a c h s von x s t e t s g l e i c h d e r K o n s t a n t e c: Ay Ax
Wir können auch sagen: Satz 7: E i n e l i n e a r e
Funktion x = cx + k
wird graphisch durch eine Gerade dargestellt, deren S t e i g u n g c gleich dem Q u o t i e n t e n zusammengehöriger Z u n a h m e n Ay u n d Ax von y u n d x i s t : Ay
Ax Wenn wir auf der Geraden (siehe Fig. 29) irgendwo zwei Punkte markieren und nun den ersten in den zweiten übergehen lassen, wächst sein x um eine Größe Ax, sein y um eine Größe Ay. Das Verhältnis Ay.Ax bleibt aber immer dasselbe, wo und wie wir die Punkte auf der Geraden wählen mögen. Diese besondere Eigenschaft kommt nur den Geraden zu. Sie ist charakteristisch für die „Geradlinigkeit". Rechnerisch ist sie charakteristisch dafür, daß y eine „lineare" Funktion von x Fig. 29. ist. Beim Wort „linear" im Ausdrucke „lineare Funktion von x" mag also der Leser immer an zweierlei denken: Einmal daran, daß in dieser Funktion x nur linear, d. h. in der ersten Potenz auftritt: y = ex + k, und dann daran, daß diese Funktion mit Hilfe des L i n e a l s graphisch dargestellt werden kann. Der Leser wird sich vielleicht darüber wundern, daß wir so lange und so ausführlich von den linearen Funktionen und ihrer graphischen Darstellung durch gerade Linien gesprochen haben. Aber wir glauben, dadurch etwas erreicht zu haben, was ihm nur angenehm sein kann. Wir hoffen nämlich, daß dem Leser das, was wir in unseren Sätzen 1 bis 7 ausgesprochen haben, nunmehr im Gedächtnisse haftet, o h n e daß er die Mühe hat, es etwa, auswendig zu lernen. Das Auswendiglernen ist in der Mathematik durchaus von Übel. Man s o l l s i c h d i e S ä t z e d a d u r c h m e r k e n , d a ß m a n sie n a c h a l l e n R i c h t u n g e n d u r c h d a c h t u n d w i e d e r holt a n g e w a n d t hat.
46
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
§ 2.
Quadratische Funktionen.
Nachdem wir die linearen Funktionen y = ex + k genauer betrachtet haben, gehen wir jetzt zu Funktionen über, die x in höherer als der ersten Potenz enthalten, zunächst zu F u n k t i o n e n z w e i t e n G r a d e s oder q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n e n : (1)
y = ax~ + bx + c,
wo a, b, c Konstanten bedeuten. Wir haben schon in § 3 des ersten Kapitels, im 4. Beispiele eine derartige Funktion graphisch dargestellt, nämlich: y = 0,1 x2 - 0,4 x + 0,2 , siehe Fig. 10 auf S. 23. Während bei den linearen Funktionen y s= cx + k nur zwei Konstanten, c und k, auftraten, kommen bei den quadratischen Funktionen (1) d r e i Konstanten a, b, c vor. J e nachdem man sie wählt, erhält man verschiedenartige quadratische Funktionen. Zunächst betrachten wir d i e e i n f a c h s t e q u a d r a t i s c h e F u n k t i o n , nämlich y = *2.
(2)
Wollen wir sie graphisch darstellen, so handelt es sich um die Auffindung aller Punkte, deren Ordinaten gleich den Quadraten der Abszissen sind. Setzen wir z. B. x = 1, 2, 3, i4 . . . , so kommt y = 1, 4, 9, 1 6 . . . , wodurch sich Punkte der Fig. 30 ergeben, in der wir die x-Einheit gleich der y-Einheit gewählt haben. F ü r x = — 1, —2, — 3 , —4... gehen dieselben Werte von y wie vorher hervor: 1, 4, 9 , 16 . . . F ü r x = 0 ist y = 0. Man sieht schon, daß die Punkte sich mit einer • z» gewissen Regelmäßigkeit aneinanderreihen. Natürlich kann man dazwischen Werte einschalten, z. B. f ü r x = 2,3 kommt y = 5,29. Derselbe Im n :' I Wert von y ergibt sich für x = — 2,3. Über haupt sieht man: Werden für x zwei W e r t e a Fig. 30. und — a gesetzt, die sich nur durch ihr Vorzeichen unterscheiden, so ergibt sich beide Male für y derselbe Wert, nämlich y = a 2 . Dies hat eine einfache geometrische Bedeutung. Punkte mit e n t g e g e n g e s e t z t g l e i c h e n Abszissen a und — a und
m i
47 mit g l e i c h e r Ordinate liegen nämlich stets so, daß ihre Verbindende auf der y- Achse senkrecht steht und von ihr halbiert wird (siehe Fig. 31). Indem man sich an eine bekannte Eigenschaft "•r des Spiegels erinnert, drückt man dies auch so aus: Einer der beiden Punkte geht durch S p i e g e l u n g a n d e r y - A c h s e aus dem anderen qO ^ hervor. Dies bedeutet also: Fällt man von dem --aa « einen Punkte das Lot auf die ¿/-Achse und verdoppelt man es über den Fußpunkt hinaus, so Fig. 31. kommt man zu dem anderen Punkte. F ü r das Bild der quadratischen Funktion y = x2 ergibt sich mithin die Eigenschaft: J e d e r B i l d p u n k t g e h t d u r c h S p i e g e l u n g a n d e r ? / - A c h s e w i e d e r in e i n e n B i l d p u n k t ü b e r . Das Stück der graphischen Darstellung unserer Funktion y = x2, das rechts von der y-Achse liegt, geht in das linke Stück über, wenn man die rechte Ebenenhälfte um die ¿/-Achse nach links herumklappt wie ein Blatt in einem Buche. Die ¿/-Achse ist mithin eine sogenannte S y m m e t r i e g e r a d e des Bildes der Funktion y = x2. Die Formel (2) lehrt ferner, daß alle Ordinalen y — weil sie Quadrate sind — p o s i t i v e Werte haben, d. h.: Das Bild der Funktion y = .r2 liegt nur im ersten und zweiten Quadranten (siehe S. 29). Wenn wir f ü r viele Werte von .r die zugehörigen Werte von y berechnen, wie z. B. für ar = 0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
usw.
0,25
1
2,25
4
6,25
9
12,25
usw.,
die Werte: y = 0
und alsdann die zugehörigen Bildpunkte markieren, beobachten wir, daß sich diese Punkte in einer regelmäßigen Folge aneinanderreihen. J e mehr Stellen man zwischen zwei Punkten einreiht, um so mehr tritt die Regelmäßigkeit hervor. Wir wollen dies f ü r das Stück von x = 0 bis x = 2 genauer erläutern. Es kommt: X
y
0,1 0,2 0,3 0,4 0,5
0,01 0,04 0,09 0,16 0,25
!
;
X
y
X
y
X
y
0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
0,36 0,49 0,64 0,81 1,00
1,1 1,2 1,3
1,21 1,44 1,69 1,96 2,25
1,6
2,56 2,89 3,24 3,61 4,00
M 1,5
1,' 1,8 1,9 2,0
48
Zweites Kapitel:
Begriff des
Differentialquoiienten.
Die zugehörigen Bildpunkte können wir in Fig. 30 lich einzeichnen. Wir tun daher das, was dem bei Naturbeobachtungen entspricht: Wir vergrößern in Fig. 30 schraffierte Rechteck ist in Fig. 32 in
unmöglich deutMikroskopieren die Figur. Das zehnfacher Ver-
größerung dargestellt. Hier können wir die durch unsere Tabelle gegebenen Punkte alle deutlich einzeichnen. Wollen wir in der Nähe des Punktes P l oder (1;1) noch mehr Punkte einschalten, etwa von x = 0,9 an bis x = 1,1, so werden wir das in Fig. 32 schraffierte Eechteck abermals in zehnfacher Größe zeichnen, siehe Fig. 33, und alsdann die durch die folgende Tafel gegebenen Punkte markieren:
49 X
0,90 0,91 0,92 0,93 0,94 0,95
' 1 | 0,8100 0,8281 | 0,8464 0,8649 1 0,8836 | 0,9025
a
y
0,96 0,97 0,98 0,99 1,00
0,9216 0,9409 0,9604 0,9801 1,0000
i
*
!
1,01 1,02 1,03
! 1
i>04 1,05
y
X
y
1,0201 1,0404 1,0609 1,0816 1,1025
1,06 1,07 1,08 1,09 1,10
1,1236 1,1449 1,1664 1,1881 1,2100
Wie man sieht, liegen hier die Bildpunkte beinahe in gerader Linie; wir haben zur Vergleichung eine gerade Linie durch in Fig. 33 eingezeichnet. Will man die Umgebung von P1 noch genauer ins Auge fassen, so berechnet man die Ordinaten y für Werte von x zwischen 0,99 und 1,01 und zeichnet wieder ein kleines Stück der Fig. 33 in zehnfacher Vergrößerung. Man wird finden, daß alsdann die Bildpunkte kaum erkennbar von einer geraden Linie abweichen. Man sieht, daß dies Verfahren ohne Ende fortgesetzt werden kann. Wir gelangen durch dies beständige Vergrößern eines kleinen Teiles der Figur zu dem Erfahrungssatze, daß in der allernächsten Nähe des Punktes Px oder (1; 1) die Bildpunkte der quadratischen Funktion y — x% außerordentlich wenig von einer geraden Linie abweichen. Dasselbe Experiment können wir an einer anderen Stelle machen, z. B. in allernächster Nähe des Punktes P2 oder (2; 4) der Fig. 30. Wir würden auch hier eine außerordentlich starke Annäherung der Bildpunkte an eine gerade Linie feststellen können, und so überall. Aber solche einzelne Experimente genügen nicht. Denn Gewißheit über die aufgestellte Behauptung könnten wir uns auf diesem Wege nur dadurch verschaffen, daß wir die Experimente für alle Werte von x wirklich ausführten, was unmöglich ist, weil es unendlich viele Werte von x gibt. Die Macht des mathematischen Beweises, zu dem wir jetzt übergehen, liegt darin, daß er uns die sonst unerfüllbare Aufgabe, unendlich viele Einzelergebnisse festzustellen, lösbar macht, indem er eine Unzahl von einzelnen Schlußfolgerungen in eine einzige zusammenfaßt. Wir schließen nämlich so: Angenommen, es sei irgendein bestimmter Wert x der unabhängigen Veränderlichen ins Auge gefaßt. Zu ihm gehört nach (2) ein bestimmter Wert der abhängigen Veränderlichen y, nämlich y = x3. Jetzt lassen wir den Wert x um irgendeinen Betrag zunehmen. Dieser Betrag darf übrigens auch negativ sein, denn eine Abnahme bezeichnen wir ja immer als eine SCHEFFERS, Mathematik. 3. Aufl.
4
50
Zweites Kapitel-. Begriff des Differentialquotienten.
negative Zunahme. Da die abhängige Veränderliche stets gleich dem Quadrate der unabhängigen sein soll, wird sich y mit x ändern. Ebenso wie y = y + Zunahme von y = (x + Zunahme von x)2. Wenn wir nun die Zunahme, die dem x erteilt wird, wie auf S. 43, 44 mit Ax und die zugehörige Zunahme von y mit Ay bezeichnen, kommt also: (3)
y + Ay = (x +
Axf.
Um die Zunahme Ay selbst auszudrücken, subtrahieren wir hiervon den Wert (2) und erhalten: Ay = (x + Axf — x2, oder, wenn das Quadrat von x + Ax ausgerechnet wird: Ay = x2 + 2x. Ax + Ax2 — x2. Hier soll Ax2 das Quadrat der Zunahme Ax von x bedeuten.1 Die beiden Glieder x* heben einander fort, und es bleibt: Ay = 2x. Ax + Ax2. D i e s e F o r m e l f ü r die Z u n a h m e Ay d e r a b h ä n g i g e n V e r ä n d e r l i c h e n g i l t bei d e r in R e d e s t e h e n d e n F u n k t i o n y = x2 ganz a l l g e m e i n , d. h. für jeden beliebig gewählten ursprünglichen Wert von x und für jeden beliebig gewählten Zuwachs Ax von x. Dies möge man an einigen Zahlenbeispielen bestätigen. Wir geben nur eines an: Wird x = 2 und Ax = 1 gewählt, so liefert (4) den Wert Ay = 5. Geht man also von demjenigen Bildpunkte der Funktion y = x2 aus, dessen Abszisse x = 2 ist (der also die Ordinate y — 4 hat, nämlich der Punkt P 2 in Fig. 30, S. 46, ist), und läßt man seine Abszisse um Ax = 1 sowie seine Ordinate um Ay = 5 wachsen, so gelangt man wieder zu einem Bildpunkte der Funktion, nämlich zu dem mit den Koordinaten 3 und 9 (der ebenfalls in Fig. 30 angegeben ist). Man darf die Formel (4) auch für n e g a t i v e Zunahmen Ax von x anwenden. So prüfe man z. B., was die Annahmen x — 2, Ax = — 3 ergeben, und verfolge dies in Fig. 30. (4)
1 Dagegen würde J(x*) etwas ganz anderes bedeuten, nämlich die Zunahme von xfalls x um Ax wächst, d.h. gerade die oben mit Ay bezeichnete Größe.
51
Obgleich die Z u w a c h s f o r m e l (4) für alle Werte von Ax gilt, wollen wir sie in der Folge doch nur für solche Zunahmen Ax benutzen, die geringfügig sind. Schreiben wir die Formel in der Gestalt: (5)
Ay = (2a- + Ax).
Ax,
so sehen wir: Je geringfügiger die Zunahme Ax ist, d. h. je weniger A x von Null abweicht, um so weniger weicht 2 x + A x von 2 x ab, um so weniger also Ay von 2 x. Ax. Da aber 2 x. A x den Faktor Ax hat, wird auch dieser Wert um so weniger von Null abweichen, je weniger Ax selbst von Null verschieden ist. Wir haben es demnach immer in unserer Hand, d u r c h h i n r e i c h e n d e B e s c h r ä n k u n g d e r G r ö ß e der Z u n a h m e Ax von x zu e r r e i c h e n , daß die z u g e h ö r i g e Z u n a h m e Ay, die y erf ä h r t , von Null um weniger a b w e i c h t , als i r g e n d eine noch so k l e i n g e w ä h l t e Größe. Wie man dies in jedem Falle zahlenmäßig erreicht, wird am besten an irgend einem Beispiele erläutert. Es sei etwa x = 15 gewählt, und es werde verlangt, daß Ay um weniger als 0,01 von Null abweiche, also zwischen + 0,01 und — 0,01 liege. Nach (4) oder (5) ist hier A y = 30 A x + A x2. Wenn man nun nach und nach für Ax die Werte 0,1, 0,01, 0,001, 0,0001 usw. setzt, findet man für Ay die Werte 3,01,
0,3001,
0,030001,
0,00300001 usw.
Hieraus erkennt man leicht: Wird Ax zwischen - 0,0001
und
+ 0,0001
angenommen, so liegt Ay gewiß zwischen - 0,01
und
+ 0,01,
wie verlangt wurde. — Dies hat eine geometrische Bedeutung: Wenn wir die Bildpunkte der quadratischen Funktion y = x2 in das Koordinatenkreuz einzeichnen, können wir hiernach immer neben jedem Bildpunkte einen zweiten Bildpunkt finden, dessen Abszisse und Ordinate so wenig von denen jenes Punktes abweichen, wie wir nur wollen, der also so nahe bei jenem ersten Bildpunkte liegt, wie wir nur immer wünschen. Daraus folgt: Wenn wir immer mehr und mehr neue Bildpunkte konstruieren, indem wir x immer enger und enger aufeinanderfolgende Werte geben, so werden die Bildpunkte eine immer enger werdende Kette ausmachen. 4*
52
Zweites Kapitel:
Begriff des Differentialquotienien.
Aber noch mehr: Aus (5) geht durch Division mit A x hervor: (6)
-4L_2x+J*.
Von jedem Wertepaare (x;y) aus, wo y = x2 ist, ist also das Verhältnis aus dem Zuwachs von y und dem Zuwachs von x gleich dem doppelten des gewählten Wertes x, vermehrt um den angenommenen Zuwachs von x. Dieser Bruch (6) ist nun nach S. 45 nichts anderes als die S t e i g u n g -t d e r j e n i g e n G e r a d e n , die den B i l d p u n k t (x\y) m i t dem B i l d p u n k t e (x-j-Ax, y + Ay) L v e r b i n d e t (siehe Fig. 34). Lassen wir aber den 1 zweiten Punkt immer näher an den ersten M y rücken, d. h. wählen wir den Zuwachs Ax / von x immer geringer, so daß der zugehörige Zuwachs Ay von y, wie beschrieben, ebenfalls A x J immer geringer wird, so wird in der Formel (6) der zweite Summand auf der rechten Seite immer / A weniger von Null abweichen. D i e r e c h t e S e i t e P -4 X n ä h e r t sich also m e h r und mehr d e m W e r t e 2 x, so daß der Bruch Ay.Ax so wenig F i g . 34. von 2 x abweicht, wie wir nur wollen. Soll er z. B. weniger als ein Milliontel von 2 x abweichen, so haben wir nur Ax kleiner als ein Milliontel anzunehmen.
/ /
Also folgt: Diejenigen Bildpunkte der quadratischen Funktion, die einem bestimmt gewählten Bildpunkte P benachbart sind, liegen zugleich nahe bei derjenigen Geraden durch P, deren Steigung gleich 2x ist, wobei x die Abszisse von P bedeutet; und zwar liegen sie um so näher bei dieser Geraden, je näher jene Bildpunkte beim gewählten Bildpunkte P gelegen sind. Je enger wir also die Kette der Bildpunkte zeichnen, d. h. je enger wir die aufeinanderfolgenden Werte von x wählen, um so mehr nähert sich das Stück der Kette, das dicht bei einer Bildstelle liegt, einer bestimmten Geraden durch diese Stelle. Die Reihe aller denkbaren Bildpunkte der quadratischen Funktion y = x2 hat also zwei Eigenschaften: Erstens kann sie überall so dicht gemacht werden, wie man will. Zweitens weichen diejenigen Bildpunkte, die dicht bei einem bestimmten Bildpunkte (x; y) liegen, von deijenigen Geraden durch diesen einen Punkt, deren Steigung 2 x ist, so wenig ab, wie man will, wenn man eben nur die Kette hinreichend eng macht.
53 Anschaulicher ausgesprochen: Die Kette aller Bildpunkte der quadratischen Funktion nähert sich in jedem kleinen Stückchen, sobald man es nur hinreichend vergrößert zeichnet, um so mehr einer Geraden, je kleiner das b e t r a c h t e t e Stückchen ist. Denken wir uns also, die Kette aller Bildpunkte liege gezeichnet vor, und nehmen wir an, wir betrachten eine Stelle der Kette mit einem außerordentlich scharfen Mikroskope, so wird das Stück, das man im Mikroskope sieht, nahezu geradlinig erscheinen, und zwar um so mehr, je schärfer das Mikroskop ist. Mathematisch drückt man dies so aus: Die G e s a m t h e i t aller Bildpunkte ( x d e r q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n y = x2 erfüllt eine stetige krumme Linie oder Kurve. An einer Stelle, deren Abszisse gleich x ist, schmiegt sich die Linie an diejenige Gerade an, die durch die Stelle geht und die Steigung 2x hat. Man sagt: Die Kurve berührt dort die bezeichnete Gerade, oder auch: Die Kurve hat dort die bezeichnete Gerade zur Tangente. Für x = 1 z. B. ist die Steigung dieser Tangente gleich 2. Erinnern wir uns daran, daß Fig. 33 (S. 48) ein hundertfach vergrößertes Stück der Fig. 30 (S. 46) in der Umgebung der j Stelle Pj mit der Abszisse x — 1 ist, so sehen y. wir, daß die in Fig. 33 gezeichnete schräge \ Gerade die Tangente der Kurve an der Stelle P1 ist. In Fig. 35 ist Fig. 30 noch einmal Ai /> wiederholt, aber mit der eingezeichneten Tangente der Stelle P1, und indem wir die l\ / •v Punktreihe durch eine stetige Kurve ersetzt / 5 \ \ / haben. Das Einzeichnen der Tangente ge/ schieht ja sehr einfach: Ihre Steigung soll 2 V\ / sein; da wir die Einheiten beider Achsen 4 t r>s/ r/ hier gleich groß gewählt haben, tragen wir also von Pl aus irgendeine Strecke (in Fig. 35 Fig. 35. ist die Strecke 3 gewählt worden) wagerecht an und errichten im Endpunkt eine doppelt so lange Strecke. Ihr Endpunkt ist ein Punkt der Tangente. — Wir können auch an jeder anderen Stelle der Kurve die Tangente konstruieren, wir werden sogar, ehe wir die Kurve zeichnen, zunächst nur für einzelne Punkte von ihr die Tangenten konstruieren. So haben wir in Fig. 36 die Punkte gewählt: >
//
54
Zweites x — —4 y = 16
Kapitel:
-3 9
Begriff
-2 ! - 1 1 4 !
des
Differentialquotienim.
0 0
1 1
2 4
3 9
bei denen die Steigung 2x der Tangente die Werte hat: _8 | -6 | -4 I -2 |
0
: 2
j 4
j
6
|
8.
Im Punkte (2; 4) z. B. ist die Steigung der Tangente gleich 4. Wir gehen daher vom Punkte (2; 4) um etwa zwei Einheiten nach rechts und vom Ende um das Vierfache, d. h. um acht Einheiten, nach oben, um einen Punkt der Tangente dieser Stelle zu erhalten. Indem wir ihn geradlinig mit dem Punkte (2; 4) verbinden, bekommen wir die Tangente des Punktes (2; 4). An der Stelle (0;0), dem Anfangspunkte 0 , ist die Steigung gleich Null, d. h. die x-Achse
Fig. 36.
Fig. 37.
selbst die Tangente. Man sieht, daß die neun in Fig. 36 gezeichneten Tangenten schon recht deutlich den Verlauf der Kurve angeben. Sie steigt sehr steil an. Wir können aber dieselbe quadratische Funktion y = x2 durch eine viel weniger steile Kurve veranschaulichen, indem wir die y-Einheit bedeutend kleiner als die ^-Einheit annehmen. In Fig. 37 haben wir sie nur ein Zehntel so groß gewählt. Hier können wir deshalb auch noch die Punkte: x = ±4
y = 16 zeichnen.
± 5 25
± 6 36
± 7 49
± 8 64
± 9 81
Die zugehörigen Steigungen sind: ±8 I ±10'| ±12 ] +14 I ±16 I ±18 I ±20.
55 Die Pluszeichen bezieben sieb auf die Stellen rechts, die Minuszeichen auf die Stellen links. An der Stelle (—5; 25) z. B. ist die Steigung gleich — 10. Gehen wir also von der Stelle (— 5 ; 25) etwa um 6 ^-Einheiten nach rechts und alsdann um — 10*6, d. h. um — 60 y-Einheiten nach oben, anders gesagt: um 60 y-Einheiten nach unten, so gelangen wir zu einem Punkte der Tangente der Stelle. Wir legen großes Gewicht darauf, daß der Leser das Beispiel y — x2 in allen Einzelheiten vollkommen verstehe. Wer so weit ist, wird mit Leichtigkeit ähnliche Schlußfolgerungen bei a n d e r e n q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n e n ziehen. Wir dürfen uns daher bei ihnen kurz fassen. Es liege z. B. die quadratische Funktion vor: (7) y = t V ^ - x + 5. Wächst x um Ax, so möge y um Ay zunehmen, d. h. zu dem Werte x + Ax der unabhängigen Veränderlichen soll der Wert y + Ay der abhängigen Veränderlichen gehören. Es soll also zwischen y+Ay und x + Ax dieselbe Beziehung bestehen, die vermöge (7) zwischen y und x besteht; daher soll sein: y+
Ay =
+ Ax)2 - (x + Ax) + 5
oder ausgerechnet: y + Ay = J j x2 + I x A x -)- J , A x2 — x — A x +
5.
Ziehen wir hiervon die Gleichung (7) ab, so bleibt als Wert von Ay: Ay = l x A x -f- y1^ Ax2 — Ax
*
oder, da rechts überall der Faktor Ax herausgehoben werden kann: (8)
Ay = ( i x - l +
.^Ax)Ax.
Je weniger Ax von Null abweicht, um so mehr nähert sich der Inhalt der rechts stehenden Klammer dem Werte - 1. Da sie mit A x multipliziert ist, wird auch Ay sehr gering, sobald Ax sehr gering ist. Dies gilt, wie auch x angenommen sein mag. Die Bildpunkte der quadratischen Funktion (7) liegen daher ununterscheidbar dicht nebeneinander. Aus (8) folgt weiter:
Der Quotient Ay: Ax ist die Steigung der Geraden vom Bildpunkte {x\y) zum Bildpunkte (x + Ax; y -f Ay). Je geringer Ax angenommen wird, d. h. je näher der zweite Bildpunkt beim ersten liegt, um so weniger weicht der Wert des Quotienten von i x — 1
56
Zweites Kapitel:
Begriff des Differentialquotienten.
ab. Hieraus schließen wir wie oben: Die Bildpunkte der quadratischen Funktion (7) liegen so, daß die dicht beim Bildpunkte (x; y) vorhandenen Bildpunkte nahezu auf derjenigen Geraden durch den Punkt (x \y) gelegen sind, deren Steigung gleich ] x — 1 ist. Je näher die benachbarten Bildpunkte gewählt werden, um so enger rücken sie an diese Gerade heran. Die anderen kleinste geraden weniger,
Bildpunkte der quadratischen Funktion (7) bilden mit Worten eine s t e t i g e k r u m m e L i n i e , von der jedes Stück, bei gehöriger Vergrößerung betrachtet, von einer Linie außerordentlich wenig abweicht und zwar um so j e kleiner das Stück und je stärker die Vergrößerung ist. -1
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¿ = — 1, e— 5 angenommen wird. Doch wollen wir die B e t r a c h t u n g j e t z t f ü r j e d e b e l i e b i g e q u a d r a t i s c h e F u n k t i o n anstellen,' wir b e h a l t e n a l s o die a l l g e m e i n e n Z e i c h e n a, b, c f ü r b e s t i m m t g e d a c h t e Z a h l e n bei. Wächst x um Ax, so wachse y um Ay. Statt x steht dann x + Ax, statt y steht y + Ay, statt (10) also: y + Ay = a(x + Ax)2 -f b(x + Ax) + c
oder ausgerechnet: y + Ay = ax2 + 2 axAx-\-aAx2-{-bx
+
bAx-\-c.
Ziehen wir (10) hiervon ab, so kommt: Ay = 2 ax Ax + aAx2-\-
b Ax
oder, da sich rechts der Faktor Ax herausheben läßt: (11)
Ay = (2a x + b + a Ax)
Je mehr sich Ax der Null nähert, der Klammer stehende Ausdruck zweite Faktor Ax ist, nähert sich mehr. Ferner folgt aus (11) durch (12)
Ax.
um so mehr nähert sich der in dem Werte 2 a i + 5. Da der dann auch Ay der Null immer Division mit Ax:
-^-J'= 2ax + b +
aAx.
Dies zeigt: Nähert sich Ax immer mehr der Null, so gilt dasselbe zwar auch von Ay, aber das Verhältnis Ay.Ax nähert sich dabei mehr und mehr dem Werte 2 a x + b. Wir schließen demnach: Die Bildpunkte j e d e r quadratischen Funktion (10) bilden eine s t e t i g e k r u m m e L i n i e , die im Punkte mit der Abszisse x von derjenigen Geraden durch diesen Punkt, deren Steigung gleich 2 a x + b ist, b e r ü h r t wird. Dies Ergebnis, bei dem wir vorläufig stehen bleiben, könnten wir als einen Lehrsatz formulieren, damit der Leser es sich merke. Aber es ist glücklicherweise nur vorläufig, für die Betrachtungen dieses gegenwärtigen Paragraphen, nötig, daß man dies Ergebnis im Kopfe habe. Im vierten Paragraphen werden wir erkennen, daß dies Ergebnis nur ein besonderer Fall einiger einfacher und leicht zu merkender allgemeinerer Sätze ist; und wir dürfen schon jetzt versprechen, daß der Leser später dies Ergebnis als etwas ganz Selbstverständliches aufzufassen lernen wird. Es ist also nicht erforderlich, das Gedächtnis unnötig zu belasten.
58
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
1. B e i s p i e l : Die quadratische Funktion y = - 2x 2 + 5a; - 8 soll graphisch dargestellt werden. Ö-i l •i r 9 /
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Das Rechenschema ist hier dies:
y + Ay = - 2 (x + Axf + 5 (x.+ Ax) - 8 = — 2a;2 — ix Ax — 2Ax' + 5x + öAx — Ay = — ix Ax — 2 Ax* + bAx = ( - 4x -t- 5 - 2 A x ) A x , Ay Ax
— i x + 5 — 2Ax.
Die Tangente der Bildkurve an der Stelle mit der Abszisse x hat die Steigung — 4 x 4- 5. Siehe Fig. 40, worin wir die ^-Einheit, verglichen mit der x-Einheit, so klein -i r gewählt haben, daß die krumme Linie nicht gar zu steil i\ ausfällt. 1 2. B e i s p i e l : Der Querschnitt eines 1 m langen und 4zuerst bis an den Rand mit Wasser gefüllten Troges hat Fig. 40. die Form eines gleichschenkligen Trapezes AB C D (siehe Fig. 41) von 40 cm Höhe, 20 cm unterer und 60 cm oberer Breite. Durch eine Öffnung unten fließt das Wasser aus und zwar in jeder Sekunde gerade ein Liter. Ist der Wasserspiegel nur noch x cm hoch, so ist eine gewisse Zeit verflossen. Sie soll als Funktion y von x bestimmt werden. y sei also die Zahl der Sekunden, in denen der Wasserspiegel von 40 cm bis auf x cm gefallen ist. Da in jeder Sekunde gerade ein Liter abfließt, ist y zugleich die Zahl der bisher ausgeflossenen Liter, d. h. gleich dem in Litern gemessenen Volumen eines Prismas, dessen Länge 1 m und dessen Querschnitt daB Trapez AB UV in Fig. 41 ist. Der Prismainhalt ist gleich dem Produkte aus Länge und Querschnittfläche. Das Trapez AB U V ist (40 — x) cm hoch, seine obere Kante ist 60 cm lang. Die Länge l seiner unteren Kante in Zentimetern ist leicht aus der Proportion
/// /
/
UW:
WC =
AE-.EC
zu finden, da sie gibt: \ l - 10 _ 20 x ~ 40 '
also:
}t - 10 = ja
oder
l = 20 + x.
