Lateinische Werke: Band 1 1614–1624
 9783110212891, 9783110186314

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I MA RT I N O PI T Z L AT E I NI SC H E W E RKE 1

II AUSGA B EN DE U T SC H E R LITER ATUR D E S XV. B I S XV I I I . JA HR H UN D ERTS

herausgegeben von Hans-Gert Roloff

MA RT I N O PI TZ L AT E I NI SC H E WER KE

WA LT E R DE GRU YT ER · B ER LIN · N EW YORK

III

M ART I N OPITZ L AT E I NI SCH E WERK E Band 1 1614–1624

In Zusammenarbeit mit W I L H E L M KÜ HL MA NN, H A NS -G ERT ROLOF F und zahlreichen Fachgelehrten herausgegeben, übersetzt und kommentiert von V E RO NI KA M A RSC H A L L und ROBERT S EID EL

WA LT E R DE GRU Y T E R · B E RLIN · N EW YORK

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Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISSN 0179-0900 ISBN 978-3-11-018631-4 Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. © Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Vorbemerkung

V

Vorbemerkung Mit dem ersten Band der lateinischen Werke von Martin Opitz wird ein Editionsprojekt der Öffentlichkeit vorgelegt, das von einigen Fachleuten lange erwartet wurde, während manche der potentiellen Adressaten sein Ausbleiben womöglich nicht vermißt hätten, ja seine wissenschaftliche Berechtigung vielleicht sogar anzweifeln mögen. Die Herausgeber erläutern das Konzept der Ausgabe und seine praktische Umsetzung in der Einleitung detailliert und äußern die hoffnungsvolle Zuversicht, daß der Nutzen des Unternehmens für eine interdisziplinäre Forschergemeinschaft sich als evident erweisen wird. An dieser Stelle haben sie vor allem zu danken, und zwar in erster Linie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine großzügige mehrjährige Förderung des Projektes, sodann dem Verlag Walter de Gruyter, der ihnen in gewohnter Generosität und Professionalität die spezifischen Probleme der Druckerstellung aus den Händen nahm, so daß sie sich ganz den wissenschaftlichen und redaktionellen Arbeiten widmen konnten. Insbesondere seien hier Herr Dr. Heiko Hartmann, Frau Manuela Gerlof und Herr Andreas Vollmer genannt. Unter den Mitarbeitern der Edition, die im Anschluß an diese Vorbemerkung namentlich und mit den ihnen zugeteilten Namenskürzeln aufgeführt werden, sind einige wegen ihres besonderen Engagements für das Projekt hervorzuheben. Dies gilt zunächst für die beiden assoziierten Herausgeber: Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Gert Roloff (Berlin) begründete im Opitz-Jubiläumsjahr 1997 das Projekt, warb die meisten der Mitarbeiter an und organisierte 1999 eine Konferenz in Breslau, auf der die wissenschaftlichen Grundlagen des Unternehmens von der Mehrzahl der beteiligten Forscher diskutiert wurden; unter seiner Ägide wurden bereits zahlreiche Übersetzungen in einer ersten Fassung vorgelegt und auch einzelne Kommentare erstellt. Herr Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg) erarbeitete gemeinsam mit seinem Oberseminar Ende der 1990er Jahre eine größere Anzahl von Übersetzungen und Kommentaren vor allem zu Texten, in denen Opitzens Beziehungen zur Kurpfalz eine Rolle spielen. Herr Prof. Dr. Walther Ludwig (Hamburg) lieferte eine große Zahl von Übersetzungen und fertigte außerordentlich detaillierte Kommentare an; Herr OStR Georg Burkard (Mandelbachtal) übertrug zahlreiche Texte in deutsche Verse – dies ein Experiment, das wir den Lesern zur Beurteilung überlassen – und übernahm außerdem die Durchsicht eines großen Teils aller vorgelegten Übersetzungen; Herr Dr. Jörg Robert (Würzburg) sprang kurz-

VI

Vorbemerkung

fristig für die Kommentierung des komplexen Aristarchus ein. Schließlich ist auch weiteren Fachkollegen zu danken, die an der Bearbeitung einzelner Texte von außen maßgeblichen Anteil nahmen. Hier seien stellvertretend genannt: Herr Prof. Dr. Klaus Conermann und Herr Dr. Harald Bollbuck (Wolfenbüttel), die als Herausgeber von Opitzens Korrespondenz jederzeit zum Austausch von Erkenntnissen und wertvollem Material bereit waren, Herr Dr. Dietrich Blaufuß (Erlangen), dem wir tatkräftige Unterstützung bei der theologischen Erschließung des Sermo de Passione Domini Jesu Christi verdanken, Herr Péter Ekler (Budapest), der uns mit wichtigen Quellentexten zur siebenbürgischen Geschichte versorgte, sowie vor allem Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Garber (Osnabrück), der uns ungedruckte Materialien überließ und den Zugang zum Osnabrücker „Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit“ vermittelte. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Instituts, namentlich Frau Sabine Beckmann, M.A., und Frau Astrid Menke, M.A., sei ebenso gedankt wie zahlreichen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren im In- und Ausland, die uns Reproduktionen von Originaldrucken verschafften, so an der Staatsbibliothek zu Berlin, der Universitätsbibliothek Wrocław (Breslau), der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften Görlitz, der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, der Staats- und Universitätsbibliothek Halle (Saale), der Ratsschulbibliothek Zwickau, der Bayerischen Staatsbibliothek München sowie der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Dem Scaliger-Instituut der Universität Leiden gebührt unser Dank für die Gewährung eines zweimonatigen Forschungsstipendiums, in dessen Rahmen Opitzens Beziehungen zu den Niederlanden näher untersucht werden konnten. Nicht vergessen seien die Mitarbeiter der Herausgeber an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frau Sandy Scheffler M.A., Herr Christian Nabroth und Herr Dennis Messinger, deren Zuverlässigkeit hohe Anerkennung gebührt. Schließlich weisen wir noch darauf hin, daß bei der Kennzeichnung der Mitarbeit jeweils diejenigen Personen genannt werden, die an der Übersetzung bzw. Kommentierung eines Textes maßgeblichen Anteil hatten; auf eine sorgfältige Differenzierung des Arbeitsanteils wurde jedoch verzichtet. Die Herausgeber haben ihre Beteiligung an den einzelnen Arbeitsprozessen nicht in jedem Fall erwähnt. Ihnen oblag durchweg die abschließende Redaktion, die in der Regel zusätzliche Detailrecherchen einschloß; für die Textkonstitution zeichnen sie allein verantwortlich. Frankfurt am Main, im Juni 2008

Veronika Marschall Robert Seidel

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Inhalt

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Bearbeiter . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur .

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Texte und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ANDREA, amice care . . . . . . . . . . . . . . 2. Per classicam gentem volasse – Musaeis, Weigeli . 3. UR bem qvi volet – CE u muto Zephyri . . . . . . 4. FL ecte Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. LA dae tuo – At tu candida –NO n sum augur . . . 6. STRENARUM LIBELLUS. . . . . . . . . . . . 7. QU ia tuam sortem – SI c tibi rivalis . . . . . . . . 8. Si quid forte dolor . . . . . . . . . . . . . . . . 9. VIR quem Fatorum . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Quicquid id est Monsi . . . . . . . . . . . . . . 11. Nullis scripta notis . . . . . . . . . . . . . . . . 12. GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA . . . . . . . 13. Vidi qui facili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. DI strahitur binis . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. AR dentes oculi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. IL le parens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Non solùm terra . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. E ST locus haud ulli visus . . . . . . . . . . . . . 19. AE STUO, nec voti . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. S I posito –Aonidum stabili – Qui quondam – HIPPONAX. [Ferax Bolesla] . . . . . . . . . . . 21. ARISTARCHUS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. DAPHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Augusta virtus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. BE ate Tite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25. Vidi qui facili . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. V . XI . XIII . XXXIII

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Inhalt

26. HA bes, Mi Namslere – Namslere si quid . . . . . . . . 27. SI quid adhuc Divi – EEEIION . . . . . . . . . . . 28. FE lix, conjugii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. H IPPONAX A D A STERIEN . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Immeritae post tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. A T nobis intempestivis . . . . . . . . . . . . . . . . . 32. ER go iter ad dulces [XEIAMA.] . . . . . . . . . . . 33. Accipe qvae vester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34. NI ße pater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35. At tu remotas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36. NU per ab Hesperio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37. QU od ver praeterito – SC ilicet hoc reliquos . . . . . . . 38. CE rnis ut exutâ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39. Qvid mihi cum viduo? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40. Vt primum Venere – Exnerus teneri . . . . . . . . . . 41. JV uenantibus Poëtis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42. SERMO DE PASSIONE DOMINI – EVCHARISTIA 43. ORATIO AD FRIDERICVM R EGEM B OHEMIAE – Aspice, Rex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44. Te quoque post regem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45. Quisquis nos steriles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46. C VNRADE , humani mens . . . . . . . . . . . . . . . . . 47. Q VICQVID in autorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48. O Clara divae stella Silesiae . . . . . . . . . . . . . . . 49. HO c etiam adversae – BARTSCHI (namque tui …) . . . . 50. HA ctenus Aonias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51. DE stinatum tibi – IN gentes animae – CE rnis effusas . . 52. Nil, C UNRADE , tuo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53. Oratio D. M. Martini Opicii – T V post ampla quidem . . Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ANDREA, amice care . . . . . . . . . . . . . . 2. Per classicam gentem volasse – Musaeis, Weigeli 3. UR bem qvi volet – CE u muto Zephyri . . . . . . 4. FL ecte Venus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. LA dae tuo – At tu candida –NO n sum augur . . 6. STRENARUM LIBELLUS . . . . . . . . . . . 7. QU ia tuam sortem – SI c tibi rivalis . . . . . . . 8. Si quid forte dolor . . . . . . . . . . . . . . . . 9. VIR quem Fatorum . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhalt

10. Quicquid id est Monsi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Nullis scripta notis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA . . . . . . . . . . . 13. Vidi qui facili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. DI strahitur binis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. AR dentes oculi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. IL le parens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Non solùm terra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. E ST locus haud ulli visus . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. AE STUO, nec voti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. S I posito –Aonidum stabili – Qui quondam – HIPPONAX. [Ferax Bolesla] . . . . . . . . . . . . . . 21. ARISTARCHUS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. DAPHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Augusta virtus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. BE ate Tite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25. Vidi qui facili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. HA bes, Mi Namslere – Namslere si quid . . . . . . . . . 27. SI quid adhuc Divi – EEEIION . . . . . . . . . . . 28. FE lix, conjugii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. H IPPONAX A D A STERIEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Immeritae post tot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. A T nobis intempestivis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32. ER go iter ad dulces [XEIAMA.] . . . . . . . . . . . 33. Accipe qvae vester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34. NI ße pater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35. At tu remotas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36. NU per ab Hesperio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37. QU od ver praeterito – SC ilicet hoc reliquos . . . . . . . 38. CE rnis ut exutâ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39. Qvid mihi cum viduo? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40. Vt primum Venere – Exnerus teneri . . . . . . . . . . . 41. JV uenantibus Poëtis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42. SERMO DE PASSIONE DOMINI – EVCHARISTIA 43. ORATIO AD FRIDERICVM R EGEM B OHEMIAE – Aspice, Rex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44. Te quoque post regem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45. Quisquis nos steriles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46. C VNRADE , humani mens . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X

Inhalt

47. Q VICQVID in autorum . . . . . . . . . . . . . . . . . 48. O Clara divae stella Silesiae . . . . . . . . . . . . . . 49. HO c etiam adversae – BARTSCHI (namque tui …) . . . 50. HA ctenus Aonias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51. DE stinatum tibi – IN gentes animae – CE rnis effusas . 52. Nil, C UNRADE , tuo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53. Oratio D. M. Martini Opicii – T V post ampla quidem

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Inhalt

XI

Verzeichnis der Bearbeiter A.N. B.C. C.K. F.F. F.R. G.B. H.B. H.J. H.-H.K. H.-J.L. J.R. L.C. M.M. P.F. R.-G.C. R.K. R.S. S.A. T.H. V.M. W.-W.E. W.K. W.N. W.S.

Prof. Dr. Alfred Noe Dr. Beate Czapla Dr. Christian Käßer Dr. Fritz Felgentreu Prof. Dr. Fidel Rädle Georg Burkard Dr. Harald Bollbuck Prof. Dr. Herbert Jaumann Prof. Dr. Hans-Henrik Krummacher Hans-Jörg Lieder Dr. Jörg Robert Lutz Claren Markus Mollitor Péter Fiers PD Dr. Ralf-Georg Czapla Dr. Reinhard Klockow Prof. Dr. Robert Seidel PD Dr. Stefanie Arend Prof. Dr. Thomas Haye Dr. Veronika Marschall Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers* Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann Prof. Dr. Wolfgang Neuber Dr. Wolfgang Schibel

* zusammen mit einem Mitarbeiterstab: Fritz Felgentreu, Reinhard Gruhl, Felix Mundt u.a.

XII

Inhalt

Einleitung

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Einleitung1 I. Das Konzept, die lateinischen Texte eines frühneuzeitlichen Autors – hier Opitzens im speziellen – gesondert herauszugeben, galt lange Zeit als Selbstverständlichkeit. Opitz selbst kündigte in einer seiner frühesten Schriften, dem Aristarchus von 1617, an, seine deutschen Gedichte entweder zusammen mit den lateinischen oder getrennt zu publizieren.2 Tatsächlich bereitete er dann in seiner Heidelberger Zeit eine Ausgabe der deutschen Gedichte vor, die 1624 in der Redaktion Zincgrefs als Teutsche Poëmata, ein Jahr später in einer von Opitz verbesserten Fassung als Acht Bücher Deutscher Poematum erschienen. Obwohl der Dichter nach seinem vielbeschworenen angeblichen ,Übergang‘ zur deutschsprachigen Poesie in den Jahren um 1620 keineswegs die Publikation lateinischer Schriften – Kasualpoesie, Reden und Prosapanegyrici vor allem – einschränkte, scheint er vom Plan einer analogen Publikation seiner lateinischen Gedichte abgerückt zu sein. Bernhard Wilhelm Nüßler erklärt dies in der Vorrede zu seiner 1631 erfolgten Edition von Opitzens Silvarum libri III. Epigrammatum liber unus (kurz: Silvae) damit, daß Opitz, inzwischen als Pionier der deutschsprachigen Kunstdichtung gefeiert, seinen lateinischen Werken, die er als Jugendarbeiten oder improvisiert hingeworfene Nebenprodukte einstufte,3 keine besondere Bedeutung zumaß, so daß der Herausgeber in Analogie zu den seit 1624 gesammelt vorliegenden deutschen Gedichten ein corpus der lateinischen erst etablieren mußte.4 Damit lagen, was die Lyrik angeht, zwei jeweils nach metrisch-gattungsspezifischen Kriterien unterteilte Sammlungen vor, von denen die deutschsprachige in den Folgejahren permanente Erweiterungen erfuhr, während die latei-

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Die Abschnitte II und III wurden in ähnlicher Form bereits in einer Vorstellung des Projektes im Neulateinischen Jahrbuch 9 (2007), S. 347–355, präsentiert. Germanica mea Poëmatia, quae aut cum Latinis, aut seorsim aliquando, volente Deo, prodibunt (S. 84 des vorliegenden Bandes). sibi non solum aut iuueni admodum pleraque, aut obiter et ex tempore, vti fieri consueuit, nata esse (Silvae, S. 5). Ego vero innocentis foetus, quem tam inclemens Pater tollere non dignabatur, misertus, ipsemet suscepi, dispersa variè membra collegi, et in hanc formam, quoddam quasi corpus, redegi (Silvae, S. 5 f.).

XIV

Einleitung

nische erst nach Opitzens Tod, und dann auch nur ein einziges Mal (1690), in eine Gesamtausgabe integriert wurde. Der Grund dafür, daß sich die Korpusbildung bei den zweisprachigen Dichtern – deutlich etwa bei Paul Fleming – entlang der Sprachgrenzen vollzog, liegt nicht in erster Linie an den möglicherweise differierenden Adressatenkreisen, sondern eher daran, daß, wie schon angedeutet, eine aus der Antike tradierte Einteilung der Versdichtung nach ,Büchern‘ entsprechend ihrer Gattungszugehörigkeit üblich war. Sonette etwa existierten grundsätzlich nur in den Volkssprachen, und Oden oder Elegien folgten im 17. Jahrhundert je nach gewählter Sprache gänzlich unterschiedlichen metrischen Prinzipien. Für die sogenannte Silvendichtung galt zwar per definitionem das Prinzip der inhaltlichen wie formalen Variation, doch dies bezog sich bei größeren Sammlungen auf die Abfolge der einzelnen Bücher, und gewiß subsumierte niemand unter der Bezeichung Silvae oder Poetische Wälder Gedichte in verschiedenen Sprachen.5 Für die Rezeptionsgeschichte von Opitzens Werken bedeutete die genannte Herausbildung der getrennten Lyriksammlungen, daß jeder Herausgeber einer Gesamtausgabe sich entscheiden mußte, ob er die lateinischen Silvae aufnehmen wollte oder nicht. Erstmals wiederabgedruckt wurden sie in der 1690 bei Fellgiebel in Breslau erschienenen Ausgabe der Opera, die den Untertitel trägt: Geist- und Weltliche Gedichte, Nebst beygefügten vielen andern Tractaten so wohl Deutsch als Lateinisch … Tatsächlich enthält diese Edition nicht nur die lateinischen Vorreden Opitzens zu seinen deutschsprachigen Werken, die in vielen anderen Ausgaben unterschlagen wurden, sondern auch einige ehemals selbständige lateinische Schriften des Autors (wie die Hochzeitsschrift für den polnischen König Wladisław IV. oder den Variarum lectionum liber, beide 1637) und eben die Silvae nach der Ausgabe Nüsslers aus dem Jahre 1631. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert, als sich historisch-kritische Editionsprinzipien allmählich etablierten, liegt keine Ausgabe von Opitzens lateinischen Gedichten vor. Die unvollendete Ausgabe von Bodmer und Breitinger, die die lateinischen Vorreden zuverlässig ediert, hätte die Silvae vermutlich integriert. Ein anderes Verfahren wählte Johann Daniel Triller, der in seiner vielgeschmähten, rasch zusammengestellten Edition „diesesmal nur allein die teutschen Schrifften des grossen Opizen lieffern“6 5

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Vgl. Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ,bei Gelegenheit‘. Heidelberg 1988 (= Beihefte zum Euphorion 22), zu Opitz S. 127–148; Thomas Borgstedt: Silvae und Poemata. Martin Opitz’ doppelte Einteilung seiner Gedichte und ihr Mißverständnis bei Druckern und Forschern, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 31 (2004), S. 41–48. Martin Opizen von Boberfeld Teutsche Gedichte, in vier Bände abgetheilet, Von neuem sogfältig übersehen, allenthalben fleißig ausgebessert, mit nöthigen Anmerckungen erläutert, von Daniel Wilhelm Triller […]. Frankfurt: Varrentrapp 1746, Bd. 1, fol. (*)2r.

Einleitung

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wollte und konsequent auch die lateinischen Vorreden wegließ, allerdings ankündigte, „künfftig alle Lateinische Schrifften und Gedichte unsers Poeten in einem eigenem [sic] Bande, mit verschiedenen Zusätzen vermehret und verbessert herauszugeben“.7 Dies geschah freilich nicht, und in der Folgezeit verlegte man sich ohnehin auf „Auserlesene“ oder „Ausgewählte“ Gedichte, also Teileditionen, die zwar zunehmend kritischen Ansprüchen genügten, aber keine Vollständigkeit anstrebten. Dies bedeutete in einer Zeit der Geringschätzung lateinischer Produktion – seit Herder galt es als ausgemacht, daß ein Poet eigentlich nur in seiner Muttersprache dichten könne –,8 daß die Silvae und die übrigen lateinischen Schriften Opitzens nicht nachgedruckt wurden. Eine Ausnahme galt nur für den Aristarchus, den man als Vorstufe zum Buch von der Deutschen Poeterey nicht vernachlässigen zu dürfen glaubte.9 Daß die Herausgeber des 19. Jahrhunderts, wenn sie sich denn zu einer kritischen Gesamtausgabe entschieden hätten, bei der Sprachtrennung geblieben wären, darf man in Analogie zu der noch heute geschätzten Ausgabe der Werke von Paul Fleming schließen, die in Lateinische Gedichte und Deutsche Gedichte aufgeteilt sind.10 Und noch in jüngster Zeit wurden die lateinische Texte von Andreas Gryphius in zwei eigenständigen Bänden, sinnigerweise in einer Reihe „Bibliothek seltener Texte“, herausgegeben.11 Eine in doppelter Hinsicht neue Situation ergab sich mit George Schulz-Behrends Projekt einer historisch-kritischen Gesamtausgabe von Opitzens Werken, die 1968 mit dem 1. Band eröffnet wurde. Für Schulz-Behrend war nicht nur die Aufnahme sowohl deutscher als auch lateinischer Schriften eine wissenschaft-

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Ebd., fol. (*)2v. Vgl. Robert Seidel: Die ,tote Sprache‘ und das ,Originalgenie‘. Poetologische und literatursoziologische Transformationsprozesse in der Geschichte der deutschen neulateinischen Lyrik, in: Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit, hrsg. von Beate Czapla, Ralf Georg Czapla und Robert Seidel. Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 77), S. 422–448. Martin Opitzens Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae und Buch von der deutschen Poeterey, hrsg. von Georg Witkowski. Leipzig 1888. Paul Flemings Lateinische Gedichte, hrsg. von Johann Martin Lappenberg. Stuttgart 1863; Ndr. Amsterdam 1969. Paul Flemings Deutsche Gedichte, hrsg. von Johann Martin Lappenberg. 2 Bde. Stuttgart 1865; Ndr. Darmstadt 1965. – Lappenberg folgte damit dem Willen Flemings, der teilweise druckfertige Manuskripte seiner Sammlungen hinterlassen hatte, und dem Prinzip von Flemings Nachlaßverwalter Adam Olearius, der dessen zentrale Texte als Teutsche Poemata (1646) und Epigrammata Latina (1649) herausgab. Andreas Gryphius: Herodes. Der Ölberg. Lateinische Epik, hrsg., übersetzt und kommentiert von Ralf Georg Czapla. Berlin 1999 (= Bibliothek seltener Texte in Studienausgaben 4); Andreas Gryphius: Lateinische Kleinepik, Epigrammatik und Kasualdichtung, hrsg., übersetzt und kommentiert von Beate Czapla und Ralf Georg Czapla. Berlin 2001 (= Bibliothek seltener Texte in Studienausgaben 5).

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liche Selbstverständlichkeit, darüber hinaus führte der Anspruch, alle nachweisbaren Texte zu edieren und deren Überlieferungsgeschichte transparent zu machen, dazu, daß nun auch separat erschienene Einzelstücke – etwa Kasualgedichte in Gelegenheitsdrucken – aufgenommen wurden. Damit wurde das Prinzip der zusammenhängenden Wiedergabe zeitgenössischer Textsammlungen ergänzt bzw. unterlaufen. Stattdessen standen die Präsentation des Opitzschen Œuvres in seiner historischen Entwicklung und die gesellschaftliche Verortung der einzelnen Texte im Vordergrund. Dieses Verfahren, das in der Fachwelt einhellige Zustimmung fand,12 läßt eigentlich wenig Spielraum für eine erneute editorische Abtrennung des ,lateinischen Opitz‘ von den deutschen Texten. Es soll auch keineswegs geleugnet werden, daß eine gleichmäßige Erfassung und Erschließung der deutschen und lateinischen Schriften Opitzens wünschenswert wäre, allerdings stehen einem derartigen Unterfangen praktische Hindernisse entgegen: Die noch nicht abgeschlossene, offenbar steckengebliebene kritische Gesamtausgabe13 kommt den Lesern gerade der lateinischen Schriften nicht entgegen, da sie weder eine Übersetzung noch einen über rudimentäre Ansätze hinausgehenden Stellenkommentar bietet.14 Es wäre demnach, selbst wenn die prinzipiellen Möglichkeiten einer Weiterführung der Gesamtausgabe gegeben wären, mit der Durcharbeitung von Opitzens gesamtem Frühwerk (bis 1630) noch einmal von vorne anzufangen, d. h. zu den bereits vorliegenden Bänden müßten Ergänzungsbände mit Kommentaren und Übersetzungen angefertigt werden, bevor man mit der Edition der Werke ab 1631 überhaupt beginnen könnte. Da ohnehin ein Teil von Opitzens Schriften, nämlich die Briefe, in einem Projekt der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel eigenständig bear-

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Vgl. u. a. Jörg-Ulrich Fechner: [Rezension von Bd. 1] in: Euphorion 64 (1970), S. 433– 440; Klaus Garber: [Rezension von Bd. 1; 2.1; 2.2; 3.1; 3.2] in: Daphnis 11 (1982), S. 701–708. Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, hrsg. von George Schulz-Behrend. Bd. 1: Die Werke von 1614 bis 1621. Stuttgart 1968 (= Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 295); Bd. 2,1–2: Die Werke von 1621 bis 1626. Stuttgart 1978–79 (= BLV 300–301); Bd. 3,1–2: Die Übersetzung von John Barclays Argenis. Stuttgart 1970 (= BLV 296–297); Bd. 4,1–2: Die Werke von Ende 1626 bis 1630. Stuttgart 1989–90 (= BLV 312–313). Gänzlich unverständlich ist – bei aller Wertschätzung von Schulz-Behrends Ausgabe – das gelegentlich in Rezensionen geäußerte Lob der Kommentierungsleistung (Fechner, wie Anm. 12, S. 439; Garber, wie Anm. 12, S. 706). Daß die „Reichhaltigkeit des Sachkommentars … nicht genug zu schätzen“ sei, kann nur behaupten, wer von den Möglichkeiten dieser wissenschaftlichen Serviceleistung keine Vorstellung hat (Christian Wagenknecht: Rezension zu Bd. 2.1 und 2.2., in: Colloquia Germanica 18, 1985, S. 165–168, hier S. 167).

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beitet werden,15 erschien es letztlich doch legitim, eine gesonderte, den spezifischen Erfordernissen lateinischer Texte entsprechende Teiledition in Angriff zu nehmen.

II. Das Projekt einer Edition der lateinischen Schriften von Martin Opitz wurde im Kontext von Opitzens 400. Geburtstag 1997 ins Leben gerufen und hatte zunächst nur – und mit Blick auf eine rasche Publikation – das Bereitstellen lesbarer Übersetzungen der lateinischen Texte für eine breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit zum Ziel. Sehr schnell wurde im Kreis der sich zur fächerübergreifenden Kooperation zusammenfindenden Germanisten und Klassischen Philologen allerdings klar, daß neulateinische Vers- und Prosatexte von einiger Bedeutung nicht sinnvoll ohne ausführliche entstehungsgeschichtliche, gattungsspezifische und (bei längeren Texten) strukturanalytische Erläuterungen, vor allem aber nicht ohne einen gründlichen Stellenkommentar zu Realien und philologisch-literarhistorischen Einzelbefunden vorgelegt werden können. Als Maßstab – nicht nur für die poetischen Texte – sollte eine kurz zuvor erschienene Anthologie neulateinischer Lyrik dienen.16 Anläßlich einer Konferenz, zu der sich die rund 15 an dem Projekt beteiligten Forscher17 1999 in Breslau ver15

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Martin Opitz: Briefwechsel, Eintragungen und andere Lebenszeugnisse. Mit Übersetzungen und Kommentaren. 3 Bde., unter Mitarbeit von Harald Bollbuck hrsg. von Klaus Conermann [im Druck]. Vgl. einstweilen Klaus Conermann / Andreas Herz: Der Briefwechsel des Martin Opitz. Ein chronologisches Repertorium, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 28 (2001), S. 3–133. Bis zum Erscheinen der Ausgabe muß der Interessierte auf verstreute ältere Publikationen zurückgreifen. Einen ausgezeichneten Einstieg in das Feld der Humanistenkorrespondenz bietet (mit Abdruck zahlreicher Briefe von Opitz) folgende gut kommentierte Ausgabe: Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde, hrsg. von Alexander Reifferscheid. Heilbronn 1889 (= Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des 17. Jahrhunderts 1). Vgl. ebenfalls unter bio-bibliographischen Gesichtspunkten Axel E. Walter: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims. Tübingen 2004 (= Frühe Neuzeit 95) [mit wertvollen Kurzporträts zahlreicher Protagonisten der Epoche und großzügigen Nachweisen]. Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch, […] ausgewählt, übersetzt, erläutert und hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel und Hermann Wiegand. Frankfurt 1997 (= Bibliothek deutscher Klassiker 146). Inzwischen haben weitere Wissenschaftler, zum Teil mit Spezialaufträgen etwa im Bereich der theologischen Erschließung schwieriger Einzeltexte, an dem Projekt mitgewirkt. Alle an der Übersetzung und/oder Kommentierung beteiligten Personen werden in Zusammenhang mit den von ihnen bearbeiteten Texten in den entsprechenden Bänden der Ausgabe namentlich genannt.

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sammelten, wurden Richtlinien für das künftige Vorgehen erstellt. Auf der Grundlage dieser – und weiterer, im Laufe der Zeit modifizierter – Festlegungen setzte eine erste Phase der Übersetzungs- und Kommentierungstätigkeit ein. Im Jahr 2003 wurde entschieden, die Arbeit künftig von Frankfurt aus zu organisieren und den Verfasser dieses Berichts als verantwortlichen Herausgeber einzusetzen. Nach weiteren zwei Jahren, in denen die Übersetzungsarbeit abgeschlossen und die Kommentierung weiter vorangetrieben werden konnte, mit dem Fortgang der Arbeit allerdings auch die Ansprüche an das Niveau von Edition und Kommentar stiegen, sahen sich die Herausgeber genötigt, zur Gewährleistung einer zügigen und kontinuierlichen Projektarbeit einen Förderantrag an die DFG zu stellen. Die DFG bewilligte eine volle Mitarbeiterstelle für drei Jahre, und im Mai 2006 konnte mit Frau Dr. Veronika Marschall eine hauptamtliche Bearbeiterin für die Opitz-Ausgabe eingestellt werden. Zum Zeitpunkt der Drucklegung des vorliegenden Bandes ist die Erfassung und Einrichtung aller lateinischen Texte abgeschlossen, die Übersetzungen sind vollständig durchgesehen und die Kommentare sind bis zum Jahr 1624 (Erstdruck) vollständig und nach einheitlichen Normen (s. u.), für die Folgezeit in unterschiedlicher Form und Dichte erarbeitet. Gegenüber den ursprünglichen Plänen haben Textkonstitution und Kommentierung im Konzept des Projektes eine gleichberechtigte Stellung neben der Übersetzung erhalten, bei der freilich nach wie vor auf größtmögliche Genauigkeit der grammatischen und semantischen Umsetzung des lateinischen Textes geachtet wurde.18 Alle Übersetzungen sind von mindestens einem/-r Projektmitarbeiter/-in gegengelesen und, wo nötig, korrigiert worden. Bei der Einrichtung der Texte wurde eine Strategie verfolgt, die sich zwischen den Anforderungen einer historisch-kritischen und einer Studienausgabe bewegt. So wurden beispielsweise in Fällen, wo mehrere autorisierte Textzeugen vorliegen,19 alle den Lautstand betreffenden Abweichungen im Kommentar – in den textkritische Bemerkungen integriert sind20 – notiert, während bloße Differenzen in Or-

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Da Text und Übersetzung jeweils in synoptischer Form nebeneinander erscheinen, konnte zuweilen eine von Wortlaut und Syntax des Originals abweichende stilistische Annäherung an die Zielsprache gestattet werden, in geeigneten Fällenällen wurde auch eine Versübersetzung angefertigt. Dies betrifft vor allem diejenigen Gedichte aus der zeitgenössischen Sammeledition Silvarum libri III. Epigrammatum liber unus (1631), die zuvor bereits in Kasualdrucken erschienen waren. Die bisherige Arbeit hat gezeigt, daß dieses Verfahren selbst im Falle von Mehrfachüberlieferungen übersichtlich bleibt, sofern man auf die aufwendige Dokumentation rein typographischer bzw. orthographischer Varianten, wie sie Schulz-Behrend unternimmt, verzichtet.

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thographie und Interpunktion unberücksichtigt blieben. Ausschlaggebend für den Verzicht auf eine im strengen Sinne ,kritische‘ Ausgabe war neben praktischen Erwägungen auch der Umstand, daß zahlreiche, und hier gerade die umfangreicheren Schriften überwiegend in einem einzigen, editorisch unproblematischen Druck vorliegen. Im übrigen wurde, ebenfalls entgegen den ursprünglichen Plänen einer ganz auf die Übersetzung fokussierten Ausgabe, bei der Textkonstitution stets auf die Originaldrucke zurückgegriffen.21 Für die Textwiedergabe gelten im einzelnen folgende Richtlinien: Die Texte werden weitgehend diplomatisch präsentiert, Eigenheiten der Typographie bleiben bestehen: So werden Akzente beibehalten, ebenso die eigentümliche Schreibung von i/j :I/J bzw. u/v :U/V. Dementsprechend werden Formen wie zum Beispiel superûm nicht aufgelöst. Doppelversalien und andere Formen der Auszeichnung am Anfang eines Textes werden ebenfalls beibehalten. Kapitälchen werden verwendet, falls sie im Druck deutlich als solche zu erkennen sind bzw. um Unterschiede in der Schriftgröße gegenüber Versalien etc. zu verdeutlichen. Auch die Interpunktion des Originaltextes wird gewahrt. Punkte, die einen Satz beenden, werden allerdings, wo nötig, ergänzt, und nach einem Punkt folgen stets Versalien; die originale Schreibweise wird in diesem Fall nur in besonders begründeten Ausnahmefällen beibehalten. Vom Grundsatz der diplomatischen Textwiedergabe wird in folgenden Fällen abgewichen: Im Original kursiv gesetzte Ganztexte werden recte wiedergegeben, einzelne darin enthaltene Wörter in recte-Schrift hingegen kursiv. In schwierigen Sonderfällen werden auch anders gelagerte Abweichungen durch die Differenz recte-kursiv zum Ausdruck gebracht. Kürzel und Ligaturen werden aufgelöst, ebenso die Nasalstriche. Das – gerade in Texten der Frühen Neuzeit – in verschiedenen Ausprägungen vorhandene Zeichen für „und“ wird folgendermaßen aufgelöst: & bzw. & werden als et wiedergegeben, enklitisches q´ bzw. q; als que. In der Schreibung normalisiert erscheinen adskribierte Umlaute und das geschwänzte e. Die Schreibung der s-Laute ist ebenfalls normalisiert (auch das sogenannte „Schaft-s “), ß wird jedoch beibehalten. Offensichtliche Setzerversehen werden stillschweigend korrigiert, in Zweifelsfällen jedoch im Kommentar vermerkt. Auch überflüssige Zwischenräume werden stillschweigend geschlossen. Ergänzungen durch die Herausgeber werden im lateinischen Text in spitze Klammern ! " gesetzt. Bei Bogen- bzw. Blattzählung werden zur Bezeichnung

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Es stellte sich heraus, daß selbst kleinste bedeutungshaltige Abweichungen registriert werden können, ohne daß es zu einer Überlastung des Stellenkommentars führt. Dieses Verfahren erwies sich auch deshalb als lohnend, weil die im ganzen recht solide Texterfassung bei Schulz-Behrend (s. Anm. 13) doch einige schwerere Fehler aufweist.

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der entsprechenden Seite die Abkürzungen „r“ (= recto) bzw. „v“ (= verso) verwendet. Die Zählung der Verse wird von den Herausgebern vorgenommen; die Überschriften der Texte sind bei der Zählung nicht berücksichtigt. Bei der genauen Wiedergabe der Titelblätter wird ein von Dünnhaupts Barock-Bibliographie22 abweichendes, vor allem auf Informationszugewinn zielendes Verfahren eingeschlagen: Damit der Leser weitestgehende Informationen über den einzelnen Text bzw. den entsprechenden Druck erhält, werden auch die Angaben auf den Titelblättern diplomatisch genau wiedergegeben; des weiteren werden die Titelblätter übersetzt, wenn es sich um Drucke handelt, bei denen Opitz der alleinige (bzw. der Haupt-)Autor ist. Die Kommentare wollen die Texte für den Leser in möglichst vielfältiger Hinsicht erschließen und versuchen, den unterschiedlichen Rezipienteninteressen gerecht zu werden. Sie richten sich generell an einen nicht spezialisierten, jedoch mit der Literatur der Frühen Neuzeit grundsätzlich vertrauten Leserkreis. Fachspezifische Kenntnisse im Bereich der Klassischen Philologie sind nicht vorausgesetzt (daher werden z.B. keine Siglen bei der Zitierung antiker Titel verwendet), gleichwohl werden wichtige Besonderheiten des Sprachgebrauchs, vor allem Abweichungen von der klassischen Latinität, im Kommentar berücksichtigt. Im einzelnen sind die Kommentare nach folgenden Richtlinien angelegt: Die beiden Überschriftenzeilen sollen eine erste Orientierung gestatten, indem in der ersten Zeile der Kurztitel bzw. Gedichtanfang, in der zweiten die Textsorte, der Anlaß sowie die jeweiligen Adressaten genannt werden. Der Kommentar selbst ist in einen Vorspann, den Einleitungsteil und den Stellenkommentar gegliedert. Der Vorspann enthält die notwendigen bibliographischen Informationen: Nach der Angabe, ob und unter welcher Nummer der Text in Dünnhaupts Barock-Bibliographie verzeichnet ist, erfolgt die Wiedergabe des Titelblattes des verwendeten Exemplars. Der Beginn einer neuen Zeile wird hierbei durch | gekennzeichnet. Weniger geläufige Abkürzungen werden aufgelöst; durch Chronogramm angegebene Jahreszahlen werden in eckigen Klammern [ ] entschlüsselt. Es folgen die Angabe der Provenienz mit Signatur, dann der Druckseite/-en, auf der/denen sich der Text Opitzens befindet; ferner wird auf weitere – zeitgenössische und moderne – Abdrucke des Textes hingewiesen, die unautorisierten Ausgaben seit der Mitte des 17. Jh. sind dabei jedoch nicht berücksichtigt. Die Einleitung enthält Hinweise zur Überlieferungsgeschichte, zu Entstehung und historischem Kontext, eventuell zur Vita des/der Adressaten, zur gattungsspezifischen Einordnung, zum Versmaß usw. In aller Regel 22

Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2. Auflage. [Artikel Opitz, Martin:] Bd. 4. Stuttgart 1991, Sp. 3009–3074.

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bringt die Einleitung auch eine Strukturanalyse, außerdem werden ggf. Hinweise auf vorliegende Forschungen bzw. auf prosopographische und sonstige Referenzwerke gegeben. Der Stellenkommentar besitzt zwei Funktionen. Er dient zum einen, wie oben S. XIVf. erläutert, als Ort der Textkritik bzw. Textkonstitution. Es wird also jeweils kein eigenständiger kritischer Apparat erstellt, sondern alle entsprechenden Hinweise zum Text finden sich im Kommentar. Zum anderen liefert der Stellenkommentar Erläuterungen zu Realien aller Art (Orts- und Personennamen, auch aus dem Bereich der Mythologie und der Bibel; historische Zusammenhänge, soweit nicht in der Einleitung behandelt), außerdem werden philologische (auffälliger Wortgebrauch, grammatikalische Besonderheiten) und literarische Sachverhalte (Parallelen vor allem zu antiken Vorbildern, stilistische Auffälligkeiten, Symbolik und Motivik usw.) erklärt. Der bisher bekannte, bei Dünnhaupt (s. Anm. 22) dokumentierte Textbestand konnte bislang um etwa 20 Gedichte von geringer bis mittlerer Länge, darunter auch solche aus Opitzens Jugendjahren (ab 1615), erweitert werden.23 Neben gedruckten Texten sind – in Absprache mit der Wolfenbütteler Arbeitsstelle, die die Briefe und Lebenszeugnisse des Autors erfaßt – auch Stammbucheinträge aufgenommen, sofern sie ,Werkcharakter‘ aufweisen, also als eigenständige Verstexte Opitzens zu klassifizieren sind. Insgesamt ergibt sich ein Umfang, der angesichts des Kommentierungsaufwandes drei Bände erforderlich macht. Die Texte sind chronologisch angeordnet. Kriterium ist das Datum des Erstdrucks bzw. bei Stammbüchern das Datum des jeweiligen Eintrags. Dies ist vor allem von Relevanz bei Gedichten aus der zeitgenössischen Sammeledition Silvarum libri III. Epigrammatum liber unus (1631), die zuvor bereits in Kasualdrucken veröffentlicht wurden: Die in den Silvae vorhandenen Texte erscheinen unter dem Jahr 1631, sofern sie nicht bereits vorher in einem anderen Druck vorlagen. Text und Übersetzung sind jeweils synoptisch – lateinisch und deutsch gegenüber – abgedruckt. Jeder Band erhält ein Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur, der letzte Band zusätzlich ein Personenregister für das Gesamtwerk.

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Die bislang erschienenen Bände des von Klaus Garber herausgegebenen Handbuchs des personalen Gelegenheitsschrifttums haben bislang nur ein weiteres Gedicht zutage gefördert; allerdings schreitet dieses Unternehmen rasch voran, so daß mit vereinzelten Neufunden zu rechnen ist: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven, im Zusammenwirken mit der Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit und dem Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück hrsg. von Klaus Garber. Hildesheim u.a. 2001ff.

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III. Der Forschungsstand zu den lateinischen Schriften von Martin Opitz war bis vor kurzem gänzlich unbefriedigend. Die nationalliberale Germanistik des 19. Jahrhunderts hatte in fataler Weise ,Nation‘ und ,(Mutter)sprache‘ in ein kausales Verhältnis zueinander gerückt, was angesichts der positiven Besetzung beider Begriffe umgekehrt fast zwangsläufig zu einer generellen Abwertung der lateinischen Produktion deutscher Dichter führte.24 Vollends bei einem die Rolle der Volkssprache programmatisch aufwertenden Autor wie Opitz hatte diese verengte Sicht zur Folge, daß man dessen lateinische Schriften – vom Aristarchus als Vorläufer der Poeterey abgesehen – praktisch nicht wahrnahm. So begegnet etwa in den zahlreichen Studien, die das Verhältnis von Opitz zu seinem bewunderten Vorbild, dem Niederländer Daniel Heinsius, skizzieren, kaum ein Hinweis darauf, daß der Schlesier auch als lateinischer Autor von seinem Leidener Idol beeinflußt wurde.25 Opitzens Rezeption des um 1600 ungeheuer einflußreichen Neostoizismus wurde zwar an Texten wie dem Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges und diversen anderen deutschen Schriften nachgewiesen, die naheliegende Aufnahme stoischer Theoreme in seinen lateinischen Werken wurde jedoch nicht ausführlicher untersucht. Die Liste derartiger Versäumnisse ließe sich fortsetzen.26 Der gegenwärtige Stand der literaturwissenschaftlichen Forschung zu Opitzens lateinischer Produktion deckt sich weitgehend mit den Resultaten, die im Zuge der laufenden Arbeiten an der Edition seiner lateinischen Schriften oder in parallelen Detailstudien von den Mitarbeitern des Projektes erzielt wurden. Die vor wenigen Jahren erschienene Opitz-Bibliographie 27 weist diese Untersuchun24

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Zur Rezeptionsgeschichte Opitzens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vgl. Klaus Garber: Martin Opitz – „der Vater der deutschen Dichtung“. Eine kritische Studie zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik. Stuttgart 1976. Vgl. dagegen jetzt Robert Seidel: Zwischen Architextualität und Intertextualität – Überlegungen zur Poetik neulateinischer Dichtung am Beispiel von Martin Opitzens Hipponax ad Asterien, in: Parodia und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit, hrsg. von Reinhold F. Glei und Robert Seidel. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 120), S. 171–207; zum Forschungsstand S. 188. Zum Trostgedichte vgl. zuletzt Andreas Solbach: Martin Opitz Trostgedichte in Widerwertigkeit deß Krieges, in: Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt, hrsg. von Thomas Borgstedt und Walter Schmitz. Tübingen 2002 (= Frühe Neuzeit 63), S. 222–235. Neben der schon seit längerem greifbaren Schrift De constantia ist nun auch das zweite Hauptwerk des für die deutschen Späthumanisten einflußreichen Justus Lipsius gut erschlossen: Politica. Six Books of Politics or Political instruction, edited with Translation and Introduction by Jan Waszink. Assen 2004 (= Bibliotheca Latinitatis Novae 5). Julian Paulus/Robert Seidel: Opitz-Bibliographie 1800–2002. Heidelberg 2003.

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gen, soweit bis zum Stichdatum bereits erschienen, nach und macht ex negativo zugleich deutlich, daß Opitzens lateinisches Œuvre in der Forschung bis in die jüngste Zeit weitgehend unberücksichtigt geblieben ist.28 Unter den wenigen älteren Arbeiten, die die lateinischen Werke Opitzens nicht gänzlich ausblenden und aufgrund ihrer positivistischen Grundierung vielfache Anhaltspunkte für die Textkommentierung liefern, seien an dieser Stelle die Studien von Hermann Palm29 und Max Rubensohn30 genannt – diverse Miszellen, die im einzelnen einigen Ertrag bringen, bleiben hier unberücksichtigt. Einen Sonderfall stellte in den sechziger Jahren Karl Otto Conradys Habilitationsschrift dar, die zum ersten Mal frühneuzeitliche Literatur in lateinischer Sprache zum (Teil)gegenstand einer methodisch reflektierten monographischen Studie machte. Hier sind Opitzens Silvae unter stilgeschichtlichen Gesichtspunkten knapp analysiert.31 Bis von hier aus der Schritt zu funktionsanalytischen Untersuchungen neulateinischer Dichtung im Kontext des europäischen Späthumanismus unternommen wurde, verging allerdings noch geraume Zeit. Seit den achtziger Jahren ist die Rolle von Martin Opitz im Spannungsfeld von Schulhumanismus, kulturpatriotischem Anliegen, konfessioneller Auseinandersetzung und gesamteuropäischer Diplomatie im ganzen soweit erforscht, daß seine Konturen als exemplarische Figur an einem entscheidenden Wendepunkt der humanistischen Standeskultur und damit auch spezifische Forschungsoptionen deutlich sichtbar werden.32 Auf diese sozialhistorisch ausgerichteten, die

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Dies gilt leider auch für das in mancher Hinsicht innovative, in jedem Fall anregende OpitzKapitel bei Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 4/I. BarockHumanismus: Krisen-Dichtung. Tübingen 2006, S. 130–184. Hermann Palm: Beiträge zur Lebensgeschichte Martin Opitz’, in: ders.: Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Breslau 1877; Ndr. Leipzig 1977, S. 129–260. Max Rubensohn: Der junge Opitz, in: Euphorion 2 (1895), S. 57–99; 6 (1899), S. 24–67, 221–271. Jetzt als Nachdruck: Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistorischen Nachwort hrsg. von Robert Seidel. Heidelberg 2005 (= Beihefte zum Euphorion 49). Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Bonn 1962 (= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur 4), S. 195–200. Stellvertretend seien hier nur genannt Klaus Garber: Martin Opitz, in: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, hrsg. von Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 116–184; Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 3) [zu Opitz passim]. – Wenigstens zu erwähnen ist die bis auf weiteres einschlägige Opitz-Biographie, die zwar dem hier umrissenen Fragehorizont nicht immer gerecht wird und die lateinischen Schriften nur unzureichend und in unangemessener Wertung berücksichtigt, dafür aller-

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Rolle des Intellektuellen im Zeitalter des beginnenden Absolutismus reflektierenden Arbeiten hat die Forschung zum ,lateinischen‘ Opitz ebenso zurückzugreifen wie auf problemorientierte Untersuchungen zu Epochenphänomenen wie dem Neostoizismus, dem Lipsianismus und natürlich der Muttersprachendebatte, in der sich Opitz gerade mit lateinischen Texten in Vers und Prosa zu Wort meldete. Zu letzterem Thema sind vor allem die Studien von Heinz Entner wegen ihrer Berücksichtigung auch entlegenster Quellen wichtig.33 Übersetzungen lateinischer Texte von Martin Opitz liegen bislang, wiederum vom Aristarchus abgesehen,34 kaum vor. In den letzten Jahren haben Mitarbeiter des laufenden Projektes Einzelstudien veröffentlicht, die das jeweils behandelte Werk in seinen literatur- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang stellen und zugleich auch übersetzen.35 Schließlich wäre auf einige Titel hinzuweisen, die speziell

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dings den Einstieg in Bereiche (z. B. die polnischen Beziehungen des späten Opitz) erleichtert, in die Untersuchungen mit speziellerem Anspruch meist nicht vordringen: Marian Szyrocki: Martin Opitz. Berlin 1956 (= Neuere Beiträge zur Literaturwissenschaft 4). Heinz Entner: Zum Kontext von Martin Opitz’ „Aristarchus“, in: Germanica Wratislaviensia 47 (1982), S. 3–58. Zum Aristarchus selbst vgl. neben anderen jüngeren Arbeiten (hierzu s. die Bibliographie von Paulus/Seidel, wie Anm. 27, S. 169) vor allem Jörg Robert: Martin Opitz und die Konstitution der Deutschen Poetik. Norm, Tradition und Kontinuität zwischen „Aristarch“ und „Buch von der Deutschen Poeterey“, in: Euphorion 98 (2004), S. 281–322. Zum weiteren Kontext vgl. Seidel 2003 (wie Anm. 8). Die alte Übersetzung von Georg Witkowski aus dem Jahre 1888 wurde modifiziert übernommen in: Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe. Mit dem Aristarch (1617) und den Opitzschen Vorreden zu seinen Teutschen Poemata (1624 und 1625) sowie der Vorrede zu seiner Übersetzung der Trojanerinnen, hrsg. von Herbert Jaumann. Stuttgart 2002 (= Reclams Universal-Bibliothek 18214). – Außer dem Aristarchus waren bis vor kurzem nur einzelne, kürzere lateinische Schriften von Opitz übersetzt. Eine kleine Auswahl bietet der Sammelband Martin Opitz (1597–1639). Orte und Gedichte. Auswahl, Konzeption und Kommentare: Walter Schmitz u.a. Dresden 1999, S. 199–202, 208 f., 221–223. Vgl. außerdem Conrady (wie Anm. 31); Hans-Henrik Krummacher: Laurea Doctoralis Julii Guilielmi Zincgrefii (1620). Ein Heidelberger Gelegenheitsdruck für Julius Wilhelm Zincgref mit einem unbekannten Gedicht von Martin Opitz, in: Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend zum 12. Februar 1988, hrsg. von Barbara BeckerCantarino und Jörg-Ulrich Fechner. Amsterdam/Atlanta 1990 (= Chloe 10), S. 287–349, hier S. 305; Parnassus Palatinus. Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch – Deutsch, hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Hermann Wiegand. Heidelberg 1999, S. 204–207. – Im übrigen vgl. die folgende Anmerkung. Stefanie Arend: Zu Topik und Faktur von Martin Opitzens Panegyricus auf Ludwig Camerarius, in: Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit (wie Anm. 8), S. 330–355; Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz in Paris (1630). Zu Text, Praetext und Kontext eines lateinischen Gedichtes an Cornelius Grotius, in: Martin Opitz (wie Anm. 26), S. 191–221; Wilhelm Kühlmann: Von Heidelberg zurück nach Schlesien. Opitz’ frühe Lebensstationen im Spiegel seiner lateinischen Lyrik, in: Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internet. Festschrift für Klaus Garber, hrsg. von

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Opitzens Rolle als zweisprachiger Autor36 oder die intertextuellen Verflechtungen37 seiner (lateinischen) Schriften reflektieren. Auf diesen Gebieten – wie auf vielen anderen – wären weitere Forschungen wünschenswert, die durch die Aufbereitung der relevanten Texte im Rahmen des Editionsprojektes erleichtert, wenn nicht gar erst ermöglicht werden sollen.

IV. Der aufgrund seiner Reform der volkssprachigen Poesie (Buch von der Deutschen Poeterey, 1624) und seiner Vermittlung zahlreicher Literaturgattungen oft als ,Vater der deutschen Dichtung‘ apostrophierte Opitz war als lateinischer Autor nicht minder bedeutend: Von seinem poetologischen Manifest Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae (1618), in dem Reflexe der Reformpädagogik seines Beuthener Gymnasiums kenntlich werden, über die konfessionspolitisch grundierten Texte aus der Frühphase des Dreißigjährigen Krieges bis hin zu den umfangreichen, kulturhistorisch äußerst ergiebigen Nachrufen auf schlesische und polnische Magnaten und den philologischen Arbeiten der letzten Jahre reicht seine lebenslange schriftstellerische Produktion in lateinischer Sprache. Neben ,weltlichen‘ sind auch ,geistliche‘ Texte Opitzens in Vers und Prosa auf Lateinisch abgefaßt, wenngleich hier die volkssprachliche Produktion deutlich

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Axel E. Walter. Amsterdam/New York 2005 (= Chloe 36), S. 413–430 [vgl. ergänzend hierzu Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Heidelberg 2001, zu Opitzens lateinischem Œuvre passim]; Walther Ludwig: Des Martin Opitz Epicedium auf Erzherzog Karl von Österreich, in: Daphnis 29 (2000), S. 177–196; Walther Ludwig: Martin Opitz und seine Vita Seyfridi Promnicii – eine humanistische Biographie, in: Neulateinisches Jahrbuch 6 (2004), S. 137–157 [hier keine Übersetzung]; Seidel 2006 (wie Anm. 25). – Zumindest präsentiert werden einige kürzere lateinische Texte bei Ewa Pietrzak: Nova Opitiana. Unbekannte Drucke mit Texten von Martin Opitz, in: Memoria Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928–1992), hrsg. von Mirosława Czarnecka u. a. Wrocław 2003 (= Acta Universitatis Wratislaviensis 2504), S. 379–395. Vgl. Ludwig 2000 (wie Anm. 35), zum Phänomen einer deutsch-lateinischen Parallelversion; Robert Seidel: Latein oder Deutsch? Überlegungen zur Sprachenwahl in der deutschen Lyrik des frühen 17. Jahrhunderts, in: Strenae Nataliciae. Neulateinische Studien. Wilhelm Kühlmann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Hermann Wiegand. Heidelberg 2006, S. 203–218. – Zum Umfeld vgl. Wilhelm Kühlmann: Nationalliteratur und Latinität. Zum Problem der Zweisprachigkeit in der frühneuzeitlichen Literaturbewegung Deutschlands, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit […], hrsg. von Klaus Garber. Tübingen 1989 (= Frühe Neuzeit 1), S. 164–206. Vgl. Ludwig 2004 (wie Anm. 35); Seidel 2006 (wie Anm. 36).

XXVI

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überwiegt. Als Verfasser ambitionierter Gelegenheitsdichtungen, die stets die kulturellen und konfessionspolitischen Umwälzungen des ersten Jahrhundertdrittels reflektieren, blieb er gleichfalls lebenslang dem Latein verbunden, das zu seiner Zeit selbstverständliches Kommunikationsmedium für Dichtung wie Diplomatie innerhalb einer gesamteuropäisch vernetzten respublica litteraria war. Wie in seiner Zeit üblich, verkehrte Opitz mit den Angehörigen der internationalen Gelehrtenrepublik im Medium des Lateins, und der vielbeschworene literarische Austausch zwischen den Humanisten betraf keineswegs nur die Adaptation gelehrter Muster in den Volkssprachen,38 vielmehr beeinflußten die Autoren einander auch über ihre jeweiligen lateinischen Schriften.39 Gegen den Gebrauch des Lateins wandte Opitz sich zwar von Zeit zu Zeit,40 doch sind die Argumente jeweils funktional eingesetzt, wie gerade für den Fall der im Aristarchus artikulierten scharfen, unangemessenen Kritik am zeitgenössischen Humanistenlatein nachgewiesen werden konnte.41 Es kann nicht Ziel dieser Einleitung sein, im Sinne einer auf die lateinischen Schriften begrenzten Werkbiographie systematisch die in unserer Ausgabe edierten, übersetzten und kommentierten Texte vorzustellen und deren jeweilige Position im Lebenszusammenhang ihres Autors zu markieren.42 Vielmehr soll schlaglichtartig auf einige mögliche Entdeckungen hingewiesen werden, die den aufmerksamen Leser der Texte erwarten. Daß die Erschließung von Opitzens 38

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Vgl. Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts. Assen/Amsterdam 1976 (= Respublica Literaria Neerlandica 1). Die Beziehungen Opitzens zu den Niederlanden, vor allem zu Grotius und Vossius, wurden jüngst in einer vieldiskutierten (vgl. die Doppelrezension in: Arbitrium 23, 2005, S. 284–294) kultur- und wissenschaftshistorischen Studie untersucht, die allerdings gleichfalls den lateinischen Texten des Schlesiers kaum Raum gibt: Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philologischer Kritik (ca. 1590–1736). Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 80), S. 175–224. Vgl. Robert Seidel: Between intertextual research and source studies. The German humanist Martin Opitz and his relationship to contemporary Latin poetry in the Low Countries, in: Omslag. Bulletin van de Universiteitsbibliotheek Leiden en het Scaliger Instituut, Jg. 2007, Heft 2, S. 6 f. Zu entsprechenden Äußerungen in seinen Gedichten vgl. Seidel 2006 (wie Anm. 36). Vgl. neben Entner (wie Anm. 33) und Robert (wie Anm. 33) auch Robert Seidel: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk. Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit 20), S. 334–337. Den detailliertesten Überblick über Opitzens Vita findet man nach wie vor bei Szyrocki (wie Anm. 32), eine kurze Skizze liefert der Artikel von Klaus Garber in: Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, hrsg. von Walther Killy. Bd. 8. Gütersloh/München 1990, S. 504–509. Eine ausführliche, modernen Ansprüchen genügende Monographie zu Opitz fehlt bislang.

Einleitung

XXVII

vielfach dezidiert personenbezogenen lateinischen Reden und Gedichten nicht allein in prosopographischer Hinsicht zur „planmäßigen Erschließung des Opitz-Umfeldes“43 dient, sondern das gesamte „späthumanistische[n] Bezugssystem“44 erhellt, ist schon gesehen worden, allerdings wird der volle Erkenntnisgewinn erst bei genauerer Analyse der Texte und Textkonvolute deutlich. Dies gilt nicht zuletzt für deren gesellschaftlich-politische Relevanz: Opitz zeigte sich von seiner ersten selbständigen Publikation an vertraut mit den hierarchischen Stufungen der ständisch gegliederten Gesellschaft und den Anforderungen, die diese Umstände an den aufstrebenden Gelehrten stellten. Was er an der patrizischen Struktur seiner Heimatstadt Bunzlau wahrnahm, für deren Honoratioren er den Strenarum libellus (1616) zusammenstellte, ließ sich mutatis mutandis auf die aristokratischen Verhältnisse an den verschiedenen europäischen Höfen übertragen, ob er nun eine Huldigungsrede für den „Winterkönig“ Friedrich V. (Oratio ad Fridericum Regem Bohemiae, 1620) hielt oder einen ,historischen Panegyricus‘ auf die lange Zeit geächtete, unter den Vorzeichen konfessioneller Toleranz endlich rehabilitierte protestantische Tante des katholischen polnischen Königs Wladisław IV. (Panegyricus Annae, 1636) verfaßte. In allen Fällen ,politischer‘ Schriftstellerei, so unterschiedlich sich die Anlässe im einzelnen präsentieren, ging es darum, die frühneuzeitlichen Ordnungsstrukturen möglichst im Sinne der Adressaten abzubilden, noch unerfüllte Forderungen gegebenenfalls – nach dem Muster des ,Fürstenspiegels‘ – indirekt zu artikulieren und die eigene Position, also die des von der Obrigkeit abhängigen und ihr zugleich Reputation verschaffenden Intellektuellen, diskret zu unterstreichen. Freilich begegnet auch früh schon, z. B. in Opitzens zweiter eigenständiger Publikation Guilielmi Cothurni et Bern. Guilielmi Nussleri Propemptica (1617), jene manifeste Hofkritik, die man aus späteren lateinischen wie deutschen (z.B. Zlatna, 1623) Texten Opitzens kennt. Untrennbar hängen Politik, Verhaltenslehre und Rhetorik in der lateinischen Publizistik der Frühen Neuzeit zusammen: Die zu Lebzeiten Opitzens nicht gedruckte Panegyris ad Ludovici Camerarii Procancellariatum (1620) zeigt, wie auch die späteren Gedenkreden auf Angehörige schlesischer, siebenbürgischer und polnischer Adelshäuser, eine souveräne Vertrautheit mit der Topik des genus demonstrativum, speziell der durch Plinius d. J. und andere Autoritäten entwickelten Panegyrik. Während jedoch die Lobschrift auf Camerarius politische Optionen und persönliche Sehnsüchte eines schlesischen Intellektuellen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges reflektiert,45 werfen die Reden auf Zsuzsanna Károlyi, 43 44 45

Garber (wie Anm. 12), S. 705. Ebd., S. 706. Vgl. Arend (wie Anm. 35).

XXVIII

Einleitung

die Gattin des siebenbürgischen Fürsten Gábor Bethlen (1624), auf Barbara Agnes von Liegnitz-Brieg (1631) oder auf Anna Wasa (1636) ein Licht auf die dem ,adeligen Frauenzimmer‘ abgenötigten Tugenden, wie sie zeitgenössischen Verhaltenslehren zu entnehmen waren. Zu beobachten wären hier etwa die im organologischen Staatsmodell des Absolutismus etablierte Funktion der ,Landesmutter‘, die für das konfessionelle Zeitalter herausragende, weil vorbildliche und sozial disziplinierende Betonung der Glaubensfestigkeit, die Konzentration der Lebensleistungen auf den (allerdings weit gefaßten) Handlungsraum des ,Hauses‘ oder die Ausblendung männlich bestimmter Bewährungsfelder (Bildungsreisen, Kriegsdienst, Ämter- und Titelkumulation, politisches Handeln im engeren Sinne). Aufschlußreich sind daneben die auffallend weitreichenden Parallelen bzw. Analogien in der Topik der laudatio, so die Übertragung der Kriegsmetaphorik auf den Duktus der Gebete der Feldherrngattin oder deren ,innere‘ Kämpfe im allgemeinen. Daß die Lebensführung einer fürstlichen Person generell und ihr Sterben im besonderen nach frühneuzeitlicher Auffassung ein öffentlicher Akt, mithin die Darstellung dieses Lebens und Sterbens obligater Teil der adligen Repräsentation war, ließe sich vom Sachgehalt, der Struktur und den Verbreitungsbedingungen der Texte her gleichfalls anschaulich demonstrieren. Mithin ist kaum eine bessere Grundlage für die vergleichende Auswertung zeitgenössischer Geschlechtertypologien zu denken als die strukturell ähnlich gebauten Prosalobreden auf adlige Frauen (s. o.) und Männer (Siegfried von Promnitz, 1624; Ulrich von Holstein, 1633; Fabian von Cema, 1636; Raphael Leszczy´nski, 1636), die Opitz seit Mitte der 1620er Jahre verfaßte.46 Opitz war, wie aus seinen deutschsprachigen Werken hinreichend bekannt ist, zugleich geistlicher Dichter und – in der Zeit vor seiner Anstellung bei Karl Hannibal von Dohna (1626–1632) ganz uneingeschränkt – Kämpfer für die Freiheit der Protestanten. Die konfessionellen Aspekte zeigen sich auch in den lateinischen Texten, wenngleich teilweise subtiler und von geringerer unmittelbarer Brisanz – es ist kein Zufall, daß der anspielungsreiche Sermo de Passione Domini Jesu Christi (1620) sogleich gedruckt werden konnte, nicht aber das zeitgleich entstandene, die gegenreformatorischen Maßnahmen der Habsburger scharf angreifende Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges (1633). Immerhin verweist die lateinische – anders als die spätere (1628) deutsche – Fassung des Sermo auf den ,Antichrist‘, den es zu bekämpfen gelte, und die Leichenrede auf die Gattin Gábor Bethlens bittet den Verbündeten um Beistand im Konflikt mit dem konfessionellen Gegner. Auch einige der im Umfeld des Böhmischen Aufstan46

Vgl. Stephanie Dreyfürst: O virilem in tam tenero corpore animum, Welch mannhafter Geist in einem so zarten Körper. Martin Opitzens lateinische Trauerreden auf adelige Frauen im sozial- und funktionsgeschichtlichen Kontext. Magisterarbeit Frankfurt am Main 2004.

Einleitung

XXIX

des – und später – verfaßten lateinischen Gedichte weisen Anzeichen latenter Konfessionspolemik, bisweilend einhergehend mit einer generellen Verurteilung des kriegerischen Treibens, auf, so etwa das selbständig erschienene Epithalamium Iacobi Nicol. de Buckaw (1619). Daneben zeigen die Texte freilich auch Opitzens stupende Kenntnisse der Bibel und der zeitgenössischen theologischen Schriften, gerade auch in Spezialbereichen wie der Christologie oder der Trinitätslehre. Nicht zuletzt der Sermo harrt diesbezüglich noch einer gründlichen fachwissenschaftlichen Auswertung, aber auch die lateinischen Vorreden zu den Übersetzungen geistlicher Texte wären ein in mannigfacher Hinsicht lohnender Forschungsgegenstand. Von hier aus eröffnet sich der Blick auf Opitzens umfassende Gelehrsamkeit, über die er ungeachtet seiner ,abgebrochenen‘ Studien und fehlenden akademischen Meriten verfügte. Opitz war, wie viele Späthumanisten, ein in fast allen Wissenschaften versierter Polyhistor, der etwa in seinen biographischen Arbeiten auf tradierte Modelle der antiken Historiographie und zeitgenössische Lehrbücher zurückgriff 47 und sich in philologischen Spezialstudien mit Zeugnissen der Antike im zeitgenössischen Polen (Variarum lectionum liber, 1637)48 oder mit dem althochdeutschen Annolied (Incerti poetae Teutonici rhythmus deüvSancto Annone, 1639)49 beschäftigte. Angesichts solcher Belege seines philologischen Fleißes, von denen aus sich im übrigen manche Linie zu Opitzens Selbstkommentaren in den deutschen Versdichtungen und Übersetzungen ziehen läßt, erscheint die gelegentlich geäußerte Frage nach der Herkunft antiker Zitate und Anspielungen in seinen lateinischen Schriften müßig.50 Auch wenn Opitz sich, wie zu vermuten ist, gelegentlich gedruckter Florilegien oder selbstverfertigter Stellensammlungen bedient hat, steht seine fundierte Kenntnis der zu seiner Zeit verfügbaren Überlieferung außer Frage. Dies gilt ganz ausdrücklich nicht nur für die antike Literatur, sondern auch für die Kirchenväter und – hier zumindest in 47

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Ludwig 2004 (wie Anm. 35) weist nach, daß Opitz beim Verfassen seiner Vita Seyfridi Promyii nicii (1624) u.a. die soeben erschienene Ars historica (1623) des Niederländers Gerardus Ioannes Vossius benutzte. Vgl. Mirosław Grudzie´n: Zum Kontext des Variarum lectionum liber, in quo praecipue Sarmatica von Martin Opitz, in: Germanica Wratislaviensia 88 (1989), S. 47–63. Opitzens Erläuterungen zum Annolied sind seit kurzem wissenschaftlich erschlossen durch die Arbeit von Raymond Graeme Dunphy: Opitz’s Anno. The Middle High German Annolied in the 1639 Edition of Martin Opitz. Glasgow 2003 (= Scottish Papers in Germanic Studies 11). Die Erläuterungen liegen – wie der ahd. Text – in Edition und englischer Übersetzung vor, am Schluß des Bandes finden sich ausführliche Anmerkungen des Herausgebers. Der Kommentar bemüht sich um gebotene Vorsicht, ohne freilich beim Nachweis von Similien immer den Status der adaptierten Textpassage zu problematisieren. In einer Einzelstudie zum Hipponax ad Asterien (wie Anm. 25) wurde versucht, die Übernahmen aus verifizierbaren Vorlagen zum Bild einer intertextuellen Struktur zusammenzufügen.

XXX

Einleitung

breiter Auswahl – für zentrale Strömungen des europäischen Humanismus (z. B. Neuplatonismus, Neostoizismus). Daneben erscheint es fast überflüssig, auf die Versiertheit des ,Dichters‘ Opitz im Bereich der antiken und zeitgenössischen ,Literatur‘ zu verweisen. Wie schon erwähnt, wurden einzelne Phänomene wie etwa die Übernahme literarischer Motive bzw. Übertragungen und Übersetzungen aus dem Französischen oder Niederländischen ausführlich untersucht, während die Faktur der lateinischen Texte bislang kaum in den Blick genommen wurde. Gewiß dürfen philologische Nachweise wie etwa das Ermitteln von Belegstellen aus den antiken Autoren nicht zum wissenschaftlichen Selbstzweck werden, doch gibt es zahllose Beispiele, wo gründliche Recherchen in dieser Richtung zu einer angemesseneren Würdigung der Texte führen. Verlangt eine komplexe Dichtung wie der 323 Verse umfassende Hipponax ad Asterien (1618) eine eingehende Analyse der intertextuellen Struktur,51 so erweist sich eine gattungstypologische Untersuchung der an Tobias Scultetus gerichteten Ekloge Daphnis (1617) als äußerst ergiebig im Hinblick auf die funktionalen Aspekte der – von Opitz später in deutscher Sprache lebenslang gepflegten – allegorisierenden Schäferdichtung, einer literarischen Form, die von Dichtern seit der Antike auch zur Kommunikation mit dem jeweiligen Mäzen verwandt wurde.52 Nicht zuletzt bieten die geistlichen Dichtungen – Psalmenparaphrasen etwa oder erbauliche Reflexionen über die Sakramente – ein lohnendes Feld für vertiefende Forschungen, gilt es doch zu zeigen, wie Opitz theologische Kenntnisse, poetologische Grundsätze und aktuelle Anliegen in einer Zeit konfessioneller Spannungen auf gedrängtem Raum in genuin ,literarischen‘ Werken integriert. Neben dem hinreichend erforschten Aristarchus, den politischen Schriften insbesondere aus der Zeit des Böhmischen Aufstandes und den großen panegyrischen Gedenkreden sind es dann aber doch – und vielleicht vor allem – die zahlreichen Kasualgedichte, die die Bedeutung von Opitzens lateinischem Œuvre ausmachen. Diese vom Jahr 1614 an bis zu Opitzens Tod 1639 datierenden Texte, deren Anzahl im Laufe der Recherchen nicht unwesentlich erweitert werden konnte, variieren hinsichtlich Anlaß, Adressatenbezug, Stil und Gattungszugehörigkeit so sehr, daß sich aus ihrer Musterung ein guter Einblick in die produktive Vielfalt eines späthumanistischen Gelegenheitsdichters gewinnen läßt. 51 52

Vgl. Seidel 2006 (wie Anm. 25). Den seltenen Fall der kanonisierenden Einordnung eines lateinischen Textes (Daphnis) von Opitz im Rahmen der germanistischen Lexikographie bietet der Artikel „Bukolik“ von Klaus Garber in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, […] hrsg. von Klaus Weimar. Bd. 1. Berlin/New York 1997, S. 287–291. Klaus Garber, der ein Exemplar des verschollen geglaubten Einzeldruckes in der Universitätsbibliothek Vilnius (Litauen) aufgespürt hat, bereitet eine Untersuchung der Ekloge vor.

Einleitung

XXXI

Die 1631 von Opitzens Freund Nüßler zusammengestellte Teilauswahl der Silvae kann hier nur einen ersten Eindruck geben,53 sind doch vor allem zahlreiche Jugendgedichte und natürlich die Texte aus den letzten acht Lebensjahren hier nicht enthalten. Das Spektrum der ,behandelten‘ Personen erstreckt sich vom ungelehrten Küster über den patrizischen Gönner und den adligen Gutsherrn bis zum Monarchen von europäischem Rang, das Format reicht vom knappen Epigramm bis zur Großdichtung von mehreren hundert Versen. Neben rasch hingeworfenen, gleichwohl pointiert zugespitzten und meist literatursoziologisch aussagekräftigen Glückwunsch-, Trost- oder Geleitgedichten in Kasualdrucken finden sich vor allem aus der Frühzeit eigenständige Publikationen, die im Medium des Epithalamiums (auf Christoph Georg von Bergk, 1618; auf Jakob Nikolaus von Buckau, 1619), des Abschiedsgedichtes (Guilielmi Cothurni et Bern. Guilielmi Nussleri Propemptica; Johannis a Landtskron Propempticon, 1618), der Liebesdichtung (Hipponax ad Asterien) oder der Ekloge (Daphnis) praktisch alle Themen verhandeln, mit denen sich ein Vertreter des bürgerlichen Humanismus im beginnenden 17. Jahrhundert konfrontiert sah. Hinzu kommen Texte, die trotz ihres Gehaltes von Opitz nicht publiziert wurden und nur durch Nüßlers Sammeledition (Silvae) überliefert sind. Einige wenige sind bislang, vor allem in Studien von Wilhelm Kühlmann, näher untersucht worden.54 Weitgehend unbeachtet blieben etwa die beiden großen Elegien Ad Principem Transsilvaniae (Gabór Bethlen)55 oder die Gedichte auf Opitzens zeitweiligen Arbeitgeber Karl Hannibal von Dohna.56 Und schließlich wurde – um mit einem umfangreichen Prosatext zu schließen – die Glückwunschschrift zur Hochzeit des polnischen Königs Wladisław IV. (1637) bisher nicht näher beachtet.57 53

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Diese Ausgabe ist auch als digitale Bilddatei in CAMENA verfügbar: http://www.unimannheim.de/mateo/camena/AUTBIO/opitz.html Ad Cornelium Grotium Hugonis F. (in: Kühlmann 2002, wie Anm. 35); Ad Danielem Heinsium; De reditu ex Chersoneso Cimbrica suo, an. M.DC.XXI. (in: Kühlmann 2005, wie Anm. 35). Die Selbststilisierung Opitzens während seines Aufenthaltes in Siebenbürgen im Anschluß an das Modell des Ovidius exsul behandelt Achim Aurnhammer: Tristia ex Transilvania. Martin Opitz’ Ovid-Imitatio und poetische Selbstfindung in Siebenbürgen (1622/23), in: Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Anton Schindling. Stuttgart 2004 (= Contubernium 62), S. 253–273. Die beiden Elegien auf Gábor Bethlen, die einen anderen Aspekt von Opitzens Aufenthalt in Siebenbürgen zeigen, sind hier nicht näher berücksichtigt. Einige Hinweise finden sich bei Rudolf Drux: Beschworene Mußestunden. Über ein zentrales Anliegen der Panegyrica des Martin Opitz auf Karl Hannibal von Dohna, in: Memoria Silesiae (wie Anm. 35), S. 259–269. Der Text wurde im selben Jahr von Christoph Coler übersetzt, außerdem verfaßte Opitz in seinen letzten Lebensjahren mehrere deutsche und lateinische Gedichte auf den König. Vgl. Dünnhaupt (wie Anm. 22), S. 3063 f.; Szyrocki (wie Anm. 32), S. 110–114, 121–123. Die

XXXII

Einleitung

Diese wenigen Bemerkungen sollten einen ersten Eindruck von der Relevanz der lateinischen Texte Martin Opitzens vermitteln. Der poeta doctus steht gleichwertig neben dem deutschsprachigen Barockpoeten, letzterer ist ohne den ersteren nicht zu verstehen, ebenso wie der ,Vater der deutschen Dichtung‘ nicht ohne den späthumanistischen Gelehrten zu denken ist. Opitz verwendet die deutsche und die lateinische Sprache funktional, d.h., er orientiert sich an Gattungskonventionen, Adressatenbezug und kulturpolitischer Intention – dies ist vielfach im einzelnen plausibel zu machen und zuweilen auch explizit nachzuweisen. Wenn Klaus Garber in seinem Lexikoneintrag Opitz als „Diplomat, Gelehrter, Dichter“58 klassifiziert, versucht er damit die Einschätzung der Zeitgenossen möglichst treffend wiederzugeben. Sofern diese Einschätzung – und womöglich sogar noch in der angedeuteten Gewichtung – der historischen Realität entspricht, bedarf es keiner weiteren Erklärung, warum das deutschsprachige und das lateinische Werk dieser für die deutsche Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit exzeptionellen Persönlichkeit gleichermaßen bedeutsam sind.

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Forschung hat sich, soweit zu sehen, ausschließlich mit den deutschen Texten beschränkt; vgl. zuletzt Gra˙zyna Barbara Szewczyk: Bilder des Krieges und der Friedensgedanke von Martin Opitz’ Lobgedicht an die Königliche Majestät zu Polen und Schweden, in: Memoria Silesiae (wie Anm. 35), S. 139–146. Garber (wie Anm. 42), S. 504. Garber führt weiter aus: „Der Begründer der neueren dt. Kunstdichtung war in erster Linie Politiker u. Diplomat, in zweiter Gelehrter u. Kulturorganisator, erst in dritter Dichter u. hier v. a. Übersetzer.“

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

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Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur 1. Opitz-Drucke Teutsche Poëmata

M ARTINI O PICII . | Teutsche Pöemata [sic!] | vnd | A RISTARCHVS | Wieder die verachtung Teut¢cher Sprach, | Item | Verteut¢chung Danielis Hein¢ij Lobge¢angs | Ie¢u Christi, | vnd | Hymni in Bachum | Sampt einem anhang | Mehr au¢erleßener geticht anderer | Teut¢cher Pöeten [sic!]. | Der gleichen in die¢er Sprach | Hiebeuor nicht auß kommen. | Straßburg | In verlegung Eberhard Zetzners. | Anno 1624. [Ndr. des Exemplars der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Hildesheim / New York 1975]

Acht Bücher Deutscher Poematum

M ARTINI O PITII | Acht Bücher, | Deutscher Poematum | durch Jhn selber herau‚ gege=|ben/ auch also vermehret vnnd | vbersehen/ da‚ die vorigen | darmitte nicht zu uer=| gleichen sindt. | Jnn Verlegung Dauid | Müller‚ Buchhandler‚ | Jnn Breßlaw. | 1625. [Yale University Library collection of German baroque literature; reel 49, no. 204]

Deütscher Poëmatum Erster Theil

MARTINI OPITII | Deütscher Poëmatum | Erster Theil: | Zum andern mal ver=|mehrt vnd vber‚ehen | herauß gegeben. | In verlegung Dauid | Müller‚ Buchhänd=|ler‚ in Breßlaw. | M D C XXVIIII. | Cum Gr. et Priuileg. Cae¢: Mai. [Yale University Library collection of German baroque literature; reel 50, no. 213]

Deütscher Poëmatum Anderer Theil

MARTINI OPITII | Deütscher Poëmatum | Anderer Theil; | Zuevor nie beysam=|men, theil‚ auch | noch nie herauß | gegeben. | Cum Gr. et Priuileg. | Cae¢ar. Maiest. | In verlegung Dauid Müller‚ Buch-| hendler‚ in Breßlaw. | 1629. [Yale University Library collection of German baroque literature; reel 50, no. 213]

Silvae

M ART. O PITII | SILVARVM | LIBRI III. | EPIGRAMMATVM | LIBER VNVS. | E Museio B ERNHARDI G VILIELMI | N ÜSSLERI . | FRANCOFVRTI , | Impensis D AVIDIS M ÜLLERI , | Anno M. DC. XXXI. [Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: 8 P LAT REC II, 3053]

Geistliche Poëmata

MARTINI | OPITII | Geistliche Poëmata, | Von jhm selbst anjetzo | zusammen gelesen/ verbes=| sert vnd absonderlich her=|auß gegeben. | Jn Verlegung David Mül=|ler‚ Buchhändler‚ S. | Erben. | M. DC. XXXVIII.

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Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur [Ndr. des Exemplars der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, hrsg. von Erich Trunz. Tübingen 1966 (= Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 1)]

Weltliche Poemata, Bd. 1

Martini Opitij | Weltliche Poemata | Zum Viertenmal ver=| mehret vnd vbersehen | herrau‚[sic!] geben, | Franckfurt am mayn | bey | Thoma‚ Matthia‚ | Götzen – o.J. [1644] [Ndr. des Exemplars der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Unter Mitwirkung von Christine Eisner hrsg. von Erich Trunz. 2., überarbeitete Aufl. Tübingen 1975 (= Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 2)]

Weltliche Poëmata, Bd. 2

MARTINI | OPITII | Weltliche | Poëmata. | Der Ander Theil. | Zum vierdten mal vermehret | vnd vbersehen herauß ge=|geben. | Franck furt/ | Jn Verlegung T HOMAE M AT- |THIAE Götzen/ Jm Jahr | M. DC. XXXXIV. [Mit einem Anhang:] FLORILEGIVM | VARIORVM | EPIGRAMMATVM | MART . O PITIVS | Ex vetustis ac recentioribus Poetis | congessit | et versibus Germanicis reddidit. | FRANCOFVRTI , | Typis excusum Wolffgangi Hoffmanni, | Impendio Thomae Matthiae Götzii, | Anno M. DC. XXXXIV. [Ndr. des Exemplars der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Unter Mitwirkung von Irmgard Böttcher und Marian Szyrocki hrsg. von Erich Trunz. Tübingen 1975 (= Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 3)]

Witkowski (1888)

Martin Opitzens Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae und Buch von der Deutschen Poeterey, hrsg. von Georg Witkowski. Leipzig 1888

Oesterley (1889)

Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, hrsg. von Hermann Oesterley. Berlin/Stuttgart 1889 (= Deutsche National-Litteratur 27)

Witkowski (1902)

Martin Opitz: Teutsche Poemata. Abdruck der Ausgabe von 1624 mit den Varianten der Einzeldrucke und der späteren Ausgaben, hrsg. von Georg Witkowski. Halle 1902

GW 1; 2.1; 2.2; 4.1; 4.2

Martin Opitz: Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe, hrsg. von George Schulz-Behrend. Bd. 1. Stuttgart 1968 (= Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 295); Bd. 2.1. Stuttgart 1978 (= BLV 300); Bd. 2.2. Stuttgart 1979 (= BLV 301); Bd. 4.1. Stuttgart 1989 (= BLV 312); Bd. 4.2. Stuttgart 1990 (= BLV 313)

Fechner

Martin Opitz: Jugendschriften vor 1619. Faksimileausgabe des Janus Gruter gewidmeten Sammelbandes mit den handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Verfassers, hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner. Stuttgart 1970 (= Sammlung Metzler G 88)

Poeterey / Jaumann

Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe. Mit dem Aristarch (1617) und den Opitzschen Vorreden zu seinen Teutschen Poemata (1624 und 1625) sowie der Vorrede zu seiner Übersetzung der Trojanerinnen (1625), hrsg. von Herbert Jaumann. Stuttgart 2002

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

XXXV

2. Quellen und Forschungsliteratur ADB

Allgemeine Deutsche Biographie, hrsg. durch die Historische Commission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 56 Bde. Leipzig 1875–1912; Ndr. Berlin 1967–1971

v. Albrecht

Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boethius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit. 2 Bde. Bern/München 1992

Aurnhammer

Achim Aurnhammer: Tristia ex Transilvania. Martin Opitz’ OvidImitatio und poetische Selbstfindung in Siebenbürgen (1622/23), in: Kühlmann/Schindling, S. 253–272

Barner

Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970

BBKL

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. [Bd. 1–2 hrsg. von Friedrich-Wilhelm Bautz, ab Bd. 3 hrsg. von Friedrich-Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz]. Hamm/Herzberg/Nordhausen 1975ff.

Becker-Cantarino

Martin Opitz. Studien zu Werk und Person, hrsg. von Barbara Becker-Cantarino. Amsterdam 1982 (= Daphnis 11, H. 3, 1982)

Borgstedt / Schmitz

Martin Opitz (1597–1639). Nachahmungspoetik und Lebenswelt, hrsg. von Thomas Borgstedt und Walter Schmitz. Tübingen 2002 (= Frühe Neuzeit 63)

Bornemann

Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts. Assen/Amsterdam 1976 (= Respublica Literaria Neerlandica I)

Burkhardt

Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt am Main 1992 (= edition suhrkamp 1542)

Calvin

Joannis Calvini Opera Selecta, ed. Petrus Barth, Wilhelm Niesel, Dora Scheuner. 5 Bde. München 1926–1952. Bd. 3–5: Institutio Christianae religionis 1559

CIL

Corpvs Inscriptionvm Latinarvm. Editio altera. Cura Theodori Mommsen et al. Bd. 1 ff. Berlin 1893ff.

Conermann / Bollbuck

Martin Opitz: Briefwechsel, Eintragungen und andere Lebenszeugnisse. Mit Übersetzungen und Kommentaren. 3 Bde., unter Mitarbeit von Harald Bollbuck hrsg. von Klaus Conermann [im Druck]

Conermann / Herz

Klaus Conermann und Andreas Herz: Der Briefwechsel des Martin Opitz. Ein chronologisches Repertorium, in: Wolfenbütteler BarockNachrichten 28 (2001), S. 3–133

Conrady

Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Bonn 1962 (= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur 4)

XXXVI

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Curtius

Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern/München 71969

DBA

Deutsches Biographisches Archiv. Mikrofiche-Edition. München 1986

DBE

Deutsche Biographische Enzyklopädie, hrsg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus. 10 Bde. München/New Providence/London/Paris 1995–1999

DBG

Deutsches biographisches Generalregister: Fundstellen-Nachweis für mehr als 1000 biographische Nachschlagewerke, die zwischen 1950 und 2000 erschienen sind, hrsg. von Willi Gorzny. Pullach i. Isartal 2001

Depner

Maja Depner: Das Fürstentum Siebenbürgen im Kampf gegen Habsburg. Untersuchungen über die Politik Siebenbürgens während des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 1938 (= Schriftenreihe der Stadt der Auslandsdeutschen 4)

Deutsche Geschichte im Osten Europas, Bd. 4

Deutsche Geschichte im Osten Europas. Bd. 4: Schlesien, hrsg. von Norbert Conrads. Berlin 1994

Deventer

Jörg Deventer: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526–1707. Köln/Weimar/Wien 2003 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 8)

DLL

Deutsches Literatur-Lexikon, begründet von Wilhelm Kosch, hrsg. von Bruno Berger und Heinz Rupp. 3., völlig neubearbeitete Auflage. Bern/München 1968ff.

DNP

Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hrsg. von Hubert Cancik u. a. Stuttgart/Weimar 1996ff.

Dreyfürst

Stephanie Dreyfürst: O virilem in tam tenero corpore animum, Welch mannhafter Geist in einem so zarten Körper. Martin Opitzens lateinische Trauerreden auf adelige Frauen im sozial- und funktionsgeschichtlichen Kontext. Magisterarbeit Frankfurt am Main 2004

Du Cange

Du Cange: Glossarium mediae et infimae Latinitatis. Graz 1954 (Ndr. der Ausgabe 1883–1887)

Dünnhaupt

Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. 2., verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuchs der Barockliteratur. 6 Bde. Stuttgart 1990–1993 (= Hiersemanns bibliographische Handbücher 9)

Entner (1982)

Heinz Entner: Zum Kontext von Martin Opitz’ Aristarchus, in: Germanica Wratislaviensia 47 (1982), S. 3–58

Faber du Faur (1954)

Curt von Faber du Faur: Der Aristarchus: Eine Neuwertung, in: Publications of the Modern Language Association of America 69 (1954), S. 566–590

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

XXXVII

Fechner/Kessler

Martin Opitz 1597–1639. Fremdheit und Gegenwärtigkeit einer geschichtlichen Persönlichkeit, hrsg. von Jörg-Ulrich Fechner und Wolfgang Kessler. Herne 2006 (= Martin-Opitz-Bibliothek Schriften 3)

Flood

John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Biobibliographical Handbook. 4 Bde. Berlin/New York 2006

Friedländer

Aeltere Universitäts-Matrikeln. I. Universität Frankfurt a.O. Erster Band (1506–1648), hrsg. von Ernst Friedländer. Leipzig 1887 (= Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 32)

Fuchs

Juliane Fuchs: HimmelFelß und Glückes Schutz. Studien zu Bremer Hochzeitsgedichten des 17. Jahrhunderts. Frankfurt am Main u.a. 1994 (= Helikon 22)

Garber (1984)

Klaus Garber: Martin Opitz, in: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, hrsg. von Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 116–184

Geiger (1876a)

Ludwig Geiger: Ungedruckte Briefe von Martin Opitz, in: Archiv für Litteraturgeschichte 5 (1876), S. 316–370

Geiger (1876b)

Mittheilungen aus Handschriften. Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte, hrsg. von Ludwig Geiger. Heft 1. Leipzig 1876

Gellinek

Janis Little Gellinek: Die weltliche Lyrik des Martin Opitz. Bern/ München 1973

Griechische Epigramme

Griechische Epigramme und andere kleinere Dichtungen in deutschen Übersetzungen des XVI. und XVII. Jahrhunderts, mit Anmerkungen und ausführlicher Einleitung hrsg. von Max Rubensohn. Weimar 1897 (= Bibliothek älterer deutscher Übersetzungen 2–5)

Handbuch Gelehrtenkultur

Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin/New York 2004

Harms

Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, hrsg. von Wolfgang Harms u.a. Kommentierte Ausgabe. 7 Bde. München 1980, Tübingen 1985–2005

Hartwig

Album Academiae Vitebergensis ab a. Chr. MDII usque ad a. MDCII. Volumen secundum [bearbeitet von Otto Hartwig]. Halle 1894

Heinsius, Ed. Becker-Cantarino

Daniel Heinsius. Nederduytsche Poemata. Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1616, hrsg. und eingeleitet von Barbara BeckerCantarino. Bern / Frankfurt am Main 1983 (= Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 31)

Heldt

Kerstin Heldt: Der vollkommene Regent. Studien zur panegyrischen Casuallyrik am Beispiel des Dresdner Hofes Augusts des Starken. Tübingen 1997 (= Frühe Neuzeit 34)

Helk

Vello Helk: Martin Opitz in Dänemark, in: Wolfenbütteler BarockNachrichten 5 (1978), S. 143–150

XXXVIII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Heltai

János Heltai: Martin Opitz und sein intellektuelles Umfeld in Siebenbürgen, in: Fechner/Kessler, S. 79–103

Henkel/Schöne

Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, hrsg. von Arthur Henkel und Albrecht Schöne. Taschenausgabe. Stuttgart/Weimar 1996

Hoffmeister

Gerhart Hoffmeister: Petrarkistische Lyrik. Stuttgart 1973 (= Sammlung Metzler 119)

Hofmann/Szantyr

Lateinische Syntax und Stilistik von J. B. Hofmann […], neubearbeitet von Anton Szantyr […] München 1972 (= Handbuch der Altertumswissenschaft II.2.2)

HPG

Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven, im Zusammenwirken mit der Forschungsstelle Literatur der Frühen Neuzeit und dem Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück hrsg. von Klaus Garber u.a. Hildesheim/Zürich/New York 2001ff.

Humanistische Lyrik

Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch […], ausgewählt, übersetzt, erläutert und hrsg. von Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel und Hermann Wiegand. Frankfurt am Main 1997 (= Bibliothek deutscher Klassiker 146)

Die deutschen Humanisten, Bd. I/1; Bd. I/2

Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit, hrsg. und bearbeitet von Wilhelm Kühlmann, Volker Hartmann und Susann El Kholi. 2 Bde. Turnhout 2005

van Ingen (1966)

Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966

Jessen

Der Dreißigjährige Krieg in Augenzeugenberichten, hrsg. und eingeleitet von Hans Jessen. München 31975

Kaminski

Nicola Kaminski: EX BELLO ARS oder Ursprung der „Deutschen Poeterey“. Heidelberg 2004

Killy

Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, hrsg. von Walther Killy. 15 Bde. Gütersloh/München 1988–1993

Krause

Maria Krause: Studien zur deutschen und lateinischen Gelegenheitsdichtung von Martin Opitz. Diss. Breslau 1942

Kudla

Hubertus Kudla: Lexikon der lateinischen Zitate. München 1999 (= Beck’sche Reihe 1324)

Kühlmann (1978)

Wilhelm Kühlmann: Militat omnis amans. Petrarkistische Ovidimitatio und bürgerliches Epithalamium bei Martin Opitz, in: Daphnis 7 (1978), S. 199–214

Kühlmann (1982)

Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

XXXIX

Barockzeitalters. Tübingen 1982 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 3) Kühlmann (2001)

Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Heidelberg 2001

Kühlmann (2002)

Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz in Paris (1630). Zu Text, Praetext und Kontext eines lateinischen Gedichtes an Cornelius Grotius, in: Borgstedt/Schmitz, S. 191–221

Kühlmann (2005)

Wilhelm Kühlmann: Von Heidelberg zurück nach Schlesien. Opitz’ frühe Lebensstationen im Spiegel seiner lateinischen Lyrik, in: Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internet. Festschrift für Klaus Garber, hrsg. von Axel E. Walter. Amsterdam/New York 2005 (= Chloe 36), S. 413–430

Kühlmann / Schindling

Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Anton Schindling unter Mitarbeit von Wolfram Hauer. Stuttgart 2004 (= Contubernium 62)

Lausberg

Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Stuttgart 31990

LCI

Lexikon der christlichen Ikonographie, hrsg. von Engelbert Kirschbaum in Zusammenarbeit mit Günter Bandmann u.a. 8 Bde. Rom / Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1994

Lindner

Kaspar Gottlieb Lindner: Umständliche Nachricht von des weltberühmten Schlesiers, Martin Opitz von Boberfeld, Leben, Tode und Schriften, nebst einigen alten und neuen Lobgedichten auf Ihn. Teil I und II. Hirschberg 1740/41

Lipsius, De Constantia

Justus Lipsius: De Constantia. Von der Standhaftigkeit. LateinischDeutsch. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Florian Neumann. Mainz 1998

Lipsius, Politica

Justus Lipsius: Politica. Six Books of Politics or Political Instruction. Edited with translation and introduction by Jan Waszink. Assen 2004 (= Bibliotheca Latinitatis Novae 5)

Lohmeier

Anke-Marie Lohmeier: Beatus ille. Studien zum „Lob des Landlebens“ in der Literatur des absolutistischen Zeitalters. Tübingen 1981 (= Hermaea N.F. 44)

LThK

Lexikon für Theologie und Kirche. 3., völlig neubearbeitete Auflage, hrsg. von Walter Kasper mit Konrad Baumgartner u.a. 12 Bde. Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1993–2001

Luther, WA

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1883ff.

Maner

Hans-Christian Maner: Martin Opitz in Siebenbürgen (1622–1623) – Traum und Wirklichkeit fürstlicher Machtpolitik unter Gabriel Bethlen. Darstellung und Rezeption, in: Borgstedt/Schmitz, S. 154–168

XL

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Mauser

Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die ,Sonnete‘ des Andreas Gryphius. München 1976

Max

Hugo Max: Martin Opitz als geistlicher Dichter. Heidelberg 1931 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 17)

Neumeister

Erdmann Neumeister: De poetis germanicis, hrsg. von Franz Heiduk in Zusammenarbeit mit Günter Merwald. Bern/München 1978

Opitz und seine Welt

Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend zum 12. Februar 1988, hrsg. von Barbara Becker-Cantarino und JörgUlrich Fechner. Amsterdam 1990 (= Chloe 10)

Orte und Gedichte

Martin Opitz (1597–1639): Orte und Gedichte. Fotografien: Volker Kreidler. Auswahl, Konzeption und Kommentare: Walter Schmitz, Anja Häse, Eckhard Gruber, Jochen Strobel (Mitarbeit). Dresden 1999

Otto

Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, gesammelt und erklärt von A. Otto. Leipzig 1890; Ndr. Hildesheim 1965

Palm

Hermann Palm: Beitraege zur Geschichte der deutschen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Breslau 1877; Ndr. Leipzig 1977

Parnassus Palatinus

Parnassus Palatinus. Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch – Deutsch, hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Hermann Wiegand. Heidelberg 1989

Paulus/Seidel

Julian Paulus und Robert Seidel: Opitz-Bibliographie 1800–2002. Heidelberg 2003

Petry/Menzel

Geschichte Schlesiens. Band 2: Die Habsburger Zeit 1526–1740. Mit Beiträgen von Hermann Aubin, Fritz Feldmann, Dagobert Frey, Hans Heckel, Hans M. Meyer und Ludwig Petry. Im Auftrag der Historischen Kommission für Schlesien hrsg. von Ludwig Petry und Josef Joachim Menzel. Stuttgart 32000

Pietrzak

Ewa Pietrzak: Nova Opitiana. Unbekannte Drucke mit Texten von Martin Opitz, in: Memoria Silesiae. Leben und Tod, Kriegserlebnis und Friedenssehnsucht in der literarischen Kultur des Barock. Zum Gedenken an Marian Szyrocki (1928–1992). Breslau 2003 (= Acta Universitatis Wratislawiensis 2504), S. 379–395

Press

Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden in der Kurpfalz 1559–1619. Stuttgart 1970 (= Kieler Historische Studien 7)

Pusch

Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241 bis 1741. 5 Bde. Dortmund 1986–1991

RAC

Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt […] hrsg. von Theodor Klauser. Bd. 1 ff. Stuttgart 1950 ff.

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

XLI

RE

Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung […], hrsg. von Georg Wissowa. Stuttgart [später München] 1893ff.

Reifferscheid

Briefe G. M. Lingelsheims, M. Berneggers und ihrer Freunde […], hrsg. und erläutert von Alexander Reifferscheid. Heilbronn 1889 (= Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland während des siebzehnten Jahrhunderts 1)

RGG

Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. von Kurt Galling u.a. 7 Bde. Tübingen 31957–1965

RL

Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte […], hrsg. von Klaus Weimar. 3 Bde. Berlin/New York 1997–2003

Robert

Jörg Robert: Martin Opitz und die Konstitution der Deutschen Poetik. Norm, Tradition und Kontinuität zwischen „Aristarch“ und „Buch von der Deutschen Poeterey“, in: Euphorion 98 (2004), S. 281–322

Rubensohn (1895, 1899)

Max Rubensohn: Der junge Opitz, in: Euphorion 2 (1895), S. 57–99; 6 (1899), S. 24–67, 221–271; Neudruck: Max Rubensohn: Studien zu Martin Opitz. Mit einem wissenschaftshistorischen Nachwort hrsg. von Robert Seidel. Heidelberg 2005 (= Beihefte zum Euphorion 49)

Scaliger

Iulius Caesar Scaliger: Poetices libri septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst. Unter Mitwirkung von Manfred Fuhrmann hrsg. von Luc Deitz und Gregor Vogt-Spira. 5 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994–2003.

Schlesisches Musiklexikon

Institut für deutsche Musik im Osten e.V.: Schlesisches Musiklexikon, hrsg. von Lothar Hoffmann-Erbrecht. Augsburg 2001

Schnabel

Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 78)

Schöne (1976)

Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barock-Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel, hrsg. von Albrecht Schöne. München 1976

Segebrecht

Wulf Segebrecht: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart 1977

Seidel (1994)

Robert Seidel: Späthumanismus und Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk. Tübingen 1994 (= Frühe Neuzeit 20)

Seidel (2006a)

Robert Seidel: Latein oder Deutsch? Überlegungen zur Sprachenwahl in der deutschen Lyrik des frühen 17. Jahrhunderts, in: Strenae Nataliciae. Neulateinische Studien. Wilhelm Kühlmann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Hermann Wiegand. Heidelberg 2006, S. 203–218

XLII

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Seidel (2006b)

Robert Seidel: Zwischen Architextualität und Intertextualität. Überlegungen zur Poetik neulateinischer Dichtung am Beispiel von Martin Opitzens Hipponax ad Asterien, in: Parodia und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit, hrsg. von Reinhold F. Glei und Robert Seidel. Tübingen 2006 (= Frühe Neuzeit 120), S. 171–207

Senftleben

[Andreas Senftleben]: ANDREAE SANFTLEBII, PEPLUS Bonorum Ingeniorum Boleslaviensium. ex Ultima Voluntate Sebastiani Alischeri. Boleslav P.L.C. edit M. HENRICUS Alischer Lygius. LIGNICII. Typis Mariae Willigin excudit Johann Matthias Gichtelius, Factor. anno 1674

Steppich

Christoph J. Steppich: Numine afflatur. Die Inspiration des Dichters im Denken der Renaissance. Wiesbaden 2002 (= Gratia 39)

Szyrocki

Martin Szyrocki: Martin Opitz. Berlin 1956 (= Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 4)

Thebesius, Bd. 2

Georg Thebesius: Geschichte der Liegnitz-Brieger Piasten, hrsg. 1733 von Gottfried Balthasar Scharff, bearbeitet und ergänzt von Georg Jaeckel. Zweiter Band: Joachim Friedrich von Liegnitz-BriegWohlau (1586–1602) bis zum Ende des Piastengeschlechts. Lorch 1982 (= Beiträge zur Liegnitzer Geschichte 12)

ThLL

Thesaurus Linguae Latinae. Bd. 1 ff. Leipzig 1900ff.

Toepke

Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, bearbeitet von Gustav Toepke. 2. Teil: 1554–1662. Heidelberg 1886

TRE

Theologische Realenzyklopädie, in Gemeinschaft mit Horst Robert Balz u.a. hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller. 26 Bde. Berlin/New York 1977–2004

Walter

Axel E. Walter: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims. Tübingen 2004 (= Frühe Neuzeit 95)

Wäschke

Hermann Wäschke: Geschichte Anhalts von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters. 3 Bde. Köthen 1913

Wels (1914)

K. H. Wels: Opitzens politische Dichtungen in Heidelberg, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 46 (1914), S. 87–95

Wernicke

Ewald Wernicke: Chronik der Stadt Bunzlau. Bunzlau 1884

Zedler

Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 68 Bde. Halle/Leipzig 1732–1754

Zeeden, Hegemonialkriege

Ernst Walter Zeeden: Hegemonialkriege und Glaubenskämpfe 1556– 1648. Frankfurt/M. u.a. 1977 (= Propyläen Geschichte Europas 2)

Zonta

Claudia Zonta: Schlesier an italienischen Universitäten der Frühen Neuzeit 1526–1740. Diss. Stuttgart 2000

Lateinische Werke

Texte und Übersetzungen

1

2

Musaeis, Weigeli

Ad eund!em"

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ANDREA, amice care quamuis nupere, Multi, ceu vt mores nunc sunt mortalium, Licet anserinis plumulis suaue incubent, Alios pati velint non perfunctorie, In messe vberrima robusti gaudii: Tamen nec quid nec quare ad ima saepius Audaciore nisu repunt culmina: Alii quidem pati incipissunt paululum: Sed, antequam sat, insolentes finiunt. Mihi, et tibi, non fallor, istiusmodi In intimam mentem sedet sententia: Et desiens, et otiosus gloriae Sunt ambo egeni, desiens nam gloriam Mox non habebit, otiosus non habet. Age factita quod hactenus, cum gloria Per vorticem te sic migrato ad verticem. AVT · HOMO · AVT · POETA Pro tempore. Ex tempore Fautori ac amico serio inscripsit Ao. M DC XIV. VI. EID. XBR. Mart. Opicius Boleslauiensis.

*** In Philologiam seu Crisin. Per classicam gentem volasse quid prodest, Quum nec polus petatur hisce nec terra? Ad Auctorem libri. Musaeis, Weigeli, diis adamate, Poetae In te qui iuuenis sit amor penna indice nosce: Ardore in tantum te diligit admirando Vt quaecunque potest, quanquam sint paucula, voto,

Musaeis, Weigeli

3

An denselben [Andreas Lucae] Andreas, teurer Freund, wenngleich seit kurzem erst: So wie heute der Menschen Sitten sind, kriechen viele, obwohl sie selbst bequem auf Gänsedaunen liegen und wünschen, daß andere sich bei der überreichlichen Ernte handfester Freude anstrengen (und das nicht wenig), trotzdem – mir nichts, dir nichts – öfters mit ziemlich dreistem Bemühen auf recht niedrige Gipfel. Andere mühen sich anfangs ein wenig, aber bevor es genug ist, hören sie, der Mühen ungewohnt, auf. (10) Du und ich, da täusche ich mich nicht, sind im Innersten der festen Überzeugung: Sowohl der Unbeständige wie der Faule sind beide arm an Ruhm, denn der Unbeständige wird den Ruhm bald nicht mehr haben, der Faule hat ihn überhaupt nicht. Also mach weiter, was Du auch bisher getan hast, ruhmvoll bewege dich so durch den Sturm zum Gipfel. Entweder Mensch oder Dichter. Für den Moment. Aus dem Moment Dem Gönner und wahren Freund schrieb dies im Jahre 1614 am 6. Tag vor den Iden des Dezember [8.12.] Martin Opitz aus Bunzlau. [W.-W.E.]

*** Gegen die Philologie oder Kritik. Was nützt es, die klassischen Gefilde durchflogen zu haben, Wenn in diesen weder Himmel noch Erde angesteuert werden? An den Autor des Buches. Weigel, den die göttlichen Musen liebgewonnen, erfahre, welche Liebe des jugendlichen Dichters zu dir besteht – meine Feder sei Zeugin: Mit gewaltiger Glut liebt er dich in dem Maße, daß er das, was auch immer er vermag, obwohl es weniges ist, mit heißem Schwur – ich spreche aus dem Innersten meines Herzens –

4 5

CEu muto Zephyri

Dico ex mente animi, calido in te transdere malit, Quam centum ingratis cassùm prodesse cuculis. Insanit verum qui a sese spernit amicum. #E ξ  $ ’    – – ET NOS CEDAMVS – Mart. Opicius Silesius fecit inuocatus fratri coniurato et quasi–vero VII. Quintilis. Anno M DCXV.

***

URbem qvi volet aestimet, diesque

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5

Civico numeret meros labello, Otioque terat laborioso Ad marcorem animi virentis annos. Nobis non vacat esse tam beatis, Et per rura, per arva, perque colles Festivos nimis et nimis facetos Malumus, Deus audiat, beari: Bene hic vivere, et hic bene esse salvi. Scultetus pater integri bonique Exemplum probitatis invidendae, Qvanta qvaeso beatitate fertur, Qvi hic ad assiduas humi medullas, Campi Gratiolas Lubedinesque, Ut vixit sibi, sic Deo interivit. M ART. O PITIUS S ILESIUS. THRENUS DE VITA numeris simplicibus. CEu muto Zephyri sub murmure fota canori, Infans et lucis nescia, luxuriat Ad spinas belle rosa, desiliente humore Roscida sub noctis sidera de foliis Vix ac vix clausis: jam sensim blanda videres Alarum lepidi surgere remigia

CEu muto Zephyri

5

lieber Dir anvertrauen will, als hundert undankbaren Gimpeln erfolglos zu nützen. Toll ist, wer von sich aus den wahren Freund verschmäht. Denn das Edle wirst Du wohl von den Edlen lernen. FÜGEN AUCH WIR UNS! Martin Opitz, der Schlesier, fertigte dies auf Verlangen seinem verschworenen und fast wirklichen Bruder am 7. Juli 1615. [H.B., V.M.]

*** Wer will, mag die Stadt hochschätzen und seinem städtischen Liebling ganze Tage widmen, und er mag in mühseliger Muße seine Jahre bis zur Auszehrung des jugendlichen Sinnes hinbringen. Uns steht es nicht frei, so glücklich zu sein, sondern lieber wollen wir uns auf dem Land, in den Feldern, auf den allerliebsten, prangenden Hügeln – Gott mag’s hören – vergnügen. Hier ist gut leben, und hier ist gut sicher leben. (10) Scultetus, der Vater des Reinen und Guten, ein Vorbild bewundernswerter Rechtschaffenheit – in welcher Glückseligkeit eilt er wohl dahin, er, der, wie er hier auf dem besten Stück der Erde, in der Grazie und Anmut des Landlebens sich selbst lebte, so für Gott gestorben ist. Martin Opitz aus Schlesien Klagelied über das Leben, in einfachen Rhythmen. Wie die unter dem stillen Gemurmel des säuselnden Westwindes gehegte junge und das grelle Licht nicht kennende Rose hübsch an ihrem Dornbusch aufsprießt, wenn das Naß unter den tauigen Sternen der Nacht von den kaum, ja kaum noch geschlossenen Blättern herabläuft – da könntest du sehen, wie schon allmählich die zarten Flügelruder der anmutigen Blüte sich erheben und die strotzenden Gaben der goldenen Farbe sich mit dem lebhaften Licht der Venus

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FLecte Venus

Floris, et aurati praegnantia dona coloris Se Paphiae vivis pingere luminibus, [A3v] Dum mundo croceis illudit Lucifer umbris, Musaeisque canit gens levis organulis. Hanc circum puros exercet Cypris amoreis, Et Nymfae inplicitis mutua suaviolis Delitias faciunt molleis, Charitesque Leporesque Arva per innocuis dulce fluunt choreis. Ast ubi Sol campos sitienteis feruit adultus, Flammeaque in teneram dirigit ora rosam, Paulatim, ac Veneris crudo certamine lapsam, Spinae vexatis torret in huberibus, Jam moritur mella arridens calathorum obeliscus, Et timidis rosa clinata cacuminibus Vernili gemitu crispanteis vertice crines Colligit, incretis languida fornicibus. At Nymfis superant turpes lacrymae et singultus, Et privae casto flore gemunt miserae. Sic vita spinis neqvam compressa, repente Nascitur, et tristi solvitur interitu. I D . M ART . O PITIUS Bol!eslaviensis"

***

FLecte Venus roseas aura nubente columbas,

5

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Et fla festiuis insolitum Zephyris: [D2v] Cernis vt auratis virgo redimita corymbis, Ignoto timidas picta pudore genas, Defendat Sponsi ferventia corda novelli, Queis dudum curis ebrius intimiis Fluctuat et vireis iterum atque iterum elanguenteis Solari integris inde cupit lacrymis. Et flammis rigidi totum externata caloris, Tantum secretis artibus incaleat, Ceu Maenas, sacro Bacchi lymphata furore, Huc illuc thyrso perfurit icta gravi, Ipsa, sui plane non conscia, lente inclinat, Nec sensit grauidis saucia vulneribus? Mart. Opicius Silesius.

***

FLecte Venus

7

zieren, solange der Morgenstern die Welt mit krokusfarbenen Schatten umspielt (10) und das muntere Volk mit musischem Organ singt. Ringsherum regt Kypris zu ungetrübter Liebe an, die Nymphen vergnügen einander mit Küßchen und gegenseitigen Liebkosungen und die anmutigen Grazien strömen in harmlosen Tänzen lieblich über die Felder. Sobald jedoch die Sonne zunimmt, die dürstenden Felder erwärmt, ihr flammendes Antlitz auf die zarte Rose richtet und allmählich die vom frühen Wettstreit mit Venus Erschöpfte ausdörrt, indem sie die Wasserspeicher des Dornbuschs angreift, da stirbt bald der honigduftende Blütenkelch ab, (20) zieht die Rose, an ihren empfindlichen Enden eingesunken, mit demütigem Seufzen ihre an der Spitze eingerollten Blütenblätter zusammen, wird schlaff und senkt sich zu einem Bogen. Doch den Nymphen bleiben nur entstellende Tränen und Schluchzer, und der keuschen Blume beraubt, seufzen die Unglücklichen. So ist das nichtige Leben von Dornen bedrückt; rasch entsteht es, und in einem traurigen Untergang löst es sich wieder auf. Derselbe Martin Opitz aus Bunzlau [R.S.]

*** Lenke, Venus, den Flug der rosigen Tauben, umhüllt von Wolken, und lasse zum Fest seltenen Zephyrus wehn! Siehst du: die Jungfrau, bekränzt mit golddurchwundenem Efeu, Schamrot auf neue Art schüchterne Wangen gefärbt, Wehrt den glühenden Sinn ihres frischgebacknen Gemahls ab – Trunken von furchtlosem Drang schwankt er schon lang hin und her, Sucht sich hierauf mit Tränen, ganz runden, darüber zu trösten, Daß die Beherrschung der Kraft wieder und wieder erschlafft –, Sie, durch die Flammen der Glut von Sinnen, die gnadenlos aufsteigt, Gänzlich von Sinnen, sie schwitzt, heimlich von Listen erhitzt, Wie die Mänade, erregt von heiligem bacchischem Wahnsinn, Wenn sie hierhin und dort heftig der Thyrsusstab traf, Rast und, ganz des Bewußtseins beraubt, allmählich dahinsinkt, Schwanger verwundet, jedoch ohne Empfindung davon. Martin Opitz aus Schlesien.

5

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[G.B.]

***

8

NOn sum augur I.

LAdae tuo remorae esse, summe Bucreti,

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Non est lubido, sed tamen Properare carmen posse festivum nego, Lentor cerébrum praegravat, Ante ista concinnata mitto tempora, Nova fingat Sponsus omnia. Non ita me tristes rigidum cepêre Catones, Non ita Musaeis ebria charta jocis, Ut nullos, mi Sponse, qveam effutire lepóres, Aversisque tuam vultibus aspiciam Sponsam, qvae tanto tibi cor splendore serenat, Ceu cum Luna vagum protulit os latebris [B3r] Coeli suspensis, astri hanc comitare choreae Protenus, et taciti lumina sparsa poli. Cernis ut ignoti mens praescia tota pudoris, Purpureis blandum vultibus incaleat, Occultosque oculis furtivis spiret amores, Mnemosynesque avidas fixa trahat pateras. Queis te corditrahis solabitur elanguentem Fluctibus, et gratis implicitum stimulis. At tu candida Sponsa nostra, virgo Nimis mollicula, et nimis pudica, Salve et pellepidi rudis doloris Nondum conscia, nunc ini maritas Leges, ac Veneri medulliugae Laeta fac hodiè ut virago: nam cras Tota dissimilis tui redibis. II. Ad Sponsum. NOn sum augur fateor, verum hoc praedíco: maritus Probabis et probabere. MART. OPITIUS SIL.

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NOn sum augur

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I. Nein, Euren Eilkurier, Herr Rindfleisch, hoher Herr, Will ich nicht warten lassen, doch Ein Festtagscarmen eilig schreiben kann ich nicht, Erschlaffung lähmt mir schwer das Hirn. So schick’ ich etwas, was in früh’rer Zeit entstand; Der Bräut’gam forme alles neu! Traurige Richter der Sitten vermochten es nicht, mich zu härten, Mein von musischem Spaß volles Papier untersagt Nicht, daß ich Euch, Herr Gemahl, ein paar Scherze verplausche, bewirkt nicht, Daß ich die Braut, das Gesicht seitwärts gewendet, beschau’, Die Euch das Herz so sehr, mit solchem Strahlen erheitert, So wie, wenn Lunas Gesicht schweifend aus ihrem Versteck, Hangenden Wolken, erscheint, sofort der Reigen der Sterne Luna umgibt und Gestirn, streuend in schweigsamer Höh’. Seht Ihr, wie ihre Seele in Ahnung noch neuer Beschämung Ganz sich erhitzt, ihr Gesicht lieblich sich purpurn verfärbt, Wie sie aus diebischen Augen die heimliche Liebe verströmt und Schalen der Musen bekommt, gierige, ist sie durchbohrt. Diese Verströmungen sind’s, die das Herz erhöhen, womit sie Schlaffheit beseitigen wird, einwickeln, reizen nach Wunsch. Aber, strahlende Braut des Festes, Jungfer, Allzu lieblich und allzu schamhaft gleichfalls, Gruß dir! Ohne Erfahrung, unbekannt mit Äußerst neckischem Schmerz bisher, erkenn’ nun An, was Ehe verlangt, und opfre heut’ der Ehestifterin Venus freudig, heldisch, Morgen wirst du verändert wiederkehren.

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II. An den Bräutigam. Freilich, ich bin kein Prophet, doch sag’ ich voraus: Nach der Hochzeit Gefällt’s Euch, Ihr gefallt dann auch. Martin Opitz aus Schlesien [G.B.]

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MARTINI OPITII BOLESLAVIENSIS SILESII STRENARUM LIBELLUS, VAL. SANFTLEBEN Praetori & Rectori patriae consecratus. GORLICII Iohannes RhaMba eXCVDebat. [A1v] MARTINO OPITIO Juveni Literatissimo. Musa, Minerva, Crisis, sibi te legêre ministrum: Fungâre officio fac benè, Phoebus eris. C ASPAR C UNRADUS Phil. et Med. D. Breslae. IX. IXbr. A.C. MDC XV. [A2r]

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V!iro" A!mplissimo" VALENTINO SANFTLEBEN S. P. D. QUantum eo nomine, Vir Amplissime, me efferam, quod in hac vestra republica natus et educatus sim, dici non potest: quando et laus ipsius infantiam mei sermonis fugit, et beneficia quae ex ea hausi, cum huc nihil quam prolixum ac inexhaustum amorem afferre possim, meipsum excedunt. Inter caetera autem eum diem maximè memoria extendo, quo te praeceptore primum usus sum. Tu cum videbas me Latinitatis avidum, pudicam orationem et naturali pulcritudine exurgentem puero induisti. De aliis non dico, ne veritatis verba adulationis putes. Quam incredibili vero gau-[A2v]dio me ista afficiunt, tam aeterna tristitia damnat

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Des Martin Opitz aus Bunzlau in Schlesien Neujahrswünsche, Valentin Senftleben, dem Richter und Rektor der Heimatstadt, gewidmet. Gedruckt in Görlitz bei Johannes Rambau.

Für Martin Opitz, einen jungen Mann von höchster Bildung. Die Muse, Minerva und Krisis erwählten dich zu ihrem Diener. Erfülle gut deine Pflicht: Dann wirst du Phoebus sein. Caspar Cunrad, Doktor der Philosophie und der Medizin, in Breslau. Am 9. November im Jahre des Herrn 1615.

Dem würdigen Herrn Valentin Senftleben wünsche ich alles Gute.

Wie stolz ich darauf bin, würdiger Herr, in dieser eurer Stadt geboren und erzogen worden zu sein, läßt sich nicht in Worte fassen, weil sowohl deren Ruhmeswürdigkeit die Sprachlosigkeit meiner Rede überfordert als auch die Wohltaten, die ich aus ihr geschöpft habe, über das, was ich erwidern kann, hinausgehen, da ich hier nichts beitragen kann als den breiten und unerschöpflichen Strom meiner Liebe. Neben allem anderen aber denke ich immer wieder an den Tag, an dem ich dich zum ersten Mal zum Lehrer hatte. Als du mein großes Interesse an der lateinischen Sprache erkanntest, stattetest du den Knaben mit einer anstän-

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rerum mearum tenuitas, quae tuis beneficiis nunquam superesse poterit. In ostentationem tamen doloris, et ut scias quantum te colam, compendiariam gratiae inveni, haec ingenii ,     , et nec stanti nec sedenti elapsa. Credendum tamen, fore aliquantivis precii, quia tibi sunt consecrata: Sunt praeterea joci in fine, quibus nequicquam offensae periculum est. Viro enim  $φ  !) " commisi, et venustas citra obscoenitatem nullibi exulat. Vale %&  «, et vive. Boleslaviae Sil!esiae" Anno MDC XVI. extremo Jan!uario"

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JESU CHRISTO IMMANUELI Saluti Viventium. DUm Cauri ac miseri Boreae gemitus spirantes Tristia sub brumae frigoris egelida Eructant rigidas glaciali murmure crustas, Aeraque infestis spiritibus feriunt, Tunc miserabilibus languescunt mortibus omnes Fontes et montes et nemora et siluae. Sed quando molli se verna nitela susurro Exerit, et dulces jam renovant Zephyri, Ingeminant blandos formosa prata cachinnos, Et totus mundi circulus una rosa est, Et pecus emissum late detondet eburnis Falcibus arguti graminis ambrosiam, Pastores ovibus juncti palantibus, antro Pana omnes, omnes Pana venire fremunt. Pan venit, atque feras ovibus defendit, amore Longo irretitus languiduli pecoris. Iam caput auricomum maturius extulit Eos, Solans diffusis obvia tempe oculis, Musaeisque avium junctim pendentia ramis Collegia aetherio carmine luxuriant, [A3v] Pan venit, et laetum mundo meditatur amictum,

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digen und in natürlicher Schönheit emporstrebenden Beredsamkeit aus. All das andere erwähne ich nicht, damit du die Wahrheit nicht für Schmeichelei hältst. Aber so sehr mich diese Dinge mit unglaublicher Freude erfüllen, so sehr verdammt mich die Beschränktheit meiner Mittel zu ewiger Traurigkeit, weil sie deine Wohltaten niemals wird übertreffen können. Um meinen Schmerz zu beweisen und damit du weißt, wie sehr ich dich in Ehren halte, habe ich mir als kurzen Ausdruck meines Dankes diese „aus dem Moment improvisierten Zeugnisse“ meines Talentes, die mir zwischen Tür und Angel eingefallen sind, ausgedacht. Ich darf dennoch glauben, daß sie einen – wenn auch nur ganz kleinen – Wert haben werden, weil sie dir gewidmet sind. Außerdem stehen Scherze am Ende, mit denen keinerlei Gefahr besteht, Anstoß zu erregen. Denn ich vertraue sie einem Mann „nicht ohne Anmut“ an, und Anmut ohne Anstößigkeit ist überall zu Hause. Lebewohl, mein „heimatliebender“ Mitbürger. Bunzlau in Schlesien, am 31. Januar 1616

An Jesus Christus Immanuel, den Heilsbringer der Lebenden. Wenn das dumpfe Blasen des Nordwest- und des schrecklichen Nordwindes bei der traurigen Kälte des Mittwinterfrostes unter eisigem Krachen starre Eiskrusten bersten läßt und die Luft mit feindlichen Böen peitscht, dann liegen in beklagenswerter Abgestorbenheit darnieder alle Quellen, Berge, Haine und Wälder. Aber wenn Frühlingsglanz sich mit zartem Summen ausbreitet und dann die süßen Zephyre sich erneut erheben, wenn aus anmutigen Wiesen wieder schmeichelndes Gelächter erschallt (10) und der ganze Erdenkreis eine einzige Rose ist und das hinausgeführte Vieh weithin mit den elfenbeinfarbenen Sicheln seiner Zähne des raschelnden Grases Ambrosia mäht, dann jauchzen die Hirten in der Höhle gemeinsam mit der schweifenden Herde alle, daß Pan, daß Pan kommt, jauchzen alle. „Pan kommt und wehrt die Raubtiere von den Schafen ab, bestrickt von seiner langen Liebe zu dem trägen Vieh.“ Schon erhebt Eos ihr goldgelocktes Haupt früher und erquickt mit weitschweifendem Blick das vor ihr hingestreckte Tal, und, auf beschwingten Ästen schwebend, (20) ergötzen sich gemeinsam der Vögel Chöre mit luftigem Lied: „Pan kommt und ersinnt der

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Pan venit, et campos conficit Elysios. Sic nos damnati tenebris te, Jesule, vento, Lecta tibi vernis turba beamur agris.

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GEORGIO TIEFFENBACH Viro Consulari. TIeffenbachiades, patrij fons aureus agri, In quo foeta situ terra Bolesla rigat, Et Sais, et Charites, Paphie, Lepor, Hora, Venustas, Et Themis, et Themidis Cypris alumna lavant, Iustum in nescio quo dicunt mersisse profundo, Hactenus ut nemo quiverit eximere. In te deposuit justi alma potentia fontem, Repperit in rivis patria nostra tuis. ELIAE NAMSLERO Viro itidem Consulari. NAmslere ô patrij rector sublimis Olympi, Te pueri tenuis vivere charta jubet, Quippe in te solo conjunctim vivimus uno, Nostraque, magne pater, vertimus ora tuis. Te jussore olim dextrum traduximus aevum, Fata velint sub te patria ducat idem. [A4r] Vive precor, longumque tuis constare memento, Publica quo melius res superesse queat. Auguror, excesso te patria dilabetur, Nec nobis etiam nota, nec ipsa sibi. Sed taceo laudem, si te non ullus adulor, Libertasque animum vindicat una meum, Hoc fateor tantum: Patriae Namslerus amore Cunctis plus, solus quam sibi quisque facit. MARTINO NVSSLERO Theologo incomparabili. Nüßlere in cujus summas facundia laudes Ceßit, et ingentis verba tremenda Dei, Qualia credibile est, sancto livore furentem, Ad Grajas Paulum saepe dedisse fores, Cum mendax tellus, scelerum vexata ruinis, Nesciret verae relligionis opus,

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Welt ein fröhliches Gewand, Pan kommt und macht die Felder zu elysischen.“ So frohlocken auch wir, die wir doch zur Finsternis verdammt waren, nach deiner Ankunft, Jesuskind, als die von dir erwählte Schar auf den Wiesen des Frühlings. Für den ehemaligen Bürgermeister Georg Tieffenbach. Tieffenbachsohn, du goldener Quell des Vaterlandes, an dem sich die fruchtbare Brache der Bunzlauer Erde netzt, und wo Sais und die Grazien, die Göttin von Paphos, Anmut, Reiz und Charme, und Themis und der Themis Zögling Venus sich baden: Man sagt, das Recht sei in irgendeinen Abgrund gesunken, so daß es bisher niemand hat bergen können – aber in dich hat die höchste Macht des Rechtes Quelle gelegt, in deinen Strömen hat unsere Heimat es gefunden.

Für Elias Namsler, ebenfalls ehemaliger Bürgermeister. Namsler, erhabener Lenker des Heimatolymp, dich läßt des Knaben kleines Blatt hochleben; denn allein durch dich leben wir einträchtig zusammen, und, großer Vater, deinem Blick wenden wir unsere Blicke zu. Unter deiner Führung haben wir schon einst eine glückliche Zeit verbracht: Gebe das Schicksal, daß die Vaterstadt noch einmal unter dir dasselbe erlebe! Lebe, und denke daran, den Deinen lange erhalten zu bleiben, damit das Gemeinwesen eine bessere Zukunft hat. Denn ich ahne es: Wenn du uns entrissen bist, wird die Heimat zerfallen, (10) wird weder uns noch sich selber mehr bekannt sein. Aber ich verschweige deinen Ruhm, wenn ich als ein Niemand dir schmeichle und allein der Freimut mein Herz ergreift. Nur das bekenne ich: Aus Liebe zur Vaterstadt tut Namsler mehr für alle als jeder einzelne für sich.

Für Martin Nüßler, den unvergleichlichen Gottesgelehrten. Nüßler, dem die Beredsamkeit zu höchstem Ruhm gereicht und die zittern machenden Worte des gewaltigen Gottes, wie sie wohl der in heiligem Eifer rasende Paulus vor griechischen Türen oft gesprochen haben mag, weil die lügnerische Welt, gepeinigt von ihren verderblichen Verbrechen, des wahren Glaubens Werk nicht kannte, du heilig weißes Haar und nicht für jeden erreichbare Tugend, die sich nicht in Scherzen ergießt, aber dennoch auch nie zu ernst wird, sondern die

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Sanctaque canities, nec cuivis pervia virtus, Non effusa jocis, nec rigida illa tamen, Sed majestatis blando suffusa sereno, Dulciaque arridens pectoris altus honor, Lambere laurigeros quid me mirare corymbos, Et Famae, strenae nomine, vela sequi? Non memini Nymphas me sollicitasse pudicas: Propter te id ceßit turba novena mihi. [A4v]

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GEORGIO COBERO felicissimo Archiatro. CObere Aesclepi mens, et sapientia Coi, Ac Podaliraeo multum adamate deo, Quicquid id est tandem quo vos mortalibus aegris, Ignoto credo carmine, fertis opem, Divinum est, ac divina se prodit ab arte, Et medicûm natos hic furor unus agit. Felicem patriam, cui numina maxima divûm Tantum sufficiunt, urbis amore, deum. VALENTINO SANFTLEBEN Praetoriae ac Rectoriae dignitatis viro. SAnftlebi patriae spes admiranda Boleslae, Cui faciles dixit Gratia docta sales, Ac Themis indomitis linguae impluit aurea nimbis, Et Tulli grandes te jubet ire vias, Vt tua tam rigidum facundia nota sub aevum Se quoque nectareis vincere discat aquis, Dum sese in se ambit lustrator circulus anni, Bifrontisque citas incipit ire vias, Dum decet alternas donorum mittere sortes, Donaque fautori dat sua quisque suo, [A5r] Num tibi, quae mea sunt, mentis deposcis honores, Hos dudum, Deus hoc scit, dare jußit amor. Heroone jubes metra plena animare cothurno? Vix misera in vestros sufficiunt titulos. Nil superat nisi vota, at et hic quoque nulla supersunt, Pro patria in te hoc consumsimus omne mea.

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Farbe liebenswert-heiterer Hoheit trägt, (10) du Beispiel tief empfundenen Ehrgefühls, das freundlich zuzulächeln versteht, warum wunderst du dich, daß ich nach lorbeerumwundenem Efeu lechze und unter dem Titel „Neujahrswünsche“ des Ruhmes Segeln folge? Ich entsinne mich nicht, die züchtigen Nymphen aufgeschreckt zu haben: Deinetwegen hat mir die neunköpfige Schar diesen Wunsch eingegeben.

Für Georg Kober, den höchst erfolgreichen Stadtarzt. Kober, Geist und Weisheit des koischen Äskulap und vielgeliebter Jünger des Gottes, der Podalirius zeugte! Was es am Ende auch ist, wodurch ihr Ärzte den kranken Sterblichen – ich glaube, durch geheime Zaubersprüche – Hilfe bringt, es ist etwas Göttliches und verrät, daß es göttlichem Wissen entspringt, und diese gemeinsame Besessenheit treibt seit je die Ärzte an. Glückliche Heimat, der die größten Götter aus Liebe zu unserer Stadt einen so großen Gott schenken!

Für Valentin Senftleben, einen Mann mit Richter- und Rektorenwürde. Senftleben, bewundernswürdige Hoffnung meiner Heimat Bunzlau, dem die gelehrte Grazie leichte Scherze eingegeben und auf den die goldene Themis hat regnen lassen unbezähmbaren Redefluß und dem sie nun aufträgt, den großartigen Weg Ciceros zu gehen, damit deine in unserer so strengen Zeit berühmte Beredsamkeit lernt, mit Nektarflüssen sogar sich selbst zu übertreffen! Wenn der wandelnde Jahreskreis sich in sich selbst begegnet und aufs neue beginnt, den raschen Weg des doppelköpfigen Janus zu gehen, wenn es an der Zeit ist, sich im Wechsel seinen Anteil an den Geschenken zuzuschicken, (10) und ein jeder seinem Gönner die gebührenden Geschenke gibt, forderst du da für dich – was meine Verse sind! – Ehrenbezeigungen meiner Gesinnung? Die zu erweisen befahl mir schon lange – Gott weiß es – meine Zuneigung zu dir. Wünschst du, daß ich einem Gedicht, das voll ist von heroischen Versen, Leben einhauche? Meine armen Verse reichen kaum für deine Ehrentitel aus! Nichts bleibt mir als gute Wünsche – aber auch da sind keine mehr übrig: Um der Heimat willen habe ich das alles für dich verbraucht.

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DAVIDI PREIBISIO integerrimo Senatori. OPtime Preibisi, quem nati amplector honore, (Sanguis amorque meum te facit esse patrem) Cum tam sinceri et recti sis pectoris unus, Vt te istoc alii nomine mille probent, Integritas etiam mihi fato cesserit illa, Qua sola jure glorior esse bonus, Candide agam tecum, quales nos esse jubemur, Et candor quales insitus esse facit: Tu majora tua cum simplicitate severa Praestas, quam cunctis lyncea turba dolis. CHRISTOPHORO STOEBERKEYL à Judiciis aulicis. SToeberkeyliades, quis dîs autoribus ipsis Suppressae patriae te superesse neget? [A5v] Tu vixisti aliquot per lustra subactus in aulae, Vndique queis turget irrequieta, dolis, Civiles etiam novisti ex ordine causas, Nostras praeterea res bene fidus amas, Hinc patriae, hinc aulae pote consuluisse labori, Sit precor illa actis sarta, sit ista tuis. JOANNI SEILERO Syndico eruditissimo. VIve ô jus Iuris, vive Astreae acer ocelle, Vive, et te longi temporis inde rotis, Annuit annosi antidea annuus annulus anni, Et te pro patriae vivere amore jubet. Deflemus patremque tuum, patrisque guberna, Mors ejus vitae meta sit una tuae. MELCHIORI POEPLERO Collegae Theologo. THeiologae, Pöplere meus, fax praevia Suadae, Quem Dominus sanctas efficit ire vias, Vellem equidem venti coelestis janitor anni Me faceret dignis te celebrare modis, Dum Salvatoris natalia laeta recentas,

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Für David Preibisch, den unbestechlichen Ratsherrn. Vortrefflicher Preibisch, den ich mit der Ehrerbietung eines Sohnes umarme (unser gemeinsames Blut und meine Zuneigung machen dich zu meinem Vater), da du allein ein so reines, geradliniges Wesen hast, daß tausend andere dich mit dieser Bezeichnung loben, möge auch mir das Schicksal jene Lauterkeit verleihen, durch die allein ich mich zu Recht rühmen kann, ein guter Mensch zu sein! Mit dir möchte ich ein reines Leben führen, wie es von uns gefordert wird und wie uns die in uns angelegte Reinheit werden läßt. Du leistest Größeres mit deiner strengen Ehrlichkeit (10) als die Schar der Luchse mit all ihren Listen.

Für den königlichen Hofrichter Christoph Stöberkeil. Stöberkeilsohn, wer könnte leugnen – die Götter selbst bezeugen es ja –, daß du für die bedrängte Heimat immer da bist? Mehrere Lustren hast du gezwungenermaßen inmitten der Intrigen des Hofes gelebt, von denen dieser allenthalben rastlos überbrodelt. Du kennst auch die Streitfälle des bürgerlichen Rechts nach ihrer Ordnung, und außerdem liebst du treu unsere Stadt, fähig, dich hier um der Heimat, dort um des Hofes Sorgen zu kümmern: Möge dieser wie jene durch dein Handeln in gutem Zustand bleiben!

Für Johannes Seiler, den hochgelehrten Syndikus. Lebe, du Inbegriff des Rechts, lebe, Astreens scharfsichtiger Liebling, lebe: Daß du auf den Rädern langer Zeit lebest, hat früher schon bejahrten Jahres jährlicher Ring gewährt, und er verlangt, daß du für deine Heimatliebe leben sollst. Wir weinen um deinen Vater und deines Vaters gute Regierung: Sei sein Tod der einzige Einschnitt auf deiner Lebensbahn.

Für Melchior Pöpler, einen unter den Gottesgelehrten. Mein lieber Pöpler, du den Weg der von Göttlichem kündenden Beredsamkeit erleuchtende Fackel, du, den der Herr auf heiligen Pfaden wandeln läßt! Ich wünschte, daß des neuen Jahres himmlischer Torwächter mich dich in würdigen Versen feiern ließe, während du wieder des Erlösers frohen Geburtstag besingst

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Cuninaeque moves pendula clostra Deae: [A6r] Sed quanto quem tu cantas te est altior unus, Tanto ego qui te isto carmine laudo minor.

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MATTHAEO WIELANDO Theologo pientissimo. SAepe pias miror, Wielande polite, loquelas, Cum tibi ter sancto nomine rostra fremunt, Plenus ab ingenti lymphatus numinis aura Insolito doctos fundis ab ore sonos. Christo colloqueris, Triadisque in laudibus haeres, Praesentem tibi tu conficis ipse polum. ZACHARIAE SCHUBERTO Literatissimo Scholarchae. SChuberte Aonidum dulcißime alumne Dearum, Cui Veneres puro nectaris imbre fluunt, Audi me, probro tibi me nisi duxeris, in te, Eque tuo liquidò pectore nosce meum; Intra me vivo mihi, Musas lenio Musis, Sum patriae, cunctis velle deesse, nego, Fido Deo, peregris nemo tero tempora curis, Sum simplex, scio me temnere, mitto dolos. Sperno si invidiae me, ut fit, livore lacessunt, Se penetrant mores in mea corda tui. [A6v]

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NICOLAO FROBENIO civi doctissimo. FRobeni Phoebi non inficiande satelles, Cui medicas junxit certa Hygieia manus, Dum lapso ambiguo venit anni tempore limes, Et redeundo perit, et pereundo redit, Claude oculosque auresque, animum exere carmen in istud. Pauca cano metri pondere, multa precor.

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und das wiegende Behältnis der Göttin Cunina anstößt: Aber so weit der Einzige, den du besingst, über dir steht, so weit stehe ich, der dich mit diesem Gedicht preist, unter dir. Für Matthäus Wieland, den frömmsten Theologen. Oft bestaune ich, mein sprachgewandter Wieland, deine frommen Worte, wenn du die Kanzel vom dreifach heiligen Namen widerhallen läßt: Verzückt vom gewaltigen Hauch der Gottheit verströmst du volltönend gelehrten Klang aus ungewöhnlich beredtem Mund. Mit Christus hältst du Zwiesprache und lobst beständig die Dreieinigkeit: So erschaffst du dir selbst einen Himmel auf Erden.

Für Zacharias Schubert, den hochgebildeten Schulleiter. Schubert, bezaubernder Sohn der böotischen Göttinnen, dem die Anmut in Strömen reinen Nektars fließt, höre mich an, wenn du nicht glaubst, daß ich dir Schande machen könnte: In dir und im Spiegel deines Herzens erkenne mein Wesen. Ich lebe in mir nur mir selbst, besänftige mit Musen die Musen, gehöre der Heimat, will immer für die anderen dasein, vertraue auf Gott, vergeude nie die Zeit mit fernliegenden Sorgen, bin geradeaus, weiß, wie klein ich bin, und meide die Arglist. Ich achte nicht darauf, wenn man mich, wie die Leute so sind, aus Neid angreift: (10) Dein Vorbild dringt also tief in mein Herz.

Für Nikolaus Froben, den hochgelehrten Mitbürger. Froben, unstreitig des Phoebus Begleiter, dem Hygieia zuverlässig die heilenden Hände reichte! Während die Zeit zwischen den Jahren verstreicht und des Jahres Ende naht (in der Rückkehr vergeht es und kehrt im Vergehen zurück), schließe Augen und Ohren, richte den Geist auf dieses Gedicht: Nach dem Gewicht der Verse zu urteilen singe ich nur wenig, aber ich wünsche dir sehr viel.

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CHRISTOPHORO BUCHWELDERO viro optimo. BVchweldere animi cui laeta modestia mentem Finxit, et antiquae simplicitatis amor, Nescio quo prono puer in te corde ferebar, Prae reliquisque mihi charior unus eras. Hoc memini quoties sancti aurea flumina Tulli, Poenique indomito verba lepore dabas, Protenus influere ad penitas dictata medullas, Et stillare meros ambrosiae latices. Hinc te mirandis arsi, pater optime, flam!m"is, Et tuus hoc fixus pectore vivit amor. Quod si tu simili me, ceu credo, uris amore, Certe res serae Posteritatis eris. [A7r]

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MARTINO OPITIO Medicinae Candidato. AMbitio nullum te prodiga vexat, Opiti, Transversumque aliò pompa supina rapit, Cum tamen in medicis poßis praestare teipsum, Atque etiam Cois cernere Marte viris. Sensi ego, cum tristi quondam langore jacebam, Et sanis privus viribus, atque mei, Tu certis miscens praestantia pharmaca rebus, Reddebas me omnem viribus, atque mihi. Virtuti hoc omni sacrum et sollenne videmus, Quam nosti tacito velle tremore coli. GEORGIO SEVERO Cantori benemerentissimo. DOcte Severe anima ac nostri vox persona templi, Et tuba laudati dulcicanora Dei, Si praeceptori meritas cui debeo grates, Id debere etiam me reor omne tibi, Quo, non ingenii defectu, at mente petulca Flectebam, atque sui prodigus ibat amor, Tu benefacta probare, et non facienda negare, Immiscens verbis dicta severa bonis. Quod si, ceu fateor, me ais edocuisse, probabis Ingenium nostrum, vestrum ego judicium.

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Für den trefflichen Christoph Buchwälder. Buchwälder, dem fröhliche Bescheidenheit und die Liebe zu althergebrachter Einfachheit das Wesen formten, irgendwie zog mich schon als Jungen eine Herzensneigung zu dir hin, und du allein warst mir vor allen der liebste. Ich erinnere mich gut daran, wie, sooft du die goldenen Redeströme des erhabenen Cicero und die Worte des Puniers mit unübertrefflicher Anmut vortrugst, dein Vortrag sich sofort in mein innerstes Mark ergoß und reine Ströme von Ambrosia hineintropfen ließ. Daher entbrannte ich in wunderbarer Glut für dich, du väterlicher Freund, (10) und fest in meiner Brust verankert lebt meine Liebe zu dir. Wenn du, wie ich glaube, mich mit ähnlicher Liebe liebst, wirst du gewiß noch der späten Nachwelt bekannt sein.

Für den Kandidaten der Medizin Martin Opitz. Niemals, mein Opitz, quält dich zügelloser Ehrgeiz und reißt dich müßige Pracht in die verkehrte Richtung hin, obwohl du dich unter den Ärzten sehr wohl sehen lassen und dich im Wettstreit sogar mit den Männern aus Kos messen könntest. Ich habe das erfahren, als ich einmal todkrank darniederlag, meiner gesunden Kräfte und meiner selbst beraubt: Da gabst du, indem du vortreffliche Arzneien aus den richtigen Dingen mischtest, mich ganz meinen Kräften und mir selbst zurück. Wir sehen, daß dies jeglicher Tugend heilig und ihrer würdig ist, (10) von der du weißt, daß sie in stillem Erschauern verehrt werden will.

Für den hochverdienten Kantor Georg Sauer. Gelehrter Sauer, du Seele und tönende Stimme unserer Kirche, du lieblich klingende Posaune unseres gepriesenen Gottes! Wenn es einen Lehrer gibt, dem ich wohlverdienten Dank schulde, dann glaube ich auch, daß ich dies alles dir schulde, zu dem ich mich nicht aus mangelnder Begabung, sondern aus Wißbegier wandte und auf den sich meine sich frei verströmende Liebe richtete. Wenn du, der du freundliche Worte mit strengen Lehren mischst, sagst, daß ich, wie ich bekenne, gelernt habe, richtiges Verhalten gutzuheißen und Fehlverhalten abzulehnen, so wirst du damit (10) meine Naturanlage, ich aber dein Urteil bestätigen.

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CASPARI BERGMANO Paedagogiarchae solertissimo. DIgnus eras meliore loco, Bergmane, sed istud Seu fortean livor seu tibi Fata negant. Macte tamen teneram solitum formare juventam, Quodque facis nostras perge beare domos. Sic quos in sese ad majora evexit honorum, Debebunt patriae, sed patria ipsa tibi. MARTINO TSCHERNINGO praeceptori charissimo. Tscherninge è cujus ductu, ut scis, primitus hausi Quicquid in infantum corda cadit bibula, Saepe tuos mecum admirans perpendo labores, Qua celeri ingenium duxeris arte meum, Seu tuus iste labor, nostra aut solertia causa est, Vt labor iste tuus causa, ut et ipsa mea est, Quicquid sit pro quo meritum sibi nota supellex Non dare quit, pietas nostra dat una tibi. EROTOPAEGNIUM SCHEDIASTICUM . MIror Virgilium dulces neglexe puellas, Fors conscium sibi male, [A8r] Et lusus tacitae metuentem probraque noctis, Quod recte et ordine evenit. Non ita ego, mea lux, desuetus vivo Diones, Aversus ut te negligam: Sed dare non habeo, nec tu tibi munera poscis: Animamque meque dedico. Vt dem ego me tibi, tu mihi te dato, ita elanguentes Tenacibusque brachiis, Immistoque levi nexu, jungentur amores In meque teque adinvicem. Vt dare poßim animam, cedo ebria rore labella Melissa nostra caelico, Sic animae haerentes roseo argutabimur ore, Violeto amoris pervio, Altera rursus, et altera, et altera, et altera rursus

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Für den tüchtigen Oberlehrer Kaspar Bergmann. Du hättest eine bessere Stellung verdient, mein Bergmann, aber ob nun vielleicht die Mißgunst oder auch das Schicksal es dir verwehrt: Gepriesen seiest du doch, daß du stets die zarte Jugend ausbildest, und wie jetzt, so beglücke auch weiter unsere Häuser. So werden diejenigen, die die Heimat in ihrem Dienst in hohe Ehrenämter erhoben hat, es ihr verdanken, aber die Heimat selbst wird sie dir verdanken. Für Martin Tscherning, meinen lieben Lehrer. Tscherning, aus dessen Leitung ich, wie du weißt, als erstes schöpfte, was in der Kinder durstige Herzen fällt, oft erwäge ich bei mir voll Bewunderung für deine Leistung, mit welch behender Kunst du meinen Verstand gebildet hast. Ob nun deine Leistung oder mein Fleiß der Grund dafür ist – und gewiß ist deine Leistung ebenso der Grund wie mein Fleiß –: was es auch ist, wofür sich dein wohlbekanntes Werkzeug sein Verdienst nicht zuzugestehen vermag; meine dankbare Liebe allein gesteht es dir zu.

Amouröse Verse aus dem Stegreif. Es wundert mich, daß Vergil die schönen Mädchen mißachten konnte, vielleicht, weil er sich selbst nicht kannte und die Spiele und Ungezogenheiten der stillen Nacht fürchtete, obwohl das alles seine Ordnung hat. Ich aber, mein Liebling, lebe nicht so entwöhnt der Dione, daß ich mich abwende und dich vernachlässige. Aber geben kann ich nichts, und du verlangst keine Geschenke: Meine Seele und mich aber widme ich dir. Damit ich mich dir geben kann, mußt du dich mir geben: So werden sich (10) bei fester Umarmung und beweglicher Umschlingung schmachtende Liebesspiele verbinden für dich und mich im Wechselspiel. Damit ich dir meinen Seelenhauch geben kann, reich mir, meine Melissa, deine zarten, von himmlischem Tau trunkenen Lippen: So werden unsere Seelen aneinander haftend miteinander plaudern aus rosigem Munde, dem wegsamen Veilchenbeet der Liebe, indem wir einander neue und abermals neue, neue und

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SIc tibi rivalis

Adblandientes savia, Donec reclines ad languidulas convalles, Anima cadamus inplice. Tunc licet evulgent gratas me ferre puellis Strenas venustis nescium. De hoc carmine. Ante elegos scripsisti, hîc jambica: virgo recenti, Si nescis, plane est excipienda modo. LECTORI. Non sine te finem, Lector doctißime, quaeram, O sine te nequeat finis adesse mihi!

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C ASP. D ORNAVIO V.C. M . OPITIUS S . QUia tuam sortem saeculi putamus, DORNAVI , et non parum interesse aevi nostri, quomodo et quam bene vivas: Saluti, cum qua in gratiam rediisti, ARAS statuimus. Accedit, quod privatis nominibus tantum tuae benevolentiae devincti sumus, quantum quisque suo proprio parenti. Damus igitur tibi hoc officium: quod licet ad eruditionis tuae fastigium non aspiret, vix aspernaberis credo: seu quia majus praestare nunc per angustias temporis non possumus; seu quia ardentibus ad misericordem Deum precibus, valetudini tuae nihil magis confert: quas nulla exuperabit $"«. Vale magna literarum confidentia, et, quod facis, constanter nos ama, ac Ill. SCULTETO commenda.

SIc tibi rivalis Zephyrus Hyacinthia labra

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Ne petat, os pueri blandaque colla tui, Quem saevi livore proci rubefacta peremtum Sentit sub primi tempora veris humus, Cinge comam, mi Phoebe, meam, teneroque poêtae Suffice nectareis lactea verba modis. [A3r] Non ego fatidici lymphatus flore Lyaei,

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wieder neue Küsse erkosen, bis wir uns rücklings in zart schmachtende Schluchten (20) mit verflochtener Seele fallen lassen. Dann darf man ruhig verbreiten, ich sei nicht kundig darin, reizenden Mädchen gefällige Neujahrswünsche darzubringen.

Zum obigen Gedicht. Vorher hast du Distichen, hier nun Jamben geschrieben: Ein junges Mädchen muß einfach, falls du es nicht weißt, mit einem frischen Versmaß begrüßt werden. An den Leser. Nicht ohne dich, gelehrter Leser, will ich ans Ende kommen – ach, möge mir kein Ende ohne dich beschieden sein! [W.-W.E.]

*** An Caspar Dornau, den hochberühmten Mann, sendet Martin Opitz seinen Gruß. Weil wir dein Schicksal mit dem des Zeitalters gleichsetzen, mein Dornau, und der Meinung sind, es sei für unsere Zeit von nicht geringer Bedeutung, wie du lebst und wie gut es dir geht, errichten wir der Göttin Salus, mit der du wieder in gutem Einvernehmen bist, einen Altar. Hinzu kommt, daß wir in persönlicher Hinsicht so sehr an dein Wohlwollen gebunden sind wie ein jeder an seinen eigenen Vater. Wir bringen dir also diese Gabe pflichtschuldigst dar, die du, mag sie auch an die Höhe deiner Bildung nicht heranreichen, doch wohl nicht verachten wirst, sei es, weil wir etwas Größeres jetzt aus Mangel an Zeit nicht leisten können, sei es, weil deiner Gesundheit doch nichts zuträglicher ist als brennende Gebete zu dem barmherzigen Gott, welchen ja kein anderes Tun jemals gleichkommen wird. Lebe wohl, du große Hoffnung der Wissenschaften, liebe uns beständig, wie du es ja tust, und empfiehl uns dem edlen Scultetus. So wahr ich wünsche, daß dein Nebenbuhler Zephyrus nicht die Lippen des Hyacinthus begehre und das Antlitz und den zarten Hals deines Knaben, dessen durch den Neid des zornigen Freiers herbeigeführten Tod die gerötete Erde in der ersten Zeit des Frühlings fühlt – umkränze du mein Haar, mein Phoebus, und durchtränke dem schwachen Dichter seine milchigen Worte mit Weisen, süß wie Nektar. Nicht werde ich, besessen vom Geist des wahrheitskündenden Weines, trunkene Verse in wilden Tönen hervorstoßen, obgleich unser Volk sich mit

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Torquebo rapidis ebria metra sonis: Quamvis hoc soleat gens nostra humescere rore, Et mea mens medio saepe nat icta mero. Non ego facundas vires in vincula stringam Turpia, et in flam!m"as, vane Cupido, tuas: Sim licet Idaliae cultor non degener arae, Et Venus in concha me vehat alma sua. Sed totum mihi me credens Nymphisque pudicis, Vnius extollam Dî pietatis opus. Vos mihi, vos patriae, vos docto redditis orbi Dornavij sacrum saecula sera caput. Mens aevi vindex prorsus collapsa jacebat; Inque sua timuit hospita tanta domo: Languentesque sibi nimium indulgebat in artus Et calidum frigus, frigidus atque calor. Iam motus coeli concors, sedesque beatae Certabant animam velle locare suam. Iam divinorum properabant ora virorum Iungere victrices in sua fata manus At vos, o Superi, et divum tum maxime Rector, Audistis lachrymis pectora moesta suis. Non flevi surdis, donastis fletibus aures: Dornavius nobis redditus, atque sibi est. Hic tibi, sancta Salus, devoti ponimus aras, Hoc veneror vultum thure meroque tuum. Sic ubi clementi vectum sub litora vento, Sentit amatorem virgo puella suum, Quem modo Caurus iners medijs jactabat in undis, Credebantque suis lintea plena Notis; Immistos lachrymis obliquo lumine risus Frangit, et has veteri supplet amore moras. [A3v] Non tunc poenituit soli accubuisse pudori Hoc pretio tanto tempore nuda fuit. Haud secus, o mi Dornavi, dispendia morbi Sarcis, audit opem nostra juventa tuam. Nunc tibi tam laeto esse detur, quantum hactenus aegro. Vix poteris vita sic meliore frui. Martinus Opitius Boleslaviensis.

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solchem Naß zu befeuchten pflegt (10) und mein Sinn oft gewaltig inmitten des Weinrausches schwankt. Auch werde ich nicht meine Redegabe in deine schändlichen Fesseln und Leidenschaften einbinden lassen, eitler Cupido, mag ich auch kein schwacher Verehrer des idalischen Altars sein, mag auch die holde Venus mich in ihrer Muschel mitziehen, sondern ich werde mich ganz mir selbst und den züchtigen Nymphen zuwenden und, ihr Götter, ein Werk allein der frommen Dankbarkeit errichten. Ihr gebt mir, dem Vaterland, der gelehrten Welt das edle Haupt Dornaus für spätere Zeiten zurück. Sein Geist, der der Anwalt seiner eigenen Zeit ist, lag völlig niedergestreckt am Boden (20) und fürchtete sich, so gewaltig er war, wie ein Fremdling im eigenen Hause. Ganz ließ er sich gehen bei der Erschöpfung seiner Glieder, und Kälte schien ihm warm, Wärme kalt. Schon wetteiferten die harmonische Bewegung des Himmels und die Gefilde der Seligen darum, seine Seele bei sich ansiedeln zu wollen. Schon beeilten sich die Zungen verewigter Männer, seine erfolgreichen Hände dem ihnen bestimmten Schicksal zu verbinden. Doch ihr, Himmlische, und du, oberster Fürst der Götter, habt die Stimmen der Herzen erhört, die betrübt und voll Tränen waren. Ich habe nicht vor tauben Ohren geklagt, ihr habt dem Wehklagen euer Ohr geliehen: (30) Dornau ist uns und sich selbst zurückgegeben. Hier weihen wir dir, heilige Salus, ehrfurchtsvoll einen Altar, mit diesem Weihrauch und Wein ehre ich dein Antlitz. Wenn irgendwo ein junges Mädchen hört, daß ihr Geliebter von einem sanften Wind an das Ufer getrieben wurde, den gerade noch der träge Nordwest inmitten der Wogen schwanken ließ und den seine vollen Segel dem Südwind anvertrauten, dann blickt sie seitwärts und unterdrückt ein mit Tränen vermischtes Lächeln, verkürzt ihr Warten mit alter Liebe, und es reute sie dann nicht, sich allein der Treue hingegeben zu haben; (40) für diesen Lohn blieb sie so lange Zeit ohne Geliebten – nicht anders, o mein Dornau, füllst du die Lücke wieder auf, die deine Krankheit schuf; unsere Jugend hört auf deinen hilfreichen Rat. Nun mag es dir vergönnt sein, so froh zu sein, wie du bisher krank warst. Dann wirst du kaum ein besseres Leben genießen können. Martin Opitz aus Bunzlau. [R.S.]

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Si quid forte dolor

C ARMEN E PICEDIVM stylo qui Lachrymas decet. Si quid forte dolor, si quid suspiria possunt, Si quid flebilibus tristia verba notis: Tecum, S ARTORI , junctis plangoribus omnes Has imus moestas jugiter exequias. Nos tibi sufficimus lachrymas, suspiria, planctus, Plenaque corda aegris sollicitudinibus: Cum dolor infandus fugitivo mistus amori, Largo rore tuis depluit ex oculis: Qualis in aërei proserpens culmine montis Riuus muscoso desilit e lapide, Et teneras herbas solatur, et aurea prata, Cum gravis exustos aestus hiulcat agros: Dum tua lux miti devicta sopore expirat, Et campis felix imminet Elisiis, Dulce nimis solatiolum, requiesque laborum, Quos vovit chara mens tua pro patria: Verum haec invidiae Fatorum obnoxia vitae Commoda caelestes non tetulere Dei: Sed laetis veluti ramis Astartica myrtus, Litoris accrescens lene supercilium, Surgit, et eximio formosa flore superbit. [B3r] Iam lepidis certae delitiae Dryasin, Defendit foliis superimpendentibus aestum, Et nimium grato frigore solstitium Arcet: jam Nymphae florem redimire corymbis, Sertaque temporibus pulchra parare parant. Mox ubi nimboso flat inexorabilis Auster Murmure, et in rabiem se induit aura suam, Nescia splendoris magis et magis elanguescit. Deciderunt flores, deciderunt folia. Iam sua nequicquam corrumpunt lumina Nymphae, Iam frustra tardae prosiliunt lachrymae. Sic tibi spem vitae, sic unica gaudia Fati Invida vis viduo sustulit e thalamo. Sed certe haec vanis deploras questibus: ora Frustra stant lachrymis humida facta tuis. Nequicquam quaerebat Hylam Tyrinthius heros, Flebile nequicquam continuabat opus,

Si quid forte dolor

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Trauergedicht in einem trauriger Stimmung angemessenen Stil. Wenn vielleicht der Schmerz, wenn Seufzer, wenn traurige Worte in klagendem Ton etwas bewirken können, verbinden wir alle, Sartorius, unsere Klagen und begehen gemeinsam mit dir dieses traurige Begräbnis. Wir schenken dir unsere Tränen, Seufzer und Klagen, unsere Herzen, die voll sind von Kummer und Sorge, während dir ein unaussprechlicher Schmerz, gemischt mit der Liebe zu der Entschwundenen, in reichem Tränentau aus deinen Augen strömt, so wie ein Bach, der auf dem Gipfel eines hoch in den Himmel ragenden Berges entspringt, (10) von moosbewachsenem Felsen herabstürzt: Er labt zartes Grün und goldene Weiden, wenn drückende Hitze ausgedörrte Felder rissig macht, während deine Liebste, von sanftem Schlummer überwältigt, verhaucht und glücklich den Gefilden der Seligen nahe ist, dein ach so köstlicher Trost, deine Zuflucht von den Mühen, die du in deinem Sinn der teuren Heimat zu leisten gelobt hast. Doch dieses Glück deines Lebens war dem Neid des Schicksals ausgesetzt: Die himmlischen Götter konnten es nicht ertragen, sondern, so wie die Myrte der Astarte, die mit ihren reichen Zweigen (20) an einem sanft geschwungenen Uferrand wächst, sich erhebt und in der Schönheit ihrer herrlichen Blüten prangt (schon jetzt das liebste Spielzeug anmutiger Dryaden), wie sie mit ihren von oben herab hängenden Blättern die Hitze abwehrt und mit wunderbar erfrischender Kühle die Glut des Mittsommers fernhält (schon wollen Nymphen die Blüten mit Efeutrauben umwinden und für ihre Schläfen schöne Kränze flechten), doch wie sie dann, wenn mit wolkenreichem Grollen der unerbittliche Südwind bläst und die Luft das ihr eigene Rasen beginnt, ihren Glanz vergißt und schwächer und schwächer wird. (30) Gefallen sind die Blüten, gefallen die Blätter; schon schlagen die Nymphen umsonst gegen ihre Augen, schon ergießen vergeblich und zu spät sich ihre Tränen – ebenso hat dir die neidische Gewalt des Schicksals die Hoffnung deines Lebens, deine einzige Freude aus deinem jetzt verwaisten Ehebett geraubt. Doch gewiß sind die Klagen umsonst, mit denen du dieses Unglück beweinst: Vergeblich schwimmt dein Antlitz in Tränen. Vergeb-

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VIR quem Fatorum

Frustra incusabat surdi periuria caeli, Qui respondebat nil nisi ventus erat. Tu quoque, SARTORI , fletu redderis iniquo Et minus explicitus, et magis implicitus. Martinus Opitius SiL!esius" L!ibens" M!erito"Q!ue" F!ecit"

*** Suo et Musarum succrescenti Amori cum Principem Literatum ederet MARTINUS OPITIUS SIL.

VIR quem Fatorum favor, et vis horrida Divum,

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Iusserunt mundo ponere jura suo, Utilius nullo deperdit tempore tempus. Quod patriae rebus subtrahit atque sibi, Quam quod jucundo chartarum donat amori: Nil hac jactura carius esse potest. Hoc non degeneri decurris fluminis ausu Eloquij, pubis victor ephebe tuae. Lancea ceu torquenda, globusque in vulnera nosse, Et caesim et punctim cernere, nomen habet, Dedecori non est facili insiliisse caballum Corpore, et insipidas fallere rete feras, Metiri castra, aucupiisque pilaque moveri, Nae mihi mos verè regius esse potest. Sed tamen hic altus generosi pectoris ardor, Aut morbo, aut (tanti est vivere) morte cadit. Longe aliter Princeps tuus, ô Nüslere, quiescit, Qui quam regno adimit ingenio addit opem. Haec tanto reliquas discrimine praevalet artes, Quam celso populum rex praeit ore suum. Vos pila, castra, enses, ales, rete, hasta, caballe, Este: homines istaec ars capit, illa Deos.

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VIR quem Fatorum

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lich suchte der Held von Tiryns seinen Hylas, vergeblich ließ er nicht ab von seiner trauervollen Suche, vergeblich klagte er den Meineid eines tauben Himmels an: (40) Was ihm antwortete, war nur der Wind. Auch du, Sartorius, wirst durch das Übermaß deiner Klagen nicht erleichtert und noch mehr beschwert werden. Martin Opitz aus Schlesien schrieb dies gerne und für einen, der es verdient. [F.F.]

*** Seinem und der Musen heranwachsenden lieben Freund, als er den Princeps literatus herausgab, [schrieb dies] Martin Opitz aus Schlesien Ein Mann, den die Gunst des Schicksals und die gewaltige Macht der Götter dazu aufgefordert haben, seiner Welt das Recht festzusetzen, der ‚vergeudet‘ zu keiner Zeit nutzbringender die Zeit, die er der Sache des Vaterlandes und sich selbst entzieht, als wenn er sie der erquickenden Liebe zu den Büchern weiht. Nichts kann wertvoller sein als dieser ‚Verlust‘. Mit diesem wagemutigen Einsetzen des Stromes deiner nicht gewöhnlichen Redegabe eilst du dahin, Jüngling, Sieger in deiner Mannschaft. Gleichwie die Lanze zu schleudern und mit der Kugel zu treffen (10) oder hieb- und stichweise kämpfen zu können Ruhm verheißt, so gereicht es auch nicht zur Schande, mit geschmeidigem Körper sich aufs Roß zu schwingen und das ahnungslose Wild mit dem Netz zu täuschen, das Feldlager abzumessen, sich bei der Vogeljagd und beim Ballspiel zu tummeln: Ja, dies kann mir als wahrhaft königliche Lebensweise gelten. Aber doch erlischt diese erhabene Glut einer edlen Brust durch Krankheit oder gar (so wenig ist das Leben wert) im Tod. Ganz anders genießt dein Fürst, mein Nüßler, seine Muße, der die Aufmerksamkeit, die er der Herrschaftsführung entzieht, seiner Geistesübung zuwendet. Diese übertrifft die übrigen Künste in solchem Maße, (20) wie ein König sein Volk durch sein erhabenes Antlitz überragt. Ihr, Ball, Lager, Schwert, Vogel, Netz, Lanze, Roß, mögt Euren Wert haben. Diese Kunst schlägt Menschen in ihren Bann, jene Götter. [R.S.]

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Quicquid id est Monsi

IO. MONSIO B!O"EM.!o"     µ.

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Quicquid id est Monsi, seu te diuina voluntas, Seu tua, vult alias iugiter ire vias. Ito bonis auibus, sistat te conscius Hermes, Qui, quam aliis monstrat nunquam iit ipse viam. Ito, sed in seros annos memor !esse" me!mento" Quam fuerit mecum dulce sodalitium. Nil te celaui sermonis prodigus: vnus Est qui me laudat candor, et vna manus. Hanc tibi cedo, mei non mendax pignus amoris, Hic erit extremos sartus adusque dies. Tu, nec enim vanis iacto me speribus, idem Quandiu in hoc fueris corpore, semper eris. [1v] Hoc voueo, haec calidis fundo suspiria votis, Annuat auspiciis his Deus ipse suis. Ito bonis auibus quacunque stat ire, per vrbes Per mare per campos per nemora et siluas. Non te saeva feri vexent spiramina Cauri; Nec Boreas saeuo murmure siluifragus. Sed tibi caelestis respirans aura fauoris Impellat ventis prospera vota suis. Vos o Tyndaridae felicia sidera, laeta Omnia p!er va"t!em" spargite latonium [?] Me vetat hesternus plura heic asscribere ructus.

RUCTANTEM CERTE NEMO GRAVARE POTEST. ''!« (

Mart. Opitius.

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Quicquid id est Monsi

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Für Johannes Monsius aus Böhmen ein Geleitgedicht aus dem Stegreif. Was auch immer es ist, Monsius, sei es der Wille Gottes, sei es der deine, er will, daß du fortwährend andere Wege einschlägst. Geh unter guten Vorzeichen, es möge dich der wissende Hermes führen, der selbst niemals den Weg ging, den er anderen zeigt. Geh, aber denke daran, bis in deine späten Jahre eingedenk zu sein, wie glücklich wir beide als Kameraden waren. Nichts habe ich vor dir, übersprudelnd in meiner Rede, verborgen: Einzig ist die Aufrichtigkeit, die mich lobt, und einzig die Hand. Diese überlasse ich dir, ein Pfand meiner Liebe ohne Lug und Trug, (10) diese wird – wohl gehegt – fortdauern bis zum Jüngsten Tag. Du wirst, da gebe ich mich nicht eitler Hoffnung hin, immer derselbe sein, solange du in diesem Körper bist. Dies erflehe ich, diese Seufzer verströme ich mit innigen Gelübden, Gott selbst möge ihnen durch seine günstigen Zeichen zustimmen. Geh unter guten Vorzeichen, wohin auch immer dir bestimmt ist zu gehen, durch Städte, über das Meer, durch Felder, durch Haine und Wälder. Das schreckliche Wehen des wilden Caurus möge dich nicht quälen, auch nicht der Waldbrecher Boreas mit schrecklichem Getöse. Vielmehr möge dir der Hauch himmlischer Gunst entgegenwehen (20) und die günstigen Wünsche mit seinem Wehen antreiben. Ihr jedoch, Tyndariden, glückverheißende Gestirne, streut durch den [latonischen] Seher alle Freude. Mein gestriges „Aufstoßen“ verbietet mir, hier mehr hinzuzusetzen.

An einem Aufstoßenden kann gewiß niemand Anstoß nehmen. Um unserer aufrichtigen Freundschaft willen Martinus Opitius. [H.B., V.M.]

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Nullis scripta notis

C HRISTOPH . S CHWARTZBACHIO, Viro Clarissimo et Ornatissimo, cùm laureâ Poetica publicè et sollemniter insigniretur.

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[B6r] Nullis scripta notis, numeris formosior ipsa Omnibus Idaliâ dia Poësis erat. Cum sancti quondam nativo fonte Quirites Gaudebant puris, nec sine melle, jocis. Nunc forma nudata sua jam tempora moerent, Lenonesque notho lumine stant oculi, Pallor in ore sedet mendaci, ossa oßibus haerent Murcida, sufficiunt nec sua membra sibi. Huc juvenum examen pariter pariterque virorum Fertur, in exitium promta caterva suum. Illa levi cellâ, tituloque superba procaci Prostat, et in censu pro meretrice sedet. Plus sceleris nusquam est. O majestatis avitae Heroina tuum quae tulit aura decus! Cum revoco mihi prisca tuae miracula formae, Nil videt ad vestras nox hodierna faces. Qui cupiat tibi fortè tuum reparare decorem Vix, si ineas numeros, alter et alter erit. Quos inter, S CHWARTZBACHIADE , non ultima laus es, Nec tibi degeneri contigit ore loqui. Quare, Q UOD F AUSTUM A C F ELIX sit, disce vocari Pars Phoebi. En venae praemia digna tuae. Felicem Comite hoc te Vatem, qui auget honorem Quem quis habet, donat quem quis habere nequit. M ART . O PITIUS S ILESIUS.

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Nullis scripta notis

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Für Christoph Schwartzbach, den anerkannten und berühmten Mann, als er öffentlich und feierlich mit dem Dichterlorbeer ausgezeichnet wurde. Ohne Einschränkung hochgeschätzt und in jeder Hinsicht schöner als Venus war die göttliche Poesie, solange einstmals die unverdorbenen Römer sich ihrer ursprünglichen Quelle erfreuten und der reinen Scherze, die voll Honig waren. Heute hat ihr Antlitz seine Schönheit eingebüßt und sieht jämmerlich aus, ihre kupplerischen Augen haben einen fremden Ausdruck. Blässe liegt auf ihrem verlogenen Gesicht, sie besteht nur noch aus Haut und Knochen und kann sich kaum mehr ihrer Glieder bedienen. Und in diese Richtung stürzen sich Jünglinge ebenso wie Männer in Scharen, (10) die ganze Schar zu ihrem Verderben bereit. Sie aber bietet sich in ihrer verlotterten Zelle feil, stolz auf ihren schamlosen Titel, und gilt bei der Einstufung für eine Hure. Nirgendwo gibt es ein schlimmeres Verbrechen. O Heldin von altehrwürdiger Größe, welcher Wind hat dir deine Würde weggefegt: Wenn ich mir deine wunderbare frühere Schönheit vergegenwärtige, so hat die heutige Finsternis nichts mehr zu tun mit deinem Glanz von einst. Es werden sich, wenn du sie auflisten wolltest, nur ganz wenige finden, die dir vielleicht die alte Würde wiederverschaffen möchten. Unter diesen genießt du aus dem Geschlechte der Schwartzbach nicht den geringsten Ruhm, (20) und es ist dir ja auch nicht gegeben, in heruntergekommener Sprache zu reden. So gewöhne dich denn daran, und dazu sei dir Glück gewünscht, ein Jünger Apolls genannt zu werden, und nimm hier den deiner Begabung gebührenden Preis entgegen. Glücklicher Dichter, der du den als Pfalzgrafen hast, der den Ruhm mehrt, den einer hat, und der Ruhm verleiht, den einer nicht haben kann. Martin Opitz aus Schlesien. [F.R.]

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GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI

NUSSLERI PROPEMPTICA

GUILIELMI COTHURNI ET B ERN . G UILIELMI NUSSLERI

Ornatissimorum Juvenum PROPEMPTICA , cum Marpurgum studiorum gratia abirent. MARTINUS OPITIUS

scripsi. B ETHANIAE AD O DERAM L ITERIS T YPOGRAPHICIS J OHANNIS D ÖRFERI . [A2r] A D G UILIEL . C O THURNUM

Ornatissimum Juvenem.

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NOn ulla virtus est decentior viro, Ac candor et fidelitas fuci carens. Hanc laudis arrham malo, quam si consciae Per ora plebis dicerer nequam vafer, Gnarusque blandi vulpis Hetruscae doli. Quamvis fere omnis mundus histrioniam Exercet istam: fraudum acutus artifex Bonus politicus audit, et vitae aulicae Edoctus artes. Fulmen istas bestias Disperdat, ore mella qui fantur suo, Fel corde condunt, ac Sinonia fide Fallunt amici simplicis pectus probum. Profecto non sic execro Ditis domum, Ac hos luparum filios, sacras bonae Mentis luelas, callide qui se tegunt Sub pelle ovina: pharmacum aspidis cutis Formosa celat. Haec Pelasga humanitas [A2v] Crudelitate est qualibet crudelior. Non ista nobis, mi Cothurne, mens fuit: Nos corda bina contubernio unico

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Geleitgedichte für die hochgeachteten jungen Männer Wilhelm Bundschuh und Bernhard Wilhelm Nüßler, als sie zum Studium nach Marburg aufbrechen wollten, schrieb ich, Martin Opitz. Beuthen an der Oder, gedruckt bei Johannes Dörffer.

An Wilhelm Bundschuh, den hochgeachteten jungen Mann Keine Tugend steht dem Manne besser als treue Aufrichtigkeit, die frei ist von Verstellung. Diesen Ruhmestitel will ich lieber haben, als wenn ich im Munde des eingeweihten Pöbels als ein verschmitzter Nichtsnutz geführt würde, der die schmeichelnde List einer etruskischen Füchsin beherrscht. Gleichwohl übt fast alle Welt ebendiese Schauspielkunst aus. Ein gewitzter Betrüger gilt als guter Staatsmann und als bewandert in den Künsten des Hoflebens. Der Blitz soll diese Bestien (10) vernichten, die mit dem Mund Honig reden und im Herzen Galle verbergen und mit der Treue eines Sinon das ehrliche Gemüt eines einfältigen Freundes täuschen. Fürwahr, ich verfluche das Haus des Unterweltsgottes nicht so sehr wie diese Hurensöhne, diese verdammte Pest für einen geraden Sinn, sie, die sich schlau unter einem Schafspelz verstecken: Eine hübsche Haut verbirgt das Gift der Viper. Diese Menschlichkeit nach Art der Griechen ist grausamer als jede Grausamkeit.

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Artissime ligata conservavimus, Diuque nos amavimus bona fide. Et hac manebo mente, dum mî spiritus Fovebit artus. Quem semel mihi eligo, Semper reservo: nescius constantiae Illius inconstantis, inter Liberi Quando calorem se novus miscet calor Condendi amoris intimi. Fraternitas, Ructum inter atque faetidam trullam sata, Quidnam potest olere quam tales locos Unde exilivit. É culina qui venit, Praefert saporem. Nil diutius moras AEvi caduci sustinet, quam literas Innatus inter et libros tenax amor. Hic nos catena non solubili ligat, Hic nos ligabit: ito, sive Mauritî Herois invidendi Athenaeum placet, Sive alia terra, semper isto pectoris Tamen latebis abditus specu mei. [A3r] AD B. GUIL. NUSSLERUM adolescentem doctissimum et ad studia natum ELEGIA .

IBIS ad Haßiacas sine me divulsus Athenas,

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O juvenis, patriae fama futura tuae. Ibis, et e vatis dilecti pectore, cunctas Tecum delitias, gaudia cuncta trahes. Nec te noster amor, nec te fraterna movebit Cura, nec à madidis litera tincta genis. Omnia sunt infra rigidam mea carmina mentem, Inveniunt nullam verba benigna fidem. Sic ubi virgineis deceptus amator ocellis Ardet, et implacido tactus ab igne perit: Heu quas non lachrymas, quae non suspiria fundit; Curvarent miserae saxea corda preces. Illa sua sibi mente placet, ridetque dolentem, Ac gaudet vultus talia posse suos,

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Das, mein Bundschuh, war nicht unsere Haltung. (20) Wir haben unsere beiden Herzen bewahrt, indem wir sie aufs festeste in einzigartiger Gemeinschaft verbanden, und lange sind wir einander schon vertrauensvoll zugetan. Und so werde ich es halten, solange der Lebensgeist mir die Glieder stärkt: Wen ich einmal mir erwähle, dem halte ich stets die Treue. Jene unbeständige Beständigkeit kenne ich nicht, wenn beim feurigen Wein neuer Feuereifer von beiden Seiten zusammenkommt, um einen innigsten Liebesbund zu schließen. Eine Freundschaft, begründet zwischen Rülpsen und stinkenden Nachttöpfen – (30) wonach kann die schon riechen als nach den Örtlichkeiten, an denen sie entstand? Wer aus der Küche kommt, bringt ihren Geruch mit. Nichts hält sich länger im holprigen Lauf der Zeit als eine feste Freundschaft, die entstanden ist, während man sich mit Wissenschaft und Büchern beschäftigte. Diese Freundschaft verbindet uns mit einer unlösbaren Kette, und sie wird uns auch künftig verbinden. Geh nur! Ob dir nun die Bildungsstätte des beneidenswerten Helden Moritz gefällt oder ein anderer Landstrich, stets wirst du doch hier, im tiefsten Grunde meines Herzens, verborgen sein.

An Bernhard Wilhelm Nüßler, den hochgelehrten und für die Wissenschaften geborenen Jüngling Elegie. Du reißt dich los und wirst ohne mich nach dem hessischen Athen ziehen, bester Jüngling, künftiger Ruhm deiner Heimatstadt. Ziehen wirst du und aus dem Herzen des befreundeten Dichters zugleich mit dir selbst alles Vergnügen und alle Freuden reißen. Weder meine Liebe noch die Sorge deines Bruders werden dich rühren noch ein Brief, feucht von den Tränen, die die Wangen herabfließen. All meine Gedichte sind schwächer als dein hartes Herz, gute Worte finden kein Gehör. So wie der Liebende, wenn er, von den schönen Augen eines Mädchens getäuscht, (10) entflammt und von heftigem Feuer erfaßt vergeht – welche Tränen vergießt er nicht, welche Seufzer seufzt er nicht! Seine kläglichen Bitten würden sogar steinerne Herzen erweichen. Sie aber gefällt sich selbst im Grunde ihres Herzens und verspottet den Leidenden und freut sich, daß ihr Anblick sol-

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GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI

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Forsitan et reliquis narrat sua facta puellis. Non est gens toto vafrior ulla solo. I tamen, et claras illic diffunde per artes Sedulus, ingenii munera larga tui. Non etenim invideo. Tua nam quoque gloria nostra est, Nec minor hoc nobis laus ab honore venit. Atque ita sim felix, lateri comes impiger irem, Nec mihi vis ausus sisteret alta meos: Ah quam dulce foret generosis gaudia curis, Doctaque festivis jungere verba logis, [A3v] Interdum posita cunctorum mole laborum, Solari blanda taedia longa chely, Innocuisque jocis. Chorda uno dißilit ictu, A nimium rigida sub juga tensa manu. Sed votis illac pertingere possumus unis, Mi Nüßlere, licent caetera sola tibi. Non tamen iccirco videar desertus; et hic est Quod poßit nostram crede levare sitim. Me procul à vani defendit sordibus aevi Scultetus, nostri Phoebus Apollo soli: Incorrupta illibatae virtutis imago, Dives opum, ast animo ditior ipse suo. Hic tenerae clemens dat amica silentia Musae, Ac fovet ingenij dona minuta mei. Sic querula explicita Pandionis ales in umbra Suaves solicito concinit ore sonos. Sic mihi vita ruit. Tenera cum matre Cupido Idalius vati dulce ministrat opus. Cumque laborato sublimius ire cothurno Possem, et Mantoo tradere vela Noto, Arridens vafro Cytherea venustula nutu, Monstrat virgineos imperiosa sinus. Ista palaestra tua est, ait, haec sunt praelia, nervos Hic licet intendas chare Poëta tuos. Quid facerem? praestat tam suavi morte perire, Claudere quam extremum militis ense diem. Et nunc totus amo: sed non constanter. In una Qui perit, hic nimium relligiosus amat. Lesbia formosa est, non est deforme Neaera Monstrum, nec tua nil Naso Corinna placet.