Die Mittellinie m des Trapezes ist gleich dem Mittel von 60 und l, also m = 30 +
= 30 + 10 +
= 40 + £ x .
Die Fläche des Trapezes AB U V ist gleich dem Produkte aus Höhe und Mittellinie, also gleich (40 - x) (40 + £ x) qcm , daher der Raum des leeren Prismas gleich 100(40 - x)(40 + Ja;)ccm.
59 Ein Liter aber enthält 1000 cem.
Somit sind
iV(40 - a;)(40 + i x ) Liter abgeflossen, so daß die dazu nötige Sekundenzahl ebenfalls y = yg (40 - x) (40 + }sx) ist. Dies gibt ausmultipliziert und Kt, a r ; r r nach Potenzen von x geordnet: : L V = - TV®3 - 2 X + 160I - N's 1 | Die Zeit y ist also eine quadra\ s. ho tische Punktion der Höhe x des
1
j - -j-pk Wasserspiegels. Da die größte Höhe des Wasserspiegels 40 cm - r - rbeträgt, kommen nur die Werte \ fro s k . : i N von x zwischen 0 und 40 in Be\ T " T t tracht. Für x = 40 ist y = 0, \ T1 wie es sein muß. Für x — 0 ist \ ... v y = 160, d. h. der Trog ist in s 160 Sekunden geleert. Da x von \ "1 0 bis 40 und dabei y von 160 bis 0 geht, wird man in der i l P \iÖ CJ3 8»C4 n io Ci !se et ZI i Fig. 42 den «/-Maßstab etwa | so b groß wie den «-Maßstab wählen. Fig. 42. Es ergibt sich eine Kurve. Die Tangente an der Stelle mit der Abszisse x hat die Steigung — T\x — 2 (warum?), also für x = 0 die Steigung — 2 und für x = 40 die Steigung — 6.
-
3. B e i s p i e l : Drei Straßen kreuzen einander so, daß zwischen ihnen ein dreieckiges Grundstück AB C (siehe Fig. 43) verbleibt. Der Punkt C liege 25 m hinter der Seite AB. Die Dreieckshöhe von C treffe AB in D so, daß AD
20
SO
Fig. 43.
Fig. 44.
Fig. 45.
20 m und DB 30 m lang ist. Auf dem Grundstücke soll ein Gebäude von rechteckigem Grundrisse mit der Front längs AB errichtet werden. Will man das Grundstück möglichst ausnutzen, so wird man die Tiefe UP des Rechtecks so wählen, das zwei seiner Ecken (U und V) auf AC und BC liegen, also etwa wie in Fig. 43 oder Fig. 44 oder Fig. 45. Je nach der gewählten Tiefe wird das Rechteck verschieden groß ausfallen. Um uns einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten zu verschaffen, wollen wir die Fläche des Rechtecks für eine beliebige Tiefe UP berechnen. Die unabhängige Veränderliche ist hier die Länge x von UP in Metern, die
60
Zweites Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
abhängige der Inhalt y der Fläche PQUV in Quadratmetern. Dieser Inhalt ist gleich dem Produkte von Frontlänge PQ und Tiefe x des Grundrisses. PQ ist leicht zu berechnen, da wir AP und QB sofort berechnen können; es ist j a : AP AD , QB DB QB_ PU DC QV~ DC oder: AP 20 QB 30 und x 25 x 25 also: AP = \x und QB = \x, demnach: PQ = AB-AP-QB = 50-2®. Also kommt: y = PQ .x = {50 - 2x)x. oder: y = - 2x* + 50x. Die Grundfläche des Gebäudes von y qm ist also eine quadratische Funktion der Tiefe von x m. Die unabhängige Veränderliche x interessiert uns nur zwischen den Grenzen x = 0 und x = 25. Für x — 0 und für x = 25 ergibt sich y = 0, was auch geometrisch erhellt, da in diesen Fällen das Rechteck \
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6i./J,3
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Fig. 46. eine Seite von der Länge Null hat. Die quadratische Funktion wird wieder durch eine Kurve dargestellt. An der Stelle mit der Abszisse x hat die Tangente der Kurve die Steigung — ix + 50, was man nach den früheren Auseinandersetzungen berechnen möge. Für x = 0 ist die Steigung gleich 50, für x - 25 ist sie gleich - 50. Siehe Fig. 46. In Fig. 43, Fig. 44 und Fig. 45 ist x — 10 bzw. = 6 bzw. = 18 gewählt, also y = 300 bzw. = 228 bzw. = 252. Dies gibt die Stellen I , I I , I I I , der Fig. 46. Die beste Ausnutzung des vorhandenen Grundstücks findet statt, wenn die Fläche y am größten ist. In Fig. 46 erkennt man sofort, daß y da am g r ö ß t e n i s t , wo die T a n g e n t e der K u r v e der » - A c h s e p a r a l l e l i s t , d. h. wo die T a n g e n t e die S t e i g u n g N u l l hat. Da allgemein — ix + 50 die Steigung ist, wird sie für eine Abszisse x gleich Null, wenn -
4x
+ 50 = 0
61 d. h.:
4 x = 50
oder
x = 12J
ist. Aisdaun wird y = 312-i-. Also ist die größtmögliche Grundfläche des projektierten Gebäudes 312-y qm. Sie wird erreicht, wenn die Tiefe des Grundrisses gleich 1 2 | m , also halb so groß wie OD, gewählt wird. Alsdann ist A P = | x = 10 und Q B = f x = 15. Siehe Fig. 47. 4. B e i s p i e l : Das Ufer eines Sees sei die gerade Linie g in Fig. 48. Auf dem See liege eine kreisförmige Insel k mit der Mitte M. Angenommen, jemand erleidet auf dem See Schiffbruch und will möglichst schnell festen Boden erreichen. Alsdann wird er ans Ufer oder zur Insel schwimmen, je nachdem ihm das Ufer oder die Insel näher ist. In Zweifel kann er nur da
Fig. 47.
Fig. 48.
sein, wo beide Entfernungen gleich sind. Wir suchen daher den Ort aller Punkte P , die vom Ufer g und von der Insel k dieselbe Entfernung haben, siehe Fig. 48. Für diese Punkte ist P Q, das Lot auf g, gleich PB, der Strecke auf P M bis zum Kreise, k. Wenn wir zur Linie g die Parallele m landeinwärts im Abstände gleich dem Kreisradius ziehen und P Q bis zu ihr, bis L, verlängern, soll also PM = PL sein. Wir suchen mithin den O r t a l l e r P n n k t e P, die v o n dem P u n k t e M d i e s e l b e E n t f e r n u n g ' wie v o n d e r G e r a d e n m h a b e n . Zu diesem Zwecke zeichnen wir in die Figur ein Achsenkreuz und zwar möglichst bequem: Als x-Achse wählen wir die Gerade m , als ¡/-Achse das Lot hierzu durch M, so daß der Anfangspunkt 0 der Fußpunkt des Lotes auf m ist. Auf beiden Achsen wählen wir als Längeneinheit das Meter. Die Entfernung 0 M betrage etwa a m. Hat nun der Punkt P die Koordinaten x und y, ist also 0 L = x m und L P = y m, so wird P M die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, dessen eine .Kathete gleich x m und andere Kathete gleich (a — y) m ist. Also kommt nach dem Satze des
PYTHAGOBAS:
P M* = x1 + (a - y)».
Liegt P weiter von m entfernt als M, etwa an der Stelle P ' , so ist die zweite Kathete allerdings nicht (a — y) m, sondern (y — a) m lang. Aber das macht in der Formel für P M2 nichts aus, weil (a — y)% = (y — af ist. Ferner ist das Quadrat von P L gleich y1. Da P M = P L sein soll, fordern wir mithin oder:
a;* + («-
y? = y1
x1 + a* - 2 ay = 0 ,
62
Zweites Kapitel:
Begriff des
d. h.: 2
oder:
Differentialquotienten.
ay = x* + a* 1
2
a
Die Ordinate y ist daher eine quadratische Funktion der Abszisse x, der gesuchte Ort also wieder eine derjenigen Kuryen, die wir in diesem Paragraphen besprochen haben. Sie geht offenbar durch die Mitte 5 von 0 M, da dieser Punkt S von M und m gleiche Abstände hat. In der Tat ist für diesen Punkt x = 0 und y — \ a, was auch aus der soeben aufgestellten Formel folgt. Die Steigung der Tangente der Kurve ist nach dem Früheren zu berechnen. Es ergibt sich der Wert x : a für diejenige Stelle P, deren Abszisse gleich x ist. Wenn wir also von P nach rechts die Strecke a antragen und im Endpunkt nach oben die Abszisse x,1 so ergibt sich ein Punkt T der Tangente von P. Man erkennt, daß das soeben konstruierte rechtwinklige Dreieck mit der Hypotenuse PT dem rechtwinkligen Dreiecke LO M kongruent ist, aber um 90° gegen dieses gedreht. Daher ist PTj_ ML. Weil außerdem PM= PL ist, stellt PML ein gleichschenkliges Dreieck mit der Spitze P dar, dessen Höhe die Tangente von P ist. Also folgt: D i e T a n g e n t e in P h a l b i e r t den W i n k e l , den die beiden einander gleichen Strecken P M und PL m i t e i n a n d e r b i l d e n . 5. B e i s p i e l : Längs einer schon vorhandenen gerade verlaufenden Mauer (siehe Fig. 49) soll ein rechteckiger Platz U VP Q umzäunt werden. Dazu
u
U J
u
ö Q
Fig. 49.
Fig. 50.
Fig. 51.
stehen 20 m Zaunlänge zur Verfügung. Man kann dem Rechteck verschiedene Gestalten geben (siehe z. B. Fig. 50, 51), doch stets muß die Summe der Längen der zur Mauer senkrechten Wände und der zur Mauer parallelen Wand gleich 20 m sein. Wählen wir z. B. P U = 3 m, so ist auch Q V = 3 m, so daß für P Q noch 20 - 6 = 14 m bleiben (siehe Fig. 49). In Fig. 50 ist P U = 4, also PQ = 2 0 - 2 . 4 = 12, in Fig. 51 ist P U = 7, also PQ = 20 - 2 - 7 = 6 gewählt. Der Inhalt der abgegrenzten Fläche fällt in den verschiedenen Fällen verschieden aus. Um einen Uberblick über alle Möglichkeiten zu erhalten, stellen wir den Zusammenhang zwischen dem Flächeninhalte und der gewählten Zerlegung von 20 m graphisch dar. Zwei Fragen hat man zunächst zu beantworten. Zuerst: W e l c h e G r ö ß e ist die u n a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e ? Wollen wir eine der Figuren 49 bis 51 herstellen, so gehen wir von irgend einer Zerlegung der 20 m in zwei gleiche Teile (P U und Q V) und einen dritten Teil (P Q) aus. Also ist die unabhängige Veränderliche x etwa die Länge von PU(= Q V). Dann hat PQ die Länge 20 - 2 x. Zweitens: W e l c h e 1
Man bedenke, daß ja liier die Einheiten auf beiden Achsen gleich groß gewählt sind.
63 G r ö ß e i s t d i e a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e ? In den verschiedenen Figuren fällt die Fläche verschieden groß aus; sie ist also eine abhängige Veränderliche y. Wird sie in Quadratmetern gemessen, so kommt y = x(20 - 2x) = - 2xi 4- 2 0 z , also eine quadratische Funktion von x. Fig. 52 gibt ihre graphische Darstellung. Wie groß ist hier die Steigung der Tangente des Punktes mit der Abszisse x? Innerhalb welcher AT Grenzen darf sich x bewegen? S^tpa^Für welche Abszisse x ist die Ordinate am größten? Wie zerlegt man also die 20 m Zaunlänge am günstigsten? 6. B e i s p i e l : Es soll ein unterirdischer Kanal gebaut werX den, dessen Querschnitt die Form i»im 2 3 t S 7 S 9 16 eines Rechtecks mit aufgesetztem O Halbkreise hat (siehe Fig. 53). Die Fig. 52. Kosten der Ummauerung richten sich nach dem Umfange des Querschnittes. Ist ein bestimmter Kostenbetrag ausgeworfen, so heißt dies daher, daß der Umfang des Querschnittes vorgeschrieben ist. Er betrage 11 m. Will man nun einen Querschnitt von diesem Umfange zeichnen, su kann man zunächst den Radius des Halbkreises beliebig wählen (natürlich innerhalb vernünftiger Grenzen). Er betrage also x m. Wie lang ist der Halbkreis UV? Wie lang die Sohlenbreite P Q? Wie viele Meter 'SSr—TT-
1 1
!
•
s
• /
Fig. 53.
s
/
s
40
LS.
Fig. 54.
bleiben also für PU und Q V zusammen übrig? Wie lang ist demnach P U? Wie groß ist also die Fläche des Rechtecks P Q U V ? Wie groß ist die Fläche des ganzen Kanalquerschnittes? Sie wird sich als quadratische Funktion von x ergeben. Wir bezeichnen sie mit y (in Quadratmetern). Man konstruiere s e l b s t das in Fig. 54 von uns gegebene Bild der Funktion, x ist mindestens gleich Null. Wie groß darf x höchstens sein? Wie groß ist die Steigung der Bildkurve an der Stelle mit der Abszisse x'> An welcher Stelle ist die Tangente der Kurve zur ¡c-Achse parallel? Welche Bedeutung hat diese Stelle für unsere Aufgabe ?
Kann der Leser alle Fragen der beiden letzten Beispiele beantworten, so hat er damit eine gute Selbstprüfung abgelegt, und wir bitten ihn dringend, sich wirklich dieser Prüfung zu unterziehen.
64
Zweites Kapitel:
Begriff
des
Differeniialquotienten.
Wir fügen hier ein viel einfacheres Beispiel hinzu, bei dem wir entsprechend weniger Hilfe leisten: 7. B e i s p i e l : Es soll ein Rechteck von 7 cm Umfang hergestellt werden. Welche Strecke x kann beliebig gewählt werden? Welche Funktion von x ist die Fläche y des Rechtecks? Wie muß das Rechteck gezeichnet werden, damit es den größten Inhalt habe?
Zur Erholung von den überstandenen Mühen legen wir noch zwei einfache Beispiele zur Untersuchung vor: 8. B e i s p i e l : Der mittlere Ausdehnungskoeffizient a des Quecksilbers, d. h. diejenige Zahl a, mit der man das Volumen des Quecksilbers bei 2° C multiplizieren muß, um den Volumenzuwachs bei der Erwärmung auf (/! + 1)° C. zu erhalten, hat den Wert: « = 0,000181163 + 0,00000001154 t + 0,000 000 000021187 t ist also eine quadratische Funktion von t. Man versuche, sie graphisch darzustellen, indem man t als Abszisse, « als Ordinate benutzt. Woran scheitert dieser Versuch? 9. B e i s p i e l : x Personen treffen einander. Sie reichen sich gegenseitig die Hand zum Gruße. Wie viele Händedrücke ereignen sich? Man stelle ihre Zahl y graphisch dar. Hier tritt ein besonderer Fall ein, indem der Natur der Sache nach die unabhängige Veränderliche x nur eine ganze positive Zahl sein darf. Aber auch für alle anderen Werte von x gibt die Formel für die Zahl y einen Wert, so daß wir trotzdem eine Kurve konstruieren können, wenn auch für das vorliegende Beispiel nur gewisse Stellen der Kurve in Betracht kommen.
Einige der vorhergehenden Beispiele lassen einen Umstand erkennen, der erwähnenswert ist: D i e u n a b h ä n g i g e V e r ä n d e r l i c h e x i s t d u r c h die A r t d e r A u f g a b e häufig i n s o f e r n bes c h r ä n k t , als sie nur innerhalb gewisser I n t e r v a l l e verä n d e r l i c h ist. So ist sie im 2. Beispiele auf die Werte zwischen 0 und 4 0 und im 9. Beispiele auf nur ganzzahlige positive Werte beschränkt. Dennoch ergeben sich für a l l e Werte von x stets zugehörige Werte von y. Die Bildkurve ist nicht auf jene besonderen Werte beschränkt, sondern erstreckt sich bis ins Unendliche.
§ 3. Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale und Differentialquotienten.
Im vorigen Paragraphen haben wir gewisse Betrachtungen angestellt, bei denen wir alle Ursache haben, noch länger zu verweilen. Dort nämlich faßten wir uns etwas kurz, weil wir wünschten, bald einige Anwendungen zu bringen, damit der Leser doch sofort auch den Nutzen der Schlußfolgerungen sehe. Weil aber solche Untersuchungen, wie wir sie namentlich auf S. 51 machten, an sehr
£ 3.
Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale usw.
65
vielen Stellen unseres Buches wiederkehren, ist es zur Vermeidung ermüdender Wiederholungen nützlich, nur noch einmal das, worauf es wesentlich ankommt, ausführlich auseinanderzusetzen und dabei diejenigen Redeweisen zu erklären, die man dafür gebraucht. Diese Kunstausdrücke haben nämlich den Vorteil, uns der Wiederholungen an späteren Stellen zu überheben. Uberall da, wo später die nachher zu erklärenden Schlagworte: G r e n z w e r t oder G r e n z e , U n e n d l i c h k l e i n w e r d e n , D i f f e r e n t i a l e und D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n gebraucht werden, muß man sich an das erinnern, was wir uns jetzt zu erörtern anschicken. H i e r n a c h s i n d die A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n des g e g e n w ä r t i g e n P a r a g r a p h e n von g r u n d l e g e n d e r B e d e u t u n g u n d von d e r g r ö ß t e n W i c h tigkeit für das ganze Buch. Zur Vorbereitung einige Worte über Größen oder Zahlen überhaupt. Eine Zahl kann positiv, gleich Null oder negativ sein. 1 Ist sie negativ, so versteht man unter ihrem a b s o l u t e n B e t r a g e oder unter der a b s o l u t g e n o m m e n e n Z a h l eben dieselbe Zahl, aber mit dem Pluszeichen. Somit hat z. B. — 3 den absoluten Betrag 3. Weil man nicht immer von vornherein von einer vorkommenden Größe wissen kann, ob sie negativ ist, braucht man die Bezeichnung: absoluter Betrag auch bei positiven Zahlen und bei der Null, indem man darunter eben diese Zahlen selbst versteht. Danach hat 3 den absoluten Betrag 3 und die Null den absoluten Betrag 0. D e r a b s o l u t e B e t r a g e i n e r Z a h l i s t a l s o s t e t s p o s i t i v oder — und zwar nur der von Null — gleich Null. Man kennzeichnet ihn durch Einschluß der Zahl zwischen zwei senkrechten Strichen. Danach ist | a | der absolute Betrag von a, also z . B . J — 0,5 | = 0 , 5 , aber auch | 0,5 | = 0,5. Die Summe a-\-b zweier Zahlen a und b kann positiv oder negativ sein. Es leuchtet ein, daß die Summe, falls man von ihrem eventuellen Minuszeichen absieht, gewiß nur größer wird, wenn man einen negativen Summanden durch seinen absoluten Betrag ersetzt. So z. B. hat die Summe — 5 + 2 den Wert — 3, also den absoluten Betrag 3, und dieser wird vergrößert, falls man — 5 in der Summe durch 5 ersetzt, denn dann kommt 7 heraus. Es gilt offenbar der Satz 8: D e r a b s o l u t e B e t r a g e i n e r S u m m e i s t k l e i n e r als die Summe der a b s o l u t e n B e t r ä g e der S u m m a n d e n o d e r h ö c h s t e n s g e r a d e so g r o ß , in F o r m e l : |a + 1
6 +
c +
. . . | g | a |
+
[¿| +
|c | +
...
Von imaginären Zahlen soll hier überhaupt noch gar nicht geredet werden.
SCHBFFSRS. Mathematik.
3. Aufl.
5
66
Zweites Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
Wenn man bedenkt, wie sich das Vorzeichen eines Produktes oder Quotienten aus den Vorzeichen der einzelnen Glieder ergibt, leuchtet ferner sofort ein der Satz 9: D e r a b s o l u t e B e t r a g e i n e s P r o d u k t e s o d e r Q u o t i e n t e n i s t g l e i c h d e m P r o d u k t bzw. Q u o t i e n t e n d e r a b s o l u t e n B e t r ä g e a l l e r G l i e d e r , in F o r m e l : a .b .c ...
M-IM-H M-IPUrl--. So ist z . B . | - 3 . 4 | = | - 12 | = 12 und auch | _ 3 | . | 4 | = 3 . 4 = 12. Die Zahlen stehen in einer Rangordnung, indem jede Zahl größer oder kleiner als eine von ihr verschiedene Zahl ist. So ist 3 kleiner als 4, aber größer als — 4. Es besteht nun ein Unterschied zwischen einer sehr kleinen positiven Zahl und einer sehr kleinen Zahl überhaupt. Zwar ist z. B. 0,000001 eine sehr kleine positive Zahl, aber die negativen Zahlen —10, — 20 usw. sind doch noch kleiner. Soll also eine Zahl nahe bei Null liegen, so ist das nicht dasselbe, als wenn wir sagen: sie soll sehr klein sein. Dies wäre nur dann der Fall, wenn wir uns auf positive Zahlen beschränkten. Dagegen ist es klar, daß eine (positive oder negative) Zahl a nahe bei Null liegt, sobald ihr absoluter Betrag | a | sehr klein ist. Der kleinste Wert, den dieser absolute Betrag überhaupt haben kann, ist j a die Null. Ferner liegt a um so näher bei b, je kleiner der absolute Betrag | a — b | der Differenz ist, und dabei kann a größer oder kleiner als b sein. Nach diesen Vorbemerkungen sprechen wir darüber, daß eine V e r ä n d e r l i c h e u nach einem bestimmten Werte hinstrebt, und beginnen mit einigen einfachen Beispielen: Lassen wir die Veränderliche u die endlose Wertereihe (1) 1,9, 1,99, 1,999, 1,9999 usw. durchlaufen, so nähert sie sich immer mehr der Zahl 2, ohne sie je zu ereichen. Die Annäherung kann man beliebig weit treiben. So weicht u von 2 um weniger als ein Milliontel ab, falls u den sechsten Wert in der Reihe (1) durchlaufen hat, und zwar gilt es von da an für alle folgenden Werte in der Zahlenfolge (1). Dabei nähert sich u beständig w a c h s e n d dem Werte 2. Dagegen nähert sich die Veränderliche u beständig a b n e h m e n d dem Werte 2, falls sie die endlose Wertereihe (2) durchläuft.
2,1,
2,01,
2,001,
2,0001 usw.
Im übrigen gilt hier dasselbe wie vorher.
§ 3.
Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale usw.
67
Wenn u drittens die endlose Zahlenfolge (3)
2 + 1,
2-1,
2+L,
2 -
2 + i . usw.
mit. ab wechselnden Summen und Differenzen durchläuft, nähert sich u ebenfalls (allerdings viel langsamer) immer mehr der Zahl 2, ohne sie je zu erreichen. Hier aber ist u abwechselnd größer oder kleiner als 2, die Werte (3) pendeln also um den Wert 2 herum. Fig. 55, worin die ersten Zahlen der Folge (3) durch die Strecke Ol, 02, 03, 04 usw. veranschaulicht werden, soll dies geometrisch erläutern, f.
_4
£inh.eit
1 W t f f
f
— 4
Fig. 55.
natürlich nur in den ersten der unzählig vielen Schritte. Auch hier kann man die Annäherung so stark machen, wie man nur will, wenn man nur hinreichend viele Schritte in der Reihe (3) zurücklegt. Noch anders verhält es sich, wenn u die endlose Wertereihe (4) 2 + 1 , 2 + i - , 2 - J-, 2 + -i, 2 + l-, 2 - l usw. durchläuft, worin nach je zwei Summen je e i n e Differenz kommt. Denn auch hier nähert sich u zwar immer mehr dem "Werte 2, aber so, daß abwechselnd je zwei Werte größer als 2 sind und dann je ein Wert kleiner als 2 wird. Siehe Fig. 56. f
Einheit
- -
?
fftt
ff*—*
*
Fig. 56.
Man kann derartige endlose Zahlenfolgen auch geometrisch konstruieren: Zur Strecke 0 A0 in Fig. 57 werde ihre Hälfte addiert bis Al} darauf zum Ergebnisse ihr Viertel bis A2, dann ihr Achtel *
—
x
—
r
t
Ä
"
Fig. 57.
bis As, ihr Sechzehntel bis Ai usw. Längeneinheit gewählt wird:
Es sei also, wenn 0 A0 als
04, = i, 0 4 = l + i = f, OA s = i + i = -V-. =
= f + i = + TV = U usw.
Daß sich diese Zahlen der 2 immer mehr nähern, wird deutlich, wenn man sie als Differenzen schreibt, indem man feststellt, wieviel sie von 2 abweichen. Es ist nämlich 0 ^ = 2-1,
0 4 = 2 - i , 0 ^ = 2-1, 0 Ai — 2 - T V usw.
OAs = 5*
2 - i ,
68
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
Die Zahlenfolge läßt sich folglich so darstellen: (5)
2 - 1 ,
2 - | ,
2 - 1 ,
2 - x ,
2-tV 3> 4 ->
£ 3.
Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale usw.
69
so s a g t m a n , d a ß u nacli e i n e r Z a h l a s t r e b e o d e r d a ß u d e n G r e n z w e r t a h a b e , falls die A n n ä h e r u n g d e r Z a h l e n d e r F o l g e an e i n e b e s t i m m t e Z a h l a n a c h h i n r e i c h e n d v i e l e n S c h r i t t e n so s t a r k w i r d , a l s m a n n u r i r g e n d v o r s c h r e i b e n mag. Diese Forderung ist so zu fassen: Bedeutet h irgend eine b e l i e b i g k l e i n gewählte p o s i t i v e Zahl, so soll es stets dazu einen Index n derart geben, daß a l l e Werte der Zahlenfolge von un an, d. h. also alle Werte un, w n+1 , -«n+2 usw. um weniger als h von a abweichen. Zu j e d e r beliebig klein gewählten positiven Zahl h soll es also einen Index a derart geben, daß alle absoluten Beträge USW \Un -a!> K+l-al> \Un+2 ~a\ kleiner als h werden. Statt zu sagen: die Veränderliche u strebt nach a, braucht man auch die Formel:
lim u = a, gelesen: „liines u gleich a", indem man das lateinische Wort „limes" für „Grenze" benutzt. Es handelt sich nun im folgenden immer um Betrachtungen, bei denen eine Veränderliche nach einem Grenzwerte streben soll, und zwar sollen diese Betrachtungen so beschaffen sein, daß sie gelten, auf w e l c h e A r t a u c h i m m e r d a s S t r e b e n n a c h d e m G r e n z w e r t e s t a t t f i n d e t Deshalb lassen wir uns nicht auf eine bestimmte endlose Zahlenfolge unter den unzählig vielen vorhandenen ein, sondern denken uns irgend eine. Das einzig als wesentlich Übrigbleibende ist also dies: Strebt die Veränderliche u nach einem Grenzwertea, so soll diesheißen: N a c h g e n ü g e n d v i e l e n S c h r i t t e n s o l l u von a um w e n i g e r als e i n e b e l i e b i g k l e i n g e w ä h l t e p o s i t i v e Z a h l h a b w e i c h e n , d. h. |u — a |< h sein. Dies also ist die Bedeutung der Formel lim u = a. F ü r die Praxis bedient man sich einer noch kürzeren Redeweise. Man sagt: d i e D i f f e r e n z u — a soll u n e n d l i c h k l e i n w e r d e n . Das „Unendlichkleine" ist hiernach in der Mathematik nur eine zur Vereinfachung des sonst umständlichen Ausdruckes eingeführte Abkürzung und hat nichts mit irgendwelchen Spekulationen der Philosophie zu tun. Wir wollen jetzt annehmen, daß zwei veränderliche Größen u und v nach bestimmten Grenzen a und b streben: lim u — a, lim u = b.
70
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquoiienien.