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ches vermag. Womöglich erzählt sie den anderen Mädchen auch ihre Taten: Auf der ganzen Erde gibt es kein Geschlecht, das gerissener wäre als dieses. Ziehe dennoch dahin und verschenke dort durch weitberufene Künste fleißig die reichen Gaben deines Geistes. Ich neide es dir nicht, denn dein Ruhm ist auch der meinige, (20) und mir wird durch diese Ehre kein geringeres Lob zuteil. Und bei meinem Glück, ich wäre als nimmermüder Begleiter an deiner Seite, und nicht einmal höhere Gewalt würde meine Vorhaben aufhalten. Wie schön wäre es, Freuden mit gewichtigen Sorgen und gelehrte Worte mit heiteren Geschichten zu verbinden, bisweilen die Last all der Mühen abzulegen und mit schmeichelndem Leierspiel und harmlosen Scherzen sich über langwährende Plagen hinwegzutrösten. Die Saite reißt bei einem einzigen Anschlag, wenn sie von einer zu starren Hand gespannt wurde. Aber nur mit Wünschen kann ich dorthin gelangen, (30) lieber Nüßler, alles andere steht allein dir offen. Doch sollte ich deshalb nicht verlassen scheinen; auch hier ist etwas, das, glaube mir, meinen Durst lindern kann. Fern von den schmutzigen Geschäften unserer eitlen Zeit beschützt mich Scultetus, der gelehrte Apoll unseres Landes, ein unversehrtes Bild ungeschmälerter Vortrefflichkeit, reich an Besitz, doch in seinem Herzen noch reicher. Der schenkt der zarten Muse freigebig freundliche Stille und fördert die geringen Gaben meines kleinen Talentes. So singt der klagende Vogel Pandions, wenn Dämmerung sich verbreitet, (40) mit seinem emsigen Schnabel süße Klänge. So eilt mein Leben dahin. Der idalische Cupido und seine reizende Mutter gewähren dem Dichter eine angenehme Aufgabe. Und als ich auf dem mühselig verfertigten Kothurn höher einherschreiten und meine Segel dem Südwind aus Mantua hätte anvertrauen können, lachte die schöne Göttin von Kythera mit verschmitztem Nicken und wies gebieterisch auf den jugendlichen Busen: „Dies“, sagte sie, „ist deine Arena, dies deine Kämpfe: hier darfst du deine Muskeln spielen lassen, mein lieber Dichter.“ Was hätte ich tun sollen? Es ist besser, einen so süßen Tod zu sterben (50) als den letzten Tag durch das Schwert des Soldaten zu enden. Und nun liebe ich ganz, aber nicht beständig: Wer wegen einer einzigen zugrunde geht, der liebt zu bedenkenvoll. Lesbia ist schön, Neaera

DIstrahitur binis

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[A4r] Omnibus est aliquid quod se commendet amanti. Vatibus hic fastus solus inultus abit. Securo ingredimur Romana cubilia passu: Cum volumus, nobis Graecia tota patet. Sic vivam casto deperditus igne, libellis Heroisque satis tutus amore mei. Iam cernis tanti num sit tuus ardor, ut optem Propter te patriam linquere posse meam.

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Vidi qui facili narraret Stoa puellae Dogmata, et in medio scita seuera sinu: Ast haec nescio quid Stoum poscebat, et ipso Si quid durius est marmore Stoicidum. Stultum olet haec sapientia. Qui pro tempore vafre Desipit atque loco cum ratione furit.  5

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inquit Astyl!us" In Longi Pastoral!ibus" ECQVANTVM RESTAT Mart. Opitius Bol. Sil. amicae beneuol. ergo L. M. Q. apposuit 2. m. April die M DC XVII.

*** J. MELIDEO V. CL. Poetae et Oratori excellenti: Cùm hodiernos Oratores et Poetas antiquis contulisset.

DIstrahitur binis doctorum natio sectis:

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Haec vetus eloquium dejicit, illa novum Nil Criticae felli, nisi saecula prisca probantur; Rhetoras et Vates sola tulere bonos. Ecce Poêtastris quae stat sententia nostris!

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ist auch kein mißgestaltetes Ungeheuer, und auch deine Corinna, Naso, gefällt. Alle haben etwas, das sie dem Liebhaber empfiehlt; dieser Stolz kommt allein bei den Dichtern ungestraft davon. Mit sicherem Schritt betrete ich römische Schlafgemächer; wenn ich will, steht mir ganz Griechenland offen. So möchte ich leben, von keuscher Brunst dahingerafft, (60) ganz im Schutze der Bücher und der Zuneigung meines Mäzens. Jetzt siehst du, ob mein Verlangen nach dir so schwer wiegt, daß ich wünsche, deinetwegen meine Heimat verlassen zu können. [F.R., R.S., W.-W.E.]

*** Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen steife stoische Lehren vorerzählte und strenge Grundsätze an ihrer zarten Brust. Sie jedoch verlangte etwas stoisch Steifes oder sogar etwas Härteres, wenn es das geben könnte, als den Marmor der Stoiker. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schließen, der den Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit all seinem Verstand rast. Ich schwöre bei den Mädchen, daß ich nicht lüge. Dies sagte Astylos im Hirtenroman des Longos. Und wieviel bleibt mir noch zu tun! Martin Opitz aus Bunzlau in Schlesien setzte dies aus freundschaftlicher Gesinnung freudig und mit Fug und Recht hierher am 2. April 1617. [R.S.]

*** An den hochgeachteten Jonas Melideus, den hervorragenden Dichter und Redner, anläßlich seines Vergleichs der modernen Redner und Dichter mit den alten. In zwei Parteien spaltet sich das Volk der Gelehrten: Die eine verwirft die Beredsamkeit der Alten, die andere die der Neueren. Vor der gallenbitteren Kritik der letzteren finden nur die alten Zeiten Gnade: Nur diese brachten gute Redner und Dichter hervor. Und dagegen nun die Meinung unserer heutigen Dichterlinge: Wir sind es, die etwas von der Sache verstehen; die Gedichte der Alten

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ARdentes oculi

Nos sapimus; veterum carmina rancor habet. Error in utroque est, Jona Clarissime. Sed tu Ad pacem laetas tollis, Amice, faces. Antiquos colimus submissis fascibus: aetas Non tamen ex ausis excidit ista suis. Omnibus ex merito pretium est. Laudare solemus Sic nummos Veteres, nec reprobare novos. Martinus Opitius.

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ARdentes oculi, radiantia tela puellae,

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Membraque Riphaeâ candidiora nive; Vobiscumnè velit virgo deponere, forma Conspicua in nostris sit licet illa plagis? Saepè, nec infiteor, vultus miratus honorem Obstupui, inque oculis haesit imago meis: Quae tibi nunc soli discet servire marito, S CHUBERTE , et soli posse placere tibi. O te felicem nimiùm tàm divite praedâ? Innocuae florem virginitatis habes. Credo equidem, nec vana fides, corrumpet ocellos Lachrymulis, sibi quòd ire necesse siet. Certè dejectum videor mihi cernere vultum, Quo prius ignotum dissimulabit opus. Hic patris, hic matris charae jactura vetabit, Hic timor, et primi visque pudorque thori. Hic vitta obstabit positis sine lege capillis; Hic os pallebit, hic oculi atque genae. Mira sibi confinget, et omnia tuta timebit, Quodque tibi objiciet, istud et istud erit. [B3r] Ut plebs virginea innumeris contendere causis Novit, et è nata re simulare moras. Tu pacem promitte, et contrà audentior ito. Omnem, crede mihi, nox fugat una metum. MARTINUS OPITIUS. ex tempore lusit.

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riechen ranzig. Beide Parteien sind im Irrtum, würdiger Jonas. Aber du, lieber Freund, läßt zur Versöhnung die Freudenfackeln leuchten. Die Alten verehren wir voller Respekt; (10) und dennoch tragen auch ihre kühnen Werke die Spuren ihrer Zeit. Allem kommt der Rang zu, den es verdient: So pflegen wir alte Münzen zu loben und dabei doch die neuen nicht zurückzuweisen. Martin Opitz. [R.K.]

*** Ihr strahlenden Augen, glänzende Waffen eines Mädchens, und ihr Glieder, weißer als der Schnee der riphäischen Berge! Sollte die Jungfrau zusammen mit euch ihren Namen aufgeben, wo sie doch durch ihre Schönheit hierzulande aller Blicke auf sich zieht? Oft, ich leugne es nicht, war ich starr vor Bewunderung für den Adel ihrer Züge, und ihr Bild schwebte mir andauernd vor Augen. Und diese wird nun lernen, nur dir, Schubert, als ihrem Gemahl zu dienen und nur dir gefallen zu dürfen. O, wie überglücklich kannst du mit einer so reichen Beute sein! (10) Die Blüte unschuldiger Jungfräulichkeit ist dein. Ich glaube allerdings, und das ist keine bloße Einbildung, daß sie sich mit vielen Tränchen die Äuglein ausweinen wird, weil sie, wie sie weiß, diesen Weg gehen muß. Ja, ich sehe schon den gesenkten Blick vor mir, mit dem sie das bislang unbekannte Geschäft abwehren will. Da wird der Verlust des Vaters, da wird der Verlust der geliebten Mutter Anlaß zum Einspruch sein, da die Furcht und die gewaltsam verletzte Schamhaftigkeit der ersten Nacht. Da wird ein Stirnband ihre frei flatternden Haare zügeln, da wird ihr Gesicht, da werden ihre Augen und Wangen erbleichen. Merkwürdige Dinge wird sie sich einbilden und sich vor allem fürchten, auch wenn es ganz harmlos ist, (20) und sie wird dir dieses und jenes vorhalten, so wie es das Mädchenvolk eben versteht, mit zahllosen Vorwänden seine Sache zu verfechten und je nach Lage der Dinge neue Hindernisse zu erfinden. Versprich du nur Frieden und gehe um so dreister zu Werke: Eine einzige Nacht, glaube mir, vertreibt alle Furcht. Aus dem Stegreif gedichtet von Martin Opitz. [R.K.]

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EST locus haud ulli visus

ILle parens tenerae fidusque auriga juventae,

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Ille Heliconiadum non temeratus amor, Attigit optatam malè-grato in pulvere metam, Et corpus, major corpore, cedit humo. Occurrit cupidis morti imperterritus ulnis, Excipit haud ullo fata suprema metu. Quám bene quos docuit felici vivere vitâ, Instituit faustâ nunc quoque morte mori. M ARTINUS O PITIUS.

*** GEORGIO VECHNERO cùm Doctor Theologiae crearetur.

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Non solùm terra ista tuos, Vechnere, labores Novit, ut in patriam mentem animumque tuam. Longè se claras virtus tua vexit in auras, Et juvenem laudat fama senecta virum. Jam qvoqve te sancti praenobile culmen honoris Servat, ut hic testem nominis hujus habes. Gratulor hîc nobis qvoqve, nam vix fiet, ut in te Laus non et nostros evehat ista locos.

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EST locus haud ulli visus, (nisi forte Poetis,

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Queis Lunae quoque regna patent, et mystica divûm Consilia, ignotique etiam sine nomine mundi.) Quà nostri firmo amplexu confinia caeli Concurrunt, fictis Atlas queis consulit armis. Hic Veneris stat sancta domus, hic mollis Amorum Gens habitat: tristi pars miscet dulce venenum Ambrosiae, nectarque gravi confundit aceto: Pars rigidas parat ista faces: Pars ista sagittas, Dissimiles per cuncta sui, variique tenoris Conficit: hae fatuas stulto mucrone lacessunt Mentes, ut persaepe suae contagia vitae Ignorent, generisque sibi majoris amorem Affectent, poenasque suis dent moribus ipsi: Aut oblita etiam non raro stemmatis alti

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Dieser Vater und treue Lenker der zarten Jugend, dieser untadelige Liebling der Musen ist im undankbaren Staub an das ersehnte Ziel seiner Bahn gelangt und überläßt, weit mehr als bloß Körper, seinen Körper der Erde. Er lief dem Tod unerschrocken mit sehnsüchtigen Armen entgegen und nahm ohne alle Furcht das ihm bestimmte Ende an. Wie gut hat er die, die er ein glückliches Leben zu führen lehrte, nun auch unterwiesen, einen gesegneten Tod zu sterben. Martin Opitz. [R.K.]

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*** Für Georg Vechner anläßlich dessen Promotion zum Doktor der Theologie. Nicht allein dieser Landstrich kennt deine Leistungen, mein Vechner, wie du deinen Geist und Sinn für deine Heimat einsetzt. Weithin hat sich dein Verdienst ins helle Licht der Öffentlichkeit gehoben, und den jungen Mann ehrt der Ruhm eines Greises. Nun trägt dich auch der erhabene Gipfel einer anerkannten Ehrung, wie du hier den Zeugen dieses Namens hast. Ich beglückwünsche an dieser Stelle auch uns, denn es wird kaum geschehen, daß dieser dein Ruhm nicht auch unseren Stand emporhebt. [R.S.]

*** Ja, es gibt einen Ort, den keiner jemals erblickt hat (Außer vielleicht den Poeten, die Länder im Monde, geheime Göttergespräche, sogar manche Welt ohne Namen besuchen Dürfen, die keiner kennt), wo in enger Umarmung des Himmels Grenzen, die Atlas bewacht mit Schultern der Sage, verfließen. Da steht ein Haus, das heilige Haus Aphrodites, darin wohnt Schelmisches Volk: die Eroten. Die einen mischen ein süßes Gift zu betrübender Speise der Götter, vermengen mit bittrem Essig den Nektar. Und andre verfertigen furchtbare Fackeln, Wieder andere Pfeile, in allem verschiedne, verschiedner Wirkung: Ein Teil verletzt mit besinnungraubender Spitze Toren, so daß sie sehr oft Gefahr für ihr Leben mißachten, Liebesverbindung erstreben, die über den eigenen Stand reicht, Schließlich für ihre Verfehlung Bestrafungen hinnehmen müssen; Oder die Pfeile verdunkeln nicht selten betörte Gemüter

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Nobilis occaecant praecordia capta juventae, Vt positas infra majorum nomina sordes Defigant animo, mediaque è faece popelli Obscuri servas mercentur munere noctes. Hae vultus feriunt, et visus lumina damnant, Vt credant Helenae exemplar se perdere, cum vix Virginis os et membra gerat. Confecta suprema Si macie fugiunt deformia vulta, tenellam Dicunt: aut nimio si se vix pondere molis Suffartae trahit, eximia gravitate superbit. Si lusca est, blandum patrantes frangit ocellos, Et vultu loquitur; si vix quoque noctua cernit, [C1r] Dissimulat Veneris lusus, et deijcit ora. Scilicet haud opus est nimium, tum posse videre, Cum facimus quod tentat Amor: quaeque omnia claudit Nox non multum oculos, quia caeca est ipsa, requirit. Hae, nec enim nostri teneant oblivia mentem, Vatum corda petunt, qui quod non vidimus unquam Doctis prosequimur lacrymis, auramque papyro Credimus aeternae, nec nostro insania cordi Displicet, atque ipso revocantur pectora morbo. Quosdam, lucidior queis risit ab aethere Phoebus, Ancillae mendax depictae vexat imago, Ne nil prorsus ament: sic Thrax gladium, Italus hastam, Ignem Persae, Arabes lapidem vice numinis orant. Infelix amor ô nimium solaque beatus Hac facie, tuto quod plane Henrice, timemus, Ne quis ad incautam tendat rivalis amicam, Ingratusque hospes nostra se jactet in aula. At tibi felicis multo gratissima teli Mentem animi, praeclare virùm, confixit arundo. Cerne tuae vultùs et caelica lumina Nymphae, Cerne comas, ac labra rosis, et colla pruinae AEmula: quicquid habet soli tibi subdere discet Sponsa, tibi casti deponet signa pudoris. O dulces animae. Vobis latitantia caelo Sidera praecipitant: ite ultum Cypridos ignem, Sit gravis ille licet, vel gutta extinguet amoris. O par formosum vestro indulgete calori: Casta ligustra cadant, vacinia nigra legantur:

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Adliger Jugend, so daß sie, den vornehmen Stammbaum vergessend, Ihre Gedanken auf Abschaum weit unter der Würde der Ahnen Richten und Nächte, mit Mägden ganz tief aus des ruhmlosen Pöbels Schmutzigem Unflat verbracht, mit Geschenken erkaufen. Und andre Treffen das Antlitz und schaden den Augen, so daß die Getroffnen Glauben, ein Muster der Schönheit, das Helena gleicht, zu verlieren, Hat sie nur grad’ das Gesicht und den Körper von Mädchen. Sofern ihr Häßlicher Leib, entstellt von der schlimmsten Magerkeit, wegsiecht, Nennt man sie „zart“. Und wenn sie sich unter dem Übergewicht der Fülligen Formen dahinschleppt, dann heißt’s: „Stolziert voller hoher Würde.“ Für Schielende sagt man: „Gebrochenen Blickes erreicht sie Schmeichlerisch viel, sie hat so redende Augen.“ Und wenn sie Kaum etwas sieht, wie Eulen: „Mißachtet die Spiele der Liebe, Senkt ihre Blicke verschämt.“ (Und freilich erfordert es wenig, Sehen zu können, sobald wir verrichten, was Amor verlangt, denn Nacht – sie ist blind – verdunkelt das alles und mag nicht besonders Augen.) Und andere Pfeile – ich will meiner selbst nicht vergessen – Zielen aufs Herz der Dichter: Wir leisten dem niemals Erlebten, Weinend mit Tränen voll Bildung, Geleit, übergeben ein Lüftchen Ewig beständ’gem Papier, unser Wahnsinn gefällt uns nicht übel; Grade durch diese Erkrankung gelangt unser Herz zu sich selbst erst. Manche, denen vom Himmel die Sonne zu kräftig gelacht hat, Trügt das täuschende Bild einer Magd ihrer Vorstellung derart, Daß sie nichts anderes lieben: So beten, anstelle der Gottheit, Thraker das Schwert und Römer die Lanze an, Perser das Feuer, Araber Steine. O Liebe, zu traurige Liebe, von einem Bilde erfüllt nur; dies fürchten wir, Heinrich, fürchten gewiß es: Irgendein böser Rivale umgarne die arglose Freundin, Prahle an unserem Hof herum, ein verwünschter Besucher. Dir aber, herrlicher Mann, durchbohrte das Herz der bei weitem Reizendste Pfeil eines Schusses, der Glück bringt. Betrachte das Antlitz, Schau auf die himmlischen Augen des dir gehörenden Mädchens, Schau auf ihr Haar, ihren Mund, der den Rosen, den Hals, der dem Schnee gleicht: Alles, was immer die Braut besitzt, sie wird es noch lernen, Dir allein es zu schenken, für dich wird sie Zeichen der Reinheit, Keuschheit verlernen. Gestirne, am Himmel verborgen, sie stürzen Eilig hernieder für euch, ihr Geliebten; nun eilt, Aphrodites Noch so heftigen Brand zu löschen; ein Tropfen der Liebe Löscht ihn. O schönes Paar, willfahrt eurer Hitze! Es falle Keuscher Liguster dahin, Hyazinthen erlest euch, die schwarzen!

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AESTUO, nec voti

Nec vos poeniteat thalamo trivisse labella, Et laetos dulci pugna committere flores. Sed quid ego haec frustra, quae nox docet ipsa, revolvo? Martinus Opitius Silesius.

*** C ARMEN H EROICUM .

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AESTUO, nec voti novit se terminus, omnis Incerta sub mole precum versatur imago. Plus est quod vero patriae debemus amori, [A3v] Quam quod quisque sibi; nec commoda publica tanto Sunt fraudanda bono. Deus est, Deus, ille vigorem Et mentis commissa tuae tibi munera, forti Confirmabit ope; quamvis tot mille labores Incumbunt Scultete tuo celsissime collo. Non equidem invideo requiem, et jam tempora cana Multum sparsa nive, faciesque exercita curis, AEtatem superant: sed tu tamen ardua facta Sublimesque animos patriae ne subtrahe nostrae, Et famae superesto tuae. Plus tendimus ultra, Qui reliquos infra nos linquimus. Una quietis Spes generosae animae est, nullam sperare quietem. Saltem parce tibi pater, et te conjugis oro Dilectae, natique tui non improba vota Commoveant. Tantum vix Thessala pharmaca vitae, Quantum cura nocet. Praestat superesse tenello Jncolumem Ascanio, celeri quam morte peremptum Linquere divitias haeredi. Exempla parentum Plus quovis rectore valent. AEnëia virtus Et facies veneranda patris prolem omnia magna [A4r] Attentare jubet. Spectaclum haud pulchrius ullum est, Ac quando magni patris non degener haeres, Virtutem assequitur clari genitoris avitam. Hos numeros tibi pono, pater charissime. Sed tu, Alme Deus, si te communia flectere vota, Si possunt lacrymae, sero tibi tale reposcas Nobile depositum coeli: concede quietem, Et morbos dispelle malos, curasque voraces

AESTUO, nec voti

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Freude bereite es euch, im Bett eure Lippen zu reiben Und in dem süßen Gefecht einander Blumen zu schenken, Fröhliche. Doch ist’s nicht nötig zu sagen, was euch die Nacht lehrt. Martin Opitz aus Schlesien. [G.B.]

*** Gedicht auf einen Helden. Ich bin in Unruhe, und das Ziel meines Gebetes kennt sich selbst nicht. Unter der Last der Ungewißheit stellen sich Bitten jeder Art ein. Mehr ist es, was wir der wahren Liebe zum Vaterland schuldig sind, als was jeder sich selbst schuldig ist; und der gemeine Nutzen darf nicht um ein solches Gut gebracht werden. Es gibt einen Gott, und jener Gott wird die Kraft und die dir anvertrauten Gaben deines Geistes mit kraftvoller Hilfe stärken, obgleich so viele tausend Mühen schwer auf deinem Nacken lasten, erhabener Scultetus. Ich mißgönne es dir nicht zu ruhen, und schon weisen deine Schläfen, die (10) stark mit weißgrauem Schnee durchsetzt sind, und dein von Sorgen zerfurchtes Antlitz über dein eigentliches Alter hinaus. Aber dennoch: entziehe du dein schwieriges Tun und deinen erhabenen Sinn nicht unserem Vaterland, und bleibe noch am Leben für deinen Ruhm. Über alle Grenzen streben wir empor, wenn wir die übrigen hinter uns lassen. Die einzige Hoffnung auf Ruhe besteht für eine würdige Seele darin, keine Ruhe zu erhoffen. Schone doch dich ein wenig, Vater, und mögen dich die nicht unberechtigten Bitten deiner geliebten Gattin und deines Sohnes bewegen. Kaum schaden thessalische Gifte dem Leben so sehr wie die Sorge. Besser ist es, dem zarten (20) kleinen Ascanius zuliebe gesund am Leben zu bleiben als, von einem raschen Tod dahingerafft, ihm, wenn er erbt, Reichtümer zu hinterlassen. Das Vorbild der Eltern zählt mehr als jeder Lehrmeister. Die Tapferkeit eines Aeneas und das verehrungswürdige Antlitz eines Vaters fordern den Nachkommen auf, alle großen Taten zu versuchen. Kein Schauspiel ist schöner anzusehen, als wenn der nicht unwürdige Sproß eines großen Vaters die alte Tapferkeit seines ruhmreichen Erzeugers erreicht. Diese Verse schreibe ich für dich auf, bester Vater. Doch du, gütiger Gott, wenn dich allgemeine Wünsche, wenn dich Tränen zu rühren vermögen, dann mögest du erst spät ein solch (30) edles Kapital des Himmels für dich zurückfordern. Gewähre ihm Ruhe, vertreibe die bösen Krankheiten, und möge der schnelle Nordwind die verzehrenden Sorgen

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SI posito

Praepes Hyperboreas Aquilo deportet in undas; Donec ovans animi, vitae satur atque dierum, In laetas patrii sedes succedat Olympi. M ARTINUS O PITIUS.

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I. SI posito tua dona vides livore maligno, Hoc etiam titulis adde, Bolesla, tuis: Sincerum erectumque virum labisque carentem, Cui virtus culmen cessit amica tuum. Non etenim dubiae suffragia languida plebis, Perversusque favor tale peregit opus: [A3r] Sed germana fides, verusque in pectore candor, Virtutisque sibi sufficientis amor, Doctrinaeque amplae dotes, et coelica fandi Munera, Nestoreo tota referta favo. Haec te S ENFTLEBI , Fato accedente benigno, Conspicuis auctum fascibus esse jubent. Quamvis illa tuae prudentia vivida mentis, Munera suspensa suscipit ista manu: Nempe subinsulsae novisti pectora plebis, Quoque magistratum praedicet ore suum. Ecce tibi nullo conscriptos ordine patres, Per condensati compita longa fori. Hi vigilant nobis, si dîs placet, omnibus; hi nos Certe haud exigua sedulitate regunt: His mens in lingua est; hi te, Respublica, servant, Ne quid non cauti forte Senatus agat. At tu, justitia divina vindice, vano, O praeclare virûm, ne moveare grege. Sed patriae atque tibi laetus te suffice; gratum, Ut desint homines, experiere Deum. II. Aonidum stabili qui sacra colebat amore Et libris totus deditus, atque sibi; [A3v] Assertos studiis tibi, Curia, tradidit annos, Proque suo celebrat nunc Helicone forum.

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in die hyperboreischen Fluten davontragen, bis Scultetus, frohlockend im Geiste, satt am Leben und an Tagen, dir in die glückseligen Gefilde des väterlichen Olymp nachfolge. Martin Opitz. [R.S.]

*** I. Wenn du die Mißgunst der anderen außer acht läßt und dann deine Gaben betrachtest, füge auch dies deinen Ruhmestiteln hinzu, Bunzlau: einen ehrlichen, aufrechten Mann ohne Makel, dem die Tugend, seine freundliche Helferin, den Platz an deiner Spitze zugestanden hat. Denn nicht die schwache Abstimmung einer wankelmütigen Bevölkerung und ihre Gunst, die sie oft dem Falschen schenkt, haben ein solches Werk vollbracht, sondern angeborene Vertrauenswürdigkeit und echte Redlichkeit im Herzen und Liebe zur Tugend, die sich selbst genügt, reiche Gabe der Gelehrsamkeit und das himmlische Geschenk der Beredsamkeit, (10) ganz voll von der honigsüßen Anmut eines Nestor. All dies fordert, daß du, Senftleben, wenn das Schicksal es freundlich zuläßt, die prächtigen Amtsinsignien erhältst, obwohl jene lebhafte Klugheit deines Verstandes diese Aufgaben mit zögernder Hand empfängt: Denn du kennst das Herz des geistlosen Volkes und weißt, wie es über seine Beamten redet. Doch sieh, da kommen die Ratsherren zu deiner Amtseinführung ohne feste Ordnung über die große Kreuzung des von Menschen erfüllten Marktes. Sie wachen für uns alle, wenn es die Götter wollen; sie regieren uns mit (20) gewiß nicht geringem Eifer; ihr Verstand äußert sich in ihren Worten; sie bewahren dich, Stadt, davor, daß der Rat nicht zufällig etwas Unvernünftiges tut. Du aber – die göttliche Gerechtigkeit wacht darüber – laß dich nicht von der törichten Masse bewegen, Bester unter den Menschen, sondern genüge freudig den Anforderungen des Staates und deiner selbst: Du wirst, wenn nicht die Menschen, doch jedenfalls Gott dankbar finden.

II. Der mit beständiger Liebe die Altäre der Musen verehrte und sich ganz den Büchern und sich selbst widmete, hat die für die Wissenschaft aufbewahrten Jahre an dich, Rathaus, übergeben und besucht nun anstelle des geliebten Helikon die Sitzungen.

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Ferax Bolesla

III. Qui quondam patrium docuit cum laude Lycéum, Jam sedet ad clavum, chara Bolesla, tuum. Officium sic officio succedere par est, Qui rexit juvenes, ut regat ille viros.

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IV. HIPPONAX. Ferax Bolesla, grande Slesiae lumen, Et hortulorum dulciumque rivorum, Sed et virûm nutricula alma doctorum; Quos forte nomen inter audiet pulchrum, Opitii non impotens tui Musa, Virgisque committenda poedagogorum; Sed sat virilis, sed decora, sed fulgens, Famaeque plena literariae Musa. Quam te relinquo non libenter, ô mater, Et matre si quid charius: sed hoc sidus Fatale nobis, et noverca Fortuna Mandat jubetque, destitutus ut plane [A4r] Et consilî expers omnis exteras terras Dehinc peragrem, inops, egenus, exulque; Ac absque nervis ambulem. Vale longum O officina, ô hospita alma Musarum, Vale beata: tuque, clare S ENFTLEBI , Et tu satelles Pacis aeque VVesseli, VVesseli amate praeco coelici verbi, Et tu togae corusca stella Namslere, Ac in parentis ipsius modum nobis Dilecte semper, ò amice Preibisi Integritatis, et modestiae antiquae: Et caeteri quibus favoris in vatem Scintilla restat ulla, queisque non restat, Valete cuncti, sospitesque florete. At nos miselli, pauperes et extorres, Fortasse frustra saepe, more Ulysseo, Optabimus videre patriae fumum! M ARTINUS O PITIUS Candid!atus" Poës!eos" et LL. !Legum" ac Philos!ophiae" Studiosus.

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Ferax Bolesla

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III. Der einst mit Erfolg am Gymnasium der Heimatstadt gelehrt hat, sitzt nun an deinem Steuerruder, mein geliebtes Bunzlau. Es ist recht, daß so Amt auf Amt folgt, so daß der, der die Jugend geführt hat, nun die Männer führt.

IV. Hipponax. Reiches Bunzlau, du strahlende Leuchte Schlesiens, nährende Mutter von Gärten und lieblichen Bächen, auch von gelehrten Männern – unter denen vielleicht auch die kundige und doch den Ruten der Schulmeister ausgelieferte Muse deines Opitz einen guten Ruf haben wird. Aber es ist ja eine recht tatkräftige, schöne und strahlende Muse, voll von literarischem Ruhm – wie ungern ich dich verlasse, die du mir Mutter bist (10) oder womöglich noch lieber als eine Mutter! Aber dieser Stern, der uns Unglück bringt, und die stiefmütterliche Fortuna verlangen und fordern, daß ich fortan völlig verlassen und ohne jeden Rat fremde Länder durchstreife, arm, hilflos und ohne Heimat, und kraftlos wandere. Leb wohl für lange Zeit, Werkstatt und gastfreundliche Wirtin der Musen, leb wohl und sei glücklich, auch du, großer Senftleben, und du, Begleiter des Friedens, gerechter Wessel, Wessel, geliebter Verkünder des himmlischen Wortes, (20) und du, schimmernder Stern der Toga, Namsler, und du, den ich immer wie meinen eigenen Vater liebe, mein lieber Preibisch, Mann von alter Rechtschaffenheit und Bescheidenheit: Und ihr übrigen, die noch einen Funken von Zuneigung zum Dichter verspüren, und auch die, die es nicht mehr tun, lebt alle wohl, und möge es euch gut gehen. Ich aber, unglücklich, arm und heimatlos, werde wahrscheinlich oft vergeblich wie Odysseus wünschen, den Rauch der heimatlichen Herde zu sehen. Martin Opitz, Kandidat der Dichtkunst und Student der Rechte und der Philologie. [R.S., W.-W.E.]

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ARISTARCHUS sive D E C ONTEMPTU Linguae Teutonicae. Auctore M ARTINO O PITIO. BETHANIAE , EXCUDEBAT JOHANNES DÖRFER .

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[A1v] Cicero pro P. Sextio. Amemus patriam, consulamus bonis: praesentes fructus negligamus: posteritati et gloriae serviamus: id esse optimum putemus, quod erit rectissimum: speremus quae volumus, sed quod acciderit, feramus: cogitemus denique, corpus virorum fortium magnorumque hominum esse mortale, animi vero motus et virtutis gloriam sempiternam.

[A2r] MAGNIFICIS ET NOBILISSIMIS V IRIS, D N . FRIDERICO à Kreckwitz et Au¤en in Denchwitz etc.

ET DN. VVIGANDO à Gerßdorff in Lindaw/ E QUITIBUS S PLENDIDISSIMIS.

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IN Orbe hoc universo, Viri Nobilissimi, nihil homine, in homine nihil animo praestantius fabricator sapientissimus collocavit. Quae excelsa mens et coeli, unde originem trahit, aemula, unumquenque nostrum studiis certis et cogitationibus donat. Nec quisquam mortalium tam iniquo fato vivit, qui non semina aliqua virtutis concipere secum audeat. In hoc tamen communi aestu, varijs affectibus et curis rapimur quisque, pro ingenii nostri, aut sor-[A2v]tis in quam nati sumus, dignitate. Eam mentium diversitatem, si quicquam, nobilium nostrae

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Aristarchus oder wider die Verachtung der deutschen Sprache. Verfaßt von Martin Opitz. In Beuthen gedruckt von Johannes Dörffer. [Cicero in der Rede für P. Sestius] Wir wollen das Vaterland lieben, den Guten helfen; wir wollen die gegenwärtigen Vorteile geringschätzen; der Nachwelt und dem Ruhm wollen wir dienen; wir wollen das für das Beste halten, was das Richtigste ist; wir wollen auf das hoffen, was wir uns wünschen, aber ertragen, was immer eintreten mag; wir wollen schließlich bedenken, daß der Leib tapferer Männer und bedeutender Menschen sterblich ist, das Wirken des Geistes und der Ruhm der Tugend aber unsterblich sind. [V.M.] Den durchlauchtigen und edelsten Männern, dem Herrn Friedrich von Kreckwitz und Austen in Denchwitz usw. und dem Herrn Wigand von Gerßdorff in Lindaw, den hochmögendsten Rittern. Auf diesem ganzen Erdkreis, edelste Männer, hat der Schöpfer in seiner vollkommenen Weisheit nichts Vorzüglicheres geschaffen als den Menschen, im Menschen aber nichts Vorzüglicheres als den Geist. Dieser überragende und dem Himmel, woher er seinen Ursprung nimmt, nacheifernde Sinn beschenkt einen jeden von uns mit bestimmten Bestrebungen und Gedanken. Und keiner der Sterblichen lebt mit einem so ungerechten Schicksal, daß er nicht wagte, irgendwelche Samen von Tugend in sich zu hegen. In diesem gemeinsamen Feuer wird dennoch ein jeder von uns durch verschiedene Leidenschaften und Inter-

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aetatis vota et diversae curarum viae produnt. Quidam enim omnem conatum ac industriam literis impendunt, et tum demum generis sui existimationem tueri se probe censent, si, quos splendore natalium exsuperant, eosdem etiam doctrinae eminentia post se relinquant. Laudabili more: nisi ad chartas istas veluti scopulos aut Sirenum cantilenas consenescant, et cum omnia sciant hoc ipsum quoque quod sunt ignorent. Alii nihil nisi equos loquuntur et molossos, ac quot feras uno die confecerint, neminem quenquam volunt latere. Tela alij fulminant et gladios: alij sola morum et humanitatis affectatione exercentur. Perit his omnis plerunque labor inanibus studijs: et cum diu vixerint, nondum tamen se vivere meminerunt. Otioso negotio deterunt florem aetatis ac consu-[A3r]munt, et praeter propter vitam degunt, non in ipsa. Optime autem ii temporis sui calculum ponere mihi semper visi sunt, qui literarum cognitionem externae elegantiae dulci contubernio jungunt. Moderatur enim librorum amorem, ne infra sui generis authoritatem excrescat, polita illa et ad comitatem magis composita calliditas: quam vicissim literatae sapientiae dedita mens flectit et gubernat, ne, dum futilibus et fluxis rebus nimis est intenta, illud propter quod homines sumus, negligat et omittat. Hoc tam augustum et illustre virtutis genus, Viri eminentissimi, nemo est, nisi aut invidus aut imperitus, qui in vobis non agnoscat. Vos cum politicam illam et civilem prudentiam ametis; literas etiam ac eruditionem non odistis: et quotiescunque à domesticis occupationibus respirare vobis datur, ad libellos vestros charissimos, tanquam portum curarum ac asylum, non [A3v] illibenter confugitis. Sic cum illiteratorum ruditatem excedatis et ignorantiam: in sordes tamen umbraticorum et lucifugarum non inciditis. Quae me res potissimum impulit, ut exiguum hoc munusculum offerre vobis auderem: qui et diligitis has amoenitates, et judicare de iis optime potestis. Accedit, quod immerentem me favore vestro et benevolentia amplecti ac erigere voluistis, et inter caeteros virtutis ac no-

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essen hingerissen aufgrund des Ranges unserer Begabung oder des Schicksals, in das wir hineingeboren sind. Diese Verschiedenheit der Gesinnungen bringen, wenn überhaupt etwas, die Wünsche der Adligen unseres Zeitalters und die verschiedenen Wege der Interessen hervor. Denn gewisse Leute verwenden jede Anstrengung und allen Fleiß auf die Wissenschaften und meinen, daß sie dann erst die hohe Meinung über ihre Herkunft rechtfertigen, wenn sie diejenigen, welche sie durch Glanz der Geburt übertreffen, auch durch das Herausgehobensein ihrer Gelehrsamkeit hinter sich zurücklassen. Dies ist eine löbliche Art – wenn sie nicht bei diesen Schriften wie auf den Klippen oder bei den Gesängen der Sirenen alt werden, und, auch wenn sie alles wissen, dies selbst jedoch, was sie sind, nicht wissen. Die einen reden über nichts als ihre Pferde und Hunde und wollen nicht, daß irgendjemandem verborgen bleibt, wie viele wilde Tiere sie an einem einzigen Tag erlegt haben. Andere lassen ihre Waffen und Schwerter blitzen: andere üben sich allein im Streben nach feinen Sitten und Lebensart. Diesen geht meistens die ganze Mühe in leeren Bestrebungen zugrunde: und selbst, wenn sie lange gelebt haben, besinnen sie sich dennoch nicht, daß sie leben. Mit müßiger Beschäftigung vergeuden und verbrauchen sie die Blüte ihrer Jahre, und führen nur so ungefähr ein Leben, stehen aber nicht in diesem selbst. Am besten aber schienen mir immer diejenigen ihre Zeit einzuteilen, die die Erkenntnis der wissenschaftlichen Studien mit der Eleganz ihrer äußeren Erscheinung in einer angenehmen Kameradschaft verbinden. Denn, auf daß sie nicht unterhalb der Würde ihrer Herkunft Auswüchse zeitige, setzt der Liebe zu den Büchern jene gewandte und mehr zur Höflichkeit ausgerüstete Lebensklugheit die Schranken, die wiederum der der gelehrten Weisheit ergebene Geist beugt und lenkt, damit sie nicht, während sie sich mit eitlen und nichtigen Dingen allzusehr abgibt, jenes, weswegen wir Menschen sind, vernachlässige und verliere. Es gibt aber niemanden, erlauchteste Männer, der, wenn er es nicht aus Neid oder Unkenntnis tut, diese so erhabene und glänzende Art der Tugend in Euch nicht anerkennt. Ihr haßt, während ihr jene politische und gesellschaftliche Klugheit liebt, auch die Wissenschaft und die Bildung nicht. Und wie oft auch immer es Euch gegeben ist, Euch von den Beschäftigungen in bezug auf Eure Güter zu erholen, flüchtet Ihr Euch mit größter Freude zu den Euch so teuren Büchern wie in einen Hafen und Zufluchtsort vor den Sorgen. Auf diese Weise fallt Ihr, wenn Ihr die Roheit und Unwissenheit der Ungebildeten flüchtet, dennoch nicht in das Dunkel der Schattengestalten und Lichtflüchtlinge. Diese Tatsache vor allem hat mich dazu bewogen, daß ich es wagte, dieses geringe Werkchen Euch zu widmen, die Ihr sowohl diese ergötzlichen Dinge schätzt als auch über sie am besten urteilen könnt. Dazu kam, daß Ihr mich Unwürdigen durch Eure Gunst und Euer Wohlwollen umfangen und aufrichten und unter die übrigen Verehrer Eurer Tugend und Vornehmheit zulassen wolltet. Daß aber dieses

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bilitatis vestrae cultores admittere. Non minus autem hunc libellum quam me, acceptum vobis fore confido. Suscipite igitur immaturum hunc foetum, et natum paene citius quam conceptum, unius et alterius dieculae studium: ac, nisi minorum vos taedet, majora aliquando, si favor divinus et bonorum patrocinium accesserit, à nobis expectate. Sint Moecenates, non deerunt forte Marones.

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Valete, Nobilissimi Heroes, cum amabi-[A4r]lissimis vestris conjugibus (lectissimo sororum pari) ac liberis charissimis: et amate adolescentem, qui vos colit ex animo et veneratur. M ARTINUS O PITIUS. [A4v] AD GERMANIAM.

ACcipe festino quae deproperavimus aestu,

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Vindicias linguae, Teutona terra, tuae. Heroos patriae charae qui commodet ausus, Atque mares animos, unus et alter erit. Haud etenim totam virtus Alemana reliquit Se, sed et in sera Posteritate viget. Ast ego, sancta Parens, cordis monimenta fidelis Do tibi, doctrinae munera parva meae. Ingenium fervore tui sine fine laborans; Has Sors divitias, haec mihi dona dedit; Non pomposa quidem, tumidoque superba nitore; Nec tamen haud plane de meliore nota. Caetera mortales patiuntur singula casus: Quae venit è chartis Fama, perennis erit. Quis Germanorum tot fortia nomina nosset? Quis sciret vires, Carole Magne, tuas? Ni vatum gens dia sequens servasset in aevum, Et duraturum composuisset opus. Vivunt carminibus reges, regumque triumphi: Vindicibus nobis res nequit ulla mori. Tu quoque, magna parens, versu celebrabere nostro, Transibit dotes pagina nulla tuas. En tibi promißi pignus levidense laboris. Illud laudis, at hoc sit pietatis opus.

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Büchlein nicht weniger als ich selbst Euch willkommen sein wird, darauf vertraue ich fest. Empfangt also diesen unreifen Fötus, der beinahe schneller geboren als empfangen wurde, die Arbeit von ein oder zwei Tagen: Und, wenn Euch dieses Geringe nicht mißfällt, mögt Ihr, sofern göttlicher Beistand und die Gönnerschaft der Guten hinzukommen, einst Größeres von mir erwarten. Wenn es Mäcene gibt, wird es auch an Männern wie Vergil nicht fehlen. Lebt wohl, edelste Helden, mit Euren liebreizendsten Gemahlinnen (dem erlesensten Schwesternpaar) und den teuersten Kindern und empfindet Wohlwollen für den Jüngling, der Euch von Herzen schätzt und verehrt. Martin Opitz. [V.M.] An Deutschland. Empfange, was ich in eilender Hitze schleunig zu Papier gebracht habe, die Verteidigung deiner Sprache, deutsche Erde. Es wird den einen und den anderen geben, der der teuren Heimat heldenhafte Unternehmungen und mannhaften Sinn zuteil werden läßt. Denn die deutsche Tugend hat sich nicht ganz aufgegeben, sondern wird auch in später Zukunft noch gedeihen. Aber ich, heilige Mutter, widme dir ein Denkmal meines treuen Herzens, die geringen Gaben meiner Bildung: einen Geist, der sich aus glühender Liebe zu dir ohne Ende müht; (10) diesen Reichtum, diese Gaben hat mir das Schicksal verliehen, bestimmt nicht voll Pomp oder hochfahrend in aufgeblasenem Glanz; dennoch nicht ganz entfernt von der besseren Sorte. Alles Übrige erleidet das Los des Sterblichen; doch der Ruhm, der aus den Schriften kommt, wird unvergänglich sein. Wer kennte noch so viele Namen von tapferen Deutschen? Wer wüßte noch von deiner Macht, Großer Karl, wenn nicht die göttergleiche Schar der Dichter dies für die nachfolgende Zeit bewahrt und ein Werk geschaffen hätte, das die Zeiten überdauern wird. Es leben durch Gesänge die Könige und die Triumphe der Könige: (20) Unter unserer Obhut kann nichts sterben. Auch du, große Mutter, wirst durch unseren Vers gefeiert werden, keine Seite wird deine Gaben unbeachtet lassen. Da hast du also nun einen bescheidenen Ertrag meiner versprochenen Mühe. Jenes sei ein Werk des Ruhms, aber dieses eines der Ergebenheit.

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Aristarchus, sive de contemptu linguae Teutonicae.

QUotiescunque majores nostros Germanos, viros fortes ac invictos, cogito: religione quadam tacita ac horrore ingenti percellor. Augusta enim illa ac libera gens, sola divinae virtutis suae et factorum memoria reverentiam mihi quandam atque cultum imponit. Romanis, totius orbis victoribus, solo pectore adverso restiterunt; et cum illa Terrarum dea gentiumque Roma

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nihil non subjugasset, corda Germanorum, vi omni ac impetu majora, expugnare nondum potuit. Existimabant quippe heroës animosissimi: patriae suae libertatem non murorum aut urbium magnificentia, sed mentis cujusque propugnaculo censeri. Hanc ab omni injuria, hanc à telis ac potentia securam praestabant et immunem. Saepe nervorum ac corporis robore, saepius inexpugnabili animorum celsitudine cum hostibus dimicabant, ac victores evadebant. Arma autem et gladios sola famae suae ac laudis recordatione frangebant. Virtutem ac candorem colebant ita, ut quod aliis longa demum et molesta institutione accedit, innatum ipsis ac implantatum à natura videretur. Jura vero ac leges non tabulis aut aeri, sed animo quisque suo insculptas circunferebat: et quae metu caeteri praestant ac poenarum formidine, pudor iis atque modestia persuadebat. Fidei ac pro[B1v]missorum pignus non juramento dabatur, sed innocentia. Hanc non suis modo, sed et hostibus probabant. Accedebat ad vitae ac gestorum gravitatem lingua factis non dispar: succulenta illa et propriae cujusdam majestatis plenissima. Hac excelsae suae mentis sensa libere et nullo ambitu explicabant, hac ad arma se invicem hortabantur, hac saepe sola inimicorum minas quasi fulmine quodam evertebant. Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spirantem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni externa illuvie mundam tradiderunt. Et confirmare ausim, nullam reliquarum linguarum, fatalem suam periodum, quam in omnibus humanis rebus experimur, per tantum tempus

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Aristarchus oder wider die Verachtung der deutschen Sprache Sooft ich mir unsere Vorfahren, die tapferen und nie besiegten Germanen, im Geiste vorstelle, ergreift mich eine stille Ehrfurcht und ein mächtiger Schauer. Denn jenes ehrwürdige, freie Volk flößt mir allein durch die Erinnerung an seine göttliche Tapferkeit und an seine Taten Scheu und Verehrung ein. Sie allein widerstanden in offener Feldschlacht den Römern, den Eroberern der Welt, und während Rom, die Göttin der Völker und Länder, sich alles unterworfen hatte, konnte sie doch die Herzen der Germanen, die jeder Gewalt und jedem Angriff standhielten, nicht bezwingen. Als mutige Helden glaubten sie, die Freiheit ihres Vaterlandes beruhe nicht auf der Pracht ihrer Mauern und Städte, sondern auf dem Schutze der Gesinnung eines jeden von ihnen. Diese Freiheit sicherten sie vor jeder Bedrohung, vor Waffengewalt und Übermacht, und erhielten sie uneingeschränkt. Oft kämpften sie durch die sehnige Kraft ihrer Arme, noch öfter durch die unüberwindliche Erhabenheit ihres Mutes siegreich gegen ihre Feinde. Ja schon die Erinnerung an ihren alten Heldenruhm gab ihnen die Kraft, Schilde und Schwerter zu zersplittern. Tugend und Sittenreinheit pflegten sie in dem Maße, daß ihnen das, was andern Völkern erst lange, mühsame Unterweisung verleiht, von Natur angeboren und eingepflanzt erschien. Recht und Gesetz aber trug ein jeder in seinem Herzen, nicht auf Erztafeln, eingegraben, und Scham und Sittlichkeit bewirkten bei ihnen dasselbe wie bei den übrigen die Angst und die drohenden Strafen. Nicht Eide bürgten bei ihnen für Verträge und Versprechen, sondern ihr unverdorbenes Herz, das sie auch ihren Feinden gegenüber bewährten. Zu dem Ernst ihrer Lebensund Handlungsweise gesellte sich eine Sprache, die ihren Taten gleich voller Kraft und eigentümlicher Hoheit war. In ihr drückten sie ihre erhabenen Gesinnungen frei und ohne Umschweif aus, durch sie feuerten sie sich gegenseitig zum Kampfe an, durch sie allein machten sie oft, wie durch einen Blitzstrahl, die Drohungen ihrer Feinde zunichte. Diese edle, vornehme Sprache, die den Geist ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Beflekkung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt, und ich möchte zu behaupten wagen, daß keine Sprache die Zeit, welche ihr, wie allem Irdischen, nach unserer Erfahrung das Schicksal gesetzt hat, so weit

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– vires ultra sortemque senectae

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produxisse. Suavissimus certè Graecorum et delicatissimus sermo barbarie aliorum populorum ita corruptus est ac debilitatus, *ut se hodie in se vix agnoscat, et solo sui desiderio, in invidiam sui et exprobrationem, sibi supersit. Tantum aevi longinqua valet mutare vetustas.

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Latinus etiam nitor ultra felicem ac disertam Augusti aetatem se vix reservavit. *Labente namque sensim urbe aeterna, mascula quoque illa et robusta oratio eundem exitum fecit. Sive id fatali quadam lege et occulta ac mystica vi accidit; sive vitio superiorum. Imperantibus enim Claudiis, Neronibus et Domitianis monstris hominum ac sceleribus, et quorum sine flagitio ne meminisse quidem possumus; lingua [B2r] principibus sui temporis melior esse non voluit. Praeter pauca itaque cadentis Eloquentiae fulcra, mimum omnes instruxerunt. Enati sunt prurientes quidam Rhetorculi, qui argute lascivire, quam bene loqui maluerunt. Omnem conatum, omnem industriam ac laborem curiosa subtilitate consumpserunt; et dum nervositatem affectarunt anxie, nobilem orationis sensum fregerunt, et succum amiserunt ac sanguinem. Picas dixisses aut simios, qui desultoria agilitate saltitant ubique non ambulant, et sibi molestiam, spectatoribus risum creant ac misericordiam. Ex illo fluere, et retro sublapsa referri Lingua Italûm.

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Irruptione enim peregrinorum, cultissimus sermo cecidit cum imperio, et se ipse deseruit. Ac nisi praeclara illa ingeniorum monimenta, indulgentia numinum ac coelesti clementia, reservata huc usque essent; nihil prorsus de Latina ac Graeca eruditione, quam nomen inutile superaret. Quanquam, nisi vanus sum hariolus (atque utinam vere sim) nescio quid mali etiam hodie impendeat, quod venustissimas linguas, quas è sedibus suis ante ac regnis depulit, ex animis quoque hominum evellet ac memoria. Graeca ignoramus multi, plurimi negligimus: et Platonis ac Aristotelis, reliquorum etiam scripta multo divinissima, ab interpretibus addiscere malumus, quam ipsis. Qui nutricibus mihi non absimiles plane videntur.

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über die Kräfte und das Los des Alters hinaus ausgedehnt hat. Die liebliche und reizende Sprache der Griechen ist durch die Barbarei anderer Völker so verderbt und entartet, daß sie sich heutzutage selbst kaum wiedererkennt und nur noch zu ihrer eigenen Schmach und Schande fortlebt. So viel vermag im Laufe der Zeit das Alter zu ändern. Auch der Glanz der Sprache Latiums erhielt sich kaum über das glückliche, redegewandte Zeitalter des Augustus hinaus. Denn mit dem allmählichen Niedergang der ewigen Stadt ging auch die männlich kräftige Sprache zugrunde, vielleicht durch ein Gesetz des Schicksals und eine verborgene geheimnisvolle Macht, vielleicht auch durch die Schuld der Herrschenden. Denn unter einem Claudius, Nero, Domitian, diesen verbrecherischen Ungeheuern in Menschengestalt, an die wir ohne Abscheu nicht einmal denken können, wollte die Sprache nicht besser sein als die Herrscher ihres Zeitalters. Abgesehen von einigen Trägern der sinkenden Beredsamkeit führten alle andern eine Posse auf. Lüsterne Möchtegern-Redner traten vor die Menge, die lieber witzige Zoten vorbrachten, als zu reden, wie es sich gehört. Mühe und eifrige Arbeit verwandten sie auf die peinliche Genauigkeit des Ausdrucks, und während sie ängstlich Kraft zu heucheln suchten, vernichteten sie den edlen Sinn der Rede und wurden kraftund saftlos. Sie glichen Spechten und Affen, die mit ausgelassener Behendigkeit überall nur umherspringen, statt zu gehen. Sie sind sich selbst eine Last, bei den Zuschauern aber erregen sie Gelächter und Mitleid. Seitdem zerrann und schwand dahin Die Sprache der Italer. Denn durch den Einbruch der Fremden verfiel die aufs feinste ausgebildete Sprache zugleich mit dem Reiche, sie gab sich selbst auf. Und wären uns nicht jene herrlichen Monumente des Geistes durch die Nachsicht der Götter und die Gnade des Himmels bis jetzt erhalten geblieben, so würde von der Bildung der Griechen und Römer uns nichts übrig sein als der wertlose Name. Freilich, wenn ich nicht ein Lügenprophet bin (und ich wünschte, ich wäre es wirklich), so droht vielleicht noch jetzt das Übel, das die schönsten Sprachen, welche es einst aus ihren angestammten Reichen vertrieb, auch aus dem Geiste und dem Gedächtnisse der Menschen tilgen könnte. Viele von uns haben gar kein Griechisch gelernt, sehr viele vernachlässigen es, und wir unterrichten uns über die göttlichen Schriften des Platon, des Aristoteles und der übrigen lieber durch Vermittlung von

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Illae namque cibis quos praemandunt, florem plerunque educunt ac animam: infantes autem innocentissimos sputo livente pascunt ac spiritus olentis putredine. Idem nobis accidit; et merito: qui [B2v] ne paratas quidem artes audemus cognoscere. Nec felicius sane Latinitatis fatum. Iam quilibet nostrum singularem loquendi ideam aut proponit sibi ipse, aut fingit. Vtut loquamur, dummodo non sileamus, perinde est. Salustius antiquum nomen audit, et Criticis curiosissimis mortalium relinquendus. Cicero, praeclarus ille quidem Orator, sed qui perpetuo hoc laborat vitio, quod intellegi non erubescat. Quae calamitas ac invidia Ovidium etiam, poëtarum omnium longè ingeniosissimum, deprehendit. Petronius vero, Tacitus, Curtius, Symmachus ac reliquus ille priscorum ordo Lunae regna sunt, in quae, praeter Endymionem, quem altera demum luce rediisse perhibent, nemo hactenus vivorum nisi somniando pervenit. Haec censura universae classicorum cohorti intentatur. Novorum interea quorundam, et terrae filiorum inusitatam ac portentosam dicendi rationem, miro judiciorum applausu, colimus et amplectimur. Sic elegantissimam illam Venerem Romanam et fraudamus decore nativo, et spurio fuco corrumpimus. Prostituimus denique eam nobis ipsi ac defloramus. Pauci sunt, qui suavissimae et simulachris omnibus emendatiori deae misericordiam, pauciores qui auxilium commodant et operam. Ita sensim ac +  λ Latina illa puritas ad fatalem metam tendit; quam brevi elapsam *-" prius quam elabi sentiemus. *4 ’      «  φ  .

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Nos, quanquam Germanum ac liberale pectus horret hoc nomen, mendacio deprehendi et puniri rubore libenter vellemus. Neque laetior aliarum quo-[B3r]que linguarum Catastrophe: de quibus sermonem facere et imperitia nostra vetat, et instituti ratio. Germanorum tamen sermo linguas posterorum, ut fides et candor animos, hucusque indivulsus et incorruptus semper est comitatus. Quotusquisque verò nostrum invenitur, qui aut vindicare eum, aut excolere audeat? Pauci, quod pace vestra liceat, amamus Bonam Mentem, et furere libet cum insanienti-

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Übersetzern als bei ihnen selbst. Diese Vermittler sind ja fast wie die Ammen, die die Speisen vorkauen, ihnen dadurch den Geschmack und die Gestalt nehmen und den unschuldigen Kindlein nur noch ihren eigenen fahlen Speichel und ihren fauligen, stinkenden Atem als Nahrung übriglassen. So ergeht es auch uns, und mit Recht; denn wir können uns nicht einmal dazu entschließen, die Wissensschätze kennenzulernen, die fertig für uns bereitliegen. Auch mit der lateinischen Sprache verhält es sich nicht besser. Ein jeder von uns richtet sich heute nach einem besonderen Begriff von der Sprache oder macht sich gar selbst einen zurecht. Wie wir sprechen, ist gleichgültig, wenn wir nur nicht schweigen. Sallust steht in dem Rufe eines Altertümlers und wird den Kritikern, den Wißbegierigsten der Sterblichen, überlassen. Cicero ist zwar ein trefflicher Redner, er leidet aber beständig an dem Fehler, daß er ohne Scheu verständlich schreibt. Derselbe schlimme Vorwurf trifft auch Ovid, den weitaus begabtesten aller Dichter. Petronius vollends, Tacitus, Curtius, Symmachus und die übrige Schar der Alten gehören ins Reich der Luna, und dort ist außer dem Endymion, welcher erst am zweiten Tag zurückgekehrt sein soll, bis jetzt noch kein Lebender außer im Traume eingedrungen. Während dieser Maßstab an die ganze Schar der Klassiker angelegt wird, üben wir uns unter dem wunderlichen Beifall der Kunstrichter in jener weit hergeholten, monströsen Redeweise einiger von den neuen Staubgeborenen und übernehmen sie als unsere eigene. So bringen wir die feine römische Schönheit um ihren angeborenen Schmuck und verderben sie durch trügerische Schminke. Kurz, wir geben sie uns selbst preis und berauben sie ihrer Reinheit. Nur wenige haben mit der lieblichen Göttin, die makelloser als alle ihre Bilder ist, Mitleid, und noch weniger leisten ihr tätige Hilfe. So nähert sich allmählich Schritt für Schritt die Reinheit der lateinischen Sprache ihrem vom Schicksal verhängten Ende, und in kurzem, ehe wir noch ihr Verschwinden bemerken, werden wir sehen, daß sie schon vergangen sein wird. Unbestechliche Zeugen aber Bleiben die künftigen Tage. Wir wollten uns gern, obwohl unser edles deutsches Herz vor dem Worte zurückschreckt, der Lüge zeihen und durch Schamröte strafen lassen. Auch das Geschick der übrigen Sprachen ist nicht erfreulicher; aber über diese zu reden, verbietet uns unsere Unkenntnis und die Natur unserer Aufgabe. Die Sprache der Germanen jedoch ist bis auf den heutigen Tag unvermischt und unverfälscht den Zungen der Nachkommen verblieben, so wie die Treue und Einfalt ihren Herzen. Aber wie wenige unter uns versuchen, diese Sprache zu schützen und weiter auszubilden. Mit Verlaub möchte ich sagen: Wenige von uns lieben gesunden Sinn, man rast mit den Wahnsinnigen, und keiner tritt auf, der dem über-

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bus; nec quisquam prodit, qui malo gliscenti et publico delirio occurrat. Exteras regiones periculoso ac incredibili labore, neque sumptibus exiguis peragramus; et impense hoc agimus, ne similes patriae ac nobis videamur. Sic dum effrenata quadam cupidine peregrinum idioma addiscimus, negligimus nostrum ac in contemptum adducimus. Quasi verò non eorundem vitiorum tellus nostra atque dissiti loci sit ferax, et ab hac gente libidines, ab ista petulantiam, ab illa fastum et superbiam petere sit necesse. Quae et perpetrari hic possunt singula; et nisi possent, salvo, ut opinor, Reipublicae statu fieret. Tanti profecto morum novitas et mercimonia linguarum neutiquam emenda sunt. Ego tamen, non ut utilissima peregrinandi consuetudo intermittatur suadeo: sed ut desideratissimae patriae nostrae dignitas salubri auxilio conservetur. Sedulo hoc agamus, ut qui à Gallis ac Italis humanitatem mutuamur et elegantiam: non minus ab ipsis et linguam nostram, quod certatim eos facere in sua animadvertimus, perpolire accurate et exornare addiscamus. Inconsulte facit, qui neglectis domesticis extera habet antiquiora. Verùm ita natura comparatum est, ut in proprio quisque negotio hebetior sit, quàm in alieno: [B3v] sive id fastidio familiarium rerum, sive exterarum allubescentia, sive denique inexplebili sciendi aviditate accidit. Ea enim mentis humanae ratio est, ut libero et effreni cursu volitet per omnia, et studio inusitata noscendi sui ipsius saepe obliviscatur. Multa scire quam multum quilibet desiderat: ut ambitioni modo suae ac gloriae velificetur. Si quis strabo saltem oculo alpes transmisit, interesse suae existimationis autumat, ne quis tam horribile secretum ignoret. Quae omnia sapiens animus ridet, et alto supercilio contemnit. * Nam et aliud agenti possunt haec accedere; et plausum populi magis, quam laudem eruditorum merentur; et à viris gravibus nonnunquam etiam plane respuuntur. Magistratum certe Romanum nunquam nisi Latinè Graecos responsa dare, eosque per interpretem loqui coëgisse, non in urbe solum, sed ipsa Graecia et Asia, Valerius Maximus autor est. Nunc pudet patriae; et saepe hoc agimus, ne nihil minus quam Teutonicum idioma callere videamur. Hoc fonte derivata clades In patriam populumque fluxit. Contemnimus itaque nos ipsi, et contemnimur. Interim purissima et â peregrino squalore libera hactenus lingua mutat, et in miras loquendi formulas degenerat. Monstra vocabulorum et carcinomata irrepunt occulte, ad quae genuinus aliquis

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handnehmenden Übel und dem allgemeinen Taumel steuerte. Mit unglaublichen, gefahrvollen Mühen und mit nicht geringen Kosten durchwandern wir fremde Länder und streben eifrig danach, unser Vaterland und unser Wesen unkenntlich zu machen. Indem wir mit ungezügelter Gier eine fremde Sprache erlernen, vernachlässigen wir die eigene und machen sie verächtlich. Als ob nicht unser Boden dieselben Laster hervorbrächte wie entfernte Länder, und als ob wir uns von diesem Volke die Lüste, von jenem die Frechheit, von einem dritten Stolz und Hochmut erst beibringen lassen müßten. Das kann man alles auch zu Hause erwerben, und könnte man es nicht, so wäre es, glaube ich, nicht zum Schaden unseres Gemeinwesens. So teuer darf man neue Sitten und Sprachen wahrhaftig nicht erkaufen. Doch will ich damit nicht geraten haben, die nützliche Gewohnheit des Reisens aufzugeben – nein, es geht nur darum, das Ansehen unseres geliebten Vaterlandes durch heilsame Hilfe zu erhalten. Wir wollen eifrig dafür sorgen, daß wir von den Franzosen und Italienern, von denen wir Bildung und feine Sitten entlehnen, auch erlernen, unsere Sprache mit Sorgfalt auszubilden und zu schmücken, ganz so, wie jene es offensichtlich mit der ihrigen tun. Unbedacht handelt, wer das Einheimische zurücksetzt und Fremdes vorzieht. Aber die Natur hat es so eingerichtet, daß jeder seine eigenen Dinge nachlässiger betreibt als fremde, mag das aus Überdruß an den häuslichen Angelegenheiten oder aus Wohlgefallen an den fremden oder aus unstillbarem Wissensdurst geschehen. Denn das ist die Art des menschlichen Geistes, daß er alles in freiem, ungezügeltem Fluge durcheilt, und im Eifer, Neues kennenzulernen, sich selbst oft vergißt. Viel, möglichst viel will jeder wissen, nur um seinen Ehrgeiz und seinen Ruhm zu fördern. Wer nur einmal einen kurzsichtigen Blick über die Alpen hinüber gewagt hat, der meint schon, er sei es seinem Rufe schuldig, daß nun jeder ein so schreckliches Geheimnis erfahre. Darüber lacht der Weise mit Stolz und Verachtung. Denn so etwas kann auch Leuten begegnen, die andere Dinge betreiben, und es verdient eher den Beifall des Pöbels als das Lob der Gebildeten; von weisen Männern wird es bisweilen völlig mißachtet. Valerius Maximus berichtet, die römischen Behörden hätten den Griechen stets auf Lateinisch Bescheid gegeben und sie gezwungen, mit Hilfe eines Dolmetschers zu sprechen, und das nicht nur in Rom, sondern in Griechenland selbst und in Kleinasien. Wir schämen uns jetzt unseres Vaterlandes und bemühen uns gar so zu tun, als verständen wir die deutsche Sprache schlechter als jede andere. Aus dieser Quelle entsprungen, Strömte das Verderben über Land und Volk dahin. So verachten wir uns selbst und werden verachtet. Indessen verändert sich die reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu

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Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet. Dicas in sentinam durare hanc linguam, ad quam reliquarum sordes torrente promiscuo deferantur. Nulla ferme periodus est, nulla interpunctio, [B4r] quae non ascititium quid redoleat. Jam à Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutuamur, quod domi nascitur longe elegantius. Vidi quoque, qui ne à Graecis quidem se abstineret. Talis illa vox, quae sine risu non excipiebatur: Jungfraw/ sie muß auch da‚    observiren. En cor Zenodoti, en jecur Cratetis!

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Et tamen, quo quis in his nugis perfectior, eo major sibi videtur, et seipsum, si diis placet, adulatur. Trojam cepisse autumat, et Hectori viro fortissimo controversiam de gravitate movisse. Quae profecto neque prudentum reprehensionem effugere; neque favorem vulgarium animarum promereri possunt: risum autem et ludibrium foeminis etiam non raro debent. Et quis ejusmodi *   effusissimo cachinno non prosequeretur? Der monsieur al‚ ein brave cavallier, erzeige mir dz plaisir. Quod vir literatissimus, et Germaniae nostrae singulare ornamentum Casparus Dornavius, fautor meus longe gratiosissimus, in exemplum citat. Cui musteum hunc et nuper natum dicendi morem non probari, ex animo gaudeo. Atque utinam candidi omnes Germani, condensato agmine satis elegantem linguam nostram servaremus, qui virtutem nondum amisimus. Jam opem nostram, jam auxilia implorat; deturpata cultu non suo et deformata. Fingite vobis adesse liberalis faciei virginem, castam hactenus et ne spe quidem noctis imminutam. Colligite ipsi fractam in gradus comam, aedificate superne, anulo gemmeo cacuminis (ut sic dicam) extremitatem includite. Jam caput Romanum est. Sit humeros manuleato Hispaniae amictorio, sit mulierum Italarum è nebula linea [B4v] strophio surgentes cincta papillas. Ventrem cyclade Gallica, hoc est, exiguam muscam elephanti corio, circuntendite. Jam Atheniense peplum illi injiciatur. Nonne *Maenadi insanae, quam decenti nymphae erit similior? Omnia disparia, peregrina omnia, neque quicquam

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wunderlichen Redeweisen. Wortungetüme und Krebsgeschwüre schleichen sich ein, bei denen ein ehrlicher Deutscher bald seine Entrüstung oder seinen Ekel nicht mehr zurückhalten kann. Man kann sagen, diese Sprache wird zur Kloake, in die sich wahllos aller Unflat ergießt. Es gibt beinahe keinen Abschnitt, keinen einzelnen Satz, an welchem nicht eine fremde Zutat zu spüren ist. Einmal entlehnen wir von den Römern, dann wieder von den Franzosen und sogar von den Spaniern und Italienern, was unser heimischer Boden viel besser hervorbringt. Ich kenne auch einen, der sich nicht einmal scheute, griechische Worte einzumengen. So sprach er, was man nicht ohne Gelächter anhören konnte: Jungfraw, sie muß auch das &   observiren. Das ist der Geist des Zenodot, die Weisheit des Krates! Und doch, je besser sich einer auf diese Possen versteht, um so bedeutender kommt er sich vor und schmeichelt sich womöglich noch selbst. Er dünkt sich, er habe Troja eingenommen und dem tapferen Hektor den Rang streitig gemacht. Das kann in der Tat dem Tadel kluger Männer nicht entgehen, wie es auch die Gunst der Leute aus dem Volk nicht erringen kann; aber selbst den Frauen gibt es häufig Stoff zu Gelächter und Spott. Und wer müßte nicht unbändig lachen über ein so törichtes Gerede wie dieses: Der monsieur, als ein brave cavallier, erzeige mir daz plaisir. Dies führt der hochgelehrte Dornau, mein günstiger Gönner und die Zierde unseres Deutschland, als Beispiel an, und ich freue mich von Herzen, daß auch ihm diese neugebackene und erst jüngst aufgekommene Redeweise nicht gefällt. Möchten doch alle wohlgesinnten Deutschen, soweit sie noch männliche Tatkraft besitzen, in geschlossener Reihe unsere schöne Sprache beschützen. Um unsere Unterstützung und Hilfe geht es heute. Denn sie ist geschändet und entstellt durch ein Gewand, das ihr nicht paßt. Stellt euch eine Jungfrau von edlem Antlitz vor, deren Keuschheit noch nicht einmal durch die Hoffnung auf eine Liebesnacht vermindert ist. Bindet ihr Haar zusammen, kräuselt es in Wellen, türmt es hoch auf und umschließt den Gipfel gleichsam mit einem von Juwelen glänzenden Ring. Nun ist der Kopf römisch. Dann umspannt ihre Schultern mit einem langärmeligen spanischen Mantel wie bei italischen Weibern aus dünnem Leinen, mit einem Bande seien die schwellenden Brüste umschlossen. Den Leib umhüllt mit einem weiten französischen Kleide, wie eine winzige Fliege mit einer Elefantenhaut, und endlich werft ihr einen athenischen Mantel über: Wird sie am Ende nicht eher einer rasenden Mänade als einer züchtigen Nymphe ähnlich sehen? Nichts paßt zusammen, alles ist fremd und nichts natürlich als das,

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genuinum, praeter id quo foeminae censentur. Eadem fortuna linguam nostram, idem casus obruit: non sua, sed suorum culpa. Amamus enim hos naevos, et fovemus indies ac imitamur: vitio judiciorum, ac seculi quoque. Prisca certe aetas id non tulisset. Tiberius militem testimonium Graece interrogatum, nisi Latine respondere vetuit. Ipse etiam sermone Graeco [Tranquilli verba sunt] quanquam alias promptus et facilis, non tamen usquequaque usus est. Abstinuitque maxime in senatu: adeo quidem ut *Monopolium nominaturus, prius veniam postularit, quod sibi verbo peregrino utendum esset: atque etiam in quodam decreto patrum, cum *  recitaretur, commutandam censuerit vocem, et pro peregrina nostratem requirendam: aut si non reperiretur, vel pluribus et per ambitum verborum rem enuntiandam. Juvenalis quoque eundem morbum salse neque acriter minus insectatur. *Nam quid rancidius, quam quod se non putat ulla Formosam, nisi quae de Tusca Graecula facta est, De Sulmonensi mera Cecropis? (omnia Graece, Cum sit turpe magis nostris nescire Latine.) Hoc sermone pavent, hoc iram, gaudia, curas, Hoc cuncta effundunt animi secreta; quid ultra? Concumbunt Graece. *P0  , $*  "«, et quidem satis pro Sa-[Clr]tyrica libertate. Neque timidior alterius ad Imperatorem vox: Tu quidem, Imperator, peregrinis hominibus dare civitatem potes, verbis non potes. Id nos imitemur. Haud enim nobis quicquam, quod quidem necesse ad rem sit, deesse potest. Ingenium certe verborum nostrorum et tractus sententiarum ita decens est, ita felix: ut neque Hispanorum majestati, neque Italorum decentiae, neque Gallorum venustae volubilitati concedere debeat. Cujus rei unicum Marnixii apiarium, in nostrum idioma conversum, optimae fidei testem arcessere possumus. Quem quidem librum, quod quidam ita atroci stylo et indignanti pungunt ac confodiunt, causam profecto non habent. Nihil sane est in tam festivo opere, quod non et ad aeternam salutem praecepta ingerat, et honesta suavitate conditum vim quasi asperioribus naturis faciat, ac nil tale cogitantes expugnet. Delitiarum omnium pyxidem

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wonach man die Frauen bestimmt. Dasselbe Geschick, dasselbe Verhängnis ist über unsere Sprache hereingebrochen, aber nicht durch ihre Schuld, sondern durch die der eigenen Leute. Denn wir sehen diese Schandmale gern, wir pflegen sie und suchen sie nachzuahmen, weil unsere Kunstrichter so verdorben sind, wie es unsere ganze Zeit ist. Im Altertum hätte man das gewiß nicht geduldet. Tiberius ordnete an, ein Soldat dürfe, falls er als Zeuge auf Griechisch vernommen werde, nur lateinisch antworten. Er selbst war, nach den Worten des Tranquillus, sonst zwar der griechischen Sprache mächtig und gebrauchte sie mit Leichtigkeit; aber er bediente sich ihrer doch nicht überall. Am meisten vermied er sie im Senat, und er ging darin so weit, daß er sich, als er dort einmal ein Monopol bezeichnen wollte, sich zuerst dafür entschuldigte, daß er ein Fremdwort benutzen müsse. Und als ein andermal in einem Senatsbeschluß das Wort   vorgelesen wurde, befahl er, das Wort zu ändern und ein lateinisches dafür zu suchen; finde man aber keines, so solle der Begriff lieber durch Umschreibung wiedergegeben werden. Auch Juvenal zieht gegen dieselbe Sucht witzig und nicht weniger scharf zu Felde: Gibt’s was Faderes wohl, als daß sich nicht eine für chic hält, hat sie sich aus der Etruskerin nicht in ’ne Griechin verwandelt, aus der Sulmonerin in’ne Kekroperin? Alles nur griechisch, (während’s für uns doch noch schmachvoller ist, nicht Lateinisch zu können,) Sprache der Furcht ist’s ihnen, des Zorns, der Freud’ und der Sorgen, jedwedes Herzensgeheimnis versprudeln sie darin: Gibt’s Stärkres? Griechisch nur schlafen sie bei. Wenig, aber recht deutlich, ganz wie es der Freiheit des Satirikers entspricht. Und ebenso mutig war das Wort, welches ein anderer zu einem Kaiser sprach: Kaiser, du kannst wohl fremden Menschen das Bürgerrecht verleihen, aber nicht fremden Worten. Danach sollten wir uns richten. Denn eigentlich haben wir alles, was wir brauchen. Der Geist unserer Worte und der Fluß unserer Sätze ist so angemessen und so glücklich, daß sie weder der gemessenen Würde des Spaniers noch der Feinheit des Italieners noch der Zierlichkeit und Zungenfertigkeit des Franzosen zu weichen brauchen. Ein schlagender Beweis ist die ganz einzigartige deutsche Übersetzung des Apiarium von Marnix. Man hat gar keinen Grund, dieses Buch so hart und erbittert anzugreifen und zu verurteilen, wie das manche tun. Überall in diesem artigen Werke sind Lehren für das ewige Heil enthalten, und da es mit einer ehrbaren Anmut geschrieben ist, tut es härteren Naturen gleichsam Gewalt an und nimmt Leute für sich ein, die sonst gar nicht an solche Dinge denken. Ich möchte es ein Gefäß aller Lieblichkeit nennen, ein Salbendöschen der Grazien, ein Mittel zur Vertreibung der Sorgen, eine Verführerin zu feinen Sitten, und ohne das alles ist ja die Göttin der Schönheit selbst nicht schön genug. Jedes ein-

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dixerim, myrothecium Gratiarum, curarum medelam, lenam morum: absque quo nec ipsa Venus satis venusta. Verba singula majestatem spirant singularem ac elegantiam, et sensus nostros non ducunt, sed rapiunt. Adeo inusitata facilitas, gratia inexhausta ac lepos ita lectorem detinet, ut quo magis eadem repetat, eo minus fastidium relectionis ullum sentire sibi videatur. Quae omnia et pellicere nos ad se, et invitare ad excogitanda plura paris elegantiae ac festivitatis debent. Neque enim tam abjectè de lingua nostra judicandum, quasi in illo libro ita se exhauserit; ut ad similia aut majora etiam aspirare porro non audeat. Extirpemus saltam spurias istas et furtim irrepentes loquendi formulas, neque hanc maculam inuri nobis patiamur, quasi laboremus [Clv] *inopia, vel potius, ut Plinius noster ait, egestate patrij sermonis. Ringantur et invideant: nec soluta nec astricta oratione cedimus ulli linguarum. Jam pridem majores nostri (quod et Tacitus, alias satis parcus nostrarum laudum promus, fateri cogitur) avorum suorum fortes ausus carminibus antiquis celebraverunt. Et superant etiamnum quoque non pauca, quae Melchior Goldastus vir in commodum ac gloriam Germaniae natus, eruit ante aliquot annos è situ ac publicavit. Qui calculum etiam posuit, ante M CC. annos scripta Christianorum Latinis juxta et vernaculis literis in Alemania visa esse. Cujusmodi vero veterum illa Poësis fuerit, Marneri, quanquam sequioris aetatis authoris versiculi indices esse possunt. Der erenspegel i‚t du scham/ Swer ‚ich darinne ersiht Der wirt vnzemen bliken gram: Du schame ist argen worten vigent/ untrüwen ha‚/ vnsteten fluch: Scham ist ein tugent du manne‚ namen gegen frowen prise‚ giht; Du reinen wib tunt man alsam ir beider lieb mit schame geschiht; Schame get edelen gesteine vor/ vnd turet ba‚ danne siden tuch; Schame ist mit bescheidenheit der werden minne bi; Du scham in eren garten ist ein blüende‚ zwi; Du scham ist eren schilt; Du scham alsam ein reine‚ kint in schoner frowen schozen spilt; Schame zieret reinn wib vnd wirdet edelen man/

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zelne Wort atmet eine besondere Würde und Feinheit und nimmt unsere Sinne nicht langsam ein, sondern erobert sie im Sturm. So sehr fesselt den Leser die ungewöhnliche Leichtigkeit, die unerschöpfliche Anmut und Liebenswürdigkeit, daß er nie, sooft er es auch wieder liest, Abneigung dagegen empfindet. Das alles muß uns anziehen und auch dazu einladen, noch mehr von gleicher Anmut und Artigkeit zu ersinnen. Denn so niedrig darf man von unserer Sprache nicht denken, als hätte sie sich in jenem Buche so erschöpft, daß sie es nicht wagen dürfte, Ähnliches oder noch Größeres zu erstreben. Laßt uns wenigstens jene Bastardredensarten ausrotten, die sich heimlich eingeschlichen haben, und uns nicht das Brandmal aufdrücken, als litten wir an Dürftigkeit, oder, wie Plinius sagt, an Bettelarmut unserer Muttersprache. Man mag uns grollen und anfeinden: Weder in gebundener noch in ungebundener Rede weichen wir irgend einer anderen Sprache. Schon von alters her priesen unsere Ahnen (wie auch Tacitus zugeben muß, sonst kein allzu lauter Verkünder unseres Ruhms) die Heldentaten ihrer Väter in alten Liedern. Und noch heute ist nicht wenig erhalten, das Melchior Goldast, ein Mann, geboren zum Nutzen und zum Ruhme Deutschlands, vor einigen Jahren aus dem Staube hervorgezogen und veröffentlicht hat. Er hat auch nachgewiesen, daß man vor 1200 Jahren die heiligen Bücher der Christen in lateinischer und einheimischer Sprache nebeneinander in Alemannien gesehen habe. Die Art jener alten Poesie aber können einige Verse des Marner zeigen, der freilich in einer späteren Zeit schrieb Der erenspegel ist du scham/ Swer sich darinne ersiht Der wirt vnzemen bliken gram: Du schame ist argen worten vigent/ untrüwen has/ vnsteten fluch: Scham ist ein tugent du mannes namen gegen frowen prises giht; Du reinen wib tunt man alsam ir beider lib mit schame geschiht; Schame get edelen gesteine vor/ vnd turet bas danne siden tuch; Schame ist mit bescheidenheit der werden min = ne bi; Du scham in eren garten ist ein blüendes zwi; Du scham ist eren schilt; Du schame alsam ein reines kint in schoner fro = wen schozen spilt; Schame zieret reinn wib vnd wirdet edelen man/

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Schame kan leiden vf den ban Da nie schandentrit kam an, Swer schame minnet den bkret in schanden dienest selten han; Scham ist ein du hosten tugent/ sagent vn‚ die meister vnd du buch.

Quae certe ejus sunt amoenitatis, ut nos poenitere sermonis nostri non debeat. Et dolendum profecto, tam felicem poëtandi spiritum plane hactenus interceptum fuisse. Cum Italia tot Petrarchas, Ariostos, Tassos; Gallia Marottos, Bartasios, Ronsardos et alios Poëtas praeclaros in dedecus nostri et exprobrationem eduxerit: Belgae quoque eadem virtute stimulati id ipsum tentaverint. Nec infeliciter sane. Extant enim praeter caetera, Danielis Heinsii, hominis ad miraculum usque eruditi, Poëmatia vernacula, quibus ille Latinorum suorum carminum elegantiam non aequavit modo, sed quadamtenus illa et seipsum fere exuperavit. Nos apertis oculis bona fide dormimus: cum tamen non pari modo successu, sed iisdem quoque numeris, gravitate non dissimiliis quib!us" reliquae illae gentes, carmina nostra instruere possemus. Memini Illustri ac Nobilissimo Viro, Dn. Tobiae Sculteto à Schvvannensehe ac Bregoschitz, Consiliario Imperatoris ac Commissario, etc. Dn. ac Maecenati meo aeternum venerando Germanicos quosdam meos, *Gallico more effictos, versiculos non ita pridem fuisse oblatos. Ibi Heros Literatissimus conatum meum non improbare non solum, sed et nutu humanissimo solari cepit ac corroborare. Ego ubi ingenio non fuit locus, ut cum Fabio loquar, curae testimonium promeruisse contentus, nisi successu, laudabili tamen indu-[C2v]stria, non degenerem patriae incolam praestare me volui. Juvit diligentiam natura, et facilitas provocavit audaciam. Primum itaque illud versuum genus temtavi, quod Alexandrinum (ab autore Italo, ut ferunt, ejus nominis) Gallis dicitur, et loco Hexametrorum Latinorum ab iis habetur. Cujus exemplum apponere non sum veritus. O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/ Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/ Du todte‚ leben/ ja du lebendiger Todt/ Durch welcher grimm sich mu‚ manch trewe‚ hertze scheiden.

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Schame kan leiden vf den ban Da nie schandentrit kam an, Swer schame minnet den bkret in schanden die = nest selten han; Scham ist ein du hosten tugent/ sagent vns die meister vnd du buch. Das ist gewiß so anmutig, daß wir mit unserer Sprache nicht unzufrieden zu sein brauchen. Und es ist wahrlich zu beklagen, daß diese glückliche dichterische Begabung inzwischen ganz abgebrochen ist, während Italien so viele Petrarcas, Ariosts und Tassos, Frankreich so viele Marots, Bartas’, Ronsards und andere treffliche Dichter zu unserer Schande und Schmach hervorgebracht hat, während auch die Niederländer, von demselben edlen Triebe durchglüht, Gleiches zu erreichen versucht haben, und zwar mit recht viel Glück. Denn es gibt, abgesehen von den übrigen, von dem wunderbar gelehrten Daniel Heinsius Gedichte in seiner Muttersprache, in denen er die Formvollendung seiner lateinischen Gedichte nicht nur erreicht, sondern bis zu einem gewissen Grade diese und sich selbst beinahe übertroffen hat. Wir aber, wir schlafen ruhig weiter mit offenen Augen. Dabei wären wir doch in der Lage, nicht nur ebenso erfolgreich, sondern auch in denselben Versmaßen und mit ähnlicher Würde wie jene andern Völker zu dichten. Vor nicht sehr langer Zeit habe ich dem erlauchten und edlen Herrn, Herrn Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz, Kaiserlicher Rat und Commissar usw., meinem stets zu verehrenden Herrn und Gönner, einige von mir nach französischer Art gedichtete Verse gewidmet. Dieser hochgebildete, großartige Mann hat meinen Versuch gebilligt, ja er hat mich mit freundlichem Zuspruch ermutigt und in meinem Bestreben bestärkt. Wo ich kein Talent zeigen konnte, um mit Fabius zu reden, habe ich doch voller Zufriedenheit, das Zeugnis des Eifers erlangt zu haben, mich als einen wenn auch nicht an Erfolg, so doch durch löbliches Streben nicht unwürdigen Sohn meines Vaterlandes zeigen wollen. Die natürliche Begabung unterstützte meinen Fleiß, und die Leichtigkeit erweckte meinen Mut. So habe ich zuerst mich in jener Versart versucht, welche die Franzosen (nach einem italienischen Dichter dieses Namens, wie man sagt) Alexandriner nennen und die sie anstelle der lateinischen Hexameter verwenden. Ich scheue mich nicht, hier ein Beispiel dafür zu zitieren: O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/ Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/ Du todtes leben/ ja du lebendiger Todt/ Durch welcher grimm sich mus manch trewes hertze scheiden.

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Sol deine grawsamkeit den auch mein junge‚ leben (De‚ allen vngeacht da‚ mir Natura mehr Al‚ ich auch wirdig bin geschencket gunst vnd ehr) In trübniß vnd gefahr so trawrig lassen schweben? Du scheutzliche Chimer sieh wozu du mich bringest/ Da ich von kindheit an mit vnverwandtem sin/ Standhafft vnd vnverzagt alzeit gewesen bin/ Jetzt bitter zehren mich auch zuvergiessen dringest. Ey bi‚ mit dem zufried’: ey la‚ dir doch genügen / Da‚ deiner stralen brunst an meine‚ alter‚ blum Die fri‚chen bletter gantz verdörret: disen rhum La‚ dir doch sein genung: mit diesem raub thue siegen. Ein freyer heldt wenn er den Feind nur vberwunden/ Ist er gar wol zufried’: er helt e‚ für rhümlich/ Da‚/ ob er‚ köndte thun/ er doch nicht reche sich / Weil er nun albereit wa‚ er gesucht / hat funden. Vnd du/ o schnöde‚ weib/ wilst mich so hoch verderben/ Vnd dir ist‚ nicht genung da‚ du mich so gerührt/ Ja durch viel creutz vnd leidt/ durch angst vnnd noth geführt/ Du denckest dir auch noch bey mir vmb mehr zuwerben. Gott aber ist mein schutz/ dem wil ich da‚ vertrawen/ Wa‚ mir noch vbrig ist: er ist mein schirm vnd schilt/ Wenn ich jhn nur fleh’ an gar keine noth mehr gilt. Auff jhn wil ich allein in allen nöthen bawen. Wer sich auff Gott verlest/ der mag gar künlich dencken/ Da‚ er alle‚ vnglück so vn‚ offtmal‚ zusteht/ (Ob e‚ gleich in der erst schwer vnd gedrang’ hergeht) Zu ‚einer stell’ vnd stundt mit frewden werde lencken.

Item hoc breve Epigrammation: Wollust vnd vppigkeit der welt must du vermeiden/ Vnd treten mit gedult der scharffen dörner weg/ So er dich tragen sol auff den lieblichen steg/ Vnd in da‚ schöne schlo‚ der wahren lust vnd frewden.

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Sol deine grawsamkeit den auch mein junges leben (Des allen vngeacht das mir Natura mehr Als ich auch wirdig bin geschencket gunst vnd ehr) In trübniß vnd gefahr so trawrig lassen schweben? Du scheutzliche Chimer sieh wozu du mich bringest/ Da ich von kindheit an mit vnverwandtem sin/ Standhafft vnd vnverzagt alzeit gewesen bin/ Jetzt bitter zehren mich auch zu vergiessen dringest. Ey bis mit dem zufried’: ey las dir doch genügen/ Das deiner stralen brunst an meines alters blum Die frischen bletter gantz verdörret: diesen rhum Las dir doch sein genung: mit diesem raub thue siegen. Ein freyer heldt wenn er den Feind nur vberwunden/ Ist er gar wol zufried’: er helt es für rhümlich/ Das/ ob ers köndte thun/ er doch nicht reche sich/ Weil er nun albereit was er gesucht/ hat funden. Vnd du/ o schnödes weib/ wilst mich so hoch verderben/ Vnd dir ists nicht genung das du mich so gerührt/ Ja durch viel creutz vnd leidt/ durch angst vnnd noth geführt/ Du denckest dir auch noch bey mir umb mehr zuwerben. Gott aber ist mein schutz/ dem wil ich das vertrawen/ Was mir noch vbrig ist: er ist mein schirm vnd schilt/ Wenn ich jhn nur fleh’ an gar keine noth mehr gilt. Auff jhn wil ich allein in allen nöthen bawen. Wer sich auff Gott verlest/ der mag gar künlich dencken/ Das er alles vnglück so vns offtmals zusteht/ (Ob es gleich in der erst schwer vnd gedrang’ hergeht) Zu seiner stell’ vnd stundt mit frewden werde lencken. Ebenso dieses kurze Epigramm: Wollust vnd vppigkeit der welt must du vermeiden/ Vnd treten mit gedult der scharffen dörner weg/ So er dich tragen sol auff den lieblichen steg/ Vnd in das schöne schlos der wahren lust vnd frewden.

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Variari autem ac transponi hi versus possunt pro libitu. Aliter enim sibi haec succedunt. *Die schönheit fleucht hinweg al‚ wer sie nie gewe‚en; Wer sie mit Tugend schmückt i‚t selig vnd genesen: Al‚ den steht alle‚ wol vnd siehet hurtig auß/ Al‚ den wohnt ein schön wirth in einem schönen hauß.

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Aliter ista:

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Wa‚ in der welt die Sonn’/ in der Sonn’ ist da‚ licht/ In dem licht ’ ist der glantz/ in dem glantz’ ist die hitze: Da‚ ist vn‚ Menschen auch die wahre libe‚ pflicht/ Vnd ein getrewe‚ hertz’: e‚ ist nicht‚ nicht ‚o nütze. O wie glückselig ist auch in dem höchsten schmertzen/ Der dem ein trewer Freund mit liebe‚ brunst von hertzen Ohn falsch ist zugethan. ein solchen in der noth Vnd wiederwertigkeit halt’ ich fur einen Gott.

Aliter rursum ista Ernesti Schwaben von der Heyde, politißimi hominis, et mira suavitate morum commendatißimi: cujus tamen Germanica quaedam carmina *longe post vidi, quam de hoc scribendi modo cogitaveram.

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Ihr die jhr höret an wie mancher sturmwind wehet/ Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/ Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/ Vnd ein vorletzte‚ hertz vol tausen wunden sehet. Erlernet wol hierauß wa‚ man in Lieb’ au‚stehet/ Darin die junge zeit mich lie‚ ergeben sein/ Al‚ ich für wahre lust hielt ’ einen fal‚chen schein/ Darüber mich jetzund hertzliche rew’ vmbfehet: Vnd fliehet ‚olche brunst vnd jhre ‚üsse Gifft/ Der eiteln schönheit glantz/ die vn‚ da‚ Hertz schnel trifft/ Vnd angst vnd schmertzen vol witzlo‚ herummer leitet: Ohn Tugend i‚t schönheit nur ein triegliche‚ Kleidt; Wer ‚olcher dien‚tbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt: Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.

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Diese Verse können aber beliebig verändert und umgestellt werden. Die folgenden nämlich haben eine andere Reihenfolge: Die schönheit fleucht hinweg als wer sie nie gewesen; Wer sie mit Tugend schmückt ist selig vnd genesen: Als den steht alles wol vnd siebet hurtig auß/ Als den wohnt ein schön wirth in einem schönen hauß. Anders sind diese: Was in der welt die Sonn’/ in der Sonn’ ist das licht/ In dem licht’ ist der glantz/ in dem glantz’ ist die hitze: Das ist vns Menschen auch die wahre libes pflicht/ Vnd ein getrewes hertz’: es ist nichts nicht so nütze. O wie glückselig ist auch in dem höchsten schmertzen/ Der dem ein trewer Freund mit liebes brunst von her = tzen Ohn falsch ist zugethan. ein solchen in der noth Vnd wiederwertigkeit halt’ ich für einen Gott. Wieder anders sind die folgenden des Ernst Schwabe von der Heyde, eines sehr gebildeten und durch die wunderbare Liebenswürdigkeit seines Charakters sehr angenehmen Mannes. Seine deutschen Gedichte habe ich jedoch viel später gesehen, als ich selbst den Gedanken gefaßt habe, in dieser Art zu dichten. Sonnet. Ihr die ihr höret an wie mancher sturmwind wehet/ Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/ Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/ Vnd ein vorletztes hertz vol tausen wunden sehet. Erlernet wol hierauß was man in Lieb’ ausstehet/ Darin die junge zeit mich lies ergeben sein/ Als ich für wahre lust hielt’ einen falschen schein/ Darüber mich jetzund hertzliche rew’ umbfehet: Vnd fliehet solche brunst vnd jhre süsse Gifft/ Der eiteln schönheit glantz/ die vns das Hertz schnel trifft/ Vnd angst vnd schmertzen vol witzlos herummer leitet: Ohn Tugend ist schönheit nur ein triegliches Kleidt; Wer solcher dienstbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt: Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.

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Ejusmodi itaque, ut cernitis, versus deduci varie ac instrui possunt: quod et Germanica mea Poëmatia, quae aut cum Latinis, aut seorsim aliquando, volente Deo, prodibunt  , * «  µ φ «  

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ostendent amplius et edocebunt. Observandus saltem accurate syllabarum numerus, ne longiores duo versus tredecim, breviores duodecim syllabas excedant: quarum in his ultima longo semper tono; in illis [C4r] molli et fugiente quasi producenda est. Et * $« attendendum, ut ubique sexta ab initio syllaba dictione integra claudatur, et versus ibi veluti intersecetur. Est et aliud genus, quod Franci Vers communs appellant, decem ac undecim syllabarum, quod post quartam respirat semper et interquiescit. Hoc modo. Der liebe brunst bald frewde macht dem hertzen/ Bald lohnet sie mit wehmut vnd mit schmertzen/ E‚ ist jhr glantz ein schatten vnd ein schein/ Vnd jhre lust i‚t bitter-‚üsse pein.

Ernestus Schwabe: In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/ Wie da‚ sein schatz sey heufftig zugerichtet/ Die Gotte‚furcht in dessen (ach der Noth!) Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt. Monendum et hoc: è vocalem in fine dictionis positam, sequente altera vocali proximi verbi initio, in quibuscunque versibus semper elidi. Quia vero mos hic novus est Germanis et inusitatus, ne litera è tam crebro absorbenda difficultatem rudioribus afferat, non incommode eximi potest, et ejus loco tale signum’ apponi. Quod et Schvvabius docet ac observat. Ejus exemplum hoc est. Möcht’ ich dein schatten sein! ja deine‚ schatten‚ schatten! Vnd Echo deiner stimm’! auff da‚ ich köndt ’/ erstatten/ Wa‚ mir hat die Natur vnd die Erfahrenheit/ Vorsaget an Vorstand’ an kunst vnd wissenheit.

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Wie man sieht, können derartige Verse also nicht auf verschiedene Art gebaut und angeordnet werden; das werde ich auch anhand meiner eigenen deutschen Gedichte noch deutlicher zeigen und nachweisen, die entweder zusammen mit den lateinischen oder, so Gott will, eines Tages gesondert ans Licht treten werden, ans süße Licht der Sonne. Einzuhalten ist wenigstens die Zahl der Silben, daß nämlich die längeren Verspaare nicht mehr als dreizehn, die kürzeren nicht mehr als zwölf Silben zählen. Bei diesen muß die letzte Silbe immer lang sein, bei jenen muß sie mit schwächerer und gleichsam entschwebender Betonung ausgesprochen werden. Es ist auch genau zu beachten, daß überall die sechste Silbe einen Wortschluß bildet und daß der Vers dort gleichsam einen Einschnitt hat. Es gibt noch eine andere Versart, welche die Franzosen vers communs nennen, aus zehn und elf Silben, welche nach der vierten immer Atem holt und eine Pause macht. Das geht folgendermaßen: Der liebe brunst bald frewde macht dem hertzen/ bald lohnet sie mit wehmut vnd mit schmertzen/ Es ist jhr glantz ein schatten vnd ein schein/ Vnd jhre lust ist bitter = süsse pein. Ernst Schwabe: In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/ Wie das sein schatz sey heufftig zugerichtet/ Die Gottesfurcht in dessen (ach der Noth!) Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt. Auch an Folgendes ist zu erinnern: Der Vokal e wird in allen Versarten immer ausgestoßen, wenn er am Ende des Wortes steht und das folgende Wort mit einem Vokal beginnt. Weil aber dieser Gebrauch des Deutschen neu und ungewohnt ist, empfiehlt es sich, damit nicht das häufige Stummbleiben des Buchstabens e den Ungeübteren Schwierigkeiten bereite, dieses e auszulassen und an seine Stelle dieses Zeichen ’ zu setzen. Auch Schwabe verfährt so und hält sich daran. Dafür soll das Folgende als Beispiel dienen: Möcht’ ich dein schatten sein! ja deines schattens schatten! Vnd Echo deiner stimm’! auff das ich köndt’ / erstatten/ Was mir hat die Natur vnd die Erfahrenheit/ Vorsaget an Vorstand’ an kunst vnd wissenheit.

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[C4v] Ut compendio dicam, nullum illarum gentium carminis genus reperitur, quod Germanica lingua, utut rudem eam vocitent ac asperam, aemulari nequeamus. Anagrammatismos etiam, si frivolis ejusmodi aureum tempus jugulandum est, non infeliciter sane conquirere nuper dicimus: nisi idem nobis accidit, quod Narcisso – cui gloria formae Igne cupidineo proprios exarsit in artus. Tale est hoc nostrum: Tobia‚ Scultetu‚ von Schwanensehe vnd Bregoschitz. Gott i‚t vnser schutz vnd schild/ ob schon wa‚ eben taue.

Item hoc:

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Johanne‚ von Landtßkrone der jungere. O kron de‚ hause‚: leid nur gern an in not. Du adeliche‚ blut/ der welt vnd jhre‚ sause‚ Geh müßig/ wie du thust/ leid nur ’ gern an in not/ Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst Gott/ In künfftig schreien zu: O kron de‚ gantzen Hause‚.

Tale illud alterius cujusdam in Vratislaviae suae (magnificentissimi totius Silesiae Amphitheatri) *  φ « λ   « Bucretium. Daniel Rindfleisch. Ein friedliche‚ Landt.

Item: Laß friedlich dienen. 365

[D1r] Item: Daniell Rindfleisch. Seid allen freindlich.

Item istud in ejus filiam: 370

Margareta Rindtfleischen. Ein träfflicher Smaragdt.

Effinxit etiam Schvvabius Anagrammata non pauca: et quaedam haut ita infelici genio: quorum unum et alterum hic addam.

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Helena Roggen. Oh ringe lange. Weil da‚ Glück vnter dir du heltest in dem zwange/ Vnd dir sein lachen nicht erschwellen mag da‚ hertz/ Weil auch sein trutz vnd macht dir ist ein blo‚‚er schertz/

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Kurz, es findet sich bei keinem jener Völker eine Dichtungsart, in der nicht auch wir in der deutschen Sprache, mag man sie auch unausgebildet und rauh schelten, mit ihnen wetteifern könnten. Sogar Anagramme, freilich eine Spielerei, mit der man eigentlich die kostbare Zeit nicht verschwenden sollte, haben wir jüngst zu ersinnen gelernt, und zwar nicht ohne Glück; es müßte uns denn gehen wie dem Narziß, – dem der Ruf seiner Schönheit In Liebesfeuer zu dem eigenen Leibe entbrannte. In dieser Art habe ich Folgendes verfaßt: Tobias Scultetus von Schwanensehe vnd Bregoschitz. Gott ist vnser schutz vnd schild/ ob schon was eben taue. Ebenso dieses: Johannes von Landtßkrone der jungere. O kron des hauses: leid nur gern an in not. Du adeliches Blut/ der welt vnd jhres sauses Geh müßig/ wie du thust/ leid nur’ gern an in not/ Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst Gott/ In künfftig schreien zu: O kron des gantzen Hauses. Ferner das Folgende von einem anderen Autor auf Rindfleisch, die strahlende Leuchte und herrliche Zierde seiner Heimatstadt Breslau (der prächtige Schauplatz von ganz Schlesien). Daniel Rindfleisch. Ein friedliches Landt. Oder: Laß friedlich dienen. Oder: Daniell Rindfleisch. Seid allen freindlich. Oder dieses auf seine Tochter: Margareta Rindtfleischen. Ein träfflicher Smaragdt. Auch Schwabe hat nicht wenige Anagramme gebildet, darunter einzelne recht glücklich. Das eine oder andere davon möchte ich hier zitieren. Helena Roggen. Oh ringe lange. Weil das Glück vnter dir du heltest in dem zwange/ Vnd dir sein lachen nicht erschwellen mag das hertz/ Weil auch sein trutz vnd macht dir ist ein blosser schertz/

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Spricht jede‚ tapffer‚ hertz/ heldin: oh ringe lange! Helena Roggen. Engel ohne arg. Gantz Engelich bistu an ge‚talt vnd geberden; Dazu dein Nahme wil/ wenn er durchmenget ist/ Auch bringen an da‚ licht/ wer du inwendig bist/ Denn Engel ohn’ all arg soltu genennet werden. Johanne‚ Rogge. Jage ohn sorgen. Weil du in der Welt jagt / kanst frey ohn sorgen jagen/ So jage frölich hin/ vnd geneu‚ deiner Lust: Nicht allen ist die Jagt sorglo‚ also bewust/ Denn vielen muß sie sein vol sorgen/ gremen/ plagen.

Nemo igitur ignorare diutius potest, nihil obstare quo minus nostra etiam lingua emergat imposterum ac in lucem protrahatur: lingua venusta, lingua [Dlv] decens, lingua gravis ac patriae suae, tot ingentium heroum nutrici, dignissima, lingua quae integra et incommista 395

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*tot jam labentibus annis ad nos pervenit. Hanc, si qui coelo vestro, hoc est, vobis ipsis non invidetis, amate, hanc expolite, hic viros vos praestate. Hic Rhodus, hic saltus. Quod si precibus dandum aliquid et obsecrationi censetis: per ego vos dilectissimam matrem vestram Germaniam, per majores vestros praegloriosissimos oro et obtestor, ut nobilitate vestra gentisque dignos spiritus capiatis; ut eadem constantia animorum, qua illi fines suos olim tutati sunt, sermonem vestrum non deseratis. Proavi vestri, fortes et inclyti Semones, animam pro aris ac focis efflare non dubitaverunt. Vos ut idem praestetis, necessitas minime jam flagitat. Facite saltem, ut qui candorem in generosis mentibus vestris servatis illibatum, oratione quoque illibata proferre eundem possitis. Facite, ut quam loquendi dexteritatem accepistis à parentib!us" vestris, posteritati relinquatis. Facite denique, ut qui reliquas gentes fortitudine vincitis ac fide, linguae quoque praestantia iisdem non cedatis.

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Spricht jedes tapffers hertz/ heldin: oh ringe lange! Helena Roggen. Engel ohne arg. Ganz Engelich bistu an gestalt vnd geberden; Dazu dein Nahme wil/ wenn er durchmenget ist/ Auch bringen an das licht/ wer du inwendig bist/ Denn Engel ohn’ all arg soltu genennet werden. Johannes Rogge. Jage ohn sorgen. Weil du in der welt jagt/ kanst frey ohn sorgen jagen/ So jage frölich hin/ vnd geneus deiner Lust: Nicht allen ist die Jagt sorglos also bewust/ Denn vielen mus sie sein vol sorgen/ gremen/ plagen. Hinfort muß also jedermann wissen: Dem steht nichts im Wege, daß auch unsere Sprache aus dem Dunkel auftauche und ans Licht gezogen werde, diese schöne, feine, kräftige Sprache, die ihres Vaterlandes, der Amme so vieler gewaltiger Helden, so würdig ist, die Sprache, welche unverfälscht und unvermischt im Laufe schon so vieler Jahre auf uns gekommen ist. Sie müßt ihr lieben, wenn ihr nicht gegen den Himmel eures Vaterlandes, das heißt gegen euch selbst, Feindschaft hegt; an ihrer Ausbildung müßt ihr arbeiten, darin müßt ihr euch als Männer zeigen. Hier ist Rhodos, hier springt! Und wenn ihr glaubt, man müsse Bitten und Beschwörungen nachgeben: Nun, so bitte und beschwöre ich euch bei eurer vielgeliebten Mutter Deutschland, bei euren glorreichen Ahnen: Zeigt eine Gesinnung, würdig eures edlen Volkes, verteidigt eure Sprache mit derselben Ausdauer, mit der jene einst ihre Grenzen schützten. Eure Vorfahren, die tapferen und weitberühmten Semnonen, trugen keine Bedenken, für Altar und Herd zu sterben. Schon die Not fordert jetzt von euch, daß ihr dasselbe leistet. Bringt es wenigstens dahin, daß ihr die hohe Gesinnung, welche ihr lauter in euren edlen Herzen bewahrt, auch in einer lauteren Sprache ausdrücken könnt. Bringt es dahin, daß ihr die Gewandtheit der Rede, die ihr von euren Eltern überkommen habt, euren Kindern hinterlaßt. Bringt es endlich dahin, daß ihr den übrigen Völkern, welche ihr an Tapferkeit und Treue übertrefft, auch an Trefflichkeit eurer Sprache nicht nachsteht. [H.J.]

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MARTINI OPITII DAPHNIS. BETHANIAE ad Oderam, L ITERIS J OANNIS D ÖRFERI . A N. MDCXVII . [A1v] ILLUSTRI MAGNIFICO ET NOBILISSIMO VIRO, D !omi"N !o"

T OBIAE à S CHVVANNENSEE ET BREGOSCHITZ , cognomento S CUL TETO

Bellaquimontii et Hirschfeldae Haereditario, Sac!ri" Lateranensis Palatii Comiti, Caes!areae" Maj!estatis" Consiliario et Commissario, Fisci Regii per Sil!esiam" et Lusatiam Patrono et J!uris"C!onsul"to, Heroi Literatissimo, Moecenati domestico D!edicavit" C!consecravit"Q!ue" Autor [A2r] DAPHNIS ECLOGA.

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FOrte sub egelidis quercûs prostratus Iolas Frondibus, irriguis Viadrus quà labitur undis, Et rauco pulsat montis concussa susurro Oppositi latera, ac cedentia dorsa fatigat; Illic hos tenui ludebat arundine cantus: Hic tibi, Daphni pater mitissime, pauper Iolas, Silvestres calamos quercûs de robore pendit. Da veniam, si plura nequit. His Tityrus olim Demulsit rigidas dilectae Amaryllidis aures.

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Martin Opitz Daphnis. Beuthen an der Oder, gedruckt bei Johannes Dörffer im Jahre 1617.

Dem ruhmreichen, glanzvollen und edlen Mann, Herrn Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, genannt Scultetus, Erbherrn auf Schönwasserberg und Hirschfeld, päpstlichen Pfalzgrafen, kaiserlichen Rat und Kommissar, Rechtsbeistand des königlichen Fiskus in Schlesien und der Lausitz, dem hochgebildeten Helden, seinem persönlichen Förderer hat dies der Verfasser gewidmet und zugeeignet.

Daphnis. Ekloge Einmal streckte Iolas sich hin am Fuß einer Eiche (Kühle verströmte ihr Laub), und zwar, wo mit netzender Flut die Oder dahinströmt, mit dumpfem Geräusch den Hang des entgegenStehenden Berges bedrängt und schlägt, seinen Rücken, der ausweicht, Auch noch belästigt. Und dort, zu lieblicher Rohrpfeife, sang er: „Daphnis, gütiger Vater, hier zahlt dir von kräftiger Eiche Klänge des Rohrs aus dem Wald als Lohn der arme Iolas. Bitte verzeih, wenn er mehr nicht vermag. Mit solcherlei Tönen Schmeichelte Tityrus einst Amaryllis’, der Liebsten, gestrengen

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Haec mihi pastorum liquit solatia noster Tityrus. O quoties dulcis Galatea canenti Favit, et obliquis arrisit Alexis ocellis. Saepe illum tenerae charis cum matribus agnae, Saepe etiam sanctae stupuerunt numina silvae. Haec abiens mihi dona dedit, hoc pignus amoris, Dixit, habe: ecce Siracosii tibi munera vatis, Munera parva quidem, sed non incognita nymphis Naiasin, Panique tibi; te sacra Lycaei Culmina non tenuere, et tanti Maenalus ipse Vix fuit, ac suavis Siculi pastoris avena. Tu quoque, nostra licet curis sint cantica, Daphni, Inferiora tuis, tenues ne despice cannas, [A2v] Et non excultae modulamina rustica Musae. Nec te poeniteat, pecoris quia pauperis haeres Incedo, sub tecta meas intrasse capellas. Crescet ager mecum, crescent armenta gregesque, Quantum vere novo florem flos trudit, et arbos E tenui radice venit, ex arbore sylva, Sylva olim seris factura nepotibus umbram. Non indigna cano, nec degener incola campi Pastorum vereor cantûs, et nuper Hyella Nympharum flos atque decus prolixa favoris Argumenta dedit: Pan has laudavit avenas, Et Satyri, Faunique, et monticolae Sylvani. Sunt Musis, sunt et Phoebo mea carmina curae, Hic mentem intrepidam de sordibus eximit aevi, Et me simplicibus curis beat: unica virtus Inclyta, et augusti clementia caelica vultûs, Daphni, tuas me sponte mea deduxit in oras. Jam sex ferme pater Titan per signa cucurrit, Cum mihi fausta tuos persuasit ab ilice cornix Aspirare lares, et idem quoque charus Amyntas, Spemque metumque inter, dilecto in cortice scripsit. Nec mens laeva fuit. Satis ô satis omnia votis Respondere meis; juverunt sidera sortem. Non alibi licuit numen praesentius ullum Cernere: tu nostrae concedis dulcia Musae Otia, et ô utinam sint longa, nec improba lappae Semina se loliumque istis immisceat agris.

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Ohren. Und Tityrus ließ mir – er ist ja der Unsere – diese Tröstung der Hirten. Wie oft Galatea, die süße, dem Sänger Beifall zollte, wie oft ihm Alexis mit neidischen Augen Lächelte! Oftmals erstaunten vor ihm die zärtlichen Lämmer Samt ihren lieben Müttern und oft manch heiliger Waldgott. Dieses Geschenk übergab er mir scheidend als Pfand seiner Liebe. ‚Nimm es‘, so sprach er, ‚hier hast du des syrakusanischen Dichters Gabe, die zwar gering, jedoch najadischen Nymphen, Pan, auch dir gut bekannt ist; Lycaeus’ heilige Gipfel Hielten dich, Pan, nicht zurück, selbst Maenalus hatte für dich nicht Gleichen Wert wie das liebliche Lied des sizilischen Hirten.‘ Daphnis, verachte auch du mitnichten die schwächliche Flöte, Mag mein Gesang auch den Werken von dir unterliegen, verachte Nicht den so bäurischen Klang einer wenig gebildeten Muse. Hoffentlich stört es dich nicht, daß Ziegen – nur ärmliches Kleinvieh Hab’ ich geerbt – daß Ziegen von mir dein Gebäude betreten. Grund und Boden wird wachsen wie ich, auch Großvieh und Kleinvieh, Ganz so, wie Blume um Blume im Lenz hervortreibt und Bäume Wachsen aus schwächlicher Wurzel, aus Bäumen später ein Wald wird, Welcher den spätesten Enkeln dereinst noch Schatten verspendet. Was ich dir singe, hat Wert; ich wohne nicht bei verkommnen Landstreichern, Hirtengesang beeindruckt mich nicht, und vor kurzem Gab mir Hyella, die Blume, die Zier aller Nymphen, Beweise – Reichlich! – der Gunst. Und Pan fand lobende Worte für meine Syrinx; so Satyrn und Faune, Sylvane dazu von den Felsen. Wirklich, es liegen den Musen, es liegen Apoll meine Verse Wirklich am Herzen. Apollo entreißt mich – ich zittere nicht – dem Unflat der Zeit und gewährt mir den arglosen Auftrag: Besondre Ruhmvolle Haltung und himmlische Milde erhabener Miene Führten mit meinem Willen, o Daphnis, mich her in die Gegend Hier, wo du lebst. Schon hat Sol den halben Tierkreis durchlaufen, Seit eine Krähe mir riet, auf dem Eichbaum mir Gutes verkündend, Deine Behausung zu suchen; der liebe Amyntas – er bangte, Hoffte zugleich –, er schrieb mir zur Freude dasselbe auf Rinde. Und der Gedanke war glücklich. Wie reichlich entsprachen dann alle Umstände Wünschen von mir; die Sterne hoben mein Leben. Anderswo hätte ich nie etwas Göttliches wirksamer sehen Können. Du gibst meiner Muse erfreuliche Freiheit; sie möge Lange noch währen! Und möchten sich weder der Klette verwünschter Same noch unechter Hafer, der Lolch, auf diesen bestellten

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Tu pastorales cantus et rustica verba Aspicis his oculis, patriae quîs commoda nostrae [A3r] Collustrare soles, rebusque occurrere fessis. Tu quando tenerae fastûs recitamus Hyellae, Crudelesque oculos, et durae spicula formae, Oblitum revocas ignem, et suspiria docta, O inter lacrymas suspiria exhalata, Aphrosynaeque dolos, Sophiaeque adamantina corda: Quae te sub caeli tulerunt vaga sidera, mollis Ante genas certa lanugine vestiit aetas. Fortunate virûm, longae indulgentia Famae Concessit se tota tibi, tua praetulit annis Gloria primaevis meritae virtutis honorem. Non modo vicinos saltus, vicinaque circum Litora, Daphni, tuos laudavit cunctus amores Pastor: et Arcadiae cecinit gens omnis in aruis Ingenii monimenta tui. Te Tibridis undae, Te Rhodanus stupuit; te pulcra Garumna Tagusque Plausibus excepit laetis: Nordvvicides agnae Exiliere tibi: Benaci fluminis exul Infelix, soboles magnorum invicta deorum, Omnia rura, tuos retulerunt omnia cantus. Jam quoque, solicitae post mille negotia vitae, Si libet ad lucos et amoena vireta reverti, Te veniente nemus gaudet, tibi sacchara sudat, Ambrosiis arbusta madent saltusque pruinis, Mentitur ros mella: tuis elementa polusque Conjurata favent umbris. Audisne canoro Ceu volucrum ingeminat gens candida gutture carmen? Non tot in aurata lusit testudine voces Ingenioso Orpheus Thrax pollice, non tot Iopae [A3v] Criniti musaea chelys, non tibia diae Euterpes, quot sola modos Philomela sequaces Caelesti ore facit. Tibi laude oppleta loquuntur Avia voce notha: Daphni ô Daphni omnia clamant, Omnia clamabunt, raucis dum rura cicadis, Dum suavi volucrum resonabunt litora cantu. Ipse ego, si te fortè movent mea munera, purum Quotquot erunt anni, mactabo altaribus agnum, Et lauri foliis, hederaque altaria cingam:

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Feldern verbreiten! Die Lieder vom Land und bäurische Wörter, Ja, du betrachtest sie ganz mit demselben Blick, der der Heimat Nutzen zu prüfen pflegt und Erschlaffung entgegenzuwirken. Wenn ich die Sprödheit Hyellas, der zarten Hyella, besinge, Ihren grausamen Blick, ihrer Schönheit stahlharten Stachel, Rufst du dir Feuer herauf, das vergessen war, Seufzer voll Wissen, Seufzer, hervorgehaucht unter Tränen, die häufige schlimme List Aphrosynes, das Herz, das ganz Diamant war: Sophiens. All diese Seufzer erhoben dich schon zu den schweifenden Sternen, Eh’ dir die freundliche Jugend die Wangen mit deutlichem Flaum deckt’. Glückhafter Mann! Denn die Gnade des lange beständigen Ruhmes Hat sich dir ganz gewährt. Dein Ansehn trug schon deinen frühen Jahren Verehrung voran, Verehrung verdienstvoller Leistung. Rings um die näheren Wälder nicht nur und die näheren Ufer – Jeglicher Hirt war voll Lob für deine Liebesgedichte, Daphnis, das ganze Volk auf den Fluren Arkadiens sang die Zeichen deines Genies: deine Lieder; die Wellen des Tiber Staunten dich an und die Rhône; die schöne Garonne und der Tajo Klatschten dir fröhlichen Beifall; die Schafe von Noordwijk verließen, Dir zu begegnen, den Pferch; der vom Lago di Garda, zu seinem Unglück, vertriebene Mann, ein siegreicher Nachfahr der großen Götter, und alle Gefilde vermeldeten deine Gesänge. So ist’s auch jetzt noch: Sobald dir beliebt, nach Tausenden Pflichten Vielbeschäftigten Lebens noch einmal zu Hainen und schönen Wiesen zu wandeln, frohlockt der Hain, weil du kommst, und er schwitzt dir Zucker entgegen, Gebüsche und Wald sind feucht von dem Reif, der Wie Ambrosia aussieht, und Tau scheint Honig. Der Himmel Hegt deine Muße im Bund mit der ganzen Natur. Und das biedre Völkchen der Vögel – du hörst’s? – verstärkt mit melodischer Kehle Seinen Gesang. Und die Finger des Orpheus, des Thrakers, begabte Finger, vermochten es nicht, auf vergoldeter Laute so viele Lieder zu spielen, noch Jopas’, des lockigen, musische Lyra Noch auch die Flöte Euterpes, der Göttin, wie einzig die HimmelsKehle der Nachtigall singt, geschmeidige Lieder; zu dir spricht Einöde, voll deines Lobs, mit geborgter Stimme: O Daphnis, Daphnis! So rufen dich alle und immer, solange das Feld von Schrillen Zikaden, das Ufer von süßem Vogelgesang tönt. Freut meine Gabe dich etwa, so will ich in jeglichem Jahr, und Seien es noch so viele, ein reines Lamm am Altare Schlachten, mit Lorbeer- und Efeugezweig den Altar rings umwinden.

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Ac cum jam Superae fueris pars nobilis aulae, Atque aliquis laetas ibit novus hospes in oras, Narrabit grati laudabile carmen Iolae, Cum Daphnin campi et segetes, cum lustra vocabunt. Te mea Musa canet; quamvis sit rustica, nullo Per sylvas et rura tamen reticebitur aevo. Interea hos calamos, cantor quae Tityrus ipse Simichidae mihi dona dedit, facili aspice vultu, Sic, ô Daphni, tuis responsent omnia votis. Haec projectus humi secum cantabat Iolas, Cantanti eripiunt surgentia sidera lucem, Sesamaque è sudo spargunt super arbuta rore.

*** M. MARTINO FÜSSELIO Seren!issimi" Elect!oris" Brandeb!urgensis" à Concionibus cum Docturae honores peteret.

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Augusta virtus, et bonarum mentium Devotus ardor, in pium cultum DEI Non interibit: altiùs qvovis loco Ascendit, et laudis vehetur aureo Curru decorae, dum tuus viris honor Constabit altis, clare Füsseli, tuba Tonantis et vox celsa, qvamvis vultures Qvidam cucullati, venenati canes Pacis beatae hirudines, peste impiâ Famam atqve nomen involant viri boni. Assurgit onere palma: cui nisu parant Nocere tanto, spiculis prosunt suis: Et ille conscientiae muro aureo Obseptus, omnes temnit insultus feros, Et gloria messem uberem largè facit. Qvalis tibi nunc exhibetur, ô virûm Typus piorum, qvamlibet longè tua Doctrina vincat hos honoris indices. [794] Adeste, adeste, qvi voletis strenuam Opem locare charitatis, et sacrae

Augusta virtus

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Kommt eines Tages ein Gast, ein neuer Gast in die heitre Umwelt um dich, du bist ja ein vornehmes Mitglied des edlen Hofes, so wird er vom löblichen Lied des Iolas erzählen, Der dir ja Dank weiß, und Felder und Saaten und Wildhöhlen werden, Daphnis, dich rufen. Nur dich wird meine Muse besingen, Wird auch, wie bäurisch sie sei, in Wald und Feld nie verstummen. Schaue inzwischen das Rohr, das Tityrus selber mir gab, der Sänger im Lied Theokrits, mit freundlichem Blick an. Auf diese Weise soll alles, o Daphnis, den Wünschen von dir sich bequemen.“ Dieses war’s, was Iolas, am Boden liegend, sich vorsang; Sterne steigen herauf, sie nehmen dem Sänger das Licht weg, Streuen aus heiterem Himmel mit Tau auf die Meerkirschen Sesam.

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*** Für Magister Martin Füssel, Hofprediger Seiner Durchlaucht, des Kurfürsten von Brandenburg, als er die Doktorwürde anstrebte. Erhabner Wert und guter Menschenseelen tief Ergebne Liebesglut zu Gottes frommem Kult Gehn niemals unter, steigen auf an jedem Ort Empor und fahren hin im goldenen Gefährt Des schönen Ruhms, da deine Ehr’ bei hohen Herrn Bestehen bleibt, berühmter Füssel, Donnergotts Fanfar’ und hohe Stimm’, manch Geier mag verkappt, Manch Hund voll Gift, des frohen Friedens Egel, mag Mit frevelhaftem Geifer gegen Ruf und Rang Des guten Menschen fliegen oder rennen. Last Läßt Siegeszeichen wachsen. Dem so angestrengt Sie schaden wollen, nützen sie durch ihren Dorn. Und der, umschirmt von des Gewissens goldnem Wall, Schätzt jeden wilden Angriff ganz gering; es bringt Sein Ruhm weithin die überreiche Ernte ein. Was man dir nun an Ehrung bietet – o wie weit Ragt all dein Wissen, Vorbild jedes frommen Manns, Hinaus, weit über diese Ehrung, die jetzt kommt! Herbei, ihr alle, die ihr nun die muntre Kraft Der Liebe zeigen wollt, wohnt diesem Bühnenstück

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Vidi qui facili

Pacis theatro, cernite haec vestigia. Sic approbabitis Deo, vos, patriae Flammas amoris, optimâ pace entheum Sic audietis et docebitis fide.

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BEate Tite, si quid in modestia

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Bonisque moribus situm est, Profecto nemo comparabitur tibi. At hoc fleo; quibus prius Probae innocente vitae imagine, exitu Quod innocente nunc praeis. Scripsi M ARTINUS O PITIUS.

*** A3ξ $  λ  !  4 Ν".

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Vidi qui facili narraret stoa puellae Dogmata, ut in tenero scita severa sinu: Ast haec nescio quid stoum sperabat, ut ipsis Si quid stoicis durius esse potest. Stultum olet haec sapientia: qui pro tempore vafre Desipit atque loco cum ratione furit. Martinus Opitius Silesius, illibatae amicitiae sacramentum deposuit Dn. Possessori Anno M.DC.XVIII., Prid. Cal. Februar. Amandandus amoris amarus amaror amore.

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Vidi qui facili

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Des heil’gen Friedens bei, beachtet diese Spur! Denn so erweist ihr Gott, daß ihr das Vaterland Voll Feuer liebt, und hört den Gottbegeisterten In guter Ruh und werdet Lehrer bester Treu’. [G.B.]

*** Glückseliger Titus, wenn an Bescheidenheit und gutem Verhalten etwas gelegen ist, wird sich gewiß niemand mit dir vergleichen lassen. Doch darüber weine ich, daß du denjenigen, denen du zuvor durch ein unbescholtenes Vorbild rechtschaffenen Lebens vorangingst, nun durch einen unbescholtenen Tod vorangehst. Das schrieb ich, Martin Opitz. [R.S.]

*** Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern. Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen an ihrer zarten Brust steife stoische Lehren vorerzählte wie strenge Grundsätze. Sie jedoch erhoffte sich etwas stoisch Steifes, wie wenn es etwas Härteres geben könnte als die Stoiker selbst. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schließen, der den Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit all seinem Verstand rast. Martin Opitz aus Schlesien leistete dem Herrn Besitzer einen Eid über seine unverminderte Treue am 31. Januar 1618. Die bittere Bitterkeit der Liebe zu vertreiben durch Liebe. [R.S.]

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Dn. S EBASTIANO N AMSLERO S . P. D . M ARTINUS O PITIUS.

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Namslere si quid

HAbes, Mi Namslere, quod petisti: quanquam posses jubere. Exigimus enim ab amicis jure, quod ab aliis precibus impetramus. Vides ergò versus, tenues illos et inconcinnos: quales ab homine curis distracto proficisci solent. Libuit autem mihi à more usitato secedere, et Teutonicè loqui. Quoniam lingua nostra reliquas et puritate aequat, et gravitate procul dubio vincit. Si quis est, qui lepores hos ferre non potest, atroci stylo effodiat quicquid velit. Non diffido, absque meis nugis fieri à te ac tuâ Sponsâ posse, quod à novis nuptis solet. Quis in bello tuba canit, interfecto tubicine? Et tamen pugnatur. Vale, cum ipsa, et virum te praesta. […] [A4v] Ejusdem Iambi claudi. Namslere si quid discere ex inexperto Tibi libido est, magnae opus moves molis: Nanque in cribrum fundes aquam: quia uxori Vir saepe dat suae nimis, satis nunquam.

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Qvò vis, Sebastiane? quid Camoenarum Dilecta multum castra perfidus linquis? Quò te pedes, amice? dure quò tendis? Sed verba frustra: cui semel iugo collum Venus dolosa aptauit, ille nequicquam, Quae iam subiuit onera, ferre detrectat. Si quam tamen fidem imputas inexperto, Opus moves profectò molis ingentis, Et ardui negotii: quia vxori Vir saepè dat suae nimis, satis nunquam.

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Namslere si quid

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Herrn Sebastian Namsler grüßt ganz herzlich Martin Opitz. Da hast du, mein lieber Namsler, worum du gebeten hast; du hättest freilich auch befehlen können. Von einem Freund fordern wir nämlich zu Recht, was wir von anderen durch Bitten zu erlangen suchen. Hier siehst du also Verse. Sie sind schlicht und schmucklos, so wie sie ein Mensch hervorzubringen pflegt, der von Sorgen geplagt wird. Nun hat es mir aber gefallen, vom gewohnten Brauch abzugehen und deutsch zu reden. Unsere Muttersprache kommt den übrigen ja an Reinheit gleich und übertrifft sie ohne Zweifel an Ausdruckskraft. Sollte es jemanden geben, dem meine Tändeleien unerträglich sind, so möge er mit spitzem Griffel auskratzen, was immer er mag. Ich zweifle nicht, daß auch ohne meine Reimereien von dir und deiner Braut ins Werk gesetzt werden kann, was bei Neuvermählten üblich ist. Wer bläst im Krieg die Trompete, wenn der Trompeter gefallen ist? Und dennoch wird gekämpft. Leb wohl mit ihr und beweise dich als Mann. […] Hinkjamben desselben Verfassers. Wenn du, lieber Namsler, von einem Unerfahrenen zu lernen begehrst: Du machst dich wahrhaftig an ein Werk von großem Umfang. Du wirst nämlich Wasser in ein Sieb gießen, weil ein Mann seiner Frau oft allzuviel gewährt, nie jedoch genug. Wohin, Sebastian, willst du? Warum verläßt du treulos das vielgeliebte Lager der Camenen? Wohin, Freund, tragen dich die Füße? Wohin, Hartherziger, strebst du? Doch Worte sind vergeblich bei einem, dem einmal die listenreiche Venus ihr Joch auf den Nacken gelegt hat; er weigert sich vergebens, die einmal aufgenommene Last zu tragen. Falls du dennoch einem Unerfahrenen etwas Vertrauen entgegenbringst: Du machst dich wahrhaftig an eine Aufgabe von ungeheurer Größe und harter Mühsal, weil (10) ein Mann seiner Frau oft allzuviel gewährt, nie jedoch genug. [W.-W.E.]

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SI quid adhuc Divi patriis jam restat in oris,

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Quod laudi pateat, nec nomina prima parentum In nobis tacitis dudum defodimus umbris; Hoc uno genios patriae probet esse benignos, Qui nostris saevam defendant jugiter oris Barbariem, placidoque velint nos surgere cultu. Omnibus hoc uno majus commisimus uni Bethaniae, cunctas voto conclusit avaro Spes patriae locus iste sibi; quodcunque potentum Admirandus amor jubet expectare Deorum, Incipit hoc nobis debere urbs omnibus una. Graecia sic quondam solis quaerebat Athenis Socraticos, aevi miracula sancta, furores, Commissasque sibi virtutum in Socrate vires: Tanto felices jactabat ab hospite terras. Surge age, surge tui pulcher flos temporis, aude, Dornavi ingenii vivacibus indere chartis Ostenta, et seros tibi devincire nepotes. Nos, viles umbrae, quos conscia numina Divûm Ferre animum ignavo majorem viribus aevo, Et miserè augustas inter sordescere curas, Non capiente suam, mandant, re paupere mentem, Quandocunque tuae monumenta ingentia dextrae Judicii majore oculo lustrare licebit; Fortiter hoc nostram solemur schemate sortem, Quod quaecunque aliis Natura infesta negavit, [T4r] Ingentique tibi conceßit funditus ausu, Omnia sint nostrae laudi cessura parenti. Id. O PITIUS. E7E8EI9ION.

QUalis apis teneri strepitu delata susurri,

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Remigiis libans aëra praepetibus, Et modò per campos faciles, perque obvia tempe Matris magnae agili lusitat in gremio, Et nunc florum animam tumidis lasciva labellis Purpureaeque rapit munera sancta rosae: Sed dum prudenti nequicquam fertur in umbra, Stringit felices succina gemma pedes, Quam Phoebe et Phaëtusa et Lampetie aurea triga

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Wenn es wirklich noch etwas Göttliches in unseren heimatlichen Gefilden gibt, das Lob verdient, und wenn wir, stumme Schattenexistenzen, die besten Namen der Vorväter nicht schon längst in uns begraben haben, so ist das doch wohl ein Beweis dafür, daß uns in diesem einen die Schutzgeister des Vaterlandes gewogen sind, die ohne Unterlaß die wüste Barbarei von unseren Landen fernhalten und wollen, daß wir in ruhiger Pflege heranwachsen. Mit diesem einen haben wir etwas, das größer ist als alles andere, allein Beuthen überlassen. Alle Hoffnungen des Vaterlandes, alles, was die (10) wunderbare Liebe der mächtigen Götter uns noch erwarten läßt, schloß diese Stadt mit eifersüchtigem Streben in ihren Mauern ein. Und allmählich schuldet diese eine Stadt uns allen dieses eine. So suchte einst Griechenland allein in Athen die sokratischen Verzückungen, diese göttlichen Wunderzeichen ihrer Zeit, und die moralischen Kräfte, die dem Land in der Person des Sokrates zuteil geworden waren. Es brüstete sich mit Gegenden, die das Glück hatten, einen so großen Mann zu beherbergen. Wohlauf denn, wohlauf, du schöne Blume deiner Zeit, Dornau, mach dich daran, die Wunder deines Geistes auf langlebiges Papier zu bannen und dir damit auch die spätesten Nachfahren zu verpflichten. Wir, nichtige Schatten, denen der wissende Wille der Götter (20) es auferlegt, einen Geist zu ertragen, der sein kraftloses Zeitalter überragt, und dabei selbst, umgeben von erhabenen Aufgaben, elend zu verkommen, da wir mit unseren armseligen Möglichkeiten sein Denken nicht fassen können – wenn wir dermaleinst die gewaltigen Werke deiner Rechten mit gereifter Urteilskraft betrachten dürfen, wollen wir uns tapfer mit dem folgenden Gedanken über unser Schicksal trösten: All das, was eine feindliche Natur den anderen verweigerte und in einem ungeheuren Aufschwung dir allein zuteil werden ließ, all das wird unser aller Mutter zum Ruhm gereichen. Derselbe Opitz.

Kleines Gedicht in elegischen Versen. Wie die Biene, die mit zartem Summen dahergeflogen kommt, dabei mit raschen Flügeln die Luft streichelt und bald durch offene Gefilde, bald durch waldige Schluchten ihren Weg suchend im lebendigen Schoß der großen Mutter tändelt und nun mutwillig mit schwellenden Lippen den Blumen ihren Seelenhauch und der Purpurrose ihre heiligen Gaben raubt; dann aber, als sie in vergeblicher Vorsicht im Waldesschatten umherfliegt, umschließt die glücklichen Füße ein Harztropfen, wie ihn Phoebe, Phaetusa und Lampetie, die goldene Dreiheit, (10) ohne Unterlaß aus dem Saft der Pappeln hervorquellen lassen. Und so eingeschlossen, ziert sie die mitleidigen Tränen der Heliostöchter und wird zugleich

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Populeo stillant jugiter è latice. Heliadumque pias lachrymas implexa venustat, Compedibusque simul fit pretiosa suis. Sic dum Bethaniae, Dornavi, vivis in oris, Nostra tibi grata est patria, tu patriae. Idem.

*** Nobilissimi et Generosi Sponsorum Paris CHRISTOPHORI GEORGII DE BERGK, Equitis Literatissimi, ET

ANNAE MARIAE MUTSCHELNICIAE, Matronae Lectissimae EPITHALAMIUM . Auctore MARTINO OPITIO. GORLICII

IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant.

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[A2r] FElix, conjugii cui mollia fata prioris, Et fortunati dulcis concordia lecti, Ad memores laetâ revocatur imagine sensus. Non ille, innuptae commendans otia vitae, Laudat damna tori, viduosque amplectitur annos Tristis, et iratis teneros incusat amores Vultibus, ac thalamo sese traducit inerti. Sed, quoties raptae non fictus conjugis ardor, Et desiderium rediit; alimenta caloris Se nova concipiunt, serisque doloribus aegro Speratos blandâ vi Cypria sufficit aestus, Et penitis flammae reparat fomenta medullis. Ac veluti tacitae cum grata silentia noctis Composuêre solum, defessosque occupat artus Alta quies; subit attonitae per somnia menti

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selbst durch ihre Fesseln zur Kostbarkeit. So auch du, Dornau: Indem du in den Mauern von Beuthen lebst, ist dir unser Vaterland willkommen und du dem Vaterland. Derselbe [Opitz]. [R.K.]

*** Ein Hochzeitsgedicht für das vornehme und edle Brautpaar, Christoph Georg von Bergk, hochgelehrten Ritter, und Anna Maria von Mutschelnitz, hochwürdige Frau, verfaßt von Martin Opitz. Gedruckt in Görlitz bei Johannes Rambau.

Glücklich der Mann, in dem von erfreulichen Bildern die schöne Zeit einer früheren Ehe, das süße Beisammen beglückten Lebens zu zweit in Sinnen, die dessen gedenken, erneut wird. Der wird die schläfrige Zeit ohne Frau mitnichten empfehlen Noch den Verlust der Gefährtin für gut erklären noch WitwerJahre in Trauer durchleben, mit zorniger Miene auf zarte Liebschaften schimpfen noch gar in sinnlosem Faulbett versinken. Sondern, sooft eine Sehnsucht und echte Begier, die verstorbne Gattin noch einmal zu haben, zurückkehrt, beginnen sich neue Scheite für Feuer zu sammeln, und Cypria schickt dem von alten Schmerzen Geplagten mit sanfter Gewalt die erhoffte, die Glut zu, Gibt ihm im innersten Mark den Zündstoff für Brände von neuem. Wenn das erwünschte Schweigen in lautlosen Nächten zunächst den Boden bereitet, sodann den erschöpften Leib eine tiefe Ruhe umfängt, gehn im Traum einem jeden die eigenen Wünsche

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Quod sibi quisque cupit, vultusque videmur amicos Cernere: decepto sed ubi temeraria corde Vota sub abrupti meditamur stamina somni, Quod solum nobis superest, spe vota potenti Irrita prosequimur, fictoque illudimus igni [A2v] Igne novo, et vanae sic obliviscimur umbrae. Nec tu aliter, generis dignißima gloria vestri, Et flos nobilium, et virtutis sidus avitae, Postquam, connubio bis despoliatus amico, Sensisti vacui non mitia frigora lecti; Vitae damna tuae, inflammatus amore recenti, Fatique immites occulti ulcisceris ausus. Et merito: quis enim, quoties felicia secum Vincula et amplexus, fidei jucunda maritae Pignora, consortesque thoro considerat annos; Mallet inexplicita damnare jugalia pacta Pigritie, quàm sideribus Zephyroque secundis Currere desveto placidum per Nerea passu? O fortunatum, qui curas pectoris omnes, Qui secreta animi sensa, absque pudore metuque, Suaviter in dominae gremio diffundit amicae: Qui postquàm studiis sese lassavit, et acres Officii deglutivit de luce labores, Liber et intrepidus, somno cùm mundus inerti Occubuit, rebusque dedit nox otia feßis, Uxoris cupidis dilectae audacter in ulnis Seria sollicitae deponit munia vitae. [A3r] O fortunatum, cui dura negotia gratus Diluit aspectus natorum, et dulce paterno Pendet onus collo, genitorisque ora labellis Excipit implicitis. Hoc gaudia fine laborant Caetera; faemineique sinus sunt unica verae Semita laetitiae, gravidae queis pondera barbae Submisit rigidi virtus intonsa Catonis, Atque Laërtiadis prudentia, duraque ferro Aut adamante magis sapientis porticus aevi. Scilicet hoc matri Naturae soluimus omnes Vectigal meritò; nec amore venustius uno Quicquam caelicolûm favor has produxit in auras. Hic veluti lenocinio virtutibus ipsis

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Durch den erstaunenden Sinn, und wir bilden uns ein, daß wir liebe Bilder erblickten; sobald wir jedoch, Enttäuschung im Herzen, Kaum daß der Traumfaden riß, diese planlosen Wünsche bedenken, Suchen wir – das nur verbleibt uns – mit Hoffnung voll Kraft den enttäuschten Wünschen Erfüllung zu schaffen, verlachen das Feuer des Traumbilds, Weil uns ein neues erfüllt, und vergessen die leeren Phantome. Ebenso Ihr, der prächtigste Ruhm Eurer ganzen Familie, Blüte des Adels und Stern einer Kraft, die von Urahnen herrührt, Ebenso Ihr: nachdem euch schon zweimal die liebe Gemahlin Starb und Ihr spürtet, wie schrecklich die Kälte des einsamen Betts ist, Gleicht Ihr, in neuer Liebe entbrannt, Eure Lebensverluste Aus und bestraft das Fatum, das feige, für grausame Frechheit. Recht so! Wer würde denn auch, sooft er die glücklichen Bande, Jede Umarmung, die Kinder – die lieblichen Pfänder der Treue Seiner Gemahlin – erwägt und gemeinsame Jahre der Ehe, Lieber mit dumpfer Trägheit das Bündnis der Ehe verdammen, Als unter günstigen Sternen, mit Zephyr im Rücken, ein sanftes, Ruhiges Meer zu durchfahren, sosehr er des Fahrens entwöhnt ist! Glücklich der Mann, der die Sorgen, der alle Sorgen des Herzens, Alle geheimen Gedanken ganz frei von Scham und von Ängsten Liebevoll-zärtlich der Frau, der geliebten Herrin, ins Herz gießt; Der, nachdem er sich selbst mit Mühen erschöpft und die schwere Arbeit vom Tag im Dienst seiner Pflicht hinuntergeschluckt hat, Nun aber ruhig und frei, sobald die Welt in erschlafftes Schlafen versank und die Nacht all dem, was müde ist, Ruh gab, Ohne zu zögern den ernsten Betrieb seines ruhlosen Lebens Seiner geliebten Frau in die willigen Arme hineinlegt. Glücklich der Mann, dem der Anblick der Kinder erfreulich die schweren Sorgen und Pflichten hinwegspült, an dessen Hals, eines Vaters Hals, eine liebliche Last hängt und Vaters Antlitz mit Küssen, Schmatzenden Küssen bewirtet. Es dienen die andern Genüsse Diesem Zweck; und der Schoß einer Frau ist der einzige Weg zu Wirklicher Freude, und ihm unterwarf sich die wenig frisierte Strenge des eisernen Cato mitsamt dem Gewicht seines Vollbarts, Auch so Odysseus, der kluge, und damals, zu Zeiten der Weisheit, Die übertraf Diamanten und Eisen an Härte: die Stoa. Denn einen Zoll dieser Art entrichten wir alle mit Fug und Recht unsrer Mutter Natur; und nichts Schönres als einzig die Liebe Ließ der Himmlischen Gunst in die Luft unsrer Erde hineinziehn. Diese, die Liebe, verleiht in schöner Verkupplung sogar den

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Conciliat non vile decus speciemque venusto. Hic naevos etiam humanos et crimina peplo Obnubit quasi candenti, innatamque perenni Nequitie specioso excusat lumine culpam. Omnia divini ardori debemus Amoris. Hunc tu, docte heros, taedarum nempè priorum Connubiique memor, victrici vivere chartâ Jußisti, et nostram quoque non nescire juventam Passus es, ingenti quàm vivant parte beati, [A3v] Quos irrupta tenet jurati copula lecti, Et mansura fides. Nos te, Praeclare virorum, (Hoc solum nobis regnum fati ordo reliquit,) Quamvis te celso laus propria donet Olympo, Sublimi idcircò tollemus ad astra cothurno. Transcribet solidi flore ipso cusa metalli Penna procul positis ausa haec illustria terris: Et dùm jucundae lato superabit in orbe Nomen amicitiae, dùm faedera mentis, amorque Dum super ullus erit, Paphii dum diva vireti Corda Cupidineis unget mortalia succis; Ingenii monimenta tui, tantique leporis Posteritas agnoscet opus, generisque decorem Et titulos post se tua gloria linquet avitos. Atque vide, Venus ipsa tibi pro munere tanto Dignum operae pretium, ingratos exosa cuculos, (O utinam cunctis sic esset in aere) rependit; Matronale decus. Haec te largißima merces, Haec te dona manent. I nunc et praemia Musas Posce tuas, quisquis vigili noctuque diuque In studiis genii defraudas pensa labore. Haec Erycina suis expendit faenora mystis. [A4r] Ergò faemineum dilecto, Sponsa, pudorem Ultrò, nam tua res agitur, submitte marito. Jam puer Idalius viduatae taedia noctis Longa recompensat, jam roscida sidera vestro Indulgent et Luna tori non inscia ludo. At tu, cui tot saepè dies (dùm vindice dextra Facundas aevum fecisti vivere flammas) Sponse, prius consecrasti, jam noctis Amori Junge operam, ne laus hîc solum parta laboret.

FElix, conjugii Ernsten Tugenden Reiz, nicht geringen, und glänzendes Aussehn. Liebe umhüllt sogar die Gebrechen und Sünden der Menschen Gleichsam mit leuchtendem Kleid und gleicht von der erblichen Sünde In uns gepflanzte Schuld mit schön erstrahlendem Licht aus. Alles verdanken wir doch der Glut der göttlichen Liebe. Sie habt Ihr, Held und Gelehrter, an Eure früheren beiden Hochzeiten denkend und Ehen, in triumphierendes Schriftstück Eintragen lassen, zugleich dran gedacht, daß unsere jungen Leute erfahren, wie sehr das Leben der Menschen beglückt ist, Die das beständige Band beschworener Ehe umschlingt und Treue, die immer Bestand hat. Wir heben, Herrlicher, darum (Diese Vollmacht allein überließ uns die Planung des Fatums), Mag Euer eigener Ruhm ohnehin Euch dem Himmels-Olympus Zusenden, dennoch auf hohem Kothurn Euch hinauf zu den Sternen. Federn, geprägt mit der Kraft eines festen Metalls, werden ferne Liegenden Ländern vermelden, daß hier etwas Schönes gewagt ward. Und, solange auf Erden, im weiten Weltkreis, die holde Freundschaft weiterbesteht, solange es innere Bünde, Liebe noch weiterhin gibt, die Göttin des Haines von Paphos Herzen von Sterblichen weiter massiert mit Öl von Cupido, Werden die Späteren alle die Urkunden Eurer Begabung, Derart gefällige Werke, zu rühmen wissen, und Euer Ruhm wird den Ruhm Eures Stamms und ererbten Glanz überstrahlen. Seht, für solch ein Geschenk entrichtet Euch Venus persönlich – Widrige Faulenzer haßt sie – der Mühe entsprechende Gabe (Wäre sie doch einem jeden in solcher Weise verschuldet!), Nämlich die schmückende Frau. Diese überreiche Belohnung, Dieses Geschenk kommt zu Euch. Nun fordre, wer immer zur Zeit des Tages, zur Zeit der Nacht mit wachsamer Mühe studiert und So die Pflicht seiner Neigung versäumt, den Lohn seiner Musen: Nein, diesen Lohn reserviert Erycina den eigenen Mysten. Also, bräutliche Frau, nun legt dem geliebten Gemahl die Weibliche Keuschheit von Euch aus (es geht ja um Euch doch) zu Füßen. Endlich vergütet der Knabe von Zypern den langen Verdruß der Einsamen Nächte; Gestirne, die Tau bewirken, und Luna, Bräutlichen Bettes kundig, sind Euren Spielen gewogen. Ihr aber, Bräutigam, widmet dem Gott, dem Ihr früher soviele Tage geweiht habt (indem Ihr mit helfender Hand unsre Zeiten Redegewandte Liebe zu leben gelehrt habt), o widmet Amor die Mühe der Nacht, versaget nicht einzig nur hierin.

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Fallor an ex sancto (modò si mortalia Manes Credibile est defunctorum perpendere) caelo Ipsae, quas superûm lex abstulit alta, maritae Bergi magne tuae, lingvisque animisque faventes, Spectant festa, tibique novum gratantur amorem! FINIS.

*** M ARTINI O PITII H IPPONAX A D A STERIEN puellam formae et animi dotibus longè amabilissimam. Item Germanica quaedam ejusdem argumenti. GORLICII IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant. [A2r] V.C. C ASPARO K IRCHNERO ET B ERN . G VILIELMO N ÜSSLERO literatissimo adolescenti, amicis summis.

MAximam vitae hujus felicitatem, Juvenes multò dilectissimi, in tranquillitate

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mentis positam esse, mortalium paenè omnium conspiratio probavit. Eam ut alii aliunde, ita ego ex literarum potissimùm cognitione hauriendam mihi semper existimavi. Animus enim hominis solidae praeceptis sapientiae imbutus, deturbari statu suo omnino non potest. Sortis tempestatem, et illa quae dejicere plebeias mentes solent, non admittit, sed obruit, et cum adversitate sua paria facit. Opes autem et divitias non à Fortuna petit, sed à se ipso; quas sola virtute absolui credit. Involutus itaque sibi ipsi facile se tuetur, et externa bona, quorum sola opinio pretium fecit, aut non aestimat, si habet; aut non optat, si non habet. Quare mirum vobis videri nequaquam debet, quòd in tam prolixa adolescentiae meae calamitate de amoribus adhuc cogito et delitiis. Facilius enim, ubi perturbationes reliquae absunt, Amor locum sibi vel invenit, vel facit. Satis enim impudens est hic hospes. Audivi praeterea, tum temporis, cùm affectus iste sibi indul-

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Täusch’ ich mich nicht, so schauen vom heiligen Himmel (Falls es erlaubt ist, zu glauben, die Seelen Verstorbener nähmen Anteil an menschlichem Los) sie selbst, Eure Frauen, die hoher Spruch, Herr von Berg, der Götter hinwegnahm, in Sprache und Denken Günstig auf Euer Fest, Eure neue Liebe begrüßend.

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ENDE. [G.B.]

*** Martin Opitz: Hipponax an Asterie, das nach Gaben der Schönheit und des Geistes bei weitem liebenswerteste Mädchen. Außerdem einige deutsche Gedichte über denselben Gegenstand. Görlitz, gedruckt bei Johannes Rambau, 1618. Für den ehrenwerten Herrn Caspar Kirchner und den hochgebildeten Jüngling Bernhard Wilhelm Nüßler seine besten Freunde. Daß der größte Teil des Glückes in diesem Leben, vielgeliebte Jünglinge, in der Ruhe des Gemütes begründet liegt, darüber besteht Einigkeit unter fast allen Menschen. Diese glaubten andere anderswoher, ich hingegen stets vor allem aus der Kenntnis der Wissenschaften schöpfen zu sollen. Ist der Geist eines Menschen nämlich mit klaren Weisheitsvorgaben durchtränkt, kann er von seinem festen Stand ganz und gar nicht abgebracht werden. Die Stürme des Schicksals und jene Dinge, die einfache Gemüter zu verwirren pflegen, läßt er nicht an sich heran, sondern drückt sie nieder und gleicht sie durch seine eigene Gegenkraft aus. Güter aber und Reichtümer erbittet er sich nicht von der Glücksgöttin, sondern von sich selbst, überzeugt, sie seien nur durch Tugenden zu erwerben. Daher schützt er sich, in sich selbst eingehüllt, leicht, und äußere Güter, bei denen allein eine falsche Einschätzung den Preis festgesetzt hat, schätzt er nicht, wenn er sie besitzt, und wünscht sie nicht, wenn er sie nicht besitzt. Daher darf es

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get maximè, nervos caeterarum [A2v] rerum non requiri. Et id quidem à fide dignis hominibus ad Posteritatis memoriam pervénit. Causas itaque cur tantoperè debeam jacere, fateor me adhuc ignorare: cum praesertim Sappho nostra in Poëtica domo luctum perferre non potuerit; Smerdiae verò capillum, et Cleobuli oculos, et florem Bathylli non admodum illibenter eam admisisse, Maximus Tyrius autor sit. Nisi fortè Penian meam pellicem sufferre non posse censetis. Scitis insuper, Poëtas sicuti reliqua, sic amasias quoque, ut scilicet hac occasione languentem stylum excitent, fingere sibi facilimè posse. Certè utrum Pyrrha plures procuderit an nostri, videtur mihi adhuc quidem in controversiam adduci posse. Ego quidem hîc, ubi etiam à seriis non abstinui, praeter animi remissionem nihil quaesivi. Quod satis dedicatio haec probat. Si enim lege seria voluissem agere, difficulter certè, ut ingenuè non mentiar, Juvenes eruditissimi, ista vobis credidissem. Nam plerique putant, talia ne amicis quidem tutò permitti: praesertim vestrae aetatis. Utrum enim nuntius magis voti fiat compos, an qui misit, & -«  : ;. Valete. E coenobio.

[A3r] M ART. O PITII ad Asterien puellam amabilissimam H IPPONAX .

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DIvina virgo, dulcium puellarum Flos nemini mortalium prius tacte, Tangende nulli prurientibus verbis, Aut gestibus factisque non verecundis. O alma nympha, quis furor tuum pectus, Illud beatum, candidum, innocens pectus Quae strix nocente fascino profanavit?

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euch keineswegs verwunderlich erscheinen, daß ich in den sich so ausweitenden Schwierigkeiten meiner Jugendzeit noch immer über Liebesdinge und ihre Freuden nachsinne. Leichter nämlich findet oder schafft sich seinen Ort der Liebesgott da, wo die übrigen Affekte fehlen. Denn dieser Gast ist außerordentlich unverschämt. Zudem habe ich gehört, daß zu der Zeit, da dieser Affekt sich am meisten Raum schafft, der Anreiz durch andere Dinge nicht erfordert werde. Und dies ist von vertrauenswürdigen Männern der Nachwelt überliefert worden. Daher gestehe ich, daß ich noch nicht recht den Grund dafür weiß, warum ich so ganz am Boden liegen sollte, zumal unsere Sappho im Hause eines Dichters keine Trauer habe ertragen können; daß sie vielmehr das Haar eines Smerdias, die Augen eines Kleobulos und die blühende Schönheit eines Bathyllos nicht ganz ungerne an sich herangelassen habe, dafür kann Maximus von Tyros ein Gewährsmann sein. Es sei denn, ihr meint, daß meine Armut eine Rivalin nicht ertragen könne. Im übrigen wißt ihr ja, daß die Dichter so wie alles übrige auch ihre Geliebten sich leicht selbst erfinden könnten, um nämlich bei dieser Gelegenheit ihrem dichterischen Vermögen aufzuhelfen, wenn es erschlafft. Gewiß: Mir jedenfalls scheint es, als könne es noch zu einem Streit darüber führen, ob Pyrrha [mit ihren Steinwürfen] mehr Frauen hervorgebracht habe als unsere Dichter. Ich jedenfalls habe hier, auch wo ich mich des Ernstes nicht ganz enthalten habe, nichts gesucht außer der Entspannung meines Geistes – was diese Widmungszuschrift hinreichend belegt. Wenn ich nämlich nach strenger Regel hätte verfahren wollen, hätte ich euch, gelehrte Jünglinge, wohl schwerlich, um die Wahrheit zu sagen, derlei Dinge anvertraut. Denn die meisten finden, daß solches nicht einmal Freunden sicher anvertraut wird, zumal denen in eurem Alter. Denn ob am Ende eher der Bote das Gewünschte erlangt oder der, der ihn geschickt hat, das liegt bei dem Mädchen. Lebt wohl. Aus dem Kloster [Sitz des Gymnasiums in Görlitz].

Martin Opitz: Hipponax an Asterie, das liebenswerteste Mädchen. Göttliche Jungfrau, lieblicher Mädchen Blüte, von keinem Sterblichen noch berührt, von keinem zu berühren mit Worten voll Begier oder Gesten und Handlungen ohne Scheu. O holde Schöne, welcher finstere Wahn hat dein Gemüt, jenes selige, reine, unschuldige Gemüt, welche Ohreule hat es durch Schadenzauber entweiht? Soviele reizende Worte, die Phoebus und Luna vom Himmel

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Tot delicata verba, quae polo Phaebum Deducerent Lunamque dißipat Cori Ferocientis impetus truci flatu. Et tu, rebellis, obstinata me linquis, Et ut timoris hinnulus tener plenus Jugis inerrat montium exul et clivis, Timetque tuta cuncta; sic tuum vatem Frustra vereris, aufugisque nequicquam. Nam non adulter impudicus et maechus Obscaenus, alta nocte depudicare Accedo, diva, virginem tuum lectum: Qualis medullis Phaebus intimis ardens, Daphnen misellam deperire tentavit: Aut pullus ille Martis, acer AEneas Didûs pudori fraudulenter illusit. Absit venenum tale cordibus sacris [A3v] Vatum piorum, quos amabilis candor, Noxaeque vita non amica per caeli Fert arduis volubiles plagas pennis. Sed unico favore me frui saltem Concede vestro, nec superba subduce Sidus tuorum luminum venustorum. Nam non ego felicitatis indignus Incedo tantae: quamlibet suburbanis Suffarcinatus haud superbio villis, Bobusque centum divites aro fundos. Parvo beatus, atquè sorte contentus Quae numinum favore contigit nobis, Omnes avaros atque sordidos infra Me sperno liber, et quietus eludo. Honesta res est namque laeta paupertas, Et se satis contenta. Nemo tam pauper In orbe vivit, atque pauper est natus. Fortes timet Fortuna, vexat ignavos, Et saepè littus transit, atque sublimi Rates in alto quaerit, invias nubes Quarum superbo vela supparo velant. Istaque mens serena se fide lactat, Nil esse majus uspiam suâ sorte Quam compotivit, et nihil minus credit.

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herabholen könnten, vertreibt (10) der Ansturm des wilden Nordwestwindes mit heftigem Blasen. Und du, abspenstig gemacht, verläßt mich fest entschlossen, und wie ein zartes Hirschkalb voller Furcht weitab über Anhöhen und Hänge der Berge irrt und sich von allem bedroht fühlt, obwohl es ohne Gefahr ist, so bist du umsonst argwöhnisch gegenüber deinem Dichter und entziehst dich ihm ohne Grund. Denn nicht schleiche ich als schamloser Verführer und sittenloser Buhler in tiefer Nacht heran, du göttlich Schöne, um dein jungfräuliches Bett zu entehren, so wie Phoebus, im innersten Mark entflammt, (20) die arme Daphne stürmisch zur Liebe zu zwingen versuchte, oder wie jener Sproß des Mars, der kampfesstarke Aeneas, die sittsame Dido zum Besten hielt. Ein solches Gift sei fern den geweihten Herzen der frommen Sänger, die eine liebenswerte Aufrichtigkeit und ein Lebenswandel, der jedem Vergehen abhold ist, mit emporstrebenden Flügelfedern schwerelos durch die Gefilde des Himmels hintragen. Laß mich doch wenigstens eine einzige Gunst von dir genießen und entziehe mir nicht voll Hochmut das Gestirn deiner liebreizenden Augen. (30) Denn ich nahe dir nicht unwert eines so großen Glückes, obgleich ich nicht mit Landgütern vor der Stadt reich gesegnet prahle noch mit hundert Ochsen ertragreiche Äcker pflüge. Mit wenigem glücklich und zufrieden mit dem Los, das mir durch die Gunst der himmlischen Mächte zuteil geworden ist, blicke ich in Freiheit auf alle Habgierigen und niedrig Gesinnten verächtlich herab und spotte ihrer in innerer Ruhe. Etwas Ehrbares nämlich ist froh getragene Armut, die sich mit sich zufrieden gibt. Niemand (40) auf der Welt lebt ja so arm, wie er geboren wurde. Die sich anstrengen, schont das Geschick, es schlägt die Lässigen; oft auch läßt es die Küstengegend ungeschoren und sucht die Schiffe auf hoher See heim, deren prächtige Segel hoch oben am Mast die Wolken, die der Fahrt entgegenstehen, verdecken. Ein heiterer Sinn speist sich aus dem Glauben, daß es nirgends etwas gibt, das größer wäre als das Los, das er gezogen hat, und nichts hält er auch für geringer. Durch diese Maxime geläutert, nimmt er die Kargheit mit offenen Armen als Hausgenossin auf (50) und kleidet sich in den Reichtum

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Hac lege defaecata, contubernalem Admittit ulnis obviis egestatem, Suaque se virtute dives involuit. Haec te pudica vota non retardabunt, [A4r] O inclytum astrum; nec quod impio fastu, Et vestium fulgore gloriosarum, Pompaque vobis non onustus impono: Ut delicata musteae juventutis Solet caterva, quae suos quidem exosa Cultûs, decorem mollium puellarum Paenè aemulatur: frangit in gradus crines Ferro erudito, circulus fluit collo Maeandricum ceu syrma, palla subtili Bombyce commendata funis in morem Contorta nervos circumambit enerves, In textilique nube diffluens corpus. Quin et manûs stant gemmeis relucentes Et fulgurantes ignibus: pedes docti, Laxis superbi fasciis, timent terram Gravi pedatu tangere; ergò suspensi Sese gradu librant volante Semones, Et evirato confitentur incessu, Quid impudico corde ruminent secum. Hos, diva, castitatis aucupes vestrae, Hirudinum relinque sangvisugarum Claustris pudendis, quae parabiles parvo Nil praeter unum virginis tenent nomen, Vultuque nequam ad quodque liberum verbum Minantur, argutantur, annuunt, nictant, Sciuntque jam quod nesciunt, premi gaudent, Et improbos lassantur inter amplexûs: Quae spe vagisque devorant viros votis, [A4v] Succo carentes atque larva deformis, Et petrae pumex, pallidae magis buxo. Hoc namque schema more musteo quodam Natoque nuper obtinet? placet pallor Quaesitus arte pharmacisque, vel noctis Jejunio frequentis: his nocens pruna, Hic calx cinisque vile sanguen educit, Aut acre acetum, aut gleba turpis, aut creta.

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seiner Tugend. Meine sittsamen Wünsche werden dich nicht von deiner Bahn abbringen, o vielgerühmter Stern, wo ich doch nicht aufgedonnert mit verwerflichem Stolz, mit dem Glanze sich brüstender Kleidung und in prunkhaftem Aufzug euch zu täuschen versuche, wie es die verwöhnte Clique unausgegorener junger Männer zu tun pflegt, die den ihnen angemessenen Aufzug verschmähen und stattdessen fast die Zierlichkeit zarter Mädchen nachahmen. Das Haar legen sie mit modellierten Eisenstäben in Wellen; eine Kette fließt vom Nacken herab (60) wie eine mäandernde Schleppe; ein Überwurf, der mit feiner Seide glänzt, umschlägt wie ein gewundenes Seil die gar nicht muskulösen Muskeln und den Leib, der in einer Wolke gewebter Stoffe zerfließt. Ja, auch die Hände starren von Geschmeide, das feurig strahlt und blitzt. Die gedrillten Füße, prangend mit weiten Bändern, scheuen sich, kräftig auf den Boden aufzutreten; so tänzeln diese Semonen fliegenden Schrittes einher und geben mit ihrem unmännlichen Gang zu erkennen, (70) worauf sie in ihrem schamlosen Herzen sinnen. Überlasse, du göttlich Schöne, diese Männer, die deiner Keuschheit Fallen stellen, den schimpflichen Schlupfwinkeln der Blut saugenden Vampire, die für wenig Geld zu haben sind und von einer Jungfrau nichts als die Benennung haben; die mit liederlicher Miene bei jedem anzüglichen Wort Andeutungen machen, schwatzen, zunicken, mit den Augen zwinkern und schon wissen, was sie nicht wissen, sich gern beschlafen lassen und in schändlichen Umarmungen ihre Kraft erschöpfen; die mit Aussichten und vagen Versprechungen die Männer zum besten halten, (80) Wesen ohne Saft und Kraft, häßliches Gerippe und Bimsstein, fahler als Buchsbaumholz. Denn hat sich nicht dieses Aussehen aufgrund einer aktuellen, jüngst aufgekommenen Mode verbreitet: Blässe gefällt, mit Tricks und Mittelchen herbeigeführt oder auch mit vielen durchwachten Nächten. Bei manchen vertreiben schädliche glühende Kohlen, bei anderen Kalk und Asche die wenig geschätzte Röte durchbluteter Haut, oder auch scharfer Essig oder garstige Klümpchen oder Kreide. Denn diese Flittchen treibt die Sorge um, jemand

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Haec nempè cura delicatulas torquet, Ne non pudorem cum superfluo cunctum Rubore projecisse censeat quisquam. Has virgines non virgines, inexhaustas Voragines virilitatis infaustae, Muscasque sanguinis virûm suburranas Non aemulare. Sancta Castitas omnes Multum antecellit longo honore virtutes: Velut minorum siderum antesignanus Praeit trilustris Lucifer, vel augusti Ales parentis relliquam alitum turbam. Frustra decentem corporis venustatem, Frustra lepores et facetias oris Jactas superbi, et quicquid in tuam cedit, O virgo, famam, ni modestiae laude Stipata circum sit corona virtutum. Puella quamvis dotibus suae formae Ausit decorem provocare Ledaeae, Si sit pudoris nescia, annuli est instar Cui gemma non relicta nil locum praeter [B1r] Sui reliquit, et foramen attritum. Hoc tu diserta saepè voce commendas, Hoc usque jactas, hoc tuo doces ipsa, Typus beatae Castitatis, exemplo. Festivitatis et leporis idcircò Fructu tamen carere non decet sexum Cui dura divi cuncta proposivere. Facetiarum nutriendus est melle, Jocisque amoenis suscitandus et risu Ordo tenellus mollium puellarum. Quid osculum nocebit intimè raptum Amantis ore? charitatis hoc signum Et pignus est fidelis. Ipsa mens imo Cordis barathro provocata, concursu Hiantium committitur labellorum. Os nempè porta et promptuarium est mentis, Et valva cogitationis humanae. Hoc cordium Cupido limine angusto Coit duorum contubernio dulci. Hac quaeso nobis parte, si licet salvo

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könnte meinen, (90) sie hätten nicht mit der sich ergießenden Röte auch all ihre Scham abgelegt. Diesen Jungfern, die keine Jungfrauen sind, diesen unersättlichen Schlünden glückloser Manneskraft, diesen Männerblut saugenden Stechmücken der Subura eifere nicht nach. Die heilige Keuschheit übertrifft mit ihrer Ehre, die Bestand hat, alle übrigen Tugenden bei weitem, so wie der Morgenstern, der Anführer der kleineren Sterne, diese dreifach überstrahlt oder auch der Vogel des erhabenen Vaters die übrige Vogelschar übertrifft. Umsonst prangst du im zierlichen Liebreiz deiner Erscheinung, (100) vergeblich mit dem feinen Witz deiner hochgemuten Rede und allem übrigen, was dir zum Ruhm gereicht, o Jungfrau, wenn nicht der Kranz deiner Vorzüge von der Ehre der Sittsamkeit umfangen wird. Wenn ein Mädchen mit den Gaben ihrer Gestalt auch mutig die Schönheit der Tochter Ledas zum Vergleich herausfordern wollte – wenn sie keine Scham kennt, gleicht sie einem Ring, der von seiner verlorenen Perle nur noch den leeren Platz und die verletzte Fassung behalten hat. Das legst du mit beredten Worten oft ans Herz, (110) das führst du immer im Munde, das lehrst du, Muster seliger Keuschheit, durch dein eigenes Beispiel. Doch sollte das Geschlecht, dem die Götter lauter schwere Dinge auferlegt haben, die Frucht des heiteren Scherzes deswegen nicht entbehren müssen. Mit dem Honig witziger Einfälle soll es genährt, mit angenehmen Scherzen und mit Lachen angeregt werden, das zarte Volk der empfindsamen Mädchen. Was wird ein Kuß denn schaden, den des Liebenden Mund sich insgeheim holt? Er ist ein Zeichen (120) und Unterpfand treuer Liebe. Die Seele selbst wird aus dem tiefsten Grund des Herzens heraufgerufen und vereinigt sich im Zusammentreffen der sich öffnenden Lippen. Denn der Mund ist Tor und Mittler der Seele und Türflügel des menschlichen Denkens. Durch diesen engen Ausgang kommt das Liebesverlan-

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Pudore, te non illibenter indulge, Insignis heroina. Castitas dia, Amorque non adulterinus haud pugnant. Hic me subegit, hic mihi potestatem Excußit omnem: vestra solus aspiro, Virgo, venusta lumina. Huc meum fatum, Huc vota tendunt. Unicus lepos vester, Formaeque vis divina me mihi furto [B1v] Subducit amplo. Nempè corporis vestri Externa pulchritudo mentis internae est Character et figura: vera virtutis Abstrusae imago ab hoc decore resplendet. Sic quando Titan mortis algidae fratrem Brevi relinquet, nobile antecedenti Jubar nitore sensa nostra delectat, Stringens cacumen montium serenorum. Mens pulchra pulchro quippe corpore elucet, Ut flos ab unda. Plura quaerit in vobis, O nympha, quam vos et decentiam formae Artûsque bellos, quisquis aspicit velo Pulchrum remoto, et arbitratur ex vero. Persona nuda est aureae venustatis, Quicquid venustum fertur inscii vulgi Opinione: clara fax ocellorum Transenna faeditatis absque virtute est; Os, intimorum dulce sensuum littus, Lasciviae canalis; aluus, optatae Faecunditatis illa pyxis, obscaeni Cloaca faeda coeni, abyssus infandae Libidinis specusque; fons papillarum, Rivus sororiantium gemellarum, Scatebra Circes poculi; sinus, vitae Portus severae, centrum amoris et limes, Pruriginis palaestra, fossa peccati, Castrumque velitationis impurae. At quando mens decora corpori juncta est [B2r] Non indecoro, pulcher in domo pulchra Hospes moratur. Ista dos tuam formam, Mi sidus, ornat, ista lancinat vatis Cor immerentis, vultur atque fatalis

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gen zweier Herzen in süßer Gemeinschaft zusammen. Soweit überlasse dich mir doch – die Scham bleibt gewiß gewahrt – nicht unwillig, du Vortreffliche und Hohe. Die herrliche Keuschheit (130) und eine Liebe, die nicht buhlt, schließen einander nicht aus. Eine solche hat mich bezwungen, eine solche mir alle Herrschaft über mich entrissen. Ich lechze ganz allein nach deinen liebreizenden Augen, o Jungfrau. Dahin strebt mein Schicksal, dahin meine Wünsche. Einzig deine Anmut, die göttliche Macht deiner schönen Gestalt entzieht mich mir selbst – ein großer Diebstahl. Die Schönheit deiner äußeren Erscheinung ist nämlich Ausdruck und Gestalt deines inneren Wesens; dieses tief verborgene echte Bild der Tugend erglänzt in jenem Glanz. (140) So ergötzt, wenn Helios den Bruder des kalten Todes bald verlassen wird, sein herrlicher Glanz mit seinem Vorschein unsere Sinne, wenn er die klaren Gipfel der Berge streift. Denn aus einem schönen Leib strahlt eine schöne Seele hervor, wie eine Blume aus dem Wasser. Mehr als dich mit deiner zierlichen Gestalt und deinen hübschen Gliedmaßen sucht in dir, o Mädchen, wer das Schöne ohne Schleier sieht und es nach seinem wahren Werte schätzt. Ist das innere Wesen nicht von goldenem Liebreiz, dann ist – (150) was die unwissende Menge für liebreizend hält – die helle Fackel der Äuglein nur eine Schlinge der Schlechtigkeit ohne jede Tugend; der Mund, lieblicher Hafen der innersten Empfindungen, nur ein Kanal der Ausschweifung; der Schoß, dieses Gefäß ersehnter Fruchtbarkeit, nur eine garstige Kloake ekelhaften Unflats, abscheulicher Wollust Abgrund und Höhle; der Bronn der Brustwarzen, das Rinnsal des Schwesternpaares, nur ein Quell von Circes Zaubertrank, und die Brust, (160) der Ankerplatz eines ernsthaft geführten Lebens, der Liebe Fixpunkt und befestigte Bahn, nur ein Tummelplatz der Begierde, ein Graben der Sünde und eine Schanze schmutziger Scharmützel. Doch wenn eine schöne Seele mit einem Leib verbunden ist, dem es nicht an Schönheit fehlt, dann wohnt ein herrlicher Gast in einem herrlichen Haus. Die-

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Fibras Titî jecurque fertile immiti Percurrit ore, pabulumque depascit In damna crescens propria atque decrescens. O dulce lumen, ô chori puellaris Illustre sidus, ô benigna regina Et imperatrix omnium venustarum, Relinque quicquid aestimat puellarum Plerunque fastus: quamlibet tibi nullus Nec formae honore, nec parentium stirpe, Largaeque liberalitate Fortunae, Dives sagacis unico ingenî censu, Sim comparandus. Nobilem facit virtus, Non laus avorum sanguinisque majestas, Vanumque nomen. Nec pudere me nostrae Natura jußit patriae. Loci splendor Celebriorem neminem licet reddat; Tamen Bolesla nos in aureum Phaebi Non poenitendo lumen extulit partu; Bolesla grande Slesiae decus nostrae, Et hortulorum fontiumque amoenorum, Nec non virorum alumna foeta doctorum, Quos censeat fors, non recenseat quisquam. Elucet inter caeteros tamen cunctos, Senftlebianae gratia et lepos Suadae, [B2v] Et Musa nostri delicata Kirchneri: O dulce par mortalium venustorum, Quotquot benignus Jupiter catâ mente Et literarum laude ritè donavit! O chara biga, contubernio vestro, Vester sodalis, civis, atque congerro, Quando beabor? quando, quando vos inter, Et inter Asterin meam, Asterin stellam Decusque virginum, omniumque stellarum, Propter vireta amaena nobilis Quecci, Et obstrepentes voce garrula rivos Quietus ibo; vel quà amabilis ripa Bobrae salacis undae amore lascivit, Anfractuoso devehens aquas cursu? Hîc, ô puella, amaenioribus grati Risûs susurris atque lusibus blandis

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ser Vorzug ziert deine Gestalt, mein Stern, und zerreißt das Herz des Dichters, der das nicht verdient hat, so wie der verderbenbringende Geier mit unbarmherzigem Schnabel über das Gewebe der ergiebigen Leber des Tityos fährt und seine Speise, (170) die zum eigenen Nachteil wächst und schwindet, verzehrt. O süßes Licht, o leuchtender Stern der Mädchenschar, o gütige Königin und Herrscherin aller Schönen, setze alles beiseite, was weiblicher Anspruch gewöhnlich hochschätzt, bin ich dir auch in keiner Weise zu vergleichen, weder an ansehnlicher Schönheit noch an familiärer Herkunft noch durch Großzügigkeit eines freigebigen Glücks, da ich allein an meines klugen Kopfes Vermögen reich bin. Adelig wird man durch Leistung, (180) nicht durch Verdienst der Vorfahren, Würde der Abstammung und einen bloßen Namen. Die Natur hat mir freilich nicht auferlegt, mich meiner Heimat zu schämen. Wenn auch der Glanz eines Ortes niemand berühmter macht, so hat mich doch Bunzlau ans goldene Licht des Phoebus gebracht, ohne daß ich mich dieser Geburt schämen müßte: Bunzlau, meiner schlesischen Heimat große Zier, das viele liebliche Gärten und Quellen nährt und auch viele gelehrte Männer, die man wohl alle schätzen, aber nicht alle anführen kann. (190) Doch leuchten unter allen übrigen die Anmut und der feine Witz von Senftlebens gewinnender Rede und die elegante Muse meines Kirchner hervor. O liebenswürdiges Paar geschmackvoller Menschen unter all denen, die Jupiter in seiner Güte mit einem gewitzten Verstand und preiswürdiger Gelehrsamkeit gehörig beschenkt hat. O teures Zwiegespann, wann werde ich als euer Genosse, Mitbürger und Kamerad das Glück vertrauten Umgangs mit euch genießen? Wann, wann werde ich inmitten von euch und meiner Asteris, ja, meiner Asteris, dem Stern (200) und der Zier aller Jungfrauen und aller Sterne, in den idyllischen Flußauen des denkwürdigen Queck entlang seinem geschwätzig plätschernden Lauf in Ruhe wandeln oder auch wo das liebliche Ufer des Bober liebesdurstig nach der springenden Welle lechzt und die Fluten in gewundenem Lauf hinabgeleitet? Dort, o Mädchen, werden wir mit dem noch reizenderen Plätschern eines bezaubernden Lachens und mit süßen Scherzen die

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Vitae tyrannas aufugabimus curas. Nec tu Poëtas obstinata fastidi, Aut extimesce: Numini suum et sancto Propago nostra semen imputat caelo. Me laus scientiae aureae et fames famae, Genîque calcar campo honoris instigat; Me literarum fervor è sinu mundi Molestiis subducit atquè secernit Plebe implicatâ multum inanibus curis. Non sum minor misellulis Poëtastris, Qui prostitutae honore laureae imponunt Plebi insciae sibique: nempè ne gratis [B3r] Cogantur insanire, non velut blatta, Aut tinearum grex iniquus affixus Libris adhaereo unicis et intentus, Meque hospitem reddo mei; ut solet foedo Sentina coeno nata Grammatistarum, Qui vim potentis ingenî scopo certo, Domesticaeque angustiae suae clatris Sublime, fertile, igneum, polo lapsum, Prorsusquè non mortale pectus affigunt. Vos scilicet jecur Cratetis intravit, Vos estis illud alpha literatorum O paedagogi, caeteri cinis tantùm Feruntur, et vix umbra nominis vestri. Vos Tulliano verba melle condita, Merumque rorem funditis Caballinum. Nos pulli, ephebi, transfugaeque cunarum, Rudes, inepti, barbari, inscii, insulsi, Omnisque judicî, artis omnis expertes, Qui quicquid erudita relliqui fecit Antiquitas cura et labore inexhausto Noctu diuque evoluimus, magistellis Nil fracta praeter vitra, vel nuces cassas Quicquam tenemus. O miserrimae mentes! O noctuini! ô semivultures! Famae Canes benignae, Cerberique vivorum, Vestrisne nostra caelica ausa cancellis, Vestrine limite ingenî veternosi Et angiporto clauditis? cor excelsum

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Sorgen des Lebens, die uns knechten, verjagen. So verschmähe auch du nicht hartnäckig die Dichter (210) noch fürchte sie: Unser Geschlecht schreibt seinen Ursprung einem göttlichem Wesen und dem heiligen Himmel zu. Mich stacheln die hohe Geltung der goldenen Wissenschaft, der Hunger nach Ruhm und der Sporn des Genius zum Wettlauf um die Ehre an. Mich führt brennendes Interesse an der gelehrten Literatur aus dem Treiben der Welt mit seinen Beschwernissen hinweg und scheidet mich von der Menge, die ganz in fruchtlose Sorgen verstrickt ist. Ich bin nicht geringer als jene elenden Dichterlinge, die die unwissende Menge und sich selbst mit dem Ehrenzeichen eines feilen Dichterlorbeers täuschen, damit sie, versteht sich, nur nicht unbezahlt (220) dem Rausch des Dichtens verfallen. Ich klammere mich nicht, wie die Milben oder das schädliche Mottenvolk, allein an Bücher, indem ich all mein Sinnen nur darauf richte und mich so mir selbst entfremde, wie es das Gesindel der dem garstigen Unrat entstammenden Buchstabengelehrten zu tun pflegt, die die Kraft eines fähigen Geistes an ein begrenztes Ziel heften und einen erhabenen, erfinderischen, feurigen, vom Himmel herabgekommenen und gewiß nicht sterblichen Sinn auf die Gitterstäbe ihrer eigenen beengten Behausung fixieren. In euch hat ja freilich der Verstand des Crates Wohnung genommen, (230) ihr seid die erste Garde unter den Gelehrten, o ihr Pädagogen, die übrigen gelten euch nur als Abfall und allenfalls als Schatten eures rühmlichen Geschlechts. Aus euch strömen Worte, die mit dem Honig Ciceros gesüßt sind, und das reine Wasser des Musenquells hervor. Wir aber – Küken, unreife Knaben, aus der Kinderstube entwichen, ungebildet, täppisch, barbarisch, unwissend, ohne Witz und bar jedes Urteilsvermögens, jedes Könnens – wir, die mit Eifer und unerschöpflichem Arbeitswillen (240) bei Tag und Nacht studieren, was immer das gelehrte Altertum hinterlassen hat, halten nach Meinung jener Schulmeisterlein außer Scherben und leeren Nüssen gar nichts in Händen. O ihr jämmerlichen Geister! O ihr Nachteulen! O ihr halben Geier! Ihr Hunde, die ihr einem guten Ruf nachsetzt, ihr Höllenhunde der Lebenden! Unsere vom Himmel eingegebenen Vorhaben sperrt ihr in eure Käfige, in die Grenze und die enge Gasse eures kraftlosen Geistes ein?

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[B3v] Plus tendit ultrà, nec Scholastici regni Pomoeriis quiescit; immemor metae, Flagransque laudis igne libero cursu Scientiae omnis atque disciplinarum Decurrit aequor omnium: velut fraenis Equus remißis acer indolem magni Probat vigoris, carceresque deridet Hinnitu alacri, despicitque rectorem. Nec Posterorum me favor situ putri Unquam sinet jacere, si integer vitae Labisque purus, unico fretus mentis Sanae furore ad templa celsa doctrinae Laudisque purae regia via grassor. Hoc inter auras aliti ferar curru, AEvo superstes et mihi, vehens mecum Tuas, virago, caelicas venustates; Tuasque dotes non tacebo; te caelo In Posterorum corda gemmeo sculpam, Paremque stellis Fama tollet aeterna. Hac lege nubes pauperi quidem vati, Sed non pudendo: quippe provocat lethum, Ultroque securus sui rogum invadit, Qui jam ante vitae fata terminum explevit, Premitque mortem quam odit. Hac tibi dote Absolvar, hoc stipendio: modò celsae AEternitatis non repelle mercedem. Quid quaeris ultra? luctus et dolor vultûs Errat per omnes: aestuo velut ponto [B4r] Minuta navis arduo, Notus saevo Cum fluctibus furore totus incumbit. Flammam occupavi; saevior coquit mentem, Quam qui camino insanit ignis AEtneo. In me Dione viribus ruens cunctis Cyprum suam reliquit: huc et huc curro, Incerta qualis cursibus vagis fertur, Succensa Maenas Liberi sui flammis, Nisae superbi vertice aut jugis Pindi, Sacroque pectus incitum ferit cultro. Te quaero, te investigo, ceu suis tygris Crudelis orba liberis, nemus multo

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Ein hochgesinntes Herz strebt über Grenzen hinaus und bleibt nicht ruhig innerhalb der Mauern des schulischen Bereichs. Ohne an eine Zielmarke zu denken, (250) auflodernd vom Feuer ruhmwürdigen Tuns, durcheilt es in freiem Lauf die Bahn jeder Wissenschaft und aller Studien, so, wie ein feuriges Roß, dem man die Zügel schießen läßt, seine kraftvolle Natur beweist, seines Gefängnisses mit freudigem Wiehern spottet und seines Lenkers nicht achtet. Und die Gunst der Nachwelt wird mich niemals in schimmeligem Moder unbeachtet liegen lassen, wenn ich, untadelig in meinem Lebenswandel und rein von Schandflecken, allein auf die Begeisterung eines gesunden Sinnes vertraue und auf dem Königsweg zu den erhabenen Tempeln der Wissenschaft (260) und des reinen Verdienstes strebe. Auf diesem Flügelwagen werde ich durch die Lüfte getragen werden, meine Zeit und mich selbst überlebend und deinen himmlischen Liebreiz, starke Jungfrau, mit mir führend. Und deine Gaben werde ich nicht verschweigen, dich werde ich mit glänzendem Meißel in die Herzen der Nachwelt meißeln, und ewiger Ruhm wird dich zu den Sternen erheben. Zu dieser Bedingung wirst du den Dichter heiraten, der zwar arm ist, dessen du dich aber nicht zu schämen brauchst. Denn er fordert den Tod in die Schranken und steigt, seiner selbst gewiß, freiwillig auf den Scheiterhaufen, (270) da er schon vor dem Lebensende sein letztes Ziel erreicht hat und den Tod, den er nicht achtet, bezwingt. Durch diese Mitgift, diesen Lohn soll beglichen sein, was ich dir schuldig bin; weise du nur meine Gegenleistung erhabener Unsterblichkeit nicht zurück. Was willst du mehr? Trauer und Schmerz wandern immer wieder über mein Gesicht; ich woge auf und nieder wie ein winziges Schiff auf stürmischer See; in wildem Rasen legt sich der Regenwind, die Fluten aufpeitschend, mit ganzer Kraft ins Zeug. Ich habe die Flamme aufgenommen; das Feuer, das meinen Sinn quält, ist grausamer als jenes, das in der Esse des Ätna wütet. (280) Dione hat ihr Zypern verlassen und stürzt sich mit aller Kraft auf mich. Ich laufe hierhin und dorthin, so wie eine Mänade in unstetem Lauf ziellos auf dem Gipfel des hochragenden Nyssa oder den Anhöhen des Pindus umherschweift, wenn sie von den Flammen ihres Bacchus entzündet ist, und mit dem heiligen Dolch ihre er-

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Gangeticum moerore lustrat, et vastis Terret querelis. Lachrymae obruunt vultum, Cor fluctuatur omne, spemque formido, Spes occupat formidinem. Ô venustatis Formaeque cunctae terminos supergressa Festiva Syren, Scylla mentis et portus, O dulce monstrum, nescium ullius labis Naevique, pura stella seculi et morum, Quies mea, at laboriosa, dos, mulcta, Morbus, medela, lumen, umbra, mors, vita, Amica et hostis, tota flos, lepos tota, Adjuncta Gratiis tribus soror quarta: Tui decoris cultor atque adorator Virtutis adsum. Cede, cede Fortunae, Dîs cede magnis: quicquid imperant, opto. Non est in illis partibus minus Fatum, [B4v] Quas vester abscondit sinus: duas mentes Divina conspiratio remotorum Non rarò ad unam siderum trahit metam. Occurre jußis caelitum: manum fatis, Os dede nobis suave nectar exhalans, Suavesque flores; dede basium nobis, Signum futuri et dulce faederis pignus. Nec fortè taedeat mei, quod informi Te Choliambo qui pedem trahit claudum, Ut Mulciber suam Dionem, acceßi, Quod si ferens me ventus ad tui, diva, Portum favoris applicabit, et casti Torum cubilis, atque dulcis appendix Haec colla stringes vinculo lacertorum Blando tuorum, gratioribus nervis Te demerebor, claudicans nihil quicquam. At si querela nulla, lachrymae nullae, Nullae preces movere dura te possunt; Hic ipse Jambus fulminans suas discat Probare conscientiae tuae vires. [C1r] Quanquam satis me nugis putem defunctum, Juvenes doctissimi; tamen ne Latinè solummodò delirem, vel propter argumenti affinitatem Germanica quaedam, donec junctim omnia edantur, adjungere hîc libuit. Si qui sunt, quorum sto-

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regte Brust verletzt. Dich suche ich, dir spüre ich nach, wie eine Tigermutter, das grausame Tier, die ihre Jungen verloren hat, in tiefer Trauer durch den Wald am Ganges streift und ihn mit rauhem Klagen aufschreckt. Tränen stürzen mir über das Gesicht, (290) das ganze Herz wogt hin und her, auf Hoffnung folgt Furcht und auf Furcht Hoffnung. O heitere Sirene, die du die Grenzmarken des Liebreizes und jeder Schönheit überschreitest, Skylla und Hafen der Seele, o süßes Ungeheuer, das nichts von Schuld und Makel weiß, reiner Fixstern unserer Zeit und Sitten, meine Ruhe, wenn auch voll Mühsal, mein Besitz und mein Verlust, Krankheit und Heilmittel, Licht und Schatten, Tod und Leben, Freundin und Feindin, ganz Blüte, Anmut ganz und gar, den drei Grazien als ihre vierte Schwester zugesellt – (300) als Verehrer deiner Schönheit und Anbeter deiner Tugend stehe ich vor dir. Füge dich dem Geschick, füge dich ihm! Füge dich den großen Göttern; nur was sie befehlen, wünsche ich. Auch in jenem in eurer Brust verborgenen Organ waltet das Schicksal. Nicht selten zieht das göttliche Zusammenwirken entfernter Gestirne zwei Seelen zum selben Ziel. Komme dem Willen der Himmlischen entgegen, gib dem Schicksal die Hand, mir aber deinen Mund, der süßen Nektar atmet und süßen Blütenduft; gib mir einen Kuß (310) als Zeichen und süßes Unterpfand unseres künftigen Bundes. Und es soll dich nicht etwa an mir stören, daß ich mich dir mit dem unförmigen Choliambus, der einen lahmen Fuß nachzieht, genähert habe, so wie Mulciber seiner Dione. Denn wenn der Wind, der mich antreibt, mich im Hafen deiner Gunst, du göttlich Schöne, und im Bett deines sittsamen Schlafgemaches landen läßt, und du als süße Last mit der zärtlichen Fessel deiner Arme meinen Hals umschlingst, dann werde ich dich mit reizenderen Sehnen gewinnen und kein bißchen lahm sein. (320) Doch wenn keine Klage, keine Tränen, keine Bitten dich erweichen können und du hart bleibst, dann soll dieser Jambus Zornesblitze aussenden und lernen, seine Kraft an deinem schlechten Gewissen zu erweisen. Obgleich ich glaube, ihr hochgelehrten Jünglinge, mich genug mit Nichtigkeiten beschäftigt zu haben, hat es mir doch gefallen, um nicht nur Lateinisch zu schwatzen, mindestens wegen der Verwandtschaft der Gegenstände einige deutsche Gedichte, bis sie einmal alle zusammen gedruckt vorliegen, hier beizufügen. Wenn es Leute gibt, deren Magen dies nicht verdauen kann, können sie

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machus concoquere haec non potest, poterunt sanè Lucianum rogare, ut vomitorio se purget. Ego et Seneca Graeco Poëtae et Platoni credimus: quorum ille aliquando et insanire jucundum esse; hic frustrà poëticas fores compotem sui pepulisse affirmavit. Valete. [Es folgen sechs deutsche Gedichte.] [C2r] FINIS.

*** Sicut serpentes et columbae. + Ad C. Kirchnerum amitinum suum.

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Immeritae post tot Syrtes scopulosque iuuentae, Et tam crudelis tristia tela deae, Fidus adhuc duras, vates clarissime, nobis, Nec, quem Sors et se qui fugit ipse, fugis. Desere me, trucis es mihi tu quoque causa procellae: Explorant animum sic mea Fata tuum. Tam raram concedo fidem meruisse probari: Quis probet, idcirco me meruisse pati? Martinus Opitius viro ingenio, virtute et eruditione consummatissimo, amico incomparabili, ex animo scripsit Ao. 1618. 8. d. IIXbr. Extrema primo nemo tentauit loco. + Multis tacere discitur tandem malis.

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doch wenigstens den Lukian bitten, er möge sie mit einem Brechmittel reinigen. Ich und Seneca glauben dem griechischen Dichter und Plato, von denen jener behauptete, dann und wann sei es auch angenehm, verrückt zu sein, und dieser, ein Dichterhaus habe vergeblich einen Bewohner vertrieben. Lebt wohl. [Es folgen sechs deutsche Gedichte.] Ende. [W.S.]

*** Wie Schlangen und Tauben. + An Caspar Kirchner, seinen Vetter. Nach so vielen Untiefen und Klippen in einer Jugendzeit, die das nicht verdiente, und den niederschmetternden Geschossen der so grausamen Göttin, harrst du noch stets in Treue zu uns aus, ruhmreicher Dichter, und fliehst nicht vor dem, den das Schicksal und der sich selbst flieht. Verlaß mich – und dann bist auch du mir die Ursache wütenden Sturmes: So prüft mein Schicksal deine Gesinnung. Ich gestehe es: Eine so seltene Treue hätte es verdient, auf die Probe gestellt zu werden. Wer sollte überprüfen, daß ich deswegen verdient hätte zu leiden? Martin Opitz schrieb dies einem nach Anlage, Einstellung und Bildung ganz herausragenden Manne, seinem unvergleichlichen Freund, aus dem Grunde seines Herzens im Jahre 1618, am 8. Oktober.

Das Äußerste hat niemand an erster Stelle versucht. + Nach vielen Übeln lernt man endlich zu schweigen. [R.S.]

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AT nobis intempestivis AD BERNHARDUM GUILIELMUM NÜSLERUM, eximium et eruditißimum adolescentem, cum Araneum suum ederet.

AT nobis intempestivis aurea curis,

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Succumbens nimiâ mole, juventa perit. Ingenio Sors fausta tuo contendit, et aequat Virtutes rerum dexteritate tuas. Hinc tam rara tuae legimus praeconia famae, Doctrinâ imberbes exuperante dies. Nam seu Socraticis traducis tempora chartis; AEstuat in lepidis Attica tota jocis. Seu, melius nobis quondam obvia numina, Musas Sollicitas; cultis proditur Ascra modis. Sive ad tentatas toties mihi vertere leges; Astraea haud alium mallet amica procum. [A8r] Quicquid agis, teneris lectori imponitur annis, Et, jam vix juvenem, credimus esse senem. Adde quod abjectis quaerens nos fallere curis; Hîc quoque dissimilis non potes esse tibi. Vile quidem, hoc nemo non fassus, Aranea; sed tu Absolvis linguae dexteritate tuae. Staminis artifices nebulae volitantis, et umbra Telae fit coeli liberioris opus. Triste operae pretium Colophonia Nympha tulisti, Cum doluit radiis victa Minerva tuis. Nunc et per damnum, tàm docto vindice, crescis: Judicio Pallas concidit ipsa suo. Asterien jam nemo tuam non novit, Arachne, Et Ledam, tanti nonne perire fuit? Martinus Opitius ex animo scripsi.

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AT nobis intempestivis

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An Bernhard Wilhelm Nüßler, den hervorragenden, hochgebildeten jungen Mann, als er seine „Spinne“ herausgab. Mir aber geht die Jugend, die goldne, durch unangemeßne Sorgen zugrunde, erliegt unter der maßlosen Last. Glücklich Geschick liegt im Wettstreit in dir mit Begabung und kommt durch Guten Erfolg überall deiner Befähigung gleich. Herrliche Zeugnisse les’ ich daher deines Ruhmes, dieweil doch Deine Gelehrtheit so weit Jugendlichkeit übertrifft. Denn, verbringst du die Zeit über Schriften sokratischer Artung, Wallt ganz Attika auf, sind doch die Scherze so hübsch. Rufst du uns besser die Musen – es kamen die Göttinnen früher Selbst zu den Menschen –, verrät metrische Kunst: Hesiod. Wenn du Gesetze studierst (wie oft hab’ ich das unternommen!), Wünscht’ sich Astraea nicht leicht andre zu Freiern als dich. Was auch immer du treibst, der Leser hält dich für älter, Du, ein Jüngling grad’ erst, scheinst schon ein älterer Herr. Nimm noch dazu: selbst wenn du durch scheinbare Muße uns täuschen Wolltest, du könntest auch so nimmer dir unähnlich sein. Jeder gesteht es ein: Eine „Spinne“ ist ganz und gar schäbig; Doch deiner Sprache Geschick hat sie vollkommen gemacht. Sie, die mit flatterndem Faden so kunstreiche Wolken erweben, Schattenhaft Webwerk, es wird Werk eines milderen Lands. Mädchen aus Kolophon, betrüblich dein Lohn, als es Pallas Schmerzt’, in der webenden Kunst dir unterlegen zu sein! Nun erhöht dich sogar dein Leid, da ein solcher Gelehrter Deiner sich annimmt, es fällt Pallas durch eigenen Spruch. Alle kennen nun schon die von dir, Arachne, gewebten Leda, Asterie. Das war einen Untergang wert. Aus freundschaftlicher Verbundenheit geschrieben Martin Opitz [G.B.]

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ERgo iter ad dulces JOHANNIS A LANDTSKRON Nobilissimi Juvenis Amicorum omnium longè desideratissimi PROPEMPTICON. Scripsi M ARTINUS O PITIUS. '! 4  » ν 0 .

BETHANIAE, T YPIS J OHANNIS D ÖRFFERI .

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[A1v] Seneca ep. 9. Qui se spectat et propter hoc ad amicitiam venit, malè cogitat: quemadmodum coepit, sic desinet: necesse est ut initia inter se et exitus congruant. Qui enim utilitatis causâ assumptus est, tandiu placebit, quandiu utilis fuerit: hunc florens amicitia circunsedit. Circa eversos solitudo est; et veri amici fugiunt, ubi probantur.

[A2r] =XE9IA=MA.

ERgo iter ad dulces peramoeni Neccaris undas

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Moliris, placidae flos illibate juventae? Dî tibi dent ut quicquid ego, charissime frater, Consignabam animo, divosque timente Viales Murmure poscebam quod mî concedere vellent Tecum abeunti, aequo peragas feliciter astro Solus, ab heu frustra charo divulsus Oreste: Quando fata meo non respondentia voto Sollicito nequicquam, actoque minacior Eurus Flatu conceptas spes ultra dissita Ponti Flumina deducit: superis sic nempe videtur, Arbitrio nostram ipsorum succumbere sortem. Quare, quod solum potero, constantibus ausis Fortunae tormenta feram, vel denique vincam. Omne malum levius tandem Patientia reddit, Et spe damna ruunt: nec saeva tonitrua coeli Continuo terrent mortalia pectora nimbo.

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Abschiedsgedicht für Johannes von Landskron, den jungen Mann von höchstem Adel, den ich unter all meinen Freunden bei weitem am meisten liebe. Verfaßt von mir, Martin Opitz. Verkünde lieber deines Freundes Lob als deins. In Beuthen gedruckt bei Johannes Dörffer.

Seneca, 9. Brief. Wer nur an sich denkt und deswegen Freunde sucht, der ist schlecht beraten. Wie er begonnen hat, so wird er enden. Anfang und Ende stehen notwendig in Einklang miteinander. Wer nämlich des Nutzens wegen zum Freund erwählt worden ist, wird nur so lange gefallen, wie er sich nützlich erweist. Ihn umgibt eine blühende Freundesschar. Um die, die zu Fall gekommen sind, ist es einsam, und ‚echte‘ Freunde fliehen, sobald sie einer Prüfung unterzogen werden.

Verse aus dem Stegreif. Also du planst nun die Fahrt zu des schön-gefälligen Neckar Lieblicher Flut, du reiner Flor der friedsamen Jugend? Mögen die Götter dir geben, geliebtester Bruder, daß alles, Was ich mir vornahm, worum ich die Götter der Wege mit scheuem Flüstern gebeten – sie sollten es mir gestatten, gemeinsam Abzureisen mir dir –, daß du’s unter freundlichen Sternen Glücklich vollendest allein, ohne Grund deinem lieben Orestes Leider entrissen. Und wenn ich das Fatum – es folgt meinem Wunsch nicht – Stürmisch bedränge: Vergeblich! Umsonst! Es vertreibt doch Eurus, mit heftigem Wehen noch drohender, all meine Hoffnung Über die ferne Flut des Pontus hinaus. Denn die Götter Wollen, der Menschen Los soll ihrer Meinung sich fügen. Deshalb will ich – nur das vermag ich – die Foltern Fortunas Standhaft und kühn ertragen, vielleicht am Ende besiegen. Schließlich macht die Geduld ein jedes Unglück erträglich, Hoffnung läßt Schäden verschwinden, das wilde Donnern des Himmels Schreckt die Herzen der Menschen durchaus nicht mit ewigen Stürmen.

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Post prolixa hyemis concretae nubila, veris Commoditas optata redit, sudumque serenum. Nec tanti facio probrosae verbera linguae, [A2v] Insultusque venenatos, si munera nutu Ingenii quod fata mihi cessere benigno, Jnvidiam capiti huic conflant. Suppressa superbo Surgit palma jugo, viresque â pondere sumit. Jpse ego, quantumvis Paupertas impia, Mentis Una Bonae soror atque comes, me tollere doctae Alas virtutis vetuit livore maligno; Assurgam tamen, et dulci stimulatus honore, Elidam invalidis fluitantia tela lacertis. Cui Deus est clypeus, cui mens bene conscia murus, Cui favor heroum Zephyro succurrit amico, Jbit ovans animi, damnoque virescet ab ipso. At tu, dimidium nostri et pars optima cordis, Sic superis visum est, tecum omnia gaudia nostra, Omnia sensa trahe, et lateri si fidus adhaesi O dilecte tuo, comes, hæc suspiria, tristi Quae calamo non felici commendo papyro, Suscipe quo suscepisti me semper amore. Si tibi nec genere aut opibus formaeque decore Fecerunt me fata parem; at virtutis amore, Et Phaebi, vatum residet qui pectore, cultu, Optasti mecum te vivere posse, sacrasque Indice me Aonidum puro de gurgite lymphas [A3r] Haurire, et toto Pindum lustrare recessu. O utinam nequeas vnquam pejore sodali AEtatem jactare tuam, faex invida verbis Fors poenas propriis indiceret, atque venenum, Judex ipsa sibi, linguae damnaret acerbae! J tamen i – et me dimidium mihi linque. Sed istud Depositum Heidelberga tuum, tam nobile pignus, Jncolumi nobis servare memento juventâ, Spem generis floremque sui; ô clarissima famâ Heidelberga tuâ, magnorum dote virorum, Cecropio quoque nil quicquam cessura Lycéo. Felices nimium quos tu dulcedine linguae O Paraee rapis, Paraee heu debite frustra Silesiae praeclare tuae, si dissita tellus

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Nach den währenden Wolken des düsteren Winters erscheint des Frühlings ersehnter Vorzug und klares, heiteres Wetter. Angriffe voller Gift und Schläge schmähender Zungen Nehme ich gar nicht wichtig, sofern die geistigen Gaben, Die mir das Fatum verlieh in gütiger, milder Geneigtheit, Neid gegen mich erregen. Die Palme, die vorher gedrückt war, Hebt sich gerad’ durch ein Krummholz, gewinnt ihre Kraft von der Last her. Hat auch verfluchte Armut, für kluge Köpfe die eine Schwester, die eine Gefährtin, in bösem Haß mich gehindert, Flügel gelehrter Kraft zu nehmen, ich werde zu voller Höhe mich dennoch erheben und werde, gespornt von ersehnten Ehren, mit schwachem Arm meine fliegenden Pfeile versenden. Einer, dem Gott ein Schild ist, ein gutes Gewissen ein Schutzwall, Einer, den Gunst von Großen wie freundlicher Westwind vorantreibt, Geht triumphierend einher, selbst Schaden läßt ihn erblühen. Du, meines Herzens Hälfte, du bester Teil meines Herzens, Du aber führe mit dir – die Götter wollen es – alle Meine Gedanken hinweg und Freuden. Und hab’ ich dir treulich, O geliebter Gefährte, zur Seite gestanden, so nimm mein Seufzen (mit grämlicher Feder vertrau’ ich’s betrübtem Papier an), Nimm’s mit derselben Liebe, mit der du mich immer empfingest. Wenn auch das Fatum mich nicht dir ähnlich geschaffen hat, was die Schönheit des Leibs, den Besitz und die Abstammung angeht, doch gleicher Liebe zur Kunst und Verehrung Apolls, der im Dichterherz wohnet, Hast du gewünscht, du könntest mit mir in Gemeinsamkeit leben, Könntest, von mir geführt, von der reinen Quelle der Musen Heilige Wasser schöpfen, im Pindus von allem geschieden Wandern. O könntest du nie zusammen mit schlechteren Freunden Deine Jugend verschleudern, o würde der neidische Abschaum Etwa durch eigenes Wort seine Strafen verkünden, in eigner Sache als Richter das Gift der kränkenden Sprache verdammen! Geh aber, geh und laß mich, deine Hälfte, mir selber zurück. Doch, Heidelberg, denke daran, das dir vertraute so edle Pfand für mich zu erhalten in unbeschädigter Jugend, Hoffnung seines Geschlechts, seine Blüte! O Heidelberg, herrlich Ruhmvolle Stadt, an Zahl bedeutender Männer mitnichten Gar dem Lykeion Athens unterlegen! Glücklich zu preisen, Überaus glücklich sind die, die du durch gewinnendes Sprechen Hinreißt, Pareus, auf den – vergeblich – dein Schlesien wartet, Großer Pareus, sofern diese weit entlegene Landschaft

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Canorum tam sanctorum se munere jactat. Felices nimium, qui suavia pocula diae Doctrinae Scultete tuo celeberrime ductu Continuo potant haustu, divine Grutere Felices nimium, qui te praeeunte sorores Blandiloquas adeunt, scanduntque Helicona beatum. Hac tibi sorte frui datur, ô formosa corona Atque nitor iuvenum, mea sola atque una voluptas. At frustra: si jam, ingenti moerore relicto, [A3v] Me fugis, et Musas etiam mihi reddis amaras, Quarum sacra tuli. Non me, velut ante, juvabit Delitias Venus alma tui celebrare furoris, Et dulces Elegos optatâ condere venâ. In luctum vertam cytharam, lachrymisque querelisque Implebo chartas omnes, ubicunque lituris Charta notata mea in splendentia lumina Solis Exibit, lacrymas et tot suspiria prodet, Quae desiderio et curis damnatus acerbis Effudi frustra: et jam singultantia verba Ingrata abrumpunt exorsae stamina telae. […]

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AD JONAM MELIDEUM cùm illi in Nuptiis exhiberet Carmen Germanicum. Accipe qvae vester tibi vilia carmina vates Ad thalamos offert docte Poëta tuos. Da veniam, Latio qvod non incedo cothurno, Nec mea soccum Italae Musa Dionis habet. Hos qvoque succidit nobis sors impia nervos, Et me vix memini sic potuisse loqui. Vestibulum vitae mihi famae est terminus: ausus Eminùs aspicio post mea terga meos, Succumboque mihi: primo se in limine fregit Ingenii flos et vena benigna mei. [795] Materiem teneris tibi suppeditabit in ulnis Sylvia, plusque satis qvod mediteris erit.

Accipe qvae vester

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Sich des Besitzes so frommer, so würdiger Alter berühmte. Überaus glücklich auch die, die, verehrter Scultetus, von deinen Händen geführt, den lieblichen Trank der Gottesgelehrtheit Ununterbrochen genießen. Und überaus glücklich auch jene, Welche in deinem Gefolge, o göttlicher Gruter, den schmeichelnd Redenden Schwestern sich nähern, zum seligen Helikon steigend. Solch ein Leben wird dort dir gereicht, du, der Jünglinge schöner Ruhm und der Jünglinge Glanz, meine eine, einzige Freude. Was aber nutzt’s? Du gehst ja nun fort, gewaltige Trauer Hinter dir lassend, und nimmst mir sogar das Lächeln der Musen, Deren Dienst ich geweiht war. Es wird mich nicht mehr wie vorher Freuen, den Reiz deines Wahns, o liebliche Venus, zu rühmen, Noch Elegien voll Schmelz mit poetischer Ader zu schreiben, Wie ich es wünsche. Das Spiel meiner Saiten verwandl’ ich in Klage, Decke alles Papier mit Tränen und Jammer. Wo immer Meine Schriften, erkennbar an Streichungen, ausgehn ins Licht der Strahlenden Sonne, sie werden die Tränen verraten, die vielen Seufzer, die ich, zu Sehnsucht und bitteren Sorgen verurteilt, Nutzlos verströmte. Schon jetzt, meinem Willen entgegen, zerreißt das Brechen der Stimme die Fäden des angefangnen Gewebes.

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*** An Jonas Melideus, als er ihm bei seiner Hochzeit ein deutsches Gedicht aushändigte. Empfange bitte, gelehrter Poet, anspruchslose Gedichte, die dir zu deiner Hochzeit dein Dichter darbringt. Verzeih, daß ich nicht auf dem lateinischen Kothurn daherkomme und daß meine Muse nicht den Schuh der italischen Venus trägt. Auch diese Kraft brach mir ein rücksichtsloses Schicksal, und kaum erinnere ich mich daran, daß ich so habe sprechen können. Die Vorhalle des Lebens setzt mir schon ein Ende des Ruhms. Und schon fern hinter mir sehe ich meine wagemutigen Taten. Mir selbst falle ich zum Opfer: Noch an der Schwelle erschlafften (10) die Blüte und die fruchtbare Ader meines Geistes. Dir wird Sylvia in ihren zärtlichen Armen reichlich Stoff geben, und mehr als genug wirst du haben, was du bedichten kannst. Mich ließ Asterie, spröde und auf ihren mächtigen Reichtum stolz, Worte vergeuden vor der herrischen Tür. Lebend sterbe ich zweimal, verwundet von verschiedenem Feind, vom Glücksverhängnis und von deinen

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Me rigida Asterie censuque superba potenti Ad dominas jussit perdere verba fores. Bis vivus morior, diverso saucius hoste, Fortunâ et jaculis, saeve Cupido, tuis. Sentiat haec si qvis dulces odisse puellas, Cypridis haut ullo victus ab igne potest. Te foveat placido vatum clarissime, vultu Appendix colli Sylvia blanda tui. Hoc solum Ausonio potui deducere plectro: Caetera Teutonicis sunt animata sonis. Illa etiam qvisqvis patriis non invidet astris, Vix cernet Latiis inferiora modis. Scriptor Romani Naso celebratur amoris: Germani scriptor dicar amoris ego. Hac nos absolvat paupertas conscia dote, Hac urant flammae lege, Cupido, tuae. Charior ut reliqvis est patria terra, paternae Charior hic linguae sic qvoque foetus erit.

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NIße pater, foetis quem diva Lusatia pratis,

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Et variis cultâ saltibus ambit humo: Et tu nobilium formosa corona locorum Gorlicium, nostri stella corusca soli: Si fas est, sedesque meis vacat ulla Caménis, Nos quoque post reliquos vatibus adde tuis. Haud ego praeripiam vestris loca debita Musis: Sat mihi, postremo non nisi fine legi. Meisteri summâ facies statuatur in orâ: Huic par tàm celebri nullus in urbe fuit; Seu facili puros elegos deducit avenâ; Seu, Flacco propior, grande figurat epos. Vendicat inde suo Mylius sibi jure triumphum, Cederet argutis Bilbilis ipsa jocis. Alcaei quoque sublimi rivalis in oestro Arnoldus, reliquis non minor unus eat. Cùchleri numero titulus ponatur ab isto, Quem referet Latiis Graecia versa modis.

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Pfeilen, wilder Cupido. Dies möge einmal spüren, wer, noch nicht vom Feuer der Venus besiegt, die süßen Mädchen verschmähen kann. Dich aber, hochgerühmter Dichter, (20) soll Sylvia mit ihrem sanften Antlitz, schmeichelnd an deinem Hals hängend, verwöhnen. Nur dies konnte ich auf ausonische Weise dichten, das Übrige erhält von deutschen Tönen sein Leben. Jeder, der dem Schicksal des Vaterlandes nicht mißgünstig gestimmt ist, wird sehen, daß jene auch nicht hinter den lateinischen Weisen zurückbleiben. Ovid wird gefeiert als Dichter der römischen Liebe: Ich will der Dichter der deutschen Liebe genannt werden. Dank dieser Gabe möge mich die Armut, deren ich mir bewußt bin, freigeben, unter diesen Bedingungen sollen uns, Cupido, deine Flammen verbrennen. Wie das Vaterland einem lieber ist als andere, (30) so wird einem auch dieses Erzeugnis der vaterländischen Zunge lieber sein. [W.K.]

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*** Neißestrom! Vater! Die göttliche Lausitz umschließt dich mit fetten Wiesen und Boden, den Wald, vielerlei Wald, überzieht. Ebenso, Görlitz, auch du, du schöne Krone der edlen Städte, du schimmernder Stern unserer Heimat, auch du! Wenn es denn Recht ist und irgendein Ort meinen Musen bereitsteht, Reihe auch mich, zuletzt, Görlitzer Dichtern noch an. Nein, ich nehm’ nicht den Platz, der deinen Musen gebührt, weg; Find’ ich am Ende der Reih’ Leser noch, reicht mir das aus. Nein, an der höchsten Stelle soll Meisters Statue stehen; Keiner in dieser Stadt, rühmlichen Stadt, war ihm gleich, Ob er, auf biegsamem Schilfrohr, ganz rein im elegischen Maß tönt, Ob er, Valerius gleich, Epen, gewaltige, formt. Darauf beansprucht mit Recht den Triumph Martin Mylius, dessen Klugen Scherzen sogar Bilbilis selbst unterläg’. Arnold, mit edler Begeistrung Rivale Alkaios’, auch er soll Minder als andere nicht gelten, er ganz allein. Diese gesamte Schar soll Cüchler Ehre erweisen, Den ja Griechenland rühmt, das er lateinisch geformt.

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Post alios aliosque quibus tua gloria surgit Vindicibus, nomen tunc superadde meum. Nec timeo, reliquis ne dedecus arguar; hospes Nec nimium vestrâ sum male notus humo. Jam vaga bis solitum Phoebe decrevit in arcum, Vestra mihi gratus tecta recessus erant; Cum me sollicitas intra tua moenia curas Sperabam pulchro fallere posse dolo. Nec nos vana suâ mens credulitate fefellit Plus nimis, et voti sat benè compos eram. [F1r] Materies etiam nostro festiva furori Contigit, et nervo digna palaestra meo. Nam cum grassantem patriis crudeliter hostem Finibus, et saevas in sua membra manûs, Victurâ populis tentassem credere pennâ, Virgiliique gravi non minor ire tubâ: Mox aliò traxere tui nos, diva, lepores, Fixaque virgineis astra superba polis. Hinc mihi grandiloquum Cypri regina cothurnum Exuit, et lepidum condere jußit opus. Protenus exciderunt animo fera bella, meumque Pro lauru myrti circumiere caput. Nec mirare, meas hausisse venena medullas; Vates, et juvenis, res erat apta deae. Feci quod voluit: nunc claudos fingere jambos Occepi, numeros nunc, Elegia, tuos. Hos quoque tam placido manantes flumine versûs, Indulget genio spontè Cupido meo. Seu quia sopitos et jam sentiscit amores, Et tacito mea mens igne videtur agi. Seu quod sidereos credit se cernere vultûs, Et Sponsae, juvenis, lumina clara tuae. His quoque numen inest; instinctu surgimus illo: Spiritus ex oculis virginis iste venit; Ex oculis Sponsus dudum queis saucius errat, Incerto veluti cymba relicta freto. Heu quoties motu conatus frangere morbum, Leschwicium* sese contulit ille suum, [F1v] Si rapidas valeat restinguere fortè favillas, Et dominas grato fallere rure manûs!

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Hinter noch andren und andren, auf deren Geltung dein Ruhm sich Gründet, füg obendrein dann meinen Namen hinzu. Daß ich den andern zur Schande gereich’, das befürchte ich nicht, ich Bin ja in deinem Gefild kein allzu ruhmloser Gast. Schon schwand die schweifende Phoebe zum zweiten Mal zur gewohnten Sichel dahin, seit dein Dach wünschbarer Fluchtort mir ward, Seit ich mit lustiger List in deinen Stadtmauern, Görlitz, All die geschäftige Not abtun zu können gehofft. Wirklich, mein törichtes Hirn betrog mit dem eigenen Leichtsinn Nicht allzu sehr mich selbst; was ich mir wünschte, traf ein. Auch ward erfreulicher Stoff meinem Furor als Dichter zuteil, ein Kampfplatz dazu, der durchaus meinen Gelenken entsprach. Denn nachdem ich den Feind, der im Lande der Väter so grausam Wütete, Hände, die schlimm gegen den eigenen Leib Vorgingen, allen den Völkern mit bleibendem Werk zu verraten Suchte, Posaunen Vergils nicht unterlegen im Klang: Da zog dein Reiz, o Göttin, mich anderswohin und die stolzen Sterne, am Himmel fest, welcher die Mädchen beherrscht. Da befahl mir die Herrin von Zypern, erhabenes Reden Solle ich lassen, ein Werk schaffen von reizender Art. Grausamer Krieg entschwand mir sogleich, meine Stirne umfing nun Nicht mehr der Lorbeer des Kriegs, sondern das Myrtengezweig. Wundre dich nicht, daß mein Mark die Vergiftung geschluckt hat; der Dichter War wie der Jüngling ein Ding, wie es der Göttin gefiel. Und ich tat, was sie wollte: begann damit, Jamben zu formen Hinkender Art und sodann Verse wie du, Elegie. Dieses Versmaß sogar, das in derart friedlichem Fließen Hinströmt, Cupido gewährt’s meiner Begabung sehr gern; Ob nun mein Herz schon schlummernde Liebesgefühle verspüret Und von heimlicher Glut heftig getrieben erscheint Oder vermeint, ein Gesicht wie Sterne so schön zu erblicken, Nämlich den – Jüngling, merk auf – strahlenden Blick deiner Braut. Göttliche Kraft wohnt in Augen; ein solcher Stachel erweckt uns; Diesen feurigen Sinn schafft einer Jungfrau Gesicht, Schaffen die Augen, von denen verwundet der Bräutigam lange Schwankt wie ein Schiff, das allein treibt im gefährlichen Meer. Ach, wie oft er versuchte, die Krankheit zu brechen durch WohnortsWechsel, wie oft er sein Gut Leschwitz besuchte dazu! Hoffend, er könne vielleicht die fressende Glutasche löschen, Käm’ auf dem lieblichen Gut los von der Herrin Gewalt.

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Sed mediis Venus errat agris, vitaeque decorem Quaquà se vertit repperit esse suae. Dißita mane novo villarum culmina fumant: Sic halat casto languida nympha toro. Supprimit astra decens croceis Aurora capillis: His aequas etiam spargit amica comas: Immenso radios Titan extendit Olympo: Hic oculis divae splendor amoenus inest. Audit inerrantes arbustis flare susurros: AEthereo similes promit ab ore sonos. Purpureis cernit gemmantes floribus hortos: Tale decus vernans undique vultus habet. Expansas patulâ circumspicit arbore frondes: Brachia non aliter pandit et illa sua. Consulit adversi bipatentia culmina* montis: Parnasso dominae vellet adesse suae. Quaerit in explicitis gelidam convallibus umbram: Expliciti roseâ sunt quoque valle sinûs. Nil non rure videt; sunt virginis omnia plena, Quàque venit flammas invenit ille suas. Flumen adit: sed et his Cytheréa vagatur in undis, Et furit in liquidis fervidus ignis aquis. Ergò, nec proprio cum sit securus in agro, Rursus, inops animi, moenia nota petit. Hic reperit teneras, frustra quas liquerat, ulnas, Exoptatque suam flectere posse deam. [F2r] Illa, licet blandis, mitescere nescia verbis, Ut rupes pelago dura fremente manet. Paulatim tamen instanti concedit amori, Et discit nimias spernere nolle preces: Donec quas timuit purâ spe praecipit horas, Quaeque prius nequiit basia ferre, petit. Vicisti, juvenis, rigidae praecordia nymphae: Excute nunc si quid sedulitatis habes; Infractoque moras ulciscens pectore, poenas Exige de totâ virginitate tuas. Aspice magnanimi canentia menta parentis; Gestit et ille novo posse nepote frui. Nec minus ipsa, licet lachrymarum depluit imbrem, Succumbet gratis victa puella minis.

NIße pater Venus jedoch, sie schweift inmitten der Felder; er findet, Wo er sich aufhält, den Glanz, welcher sein Dasein verschönt: Jeden Morgen steigt Rauch von den einzelnen Firsten der Häuser; Ähnlich seufzt auch die Braut, schlaff von dem einsamen Bett. Sittsam vertreibt Aurora die Sterne mit flachsblonden Strähnen; Ebenso breitet im Glanz auch die Geliebte ihr Haar. Helios sendet sein Strahlen vom unermeßlichen Himmel; Dieser liebliche Glanz füllt auch der Liebsten Gesicht. Hört er ein sanftes Geräusch, das in Sträuchern herumschweifend säuselt, Bringt ihr so himmlischer Mund ähnliche Klänge hervor. Gärten, so sieht er, ersprießen mit purpurfarbenen Blumen, Frühlinglich trägt ihr Gesicht solch einen Schmuck überall. Sieht er an breiten Bäumen gestrecktes Gezweig in der Runde – Ähnlich strecket auch sie selbst ihre Arme hinaus. Blickt er zum doppelten Gipfel des Bergs gegenüber, so wär’ er Gern an dem zweifachen Berg seiner Verehrten sogleich. Sucht er den kühlenden Schatten gedehnter Täler – gedehnte Wölbungen finden sich auch dort an dem rosigen Tal. Geht er aufs Land, sieht er alles: ’s ist alles voll von dem Mädchen, Wo auch immer er geht, geht er in eigene Glut. Tritt er zum Fluß, so tummelt sich Venus auch hier, in des Flusses Wellen, ein glühender Brand tobt in dem heiteren Naß. Also – er ist ja sogar auf dem eigenen Landgut nicht sicher – Strebt er, sein Sinn ist getrübt, wieder zur Stadt, die er kennt. Wieder erblickt er den Arm, den zarten, vor dem er umsonst floh, Wünscht sich, er biege den Sinn seiner Verehrten zurecht. Sie versteht es noch nicht, von noch so schmeichelnden Worten Weicher zu werden, bleibt hart, Felsen in tobender See. Ganz allmählich jedoch gibt sie Raum der bedrängenden Liebe, Lernt sein maßloses Flehn nicht mehr mit Absicht verschmähn, Bis sie die drohende Stunde mit heitrer Erwartung vorwegnimmt, Küsse, die vorher sie nicht hinnehmen konnte, verlangt. Sieg, junger Mann! Besiegt ist das Herz eines grausamen Mädchens! Falls du noch Diensteifer fühlst, schüttle ihn ganz von dir ab! Nimm mit geschwellter Brust jetzt Rache fürs Warten, vollziehe Rache am ganzen Stand, Jungfrauenstande, zugleich. Sieh den ergrauenden Bart ihres edeldenkenden Vaters: Freude an Enkeln, die wünscht der sich aufs sehnlichste auch. Ebenso sie, das Mädchen – mag Tränenstrom noch so sehr fließen – Gibt sich dem, was ihr droht, dankbar am Ende, besiegt.

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Crede mihi, quicquid metuit jam perdere, tali Saepius optabit perdere posse modo, Atque diu tibi collectos exhauriet aestûs. Hîc quoque, si nescis, non nihil usus agit. Felices animae, pallenti Vesperus ipse Gaudia festinat tanta videre face. Praecipites vobis impendunt sidera flammas, Et citior solitò nox ruit alta polo. Ite, brevi discedet hiems, componite nidos: Ver etiam vobis ad sua puncta redit. Fortunate virûm, placidos nunc carpere somnos, Nemine, quam dominâ fortè, negante potes: Et, gratis ne sis felix, accedit amori Dos quoque, sat dotis sit licet ipsa sibi. [F2v] Nos miseris vitae florem depascere curis Cogimur, et Sortis de levitate queri. Scilicet adversae tempestas horrida vitae, Ingenio voluit non minor esse meo. Quid quod et hoc tanto suppressum pondere languet, Ulteriusque sui vix meminisse potest? Si tamen haud prorsus Musarum castra relinquam, Nec penitus nostrae transfuga partis ero; Extollam, Famae fretus plaudentibus alis, Carmine Gorlicium non moriente tuum. Tunc et Moeoniden, Richtero judice, vincam, Supremusque mihi quisque secundus erit. Tu sobolis, Gothofrede, tuae natalis in ipsâ Ut poßit libri fac modò fronte legi. […] Non est mortale quod opto. Martinus Opitius.

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Glaube mir, das, was sie jetzt zu verlieren befürchtet, das will sie Öfter auf gleiche Art einbüßen können demnächst, Wird deine Glut, gesammelt in langem Warten, erschöpfen. Hier auch bewirkt – du weißt’s? – Praxis wohl einiges noch. Menschen im Glück! Eine solche Freude zu sehen, beeilt sich Hesperus sehr, er trägt gelbliche Fackeln herbei. Vorzeitig kommen die Sterne, ihr Licht euch beiden zu spenden, Schneller als sonst fällt Nacht oben vom Himmel herab. Eilt euch, der Winter geht bald, so eilt, ein Nest euch zu bauen: Frühling kommt auch für euch wieder zur üblichen Zeit. Nunmehr, du Mann im Glück, vermagst du in Ruhe zu schlafen, Niemand, wenn nicht vielleicht sie, deine Herrin, verwehrt’s. Und damit dir das Geld im Glück nicht fehlt, tritt zur Liebe Mitgift noch, wenn auch die Braut Gabe genug sich erscheint. Ich muß die Blüte des Lebens mit elenden Arbeiten fressen, Klage führen zugleich über mein treuloses Los. Denn der entsetzliche Sturm eines widrigen Lebens ertrug’s nicht, Schwächer zu sein als ich, meine Begabung und Kraft. Ist es ein Wunder, wenn Kraft unter solchen Gewichten erschlafft und Kaum noch das Wissen bewahrt, einmal gewesen zu sein? Wenn ich jedoch die Truppen der Musen nicht schlankweg verlasse, Wenn ich von meiner Partei nicht desertiere, nicht ganz, Heb’ ich, darauf vertrauend, daß Famas Flügel mir Beifall Spenden, in ewigem Lied lobend dein Görlitz empor. Dann übertreff ’ ich Homer, und Richter mag richten, ein jeder Dichter von höchstem Rang bleibt hinter mir dann zurück. Gottfried, sorge dafür, daß der Tag der Geburt deines Kindes Gleich schon am Anfang des Buchs Leser zu finden vermag.

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[…] Nichts Sterbliches ist es, was ich begehre. Martin Opitz. [G.B.]

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NUper ab Hesperio AD MARTINUM SCHINDLERUM In Italiam proficisc!entem" A. 1619.

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At tu remotas Ausonum terras petis, Et tendis ultra; nos polum libabimus Viciniorem forte: sic satis tamen Et nos abesse credo; dummodò absumus. Longè fugit, qvicunque patriam fugit.

*** E PITHALAMIUM D. N . I ACOBI NICOL . DE BUCKAW

In Althoffen et Eckersdorff, ET A NNAE M ARIAE G EISLERIAE de Polsdorff et Golsdorff, eximiae Virginis Autore MART. O PITIO. L IGNIC I Typis Nicolai Sartorii.

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[A2r] NUper ab Hesperio procul huc devecta Cythero, Gradivum Venus alma suum quaerebat, et inter Tot deplorati furibunda tonitrua belli Invento, quo ferris, ait, Mars saeve, tumultu, Committisque feras in propria viscera dextras? Non satis innocuo stagnavit sanguine Mulda Natorum, et miseras viduarunt praelia matres, Albicolisque enses avidi maduere Bohemis? Nequicquamnè novis candens flagraverit aether Ignibus, et tanto volitantem lampada tractu Impunè altitonans caeco suspenderit orbi? Quicquid Oresteâ Discordia mente volutat, Jam gladii fecere tui: velut agmine facto

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An Martin Schindler, als der 1619 nach Italien aufbrach. Doch du strebst hin zum fernen Land Ausonia Und strebst noch weiter. Ich verkoste einen Ort Vielleicht, der näher liegt. Jedoch verweil’ auch ich, Bedünkt mich, fern genug so (falls ich fern verweil’). Denn weit geht jeder weg, der weggeht von daheim. [R.S.]

*** Hochzeitsgedicht für Herrn Jacob Nikolaus von Buckau in Althofen und Eckersdorf und die edle Jungfer Anna Maria Geisler von Polsdorf und Golsdorf. Verfaßt von Martin Opitz. Liegnitz, gedruckt bei Nikolaus Sartorius.

Kürzlich fuhr Venus, die holde, hierher vom westlichen Kultort, Fernher, und suchte nach Mars, ihrem Mann, dem Gradivus, und als sie Mitten im rasenden Donnern des vielbejammerten Krieges Endlich ihn fand, da entfuhr ihr: „Von welcher Verwirrung ergriffen, Mars, läßt du zu, daß grausame Hand gegen Mitbürger wütet, Furchtbarer? Stockt denn noch nicht genug vom schuldlosen Blut der Eigenen Söhne die Moldau? Macht Kampf noch nicht ausreichend Mütter Elend und kinderlos? Triefen der Böhmen am Elbufer Schwerter, Gierige Schwerter, noch nicht genug? Hat ein glühender Himmel Sinnlos mit neuem Feuer gezuckt? So blitzend erhob der Donnrer ein fliegendes Licht ohne Wirkung verblendeten Menschen? Was auch immer die Zwietracht im muttermordenden Sinn wälzt, Schwerter von dir vollbrachten’s bereits. Wie geschlossene Truppen

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In sua fata ruunt, lentisqve morantia poenis Funera sollicitant. Pestis quoque tabida quovis Saevius hoste furit, ignavâqve aegra queruntur Corpora morte mori, nec stantia posse perire; Et sibi se superesse dolent, felixque putatur Quisquis caede perit, quemque oderat opprimit, atque Luctantem patrias animam projecit ad aras. Ipse fatigatis vix ad sua littora velis Brachia lassa refert Porthmeus, metuensque resolvi Attritam ingenti permutat classe carinam. Quin et Taenarias iterum rupisse catenas Ac superas didicisse pati canis inferus auras Fertur et horrendo regna irritasse ululatu. Jam tandem ludo, Mavors, satiate cruento, AErumnis impone modum, armorumque furori Non satis assuetas, paci rursum assere gentes; Sic Paphiae cupis ora tuae. Quodcunque ruinis, Si nescis fortassè, tuis festinat ad umbras, Hoc regno perit omne meo. Sic fata viriqve [A2v] Discedens niveis loricam amplexa lacertis, Ad, detestatos nequicquam bella, Silesos Idaliis vehitur liquidum per inane columbis. Atque ubi magnanimi sacratas principis arces Contigit, et valido surgentia maenia vallo Lignicii veteris, G EISLERI fertur ad aedes, Tectaque inassueto replet splendentia cultu. Olli Suada potens à primis astitit annis, Et linguam pro dote dedit. Non talibus acer Eloquiis Laërtiades dejecit Achivos, Indomitis ad pugnam animis sine lege ruentes. Seu cum olim positâ fronte exorare beatum Sustinuit veteri pro relligione Rodulphum: Qui jam (si qua movent manes terrena sepultos) Austriacos inter proavos, ex orbibus illis Quos Pelusiacâ toties descripserat arte, Et frustrà ringente Pharo signarat, avitas Ingemuit tantâ quassari mole tiaras, Funestâque orbos misceri clade colonos. Sive parens regum turrita Vienna potentum, Cum stupuit nuper vix mortali ore loquentem;

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Stürzen ins eigene Unglück sie sich und machen das Sterben Schneller, das säumt, weil die Strafe noch zögert. Und schlimmer als jeder Feind tobt verzehrende Seuche, es klagen die Kranken, sie stürben Eines zu langsamen Todes und könnten doch aufrecht nicht sterben; Klagen, sie lebten zu lange. Für glücklich wird jeder gehalten, Der in den Schlachten dahinsank, verhaßte Feinde erschlug und Der seine Kämpferseele dem Vaterland opferte. Charon Bringt die verbrauchten Rahen mit Mühe nur an sein Ufer, Auch die Segel sind schlaff, und aus Furcht vor dem Schiffbruch vertauscht er Dieses vernutzte Gefährt mit Schiffen gewaltiger Größe. Cerberus, sagt man sogar, der Hund des Hades, hat wieder Höllische Ketten zerrissen, die Luft der oberen Welt zu Atmen gelernt und die Länder mit furchtbarem Heulen zu schrecken. Setze nun endlich, Gradivus, gesättigt vom blutigen Spiel, den Leiden der Menschen ein Ende und führe die Völker – sie sind ans Rasen des Kriegs noch nicht gewöhnt genug – wieder zum Frieden. Willst doch das Lächeln der Venus, der Deinen. Bedenke doch bitte: Alles, was du vernichtest, was deshalb hinab zu den Schatten Eilig hinab muß, geht ganz meiner Herrschaft verloren!“ So sprach sie, Legte zum Abschied den Arm, den schneeweißen Arm um den Panzer Ihres Gemahls und ließ sich von zyprischen Tauben durch freien Luftraum nach Schlesien fliegen, dem Land, wo die Menschen vergeblich Kriege verfluchen. Sobald sie das Schloß, das heilige Schloß des Hohen Fürsten erreicht und Liegnitz’, des alten, auf starken Wällen sich hebende Mauern, begibt sie sich eilig zum Hause Geislers, läßt es erstrahlen in nie noch gesehenem Glanze. Dem stand die mächtige Suada, die Göttin der Rede, von KindheitsJahren zur Seite, sie gab ihm als Mitgift die Sprache; Odysseus Stimmte, der kluge, die Griechen mit keinem so kräftigen Wort um, Als sie ohne Beherrschung und planlos zu kämpfen versuchten. Nahm er es doch vor Jahren schon auf sich, gebeugten Hauptes den nunmehr Seligen Rudolph zugunsten des alten Glaubens zu bitten; Dieser beklagt (sofern, was auf Erden geschieht, der Begrabnen Seelen noch irgend berührt) im Kreis seiner Habsburger Vorfahrn Seufzend aus jener Welt, die er oft astrologisch beschrieben Und von geöffneter Warte vergeblich beobachtet hatte, Alle die Kronen der Ahnen erlitten so schwere Erschüttrung, Furchtbar treffe das Elend die ausgeplünderten Bauern. Oder: vor kurzem bestaunte ihn Wien, das mit Türmen bewehrte, Mutter von mächtigen Herrschern, er sprach mit fast göttlichem Munde,

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Ac septem geminis exundans amnibus Ister Majores provolvit aquas, nec pulchrius unquam Libertas meminit sese Germana locutam. Haec postquam arcano secum dea corde volutat, Pro tantâ pietate viri Venerem excutit omnem, Quei prodesse queat, generumque anquirit, et acri Buccavio penitas succendit amore medullas. Ille Budorgiacas extemplò spernere nymphas Occipit, et quod nescit, amat: tamen ardet, agrosque Defertur Ligios, urbemque accedit, et illic Discit, quâ patrias damnarit lege puellas. [A3r] Nam juveni vix visa omnes G EISLERIA sensûs Eripit. Eximii tantum indulgentia vultûs, Et species divina potest. Hoc prodiit igne, Cum totum praegnans furata est Cynthia Phoebum, Atque nothâ fratres extinxit luce minores; Incassum plaustro tardi luctante Bootis, Gnosiacaeque diu contrà nitente coronae Circuitu; fortique sacri victore Draconis, Orpheâque lyra (quae quondam saxa ferasque, Nunc rapit immensi secum aurea sidera mundi) Cornibus oppositi frustrâ insurgente sereni; Ac quotquot tristes defendunt astra tenebras. Talis Dardanii fuerat sub vertice montis, Cum meruit facilem genetrix AEnëia palmam, Et cunctis praelata fuit. His Tyndaris olim Laomedonteás accendit dotibus arces. Hac placidam Pario de marmore fronte Dianam Praxitelis finxere manûs; lapidumque decorem Nativae damnat vis laudatissima formae, Et castigato cedit bacca Jndica collo. Nec quicquam teneris emendati artubus oris Nobilium minor est pulcherrima gratia morum, Et sexûs oblita sui viridisque juventae Majestas gravitasque decens, ac sola disertum Ambrosiá linguae prodentia verba parentem. Tam raris excussa deae virtutibus ultrà Vix se flamma capit, curisque ingentibus impar Paulatim suspirat amans, nataeque doloris Succedunt lachrymae: sic primùm sparsa favillae

NUper ab Hesperio Daß die Donau sogar, die in sieben Mündungen ausfließt, Größere Wellen rollte; die ‚Teutsche Freyheit‘ vermag sich Nicht zu erinnern, je schöner gesprochen zu haben. Nachdem die Göttin all das bei sich, im innersten Herzen, erwogen, Zeigt sie sich ganz als Venus vor so großer Vaterlandsliebe, Sucht einen Eidam zu finden, der Geisler nützlich sein könne, Und entzündet das Mark von Herrn Buckau zu feuriger Liebe. Dieser beginnt sofort, die Mädchen von Breslau zu meiden, Ohne’s zu wissen, verliebt; doch er glüht schon, er reist ins Gebiet von Liegnitz, betritt diese Stadt, und es geht ihm darinnen ein Licht auf, Welche Bestimmung ihm auftrug, die heimischen Mädchen zu meiden. Kaum nämlich sieht der Jüngling die Tochter Herrn Geislers, beraubt sie Aller Sinne ihn schon. Der Charme des aparten Gesichts, die Göttliche Schönheit vermag das. Mit eben dem nämlichen Feuer Strahlt Diana bei Vollmond, sobald sie Apollo die Leuchtkraft Raubt und die kleineren Brüder mit diebischen Strahlungen aussticht, Während der Wagen Bootes’, des trägen, vergeblich sich anstemmt, Lang’ Ariadnes Krone sich anstrengt, entgegengesetzte Richtung zu wahrn, der tapfre Besieger des heiligen Drachen Wie auch die Lyra des Orpheus (vor Zeiten zog sie Getier und Felsgestein mit sich und jetzt die goldenen Bilder des Weltalls) Zwecklos gegen die Hörner des Lichts gegenüber sich aufbäumt, All das Gestirn überhaupt, das die traurige Finsternis wegjagt. So war die Mutter Aeneas’ am Gipfel des Berges bei Troja, Als sie im Wettstreit den Preis ohne Mühe errang und den Vorzug Fand vor den andern. Mit solcher Gabe versetzte dereinst die Tyndaris, Helena, Stadt und Burg Laomedons in Gluten. Solch eine Stirne erschuf Praxiteles, parischen Marmor Formend, der sanften Diana. Den Schimmer des Steins übertrifft die Allseits gerühmte Gewalt ihrer angeborenen Schönheit, Herrlich geformtem Hals unterliegt jede indische Perle. Weniger nicht als des reinen Antlitzes liebreiche Formen Strahlt die herrliche Anmut der vornehm-adligen Sitten, Gleichfalls die sonst bei Mädchen von frischer, blühender Jugend Seltene Würde und Ernst, und auch schon die Weise zu reden, Die durch ambrosische Worte den redekundigen Vater Spiegelt. – Hervorgerufen von derart göttlichen, seltenen Kräften, vermag das Feuer sich kaum noch zu halten, allmählich Seufzt der Liebende laut, dem gewaltigen Kummer erliegend. Schmerz bringt Tränen hervor: So nährt sich ein fliegender Funke

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Scintilla exiguae stipulâ vix vivit inani: At si fortè ferens illam sufflaverit Auster, Majores sensìm latè considit in ignes [A3v] Indomitumque furit, vastosqve impunè penates Corripit, et totum fumo confundit Olympum. Ergò conspectu sperans propiore mederi Morbis posse suis, accedit, et occupat omnes Ingeniosorum ritus et verba procorum. Primas visus agit, vultuque lacessit in ipso Deprendi castae metuentia lumina nymphae. Hinc gemitûs pro voce dedit, mittitque profundo Pectoris oratum suspiria ducta recessu. Dum tacitis crescens pedetentim gressibus, omnem Dedidicit mens laesa metum, positoque pudore Ingenuas sumpsit sibi confidentia vires. Tum verò nil vile sonat; sed verba sequuntur Cecropiis etiam vix concessura loquelis, Atque omni majora fide: nec laeta colorum Tot facies roseo Thaumantia sumit amictu, Cum bibit Oceani, quas mox tamen evomat, undas. At virgo secura sui, duransque, nec uno (Ut genus hoc duplex consuevit) mobilis ictu; Non magis instanti juvenis Sermone movetur, Quam pelago certante silex; licet aequora juxtâ Iratis scopulos tundunt et saxa procellis, Insultantque jugis, et vasto murmure Cauri Suspensos rauco latratu ad littora fluctûs Propellunt, omnemque ferunt sub nubila pontum. Heu stolidos nympharum animos. Quid Fata morentur, Si quid virgo velit? Tamen imo pectore grande Nescia vulnus alit, tacitoque venena meatu Viscera pertentant, nec dulci membra quiete Deficiunt, solitoque absolvit lumina somno. Donec in expressum marcens et pallida languorem Incidit, et macies artûs jejuna venustos [A4r] Distulit, ac solitum liquerunt membra vigorem. Quid faceret? Medicis aperit sua vulnera; febrim Dicunt, Paeoniae quaeruntur montibus herbae, Et quotquot didicit gens docta Machaonis artes. Risit Amor, dominaeque toro juvenem applicat; ille,

NUper ab Hesperio Spärlicher Asche zunächst von leeren Strohhalmen, kaum nur; Hat ihn jedoch der Südwind ergriffen, ihn anfachend, weitet Nach und nach er sich aus, weithin, zu größerem Feuer, Rast unbeherrschbar, erfaßt, ohne daß man ihn eindämmen könnte, Große Gebäude und qualmt den ganzen Himmel verdunkelnd. Also, weil Buckau erhofft, seine Krankheit durch größere Nähe Heilen zu können, begibt er sich hin und verwendet die Worte, Alle, und jede Gewohnheit von ganz durchtriebenen Freiern. Protagonist ist zunächst sein Blick, mit dem Mienenspiel lockt er, Um zu bezwingen die furchtsamen Augen des sittsamen Mädchens. Dann bringt er Ächzen statt Worten hervor und entläßt aus dem tiefen Innern der Brust entspringende Seufzer, sein Flehen zu künden. Wachsend sodann allmählich in heimlichen Schritten, vergißt der Angeschlagene Mut alle Furcht, er legt alle Scheu ab, Selbstvertrauen ergreift die mit ihm geborenen Kräfte. Aber er äußert auch jetzt nichts Flaches; die Worte, die folgen, Stehen sogar hinter Reden Athens nur wenig zurück, sind So, daß man’s kaum noch glaubt. Die farbenfreudige Iris, Tochter des Thaumas, verwendet, sobald sie das Wasser der See trinkt, Das sie jedoch bald ausspeit, am Rosengewande durchaus nicht Soviele Farben. Das Mädchen jedoch, ganz selbstsicher, wartend, Nicht zu erschüttern von einer Attacke (die Doppeltheit bringt das Mit sich), es läßt von des Jünglings bedrängenden Worten sich grade So weit bewegen wie Felsen bei stürmischer See: mit erzürnten Stürmen mögen die Wellen die Felsen und Riffe behämmern, Ja, sie springen auf Höhen und treiben, wobei der Nordwestwind Fürchterlich heult, mit heisrem Gebell die am Ufer gestauten Wasser nach vorn und ziehen das ganze Meer unter Wolken. Ach, alle Mädchen sind dumm. Warum soll das Fatum noch zögern, Wenn eine Jungfrau was will? Sie nährt doch im innersten Herzen, Weiß aber nichts davon, eine große Wunde, und schleichend Dringt ihr ein Gift durch den Leib, und die Glieder erschlaffen in süßer Ruhe nicht mehr, sie erläßt’s ihren Augen, zu schlafen wie früher. Schließlich verfällt sie, ganz träge und bleich, einer sichtbaren Schlaffheit, Kraftlos mageres Aussehn vertreibt die Schönheit der Glieder, Alle Teile des Körpers verlieren die früheren Kräfte. Was ist zu tun? Sie vertraut ihre Wunde den Ärzten. Die sagen: „Fieber!“ Man sucht in den Bergen nach Kräutern, die Krankheiten heilen, Greift zu den sämtlichen Künsten gelehrter Jünger Machaons. Amor lacht und entsendet den Jüngling ans Bett seiner Herrin.

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Verborum ambrosiâ, succoque salutis inemptae, Nunc digitos nunc ora fovet; vix ipsa valere Tanti virgo putat: tamen exilit, atque salutem Esse videt, quod morbus erat, charique vicissim Vires, non propriâ fractas febre, mulcet amantis, Obtentâque genis vix summovet oscula palmâ. Jam cursum quem sancta dedit Cytherea, peregit Virginitas intacta suum; jam lumina Titan Claudet, et auricomos stagna in Tartessia currûs, Pertaesus longorum operûm, demerget, et alas Nox pandet tranquilla suas, roseoque micabunt Noctivagae super axe faces; jam nobile fastus, Sponse, tibi debet Spolium, jam lenta morarum, Si quid cordis habes, ulciscere puncta tuarum; Denique jam totum audacter conjunge maritum. Hespere qui. Sed tam speratae gaudia noctis, Et quae nec vigiles admittunt sacra lucernas, Forte Dionaeo vates felicior oestro, Nectareis ibit describere versibus. At nos, Desuetos socco ferri leviore, cruentis Rectius assereret proles Latonia bellis.

*** Nuptiarum Promulsis A D C ASP. K IRCHNERUM , 18. d. m. Martii.

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QUod ver praeterito redibat anno Consveto citius, tibi imputabam, Vatum maxime: nam tuo serenis Adventu radiis polus micabat; Et si non radiis micasset illis, Prae lucis faculâ tuae, pruinis Nil qvicquam licuisset: at vicissim Quod, Phaebus licet altiore caelo Incessu graditur, tamen paternum Sero constiterit gelu fluentum, Et secura sui rigensque leges

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Dieser erwärmt mit dem Duft seines Worts, also selber erzeugtem Heilendem Saft, ihr Gesicht, ihre Finger. All das zu verdienen Mag sie nun selbst nicht glauben. Sie springt jedoch aus dem Bette, Sieht: die vermeintliche Krankheit ist Rettung, liebkost den geliebten Liebenden auch, dessen Kraft nicht von eigenem Fieber geschwächt ist, Legt ihre Hand um ihn, hört kaum auf, seine Wangen zu küssen. Endlich hat sie den Weg, den die heilige Venus ihr zumaß, Unangetastet, als Jungfrau durchlaufen, und Helios schließt nun Bald aller Augen und lenkt, von der langen Arbeit verdrossen, Seiner Pferde Gespann – ihr Haar ist wie Gold – an Tartessos’ Küste ins Meer, die Ruhe der Nacht verbreitet die Flügel, Oben am rosigen Himmel erschimmern nächtliche Fackeln. Bräutigam, Sprödheit muß jetzt Euch edle Trophäen gewähren; Nehmt, wenn Ihr Mut habt, nun Rache für lange Schmerzen des Wartens; Kurz: verbinde den Mann nun ganz und entschlossen der Gattin, Hesperus! Aber ein Dichter – er müßte, von Venus begeistert, Glücklicher dichten als ich – geht hin und beschreibt uns in nektarFließenden Versen die Freuden der Nacht, die derart ersehnt ward, Stellt die Mysterien dar, die keine nächtlichen Lampen Dulden. Doch mich, auf leichteren Schuhen zu geh’n nicht gewöhnt mehr, Schickte Apollo wohl besser zum Dienst im blutigen Kriege. [G.B.]

*** Als Vorspeise zur Hochzeit an Caspar Kirchner, am 18. März Daß der Frühling im vergangenen Jahr früher als gewöhnlich wiederkehrte, habe ich dir zugerechnet, du größter aller Dichter, denn mit deiner Ankunft glänzte der Himmel von heiteren Strahlen. Und hätte er auch nicht von diesen Strahlen geglänzt, so wäre vor der Leuchte deines Lichtes dem Winter keine Macht gegeben gewesen. Doch daß, umgekehrt, mag Phoebus mit höheren Schritten am Himmel dahinziehen, dennoch der heimische (10) Fluß von später Kälte ge-

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Veris sumit hyems, negatque campos [A2v] Dulces dicere, sobriasqve terras, Et laetas volucres, nivesqve canae Luctantis radios premunt Olympi; Hoc, K IRCHNERE , tibi quoqve imputamus: Nam postquam lepor unius puellae Praefertur teneris tuis Camaenis, Et prae vertice gratiore Pindi, Parnassum dominae requiris unum; Cum Musis Pataraeus universis Infandùm gemit: ergo nec decora Gaudent cum dominis suis vireta, Nec sylvae solitos nemusque cantûs Absolvunt, Zephyrusque murmurante Ludit florifer undiquaque vento. Sed quod jam posito gravi Maronis Summi pondere, castiore gressu Gyros contraho carmen in minores, Quid mirum tibi? Si tuae puellae Acclinis lateri, brevi patrabis, Quod nunquam puto fortè perpetrasti: M ART. O PITIUS.

In Nuptias CL. V. C ASP. K IRCHNERI et M ARTHAE Q VEISSERIAE castissimae pariter et elegantissimae Virginis.

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Vincimus ingenii curis; hac lege per oras Tendimus innumeras, et vastum currimus aequor; Ut post tanta viae discrimina vela legamus Virgineo defessa sinu. Sic saltibus Anglis [A3r] Imposuit certum AEneae tibi mater amorem. Namque ferunt illic, quà regia collibus altis Aërias Windsora domos ostentat, et amne Vicinos Tamesis clementi illabitur agros, Te placidam vidisse deam, et post mille viarum

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froren ist und selbstsicher der starre Winter dem Frühling sein Recht nimmt, die Felder nicht süß preisen läßt, die Erde nicht trocken und die Vögel nicht froh, und daß grauer Schnee die sich vom Himmel durchkämpfenden Strahlen verschluckt, auch das, mein Kirchner, rechnen wir dir zu. Denn seitdem du den Reiz eines einzigen Mädchens deinen zarten Musen vorziehst und eher als den anmutigen Gipfel des Pindus (20) nur den Parnaß deiner Herrin aufsuchst, klagt darüber zusammen mit allen Musen Apollo unsäglich. Daher prangt nicht das schöne Grün zusammen mit seinen Herrinnen, Wald und Hain lassen nicht den gewohnten Sang ertönen noch spielt Zephyr blumenduftbringend allenthalben mit säuselndem Wehen. Daß ich aber nunmehr die schwere Last des großen Maro abgelegt habe und mit verschämtem Schritt mein Gedicht in engere Bahnen lenke, (30) was wundert’s dich? Wenn du an der Seite deines Mädchens liegst, wirst du bald vollbringen, was du bisher vielleicht niemals vollbracht hast. Martin Opitz.

Auf die Hochzeit des berühmten Mannes Caspar Kirchner und der Martha Queisser, der höchst züchtigen wie überaus feinen Jungfrau. Also für diesen Lohn übertreffen wir die Menge durch die erhabenen Bemühungen eines hohen Geistes, unter dieser Voraussetzung streben wir zu unzähligen Küsten und durcheilen das gewaltige Meer, daß wir nach so großen Gefahren des Weges die schlaffen Segel einholen im Schoß eines Mädchens. So hat also auf den waldigen Höhen Englands die Mutter des Aeneas dir eine feste Liebesbeziehung auferlegt. Denn es heißt, dort, wo auf hohen Hügeln das königliche Windsor seine weit in die Lüfte ragenden Gebäude zeigt und die Themse mit segensreichem Lauf die nahen Felder tränkt, (10) habe die gefällige Göttin dich erblickt und dir nach dem Überdruß von tausend Wegen und dem angstvollen Segeln mit dem kühnen Schiff hier deinen Hafen bestimmt. Mit diesem Lohn bezahlte die

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Taedia, et audacis metuentia lina carinae, Hic portum fixisse tuum, hac mercede tot annos Absolvit divina Venus; geniique labores Ausaque digna tui, facunde Poëta, rependit. Iccircò docti miracula dissita caeli, Astrorumqve vagos juvit lustrare recursûs, Et quicquid non novit humus? hoc denique centrum Quaesisti, radium toties cum lignea sensit Terra tuum, et penito naturae occulta recessu Uranie studio docuit te diva benigno? Virtutis dos ista tuae est: repete alma libellos Roma tuos, reddique tibi Grassere coronae Dona jube; frustrà juvenis miratus es, Heinsi, Doctrinam, et quicquid solis tantum esse Batavis Autumat, atque poli fatali errore maligni Germanos putat esse rudes. Tam grandibus ausis Invenit Cytheréa modum: quodcunque requiret Posteritas, hoc virgineis scribetur in ulnis, Maximaque exiguis requiescet gloria metis.

FElix quem externis nitentem assurgere chartis, Invadit tam faustus amor, vitaeqve reponit Innocuae spes tanta sibi, parvoque quiête Sed proprio contenta domus: sitis ardua Famae, Vix unquam est secura sui, et vicinior astris, Laus semper suprema petit: vix nomen inane est Quicquid inexhaustó noctuque diuque labore Prodigus ipse tui et vitae pene inscius optas. [A3v] Et jam quod reliquum est, merito, K IRCHNERE , requiris, Si fines tua Fama suos invenit, et annos Praetergressa tua est virtus immensa juventae: Nunc aliis opus est conatibus; hactenus omnes Dilectis operas licuit consumere Musis. Vendicat hanc natura sibi; depone tributum, Vates docte, tuum: Cypri regina Poëtis, Destinat, eventu tamen impare, vulnera cunctis. Tu voti sat compos abis: tibi casta puella, Et formosa tamen, animoque simillima fronti, Ducitur, et nox illa polo descendit amico, Quam vix ipse queas dignâ celebrare Camoenâ.

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göttliche Venus so viele Jahre und vergalt die Mühen deines Genius und die mutigen Unternehmungen, die deiner würdig, beredter Dichter. Dafür freute es dich, die weitgespannten Wunder des gelehrten Himmelszeltes und die unberechenbaren Bahnen der Sterne zu beobachten und was sonst die Erde nicht kennt? Dieses Zentrum hast du schließlich gesucht, wenn die hölzerne Erde so oft deinen Zirkel spürte und die Göttin Urania, tief in die entlegenen Geheimnisse der Natur verhüllt, (20) dich mit gütiger Neigung belehrte? Das ist die Mitgift deiner Tüchtigkeit! Fordere, fruchtbares Rom, deine Bücher zurück; Grasser, verlange, daß dir der Kranz, den du verliehst, wieder zurückgegeben wird; vergeblich hast du, Heinsius, die Bildung des Jünglings bewundert und alles das, wovon er behauptet, das gebe es einzig und allein bei den Niederländern und wozu er die Deutschen wegen eines verhängnisvollen Irrtums des böswilligen Himmels noch zu roh findet. Für so großes wagemutiges Beginnen fand Cytherea ein Maß: Was immer die Nachwelt von dir erwarten wird, wird in den Armen eines Mädchens geschrieben sein und größter Ruhm wird sich in engen Grenzen zufrieden geben. (30) Glücklich, wen inmitten des Bestrebens, sich zur wissenschaftlichen Höhe des Auslandes zu erheben, eine so glückliche Liebe überkommt, wen eine so große Hoffnung auf ein friedliches Leben sich bewahrt – nämlich ein Haus, in Ruhe, mit kleinem, aber eigenem Gut zufrieden. Der schwer zu stillende Durst nach Ansehen ist kaum je unbesorgt um sich selbst, und der bis zu den Sternen reichende Ruhm sucht immer das Alleräußerste. Es ist doch kaum ein nichtiger Name, was du mit unermüdlicher Anstrengung bei Nacht und Tag verschwenderisch mit dir selbst und nahezu ohne Rücksicht auf das Leben wünschst. Und jetzt erstrebst du, Kirchner, mit Recht, was noch zu tun übrig bleibt: Wenn dein Ruhm seine Grenzen gefunden und (40) deine unermeßliche Tüchtigkeit die Jahre der Jugend überschritten hat, sind nun andere Versuche erforderlich. Bisher konntest du doch alle Mühen für die geliebten Musen aufwenden. Diese Mühe beansprucht die Natur für sich, zolle, gelehrter Dichter, diesen deinen Tribut. Die Herrin von Zypern bestimmt, wenn auch mit ungleichem Ausgang, allen Dichtern Wunden. Du erlangst reiche Erfüllung deiner Wünsche: Du heiratest ein reines, doch schönes Mädchen, deren Geist ihrem Aussehen entspricht, und jene Nacht, die du kaum selbst mit einem ihrer würdigen Lied

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Qvid mihi cum viduo?

At mihi, si, qvamvis ab avo descendimus uno, Praesenti non esse licet, vultusque meorum, Asterienque meam cogor vitare, benignus Fatorum concedat amor, reduci alite laeto Ut detur vestros tamen olim cernere natos. M ART. O PITIUS.

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CErnis ut exutâ serae formidine brumae,

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Laxentur nitidi vere tepente dies? Purpureis laeti pubescunt floribus horti: Rure pecus, querulae colle vagantur aves. Diva Paphi Charisin tenerisque immista puellis Et saltat, suaves et praeit ipsa modos. Et tu, Sponse, memor quorum consederis arvis, Egregiam transfers in tua prata rosam. Da veniam genitrix formarum fausta bonarum Gorlicium; à nymphis demitur ista tuis. Vicinis etiam felix est terra Silesis: Ducta aliò fructus non minùs arbor alit. Hoc olim quoque tu fors ipsa fateberis, haec cum Incipiet multas unica ferre rosas. Martinus Opitius

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In Nuptias JOHANNIS TSCHERNINGII. Qvid mihi cum viduo? impubes amplector amores, Ne radat teneras hispida barba genas. Adde qvod in rudibus Veneris vis fortior annis, Ibit in amplexus sola juventa meos. [793] Sic plerumque putant, neqvissima turba, puellae, Spe nondum expertes praecipiente toros. Tu tamen ad viduum confers te, Sponsa, maritum, Et tibi qvod periit vix periisse putas.

Qvid mihi cum viduo?

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feiern kannst, steigt vom dir wohlgesonnenen Himmel herab. (50) Wenn aber ich, obwohl wir von demselben Großvater abstammen, nicht anwesend sein kann und gezwungen bin, das Antlitz meiner Verwandten und meine Asterie zu meiden, so möge mir doch die gütige Liebe des Geschicks zugestehen, dereinst, bei der Wiederkehr unter günstigen Vorzeichen, eure Kinder zu sehen. Martin Opitz. [L.C.]

*** Seht Ihr: nachdem die Furcht vor dem langen Winter nun schwindet, Werden die Tage so hell, milde von laulichem Lenz. Fröhlich sprießt’s in den Gärten von purpurfarbenen Blumen, Rinder weiden, am Berg schweifender Vögel Gezänk. Venus, die Göttin von Paphos, im Flor von Chariten und zarten Mädchen: sie tanzt, aber tanzt liebliche Weisen auch vor. Bräutigam, Ihr übertragt eine herrliche Rose, wohlwissend, Wo Euer Haus steht, hierher, Euerem Garten zur Zier. Görlitz, verzeih, o Mutter, gesegnet mit braven und schönen Töchtern: aus deiner Schar Mädchen entführt er sie dir. Auch das benachbarte Schlesien hat fruchtbares Land, und ein Setzling, Sonstwo bezogen, trägt hier keine geringere Frucht. Das wirst dereinst auch du womöglich selber bekennen, Wenn die einzelne dann zahlreiche Rosen noch trägt. Martin Opitz

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[G.B.]

*** Auf die Hochzeit von Johann Tscherning Was soll ich mit einem Witwer? Ich ziele auf einen ganz jungen Liebhaber, damit nicht ein struppiger Bart meine zarten Wangen zerkratzt. Nimm noch hinzu, daß in jungen Jahren die Kraft der Liebe stärker ist: In meine Arme wird nur ein Junger seinen Weg finden! – So denken meistens die Mädchen, diese leichtfertige Schar, noch unerfahren in ihrer Hoffnung und Vorfreude auf die Hochzeit. Du jedoch, Braut, begibst dich zu einem Witwer in die Ehe und denkst, was verloren ist, sei dir kaum verlorengegangen. Zum übrigen kommt nämlich hier das sichere Vertrauen auf Nachkommenschaft, (10) indem du ja, noch nicht Gebäre-

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Vt primum Venere

Haec etenim accedit reliqvis fiducia Prolis, Cum genitrix nondum jam potes esse parens. Qvod juvenis praestat, viduus qvoque praestat, et hoc quod Non praestat juvenis, praestat et ille tibi.

*** BALTHASARIS EXNERI ET EVAE BARTHIAE NUPTIIS E>?T?PAI8NION.

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Vt primum Venere insuetamque, rudemque doloris Dilecti, suasu ducere BARTHIADAM Exnerus delenifico conatus, vt, osculo Oscula, nec-docili sauia sauiolo Pacta sibi iuncto cieret traducere sponsi Spiritibus tremulam corditrahis animam: Haec, cui consilium perplexile millia dudum, Finxerat ignaris gaudia ab ominibus, Nequicquam causata, licet renuisse nec audet, Nec dare non-solitis labra pudica modis, Nictitat in vatem lasciua tuentibus hirquis, Et monstrat mollis luxurians tabulae AEquor, in hoc condat lusus simulacra futuri, AEternisque canat tempora figminibus, Tempora amabilium non nescia primitiarum. Nec mora, quae sponsae porricitur tabula, [246] Arripit, et teneram cassus reclinis in herbam, Mergit vbi exertis cirriflua vnda comis, Graminis hinc atque hinc subtiliter intertexti, Ad fluuii erumpens mella supercilium Illibata, caput mirti de flore superbum Erectus, carmen versibus aureolis Orditur: sed dum figit mens omnis in ipsam, Lasciuis lente marcuit in manibus. Illatebrans graphium, vndique et vndique et vndique scriptum Quo se optet plena sponsa lubens tabula. Ceu vti quando recentatur lepidissima veris

Vt primum Venere

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rin, schon Mutter sein kannst. Was ein junger Mann bietet, bietet auch ein Witwer, und was ein junger Mann nicht bietet, bietet jener dir auch. [R.S.]

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*** Erotopaegnion zur Hochzeit von Balthasar Exner und Eva Barth

Gleich, als Herr Exner versuchte, Barths Tochter – sie war da noch nicht mit Venus vertraut und noch nicht liebliche Schmerzen gewöhnt – Sanft beredend zu führ’n, daß sie Küsse erwid’re, versprochne Küsse, noch wenig geschickt küssend, sich nehme, zugleich Jenes zitternde Seelchen herüberzuholen sich anschickt’, Fürchtend des Bräutigams herzbewegenden Drang, Findet sie weder den Mut – es hat ihr ein unklarer Rat von Dunklen Vorzeichen her tausend Genüsse gemalt – Weder den Mut, sich zu weigern (was hätte sie vorbringen können?), Noch, ihren züchtigen Mund neuartig ihm zu gewährn, Zwinkert dem Dichter keß zu und läßt sich von Geißböcken schützen, Zeigt ihm ganz munter ein Brett, flach und geglättet, auf dem Solle er künftige Spiele mit Worten darstellen, solle, Verse von dauerndem Wert formend, die künftige Zeit Singen, die Zeit der Erinnrung an lieblichen Frühling der Liebe. Unverzüglich ergreift Exner die Tafel der Braut, Legt sich zunächst vergeblich in weiches Gras, wo die Welle Lockig fließend ihr Haar – kunstvoll sind da ihm und dort Stengel des Schilfs verwoben – entknotet und abtaucht. Dann bringt er, Dort am Ufer des Stroms, Honig poetischer Art Plötzlich hervor ohne Makel. Er schmückt sich das Haupt mit der Myrte, Richtet es auf voller Stolz, fängt seine Verse nun an, Herrliche sind’s. Doch indem dann sein Geist sich ganz auf das Mädchen Wendet, erschlafft er, wird lasch, fahrig allmählich die Hand. Griffel und das, was er schrieb, versteckt er mal hierhin, mal dorthin, Daß sein Mädchen ihn wünscht, froh, weil die Tafel gefüllt. Ganz so, wie, wenn des Frühlings so fröhlicher Mutwille wieder

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Exnerus teneri

Suaui interplexa ab ordine vernilitas, Ad virides vlmi ramos super impendentis Dulce, Dioneae biga columba deae Murmure blandisono professum iungit amorem, Et latices animae virginis irriguos Aspirant cantu tacito, humida musice-anhelus Mas crudae impingit basia militiae, Haec satie priua integrat rapta oscula, vafris Testans mollitiem dissimulaminibus. Ebria sic cantu sponsa illice, dat promisso Sauio enim sponsus res vt acu tetigit. EPIGRAMMA. Exnerus teneri suauis desultor amoris, In quo sese ipsum Phoebus Apollo stupet, Cui arrisit Hymen toties totiesque canenti Alterius primi sauia pacta thori, Demum argutabit priuatos versibus ignes, Ipse suo ipse sibi carmine carmen erit, Et qui votum aliis lusit tam suaue canendo, Ludendo melius post canet ipse suum. Martinus Opitius Boleslau!iensis"

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Exnerus teneri

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Sprießt, in die Jahre gefügt immer, nach sanftem Gesetz, Dicht bei den grünenden Zweigen der überhängenden Ulme Freundlich der Göttin Gespann, Tauben, der Venus Gespann, Eingestandene Liebe so schmeichelnd dahinrauschend festmacht. Und das Mädchen erhofft netzende Wasser sich nun, Innerlich singt sie, indes der musisch-lechzende Jüngling Drückt feuchte Küsse ihr auf, ihr, der Erfahrung noch fehlt. Sie, zur eigenen Sattheit, ergänzt die gestohlenen Küsse, Hingabe zeigend, doch klug alles verheimlichend auch. Trunken vom lockenden Singen: die Braut; der Bräutigam nämlich Zeigt mit versprochenem Kuß: „Traf auf den richtigen Punkt.“

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Epigramm. Exner, der Süße, der sprunghaft mit tändelnder Liebe einst umging Und in welchem sich selbst Phoebus Apollo bestaunt, Dem der Hochzeitsgott lachte, wann immer und immer er wieder Sang zu dem süßen Bund, wenn ihn ein anderer schloß, Der wird nun endlich in Versen von eigener Leidenschaft schwatzen, Er wird in seinem Gedicht selbst ein Gedicht sich nun sein. Und der für andre im Lied so süßen Glückwunsch erdachte, Denkt sich hernach für sich selbst sicher noch besseren aus. Martin Opitz aus Bunzlau

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[G.B.]

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JVuenantibus Poëtis MART. OPITII SILESII ROSA AD ROSILLAM .

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JVuenantibus Poëtis Rosa ordium canendi, Rosa Etesiarum ocellus; Rosa muta lingua Florae, Rosa pompa nuda Peithûs, Rosa Gratiae dioptra, Rosa semihulca pubes Horae nec impudica, Rosa Cypridis labella, Rosa carminum tabella, Rosa basii medulla, Rosa mel puellulorum, Rosa lac puellularum, Rosa temporis cachinnus, Rosa ventuli susurrus, Rosa amantium catena, Rosa lectulus superbus, Rosa rubra nuptiarum Obelus aurearum, Rosa dosque flosque florum, Rosa osculum Rosillae, Rosa corculum Rosillae, Iuuenantibus Poëtis Rosa exodus canendi.

JVuenantibus Poëtis

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Die Rose an Rosilla. Von Martin Opitz aus Schlesien. Dichtern, die wie Jünglinge fühlen, ist die Rose der Anfang ihres Dichtens. Die Rose ist der Liebling der Sommerwinde. Die Rose ist die stumme Zunge der Frühlingsgöttin. Die Rose ist der unverstellte Schmuck der Überredung. Die Rose ist das Meßgerät der Anmut. Die halbgeöffnete Rose ist die Jugendzeit, aber keine schamlose. Die Rose formt die Lippen der Venus. (10) Die Rose ist das Schreibtäfelchen für Gedichte. Die Rose ist das Mark des Kusses. Die Rose ist der Honig der Jünglinge. Die Rose ist die Milch der Mädchen. Die Rose ist das Lachen der Zeit. Die Rose ist das Flüstern des Windes. Die Rose ist die Kette der Liebenden. Die Rose ist das prächtige Brautbett. Die rote Rose ist die Spitze des goldenen Hochzeitsfestes. (20) Die Rose ist die Mitgift und die Blüte der Blüten. Die Rose ist der Kuß Rosillas. Die Rose ist das Herzchen Rosillas. Dichtern, die wie Jünglinge fühlen, ist die Rose das Ende ihres Dichtens. [R.S.]

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SERMO DE PASSIONE DOMINI

MARTINI OPITII SERMO

T YPIS

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DE PASSIONE DOMINI AC SALVATORIS NO STRI J ESV C HRISTI . Item EVCHARISTIA , SIVE MEDITA tio in sacrâ Coenâ ejusdem. HAIDELBERGAE , G OTTHARDI V OEGELINI . A NNO M.DC.XX.

[A2r] ILLUSTRIBUS MAGNIFICIS GENEROSISSIMIS ET NOBILISSIMIS DNN. MELCHIORI A RECHENBERG, L . B. CHRISTOPHORO GEORGIO ET IOHANNI A BERGK , EQVITIBUS SIL . SPLENDIDISSIMIS, TOBIAE DE SCHWANENSEHE ET BREGOSCHITZ , COGNOM . SCVLTETO, HIRSFELDAE HAEREDITARIO, ETC . MEIS ET OMNIVM LITERATORVM MAECENATIBVS AC PATRONIS.

QVAM multis nominibus benignitati vestrae, Illustres et Nobilissimi Viri, ob-

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strictus sim, non opinor anxiè inquirendum esse. Vt enim de benevolentiâ, quam saepè coram expertus sum, non dicam, neque liberalitatem quae in magnificentissimâ domo tuâ, Scultete incomparabilis, anno diutius in me collata est, exaggerem: literas ad-[A2v]huc quod tracto et studia, vestrum potissimùm opus est. Itaque quantum debeam agnosco: gratias quomodo referre possim, sive vos sive me intueor, non invenio. Estis enim ii, qui cum caetera indultu coelesti abundè possideatis, ne his ipsis quidem careatis rebus, quas nos homines, quorum universus census libri sunt et calamus, dare solas possumus. Quae res imprimis facit,

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Des Martin Opitz Sermo von der Passion unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, dazu die „Eucharistia“, eine Meditation über dessen Heiliges Abendmahl. Gedruckt in Heidelberg bei Gotthard Vögelin im Jahr 1620.

Den berühmten, erhabenen, großzügigsten und edelsten Herren, Freiherrn Melchior von Rechenberg, den glanzvollen schlesischen Rittern Christoph Georg und Johannes von Bergk sowie Tobias von Schwanensee und Bregoschitz, genannt Scultetus, Erbe von Hirschfeld etc., meinen und aller Gelehrten Förderern und Gönnern. In wie vielen Belangen ich eurer Güte, berühmte und edelste Männer, verpflichtet bin, braucht meines Erachtens nicht peinlich untersucht zu werden. Um daher nicht von dem Wohlwollen, welches ich oft öffentlich erfahren habe, zu reden und auch nicht die Freigebigkeit zu sehr hervorzuheben, welche mir in deinem prächtigen Haus, o unvergleichlicher Scultetus, länger als ein Jahr lang entgegebracht wurde: Daß ich noch stets die gelehrten Wissenschaften pflege, ist vor allem euer Werk. Ich bekenne also, wieviel ich euch verdanke; auf welche Weise ich meinen Dank abstatten könnte, kann ich, ob ich nun mich oder euch betrachte, nicht herausfinden. Ihr gehört ja zu denen, welchen es – während ihr die übrigen Dinge aufgrund der himmlischen Güte im Überfluß besitzt – selbst an den Dingen nicht mangelt, die Menschen wie wir, deren gesamtes Vermögen Bücher und Feder sind, einzig schenken können. Diese Tatsache bewirkt vor allem, daß, wenn ich in der Dürftigkeit meiner Jugend allenfalls etwas erreicht hätte (wie wenig das ist, dessen bin ich mir bewußt), daß das alles dennoch an den Gipfel eurer Leistungen und eurer Würde nicht heranreichte. Das Bewußtsein also eurer Erhabenheit und meiner Bedeutungslosigkeit könnte bei mir sehr

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ut si maximè in hac adolescentiae mediocritate aliquid assecutus essem (quod quam exiguum sit sentio) illud omne tamen ad virtutum vestrarum ac dignitatis culmen non pertingat. Itaque et sublimitatis vestrae et meae tenuitatis conscientia facilimè silentium à me impetrarent: nisi temerarius potius et confidens, quam ingratus audire mallem. Orationem igitur, cui ab amplissimo nomine vestro praesidium quaererem, inveni: eamque sacram; ut materiâ se commendet, quia eruditione authoris non potest. Si qui erunt qui me alienae professioni addictum opus non meum tractare dicent, illos vestro exemplo egregiè refutabo. Eâ enim sacrorum experientiâ, maximo quidem at rarissimo nobilitatis ornamento, estis praediti, ut cum [A3r] paucissima ignoretis, nihil tamen aliud quam hoc ipsum totâ vitâ egisse videamini. Porrò imperitam quorundam opinionem, qui amatores humaniorum literarum ut ignaros artium quibus Reipublicae inserviamus, traducunt, et alii hactenus, et ego inposterum facilè, ut spero, absolvam. Interim ut illis tam acre suum judicium non invideo: ita blandum hunc errorem meum, quo ad exornandum gravius studium varietates disciplinarum per intervalla sectamur, non possum non ex animo amplecti. Carmen de Coenâ Boleslaviae in patriâ antehac natum est. Novitatis itaque gratiam, quae utplurimum talia commendat, jam decoxit. Addidi tamen, cum quia amicis quibusdam dignum lectu visum fuit, tum quia aptiorem alibi sedem vix invenisset. Impetrabit non minus hoc quoque veniam ex argumenti sanctitate. Nam artem si quis in ejusmodi scriptis quaerit, nihil agit. Ut enim Theologicam jejunitatem hîc effugere difficile, sic Poëticam libertatem admittere periculosum est. Neque etiam praeter hominis Christiani officium quicquam affectare voluimus; Poëtam aliàs, si opus [A3v] erit, melius exhibituri. Quicquid autem est hujus, vobis, ut dixi, maximi literarum Fautores, offero: confessionem potius debiti quàm solutionem. Cujus tanta magnitudo est, ut in aere hoc perpetuo mihi remanendum videam. Si tamen favori divino Patronorum quoque et vestra praesertim velut hactenus accedet lubentia; amore doctrinae ac industriâ (plura enim ipsi non requiritis) efficiam, ut quantum vobis ac patriae honori esse studuerim, obscurum esse amplius non possit. Interea pignus hoc et testimonium singularis meae erga vos observantiae sereno vultu excipite, ac spes meas surgentes ope vestra et auxilio sublevare non

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leicht Schweigen bewirken, wenn ich nicht eher kühn und zuversichtlich als undankbar heißen möchte. Ich habe daher eine Schrift aufgesetzt, für welche ich von eurem bedeutenden Namen das Geleit erbitten wollte, und zwar eine religiöse, damit sie sich durch den Gegenstand empfehle, weil sie es durch die Bildung des Autors ja nicht kann. Wenn dann welche auftreten, die mir vorwerfen, daß ich als einer anderen Profession zugehörend ein mir nicht anstehendes Werk vorlege, werde ich jene mit eurem Beispiel vortrefflich zurückweisen. Denn ihr seid mit einer solchen Erfahrung in religiösen Dingen, dem sicher größten und seltensten Schmuck des Adels, versehen, daß ihr, obgleich nur sehr wenige Dinge sind, die ihr nicht kennt, euch mit nichts anderem als damit euer ganzes Leben lang beschäftigt zu haben scheint. Weiters werde ich die ganz unkundige Meinung von einigen, die die Liebhaber der schönen Wissenschaften als unwissend in den Künsten hinstellen, durch welche wir dem Staat dienen, ebenso in Zukunft, so hoffe ich, leicht zerstreuen können, wie andere schon vor mir. Inzwischen muß ich, wie ich jenen ihr so heftiges Urteil nicht übel nehme, diesen meinen verzeihlichen Fehler, durch welchen wir zur ernsthafteren Abrundung unserer Studien eine Vielfalt von Fachgebieten in Abständen weiter verfolgen, doch ganz entschieden vertreten. Das Gedicht über das Abendmahl ist schon zuvor in meiner Heimatstadt Bunzlau entstanden. Der Reiz des Neuen, welcher meist derartiges empfiehlt, ist also schon aufgebraucht. Ich habe es dennoch hinzugefügt, einerseits weil es von einigen Freunden der Lektüre wert erachtet wurde, andererseits weil kaum anderswo eine geeignetere Stelle dafür hätte gefunden werden können. Es wird auch dieses nicht weniger als das Voranstehende Gnade finden wegen der Würde seines Gegenstandes. Denn wenn jemand in derartigen Schriften nach Kunstfertigkeit sucht, erreicht er nichts. Wie es nämlich schwierig ist, theologische Schlichtheit zu vermeiden, ist es hier gefährlich, poetische Freiheit in Anspruch zu nehmen. Und wir wollten auch nichts außer der Pflicht eines Christenmenschen im Sinn haben; dem Dichter werden wir ein anderes Mal, wenn es die Notwendigkeit erfordert, einen besseren Auftritt gewähren. Wie es aber auch damit stehe, euch, wie ich sagte, ihr größten Förderer der Literatur, widme ich es: eher als Einbekenntnis der Schuld denn als deren Einlösung. So groß ist ja deren Ausmaß, daß ich wohl für immer darin verbleiben muß. Wenn jedoch zur gottgleichen Gunst der Beschützer noch besonders wie bisher euer Vergnügen hinzukommt, werde ich durch meine Liebe zur Bildung und durch Fleiß (denn mehr verlangt ihr selbst ja nicht) bewirken, daß weiter nicht mehr unbekannt wird bleiben können, wieviel ich euch und dem Vaterland zur Ehre zu gereichen bestrebt war. Inzwischen nehmt dieses Unterpfand und Zeugnis meiner einzigartigen Hochachtung euch gegenüber mit gnädigem Blick entgegen und laßt nicht ab, meine aufkeimenden Hoffnungen durch eure Hilfe und Unterstützung weiter zu heben. So möge Jesus Christus, der Kö-

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desinite. Sic vos et nobilissimas vestras familias sub novo Rege nostro florere sinat et incolumes diu diuque superesse Rex Regum Christus Jesus; cujus summum erga nos amorem expressum hîc legetis. [A4r-v Begleitgedichte von Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator] [B1r] MARTINI OPITII SERMO D E P ASSIONE C HRISTI .

SI dolores et cruciatus quos Iesus Christus Dei Filius et Deus ipse, Deus à se,

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Filius à Patre, Deus ante tempora, homo in tempore, propter nos et propter nostram salutem pati voluit, non magis studium devotionis et gratitudinem quàm facundiae dexteritatem requirerent; non immeritò me et imbecillitas ingenii, et ne mediocris quidem in dicendo exercitatio à tam sublimi argumento revocarent. Praesertim cum tot ingentes animae, tot divini heroës, tot doctores et lumina Ecclesiae eruditam suam pietatem adeò hîc exercuerint, ut religiosa magis invidia quam par eloquentiae felicitas aemulis omnibus relicta sit. Sed cum inexhausti hujus amoris mysterium ubique humanam sapientiam, humilitatem nunquam rejiciat: nos cujus rei magnitudinem cogitationibus assequi non valemus, ejus ordinem grato animo considerabimus, et pro doctrina reverentiam, piam contemplationem pro anxiâ verborum collocatione ad Saluatoris nostri passionem adferemus. Altiùs autem ea repetenda est quam à cruce, quae terminus potius ejus quam summa dici debet: ita omnis vita Christi calamitas, miseria, paupertas et continua passio est. Deserit primò regium coeli solium et nondum natus exulat. Nascitur deinde in tugurio, reponitur in praesepe, cui se totum hoc universum debet. Ad infantem pecudes citiùs veniunt, quam ii propter quos venit. Mox qui in stabulo lachrymas, effundit in templo sanguinem. Infans adhuc reges et regum

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nig der Könige, von dessen Ausdruck höchster Liebe uns gegenüber ihr hier lesen werdet, euch und eure hochedlen Familien unter dem neuen König gedeihen und unbeschadet durch alle Zeiten bestehen lassen. [A.N., R.S.] 0

[Begleitgedichte von Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator] Des Martin Opitz Sermo über die Passion Christi. Wenn die Schmerzen und die Marter, welche Jesus Christus – Gottes Sohn und selbst Gott, Gott aus sich, Sohn aus dem Vater, Gott vor der Zeit, Mensch in der Zeit – um uns und um unseres Heils willen hat erdulden wollen, nicht eher eifrige Andacht und Dankbarkeit als geschickte Beredsamkeit verlangten, würden mich nicht ohne Schuld sowohl die Schwäche meines Geistes als auch meine nicht einmal geringe Übung im Reden von einem so erhabenen Thema zurückhalten. Und zwar besonders deshalb, weil schon so viele große Geister, so viele göttliche Helden, so viele Lehrer und Leuchten der Kirche ihre gelehrte Frömmigkeit hierin so sehr entfaltet haben, daß allen Nachstrebenden mehr religiöser Wetteifer als gleiches Gelingen bei der Beredsamkeit verblieben ist. Weil aber das Geheimnis dieser unerschöpflichen Liebe allenthalben die menschliche Weisheit, niemals hingegen die Demut verwirft, so vermögen wir zwar die Erhabenheit dieser Sache nicht in Gedanken zu erreichen, wollen aber dennoch mit dankbarem Herzen ihren Hergang betrachten und anstelle von Gelehrsamkeit Verehrung, anstelle von peinlich genauer Anordnung der Wörter fromme Versenkung zu dem Leiden unseres Heilands bringen. Dieses ist nämlich von weiter als nur vom Kreuz herzuleiten, das eher dessen Ende als dessen Hauptinhalt genannt werden muß: das ganze Leben Christi ist ja Unglück, Elend, Armut und andauerndes Leiden. Er verläßt zunächst den königlichen Thron des Himmels und wird, noch ungeboren, zum Heimatlosen. Zur Welt kommt dann in einer Hütte und gelegt wird in eine Krippe jener, dem sich diese ganze Welt schuldet. Die Tiere kommen schneller zu dem Kind als diejenigen, für die es gekommen ist. Bald vergießt derjenige, der im Stall Tränen vergoß, im Tempel Blut. Als Kind schon hat er Könige und Söhne von Königen zu Feinden. Als er aber zu lehren beginnt, was für Zorn, was für Schmach, welche Mißgunst ruft er nicht gegen sich hervor? Er zeigt den Weg zum Himmel, und er hört „Verführer“; er, Gott selber, verbreitet die Erkenntnis Gottes, und man heißt ihn Verächter des Heiligen; er lehrt Gottesverehrung, man nennt ihn Gotteslästerer; er verkündet den Frieden und heißt Fackel des Bürgerkrieges; er nimmt hinweg die Sünden

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filios hostes habet. Docere verò cum incipit, quas non furias, quae probra, quem livorem in se non concitat? Monstrat coeli viam et seductor audit: cognitionem Dei Deus ipse propagat, et spretor sa-[B1v]crorum, docet pietatem, et blasphemus, annunciat pacem, et fax belli civilis, tollit peccata mundi, medetur insanis, et furiosus; ejicit Diabolos, et Diabolus vocatur; à quocunque tandem alios liberat, illius insimulatur. Miracula miraculis cumulat: vertit aquam in vinum, subjugat ventos, suam famem domat, aliorum ut consulat jubet panem sub dentibus crescere et plus quam totum superesse, indurat undas et transit siccis pedibus, pisces ut vectigal pro se solvant è profundo maris accersit, virentibus arboribus humorem exhaurit, aridis manibus eundem reddit, desperatae sanitati unicâ voce restituit, coecis oculos, mutis linguas, surdis aures recludit, ac postquam coelum, terram et mare testes suae divinitatis adduxit, inferos etiam aggreditur, et mortuos revocat in vitam ne vivis solum prosit. Vbique se Dei filium, ubique Deum, ubique Messiam quem electa à tot seculis gens expectaverat probat. Vbique natura rerum hoc ipsum testatur. Illi quid faciunt? Agnum immaculatum cujus memoriam tandiu celebraverant, stellam ex Iacob quam Balaam praedicaverat, virgam Iessae quae radice abyssum terrae, vertice Olympum occupat, Patrem populi sui plerique non noverunt, quidam noverunt et dissimulant, plurimi verò ignominiis, probris, malis omnibus afficere, crucifigere malunt denique quam agnoscere. Post tam ingentes itaque calamitates et miserias, post moerorem, sitim, famem, aestum, frigus et exilium, unum adhuc restabat, ut moreretur. In cujus quidem ultimae passionis exaggerationem totius generis humani scelera, horror mortis, furor inferorum et potestates, gravissima aeterni Patris ira, et cruciatus quos nemo hominum solus, imò ne omnes quidem homines sustinere potuissent, conspiraverunt. Tot ac tantis divinae justitiae poenis, quarum magnitudinem nullus dolor aequat, major est Salvatoris nostri amor erga nos et bonitas. Antequam ingreditur viam quam ire solus potest, quâ constantiâ, fortitudine, perseverantiâ et quaecunque alia duris opposita virtus est, discipulis, quos a-[B2r]mico nomine filiolos appellat, valedicit! Pedes etiam quibus fugerunt postea lavat. Comitem prius suum deinde proditorem deplorat: quem ut labore quaerendi sublevet, spississimâ nocte iter facit, transit torrentem, in hortum precibus ante, nunc et

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der Welt, heilt die Besessenen, und man nennt ihn rasend; er treibt die Teufel aus und wird als Teufel beschimpft: Endlich, wovon er andere befreit, dessen wird er selbst bezichtigt. Er häuft Wunder auf Wunder: er verwandelt Wasser in Wein; er zähmt die Winde; er beherrscht seinen Hunger; damit er dem anderer abhelfe, befiehlt er dem Brot, unter den Zähnen zu wachsen und in größerer Menge als zuvor das Ganze war übrig zu bleiben; er festigt die Wellen und überschreitet sie trockenen Fußes; aus der Tiefe des Meeres ruft er die Fische herbei, daß sie für ihn den Zinsgroschen bringen; er zieht den Saft aus den grünen Bäumen und gibt ihn den verdorrten Händen wieder; mit einem einzigen Wort hilft er bei hoffnungsloser Krankheit; er öffnet den Blinden die Augen, den Stummen die Zunge, den Tauben die Ohren; und nachdem er Himmel, Erde und Meer als Zeugen seiner Göttlichkeit angeführt hat, steigt er auch noch in die Unterwelt und ruft die Toten ins Leben zurück, auf daß er nicht allein den Lebenden nütze. Überall erweist er sich als Sohn Gottes, überall als Gott, überall als der Messias, den das auserwählte Volk seit so vielen Jahrhunderten erwartet hatte. Überall beweist die Natur der Dinge dieses selbst. Was tun aber jene? Das unbefleckte Lamm, dessen Gedächtnis sie so lange gefeiert hatten, den Stern aus Jakob, den Balaam prophezeit hatte, das Reis Jesse, das mit der Wurzel den Abgrund der Erde, mit dem Wipfel den Olymp berührt, den Vater ihres Volkes erkannten die meisten nicht; manche haben ihn erkannt und verbergen es; die meisten aber ziehen es vor, ihm lieber Schimpf, Schmach und alles Übel anzutun, ihn endlich zu kreuzigen, als ihn anzuerkennen. Nach so gewaltigem Unglück und Elend, nach Betrübnis, Durst, Hunger, Hitze, Kälte und Heimatlosigkeit blieb also nur noch eines, nämlich daß er sterben sollte. Wahrlich, zu dieser Steigerung seines letzten Leidens haben die Verbrechen des ganzen Menschengeschlechts, der Schrecken des Todes, die Wut und Gewalt der Unterwelt, der schwerste Zorn des ewigen Vaters und die Martern, die kein Mensch allein, ja nicht einmal alle Menschen zusammen hätten ertragen können, zusammengewirkt. Doch größer noch als so viele und so große Strafen der göttlichen Gerechtigkeit, mit deren Größe kein Schmerz zu vergleichen ist, ist die Liebe unseres Heilands zu uns und seine Güte. Bevor er den Weg beschreitet, den nur er allein gehen kann, mit welcher Beständigkeit, Tapferkeit, Beharrlichkeit und welche andere den Bedrängnissen entgegengestellte Tugend es gibt, verabschiedet er sich von seinen Jüngern, die er freundschaftlich seine Söhne nennt! Er wäscht ihnen sogar die Füße, mit welchen sie später geflohen sind. Er beklagt den, der erst sein Gefährte, dann sein Verräter ist; damit er diesem die Mühe des Suchens erleichtere, macht er sich in finsterster Nacht auf den Weg, durchquert den Bach und eilt gleichsam in den Garten, der zuvor zum Gebet, nun sogar zu seiner Auslieferung bestimmt ist, bleibt dort, während die Jünger in Schlaf versinken, allein wie in einem Kerker, und steht als Angeklagter vor dem Gericht Gottes, und, wegen der Heftigkeit

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oblationi suae destinatum quasi festinat, commoratur ibi, labentibus in somnum discipulis, solus tanquam in carcere, stansque reus ad tribunal D EI , ac prae vehementiâ luctae ad ultimam perductus tristitiam et sanguinem exudans, mortem quam tantoperè formidat tamen non refugit. Iudae artibus instructo quas à se magistro non didicerat, et micantibus undique gladiis facibusque cincto, occurrit, aurem servi à Petro abscissam manu quam ingratus mox ligat, restituit, militibus captivo plus trepidantibus ultrò se indulget, ac vinculorum molestiam inexuperabili patientiâ suffert. Socii eum secuti ut oves pastore abrepto dissipantur; Iohannes, qui è sancto pectore super quod in coenâ recubuerat infinita divinae gratiae mysteria perceperat, dilectissimus ille omnium, aquila in nubibus, vix non avolat; Fortissimus Apostolorum, qui mori unà volebat, jam nec ad judicem ire unà potest, gelu et corpus trepidantis attentavit et animum, commoratur in vestibulo, ore quo salutis suae pignus non ita diu exceperat salutem mundi ejurat, ac ne ostiariam quidem eamque non asperè percontantem tolerat. Itane, Petre, Christum, cum quo anteà vigilare non poteras, cujus nunc etiam nomen profiteri non audes, ad mortem usque comitaberis? Iam discis, Domini tui passionem aemulos habere, pares non habere; et si maximè posses, mori cum ipso pro omnibus moriente, non esset mori. Disce interim, et superbi à te, quam nihil hoc sit quod jactamus, quam laboret magnitudo humana, quam vanae sint vires mortalium absque illius ope, qui sine tuâ potest omnia. Stat itaque pontifex generis humani ante pontificem Caipham, à cujus socero Annâ jam venerat, iturus mox ad Pilatum, ab illo ad Herodem, ab hoc rursus ad Pilatum: ut testimonium [B2v] innocentiae, quod postea coelum, sol et terra reddet, nunc etiam et alii et ipsa judicum multitudo vel invitis extorqueat. Iudam delicti conscientiâ furentem totus mundus non capit; agnoscit se plus quam magistrum prodidisse, reddit emptoribus pretium perfidiae, laqueo sceleris sui eventum praevertit, et damnatum spiritum cum intestinis effundit. Vxor Pilati somnio solicitata maritum ab injustâ damnatione dehortatur. Ipse Pontius inspicit querelam, sentit leges insontem absolvere, invidiam accusare, et timens offensam plebis, optat etiam crimen dari

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des Ringens zur äußersten Niedergeschlagenheit geführt und Blut schwitzend, flieht er dennoch nicht vor dem Tod, wie sehr er ihn auch fürchtet. Dem Judas, unterwiesen in Künsten, die er von ihm als Lehrer nicht gelernt hatte, und umgeben von allen Seiten von Schwertern und Fackeln, läuft er entgegen; er heilt das von Petrus abgehauene Ohr des Knechtes mit der Hand, die der Undankbare bald danach bindet; er überläßt sich sogar den Soldaten, die mehr zittern als der Gefangene, und erträgt mit unübertrefflicher Geduld die Last der Fesseln. Die Gefährten, die ihm gefolgt waren, werden zerstreut wie Schafe, welchen der Hirte genommen ist; Johannes, der aus der heiligen Brust, auf welcher er beim Abendmahl geruht hatte, unendliche Geheimnisse göttlicher Gnade empfangen hatte, jener am meisten geliebte von allen, der Adler in den Wolken, kaum, daß er nicht davonfliegt; der Stärkste unter den Aposteln, der zugleich mit ihm sterben wollte, kann nicht einmal mehr mit ihm vor den Richter treten, Kälte hat sowohl den Körper des Zitternden ergriffen als auch seinen Geist, er bleibt im Vorhof stehen; mit dem Mund, durch den er nicht lange zuvor das Unterpfand seines Heils empfangen hatte, verleugnet er das Heil der Welt und hält nicht einmal stand vor einer Türhüterin, die gar nicht so scharf nachfragt. So, Petrus, wirst du Christus, mit dem du vorher nicht zu wachen vermochtest, dessen Namen du nun nicht einmal zu bekennen wagst, bis zum Tode begleiten? Schon lernst du, daß das Leiden deines Herrn zwar Nacheiferer, aber keine Ebenbürtigen hat; und wenn du bestenfalls mit jenem sterben könntest, der für alle stirbt, wäre das immer noch kein Sterben. Lerne inzwischen – und die Hochmütigen von dir –, wie nichtig das ist, was wir uns anmaßen, wie sehr sich die menschliche Kraft abmüht, wie vergeblich die Kräfte der Sterblichen ohne die Hilfe dessen sind, der ohne die deinige alles vermag. So steht der Hohepriester des Menschengeschlechts vor dem Hohepriester Kaiphas, von dessen Schwiegervater Annas er eben gekommen war, und wird bald auf dem Weg zu Pilatus sein, von jenem zu Herodes, von diesem wieder zu Pilatus: damit das Zeugnis der Unschuld, das später Himmel, Sonne und Erde ablegen werden, jetzt sogar sowohl die anderen als auch die Menge der Richter selbst sogar den Unwilligen herauspresse. Den im Bewußtsein seines Verbrechens rasenden Judas faßt die ganze Welt nicht mehr; er erkennt, daß er sich selbst mehr als den Meister verraten hat, gibt den Käufern den Preis seiner Treulosigkeit zurück, kommt dem Ausgang seines Verbrechens mit einem Strick zuvor und haucht den verdammten Geist mit den Eingeweiden aus. Durch einen Traum in Unruhe versetzt, warnt die Frau des Pilatus ihren Ehemann vor dem ungerechten Urteil. Selbst Pontius prüft die Anklage, befindet, daß die Gesetze den Schuldlosen freisprechen, daß ihn der Neid anklage, und, aus Besorgnis vor der Ungnade der Menge, wünscht er sogar, daß ihm ein Verbrechen angelastet werden könne: Er findet keines. Er versucht deshalb zuerst alles übrige, bis er, besiegt von der Hartnäckigkeit der Lärmenden,

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posse: non invenit. Tentat itaque prius caetera omnia, donec tumultuantium pertinaciâ victus extrema etiam permittit. At scelestae factionis insaniâ quid pejus, quid magis nefarium? quid tot vocibus improbis et vexationibus simile excogitari potest? Omnem orationem, omnem sensum excedunt, quae demens populus quasi timens ne quid relinquat, et ingeniosâ crudelitate comminiscitur, et audacter perpetrat. Verissimum Dominum, veritatem ipsam, qui facinus nullum admisit, in cujus ore non inventus est dolus, testimoniis premunt et mendaciis. Infimae sortis lixa Domino coeli et terrae malas pulsat. Vilissimi mortalium, terrae filii, infelices linguas convitio ejus exercent, oculos Solis justitiae velo petulanter obnubunt, faciem quam fluctûs maris reveriti sunt purgamentis oris immundissimi aspergunt, vestem candidam, quasi ita coacti innocentiam agnoscerent, humeris injiciunt, tacentem despiciunt, suggillant et irrident, Barrabam seditiosum et desperatissimum latronem ac similem sui odio insontis insontem faciunt; nemo denique non vapulantis injuriâ veluti cibo se replet. Pilatus etiam postquam saevientium minas nequicquam interpellasset, furere cum insanientibus cogitur, eumque, ne quid crudelius eveniat, tractat crudelissimè. Caput, abyssum imperscrutabilis sapientiae, spinis sauciat, flagris ex more suae gentis coeleste latus exhaurit, artubus cruentis ejusdem coloris vestem per ludibrium applicat, si tam truci spectaculo im-[B3r]placabilis rabiosorum iracundia detumescat. Ipse quasi agnus mansuetus qui portatur ad lanienam, adversus insultûs canum ne loquitur quidem, labascens corpus excelso, inconcusso et regali animo fulcit, ac patienter quicquid nobis remisit excipit. Pontius itaque consumpto reliquarum omnium poenarum argumento, vibicibus, sputo et sanguine sordentem palam oculis omnium ostentat, et, Ecce, ait, homo. Quid ultra petitis, Iudaei, aut quid vultis? Quid sufficit iratis, si hoc non sufficit? Ecce homo cujus à capillis usque ad ungues nulla pars corporis ignominiâ vacua est. Formae decus coma sanguine est concreta, frons spinarum cicatricibus scissa, facies sputi vestigiis inquinata, terga notis flagellorum variegata, labra colaphis tumentia, manûs vinculorum sulcis luridae, pedes marcidi aegrè subsistunt, totum denique corpus unum est vulnus. Si populi scelera solus perpetrasset, satiari possetis poenâ quam videtis. Ecce iterum, ecce rex vester, Hebraei, Ecce homo, inquit. Sed his etiam apud obcoecatas coelesti disposi-

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sogar das Äußerste bewilligt. Aber was ist schlimmer als das Rasen der verbrecherischen Rotte, was gottloser? Was kann man sich so vielen schurkischen Stimmen und Belästigungen Vergleichbares ausdenken? Jede Rede, jeden Gedanken übersteigt, was das verblendete Volk gleichsam aus Furcht, vielleicht etwas auszulassen, sowohl an einfallsreicher Grausamkeit erfindet als auch unverzagt ausführt. Den wahrhaftigsten Herrn, die Wahrheit selbst, obgleich er kein Unrecht zuließ, kein Trug in seinem Munde gefunden wurde, bedrängen sie mit Zeugenaussagen und Lügen. Ein Gerichtsdiener untersten Ranges schlägt dem Herrn des Himmels und der Erde auf die Wangen. Die Geringsten unter den Sterblichen, Söhne der Erde, gebrauchen ihre unglückseligen Zungen zu seiner Schelte, verhüllen frech mit einem Tuch die Augen der Sonne der Gerechtigkeit, bespritzen das Gesicht, welches die Fluten des Meeres verehrten, mit den Auswürfen des schmutzigsten Mundes, werfen ihm ein weißes Kleid, gleich als ob sie so genötigt seine Unschuld anerkennten, um die Schultern, verschmähen, verhöhnen und verlachen den Schweigenden, machen den aufrührerischen und verworfensten Räuber Barrabas, der ihnen ähnlich ist, aus Haß auf den Unschuldigen zum Unschuldigen; und es gibt mit einem Wort keinen, der sich nicht an der Beleidigung des Gezüchtigten wie an einer Speise erquickt. Nachdem Pilatus bis jetzt vergeblich gegen die Drohungen der Rasenden Einspruch erhoben hat, wird er gezwungen, mit den Tobenden zu wüten, und behandelt ihn grausamst, damit nicht noch Grausameres geschehe. Das Haupt, den Abgrund unerforschlicher Weisheit, läßt er mit Dornen verwunden, nach Sitte seines Volkes die himmlische Seite bis zur Erschöpfung geißeln, auf die blutigen Gliedmaßen zum Scherz ein Gewand der selben Farbe legen, wie wenn durch das wilde Schauspiel der unerbittliche Zorneseifer der Tollwütigen sich legen könnte. Er selbst aber, wie ein sanftes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, erwidert nichts auf die Beschimpfungen der Hunde, hält den wankenden Körper durch seinen erhabenen, unerschütterten und königlichen Geist aufrecht und nimmt geduldig auf sich, was auch immer er uns erlassen hat. Daher führt Pontius, nachdem das Mittel aller übrigen Strafen aufgebraucht ist, den von Striemen, Speichel und Blut Befleckten öffentlich vor allen Augen vor und sagt: „Ecce homo. Was verlangt ihr noch, Juden, oder was wollt ihr? Was genügt den Erzürnten, wenn das nicht genügt? Seht, hier ist ein Mensch, bei dem keine Stelle des Körpers von Kopf bis Fuß von Schimpf frei ist. Die Zierde der Erscheinung, das Haar, starrt vor Blut, die Stirn ist zerrissen von den Narben der Dornen, das Gesicht besudelt von den Spuren des Speichels, der Rücken schillert von den Merkmalen der Geißeln, die Lippen sind geschwollen von Faustschlägen, die Hände fahl von den Einschnitten der Fesseln, die entkräfteten Füße halten ihn nur mit Mühe, ja der ganze Körper ist eine einzige Wunde. Wenn er allein die Verbrechen eines Volkes begangen hätte, könntet ihr euch mit der Strafe begnügen, die ihr hier seht. Hier, so nochmals,

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tione mentes nihil proficit. Perseverat furor, saeviunt proceres cum plebe, et ut cruci vix adhuc spirans affigatur instant. Tot convitiis defatigatus aquam Romanus poscit, manus abluit quia mentem non potest, tantaque rabie postulatum regem servili supplicio tradit. Nulla ergò fit mora. Ferale lignum, quod ipsi ne attingere quidem volebant, patientissimus Isaacus subit, victoriae signum ut victorem decet humeris imponit, et crucem à quâ mox feretur, fert ipse. Ne verò in viâ pereat, Simonem rure venientem urbanorum factio ponderi cogit succedere, et attritum corpus in spem majoris saevitiae paulisper sublevare. Vincit tandem durum iter redemptor generis humani, et crucis onere, ac totâ irae aeterni Patris mole pressus dirum Golgothae jugum ascendit. Solum sanie, ossibus, craniis ac putridis scelestorum reliquiis sordet, et cadaverum numerus languentes gressus vix admittit. Vt sic in areâ damnatorum trophaea absolutorum erigantur: ut ostendatur ipsum non pro Adae [B3v] solum, sed totius mundi peccato mori. Acetum quoque hyssopo permixtum sitienti porrigunt, ut illud Prophetae fidem inveniat: Dederunt in cibo meo fel, cum sitirem potarunt me aceto. Quod ore vix dignatur: sed invictâ ac infatigabili fortitudine luctam aggreditur. Perforantur pedes, rumpuntur venae, diducuntur brachia, manûs affiguntur, et maledicto ligno factus pro nobis maledictus erigitur. Specta nunc, anima mea, specta truculentissimam totius mundi tragoediam, eleva oculos, et relictis terrestrium quisquiliis tota in hunc actum cujus tu quoque non leve argumentum es, veni: intuere crucem ad quam unusquisque nostrûm suos quoque clavos adjecit. Ecce qui coelos inequitat, auxiliator tuus, et in magnificentiâ suâ nubes: qui mensus est volâ suâ aquas, et coelos palmo aestimavit: qui comprehendit tribus digitis pulverem terrae, et appendit montes in staterâ, et colles in bilance: qui altitudines coelorum aequat, qui profundior est inferis: qui ascendit super coelum coeli, ad orientem. Ecce scala Paradisi, quae Iacobo somnianti apparuit. Per quem claudi ibant, ejus pedes sunt perfossi, per quem surdi audiebant, ejus aures mille ludibriis sunt contaminatae, per quem coeci videbant, ejus oculi guttis à fronte manantibus caligant, qui totidem panibus totidem millia hominum paverat, qui mulierculae aquam petenti vitae aquam dederat, felle potatur et aceto, per quem mortui vivebant, ille jam morietur. Quid ultra faciendum erat vineae meae, clamat in cruce relictus ab hominibus, et propter homines à Deo, quod non fecerim ei? Factus sum in derisum omni populo, canticum eorum totâ die. Replevit me amaritudinibus, inebriavit me absynthio, et fregit ad numerum dentes meos, cibavit me cinere. Quam corporis mei partem à tormentis immunem videtis? Caput spinis, manûs et pedes clavis, facies colaphis et sputo, caetera omnia flagrorum vibicibus vulnerata sunt. Quis sensus corporis mei doloris est expers? An tactus? at flagrorum ictûs et clavos sentio.

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Hebräer, hier ist euer König, Ecce homo,“ sagt er. Aber selbst damit erreicht er nichts bei den durch himmlische Bestimmung verstockten Gemütern. Die Raserei hält an, es toben die Vornehmen mit dem Pöbel und drängen, daß der kaum mehr Atmende ans Kreuz geschlagen werde. Der von so viel Geschrei ermattete Römer verlangt nach Wasser, reinigt sich die Hände, weil er das Gemüt nicht reinigen kann, und übergibt den von solcher Tollwut verlangten König der Hinrichtung wie ein Sklave. Da gibt es kein Zögern mehr. Das todbringende Holz, das sie selbst nicht einmal anrühren wollten, lädt der überaus geduldige Isaak auf sich, das Zeichen des Sieges setzt er sich, wie es einem Sieger gebührt, auf die Schultern und trägt selbst das Kreuz, von dem er bald getragen wird. Damit er aber nicht schon auf dem Weg zugrunde gehe, zwingt die Rotte der Städter den vom Land kommenden Simon, die Last auf sich zu nehmen und so dem aufgeriebenen Körper in Erwartung einer größeren Grausamkeit ein wenig Erleichterung zu gönnen. Endlich überwindet der Erlöser des Menschengeschlechts den harten Weg und steigt, niedergedrückt durch die Last des Kreuzes und durch die Schwere des Zorns des ewigen Vaters, den grauenvollen Abhang von Golgotha hinauf. Der Boden ist bedeckt von Eiterjauche, Knochen, Schädeln und verwesenden Resten der Hingerichteten, und die Zahl der Kadaver läßt den erschlaffenden Schritten kaum Platz. Damit so auf dem Feld der Verurteilten das Siegeszeichen der Erlösten errichtet werde: daß gezeigt werde, daß er nicht allein wegen derjenigen Adams, sondern wegen der Sünde der ganzen Welt stirbt. Essig vermischt mit etwas bitterem Ysop reichen sie dem Dürstenden, damit sich jener Ausspruch des Propheten erfülle: Sie gaben Galle in meine Speise, in meinem Durste Essig zum Trank. Er berührt das kaum mit dem Mund, sondern tritt mit unbezwungener und unermüdlicher Tapferkeit den Kampf an. Die Füße werden durchbohrt, die Adern aufgerissen, die Arme weit ausgestreckt, die Hände angenagelt, und auf dem verfluchten Holz wird aufgerichtet, der für uns zum Fluche ward. Betrachte nun, o meine Seele, betrachte das furchtbarste Trauerspiel der ganzen Welt, hebe die Augen und komm, nachdem du die Eitelkeiten des Irdischen verlassen hast, ganz zu diesem Geschehen, bei dem auch du kein unwichtiger Gegenstand bist: Betrachte das Kreuz, zu dem ein jeder von uns auch seine Nägel hinzugefügt hat. Schau auf den, der auf den Himmeln reitet, dein Helfer, und in seiner Herrlichkeit auf den Wolken: der mit seiner hohlen Hand die Wasser gemessen und mit seiner flachen Hand die Himmel geschätzt hat: der den Staub der Erden mit drei Fingern umschließt und die Berge auf der Waage und die Hügel auf den Waagschalen abwiegt: der die Höhen der Himmel erreicht, der tiefer ist als die Unterwelt: der hinaufsteigt über den Himmel des Himmels, gegen Aufgang. Schaue die Paradiesleiter, die Jakob im Traum erschien. Der, durch den die Lahmen gingen, dessen Füße sind durchbohrt, der, durch den die Tauben hörten, dessen Ohren sind durch tausend Spottworte beschmutzt, durch den die Blinden sehend wurden, dessen

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An gustus? at felle et aceto me potaverunt. An olfactus? At in foetidissimo cadaverum et craniorum ole-[B4r]to pendeo. An auditus? at probra blasphemantium et irridentium percipio. An visus? at matrem meam cum charissimo discipulorum lachrymari video et lugere. Quid est in quo homo pati potest cujus ad me pars non pervenit? Amici? illi me deseruerunt. Fama? convitiis et calumniis lacerata est. Honor? ludibrio fui omnibus. Facultates? et vestibus spoliatus sum. Corpus? sanguinem pluo. Animus? tristitia et moeror circumdedit me. Tali sermone Christus omnem populum suum affatur, non Hierosolymitanos tantum. Ad quorum urbem sine causâ non patitur. Praedictum enim erat à Davide: Deus rex noster ante saecula operatus est salutem in medio terrae. Nihil hîc fit temerè. Arbori affixus est: ut quicquid in eâ Adam perdiderat, rursum inveniat. Pendet sub coelo: Oportet exaltari filium hominis; ut et aërem sanctificet qui sanctificabat terram in quâ vivebat. Hac dextra illac sinistra expansa est: ista species extremi judicii imago est. Crux est in quâ pendet: non minus cathedra est, non minus et tribunal. Inter scelestos positus est: ut unum servet; qui ex reo martyr fit, et dolores, tanquam in alieno corpore pateretur, constanter suffert. Iuvenis adhuc patitur: eò magis dilectionem suam nobis commendat, cujus in ipsâ morte expressa videmus signa. Falsus reus veros absolvit, et pro iis etiam intercedit; Mariae propè crucem stanti pectus quod Christum tulerat lachrymae invadunt, et gemitûs suspiriis suffocati animam paenè submovent. Incerta est quà oculos vertat. In terram respicit? res-

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Augen sind blind durch die von der Stirn rinnenden Tropfen, er, der mit ebenso vielen Broten ebenso viele tausend Menschen versorgt hatte, der einer um Wasser bittenden Dirne das Wasser des Lebens gegeben hatte, wird mit Galle und Essig getränkt, durch den die Toten ins Leben zurückkehrten, jener wird nun selbst sterben. „Was sollte ich für meinen Weinberg weiter tun“, ruft der am Kreuz von den Menschen und wegen der Menschen von Gott Verlassene, „das ich ihm nicht getan hätte? Zum Gelächter ward ich meinem ganzen Volk, zu ihrem Spottlied alle Tage. Mit bittrer Kost hat er mich gesättigt, mich getränkt mit Wermut und meine Zähne der Reihe nach zerbrochen, mich mit Staub genährt. Welchen Teil meines Körpers seht ihr unberührt von Martern? Das Haupt ist von den Dornen, die Hände und Füße von den Nägeln, das Gesicht von Faustschlägen und Speichel, alles Übrige von den Striemen der Geißeln wund. Welcher Sinn meines Körpers ist frei von Schmerz? Der Tastsinn? Aber ich spüre die Schläge der Geißeln und die Nägel. Der Geschmackssinn? Aber Galle und Essig haben sie mir zu trinken gegeben. Der Geruchssinn? Aber ich hänge im abscheulichsten Gestank der Kadaver und Totenschädel. Das Gehör? Aber ich vernehme die Schmähungen der Gotteslästerer und Spötter. Das Sehen? Aber meine Mutter sehe ich mit dem liebsten meiner Jünger weinen und trauern. Worüber kann ein Mensch Leid empfinden, woran nicht auch ich Anteil habe? Freunde? Jene haben mich verlassen. Ein guter Ruf ? Er ist von Lästerungen und Verleumdungen zertrümmert. Ehre? Ich bin allen zum Gegenstand des Gespötts geworden. Besitz? Sogar der Kleider bin ich beraubt. Der Leib? Es regnet Blut aus mir. Der Geist? Traurigkeit und Betrübnis hat mich umgeben.“ Mit solcher Rede spricht Christus zu seinem ganzen Volk, nicht nur zu den Einwohnern von Jerusalem, vor deren Stadt er nicht grundlos leidet. Denn durch David war vorhergesagt worden: Gott, unser König von Anbeginn, wirkte das Heil in der Mitte der Erde. Nichts geschieht hier ohne Grund. An einen Baum wurde er genagelt: Damit er wiederfinde, was Adam daran verloren hatte. Er hängt unter freiem Himmel: Der Menschensohn muß erhöht werden, daß er auch die Luft heilige, wie er die Erde heiligte, auf der er lebte. Hierher ist die Rechte, dorthin die Linke ausgestreckt: Diese Gestalt ist ein Bild des Jüngsten Gerichts. Ein Kreuz ist es, an dem er hängt: nicht weniger jedoch ist es ein Predigt-, nicht weniger auch ein Richterstuhl. Unter die Verbrecher ist er gestellt: Damit er einen rette, der vom Beschuldigten zum Märtyrer wird, und die Schmerzen, wie wenn er sie in einem anderen Körper erleide, standhaft erträgt. Als ein noch junger Mann leidet er: Damit er uns desto mehr seine Liebe erweise, deren Zeichen wir in diesem Tod selbst ausgedrückt sehen. Ein zu Unrecht Angeklagter spricht die wahrhaft Schuldigen frei und tritt für sie ein; Maria, die nahe dem Kreuz steht, wird die Brust, die Christus getragen hatte, nass von Tränen, und die vom Stöhnen erstickten Seufzer rauben ihr beinahe den Atem. Sie weiß nicht, wohin sie die Augen richten soll. Blickt sie zu Boden? Besprengt

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persa est suo sanguine. Sursum? videt laceros filii artûs quos pepererat. Crederes ipso patiente tristiorem. Et hanc erigit, ac Iohannem in solatium viduitatis sibi adoptat. Cruciario Paradisum promittit, et ne in ipsâ morte quidem otiosus est. Donec tandem sanctissimam animam Patri commendans expirat. Cui spectaculo neque Sol interesse potest, sed Iudaeis se negat; ut careant Sole qui datorem Solis et stellarum injustè supprimunt, ut coeci fiant oculis, qui coeci sunt corde. Densissimae itaque tenebrae [B4v] diem adimunt, omne coelum se aufert: sequi cuperet tellus quoque, nisi negaretur. Tremit ergò sedibus suis emota et subsultat: rupes dissiliunt, gemunt colles, hiant petrae, velum templi scinditur, monimenta defunctorum patent, ipsi egrediuntur, omnia denique creatorem suum fatentur. Sic humanitate moriente fortior omnibus viventibus est divinitas. Pendet Christus in cruce, et commovet omnia: tremit in ligno, et universum orbem terrarum concutit: moritur, et mortuos resuscitat. Dum templum quassat summum sacerdotem, dum velum frangit abrogatorem ceremoniarum, dum tonitrua emittit totius mundi regem, dum sepulchra reserat dominum viventium et mortuorum se ostendit. Relictus est à Deo, non separatus. Relictus; quia poena quam suffert magna est, non culpa: caret enim omni culpâ. Quiescit ergò divinitas. Non separatus; quia separari à Deo non potest qui Deus ipse est et unum cum Patre. Moritur ut homo, operatur ut Deus. Moritur in carne, non cum carne: nam ut Deus major est omni carne. Verè anima corpus relinquit, verè moritur Christus, sed non totus. Verbum enim quod in principio erat, quod apud Deum erat, quod Deus erat, animae et corpori manet unitum. Sic etiam mortuus homo permanet: vinculo personae, non confusione substantiae. Moritur humanitas, hoc indulget divinitas. Nemo, inquit ipse, tollit animam meam à me, sed ego pono eam à me ipso. Potestatem habeo ponendi eam, et potestatem habeo rursus sumendi eam. Moritur, ideò homo; moritur spontè, ideò Deus est. Vt Deus facit quod vult: nam Deus esse non potest qui facit quod non vult, aut patitur quod alius vult. Vt homo facit quod

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ist er von seinem Blut. Nach oben? Sie sieht die zerrissenen Glieder des Sohnes, den sie geboren hatte. Man könnte sie für betrübter als den Leidenden selbst halten. Und dieser richtet sie auf und setzt ihr zum Trost der Einsamkeit Johannes an seine Stelle als Kind ein. Einem Gekreuzigten verspricht er das Paradies, und ist nicht einmal im Tod selbst müßig. Bis er endlich, seine allerheiligste Seele dem Vater anvertrauend, verscheidet. Diesem Schauspiel vermag auch die Sonne nicht beizuwohnen, sondern verweigert sich den Juden; damit jene die Sonne entbehren sollen, die den Schöpfer von Sonne und Sternen unrechtmäßig umbringen, damit jene auch an den Augen blind werden sollen, welche im Herzen blind sind. Dichteste Finsternis rafft deshalb den Tag hinweg, der ganze Himmel entschwindet: Die Erde würde auch gerne folgen, wenn sie es nur könnte. Aufgewühlt zittert sie daher in ihren Grundfesten und bebt: Die Felsen bersten, die Hügel stöhnen, die Steine klaffen auseinander, der Vorhang des Tempel zerreißt, die Grabmäler der Verstorbenen stehen offen, die Toten schreiten heraus, alles bekennt sich so zu seinem Schöpfer. So ist, wenn auch die menschliche Erscheinung stirbt, doch die Gottheit mächtiger als alle Lebendigen. Christus hängt am Kreuz und bewegt alles; er zittert am Holz und erschüttert den ganzen Erdkreis; er stirbt und erweckt die Toten. Indem er den Tempel erschüttert, zeigt er sich als der Hohepriester, indem er den Vorhang spaltet, als der Überwinder der Zeremonien, indem er den Donner ausstößt, als König der ganzen Welt, indem er die Gräber aufschließt, als Herr der Lebenden und der Toten. Verlassen ist er von Gott, aber nicht getrennt. Verlassen, weil die Strafe, die er erduldet, groß ist, nicht die Schuld: Denn er ist ohne jegliche Schuld. Deshalb ruht seine Göttlichkeit. Nicht getrennt, weil von Gott nicht getrennt werden kann, der Gott selbst ist und eins mit dem Vater. Er stirbt als Mensch und wirkt als Gott. Er stirbt im Fleisch, aber nicht mit dem Fleisch, denn als Gott ist er größer als alles Fleisch. Wahrhaftig verläßt die Seele den Körper, wahrhaftig stirbt Christus, aber nicht zur Gänze. Das Wort nämlich, das am Anfang war, das bei Gott war, das Gott war, bleibt vereint mit Seele und Leib. Selbst als Toter bleibt er so ein Mensch: durch das Band der Person, nicht durch die Vermengung des Wesens. Es stirbt die menschliche Erscheinung, das läßt die Gottheit zu. „Niemand,“ sagt er selbst, „nimmt meine Seele von mir, sondern ich gebe sie von mir selber. Ich habe die Vollmacht, diese hinzugeben, und ich habe die Vollmacht, sie wieder zu nehmen.“ Er stirbt, insofern er Mensch ist; er stirbt aus freiem Willen, insofern er Gott ist. Als Gott tut er, was er will: Denn Gott kann nicht sein, wer tut, was er nicht will, oder erleidet, was ein anderer will. Als Mensch tut er, was Gott will. Ich möchte darüber hinaus sagen: Auch Gott stirbt, aber nicht die Gottheit: weil der, der stirbt, Gott und Mensch ist. Gott vom Vater ohne Mutter, Mensch von der Mutter ohne Vater. Vom Vater der Anfang des Lebens, von der Mutter das Ende des Todes. Vom Vater ein anderer, von der Mutter ein anderer: durch die Unterscheidung des We-

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Deus vult. Plura dicam: Moritur et Deus, sed non divinitas: quia moritur qui Deus et homo est. Deus de Patre sine matre, homo de matre sine patre. De patre principium vitae, de matre finis mortis. De Patre alius, de matre alius: per discretionem substantiae, non per unitatem personae. De patre Deus, de matre homo: de patre et matre unus [C1r] Christus, una persona. Sicut enim in Trinitate tres sunt personae in unâ naturâ: ita in Christo duae sunt naturae in unâ personâ. Divinitas apud humanitatem, ut pati possit: humanitas apud divinitatem, ut resurgere possit. Ambo unus, ambo in uno, ambo idem. Hic est, ô Iudaei, quem contumeliis, verberibus, malis omnibus affecistis, quem protervè occidistis. Verbum aeterni Patris: qui ab initio vobiscum locutus est, et suavissimâ voce suâ ubique vobis adfuit. Qui primis parentibus Diabolo jam promissis ex infinitâ misericordiâ seipsum promisit. Qui totam Ecclesiam uni arcae inclusam inter medios irati maris fluctûs reservavit. Qui salutare illud foedus cum Noâ pepigit, quod confirmavit Abrahamo patri credentium, quod probavit patri benedictionis Isaaco, quod in Iacobo patre vestro, et patre gentium Esau, cujus surculus loco vestri insertus est, manifestè ostendit. Hic est, ô Iudaei, cujus adventûs signum unusquisque vestrûm corpori suo incisum circumtulit, qui flumina suspendit ut transiretis, libertatis vestrae ex durissimâ servitute assertor, perpetuus itineris per solitudines et deserta comes, petra cujus aquam bibistis, panis qui de coelo lapsus vos enutrivit. Hic est qui judices vobis constituit et reges, qui filium Isai coronavit, qui post longam captivitatis Babylonicae miseriam vos manumisit, qui Esdrae ac Nehemiae consilio sacra vestra et urbem restauravit, qui eximiis pulcherrimae Estherae dotibus nutantem rempublicam fulcivit; cujus praesentiam suspiriis et precibus noctu diuque indesinenter flagitastis. Venit tandem, assumpsit carnem in ventre virginis, qui regnat ab aeterno in sinu patris: factus est quod vos estis qui est quod Deus est. In propria venit, neque recipistis eum. Accepistis ab eo omnia, et omnia ipsi denegastis. Sanavit vos, vulnerastis ipsum. Sustulit jugum legis, contra leges ipsum sustulistis. Via est, et non secuti estis. Veritas est, et mendaciis eum suppressistis. Vita est, et vitâ ipsum spoliastis. Factus est vobis in lapidem offensionis et petram scandali. Caeterùm conversio-[C1v]nem animorum et rerum omnium post mortem vide. Astant cruci cum centurione milites, homines armis in-

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sens, nicht durch die Einheit der Person. Vom Vater Gott, von der Mutter Mensch: von Vater und Mutter ein einziger Christus, eine Person. Denn so wie in der Dreifaltigkeit drei Personen in einer Natur sind, so sind in Christus zwei Naturen in einer Person: die Gottheit bei der Menschheit, damit sie leiden könne; die Menschheit bei der Gottheit, damit sie auferstehen könne. Beide einer, beide in einem, beide eines. Dieser ist es, o Juden, den ihr mit Schmähungen, Schlägen und allem Übel behandelt, den ihr schamlos umgebracht habt. Das Wort des ewigen Vaters, der von Anbeginn mit euch geredet hat und mit seiner mildesten Stimme überall bei euch war. Der den ersten Eltern, die schon dem Teufel versprochen waren, aus unendlichem Mitleid sich selbst versprochen hat. Der die gesamte, in einem einzigen Kasten eingeschlossene Kirche mitten in den Fluten des tobenden Meeres bewahrt hat. Der jenen heiligen Bund mit Noah geschlossen hat, den er mit Abraham, dem Vater der Glaubenden, bestätigt, den er mit Isaak, dem Vater des Segens, erwiesen, den er an eurem Vater Jakob, und Esau, dem Vater der Völker, dessen Zweig an eurer Stelle aufgepfropft wurde, deutlich gezeigt hat. Dieser ist es, o Juden, von dessen Ankunft jedweder von euch das Zeichen in seinem Körper eingeschnitten herumgetragen hat, der die Flüsse aufgehalten hat, damit ihr hindurchschreiten konntet, der Wahrer eurer Freiheit aus härtester Knechtschaft, der ständige Wegbegleiter durch Einöden und Wüsten, der Stein, dessen Wasser ihr getrunken, das Brot, das, vom Himmel gefallen, euch genährt hat. Dieser ist es, der euch Richter und Könige eingesetzt hat, der den Sohn Isais gekrönt, der euch nach dem langen Elend der Babylonischen Gefangenschaft die Freiheit geschenkt hat, der mit Hilfe von Esra und Nehemia eure Heiligtümer und die Stadt wieder errichtet, der mit den außergewöhnlichen Gaben der wunderschönen Esther den wankenden Staat gestützt hat; dessen Gegenwart ihr mit Seufzen und Beten Nacht und Tag unaufhörlich herbeigerufen habt. Endlich ist er gekommen und hat im Leib der Jungfrau Fleisch angenommen, der seit ewig im Schoß des Vaters regiert: Der ist geworden, was ihr seid, der ist, was Gott ist. Er kam in sein Eigentum, und ihr habt ihn nicht aufgenommen. Ihr habt von ihm alles empfangen und habt ihm selbst alles versagt. Er hat euch geheilt, und ihr habt ihn verwundet. Er hat das Joch des Gesetzes beseitigt, und gegen die Gesetze habt ihr ihn beseitigt. Er ist der Weg, und ihr seid diesem nicht gefolgt. Er ist die Wahrheit, und ihr habt ihn mit Lügen unterdrückt. Er ist das Leben, und ihr habt ihn selbst des Lebens beraubt. Er ist euch geworden der Stein des Anstoßes und der Fels des Ärgernisses. Nun aber schaue die Verwandlung der Gemüter und aller Dinge nach seinem Tod. Es stehen bei dem Kreuz Soldaten mit ihrem Hauptmann, in den Waffen geschulte und nur schwer zu ändernde Männer, und, was noch schwerer wiegt, in bezug auf die jüdische Religion vielleicht völlig unerfahren. Sie sehen den Himmel trauern, die Erde beben, Steine bersten, ja die ganze Natur, wie wenn sie in das alte Chaos zurückkehrte, unter einer schrecklichen Er-

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nutriti, flecti difficiles, et quod magis est, religionis Iudaicae prorsus fortassis ignari. Vident coelum tristari, terram tremere, petras frangi, totam denique naturam, velut in antiquum chaos rediret, horrendo impetu collidi. Audiunt elatiorem morientis vocem quam alterius viventis. Agnoscunt inique occisum esse cum quo Sol etiam occidisset. Parcunt itaque mortuo qui vivo non pepercerant. Nisi quod unus eorum lanceâ divinum latus pertemtat. Cujus ipsa protervitate ad salutem nostram Deus utitur. Ex hoc enim vulnere fons vitae emanat. Iudaei partim moesti partim attoniti, quaquà se vertunt: flagitii sui accusatores inveniunt. Pars urbem ad mactandum agnum (vilem hostiam post mactatum Salvatorem mundi) petunt: hîc inter mortuos ambulant. Pars ad templum ruit: hîc ruptum tapetem et prodita sacrorum arcana inveniunt; non obscurum desolationis suae argumentum. Nobilis senator Iosephus; timidus ante et animo fractus, sumit confidentiam corpusque defuncti petit. Nicodemus qui Christum convenire vix noctu ausus fuerat, palam eum sepulturae nunc mandat. Imbecillior sexus, ne nihil non mutetur, paenè ipsis viris apparet fortior. Praesentes speculatae erant omnia, decedentis clamorem exceperant; jam ad conditorium sequuntur, ac praeclarum devotionis et constantiae exemplum praebent; aromata etiam ac unguenta religiosâ liberalitate mercantur: Impendio sumptuum exiguo magno pietatis lucro: Longè illis beatiores, quae pro myrrhâ et aloë, hoc est, poenitentiâ et conversione, totos censûs luxuriae suae instrumentis lancinant; pro bonâ famâ, vero castitatis unguento, medicamentis venenatam cutem inficiunt; pro sindone, hoc est, mente purâ quâ Iesum suum involvere debebant, vestium elegantiam, quae vermium operâ et fiunt et pereunt, ostentant. Sepelitur itaque Christus: ut mortis veritas constet. In horto: ut locus perditionis fiat locus salutis. [C2r] In alieno conditorio: quia pro alienâ morte mortuus est. In recenti: ut doceamur, nos quoque per mortem ejus innovari. Lapis ostio sepulchri advolvitur, nos etiam praeter Iesum nihil in animum admittamus. Corpus putredine non corrumpitur: sic virtutis divinae praestantia declaratur. Caro in terrâ, anima in coelo, divinitas utrobique est. Porrò qui patientiam Christi et tolerantiam in passione cum horrore et admiratione aspeximus, nunc in resurrectione fortitudinem ejusdem longè maximam nullo verborum conatu exprimere valemus. Qui non aperuit os suum et ut ovis ad mactationem ductus est, omnipotenti dexterâ vincula sepulchri frangit, et amplissimè triumphat. Evasit Diabolum: est enim semen mulieris quod caput serpentis conterere debebat. Evasit mortem: est enim vita per quam vivimus. Evasit vigiles: sic qui venerant ut resurrectionem impedirent,

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schütterung zusammenstürzen. Sie hören die Stimme des Sterbenden, gewaltiger als die eines Lebenden. Sie erkennen, daß derjenige ungerecht getötet wurde, mit dem auch die Sonne unterging. Diejenigen, die den Lebenden nicht geschont hatten, schonen deshalb den Toten, außer daß einer von ihnen die göttliche Seite mit einer Lanze durchstößt. Doch selbst dessen Schamlosigkeit gebraucht Gott zu unserem Heil. Denn aus dieser Wunde strömt die Quelle des Lebens. Die Juden sind teils betrübt, teils erschüttert, wohin sie sich auch wenden, finden sie Ankläger ihrer Schandtat. Ein Teil eilt zur Stadt, um das Lamm zu schlachten (ein geringes Sühneopfer, nachdem sie den Heiland der Welt geschlachtet): Hier wandeln sie unter Toten. Ein Teil stürzt zum Tempel: Hier finden sie den Vorhang zerrissen und die Geheimnisse der Heiligtümer zum Vorschein gekommen: ein allzu deutliches Zeichen ihrer Verödung. Der edle Ratsherr Josephus, der vorher so zaghaft und unbeherzt war, faßt Mut und bittet um den Körper des Verstorbenen. Nicodemus, der es kaum gewagt hatte, bei Nacht zu Christus zu kommen, bestattet ihn nun öffentlich. Das schwache Geschlecht – damit nichts unverändert bleibe – scheint förmlich stärker als die Männer. Mit eigenen Augen hatten sie alles gesehen, sie hatten den Schrei des Sterbenden vernommen; jetzt folgen sie zum Grab und geben ein glänzendes Beispiel der Ergebenheit und Standhaftigkeit; sie kaufen sogar Gewürze und Salben mit frommer Großzügigkeit; mit geringem Aufwand der Kosten für einen großen Gewinn an Frömmigkeit. Weit seliger sind sie als jene, die anstatt für Myrrhe und Aloe, das heißt Buße und Bekehrung, ihr ganzes Vermögen für Werkzeuge ihrer Üppigkeit verschwenden; die anstatt guten Rufes, der wahren Salbe der Keuschheit, Schminke auf ihre vergiftete Haut schmieren; die anstatt eines Baumwolltuches, das heißt des reinen Geistes, in welchen sie ihren Jesus einhüllen sollten, eine Pracht der Kleider zur Schau tragen, die das Werk von Würmern hervorbringt und zerstört. Christus wird also begraben: Auf daß die Wahrheit des Todes feststehe. In einem Garten: Auf daß der Ort des Verderbens der Ort des Heils werde. Im Grab eines andern: Weil er ja für den Tod anderer gestorben ist. Noch frisch: Auf daß wir lernen, daß auch wir durch seinen Tod erneuert werden. Ein Stein wird vor den Eingang des Grabes gewälzt, so wie auch wir außer Jesus nichts in unseren Geist Einlaß gewähren sollen. Der Körper wird nicht von Verwesung zerstört: So manifestiert sich die Überlegenheit der göttlichen Tugend. Das Fleisch ist in der Erde, die Seele im Himmel, die Gottheit in beiden. Ferner, die wir die Geduld Christi und seine Beständigkeit im Leid mit Schrecken und Bewunderung betrachtet haben, vermögen nun mit keiner sprachlichen Anstrengung seine alles übersteigende Stärke in der Auferstehung auszudrücken. Er, der seinen Mund nicht auftat und wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt wurde, zerbricht mit der allmächtigen Rechten die Ketten des Grabes und triumphiert schrankenlos. Er ist dem Teufel entronnen: Denn er ist der Same des Weibes, der das Haupt der

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eandem coguntur fateri. Salve leo de tribu Iudâ, Salve victor invictissime, Salve primitiae dormientium, Salve salus nostra, qui discerpsisti chirographum quod contra nos erat, qui potentiam inferorum, Diabolum ac mortem conculcasti, et pedibus tuis omnia subjecisti, Spes nostra, et caput credentium. Cuius membra quod et nos ex singulari misericordiâ esse voluisti, gratias agimus tibi, ô Iesu, quascunque humanae cogitationes possunt suscipere et rogamus, Spiritu sancto tuo, sine quo nihil possumus, mentes nostras velis illustrare, ut acerbissimam passionem tuam et gloriosam resurrectionem intimo cum ardore contemplemur, ut pati tecum discamus pariter, et à morte peccati resurgere. Trahe nos post te. Accende in cordibus nostris ignem amoris tui, et concede nobis oculos fidei, ut, depositâ inutili humanae eruditionis opinione, quaeramus te ubi inveniris, neque coecae rationi nimium fidamus. Da ut relictis vitae ineptiis vulneribus tuis nos insinuemus, et sanguine tuo pretiosissimo pascamur. Caeterum quandoquidem infelici hoc saeculo hostes veritatis nutantem religionis cymbam omnibus modis petunt, et [C2v] nihil linquunt inausum, da ut propter nominis tui gloriam sublimi animo insultibus eorum resistamus. Exere fortem manum tuam, erue nos afflictos, et vindica qui tantâ protervitate genti tuae insidiantur. Confunde rabiosas maledicorum linguas, quorum virulentia, proh dolor! eò prorupit, ut electam tibi Ecclesiam sedem Antichristi, mitissimum tuum jugum jugum intolerabile jugum Diaboli petulanter appellent. Retunde impia seditiosorum consilia, qui omnibus modis hoc agunt, ut causam nostram et tuam mundo reddant exosam. Conserva credentes, firma debiles, adduc errantes, et pacem post tantas calamitates redde. Custodi piissimum Regem nostrum, et muneri quod ei dedisti adde perpetuitatem. Floreat inclyta domus Palatina. Vigeat charissima nostra Silesia. Ac quia nunc optata veris amoenitas totum orbem quasi renovat, da ut nos etiam veteres naevos exuamus, vitamque nostram seriâ castigatione renovemus. Et ne talentum quod nobis credidisti aut otio defodiamus, aut in vetitos vel steriles usûs convertamus, guberna actiones nostras et studia, ut ad laudem tuam, reipublicae commodum, honorem patriae et salutem nostram unicè dirigantur. Denique praesta, ut animae et corpora nostra, vasa gratiae et misericordiae tuae, casta et

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Schlange zertreten sollte. Er ist dem Tod entronnen: Denn er ist das Leben, durch das wir leben. Er ist den Wächtern entronnen: Diejenigen, die gekommen waren, die Auferstehung zu verhindern, müssen über sie berichten. Sei gegrüßt, du Löwe aus dem Stamm Juda. Sei gegrüßt, du unüberwindlichster Sieger. Sei gegrüßt, du Erstling der Schlafenden. Sei gegrüßt, du unser Heil, der du zerrissen hast die Handschrift, welche gegen uns war, der du die Macht der Unterwelt, den Teufel und den Tod niedergetreten und deinen Füßen alles unterworfen hast, du unsere Hoffnung und Haupt der Gläubigen. Dafür, daß du aus einzigartiger Barmherzigkeit wolltest, daß auch wir dessen Glieder seien, sagen wir dir den Dank, o Jesus, welchen auch immer menschliche Gedanken erwägen können, und bitten, daß du durch deinen heiligen Geist, ohne den wir nichts vermögen, unsere Gemüter erleuchten mögest, damit wir dein so bitteres Leiden und deine glorreiche Auferstehung mit innerer Inbrunst betrachten, damit wir lernen, mit dir zu leiden und aus dem Tod der Sünde aufzuerstehen. Ziehe uns dir nach. Entzünde in unseren Herzen das Feuer deiner Liebe und gib uns die Augen des Glaubens, daß wir, nachdem wir unnütze Einbildung menschlicher Gelehrsamkeit abgelegt haben, dich suchen, wo du zu finden bist, und der blinden Vernunft nicht zu sehr trauen. Gib, daß wir, nachdem wir die Eitelkeiten des Lebens abgeworfen haben, in deine Wunden dringen und uns an deinem kostbarsten Blut laben. Da allerdings im übrigen in diesem unglücklichen Jahrhundert die Feinde der Wahrheit mit allen Mitteln den schwankenden Nachen der Religion angreifen und nichts unversucht lassen, gib, daß wir wegen der Ehre deines Namens mit erhabenem Geist ihren Schmähungen widerstehen. Strecke deine starke Hand aus, reiße uns Betrübte heraus und bestrafe jene, welche mit derartiger Frechheit deinem Volk nachstellen. Verwirre die rasenden Zungen der Schmähredner, deren Bösartigkeit – ach wehe! – so weit losgebrochen ist, daß sie frech die dir erwählte Kirche den Sitz des Antichrist, dein sanftestes Joch ein unerträgliches Joch, ja ein Joch des Teufels nennen. Mache die gottlosen Absichten der Aufrührer zunichte, die mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß sie unser und dein Anliegen der Welt verhaßt machen. Erhalte die Gläubigen, stärke die Schwachen, führe herzu die Irrenden und gib uns nach so viel Unheil den Frieden wieder. Behüte unseren allerfrommsten König und füge dem Amt, das du ihm gegeben, die Dauerhaftigkeit hinzu. Es blühe das ruhmreiche Haus von der Pfalz. Es wachse unser vielgeliebtes Schlesien. Und weil nun die ersehnte Lieblichkeit des Frühlings den ganzen Erdkreis gleichsam erneuert, gib, daß wir auch unsere alten Fehler ablegen und unser Leben durch ernste Züchtigung erneuern. Und damit wir das Talent, mit dem du uns ausgestattet, weder durch Müßiggang vergraben noch durch unredlichen oder fruchtlosen Gebrauch veruntreuen, lenke unsere Handlungen und Bestrebungen, damit sie auf dein Lob, den Vorteil des Staates, die Ehre des Vaterlandes und unser Heil allein gerichtet werden. Ge-

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incorrupta conserventur: donec tu eâdem istâ carne nostrâ, quae ad dexteram patris supra coelos coelorum sublata est, redibis, et nos cum omnibus electis ex misero hoc curarum et mortalitatis theatro transferes in coeleste domicilium; qui cum Patre et Spiritu sancto es et eras, et eris in Saecula. Amen.

[C3r] EVCHARISTIA.

QVid ingemiscis mole delicti gravis,

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Quid ingemiscis anime mi? quid innatas Suspiriis et ipse succumbis tibi? Quò decidisti? quo profundo te trahis? Emerge turpi corporis foedi luto, Emerge rursum, emerge, luctum reprime: Si nulla poenitentiae clausa est via, Iterque nullum. Semper imminet polus Sibi imminenti, et occupat veras preces. Quid anime pendes teque in incerto tenes? Quid saeve renuis lachrymis pacem tuis? De te triumpha, praelium tecum gere: Relinque tenebras carceris tristes tui, Relinque mundum, escende sedes coelitum Alis fidelitatis et sanctae spei. Nullo premeris onere coeli regiae Impositus arci. Nil supra fertur polum, Nil infra Avernum. Quisquis Orci transfuga Potitur aetheris domo, nihil timet Nil sperat ultra: vota terminum suum Tunc attigere. Mens bonâ rediens fide Ad se Deumque supprimit quod senserat Onus malorum: haec sola quamlibet prius Adulterata, virginis rursum decus Titulumque sustinebit; et dando quoque Quam nos petendo tardior non est Deus. Erumpe saltem, et ad Deum atque te redi.

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währe uns letzlich, daß unsere Seelen und Körper, die Gefäße deiner Gnade und Barmherzigkeit, keusch und unverfälscht erhalten bleiben, bis du in ebendiesem unseren Fleisch, das zur Rechten des Vaters über die Himmel der Himmel erhoben ist, wiederkommen wirst und uns mit allen Erwählten von diesem erbärmlichen Schauplatz der Sorgen und der Sterblichkeit zur himmlischen Heimstatt führen wirst, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist bist und warst und sein wirst in Ewigkeit. Amen. [A.N.]

Eucharistie. Was stöhnst du, meine Seele, unter schwerer Untat Last? Was stöhnst du, meine Seele? Was verströmst du dich In Seufzern? Und weswegen gibst du auf ? Wohin Bist du gestürzt? Aus welcher Tiefe willst du auf ? Tauch auf aus Schand’ und Dreck der schnöden Leiblichkeit! Noch einmal: Tauche auf, tauch auf! Die Trauer weg! Ein jeder Weg steht jedem offen, der bereut, Ein jeder Steg. Der Himmel droht demjenigen, Der ihm droht, immer, immer führt er echte Bitten aus. Was schwankst du, Seele, unentschlossen hin und her? Was lehnst du, Harte, Stillung deiner Tränen ab? Kämpf mit dir selbst, besiege dich und triumphier! Verlaß das trübe Dunkel deines Kerkers, laß Die Welt zurück, erfliege dir den Himmelsort Auf Flügeln treuen Glaubens, frommer Hoffnung auch. Hast du des Himmels Königsburg erreicht, bedrückt Dich keine Last mehr. Oberhalb des Himmels gibt Es nichts, und nichts auch unterhalb der Hölle. Wer Die Hölle flieht, das Himmelshaus erreicht, der muß Nichts fürchten, muß nicht weiter hoffen: jeder Wunsch Ist dann erfüllt. Die Seele kehrt vertrauensvoll Zu sich und Gott zurück, verliert der Sünden Last, Die sie bedrückte. Sie allein, sosehr sie auch Zuvor geschändet war, gewinnt von neuem Rang Und Namen einer Jungfrau; Gott ist ebenso Geschwind bereit zu geben wie zu bitten wir. Zumindest brich nun auf, zurück zu Gott und dir!

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Hac lege vives. Victima haud ulla amplior Potest magisque opima mactari Deo Quam mens fidelis. Omnis in fide est salus. Beatus ille qui procul mortalibus Fide quiescit unicâ, et terrestrium Pertaesus ad frugem redit, nec in scelus [C3v] De scelere fertur, et recens semper nefas. Quid inquietas conscientiae meae Sufflas favillas, ô tyranna mentium Misella vita? quid cupis? quid vis tibi? Cloaca foedae impuritatis, hospita Furoris et lasciviae, crux pectorum, Abyssus impotentiae, libidinum Illex et officina, Seiren impia, Ludusque vanitatis, et fomes mali, Hilarisque poena, gaudiumque noxium, Caduca vita. Exeste peccati luto Polluta putri lingua, polluti pedes, Oculi, manusque, corque tot scelerum capax, Exeste nobis: unicâ Christus sui Guttâ cruoris omne crimen eluet, Omnes reatûs, meque restituet sibi. Accipite vestrum gens dicata Numini Summo sodalem: jungo me vestro gregi. Eamus omnes, quotquot aeternae sumus Salutis avidi, quotquot ardor hic rapit. Eamus omnes: nullus hîc ordo statûs, Nullusque censûs, nullus aetatis gradus. Quicunque propius ad Deum accedit fide, Sit imperator omnium. Placet Deo Ambitio talis, atque cor vinci dolens Pietatis eminentiâ et studio sui. Abite, abite, qui odia, caedes, funera Palam fovetis, qui malum struitis malo, Ruat vel in vos, dummodò in vestros ruat. Abite, abite, linquite innocuum gregem, Quicunque inerti vela Cocyto datis, Mergique festinatis, et probra omnia Scelusque succendens sibi furentibus Protrahitis ausis, et libidini impiae

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Mit der Bedingung wirst du leben. Größere Und fettre Opfer kann man Gott nicht geben als Den gläubigen Sinn. Im Glauben liegt das ganze Heil. Glückselig der, der ferne von den Sterblichen Im einzigen Glauben ruht und aus dem Überdruß Am Irdischen sich bessert, sich nicht fallen läßt Von Untat zu Verbrechen, immer neuem Greuel. Was fachst du im Gewissen mir die Aschen stets, Die nicht erlöschen, an, Despot der Seele du, Armselig Leben? Und was willst du überhaupt? Du Spülicht schlimmen Schmutzes, Wohnung für den Wahn, Für Wut und Geilheit, Qual für jedes Menschen Herz, Du Abgrund aller Unbeherrschtheit, Falle du Und Werkstatt aller Lust, Sirene ohne Scham Und Schule leeren Lebens, Zunder aller Schuld, Vergnügte Strafe, Frohsinn voller Schädlichkeit, Gebrechlichs Leben! Fort mit euch, vom faulen Dreck Der Sünden tief entweihte Zung’, entweihter Fuß Und Hand und Auge, Herz, so vieler Frevel voll, Fallt ab von mir! Mit einem Tropfen seines Bluts Spült Christus jeden Vorwurf, jede Schuld von mir Hinunter, nimmt mich wieder als sein Eigentum. Ihr Scharen, die ihr Gott, dem Höchsten, dienet, nehmt Als Mitglied mich dazu, ich schließe mich euch an. O laßt uns alle gehen, alle, die das Heil Für immer wünschen, die ein solches Feuer faßt, O laßt uns alle gehn! Denn dort gibt’s Stufung nicht Nach Stand noch Reichtum oder Altersunterschied. Wer Gott am nächsten nahekommt im Glauben, der Mag allen anderen befehlen. Gott gefällt Ein solcher Streit, ein Herz, das nicht erträgt, besiegt Zu sein im Grad der Liebe und im Drang zu ihm. Geht weg, geht weg, die ihr das Hassen, Schlachten, Mord Ganz offen fördert, Untat häuft auf Untat, was Am besten euch, zumindest eure Leute treff ’. Geht weg, geht weg und laßt die brave Schar in Ruh, Die ihr zum schleichenden Cocytus Segel setzt Und eilt zu sinken, jede vorwerfbare Tat Und jeden Frevel – einer folgt dem andern – übt In toller Frechheit, eure Geilheit ohne Scham

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[C4r] Litatis et turpi stupro: hoc ipsum unicae Pignus salutis, ni reatuum piget, Vos judicabit, et flagellis impetet, Vestramque conscientiam. At tu fons boni, Origo pacis et salutis conditor, Maxime sacerdos, pastor, agnus, victima, Stabulum ostiumque, servus et dominus simul, Iudex et advocatus, omnia omnibus; O cordium lux alma, servo mî tuo Latus cruentum pande, pande vulnerum Dulces receßûs; recipe me totum tuum, Marcentis umbram pectoris sancti excita Flammâ vigoris, flagrat incensum siti Cor, atque gestit te frui: da sanguinem Tuum atque corpus avidus ore flammeae Fidei apprehendam, da salutarem cibum Potumque veris aestimem virtutibus Pretioque vero; ut ingerat fides mihi, Infirma quicquid denegabunt lumina. Benè est, abunde est, vota transcendi mea: Nescio quei animus amplius solito tumens Mortalitatis excidit metâ suae, Et ultra Olympi subvehit se sidera. Terrestre pignus non capit solidam fidem: Plus tendito ultra, mens mea, et Christum inveni Vbi invenitur, sentio in coelo, tuum. Confunde gaudio metum: quem amas cole, Verere quem optas; pasce te Domino tuo. Salus salutis, alma lux, quae cordium Tristes tenebras discutit, lux gentium Indulget ultrò seque concedit tibi. O dulce pignus, ô stupenda munera, Quae das fidelibus tuis, amor Patris, Amorque mundi: ô mysticum convivium. [C4v] Non panis es tu, Christe, non vinum quoque: Tu panis es salubris, et tu mentium Salubre vinum, tu fidem satias meam. O spes quieta, turris et rupes mea, Amice verae charitatis, dux, via Et vita nostra, pignore hoc et munere

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Und schlimme Hurerei betreibt: Er, der Garant Des einzigen Heils, sagt euch und eurem Schuldgefühl, Sofern ihr eure Sünden nicht bereut, den Spruch Des Urteils, geht auf euch mit Geißeln los. Doch du, Des Guten Quell, des Friedens Ursprung und des Heils Begründer, höchster Priester, Opfer, Lamm und Hirt Und Unterstand und Eingang, Sklav’ und Herr zugleich, Richter und Anwalt, du, der allen alles ist, Belebend Licht der Herzen, öffne deinem Sklaven, mir, Eröffne deine blutige Seite, öffne mir Die süßen Tiefen deiner Wunden, nimm mich ganz In dich. Fach meiner matten Seele Dunkelheit Mit Feuer heiliger Stärke an; es brennt mein Herz Vor Durst und will dich kosten; gib mir deinen Leib, Dein Blut, ich will sie mit dem Mund der Glaubensglut Begierig fassen, gib mir Speis und Trank des Heils – Ich will nach ihrer wahren Kraft, nach wahrem Wert Sie würdigen –, daß mir der Glaube einverleibt, Was von den schwachen Augen mir geleugnet wird. Ich bin zufrieden überaus, und mehr als ich Gewünscht, besitz’ ich. Irgendwie gerät mir, mehr Als sonst gefüllt, die Seele aus dem Ring der ihr Gemäßen Sterblichkeit und zieht noch weiter hoch, Als die Gestirne reichen. Irdisch Unterpfand Erfaßt nicht ganz den Glauben: Meine Seele, zieh Noch weiter, finde deinen Christus, wo er weilt, Ich spür’s: im Himmel. Mische Furcht und Freud’, verehr Und liebe, scheu und wünsch zugleich und weide dich An deinem Herrn. O Heil des Heils, o holdes Licht, Das unsrer Herzen trübe Nacht vertreibt! Das Licht Der Heiden gibt dir willig nach und tritt vor dir Zurück. O süßes Unterpfand, erstaunliches Geschenk, das du den dir Getreuen gibst. Geliebt Vom Vater, von der Welt! Geheimnisvolles Mahl! Nicht Brot bist du, o Christus, bist auch nicht der Wein: Du bist das Brot des Heils, der Seelen Wein des Heils Bist du, bist der, der meinen Glauben stillen kann. O ruhevolle Hoffnung! Turm und Fels für mich! Du Freund der wahren Liebe, unser Führer, Weg Und Leben, nähr mit diesem Pfande und Geschenk

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Animas tuorum pasce, firma debiles, Coecutientes excita, reduc vagos, Confunde linguas hostium, gentis tuae Solare rellictum gregem: donec polo Iuncti sciemus cuncta quae fides modò Scit sola, magnâ parte claudicans sui; Et intuebimur palam in Nato Patrem, In Patre Natum, utroque sanctum Spiritum.

*** ORATIO AD SERENISSIMVM AC POTENTIS SIMVM PRIN CIPEM

FRIDERICVM REGEM BO HEMIAE . Auctore MARTINO OPITIO SILESIO.

Typis G OTTHARDI V OEGELINI . [A2r] ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE.

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Q VAMVIS, Rex Serenissime, speratus iste tuus in haec regna ingressus publicâ et totius orbis Christiani laetitiâ celebrari meretur: tamen nos potissimum, quos tam clementer in sinum tuum recepisti, absque summo scelere tacere non posse arbitramur. Neque credo, ullum inter nos tam desperatae naturae, tam aversum à studio pacis, tam infensum saluti patriae esse, qui optatam electionem tuam ipsi

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Die Seelen deiner Treuen, stärk die Schwachen, mach Den Blinzelnden die Augen auf, die Schweifenden Geleite heim, verstör der Feinde Zungen, gib Der hinterlaßnen Herde deines Volkes Trost, Bis wir, dem Himmel eingegliedert, alles das Erfahr’n, was jetzt nur – stark gelähmter! – Glaube weiß, Und frei im Sohn den Vater anschaun, frei den Sohn Im Vater, frei in beiden ihren Heiligen Geist. [G.B.]

*** Rede an den allergnädigsten und großmächtigsten Fürsten Friedrich, König von Böhmen. Verfaßt von Martin Opitz aus Schlesien. Gedruckt bei Gotthard Vögelin.