Dann erhebt sich die Frage, wohin ihre S u m m e u + v, ihre D i f f e r e n z u — v, ihr P r o d u k t uv und ihr Q u o t i e n t u:v streben. Daß zunächst ihre Summe u + v nach der Summe a + b streben wird und ebenso ihre Differenz u — v nach der Differenz a — b, dürfte dem Leser so augenscheinlich sein, daß er sich fast wundern wird, daß wir überhaupt darüber Worte verlieren. Denn es wird einleuchten, daß man u und v so nahe bei a und b annehmen kann, daß u + v oder u — v so wenig, wie man nur immer will, von a + b oder a — b abweicht. Entsprechendes gilt für das Produkt uv und für den Quotienten u:v; sie streben, falls u nach a und v nach b strebt, augenscheinlich nach a b und a: b. Dies wollen wir aber noch geometrisch veranschaulichen : Im F a l l e des P r o d u k t e s verfahren wir so: Wenn wir irgend eine Strecke als Längeneinheit wählen und das über sie errichtete Quadrat demnach als Flächeneinheit benutzen, können wir « und v als veränderliche Strecken darstellen, aus denen wir das R e c h t e c k mit den Seiten u und v bilden, dessen Flächeninhalt alsdann das Produkt uv darstellt, siehe Fig. 58. Nun sollen u und v nach bestimmten Strecken a und b streben. Dies bedeutet, daß das Rechteck uv danach strebt, in das Rechteck mit den Seiten a und b überzugehen. Der Unterschied zwischen uv und ab wird durch den Unterschied der Rechteckflächen dargestellt, Fig. 58. und es leuchtet ein, daß man u so nahe bei a und v so nahe bei b wählen kann, daß dieser Unterschied so geringfügig wird, wie man nur immer will. Mit andern Worten: Wenn lim u = a und lim v = b ist, wird lim wo = lim ab sein. Wir kommen zum Q u o t i e n t e n u: v. Wollen wir auch ihn geometrisch veranschaulichen, so können wir, indem wir wie vorher eine Längeneinheit und das daraufstehende Quadrat als Flächeneinheit einführen, die veränderliche Größe u geometrisch Fig. 59. durch eine Fläche darstellen, nämlich durch die Fläche eines Quadrates mit veränderlicher Seitenlänge, etwa des Quadrates AB CD in Fig. 59. Dagegen wollen wir die veränderliche Größe v wie vorher durch eine Strecke wiedergeben, näm-
71
lieh durch die veränderliche Strecke EA. Wenn wir nun in B auf EB das Lot errichten und es mit der Geraden EAD in F zum Schnitte bringen, ist bekanntlich das Rechteck mit den Seiten EA und AF flächengleich dem Quadrate über AB, d. h. dem Quadrate ABCD (nach dem Satze über das Rechteck der Hypotenusenabschnitte im rechtwinkligen Dreiecke EBF mit der Höhe AB). Da aber EA = v und das Quadrat gleich u ist, kommt also v. AF — u, d. h. AF = u-.v. Mit andern Worten: Der Quotient u: v wird durch die Strecke AF (gemessen mit der Längeneinheit) dargestellt. Nun soll u nach a streben. Dies bedeutet: Das beliebig gewählte Quadrat ABCB soll nach einem bestimmten Quadrate streben, das in der Figur gestrichelt dargestellt ist und die Seite AB' hat. Ferner soll v nach b streben, d. h. die Strecke EA soll nach einer bestimmten Strecke b = E'A streben. Macht man jetzt dieselbe Konstruktion wie vorher, d. h. bringt man das in B' auf E'B' errichtete Lot mit der Geraden E'AB in F' zum Schnitte, so veranschaulicht die Strecke AF' den Quotienten a:b ebenso, wie vorher die Strecke AF den Quotienten u-.v wiedergab. Man sieht jetzt wieder: Man kann das alte Quadrat so wenig vom neuen Quadrate und zugleich die alte Strecke EA so wenig von der neuen Strecke E'A verschieden wählen, daß F so wenig, wie man nur immer will, von F' abweicht. Dies besagt: Wenn u (das alte Quadrat) nach a (nach dem neuen Quadrate) und zugleich v (die alte Strecke EA) nach b (nach der neuen Strecke E'A) strebt, muß auch u: v (die alte Strecke AF) nach a: b (nach der neuen Strecke AF) streben. Noch anders ausgedrückt: Ist lim u = a und lim» = b, so ist auch lim (K : v) = lim (a : b). Aber die in Fig. 59 ausgeführte Konstruktion und der daran geknüpfte Schluß gelten nur dann, wenn b n i c h t g l e i c h N u l l i s t , d. h. E' nicht in A liegt. Denn sonst wäre j a das Lot, das in B' auf E'B' errichtet wird, zu AI) parallel, d. h. F' läge unendlich fern. Dieser Fall ist jedoch überhaupt ausgeschlossen, denn die D i v i s i o n a:b i s t n i c h t s t a t t h a f t , wenn b die N u l l b e d e u t e t . Diese Eigentümlichkeit der Null, die schon auf der Schule gelehrt wird, beruht darauf, daß man die Division als die Umkehrung der Multiplikation definiert. Man sagt nämlich, daß unter a:b diejenige Zahl c verstanden werden soll, für die bc = a ist. Wenn nun b den Wert Null hat, ist j e d e s Produkt bc gleich Null, es kann also keinen andern Wert a haben, d. h. die Division a : 0 ist nicht definierbar. Auf der unerlaubten Division mit Null beruht j a auch der bekannte Trugschluß: Da 3-0 ebenso wie 4-0 den Wert Null
72
Zweites Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
hat, ist 3*0 = 4-0; dividiert man diese Gleichung mit Null, so ergibt sich die sinnlose Formel 3 = 4. Vielleicht hat der Leser gar nicht gemerkt, daß wir bei den Betrachtungen, die sich an die Figuren 58 und 59 anknüpften, unausgesprochen eine Beschränkung gemacht haben: Die Konstruktionen beziehen sich nur auf p o s i t i v e Größen u und v und p o s i t i v e Grenzwerte a und b. Dennoch gelten die Schlüsse auch f ü r negative Größen. Ob nämlich u, v, a und b positiv oder negativ sind, jedenfalls fordert die Annahme, daß u nach a und v nach b streben soll, augenscheinlich doch, daß bei hinreichend weit getriebener Näherung u dasselbe Vorzeichen wie a und v dasselbe wie b bekommen muß, sodaß also uv und u: v dann dieselben Vorzeichen wie ab und a: b haben. Außerdem erhellt, daß der absolute Betrag von u nach dem von a und der absolute Betrag von v nach dem von b strebt. Da diese absoluten Beträge positiv sind, lehren die Betrachtungen in Fig. 58 und 59 jedenfalls, daß der Grenzwert von |M|.|I>| gleich dem von | a \. | b | und der von | u |: | v | gleich dem von | a \: | b | ist. Weil außerdem, wie gesagt, die Vorzeichen von u. v und a. b sowie die von u:v und a:b übereinstimmen, ist der Grenzwert von u.v gleich dem von a. b und der von u: v gleich dem von a: b ganz unabhängig davon, welche Vorzeichen die Größen haben. Da lim u = a und lim v = b sein soll, können wir a und b auch mit lim und lim v bezeichnen. Darum drücken sich unsere Ergebnisse in Formeln so aus: lim (u + v) = lim u + lim v, (7)
lim (u — v) = lim u — lim v, . lim (M . v) = lim u . lim v,
lim(w : v) = lim u : lim v für lim v =f= 0 . Im letzten Falle sei noch bemerkt: Wenn u nach einer von Null verschiedenen Zahl a, dagegen v nach dem bisher ausgeschlossenen Werte Null strebt, sieht man sofort, daß der absolute Betrag von u: v immer größer wird, je weiter die Annäherung von u an a und von v an Null fortschreitet, d. h. | u: v \ strebt über jede noch so große positive Zahl hinaus. Man drückt dies aus, indem man sagt, daß | « : « | nach + o o , nach den P o s i t i v - U n e n d l i c h g r o ß e n strebt. Doch dies nur nebenbei. Wenn algebraische Summen von mehr als zwei Summanden oder Produkte von mehr als zwei Faktoren oder Quotienten mit mehr als zwei Gliedern vorkommen, gelten ganz entsprechende Grenzwertformeln. Dies kann man auf Grund von (7) leicht be-
§ 3.
Grenzwerte, Unendlichkleines, Differentiale usw.
weisen. Wir begnügen uns mit dem Falle eines Produktes von drei Faktoren. Die drei Veränderlichen u, v, w mögen den Grenzen a, b, c streben. Dann ist wegen uvw = (uv).w nach der dritten Formel (7), indem wir sie auf das Produkt uv mit w anwenden:
73 uvw nach und von
lim (u vw) = lim [(u v). iv] — lim (u v). lim w. F e r n e r gibt dieselbe Formel: lim (u v) — lim u. lim v. Wird dies in die vorhergehende Gleichung eingeführt, so kommt: lim (uvw) = lim u . lim v . lim w . Ebenso einfach sind die übrigen Beweise. haupt der
Somit ergibt sich über-
Satz 10: D e r G r e n z w e r t e i n e s a u s m e h r e r e n V e r ä n d e r lichen durch Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division g e b i l d e t e n A u s d r u c k e s ist gleich d e m s e l b e n Ausdrucke, g e b i l d e t f ü r die G r e n z w e r t e der e i n z e l n e n Glieder. A b z u s e h e n i s t d a b e i v o n s o l c h e n F ä l l e n , wo e i n N e n n e r nach Null strebt. Insbesondere ist auch, falls c eine Konstante bedeutet und nur eine Veränderliche u nach einem Werte lim u strebt: lim (u + c) = lim u + c, lim(w — c) = lim u — c, lim (cu)
= c lim u ,
lim --Ii
= r.-c— f ü r lim n 4= 0 . lim u '
Wir kommen jetzt zur Anknüpfung an des vorigen Paragraphen. W i r betrachten quadratische Funktion: (8)
die Betrachtungen eine a l l g e m e i n e
y = a.v2 + bx -(- c
wie auf S. 56. Hier sollen a, b, c gegebene Konstanten bedeuten. Der Veränderlichen x denken wir uns einen bestimmten Wert erteilt; da sich jedermann darunter eine andere Zahl denken kann, behalten wir f ü r diesen bestimmt angenommenen Wert die Bezeichnung x bei. Die Formel (8) dient zur Berechnung des zugehörigen Wertes y der quadratischen Funktion. J e t z t wählen wir f ü r die unabhängige Veränderliche einen von x verschiedenen W e r t ; bezeichnen wir die Differenz zwischen ihm und der bestimmt angenommenen Zahl x mit Ax, so bedeutet also x-\- Jx den neuen
74
Wert der unabhängigen Veränderlichen. Zu ihm gehört ein Wert der quadratischen Funktion, der von y im allgemeinen verschieden sein wird. Bezeichnen wir die Differenz zwischen dem neuen Werte der Funktion und dem alten Werte y mit Ay, so ist y + Ay der zu x + Ax gehörige Wert der Funktion, d. h. es kommt:
y + Ay = a(x + Axf + b(x + Ax) + c, gerade so wie auf S. 57. traktion wie damals: (9)
Hieraus und aus (8) folgt durch Sub-
Ay = (2ax + h + a Ax) Ax.
Die Fig. 60 diene zur Veranschaulichung. Bildpunkt mit den Koordinaten x und y und Q den Koordinaten x+ Ax '/ stellen. Die Gerade P Q
Darin soll P den den Bildpunkt mit und y + Ay vorhat die Steigung
Ay. Ax. W i r lassen j e t z t Ax unendlich klein y+Ay werden. Dies bedeutet nach den früheren Auseinandersetzungen: Ax soll irgend eine endlose Zahlenfolge derart durchlaufen, daß es nach dem Grenzwerte Null strebt; in Formel: lim Ax = 0. Nach welchem Grenzwerte strebt alsdann der Wert (9) von Ay? Satz 10 ergibt:
lim Ay = (2az-i-i
+ a lim A x) lim A x.
Da lim A x = 0 ist, wird der erste Faktor rechts gleich 2 a x + b und der zweite gleich Null; also kommt: lim Ay = 0 . Jede quadratische Funktion y von x ist mithin so beschaffen, daß, falls der Zuwachs Ax der unabhängigen V e r ä n d e r l i c h e n x nach Null strebt, dasselbe von dem zugehörigen Zuwachs Ay der Funktion gilt. Deshalb folgen die Bildpunkte der quadratischen Funktion so aufeinander, daß sie überall eine vollkommene dichte Kette bilden, vgl. S. 53 und S. 57. Man kann das Ergebnis auch so aussprechen: Zu einem unendlich kleinen Zuwachs Ax von x gehört stets ein ebenfalls anendlich kleiner Zuwachs Ay der quadratischen Funktion y von x. Deshalb nennt man die quadratischen Funktionen stetige Funktionen. Aus (9) folgt weiter durch Division mit A x : (10)
Ax
= 2ax + b +
aAx.
§ 3.
Grenzwerte,
Unendlichkleines,
Differentiale
usw.
75
Geometrisch stellt der Quotient, wie gesagt, die S t e i g u n g der Geraden vom Bildpunkte P nach dem Bildpunkte Q in Fig. 60 dar. Wir fragen nach dem Grenzwerte dieses Quotienten für lim A x = 0. Nach Satz 10 ergibt sich aus (10): lim - 4 * - = 2 « i + i + alim A x , Ax
'
also, da lim Ax = 0 ist: (11) v '
lim4y = 2 « Ax
+
Wenn Ax und also auch, wir wir sahen, Ay unendlich klein wird, sagt man, d a ß d e r B i l d p u n k t Q u n e n d l i c h n a h e an den B i l d p u n k t P r ü c k t o d e r n a c h P s t r e b t . Dabei bleibt Q beständig ein Bildpunkt, d. h. Q b e w e g t sich l ä n g s d e r B i l d k u r v e d e r q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n auf P zu. Die Formel (11) besagt daher: Wenn Ax unendlich klein wird, strebt die Sekante 1 PQ von einem festen Bildpunkte P der quadratischen Funktion nach einem veränderlichen Bildpunkte Q der Funktion nach einer Grenzlage, deren Steigung den Wert 2 ax-\- b hat; und diese Grenzlage ist als die Gerade von P nach einem unendlich benachbarten Punkte der Bildkurve der quadratischen Funktion zu bezeichnen. Die Gerade heißt in dieser Grenzlage die T a n g e n t e der Bildkurve in P. Ax und Ay sind D i f f e r e n z e n , nämlich die der Abszissen von Q und P und der Ordinaten von Q und P. Will man zum Ausdrucke bringen, daß Ax nach Null strebt, wobei, wir wir sahen, dasselbe von Ay gilt, so pflegt man sie mit dx und dy zu bezeichnen und nicht mehr Differenzen, sondern D i f f e r e n t i a l e zu nennen. D a s D i f f e r e n t i a l e i n e r V e r ä n d e r l i c h e n b e d e u t e t a l s o e i n e n n a c h Null s t r e b e n d e n Z u w a c h s d e r V e r ä n d e r l i c h e n . Da nun schon in den neuen Bezeichnungen dx und dy liegt, daß Ax und Ay nach dem Grenzwerte Null streben, kann man statt (11) schreiben: (12)
4 J - - 2
ax+b.
U n t e r dem Q u o t i e n t e n - d y . d x wird also d e r G r e n z w e r t v e r s t a n d e n , n a c h dem d e r Q u o t i e n t Ay.Ax zusammeng e h ö r i g e r Z u n a h m e n von y u n d x s t r e b t , f a l l s Ax u n e n d l i c h k l e i n wird. E r ist als der Quotient der Differentiale oder 1 Die S e k a n t e PQ ist die Gerade, die P mit Q verbindet, iu ihrer ganzen Ausdehnung über P und Q hinaus. Die Strecke P Q dagegen heißt Sehne.
76
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
kürzer als der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t d e r q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n (8) zu bezeichnen. Geometrisch bedeutet er die S t e i g u n g d e r T a n g e n t e ihrer Bildkurve in demjenigen Punkte P, der zu der gewählten Abszisse x gehört. Wie man sieht, haben wir hier nur Betrachtungen aus dem vorigen Paragraphen wiederholt. Aber es war uns möglich, eine Anzahl von Fachausdrücken einzuführen, die uns künftig erlauben werden, statt langer Auseinandersetzungen kurze Schlüsse zu machen, wobei man sich dann immer an die in dem gegenwärtigen Paragraphen gegebenen Definitionen erinnern und den einfachen, aber wichtigen Satz 10 im Auge behalten muß. Wir haben nun noch einiges zu sagen, was sich nicht bloß auf quadratische Funktionen sondern allgemein auf beliebige Funktionen bezieht; da aber dieser Paragraph schon lang genug geworden ist, tun wir dies zu Beginn des nächsten. § 4.
Differentialquotienten von Summen, Produkten und Brüchen. E s liege irgend eine Funktion (vgl. S. 26):
(1)
v =
m
vor. Dann kann man versuchen, auch hier diejenigen Betrachtungen durchzuführen, die wir vorhin bei einer quadratischen Funktion anstellten. Gewiß dürfen wir uns dabei kurz fassen; wer aber doch noch irgendwelche Schwierigkeiten darin findet, blicke immer auf die entsprechenden Auseinandersetzungen über die quadratischen Funktionen im vorhergehenden Paragraphen zurück. Ein W e r t x werde irgendwie bestimmt gewählt; zu ihm gehört ein Wert y der Funktion (1). Statt x benutzen wir dann einen b e l i e b i g e n anderen Wert x + Ax, indem wir den Zuwachs oder die Differenz Ax beliebig veränderlich lassen. Zu x + Ax gehört der Funktionswert f{x + Ax), den wir y - f Ay nennen können: V + Ay — fix +
Ax).
Wird hiervon der Wert (1) abgezogen, so kommt: (2)
Ay = f(x + Ax) -
f(x).
Nun erhebt sich die Frage, wohin Ay strebt, falls Ax nach Null strebt oder also, wie man j a dafür auch sagt (nach S. 69), falls Ax unendlich klein wird. Diese Frage konnten wir bei einer quadratischen Funktion auf S. 74 beantworten. Hier dagegen ist das nicht möglich, weil wir gar keine bestimmt definierte Funktion
§ 4. Differentialquotienten von Summen, Produkten und Brüchen.
77
betrachten. Vielmehr können wir nur sagen, was künftig unsere e r s t e A u f g a b e bei jeder neu vorkommenden Funktion f{x) sein wird: Wir untersuchen, ob Ay nach Null strebt, wenn Ax es tut. Ist es der Fall — und das wird in der Tat meistens eintreten —, so sagt man, daß sich die betrachtete Funktion f(x) s t e t i g verhält. Es bedeutet geometrisch, daß die Bildpunkte eine vollkommen dichte Kette ausmachen, oder auch: Wenn Ax nach Null strebt, strebt der Bildpunkt mit den Koordinaten x-j-Ax, y + Ay nach dem Bildpunkte (x;y) hin. Der aus (2) durch Division mit Ax hervorgehende Quotient jäy_ = f(x + Ax) - f{x) ^' Ax Ax von zusammengehörigen Zunahmen von y und x bedeutet geometrisch die S t e i g u n g der von dem Bildpunkte (x\y) nach dem Bildpunkte [y+A:r; y + Ay) gehenden Geraden. Unsere zweite A u f g a b e ist es nun, bei jeder neu vorkommenden Funktion f(x) festzustellen, ob dieser Quotient auch für lim Ax = 0 einen Grenzwert hat. Ist es der Fall, so heißt der Grenzwert der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t der Funktion f(x), indem man Ax und Ay beim Grenzübergange l i m j . r = 0 und \im Ay — Q als D i f f e r e n t i a l e dx und dy zu bezeichnen pflegt, so daß allgemein dy.dx einen Differentialquotienten bedeutet. Der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e i n e r s t e t i g e n F u n k t i o n y = f{x) i s t h i e r n a c h d e f i n i e r t als der G r e n z w e r t des Quot i e n t e n a u s z u s a m m g e h ö r i g e n Z u n a h m e n Ay und Ax von y und x f ü r den F a l l , wo Ax n a c h Null s t r e b t . G e o m e t r i s c h s t e l l t er die S t e i g u n g der T a n g e n t e der B i l d k u r v e der F u n k t i o n in d e m j e n i g e n B i l d p u n k t e d a r , der zu dem a n g e n o m m e n e n W e r t e x gehört. Diese T a n g e n t e darf man als die G e r a d e von diesem B i l d p u n k t e n a c h e i n e m u n e n d l i c h b e n a c h b a r t e n B i l d p u n k t e der F u n k t i o n b e z e i c h n e n . Sie ist die G r e n z l a g e der S e k a n t e vom B i l d p u n k t e (x, y) n a c h einem a n d e r e n B i l d p u n k t e f ü r den F a l l , wo d i e s e r zweite B i l d p u n k t l ä n g s der B i l d k u r v e n a c h dem e r s t e n s t r e b t . Vgl. Fig. 60 auf S. 74. Wir haben im vorhergehenden die beiden Aufgaben angegeben, die unserer bei jeder neu vorkommenden Funktion harren. Das sind die ersten Aufgaben der sogenannten D i f f e r e n t i a l r e c h n u n g . Die Beispiele in § 2 werden es schon klar gemacht haben, wie wichtig der Begriff des Differentialquotienten ist. Man kann sagen, daß der Differentialquotient überhaupt der wichtigste
78
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
B e g r i f f in der h ö h e r e n M a t h e m a t i k ist. Den Differentialquotienten einer Funktion bestimmen heißt kurz: die F u n k t i o n d i f f e r e n z i e r e n . Man wird sehen, daß sich im Laufe unserer Betrachtungen ein sehr einfaches, geradezu handwerksmäßiges Verfahren der Differentiation ergeben wird. Man lernt es bald mechanisch so gut, daß man — wie wir es bei manchem Studierenden erlebt haben — oft darüber ganz vergißt, was der eigentliche Begriff des Differentialquotienten ist. Wem das passiert, der gleicht jemandem, der eine schöne Eeise nach einem bestimmten Ziele antritt, aber über die Annehmlichkeiten der Eeise ganz vergißt, wohin er eigentlich wollte. Daß man für das Differenzieren gewisse wie gesagt geradezu handwerksmäßige Segeln finden kann, so daß man es rein mechanisch zu tun lernt, verdankt man in nicht geringem Maße dem Umstände, daß L E I B N I Z (1646—1716), der gleichzeitig mit NEWTON (1643—1727) in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die Differentialrechnung erfand, sofort mit genialem Blicke die geeigneten Bezeichnungen, Symbole, herausfand, deren Anwendung das Verfahren so bequem macht. Selbst die Engländer brauchen statt der von NEWTON benutzten und nicht sehr geeigneten Symbole heutzutage die unseres Landsmannes LEIBNIZ. In der Philosophie spielt L E I B N I Z bekanntlich auch eine Eolle, aber viel solideren Nutzen hat er durch seine Erfindung der Differentialrechnung für den späteren großen Aufschwung der Mathematik und Naturwissenschaften gestiftet. Damit der Leser für den Differentialquotienten eine gewisse Hochachtung empfinde, wie sie ihm vielleicht die vorhergehende rein mathematische Definition nicht einzuflößen vermocht hat, sei nur einer der vielen Fälle kurz erwähnt, in denen der Differentialquotient von größter Bedeutung ist: Angenommen, x sei das Maß der Zeit in Sekunden, y dagegen in Metern der Weg, den ein beweglicher Punkt, ein Mobil, nach irgend einem Gesetze in der Zeit x zurücklegt. Der Weg y ist dann eine Funktion der Zeit x. Zur Zeit x hat das Mobil gerade y Meter überwunden. Nimmt die Zeit um Ax Sekunden zu, so legt das Mobil weiterhin Ay Meter zurück. Der Quotient Ay: Ax ist die G e s c h w i n d i g k e i t des Mobils in diesem Zeiträume Ax, aber im allgemeinen wird sie für verschieden große Zeiträume Ax auch verschieden ausfallen. Man tut daher besser, den Quotienten die d u r c h s c h n i t t l i c h e G e s c h w i n d i g k e i t in dem Z e i t r ä u m e von x bis zu x + Ax S e k u n d e n zu nennen. Dagegen geht für lim Ax = 0 aus dem Quotienten Ay: Ax der Differentialquotient dy.dx hervor, der also diejenige Geschwindigkeit ist, die zu einem
§ 4. Differentialquotienten
von ¡Summen, Produkten und Brüchen.
79
unendlich kleinen Zeiträume dx gehört, die sogenannte m o m e n t a n e G e s c h w i n d i g k e i t , n ä m l i c h d i e i m M o m e n t e x. Sie ist nicht n u r f ü r den Mathematiker, sondern für jedermann ein äußerst wichtiger Begriff. Trotzdem ist dies nur eine der vielen Erscheinungsformen, in denen der Differentialquotient in den Naturwissenschaften vorkommt. — W i r treffen jetzt die Vorbereitungen für die Art der Berechnung von Differentialquotienten. E s wird sich oft zeigen, daß eine Funktion f{x), die differenziert werden soll, die Summe oder Differenz aus zwei einfacheren Funktionen ist wie z . B . x2 + 5x — 3 die Summe aus x2 und 5.r — 3. Ebenso kommt es vor, daß eine Funktion als Produkt zweier einfacheren Funktionen gegeben ist, wie z. B. [x — 5) {x2 + 3) als Produkt von x — 5 und x 2 + 3. Funktionen können schließlich auch als Quotienten aus zwei einfacheren Funktionen gegeben sein. In allen diesen Fällen erhebt sich die F r a g e , ob m a n d e n D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n d e r S u m m e bzw. d e r D i f f e r e n z , d e s P r o d u k t e s oder des Q u o t i e n t e n b e r e c h n e n k a n n , s o b a l d m a n die D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n d e r e i n z e l n e n B e s t a n d t e i l e k e n n t . Wäre diese F r a g e zu bejahen, so hätten wir ein Mittel, die Aufgabe, verwickelte Funktionen zu differenzieren, auf die Differentiation einfacherer Funktionen zurückzuführen. Dies ist glücklicherweise in der T a t der Fall. Die aufzustellenden Regeln sind noch dazu ziemlich einfach. E s seien u und v zwei Funktionen von x, also zwei von x abhängige Veränderliche, und wir wollen annehmen, daß wir ihre Differentialquotienten
schon kennen. Die erste F r a g e ist dann, wie man den Differentialquotienten ihrer S u m m e y = u + v berechnen kann. Diese Summe y ist, da u und v von x abhängen, ebenfalls eine Funktion von x. Um ein Beispiel ins Auge zu fassen: u sei die Länge eines Metallstabes, v die eines zweiten aus anderem Metalle, beide etwa mit dem Meter gemessen und zwar bei einer Temperatur von x°. Alsdann sind u und v Funktionen der Temperatur x, da sich die Stäbe bei wachsender Temperatur ausdehnen. W e n n wir beide Stäbe aneinanderlöten, so daß der neue Stab die Länge von
80 y = u + v Metern hat, wird sich auch dieser große Stab mit der Temperatur x ändern. Es leuchtet aber ein, daß hier ein sehr einfaches Gesetz besteht. Trotzdem wollen wir es mathematisch ableiten: Die Temperatur x nehme um Ax zu, infolgedessen die Stablänge u um Au und die Stablänge v um Av. Also nimmt auch die Gesamtlänge y zu, sagen wir um Ay. Ebenso wie y —u + v
ist, muß auch y + Ay = (u + A u) + (» + A v)
sein. Ziehen wir die erste Gleichung von der zweiten ab, so kommt (4) Ay = Au + Av oder auch: A(u + v) = Au +
In
Worten:
Av.
Die Ä n d e r u n g
e i n e r Summe i s t g l e i c h der Summe der Ä n d e r u n g e n der U , V S u m m a n d e n . Siehe Fig. 61. , u un( i fjj? * v s t e t ^ S e Funkp.g 6 1 tionen von x, so werden A u und A v unendlich klein, sobald Ax unendlich klein wird. Dann schreiben wir d x , d u , d v statt Ax, Au, Av. Nach Satz 10, S. 73, folgt aus (4): lim Ay = lim A u + lim A v, d. h., da lim Au = 0 und lim Av = 0 ist: lim A y = 0 . Statt Ay dürfen wir somit dy schreiben, und es gilt der Satz 11: D i e Summe zweier s t e t i g e r F u n k t i o n e n ist e b e n f a l l s eine s t e t i g e F u n k t i o n . Aus (4) folgt außerdem Ay _ Au Ax Ax
Av Ax
oder, wenn Ax zum Differential dx wird, wieder nach Satz 10, S. 73: (5)
*
dy dx
=
du dx
dv > dx
in Worten: Satz 12: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t einer Summe i s t gleich der S u m m e d e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n d e r S u m m a n d e n . Man kann die Gleichung (5) auch so schreiben: //,< ' '
d(u + v) _ dx
du , dx
dv dx
§ 4. Differentialquotienten von Summen, Produkten und, Brüchen.
81
und in Worten so ausdrücken: E i n e Summe w i r d d i f f e r e n z i e r t } i n d e m man j e d e n S u m m a n d e n f ü r sich d i f f e r e n z i e r t . Dies ist nicht völlig erschöpfend, denn eigentlich müßte noch hinzugefügt werden: und dann die Summe b i l d e t , aber dies versteht sich stillschweigend von selbst. Man sagt auch: E i n e Summe wird gliedweise differenziert. Unser Satz gilt augenscheinlich auch für S u m m e n von m e h r als zwei G l i e d e r n sowie für D i f f e r e n z e n . Denn wenn z. B. y = u — v ist, wird Ay = Au — Av oder auch: (7) A(u — i>) = Au — Av, siehe Fig. 62, woraus dann ganz entsprechend wie vorher folgt: dy dx
du dx
dv dx
r : |
-ü
y Also auch Differenzen werden gliedweise t"^ t^"; differenziert. ' Wir können daher allgemeiner sagen: i*ig. 62. Satz 13: E i n e a l g e b r a i s c h e Summe von m e h r e r e n F u n k t i o n e n wird g l i e d w e i s e d i f f e r e n z i e r t . Blicken wir noch einmal auf die Gleichungen (4) und (7) zurück. Sie gelten auch, wenn sich u und v nur unendlich wenig ändern. Dann schreiben wir ^ ( d(u + v) = du + dv, | d(u — v) = du — dv. Trotz der Selbstverständlichkeit dieser Ergebnisse wollen wir sie doch noch in einem Satze aussprechen: Satz 14: D a s D i f f e r e n t i a l e i n e r S u m m e o d e r D i f f e r e n z ist g l e i c h der Summe bzw. D i f f e r e n z der E i n z e l d i f f e rentiale. Wir wollen jetzt eine Funktion y von x betrachten, die das c fache einer anderen Funktion u von x ist: y — cu. Dabei soll c eine K o n s t a n t e sein. Wächst x um Ax, so wachse u um Au. Dabei gehe y in y + Ay über. Dann kommt: y + A y = c [u + A u), also, wenn hiervon y = cu abgezogen wird: (9) Ay = c Au. SCHBFFBB6, Mathematik. 3. Aufl.