Rede an Friedrich, König von Böhmen. Obwohl, durchlauchtigster König, dein erhoffter Einzug in diese Königreiche es verdiente, in öffentlicher Freude von der gesamten Christenheit gefeiert zu werden, meinen wir dennoch, daß gerade wir, die du so sanftmütig in deinen Armen aufgenommen hast, nicht ohne größte Schande schweigen können. Ich glaube auch nicht, daß einer unter uns von so verzweifelter Natur ist, so sehr gegen den Eifer für den Frieden, so feindlich gegen das Wohlergehen des Vaterlandes, daß er deine überaus glückliche Wahl nicht dem Himmel selbst zuschreiben und dieses Werk Gottes nicht mit dankbarem Geist erkennen würde. Es schienen allerdings

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coelo non imputet, et opus hoc D EI gratâ mente agnoscat. Videbantur quidem te eximiae virtutes tuae, suffragia maximae Imperii partis, tot regum ac principum amicitiae, et fatalis quaedam harum regionum erga te inclinatio ad fastigium hoc ducere: deplorandi tamen statûs nostri conditione moti, teipsum quoque tam invidiosum honorem detrectaturum non pauci existimabant. Nunc supremus ille arbiter, qui corda regum in manu habet, inclinatum aliàs ad clementiam animum tuum direxit, et tibi quidem nos affli-[A2v]ctos pupillos, nobis verò te tutorem ac parentem asscivit: quo an illustrior vnquam fuerit, nescio; digniorem certè seculum hoc non invenit. Sive enim antiquissimam familiam tuam, sive vitam spectemus; illius splendorem omnes historiae, omnia annalium monumenta loquuntur: tantas autem virtutes Deus immortalis in te congessit, ut nisi tam regale genus ortum tuum vendicaret, iis solis sceptra aequare posses et imperia. Commendat aliquem humanitas; majestas destituit et gravitas: ille insignis est pace; at sagum minus decenter gestat: alius integritatem quam foris probat, in umbrâ voluptatis confodit. Nemo denique existit vspiam, cujus moribus vestigium aliquod naevi non sit impressum. In te quod culpent, liberè loquor, ipsi hostes non inveniunt. Omnis vitae tuae ambitus, R EX , speculum innocentiae est; ac facilius dixerim quid tota sit virtus, quam quid tua. Pietatis laudem nemo tibi detrahat nisi impius: quae sola invictam aliàs mentem tuam vicit, quâque tantum ultrà reliquos principes conspicuus es, quantum illa ultrà omnes alias virtutes. Religionis amor, sine quo nemo unquam ma-[A3r]gnus fuit, cum ipsa haereditate ad te transiit: cujus vindicatio proprium familiae vestrae opus, cuius arx et sedes eadem quae vestra Haidelberga est; celeberrima Academia, tam quod te, quam quod illam fovit. Quid de prudentiâ, imperatrice humanarum actionum, dicam, quâ captum annorum supergrederis? Quis te rectius praesentia ordinat, futura providet, anteacta recordatur? Quis ad evitandas fraudes cautior? Quis in consiliis circumspectior? Vitae spatio nondum aequas viros; superas tamen senes judicio. AEtate sensim ut nos proficis; at festinas virtute. AEvi immaturus es, at maturus imperio. Excusavit hactenus, R EX Prudentissime, infirmitatem sapientiae annorum paucitas: nunc praeter augustam indolem tuam, in quam nihil mediocre cadit, quid adolescentiam defendet? Quàm difficile est in hac aetate suam capere fortunam! Cepi-

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deine außerordentlichen Tugenden, der Beifall des größten Teils des Reiches, die Freundschaft so vieler Könige und Fürsten und jene vom Schicksal bestimmte, auf dich gerichtete Neigung dieser Gegenden dich in diese Höhe zu führen. Dennoch meinten nicht wenige, angesichts des bejammernswerten Zustands unserer Lage, du selbst würdest dich der beneidenswerten Ehre entziehen. Nun hat jener oberste Richter, der die Herzen der Könige in der Hand hält, dein auch ansonsten zur Milde neigendes Gemüt gelenkt und hat dir uns als überaus gepeinigte Waisen, uns aber dich als Beschützer und Vater beschieden. Ob jemals ein Berühmterer gewesen, weiß ich nicht, einen Würdigeren findet dieses Jahrhundert sicherlich nicht. Denn ob wir auf deine altehrwürdige Familie schauen oder auf dein Leben, alle Geschichtswerke und alle Zeugnisse der Annalen reden von deren Glanz. So große Tugenden hat der unsterbliche Gott aber in dir vereinigt, daß, auch wenn nicht ein so königliches Geschlecht deine Herkunft für sich beanspruchen würde, du durch sie allein Szepter und Herrschaft aufwiegen könntest. Den einen empfiehlt die Menschlichkeit, Majestät und Würde fehlen. Jener ist herrlich in Friedenszeiten, den Kriegsmantel trägt er weniger gut. Der andere begräbt die Redlichkeit, die er in der Öffentlichkeit lobt, im Schatten der Wollust. Nirgendwo gibt es einen, in dessen Charakter nicht die Spur eines Makels geprägt ist. In dir aber, ich rede frei, finden selbst die Feinde nichts, was sie tadeln könnten. Der gesamte Lauf deines Lebens, König, ist ein Spiegel der Unschuld, und leichter könnte ich sagen, was Tugend insgesamt sei, als was die deinige ist. Das Lob der Frömmigkeit nehme dir niemand als der Unfromme; Frömmigkeit allein besiegte deinen ansonsten unbesiegbaren Geist, und durch diese bist du so sehr vor den anderen Herrschern ausgezeichnet, wie sie über allen anderen Tugenden steht. Die Liebe zur Religion, ohne die noch nie ein Mensch edel gewesen ist, ist mit dem Erbe selbst auf dich gekommen: Deren Verteidigung ist das charakteristische Werk eurer Familie, deren Festung und Sitz identisch mit eurem Heidelberg ist, nämlich die hochberühmte Akademie, weil sie dich ebenso wie diese begünstigt. Was soll ich über die Klugheit sagen, die Herrscherin über menschliche Taten, durch welche du die Fähigkeiten deines Alters überschreitest? Wer ordnet besser als du die Gegenwart, sieht die Zukunft voraus und erinnert an das Vergangene? Wer ist vorsichtiger, Unheil zu vermeiden? Wer ist umsichtiger in den Beratungen? Was dein Alter anbelangt, erreichst du noch nicht die Männer, durch deine Urteilskraft übertriffst du dennoch die Alten. In deinem Alter rückst du, wie wir, langsam voran, aber du eilst hinsichtlich deiner Tugend. An Jahren bist du unreif, für die Herrschaft aber bist du reif. Bislang, klügster König, hat der Mangel an Jahren die Unsicherheit der Weisheit entschuldigt: was wird nun, außer deiner erhabenen Begabung, in die nichts Mittelmäßiges fällt, die Jugend verteidigen? Wie schwierig ist es, in diesem Alter sein Schicksal zu ergreifen. Den-

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sti tamen, et hujus rei tantò majus documentum nuper edidisti, quanto majus est oblatum imperium deprecari, quam denegatum invadere. Nunc postquam receperis, quid dubitamus, eadem moderatione te defensurum quâ recusasti? Tam sublime ingenium dissimile sibi esse non potest. Sed [A3v] humanitas tua, Deus bone, quàm ex ipsis oculis tuis elucet! Alter Trajanus es; nemo à vultu tuo discedit tristior: nemo qui justitiam tuam sentit, queritur de saevitiâ. Imò alter Augustus es, quem dare poenas apparebat cum exigeret. Nihil, Princeps indulgentissime, fortunae tuae obtigit laudabilius, quam quod possis; nihil naturae, quam quod velis; servare plurimos. Perge, R EX , mereri pulcherrimam coronam O B C IVES S ERVATOS. Macte hac gloriâ, quae quò in regiâ domo rarior, eò in tuâ erit eminentior. Desidero novum nomen, quo tam inusitatam modestiam majestatis tuae exprimam. Quam facilis ad te unicuique aditus, quam laetus recessus! Accedunt ad principem, inveniunt patrem; et cum querelas fidenter apud te deponant, finem quisque sermoni non ex tuo fastidio facit, sed ex suo pudore. Tam mira comitas, tam civile tuum ingenium est, ut etiam invitos tibi devincias. Vultus ipse augustâ hilaritate conspicuus quàm insolitam mansuetudinem promittit! Nec lenitas authoritati, nec severitas amori officit. Nihil in te superbum, nihil insolens. Omnis tuus status, incessus, motus, amabilis est. Et animos spectatorum et oculos [A4r] recreas. O modestum regem, ô submissum principem! aut sublimem potius et fastigium mortalitatis excedentem. Nunquam enim assurgis altius, quam cum sic te deprimis. Quicquid grave est, in imo subsidit: inanis animus quavis aurâ se tollit. Et haec quidem magna sunt omnia; non minora tamen, quibus ad ea pervenisti. Admiranda dico vitae frugalitas, contemptus voluptatum, et divina praeter aetatis ingenium temperantia. Ostendant alii libertatem potentiae peccandi licentiâ, moveantur in adulteris amplexibus, transigant noctes libidine, dies helluationibus: tu totus totus sobrietas es et continentia. Oportet itaque summas esse virtutes, quae â tam puro et illimi fonte dimanarunt. Accedit his amor etiam studiorum et scientiae; quae quanti facias, tot literati circa te viri abundè testantur. Vt praeteream illud sanctuarium eruditionis, Bibliothecam stupendae magnitudinis; quam sustentasse non contentus, auges insuper novus Philadelphus et exornas. Neque linguarum peritiam attingo; quas tu aliquot tam feliciter exprimis, ut una-

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noch hast du es ergriffen und hast jüngst einen Beweis dafür erbracht, der so viel größer ist, als es erhabener ist, die angebotene Herrschaft demütig abzulehnen, als die verweigerte Herrschaft zu erobern. Jetzt, nachdem du sie angenommen hast, was sollen wir zweifeln, daß du sie mit derselben Mäßigung verteidigen wirst, mit der du sie zurückgewiesen hast? Solch erhabenes Wesen kann sich nicht selber unähnlich sein. Aber deine Menschlichkeit – guter Gott –, wie sehr leuchtet sie aus deinen Augen selbst hervor! Du bist ein zweiter Trajan, niemand verläßt dein Angesicht trauriger, niemand, der deine Gerechtigkeit fühlt, klagt über Grausamkeit. Ja, vielmehr bist du ein zweiter Augustus, der sich zu strafen schien, wenn er Strafen forderte. Nichts Rühmenswerteres, gnädigster Fürst, wurde deinem Schicksal zuteil, als daß du viele Menschen schützen kannst, und nichts Rühmenswerteres wurde deinem Wesen zuteil, als daß du so viele schützen willst. Fahre fort, König, die herrlichste Krone für die Rettung der Bürger zu verdienen. Gepriesen sie dein Ruhm, der, je seltener er in einem königlichen Hause ist, um so strahlender in deinem sein wird. Mir fehlen die Worte, mit denen ich die ungewöhnliche Mäßigung deiner Majestät ausdrücken kann. Wie leicht ist es für jedermann, sich an dich zu wenden, wie fröhlich gestimmt verläßt man dich. Sie nähern sich einem Fürsten und finden einen Vater, und wenn sie ihre Klagen zuversichtlich bei dir abladen, beendet ein jeder seine Rede nicht aufgrund deines Widerwillens, sondern aufgrund seiner eigenen Scheu. Deine Güte ist so wunderbar, dein Wesen so zuvorkommend, daß du sogar die Widerstrebenden dir verpflichtest. Welch ungewöhnliche Milde verspricht dein von erhabener Heiterkeit kündendes Antlitz! Weder beeinträchtigt die Milde die Autorität noch die Strenge die Liebe. Nichts an dir ist hochmütig, nichts unmäßig. Dein Stand, dein Gang, deine Bewegung: alles ist liebenswert. Du erquickst sowohl die Gemüter als auch die Augen derer, die dich sehen: den so bescheidenen König, so demütigen oder vielmehr so erhabenen Fürsten, der die Grenzen der Sterblichkeit überschreitet. Niemals nämlich erhebst du dich höher, als wenn du dich so zu uns herabläßt. Was immer gewichtig ist, senkt sich zu Boden, ein leerer Geist aber erhebt sich durch jegliches Lüftchen. All dies ist in der Tat schon großartig, nicht geringer jedoch, wodurch du dazu gelangt bist. Ich meine die bewundernswerte Mäßigkeit deiner Lebensführung, die Abscheu vor Sinnesgenuß und die großartige, über die Natur deiner Altersstufe hinausreichende Selbstbeherrschung. Mögen andere die Freiheiten der Macht durch das Vorrecht zu sündigen beweisen, durch ehebrecherische Umarmungen erregt werden, die Nächte mit Ausschweifungen verbringen, die Tage mit Völlerei: Du bist ganz und gar Nüchternheit und Enthaltsamkeit. Es müssen deshalb die höchsten Tugenden sein, die einer so reinen und klaren Quelle entspringen. Zu jenen gesellt sich auch deine Liebe zu Studien und Wissenschaften; wie sehr du dich mit diesen beschäftigst, bezeugen im Überfluß so viele gebildete Männer, die dich umgeben. Ganz zu

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quaeque tibi videatur nativa. Longè hic Alexandro felicior; qui cum tot populos subegisset, vix unum intelli-[A4v]gebat. Et ista ex infinitâ virtutum tuarum serie delibasse sufficiat: veram earum commendationem illis linquemus, quorum confidentia et dicendi temeritas iisdem quibus aeterna laus tua limitibus terminatur; quam, ut marmora desint et libri, intimis civium tuorum animis aureo charitatis caelo insculpsisti. His oculis vidimus, quam tristi laetitiâ abeuntem te senes et juvenes, viri pariter ac foeminae prosequebantur: ita salus publica, et privata orbitas diversis affectibus gaudium simul et moerorem committebant. Credidisses singulos suo parente privari. Nondum abieras, Princeps desideratissime, et reditum flagitabamus. Ipse Nicer clementissimus fluviorum jam, qui olim Romanis, barbarus sibi videbatur. Ipsa haec augusta sedes tua, haec templa, hae turres, moestâ quadam specie Solem suum prosequebantur. Ne de hominibus dicam: quorum ingens multitudo cum passim se effuderat, in vastâ solitudine deseri tamen se quisque existimabat. Certatim suspiria erumpebant et lachrymae: corpore non adeò multi; animo votisque, quia non licebat aliter, proficiscentem omnes comitabantur. Quid conjux tua, haeres nominis et virtutum [B1r] ingentis illius Elizabethae? Videbatur sibi Britanniâ denuò exire: hoc vno laeta, quod tecum. Quàm plus solito lacteam faciem pictor genarum rubor infecerat! quàm violaverat pius imber oculos clariores astris extra Lunam splendentibus! Valedicebant gemitus, quia verba non sufficiebant. Tibi ipsi autem dubito majorne pietas moram an iter suadebat. Relinquebas matrem, summam heroinam; superiorem sic tamen, quod te genuit. Relinquebas liberos, hoc est, magnam cordis tui partem. Relinquebas subditos, quorum vnusquisque et vivere optaret tecum et mori. Ibas à pace ad bellum, à notis ad peregrinos, à pacatissimo Rheni littore ad manantem incolarum suorum sanguine Muldam, à vinetis et invidendae pulchritudinis horto ad campos latrociniis cyclopum et suorum cadaveribus squallentes, ab arce amoenissimâ ad vastam quidem, desolatam tamen et spoliatam quasi regiam. Infelix

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schweigen von jenem Heiligtum der Bildung, die Bibliothek von unglaublicher Größe, die du, nicht zufrieden damit, sie zu bewahren, als ein neuer Philadelphos vergrößerst und reich ausstattest. Und auch deine Kenntnis der Sprachen berühre ich nicht, von denen du einige so glücklich sprichst, daß eine jede dir Muttersprache zu sein scheint. Hierin bist du weitaus glücklicher als Alexander, der, obwohl er so viele Völker unterworfen hatte, kaum eines verstand. Es möge genügen, dies aus der unendlichen Reihe deiner guten Eigenschaften berührt zu haben; ihre wahre Lobpreisung werden wir jenen überlassen, deren Zuversicht und Mut in der Rede von denselben Grenzen bestimmt wird wie dein ewiger Ruhm. Diesen Ruhm, mögen auch Marmorstatuen und Bücher noch fehlen, hast du mit dem goldenen Stichel der Liebe tief in die Herzen deiner Bürger eingegraben. Mit unseren eigenen Augen haben wir gesehen, mit welch trauriger Freude dir, dem Scheidenden, Alte wie Junge, Männer ebenso wie Frauen folgten. So fügten öffentliches Wohlergehen und persönlicher Verlust mit gemischten Gefühlen Freude und zugleich Trauer zusammen. Man hätte meinen können, ein jeder sei seines Vaters beraubt. Du warst noch nicht gegangen, schmerzlich vermißter Fürst, und wir erflehten deine Rückkehr. Selbst der Neckar, der lieblichste aller Flüsse, schien schon, wie einst den Römern, sich selber öde. Selbst deine erhabene Wohnstätte, diese Kirchen, diese Türme folgten ihrer Sonne mit trauriger Miene. Ich will gar nicht von den Menschen sprechen, deren ungeheure Menge, während sie allenthalben überströmte, glaubte, daß dennoch ein jeder in öder Einsamkeit zurückgelassen werde. Um die Wette brachen Seufzer und Tränen hervor. Deine Begleiter waren nicht sehr viele an der Zahl; doch im Geiste und mit Wünschen, weil anders nicht möglich, gingen alle mit dem Scheidenden. Was war mit deiner Gattin, der Erbin des Namens und der Tugenden jener außergewöhnlichen Elisabeth? Es schien ihr, daß sie Britannien von neuem verließe – allein deshalb mit Freude, weil es mit dir war. Wie hatte ihr die Röte, Malerin der Wangen, mehr als gewöhnlich das milchweiße Antlitz überzogen. Wie hatte ein frommer Tränenstrom ihre Augen versehrt, die heller sind als die in mondloser Nacht leuchtenden Sterne. Seufzer sagten Lebewohl, weil Worte nicht ausreichten. Bei dir selber aber weiß ich nicht, ob dir größeres Pflichtbewußtsein zum Bleiben oder zur Reise riet. Du hast die Mutter zurückgelassen, die größte Heldin – größer aber noch, weil sie dich geboren hat. Du hast die Kinder zurückgelassen, das heißt, einen großen Teil deines Herzens. Du hast die Untertanen zurückgelassen, von denen ein jeder sich wünschte mit dir sowohl zu leben als auch zu sterben. Du gingst vom Frieden zum Krieg, von den Bekannten zu Fremden, vom überaus friedlichen Ufer des Rheins zur Moldau, die vom Blut ihrer Einwohner überläuft, von Weinbergen und einem Garten von beneidenswerter Schönheit zu Feldern, die besudelt sind von den Raubzügen der Zyklopen und den Leichen ihrer Spießgesellen, vom lieblichsten

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mutatio: nisi et regiae splendorem, et agris ver perpetuum, et Muldae tranquillitatem, et peregrinis amicum, et militantibus pacem reduceres.

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Venis itaque in hanc scenam, in tragoediam intricatissimam, verè deus è machinâ. [B1v] Vicit iter durum pietas: vicit amor nostri aspera Bohemiae juga, quibus illam natura vallavit: vicit tua clementia loci inclementiam. Multò laetiore auspicio, quàm cum olim fortissimus ducum Hannibal confusas coelo Alpium nubes superaret. Illius enim aspectu tota Italia quasi fulmine quodam contremuit: tuo sedatur tempestas, venti ponuntur, tranquilla fiunt omnia et serena. Ille militum turmas adduxit, vt Romanos exscinderet: tu eosdem Comites habes vt nos serves. Ille gladios in Vrbem acuerat: tuo nutu inimicorum enses velut hebescunt. Illi immane et juratum odium, tibi amor incredibilis viam aperuit. Ille natus ad mortalium caedes, ad vastationem vrbium videbatur: tu bono reipublicae natus es. Ille cum portis imminebat, metum excitabat et horrorem: te in tot Imperatorum ac regum sedem vel oculis ferre gestiunt. Illum pavidae matres, pueri, virgines, foeminae virique fugiebant: tibi procedunt obviam. Illius praesentiam planctu detestabantur et ejulationibus: tuam exultatione celebrant et laetitiâ. Vix pares sunt gaudio, qui superfuerunt moerori. Credo etiam, si vllus rerum mortalium sen-[B2r]sus defunctis relinquitur, incredibili hilaritate perfundi; et operaepretium fecisse moriendo sibi omninò videri, beatos eorum manes, quotquot hactenus libertati publicae cruore suo litaverunt. O te regem, non hoc solum, sed totius orbis imperio dignum, dignum favore, dignum admiratione etiam hostium! O te pium Principem, quem non felicitas nostra et res secundae, sed ipsa fortunae atrocitas et impressa nobis vulnera ad capessendum diadema solicitavit! O te felicem! non quia jam hostium furorem totum superasti; sed quia felicitatem mereri omnibus videris. O faustum diem, qui te et in lucem produxit, et regno huic primus destinavit: qui tanti herois natalis, alter etiam noster natalis esse incipit: qui et tam augustum virtutis domicilium edidit, et vniverso orbi Christiano consecravit! Salve Domine: Non enim

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Schloß zu einer zwar gewaltigen, aber zerstörten und gleichsam ausgeraubten Königsburg. Eine unglückliche Veränderung – wenn du nicht der Burg Glanz, den Äckern ewigen Frühling, der Moldau Ruhe, den Fremden einen Freund und den im Feld stehenden Soldaten Frieden brächtest. So betrittst du diese Szene, diese vertrackte Tragödie, wahrlich wie ein Deus ex Machina. Frömmigkeit siegte über die harte Reise: Deine Liebe zu uns siegte über die rauhen Berge Böhmens, mit denen die Natur es verschanzte. Deine Sanftmut siegte über die Schroffheit des Ortes – unter viel glücklicheren Vorzeichen, als einstmals Hannibal, der tapferste der Feldherren, die mit dem Himmel verschmelzenden Wolkenberge der Alpen überwand. Vor dessen Anblick nämlich erzitterte einst ganz Italien wie vor einem Blitzschlag: Durch deinen Anblick wird der Sturm beruhigt, werden die Winde zur Ruhe gebracht und alles wird ruhig und heiter. Jener führte Haufen von Soldaten herbei, um die Römer zu vernichten, du hast ebensolche Begleiter, um uns zu schützen. Jener hatte die Schwerter gegen die Stadt Rom geschärft, die Schwerter der Feinde werden gleichsam stumpf durch dein Kopfnicken. Ihm öffnete ungeheurer, geschworener Haß den Weg, dir unfaßbare Liebe. Jener schien geboren zu sein, Menschen zu erschlagen und Städte zu verheeren, du bist zum Nutzen des Gemeinwesens geboren. Als jener sich drohend den Toren näherte, erregte er Furcht und Schrecken: Dich wünscht man sehnsüchtig selbst mit den Augen auf den Thron so vieler Kaiser und Könige zu tragen. Vor jenem flohen ängstlich Mütter, Knaben, Jungfrauen, Frauen und Männer, dir kommen sie freundlich entgegen. Seine Gegenwart verfluchten sie durch lautes Wehklagen und Jammern, deine feiern sie mit Ausgelassenheit und Freude. Kaum sind diejenigen ihrer Freude gewachsen, die die Trauer überwunden haben. Ich glaube sogar, wenn irgendeine Empfindung irdischer Angelegenheiten den Toten übrigbleibt, daß die glückseligen Seelen derer, die bislang mit ihrem Blut der allgemeinen Freiheit geopfert haben, von unglaublicher Heiterkeit durchdrungen werden und meinen, durch ihren Tod etwas ganz Wertvolles geleistet zu haben. Nicht allein dieser Herrschaft bist du würdig, o König, sondern du bist würdig der Herrschaft über den gesamten Erdkreis, würdig des Beifalls, würdig sogar der Bewunderung der Feinde. O frommer Fürst, den nicht unser Erfolg und glückliche Umstände, sondern die Grausamkeit des Schicksals selbst und die uns zugefügten Wunden bewogen, die Krone zu ergreifen. O du Glücklicher, nicht weil du schon den Zorn der Feinde gänzlich überwunden hast, sondern weil du allen dein Glück zu verdienen scheinst. O glücklicher Tag, der dich ans Licht geführt und als erster für diese Herrschaft ausersehen hat, der, als Geburtstag eines so großen Helden, auch unser zweiter Geburtstag zu sein beginnt; der eine so er-

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rejecimus imperium, sed imperantem saevitiam. Parere possumus, tyrannidem perferre non possumus. Serviemus tibi, vt liberi simus. Salve Rex, Salve Pater Patriae, Salve delitiae generis humani. Pro te, illustre aevi decus, pro tuâ incolumitate Vota susci-[B2v]pimus: nam te imperante de nostrâ sumus securi. Concedat tibi Deus, vt manu tuâ nutantia reipublicae pondera fulciantur et restituantur; vt compos fias voti quod tantopere Octavius olim expetebat, vt dicaris O PTIMI S TATVS A VCTOR. Sera demum aetas vela regni tui contrahat, quae tam ferente Zephyro Juvenis adhuc explicas. Auferas tecum aliquando moriens hanc spem, mansura in vestigio suo fundamenta quae jeceris. Salve et tu Regina, filia Herois, cujus laudes angustias seculi excedunt; qui profundam rerum scientiam inauditae prorsus regnandi sapientiae junxit; qui Scotiae Angliam felici sidere adjecit. Salve conjux ejus, qui nostras quoque regiones suis nunc sociat, aequali gloriâ, vtinam et fortunâ. Salve par Dei hominumque consensu lectissimum. Salve Sol et Luna nostra. Quàm suave civibus videre quem dominum, militibus quem ducem tanto cum desiderio expectabant? Quàm jucundum, R EX , percipere divini oris tui voces illas? Susceptionem regni ab amore pacis esse non imperii; trahi te in has turbas, minimè duci; modestiam recusantis ab of-[B3r]ferentium pertinacitate victam, securitatem publicam quieti tuae antevertisse: leve admodum populos expetere, defendere non item: et penè melius esse imperium etiam jure tuum deserere, quàm novum sanguine civium occupare: Caeterum quando sine periculo nec possideri jam Sceptrum, nec deseri possit, nostram sortem tuam esse: Itaque te anniti velle, vt alium regem dum viveres non desiderare necesse sit.

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Novimus, Princeps Sacratissime, novimus, invitè regnum te adiisse, quod invitè relictum est: coacti etiam, non vltrò, qui tuam clementiam non ignorabamus, imploravimus fortitudinem. Testamur Deum et homines; Compulsi arma sumpsimus, ad asserendam salutem patriae; libertatem etiam infimis gentium permissam; religionem denique, cui omnes aliae causae meritò postponuntur; cujus-

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habene Wohnstätte der Tugenden hervorbrachte und diese dem gesamten christlichen Erdkreis weihte. Sei gegrüßt, Herr: Wir haben nämlich nicht die Herrschaft zurückgewiesen, sondern die herrschende Grausamkeit. Wir können gehorchen, die Tyrannei ertragen können wir nicht. Wir werden dir dienen, um frei zu sein. Sei gegrüßt, König, sei gegrüßt, Vater des Vaterlandes, sei gegrüßt, Freude der Menschheit. Für dich, glänzende Zier des Zeitalters, für deine Unversehrtheit beten wir, denn wenn du über uns herrschst, sind wir sicher. Möge Gott dir zugestehen, daß unter deiner Hand das schwankende Gebäude des Staates gestützt und wieder aufgerichtet werde, damit dir der Wunsch erfüllt werde, den einstmals Octavius so sehr hegte, daß man sage: OPTIMI STATUS AUCTOR – Errichter des besten Zustandes. Schließlich möge erst das hohe Alter die Segel deiner Herrschaft zusammenraffen, die du nun in der Jugend bei einem so günstigen Fahrtwind entfaltest. Sterbend sollst du einst die Hoffnung mit dir nehmen, daß die Fundamente, die du gelegt hast, an ihrem Platz bleiben. Sei auch du gegrüßt, Königin, Tochter eines Helden, dessen Ruhm die Enge des Zeitalters übertrifft, der tiefe Kenntnisse mit einer ganz unerhörten Weisheit des Herrschens verbunden hat und der unter einem günstigen Stern England an Schottland fügte. Sei gegrüßt, Gattin desjenigen, der auch unsere Gegenden nun den seinigen hinzufügt, mit gleichem Ruhm und hoffentlich mit gleichem Glück. Sei gegrüßt, vortrefflichstes Paar, das ihr mit Zustimmung Gottes und der Menschen seid. Seid gegrüßt, unsere Sonne und unser Mond. Wie ergötzlich ist es für die Bürger, den Herrn zu sehen, wie ergötzlich für die Soldaten, den Führer zu sehen, den sie mit so großem Verlangen erwarteten! Wie angenehm, König, aus deinem göttlichen Mund jene Worte zu hören: daß die Übernahme des Königtums der Liebe zum Frieden entspringt, nicht der Liebe zur Herrschaft; daß du in diese Auseinandersetzungen gezogen, keineswegs geführt wirst; daß die Bescheidenheit des Zurückweisenden von der Beharrlichkeit der Anbietenden besiegt wurde; daß du die allgemeine Sicherheit deiner Ruhe vorgezogen hast, daß es ganz leicht ist, Völker zu begehren, jedoch nicht, sie zu verteidigen; und daß es beinahe besser ist, ein Reich aufzugeben, das selbst durch das Gesetz dir zusteht, als ein neues mit dem Blut der Bürger zu gewinnen; daß im übrigen, da ohne Gefahr weder mehr das Szepter ergriffen noch abgelehnt werden kann, unser Schicksal das deinige ist, und daß du dich deshalb darum bemühen willst, daß es nicht notwendig ist, einen anderen König zu wünschen, solange du lebst. Wir wissen, heiligster Fürst, wir wissen, daß du die Herrschaft unfreiwillig angetreten hast, weil sie unfreiwillig abgetreten wurde. Ebenso erflehten wir, die wir deine Milde lange gut kannten, unter Zwang, nicht freiwillig, deine Tapferkeit. Wir schwören bei Gott und den Menschen: Gezwungenermaßen haben wir die Waffen ergriffen, das Wohlergehen des Vaterlandes zu schützen, die Freiheit, die

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que apud ipsos olim gentiles tam sacrum nomen erat, vt vastantibus Romam Gallis Senonibus, L. Albunius è plebe homo, virgines Vestae nudo pede fugientia sacra comitantes, depositis vxore et liberis, in plaustrum receperit. Adeò tum quoque in vltimis, religio publica privatis affectibus antecellebat. [B3v] Corpore attentari et fortunis, grave; conscientiâ, intolerabile est. Libertatis verò hanc indolem videmus, vt eam nemo bonus nisi cum animâ amittat. Sicuti feris postquam caveas fregerunt, crescere vires solent et quasi duplicari: sic animositatem, cujus laudem nemo vnquam nobis eripuit, dissimulare gens nostra non potuit diutius; accedente ad odium crudelis erga nos consilii, desiderio conclamatae libertatis; quae vt acquiratur, semper licitum est iis, quibus illa et naturâ innata, et privilegiorum pondere confirmata, et juramenti sanctitate promissa est. Scimus equidem, sufficere subditis laudem oboedientiae; bonos principes optandos, caeteros si contingant ferendos esse. Verùm ista haudquaquam nos concernunt. Non enim rebellandi animo, sed flagitatione extremae necessitatis; non privatâ conspiratione, sed vnanimi omnium consensu; non contemptu magistratûs, sed provocatione infandae machinationis; arma post incredibilem patientiam corripuimus: nec adversus Regem, sed dolos sanguinariorum, qui fidem non servandam esse, cujus damna [B4r] majora tamen sunt quàm quae aestimari possint, palam prae se ferunt; qui perjuriis tempus fallunt, vt pueri astragalis. Scimus tandem diffidere lugubribus exemplis moniti. Novimus quàm saevum fulmen ab arce Tarpeâ mittatur; cujus Jupiter potestates et imperia obiter transcribit, et oblectationis ergò animas damnat. Husso regni hujus civi quantum praesidii fuerit etiam in salvo conductu Caesaris, quis est qui nesciat? Lutherum non levior tempestas deprehendisset Wormatiae, nisi et Imperator hanc maculam nomini suo inuri noluisset, et Ludovicus majorum tuorum clementissimus repugnasset.

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auch den geringsten unter den Völkern gestattet ist, und schließlich die Religion, der zu Recht alle anderen Gründe hintangestellt werden und deren Name einst sogar bei den Heiden so heilig war, daß L. Albinius, ein Mann aus dem Volk, als die gallischen Senonen Rom verwüsteten, die vestalischen Jungfrauen, welche barfuß die geweihten Gegenstände auf der Flucht begleiteten, in seinen Wagen aufnahm, nachdem er Frau und Kinder abgesetzt hatte. So sehr pflegte damals, auch bei den Geringsten, die öffentliche Religion die persönlichen Gefühle zu übertreffen. Am Körper und an Gütern Schaden zu nehmen ist schwer zu ertragen, am Gewissen Schaden zu nehmen ist unerträglich. Die Natur der Freiheit aber ist, wie wir sehen, tatsächlich so geartet, daß kein rechtschaffener Mann sie verlieren kann, es sei denn zusammen mit seinem Leben. So wie bei wilden Tieren, nachdem sie den Käfig zerbrochen haben, die Kräfte zu wachsen und sich gleichsam zu verdoppeln pflegen, so konnte unser Volk den Mut nicht länger verbergen, dessen Ruhm uns niemand jemals genommen hat.Und dabei kam zu dem Haß auf den gegen uns gerichteten grausamen Beschluß die Sehnsucht nach der laut beklagten verlorenen Freiheit, welche sich zu verschaffen jenen immer erlaubt ist, denen sie sowohl durch die Natur angeboren als auch durch das Gewicht der Gesetze bestätigt und durch die Unverletzlichkeit der Rechtssatzungen zugesichert worden ist. Wir wissen allerdings, daß den Untertanen der Ruhm des Gehorsams zusteht, daß gute Fürsten wünschenswert sind, daß andere, wenn sie vom Schicksal beschieden sind, zu ertragen sind. Doch diese Dinge betreffen uns keineswegs. Denn nicht aus dem Geist der Rebellion heraus, sondern aus der Forderung äußerster Notwendigkeit, nicht durch Verschwörung eines kleinen Kreises, sondern durch einträchtige Übereinstimmung aller, nicht aufgrund Geringschätzung der Obrigkeit, sondern wegen der Herausforderung durch unsägliche Machenschaften haben wir nach schier unglaublicher Geduld die Waffen ergriffen; nicht gegen den König, sondern gegen die Betrügereien blutrünstiger Mörder, die öffentlich zur Schau stellen, daß Versicherungen nicht einzuhalten sind, wo deren Preisgabe doch größer ist, als man annehmen könnte, die mit Meineiden sich die Zeit vertreiben wie Jungen mit dem Würfelspiel. Wir haben schließlich zu mißtrauen gelernt, durch traurige Beispiele gewarnt. Wir wissen, welch gewaltiger Blitzschlag vom Tarpeischen Felsen geschickt wird; diese Macht und Herrschaft überträgt Jupiter nebenbei und verdammt die Seelen zur eigenen Ergötzung. Wer wüßte nicht, welch geringer Schutz Hus, einem Bürger dieses Königreiches, sogar im vom Kaiser zugesagten freien Geleit zuteil wurde? Ein nicht leichterer Sturm hätte Luther in Worms überrascht, wenn nicht sowohl der Kaiser nicht gewollt hätte, daß ein solcher Makel seinen Namen befleckte, als auch Ludwig, dein überaus milder Vorfahr, Widerstand geleistet hätte.

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Non absimili multùm ludo nos includere volebant praeter caeteros ii, qui dominos gentium sicâ et patritiis artibus invadunt; qui per sanguinem regum et parricidia inclarescunt; qui scelere super omnia facinora horribili fulmen illud belli Henricum Magnum, quem totius patriae moles incumbens non moverat, lanienae temerarii nebulonis subjecerunt; qui socerum tuum, incomparabilem Britanniae Monarcham, flammis et sulfure parietibus regni illidere conati sunt; qui [B4v] in caedibus ac latrociniis, animae salutem verti sibi et aliis persuaserunt; qui trucidare inopes, insontes damnare, equuleo, igne, gladio tollere, vivos (parsimonia scilicet humani sanguinis) sepelire, qui divina et humana confundere per lusum et jocum solent. Hi in aulas magistratûs nostri penetraverant primò, deinde in animum. Hi in omnibus consiliis sententias dirigebant: hi fraudes, dissimulationes, perfidiam, sine quibus rectè neminem imperare docent, miscebant. Hi laverniones decantatum illud V RE , S ECA , superioribus momentis omnibus insusurrabant. Horum mendaciis ac fallaciis, quasi praeclaris artibus, regebamur. Accedebant Sejani aliquot, mali consultores: his ambitione et eminendi libidine prurientibus, nullum genus perfidiae nimium erat. Itaque violata templa et obserata; privilegiis vis illata; innocentes carceribus intrusi, variisque modis mulctati; aditûs ad principes praeclusi; decreta divi Rodulphi elusa; aliter sentientium quidam minis tentati, quidam dignitatibus aut praemiis depravati; ruptum fas gentium; respublica velut diluvio inundata; et religio miris dolis turbata est. Nos ro-[C1r]gare obtestari, flere, supplicando sine vllâ missione instare, et laborem spe otii sustentare. Sed frustra. Vbivis tutius fuimus quàm domi, et irritis precibus nihil profecimus, nisi vt nos rogando, illi audiendo defatigati sint. Cum itaque lenitudine nihil proficeremus, et graviora tanquam ex facili tolerantibus indies imponerentur, consumptâ omnis patientiae materiâ, quosdam eorum perfunctoriè reprehendimus. Hinc faces belli, quod turbatores pacis tantoperè quaesiverant, accensae; hinc Janus apertus; hinc incendiis, cadaveribus, horrore et sanguine foedata sunt omnia; aut, vt illi praedicant, correcta, si diis

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In ein ganz ähnliches Spiel wollten uns unter anderen häufig diejenigen verwickeln, die mit Dolch und ererbten Kniffen auf die Herren der Völker losgehen, die durch das Blut von Königen und durch Hochverrat bekannt werden, die durch einen über alle Schandtaten grausamen Frevel jenen unvergleichlichen Kriegshelden Heinrich den Großen, den die schwer drückende Last des ganzen Vaterlandes nicht erschüttert hatte, der Fleischbank eines waghalsigen Taugenichts überantworteten, die deinen Schwiegervater, den unvergleichlichen König von Britannien, durch den Einsatz von Feuer und Schwefel gegen die Mauern des Königssitzes zu schmettern versuchten, die sich und andere überzeugten, daß in Mord und Raub ihr Seelenheil liege, die gewöhnlicherweise Mittellose niedermetzeln, Unschuldige verurteilen und durch Folter, Feuer und Schwert vernichten, Lebende (um sich nämlich das Vergießen menschlichen Blutes zu ersparen) begraben, Göttliches und Menschliches vermengen aus Spielerei und Zeitvertreib. Diese waren zunächst an die Höfe unserer Oberen gedrungen, dann in deren Seelen. Diese bestimmten in allen Ratsversammlungen die Meinungen. Diese vermengten Betrug, Verstellung, Treulosigkeit, ohne welche nach ihrer Lehre niemand richtig herrscht. Diese Diebe flüsterten der Obrigkeit fortwährend jenes abgedroschene BRENNE, SCHNEIDE ein. Von deren Lügen und Täuschungen wurden wir regiert, als seien es hervorragende Künste. Es kamen eine Anzahl Sejaner hinzu, schlechte Berater: Keine Art der Ruchlosigkeit war denen zu gering, die geil waren auf Ehrsucht und das Verlangen, sich hervorzutun. Deshalb wurden viele Kirchen geschändet und geschlossen, den Privilegien wurde Gewalt angetan, Unschuldige wurden in Kerker geworfen und auf verschiedene Weise gequält; der Zugang zu den Fürsten wurde versperrt, die Verordnungen des göttlichen Rudolph wurden verspottet, von den Andersmeinenden wurden einige durch Drohungen eingeschüchtert, einige durch Ämter oder Geldgeschenke verführt, das Recht der Völker wurde umgestoßen, der Staat wie durch eine Sintflut überschwemmt und die Religion durch außerordentliche Hinterlist in Unordnung gebracht. Wir bitten, beschwören, weinen, bedrängen durch demütiges Bitten ohne Unterlaß und halten die Mühe aus in der Hoffnung auf Frieden. Aber vergeblich. Überall waren wir sicherer als zu Hause, und durch vergebliche Bitten haben wir nichts ausgerichtet, außer, daß wir durch Flehen, jene durch Zuhören ermüdet worden sind. Nachdem wir also mit Gelassenheit in keiner Hinsicht Fortschritte machten und immer schwerere Lasten denen täglich auferlegt wurden, die sie gleichsam mit Leichtigkeit trugen, wiesen wir, nachdem alle Geduld aufgebraucht war, einige von ihnen einfach zurück. Hierauf wurden die Fackeln des Krieges, den die Störer des Friedens so sehr gesucht hatten, angefacht; hierauf wurde der Janustempel geöffnet; hierauf wurde alles durch Brände, Leichname, Schrecken und Blut geschändet oder – wie jene rühmen – wieder gut gemacht und (mein Gott!)

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placet, et emendata. Horresco referens immanitatem barbaris inauditam, et apud posteros vix inventuram fidem. Neque infantium vagitûs, neque singultûs puerorum, neque lachrymas matronarum, neque canos senum, rabidas ac saevientes belluas commovisse; virgines promiscuè imminutas, juxtà strenuos et imbecilles obtruncatos, agros vastatos, regni opes attritas, periisse flammis quod ferrum reliquerat. Lugenda adhuc enumeravimus: eundum ad erubescenda est. [C1v] Matrem liberos, ne gladiorum acie caderent, in flumen abjecisse; cadavera mortuorum medio templorum sepulchris eruta; foeminas situ nondum corruptas denudatas, in aris (obstupescant Christiani) manibus et pedibus ligatas, ad fores templi fulcris erectas; et alia prorsus abominabili saevitiâ perpetrata. O saeculum etiam Mezentiis, Tiberiis, Neronibus et Domitianis, in crudelitatem ingeniosius! Vivi propudiis humani generis non sufficimus, mortui accersuntur. Exacerbatis itaque tam nefariis facinoribus bellum primò inter remedia erat, vt scirent nos pro patriâ dimicare posse; et qui timere desieramus, incipiebamus odisse. Atque solutos fuisse nos à regio sacramento, nemo nisi juris et privilegiorum regni huius ignarus inficias ibit: irridebunt magis facilitatem nostram et indignabuntur omnes, tam diu nos intolerabilem saevitiam concoxisse. Nunc in clementiae tuae sinum, non sine coelesti instinctu nos recipimus, ô R EX , cujus ipsum nomen etiam Pacem nobis promittit. Deus tibi det, Princeps indulgentissime, quicquid tam inusitata mansuetudo tua meretur: nos cultu et obsequio grati [C2r] erimus, si plura non possumus. Bohemos, Moravos, Silesios, Lusatos qui nos dicet inposterum, multa dicet; plura, qui tuos. Tui sumus dum sumus: pro te abire quandocunque Deus volet, felicissimum augurium putabimus. Sardos ajunt sumpto herbae succo sub exitum vitae ridere: pro te morti etiam obviam ibimus laeti libentesque si opus erit. Pro te pugnare gestimus: non deerunt vires sub tam forti, non voluntas sub tam intrepido, non successus sub tam justo duce militantibus. Vincemus armis, qui causâ vincimus. Finem persequendi non lassitudo nostra, sed mors hostium faciet, et ferrum quod lentè

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sogar verbessert. Ich schaudere davor zurück, über die selbst bei den Barbaren unbekannte Grausamkeit zu berichten, die bei den Späteren kaum Glauben finden wird: Weder das Wimmern der Neugeborenen noch das Schluchzen der Kinder noch die Tränen der Mütter noch das graue Haar der Greise hat die wütenden und wilden Bestien gerührt; Jungfrauen wurden gemeinschaftlich vergewaltigt, auf gleiche Art Starke und Schwache niedergemetzelt, Äcker verwüstet, die Mittel des Königreiches aufgezehrt, durch Feuer vernichtet, was das Schwert übrig gelassen hatte. Bisher haben wir das Bejammernswerte aufgezählt; nun heißt es zum Beschämenden zu kommen: Eine Mutter warf ihre Kinder, damit sie nicht durch die Schärfe der Schwerter umkamen, in den Fluß; die Körper der Toten wurden inmitten der Kirchen aus den Grüften gezerrt; Frauen, die noch nicht vom Alter gezeichnet waren, wurden entkleidet (die Christen sollen erstarren) an Händen und Füßen auf die Altäre gebunden und vor den Türen der Kirche an Pfählen aufgerichtet; und andere Dinge von ganz und gar verabscheuungswürdiger Grausamkeit wurden begangen. O Jahrhundert, an Grausamkeit einfallsreicher als ein Mezentius, Tiberius, Nero oder Domitian. Wir Lebenden reichen für die Schandtaten des Menschengeschlechts nicht aus, die Toten werden herbeigeschafft. Daher wurde von den über solch gottlose Untaten Erbitterten der Krieg zunächst unter die Heilmittel gezählt, damit sie wüßten, daß wir für das Vaterland zu kämpfen imstande sind; und als wir davon abgelassen hatten, Furcht zu empfinden, fingen wir an zu hassen. Und daß wir vom Königseid befreit waren, wird nur der leugnen, der das Recht und die Privilegien dieses Reiches nicht kennt. Alle werden eher unsere Gutmütigkeit verspotten und entrüstet sein, daß wir uns so lange eine unerträgliche Grausamkeit haben gefallen lassen. Nun ziehen wir uns in den Schoß deiner Milde nicht ohne himmlischen Anstoß zurück, o König, dessen Name selbst uns schon den Frieden verheißt. Möge Gott dir geben, nachsichtigster Fürst, was immer deine so ungewöhnliche Sanftmut verdient: Wir werden mit Verehrung und Gehorsam Dank erweisen, wenn wir nicht mehr vermögen. Wer uns künftig Böhmen, Mährer, Schlesier, Lausitzer nennt, sagt vieles; mehr noch, wer uns die deinen nennt. Dein sind wir, solange wir leben. Für dich zu sterben, wann immer es Gott beliebt, werden wir für ein höchst glückliches Zeichen halten. Man sagt, daß die Sarden im Sterben lachen, weil sie vorher einen Pflanzensaft zu sich genommen haben: Für dich werden wir auch dem Tod fröhlich und gern entgegengehen, wenn es sein muß. Für dich wollen wir gerne kämpfen; es wird nicht an Kräften mangeln den unter einem so starken, nicht an Willen den unter einem so furchtlosen, nicht an Erfolg den unter einem so gerechten Führer Kämpfenden. Wir werden mit Waffen siegen, die wir durch die Sache siegen. Nicht unsere Müdigkeit wird unserer Gefolgschaft ein Ende setzen, sondern der Tod der Feinde, und das Schwert, welches wir zö-

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sumpsimus, lentè deponemus. Si numerus noster minor est, major erit animus: nunquam multi sunt, qui occumbunt.

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Interim te Praga, nutrix et hospita tot Caesarum regumque, obsecramus, ne Principem optimum nostrae Silesiae diutiùs invideas; quae nunc proculdubio vultum ipsius expectat, et ardenti desiderio flagrat. Intra patriam nostram, R EX , intra. Acceptus eris omnibus: venis enim omnibus. Intra stipatus satellitibus et militum manu: nihil [C2v] eos veremur, qui sub tam modesto rege didicerunt vivere. Intra sine illis: tuam hîc gentem, tuos servos reperies. Videor mihi certè videre totam regionem amoenissimam commoventem se funditus atque tibi occurrentem: Principum studia, aemulationes nobilium, senatorum stipationem, effusam ad te contuendum plebem, praecedentem, comitantem, insequentem, et praesentem quoque flagitantem, Vratislaviae pulcherrimae vrbium muros optato amplexu te excipientes, turrium fastigia quasi se tibi inflectentia, ipsam autem majestatis tuae eminentiâ superbientem. Sed haec omnia literatis, quorum ingens apud nos proventus, relinquo, consciusque et magnitudinis tuae, R EX Potentissime, et ingenii mei imbecillitatis, coelestes tuas virtutes solâ admiratione et silentio venerabor. Dominum vniversi, qui mutat tempora et vices temporum, abjicit reges et instituit, publica voce supplices veneramur, Majestatem tuam custodiat, servet, protegat, regat consilia tua et cogitationes. Floreat sub te religio, et à pietate tuâ incrementum accipiat fidemque veritatis; ejiciantur stirpes su-[C3r]perstitionis, et deliria traditionum, abominationes ante oculos Dei. Confundantur hostes, sequantur signa quibus obviam iverunt: Ziscam scopulum et terrorem malorum bello, pace teipsum vincas; augeas regnum togatus, quod asseris armatus. Si verò tristius quid paras, ô Deus, et finem laborum propter peccata nostra nondum facis, fac vt pro nominis tui defensione, pro Principe nostro, pro libertate, pro patria, aut superemus fortiter, aut beatè occumbamus, aut vtrunque. Tuere imperium ejus qui tuam gloriam tuetur, eumque functum longissimâ statione mortali, repositâ mole reipublicae felicissimâ, ab hoc caduco transfer ad sceptrum vitae, quod non auferetur in aeternum.

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gernd ergriffen haben, werden wir zögernd niederlegen. Ist unsere Zahl kleiner, wird unser Mut größer sein: Es sind niemals viele, die sterben. Unterdessen beschwören wir dich, Prag, Nährerin und Gastgeberin so vieler Kaiser und Könige, daß du den besten Fürsten unserem Schlesien nicht länger entziehst, welches nun zweifellos dessen Antlitz ersehnt und in brennender Sehnsucht lodert. Ziehe ein in unser Vaterland, König, ziehe ein. Du wirst von allen angenommen sein: Du kommst ja für alle. Ziehe ein, begleitet von Leibwächtern und der Schar von Soldaten: Wir fürchten in keiner Weise die, die gelernt haben unter einem so maßvollen König zu leben. Ziehe ein ohne sie: Hier wirst du dein Volk, deine Diener finden. Ich meine schon zu sehen, wie die ganze allerlieblichste Gegend sich ausnahmslos versammelt und dir entgegeneilt; zu sehen die Gunstbezeigungen der Fürsten, den Wetteifer des Adels, die Reihe der Ratsherren, das dich zu betrachten herbeieilende Volk, das voreilt, dich umringt, dir folgt und nach dir, sobald du anwesend bist, auch laut verlangt; zu sehen, wie die Mauern Breslaus, der schönsten unter den Städten, dich mit ersehnter Umarmung aufnehmen, die Giebel der Türme sich vor dir gleichsam verneigen, die Stadt selbst sich der Erhabenheit deiner Majestät rühmt. Aber das alles überlasse ich den Gelehrten, von denen es bei uns ungeheuer viele gibt, und eingedenk deiner Größe, mächtigster König, wie auch der Schwäche meines Talents, werde ich deine himmlischen Tugenden nur durch Bewunderung und Schweigen verehren. Wir bitten demütig mit lauter Stimme den Herrn der Welt, der die Verhältnisse und den Lauf der Zeiten wandelt, Könige abberuft und einsetzt, er möge deine Majestät bewachen, er bewahre, schütze und lenke deine Ratschlüsse und Überlegungen. Unter deiner Herrschaft blühe die Religion und durch deine Frömmigkeit möge sie Zuwachs und Vertrauen in die Wahrheit finden. Ausgerissen werden sollen die Wurzeln des Aberglaubens, die Irrtümer der Überlieferungen, die Ungeheuerlichkeiten vor den Augen Gottes. Niedergeworfen werden sollen die Feinde, folgen sollen sie den Zeichen, denen sie sich widersetzt haben: Zˇiˇzka, das Bollwerk gegen die Bösen und ihr Schrecken, sollst du im Krieg, dich selber im Frieden übertreffen; im Friedenskleid sollst du das Königreich stärken, welches du in Waffen beanspruchst. Wenn du aber, o Gott, etwas Traurigeres bereit hältst und wegen unserer Sünden unseren Leiden noch kein Ende gönnst, bewirke, daß wir für die Verteidigung deines Namens, für unseren Fürsten, für die Freiheit und für das Vaterland entweder tapfer siegen oder glücklich sterben oder beides. Schütze die Herrschaft dessen, der deinen Ruhm schützt, und geleite ihn nach einem langen irdischen Wirken, nachdem er die glückliche Bürde der Staatsführung abgelegt hat, von dieser Vergänglichkeit zur Herrschaft über das Leben, die in Ewigkeit nicht genommen wird.

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EVNDEM

VRATISLAVIAM IN GREDIENTEM , EPIGRAM MA EIVSDEM .

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Aspice, Rex, nostram, tibi quae dicat omnia, Breslam: AEqua Palatino surgit et illa Solo. Si mores hominum placidos, si jura requiris; Vrbs genium dices exprimit ista meum. Si saltûs et rura voles; non largiùs vllis Indulsere sibi Flora Ceresque locis. Has habitant aedes Phoebus, Phoebique sorores: Arcibus his irae Mars habet arma suae. Intuitu sunt digna tuo, quàcunque fereris; Templa, forum, turres, moenia, tecta, viae. Congeßit Natura suos huc prodiga luxûs, Et totius opes orbis in vrbe vides. Vitifero sed par quid poßidet Odera Rheno? Haec quoque fit purum te veniente merum.

*** PANEGYRIS In Magnifici Nobilissimi et Amplissimi Viri, Dn. LUDOVICI CAMERARII Procancellariatum Silesiae. Auctore Mart. Opitio.

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Te quoque post regem pietas et caelicus ardor Jussit opem indignè tractatis ferre Silesis, Et patriae superesse meae; ne sola potestas Armorumque fragor totum sibi vindicet illud Quod populos saevi pressos livore tyranni Erigit, inque diu nutantia jura reponit. Gratia magna tibi, si sufficit illa; sed aether Qui te dat miseris longè majora rependet. O nimium superis dilecta Silesia! bello Proficis, et tanta haec inter discrimina rerum Te tua damna beant; quamvis crudelia passi Immeritò fuimus, postquam vesana malorum

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Auf denselben, als er in Breslau einzog, ein Epigramm von demselben. Schau auf unser Breslau, König, das dir alles darbietet; es erhebt sich wie aus pfälzischem Boden. Wenn du nach dem freundlichen Wesen der Menschen, nach ihrem Rechtsverständnis suchst, wirst du sagen: Diese Stadt verkörpert mein Wesen. Wenn du nach Wäldern und Feldern verlangst: Nicht großzügiger geben sich Flora und Ceres an irgendwelchen anderen Orten. Diese Häuser bewohnen Apollo und Apollos Schwestern, auf dieser Burg hält Mars die Waffen seines Zornes. Deines Anblickes würdig sind, wohin immer du eilst, (10) Kirchen, Marktplatz, Türme, Mauern, Gebäude und Straßen. Hierher hat die Natur verschwenderisch ihre Gaben gebracht, und die Reichtümer des ganzen Erdkreises erblickst du in dieser einen Stadt. Was aber besitzt die Oder, das dem rebentragenden Rhein vergleichbar wäre? Selbst sie wird, wenn du kommst, zu lauterem Wein. [H.-J.L., M.M., R.S.]

*** Lobgedicht auf des höchst edlen und berühmten Herrn Ludwig Camerarius’ Vizekanzlerschaft in Schlesien, von Martin Opitz.

Deine Frömmigkeit und deine göttliche Begeisterung geboten nächst dem König auch dir, den schmachvoll mißhandelten Schlesiern Hilfe zu bringen und für mein Vaterland da zu sein, damit nicht allein Gewalt und das Getöse der Waffen das ganz für sich beanspruchen, was die durch die Mißgunst eines wilden Tyrannen unterdrückten Völker aufrichten und in ihre lange wankenden Rechte wieder einsetzen kann. Großer Dank sei dir, wenn dies genügt, aber der Himmel, der dich den Elenden schickt, wird noch viel Wertvolleres geben. O du den Göttern allzu teures Schlesien! Durch Krieg (10) gewinnst du, und inmitten dieser gewaltigen Gefahren bereichern dich deine Verluste, obgleich wir zu Unrecht Grausames erduldeten, nachdem der wahnwitzige Parteiklüngel der Schlechten den Königen schändliche Liebe zur Treulosigkeit eingeflößt hatte und das erschöpfte Böhmen, da seine Tore aufgebrochen waren, verlernte,

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Factio perfidiae turpem inspiravit amorem Regibus, et ruptis lassata Bohemia claustris Dedidicit frustra sperare, irataque virtus Ad libertatem vi tandem irrupit avitam, Et ferro sibi fecit iter. Sed plurima saepè Dura ultraque fidem tot jam labentibus annis Pertulimus; donec Patientia victa dolore Restitit, ac quosdam mortalibus ante negata Jussit abire viâ, et scelerum fraudisque magistros Allisit stratae subter scribamque papyro. Obscoenas veluti Stymphalidas Herculis olim Dextera magnanimi caelestibus arcuit auris, Atque afflixit humo, sic saltu transeat uno Quà libitum est quisquis civili sanguine gaudet, Et sua regum animos saevire in viscera cogit. Hinc irae patuere, et aperta licentia belli Invasit miseros: hinc passim urbesque casaeque Incubuere sibi: quam diros sensimus hostes, Boccoius sylvis quoties insedit iniquis, Et latitans nocuit: vel cum discrimine nullo AEmulus Albani Dampirius undique ferro Saeviit et flammis, arasque incendit et ipsos Quos fecit sua turba deos, spoliataque sacra Caedibus explevit. Patrium, miserabile visu, Albim corporibus clusere, et tarda cruento Ivit Mulda vado. Volitat quoque fama, puellam Objecisse suam nutritis sanguine prolem Piscibus, et rapido melius mersisse profundo, Ut fugeret gladium. Vi, ne qua intacta periret, Innuptas nuptasque simul probrosa libido Corrupit, lethique gradus Venus impia facta est. Cur queror ista? leve est vivorum illudere sorti: Ipsa sepulchra petunt, defossaque viscera terris In lucem revocant, et quas tellusque pudorque Celavit matrum partes in limine templi Militis insani petulantia saeva revelat. Tot scelerum cumulos, caedes, versosque penates, Quaeque jacent totis inhumata cadavera campis, Et commune nefas sparsit clementia dextrae, O Fernande, tuae; tibi cuncta haec imputat uni

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grundlos zu hoffen, und eine zornige Entschlossenheit mit Gewalt endlich zur angestammten Freiheit aufbrach und sich durch das Schwert den Weg bahnte. Aber so lange Jahre hindurch haben wir viel und oft unglaubliches Elend ertragen, bis die Geduld durch den Schmerz besiegt wurde, (20) Widerstand leistete und einige Männer nötigte, auf einem Weg fortzugehen, der Menschen zuvor verwehrt war, und die Lehrer der Verbrechen und des Betrugs mitsamt ihrem Sekretär unter das verstreute Papier schleuderte. Wie einst die Rechte des hochgemuten Herkules die unheilvollen Stymphaliden vom Himmel herunterschloß und zu Boden schlug, so soll mit einem einzigen Sprung sich davonmachen, wohin er will, wer sich über Bürgerblut freut und die Könige zwingt, gegen eigenes Fleisch und Blut zu wüten. Von da an zeigte sich die Wut offen, und die offensichtliche Zügellosigkeit des Krieges überfiel die Unglücklichen, von da an stürzten ringsum Städte und Hütten (30) zusammen. Wie grausam erlebten wir die Feinde, wie oft hielt sich Bucquoi in feindlichen Wäldern versteckt und fügte aus dem Hinterhalt Leid zu. Und nicht anders wütete Dampierre, ein Nachahmer des Herzogs von Alba, überall mit Feuer und Schwert, zündete die Altäre und selbst diejenigen, die seine Meute zu Göttern gemacht hatte, an und füllte die ausgeplünderten Heiligtümer mit Toten. Die heimische Elbe schüttete man, erbarmungswürdig anzusehen, mit den Leichen zu, und zäh floß die Moldau in ihrem blutigen Bett. Es geht das Gerücht, daß eine junge Frau ihr eigenes Kind den Fischen, die sich vom Blute nährten, vorgeworfen (40) und es lieber in der reißenden Tiefe ertränkt habe, damit es dem Schwert entginge. Mit Gewalt, damit keine unberührt sterbe, schändete Unverheiratete und Ehefrauen in gleicher Weise die schändliche Begierde, und der ruchlose Trieb wurde zu einem Schritt zum Mord. Warum beklage ich diese Dinge? Es ist ja noch ein kleines Verbrechen, mit dem Los der Lebenden sein Spiel zu treiben. Aber selbst gegen Gräber gehen sie vor, und die in der Erde vergrabenen Leiber holen sie zurück ans Licht, und die Teile der Mütter, die Erde und Scham verborgen hatten, enthüllt vor der Schwelle der Kirche die grausame Tollheit des rasenden Soldaten. Solches Übermaß an Verbrechen, soviel Blutvergießen, verwüstete Häuser, (50) all die Leichen, die unbegraben überall auf den Feldern liegen, und den allgemeinen Frevel hat die Sanftmut deiner Rechten, o Ferdinand, bewirkt. All

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Gens proavis benè fida tuis, tibi patria flagrat. Rex peccare jubet qui non vetat. Ivimus ergò Quâ jus fasque sinunt, et jam non subditus hostis Principis externi foedus quaesivit, adactus Haud sic promissos aliò transferre tiaras. Nec tamen humanis hoc solum viribus actum est: Sic superi voluere, et non sine numine regnum Accedis, Friderice, novum. Sentimus amorem Gens suppressa Dei, et grato te pectore, caeli Nobile depositum, colimus. Tot dura tulisse Tanti paenè fuit, quin et dispendia lucro Sunt nobis immensa gravi. Tu vindice dextrâ, O juvenis, conjuratas in damna catervas Franges, et populis atrocia vulnera passis Ultor eris, pacemque invicto Marte reduces. Te septemgemini fraenatis faucibus Istri, Alta triumphali sublimem gloria curru Divinis praeponet avis; tua signa timebit Gens inflata Tagi, tibi par pietate vel armis Nullus erit, tua progenies ultra ostia Nili Proferet imperium, patrii nec limite Rheni, Sed toto latè sua jura extendet Olympo. Et talem indulsit tibi, diva Silesia, regem Fatorum caelestis amor; nec munere tanto Exhausit sese arca deum: comitatur euntem Virtus rara ducem. Sic multo illustris honore Ductor apum caveas et cerea regna relinquit: Olli insigne latus parvorum fida quiritum Turba tegit, potiorque volat vicina propago, Et sacros certo circumerrant ordine fasces. Quid tibi nunc mediter, quae me sub nubila pennae In famae et laudum, Camerari, celsa tuarum Templa ferent? tu rellictis natalibus arvis Littoribusque Nicri nostrâ considere terrâ Atque procul positos voluisti habitare penates. Tu variâ et rerum magnarum mole gravatum Suscipis officium; patriae armis maxima nostrae Incumbet tutela tuis, Prudentia regis Ore tuo responsa dabit, te judice rectum Gratia non flectet, nec stabit legibus aurum

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dies schreibt das Volk, das deinen Vorfahren sehr treu war, allein dir zu, für dich brennt das Vaterland. Der König, der zu sündigen nicht verbietet, befiehlt es. Wir sind also dorthin gegangen, wohin menschliches und göttliches Recht es zulassen, und schon suchte dein nicht mehr sich unterwerfender Feind das Bündnis mit einem fremden Fürsten, getrieben, die Krone, die dir keineswegs unter solchen Bedingungen zugesagt war, anderswohin zu übertragen. Jedoch wurde diese Sache nicht nur von menschlichen Kräften vorangetrieben. Die Götter wollten es so, und nicht ohne göttlichen Willen (60) trittst du, Friedrich, deine neue Herrschaft an. Wir, das unterdrückte Volk, fühlen die Liebe Gottes und verehren dich dankbaren Herzens, du edler Abkömmling des Himmels. Fast war es der Mühe wert, soviel Elend ertragen zu haben, ja vielmehr werden uns die ungeheuren Verluste zu einem großen Gewinn. Mit deiner strafenden Rechten wirst du, o Jüngling, die zum Unheil verschworenen Haufen zerschmettern, vor den Völkern, die grauenvolle Wunden erlitten haben, als Rächer auftreten und in siegreichem Kampf den Frieden zurückbringen. Wenn du die Mündungsgebiete der siebenarmigen Donau bezähmt hast, wird dein erhabener Ruhm dich hoch oben im Himmel auf einem Triumphwagen (70) vor deine göttlichen Vorfahren stellen. Deine Feldzeichen wird das aufgeblasene Volk des Tajo fürchten, dir wird an Frömmigkeit und an Waffengewalt niemand gleich sein, deine Nachkommen werden die Herrschaft über das Nildelta hinaus ausdehnen und nicht nur bis zur Grenze des väterlichen Rheins, sondern über die ganze Welt weithin ihre Gesetze verbreiten. Einen solchen König bewilligte dir, göttliches Schlesien, die himmlische Liebe des Schicksals, doch in dieser großen Gabe erschöpfte sich der Schatz der Götter noch nicht: Deinen Fürsten begleitet auf seinem Weg ein Gefolge von seltener Erhabenheit. So verläßt der König der Bienen, ausgezeichnet durch eine große Ehrengarde, seinen Stock und seine wächsernen Reiche. (80) Ihm schützt die treue Schar der kleinen Quiriten seine glänzende Flanke, und daneben fliegt eine noch vorzüglichere Nachkommenschaft und umschwirrt in bestimmter Ordnung die heiligen Rutenbündel. Was nun soll ich für dich ersinnen, welche Flügel werden mich hinauf zu den Wolken, zu den hohen Palästen deines Ruhms und deines Lobes, Camerarius, tragen? Du wolltest, nachdem du deinen Geburtsort und die Ufer des Neckars verlassen hattest, dich in unserem Land niederlassen und dein Heim in der Ferne errichten. Du übernimmst eine Pflicht, die durch vielfältige und von gewaltigen Ereignissen bestimmte Belastung erschwert ist. Der wichtigste Schutz unseres Vaterlandes (90) wird deinen Waffen obliegen, die Klugheit des Königs wird aus

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Fortius, ac solum inveniet bona causa favorem. Et merito post tot devinctos undique vobis Terrarum populos, nostris quoque poscitur oris Nota omni dudum Virtus Cameraria mundo, Ex quo barbariem, quam prava ac decolor aetas Rasorumque cohors ignaro indixerat orbi, Doctrinae proavi claro splendore fugarunt, Ingentes proavi. Sed tu sublimibus ausis Semideûm latè majorum extendis honores, Digna viris soboles. Citius Germanus Ibero Cedet, et inverso semper contrarius amne Danubius retrò gressum feret, omnia laudis Argumenta tuae digno perstringere versu Quam mihi contigerit. Peithus de lacte bibisti, Non hominis, cunis rapuit te Phoebus ab ipsis, Et festinatas impubi contulit artes; Quarum sacra tuus quoque nunc Joachimus, amore Virtutis patriae, repetensque exempla suorum, Non tepido fervore petit. Nil otia vitae Detraxere tuae, nec mollis inertia turpi Ingluvie accensas majori numine vires Distulit, exuccosque labori tradidit artus. Sed mens indefessa, et pulchris motibus ardens, Ultra commixtas posuit te nubibus alpes, Non uno contenta solo. Sic navita ponti Oblitus rabiem tempestatesque sonoras, Quaerit iter, natasque alio sub sidere merces Explicat in patriâ multo cum foenore terrâ. His gradibus majora petis, portusque reverso Aula fuit. Nullis adeò mens ignea metis Clauditur, ac vasto supra mortalia gressu Fertur, et angusti spernit confinia mundi. Quare Pieridum rellictis suavibus umbris, Ingentem ingrederis campum, totumque laborem Impendis patriae. quoties te curia Verbis Manantem insolitis suspexit, et anxia rebus Incertis sensit facundae oracula linguae! Donec bellorum nutantia pondere regna Consilioque fideque juvas, interque tumultûs Tam facili cum rege venis, magnique secutus

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deinem Munde antworten, vor deinem Richterstuhl wird Gefälligkeit nicht das Recht beugen, Gold wird nicht mehr bedeuten als die Gesetze, und nur eine gute Sache wird deine Gunst finden. Nachdem so viele Völker auf der ganzen Welt euch zu Recht verbunden sind, fordert auch unser Land die Tüchtigkeit der Camerarii, die längst der ganzen Welt bekannt ist, seitdem deine Vorfahren, bedeutende Vorfahren, durch den herrlichen Glanz ihrer Wissenschaften das Barbarentum vertrieben hatten, das ein schlechtes und entartetes Zeitalter und eine Schar von Geschorenen dem ahnungslosen Erdkreis auferlegt hatten. (100) Doch durch deine erhabenen Taten verbreitest du den Ruhm deiner halbgöttlichen Ahnen weithin und erweist dich als ein dieser Männer würdiger Nachfahre. Eher wird der Deutsche vor dem Spanier weichen und die Donau sich umwenden und für immer rückwärts fließen, als es mir gelingen wird, den ganzen Stoff deines Lobpreises in würdigen Versen zu binden. Du trankest die Milch der Peitho, nicht die einer menschlichen Mutter, Phoebus raubte dich schon aus der Wiege und brachte dir, als du noch ein unreifes Kind warst, frühzeitig die Künste nahe. Nach ihren Weihen verlangt nun auch mit heißer Leidenschaft dein Joachim aus Liebe (110) zur ererbten Tüchtigkeit, indem er die Vorbilder der Seinen nachahmt. Nichts nahm Untätigkeit von deiner Lebenszeit weg noch verbrauchte eine weichliche Trägheit durch schändliche Völlerei deine Kräfte, die eine höhere Gottheit entflammt hatte, oder übergab der Arbeit nurmehr saftlose Glieder. Vielmehr führte dich dein unermüdlicher und von edlen Regungen leidenschaftlich glühender Geist über die wolkenhohen Alpen, da du mit nur einem Land nicht zufrieden bist. So sucht der Seemann, ohne an die Wildheit und die heulenden Stürme des Meeres zu denken, seinen Weg und verbreitet die Waren, die unter anderen Sternen entstanden sind, (120) mit viel Gewinn in seinem Vaterland. Mit diesen Schritten strebtest du nach Größerem, und, als du zurückkehrtest, war ein Palast dein Hafen. Keinem Ziel verschließt sich dein so feuriger Sinn, er eilt mit gewaltigem Schritt über das sterbliche Maß hinaus und verachtet die Grenzen der engen Welt. Deshalb betrittst du, nachdem du den lieblichen Schatten der Musen verlassen hast, ein weites Feld und verwendest deine ganze Mühe auf das Wohl des Vaterlandes. Wie oft blickte die Ratsversammlung zu dir auf, als unerhörte Worte aus dir herausflossen, und vernahm, ängstlich wegen der unsicheren Zeiten, die Weissagungen deiner beredten Zunge, (130) bis du dem Land, das unter der Last des Krieges schwankte, mit Rat und Treue halfst, mit deinem so gütigen König mitten in den Aufstand ein-

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Fortia jussa Dei his demum consistis in oris. Ergo age, seu Slesos inter te degere saltûs Foetaque rura juvat; (laetis tibi Guttalus undis Applaudet, viridique herbarum occurret amictu) Seu potius vastae splendentia culmina Pragae Te capiunt, et sancta tui praesentia regis; Huc ades, huc patriae totum jam confer amorem. Nec tibi fatidicae frondosus collis Iëttae Uviferique magis placeat vindemia Nicri: Hîc Nicer, hîc patria est. Istis quaecunque sub oris Sunt Rheni nondum aequa vadis caelum addet, et aegra Principis auspicio nostri renovabitur aetas. Rex hominum atque deûm, cujus tot saecula nutu Indelassato fluxerunt ordine rerum, Quem caelum, quem terra timent, contunde furentes Armorum strepitûs, patriaeque occurre ruenti, Et Pacem demitte polo. Sat saeviit hostis, Sat poenas dedimus: factum est jam turbida belli Quicquid flamma potest. Graviter peccasse fatemur, Nec scelerum immunes sumus: at clementia cordis Infinita tui coecae deliria vitae Cuncta supergreditur. Miseros tandem aspice cives Ore tuo, et quem tam sublimi in sede locasti Fridrici defende decus: sic ibit in orbem Imperii admiranda tui vis, grexque luporum Electae posthac nunquam tibi ovilia gentis, Exempli monitus tanti gravitate, lacesset.

*** ALIVD.

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Quisquis nos steriles sequi puellas, Nec totis dare vela posse ventis, Ut plebs judicat inficeta, dicit; Hunc ausis satis et super refellam, J ULI docte, tuis. Amica mammas Infanti tibi praebuit Thalia; Cunae Piërii fuere valles, Et Phoebus cytharam pater jocanti

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griffst und, die Befehle des großen Gottes befolgend, denen man sich nicht widersetzen kann, dich schließlich hier in diesem Land niederließest. Wohlan, sei es, daß du gerne in den schlesischen Wäldern und den fruchtbaren Ländern weilst – die Oder wird dir mit ihren lachenden Wogen Beifall spenden und zwischen ihren grün belaubten Ufern entgegenströmen –, sei es vielmehr, daß dich die glänzenden Dächer des großen Prag und die heilige Gegenwart deines Königs aufnehmen, hilf hier, laß nun hier dem Vaterland deine ganze Liebe zukommen. (140) Der laubreiche Hügel der weissagenden Jetta oder die traubenbehangenen Weinstöcke des Neckar mögen dir nicht in höherem Maße gefallen: Hier ist der Neckar, hier ist dein Vaterland. Was immer in diesem Land den Gebieten am Rhein noch nicht ebenbürtig ist, das wird der Himmel hinzufügen, und unser kummervolles Zeitalter wird sich unter der Leitung unseres Fürsten erneuern. König der Menschen und Götter, auf dessen Geheiß so viele Jahrhunderte in stetiger Ordnung dahingingen, den der Himmel, den die Erde fürchtet, beende das wahnsinnige Waffengetöse, eile dem stürzenden Vaterlande zu Hilfe und sende vom Himmel den Frieden! Genug hat der Feind gewütet, (150) genug haben wir gebüßt. Es wurde alles angerichtet, was das reißende Feuer des Krieges vermag. Wir gestehen, schwer gesündigt zu haben, und sind nicht frei von Verbrechen. Aber die grenzenlose Sanftmut deines Herzens übertrifft jeden Wahnsinn des verblendeten Lebens. Richte schließlich deinen Blick auf die unglücklichen Bürger und verteidige die Würde Friedrichs, den du so hoch erhoben hast. So wird die wunderbare Kraft deiner Herrschaft über die Welt kommen, und das Rudel der Wölfe wird, gemahnt durch das Gewicht eines so großen Vorbildes, danach niemals mehr in die Hürden des von dir auserwählten Volkes einfallen. [S.A.]

*** Ein anderes. [Glückwunschgedicht zur Promotion Zincgrefs] Wer immer sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten, wie das plumpe Volk urteilt, nicht mit allen Winden segeln, den werde ich genug und übergenug widerlegen durch deine Unternehmungen, gelehrter J ULIUS. Die freundlich gesinnte Thalia bot dir schon als unmündigem Knaben die Brüste. Die pierischen Täler waren die Wiege, Vater Phoebus reichte dem scherzenden Knaben die Zither, und mit Lorbeer (10) bekränzte er die für seinen Dienst bestimmten Schläfen. Daher stammen jene Anmut deines Geistes, der seltene Liebreiz und der Glanz deiner Sprache; daher die gemalte Klugheit und die Bil-

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Porrexit puero, suisque lauru Cinxit tempora destinata sacris. Hinc illa est genii tui venustas, Et rarae veneres decusque linguae. Hinc prudentia picta, queisque surdos Affaris sine vocibus tabellae. Hinc quicquid lepido sub astra versu Nemo te melius vocaret ipso. Haec Musae sibi vendicant. At idem Leges cum petis atque jura, nulli Se plus alma Themis favere monstrat. Nec novit minus hoc Nicer paternus, Qui tot lubrica, totque syrtuosas Emensum ingenio vias coronat, Ac de te sibi gratulatur ipsi. Et sic umbra foro, Dice Camenis Blandâ jungitur hospitalitate, Vt verè pateat cuique, quantum Neglectâ ratione mentiatur Quisquis nos steriles sequi puellas, Nec totis dare vela posse ventis, Vt plebs judicat inficeta, dicit. M ARTINUS O PITIUS.

*** C ARMEN H EROICVM CASPARIS CUNRADI V. C. symbolo dictum, vbi obiter de Proso!po"graphicis eius.

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C VNRADE , humani mens et sublimis imago Numinis, in quo se virtus miratur, et omne Quodcunque est alti metas escendere mundi Ausum, ac libratos tecum exsuperare triumphos Celorum; cui mirandum Natura volumen, Prodiga tota sui, patet, et vis vna malorum Tollere morborum mendas mortalibus aegris; Cui mens immensum sano lymphata furore,

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der, durch welche du die Tauben ohne Worte ansprichst; daher alles, was niemand besser als du selbst durch einen zierlichen Vers an den Himmel erheben könnte. Das schreiben die Musen sich zu. Aber indem du zugleich nach den Gesetzen und dem Recht strebst, zeigt die segenspendende Themis, daß sie niemanden mehr begünstigt. (20) Und nicht weniger weiß dies der heimische Nekkar, der den, der mit seinem Geist so viele Fährlichkeiten und so viele unebene Wege durchmessen hat, krönt und deinetwegen sich selbst beglückwünscht. Und es verbindet sich Zurückgezogenheit mit öffentlichem Wirken, das Recht mit den Musen in reizender Gemeinschaft so, daß wahrhaft jedem offenliegt, wie sehr unter Mißachtung der Vernunft lügt, wer immer, (30) wie das plumpe Volk urteilt, sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten nicht mit allen Winden segeln. Martin Opitz. [H.-H.K.]

*** Gedicht auf einen Helden Auf den Wahlspruch des hochverehrten Caspar Cunrad mit gelegentlichen Hinweisen auf seine Prosopographia. Menschlicher Göttlichkeit Seele, Cunradus! Der göttlichen Abbild! Mann, in dem sie sich selbst bestaunt, die Vollkommenheit, gleichfalls Alles, was je Überschreitung der Grenzen der riesigen Erde Wagte, mit dir Übersiegung beständiger Siege des Himmels; Mann, dem die ganze Natur, die mit sich so verschwenderisch umgeht, Ihr erstaunliches Buch eröffnet und der zu der einen Kraft den Zugang besitzt, den Menschen, die krank sind, den Makel Böser Gebrechen zu nehmen; und Mann, dessen Geist, in gesundem

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Impendens se tota sibi, tot numinis oestro Concita, diuinos panxit scito ordine versus; Cui cura imbelli iamdudum doctior orbis Subiugat ingenii, recte hercle! atque ordine, fasces; Cui nimium pressae modo Relligionis ab aestu, Instinctu diuum horribili, ista locutio nata est Sancta: SALVS DOMINI, quam nunc licet impare sensu, [A7v] Natio doctorum simili iunctim ore frequentant: Docte heros, pueri faciles si suscipis ausus, Et me Musaeas dignaris carpere Laurus, Cultores inter tibi quos Fama ardua fecit, (Si te, quod novit mundi MENS, nullus adulor) Infantes etiam non aspernabere versus, Quamvis te laus mortalis ventosa fauoris Non capit aut hoederae vis ambitiosa tumentis, (Quando, quum cupis, ipse tibi tua propria laus es, Et merito soli stat ab ordine conscia virtus) Sed miranda SALVS diuini Numinis, in qua Stupratur mundi tibi gratia cassa superbi, Haec mentem ignauo nimium subtraxit ab aeuo Ante tuam, et supero celorum miscuit orbi, Qua tot mille viri (quorum tua docta libido Audet inaccessos huic mundo prodere vultus, Seculaque heroum per coelum arcessere totum) Ludunt humana, et solem fulgore lacessunt. Haec tibi tot vires herbarum cessit, vt aegro Vltima spes esses, et dia medela jacenti Haec quaecunque tenes virtutum nomina, (quae sint, Te liuor docet innocuus) iunxisse volebat, Exemplarque in te perfectae reddere vitae, Inuidiaeque tibi defendere tela profanae. Haec te, qua flammis stellarum purior aether Illustres animas anno confundit ab uno, Conspicua tandem superorum sede reponet. [A8r] Macte heros, orbem tibi devincire labora Insueta virtute tua: Sciti omine porro Ingenij diuina tui vela aequoris alto Pande, et arenoso iamdudum pulvere tristes Illustres animas, quae te vel mille per annos Lentae vindicias exspectauere senectae,

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Wahn unermeßlich rasend und ganz sich selber gewidmet, Göttlichen Furors voll so viele göttliche Verse Klug geordnet erschuf; und dem die Welt der Gelehrten, des Geistes, Lang schon in friedlichem Dienst die Regierung gegeben, fürwahr mit Völligem Recht; und Mann, in dem, als der Glaube vor kurzem Furchtbar gedrückt und bedroht war, durch heiligen göttlichen Antrieb „Heil ist im Herrn“ entstand, der Wahlspruch, der fromme, den nunmehr, Wenn auch in anderem Sinn, der Gelehrten Stand wie mit einem Munde benutzt: Wenn du, du Held und Gelehrter, die leichten Knabenversuche annimmst und mir den Griff nach der Musen Lorbeer erlaubst, so wirst du, umringt von Verehrern, die hohes Ansehn dir gab (allerdings: die Weltseele weiß, daß ich nie dir Schmeichle), die lallenden Verse, die kindlichen, auch nicht verschmähen, Wenn auch das windige Lob der menschlichen Gunst dich nicht einfängt Noch des rankenden Efeus Gewalt, die die Ehrbegier stachelt (Bist du doch, wenn du es willst, dir selbst deine eigene Rühmung; Werte dürfen mit Fug und Recht ihrer selbst sich bewußt sein); Aber das „Heil des Herrn“ verdient Erstaunen, es macht die Wertlose Gunst einer Welt voller Hoffart dir gänzlich zuschanden. Dieses, das Heil, entzog zuvor dein Denken der allzu Kraftlosen Zeit und mischte es ein in den Weltkreis der Himmel; Tausende läßt das Heil (dein Drang voll Gelehrsamkeit wagt es, Deren zuvor nicht bekannte Gesichter der Welt zu vermitteln, So die heroische Zeit überall unterm Himmel zu suchen) Spotten der menschlichen Dinge, die Sonne zum Wettkampf im Glänzen Fordern. Das Heil überließ dir die Kraft vieler Kräuter, damit du Kranken die letzte Hoffnung und Liegenden göttliche Heilkraft Wärest. Die Absicht des Heils war: Du sollst deine sämtlichen Werte (Welche es sind, belehrt dich der Neid, er ist harmlos) vereinen Und in deiner Person ein Muster vollkommenen Lebens Geben, die Pfeile der Mißgunst, der gottlosen, von dir verweisen. Dieses, das Heil, es wird dich, wo Äther, reiner durch SternenFeuer, erleuchtete Seelen vom selben Jahre vereinigt, Schließlich auf prächtigen Platz inmitten der Göttlichen setzen. Heil dir, du Held! Bemüh dich, durch deinen besonderen Wert die Welt dir verpflichtet zu machen. Und setze, geleitet von deinem Kundigen Geist, noch ferner die gottvollen Segel zur hohen See hin, entreiß die berühmten Verstorbnen, die lange schon trauern Und dich seit Tausenden Jahren als Retter erwarten vor trägem Altern, entreiß sie dem Staub, dem sandigen Staub, und verwehre

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Erue, queisque olim vita est concessa, renasci Ex te ne prohibe: quin, si tibi viuere votum est, Fac vti discusso doctus lentore resurgat Orbis, et ipsorum clemens miserere nepotum, Ad quos quum sensim defluxo tempore ventum Ingenii flagrantis opus, lacrymabit, et in se Flebit Posteritas occasi secula mundi, Subtractumque sibi tumidis lugebit ocellis. Cernis, vt heroas paulatim secula summos Te, rerum magna spes, metatore recensent, Et se paulatim virtus sopita recantat. Omnia si tollas aeui laudum orsa vetusti, Et quidquid gens docta dedit, sibi gutture rursum Barbaries intercipiat depulsa voraci: Tanto maior eris, quanto minor incipit esse Ipsa vetustorum non ignoratio vatum. Quidquid tempus iners, et edax mors deteret, in te, Surget, et auctorum series ducetur in omnes A te vel solo: tu nil tibi maius habebis. At tu summe Deum, cuius norma una salute Nititur, et tales Pallas Cunradia nubes [A8v] Dissipat, vt tenebris excussis secula longum Ignorata sibi, tandem se noscere discant, CVNRADVM hac ipsa seruare salute memento, Qua seruare omnes potuit, sacra pectora, doctos. Vratislaviae scripsit M. April. A NNO 1621. MARTINVS OPICIVS Bolislaviensis Sil!esius"

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Nicht, daß die, denen einst das Leben geschenkt war, durch dich nun Wieder geboren werden; ja, wenn du ihr Aufleben wünschest, Wirke drauf hin, daß die Welt der Gelehrten die Schlaffheit verscheucht und Wieder ersteht, und erbarm dich in Güte der Enkel, der Enkel! Ist im Verfließen der Zeit zu diesen allmählich das Werk des Glühenden Geistes gelangt, wird die Nachwelt zu weinen beginnen, Wird bei sich um die Zeit, die untergegangene Weltzeit Trauern und das, was ihr fehlt, mit geschwollenen Augen beklagen. Siehst du, wie unsere Zeiten die größten Helden allmählich, Große Hoffnung der Welt, unter deiner Leitung von neuem Prüfen, die Werte, die schliefen, allmählich von sich wieder künden! Nehme man alles hinweg, was die Vorzeit löblich begonnen, Schlucke die Barbarei, nachdem sie vertrieben war, wieder, Was Gelehrte geschenkt, mit gefräßigem Schlunde hinunter: Desto mehr wirst du groß sein, je weniger Mangel an Kenntnis All der früheren Dichter beginnt, geringer zu werden. Was die erschlaffende Zeit und das fressende Sterben zurückdrängt, Wird sich erheben in dir, vielleicht wird die Reihe der Dichter Einzig durch dich jedermann offenbar – dein größtes Besitztum. Du aber, höchster der Götter, des einzige Richtschnur im Heile Sich begründet – die Weisheit Cunrads zerstreut solch Gewölke Weit in die Ferne, so daß nach Vertreibung des Dunkels die Zeit, die Lange sich selbst nicht kannte, sich endlich selber erkennen Lernt: Gedenke, CUNRADUS im selben Heil zu bewahren, Das ihn alle die frommen Gelehrten zu retten befähigt’. In Breslau geschrieben im Monat April 1621 von Martin Opitz aus Bunzlau in Schlesien [G.B.]

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QV ICQVID in autorum felix tua dextra salutem

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Contulit, et nunquam charta silebit anus, Si rigidus planè repetas exactor ad assem, Omnis obaeratus jam tibi mundus erit. Caelica quid magni finget facundia Tullî? Quid saxa, et Latii marmora docta soli? Quid Seneca? incisas causabitur illéne venas? Quid Taciti dicet lingua diserta mei? Sume vades superos; alio sponsore caremus: Sola Deûm meritis sufficit arca tuis. Ad nostros autem venias si fortè Poëtas, Atque illis paulò durior esse velis, Conturbabit, egens aliàs quoque, natio tota: Plus miseris nemo credidit ante viris. Bilbilici debent animam tibi carmina; Belga Sis licet, Hispano natus at ipse solo. Tu grandem melius docuisti stare cothurnum: Herculeos nescit Corduba magna rogos. Oedipus è Davo jam fit quoque, Lucius Vmbro, Post morbum, et criticae stigmata tanta notae. A Plauti, ore prius Musae didicere; Gruteri Nunc sed enim Plautus discit ab ore loqui.

*** Ad Serenissimum Principem GEORGIUM RUDOLPHUM, Obitum conjugis incomparabilis lugentem, Lyricum.

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[I1r] O Clara divae stella Silesiae, Heroa conjux impete quo tibi, Nil tale quicquam cogitanti, E mediis properante fato Aufertur ulnis, dum superest catae Fervor juventae, nec roseus fugit Candor genarum? jure moestis

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Martin Opitz. Alles, was deine glückliche Hand für das Wohl von Schriftstellern geleistet hat und was das Papier, auch wenn es alt sein wird, niemals verschweigen wird – wenn du das alles nach Heller und Pfennig wie ein unerbittlicher Kassierer zurückforderst, wird alsbald die ganze Welt in deiner Schuld stehen. Was wird die himmlische Redegewandtheit des großen Cicero sich einfallen lassen? Was die Steine und der gelehrte Marmor des latinischen Bodens? Was Seneca? Wird er seine aufgeritzten Adern als Entschuldigung anführen? Was wird die beredte Zunge meines Tacitus sagen? Nimm du als Bürgen die Götter, einen anderen Gewährsmann können wir nicht bieten: (10) Nur die Kasse der Götter genügt für deine Verdienste. Wenn du dann aber einmal an unsere Dichter kommst und zu ihnen ein wenig strenger sein willst, wird das ganze Völkchen, auch sonst bedürftig, in Geldnöte geraten: Niemand sonst hat zuvor den armen Männern mehr geliehen. Die Gedichte Martials schulden dir ihr Leben; magst du auch Niederländer sein, bist du doch selbst auf spanischem Boden geboren. Du hast den tragischen Kothurn gelehrt, besser zu stehen: Das große Cordoba kennt nicht den Scheiterhaufen des Herkules. Und schon wird auch aus Davus ein Ödipus, ein Lucius aus Plautus, (20) nach seinem schlechten Zustand und den vielen Zeichen der kritischen Behandlung. Erst haben von Plautus’ Mund die Musen sprechen gelernt; nun aber lernt wahrhaftig Plautus aus Gruters Mund zu sprechen. [C.K.]

*** Ein lyrisches Gedicht an den erhabensten Fürsten Georg Rudolf, der den Tod seiner unvergleichlichen Gemahlin betrauert. O heller Stern des göttlichen Schlesiens, durch welche Gewalt wird dir, der du nichts dergleichen erwartest, die heldenhafte Gemahlin durch ein jähes Geschick mitten aus den Armen entrissen, während doch das Feuer der gewandten Jugend noch reichlich vorhanden und der rosenfarbene Schimmer der Wangen

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Numina sollicitas querelis, Demptasque luges delicias, memor Harum sodalis quas thalami trahit Dulcedo rerum. Sed protervus Cuncta feret per inane Corus. Jus quippe lethi sanctaqve vis deûm Quenquam reverti post obitum vetant Ad nos in has orbis minantes Interitum putridi ruinas. Nobis terenda est haec quoque semita, Justo sorores stamina pollice Cum fluxa deducunt, virili Interea tolerare sortis Multùm frementis tela animo decet, Certos nec isto nos stabiles solo Durare semper, nec perenni Compositos recubare terra. M ARTIN. O PITIUS.

*** [D1v] Ad CL. V. D N . MICHAELEM BARTSCHIUM, amicum fraternâ fide sibi junctum.

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HO c etiam adversae pars est asscribere sorti, B ARTSCHI , pars animi delitiaeque mei, [D2r]Qvod ferè tum charis semper divellor amicis, Qvando illud Veneris dulce minantur opus. Nonné, hoc cum noster qvondam K IRCHNERUS agebat, Ibam ad nunc moesti littora foeta Nicri? Jam qvoque, post visas tot terrarum undique gentes, Molle tibi dulcis jungit amica latus: At nos extremum procul hinc migramus ad Istrum, Visuri an Musas Dacia fortis amet. Durum eqvidem; sed spe mentem solabimur unâ: Dein qvoque nos fato posse priore frui. Qvippe domum nobis elapsa aestate reversis, Jam K IRCHNERUS erat Vir simul atque Pater.

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nicht entflohen ist? Zu Recht bestürmst du die Götter mit schwermütigen Klagen und trauerst um die dir entrissenen Freuden, eingedenk (10) dessen, was die Süße des gemeinsamen Hochzeitslagers mit sich zu bringen pflegt. Doch der ungestüme Nordwestwind reißt alles mit sich. Freilich verbieten es das Gesetz des Todes und die heilige Macht der Götter, daß irgendjemand nach dem Hinscheiden zu uns in diese Ruinen des morschen Erdkreises, die dem Einsturz nahe sind, zurückkehrt. Auch wir müssen diesen Weg gehen, während die Parzen mit gerechtem Daumen die schwankenden Schicksalsfäden abspinnen; (20) indessen ziemt es sich, daß wir, die wir sicher sind, daß wir weder auf diesem Erdboden ständig bleiben noch ewig in der Erde bestattet ruhen, die Geschosse des heftig brausenden Geschicks mit mannhaftem Sinn ertragen. Martin Opitz. [W.N.]

*** An den hochangesehenen Herrn Michael Bartsch, den ihm in brüderlicher Liebe verbundenen Freund. Auch dies nun muß man dem mißgünstigen Schicksal zuschreiben, lieber Bartsch, du Teil und Freude meines Herzens, daß ich fast immer dann den lieben Freunden entrissen werde, wenn sie den süßen Dienst an der Venus ankündigen. Reiste ich nicht, als unser Freund Kirchner einst sich anschickte, dies zu tun, zu den fruchtbaren Ufern des nun traurigen Neckars? Nun, nachdem du schon so viele Völker überall auf Erden gesehen hast, schmiegt sich auch an dich eine süße Freundin. Ich aber ziehe von hier in die Ferne an das äußerste Ende der Donau, (10) um zu sehen, ob das tapfere Dakien die Musen liebt. Ein hartes Los fürwahr, aber ich werde mich mit einer einzigen Hoffnung trösten: Daß ich danach auch dasselbe Glück erleben kann wie schon einmal. Denn als ich am Ende des Sommers nach Hause zurückkehrte, war Kirchner schon Ehemann und Vater zugleich. Es möge, wer euch beiden in anderer Hinsicht Gleiches gewährt

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B ARTSCHI (namque tui …)

AEqvet et hîc, aliàs ambos qvi aeqvavit, amici, Et nunqvam sterilem lasset uterque thorum. Sic me, si flores, si gaudia verna negantur, Horrea post saltem plena videre, sat est. MART. OPITIUS iter Pannonicum moliens raptim scripsit BolesL. S I L. Non. MaI. A. M DXXII . [sic!]

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[D2r] Ad optimum amicorum M.B.V.CL. Sponsum. B ARTSCHI (namque tui modò recordor, AEstus cui libet explicare nostros.) [D2v] Qvid charam, superos rogo per omnes, Me rellinqvere patriam coëgit, Cum nuper, qvasi conscius malorum, Aut prorsus capitis reus, citato Usque ad Dacica tenderem arva cursu? Qvamvis Musa meos venusta sensûs Nasonis rapiat, tamen profectò Nil dignum exilio illius patravi, Si rectè memini. Nec atra egestas Huc me, curtaque compulit supellex, Dîs sit gratia. Qvin et heic amicos Et multos et amabiles habebam, Qveîscum futile tempus otioso, Cantando simul, et simul bibendo Passìm, qvodque caput rei est, amando, Prorsus fallere suaviter licebat. Nos patrem tamen, et patris penates, Kirchnerumque meum tuumque, et illum Cui nux juncta viae suave nobis Cognomen dedit, et piam puellam Planè sprevimus, ut solent novarum Qvos ardet facilis cupido rerum. Sed nunc alea prima jacta fermè est,

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hat, Freunde, euch auch hierin das Gleiche gewähren, und keiner von euch beiden lasse es zu einem unfruchtbaren Ehebett kommen. So genügt es mir, wenn mir schon die Blumen, wenn mir die Freuden des Frühlings versagt bleiben, wenigstens später die vollen Scheunen zu sehen. MART. OPITIUS schrieb dies eilig vor der Abreise nach Ungarn in Bunzlau in Schlesien am 7. Mai 1622. [W.-W.E.]

An den besten der Freunde, den hochangesehenen Michael Bartsch, den Bräutigam. Lieber Bartsch (denn ich denke gerade an dich, der du meine Unruhe deuten magst), was hat mich – bei allen Göttern! – gezwungen, meine teure Heimat zu verlassen, da ich mich jüngst in schleunigem Lauf bis zu den Fluren Dakiens aufmachte, als hätte ich ein schlechtes Gewissen, ja geradezu als drohte mir die Todesstrafe? Obwohl mir Nasos reizende Muse die Sinne raubt, habe ich doch wirklich (10) nichts verbrochen, was eine Verbannung wie die seine verdient hätte, wenn ich mich richtig erinnere. Auch hat mich nicht die düstere Armut und häusliche Not hierher vertrieben, den Göttern sei Dank. Ja, dort hatte ich sogar viele liebenswerte Freunde, mit denen ich die Mußestunden häufig sorglos mit Gesang und Wein und, was vielleicht die Hauptsache ist, mit Liebe, angenehm ganz wie im Flug vergehen lassen durfte. Ich habe trotzdem meinen Vater und meine Heimatstadt (20) und deinen und meinen Freund Kirchner und jenen, dem die Nuß, die mit dem Weg verbunden ist, den uns so lieben Beinamen gegeben hat, und das treue Mädchen gänzlich verschmäht, wie es die zu tun pflegen, die die leichtfertige Begierde nach Neuem entflammt. Aber jetzt ist der er-

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HActenus Aonias

Victâ Pannoniâ; secunda restat [D3r] Mox calcanda via; haud quidem illa lethi, Qvae communis erit mihi, tibique; Multis asperior tamen vepretis Illâ, quae tibi devoranda bellae In complexibus est brevi maritae: Qvamvis tanta meam indies freqventat Pars plebis; tua trita non nisi uni est. I, coeptosque locos capesse, cumque Te fortasse sinum per hospitalem, FRATER, vela vehent secunda; noster, Dic, quam mallet OPITIUS negatam Hanc tentare sibi viam, nec udam Multum spernere humum ferente pennâ; Qvi nunc Danubium colens ferocem Scit quid liqverit heic, boni qvid illic Posthac inveniet malique nescit. MART. OPITIUS Lusi Cassoviae, Pridie Cal. Jun. A. MDcxxii.

*** Praestantissimorum Sponsorum P AULLI H ALLMANNI et D OROTHEAE B AUDISIAE Nuptiis.

HActenus Aonias agrestia culta puellas

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Vidimus, et tenues vix habitare lares, Nec cepere sacras rerum fastigia nymphas, Parnassique jugis celsior aula fuit. Non fert hoc noster, patriae spes unica, Princeps, Sed vocat errantes ad sua tecta deas; Dumque sinunt magni pro libertate labores, Has solas posita tetricitate colit. Te quoque quod tantis heros affectibus ultrò Diligit, hoc debes artibus omne tuis.

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ste Würfel schon fast gefallen und Pannonien besiegt; es bleibt noch in nächster Zeit ein zweiter Weg zu gehen, zwar nicht jener Weg des Todes, der dir und mir gemeinsam sein wird, sondern einer, der mit seinen vielen Dornen härter ist (30) als jener, den du bald in der Umarmung deiner schönen Braut in vollen Zügen genießen darfst. Während tagtäglich ein großer Teil des Volkes meinen Weg geht, ist deiner einzig von dir betreten worden. Wohlan, nimm die Orte ein, zu denen du dich aufgemacht hast; und während dich, mein Bruder, vielleicht günstige Winde in eine gastliche Bucht tragen werden, sag: „Wieviel lieber wollte unser Opitz diesen Weg, der ihm verwehrt ist, beschreiten und nicht immer wieder, während ihn seine Feder trägt, den feuchten Boden verabscheuen, (40) der nun, während er an der wilden Donau ist, weiß, was er hier aufgegeben hat, und nicht weiß, was an Gutem oder Schlechtem er dort finden wird.“ Ich, Martin Opitz, habe dies in Kaschau am Tage vor den Kalenden des Juni (31. 5.) 1622 gedichtet. [W.-W.E.]

*** Zur Hochzeit der vortrefflichen Brautleute Paul Hallmann und Dorothea Baudissin. Bis jetzt sahen wir die aonischen Mädchen bäuerliches Land und gerade einmal bescheidene Hütten bewohnen, nicht beherbergten hohe Häuser die heiligen Nymphen, und erhabener als der Parnassus-Berg war der Hof. Nicht ertrug dies unser Fürst, die einzige Hoffnung der Heimat, sondern lud die umherirrenden Göttinnen in seinen Palast. Soweit es die großen Mühen, die er für die Freiheit auf sich nimmt, zulassen, legt er die finstere Strenge ab und verehrt sie allein. Daß der Held auch dich mit so großer Leidenschaft ohne weitere Veranlassung

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DEstinatum tibi

Hinc tot (ut invidiae virus rumpatur,) honores, Et quodcunque boni dat locus iste, capis. Hinc tibi, sed fatum tamen addimus, illa Cytheris Altera parte tori cedit, amice, sui. Quisquis amas Musas aude tibi sumere vultum: Et nostri tanto vindice surget amor. M ARTINUS O PITIUS ipso nuptiarum die scripsi.

*** V!iro" C!larissimo" B ERNHARDO G VILIELMO N ÜSSLERO S UO ! " ! " S alutem D icit M ARTINUS O PITIUS.

DEstinatum tibi, N ÜSSLERE, frater jucundissime, adhuc in Dacia, ubi calamum

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ei primum admovi, hunc hymnum fuisse, vel adjecta sub ejus initium elegia (si hoc nomen languidi versûs merentur) ostendit. Caussas, quae me tùm adducebant, habebam quidem satis justas; non minores tamen ab eo tempore quo ad vos reversus sum accesserunt. Nam ut de incomparabili amicitia nostra non dicam, quae à pueris ductu quodam naturae singulari ita crevit, ut de ea non ii solum quibuscum hactenus viximus testari possint; verum etiam posteritas ipsa, si qua illi cura nostri erit, beneficio carminum ad notitiam ejus perventura sit: erectum istud ingenium tuum, varia doctri-[A2v]na, et judicium ante annos exquisitissimum ita me ceperunt, ut fugientium optimarum artium, quae temporum horum calamitas est, non mediocre ornamentum esse te semper existimaverim. Accedunt sacrarum literarum studia, quibus tu, quotiescunque occasio datur, ita indulges, ut praeferre te haud paucis illorum quoque audeam, qui has solas profitentur. Opus autem esse mihi etiam hoc exemplo tuo contra illos autumo, qui, si quando in vitam nostram, fori negotiis expositam potissimum, et nihil minus quàm austeram, oculos conjiciunt, de iis quae majoris momenti sunt aut rarò nos

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(10) liebt, das alles verdankst du deinen Künsten. Daher erhältst du soviele Ehren (daß nur das Gift des Neides abgewehrt wird) und, was immer dieser Ort an Gutem gibt. Daher überläßt dir – aber das Schicksal nennen wir hier trotzdem noch – jene zweite Kythereria eine Seite ihres Bettes, mein Freund. Wer auch immer du bist, der du die Musen liebst, wage es, den Blick auf dich zu lenken; unter so mächtigem Schutz wird auch Liebe zu uns entstehen. Ich, Martin Opitz, schrieb dies am Tag der Hochzeit. [B.C.]

*** Martin Opitz grüßt seinen Freund, den geschätzten Herrn Bernhard Wilhelm Nüßler. Daß dieser Lobgesang, mein lieber Bruder Nüßler, bereits in Dakien, wo ich zuerst an ihn die Feder ansetzte, dir gewidmet war, zeigt schon die dessen Anfang vorangestellte Elegie (wenn die schwerfälligen Verse diesen Namen verdienen). Die Gründe, die mich damals dazu veranlaßten, waren gewiß berechtigt genug; nicht geringfügigere sind jedoch seit der Zeit, als ich zu euch zurückgekehrt bin, hinzugekommen. Denn – um von unserer unvergleichlichen Freundschaft gar nicht zu sprechen, die unter einer gewiß einzigartigen Führung der Natur von Kindesbeinen an so weit gediehen ist, daß nicht nur diejenigen, mit denen wir bis jetzt gelebt haben, Zeugnis von ihr ablegen können, sondern sogar gerade die Nachwelt, wenn sie sich überhaupt um uns kümmert, dank der Dichtung von ihr erfahren wird – dieser dein aufgeweckter Geist, deine vielseitige Gelehrsamkeit und die bereits über dein Alter hinaus so verfeinerte Urteilskraft haben mich derart eingenommen, daß ich dich schon immer für eine nicht unbedeutende Zier der im Niedergang begriffenen Wissenschaft – was das Unheil unserer Zeit ist – gehalten habe. Hinzu kommt die Beschäftigung mit der geistlichen Literatur, der du dich, sooft sich nur eine Gelegenheit bietet, mit einer solchen Lust hingibst, daß ich dich nicht wenigen auch unter denen, die dies hauptberuflich betreiben, vorzuziehen wage. Ich behaupte, daß ich dein Beispiel aber auch gegen diejenigen nötig habe, die, wenn sie einmal die Blicke auf unser Leben heften, das hauptsächlich Betätigungen in der Öffentlichkeit gewidmet und nichts weniger als streng ist, meinen, wir küm-

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admodum, aut vix bona fide cogitare opinantur; quos tamen ipsos nonnunquam ex eorum esse numero Qui Curios simulant, et Bacchanalia vivunt, 20

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locus iste non permittit ut recenseam. Porro, quoniam eo seculo nati sumus, quo gratis nec offertur quicquam, nec accipitur, te, à quo extra constantem amicitiam nihil po-[A3r]scimus aut expectamus, donare hac strena voluimus, ut videant obtrectatores, nos praeter benevolentiam bonorum et honestam nominis existimationem nihil amplius expetere. - µ« « 4 $µ« '!«,

et ea excipiuntur humaniores literae gratia, ut ultrò etiam eximii se passim offerant patroni, quorum splendore, munificentia et authoritate contra aemulorum pariter et fortunae insultûs tueri se nullo negotio possunt. De aliis non dicam; cum unicum Illustris Viri Henrici de Stange, Patris Musarum, exemplum mihi sufficiat: cui literatissimo Equiti ingentem me ac propè solum studiorum meorum fructum debere ne hîc quidem subticere possum. Caeterùm praeter dignitatem materiae, qua sanè meliorem nemo Poëtarum unquam suscepit, si quicquam in hoc carmine quaeris, omninò frustra es. Quae mea tum scribentis conditio fuerit, quam gravissimus me morbus invaserit, [A3v] [qui]bus curis involutus haeserim, non semel audivisti: Ab ejusmodi autem homine vividum aliquid et quod cogitationes vulgi excedat proficisci posse, neque tu credis, N ÜSSLERE , neque quisquam alius, qui remoto livore divinae artis sublimitatem paullò accuratius secum perpendit. Propter solum itaque argumentum, circa cunas dulcissimi Servatoris nostri occupatum, haec amabis: aut si inibi quoque aliquid aliud boni invenies, hocipsum etiam eidem unicè asscribes, absque cujus auxilio nihil uspiam efficere mortales posse nemo Christianorum ignorat. Vale, frater jucundissime, cum Amplissimo Kirchnero nostro, et hostes literarum fortiter nobiscum contemne. Lignicii, Propr. Cal. Januarias, Anni M.DC.XXIV.

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merten uns um Dinge von größerer Bedeutung entweder viel zu selten oder ohne rechte Aufrichtigkeit. Daß sie dabei selbst zuweilen von der Sorte sind, die „Wein trinkt und Wasser predigt“, das darzulegen, ist hier nicht der Ort. Ferner wollten wir – da wir nun einmal in einer Zeit geboren sind, in der nichts kostenlos angeboten und angenommen wird – dich, von dem wir weiter nichts als eine beständige Freundschaft verlangen oder erwarten, mit diesem Neujahrsgeschenk bedenken, damit unsere Neider sehen, daß wir nichts anderes als das Wohlwollen der Rechtschaffenen und eine ehrenvolle Meinung hinsichtlich unseres Namens erstreben. „Ein edler Freund ist ein großer Schatz“, und die gelehrten Studien werden mit solcher Gunst aufgenommen, daß sich vortreffliche Gönner sogar von selbst allenthalben anbieten, durch deren Glanz, Freigebigkeit und Einfluß jene sich gegen das von Neidern und vom Schicksal gleichermaßen zugefügte Unrecht mühelos wehren können. Von anderen will ich nicht reden, denn mir genügt das einzigartige Beispiel des hochachtbaren Mannes und Vaters der Musen, Heinrich von Stange. Daß ich eine ganz besondere – und beinahe die einzige – Frucht meiner Studien diesem äußerst gebildeten Ritter zu verdanken habe, kann ich selbst hier nicht verschweigen. Wenn du übrigens irgendetwas in diesem Gedicht suchst außer der Würde des Stoffes (eines besseren hat sich wahrlich kein Dichter jemals angenommen), dann bist du vollkommen im Irrtum. In welchem Zustand ich mich damals während des Schreibens befand, welch schwere Krankheit mich befallen hatte, welche Sorgen mich umschlungen hielten, hast du mehr als einmal gehört. Daß aber ein Mensch in diesem Zustand etwas Lebenskräftiges und etwas, das über die Gedanken des gemeinen Mannes hinausragt, hervorbringen kann, glaubst weder du, Nüßler, noch glaubt es sonst jemand, der die Erhabenheit der göttlichen Kunst etwas gewissenhafter, ohne Neid bei sich erwägt. Also wirst du vorliegendes Werk allein seines Inhalts wegen lieben, da es hier um die Wiege unseres allersüßesten Heilandes geht. Oder wenn du sonst noch etwas Gutes darin finden solltest, selbst das sollst du einzig und allein demjenigen anrechnen, ohne dessen Hilfe, wie jeder Christ wohl weiß, kein Sterblicher irgendetwas irgendwo vollbringen kann. Leb wohl, lieber Bruder, zusammen mit unserem hochgeschätzten Kirchner, und achte die Feinde der Literatur, wie wir es tun, wacker für nichts. Liegnitz, am 30. Dezember 1623. [P.F.]

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Elegia ejusdem ad eundem, ante annum perscripta.

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Immortale olim condere jußit opus; Caelestes tantùm nobis quod narrat amores, Non Venerem, et coeci tela pudenda dei: Quale tibi surgit, Prudenti maxime, carmen, Et tu, Lactanti, raptus ad astra canis: Si licet, et fas est, vestris date fontibus ora, Nil huc Pegasidum nam facit unda, rigem. Virgineos partûs, quid versu dignius esset? Natalemque hominis qui Deus ipse, canam. Gens humana veni; cunas spectabimus illas, Quas tua vera salus vitaque tota premit. Tam festa cessent aliena negotia luce, Nil urbes vani, nil ager ullus agat. Priscorum sileat sapientia coeca sophorum, Velaque Neptuni pallida turba legat. Caußidici metuant venales solvere linguas, Hostiles ponant arma cruenta manûs, Author pacis adest, superûmque hominumque voluptas. Spectatum huc avidè gens venit ipsa poli. Nec faculis opus est: ostendunt sidera parvam, Quà magnus vitae Sol jacet ille, casam. Dulce decus rerum, generis lux unica nostri, Quem pronis animis mundus uterque colit, [A4v] Si tibi marmorei pereuntia limine templi Munera, et Eoi non damus orbis opes: Paupertas pietatis amans exosaque fraudi, Et mens plena fide te, puer alme, capit. Simplicius quid erat miseris pastoribus usquam? Tu tamen hos primos in tua sacra vocas. Dum domini rerum, et vincti fortaßè Lyaeo Reges lenta gravi membra sopore levant, Plebs contempta, capax fidei tamen, occupat antrum, Neglectis gregibus, laeta libensque tuum, Occurritque tibi: sic his quoque versibus (illos Non ignoro tui muneris esse) fave. Et tu, fide mihi semper, N ÜSSLERE , sodalis,

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Eine Elegie desselben an denselben, vor einem Jahr geschrieben. Mächtige Seelen, die einst die Macht des Heiligen Geistes ein unsterbliches Werk schaffen hieß, das uns nur von der himmlischen Liebe, nicht aber von Venus und den schändlichen Pfeilen des blinden Gottes erzählt, so wie dein Lied sich erhebt, herrlicher Prudentius, und wie du es singst, zu den Sternen entrückter Laktanz: Wenn es erlaubt ist und Gott gefällt, laßt mich meinen Mund an euren Quellen netzen (denn das Naß der Musen taugt hier nichts)! Die Niederkunft der Jungfrau – welcher Stoff wäre des Verses würdiger? – (10) und den Geburtstag des Menschen, der Gott selbst ist, werde ich besingen. Komm, Menschengeschlecht, wir wollen jene Wiege anschauen, in welcher dein wahres Heil, dein ganzes Leben liegt. An einem so festlichen Tag sollen weltliche Geschäfte ruhen! Kein eitles Treiben herrsche in den Städten, keins auf den Äckern! Die blinde Weisheit der alten Philosophen soll schweigen, und Neptuns Schar soll die bleichen Segel streichen! Die Anwälte sollen sich hüten, ihre käufliche Beredsamkeit ohne Hemmungen anzuwenden; die verfeindeten Scharen sollen die blutverschmierten Waffen niederlegen: Der Friedensstifter ist gekommen, Wonne der Himmelsbewohner und der Menschen. (20) Selbst die himmlischen Heerscharen kommen begierig herbei, um ihn zu sehen. Und es bedarf keiner Fackeln: Sterne zeigen die kleine Hütte an, in der jene gewaltige Sonne unseres Lebens liegt. Du süße Zier der Schöpfung, unseres Geschlechts einziger Lichtstrahl, den beide Welten mit willigem Herzen verehren: Wenn wir dir keine vergänglichen Geschenke und keinen morgenländischen Reichtum an der Schwelle eines marmornen Tempels darbringen, so nehmen dich, holder Knabe, die Armut, eine Freundin der Frömmigkeit, doch dem Truge verhaßt, und ein vom Glauben erfülltes Herz auf. Wo gab es etwas Einfacheres als arme Hirten? (30) Trotzdem lädst du diese als erste zu deinem Fest. Während die Herren der Welt und die Könige, vielleicht vom Wein gefesselt, die schweren Glieder durch einen tiefen Schlaf stärken, füllt das zwar verachtete, doch für den Glauben empfängliche Volk glücklich und vergnügt deine Grotte, nachdem es seine Herden zurückgelassen hat, und eilt dir entgegen. Sei also auch diesen Zeilen gewogen (ich weiß genau, daß jene anderen ein Werk deiner Gnade sind)! Auch du, Nüßler, mein immer

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Quem Musae norunt et Themis esse suum, Huc magnae steterat quà prisca colonia Romae, Non licet hoc etenim corpore, mente veni, Et vati largire tuo, majora quis optet? Vel paullum ex genii nobilitate tui. Nam me languor edax, et membra exercita morbis, Vix digitos, taceo plura, movere sinunt. Hora tamen clemens, post tot discrimina rerum, In patria rursum te mihi junget humo. Interea, nam sola ferè mihi vota supersunt, Vive, et me melius, dulcis amice, vale! […]

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Paraphrasis Psalmi LXXIX. eodem Authore.

CErnis effusas, pater alme, turmas

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In tuis latè rutilare campis, Atque vastantes tibi vota diras Praedia gentes. Polluit saevo tua templa ferro Agmen infestum, jacet illa magna, Urbium princeps solymaeque verrunt Infima turres. Pavit obscoenos furor impiorum Alites sparso per agros cerebro, Et feris sanctae laceranda liquit Viscera plebis. Civium turpi madefacta tabo Innocens tellus rubuit, novisque [D4r] Extulit stragis cruor insepultae Flumina ripis, Perfidum rident mala inhospitales Nostra vicini, et satiant suorum Heu! propinquorum fera luctuosis Corda ruinis. Quis manet tandem toties relictum

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treuer Kamerad, den die Musen und Themis als den Ihren betrachten, (40) begib dich im Geiste – leibhaftig kannst du das ja nicht – hierher, wo die einstige Kolonie des großen Rom gestanden hatte, und spende deinem Dichter – wer könnte Größeres wünschen? – auch nur ein bißchen von deinem vortrefflichen Geist! Denn eine zehrende Mattigkeit und die Heimsuchung der Glieder durch Krankheiten lassen mich kaum die Finger bewegen – zu schweigen von anderen Dingen. Doch die Stunde wird kommen, die uns nach so vielen Gefahren auf heimatlichem Boden wieder gnädig zusammenführen wird. Inzwischen – denn mir bleiben wohl nur Wünsche übrig – leb wohl, lieber Freund, und laß es dir besser gehen, als es mir geht. [P.F.] […]

Paraphrase des Psalms 79 von demselben Verfasser. Du siehst, gütiger Vater, die Kriegshaufen in ihrem rötlichen Glanz auf deinen Feldern ringsum, und die grausamen Völkerscharen, die deine Heiligtümer plündern. Das feindliche Heer hat deine Tempel entweiht mit grimmigem Eisen. Die erhabene Königin der Städte liegt danieder, und Jerusalems Türme streifen die Erde. Die Wut der Gottlosen fütterte die unreinen (10) Vögel mit dem über die Felder verteilten Gehirn und ließ wilden Tieren die Eingeweide des gottgefälligen Volkes zum Fraß. Die unschuldige Erde war rot, benetzt vom widerlich verwesenden Blut der Bürger, und aus dem Blut der nicht begrabenen Leichen entsprangen Flüsse zwischen neuen Ufern. Treulos lachen die ungastlichen Nachbarn über unser Unglück und laben ihre wilden (20) Gemüter an dem trau-

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Exitus caetum, Deus? an furoris Non tui volvit satis aestuantes Flamma favillas? Impetu dextrae potius tremendae Nescias contunde tui catervas, Et lacessito tege peierantes Fulmine reges. Hi tui sedem et placidos Jacobi Igne vastarunt rabido penates: Sola nunc passim superant pudendis Rudera campis. Exequi poena nimium severa Mitte transacti malè crimen aevi, Et fatigatam gravibus procellis Erige turbam. Nominis per te veneranda sancti Sacra, per numenque tuum precamur, Arma pro nobis cape, nec fidelem Linque cohortem. Ne rudes belli pariter deique Esse nos livor crepet impiorum, Aduola certus tibi militantis Sanguinis ultor. v [D4 ] Frange probrosas populi catenas Duriter pressi, neque te vocantum Lachrymas tristes, et in astra missos Respue questûs. Redde perversis mala quae dederunt Septies castris, et ab insolenti Jacta vicino toties, in ipsum Probra retorque. Atque sic grex nos tuus usque et usque Ibimus, prompti simul et parati Ore non falso tibi consecratas Pangere laudes.

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rigen Untergang – ach! – der ihnen Nahestehenden. Gott! Welches Ende wartet denn auf die so oft verlassene Gemeinde? Hat denn die Flamme deines Zorns nicht genug glühende Asche aufgewirbelt? Zerschmettere lieber die Heereshaufen, die dich nicht kennen, mit einem Schlag deiner furchtbaren Rechten und überziehe die meineidigen Könige mit dem Blitz, den sie herausgefordert haben! Diese verwüsteten den Sitz und das friedliche Haus deines Jakob (30) mit wütendem Feuer: Nur noch Schutt bleibt allenthalben auf den schändlich zugerichteten Feldern übrig. Laß ab davon, die Schuld sündiger Zeiten mit allzu harter Strafe zu verfolgen, und richte das durch heftige Stürme zermürbte Volk auf! Wir bitten dich bei der majestätischen Ehre deines heiligen Namens und bei deinem göttlichen Willen, leg deine Waffen für uns an und (40) laß die Schar der Gläubigen nicht im Stich! Damit der Neid der Gottlosen uns nicht zugleich kriegsuntüchtig und gottverlassen schimpft, eile herbei als sicherer Rächer des für dich streitenden Blutes. Zerreiße die schändlichen Ketten des Volkes in der schweren Bedrängnis und weise die bitteren Tränen der dich Anrufenden und ihre zu den Sternen emporgesandten Klagen nicht ab! Vergelte ihnen, nachdem (50) die Festungen zerstört worden sind, das Übel, das sie zugefügt haben, siebenmal und wende die Schmähungen, mit denen uns der Nachbar in seinem Übermut so oft beworfen hat, gegen ihn selbst. So werden wir dann für immer und immerzu als deine Herde mit dir gehen, stets bereit und gewillt, mit einem Mund, der kein Falsch kennt, das dir geweihte Lob anzustimmen. [P.F.]

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Nil, C UNRADE , tuo, diserte, Scito Fermè est notius inter eruditos Hac doctae pietatis, à tot annis Fotae jugiter, aemulatione, Qvin et me puerum, recordor, olim Ausum nonnihil inter hos Olores: Sed tantùm puerum, inscium profundi Sensûs, nec benè verba ponderantem. At postqvam nucibusque Patriaque, Sic aetate jubente, derelictis, A vobis procul, anxium sinistrae Fortunae didici timere fulmen, Tunc me, qvantus eram, venusta totum Haec sententia cepit, aut ego illam; Tunc vidi magis et magis tuum istud Antiqvum, D OMINI E st S ALUS, qvid esset. Inprimis gracilenta non torosos Qvum nuper febris hos trahebat artûs, [425] Nec qvidqvam mihi (tanta solitudo In terrâ minimè malâ bonorum est,) Veri consilii pateret usqvam, Hanc solam petii D EUM S ALUTEM ; Et vires animique corporisque, Id qvod nec Medicus, nec herba posset, Omni spe citiùs redire sensi. Sint longè mihi Patria et Parentes, Sint cari (grave dictu id est!) amici, Et qvodcumque juvat domi morantes; Non sum solus, ubi S ALUS J EHOVAE E st. Albae Juliae Dacorum, ubi tum Professorem Ordinarium agebat, 17. Jan. 1623.

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Beinahe nichts, beredtester Cunrad, ist unter den Gebildeten bekannter als dein Leitspruch, und zwar durch diesen Wettstreit mit deiner seit so vielen Jahren lebendig bewahrten gelehrten Frömmigkeit. Ja, ich erinnere mich, daß auch ich einst als Knabe mancherlei gewagt habe unter diesen Schwänen, aber eben nur als Knabe, der den tiefen Sinn nicht erkannte und die Worte nicht gut abwägte. Nachdem ich jedoch die Kinderschuhe abgelegt, die Heimat, (10) wie es mein Alter verlangte, verlassen und fern von euch den beängstigenden Blitzschlag eines ungünstigen Geschicks zu fürchten gelernt hatte, da ergriff mich, wie ich war, ganz und gar dieser liebliche Satz oder ich ihn. Da erkannte ich mehr und mehr, was dein alter Wahlspruch „Beim Herrn ist Heil“ bedeutet. Besonders neulich, als ein zehrendes Fieber meine geschwächten Glieder niederzog und sich mir nirgends mehr (so groß ist die Verlassenheit (20) von guten Menschen in einem Land, das ja keineswegs schlecht ist) irgendein brauchbarer Rat zeigte, bat ich Gott nur um dieses Heil und spürte, daß die Kräfte des Geistes und des Körpers, was kein Arzt und keine Medizin vermocht hätten, schneller als je erhofft zurückkehrten. Es mögen Heimat und Eltern weit von mir entfernt sein, auch die geliebten Freunde (dies zu sagen, fällt mir schwer!) und was immer den Daheimgebliebenen Freude macht – ich bin nicht allein, wo das Heil bei Jehova ist. Weißenburg in Siebenbürgen, wo er zu dieser Zeit als ordentlicher Professor wirkte, am 17. Januar 1623. [R.G.C.]

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Oratio D.M. Martini Opici

Oratio D!omini" M!agistri" Martini Opicii.

SEreniß!ime" Sacri Romani Imperii Tranßylvaniaeque Princeps, et D!omi"n!i"

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Clementiß!imi" Illustrißimi, Generosissimi-Magnifici, nobiliß!imi" Reverendi, Clarissimi, Egregij omnium Ordinum Audit!ores". Nullam in his terris, tam eße absolutam felicitatem cui non sua quoque calamitas subinde coniuncta sit, praesens hic rerum status exemplo singulari ostendit: Intuentibus enim nobis altius omnia, quae ad constitutionem perfectae felicitatis in hac quidem publica fragilitate requiri poßunt, nihil paenè quicquam eorum Princeps Sereniß!ime" circa te desiderabatur. Nam si ea demum [147] verè beata vita dici debet, quae relicto externae vanitatis strepitu, in virtute sola consistit; regali tuo, erecto et infatigabili animo, fastigium mortalitatis paulò minus quam excesseras. Pacis artibus cum quovis magnorum Heroum eras comparandus, dexteritate belli verò summis ante ferendus. Et cum iis etiam quae vulgò prima habentur, opibus dico, honoribus ac imperiis favor Coelestis abunde te donasset; ne ipsa quidem fortuna totis viribus incumbens nocere tibi posse videbatur. At, proh dolor! quam fragile, quam incertum est hoc, quicquid miseri omnibus numeris exactum esse nobis persuademus! In tanta incolarum laeticia, in tanto exterorum applausu et gratulatione inter mediam spem pacis, vulnus tibi Princeps potentißime infligitur gravissimum. Illa dimidia animae tuae pars, ille totus animus tuus, refugium curarum et gaudium, coniux amabilissima, reposcitur ab eo, cuius indultu hactenus tecum vixerat, et solum sui desiderium cum dolore et luctu acerbissimo tibi relinquit. In cuius quidem Heroinae incomparabilis funere, quod ego, cui nulla

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Rede des Herrn Magister Martin Opitz. Durchlauchtigster Fürst des Heiligen Römischen Reiches und von Siebenbürgen, und allergnädigste, erlauchteste, hochedle, großmächtige, adligste, verehrungswürdige, hochangesehene, vortreffliche Herren Zuhörer aller Stände! Daß auf dieser Erde kein Glück so vollkommen ist, daß ihm nicht doch bald darauf auch sein ganz eigenes Unglück beigesellt ist, dies zeigt in einzigartiger und beispielhafter Weise die hier vorliegende Situation. Wenn wir nämlich ganz genau alles das betrachten, was inmitten dieser allgemeinen Vergänglichkeit zur Begründung vollkommenen Glücks erforderlich sein könnte, so war an dir, durchlauchtigster Fürst, von alldem beinahe nichts zu vermissen. Denn wenn erst jenes Leben als wahrhaft glücklich bezeichnet werden darf, welches das Getöse äußerlicher Eitelkeit hinter sich gelassen hat und sich allein auf die Tugend gründet, so warst du kraft deines königlichen, aufrechten und unermüdlichen Sinnes über den für Menschen erreichbaren Gipfelpunkt beinahe noch hinausgelangt. In den Künsten des Friedens warst du mit jedem der großen Helden zu vergleichen, doch in der Kriegskunst warst du selbst den Besten vorzuziehen. Und da dich die Gunst des Himmels auch mit jenen Gütern, die gewöhnlich als die wichtigsten gelten (ich meine Reichtum, Ehren und Macht), im Überfluß beschenkt hatte, schien nicht einmal das Schicksal höchstpersönlich, wenn es sich mit aller Macht anstrengte, dir schaden zu können. Doch, o Schmerz, wie zerbrechlich, wie ungewiß ist all das, von dem wir Elenden uns selbst einreden, es sei ganz genau berechnet! Als deine Landsleute gerade laut jubeln, als das Ausland gerade großen Beifall spendet und Glück wünscht inmitten der Hoffnung auf Frieden, da wird dir, mächtigster Fürst, eine überaus schwere Wunde geschlagen. Jene ‚Hälfte deiner Seele‘, dein ganzes Herz, deine Zuflucht bei Sorgen und deine Freude, deine über alles geliebte Gattin wird von jenem zurückgefordert, durch dessen Gnade sie bis dahin mit dir gelebt hatte, und sie hinterläßt dir als einziges die Sehnsucht nach ihr zusammen mit tiefstem Schmerz und tiefster Trauer. Daß bei der Leichenfeier für diese unvergleichliche Heroine gerade ich, der ich niemals über Beredsamkeit verfügt habe, aufgestanden bin, um das Wort zu ergreifen, dafür kann ich, so muß ich gestehen, einzig mein Gefühl von Verpflichtung zu meiner Entschuldigung anführen. Denn wenn es einerseits die Tugenden der Dahingegangenen verdient haben, in angemessenem Lob gewürdigt zu werden, so zweifle ich, ob die Redegabe irgendeines Menschen hierzu ausreichte; wenn es andererseits darum ginge, unseren allergnädigsten Fürsten durch Trost aufzurichten, so weist sein vollkommen unbesiegbarer Charakter solche Stärke und Standhaftigkeit auf, daß wir zwangsläufig dieser Pflicht enthoben sind. Hinzu kommt dieser edelste Kreis der Zuhörer, von denen einige sich durch ihre unsterblichen Taten bereits jenseits dessen bewegen, was die

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sermonis copia unquam fuit ad dicendum assurexi, unicam fateor, Pietatem, ad excusationem meam afferre possum. Nam sive virtutes defunctae iustis laudibus efferri meruerant, dubito an cuiusquam facultas sufficiat: sive Princeps noster clementissimus consolatione sublevandus erat, ea invictissimus eius animus fortitudine praeditus est, et constantiâ, ut perire nobis hoc officium neceße sit. Accedit Corona haec Audit!orum" augustißima, quorum aliquot iam factis immortalibus ultra ipsam eloquentiam et industriam annalium consistunt, plurimi autem et aetate et doctrina, et quicquid ad tam grave dicendi munus requiritur, intervallo me superant longè maximo. Sed nos haec omnia potius, quâm studium et reverentiam, quibus magnos homines vivos mortuosque iure prosequimur, desiderari in nobis patiemur. [148] Ac ut inde nostrum sumamus initium, unde foeminarum Illustrissima suum, Pannonia eam, raro Dei munere nobis donavit. Illa omnibus coeli ac Soli bonis tellus refertissima, quae frumenti luxuriâ, vini bonitate, nemorûm et saltuum frequentia, fluminum amoenitate, metallorum divitiis, quotquot usquam sunt regiones provocat. Illa quae tot Decios, Aurelianos, Probos, Diocletianos, Iovianos, Valentinianos, Valentes, Gratianos ad summam Imperij sedem eduxit. Illa, quae Martinos, Hieronymos, Duditios, Sambucos ingentes ac divinos propè viros, in lucem protulit. Illa, in qua Matthias Corvinus, illud fulmen belli, qui eodem et uno tempore, Sarmatas, Bohemos, Getas, Austriacos domuit, nasci voluit et educari. Illa, quae tot milites, quot alibi vix homines, in foecundissimo sinu aluit. Hanc terram, cum Heroinarum praestantissima patriam haberet, ne de illustri et splendidissima Caroliorum stirpe verba faciam, virtutem illam singularem et generositatem animi, cum ipso protinus aêre hausit. Nam quid ego de religione eius in Deum et mirifica loquar pietate? Iuro vobis, si ad acerrimum quo praedita erat ingenium, doctrina saltem accessisset exigua, cognitione sacrarum literarum, nemo hominum illam superasset. Ipsis eruditis et quorum hoc studium est proprium, ruborem saepè numero expressit. Preces cum funderet ardore quasi, et interno devotionis aestu, rapi extra sese videbatur. Cingebant hunc virtutûm Solem, praeter eximiam corporis pulchritudinem, veluti sydera quaedam lucida, plurimae dotes aliae, quae

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Redegabe und der Fleiß der Geschichtsschreibung darzustellen vermag, von denen aber die meisten mich hinsichtlich ihres Alters und ihrer Bildung und alles dessen, was für einen so gewichtigen Redeanlaß erforderlich ist, mit gewaltigem Abstand übertreffen. Aber lieber will ich es hinnehmen, daß man bei mir dies alles vermißt, als daß man jene Ergebenheit und Ehrerbietung vermißte, die wir großen Menschen zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tode zu Recht erweisen. Und um an dem Punkt zu beginnen, an dem die herrlichste aller Frauen begonnen hat: Ungarn hat sie uns dank einer besonderen Gunst Gottes geschenkt, jenes Land, das überfließt an allen Gütern des Himmels und der Erde, das durch den Reichtum an Getreide, durch die Güte des Weins, durch die große Zahl an Wäldern und Gebirgen, durch die Anmut der Flüsse, durch den Reichtum an Metallen mit allen Gebieten der Welt wetteifert, jenes Land, das so viele Männer wie Decius, Aurelian, Probus, Diokletian, Jovian, Valentinian, Valens und Gratian zum höchsten Thron des Kaiserreichs emporgeführt hat, jenes Land, das so gewaltige und beinahe göttlich zu nennende Männer wie Martin, Hieronymus, Dudith und Sambucus ans Licht der Welt gebracht hat, jenes Land, in dem Matthias Corvinus, jener gewaltige Kriegsheld, der zu ein und derselben Zeit die Sarmaten, Böhmen, Geten und Österreicher bezwungen hat, geboren und erzogen werden wollte, jenes Land, welches in seinem überaus fruchtbaren Schoß so viele Soldaten genährt hat, wie es anderswo kaum Menschen gibt. Da die vortrefflichste unter den Heroinen dieses Land zur Heimat hatte (von dem erlauchten und überaus glänzenden Geschlecht derer von Károlyi will ich gar nicht erst reden), atmete sie unmittelbar mit der Luft zugleich auch ihre einzigartige Tugend und edle Gesinnung ein. Denn was soll ich von ihrem Glauben an Gott und ihrer wunderbaren Frömmigkeit reden? Ich schwöre euch: Wenn zu dem äußerst scharfen Verstand, mit dem sie begabt war, auch nur noch ein wenig Bildung hinzugekommen wäre, hätte sie kein Mensch in der Kenntnis der Heiligen Schriften übertroffen. Sogar den Gelehrten, deren Fachgebiet dies ist, trieb sie oft die Schamröte ins Gesicht. Wenn sie mit Inbrunst und gleichsam voll innerer Glut ihrer Hingabe ihre Gebete sprach, schien sie sich selbst entrückt zu sein. Diese Sonne der Tugenden umringten – neben der außerordentlichen Schönheit ihres Körpers – gleichsam wie leuchtende Sterne noch viele andere Gaben, welche man kaum aufzählen, geschweige denn hinreichend würdigen kann. Neben allem übrigen, welchem große Fürsten ausgesetzt sind, stellt eine schwere Last auch der Umstand dar, daß alle ihre Worte, Taten und Verhaltensweisen, fast möchte ich sagen: sogar ihre Gedanken mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit ausgeforscht werden. Die menschliche Neugier dringt nicht nur zu den Türen und Hallen vor, sondern sogar zu den Schlafgemächern und der Abgeschiedenheit vollkommen privater Räumlichkeiten, und unerwartet breitet sie gerade die größten Geheim-

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vix recenseri, nedum satis commendari possunt. Est hoc magnorum Principûm inter caetera non leve onus, quod in omnia dicta, facta, et mores eorum, dixerim paenè in ipsas cogitationes, exquisita diligentia inquiratur: non fores modò et atria, sed cubicula etiam intimosque secessus, curiositas humana petit, et praeter expectationem, abditissima quaeque in oculis populi, et luce clarissima expo[149]nit. Inquisiverint undique, omnes angulos perreptaverint, nihil penes nostram fuit, quod, si proferatur, non gloriae ipsi maximae et honori futurum sit. Poterat in hac Mariti Serenißimi eminentia, ad quam Numen coeleste et fortitudo bellica eum provexerant, vento quodam Superbiae, solenni foeminarum morbo abripi: sed illa nihil sibi, ex tanto rerum secundarum affluxu, nisi gaudium vendicavit, nihil ab ea, quam à teneris prae se tulerat continentia quicquam descivit. Ita dùm Heros noster arces expugnat, urbes subiugat, instantes hostium catervas frangit, illa interim domi insolentiam, adversarium humani generis longè validissimum: vicit et prostravit. Eadem, quanto amore maritum, quanta subditos clementiâ, quâ munificentia inopes, qua peccantes venia, qua humanitate notos ignotosque prosecuta fuit? Nihil illa castius, nihil sobrius, nihil modestius, nihil mansuetius, universum hoc seculum vidit. Et cum viva egenos paverit, captivos vestierit, afflictis subvenerit, quotiesque potuit fortunae interceßerit, ne moriens quidem illiberalis esse voluit, sed stipem pauperibus non exiguam testamento reliquit; ô verè publicum bonum et in commune auxilium natam! Fortitudinem verò illius et constantiam prorsus masculam, si nihil aliud, extremus profectò vitae actus abundè ostendit. Invaserat eam paulò vehementius in itinere fatalis iste morbus, et vires corporis tenerrimi non mediocritèr attriverat: sed ne reclinare se quidem in currum voluit, princeps ad omnes casus excipiendos paratissima; nedum ut ullam doloris impatientiam vel vultu, vel verbis indicasset. Claudiopoli postea, cum imminere fatum sibi suum cerneret, medicorum industriam aut contempsit, aut ne contempsisse videretur parcè admisit. Perpendebat

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nisse vor den Augen des Volkes und am hellichten Tage aus. Sie mögen überall nachgesucht haben und in jeden Winkel gekrochen sein, doch gab es bei unserer Herrin nichts, was ihr nicht zu größter Anerkennung und Ehre gereichte, wenn es denn publik gemacht würde. Angesichts der herausragenden Stellung ihres durchlauchtigsten Gemahls, zu der ihn die Macht des Himmels und die Tapferkeit im Kriege emporgetragen hatten, hätte sie vielleicht gleichsam vom Wind des Hochmuts hinweggerissen werden können, was ja bei Frauen eine ganz übliche Krankheit ist. Doch hat sie von all dem Überfluß an Erfolgen für sich selbst lediglich die Freude darüber beansprucht. Sie ist kein bißchen von jenem Pfad der Zurückhaltung abgewichen, dem sie von Jugend an gefolgt war. Während also unser Held Burgen eroberte, Städte unterwarf, die andrängenden Scharen der Feinde schlug, besiegte und bezwang sie zur gleichen Zeit zu Hause den Hochmut, welcher ja der bei weitem mächtigste Feind des Menschengeschlechts ist. Welch’ große Liebe hat eben diese Frau gegenüber ihrem Ehemann gezeigt, welche Milde gegenüber ihren Untertanen, welche Großzügigkeit gegenüber den Mittellosen, welche Gnade gegenüber den Sündern, welche Menschlichkeit gegenüber Bekannten und Unbekannten! Dieses ganze Zeitalter hat nichts Reineres, nichts Enthaltsameres, nichts Bescheideneres, nichts Sanftmütigeres gesehen als sie. Und da sie zu Lebzeiten die Armen speiste, die Gefangenen kleidete, die Unglücklichen unterstützte und, so oft sie es konnte, dem Schicksal in den Weg trat, wollte sie nicht einmal im Sterben ohne Freigebigkeit sein, vielmehr hinterließ sie in ihrem Testament den Armen einen nicht geringen Betrag. Sie war wahrhaftig ein Segen für die Allgemeinheit und geboren als Hilfe für die Gemeinschaft! Ihre Tapferkeit und geradezu männliche Standhaftigkeit zeigt zur Genüge, wenn man schon nichts anderes nennen will, auf jeden Fall der letzte Akt ihres Lebens. Ziemlich heftig hatte sie auf der Reise diese tödliche Krankheit befallen und die Kräfte ihres überaus zarten Körpers in erheblichem Maße erschöpft. Doch die Fürstin, aufs beste gerüstet, alle Schicksalsschläge hinzunehmen, wollte nicht einmal im Wagen ruhen, geschweige denn, daß sie durch den Gesichtsausdruck oder durch Worte irgendeine Spur des Unvermögens gezeigt hätte, den Schmerz zu ertragen. Später dann in Klausenburg, als sie sah, daß ihr Ende bevorstand, verschmähte sie die Mühe der Ärzte entweder völlig oder aber ließ jene jeweils für kurze Zeit vor, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß sie sie verschmähte. Denn als die klügste unter den Heroinen bedachte sie natürlich die Bedeutung dessen, was sie zurückließ, und auch die Bedeutung dessen, dem sie nun näher und immer näher kam. Sie sah, daß all das, um dessentwillen wir über das Meer fahren, die Erde umgraben, pflügen, Krieg führen, schwitzen und frieren, noch um einiges weniger als nichts ist und daß dieses ehrgeizige Lebewesen, das wir ‚Mensch‘ nennen, wie eine Seifenblase erst glänzt und dann zerplatzt. Also ließ sie den Tod,

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nimirum prudentissima Heroinarum, quantum hoc esset quod relinqueret, quantum illud ad quod propius iam propiusque contenderet. Videbat ea omnia propter quae navi-[150]gamus, terram fodimus, aramus, militamus, sudamus et algemus, paulò minus, quàm nihil esse. Ambitiosum verò animal hoc, quod hominem dicimus, bullae instar splendere et evanescere. Mortem igitur, ad quam plerique nostrûm, obtorto collo, tanquam ad praetorem et in nervum rapimur, suo vultu et tranquilla mente admittebat. Putasses hospitem aliquem gratum et amicum ad coenam condixisse, cuius illa adventum tanquam in specula cupidè praestolaretur. Sacrorum librorum sententiis consolari se volentibus verba singula praeripuit, et quamvis constituta in tormentis naturae precum sedulitate vinci, extimuit. Ita plena spei, plena fidei, plena aeternitatis, cuius partem mortalis adhuc percipere videbatur, castissimam illam animam Servatori nostro qui sangvine suo eam redemerat, laeta libensque tradidit, et sine ullo gemitu aut moeroris indicio fragile hoc domicilium reliquit. O felicem te Susanna beatissima, quae dum vixeras didiceras mori, quae animo amplexa eras Dominum ac Deum tuum, cuius morte nostra mors fracta ac contrita est, translata nunc eo es, ubi, cum corpore non licebat, mente tamen semper versabaris. Hoc quod mortale erat, haec ossa nervis circumvoluta, hanc obductam cutem, et reliqua quibus tanquam catenis vincimur, magnae matri, cuius pars fuerat reddidisti: tu verò aeterna, tu incorrupta, melioris nunc statûs es, expedita oneribus alienis, et tibi relicta. Have et vale olim terrae, nunc insigne coeli decus: nos eo ordine quo Deus permiserit omnes te sequemur. Interim laudibus non morituris, innocentissimam vitam tuam, quantum in nobis erit posteritati commendabimus, et digna virtutûm tuarum contemplatione, desiderium tui leniemus. Te quoque Princeps Sereniß!ime" dilectissima dum fata sinebant coniux tua huc vocat, ista se memoria potius, ut faustissimam in qua nunc versatur stationem tecum revolvas, quam lamentis et luctu non profuturo prosequaris, cupit. Quicquid [151] eâ factum est, praeter naturam non fuit. Hic Sol, haec Luna, hic orbis, haec terra, hoc mare vices suas momentis omnibus experiuntur. Arboribus, plantis, floribus,

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zu dem die meisten von uns im Würgegriff wie zu einem Richter und ins Gefängnis geschleppt werden, mit unverändertem Gesichtsausdruck und ruhigen Sinnes an sich heran. Man hätte meinen können, sie habe einen geschätzten und befreundeten Gast zum Essen eingeladen, dessen Ankunft sie sich gleichsam wie von hoher Warte aus sehnlichst erhoffte. Denen, die sie mit Sprüchen aus der Heiligen Schrift trösten wollten, nahm sie jedes einzelne Wort aus dem Mund, und obwohl sie körperliche Qualen litt, wollte sie sich auf keinen Fall im eifrigen Beten übertreffen lassen. So übergab sie, erfüllt von der Hoffnung, erfüllt vom Glauben, erfüllt von der Ewigkeit, von der sie schon als Mensch einen Teil zu empfangen schien, freudig und gern ihre überaus keusche Seele unserem Heiland, der sie mit seinem Blut erlöst hatte, und ließ ohne irgendeine Klage oder ein Zeichen des Bedauerns diese hinfällige Wohnstätte hinter sich. O, glücklich bist du, seligste Susanna, die du, noch während du lebtest, zu sterben gelernt hattest, die du deinen Herrn und Gott ins Herz geschlossen hattest, durch dessen Tod unser Tod vollkommen vernichtet worden ist. Nun bist du dorthin verbracht worden, wo du doch mit der Seele schon immer verweiltest, als es dir mit dem Körper noch nicht gestattet war. Das Sterbliche an dir, d. h. deine von Muskeln umhüllten Knochen, deine Haut, die sich darüber spannte, und alles übrige, durch das wir wie durch Ketten gefesselt sind, hast du der großen Mutter zurückgegeben, deren Teil es gewesen ist. Du aber bist ewig, du bist unvergänglich, du hast jetzt ein besseres Dasein, befreit von fremden Lasten und nur noch dir selbst überlassen. Sei gegrüßt und lebe wohl, o prächtiger Schmuck, einst der Erde, nun des Himmels. Wir alle werden dir folgen in der von Gott gewollten Anordnung. Bis dahin werden wir, soweit es in unserer Macht liegt, in ewigem Lob dein von größter Unschuld bestimmtes Leben der Nachwelt in Erinnerung bringen und die Sehnsucht nach dir durch eine würdige Betrachtung deiner Tugenden lindern. Auch dich, durchlauchtigster Fürst, ruft hierher deine Gattin, welche von dir innig geliebt wurde, solange es das Schicksal zuließ. Sie wünscht, du mögest, wenn du dich ihrer erinnerst, bei dir eher an den überaus glücklichen Ort denken, an dem sie sich jetzt aufhält, als ihr in Klagen und unnützer Trauer nachweinen. Nichts, was in ihrem Falle geschehen ist, war wider die Natur. Diese Sonne, dieser Mond, diese Welt, diese Erde, dieses Meer erleben in jedem Augenblick ihre eigene Veränderung. Die Bäume, die Pflanzen, die Blumen und wilden Tiere sind alle ein und demselben Gesetz unterworfen: entstehen und vergehen. Ob du nun frühere oder unsere eigenen Zeiten betrachtest: Ganze Städte, ganze Reiche und Völker wechseln zu wiederholten Malen ihre Herren oder werden vollständig zerstört. Und da sollte es jemand von uns wagen, sich die Unsterblichkeit zu erhoffen? ‚Alles Fleisch ist Gras und alle seine Herrlichkeit ist wie eine Blume auf dem Felde‘. Vergleiche die Lebenszeit eines Menschen (mag sie auch noch so lang sein) mit dem end-

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feris, una lex posita est, nasci et interire. Sivè priora sivè nostra inspicis tempora, civitates integrae, integra regna et nationes, aut dominium subindè mutant, aut funditûs delentur. Et nostrum aliquis immortalitatem sibi spondere audeat? Omnis caro est foenum, et omnis gloria eius sicut flos campi. Confer aetatem hominis etiam longissimam, cum infinito magni illius aevi cursu: vix momentum erit. Imò, confer totum hunc terrarum ambitum, cui tam superba Europae, Asiae, Africae, Americae, nomina imposuimus, cum immensis coeli spaciis: pedis mensuram non excedet. Nihilominus strenua nos exercet inertia. Quidam urbes fundat, quidam evertit. Hunc ambitio sua, magnarum plerumque animarum pestis, illum avaritia dormire non sinit. Est qui quaerit opes, est qui lancinat. Vbique spes aut metus, ubique invidia; ubique luxus regnat et petulantia. Dubito certè fleveritne prudentius Heraclitus, an Democritus riserit, nisi quod calamitas humana ineptiis plurimum antecellit. Neque aliam nobis vitam, natura cum nos ederet permisit, quam à lachrymis omnes auspicamur. Ista conditione huc intramus, hoc initium est, quod reliquus annorum ordo imitatur. Alius laborem, alius egestatem; alius exilium, alius haec omnia, cum quibus se exerceat habet. Ista si desunt, negotium nobis ipsi facessimus, et vitam quam cum somno partimur, molitione magnarum rerum, et insatiabili votorum ambitu torquemus. Inter haec plerumque mors ex transverso incurrit, et febricula inepta, aut calculo aliud agentium curas abrumpit. Idque sine ullo dignitatûm accidit aut aetatis respectu. Sicut poma quaedam acerba adhuc avelluntur, quaedam maturitate victa ultro decidunt: ita nostrûm pars in herba et flore annorum, pars verò demùm, sed tamen avocamur. [152] Et his quidem Senectus, quam diu optaverant, si contingit molesta est: sic aut morbos illa secum trahit, aut ipsa morbus est. Vt ita quod ad eam uxor tua Sereniß!ima" non pervenerit, Princeps Clementißime, queri non sit necesse. Satis enim diù vel naturae vixit vel gloriae. Peregit cursum à Supremo Numine sibi datum, et virtutes quibus gravior aetas interdum ornata est, maturitate ingenij percepit. Molestias autem eius nullo vivendi dispendio effugit. Possidet jam pro mortali hoc Regno Regnum immortale, solius agni immaculati Iesu Christi

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losen Lauf jener ewigen Zeit: Es wird kaum ein Augenblick sein. Mehr noch: vergleiche den gesamten Umfang aller Länder, denen wir die stolzen Namen Europa, Asien, Afrika und Amerika gegeben haben, mit den unermeßlichen Räumen des Himmels: Er wird das Maß eines Fußes nicht übertreffen. Nichtsdestoweniger hält uns geschäftiges Nichtstun in Atem. Der eine gründet Städte, der andere zerstört sie. Den einen läßt sein eigener Ehrgeiz (diese Krankheit befällt zumeist große Persönlichkeiten), den anderen seine Habgier nicht schlafen. Es gibt Leute, die Reichtümer zu erwerben suchen, und es gibt Leute, die ihre Reichtümer verschwenden. Es herrscht überall Hoffnung oder Furcht, überall Neid, überall Verschwendungssucht und Dreistigkeit. Ich bin wirklich im Zweifel darüber, ob größere Klugheit im Weinen des Heraklit oder im Lachen des Demokrit liegt – außer daß das menschliche Elend die Torheiten bei weitem übertrifft. Und als die Natur uns hervorbrachte, hat sie uns nur ein solches Leben gestattet, welches wir alle unter Tränen beginnen. Unter diesen Umständen treten wir hier ein, dies ist der Anfang, den die restliche Abfolge der Jahre nachahmt. Der eine hat sich auseinanderzusetzen mit Schinderei, der andere mit Entbehrung, der dritte mit Verbannung, der vierte mit allem zusammen. Sofern dieses nicht auftritt, bereiten wir uns die Probleme selber und quälen unser Leben, welches wir ja auch noch mit dem Schlaf teilen müssen, mit der Durchführung großartiger Pläne und mit dem unersättlichen Ehrgeiz unserer Sehnsüchte. Dabei kommt uns zumeist ganz unerwartet der Tod in die Quere und beendet durch ein lächerliches Fieberchen oder ein Steinchen die Sorgen der Menschen, welche gerade mit ganz anderem beschäftigt sind. Und dies geschieht ohne Ansehen des Ranges oder des Alters. Wie manches Obst gepflückt wird, obwohl es noch unreif schmeckt, anderes hingegen überreif von selbst herabfällt, so wird auch ein Teil von uns auf dem Halm und in der Blüte seiner Jahre abberufen, ein anderer Teil erst ganz spät, aber schließlich doch. Und wenn diesen Leuten das Alter, welches sie sich lange ersehnt haben, zuteil wird, ist es ihnen beschwerlich. So nämlich bringt es entweder Krankheiten mit sich oder ist selbst eine Krankheit. Daß deine durchlauchtigste Gattin, gnädigster Fürst, bis dahin nicht gelangt ist, ist deshalb kein Grund zur Klage. Denn für ihre Natur und ihren Ruhm hat sie lange genug gelebt. Sie hat den ihr vom allmächtigen Gott gegebenen Lauf vollendet und die Tugenden, mit denen das vorgerückte Alter bisweilen geschmückt ist, durch die Reife ihres Charakters in sich aufgenommen, hingegen ist sie seinen Beschwernissen ohne Beeinträchtigung ihres Lebens entflohen. Statt dieses vergänglichen Reiches hier gehört ihr nun das unvergängliche Reich, das durch das Blut des einzig unbefleckten Lammes, Jesu Christi, gewonnen wurde. Keine Kriegsmaschinen, keine Soldaten, keine Belagerungstürme und Festungen waren hierzu erforderlich. Tränen, Gebete, Seufzer und gottergebener Glaube: dies ist es, wodurch sie kraftvoller als

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sangvine partum. Nullis hic machinis, nullis militibus, nullis turribus opus et propugnaculis fuit: lachrymae preces, gemitûs fides in Deum conversa, haec sunt, quibus quavis ballista aut tormento fortiùs beatas illas coelitûm sedes perrupit. In hanc Translata Regiam, procul à morbis, à suspicione, livore, et armorum quibus totus Orbis ferè iactatur insania, iis perfunditur gaudiis, quae nec oculus vidit, nec auris audivit, nec quisquam mortalium cogitationibus unquam comprehendit. Commigravit è tenebris in lucem, è fluctibus ad portum, è carcere ad libertatem, eam agit vitam, quae nec temporis nec felicitatis termino ullo continetur. Sedet plena Deo, in media beatarum animarum Corona, cincta est mille Angelis, quos castimonia et sanctitate hic imitabatur; intuetur iam de facie ad faciem Patrem, Filium et Spiritum Sanctum, infinitam et aeternam Trinitatem: ad cuius nos genua supplices procidimus et ex animo oramus, erigat consolatione viduum Serenissimum, et addat aetati eius, quicquid annorum Heroinae nostrae detraxit. Sera sit dies ô Deus, quae Principem optimum ad defensionem Relligionis et Patriae natum, reposcat; concede ipsi pacem, concede securitatem, aut si infidae paci apertum bellum praeferendum est, da ut infandas hostium molitiones, constantèr sicut hactenus, evertat. Et quoniam contra relictam Ecclesiam tuam, totus furor inferorum in [153] nostra praesertim Germania exsurgit, ac velut compos iam victoriae crudelitèr nobis insultat, fac ut infracto animo pro nominis tui gloria, pro libertate, pro aris et focis vivere discamus et mori. Sine te, Deo exercituum, victore nostro et Duce nihil possumus. Tu auxilium tu fortitudo nostra es. Veni igitur et noli tardare. Redde illis sanam mentem, qui simultatis et invidiae studio aut imbelli metu perculsi, divortium à bona causa fecerunt. Erige afflictos, et pulsis iniquis possessoribus suam cuique Patriam redde: donec te in altera, quae supra nos est Patria, in quam beatissimam Principem praemisimus, celebremus sine fine et laudemus. Amen.

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mit irgendwelchen Kanonen oder Geschützen in jenen seligen Wohnsitz der Himmlischen eingedrungen ist. Versetzt in diesen Palast, fern von den Krankheiten, von der Verdächtigung, vom Neid und dem Wahnsinn der Waffen, durch die nahezu die gesamte Welt erschüttert wird, wird sie mit Freuden überhäuft, welche ‚kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat‘ und die kein Sterblicher jemals gedanklich erfaßt hat. Sie wanderte aus der Finsternis ins Licht, von den hohen Wellen in den Hafen, aus dem Kerker in die Freiheit; sie führt ein Leben, das durch keine Grenze, weder der Zeit noch der Glückseligkeit, bestimmt ist. Gotterfüllt sitzt sie inmitten der Schar glücklicher Seelen, sie ist umringt von tausend Engeln, denen sie schon auf Erden in Keuschheit und Reinheit nacheiferte. Nun sieht sie ‚von Angesicht zu Angesicht‘ den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, die unendliche und ewige Dreifaltigkeit, zu deren Füßen wir demütig niederfallen und von Herzen beten, sie möge den durchlauchtigsten Witwer durch Zuspruch aufrichten und seiner Lebenszeit alle jene Jahre hinzufügen, die sie unserer Heroine genommen hat. O mein Gott, spät komme der Tag, welcher auch den vortrefflichsten Fürsten zurückfordert, der ja geboren ist zur Verteidigung von Religion und Vaterland. Gewähre ihm Frieden, gewähre ihm Sicherheit, oder, wenn ein offener Krieg einem unzuverlässigen Frieden vorzuziehen ist, gib, daß er die ruchlosen Pläne der Feinde ohne Schwanken so wie bisher durchkreuzt. Und da sich gegen deine im Stich gelassene Kirche die ganze Wut der Hölle, zumal in unserem deutschen Land, erhebt und uns grausam verhöhnt, als sei sie schon im Besitz des Sieges, so gib, daß wir lernen, mit ungebrochenem Mut für den Ruhm deines Namens, für die Freiheit, für Heim und Herd zu leben und zu sterben! Ohne dich, den Gott der Heerscharen, unseren siegreichen Führer, vermögen wir nichts. Du bist unsere Hilfe, du bist unsere Stärke. Komm also und zögere nicht! Gib jenen den gesunden Verstand wieder, die sich – aus Feindseligkeit und Neid oder getrieben von feiger Angst – von der guten Sache getrennt haben. Richte die Geschlagenen auf, verjage die unrechtmäßigen Besitzer und gib jedem seine Heimat wieder, bis wir dich in der anderen Heimat, die über uns ist und in die wir die allerseligste Fürstin schon vorausgeschickt haben, ohne Ende feiern und preisen! Amen. [T.H.]

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Et tam felici foedera pacta manu, Plausibus innumeris, et victrice undique lauru, O patriae vindex optime, dignus eras: At te fata, quibus nullo discrimine rerum Miscentur solitis omnia nostra malis, Instaurare iubent charae devota maritae Funera, et ad moestos spargere dona rogos. Triste satis, fateor; sed te, qui caetera vincis, Haec quoque constanti pectore ferre decet. Illa, parum firmi procul hinc á sordibus aevi, Incolit aurati templa serena poli: Hîc vastum hoc miseros quod nos involvit inane Despiciens, inter praemia mille sedet, Mortalesque uno periturae laudis amore Ridet inexhausti ferre laboris onus, Et curas inter jactari, et inertia vota, Ceu ruit incerto navis onusta salo. Interdum cum facta tuae sublimia dextrae Cogitat, et sumptae nobile pacis opus, Gaudet, et ob partam, PRINCEPS auguste, quietem Gratari populis incipit ipsa tuis, His expleta bonis, animisque admota piorum, Qua cytharae, et cantus, et joca laeta vigent, [Aav] Extollit rerum non ficta laude parentem, Vitaeque ipsius pectora fonte rigat. Tu gemitus ducens, heros invicte, profundos, Saucia crudeli vulnere corda geris Ipsa tibi comitem se ripa binominis Istri Iungit, et insolitis ad mare vergit aquis. Hi flores, herbaeque, licet pulcherrimus annus Nunc eat, et Zephyris foeta calescat humus, Haec prata, hi colles quasi tacti frigore languent, Et quidam luctus quaelibet arbor habet. Carmina Pastores miseri feralia texunt, Ingeminant tristes roscida rura modos. Me quoque, quem patria Numen coeleste relicta Has voluit terras, hos habitare lares,

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Klagelied von Martin Opitz. Nach großen Leistungen im todbringenden Krieg und nach Verträgen, die du mit so glücklicher Hand geschlossen hast, warst du, o bester Beschützer des Vaterlandes, würdig grenzenlosen Beifalls von allen Seiten und des Lorbeers für den Sieger. Doch das Schicksal, durch das ohne Unterscheidung der Fälle alles, was uns gehört, den gewöhnlichen Übeln beigemengt wird, heißt dich ein frommes Begräbnis für die geliebte Gattin zu veranstalten und Gaben auf dem trauerkündenden Scheiterhaufen auszubreiten. Ich gestehe, das ist traurig genug; doch für dich, der alles andere überwindet, (10) ziemt es sich, auch dies mit gleichmütigem Herzen zu ertragen. Weit entfernt von hier, von dem Schmutz des allzu wenig verläßlichen Diesseits, bewohnt sie die heiteren Tempel des goldenen Himmels. Hier sitzt sie zwischen tausend Gaben und schaut herab auf diese leere Wüste, welche uns Elende umgibt, und lacht darüber, daß die Sterblichen einzig aus Liebe zum vergänglichen Ruhm die Last nicht enden wollender Mühe ertragen und hin und her geworfen werden inmitten von Sorgen und eitlen Wünschen, gleichwie ein beladenes Schiff auf schwankender See dahintreibt. Mitunter, wenn sie an die erhabenen Taten deiner Rechten (20) denkt und an das edle Werk des errungenen Friedens, freut sie sich und beginnt selbst, erhabener Fürst, deine Völker ob der gewonnenen Ruhe zu beglückwünschen. Von all diesem Guten erfüllt und bewegt durch die Herzen der Frommen, rühmt sie dort, wo Saitenspiel und Gesang und fröhliches Scherzen in Blüte stehen, den Schöpfer der Welt mit aufrichtigem Lob und benetzt ihre Brust mit dem Quell des Lebens selbst. Du, unbesiegter Held, stößt tiefe Seufzer aus und trägst ein Herz in deiner Brust, das verletzt ist durch grausame Wunde. Selbst das Ufer des zweinamigen Ister (30) gesellt sich dir zu als Trauerbegleiter und strebt mit ungewöhnlich starken Fluten zum Meer. Wenngleich nun die schönste Jahreszeit kommt und sich die fruchtbare Erde durch den Westwind erwärmt, sind die Blumen hier und die Gräser, die Wiesen und die Hügel ohne Blüte, gleichwie von Frost berührt, und jeder Baum hat etwas von Trauer an sich. Totengesänge er-

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Me quoque non accepta juvat, sub limine primo Ingreßus, moestae fila movere lyrae. Salve at cum lachrymis, laetarum Dacia frugum, Magna parens celebri fertilitate potens, Dives opum variarum, oppleta armisque virisque Fortibus, at domina jam viduata tua. Scilicet hic rerum stat terminus; omnibus aequo Tardius aut citius mors venit atra pede, Vrbibus haec validis lex fixa est, ipsaque regna, Ceu senio quondam victa situque, ruunt. Ne quis nos, mortale genus, moribundaque membra, Vivere non rupto posse tenore putet. Hic animus noster, divinae nobilis aurae Surculus, interitu nos rapiente, manet, Illaesoque vagas cursu spaciatur in auras, Et petit agnati splendida tecta poli. Huc tua, magne Pater Patriae, translata marita est, Libera curarum quas miser orbis habet. [Aa2r] Si numeras annos, poterat superesse, nec illam, Vt solet, aetatis segne gravabat onus. Sed si divitias mihi, si perpendis honores, Et quicquid nobis hîc queat esse boni, Venerat ad culmen, Princeps faustissime, tecum, Quò Deus, et virtus te tua celsa tulit. Omnibus expletis coelum restabat; et hîc est Plus ultrà nostrum nemo venire potest.

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dichten die unglücklichen Hirten, und vom Tau benetzte Fluren lassen die traurigen Weisen widerhallen. Auch mich, den die himmlische Macht das Vaterland verlassen und dieses Land, diese Stätte bewohnen ließ, auch mich, der ich gerade über die erste Schwelle (40) geschritten bin, erfreut es nicht, die soeben empfangenen Saiten der traurigen Lyra erklingen zu lassen. Doch sei unter Tränen gegrüßt, Dakien, du ob deiner berühmten Fruchtbarkeit mächtige und große Mutter üppiger Ernten, die du reich bist an vielfältigen Schätzen, erfüllt von Waffen und tapferen Männern, doch nun deiner Herrin beraubt. Dies ist nämlich die Grenze weltlicher Macht. Zu allen kommt früher oder später mit gleichem Schritt voll Unheil der Tod. Für mächtige Städte ist dieses Gesetz festgelegt, und selbst Königreiche stürzen dereinst, gleichsam von ihrem eigenen Alter und Moder besiegt, zusammen: damit ja niemand glaube, daß wir, ein sterbliches Geschlecht und todgeweihte Glieder, (50) unser Leben in ununterbrochenem Lauf führen könnten. Diese unsere Seele, ein edler Abkömmling göttlichen Odems, dauert fort, wenn uns der Untergang dahinrafft, steigt in ungehindertem Lauf zu den wehenden Lüften empor und strebt zu dem glänzenden Bau des ihr verwandten Himmels. Hierhin, großer Vater des Vaterlandes, ist deine Gattin hinübergetragen worden, frei von jenen Sorgen, mit denen sich die elende Welt quält. Wenn du nur die Jahre zählst, so könnte sie noch leben; und nicht bedrückte sie, wie üblich, die schwerfällige Last des Alters. Doch wenn du mir den Reichtum, wenn du mir die Ehrungen abwägst (60) und alles Gute, was uns in diesem Leben zuteil werden kann, so war sie zusammen mit dir, hochbegnadeter Fürst, zu dem Gipfel gelangt, auf den dich Gott und deine erhabene Kraft erhoben haben. Da alles andere erreicht war, blieb ihr nur noch der Himmel, und hier ist sie nun. Weiter als bis dorthin kann niemand von uns gelangen. [T.H.]

Kommentar

Kommentar zu S. 2

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ANDREA, amice care Gedicht für das Stammbuch von Andreas Lucae Nicht bei Dünnhaupt; – Stammbuch von Andreas Lucae (Handschrift der Wojewódzka Bibliotheka Publiczna i Ksi˛az˙ nica Miejska im. Mikołaja Kopernika, Toru´n/Thorn: R 8° 18-KM 15), S. 265; – Druck in: Conermann/Bollbuck [im Druck]; GW 1, S. 1 f. Unsere Ausgabe folgt Conermann/Bollbuck. Das früheste erhaltene Gedicht Opitzens findet sich unter dem 8. Dezember 1614 im Stammbuch von Andreas Lucae (1594–1625), der aus Peitz/Niederlausitz stammte, wohl zeitgleich mit Opitz das Breslauer Maria-Magdalenen-Gymnasium besuchte, später in Frankfurt/Oder studierte und als evangelischer Prediger an St. Jakob in Thorn starb (biographische Angaben nach Conermann/Bollbuck, dort auch ausführliche Hinweise zum Inhalt des Stammbuchs). Die – zu Beginn etwas schwer nachvollziehbare – Argumentation des Autors ist durch den Wahlspruch des Besitzers Ante laudem passio (fol. 1r des Stammbuchs, vgl. V. 4) vorgegeben. Archaische Sprache und lehrhaft-moralisierende Tendenz erinnern an die Plautinischen Komödienprologe. – Versmaß: jambische Trimeter. 3 plumulis] GW liest plumulis, Conermann/Bollbuck lesen plumatis (was ein Verstoß gegen die Metrik wäre). 11 In intimam mentem sedet sententia] Möglicherweise Kontamination von Formen der Verben sedere und sidere. 12 desiens] Hier wie in V. 13 die nicht belegte Form statt des zu erwartenden desinens. Conermann/Bollbuck schlagen die Konjektur desidens vor. 16 Per vorticem … ad verticem] Beide Formen sind mit denselben (mehrfachen) Bedeutungen belegt. Die Übersetzung gibt eine von dem römischen Grammatiker Caper (Grammatici Latini, ed. Keil 7,99) vorgenommene Unterscheidung wieder. Das Sprichwort scheint antik nicht belegt (Otto), weist aber Parallelen zu den analogen Formulierungen Per aspera ad astra oder Per aspera ad ardua auf. [R.S.]

Per classicam gentem volasse – Musaeis, Weigeli Gedicht für das Stammbuch von Christian Weigel Nicht bei Dünnhaupt. – Eigenhändiger Stammbucheintrag Opitzens in dem Werk, das Christian Weigel als Stammbuch benutzte: ACHILLIS BOCCHII | BONON. SYMBOLICARVM | QVAESTIONVM, | De vniuerso genere, quas serio | ludebat, | LIBRI QVINQVE. | BONONIAE, | Apud Societatem Typographiae Bononiensis. | MDLXXIII. | Curiae Episc. et S. Inquisit. concessu. (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Cod. Guelf. 225 Noviss. 8°), fol. 336r. Der Text wurde zum ersten Mal vorgestellt bei George Schulz-Behrend: Zwei Opitz-Autographen, in: Wolfenbütteler Beiträge 3 (1978), S. 89–96, hier S. 89–92 (Abbildung des Eintrags S. 89). Ausführliche Hinweise zu dem

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Kommentar zu S. 2

Gedicht finden sich bei Conermann/Bollbuck [im Druck]. Unsere Wiedergabe erfolgt nach dem handschriftlichen Eintrag Opitzens. Bei dem Werk von Bocchi handelt es sich um ein Emblembuch, das zuerst 1555 in Bologna erschien; vgl. Mario Praz: Studies in Seventeenth Century Imagery. Rom 21964, S. 276; Henkel/Schöne, S. XXXVI; Conermann/Bollbuck. Auf dem Vorderdeckel befindet sich die Jahreszahl 1613, darüber die Initialen C. W. C. S., die, so Schulz-Behrend, S. 89, auf den ursprünglichen Besitzer, Christianus Weigelius Carnoviensis Silesius, hinweisen. Nach Schulz-Behrend steht die genauere Identifizierung von Christian Weigel noch aus. Weigel stammt aus Jägerndorf, dem schlesischen Herzogtum, das damals in brandenburgischem Besitz war und 1623 an Karl von Liechtenstein fiel. Allerdings verfaßte Opitz ein lateinisches und ein deutsches Hochzeitsgedicht für eine Ursula Weigel, Tochter des verstorbenen Hauptpastors in Haynau Georg Weigel, anläßlich ihrer Verehelichung mit Sebastian Namsler 1618; vgl. den Kommentar zu Namslere, si quid bzw. QV ò vis, Sebastiane? Ferner war ein Johannes Weigel Bürgermeister und Senator in Liegnitz, ein Namensvetter Pastor „in Majori Lauden“ (Schulz-Behrend, S. 90). Der Band wurde, so Schulz-Behrend, S. 89, von 1613 bis 1616 als „Freundschaftsalbum“ benutzt und enthält insgesamt 17 Einträge. Opitz trug sich in das Stammbuch am 7. Juli 1615 ein, unmittelbar voraus geht die Eintragung von Caspar Cunrad am 1. Juli 1615. Nach Schulz-Behrend, S. 91, gebe es keinen Zweifel, „daß Opitz sich gerade diese Stelle für seinen Eintrag sorgfältig ausgesucht und das Emblem 145 als Ganzes genau durchdacht hat“. Der Eintragung Opitzens gegenüber finden sich auf fol. CCCXL Inscriptio und Pictura von Emblem CXLV. Die Inscriptio lautet: PHILOLOGIA SYMBOLICA. | M AGNAM HISCE HABENDAM GRATIAM | LABORIBVS . | Symb. CXLV. Die darunter abgebildete Pictura zeigt in der unteren Bildhälfte einen Mann in Gelehrtentracht mit Barett und pelzverbrämter knielanger Schaube, der von einem Ädikula-ähnlichen Gebäude eingerahmt wird. Mit dem erhobenen Zeigefinger der rechten Hand deutet er auf ein geöffnetes Buch, das ihm eine in Rückenansicht gegebene Frauenfigur zu seiner Rechten entgegenreicht. Über dieser Frauenfigur befindet sich eine Gruppe von Zuschauern. Eine weitere, pallasähnlich gekleidete Frauenfigur hält über sein Haupt eine Krone, auf der ein Lorbeerkranz liegt. Hinter dieser zweiten Frauenfigur ist ein Torbogen zu erkennen, der eine Inschrift trägt. Im oberen Bilddrittel sieht man konzentrische Kreisbahnen, die von dem Dreiecksgiebel der Ädikula geschnitten werden. Seine Spitze deutet auf einen einzelnen Baum, der gleichzeitig die Mitte der Kreisbahnen einnimmt. Nach der Erläuterung von Albericus Longus in der Subscriptio des Emblems, die sich nach einem eingeschossenen Blatt auf der nächsten Druckseite befindet, stellt das Bild Bocchi dar, der aus der Hand von Felsina, der Stadtgöttin von Bologna, eine goldene Krone und den Lorbeer des Phoebus empfängt: Bocchi habe „die stählernen Tore des in Dunkelheit und Nebel gehüllten Labyrinths der Philologie gesprengt und aus dem Irrgelände die Symbole, ja die Göttin der Symbole selbst an das gewünschte Licht gebracht“ (Schulz-Behrend, S. 91).

Kommentar zu S. 2– 4

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[In Philologiam seu Crisin.] Nach Schulz-Behrend, S. 91, tadelt Opitz in diesem aus Choliamben bestehenden Distichon „die herrschende Oberflächlichkeit klassischer Studien“, bei denen „christliche Ziele“ ( polus) nicht einmal angesteuert würden und man sich auch nicht um die praktische Relevanz (terra), „die sich etwa auf die Juristerei oder das Regieren erstreckt“, kümmere. Crisin] Conermann/Bollbuck vermuten, mit dem Wort Crisin verknüpfe Opitz die Philologie mit dem Höhepunkt einer Krankheit und spiele zudem auf die von den sog. Critici – führenden zeitgenössischen Philologen wie Joseph Justus Scaliger und Claudius Salmasius – praktizierten Methoden an.

[Ad Auctorem libri.] Weigel erscheint in den wenigen Versen als die große Dichterautorität, zu der der Sprecher aufblickt und von der er lernen will. – Versmaß: Hexameter. Ad Auctorem libri] Es bleibt unklar, wer mit Auctor gemeint ist. Nach Schulz-Behrend, S. 91, hat Weigel dem siebzehnjährigen Opitz eine Sammlung handschriftlicher Gedichte vorgelegt, „metrische Übungen, die vielleicht nicht einmal den Durchschnitt solch schulischer Produkte übertrafen“. Opitz habe nun dieses Heft (liber) zum Anlaß genommen, sich in überschwenglich lobender Weise einem ihm „verwandten“ Dichter (fratri coniurato et quasi-vero) gegenüber auszusprechen. 5 in te transdere] Schulz-Behrend und im Anschluß daran Conermann/Bollbuck konjizieren hier te zu in transdere der Handschrift. Eine Einfügung erscheint auf jeden Fall plausibel, da sonst der Hexameter unvollständig wäre. 8 #E ξ  $ ’   ] Das Zitat geht auf Platon, Menon 95 d 6, zurück; es findet sich auch bei Xenophon, Memorabilia 1,2,20 und Symposium 2,4,13. Beide beziehen sich ausdrücklich auf Theognis, Elegien 1,35:  ξ  $ ’  . 9 ET NOS CEDAMVS] Vergil, Ekloge 10, 69: omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori. [H.B., V.M.]

UR bem qvi volet – CE u muto Zephyri Epicedien auf den Tod von Georg Scholtz Nicht bei Dünnhaupt; – G EORGII | S CHOLTZII | C IVIS ET AE DILIS T EMPLO -|RUM APUD A URIMONTANOS | P!iae" M!emoriae" | MANES BEATISSIMI | F!ilii " et Amicorum | Versibus freqventati. | Obiit vir optimus IIX. IIXbris. | A° MDCXV | … | B RESLAE , Typis G EORG I B AUMAN . | Anno salutis 1615. (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden: Lit. Lat. rec. A. 393,67), fol. A3r-v. Wiedergabe nach dem Erstdruck.

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Kommentar zu S. 4

Georg Scholtz war nach Ausweis des Titelblattes aedilis templorum, also Küster, im niederschlesischen Goldberg. Im gesamten Druck fehlen die obligaten Hinweise auf Gelehrsamkeit und/oder Zugehörigkeit des Verstorbenen zum städtischen Patriziat. Herausgeber der kleinen Sammlung von Trauergedichten ist Scholtzens Sohn Adam, der sich fol. A2r in einem kurzen Hinweis als Breslauer Schüler (Breslae in Musarum castris militans) bezeichnet und in unserem – möglicherweise dem einzigen erhaltenen – Exemplar auf dem Vorsatz (fol. A1v) einen Lessus aus fünf elegischen Distichen notiert hat. Adam Scholtz könnte ein Mitschüler Opitzens im Maria-Magdalenen-Gymnasium gewesen sein. Bemerkenswert ist für das Jahr 1615, daß einer der Beiträger des schmalen Drucks, der Grünberger Pastor und Dekan Abraham Gasto, seinem lateinischen Epicedium eine deutsche Versübersetzung beifügt (fol. A2r-v). Die Autoren stammen weitgehend aus Goldberg und Bunzlau, wo sie, mit Ausnahme des Dekans Gasto, wohl nicht zur lokalen Oberschicht zählten. Opitzens Gedichte sind die bei weitem anspruchsvollsten, besonders der Threnus ist vermutlich mehr mit Blick auf die Breslauer und Bunzlauer Gönner als auf die Familie des Verstorbenen geschrieben.

[UR bem qvi volet] Opitz greift, wie später in großen deutschsprachigen Dichtungen (z. B. Zlatna) und auch in anderen lateinischen Texten, den tradierten Gegensatz von Stadt- und Landleben auf. Die Diktion ist recht manieriert, wodurch manches unverständlich bleibt. Deutlich ist immerhin eine Gliederung nach dem Prinzip der wachsenden Glieder: Die Verse 1–4 stellen das Negativbild des rastlosen Städters vor, die Verse 5–9 entwerfen nach ironischer Überleitung des Konzept des ruhigen, gefahrlosen Landlebens. In den Versen 10–16 wird schließlich der Verstorbene als Vertreter dieser bevorzugten Gruppe gepriesen. – Versmaß: Hendekasyllaben. 2 labello] labellum begegnet als Koseform schon bei Plautus, Poenulus 366. 10 Scultetus] Latinisierte Form von ‚Scholtz‘ (Schulz); es ist also nicht Opitzens späterer Gönner Tobias Scultetus gemeint. 10 integri bonique] Vermutlich ist der Sohn Adam gemeint, obgleich die Formulierung den Bezug auf eine Person nicht nahelegt. 14 Gratiolas Lubedinesque] Gratiola offensichtlich Neubildung, die in Analogie zu Diminutivformen der neoterischen Dichtung vorgenommen wurde; vgl. zur gesamten Junktur Catull, carmen 45,24: delitias libidinesque. 15 vixit sibi] Die Formulierung erinnert zunächst an stoische Grundsätze, wie das ganze Gedicht als Variation einer Seneca-Passage erscheint, in der das otium durchaus problematisiert wird; vgl. Briefe an Lucilius 55,4 f.: Otiosum … hominem seductum existimat vulgus et securum et se contentum, sibi viventem, quorum nihil ulli contingere nisi sapienti potest. Ille solus scit sibi vivere; ille enim, quod est primum, scit vivere. Nam qui res et homines fugit, … qui velut timidum atque iners animal metu oblituit, ille sibi non vivit, sed, quod est turpissimum, ventri, somno, libidini.

Kommentar zu S. 4 –6

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Demgegenüber erscheint Scholtz durchaus mit ‚sozialen Kompetenzen‘ (V. 11) ausgestattet. 15 Ut vixit sibi, sic Deo interivit] Die Antithese verschränkt stoische mit christlichen Vorstellungen; vgl. Röm 14,7 f.: nemo enim nostrum sibi vivit/et nemo sibi moritur/[8] sive enim vivimus Domino vivimus/sive morimur Domino morimur/sive ergo vivimus sive morimur Domini sumus

[THRENUS DE VITA] Opitz läßt sich hier womöglich durch das zur Appendix Vergiliana gehörende, von Girolamo Aleandro (1480–1542) Ausonius zugeschriebene Gedicht De rosis nascentibus (25 elegische Distichen) inspirieren. Diese denkbare Vorlage wurde einige Jahre später (1619) unter dem Lemma Rosa von Dornau in sein Amphitheatrum aufgenommen (S. 188 f.), wo sich wiederum ein anderes Rosengedicht Opitzens findet (JVuenantibus Poëtis; s. Kommentar dazu); vgl. Appendix Vergiliana. … A cura di Maria Grazia Iodice. Milano 2002, S. 450–460 (guter Kommentar). Eine präzise Beschreibung des Aufblühens und Vergehens der Rose findet sich in der Antike öfter, z. B. bei Plinius, Naturalis Historia 21,14, und antik sind auch schon allegorische Deutungen, die wir später in den Emblembüchern finden (Henkel/Schöne, Sp. 290–305). Im Zentrum steht die Vorstellung von der raschen Vergänglichkeit des Lebens – vgl. die Titelgebung –, wie sie sich in prägnanter Form als inscriptio zu einem Emblem von Jacob Cats findet: Vita rosa est (ebd., Sp. 292). Hingegen werden die Dornen als Bedeutungsträger nicht konsequent aktiviert: In V. 3 und 18 erscheinen sie eher als botanische Details. Im abschließenden Distichon, das als subscriptio zu einer den übrigen Text bestimmenden Beschreibung zu sehen ist (V. 1: Ceu; V. 25: Sic), erhält der Dorn seine Funktion im Rahmen eines Vergleiches, ohne daß die Verwendung ganz schlüssig wäre. – Versmaß: elegische Distichen. 3 Ad spinas] Vgl. Plinius, Naturalis Historia 21,14: Rosa nascitur spina verius quam frutice. 5 sensim] Den Vorgang des allmählichen Aufblühens der Rose beschreibt ebenso präzise Plinius, Naturalis Historia 21,14: Germinat omnis primo inclusa cortice; quo mox intumescente et in virides alabastros fastigato; paulatim rubescens dehiscit ac sese pandit in calices, medio sui stantes conplexa luteos apices. 6 Alarum … remigia] Die Junktur findet sich auch bei Vergil, Aeneis 1,301 und 6,19. Der Zusammenhang mit Blüten erscheint freilich seltsam. 7–10] Pointierter wird die Wechselwirkung der Farben in De rosis nascentibus 15–18 beschrieben: Ambigeres raperetne rosis Aurora ruborem / An daret et flores tingeret orta dies. / Ros unus, color unus, et unum mane duorum: / Sideris et floris nam domina una Venus. 8 Paphiae] Venus (Paphia nach ihrem Kultort in Paphos) begegnet als ‚Morgenstern‘ (Lucifer ) im folgenden Vers wieder. 10 gens levis organulis] Nach ThLL 9,2, Sp. 968, kann organulum den Schnabel eines Vogels bezeichnen, wodurch die Bedeutung von gens levis eindeutig wird. Der manierierten Formulierung des Verses versucht die Übersetzung gerecht zu werden.

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Kommentar zu S. 6

11 exercet … amoreis] Die Wendung findet sich etwa bei Catull, carmen 68,69. 12 mutua] Die Form ist grammatisch nicht zu erklären. 12 suaviolis] Vgl. Catull, carmen 99,2 und 14. 13 Delitias faciunt] Vgl. Catull, carmen 45,23f.: Uno in Septimio fidelis Acme / Facit delicias libidinesque. 16 Flammeaque] Konjektur für Flameaque 18 Spinae … huberibus] Vermutlich bemüht sich Opitz um eine botanisch treffende Erklärung. (h)uber ist jedenfalls nur in der Bedeutung von ‚Brust‘ bzw. ‚Euter‘ und zur Bezeichnung des fruchtbaren Bodens gebräuchlich, nicht bei Pflanzen. 19 mella arridens calathorum obeliscus] Es wird nicht klar, welches Bild Opitz hier vorschwebt. calathus bezeichnet sicher den Blütenkelch, obeliscus könnte dessen Form meinen. ‚Knospe‘, wie an der entsprechende Stelle in De rosis nascentibus 27 („Obeliscus nel senso di ‚bocciolo‘ … ricorre solo qui“; Iodice, wie oben, S. 458), paßt hier nicht, da ja bereits das Absterben der Blüte geschildert wird. 20 Et timidis rosa clinata cacuminibus] Die Zäsur des Pentameters fällt hier in die Mitte eines Wortes. [R.S.]