6
82
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
Nach Satz 10, S. 73, ist daher: lim Ay = c lim A u. Dies besagt: Im Falle lim Au = 0 ist auch lim Ay — 0, d. h. Satz 15: Ein k o n s t a n t e s Vielfaches einer stetigen Funktion ist e b e n f a l l s eine stetige Funktion. Ferner ergibt sich aus (9) durch Division mit Ax: _
Ay Ax
Au Ax
und hieraus für lim A x = 0: dy dx
d. h.:
_ ~
du dx '
Satz 16: Der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t eines konstanten Vielfachen einer F u n k t i o n ist gleich demselben k o n s t a n t e n Vielfachen des D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n der Funktion. Wir haben z.B. in § 2, S. 52, gesehen, daß der Differentialquotient der Funktion x* gleich 2 x ist. Also ist der Differentialquotient von cx2 gleich c.2x oder 2 c x , wenn c eine Konstante bedeutet Wir erwähnten in § 2, S. 57, daß das dort gefundene Ergebnis wonach y = azi-\-bx
+ c
den Differentialquotienten dx
- 2
ax+b
hat, nicht auswendig gelernt zu werden braucht, vielmehr aus dem Kopfe abgeleitet werden kann. Dies wollen wir jetzt zeigen: Z u n ä c h s t hat die Funktion y = x2, wie gesagt, den Differentialquotienten dx
Betrachten wir zweitens die Funktion y = x. Wie groß ist ihr Differentialquotient? Nach Vorschrift soll die abhängige Veränderliche y immer gerade so groß wie die unabhängige Veränderliche x sein; also ist auch ihr Zuwachs Ay immer gerade so groß wie der Zuwachs Ax, d.h. Ay:Ax= 1, was natürlich auch gilt, wenn der Zuwachs von x unendlich klein wird; daher:
§ 4. Differentialquotienten von Summen, Produkten und, Brüchen.
83
Die Frage nach dem Differentialquotienten der Funktion y = x ist also ganz einfach zu beantworten. Dennoch halten wir es für nützlich, darauf hinzuweisen, daß man die Antwort auf diese Frage sofort im Kopfe haben muß, wenn man das Frühere verstanden hat. Denn y = x ist j a eine lineare Funktion von x und ihre Bildkurve die Gerade, auf der die Abszisse stets gleich der Ordinate ist, d. h. die Gerade durch den Anfangspunkt mit der Steigung 1. Wir betrachten d r i t t e n s die Funktion y '— c, wo c eine K o n s t a n t e sei. Wie groß ist ihr Differentialquotient? Man möchte vielleicht hier einwenden: y ist gar keine Funktion von x, da rechts x nicht auftritt; aber das stimmt nicht. Unter einer Funktion y von x hatten wir eine Größe y verstanden, die für O jeden Wert von x einen bestimmten Wert hat. Das ist jetzt auch der F a l l : F ü r jeden Wert gg von x hat hier y den Wert c, der freilich immer derselbe bleibt. Alle Bildpunkte, d. h. alle Punkte, deren Abszissen x beliebig und deren Ordinaten gleich c sind, liegen augenscheinlich auf einer Parallelen zur x-Achse (siehe Fig. 63). Diese Gerade hat die Steigung Null, also die Funktion y = c den Differentialquotienten Null. A b e r dies muß dem L e s e r o h n e w e i t e r e s s e l b s t v e r s t ä n d l i c h sein. Denn wenn y = c, einer Konstante, ist, heißt das ja, daß sich y überhaupt nicht ändert, daß also dy nicht nach Null strebt, sondern gleich Null ist, also auch dy.dx = 0. Man findet manchmal in Lehrbüchern den Satz: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e i n e r K o n s t a n t e i s t g l e i c h N u l l . Wir meinen aber, daß dies gar kein Satz, sondern etwas ganz Selbstverständliches ist, nämlich nur eine Umschreibung der banalen Wahrheit: D i e Ä n d e r u n g e i n e r u n v e r ä n d e r l i c h e n G r ö ß e i s t g l e i c h Null. Drei Fragen haben wir beantwortet, die nach dem Differentialquotienten von xil von x und von c. Die Differentialquotienten sind 2 x , 1 und 0. W i e g r o ß i s t nun der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t von: y = Vor dem Der von Satz
ax2-\-bx-\-c?
allem ist y eine Summe. Nach Satz 13 ist also dy.dx gleich Differentialquotienten von ax2 plus dem vonbx plus dem von c. von c ist aber gleich Null. Wir müssen also nur noch den ax* und den von bx berechnen und beide addieren. Nach 16 ist aber der Differentialquotient von ax2 gleioh dem afachen 6*
84
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
des Differentialquotienten von x2, also gleich a. 2x. Ferner ist nach Satz 16 der Differentialquotient von bx gleich dem fifachen des Differentialquotienten von x, der gleich 1 ist. Demnach hat bx den Differentialquotienten b. Also kommt:
oder:
dx = a.2x ^-=2 dx
+ 6 . 1 + 0, ax+b, '
und dies fanden wir in der Tat in § 2, S. 57, und in § 3, S. 75. Man sieht also: Die Aufgabe, y = ax2 + bx + c zu differenzieren, ist durch unsere beiden Sätze 13 und 16 auf die zurückgeführt, x%, x und c zu differenzieren. Erstens nämlich wird die S u m m e ax2 + bx + c nach Satz 13 g l i e d w e i s e d i f f e r e n z i e r t , d. h. aar2, bx und c für sich, und zweitens sind a und b k o n s t a n t e F a k t o r e n , die nach Satz 16 a l s F a k t o r e n s t e h e n b l e i b e n . Wir fragen uns nun, wie man ein P r o d u k t von zwei Funktionen differenziert. Bei der Summe hatten wir den einfachen Satz, daß die Änderung einer Summe gleich der Summe der Änderungen der Summanden ist. Es wäre sinnlos, diesen Satz auf Produkte auszudehnen. Es liege z. B. das Produkt 3.4 = 12 vor. Ändern wir beide Faktoren, indem wir den ersten etwa um 2, den zweiten etwa um 3 wachsen lassen, so ist das neue Produkt (3 + 2) (4 + 3) = 5.7 = 35, also die Änderung des Produktes 35 — 12 = 23. Dagegen ist das Produkt der Änderungen der Faktoren gleich 2.3 = 6, also: Die Änderung eines Produktes ist n i c h t gleich dem Produkte der Änderungen der Faktoren. Wir müssen vielmehr die Frage für das Produkt von neuem behandeln. Demnach verstehen wir unter u und v zwei von x abhängige Veränderliche, und es sei y ihr Produkt: (10)
y = uv.
Um ein anschauliches Beispiel zu haben, nehmen wir wieder an, u und v seien die Längen zweier Stäbe aus verschiedenen Metallen. Jeder Stab sei aber doppelt vorhanden, und wir denken uns die vier Stäbe zu einem Rechteck zusammengelötet. Der Flächeninhalt des -Rechtecks ist dann gleich uv oder y. Dies alles gelte bei der Temperatur von x°. Wird nun die Temperatur um Ax° geändert, so dehnen sich die Stäbe aus. Das Rechteck verändert sich, seine Seiten haben jetzt die Längen u + Au und v + Av. Sein Inhalt sei jetzt gleich y -f Ay. Aus Fig. 64 erkennt man, daß der Zuwachs
§ 4.
Differentialquotienten
von Summen,
Produkten
und Brüchen.
85
Ay des Inhaltes die Summe der Inhalte dreier Rechtecke ist, so daß man daraus abliest: (11) Ay = v Au + u Av + Au. Av. Dies gilt auch, wenn Au oder Av negativ ist, also u oder u abnimmt. Dann wäre allerdings die Figur anders zu zeichnen. Um alle Fälle zu umfassen, ist Jv uJu AiiAv es daher besser, die Formel (11) rechnerisch abzuleiten: Wie y = uv ist, so ist auch y + Ay = (u + Au)(v +
JJ
Av)
oder ausmultipliziert: y + Ay = uv + Au .v + u Av + Au.
vJu
-JW Fig. 64.
Av.
Ziehen wir hiervon die Gleichung (10) ab, so bleibt in der Tat der Wert (11) von Ay übrig. Nun seien u und v s t e t i g e Funktionen von x, d. h.: Wird der Zuwachs Ax unendlich klein, so werden auch Au und Av unendlich klein. Die Formel (11) zeigt, daß dann auch Ay unendlich klein wird, nach Satz 10, S, 73. Daher gilt der Satz 17: D a s P r o d u k t zweier s t e t i g e r F u n k t i o n e n ist ebenfalls eine stetige Funktion. Aus (11) folgt weiter, wenn wir mit Ax dividieren: Ay _ ^ AU Au ., .. AV Av Ax Ax Ax
(12)
, au Au Ax
^
Haben u und v Differentialquotienten, so bezeichnen wir sie mit du-.dx und dv.dx. Sie treten in (12) auf, wenn Ax zum Differential dx wird. Also kommt dann nach Satz 10, S. 73: dy dx
du dx
,
1
dv ~ dx
du lim Av. dx
,
1
Da aber lim Av = 0 ist, bleibt einfach übrig: (13)
du
,
dv
+
dx
Mithin gilt der Satz 18: D e r D i f f e r n t i a l q u o t i e n t eines P r o d u k t e s von zwei F a k t o r e n e r g i b t sich, wenn man j e d e n F a k t o r mit dem D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n des a n d e r e n F a k t o r s m u l t i p l i z i e r t und d a n n die Summe bildet. Da y = uv ist, können wir die Gleichung (13) auch so schreiben: (14)
d(uv) dx
_
du du dx
,
dv dx '
was deshalb besser ist, weil diese Gleichung für sich den Satz 18 ausdrückt, ohne daß man Erläuterungen hinzuzufügen braucht.
86
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienien.
Machen wir sogleich eine wichtige Anwendung: Es sei y = x2 = x. x. Hier ist u = x, v = x. Diese Funktionen u und v haben die Differentialquotienten: du _ j dx ~ '
dv _ ^ tix
Nach (14) ist somit: d(x') = x. 1 + x. 1 = d x
2x
Wir haben also hier auf neuem Wege das aus § 2 bekannte Ergebnis gefunden, daß x2 den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n 2x hat. Aber wir können weiter gehen, es sei jetzt y — x3 = x2.x. Hier ist u — x2, v = x und du dx
r,
dv , --- — 1 , dx
-r— = 2 X , so daß (14) gibt:
^ dx
'
+ x2.l
= x.2x
=
3x2.
D a h e r i s t d e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t von x3 gleich 3a:2. Der Leser wird jetzt schon e r r a t e n , wie groß der Differentialquotient von x* ist. Er wird vermuten, daß sich 4x 3 ergibt. In der Tat, wenn y = x* = x3. x
ist, setzen wir:
u — x3,
v =
x,
dv ,
—1.
also nach dem Vorhergehenden: du ~ , dx
„ 2 = OX
y
dx
Mithin kommt nach (14) dx
'
womit die Vermutung bestätigt wird. Man sieht aber auch, daß sich dieselbe Schlußfolgerung immer weiter fortsetzen läßt. Sind wir bis y = xn gekommen, so werden wir vermutlich als Differentialquotienten den Wert n xn~l erhalten, da wir sahen, daß der Differentialquotient immer den Exponenten der Potenz zum Faktor hat und sein eigener Exponent um eins kleiner ist. Wollen wir diese Schlußfolgerung streng machen, so gehen wir wie folgt vor: A n g e n o m m e n , wir w ü ß t e n , daß xn den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n raar"-1 h a t , wobei n eine b e s t i m m t e von den
§ 4.
Differentialquotienten von Summen, Produkten und Brüchen.
Z a h l e n 2, 3, 4 . . . ist.
87
W a s w ü r d e aus d i e s e r A n n a h m e f ü r
den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n von x n + 1 f o l g e n ? Diese Folgerung können wir leicht ziehen. y — xn+i
Ist
= xn .x,
so setzen wir: U
=
Xn,
V =
X .
Nach der gemachten A n n a h m e ist: du
d(xH)
dx
dx
„
,
außerdem ist bekanntlich: dv _
lü
1
~
1
'
so daß — immer vorausgesetzt, daß die A n n a h m e richtig sei, — aus (14) folgt: d(a;n+r)
—
=
X.n
X"- 1 + xn. 1 = (n + 1) xn.
Also sehen wir: W e n n x" den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n
nx"-1
hat, muß a^+i den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n (n + haben. Für n = 4 aber ist die Annahme, daß xn den Differentialquotienten « i » " 1 hat, richtig, wie wir oben sahen. Also folgt, daß xh den Differentialquotienten 5x* hat. Jene Annahme gilt demnach auch, wenn n = 5 ist. Für n = 5 aber gilt wieder die Folgerung, daß x 6 den Differentialquotienten 6 x 5 hat. Jene Annahme stimmt daher auch für n = 6 usf. W i r haben mithin durch jenen Schluß aus einer Annahme die Möglichkeit gewonnen, Schritt für Schritt weiter zu schließen zu einem immer um eine Einheit größeren n. Man nennt dies Verfahren den S c h l u ß von n a u f n + 1. Es zeigt uns: Satz 19: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t der
Funktion
y = wo n e i n e g a n z e p o s i t i v e Z a h l i s t , h a t den W e r t : dx
=
„*»-i.
Nützlich ist es hierbei noch zu erläutern, daß dies auch für n = 1 richtig ist.
Nämlich für n == 1 ist y = x, also der Differential-
88
Zweites Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
quotient bekanntlich gleich 1, während der Satz den Wert 1. x" liefert Aber in der Arithmetik wird festgesetzt, daß die nullte Potenz einer Zahl als 1 gelesen werden soll.1 Also stimmt der Satz in der Tat auch für n = 1. Ja, sogar für n = 0 ist der Satz richtig. Denn dann ist y = a:0 = 1, daher der Differentialquotient gleich Null, während der Satz in der Tat den Wert = —= 0 x
gibt. Wir wollen verraten, daß sich später ergeben wird, daß der Satz 19 auch dann richtig bleibt, wenn n eine negative ganze Zahl ist wie — 1, — 2, — 3 usw., ja auch dann, wenn n eine bel i e b i g e positive oder negative E o n s t a n t e bedeutet, wie z. B. n = — 7,642. Der Satz, daß xn stets den D i f f e r e n t i a l quotienten war"-1 hat, was für eine Konstante n auch bedeuten möge, wird sich als ein wahrer Fundamentalsatz der Differentialrechnung erweisen. Hier wollen wir noch einmal auf die allgemeine quadratische Funktion y = ax2 + bx + c zurückzukommen und zeigen, wie man sie jetzt methodisch differenziert. Wir können Bchreiben: y = a x1 + b x1 + c x°.
Nach Satz 13 folgt zunächst: ¿(ax1) dx
dy _ dx
d(bx') dx
d(ex°) dx '
nach Satz 16 weiter: dif dx
=
a
d(x*) dx
b
d{xl) dx
c
d(x°) dx
nach Satz 19 ist aber: —j dx
= ¿X, '
, dx
= 1, '
; = U. dx
Also kommt: dx 1
= a.2r
+ ¿.1 '
+1
c.O
Man erreicht dadurch, daß das bekannte Gesetz an. am = an+m auch für n = 0 richtig wird, und andererseits darf man die Annahme a° = 1 machen, weil von vornherein o» nur für ganzes positives n, nicht für n — 0, definiert ist, also für n = 0 noch nach Belieben definiert werden kann.
§ 4.
Differentialquotienten
von Summen,
oder:
Produkten und, Brüchen.
89
1 = +
wie in § 2. Schließlich kommen wir zur Untersuchung des D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n eines B r u c h e s . Es seien wieder u und v Funktionen von x, und es sei (15)'
v=
V
•
Wenn x um Ax wächst, wachse u um Au, v um Av und y um Ay. Dann muß sein: y + Ay =
u + Au v + Av
Ziehen wir hiervon die Gleichung Gleichi (15) ab, so kommt: Ay =
u + Au v + Av
u v
Bringen wir die beiden Brüche auf den gemeinsamen Nenner (v+Av)v, indem wir den ersten mit v und den zweiten mit v + Av erweitern, so kommt: A Alt =
oder
uv + Au .v — vu — Av .u (v + Av) v
n
,
v Au — u Av
Sind nun u und v s t e t i g e Funktionen von x, so streben Au und Av nach Null, wenn Ax nach Null strebt Nach Satz 10, S. 73, ist ferner der Grenzwert des Bruches (16) gleich dem Bruche aus den Grenzwerten von Zähler und Nenner, vorausgesetzt, daß der Grenzwert des Nenners nicht gleich Null ist. Da dieser nach demselben Satze gleich v lim (v + Av) = v (w + lim A o) = v2 ist, setzen wir also v .
lim Ayj =
0 voraus.
lim (v Au — u Av) v
t
5
Alsdann folgt aus (16) =
v lim Au — u lim Av • „ij
Weil aber lim Au = 0 und lim Av = 0 wird, kommt auch lim Ay = 0. Mithin gilt der Satz 20: S i n d u u n d v s t e t i g e F u n k t i o n e n von x, so ist auch der B r u c h u:v e i n e s t e t i g e F u n k t i o n f ü r a l l e solche W e r t e von x, f ü r die d e r N e n n e r v n i c h t gleich Null ist. 1 1
Wie es sich für die Werte von x verhält, für die der Nenner v gleich Null ist, muß in jedem vorliegenden Einzelfalle besonders untersucht werden. Darauf kommen wir noch gelegentlich zurück.
90
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
Um nun den Differentialquotienten des Bruches u: v zu berechnen, dividieren wir (16) mit Ax. Dann kommt: V
Ay Ax
Au Av — u Ax Ax v (i> + Av)
Machen wir den Grenzübergang, indem wir Ax nach Null streben lassen, so haben wir wie vorhin den Satz 10, S. 73, anzuwenden. Er liefert wegen lim Av = 0 sofort: Au t' hm —
lim4^ =
.. Av u lim v2
Ax
Hier aber bedeuten die rechts vorkommenden Grenzwerte die Differentialquotienten du: dx und dv: dx von u und v, während links der Dififerentialquotient dy.dx von y steht. Mithin ergibt sich: (17) ist. (18)
du dx
dy dx
dv dx v1
Diese Gleichung lehrt, wie ein Bruch y = u:v zu differenzieren Wir schreiben die Regel etwas deutlicher so: .
,, ~ , ¿1—1
du ax
' ,ß . dx
dv u-— dx
• 1, v
-
Sie besagt: Satz 21: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e i n e s B r u c h e s i s t gleich einem Bruche, dessen Nenner das Q u a d r a t des alten N e n n e r s ist. Sein Z ä h l e r i s t g l e i c h dem P r o d u k t e d e s alten N e n n e r s mit dem D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n des alten Z ä h l e r s v e r m i n d e r t um d a s P r o d u k t des a l t e n Z ä h l e r s mit d e m D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n des a l t e n N e n n e r s . Man wird finden, daß der sprachliche Ausdruck der Gleichung (18) recht umständlich ist. Wie man sich die Differentiationsregel am leichtesten merkt, darüber sprechen wir noch nachher. Machen wir jetzt eine A n w e n d u n g : Es sei y = x~* zu differenzieren. x~* bedeutet bekanntlich nichts anderes als 1: x*. Es wird also die Aufgabe gestellt, den Differentialquotienten von
y =x
- 4
1
zu finden. Die gegebene Funktion ist hier der Bruch u: v mit dem Zähler m = 1 und dem Nenner v = x*. Aber u = 1
und
v — x4.
§ 4. Differentialquotienten von Summen, Produkten und Brüchen.
91
haben, wie wir wissen, die Differentialquotienten: du_ _ 0 dv dx ' dx ' aus (18) folgt somit: d
\x1 x'.O - 1.4a;3 dx xs Hierfür können wir schreiben:
4x3 x8
4 xs
dx
Blicken wir jetzt auf Satz 19 zurück. Darin ist zwar n als positiv vorausgesetzt. Nehmen wir uns aber einmal die Freiheit, darin n = — 4 zu setzen, so würde er aussagen, daß x~* den Differentialquotienten — 4 a ; - 4 - 1 oder — 4x~6 hätte. Das ist aber, wie wir soeben gesehen haben, tatsächlich der Fall. Unser Satz 19 gilt daher auch für n = — 4. Ebenso leicht ist zu beweisen, daß der Satz 18 überhaupt für jenes negative ganze n gilt. Es sei nämlich: l X
wo m eine positive g a n z e Z a h l b e d e u t e . Dann ist y = x~m. Diese Funktion würde also dieselbe sein wie die des Satzes 19, wenn die Zahl n — — m, also n eine n e g a t i v e ganze Zahl wäre. Wäre der Satz 19 auch für solche Werte von n richtig — was noch nicht bewiesen ist — , so würde folgen, daß y den Differentialquotient — m hätte.
Man sieht also, es kommt darauf an, zu b e w e i s e n , daß l y — — xm - 1 1 den Differentialquotienten — m ¿r " - oder
hat.
Dies aber ist mit Hilfe der Regel (18) leicht einzusehen: Da nämlich l y = X
ist, betrachten wir y als einen Bruch u: v, wobei u = 1 und v = xm ist. Der Differentialquotient von u hat den Wert Null. Ferner ist v = xm
92
Zweites
Kapitel:
Begriff des
Differentialquotienten.
eine p o s i t i v e ganze Potenz von x, und weil Satz 19 für solche Potenzen gilt, lehrt er: dv = dx
mxm~l.
Jetzt gibt die Gleichung (18): dy dx
(xm)2
dx
oder: \xm dx
dy dx
2m
x
Oben stehen nur m — 1 Faktoren x, unten dagegen 2m; also heben sich m — 1 Faktoren fort, so daß unten m + 1 Faktoren x bleiben. Demnach kommt: dy dx
dx
¡gW+i
Dies aber wollten wir gerade nachweisen. Hiernach läßt sich Satz 19 verallgemeinern: Satz 22: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t d e r F u n k t i o n y =
x»,
wo n e i n e g a n z e p o s i t i v e o d e r n e g a t i v e Z a h l i s t , h a t den Wert dx
Bei der Anwendung dieses Satzes ist noch eine Kleinigkeit erwähnenswert, die wir an den beiden Beispielen y = x
8
und
y =
erläutern. Wir können sie so schreiben: B
y = x
und
y =
Im ersten Falle ist also n = 8, im zweiten n = — 8, d. h. im ersten ist n — 1 = 7, dagegen im zweiten n — 1 = — 9 und n i c h t — 7. Man bekommt also in diesen beiden Fällen:
§ 5. Ein
93
Rückblick.
Ein Rückblick.
§ 5.
Nachdem wir soweit gekommen sind, bemächtigt sich des Lesers vielleicht ein ängstliches Gefühl: Eine ganze Reihe von Begriffen und Lehrsätzen sind in diesem Kapitel vorgekommen; wie soll man sich das alles merken? Wir heben deshalb hervor, daß man sich eigentlich nur sehr wenig von dem Vorhergehenden zu merken braucht. V o r a u s g e s e t z t wird d a b e i a l l e r d i n g s , d a ß man das V o r g e t r a g e n e wirklich m i t V e r s t ä n d n i s d u r c h g e l e s e n hat. Vor allem muß man den B e g r i f f des D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e verstehen. Er wurde in § 3 so gründlich erörtert, daß derjenige, der diesen § 3 ordentlich durchstudiert hat, den Begriff kennt, ohne sein G e d ä c h t n i s i r g e n d w i e mit A u s w e n d i g g e l e r n t e m b e l a s t e t zu haben. Bei der Abbildung der Funktion durch eine Kurve bedeutet der Differentialquotient die Steigung der Tangente. Wer dies verstanden hat, dem ist es selbstverständlich, d a ß d e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e i n e r K o n s t a n t e g l e i c h Null und der D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t von x s e l b s t gleich E i n s i s t (vgl. S. 83). Es handelt sich nun um die B e r e c h n u n g der Differentialquotienten, das sogenannte D i f f e r e n z i e r e n . Um dies leicht zu gestalten, haben wir im vorigen Paragraphen einige R e g e l n aufgestellt. Diese Regeln muß man sich allerdings merken. Nötig wäre es nicht, man könnte ja in jedem Falle zur richtigen Stelle zurückblättern. Aber hier gilt ähnliches wie beim gewöhnlichen Zahlenrechnen: Gewiß kann jedermann das Produkt 723.546 ausrechnen, auch wenn er das Einmaleins nicht auswendig kann. Es Wäre aber zeitraubend und unpraktisch, da das Einmaleins unzählige Male im Leben nützlich anzuwenden ist. Ähnlich verhält es sich mit den Differentiationsregeln. Es ist gut, wenn man sie beständig zur Anwendung im Kopfe hat. Diese Regeln sind folgende: 1. R e g e l (Summenregel): E i n e S u m m e wird G l i e d f ü r Glied d i f f e r e n z i e r t , in Formel: d{u + t) dx
_
du dx
dv dx
Wir behaupten wohl nicht zu viel, wenn wir sagen, daß dies ohne Gedächtnisarbeit im Kopfe haftet. 2. R e g e l ( F a k t o r r e g e l ) : K o n s t a n t e F a k t o r e n b l e i b e n beim D i f f e r e n z i e r e n k o n s t a n t e F a k t o r e n , in Formel: dleu) dx
du dx
—^—- = c -j—.
,
,
wenn c = konst.
94 Diese Regel haben wir in Satz 16, S. 82, etwas anders ausgesprochen. Hat man sie aber einmal verstanden, so genügt diese Fassung. Dabei ist Gewicht auf das Wort: F a k t o r zu legen. Es handelt sich um eine konstante Zahl c, mit der eine Funktion u m u l t i p l i z i e r t wird, nicht etwa um a d d i t i v e Konstanten wie die Konstante c in u + c. 3. R e g e l ( P r o d u k t r e g e l ) : Den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n e i n e s P r o d u k t e s von zwei F a k t o r e n f i n d e t m a n , i n d e m man j e d e n F a k t o r m i t dem D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n des andern multipliziert und dann beide Ausdrücke addiert, in Formel: • d{uv) dx
du dx
dv dx
Diese Regel ist, wie man sieht, durchaus symmetrisch hinsichtlich beider Faktoren, was so sein muß, weil uv = vu ist. Auch bedarf es keiner Anstrengung, sie sich dauernd ins Gedächtnis einzuprägen. 4. R e g e l ( B r u c h r e g e l ) : Die R e g e l f ü r die D i f f e r e n t i a t i o n eines B r u c h e s ist in Worten so langwierig auszusprechen (vgl. Satz 21, S. 90), daß es besser ist, sie hier nur in Formel zu wiederholen: \v ) dx ~~
dx
v!
dx
Hat man die Regel für das P r o d u k t , die dritte Regel, im Kopfe, so ist auch die vierte gemerkt. Denn vor allein muß man sich einprägen, daß sich wieder ein Bruch ergibt und daß d e r N e n n e r d i e s e s n e u e n B r u c h e s d a s Q u a d r a t des a l t e n N e n n e r s ist. Beim Differenzieren eines Bruches tut man also gut, vor allem einen Bruchstrich zu ziehen und darunter das Quadrat des alten Nenners zu Betzen, also so anzufangen:
iiÜ dx
v3 Nun wendet man für den noch fehlenden Zähler dieselbe Regel an wie für das Produkt, nur mit dem Unterschiede, daß man statt der Summe v
die D i f f e r e n z
du dx
du v -, dx
. u dv b TT " dx dv u -r— dx
bildet. Dabei geht das Glied voran, bei dem der alte Z ä h l e r z u e r s t differenziert wird.
§ 5.
Mn
95
Rückblick.
Schließlich hat sich noch etwas recht Nützliches ergeben, nämlich die Regel für die Differentiation einer Potenz von x: 5. R e g e l ( P o t e n z r e g e l ) : D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t von xn ist fii»- 1 . Allerdings haben wir nur erst bewiesen, daß dies gilt, wenn n eine positive oder negative g a n z e Z a h l ist. Wir werden später, wie schon gesagt, zeigen, daß dies gilt, was für eine Konstante auch n sein mag. Daher formulieren wir die Regel in dieser kurzen Weise. Anwenden werden wir sie in der Folge nur für ganzzahlige Werte von n, bis wir bewiesen haben, daß sie auch für andere Konstanten n richtig ist. Dies ist alles, was man im Gedächtnis zu haben braucht. Wir wiederholen, nötig ist es nicht, aber nützlich. Wer sich trotz dieser Auseinandersetzungen die Regeln vorläufig nicht zu merken vermag, dem raten wir, sie oft auf Beispiele anzuwenden, bis sie von selber im Oedächtnisse haften. Ü b r i g e n s h a b e n die R e g e l n a u c h e i n e g e o m e t r i s c h e B e d e u t u n g , weil das Differenzieren graphisch dem Tangentenziehen gleichkommt. Insbesondere kann man von der ersten Regel folgende Anwendung machen: Zwei Funktionen u und v von x werden graphisch durch zwei Kurven, eine w-Kurve und eine v-Kurve, dargestellt, deren Ordinaten die zu den Abszissen x gehörigen Werte der Funktionen « und v sind. Indem man diese Ordinaten addiert, entsteht eine dritte Kurve, die S u m m e n k u r v e , siehe Fig. 65, nämlich das Bild der Funktion y = u + v. Eine Parallele zur y-Achse schneidet die i-Achse, die uKurve, die »-Kurve und die Summenkurve in Punkten Q, Pv JP2 und P derart, daß QP^QP.
ist.
+
Fig. 65.
QP,
Die erste Regel dy dx
_
du dx
+
96
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
besagt nun: Die Steigung der Tangente der Summenkurve in P ist gleich der Summe der Steigungen der Tangenten der u- bzw. w-Kurve in PY bzw. P2. Um die Steigungen graphisch darzustellen, ziehen wir noch irgend eine Parallele zur y-Achse. Sie treffe die x-Achse in 8, die Tangente der w-Rurve in Tlt die der »-Kurve in T2 und die der Summenkurve in T. Nun sind die drei Steigungen: dy _ STdx ~
du __ S Tt - Q P,
QP
QS
'
~dx~
QS
dv _ STt - Q Pt '
dx ~
QS
Folglich gibt die Summenregel: ST-
QP=ST1-QP1+ST2-QP2
oder, da Q P gleich QP 1 + QP 2 ist: ST = S^
+
ST2.
Mithin entsteht die Tangente im Punkte P der Summenkurve aus den Tangenten in den zugehörigen Punkten P1 und P2 oder u- und r-Kurve gerade so, wie wir auf S. 42 die S u m m e n g e r a d e zweier Geraden konstruierten, vgl. Fig. 27, S. 41. Man nennt die Herstellung der Summenkurve zweier (oder mehrerer) Kurven durch Addition der Ordinaten, die zur selben Abszisse gehören, die A u f e i n a n d e r l a g e r u n g oder S u p e r p o s i t i o n von K u r v e n . Wir sind also imstande, die Tangente der durch Superposition hervorgehenden Kurve zu konstruieren, sobald wir wissen, wie man die Tangenten an die Einzelkurven zu ziehen hat. Diese Konstruktion gilt wohlbemerkt auch dann, wenn man die Längeneinheiten auf den beiden Achsen verschieden groß gewählt hat. Wir wollen dies auf die B i l d k u r v e e i n e r a l l g e m e i n e n quadratischen Funktion (1)
y = ax2 + bx + c
anwenden. Hier bedeuten a, b, c Konstanten. kann als die Summe der beiden Funktionen u = a x*
und
Die Funktion y
v = bx + c
aufgefaßt werden. Die Bildkurve von ax2 geht aus der von x\ die in Fig. 35, S. 53, dargestellt wurde, dadurch hervor, daß man alle ihre Ordinaten mit der Konstante a multipliziert. Je nachdem nun a positiv oder negativ ist, wird dabei das Vorzeichen der Ordinaten ungeändert bleiben oder gewechselt. J e nachdem also a > 0 oder a < 0 ist, verläuft die Bildkurve von ax2 gänzlich oberhalb oder gänzlich unterhalb der x-Achse, indem sie nur im Anfangs-
97 punkte 0 an diese Achse, sie dort berührend, herankommt. Im Falle a > 0 ist die Bildkurve also als ein einziges T a l , im Falle a < 0 als ein einziger B e r g zu charakterisieren, und in beiden Fällen verläuft die Kurve nach rechts und links bis ins Unendliche. Man betrachte die uKurven in Fig. 66 und Fig. 67, die sich auf die Annahmen 1 y = -110 xX -f x
— 5
und y = -
To
+
x
-
5
beziehen, so daß also die K-Kurve in Fig. 66 das Bild der Funktion ! und in Fig. 67 das t L I der Funktion - ¡ ' ¡ i ' Fig. 66 ist. Im ersten Falle ist hier also a = -j-1^ und im zweiten a — -Jj. Wir kommen nun zur u-Kurve. Da v die l i n e a r e Funktion bx -{- C von x ist, wird sie nach Satz 4, S. 35, durch eine G e r a d e dargestellt. In beiden Figuren ist es diejenige Gerade, deren Ordinaten gleich x — 5 sind, die also den Punkt (0; — 5) enthält und die Steigung 1 hat. Die Summenkurve entsteht durch Addition solcher Ordinaten der u- und »-Kurve, die zur selben Abszisse gehören. Da die «-Kurve im ersten Falle nur positive und Fig. 67. im zweiten nur negative Ordinaten hat, leuchtet ein, daß die Summenkurve im ersten Falle (a > 0) oberhalb der «-Geraden und im zweiten Falle (a < 0) unterhalb der «-Geraden verläuft. Weil nun ferner die M-Kurve nur für x = 0 die Ordinate Null hat, erhellt, daß die Summenkurve nur für x = 0 an die Gerade herankommt und zwar in dem vorhin erwähnten Punkte (0; — 5), allgemein, wenn v = b x + c ist, in dem SCHEFFERS, Mathematik. 3. Aufl.
7
98
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
Punkte (0; c). Mithin wird die Summenkurve hier die Gerade berühren müssen, wie es auch beide Figuren zeigen. Dies Beispiel hat aber noch weiterhin etwas Interessantes: Man sieht in den Abbildungen, d a ß die S u m m e n k u r v e d e r w - K u r v e k o n g r u e n t ist. Daß dies stets der Fall ist, sobald es sich um irgend eine quadratische Funktion y = a x 2 + i x + c handelt, können wir leicht beweisen. Zu diesem Zwecke wollen wir mit der w-Kurve zweierlei vornehmen; Zuerst verschieben wir sie längs der x-Achse um eine gewisse Strecke m, dann verschieben wir die hervorgegangene Kurve längs der «/-Achse um eine gewisse Strecke n. Die schließlich entstehende Kurve muß das Bild einer gewissen Funktion sein, wir fragen uns, welcher Funktion. Wenn man zunächst die w-Kurve, d. h. das Bild von ax2, längs der x-Achse um m verschiebt, geht jeder ihrer Punkte in einen Punkt mit unveränderter Ordinate, aber mit um m größerer Abszisse über. Die a l t e n Abszissen sind daher gleich den n e u e n , vermindert um m, d . h . die durch diese Verschiebung entstandene Kurve ist das Bild der Funktion a(x — m)2. In Fig. 66 ist aus einem nachher ersichtlichen Grunde m = — 5, in Fig. 67 dagegen m = 5 angenommen worden. Im ersten Falle hat also eine Verschiebung nach der negativen Richtung der r-Achse hin stattgefunden. In beiden Figuren ist die entstandene Bildkurve von a(x — m)2 durch eine gestrichelte Linie dargestellt, und zwar ist es in Fig. 66 die Bildkurve von T 1 ö( a : + 5 ) 2 und in Fig. 67 die Bildkurve von — t l [x — 5)2. Weiterhin soll die entstandene Kurve längs der y-Achse um eine Strecke n verschoben werden. Man sieht, daß dabei alle Ordinaten, d. h. alle Funktionswerte, um n wachsen. Aus der Funktion a{x — m)2 wird somit jetzt die Funktion a(x — m)2 + n, deutlicher gesagt: Die jetzt entstandene Kurve ist das Bild der Funktion a(x-m)2
(2)
+ n.
In Fig. 66 ist n = in Fig. 67 dagegen n = — 2 | gewählt worden. Da sich als Funktion a{x — mf in Fig. 66 die Funktion 2 2 t l (x + 5) und in Fig. 67 die Funktion - -J0- (x - 5) ergeben hatte, geht demnach hier durch die Verschiebung parallel zur y-Achse das Bild der Funktion T
V(x+5)2-7|
bzw.
_1Jö-(x-5)2-2i
hervor. Man bemerkt nun, wenn man die Quadrate ausrechnet, daß diese Funktionen dieselben sind wie t
l x2 + x — 5
bzw.
— J j x2 + x — 5 ,
§ 5.
Ein
99
Rückblick.
also genau diejenigen Funktionen, deren Bilder die Summenkurven in Fig. 66 und 67 sind. F ü r die beiden in den Figuren dargestellten besonderen Fälle ist also bewiesen, daß die ursprüngliche «-Kurve durch geeignete Verschiebungen in die Summenkurve verwandelt werden kann und daher der Summenkurve kongruent ist, wie oben behauptet wurde. Daß dies aber auch sonst eintritt, sieht man so ein: Die «-Kurve, das Bild von a x 2 , ist durch die Verschiebung parallel zur x-Achse um m und parallel zur y-Achse um n schließlich in die Bildkurve der Funktion (2) übergegangen. Es braucht nur noch gezeigt zu werden, daß man die Verschiebungsstrecken m und n i m m e r so wählen kann, daß diese Funktion (2) mit der allgemeinen quadratischen Funktion (1) übereinstimmt. Deshalb formen wir (1) um. Zuerst können wir dafür schreiben: y
=
a ^
+ ~ xj +
c.
Nun addieren wir innerhalb der Klammer ¿ 2 :4a 2 . Dies bedeutet, daß zur Funktion der Wert b2-Aa addiert wird. Also muß b2:4a nachher noch subtrahiert werden, weil die Funktion sonst eine andere würde. Demnach ist:
Jetzt aber steht in der Klammer das Quadrat von ^
2a
Also kommt: (3)
+
+
Vergleicht man dies mit (2), so sieht man, daß die Funktion (2) mit der Funktion (3) übereinstimmt, wenn man die Verschiebungsstrecken (4) \ >
m = —— 2a
und
n —c
— 4a
annimmt. Damit ist der Beweis beendet. Man sieht jetzt auch, weshalb wir in den beiden durch die Figuren 66 und 67 dargestellten Beispielen y = -Jj- x- -f x — 5 und y = — 110- x2 + x — 5 gerade die vorhin angegebenen Werte benutzt haben. Denn im ersten Falle ist a = tl, b = 1, c = — 5, so daß (4) die Werte m = — 5, n = — 7 i liefert, und im zweiten Falle ist a = — b = 1, c = — 5, so daß (4) die Werte m = 5, n = — 2\ liefert.
100
Zweites Kapitel: Begriff des Differentialquotienten.
Hiernach können wir sagen: Satz 23: D i e B i l d k u r v e der a l l g e m e i n e n q u a d r a t i s c h e n Funktion y = axt-\-bx-\-c ist der B i l d k u r v e d e r s p e z i e l l e n q u a d r a t i s c h e n F u n k t i o n ax2 k o n g r u e n t . D i e s e n ä m l i c h g e h t in j e n e ü b e r , wenn man sie g e e i g n e t v e r s c h i e b t , ohne sie d a b e i zu drehen. Da uns nun der allgemeine Charakter der Bildkurve von a x s bekannt ist, wie es in § 2 und auf S. 96, 97 auseinandergesetzt wurde, folgt, daß j e d e quadratische Funktion y =
ax2-\-bx-\-c
durch eine Kurve dargestellt wird, die im Falle a > 0 aus einem einzigen Tale und im Falle a < 0 aus einem einzigen Berge besteht. Alle Bildkurven von quadratischen Funktionen heißen P a r a b e l n . Hierauf kommen wir später zurück. Die letzten Betrachtungen schlössen sich an die geometrische Verwertung der Summenregel an. Man kann a b e r auch die Faktorregel geometrisch verwerten: Hat man eine Funktion u von x als Kurve mit den Ordinaten u dargestellt, so geht aus der Kurve das Bild der Funktion y == cu
(c — konst.)
hervor, wenn man alle Ordinaten c-fach nimmt. Siehe Fig. 68, worin c — 2 gewählt worden ist. In der darstellenden Geometrie heißen die u- und ^-Kurven zueinander affin (zu deutsch: verwandt), und die x-Achse nennt man dabei die A f f i n i t ä t s a c h s e . Die Faktorregel dy dx
du dx
besagt nun: W e n n die T a n g e n t e eines P u n k t e s P1 der uK u r v e die a? A c h s e in S t r i f f t , geht die T a n g e n t e des zugehörigen P u n k t e s P der yK u r v e e b e n d a h i n . In der Tat, falls Q der gemeinsame Fußpunkt der Ordinaten von P und Px ist, stellt j a QP1:SQ die Steigung der Tangente der «-Kurve in P1 dar. Nach der Faktorregel ist
§ 1.
101
Ganze Funktionen.
daher c. Q Px: S Q die Steigung der Tangente der ¿/-Kurve in P, und da c.QP1 gerade gleich QP ist, liegt die Richtigkeit der Behauptung auf der Hand. In ähnlicher Weise könnte man die Produktregel sowie die Bruchregel geometrisch verwerten. Aber da liegen die Verhältnisse doch nicht so einfach wie bei der Summen- und Faktorregel, weshalb wir davon absehen wollen.
Drittes Kapitel.
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke. § 1.
Ganze Funktionen.
Die linearen und die quadratischen Funktionen, nämlich die von der Form y = ax + b und y = a i 2 -j- b x + c > sind nur besondere Fälle der sogenannten g a n z e n F u n k t i o n e n . Darunter versteht man Funktionen von x, die Summen von mehreren Gliedern sind, von denen jedes eine g a n z e p o s i t i v e Potenz von x multipliziert mit einer Konstante ist, wie z. B. x3 - Ix4 + 5x + 6a: 5 ,
3 + 2,6x 8 + 3,2a:2 -
7x9.
Es sollen also k e i n e n e g a t i v e n Potenzen von x, wie ar - 1 oder \:x, x~2 oder 1 : x 2 usw. vorkommen, auch keine gebrochenen Potenzen wie x^ oder Liegt eine ganze Funktion vor, so kann man die Glieder der Summe nach fallenden Potenzen von x ordnen, in den beiden soeben angegebenen Beispielen also in dieser Weise: 6*5 _ 7*4 +
xs +
bx>
_ 7 X 9 + 2,6a:8 + 3,2a:2 + 3 .
Ist die höchste vorkommende Potenz von x die « t e , so nennt man die Funktion eine ganze Funktion ra,en Grades. Die Beispiele sind ganze Funktionen vom 5. und 9. Grade. D i e a l l g e m e i n e F o r m e i n e r g a n z e n F u n k t i o n n ton G r a d e s ist: (1) y = unxn + a x " -
1
+ an_2 x«~2 + ... + a2 x2 + ^ x + a0 ,
§ 1.
101
Ganze Funktionen.
daher c. Q Px: S Q die Steigung der Tangente der ¿/-Kurve in P, und da c.QP1 gerade gleich QP ist, liegt die Richtigkeit der Behauptung auf der Hand. In ähnlicher Weise könnte man die Produktregel sowie die Bruchregel geometrisch verwerten. Aber da liegen die Verhältnisse doch nicht so einfach wie bei der Summen- und Faktorregel, weshalb wir davon absehen wollen.
Drittes Kapitel.
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke. § 1.
Ganze Funktionen.
Die linearen und die quadratischen Funktionen, nämlich die von der Form y = ax + b und y = a i 2 -j- b x + c > sind nur besondere Fälle der sogenannten g a n z e n F u n k t i o n e n . Darunter versteht man Funktionen von x, die Summen von mehreren Gliedern sind, von denen jedes eine g a n z e p o s i t i v e Potenz von x multipliziert mit einer Konstante ist, wie z. B. x3 - Ix4 + 5x + 6a: 5 ,
3 + 2,6x 8 + 3,2a:2 -
7x9.
Es sollen also k e i n e n e g a t i v e n Potenzen von x, wie ar - 1 oder \:x, x~2 oder 1 : x 2 usw. vorkommen, auch keine gebrochenen Potenzen wie x^ oder Liegt eine ganze Funktion vor, so kann man die Glieder der Summe nach fallenden Potenzen von x ordnen, in den beiden soeben angegebenen Beispielen also in dieser Weise: 6*5 _ 7*4 +
xs +
bx>
_ 7 X 9 + 2,6a:8 + 3,2a:2 + 3 .
Ist die höchste vorkommende Potenz von x die « t e , so nennt man die Funktion eine ganze Funktion ra,en Grades. Die Beispiele sind ganze Funktionen vom 5. und 9. Grade. D i e a l l g e m e i n e F o r m e i n e r g a n z e n F u n k t i o n n ton G r a d e s ist: (1) y = unxn + a x " -
1
+ an_2 x«~2 + ... + a2 x2 + ^ x + a0 ,
102
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
wo die K o e f f i z i e n t e n an, a n _ i , a „ _ 2 , . . . a 2 , alt a0 irgendwelche Konstanten bedeuten, die auch teilweise gleich Null sein können. Die einfachsten ganzen Funktionen sind die vom ersten und zweiten Grade, die, wie wir wissen, stetig sind. Dasselbe gilt von allen ganzen Funktionen, denn da y = x und y — x2 stetig sind, ist auch y = x. x2 = x 8 stetig, nach Satz 17, S. 85. Also nach demselben Satz auch y = x.x3 = xi usw. Alle ganzen Potenzen yon x sind somit stetige Funktionen von x, daher nach Satz 15, S. 82, auch die Produkte: anxn,
an^xn~l,
fl„_2
...a2x2,
alx,
a0.
Nach Satz 11, S. 80, ist mithin die aus ihnen gebildete Summe, d. h. die Funktion (1), stetig. Demnach gilt der Satz 24: J e d e ganze F u n k t i o n ist s t e t i g . Folglich gehört bei ihr allemal zu einem unendlich kleinen Zuwachs von x auch ein unendlich kleiner Zuwachs von y. Der Differentialquotient der Funktion (1) ist leicht zu berechnen. Denn nach der Summenregel, S. 93, hat man sie gliedweise zu differenzieren. Das erste Glied anxn hat den konstanten Faktor an. Der bleibt nach der Faktorregel (S. 93) als Faktor stehen. xn aber hat nach der Potenzregel (S. 95) den Differentialquotienten nx™_1, also anxn den Differentialquotienten nanxn~l. Ebenso behandeln wir a„_ix n _ 1 . Zunächst ist a n _i ein konstanter Faktor, der bleibt. xn~l gibt nach der Regel für xn differenziert, indem hier n — 1 an die Stelle von n tritt, den Differentialquotienten (» — l ) * ' " - 1 ' - 1 oder (n — l)x"- 2 . Also hat a„_i a:" -1 den Differentialquotienten (n — l) a„_i x"~2. So fährt man fort. Schließlich hat das letzte Glied a0 den Differentialquotienten Null. Es ergibt sich also als Differentialquotient der Funktion (1): (2) ^
=
+ ( « - l K _ i * " - 2 + ( « - 2 H _ 2 * " - 3 + • • • + 2tf 2 * + der die Steigung der elastischen Linie an ihren verschiedenen Stellen angibt. Für x = 0 ist dy: dx = 0, d. h. in 0 hat die Tangente wagerechte Lage. Am Ende B, d. h. für x = l, ist der Differentialquotient gleich Sb:'21 oder b : ' l . Wenn wir von 0A ein Drittel durch den P u n k t C abschneiden, d.h. wenn CA = f / ist, hat die Gerade CB eben diese Steigung AB-. CA = i :•§•/, da man ja beachten muß, daß die Richtung nach unten positiv ist, wegen der Wahl der positiven y-Achse nach unten hin. Demnach muß diese Gerade CB die Tangente der elastischen Linie in B sein. Ferner sei P ein beliebiger Punkt der Kurve, also OQ = x, QP = y. Die Tangente von P treffe die.a;_Acb ae in T. Ihre Steigung ist nach (5): QP daher: TQ
21' QP 3b 2Ix - x*
oder, da QP — y den Wert (4) hat: TOV = Also kommt:
3 ( 2 / - x)
OT-OQ-TQ-x-TQ-*-$$[=itfFür x = f / z. B. (in Fig. 69 bei P) ist y = b und OT = so daß T sehr nahe bei C liegt. Die Kurve wird durch die drei Punkte 0, P, B und ihre Tangenten in diesen Punkten praktisch genau genug bestimmt. Werte von x über l hinaus und negative Werte von x haben für die Aufgabe keine Bedeutung. 2. B e i s p i e l : Wird derselbe Stab nicht am Ende, sondern überall gleichmäßig belastet, so biegt er sich, wie ebenfalls in der Mechanik gezeigt wird, derart, daß die entstehende e l a s t i s c h e L i n i e angenähert durch die ganze Funktion v i e r t e n Grades y = a(6Px* - 4Ix3 + xl) wiedergegeben wird. Dabei bedeutet wieder a eine vom Material und von der Belastung bedingte Konstante. Das Ende B ist hier um die Strecke y herabgebogen, die sich für x = l ergibt, also um 3 a?4. Diese Strecke sei mit b bezeichnet, so daß 3al* = b, also a = 6 : 3 / 4 ist und daher y=
Ix' + x*)
kommt. Die Formel ist nur für k l e i n e Werte von b:l statthaft, wie die Mechanik lehrt. Man berechne den Differentialquotienten und zeige, daß die Tangente in B von der Länge l jetzt ein Viertel abschneidet.
105 3. B e i s p i e l : Aus einem rechteckigen Stück Pappe von 8 cm Länge und 5 cm Breite soll dadurch, daß man an den Ecken gleich große Quadrate ausschneidet und alsdann die Bänder umknickt, eine offene Schachtel hergestellt werden (siehe Fig. 70). J e nachdem man die Länge der Quadratseite, d. h. die Höhe der Schachtel, wählt, wird die Form und damit auch der «s g-ix Bauminhalt der Schachtel verschieden ausfallen. Der 'Mf, ü Bauminhalt (in ccm) ist also eine Funktion der Höhe (in cm). Diese Funktion soll untersucht werden. Die Fig. 70. unabhängige Veränderliche x ist die Schachtelhöhe, die abhängige y der Rauminhalt. Die Grundfläche ist ein Bechteck von den Seitenlängen 8 — 2 s und 5 — 2 s. Also wird
m
(6)
y = (8 - 2s)(5 - 2¡8)«.
Dies ist eine ganze Funktion d r i t t e n Grades. Ausmultiplizieren gibt: (7) y = ix3 - 263* + 40®. Hiervon berechnet man den Differentialquotienten: dy
(8)
12a;2 - 52x + 40.
dx
Die Schachtelhöhe ist höchstens halb so lang wie die kurze Rechteckseite, d. h. höchstens gleich 2£ cm. Uns interessieren also nur Werte von x zwischen 0 und 2i. Nehmen wir nacheinander für x eine Reihe von Werten in diesem Intervalle an, so kommt 1 : x
y
d]i dx
40 | positiv. 17/ •L 0 1 -11) H 2 -16} 2i — 15 J Wenn man die Funktion y graphisch darstellt, so daß die Abszissen die Schachtelhöhen, die Ordinaten die Schachtelinhalte durch Strecken veranschaulichen, so findet man eine Kurve, die vom Anfangspunkte an s t e i g t , da d y . d x zunächst positive Werte hat. F ü r x — 1 i s t d i e S t e i g u n g d e r T a n g e n t e g l e i c h Null. Hier ist der G i p f e l der Kurve. Für x > 1 wird die Steigung negativ, d. h. die Kurve f ä l l t , bis sie die xAchse an der Stelle x = trifft, siehe Fig. 712. Allerdings haben wir dies alles noch nicht genau bewiesen, da wir nur einige Stellen berechnet haben. Um es exakt einzusehen, formen wir den Wert von dy : dx etwas um. Die Stelle x = 1 ist besonders interessant, weil hier d y . d x gleich Null wird. Fig. 71. 0 I
1
0 14 18 15 8 0
y berechnet man dabei am bequemsten mittels (6), nicht mittels (7), Die ^-Einheit wählt man hier bedeutend kleiner als die x-Einheit, weil die y-Werte so groß sind. a
106
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Wir können nun dy: dx so ausdrücken, daß x — 1 statt x vorkommt, also der Wert, der gerade für x = 1 gleich Null ist. In der Tat, wenn wir in (8) statt 12a;' zunächst 12(® — 1)J schreiben, so ist dies fehlerhaft, nämlich um — 24a; + 12 größer als 12a;2, weshalb 24a; — 12 noch addiert werden muß. Demnach kommt:
dx
= 12(z - 1)» + 24a; - 12 - 52a; + 40 =
= 12(x - l)1 - 28(x - 1) = 12 (a; - 1)(® - 31). Da x zwischen 0 und 2^ liegen muß, ist x — 3 | n e g a t i v , Dagegen ist x — 1 negativ für x kleiner als 1 und positiv für x größer als 1. Also für x zwischen 0 und 1 ist die Steigung positiv, für x zwischen 1 und negativ. Für x = 1 hat die Kurve daher ihre höchste Stelle, d. h. für x = 1 ist y am größten. In Worten: Die Schachtel wird den größten Inhalt haben, wenn man den Rand gerade 1 cm hoch wählt. Der Inhalt ist dann 18 ccm.
Schon früher, im 3. Beispiele auf S. 60 und im 5. Beispiele auf S. 63, haben wir wie soeben s o l c h e W e r t e von x b e t r a c h t e t , f ü r die e i n e F u n k t i o n y a m g r ö ß t e n w i r d . Untersuchen wir dies jetzt ganz allgemein! Dabei nehmen wir an, die vorgelegte Funktion y = f(x) sei stetig und Fig. 72 stelle etwa ihre Bildkurve dar. Ferner erinnern wir daran, daß / C die Kurve nach S. 86 stets so durchFig. 72. laufen werden soll, daß der Fußpunkt der Ordinate die a--Achse im positiven Sinne entlangläuft. Wir sagen dafür auch: Die Kurve soll im Sinne der positiven ¿¡-Achse durchlaufen werden. Da nun die Steigung das Verhältnis zusammengehöriger Zunahmen von y und x ist, die Zunahme von x aber bei dieser Festsetzung beständig positiv bleibt, ist die Steigung positiv oder negativ, je nachdem die Zunahme von y positiv oder negativ ausfällt. Weil die Steigung durch den Differentialquotienten angegeben wird, folgt daraus der Satz 26: I s t e i n e F u n k t i o n y = f(x) s t e t i g u n d w i r d i h r e B i l d k u r v e im S i n n e d e r p o s i t i v e n a>Achse d u r c h l a u f e n , so s t e i g t d i e K u r v e , d . h . so w ä c h s t y, s o l a n g e d e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t p o s i t i v i s t , u n d so f ä l l t die K u r v e , d. h. so n i m m t y a b , s o l a n g e d e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t n e g a t i v ist. In Fig. 72 steigt die Kurve vor A und ß und nach C und D; sie fällt dagegen nach Ä und B und vor C und I). Demnach ist der Differentialquotient vor A und B und nach C und B positiv, dagegen nach A und B und vor C und B negativ. Mithin tritt jedesmal ein Wechsel im Vorzeichen des Differentialquotienten ein, und dies kommt dadurch zustande, daß der Wert des Differentialquotienten (oder
§ 1.
Ganze Funktionen.
107
der Steigung) dort gerade gleich Null wird. Aber es sind noch andere Fälle denkbar als die in Fig. 72 dargestellten: Wenn nämlich die Kurve an einer Stelle eine zur a--Achse parallele Tangente hat, d. h. wenn hier die Steigung oder der Differentialquotient gleich Null ist, sind f ü r die k u r z v o r h e r o d e r n a c h h e r k o m m e n d e n P u n k t e überhaupt folgende Möglichkeiten denkbar: Die Steigung ist: vorher
positiv
positiv
negativ
negativ
nachher
positiv
negativ
positiv
negativ
1. 2. 3. 4. Der erste Fall tritt in Fig. 73 an der Stelle 1 auf, der zweite an der Stelle 2 usw. Man sieht, daß die Kurve im 1. und 4. Falle
i A^ '
^
2
1 negativ ist, d. h. x = 1 gibt ein M a x i m u m von y. Außerdem treten an den Grenzen des Intervalles, nämlich für x = 0 und x = G r e n z m i n i m a auf, da hier y — 0 wird, während y sonst im ganzen Intervalle größer als Null ist. Diese Grenzminima haben aber für die Aufgabe keine Bedeutung. Dem einen, für x = 0, würde ja eine Schachtel von der Höhe Null, dem andern, für x = 2^, eine Schachtel von der Bodenfläche Null entsprechen. 4. B e i s p i e l : In einer Wand ist eine Blechplatte wagerecht eingemauert, so daß ein Rechteck vorsteht, dessen Breite von der Wand bis vorn 9 cm beträgt, während es 48 cm Länge hat. Schneidet man an den beiden freien Ecken kleine gleichgroße Quadrate aus und kippt mau die Ränder nach oben um, so entsteht ein längs der Wand laufender offener Behälter. Wie hoch muß der Rand oder, was dasselbe ist, die Quadratseite gewählt werden, damit der Behälter einen möglichst großen Inhalt faßt? Diese Aufgabe erinnert an das 3. Beispiel. Ist x die Quadratseite in Zentimetern, so ist der Inhalt y in Kubikzentimetern: y — (48 — 2x) (9 -x)x. Der Unterschied gegenüber der vorigen Aufgabe liegt, abgesehen von den geänderten Zahlenwerten, darin, daß der zweite Faktor — x und nicht — 2 x enthält. Hier ist, wie man berechnen möge:
dx
= 6 z 2 - 132z + 432 .