FL ecte Venus Hochzeitsgedicht für Michael Timaeus und Rosina Neomenius Dünnhaupt, Nr. 17; – Thura Votiva | ARAE CONJUGALI | Ornatissimi ac doctissimi | viri-juvenis. D N . | M ICHAELIS T IMAEI | Olaviensium Cantoris sua-|vissimi, S PONSI | ET | Pudicissimae lectissimaeque | Virginis | ROSINAE, | REVERENDI ET CLARISSIMI | V IRI D N : J OHANNIS N EOMENII , | Illustri Aulae Bregensi à Sacris Concionib!us" | et per totum Ducatum Illustrem | Superintendentis | filiae charissimae S PONSAE | Consecrata et Oblata | ab amicis. | [Chronogramm auf das Jahr 1615 von A.W.I.S.] | B RIGAE Typis Casp: Sigfridi. A° 1615 (UB Breslau: 532 913), fol. D2r-v; danach in: GW 1, S. 9. Unsere Ausgabe folgt ebenfalls diesem Druck. Über persönliche Kontakte Opitzens zu dem Ohlauer Kantor Michael Timaeus und seiner Braut, der Tochter des Brieger Superintendenten Johannes Neomenius (vgl. Seidel, 1994, S. 378 f.), ist nichts bekannt. Szyrocki, S. 13, suggeriert, daß Opitzens Breslauer Rektor Johannes von Hoeckelshoven den Beitrag seines Schülers vermittelt haben könnte. Der Druck ist womöglich nicht zuverlässig, einige Unklarheiten könnten aber auch dem Lateingebrauch des jungen Opitz geschuldet sein. – Versmaß: elegische Distichen. 1 columbas] Die Vorstellung, Venus’ Wagen werde von Tauben gezogen, begegnet bereits bei Sappho, Fragment 1 (Bergk).

Kommentar zu S. 6–8

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3 redimita corymbis] Vgl. Tibull, Elegie 1,7,45 mit gleichem Versschluß; der corymbus ist auch Element des traditionellen Schönheitspreises im antiken Epithalamium. Schon in GW ist die sinnentstellende Druckfassung redinuta durch redimita ersetzt. 6 Queis … intimiis] intimiis wohl Druckfehler für intimidis (von intimidus ist allerdings antik auch nur die Adverbform belegt; vgl. ThLL 7,2.1, Sp. 16); Queis kann hier nur wie Qui verstanden werden. 7 vireis … elanguenteis] Die archaisierende Schreibung geht auf Schreibweisen wie OMNEIS (CIL I 551) oder TVRREIS (CIL I 1230) zurück, wie sie durch Gruters Inscriptiones antiquae (Heidelberg 1602–1603) bekannter geworden waren. Vgl. Opitzens Gedicht auf Gruters Plautus-Edition von 1621. 11 f. Ceu Maenas … perfurit] Vgl. Seneca, Medea 382–385: Incerta qualis entheos gressus tulit / Cum iam recepto Maenas insanit deo / Pindi nivalis vertice aut Nysae iugis, / Talis recursat huc et huc motu effero; Hercules Oetaeus 243 f.: [ut] conceptum ferens / Maenas Lyaeum, dubia quo gressus agat. 12 thyrso] thyrsus: mit Efeu und Wein umwundener Stab, den Bacchus und sein weibliches Gefolge, die Mänaden (V. 11), in der Hand schwingen. 14 Nec sensit … saucia] Die Konstruktion ist wohl als um esse verkürzter NcI zu verstehen und damit als Gräzismus wie Vergil, Aeneis 2,377: sensit medios delapsus in hostes; vgl. Hofmann/Szantyr, S. 364. 14 grauidis … vulneribus] Für das Bild der Mänade (V. 11–14) scheint die Wortform grauidis die Funktion eines die „permixta apertis allegoria“ (Lausberg, S. 442) „entschlüsselnden Signals“ zu besitzen. [R.S.]

LA dae tuo – At tu candida – NO n sum augur Hochzeitsgedichte für Friedrich Habermann und Margarete Rindfleisch Dünnhaupt, Nr. 19; – Dn. | F RIDERICO | H ABERMAN | et | M ARGARETAE | R INDFLEISCHIN , | Sponsis lectissimis, | A MICI | gratulantur. – o.O., o. J. [1616] (UB Breslau: 532 919), fol. B2v–3r; diesem Druck folgen GW 1, S. 12 f., und unsere Ausgabe. Das Gedicht dokumentiert über die Person der Braut Opitzens Beziehung zu deren Vater Daniel Rindfleisch/Bucretius (1562–1621), dem neben Cunrad und Henel wichtigsten Vertreter des Breslauer Späthumanismus. Opitz wohnte während seiner Breslauer Schulzeit im Hause des renommierten Stadtarztes und unterrichtete dessen Söhne. Wie Cunrad neigte Bucretius dem Calvinismus zu, betätigte sich als lateinischer Dichter und pflegte eine Atmosphäre literarisch-gelehrter Geselligkeit; zu Bucretius vgl. GW, Bd. 1, S. 11; Pusch, Bd. 3, S. 394 f.; – Versmaß: I.,1–6: jambische Senare und Dimeter im Wechsel; 7–20: elegische Distichen; 21–25: Hendekasyllaben (Elfsilbler); II.: Hexameter und jambische Dimeter.

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Kommentar zu S. 8 –10

I. 1 LA dae] Nach Pausanias, Beschreibung Griechenlands 3,21,1, war Ladas der Name zweier olympischer Sieger im Lauf; schon in der Antike sprichwörtlich, vgl. Anthologia Graeca 16,53: „Ob er die Kampfbahn durchlief, der Ladas, oder durchflogen, / Kann man nicht sagen; es war übernatürlich geschwind“ (Übersetzung von Hermann Beckby). 1 Bucreti] V. 1–6 sind als Geleitverse zu verstehen, die an den die Festschrift zusammenstellenden (Schwieger)vater gerichtet werden; mit dem Wechsel des Metrums in V. 7 ändert sich auch der Sprechgestus. Ob die GW 1, S. 11, geäußerte Vermutung hinsichtlich der unterschiedlichen Entstehungszeiten der Gedichtteile zutrifft, ist freilich nicht zu verifizieren. 7 tristes … Catones] Nach M. Porcius Cato Censorius (234–148 v. Chr.), schon antik Muster für grimmige Sittenstrenge; vgl. Horaz, Epistel 1,19,12–14: Quid? Siquis voltu torvo ferus et pede nudo / Exiguaeque togae simulet textore Catonem, / Virtutemne repraesentet moresque Catonis? 15 Cernis ut ignoti mens praescia tota pudoris] Vgl. FL ecte Venus (s. o.), V. 3 f.: Cernis vt … virgo … / Ignoto timidas picta pudore genas … 18 Mnemosynesque … pateras] Sowohl die Deutung der Stelle als allegoria permixta apertis (Vgl. FL ecte Venus, V. 14) als auch die Herstellung eines mythologischen Bezugs zu Mnemosyne (der Mutter der Musen) und einem ihr geltenden Kult (pateras) sind schwierig. 19 corditrahis] Antik nicht belegt; Wortbildungen dieser Art (Nominalteil, der zum folgenden Verbalteil in einem Objektverhältnis steht) sind allerdings in der manieristischen zeitgenössischen Dichtung durchaus nicht ungewöhnlich. 25 medulliugae] Eine Änderung in iugae medulla (GW) ergibt keinen Sinn, vielmehr ist die Wortbildung (‚das Innerste verbindend‘, also ehestiftend) durchaus sinnreich. 26 fac] Terminus der Opfersprache; GW 1, S. 11, erkennt wohl zu Recht eine sexuelle Konnotation. [R.S.]

STRENARUM LIBELLUS Sammlung von Neujahrsgedichten für Valentin Senftleben und andere Bunzlauer Bürger Dünnhaupt, Nr. 20; – MARTINI | OPITII | BOLESLAVIENSIS | SILESII | STRENARUM | LIBELLUS, | VAL. SANFTLEBEN | Praetori et Rectori patriae | consecratus. | GORLICII | Iohannes RhaMba eXCVDebat. – o.J. [1616] (UB Breslau: 355 062); diesem Druck folgen GW 1, S. 14 –25, und unsere Ausgabe. Die Gedichte entstanden vermutlich gegen Ende des Jahres 1615, vielleicht gedrängt „zwischen Weihnachten 1615 und Neujahr in Bunzlau, wo Opitz die Weihnachtsferien verbrachte“ (Krause, S. 25). Mit seiner ersten selbständigen Publikation, in der er nicht

Kommentar zu S. 10–12

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nur seinem alten Bunzlauer Lehrer Valentin Senftleben, sondern auch der gesamten Elite seiner Heimatstadt ein ehrendes Denkmal setzte, verfolgte Opitz zweifellos das Ziel, seine Kompetenzen als Gelegenheitsdichter zu belegen und unter den angesehenen Bürgern mögliche Mäzene für seine weitere Ausbildung zu rekrutieren. Die Gedichtsammlung ist freilich nicht nur produktionsseitig von literatursoziologischer Relevanz; auch über die Zusammensetzung der gelehrten Führungsschicht einer durchschnittlichen Kleinstadt, die hierarchischen Stufungen (zu erkennen an der Reihenfolge der Texte) sowie die tradierten Lobtopoi für die unterschiedlichen Berufsgruppen geben die Texte Aufschluß. Formal handelt es sich bei den Texten um Epigramme, die mehr oder minder deutlich durch eine Pointe, zuweilen in etwas gezwungen antithetischer Formulierung, abgeschlossen sind. Opitz war, wie die entsprechende Passage seiner Poetik zeigt, mit der Epigrammtheorie Scaligers vertraut (GW 2.1, S. 366). Er wollte die Gattung u.a. „zum Lobe vornemer Männer“ (ebd.) verwendet wissen, was Hoffmann von Fallersleben dazu bewog, die Gedichte des Strenarum libellus „als die ersten litterarischen Xenien in Deutschland“ (zitiert nach Krause, S. 43) zu bezeichnen. – Vgl. Krause, S. 24 –44; Szyrocki, S. 14. Die vergleichsweise ausführliche Behandlung der Gedichte bei Krause kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine qualifizierte Analyse des Büchleins noch aussteht. – Versmaße: elegische Distichen, mit Ausnahme des EROTOPAEGNIUM SCHEDIASTICUM, das nach dem Muster der 14. und 15. Horazischen Epode (Hexameter und jambische Dimeter im Wechsel) aufgebaut ist. Musa, Minerva, Crisis] Vielleicht eine mythologisierende Umschreibung von natura, exercitatio und ars als den traditionellen Grundlagen der Poetik. Mit crisis kann das qualifizierte Kunstrichterurteil gemeint sein, nach Quintilian, Institutio oratoria 5,11,36 korrespondiert die Bezeichnung allerdings dem lateinischen Beweisgrund der auctoritas; vgl. Lausberg, S. 234f. Phoebus eris] Zum Pentameterschluß vgl. Ovid, Heroiden 15,188: Et forma et meritis tu mihi Phoebus eris. C UNRADUS ] Vermutlich ist die Zuschrift Cunrads eine Reaktion auf das große Hexametergedicht (CVNRADE, humani mens), das Opitz für den Breslauer Gönner 1615 verfaßt hatte; zu Cunrad vgl. den Kommentar zu jenem Gedicht (Erstdruck 1621). VALENTINO SANFTLEBEN] Valentin Senftleben (1574–1627) aus Bunzlau studierte seit 1595 in Frankfurt/Oder (Friedländer, S. 392), war u. a. als Erzieher eines Freiherrn von Biberstein tätig und leitete von 1606 bis 1616 die Bunzlauer Stadtschule, wo er Opitzens erster wichtiger Lehrer war. Dies hebt bereits Senftleben, fol. B5r, hervor: Ex Rectore Scholae Boleslaviensis, Consul. Praeceptore usi sunt Viro hoc praestantissimo Caspar Kirchnerus, Martinus Opitius, Bernh. Guillelmus Nüslerus. Später bekleidete er hohe Ämter in der Stadtverwaltung, u.a. war er zwischen 1617 und 1625 fünfmal Bürgermeister. Über seine Schulkomödienaufführungen informiert Palm, S. 124, vgl. außerdem DBA 1177, 419; Wernicke, passim. 9 rerum mearum tenuitas] Anspielung auf die Hilfsbedürftigkeit des jungen Poeten in materieller Hinsicht. Unter diesem Aspekt ließe sich – freilich nicht zwingend – die Anlage der ganzen Gedichtsammlung erklären.

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Kommentar zu S. 12–14

11 f. nec stanti nec sedenti] Vgl. Sueton, Claudius 30,1: Auctoritas dignitasque formae non defuit … stanti vel sedenti ac praecipue quiescenti. Diese und ähnliche Passagen lassen nicht den Schluß zu, daß Opitz bei der Formulierung an antike Wendungen gedacht hat. 13 joci in fine] Gemeint ist das EROTOPAEGNIUM SCHEDIASTICUM (vgl. den folgenden Satz), nicht, wie Krause, S. 27 ff., annimmt, die Pointen am Ende der einzelnen Epigramme.

[ JESU CHRISTO IMMANUELI Saluti Viventium.] Das Gedicht ist inspiriert von Elementen der Weihnachts- wie der geistlichen Hirtendichtung. Opitz selbst griff die Tradition der geistlichen Ekloge später insbesondere in seiner – deutenden – Übersetzung des Hohenliedes (1627) auf. In unserem Gedicht tritt das biblische Personal, von der gattungstypischen Diminutivbildung Jesule (V. 23) abgesehen, nicht auf, statt dessen wird die Neubelebung der Natur im Frühling (V. 7–22) nach dem eisigen Winter (V. 1–6) mit der Epiphanie des antiken Hirtengottes Pan in Verbindung gebracht. Die Aussage des Gedichtes ist freilich nicht synkretistisch, sondern beruht auf einem einfachen Vergleich: Wie die Frühlingssonne die Menschen zu neuem Leben erweckt, so (Sic, V. 23) evoziert die Geburt Jesu (im Winter!) bzw. das Gedenken daran ‚frühlingshafte‘ Freude. IMMANUELI] Hebr. „Gott mit uns“; nach Jes 7,14 Bezeichnung für den kommenden Messias. 11 f. eburnis Falcibus] Unklare Metaphorik; die Übersetzung gibt einen Deutungsversuch wieder. 15 Pan venit] Vgl. Vergil, Ekloge 10,26: Pan deus Arcadiae venit; die anaphorische Verwendung des Namens Pan in V. 21 f. findet ebenfalls ihre Entsprechung in Vergils Eklogen (4,58f.). 23 te … vento] Die aktivische Verwendung eines Partizip Perfekt Passiv ist „selten und unklassisch“ (Hofmann/Szantyr, S. 139).

[GEORGIO TIEFFENBACH Viro Consulari.] Georg Tieffenbach (gest. 1617), offenbar studierter Jurist, bekleidete 1615 das Amt eines Bürgermeisters (consul), war also 1616 nach altrömischer Diktion consularis; vgl. Wernicke, S. 304 f. und passim. Das sprachlich wohl nicht recht gelungene Gedicht strapaziert die Wassermetaphorik, zu der der Name des Adressaten den Anlaß gab, zum rühmenden Aufweis von dessen vielfältigen Kompetenzen. 2–4 rigat … lavant] Hier gegen den üblichen Sprachgebrauch intransitiv verwendet. 3 Sais] Kultort der ägyptischen Göttin Neith, die mit Athene gleichgesetzt wurde.

Kommentar zu S. 14

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3 Paphie] Paphos: Kultort der Aphrodite/Venus auf Zypern. 3 Hora] Die Göttinnen der Jahreszeiten, auch der Reife und Schönheit treten meist im Plural auf. 4 Themis] Göttin des geheiligten Rechts, Mutter der Horen, allerdings ohne direkte mythographische Beziehung zu Aphrodite (Cypris). 5 Iustum … profundo] Möglicherweise Bezug zum antiken Weltaltermythos, der für das letzte, das Eiserne Zeitalter den völligen Verlust der Rechtsordnung ansetzt; vgl. Ovid, Metamorphosen 1,129: fugere pudor verumque fidesque; Vergil, Georgica 2,473f.: extrema … / Justitia excedens terris vestigia fecit.

[ELIAE NAMSLERO Viro itidem Consulari.] Elias Namsler (1563–1619) war nach GW 1, S. 16, von 1589 bis 1596 Rektor der Bunzlauer Schule gewesen, so daß V. 5 sich eigentlich nicht auf Opitzens Schülerverhältnis zu ihm beziehen kann. Er war zwischen 1611 und 1618 mehrfach consul (und somit auch consularis), V. 6ff. zielt wohl auf Namslers künftiges Wirken für die Stadt; vgl. Wernicke, S. 260f. und passim. Vgl. auch Senftleben, fol. A8v, der als Stationen von Namslers Laufbahn Rector, hinc Praetor tandemque Consul nennt. – Namsler, in Bunzlau geboren, wurde 1586 in Wittenberg (Hartwig, S. 336) und 1592 in Frankfurt/Oder immatrikuliert (Friedländer, S. 373). Geburt in Bunzlau und Studium in Frankfurt und/oder Wittenberg verbindet die meisten der von Opitz geehrten Bürger; zum Aufweis der Homogenität der Bunzlauer nobilitas litteraria wird im folgenden konsequent auf diesen Bildungshintergrund verwiesen. 1 ô patrij rector sublimis Olympi] Beim Versuch, den Bürgermeister im genus grande zu ehren, streift Opitz die Grenzen des rhetorischen aptum. Die Anrede magne pater (V. 4), die gesuchte Form jussore (V. 5; vgl. ThLL 7,2.1, Sp. 708) und einige andere Wendungen zeugen von mangelnder Stilsicherheit und dem Bemühen, der konventionellen Redesituation mit eigenständiger Diktion gerecht zu werden. 9 excesso te] Vermutlich fehlerhafte Ableitung von excidere anstatt von excedere; möglicherweise auch zu deuten wie oben JESU CHRISTO IMMANUELI, V. 23. 9 patria dilabetur] Vgl. Cicero, De officiis 8,20: res publica dilaberetur. 11 laudem] Konjektur (wie GW 1, S. 17) für das überlieferte laudum.

[MARTINO NVSSLERO Theologo incomparabili.] Martin Nüßler (1560–1616), Vater von Opitzens Jugendfreund Bernhard Wilhelm Nüßler, war seit 1610 Pastor in Bunzlau. Opitz rühmt in diesem Gedicht ausführlich und recht differenziert das rhetorische Geschick als fundamentale Eigenschaft eines tüchtigen protestantischen Theologen. Anläßlich seines noch im selben Jahr – am 14. Dezember 1616 – erfolgten Todes verfaßte Opitz ein Epicedium auf ihn (Silvae, S. 49–51).

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Kommentar zu S. 14 –16

3–6] Über Paulus’ Wirken in den griechischen Gemeinden berichtet die Apostelgeschichte. 3 sancto livore furentem] Vgl. etwa Act 17,16, im Kontext von Paulus’ Wirken in Athen (V. 4: Ad Grajas … fores). 9 sereno] Antik ist die substantivische Form nur zur Bezeichnung des Himmels in Gebrauch. 13 Non memini Nymphas me sollicitasse pudicas] Vielleicht Anspielung auf die Übergriffe des Musengottes Apollon auf ‚anständige‘ Nymphen (Daphne); dem Dichter hingegen haben die Musen (turba novena, V. 14) um Nüßlers willen den Wunsch eingegeben (unspezifisch: id, V. 14), sich poetisch zu betätigen.

[GEORGIO COBERO felicissimo Archiatro.] Georg Kober (gest. 1627), studierte seit 1595 in Frankfurt/Oder (Friedländer, S. 392), war seit 1615 Stadtarzt in Bunzlau (Wernicke, S. 303), zuvor praktizierte er wohl in Lauban; er trat auch als lateinischer Dichter hervor (DBA 674, 345f.). 1 Aesclepi … Coi] Der griechische Heilgott Asklepios (lat. Aesculapius; Opitz kontaminiert beide Wortformen) genoß auf der Insel Kos kultische Verehrung. 2 Podaliraeo … deo] Podaleirios ist ein Sohn des Asklepios; die von Opitz benutzte Wortform deutet auf adjektivische Verwendung. 6 medicûm natos] Wohl metaphorisch für alle Nachfolger des Asklepios als Begründer des Ärztestandes. So ist auch V. 8 deum zu verstehen, und nicht (mit Krause, S. 37) als Parallele zu Martial, Epigramme 9,28, wo der Kaiser als Roms ‚Jupiter‘ bezeichnet wird. Opitz ‚vergöttlicht‘ in seinen Gedichten fast nur die fiktiven Geliebten.

[VALENTINO SANFTLEBEN Praetoriae ac Rectoriae dignitatis viro.] Wie viele städtische Gelehrte krönte Senftleben (s. o.), zuvor Rektor der Stadtschule, seine Tätigkeit für das Gemeinwesen mit einem Amt im Rat. Der Übergang fand im Jahre 1616 statt, so daß der im Gedicht V. 4 vollzogene Wechsel ins Präsens ( jubet ) auf die aktuelle Situation Bezug nimmt. 3 Themis] Vgl. oben das Gedicht auf Tieffenbach. 3 impluit] Zur Konstruktion mit Dativ und Ablativ vgl. Ovid, Metamorphosen 1,572 f. 8 Bifrontisque] bifrons ist Epitheton des Gottes Janus, der – den Übergang zwischen den Jahren symbolisierend – doppelgesichtig dargestellt ist. 9 f. Dum decet … suo] Zu den Neujahrsbräuchen der frühen Neuzeit und ihren antiken Vorläufern vgl. Robert Seidel: Neujahrswünsche im Schatten der „Pulververschwörung“.

Kommentar zu S. 16–18

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Eine poetische Epochenbilanz des Späthumanisten Caspar Dornau, in: Daphnis 21 (1992), S. 411–434, besonders S. 420–422. 11 quae mea sunt] Alternative Deutung: „was mein Teil (meine Pflicht) ist“. 13 Heroone … cothurno] Streng genommen eine Kontamination zweier Vorstellungen, da der versus heroicus (Hexameter) für das Epos steht, der Kothurn (Bühnenschuh im antiken Theater) für die Tragödie; es geht Opitz wohl vor allem um die Stilebene des genus grande, die beide Gattungen auszeichnet. 16 consumsimus] Überbrückung der Dihärese im Pentameter ist in antiker und humanistischer Dichtung nicht üblich.

[DAVIDI PREIBISIO integerrimo Senatori.] David Preibisch (1554–1627) aus Bunzlau studierte seit 1576 in Frankfurt/Oder (Friedländer, S. 255) und seit 1579 in Wittenberg (Hartwig, S. 282), war nach 1590 Lehrer an der Schule in Bunzlau, gehörte dem Rat mindestens seit 1606 an (vgl. auch Senftleben, fol. B1v), zahlte zusammen mit Christoph Buchwälder 1614 und 1616 an Opitz das Stipendium aus der Rothmannschen Dotation für bedürftige Schüler aus; vgl. Szyrocki, S. 12; Wernicke, passim; Flood, Bd. 3, S. 1609 f., zu Valentin Preibisch (wohl einem Sohn) und anderen Vertretern dieser Bunzlauer Familie. 2 Sanguis] Vermutlich besteht eine weitläufige Verwandtschaft der Familien. 5 Integritas] Wie an anderen Stellen des Gedichtes (sinceri et recti … pectoris, V. 3; simplicitate severa, V. 9) deutliche Anspielung auf altrömische Tugenden, wie sie z.B. dem alten Cato zugeschrieben wurden. 6 jure glorior] Wie schon oben (V. 16 des vorigen Epigramms) metrisch ungewöhnliche Füllung des Pentameters. 10 lyncea] Wohl eine neugebildete Ableitung von lynx, obgleich die Wortform Lynceus (mit langem e) als Namensadjektiv zu dem Argonauten Lynkeus belegt ist. Luchse galten in der Antike als feige (vgl. Horaz, Ode 2,13,40), vielleicht denkt Opitz hier an verdeckt agierende Gegenspieler des mit offenen Karten spielenden (V. 3) Ratsherrn.

[CHRISTOPHORO STOEBERKEYL à Judiciis aulicis.] Christoph Stöberkeil (gest. 1625) wird in der Bunzlauer Chronik als „Königsrichter“ bzw. „königlicher Hofrichter“ erwähnt (Wernicke, S. 304, 314). Er war Vertreter der böhmischen Krone in Bunzlau und hatte in der Praxis wohl die Aufgabe, zwischen den Interessen des Territorialfürsten und der Stadt zu vermitteln. 1 ST oeberkeyliades] Opitz liebt patronymische Formen nach griechischem Vorbild, vgl. schon oben TI effenbachiades.

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Kommentar zu S. 18

3 f. in aulae … dolis] Die das ganze 17. Jahrhundert durchziehende Topik der Hofkritik begegnet hier erstmals bei Opitz, der später häufig (vgl. etwa sein Lehrgedicht Zlatna, 1623) dieses Thema variiert.

[JOANNI SEILERO Syndico eruditissimo.] Johann Seiler (1588–1649), Sohn des Bürgermeisters Joachim Seiler (V. 5), wurde wohl 1605 in Frankfurt/Oder immatrikuliert (Friedländer, S. 491), war seit 1614 Syndikus in Bunzlau und ab 1620 mehrfach selbst Bürgermeister (Wernicke, S. 471 f., 645 und passim); er verfaßte einige (nach GW 1, S. 20) unveröffentlichte lateinische Schriften. Zu Joachim und Johannes Seiler bzw. Seyler lassen sich aus Senftleben, fol. B4r, folgende Angaben ergänzen: Demnach lebte Joachim Seiler von 1557 bis 1612. Johannes traf das Los der schweren Zeitläufte: Syndicus, hinc Praetor et Consul Boleslaviensis, propter tristissima, in quae incidit tempora, in ipsa Patria Exul. – Das Gedicht weist eine manieristische Fülle von Klangund Wiederholungsfiguren auf. 1 jus Iuris] Nach dem Muster rex regum (Cicero, Briefe an Atticus 14,17a,2) gebildetes Polyptoton zur Verstärkung der Apposition; der Gebrauch dieser Figur zieht sich durch das ganze Epigramm. 1 Astreae] Astraia, gleichzusetzen mit Dike, der Göttin des Rechts. In Ovids Fassung des Weltaltermythos (s. o. zu Tieffenbach) verläßt sie im Eisernen Zeitalter als letzte die Erde (Metamorphosen 1,150): Ultima caelestum terras Astraea reliquit. 3 Annuit … anni] Wie später in Vidi qui facili ein vollständig aus alliterierenden Formen – teilweise zugleich Paronomasien – gebildeter Hexameter. 3 annuus annulus] Vielleicht Bezug auf Insignien des Amtsträgers. 3 antidea] Altlateinische Form für antea, überliefert bei Livius, Ab urbe condita 22,10,6; sehr selten auch die V. 5 gebrauchte Form guberna.

[MELCHIORI POEPLERO Collegae Theologo.] Melchior Pöpler (gest. nach 1629) aus Bunzlau, in Frankfurt/Oder 1596 immatrikuliert (Friedländer, S. 409), war seit 1607 Diakon in Bunzlau (Senftleben, fol. B1v, sowie Wernicke, S. 294). Analog zum Gebrauch der Bezeichnung collega im Schulwesen wird auch hier mit der Titelformulierung einfach die Zugehörigkeit zu einem ‚Kollegium‘ gemeint sein. 1 TH eiologae] Gegen GW 1, S. 20, muß die überlieferte, freilich seltsame Version schon aus metrischen Gründen beibehalten werden. Mit Theiologae Suadae ist die Homiletik, ein für die pastorale Praxis relevanter Seitenzweig der Rhetorik, bezeichnet. 3 venti coelestis janitor anni] Wohl eine Kontamination aus dem altrömischen Gott Janus und Petrus, der nach Mt 16,19 von Christus den Schlüssel zum Himmelreich erhält; zur Konstruktion vgl. oben zu JESU CHRISTO IMMANUELI, V. 23.

Kommentar zu S. 18–20

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5 f. Dum … Deae] Offenbar Bezug auf die Feier des Weihnachtsgottesdienstes. Auch Krause, S. 25, vermutet, daß das Gedicht „unmittelbar unter dem Eindruck seiner [Pöplers] Weihnachtspredigt entstand“. 5 recentas] Wohl eigene Ablautbildung Opitzens gegenüber dem zu erwartenden recantas; eventuell Kontamination mit einer Form des Verbs recentari. 6 Cuninaeque] Cunina ist die altrömische Göttin der Wiege.

[MATTHAEO WIELANDO Theologo pientissimo.] Matthäus Wieland, „eines Bürgermeisters Sohn, war aus dem Modlauer Pastorat nach Bunzlau gekommen. 1601 hatte er in Wittenberg eine dichterische Bearbeitung von Jakobs Traum veröffentlicht“ (GW 1, S. 20 f.; nach Wernicke, S. 472, wonach er auch in Wittenberg studiert haben soll). Nach Friedländer, S. 429, immatrikulierte sich 1599 ein Matthias Wiland aus Bunzlau an der Universität Frankfurt/Oder. Der hier Geehrte war jedenfalls Diakon in Bunzlau, in welcher Funktion er 1625 auch verstarb (Wernicke, S. 314). Senftleben charakterisiert ihn folgendermaßen (fol. B7r): Collega Melchioris Pöpleri, praeter Linguae vitium caetera bonus, pius, devotus. – Die Wendung Insolito … ore (V. 4) dürfte sich nicht auf mangelnde Ausbildung beziehen, zumal Wieland ja in der Überschrift die eindeutig auf ein Studium bezogene Bezeichnung theologus erhält. Eher dürfte Opitz auf die ungewöhnliche Ergriffenheit des Geistlichen anspielen, auf das biblische ‚Reden in Zungen‘ (Act 2,3 f. und öfter). In diesem Sinne ist das gesamte Gedicht zu verstehen, vgl. pias miror … loquelas (V. 1), rostra fremunt (V. 2), ab ingenti lymphatus numinis aura (V. 3), Christo colloqueris (V. 5).

[ZACHARIAE SCHUBERTO Literatissimo Scholarchae.] Zacharias Schubert (gest. 1642) aus Brieg war seit 1615 Prorektor der Bunzlauer Schule. Ein Jahr später trat er als Rektor die Nachfolge Senftlebens an, die Wahl fand allerdings bereits im November 1615 statt; vgl. DBA 1145, S. 116; Wernicke, passim. Senftleben nennt (fol. B3r) – in den Daten etwas abweichend – einen ZACHARIAS SCHUBARTUS, Rector primum Boleslaviensis, de hinc Loebaviensis in Lusatia superiore, der dort 1633 an der Pest gestorben sei. Schubert scheint Opitz – ob systematisch, sei dahingestellt – mit neostoizistischem Gedankengut vertraut gemacht zu haben, jedenfalls weisen einige der im Gedicht vorgebrachten Maximen in diese Richtung. Unter den frühen Texten Opitzens zeigt u. a. Hipponax ad Asterien vergleichbare Tendenzen. 1 Aonidum … Dearum] Die Heimat der Musen wurde auf dem Helikon in Aonien (Böotien) lokalisiert. 5 f. Intra me vivo mihi … cunctis velle deesse, nego] Die Kombination aus privater Zurückgezogenheit und sozialem Engagement war eine der Grundlagen neostoizistischer Populärphilosophie.

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Kommentar zu S. 20–22

5 Musas lenio Musis] Musis ist wohl metonymisch gebraucht, so daß man verstehen könnte: Die Musen beschwichtige ich mit (eigenen) Dichtungen. 7 peregris] pereger sehr selten (Venantius Fortunatus 4,10,14) für peregrinus. 7 nemo] Sehr ungewöhnlich statt non oder numquam gebraucht. 9 invidiae] Metonymischer Gebrauch; gemeint sind ‚die Neider‘.

[NICOLAO FROBENIO civi doctissimo.] Nikolaus Froben stammte aus Bunzlau, war der Sohn eines Pastors und hatte (nach Wernicke, S. 291) Medizin studiert (immatrikuliert in Frankfurt/Oder 1592; Friedländer, S. 367). Er besaß eines der stattlichsten Häuser in Bunzlau. Der Titelzusatz suggeriert, daß er mit seinem Vermögen privatisierte. Tatsächlich tritt er in der Bunzlauer Chronik, von einem marginalen Hinweis abgesehen, nicht hervor. Senftleben beschreibt wohl diesen Namensträger fol. A4r als Medicinae Candidatus, Gibbo deformis, at animo formosus, Literarum et Hortorum Studiosissimus. 2 Hygieia] Göttin der Heilkunst. 3 lapso ambiguo … tempore] Als Pendant zur deutschen Redewendung ‚zwischen den Jahren‘ nicht belegt, aber so denkbar. 4 Et redeundo perit, et pereundo redit] Die Kombination von syntaktischem Parallelismus und semantischem Chiasmus weist auch der bekannte Vers aus Opitzens Sonett Francisci Petrarchae auf: „Ich weis nicht was ich wil / ich wil nicht was ich weis“ (GW 2.2, S. 703).

[CHRISTOPHORO BUCHWELDERO viro optimo.] Christoph Buchwälder (1566–1641) hatte seit 1586 in Wittenberg (Hartwig, S. 341) studiert. Er war neben Senftleben Opitzens wichtigster Lehrer an der Bunzlauer Schule, wo er seit den 1590er Jahren wirkte (vgl. Wernicke, passim). Wie jener veranstaltete er Schultheateraufführungen (Palm, S. 124; vgl. daneben GW 1, S. 22). Vgl. auch folgende Ausführungen zu Buchwälder bei Senftleben, fol. A2v: Variarum Cantionum Sacrarum Volumen collegit, quod Gorlitij in Lusatia dein Wratislaviae aliquoties typis ex scribtum [sic!] prodiit, primum in Patria Con-Rector dein Senator utrobique adprime meritus. Opitz verfaßte um 1626 ein Gedicht Auff H. Christoff Buchwälders Geistliche Gesänge (GW 4.2, S. 491 f.). Beide Texte wurden 20 Jahre nach Opitzens Tod mit einigen Änderungen wieder abgedruckt in: Christophori Buchwelderi Memoria Renovata (Liegnitz 1659), fol. A4r-v; zu dieser Sammlung vgl. Pietrzak, S. 389–392. Die Abweichungen werden im folgenden nicht systematisch erfaßt, da es sich wohl nicht um eine vom Autor zu verantwortende Fassung handelt. 5 sancti … Tulli] Das Epitheton ist vielleicht nicht nur schmückend. Zu denken wäre etwa an die Hochschätzung Ciceros durch Luther, der De officiis fast mit den Heiligen Schriften gleichsetzte und Cicero einen Platz im Paradies wünschte; Belege aus den Werken Luthers

Kommentar zu S. 22

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und Melanchthons gesammelt bei von Albrecht, S. 445. Es ist allerdings bemerkenswert, daß der spätere Druck des Textes docti statt sancti hat. 6 Poenique … verba] Nach Cicero, De oratore 2,75, mit Bezug auf das vernichtende Urteil des Karthagers (Poeni) Hannibal über einen wichtigtuerischen Redner namens Phormio. Vielleicht ist aber auch an Augustinus zu denken, der aus Nordafrika stammte.

[MARTINO OPITIO Medicinae Candidato.] Die Identität dieses Namensvetters und wohl weitläufigen Verwandten von Opitz gibt einige Rätsel auf. In der Frankfurter Matrikel erscheinen zwei Personen dieses Namens aus Bunzlau, nämlich in den Jahren 1576 und 1613 (Friedländer, S. 254, 572), in der Wittenberger Matrikel begegnet 1585 ein Bunzlauer namens Martin Opitz (Hartwig, S. 330). Wenn man Rubensohns Theorie verwirft, daß der Dichter selbst sich lange vor seinem Studienbeginn habe immatrikulieren lassen (1899, S. 238; sein Studium in Frankfurt ist ohnehin fraglich), liegt es nahe, daß der Kandidat der Medizin mit der 1613 in Frankfurt eingeschriebenen Person identisch ist. Sowohl die im Text genannte Zeitspanne (quondam, V. 5) wie auch die Art der Hilfeleistung (miscens praestantia pharmaca, V. 7) muß nicht wörtlich genommen werden, vielmehr kann Opitz das Geschehene mit Blick auf den gegenwärtigen Status des Adressaten nachträglich überhöht haben. 1 nullum] Vgl. oben die Verwendung von nemo im Gedicht auf Zacharias Schubert. 4 Cois … viris] Vgl. oben zu V. 1 des Gedichts auf Georg Kober. 10 nosti] Schon GW 1, S. 23, für das überlieferte nosci (GW liest allerdings nosei) konjiziert; die beiden Schlußverse bleiben dennoch dunkel.

[GEORGIO SEVERO Cantori benemerentissimo.] Georg Sauer (1554/5–1617), latinisiert Severus, stammte aus Bunzlau und wurde 1576 als pauperrimus ohne Gebühr in Frankfurt/Oder immatrikuliert (Friedländer, S. 254); 1582 wurde ebenfalls ein Georg Sauer aus Bunzlau in Wittenberg eingeschrieben (Hartwig, S. 307). Sauer war um 1590 bereits an der Bunzlauer Schule beschäftigt und bekleidete 24 Jahre lang das Amt des Kantors; vgl. DBA 1179, S. 340; Wernicke, S. 305. 2 dulcicanora] Antik nicht belegt. 3 f. Si … tibi] Verkürzte Formulierung; es sind unterschiedliche Ergänzungen denkbar. 5–10 ingenii … Ingenium] Zu den Schwierigkeiten dieses Gedichts gehört auch der offenkundige Wechsel in der Bedeutung dieser zentralen Vokabel. 8 severa] Bezug auf die latinisierte Namensform Sauers. Bei Senftleben, fol. B5v, findet sich das Epigramm: CA ntor eras, et eras quoque nomine, reque Severus: / Dulcis-amara fuit Musa, SEVERE , tua.

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Kommentar zu S. 24

[CASPARI BERGMANO Paedagogiarchae solertissimo.] Caspar Bergmann aus Bunzlau, immatrikuliert 1598 in Frankfurt/Oder (Friedländer, S. 427), war von 1607 bis 1629 an der Bunzlauer Schule (Wernicke, S. 294, 325). 1–2 DI gnus … negant] Einer der wenigen im Strenarum libellus enthaltenen Hinweise auf die Statuskonkurrenz, in der sich die Gelehrten jedes frühneuzeitlichen Gemeinwesens befanden.

[MARTINO TSCHERNINGO praeceptori charissimo.] Martin Tscherning (gest. 1623) war Auditor, also eine Art Hilfslehrer an der Bunzlauer Schule. Unter den Adressaten stand er im Rang am tiefsten. Deutlicher noch als im Falle Bergmanns geht Opitz auf die subalterne Stellung des Pädagogen ein, von dem er offenbar in den unteren Klassen, also noch in früher Kindheit (primitus, V. 1), unterrichtet wurde. Senftleben, fol. B6r, beschreibt seine Stellung ähnlich als Collega Scholae Patriae. 4 Qua celeri ingenium duxeris arte meum] Es ist wohl nicht nur die pädagogische ars des Lehrers gemeint, sondern zugleich – als Resultat – die Kunstfertigkeit, die der Schüler erworben hat; darauf ist dann V. 5 causa zu beziehen. 7 nota supellex] Metaphorisch für Unterrichtsmethode bzw. -gegenstand des Lehrers, möglicherweise im Sinne von Cicero, Orator 79, wo die (ars) oratoria als supellex bezeichnet wird. Die GW 1, S. 24, vorgeschlagene Konjektur (tibi für sibi) erscheint nicht hilfreich.

[EROTOPAEGNIUM SCHEDIASTICUM .] Als Erotopaegnia überschrieb nach Gellius, Noctes Atticae 2,24,8, der römische Dichter Laevius (1. Jahrhundert v. Chr.) seine Sammlung von Liebesgedichten. In neulateinischer Dichtung ist diese Gattungsbezeichnung häufig, z.B. gibt es von Opitzens Vorbild Heinsius ein Erotopaegnium, das vielleicht neben Catull als Anregung zu V. 17 f. unseres Textes diente; Daniel Heinsius: Poemata auctiora […]. Leiden 1640 [mehrere Editionen seit 1603], S. 251 f. – Die Neubildung schediasticus (nach schedium; Petron, Cena Trimalchionis 4,5) ist im Neulateinischen nicht selten, vgl. Paul Schede Melissus: Schediasmata poetica. Frankfurt 1574 (hier zugleich mit Anspielung auf den Namen des Dichters). 1 Virgilium dulces neglexe puellas] Der antike Vergilbiograph Donat, Vita Vergilii 9, charakterisiert den römischen Dichter als libidinis in pueros pronioris. Opitzens Formulierung dürfte eher von einem bekannten Epigramm Martials (Sint Maecenates, non derunt, Flacce, Marones) inspiriert sein, wo es von Vergil, der sich in den Sklaven Alexis verliebt hat, heißt: Excidit attonito pinguis Galatea poetae / Thestylis et rubras messibus ussa genas (8,55,17f.). 5 Diones] In der griechischen Mythologie vielfach mit Aphrodite/Venus identifiziert. 14 Melissa] Griech. Biene, also etwa ‚Bienchen‘.

Kommentar zu S. 24 –26

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14 caelico] caelicus als Synonym von caelestis (Glossatoren) mehrfach belegt in ThLL 3, Sp. 74. 15 animae … argutabimur] animae wohl prädikativ aufzufassen. 16 Violeto] violetum ist eine Ableitung von viola, wohl in Analogie zu rosetum (von rosa) gebildet; GW 1, S. 25, konjiziert violento. 17 f. Altera rursus, et altera, et altera, et altera rursus Adblandientes savia] Vgl. Catull, carmen 5,7–9: Da mi basia mille, deinde centum, / Dein mille altera, dein secunda centum, / Deinde usque altera mille, deinde centum; Heinsius (s. o., S. 252): Moxque iterumque iterumque iterumque iterumque afflavit / Vdum nescio quid, nescio quid tepidum. 18 Adblandientes] ThLL 1, Sp. 573, als extrem seltene spätantike Vokabel belegt. 20 inplice] Offenbar ein Neologismus.

[De hoc carmine.] Die Verse geben nicht den – über die Widmungsepistel hinaus – erwünschten Aufschluß über die Aufnahme des erotischen Gedichtes in den Sammelband.

[LECTORI.] Pointiert wird am Ende der Gedichtsammlung der Anspruch auf Nachruhm formuliert. [R.S.]

QU ia tuam sortem – SI c tibi rivalis Gratulationsgedicht für Caspar Dornau anläßlich seiner Genesung von einer Krankheit Dünnhaupt, Nr. 21; – PRO SALUTE | C ASPARIS D ORNAVII | VIRI NOB !ILISSIMI " CL !ARISSIMI " ET EX -|CELLENTISS. PHILOS. | ET M EDICI | Morum in Illustri Gymnasio Be-|thaniensi Literatissimi | Professoris. | Post gravissimum morbum | SOTERIA . | Francofurti Marchio-| num | TYPIS JOHANNIS EICHORN . | A NNO M . DC . XVI (UB Amsterdam: Br. B g 5), fol. A2v–3v. Überliefert außerdem in mehreren späteren Handschriften (Aufstellung bei Seidel, 1994, S. 466) und im Dulc-amarum (s. Kommentar zu SI quid adhuc Divi ), fol. T2r–3r. GW 1, S. 27–29, folgt dem Erstdruck, ebenso unsere Edition. Der renommierte Pädagoge, Arzt und Universalgelehrte Caspar Dornau (1577–1631) war im Jahre 1616 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für mores (etwa ‚Verhaltenslehre für künftige gesellschaftliche Eliten‘) am akademischen Gymnasium in Beuthen an der Oder berufen worden, wo Opitz zur selben Zeit (Mitte 1616 bis Winter 1617/18) studierte. Anläßlich der Genesung Dornaus von einer schweren Krankheit brachten einige

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Kommentar zu S. 26

Schüler eine Gedichtsammlung Pro salute Casparis Dornavii … post gravissimum morbum Soteria (Frankfurt/Oder 1616) heraus. Solche poetischen Genesungsglückwünsche, wie sie im Falles Dornaus noch in größerem Umfang der Sammelband Dulc-amarum (s. u. zu SI quid adhuc Divi ) vereinigte, waren gängige Praxis in humanistischen Freundschaftszirkeln, deren ideellen Zusammenhalt sie befördern halfen. Opitz nutzte die Gelegenheit, sich dem neuen Professor, durch dessen Lehrveranstaltungen er u. a. zur Wertschätzung der deutschen Dichtersprache (s. u. zum Aristarchus) angeregt wurde, als virtuoser lateinischer Dichter zu präsentieren. Dies ist nicht verwunderlich angesichts der Bedeutung, die das Idiom der Humanisten für das Sozialprestige und die Aufstiegschancen der bürgerlichen Gelehrten in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft besaß; vgl. auch zwei weitere lateinische Gedichte Opitzens an Dornau (vgl. unten zu SI quid adhuc Divi). Zu Dornau vgl. Seidel (1994), hier S. 307 ff. zu den Beziehungen zwischen Dornau und Opitz, S. 50 f. zur Datierung der Krankheit. Das Gedicht selbst ist in der älteren Forschung gelegentlich erwähnt, besonders bei Rubensohn (1899), S. 233–236; Krause, S. 91, nennt das Gedicht Opitzens „zweifellos beste Elegie“, ohne es angemessen analysieren zu können. Dem Verstext geht ein einleitender Prosabrief voran. Auf einen mythologisch eingekleideten Anruf des Musengottes Apoll (V. 1–6) folgt die (gleichfalls durch mythologische Figuren versinnbildlichte) Abgrenzung der eigenen Dichtungsabsicht von der zeitgenössischen Trink- und Liebespoesie (V. 7–16). Den Hauptteil des Textes, den topische Verweise auf die Relevanz von Dornaus Genesung strukturieren (V. 17 f., 30, 41f.), bilden die Schilderung der Krankheit, eine Vision der den bedeutenden Mann bereits erwartenden himmlischen Heerscharen sowie ein langgezogener Vergleich (Sic ubi … Haud secus …, V. 33–42), der sich gängiger Liebes- und Seefahrtsmotive bedient. Der sehr manierierte Stil dokumentiert den literarischen Ehrgeiz des jungen Dichters. – Versmaß: elegische Distichen.

[C ASP. D ORNAVIO ] 1 QU ia tuam sortem saeculi putamus] Vielleicht Anspielung auf Dornaus Beuthener Antrittsrede vom 18. August 1616 (Parallela morum seculi, Görlitz 1616), die Opitz wohl gehört hat; vgl. auch V. 19. 1 f. aevi nostri] Konjektur; überliefert ist die Form aevo nostro. Nach GW 1, S. 27, „von alter Hand aus aevo nostro geändert“ (im verwendeten Exemplar der UB Amsterdam). 2 Saluti] Bei den Römern galt Salus als Begriffspersonifikation für die öffentliche Wohlfahrt, während sie gewöhnlich nicht, wie Opitz es hier wohl tut, als Äquivalent für die griechische Göttin der Gesundheit (Hygieia) aufgefaßt wurde; vgl. unten V. 31. 8 exuperabit] GW liest fälschlich exuperavit. 9 SCULTETO ] Zu Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz (1565–1620) vgl. den Kommentar zu AESTUO, nec voti (1617).

Kommentar zu S. 26–28

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[SI c tibi rivalis] 1–5 Zephyrus Hyacinthia … Phoebe] Der mit Phoebus/Apollo um die Gunst des Knaben Hyacinthus wetteifernde Wind(gott) Zephyrus lenkte den von ersterem geworfenen Diskus so um, daß er den Knaben tötete. Aus dem vom Blut des Hyacinthus durchtränkten Boden wuchs eine rotfarbene Lilie (Hyazinthe) hervor. Zur literarischen Gestaltung des Hyacinthus-Mythos vgl. Ovid, Metamorphosen 10,162–216, wo Hyacinthus durch einen unglücklichen Zufall ums Leben kommt; das Eingreifen des Zephyrus bildet eine Nebenüberlieferung (z.B. Pausanias, Beschreibung Griechenlands 3,19,5; Lukian, Göttergespräche 14,2), die aber zu Opitzens Zeit wohl gleichfalls in mythographischen Handbüchern usw. zugänglich war. 4 primi tempora veris] Muß als Enallage verstanden werden, wenn der Vorgang als wiederkehrendes Naturereignis (Präsens Sentit) gesehen wird. 6 lactea verba] Die ambivalente Konnotation des Attributs belegt eine Parallelstelle aus Quintilian, Institutio oratoria 10,1,32: neque illa Livii lactea ubertas satis docebit eum qui non speciem expositionis sed fidem quaerit. 7 fatidici … Lyaei] Lyaeus ist ein Beiname des Weingottes Bacchus. 9 gens nostra] Die Trunksucht der Deutschen galt als Nationallaster (locus classicus: die Ingolstädter Antrittsrede des Conrad Celtis von 1492). Vgl. Herbert Walz: Wider das Zechen und Schlemmen. Die Trunkenheitsliteratur des 17. Jahrhunderts, in: Daphnis 13 (1984), S. 167–185. Aus der lateinischen Literatur der Zeit wäre vor allem zu denken an die Invektive von Paul Schede Melissus: In potatores et ebriosos, in: Humanistische Lyrik, S. 802–807; Kommentar ebd., S. 1439–1443. 10 Et … nat] Gegen die Konjektur in GW 1, S. 28 (dat) ist an der überlieferten Lesart nat festzuhalten. Der Indikativ nach vorausgegangenem Quamvis … soleat … ist inkonsequent, aber nicht problematisch. – Eventuell bedenkenswert ist Rubensohns (1899, S. 236) Konjektur Nec für Et; vgl. die Parallele in einem Gedicht an Caspar Kirchner: Ebria nec medio mens natat vda mero (Silvae, S. 51). – Antike Parallelen zur Stelle: mutataque saepe mens natat (Manilius, Astronomica 4,256f.); (brattea) leviter fuso rumpitur icta mero (Martial, Epigramme 8,33,10). 13 Idaliae … arae] Nach dem Vorgebirge Idalion auf Zypern, der Heimat der Göttin Venus. 13 f. Sim … sua] Der von Rubensohn angenommene Bezug auf eine konkrete Liebschaft des Dichters in Görlitz (1618) ist – mit Schulz-Behrend – aufgrund der Datierung des Gedichtes (1616) auszuschließen. 14 concha] Attribut der Venus in bildlichen Darstellungen (vgl. Botticelli: Die Geburt der Venus, 1486) nach dem Mythos von ihrer Geburt aus dem Schaum des Meeres und ihrem Ritt auf einer Muschel. 18 saecula sera] Könnte grammatisch als Vokativ zu Vos (V. 17) aufgefaßt werden, was allerdings inhaltlich schwer zu verstehen wäre. Eher ist Vos auf Dî (V.16) zu beziehen und

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Kommentar zu S. 28–30

saecula sera eine Art freier Akkusativ. Das grammatische Problem wäre behoben, wenn man in vor saecula konjizierte. 19 Mens aevi vindex] Deutlicher Verweis auf Dornaus Rede Parallela morum seculi (s. o.), in der dieser die kulturellen Leistungen der eigenen Zeit gegenüber denen der Vergangenheit aufgewertet hatte. Vgl. hierzu Seidel (1994), S. 287–306. 20 tanta] Wohl auf Mens (V. 19) zu beziehen, obwohl timuit (V. 20) dann ohne Objekt bleibt. 22 Et calidum frigus, frigidus atque calor] Das petrarkistische Motiv findet sich in einem (aus Petrarca übersetzten) Sonett Opitzens wieder; vgl. oben zu Strenarum libellus, Gedicht auf Nikolaus Froben. 23 motus coeli concors] Der in harmonischer Bewegung gedachte Fixsternhimmel, wo Dornau, wenn er gestorben wäre, als Stern seinen Platz gefunden hätte (vgl. V. 25). 24 suam] Verwendung des Reflexivums bei Bezug auf das Subjekt des vorausgehenden Satzes in der neulateinischen Literatur nicht selten. 26 in sua fata manus] Nach Ovid, Amores 2,14,4. 37 obliquo lumine] Geläufige Verbindung in der antiken Dichtung; in Zusammenhang mit einem (mißtrauisch) prüfenden Blick z. B. bei Statius, Achilleis 1,766. 38 veteri] Schon antik, z.B. bei Statius, gelegentlich als Ablativ auch bei adjektivischer Verwendung. 43 detur] Verstoß gegen die Metrik; das lange e nimmt die Stelle einer brevis im Hexameter ein. Wenn man Opitz eine sorgfältige Beachtung des Metrums unterstellte, müßte man möglicherweise datur konjizieren. Vgl. aber auch das folgende Lemma. 43 Nunc tibi tam laeto esse detur, quantum hactenus aegro] Der Wiederabdruck im Dulc-amarum (s. Kommentar zu SI quid adhuc Divi) hat an dieser Stelle: Nunc age tam laetus vivas, quantum hactenus aeger. Im übrigen sind die beiden Textzeugen im Wortbestand völlig identisch, abgesehen davon, daß vor der Unterschrift im Dulc-amarum noch Francofurti steht. Dies bedeutet freilich nicht, daß wir einen regulären Studienaufenthalt Opitzens in Frankfurt/ Oder annehmen müssen. [R.S.]

Si quid forte dolor Trauergedicht für Andreas Sartorius anläßlich des Todes seiner Gemahlin Rosina Röber Dünnhaupt, Nr. 22; – MONIMENTA | HUMANITATIS | SVPER | N OBILISSIMI S ANGUINIS | C ASTISSIMAE M ENTIS | M ULIERUM G LORIAE | ROSINAE ROBERIAE | Immaturo obitu | Insperato abitu | Beatissimo in Patriam reditu | Erecta | QVVM | Magnifico, Clarißimo, Nobilißimo Viro D N . | ANDREAE SARTORIO, JURE-|consultorum Principi

Kommentar zu S. 30

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et ocello, potentiss!imo" Electori | Brandeb!urgensi" à consiliis, Pandectarum in Alma Viadrina Doctori et Antecessori | celeberrimo, Viduo sua conjuge Luctuoso | Communem affectum et dolorem | Professores, Amici, caeterique Laureae literatae Candidati | C ORDE | O RE | C ALAMO | ADPROBARENT | A NNO MD.CXVI. | Descripta T YPIS | FRIDERICI HARTMANNI , Bibliopolae. – o.O. [Frankfurt/Oder] (Ratsschulbibliothek Zwickau: 6. 6. 29[23]), fol. B2v–3r; GW 1, S. 34 f., und unsere Ausgabe folgen dem Erstdruck. Die Verstorbene, Rosina Röber (1593–1616), stammte aus Görlitz, der Witwer Andreas Sartorius (1562–1617) war Professor der Jurisprudenz an der Universität Frankfurt/Oder und brandenburgischer Rat. Der Herausgeber des Epicedienbandes, Christoph Pelargus, war brandenburgischer Generalsuperintendent und an der Einführung des Calvinismus in Brandenburg 1613 indirekt beteiligt (ADB 25, S. 328–330). Opitz mochte durch einen der anderen Beiträger, z. B. seinen Beuthener Lehrer Caspar Dornau oder seinen Jugendfreund Bernhard Wilhelm Nüßler, der zu jener Zeit in Frankfurt studierte, zum Abfassen eines Trauergedichts aufgefordert worden sein. Dem Epicedium fehlt die für die Gattung konstitutive Dreiteilung: Eine laudatio der Verstorbenen wird lediglich in Gestalt preisender Epitheta (tua lux, V. 13; unica gaudia, V. 33) und als Reflex vereitelter Hoffnungen angedeutet (Dulce … solatiolum, requiesque laborum, V. 15), anstelle der abschließenden consolatio findet sich eine Folge von Verweisen auf die Nichtigkeit aller Klagen (vanis … Frustra … Nequicquam … nequicquam … Frustra … iniquo; V. 35–41), die durch kein Trostangebot aufgefangen werden. Der den gesamten Text beherrschende Gestus der lamentatio stützt sich auf eine wuchernde Bildlichkeit, gipfelnd in dem weit ausholenden Vergleich mit dem Untergang der Astartica myrtus (V. 19–32). – Versmaß: elegische Distichen. 13f. Dum … Elisiis] Das Bild der verstorbenen Gattin ist so gezeichnet, daß gleichzeitig an eine in ländlicher Idylle selig Träumende und an eine friedvoll Verstorbene gedacht werden kann. Auch syntaktisch bleibt unklar, ob es an den epischen Vergleich (V. 9–12) oder an die Beschreibung des weinenden Sartorius (V. 7f.) anschließt. Die Übersetzung bringt diese Ambivalenz dadurch zum Ausdruck, daß sie den Vergleich nach V. 10 abbricht. 15 Dulce … solatiolum, requiesque laborum] Vgl. CIL VIII 7427; Boethius, Consolatio Philosophiae 3, carmen 10,4. 19 laetis] Konjektur für das überlieferte lactis. Freilich ist das gesamte Distichon auffällig: Astarte als syrisches Pendant zu Aphrodite/Venus ist wenig geläufig, ebenso die Konstruktion von accrescere mit Akkusativ und die Bedeutung Uferrand für supercilium (vgl. Apuleius, Metamorphosen 5,25). 22 Dryasin] Griech. Deklination von Dryades (Baumnymphen). 25 redimire] GW liest fälschlich redimere. 30 Deciderunt … deciderunt] Die zweitletzte Silbe der 3. Person Plural des Perfekts ist hier wie auch sonst nicht selten in römischer Dichtung kurz. Vgl. Ferdinand Sommer: Handbuch der lateinischen Laut- und Formenlehre. Heidelberg 1902, S. 619 f. 31 corrumpunt lumina] Es liegt wohl eine Katachrese vor, vielleicht auch eine Kontamination der Vorstellung ‚die Augen zuhalten‘ und ‚die Brüste schlagen‘.

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Kommentar zu S. 30–32

37 Hylam Tyrinthius heros] Herakles ist der Pflegesohn Amphitryons, des Königs von Tiryns, daher Tirynthius [falsche Metathese bei Opitz] heros (so Ovid, Metamorphosen 7,410). Nachdem sein jugendlicher Begleiter Hylas von Quellnymphen in die Tiefe gezogen worden ist, sucht er ihn verzweifelt. Der klagende Ruf nach Hylas (vgl. Vergil, Ekloge 2,43 f.) galt in der Antike als Metapher für vergebliches (s. die Einleitung zum Gedicht) Handeln. 40 Qui respondebat nil nisi ventus erat] Nach Antoninus Liberalis, Metamorphosen 26, machten die Nymphen Hylas zum Echo, das auf Herakles’ Rufen antwortete. [R.S.]

VIR quem Fatorum Empfehlungsgedicht zu Bernhard Wilhelm Nüßlers Princeps literatus Nicht bei Dünnhaupt; – B ERNHARDI G VILI =|ELMI NUSSLERI | S ILES I | PRINCEPS | LITERATVS | AD | JLLVSTRIS.um DVCEM | LIGNIC. | [Zitat aus Alkinoos, Epitome doctrinae Platonicae, Kap. 33] | Francofurti Marchionum | Typis| NICOLAI VOLTZII EXSCRIPTUS | Anno 1616. (UB Breslau: 412 198), fol. A3v. GW 1, S. 32 f., folgt der Ausgabe der Silvae, S. 109 f.; Pietrzak, S. 380 f., und unsere Ausgabe folgen dem Erstdruck. Opitzens Jugendfreund und lebenslanger Weggefährte Bernhard Wilhelm Nüßler (1598–1643) besuchte die Schulen in Bunzlau und Görlitz, seit 1616 die Universität zu Frankfurt an der Oder. Er bereitete sich durch das Studium der Rechte auf eine Anstellung im Hofdienst vor und strebte vermutlich schon zur Zeit der Abfassung des Princeps literatus, einer Herzog Georg Rudolf von Liegnitz gewidmeten Schrift, jenes Amt eines Rates der Fürsten von Liegnitz und Brieg an, das er bald nach 1618 erlangte. Entsprechend bezeichnet ihn Senftleben, fol. A8v, als Illustrissimorum Ducum Bregensium Secretarius et Consiliarius. 1631 gab Nüßler mit den Silvae die wichtigste Sammlung von Opitzens lateinischer Lyrik heraus. Die Freundschaft zwischen Opitz und Nüßler beschreibt bereits Senftleben, ebd.: QVis Pyladem nescit, cui notum nomen Orestis? / Et quis Nüslerum, cui placet Opitius? Beim Princeps literatus handelt es sich um eine Programmschrift, die nach Art eines Fürstenspiegels dem Herzog die Notwendigkeit umfassender Bildung nachweist und zugleich behauptet, daß der Adressat sie bereits besitze. Die Schrift endet mit der aus Platons Staat, 473 d, überlieferten Forderung, daß die Herrscher Philosophen sein müßten: Credite mihi aut nunquam, aut tunc Respublicae nostrae florebunt, cum aut imperabunt Philosophi, aut qui imperabunt, philosophabuntur (fol. D8v). Dabei wird dem Fürsten suggeriert, daß in einem nach diesem Prinzip gelenkten Staat den Gelehrten – wie Nüßler oder Opitz – eine herausragende Funktion zuzuweisen sei. In Opitzens Gedicht, das aufgrund seiner Position im Erstdruck zugleich an Nüßler wie auch an den Herzog gerichtet erscheint, werden die traditionellen Adelsbeschäftigungen (V. 8–14) mit denen des Princeps tuus (gemeint ist ‚Nüßlers Fürst‘) konfrontiert, der sich den Künsten und Wissenschaften widme. Reifferscheid, S. 710, konnte indessen nachweisen, daß Georg Rudolf das ihm zugeeignete Werk nie aufgeschlagen hat. Über Nüßler informiert GW 1, S. 29–32; vgl. auch Killy,

Kommentar zu S. 32–34

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Bd. 8, S. 478, und Seidel (1994), S. 248 f.; zum Gedicht finden sich einige Anmerkungen bei Pietrzak, S. 380–382; einige deutsche Texte von ihm abgedruckt in: Weimarisches Jahrbuch 4 (1856), S. 147–150. – Versmaß: elegische Distichen. 2 mundo ponere jura suo] Die Wendung bezieht sich, je nach Auslegung, ebenso auf den regierenden Fürsten wie auf den jungen Rechtsstudenten und angehenden Rat. 7 f. Hoc … Eloquij] Gemeint ist wohl die Erstlingsschrift Nüßlers, eben der Princeps literatus. 11 insiliisse] Zu erwarten wäre insiluisse. 14] Silvae: Hic mihi mos vitae nobilioris erit. 15 hic] Silvae: ille 15 f. Sed … cadit] Das Distichon läßt eine Gegenüberstellung der Vergänglichkeit des Kampfesruhmes und der Ewigkeit des Ruhmes von Dichtern und Gelehrten erwarten, die jedoch nicht durchgeführt wird. 18 regno adimit ingenio] Silvae: adimit curis artibus 19 Haec] Bezogen auf opem; gemeint ist wohl das Mäzenatentum, das vom Fürsten hier nach dem Schema des laudando praecipere eingefordert wird. 21 enses] Der Plural paßt nicht in das Summationsschema und wird daher in der Übersetzung ignoriert. [R.S.]

Quicquid id est Monsi Propemptikon für Johannes Monsius Nicht bei Dünnhaupt. – Der Text wird zum ersten Mal wiedergegeben bei Georg Witkowski: Ein ungedrucktes Gedicht von Martin Opitz, in: Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Literatur N.F. 3 (1890), S. 127 f. Das doppelseitig beschriebene Blatt „in des Dichters Handschrift“ (Witkowski, S. 128) befand sich zu Witkowskis Zeit „im Besitz des Herrn Künzel in Leipzig“ und wird heute in ColognyGenève, Fondation Martin Bodmer, Bibliotheca Bodmeriana: 1223, aufbewahrt. Nach Conermann/Bollbuck erinnert das Blatt „durch Format und Faltung an einen Brief bzw. eine Briefbeilage und nicht an ein Stammbuchblatt.“ Ausführliche Hinweise zu diesem Gedicht neben Witkowski bei Conermann/Bollbuck [im Druck]. Die Abfassungszeit des Gedichtes ist unklar: Witkowski, S. 128, vermutet, „dass es der Jugend, vielleicht den Studentenjahren, des Dichters angehört.“ Nach Conermann/Bollbuck könnte das „Epigramm“ vielleicht in Opitzens Studienzeit in Beuthen oder Heidelberg datiert werden, „frühestens nach Opitz’ vermutlicher Fahrt nach Beuthen“. Die guten Wünsche für den scheidenden Adressaten bilden mit den Versen 1–4 und 15–24 den inhaltlichen Rahmen des Gedichtes. Diese Rahmung wird verdeutlicht durch die Wiederholung von Ito bonis auibus (Verse 3 und 15). Der Mittelteil (Verse 5–14) betont

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die unverbrüchliche Freundschaft des Sprechers gegenüber Monsius. – Versmaß: elegische Distichen. IO. MONSIO B!O"EM.!o"] Witkowski konjiziert B[R]EM.[ensi], Conermann/Bollbuck dagegen B!O"EM. Letzteres wird hier berücksichtigt, weil einleuchtend erscheint, was Conermann/Bollbuck zur Vita des Adressaten ausführen: Demnach ist der Familienname Monse seit dem 17. Jahrhundert in Böhmen, Mähren sowie in der Lausitz, Schlesien und der Grafschaft Glatz anzutreffen. Johannes Monsius könnte ein Studiengenosse oder Freund des jungen Opitz gewesen sein.   ]

Nach Witkowski, S. 128, fehlerhaft, richtig sei   

2 iugiter] Witkowski interpretiert iugiter hier in der Bedeutung „sofort“ und nennt Ausonius, Epistulae 19,10 dafür als Belegstelle, während Conermann/Bollbuck diese AusoniusStelle und die Textstelle hier bei Opitz wohl zu Recht mit „fortwährend“ übersetzen. 3 bonis auibus] Bei den Römern diente die Vogelschau als Mittel der Weissagung. Demzufolge bedeutet bonis auibus soviel wie „mit guten Vorzeichen“. 3 f. Hermes, Qui, quam aliis monstrat nunquam iit ipse viam] Der griechische Gott hier in seiner Funktion als „wegekundiger Führer“, der zum Beispiel ihm anvertrauten Heroen Geleitschutz gewährte, als Psychopompos die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt oder einige Helden aus dem Totenreich herausführte; dazu DNP 5, Sp. 430. Es ließe sich auch an die Hermen denken, die in der Antike als Wegmarken, an Grenzen und Eingängen aufgestellt waren. 5 memor !esse" me!mento"] Die Lesung memor !esse" me!mento" ist unsicher; vgl. dazu Conermann/Bollbuck. 6 fuerit] fuerit als eine weitere plausible Lesart neben dem von Witkowski und Conermann/ Bollbuck vorgeschlagenen fue!ri "s. 6 dulce sodalitium] Witkowski nennt hier als Beleg die Stelle Catull carmen 100,4: fraternum vere dulce sodalicium, die sich auf die innige Freundschaft bzw. Liebe zweier Mitglieder des flos Veronensum (100,2) zu einem Geschwisterpaar bezieht. 7 Nil te celaui] Grundforderung der stoischen Freundschaftslehre; vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 3,3. 11 speribus] Vgl. Varro, Saturarum Menippearum fragmenta, Fragment 1 und 350. 11 f. idem … semper eris] Maxime der (neo)stoischen constantia, verbunden mit der zugehörigen Freundschaftsethik. 17 Cauri] Nordwestwind; vgl. DNP 2, Sp. 1041. 18 Boreas … siluifragus] Der Nordost- bzw. Nordnordostwind, der nach antiker Auffassung (so bei Pindar) als stürmischer König der Winde Finsternis, Kälte und Schnee bringt und als „wellenzerstäubend, den Aither aufheiternd und Gesundheit fördernd“ beschrieben wird; vgl. DNP 2, Sp. 748 f. Vgl. die Beschreibung der Gewalt des Windes bei Lukrez, De rerum natura 1,269–276, vor allem V. 275: silvifragis vexat flabris.

Kommentar zu S. 34–36

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21 Tyndaridae felicia sidera] Kastor und Pollux/Polydeukes als Söhne des Tyndareos und der Leda; allerdings ist die mythographische Überlieferung uneinheitlich: In den homerischen Großepen sind Kastor und Polydeukes Söhne des Spartanerkönigs Tyndareos, in anderen Quellen gilt Zeus als Vater des (unsterblichen) Polydeukes, Tyndareos als Vater des (sterblichen) Kastor oder auch Zeus als Vater der Dioskuroi; vgl. dazu DNP 3, Sp. 673–675 sowie DNP 12, Sp. 941 f. In der Antike wurden die Zwillinge als Retter in Seenot angerufen, so erkannte man sie zum Beispiel im Elmsfeuer, später zudem im Sternbild der Zwillinge. Opitz bezieht sich auch in anderen (frühen) Gedichten gerne auf das Brüderpaar als Glück oder Rettung verheißendes Sternbild, vgl. zum Beispiel die beiden letzten Verse in AD DANIELEM HEINSIVM, Silvae, S. 40: Tu gratum fesso littus, tu rursus eunti / In mare Ledaei sideris instar eris. 22 Omnia p!er va"t!em" spargite latonium] Die Konjektur p!er va"t!em" findet sich sowohl bei Witkowski als auch bei Conermann/Bollbuck. Dagegen konjiziert Witkowski, S. 128, unter Vorbehalt batauium statt latonium mit der Begründung, -tauium sei „mit Bestimmtheit lesbar“, während „die Kürze ba – in der Hebung Bedenken erregt.“ Er erklärt dies jedoch mit dem improvisierten Charakter des ganzen Gedichts. Nach Conermann/Bollbuck ist stattdessen latonium zu lesen. Somit ergäbe sich die Deutung „der latonische Seher“ und damit der Bezug zu Apollo, der der Sohn Letos/Latonas ist. Gerade aufgrund seiner Unleserlichkeit bleibt der Sinn des Verses jedoch dunkel. 24 –26] Conermann/Bollbuck vermuten, Opitz könnte hier auf sein „Rülpsen wegen übermäßigen Biergenusses“ vom Tag zuvor anspielen; als Pointe des Gedichtes könne er sich jedoch (gleichzeitig) auch auf seinen „Wortreichtum“ (vgl. V. 7) beziehen. Die Versalien sprechen für eine ironische Sentenz. [H.B., V.M.]

Nullis scripta notis Glückwunschgedicht für Christoph Schwartzbach zur Verleihung des Dichterlorbeers Nicht bei Dünnhaupt; – C HRISTOPHORI | S CHWARTZBACH I | H EXAPOLITAE , | Philomusi | Carminum Miscellorum | LIBELLUS II . | N OBILI , | Amplissimo Spectatissimoque | INCLYTAE | LAUBANENSIS | R EI - PUBL . S E -|NATUI | Grati animi ergò sub-|mißè oblatus. | BUDISSINAE | TYPIS ZIPSERIANIS. | A NNO D EI -H OMINIS | M D CXVII . (Nationalbibliothek Warschau: S. 1.540), fol. B5v–B6r. Leicht abweichende Fassung in: Silvae, S. 122; Pietrzak, S. 382 f., und unsere Ausgabe folgen dem Erstdruck. Christoph Schwartzbach (1588–1639) stammte aus Lauban, wo er nach Studien in Königsberg zunächst als Lehrer tätig war. Seit 1625 arbeitete er am Maria-Magdalenen-Gymnasium in Breslau. Neben einigen weiteren Schriften aus dem Bereich der Theologie, der Naturphilosophie und der Gelehrtengeschichte ist vor allem seine in zwei Bänden erschienene Gedichtsammlung (Bd. 1: Carmina Miscellanea. Bautzen 1616; Bd. 2: s. o.) hervorzuheben. Schwartzbach war ein produktiver Kasualdichter, der neben lateinischen

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Kommentar zu S. 36

auch griechische und deutsche Verse publizierte. Die Verleihung des Titels eines poeta laureatus durch den angesehenen Tobias Scultetus (über ihn s. Kommentar zu AE STUO, nec voti; Schwartzbachs Gedichtsammlung enthält zahlreiche, der Auswertung harrende Gedichte auf ihn) etablierte ihn als Mitglied der schlesisch-lausitzischen Gelehrtenrepublik. Opitz, der in dieser Zeit als Hauslehrer bei Scultetus lebte, dürfte bei der in dessen Haus bei Beuthen vorgenommenen Dichterkrönung am 30. März 1617 zugegen gewesen sein. Über Schwartzbach informiert Flood, Bd. 4, S. 1914 f., wo auch auf eine Festschrift zur Dichterkrönung Schwartzbachs hingewiesen wird, an der Opitz freilich nicht beteiligt war; vgl. HPG, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 137. Die zentrale Vorstellung einer entweihten und degenerierten Dichtkunst findet sich – auf das gesamte Feld der zeitgenössischen lateinischen Sprache ausgedehnt – in Opitzens gleichzeitig entstandenem Aristarchus (fol. B2v): Sic elegantissimam illam Venerem Romanam et fraudamus decore nativo, et spurio fuco corrumpimus. Prostituimus denique eam nobis ipsi ac defloramus; vgl. den Kommentar zur Stelle. Die literarische Repräsentation unterschiedlichster kultureller Konzepte (Nation, Kirche usw.) in der Form einer weiblichen Allegorie begegnet in frühneuzeitlicher Dichtung häufig, besonders z.B. in der Gattung der Heroide. Vgl. zur Drastik der Darstellung etwa Paul Flemings Schreiben vertriebener Frau Germanien … (1631): „Die Glieder werden welk, das Fleisch ist abgeschwunden, / die Sorge macht mich alt, eh’ es noch Zeit ist doch. / Es ekelt mir für mir, der Runzeln schlaffe Wunden / verstellen meine Haut. Die Schwindsucht frißt mich noch.“ Paul Flemings Deutsche Gedichte, hrsg. von J. M. Lappenberg. Stuttgart 1865 (= Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart 82), S. 102–110, hier S. 103. Auf die kurze Erinnerung an das ‚goldene Zeitalter‘ der römischen Dichtung (V. 1–4) und die Klage über den angeblich verlotterten Zustand der gegenwärtigen Dichtung, die im drastischen Bild einer heruntergekommenen Hure vorgeführt wird (V. 5–16), folgt das Lob der wenigen ‚echten‘ Dichter, zu denen selbstredend der frisch gekrönte Adressat des Gedichtes gehört. – Pietrzak, S. 382–386, bringt nicht nur den Text des Gedichtes und Literaturhinweise zu Schwartzbach, sondern druckt auch die auf Opitzens Glückwunschgedicht folgende Responsio Schwartzbachii (in 23 Distichen; fol. B6v–B7r) ab, die im Tenor unserem Gedicht nahe kommt. Daß Opitzens Gedicht als einziger Fremdbeitrag in den Carminum Miscellorum Libellus II. aufgenommen wurde, liegt nach Pietrzak eben daran, daß Schwartzbach seine Responsio gleichfalls publizieren wollte. – Versmaß: elegische Distichen. Titel] Silvae: Ad Christoph. Schwartzbachium cum Tob. Scultetus eum laurea donasset. 2 Idaliâ] Nach dem Vorgebirge Idalion auf Zypern, der Heimat der Göttin Venus. 3 f. nativo fonte … puris … jocis] Die Metaphorik zielt in die gleiche Richtung wie beim Aristarchus (s. o.), wo immer wieder die Vermischung einer ‚reinen‘ Sprache – sei es der lateinischen oder der deutschen – mit fremden Elementen beklagt wird. Zur situativen Verankerung des historisch nicht haltbaren Urteils und zur gesamten Diskussion um das puritas-Ideal der Zeit vgl. Seidel (1994), S. 320–337; Entner (1982), passim. 3 Quirites] Altertümlicher Name, mit dem die Römer sich selbst bezeichneten.

Kommentar zu S. 36–38

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6 notho lumine] Vgl. Catull, carmen 34,15 f. 7 Pallor in ore sedet] Nach der Beschreibung der Invidia in Ovids Metamorphosen 2,780f.: Pallor in ore sedet, macies in corpore toto, / Nusquam recta acies, livent rubigine dentes … 7 oßibus haerent] In diesem Sinne – allerdings nicht als Polyptoton konstruiert – bei Vergil, Ekloge 3,102. Vgl. auch die Einleitung zum Gedicht. 12 pro meretrice] Weil sie sich – z. B. durch Stil- und Sprachmischung – ‚verkauft‘ und ihre ‚Reinheit‘ nicht bewahrt; vgl. die Einleitung zum Gedicht. 15 f.] Vgl. die Responsio Schwartzbachii, fol. B7r : Hei mihi! quae tua nunc est sancta Poëtria forma? / o quantum veteri dissidet ista recens! Zumindest bei Opitzens Dichtung muß indessen neben der ‚klassizistischen‘ immer auch die manieristische Komponente mitbedacht werden. Vgl. Kommentar zu V. 3 f. 19 Quos inter … laus] Silvae: Quos tu inter … pars 21 Q UOD F AUSTUM A C F ELIX sit] Teil der altrömischen Beschwörungsformel, vgl. Cicero, De divinatione 1,102. 23 f.] Silvae: Hic vindex quod habes sperato exauget honore, / Et quod habes nondum, donat, amice, tibi. 23 Comite] Tobias Scultetus war Pfalzgraf (Comes Palatinus) und hatte als solcher das Recht, im Namen des Kaisers Dichterkrönungen vorzunehmen. [R.S.]

GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI

NUSSLERI PROPEMPTICA

Geleitgedichte für Wilhelm Bundschuh und Bernhard Wilhelm Nüßler Dünnhaupt, Nr. 23 (= Nr. 32); – GUILIELMI CO-|THURNI | ET | B ERN. G UILIELMI | NUSSLERI | Ornatissimorum Juvenum | PROPEMPTICA , | cum Marpurgum studiorum | gratia abirent. | MARTINUS OPITIUS | scripsi. | B ETHANIAE AD O DERAM | L ITERIS T YPOGRAPHICIS | J OHANNIS D ÖRFERI . – o. J. [1617] (SUB Göttingen: 8 P LAT REC II, 3059); spätere Fassung des zweiten Gedichtes in: Silvae, S. 43–45; GW 1, S. 48–50, bietet außer dem Druck der Silvae nur sekundäre Überlieferung, ist daher nicht verläßlich; Abdruck hier nach dem Erstdruck mit Angabe der Varianten im Kommentar. Opitzens Bunzlauer Jugendfreund Nüßler (s. oben zu V IR quem fatorum) und dessen ehemaliger Görlitzer Mitschüler Wilhelm Bundschuh/Cothurnus (gest. 1632) waren im Jahr 1617 Kommilitonen an der Universität Frankfurt/Oder und planten eine Fortsetzung ihres Studiums im calvinistischen Marburg. Dieses Vorhaben wurde allerdings nicht realisiert – Bundschuh immatrikulierte sich stattdessen in Heidelberg, Nüßler ging nach Bunzlau –, so daß in dem späteren Nachdruck des Gedichtes auf Nüßler einige Änderungen vorgenommen werden mußten (dazu im einzelnen s. u.). – Vgl. Rubensohn (1899), S. 45–47, 233; Krause, S. 94 –98, 109–112 (bloße Paraphrase); GW 1, S. 46–48.

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Kommentar zu S. 38–40

[A D G UILIEL . C OTHURNUM ] Das Gedicht ist in zwei annähernd gleich lange Teile gegliedert. Der erste Abschnitt (V. 1–18) versteht sich als Invektive gegen Betrüger, die das Vertrauen ihrer ‚Freunde‘ mißbrauchen. Dabei ist ein hofkritischer Impuls deutlich auszumachen, ohne daß konkrete Fälle hinter den allgemeinen Angriffen zu vermuten wären. Im Kontrast dazu wird im zweiten Teil (V. 19–39) die Redlichkeit der Freundschaft zwischen Opitz und Bundschuh beschworen. Auch innerhalb dieses Abschnittes wird ein Gegenbild aufgebaut, das allerdings eher der Trinker- und Maulheldensatire als der Hofkritik entstammt. Opitz ließ sich – wie später bei seinem eigenen Hipponax ad Asterien – von Daniel Heinsius’ Gedicht Hipponax ad Thaumantidem inspirieren. Vgl. Danielis Heinsii Poemata emendata locis infinitis aucta. […] Editio quarta. Leiden o. J. [1613], S. 195–218, besonders S. 204 f. – Versmaß: jambische Senare. 2 candor et fidelitas fuci carens] Vgl. Heinsius (wie oben), S. 204: Candore morum, vique simplicis [Opitz, V. 12] recti, / Cui fucus omnis frausque [Opitz, V. 7] dissidet longe. 5 vulpis Hetruscae] Die Junktur ist nicht nachzuweisen. 6 mundus] Im Druck steht mundis, was metrisch und sachlich nicht paßt. 7–9] Klassischer Topos der Hofkritik. Opitz konnte in Beuthen bei seinem Lehrer Dornau verschiedene Schriften des Typus De vita aulica (V. 8) kennenlernen und Argumente für und wider den Hofdienst hören. Vgl. Seidel (1994), Kapitel 8 und 9. 10 f. ore mella qui fantur suo, Fel corde condunt] Die Juxtaposition von mel und fel ist häufig, vgl. ähnliche Wendungen bei Otto, S. 218. 11 Sinonia fide] Durch die List Sinons wurde das Hölzerne Pferd mit den griechischen Kriegern nach Troja gebracht (vgl. Vergil, Aeneis, Buch 2). 13 Ditis domum] Vgl. Vergil, Aeneis 5,731 f. 14 –16 luparum filios … pelle ovina] Das Lateinische spielt mit der Doppelbedeutung von lupa (Wölfin/Hure). Im übrigen ist die Junktur vom ‚Wolf im Schafspelz‘ übernommen aus Mt 7,15: Adtendite a falsis prophetis qui veniunt ad vos in vestimentis ovium intrinsecus autem sunt lupi rapaces. 15 luelas] Das seltene luel(l)a bedeutet ‚Entsühnung‘ (vgl. Lukrez, De rerum natura 3,1015). Opitz wollte aber vermutlich eine Diminutivform zu lues bilden. 17 Pelasga] Die Griechen galten in der Antike, auch über die List mit dem Trojanischen Pferd hinaus, als verschlagen. Vgl. Livius, Ab urbe condita 42,47,7; Hieronymus, Epistel 38,5. 31 f. É culina qui venit, Praefert saporem] Sprichwörtlich, vielleicht nicht aus dem Lateinischen übernommen; vgl. aber Otto, S. 100. 35 catena non solubili] Vgl. Heinsius (wie oben), S. 205: non solubili nexu. 36 f. Mauritî … Athenaeum] ‚Heiligtum der Athena‘ dient als Metapher für einen Ort der höheren Bildung. Gemeint ist die Universität Marburg, 1527 von Landgraf Philipp dem Großmütigen gegründet, 1604 an Hessen-Kassel übergegangen; unter Landgraf Moritz

Kommentar zu S. 40

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dem Gelehrten (reg. 1592–1632) eine der wichtigsten calvinistischen Bildungsstätten im Reich. Zu Moritz vgl. Killy, Bd. 8, S. 224 f. 38 isto] Im Druck steht ista. Rubensohn (1899), S. 45, hat in seiner Teilparaphrase ebenfalls isto konjiziert.

[AD B. GUIL. NUSSLERUM] Auch dieses Propemptikon ist zweigeteilt: Zunächst artikuliert Opitz seine Trauer um den Verlust des Freundes (V. 1–30), indem er sich – teilweise in der Diktion der römischen Liebeselegie – mit einem von seinem Mädchen verlassenen Liebhaber vergleicht (V. 9–16). Im zweiten Teil (V. 31–62), zu dem eine Einschränkung der Klage überleitet (V. 31: Non tamen … videar desertus), schildert er seine Berufung zum Liebesdichter nach dem konventionellen Modell der Absage an das heroische Epos (V. 43 ff.; vgl. Ovid, Amores 1,1), aber auch an die Tragödie, womit er sich freilich in Kontrast zu Ovid setzt, der am Ende der Amores (3,1 und 3,15) den Übergang zum tragischen Genre ankündigt. Eröffnet wird das ‚Beuthener Idyll‘ durch ein Lob des Mäzens Tobias Scultetus (V. 33–38), der ihm die Muße zu poetischer Produktion gewährte. Das Gedicht ist nicht zuletzt wegen seiner beiden stark abweichenden Fassungen interessant. Rubensohn (1899), S. 46 f., vermutet, daß neben dem vereitelten Reiseplan der Freunde auch das zeitweilig abgekühlte Verhältnis Opitzens zu Scultetus Ursache der späteren Änderungen war. Hinzu kommen wohl auch poetische Erwägungen, da die zu einem unbekannten Zeitpunkt erstellte, in den Silvae (1631), S. 43–45, gedruckte spätere Fassung an manchen Stellen sprachlich geglättet erscheint. Im Kommentar werden alle textlichen Varianten der Ausgabe von 1631 angeführt. – Versmaß: elegische Distichen. Titel] Silvae: Ad Bern. Guil. Nusslerum. Adolescentis, ut et sequentes ferè. Die letzten Worte beziehen sich darauf, daß das Gedicht auf Nüßler wie auch die nachfolgenden im zweiten Buch der Silvae weitgehend aus Opitzens Jugendzeit stammen. 1 f.] Silvae: IBis ad acceptam rursus, Nusslere, Boleslam, / Istiusque tibi non placet ora soli. Der zweite Vers der Neufassung zeugt von einer gewissen Verlegenheit Opitzens, der offenbar nicht nur den Marburg-Bezug, sondern auch die konventionelle Wendung vom ‚künftigen Ruhm der Heimatstadt‘ tilgen wollte. Vgl. im übrigen zum ersten Distichon Tibull, Elegie 1,3,1f.: Ibitis Aegaeas sine me, Messalla, per undas, / O utinam memores ipse cohorsque mei! 1 Haßiacas … Athenas] Vgl. Kommentar zu V. 36 f. des vorigen Gedichtes. 5 fraterna … Cura] Bezieht sich vermutlich auf Chrysostomus Nüßler, den Bruder und Kommilitonen des Adressaten; vgl. Rubensohn (1899), S. 233. 6 madidis litera tincta genis.] Silvae: lachrimis lumina laesa suis. Der offenkundige Bezug auf die Heroidendichtung (z.B. Ovid, Heroiden 3,1–3: Quam legis, a rapta Briseide littera venit, / … / Quascumque adspicies, lacrimae fecere lituras) mochte Opitz bei seiner Überarbeitung unpassend erscheinen. 11 Heu quas non] Silvae: Quas ille haud

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Kommentar zu S. 42

21 Atque ita sim felix] Beschwörungsformel, gleichlautend etwa bei Properz, Elegie 1,7,3. 21 lateri comes impiger irem] Vgl. Statius, Silvae 3,2,92: Non vel ad ignotos ibam comes impiger ludos. 23 Ah quam] Silvae: Tecum 24 logis] Silvae: jocis 25 posita cunctorum] Silvae: et positâ graviorum 26 blanda] Silvae: querula 23–26] Die Veränderungen in diesen Versen zeigen deutlich eine Tendenz zur stilistischen Glättung, auch im Hinblick auf die (brief)elegische Struktur des Textes (vgl. auch die folgenden Lemmata). Zu querula … chely vgl. Ovid, Amores 2,4,27: querulas … chordas. 27 f.] Verse fehlen in Silvae. Opitz erkannte womöglich die Gefahr der obscuritas an dieser Stelle. 29 illac pertingere possumus unis] Silvae: spem solari nos possumus aegris 30 Mi Nüßlere, licent] Silvae: O Nüsslere; patent 34 Scultetus] Vgl. unten den Kommentar zu AE STUO, nec voti. In der Scultetus betreffenden Passage V. 33–38 wurden für die spätere Ausgabe zwei Wörter gegen synonyme Bezeichnungen ausgetauscht (V. 34 und 37), zugleich ließ Opitz aber die Verse 35 f. ganz weg, in denen vor allem die charakterliche Vortrefflichkeit des Mäzens thematisiert wurde. Rubensohn (1899), S. 47, zieht recht weitreichende Schlüsse aus diesem Befund, muß allerdings einräumen, daß in nahezu gleichzeitigen Texten Opitzens von einem Zerwürfnis mit Scultetus nicht die Rede ist. 34 Phoebus] Silvae: doctus 35 f.] Verse fehlen in Silvae. 37 clemens] Silvae: largus 38 Ac] Silvae: Et 39 querula … Pandionis ales] Pandion ist der Vater Philomelas, die in eine Nachtigall verwandelt wurde; vgl. Ovid, Metamorphosen 6,412–674. Querulus ist als Epitheton der Nachtigall aufzufassen, die wiederum metaphorisch für den (elegischen) Dichter steht. 42 Idalius] Die Stadt Idalium auf Kreta wie auch die Insel Kythera (vgl. V. 45) sind bekannt für ihre Heiligtümer der Aphrodite/Venus. 43 sublimius ire cothurno] Der hohe Schuh der Tragöden (cothurnus) steht traditionell als Chiffre für dramatische Dichtung, sublimius verweist auf den hohen Stil (stilus sublimis). Die Vokabeln begegnen in dem o.g. programmatischen Gedicht Ovids, Amores 3,1, V. 14, 31, 39, 45. 44 Possem] Silvae: Vellem 44 Mantoo] Adjektiv zu Mantua, der Heimatstadt Vergils; Hinweis auf die epische Dichtung.

Kommentar zu S. 42–44

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45 Cytherea venustula] Silvae: formosa Amathuntia 45 f.] Vgl. die Szenerie bei Ovid, Amores 3,1,33 f. 51 Et nunc totus amo] Silvae: Ardeo nunc totus 53 f. Lesbia … Neaera … Corinna] Die fiktiven Geliebten in den Elegien Catulls, Tibulls und Ovids (Publius Ovidius Naso). 54 Monstrum, nec tua nil Naso Corinna placet] Silvae: Elucet donis alma Corinna suis 57 f.] Opitz will sagen, daß ihm die reich ausgestattete Bibliothek von Tobias Scultetus jederzeit offenstand. 59 f.] Silvae: Sic lepidis vitae traducam tempora curis, / Sic vivam, Musis deditus atque mihi. 60 tutus] Das Motiv des ‚Schutzes‘ durch den Mäzen kehrt hier wieder (nach V. 33 defendit ). Auch dies ist antik, Horaz z.B. nennt Maecenas schon in Ode 1,1,2 praesidium … meum. Die spezifische Vorstellung vom ‚Schutz‘ durch einen Wall von Büchern (libellis … tutus) verwendet Opitz auch 1623 in seinem Lehrgedicht Zlatna, V. 481–483: „Dem allen ab zu sein / wolt’ ich mich gantz verhüllen / | Mit Tausend Bücher Schar / vnd meinen Hunger stillen | An dem was von Athen bißher noch übrig bleibt“ (GW 2.1, S. 87). 61 num sit tuus ardor] Silvae: sit amor num noster 62 linquere posse] Silvae: posse habitare; mit der Änderung wird offensichtlich auf eine veränderte Lage Opitzens verwiesen, die jedoch in den vorausgegangenen Versen nicht berücksichtigt wurde. [R.S.]

Vidi qui facili Gedicht für das Stammbuch von Michael Wider Nicht bei Dünnhaupt; – Stammbuch von Michael Wider (Ungarische Nationalbibliothek Széchényi, Budapest: MS. oct. lat. 145), fol. 205v. Druck in: Leonard Forster: Martin Opitz und das Album von Michael Wider, in: Barocker Lust-Spiegel. Studien zur Literatur des Barock. Festschrift für Blake Lee Spahr, hrsg. von Martin Bircher u. a. Amsterdam 1984 (= Chloe 3), S. 75–99, hier S. 94 f.; Conermann/Bollbuck [im Druck]. Unsere Ausgabe gibt das Original wieder. Über den Besitzer des Stammbuches, den Jurastudenten Michael Wider aus Elbing, informieren allein das Stammbuch selbst sowie einige Universitätsmatrikeln (vgl. Forster, wie oben; Conermann/Bollbuck). Er studierte etwa gleichzeitig mit Opitz am Gymnasium Schönaichianum in Beuthen an der Oder, und sein Stammbuch gibt durch die Einträge wichtiger Zeitgenossen Opitzens indirekt auch Einblicke in dessen Umfeld während der Beuthener Zeit. Forster druckt allein die Einträge der Jahre 1616 und 1617 ab, dokumentiert allerdings den gesamten Inhalt des Stammbuchs anhand der wichtigsten Daten.

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Kommentar zu S. 44

Das Gedicht wurde knapp ein Jahr später in veränderter Form in das Stammbuch von Valentin Rottschütz eingetragen (s. Vidi qui facili, 1618). Dieser Eintrag ist nur indirekt, daher womöglich fehlerhaft überliefert, allerdings können die Änderungen nicht durch bloße Unachtsamkeit eines Abschreibers zustande gekommen sein. Es liegen demnach insofern zwei eigenständige Texte vor, als Opitz in beiden Fällen unmittelbar zur Feder griff. Das laszive Wortspiel entspricht den derben studentischen Gepflogenheiten der Zeit. – Versmaß: elegische Distichen. 1 facili … puellae] Zur Junktur vgl. etwa Martial, Epigramme 1,57,1: Qualem, Flacce, velim quaeris nolimve puellam? Nolo nimis facilem difficilemque nimis. 1–3 Stoa … Stoum] Neuprägung Opitzens (vgl. GW 1, S. 82), möglicherweise im Anschluß an griech.  (‚steif aufrichten‘). 4 Si quid durius est marmore Stoicidum] Der Pentameter ist hier, anders als in der Version für Valentin Rottschütz, metrisch korrekt gebildet. Die Stoicidae entstammen Juvenals Satiren 2,65, wo von Heuchlern die Rede ist, qui Curios simulant et Bacchanalia vivunt (V. 2), also eine stoische Lebensweise vorgaukeln. Astyl!us" in Longi Pastoral!ibus"] Nachweis der Quelle des griechischen Zitats: Longos, Daphnis und Chloe 4,22,4. Nach Forster (wie oben), S. 95, hätte Opitz folgende Ausgabe benutzen können: Longi Sophistae pastoralium de Daphnide et Chloe libri quatuor Gothofredus Iungermanus recensuit. Hanau 1615, S. 171. ECQVANTVM RESTAT] Nach einem Ausspruch des Dichters Lukan, der sich mit Vergil verglichen haben soll: Et quantum mihi restat ad culicem („Wieviel bleibt mir noch zu tun, um nur an das kleine Werk ‚Culex‘ von Vergil heranzureichen!“); überliefert bei Sueton, De poetis, Fragment 47. Die Devise war Opitzens Wahlspruch, wie ein in Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17; ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S. 822, überliefertes Gedicht von Daniel Vechner (1572–1632, Rektor in Jauer; vgl. Seidel, 1994, S. 254) zeigt: In Scitum / MARTINI OPITII. / Ecqvantum restat? // Ecqvantum restet quaeris? mens si sit avara, / Ne semper restet, copia nulla facit. / Ecqvantum restet quaeris? mens ambitiosa / Si sit, ne restet, gloria nulla facit. / Ecqvantum restet quaeris? tibi discere gnavo / Ne restet, non vel plurima nosse facit. / Ecqvantum restet quaeris? tibi si pia mens est, / Ne restet, terrae haut machina tota facit. / Ecqvantum restet, rectè ergo qvaeris OPITI. / Nam qvantum restet dicere longa mora est. // 29. Decemb. 1618. / M. Daniel Vechnerus. Weitere Belege zur zeitgenössischen Rezeption von Opitzens Wahlspruch (seit 1615) bei Conermann/Bollbuck [im Druck]. [R.S.]

DI strahitur binis Geleitgedicht zu einer kulturhistorischen Schrift von Jonas Milde Dünnhaupt, Nr. 24; – Parallela | ORATORUM | POETARUMQUE | veterum et hodiernor!um" | I N ILLUSTRI S CHÖN -|AICHIANO | Auspicii et boni ominis | ergò adumbrata, | à | J. M ELIDEO | Sagano Siles!io" Orat!oriae" et Poës!eos" | Profess!ore"

Kommentar zu S. 44 –46

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Publ!ico" | III. Non. April. An. Chri. | MDCXVII. | T YPIS J OH . D ÖRFFERI | Typographi Schönaichiani. | Bethaniae ad Viadr!um" (UB Breslau: 354 994), fol. E4v; mit leichten Änderungen auch in: Silvae, S. 110 f. der Erstveröffentlichung folgen GW 1, S. 36, und unsere Ausgabe. Jonas Milde, latinisiert Melideus (1585 – nach 1628), zuletzt Lehrer am Mauritianum in Kassel (vgl. die vorausgegangenen Propemptika Opitzens), lehrte 1617–1618 und dann wieder 1622–1628 am Gymnasium Schönaichianum in Beuthen und war dort neben Caspar Dornau Opitzens bedeutendster Lehrer. Mit seiner ersten Berufung übernahm der Poeta Laureatus (vgl. Flood, Bd. 3, S. 1306 f.) die Professur für Rhetorik und Poetik. Die am 3. April 1617 gehaltene Antrittsrede, zu deren Druckfassung Opitz als einziger Zögling der Anstalt (vgl. unten zu V. 8) ein Widmungsgedicht beisteuerte, greift ein Thema auf, mit dem sich schon Dornau kurz zuvor in einer programmatischen Rede (Parallela morum saeculi, gehalten am 18. August 1616) beschäftigt hatte. Sie wendet sich, diesmal unter speziellem Bezug auf Dichtkunst und Sprache, gegen die Überbewertung des Altertums und verteidigt die Rechte der ‚Modernen‘ – eine Debatte, die gegen Ende des Jahrhunderts in der Querelle des Anciens et des Modernes ihren Höhepunkt fand. Vgl. zu Mildes Rede die sehr gründlichen Ausführungen bei Entner (1982), S. 32–38, zur Person und dem Beuthener Umfeld Seidel (1994), S. 246 und passim; außerdem Gustav Bauch: Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule. Berlin 1921. J. MELIDEO … contulisset] Der Titel lautet in den Silvae etwas verkürzt: Ad Ionam Melideum, cum Poetas et Oratores recentes Antiquis conferret. 3 Criticae] Criticae ist der Genitiv von (ars) critica (= Philologie). Daß sich die Vokabel auf die gelehrte Philologenschaft bezieht, ergibt sich u. a. aus dem Aristarchus, wo eine ähnliche Opposition aufgebaut wird, dort allerdings mit deutlicherer Parteinahme: Salustius antiquum nomen audit, et Criticis curiosissimis mortalium relinquendus. … Haec censura universae classicorum cohorti intentatur. Novorum interea quorundam, et terrae filiorum inusitatam ac portentosam dicendi rationem, miro judiciorum applausu, colimus et amplectimur (fol. B2v). 3 probantur] Silvae: probatur. Beide Formen entsprechen den antiken Regeln zur Kongruenz von Subjekt und Prädikat; vgl. Hofmann/Szantyr, S. 433 f. 5 Ecce … nostris] Silvae: Temporibus peior sed stat sententia nostris: 8 Amice] Die vertraute Anrede gegenüber dem renommierten Professor ist auffällig. Hierzu paßt allerdings, daß neben Opitz nur noch die zwei literarisch produktivsten Beuthener Kollegen Mildes, Caspar Dornau und Balthasar Exner, Widmungsgedichte zu diesem Druck beisteuerten. 9 submissis fascibus] Dieselbe Wendung bei Livius, Ab urbe condita 2,7,8. Das Senken der Rutenbündel zeigte in Rom den Respekt der Beamten vor der Souveränität des populus an. 9 f. aetas … suis] Die Formulierung ist ungewöhnlich, auch Opitzens (oder Nüßlers?) nachträgliche Änderung von excidit in labitur (Silvae) macht den Text nicht eindeutig. Auf die Abhängigkeit eines Urteils über Autoren und ihre Werke von den Zeitumständen hatte auch Milde in seiner Rede hingewiesen; vgl. Entner (1982), S. 33. [R.K., R.S.]

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Kommentar zu S. 46

AR dentes oculi Hochzeitsgedicht für Zacharias Schubert und Esther Preller Dünnhaupt, Nr. 25; – T HALAMO | S CHUBARTO -|P RELLERIANO | Musas et Charites | adornantibus A MICIS | devotum quodcunque est | FAXIT JOVAH! | XIII . C ALEND. M AJI , | A NNO | [Chronogramm auf das Jahr 1617 von M . H . D.] | G LOGOVIAE , ex Typographéo F UNCCIANO. (UB Breslau: 532 960), fol. B2v–3r; mit deutlichen Kürzungen und Änderungen auch in: Silvae, S. 108; nach der Erstveröffentlichung abgedruckt in: GW 1, S. 37 f., und in unserer Ausgabe. Sowohl der Bräutigam Zacharias Schubert wie auch ein Großteil der Beiträger sind als Adressaten von Opitzens Strenarum libellus bekannt (vgl. dort den Kommentar). Das Gedicht läßt die in Epithalamien geläufige Kriegsmetaphorik am Anfang und gegen Ende anklingen (tela … deponere, V. 1–3; pacem promitte, et contrà … ito, V. 23; vgl. auch unten zu V. 24), im übrigen werden der Glücklichpreisung des Bräutigams (V. 5–10) scherzhaft die Widerstände entgegengehalten, mit denen sich die Braut gegen den Vollzug der Ehe wehren wird (V. 11–22). Dieser scherzhafte Teil ist in der späteren Version stark verkürzt. 2 Riphaeâ … nive] Die riphäischen Berge werden im äußersten Nordosten der bekannten Welt verortet, in der Literatur sind sie stereotyp mit Schnee und Eis verbunden; vgl. Lukan, Pharsalia 4,118: Riphaeas … nives. 3 deponere] Analog zum Objekt tela (V. 1) ist zu virgo (V. 3) wohl nomen virginis zu ergänzen. 8 S CHUBERTE … tibi] Silvae: Sponse, et se soli subdere posse tibi. 10 Innocuae] Silvae: Exactae 11 f. corrumpet ocellos Lachrymulis] Vgl. Ovid, Amores 3,6,57: Quid fles et madidos lacrimis corrumpis ocellos. 12 Lachrymulis … siet] Silvae: Lachrimulis primi visque pudorque thori; vgl. Erstfassung, V. 16. 13–18] fehlt in Silvae. 14 opus] Zur Bedeutung vgl. Ovid, Amores 3,14,28: Et pudor obscenum diffiteatur opus. 17 Hic vitta obstabit positis sine lege capillis] Vgl. Ovid, Metamorphosen 1,477: Vitta coercebat positos sine lege capillos. Vgl. Ars amatoria 3,133; Heroides 15,73. 18 Hic os pallebit, hic oculi atque genae] oculi ist zeugmatisch mit dem Verb verbunden. 19 sibi confinget] Silvae: animo sibi finget 21 f.] fehlt in Silvae. 23 Tu pacem promitte, et contrà audentior ito] Vgl. Vergil, Aeneis 6,95: Tu ne cede malis, sed contra audentior ito. Hier liegt eine reizvolle Kontrafaktur des Appells der Cumäischen Sibylle an Aeneas vor. 23 promitte, et contrà] Silvae: simula contraque 24 Omnem, crede mihi, nox fugat una metum] Anspielung auf Ovid, Amores 1,9, das berühmte Militat omnis amans; dort V. 2 an gleicher Versstelle crede mihi, am Ende V. 45 nocturnaque

Kommentar zu S. 46–48

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bella gerentem. Vgl. zu Opitzens Adaptation desselben Gedichts im Medium der Muttersprache GW 1, S. 148–151, und Kühlmann (1978). 25 f.] Die Unterschrift fehlt in Silvae. [R.K., R.S.]

IL le parens Epicedium auf Nikolaus Ludwig Dünnhaupt, Nr. 26; – Mem!oriae" ac Honori | V!IRI " C L !ARISSIMI " | M. N ICOLAI | L UDOVICI | G LOG !OVIENSIS " | Scholae qvond!am" Ligiae | R ECTORIS emeriti | Sacrae | D ENICALES | Parentantium | L ACRYMAE. | L IGNICII | T YPIS N ICOLAEI S ARTORII . – o. J. [1617] (Ratsschulbibliothek Zwickau: 5.1.1.[51]), fol. F4v; diesem Druck folgen GW 1, S. 39, und unsere Ausgabe. Nikolaus Ludwig (1550–1617) stammte aus Glogau, war Lehrer ebendort und in Freistadt und zuletzt Rektor in Liegnitz, wo er im Ruhestand starb. Er verfaßte auch lateinische Gelegenheitsgedichte. Unter den zahlreichen Beiträgern der Leichenschrift befanden sich die wichtigsten Vertreter des schlesischen Späthumanismus, u. a. Caspar Cunrad, Caspar Dornau, Nikolaus Henel, Melchior Lauban und Abraham Scultetus. „Opitz und Nüßler vertreten in diesem Chore gewissermaßen die Stimme der Jugend“ (GW 1, S. 39). Das dem Stilideal der brevitas verpflichtete Epigramm präsentiert das vorbildliche Leben und Sterben eines im Geiste Melanchthons wirkenden Schulmannes. 2 Heliconiadum] Die Musen, nach ihrem Heiligtum im Helikon-Gebirge. 5 Occurrit cupidis morti imperterritus ulnis] Vgl. Ovid, Metamorphosen 11,63: Invenit Eurydicen cupidisque amplectitur ulnis. Auch Eurydike ist ja ‚tot‘! [R.S.]

Non solùm terra Gratulationsgedicht zur Promotion von Georg Vechner Dünnhaupt, Nr. 29; – Sacros!anc"tae Theologiae docturae laurae, in illust!rissi"ma Viadrina … Dn. Georgio Vechnero … collata; ab amicis celebrata. Bethaniae Literis Typographicis Johannis Dörfferi. – o.J. [1617]. GW 1, S. 46, weist nach älteren Bibliographien den Einblattdruck in Folioformat nach, der allerdings verschollen ist (auch kein Nachweis in HPG). Textabdruck in GW 2.2, S. 795. Unsere Ausgabe folgt der inzwischen wiederaufgetauchten Abschrift Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S. 795. Der Theologe Georg Vechner aus Freistadt (1590–1647) promovierte nach Studien in Frankfurt/Oder (s. Friedländer, S. 505) und einem Aufenthalt in Heidelberg (Kontakte

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mit dem reformierten Hofprediger Abraham Scultetus) am 30. Juni 1617 an der Viadrina. Nachdem er am Gymnasium Schönaichianum in Beuthen bereits seit 1616 die Professur für Theologie innegehabt hatte, erhielt er 1619 die – besser dotierte – Professura Pietatis, die zu einer undogmatischen, irenischen Frömmigkeitspraxis ausbilden sollte. Der Weg dahin sollte, mit Vechners Worten (nach Erasmus), geprägt sein non inexplicabilibus disputationum labyrinthis; sed fide sincera, charitate non ficta (zitiert bei Seidel, 1994, S. 241). 1619/20 war Vechner als Dornaus Nachfolger Rektor in Beuthen, unter der Gegenreformation wurde er des Arianismus bezichtigt. Er floh vorübergehend nach Polen und wurde später Superintendent und Rektor des Gymnasiums in Brieg. Seine Beuthener Schriften, in der UB Breslau unter den Signaturen 426416–426421 zusammengestellt, harren noch der Auswertung. Zu Vechner vgl. Seidel (1994), S. 244 f. und passim. – Versmaß: elegische Distichen. Unterschrift] Fehlt in der Handschrift; im Druck stand (nach GW) Mart. Opitius $  (‚aus dem Stegreif‘), wodurch sich die nachlässige, teilweise fehlerhafte Konstruktion erklären könnte. 2 ut in patriam mentem animumque tuam] Es fehlt ein Verb, das den Angesprochenen zum Subjekt hat. 6 nominis hujus] Gemeint ist wohl die Bezeichnung ‚Doktor‘. 7 f. nobis … nostros] Die Schüler des Beuthener Gymnasiums, für die Opitz hier spricht. [R.S.]

EST locus haud ulli visus Hochzeitsgedicht für Heinrich Rethel und Abigail Hosmann Nicht bei Dünnhaupt; – Favori, Hon!ori" et Felicitati | NUPTIARUM | Praestantiss!imi" V!iri" | H ENRICI R ETHEL I | SAGANI | Philosoph. Magistri et Illis Schön-|aichiani Praeceptoris; | Cum Virgine amabiliss!ima" | A BIGAELE H OSMANIA | C L !arissimi" V!iri" J OACH : H OSMANNI | apud Uratisl. quondam JCti et Practici | p!iae" m!emoriae" filiâ Sagani ce-|lebrandar!um" | ad d!iem" XV. August. A. C HRISTI | M . DCXVII . | D. D . | EVLOGIA | B ETHANIAE AD O DERAM | J OHANNES D ÖRFFERUS | EXCUDEBAT . (UB Vilnius: [Signatur nicht zu ermitteln]), fol. B4v-C1r. Der Adressat des Epithalamiums war zur Zeit von Opitzens Aufenthalt in Beuthen Lehrer am dortigen Pädagogium, der ‚Unterstufe‘ des Gymnasium Schönaichianum. An der Gratulationsschrift wirkten zahlreiche Lehrer und Schüler der Anstalt wie auch weitere städtische Funktionsträger mit. Opitzens Gedicht eröffnet die Reihe der Schülerbeiträge. Der Text setzt ein mit der Vision eines Hauses der Venus, in dem Eroten wohnen, die allerlei Streiche ins Werk setzen, um Liebende zu peinigen (V. 1–11). Die verschiedenen, mit einer bezeichnenden Ausnahme negativen Folgen solcherart herbeigeführter Liebe werden im einzelnen vor Augen geführt; sie reichen von unstandesgemäßer Verbindung

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(V. 13–19) über die sprichwörtliche ‚Verblendung‘ der Liebenden hinsichtlich der Makel ihrer Auserwählten (V. 20–31) und die kreative insania der Dichter (V. 32–36) bis zur wahnsinnigen Fixierung auf ein Phantasiegebilde (V. 37–44). Dieser Sequenz schädlicher Einflüsse der Liebe werden im Schlußabschnitt, der sich traditionell direkt an den Bräutigam wendet (V. 45–58), die Verheißung ehelichen Glücks und die Ermahnung zum Genuß der Hochzeitsnacht gegenübergestellt. – Das Gedicht ist behandelt bei Klaus Garber: Martin Opitz, Paul Fleming und Simon Dach auf der Reise in den Osten [im Druck]; dort werden auch die einzelnen Beiträger des Sammelbandes ausführlich vorgestellt. Garber geht in seiner Interpretation des Gedichtes im übrigen stark auf die sozialethische Akzentsetzung der Sprecherinstanz ein. – Versmaß: Hexameter. 1 EST locus] Klassischer Eingang der epischen Ekphrasis. Der Fortgang mit der Beschreibung der Himmelsgrenzen erinnert entfernt an den Beginn von Laktanzens De ave Phoenice, V. 1 f.: Est locus in primo felix oriente remotus, / Qua patet aeterni maxima porta poli. 2 f. Lunae … regna … divûm Consilia, ignotique … mundi] Opitz bezieht sich auf Lehren von der dichterischen Inspiration und das Konzept des poeta vates. Wie im 2. Kapitel seiner Poeterey (GW 2.1, S. 344 –346) greift er wohl vor allem auf neuplatonische Denkmodelle zurück. Unter den Zeitgenossen finden sich ähnliche Gedanken etwa bei Caspar von Barth; vgl. das Gedicht Poeta (aus: Jamborum libri II; 1623): Per astra sursum, per maris palatia / Deorsum, et orbem inambulat [sc. poeta] (Humanistische Lyrik, S. 898). Vgl. zur Inspiration des Poeten generell Steppich. 5 f. Atlas … Veneris … domus] Atlas als mythischer Träger des Himmels ist am westlichen Rande Europas zu denken, während Venus gewöhnlich mit dem östlichen Mittelmeer (Zypern, Kythera) in Verbindung gebracht wird. Allerdings besteht auch kein erkennbarer Bezug zu möglichen (‚Haus der Venus‘) astrologischen Zusammenhängen. 6 f. mollis Amorum Gens] Vgl. das bekannte Epithalamium des Statius, wo ebenfalls von einem agmen amorum (Silven 1,2,54) die Rede ist. 7 f. dulce … aceto] Die Vorstellung von der ‚bittersüßen‘ Liebe («  «) ist bereits bei Sappho (Fragment 238 Page) geläufig und begegnet auch in der Opitz bekannten Anthologia Graeca (5,134). Sie zielt auf petrarkistische Argumentationsmuster (vgl. im zeitgleichen Hochzeitsgedicht Opitzens auf Sebastian Namsler, GW 1, S. 84: „die bitter süsse pein“), die allerdings in diesem Gedicht nicht konsequent durchgespielt werden. 13–19] Die von Abscheu gezeichnete Schilderung unstandesgemäßer ‚Treppenbeziehungen‘ ist auffällig. Möglicherweise ist ein Kontrast zu der – auch in dieser Hinsicht – vorbildlichen Vereinigung von Braut (Tochter eines Angehörigen des Breslauer Rats) und Bräutigam intendiert. 17 f. sordes Defigant animo] Zu erwarten wäre die Junktur sordibus defigere animum. 19 servas] Adjektivisch gebraucht und auf noctes zu beziehen. 21–28] Innerhalb eines Abschnittes über die ‚Verblendung‘ der von Amors Pfeil Getroffenen findet sich eine Sequenz antipetrarkistischer Formulierungen, in der die verbrämende Reaktion der Liebenden auf körperliche Gebrechen jeweils in wörtlicher

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Rede – und damit um so entlarvender – eingeschoben wird. Positiv gewendet findet sich ein solcher Fehlerkatalog bereits in Ovids Ars amatoria 3,261–280, wo den Frauen geraten wird, entsprechende Makel zu verbergen. Auch Ovid bedient sich, wie hier Opitz, des Stilmittels der Antithese. – Zu entsprechenden Phänomenen in der volkssprachlichen Dichtung (auch bei Opitz) vgl. Jörg-Ulrich Fechner: Der Antipetrarkismus. Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik. Heidelberg 1966 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, 3. Folge, Bd. 2). 22 Virginis os et membra gerat] Vgl. Vergil, Aeneis 1,315: Virginis os habitumque gerens. 23 vulta] Seltene Nebenform zum Plural vultus, z. B. bei Lukrez, De rerum natura 4,1213, in derselben metrischen Position. 25 Suffartae] Die Form ist aus der Antike nicht belegt. 26 patrantes frangit ocellos] Vgl. Persius, Satire 1,18: patranti fractus ocello. 28 deijcit ora] Im klassischen Latein gebräuchlich ist die Wendung vultus bzw. oculos deicere. 36 ipso revocantur pectora morbo] Die Passage V. 33–36 entfaltet Theoreme der neuplatonischen Lehre wie Furor poeticus (insania, V. 35) und Anamnesis; vgl. Steppich, S. 146–165, außerdem S. 303: „Nach Ficino war es der von den Musen erregte furor poeticus, durch den in der Seele der Prozeß der Anamnesis, ihrer Rück-Erinnerung [revocantur!] an das Göttlich-Schöne bzw. an die göttliche und himmlische Harmonie, deren sie sich einst erfreut hatte, ausgelöst wird.“ Die Junktur Doctis … lacrymis (V. 34) könnte hingegen auf den Aspekt der Melancholie verweisen, die eng mit dem neuplatonischen Konzept vom inspirierten Dichter verbunden ist; vgl. wiederum Steppich, S. 206–214. 39 Thrax gladium] Möglicherweise denkt Opitz an Erzählungen wie die von dem bei Herodot, Historien 4,94,1–4 berichteten Gottesurteil. Zur umfangreichen Überlieferung religiöser Vorstellungen der Thraker vgl. RE VI A 1, Sp. 472–551. 39 Italus hastam] Vgl. Justinus, Epitome 43,3 über die erste Zeit nach der Gründung Roms: Per ea adhuc tempora reges hastas pro diademate habebant. … Nam et ab origine rerum pro diis immortalibus veteres hastas coluere: ob cuius religionis memoriam adhuc deorum simulacris hastae adduntur. 40 Ignem Persae] Die von Zoroaster/Zarathustra begründete persische Nationalreligion sah für den Gottesdienst den Feuerkult vor. 40 Arabes lapidem] Opitz meint den in der Kaaba in Mekka eingemauerten Schwarzen Stein, einen uralten Fetisch der heidnischen Araber. 42 tuto … timemus] Die Passage ist schwierig, aber eine plausible Konjektur ließ sich nicht anbringen. 45 felicis … teli] Auch im Bild des Liebespfeils kontrastiert das glückliche Schicksal des Bräutigams dem der zuvor geschilderten Liebenden. 47–49] Statt der antipetrarkistischen Satire (V. 21–28) hier ein konventioneller petrarkistischer Frauenpreis.

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51 f. Vobis latitantia caelo Sidera praecipitant] Mit dem Einbruch der Nacht scheinen die Sterne aus ihrem ‚Versteck‘ herauszukommen. Vgl. Vergil, Aeneis 2,8 f.: Et iam nox umida caelo / Praecipitat suadentque cadentia sidera somnos. 54 f. O par formosum … legantur] Kontrafaktur zu Vergil, Ekloge 2,17 f.: O formose puer! nimium ne crede colori: / Alba ligustra cadunt, vaccinia nigra leguntur. Im Kontext des bukolischen Gedichts geht es um den schönen Alexis, der von Corydon an die Vergänglichkeit seiner jugendlichen Gesichtsfarbe gemahnt wird. Der zweite Vers versinnbildlicht dort gleichfalls die Hinfälligkeit blühender Jugend. Durch Ersetzung einiger Wörter und Flexionsformen läßt sich das Verspaar in den Kontext der Hochzeitsnacht übertragen. 56 Nec vos poeniteat thalamo trivisse labella] Vgl. wiederum Vergil, Ekloge 2,34: Nec te paeniteat calamo trivisse labellum. 57 Et laetos dulci pugna committere flores] Die Bildvorstellung ist offenbar nicht antik. [R.S.]

AE STUO, nec voti Gedicht zum Geburtstag des Tobias Scultetus Dünnhaupt, Nr. 27; – QUATERNIO VO-|TORUM PRO | SALUTE. | Illustris et Magnifici Viri Dn. | T OBIAE à S CHVVANNENSEE | ET BREGOSCHITZ cognomento SCUL -|TETI , Bellaquimontii et Hirschfeldae Haeredita-|rii, Comitis S. Palatii, Commissarii Caesaris Augu-|stiss!imi" et Consiliarii, Patroni Regii per Silesiam et | Lusatiam Fisci, J!uris"C!onsul"ti Clarissimi, Literatissimi | Herois, ad diem XXII . | Augusti, qui est | dies | TOBIAE | cultus et reverentiae ergo à filio et clien-|tibus devotissimis nuncu-| patorum. | B ETHANIAE | T YPIS J OHANNIS D ÖRFFERI . – o. J. [1617] (UB Breslau: 355 151), fol. A3r–4r; Faksimile bei Fechner, S. [45]-[47]; mit Änderungen auch in: Silvae, S. 74 f.; nach der Erstveröffentlichung abgedruckt in: GW 1, S. 41. Unsere Ausgabe folgt gleichfalls dem Erstdruck, allerdings wird entgegen der Vorlage nach Punkt jeweils groß geschrieben. Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz (1565–1620) hatte nach ausgedehnten Studienreisen, u.a. durch Italien, den juristischen Doktorgrad erworben und bekleidete als wichtigste Funktion die eines Kaiserlichen Rats und für Schlesien zuständigen Kammerfiskals. In der Nähe von Beuthen besaß er das Schlößchen Bellaquimontium, wo Opitz etwa ein Jahr lang als Hauslehrer der Familie lebte und vermutlich mit der modernen niederländischen Kunstdichtung in Berührung kam, die seine eigene muttersprachliche Poesie beeinflußte. Unter den vier Personen, die offenbar anläßlich des Namenstages (s. Titelblatt) und/oder des Geburtstages des Adressaten eine schmale Glückwunschschrift zusammenstellen (vgl. fol. A2v: NATALIS, S CULTETE , tuus rursum exserit ortum), befanden sich neben dem kleinen Sohn Hieronymus Caspar, Opitzens Schüler, der nur zwei Distichen anfertigte, und Balthasar Exner noch ein Michael Schmid sowie Opitz, dessen Gedicht das letzte, aber auch das mit Abstand längste des Bändchens ist. Der einflußreiche und belesene Gönner Opitzens, der neben anderen Ehrentiteln (vgl. das Titelblatt zu

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Daphnis, 1618) auch die Würde eines Pfalzgrafen und Poeta Laureatus (publizierte u. a.: Subsecivorum Poëticorum Tetras prima […]. Heidelberg 1594) besaß, konnte von dem jungen Dichter gemäß der zeitgenössischen Devise arma et litterae als ‚Held‘ im epischen Versmaß gepriesen werden. Während die Gleichsetzung des Angeredeten mit Aeneas (V. 22) und seines Sohnes mit Ascanius (V. 20) unmittelbar an das Vergilische Heldenepos anknüpft, erinnern Ermahnungen wie in V. 13 und 16 an Ciceros Reden an den siegreichen Caesar (z. B. Pro Marcello). Die Quellen zur Beziehung zwischen Opitz und Scultetus sowie die wichtigste Literatur zur Person sind zusammengestellt bei Seidel (1994), S. 313 f.; vgl. besonders die wichtige Passage im Aristarchus (GW 1, S. 68). Klaus Garber hat aus älteren silesiographischen Lexika sowie aus Briefen (vorwiegend in der Uffenbach-Wolffschen Briefsammlung in Hamburg) eine große Anzahl biographischer Fakten ermittelt, die Ergebnisse liegen allerdings noch nicht in gedruckter Form vor. Wegen der unbefriedigenden Forschungslage und der Namensgleichheit verschiedener zeitgenössischer Personen sind gesicherte Nachweise zu Scultetus schwierig zu erbringen; vgl. Flood, Bd. 4, S. 1923–1925, mit vorläufiger Werkbibliographie. – Versmaß: Hexameter. 6 mentis … tibi] Die Variante menti … sacra (Silvae) ist erwägenswert. 8 tuo celsissime collo] Silvae: tuis clarissime rebus 9–21 Non equidem … haeredi] Die Argumentation ist hier nicht ganz klar. Es dominiert der Appell an den pater (V. 16) – zugleich als pater patriae wie als pater familias verstanden –, seine Kräfte zu schonen, schwierig ist dann allerdings die paradoxe Formulierung Una quietis … quietem (V. 14 f.). 14 nos] Erstdruck: non; Silvae (und danach GW): nos 18 Thessala pharmaca] Wegen der dort wachsenden Heilkräuter stand die griechische Landschaft Thessalien schon in der Antike metonymisch für Zauber- und Hexenwesen; vgl. noch die entsprechenden Szenen im zweiten Teil von Goethes Faust. 30 Nobile depositum coeli: concede quietem] Silvae: Depositum coeli: gratam concede quietem. 31 dispelle] Die fehlerhafte Form cispelle findet sich im Erstdruck und in Silvae. [R.S.]

SI posito – Aonidum stabili – Qui quondam – HIPPONAX. [Ferax Bolesla] Gedichte zur Amtseinführung von Valentin Senftleben als Bürgermeister Dünnhaupt, Nr. 28; – SUPER AMPLISSIMI ET | P RUDENTISSIMI | V IRI D N. | VALENTINI | Sänfftleben | Honoribus, | cum Boleslaviensis | Consul creatus esset, | AMICORUM CARMINA . | B ETHANIAE AD O DERAM , | L ITERIS J OHANNIS D ÖRFFERI . – o. J. [1617] (UB Breslau: 355 066), fol. A2v–4r; Faksimile bei Fechner, S. [52]-[55]; das zweite und dritte Gedicht mit Änderungen auch in: Silvae, S. 100 f.; nach der Erstveröffentlichung abgedruckt in GW 1, S. 43–45, sowie in unserer Ausgabe.

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Valentin Senftleben (vgl. den Kommentar zu Strenarum libellus) wurde am 8. September 1617 in sein Amt als Bürgermeister (consul ) eingeführt, nachdem er bereits ein Jahr lang als Richter ( praetor) in städtischem Dienst gewirkt hatte. Die Festschrift, in der die vier Gedichte Opitzens enthalten sind – es gab auch noch einen zweiten Sammelband Vota Valentino Sänftleben scripta ab amicis – und zu der außerdem noch zwei Beuthener Professoren und ein Student Gedichte beigetragen haben, „scheint auf Opitz’ Betreiben herausgekommen zu sein“ (GW 1, S. 42). Dafür spricht die Zahl der von ihm beigesteuerten Gedichte, allerdings sollte über Entstehung und Zusammenstellung der recht heterogenen Texte nicht zuviel spekuliert werden (vgl. Rubensohn, 1899, S. 47, und vor allem Entner, 1982, S. 53); – Versmaß: die ersten drei Gedichte in elegischen Distichen, das vierte in Hinkjamben.

[SI posito] Das in der Forschung neben HIPPONAX (Ferax Bolesla …, s. u.) zu Unrecht vernachlässigte Gedicht propagiert in eindrucksvoller, an Taciteische Formulierungen erinnernder Weise ein patrizisches Stadtregiment, das nicht auf die dubiae suffragia […] plebis (V. 5) gegründet ist, wo die subinsulsae […] pectora plebis (V. 15) sich dem Bewerber geradezu abschreckend bei der Übernahme eines Amtes entgegenstellen und wo der Rat offenkundig sein eigenes Kontrollorgan ist (V. 17–22; vgl. den Kommentar). Die Übernahme altrömischer Titel und Herrschaftssymbole (consul, senatus, patres conscripti, fasces usw.) postuliert eine Analogie zur Verfassung der römischen Republik, wie sie in der Abgrenzung des Patriziats nach unten wie in der Behauptung der Selbständigkeit gegenüber den Ansprüchen monarchischer Führung tatsächlich gegeben war. Auf der Rückseite des Titelblattes unserer Festschrift steht als Motto folgerichtig ein Diktum Ciceros (Pro Murena 4): Boni consulis est, non solum videre, quid agatur: verum etiam providere, quid futurum sit. Zum Selbstverständnis der städtischen Magistrate in Schlesien zu Beginn des 17. Jahrhunderts vgl. Robert Seidel: Frühneuzeitliches Städteregiment und römische Herrscherpanegyrik. Ein neulateinisches Preisgedicht zum Amtsantritt des Görlitzer Bürgermeisters Bartholomäus Jacobi aus dem Jahre 1610, in: Görlitzer Hefte 8 (1994), S. 107–126. 5 suffragia … plebis] Hier wird möglicherweise auf die zeittypischen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft (Zünften) um die städtische Regierung angespielt. Opitz stellt sich, wie schon die Wahl der pejorativen Adjektive in V. 5 f. zeigt, dezidiert auf die Seite der Ratsoligarchie. 7–10 Sed … favo] Die aufgezählten Eigenschaften entsprechen weniger dem Kanon der klassischen ‚Römertugenden‘, als daß sie in der Parallelität von ethischen und intellektuellen Gaben das Ideal des Redners umschreiben, wie es z.B. Quintilian, Institutio oratoria, prooemium 9, formuliert: Oratorem autem instituimus illum perfectum, qui esse nisi vir bonus non potest, ideoque non dicendi modo eximiam in eo facultatem, sed omnis animi virtutes exigimus. 10 Nestoreo … favo] In der Homerischen Ilias ist Nestor, König von Pylos, der greise Ratgeber, der sich durch seine Beredsamkeit auszeichnet. Zur Bildlichkeit vgl. (anon.) Laus Pisonis 64: Inclita Nestorei cedit tibi gratia mellis.

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19–21 Hi … hi … His … Hi …] Die anaphorische Reihung verstärkt bildlich wie sprachlogisch den Eindruck, daß die auf dem Markt zusammenströmenden Ratsherren eine zuverlässige Truppe bilden, auf die sich der consul als primus inter pares verlassen kann. Eingerahmt wird diese Proklamation der patrizischen Kompetenz durch Schmähungen der wankelmütigen plebs (subinsulsae … plebis, V. 15; vano … grege, V. 23 f.). 22 Ne quid non cauti forte Senatus agat] Auffälliger Rekurs auf das berühmte senatusconsultum ultimum, mit dem in Rom den Konsuln Ausnahmebefugnisse erteilt wurden: Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat (z. B. Cicero, Erste Rede gegen Catilina 1,4). Bei Opitz sollen die ‚Senatoren‘ allerdings sich selbst kontrollieren. 25 patriae atque tibi … te suffice] Idiomatisch falsch, da sufficere in Rom als terminus technicus für den Ersatz eines Beamten durch einen anderen verwendet wurde.

[Aonidum stabili] 2 libris … deditus, atque sibi] Die Formulierung erinnert entfernt an stoische Lebenswahltopik bei Cicero oder Seneca.

[Qui quondam] 2 Jam … chara] Silvae: Nunc … docta 2 clavum] In dieser Bedeutung mehrfach bei Cicero, z. B. Pro Sestio 20.

[HIPPONAX.] Das Problem dieses im traditionellen Versmaß des Schmähgedichtes abgefaßten Textes liegt darin, daß der Sprecher den bevorstehenden Abschied aus seiner Heimatstadt Bunzlau thematisiert (V. 9–15, 27–29), während als Anlaß für die bevorstehende ‚Odyssee‘ (V. 28) ein Ereignis postuliert werden muß, das mit Opitzens Erfahrungen in Beuthen zusammenhängt. Die hier nur angedeutete (V. 6), im späteren Hipponax ad Asterien (s. dort) weiter ausgebreitete Pädagogenschelte Opitzens richtet sich nach Ansicht der Forschung (Rubensohn, 1899, S. 48; Entner, 1982, S. 53 f.; Seidel, 1994, S. 310) gegen eine ihm bevorstehende untergeordnete Tätigkeit als Haus- oder Hilfslehrer, in die ihn seine nicht näher zu bestimmenden Auseinandersetzungen mit einigen der Beuthener Professoren trieben. Wie Opitzens Abgang vom Gymnasium Schönaichianum im Herbst 1617 im einzelnen motiviert war und auf welche Weise er die nächste feste Station seines Lebens, den Aufenthalt bei Elias Cüchler in Görlitz, erreichte, ist trotz der intensiven Forschungen Rubensohns nicht zweifelsfrei geklärt. Im ganzen erweist sich das Gedicht freilich als weitere Huldigung an die – teilweise schon im Strenarum libellus angesprochenen – Bunzlauer Honoratioren, auf deren Gunst Opitz nach den Beuthener Querelen sich mehr denn je angewiesen sah. Zum Titel des Gedichtes vgl. unten Hipponax ad Asterien.

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1–3 Ferax … doctorum] Thema mit ganz ähnlichen Worten im Hipponax ad Asterien, V. 184–188, wieder aufgegriffen. 11 noverca Fortuna] Vgl. die im Aristarchus erstmals abgedruckte ‚Fortuna-Elegie‘: „O Fortun/o Fortun/stiefmutter aller frewden/ … Durch welcher grimm sich mus manch trewes hertze scheiden“ (GW 1, S. 68 f.). Rubensohn (1899), S. 41, glaubt gar, Opitz habe den Text „aus einem seiner lateinischen Gedichte übersetzt“. 12 Mandat jubetque … ut] iubere mit Konjunktiv ist schon im klassischen Latein vereinzelt belegt (z.B. Cicero, 2. Rede gegen Verres 4,28); hier beeinflußt das benachbarte mandat die Konstruktion. 17–22 S ENFTLEBI … Namslere … Preibisi] s. den Kommentar zu Strenarum libellus. 18 VVesseli] Johann Wessel, geb. 1571 in Bunzlau, studierte seit 1593 in Frankfurt/Oder (Friedländer, S. 376) und wurde 1617 Pastor in Bunzlau (vgl. Wernicke, S. 286 und passim); Ehemann einer Tante von Opitz. Senftleben, fol. B6v-B7r, bezieht sich wahrscheinlich auf ihn, wenn er ausführt: Ultimus Ecclesiae Patriae Pastor, ingruentium Calamitatum Propheta, tandem Illustr: Baronis Kidlizii Pastor; er starb (nach Senftleben, ebd.) 1637. Opitz widmete ihm ein Exemplar seines Sermo de Passione Domini. 21 f. Ac in parentis ipsius modum nobis Dilecte semper, ò amice Preibisi] Vgl. die analogen Verse auf Preibisch im Strenarum libellus: OP time Preibisi, quem nati amplector honore,/(Sanguis amorque meum te facit esse patrem); s. auch den Kommentar zur Stelle. [R.S.]

ARISTARCHUS Poetologische Programmschrift Dünnhaupt, Nr. 30; – ARISTARCHUS | sive | D E C ONTEMPTU | Linguae Teuto-| nicae. | Auctore | M ARTINO O PITIO. | BETHANIAE , | EXCUDEBAT JOHANNES | DÖRFER. – o. J. [1617]. (UB Breslau: 355 065). Wieder abgedruckt (ohne Motto, Widmung und das Gedicht AD GERMANIAM) in: Teutsche Poëmata (1624), S. 105–117. Wiederabdruck bei Witkowski (1888), S. 81–104 (Teilübersetzung S. 105–118) sowie bei Witkowski (1902), S. 150–164. Faksimile-Neudruck bei Fechner, S. [65]-[90]; nach dem Erstdruck abgedruckt in GW 1, S. 53–75. Übersetzung ohne Motto, Widmungsvorrede und das Gedicht AD GERMANIAM in Poeterey/Jaumann, S. 77–94. Wiedergabe hier nach dem angeführten Exemplar des Erstdrucks, berücksichtigt werden die handschriftlichen Korrekturen im Exemplar Fechners in Auswahl. Diese handschriftlichen Korrekturen wurden in der Regel in Teutsche Poëmata übernommen. – Beim Textabdruck wurde zunächst auf die Wiedergabe der Randglossen verzichtet; hier sind nur im fortlaufenden Text die Asterisken (*) angegeben, die auf jene verweisen. Im Kommentar wurden die Randglossen an der ihnen zukommenden Stelle eingefügt und als solche gekennzeichnet. Martin Opitz’ Bemühungen um eine deutsche Hoch- und Literatursprache setzen sieben Jahre vor dem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) ein. Im schlesischen Beuthen

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erscheint im September 1617 beim Drucker Johann Dörffer eine Thesenschrift mit dem Titel Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae, die nicht nur erste metrische und poetologische Regeln, sondern auch eigene und fremde Muster einer am französischen Modell orientierten deutschen Renaissancedichtung enthält. Der Form nach stellt der Aristarchus eine als Rede stilisierte Schuldisputation dar, die jedoch kaum zum Vortrag gelangt sein dürfte (so fehlen im Druck der explizite Hinweis oratio wie auch Angaben zu Ort und Zeit des Vortrags). Als Titel (und damit Sprecherrolle) wählt Opitz programmatisch den alexandrinischen Homerphilologen Aristarch von Samothrake, der seit der Antike als sprichwörtlicher Vorkämpfer für Sprachrichtigkeit und -reinheit galt. Der Aristarchus entsteht während Opitz’ Aufenthalt am Beuthener akademischen Gymnasium (1616-1617), dem sogenannten ‚Schönaichianum‘, einer 1613 durch den Freiherrn Georg von Schönaich (1557–1619) ins Leben gerufenen „protestantische(n) SonderHochschule“ (Faber du Faur, 1954, S. 567), welche die zumeist adligen Eleven auf ein Universitätsstudium vorbereiten sollte. Von großer Bedeutung für Opitz wie für den Aristarchus war der zeitweilige Rektor und professor morum des Schönaichianums, Caspar Dornau (1577–1631; grundlegend Seidel 1994), der das Thema Volkssprache in verschiedenen Schriften behandelt hatte (z.B. Rodulphus Habsburgicus, 1613; Parallela morum, 1616). Wie Robert Seidel (1994), S. 328–337, gezeigt hat, steht Opitz’ Traktat in engem Zusammenhang mit den sogenannten „Charidemus-Disputationen“ am Schönaichianum. Dabei hatten drei Schüler Thesen zu verteidigen, deren zweite (Charidemi Politici, hoc est, de morum venustate ad civilem conversationem Disputatio II quae est de Linguis) sich eng an Dornaus Beuthener Antrittsrede, den Charidemus, anlehnte; vgl. dazu Kühlmann (1982), S. 140–148; Seidel (1994), S. 271–283. Die Tatsache, daß Opitz von Dornau nicht als Respondent für die zweite Charidemus-Disputation eingeteilt wurde, hat neben dem Fehlen jeglicher Geleittexte die Vermutung genährt, der Text sei „mit den Bestrebungen des Lehrers Dornau in dieser Radikalität“ schwer vereinbar gewesen (Poeterey/Jaumann, S. 207). Ähnliches gilt für die scharfe Polemik des Aristarchus gegen die zeitgenössische ‚manieristische‘ Lateinkultur; vgl. Kühlmann (1982), S. 255–266. Immerhin war für die Schüler des Schönaichianums neben der Pflege volkssprachiger Ausdruckskompetenz „das Erlernen und Einüben des Humanistenlateins der Hauptgegenstand ihres Unterrichts“ (Seidel, 1994, S. 333). Insgesamt wird man jedoch weniger von Differenzen als von „Akzentverlagerungen“ gegenüber Dornaus Programm (Seidel, 1994, S. 337) sprechen können. Opitz selbst beurteilte sein Jugendwerk im Rückblick kritisch. In seinem Handexemplar der Straßburger Ausgabe der Teutschen Poëmata, die der Freund Julius Wilhelm Zincgref im Jahre 1624 gegen Opitz’ Willen veranstaltet hatte und die auch den Aristarchus enthielt, schreibt er: „Diese kleine Erörterung, die ich 1617 publiziert habe, soll nachmals nicht mehr gedruckt werden, da sie voller Fehler ist.“ (Dissertatiuncula haec a me anno 1617 edita nunquam posthac in lucem proferenda est; cum plena sit mendarum.“ Zitiert nach Ernst Höpfner: ‚Amadis, nicht Bienenkorb‘, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 8, 1877, S. 467–477, hier S. 470). In die autorisierte Breslauer Ausgabe von 1625 wird der Aristarchus nicht mehr aufgenommen; mit dem Erscheinen des Buches von der Deutschen Poeterey war seine metrologisch-poetologische Substanz überholt. Dennoch hat die Zincgrefsche Ausgabe, „das wirkungsvollste Buch deutscher Literatur im 17. Jh.“ (Fechner, S. 3*), dem Aristarchus eine eigenständige Rezeption zuteil werden lassen, die sich bis zur Opitz-Ausgabe Bodmers und Breitingers (1745) verfolgen läßt.

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Einige skizzenhafte Hinweise zu Inhalt und Tendenz: Opitz geht zunächst in kulturund sprachkritischer Absicht auf den Zustand der lingua Teutonica ein, der von Vernachlässigung und Überfremdung (d.h. Fremdwortgebrauch) bestimmt sei. Dies mündet in den Appell, die ursprüngliche Reinheit des Deutschen zu restituieren und das Deutsche zum Medium einer Kunstdichtung zu kultivieren. Erste eigene und fremde Proben einer volkssprachigen Dichtung bilden dann den zweiten Abschnitt der Schrift. Das unvermittelte Nebeneinander von Kulturkritik und Poetik in nuce hat die Forschung wiederholt dazu verleitet, die Einheit des Aristarchus in Zweifel zu ziehen und sogar genetische Schichten herauszupräparieren. Rubensohn, der Hauptvertreter dieser Aristarchus-Analyse, verficht z. B. die These, der zweite Teil des Aristarchus sei nach Opitz’ Weggang aus Beuthen und der Publikation des Hipponax ad Asterien (Görlitz, Anfang 1618) entstanden (Rubensohn, 1899, S. 245 ff.). Nimmt man jedoch die Schrift als ganze in den Blick, zeichnet sich die Komplementarität ihrer Teile deutlich ab. Steht zunächst die (verschüttete) Natur des Deutschen im Blickfeld, so widmet sich der zweite Teil Fragen der Kunst-Sprache (bzw. der Sprachkunst), insbesondere der Prosodie, Metrik und – vorerst rudimentär – der Gattungspoetik. Der Aristarchus ist damit zu gleichen Teilen Sprachtraktat und Poetik in nuce. Die Poeterey setzt diese aus Italien (Bembo) und Frankreich (Du Bellay) vertraute Dualität fort, wenn sie bereits im ersten Satz (GW 2.1, S. 343) mit der „Deutschen Poeterey“ zugleich „zue beßerer fortpflantzung vnserer sprachen“ beitragen möchte. Das Lob altgermanischer virtus zu Beginn des Aristarchus folgt dem längst topischen Argumentationssystem des Germanendiskurses in der Nachfolge von Tacitus’ Germania, wie ihn Opitz mittelbar bei Dornau, Milde u.a. kennengelernt haben wird. Stärke, Tapferkeit und Rechtschaffenheit bestimmten Sprache und Charakter der alten Germanen; dieses Germanische, das Opitz umstandslos mit dem Deutschen identifiziert, sei ein natürliches, nicht durch Alamode-Künstelei und Fremdwortgebrauch deformiertes Idiom, das sich – hier schließt Opitz an eine von Konrad Gesner, Laurentius Albertus, Melchior Goldast und andere vorgebrachte These an – unverändert und unvermischt bis in die Gegenwart bewahrt habe. Diese innere Konstanz des Deutschen/Germanischen hebt Opitz gegenüber dem Verfall des Lateinischen hervor. Den auf Quintilian, Seneca d.Ä. und Tacitus (Dialogus de oratoribus) zurückreichenden Themenkomplex De corrupta eloquentia anzitierend (vgl. Kühlmann, 1982, S. 17–43, und öfter) stellt Opitz einen stetigen, durch keine Renaissance kompensierten Verfall der alten Sprachen und Literaturen fest, der im neolateinischen Manierismus mit seiner Sucht nach ‚subtilen‘ Neuerungen gipfelt. Im Lateinischen entspricht er den angeprangerten Alamode-Erscheinungen im Deutschen. Opitz geriert sich – obwohl im ‚asianischen‘ Stil eines Tacitus oder Seneca d.J. schreibend – als Attizist, die Aristarchus-Rolle impliziert die Haltung eines klassizistischen Purismus, an dessen Stelle bei Opitz mangels modellfähiger deutscher Autoren die Rückbesinnung auf ein ideales ‚germanisches‘ Sprachzeitalter tritt. Aller Kritik an Romanismen zum Trotz steht der zweite Teil des Aristarchus, der das metrologische und poesiologische Programm enthält, ganz im Zeichen der ‚modernen‘ romanischen Dichtung. Seine Musterpoeme nennt Opitz „meine deutschen Verse, die ich nach französischer Art verfaßt habe“ (fol. C2r : Germanicos quosdam meos, Gallico more effictos, versiculos). Opitz reiht sich damit in die älteren Bemühungen um eine deutsche Kunstsprache ein, wie sie eine Generation zuvor z. B. Paul Schede Melissus in unmittelbarer Ausein-

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andersetzung mit der Pléiade entfaltet hatte. Auf den älteren Heidelberger Kreis verweist eine Figur wie der Diplomat Tobias Scultetus von Bregoschütz und Schwanensee, der seine (lateinischen) Gedichte Schede Melissus gewidmet hatte. Seine wichtigste Quelle nennt Opitz explizit: eine ungedruckt gebliebene, bereits im 17. Jahrhundert verschollene Schrift des Freundes Ernst Schwabe von der Heyde, eine kurzgefaßte Poetik bzw. Metrik (Opitz spricht in der Poeterey von einem „Büchlein“; vgl. GW 2.1, S. 387) im Anschluß an Ronsards Abrégé mit eigenen Musterpoemen – in ihr waren ‚Format‘ und Anliegen des Aristarchus offenbar präfiguriert. Insgesamt stammen alle von Opitz namhaft gemachten Quellen aus dem unmittelbaren (Beuthener) Umfeld. Neben den Lehrer- und Mäzenfiguren wie Dornau, Scultetus, Schwabe von der Heyde werden im Aristarchus lediglich verbreitete Lexika und Enzyklopädien (Wower) zitiert, die Opitz aus dem Schulunterricht bekannt sind. Der extensive „Lektüreplan“ des Schönaichianums (Jörg-Ulrich Fechner: Der Lehr- und Lektüreplan des Schönaichianums in Beuthen als bildungsgeschichtliche Voraussetzung der Literatur, in: Schöne, 1976, S. 324 –334) hat hier nur geringe Spuren hinterlassen. Erst in der Poeterey, nach der Bekanntschaft mit Heinsius und dem Heidelberger Kreis um Lingelsheim, sucht Opitz den Anschluß an die Hauptquellen der ‚internationalen‘ späthumanistischen Poetik. Von Schwabes Gedichten abgesehen, ist die Reihe der zitierten deutschen Dichtungen heterogen: Nicht als metrisches Exempel, sondern als Ausdruck altgermanischer virtus und ihrer poetischen Verklärung wird Marners Gedicht ‚erenspiegel‘ nach der Sammlung Melchior Goldasts zitiert. Der Dichter als Moralist stoischen Zuschnitts – dies ist eine Rolle, die bereits im Aristarchus die Auswahl der Gedichtbeigaben bestimmt und in der Poeterey nachdrücklich wiederholt werden wird (dazu Robert, S. 281–322). Opitz’ eigene Versuche umfassen neben einer längeren Alexandrinerelegie an Fortuna kleinere Epigramme (teils nach eigenen lateinischen Stücken) und Anagramme, die Opitz selbst als ‚Nichtigkeiten‘ herunterspielt. Immerhin lassen sie funktionsgeschichtlich den zentralen Ort der neuen Kunstlyrik, die Gelegenheitsdichtung, aufscheinen. Die baldige Publikation einer Sammlung lateinischer und deutscher Dichtungen wird angekündigt – der Grundstock der späteren Zincgrefschen bzw. der verbesserten Breslauer Ausgabe. Letztere setzt dann einen Paradigmenwechsel voraus, den Opitz nach seinem Weggang aus Beuthen in Heidelberg vollzieht. Er mündet in die flankierende Veröffentlichung des Buchs von der Deutschen Poeterey (1624) und der von Opitz selbst und neu redigierten Ausgabe der Teutschen Poëmata (1625). Beide bezeugen einen Schwenk von der romanischen zur klassisch antiken Dichtungslehre als Leitreferenz; vgl. dazu Jörg Robert: Vetus Poesis – nova ratio carminum. Martin Opitz und der Beginn der Deutschen Poeterey, in: Maske und Mosaik – Poetik, Sprache, Wissen im 16. Jahrhundert, hrsg. von Jan-Dirk Müller und Jörg Robert. Münster 2007 (=Pluralisierung & Autorität 11), S. 397–440). Hinfällig ist nun die Übertragung romanischer Prinzipien auf das Deutsche; die prosodisch-metrologische Reform der Poeterey zielt darauf ab, der antiken (quantitierenden) Metrik ein analoges, der Sprachnatur des Deutschen adäquates Modell gegenüberzustellen. An die Stelle der festen Silbenzahl tritt der natürliche Wortakzent als zugleich prosodische (Akzentregel) wie metrische (Alternierungsregel) Bezugsgröße. War der romanische Vers in seinem Innern weithin frei und unreguliert, so wird er nun nach antikem Muster skandiert, d. h. in eine Abfolge diskreter Versfüße (  ) abgeteilt. Opitz’ Einschränkung des Versreper-

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toires auf Jambus und Trochäus (unter Ausschluß von Daktylus und Anapäst) sollte sich dagegen nicht durchsetzen. Die Wende zur (spät-)humanistischen Antikenpoetik spiegelt sich vor allem in der Gattungslehre, die Opitz im Inventions- und Dispositionskapitel der Poeterey (Kap. V) abhandelt: sie orientiert sich an den klassischen Genera („Heroisch getichte“, „Tragedie“, „Eclogen“ etc.), für die Opitz „in mangel anderer deutschen exempel“ erste eigene Proben wie das Trostgedichte anführen kann. Innerhalb der Poeterey eröffnet sich damit eine Spannung zwischen klassischen und romanischen Formen, die Opitz in Kapitel VII (zur Reimlehre) erörtert; die Aristarchus-Schicht, der mos Gallicus, wird zwar revidiert übernommen, sein Bezug zum neuen Systemhorizont des mos antiquus bleibt jedoch vorerst unbestimmt. Anders als im Aristarchus fehlen nun Exempla für die Prosa (Amadis bzw. Bienenkorb), die Poeterey widmet sich ausschließlich der oratio ligata. Auch Schreibanlaß und Textsorte haben sich gewandelt: Schon im Titel stellt sich Opitz programmatisch in die Tradition der antiken Dichtungslehre und ihrer rinascimentalen Fortsetzer; ausdrücklich genannt werden Aristoteles, Horaz, Vida und Scaliger – nicht aber die ‚neueren‘ wie Ronsard (Abrégé de l’Art Poétique) oder Heinsius (De constitutione tragoediae), die Opitz im einzelnen ausschreibt oder paraphrasiert. Dem Text- und Argumentationsfundus der (spät-)humanistischen Poetik entstammen topische Versatzstücke wie die Apologie von Dichter und Dichtung, mit der Opitz seine Poeterey eröffnet (Kap. II und III). Das Germanenthema wird erneut aufgegriffen (Kap. IV), tritt jedoch hinter die technisch-systematischen Anliegen der Schrift zurück (anders z.B. Poeterey/Jaumann, Nachwort). Entsprechend fehlen in der Poeterey Kampfparänese und militärischer Gestus des Aristarchus; Nicola Kaminskis These, die Poeterey habe im Gegensatz zu diesem ‚Erfolg‘, gehabt, „weil 1617, im Erscheinungsjahr des Aristarchus, noch kein Krieg herrschte, während 1624 der Dreißigjährige Krieg die ersten sechs Jahre hinter sich hatte“ (Kaminski, S. 19) ist daher durch den Text nicht gedeckt. Gleichwohl bleibt der postulierte Konnex von Heeresreform und Reform der Metrik (S. 39 u. ö.) – insbesondere für Heinsius selbst – diskutierenswert.

[Cicero pro P. Sextio] Cicero pro P. Sextio] Cicero, Pro Sestio oratio 68,143. Das leicht abweichende Original lautet: Amemus patriam, pareamus senatui, consulamus bonis; praesentis fructus neglegamus, posteritatis gloriae serviamus; id esse optimum putemus quod erit rectissimum; speremus quae volumus, sed quod acciderit feramus; cogitemus denique corpus virorum fortium magnorum hominum esse mortale, animi vero motus et virtutis gloriam sempiternam. Nach Robert, S. 308, Anm. 108, weist bereits dieses Motto in die „Richtung eines ins Nationale gewendeten Stoizismus“. In diesem Motto seien „alle wesentlichen Eckpunkte der Schrift präfiguriert“ (ebd.). Bei Sextio handelt es sich wohl um einen Druckfehler. [J.R.]

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[Widmungsvorrede] Mit dem Zitat aus Ciceros Rede für Sestius stimmt Opitz den stoisierenden Grundton an, den die Widmungsvorrede und der Aristarchus selbst fortführen; vgl. Robert, v. a. S. 307–309. Er steht im Zeichen einer an Seneca erinnernden Zeitkritik, die sowohl gegen Elemente adliger Lebensführung (Jagd, Pferde, Hunde) als auch gegen akademisches Pedantentum (lucifugae) zu Felde zieht. Dagegen votiert Opitz im Sinne Dornaus und des Programms des Beuthener Schönaichianums für eine Verbindung von „elegantem Erscheinungsbild“ und „wissenschaftlicher Bildung“ (qui literarum cognitionem externae elegantiae dulci contubernio jungunt). Es ist das Ideal einer „politischen Klugheit“ (politica et civilis prudentia), die Opitz in seinen Widmungsadressaten, aber auch in seinem Förderer und Mäzen Tobias Scultetus sowie in Ernst Schwabe von der Heyde (politißimi hominis, et mira suavitate morum commendatißimi) verwirklicht sieht. Vgl. auch die Ausführungen von Faber du Faur (1954), S. 576 ff., der S. 577 zudem eine Textpassage von fol. A3v übersetzt. FRIDERICO à Kreckwitz et Austen] Schüler Caspar Dornaus; dieser widmete ihm die Schrift Encomium Scarabaei (Hanau 1617). Opitz verfaßte für ihn die Ode AD FRID. KRECKWICIVM / Equitem Silesium (Silvae, S. 15). VVIGANDO à Gerßdorff in Lindaw] Wie Kreckwitz war er ein Schwager des Johannes von Landskron, dem Opitz im Aristarchus ein Anagramm widmet. In den Silvae widmete er ihm ein Geleitgedicht in Hinkjamben (PROPEMPTICON DAVIDIS A S HWEINIZ ET I OHANNIS A L ANDSKRON ; Silvae, S. 69 f.). 4 f. semina … virtutis] Vgl. zum Beispiel Arat, Phaenomena 132–134: Aerea sed postquam proles terris data nec iam / Semina virtutis vitiis demersa resistunt / Ferrique invento mens est laetata metallo . 10 exsuperant] Im verwendeten Druck: excuperant; in den handschriftlichen Ergänzungen der Fechner-Ausgabe korrigiert zu exuperant. GW: exsuperant. 11 f. scopulos aut Sirenum cantilenas] Anspielung auf Charybdis, eine Klippe mit gefährlichem Strudel, die zusammen mit dem gegenüber in einer Höhle wohnenden Meeresungeheuer Skylla eine Meerenge sperrt und die Seefahrer bedroht (vgl. Homer, Odyssee 12,73–110), sowie auf die Sirenen, die mit ihrem Gesang die Seefahrer ins Verderben lokken (Homer, Odyssee 12,39–46). 13 molossos] Die Molosser sind eine in der antiken Literatur oft erwähnte Hunderasse. Sie galt als „die größte, schärfste und stärkste Rasse“ und wurde – neben der Verwendung als Hirten- und Hofhunde – vor allem auch zur Jagd auf Großwild eingesetzt; vgl. DNP 5, Sp. 755–757. 18 f. calculum ponere] Der calculus wurde im antiken Rom als Rechenstein auf dem abacus, dem Rechenbrett, verwendet; vgl. DNP 1, Sp. 3 f. Außerdem diente er als Spielstein bei Brettspielen; vgl. DNP 2, Sp. 767–769. 25 f. politicam illam et civilem prudentiam] Die prudentia civilis oder politica war der Oberbegriff in der politischen Lehre des 17. Jahrhunderts: „Mit diesem Begriff war der ganze Bereich der Fürstenerziehung, der Bildung ihrer Ratgeber, der neuen Bürokratie, nicht zuletzt auch des Militärs umrissen. Zugleich aber umfaßte die prudentia auch alle Einrichtungen

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des frühmodernen Staates.“ (Gerhard Oestreich: Policey und Prudentia civilis in der barocken Gesellschaft von Stadt und Staat, in: Schöne, 1976, S. 10–21, hier S. 17). Zu beachten ist ferner das Empfehlungsgedicht Opitzens (V IR quem Fatorum) von 1616, in dem Opitz die üblichen Adelsbeschäftigungen mit denen von Nüßlers Princeps kontrastiert. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund vgl. auch die Politica von Lipsius und Julius Wilhelm Zincgrefs Emblematum Ethico-Politicorum Centuria. 26 literas etiam ac eruditionem non odistis] Dafür legt auch der Kontakt Dornaus zu Friedrich von Kreckwitz Zeugnis ab; vgl. Seidel (1994), S. 251. 27 et quotiescunque] In dem von Fechner faksimilierten Exemplar ist vor quotiescunque handschriftlich et eingefügt, das hier übernommen wird. 30 umbraticorum] Bereits im antiken Rom in entsprechend negativem Sinn verwendet, vgl. zum Beispiel Petron, Satyrica 2,4: nondum umbraticus doctor ingenia deleverat, dum Pindarus novemque lyrici Homericis versibus canere timuerunt oder Plinius d.J., Briefe 9,2,3: nos quam angustis terminis claudamur, etiam tacente me perspicis, nisi forte volumus scholasticas tibi atque, ut ita dicam, umbraticas litteras mittere. Auch in Dornaus Charidemus wird dieser Sachverhalt thematisiert; vgl. dazu Seidel (1994), S. 273 ff. 30 lucifugarum] Vgl. zum Beispiel Seneca, Briefe an Lucilius 122,15: Pedonem Albinovanum narrantem audieramus, erat autem fabulator elegantissimus, habitasse se supra domum Sex. Papini. Is erat ex hac turba lucifugarum. Zur Pedantismuskritik vgl. Kühlmann (1987), vor allem S. 285–454, sowie Seidel (1994), S. 266 f. 36 unius et alterius dieculae studium] Vgl. den Beginn des nachstehenden Gedichts AD GERMANIAM (V.1: festino quae deproperavimus aestu). Auch in der Poeterey verweist Opitz auf die Kürze der Abfassungszeit. Im Fall des Aristarchus soll weniger das Vorläufige, Provisorische unterstrichen werden als der Gestus der spontanen, extemporierend-pathetischen Parteinahme für die Sache der bedrohten Heimat und ihrer Sprache, der auch die rhetorische Appellstruktur des Aristarchus entspricht. Zur Formulierung vgl. Rubensohn (1899), S. 243, Anm. 1. 39 Sint Moecenates, non deerunt forte Marones] Seit dem Humanismus wiederholt angeführtes Zitat nach Martial, Epigramme 8,55,5. 40 cum amabilissimis vestris conjugibus] Die beiden Widmungsempfänger waren Schwager, verheiratet mit Schwestern des Johannes von Landskron, mit dem Opitz befreundet war; vgl. Faber du Faur (1954), S. 576 f. [J.R., V.M.]

[AD GERMANIAM.] Nach der Widmungsvorrede an die Patroni wendet sich Opitz hier an die personifizierte Germania. Bei diesem Text handelt es sich, so Faber du Faur (1954), S. 578, um das erste der feierlichen Gedichte, die Opitz an Deutschland gerichtet hat, doch: „Die Bescheidenheit ist gespielt, die rhetorischen Floskeln sind nicht ernst zu nehmen. Aber der Dichter

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fühlt sich nicht nur von seinem Vaterland beschenkt, er tritt ihm auch als Schenkender gegenüber, als Verwalter des Ruhms und damit auch der Geschichte. Wieder endet er mit einem Hinweis auf die Zukunft: er hat noch mehr zu geben, er wird sich noch nützlich machen können, wenn man ihn gut aufnimmt“ (Faber du Faur, 1954, S. 579). Bereits in der Anrede an die Teutona terra (V. 2) tritt der Sprecher selbstbewußt als Sachwalter der deutschen Sprache auf. In seiner Funktion als Dichter reiht er sich somit in die Gruppe der Patrioten mit ihren spezifischen Leistungen ein, auf die in V. 3–6 Bezug genommen wird. Gleichzeitig formulieren diese Verse ein Argument gegen die Hypothese vom Verfall Deutschlands bzw. der virtus Alemana. Der Sprecher erscheint, wie das einleitende Ast ego in V. 7 verdeutlicht, als derjenige, der von der sancta Parens (ebd.) seine Gaben empfangen, diese aber durch eigene Mühen erst ausgebildet hat. Somit kann und muß er in seiner Rolle als vates (V. 17) für die Unsterblichkeit Deutschlands und deren fortia nomina (V. 15) sorgen. Damit steht er aber auch in einer Traditionslinie, die bis auf die Antike zurückreicht: Dies verdeutlichen die Anspielungen auf antike Texte, in denen die Unvergänglichkeit der Dichtung thematisiert wird. Nach Robert, S. 309, orientiert Opitz sich am stoischen Ideal der constantia: „Sie bezeichnet in Opitz’ Frühwerk immer wieder die Überwindung von Zeitlichkeit und mutatio in einem Werk, das nicht nur die Fortdauer des Dichters, sondern auch die der von ihm glorifizierten Autoritäten und Instanzen sicherstellt.“ – Versmaß: elegische Distichen; eine metrische Übersetzung dieser Elegie bietet Faber du Faur (1954), S. 578 f. 1 festino … aestu] Anspielung auf den Topos von der fliegenden Feder bzw. dem feurigen Inspiriertsein des Dichters durch den erhabenen Gegenstand; dazu Segebrecht, S. 207–211, vgl. auch Rubensohn (1899), S. 243, Anm. 1. 12 de meliore nota] Vgl. Catull, carmen 68,27. 13 f. Caetera mortales … perennis erit] Robert zitiert S. 309 diese Verse und führt dazu aus: „Das bewahrende Werk wird zum Monument einer gleichsam materialisierten virtus.“ Vgl. das berühmte horazische Exegi monumentum aere perennius (Horaz, Oden 3,30,1) oder den Schluß von Ovids Metamorphosen (vor allem 15, 873–876). 15–18] Wohl konkreter Bezug auf die Historiographie der Zeit; den Aristarchus selbst beginnt Opitz mit einem Lob der „tapferen Germanen“. Auch Dornau verwendet die Person Karls des Großen gerne als Beispiel; vgl. Seidel (1994), S. 322 f. 18 duraturum composuisset opus] Vgl. zum Beispiel Ovid, Amores 3,9,28f.: Defugiunt avidos carmina sola rogos. / Durat opus vatum … 19 Vivunt carminibus reges, regumque triumphi] Opitz nimmt hier einen seit dem frühen Humanismus geläufigen Gedanken auf, dessen ursprüngliche Formulierung auf Ciceros Rede Pro Archia poeta zurückgeht: Der Ruhm großer Herrscher und ihrer Taten überlebt nur dann die Zeiten, wenn er in den Werken der Dichter niedergelegt wird (Pro Archia 24). [J.R., V.M.]

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[Aristarchus] Aristarchus] Gemeint ist Aristarch von Samothrake (ca. 217–145 v. Chr.), ein berühmter hellenistischer Philologe, Direktor der Bibliothek in Alexandria und Herausgeber des Homer. Die Wahl seines Namens als Titel unterstreicht den programmatischen Tenor. Aristarch steht sprichwörtlich für philologische Korrektheit und Sprachrichtigkeit. Daniel Heinsius verfaßte eine theologische Schrift mit dem Titel Aristarchus sacer sive ad Nonni in Johannem metaphrasin exercitationes, Leiden 1627. In Teutsche Poëmata ist nach dieser Überschrift noch zu lesen: Authore Martino Opitio, Boleslaviensi Silesio. 4 solo] Teutsche Poëmata: soli 6 Terrarum dea gentiumque Roma] Vgl. Martial, Epigramme 12,8,1. 13 famae] In Teutsche Poëmata: suae nach famae fehlt. 15 f. Jura vero ac leges … circunferebat] Opitz greift hier einen Gedanken der Ovidischen Weltaltermythe (Metamorphosen 1,91–93) auf. Das alte Germanien erhält Signaturen eines ‚goldenen Zeitalters‘ (aurea aetas), in dem auf die schriftliche Fixierung von Gesetzesnormen zugunsten natürlicher Sittlichkeit verzichtet werden kann. 19 f. Accedebat … lingua factis non dispar] Opitz überträgt nun die Taciteische Germanentopik auf Sprache und Dichtung, die in der Germania selbst nur am Rande erwähnt worden waren. 28 vires ultra sortemque senectae] Vgl. Vergil, Aeneis 6,114 (auf Anchises, den greisen Vater des Aeneas bezogen). 31 *ut se hodie in se vix agnoscat] Dazu als Marginalie: * Vide Lexic. Meursii Graecobarbarum. Johannes van Meurs (1579–1639) galt als Wunderkind, weil er „im zwölften Jahre eine lateinische Rede, im dreizehnten ein griechisches Gedicht und im sechzehnten einen Commentar zum Lycophron verfaßte“ (ADB 21, S. 538). Nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte in Orléans wurde er 1610 Professor für Geschichte und Griechisch in Leiden, dann Historiograph in Holland, später in Sorø (Dänemark). Sein Glossarium Graecobarbarum erschien zuerst 1610, dann erweitert 1614 in Leiden. 33 Tantum aevi … vetustas] Vgl. Vergil, Aeneis 3,415. 35 * Labente namque] Dazu als Marginalie: Vide Senecam Rhetorem Proœm lib. I. controv. L. Annaeus Seneca, Rhetor, der Vater des Philosophen. Sinngemäß findet sich das Thema des Verfalls der Redekunst (De corrupta eloquentia) im Prooem zu dessen Controversiae (Kap. 6–9). Opitz entnimmt von hier die pluralen Erklärungsmuster für den Verfall: schicksalhafter Zeitenwandel (fatum) oder menschliches Verschulden (luxus). Anders als der ältere Seneca fügt Opitz den Verfall der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der frühen Kaiserzeit hinzu. Senecas Hinweis auf die Verweichlichung der Jugend (praefatio 8: cantandi saltandique studia; effeminati) wird von Opitz wenig später ins Stilkritische gewendet: Moralische Verderbnis spiegelt sich in einem zügellosen Manierismus. Opitz greift damit einen um 1600 längst topischen Diskurszusammenhang auf, der wiederum seine Argumente aus einer Diskussion des 1. Jahrhunderts n. Chr. bezog; vgl.

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Kühlmann (1982) passim, bes. S. 67–112. So hatte Quintilian eine (verlorene) Abhandlung De causis corruptae eloquentiae verfaßt; Opitz rekurriert vor allem auf den Tacitus zugeschriebenen Dialogus de oratoribus, in dem (bes. Kap. 26 ff.) Verweichlichung, Künstelei und Hypokrisie als Symptome des Niedergangs genannt werden. 45 saltitant ubique non ambulant] In Teutsche Poëmata: ubique saltitant, non ambulant 47 f. Ex illo fluere … Italûm] Vgl. Vergil, Aeneis 2,169 f. 50 monimenta] Teutsche Poëmata: monumenta 63 Salustius] Die Stelle ist offenbar so zu verstehen, daß die angegriffenen Neuerer und Manieristen sich nicht nur gegen einzelne Autoren des antiken Kanons, sondern gegen diesen insgesamt stellen. Die genannten Autoren spannen dabei einen Bogen vom ersten Jahrhundert bis zur Kaiserzeit. Zur „Kohorte der Klassiker“ zählen der ‚Archaiker‘ (antiquus) Sallust, Cicero (1. Jh.v. Chr.) ebenso wie der Augusteer Ovid und Autoren der frühen (Petronius, Tacitus, Quintus Curtius Rufus) wie der späteren Kaiserzeit (Symmachus). Opitz stellt sich damit im Horizont der lateinhumanistischen Stildebatte auf den Standpunkt des gemäßigten, eklektischen Klassizisten, während die Loslösung von den Werken der Alten und damit vom imitatio-Prinzip mit Seneca d.Ä. als Verfallsindiz gewertet wird. Dornau hatte dagegen in seiner 2. Charidemus-Disputation ein ausgewogenes Urteil über ältere wie neuere Autoren gefällt: Ultro concedimus; si de Latina lingua sermo sit: in autoribus prisci illius, atque elegantis purique seculi habitandum esse. At nihil prohibet; quin etiam salutemus recentiores: etsi non habitandi, saltem deambulandi gratia. … Coniungendi itaque cum veteribus iuniores (fol. B4r). 76 *   ] Dazu am Rand: *pedetentim. 78 f. *  ’      « φ!] Pindar, Olympische Oden 1,33 f. Am Rand dazu: * Sed dies posteri sapientissimi sunt testes. 84 indivulsus et incorruptus] Die Behauptung sprachlicher Konstanz überträgt die Taciteische These von der Autochthonie der Germanen auf deren Sprache (Germania 2,1: Ipsos Germanos indigenas crediderim minimeque aliarum gentium adventibus et hospitiis mixtos). 85 vindicare eum, aut] Im herangezogenen Druck: eam; im Fechner-Exemplar ist eam handschriftlich zu eum korrigiert. Diese Korrektur wird hier übernommen. 87 f. Exteras regiones … peragramus] Opitz’ Kritik an der enfremdenden Wirkung des Reisens ist vorgeprägt in Caspar Dornaus Quaestio an Adolescenti Principi … peregrinari liceat (Görlitz 1616, fol. C 4v): Quis enim vestrum tam est rerum omnium ignarus qui nesciat: externa vitia ab exteris populis in patriam introduci. Nonne olim Germani à candore, constantiâ, pudicitiâ clari fuerunt ad miraculum usque? Nonne propter masculam fortitudinem laude floruerunt, usque ad invidiam? … Quid vero nunc? an adhuc gaudent celebranturque laude istâ Germani? Gauderent quidem nisi bonos mores immutasset et evertisset peregrinatio; quae id mali in se habet: ut patriae mores diurnare non sinat: sed convellat funditùs, evertat penitùs. Andererseits hatte Dornau in seinem Redeactus Mercurius nobilis (November 1616) die Argumente für das Reisen den Sieg davontragen lassen; vgl. Entner (1982), S. 27 f.

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99 quod certatim eos facere … animadvertimus] Allgemeiner, daher schwer zu spezifizierender Hinweis auf die Bemühungen um eine volkssprachige Literatur, wie sie ausgehend von Italien seit dem 16. Jahrhundert unternommen wurden. Welche Autoren Opitz dabei im Auge hat, verrät die Aufstellung weiter unten (s.v. Ariostos etc.): Genannt werden die inzwischen klassischen Autoren der frühen (Petrarca) und der Hochrenaissance (Ariost, Tasso) in Italien wie Frankreich (Marot, Du Bartas, Ronsard). Entner (1982), S. 38, weist darauf hin, daß sich (fast) alle in den Parallela oratorum poetarumque veterum et hodiernorum (1617) des Jonas Milde (Melideus), Opitz’ Poetik- und Rhetoriklehrer am Schönaichianum, wiederfinden; zu dieser Schrift siehe DI strahitur binis. In der Poeterey beschränkt sich Opitz auf Petrarca und Ronsard als Archegeten volkssprachiger Dichtung in der Romania (GW 2.1, S. 358). Ob Opitz zum Zeitpunkt der Niederschrift des Aristarchus auch theoretische Stellungnahmen zur Frage einer volkssprachigen Dichtung und ihrer Apologie kannte (etwa Du Bellays Deffence et illustration de la langue francoyse oder Bembos Prose de la volgar lingua), scheint fraglich. Die Argumentation des Aristarchus stellt ganz auf die Dichtungspraxis (poetandi spiritus), weniger auf deren poetologische Grundlegung ab. 99 perpolire] Vor perpolire findet sich in Teutsche Poëmata ein et. 100 f. Inconsulte facit, … antiquiora.] Dieser Satz fehlt in Teutsche Poëmata. 109 *Nam] Dazu als Marginalie: *Vide Io. à Wouwer Polymath. c. 30. Johann von Wower (1574–1612), Philologe, Jurist und Polyhistor. Als Sohn eines protestantischen Niederländers in Hamburg geboren, studierte er zunächst die Rechte und Philologie in Marburg, um nach 1592 seine Ausbildung bei J. Dousa und Joseph Scaliger in Leiden abzuschließen. Nach Reisen nach Frankreich und Italien hielt er sich seit 1598 in Hamburg auf; seit 1607 Rat in Emden/Ostfriesland. 1608 folgte er dem Ruf Herzog Johann Adolphs und wurde Schloßhauptmann auf Schloß Gottorf/Schleswig und geheimer Kirchenrat. Sein mehrfach aufgelegtes, von Opitz vielfach benutztes enzyklopädisches Hauptwerk trägt den vollständigen Titel De Polymathia tractatio. Integri Operis de studiis Veterum APO"PA"MATION (Hamburg 1603/1604). Vgl. Entner (1982), S. 18–21. Es folgt dem Grundsatz, daß sich Polymathie, d. h. enzyklopädische Bildung, vollständig am Leitfaden der Antike auszurichten habe, um Kulturverfall und Sittenverderbnis der eigenen Zeit entgegenzuwirken. Opitz spielt wohl auf Kap. 30 an, das unter dem Titel De caussis corruptae disciplinae mögliche Gründe für den Verfall der studia erörtert. Zu diesen zählen nach Wower auch das Reisen und das Erlernen von Fremdsprachen (S. 276): Non fraudabo laude suâ variarum linguarum cognitionem. sed in ea canos promittere, et perpetuò morari, tanti profectò non uidetur. Quâ intemperantiâ hodie laboramus. Non satis est enim complures linguas ad usum studiorum didicisse; quin etiam illas pari desiderio arripimus, quibus Europae gentes utuntur. At istae aliud agenti accedunt. 109 accedere] Teutsche Poëmata: accidere 111 Graecos] Teutsche Poëmata: Graecis 111–113 Magistratum certe Romanum … Valerius Maximus autor est] Dazu als Marginalie: lib. 2. cap.2. Opitz dürfte die Anekdote aus der Exempelsammlung des Valerius Maximus (Facta et dicta Memorabilia 2,2,2) unmittelbar dem zuvor zitierten Traktat Johannes Wowers (Kap. 30, S. 277) entnommen haben. Sie findet sich auch in Arnold Clapmars Schrift De

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Arcanis rerum publicarum libri Sex, Frankfurt 1611, die er weiter unten zitiert (dort Buch 2, Kap. 22, S. 118). 115 f. Hoc fonte … fluxit] Horaz, Oden 3,6,19 f. 125 f. Jungfraw … observiren] Das vollständige Dictum lautet, wie Andreas Tschernings Lob des Weingottes (1636) zu entnehmen ist: „Man muß hier das    observireren, sagte jener Schoßhans zu seiner Liebsten, die es von dem To-pff [sic!] Brett verstand“ (Rubensohn, 1899, S. 243 Anm.). 126  [sic!]  ] Als Marginalie: * decorum. 127 En cor Zenodoti, en jecur Cratetis] Zitat aus Sueton, De Rhetoribus et grammaticis 11,4, das Opitz Wower, Polymathia 10,14 entnimmt. Zenodot aus Ephesos (ca. 330 – nach 260 v. Chr.) war ein berühmter Philologe in Alexandria, Krates von Mallos begründete im 2. Jh.v. Chr. die Philologenschule von Pergamon, die in schärfstem Gegensatz zur alexandrinischen Schule stand. 132 * ] Am Rand dazu: *stulti loquentiam. 133–136 Der monsieur … erzeige mir dz plaisir. Quod … Dornavius … citat] Zu Dornau s. Einleitung. Dazu als Marginalie: Charidemi Politi. disput. 2. Unter Dornaus Vorsitz fanden drei Disputationen unter dem Titel Charidemus statt. Opitz entnimmt das Exempel für Sprachmischung der zweiten, Charidemi politici, hoc est de morum venustate ad civilem conversationem disputatio II. Sie wurde im September 1617 abgehalten und ergibt so den terminus post quem für die Abfassungszeit des Aristarchus. Im Exemplar Fechners ist fautor meus handschriftlich unterstrichen, dazu findet sich am Rand die handschriftliche Notiz (Sc.). 143 nebula] Teutsche Poëmata: nubila 145 strophio surgentes cincta papillas] Vgl. Catull, carmen 64,65: non tereti strophio lactentes vincta papillas. 147 * Maenadi insanae] Vgl. Plautus, Amphitruo 703. Am Rand: *bacchae bacchanti, ut Plautus loquitur. 150 Amamus enim hos naevos] In Teutsche Poëmata fehlt hos. 153–158 Ipse etiam … enuntiandam] Sueton, Tiberius 71,1, vermittelt wohl durch Wower, Polymathia, Kap. 30, S. 277. 155 *Monopolium nominaturus] Dazu am Rand: *potestatem vendendi aliquid, penes vnum populum aut hominem. 156 *%&] Als Marginalie: * '   , tesellatio, seu picturatae marmorum crustae ut Mamertus vocat in Pan. Anspielung auf Claudius Mamertinus’ Panegyricus auf Kaiser Julian. Gratiarum actio (Claudii) Mamertini de consulatu suo Iuliano imperatori, hier 11,4. In: XII Panegyrici Latini, rec. R.A.B. Mynors. Oxford 1964, S. 128. 160–166 * Nam quid rancidius …] Juvenal, Satiren 6,185–191. Am Rand dazu: * Loquitur de foeminis Graece garrientibus. Sat. VI.

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167 *P(  , $  «] Homer, Ilias 3,214. Als Marginalie: *Pauca quidem, sed valde argute; (Erstdruck: vade; Teutsche Poëmata: valde). 167 f. Neque timidior … vox] Bezieht sich auf den Grammatiker M. Pomponius Marcellus, der (nach Sueton, De grammaticis et rhetoribus 22,2) einen vermeintlichen Solözismus des Kaisers Tiberius anprangerte. In Teutsche Poëmata, S. 110, verweist Opitz für die Stelle in margine auf Arnold Clapmar (Vide Clapmar. lib. 3 de arcan. Rerump. c. 22). Das 22. Kapitel seiner Schrift trug den Titel: Ne alterius quam vernaculae linguae usus sit. Crimen alieni sermonis. Linguae Germanicae dignitas. 173 f. Cujus rei unicum Marnixii apiarium … conversum] Philipp von Marnix (1538–1598), niederländischer Staatsmann, Soldat, Theologe; eine der wichtigsten Figuren des niederländischen Unabhängigkeitskampfes gegen die Spanier, vor denen er 1566 nach Deutschland floh. Sein bekanntestes Werk ist die konfessionspolemische Schrift De Byencorf der H. Roomsche Kercke, erschienen 1569, danach bis ins 17. Jahrhundert immer wieder aufgelegt. Johann Fischart legte 1579 eine deutsche Bearbeitung dieser ironischen Apologie des Papsttums unter dem Titel Binenkorb des Heyl. Römischen Jmenschwarms, seiner Hum[m]elszellen (oder Himmelszellen) Hur[r]naußnäster, Brämengeschwürm vnd Wäspengetöß vor. Als nachahmenswertes Modell deutscher Dichtung hatte Opitz zunächst die Übersetzung des Amadis-Romans (Amadaei historiam, in nostrum idioma conversum) angeführt. Auf Veranlassung Dornaus war diese im Erstdruck des Aristarchus durch einen Hinweis auf Johann Fischarts Übersetzung des Byencorf der H. Roomsche Kercke ersetzt worden, ein „Zensureingriff“ (Seidel, 1994, S. 316), den Opitz in seinem erhaltenen Handexemplar für Janus Gruter handschriftlich revidierte: Der Text lautet hier entsprechend: Cujus rei unicam Amadaei historiam in nostrum idioma conversam; vgl. Fechner, S. [81] und S. 24*. Siehe auch Ernst Höpfner: ‚Amadis, nicht Bienenkorb‘“, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 8 (1877), S. 467–477; Seidel (1994), S. 316 f. Julius Wilhelm Zincgref wiederum griff auf diese korrigierte Version zurück, als er den Aristarchus im Verbund mit den Teutschen Poëmata in Straßburg drucken ließ (dort S. 110; Fechner 1970, S. 13*). 176 f. aeternam salutem] Im Exemplar Fechners gestrichen, am Rand stattdessen handschriftlich notiert: morum comitatem 188 f. * inopia … egestate patrij sermonis] Die Erläuterung am Seitenrand (*lib. 4. epist.) bezieht sich wohl auf Plinius d.J., Briefe 4,18,2. Zu denken ist ferner an Lukrez, De rerum natura 1,832 bzw. 3,260. 189 astricta] Teutsche Poëmata: adstrictà 190 quod et Tacitus] Anspielung auf Tacitus’ Germania 2,3; dort ist allerdings nur von Liedern auf den Stammesgott ‚Tuisto‘ die Rede: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. Opitz setzt diese altgermanischen Gesänge aus argumentationsstrategischen Gründen mit den Proben mittelalterlicher Dichtung gleich, die er im Folgenden als Belege einer kontinuierlichen germanischen Liedpflege zitiert. 191 laudum] Teutsche Poëmata: linguarum

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192–194 Et superant … publicavit] Melchior Goldast von Haiminsfeld, Schweizer Jurist, Philologe und Historiker (1578–1635), verfaßte zahlreiche Quellenwerke und Editionen antiker und humanistischer Autoren sowie Kompilationen zur Reichsgeschichte, die er aus altdeutschen Urkunden und Dichterhandschriften zusammenstellte. Opitz bezieht sich auf dessen 1604 erschienenes Quellenwerk Paraeneticorum veterum Pars I, in dem S. 257 ff. der Winsbeke u. a. mit zahlreichen Anmerkungen zitiert wurden; diese enthielten wiederum Zitate und Proben anderer mittelalterlicher Dichter wie Walther, Freidank oder Marner. 196 Marneri] Wohl aus Schwaben stammender Dichter von Liedern und Sangsprüchen, ermordet vor 1287. Opitz zitiert die Verse nach Goldast, Paraeneticorum veterum I, S. 445 f. Bei Goldast wie Opitz sind nur 16 Verse durchgezählt, da V. 184 des Originals ausgefallen ist. V. 186 f. = V. 5 Opitz, V. 188 f. = V. 6 und V. 196 f. = V. 13. Der Text ist bei Goldast korrekter als im Aristarchus. Dessen Drucker Dörffer ließ kurzerhand Akzente und diakritische Zeichen der mittelhochdeutschen Vorlage weg. In Philipp Strauchs Marnerausgabe (1876) findet sich das Gedicht als XV,10,181–200. Goldast zitiert die Verse als Beleg der Wörter „Scham und masse“, dem Anfang der Strophe 5 des Gedichts Winsbekiae paraenesis ad filiam (Paraeneticorum veterum I, S. 325) und setzt am Ende hinzu: Nihil potuit dici elegantius, nihil pulchrius, nihil denique verius. 224 Marottos] Clément Marot, bedeutender französischer Lyriker und Hofdichter der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1495–1544), der neben zahlreichen eigenen Sammlungen auch Editionen des Rosenromans (1527) und der Dichtungen François Villons (1532) vorlegte. 1541 publizierte er den Versuch einer Nachdichtung der biblischen Psalmen in Versen und Strophen, die 1541 als Trente psaumes de David mis en français erschienen. Sie bildeten den Kern des sog. Hugenottenpsalters. 224 f. Bartasios] Guillaume de Saluste, Seigneur du Bartas (1544–1590): Autor bedeutender religiöser Epen. Sein Hauptwerk ist ein enzyklopädisches Epos über die Weltschöpfung (La sepmaine ou création du monde, 1572–1578; gefolgt von einer unvollendeten La seconde Semaine), das 1622 bzw. 1631 von Tobias Hübner ins Deutsche übertragen wurde („Woche von Erschaffung der Welt und aller Geschöpffe“). 225 et alios Poëtas] In Teutsche Poëmata, S. 111, findet sich hinter dem Namen Tassos mit Sannazarios noch der Hinweis auf Jacopo Sannazaro (1458–1530), berühmt durch sein italienisches Schäfergedicht Arcadia, sowie hinter dem Namen Ronsards mit Anglia Sidneos ein Hinweis auf England und Sir Philipp Sidney (1554–1586), der einen Schäferroman (ebenfalls mit dem Titel Arcadia) verfaßte. 227 f. Danielis Heinsii … Poëmatia vernacula] Der Niederländer Daniel Heinsius (Heyns) (1580–1655), „der Niderländische Apollo“, wie Opitz ihn in der Vorrede zu den Teutschen Poëmata (1624) nennt, war einer der bedeutendsten Philologen und Dichter des Späthumanismus. Seine lateinischen Dichtungen erschienen in den folgenden Sammlungen: Iambi 1602, Elegiae 1604, Poemata 1605. Ob Opitz zum Zeitpunkt der Niederschrift des Aristarchus Heinsius’ Nederduytsche Poemata vorlagen, die Petrus Scriverius im Jahr zuvor (1616) ediert hatte, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit klären. Möglicherweise lernte er

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einzelne Dichtungen des Niederländers im Rahmen der Anthologie Den Bloem-Hof van de Nederlantsche Ieught (Amsterdam 1608, 1610) kennen, die u.a. drei mit D.H. unterzeichnete Stücke enthielt. Nähere Kenntnis von Heinsius’ Nederduytschen Poemata erhielt Opitz offenbar erst 1618, als ihm sein Vetter Kirchner die Sammlung zukommen ließ; vgl. Rubensohn (1899), S. 62–64. Für Opitz wird Heinsius, den er 1620 in Leiden persönlich kennenlernt, als Theoretiker (De tragoediae constitutione, Leiden 1611), neulateinischer Autor (Hipponax, 1617) und Archeget volkssprachiger Dichtung (Hymnus oft Lof-sanck van Iesus Christvs; Hymnus oft Lof-Sanck van Bacchus) im verwandten niederdeutschen Idiom zum maßgeblichen Orientierungsmodell. 228 Poëmatia vernacula] Teutsche Poëmata: Poemata vernacula 231 dissimiliis] Im Exemplar Fechners handschriftlich korrigiert zu dissimili 233 Tobiae Sculteto] Tobias von Schwanensee und Bregoschütz, genannt Scultetus (1565–1620), Kaiserlicher Rat und Kammerfiskal, Pfalzgraf und gekrönter lateinischer Dichter. Opitz weilte, wohl auf Empfehlung Dornaus (Seidel, 1994, S. 314), als Präzeptor seines Sohnes Hieronymus Kaspar über ein Jahr im 1615 erbauten Beuthener Schloß „Bellaquimontium“ am Ufer der Oder. Scultetus war ein Mann von humanistischer Bildung, der über reiche Kontakte in die europäische Gelehrtenrepublik verfügte und selbst mit lateinischen Gedichten hervortrat (Subsecivorum Poëticorum Tetras Prima, 1594; gewidmet Paul Melissus Schede). Opitz verfaßte für Scultetus ein Carmen heroicum zu dessen Geburtstag (AESTUO, nec voti) sowie eine Ekloge mit dem Titel Daphnis, beide 1617 (vgl. den Kommentar zu diesen Texten). Im Aristarchus findet sich weiter unten ein Anagramm auf seinen Namen. 235 * Gallico more effictos] Am Rand als Erläuterung: * In Natalem Hieronymi Caspari filioli ejus amabilissi mi, et paternae virtutis effigiei expressissimae. Nach GW 1, S. 68, Anm. 41, ist dieses Geburtstagsgedicht nicht erhalten. Gallico more effictos meint nach silbenzählendem Prinzip, wie es für die romanische, insbesondere französische Dichtung, aber auch für die ältere humanistische Dichtung in der deutschen Volkssprache (wie auch noch für Georg Rodolph Weckherlin) bestimmend war. Dies setzt Opitz weiter unten auseinander: Observandus saltem accurate syllabarum numerus (fol. C3v). Eine feste Tonstellen- und Akzentverteilung im Vers kennt Opitz zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Hinweis auf Scultetus, der engste Kontakte zum älteren Heidelberger Kreis (Melissus Schede, Lingelsheim) besaß, deutet die bestimmenden Einfluß- und Traditionswege des frühen Opitz an, der sich den Heidelberger Bemühungen um eine Rezeption der Pléiade-Dichtung und ihrer theoretischen Grundsätze zur Seite stellt. Erst durch Heinsius’ Nederduytsche Poemata wird Opitz mit Praxis und Theorie einer akzentuierenden Prosodie und Metrik vertraut. Schon im Aristarchus versteht sich Opitz als Bahnbrecher und Archeget: Prosodische Prinzipien wie Hiatverbot und Elision, die der romanischen Metrik entstammen, werden ausdrücklich als neu bezeichnet – mos hic novus est Germanis et inusitatus (fol. C4r). 237 f. ut cum Fabio loquar] Quintilian, De institutione oratoria 3,1,22. Vielleicht bezieht Opitz das Zitat aus Maximi Tyrii … Dissertationes XLI. Cum Interpretatione Danielis Heinsii. Leiden 1607, wo es (fol. B2v) heißt: In versione, ut cum Fabio loquar, vbi ingenio non est locus, curae testimonium promeruisse contentus.

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Kommentar zu S. 78–82

241 f. Alexandrinum … loco Hexametrorum] Anders als von Opitz angenommen (ab autore Italo) ist der Alexandriner ein autochthon französischer Vers. Seinen Namen erhält er vom Roman d’Alexandre (Alexanderroman, ca. 1180), in dem er erstmals durchgehend verwendet wird. Der Alexandriner wird im 16. Jahrhundert, namentlich durch das Wirken der Pléiade, zur vorherrschenden Versform in Lyrik, Epos und Drama. Als metrisches Gebilde umfaßt der Alexandriner, wie Opitz selbst betont, 13 bzw. 12 Silben mit weiblicher bzw. männlicher Kadenz (die französische Metrik spricht von „mots feminins“ bzw. „masculins“). Nach der dritten Hebung tritt eine feste Zäsur ein, die den Vers in zwei Halbverse unterteilt. Mittelzäsur, annähernd gleiche Silbenzahl und feste Regulierung des Versschlusses stellen jene Charakteristika dar, die den Alexandriner als versus heroicus zum volkssprachigen Äquivalent des daktylischen Hexameters prädestinieren. Opitz’ FortunaElegie ist jedoch nicht im heroischen Alexandriner gehalten, für den fortlaufende Reimpaare typisch sind, sondern stellt die Variante eines elegischen Alexandriners mit umarmenden Reimpaaren dar. In Deutschland war Opitz keineswegs der erste, der sich an Alexandrinern versuchte. Ihm ging zum Beispiel Tobias Hübner voraus, der bereits vor 1610 Alexandriner verfaßte. 247 grimm] Im faksimilierten Exemplar Fechners ist das ursprünglich im Erstdruck geschriebene grimem berichtigt. Diese Korrektur wurde in Teutsche Poëmata übernommen (grim). 252 Chimer] Mythologisches Mischwesen mit den drei Köpfen von Löwe, Schlange und Ziege, nach Hesiod, Theogonie 319 ff., Kind des Typhaon und der Echidna. 256 bi‚ mit dem zufried’] „bis“ mhd./frnhd. für „sei“. 269 fleh' ] Erstdruck flieh' ; Teutsche Poëmata fleh' 271 mag gar] Teutsche Poëmata: mag wohl 282 *Die schönheit fleucht hinweg] Am Rand: * Hic modus reliquis facilior est, et, ut mihi videtur elegantior quoque. Unter modus versteht Opitz das Reimschema. Die Sequenz aus drei Epigrammen führt die drei möglichen Reimtypen (umarmender, Paarreim, Kreuzreim) vor. Im Formen- und Gattungsspektrum des Aristarchus, das ausschließlich ‚moderne‘ romanische Formen kennt, stellen sie den Ausnahmefall einer antiken Gattung dar. Witkowski und Schulz-Behrend weisen darauf hin, daß das zweite Gedicht eine Paraphrase aus Hipponax ad Asterien darstellt (V. 163–165). Opitz’ eigene Übersetzung (Aus des Auctorn Hipponacte an Asterien) lautet: „Wo aber Zier und Scham /zwo edle thewre Kronen / |Das selten funden wird / in einem Leibe wohnen/ | Da stehet alles wohl / da sieht es lustig aus / | Da ist ein schöner Wirth / vnd auch ein schönes Haus“ (GW 2.2, S. 732). 295 Schwaben von der Heyde] Ernst Schwabe von der Heide (ca. 1598–1626), gebürtig wohl aus Danzig; studierte im Herbst 1617 in Frankfurt/Oder, wo er mit Opitz bekannt wurde. Seine Sammlung deutscher Gedichte, aus denen Opitz fünf im Aristarchus zitiert, ist verschollen. Es handelte sich vielleicht, wie Rubensohn meint, weniger um eine Anthologie als um eine kurzgefaßte „Poetik …, deren einzelne Bestimmungen an eigenen Dichtungen praktisch dargelegt werden“ (Rubensohn, 1899, S. 255). In der Poeterey (Kap. VII; GW 2.1, S. 387) beruft sich Opitz auf Schwabes „Bu(e)chlein“ für Ausnahmen

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von der Elisionsregel. Ihm entnimmt Opitz, wie er weiter unten bezeugt, u.a. das Elisionsgesetz (Quod et Schvvabius docet ac observat); ob der Aristarchus jedoch ein „getreues Spiegelbild“ von Schwabes Poetik darstellt (Rubensohn, ebd., S. 256), muß offen bleiben. Schon die Zeitgenossen waren offenbar dieser Auffassung. Wencel Scherffer von Scherffenstein schreibt, es habe „der Sinnreiche Opitz ohne zweifel aus Ernst Schwabens von der Heide / im Jahr 1616 außgegangenen Poëtischen Büchlein die erste anleitung bekommen / sich in die Teutsche Poesi einzurichten“; vgl. Wencel Scherffer von Scherffenstein: Geist- und Weltliche Gedichte Erster Teil. (Brieg 1652) Hrsg. von Ewa Pietrzak. Tübingen 1997 (= Rara ex bibliothecis Silesiis 6), S. 279. Entgegen diesem wie auch Opitz’ Hinweis am Rand. (Francof. Marchic. typis descripta) ist ein Druck der Schrift nirgends bezeugt. Möglicherweise hatte Opitz den Hinweis eingesetzt, weil er die Drucklegung für unmittelbar bevorstehend hielt. Als er bis 1624 nicht vorlag, ließ Opitz für die Teutschen Poëmata die Anmerkung fallen. In einem Brief an August Buchner vom 5. Februar 1625 erwähnt Opitz den Besitz des Büchleins: Suabii librum tanti non fuit diu quaesivisse. Eum praeter aliquot (nullum enim aliud exemplar penes me est) una transmitto. „Das Buch von Schwabe hätte ich aber nicht so lange zu suchen brauchen und schicke es ausser einigen Blättern (denn ich besitze kein anderes Exemplar) mit zurück“ (Geiger, 1876a, S. 328 und 339). Jesaias Rompler schreibt 1647: „So ist das sinnreiche werck des Ernst Schwaben von der Haiden, welcher sich zu Dantzig aufgehalten, und in dieser übung (als vil mir bewußt) der nähste nach dem Weckherlin gewäsen, sehr zubetauern, daß es durch unglück ersitzen geblieben, und nicht auch in den truck gegeben worden“ (nach Max Rubensohn: Ernst Schwabe von der Heyde, in: Euphorion 1, 1894, S. 58–63, hier S. 59). Rubensohn fand in einem Exemplar der Teutschen Poëmata eine Notiz des Besitzers Nicolaus Rittershusius zum Namen „Ernestens Schwabens von der Heide“: „Ward anno/ 1626. 4 Junij/ zu Dantzigk/ lebendig gespießet, im/ Polnischen läg[er]/ auf Befehl des/ Obristen Koniecpolsky“ (Rubensohn, Schwabe von der Heyde, S. 61). Demnach wäre Schwabe am Krieg, den Schweden gegen Danzig führte, beteiligt gewesen. Diese Angabe läßt sich jedoch nicht weiter urkundlich belegen. – Zur Person vgl. neben Rubensohn noch Paul Schultze: Martin Opitz und Ernst Schwabe von der Heyde, in: Archiv für Literaturgeschichte 14 (1886), S. 241–247; Rudolf Schlösser: Ronsard und Schwabe von der Heide, in: Euphorion 6 (1899), S. 271–276. Drei Alexandrinersonette, verfaßt aus Anlaß der Krönung von Matthias zum Römischen Kaiser in Frankfurt bzw. zur Krönung seiner Gemahlin Anna (14. bzw. 16. Juni 1612), hat Achim Aurnhammer aus einem Wolfenbütteler Druck (1612) ediert; vgl. Achim Aurnhammer: Neues vom alten Ernst Schwabe von der Heyde. Drei Sonette auf die Krönung des Kaisers Matthias (1612), in: Daphnis 31 (2002), S. 279–298. 298 Sonnet] Freie Nachdichtung des Eröffnungssonetts aus Petrarcas Rime (Rerum vulgarium fragmenta): „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono / di quei sospiri ond’io nudriva’l core“. Es handelt sich nach heutigem Kenntnisstand um die früheste deutsche Übertragung eines Petrarca-Sonetts in Sonettform. Ein Hinweis auf das Original (Ex Italico Petrarchae o.ä.) fehlt; möglicherweise war Opitz zu diesem Zeitpunkt die Vorlage nicht bekannt. * φ« πo] Zusammengesetzt aus zwei Homerischen Junkturen: 316 * )«     

φ«    (Homer, Ilias 1,605; 5,120; 8,485) und  * φ« (Odyssee 16,23

und 17,41). Als Marginalie: * in dulce lumen solis.

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Kommentar zu S. 84 –88

317 f. Observandus saltem accurate syllabarum numerus] Vgl. oben unter Gallico more effictos. Das Elisionsgesetz wird in der Poeterey (Kap. VII) beibehalten. Es wird ausdrücklich als Import und Innovation gekennzeichnet. Vgl. Pierre de Ronsard: Abbregé de l’art poëtique François [1565], in: Œuvres complètes. Bd. 14, hrsg. von Paul Loumonier. Paris 1949, S. 1–38, hier S. 19: „Toutefois et quantes que la voyelle e est rencontrée d’une autre voyelle ou diftongue, elle est tousjours mangée, se perdant en la voyelle qui la suit, sans faire syllabe par soy.“ 320 * $ &«] Am Rand dazu: *diligenter. Diese Marginalie fehlt in Teutsche Poëmata. 333 è vocalem] In Teutsche Poëmata hierzu am Rand: E vocalis 333 in fine] Im Fechner-Exemplar wird infine korrigiert zu in fine; diese Korrektur wird hier übernommen. 341 an Vorstand'] In Teutsche Poëmata: am verstand' 345 dicimus] Im Fechner-Exemplar korrigiert zu didicimus; dies auch in Teutsche Poëmata. 347 f. cui gloria formae … in artus] Vgl. Appendix Vergiliana, Culex 408 f. 353 Johanne‚ von Lantßkrone] Ein adliger Mäzen, Schwager des Wiegand von Gerßdorf, dem der Aristarchus gewidmet ist. Opitz verfaßte auf Johannes von Landskron mehrere Gedichte (dazu siehe ERgo iter ad dulces). 354 O kron de‚ hause‚] Teutsche Poëmata: O Kron deß Hauset [sic!] 355 der welt vnd jhre‚ sause‚] Teutsche Poëmata: der Welt und ihre‚ Hause‚ 357 so wird man dir] Teutsche Poëmata: so wirr man dir 360 *  φ« λ  ( «] Am Rand: *splendidum lumen et grande decus 361 Rindfleisch] Lat. Bucretius. Der Arzt Daniel Rindfleisch (1562–1621) förderte Opitz während seiner Zeit am Gymnasium in Breslau (1614/15). Opitz wohnte als Hauslehrer seiner Söhne in dessen Haus. Auch Rindfleisch verfaßte wie Tobias Scultetus lateinische Gedichte und stand in Kontakt mit Janus Gruter in Heidelberg. 369 Margareta Rindtfleischen] Das Anagramm stammt von Adam Thebesius, der es zur Hochzeit der Margaretha Rindfleisch mit Friedrich Habermann (16. Januar 1616) verfaßte. Ihm war zur Erläuterung ein lateinisches Gedicht beigegeben. In dem Druck mit den Hochzeitsglückwünschen von Thebesius sind auch Epithalamia von Opitz zu finden (vgl. LA dae tuo). 371 non pauca: et quaedam] Teutsche Poëmata: non pauca: et quidem 373 Helena Roggen] Teutsche Poëmata: Helena Roggin. Sie stand wahrscheinlich in verwandtschaftlicher Beziehung zu Johannes Rogge, dem das letzte Anagramm der Reihe gewidmet ist; vgl. Kommentar in GW 1, S. 74. 381 vnd geberden;] Teutsche Poëmata: vnd angeberden/ 384 Denn Engel ] Teutsche Poëmata: Ein Engel

Kommentar zu S. 88–90

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393 patriae suae] Teutsche Poëmata: patriâ suâ 394 f. integra et incommista * tot jam labentibus annis] Am Rand: * sesquimille, ut quidem computat Goldastus. Vgl. Goldast, Paraeneticorum veterum I, S. 261: Ast Germanis integra incommistaque [lingua; J.R.] perennat, nec alio nunc sermone, quam maiores nostri ante annos sesquimille, utimur, qua in re soli Germani habemus gloriari. Das Verszitat stammt aus Vergil, Aeneis 2,14. 397 Hic Rhodus, hic saltus] Antikes Sprichwort, schon bei Äsop bezeugt; die Fassung Opitzens stammt aus Erasmus, Adagia 3,3,28. 402 Semones] Vgl. Kommentar zu Hipponax ad Asterien, V. 68. [J.R.]

DAPHNIS Ekloge für Tobias Scultetus Dünnhaupt, Nr. 31; – MARTINI OPITII | DAPHNIS. | BETHANIAE | ad | Oderam, | L ITERIS J OANNIS D ÖRFERI . | A N. M . D. CXVII . (UB Vilnius: [Signatur nicht zu ermitteln]); mit einigen Kürzungen auch in Silvae, S. 75–78, danach in: GW 1, S. 78–80. Unser Abdruck folgt der Erstveröffentlichung. Mit seinem ersten großangelegten Versuch in der Gattung der Ekloge kleidet Opitz die Huldigung an seinen Gönner Tobias Scultetus (s. Kommentar zu AE STUO, nec voti.) in eine anspruchsvolle literarische Form, die von Dichtern seit der Antike auch zur Kommunikation mit dem jeweiligen Mäzen verwandt wurde. Daß sich hinter der im Text angesprochenen Titelfigur Daphnis Scultetus verbirgt, bezeugt die Widmung auf der Rückseite des Deckblattes: Hier wird der Gönner mit allen seinen offiziellen Titeln und Amtsbezeichnungen genannt und zugleich als „persönlicher Förderer“ des Verfassers apostrophiert. In der Sammlung der Silvae steht der Text mit dem Hinweis Ad eundem hinter dem Carmen Heroicum (s. o.), das ebenfalls an Scultetus gerichtet war. Die Verse 1–5 und 99–101 bilden den Rahmen, in den das Selbstgespräch des Hirten Iolas eingefügt ist. Sich selbstvergessen an den (abwesenden) Daphnis wendend, berichtet Iolas davon, wie Tityrus ihm die Gabe des Gesanges vererbt habe (V. 6–20), um im folgenden selbstbewußt seine Musenkunst und – hier ist die bukolische Szenerie besonders raffiniert eingesetzt – seinen Willen zu gesellschaftlichem Aufstieg dem Adressaten vorzuführen (V. 21–37). Daphnis, so zeigt sich bald, ist der Gönner des Iolas, der ihm die Muße zu poetischer Produktion ermöglicht (V. 37–52), ja selbst ein weithin berühmter Dichter ist (V. 53–86; die Formulierungen bleiben offen, so daß immer deutlicher der Ruhm des Gelehrten und Weltmannes Scultetus durchscheint). Iolas seinerseits gelobt, den bewunderten Daphnis in seinen Liedern zu rühmen (V. 87–98). Wie schon im Falle der antiken (vgl. von Albrecht, S. 525–531), mehr noch der neuzeitlichen Ekloge (vgl. RL 1, S. 287–291) liegt die allegorische Lektüre des Textes nahe, freilich kann nicht jedes Detail einer außerliterarischen Realität zugeordnet werden. Von zentraler Bedeutung ist die Analogie der Beziehungen Vergil-Augustus und Opitz-Scultetus (Iolas-Daphnis):

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Kommentar zu S. 90

Scultetus wird in erster Linie als Mäzen und Schutzpatron des jungen Dichters apostrophiert und in die Pflicht genommen. – Zur Ekloge Daphnis liegt bislang keine Analyse vor; unsere Ausführungen nehmen in Teilen Bezug auf eine umfangreiche, demnächst erscheinende Studie von Klaus Garber, dem auch die Wiederentdeckung des Erstdruckes zu verdanken ist: Martin Opitz, Paul Fleming und Simon Dach auf der Reise in den Osten [im Druck]. – Versmaß: Hexameter. 1 f. FO rte sub egelidis quercûs prostratus Iolas Frondibus] Programmatisch nach Vergil, Ekloge 7,1 gebildet: Forte sub arguta consederat ilice Daphnis; zugleich Anklang an den berühmten Beginn des Eklogenbuches: Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi (1,1). 1 Iolas] Iollas (metrisch so korrekt) erscheint als Randfigur in Vergils Eklogen (2,57; 3,76 und 79). Er ist dort ‚Besitzer‘ einer gewissen Phyllis, steht jedenfalls nicht für materielle Armut (wie hier V. 6). 2 Frondibus] Silvae: Frontibus 2 irriguis Viadrus quà labitur undis] Bezug zu Scultetus’ Schlößchen Bellaquimontium bei Beuthen an der Oder (Bethania ad Viadrum). 3 rauco … susurro] Die Junktur auch bei Calpurnius, Ekloge 1,3. 5 Illic hos tenui ludebat arundine cantus] Vgl. Vergil, Ekloge 6,8: Agrestem tenui meditabor harundine musam. 6 Daphni] Seit Stesichoros (7./6. Jh. v. Chr.) ist Daphnis geläufiger Name des Hirten in der Literatur (auf Theokrit-Nachweise wird hier wie im folgenden wegen der geringeren literarhistorischen Relevanz verzichtet); vgl. Longos’ Roman Daphnis und Chloe, aber auch noch Titelfigur bei Arno Holz. Bei Vergil erscheint er in Ekloge 2,26; 3,12; 5 passim; 7,1; 8 passim. Als Vorbild diente Opitz vor allem Ekloge 5, da hier zwei Hirten den – allerdings bereits verstorbenen – Sänger Daphnis rühmen; vgl. unten zu V. 89. In Opitzens deutschsprachiger Ode Galathee aus dem Jahre 1621 steht Daphnis – anders als im vorliegenden Text, wo der Mäzen Scultetus gemeint ist – für das literarische Vorbild des Dichters, den niederländischen Gelehrten und zweisprachigen Poeten Daniel Heinsius (GW 2.2, S. 655). 7 calamos … pendit] calamos muß wohl metonymisch verstanden werden. Wenn pendit im Sinne von suspendit zu lesen wäre (was allerdings nicht antikem Vorbild folgte), entstünde ein tradiertes, allerdings auf die Situation nicht recht passendes Bild. 8 Tityrus] Der Hirte Tityrus erscheint bei Vergil in sechs Eklogen, spielt aber vor allem in der ersten eine zentrale Rolle. Im Dialog mit dem weniger glücklichen Meliboeus vermag er zu berichten, wie er durch die Gunst des ‚göttlichen‘ Herrschers (V. 2: deus nobis haec otia fecit) in krisenhafter Zeit seinen Besitz behalten durfte. Daß mit dem greisen (vgl. Vergil, V. 46: Fortunate senex) Tityrus eine Person aus Opitzens Gegenwart gemeint ist, muß bezweifelt werden. Die Anmerkung „Tityrus = vielleicht Dornau“ (GW 1, S. 70) ist wenig plausibel, da dieser kaum – nicht einmal in dichterischer Überhöhung – als poetischer Lehrmeister Opitzens aufgefaßt werden kann; vgl. auch die Anmerkungen zu V. 8 f. und 42. 8 f. His Tityrus olim Demulsit rigidas dilectae Amaryllidis aures] Vgl. Vergil, Ekloge 1,4 f.: Tu, Tityre lentus in umbra, / Formosam resonare doces Amaryllida silvas. Die Schäferin Amaryllis be-

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gegnet auch in anderen Gedichten, prominent ist sie allerdings als Geliebte des Tityrus. – Wichtiger für die Stelle ist der Bezug zu Calpurnius, Ekloge 4,58–63, wo der Hirte Corydon beabsichtigt, das einst von Tityrus (Vergil) benutzte Instrument zu spielen. Auch Opitz reiht sich also in die Reihe der Vergiladepten ein. Vgl. zum vorausgehenden Da veniam, si plura nequit die Parallele bei Calpurnius, Ekloge 4,64: Magna petis, Corydon, si Tityrus esse laboras. 11 Galatea] Auch diese Schäferin steht bei Vergil in einer Beziehung zu Tityrus (Ekloge 1,30–32). 12 Alexis] In der 2. Ekloge Vergils ist der junge Alexis Gegenstand der Leidenschaft des Hirten Corydon (das Motiv wieder aufgenommen in Ekloge 5,86). Bei Opitz ist wohl eher an Eifersucht des Alexis auf den Nebenbuhler Daphnis zu denken. 13 f. Saepe … silvae] Zum Motiv der vor dem Gesang der Hirten erstaunenden Natur vgl. Vergil, Ekloge 8,1–4. 16 Siracosii … vatis] Der Dichter aus Syrakus auf Sizilien ist Theokrit (um 305 – um 265 v. Chr.), aus überlieferungsgeschichtlicher Perspektive der Begründer der bukolischen Dichtung. 18 f. Naiasin, Panique … Lycaei … Maenalus] Lykaion und Mainalos sind Gebirgszüge in Arkadien, die dem Hirtengott Pan heilig waren (vgl. Vergil, Ekloge 10,15 und 55). Arkadien ist die bukolische Landschaft schlechthin (Ekloge 10,26: Pan deus Arcadiae), wohin auch die Naiaden (Quellnymphen) gehören, die allerdings bei Vergil (Ekloge 10,10–12) mit dem Musenquell in Böotien in Verbindung gebracht werden. 24 pecoris … pauperis haeres] Hier und im folgenden spielt Opitz im Gewand des Hirten gegenüber dem Mäzen auf seine finanzielle Bedürftigkeit, aber auch (V. 26: Crescet ager mecum) auf seinen Leistungswillen an. 30 Non indigna cano] Das Selbstbewußtsein des Sprechers klingt an mehreren Stellen im Gedicht an, vgl. besonders V. 35 und den Kommentar zu V. 94 f. 31 Hyella] Der Mädchenname Hyella (vielleicht nach  = Wald) scheint von Opitz erfunden zu sein. Möglicherweise ist ein Bezug zur frühen Liebesdichtung Opitzens intendiert. 34 Sylvani] Silvanus, italischer Waldgott, auch bei Vergil, Ekloge 10,24. 37 simplicibus curis] Wohl das Hauslehreramt bei Tobias Scultetus, womit Opitz sich sein Studium in Beuthen finanzierte. Geschickt überführt Opitz hier das Wirken Apolls in die mäzenatische Hilfe durch Scultetus. 38 augusti clementia … vultûs] Der gesamte Vers nicht in Silvae. – Hier wird eine deutliche Analogie zwischen Scultetus und dem bei Vergil verherrlichten Augustus hergestellt. 39 tuas] Silvae: tua has. 40 sex … Titan per signa cucurrit] Metaphorische Umschreibung für die Zeitspanne von sechs Monaten. Wenn Opitzens Ankunft in Beuthen auf Mitte 1616 zu datieren (Seidel,

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Kommentar zu S. 92–94

1994, S. 310) und ein Dienstantritt bei Scultetus bald darauf anzusetzen ist, müßte die Ekloge in der ersten Hälfte des Jahres 1617 entstanden sein. 41 Cum mihi fausta tuos persuasit ab ilice cornix] Vgl. Vergil, Ekloge 9,14 f.: Quod nisi me … / ante sinistra cava monuisset ab ilice cornix. 42 Amyntas] Hirtenname bei Vergil, teils als Konkurrent im Sängerwettstreit (Ekloge 3), teils (Ekloge 5 und 10) als Objekt homoerotischer Liebe eingeführt. Bei Opitz ist, wie der folgende Vers in seiner später geänderten Erstfassung zeigt, mit Amyntas ein konkreter Freund oder Gönner gemeint, der in krisenhafter Situation (Spemque metumque inter) dem jungen Mann – vielleicht brieflich (in cortice scripsit ) – den Kontakt zu Scultetus vermittelt hat. Daß es sich bei diesem Vermittler um Dornau (s. oben zu SI c tibi rivalis) gehandelt habe, behauptet schon Christoph Coler in seiner Gedenkrede auf Opitz 1639; Nachweise zum gesamten Komplex bei Seidel (1994), S. 307, 313f. 43 Spemque metumque inter, dilecto] Silvae: Pierisin, multum sperato 47 f. tu nostrae concedis dulcia Musae Otia] Die Dankbarkeit des Dichters für die vom Mäzen gewährte Muße ist ein Topos der augusteischen Literatur; vgl. die Sphragis der Vergilischen Georgica (4,563–566): Illo Vergilium me tempore [sc. während Augustus Krieg führte] dulcis alebat / Parthenope studiis florentem ignobilis oti, / Carmina qui lusi pastorum audaxque juventa, / Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi. Vgl. V. 51 f. (auch V. 72), wo in ähnlicher Weise wie bei Vergil, Georgica 4,560–562, die strenge Pflichterfüllung des Patrons gegen die Muße seines Dichters gesetzt wird. 48–50 Otia … verba] Silvae: Otia, et agrestes cantus et rustica verba; 48 f. improba lappae Semina … loliumque] Vgl. Vergil, Georgica 1,153f.: Lappaeque tribolique, interque nitentia culta / Infelix lolium et steriles dominantur avenae; Ekloge 5,37: Infelix lolium et steriles nascuntur avenae. 55 suspiria docta] Vgl. Tobiae Sculteti Ossitiensis Subsecivorum Poëticorum Tetras prima; In qua Suspiria; Phaleuci; Philotesia; Epigrammata. Heidelberg 1594. Das erste Buch dieser Sammlung ist betitelt Suspiriorum ad Sophiam (vgl. V. 57) libellus. In seinem Begleitbrief an Paul Schede Melissus behauptet Scultetus (S. 14): Ergone inquis tu Amores scribis? Omnino… Veros an fictos si quaeras; Veros adfirmo. Vera enim non ficta mihi Sophia. Gleichwohl sind derlei Bekenntnisse nicht ernster zu nehmen als Opitzens eher relativierende Hinweise auf die Liebe zu seiner Asterie (s. Kommentar zu Hipponax ad Asterien). 56 exhalata] Vgl. Ovid, Metamorphosen 6,247: exhalarunt; hier wie dort ein versus spondiacus, der die Länge des Aushauchens andeutet. 58 Quae te sub caeli tulerunt vaga sidera] Vgl. Horaz, Ode 1,1,30: Sublimi feriam sidera vertice. 58 tulerunt] Die zweitletzte Silbe ist hier wie auch sonst nicht selten in römischer Dichtung kurz. Vgl. Ferdinand Sommer: Handbuch der lateinischen Laut- und Formenlehre. Heidelberg 1902, S. 619 f. 59 Ante … vestiit] Hofmann/Szantyr, S. 601, bringt einen einzigen spätantiken Beleg für die Verwendung von ante im Sinne von antequam.

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64 Litora] Hinter Litora ist eine Formulierung wie laudabaris oder pastores te laudaverunt vom Folgenden her zu ergänzen. 66 f. Tibridis … Rhodanus … Garumna Tagusque] Tibridis ist statt des metrisch hier nicht passenden Genetiv Tiberis gewählt. Aufenthalte des Scultetus in Italien (allerdings nicht in Rom) und Frankreich sind bezeugt; daß er auch in Spanien war, ist eher zweifelhaft. 68 Nordvvicides] Noordwijk war der Geburtsort des niederländischen Gelehrten und Dichters Janus Dousa (Jan van der Does, 1545–1609). 69 Benaci fluminis exul] In der Antike (z. B. Vergil, Georgica 2,160; Aeneis 10,205) steht Benacus allein (ohne das sinnentstellende Beiwort) für den Gardasee in Norditalien. Mit exul ist nicht Vergil gemeint (wie GW 1, S. 80), der aus Mantua stammte, sondern der Dichter und Philologe Joseph Justus Scaliger (1540–1609), dessen Vater, Julius Caesar Scaliger, in Riva am Gardasee geboren und von dort 1526 nach Frankreich gezogen war. Für die Beziehung auf Scaliger spricht auch, daß er wie Dousa (s. zu V. 68) Professor in Leiden war, wo sich Scultetus im Jahre 1600 aufhielt. Die Scaligeri führten ihr Geschlecht auf die Familie Caesars und damit auf die ‚Götter‘ (V. 70: soboles magnorum invicta deorum) zurück. Joseph Justus Scaliger schrieb De vetustate et splendore gentis Scaligerae. Leiden 1591. 74 –77 Te veniente … canoro] Silvae: Te veniente nemus gaudet, audisne canoro. Die hyperbolische Darstellung der Scultetus huldigenden Elemente mochten Opitz oder sein Herausgeber später als Verstoß gegen das aptum verworfen haben. 79 in aurata] Silvae: inaurata 80f. Iopae Criniti] Opitz zitiert Vergils crinitus Iopas (Aeneis 1,740); in beiden Texten wird in unmittelbarer Nachbarschaft (V. 79 bzw. V. 740f.) auch die goldene Leier des Dichters genannt. 81 f. tibia … Euterpes] Euterpe ist eine der Musen. Zur Junktur vgl. Horaz, Ode 1,1,32f.: Si neque tibias / Euterpe cohibet. 84 Daphni ô Daphni omnia clamant] Vgl. den ersten Teil des Daphnis-Klage in der 5. Ekloge Vergils (V. 20–44). 85 f. Omnia … cantu] Vgl. Vergil, Ekloge 5,76–78: Dum juga montis aper, fluvios dum piscis amabit, / Dumque thymo pascentur apes, dum rore cicadae, / Semper honos nomenque tuum laudesque manebunt. 87 Ipse ego] Versanfänge mit Ipse ego … z. B. bei Vergil, Ekloge 2,51. 88 anni … agnum] So in Silvae; im Erstdruck (wohl versehentlich vertauscht): agni … annum. Ein Opfer wird dem entrückten Daphnis in Vergils 5. Ekloge (V. 65–71) versprochen, aber auch dem zu Lebzeiten vergöttlichten Augustus in Ekloge 1,7 f.: illius aram / Saepe tener nostris ab ovilibus imbuet agnus. 89 Et lauri foliis, hederaque altaria cingam] Vgl. Vergil, Ekloge 5,40: Spargite humum foliis, inducite fontibus umbras; ebd., V. 66: Ecce tuas tibi, Daphni, duas altaria Phoebo. 90 Superae … aulae] Spiel mit den wechselnden Vorstellungen vom entrückten Hirten Daphnis aus Vergils 5. Ekloge und dem lebenden Scultetus, der als kaiserlicher Rat am Prager Hof verkehrte.

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Kommentar zu S. 96

91 novus hospes in oras] Die Wendung ist entlehnt aus Statius, Silvae 1,5,60. 94 f. mea Musa … nullo … reticebitur aevo] Vgl. ähnliche Unsterblichkeitsverkündungen etwa bei Horaz, Ode 3,30,6 f.: Non omnis moriar multaque pars mei / Vitabit Libitinam; Ovid, Metamorphosen 15,871–879: Iamque opus exegi, quod nec Iovis ira nec ignis / nec poterit ferrum nec edax abolere vetustas. / … / nomenque erit indelebile nostrum, / … / Ore legar populi, perque omnia saecula fama, / … vivam. 97 Simichidae] Theokrit nennt sich    « in Idyll 7,21 u. ö. 100 f.] Der Text schließt mit dem Einbruch der Nacht wie Vergils Eklogen 1, 3, 6, 9 und 10 sowie einige Gedichte von Theokrit und Calpurnius; nach Curtius, S. 100, handelt es sich um ein typisches bukolisches Motiv. [R.S.]

Augusta virtus Glückwunschgedicht für Martin Füssel zur Erlangung der Doktorwürde Nicht bei Dünnhaupt; – Überliefert in alten Breslauer Handschriften: R 402; R 2305 b (laut Auskunft der UB Breslau verschollen); Klose 175. Druck in GW 1, S. 76 f., nach Hs. Klose 175 (UB Breslau: Akc. 1949/713, ehem. StB Breslau: Hs. Klose 175). Unsere Ausgabe folgt Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S 793 f. Martin Füssel (1566 oder 1571–1626) stammte aus Görlitz und war nach wechselvoller Laufbahn in Kirchendiensten von Kurfürst Johann Sigismund 1614 zum brandenburgischen Rat und Hofprediger (a Concionibus) berufen worden. Er sollte den Übertritt des Hofes zum calvinistischen Bekenntnis theologisch absichern helfen und erhielt 1617 die Doktorwürde wohl als Gunstbeweis für seine nicht ungefährliche Unterstützung dieses Konfessionswechsels. Schon vor seiner Berufung nach Brandenburg war er des Kryptocalvinismus verdächtigt worden; seine Confessio von 1611 forderte eine Gegenschrift von Adam Prätorius heraus. Schulz-Behrend (GW 1, S. 76) vermutet aufgrund des Anlasses – die Verleihung der Doktorwürde wird an der Landesuniversität stattgefunden haben – eine Entstehung des Gedichtes in Frankfurt/Oder. Allerdings weist Entner (1982), S. 57, mit Recht darauf hin, daß ein eigentlicher Studienaufenthalt Opitzens an dieser Universität nicht vorausgesetzt werden kann. – Vgl. DBA 390, 98–104; Karl Pahncke: Martin Füssel, in: Jahrbuch für brandenburgische Kirchengeschichte 6 (1908), S. 105–121. Krause, S. 112, hält Füssels gleichnamigen Sohn für den Adressaten. Dieser war in der Tat 1617 bereits Magister (Seidel, 1994, S. 477) und wurde in diesem Jahr Professor am Beuthener Gymnasium. Auf ihn paßt allerdings die Überschrift des Gedichtes nicht. – Versmaß: jambische Senare. 4 f. laudis vehetur aureo Curru] Das Vokabular erinnert an den Auftritt römischer Triumphatoren, die Wendung ist allerdings nicht antik.

Kommentar zu S. 96–98

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8 cucullati] Zum mittelalterlichen Gebrauch von cuculla vgl. Du Cange, Bd. 2, Sp. 643. Gewöhnlich wurden mit dieser Bezeichnung Mönche (‚Kapuzenträger‘) bezeichnet, vgl. Humanistische Lyrik, S. 1166. Allerdings können auch allgemein konfessionelle Eiferer gemeint sein. Die Beschimpfung der Gegner im Glaubensstreit mit Tiernamen (hier V. 7–9) hat gleichfalls Tradition. So ließ Johannes Major 1556 in seinem Idyllion de Philomela eine ganze Schar unsympathischer Vögel – deren Identität teilweise leicht zu entschlüsseln ist – gegen die Nachtigall Philomela (= Phil ipp Melanchthon) auftreten (Humanistische Lyrik, S. 542–545, 1271–1275). 11 Assurgit onere palma] Verwandt sind Formulierungen wie Horaz, Epistel 1,1,51: cui sit condicio dulcis sine pulvere palmae? [R.S.]

BE ate Tite Epicedium auf Petrus Titus Dünnhaupt, Nr. 33; – LACHRYMAE DENICALES, | IN FUNERE | REVER.di ET CLARISS.mi | V IRI , | DN. M. PETRI TITI, | PASTORIS ECCLES. | BETHANIENS. ET DYNASTIAE | S CHÖNAICHIAN . | P RIMAR I, | SS.tae T HEOLOGIAE P ROFESS. | IBIDEM E XCELLENT .mi | EFFUSAE | à | PROPINQUIS, COLLEGIS, | AMICIS. | B ETHANIAE AD V IADRUM | E XCUSAE T YPIS J OHANNIS DÖRFFERI . – o. J. [1618] (UB Breslau: 549 925), fol. B2v; diesem Druck folgen GW 1, S. 81 (vgl. aber unten), und unsere Ausgabe. Petrus Titus (gestorben am 8. Januar 1618) war Stadtpfarrer in Beuthen an der Oder und zugleich außerplanmäßiger Professor der Theologie am dortigen akademischen Gymnasium Schönaichianum. Vgl. Seidel (1994), S. 245, mit bio-bibliographischen Angaben; wegen der Namensgleichheit von Vater und Sohn gibt es in der Literatur Unstimmigkeiten hinsichtlich der Lebensdaten der beiden Personen. Die Lachrymae denicales enthalten weitgehend Gedichte von Professoren des Gymnasiums, beginnend mit dem Rektor Caspar Dornau. Offenbar war es eine Auszeichnung, daß ein Schüler wie Opitz – dessen Text an letzter Stelle plaziert ist – in dieser Sammlung vertreten war; immerhin gab es noch einen weiteren Sammelband (Funus indictivum … . Beuthen o. J.), der nach Ausweis des Titelblattes à Studiosis rei literariae in eodem Gymnasio zusammengestellt worden war. An den Epicediensammlungen für Titus beteiligten sich – ob Lehrer oder Schüler – fast nur Beuthener, woraus Seidel (1994), S. 311, die Vermutung ableitet, daß sich Opitz im Winter 1617/18 noch in Beuthen aufhielt. – Versmaß: jambische Dimeter und Trimeter im Wechsel. Die textkritischen Erläuterungen Schulz-Behrends sind nicht nachvollziehbar: V. 1 steht im Druck deutlich in, V. 5 lautet die Wortform wie im folgenden Vers innocente. [R.S.]

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Kommentar zu S. 98–100

Vidi qui facili Gedicht für das Stammbuch von Valentin Rottschütz Nicht bei Dünnhaupt; – Stammbuch von Valentin Rottschütz; Stammbuch verschollen, kein zeitgenössischer Druck. Druck in: Rubensohn (1899), S. 236 f., Anm. 2, danach in: GW 1, S. 82, und Conermann/Bollbuck [im Druck]; unsere Ausgabe folgt GW. Der Besitzer des Stammbuches, Valentin Rottschütz, gehörte einer Görlitzer Familie an (Nachweise in GW 1, S. 82), allerdings ist aufgrund fehlender Ortsangabe nicht zu beweisen, daß Opitz sich, wie Rubensohn meint, am Tag der Eintragung in Görlitz aufhielt. Der Eintrag ist nur indirekt belegt und möglicherweise durch die Abschrift entstellt. Eine frühere Version des Textes, überliefert als Eintrag im Stammbuch von Michael Wider (s. dort), kann allerdings nicht durch bloße Unachtsamkeit in die vorliegende Form gebracht worden sein. Das laszive Wortspiel entspricht den derben studentischen Gepflogenheiten der Zeit. – Versmaß: elegische Distichen. Motto] Homer, Ilias 6,208. 1 facili … puellae] Vgl. den Kommentar zu Vidi qui facili. 1–3 stoa … stoum] Neuprägung Opitzens, nach GW 1, S. 82, möglicherweise im Anschluß an griech.  (‚steif aufrichten‘). 4 Si quid stoicis durius esse potest] Der Pentameter ist metrisch defekt. Amandandus amoris amarus amaror amore] Schwierig aufzulösender scherzhafter versus memorialis (Rubensohn, 1899, S. 237). [R.S.]

HA bes, Mi Namslere – Namslere si quid Epithalamium für Sebastian Namsler und Ursula Weigel (nebst vorgeschalteter Widmung) Dünnhaupt, Nr. 35; – Orchestra Melica | Ad Orgia Hymeneia Boleslaviae Silesiorum | habenda solennia | N OVIS S PONSIS | Dn. S EBASTIANO N AMSLERO | S CHOLAE P ATRIAE C OLLEGAE , | et | U RSULAE W EIGELIAE , | V IRGINI L ECTISSIMAE , | Viri Prudentißimi et Integerrimi | Dn. G EORG I W EIGEL I, civis | apud H ANNOVIENSES p!iae" m!emoriae" primarI | relictae filiae. | Ad XXVI . Februarij diem, Anni MDCXVIII . | Proteleia amicorum ex-|hibentur. | GORLICII | IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant. – o.J. [1618] (UB Breslau: 355 064), fol. A4r-v; danach in: GW 1, S. 84 (Widmung) und 87 (Gedicht). Hinsichtlich der lateinischen Verse macht Dünnhaupt, Bd. 4, S. 3017 („Dabei 2 kleinere lat. Gedichte“), mißverständliche Angaben; tatsächlich wurde das – eine – Gedicht in stark erweiterter Form später in die Silvae (S. 110) aufgenommen und GW druckt beide Fassungen nebeneinander. Unsere Ausgabe verfährt ebenso; für die Prosavorrede und den Vierzeiler dient also der Druck von 1618 als Vorlage, für die längere Gedichtversion der Druck der Silvae.

Kommentar zu S. 100

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Sebastian Namsler, Sohn des ehemaligen Bunzlauer Rektors Elias Namsler (s. o. zu Strenarum Libellus), war seit 1616 Prorektor und ab 1619 Konrektor derselben Schule (Wernicke, S. 304). Senftleben beschreibt ihn (fol. A8v) als Astronomiae et Matheseos peritus, pulveri tamen Scholastico nimium addictus Grammaticum egit. – Der Kreis der Beiträger zu dieser Hochzeitsschrift (vgl. GW 1, S. 83) setzt sich aus Bunzlauer und Görlitzer Gelehrten und Studenten zusammen, entspricht also exakt dem Kreis, in dem Opitz sich zu Beginn des Jahres 1618 – die Hochzeit fand am 26. Februar statt – bewegte. Von ihm selbst stammen drei Texte, unter denen das 44 Alexandriner umfassende Epithalamium („SO offt ich bey mir selbst“) die erste größere deutschsprachige Dichtung nach den Beigaben zum Aristarchus ist. Die Kombination der drei Texte variiert Opitzens seit dem Aristarchus geläufiges Verfahren, die in der Luft liegende Sprachendiskussion performativ zu verarbeiten. Hier wird der apologetische Teil in die lateinische Prosavorrede ausgegliedert, nach dem – dominierenden – deutschen Gedicht folgen einige Verse in lateinischen Hinkjamben, wie sie Opitz im Anschluß an Heinsius zu dieser Zeit mehrfach verwendete. – Vgl. Rubensohn (1895), S. 68, mit absurden Folgerungen hinsichtlich des biographischen Fundamentes, und ders. (1899), S. 31 f.; Seidel (2006 a), S. 215, verortet den Druck im Kontext der zeitgenössischen Sprachendiskussion. – Versmaß: Hinkjamben.

[Prosawidmung] 2 f. versus, tenues illos et inconcinnos] Die Übersetzung wählt an dieser Stelle eher neutrale Ausdrücke, was zumindest für (stilus) tenuis als Gegenbegriff zum stilus sublimis (vgl. Quintilian, Institutio oratoria 8,3,18) naheliegt. Letztlich spielt die Entscheidung des Übersetzers in diesen und ähnlichen Fällen aber keine Rolle, da Opitz stets die programmatische, von ihm selbst vollzogene allmähliche Modellierung des Deutschen zu einer adäquaten Dichtersprache im Blick hatte. 4 f. Quoniam … vincit] Die aus dem Aristarchus bekannte Argumentation: Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spirantem linguam [maiores nostri] per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni externa illuvie mundam tradiderunt (fol. B1v). 7 f. Quis in bello tuba canit, interfecto tubicine?] Offenbar eine (deutsche?) Redewendung, die jedoch bislang nicht zu ermitteln war.

[Hinkjamben, Fassung 1618] 1 discere ex inexperto] Vgl. die Vorrede zu Heinsius’ Hipponax, den Opitz kannte (s. zu Hipponax ad Asterien): Ita enim res se habet: etiam qui vim amoris nunquam sunt experti, eius tamen, styli causa aut subjecti, saepe induunt affectus (Danielis Heinsii Poemata emendata locis infinitis aucta. … Editio quarta. Leiden o. J. [1613], S. 187). Dies gilt natürlich gerade auch für das vorausgehende deutsche Gedicht. 3 in cribrum fundes aquam] Geläufiges Sprichwort; vgl. Otto, S. 98.

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[Hinkjamben, Fassung der Silvae] 1 f. Camoenarum … castra] Analogie zu castra amoris, keine eingeführte Wendung im antiken Latein. [R.S.]

SI quid adhuc Divi – EEEIION. Glückwunschgedichte zur Genesung von Caspar Dornau Dünnhaupt, Nr. 36; – C ASPARIS D ORNAV I | DVLC-AMA=|RUM , | h.e. | De dulcedine ex amaritie crucis, | morborum et mortis | haurienda, | SOLILOQUIA: | cum Episodiis argumenti haud | absimilis. | Indiculum pagina praefationi | subjicit. | Jesaiae 40. v. 29. | Jehova defecto viribus robur copiosè | suppeditat. | B ETHANIAE | T YPIS J OAN . D ÖRFFERI . – O.J. [1618] [Innentitel fol. L5v:] C ASPARIS D ORNAV I | EXEQUIAE | VIVENTIS, | hoc est. | Epistolarum et Carminum, | à Patronis amicisque pro recu-|perata valetudine | nuncupato-|rum | LIBELLUS. (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: 380.3 Quodl. [1]), fol. T3v–4r. Zur weiteren Überlieferung in textkritisch irrelevanten Abschriften und Drucken vgl. Seidel (1994), S. 466. GW 1, S. 88 f., sowie unsere Ausgabe folgen dem Erstdruck. Die beiden Gedichte wurden, wie auch das 1616 bereits gesondert erschienene SI c tibi rivalis (daher hier die Unterschriften Id. O PITIUS bzw. Idem), in dem von Caspar Dornau in Beuthen redigierten Sammelband Dulc-amarum publiziert. Diese ungeheuer umfangreiche Sammlung unterschiedlicher Texte von eigener und fremder Hand diente Dornau offenbar dazu, seine vielfältigen Erfahrungen mit Krankheit und Tod teils meditierend (etwa in Form geistlicher Dichtung), teils aber auch durch die identitätsstiftende Zusammenstellung teilnahmsvoller, aus Anlaß seiner Genesung entstandener Gedichte zu verarbeiten. Zu letzteren, die in einem eigenen Abschnitt Exequiae viventis versammelt waren (fol. L5v-V7v), trugen auch zahlreiche Schüler Dornaus bei. Da wir eine letzte schwere Krankheit Dornaus gegen Ende des Jahres 1616 ansetzen können, dürften auch Opitzens Gedichte bald darauf, keinesfalls jedoch erst im Druckjahr 1618 entstanden sein. – Zum Dulc-amarum vgl. Seidel (1994), S. 417 f. (Werkbeschreibung), S. 47–53 (zur Genese des Bandes), S. 313–315 (zu Opitzens Gedichten); Rubensohn (1895), S. 43 und 230–236, hat das Dulc-amarum gleichfalls im Rahmen seiner Untersuchung von Opitzens darin enthaltenen Texten ausführlich studiert.

[SI quid adhuc Divi] Dieses Lobgedicht auf Dornau ist durch zwei Formelemente geprägt, die Verrätselung und die Antithese. Dornau, Adressat und zugleich Thema des Gedichts, wird erst in V. 17 beim Namen genannt; bis dahin verweist nur die spontan eher als Neutrum aufgefaßte

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Pronominalform hoc uno (V. 4 und 7) vage auf ihn. Und „dieser eine“ steht in einem das ganze Gedicht durchziehenden Gegensatz zum anonymen Kollektiv („wir“), wobei sich mit dem „einen“ alle positiven und mit dem „wir“ alle negativen Wertungen verbinden. Dornau ist für Beuthen, was Sokrates für Athen war, „wir“ dagegen sind nur armselige Schattenexistenzen (V. 3 und 19). Erst am Schluß (V. 25–28) deutet sich eine Versöhnung der Gegensätze in der Form an, daß der Ruhm Dornaus auch auf seine Umgebung abstrahlt. – Versmaß: Hexameter. 2 nomina prima parentum] Vielleicht Anspielung auf die altdeutsche Literatur, die Opitz durch die Textsammlung von Melchior Goldast kennengelernt hatte und deren Bedeutung er auch im etwa gleichzeitig entstandenen Aristarchus (fol. C1v) hervorhebt. 4 Hoc uno … probet] Die Syntax des ersten Satzes ist schwer zu durchschauen. Rubensohn (1899), S. 234, vermutet hier und V. 7 (ebenfalls: hoc uno) einen Druckfehler. Durch die Konjektur Hoc unum würde der Sinn des Textes aber wohl nicht getroffen. In der überlieferten und hier beibehaltenen Lesart muß das Subjekt zu probet aus dem si-Satz extrapoliert werden (aus quid … Divi), bzw. der si-Satz selbst fungiert als Subjekt. 5 f. saevam defendant jugiter oris Barbariem] Die Vertreibung der barbaries ist in der humanistischen Propaganda topisch seit der berühmten Apollonode des Konrad Celtis (Humanistische Lyrik, S. 68–71). 6 placidoque … surgere cultu] Die Übersetzung versucht die Gartenmetaphorik wiederzugeben, da hier bereits auf die Rolle Beuthens (V. 8) als ‚Pflanzschule‘ des Humanismus verwiesen wird. 7–11] Dornau war 1615 durch den Freiherrn Georg von Schönaich (1557–1619) als Professor morum an das Gymnasium in Beuthen berufen worden und trat sein Amt am 18. August 1616 an; vgl. Seidel (1994), S. 181 f. und 247f., zu Dornaus Wirken in Beuthen generell S. 230 ff. 17 f. ingenii … Ostenta] Dornau verfaßte in seinen Beuthener Jahren von 1616 bis 1620 seine wichtigsten Werke. Neben pädagogischen und gesellschaftspolitischen Programmschriften ist das Amphitheatrum sapientiae Socraticae ioco-seriae (Hanau 1619; Ndr. Goldbach 1995) zu nennen, eine der imposantesten Kompilationsleistungen des Späthumanismus. 21 augustas … curas] Die häufige Vertauschung von u und n in älteren Drucken läßt an die Möglichkeit eines Setzerversehens denken (so offenbar bei Rubensohn, 1899, S. 43). Parallelen böten sich an (z.B. Horaz, Ode 3,2,1: angustam … pauperiem), allerdings ist eine Konjektur nicht zwingend, da das Studium in Beuthen auch dem angeblich ‚schwachen Geist‘ große Aufgaben stellt. 22 suam] Wohl gegen die grammatischen Konventionen auf animum zu beziehen, also ähnlich wie in SI c tibi rivalis, V. 23 f. (s. o.). Denkbar wäre auch ein Druckfehler statt tuam. 28 parenti] Gemeint ist entweder das Vaterland (vgl. Aristarchus, fol. A4v, zweimal im Geleitgedicht Ad Germaniam: sancta bzw. magna parens) oder das Beuthener Gymnasium als alma mater. Zur Übersetzung des ganzen Verses vgl. Seidel (1994), S. 315, gegen Rubensohn (1899), S. 235.

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Kommentar zu S. 102–104

[EEEIION.]

Auch hier handelt es sich um einen Lobpreis auf Dornau. In einem breit ausgemalten Vergleich wird dessen Bedeutung für Beuthen im Bild des Bernsteins dargestellt, der durch eine darin eingeschlossene Biene veredelt wird, so wie umgekehrt die Biene durch dieses Schicksal überzeitlichen Rang gewinnt (V. 1–12) – ein Hinweis darauf, daß auch für Dornau seine Berufung ans Schönaichianum eine Ehre bedeute (V. 13 f.). Das Motiv des in einem Harztropfen gefangenen Tieres übernahm Opitz mit teilweise wörtlichen Anklängen von Martial (s. die Belege im Kommentar). – Versmaß: elegische Distichen. 3 tempe] Eigentlich Name eines durch seine landschaftliche Schönheit berühmten Tales in Thessalien, bezeichnet im verallgemeinerten Sinn jede reizvolle Talgegend. 4 Matris magnae] Die große Mutter, die Natur. 7 prudenti nequicquam fertur in umbra] Der Schatten ist klug, d.h. klug gewählt (Enallage), weil er die Biene vor etwaigen Feinden schützt. Diese Klugheit erweist sich aber als vergeblich, wie die Folge zeigt. nequicquam bezieht sich nach dieser Deutung auf prudenti, daher die Übersetzung „in vergeblicher Vorsicht“. 7 f.] Vgl. Martial, Epigramme 6,15,1 f.: Dum Phaethontea formica vagatur in umbra / Inplicuit tenuem sucina gutta feram; 4,59,2: Fluxit in opstantem sucina gemma feram (hier bezogen auf eine Schlange); in 4,32 geht es wie bei Opitz um eine in Bernstein eingeschlossene Biene. 9–11] Als Phaethon mit dem seinem Vater Helios geraubten Sonnenwagen abstürzt, werden seine drei trauernden Schwestern in Pappeln verwandelt, ihre Tränen in Bernstein; vgl. Ovid, Metamorphosen 2,340–366. Ovid nennt nur zwei der Heliaden (Lampetie und Phaethusa) mit Namen. Den Namen der dritten, Phoebe, entnimmt Opitz einer anderen Tradition (vertreten z. B. durch Hyginus, Fabeln 154 und 156). 11] Vgl. Martial Epigramme 4,59,1f.: Flentibus Heliadum ramis dum vipera repit. 12] Vgl. Martial, Epigramme 6,15,4: Funeribus facta est nunc pretiosa suis. [R.K., R.S.]

FE lix, conjugii Epithalamium für Christoph Georg von Bergk und Anna Maria von Mutschelnitz Dünnhaupt, Nr. 39; – Nobilissimi et Generosi | Sponsorum | Paris | CHRISTOPHORI | GEORGII DE BERGK, | Equitis Literatissimi, | ET | ANNAE MARIAE | MUTSCHELNICIAE, | Matronae Lectissimae | EPITHALAMIUM . | Auctore | MARTINO OPITIO. | GORLICII | IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant. – o.J. [1618] (Bibliotheca Vaticana, Rom: St. Pal. IV.676.6); Faksimiledruck bei Fechner, S. [57]-[63]. Leicht gekürzter Neudruck in: Silvae, S. 71–74, danach in: GW 1, S. 95–97. Abdruck hier nach dem Erstdruck mit Angabe der Varianten im Kommentar.

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Christoph Georg von Bergk (1574–1627) gehörte dem oberlausitzischen Landadel an. Wie auch andere Mitglieder der Familie war der Jurist, der neben der Verwaltung seiner Güter als Assessor am Hofgericht in Glogau wirkte, literarisch interessiert und trat sogar mit vereinzelten Schriften in lateinischer Sprache hervor. Opitz widmete auch seinen Sermo de Passione Domini (1620) neben anderen diesem Adligen, der dem weiteren Kreise seiner ‚Gönner‘ zugerechnet werden kann. Vgl. GW 1, S. 94 f.; Fechner, S. 12*-13*; Seidel (1994), passim. Die Anlage des Epithalamiums trägt dem Umstand Rechnung, daß der 44jährige Bergk seine dritte, die Braut Anna Maria von Mutschelnitz ihre zweite Ehe einging (vgl. V. 1 f., 5 usw. bis zum Schluß). Nach einer verallgemeinernden Skizze des Witwerdaseins (V. 1–21, eindrucksvolle Imagination eines Traumes V. 13 ff.) entwirft der Sprecher das kommende Eheglück des Bräutigams, das auf das fortgeschrittene Lebensalter der Brautleute abgestimmt scheint (vgl. vor allem V. 34 –42), gleichwohl ohne den Kinderwunsch nicht denkbar ist (V. 46–48). Im weiteren Verlauf des Textes, der im Mittelteil keinem strengen Aufbauprinzip folgt, fällt ein exkursartig eingeschalteter Preis der göttlichen Liebe und Sündenvergebung (V. 55–60) auf. Gegen Ende findet sich die fast obligatorische Wendung zum Vollzug der Ehe (V. 87–95), woran sich die Vision der gnädig vom Himmel auf die Brautleute herabschauenden verstorbenen Gattinnen des Bräutigams anschließt (V. 96–100). – Versmaß: elegische Distichen. 11 Cypria] Aphrodite/Venus, die nach Hesiod, Theogonie 193, nach ihrer Geburt im Meer auf Zypern Land betreten hat. Vgl. V. 74, wo auf das Aphroditeheiligtum in Paphos an der Südküste Zyperns angespielt wird. 33 placidum per Nerea] Wörtlich nach Ps.-Tibull, Panegyricus ad Messallam (= Elegie 3,7) 58; mit dem Meeresgott Nereus läßt sich metonymisch das Meer bezeichnen. 34 –36] Ähnlich wie in V. 41 f. Vorstellungen von häuslicher Ruhe und Entspannung, wie sie in der lutherischen Ehelyrik seit Jacobus Micyllus (1503–1558) verbreitet sind; vgl. Humanistische Lyrik, S. 376: Non dabitur solitis corda levare modis? S. 378: Tu nostri solamen eras, tu cura laboris, / Tu medicina malis hactenus una meis (Epicedium in obitum Gertrudis uxoris suae, S. 374 –393 mit weiteren Belegen). 37 et acres] Silvae: honestis 38] Fehlt in Silvae; vermutlich erschien die Formulierung mit dem ungebräuchlichen Verbum deglutire dem Herausgeber der Silvae zu dunkel. 48 f.] M. Porcius Cato (Censorius), 234–149 v. Chr., wird wegen seiner strengen Amtsführung als Zensor immer wieder als Muster sittlicher Kompromißlosigkeit genannt. Die Wendung (virtus) intonsa Catonis ist eine Reminiszenz an Horaz, Ode 2,15,11: intonsi Catonis. Inwieweit Catos Eheauffassung der Frühen Neuzeit geläufig war, wäre noch zu untersuchen. Bekannt ist sein bei Augustinus, Sermones 194,6, überliefertes misogynes Diktum: Denique, fratres mei, attendite, quod dixit magnus ille Cato de feminis, si absque femina esset mundus, conversatio nostra absque diis non esset. 50 Laërtiadis] Laertes ist der Vater des Odysseus. Dieser kehrte trotz vielfältiger Versuchungen zuletzt zu seiner Gattin Penelope zurück.

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51 porticus] Wohl metonymisch für die Vertreter der stoischen Philosophie (gr.   = lat. porticus); Senecas Schrift De matrimonio ist leider nur in wenigen Fragmenten überliefert. 55 f.] Fehlt in Silvae. 55–60] Exkursartig fügt Opitz einige Grundaxiome des christlichen Liebeskonzeptes in das Epithalamium ein. Zu crimina peplo Obnubit quasi candenti vgl. Apk 19,8 (im Zusammenhang mit der ‚Hochzeit des Lammes‘): Et datum est illi ut cooperiat se byssinum splendens candidum / byssinum enim iustificationes sunt sanctorum. Darüber hinaus wäre – bei Opitz vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich – an eine mit der Hochzeitssymbolik verknüpfte Lichtmetaphorik zu denken, wie sie etwa bei den Gnostikern begegnet. Obnubit ist außerdem concettistisch mit dem Wortfeld nubere/nuptiae kombiniert. 57 etiam humanos] Silvae: hominum varios 59 specioso excusat] Silvae: excusat specioso 61 docte heros] Silvae: Bergiade 62 victrici vivere chartâ] Nach GW 1, S. 95, soll Bergk eine Gedenkschrift anläßlich des Todes seiner ersten Frau Anna von Rechenberg (gest. 1609) verfaßt haben. 69 Sublimi … cothurno] Bezug auf das genus grande (sublime), für das der Hexameter das angemessene Versmaß bot. 70 f. solidi flore ipso cusa metalli Penna] Umschreibung für Drucklettern. 71 procul positis … terris] Ebenso wie ausa im selben Vers und Ingenii monimenta tui (V. 76) eine hyperbolische Formulierung. Opitz stilisiert die Verehelichung als Heldentat, die neben den übrigen ‚Leistungen‘ des Bräutigams Ruhm verdient. 80 f. Dignum operae pretium, ingratos exosa cuculos, (O utinam cunctis sic esset in aere) rependit] Silvae: Dignum operae pretium (tam grata est diva) rependit. Die Erstfassung zielt wohl auf die den rechten Augenblick in der Liebe versäumenden Zauderer (analog zu Horaz, Satire 1,7,31). 83–86] Der Grundgedanke dieser Verse ist, daß der Gelehrte im Gegensatz zum Liebenden seine eigentliche Berufung verrät; positiv wird dieses Konzept in Opitzens zeitgleichem deutschem Gedicht auf die Hochzeit Sebastian Namslers formuliert (GW 1, S. 84–86). 83 te] Im Erstdruck de wohl Satzfehler (bereits in GW korrigiert). 86 Erycina] Weiterer Beiname Aphrodites wegen ihres Kults auf dem Eryx, einem Berg auf der Westspitze Siziliens; die „Mysten“ der Erycina also die Liebenden. 86 expendit] Silvae: deponit 88 Nam tua res agitur] Wörtlich nach Horaz, Epistel 1,18,84. 89 puer Idalius] Idalion ist eine Stadt auf Zypern, gemeint also Aphrodites Sohn Eros/ Amor. 99 lingvisque animisque faventes] Hier nicht wie z.B. bei Ovid, Fasten 1,71 (linguis animisque favete), im Sinne von ‚Schweigen‘, sondern wörtlich zu verstehen. [R.S.]

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H IPPONAX A D A STERIEN Zeitdiagnostische Reflexions- und Liebesdichtung in Hinkjamben Dünnhaupt, Nr. 40; – M ARTINI O PITII | H IPPONAX | A D A STERIEN | puellam formae et animi do-|tibus longè amabi-|lissimam. | Item Germanica quaedam | ejusdem argumenti. | GORLICII | IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant. – o.J. [1618] (UB Breslau: 427 027). Faksimile dieser Ausgabe bei Fechner, S. [5]-[23]. Der Abdruck des lateinischen Gedichtes in GW 1, S. 100–109, folgt einem leicht vom Original abweichenden Nachdruck in den Silvae, S. 86–96; unsere Edition aller lateinischen Partien des Büchleins gibt den Wortlaut des Erstdrucks wieder. Der Hipponax ad Asterien (genauer: das zentrale Gedicht gleichen Titels) ist mit seinem Umfang von 323 Hinkjamben Opitzens längste lateinische Versdichtung. Der Text kombiniert Elemente elegischer Liebesklage, populärphilosophischer Ethik und humanistischer Invektive, der Sprecher positioniert sich also – dies als kürzestmögliche Paraphrase – in wechselndem Gestus als sehnsuchtsvoller Liebhaber, als eklektisch argumentierender Weiser und als gelehrter Poet, der im lebensweltlichen Umfeld zwischen Freundschaften und Anfeindungen seine durchaus zeittypischen Erfahrungen reflektiert und dabei studentisches Stutzertum, gelehrten Pedantismus und den allgemeinen moralischen Verfall tadelt. Der in Opitzens Görlitzer Zeit entstandene Druck umfaßt neben (1.) einem – in GW nicht wiedergegebenen – Widmungsschreiben an Kirchner und Nüßler, (2.) dem Verstext und (3.) einer kurzen Nachschrift noch (4.) sechs deutschsprachige Gedichte (fol. C1r–C2r; GW 1, S. 109–113), die für die ‚Vorgeschichte‘ von Poeterey und Teutschen Poemata wichtig sind (vgl. Rubensohn, passim). Der schmale Band, insgesamt ein literarisch äußerst ehrgeiziges Unternehmen, stand gewiß nicht zufällig an der Spitze jener frühen Schriften, die Opitz zu einem Sammelband vereinigte und 1619 bei seinem Eintritt in die internationale respublica litteraria seinem neuen Mäzen, dem renommierten Philologen Janus Gruter, in Heidelberg persönlich überreichte (vgl. Fechner, Nachwort). Das im Zentrum des Druckes stehende Gedicht ist nicht nur aufgrund seiner kulturkritischen, teilweise vielleicht auf konkrete Beuthener Verhältnisse zielenden Invektiven von Belang, vielmehr bietet es wegen der engen Bezüge zu dem Hipponax, ad Thaumantidem suavissimam puellam von Daniel Heinsius einen herausragenden Anknüpfungspunkt für Forschungen zu niederländisch-deutschen Austauschbeziehungen im Bereich der lateinischen Literatur (Danielis Heinsii Poemata emendata locis infinitis et aucta … . Editio quarta. Leiden o. J. [1613], S. 195–218; weitere Verweise folgen unter dem Kürzel „Heinsius“ mit einfacher Seitenangabe). Gegenüber diesen Befunden können biographistische Ansätze, wie sie von Rubensohn entwickelt wurden – er identifizierte etwa „Asterie“ als eine Görlitzer ‚Geliebte‘ des jungen Opitz –, heute als wissenschaftlich obsolet gelten. Aus texttheoretischer Perspektive eignet sich das schmale Konvolut, vor allem Widmungsbrief und Gedicht, zum exemplarischen Nachweis ‚transtextueller‘ (im Sinne Genettes) Bezüge innerhalb der (neu)lateinischen Dichtung. Der weiter unten folgende Stellenkommentar weist – in Auswahl – Beziehungen zu antiken und zeitgenössischen Texten nach, woran sich etwa die unterschiedlich starke Markierung von Intertextualität im Fortgang des Gedichtes ablesen läßt. Für eine systematische Analyse sei verwiesen auf Seidel (2006 b). Durch diese neuere Studie ist die Analyse Rubensohns (1895, S. 59–61; 1899, S. 48–62

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und passim) freilich nicht ersetzt, der das Gedicht in einen weiteren werkgeschichtlichen Kontext stellt und trotz eines überholten Forschungsansatzes wichtige Aufschlüsse zu Detailfragen gibt (Nachweis von Opitzens mehrmonatigem Aufenthalt in Görlitz, Parallelen zu Heinsius’ Text, Wechselbeziehungen mit deutschsprachiger Dichtung usw.); vgl. außerdem die Einleitung in GW 1, S. 98–100. Beziehungen zwischen unserem Text und dem Aristarchus dokumentiert Faber du Faur (1954). Zur Struktur des Textes: Anders als Heinsius’ Vorlage, die die Motive der Lebenswahl und des Liebeswerbens klar voneinander trennt und letzterem nur relativ wenig Raum läßt, bleibt bei Opitz der Bezug zur Geliebten, der der Sprecher ihre furchtsame Scheu vorhält (V. 1–15), dominant. Wie bei Heinsius gibt es ein Beteuern der eigenen Redlichkeit (V. 16–29), welcher ein Aufweis weiterer günstiger Eigenschaften des Sprechers, besonders seiner materiellen Anspruchslosigkeit, angeschlossen ist (V. 30–50). Wie bei Heinsius werden die Gegenfiguren des Liebhabers eingeführt, und zwar einmal als effeminierte, eitle Nichtsnutze (V. 51–70), später ein weiteres Mal als unwürdige Dichterlinge und pedantische Scheingelehrte (V. 217–237). An die erste Invektive schließt sich eine ausführliche Kritik jener ‚leichten Mädchen‘ an, die für Männer jener Art geschaffen seien (V. 71–90). Mit der Formulierung Has virgines non virgines […] Non aemulare (V. 91–94) beginnt ein moralisierender Appell an die Geliebte, die castitas als höchste Tugend anzuerkennen (V. 94–108). In der folgenden, recht komplizierten Argumentation entwickelt Opitz nun eine womöglich nicht ganz ernst gemeinte, neuplatonisch tingierte Liebeskonzeption (V. 109–136), in der beispielsweise der Kuß – osculum bedeutet ja wörtlich „Mündchen“ – als Verbindung zweier Seelen geadelt wird, da nach Apuleius das Os […] porta et promptuarium est mentis (V. 123). In einer weiteren Anlehnung an neuplatonische Theoreme erläutert Opitz dann, im Gestus des Komplimente verteilenden Liebhabers, die Spiegelung der inneren Schönheit in der äußeren (V. 136–149), um sodann in antipetrarkistischer Manier ein Schreckbild bloßer körperlicher venustas bei gleichzeitigem Mangel an Tugend zu zeichnen (V. 150–165). Nach einem kurzen Zwischenspiel, in dem Klagegestus und Bescheidenheitstopik wieder aufgenommen werden (V. 165–179), verweist der Sprecher erneut selbstbewußt auf den eigenen Wert (Nobilem facit virtus, V. 179), um sogleich in einer Art revocatio den Anteil seiner Heimat bei der Ausbildung seiner Kompetenzen hervorzuheben (V. 179–185). Es folgt ein ausführliches Lob der Geburtsstadt Bunzlau, die zugleich als Hort der Gelehrsamkeit wie als locus amoenus gezeichnet wird, wohin der Sprecher die Geliebte heimzuführen gedenkt (V. 186–208). War schon die Topik der laus patriae an Heinsius orientiert, so gilt das noch mehr für die folgende Mahnung an die Adressatin, den Dichterstand mit seinen Vorzügen zu respektieren (V. 209–216), sowie für die lange, teilweise im Modus der Ironie vorgetragene Invektive gegen die schlechten Dichter, an die sich eine Würdigung der ‚echten‘ Poeten anschließt (V. 217–237), die in jeder Hinsicht die engen Grenzen der Schulweisheit sprengen und mit den höheren Sphären in Verbindung stehen (V. 238–262). Die Verheißung des Sprechers, der Geliebten die Unsterblichkeit zu sichern, ist ebenfalls bei Heinsius – freilich auch bei zahllosen anderen Dichtern seit der Antike – vorgeprägt (V. 263–273). Auf die diesen Abschnitt schließende Wendung AEternitatis non repelle mercedem (V. 273) folgt, eingeleitet von einem vorwurfsvollen Quid quaeris ultra? (V. 274), eine erneute Liebesklage (V. 274 –291), die in eine Sequenz von petrarkistisch getönten Prädikationen der Gelieb-

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ten übergeht (V. 291–301). Mit der Aufforderung an diese, den Willen des Schicksals zu respektieren, das eben den Dichter für sie vorbestimmt habe (V. 301–310), beginnt der Schlußabschnitt des Gedichtes, das in einer selbstreferenziellen Bezugnahme auf das gewählte Metrum – den Hinkjambus – und dessen potentielle Aggressivität, also mit einer spielerischen Warnung, endet (V. 311–323). – Versmaß: Hinkjamben. Titel] Zur Wahl des fiktiven Sprechernamens Hipponax vgl. den Kommentar zu V. 320–323. „Asterie“ (‚Sternchen‘) ist der fiktive Name einer Geliebten, auf den Opitz laut Rubensohn (1895), S. 75 f., durch die Beschäftigung mit den Epigrammen der Anthologia Palatina gestoßen sein soll. Rubensohn weist in seiner großen Abhandlung einen Aufenthalt Opitzens in Görlitz zu Beginn des Jahres 1618 nach und versucht Asterie mit der Görlitzer Rektorstochter Rosina Cüchler zu identifizieren. C ASPARO K IRCHNERO ET B ERN . G VILIELMO N ÜSSLERO ] Zu den beiden Adressaten des Druckes vgl. die Kommentare zu Nuptiarum Promulsis bzw. V IR , quem Fatorum. 1 f. felicitatem … in tranquillitate mentis positam] Das zu Beginn der Vorrede formulierte Bekenntnis zu stoischer Lebensphilosophie gerät im weiteren Verlauf in eine seltsam widersprüchliche Beziehung zur Selbstpositionierung des Sprechers als von seinen Affekten beherrschter Liebhaber. Mit Blick auf das nachfolgende Gedicht und die dort integrierten Seneca-Passagen (aus den Briefen und aus den Dramen) gäbe sich die Vorrede allerdings in ihrer etwas mühsam scheinenden Vernetzung von stoischer Didaxe und Musa-iocosaMotivik als raffinierte Anleitung zu kombinatorisch-spielerischer Textlektüre zu erkennen. Daraus nun freilich ein völlige Unverbindlichkeit der Textaussage im ganzen abzuleiten, indem man etwa die offenkundige Rollengebundenheit der Liebesklage auf die artikulierten Lebensmaximen übertrüge, würde der Kombinatorik frühneuzeitlichen Schreibens eine unangemessene Radikalität unterstellen. 5–9 Sortis tempestatem … si non habet] Kernsätze der stoischen Lehre von der $   und den $ φ . 16 f. Sappho nostra in Poëtica domo luctum perferre non potuerit] Vgl. Sappho, Fragment 250 Page. 18 f. Maximus Tyrius autor sit] Vgl. Maximos von Tyros, Dissertatio 18,9, wo das Lob der (männlichen) Schönheit allerdings Anakreon zugeschrieben wird; Sappho begegnet im unmittelbaren Umfeld der Textstelle (vgl. schon Rubensohn, 1895, S. 74). In Altertum und Früher Neuzeit galt Sappho nicht vorrangig als Vertreterin gleichgeschlechtlicher Liebe. – Im Hinblick auf die Verbindung zwischen Opitz und Heinsius könnte aufschlußreich sein, daß die erste Gesamtausgabe des Maximos von Tyros (Philosophi Platonici, so im Titel der editio princeps) von Daniel Heinsius (Leiden 1607, 21614) veranstaltet wurde. Einige (neu)platonische Schriften, auf die Opitz sich möglicherweise in seinem Hipponax bezieht (s. u.), waren der Erstausgabe beigebunden. Vgl. die Nachweise in: Maximus Tyrius: Dissertationes, edidit Michael B. Trapp. Stuttgart/Leipzig 1994 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), S. XLV–XLVI. Zur Rezeption des Maximos von Tyros bei Opitz vgl. jetzt Ralph Häfner: Götter im Exil. Frühneuzeitliches Dichtungsverständnis im Spannungsfeld christlicher Apologetik und philologischer Kritik (ca. 1590–1736). Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 80), S. 188–190, 203.

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Kommentar zu S. 112–114

20–24 Scitis … quaesivi] Vgl. Heinsius’ Prosavorrede: Scis nonnumquam ludos meos ac amores, quibus more maximorum hominum, languentem excitare stylum soleo, cum ad focum tecum sedeo, aut in mensa animum remittimus, non illibenter cantillare (Heinsius, S. 186). Ita enim res se habet: etiam qui vim amoris nunquam sunt experti, eius tamen, styli causa aut subjecti, saepe induunt affectus (ebd., S. 187). Die Lizenz zur Fiktionalität in der Liebesdichtung postuliert Opitz auch an anderer Stelle, z. B. in der Vorrede zu den Acht Büchern Deutscher Poematum von 1625: „ … das in solchen Getichten offte eines geredet / vnnd ein anderes verstanden wird / ja das jhm ein Poet die Sprache vnnd sich zu vben wol etwas fürnimpt / welches er in seinem Gemüte niemals meynet …“ (GW 2.2, S. 544). 21–23 Certè … posse] Die Passage ist in dem von Fechner faksimilierten Exemplar der Vatikanischen Bibliothek geschwärzt. Das von uns benutzte Breslauer Exemplar – übrigens mit einer handschriftlichen Widmung Opitzens (Dn. T. Schramo suo mittit Opitius.) auf dem Titelblatt versehen – ist ohne Mühe zu lesen. 21 f. Pyrrha … procuderit] Nach der Großen Flut erschufen Deukalion und Pyrrha eine neue Zivilisation, indem sie Steine hinter sich warfen, die sich sogleich in Menschen verwandelten (Ovid, Metamorphosen 1,384 –415). 28  «   /] Abwandlung des Homerischen Formelverses !   / („es liegt bei den Göttern“; Ilias 17,514; Odyssee 1,267 u. ö.). 28 coenobio] Das Görlitzer Gymnasium war in einem ehemaligen Kloster untergebracht. Titel des Gedichtes] Silvae: HIPPONAX AD ASTERIEN. Casp. Kirchnero et B. Guil. Nüsslero ab adolescente inscriptus. 5 alma nympha] Silvae: astrum amicum 7 strix … profanavit] Eulenvögel aller Art galten in der Antike als Unheilsboten; Hexen konnten ihre Gestalt annehmen. 8 f. verba, quae polo Phaebum Deducerent Lunamque] Vgl. Vergil, Ekloge 8,69: Carmina vel caelo possunt deducere Lunam. 9 Lunamque] Im Druck fälschlich Lunamquae, im Fechner-Exemplar handschriftlich korrigiert. 12 Et] Silvae: Ac 15 Frustra] Silvae: Nimis 16–18 Nam non adulter impudicus et maechus Obscaenus, alta nocte depudicare Accedo] Vgl. Heinsius, S. 211: Non ganeo, non moechus: antra lenarum / Obambulare suetus integram noctem … 16 Nam non adulter impudicus] Silvae: Non impudicus, non adulter 17 depudicare] Antik nur bei Gellius, Noctes Atticae 16,7,2, belegt. 19 f. Phaebus … Daphnen] Die Verfolgung Daphnes durch Apollo (Phoebus), der sich das Mädchen nur durch Verwandlung in einen Lorbeerbaum entziehen konnte, schildert Ovid, Metamorphosen 1,452–567.

Kommentar zu S. 114 –116

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21 f. pullus … Martis, … AEneas Didûs pudori … illusit] Aeneas, der nur im übertragenen Sinne ein ‚Sproß‘ des Mars war (er stammte von Venus und Anchises ab), verliebte sich auf seinem Weg von Troja nach Italien in die karthagische Königin Dido, verließ sie aber wieder, um seine historische Mission – die Gründung Roms – zu erfüllen. Die Liebesbeziehung und ihr tragisches Ende schildert Vergil im vierten Buch der Aeneis. 31 f. suburbanis … villis] Vgl. Catull, carmen 44,6 f.: Fui libenter in tua suburbana / Villa, die Wendung also in analoger Versposition. 32 Suffarcinatus] Silvae: Stipatus, vndique 33 centum … fundos] Silvae: fundos … centum 34 Parvo beatus] In dieser Wendung nicht antik; vgl. aber Heinsius, S. 201. 34 –37] Die Thematik des sorte contentus findet sich in zwei Gedichten von Opitzens Zeitgenossen und zeitweiligem Freund Caspar von Barth: Tarraei HebI [= Caspar von Barth] Amphitheatrum sapientiae, quae ex libris hauriri potest, cuius decem libri puris choliambis scripti nunc primum prodeunt […]. Hanau 1613, hier Buch 1, Nr. 1 (ohne Titel) und Nr. 12 Quies (S. 3 f. und 15 f.). Weitere Verweise folgen unter dem Kürzel „Barth“ mit einfacher Seitenangabe. Zur Beziehung zwischen Opitz und Barth vgl. George Schulz-Behrend: Caspar Barth und sein Exemplar von Martin Opitz’ Acht Bücher Deutscher Poematum, in: Daphnis 11 (1982), S. 669–682. 38 Honesta res est namque laeta paupertas] Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 2,5: Honesta, inquit [Epicurus], res est laeta paupertas. Hier (V. 38–44) und gegen Ende des Textes (V. 274–290) finden sich gehäuft Anleihen aus den philosophischen und vor allem den dramatischen Werken Senecas. Dieser Befund stimmt zu der für die deutschsprachigen Werke (vgl. Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges) bereits nachgewiesenen großen Bedeutung des römischen Autors für Opitz, allerdings sind im einzelnen stets praktische (Nutzung der an Seneca-Zitaten reichen Florilegien durch späthumanistische Autoren) und strategische Gründe (Nachweis von Gelehrsamkeit und poetisch-kombinatorischem Geschick) für die Entscheidungen des Autors anzusetzen. 39 f. Nemo tam pauper In orbe vivit, atque pauper est natus] Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 6,6: Nemo tam pauper vivit quam natus est. 41 Fortes timet Fortuna, vexat ignavos] Vgl. Seneca, Medea 159: Fortuna fortes metuit, ignavos premit. 42–44] Vgl. Seneca, Hercules Oetaeus 697–699: Transit tutos Fortuna sinus / Medioque rates quaerit in alto, / Quarum feriunt, suppara nubes. 45 mens serena] Vgl. Seneca, De clementia 2,5,4. 47 compotivit] Opitz versteht das Verbum (‚teilhaftig machen‘, von compos) möglicherweise falsch. 50 Suaque se virtute … involuit] Vgl. Horaz, Ode 3,29,54f.: mea / virtute me involvo; Heinsius, S. 186 (Vorrede): firmitas animi … virtute sua se involvit.

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Kommentar zu S. 116–118

54 vobis] Silvae: verbis 58 frangit in gradus crines] Vgl. Quintilian, Institutio oratoria 1,6,44: comam in gradus frangere (gilt als schlechte Sitte). 59 f. circulus fluit collo Maeandricum ceu syrma] Vgl. Tertullian, De pallio 4,8: Prorsus, si quis Menandrico [!] fluxu delicatam vestem humi protrahat, audiat penes se quod et comicus: Qualem demens iste chlamydem disperdit? Der Kirchenvater Tertullian (150/170–220/240) verfaßte neben De pallio auch eine Schrift De cultu feminarum, in der er sich, wie Opitz hier, gegen den (heidnischen) Kleiderluxus ausspricht. 68 Semones] Als ‚Semonen‘ bezeichneten Opitz und andere Humanisten gelegentlich die Vorfahren der Deutschen; hier wird die Vokabel in spöttischem Sinne benutzt. Vgl. Kommentar zum Aristarchus sowie Rubensohn (1899), S. 50. 72 Hirudinum … sangvisugarum] Vgl. Plinius, Naturgeschichte 32,123. 76 annuunt, nictant] Vgl. Plautus, Asinaria 784: nictet, adnuat (in vergleichbarem Sinne von einer Frau gesagt). 81 petrae] Erstdruck: petra; Silvae: petra; GW: Konjektur petrae 81 pallidae magis buxo] Vgl. Martial, Epigramm 12,32,8: pallidus magis buxo. Die choliambische Wendung wird von einem Hungerleider auf die blutleeren Straßenmädchen übertragen. 86 Hic] Eine Konjektur His wäre zu erwägen. 88 delicatulas] Vokabel antik nicht nachzuweisen, aber bei Barth, S. 58, an derselben Versposition. 91 inexhaustas] Vgl. V. 239. Vokabel antik nicht nachzuweisen, aber bei Barth, S. 41 und 178, in derselben Versposition. 97 f. augusti Ales parentis] Der Adler, der Vogel Jupiters. 105 Ledaeae] Die ‚schöne‘ Helena ging aus einer Verbindung Jupiters mit Leda hervor. 112–165] Um die Mitte des Textes entwickelt der Sprecher, nachdem er das Lob der castitas (V. 94, 110) gesungen hat, in einer argumentativen Volte das Konzept einer Philosophie der Schönheit und der Liebe, wie es in neuplatonischen Schriften sowohl der Antike als auch der Renaissance aufscheint. Hier begegnen mehrfach Stellen, die eine gewisse Nähe zu Schriften wie Apuleius’ De Platone et eius dogmate und Marsilio Ficinos De amore erkennen lassen – die Kenntnis letzterer Schrift könnte Opitz durchaus über seinen Beuthener Lehrer Caspar Dornau vermittelt worden sein, der nachweislich in Gegenwart seines Schülers über Ficino referierte (vgl. Seidel, 1994, S. 276 f.). Näheres zu Opitzens Vertrautheit mit dem (Neu)platonismus und zu den Textbezügen im einzelnen bei Seidel (2006 b), S. 182–184. Der offenkundige Rekurs Opitzens auf zwei philosophische Schulen (zum Stoizismus s. o.), die im Humanismus als Argumentationshintergrund einflußreicher ethischer und anthropologischer Diskurse dienten, mochte dem Autor als Nachweis einer zeitgemäßen lebenspraktischen Ausbildung dienen, wie sie das Beuthener Gymnasium auf seine Fahnen schrieb.

Kommentar zu S. 118–122

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113 Fructu] Silvae: Prorsus. Die mögliche Vorlage für Opitz, Apuleius, De Platone 2,14, hat die Wendung prorsus carere, was zu der Änderung im Neudruck hätte führen können. 127 quaeso] Silvae: ergò 138 Character et figura:] Silvae: Clarus character: illa. Möglicherweise sollte durch die Änderung eine Tautologie vermieden werden. 140 f. Titan mortis algidae fratrem … relinquet] Titan steht für Helios, den Sonnengott, der im Mythos gelegentlich als des Nachts schlafend vorgestellt wird; der Schlaf gilt als ‚Bruder des Todes‘. 144 f. Mens pulchra pulchro quippe corpore elucet, Ut flos ab unda] Vgl. Heinsius, S. 212: Quippe ipsa virtus corpore emicans pulchro, / Maior videri pulchriorque consueuit. Vt flos sub vnda … 158 sororiantium] Vokabel antik nur bei Plautus, aber dann auch bei Barth, S. 27 u. ö., sowie Heinsius, S. 212. 164 f. pulcher in domo pulchra Hospes moratur] Parallelen in Opitzens deutschen Gedichten sind in diesem Kommentar nicht systematisch aufgesucht; diese dürften aber ebenfalls durch die lateinischen Vorlagen beeinflußt sein. Die vorliegende Stelle hat eine Parallele im Aristarchus, wo Opitz aus eigenen poetischen Versuchen zitiert: Wenn „schönheit“ mit „Tugend“ geschmückt wird, „Als den wohnt ein schön wirth in einem schönen hauß“ (GW 2.1, S. 70). In einem späteren Gedicht Aus des Auctorn Hipponacte an Asterien (GW 2.2, S. 732) wird die gesamte Passage des Hipponax (V. 149–165) umgearbeitet. Caspar von Barth notierte in seinem Exemplar der Acht Bücher Deutscher Poematum (vgl. Schulz-Behrend, wie oben) zum Schlußvers „Da ist ein schöner Wirth / vnd auch ein schönes Haus“ eine mögliche Quelle: ‚Inque domo pulchra …‘, F. Taubmannus, Epigr. lib. III. (GW 2.2, S. 732). Tatsächlich findet sich die Vorlage bei Friedrich Taubmann: Melodaesia siue Epulum Musaeum. Leipzig 1597, S. 437: Ad Iacobum Bonnum, Ripensem, Danum. // Corporis ut speciosa tui florescit imago / Et vernant hilaris ora serena rosis: / Sic animi data, Bonne, tibi est concinna venustas: / Inque domo pulchra pulchrior hospes habet. 166 Mi sidus, ornat] Silvae: Amica, adornat 167–170] Das Tityos-Gleichnis hat Opitz nicht etwa im Wortlaut aus der Odyssee (11,576–579) oder aus Vergils Aeneis (6,595–600) übernommen, sondern – vielleicht nach einem zu diesem Zwecke zusammengestellten Kompendium für epische Vergleiche – selbständig ausformuliert. Der Riese Tityos wollte sich an der Göttin Latona vergehen; seine Strafe im Hades bestand darin, daß seine immer wieder nachwachsende Leber von Geiern zerhackt wurde. 176 parentium stirpe] Wenn man den Text im Sinne Rubensohns biographisch deutet, wäre hier an die Familie des Görlitzer Rektors Cüchler zu denken. 179 f. Nobilem facit virtus, Non laus avorum sanguinisque majestas] Antiker Gedanke, so etwa bei Cicero, Pro Sestio 136: … qui ingenio ac virtute nobilitatem potestis consequi. 184 ff.] Vgl. Heinsius’ Schilderung seiner Heimatstadt Gent, S. 208. 191 Senftlebianae … Suadae] Zum Bunzlauer Rektor Valentin Senftleben vgl. den Kommentar zu Strenarum Libellus.

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Kommentar zu S. 122–126

201 Quecci] Der Queckborn nahe Opitzens Heimatstadt Bunzlau. Vgl. das Gedicht Vber den Queckbrunnen zum Buntzlaw in Schlesien (GW 2.2, S. 692 f.). 203 quà] Silvae: quae 204 undae] Silvae: vnde 209 Nec tu Poëtas obstinata fastidi] Vgl. Heinsius, S. 214: Nec tu poetas, imperita vel dura, / … despuas 218 prostitutae honore laureae] Zu Opitzens Zeit gerieten Dichterkrönungen in Mißkredit, weil der Dichterlorbeer von den Comites Palatini allzu großzügig vergeben wurde. Vgl. zum gesamten Kontext Flood, Bd. 1, S. ccxiv-ccxxxvi. 223 f. ut solet foedo Sentina coeno nata Grammatistarum] Vgl. Heinsius, S. 209: Qualisue vulgo turba paedagogorum, / Vmbratilis propago, sordibus nata 229 jecur Cratetis] Im Aristarchus zitiert Opitz die gesamte Passage aus Suetons Schrift De Rhetoribus et grammaticis 11,4: En cor Zenodoti, en jecur Cratetis! Vgl. den Kommentar dort. 230 alpha literatorum] Das bei Martial ironisch verwendete alpha paenulatorum (Epigramme 2,57,4; wieder aufgenommen 5,26,1) kehrt sowohl bei Barth wie auch bei Opitz in gelehrtenkritischer Absicht als alpha literatorum wieder. Auffällig ist überhaupt, daß die spöttischen Passagen des Gedichtes gehäuft Anleihen bei choliambischer Dichtung machen; vgl. den Kommentar zu den Schlußversen. Das ironische Lob der Scheingelehrten V. 229–237 enthält neben der Martial-Reminiszenz noch den Versschluß Caballinum (V. 234), was an den ersten Vers des in Hinkjamben gehaltenen Prologs der Satiren des Persius erinnert (Nec fonte labra prolui Caballino). V. 236 (Rudes, inepti, barbari, inscii, insulsi), durch die asyndetische Form bereits Ähnlichkeit zu vielen Hinkjambenversen aufweisend (z. B. Heinsius, S. 220), hat auch die letzte Wortform mit Catull, carmen 37,6, gemeinsam. 234 rorem … Caballinum] Die Hippokrene, eine Musenquelle auf dem Helikon, die durch einen Hufschlag des Flügelrosses Pegasos entstanden sein soll. 236 f. Rudes … artis omnis expertes] Vgl. Ovid, Fasten 2,292: Artis adhuc expers et rude volgus erat. 238–240 Qui quicquid erudita relliqui fecit Antiquitas cura et labore inexhausto Noctu diuque evoluimus] Vgl. Horaz, Ars poetica 268 f.: vos exemplari Graeca / Nocturna versate manu, versate diurna. 249 immemor metae] Wie Seneca, Medea 600. 251 Scientiae omnis atque disciplinarum] Vgl. Heinsius, S. 200: Sed disciplinas, sed scientias omnes …; Bezug auf das zeitgenössische Ideal des poeta doctus. 252–255] Der Pferdevergleich ganz ähnlich bei Heinsius, S. 208 f. 256 f. Nec Posterorum me favor situ putri Unquam sinet jacere] Vgl. Barth, S. 6: Quod ordia ipsa si sinas situ putri / Fatiscere ante, quam bonam sequi frugem. 257 f. integer vitae Labisque purus] Nach Horaz, Ode 1,22,1: Integer vitae scelerisque purus.

Kommentar zu S. 126–128

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261 Hoc inter auras aliti ferar curru] Vgl. Seneca, Medea 1025: Ego inter auras aliti curru vehar. 264 –266] Nicht in Silvae. 273 AEternitatis non repelle mercedem] Vgl. Heinsius, S. 214: AEternitatem, quae tibi manet merces 274 –277] Vgl. Seneca, Hercules Oetaeus 754: Quid quaeris ultra; ebd., V. 247–249: In vultus dolor / Processit omnis, pectori paene intimo / Nihil est relictum, fletus insequitur minas; ebd., V. 252 f.: Formas dolor / Errat per omnes. 278 f. saevior coquit mentem, Quam qui camino insanit ignis AEtneo] Vgl. Seneca, Hercules Furens 105 f.: acrior mentem excoquat / quam qui caminis ignis Aetnaeis furit. 280–285] Vgl. Seneca, Medea 382–385, 805–807; Hercules Oetaeus 243 f. 286–290] Vgl. Seneca, Medea 862–865, 943. 294 –299] Häufig übernimmt Opitz von Heinsius gedankliche Konzepte in sprachlich angelehnter Form. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung der Geliebten als ‚vierter Grazie‘, die bei Heinsius spielerisch in eine Sequenz von Zahlenkonstruktionen eingebaut, bei Opitz hingegen ein wenig willkürlich an eine Reihe petrarkistischer Prädikationen angeschlossen wird. Heinsius, S. 218: O ver serenum mentis, o dies festus, / O et secunda Cypris, et Charis quarta, / Triplex Minerua quadruplexque Suadela, / Nouemque Musis vna dulcior Musa, / Vel ingeni lepore, vel venustate. Vgl. auch Heinsius, S. 213, mit einer noch längeren Folge anaphorischer Anreden an die Geliebte (Fatale monstrum entspricht bei Opitz, V. 294, O dulce monstrum; die paradoxe Prädikation mors, vita begegnet identisch bei Opitz, V. 297). 311 f. informi … Choliambo qui pedem trahit claudum] Vgl. Barth, S. 122: Iambicantis impetum metri claudum. 313 Mulciber … Dionen] Bezeichnungen für Vulkan und Venus. Der Schmiedegott wurde in der Antike hinkend vorgestellt, daraus ergibt sich die Analogie zum Hinkjambus, der insofern ‚einen Fuß nachzieht‘, als im letzten Versfuß Länge und Kürze vertauscht sind, wodurch beim Vortrag ein etwas schleppender Eindruck entsteht. 315 f. casti Torum cubilis] Vgl. Claudian, De raptu Proserpinae 3,163f.: castumque cubile / Desertosque toros 317 Haec colla] Silvae: Huic collo 320–323] Vgl. Heinsius, S. 199: Illiteratos, litterarias feles […] / Notis peruram stigmatisque, non ferri, / Sed claudicantis acrimonia venae, / Et Choliambo non inaniter facto. Beide Texte sind nicht nur im Metrum des Hinkjambus verfaßt, vielmehr tragen auch beide jene Dichterpersönlichkeit im Titel (eben Hipponax, griechischer Lyriker um 500 v. Chr.), die die Literaturgeschichte schon in der Frühen Neuzeit als Archegeten einer an dieses Versmaß gebundenen aggressiven Spottdichtung kannte. Überdies thematisieren beide Gedichte selbstreferenziell genau diese Aggressivität, indem sie den choliambus als mögliche Waffe präsentieren – Heinsius gegenüber den Rivalen, Opitz gar gegenüber der widerspenstigen Geliebten. Architextuelle, d. h. Versmaß bzw. Textsorte berücksichtigende Bezüge sind in den polemischen Abschnitten des Hipponax besonders häufig, es ist also evident, daß der

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Kommentar zu S. 128–130

Autor das architextuelle Verfahren nicht nur spielerisch, sondern funktional eingesetzt hat. Ausführliche Beobachtungen hierzu, auch mit Verweis auf zeitgenössische Poetiken, finden sich bei Seidel (2006 b), S. 192–194.

[Prosanachschrift] 1 nugis] Im Anschluß an Catull, carmen 1,4, bezeichnete die lateinische Literatur als ‚Nichtigkeiten‘ Dichtungen von kleinerem Format und nicht-heroischem Inhalt, die damit freilich nur scheinbar abgewertet wurden. 4 f. poterunt … Lucianum rogare, ut vomitorio se purget] Vermutlich bezieht Opitz sich auf den Schluß von Lukians Philopseudes (Abschnitt 39). Hier geht es darum, daß jemand sich mit Hilfe eines Brechmittels der unsinnigen Geschichten, die er anhören mußte, zu entledigen wünscht. Im Fechner-Exemplar ist se handschriftlich zu ipsos korrigiert. 5–7 Ego et Seneca Graeco Poëtae et Platoni credimus …] Vgl. Seneca, De tranquillitate animi 17,10: Nam sive Graeco poetae credimus „Aliquando et insanire iucundum est“, sive Platoni: „Frustra poeticas fores compos sui pepulit“, sive Aristoteli: „Nullum magnum ingenium sine mixtura dementiae fuit“: non potest grande aliquid et super ceteros loqui nisi mota mens. Schon Seneca benutzte bei der Auswahl der Sentenzen wohl ein Florilegium. Die Identität des ‚griechischen Dichters‘ ist nicht geklärt, die Platon-Anspielung zielt auf Phaidros 245 A. [R.S.]

Immeritae post tot Eintrag in das Stammbuch von Caspar Kirchner Nicht bei Dünnhaupt; – Stammbuch von Caspar Kirchner (Handschrift in der UB Breslau: Akc. 1949/1102), fol. 155v. Abdruck nach der Handschrift. Zu Kirchner und Opitzens Freundschaft mit ihm s. den Kommentar zu Nuptiarum Promulsis. Der Text ist zeitlich zwischen zwei der anderen Gedichte auf Kirchner (FE lix qui patriis; FR ustrà retentas) einzuordnen. Opitz stellt sich im Stammbucheintrag als vom Schicksal schwer geprüft dar. Dabei ist wohl vor allem an seine möglicherweise materiell und sozial unbefriedigende Stellung in Görlitz zu denken, über die wir trotz Rubensohns Nachforschungen nicht hinreichend informiert sind. Die Häufung der Wahlsprüche aus biblischer und stoischer Tradition in Verbindung mit der etwas larmoyanten Freundschaftsprobe zeigt allerdings auch eine gewisse juvenile Attitüde. – Das Stammbuch, nicht allerdings Opitzens Eintrag darin, behandelt Edward Białek: Über den Bunzlauer Dichter Caspar Kirchner und sein Stammbuch, in: Orbis Linguarum 6 (1997), S. 297–302. Sicut serpentes et columbae] Vgl. Mt 10,16: Ecce ego mitto vos sicut oves in medio luporum / estote ergo prudentes sicut serpentes / et simplices sicut columbae. 1 Syrtes] Die Syrte ist eigentlich eine Sandbank vor der nordafrikanischen Küste.

Kommentar zu S. 130–132

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2 crudelis … deae] Gemeint ist die Göttin Fortuna, die ihre tela auf die Menschen richtet (die Junktur z.B. bei Seneca, Briefe an Lucilius 18,11; 85,26; 104,22). Nach stoischer Auffassung (vgl. unten die Seneca-Zitate) ist fortuna im Gegensatz zum fatum (vgl. V. 6), dem von Gott bestimmten Schicksal, etwas Kontingentes und vom Weisen nicht zu beachten; vgl. Lipsius, De constantia 1,18. Es ist allerdings fraglich, ob Opitz diese begriffliche Unterscheidung hier berücksichtigt. Extrema … loco] Seneca, Agamemnon 153. Dieser Einwand der Amme reagiert im Rahmen einer Stichomythie auf Klytämnestras Behauptung (V. 152): Et ferrum et ignis saepe medicinae loco est. Multis tacere discitur tandem malis] Leicht abgewandelt nach Seneca, Thyestes 319: Tacere multis discitur vitae malis. [R.S.]

AT nobis intempestivis Geleitgedicht zu einer Schrift von Bernhard Wilhelm Nüßler Dünnhaupt, Nr. 41; – B ERNHARDI G VILIELMI | NÜSSLERI | ENCOMIVM | A RANEI . | Ad | MAGNIFICVM ET NO -| BILIS um VIRUM | A NDREAM G EIS -|LERUM . | LIPSIAE, | Impensis haeredum Joan. Eyringij | et Joannis Perferti Bibliopolae | Wratislaviensium. | ANNO M . DC . XIX . (Universität und Landesbibliothek Halle: Pon II f 910, QK), fol. A7v–8r. Leicht veränderter Neudruck in: Silvae, S. 108 f.; GW 1, S. 114 f. folgt dem Erstdruck. Abdruck hier nach dem Erstdruck mit Angabe der Varianten im Kommentar. Das Geleitgedicht preist die umfassende Gelehrsamkeit und das literarische Geschick des Jugendfreundes Nüßler (vgl. zu V IR , quem Fatorum) und spielt im zweiten Teil (V. 17–26) sinnreich auf den in Ovids Metamorphosen überieferten Mythos von Arachne, der geschickten, aber überheblichen Weberin, an. Nach Rubensohn, 1895, S. 67 f., werfen die Verse 1–4 und 9–12 ein Licht auf die persönliche Situation Opitzens, den „materielle Sorgen … und die Trennung von den Musen, die Notwendigkeit sich mit einem ihm verhaßten Studium zu beschäftigen“, bedrängt hätten. Biographische Hintergründe sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen. – Versmaß: elegische Distichen. Titel] Silvae: Ad Nusslerum, cum Aranei Laudes ab eo ederentur. 1 f.] Silvae: At nobis aetas viridis, spes magna iuventa, / Pressa sub adversae pondere sortis, abit. 3 Sors fausta] Silvae: Fortuna 5 praeconia] Silvae: primordia 6 exuperante] So in beiden Drucken (gegen GW 1, S. 114). 7 Socraticis … chartis] Vielleicht Anspielung auf Dornaus Amphitheatrum Sapientiae Socraticae Joco-Seriae (s. Kommentar zu IV uenantibus Poëtis), in dem scherzhafte Enkomien – auch auf Spinnen – enthalten waren. Nüßlers Schrift wurde allerdings in diesen Band nicht mehr aufgenommen.

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Kommentar zu S. 132

10 Ascra] Stadt in Böotien; Heimat des Dichters Hesiod, der metonymisch für hexametrische Lehrdichtung (Theogonie, Werke und Tage) steht. 11 vertere] Hier wie versare bei Horaz, De arte poetica 268 f. (Vos exemplaria Graeca / Nocturna versate manu, versate diurna) verstanden. 12 Astraea] Jungfräuliche Göttin der Gerechtigkeit, hier sinnreich mit procum (Nüßler) verbunden. 13 teneris … annis] Silvae: gravibus … ausis 14 Et, jam vix juvenem, credimus esse senem] Zur geläufigen Vorstellung des puer senex vgl. Curtius, S. 108–112. 17 Vile … Aranea] Nüßlers ‚Lob der Spinne‘ steht in der Tradition des ironischen Encomiums, wie es seit der Antike (Isokrates: Lob Helenas; Lukian: Lob der Fliege) verbreitet war und insbesondere im Humanismus nicht zuletzt zum Aufweis gelehrt-witziger argutia häufig gepflegt wurde. Im zeitgleich mit Nüßlers Büchlein erschienenen Amphitheatrum Sapientiae Socraticae Joco-Seriae von Caspar Dornau (s. zu IV uenantibus Poëtis), der ‚Spinnen‘-Texte von Ulisse Aldrovandi und Antonio Telesio abdruckt, ist das Encomium Aranei nicht mehr vertreten. Zur Textsorte vgl. Seidel (1994), S. 338–364, und die Einleitung zum Nachdruck des Amphitheatrum …, hrsg. und eingeleitet von Robert Seidel. Goldbach 1995 (= Texte der Frühen Neuzeit 9). Im Untertitel zu Dornaus Buch wird erläutert, daß Gegenstände, die allgemein pro vilibus gehalten würden, hier ihr Lob fänden; das Werk sei ad mysteria naturae discenda, ad omnem amoenitatem, sapientiam, virtutem, publice privatimque utilissimum. Diese und mancherlei andere Zwecke – z. B. lehre eine genaue Auseinandersetzung mit dem ‚verachteten‘ Tier, daß man Vorurteile korrigieren müsse – lassen sich in Nüßlers Text unschwer aufweisen. 21 Nympha] Silvae: virgo 21 f. Colophonia Nympha … Minerva] Arachne, ein Mädchen aus der kleinasiatischen Stadt Kolophon, fordert Athene zum Wettkampf im Weben heraus. Die unterlegene Göttin zerreißt das Kunstwerk Arachnes und verwandelt diese in eine Spinne; vgl. Ovid, Metamorphosen 6,5–145. 22 doluit] Entgegen dem Vermerk in GW bieten Erstdruck und Silvae den gleichen Text. 25 f. Asterien … Ledam] Unter den von Arachne gewebten mythischen Liebesszenen waren auch Jupiters Abenteuer, darunter die folgenden beiden (Ovid, Metamorphosen 6,108f.): Fecit et Asterien aquila luctante teneri, / Fecit olorinis Ledam recubare sub alis. Zur Figur der Asterie in Opitzens Liebesdichtung vgl. Hipponax ad Asterien (1618). 26 nonne] Silvae: , crede, [R.S.]

Kommentar zu S. 134

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ER go iter ad dulces [XEIAMA.] Geleitgedicht für Johannes von Landskron Dünnhaupt, Nr. 42; – JOHANNIS A | LANDTSKRON | Nobilissimi Juvenis | Amicorum omnium | longè desideratissimi | PROPEMPTICON. | Scripsi | M ARTINUS O PITIUS | "   » ν   % . | BETHANIAE , | T YPIS J OHANNIS D ÖRFFERI . – o. J. [1618] (Bibliotheca Vaticana, Rom: St. Pal. IV.676.3); das lateinische Gedicht steht fol. A2r–3v. Faksimiledruck bei Fechner, S. [33]-[38]. Unsere Ausgabe, die das angehängte deutsche Gedicht (fol. A3v–4v) nicht wiedergibt, folgt dem Erstdruck, abweichend wurde lediglich nach Punkten konsequent Großschreibung benutzt. Johannes von Landskron wurde 1616 in Frankfurt/Oder immatrikuliert (Friedländer, S. 602) und studierte dort bis 1618. Verschiedene Anhaltspunkte weisen darauf, daß Opitz den jungen Adligen im Umkreis Dornaus in Beuthen kennengelernt hatte (Fechner, S. 11*). Offenbar wollte er mit ihm gemeinsam, als sein Ephorus (deutlich V. 42–44), nach Heidelberg reisen, wo Landskron sich schon am 4. Juni 1618 einschrieb (Toepke, S. 290), während Opitzens Matrikeleintrag erst vom 17. Juni 1619 datiert (ebd., S. 295). Das Gedicht reflektiert die – freilich nicht im Detail aufzuklärenden (V. 7) – Umstände der Trennung Opitzens von Landskron und gibt einen Einblick in die Vorstellung, die ein schlesischer Student am Beginn des 17. Jahrhunderts vom Heidelberger Gelehrtenkreis hatte. Der Text beginnt mit einer Klage (V. 1–12), auf die eine stoisch grundierte, aber auch von latenter Aggression gegen Neid und ungünstige materielle Verhältnisse durchsetzte Selbstermahnung folgt (V. 13–32). Im Zentrum des Textes stehen die Beteuerung der Freundschaft mit Landskron, das Lob des jungen Adligen sowie eine pointierte Gegenüberstellung von Opitzens eigenem Wert als Lenker der Jugend und der ‚schlechten Gesellschaft‘, in die Landskron geraten könnte (V. 33–49). Kulturgeschichtlich von größerem Interesse ist hingegen das darauf folgende Lob Heidelbergs und seiner Gelehrten mit dem namentlich apostrophierten Dreigestirn David Pareus, Abraham Scultetus – beide Schlesier wie Opitz und Landskron – sowie Janus Gruter (V. 50–65). Mit einer erneuten Klage über die Trennung schließt das Gedicht (V. 66–77). – Opitz gedenkt des Freundes außer in dem unserem Druck beigefügten deutschen Gedicht (auch in: GW 2.2, S. 579–581) auch in einem seiner Anagramme im Aristarchus, fol. C4v. Neben diesen beiden frühen Gedichten auf Landskron verfaßte Opitz ein weiteres Propemptikon auf jenen und David von Schweinitz (Silvae, S. 69 f.; s. u. Kommentar zu diesem Text), als diese einige Jahre später von Heidelberg nach Leiden aufbrachen. Die spärlichen Nachrichten über die Beziehung zwischen Opitz und Landskron sind, weitgehend korrekt, zusammengestellt bei Fechner, S. 10*-12*. Vgl. außerdem Rubensohn, passim (ohne weitere Aufschlüsse); Entner (1982), S. 49 (mit Spekulationen über die vereitelte Reise Opitzens mit Landskron). – Versmaß: elegische Distichen. Titelblatt] Nach Fechner, S. 22*, ist die Herkunft des griechischen Verses ungeklärt. Fechner verweist aber auf Janus Gruter: Florilegium Ethico-Politicum. Frankfurt 1610, Bd. 1, S. 284. Dort steht ein vergleichbarer griechischer Vers mit der lateinischen Übersetzung Nemo seipso plus amat quenquam.

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Kommentar zu S. 134 –136

Seneca ep. 9.] Passagen aus bzw. nach Seneca, Briefe an Lucilius 9,8 f., möglicherweise von Opitz aus dem Gedächtnis zitiert. Das in Z. 1 fehlende ad wurde im Fechner-Exemplar handschriftlich ergänzt. 5 f. mî concedere … Tecum abeunti] Zur Partizipialkonstruktion (statt Infinitiv oder ut-Satz) vgl. Hofmann/Szantyr, S. 388. 7 Oreste] Orestes und Pylades sind das klassische Freundespaar der Antike, in der deutschen Literatur treten sie noch in Goethes Iphigenie bei den Taurern auf. 10 Ponti] Pontus steht synekdochisch für das Schwarze Meer bzw. die dortige Gegend; spätestens seit Ovids Briefen aus der Verbannung (Epistulae ex Ponto) Synonym für weit entfernte Weltgegenden. 13–15] Leitgedanken der stoischen Philosophie, wie sie bei Seneca und Lipsius, aber auch in Opitzens 1620/21 entstandenem Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges zu finden sind (vgl. besonders GW 1, S. 221–223). Einzelnachweise erübrigen sich. 22 quod] Möglicherweise aus Nachlässigkeit statt quae eingesetzt. 23 f. Suppressa superbo Surgit palma jugo, viresque â pondere sumit] Vgl. das bekannte Emblem vom Palmbaum, der durch ein Gewicht – etwa ein Krummholz (iugum) – beschwert ist. Bei Alciatus heißt es dazu: Nititur in pondus palma et consurgit in arcum / Quo magis et premitur hoc mage tollit onus (zitiert nach Henkel/Schöne, Sp. 192; Bedeutung: „Stärkung durch Widerstand“). 30–32] Die Stelle zeigt in prägnanter Form das humanistische Erfolgsethos, demgemäß christlicher Glaube, moralische Integrität und mäzenatische Gunst fruchtbar zusammenwirken. Auf dieser Grundlage läßt sich ein quasi-heroisches Triumphgefühl artikulieren. Zu Jbit ovans (animi) vgl. Statius, Thebais 2,629. 33 dimidium nostri et pars optima cordis] Siehe Horaz, Oden 1,3,8: Et serves animae dimidium meae. 43 Aonidum] Epitheton der Musen (z.B. Ovid, Metamorphosen 5,333), nach der Landschaftsbezeichnung Aonia für Böotien, wo der Musenberg Helikon liegt. Auch der in Thessalien gelegene Pindus (V. 44) wurde mit den Musen assoziiert. 54 Cecropio … Lycéo] Kekrops war ein mythischer König von Athen, das Lykeion ursprünglich eine Kultstätte des Apollon Lykeios. Die Bezeichnung Lyceum wurde im Humanismus für Gymnasien und Universitäten verwendet, der dezidierte Vergleich mit Athen zielt hier auf die von den Zeitgenossen wahrgenommene Blütezeit Heidelbergs als Zentrum der europäischen Gelehrtenkultur um 1600. Zur Geschichte der Universität im konfessionellen Zeitalter einführend Eike Wolgast: Die Universität Heidelberg 1386–1986. Berlin u.a. 1986, S. 24 –55, 189–192 (weiterführende Literatur). 56 Paraee] David Pareus, geboren 1548 in Frankenstein (Schlesien), gestorben 1622 in Heidelberg. Der reformierte Theologe – seit 1566 in der Kurpfalz tätig, seit 1598 Professor an der Heidelberger Universität – galt nach Gründung der Protestantischen Union (1608) als führender Ireniker, der sich im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges um einen Ausgleich zwischen den protestantischen Konfessionen bemühte (Irenicum sive de unione

Kommentar zu S. 136–138

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et synodo Evangelicorum concilianda …, 1614); vgl. Gustav Adolf Benrath: David Pareus. In: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, hrsg. von Helmut Neubach und Ludwig Petry. Würzburg 1968 (= Schlesische Lebensbilder 5), S. 13–23; Press, passim; Handbuch Gelehrtenkultur, S. 492 f. (mit Bibliographie). 60 Scultete] Abraham Scultetus, geboren 1566 in Grünberg (Schlesien), gestorben 1624 in Emden. Der kurpfälzische Kirchenrat und Hofprediger vertrat eine offensive calvinistische Konfessionspolitik und setzte sich für die Annahme der böhmischen Krone durch Kurfürst Friedrich V. ein; vgl. Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566–1624), neu hrsg. und erläutert von Gustav Adolf Benrath. Karlsruhe 1966 (= Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evangelischen Landeskirche in Baden 24); Press, passim. 61 divine Grutere] Zu dem Geschichtsprofessor und führenden Humanisten der Kurpfalz (V. 62 f. Verweis auf die Musen) vgl. Kommentar zu Q VICQVID in autorum (1621). Laut Fechner, S. 12*, „traf es sich für die Überreichung des Sammelbandes [in dem das vorliegende Gedicht enthalten war, 1619 an Gruter] sehr gut, daß Opitz schon in dem Gedicht von vor einem Jahr auf divinus Gruterus hingewiesen hatte“. 69 Venus alma] Geläufige Wendung, z.B. bei Lukrez, De rerum natura 1,2. 76 singultantia verba] So bei Statius, Silvae 5,5,26. [R.S.]

Accipe qvae vester Hochzeitsgedicht für Jonas Milde und N.N. Nicht bei Dünnhaupt; – Überliefert in alten Breslauer Handschriften (R 402; Klose 175). GW 1, S. 116 f., folgt Hs. Klose 175 (UB Breslau: Akc. 1949/713, ehem. StB Breslau: Hs. Klose 175); unsere Ausgabe gibt die Version in Hs. R 402 (STB–PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S. 794 f., wieder. Die Kombination eines deutschsprachigen Epithalamiums (s. Titel) und eines – die Muttersprache propagierenden – kürzeren lateinischen Begleitgedichtes findet sich bei Opitz auch anläßlich der Hochzeit von Sebastian Namsler (Namslere si quid, vgl. hier vor allem die Prosavorrede) und Johannes Geißel (QV od expetisti, in: Silvae, S. 67 f.). Dort ist, anders als hier, der deutsche Haupttext ebenfalls erhalten. Der Schluß des vorliegenden Gedichtes (V. 21–30) formuliert auf der Basis des im Aristarchus entwickelten kulturpatriotischen Programms eine persönliche Zielvorgabe: Opitz sieht sich als deutscher Ovid, der jedoch, anders als die Horatii und Ovidii redivivi des Humanismus, auch in deutscher Sprache zu dichten beabsichtigt. Der – völlig ungewisse – Versuch einer Datierung auf 1618 folgt Krause, S. 70 (danach GW 1, S. 115 f.). HPG weist keine Gedichte auf Mildes erste Hochzeit nach. Zum Adressaten Jonas Milde vgl. die Anmerkungen zu DI strahitur binis, zum Gedicht selbst Seidel (2006 a), S. 206 und 215. – Versmaß: elegische Distichen.

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Kommentar zu S. 138–140

2 docte Poëta] Milde war während Opitzens Aufenthalt am Gymnasium Schönaichianum in Beuthen an der Oder Professor Oratoriae et Poeticae Facultatis; vgl. Kommentar zu DI strahitur binis. 3 Latio … cothurno] Die Metapher weist auf Merkmale des Unechten, des sozial wie stilistisch Abgehobenen und Hybriden. Offenbar ist cothurnus hier synonym mit soccus im folgenden Vers gebraucht, beides den mit dicken Sohlen versehenen, besondere Größe bewirkenden Theaterschuh der Schauspieler bezeichnend; die durch die Schuhtypen angedeutete Unterscheidung von Tragödie und Komödie ist hier wohl nicht intendiert. 4 Dionis] Dione (der Genetiv müßte eigentlich Diones lauten) steht hier wie bei Ovid, Amores 1,14,33 u. ö., für Venus; diese deutet metonymisch auf die Liebesdichtung. 11 suppeditabit] Wie hier vor allem bei antiken Prosaschriftstellern gebraucht; vgl. etwa Cicero, Topik 67; De natura deorum 2,63; das Wort ist in der Poesie außer bei Lukrez selten. 12 mediteris] Im Sinne von ‚dichten‘ wie z.B. Vergil, Ekloge 1,2. 13 rigida Asterie censuque superba potenti] Das Asterie-Bild (zur Figur vgl. Kommentar zu Hipponax ad Asterien) wird hier um die Komponente ständischer Abgrenzungsstrategien ergänzt. 14 dominas … fores] Adjektivische Verwendung von domina ist antik nicht selten, vgl. Ovid, Amores 2,5,30: Iniciam dominas in mea iura manus. Hier Anspielung auf die seit Catull, carmen 67, bei den antiken Elegikern (z. B. Properz, Elegie 1,16; Tibull, Elegie 1,2; Ovid, Amores 1,6), aber auch bei Horaz (Ode 1,25; 3,10) topische Situation des Paraklausithyrons, der Klage des liebenden Dichters vor der geschlossenen Tür der Geliebten. 21 f. Ausonio … plectro … Teutonicis … sonis] Ausonius vor allem bei Vergil in poetischer Sprache für ‚italisch‘, ‚römisch‘, ‚lateinisch‘; diesen Versen eine implizite Poetik des ‚in der fremden Sprache nicht Sagbaren‘ unterzuschieben würde Opitzens eher pragmatischen Vorstellungen hinsichtlich der Sprachenwahl nicht gerecht werden. 25 Naso] Ovid (Publius Ovidius Naso) nach seinem cognomen. 26 Germani scriptor dicar amoris ego] Nach Ovid, Ars amatoria 1,1,7f.: Me Venus artificem tenero praefecit Amori; / Tiphys et Automedon dicar Amoris ego. [R.S.]

NI ße pater Epithalamium für Gottfried Jacobi und Katharina Emmerich Dünnhaupt, Nr. 43; – In festum Nuptiale, | Sponsorum Patricior!um" | Dn. G ODFRIDI , | Nobiliss!imi" Ampliss!imi" et Prudentiss!imi" | Dn. B ARTHOLEMAEI J ACOBI , | Haereditarii in Leschwitz, Co!n"s!ulis" Reip!ublicae" | Gorl!icensis" meritiss!imi" F!ilii" | et | Virginis lectiss!imae" et elegantiss!imae" | C ATHARINAE , | Magnific!issimi" Nobi-

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liss!imi" et Ampliss!imi" | Dn. J OHANNIS Emerich, Haereditarii | in Nickerisch et Neundorff/ C!onscripti" P!atris" | ac IV Viri in ead!em" Republ!ica" | Filiae, | A parent !ibus" affin !ibus" et amicis calido affectu concepta, | et stylo gratante expressa, Votiva Carmina. | prid!ie" Non!as" Febr!uarias" An. O. R. 1619. | GORLICII | E X S C R I PTA ST VDI O I OHANN I S RHA M BAE . [1619] (Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz, Milichsche Sammlung: Ba VII 4° 11/34), fol. E4v-F2v. Leicht veränderter Neudruck in: Silvae, S. 45–49. Autograph Opitzens auf den Leerseiten im Sammelband für Gruter, fol. D2r–D4v; Faksimile bei Fechner, S. [91]-]96]. GW 1, S. 121–125, folgt dem Erstdruck; Abdruck hier nach dem Erstdruck mit Angabe der Varianten im Kommentar. Das abschließende deutschsprachige Anagramm auf die Braut wird von uns weggelassen. Opitz schrieb das Epithalamium anläßlich der am 4. Februar 1619 stattfindenden Hochzeit von Gottfried Jacobi, dem Sohn des ehemaligen Görlitzer Bürgermeisters Bartholomaeus Jacobi, zu dessen Amtsantritt Opitzens Lehrer Caspar Dornau einige Jahre zuvor ein lateinisches Preisgedicht mit vielfältigen kulturpolitischen Assoziationen verfaßt hatte (vgl. Robert Seidel: Frühneuzeitliches Stadtregiment und römische Herrscherpanegyrik. Ein neulateinisches Preisgedicht zum Amtsantritt des Görlitzer Bürgermeisters Bartholomaeus Jacobi aus dem Jahre 1610, in: Görlitzer Magazin 8, 1994, S. 107–126 [mit Text, Übersetzung und Kommentar]). Bei der Hochzeit handelte es sich um die Verbindung zweier wohlhabender Patrizierfamilien, beide Väter waren Hereditarii (Erbgutsbesitzer). Nach Ausweis der Handschrift trug Opitz das Gedicht im Februar 1619 in Bunzlau auf den letzten Seiten des für Gruter zusammengestellten Bandes mit seinen Jugenddichtungen ein. Bei seiner Abreise nach Heidelberg war offenbar der Druck des Epithalamiums noch nicht fertig oder nicht verfügbar; vgl. Fechner, S. 14*-15*. Der Mittelteil des Textes (V. 49–112) enthält einen fiktionalen, nach den Gepflogenheiten der Zeit mythologisch eingekleideten und nahezu das gesamte System des Petrarkismus (Hoffmeister, S. 25–29; im folgenden die Motive nicht einzeln genannt) aufgreifenden Bericht über das Reifen der Beziehung der Brautleute vom ersten Anblick (sidereos … cernere vultûs, V. 49) bis zur Verabredung der Mitgift (accedit amori Dos quoque, V. 111 f.). Im Zentrum dieser Passage steht die ausführliche Schilderung des vergeblichen Versuches Jacobis, der drängenden Liebe durch Rückzug auf sein Gut Leschwitz zu entfliehen, wo er sich bei jeder Sinneswahrnehmung an die Geliebte erinnert wähnt (V. 55–88). Den breit angelegten Rahmen des Epithalamiums (V. 1–48, 113–126) bilden Reflexionen des Dichters über seine prekäre Situation in Görlitz, darin verwoben ist die Skizzierung eines ‚Berufungserlebnisses‘, in dem, analog zur Schilderung im Binnenteil, die Überwindung einer Fehlorientierung geschildert wird: Wie der Bräutigam seiner Liebe endlich nachgibt (V. 83 f.), so wendet sich der Dichter unter dem Einfluß der Venus vom geplanten Epos ab und der Liebesdichtung zu (V. 39 f.). Zur Rahmenpartie des Textes vgl. Seidel (2006 a), S. 211 f. und 218, und Rubensohn (1895), S. 62–67, der die Stelle unter ausschließlich prosopographischen Gesichtspunkten analysiert. – Versmaß: elegische Distichen. Titel] Autograph: Martini Opitii Elegia in nuptias Gothofredi Jacobi in Leschwitz et Katharinae Emericae nobiliss. puellae. Silvae: In Nuptias Iacobi Gottfridi et Catharinae Emericae (Vorname und Familienname fälschlich umgestellt).

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Kommentar zu S. 140

3 nobilium … corona locorum] In dem 1346 geschlossenen lausitzischen Sechsstädtebund (mit Bautzen, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau) nahm Görlitz die führende Rolle ein. 3 formosa corona] Silvae: quaedam regina 6 post reliquos] Wie in V. 8 (postremo … fine) und 19f. (Post alios aliosque …) will Opitz sich bescheiden als letzter in die Reihe der lokalen Dichtergrößen einreihen. Damit folgt er Ovid, der sich in seiner ‚Autobiographie‘ ebenso selbstbewußt wie literarhistorisch korrekt als vierten in die Reihe der römischen Elegiker nach Gallus, Tibull und Properz stellt (quartus ab his serie temporis ipse fui; Tristia 4,10,54). Vgl. auch Eobanus Hessus: Eobanus Posteritati, V. 151 f.: Et me, si mereor, nec enim est attingere primos, / Postremos inter temporis huius habe (Humanistische Lyrik, S. 336); die von Rubensohn (1895), S. 64, Anm. 1, angeführten Parallelen zu Gedichten von Heinsius gehören in dieselbe Traditionskette. 9 Meisteri] Joachim Meister (1532–1587) war 1569–1584 Rektor des 1565 gegründeten Gymnasium illustre in Görlitz; vgl. auch das folgende Lemma. Zum Görlitzer Schulwesen generell vgl. Seidel (1994), S. 177–229 (Literatur S. 178, Anm. 2). Als Rektor wurde Meister im Ansehen von seinem Nachfolger Laurentius Ludovicus übertroffen, Opitz schätzte ihn vermutlich wegen seiner geistlichen und weltlichen Dichtungen (darunter eine – nicht selbständig veröffentlichte – Urbis Gorlicensis descriptio in 486 Hexametern). 12 Flacco propior, … epos] Den Argonautica des römischen Dichters Valerius Flaccus soll ein episches Werk Meisters an die Seite gestellt werden. Dabei ist wohl weniger an Nativitas Christi carmen heroicum (Görlitz 1571) zu denken als an De Rodolpho Habspurgico, Imp. Aug. Germanico. Libri tres … (Görlitz 1576). Zu diesem Epos, das anläßlich des Regierungsantritts Rudolfs II. als römisch-deutscher Kaiser erschien, vgl. Franz Römer: Aeneas Habsburgus. Rudolf I. in einer epischen Darstellung des 16. Jahrhunderts, in: Wiener Studien 114 (2001), S. 709–724; hier S. 710 f. auch bio-bibliographische Daten zu Meister. 13 Mylius] Martin Mylius (1542–1611) war seit 1568 Lehrer und von 1594 bis 1608 Rektor in Görlitz, damit in diesem Amt Vorgänger von Opitzens späterem Lehrer Caspar Dornau. 14 Bilbilis] Stadt in Spanien, Geburtsort des römischen Epigrammatikers Martial. Mylius trat nicht mit einer eigenständigen Epigrammsammlung hervor, vgl. allerdings seine Miscella carmina (Görlitz 1601). 15 Alcaei] Hier ist weniger an den griechischen Lyriker Alkaios (um 600 v. Chr.) zu denken, dessen Werk um 1600 kaum bekannt war, sondern an die alkäische Odenstrophe, die von Horaz und den neulateinischen Lyrikern sehr häufig verwendet wurde. 16 Arnoldus] Christoph Arnold aus Dresden (gest. 1616 in Görlitz) war Jurist und zeitweise Syndicus bei der Ritterschaft des Herzogtums Sagan; enger Freund Caspar Dornaus während dessen Görlitzer Zeit (1608–1616), daher verstreute Bemerkungen bei Seidel (1994), vgl. auch Rubensohn (1895), S. 63. 17 Cùchleri] Elias Cüchler (1568–1632) war seit 1593 Lehrer, zur Zeit der Entstehung des Gedichtes Rektor in Görlitz (1616–1632). Er war der Vater jener Rosina, die mit dem Hipponax ad Asterien (s. dort) und anderen Gedichten Opitzens in Verbindung gebracht wird

Kommentar zu S. 140–142

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(vgl. Rubensohn, 1895, passim). Cüchler trug den Titel eines Poeta laureatus und gehörte zu den produktivsten Gelehrten der Stadt; vgl. Seidel (1994), S. 179, und passim; Flood, Bd. 1, S. 390–392. 18] Anspielung auf Cüchlers nur teilweise ausgeführtes Projekt einer vollständigen lateinischen Übersetzung der Anthologia Graeca: Florilegium diversorum Epigrammatum veterum in Centurias distributum … . Centuria prima [- quinta]. Görlitz 1618/19; vgl. Rubensohn (1895), S. 57–59; Griechische Epigramme, S. CLXXXVIII f. und passim. 21 f. hospes Nec nimium vestrâ sum male notus humo] Ähnlich äußerte sich Opitz gegenüber Janus Gruter nach seiner Ankunft in Heidelberg: Non vivam in vestra degener hospes humo (Silvae, S. 37: AD IANVM GRVTERVM; entstanden wohl 1619). 22 male notus] Im Druck und in der Handschrift steht malenotus bzw. malè notus. 23] Phoebe ist Luna, die Mondgöttin; Opitz umschreibt hier die Zeitangabe „seit zwei Monaten“. 24] Aus diesem Vers ist der längere Aufenthalt Opitzens in Görlitz, der inzwischen überwiegend auf Ende 1617 bis Anfang 1619 datiert wird (Entner, 1982, S. 54 –58), zwingend abzuleiten. 26 fallere] Silvae: ludere 30 nervo … meo] Autograph und Silvae: nervis … meis 31–34] Worauf Opitz mit seiner Anspielung auf Krieg bzw. Bürgerkrieg abzielt, ist unklar, da er sich ja streng genommen auf die biographische Situation des Jahres 1617 beziehen müßte. Die ‚Posaunen Vergils‘ stehen jedenfalls metonymisch für den Plan, ein Epos zu schreiben, wie ihn die römischen Elegiker häufig als kontrastiven Hintergrund ihres ‚Berufungserlebnisses‘ (vgl. die folgenden Lemmata) anführen. 36 astra] Anspielung auf ‚Asterie‘, die fiktive Geliebte im Hipponax ad Asterien (s. Kommentar dort); das komplette Distichon ist allerdings schwer zu verstehen. 37 f. grandiloquum … cothurnum … lepidum … opus] Die Fiktion der unter dem Einfluß von Venus oder Amor herbeigeführten Verwerfung eines Epen- oder Tragödienprojektes ist seit der Antike geläufig, in der Liebeselegie begegnet sie etwa bei Ovid (Amores 1,1,21–30; 3,1,61–70). Opitz verwendet sie auch sonst häufig, vgl. oben den Kommentar zum Propemptikon für Nüßler sowie Rubensohn (1895), S. 65, Anm. 1. 40 myrti] Als Attribut des Friedens begegnet die Myrte bei Tibull (Elegie 1,10,27), wo der Sprecher im Angesicht des Krieges sich an seine Kindheit erinnert, da er myrto … vinctus caput war. 43 claudos … jambos] Der 1618 verfaßte Hipponax ad Asterien ist Opitzens längstes Gedicht in Hinkjamben. Die meisten übrigen Liebesgedichte hat er im Versmaß des elegischen Distichons verfaßt (Elegia, V. 44; als allegorische Figur nach Ovid, Amores 3,1,7). 45 placido] Silvae: leni

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46 (numeros elegiae) Indulget genio spontè Cupido meo] Deutlich an die bekannte Formulierung aus Ovid, Tristia 4,10,25, angelehnt: Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos; vgl. auch Eobanus Hessus (oben zu V. 6), V. 95: Sponte sua influxit paucis mihi Musa diebus. 49 Seu quod sidereos] Zu den folgenden Versen schreibt Rubensohn (1895), S. 66: „Sie sind teilweise … in freier Weise einem holländischen Gedichte entlehnt, das Opitz in ‚Frühlings Klaggedichte‘ vollständig übersetzt hat.“ 51 f. His quoque numen inest; instinctu surgimus illo: Spiritus ex oculis virginis iste venit] Deutliche Replik auf die beiden berühmten Inspirationspassagen bei Ovid: Ars amatoria 3,547–550: Vatibus Aoniis faciles estote, puellae: / Numen inest illis, Pieridesque favent. / Est deus in nobis, et sunt commercia caeli: / Sedibus aetheriis spiritus ille venit; Fasten 6,5f.: Est deus in nobis. Agitante calescimus illo. / Impetus ille sacrae semina mentis habet. Zur Geschichte dieser Formel in der neulateinischen Literatur, u. a. bei Celtis und Hessus, vgl. Steppich, S. 236–251. 52 virginis] Die Handschrift hat fälschlich virgis. 56 Leschwicium] Randglosse: praedium paternum (nicht in Autograph und Silvae). Das väterliche Gut Leschwitz lag in der Nähe von Görlitz. 57 restinguere] Das petrarkistische Motiv, wonach ein Liebender (vergeblich) seine Liebesglut zu löschen versucht, wird hier mit einem Wortspiel (Leschwitz, volksetymologisch nach fnhd. leschen) kombiniert. 58 dominas grato] Silvae: grato dominas 61–80] Rubensohn (1895), S. 66, Anm. 1, behauptet, daß Opitz das Motiv der an die Geliebte gemahnenden Natur einem Text aus dem Bloem-Hof van de Nederlantsche Ieught (Amsterdam 1608, 21610) entlehnt habe (Lentes Clagh Gedicht), den er für die erste Ausgabe seiner deutschen Gedichte vollständig übersetzte. Vgl. Opitzens Frülings Klagegetichte, in: GW 2.2, S. 606–614, hier S. 613 f. (V. 157–184). Zur Illustration sei hier das Pendant zu V. 73–76 wiedergegeben: „Seh’ ich die hohen Berg’ vnd Hügel in der Wüsten; | So ist’s der edele Parnassus jhrer Brüsten. | Schaw’ ich dann in das Thal vnnd blancke weite Feldt/| Das Thal der zarten Schoß wird bald mir fürgestellt.“ Der von Rubensohn geführte Nachweis für Opitzens frühe Bekanntschaft mit dem Bloem-Hof wird heute allgemein akzeptiert (Entner, 1982, S. 56; Garber, 1984, S. 125), allerdings bleibt eine Beeinflussung des Dichters durch andere Quellen, vor allem auch die lateinische Dichtung von Daniel Heinsius, noch zu erforschen. 61 mane novo] Zur Junktur vgl. Hofmann/Szantyr, S. 154. 62 languida nympha] Silvae: dulcis amica 63 croceis Aurora capillis] Das Attribut croceus in Verbindung mit der Morgenröte auch bei Vergil, Aeneis 4,585 u. ö.; Abbildung bei Henkel/Schöne, Sp. 1593. 64 amica] Silvae: et illa 73 bipatentia culmina] Randglosse: Die Landßkron (nicht in Autograph und Silvae). Die Vokabel bipatens ist antik nicht belegt. Analog zum Konzept einer „Görlitzer Dichterschule“ (Rubensohn, 1895, S. 63) steht die Aufwertung dieses zweigipfligen Hügels westlich von

Kommentar zu S. 144 –146

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Görlitz als lausitzischer Parnaß. Vgl. Opitzens Sonett An einen Berg, das gleichfalls die Landeskrone zum Gegenstand hat: „DV grüner Berg/ der du mit zweyen Spitzen | Parnasso gleichst“ (GW 2.2, S. 694). Als ‚zweigipfliger Musenberg‘ – der Parnaß in der Gegend des antiken Delphi wurde als biceps (z. B. Seneca, Oedipus 281; Persius, Prolog 2) bezeichnet – wurden auch die Wahrzeichen anderer Städte benannt, so etwa der Heiligenberg bei Heidelberg von Celtis und Micyllus. 80] Typisches Oxymoron in der petrarkistischen Lyrik. 81 nec proprio cum] Silvae: suo quoque cum non; hier wurde das syntaktisch unkorrekte nec des Erstdrucks beseitigt. 85–88] Opitz kombiniert die antike wie petrarkistische Vorstellung von der dura puella mit dem Epithalamienmotiv der mädchenhaften Braut, die zur Liebe ‚erweckt‘ werden muß. 91 rigidae praecordia nymphae] Silvae: regidam dilecte, puellam 95 magnanimi] Silvae: cordati 95 parentis] Zur möglichen Identität des Brautvaters Johann Emmrich vgl. Rubensohn (1895), S. 62, Anm. 1. 103–106 Vesperus … face … citior solitò nox] Abendstern (Catull, carmen 62,1) und Hochzeitsfackel (Catull, carmen 61,77) bilden das traditionelle Arsenal der antiken Hochzeitsdichtung, ebenso wie die Vorstellung von der allzu langsam hereinbrechenden Nacht (Scaliger, Bd. 3, S. 74: De mora noctis segnioris). 104 tanta] Handschrift: vestra 115] Silvae: Ingeniumque meum duro sub pondere languet 116 f.] Nicht in Silvae. 123 f.] Nicht in Silvae. Vermutlich erschien dem Herausgeber die unbescheidene Formulierung unpassend. 123 Moeoniden] Der ‚Lyder‘; Synonym für Homer, der in Kleinasien wirkte. 123 Richtero] Der Görlitzer Hauptpastor Gregor Richter (1560–1624), der unter den Beiträgern zu unserem Epithalamienband an zweiter Stelle hinter dem Bürgermeister und Vater des Bräutigams firmiert (fol. A2r-v), ist in der Literaturgeschichte vor allem als erbitterter Gegner Jakob Böhmes bekannt; zur konfessionellen Entspannung in Görlitz nach 1600 vgl. Seidel (1994), passim. Warum Opitz ausgerechnet Richter als ‚Richter‘ in literarischen Fragen anführt, ob vielleicht nur das (deutsche) Wortspiel dazu reizte, ist nicht zu klären. Vielleicht liegt eine diskrete Anspielung auf seine diversen AxiomataBände (Axiomata historica eaque politica. Görlitz 1599 usw.) vor. Bernhard Wilhelm Nüßler bescheinigt in seinem Princeps litteratus (s. Kommentar zu V IR quem Fatorum) Richter eine multiplici lectione corroborata eruditio (fol. B7r). 125 f.] Die topische Ermahnung zum Vollzug der Hochzeitsnacht ist hier kombiniert mit der Andeutung, daß in einem geplanten Lobgedicht auf Görlitz auch die angesehene Familie des Bräutigams Erwähnung finden soll.

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Kommentar zu S. 146–148

Unterschrift Non est mortale quod opto.] Nach Ovid, Metamorphosen 2,56: non est mortale, quod optas (Helios zu seinem Sohn Phaethon, der den Sonnenwagen zu lenken begehrt). Anstelle dieser Worte steht in der Handschrift Boleslaviae in patriâ Anno M.DC.XIX. m!ense" Febr !uario" [R.S.]

At tu remotas Gedicht für das Stammbuch von Martin Schindler Nicht bei Dünnhaupt; – Überliefert in alten Breslauer Handschriften: R 402; R 2305 b (laut Auskunft der UB Breslau verschollen); Klose 175. GW 1, S. 145, und Conermann/ Bollbuck folgen Hs. Klose 175 (UB Breslau: Akc. 1949/713, ehem. StB Breslau: Hs. Klose 175); unsere Ausgabe gibt den Text nach Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S. 773, wieder. Der Adressat dürfte mit David Schindler aus Bunzlau, einem Landsmann Opitzens und Lehrer am Gymnasium in Beuthen an der Oder, verwandt sein. Bei dem Text handelt es sich um ein Geleitgedicht für den Beginn einer Reise (Propemptikon). – Versmaß: jambische Senare. 1 Ausonum] Ausones steht antik für die Bewohner Italiens. 4 dummodò absumus] Der Indikativ hat antik keine Parallele; vgl. Hofmann/Szantyr, S. 616. [R.S.]

NU per ab Hesperio Epithalamium für Jacob Nikolaus von Buckau und Anna Maria Geisler Dünnhaupt, Nr. 44; – E PITHALAMIUM | D. N . | I ACOBI | N ICOL . | DE BUCKAW | In Althoffen et Eckersdorff, | E T | A NNAE M ARIAE | G EISLERIAE | de Polsdorff et Golsdorff, | eximiae Virginis | Autore | M ART !INO " O PITIO. | L IGNIC I Typis Nicolai Sartorii. – o. J. [1619] (Bibliotheca Vaticana, Rom: St. Pal. IV.676.2). Wiederabdruck mit einigen Änderungen in Silvae, S. 80–85; GW 1, S. 127–131, folgt dem Erstdruck; Faksimile des Erstdrucks bei Fechner, S. [25]-[31]. Unsere Ausgabe folgt dem Erstdruck, abweichend wurde lediglich am Satzanfang konsequent Großschreibung benutzt. Die Braut Anna Maria Geisler war die Tochter des Juristen, kaiserlichen Pfalzgrafen und liegnitzischen Kanzlers Andreas Geisler (1572–1624), bei dem Opitzens Freund Nüßler 1618 als Hauslehrer angestellt war. Auf diesem Wege wurde Opitz vermutlich der Auftrag für die Abfassung des Epithalamiums zur Hochzeit am 19. Februar 1619 – das war kurz vor Opitzens Abreise nach Heidelberg – vermittelt; 1622 widmete er Geisler, der sich selbst auch als lateinischer Dichter betätigte, die Übersetzung von Heinsius’ Lobgesang

Kommentar zu S. 148

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Bacchi (s. Kommentar zu SI nostris leviter). Zu Geisler vgl. (neben der Anm. zu V. 44f.) Reifferscheid, S. 736; Rubensohn (1895), S. 67; Fechner, S. 10*; GW 2.1, S. 15; Seidel (1994), S. 368. Über den früh verstorbenen Bräutigam Jacob Nikolaus von Buckau (1593–1621) sind nur die in der Leichenpredigt (Exemplare in der Liegnitzer und der Stolbergschen Sammlung) enthaltenen Daten bekannt. Der Text beginnt mit einer die ersten Monate des Dreißigjährigen Krieges kritisch reflektierenden Rede der Venus an ihren Ehegatten Mars, der für das grausame Geschehen verantwortlich sei (V. 1–32). Darauf wechselt die Szene nach Liegnitz, wo die Liebesgöttin, nachdem sie den Wert des Kanzlers Geisler für die Germana libertas erwogen hat (V. 40–56), sich auf die Suche nach einem für diesen Vertreter der ständischen Freiheit geeigneten Schwiegersohn macht. Konsequent entbrennt Buckau sogleich in Liebe zu Anna Maria Geisler (V. 61 ff.), deren äußere Erscheinung und Liebreiz in hyperbolischen Wendungen und unter Verwendung vielfacher mythischer Analogien geschildert werden (V. 66–89). Er wirbt um sie und überwindet schließlich den Widerstand der ihrer selbst ungewissen Jungfrau (V. 99–139). An den topisch das Gedicht abschließenden Hinweis auf die nahe Hochzeitsnacht (V. 141–152) fügt Opitz noch eine – in der späteren Auflage getilgte – bittere Mahnung an sich selbst: Besser wäre es gewesen, wenn er in den Krieg zöge (V. 153f.). – Versmaß: Hexameter. 1 Hesperio] Silvae: herbifero 1 Cythero] Mit Cytherum scheint nicht die südlich der Peloponnes gelegene Insel Kythera, eines der wichtigsten Heiligtümer der Aphrodite/Venus, gemeint zu sein. Man denke eher an den Aphrodite-Kult auf dem Eryx in Sizilien. Cytherum wäre dann appellativisch (‚Kultort Aphrodites‘) zu verstehen. 2 Gradivum] Etymologisch ungeklärter häufiger Beiname des Mars; vgl. Vergil, Aeneis 3,35; Ovid, Metamorphosen 6,427. 2 Venus alma] Geläufige Wendung; vgl. zu ER go iter ad dulces, V. 69. 5 in propria viscera] Vgl. Vergil, Aeneis 6,833: patriae … in viscera; Lukan, Pharsalia 1,2 f.: populumque … / In sua victrici conversum viscera dextra (Praefatio zum Bürgerkriegsepos!). Das Motiv der Selbstzerfleischung im Bürgerkrieg ist bei Opitz allenthalben zu finden, so etwa zu Beginn des Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges (1621): „Wir haben viel erlidten/ | Mit andern vnd mit vns selbst vnter vns gestritten“ (GW 1, S. 193). 6–8] Zum historischen Kontext vgl. Schulz-Behrend in GW 1, S. 126: „Truppen des Erzherzogs Ferdinand waren im Juli 1618 in Böhmen einmarschiert und von der Armee des Grafen Thurn zurückgeschlagen worden; Pilsen, das Zentrum der katholischen Loyalisten, war am 21. November von General Mansfeld eingenommen worden. Thurn hatte die habsburgischen Truppen in Budweis eingeschlossen. Es war eine Zeit banger Erwartung für Schlesien.“ 9–11] Im November und Dezember 1618 war ein Komet sichtbar gewesen. Für das Naturschauspiel wird in mythischer Einkleidung Jupiter (Epitheton altitonans seit Ennius, Annalen, Fragment 541, geläufig) verantwortlich gemacht.

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Kommentar zu S. 148–150

12 Oresteâ Discordia mente] Der Atridenmythos mit dem Gattenmord Klytaimnestras an Agamemnon und der Rache des Vaters durch Orest steht hier für die Zwietracht unter Angehörigen desselben Volkes. 14 In sua fata ruunt] Zum Versbeginn vgl. Ovid, Metamorphosen 6,51. 14 lentisqve … poenis] Silvae: lentoque … passu 22 refert] Silvae: refers 22 Porthmeus] Griechisches Wort für ‚Fährmann‘; gemeint ist hier Charon, der die Toten in die Unterwelt geleitet. 25] Nur in den Silvae überliefert, im Exemplar der Vatikanischen Bibliothek (Fechner, S. [27]) handschriftlich nachgetragen. Offenbar wurden in diesem Druck mehrere ‚Korrekturen‘ nach der Fassung der Silvae vorgenommen, im folgenden sind nur textkritisch relevante Stellen vermerkt. 25 canis inferus] Der dreiköpfige Hund Kerberos bewacht den Eingang zur Unterwelt, den man im griechischen Gebirge Tainaros (V. 24) vermutete, vielleicht auch als polemische Anspielung auf den Papst und seine Tiara zu sehen. 30 Paphiae] Paphia Beiname der Venus, nach deren Heiligtum Paphos auf Zypern. 35] Zur Vorstellung, Venus’ Wagen werde von Tauben gezogen, vgl. den Kommentar zu FL ecte, Venus, V. 1. 36 magnanimi … principis] Gemeint ist Herzog Georg Rudolf von Liegnitz (reg. 1609– 1653), der Dienstherr Geislers. Opitz versuchte in den 1620er Jahren mehrfach, ein Amt am Liegnitzer Hof zu erlangen (vgl. Szyrocki, S. 50 u. ö.); zahlreiche deutsche und lateinische Schriften Opitzens waren an Angehörige des Hofes gerichtet. 40 Olli] Der Archaismus (statt illi) begegnet auch bei Vergil, Aeneis 1,254; 12,18 u. ö. Vgl. auch den Kommentar zu FL ecte, Venus, V. 7. 40 Suada] Göttin der Beredsamkeit, Übersetzung von griech. Peitho (Cicero, Brutus 59). Der Erstdruck hat suada, was im Fechner-Exemplar handschriftlich geändert wurde; auch die Silvae lesen Suada als Eigennname. 42 Laërtiades] Der ‚listenreiche‘ Odysseus, Sohn des Laertes, galt als geschickter Rhetoriker unter den Griechen vor Troja. 44 f. exorare … veteri pro relligione Rodulphum] Kaiser Rudolf II. (reg. 1576–1612) zeigte bisweilen Anzeichen von religiöser Toleranz, ohne freilich den gegenreformerischen Tendenzen der Habsburgermonarchie abzuschwören. Mit der ‚alten‘ Religion ist hier der in Böhmen und seinen Nebenlanden stets gefährdete Protestantismus gemeint. Geisler hatte „1608 maßgeblich an den schlesisch-böhmischen Gesprächen mitgewirkt und wenig später den Entwurf für den schlesischen Majestätsbrief geliefert“, der dem Lande die Religionsfreiheit gegenüber der habsburgischen Landesherrschaft sichern sollte; Joachim Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München

Kommentar zu S. 150–152

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1994 (= Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), S. 420 (mit weiterer Literatur). 46 si qua movent manes terrena sepultos] Ähnlich heißt es von den Göttern bei Vergil, Aeneis 1,603: si qua pios respectant numina. 48 Pelusiacâ … arte] Pelusium ist eine Stadt in Ägypten; nach Schulz-Behrend (GW 1, S. 128) bezeichnet der Ausdruck die Astronomie. Rudolf II. hauste im Alter zunehmend isoliert in seiner Prager Residenz, umgeben von teilweise obskuren Gestalten aus dem Grenzbereich von Naturwissenschaft und Magie. Bekannt sind seine astrologisch-astronomischen Interessen, u.a. zog er Tycho Brahe und Johannes Kepler an seinen Hof; hierzu ausführlich Robert J. W. Evans: Rudolf II. and his World. A Study in Intellectual History 1576–1612. Oxford 1973 u. ö. 49 ringente Pharo signarat] Pharos – eigentlich eine Insel vor Alexandria mit berühmtem Leuchtturm – steht vermutlich für das Observatorium in der Prager Burg. Es muß natürlich nach oben offen gewesen sein, dennoch bleibt das Verb ringere (‚die Zähne fletschen‘) an dieser Stelle auffällig. Signare (oculis) begegnet in der Bedeutung ‚beobachten‘ bei Vergil, Aeneis 12,3. 49 f. avitas … tiaras] Metonymisch für die habsburgischen Länder. 49 avitas] Silvae: avitos Die maskuline Variante tiaras (Akk. Pl. tiaras) begegnet auch im klassischen Latein (z.B. Vergil, Aeneis 7,247), beide Adjektivformen stehen also gleichberechtigt nebeneinander. 52 Vienna] Geisler war im Zuge seiner diplomatischen Tätigkeit (vgl. zu V. 44 f.) vermutlich auch nach Wien berufen worden, wo die Kaiser seit dem Tode Rudolfs II. wieder residierten. 54 septemgeminis exundans amnibus Ister] Vgl. Vergil, Aeneis 6,800: septemgemini … ostia Nili. Die Donau hat nur drei größere Mündungsarme. 56 Libertas … Germana] Die ‚teutsche libertet‘ bzw. ‚teutsche freyheit‘ war für den Protestanten Opitz vor allem die Freiheit der Stände gegenüber den habsburgischen Suprematieansprüchen. Vgl. die Interpretation des 3. Buches des Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges (entstanden 1621) bei Garber (1984), S. 157–161. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die neuerdings näher untersuchten politischen Ambitionen der 1617 gegründeten „Fruchtbringenden Gesellschaft“; vgl. Georg Schmidt: Die Anfänge der Fruchtbringenden Gesellschaft als politisch motivierte Sammlungsbewegung und höfische Akademie, in: Die Fruchtbringer – eine Teutschhertzige Gesellschaft, hrsg. von Klaus Manger. Heidelberg 2001 (= Jenaer Germanistische Forschungen N.F. 10), S. 5–37. 58 f.] Denkbar wären hier auch andere Übersetzungsmöglichkeiten. Die gewählte Version schien am überzeugendsten, die Voranstellung des Relativsatzes trotz eingeschaltetem -que plausibel. 61 Budorgiacas] Budorgis ist einer der lateinischen Namen für Breslau (gelegentlich auch für Brieg). Er erscheint in den Peutingerschen Tafeln.

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Kommentar zu S. 152

67–76] Mit der Schönheit der Braut wird der zunehmende Vollmond (praegnans … Cynthia) verglichen, der sich von der Sonne (Phoebus als Beiname Apollos) Licht erborgt und so die anderen Sterne (fratres … minores) überstrahlt. 68 Cum totum praegnans] Silvae: Aurea cum totum 69 Atque nothâ] Silvae: Et nitida 70 Incassum] Silvae: Incussum (zweifellos ein Druckfehler). 70 plaustro tardi luctante Bootis] Ähnlich Ovid, Metamorphosen 2,176f.: … Boote, / Quamvis tardus eras et te tua plaustra tenebant. Nach Eratosthenes, Katasterismoi 8, versetzt Jupiter Arkas, seinen Sohn von Kallisto, unter die Sternbilder, nachdem deren Vater, Lykaon, ihn zerstückelt hat. Als ‚Ochsentreiber‘ gehört er zum Sternbild des Wagens. 71 Gnosiacaeque … coronae] Die Krone Ariadnes, einer Prinzessin aus Knossos, wurde von Bacchus in ein Sternbild verwandelt; vgl. Ovid, Metamorphosen 8,176–182. 72 victore Draconis] Wohl Perseus, der die Medusa Gorgo tötet. Über die Ursache seiner Versetzung unter die Sternbilder gab es im Altertum differierende Traditionen. 73 f.] Daß die Lyra des Orpheus Bäume und Tiere anzieht, erzählt Ovid, Metamorphosen 10,86–105 und 143f.; ebd. 11,42 nennt er den Klang dieser Lyra auch saxis auditum. Nach Eratosthenes, Katasterismoi 24, wird die Lyra von Juppiter auf Bitten der Musen unter die Gestirne versetzt. 75 Cornibus] Die Hörner beziehen sich auf Cynthia, die Mondgöttin, selbst (vgl. V. 68), das Vollwerden des Mondes ist Erneuerung seiner Hörner, so z. B. Ovid, Metamorphosen 1,11: reparabat cornua Phoebe. 77 vertice] Silvae: culmine 78 f.] Anspielung auf das Parisurteil, in dem Venus, der Mutter des Aeneas, der Preis der schönsten Frau zuerkannt wurde. 79 Tyndaris] Helena heißt Tyndaris als Tochter des Tyndareus, Königs von Sparta. 80 Laomedonteás … arces] Laomedon ist der Vater des Priamos, seine Stadt also Troja. 81 Hac] Silvae: Hoc 82 Praxitelis] Praxiteles (4. Jh. v. Chr.) war einer der berühmtesten griechischen Bildhauer. Eine im Louvre befindliche, ihm zugeschriebene Statue der Artemis/Diana stammt wohl nicht von Praxiteles. 84 bacca Jndica] Die geschätztesten Perlen kamen im Altertum aus Indien, besonders von der Meerenge zwischen Indien und Ceylon (Taprobane); vgl. Plinius, Naturalis Historia 6,81. 88 f. disertum … prodentia verba parentem] Der Lobpreis der Braut schließt – ungewöhnlich für die Kasualdichtung der Zeit – mit einem Hinweis auf die vom Vater ererbte eloquentia. 92 doloris] Der Genetiv scheint – gegen alle Beispiele aus der Grammatik – von natae abzuhängen.

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100 Morbis] Silvae: Flammis 102 Primas visus agit] Opitz zitiert deutlich das Konzept der quinque lineae amoris an (Curtius, S. 501 f.). Dem visus folgen alloquium (V. 109), tactus (V. 138) und osculum (V. 139). Auf die letzte Stufe (coitus), die von der Sprechsituation aus gesehen in der Zukunft liegt, weist der Schluß des Gedichtes voraus (V. 148). 103 Deprendi] So auch Silvae. Eine Konjektur Deprendit, wie sie GW fordert, erscheint nicht notwendig. 106 crescens pedetentim] Silvae: tandem succrescens 107 Dedidicit … metum] Die Junktur findet sich bei Claudian, De raptu Proserpinae 1 praefatio 10. 109 verba sequuntur] Vgl. Cato maior, Fragment 15: rem tene, verba sequentur. 110 Cecropiis … loquelis] Kekrops ist ein mythischer König von Athen; das Adjektiv wird häufig mit Bezug auf die Weisheit und Beredsamkeit der klassischen attischen Schriftsteller verwendet. 111 majora] Silvae: maiori 111 colorum] Auf den Regenbogen bezogen ist color in eigentlicher, auf die Redegewandtheit des Bräutigams bezogen in rhetorisch-uneigentlicher Bedeutung zu denken; vgl. Quintilian, Institutio oratoria 4,2,88–100. 112 Thaumantia] Iris als Tochter des Thaumas heißt regelmäßig Thaumantias (z. B. Ovid, Metamorphosen 4,480; Vergil, Aeneis 9,5); Opitz weicht hier aus Unkenntnis oder aus metrischen Gründen von der überlieferten Form ab. Die Alternative Thaumantis (Ovid, Metamorpohosen 11,647; Daniel Heinsius: Hipponax ad Thaumantidem – ein Gedicht, das Opitz kannte) wäre metrisch hier mit der gewählten Form gleichwertig. 114 secura sui] Im Gegensatz dazu heißt es V. 124: Nescia vulnus alit. Die keimende Liebe erschüttert zunächst das (kindliche) Selbstvertrauen, bevor auf einer höheren Stufe (V. 140f.: cursum … peregit Virginitas) die Reife zur Heirat erreicht wird. 115 genus hoc duplex] duplex könnte mit ‚falsch‘ übersetzt werden, was jedoch im Zusammenhang wenig Sinn ergäbe. Vielleicht denkt Opitz eher an die Zwischenstellung der Braut im Übergang vom Mädchen zur Frau; vgl. auch die vorige Anm. 122 stolidos nympharum animos] Silvae: stolidas hominum mentes 126 solitoque] Silvae: gratoque 127 languorem] Elision über die Versgrenze hinweg. 128 f. macies artûs … Distulit] Vgl. Ovid, Heroides 11,27: macies adduxerat artus. Die ganze Passage V. 123–129 ist von der Schilderung liebeskranker Frauen in den Heroides inspiriert. 130 faceret] Silvae: faciat 131 Paeoniae … herbae] So auch bei Vergil, Aeneis 7,769: Paeoniis … herbis (nach dem Heilgott Apollon Paionios).

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Kommentar zu S. 154 –156

132 Machaonis] Machaon ist in der Ilias einer der Ärzte im Heer der Griechen vor Troja; später wird der Name appellativisch (‚ein Arzt‘) gebraucht. 141 Titan] Bezeichnung für den Sonnengott Helios wegen dessen Abstammung von dem Titanen Hyperion; vgl. Vergil, Aeneis 4,119; Ovid, Fasten 1,617. 142 auricomos … currûs] Die Vorstellung begegnet in Verbindung mit der Sonne auch bei Valerius Flaccus, Argonautica 4,92: Sol auricomis cingentibus Horis. 142 stagna … Tartessia] Nach Tartessos, einer Stadt in Spanien; gemeint ist die westliche Hemisphäre der Alten Welt als Bereich des Sonnenuntergangs. 143 longorum] Konjektur für die im Erstdruck und in den Silvae überlieferte und von Schulz-Behrend übernommene unpassende Form longarum. 143 f. alas Nox pandet] Die Vorstellung ist in der Antike geläufig; vgl. Vergil, Aeneis 8,369: Nox ruit et fuscis tellurem amplectitur alis. 145 Noctivagae … faces] Die Wendung findet sich bei Lukrez, De rerum natura 5,1191. 149 Hespere] Der Abendstern wird in Catulls großem Hochzeitschorlied Vesper adest (carmen 62) programmatisch angeredet, und zwar furchtsam von den Mädchen (V. 20: Hespere, quis caelo fertur crudelior ignis?), in freudiger Erwartung von den jungen Männern (V. 26: Hespere, quis caelo lucet iucundior ignis?). 149 qui] An dieser Stelle ist eine Aposiopese anzusetzen. 150 vigiles … lucernas] Dieselbe Wendung findet sich in Horazens Trinklied Ode 3,8,14; dort werden die Lampen zur Feier allerdings gerade aufgestellt. 151 oestro] Erstdruck: aestro; hier nach der Fassung der Silvae korrigiert. 152 describere versibus. At nos,] Silvae: melius describere verbis. 153 f.] Nicht in Silvae. 153 socco … leviore] soccus ist der von den Komödienschauspielern getragene Schuh, metonymisch steht das Wort entsprechend ausschließlich für die Komödie. Die Junktur soccus levis begegnet antik nur bei Ovid, Epistulae ex Ponto 4,16,30, wo von den Komödien eines gewissen Melissus, Hofbibliothekar des Kaisers Augustus, die Rede ist. Gleichwohl ist es nicht wahrscheinlich, daß Opitz hier dem pfälzischen Dichter Paul Schede Melissus (1539–1602), einst Leiter der Bibliotheca Palatina, seine Reverenz erweisen will. 154 proles Latonia] Apollo, Sohn der Titanentochter Latona. [R.S.]

QU od ver praeterito – SC ilicet hoc reliquos Zwei Hochzeitsgedichte für Caspar Kirchner und Martha Queisser Dünnhaupt, Nr. 45. II; – N UPTIAE P OE -|TICAE , | â | C ASPARO | K IRCHNERO | V !iro" et Poëta [sic!] optimo | E T | M ARTHA | Qveisseria | Amabilissimâ Puellarum | Celebrandae, | â P RIMARIIS P OETIS | Decantatae. | L IGNICII T YPIS S ARTORIANIS. – o. J. [1619] (UB Breslau:

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355 150), fol. A2r-A3v. Beide Gedichte wiederabgedruckt (das zweite mit wenigen, aber wichtigen Änderungen) in: Silvae, S. 63–66. Textwiedergabe hier, wie auch in GW 1, S. 138–141, nach dem Erstdruck. Über Opitzens Bunzlauer Vetter Caspar Kirchner (1592–1627) sind wir durch einen ausführlichen Lebensbericht, den Opitz für Nikolaus Henels – unveröffentlichtes – landeskundliches Kompendium Silesia Togata verfaßte, einigermaßen gründlich, aber vielleicht nicht immer zuverlässig informiert (Druck bei Reifferscheid, S. 545–550). Kirchner besuchte die Schule in Bunzlau und danach entweder das Gymnasium in Breslau oder die Universität in Frankfurt/Oder (Rubensohn, 1899, S. 228), studierte seit 1615 in Straßburg und begab sich 1617 auf eine Bildungsreise, die ihn u.a. nach Basel (Dichterkrönung 5. April 1617; s. u.), nach Leiden (Immatrikulation 30. Juni 1617; vgl. Album studiosorum Academiae Lugduno Batavae MDLXXV-MDCCCLXXV …, hrsg. von Willem du Rieu. Den Haag 1875), nach England, Frankreich und wiederum nach Leiden führte, wo Daniel Heinsius ein Propemptikon für ihn schrieb (leicht zugänglich bei Reifferscheid, S. 546). Gleich nach seiner Rückkehr im Frühjahr 1618 wurde er Lehrer an der Schule in Bunzlau (vgl. Wernicke, S. 306), 1622 Bibliothekar und später Rat des Fürsten Georg Rudolf von Liegnitz. 1625 reiste Kirchner mit einer Gesandtschaft der schlesischen Fürsten und Stände nach Wien, wohin er auch Opitz mitnahm und wo er selbst geadelt wurde. Im Jahr 1627 starb er. Senftleben, fol. A7v, weicht zwar in der Angabe des Geburtsjahres (1593) ab, führt aber zu Kirchner bereits ebenfalls aus: Heinsio, Scriverio aliisque Summis viris olim percharus, Collega in Gymnade Patria, hinc Illustriss. Lygiorum Principis, nec non Sacratissimae Caesareae Majestatis Consiliarius. Von Kirchner sind einige deutsche Gedichte im Anhang der Teutschen Poëmata von 1624 abgedruckt (GW 2.2, S. 242–250). Daß Opitz seine Kenntnis der volkssprachlichen niederländischen Gedichte ihm verdanke, ist nicht richtig; vgl. den Kommentar zum Aristarchus; Bornemann, S. 24. Gedichte und Widmungsschreiben, die Opitz für Kirchner verfaßte, sind GW 1, S. 134 f., zusammengestellt. Zu Kirchners Hochzeit am 19. März 1619 erschienen mindestens drei Bändchen mit Gelegenheitsgedichten (vgl. GW 1, S. 138), an zweien von ihnen hat Opitz mitgearbeitet: Zu einem Band mit Beiträgen von Kirchners Straßburger Freunden steuerte er ein deutschsprachiges Gedicht bei (GW 1, S. 135–137), während die beiden hier präsentierten lateinischen Texte einem in Liegnitz erschienenen Band entstammen, der in auffälliger Weise das Gedenken an Daniel Heinsius pflegt. Dessen 1617/18 entstandenes, sonst offenbar nicht gedrucktes Propemptikon für Kirchner eröffnet die Sammlung, darauf folgen die Epithalamien: ein lateinisches von Philipp Schreiner, der sich als ehemaliger Leidener Studiengenosse Kirchners zu erkennen gibt (Immatrikulation 29. Mai 1617), die beiden Texte von Opitz, ein kurzes lateinisches Gedicht eines nicht näher bekannten Thomas Schramus sowie ein niederländisch-deutsches Alexandriner-Epithalamium von Daniel Crombein, der an gemeinsam mit Kirchner verlebte Leidener Tage erinnert (Immatrikulation 3. Juli 1617); zum letzten Text vgl. Georg Witkowski: Ein unbekannter Vorläufer Martin Opitzens, in: Euphorion 8 (1901), S. 350–352, Nachtrag S. 723. Nach GW 1, S. 138, folgen „auf einem angefügten halben Bogen“ noch Gedichte von Bernhard Wilhelm Nüßler, Jonas Milde und Simon Grunaeus. Dieser halbe Bogen liegt dem von uns benutzten Exemplar nicht bei. Den Kern der Sammlung nehmen jeweils Texte von

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Personen ein, die mit Leiden in Kontakt standen bzw. (im Falle Opitzens) bald darauf in Kontakt treten sollten. – Zu Kirchner vgl. Ernst Höpfner: Straßburg und Martin Opitz, in: Beiträge zur deutschen Philologie. Julius Zacher dargebracht […]. Halle 1880, S. 293–302; Reifferscheid, passim; Rubensohn (1895, 1899), passim; GW 1, S. 133–135 und passim; Klaus Garber: Kirchner, Caspar, in: Killy, Bd. 6, S. 336; Edward Białek: Über den Bunzlauer Dichter Caspar Kirchner und sein Stammbuch, in: Orbis Linguarum 6 (1997), S. 297–302; Flood, Bd. 2, S. 998–1000.

[Nuptiarum Promulsis] Das Gedicht gliedert sich in vier klar aufeinander aufbauende Abschnitte: Die Anfangsverse lassen – für das Jahr von Kirchners Rückkehr – mit dem Motiv des bei der Ankunft (Adventu) hereinbrechenden Frühlings die konventionelle Schilderung eines Herrscherintroitus anklingen (V. 1–7), darauf wird – für das gegenwärtige Jahr – antithetisch das entgegengesetzte Phänomen eines lang dauernden Winters suggeriert (V. 7–16), was mit der Enttäuschung Apollos und der Musen wegen Kirchners Abwendung von der gelehrten Dichtung begründet wird (V. 17–26). Am Schluß fügt der Sprecher seine Entscheidung für die literarische Form des lusus an, womit er die vorangegangene, im Modus der argutia geführte Argumentation poetisch legitimiert. – Versmaß: Hendekasyllabi. Promulsis] Eine erotische Konnotation des Begriffes findet sich bei Petronius, Satyricon 24,7: in promulside libidinis. – Der Titel des Gedichtes lautet in Silvae: AD CASP. KIRCHNERVM, S PONSVM . 1 praeterito … anno] Kirchner kam Anfang 1618 von seiner Studienreise zurück – sicher von den Landsleuten freudig empfangen, doch seine „gewiß von ganz Schlesien angestaunte Freundschaft mit Heinsius“ (Rubensohn, 1899, S. 61) wurde von den Literarhistorikern des 19. Jahrhundert maßlos überschätzt. Von dem Propemptikon (s.o.) abgesehen sind keinerlei Kontakte zwischen Heinsius und Kirchner bezeugt, und auch Opitzens Formulierung, Kirchner habe von den Leidener Gelehrten praestantissimum quemvis in amicitiam suam pertraxit (Reifferscheid, S. 546), dürfte Ausfluß zeittypischer Hyperbolik sein. 4 radiis polus micabat] Vgl. Seneca, Thyestes 825: nec ullo micat igne polus. 9 f. paternum … fluentum] Der Bober, das Flüßchen, an dem Kirchners und Opitzens Heimatstadt Bunzlau liegt und wo nach dem GW 1, S. 133, genannten Druck die Hochzeit stattfand. 10 constiterit gelu fluentum] Nach Horaz, Ode 1,9,3 f.: geluque / Flumina constiterint acuto. 19 f. Pindi, Parnassum dominae] Beide Berge galten in der Antike als Musensitze – der Pindus etwa bei Horaz, Ode 1,12,5 f. –, in der Gegenüberstellung ist der bivertex Parnassus (Statius, Thebais 1,628f.) allerdings als Anspielung auf die Brüste der Geliebten zu verstehen. 21 Pataraeus] Apollo als Herr des Orakels in Patara, einer an der südlichen Landspitze Lykiens gelegenen Seestadt; vgl. Horaz, Ode 3,4,64: Patareus Apollo.