Die Quadratseite x kann höchstens gleich 9 gewählt werden. Denken wir uns y für die Werte von x zwischen 0 und 9 berechnet und in ein Achsenkreuz eingetragen, so entsteht eine Kurve, die vom Nullpunkte ausgeht und die x-Achse wieder an der Stelle x = 9 trifft, denn y ist gleich Null für x = 9. Dazwischen ist y überall positiv. Zu Anfang ist die Steigung gleich 432, an der Stelle x — 9 gleich — 270, d. h. zuerst steigt die Kurve, nachher fallt sie. Sie muß deshalb einen Gipfel haben, d. h. z w i s c h e n x = 0 u n d x = 9 h a t y s i c h e r i r g e n d w o e i n M a x i m u m . Dies wird gesucht. An der gesuchten Stelle ist die Steigung gleich Null, also haben wir einen Wert von x zwischen 0 und 9 zu suchen, für den 6a;2 - 132a; 4 - 432 = 0
110
Drittes
Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer
Ausdrücke.
ist. Dies ist e i n e q u a d r a t i s c h e G l e i c h u n g für die U n b e k a n n t e (jetzt nicht Veränderliche) x. Um die Lösungen dieser Gleichung zu finden, verfahren wir so: Zuerst schaffen wir das konstante Glied auf die rechte Seite und dann dividieren wir beide Seiten mit 6. Es kommt: er5 - 22z = - 72 , Jetzt e r g ä n z e n w i r x — 22a; zum Q u a d r a t e , wie man sich ausdrückt, d. h. wir erinnern uns daran, daß (x — af = x1 — 2 a x + a 2 ist, und sehen, daß die Gleichung links zwei Glieder x- — 2.11 x hat, die als Anfang dieses Quadrates gebraucht werden können. Offenbar müssen wir a = 11 nehmen, denn es ist dann (x — II) 2 = x2 — 22 x + 121. Dieses v o l l s t ä n d i g e Q u a d r a t (x — II) 2 wird in der Gleichung links stehen, wenn links noch der Summand 121 vorkommt. Den dürfen wir hinsetzen, sobald wir es auch rechts tun. Also schreiben wir zunächst: t
oder:
x* - 22 x + 121 = - 72 + 121
(x - II) 2 = 7 2 . Ziehen wir nun die Quadratwurzeln aus, so folgt, daß entweder: x — 11 = 7 , also x = 18 oder: x — 11 = — 7 , also x = 4 sein muß. Da x zwischen 0 und 9 liegt, ist nur x = 4 zu gebrauchen. Weil, wie gesagt, zwischen x = 0 und x = 9 sicher ein Maximum vorkommt, muß es also für x = 4 eintreten. Man wird mithin 4 cm des Randes der Blechplatte umknicken und erhält dadurch, wie man berechnen möge, einen Behälter von 800 ccm Inhalt. Es ist nützlich, die Bildkurve der Funktion y von x = 0 bis x — 9 zur Übung zu konstruieren. Wir haben es nicht getan, um zu zeigen, d a ß die n u r g e d a c h t e B i l d k u r v e f ü r die L ö s u n g d e r A u f g a b e ausreicht. 5. B e i s p i e l : Aus allen oben o f f e n e n zylindrischen Gefäßen von derselben v o r g e s c h r i e b e n e n O b e r f l ä c h e (gleich Mantel plus Grundfläche) soll dasjenige herausgefunden werden, das den größten Inhalt hat. Wird der Badius des Grundkreises groß gewählt, so bleibt für den Mantel wenig Material übrig. Das Gefäß wird also sehr flach und daher wenig Inhalt haben. Wählt man andererseits den Badius der Grundfläche klein, so bleibt zwar für den Mantel viel Material übrig, das Gefäß wird sehr hoch, schon mehr röhrenförmig, hat aber auch wegen der geringen Dickc nur geringen Inhalt. Zwischen beiden Extremen wird die gewünschte Form liegen. Die gegebene Gesamtfläche des Mantels und Bodens betrage F qcm. Beliebig wählen können wir zunächst den Badius der Bodenfläche, allerdings offenbar nicht über alle Grenzen groß. Wir setzen ihn gleich x cm. Wie groß ist dann der Inhalt y in Kubikzentimetern? Die Grundfläche ist n x2 qcm groß; es bleiben also für den Mantel (F — n x2) qcm. Der Mantel wird auseinandergebreitet ein Rechteck, dessen Grundlinie gleich dem Umfange 2 n x des Bodens ist. Daher ist die Höhe h gleich der zur Verfügung stehenden Fläche F — n x\ dividiert mit 2 nx, d. h. F — rix' h = — i1n X Da der Bauminhalt gleich Grundfläche n x"- mal Höhe h ist, hat er, ausgedrückt in Kubikzentimetern, den Wert
§ 1.
oder: Hier ist:
Ganze y = n x'
F — n x2
y = IFx
-
dx
= LF-
Dies ist gleich Null für 3 2
Funktionen.
• F.
111
}rnx3 %nx*-.
F_ also x- = ——
d. h. für
Natürlich muß die Wurzel positiv gewählt werden. Wir sahen schon, daß sicher ein Maximum von y vorhanden sein muß. Da sich andererseits nur dieser eine Wert von x ergibt, für den y überhaupt ein Maximum haben k a n n , tritt sicher für diesen Wert von x das Maximum ein. Alsdann ergibt sich als Gefäßhöhe: F F-n 3n h = = y on ;.r b 3 71 \ / - F V 3n V 3 TT Dies ist aber derselbe Wert wie der von x. Also sehen wir: D a s G e f ä ß w i r d d e n g r ö ß t e n I n h a l t h a b e n , wenn s e i n e H ö h e g l e i c h dem R a d i u s des G r u n d k r e i s e s ist. 6. B e i s p i e l : Man behandle ebenso die Aufgabe: Aus allen oben ges c h l o s s e n e n zylindrischen Gefäßen von derselben vorgeschriebenen Oberfläche (gleich Mantel plus Bodenfläche p l u s D e c k e ) f l ä c h e ) soll dasjenige herausgefunden werden, das den größten Inhalt hat. 1. B e i s p i e l : Wie stellen sich die Lösungen der beiden letzten Aufgaben dar, wenn man annimmt, daß das Stück des Materials, das beim Herausschneiden der kreisförmigen Bodenfläche (bzw. des Deckels) von dem umschriebenen Quadrate übrig bleibt (siehe Fig. 74), als Abfall nicht benutzt werden kann? Wir wollen dies nur für den Fall des offenen Gefäßes kurz andeuten. Ist x der Kadius, so wird durch die Herstellung der Grundfläche nicht Fig. 74. 71 x"', sondern 4 a;2, die Quadratfläche, verbraucht. Also bleibt 1 für den Mantel nur F — 4.x übrig, so daß die Höhe F - 4 xist, usw. W i e wir sahen, ist jede ganze Funktion y = an x" + an_x x " " 1 + . . . + a 2 x2 + ax x + a0 stetig, d. h. zu jeder unendlich kleinen Änderung von x gehört eine unendlich kleine Änderung von y und zwar, wie man auch x wählen mag. Diese ganze Funktion wird daher durch eine Kurve dargestellt, die für keinen endlichen positiven oder negativen Wert
112
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
von x eine Unstetigkeit hat. W i r d n u n x s e h r g r o ß , so gilt dasselbe von y. Denn wir können j a schreiben:
Wird x sehr groß, so werden alle Glieder der Summe in der Klammer, a b g e s e h e n vom e r s t e n , an, sehr klein. Also folgt: Ist der absolute Betrag von x sehr groß, so kommt von der Funktion fast nur das erste Glied anxn in Betracht. Es gibt insbesondere allein den Ausschlag für den Verlauf der Kurve, sobald x nach + oo oder — oo strebt, in welchen Fällen auch y unendlich groß wird. Das Vorzeichen von y ist dabei dasselbe wie das von anxn. Ist n gerade, so ist xn positiv, so daß dann das Vorzeichen von an allein den Ausschlag gibt. Daher sind die verschiedenen Fälle möglich: n 1) gerade 2) gerade 3) ungerade 4) ungerade
a„ positiv negativ positiv negativ
1 x= + X=+ X=+ X =+
00 CO 00 CO
y = + 00 y = - 00 y = + CO y = - 00
X=— X =— x= — X =—
00 00 00 CO
y= y= y= y=
+ +
CO 00 00 00
Im ersten Falle kommt die Kurve links oben aus dem Unendlichen und geht rechts oben wieder ins Unendliche. Im zweiten Falle gilt dasselbe, nur tritt unten an die Stelle von oben. Im dritten Falle kommt die Kurve links unten aus dem Unendlichen und geht nach rechts oben ins Unendliche. Im vierten Falle endlich kommt sie von links oben aus dem Unendlichen und geht nach rechts unten ins Unendliche. In allen Fällen denken wir uns d i e K u r v e im S i n n e w a c h s e n d e r A b s z i s s e n x d u r c h l a u f e n (siehe S. 106). In den Beispielen haben wir immer nur ein Stück der Kurve betrachtet, da x nach der Natur der vorgelegten Aufgaben stets auf ein gewisses Intervall beschränkt war. Dies hindert uns aber nicht, eine Kurve auch außerhalb des für x vernünftigen Intervalles zu betrachten.
n ten (9)
W i r wollen hier noch die Frage erwähnen: W o s c h n e i d e t die Bildkurve einer ganzen Grades y =
Funktion
+ on-i xn~x + • • • + a2 x2 + a, x + a0
die :r-Achse? F ü r jeden Punkt der x-Achse ist die Ordinate y = 0. Die Frage ist also dieselbe wie folgende:
113 F ü r w e l c h e W e r t e von x ist (10)
an x» + a„_! X'-1
+ ... + a2 x2 + a, x + a0 = 0 ?
Es -werden hier ganz b e s t i m m t e , f r e i l i c h noch u n b e k a n n t e W e r t e von x gesucht. Die Forderung, die vermöge (10) an diese unbekannten Werte gestellt wird, nennt man bekanntlich eine G l e i c h u n g «t natürlich gemessen mittels der zugrunde gelegten Längeneinheit. x ist als Q u o t i e n t —us:a6 dargestellt. Um dies zu vermeiden, tut man gut, auf der zweiten Seite des ursprünglichen Linienzuges eine Skala f ü r die x-Werte anzugeben, vom Punkte C aus positiv auf der Verlängerung von a 5 über C hinaus und mit der Länge von A C (oder oe) als Einheit. Auch wird man auf BY von B aus rückwärts positiv eine «/-Skala angeben, deren Einheit die der ganzen Figur zugrunde gelegte Längeneinheit ist. Wählen wir nun irgend eine Zahl x auf der x-Skala, so gehört dazu ein bestimmter Punkt X. Durch Ausführung des mit AX beginnenden Linienzuges kommen wir zu einer Stelle Z d e r y-Skala, an der man den zugehörigen Wert von y ablesen kann. Die Fig. 84 bezieht sich auf die Funktion: y — 9x 6 + 10x s + 8x4 + 7x 3 + 6x 2 + 4x + 5 , und es ist x = — 0,3 gewählt worden. Man liest an der y-Skala y = 4,2 ab. Die Rechnung gibt y — 4,198... Wählen wir dagegen x = 0,4, so ergibt sich der punktierte Linienzug, dessen Ecken auf den Verlängerungen der Seiten des Linienzuges A...B gelegen sind. Für y lesen wir hier auf der y-Skala den Wert 8,3 bis 8,4 ab. Ausrechnung gibt: y = 8,352... Wir nahmen bisher an, die Koeffizienten der Gleichung seien sämtlich positiv. Der Leser möge selbst überlegen, wie sich die Betrachtung auch dann durchführen läßt, wenn die K o e f f i z i e n t e n verschiedene Vorzeichen haben. Man wird sehen, daß die aufgestellten Formeln auch dann richtig bleiben, sobald man nur folgendes beachtet: S o b a l d d e r K o e f f i z i e n t , d e n m a n d u r c h eine S t r e c k e g r a p h i s c h wiedergibt, das entgegengesetzte Zeichen als der v o r h e r g e h e n d e , schon durch eine S t r e c k e d a r g e s t e l l t e K o e f f i z i e n t hat, wird nicht r e c h t e r , s o n d e r n l i n k e r H a n d d a s n e u e L o t e r r i c h t e t . Die x-Skala wird wie vorhin auf der Geraden der zweiten Strecke aufgetragen, und zwar wieder positiv links von der ersten Strecke A C. Die Einheit der
181 x-Skala ist die Länge der ersten Strecke. Die y-Skala wird auf der Geraden der letzten Strecke des Linienzuges angebracht, mit dem Endpunkte B des ganzen Linienzuges als Nullpunkt und mit der der ganzen Zeichnung zugrunde gelegten Längeneinheit als Einheit. D i e p o s i t i v e R i c h t u n g d e r y - S k a l a i s t s t e t s so zu w ä h l e n , d a ß d e r v o r l e t z t e P u n k t d e s L i n i e n z u g e s auf d e r y - S k a l a g e r a d e d i e j e n i g e Z a h l a n g i b t , die g l e i c h d e m abs o l u t e n G l i e d e d e r F u n k t i o n i s t , u n d z w a r a u c h in H i n sicht auf das Vorzeichen. Wenn in der Funktion y eine Potenz von x fehlt, d. h. den Koeffizienten Null hat, zieht sich die zugehörige Seite des Linienzuges auf einen Punkt zusammen. Die Gerade dieser Seite hat aber dennoch eine ganz bestimmte Lage. Die folgende Gerade ist zu ihr senkrecht, d. h. sie fällt mit der Geraden desjenigen Koeffizienten zusammen, der dem Koeffizienten Null vorhergeht. Dies erläutert die Fig. 85, die f ü r die Funktion y = Jr 5 + 2a-4 - X* + 2±x - 2 gilt. Hier fehlt x2. Die Geraden des festen Linienzuges sind von der zum Koeffizienten 2 gehörigen an in Fig. 85 mit 1.. 2., 3., 4., 5, numeriert. Die 3. Gerade gehört Fig. 85. zum Koeffizienten Null von x2. Die auf ihr gelegene Strecke des Linienzuges ist deshalb bloß ein Punkt E. Die 2. und 4. Gerade fallen daher aufeinander. Will man nun y für irgend einen Wert von x, z.B. für 1,2, bestimmen, so sucht man die zugehörige Stelle X der x-Skala und zeichnet, mit A X beginnend, den gebrochenen und überall rechtwinkligen Linienzug. Er liefert eine Stelle Y der y-Skala, an der man y gleich ungefähr + 3,7 abliest. Übrigens gibt die Berechnung für x = 1,2 den Wert y = 3,66... Bei der Anwendung muß man aber alles in viel größerem Maßstabe zeichnen. Auch wird man zu kräftige Striche vermeiden. Zur Herstellung der Linienzüge AX...T braucht man nur ein rechtwinkliges Dreieck an einem festgehaltenen Lineal mit der Hypotenuse 9*
132
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer Ausdrücke.
hin und her zu schieben. Der Nutzen dieses Verfahrens ist beträchtlich, wenn die Koeffizienten von y keine runden Zahlen sind und auch x keine runden Zahlenwerte hat. Natürlich wird man es nur d a n n a n w e n d e n , w e n n m a n b e i e i n e r v o r g e l e g t e n g a n z e n F u n k t i o n zu r e c h t v i e l e n W e r t e n von x den F u n k t i o n s w e r t b e s t i m m e n muß. Man kann diese graphische Darstellung auch benutzen, um d u r c h P r o b i e r e n d i e L ö s u n g e n e i n e r G l e i c h u n g n ten G r a d e s zu b e s t i m m e n , d. h. diejenigen Werte von x, für die die vorgelegte Funktion y gleich Null ist (vgl. S. 118). Es handelt sich nämlich dann darum, die Stelle X so auf der x-Skala zu ermitteln, daß der Endpunkt Y des von AX ausgehenden Linienzuges gerade in die Endstelle des grundlegenden Linienzuges fällt, was in manchen Fällen durch Probieren mit mehreren Stellen X genügend genau geschehen kann. Die y-Skala wird dabei nicht gebraucht. 4. B e i s p i e l : Ein Pfeiler von 5 m Höhe soll architektonisch gegliedert werden; das schon festgestellte unterste Stück sei 2 m hoch. Nun soll der Rest noch in drei Glieder geteilt werden, so daß der ganze Pfeiler aus vier Gliedern besteht. Um eine gute Wirkung zu erzielen, wünscht man, daß sich das 1. zum 2. wie das 2. zum 3. und wie das 3. zum 4. Gliede verhalte. Wie muß man teilen? Das zweite Glied sei x m lang. Da das erste (unterste) 2 m Länge h a t , ist das zweite das \x fache des ersten. Das dritte soll also auch das ^xfache des zweiten sein und ist daher \ x l m lang. Das vierte soll wieder das ^»fache des dritten sein; es muß daher -\-x3 m lang sein. Das 2., 3. und 4. Glied machen zusammen 3 m aus. Daher fordern wir:
x +
+ \x3 = 3
oder, wenn wir mit 4 multiplizieren und ordnen:
x' + 2x*' + 4z - 12 = 0 . Wir konstruieren den Linienzug A C •.. B für die Funktion:
y = x3 -i- 2x2 + ix -
Pj
gg
lingt. W i r haben nur aber selbst hier kann an 1,4 liegt. Sei also des Pfeilers in Metern.
12 ,
siehe Fig. 86, und suchen X so auf der Geraden der zweiten Seite zu bestimmen, daß der mit AX beginnende neue Linienzug gerade in B endet, was durch einige Proben (vgl. die beiden eingezeichneten Linienzüge) leicht angenähert geder Raumersparnis halber die Figur so klein entworfen, man sehen, daß x zwischen 1,3 und 1,4 und zwar näher x = 1,38. Alsdann ist dies die Länge des zweiten Gliedes Das dritte ist i-amal so lang, d. h. gleich 1.38 . 0,69 oder
133 rund 0,95, das dritte ^xmal so groß wie dieses, 0,66. In der Tat ist: 2 + 1,38 + 0,95 + 0,66 d. h. es fehlt nur 1 cm an den 5 m, gewiß Fig. 87 mit den eingeteilten und zugleich den Pfeilerstücken. Diese
Art,
eine
vorgelegte
d. h. gleich 0,95 . 0,69 oder rund = 4,99 , ein sehr gutes Ergebnis. Vgl. Höhen entsprechend verjüngten
Gleichung
ntcn
durch P r o b i e r e n zu lösen, l i e f e r t i n s b e s o n d e r e tischen
Gleichungen
eine
ganz
genaue
Grades
graphisch
für die quadra-
Konstruktion,
die
wir an e i n e m B e i s p i e l e erläutern. 5. B e i s p i e l : Eine Strecke von der Länge 1 soll so geteilt werden, daß sich der kleinere Teil zum gröberen wie der größere zum ganzen verhält (die sogenannte , g o l d e n e ' Teilung). Ist x die Länge des größeren Stückes, so fordern wir: 1 — x _ =
x
oder:
x
T
x* + x - 1 = 0.
Der Linienzug ACDB besteht hier aus drei gleichlangen Strecken, siehe Fig. 88. Der die Gleichung „auflösende" Linienzug AXB besteht also aus nur zwei Strecken, d. h. X muß so auf der Geraden CD bestimmt werden, daß AXB ein rechter wird. X muß dem"1 nach auf dem Kreise über AB als Durchmesser liegen. Dieser Kreis schneidet die Gerade CD in zwei Punkten A*. Zum oberen X gehört eine positive Lösung, die einzige, die uns interessiert. Es ist nämlich das zugehörige
c\ \ M \
\ Fig. 87.
D
Fig. 88.
TJ
Fig. 89.
x = CX: AC — CX, wegen AC = 1. Das gewöhnliche Verfahren der goldenen Teilung besteht (siehe Fig. 89) darin, daß man auf der Strecke AC = 1 in C das Lot CM = J,- errichtet nnd dann um M den Kreis durch C legt Er schneide AM in N. Dann ist AN der gesuchte Abschnitt x. Legen wir beide Figuren aufeinander, so sehen wir, daß wir in der Tat genau dieselbe Strecke x gefunden haben, da x die Differenz der Radien M A und M C ist. E s kann bei a n d e r e n q u a d r a t i s c h e n G l e i c h u n g e n v o r k o m m e n , daß der K r e i s ü b e r AB als D u r c h m e s s e r die G e r a d e CD nur berührt o d e r ü b e r h a u p t n i c h t trifft. D a n n hat die G l e i c h u n g n u r eine o d e r g a r keine reelle L ö s u n g .
134
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Das r e c h n e r i s c h e V e r f a h r e n zur Auflösung einer quad r a t i s c h e n G l e i c h u n g soll hier noch einmal vom Standpunkte der Differentialrechnung aus besprochen werden: D i e L ö s u n g e n x einer q u a d r a t i s c h e n G l e i c h u n g (6)
a x- + b x + c = 0
sind diejenigen Werte der V e r ä n d e r l i c h e n quadratische Funktion (7)
x,
für die die
y = ax2 + b x + c
gleich Null wird, d. h. sie sind die Abszissen derjenigen Punkte, in denen die Bildkurve dieser quadratischen Funktion die .r-Achse schneidet. Diese Bildkurve ist eben hier die Fehlerkurve im Sinne der Betrachtungen auf S. 119. Sie heißt nach S. 100 eine P a r a b e l . Nach Satz 23 ebenda ist sie kongruent mit der Parabel, die das Bild von ax2 allein ist, indem sie aus dieser durch eine geeignete Verschiebung ohne Drehung hervorgeht. Da nun a x 2 unverändert bleibt, wenn wir x durch — x ersetzen, hat das Bild von ax2 die y-Achse zur Symmetriegeraden, vgl. z. B. Fig. 35, S. 53, oder Fig. 37, S. 54. F o l g l i c h h a t a u c h d i e P a r a b e l , die d i e q u a d r a t i s c h e F u n k t i o n (7) v e r a n s c h a u l i c h t , e i n e z u r ¿ / - A c h s e p a r a l l e l e S y m m e t r i e g e r a d e . J e nachdem a > 0 oder < 0 ist, bildet sie ferner nach S. 100 ein Tal oder einen Berg. Der tiefste bzw. höchste Punkt muß aber auf der Symmetriegeraden liegen, weil es sonst ja zwei tiefste oder höchste Stellen der Parabel gäbe. In diesem Punkte ist die Steigung der Kurventangente, d. h. der Differentialquotient -p-=2ax+b dx gleich Null (vgl. Satz 27, S. 108). Demnach ergibt sich die Abszisse x des tiefsten bzw. höchsten Punktes der Parabel aus der Bedingung 2ax + b
= 0.
Daraus geht der Wert x = — \ b\a hervor. Einsetzen in (7) liefert die zugehörige Ordinate y — c — \b2:a. Man nennt die tiefste bzw. höchste Stelle der Parabel, d. h. ihren Schnittpunkt mit ihrer Symmetriegeraden, den P a r a b e l s c h e i t e l . Wir haben demnach soeben die Koordinaten des Parabelscheitels berechnet. Nun bemerkt man: Wenn die Parabel ein Tal ist, d. h. im Falle a > 0, schneidet sie die x-Achse nur dann, wenn der Scheitel unterhalb der x-Achse liegt, also seine Ordinate negativ ist, siehe Fig. 90. Wenn die Parabel dagegen ein Berg ist, d. h. im Falle a < 0, schneidet sie die ¿--Achse nur dann, wenn der Scheitel ober-
£ 2. Über die Auflösung
von
135
Gleichungen.
halb der x-Achse liegt, also seine Ordinate positiv ist, siehe Fig. 91. Demnach schneidet die Parabel die x-Achse überhaupt nur dann, wenn 0
2
Wenn dagegen b — 4 a c = 0 ist, liegt der Scheitel gerade auf \
\ \
\|
Y
Y
1
Y
o
\ \
X
I
V
y
i/
t
/
/ 0
l
*
\
\
j
/
i ii F i g . 90.
Fig. 91.
der x-Achse, d. h. dann berührt die Parabel die x-Achse, siehe Fig. 92 und 93. Wenn schließlich b2 — 4 a c < 0 ist, trifft die
Fig. 92.
Fig. 93.
Parabel sie überhaupt nicht, siehe Fig. 94 und 95 (nächste Seite). Demnach gibt es im Falle b2 — 4 a c > 0 zwei Punkte, die die Parabel mit der x-Achse gemein hat, im Falle b2 — 4 a c = 0 nur einen und im Falle b2 — 4 a c < 0 gar keinen. Folglich hat die quadratische Gleichnng (6) in den drei Fällen zwei, eine oder gar keine reelle Lösung, weil die Lösungen durch die Abszissen der Schnittpunkte der Parabel mit der x-Achse dargestellt werden. *
136
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Ferner leuchtet ein: Da die Parabel eine zur y-Achse parallele Symmetriegerade durch den Scheitel hat, kommen ihren gesuchten
V \
o
/
/
V
i
o
/
1
/
Fig. 95.
Fig. 94.
\
\
Schnittpunkten mit der x-Achse Abszissen zu, die um gleich viel nach beiden Seiten von der Abszisse des Scheitels, also von — £ b: a, abweichen. Mithin sind diese beiden gesuchten Abszissen durch (8) darstellbar,
*
—
wo u einen noch
unbekannten
Wert
hat.
Dieser
Wert muß so beschaffen sein, daß die Gleichung (6) durch beide Werte (8) befriedigt wird.
Aber das Einsetzen von (8) in (6) gibt:
Hier heben sich in der Tat die mit beiden Vorzeichen behafteten Glieder fort, und es bleibt: au*2 — & p, c = n0 ia oder: 4 ,2 = 6 — 44 a e Folglich ist
4 a
y^-iae 2a
Führen wir diesen Wert in (8) ein, so ergeben sich als L ö s u n g e n der q u a d r a t i s c h e n G l e i c h u n g (6) die beiden Werte: (9)
- b±
l/62-4a
0 reell und v o n e i n a n d e r v e r s c h i e d e n sind, während beide im Falle b2 — 4 a c = 0 in dem e i n e n Werte — ¿ : 2 a zusammenkommen und im Falle b2 — 4ac < 0 i m a g i n ä r sind.
137 Diese Art der Berechnung der Lösungen einer quadratischen Gleichung ist anschaulicher als die sonst gebräuchliche, an die wir auf S. 110 erinnert haben. — Die Figuren 90 und 91 beziehen sich auf die quadratischen Gleichungen: - 4-x2 + x + f = 0 ,
1.x2 - x - |- = U,
die Figuren 92 und 93 auf diese: und die Figuren 94 und 95 auf diese: Wir empfehlen dem Leser daher, von sich aus diese Figuren neu herzustellen, also die Parabeln y = ±x2 - x - f ,
y = -
+
x + f,
ferner die Parabeln V = i*
2
~ * + i, und schließlich die Parabeln
y = -
y = i x% - x + f ,
+ * -
|
y = - £ .i-2 + x -
f
selbst zu zeichnen. V o r der Auflösung pflegt man eine quadratische Gleichung meistens durch Division mit dem Koeffizienten von x 2 auf eine Form (10) x2 + i i - + c = 0 zu bringen, in der x% den Koeffizienten Eins hat. die Lösungen (9) wegen a = 1 so schreiben:
t11)
Hier kann man
H/W~;'
und in d i e s e r F o r m (11) l a s s e n s i c h d i e L ö s u n g e n d e r q u a d r a t i s c h e n G l e i c h u n g (10) l e i c h t m e r k e n . Man bildet nämlich den h a l b e n Koeffizienten von x, aber mit dem e n t g e g e n g e s e t z t e n Vorzeichen, und addiert dazu die positive oder negative Q u a d r a t w u r z e l aus dem um das a b s o l u t e Glied, d. h. um c, v e r m i n d e r t e n Q u a d r a t e des soeben hergestellten Gliedes. Schließlich noch einige Bemerkungen über die Lösungen einer Gleichung von beliebig hohem Grade. Die Verfahren zur angenäherten Auflösung von Gleichungen beziehen sich nur auf ihre r e e l l e n Lösungen. Hat aber jede Gleichung n ten Grades überhaupt reelle Lösungen? Wir sahen soeben, daß quadratische Gleichungen gar keine reellen Lösungen haben können. Die Frage ist daher zu v e r n e i n e n . Dagegen läßt sich leicht einsehen, daß jede Gleichung,
138
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer
Ausdrücke.
deren Grad n eine u n g e r a d e Zahl ist, wenigstens eine reelle LösuDg hat. Denn wenn in an xn + an_x x»"1 + ... + a2 x2 + a1 x + a0 = 0 der Grad n eine ungerade Zahl wie 1, 3, 5, 7 . . . ist, hat Funktion y = anxn + a»-!!"-1 + ... + ü-3 x2 + x + a0
die
nach den Erörterungen auf S. 112 eine Bildkurve, die, sobald an positiv ist, von links unten aus dem Unendlichen kommt und nach rechts oben wieder ins Unendliche übergeht, oder a b e r , sobald o n negativ ist, von links oben aus dem Unendlichen kommt und nach rechts unten wieder ins Unendliche übergeht. I n beiden Fällen muß die Bildkurve die x-Achse durchschneiden, da sie stetig ist. E s gibt also wenigstens einen reellen W e r t von x, für den y = 0 ist. D. h.: Satz 32: E i n e G l e i c h u n g B ten G r a d e s a
n Xn +
+ •"•+
a
i *2 +
hat, wenn n u n g e r a d e ist, m i n d e s t e n s
x
+ °0 =
0
eine reelle
Lösung.
Zur Orientierung des Lesers erwähnen wir noch das Folgende: M a n k a n n b e w e i s e n , d a ß j e d e G l e i c h u n g n ten G r a d e s w e n i g s t e n s e i n e L ö s u n g h a t , die entweder reell oder von der Form a + b ]/— 1 ist, wo a und b reelle Zahlen sind, die also entweder reell oder i m a g i n ä r ist. Der Beweis dafür (zuerst von G A U S S 1799) kann aber hier nicht gegeben werden. W i r brauchen diesen Satz auch im G r u n d e genommen nicht bei praktischen Anwendungen der Mathmatik. sondern nur gelegentlich, um auf ihn gewisse andere Behauptungen zurückführen zu können. Doch geschieht dies erst an einer viel späteren Stelle.
§ 3.
Gebrochene Funktionen.
Wenn wir den Bruch aus zwei ganzen Funktionen bilden, z. B. ix"' - Ix + 5 , x"1 4- 8z — 7 2 _ o er — . X 3 9 a s _ 2Sx + ix - -i'
von
x
entsteht eine neue Art von Funktionen, die wir g e b r o c h e n e F u n k t i o n e n nennen. Auf diese Form läßt sich jede Funktion bringen, die aus einer Anzahl von Konstanten und aus x durch wiederholte Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division gebildet werden kann.
§ 3.
Gebrochene
139
Funktionen.
Ist z. B. j ~
i/ = x -\
l. — , 3
x + — X so können wir hierfür schreiben: _ !/ =
_ x
+
_j x
'X — X- + 3
~
JL'jti + Jf^tx
x
x* +
3
•'-'" +
3
~
also eine gebrochene Funktion. Ist 1
e + dx
y ~ (a + bxf ~ 7+7® ' so bringen wir beide Brüche auf denselben N e n n e r : _ •I ~~
e + fx - (e + dx) (a + bxf {a + bx)' (e + fx)
'
und dies ist eine gebrochene Funktion. D i e allgemeine Gestalt einer gebrochenen Funktion y von x ist: _ ^ ~
a„ x" + « » _ i xH~1 + . . . + o, x* + a, x +a„ bm X"' ~+~bm~ 1 + • • • + 13 x"' + \ X + ¿0 '
wo n und m ganze positive Zahlen sind und an, an_t sowie bm, bm_ i . . .
bv
b0 Konstanten
bedeuten.