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23 dominis suis] Es sind wohl Baumnymphen (Dryaden) gemeint. 27 f. Maronis Summi] Die Junktur findet sich bei Martial, Epigramme 12,4,1. Maro (Vergil) steht für umfangreiche Hexameterdichtung. Ob man aus dieser Stelle den sonst von Opitz geäußerten Hinweis auf ein geplantes, dann aber nicht ausgeführtes Epos herauslesen sollte (vgl. Rubensohn, 1895, S. 65), scheint fraglich. Es kann auch an die Tradition der hexametrischen Epithalamien (Statius, Claudian) gedacht werden, von denen sich Opitz hier durch die Wahl eines kurzen, in der kolloquialen Form des lusus gehaltenen Hendekasyllabengedichtes absetzt. Eine andere mögliche Deutung der Stelle läßt sich aus dem gleichzeitig entstandenen deutschen Epithalamium ableiten, wo es in Bezug auf die bevorstehende Hochzeitsnacht heißt: „Was Maro nie gewußt/ wird jetzt ins Werck gericht“ (GW 1, S. 136). 29 Gyros contraho carmen in minores] Vgl. Cicero, De oratore 3,70: ex ingenti … oratorem … campo in exiguum … gyrum compellitis. 32 puto] Silvae: quoque

[In Nuptias Casp. Kirchneri] Die Argumentationsstruktur dieses Epithalamiums ist in gewisser Weise vergleichbar mit der der Promulsis. Im ersten Teil (V. 1–29) wird das bisherige Leben Kirchners als Gelehrter rekapituliert, wobei ironisch die aufgewendeten Mühen als ‚vergeblich‘ vor dem Hintergrund des ‚falschen‘ Entschlusses zur ehelichen Verbindung registriert werden. Der zweite, auch graphisch abgesetzte Abschnitt (V. 30–54) stellt dann die Ehe als konsequentes Fortschreiten im geglückten Lebensgang dar (Nunc aliis opus est conatibus). – Versmaß: Hexameter. Titel] Silvae: IN NVPTIAS EIVSDEM. 1 SC ilicet hoc] Die ironische Wendung, mit der eine Frage bzw. Gedankenreihe vorausgesetzt oder abgeschlossen wird, findet sich etwa auch bei Vergil, Aeneis 2,577 f.: Scilicet haec [Helena] Spartam incolumis patriasque Mycenas / Aspiciet … 3 vastum currimus aequor] Nach Vergil, Aeneis 3,191: vastum … currimus aequor. 4 post tanta … discrimina] Vgl. Vergil, Aeneis 1,204: per tot discrimina. 4 vela legamus] Vgl. Vergil, Aeneis 3,532: vela legunt socii. 6 AEneae … mater] Venus. 7–10 Namque ferunt … vidisse deam] Der Beginn der Beziehung zur Braut Martha Queisser wird auch in dem deutschen Hochzeitsgedicht (GW 1, S. 135) nach England verlegt bzw. zeitlich auf den Aufenthalt dort fixiert, ohne daß jener Text zur Erklärung dieses Umstands mehr hergäbe als der vorliegende. Möglicherweise erreichte Kirchner auf seiner peregrinatio gerade in England die Nachricht, daß sein Werben um die Braut Erfolg gehabt hatte.

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9 illabitur agros] Ungewöhnliche Konstruktion; vgl. Silius, Punica 8,453f.: pater ingenti medios illabitur amne / Albula. 11 audacis … carinae] Vgl. Seneca, Medea 607 f.: quisquis audacis tetigit carinae / nobiles remos … 15–26] Die im folgenden umschriebenen gelehrten Interessen Kirchners schildert auch der Leidener Kommilitone Philipp Schreiner (s. o.) in seinem Epithalamium (fol. A1v–2r): Sola illi cura est, celorum [sic] psallere Regi, / Aut legere aeterni dulce Platonis opus, / Nunc etiam prisci colludere vatibus aevi, / Nunc summa audaces ferre per astra pedes. Es handelt sich also um die Disziplinen Theologie (wofür er in Leiden immatrikuliert war) einschließlich geistlicher Dichtung, Philosophie, Poetik/Rhetorik und Astronomie. 15 Iccircò] Führt SCilicet (V. 1) variierend weiter. 15 docti … caeli] Infolge einer Erweiterung des antiken Sprachgebrauchs ergibt sich die paradoxe Formulierung, daß das, was Gegenstand von Gelehrsamkeit ist, selbst gelehrt heißt. 16 Astrorumqve vagos … recursûs] Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 88,26: cursus et recursus et quasdam obversationes [caelestium]; dagegen wird die Unregelmäßigkeit bestritten von Manilius, Astronomica 1,475: Non varios obitus norunt variosque recursus [signa]. 17 quicquid non novit humus] Als Gegenbegriff zum Himmel begegnet humus wie hier z.B. bei Ovid, Fasten 1,250: Ultima de superis illa [Iustitia] reliquit humum; Horaz, Oden 3,2,21–24: Virtus … /Coetusque vulgaris et udam / Spernit humum fugiente penna. 17 f. centrum … radium] Gemeint sind der Mittelpunkt des Kreises und der darin eingestochene Schenkel des Zirkels. 18 f. lignea … Terra] Ein Globus aus Holz; vgl. bei Ovid, Fasten 6,269–280, die Beschreibung von terra als Kugel unter Anspielung auf das Modell des Archimedes. Im deutschen Hochzeitsgedicht heißt es entsprechend: „Wo ist der Weißheit zier/ | Mit der jhr ohne schertz giengt vielen andern für? | Wo ist der Circkel denn mit welchem jhr der Sternen | Vnd Himmels eygenschafft gepfleget zuerlernen?“ (GW 1, S. 136). 20 Uranie] Die Muse der Astronomie ist bei Catull die Mutter des Hochzeitsgottes Hymenaeus, der carmen 61,2 Uraniae genus angeredet wird. Im Falle Kirchners steht die Muse wohl auch stellvertretend für seine wissenschaftlichen Interessen; die Astronomie gehörte zu den sieben artes liberales. Im selben Jahr formulierte Johann Michael Moscherosch: Ego DEO O. M. volente studebo theologiae, S. linguae et Astronomiae et historicis (Walter E. Schäfer: Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker und Pädagoge im Barockzeitalter. München 1982, S. 34). 21 Virtutis dos ista tuae est] Die Mitgift besteht in der virtus des Mannes, die dieser mit der Eheschließung aufgibt – so die Befürchtung der sodales; ironischer wäre die Deutung, daß die Mitgift der Frau (was dos eigentlich bedeutet) darin besteht, daß der Mann seine virtus aufgibt. 21 f.] Da Kirchner nicht in Rom war, steht Roma hier wohl metonymisch für die klassische Bildung bzw. für Italien als Ursprungsland des Humanismus.

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22 Grassere] Dazu vgl. Opitzens Kirchner-Biographie bei Reifferscheid, S. 546: … inde [von Straßburg aus] Basileam obiter digressus a Io. Iac. Grassero, qui convictorem eum in diplomate suo vocat longe suavissimum, laurea donatus est. Kirchner wurde also von Grasser zum Dichter gekrönt (coronae Dona), was auch aus dem Titel einer der Hochzeitsschriften (GW 1, S. 133: … Kirchnero Poetae-Caesareo …) hervorgeht. Flood, Bd. 2, S. 999, druckt das in Basel ausgestellte Diplom von Kirchners Dichterkrönung ab. Zu Johann Jacob Grasser (1579–1627) vgl. Hellmut Thomke: Die Stellung Johann Jacob Grassers im Umkreis der oberrheinischen und schweizerischen Literatur, in: Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter …, hrsg. von Martin Bircher. Wiesbaden 1984 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 12), S. 119–134. 23 Heinsi] Opitzens eigene Beziehungen zu dem berühmten Leidener Professor Daniel Heinsius (1580–1655), einem der bedeutendsten Vertreter des europäischen Späthumanismus, sind gut untersucht (grundlegend Bornemann, ältere Studien wie vor allem Rubensohn 1895/1899 sind gleichfalls wertvoll; vgl. generell die Indices in GW), allerdings stand bislang meist die Anregung zu muttersprachlicher Dichtung durch Heinsius’ Nederduytsche Poemata (1616) im Vordergrund des Interesses. In jüngster Zeit gerät auch der Einfluß der lateinischen Dichtung des Niederländers auf die gleichfalls lateinischen Schriften Opitzens in den Blick der Forschung (Seidel, 2006b, zum Hipponax ad Asterien), doch bleibt dieser Aspekt im Kontext weiterer Studien zu den niederländisch-deutschen Kulturbeziehungen im frühen 17. Jahrhundert noch genauer zu untersuchen. Opitz hat Heinsius wohl nur einmal, auf seiner Reise von Heidelberg nach Jütland im Spätherbst 1620, getroffen, als er den Weg über Leiden nahm (die überlieferte Korrespondenz enthält einen einzigen Brief von 1638; vgl. Conermann/Herz, S. 119f.). Von einem ‚Studium‘ Opitzens in Leiden, wie es etwa für Kirchner und andere Schlesier belegt ist, kann jedenfalls nicht die Rede sein. Die wichtigsten Zeugnisse für Opitzens Verehrung des Leidener Philologen sind, neben der berühmten Aristarchus-Passage (fol. C2r, s. Kommentar zur Stelle), die schon während der Anreise in Rheno flumine verfaßte Elegie AD DANIELEM HEINSIVM (Silvae, S. 38–40) sowie das deutsche Gedicht Auff Danielis Heinsii Niederländische Poemata (GW 2.2, S. 741–743). In beiden Texten werden die kulturpatriotischen Leistungen des niederländischen Gelehrten vor dem Hintergrund konfessionspolitischer Auseinandersetzungen gewürdigt; Opitzens Anspruch, die Rolle des Heinsius für die ‚deutsche Nation‘ nicht nur in literarischer Hinsicht übernehmen zu wollen, tritt hier bereits deutlich hervor. 24 Doctrinam] Zum Zusammenhang von doctrina und der im folgenden gemeinten Naturanlage vgl. Horaz, Oden 4,4,33: doctrina sed vim promovet insitam. 24 –26 Doctrinam … ausis] Silvae: Doctrinam et dulces numeros, tam grandibus ausis – Die ursprüngliche Formulierung ist in der Struktur des Nebensatzgefüges grammatisch etwas kühn, doch dürfte die Verkürzung in der Ausgabe von 1631 vor allem darauf zurückzuführen sein, daß man inzwischen keinen kulturellen Rückstand gegenüber den Niederländern mehr empfand. Dieser Rückstand bezieht sich 1619 zweifellos auf das gelehrte Dichten in der Muttersprache, worin eben Heinsius Kirchner – und Opitz – vorangegangen war.

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25 poli … maligni] Da dem Himmelsstrich hier zugleich eine Gegend auf der Erde entspricht, wäre vergleichbar Vergil, Georgica 2,179: difficiles … terrae collesque maligni. 26 rudes] Die Vokabel bezeichnet das noch Unbearbeitete, Ungebildete; vgl. Ovid, Ars amatoria 3,113: Simplicitas rudis ante fuit, nunc aurea Roma est. Damit wird also die Bildungsfähigkeit der Deutschen nicht ausgeschlossen, sie sind nur noch nicht so weit, wie die Niederländer mit Heinsius es bereits sind. 27 f. Invenit Cytheréa modum … scribetur in ulnis] Die Wahl des Verbums invenire könnte auf die ‚Erfindungskraft‘ der Venus (Cytheréa; V. 44 Cypri regina) anspielen. Von Kirchner wären in Zukunft keine ‚bedeutenden Unternehmungen‘ (V. 26) etwa in der Wissenschaft, sondern – wenn überhaupt – schmale Liebesdichtungen zu erwarten. 27 f. quodcunque requiret Posteritas] Der Gedanke an die Nachwelt konnte in der Antike Ansporn zu großen Leistungen sein; vgl. Tacitus, Annalen 4,35,3: suum cuique decus posteritas rependit. Für die Humanisten war die Posteritas eine wichtige Instanz, die auch personifiziert gedacht werden konnte. Vgl. den Kommentar zum etwa gleichzeitig entstandenen Hochzeitsgedicht auf Gottfried Jacobi (NI ße Pater, 1619). 30 FE lix quem] Die tradierte Formel der Glücklichpreisung leitet über zu einer Argumentation, die – von der Textinstanz aus gesehen – im Gegensatz zum ersten Abschnitt keine klaren Ironiesignale aufweist. 30 externis … assurgere chartis] Die vorgelegte Übersetzung dieser Stelle ist interpretierend. Die ganze Passage bis V. 33 erscheint recht manieriert. 33–37 sitis … optas] Hier wird ein Leben charakterisiert, das Kirchner, wie Opitz, bisher geführt hat. Besonders durch die Formulierung vix nomen inane est (V. 35) wird der erstrebte Ruhm allerdings diskreditiert, mithin der Umschwung in Kirchners Lebensführung gebilligt. 34 vicinior astris] Der Komparativ von vicinus findet sich bei Ovid, Fasten 6,275 ( parti vicinior), in der oben angezogenen Beschreibung der Erde im Kosmos. 36 inexhaustó noctuque diuque labore] Ähnliche Formulierung in Opitzens Hipponax ad Asterien, V. 239 f. 39 f. annos … juventae] In der deutschen Fassung heißt es etwas bedrohlicher: „Dann als die Göttin [Venus] sah wie jhr auß lust der Tugend | Auffgabet williglich die blüt’ an ewrer Jugend …“. 39–41 Si fines … omnes] Silvae: Si fines tua Fama suos habet, hactenus omnes – Die etwas ungeschickte Verkürzung ist sachlich nicht zwingend. Kirchner war zum Zeitpunkt der Herausgabe der Silvae bereits verstorben, und das Epithalamium mußte ohnehin situativ auf den Moment der Hochzeit bezogen bleiben. 43 hanc] Zu ergänzen wäre operam (nach operas im vorhergehenden Vers) oder virtutem (V. 40). In Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs R 402), S. 792, heißt es: Vindicat hoc Natura sibi; depone tributum; entsprechend in Hs. Klose 175 (UB Breslau: Akc. 1949/713, ehem. StB Breslau: Hs. Klose 175).

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43 depone tributum] deponere heißt streng genommen nicht ‚entrichten, bezahlen‘. Es wäre denkbar, eine Ellipse anzunehmen und tributum prädikativ aufzufassen: ‚Gib sie – die Mühe – als Tribut an Venus auf.‘ 45 eventu … impare] Vielleicht Anspielung auf das Verhältnis Opitzens zu Rosina Cüchler, seiner „Asterie“ (V. 52); vgl. Kommentar zu Hipponax ad Asterien. 45 vulnera] Die Leiden der Liebe wie bei Properz, Elegien 2,22,7: nostri quaerunt sibi vulnus ocelli. 46 voti … compos] Vgl. Horaz, Ars Poetica 76: voti sententia compos. 46 f. casta … formosa] Zur Antithese vgl. die provozierende Formulierung bei Ovid, Amores 1,8,43: Ludunt formosae; casta est, quem nemo rogavit. 47 animoque simillima fronti] Vgl. die negative Formulierung bei Tacitus, Historien 1,22: Non erat Othonis mollis et corpori similis animus. Möglicherweise spielt Opitz bewußt auf das antike Ideal der ‚Kalokagathia‘ (gleichmäßige Vortrefflichkeit von Körper und Geist) an. 50 ab avo descendimus uno] Sebastian Opitz (der Vater des Dichters), Kirchners Mutter und der Bunzlauer Rektor Christoph Opitz waren Geschwister, Opitz und Kirchner also Enkel desselben Großvaters. Opitz nennt Kirchner daher amitinum meum (Reifferscheid, S. 545), und beide hatten bei ihrem Onkel Christoph (avunculo etiam suo, patruo meo; ebd.) in Bunzlau den ersten Unterricht. Nach Senftleben, fol. B1r, war Christoph Opitz im übrigen Graece doctissimus. 51 Praesenti non esse licet] Über den Verbleib Opitzens im Frühjahr 1619 gibt es keine eindeutigen Quellen. Er dürfte sich in Bunzlau oder Görlitz aufgehalten haben (ausführlich dazu die Untersuchung von Rubensohn, 1895/1899), seine Immatrikulation in Heidelberg fand jedenfalls erst am 17. Juni 1619 statt. Nach Silvae, S. 101, war er bei Kirchners Hochzeit gewissermaßen ‚auf dem Weg‘ nach Heidelberg. 53 reduci alite laeto] Opitz kehrte nach Aufenthalten in Heidelberg, Leiden und Dänemark erst im Sommer 1621 nach Schlesien zurück. 54 detur vestros] Silvae: vestros detur 54 vestros … natos] In seiner Biographie Kirchners zitiert Opitz eine von diesem in seinen letzten Lebenswochen verfaßte Elegie, in der er seiner Frau die Kinder ans Herz legt: Annula, Casparus, Theodorula, Martha, Rosina, / Haec sunt, quae fidei pignora mando tuae (Reifferscheid, S. 549). Auf die Geburt von Kirchners Tochter Maria Theodora hat Opitz ein Sonett verfaßt, das 1625 in den Acht Büchern Teutscher Poematum gedruckt wurde (GW 2.2, S. 581 f.). [L.C., R.S.]

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CE rnis ut exutâ Epithalamium für Jonas Klimpke und Anna Rose Dünnhaupt, Nr. 46; – Nuptiali Sacro | Reverendi et Doctissimi Viri, | Dn. J ONAE K LIMPKII , | Ecclesiae Fischbachicae Pastoris | vigilantissimi, | SPONSI , | et | Lectissimae Castissimaeque Virginis | A NNAE R OSAE , | Integerrimi et Honestissimi Viri, | Dn. M ARTINI R OSAE , p!iae" m!emoriae" Civis | quondam apud Gorlicenses et | Mercatoris, relictae Filiae, | SPONSAE. | Ad 15. April. A.C.M.DC.XIX. | celebrando, applaudunt | Amici, Fautores. | GORLICII | E X S C R I PTA ST VDI O I OHANN I S RHA M BAE . – o.J. [1619] (UB Breslau: 443 284), fol. B4v. Abdruck nach einem defekten Exemplar und teilweise mit Lesefehlern in: GW 1, S. 143. Wiedergabe hier nach einem gut lesbaren Exemplar des Erstdrucks. Der Pastor Jonas Klimpke im niederschlesischen Fischbach bei Hirschberg wurde später Diakon und Archidiakon in Strehlen, wo er 1633 starb. Seine Gattin stammte aus einer Görlitzer Kaufmannsfamilie. Die vier Quartbögen umfassende Gedichtsammlung enthält u.a. Epithalamien der Görlitzer Gelehrten, angeführt vom Hauptpastor Gregor Richter und vom Rektor Elias Cüchler, sowie Texte von Verwandten der beiden Brautleute. Außer Opitz, der seinem Gedicht eine deutsche Version hinzufügte (fol. B4v-C1r), hat noch ein weiterer Beiträger ein deutschsprachiges Epithalamium verfaßt. – Der kurze Text basiert auf dem Einfall, daß eine Rose (s. den Namen der Braut) aus einer blühenden Umgebung (dem ‚mondänen‘ Görlitz) nach Schlesien verpflanzt werde, wo sie allerdings gleichwohl viele Blüten (Kinder) hervorbringen könne. – Versmaß: elegische Distichen. Die deutsche Fassung, ein dem vierzehn Verse umfassenden lateinischen Text in der Länge genau entsprechendes Sonett, ist hier zum Vergleich mitabgedruckt: Idem Germanicè. Sonnet. DE r sehrgewündschte Lentz die kalte Lufft verdringet; Die gantze Welt zeucht an ein newes grünes Kleid; Der zarten blumen glantz/ Hertz/ Muth vnd Sinn erfrewt; Das Vieh geht wieder aus; der Vögel schar sich schwinget; [C1r] Die Venus selber auch mit jhren Nimfen singet/ Das wald/ feld/ berg vnd thal erschallet weit vnd breit: Auch jhr/ Herr Breutigam/ bequemet euch der Zeit/ Vnd vnsrem Schlesien ein’ edle Rosen bringet. Mißgönn’ vns/ Görlitz/ doch nicht diese deine zierd: Bey vns wird gleich so wol sehr trächtig Land gespürt. Vielleichte wirst du noch in künfftig selber sagen/ Das so ein junger Baum wird anderweit verführt/ Viel eh’ als wo er wuchs zur erste/ frucht gebiehrt; Wenn diese Rose wird viel schöne Rosen tragen. 1 CE rnis ut exutâ serae formidine brumae] Leichter Anklang an den Beginn von Horaz, Ode 1,9: Vides, ut alta stet nive candidum (usw.).

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5 Diva Paphi] In Paphos auf Zypern befand sich ein Heiligtum der Venus. 7 Sponse] Konjektur für die überlieferte, metrisch und sachlich nicht haltbare Form Sponsae. [R.S.]

Qvid mihi cum viduo? Hochzeitsgedicht für Johann Tscherning und Anna Wolfram Dünnhaupt, Nr. 47; – [Thalassio, Lectissimis Sponsis … Jano Tscherningio, Senatori Boleslaviensi, … nec non … Annae Wolfrombiae … Pridie Non. Septembris Anno 1619 … Decantatus a cognatis et amicis. Gorlicii eX offICIna RhaMbaVIana proDIt.] [1619], fol. A3v. Original nach Dünnhaupt und GW nicht auffindbar; Teilabdruck in GW 1, S. 142, nach Zitaten aus der Forschung (mit Nachweisen) sowie Textabdruck in GW 2.2, S. 795, nach Abschrift in Hs. R 402 (STB-PK Berlin: Dep. Breslau 17, ehemals StB Breslau: Hs. R 402), S. 792 f. Unsere Ausgabe folgt dieser Abschrift. Das Epithalamium gilt dem seit 1618 verwitweten Bunzlauer Ratsherrn Johann Tscherning (1588–1666) und seiner Braut, der Gastwirtstocher Anna Wolfram; zu den Personen vgl. GW 1, S. 141 f., und Wernicke, S. 16, 305, 313. Opitzens Verse sind offenbar bereits im Juni 1619 auf der Reise von Schlesien nach Heidelberg entstanden, während die Hochzeit selbst am 4. September stattfand. Der Text gliedert sich in eine fiktive Rede, wie sie die ‚leichtfertigen‘ Mädchen führen (V. 1–4), und die Stellungnahme des Sprechers, der die – entgegengesetzte – Entscheidung der Braut begrüßt (V. 5–12). Das Gedicht zeigt, daß im beginnenden 17. Jahrhundert ein Dreißigjähriger offenbar nicht mehr als ‚junger Mann‘ galt und dieses Defizit bei der Brautwerbung (vgl. ex post die eingängigen Antithesen V. 8, 10, 11f.) kompensieren mußte. Die Frage An seni uxor sit ducenda war ein beliebtes Diskussionsthema bei den Humanisten, z.B. verfaßte Poggio Bracciolini schon 1439 einen so betitelten Dialog. – Versmaß: elegische Distichen. Titel] Druck: AD SPONSAM (bezeugt laut GW). 9 Prolis] Konjektur für Proles in der Abschrift. Unterschrift] Druck: Martinus Opitius relinquebat Lipsiae (bezeugt laut GW). [R.S.]

Vt primum Venere – Exnerus teneri Hochzeitsgedichte für Balthasar Exner und Eva Barth Dünnhaupt, Nr. 48; – BALTH . EXNERI | De Hirschberga, Poetae Caesarii et Pro-|fessoris Historici; | ANCHORA | VTRIVSQVE | VITAE : | Hoc est | Symbolicum | SPERO MELIORA | A trecentis, qua genus, qua doctrinam Illustribus | et Clariss!imis" in Europa Viris

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Kommentar zu S. 164

Carmi-|ne celebratum: | CVI ACCESSERVNT | AMORES CONIVGALES | Et | A NALECTA E N| Ab | Illustribus quibusdam et Clarissimis passim | Viris scripta. | HANOVIAE , | Typis Wechelianis, apud Danielem ac Dauidem | Aubrios et Clementem Schleichium. | A NNO MDCXIX . (UB Breslau: 411 914), S. 245 f. Danach Abdruck in GW 1, S. 118–120. Unser Text folgt ebenfalls dem Erstdruck. Balthasar Exner (1576–1624) aus Hirschberg war seit 1614 Professor der Geschichte am Gymnasium in Beuthen an der Oder und neben Caspar Dornau der produktivste Gelehrte dieser von Opitz 1616/17 besuchten Anstalt. Er hatte die Schule in Breslau und die Universitäten von Frankfurt/Oder und Leipzig besucht, war Hofmeister bei Opitzens späterem Gönner Heinrich von Stange gewesen und vor Übernahme seiner Beuthener Professur Lehrer am dortigen Pädagogium. In Beuthen blieb er bis zu seiner durch anmaßendes Verhalten gegen den Schulgründer verschuldeten Entlassung 1622. Exner war Poeta Laureatus und ist u.a. als Verfasser von Horazparodien hervorgetreten. Wie andere schlesische Späthumanisten – vor allem Caspar Cunrad und Dornau – sammelte er Gedichte von Freunden und Kollegen zu verschiedenen Anlässen. Die Editionen dieser Texte sind heute von großem personal- und kulturgeschichtlichem Interesse. So enthält die Sammlung Anchora utriusque vitae, an die sich die Epithalamien anschließen, Gedichte von 300 Gelehrten auf Exners persönlichen Wahlspruch. Die Amores Coniugales (S. 190–247), Hochzeitsgedichte und Glückwünsche von 50 meist schlesischen Autoren, sind gemäß der ständischen Hierarchie ihrer Verfasser angeordnet: Am Anfang stehen Christoph Freiherr von Kittlitz, Tobias Scultetus von Schwanensee und Bregoschitz (bei dem Opitz in Beuthen Hauslehrer war) sowie ein weiterer Adliger. Es folgen angesehenere Professoren, Geistliche, Ärzte usw., danach Lehrer und schließlich Studenten und Schüler. Opitzens Epithalamien stehen in dieser Reihe an vorletzter Stelle. – Eine monographische Darstellung Exners wird seit langem gefordert; vorläufig s. Seidel (1994), S. 246 (mit Literaturnachweisen) und passim; Flood, Bd. 2, S. 497–499 (mit ausführlichem Werkverzeichnis). Aus polnischer Perspektive vgl. Baltazar Exner: Chryzesowa szkola. Poezje wybrane. Wybór, wstêp i przekład Zbigniew Kadłubek, Dariusz Rott. Katowice 2000 (kleine Textauswahl, Literaturhinweise). COMIASTICA

[E&'T'PAINION.] Das Verständnis des seltsam manierierten, fast surrealistisch wirkenden Gedichtes wird durch die auffällig vielen, vielleicht teilweise dem Setzer anzulastenden Verstöße gegen Grammatik und Metrik erschwert. Schulz-Behrend charakterisiert den Druck als „nachlässig“ (GW 1, S. 118) und bietet nicht immer überzeugende Konjekturen. Es ist allerdings – was bislang unbekannt blieb – zu bedenken, daß es sich um ein besonders frühes Gedicht Opitzens handelt, denn Exner weist in seinem im Januar 1619 abgefaßten Anteloquium zu den Epithalamien darauf hin, daß seine Hochzeit bereits ante triennium (S. 194), wahrscheinlich sogar schon im Frühling 1615 (vgl. den S. 199 f. eingerückten Glückwunschbrief vom 18. März 1615), stattgefunden habe, woraus sich auch erklärt, daß Opitz seinen Text (noch) nicht als Beuthener Schüler, sondern schlicht als Boleslau!iensis" unterzeichnet.

Kommentar zu S. 164

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Die im Gedicht geschilderte fiktive Handlung, die in einer bukolischen Szenerie angesiedelt ist, entspricht der Struktur nach gängigen Konventionen. Es geht – wie häufig in Epithalamien – um die Versuche des bereits erfahrenen und sich seiner Absichten bewußten Mannes, dem die Freuden der Ehe nur erahnenden Mädchen seine Furcht zu nehmen und sein Einverständnis zu erlangen. Opitz verzichtet hier auf eine mythische Einkleidung zugunsten einer Art poetischer Verführungsszene, deren Details freilich nicht immer klar zu erschließen sind. Möglicherweise sind von dem Punkt an, da die Braut ihrerseits aktiv wird (V. 11 ff.), Anspielungen in den Text eingewoben, die nur Eingeweihten verständlich waren. – Versmaß: elegische Distichen. EVAE BARTHIAE] Schulz-Behrend äußert sich nicht zur Person der Braut. Rudolf Goclenius verweist in seinem Beitrag zu den Amores coniugales darauf, daß der Vater der Braut ein Doctor sei (S. 206); präzise Angaben über die Familie werden jedoch in der Gedichtsammlung nicht gemacht. E01T1PAI2NION] Korrekt wäre die Form E01TOPAI2NION. – Zur Gattungsbezeichnung vgl. den Kommentar zu Strenarum libellus.

1 Venere] Die Konstruktion von insuetus mit Ablativ ist antik zwar nicht sicher belegt (vgl. ThLL 7/1, Sp. 2031), doch scheint eine Konjektur (GW: Veneri) gleichfalls nicht zwingend. 5 cieret] Metrisch korrekt wäre das zusammengezogene (in Analogie zu vergleichbaren Formen zu bildende) ciret, doch hat Opitz womöglich die Zugehörigkeit des Verbums zur e-Konjugation hier nicht bedacht. 5 traducere] Konjektur in GW aus detraducere 6 corditrahis] Möglicherweise eine Neubildung Opitzens. Die Überlegungen in GW gehen von einer falschen Lesung des überlieferten Druckes aus und sind daher nicht relevant. Das Gedicht weist insgesamt eine auffallende Zahl von Vokabeln auf, die weder antik belegt sind noch in Wörterbüchern zur nachantiken Periode (z.B. Du Cange) zu finden sind: perplexile (V. 7), nictitat (V. 11), cirriflua (V. 18), interplexa (V. 28), dissimulaminibus (V. 36); vgl. auch Kommentar zu V. 37. 6 animam] Konjektur in GW aus animum 8 ominibus] Konjektur in GW aus omnibus 9 audet] Konjektur in GW aus audeat 16 porricitur] GW konjiziert ohne Notwendigkeit porrigitur 17 cassus] Konjektur in GW aus casus, das als mediales Partizip nicht belegt ist. 20 mella] Vgl. Horaz, Episteln 1,19,44: poetica mella. 21 mirti] Die Verbindung der Myrthe mit Venus ist belegt bei Ovid, Ars amatoria 3,181. 25 vndique et vndique et vndique] Eine geminatio von Adverbien dieser Art begegnet nicht selten, während noch stärkere Häufung manieriert wirkt. Vgl. neben antiken Vorbildern (Catull) etwa ein Erotopaegnium (!) von Opitzens Vorbild Daniel Heinsius: Poemata. Leiden

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Kommentar zu S. 164 –168

1617, S. 317: Moxque iterumque iterumque iterumque iterumque afflavit / Udum nescio quid, nescio quid tepidum (es geht um das Küssen). 30 Dioneae] Dionea ist eines der vielen Epitheta der Göttin Venus, denn nach Homer, Ilias 5,370f., ist Dione Aphrodites Mutter. Zum Taubengespann der Göttin vgl. den Kommentar zu FL ecte, Venus, V. 1. 37 illice] Unklare Wortform; möglicherweise dachte Opitz an ein Adjektiv illicis (zu illicere).

[EPIGRAMMA.] Im Gegensatz zum Vorgängergedicht ist dieses Epigramm – gattungsgemäß – sprachlich luzider und pointierter gehalten. Die Verbindung zwischen beiden Texten liegt in der Betonung von Exners Dichterschaft. Was es mit Exners Versen zu seiner eigenen Hochzeit auf sich hat, bleibt allerdings unklar. – Versmaß: elegische Distichen. 1 desultor amoris] Vgl. Ovid, Amores 1,3,15: Non mihi mille placent, non sum desultor amoris. 6 suo] Konjektur für suae [R.S.]

JV uenantibus Poëtis Gedicht in anakreontischen Versen Dünnhaupt, Nr. 49; – Amphitheatrum | SAPIENTIAE SOCRATICAE JOCO - SERIAE , | HOC EST , | ENCOMIA ET | COMMENTARIA | AVTORVM, QVA VETERVM, | QVA RECENTIORVM PROPE OMNI-|VM : QVIBVS RES, AVT PRO VILIBVS VVLGO | aut damnosis habitae, styli patrocinio vindicantur, | exornantur: | OPVS AD MYSTERIA NATVRAE DISCENDA, | ad omnem amoenitatem, sapientiam, virtutem; publice pri-|uatimque vtilißimum: in | DVOS TOMOS | PARTIM EX LIBRIS EDITIS, PARTIM MANV-|scriptis congestum tributumque, | à | CASPARE DORNAVIO PHILOS. ET MEDICO. | … | Cum gratia et priuilegio S. Caesareae Majestatis. | HANOVIAE, | Typis Wechelianis, Impensis Danielis ac Dauidis | Aubriorum, et Clementis Schleichii. | M.DC.XIX., Bd. 1, S. 194; Nachdruck, hrsg. und eingeleitet von Robert Seidel. Goldbach 1995. Abdruck in GW 1, S. 146; Wiedergabe hier nach dem Erstdruck. Opitz stellt sich mit seinem scherzhaft-erotischen Gedicht in eine europäische Traditionslinie, die seit Henri Estiennes lateinischer Übersetzung der angeblich von Anakreon stammenden Trink- und Liebesgedichte (1554) eine große Wirkung entfaltete und so wichtige Autoren wie Julius Caesar Scaliger (Anacreontica, 1574) oder Caspar von Barth (Amabilia, 1612; Amphitheatrum Gratiarum, 1613) einschließt. Strukturbildend für die anakreontische Dichtung ist die argute Artikulation von Liebeswerben und Liebesklage mittels phantastischer Klang-, Wort- und Gedankenkonstrukte, die – im Gegensatz zur

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‚erlebnisorientierten‘ Lyrik späterer Zeiten – sich nicht um die Plausibilität der Sprechsituation sorgt. Stilistisch sind die Anakreonteen bestimmt von einem sehr weit getriebenen Manierismus (Neologismen, Diminutive, kühne Metaphern und Vergleiche), der auch die Satzstruktur mit ihren streng parallel gebauten Kola und häufigen Anaphern sowie den daraus resultierenden Gleichklang der Verse prägt. Zu Dornaus Amphitheatrum vgl. die Einleitung zum Neudruck (s. o.) sowie Seidel (1994), S. 338–364; zur anakreontischen Lyrik maßgebend Herbert Zeman: Die deutsche anakreontische Dichtung. Ein Versuch zur Erfassung ihrer ästhetischen und literarhistorischen Erscheinungsformen im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1972 (= Germanistische Abhandlungen 38), hier S. 16–32 zur neulateinischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts; speziell zum Neulatein Wilhelm Kühlmann: „Amor liberalis“. Ästhetischer Lebensentwurf und Christianisierung der neulateinischen Anakreontik in der Ära des europäischen Späthumanismus, in: Das Ende der Renaissance. Europäische Kultur um 1600 …, hrsg. von August Buck und Tibor Klaniczay. Wiesbaden 1987 (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 6), S. 165–186; zu Opitzens unmittelbarem Vorläufer Caspar von Barth vgl. ebd. sowie Humanistische Lyrik, S. 866–885 und 1493–1504. Opitz versucht sich hier, vielleicht selbstironisch auf das Bemühen der zeitgenössischen Dichter um einen möglichst sinnreichen Ausdruck anspielend, an Variationen des Themas ‚poetische Definition der Rose‘. Dabei evoziert der Text vage den Verlauf einer (fiktiven) Liebesbeziehung. Die Klangähnlichkeit von „Rosa“ mit dem angeredeten Mädchen bringt eine zusätzliche Bedeutungsnuance mit sich: „Rosilla“ – ein geläufiger Mädchenname in der anakreontischen Dichtung – bezeichnet wohl Rosina Cüchler (1603–1637), die Tochter des Görlitzer Rektors Elias Cüchler, der Opitz eine Reihe von ‚Liebesgedichten‘ gewidmet hat; vgl. zum Gedicht selbst Rubensohn (1895), S. 83–85, zur „Rosina“-Figur den Kommentar zu Hipponax ad Asterien. – Versmaß: Katalektische jambische Dimeter (Anakreonteen). 1 JV uenantibus] iuvenari ist in der antiken Literatur nur bei Horaz, Ars poetica 246, belegt. 2 ordium] Die Form ist antik nicht belegt, mit Ausnahme der bekannten Tmesis bei Lukrez, De rerum natura 4,28: ordia prima. 5 Peithûs] Peitho (hier in grichischer Genetivform) ist die griechische Göttin der Überredung, meist im erotischen Sinne zu verstehen. Das Bild ist, abgesehen von der geläufigen Verbindung von pompa mit Begriffen aus der Rhetorik, nicht ganz klar. Vielleicht sind tradierte Liebeskonzepte wie die quinque lineae amoris mitzudenken; vgl. Curtius, S. 501 f. 6 dioptra] Vgl. Johann Jacob Hofmann: Lexicon Universale …. Bd. 2. Leiden 1698, S. 79: DIOPTRA … instrumentum varii usus … . Illius ope et fastigium aquae explorabant, eamque librabant, et propugnaculorum ac turrium altitudinem venabantur, singularumque stellarum loca atque magnitudines, et invicem distantias signabant. 16 catena] Von hier an nimmt das Gedicht eine Tendenz, die es – scherzhaft – in die Nähe einer Brautwerbung rückt. 19 Obelus] Metrisch korrekt wäre die Form obeliscus. [R.S.]

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SERMO DE PASSIONE DOMINI – EVCHARISTIA Erbauungsschrift Dünnhaupt, Nr. 50.1; – MARTINI | OPITII | SERMO | DE PASSIONE | DOMINI AC | SALVATORIS NO -|STRI J ESV | C HRISTI . | Item | EVCHARISTIA , | SIVE MEDITA -| tio in sacrâ Coenâ | ejusdem. | HAIDELBERGAE , | T YPIS G OTTHARDI V OEGELINI . | A NNO M.DC.XX. (Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften, Görlitz: Milichsche Sammlung: A. IV. 4o 20.); diesem Druck folgen GW 1, S. 153–169, und unsere Ausgabe. Das zugrunde gelegte Exemplar trägt auf der Titelseite folgende handschriftliche Widmung: V!iro" Rev!erendo" D!omi"n!o" Jo!hanni" Wes-|selio affini meo et | fautori colendo d!onavit" c!onsecravit"q!ue" | Mart!inus" Opitius. Nach GW 1, S. 152, war Helena, die Frau des Bunzlauer Pastors Wessel, eine Tante Opitzens. Der Druck gliedert sich in fünf Teile: Nach dem Widmungsbrief (fol. A2r-A3v), der im Kolumnentitel als P RAEFATIO bezeichnet wird, folgen Widmungsgedichte von Julius Wilhelm Zincgref (fol. A4r) und Balthasar Venator (fol. A4r-v). Diesen schließt sich auf fol. B1r-C2v mit dem SERMO das Hauptstück des Druckes an, die EVCHARISTIA bildet (fol. C3r-C4v) den Schlußpunkt.

[Widmungsbrief] Die vier Empfänger des Widmungsschreibens sind identisch mit denjenigen, denen (vermutlich neben mehreren anderen Druckschriften) auch Jonas Mildes Parallela oratorum poetarumque veterum et hodiernorum in illustri Schönaichiano … adumbrata (Beuthen 1617) sowie die von Caspar Dornau veranstaltete, für Opitzens literarische Entwicklung bedeutsame Charidemi politici … Disputatio II, quae est de linguis (Beuthen 1617) gewidmet waren; vgl. den Kommentar zu DI strahitur binis und – zur Disputatio – Seidel (1994), S. 328 ff. Die vier Männer entstammten dem niederschlesischen Adel und waren die Verwalter des Testamentum Bergerianum, offenbar eines Familienfonds, aus dem mittellose Studenten versorgt wurden. Opitz empfiehlt seine Schrift im Rückgriff auf konventionelle Bescheidenheitstopoi, die gleichwohl auf das konkrete Patronatsverhältnis des ehemaligen Beuthener Zöglings zu den schlesischen Magnaten Bezug nehmen. Auffällig ist die relativ umfangreiche Berücksichtigung des dem Sermo angehängten Gedichtes Eucharistia, für das er sich gegenüber den frommen Adligen offenbar rechtfertigen zu müssen glaubte. Die beiden dem Widmungsbrief folgenden Begleitgedichte sind die frühesten Zeugnisse für Opitzens Bekanntschaft mit Zincgref (s. Kommentar zu Quisquis non steriles) und Venator (s. Kommentar zu HO c vnum patriae). Venator spielt in seinem Gedicht auf Opitzens (Teil)vortrag der Oratio ad Fridericum an (zur Datierung dieses Textes vgl. den zugehörigen Kommentar): Quos dederas, plausus audiit ille [Rex] tuos, / Cum miserareris patientes dura BOHEMOS, / Quorum vulneribus barbarus ensis hebet: / Rursus et illorum faceres tua gaudia sortem, / Dum regnum ad sese non sine Rege redit. MELCHIORI A RECHENBERG , L . B .]

in Italien; vgl. Zonta, S. 356.

Rechenberg studierte in den 1570er Jahren einige Zeit

Kommentar zu S. 170–174 CHRISTOPHORO GEORGIO ET IOHANNI A BERGK , EQVITIBUS SIL .]

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Bergk vgl. den Kommentar zu FE lix, conjugii. TOBIAE DE SCHWANENSEHE ET BREGOSCHITZ , COGNOM . SCVLTETO ] Zu Scultetus vgl. den Kommentar zu AE STUO, nec voti. Da die Verbindung Opitzens zu Scultetus gut dokumentiert ist, läßt sich das Verhältnis, in dem er zu den vier Widmungsempfängern stand, in den Grundzügen erkennen. Opitz wollte sich von Heidelberg aus (s. u.) mit einer erbaulichen Schrift bei den frommen Adligen für weitere Förderung seines Studiums empfehlen.

3 f. in magnificentissimâ domo tuâ … anno diutius] Während Opitzens Aufenthalt in Beuthen 1616/17; zur genauen Abgrenzung der Zeitspanne vgl. Seidel (1994), S. 309–311. 7–9 qui cum caetera indultu coelesti abundè possideatis, ne his ipsis quidem careatis rebus, quas nos … dare solas possumus] Ganz im Sinne seiner Zeit gesteht Opitz der nobilitas generis einen Vorzug vor dem Gelehrtenstand zu, sofern sich die Adligen ihrerseits um Bildung bemühen. 18 sacrorum experientiâ, … nobilitatis ornamento] Für die persönliche Frömmigkeit gerade der schlesischen und böhmischen Landadligen gibt es zahlreiche Zeugnisse. Ein Beispiel aus dem weiteren Umfeld des jungen Opitz wäre der nach dem Scheitern des Böhmischen Aufstandes hingerichtete Magnat Wenzel Budowecz, der mit Opitzens Lehrer Dornau erbauliche Schriften austauschte; vgl. Seidel (1994), S. 45–53. 20–22 imperitam quorundam opinionem, qui amatores humaniorum literarum ut ignaros artium quibus Reipublicae inserviamus, traducunt] Vgl. Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey, Kapitel 3: „ … wie gar vnverstendig die jenigen handeln/ welche … vorgeben/ man wisse einen Poeten in offentlichen ämptern wenig oder nichts zu gebrauchen …“ (GW 2.1, S. 346). Das Argument wurde allerdings nicht nur aus Unkenntnis vorgebracht, sondern auch von interessierten Kreisen des Adels, wo man sich im Kampf um höfische Ämter der Konkurrenz bürgerlicher Gelehrter zu erwehren suchte. Vgl. Klaus Garber: Zur Statuskonkurrenz von Adel und gelehrtem Bürgertum im theoretischen Schrifttum des 17. Jahrhunderts …, in: Daphnis 11 (1982), S. 115–143; Kühlmann (1982), S. 330–340 und passim. 25 f. Carmen de Coenâ Boleslaviae in patriâ antehac natum est] Gemeint ist das dem Sermo angefügte Gedicht Eucharistia, das also bereits vor dem Sommer 1619 entstanden sein muß. 29 f. artem si quis in ejusmodi scriptis quaerit, nihil agit] Ähnlich wie bei den – häufigeren – Psalmenparaphrasen spielt bei den Meditationen über das Abendmahl, die es etwa auch von Paul Schede Melissus oder Hugo Grotius gibt, die Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten eine auch bei Gelehrten nicht zu unterschätzende Rolle. Eine systematische Untersuchung von lateinischen Abendmahlsgedichten, die auch die hier sich anschließenden Behauptungen reflektierten, bleibt ein Desiderat. 41 sub novo Rege nostro] Friedrich V. wurde am 26. August 1619 zum böhmischen König gewählt; vgl. Kommentar zur Oratio ad Fridericum. [R.S.]

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[MARTINI OPITII SERMO D E P ASSIONE C HRISTI .] Wie die Widmungsvorrede verdeutlicht, möchte Opitz durch den Sermo seinen Gönnern Dank abstatten und hofft, dies gerade durch den gewählten Stoff angemessen tun zu können, da es sich bei den adligen Adressaten um Männer handelt, von denen er weiß, daß sie sich sehr für religiöse Themen interessieren. Im Gegensatz zu anderen von Opitzens Werken, aber dem Stoff angemessen (und mit der Angemessenheit wird auch hier ein Hauptkriterium der Rhetorik erfüllt) sind keine (inhaltlichen) Bezüge zur griechisch-römischen Antike festzustellen, es werden lediglich einige wenige Begriffe aus der antiken Mythologie sowie aus dem römischen Staatswesen verwendet. Stattdessen zeigt Opitz hier, daß er auch auf dem Gebiet der Erbauungsliteratur etwas zu leisten vermag und vermochte (siehe die bereits vorher entstandene Eucharistia). So erweist sich der junge Dichter – trotz des Bescheidenheitstopos (imbecillitas ingenii) zu Anfang des Sermo – als poeta doctus, der ein umfassendes Wissen auch in theologischen Fragen besitzt. Dadurch sind wohl zum einen die den Sermo prägende Fülle an intertextuellen Bezügen, von Anspielungen und Andeutungen bis hin zu direkten Zitaten aus der Bibel, zum anderen die sehr ausführlichen Partien zu Christologie, Trinität und weiteren theologischen Grundsatzfragen in diesem Sermo zu erklären. Besonders auffällig sind hier die – zum Teil wörtlichen – Zitate aus Schriften von Augustinus, vor allem aus dessen Sermones. Des weiteren zeigt sich der poeta doctus in der rhetorisch-stilistischen Brillanz, gerade in den Partien, die innerhalb des Sermo als Reden angelegt sind. Der Text weist verschiedene Gliederungsebenen auf: So lassen sich Elemente des traditionellen Redeschemas (exordium, propositio, paraphrasis, doctrina, applicatio, conclusio; vgl. Pfefferkorn, s. u., S. 332) erkennen. Gleichzeitig ist ein Wechsel von narrativen und ausdeutenden bzw. meditativen Passagen bis hin zu Anreden an bestimmte Gruppen festzustellen, wobei der Sprecher sowohl in den narrativen als auch in den anderen Textpassagen durchaus Wertungen vornimmt. Da Opitz am Ende des Sermo Christus um Beistand für piissimum Regem nostrum bittet und Friedrich V. am 26. August 1619 zum König von Böhmen gewählt wurde, läßt sich die Abfassungszeit dieses Textes relativ konkret bestimmen (vgl. auch die Ausführungen von Schulz-Behrend, GW 1, S. 153). Opitz hat sich mit der im Sermo behandelten Thematik später noch mehrfach auseinandergesetzt, so existiert eine deutsche Fassung von 1628 mit dem Titel Martin Opitz | Vber das Leyden | vnd Sterben| Vnseres Heylandes. | Hiebevor durch Ihn Lateinisch | herauß gegeben. | Gedruckt zum Brieg/ | In Verlegung David Müllers/ Buch- | händlers in Breßlaw/1628 (abgedruckt in GW 4.1, S. 224 –238). Allerdings sind in dieser späteren Fassung, die in der Folgezeit noch mehrfach gedruckt wurde, die Textpassagen, die sich auf die zeitgenössische Situation von 1619/20 beziehen, weggelassen. Zudem beschäftigen sich die Gedichte Klagelied bey dem Creutze vnsers | Erlösers (GW 2.2, S. 557–560) sowie Auff das Creutze des Herrn (GW 2.2, S. 560 f.) mit diesem Stoff, wobei hier wörtliche Anklänge an den Sermo bzw. dessen Übertragung ins Deutsche festzustellen sind. Auch im ersten Buch des Trostgedichtes in Widerwertigkeit Deß Krieges findet sich ein Abschnitt (V. 477–510), in dem auf Christus am Kreuz verwiesen wird (GW 1, S. 206 f.). Literatur zum Sermo: Der Sermo wird in der (Forschungs-)Literatur nicht erwähnt. Da das Werk erst durch die Ausgabe von Schulz-Behrend bekannt geworden ist, befassen

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sich die zuvor erschienenen Untersuchungen nur mit der deutschen Fassung, so Reifferscheid, S. 321, und Max, S. 193–203. Allerdings führt Max aus (S. 194, Anm. 304): „Die lateinische Fassung, die wohl die Hauptarbeit zu dieser Prosarede darstellen würde, konnten wir nicht nachweisen. Auch Oesterley … ist es nicht gelungen.“ Zudem stellt er, wie bereits vor ihm Bodmer und Breitinger, die Vermutung auf, Opitz sei durch eine lateinische Akademierede von Daniel Heinsius, die dieser 1612 an der Leidener Universität gehalten hatte, zu seinem Sermo angeregt worden (Max, S. 195). Dabei handelt es sich um In cruentum Christi sacrificium siue Domini Passionem Homilia, Leiden 1613. Für den Kommentar eingesehen wurde die Ausgabe Homilia XXV. In cruentum Christi sacrificium, siue Domini Passionem. Habita XI Martii in auditorio Theologico, in: Danielis Heinsii Orationum Editio Nova; Tertia parte auctior; caeteris sic recensuis, vt alia videri possit. Lugduni Batavorum, Ex Officinâ Bonaventurae et Abrahami Elzevir. Acad. Typogr. M DC XXVII., S. 393–418 (im folgenden: Heinsius). Zu theologischen Fragen vgl. zum Beispiel: Marc Lienhard: Martin Luthers christologisches Zeugnis. Entwicklung und Grundzüge seiner Christologie. [Übersetzung ins Deutsche von Robert Wolff]. Göttingen 1979; Jaroslav Pelikan: Reformation of Church and Dogma (1300–1700). Chicago und London 1984 (= The Christian Tradition. A History of the Development of Doctrine 4); Oliver Pfefferkorn: Übung der Gottseligkeit. Die Textsorten Predigt, Andacht und Gebet im deutschen Protestantismus des späten 16. und des 17. Jahrhunderts. Frankfurt/M. 2005 (= Deutsche Sprachgeschichte. Texte und Untersuchungen 1); Helmut Hoping: Einführung in die Christologie. Darmstadt 2004. An Untersuchungen zur geistlichen Literatur, speziell zum Thema ‚Passion‘, sind zum Beispiel zu nennen: Hans-Henrik Krummacher: Der junge Gryphius und die Tradition. Studien zu den Perikopensonetten und Passionsliedern. München 1976; Wolfgang Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die ‘Sonnete’ des Andreas Gryphius. München 1976; Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hrsg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1993; Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Johann Anselm Steiger u. a. 2 Bde. Wiesbaden 2005 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43); Ralf Georg Bogner: Bewegliche Beredsamkeit, passionierende Poesie. Zur rhetorischen Stimulierung der Affekte in der lutherischen Literarisierung der Leidensgeschichte Jesu, in: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, Bd. 1, S. 145–165; Johann Anselm Steiger: Zorn Gottes, Leiden Christi und die Affekte der Passionsbetrachtung bei Luther und im Luthertum des 17. Jahrhunderts, in: ebd., S. 179–201. Die mit * bezeichneten Lemmata beziehen sich auf Bibelzitate, zu denen Opitz selbst am Textrand zumeist die entsprechende Stelle genannt hat. 1–3 Dei Filius et Deus ipse … voluit] Der erste Teil des Anfangssatzes enthält bereits theologisch grundlegende Fragen bzw. Aussagen, v. a. zur Christologie. Entsprechende theologische Textpassagen finden sich im Sermo immer wieder. Mit Dei Filius, Deus ipse, Deus à se sowie Filius à Patre spielt Opitz auf Definitionen des Wesens Jesu Christi an, die bereits im Laufe der Konzilien von Nizäa (325) bis zum 3. Konzil von Konstantinopel (680/681) festgelegt wurden; vgl. Hoping, wie oben, S. 90 ff. sowie Rowan Williams: Jesus Christus. II. Alte Kirche, in: TRE 16, S. 726–745, hier S. 726 ff. Im Zentrum steht die so genannte Zweinaturenlehre, die besagt, „dass Christus, der eine menschgewordene Sohn Gottes, in

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zwei Naturen, der göttlichen und der menschlichen, existiert“ (Hoping, S. 90). Vgl. auch in Opitzens 1621 erschienener Übertragung von Heinsius’ Lof-sanck van Iesvs Christvs (D AN. H EINSII | Lobgesang Jesu | Christi | des | einigen vund ewigen | Sohnes Gottes: | Auß dem Holländischen in Hoch-|Deutsch gebracht | durch M ART . O PITIUM ), abgedruckt in GW 1, S. 287–317 (im folgenden: Heinsii Lobgesang Christi ), hier S. 288, V. 29–37: „Eh als die Welt gehört von Monden oder tagen/ | Eh als sie selber war/ war Gott mit jhm vertragen/ | Der Vater mit dem Sohn: das vollige gewalt/ | In allem was er hat dem Sohn’ ist heimgestallt. | Der Vater vberall/ der Sohn zuegleich in allen/ | Des Vaters ebenbildt/ des Vaters wolgefallen/ | Gott selbst/ ein ewig Gott. doch/ ob wol nicht vorhin/ | Der Vater gab dem Sohn’ / als Vater/ den begin./Auß jhm/ vnd nicht nach jhm.“ 2 Deus ante tempora] Bezieht sich auf die Frage nach der Präexistenz Christi. Opitz übernimmt diese Formulierung auch in sein Klagelied (V. 9): „Seht ewren Schöpffer an/ den Gott von allen Zeiten.“ 2 homo in tempore] Vgl. zu diesem Abschnitt Augustinus, Sermo Guelferbytanus 32,5: Venit humilis creator noster, creatus inter nos: qui fecit nos, qui factus est propter nos: deus ante tempora, homo in tempore, ut hominem liberaret a tempore. Vgl. auch die Formulierung im Glaubensbekenntnis von Konstantinopel (381): Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Et in unum Dominum Iesum Christum, Filium Dei unigenitum, et ex Patre natum ante omnia saecula, Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero, genitum, non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta sunt; qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis … (zitiert nach: Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping hrsg. von Peter Hünermann. Freiburg u.a. 392001, S. 83 f.). Heinsius beginnt mit einer inhaltlich ähnlichen Passage (S. 393): Celebramus diem, Auditores, cui similem ab orbe condito ac homine creato, nulla aetas vidit, nulla iterum videbit. Quo aeternus Dei Filius, aeternus ipse, cum humanum corpus assumsisset, vt naturam nostram per originis reatum vsque ad inferos depressam, ad coelestem gloriam traduceret … 2 f. propter nos et propter nostram salutem pati voluit] Vgl. I Petr 2,21: in hoc enim vocati estis quia Christus passus est pro vobis / vobis relinquens exemplum ut sequamini vestigia eius sowie I Petr 3,18: quia et Christus semel pro peccatis mortuus est / iustus pro iniustis / ut nos offerret Deo / mortificatus carne vivificatus autem spiritu und I Petr 4,1. Vgl. auch Augustinus, Sermo 284,6: Propter nos pati voluit Christus. 4 immeritò … imbecillitas ingenii] Bescheidenheitstopos, verstärkt durch die Alliteration. 6f. tot ingentes animae … lumina Ecclesiae] Texte zur Passion, insbesondere Predigten, wurden seit der Spätantike verfaßt; vgl. Ulrich Köpf: Passionsfrömmigkeit, in: TRE 27, S. 738 ff. 9 f. humanam sapientiam, humilitatem nunquam rejiciat] Vgl. I Kor I,19; I Kor 2,1. 13–15 Altiùs autem … passio est] Vgl. Heinsius, S. 393 f.: Ac mihi quidem omnia quae gesta sunt a Seruatore nostro, ex quo primum carnem nostram induit in vtero, quam obtulit in sacrificio, cum cura intuenti, tota ejus vita, nihil aliud quam passio videtur. Die Auffassung von Christi Leben als Leiden findet sich auch in der Mystik bzw. Erbauungsliteratur, z. B. bei den Bonaventura zugeschriebenen Meditationes de passione Christi (vgl. Ulrich Köpf, wie oben, S. 738).

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18 effundit in templo sanguinem] Anspielung auf die Beschneidung Jesu. Vgl. Heinsii Lobgesang Christi, V. 441–447: „Ach! ach! der anbegin ist anders nichts dann leiden/ | Dann pein vnd groß verdruß. man sol das Kindt beschneiden: | Die Jungfraw treget es. jhr mütterlicher sinn | Gibt threnen vor das blut/ gibt jhre gaben hin/ | Bezahlt sein’ erste pein/ muß kauffen seine wunden/ | Vollbringen das Gesetz’ / ob gleich er nicht verbunden/ | Mit Sünden wie sonst wir“ (GW 1, S. 303 f.). 18 f. Infans adhuc reges … hostes habet] Anspielung auf Herodes (vgl. Mt 2,13–18). 20 Monstrat coeli viam] Vgl. Joh 14,6: dicit ei Iesus / ego sum via et veritas et vita / nemo venit ad Patrem nisi per me. 20 et seductor audit] Vgl. Mt 27,62 f.: Altera autem die quae est post parasceven / convenerunt principes sacerdotum et Pharisaei ad Pilatum / [63] dicentes / domine recordati sumus quia seductor ille dixit adhuc vivens / post tres dies resurgam. 21 f. docet pietatem, et blasphemus] Vgl. Mt 9,1–3: Et ascendens in naviculam transfretavit et venit in civitatem suam / [2] et ecce offerebant ei paralyticum iacentem in lecto / et videns Iesus fidem illorum dixit paralytico / confide fili remittuntur tibi peccata tua / [3] et ecce quidam de scribis dixerunt intra se / hic blasphemat ; ebenso Mk 2,1–7; Lk 5,21. 22 fax belli civilis] Vgl. Lucan, Pharsalia 1,260–264: rura silent, mediusque tacet sine murmure pontus, / tanta quies. noctis gelidas lux soluerat umbras: / ecce, faces belli dubiaeque in proelia menti / urguentes addunt stimulos cunctasque pudoris / rumpunt fata moras. 22 tollit peccata mundi] Vgl. Joh 1,29. 23 ejicit Diabolos] Vgl. Mt 9,34: Pharisaei autem dicebant/ in principe daemoniorum eicit daemones sowie Mt 12,22–28. 23 Diabolus vocatur] Vgl. Heinsius, S. 394: vix doctrinam suam publice professus, concitator populi, impius, blasphemus, furiosus, denique Diabolus, ab iis quorum Deus semper fuerat peculiariter, vocatus est. 24 vertit aquam in vinum] Bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12). 24 f. subjugat ventos] Jesus beruhigt den Sturm auf dem See; vgl. Mk 4,39–41 sowie Mt 8,23–27 und Lk 8,22–25. 25 suam famem domat] Anspielung auf eine der drei Versuchungen Jesu durch den Teufel (Lk 4,1–4): Iesus autem plenus Spiritu Sancto regressus est ab Iordane / et agebatur in Spiritu in desertum / [2] diebus quadraginta / et temptabatur a diabolo / Et nihil manducavit in diebus illis / et consummatis illis esuriit / [3] dixit autem illi diabolus / si Filius Dei es dic lapidi huic ut panis fiat / [4] et respondit ad illum Iesus / scriptum est quia non in pane solo vivet homo sed in omni verbo Dei; vgl. Mt 4,1–4. 25 f. jubet panem sub dentibus crescere] Anspielung auf die Speisung der Viertausend bzw. Fünftausend; vgl. Mt 14,15–21; Mt 15,29–38; Mk 6,35–44; Mt 8,1–9; Lk 9,12–17; Joh 6,5–13. Vgl. Klagelied, V. 36 f.: „Der so viel Wunder that/ macht’ aus dem Wasser Wein/ | Ließ in dem Munde schon das Brodt erst grösser werden“ (GW 2.2, S. 558). 26 indurat undas et transit siccis pedibus] Der Gang Jesu auf dem Wasser (Mk 6,45–52; Mt 14,22–33; Joh 6,15–21).

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Kommentar zu S. 176

26 f. pisces … accersit] Mt 17,23–26: Et cum venissent Capharnaum / accesserunt qui didragma accipiebant ad Petrum et dixerunt / magister vester non solvit didragma / [24] ait etiam / et cum intrasset domum praevenit eum Iesum dicens / quid tibi videtur Simon / reges terrae a quibus accipiunt tributum vel censum / a filiis suis an ab alienis / [25] et ille dixit ab alienis / dixit illi Iesus / ergo liberi sunt filii / [26] ut autem non scandalizemus eos / vade ad mare et mitte hamum / et eum piscem qui primus ascenderit / tolle / et aperto ore eius invenies staterem / illum sumens da eis pro me et te. 27 f. virentibus … reddit] Vgl. Mt 21,19 sowie Mt 10–13. Vgl. Heinsii Lobgesang Christi, V. 493 f.: „Den fischen schaffest du zue schwimmen auff die erden/ | Zue zahlen deine schuldt/ den bäwmen dürr zu werden“ (zitiert nach GW 1, S. 305). 28 sanitati] Erstdruck; GW: sanitatis. 29 coecis oculos … recludit] Vgl. Mt 11,5; Lk 7,22. 30 f. inferos etiam aggreditur, et mortuos revocat in vitam] Die Auferweckung des Lazarus ( Joh 11,1–44 sowie Joh 12,1–18). 32 expectaverat] Bei expectaverant im Erstdruck handelt es sich entweder um einen Druckfehler oder eine constructio ad sensum. In GW: expectaverant 33 f. Agnum immaculatum cujus memoriam tandiu celebraverant] Anspielung auf das Lamm, das von den Juden am Passafest geschlachtet wird zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten (vgl. Ex 12), gleichzeitig Bezug auf die Person Jesu; vgl. Joh 1,29 sowie I Petr 1,18 f.: scientes quod non corruptibilibus argento vel auro redempti estis de vana vestra conversatione paternae traditionis / [19] sed pretioso sanguine quasi agni incontaminati et inmaculati Christi. 34 stellam … quam Balaam praedicaverat] Die Weissagung des Propheten Bileam oder – in der Vulgata – Balaam (Num 24,17): videbo eum sed non modo / intuebor illum sed non prope / orietur stella ex Iacob et consurget virga de Israhel / et percutiet duces Moab vastabitque omnes filios Seth. Vgl. Heinsii Lobgesang Christi, V. 513–516: „Der grosse wunderstern der Balaam erschienen | Zue Moabs vntergang/ gezwungen jhm zue dienen: | Den er verkündigt hat: der Juden kriegesheldt | Viel jahre vor der zeit eh er kam auff die welt“ (zitiert nach GW 1, S. 306). 34 f. virgam Iessae] Jesus als Nachkomme Jesses, des Vaters von David; vgl. Jes 11,10: in die illa radix Iesse qui stat in signum populorum. 35 Olympum] Im Druck steht olympum. Da Eigennamen im Druck sonst groß geschrieben sind, handelt es sich wohl um einen Druckfehler. 35 f. Olympum occupat, Patrem populi sui plerique non noverunt] Die Alliterationen dienen der Verstärkung. Wie Olympum läßt sich Patrem populi auf die Antike beziehen: pater patriae ist ein Titel, der in Rom für besondere Verdienste um die res publica verliehen wurde. 39–43 In cujus quidem … passionis exaggerationem … totius generis humani scelera … aeterni Patris ira … conspiraverunt] Vgl. Hoping, wie oben, S. 132: „Bei Luther und in der altprotestantischen Dogmatik ist der seit Anselm von Canterbury im Zentrum der Erlösungslehre stehende Gedanke der ‚Genugtuung‘ (satisfactio) stärker ins Zentrum der Soteriologie gerückt und schließlich zur Lehre vom stellvertretenden Strafleiden Christi erweitert

Kommentar zu S. 176–178

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worden. … Dass Christus durch sein Leiden und sein Kreuz für uns zur Sünde gemacht wurde (II Kor 5,21) interpretiert Luther im Sinne eines göttlichen Zorngerichts. Christus trifft der Zorn Gottes, der uns gilt, sowie alles, was damit zusammenhängt. Das ganze Elend des Menschen hat Christus übernommen, nicht nur Anfechtung und Versuchung, sondern auch Verurteilung, Verdammnis und Fluch. … Die Genugtuung, die Christus geleistet hat, besteht für Luther darin, dass er stellvertretend die Strafe für die Sünde auf sich nahm und damit ‚für uns‘ den Zorn Gottes getragen hat. Gott hat Christus in vollem Ernst verworfen … . Dafür beruft sich Luther immer wieder auf Gal 3,13 und Phil 2,8 …“ 43 f. quarum magnitudinem nullus dolor aequat] Vgl. das erste der alttestamentlichen Klagelieder (Thr 1,12): o vos omnes qui transitis per viam / adtendite et videte si est dolor sicut dolor meus / quoniam vindemiavit me ut locutus est Dominus in die irae furoris sui. 44 Salvatoris nostri amor erga nos et bonitas] Eventuell Anklänge an Tit 3,4: cum autem benignitas et humanitas apparuit salvatoris nostri Dei. Amor und bonitas erscheinen im übrigen als Gegensatz zu den negativ konnotierten Personifikationen des vorigen Satzes. 45 f. constantiâ, fortitudine, perseverantiâ … virtus] Diese Tugenden, gerade die constantia, sind wesentlich für den Neostoizismus; vgl. Lipsius, De Constantia. 46 f. quos amico nomine filiolos appellat] Anrede der Jünger durch Jesus in seiner Abschiedsrede, vgl. Joh 13,33: filioli adhuc modicum vobiscum sum quaeretis me / et sicut dixi Iudaeis quo ego vado vos non potestis venire / et vobis dico modo; Joh 15,15: iam non dico vos servos / quia servus nescit quid facit dominus eius / vos autem dixi amicos, quia omnia quaecumque audivi a Patre meo nota feci vobis. 47 Pedes … lavat] Vgl. Joh 13,1–15. 47 f. Comitem … deplorat] Jesu Ankündigung beim Abendmahl, daß einer der Jünger ihn verraten werde; vgl. Mt 26,21–25; Mk 14,17–21 und Lk 22,21–23. 51 stansque reus ad tribunal D EI ] Vgl. I Petr 2,24 und Jes 53,12 sowie Frage 37 im Heidelberger Katechismus: „Was verstehst du unter dem Wörtlein ‚gelitten‘?“ [Antwort:] „Daß er an Leib und Seele die ganze Zeit seines Lebens auf Erden, sonderlich aber am Ende desselben, den Zorn Gottes wider die Sünde des ganzen menschlichen Geschlechts getragen hat, auf daß er mit seinem Leiden, als mit dem einigen Sühnopfer, unsern Leib und unsere Seele von der ewigen Verdammnis erlöste, und uns Gottes Gnade, Gerechtigkeit und ewiges Leben erwürbe“ (zitiert nach: Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten, hrsg. von Hans Steubing u.a. Wuppertal 1985, S. 138 f.). Vgl. in Venators Gedicht, fol. A4v, V. 22: Proque reo Iudex se dedit ipse reum. Vgl. auch Bogner, wie oben S. 154, und Steiger, wie oben, passim. 52 sanguinem exudans] Vgl. Lk 22,44: et factus est sudor eius sicut guttae sanguinis decurrentis in terram. Vgl. in Venators Gedicht V. 21: Pro sudore rubens ubi fluxit sanguinis imber. 53 f. Iudae … non didicerat] Vgl. Joh 6,71: Respondit eis Iesus / nonne ego vos duodecim elegi / et ex vobis unus diabolus est / dicebat autem Iudam Simonis Scariotis / hic enim erat traditurus eum / cum esset unus ex duodecim; Joh 13,2: Et cena facta cum diabolus iam misisset in corde ut traderet eum Iudas Simonis Scariotis.

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Kommentar zu S. 178–180

55 aurem … manu] Bei der Gefangennahme Jesu (Lk 22,50 f.: et percussit unus ex illis servum principis sacerdotum / et amputavit auriculam eius dextram / [51] respondens autem Iesus ait / sinite usque huc / Et cum tetigisset auriculam eius sanavit eum). 57 ut oves … dissipantur] Vgl. Mt 9,36: Videns autem turbas misertus est eis / quia erant vexati et iacentes sicut oves non habentes pastorem. 58 f. Iohannes … infinita … mysteria perceperat] Johannes als der Lieblingsjünger Jesu (vgl. auch die bildlichen Darstellungen zur sog. „Johannesminne“). 59 dilectissimus ille omnium] Vgl. Joh 13,23. 59 aquila in nubibus] Der Adler als Symbol für den Evangelisten Johannes. Vgl. Gregor Martin Lechner: Johannes der Evangelist (der Theologe), in: LCI 7, Sp. 108–130, hier Sp. 112–114. In der Emblematik bedeutet das „über alles sich hinausschwingende Adleremblem“ göttliche Nähe, Voraussicht, Schnelligkeit und Ausdauer, in der Apokalypse Entschlossenheit und Unerschrockenheit (Sp. 113). Die vier Evangelistensymbole (Mensch, Löwe, Stier, Adler) gehen zurück auf die Beschreibung der Cherubim in Ez 1 sowie auf die vier in Apk 4,6–8 erwähnten Wesen. Vgl. auch Heinrich und Margarethe Schmidt: Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- und Mariensymbolik. München 51995, S. 170 ff. 60 Fortissimus Apostolorum] Anspielung auf Petrus, den „Felsen“ (vgl. Mt 16,18: et ego dico tibi quia tu es Petrus / et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam / et portae inferi non praevalebunt adversum eam; sowie Joh 1,42), vielleicht sogar in konfessionspolemischer Absicht. 62 salutis suae pignus] Das Abendmahl. 69 f. pontifex generis humani] Jesus als der Hohepriester. Vgl. die Ausführungen im Hebräerbrief (z.B. Hebr 3,1; Hebr 4,14 f.; Hebr 5,5); außerdem Wortspiel mit pontificem Caipham. Vgl. auch Heinsius, S. 396 f.: Summi pontificis minister, summum humani generis prophetam ac pontificem, sine causa innocentem caedit … 70 pontificem Caipham … venerat] Vgl. Joh 18,13 f. Möglicherweise als Konfessionspolemik zu verstehen, da einer der Titel des Papstes Pontifex maximus lautet. 73–76 Iudam … effundit] Vgl. Mt 27,3–5: Tunc videns Iudas qui eum tradidit quod damnatus esset / paenitentia ductus rettulit triginta argenteos principibus sacerdotum et senioribus / [4] dicens / peccavi tradens sanguinem iustum / at illi dixerunt / quid ad nos tu videris / [5] et proiectis argenteis in templo recessit et abiens laqueo se suspendit sowie Act 1,16–19. 76 f. Vxor Pilati … dehortatur] Mt 27,19: Sedente autem illo pro tribunali / misit ad illum uxor eius dicens / nihil tibi et iusto illi / multa enim passa sum hodie per visum propter eum. 81 excogitari] Im Druck: excogitare, im verwendeten Exemplar bereits handschriftlich zu excogitari korrigiert, ebenso in GW. 84 veritatem ipsam] Vgl. Joh 1,17: quia lex per Moysen data est / gratia et veritas per Iesum Christum facta est. 84 f. * qui facinus nullum admisit, in cujus ore non inventus est dolus] Opitz: Isa. 53.9.; in der Vulgata: eo quod iniquitatem non fecerit neque dolus fuerit in ore eius.

Kommentar zu S. 180–182

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86 terrae filii] Eventuell Anspielung auf die Bestrafung Adams nach dem Sündenfall (Gen 3,19): in sudore vultus tui vesceris pane / donec revertaris in terram de qua sumptus es / quia pulvis es et in pulverem reverteris. Bereits in der Antike ist diese Bezeichnung negativ konnotiert, vgl. zum Beispiel die Bezeichnung Pythons bei Hygin in dessen fabula 140 als Terrae filius draco ingens. 87 Solis justitiae] Vgl. Mal 4,2: et orietur vobis timentibus nomen meum sol iustitiae et sanitas in pinnis eius. 87 f. faciem … reveriti sunt] Vgl. Ps 69,35: laudent illum [sc. Deum] caeli et terra / mare et omnia reptilia in eis. 94 f. abyssum imperscrutabilis sapientiae] Vgl. Röm 11,33: o altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei. 95 ex more suae gentis] Vgl. W. Waldstein: Geißelung, in: RAC 9, Sp. 482: „Der Vollstrekkung der Todesstrafe durch die Kreuzigung ging wohl immer die G.[eißelung] voraus … So wurde denn auch Christus gegeißelt … Diese Form wurde vor allem auch bei Sklaven angewandt …“ Vgl. Heinsius, S. 399: Adduntur validi lictores, qui, ex more Romanorum, flagris incedentem tardius castigant… . 97 f. * quasi agnus mansuetus qui portatur ad lanienam] Opitz: Hier. 11.19.; in der Vulgata: et ego quasi agnus mansuetus qui portatur ad victimam. 98 insultûs canum] „Hunde“ als Schimpfwort, z. B. Phl 3,2; Apk 22,15. 102–109 Ecce, ait, … inquit] Opitz nimmt die Worte des Pilatus auf und wendet sich in einer Apostrophe an die Juden, in der er mit dem rhetorischen Mittel der evidentia eindringlich die durch die Martern verunstaltete Gestalt Jesu beschreibt, um so den Hebraei die Größe ihrer Schuld vor Augen zu führen. Ähnlich schildert Heinsius die Gestalt Jesu: Nulla corporis pars aut dolore aut opprobrio immunis vacat. Caput spinis, calamo, et pugnis, vultus sputo, malae alapis, os aceto, aures mille contumeliis laeduntur (Heinsius, S. 397). Auch bei Heinsius findet sich eine Apostrophe im Zusammenhang mit dem Ecce homo, im Unterschied zu Opitz wendet sich Heinsius aber an die anima (S. 398 f.). 103 f. nulla pars corporis ignominiâ vacua est] Vgl. Dtjes 53,3. 104 Formae decus] Vgl. die Ausführungen von Ferdinand van Ingen: Leiden, Folter, Marter und die literarische Passionsfrömmigkeit, in: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, Bd. 1 (wie oben), S. 310 ff. 105 f. facies sputi vestigiis inquinata, terga … variegata] Vgl. Dtjes 50,6, vgl. außerdem in Venators Gedicht, fol. A4v, V. 23 f.: Cum facies sputo foedata, et tempora palmis, / Factaque sunt lento terga cruenta bove. 109 f. apud obcoecatas coelesti dispositione mentes] Vgl. Joh 12,37–43 (das Urteil Jesu über den Unglauben und die Verstocktheit der Juden) mit Bezug auf Jes 6,9 f. 114 patientissimus Isaacus] Vgl. Gen 22,2. Isaak, der von seinem Vater Abraham als Opfer dargebracht werden soll, erscheint an dieser Stelle als ein Vorläufer Jesu. Christus ist somit derjenige, in dem sich das Alte Testament erfüllt hat. Nach Stuart George Hall: Typologie,

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in: TRE 34, S. 208, bedient sich der Sprecher damit der figuralen bzw. typologischen Methode von Schriftdeutung, bei der „in alttestamentlichen Personen, Ereignissen und Einrichtungen   , ‚Typen‘, d.h. Muster oder Vorwegabbildungen Jesu Christi, seines Evangeliums und seiner Kirche“ gesehen werden. Vgl. dazu auch Friedrich Ohly: Gesetz und Evangelium. Zur Typologie bei Luther und Lucas Cranach. Zum Blutstrahl der Gnade in der Kunst. Münster 1985 (= Schriftenreihe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Neue Folge 1), S. 2ff.; Krummacher, Der junge Gryphius (wie oben), S. 387; Killy, Bd. 13, S. 23ff. 114 f. victoriae signum … humeris imponit, et crucem à quâ mox feretur, fert ipse.] Vgl. in Venators Gedicht im vorliegenden Druck, fol. A4v, V. 25f.: Denique cum tristem portaret cernuus ornum / Et dirae rursum cum trabis esset onus. 116 f. Simonem … sublevare] Mk 15,21; Mt 27,32; Lk 23,26. 117–119 Vincit … redemptor … totâ irae aeterni Patris mole pressus … ascendit] Vgl. Hoping, wie oben, S. 132. 119–121 Solum sanie, … sordet, et cadaverum numerus languentes gressus vix admittit] Durch das rhetorische Mittel der evidentia wird der Schauplatz plastisch vergegenwärtigt (vgl. Lausberg, § 810; vgl. auch Ferdinand van Ingen, wie oben, S. 307 f.). Vgl. auch Bogner (wie oben), S. 163, im Hinblick auf die entsprechende Stelle in der deutschen Fassung des Sermo: „Die grausame Schilderung, ja Ausmalung der Leiden Jesu, nicht allein die bezeichnenderweise eingesetzte applicatio sensuum, ist ein durchaus charakteristisches Merkmal vieler dieser Texte.“ 122 ut ostendatur ipsum non pro Adae … mori] Vgl. Röm 5,12–21 sowie I Kor 15,22. 124 * Dederunt in cibo meo fel, cum sitirem potarunt me aceto] Opitz: Psal. 68.26.; in der Vulgata (Ps 68 [69], 22): et dederunt in escam meam fel / et in siti mea potaverunt me aceto. 126 f. * factus pro nobis maledictus] Opitz: Gal. 3.13.; in der Vulgata: factus pro nobis maledictum. 127–129 Specta … tragoediam … actum … argumentum … veni] Hierbei handelt es sich um Begriffe aus der Welt des Theaters. 129 f. intuere crucem ad quam unusquisque nostrûm suos quoque clavos adjecit] Vgl. die Formulierung Luthers in Eyn Sermon von der Betrachtung des heyligen leydens Christi: „Drumb, wan du die negel Christi sihst durch seyn hend dringen, glaub sicher, das deynn werck seynd …“ (Luther, WA 2, S. 137). 130–134 * qui coelos inequitat, auxiliator tuus, et in magnificentiâ suâ nubes: qui mensus est volâ suâ aquas, et coelos palmo aestimavit: qui comprehendit tribus digitis pulverem terrae, et appendit montes in staterâ, et colles in bilance: qui altitudines coelorum aequat, qui profundior est inferis: qui ascendit super coelum coeli, ad orientem]. Im Druck werden die Bibelstellen in dieser Reihenfolge angegeben: Esa.12.40.; Deut. 33.26; Iob.11.8.; Psal.68.36. Die richtige Reihenfolge lautet: Dtn 33,26 (in der Vulgata): non est alius ut Deus rectissimi ascensor caeli auxiliator tuus / magnificentia eius discurrunt nubes; Dtjes 40,12 (in der Vulgata): quis mensus est pugillo aquas et caelos palmo ponderavit / quis adpendit tribus digitis molem terrae et libravit in pondere montes et colles in statera; Hi 11,8 (in

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der Vulgata): excelsior caelo est et quid facies profundior inferno et unde cognosces; Ps 67 (68),34 (in der Vulgata): qui ascendit super caelum caeli ad orientem / ecce dabit voci suae vocem virtutis. Vgl. auch im Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges, Buch 1 (GW 1, S. 206, V. 485–489): „Des wahren GOttes Sohn/ der GOtt von allen Zeiten/ | Der auff der hohen Lufft vnd Wolcken pflegt zu reiten/ | Der Wasser/ See vnd Meer vmbgreifft mit seiner Hand/ | Die grossen Hügel wiegt/ Den Himmel vberspannt/ | Der kam zu vns herab/ …“. 134 Ecce scala Paradisi … apparuit] Anspielung auf die Vision Jakobs im Alten Testament (Gen 28,11ff.); eventuell auch auf die Kreuzeslegende zu beziehen. Vgl. dazu auch den Kommentar zu Zeile 155f. 134 –139 Per quem … ibant, ejus … perfossi, per quem … audiebant, ejus … contaminatae, per quem … videbant, ejus … caligant, qui … paverat, qui … dederat, felle potatur et aceto, per quem mortui vivebant, ille jam morietur] Auf knappstem Raum wendet Opitz hier eine Fülle an rhetorischen Mitteln an (Anaphern, Antithesen, Parallelismus memborum, Paradoxa), um größte Eindringlichkeit zu erreichen. 137 f. qui mulierculae … aquam dederat] Joh 4,1–26. 139 f. * Quid ultra faciendum erat vineae meae … quod non fecerim ei?] Opitz: Esa.5.v.4.; in der Vulgata: quid est quod debui ultra facere vineae meae et non feci ei. 140–142 * Factus sum in derisum omni populo, canticum eorum totâ die. Replevit me amaritudinibus, inebriavit me absynthio, et fregit ad numerum dentes meos, cibavit me cinere.] Opitz: Lam. Ier. 3.14.; in der Vulgata (Thr 14 –16): factus sum in derisu omni populo meo canticum eorum tota die / replevit me amaritudinibus inebriavit me absinthio / et fregit ad numerum dentes meos cibavit me cinere. 144 –148 Quis sensus … tactus … gustus … olfactus … auditus … visus] Vgl. Bogner (wie oben), S. 151, im Hinblick auf die deutsche Fassung des Sermo: „Opitz bedient sich hier einer besonders auffälligen Strategie der Rhetorik, der applicatio sensuum, mittels welcher er sein Thema über alle fünf Sinne des Menschen zieht, und darüber hinaus greift er zur überaus pathetischen Prosopopöie, die er als Frage-Antwort-Dialog organisiert und effektvoll noch durch Synonyme und schmückende Beiwörter übersteigert.“ 154 f. Praedictum … à Davide … in medio terrae] Ps 73 (74),12: in der Vulgata: Deus autem rex meus ab initio operatur salutes in medio terrae; im Druck im Schriftbild zwar kursiv hervorgehoben, doch ohne Angabe der Bibelstelle. Bei in medio terrae ist an die Vorstellung von Jerusalem als dem „Nabel der Welt“ zu denken, vgl. Ez 5,5: haec dicit Dominus Deus / ista est Hierusalem / in medio gentium posui eam / et in circuitu eius terras. Vgl. auch Augustinus, De Civitate Dei 17,4 154 Praedictum] Im Druck Praedidictum; GW nimmt Druckfehler an und korrigiert zu Praedictum. 155 f. Arbori … inveniat] Anspielung auf den biblischen „Baum der Erkenntnis“ und die durch die Sünde Adams verlorene Unschuld der Menschen, vgl. Röm 5,12–21. Eventuell läßt sich auch ein Bezug zur Kreuzeslegende herstellen: Danach wurde Adam auf dem Kalvarienberg begraben, und zwar an der Stelle, an der später das Kreuz Jesu aufgerichtet wurde; vgl. z.B. Erna und Hans Melchers: Das große Buch der Heiligen, bearb. von Carlo

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Kommentar zu S. 184 –186

Melchers. München 1978, S. 820 f. Vgl. z. B. auch die fünfte Strophe aus dem Hymnus Pange lingua von Venantius Fortunatus: Arbor decora et fulgida / ornata Regis purpura / electa digno stipite / tam sancta membra tangere. 156 f. * Oportet exaltari filium hominis] Opitz: Ioh.3.14.; in der Vulgata: ita exaltari oportet Filium hominis. 158 ista species … imago est] Vgl. Mt 25,33. 159 f. Inter scelestos positus est] Vgl. das vierte Gottesknechtslied Dtjes 53,9: et dabit impios pro sepultura et divitem pro morte sua / eo quod iniquitatem non fecerit neque dolus fuerit in ore eius. 160 ut unum servet … martyr fit] Lk 23,40 ff. u. a. 167 f. ac Iohannem … adoptat] Joh 19,26 f.: cum vidisset ergo Iesus matrem et discipulum stantem quem diligebat / dicit matri suae / mulier ecce filius tuus / [27] deinde dicit discipulo / ecce mater tua / et ex illa hora accepit eam discipulus in sua. 168 Cruciario Paradisum promittit] Vgl. Lk 24,40–43. 169 f. Cui spectaculo neque Sol interesse potest, sed Iudaeis se negat] Nicht wenige Kirchenväter, so zum Beispiel Johannes Chrysostomos oder Gregor d. Gr., sahen in den kosmischen Zeichen, die die Kreuzigung Jesu begleiten, eine symbolische Sichtbarwerdung des Zornes Gottes über die Juden (Steiger, wie oben, S. 181). 171 ut coeci … corde] Vgl. Joh 9,39–41. 174 velum templi scinditur] Vgl. Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45. 174 f. monimenta defunctorum patent, ipsi egrediuntur] Vgl. Mt 27,51f. 178 f. summum sacerdotem] Zu Christus als Hohepriester vgl. Hebr 4,14–10,18. 181–200 Relictus … ambo idem] Aussagen zur Christologie. 181 Relictus est à Deo, non separatus] Vgl. Hoping, wie oben, S. 132 f.: Bei Luther wird mit der Lehre von der Enhypostasie die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur in der einen Person Christi betont. Luther versteht die Lehre von der „Entäußerung“ (Kenose) allerdings so, daß Christus in seinem irdischen Leben immer wieder auf seine Gottheit verzichtet habe. Dazu in Spannung steht die Annahme, in der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz habe sich die Gottheit des Sohnes „eingezogen und verborgen“. Vgl. Heinsius, S. 411 f.: … Dei filius emittit, D EVS MEVS , D EVS MEVS , QVARE ME DESERVISTI ? … Carnis vocem audis, quae non Dei ab humanitate separationem, sed humanitatis denotat calamitatem. Non enim deseri ab eo poterat aut linqui, a quo nullo modo poterat sejungi. 182 caret enim omni culpâ] Vgl. Lk 23,4. 182 Quiescit ergò divinitas] Nach der reformierten Passionstheologie ruhte die göttliche Natur aufgrund ihrer Leidenslosigkeit zur Zeit der Passion. So formuliert zum Beispiel der reformierte Theologe Theodor Beza (in: In historiam passionis et sepulturae Domini nostri Jesu Christi von 1592): Sed Deitas ad tempus quieuit, vt reali pro peccatis satisfactioni locus daretur (zitiert nach Steiger, wie oben, S. 190f., hier auch weitere Ausführungen zu dieser Thematik).

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183 qui Deus ipse … Patre] Vgl. Joh 16,30. 183 f. Moritur ut homo, operatur ut Deus] Vgl. Heinsius, S. 411: Corpus enim moritur et redit: Verbum quod in corpore, operatur nihilominus et vincit. 185 f. verè moritur Christus, sed non totus] Vgl. Steiger, wie oben, S. 190, zu Bezas Auffassung: „Die Differenz zur lutherischen Passionstheologie aber besteht darin, daß Beza mit der Begründung, anthropomorphe Redeweisen müßten bezüglich Gottes bzw. der göttlichen Natur Christi gemieden werden, den Lehrzusammenhang der Idiomenkommunikation und mithin den Austausch der ‚proprietates‘ ablehnt. … Es war zwar nötig, daß der litt, der zugleich Gott war, aber die göttliche Natur hat nicht gelitten.“ 186 f. Verbum enim … Deus erat, animae et corpori manet unitum] Vgl. den Anfang des Johannesprologes (Joh 1,1): In principio erat Verbum / et Verbum erat apud Deum / et Deus erat Verbum sowie Gen 1,1: In principio creavit Deus caelum et terram. Vgl. auch Opitzens Heinsii Lobgesang Christi, V. 619–624: „Als der du selbst bist Gott/ vnd warest schon bey Gott/ | Da du noch ohne fleisch/ vnd mitten in dem todt. | Auff eine zeit bey Gott/ vnd Gott; todt vnd begraben. | Begraben ward das fleisch mit hocherkaufften gaben. | Die seele stets bey Gott vnd bey dem mörder war: | Die Gottheit war vnd blieb bey allen beyden gar“ (zitiert nach GW 1, S. 310). 187 f. Sic etiam mortuus homo permanet: vinculo personae, non confusione substantiae] Vgl. Heinsius, S. 412 f.: O beatum diem, quo haec caro, foeda illa et infelix, inquam, caro, cum natura primum jungi coepit, quae nec mori potest neque quicquam potest pati. Vt diuinitatis vnione seruaretur, quod humanitatis uinculo conjungitur. Sed feliciorem longe illum, quo cum deitate sic conjuncta caro nostra, cui pro peccatis in aeternum erat moriendum, ita passa est ac mortua in alio pro nobis, vt qui nec dolorem sensimus nec mortem, tamen restitui simus pariter in vitam. Sic ut enim Deus nostram induit in vtero naturam, ita mortem nostram obiit in ligno. 189f. * Nemo … tollit animam meam à me, sed ego pono eam à me ipso. Potestatem habeo ponendi eam, et potestatem habeo rursus sumendi eam] Opitz: Ioh. 10.18.; in der Vulgata: nemo tollit eam a me / sed ego pono eam a me ipso / potestatem habeo ponendi eam / et potestatem habeo iterum sumendi eam. 194 Deus de Patre sine matre, homo de matre sine patre] Vgl. den Anfang von Augustinus’ Weihnachtspredigt Sermo 194,1 über die zweifache Natur Christi: Natus est Christus: Deus de Patre, homo de matre. De Patris immortalitate, de matris virginitate. De Patre sine matre, de matre sine patre. De Patre sine tempore, de matre sine semine. De Patre principium vitae, de matre finis mortis. De Patre ordinans omnem diem, de matre consecrans istum diem. 195–198 per discretionem substantiae, non per unitatem personae … in Trinitate tres sunt personae in unâ naturâ: ita in Christo duae sunt naturae in unâ personâ] Zentrale Aussagen zu Christologie und Trinität. 200 Ambo unus, ambo in uno, ambo idem] Vgl. Augustinus, Sermo de symbolo ad catechumenos 2,3: Nec enim voluntas Filii potest a Patris voluntate aliquantulum segregari. Deus et Deus, ambo unusDeus: omnipotens et omnipotens, ambo unus omnipotens und das folgende Kapitel 2,4. 201 f. Verbum aeterni Patris] Vgl. den Anfang des Johannesprologs (Joh 1,1 f.): In principio erat Verbum / et Verbum erat apud Deum / et Deus erat Verbum / [2] hoc erat in principio apud Deum.

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203 f. primis parentibus … promissis] Anspielung auf den Sündenfall, die Verführung Adams und Evas durch die Schlange (Gen 3,1–24), gleichzeitig Hinweis auf Christus als den „letzten Adam“ (I Kor 15,45) und die heilsgeschichtliche Bedeutung des Kreuzestodes Christi; vgl. Röm 5,12 ff., vor allem 5,18: igitur sicut per unius delictum in omnes homines in condemnationem / sic et per unius iustitiam in omnes homines in iustificationem vitae; die Aussage wird durch die Alliteration verstärkt. 204 uni arcae] Bezug auf die Sintflut, gleichzeitig Schiffahrtsmetapher. 205 Qui … cum Noâ pepigit] Vgl. Gen 9,9. 206 Abrahamo patri credentium] Vgl. zum Beispiel Röm 4,16. 206 patri benedictionis Isaaco] Vgl. Gen 25,11 (et post obitum illius [sc. Abraham] benedixit Deus Isaaco filio eius) sowie Gen 27,1–40 (Isaak segnet den zweitgeborenen Sohn Jakob im Glauben, dieser sei sein Erstgeborener Esau). 207 Iacobo patre vestro] Vgl. Joh 4,12. 207 patre gentium Esau] Eventuell Anspielung auf die Heirat Esaus mit heidnischen Frauen; vgl. Gen 26,34–35 sowie Gen 36. Vgl. auch Augustinus, De civitate Dei 16, 42: Quid Ioseph filii praefiguraverint. Sicut autem duo Isaac filii, Esau et Iacob, figuram praebuerunt duorum populorum in Iudaeis et Christianis (quamvis, quod ad carnis propaginem pertinet, nec Iudaei venerint de semine Esau, sed Idumaei; nec Christianae gentes de Iacob, sed potius Iudaei; ad hoc enim tantum figura valuit, quod dictum est: Maior serviet minori); ita factum est etiam in duobus filiis Ioseph; nam maior gessit typum Iudaeorum, Christianorum autem minor. Quos cum benediceret Iacob, manum dextram ponens super minorem quem habebat ad sinistram, sinistram super maiorem quem habebat ad dextram: grave visum est patri eorum, et admonuit patrem velut corrigens eius errorem et quisnam eorum esset maior ostendens. At ille mutare manus noluit, sed dixit: Scio, fili, scio. Et hic erit in populum, et hic exaltabitur; sed frater eius iunior maior illo erit, et semen eius erit in multitudinem gentium. Etiam hic duo illa promissa demonstrat. Nam ille in populum, iste in multitudinem gentium. Quid evidentius quam his duabus promissionibus contineri populum Israelitarum orbemque terrarum in semine Abrahae, illum secundum carnem, istum secundum fidem? 207 f. * cujus surculus loco vestri insertus est] Opitz: Rom.11.19.; in der Vulgata (Röm 11,18f.): noli gloriari adversus ramos / quod si gloriaris / non tu radicem portas sed radix te / [19] dices ergo / fracti sunt rami ut ego inserar. 208 f. signum … incisum circumtulit] Das Zeichen des Bundes, den Gott mit Abraham und dessen Nachkommen schließt, ist die Beschneidung (vgl. Gen 17,1–14). Vgl. dazu Heinsii Lobgesang Christi, V. 118–120 (GW 1, S. 291). 209–211 qui … enutrivit] Anspielung auf Ereignisse während des Auszugs der Israeliten aus Ägypten; vgl. dazu Heinsii Lobgesang Christi, V. 110–116 (GW 1, S. 291). 209 flumina … transiretis] Die Israeliten können durch die Hilfe Gottes trockenen Fußes durch das Meer ziehen (Ex 14,21–25). 211 petra … bibistis] Vgl. Ex 17,1–7. 211 panis … enutrivit] Vgl. Ex 16,1–36 sowie im Klagelied, V. 23–28: „ … Du wilde Nation/ | Ihr teufflisches Geschlecht/ ist das nun dessen Lohn/ | Der aus Egypten dich/ o

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Israel geführet/ | durch Wüsten/ da kein Mann vor jemals ward gespühret/ | Da nie kein Mensch gewohnt: der dir in deiner Noth | Die Felsen quellen ließ/ vnd gab dir Himmels Brot?“ (zitiert nach GW 2.2, S. 557). 212 judices … et reges] Vgl. die entsprechenden Bücher im Alten Testament. 212 filium Isai coronavit] David, der Sohn Isais, wird als von Gott Erwählter durch Samuel gesalbt (I Sam 16,12f.) und später als König von ganz Israel anerkannt (I Sam 5). 212 f. qui post … captivitatis … miseriam… manumisit] Die Heimkehr aus dem Babylonischen Exil. 213 f. Esdrae ac Nehemiae] Nach der Heimkehr der Juden aus dem Babylonischen Exil sind Esdra (Esra) und Nehemia maßgeblich am Wiederaufbau beteiligt, was in den nach ihnen benannten Büchern des Alten Testaments beschrieben wird. Vgl. Heinsii Lobgesang Christi, V. 129f.: „Durch Esdras weisen rhat/ vnd Nehemias wehren/ | Ierusalem erweckt/ sich wieder lassen nehren“ (zitiert nach GW 1, S. 292). 214 f. eximiis pulcherrimae Estherae dotibus] Im Buch Esther des Alten Testaments wird geschildert, wie es der schönen Esther gelingt, eine drohende Judenverfolgung im Perserreich abzuwenden. 215 rempublicam] Wie auch an anderen Stellen im Sermo verwendet Opitz hier Begriffe aus dem römischen Staatswesen. 216 f. assumpsit … virginis] Vgl. die Formulierung im Glaubensbekenntnis von Nizäa: Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine, et homo factus est. 217 qui regnat … in sinu patris] Vgl. im Johannesprolog (Joh 1,18): Deum nemo vidit umquam unigenitus Filius qui est in sinu Patris ipse enarravit. 217 f. factus … quod Deus est] Wieder Bezug zu christologischen Aussagen. Vgl. im sogenannten „Philipperhymnus“ (Phil 2,6 f.): qui cum in forma Dei esset / non rapinam arbitratus est esse se aequalem Deo / [7] sed semet ipsum exinanivit formam servi accipiens / in similitudinem hominum factus / et habitu inventus ut homo. 218 * In propria venit, neque recipistis eum] Opitz: Iohan.1.11.; in der Vulgata: In propria venit et sui eum non receperunt. 218 Accepistis ab eo omnia] Vgl. im Johannesprolog (Joh 1,16): Et de plenitudine eius nos omnes accepimus / et gratiam pro gratia. 219 Sustulit jugum legis] Paulus, v. a. Gal 5,1 ff. 220 f. Via est … Veritas est … Vita est] Joh 14,6 u.a. 221 * Factus est vobis in lapidem offensionis et petram scandali] Opitz: Esa.8.14.; in der Vulgata: et erit vobis in sanctificationem / in lapidem autem offensionis et in petram scandali duabus domibus Israhel. 226 in antiquum chaos] Das Chaos vor Erschaffung der Welt (vgl. Gen 1,2). 228 f. Parcunt … pertemtat] Vgl. Joh 19,32–37.

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230 Ex hoc enim vulnere fons vitae emanat] Vgl. Ps 36 (35),10: quoniam apud te fons vitae sowie Joh 19,33f.: ad Iesum autem cum venissent / ut viderunt eum iam mortuum non fregerunt eius crura / [34] sed unus militum lancea latus eius aperuit / et continuo exivit sanguis et aqua. Diese Stelle wird mit einem Wort Jesu im 7. Kapitel desselben Evangeliums in Verbindung gebracht ( Joh 7,37 f.): in novissimo autem die magno festivitatis / stabat Iesus et clamabat dicens / si quis sitit veniat ad me et bibat / [38] qui credit in me sicut dixit scriptura / flumina de ventre eius fluent aquae vivae. Bereits seit dem 6. Jh. bildet sich im Blick auf Wasser und Blut, vor allem aber auf das Blut, das aus der Seitenwunde strömt, die Vorstellung von Christus als fons vitae oder fons pietatis; vgl. Ulrich Köpf: Passionsfrömmigkeit, in: TRE 27, S. 748. 232 Pars urbem ad mactandum agnum] Die letzten Tage Jesu fallen in die Zeit des Passafestes, da am Tempel das Passalamm geschlachtet und dann im Familienverband verzehrt wurde. Vgl. im Klagelied, V. 41 f.: „jetzt kommen sie mit Hauffen / | Das heilig’ Osterlamb zu schlachten zugelauffen“ (zitiert nach GW 2.2, S. 558). 235 f. senator Iosephus … petit] Vgl. Mt 27,57; Mk 15,42–46; Lk 23,50–53; Joh 19,38. Wieder verwendet Opitz mit senator einen Begriff aus der römischen Antike. 236 f. Nicodemus qui … fuerat] Vgl. Joh 3,1–21. 237–242 Imbecillior … lucro] Vgl. Lk 23,55 f.; Mk 16,1. 242 f. pro myrrhâ et aloë … poenitentiâ et conversione] Vgl. Joh 19,39–40: Venit autem et Nicodemus qui venerat ad Iesum nocte primum ferens / mixturam murrae et aloes quasi libras centum. [40] Acceperunt ergo corpus Iesu et ligaverunt eum linteis cum aromatibus. 244 pro sindone] Vgl. Mt 27,59: Et accepto corpore Ioseph involvit illud sindone munda; Mk 15,46: Ioseph autem mercatus sindonem et deponens eum involvit sindone; Lk 23,53: Et depositum involvit sindone. Hier handelt es sich eventuell um eine Anspielung auf Apk 3,4f: sed habes pauca nomine in Sardis / qui non inquinaverunt vestimenta sua / et ambulabunt mecum in albis quia digni sunt / [5] qui vicerit sic vestietur vestimentis albis / et non delebo nomen eius de libro vitae. 245 f. vestium elegantiam, quae … pereunt] Vgl. Mt 6,28; Jak 5,2. 247 f. In alieno conditorio] Vgl. Mt 27,60: et [Ioseph] posuit illud [corpus] in monumento suo novo quod exciderat in petra. 248 quia pro alienâ morte mortuus est] Vgl. zum Beispiel Augustinus, Sermo 161,2,2: Quocumque enim ieris, Iesus videt te; qui fecit te, et perditum redemit te, et pro mortuo mortuus est pro te. 250 f. Corpus putredine non corrumpitur] Vgl. Act 2,27 bzw. 2,31. 251 f. Caro in terrâ, anima in coelo, divinitas utrobique est] Eventuell eine Anspielung auf das sogenannte Extracalvinisticum (im Unterschied zur Ubiquitätslehre Luthers): Calvin weigert sich, „die menschliche Natur an der Ubiquität der göttlichen Natur Christi teilnehmen zu lassen. Von der Ubiquität der göttlichen Natur Christi aber gilt, daß sie alle Dinge erfüllt. Sie wohnt zwar in seiner Menschheit, ist aber nicht an seine Menschheit gebunden.“ (Karl-Heinz zur Mühlen: Jesus Christus. IV. Reformationszeit, in: TRE 16, S. 759–772, hier S. 764.). 253 cum horrore et admiratione aspeximus] Nach Bogner (wie oben), S. 154, sollen zum Beispiel bei Erbauungsbüchern, die sich der Passion Jesu widmen, bestimmte Affekte er-

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zeugt werden: „Es handelt sich einerseits um Angst und Schrecken, sowohl vor Gottes Zorn über die Sünden der Menschen, der sich in der Bestrafung seines Sohnes mit der Passion manifestiert, als auch vor dem Jüngsten Gericht. … Zur Angst gesellen sich die Affekte des Leidens und der Trauer um die körperlichen und seelischen Qualen, die der Heiland für die sündigen Menschen auf sich genommen hat.“ 254 f. Qui non aperuit … ad mactationem ductus est] Dtjes 53,7. 255 omnipotenti dexterâ] Vgl. Ps 118 (117), 15f. 255 f. vincula sepulchri frangit … triumphat] Vgl. auch das in der katholischen Liturgie der Osternacht gesungene Exsultet, in dem es heißt: Haec nox est, / in qua, destructis vinculis mortis, / Christus ab inferis victor ascendit. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in mittelalterlichen Osterspielen. 256 f. Evasit Diabolum … semen mulieris … conterere debebat] Vgl. Apk 12 sowie Heinsii Lobgesang Christi, V. 67–70 (zitiert nach GW 1, S. 289): „Des Weibes samen würd’ in seiner Zeit entstehn/ | Dem feinde mit gewalt vnd macht entgegen gehn/ | Zertretten seinen kopff/ zuestören/ überwinden/ | Den argen seelenfeind/ den reitzer zue der sünden.“ Vgl. auch Heinsius, S. 413: O beatum diem, quo draconis caput frangitur, Leuiathan conteritur. 258 Evasit vigiles … impedirent] Vgl. Mt 27,62–66; Mt 28,4. 259 leo de tribu Iudâ] Vgl. Apk 5,5; so auch im Klagelied, V. 33: „Der Löw aus Juda her/ wird jetzt von euch vernichtet“ (zitiert nach GW 2.2, S. 558). 260 primitiae dormientium] Vgl. I Kor 15,20 sowie Apk 1,5. 260 f. chirographum quod contra nos erat] Vgl. Heinsius, S. 418: Nos autem, quos cum Deo Patre jam conciliasti, pro quibus mortuus est, passus ac sepultus, quorum chirographum Diabolo ereptum discerpsisti … 261 f. Diabolum … conculcasti … subjecisti] Vgl. I Kor 15,25ff. sowie Ps 110, 1 (bzw. Lk 20,43; Act 2,35; Hebr 1,13; Hebr 10,13). 262 Spes nostra, et caput credentium] Vgl. Eph 1,22; Eph 4,15; Kol 1,18. 263 ex singulari] In GW ist ex weggelassen. 265 mentes … illustrare] Vgl. Eph 1,18. 265–267 ut … passionem … contemplemur, ut pati tecum discamus pariter, et à morte peccati resurgere] Vgl. Röm 6,3–4: an ignoratis quia quicumque baptizati sumus in Christo Iesu/ in morte ipsius baptizati sumus / [4] consepulti enim sumus cum illo per baptismum in mortem / ut quomodo surrexit Christus a mortuis per gloriam Patris / ita et nos in novitate vitae ambulemus. 267 Trahe nos post te] Vgl. Joh 12,32: et ego si exaltatus fuero a terra omnia traham ad me ipsum. Vgl. zum Beispiel auch das Weihnachtslied In dulci jubilo, in dem es in der zweiten Strophe heißt: „O Jesu parvule,/ Nach Dir ist mir so weh. /Tröst mir mein Gemüte, / O puer optime,/ Durch all Deine Güte,/ O princeps gloriae./ Trahe me post te.“ 268 Accende … ignem amoris tui] Vgl. das Gebet Veni, Sancte Spiritus,/ reple tuorum corda fidelium, / et tui amoris in eis ignem accende.

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268 oculos fidei] Hinsichtlich der Formulierung vgl. Augustinus, De disciplina christiana 12, 13: Quaere mortes martyrum; oculos carnis interroga: male mortui sunt; oculos fidei interroga. 269 inutili humanae eruditionis opinione] Vgl. Hi 5,13; Röm 11,25; I Kor 3,19. 269 quaeramus te ubi inveniris] Vgl. Dtjes 55,6: quaerite Dominum dum inveniri potest / invocate eum dum prope est. 269 f. neque coecae rationi nimium fidamus] Vgl. I Kor 13,9: ex parte enim cognoscimus et ex parte prophetamus. 270 f. Da … vulneribus tuis nos insinuemus, et sanguine … pascamur] Vgl. ähnliche Formulierungen in Opitzens Gedicht Eucharistia. 271–279 Caeterum … exosam] Der Textabschnitt fehlt in der deutschen Fassung, da er durch den Gang der Geschichte (und wohl auch durch Veränderungen in Opitzens Lebensumständen) obsolet geworden war. 272 infelici hoc saeculo] Bezug auf die aktuelle Kriegssituation. 272 hostes veritatis] Angriff auf die konfessionellen Gegner. 272 nutantem religionis cymbam] Nimmt die Schiffahrtsmetapher (s. o. uni arcae) wieder auf, gleichzeitig Anspielung auf die Situation der Protestanten. Vgl. die Formulierung am Ende des Trostgedichtes in Widerwertigkeit Deß Krieges, Buch 4 (GW 1, S. 264, V. 495–500): „ … Ach! Vater/ laß doch nicht | Der Kirchen schwaches Schiff das jetzund knackt vnd bricht | In dieser wilden See/ in diesen wüsten Wellen/ | Bestritten von der Macht vnd Grausamkeit der Höllen! | Laß vns nicht länger seyn der Götzendiener Spott | So ruffen ohne Schew: Wo ist der Ketzer Gott?“ 274 Exere fortem manum tuam] Vgl. zum Beispiel Dtn 4,34. 275 f. Confunde rabiosas maledicorum linguas] Vgl. zum Beispiel auch Paul Melissus Schede in dem Gedicht In Maivm (Paul Schede Melissus: Melissi Schediasmata Poetica. Secundo edita multo auctiora. Paris 1586. Teil 1, S. 409), V. 53–56: Lis, et infestae rabiosa litis / Auctor exesto mala lingua. nemo / Lividum spiret, careatque dignis / Nemo corollis. 276 f. electam tibi Ecclesiam] Vgl. Joh 15,16 ff. 277 sedem Antichristi] Im Neuen Testament wird der Antichrist erwähnt I Joh 2,18 f.: filioli novissima hora est / et sicut audistis quia antichristus venit / nunc antichristi multi facti sunt / unde scimus quoniam novissima hora est / [19] ex nobis prodierunt sed non erant ex nobis / nam si fuissent ex nobis permansissent utique nobiscum …; sowie II Thess 2,3 f.: ne quis vos seducat ullo modo / quoniam nisi venerit discessio primum / et revelatus fuerit homo peccati filius perditionis / [4] qui adversatur et extollitur supra omne quod dicitur Deus aut quod colitur / ita ut in templo Dei sedeat / ostendens se quia sit Deus. – Bereits im Mittelalter gab es die Legende vom Antichrist. Luther bezog „Antichrist“ auf den Papst, später wurden jedoch auch „der Türke“ und Calvin als „Antichristi“ angesehen; vgl. Ingvild Richardsen-Friedrich: Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jahrhunderts. Argumentation, Form und Funktion. Frankfurt/M. u.a. 2003; TRE 3, S. 28–43. Richardsen-Friedrich nennt als Beispiel die 1592 veröffentlichte Schrift Dreyköpffichter Antichrist. Darinnen des

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Bapst Grewell/ der Türkische Alcoran/ vnd der Caluinisten Lesterschwarm/ Allen frommen Gotteskindern zu Trost vnd Warnung abgebildet vnnd widerleget wird des Predigers Johannes Praetorius. Ihre Vorrede ist dem Herzog Friedrich in Schlesien zu Liegnitz, Brieg und Goldberg gewidmet (Richardsen-Friedrich, S. 381). 277 mitissimum tuum jugum] Vgl. Mt 11,29 f. 277 f. jugum intolerabile jugum Diaboli] Im Gegensatz zum „Joch“ Christi; vgl. dazu Mt 11,30: iugum enim meum suave est et onus meum leve est. 278 impia seditiosorum consilia] Vgl. im Trostgedichte in Widerwertigkeit Deß Krieges: „Hilff doch den bösen Raht der jenigen vernichten | Die alle Müh vnd Witz nur einig darauff richten | Wie vnsrer Sachen Recht durch einen falschen Schein | Der gantzen weiten Welt verhasset möge seyn“ (GW 1, S. 266, V. 545–548). 279 causam nostram et tuam] Konfessionspolemik und Rhetorik: Die Stellung der beiden Pronomina unmittelbar hintereinander verdeutlicht, auf wessen Seite Gott steht. 281 f. Custodi … Silesia] Auch dieser Textabschnitt fehlt in der deutschen Fassung, wohl aus demselben Grund wie der Abschnitt von Caeterum bis exosam (Zeile 271–279). 281 Custodi piissimum Regem nostrum] Am 26. August 1619 wurde der calvinistische Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz zum König von Böhmen gewählt und am 4. November 1619 in Prag gekrönt. Vgl. Zeeden, Hegemonialkriege, S. 244 f. 281 muneri quod ei dedisti] Nach seiner Wahl zum König entscheidet sich Friedrich V. zwischen dem 24. und 28. September 1619, dem „willen des Allmechtigen nicht zu widerstreben“ und im „nahmen Gottes diese ordentliche Vocation“ anzunehmen, und spricht nicht nur in seinem im November 1619 verfaßten Rechtfertigungsschreiben von einer „göttlichen Berufung“ und „schickung deß allmächtigen Gottes“ (Der Winterkönig Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, hrsg. von Peter Wolf u. a. Stuttgart 2003, S. 24). 282 charissima nostra Silesia] Damit werden die in der Widmungsvorrede genannten Patroni einbezogen. 283 optata veris amoenitas] Könnte sich auf die Abfassungszeit des „Werkchens“ (SchulzBehrend) beziehen, das laut Schulz-Behrend (GW 1, S. 153) im Frühling 1620 abgeschlossen und gedruckt wurde. 283 f. ut nos … exuamus] Vgl. z. B. Eph 4,22–25 sowie Kol 3,8–10. 284 seriâ castigatione] Vgl. zum Beispiel Hebr 12,4 –11. 284 –286 talentum … defodiamus … convertamus] Vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt 25,14–30 sowie Lk 19,11–27). 288 f. animae … vasa gratiae … tuae … conserventur] Vgl. II Tim 2,20f. 289 f. eâdem istâ carne nostrâ, quae … sublata est, redibis] Vgl. Act 1,11: hic Iesus qui adsumptus est a vobis in caelum / sic veniet quemadmodum vidistis eum euntem in caelum.

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291 hoc curarum et mortalitatis theatro] Topos vom Leben als theatrum der Vergänglichkeit. 291 f. qui cum Patre et Spiritu sancto es et eras, et eris in Saecula] Wieder Bezug zur Trinitätslehre sowie zur Frage nach der Präexistenz Christi, gleichzeitig Anklänge an Gebetsfromeln. [V.M.]

[EVCHARISTIA.] Wie er in der Widmungsvorrede zum Gesamtdruck ausführt, verfaßte Opitz dieses Gedicht bereits in seiner Zeit in Bunzlau und fügte es dem Sermo bei, cum quia amicis quibusdam dignum lectu visum fuit, tum quia aptiorem alibi sedem vix invenisset (fol. A3r). Später wurde das Gedicht in die Silvae aufgenommen (S. 8–11), doch fehlen dort die Verse 102 bis 104, die vielleicht in ihrer Aussage theologisch zu heikel waren. Durch den Sermo sowie die Eucharistia zeigt Opitz, dass er beide Facetten theologischen Schreibens/theologischer Inhalte bereits in seinen jungen Jahren beherrscht. Der Text wird auf dem Titelblatt ausdrücklich als Meditatio in sacrâ Coenâ bezeichnet, was Rückschlüsse hinsichtlich Form und Wirkungsabsicht zuläßt (dazu s. u.). Inhaltlich läßt sich das Gedicht gliedern in den Aufruf an den animus, aus dem Dunkel seiner Sünde aufzutauchen und durch Reue, Gebet, Glaube und Hoffnung den Himmel zu erreichen (V. 1–30); dem Glauben kommt hierbei die größte Bedeutung zu (V. 30–34). Dem Aufstieg zu Gott steht für die Seele die misella (V. 37) bzw. caduca vita (V. 44), die Körperlichkeit mit ihrer Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit, entgegen (V. 35–47), die jedoch durch das Blut Christi getilgt werden (V. 47–49). Auf die Beschreibung der gens dicata Numini Summo (V. 50 f.), der sich der Sprecher, wohl der animus, anschließen möchte (V. 50–59), folgt die Verwünschung der Sünder (V. 60–68), die von Christus (der hier und in den folgenden Versen nicht namentlich genannt, sondern durch christologische Aussagen bezeichnet wird) aufgrund ihrer Verstocktheit ihr Urteil zu erwarten haben (V. 68–70). Demgegenüber erstrebt der Sprecher die Vereinigung mit Christus durch dessen Wunden (V. 76–79) und durch das Abendmahl (V. 79–88) und kann dann – als letzte Stufe der Vereinigung – zu ihm emporsteigen (V. 88–96). Nach dem Lobpreis Christi (V. 96–104) endet das Gedicht mit einem Gebet (V. 105–115), das Anklänge an das Gebet am Schluß des Sermo aufweist. – Versmaß: jambische Trimeter. Hervorzuheben sind an diesem Text die mannigfachen Anspielungen auf theologische Grundsatzfragen bzw. Kernaussagen, neben Abendmahl und Buße vor allem die überragende Rolle des Glaubens. Dazu treten hier Vorstellungen und Formulierungen, die der christlichen Mystik entstammen. Da Opitz die EVCHARISTIA auf dem Titelblatt explizit als MEDITATIO bezeichnet, sind wohl die Ausführungen Udo Sträters zu berücksichtigen (s. u.), S. 90 f.: Demnach wurde seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts (in der lutherischen Kirche) der Sonntag zum „Tag der heiligen Übungen, insbesondere der Meditation erklärt“; zahlreiche „meditative Übungen“ waren hierbei auf die Verstärkung der Wirkung des öffentlichen Gottesdienstes gerichtet; der Besuch des Gottesdienstes selbst sollte durch eine affektive Einstimmung, die Erregung von Begierde, die „Seelenspeise zu genießen“, vorbereitet werden. „Der neben der Predigt zentrale Stellenwert für die Me-

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ditation wurde der Teilnahme am Abendmahl zugesprochen. Hier verband sich in der Übernahme der alten Tradition der Passionsbetrachtung die Privatmeditation mit der Teilnahme am öffentlichen Gemeindegottesdienst.“ Vor dem Empfang des Abendmahls sollte die Gewissenserforschung, auch mit Hilfe einer Bußmeditation, stehen. Auch im Calvinismus wird die Meditation empfohlen; so führt Sträter, S. 109 f., eine Schrift Jean de Labadies aus dem Jahr 1667 an, in der hierfür zu Anfang die „Reinigung von Herz und Leben“ und vor allem „eine Haltung der Selbstverleugnung“ gefordert wird. Die Meditation soll „die Seele zu Gott aufschwingen in der Hoffnung, daß er ihre Sehnsucht erfüllt und ihr entgegenkommt“; in der „betrachtenden Vereinigung mit Gott ist die individuelle Existenz aufgehoben“. Zur Thematik vgl. zum Beispiel: Hans Preuss: Die Geschichte der Abendmahlsfrömmigkeit in Zeugnissen und Berichten. Gütersloh 1949; Hans Grass: Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin. Eine kritische Untersuchung. Gütersloh 1954; Helmut Feld: Das Verständnis des Abendmahls. Darmstadt 1976 (= Erträge der Forschung 50); Friedrich Ohly: Gesetz und Evangelium. Zur Typologie bei Luther und Lucas Cranach. Zum Blutstrahl der Gnade in der Kunst. Münster 1985 (= Schriftenreihe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Neue Folge, Heft 1); Tom G. A. Hardt: Venerabilis et adorabilis Eucharistia. Eine Studie über die lutherische Abendmahlslehre im 16. Jahrhundert. Göttingen 1988 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 42); Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst: Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Renaissanceforschung 8); Udo Sträter: Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (= Beiträge zur historischen Theologie 91); Oliver Pfefferkorn: Übung der Gottseligkeit. Die Textsorten Predigt, Andacht und Gebet im deutschen Protestantismus des späten 16. und des 17. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2005 (= Deutsche Sprachgeschichte 1) sowie entsprechende Artikel in TRE. 1 ff.] Anklänge an Ps 42,6 und vor allem Ps 37 (38), 4f.: non est sanitas carni meae a facie irae tuae / non est pax ossibus meis a facie peccatorum meorum / [5] quoniam iniquitates meae supergressae sunt caput meum / sicut onus grave gravatae sunt super me. Diese einleitenden Verse könnten auch in Zusammenhang stehen mit der Definition von Buße in Calvins Institutio christianae Religionis „als ‚die Hinkehr unseres Lebens zu Gott‘ … welche die Tötung des Fleisches, verstanden als Selbstverleugnung, … und die Lebendigmachung des Geistes in sich schließt… Den größten Fortschritt erzielt, wer in das Leben und in den Tod Christi eingepflanzt beständig auf Buße bedacht ist“ (Gustav Adolf Benrath: Buße V, in: TRE 7, hier S. 469). Umkehr beginnt dann damit, daß wir der Sünde gegenüber Abscheu und Haß empfinden (vgl. Calvin, Institutio 3,7). 8 f. Semper imminet … preces] Vgl. Prov 15,8: victimae impiorum abominabiles / Domino vota iustorum placabilia. 13 carceris … tui] Vgl. Weish 9,15: corpus enim quod corrumpitur adgravat animam / et deprimit terrena inhabitatio sensum multa cogitantem; eventuell auch Anklänge an den Gegensatz zwischen ( und ) bzw. die Vorstellung vom Leib als „Grab der Seele“ bei Platon. 14 escende] Silvae: ascende

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Kommentar zu S. 194 –196

15 Alis] Könnte neben der Bedeutung „Flügel“ sich auch als militärischer t.t. auf praelium zurückbeziehen. 18 Avernum] In der Nähe des Averner Sees (lacus Avernus) lag nach antiker Auffassung der Eingang zur Unterwelt, weswegen Avernus metonymisch für die Unterwelt steht. 18 Orci] Orcus: Antike Bezeichnung für die Unterwelt. 23 Onus] Silvae; Erstdruck: Vnus; doch bereits im benutzten Exemplar handschriftlich zu Onus korrigiert. 24 f. virginis rursum decus Titulumque sustinebit] Vgl. Stellen aus dem Alten Testament, in denen Jerusalem Heil verheißen wird, zum Beispiel Jes 62,4 ff. 28–30 Victima … Quam mens fidelis] Vgl. Ps 50 (51),18f.: quoniam si voluisses sacrificium dedissem utique / holocaustis non delectaberis / [19] sacrificium Deo spiritus contribulatus / cor contritum et humiliatum Deus non spernet und Röm 12,1: obsecro itaque vos fratres per misericordiam Dei / ut exhibeatis corpora vestra hostiam viventem / sanctam / Deo placentem / rationabile obsequium vestrum. 30 Omnis in fide est salus] Eine zentrale Aussage gerade auch in bezug auf die Reformation; in der Bibel oft im Neuen Testament thematisiert, vgl. z.B. Joh 20,31; Röm 1,17; Eph 2,8 ( gratia enim estis salvati per fidem et hoc non ex vobis) und vor allem Röm 3,28: arbitramur enim iustificari hominem per fidem sine operibus legis. 31 Beatus ille qui …] Vgl. Horaz, Epode 2,1: Beatus ille qui procul negotiis. 35–44] Ausgeprägte Vanitas-Motivik; vgl. z.B. die Formulierungen in der Trostschrift Opitzens für den Breslauer Verleger David Müller anläßlich des Todes von dessen Ehefrau: „Dann so bald die seele gesegnet hatt/ so sehen wir was das übrige gewesen sei: ein schleim und galle/ ein gestanck/ vndt etwas das ich nicht nennen mag/ damit auch die gedancken dadurch nicht beleydiget werden. Dieses faule kleydt das wir tragen ist eine zusammenflickung der vnwißenheit/ eine steiffe des mutwillens/ ein bandt der verwesung/ ein finsterer zaun/ ein lebendiger todt/ ein fühlendes aaß/ ein herumbgehendes grab/ ein eigener haußdieb/ vnd wie etwan Hermes Trismegistos weiter saget.“ (GW 4.1, S. 105 f.). Zur Vanitas-Thematik vgl. van Ingen (1966), v. a. S. 61 ff., und Mauser, S. 119 ff. 38 Cloaca] Silvae: Sentina. 41 Seiren impia] Die Sirene(n) stehen seit der Antike für Verführung; vgl. DNP 11, Sp. 593. 44 vita] Silvae: vitae! 44 –47 Exeste … nobis] Vgl. Mt 18,8 bzw. Mk 9,45. 47 f. unicâ Christus … eluet] Vgl. zum Beispiel Eph 1,7. Über die Gnadenwirkungen des (Passions-)Blutes Christi, vor allem in bezug auf Darstellungen in der bildenden Kunst, vgl. Friedrich Ohly: Gesetz und Evangelium (wie oben), vor allem S. 48 ff. 50 f. gens dicata Numini Summo] Das auserwählte Volk Gottes; vgl. zum Beispiel Ex 19,6 oder I Petr 2,9 f. Hier ist möglicherweise auch Calvins Auffassung vom populus electorum Dei im Gegensatz zu den reprobi zu berücksichtigen; vgl. Willem Nijenhuis: Calvin. 2.6. Ekklesiologie, in: TRE 7, S. 584 ff.

Kommentar zu S. 196–198

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53 ardor hic rapit] In diesem Zusammenhang wohl das Feuer des Heiligen Geistes. 54 –57 nullus hîc ordo statûs … imperator omnium] Vielleicht Anklänge an Mt 20,26: sed quicumque voluerit inter vos maior fieri / sit vester minister und ähnliche Stellen. 57–59 Placet Deo … studio sui] Wohl Anspielung auf das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe; vgl. zum Beispiel Mt 22,37 ff. 64 inerti … Cocyto] Vgl. Seneca, Hercules furens 868–870: Omnis haec magnis uaga turba terris / Ibit ad Manes, facietque inerti / Vela Cocyto. Der Cocytus ist ein Fluß der Unterwelt, der Name wird in der Dichtung auch allgemein als Bezeichnung für die Gewässer der Unterwelt verwendet, z.B. Vergil, Aeneis 6,132. 68 f. hoc … Pignus salutis] Vgl. zum Beispiel Hebr 5,9: et consummatus factus est omnibus obtemperantibus sibi causa salutis aeternae. 71–76 fons boni … lux alma] Aufreihung von christologischen Titeln bzw. Aussagen. 71 fons boni] Vgl. Mt 19,17: unus est bonus Deus … 72 Origo pacis] Vgl. Röm 5,1: iustificati igitur ex fide / pacem habeamus ad Deum / per Dominum nostrum Iesum Christum. 72 salutis conditor] Vgl. Hebr 5,9: et consummatus factus est omnibus obtemperantibus sibi causa salutis aeternae. 73 Maxime sacerdos] Vor allem im Hebräerbrief thematisiert. 73 victima] Vgl. Eph 2,13–16; Eph 5,2 sowie Kapitel 9 und 10 des Hebräerbriefes. 75 Iudex et advocatus] Christus als Weltenrichter und als Angeklagter vor seiner Kreuzigung. 75 omnia omnibus] Vgl. I Kor 15,28: cum autem subiecta fuerint illi omnia / tunc ipse Filius subiectus erit illi qui sibi subiecit omnia / ut sit Deus omnia in omnibus. 76 O cordium lux alma] Vgl. z.B. den Beginn des ambrosianischen Hymnus In adventu domini: Conditor alme siderum. / aeterna lux credentium. 77 f. Latus cruentum pande … receßûs] Die Seitenwunde Christi als Teil von Meditionsbetrachtungen und Thema in Texten der Mystik; vgl. zum Beispiel die Ausführungen von Ohly (wie oben). 78 recipe me totum tuum] Anklänge an die in der christlichen Mystik thematisierte unio mystica von Seele und Gott. Vgl. Preuss, wie oben, S. 16: „… wenn die Mystik im Abendmahl das geheimnisvoll selige Ineinanderfließen mit Jesus genoß, so pflanzte Luther die Vergebung der Sünden als das A und O der heiligen Handlung auf, genau wie es Christus angeordnet hatte.“ 85 f. ut ingerat fides mihi, Infirma quicquid denegabunt lumina] Das Genießen des Leibes Christi im Abendmahl. In der von Thomas von Aquin verfaßten Sequenz Pange lingua heißt es in V. 29 f.: Praestet fides supplementum / Sensuum defectui.

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88 quei] Silvae ebenfalls quei; in GW als Druckfehler interpretiert und geändert zu quid. 90 Olympi] Der Göttersitz auf dem Olymp aus der antiken Mythologie hier anstatt der christlichen Bezeichnung für „Himmel“. 92 f. Christum inveni Vbi invenitur … tuum] Vgl. Dtn 4,29; I Chr 28,9; Prov 8,17; Jes 55,6; Jer 29,13f.; Mt 7,7. 93 sentio in coelo] Vgl. Calvins Brief an Bullinger vom 25. Februar 1547: „Fern ist Christus vom Abendmahl, was die Augen, was alle Sinne, was den Ort betrifft. Denn im Himmel ist sein Leib, das Abendmahl aber wird auf Erden abgehalten“ und im Consensus Tigurinus zwischen Calvin und Bullinger: „Vor allem ist jede Einbildung einer örtlichen Gegenwart [Christi] aufzugeben. Denn wenn die Zeichen hier in der Welt sind, so ist doch Christus, weil er Mensch ist, nicht anderswo als im Himmel und ist nicht anders als mit dem Denken und dem Glaubensverstand zu suchen.“ (Beide Stellen zitiert nach Preuss, wie oben, S. 105). 97 lux gentium] Vgl. zum Beispiel Jes 42,6: ego Dominus vocavi te in iustitia et adprehendi manum tuam / et servavi et dedi te in foedus populi in lucem gentium sowie Jes 49, 6: et dixit parum est ut sis mihi servus ad suscitandas tribus Iacob et feces Israhel convertendas / dedi te in lucem gentium ut sis salus mea usque ad extremum terrae; Lk 2,32: lumen ad revelationem gentium et gloriam plebis tuae Israhel und Apg 13,47. 99 f. ô stupenda munera, Quae das fidelibus tuis] Vgl. zum Beispiel Apk 2,10: esto fidelis usque ad mortem et dabo tibi coronam vitae. 101 ô mysticum convivium] Das Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern sowie das Abendmahl in der Gemeinde. 102–104] Fehlt in Silvae. Diese Stelle erwies sich wohl theologisch als zu heikel, da hier auf die strittige Abendmahlsfrage rekurriert wird: die Frage der Realpräsenz Christi in, mit und unter Brot und Wein (Luther) bzw. eine geistige Präsenz, an die Brot und Wein erinnern (Reformierte). 105 O spes quieta, turris et rupes mea] Vgl. Ps 31 (30),3f. sowie Ps 91 (90),2. Ähnlich formulierte Anrufungen finden sich auch in der Mystik, vgl. bei Pfefferkorn, (wie oben), S. 196–199, das Beispiel Mechthilds von Magdeburg. 106 f. via Et vita nostra] Vgl. Joh 14,6: dicit ei Iesus / ego sum via et veritas et vita. 107 pignore hoc et munere] Gegensatz zu Terrestre pignus (V. 91). 109 reduc vagos] Vgl. Ez 34,16: quod perierat requiram et quod abiectum erat reducam. 110 Confunde linguas hostium] Vgl. Gen 11,7: venite igitur descendamus et confundamus ibi linguam eorum sowie Ps 54 (55),10: praecipita Domine divide linguas eorum / quoniam vidi iniquitatem et contradictionem in civitate. Vgl. im Sermo, Z. 275 f.: Confunde rabiosas maledicorum linguas. 110 f. gentis tuae Solare rellictum gregem] Bezug auf die konfessionelle und historische Situation in Schlesien.

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114 f. Et intuebimur … utroque sanctum Spiritum] Mit utroque evtl. Anspielung auf das in den Glaubensbekenntnissen der Westkirchen verankerte Hervorgehen des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn. Vgl. auch die Passagen zur Trinität in Luthers Sermon vom Abendmahl (WA 26, 500, 27–30 bzw. 505, 38f.). [V.M.]

ORATIO AD FRIDERICVM R EGEM B OHEMIAE – Aspice, Rex Abschieds- und Huldigungsrede auf Friedrich V. von der Pfalz Dünnhaupt, Nr. 51; – ORATIO | AD | SERENISSIMVM | AC POTENTIS -| SIMVM PRIN -| CIPEM | FRIDERICVM | REGEM BO -| HEMIAE . | Auctore | MARTINO OPITIO | SILESIO. | Typis G OTTHARDI | V OEGELINI . – o.O. [Heidelberg], o. J. [1620] (Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel: 7.4 Rhet. [1]). GW 1, S. 171–181, und unsere Ausgabe folgen dem Erstdruck. Die Rede auf Friedrich V. ist neben dem etwa zeitgleich entstandenen großen Verspanegyrikus auf Ludwig Camerarius die zweite umfangreiche politische Schrift, die Opitz während seiner Heidelberger Zeit zur Unterstützung des pfälzischen Engagements in Böhmen verfaßte. Nach seiner Ankunft in Heidelberg (Immatrikulation am 17. Juni 1619) hatte er sich unter dem Einfluß des kurpfälzischen Rates Georg Michael Lingelsheim, dessen Sohn er unterrichtete, schnell mit der politischen Lage der Kurpfalz vertraut gemacht. Opitzens vehementes Eintreten für den Kurfürsten und seine führenden Beamten im Kampf gegen die habsburgische Vormachtstellung und die drohende Gegenreformation darf keineswegs als bloße Schmeichelei verstanden werden, vielmehr stand das Schicksal seiner Heimat Schlesien, eines Nebenlandes der böhmischen Krone, auf dem Spiel, und es kann dem jungen Opitz am wenigsten angelastet werden, daß er die Chancenlosigkeit des „böhmischen Abenteuers“ nicht erkannte. Wenn er ausführlich die Jugend und Unerfahrenheit des Kurfürsten schildert, mag man darin die eigene Unsicherheit des erstmals mit der großen Politik konfrontierten Studenten wiedererkennen. Die Rede besteht offenkundig aus zwei Teilen, die Grenze liegt nach dem dritten Abschnitt. Während Opitz den ersten Teil als (nachträglich retuschierte) Abschiedsrede für den am 18. September 1619 aus Heidelberg abreisenden (und am 31. September in Prag eintreffenden) Kurfürsten und neu gewählten böhmischen König verfaßt hatte, war der zweite Teil wohl als Willkommensgruß für den am 23. Februar 1620 auf der Huldigungsreise durch seine neuen Länder in Breslau ankommenden Herrscher geplant. Opitz gibt sich als Schlesier und damit als Untertan des neuen Königs zu erkennen, er fügt dem Text noch ein Gedicht auf Friedrichs Einzug in Breslau an, und vermutlich wurde diesem der Druck auch tatsächlich während seiner Huldigungsfahrt durch Schlesien überreicht. Die Rede ist als ganze übersichtlich aufgebaut. Die zwölf Absätze enthalten eine konventionelle Einleitung zum Panegyricus (1), einen detaillierten Tugendkatalog des Kurfürsten (2), eine Rekapitulation der Abschiedsszene in Heidelberg (3), einen zugunsten Friedrichs ausfallenden Vergleich mit dem karthagischen Feldherrn

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Kommentar zu S. 200

Hannibal (4), ein Bekenntnis des Untertanen zur neuen Herrschaft (5), eine Beschwörung der religiösen Freiheit (6), eine Rechtfertigung des Widerstandes gegen Tyrannei (7), Klagen über die Untaten der katholischen Seite, besonders der Jesuiten, im weiteren (8) und im engeren Umkreis (9), eine Loyalitätserklärung im Namen der böhmischen Kronländer zugunsten des neuen Königs (10), die Aufforderung an diesen, Breslaus Huldigung entgegenzunehmen (11), sowie ein abschließendes Gebet (12). Die Rede ist in der Forschung bislang wenig beachtet worden, am gründlichsten noch von Wels (1914). Wenig ergiebig ist Günter Häntzschel: „Die Keusche Venus mit den gelerten Musis“. Martin Opitz in Heidelberg, in: Heidelberg im poetischen Augenblick. Die Stadt in Dichtung und bildender Kunst, hrsg. von Klaus Manger und Gerhard vom Hofe. Heidelberg 1987, S. 45–78, hier S. 49. Teilabdruck und Teilübersetzung der Rede in: Orte und Gedichte, S. 20–27, 199–202; Teilübersetzung ebenso auf einer CD-ROM zum Ausstellungskatalog Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz […], hrsg. von Peter Wolf u. a. Augsburg 2003, Dokumentation zu Katalog-Nr. 6.84. Die Literatur über den „Winterkönig“ geht im übrigen, wenn überhaupt, nur ganz am Rande auf den Text ein; das literarische Umfeld beleuchtet Karl Bruchmann: Die auf den ersten Aufenthalt des Winterkönigs in Breslau bezüglichen Flugschriften der Breslauer Stadtbibliothek. Ein Beitrag zur Quellenkunde des dreißigjährigen Krieges, in: Programm des Königl. König-WilhelmsGymnasiums zu Breslau für das Schuljahr 1904/05, S. 1–36. – Einige Desiderate der Forschung zu diesem wichtigen Text sollen kurz genannt werden: Eine Auswertung der von Opitz verwendeten Vorlagen, unter denen die römischen Panegyrici (z. B. Plinius’ Lobrede auf Trajan) an erster Stelle stehen dürften, ist mit Blick auf die kulturpolitische Zeitströmung des ‚Tacitismus‘ lohnend. Im europäischen Kontext sind Fragen nach der Benutzung zeitgenössischer Paralleltexte (etwa von Daniel Heinsius) oder nach dem Echo der Rede im Ausland (wichtig die den anti-katholischen Ton verschärfende anonyme zeitgenössische englische Übersetzung An Oration to … Prince Frederick King of Bohemia. Made by Martin Opitz of Silesia. Translated out of Latin (o.O., 1620) zu stellen. Jenseits der offensichtlichen rhetorischen Hyperbolik wäre überdies im Detail zu klären, inwieweit die von Opitz geschilderten Greueltaten der Realität entsprachen und wie der Informationsaustausch zwischen Böhmen/Schlesien und der Kurpfalz vonstatten ging. 1 haec regna] Das Königreich Böhmen und seine Nebenländer. 3 clementer] Zur römisch-christlichen Herrschertugend der clementia (s. auch weiter unten ad clementiam usw.) vgl. den Kommentar zum nachfolgenden Verspanegyricus auf Joachim Camerarius (V. 51). 3 in sinum tuum recepisti] Vgl. Plinius, Panegyricus auf Trajan 6,3: Confugit in sinum tuum concussa res publica. – Im folgenden werden Parallelen zu den XII Panegyrici Latini nur in Auswahl notiert. Opitz hatte in Heidelberg die Möglichkeit, die von Gruter 1607 und 1611 herausgebrachten Editionen der Panegyrici zu studieren; vgl. Die deutschen Humanisten, Bd. I/2, S. 838–840, 894f. 3 f. absque summo scelere tacere non posse arbitramur] In umgekehrter Formulierung, aber mit gleicher Tendenz Plinius, Panegyricus 55,3: … non alius erga te novus honor superest, quam si aliquando de te tacere audeamus.

Kommentar zu S. 202–204

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7 suffragia maximae Imperii partis] Zur Chronologie der Ereignisse: Am 19. August 1619 wurde der 1617 gewählte Ferdinand als König von Böhmen abgesetzt, am 26. August wurde Friedrich V. von der Pfalz in Prag zum böhmischen König gewählt (Verhandlungen darüber liefen natürlich schon längst), und am 28. August wurde Ferdinand in Frankfurt – mit der Stimme der Kurpfalz – zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt. Durch die Annahme der böhmischen Krone würde Friedrich sich als offizieller Gegenspieler des Habsburgers positionieren. Vgl. zum Gesamtkontext Burkhardt, S. 74 –90. Nach Peter Bilhöfer: Nicht gegen Ehre und Gewissen. Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz – der Winterkönig von Böhmen (1596–1632). Heidelberg 2004 (= RheinNeckar-Kreis: Bausteine zur Kreisgeschichte 7), S. 70, war die Meinung im Reich in dieser Frage geteilt. Die Mehrheit der Fürsten neigte sogar dazu, Friedrich von der Annahme der böhmischen Krone abzuraten; s. a. die folgende Anmerkung. 9 f. teipsum … tam invidiosum honorem detrectaturum non pauci existimabant] Der unerfahrene Friedrich wurde insbesondere durch seinen Berater Christian von Anhalt zur Übernahme der Königswürde gedrängt, während etwa sein Schwiegervater, König Jakob I. von England, abriet; vgl. Bilhöfer (wie oben), S. 68–72. Friedrichs Räte, federführend wohl Ludwig Camerarius, verfaßten in dessen Namen ein „Offen Außschreiben. Warumb Wir die Cron Böheim/ unnd der incorporirten Länder Regierung auff Uns genommen“ (Prag 1619); vgl. Der Winterkönig (wie oben), Dokumentation zu Katalog-Nr. 6.47 und 6.49; Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius 1573–1651. Eine Biographie. Kallmünz 1955 (= Münchener Historische Studien, Abt. Neuere Geschichte 1), S. 70 ff. 10 f. supremus ille arbiter, qui corda regum in manu habet] Nach Prov 21,1: sicut divisiones aquarum ita cor regis in manu Domini quocumque voluerit inclinabit illud 17–20 Commendat … confodit] Die gleiche Argumentation findet sich bei Plinius, Panegyricus 4,5: Enituit aliquis in bello, sed obsolevit in pace; alium toga sed non et arma honestarunt; reverentiam ille terrore, alius amorem humilitate captavit; ille quaesitam domi gloriam in publico, hic in publico partam domi perdidit. Die Plinianische Klauseltechnik beherrscht Opitz freilich nicht. 41 Alter Trajanus] Der römische Kaiser Trajan (reg. 98–117) galt nicht zuletzt wegen des traditionsbildenden Panegyricus von Plinius d. J. als vorbildlicher Herrscher. 41 f. nemo â vultu tuo discedit tristior] Vgl. Janus Gruter: Bibliotheca exulum seu Enchiridion divinae humanaeque prudentiae. Frankfurt 1624, S. 17 (zum Lemma admissionis principalis): Regis a vultu recedit nemo tristis, quam mali. Es handelt sich offenbar um ein Sprichwort, das in dieser Form (zumal mit dem Stichwort rex!) nicht aus der Antike überliefert ist. 42 f. alter Augustus es, quem dare poenas apparebat cum exigeret] Nach Seneca, De clementia 1,10,3: Bene illi [Augusto] parentis nomen convenisse fatemur … quod dare illum poenas adparebat, cum exigeret. 45 f. coronam O B C IVES S ERVATOS ] Ebenfalls nach Seneca, De clementia 1,26,5: Nullum ornamentum principis fastigio dignius pulchriusque est quam illa corona ob cives servatos. Die römische Bürgerkrone (corona civica) erhielt, wer einem Mitbürger durch Töten eines Feindes das Leben rettete; vgl. Plinius d.Ä., Naturalis Historia 16,5.

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Kommentar zu S. 204 –206

47 majestatis tuae] Die im Text mehrfach wiederkehrende, in der Neuzeit geläufige (vgl. v. Albrecht, S. 1143) Paraphrase geht auf die Panegyrici Latini zurück (z. B. 6,1,1). 48 facilis … aditus] Die Junktur nach Panegyrici Latini 4,34,4. 49 inveniunt patrem] Die Bezeichnung des 23jährigen Fürsten als pater (patriae) bzw. parens zieht sich durch den gesamten Text. Bei Plinius, Panegyricus 21,1–4, wird dieser später geläufige Titel eines absoluten Fürsten zumindest formell noch auf seine Berechtigung hin diskutiert. 49 f. finem quisque sermoni non ex tuo fastidio facit, sed ex suo pudore] Ganz ähnlich Plinius, Panegyricus 24,3: Haeret lateri tuo quisquis accessit, finemque sermoni suus cuique pudor, non tua superbia facit. 51 f. Vultus ipse augustâ hilaritate conspicuus] Die Wortwahl wiederum nach Panegyrici Latini 4,34,4: vultum ipsum augusti decoris gravitate, hilaritate admixta, venerandum … 63 f. amor … studiorum et scientiae] Zur Ausbildung Friedrichs V. vgl. Friedrich Schmidt: Geschichte der Erziehung der Pfälzischen Wittelsbacher. Urkunden nebst geschichtlichem Überblick und Register. Berlin 1899 (= Monumenta Germaniae Paedagogica 19), S. XLIII-LI, 61–74, 302–314, 447–449. 65 Bibliothecam stupendae magnitudinis] Die weltberühmte Bibliotheca Palatina, hervorgegangen aus der Hofbibliothek der pfälzischen Kurfürsten; Maximilian I. von Bayern ließ nach der Eroberung der Pfalz die Bibliothek 1622 in den Vatikan überführen. Vgl. Bibliotheca Palatina […], hrsg. von Elmar Mittler […]. 2 Bde. Heidelberg 1986. 66 novus Philadelphus] Ptolemaios II. (309–246 v. Chr.), seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. mit dem Beinamen „Philadelphos“ versehen, gilt als Förderer von Wissenschaft und Dichtung, der die Bestände der Bibliothek in Alexandria vermehrte. 67 linguarum peritiam] Friedrich V. sprach sehr gut Französisch und beherrschte Latein, beide Sprachen sind auch in den Instruktionen an seine Präzeptoren festgelegt (Schmidt, wie oben, S. 304 u. ö.). Er dürfte auch die englische Sprache seiner Frau erlernt haben. Seinen Sohn, Erbprinz Friedrich Heinrich, ließ er noch 1623 Linguas exoticas populares, Gallicam, Anglicam, Bohemicam (ebd., S. 319) lernen, da man die Ansprüche auf den böhmischen Thron nicht aufgeben wollte. 68 f. Alexandro … intelligebat] Es war bislang nicht zu ermitteln, welcher Quelle Opitz hier folgt. 77 f. Nondum abieras, … et reditum flagitabamus] Vgl. Panegyrici Latini 10,14,5: adhuc praesentia tua fruimur, et iam reditum desideramus. 78 f. Nicer …, qui olim Romanis, barbarus sibi videbatur] Tatsächlich begegnet die Wendung barbarus Nicer in Panegyrici Latini 6,13,2, wo der Autor die aus dem ‚Barbarenland‘ kommenden Flüsse Main und Neckar der ‚kultivierten‘ Mosel (die Rede wurde in Trier gehalten) gegenüberstellt. 84 conjux … haeres nominis et virtutum ingentis illius Elizabethae] Elisabeth Stuart (1596– 1662), Tochter Jakobs I. von England, seit 1613 mit Friedrich V. verheiratet. Die Literatur

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zu dieser europäischen ‚Hochzeit des Jahrhunderts‘ ist umfangreich, vgl. etwa Götz Schmitz: Die Hochzeit von Themse und Rhein. Gelegenheitsschriften zur Brautfahrt des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, in: Daphnis 22 (1993), S. 265–309. Opitz spielt auf Elisabeth I., Königin von England (reg. 1558–1603), an, die als hochgebildete und den Protestantismus in England konsolidierende Monarchin auch bei deutschen Dichtern wie etwa Paul Schede Melissus in hohem Ansehen stand; vgl. Ad Elisabetham Reginam Angliae, in: Humanistische Lyrik, S. 754–765, 1402–1407. Aus der reichen Literatur zu Elisabeth sei nur verwiesen auf Jutta Schwarzkopf: Die weise Herrscherin. Gelehrsamkeit als Legitimation weiblicher Herrschaft am Beispiel Elisabeths I. von England (1558–1603), in: Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Michaela Hohkamp und Gabriele Jancke. Königstein 2004, S. 153–177. 89 matrem] Louise Juliane von Oranien, Gattin Friedrichs IV. 90 Relinquebas liberos] Friedrich ließ seine beiden jüngsten Kinder in Heidelberg zurück, nur der fünfjährige Kurprinz Friedrich Heinrich begleitete ihn auf der Reise; vgl. Bilhöfer (wie oben), S. 73. 93 invidendae pulchritudinis horto] Der berühmte, im wesentlichen zwischen 1616 und 1618 angelegte Hortus Palatinus beim Heidelberger Schloß; vgl. Annette Frese: „Hortus Palatinus“ – Der Garten Friedrichs V. und Salomon de Caus’. Locus amoenus und Ort fürstlicher Repräsentation, in: Der Winterkönig (wie oben), S. 83–93. 94 cyclopum] Die übertragene Bedeutung von cyclops begegnet vereinzelt in der Antike, so in Ciceros Zweiter Rede gegen Verres 5,146: cyclops alter multo importunior. 94 f. arce amoenissimâ] Das prachtvolle Heidelberger Schloß, die Residenz der pfälzischen Kurfürsten, das während der Regierungszeit Friedrichs V. weiter ausgebaut wurde. 95 vastam quidem, desolatam tamen et spoliatam quasi regiam] Es muß die Prager Burg gemeint sein. Vgl. dazu Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. München/Wien 1959 (= Janus-Bücher 13), S. 60: „ … im September 1619 schien es, als sollten die kaiserlichen Truppen unter Buquoy Prag erreichen.“ 98 f. deus è machinâ] Nach Platon, Kratylos 425 d. 99 Vicit iter durum pietas] Vergil, Aeneis 6,688. 101 Hannibal] Vgl. zum Hannibal-Bild in der Antike Karl Christ: Zur Beurteilung Hannibals, in: Hannibal, hrsg. von Karl Christ. Darmstadt 1974 (= Wege der Forschung 371), S. 361–407. Ob sich Opitz im folgenden auf antike Quellen stützt oder allgemein verbreitete Informationen verwertet, kann wohl nicht eindeutig geklärt werden. Eine systematische Suche nach möglichen Referenztexten wurde nicht angestellt. 106 juratum odium] Hannibal hatte seinem Vater ewige Feindschaft mit den Römern geschworen. Vgl. Cornelius Nepos, Hannibal 2,5; Livius, ab urbe condita 35,19,3. 108 portis imminebat] Vgl. Livius, ab urbe condita 23,16,2; Silius Italicus, Punica 10,265f. 108 f. tot Imperatorum ac regum sedem] Gemeint ist wohl Prag als Sitz der böhmischen Könige und – zeitweise – der römisch-deutschen Kaiser.

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123–125 Non … rejecimus imperium, sed imperantem saevitiam. Parere possumus, tyrannidem perferre non possumus. Serviemus tibi, vt liberi simus] Die dialektische Verbindung von (freiwilligem) Gehorsam und (verliehener) Freiheit findet sich ebenfalls bei Plinius, Panegyricus 67,2: Tenebit [der Kaiser] ergo semper quid suaserit, scietque nos, quotiens libertatem quam dedit experiemur, sibi parere. Wie Plinius der gerechten Herrschaft Trajans die Tyrannis des früheren Kaisers Domitian gegenüberstellt, so Opitz der Regierung Friedrichs die angemaßte Oberhoheit der Habsburger über die böhmischen Länder. 129 f. O PTIMI S TATVS A VCTOR ] Nach Sueton, Augustus 28,2: … peto, ut optimi status auctor dicar. 130 f. Sera … explicas] Etwas abgewandelt nach Panegyrici Latini 7,9,4. 132–134 Herois …, qui profundam rerum scientiam inauditae prorsus regnandi sapientiae junxit] „Jakob war die Auseinandersetzung mit theologischen und wissenschaftlichen Fragen weit mehr als eine Freizeitbeschäftigung, er definierte sich bewusst als ein gelehrter Herrscher, der durch seine Weisheit und sein Wissen seinen Gegnern überlegen war.“ Ronald G. Asch: Jakob I. (1566–1625). König von England und Schottland. Herrscher des Friedens im Zeitalter der Religionskriege. Stuttgart 2005 (= Kohlhammer/Urban-Taschenbücher 608), S. 114. 134 qui Scotiae Angliam felici sidere adjecit] Jakob I. war als Sohn Maria Stuarts zunächst König von Schottland (seit 1567); nach dem Tode der kinderlosen Elisabeth I. regierte er seit 1603 England und Schottland in Personalunion. 136 f. Sol et Luna nostra] Vgl. Heide Wunder: „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992, S. 9. Der Titel dieses Bandes nimmt einen Vers aus Johann Fischarts Ehzuchtbüchlein (1578) auf. Zur Sonnen- und Mondmetaphorik vgl. ebd., S. 261–268. 140 pertinacitate] Im Druck fälschlich pertinacitare. 146 f. invitè regnum te adiisse, quod invitè relictum est] „mein Gott, wenn sie mich erwehleten, was wollte ich immer thun?“ soll Friedrich V. angesichts der ihm aufgenötigten Entscheidung über die Annahme der böhmischen Krone gesagt haben (Der Winterkönig, wie oben, S. 295). 152 f. L. Albunius … receperit] Die Episode um L. Albinius [sic], die zur Zeit des Galliereinfalls in Rom spielt (387 v. Chr.), findet sich bei Livius, ab urbe condita 5,40,9. 153 f. Adeò … antecellebat] Florus, Epitome 1,7,12. 163 f. concernunt] Es handelt sich hier wohl um einen Gallizismus (frz. ‚concerner‘). 171 arce Tarpeâ … Jupiter] Der Tarpeius mons ist der südöstliche steile Abfall des Kapitols in Rom, von dem Hochverräter herabgestürzt wurden. Jupiter erhielt bisweilen den Beinamen Tarpeius. Vielleicht denkt Opitz hier nur an diese mythische Verbindung, vielleicht ist jedoch auch der ‚Bannstrahl‘ des Papstes in Rom gemeint (vgl. oblectationis ergò animas damnat und das spätere Gedicht Quid juvat in Christi, Opitzens Epithalamium auf den Pastor Christoph Schnieber, 1627). Alle relevanten antiken Stellen finden sich in P. Ovidius Naso: Die Fasten, hrsg., übersetzt und kommentiert von Franz Bömer. Bd. 2, Kommen-

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tar. Heidelberg 1958 (Wissenschaftliche Kommentare zu lateinischen und griechischen Schriftstellern), S. 16. 172 f. Husso … in salvo conductu Caesaris] Der böhmische Theologe Jan Hus (um 1370– 1415), dessen Lehren von der Prager Universität und großen Teilen des Klerus verurteilt wurden, erhielt vom römisch-deutschen König Sigismund freies Geleit für die Reise zum Konstanzer Konzil. Dort wurde ihm jedoch der Prozeß gemacht und er als Häretiker verbrannt. 173–175 Lutherum … Wormatiae, … Imperator … Ludovicus] Der pfälzische Kurfürst Ludwig V. trat 1521 auf dem Wormser Reichstag ausdrücklich dafür ein, daß das Luther zugesagte freie Geleit tatsächlich nicht verletzt wurde. 176 ff. ii, qui …] Im folgenden sind vor allem (angebliche) Schandtaten der Jesuiten referiert. Theorien über jesuitische Verschwörungen waren im konfessionellen Zeitalter weit verbreitet. Zu Tendenz und Wahrheitsanspruch der Jesuitenpolemik im allgemeinen vgl. Ursula Paintner: ‚Das die Jesuiten rechte vnd eigentliche verfolger Jhesu Christi sein‘. Polemische Publizistik gegen Jesuiten im deutschsprachigen Raum bis 1618. Kommunikation und Funktion. Diss. Berlin 2006. In der Flugblattpublizistik der Zeit wird den Jesuiten vorgeworfen, den Kaiser in gegenreformatorischem Sinne zu beeinflussen und zum Krieg aufzuhetzen; vgl. Harms, Nr. II,139, 158, 159 (Bd. 2, S. 246 f., S. 280–283). 177 patritiis artibus] Schwierige Junktur; die in GW 1, S. 177, vorgeschlagene Konjektur parricidialibus ist wegen des bald folgenden parricidia zwar sachlich, aber nicht stilistisch plausibel. 179 Henricum Magnum] Heinrich IV. von Frankreich, der ursprünglich Calvinist gewesen und nur aus politischer Notwendigkeit konvertiert war, galt nach wie vor als Bollwerk gegen den fanatischen Katholizismus. 1610 war er von dem Jesuiten François Ravaillac (1578–1610) ermordet worden. Vgl. das 1612 erschienene Gedicht Henricus IV. Galliae Rex von Opitzens späterem Freund Caspar von Barth in: Humanistische Lyrik, S. 864 –867, 1490–1492. 180 f. Britanniae Monarcham, flammis et sulfure parietibus regni illidere] Mit dem sogenannten „gunpowder plot“ versuchten Gegner Jakobs I. im Jahre 1605, das englische Parlament mit der gesamten politische Elite des Landes, einschließlich des Königs, in die Luft zu sprengen. Zur zeitgenössischen Rezeption des Geschehens durch Opitzens Beuthener Lehrer Caspar Dornau vgl. Robert Seidel: Neujahrswünsche im Schatten der „Pulververschwörung“. Eine poetische Epochenbilanz des Späthumanisten Caspar Dornau, in: Daphnis 21 (1992), S. 411–434. 183 equuleo] equuleus, das ‚Pferdchen‘, im alten Rom ein Foltergerät; vgl. Cicero, Rede für Milo 57. 188 V RE , S ECA ] Locus classicus für diese Formel ist Cicero, Philippica 8,5,15: In corpore si quid eius modi est quod reliquo corpori noceat, id uri secarique patimur ut membrum aliquod potius quam totum corpus intereat. Darauf bezog sich 1589 Justus Lipsius in seiner Politica, Kapitel 4,3, im Zusammenhang mit der Frage, ob die religiöse Einheit des Staates gegen Auf-

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wiegler mit Gewalt zu verteidigen sei: Clementiae non hic locus. ‚Ure, seca, ut membrum potius aliquod, quam totum corpus intereat‘ (Lipsius, Politica, S. 390–395). In seiner 1590 erschienenen Schrift De una religione adversus dialogistam liber (Leiden 1590) verwarf er diese Formulierung allerdings wieder: Ure, seca: o verba nata in turbas! periissent illa, et calamus, cum scripsi … a veteris medicinae ritu sumptus sermo. ( Justus Lipsius: Opera omnia. Bd. 4. Wesel 1675, S. 306). 190 Sejani aliquot, mali consultores] L. Aelius Seianus (20/16 v. Chr. – 31 n. Chr.) war ein Günstling des Tiberius, der nach einem Verschwörungsversuch hingerichtet wurde. In den ersten Büchern von Tacitus’ Annalen erscheint Sejanus als Prototyp des skrupellosen Karierristen. 191–193 violata templa et obserata; privilegiis vis illata; … decreta divi Rodulphi elusa] Mit decreta sind die „Majestätsbriefe“ von 1609 gemeint, in denen Kaiser Rudolf II. den böhmischen und schlesischen Ständen die freie Ausübung der Religion und weitere Privilegien zusicherte. Der Streit um die Frage, ob und wo protestantische Kirchen gebaut bzw. abgerissen werden durften, setzte sich dennoch fort; vgl. Burkhardt, S. 77. Schon unter Kaiser Matthias wurde an vielen Orten, teils von lokalen Machthabern, der Versuch unternommen, die Rechte der Protestanten einzuschränken; vgl. sehr detailliert Joachim Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (= Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3). 195–201 Nos rogare … reprehendimus] Dasselbe in der Diktion des modernen Historikers: Burkhardt, S. 79. 200 f. quosdam eorum perfunctoriè reprehendimus] Hiermit könnte Opitz auf den Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618 anspielen, als Abgeordnete eines böhmischen Ständetages zwei kaiserliche Statthalter aus ihren Büros in der Prager Burg in den Burggraben warfen. 202 Janus apertus] Das Öffnen der Tore des Janus-Tempels war sichtbares Zeichen, daß sich das römische Volk im Kriegszustand befand. Die folgenden Schilderungen können hier nicht verifiziert werden. Vgl. zur Stimmung seit dem Herbst 1618 Sturmberger (wie oben), S. 39: „Es war ein richtiger Kleinkrieg, der nun in Böhmen zwischen den Truppen Thurns und den Kaiserlichen begann, ein Krieg, der keine Entscheidung suchte, aber die Gesetze des Krieges im Lande Böhmen zur Geltung brachte.“ 208 regni] Des Königreiches Böhmen. 214 Mezentiis, Tiberiis, Neronibus et Domitianis] Mezentius, der mythische Gegner des Aeneas, und die durch Tacitus’ bzw. Plinius’ Schilderungen berüchtigten Kaiser gelten als Exponenten skrupelloser Herrschaftsausübung. 218 f. solutos fuisse nos à regio sacramento, nemo nisi juris et privilegiorum regni huius ignarus inficias ibit] Die Formulierung gründet auf naturrechtlichen Vorstellungen, wie sie in der schlesisch-böhmischen Ständeopposition vorherrschten und zuletzt in der Confoederatio Bohemica vom 31. Juli 1619 niedergelegt worden waren. Vgl. Bahlcke (wie oben), S. 441. 222 nomen … Pacem nobis promittit] Vgl. die durchsichtige Etymologie des Namens „Friedrich“.

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224 f. Bohemos, Moravos, Silesios, Lusatos] Die Länder der böhmischen Krone. 227 Sardos … ridere] Das exemplum nach Panegyrici Latini 2,25,4, dort allerdings ohne den Bezug zum guten Herrscher wie bei Opitz. 234 f. Praga … nostrae Silesiae] Friedrich brach am 27. Januar 1620 von Prag aus zu seiner Huldigungsreise durch die Kronländer auf; in Breslau wurde er am 23. Februar triumphal empfangen. Vgl. Bilhöfer (wie oben), S. 85. 237 f. stipatus satellitibus et militum manu] Vokabular nach Plinius, Panegyricus 23,3. Die folgende Vision des Redners lehnt sich an Introitus-Szenen in den Panegyrici Latini (z. B. 12,19) an. 254 Ziscam] Jan Ziˇzka (um 1370–1424), Hussitenfeldherr, Held epischer und tragischer Dichtungen. EPIGRAMMA] Das kurze Huldigungsgedicht (s. o.) spiegelt das Selbstbewußtsein der Stadtbürger wider (V. 10), denen sich Opitz als ehemaliger Zögling des MagdalenenGymnasiums gewiß verbunden fühlte. Die suggestive Gleichsetzung von Breslau mit Heidelberg findet sich auch in den Schlußversen des Panegyricus auf Ludwig Camerarius aus demselben Jahr. [R.S.]

Te quoque post regem Verspanegyricus auf Ludwig Camerarius Nicht bei Dünnhaupt; – PANEGYRIS | In Magnifici Nobilissimi et Am-|plissimi Viri, Dn. LUDOVICI | CAMERARII Procancellariatum | Silesiae. Auctore Mart. Opitio. Zu Lebzeiten Opitzens nicht publiziert, überliefert im Nachlaß der Familie des Adressaten (Collectio Camerariana); Erstdruck bei Palm, S. 153–157; Wiedergabe hier, wie auch in GW 1, S. 182–186, nach der Handschrift Clm 10363, Nr. 117, in der Bayerischen Staatsbibliothek, München. Palm hält das Manuskript – wohl zu Recht – für ein Autograph, Schulz-Behrend (GW) für eine Abschrift. Der 159 Hexameter umfassende Verspanegyricus auf Ludwig Camerarius (1573– 1651), einen der wichtigsten Ratgeber Friedrichs V., ist als Gegenstück zur Prosarede auf den neu gewählten König von Böhmen (Oratio ad Fridericum) zu verstehen; mehrere Passagen der beiden Texte beziehen sich auf dieselben Sachverhalte und erhellen sich teilweise gegenseitig. Camerarius, der der berühmten Nürnberger Humanistenfamilie entstammt, trat als gelehrter Jurist 1598 in den Dienst des kurpfälzischen Hauses. Zunächst Rat am Hofgericht, erhielt er 1611 die Position eines Geheimen Rates und damit Einfluß auf die wichtigsten Entscheidungen des Kurfürsten. Seine Rolle im Zusammenhang mit Friedrichs Übernahme der böhmischen Krone ist nicht ganz geklärt (s. Kommentar zur Oratio ad Fridericum). Zusammen mit dem neuen König ging Camerarius im Herbst 1619 nach Prag, wo er am 20. März 1620 zum Vizepräsidenten der böhmischen Hofkanzlei

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und Vorsitzenden der schlesisch-lausitzischen Kammer ernannt wurde. Nach der Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berg blieb er in pfälzischen Diensten; als einer der engsten Vertrauten des Winterkönigs mußte er auch den Spott der konfessionspolitischen Gegner mittragen (vgl. Harms, Nr. II,186, Bd. 2, S. 328 f.). Der Anlaß für die Abfassung des Lobgedichtes auf Camerarius liegt, neben Opitzens Eintreten für die Sache der Pfälzer und des vom böhmischen Aufstand mitbetroffenen Schlesiens, wohl auch in der engen Bindung, die er, wie zu anderen hohen Beamten am pfälzischen Hof, so auch zu Camerarius hatte. Palm, S. 150 und 153, leitet aus V. 109–111 die Vermutung ab, Opitz könne bei Camerarius (wie auch bei Lingelsheim) als Hauslehrer tätig gewesen sein. Die Gliederung des Textes ist auffällig: Nach einer Anrede an Camerarius (V. 1–8) und einer Rekapitulation der dramatischen Ereignisse in Böhmen und seinen Nebenländern (V. 9–48) wird zunächst der als König von Böhmen abgesetzte Ferdinand angeklagt und mit den Konsequenzen seiner Versäumnisse konfrontiert (V. 49–57), sodann widmet sich der Sprecher recht ausführlich dem jüngst gekrönten König, Friedrich V., dem hyperbolisch die bislang von den Habsburgern erstrebte Weltherrschaft verheißen wird (V. 58–82). Dann erst setzt das eigentliche Lob des Camerarius ein, es mischen sich in traditioneller Weise topische Lobformeln, narrative Passagen über seine Herkunft und seinen Werdegang sowie Hinweise auf die Anforderungen, die sein neues Amt an ihn stellt (V. 83–144). Mit einem Gebet, das von Gott den Frieden erbittet, schließt der Text (V. 145–159). Der Text ist als wichtiges Zeugnis für die Befindlichkeiten und Ansprüche im Umfeld des ‚Winterkönigs‘ neben die Oratio ad Fridericum zu stellen. Er wurde in jüngster Zeit ausführlich analysiert von Stefanie Arend: Zu Topik und Faktur von Martin Opitzens Panegyricus auf Ludwig Camerarius, in: Lateinische Lyrik der Frühen Neuzeit. Poetische Kleinformen und ihre Funktionen zwischen Renaissance und Aufklärung, hrsg. von Beate Czapla, Ralf-Georg Czapla und Robert Seidel. Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 77), S. 330–355. Ein zentraler Aspekt dieser Untersuchung liegt auf der Rekonstruktion der vorgestellten Herrschaftsauffassung im Rekurs auf antike und frühneuzeitliche Quellen. Auf diese Weise läßt sich eine Gegenüberstellung der habsburgischen „atrocitas“ und der „humanitas der neuen Geschichtsmächtigen“ herausarbeiten; es wird „suggeriert, daß mit Camerarius und Friedrich ein neues Zeitalter anbricht“ (Arend, S. 344). Durch Arends Studie, deren Textanhang für die vorliegende Edition leicht revidiert wurde, ist die ältere Untersuchung von Palm, S. 149–157, weitgehend ersetzt worden; wenig ergiebig und im Urteil wie Palm zeitbedingt inadäquat sind die Hinweise von Wels (1914), S. 90 f. Zu Camerarius vgl. die Monographie von Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius 1573–1651. Eine Biographie. Kallmünz 1955 (= Münchener Historische Studien, Abt. Neuere Geschichte 1); hier allerdings nur spärliche Hinweise zum Kontext des Gedichtes. – Versmaß: Hexameter. 2 f. Silesis … patriae … meae] Opitz spricht hier – wie auch in der Oratio ad Fridericum – als Vertreter seiner schlesischen Heimat, zugleich identifiziert er sich aber auch mit dem böhmischen Freiheitskampf als ganzem. Eine Trennung der Aspekte ist im folgenden nicht immer möglich, da Schlesien als böhmisches Nebenland die politischen, militärischen und konfessionellen Positionen der Aufständischen mitvertrat.

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6 nutantia jura] Bezug auf die „Majestätsbriefe“ von 1609; vgl. den Kommentar zur Oratio ad Fridericum, wo derselbe Sachverhalt mit den Worten privilegiis vis illata beschrieben wird. 6] Die Handschrift hat am Ende des Verses ein Fragezeichen, das im vorliegenden Druck durch einen Punkt ersetzt wurde. 11 Te tua damna beant] Opitz gebrauchte die – offenbar nicht antike – Formulierung auch in seinem Gedicht an Daniel Heinsius vom Oktober 1620 (Silvae, S. 39), wo er von sich sagt: Nunc me damna beant. 12–14 vesana … Regibus] Vermutlich wird auf die königlichen Statthalter Wilhelm von Slawata und Jaroslav von Martinitz angespielt, denen man vorwarf, die Könige – es ist neben Ferdinand noch an den früheren (bis 1617) böhmischen König und erst 1619 verstorbenen Kaiser Matthias gedacht – zum schrittweisen Bruch der in den Majestätsbriefen enthaltenen Zusagen veranlaßt (vgl. auch V. 27 cogit) zu haben. Im weiteren Sinne kann sich die Passage aber auch auf den Einfluß der Jesuiten (factio!) beziehen. Einen guten Einblick über die konfessionspolitische Konstellation aus Sicht der Protestanten zeigt das Flugblatt Nr. II,139 bei Harms, Bd. 2, S. 246 f. 16 libertatem … avitam] Die böhmischen Stände beriefen sich auf die tradierte Position einer Wahlmonarchie. Zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen vgl. Burkhardt, S. 78. 18 tot jam labentibus annis] Die Junktur bei Vergil, Aeneis 2,14. 20 f. quosdam mortalibus ante negata Jussit abire viâ] Die Formulierung zeigt, daß die zeitgenössischen Vorstellungen von der gottgegebenen legitimen Herrschaft eines Monarchen und vom Recht auf Widerstand gegen einen Tyrannen abgewogen werden mußten; vgl. V. 54–56. 22 Allisit stratae subter … papyro] Die am 23. Mai 1618 aus dem Fenster der Prager Burg gestürzten Statthalter und ihr Sekretär Philipp Fabritius landeten nach der Überlieferung in einem Haufen Unrat. 23 Stymphalidas] Die Vertreibung (oder Tötung) der stymphalischen Vögel, die ihre Federn wie Pfeile auf die Menschen abschossen, war eine der zwölf mythischen Heldentaten des Herakles. Das von Opitz konstruierte Gleichnis (V. 23–27) läßt den üblichen parallelen Aufbau vermissen, doch dürfte klar sein, daß den verjagten Vögeln im zweiten Teil die durch einen (umfreiwilligen) ‚Sprung‘ (saltu, V. 25) noch einmal davongekommenen Statthalter entsprechen. Die Anführer des Aufstandes werden mit Herakles verglichen. 31 Boccoius … insedit] Charles-Bonaventure de Longueval, Graf von Bucquoy (1571–1621), war kaiserlicher Feldmarschall und galt als Zauderer. In den Hinterhalt, auf den Opitz hier anspielt, gerieten am 10. Juni 1619 die Söldner Ernst von Mansfelds, denen Bucquoy eine schwere Niederlage zufügte. In der Schlacht am Weißen Berg siegte er gemeinsam mit Tilly über die Aufständischen. Über sein und Dampierres (V. 33) Vorgehen in Böhmen berichten Flugschriften wie die folgende: Spannischer Türck oder Wahrer Bericht der grausamen Spannischen vnd mehr als Türckischen Mordthaten, welche in dem Königr. Böheimb durch den Conde di Bucquoi vnd Graf Tampier an Mann vnd Weib, auch vnschuldigen Kindern vnd Schwangern Frauen auff vielerley Mörderische art vnd weise geübt werden, darauß deß Königr. Böheimb erbärmlicher zustandt zu erkennen ist. Prag 1619.

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33 AEmulus Albani Dampirius] Heinrich Duval, Graf von Dampierre (1580–1620), kämpfte als kaiserlicher Feldmarschall mit wechselndem Erfolg gegen die böhmischen Aufständischen. Er wird hier mit dem Herzog von Alba verglichen, der im niederländischen Unabhängigkeitskrieg zum Symbol für spanisch-katholische Tyrannei geworden war. 34 f. ipsos Quos fecit sua turba deos] Vielleicht eine Umschreibung für Heiligenbilder, deren Zerstörung durch katholische Truppen ein Paradoxon wäre. 38–41] Dasselbe Gerücht wird in der Oratio ad Fridericum (Abschnitt 9) wiedergegeben. Entsprechendes gilt für die folgenden Ausführungen bis V. 48. 51 clementia] Die ‚Milde‘ gilt seit Julius Caesar bzw. seit Senecas Traktat De clementia als Fürstentugend par excellence. Wenn sie hier dem abgesetzten böhmischen König Ferdinand zugeschrieben wird, ist das zunächst ein ironischer Bezug auf die sprichwörtliche clementia Austriaca, der sich die habsburgischen Herrscher rühmten. Arend (wie oben), S. 336 f., zieht aus dieser und anderen Textstellen allerdings die weitergehende Folgerung, daß Opitz – im Rückgriff auf ein differenziertes clementia-Konzept der Frühen Neuzeit – Ferdinand eher als schwach oder entschlußlos einstufen und ihm einen clementia mit prudentia verbindenden ‚idealen‘ König Friedrich entgegensetzen wollte. Für eine derartige Einschätzung Ferdinands könnte auch das o.g. Flugblatt (Harms, Nr. II,139, Bd. 2, S. 24 f.) sprechen, das den Kaiser als Adler zeigt, der von Jesuiten und anderen Einflüsterern wie eine Marionette gelenkt wird. Die Legende gibt zum Adler die Erläuterung: „Der Adler/ das ist/ der Römische Keyser/ welcher allzeit zu beständigen [sic] Friede vnd Einigkeit geneigt gewesen/ aber deß Teuffels Zujäger halten jhn davon ab mit gifftigen Stricken vnd eusserster Gewalt.“ 54 peccare jubet qui non vetat] Vgl. Seneca, Trojanerinnen 291: Qui non vetat peccare, cum posset, iubet. In seiner 1625 erschienenen Übersetzung des Dramas formuliert Opitz: „Wer Laster/ wann er kan/ nicht strafft/ der heist sie treiben“ (GW 2.2, S. 446). Im selben Jahr kam Janus Gruters Sprichwortsammlung Bibliotheca exulum. Seu Enchiridion Divinae Humanaeque prudentiae (Frankfurt 1625) heraus, wo es S. 697 unter dem Lemma Prohibendi heißt: Qui non vetat peccare cum potest, iubet. 56 Principis externi foedus] Mit der am 31. Juli 1619 ratifizierten Confoederatio bohemica schufen die böhmischen Stände die Grundlage dafür, daß sie einen König ihrer Wahl ohne Rücksicht auf erbrechtliche Vorrangstellung des Hauses Habsburg bestimmen konnten. Vgl. Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. München/Wien 1959 (= Janus-Bücher 13), S. 50. Bereits am 19. August wurde Ferdinand als König in Böhmen für abgesetzt erklärt und am 26. August Friedrich V. an seiner statt gewählt. 57 promissos … tiaras] Opitz schätzt die Verwendung der ohnehin seltsamen Bezeichnung in ihrer maskulinen Nebenform tiaras; vgl. Kommentar zu NU per ab Hesperio, V. 49. 58 hoc] GW liest hier fälschlich hic. 68 septemgemini … Istri] Dieselbe Junktur (s. auch NU per ab Hesperio, V. 54) findet sich bei Valerius Flaccus, Argonautica 4,718. Mit dem Mündungsgebiet der Donau ist vielleicht

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kein konkretes Territorium umschrieben (es wäre allenfalls als Synekdoche für das Osmanenreich zu lesen), vielmehrbeginnt hier der Passus, in dem Opitz hyperbolisch eine mögliche Weltherrschaft des kurpfälzischen Hauses (Olympo, V. 74) andeutet. 71 Gens inflata Tagi] Die Spanier (nach dem das Land durchziehenden Fluß Tajo), die – noch – einen großen Teil der Welt beherrschten. 78 Virtus] Das nachfolgende Gleichnis erlaubt es wohl, das Abstraktum hier metonymisch auf die Gefolgsleute des Königs – darunter Camerarius – zu beziehen. 78–82] Das Gleichnis vom Bienenkönig (dieser zoologische Irrtum hielt sich die Frühe Neuzeit hindurch) und seinen Soldaten (Quirites bezeichnet in der Antike die Römer in ihrer Funktion als wehrfähige Männer) kann wiederum auf die Fürstentugend der Milde bezogen werden, da nach Seneca, De clementia 1,19,3, der König der Bienen keinen Stachel besitzt. Allerdings seien die Bienen selbst pugnacissimae, was auf die postulierte Kampfmoral der böhmischen Aufständigen hindeuten kann. Das in epischem Stil (V. 80: Olli ) vorgetragene Gleichnis lehnt sich an Formulierungen aus dem vierten, die Bienenzucht betreffenden Buch der Vergilischen Georgica an; vgl. V. 201f.: ipsae [sc. apes] regem parvosque Quirites / Sufficiunt, aulasque et cerea regna refingunt; weiter auch V. 210–218 mit Ausführungen zum Bienenkönig und seinem Gefolge. 90 f. Prudentia regis Ore tuo responsa dabit] Vgl. Arend (wie oben), S. 340: „Seine loyale Kollaboration mit dem König steht im Kontrast zu der in den ersten Versen des Gedichtes erwähnten ‚vesana malorum factio‘ aus den Tagen des Fenstersturzes, die dem damaligen König Ferdinand ‚perfidiae turpis amor‘ eingeflößt hat (12–14).“ 94 –100] Camerarius stammte aus einer vornehmen und humanistisch gebildeten Nürnberger Patrizierfamilie. Sein Großvater Joachim (1500–1574) gehörte zum Kreis um Melanchthon, ist also dem Reformationshumanismus zuzurechnen, der mit dem Anspruch auftrat, die barbaries (V. 97) der spätscholastischen Wissenschaft auszurotten; Rasorum (V. 98) ist metonymisch auf das Mönchtum, in einem weiteren Sinne auf die vorreformatorische Theologie generell zu beziehen. Der von Opitz postulierte weltweite Einfluß der Camerarii kann – abgesehen von der rhetorischen Hyperbolik – auf das philologische Wirken des älteren Joachim wie auf die von Fürsten in ganz Europa in Anspruch genommene medizinische Kunst von dessen gleichnamigem Sohn (1534–1598) bezogen werden; vgl. Schubert (wie oben), S. 10–14. 102–106] Das Adynaton ist von tragischer Ironie geprägt, denn tatsächlich sollten schon bald die Deutschen vor der Spaniern fliehen, nicht zuletzt aus der pfälzischen Residenzstadt Heidelberg nach deren Eroberung durch Tilly im Jahre 1622. 106 Peithus] Genetiv von Peitho (griech.), der Göttin der Überredung, lat. Suadela; gemeint ist Camerarius’ rhetorische Begabung. 109 Joachimus] Camerarius’ Sohn, der später wie sein Vater in pfälzische Dienste trat. Die Verse 109–111 lassen vermuten, daß Opitz ihn als Hauslehrer in Heidelberg unterrichtete. 116 Ultra … alpes] Nach seinen Studien in Altdorf, Helmstedt und Leipzig begab sich Camerarius auf eine – wohl relativ kurze – Italienreise, bevor er 1597 in Basel zum Dr. iur. utr. promovierte; vgl. Schubert (wie oben), S. 27.

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134 –138] Opitz wußte nicht sicher, daß Camerarius trotz seiner Zuständigkeit für Schlesien sein Amt von Prag aus führen würde. 135 Guttalus] Nach RE VII/2, Sp. 1952, wurde der bei Plinius, Naturgeschichte 4,100, genannte Fluß Guthalus gelegentlich mit der Oder identifiziert; gemeint waren wahrscheinlich Pregel oder Memel. 140 collis Iëttae] Der Jettenbühel bei Heidelberg; Jetta soll eine keltische Wahrsagerin gewesen sein. 140–144] Mit einer ähnlichen Argumentation versucht Opitz in einem der Oratio ad Fridericum angefügten Gedicht dem neuen König seine schlesische Heimat anzupreisen. 157–159 grexque luporum … lacesset] Vgl. Act 20,29: ego scio quoniam intrabunt post discessionem meam lupi graves in vos non parcentes gregi. [S.A.]