. . . a2,
a0
Sie läßt sich in
der F o r m jv
=
u ,v
schreiben, wenn man unter u und v die ganzen Funktionen versteht: u = an xn + an_i xn~l
+ ...
+ a2 x2 + a, x + a0,
v = bm x'" +bm_1
+ ... + b2 x2 + bx x + !>0 •
W i e verhält es sich nun mit der S t e t i g k e i t d e r g e b r o c h e n e n Funktion?
Zunächst sind u und o nach Satz 24,
Funktionen von x.
stetig für alle W e r t e von x, Null
S. 102, stetige
Daher ist nach Satz 20, S. 89, auch y = für die der N e n n e r v nicht
u:v
gleich
ist. Es fragt sich also nur noch, wie sich die Funktion y für Werte
von
x verhält,
für die
der Nenner
v gleich
Null ist.
Wenn
einen derartigen W e r t x — h der Zähler u nicht auch gleich
für Null
ist, wird y für lim x = h nach einem positiv oder negativ unendlich großen W e r t e
streben, vgl. S. 72.
Funktion y sicher unstetig sein.
In
diesem F a l l e wird also die
F ü r x — h rückt dann der Bild-
punkt ins Unendlichferne, indem die Ordinate y über alle Grenzen wächst.
140
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Aber es kann vorkommen, daß für einen Wert h von x, für den der Nenner v gleich Null ist, auch der Zähler u gleich Null wird. Nach Satz 30, S. 118, läßt sich alsdann sowohl vom Zähler als auch vom Nenner der Faktor x — h mittels Partialdivision absondern. Die gebrochene Funktion z. B.: a ^ - 9 a; + 10
_
y ~
x- + 2x-
8 '
wo also u = x2 — 9 x + 10, ist, hat die der Nenner u und von dies durch
v = x2 +
2x-8
Eigenschaft, daß für x = 2 sowohl der Zähler u als auch v gleich Null wird. Daraus schließen wir, daß sich von v der Faktor x — 2 absondern läßt. Wir bewerkstelligen Partialdivision, nämlich erstens ist: (x 3 . - 9a; + 10): a;8 —2a;2
(x - 2) = x1 + 2 x - 5 ,
2x* — 9x 2x' — 4x - 5a; + 10 — 5x + 10
0
und zweitens ist:
(x'1 + 2 x - 8): (x - 2) = x + 4 . x* - 2x ix - 8 ix - 8 0 Also wird: u = (x2 + 2x -
5)(* - 2),
v = (x + 4)(x -
2).
Daher: _ u_ _ (x2 + 2 x - 5) (x - 2) y ~ v ~~ (x + 4) (x - 2) Wie man sieht, tritt der Faktor x — 2, dessen Vorhandensein bewirkte, daß Zähler und Nenner im Falle x = 2 zu Null werden, nur s c h e i n b a r auf, da er sich fortheben läßt. Tatsächlich hat die vorgelegte Funktion y die einfachere Form: _
y ~
x - 5 x + 4
a;2 + 2
Jetzt ist weder der Zähler noch der Nenner für x = 2 gleich Null. Also ist diese Funktion y auch für x — 2 stetig. Dagegen nicht für x = — 4, denn für x = — 4 wird der Nenner gleich Null, während der Zähler gleich 3, also y = oo wird.
141
Der F a l l , wo Zähler und Nenner für denselben W e r t x = h zu Null werden, also den F a k t o r x = h gemein haben, kann aber auch zu einem anderen Ergebnisse führen. Betrachten wir das Beispiel: _ x3 + 4 X* + 4 X + 3 y ~ xz + 5 - 9' Man überzeuge sich davon, daß Zähler und werden, wenn x = — 3 wird. Daraus schließen daß sich aus Zähler und Nenner der F a k t o r x absondern läßt. In der T a t ist: (x3 + 4 z* + 4 X + 3) : (x + 3) = r 3 + x3 + 3 x2
Nenner gleich Null wir zunächst wieder, — (— 3) oder x + 3 x +1
x2 + 4x x1 + 3 x x + 3 x +3 und
0 [x3 + 5 x- + 3 x — 9): (x + 3) = x"' + 2 x — 3 , x + ;s 2 x! + 3 i 2 x- + 6x
also:
- 3x - 9 - 3® - 9 0 + 4 * 2 + 4 x + 3 = (*2 +
*+l)(:r+3)
und x» + 5 x% +
3 x
_ 9
=
+
2 x
_ 3) ( x
3).
Daher läßt sich y so darstellen: _ (z2 + _ x + 1) (x + 3) y ~ '(»*"+ 2x - 3) (x + 3) ' so daß sich der F a k t o r x + 3, dessen Auftreten bewirkte, daß Zähler und Nenner für x = — 3 gleich Null werden, forthebt und y die einfachere F o r m hat: _ X* + X + 1 y ~~ x 1 + 2aT^3 ' Aber wenn wir jetzt für x den kritischen Wert — 3 setzen, bemerken wir, daß immer noch der Nenner zu Null wird, während der Zähler gleich 7 wird, also der Bruch y für lima- = 0 nach oo strebt. Mithin ist die Funktion y f ü r x = — 3 unstetig. Der G r a n d liegt darin, daß der ursprüngliche Nenner + 5*2 + 3 x . _ 9
142
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
nicht nur einmal den Faktor x + 3 hat, indem er sich auf die Form >2 + 2x - 3)(ar + 3) bringen läßt, sondern zweimal. In der Tat ergibt nochmalige Partialdivision mit x + 3 : x2 + 2.r - 3 = {x - 1)(* + 3l. Also hat y zunächst diese Form: (s* + x + 1) Qc + 3) y ~ (x - l)(x 4- H)1 " Heben wir nun einmal den Faktor x + 3 im Zähler und Nenner fort, so bleibt er immer noch einmal im Nenner, während der übrigbleibende Zähler x1 + x + 1 den Faktor x -f 3 n i c h t hat. Infolgedessen wird y unendlich groß für lima; = — 3. Um also die Frage zu entscheiden, ob eine vorgelegte gebrochene Funktion y — u:v, wo u und v ganze Funktionen von x sind, für einen oder einige Werte h von x unstetig wird, haben wir zu untersuchen, wie v i e l e g e m e i n s a m e F a k t o r e n x — h Z ä h l e r u n d N e n n e r h a b e n u n d wie sich d i e s e e r m i t t e l n u n d d a n n f o r t heben lassen. Das Verfahren hierfür entspricht vollständig dem Verfahren, durch das man in der Arithmetik entscheidet, ob zwei ganze Zahlen einen gemeinsamen Faktor haben oder nicht. Will man methodisch feststellen, ob z. B. die beiden Zahlen 351 und 572 einen gemeinsamen Teiler haben, d . h . ob sich der Bruch 5 7 2 : 3 5 1 kürzen läßt, so rechnet man zunächst aus: 572 _ j 351 —
221 ItöT "
Die Frage ist daher auf die zurückgeführt, ob sich 221:351 kürzen läßt. Dies geht, wenn sich der umgekehrte Bruch 351:221 kürzen läßt. Das weitere Verfahren ist wie vorher, indem wir jedesmal den Restbruch umkehren und dann die Ganzen herausziehen: 351_1130 22! J _9t_ 130 i . 91 L9 — 3 — _ _ — 221 221 ' 130 13Ö ' ~9Ì~ 9l ' 39 3y ' Vd ~ ' Diese letzte Division geht auf, d. h. die Zahl 572 und 351 lassen sich mit 13 und sonst mit keiner ganzen Zahl teilen. Ebenso schließen wir hier: Liegt die gebrochene Funktiony = u : v vor und ist u nicht von niedrigerem Grade als v, so können wir zunächst Partialdivision anwenden, um den Zähler auf einen niedrigeren Grad als den Nenner zu bringen. Ist z. B.:
143
so gibt die Partialdivision: (.r4 x1
.r3 - 2x"- + Ix - 2): (x- + x - 2) = x- - 2x + 2 +
4- je* - 2x— 2x6 . + IX - 2x3 - 2x5 + 4x 2x'- 4- 'Ax 2.»;* + 2x
x -1- 2 x- + x — 2
- 2 - 4 + 2~
Es fragt sich also jetzt, ob der Bruch x +2 x2 + x — 2
noch zu kürzen ist. L ä ß t er sich kürzen, so muß dasselbe von seinem reziproken Werte gelten, der sich weiterhin durch Partialdivision behandeln läßt: (x"- + a: - 2): (x + 2) = x x- + 2x ~x - 2 x - 2
1.
Da die Partialdivision aufgeht, folgt, daß sich der vorgelegte Bruch y mit ,r + 2 und sonst mit keinem Ausdrucke von der Form x — h kürzen läßt. Es ist nämlich hiernach: x + 2 1 x'1 + x — 2 ~ x - 1 '
also: Ju
= a2 -
2x
+ '> + -v---4"
2
—
= x2 -
2x +
2 +
—!—•
~ ~ + 0.--2 ^ ^ a; - l Wir haben so die gebrochene Funktion y in eine Summe zerlegt, die aus einer ganzen Funktion und einer gebrochenen Funktion besteht. Diese gebrochene Funktion läßt sich nicht weiter kürzen. Wenn y als Bruch u:v zweier ganzer Funktionen gegeben ist, wobei der Zähler von niedrigerem Grade als der Nenner ist, dreht man den Bruch um und dividiert. Liegt z. B. _ y ~~ x'"
x3 - 7.s + 6 + 2 x1 — 4.i;3 — 4 x' — bx — 6
vor, so dividieren wir: (,r5 + 2xi-4x34x'- 3 5 x . - 7 x + 6xJ • Sx3 - 10i'2 -
bx bx
4x2 4- 4 r — 24 6): (;r3 - 7a: + 6) = .r2 + 2x + 3 +—=— —• x3— tx + b
— 14 a 2 •+- 12.r 4- 4 x ' - l l x - 6 3x3 - 21 j j M S 4~r2~+ 4 x - 24 .
144
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Ferner rechnen wir aus: (x3 . - Ix + 6): (ix- + 4.c - 24) = j.r x3 + x* - 6.t; — x'- — x + 6 - x2 - x + 6 0 Also können wir mit 4x2 + 4.r — 24 kürzen. Es umgekehrt: 4x2 + 4x - 24 _ 4 x3 — 7x4-6 x —1 ' daher:
ist
nämlich
also: 1
X -
l
y = Gr1 + 2x + 3;(x - 1) + 4 x3 + x"- + x + 1 und weitere Kürzungen sind unmöglich. In jedem Falle also können wir eine gebrochene Funktion u: v soweit vereinfachen, daß keine weiteren Kürzungen möglich sind. Ist u nicht von niedrigerem Grade als v, so können wir n: v auf die Form einer Summe aus einer ganzen Funktion und einer gebrochenen Funktion bringen, wobei die gebrochene Funktion keine Kürzungen mehr gestattet. Ist dagegen u von niedrigerem Grade als v, so bringen wir u:v auf die Form einer gebrochenen Funktion, die keine Kürzungen mehr erlaubt. Satz 33: J e d e g e b r o c h e n e F u n k t i o n u:v von x l ä ß t s i c h d u r c h f o r t g e s e t z t e P a r t i a l d i v i s i o n auf die F o r m b r i n g e n : u , u, 1 — V == w H— vt , wo w, uv v1 ganze F u n k t i o n e n von x s i n d , f e r n e r d e r B r u c h u1:v1 s i c h n i c h t k ü r z e n l ä ß t u n d a u ß e r d e m von n i e d r i gerem G r a d e als ist. Daß dieser Satz auch die zweite Möglichkeit umfaßt, wo u von niedrigerem Grade als v ist, leuchtet ein, weil ja w verschwinden kann. Nachdem wir so die gebrochene Funktion auf eine nicht weiter zu kürzende Form Jy
— w 4—»i gebracht haben, ist es klar, daß für diejenigen Werte h von x, für die t'j gleich Null ist, von Null verschieden wird, da sonst uy und üj doch noch beide mit x — h teilbar wären, nach Satz 30, S. 118. Für diejenigen Werte h von x also, für die 1^ = 0 ist, wird y u n s t e t i g , nämlich unendlich groß. Demnach haben wir den
145 Satz 34: W i l l m a n f e s t s t e l l e n , f ü r w e l c h e ( e n d l i c h e ) W e r t e von x eine v o r g e l e g t e g e b r o c h e n e F u n k t i o n
u n s t e t i g , n ä m l i c h u n e n d l i c h g r o ß w i r d , so b r i n g t man y d u r c h f o r t g e s e t z t e P a r t i a l d i v i s i o n auf e i n e F o r m
wo 10, ux, v1 g a n z e F u n k t i o n e n von x s i n d , ux v o n n i e d r i g e r e m G r a d e a l s v} i s t u n d u^: v1 s i c h n i c h t w e i t e r k ü r z e n l ä ß t . A l s d a n n wird y nur f ü r d i e j e n i g e n ( e n d l i c h e n ) W e r t e v o n x u n e n d l i c h g r o ß , für d i e d i e g a n z e F u n k t i o n vx g l e i c h N u l l ist. Hiernach sind wir stets imstande, die Frage nach denjenigen Werten von x, für die eine gebrochene Funktion y von x unstetig wird, auf die Frage zurückzuführen, für welche Werte von x eine gewisse ganze Funktion vl von x gleich Null ist. Von Interesse sind dabei für uns nur die r e e l l e n Werte. Im vorigen Paragraphen aber haben wir gesehen, wie man die reellen Lösungen der Gleichung i>j = 0 angenähert bestimmen kann. Wir sind hiernach i m s t a n d e , p r a k t i s c h mit j e d e r gew ü n s c h t e n G e n a u i g k e i t a n z u g e b e n , f ü r w e l c h e W e r t e von x e i n e v o r g e l e g t e g e b r o c h e n e F u n k t i o n von x u n e n d l i c h g r o ß wird. Wenn sie z. B. für x — h unendlich groß wird, hat ihre Bildkurve folgende Eigenschaft: Je näher x an h kommt, um so größer
\ Fig. 96.
wird y, wobei y positiv oder negativ sein kann. Dies heißt: Ziehen wir die Gerade, für deren Punkte x = h ist, also die Parallele zur ¿/-Achse mit der Abszisse x = h, so wird die Kurve rechts und links dieser Geraden immer näher kommen, sie aber im Endlichen nicht mehr erreichen. Je nach der Art des Vorzeichens von y können dabei v i e r Fälle eintreten, die in Fig. 96 veranschaulicht sind. SCHEFFERS, Mathematik-
3. Aufl.
10
146
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
Man sieht hieraus, daß die gebrochenen Funktionen B i l d k u r v e n h a b e n k ö n n e n , die in m e h r e r e Zweige z e r f a l l e n , u n d z w a r i n Z w e i g e , d i e s i c h im U n e n d l i c h e n p a a r w e i s e j e e i n e r G e r a d e n a n s c h m i e g e n , die zur ?/-Achse p a r a l l e l i s t . Aber es kann doch auch anders sein. Es ist sehr wohl möglich, daß die Funktion v., die in ux y = w + im Nenner vorkommt, für keinen reellen Wert von x gleich Null wird. Dies tritt z. ß . bei der Funktion y=
x
-
X* + 1 ein. Ihre Bildkurve zerfällt n i c h t in einzelne Zweige, sie bleibt für alle endlichen x im Endlichen (siehe Fig. 97). Um den Charakter der Bildkurve vollständig zu erkennen, müssen wir außerdem noch fragen, welchem Werte die gebrochene Funktion y von x zu* 1 strebt, wenn x selbst dem M i ! 1 /I ! 1 ! ! : 2 Werte + oo oder — oo i I ; ! 1 i T / r zustrebt, wie also — alleri / - - ! i i / dings höchst ungenau aus/ j I ! gedrückt — die Bildkurve / i / rechts oder links weit / i 1 1 1 - 1 i i / draußen verläuft. 1 2 i Jf / al l ü / 1 / ! Die Antwort kann ! | ! i : 1 / ; : : , i sehr verschieden ausfallen. . • Li ! , I , i i • i / E s können alle Möglichi 1 - rt\ i ; ; 1 ! 1 : . ! 1 keiten vorkommen. Am ! ! i I i i \ \ "i 1 T besten erkennt man dies, ; i ; 1 1 wenn man die Bildkurven > - 2 1 ; i ! i , | einiger gebrochener Funki i i 1 1 • i 1 tionen von bestimmter Art F i g . 97. genau untersucht. Dies soll sogleich geschehen. Man wird dabei sehen, daß man die angeregte Frage in jedem Falle leicht beantworten kann. Vorher sprechen wir über den D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e n einer gebrochenen Funktion y. Sehen wir von denjenigen Stellen ab, wo die Funktion unstetig, nämlich unendlich groß wird, so gehört überall zu jedem, unendlich kleinen Zuwachs dx von x ein ebenfalls unendlich kleiner Zuwachs dy von y, und der Bruch aus beiden
§ 3. Gebrochene Funktionen. ist der Differentialquotient dy: dx. dem Bruche =
147
Berechnet wird er, da wir in
u ~v
die ganzen Funktionen u und v im Zähler und Nenner zu differenzieren imstande sind, nach der Bruchregel (vgl. S. 94): du dv dy dx dx t ' die ~ v-E r läßt sich also in jedem Falle ohne Schwierigkeiten angeben. Ist z. B. x'_-_l y ~ 2x3 + 4x - 2 ' so kommt: x2 — 1, v = 2x3 + 4x - 2 , also: 4 ^ = 2 * .1 dx
dx
= 6x 2 + 4 ,
daher nach (1): dy _ (2x3 + 4x - 2) 2x - (x2 - l)(6x2 + 4) ~dx ~ (2x3 + 4x - 2f oder, wenn man im Zähler ausmultipliziert: dy_ - 2a:4 + 10a;2 - 4x + 4 ~dx ~ 12a;3 + 4a; - 2)s Satz 35: D e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t e i n e r g e b r o c h e n e n F u n k t i o n ist e b e n f a l l s eine g e b r o c h e n e F u n k t i o n . Übrigens braucht man eine gebrochene Funktion, die nicht schon als ein Bruch gegeben ist, gar nicht erst auf die Bruchform zu bringen, um sie zu differenzieren, denn wenn z. B. a + bx 1 y — X i1 — X J
gegeben ist, wird man zuerst die Summenregel (S. 93) anwenden, d. h. 1: x für sich und (a + bx): (1 — x) für sich differenzieren, nämlich den ersten Ausdruck 1 : x oder z - 1 nach der Regel für xn (S. 95) und den zweiten Ausdruck nach der Bruchregel. Es kommt: dy _ 2 (1 - m)b - (a + bx).(- 1) ~dx ~ ~ X (T--^1 oder: dy _ 1 a +b dx ~~ x2 (1 — xfNach diesen allgemeinen Erläuterungen wenden wir uns zu Beispielen, die alles, was noch fraglich sein sollte, genügend klären werden. 10*
148
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer
Ausdrücke.
1. B e i s p i e l : Wir betrachten eine kreisförmige Bahn (Fig. 98), die im Punkte A von der Geraden g abgeht. Je größer der Radius des Kreises ist, um so schwächer ist der Kreis gekrümmt. Man bezeichnet daher den r e z i p r o k e n W e r t des Radius als die K r ü m m u n g der Bahn. Beträgt der Radius x m, so ist also die Krümmung: 1 y =
-ar
Wird x immer kleiner, also der Kreis immer enger, so Fig. 98. wird die Krümmung immer stärker. Ist x negativ, so kann man dies so deuten: Wir betrachten eine Kreisbahn, die wieder von der Geraden g in A ausgeht, aber n a c h d e r a n d e r e n S e i t e v o n g hin g e k r ü m m t ist. Den dort liegenden Kreisen schreiben wir also n e g a t i v e Krümmung zu. Wollen wir die Krümmung graphisch als Funktion des Radius darstellen, so haben wir die Bildkurve der e i n f a c h s t e n gebrochenen Funktion 1 .
¡, = _ =
herzustellen.
Der Differentialquotient ist nach der Potenzregel: dy ^ 1 dx x2 '
also stets negativ. Nach Satz 26, S. 106, fällt die Kurve daher beständig. Sie ist unstetig für x = 0, nämlich dort wird y — co. Ist x sehr nahe bei Null und positiv, so wird y sehr groß positiv. Ist dagegen x sehr nahe bei Null und negativ, so wird der absolute Betrag von y sehr groß, aber y selbst negativ. Links schmiegt sich die Kurve daher der negativen, rechts der positiven i/-Achse im Unendlichfernen an. Ist der absolute Betrag von x sehr \ groß, so liegt y sehr nahe bei Null. Für positives x ist y auch positiv, für negatives x negativ. | i Kurve zerfällt also in zwei Zweige im 1. und — > x Die Q 3. Quadranten. Die Fig. 99 ist leicht mittels einiger Punkte (x = ± 1, ± 2 , + 3, ± ± j) der Kurve und der zugehörigen Steigungen der Tangenten zu zeichnen. Diese Kurve gehört zu einer gewissen Klasse von Linien, die wir später genauer untersuchen werden und die H y p e r b e l n heißen. Der Fig. 99. Leser überlege, warum die eine Kurvenhälfte in die andere übergeht, sobald man die Halbebene um eine der beiden Winkelhalbierenden der Achsen herumklappt, was allerdings nur dann richtig ist, wenn man, wie es in Fig. 99 geschehen ist, die Einheiten auf beiden Achsen gleich groß wählt. 2. B e i s p i e l : In 0 sei eine Wärmequelle. Auf einer von 0 ausgehenden Geraden sei eine kleine vertikal gestellte Scheibe beweglich, die von 0 in der Zeiteinheit eine gewisse Wärmemenge erhält. Die Wärmemenge, die 0 der Scheibe in der Zeiteinheit und in der Einheit der Entfernung erteilt, werde als Wärmeeinheit benutzt. Hat die Scheibe nun die Entfernung x von 0, so bestrahlt dasjenige Bündel von Wärmestrahlen, das in der Entfernung 1 gerade die
149 Scheibe treffen würde, eine Fläche von anderen Dimensionen. Ist z. B. die Scheibe ein kleines Quadrat von der Seitenlänge o, so ist diese Fläche in der Entfernung x ein Quadrat von der Seitenlänge ax. Das Strahlenbündel bestrahlt also in der Entfernung ir. f ! ! ! 1 .f eine Fläche von der Größe a 2 x 2 , die a 2 -mal die i Fläche a 2 der Scheibe enthält. Daraus folgt, daß i 1 1' ' die Scheibe in der Entfernung x nur den ( » V e n [ T e i l derjenigen Wärmemenge erhält, die ihr in der Entfernung 1 zukommt. Die Wärmemenge also, die der Scheibe in der Entfernung x während O X i 1 einer Zeiteinheit erteilt wird, hat den W e r t : 1 Fig. 100. Man sagt: Sie ist u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l z u m Q u a d r a t e d e r E n t f e r n u n g x. Fig. 100 gibt die Bildkurve. Man möge sie konstruieren, indem man den Differentialquotienten zur Bestimmung der Steigung benutzt. Für x — ± oo wird y offenbar unendlich klein. Warum steigt die Kurve für x < 0 und fällt sie für x > 0? Warum ist die «/-Achse eine Symmetriegerade? Warum verläuft die Kurve nur im 1. und 2. Quadranten? 3. B e i s p i e l : Es mögen in 0 und in U Wärmequellen sein. A u f der Geraden, die durch 0 und U geht, sei wieder eine kleine und dünne Scheibe vertikal befestigt. Hat sie von 0 die Entfernung 1, so soll die Wärmemenge, die die Scheibe von 0 in der Zeiteinheit erfährt, wieder als Wärmeeinheit gewählt sein. Wenn die Scheibe von U die Entfernung 1 hat, erhalte sie in der Zeiteinheit die Wärmemenge 8, d. h. die Wärmequelle U bestehe aus 8 Wärmequellen von der Stärke der Wärmequelle 0. Der Abstand von 0 bis 77 sei gleich 10 Längeneinheiten. Es soll untersucht werden, wie die
Fig. 101. Wärmemenge, die der Scheibe in der Zeiteinheit von beiden Wärmequellen zusammen zukommt, von der L a g e der Scheibe auf der Geraden 0 U abhängt. Diese Wärmemenge ist die a b h ä n g i g e Veränderliche y. Die unabhängige Veränderliche ist eine für die L a g e der Scheibe charakteristische Größe. Wenn wir die Gerade 0 U von 0 in der Richtung nach 77 als positive x-Achse benutzen, wird diese unabhängige Veränderliche die Entfernung x der Scheibe vom Anfangspunkte 0 sein. Die Scheibe hat dann von U die Entfernung x — 10, und zwar auch, wenn x kleiner als 10 oder negativ ist. Die Scheibe erfahrt von O in der Zeiteinheit die Wärmemenge 1 : x%. Bei U tritt an die Stelle
150
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer Ausdrücke.
von x die Entfernung x — 10. Da ferner U achtmal so stark als 0 ist, erhält die Scheibe von U in der Zeiteinheit das Achtfache der Wärmemenge 1 : (x - 10)2. Also ist die gesamte Wärmemenge y
_ J_ ~ H?
+
8 (»—10)*
Dies ist eine stets positive gebrochene Funktion von x, die für x = 0 und x = 10 unendlich groß, f ü r x = ± co dagegen unendlich klein wird. Daher zerfällt die Bildkurve in drei Zweige. 1 Siehe Fig. 101. Sie schmiegen sich bzw. der x-Achse, der »/-Achse und der Parallelen zur «/-Achse durch U im Unendlichfernen an. Der Differentialquotient von 1 : x 2 ergibt sich sofort nach der Potenzregel. Der von 8 : (x — 10)2 kann nach der Bruchregel berechnet werden, indem man den Bruch so schreibt: 8 : (aj2 — 20x + 100). Danach finden w i r : '
dy "dx
2
x*
16
(x -
10)3'
was der Leser sorgfältig berechnen möge. Ist x negativ, so sind x3 und (x — 10)3 als ungerade Potenzen auch negativ, d . h . dann ist dy.dx positiv, woraus nach Satz 26, S. 106, folgt, daß der linke Zweig der Bildkurve beständig steigt, wobei wir uns immer die Kurve im Sinne der positiven rr-Achse durchlaufen denken. Ist x > 10, so sind xa und (x — 10)3 beide positiv; der rechte Zweig der Bildkurve fällt beständig. Wenn dagegen x zwischen 0 und 10, die Scheibe also zwischen O und U liegt, ist x3 positiv und (x — 10)3 negativ. Der Differentialquotient ist dann also eine Differenz. Einmal wird er gleich Null, nämlich f ü r denjenigen Wert von x, f ü r den
oder also d. h.
_2_ xT ~
16 (» - 10)»
(x - 10)3 = - 8z 3 , x — 10 = — 2x,
x =
ist. Hier liegt nach Satz 27, S. 108, die einzige Stelle, wo ein endliches Maximum oder Minimum eintreten kann. Da nun, wenn x positiv sehr klein wird, x3 sehr klein gegenüber dem absoluten Betrage von (x — 10)9 wird, ist die Steigung des mittleren Kurveuzweiges in der Nähe der «/-Achse negativ. Ebenso zeigt es sich, daß sie nahe bei der Geraden x = 10 durch U positiv ist. Jene Stelle gehört daher zu einem Minimum; es gibt weder ein endliches Maximum noch einen Terrassenpunkt (vgl. S. 107). Zwischen beiden Wärmequellen erfährt die Scheibe an der Stellea; = 3-J- die geringste Erwärmung. W i e groß ist dort die Wärmemenge? 4. B e i s p i e l : Man stelle entsprechende Überlegungen an, wenn O U die Länge a hat und sich die Wärmequellen O und U in ihrer Stärke nicht wie 1 : 8, sondern allgemein wie a : ß zueinander verhalten, und bestimme die kühlste Stelle zwischen O und U. 1 W i r nehmen an, daß, wenn die Scheibe rechts von U oder links von O ist, die eine Wärmequelle die andere an der Bestrahlung der Scheibe nicht hindere. 2 In § 4 wird sich ein Verfahren ergeben, durch das man schneller zum Ziele kommt.