Quisquis nos steriles Glückwunschgedicht zur Promotion Julius Wilhelm Zincgrefs Dünnhaupt, Nr. 52; – Laurea Doctoralis | J ULII G UILIELMI Z INCGREFII . | A. d. XXIII . Martij Anno MDCXX. | H AIDELBERGAE , | Typis D AVIDIS A LBINI . – o. J. [1620] (Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha: 03-Hg. 8° 8935n[4]), S. 9. Wiederabdruck in: Hans-Henrik Krummacher: Laurea Doctoralis Julii Guilielmi Zincgrefii (1620). Ein Heidelberger Gelegenheitsdruck für Julius Wilhelm Zincgref mit einem unbekannten Gedicht von Martin Opitz, in: Opitz und seine Welt, S. 287–349, hier S. 297 f. Unsere Ausgabe folgt dem Erstdruck, die Übersetzung gibt die Übersetzung Krummachers (S. 305) mit geringfügigen Änderungen wieder. Julius Wilhelm Zincgref (1591–1635) ist im Zusammenhang mit Opitz vor allem als Veranstalter der ersten, vom Verfasser nicht autorisierten Ausgabe seiner Teutsche[n] Poëmata und Aristarchus (Straßburg 1624) bekannt, zu der er selbst auch eine Reihe eigener deutschsprachiger Gedichte beisteuerte (darunter Eine Vermanung zur Dapfferkeit ); vgl. hierzu GW 2.1, S. 164 ff. Der Sohn eines kurpfälzischen Rates studierte seit 1607 in Heidelberg, begab sich 1612 auf eine mehrjährige Bildungsreise (u.a. längerer Aufenthalt in Basel) und kehrte wohl 1615 in seine Geburtsstadt zurück. Offenbar stark von literarischen Arbeiten in Anspruch genommen, schloß er seine juristischen Studien erst 1620 mit der Promotion ab. Nach kurzem Wirken als Generalauditor der Heidelberger Garnison mußte er beim Einmarsch der Spanier in Heidelberg 1622 die Pfalz verlassen und konnte erst viele Jahre später als Landschreiber in Kreuznach und Alzey wieder öffentliche Ämter bekleiden. Zincgref war zusammen mit Balthasar Venator der wichtigste Vertreter der jüngeren Generation pfälzischer Späthumanisten. Für Opitz, mit dem er das Engagement für deutschsprachige Kunstdichtung teilte, war er neben Gruter, Venator und Lingelsheim die zentrale Kontaktperson in Heidelberg. Seine wichtigsten Werke sind die „Schul-

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bossen“ Facetiae Pennalium (o.O. 1618 u. ö.), die Triga amico-poetica (o. O. 1619), gesammelte lateinische Gedichte von ihm selbst, Friedrich Lingelsheim und Johann Leonhard Weidner, die Emblematum Ethico-Politicorum Centuria (Frankfurt 1619 u. ö., auch deutsche Fassungen), die Flugschrift Quodlibetisches Weltkefig (o. O. 1623 u. ö.) sowie die Apophthegmatasammlung Der Teutschen Scharpfsinnige kluge Sprüch (Straßburg 1626 u. ö.). Analog zu Opitzens Oratio ad Fridericum Regem Bohemiae erschien von Zincgref Ad Fridericum Bohemiae Regem Pium Felicem Inclytum … Epos (o. O. 1619). – Über Zincgrefs Werk informiert am ausführlichsten Dünnhaupt, Bd. 6, S. 4356–4372 (mit Literaturnachweis). Die Verbindungen zwischen Opitz und Zincgref sind zusammengefaßt dokumentiert bei Krummacher (s. o.), S. 339 f.; vgl. jetzt auch die Studie von Theodor Verweyen: Parallel Lives: Martin Opitz and Julius Wilhelm Zincgref, in: Early Modern German Literature 1350–1700, hrsg. von Max Reinhart. Rochester, NY 2007 (= Camden House history of German literature 4), S. 823–852; s. auch Reifferscheid, passim; Fechner, Nachwort. Opitzens Gedicht steht in der Reihe der neun Glückwunschgedichte auf Zincgrefs Promotion an siebter Stelle. Unmittelbar davor findet sich ein Text von Balthasar Venator, Gruters Beitrag eröffnet die Sammlung (alle Texte sind ediert und übersetzt von Krummacher, s. o.). Wie einige der anderen Autoren geht auch Opitz auf Zincgrefs doppeltes Interesse an Poesie (V. 5–17) und Jurisprudenz (V. 17–23) ein. Der Rahmenteil des Gedichtes, dessen Struktur durch die Wiederkehr identischer Verse unterstrichen wird (V. 1–3 = 28–30), betont konsequent die Vielseitigkeit des Gefeierten, bei dem in harmonischem Einklang umbra foro und Dice Camenis (V. 24) zusammenfinden. – Versmaß: Hendekasyllaben. 1 steriles sequi puellas] Die Wendung ist nicht ganz klar. Möglicherweise denkt Opitz bei puellas an die Musen, die – im Falles Zincgrefs – natürlich nicht steriles wären. 6 Thalia] Eigentlich die Muse der Komödie, hier jedoch wohl auf Zincgrefs Arbeiten im Bereich der komischen Erzählliteratur (die Facetiae Pennalium waren bereits erschienen) zu beziehen. Vgl. zur Ausrichtung Zincgrefs auch V. 8 f.: jocanti … puero. 13 prudentia picta] Anspielung auf Zincgrefs gerade erschienene Emblemata (s. o.); Neudruck hrsg. von Dieter Mertens und Theodor Verweyen. 2 Teilbände. Tübingen 1993 (= Neudrucke deutscher Literaturwerke N.F. 44 –45). Die deutsche Ausgabe, die allerdings zuerst 1624 erschien, trug den Titel Sapientia Picta. Das ist/ Künstliche Sinnreiche Bildnussen und Figuren … 19 Themis] Göttin der Gerechtigkeit. In der griechischen Mythologie wurde sie durch Zeus Mutter der Dike (s. V. 24), also des Rechts. 21 f. totque … vias] Möglicherweise handelt es sich nur um eine konventionelle Umschreibung der teilweise im Ausland verbrachten Studienjahre. Vgl. die detaillierteste Lebensbeschreibung Zincgrefs bei Franz Schnorr von Carolsfeld: Julius Wilhelm Zincgrefs Leben und Schriften, in: Archiv für Litteraturgeschichte 8 (1879), S. 1–58 und 446–490. Hier ist S. 15 etwa ein Brief von Johann Joachim Rusdorf abgedruckt, der an den in Basel weilenden Zincgref schrieb, es hätten sich Gerüchte verbreitet, quasi aliquid humani tibi in itinere contigisset (also daß er auf der Reise gestorben sei).

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21 syrtuosas] Die Syrte ist eine Sandbank vor der nordafrikanischen Küste. Das Adjektiv ist in der Antike nicht belegt. 22 coronat] Vgl. den Titel der Gratulationsschrift: Laurea Doctoralis. 24 –30] Die etwas geschraubte Struktur der Periode wurde mit Absicht in der Übersetzung nachgeahmt. 24 umbra foro] Die beiden Begriffe, mit denen Musendienst und öffentliches Amt zu assoziieren sind, stehen fast synonym für den Gegensatz von otium und negotium und verweisen somit auf einen Topos der antiken und humanistischen Zivilisationskritik. Wer beide Aspekte hospitalitate (V. 25) verbindet, erweist sich als ‚moderner‘ Gelehrter im Sinne der prudentistischen Verhaltenslehre. [R.S.]

C VNRADE , humani mens Beitrag zu Caspar Cunrads Sammlung von Gedichten auf seinen Wahlspruch Dünnhaupt, Nr. 18; – CASPARIS CVNRADI | S IL . | Phil!osophiae" et Med!icinae" D!octoris" | PROSOPO-|GRAPHIAE | MELICAE, | MILLENARIVS I . | I N QVO | VIRORVM DOCTRINA | et virtute clarissimorum vita ac fama | singulis distichis vtcunque | delineatur. | Cum Elencho nominum eorum in calce | adiecto. | FRANCOFURTI , | Typis Antonij Hummij, Impensis Martini | Gnisen et Dauidis Molleri, Bibliopol. | Vratislauiens. | M.DC.XV. [Innentitel:] CASPARIS CVNRADI | S IL . | Phil!osophiae" et Med!icinae" D!octoris" | PROSOPO-|GRAPHIAE | MELICAE, | MILLENAR . III . | In quo | VIRORVM DOCTRINA | ET VIRTUTE CLARISSI -|morum vita ac fama singulis | distichis vtcunque de-|lineantur. | CUM ELENCHO NOMINUM | EORVM IN CALCE | adjecto. | HANOVIAE | Sumptibus C ONRADI E IFRIDI . | M.DC.XXI (UB Breslau: 411 860), fol. A7r-8v; späterer Druck mit geringfügigen Änderungen in: Caspar Cunrad: Theatrum Symbolicum. Öls 1625, S. 422–424 (vgl. Kommentar zu Nil, C UNRADE , tuo); GW 1, S. 5–8, folgt dem Erstdruck, ebenso unsere Ausgabe. Zur Datierung auf 1615 statt 1621 vgl. Krause, S. 122–125, mit Bezug auf Cunrads Lob für Opitz im Vorspann zum Strenarum libellus, und Szyrocki, S. 138 f., wo – sich freilich widersprechende – zeitgenössische Anmerkungen angeführt werden; am überzeugendsten ist der Text selbst, V. 17: pueri … ausus. Caspar Cunrad (1571–1633) gehörte mit Daniel Bucretius und Nikolaus Henel zu den führenden Intellektuellen Breslaus am Beginn des 17. Jahrhunderts. Nach Studien in Frankfurt/Oder, Wittenberg, Leipzig und Basel (Dr. med. 1604) ließ sich der Mediziner und Poeta Laureatus in seiner Heimatstadt nieder, wo er seit 1621 das Amt des Stadtphysikus bekleidete. Er wurde als Dichter wie als Mäzen zu einer der Integrationsfiguren des (krypto)calvinistisch orientierten Breslauer Humanistenkreises und stellte durch sein weitgespanntes Kontaktnetz die Verbindung zu den reformierten Eliten im Südwesten des Reiches und in anderen europäischen Territorien her. Wichtiger als seine eigenen, vielfach geistlichen Dichtungen sind zwei von ihm ver-

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anstaltete Sammelwerke, vor allem das Theatrum Symbolicum (endgültige Fassung: Öls 1625), in dem er in neun ‚Zenturien‘ Gedichte befreundeter Männer auf seinen Wahlspruch Domini est Salus versammelte, sowie die Prosopographia melica (1615–1631), ein Katalog von 3000 jeweils in Distichen vorgestellten Angehörigen der respublica litteraria. Diese Werke, durch die Cunrad zum Begründer einer regionalen Gelehrtengeschichte wurde, dienten der Identitätsbildung in der Blüte- bzw. Krisenzeit des schlesischen Späthumanismus vor und nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. – Literatur zu Cunrad: Die jüngere Forschung stützt sich auf Max Hippe: Christian Cunrad, ein vergessener schlesischer Dichter (1608–1671), in: Silesiaca. Festschrift […] Colmar Grünhagen. Breslau 1898, S. 253–288, hier S. 254 f.; GW 1, S. 3–5, mit Details zur Beziehung zwischen Opitz und Cunrad; Klaus Garber: Cunrad, Caspar, in: Killy, Bd. 2, S. 486 f.; Seidel (1994), S. 252 u. ö.; Conermann/Herz, Nr. 3 und 5 (Korrespondenz Opitzens mit Cunrad); Reifferscheid, passim (Briefe); Flood, Bd. 1, S. 395–401 (mit Bibliographie). Opitzens Gedicht erschien erstmals unter den Beigaben zum dritten millenarius der Prosopographia melica. Wie der Titel zeigt, gehört es sachlich allerdings eher in das Theatrum Symbolicum, in das es 1625 auch nochmals aufgenommen wurde. Das ehrgeizige Gedicht des jungen Mannes, der sich als Schüler des Breslauer Magdalenengymnasiums um die Aufmerksamkeit des angesehenen Gelehrten bemühte, versteigt sich im Lob Cunrads bis zur Evokation des Angeredeten als ‚Erlöser‘ (V. 46 ff.). Die bislang einzige, wenig ergiebige Würdigung des Gedichts findet sich bei Krause, S. 122–130 – Versmaß: Hexameter. Titel] In der Ausgabe von 1625 lautet die Überschrift MARTINUS OPICIUS Bolislav!iensis" Aulae Ducalis Lignic!ensis" Familiaris. 5 Natura volumen] Die Vorstellung vom ‚Buch der Natur‘ als zweites Medium zur Erkenntnis Gottes neben der Bibel ist seit Augustin gebräuchlich. Hier und im folgenden geht es um Cunrads naturwissenschaftliche Kenntnisse, durch die er sich als Mediziner auszeichnete. 6 patet] Konstruktionsbruch: Erforderlich wäre die transitive Form patefacit, dann aber paßt patet zum folgenden vis vna. 8 sano … furore] Der furor (divinus) des genialen Dichters wird hier in der Form des Oxymorons mit dem proleptisch gebrauchten Attribut des Arztes (‚gesund machend‘) verbunden. 9 f. tot … versus] Die 3000 Distichen der Prosopographia melica. 10 scito ordine] Bezogen auf die alphabetische, somit zum Nachschlagen einladende Anordnung der Prosopographia melica. 13 pressae … Relligionis] Bezogen vermutlich auf die Repressalien, denen die vom Augsburger Religionsfrieden ausgenommenen (Krypto)calvinisten ausgesetzt waren. Nach dem Einzug des Winterkönigs Friedrichs V. von der Pfalz 1619 erhielten die Breslauer Calvinisten die Erlaubnis, eine reformierte Gemeinde zu gründen, die natürlich nur kurze Zeit unbehelligt blieb. 20 mundi MENS] Die aus Platons Timaios (30 a-b) stammende Junktur findet sich in zahlreichen antiken und humanistischen Schriften, z.B. bei Marsilio Ficino: Über die Liebe

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oder Platons Gastmahl, übersetzt von Karl Paul Hasse […]. Hamburg 2004, S. 18 u. ö. Zu neuplatonischem Gedankengut bei Opitz vgl. den Kommentar zu Hipponax ad Asterien. 23 hoederae … tumentis] Mit Efeu wurden in der Antike Dichterbildnisse bekränzt, vgl. Persius, Prologus 5 f.: … quorum imagines lambunt / Hederae sequaces. 28–42 Haec … Haec … Haec … Haec …] Die Einwirkungen der SALVS (V. 26) entsprechen den Anforderungen, die Cunrad in einem Distichon auf sich selbst formulierte: Iova tuae laudi, patriae decori, omnibus usui / Ut vivam, vitae est summa ea summa meae (abgedruckt in: GW 1, S. 5): V. 28–33 geht es um die Gedächtnisleistung für das ‚Vaterland‘, V. 34 f. um den ‚gemeinen Nutzen‘, den der Arzt stiftet, und V. 36–39 um gottgefälliges Handeln. V. 40–42 wird schließlich der Lohn für ein solcherart geführtes Leben verheißen. 30–34] Das enzyklopädische Bemühen des Späthumanisten (vergleichbar den epochalen Bestandsaufnahmen in Melchior Adams Vitensammlungen, 1611–1620, oder Caspar Dornaus Amphitheatrum Sapientiae Socraticae ioco-seriae, 1619) wird hier mit einer imaginären Rückkehr des Goldenen Zeitalters (Seculaque heroum) gleichgesetzt. 35 medela] Konjektur wie in GW; der Druck hat die nicht belegte Form metela. 41 animas anno confundit ab uno] Möglicherweise (neu)platonischer Gedanke; ein Jahresrhythmus im Schicksal der Verstorbenen klingt z.B. im Phaidon, 114 a, an. 43 Macte heros, orbem tivi devincire labora] In hohem epischem Ton wird die prosopographische Vermessung des doctus orbis (auch V. 51 f.) als heroische (Seefahrtsmetapher V. 45 f.) Aneignung und ‚Rettung‘ (vindicias, V. 48) überhöht. 47 mille per annos] Hyperbolischer Ausdruck, denn Cunrad beschränkt sich auf die Verzeichnung von Gelehrten aus der neueren Geschichte und der Gegenwart. 49–52 renasci … resurgat … clemens miserere] Semantisch wird eine Analogie zum Erlösungswerk Christi hergestellt, obgleich in renasci auch ein rinascimentaler, also historischfunktionaler Umgang mit der Tradition evoziert wird. 58 Te … metatore recensent] Nach der heroischen und der quasi-theologischen Ebene wird nun die wissenschaftliche Ebene von Cunrads Wirken berührt. In der Vorrede zum 1. Band (Frankfurt 1615) hatte Cunrad einige seiner Grundsätze für die Aufnahme und Beurteilung der Gelehrten niedergelegt und u.a. darauf hingewiesen, quod omnes omnium facultatum, etiam opinionibus dissitissimos in hoc producam theatro; Theologos inprimis, et Pontificiae aeque sectae Professores, ac reliquos, siue his, siue illis addictos partibus; et plerosque cum encomio quidem (A7v-A8r). Diese konziliante Haltung ist symptomatisch für den Kreis der Breslauer Späthumanisten. 59 se] 1625; der Erstdruck hat te. Der Vers ist nicht überzeugend gelungen, wie auch die (von uns nicht übernommene) Änderung des Versschlusses in recentat (1625, gegenüber dem ebenfalls nicht ganz einleuchtenden recantat der Erstausgabe) zeigt. 64 non ignoratio] Analogiebildung zum verbalen non ignorare; entsprechende Formen sind selten, vgl. aber Ovid, Metamorphosen 5,61: et comes et veri non dissimulator amoris.

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69 et] Syntaktisch nicht passend; die Worte tales … discant bilden eine Parenthese. scripsit … 1621] So im Druck der Prosopographia melica von 1621; im Theatrum Symbolicum (1625) lautet die Unterschrift Vratisl. M. Septemb. A. 1615. Zur Datierung s. die Einleitung zum Kommentar. [R.S.]

Q VICQVID in autorum Geleitgedicht zu Janus Gruters Plautus-Edition Dünnhaupt, Nr. 53; – M. A CC I | P LAVTI | COMOEDIAE , | ex recognitione | JANI GRVTERI ; | qui bonâ fide contulit cum | MSS. Palatinis. | Accedunt Commentarij | FRIDRICI TAUBMANNI | auctiores; item Indices rerum et verborum | necessarii. | Cum Privil. Caes. Majest. Special. | Apud Zachariam Schurerum, Bibliopol. Anno Domini | M . DC . XXI . – o.O. [Wittenberg] 1621 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Lh 1714), fol. e4v. Von dem Gedicht existiert ein von Gruters Hand korrigiertes Autograph Opitzens in der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Palat. Lat. 1906, fol. 216r). Außerdem wurde der Text mit einigen Änderungen wieder abgedruckt in: Silvae, S. 99 f. GW 2.1, S. 2 f., legt den Erstdruck zugrunde, ebenso wie die Dokumentation aller Gedichtbeigaben in: Die deutschen Humanisten, Bd. I/2, S. 1022–1040, hier S. 1030. Unsere Ausgabe folgt, mit einer Ausnahme (V. 16), ebenfalls dem Druck von 1621. Janus Gruter (1560–1627) stammte aus Antwerpen, studierte in Cambridge und Leiden und gelangte nach Aufenthalten an verschiedenen Universitäten (darunter Rostock) nach Heidelberg, wo er von 1592 an als Professor für Geschichte, ab 1603 auch als Leiter der Bibliotheca Palatina wirkte. Nach der Einnahme Heidelbergs durch spanische Truppen 1622 ging Gruter in württembergisches Exil. Er war einer der bedeutendsten Vertreter des pfälzischen Späthumanismus, seine großen Kompendien humanistischer Dichtung (u. a. Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium. 6 Bde. Frankfurt 1612) und seine Sentenzensammlungen (z. B. Bibliotheca exulum. Frankfurt 1624) spiegeln die kompilatorischen Interessen der Gelehrtengeneration um 1600. Vor allem aber war Gruter ein äußerst produktiver Philologe, dessen Arbeiten bis ins Zeitalter der Konjekturalkritik benutzt wurden. Neben den römischen Inschriften sind hier die Autoren der ‚Silbernen Latinität‘ (Martial, Seneca, Tacitus) hervorzuheben, denen bei den Zeitgenossen aufgrund der Vorstellung einer similitudo temporum ein besonderes Interesse galt. Gruters philologisches Werk ist ausführlich dokumentiert in: Die deutschen Humanisten, Bd. I/2; dort ist auch alle relevante Literatur verzeichnet. Gruters Klassikerausgaben sind in der Regel von einer Fülle von Gedichtbeigaben begleitet, was die außergewöhnliche Wertschätzung des Philologen in der internationalen respublica litteraria unterstreicht. Die Euphemiae amicorum in Plautum Gruteri (fol. d4r-g1r) sind noch verhältnismäßig knapp ausgefallen, neben Opitzens Beuthener Lehrern Caspar Dornau und Balthasar Exner firmieren dort die Niederländer Daniel Heinsius, Johannes Meursius und Gerhard Johannes Vossius sowie einige deutsche Gelehrte, die vorwiegend

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der jüngeren Generation angehörten, aber teilweise ähnlich wie Opitz noch eine Rolle in der deutschen Literaturgeschichte spielen sollten (Julius Wilhelm Zincgref, Balthasar Venator, Theodor Rhodius, August Buchner). Die Gedichtbeigaben sowie die Widmungsvorrede zu der Ausgabe analysiert in einem weiteren historisch-kulturpolitischen Kontext Leonard Forster: ‚Virtutis atque eruditionis consortium‘: Janus Gruters Plautusausgabe von 1621 und der Heidelberger Dichterkreis, in: Opitz und seine Welt, S. 173–184. Opitz selbst hatte sich Gruter bei seiner Ankunft in Heidelberg 1619 durch die Überreichung eines Sammelbandes mit seinen Frühschriften unter Einschluß des Aristarchus empfohlen (s. Fechner: Faksimile mit Erläuterungen). Die nicht wenigen poetischen Zeugnisse, die den Kontakt zwischen Opitz und Gruter in diesen Jahren um 1620 dokumentieren, verzeichnet GW 2.1, S. 1 f.; vgl. auch Palm, S. 157–163. Nachweis der Korrespondenz bei Conermann/Herz; vgl. auch Reifferscheid, passim. Das vorliegende Gedicht hebt die Leistung Gruters als Retter der antiken Überlieferung (in autorum … salutem, V. 1) hervor und spielt dabei mit der Vorstellung, die Autoren könnten mit ihren eigenen Leistungen nur mühsam die philologischen Verdienste des humanistischen Gelehrten aufwiegen. Opitz nennt in metonymischer Verkleidung die wichtigsten von Gruter veranstalteten Klassikerausgaben, wobei zwischen Prosa einschließlich der Inscriptiones (V. 5–8) und Dichtung (V. 11–22) unterschieden wird; Seneca erscheint entsprechend zweimal. An den letzten Versen läßt sich ausnahmsweise einmal die Genese der Fassungen eines Kasualgedichtes verfolgen, da uns (1.) das Autograph Opitzens, (2.) Gruters handschriftliche Änderungen darin, (3.) die – traditionsgemäß vom Herausgeber zu verantwortende – Version des Widmungsgedichtes in seinem intendierten Funktionszusammenhang (also im Vorspann der Plautus-Ausgabe) sowie (4.) die später – von Opitz oder von Nüßler – teilweise restituierte Fassung in den Silvae vorliegen. Zum Autograph führt Schulz-Behrend aus: „Da das Papier keine Faltspuren zeigt, wird Opitz Gruter das Gedicht übergeben haben, ehe er Heidelberg [im Oktober] 1620 verließ“ (GW 2.1, S. 3). Gruter unterzeichnete die Vorrede zu seiner Ausgabe bereits am 1. Januar 1620 (fol. a4r), was allerdings nicht bedeutet, daß alle Begleitgedichte schon zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben müssen. Titel] Im Erstdruck ist dem Gedicht nur der Name des Verfassers (Martinus Opitius.) vorangestellt. In den Silvae und in Opitzens Handschrift lautet der Titel: AD IANVM GRVTERVM Post Plautum ab ipso recensitum. 2 charta … anus] Die Junktur findet sich auch bei Catull, carmen 68,46. 5 Tullî] Hier und im folgenden spielt Opitz auf die von Gruter veranstalteten Klassikerausgaben an. M. Tullii Ciceronis opera omnia quae exstant ex sola fere cod. ms. fide emendata studio atque industria Jani Gulielmii et Jani Gruteri … Hamburg 1618. 6 saxa, et Latii marmora docta soli] Inscriptiones antiquae totius orbis Romani, in corpus absolutissimum redactae ingenio ac cura Iani Gruteri … Heidelberg 1602. 7 Seneca] L. Annaeus Seneca a M. Antonio Mureto correctus et notis illustratus. Accedunt seorsim Animadversiones, in quibus … infinita loca supplentur, confirmantur, corriguntur, illustrantur ope ms. quae in Bibliotheca Elect. Palat. Iani Gruteri opera … Heidelberg 1594.

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7 incisas causabitur illéne venas] Seneca wurde im Jahr 65 n. Chr. von Nero zum Selbstmord gezwungen (vgl. Tacitus, Annalen 15,60–63). Die scherzhafte Argumentation erreicht hier einen Höhepunkt: Seneca könnte seinen gewaltsamen Tod als Entschuldigung dafür anführen, daß er selbst die zuverlässige Überlieferung seiner Schriften nicht zu gewährleisten imstande war. 8 Taciti] C. Cornelii Taciti opera quae exstant ex recognitione Iani Gruteri … Frankfurt 1607. 11 nostros … Poëtas] Die antiken, nicht die zeitgenössischen Autoren, wie aus dem Kontext ersichtlich wird. 13 Conturbabit] Absoluter Gebrauch dieses Verbs begegnet gelegentlich, z. B. Cicero, De officiis 3,20,81. 14 miseris nemo] Silvae: nemo miseris 15 Bilbilici debent animam tibi carmina; Belga] Silvae: Bilbilici hanc animam debet tibi Musa, Batauus 15 Bilbilici] Das spanische Bilbilis ist die Heimat des Epigrammatikers Martial, Bilbilicus das davon abgeleitete Adjektiv. M. Val. Martialis Epigrammaton libri XV … Mille amplius locis serio correcti atque emendati a Iano Grutero ope et consilio ms. Palat. Biblio. Frankfurt 1602. 16 Hispano] Silvae. Erstdruck und Handschrift: Hesperio. Die spätere Fassung ist pointierter, da Gruters Geburtsstadt Antwerpen zu den spanisch verbleibenden Niederlanden gehörte. Möglicherweise wollte Opitz, der das Gedicht in der unruhigen Zeit vor Ablauf des zwölfjährigen Waffenstillstandes zwischen den Niederlanden und Spanien (1609–1621) niederschrieb, die politisch heikle Formulierung vermeiden. 18 Herculeos nescit Corduba magna rogos] Cordoba in Spanien ist die Geburtsstadt Senecas, der hier als Dichter, nämlich als Verfasser von Tragödien (cothurnum, V. 17), erneut angeführt wird: Senecae Cordubensis Tragoediae … Heidelberg 1604. Der ‚Scheiterhaufen des Herkules‘ bezieht sich auf dessen Selbstverbrennung im (wahrscheinlich) pseudo-senecaischen Drama Hercules Oetaeus, freilich könnte in der Formulierung auch ein Hinweis auf die in Spanien wütende Inquisition versteckt sein. Mit Blick auf Gruters Leistung meint der Vers, daß man selbst in Cordoba von Senecas Werken ohne Gruters philologische Arbeit nichts wüßte. 18 magna] Silvae: docta 19 f.] Die Verse fehlen in Silvae. In Opitzens Handschrift lautete V. 19 noch: Oedipus en Davus iam fit quoque, Lucius Umber, was Gruter für den Druck abänderte. Außerdem tilgte Gruter die in der Handschrift folgenden zwei Verse: Excepta a stupidis Comoedia saepe magistris Tandem hilari soccos induit ore suos. Die Kritik am Gelehrtenschulwesen hielt Gruter wohl entweder nicht für treffend oder nicht für opportun. 19 Oedipus è Davo jam fit quoque, Lucius Vmbro] Vgl. Terenz, Andria 194: Davus sum, non Oedipus. Da die von Terenz geprägte Redensart besagt, jemand sei einfältig und könne keine Rätsel (wie Ödipus das der Sphinx) lösen, könnte die Umkehrung darauf hinweisen, daß Gruters Ausgabe die philologischen Unklarheiten beseitigt. Zu denken ist aber auch

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an die zeitliche Reihenfolge der Editionen: Nachdem Gruter bereits Seneca herausgegeben hat (Ödipus ist ein tragischer Held bei Seneca, Lucius dessen praenomen), wird nun auch Plautus auf dieselbe Weise philologisch bearbeitet werden (Davus ist ein geläufiger Sklavenname bei Plautus, der aus Umbrien stammte). 21 f.] Silvae: A Plauto, Grutere, loqui didicere Camoenae, A te nunc Plautus discit et ipse loqui. Die Silvae geben hier Opitzens handschriftliche Fassung wieder; die im Erstdruck überlieferte Version geht auf Gruters Korrektur zurück. Vgl. zur Redewendung Quintilian, Institutio oratoria 10,1,99: … licet Varro Musas … Plautino dicat sermone locuturas fuisse, si Latine loqui vellent … . Schluß] Im Autograph folgt auf den Text die Unterschrift: Martinus Opitius. [R.S.]

O Clara divae stella Silesiae Epicedium für Herzogin Sophie Elisabeth von Liegnitz Das Gedicht Opitzens erschien in zwei verschiedenen Drucken: Dünnhaupt, Nr. 55.1; – V IRTUTI H ONORIQVE , | ET IMMORTALI | Illustriss!imae" H EROINAE | S OPHIAE -E LISABETAE | P RINCIPIS A NHALTINAE , | C OMIT. A SCANIAE : | Sereniss!imi" Principis | G EORGII R UDOLPHI | D UCIS S ILESIAE L IGNIC . | B REG. ET G OLDBERG. | S. C AES. R EGIAEQVE M AJEST. | C ONSILIAR I, C UBICULAR I, | S UPREMIQ !VE " PER UTRAMQ !VE " S ILES . | C APITANEATUS A DMI -| NISTRATORIS | C ONJUGIS INCOMPARAB. | M EMORIAE S ACR . | devotè P ARENTANTIUM | L ACRYMAE ET S OLATIA . – o. O. [Kolophon: L IGNIC I | Litteris Viduae et Heredum | N ICOLAI S ARTORII ], o. J. [1622] (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden: Hist. Siles.122.b,misc.1), fol. H4v–I1r; sowie Dünnhaupt, Nr. 55.2; – C ONSOLATIO | A D | I LLUSTRI S. ET C ELSI S. | P RINCIPEM | D N. G EORGIUM | R UDOLPHUM | D UCEM S ILESIAE , L IGNIC I, | B REGAE , G OLDBERGAE | S. C AES. M AJEST. C ONSILIAR . | C UBICULARIUM ET PER | UTRAMQ !VE " S ILESIAM | V ICARIUM . | C UM I LLUSTRI S. | P RINCIPIS | S OPHIAE – E LISABETHAE | C ONJUGIS D ESIDERATIS S. | O BITUM L UGERET. | S CRIPTA | A | B ERNHARDO G VILIELMO N ÜSLERO | Camerae Ducalis Secretario. | Accedunt carmina ejusdem argumenti. | Typis Sartorian. LignicI. exscripta. – o. O., o. J. [1622] (UB Breslau: 355 070), fol. E1v-E2r. Opitz verfaßte anläßlich des Todes von Herzogin Sophia Elisabeth ein deutsches und ein lateinisches Trauergedicht, die jeweils beide in den genannten Drucken enthalten sind, das deutsche Gedicht im zuerst aufgeführten Druck (X) fol. L2r-L4v, im zweiten Druck (Y) fol. D3r-E1v. Im Unterschied zu X besteht Y lediglich aus einem Epicedium und einer Consolatio Nüßlers sowie im Anschluß daran dem deutschen und dem lateinischen Trauergedicht Opitzens. Das lateinische Gedicht ist mit leichten Änderungen abgedruckt in: Silvae, S. 60 f. Abdruck in GW 2.1, S. 10 f. (mit etwas widersprüchlichen Angaben in bezug

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auf die verschiedenen Fassungen); unsere Wiedergabe erfolgt nach dem zuerst aufgeführten Druck. Sophie Elisabeth wurde als eine Tochter des Fürsten Johann Georg I. von Anhalt-Dessau am 10. oder 13. Februar 1589 geboren. Herzog Georg Rudolf von Liegnitz-Wohlau (1596–1653) hatte sich auf der Rückkehr von seiner Bildungsreise (1613/1614) mit ihr verlobt; die Hochzeit fand am 4. November 1614 in Dessau statt. Zur Hochzeit existiert eine Festbeschreibung von Tobias Hübner; vgl. Dünnhaupt, Bd. 3, S. 2177f., Nr. 5. Allgemein wird angenommen, daß der Entschluß des Herzogs, zum reformierten Glauben überzutreten, durch seine Gemahlin zustandekam; er kehrte allerdings schon vor ihrem Tod wieder zum lutherischen Bekenntnis zurück. Die Ehe war kinderlos. Die Herzogin starb wohl am 9. Februar 1622, das Begräbnis fand am 12. April statt; vgl. dazu GW 2.1, S. 4, und Thebesius, Bd. 2, S. 31 f. Opitzens Beitrag zu den Trauergedichten auf Sophie Elisabeth besteht aus einem deutschen und einem lateinischen Text. Während im deutschen Gedicht (das mit „O Wol dem welcher noch weil seine jugend blühet/“ beginnt), die verstorbene Herzogin angesprochen wird, deren Leben ein Exemplum für eine fromme, die menschliche vanitas nicht aus den Augen verlierende vita darstelle, wenden sich die lateinischen Verse an den trauernden Witwer, Herzog Georg Rudolf. Der Text ist inhaltlich zweigeteilt, die Klammer zwischen beiden Teilen bildet das „Gesetz“: Wird in V. 1–12 betont, daß die Klage des Ehemannes iure (V. 7) erfolge, steht diesem persönlichen Recht das von den Göttern verhängte Jus des Todes gegenüber (V. 13), dem alle gleichermaßen unterworfen sind, denn die Parzen teilen jedem Justo … pollice (V. 18) sein gerechtes Maß zu. Aufgabe des Menschen bleibt es, sich tapfer dem Schicksal zu stellen (V. 19–24). Die Junktur virili … animo (V. 19 bzw. 21) verweist auf (neo-)stoisches Gedankengut. – Vgl. zum Gedicht Krause, S. 86–88 (mit Teilübersetzung); Gellinek, S. 241 f. Conrady bespricht S. 200 das Gedicht kurz, während Palm, S. 165, nur das deutsche Gedicht erwähnt. – Versmaß: alkäische Ode. Überschrift] Y: Ad Serenissimum Principem GEORGIUM RUDOLPHUM, Obitum conjugis incomparabilis lugentem, Lyricum ejusdem. Silvae: IN OBITVM CELSISSIMAE PRINCIPIS LIGNICENSIS . 1 Clara … stella] Damit ist der Herzog gemeint; hier vielleicht eine Anspielung darauf, daß am 27. April 1621 König Ferdinand das Amt des Oberlandeshauptmanns auf Wunsch des sächsischen Kurfürsten an Herzog Georg Rudolf übertragen hatte; vgl. Thebesius, Bd. 2, S. 57. 2 Heroa conjux] Mit Heroa bzw. heroina werden Damen von hohem Rang gerade auch von Opitz häufig bezeichnet; vgl. zum Beispiel die nicht viel später entstandene Leichenrede auf Zsuzsanna Károlyi, die Gattin des Fürsten von Siebenbürgen. 4 properante fato] Vgl. Seneca, Hercules furens 861–864: Sera nos illo referat senectus: / nemo ad id sero venit, unde numquam / cum semel venit, potuit reverti; / quid iuvat durum properare fatum? 12 Corus] Nordwestwind; eventuell auch in Beziehung gesetzt zum Februar als dem Sterbemonat der Fürstin. Caurus (X(«) ist in der Antike die Bezeichnung für den böig aus 30° von West nach Nord wehenden Nordwestwind, der manchmal vom Corus unterschieden wird; vgl. DNP 2, Sp. 1041.

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15 f. has … ruinas] Anspielung auf die Situation im Herzogtum Liegnitz um 1622. In ähnlichen Worten beschreibt dies auch Nüßler in seiner ebenfalls in den beiden Drucken veröffentlichten Consolatio. 18 f. Justo sorores stamina pollice … deducunt] Anspielung auf die Moiren (bzw. deren römisches Gegenstück, die Parzen). In ihrer Dreizahl und als Töchter von Zeus und Themis erscheinen die Schicksalsgöttinnen zuerst bei Hesiod; dazu ausführlich DNP 8, Sp. 341 f. Im antiken Rom spinnen seit Catull (carmen 64,305 ff.) und den augusteischen Dichtern die Parzen die Schicksalsfäden (fatalia stamina), rezitieren (dicere) bzw. singen (canere) bei Götterhochzeiten und Heroengeburten ihr Schicksalslied (carmen), zeichnen die Einzelschicksale auf ehernen Tafeln auf und bestimmen den Todes- bzw. „Parzentag“ eines jeden Menschen; vgl. DNP 9, Sp. 327. Vgl. hierzu Horaz, Oden 2,3,13–16: Huc vina et unguenta et nimium brevis / Flores amoenae ferre iube rosae, / Dum res et aetas et sororum / Fila trium patiuntur atra. Das Gedicht von Horaz – das im übrigen im selben Versmaß wie das vorliegende Epicedium verfaßt wurde – thematisiert den Lebensgenuß im Zeichen des jedem Menschen bevorstehenden Todes. 20 f. sortis … tela] Vgl. semantisch ähnliche Formulierungen zum Beispiel bei Seneca, Briefe an Lucilius 85, 26: Quid ergo? inquit mortem, vincla, ignes, alia tela fortunae non timebit? non. 24 terra] terra als letztes Wort des gesamten Gedichtes steht im Gegensatz zu stella in V. 1 und betont so die Vergänglichkeit alles Irdischen. M ARTIN . O PITIUS .] Fehlt in Y und Silvae. [V.M.]

H O c etiam adversae – B ARTSCHI (namque tui …) Epithalamia für Michael Bartsch und Helena Burchard Dünnhaupt, Nr. 57;- Q!UOD " D!EUS " B!ENE " V!ERTAT " | MICHAELIS | BARTSCHII | ET | HELENAE | BURCHARDIAE, | SECUNDUM | S PONSAE , | INAUGURATIO | CONNUBIALIS. | XVII. JANUAR. | A°. C. MDCXXIII . | SVIDNIC I SILESIOR . | TYPIS | JOAN. VENATORIS | EXCUSA . (UB Breslau: 533 666), H O c etiam adversae auf fol. D1v-D2r, B ARTSCHI (namque tui …) anschließend auf fol. D2r–D3r. Beide Gedichte wurden in den Silvae abgedruckt, H O c etiam adversae in: Silvae, S. 101, B ARTSCHI (namque tui …) in: Silvae, S. 70 f. Nach der Erstveröffentlichung wurden beide Gedichte abgedruckt in: GW 2.1, S. 45–47. Unsere Wiedergabe hier ebenfalls nach dem Erstdruck. Nach GW 2.1, S. 45, wurde Bartsch 1592 geboren und starb am 30. Juni 1642. Im vorliegenden Kasualdruck wird er wiederholt als Laubanus bzw. Lusatus bezeichnet, während er nach GW 2.1, S. 45, aus Schweidnitz gebürtig ist (zumindest war Enoch Bartsch, sein Vater, Stadtpfarrer von Schweidnitz; vgl. Deventer, S. 98). Vermutlich zwischen 1613 und 1616 studierte Michael Bartsch bei Matthias Bernegger, Professor für Geschichte an der Akademie (seit 1621 Universität) in Straßburg und Mentor der Studenten aus Schlesien

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und Böhmen. 1618 wurde er dort zum Dichter gekrönt; vgl. Flood, Bd. 1, S. 133. Nach seiner Rückkehr nach Schweidnitz unterhielten Bartsch und Bernegger engen brieflichen Kontakt; vgl. Deventer, S. 98. Im Jahre 1633 wurde Bartsch Schöffenschreiber, 1635/36 Syndikus, 1637 Beisitzer im Manngericht. Am 1. April desselben Jahres wurde er, wie die anderen evangelischen Ratsherren und Schöffen, die nicht konvertieren wollten, abgesetzt (Deventer, S. 226 f.). Bartsch war, so GW 2.1, S. 45, Rat des Herzogs von Liegnitz und führte den Titel eines kaiserlich gekrönten Dichters. Mehrere seiner Dichtungen sind bekannt, so trug er zu Cunrads Theatrum symbolicum 1618 bei und verfaßte unter anderem ein Gedicht auf die Hochzeit Schubart-Preller 1617 (vgl. HPG 9, Nr. 0525), die auch in einem Epithalamium Opitzens gewürdigt wird (A R dentes oculi), sowie auf den Tod von Nikolaus Henels Frau Anna, geb. Partisch (1641). Seine Braut Helena war, wie aus den Beiträgen im Kasualdruck hervorgeht, die Witwe des Schweidnitzer Bürgers Simon Bestlich. Die in den Hochzeitsgedichten wiederholt angesprochene freundschaftliche Verbindung Opitzens mit Bartsch wird auch andernorts deutlich, so in den lateinischen Dankeszeilen von Bartsch für Opitzens Lobgesang Vber den … Geburtstag Jesu CHristi (siehe die Einleitung zum entsprechenden Kommentar). Als Förderer Opitzens wird er im Widmungsschreiben der Klage-Lieder Jeremia erwähnt. Die beiden Gedichte stehen in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit Opitzens Reise nach Siebenbürgen. Opitz hatte sich nach seiner Rückkehr nach Schlesien vergebens um ein Amt bemüht. Im Frühling 1622 erhielt er jedoch die Gelegenheit, seine schwierige materielle Lage zu verbessern: Gábor Bethlen, der Fürst von Siebenbürgen, hatte den Piastenfürsten Johann Christian von Brieg gebeten, ihm drei oder vier reformierte Professoren für das Akademische Gymnasium in Weißenburg zu vermitteln. Unter den fünf Gelehrten, die der schlesische Fürst ihm vorschlug, befanden sich auch Balthasar Exner und Caspar Kirchner, die jedoch beide den Vorschlag ablehnten. Als vorletzten nannte Johann Christian Martin Opitz: Quippe more et exemplo maiorum nostrorum, qui et sumptu egregio et suscessu haud poenitendo scholas condiderunt, purae religionis doctrinaeque officinas; non minus ipsi de conservanda cultus divini et literarum munditie solliciti fuimus. Quocirca non tantum nominavimus Magdeburgero; sed per literas quoque admoneri curavimus, adductis in rem praesentem argumentis ad persuadendum aptis; ut ne dubitarent in Transylvaniam, praeclaro adeo nomine, proficisci; viros iuvenesque orthodoxa pietate et morum dignitate et literarum omnis generis amoenitate, et docendi peritia nobis praedicatos, quos proinde Seren!itati" V!estr"ae diligenter commendamus; Balthasarem Exnerum, Gymnasi Bethaniensis Professorem, Casparem Kirchnerum, scholae Boleslaviensis collegam, Jacobum Copium, Baronum Schwambergiorum Ephorum; Martinum Opitium ex Academia Heidelbergensi pridem, Belgio item ac peregrinatione Danica reducem; et Jeannem Origanum, Davidis Origani, mathematicorum nostra tempestate per Germaniam facile principis, nepotem (wiedergegeben nach: Antal Herrmann: Opitz Márton Erdélyben. Budapest 1876, S. 14). Opitz war Fürst Johann Christian durch Caspar Cunrad empfohlen worden (vgl. Szyrocki, S. 51). Er hielt sich allerdings nur ein Jahr, bis zum Sommer 1623, in Siebenbürgen auf. Zu Opitzens Reise und Aufenthalt in Siebenbürgen vgl. außerdem unter anderem: Oesterley, S. XVIII f.; Palm, vor allem S. 165–168 (Palm vermengt allerdings S. 168 die Daten zu den beiden Gedichten!); Béla Jakab: Opitz Márton a gyulafehérvári Bethlen-iskolánál. Pécs 1909; Robert Gragger: Martin Opitz und Siebenbürgen, in: Ungarische Jahrbücher 6 (1927), S. 313–320; Szyrocki, S. 51–56; Péter Ötvös: Martin Opitzens kleine Welt in

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Siebenbürgen, in: Die oberschlesische Literaturlandschaft im 17. Jahrhundert, hrsg. von Gerhard Koselleck. Bielefeld 2001 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 11), S. 205–220; Maner, S. 154 –168; Aurnhammer, S. 253–272, sowie Heltai. Siehe auch den Kommentar zu Opitzens Leichenrede auf die siebenbürgische Fürstin Zsuzsanna Károlyi.

[HO c etiam adversae] Beide Epithalamia sind datiert: Das hier vorliegende Gedicht verfaßte Opitz raptim am 7. Mai 1622 in Bunzlau vor seiner Abreise nach Siebenbürgen. Das insgesamt 9 Distichen umfassende Epithalamium ist klar gegliedert. Die einleitenden Verse 1 bis 4 formulieren die Grundaussage: Der Sprecher wird immer dann seinen Freunden entrissen, wenn sich diese an das Veneris dulce … opus (V. 4) begeben. Ein erstes Beispiel dafür ist der beiderseitige Freund Kirchner (V. 5 f.), nunmehr (V. 7 f.) geschieht dasselbe anläßlich der bevorstehenden Hochzeit von Bartsch. Das völlig andere Schicksal des Sprechers wird nach der ersten Hälfte des Gedichts deutlich mit At nos am Anfang von V. 9; extremum … ad Istrum betont hier die gewaltige räumliche Entfernung zu den Freunden. Die letzten vier Distichen verbinden die Hoffnung des Sprechers auf ein glückliches Wiedersehen mit dem für ein Epithalamium obligatorischen Wunsch nach baldiger Nachkommenschaft für die Brautleute. – Zum Gedicht vgl. Szyrocki, S. 51 sowie S. 145, Anm. 47. – Versmaß: elegische Distichen. Überschrift] Silvae: AD MICH. BARTSCHIVM. 1 HO c etiam adversae … sorti] Rubensohn (1899), S. 43, zitiert unter anderem diesen Vers als ein Beispiel für den eigentümlich schwermütigen Ton, „der sich durch zahlreiche Dichtungen des jungen Schlesiers zieht und besonders in den lateinischen oft zu rührendem Ausdruck kommt“. 2 pars animi delitiaeque mei] Entsprechende Gedanken finden sich bereits in der griechischen und römischen Antike, so bei Aristoteles, Nikomachische Ethik 9,1166a 31/2 („Der Freund ist ein zweites Ich“) und besonders in Ciceros Laelius. Dazu ausführlich Wolfdietrich Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock. Halle/Saale 1936, S. 2 ff. Zur Freundschaftsdichtung in der Frühen Neuzeit vgl. auch: Mentis amore ligati. Lateinische Freundschaftsdichtung und Dichterfreundschaft in Mittelalter und Neuzeit. Festgabe für Reinhard Düchting zum 65. Geburtstag, hrsg. von Boris Körkel, Tino Licht und Jolanta Wiendlocha. Heidelberg 2001. Entsprechend formuliert Opitz auch in anderen (Gelegenheits-)Gedichten, um damit seine freundschaftliche Verbundenheit auszudrükken, so im Propemptikon für Johannes von Landskron (ER go iter ad dulces), V. 33: At tu, dimidium nostri et pars optima cordis. 5 f. Nonné, … qvondam K IRCHNERUS ] Die Hochzeit Kirchners fand am 18. März 1619 statt. Opitz brach kurz darauf nach Heidelberg auf; vgl. Rubensohn (1895), S. 81 (mit Bezug auf das vorliegende Gedicht). Opitz schrieb anläßlich dieser Hochzeit ein deutsches Gedicht („Es ist in Engelland“) und zwei lateinische Epithalamia (Nuptiarum Promulsis; In

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Nuptias Casp. Kirchneri). Die Verbundenheit zwischen Kirchner und Bartsch wird dadurch deutlich, daß Kirchner für die Hochzeit von Bartsch eine mit Frauenlob betitelte Gruppe von Gedichten verfaßte, die sich im Anhang von Teutsche Poëmata, S. 183–185, finden; vgl. GW 2.1, S. 45. 6 Ibam ad nunc moesti … Nicri] Opitz verweist hier auf seinen Aufenthalt in Heidelberg 1619/20 sowie auf die damalige historische Situation, den Pfälzer Krieg (1620–1623). Zum Pfälzer Krieg vgl. Meinrad Schaab: Geschichte der Kurpfalz. Bd. 2: Neuzeit. Stuttgart u. a. 1992, S. 114 f.; Anna Egler: Die Spanier in der linksrheinischen Pfalz 1620–1632. Invasion, Verwaltung, Rekatholisierung (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 13). 6 littora foeta] Die Fruchtbarkeit der Neckarregion, vor allem auch der Weinanbau, wird von Opitz mehrfach in Gedichten gerade aus seiner Heidelberger Zeit gerühmt, so zum Beispiel im Anfangsvers von DE SILVIA: CV m me vitiferi nuper contermina Nicri (Silvae, S. 119). Der nächste Vers geht im übrigen explizit auf die Bedrohung durch die Spanier ein: Linquere vicinus tecta iuberet Iber. Vgl. auch Kühlmann (2001), S. 33 f. 7 post visas … gentes] Bis jetzt läßt sich zumindest der Aufenthalt Michael Bartschs in Straßburg nachweisen, doch wird in verschiedenen anderen Beiträgen zu diesem Hochzeitsdruck darauf verwiesen, daß Bartsch Reisen nach Frankreich, Italien und England unternommen habe. So heißt es in dem Gedicht von Abraham Frisius: Spectaris, [sic!] Gallos, Italos, S PONSE , atque Britannos (fol. A3r). 9 Istrum] Ister bezeichnet den Unterlauf der Donau. 10 Visuri an Musas … amet] Anspielung auf Opitz als einen von den Musen inspirierten Dichter, gleichzeitig auf seine künftige Tätigkeit als Lehrer für Philosophie und/oder Poesie (nach Maner, S. 161, bleibt diese Frage offen) in Weißenburg. 10 Dacia fortis] Metonymischer Verweis auf Gábor Bethlen, auf den die böhmisch-pfälzische Fraktion in den ersten Kriegsjahren hoffte. 13 elapsa aestate] Opitz war im Sommer 1621 nach Schlesien zurückgekehrt. 15 aliàs ambos qvi aeqvavit] Dies könnte sich darauf beziehen, daß Kirchner ebenso wie Bartsch im Dienst des Herzogs von Liegnitz stand: Wohl 1622 wurde Kirchner Bibliothekar des Fürsten Georg Rudolf von Liegnitz, später dessen Rat; vgl. Opitzens Lebensbeschreibung Kirchners bei Reifferscheid, S. 546: Lignicium postea ab illustrissimo et optimo principe Georgio Rudolfo accitus, ut a bibliotheca illi esset, aptam maioribus dexteritatem suam adeo dissimulare non potuit, ut a consiliis esse protinus coeperit. 18 Horrea … plena] Die Anspielung auf den erhofften Kindersegen bildet gewöhnlich den Abschluß eines Epithalamiums, vgl. Segebrecht, S. 152–156. Der Wunsch wurde in diesem Fall auch Wirklichkeit: Der Sohn von Michael und Helena Bartsch wurde am 21. Juni 1624 geboren, und Opitz verfaßte zu diesem Anlaß ein Glückwunschgedicht: NU nc demum, fateor … MART. … XXII .] Fehlt in Silvae.

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20 raptim] Gängige Formulierung bei Gelegenheitsgedichten, von Segebrecht als „Topos der fliegenden Feder“ bezeichnet. Dieser Topos erfüllt mehrere Funktionen gleichzeitig: Er bezeugt die „unverzügliche Reaktion des Dichters auf das Ereignis und schon damit seine unmittelbare, dienst- und eilfertige Anteilnahme an ihm“ und ist zugleich „Ausdruck der Bescheidenheit und Selbstkritik des Autors, der unter Hinweis auf die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit beredt um Verständnis für die Unvollkommenheit seiner Verse warb“ (Segebrecht, S. 207).

[BARTSCHI (namque tui …)] Dieses zweite Gedicht wurde, so die Angabe im Erstdruck, Pridie Cal. Jun., also am 31. Mai 1622, verfaßt. Opitz hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine große Strecke auf dem Weg nach Siebenbürgen zurückgelegt: Das als Ort der Abfassung genannte Cassovia, deutsch Kaschau, liegt heute (unter dem Namen Kosiˇce) im Osten der Slowakischen Republik. Es war im Mittelalter ein bedeutender Ort an der Handelsstraße nach Polen und Hauptort des alten Nordungarn. Im Mittelpunkt des Gedichtes steht der Gegensatz zwischen der Sprecher, dem auf unsicheren Wegen und ins Ungewisse Reisenden, und dem Bräutigam, der nunmehr gleichsam bei günstigem Wind in den „Hafen der Ehe“ einläuft. Entsprechend gliedert sich auch das Gedicht: Der Sprecher wendet sich an den Bräutigam, der ihm erklären soll, warum er (der Sprecher) die Heimat verlassen hatte, obwohl doch die entsprechenden Gründe dafür bei ihm überhaupt nicht vorlagen (V. 1–13), zumal er viele Freunde zurückließ (V. 13–24). Doch nun muß er den eingeschlagenen Weg (allein) weitergehen, während Bartsch den Weg zum ehelichen Glück findet (V. 25–42). Trotz dieser bitteren Untertöne ist das Gedicht als eine Art „Hochzeitsscherz“ gedacht, worauf lusi in der Unterschrift hinweist. – Literatur zum Gedicht: Oesterley, S. XIX; Rubensohn (1895), S. 77; Rubensohn (1899), S. 56, Anm. 1; Palm, S. 168; Krause, S. 115–118 (mit Teilübersetzung); Szyrocki, S. 51; Aurnhammer, S. 259. – Versmaß: Hendekasyllaben. Überschrift] Silvae: AD MICHAELEM BARTSCHIVM. C ASSOVIAE

PERSCRIPTVM .

3 superos rogo per omnes] Hier wohl eher scherzhaft gemeinte Anspielung auf feierliche Gebets- und Bittformeln, vgl. zum Beispiel Vergil, Aeneis 2,141–143: quod te per superos et conscia numina veri, / per si qua est quae restet adhuc mortalibus usquam / intemerata fides, oro, miserere laborum. 8 Musa … venusta] Vgl. zum Beispiel Ovid, Tristia 2,313 und 2,354; Epistulae ex Ponto 4,3,16. 9 Nasonis] Naso ist das cognomen Ovids. 8–11] Nach Aurnhammer, S. 259, zeigt gerade diese Textstelle, daß Opitz bereits von Anfang an, also noch vor seiner Ankunft in Weißenburg, „sein siebenbürgisches Engagement mit Ovids Exil in Tomis parallelisiert“ habe. Es bleibt jedoch festzuhalten: „Die Bedeutung des Siebenbürgen-Aufenthalts für Martin Opitz’ poetische Sendung läßt sich nur ermitteln, wenn man zwischen realem Autor-Ich und fiktivem Rollen-Ich unterscheidet“

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(Aurnhammer, S. 260). Diese Verbindung zwischen Opitz und Ovid wird allerdings schon früher thematisiert, so in dem wohl 1618 entstandenen Epithalamium Opitzens auf Jonas Melideus/Milde (Accipe, qvae vester); vgl. GW 1, S. 116. Venator bezeichnet Opitz in seinem Geleitgedicht zu den Teutschen Poëmata als Pelignus-Opitius; vgl. Rubensohn (1899), S. 56, Anm. 1. Vgl. außerdem Seidel (2006a), S. 13 f. 10 Nil dignum exilio illius patravi] Anspielung auf den error Ovids: Ovid war 8 n. Chr. nach Tomi am Schwarzen Meer verbannt worden. Als Gründe gibt er selbst (vgl. Ovid, Tristia 2,208–21) carmen et error an (V. 208) – wohl die Ars amatoria sowie eine „unbestimmte Indiskretion“ (error), vermutlich die Beteiligung an einem Skandal, der die kaiserliche Familie betraf; vgl. DNP 9, Sp. 110 f. 11 Si rectè memini] Verdeckter Hinweis auf mögliche Verfehlungen; vgl. die Spottverse Caspar von Barths auf Opitzens überstürzte Flucht aus Heidelberg im Jahre 1620 (dazu A[nton] K[ippenberg], und G[eorg] W[itkowski]: Aber Martin Opitz! Ein schlimmes Fündlein. Zur Generalversammlung der Gesellschaft der Bibliophilen dargebracht. Leipzig 1911. 11 Nec atra egestas] Dies widerspricht etwas den tatsächlichen Gegebenheiten: Opitz hatte wohl doch aufgrund seiner bedrückenden materiellen Situation die Stelle in Siebenbürgen angenommen; vgl. Szyrocki, S. 50 f., und Palm, S. 168. 13 heic] Die Angabe heic (die im übrigen eines der vielen Beispiele für Opitzens Vorliebe für archaistische Wortformen darstellt) kann nicht auf den Ort des aktuellen Sprechens bezogen werden; vgl. unten V. 41. 16 f. Cantando … bibendo … amando] Anspielung auf die Anakreontik („Wein, Weib, Gesang“). 17 Passìm, qvodque] Silvae: Et quod fortè 17 qvodque caput rei est] Eventuell wieder wie oben V. 11 versteckter Hinweis auf „Liebesabenteuer“. 20 Kirchnerumque meum tuumque] Die Freundschaft zwischen Opitz, Bartsch und Kirchner wird zum Beispiel auch deutlich in dem Brief vom 19.5. [wohl 1624], den Opitz aus Liegnitz an Bartsch sandte: Hier findet sich in der Unterschrift die Ortsangabe Lignicii in aedibus tui Kirchneri et mei. (Conermann/Herz, S. 42 f.) 21 f. Cui nux juncta viae suave nobis Cognomen dedit] Diese scherzhafte Anspielung bezieht sich wohl auf Nüßler, doch ist eine exakte Auflösung der Namensparaphrase derzeit noch nicht möglich. Nüßler stand zu dieser Zeit wohl bereits in den Diensten der Herzöge von Liegnitz und Brieg; vgl. GW 1, S. 31. 22 piam puellam] Über mögliche Beziehungen Opitzens zu verschiedenen Frauen gibt es immer wieder Vermutungen; vgl. zum Beispiel Rubensohn (1895), S. 77. 23 f. Planè sprevimus, ut solent novarum Qvos ardet facilis cupido rerum.] Die cupido rerum novarum ist in der Antike auch negativ konnotiert; vgl. Sallust, Coniuratio Catilinae 48,1 oder Caesar, De bello Gallico 1,18,3. Hier handelt es sich jedoch eher um eine witzige Verbindung der erotischen und der politischen Sphäre.

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25 alea … jacta … est] Anspielung auf den berühmten Ausspruch Caesars, als dieser 49 v. Chr. den Fluß Rubikon überschritt und damit den Bürgerkrieg begann; vgl. zum Beispiel Sueton, Divus Iulius 33,1. 26 Victâ Pannoniâ] Damit ist wohl, bewußt etwas pathetisch mit Rückgriff auf die Militärsprache formuliert, gemeint, daß Opitz den Weg durch Pannonien/Ungarn zurückgelegt hat und es für ihn deshalb kein Zurück gibt; vgl. Krause, S. 117 f. 27 Mox calcanda via; haud quidem illa lethi] Vgl. Horaz, Oden 1,28,15f.: sed omnis una manet nox / Et calcanda semel via leti. 34 coeptosque locos capesse] Diese weitere (scherzhafte) Anspielung auf militärische termini technici führt den mit Victâ Pannoniâ begonnenen Gedankengang fort und kontrastiert so die Lebenswege der beiden Freunde Opitz und Bartsch. 36 vela vehent secunda] Die Schiffahrtsmetapher findet sich bereits in einem Hochzeitsgedicht auf Kirchner aus dem Jahr 1619 (SC ilicet hoc reliquos), V. 11 f.: … et audacis metuentia lina carinae, / Hic portum fixisse tuum. Vgl. auch die Ausführungen bei Fuchs, S. 128–133, über „Bilder der Schiffahrt“ in Epithalamien. Unterschrift] Fehlt in Silvae. [V.M.]

HA ctenus Aonias Epithalamium für Paul Hallmann und Dorothea Baudissin Dünnhaupt, Nr. 58; – Praestantissimorum Sponsorum | P AULLI H ALLMANNI | et | D OROTHEAE B AUDISIAE | Nuptiis. | Descriptum | Typis Ducalibus Lignicensibus | per | Sebastianum Koch. – o. J. [1623] (UB Breslau: 564 458). Das Gedicht Opitzens befindet sich in der linken Hälfte eines Einblattdrucks und wurde mit leichten Änderungen auch abgedruckt in: Silvae, S. 106 f. Der Abdruck in GW 2.1, S. 59 f., erfolgt nach der Erstveröffentlichung, ebenso unsere Wiedergabe. Paul Hallmann wurde am 11. August 1600 in Friedland (heute Mieroszów, Polen) bei Schweidnitz geboren, starb am 11. Januar 1650 in Breslau oder Liegnitz und wurde am 23. Januar 1650 in der Johanniskirche, der herzoglichen Hofkirche, in Liegnitz beigesetzt. Nach Zedler, Bd. 12, Sp. 290, studierte er zu Schweidnitz, Breslau und Leipzig. Er war Mitglied der Fürstlichen Kapelle von Herzog Georg Rudolf in Liegnitz. 1624 leistete er den Bürgereid in Liegnitz; sein Diplom der Erhebung in den Reichsadelsstand für „Paul Hallmann, Herrn auf Strachwitz, unweit Liegnitz“ ist auf den 31. Januar desselben Jahres datiert. Im Juli 1632 wurde er zum „Fürstlichen Rat“ ernannt; 1646 oder 1648 war er Inspektor der Fundation des Liegnitzer Johannisstiftes, der Vorläuferin der Königlichen Ritterakademie. Hallmann war „Repräsentant der damaligen Kirchenmusik in Liegnitz“ und vor allem „Komponist für den Gottesdienst am herzoglichen Hofe“ (Feldmann, s. u., S. 77). Sein kompositorisches Werk umfaßt vor allem Vokalmusik (Messen, ein Magnificat, Motetten, Konzerte). Nach Zedler (wie oben) war Hallmann seit 1623 auch „Cantz-

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ler“ in Liegnitz und hatte mit Dorothea Baudis(sin) vier Söhne und drei Töchter. Dorothea Baudis war nach GW 2.2, S. 795 f., wohl die Tochter von Andreas Baudis aus Breslau, der als Prediger an Peter und Paul zu Liegnitz tätig war und 1615 starb. Nach Aussage Opitzens in seiner Vita Kirchners gehörte Hallmann zum engeren Freundeskreis und bildete ein „Viergespann“ zusammen mit ihm, Kirchner und Nüßler, wofür folgende Bemerkung in Opitzens Kirchner-Biographie Zeugnis ablegt, die sich auf die Situation vor Kirchners Ableben bezieht: Neque elegiam omiserim, quam III. Non. Febr. in atrocissimo paroxysmo fusam Paulo Halmanno nostro, collegae suo, quique una cum Bernh. Gul. Nüsslero, literarum et patriae eximio ornamento, quandam quasi quadrigam sodalitii nobiscum constituebat, inscripsit (wiedergegeben nach Reifferscheid, S. 548). – Literatur zu Hallmann (in Auswahl): GW 2.1, S. 59, sowie GW 2.2, S. 795 f.; MGG 5 (1956), Sp. 1373f.; Fritz Feldmann: Die schlesische Kirchenmusik im Wandel der Zeiten. Lübeck 1975 (= Das Evangelische Schlesien VI/2), S. 75–80; Schlesisches Musiklexikon. Augsburg 2001, S. 248 f.; MGG 8 (22002), Sp. 452 f. Das Epithalamium bezieht seine inventio vordergründig vom Beruf des Bräutigams, der als Musiker mit den Musen verbunden ist, doch sind die Glückwünsche zur Hochzeit gleichzeitig Ursache für eine Huldigung an Herzog Georg Rudolf von Liegnitz, dessen Musikbegeisterung Hallmann seine ehrenvolle Stellung am Hof verdankt. Dementsprechend zeigen die Verse 1–9 den Fürsten – im Unterschied zu anderen Adligen bzw. hochgestellten Persönlichkeiten – als Schutzherrn der Musen. Durch dessen Begeisterung für die Künste befindet sich der zu Beginn von V. 9 mit Te angesprochene Bräutigam in seiner gegenwärtigen glücklichen Situation, wie das anaphorische Hinc (V. 11 und V. 13) verdeutlicht: Er hat nicht nur honores (V. 11) erhalten, sondern auch – natürlich mit Zutun des Schicksals – seine Braut gewonnen. Die Verse 15 f. dürften sich eventuell auf Opitz beziehen, der ebenfalls hofft, von einem Freund der Musen Förderung zu erfahren. – Versmaß: elegische Distichen. Praestantissimorum … Nuptiis.] Silvae: PAVLI HALLMANNI Et Dorotheae Baudisiae Nuptijs. 1 Aonias … puellas] Aonia ist die Landschaft Boiotiens, in der sich der Helikon befindet. Bereits in der griechisch-hellenistischen und der römischen Dichtung „werden Ableitungen davon als gelehrte Bezeichnungen Boiotiens … Thebens …, des Helikon … und der mit ihm verbundenen Quelle Aganippe … und der Musen … verwendet“; vgl. DNP 1, Sp. 821 f., hier Sp. 822. Vgl. Vergil, Georgica 3,10 f.: primus ego in patriam mecum, modo vita supersit, / Aonio rediens deducam vertice Musas. Grundsätzlich wird mit der Evozierung des Helikons auch auf die Musenweihe Hesiods angespielt, des bäuerlichen Dichters par excellence, sowie all seiner Nachfolger (vgl. Vergil, Ekloge 6,64–73). Ähnlich wie hier Opitz beginnt auch Schede Melissus sein Gedicht auf Königin Elisabeth von England: HACTENUS Aonias inter, REGINA , puellas (wiedergegeben nach: Paul Schede Melissus: Melissi Schediasmata Poetica. Secundo edita multo auctiora. Paris 1586. Teil 3, S. 281). 2 vix] Obwohl GW hier einen Druckfehler vis im Erstdruck sieht und deshalb (nach Silvae) zu vix korrigiert, ist im wiedergegebenen Erstdruck vix gut zu lesen. 4 Parnassique jugis] Vgl. Vergil, Ekloge 10,11 f.: nam neque Parnasi vobis iuga, nam neque Pindi / ulla moram fecere, neque Aoniae Aganippe.

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4 Parnassique jugis celsior aula fuit] Anspielung auf die traditionelle Bildungsfeindlichkeit des Adels, die von Opitz nicht selten thematisiert wird; vgl. zum Beispiel die Widmungsvorrede zu seinem Aristarchus. 5 Non fert hoc noster, patriae spes unica, Princeps] Obwohl dieser Princeps hier nicht namentlich genannt wird, handelt es sich wohl um Herzog Georg Rudolf von Liegnitz (1595–1653), dessen Interesse unter anderem der Musik galt, wie bereits seine eigenen Kompositionen aus dem Jahre 1610 zeigen; vgl. Wolfgang Scholz: Georg Rudolph, Herzog von Liegnitz, Brieg und Goldberg, in: MGG 4 (1955), Sp. 1769–1771, hier Sp. 1770. Seine Rolle als Förderer der Künste wird auch durch die von ihm gegründete und nach ihm benannte Bibliotheca Rudolphina deutlich, die größte vollständig erhaltene Fürstenbibliothek Schlesiens (Scholz, wie oben, Sp. 1770), und die zahlreichen Widmungen, die er von Komponisten seiner Zeit erhielt, unter anderem von Heinrich Schütz (Feldmann, wie oben, S. 76). Die geschlossene Wortstellung noster … Princeps verdeutlicht den Gedanken der „einzigen Hoffnung“. Diese Formulierung bezieht sich vielleicht auch darauf, daß im Jahre 1621 Herzog Georg Rudolf von König Ferdinand das Amt des Oberlandeshauptmanns übertragen bekommen hatte; vgl. Thebesius, Bd. 2, S. 57. Zum Verhältnis Herzog Georg Rudolfs zur Kunst vgl. den Princeps literatus von Nüßler mit dem Empfehlungsgedicht Opitzens (VI r quem Fatorum). 7 magni pro libertate labores] Eventuell Anspielung auf die Verteidigungsmaßregeln, die Herzog Georg Rudolf traf: So ließ er am 24. November 1621 eine „Defensionsordnung“ verfassen für den Fall einer Belagerung; Einzelheiten dazu bei Thebesius, Bd. 2, S. 57. Interpretiert man libertas als „ständische Freiheit“, wäre wohl auch an den am 28. Februar 1621 geschlossenen Dresdener Akkord zu denken. 11 ut invidiae virus rumpatur] Die ehrenvollen Auszeichnungen für Hallmann beruhen auf seinen artes (V. 10). 11 honores] Einzelheiten zur Förderung Hallmanns durch den Herzog siehe oben in der Einleitung zu diesem Kommentar. 13 f. illa Cytheris Altera] Kythereia (auch Kytheris und ähnliche Bildungen) ist ein Beiname von Aphrodite, da auf der Insel Kythera in der Antike ein berühmter Tempel der Aphrodite stand. 15 tibi sumere vultum] Vgl. das eher satirisch-scherzhafte non sumus ergo pares: melior, qui semper et omni / nocte dieque potest aliena sumere vultum bei Juvenal, Satiren 3,104f., oder Martial, Epigramme 5,7,1–4: Qualiter Assyrios renovant incendia nidos, / una decem quotiens saecula vixit avis, / taliter exuta est veterem nova Roma senectam / et sumpsit vultus praesidis ipsa sui. 16 tanto vindice] Wohl auf Herzog Georg Rudolf zu beziehen. M ARTINUS … scripsi] Fehlt in Silvae. [B.C., V.M.]

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DE stinatum tibi – IN gentes animae – CE rnis effusas Widmungsvorrede, Widmungsgedicht (Elegia) und Psalmparaphrase als Beigaben zum Lobgesang Vber den Frewdenreichen Geburtstag … Jesu Christi Dünnhaupt, Nr. 61; – M ARTINI O PITII | Lobgesang | Vber den Frewdenreichen | Geburt‚= tag | Vnsere‚ HErren vnd Heilande‚ | JEsu CHristi. | Gedruckt in der Fürstlichen Drucke= rey | zur Liegnitz/ | Durch | Sebastianum Koch. – o. J. [1624] (UB Breslau: 355075), die Widmungsvorrede fol. A2r-A3v, die Elegia fol. A4r-v, die Psalmparaphrase fol. D3v-D4v. Die Widmungsvorrede und die Elegia sind zusammen mit dem Lobgesang wiederabgedruckt in: Acht Bücher Deutscher Poematum, die Widmungsvorrede fol. A2r–v, die Elegia fol. A3r-v, fol. A4r-v schließen sich ein Briefauszug und ein Gedicht von Abraham von Bibran sowie Auszüge aus Briefen von Gruter und Bartsch an. In Deütscher Poëmatum Erster Theil steht die Widmungsvorrede auf den Seiten 2–4, die Elegia S. 4 –6 (hier folgen ebenfalls die Texte von Abraham von Bibran, Gruter und Bartsch, dann der Lobgesang). In den Geistlichen Poëmata findet sich die Widmungsvorrede S. 245–247, die Elegia S. 247–249, anschließend Briefauszug und Gedicht von Bibran und der Lobgesang. Die Elegia ist außerdem wiederabgedruckt in: Silvae, S. 25–27; die Psalmparaphrase in: Silvae, S. 13–15. Der Lobgesang Vber den Frewdenreichen Geburtstag … Jesu Christi ist mit allen Einzeltexten wiederabgedruckt in GW 2.1, S. 123–151; unsere Textwiedergabe erfolgt nach dem Erstdruck. Der Erstdruck ist zwar nicht datiert, doch läßt sich 1624 als Erscheinungsjahr aus der Datumsangabe am Ende des Widmungsbriefes herleiten, ebenso aus dem 1624 verfaßten Dankesbrief von Michael Bartsch (vgl. Conermann/Herz, S. 41). Der Lobgesang Vber den Frewdenreichen Geburtstag … Jesu Christi (im folgenden: Lobgesang) ist, wie vor allem aus Anspielungen in der Widmungsvorrede deutlich wird, wahrscheinlich im Zeitraum 1622/1623 entstanden, in dem Jahr also, als Opitz als Lehrer am Akademischen Gymnasium zu Weißenburg in Siebenbürgen tätig war; vgl. dazu auch Palm, S. 170. Bereits zuvor hatte sich Opitz mit geistlicher Dichtung beschäftigt; so entstand 1620 sein Sermo de Passione Domini, 1621 übertrug er den Lof-sanck van Iesvs Christvs von Daniel Heinsius ins Deutsche. Diese Übersetzung findet sich in Acht Bücher Deutscher Poematum, Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata nach Opitzens Lobgesang und mehreren geistlichen Gedichten. Nach GW 2.1, S. 121, könnte Opitz durch die intensive Beschäftigung mit dem Lof-sanck dazu angeregt worden sein, selbst ein Gedicht dieser Art zu schreiben, zumal er sich 1621 unter anderem in Liegnitz aufhielt – die Wahl eines christlichen Themas wäre „in der Nähe des wegen seiner Frömmigkeit bekannten Herzogs Georg Rudolf ganz natürlich“ gewesen. – Zum Lobgesang und seinen einzelnen Teilen vgl. auch die Ausführungen von Hugo Max, S. 84 –92; zur Tradition der Weihnachtsdichtung vgl. Martin Keller: Johann Klajs Weihnachtsdichtung. Das „Freudengedichte“ von 1650 mit einer Einführung seinen Quellen gegenübergesetzt und kommentiert. Berlin 1971 (= Philologische Studien und Quellen 53), S. 16–40, darin zu Opitz S. 23 ff.

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[DE stinatum tibi] Opitzens Beziehung zum Adressaten und die Auseinandersetzung mit (nicht genannten) Kritikern stehen im Mittelpunkt dieses Widmungsbriefes. Dabei handelt es sich, wie Opitz selbst vermerkt, um die zweite Widmung, ursprünglich war die nachfolgende Elegia als Widmung vorgesehen gewesen; vgl. Max, S. 84 f. Nüßler ist ihm nicht nur nahe wie ein Bruder durch die lebenslange Freundschaft, die beide verbindet, sondern auch durch seine Beschäftigung speziell mit der theologischen bzw. geistlich-erbaulichen Literatur derjenige, an den Opitz vor allen anderen als Widmungsempfänger bereits während der Abfassung gedacht hat. Die Person Nüßlers ist aber auch ein leuchtendes Beispiel, vor dem sich der von Opitz beklagte Niedergang der Wissenschaft (fugientium optimarum artium, quae temporum horum calamitas est), wohl auch der Theologie, um so stärker abhebt. Darüber hinaus entkräftet das Beispiel von Nüßler die Kritik am (Hof-)Gelehrtenstand. Diese Kritik deutet Opitz wohl auch mit den im Text unmittelbar folgenden Zeilen an, in denen er am vorliegenden Beispiel, das ja eine Neujahrsgabe darstellt, deutlich macht, daß humaniores literae nicht betrieben werden, um sich materielle Vorteile zu verschaffen, sondern von selbst die wahren patroni finden, wie zum Beispiel einen Heinrich von Stange. Den Schluß bildet die Bitte an den Adressaten um Nachsicht in bezug auf die mögliche mangelnde Qualität des Werkes wegen der schwierigen Lebensumstände, in denen sich der Autor zur Zeit der Abfassung befand. V.C. … O PITIUS ] Acht Bücher Deutscher Poematum: V.C. BERNHARDO GVILIELMO NÜSSLERO SUO ; Serenißimo Principi Bregensi à Secretis, S . D. MARTINUS OPITIUS . Deütscher Poëmatum Erster Theil: V.C. BERNHARDO GVILIELMO NVSSLERO SVO, Celsißimo Principi Bregensi à Secretis, S . D. MARTINUS OPITIUS . Geistliche Poëmata: V. C. BERNHARDO GVILIELMO NVSSLEro suo, Celsissimo Principi Bregensi à Secretis, S. D. MART. OPITIVS. N ÜSSLERO ] Zu Person und Schriften vgl. GW 1, S. 29–32, sowie den Kommentar zum Empfehlungsgedicht zu Nüßlers Princeps literatus (1616). Nach Palm, S. 177, war Nüßler „nach dem datum unter der widmung des lobgesangs … schon im jahre 1623 nicht mehr mitglied der Liegnitzer regierung, sondern in die Brieger übergegangen, in welcher stellung er bis an seinen tod 1643 verblieb“. 1 in Dacia] Opitz hielt sich, dem Ruf des siebenbürgischen Fürsten Gábor Bethlen folgend, in den Jahren 1622/23 in Siebenbürgen auf, wo er am Weißenburger Gymnasium unterrichtete. 1 f. calamum … admovi] Wichtiger Hinweis auf die Entstehungszeit des Lobgesangs. Ein calamus ist ein Schreibrohr, wie es in der Antike verwendet wurde. 2 hymnum] Vgl. die Ausführungen Opitzens in seinem Buch von der Deutschen Poeterey: „Hymni oder Lobgesänge waren vorzeiten / die sie jhren Göttern vor dem altare zue singen pflagen / vnd wir vnserem Gott singen sollen. Dergleichen ist der lobgesang den Heinsius vnserem erlöser / vnd der den ich auff die Christnacht geschrieben habe“ (zitiert nach GW 2.1, S. 368). Vgl. Keller (wie oben), S. 23 ff. 2 vel adjecta sub ejus initium elegia] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: adjecta sub eius initium conscripta illic elegia

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5 incomparabili] Acht Bücher Deutscher Poematum: comparabili, bereits dort als Druckfehler vermerkt. 6 à pueris] Nüßler hatte zusammen mit Opitz die Schule in Bunzlau besucht; vgl. GW 1, S. 30, und Seidel (1994), S. 248, Anm. 69, sowie die Ausführungen zu Opitzens Gedicht VIR quem Fatorum. 6 ductu] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: instinctu 10 f. fugientium optimarum artium, quae temporum horum calamitas est] Kritik am Niedergang der Wissenschaft bzw. Hinweis auf Kulturverfall. Vgl. auch die kritischen Bemerkungen Opitzens in der Widmungsvorrede des Aristarchus. 12 sacrarum literarum studia] Es ist unklar, ob Opitz etwas Konkretes im Auge hat, denn Nüßler hat kein Werk religiöser Thematik hinterlassen. Nüßler dürfte jedoch als Pfarrerssohn, eine Weile im Haus des Pfarrers Gregor Richter in Görlitz untergebracht, in ständiger Berührung mit der Bibel und sonstigen religiösen Texten gewesen sein. Für die intensive Beschäftigung Nüßlers mit theologischer bzw. erbaulicher Literatur legt im übrigen seine Absicht, eine Schrift des englischen Pietisten William Perkins zu übersetzen, Zeugnis ab; vgl. den Brief Colers an Opitz vom März 1631, in dem es heißt: Adiunget aliquod Perkinsi opusculum Nüslerus, serius mihi amicus (zitiert nach Reifferscheid, S. 438f.). Zum Wortgebrauch vgl. folgende Passage aus einem Brief Nüßlers an Christoph Coler von 1629: Vix dici potest, quantopere me cum literae vestrae affecerint, tum inprimis varia illa opuscula, quae clarissimus Berneggerus submisit. Quaeso, ut porro quoque iis me beare velitis, qui tam turbulento tempore praeter ea solatia, quae ex sacris literis hauriuntur, dissidentem animum nulla re magis ad se revocare et componere possum, quam lectione tam praestantium scriptorum (zitiert nach Reifferscheid, S. 349). 12 quotiescunque occasio datur] Fehlt in Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata. 15 fori] Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: aulae 15 fori negotiis] Dafür, daß es sich hier wohl um einen Hinweis handelt auf seine Tätigkeit in der Verwaltung am Liegnitzer Hof von Herzog Georg Rudolf seit Ende 1621, wo Nüßler seit 1619 als Sekretär arbeitete, spricht die Ersetzung von fori durch aulae in den späteren Ausgaben. Vgl. auch Lindner, Teil 1, S. 173. 15 f. et nihil minus quàm] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: neque adeo. Diese Abschwächung in der Formulierung in den späteren Fassungen ist wohl durch den Hofdienst Opitzens zu erklären. 17 vix bona fide] Opitzens Lebensführung, besonders sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, war offensichtlich in den Augen vieler ein Stein des Anstoßes. Sie soll sich hemmend auch auf sein Schaffen ausgewirkt haben. Vgl. C. Ezechiel: Schreiben an einen Gelehrten in Schlesien, das Leben und die Schriften Martin Opitzens von Boberfeld betreffend, in: Beyträge zur Critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, Bd. 7, Leipzig 1741, S. 54 –78, hier S. 59. 19 Qui Curios simulant, et Bacchanalia vivunt] Juvenal, Satiren 2,3. Wörtlich übersetzt: „welche die Curier mimen und wie bei den Bacchanalien leben“. Manius Curius Dentatus war

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290 v. Chr. sowie 275 v. Chr. römischer Consul. In diesem zweiten Consulat siegte er über Pyrrhus. Seine Unbestechlichkeit und Bescheidenheit waren sprichwörtlich und wurden von Cato d. Ä. idealisiert, der damit die späteren Quellen prägte; vgl. DNP 3, Sp. 242 f. Bacchanalia bezieht sich auf Dionysos/Bacchus und auf Kulthandlungen zu dessen Ehren. Diese standen bereits in der römischen Antike im Ruf, daß mit ihnen Ausschweifungen verbunden seien; vgl. dazu DNP 2, 389 f. 21 te] Acht Bücher Deutscher Poematum: se 21 constantem amicitiam] Vgl. Tacitus, Annales 15,62,1. Zu denken ist hier jedoch vor allem an den hohen Stellenwert der constantia bei den Stoikern bzw. im Neostoizismus. 22 hac strena] Neujahrsgeschenke in dichterischer Form waren in dieser Zeit durchaus beliebt. So hatte Opitz bereits 1616 einen Strenarum libellus für Valentin Senftleben und andere Bunzlauer Bürger geschrieben. Zur Gattung vgl. den Kommentar zu diesem Text. Der Grund für das hier angesprochene Neujahrsgeschenk könnte sein, daß Nüßler für Opitz gerade um eine Anstellung warb; vgl. Max, S. 85. 22 videant] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: sciant 23 benevolentiam bonorum] Durch den Begriff boni vielleicht eine Anspielung auf die zur „richtigen Seite“ gehörenden Männer, wie dies zum Beispiel gerade Cicero immer wieder formuliert hat. Vgl. Cicero, Epistulae ad familiares 15,17,3: nam quod multos miseriis levavit et quod se in his malis hominem praebuit, mirabilis eum virorum bonorum benevolentia prosecuta est. 23 f. honestam nominis existimationem] Vgl. Cicero, De inventione 1,22: ab auditorum persona benivolentia captabitur, si res ab iis fortiter, sapienter, mansuete gestae proferentur, ut ne qua assentatio nimia significetur, si de iis quam honesta existimatio quanta que eorum iudicii et auctoritatis exspectatio sit ostendetur. 25 ! µ«  «   $ !µ« *«,]  ’ $ !µ« φ«.

Vgl. Anthologia Graeca 10,39,1: + µ«  «

27 authoritate] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: auctoritate 28–31 De aliis … subticere possum.] Fehlt in Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata. 29 Henrici de Stange, Patris Musarum] Nach GW 2.1, S. 65, Anm. 1, war Heinrich von Stange (1576–1626) Liegnitzischer Rat und ein Gönner von Opitz. Er verfaßte eine Oratio de Germaniae perlustratione. Opitz erwähnt ihn in einem Brief an Venator vom 10. Mai 1625: … ita cum et te mei curam habere confidam, noris, me altissimo perfrui otio, et vivere posse aut in praediis amicorum Abr. Bibrani, Henrici Stangii, Davidis Rhorii aliorumque nobilissimorum virorum … (Reifferscheid, S. 218; vgl. auch Conermann/Herz, S. 47 f.). Opitz schrieb für ihn das Epicedium Es ist mir nur vmb vns; vgl. GW 4.2, S. 483 f. 30 ac propè solum] Fehlt in Acht Bücher Deutscher Poematum. 30 f. studiorum meorum fructum] Wohl Opitzens Zlatna. Das Gedicht ist Heinrich von Stange gewidmet. Des weiteren hatte Opitz in Siebenbürgen Material für seine geplante Dacia antiqua gesammelt.

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31 praeter] Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: extra 32 qua sanè meliorem nemo Poëtarum unquam suscepit] Fehlt in Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata. 32 nemo Poëtarum unquam suscepit] Acht Bücher Deutscher Poematum: suscipere non potuissem 33 f. Quae mea tum scribentis conditio fuerit, quam gravissimus me morbus invaserit] Opitz war in Siebenbürgen schwer krank geworden. Darauf geht er in Briefen und Gedichten mehrfach ein, so im Brief an Caspar Cunrad vom 20. Januar 1623; vgl. Reifferscheid, S. 149 ff., und Szyrocki, S. 56. Vgl. außerdem Palm, S. 172, und Aurnhammer, S. 266 f., sowie im anschließenden Lobgesang, fol. B1v, V. 29–31: „So hab’ ich auch bißher nicht wenig abgenommen/ | Bin einen grossen theil von meinen krefften kommen/ | Durch kranckheit welche mich noch jetzt nicht gänzlich lest“ (GW 2.1, S. 129). 34 invaserit, [qui]bus] Im Erstdruck findet sich an dieser Stelle, an der hier eine neue Seite beginnt, zwar auf fol. A3r die Kustode quibus, jedoch wird der Text auf der folgenden Seite A3v mit bus weitergeführt. 36 cogitationes vulgi] Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: vulgi cogitationes 38 f. Servatoris] Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: Conservatoris 42 Kirchnero nostro] Zum Verhältnis Opitzens und Kirchners vgl. den Kommentar zu den Hochzeitsgedichten für Kirchner (QU od ver praeterito – Scilicet hoc reliquos). 43 Cal. Januarias,] Geistliche Poëmata: Calend. Januarias. 43 Propr. Cal. Januarias, Anni M.DC .XXIV.] Datumsangabe nach Art des antiken römischen Kalenders, es handelt sich um den 30. Dezember 1623. Schulz-Behrend gibt fälschlicherweise den 1. Januar [1624] an. [P.F., V.M.]

[IN gentes animae] Diese Elegia war bereits von Anfang an als Widmungsgedicht für den anschließenden Lobgesang vorgesehen. Mit ihr knüpft Opitz an bestehende Traditionen an, so an die 1548 entstandene Elegie IN NATALEM CHRISTI SALVATORIS nostri von Petrus Lotichius Secundus (Elegiarum liber IIII, Elegia VI): „ … ein Werklein von 180 Versen, das schon zu seiner Zeit als ein Kleinod lat.-christlicher Dichtung erkannt und von deutschen Humanisten (Bocerus, Reusner) … zum Vorbild genommen wurde“ (Max Keller, Johann Klajs Weihnachtsdichtung, wie oben S. 21 ff.) und das seinerseits motivisch in Jacopo Sannazaros De Partu Virginis (1526) gründete (ebda.). Zu nennen wäre hier auch die Elegia I aus Poematvm sacrorum pars altera von Georg Fabricius (vgl. Humanistische Lyrik, S. 628–637 und S. 1327 ff.). Inhaltlich bezieht sich Opitz darüber hinaus in seinen Anmerkungen zum

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nachfolgenden Lobgesang mehrfach auf Bernhard von Clairvaux, in erster Linie auf dessen De Laudibus virginis Matris. Im vorliegenden Text verbinden sich christliche und heidnisch-antike Gedankenwelt; vgl. dazu auch die Ausführungen von Hugo Max, S. 84 ff., der im übrigen die „lukrezischen Reminiszenzen“ hervorhebt (S. 84). Mit der feierlichen Bitte an zwei herausragende christliche Dichter, ihm bei seinem Werk – der dichterischen Gestaltung der Geburt Jesu – beizustehen, lehnt sich Opitz an die Tradition der antiken Epik an (V. 1–10). Das außerordentliche Ereignis verbindet Erde und Himmel: So ergeht die Einladung an die gens humana, von ihrem nichtigen Treiben zu lassen und sich, wie die Engel (V. 20), Gott in frommer Anbetung zu nähern (V. 11–20). Damit wendet sich der Sprecher direkt an Jesus: Wie dieser bereits beim Ereignis seiner Geburt die Armen und Einfachen bevorzugt teilnehmen ließ, so möge er jetzt auch den Versen des Sprechers gewogen sein (V. 23–36). Dem schließt sich – in einer etwas kühnen Abfolge – die Bitte an Nüßler an, er möge ihm als enger Freund etwas von seinem genius zuteil werden lassen, da er in seiner gegenwärtigen Lage zu seinem Werk allein nicht imstande sei (V. 37–48). – Versmaß: elegische Distichen. Elegia … perscripta] Silvae: Ad BERNH. GUIL. NÜSSLE-| RVM C ELSISS . P RINCIPI B REGENSI à Secretis; de Hymno suo Germanico in Christum; Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata: Elegia ejusdem ad eundem. 1 IN gentes animae] Mit dieser Anrede stellt sich Opitz in die Tradition der antiken Epik, in der zu Anfang des großen Werkes zum Beispiel die Götter oder die Musen um Beistand gebeten werden. 1 f. sanctae quas impetus aurae Immortale olim condere jußit opus] Opitz bezieht sich hier wohl auf die antike Vorstellung vom ,- /«, gleichzeitig aber auch auf den (christlichen) Heiligen Geist mit seinen Gaben. 2 Immortale … opus] Topos von der unvergänglichen Dichtung. 3 Caelestes … amores] Die himmlische, reine Liebe – als Gegensatz zu der sündhaften Lust der irdischen Liebe – ist biblisch fundiert. Ihre literarische Darstellung hat im allegorisch ausgelegten Hohenlied ihren ersten Vertreter. Auch die im Folgenden erwähnten Prudentius und Laktanz befaßten sich mit diesem Thema zumindest andeutungsweise: At fortunatae sortis finisque volucrem, / Cui de se nasci praestitit ipse deus! / Femina !seu sexu" seu mas est sive neutrum, / Felix, quae Veneris foedera nulla colit. / Mors illi Venus est, sola est in morte voluptas: / Ut possit nasci, appetit ante mori. (Laktanz, De ave Phoenice 161–166); o nomen praedulce, mihi lux et decus et spes / praesidiumque meum, requies o certa laborum, / blandus in ore sapor, fragrans odor, inriguus fons, / castus amor, pulchra species, sincera voluptas! (Prudentius, Liber Apotheosis 393–396). 4 coeci tela pudenda dei] Amor mit Augenbinde erscheint schon früh in der Emblematik; vgl. Henkel/Schöne, Sp. 1759 ff. 5 f.] Fehlt in Silvae. 5 Prudenti maxime] Aurelius Prudentius Clemens, geb. 348/49 n. Chr. in Spanien, gest. nach 405 n. Chr. Zuletzt ein hoher Beamter in der kaiserlichen Zentralverwaltung unter

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Kaiser Theodosius, beschloß er in seinem 57. Lebensjahr, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen, um fortan als christlicher Dichter zu leben. Zu seinen Werken gehören die Psychomachia (ein christlich-allegorisches Epos, in dem der Kampf zwischen den Tugenden und Lastern geschildert wird), der Liber Peristephanon (Schilderung der Leiden verschiedener Märtyrer), die antihäretisch-dogmatischen Bücher Apotheosis und Hamartigenia, die beiden antipaganen Bücher Contra Symmachum, das Dittochaeon (Kommentierung eines biblischen Bilderzyklus). Opitz könnte sich an dieser Stelle vor allem auf den Cathemerinon Liber, ein „Tagebuch“, beziehen – ein Zyklus von Gedichten in lyrischen Versmaßen, mit dem eine christliche Gattung für ein gebildetes Lesepublikum geschaffen wurde: Hymnen für verschiedene Tageszeiten sowie bestimmte Kirchenfeste, und hier in erster Linie auf den Weihnachts-Hymnus (Nr. 11: Quid es quod artum circulum) und den Hymnus zu Epiphanias (Nr. 12: Quicumque Christum quaeritis). Zu Prudentius vgl. DNP 10, Sp. 488 f. und BBKL 7 (1994), Sp. 1010–1013. 6 Lactanti] Lucius Caelius Firmianus Lactantius, geb. um 250 n. Chr. in Nordafrika, gest. wohl 325 n. Chr. in Gallien. Ausbildung in Philosophie und Rhetorik. Zunächst Rhetoriklehrer in Karthago und Nikomedeia in Bithynien, Konversion zur christlichen Religion. Nach dem Ausbruch der Christenverfolgung unter Diokletian im Jahre 303 Apologet. Um das Jahr 315 wurde er von Konstantin zum Lehrer von dessen ältestem Sohn Crispus nach Gallien, vermutlich nach Trier, berufen. Laktanz wirkte unmittelbar oder mittelbar auf Konstantin bei der Etablierung des Christentums als Staatsreligion und verfaßte neben Prosaschriften zwei poetische Werke, eine – verlorengegangene – Beschreibung seiner Reise von Afrika nach Nikomedeia und ein Gedicht mit dem Titel De ave Phoenice, das ihm von manchen Forschern aberkannt wird. Von der Kirche als Häretiker eingestuft, galt er während der Zeit des Humanismus als der „christliche Cicero“. Worauf sich Opitzens Worte raptus ad astra genau beziehen, ist unklar. Es kann sich hier um eine Erhebung des Christen zu den Sternen nach dem Tod im Prudenzschen Sinne handeln: Mors ipsa beatior inde est, / quod per cruciamina leti / via panditur ardua iustis / et ad astra doloribus itur (Liber Cathemerinon 10,89–92). Vielleicht weist Opitz aber doch mehr auf Laktanz’ rednerische Qualitäten hin und auf die Anerkennung, die ihm jene einbrachten. Die Wendung kann aber auch für poetische Eingebung und Erhabenheit stehen. Zu Lactantius vgl. DNP 6, Sp. 1043f. und BBKL 4 (1992), Sp. 952–965. 7 Si licet] Acht Bücher Deutscher Poematum: Scilicet 8 Nil huc Pegasidum nam facit unda] Bereits Hesiod berichtet in seiner Theogonie 5 ff. und 22f. darüber, daß er durch das Trinken aus der Musenquelle für das dichterische Schaffen begeistert wurde. Die Quelle Hippokrene, die sich auf dem Helikon in der Nähe des Gipfels befindet und durch einen Hufschlag des Pegasus entstanden war, teilt diese begeisternde Rolle mit der Quelle Aganippe, die ebenfalls auf dem Helikon entspringt. Dabei inspiriert die höher gelegene und stärker sprudelnde Hippokrene den Dichter mehr zum Schreiben epischer Dichtung – neben Hesiod will auch Ennius vor der Abfassung seiner Annalen daraus getrunken haben. Die sanft fließende Aganippe soll dagegen zum Dichten von lyrischen Gedichten anregen, wie es dem Zeugnis des Vergil (Eklogen 6,64f.) und des Properz (Elegie 3,3,1 ff.) zu entnehmen ist.

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9 Virgineos partûs] Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata und Silvae: Virgineum partum 9 Virgineos partûs, quid versu dignius esset] Vgl. Manilius, Astronomica 2,627: Virgineos etiam partus sowie Jes 7,14 und Mt 1,23. Opitz wurde demnach durch die dignitas materiae zu diesem Hymnus geführt (Max, S. 84 f.). Dies betont er auch in seiner Widmungsvorrede an Nüßler, fol. A3r : Caeterùm praeter dignitatem materiae, qua sanè meliorem nemo Poëtarum unquam suscepit, si quicquam in hoc carmine quaeris, omninò frustra es. 10 hominis qui Deus ipse] Anspielung auf die Christologie: Jesus als „wahrer Mensch und wahrer Gott“. Vgl. die Verse 59–68 im nachfolgenden Lobgesang. 10 canam] Damit endet die hier von Opitz verwendete klassische Einleitung zu einem Epos. Ähnlich ist auch die Einleitung zu seinem Trostgedichte gestaltet, das mit „sol mein Getichte seyn.“ schließt; vgl. GW 1, S. 192. 11 cunas … illas] Vgl. dazu und zum Folgenden die Verse 9–14 in Opitzens Widmungsgedicht seiner Übersetzung von Heinsius’ Lof-sanck van Iesvs Christvs für Hamilton (FL os juvenum): Nec sola ad Christi cunas sapientia venit: / Pastores pleni simplicitatis erant, / Tu quoque, Hamiltoni, pueri ad cunabula mecum, / Quem nec terra, polus nec capit ipse, veni. / Quicquid Aristoteles, quicquid Plato nesciit, hîc est: / Nil par huic stabulo totus hic orbis habet (s. u. Kommentar zu diesem Text). 11 spectabimus] Acht Bücher Deutscher Poematum: spectavimus 12 tua vera salus vitaque tota] Gott bzw. Jesus Christus als „Heil“ seines Volkes wird sehr oft in der Bibel thematisiert, vgl. zum Beispiel Act 4,12. 13 aliena negotia] Das ‚unchristliche Treiben‘ wird in den folgenden Versen (bis V. 18) nach Berufsständen ausdifferenziert. 15 Priscorum sileat sapientia coeca sophorum] Vgl. I Kor 3,19 ff. 16 ff.] Opitz scheint sich bei den folgenden Versen an die Aufzählung der Berufsgruppen gehalten zu haben, die Lukrez in seiner „Theorie des Traums“ in De rerum natura 4, 962-970 nennt: Et quo quisque fere studio devinctus adhaeret / aut quibus in rebus multum sumus ante morati / atque in ea ratione fuit contenta magis mens, / in somnis eadem plerumque videmur obire: / causidici causas agere et componere leges, / induperatores pugnare ac proelia obire, / nautae contractum cum ventis degere bellum, / nos agere hoc autem et naturam quaerere rerum / semper et inventam patriis exponere chartis. 16 Velaque Neptuni pallida turba legat.] Die Junktur vela legere zum Beispiel bei Vergil, Aeneis 3,532: vela legunt socii et proras ad litora torquent. pallida läßt sich sowohl auf Velaque als auch auf turba beziehen. Gemeint sind die seefahrenden Kaufleute, traditionell Vertreter rastlosen Umhergetriebenseins. 18 Hostiles ponant arma cruenta manûs] Bezug auf die im Alten Testament formulierten Geschehnisse, die die Geburt des göttlichen Kindes begleiten werden, so Jes 9,5: quia omnis violenta praedatio cum tumultu / et vestimentum mixtum sanguine / erit in conbustionem et cibus ignis. 19 Author] Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil und Geistliche Poëmata und Silvae: Auctor

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19 superûmque hominumque voluptas] Vgl. Lukrez, De rerum natura 1,1: hominum divomque voluptas und Lk 2,52. 22 magnus vitae Sol] Vgl. die Vorstellung vom sol invictus in bezug auf Christus, ebenso die Selbstaussage Jesu in Joh 8,12: ego sum lux mundi. 23 generis lux unica nostri] Vgl. Jes 60,1 ff. 24 mundus uterque] Die Menschen und die Engel (als gens poli; V. 20). 26 Eoi … orbis opes] Anspielung auf die Heiligen Drei Könige oder auch auf den ersehnten Friedenskönig, dem die Könige huldigen; vgl. Ps 71 (72),10: reges Tharsis et insulae munera offerent / reges Arabum et Saba dona adducent. 27 fraudi] Silvae: fraudis 28 puer alme] Eventuell Anspielung auf Lukrez, De rerum natura 1,2: alma Venus. Christus als puer almus (und die Verkörperung der himmlischen Liebe) stünde hier dann im Gegensatz zu Venus und Amor in V. 4. 29 Simplicius quid erat miseris pastoribus usquam?] Geistliche Poëmata: Simplicius pavidis quid erat pastoribus vsquam? Vgl. die Verse 253ff. im anschließenden Lobgesang (GW 1, S. 136). 31 domini rerum] Vgl. die Bezeichung dominam rerum bei Ovid, Metamorphosen 15,447. 31 et vincti fortaßè Lyaeo] Silvae: dum vincti flore Lyaei; Geistliche Poëmata: dum vincti (turpe!) Lyaeo 31 Lyaeo] Bezeichnung für Bacchus als der „Sorgenlöser“, von Opitz auch in anderen Texten gerne verwendet; hier metonymisch für Wein und Rausch. 35 illos] Dies könnte sich auf die eingangs erwähnte Dichtung des Laktanz und Prudentius beziehen. 38 Quem Musae norunt et Themis esse suum] Ein Hinweis auf Nüßlers dichterische und juristische Tätigkeit. Themis wird in der griechisch-römischen Mythologie als die Göttin des Rechts, Beisitzerin des Zeus und die älteste Inhaberin des Delphischen Orakels gefeiert. 39 prisca colonia Romae] In Acht Bücher Deutscher Poematum und Deütscher Poëmatum Erster Theil links am Rand vermerkt: Apulum Iuris Italici colonia, Nunc alba Iulia. Gemeint ist Apulum, heute Alba Iulia (dt. Weißenburg, ung. Gyulafehérvár) in Rumänien. 41 majora] mojora im Erstdruck ist ein Druckfehler. 43 f.] Hinweis auf die Zeit der Krankheit Opitzens in Siebenbürgen, die von ihm auch in anderem Zusammenhang thematisiert wurde; vgl. die Hinweise im Kommentar zum vorausgehenden Widmungsbrief an Nüßler. 45 post tot discrimina rerum] Vgl. Vergil, Aeneis 1,204: per tot discrimina rerum. 47 nam sola ferè mihi vota supersunt] Vgl. Ovid, Tristia 1,2,1: quid enim nisi vota supersunt? [P.F., V.M.]

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[CE rnis effusas] Opitz hat sich im Laufe der Zeit immer wieder mit geistlicher Dichtung und Texten aus der Bibel beschäftigt, so verfaßte er bereits 1620 seinen Sermo de Passione Christi, 1626 entstehen seine Klage-Lieder Jeremia, 1627 eine deutsche Versparaphrase vom Hohenlied Salomonis, 1628 Die Episteln Der Sontage vnd fürnemsten Feiertage, schließlich 1629 eine deutsche Versparaphrase von Psalm XCI. Nach Jörg-Ulrich Fechner handelt es sich bei der vorliegenden neulateinischen Paraphrase um „ein erstes Zeugnis für Opitzens dichterische Bemühung um die Psalmen“ (Jörg-Ulrich Fechner: Martin Opitz und der Genfer Psalter, in: Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. 16.–18. Jahrhundert. Hrsg. von Eckhard Grunewald, Henning P. Jürgens und Jan R. Luth. Tübingen 2004, S. 295–315, hier S. 297). Allerdings ist Opitz mit dem (reformierten) Psalter wohl schon während seiner Breslauer und Beuthener Schulzeit in Kontakt gekommen; vgl. Fechner, ebd., S. 296 f. Im übrigen könnte sich Opitz auch hier an sein Vorbild Heinsius gehalten haben, denn dieser schloß seinen Lof-sanck van Iesvs Christvs ebenfalls mit einer Psalmparaphrase ab; vgl. GW 2.1, S. 122. Nach GW 2.1, S. 120, war die vorliegende Psalmparaphrase im Erstdruck „nur Lükkenbüßer“; sie wurde später lediglich in den Silvae, S. 13–15, wiederabgedruckt. Einer Überlegung wert erscheint die Frage, warum Opitz eine Paraphrase gerade dieses Psalms im Kontext des Lobgesangs veröffentlicht. Er könnte damit Bezug nehmen auf die zeitgenössische Situation der beginnenden Gegenreformation in Schlesien sowie die Kriegsgefahr: Bereits unmittelbar nach der Unterzeichnung des Dresdener Akkords im Februar 1621 hatte der Wiener Hof begonnen, die Strategie „eines schrittweisen politisch-religiösen Umbaus in praktische Politik umzusetzen“ (Deventer, S. 158), so durch die Ausdehnung des königlichen Kammerbesitzes mittels Einzug von Gütern, deren Besitzer nach der Niederschlagung des Ständeaufstands aus Schlesien geflohen waren, durch die Vergabe von Fürstentümern und Standesherrschaften an „katholische treue Fürsten und andere Vasallen“, durch Eingriffe in die schlesische Ständeverfassung (Deventer, S. 158 f.). Der alttestamentliche Psalm 79 wird heute als „kollektives Klagegebet“ in Verbindung mit einem „exilischen Klagegottesdienst“ verstanden; Hintergrund der Klageaussagen scheint die Exilskatastrophe zu sein, so Klaus Seybold: Die Psalmen. Tübingen 1996 (= Handbuch zum Alten Testament: Reihe 1; 15), S. 314. Dieser Psalm wurde auch bereits vor Opitz in entsprechenden Zusammenhängen verwendet, so zitiert Dante den Anfang zu Beginn von Gesang 33 im Purgatorio seiner Commedia. Auffallend ist, in welchem Maße Opitz hier trotz seines alttestamentlichen Stoffes Zitate und Anspielungen aus der griechisch-römischen Antike gebraucht. Der Text besteht aus 14 Strophen und weist damit einen Gliederungsabschnitt mehr auf als die 13 Verse des Psalms im Alten Testament. Allerdings lassen sich die beiden ersten Strophen der Psalmparaphrase auf den ersten Psalmvers in der Bibel beziehen. Die einzelnen Strophen nennen abwechselnd verschiedene Gruppen: in den ersten drei Strophen die diras gentes (V. 3 f.), gottlose (V. 9) Kriegsheere, die die in der vierten Strophe als cives (V. 14) bezeichneten Einwohner ermordet und deren Land verwüstet haben. Den ci-

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ves stehen in Strophe 5 die vicini (V. 18) gegenüber; durch das auf mala zu beziehende Pronomen Nostra (V. 18) wird deutlich, daß der Sprecher sich ebenfalls zu den cives rechnet. Mit Strophe 6 erfolgt die flehentliche Wendung zu Gott, der die jetzt als fidelem cohortem (V. 39 f.) bezeichneten Einwohner nicht verlassen und diese sowohl an den impii gentes (Strophe 11) als auch an den schmähsüchtigen Nachbarn (Strophe 13) rächen soll. Obwohl bereits im AT diese drei Gruppen genannt werden, ließe sich überlegen, ob der Sprecher bei den gentes wohl auf die (katholischen) Habsburger und ihre Verbündeten, bei den vicini auf treulose (perfidum; V. 17) Glaubensbrüder im Ausland (inhospitales, V. 17) anspielt. Zu beachten ist ferner, daß im AT die Bitte um Sündenvergebung weit stärker hervorgehoben ist als in Opitzens Paraphrase. Nach Conrady, S. 199, bringt diese Psalmparaphrase „mit Hilfe der beschreibenden Satzreihung ein Bild des Krieges, das ohne Zweifel eindringlich ist“; er führt anschließend (S. 200) aus: „Ohne Frage ist das Vermögen der lateinischen Sprache in Vers und mehr noch in Prosa, die logischen Verknüpfungen in vielschichtiger Hypotaxe auszudrücken, nicht der geringste Grund für den Vorzug, den die damaligen Gebildeten der lingua Latina gegenüber der schwerfälligen Muttersprache gaben.“ – Versmaß: sapphische Strophen. Paraphrasis Psalmi LXXIX. eodem Authore.] Silvae: PSALMVS LXXIX. 1 f.] Ps 79 (je nach Ausgabe auch als Psalm 78 gezählt),1: Deus venerunt gentes in hereditatem tuam. 2 rutilare] Statt rutilantes; wahrscheinlich aus metrischen Gründen. 5 f.] Vgl. Statius, Silvae 4,6,81–84: deus … templa Sagunti polluit. Vgl. Ps 79,1: polluerunt templum sanctum tuum. 6–8] Vgl. Ps 79,1: posuerunt Hierusalem in pomorum custodiam. 9–12] Vgl. Ps 79,2: posuerunt morticina servorum tuorum escas volatilibus caeli / carnes sanctorum tuorum bestiis terrae. 10 sparso per agros cerebro] Vgl. Vergil, Aeneis 5,413: sanguine cernis adhuc sparsoque infecta cerebro; Valerius Flaccus, Argonautica 3,166 f.: sparsusque cerebro / albet ager. 11 f.] Vgl. Ovid, Metamorphosen 4,424: et laceranda suae nati dare viscera matri. 13–16] Vgl. Ps 79,3: effuderunt sanguinem ipsorum tamquam aquam / in circuitu Hierusalem et non erat qui sepeliret. 15 Extulit stragis cruor insepultae] Vgl. Ovid, Metamorphosen 5,76: sanguine, quo late tellus madefacta tepebat; Martial, Epigramme 9,60,2: seu rubuit tellus Tuscula flore tuo. 17–20] Vgl. Ps 79,4: facti sumus obprobrium vicinis nostris / subsannatio et inlusio his qui circum nos sunt. 17 Perfidum rident mala inhospitales Nostra vicini] Vgl. Horaz, Ode 3,27,66f.: aderat querenti / perfidum ridens Venus. 18 suorum] Das Komma nach suorum in GW ergibt keinen Sinn.

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21–24] Vgl. Ps 79,5: usquequoque Domine irasceris in finem / accendetur velut ignis zelus tuus. 21 f. Quis manet tandem toties relictum Exitus caetum, Deus?] Vgl. Ovid, Metamorphosen 8,60: qui si manet exitus urbem; ebd. 9,726: ‚quis me manet exitus‘ inquit. 25–28] Vgl. Ps 79,6: effunde iram tuam in gentes quae te non noverunt / et in regna quae nomen tuum non invocaverunt. 29–32] Vgl. Ps 79,7: quia comederunt Iacob et locum eius desolaverunt. 30 penates] Die penates, im antiken Rom die Schutzgottheiten der Familien, erscheinen im Kontext einer Bibelstelle; wieder ein Beweis, in welchem Maße Opitz hier Antikes und Biblisches vermischt. 31 pudendis] Silvae: pudentis 33–36] Vgl. Ps 79,8: ne memineris iniquitatum nostrarum antiquarum / cito anticipent nos misericordiae tuae / quia pauperes facti sumus nimis. 37–40] Vgl. Ps 79,9: adiuva nos Deus salutaris noster / propter gloriam nominis tui Domine libera nos / et propitius esto peccatis nostris / propter nomen tuum. 37 f. Nominis per … veneranda sancti Sacra] Vgl. Martial, Epigramme 10,58,13f.: per veneranda mihi Musarum sacra … iuro. 41–44] Vgl. Ps 79,10: ne forte dicant in gentibus ubi est Deus eorum / et innotescat in nationibus coram oculis nostris / ultio sanguinis servorum tuorum qui effusus est. 45–48] Vgl. Ps 79,11: introeat in conspectu tuo gemitus conpeditorum / secundum magnitudinem brachii tui posside filios mortificatorum. 49–52] Vgl. Ps 79,12: et redde vicinis nostris septuplum in sinu eorum / inproperium ipsorum quod exprobraverunt tibi Domine. 53–56] Vgl. Ps 79,13: nos autem populus tuus et oves pascuae tuae / confitebimur tibi in saeculum / in generationem et generationem adnuntiabimus laudem tuam. [P.F., V.M.]

Nil, C UNRADE , tuo Beitrag zu Caspar Cunrads Sammlung von Gedichten auf dessen Wahlspruch Dünnhaupt, Nr. 62; – C ASPARIS C UNRADI | Phil. et Med. D. | THEATRUM | SYMBOLICUM | IN QVO | SACRUM ILLUD | DAVIDICUM | D OMINI E ST S ALUS | À V IRIS | Illustri Generis prosapiâ, | Strenuâ Nobilitate, Reverendâ | Dignitate, Excellenti doctrinâ, uti et | humanitate ac doctrinâ | C ELEBERRIMIS | Per IX. integras Centurias | Vario enodatum Carmine | visitur. | O LSNAE S ILES. Sumtibus | Autoris. | Typis Bössemesserian!is" [1625] [Innentitel S. 399:] IN | C ASPARIS C UNRADI | Phil. et Med. D. | L EMMA S YMBOLICUM | D OMINI E ST S ALUS | à Viris | quâ Genere, quâ doctrinâ et Virtute |

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Nobilissimis, Clarissimis | datorum | C ENTURIA IX . [Epigramm an den Leser]. O LSNAE S IL . | Typis Bössemesserianis. | A°. M.DC.XXIV. (UB Breslau: 317 760), S. 424 f.; wieder abgedruckt in: Silvae, S. 24 f. Der Neudruck in GW 2.1, S. 57 f., folgt dem Erstdruck, ebenso eine Wiedergabe bei Reifferscheid, S. 762, und unsere Ausgabe. Zu Cunrad (1571–1633) und seiner Sammlung von Gedichten auf seinen Wahlspruch Domini est Salus (nach Ps 3,9) vgl. den Kommentar zu dem bereits 1621 publizierten Gedicht C VNRADE , humani mens. In Cunrads Theatrum Symbolicum sind beide Gedichte – numeriert als I. und II. – abgedruckt; als Überschrift steht S. 422 darüber: MARTINUS OPICIUS Bolislav!iensis" Aulae Ducalis Lignic!ensis" Familiaris. Die unbestimmte Bezeichnung wirft ein Licht auf Opitzens Verhältnis zum Liegnitzer Hof zur Zeit der Publikation des Theatrum. – Unser Text vergegenwärtigt die seit vielen Jahren von Cunrad gepflegte Sammeltradition (V. 1–4) und Opitzens eigene frühe Versuche, die er 1615, als ‚Knabe‘ noch, für Cunrad verfaßt hatte (V. 5–8). Erst die Erfahrung des Heimatverlustes (V. 9–16) und besonders eine kürzlich überstandene Krankheit (V. 17–25) hätten ihm den Sinn des biblischen Spruches voll erschlossen. In den Schlußversen (V. 26–29) betont er die Bedeutung göttlicher Hilfe angesichts einer Existenz fern der patria, einer Existenz freilich, die ihm, wie die stolze Gedichtunterschrift zeigt, auch ein Auskommen in recht angesehener Position im siebenbürgischen Weißenburg (vgl. Kommentar zu HO c etiam adversae) zu bieten schien. Einen treffenden Eindruck von Opitzens wenig komfortabler Situation in Siebenbürgen (ferarum potius speluncis quam habitaculis hominum includimur) bietet ein Brief, den er am 23. Januar 1623 an Cunrad schrieb und dem er unser Gedicht beilegte (Reifferscheid, S. 149 f. mit Anmerkungen S. 761 f.; Palm, S. 184 ff.). – Versmaß: Hendekasyllaben. Überschrift] Silvae: In Scitum CASPARIS CUNRADI: DOMINI EST SALVS. 4 aemulatione] Ein ‚Dichterwettstreit‘ wurde durch Cunrads Bitte an Freunde und Bekannte, Gedichte auf seinen Wahlspruch zu verfassen, ausgelöst. 5–8] Anspielung auf das Gedicht C UNRADE , humani mens, das Opitz bereits 1615 verfaßt hatte und das 1621 erstmals gedruckt worden war. Der ‚Schwan‘ (V. 6) steht traditionell als Metapher für den Dichter; vgl. Michael Jakob: „Schwanengefahr“. Das lyrische Ich im Zeichen des Schwans. München 2000. Ein Vergleich der beiden Texte ist aufschlußreich im Hinblick auf das Bemühen des ehrgeizigen Breslauer Schülers um poetische Anerkennung, aber auch im Hinblick auf die inszenierte Schlichtheit des zu elementarer Frömmigkeit ‚bekehrten‘ reifen Dichters. 9 f. nucibusque … derelictis] Die Redensart findet sich in derselben grammatischen Form bei Persius, Satiren 1,10: nucibus … relictis. 17 f. gracilenta … febris] Das Adjektiv (eig. ‚hager‘) läßt an eine Personifikation der febris wie etwa in Senecas Apocolocynthosis oder in Huttens Dialog Febris (1519/20) denken. – Zur konkreten Krankheitssituation vgl. den oben erwähnten Brief: Hendecasyllabis meis ignosces, sunt enim eius, qui vix e gravissimo morbo aufugit … Albae Juliae … 1623] Silvae: Albae Juliae Ann. M.DCXXII. Der Erstdruck hat 1624. Die Konjektur 1623 schlägt Schulz-Behrend im Anschluß an Reifferscheid (s. o.) vor. Ein Ge-

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dicht von Friedrich Pauli aus Rostock, das dem bei Reifferscheid abgedruckten Brief ebenfalls beigefügt war und darin erwähnt wird, wurde mit dem korrekten Datum 17. Januar 1623 im Theatrum Symbolicum, S. 447, veröffentlicht. – Zu Opitzens Aufenthalt in Siebenbürgen vgl. Aurnhammer sowie die Kommentare zu einschlägigen Texten. [R.G.C.]

Oratio D. M. Martini Opicii – TV post ampla quidem Leichenrede auf Zsuzsanna Károlyi und Trauergedicht für ihren Gemahl, Gábor Bethlen Dünnhaupt, Nr. 63; – EXEQVIARVM | Coeremonialium | SERENISSIMAE | Principis ac Dominae Dnae. | SVSANNAE CAROLI | sACRI ROMANI IMPERII | Transsylvaniaeque PRINcipis, partium Regni | Hungariae Dominae, Siculorum Comitissae ac | Opoliae Ratiboriaeque Ducissae | LIBELLI DVO. | IN Quibus Orationes et Carmina eorum, qui funebrem | Pompam lucubrationibus suis ornarunt, continentur. | ALBAE - IVLAE | Permissú Sacri Romani Imperij Tranßylvaniaeque Principis: | EXCVSI | PER | Andream Valaßutium et Martinum Mezleninum. | Anno Salutìs Nostrae M DC XXIV. (Ungarische Nationalbibliothek Széchényi, Budapest: RMK.I.539); die Leichenrede befindet sich auf S. 146–153, das Gedicht auf fol. Aa1rAa2r (= S. [173]-[175]). Die Rede ist nach dem Erstdruck wiederabgedruckt in: Trauerreden des Barock, hrsg. von Maria Fürstenwald. Wiesbaden 1973 (= Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 4), S. 11–14, es folgt (S. 14 –19) eine Übersetzung von Helmut Dreitzel, auf S. 467 f. finden sich bibliographische Angaben, S. 513 Angaben zu editorischen Eingriffen. Die Rede ist ferner nach dem Erstdruck wiederabgedruckt in: GW 2.1, S. 49–55; das Gedicht S. 55 f. Auch unsere Wiedergabe erfolgt nach dem Erstdruck aus Budapest.

[Oratio D. M. Martini Opicii.] Im Mai 1622 reiste Fürst Gábor (Gabriel) Bethlen zusammen mit seiner Gattin Zsuzsanna Károlyi von Oberungarn nach Klausenburg. Dort starb seine Frau am 13. Mai infolge einer Erkältung. Der Leichnam wurde in die Residenzstadt Weißenburg überführt und am 27. Mai in einer vorläufigen Gruft untergebracht. Am 1. Juli fand die feierliche Beisetzung statt; vgl. Heltai, S. 88. Opitz, der vom Fürsten als Professor Poeseos et Oratoriae an das Akademische bzw. Fürstliche Gymnasium nach Weißenburg berufen worden war und im Mai seine Stelle dort angetreten hatte (vgl. dazu die Hinweise zu H O c etiam adversae und B ARTSCHI (namque tui …), hielt in der Kathedrale am 1. Juli „fast unmittelbar vor der Grablegung, in Gegenwart des Fürsten und der erlesensten Versammlung vornehmer und gelehrter Siebenbürgens und Ungarns“ die lateinische Leichenrede, „während dem Volke, das im Dome keinen Raum hatte, draussen ungarisch gepredigt wurde“ (Anton Herrmann: Eine lateinische Leichenrede Opitzens, in: Archiv für Litteraturgeschichte 9, 1880, S. 138–143, hier S. 138 f.) Nach Heltai, S. 88, handelte es sich bei den in der Kirche

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Versammelten um „Vertreter der drei Stände, die Hofprominenz und die am Hofe weilenden Ausländer“. Opitzens Rede stand im Mittelpunkt der Trauerzeremonie, da er innerhalb der Professorenschaft des Gymnasiums in Weißenburg den höchsten Rang einnahm; vgl. Heltai, S. 91: „Alvinczi hielt also die zentrale kirchliche, Opitz die wichtigste weltliche Rede.“ Der Text ist wohl im Mai oder Juni des Jahres 1622 entstanden. Er ist Bestandteil einer umfangreichen Trauerschrift in zwei Bänden, in denen die Trauerzeremonie beschrieben wurde. Sie wurden, wie aus dem Titelblatt hervorgeht, auf Geheiß und Kosten des Fürsten gedruckt. Die Drucklegung erfolgte allerdings erst 1624. Nach Heltai, S. 88, hatte Bethlen bereits im Jahre 1619 die Druckerei des katholischen Erzbischofs in Tyrnau beschlagnahmen und zunächst nach Kaschau, dann 1622 zum Gebrauch von Hof und Schule nach Weißenburg befördern lassen. Aufgrund der vernachlässigten, unvollständigen Ausstattung erschienen die ersten Kleindrucke erst 1623, die zur Herausgabe anspruchsvollerer Druckwerke nötige technische Erneuerung konnte sogar erst zu Beginn des Jahres 1624 durchgeführt werden. Weiter ist den Ausführungen Heltais, S. 88 f., zu entnehmen, daß die Bände von Kaspar Bojti Veres zusammengestellt wurden, der vom Fürsten 1623 zum Archivar des Kapitels in Weißenburg und zum Hofhistoriographen ernannt worden war: Demnach ist der erste von Bojti zusammengestellte Band ausschließlich ungarischsprachig und enthält die Leichenpredigten, während in dem zweiten, durchweg auf Lateinisch verfaßten Band Bojti selbst die Trauerzeremonie beschreibt, an die sich die ebenfalls lateinischen Orationen und Gedichte anschließen. Die Autoren des, so Heltai, S. 89, „offensichtlich zu Repräsentationszwecken“ dienenden Sammelwerkes sind in der intellektuellen Führungsschicht Siebenbürgens zu suchen. Ferner stammen wohl auch die überleitenden Teile bzw. Einführungen im Gesamtdruck von Bojti, den Opitz schon in Heidelberg kennengelernt und für den er wahrscheinlich bereits damals ein Hochzeitsgedicht (BO ithi, delitiae novem sororum, abgedruckt in Silvae, S. 68 f.) geschrieben hatte. Unmittelbar vor der Oratio Opitzens findet sich im Druck auf S. 146 folgender Vermerk, der über die Redesituation Auskunft gibt: Qui ut suae satisfecit functioni, omnibus literis quae ad humanitatem faciunt apprimè excultus, Dn. Martinus Opicius Silesius Poëta Laureatus Caes. [er erhielt diese Würde allerdings erst 1625] et in Collegio Albano Poëseos et Oratoriae Professor doctissimus, conscenso rostro ita dicendi initium fecit (vgl. auch Herrmann, wie oben, S. 139). Gábor (oder Gabriel) Bethlen von Iktar gilt bei ungarischen Biographen als der größte Fürst Siebenbürgens (Depner, S. 31), die Zeit seiner Regierung wird mit zur „Blütezeit des Fürstentums“ gerechnet; vgl. Katalin Péter: Die Blütezeit des Fürstentums (1606–1660), in: Kurze Geschichte Siebenbürgens, hrsg. von Béla Köpeczi unter Mitarbeit von Gábor Barta u. a. Budapest 1990, S. 302–358. Aus der großen Fülle der Veröffentlichungen über ihn sind, neben den bereits oben genannten, zu erwähnen: Dávid Angyal: Gabriel Bethlen, in: Revue historique, Jahrgang 53, Bd. 158 (1928), S. 19–80; László Makkai: Gábor Bethlen et la culture européenne, in: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1982), S. 37–71; Jörg-Peter Findeisen: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Epoche in Lebensbildern. Graz/Wien/Köln 1998, S. 101–104. Gábor Bethlen wurde 1580 geboren. Nachdem er schon als Kind seine Eltern (sein Vater war fürstlicher Rat bei Sigismund Báthory gewesen, seine Mutter stammte aus einer vornehmen Szeklerfamilie; vgl. Péter, wie oben, S. 315) verloren hatte, wuchs er am Weißenburger Hof von

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Sigismund Báthory auf und nahm wohl bereits seit seiner Jugendzeit an kriegerischen Auseinandersetzungen im Dienste dreier siebenbürgischer Fürsten teil; als Folge davon mußte er mehrfach in die türkische Emigration gehen, wodurch er andererseits entsprechende Kontakte knüpfen konnte. Im Auftrag der Pforte bewog er 1604 Stephan Bocskai zur Annahme der siebenbürgischen Fürstenkrone und wurde als dessen Vasall 1605 mit der Burg Hunyad und umfangreichem Landbesitz belehnt; vgl. Findeisen (wie oben), S. 103. 1608 verhalf er Gabriel Báthory zur Herrschaft, mußte jedoch, als dieser sich den Habsburgern annäherte, wiederum zu den Osmanen fliehen; vgl. Findeisen (wie oben), S. 103 f. Bei seiner Rückkehr führte er ein türkisches Heer gegen Báthory und siegte. Der auf Geheiß der Türken einberufene Landtag wählte Bethlen am 23. Oktober 1613 zum Fürsten von Siebenbürgen; vgl. Depner, S. 31; Péter (wie oben), S. 315. Nach Péter, S. 315 f., zeichneten Bethlen vor allem sein Geschick im Umgang mit Menschen und Situationen aus sowie seine „absolute Sachlichkeit“. So gelang Bethlen innenpolitisch eine Reform des zerrütteten Staatswesens (Depner, S. 34 f.) durch eine „für seine Zeit hochmoderne Wirtschaftspolitik, in der die Methoden des Merkantilismus zur Anwendung kamen“ (Péter, S. 318), daneben sorgte er für die „Hebung des kulturellen Lebens von Kirche und Schule“ (Depner, S. 36). Infolge eines (vermeintlichen oder vorgeblichen) Hilfeersuchens durch die protestantische Opposition in Ungarn und „als Mitglied des sich um Böhmen gebildeten Bündnissystems“ (Péter, S. 321) griff Bethlen im August 1619 in den Krieg ein. Seine Armee marschierte, nachdem ein großer Teil des königlichen Ungarns (Depner, S. 41: „ganz Ungarn“) in Bethlens Hand war, nach der Vereinigung mit den Truppen des böhmisch-mährischen Bündnisses bis unter die Mauern Wiens, brach aber die Belagerung der Stadt ab (Péter, S. 322). Am 8. Januar 1620 boten ihm die Stände Ungarns die Regierungsgewalt an. Am 16. Januar 1620 kam es zum Waffenstillstand von Preßburg; dazu Depner, S. 49. Am 25. August 1620 wurde Bethlen zum König von Ungarn gewählt, ließ sich aber nicht krönen; vgl. Péter, S. 322 f. Nach der Niederschlagung des böhmischen Aufstands durch die Schlacht am Weißen Berg (November 1620) war Bethlen ebenfalls zu Friedensverhandlungen gezwungen, die in den Frieden von Nikolsburg mündeten. Zu erwähnen ist, daß, nach Depner, S. 80 f., in den Sommermonaten 1621 Bethlen als einziger die protestantische Sache noch hoch hielt, so daß sich in seinem Lager alle einfanden, die sich aus dem allgemeinen Zusammenbruch hatten retten können, unter anderem der Herzog von Jägerndorf, weitere protestantische Adlige und Prediger. Der in der Leichenrede auf Zsuzsanna Károlyi thematisierte Frieden von Nikolsburg war, so Depner, S. 89, ein „Kompromißfrieden“. Der Frieden wurde von Bethlen am 6., von Kaiser Ferdinand II. am 7. Januar 1622 ratifiziert. Seine wesentlichen Bestimmungen lauteten: Bethlen verzichtet auf den Titel eines Königs von Ungarn sowie auf alle daraus fließenden Besitz- und Herrscheransprüche; restituiert alle von ihm besetzten Gebiete, Städte und Festungen. Im Gegenzug verleiht ihm der Kaiser die schlesischen Fürstentümer Oppeln und Ratibor zum erblichen Besitz; gleichzeitig erhält Bethlen neben dem Titel eines Herzogs von Oppeln und Ratibor auch den eines Reichsfürsten. In Ungarn bekommt er die sieben oberungarischen Komitate mit der Stadt Kaschau zu lebenslänglichem Besitz; vgl. Depner, S. 90 f. Nach weiteren Feldzügen in den 1620er Jahren schloß Bethlen mit Kaiser Ferdinand II. am 20. Dezember 1626 den Frieden zu Preßburg und starb am 15. November 1629 in Karlsburg. In zweiter Ehe hatte er am 2. März

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1626 Prinzessin Katharina, die Tochter Johann Sigismunds, des Kurfürsten von Brandenburg, geheiratet. In seiner Zeit in Siebenbürgen verfaßte Opitz mehrere weitere (Huldigungs-)Gedichte auf ihn; vgl. DV m Jani festae (Silvae, S. 32 f.), BI s tribus excreuit (Silvae, S. 104 f.) sowie Inscriptiones zu emblematischen Darstellungen in dessen Schlafgemach (Silvae, S. 123–125). Bethlens Gemahlin Zsuzsanna Károlyi wurde 1585 geboren und starb 1622. Wie aus dem Lebensabriß zu Anfang des ersten Buches der Trauerschrift hervorgeht, waren ihre Eltern Ladislaus Károlyi und Clara Szyni (fol. Cr). Ihr weiterer Lebensweg wird dann so beschrieben: … in exquisitissimis omnium studiis educata, per integros XVI plus minus annos, intemerato sacri connubij iure, Serenissimo complacuit Marito: Cui etiam duos masculos, scitos elegantesque pueros, immatura fatorum severitate, in ipsis cunabulis extinctos, enixa fuit (ebd.). Im Jahre 1613 ist sie, unanimi ordinûm Tranßylvaniae consensú, maritalis dignitatis particeps, Princeps salutata est. Anno autem Domini MDCXXII III Calendar. Sextil. ad Novizolium Regiomontanam civitatem, frequentissimo universorum Regnorum Hungariae Dalmatiae, etc. aßensu, ad Electam Reginalem, eminentiae consors Maritalis, fuit sublimata maiestatatem (fol. Cv). Dann folgt die Beschreibung ihrer Erkrankung: … cum naturâ, vini usum aversaretur, ac per omnem vitam temperantiae studens, gelidâ in potu aquâ uteretur, frigidos humores in toto collegit corpore. Eam ob causam incidit in morbum, … (ebd.). Nach der Schilderung des Krankheitsverlaufs und ihres Todes in Klausenburg (am 13. Mai 1622) vermerkt der Lebensabriß noch: Hic fuit exitus … in eadem urbe, in qua ante annos plus minus XVI, connubiales taedas fausto celebraverat omine, octennium verò ante, VI Menses, dies XX , ad Principalem fuerat exaltata dignitatem (fol C2r). GW 2.1, S. 48, und Zedler, Bd. 3, Sp. 1538, erwähnen eine frühere Ehe Zsuzsannas mit Moses dem Szäckler. Nach Zedler, ebd., soll sie einen Sohn, Peter, geboren haben, der aber bald starb. Ein Teilnehmer bei den Feierlichkeiten zur Königswahl 1620 beschreibt Gábor Bethlen und seine Gemahlin folgendermaßen: „Was I. M. Person belangt, so ist er eines adeligen guten Geschlechts und hat sich von Jugend auf zum Krieg gebrauchen lassen, wie er denn im 17. Jahr seines Alters allbereit zum Kriegswesen kommen … Ist gutes iudicii, hat ein gutes memori und gern gelehrte Leute um sich. Er redet auch fast stets Latein, wiewohl er bisweilen den Priscianum etwas krumm ansieht, welches doch einem solchen Herrn wohl zu gut gehalten wird, ist ernsthaft, aber nicht tyrannisch, wie man von ihm ausgibt, ist guten Gesprächs, hört jedermann gerne, auch den geringsten. In der reformierten Religion ist er sehr eifrig, auch gottesfürchtig … Seine Gemahlin ist auch eines adeligen Geschlechts, tut fast nicht als beten, nimmt sich der Haushaltung selber an und geht oft selbst in die Küche, um sich umzusehen“ (zitiert nach Jessen, S. 73 f.). Vgl. auch folgende Darstellungen zum Briefwechsel Bethlens mit seiner Gattin: Károly Szabó: Bethlen Gábornak és nejének Károlyi Zsuzsánnának levelezése, in: Történelmi Tár 2 (1879), S. 210–218, und: Sámuel Gergely: Bethlen Gábor levelei feleségéhez Károlyi Zsuzsánnahoz, in: Történelmi Tár (1882), S. 124 –133. Die Oratio läßt sich in fünf Teile gliedern: den Einleitungsteil, der das Thema vorgibt, Klage, Lob, Trost, zum Schluß ein Gebet. Dieser Gliederung untergeordnet lassen sich weitere Sinnabschnitte erkennen. Hier sind auch die verschiedenen rhetorischen loci zu beachten, die Opitz als in der Redekunst Geschulter einsetzt. Den Ausgangspunkt bildet, wie in der Anrede an den Fürsten und die erlauchte Versammlung deutlich wird, der Princeps (bzw. seine gegenwärtige Situation) als exemplum für das Wirken der fortuna. Mit

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At, proh dolor! (S. 147) beginnt die lamentatio, die Klage um den Verlust der Fürstin. Der mit dem Ungenügen des Redners, dem Anlaß gerecht werden zu können, begründete Bescheidenheitstopos leitet über zu einem ersten, dreigegliederten Lob, zuerst der Heroinae incomparabilis, dann des Fürsten und schließlich der erlauchten Versammlung. Darauf beginnt der Redner, wie in Leichenreden üblich, mit einer rühmenden Beschreibung der Vita der Verstorbenen unter Verwendung charakteristischer Topoi: Am Anfang steht das Lob ihrer Herkunft (locus a patria), dem folgt, nach einem kurzen Verweis auf ihre edle Abstammung (locus a gente), eine ausführliche Würdigung ihrer Tugenden (locus a virtute) unter Einbeziehung der loci a sexu bzw. a genere, die sie gerade auch in ihrem Sterben gezeigt habe; vgl. dazu auch Dreyfürst, vor allem S. 46–53. Der erste Teil der consolatio wendet sich mit O felicem te Susanna beatissima (S. 150) an die Verstorbene, der zweite Teil an den trauernden Fürsten: Ihm werden im folgenden verschiedene Trostgründe genannt, die auf christlichem sowie stoischem bzw. neostoischem Gedankengut beruhen, so der Wandel der Dinge, die Vergänglichkeit alles Irdischen, das eitle Streben des Menschen nach wertlosen Gütern, die Mühsal des Alters. Demgegenüber genieße nun die Verstorbene den Lohn für ihre Tugenden – die ewige Freude bei Gott. Mit dem Gebet an Gott um Beistand in den irdischen (Kriegs-)Nöten schließt sich der Kreis zum Anfang der Oratio. Sie erhält damit auch eine politische Dimension: Nach Aurnhammer, S. 263, nutzt Opitz diese Trauerrede, wie im Bezug zu Deutschland deutlich werde, zum patriotischen Hilfeund Kampfruf an Siebenbürgen als calvinistischem Bündnispartner im Dreißigjährigen Krieg. Fürst und Fürstin werden vom Redner zum heros bzw. zur heroina stilisiert, die entsprechend ihrem jeweiligen Wirkungskreis in Vollkommenheit die jeweils erforderlichen Tugenden verkörper(te)n. Demzufolge sind Anklänge an Werke wie den Panegyricus des Plinius festzustellen, darüber hinaus ist aber auch Hofkritik zu erkennen. Gleichzeitig bietet Zsuzsanna ein exemplum für die richtige Art des Sterbens, wie diese in der Erbauungsliteratur dieser Zeit, gerade in den Leichenpredigten, immer wieder dargestellt und gefordert wird; vgl. dazu die Zusammenfassung des „idealtypischen Ablaufs des Sterbens“ bei Werner F. Kümmel: Der sanfte und selige Tod. Verklärung und Wirklichkeit des Sterbens im Spiegel lutherischer Leichenpredigten des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften. Bd. 3, hrsg. von Rudolf Lenz. Marburg/Lahn 1984, S. 199–226, vor allem S. 202. – Zur vorliegenden Oratio vgl. neben Herrmann (wie oben) GW 2.1, S. 48 f. sowie Aurnhammer, S. 261–263, Dreyfürst, S. 43–58, und Heltai, vor allem S. 88 f. Zur Situation Opitzens in Siebenbürgen vgl. neben den Untersuchungen von Maner, Aurnhammer sowie Heltai auch Robert Gragger: Martin Opitz und Siebenbürgen, in: Ungarische Jahrbücher 6 (1926), S. 313–320; Rolf Marmont: Martin Opitz in Weissenburg (1622–1623), in: Neue Literatur 22 (1971), S. 98–105; Horst Fassel: Der Fürstenhof von Weißenburg (Alba Iulia) und seine Bedeutung für Wissenschaft und Kunst in Siebenbürgen zur Zeit Gabriel Bethlens, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. von August Buck u. a., Bd. 3. Hamburg 1981 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 10), S. 637–645. Siehe dazu auch den Kommentar zu Opitzens Hochzeitsgedichten für Michael Bartsch (HO c etiam adversae).

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10–12 Pacis artibus cum quovis magnorum Heroum eras comparandus, dexteritate belli verò summis ante ferendus] Dies gehört zu den Eigenschaften und Tugenden, die für einen guten Herrscher unerläßlich sind; so bereits bei Plinius, Panegyricus auf Trajan 4,5 f.: Enituit aliquis in bello, sed obsolevit in pace … At principi nostro quanta concordia quantusque concentus omnium laudum omnisque gloriae contigit! Auch die Fürstenspiegel betonen die vielfältigen Tugenden, die für einen Princeps optimus nötig sind. Dazu gehören: Iustitia, Prudentia, Providentia, Magnanimitas, Liberalitas, Clementia, Mansuetudo, Continentia, Verecundia, Pudicitia, Affabilitas, Sobrietas, Frugalitas, Fides, Veritas, Fortitudo; vgl. Bruno Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. München 1981, S. 31 f. Die Herrscherqualitäten Bethlens werden bis in die heutige Zeit sehr unterschiedlich beurteilt, vgl. Findeisen (wie oben), S. 103. 14 nocere] Im Druck: necere, auch in GW zu nocere geändert. 16 f. In tanta incolarum laeticia, in tanto exterorum applausu et gratulatione inter mediam spem pacis] Der Friede von Nikolsburg wurde wenige Monate zuvor geschlossen; vgl. oben die Ausführungen zur Vita Bethlens. 18 Illa dimidia animae tuae pars] Vgl. Horaz, Oden 1,3,7 f.: Reddas incolumem precor / Et serves animae dimidium meae. 21–23 In cuius quidem Heroinae incomparabilis funere, quod ego, cui nulla sermonis copia unquam fuit ad dicendum assurexi, unicam fateor, Pietatem, ad excusationem meam afferre possum] Bescheidenheitstopoi gehören zum Grundbestand der Rhetorik; vgl. bei Opitz zum Beispiel den Anfang des 1620 entstandenen Sermo de Passione Domini. 24 efferri] Im Druck: efferre, auch in GW zu efferri korrigiert. 26 fortitudine … et constantiâ] Tapferkeit und Standhaftigkeit als Herrschertugenden; ebenso neostoisches Ideal; siehe auch Aurnhammer, S. 261. 28 annalium] Die Abfassung von annales, also von ‚Jahrbüchern‘, war im antiken Rom eine der beiden von den Historikern praktizierten Möglichkeiten der Geschichtsschreibung; vgl. zum Beispiel die Annales von Tacitus. 33–36 Pannonia … provocat] Locus a patria. Der Topos von der Fruchtbarkeit und dem natürlichen Reichtum Ungarns läßt sich mindestens bis ins Mittelalter zurückverfolgen; vgl. Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Péter Hanák. Essen 1988, S. 43 ff. Nach Aurnhammer, S. 262, entfaltet Opitz das Pannonia-Lob zu einer historischen Landeskunde, indem er den Topos der fertilitas Pannoniae abwandelt: „Die personifizierte Pannonia wird zur fruchtbaren Mutter stilisiert, die ihre natürlichen Schätze ebenso freigiebig hervorbringt wie Helden und Gelehrte.“ Der Topos der Abundantia Daciae gehe auf Münzen zurück, die Kaiser Trajan prägen ließ; vgl. Aurnhammer, S. 262, Anm. 38, und die Ausführungen von Mihály Imre: Der ungarische Türkenkrieg als rhetorisches Thema, in: Kühlmann/Schindling, S. 93–107. Nach Heltai, S. 92, ist aber gerade aus dieser „aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden allgemein bekannten humanistischen Topik der fertilitas Hungariae“ zu folgern, daß Opitz zum Zeitpunkt seiner Ankunft nur oberflächliche Informationen über das Land besaß.

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36 Decios] Decius: Römischer Kaiser 249–251; geboren um 190 in Budalai, einem vicus der pannonischen Colonia Sirmium; vgl. DNP 3, 348 f. 36 f. Aurelianos] Aurelianus: Römischer Kaiser 270–275; geboren 214 in der römischen Provinz Pannonia oder Dacia; vgl. DNP 2, 317–319. 37 Probos] Probus: Römischer Kaiser 276–282; geboren 232 in Sirmium (römische Provinz Pannonia); vgl. DNP 10, 361. 37 Diocletianos] Im Druck: Diocletionos; auch in GW geändert. Diocletianus: Römischer Kaiser 284–305; geboren 241 oder 244 in der Provinz Dalmatia; vgl. DNP 3, 577f. 37 Iovianos] Jovianus: Römischer Kaiser 363/364; geboren 331 in Singidunum (römische Provinz Pannonia); vgl. DNP 5, 1093f. 37 Valentinianos] Valentinianus: Römischer Kaiser 364–375; geboren 321 in Cibalae (römische Provinz Pannonia); vgl. DNP 12, 1083–1085. 37 Valentes] Flavius Valens, oströmischer Kaiser 364–378, jüngerer Bruder von Valentinian; geboren in Cibalae (römische Provinz Pannonia); vgl. DNP 12, 1079f. 37 Gratianos] Gratianus: Weströmischer Kaiser 367–383, wurde 359 in Sirmium (römische Provinz Pannonia) geboren; vgl. DNP 4, 1208–1210. 37 f. ad summam] Im Druck: adsummam 38 Martinos] Der heilige Martin von Braga (Bracara) wurde um 515 in Pannonien geboren und starb 579 in Braga. Als Abt und Bischof missionierte er die Sueben in Galicien und war eine der wichtigsten Gestalten für die Entwicklung des Mönchtums auf der iberischen Halbinsel; vgl. Adriaan Breukelaar: Martin von Braga, in: BKKL 5 (1993), Sp. 915–919. 38 Hieronymos] Der hl. Kirchenlehrer Hieronymus wurde um 347 in Stridon (Kroatien) geboren und starb 419 in Bethlehem; zu seiner Vita vgl. Michael Tilly: Hieronymus, in: BKKL 2 (1990), Sp. 818–821. 38 Duditios] Andreas Dudith wurde 1533 in Ofen geboren, wuchs in Breslau auf und ging zur weiteren Ausbildung nach Italien. 1557 wurde ihm ein Kanonikat in Gran verliehen, danach studierte er in Padua Rechtswissenschaften. 1561 wurde er von Kaiser Ferdinand I. zum Bischof von Knin (Tina, Pina) in Dalmatien ernannt. In selben Jahr hielt er als Abgeordneter und ungarischer Orator auf dem Konzil von Trient fünf Reden zur Unterstützung der Reformforderungen des Kaisers. 1563 wurde er Bischof von Csanád, bald darauf Bischof von Fünfkirchen. 1565 vom Kaiser als Gesandter nach Polen geschickt, heiratete er 1567, trat zum Protestantismus über und wurde daraufhin vom Papst exkommuniziert. Wegen politischer Händel aus Polen vertrieben, starb er 1589 in Breslau. Von seiner vielseitigen Gelehrsamkeit zeugen seine Werke, unter anderem Epistolae medicinales (Frankfurt 1598), Orationes in concilio Tridentino habitae (in einer Sammelausgabe mit weiteren seiner Schriften erschienen Offenbach 1610), Commentariolus de cometarum significatione (Basel 1579) und sein reger Briefwechsel. Nach GW 2.1, S. 50, Anm. 7, war Dudith mit Caspar Cunrad in Breslau bekannt gewesen. – Zu seiner Vita vgl. Pierre Costil: André

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Dudith, humaniste hongrois, 1533–1589. Sa vie, son œuvre et ses manuscrits grecs. Paris 1935. 39 Sambucos] Johannes Sambucus (eigentlich János Zsámboky) wurde 1531 im oberungarischen Tyrnau geboren. Seit 1542 studierte er Philologie in Wien, Leipzig, Wittenberg, Ingolstadt, Straßburg und Paris, erwarb dort den Magistergrad und studierte anschließend in Padua Medizin (1555 Promotion zum Dr. med.). Nach jahrelangen Reisen lebte er ab 1564 in Wien, wo er als Hofhistoriograph, Rat und Hofarzt tätig war, und starb dort 1584. Neben historischen Werken (so zur ungarischen Geschichte) verfaßte er auch Emblemata (Antwerpen 1564), übersetzte und kommentierte römische und griechische Autoren; vgl. DBE 8, S. 508, sowie Zedler, Bd. 33, Sp. 1653 f. – Zur Vita von Sambucus vgl. auch: A. S. Q. Visser: Joannes Sambucus and the Learned Image. The Use of the Emblem in Late-Renaissance Humanism. Leiden/Boston 2005 (= Brill’s studies in intellectual history 128), vor allem S. 1–48. 39 f. Matthias Corvinus] Matthias Corvinus (eigt. Hunyadi) wurde 1443 geboren und starb 1490. 1458 wurde er König von Ungarn, 1469 (Gegen-)König von Böhmen. Er gilt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten Ungarns. Mit dem Ziel einer absoluten Erbmonarchie verschaffte er dem Königtum die Vormacht im Ständestaat und führte ein stehendes Söldnerheer ein. Dank seiner militärischen und diplomatischen Überlegenheit gewann er außer dem böhmischen Königstitel Mähren, Schlesien, Lausitz, Steiermark, Kärnten und Niederösterreich mit Wien. In diesem Kampf um die Vorherrschaft in Ostmitteleuropa war Kaiser Friedrich III. sein erbitterter Gegner. Gleichzeitig förderte Matthias als großzügiger Mäzen die Künste und Wissenschaften und gründete die Bibliotheca Corviniana; vgl. Thomas von Bogyay: Grundzüge der Geschichte Ungarns. 3., überarbeitete und um ein Register vermehrte Auflage. Darmstadt 1977, S. 90–94; Jörg K. Hoensch: Matthias Corvinus. Diplomat, Feldherr und Mäzen. Graz/Wien/Köln 1998. Die Nennung von Matthias Corvinus sozusagen als krönender Schlußpunkt dieser Aufzählung könnte damit zusammenhängen, daß sich Gábor Bethlen bei seinem Versuch, den multikonfessionellen Vielvölkerstaat Siebenbürgen in einen absolustischen Zentralstaat zu verwandeln, ausdrücklich an jenem orientierte; vgl. Aurnhammer, S. 254, und Maner, S. 157. Nach Depner, S. 33, ist ein Brief Bethlens aus den ersten Wochen seiner Regierungszeit erhalten, „der gleichsam als Programm am Anfang seiner Herrschaft steht“. Das Schreiben ist an den siebenbürgischen Gesandten bei der Pforte gerichtet und enthält einen Kriegsplan gegen Kaiser Matthias, wobei Bethlen bereit ist, diesen Krieg zu beginnen, wenn ihm dafür der Schutz des Sultans gewährleistet ist. „Bethlen scheut sich auch nicht, ganz offen das Ziel seiner Eroberungsabsichten zu nennen: es ist nicht weniger als Ungarn, Böhmen, Mähren und Schlesien. Eine geschichtliche Erinnerung wird hier in Bethlen wach; es ist nicht die an Johann Zapolya, den er in diesem Brief nennt; es ist das Lebenswerk Matthias Corvins, des letzten großen ungarischen Königs, der vor über hundertzwanzig Jahren ins Grab gesunken war, das hier in der Idee seine Auferstehung findet.“ 40 fulmen belli] Vgl. Lukrez, De rerum natura 3,1034f.: Scipiadas, belli fulmen, Carthaginis horror, / ossa dedit terrae proinde ac famul infimus esset.

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40 Sarmatas] Wohl Anspielung auf die Auseinandersetzungen und Feldzüge von Matthias Corvinus mit der polnischen Krone. In erster Linie ging es dabei um Besitzansprüche und Gebietssstreitigkeiten im Hinblick auf Böhmen. Die Bezeichnung „Sarmaten“ wurde im Laufe der Zeiten verschieden interpretiert; eine Auffassung der Zeit Opitzens ging dahin, sie seien die Vorfahren der Polen gewesen. Opitz wird sich später im Rahmen einer eigenen Abhandlung, dem Variarum lectionum liber, in quo praecipue Sarmatica (gedruckt 1637), mit den Sarmaten beschäftigen. Vgl. dazu Szyrocki, S. 122, sowie Walter Gose: Dacia Antiqua. Ein verschollenes Hauptwerk von Martin Opitz, in: Südostdeutsches Archiv 2,2 (1959), S. 127–144, hier S. 138, und Mirosław Grudzien: Zum Kontext des „Variarum lectionum liber, in quo praecipue Sarmatica“ von Martin Opitz, in: Skamandros 1989, S. 1–18. 41 Getas] Wohl die Bewohner von Bessarabien und dem Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres. Mit der Frage einer möglichen Identität von Goten und Geten hat sich Opitz in seinen Schriften mehrfach beschäftigt, so im zeitgleich entstandenen Zlatna. Vgl. dazu Karl Kurt Klein: Zur Frage der „Germanissimi Germani“ des Dichters Martin Opitz, in: Saxonica Septemcastrensia. Forschungen, Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Marburg 1971, S. 290–301, hier S. 293, und Gose (wie oben), passim. 41 Austriacos] Matthias Corvinus hatte 1485 Wien eingenommen und dorthin seinen Königssitz verlegt; vgl. Hanák (wie oben, siehe Kommentar zu Zeile 33–36), S. 42, und Hoensch (wie oben, siehe Kommentar zu Zeile 39 f.), vor allem S. 183–198. Damit ließe sich eine Parallele ziehen zu den Auseinandersetzungen Bethlens mit dem Kaiser, vor allem auch in bezug auf den Feldzug Bethlens gegen Wien. 43 f. ne de illustri et splendidissima Caroliorum stirpe verba faciam] Locus a gente, hier bei Opitz in Form einer Praeteritio. Nach Zedler, Bd. 15, Sp. 204, handelt es sich um ein altes Grafengeschlecht in Ungarn mit einem Stammsitz gleichen Namens. Vgl. dazu Angyal (wie oben), S. 19: „L’humble origine de Bethlen avait été le premier argument qu’invoquaient ses ennemis pour le juger indigne du trône.“ Angyal, S. 21, schließt daraus: „Enfin, ses vœux furent comblés par son mariage avec Suzanne Károlyi, descendante d’une famille noble de souche très ancienne“. 45 f. de religione eius in Deum et … pietate] Auch in dieser Hinsicht verkörperte die Verstorbene das geforderte Idealbild. Siehe zudem die Beschreibung im Lebensabriß (fol. C2r): Ingenio autem miti, religioso, et magis devotioni, quàm caducis rerum humanarum curis dedito. Vgl. zum Beispiel auch die Ausführungen von Renate Dürr: Von der Ausbildung zur Bildung. Erziehung zur Ehefrau und Hausmutter in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, hrsg. von Elke Kleinau und Claudia Opitz. Band 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt/New York 1996, S. 189–206. 46 f. si ad acerrimum quo praedita erat ingenium, doctrina saltem accessisset exigua] Im Deutschland des 17. Jahrhunderts war Frauenbildung – gerade auch im Rahmen der Querelle des femmes – ein viel diskutiertes Thema; vgl. Katharina Fietze: Frauenbildung in der Querelle des femmes, in: Kleinau/Opitz (wie oben), S. 237–251, vor allem S. 241 ff. Von Opitz wer-

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den Frauen als Leserinnen und Dichterinnen durchaus akzeptiert; vgl. Jean M. Woods: Opitz and the Women Poets, in: Opitz und seine Welt, S. 569–586. Eine der wenigen adligen Damen, die eine entsprechende Bildung erhielten bzw. sich diese aneigneten, stellt Königin Elisabeth I. von England dar; vgl. Jutta Schwarzkopf: Die weise Herrscherin. Gelehrsamkeit als Legitimation weiblicher Herrschaft am Beispiel Elisabeths I. von England (1558–1603), in: Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Michaela Hohkamp und Gabriele Jancke. Königstein/Taunus 2004, S. 153–177. 52 recenseri] Im Druck: recensenseri 52–57 Est hoc magnorum Principûm … non leve onus, … abditissima quaeque … exponit] Vgl. Plinius, Panegyricus auf Trajan 83,1: Habet hoc primum magna fortuna, quod nihil tectum, nihil occultum esse patitur; principum vero non domus modo sed cubicula ipsa intimosque secessus recludit, omniaque arcana noscenda famae proponit atque explicat. 57 f. Inquisiverint undique, omnes angulos perreptaverint, nihil penes nostram fuit, quod, si proferatur, non gloriae ipsi maximae et honori futurum sit] Vgl. Plinius, Panegyricus auf Trajan 83,1: Sed tibi, Caesar, nihil accomodatius fuerit ad gloriam quam penitus inspici. 59–62 Poterat in hac Mariti … eminentia, … vento quodam Superbiae, … abripi: sed illa nihil sibi, … nisi gaudium vendicavit] Vgl. das Lob der Ehefrau Trajans in Plinius‚ Panegyricus auf Trajan 83,6: Quam illa nihil sibi ex fortuna tua nisi gaudium vindicat! Quam constanter non potentiam tuam, sed ipsum te reveretur! 60 Superbiae] Der Hochmut ist eines der Hauptlaster und gehört zum Beispiel auch zu den Versuchungen, die beim Kampf der Teufel um die Seele des Sterbenden eine Rolle spielen; vgl. Arthur E. Imhof: Ars moriendi. Die Kunst des Sterbens einst und heute. Wien/Köln 1991 (= Kulturstudien 22), S. 36 ff. 66 f. clementiâ … munificentia … venia … humanitate] Tugenden, wie sie gerade einem Herrscher zukommen. 67 f. Nihil illa castius, nihil sobrius, nihil modestius, nihil mansuetius … vidit] Vgl. Plinius’ Lob der Ehefrau Trajans in seinem Panegyricus auf Trajan 83,5 ff.: Tibi uxor in decus et gloriam cedit. Quid enim illa sanctius, quid antiquius? … Eadem quam modica cultu, quam parca comitatu, quam civilis incessu! – Zu den Tugenden, die adlige Frauen zu besitzen hatten, vgl. zum Beispiel: Beatrix Bastl: Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit. Wien/ Köln/Weimar 2000, vor allem S. 524 –561, sowie Dürr (wie oben, siehe Kommentar zu Zeile 45 f.). 68 f. egenos paverit, captivos vestierit, afflictis subvenerit] Bezug zu den im Neuen Testament genannten Werken der Barmherzigkeit, vgl. Mt 25,34 –46: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde und Obdachlose aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen; als siebtes Werk kam später hinzu Tote bestatten. 71 f. Fortitudinem verò illius et constantiam prorsus masculam] Damit werden Zsuzsanna die gleichen Eigenschaften bzw. Tugenden zuerkannt wie zuvor ihrem Gatten; vgl. Aurnhammer, S. 261.

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Kommentar zu S. 260–262

73 actus] Da actus auch den einzelnen Abschnitt eines Theaterstücks bezeichnen kann, liegt hier eine Anspielung auf die zeitgenössische Vorstellung vom menschlichen Leben als Theater vor. 75 f. princeps ad omnes casus excipiendos paratissima] Vgl. die entsprechende Station im „idealtypischen Ablauf des Sterbens“, wie ihn Kümmel (wie oben), S. 202, anhand von Leichenpredigten zusammengefaßt hat: „Verschlechtert sich dennoch der Zustand des Kranken, so fällt es ihm, gleich welchen Alters, nicht schwer, sich auf den Tod vorzubereiten, da er mit ihm schon lange vertraut ist.“ 77 f. medicorum industriam aut contempsit, aut ne contempsisse videretur parcè admisit] Auch dies gehört zum richtigen Sterben; vgl. Kümmel (wie oben), S. 218 ff. 79 prudentissima Heroinarum] Die Klugheit als eine der vier Kardinaltugenden. 80 propius iam propiusque] Im Druck: proprius iam propriusque; auch von GW entsprechend korrigiert. 80–82 Videbat ea omnia … paulò minus, quàm nihil esse] Thematisierung der vanitas. 83 bullae instar] Das homo-bulla-Motiv findet sich etwa bei Janus Gruter: Bibliotheca exulum seu Enchiridion divinae humanaeque prudentiae. Frankfurt 1625, S. 363 (zum Lemma Hominis): Bulla homo est, itemque bulla cuncta sunt mortalium. / Bulla homo est, simulque bullae sunt opes mortalium. Die Seifenblase als Bild der Vergänglichkeit wird auch in der zeitgenössischen bildenden Kunst gerne verwendet, vgl. Henkel/Schöne, Sp. 1315–1317. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist ein Vanitas-Stilleben von Jacob de Gheyn II. von 1603 (New York, Metropolitan Museum of Art). 83 evanescere] Führt das Bild der Seifenblase zu Ende: Sie löst sich ins Nichts auf. 83–89 Mortem … suo vultu et tranquilla mente admittebat. … Sacrorum librorum sententiis consolari se volentibus verba singula praeripuit, et … precum sedulitate vinci, extimuit.] Vgl. Kümmel (wie oben), S. 202: „Die meiste Zeit verbringt er [der Sterbende] mit Beten und Singen, mit geistlicher Lektüre und erbaulichem Gespräch. Alle Schmerzen und Beschwerden, so heftig und störend sie auch sein mögen, erträgt er mit größter Geduld und versichert wiederholt, daß er sich danach sehne, diese Welt zu verlassen und zu seinem Herrn Jesus Christus zu kommen, daß er unerschütterlich an seinem Glauben festhalte und nicht die geringste Furcht vor seinem Tode habe, ja vielmehr sich von Herzen auf ihn freue, weil er durch ihn ins himmlische Leben eingehen werde. Solange er noch dazu imstande ist, betet und singt er mit dem Pfarrer und den … Anwesenden … . Tag und Nacht ist er von Bibelworten, Gebeten und Gesang umgeben, bis er schließlich stirbt, ohne eine Miene zu verziehen oder auch nur einen Finger zu bewegen.“ 93 quae dum vixeras didiceras mori] Vgl. zum Beispiel Cicero, Tusculanae disputationes 1,31,75: nam quid aliud agimus, cum a voluptate, id est a corpore, cum a re familiari, quae est ministra et famula corporis, cum a re publica, cum a negotio omni sevocamus animum, quid, inquam, tum agimus nisi animum ad se ipsum advocamus, secum esse cogimus maximeque a corpore abducimus? secernere autem a corpore animum, nec quicquam aliud, est mori discere. quare hoc commentemur, mihi crede, disiungamusque nos a corporibus, id est consuescamus mori.

Kommentar zu S. 262–266

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94 cuius morte nostra mors fracta ac contrita est] Vgl. zum Beispiel Hebr 2, 9: videmus Iesum propter passionem mortis gloria et honore coronatum / ut gratia Dei pro omnibus gustaret mortem ; Hebr 2,14 f.: ut per mortem destrueret eum qui habebat mortis imperium / id est diabolum / [15] et liberaret eos qui timore mortis per totam vitam obnoxii erant servituti. 94 f. translata nunc eo es, ubi, … mente tamen semper versabaris] Das wahre Vaterland ist der Himmel, vgl. auch Lipsius’ Ausführungen zu diesem Thema im 11. Kapitel des ersten Buches von De Constantia. 95–97 Hoc quod mortale erat … reliqua quibus tanquam catenis vincimur] Vgl. in der antiken Philosophie die Vorstellung vom Körper als Grab der Seele; vgl. zum Beispiel auch Janus Gruter: Bibliotheca exulum seu Enchiridion divinae humanaeque prudentiae. Frankfurt 1625, S. 60 (zum Lemma animae): Carcer animae corpus omne est, et quidem deterrimum. 97 magnae matri] Die Erde als Mutter; vgl. in der nachfolgenden Elegia, V. 42, die Bezeichnung Magna parens. Vgl. auch Gen 3,19: in sudore vultus tui vesceris pane / donec revertaris in terram de qua sumptus es / quia pulvis es et in pulverem reverteris. 106–110 Hic Sol, haec Luna, hic orbis … aut dominium subindè mutant, aut funditûs delentur] Vgl. Lipsius, De Constantia 1,16. Dieses Kapitel behandelt laut Inhaltsangabe: Exempla necessariae mutationis aut mortis in toto Orbe. Caelum et elementa conuerti, aliquando interitura. Idem in opidis spectari, in prouincijs, et regnis. Denique gyrare hic omnia, nec quicquam stabile aut firmum (Lipsius, De Constantia, S. 360). 110 f. Omnis caro est foenum, et omnis gloria eius sicut flos campi] Vgl. Dtjes 40,6: omnis caro faenum est et omnis gloria eius quasi flos agri. 113 f. superba Europae, Asiae, Africae, Americae, nomina] Die vier damals bekannten Erdteile. 115 f. Quidam urbes fundat, quidam evertit] Vgl. Sir 34,28: unus aedificans et unus destruens quid prodest illis nisi labor. 118 f. Dubito certè fleveritne prudentius Heraclitus, an Democritus riserit] Vgl. Seneca, De ira 2,10,5: Heraclitus quotiens prodierat et tantum circa se male uiuentium, immo male pereuntium uiderat, flebat, miserebatur omnium qui sibi laeti felicesque occurrebant, miti animo, sed nimis inbecillo: et ipse inter deplorandos erat. Democritum contra aiunt numquam sine risu in publico fuisse; adeo nihil illi uidebatur serium eorum quae serio gerebantur. Vbi istic irae locus est? aut ridenda omnia aut flenda sunt; ähnlich Seneca, De tranquillitate animi 9,15,2. 126 calculo] sc. ein Nieren- oder Gallenstein; vgl. Augustinus, De catechizandis rudibus 25. 134 Peregit cursum] Vgl. II Tim 4,7: bonum certamen certavi / cursum consummavi / fidem servavi. 135 virtutes] Im Druck: virtutis ; auch in GW korrigiert. 142 f. iis perfunditur gaudiis, quae nec oculus vidit, nec auris audivit] Vgl. I Kor 2, 9: sed sicut scriptum est / quod oculus non vidit nec auris audivit nec in cor hominis ascendit / quae praeparavit Deus his qui diligunt illum. 147 f. intuetur iam de facie ad faciem Patrem, Filium et Spiritum Sanctum] Vgl. I Kor 13,12.

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Kommentar zu S. 266

151 f. Principem optimum ad defensionem Relligionis et Patriae natum] Diese Beschreibung paßt zu dem Bild, das Bethlen von sich selbst hatte: Der tief religiöse Fürst verstand „seine Herrschermacht als göttlichen Auftrag und sich selbst als Werkzeug Gottes, als Beschützer seiner Untertanen und als defensor der Protestanten“ (Márta Fata: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700, hrsg. von Franz Brendle und Anton Schindling. Münster 2000, S. 233). 154 –156 contra relictam Ecclesiam tuam, totus furor inferorum in nostra praesertim Germania exsurgit, ac … nobis insultat] Hinweis auf die gegenwärtige Situation der (calvinistischen) Glaubensbrüder in Deutschland. 157 pro aris et focis] Vgl. Cicero, De natura deorum 3,94: Est enim mihi tecum pro aris et focis certamen. Nach Aurnhammer, S. 263, Anm. 41, stärkt Opitz durch ein Zitat aus der klassischen Literatur den Appellcharakter – ähnlich wie durch das Adagium quae supra nos (dazu siehe unten). Vgl. auch Jean Calvin, Institutio 4,7,24: Salvi igitur quum esse non possint nisi profligato Christo, non aliter laborant in hac causa quam si pro aris ac focis suisque ipsorum capitibus pugnarent. 159 Veni igitur et noli tardare] Vgl. Ps 39 (40),18: ego autem mendicus sum et pauper / Dominus sollicitus est mei / adiutor meus et protector meus tu es / Deus meus ne tardaveris. 159 Redde illis sanam mentem] Vgl. Seneca, Consolatio ad Helviam 10,5: O miserabiles, quorum palatum nisi ad pretiosos cibos non excitatur! Pretiosos autem non eximius sapor aut aliqua faucium dulcedo sed raritas et difficultas parandi facit. Alioqui, si ad sanam illis mentem placeat reuerti, quid opus est tot artibus uentri seruientibus? quid mercaturis? quid uastatione siluarum? quid profundi perscrutatione? Passim iacent alimenta quae rerum natura omnibus locis disposuit; sed haec uelut caeci transeunt et omnes regiones peruagantur, maria traiciunt et, cum famem exiguo possint sedare, magno inritant. 161 pulsis iniquis possessoribus suam cuique Patriam redde] Anspielung auf die (gewaltsame) Rekatholisierung nach der Schlacht am Weißen Berg. Damit einher ging die Vertreibung der Protestanten, vor allem in Böhmen und Mähren; aber auch Schlesien hatte unter Repressalien zu leiden. In Bethlens Lager hatte sich im übrigen bereits in den Sommermonaten des Jahres 1621 alles eingefunden, „was sich irgendwie aus dem allgemeinen Zusammenbruch hatte retten können“, angefangen beim Herzog von Jägerndorf, „und den Adligen aus allen Teilen des habsburgischen Länder, die nicht mehr als das nackte Leben vor der Rache des kaiserlichen Schwertes“ hatten bewahren können, und denen „Bethlen in schöner Freigiebigkeit Güter in Ungarn schenkte“, bis zu den „von den Katholiken vertriebenen protestantischen Predigern, von denen Bethlen allein zweiundvierzig verpflegte“ (Depner, S. 81). In diesem und im folgenden Jahr 1622 stand er auch in Korrespondenz mit Friedrich V. von der Pfalz; vgl. Depner, S. 96. 162 quae supra nos est] Nach Aurnhammer, S. 263, Anm. 41, stärkt Opitz den „Appellcharakter“ (dieses Sinnabschnitts) durch Adagia, wie zum Beispiel Quae supra nos, [nihil ad nos]; dieses Adagium wurde im Streit um irenische Positionen diskutiert. [T.H., V.M.]

Kommentar zu S. 268

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[TV post ampla quidem] Wie die vorangehende Leichenrede, so ist auch diese Elegie anläßlich der Leichenfeierlichkeiten für Zsuzsanna Károlyi im Jahre 1622 entstanden; vgl. Anton Herrmann: Eine lateinische Leichenrede Opitzens, in: Archiv für Litteraturgeschichte 9 (1880), S. 138–143, hier S. 141 f. Möglicherweise hat man den Text zusammen mit anderen Klagegedichten auf die Trauertücher geheftet, mit denen die Chorstühle der Kathedrale zu Weißenburg überzogen waren; vgl. Herrmann, S. 142. Innerhalb des umfangreichen Drucks zu Ehren der verstorbenen Fürstin von Siebenbürgen findet sich das Gedicht nicht im Zusammenhang mit der Oratio Opitzens, sondern in einem Druckteil, in dem die Epicedia versammelt sind. Das Gedicht ist mit leichten Änderungen wiederabgedruckt in: Silvae, S. 30–32 (als erstes Gedicht im – den Elegiae vorbehaltenen – zweiten Buch der Silvae), ferner in: GW 2.1, S. 55 f., und in: Orte und Gedichte, S. 60–62. In letztgenanntem Werk findet sich S. 208 f. eine Übersetzung, anschließend S. 209 ein kurzer Kommentar. Wie Aurnhammer, S. 261, Anm. 32, vermerkt, ist das „Trauergedicht … eine versifizierte Paraphrase des stoischen Fürstenlobs“. Dies wird durch die Gliederung der Elegia deutlich: Die Verse 1–8 wenden sich an den Fürsten, der, anstatt sich am Beifall für seine Leistungen als patriae vindex optime (V. 4) freuen zu können, nun seine Gattin bestatten muß. Die Verse 9 f. beziehen sich zurück auf die Anfangsverse: Der Fürst, der alles Übrige überwunden hat, muß auch diesen Verlust constanti pectore überwinden. Mit V. 11 beginnt die Aufzählung der Trostgründe: Zuerst erfolgt die Gegenüberstellung von der Nichtigkeit des Erdenlebens und der ewigen Freude für die Verstorbene bei Gott. Den Kontrast dazu bildet die Trauer des Gatten, die von der unbelebten und belebten Natur mitgetragen wird und der sich auch der Sprecher anschließt. Nach einem kurzen Gruß an seine neue Heimat (V. 41–44) thematisiert er in den folgenden Versen die Vergänglichkeit alles Irdischen und den Aufstieg der Seele zu Gott. Als letzten Trostgrund betont der Sprecher schließlich, daß die Verstorbene auf Erden (zusammen mit dem Fürsten, wodurch sich der Kreis zum Anfang des Gedichtes schließt) alles erlangt habe und somit ihr Aufstieg zum Himmel die höchste Möglichkeit für den Menschen darstelle. Im Unterschied zur überwiegend von christlichen Inhalten geprägten Leichenrede finden sich in der Elegia mehr Bezüge zur Antike. Der Grundtenor des Gedichtes besteht neben der Klage vor allem im Trost für den trauernden Fürsten. – Versmaß: elegische Distichen. Elegia M. Opitii] Im Druck am linken Rand. In den Silvae lautet die Überschrift: AD PRINCIPEM TRANS -| SILVANIAE . 1 f.] Anspielung auf den Frieden von Nikolsburg; vgl. dazu den Anfang der vorausgehenden Oratio. 5 nullo discrimine rerum] Vgl. Vergil, Aeneis 1,204: per varios casus, per tot discrimina rerum; Aeneis 12,770f.: sed stirpem Teucri nullo discrimine sacrum / sustulerant. 6 Miscentur solitis omnia nostra malis] Vgl. Ovid, Epistulae ex Ponto 1,2,42: solitis nox venit orba malis; Tristia 1,1,40: nubila sunt subitis tempora nostra malis. 10 constanti pectore] Die constantia als eine für den Fürsten wesentliche Tugend, gleichzeitig (neo-)stoisches Ideal.

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Kommentar zu S. 268–270

12 templa serena] Vgl. (auch inhaltlich) Lukrez, De rerum natura 2,7–13: sed nihil dulcius est, bene quam munita tenere / edita doctrina sapientium templa serena, / despicere unde queas alios passimque videre / errare atque viam palantis quaerere vitae, / certare ingenio, contendere nobilitate, / noctes atque dies niti praestante labore / ad summas emergere opes rerumque potiri. 20 pacis] Der Friede von Nikolsburg (wie oben). 21 PRINCEPS auguste] Vielleicht Anspielung auf den römischen Kaiser Augustus, der für das römische Volk eine Friedenszeit herbeiführte. 24 et joca laeta] Silvae: laetaque cuncta. Die spätere Änderung wohl, um den erhabenen Tonfall beizubehalten, der durch ioca vielleicht gestört worden wäre. 24 Qua cytharae … vigent] Wohl in bezug auf entsprechende Passagen in der Offenbarung, die die ewige Freude der Seligen beschreiben, zum Beispiel Apk 14,2 f.: et audivi vocem de caelo tamquam vocem aquarum multarum et tamquam vocem tonitrui magni / et vocem quam audivi sicut citharoedorum citharizantium in citharis suis / [3] et cantabant quasi canticum novum ante sedem et ante quattuor animalia et seniores / et nemo poterat discere canticum nisi illa centum quadraginta quattuor milia qui empti sunt de terra. 26 Vitaeque ipsius … fonte] Das Bild von Gott bzw. Christus als der Quelle des Lebens findet sich mehrfach im Alten und Neuen Testament, hier ist wohl vor allem an Stellen aus der Offenbarung zu denken, die sich auf die ewige Freude für die Seligen beziehen, zum Beispiel Apk 7,17: quoniam agnus qui in medio throni est reget illos / et deducet eos ad vitae fontes aquarum und Apk 21,6: ego sitienti dabo de fonte aquae vitae gratis. 28 geris.] Im Erstdruck: geris 29 ripa binominis Istri] Vgl. Ovid, Epistulae ex Ponto 1,8,11: stat vetus urbs, ripae vicina binominis Histri. Die Donau führt in ihrem Unterlauf den Namen Ister/Hister, im Oberlauf wird sie hingegen Danubius genannt. 29–36] Der Topos, daß auch die Natur und die ländliche Bevölkerung mittrauern, findet sich in der Bukolik; vgl. Vergil, Ekloge 10,13–15: illum etiam lauri, etiam flevere myricae, / pinifer illum etiam sola sub rupe iacentem / Maenalus et gelidi fleverunt saxa Lycaei. 32 Zephyris] Der Westwind Zephyrus steht in der Dichtung auch zur Bezeichnung des Frühlingsanfangs, vgl. Vergil, Georgica 1,43 f.: Vere novo gelidus canis cum montibus umor / liquitur et zephyro putris se glaeba resolvit. 32 humus,] Entsprechend Silvae, statt humus. im Erstdruck. 37–40] Opitz war erst seit kurzem am Akademischen Gymnasium in Weißenburg tätig, vgl. die Ausführungen oben. 41 f.] Vgl. Vergil, Georgica 2,173: salve, magna parens frugum, Saturnia tellus. Zur Textgestaltung bemerkt Herrmann, wie oben, S. 142: „Salve at (salveat ist Druckfehler) war metrisch nicht untadelhaft, Vers 43 ziemlich hart; die zweite Fassung ist jedesfalls weniger trivial.“ 41 Salve at cum lachrymis,] Silvae: Salve foeta parens

Kommentar zu S. 270

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42 f.] Fehlt in Silvae. 43 Dives opum variarum] Vergil, Georgica 2,468. 44 Fortibus,] Silvae: Foeta quidem, 45 hic rerum stat terminus] Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 94,13: sapientia rerum terminos novit 46 Tardius aut citius mors] Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 70,5: Nihil existimat [sapiens] sua referre, faciat finem an accipiat, tardius fiat an citius. 51–54] Bezug zu neuplatonischen Vorstellungen, wie sie zum Beispiel Plotin vertreten hat oder Marsilio Ficino in De amore bzw. in seiner Theologia Platonica de immortalitate animorum. 54 agnati … poli] Eine auch später von Opitz gerne verwendete Junktur, vgl. zum Beispiel den Anfangsvers des Epicediums auf Prinzessin Loysa Amoena von Anhalt: VI dit ab agnati tibi, qui videt omnia, caeli. 55 Pater Patriae] Ehrentitel im antiken Rom, zuerst vom römischen Senat 63 v. Chr. an Cicero verliehen, als dieser die Catilinarische Verschwörung aufdeckte. 61 faustissime] fautissime im Erstdruck ist wohl ein Druckfehler; in den Silvae steht faustissime; GW: fautissime. 63 f.] Fehlt in Silvae. 64 Plus ultra] Vielleicht Anspielung auf den Wahlspruch Kaiser Karls V. [T.H., V.M.]

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Kommentar zu S. 268–270

Walter de Gruyter Berlin · New York Ausgaben Deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts Herausgegeben von Hans-Gert Roloff

A D L

Alle Bände sind in Leinen gebunden 158 Philipp von Zesen, Sämtliche Werke · Band 16: Beschreibung der Stadt Amsterdam. Hrsg. u. bearb. v. Ferdinand van Ingen. IV, 629 S. 2000. 159 Christian Weise, Sämtliche Werke · Band 16: Schauspiele III. Hrsg. v. Hans-Gert Roloff. Bearb. v. Hans-Gert Roloff und Susanne Kura. IV, 379 S. 2002. 160 Philipp von Zesen, Sämtliche Werke · Band 3, Zweiter Teil: Weltliche Lyrik: Cats-Übersetzungen. Hrsg. v. Ferdinand van Ingen. IV, 429 S. 2003. 161 Georg Wickram, Sämtliche Werke · Band 9: Losbuch. Hrsg. v. Hans-Gert Roloff. IV, 263 S. 2003. 162 Christian Weise, Sämtliche Werke · Band 19: Romane III. Hrsg. v. HansGert Roloff. Bearb. v. Hans-Gert Roloff und Gerd-Hermann Susen. IV, 382 S. 2004. 163 Christian Weise, Sämtliche Werke · Band 18: Romane II. Hrsg. v. HansGert Roloff. Bearb. v. Hans-Gert Roloff und Gerd-Hermann Susen. IV, 229 S. 2005. 164 Christian Weise, Sämtliche Werke · Band 17: Romane I. Hrsg. v. HansGert Roloff. Bearb. v. Hans-Gert Roloff und Gerd-Hermann Susen. IV, 319 S. 2006. 165 Spieltexte der Wanderbühne · Band 6. Kommentar. Hrsg. v. Alfred Noe. XC, 296 S. 2007. 166 Bartholomäus Ringwaldt, Ausgewählte Werke · Band 1 und 2. Hrsg. v. Federica Masiero. XII, 909 S. 2007. 167 Martin Opitz, Lateinische Werke · Band 1. Hrsg. v. Veronika Marschall und Robert Seidel. XXXVIII, 477 S. 2009.