151 5. B e i s p i e l : Es mögen d r e i gleichstarke Wärmequellen V, 0, U auf einer Geraden so liegen, daß sie in der Längeneinheit aufeinander folgen. Alsdann ist die Wärmemenge, definiert wie im 2. und 3. Beispiele, gegeben durch die Funktion: 1 1 1 V ~ (x -t- l)2 + ~ä2 + (x - l)2' Man berechne den Differentialquotienten. Es kommt: dy _ _ 2 2 hx ~ ~ "(x + l)3 ~ (ir~i)» " Man zeige, daß sich endliche Maxima oder Minima von y nur da ergeben können, wo x eine Lösung der Gleichung sechsten Grades ist: 3a;6 + 3a;4 + 3a;2 - 1 = 0. Diese Lösungen findet man leicht mittels der Fehlerregel (S. 121). Denn die F e h l e r k u r v e (vgl. S. 119) hat für x = 0 ihre tiefste Stelle mit der Ordinate — 1. Vorher fällt sie beständig, nachher steigt sie beständig, da 3a;6 + 3x 4 4- 3» 2 — 1 den Differentialquotienteu 18»° + 12x3 + 6a; oder a;(18a;4 + 12a;2 + 6) hat und der Inhalt der Klammer stets positiv bleibt. Die Fehlerkurve ist außerdem zur y-Achse symmetrisch, da sich 3x 6 + 3a;4 + 3a;2 — 1 nicht ändert, wenn x durch — x ersetzt wird. Deshalb hat die Gleichung sechsten Grades nur zwei reelle entgegengesetzt gleiche Lösungen, nämlich, wie man berechnen möge: x = ± 0,503 7. Mau untersuche, ob die Bildkurvc von y für diese Werte von x Maxima oder Minima hat. 6. B e i s p i e l : Ebenso wie die Wärme ist auch die Anziehungskraft, die ein materielles Teilchen auf ein anderes nach dem N E W T O N sehen Gravitationsgesetze ausübt, umgekehrt proportional zum Quadrate der Entfernung. Ferner ist sie direkt proportional zu den Massen selbst. Sind also m und p zwei in Punkte konzentrierte Massen (etwa zwei homogene Kugeln, die durch ihre Mitten ersetzbar sind) und ist a ihre Entfernung voneinander, so ist die Anziehungskraft zwischen beiden gleich k m(i a> ' wo k eine Konstante bedeutet, die von der Wahl der Einheiten abhängt. Nun seien in zwei Punkten 0 und U Massen m und M fest angebracht. Auf der Geraden durch 0 und U sei eine dritte Masse fi beweglich. Hat sie von 0 den Abstand a, von U den Abstand b, so ist die Anziehungskraft, die sie von 0 bzw. U erfahrt, gleich /.- m u . kMu bzw. ,„-••-. al bDie Kraft wird ausgeübt in der Richtung nach 0 bzw. U hin. Beide Kräfte addieren sich also, wenn fi nicht zwischen 0 und U liegt, anderenfalls heben sie sich teilweise auf. Wir benutzen die Gerade 0 U als » Achse, 0 als Anfangspunkt, die Strecke 0 U als Längeneinheit, so daß U die Abszisse + 1 hat. Hat nun der bewegliche Massenpunkt die Abszisse x, so sind km jit k M fi die beiden Kräfte. Die Resultante sei mit y bezeichnet. D a b e i r e c h n e n wir y p o s i t i v , w e n n fi e i n e A n z i e h u n g in d e r R i c h t u n g d e r p o s i -
152
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
t i v e n » - A c h s e e r f ä h r t , dagegen negativ, wenn eine Anziehung in der Richtung der negativen »-Achse erfährt. Ist x negativ, so tritt offenbar das erste ein. Außerdem sind beide Einzelkräfte dann gleich gerichtet. F ü r n e g a t i v e s x ist also: V =
km (i "xl
h Mft ~(x- 1 ) r '
+
Ist x positiv und größer als 1, so addieren sich beide Einzelkräfte ebenfalls und sind beide negativ, für x > 1 i s t d a h e r :
km fi S5
V=
IcM p (x - 1)»"'
Ist x zwischen 0 und 1 gelegen, d. h. liegt die Masse fi zwischen den Massen m und M, so ist die erste Kraft negativ, die zweite positiv. F ü r 0 < er < 1 h a t man also:
lern (t +
y =
kM/i
'
Hier liegt somit ein Fall vor, wo s i c h f ü r v e r s c h i e d e n e I n t e r v a l l e d e s x v e r s c h i e d e n e F u n k t i o n e n y e r g e b e n . Man möge die drei Funktionen, jede in ihrem Intervalle, für die besonderen Annahmen
km fi
k M/t = 1 ,
= 2,
wobei also m: M = 2 : 1 ist, bildlich wiedergeben.
Fig. 102.
Man vgl. Fig. 102.
Die
Fig. 103.
mittlere Kurve erscheint darin unmerklich verschieden von einer wenig geneigten Geraden. Sie ist die Bildkurve der Funktion: 2_ 1 y
~ ~ hP
+
'(x - l)2
im Intervalle 0 < x < 1. Um besser zu zeigen, wie sie wirklich verläuft, haben wir in Fig. 103 das Stück der Fig. 102, das zwischen den Lotrechten durch O und U liegt, in anderen Maßstäben wiederholt. Hier ist die «-Einheit 10 mal so groß, die ^-Einheit dagegen nur -J-j-mal so groß wie in Fig. 102 gewählt. Das in Fig. 102 fast geradlinige Stück tritt in Fig. 103 auch deutlich auf, und zwar in schräger Lage. Wir haben darin eine Gerade eingezeichnet, der sich die Kurve für ein längeres Stück auffallend stark nähert, indem sie sich ihr von
§ 3.
Gebrochene
Funktionen.
153
der einen Seite anschmiegt und sie auf der anderen Seite, sich immer noch ihr anschmiegend, verläßt. Wir werden später sehen, wie man die Lage einer derartigen W e n d e t a n g e n t e für eine Stelle der Kurve berechnen kann, an der sie einen sogenannten W e n d e p u n k t hat, und werden dann auf dieses Beispiel zurückkommen. Die Feststellung des Verlaufes der drei Kurven ist natürlich mit Hilfe der Difiereutialquotienten zu leisten, die über die Steigung Auskunft geben. Keine der drei Kurven hat eine Stelle mit wagerechter Tangente (außer für x = + oo). Die resultierende K r a f t hat also, wo auch die Masse a auf der Geraden 0 U im Endlichen liegen mag, nirgends ein endliches Maximum oder ein Minimum. Aber sie wird einmal gleich Null. Die mittlere Kurve nämlich schneidet die ¡r-Achse an der Stelle, f ü r die 1 (x - 1)! -
x°-
i r r r - y * '
also V* = ] / 2 ( ] / 2 + l) = 2 + ] / 2 V2- 1 ist. Da hier 0 < x < 1 sein muß, hat man die Wurzel offenbar negativ zu wählen: x = 2 - Y2 = 0,586 . An dieser Stelle heben die beiden auf /x von rechts und links wirkenden Anziehungskräfte einander auf. 7. B e i s p i e l : Es soll ein aus nur einem Stockwerke bestehendes Haus mit drei Räumen, dessen Grundriß etwa die Form wie in Fig. 104 hat, so projektiert werden, daß die rechteckige Grundfläche v o r g e s c h r i e b e n e Größe hat und daß A B gerade f der Frontlänge A C beträgt. Die inneren Mauern B O und D E sollen dünner als die äußeren sein, so daß das laufende Meter der inneren E Mauern nur soviel kostet wie das laufende Meter der äußeren Mauern. Was läßt sich über die Art sagen, wie verschiedene Projekte auf den Kostenbetrag einwirken werden? Die gegebene Grundfläche betrage F qm. Das A B C laufende Meter der äußeren Mauern koste k Mark. D a nur die Gesamtfläche, nicht die Form des Grundrechteckes Fig. 104. vorgeschrieben ist, kann die Frontlänge A G noch beliebig, gleich » M e t e r n , gewählt werden. Die Tiefe A I des Hauses ist dann gleich F: x Metern. Nun sind die Kosten f ü r die Herstellung aller Mauern in Mark: y = k[AC
+ 1H+
AI + CH+
f(Z> E + B 0)].
Es ist aber AO = IH = x, AB = DE = fa; und AI = CH = BO = F:x, V = k 2x +
F 2— x
*
also:
F \x + — X
oder
y ist demnach eine gebrochene Funktion von x. Negative Werte von x haben hier keine Bedeutung. F ü r x — 0 wird y unendlich groß. F ü r positives x ist
154
Drittes
Kapitel:
Das Differenzieren
algebraischer
Ausdrücke.
y stets positiv, die Kosten y nehmen aber zunächst ab, da der Differentialquotient *V dx
-= tlr(Ui !A _- 1i JL\ ü
für kleine positive Werte von x negativ wird, weil dann 1 : x'! sehr groß ist. Wächst aber x weiter, so wird 1 : x- immer kleiner. Für ein gewisses x wird der Differentialquotient gleich Null, nämlich wenn
ist. Wird x noch größer, so wird der Differentialquotient positiv, d. h. die Kosten y wachsen. Für x — CD schließlich wird y wieder unendlich groß. Am günstigsten ist es also, x so zu wählen, daß F: x- = ^ wird. Dann ist die Tiefe des Hauses, nämlich F: x, gleich Man wird also den Plan so herstellen, daß sich die Frontlänge zur Tiefe wie 2 0 : 17 verhält. Fig. 104 ist nach diesem Verhältnisse entworfen.
Die bisher gebrachten Beispiele sind, abgesehen von dem ersten und letzten, der Physik entnommen. Dasselbe gilt von dem folgenden, das jedoch einen ganz anderen Charakter hat, indem es sich auf ein nur angenähert richtig dargestelltes Naturgesetz bezieht. Oft nämlich ist man nicht in der Lage, diejenige Formel zu ermitteln, die einer Naturerscheinung vollkommen entspricht. Als Notbehelf konstruiert sich der Physiker dann eine möglichst einfach gebaute Formel, die hinreichend genau mit den experimentellen Erfahrungen im Einklänge steht. Dabei muß er selbstverständlich untersuchen, bis zu welchem Grade der Annäherung und in welchem Bereiche seine Formel der Wirklichkeit entspricht. Eine derartige Formel ist es nun, auf die sich das folgende Beispiel bezieht. Selbst wenn man von vornherein nicht weiß, daß sie nur näherungsweise gilt, deckt doch ihre mathematische Untersuchung, wie wir erkennen werden, ihren Charakter als bloßen Notbehelf auf. 8. B e i s p i e l : Bei t° C. übt ein Kilogramm Kohlensäure, dessen Volumen x Kubikmeter beträgt, auf ein Quadratmeter der Wand des Gefäßes einen Druck aus, der in Kilogrammen gemessen den Betrag hat: y
_ 0,003 688 (273 + t) ~~ x - 0,0008-13"
2,093 5 (273 + t)(x + 0,U00 977/ 2
Bei 15° C. ergibt sich hieraus z. B.: (2)
2/ =
- —
x-
1,062 0,000843
0,007 269 (x + 0,000977) 2
Denn man hat hier 0,003688 und 2,0935 mit 288 zu multiplizieren bzw. dividieren und darf, da jene Zahlen abgerundet sind, die Ergebnisse nur so weit benutzen, als sie sich für die Zahlen 0,0036875 und 0,0036885, sowie für die Zahlen 2,09345 und 2,093 55 nicht voneinander unterscheiden.
155 Nach (2) ist y eine gebrochene Funktion von x. Wir bilden ihren Differentialquotienten. Der des ersten Bruches ist nach der Bruchregel leicht zu finden, auch der des zweiten Bruches, da er die Form a ^ a (x + Ä)2 ° 6 1 xr> ~+ 2 biT+T* hat.
Es kommt:
dy_ UJ62 0,014538 dx ~ ~ (äT^ O^ÖOU843)' + (a; + 0,000977)3 ' Negative Werte von x sind der Natur des Problems nach ausgeschlossen. Wir nehmen also x positiv an. Für sehr große Werte von x sind die Nenner angenähert x"- und xs, wird also der Diflerentialquotient angenähert gleich - 1,062 x + 0,015
,
d. h. negativ. In der Tat: wird das Volumen x recht groß, so wird die Spannung y recht klein werden; die Bildkurve fällt für große Werte von x, vgl. Satz 26, S. 106. Fragen wir uns, für welches x sie wagerecht verläuft, d. h. der DifiFerentialquotient gleich Null wird. Es ist zu fordern: 1,062 (x + 0,000977)3 = 0,014538 (x - 0,000 843)2.
Dies ist eine Gleichung dritten Grades für x. Rechnet man die Potenzen aus, indem man natürlich immer abgekürzte Multiplikation entsprechend den gegebenen Dezimalstellen anwendet, so findet man, daß sich die von x freien Glieder, nämlich 1,062 .0,000977" und 0,014 538.0,000843«, gerade fortheben, so daß bleibt: 1,062a;3 - 0,011425a:2 + 0,000027» = 0. Offenbar wird dieser Gleichung durch x = 0 genügt, der Faktor x — 0 oder also x läßt sieb absondern (vgl. S. 30, S. 118). Es verbleibt die quadratische Gleichung: l,062x 2 - 0,011425x + 0,000027 = 0. Nach S. 136 sind ihre Lösungen ungefähr gleich 0,0035 und 0,0073. Also an den Stellen x = 0, x = 0,0035, x = 0,0073 hat die Bildkurve wagerechte Tangenten. Ferner sieht man aus den Nennern in (2), daß y nur für e i n e n positiven Wert von x, nämlich für x = 0,000843, unendlich groß wird, und
156
Drittes Kapitel: Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
dieser Wert von x ist noch kleiner als 0,0035. Die Parallele x = 0,000843 zur y-Achse wird also von der Kurve erst im Unendlichen erstrebt. Ist x wenig größer als diese Zahl, so wird in y das erste Glied sehr groß positiv, d. h. dann wird auch y sehr groß positiv. Also ergibt sich: Der rechte Zweig der Kurve kommt aus dem Positiv-Unendlichen, sich dort der Geraden x — 0,000 843 anschmiegend, fallt alsdann bis x = 0,003 5, hebt sich darauf bis x = 0,0073 und fällt weiterhin beständig, um sich für x = + cc der x-Achse anzuschmiegen. Siehe Fig. 105. Für x zwischen 0 und 0,000843 dagegen ist das erste Glied in (2) und daher auch y selbst negativ. Das hat aber für das physikalische Phänomen keinen Sinn, da die Spannung nicht negativ sein kann. Dies zeigt, daß die Formel nicht dem eigentlichen Wesen des Phänomens entspricht und nur mangels der Kenntnis des wahren Zusammenhanges zwischen Volumen und Spannung der Kohlensäure künstlich konstruiert worden ist. Der Leser möge aus diesem Beispiele die gute Lehre ziehen, nicht jede ihm begegnende Formel als eine Art eisernen Gebotes bis zu ihren äußersten Folgen als maßgebend zu betrachten. Rein mathematisch kann man dies ja mit jeder Formel tun; bei den Anwendungen muß man jedoch das vorliegende wirkliche Problem im Auge behalten und den G ü l t i g k e i t s b e r e i c h der k ü n s t l i c h k o n s t r u i e r t e n F o r m e l feststellen. 9. Beispiel: Ist E die elektromotorische Kraft eines galvanischen Elements, W sein innerer Widerstand und w der Widerstand im äußeren Stromkreise, so ist die Stromstärke nach dem Ohm sehen Gesetze gleich: E , E 1 oder W+w W w 1 + w Schalten wir zwei derartige gleiche Kiemente hintereinander, so ist ihre elektromotorische Kraft 2 E und ihr innerer Widerstand 2 W, während der äußere Stromkreis der alte bleiben möge, also wieder den Widerstand w habe, so daß die Kette der beiden Elemente einen Strom erzeugt von der Stärke: 2E j E 2 oder 2W+ w W w Bei einer Kette von x hintereinander geschalteten ebensolchen Elementen ergibt sich entsprechend die Stromstärke: = _ w Wx + w ' X + W Da x die Anzahl der Elemente bedeutet, ist x eine beliebige positive g a n z e Zahl. Sehen wir einmal davon ab, daß x ganzzahlig ist, so können wir unter x eine beliebige Veränderliche verstehen. Alsdann ist die Stromstärke y eine gebrochene Funktion von x. Sie wird nur für x = — w: W, also für einen negativen Wert von x, unendlich groß. Wird x selbst ± cc, ao wird y zu E : W, was man sofort einsieht, wenn man y so schreibt: E 1 W , w 1 (3)
y
J! " W'
x
E
x
157 da 1 : x dann unendlich klein wird. Bei einer sehr großen Anzahl von Elementen ist daher die Stromstärke fast gleich E: W. Der Differentialquotient ist: w dy _ E W W dx wie sich nach der Regel für den konstanten Koeffizienten (hier E: W) und nach der Bruchregel leicht ergibt. D i e s e r D i f f e r e n t i a l q u o t i e n t ist s t e t s p o s i t i v , d. h. y wächst mit wachsendem x. Wenn man ein Bild der Funktion y herstellen will — auch für negatives x — , findet man also, daß die Kurve in zwei stets steigende Teile zerfällt. Der linke Teil verläuft völlig im zweiten Quadranten, er kommt aus dem Unendiichfernen, wo er sich derjenigen Geraden parallel zur x-Achse anschmiegt, die die Ordinate E: W hat; er wird für® = — w . PF unendlich hoch. Y Der rechte Zweig kommt vom Unendlidh! fernen unten, indem er sich der Geraden x = — u-: W anschmiegt, geht durch den B P Anfangspunkt 0 und schmiegt sich für i X x — + oo der Geraden an, die die Höhe A O l> y = E-.W über der x-Achse hat. Siehe ; Fig. 106, in der wir den Teil, für den x I negativ ist, punktiert haben, da er für unser Problem keine Bedeutung hat. In dieser Figur sind E: Ti^und v;: W durch gleichlange Fig. 106. Strecken 0 B und A 0 wiedergegeben. Poch dient die Figur zur Veranschaulichung für jeden Fall, wie auch E: W und w : W gegeben sein mögen. Ist z. B. w. W = 10, so ist die Einheit der «-Achse der zehnte Teil der Strecke A 0, so daß sich beispielsweise für x = 20, d. h. für 20 Elemente, die Stromstärke ergibt, die durch QP dargestellt wird. Dabei ist die Länge von QP mit der von E\ W oder OB zu vergleichen. Ist z. B. E: W = 8, so verhält eich die Stromstärke zu 8 wie QP zu OB. Die Bildkurve ist eine der sogenannten H y p e r b e l n (vgl. S. 148), von denen wir später ausführlich sprechen werden. 10. B e i s p i e l : Nunmehr wollen wir annehmen, es sei eine größere Anzahl von galvanischen Elementen, etwa n , zu einer Batterie zu vereinigen. Jedes einzelne habe die elektromotorische Kraft E und den inneren Widerstand W. Der Widerstand des äußeren Stromkreises sei wieder w. Wir wollen jetzt aber nicht alle n Elemente hintereinander schalten, sondern je x von ihnen nebeneinander, indem wir also bei je x Elementen jedesmal die gleichen Pole verbinden. Aus je x Elementen wird dann ein Element von derselben elektromotorischen Kraft, aber von der a;-fachen Oberfläche, d. h. vom Widerstande W:x. Wir wollen annehmen, x gehe in n auf (z. B. seien 60 Elemente zu je 5 nebeneinander geschaltet). Alsdann liegen n:x Elemente vor, von denen jedes die elektromotorische Kraft E und den inneren Widerstand W:x hat. Jedes besteht aus x der ursprünglichen Elemente. Diese n : x Elemente schalten wir nun hintereinander. Die Stromstärke y berechnet sich nach dem OHM sehen Gesetze wie im vorigen Beispiele, aber an die Stelle von x tritt hier n : x, an die Stelle von W tritt W: x. Also kommt nach (3)
158
Drittes
Kapitel:
Das Differenzieren
V
algebraischer
Ausdrücke.
x =
-
oder: E W
IV n X
X
n +
1-w
w
w
x -
,
y ist jetzt eine gebrochene Funktion der Zahl x derjenigen Elemente, die wir zu je einem neuen Elemente durch Nebeneinanderschalten zusammenfügten. x bedeutet eine der positiven ganzen Zahlen, die in n, der Anzahl aller zur Verfügung stehenden Elemente, aufgeht. Laasen wir aber zunächst x irgendwelche p o s i t i v e Werte haben, so ist auch y stets p o s i t i v . Für x = + oo wird y zu Null, wie man aus der ersten Form von y deutlich sieht. Da y auch für x = 0 zu Null wird, erreicht y für wenigstens ein positives x ein Maximum. Es ist w i2 , wi2 - n-jjydy E W a; dx W f w
(••M
Nach Satz 27, S. 108, muß das Maximum also eintreten, wenn x = |/ n - f
W w
wird. Für alle anderen positiven Werte von x wird y kleiner als für diesen Wert, denn wenn x von 0 bis zu diesem Werte zunimmt, bleibt dy.dx positiv, wenn x größer als dieser Wert ist, wird dy.dx negativ. (Vgl. Satz 26, S. 106.) Es ist daher rätlich, die zur Verfügung stehenden n Elemente so in Keihen von je x Elementen nebeneinander zu schalten, daß x dem Werte der Quadratwurzel möglichst nahe kommt. Hieraus kann man auch dann einen Schluß ziehen, wenn x nicht in n aufgeht, d. h. wenn bei der Zusammenstellung von je x Elementen zu einem schließlich noch einige Elemente, nämlich weniger als x , übrig bleiben, die man alsdann für sich nebeneinander schalten wird. Auch dann wird man mit großer Wahrscheinlichkeit die größte Stromstärke erzielen, wenn man die Anzahl x nahe beim Werte jener Quadratwurzel wählt. 11. B e i s p i e l : Die Wärmemenge, die nötig ist, um 1 ccm trockner Luft bei dem konstanten Drucke von 760 mm Barometerstand von x° C. auf 100 C. zu erwärmen, ist: ¿, = - ^ ^ ( 1 0 0 - * ) , J5 ausgedrückt in Kalorien oder Wärmeeinheiten. Für x > 100 wird sie natürlich frei. Rückt x nahe an — 273, den Nullpunkt der sogenannten absoluten Temperatur, so gilt die Formel nicht mehr. Man konstruiere die Bildkurve, von der uns nur der Teil für x > — 273 interessiert. Siehe Fig. 107. Diese
159 K u r v e ist zusammen mit dem nicht dargestellten Zweige, der sich f ü r x < — 273 ergibt, wieder eine H y p e r b e l (vgl. S. 148).
St
X
^80 - H00 F i g . 107.
Wir fügen noch einige Beispiele hinzu, die der Leser selbst vollständig durchführen möge: 12. B e i s p i e l : Ein verschlossenes zylindrisches L i t e r g e f ä ß soll so hergestellt w e r d e n , daß f ü r die gesamte F l ä c h e (Mantel p l u s Bodenfläclie plus Deckelfläche) möglichst wenig Material v e r b r a u c h t wird. Beliebig zu w ä h l e n ist z u n ä c h s t der Radius des B o d e n s ; er b e t r a g e x cm. W i e g r o ß ist d a n n die Grundfläche? W i e groß also die H ö h e ? W i e groß folglich die g e s a m t e F l ä c h e y in qcm? y ist eine gebrochene F u n k t i o n von x, deren Minimum gesucht wird. Vgl. das 6. Beispiel, S. 111. 13. B e i s p i e l : E i n Rohr von 30 qcm Q u e r s c h n i t t soll hergestellt werden. D e r Querschnitt soll aus einem R e c h t e c k e mit einem angestzten H a l b k r e i s e bestehen. W i e wird man die Dimensionen w ä h l e n , damit d e r U m f a n g des Querschnittes möglichst gering wird? U m festzustellen, welche Größe hier die u n a b h ä n g i g e Veränderliche x ist, ü b e r l e g e man sich, wie m a n irgend einen Q u e r s c h n i t t von der vorgeschriebenen F o r m zu zeichnen a n f a n g e n wird. A m besten b e g i n n t m a n mit dem Zeichnen des Halbkreises. W e l c h e L ä n g e w ä h l t m a n dabei beliebig? W e l c h e Größe ist die a b h ä n g i g e Veränderliche u s w . ? Man vergleiche das Ergebnis mit dem im 6. Beispiel, S. 63.
§ 4. Die Kettenregel. Für die Berechnung des Differentialquotienten einer Funktion stehen uns mehrere Regeln zur Verfügung (vgl. S. 93—95). Mittels ihrer kann man zwar mancherlei Ausdrücke differenzieren, jedoch
160
Drittes Kapitel:
Das Differenzieren algebraischer Ausdrücke.
zum Teil nur auf recht umständlichem Wege. Wenn z. B. die Funktion (1)
y = [a -f- bx + c.r2 + gx3)
vorliegt 1 , können wir sie t h e o r e t i s c h nach unseren Regeln so differenzieren: Zuerst wird die 10Gte Potenz ausgerechnet, das gibt eine ganze Funktion vom Grade 300, die man mittels der Regel f ü r xn gliedweise differenzieren kann. Aber welche Schwierigkeiten bieten sich p r a k t i s c h dar! Die 100 , e Potenz von einer viergliedrigen Summe kann man zwar immer ausmultiplizieren, wenn man v i e l Zeit dazu h a t ; es wäre aber schade um die Zeit, und wie oft würde man sich dabei verrechnen! In der T a t aber kann man die vorgelegte Funktion y viel schneller differenzieren, nämlich so: Zunächst ist y durch (1) als 100 te Potenz eines Ausdruckes gegeben. Dieser Ausdruck ist eine ganze Funktion dritten Grades von x. y ist also nicht direkt als ganze Funktion 300 t e n Grades von x gegeben, sondern durch Vermittelung dieser Funktion dritten Grades. Geben wir dieser Funktion dritten Grades a + bx + cx2 + g x3 auch eine Bezeichnung, etwa z, so ist (2)
z = a + bx + cx2 4- gx3. Diese beiden Formeln sagen zusammen dasselbe aus wie die eine F o r m e l (1). Die zweite Formel nämlich sagt, was z bedeutet, und die erste weiterhin, daß y die 100 te Potenz von eben diesem z ist. Haben wir also jetzt statt e i n e r Formel (1) deren z w e i , so steht dieser Vermehrung doch auch eine Erleichterung gegenüber: J e d e einzelne der beiden Formeln (2) ist einfacher gebaut als (1). Ein Gleichnis liegt nahe: W i r sehen vor uns eine Maschine, bemerken, daß, wenn wir ein Rädchen (x) drehen, alsdann ein anderer Teil (y) der Maschine eine gewisse Bewegung vollführt. Der Zusammenhang ist uns jedoch zu verwickelt. W i r blicken d a h e r in den inneren B a u der Maschine hinein und sehen, daß d a ein Teil (z) eingeschaltet ist, so daß, wenn wir das Rädchen [x) drehen, dieser Teil (z) eine leicht verständliche Bewegung ausführen muß, und sehen ferner, d a ß , wenn wir den Teil (z) bewegen, auch der Teil (y) eine daraus auf einfachem Wege folgende Tätigkeit ausübt. 1 Nebenbei eine praktische Bemerkung: Die letzte Konstante in der Basis der 100ten Potenz haben wir g und nicht d genannt, obgleich die alphabetische Folge die Bezeichnung mit d nahe legt. Der Buchstabe d soll nämlich, da er beim Differential dx vorkommt, in der Differentialrechnung sonst überall vermieden werden, damit keine Verwechselungen möglich werden!
161
§ 4. Die Kettenregel. Nun haben wir über den Ursprünglich betrachteten ergebnis (y). Jetzt haben Folge (z) hat und daß die
Bau der Maschine Klarheit gewonnen. wir nur die Ursache (x) und ihr E n d wir bemerkt, daß die Ursache (x) eine Ursache (z) eine Folge (y) hat.
So auch in unserer mathematischen Aufgabe: y ist eine Funktion von x. Wir haben eine dritte Veränderliche z eingeführt. Aber von x, y, z ist nur eine Größe willkürlich veränderlich, nämlich x. Die Änderung von x bewirkt eine Änderung von z, — nach der zweiten Gleichung (2) ist j a z eine von x abhängige Veränderliche. Wenn sich aber z ändert, ändert sich auch y, — nach der ersten Gleichung (2) ist j a y eine von z abhängige Veränderliche. Hiernach ist y als eine Funktion von z und ferner z als eine Funktion von x aufzufassen. Lassen wir x um irgend einen Betrag Ax wachsen, so nimmt z als Funktion von x um eine gewisse Größe Az zu. D a nun y von z abhängt, bewirkt das Wachsen von z um Az auch eine gewisse Zunahme Ay von y. Nach (2) und nach Satz 24, S. 102, ist überdies sowohl z eine s t e t i g e Funktion von x als auch y eine s t e t i g e Funktion von z, d. h.: wählt man den absoluten Betrag von Ax hinreichend klein, so wird auch \Az\ so klein, wie man nur will, und wählt man \ Az\ hinreichend klein, so wird auch | Ay | so kleinr wie man nur will. Dies aber bedeutet: Satz 36: I s t y e i n e s t e t i g e F u n k t i o n v o n z u n d f e r n e r z e i n e s t e t i g e F u n k t i o n v o n x, so i s t a u c h y a l s e i n e s t e t i g e F u n k t i o n von x aufzufassen. E s leuchtet nämlich ein, daß die soeben gemachte Schlußfolgerung nicht nur für die Funktionen (2) gilt, sondern allgemein, sobald an die Stelle von (2) irgend zwei stetige Funktionen (3)
y = F(z)
und
z=f(x)
treten, da wir nur die Stetigkeit benutzt haben. Hiernach streben Az und Ay beide nach Null, sobald Ax nach Null strebt. Jetzt stellen wir die augenscheinlich richtige F o r m e l auf: /n * '
Ay _ Ay ^ Ax Ax Az Ax
Nach (2) haben die beiden Funktionen y von z und z von x Differentialquotienten: (5)
^
= 100z"
SCHKFFERS, Mathematik.
3. Aufl.
und
j J = l + 2cx + 3g x2. 11
die
162
Drittes
Kapitel:
Das
Differenzieren
algebraischer
Ausdrücke.
Diese Differentialquotienten sind die Grenzwerte der Brüche Ay
und
i
Ax
Tx
für den Fall, wo Az bzw. Ax nach Null strebt. Wir wissen aber, daß, falls Ax nach Null strebt, dasselbe von Az gilt. Deshalb haben wir, wenn Ax unendlich klein wird: Ay Ax
dy dx '
jj
Ax, Ax
dx dx
Nach (4) und nach Satz 10, S. 73, folgt also: Wenn Ax nach Null strebt, wird Ay Ax
dy dx
dx dx
Links steht hier aber der Differentialquotient der vorgelegten Funktion y von x, nämlich der Funktion (1). Also ergibt sich: dy _ d y dx dx
^ '
dx dx
Da nun die Differentialquotienteu, die hier rechts auftreten, die Werte (5) haben, liefert das Einsetzen dieser Werte in (6): g
= 100z"(£ + 2cx + 3