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German Pages 244 [248] Year 2003
Benjamin Schwenn Lateinamerika und der Begriff der politischen Kultur Ein Beitrag zur Dezentrierung der Demokratietheorie
Schriftenreihe des Instituts für Iberoamerika-Kunde • Hamburg Band 58
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät III der HumboldtUniversität Berlin unter dem Titel „Inklusion und Differenz. .Politische Kultur" als Kategorie der normativen Demokratietheorie: Lehren aus Lateinamerika" im Jahre 2003 zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr. phil. angenommen.
Benjamin Schwenn
Lateinamerika und der Begriff der politischen Kultur Ein Beitrag zur Dezentrierung der Demokratietheorie
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 2003
Institut für Iberoamerika-Kunde - Hamburg
IIK Verbund Stiftung Deutsches Übersee-Institut
Das Institut für Iberoamerika-Kunde bildet zusammen mit dem Institut für Allgemeine Überseeforschung, dem Institut für Asienkunde, dem Institut für Afrika-Kunde und dem Deutschen Orient-Institut den Verbund der Stiftung Deutsches Übersee-Institut in Hamburg. Aufgabe des Instituts für Iberoamerika-Kunde ist die gegenwartsbezogene Beobachtung und wissenschaftliche Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Lateinamerika. Das Institut für Iberoamerika-Kunde ist bemüht, in seinen Publikationen verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die jedoch grundsätzlich die Auffassung des jeweiligen Autors und nicht unbedingt die des Instituts darstellen. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 3-89354-609-X © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2003 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Konstantin Buchholz gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigen Papier Printed in Spain Depósito legal: SE-2796-2003 Impresión: Publicaciones Digitales, S. A. www.publidisa.com - (+34) 95.458.34.25. Sevilla.
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung
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Die Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur 2.1 Zur Dialektik von Gleichheit und Differenz 2.2 „Kultur" und „politische Kultur" Anmerkungen zu zwei schwierigen Begriffen 2.2.1 Die grundlegenden Veränderungen im Begriff der Kultur: der Cultural Turn 2.2.2 Zur Relevanz eines Begriffes von politischer Kultur 2.3 Die Politische-Kultur-Forschung 2.4 „Politische Kultur" und normative Demokratietheorie bestehende Begrenzungen 2.5 Anerkennungskämpfe und kreatives Handeln: Das Politische des Kulturellen in der Demokratie
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Selbstbewusste Aporien: Prekäre Demokratien in Lateinamerika 3.1 Zum kulturellen Selbstverständnis Lateinamerikas 3.2 Die Veränderung des lateinamerikanischen Denkens über Lateinamerika
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Der Metadiskurs im Hintergrund: Moderne und Postmoderne in Lateinamerika 4.1 Der Kontext: Pluralität und Postmoderne 4.1.1 Weltgeschichte und Pluralität 4.1.2 Exkurs zum Begriff der Postmoderne 4.2 Modernisierung und instrumenteile Vernunft: Die Konsequenzen der Moderne in Lateinamerika 4.3 Postmodeme in der lateinamerikanischen Rezeption 4.4 Postmodeme und Demokratie
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Von der Diktatur zur Demokratie: Die „Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst" 5.1 Demokratische Transition und intellektuelle Selbstkritik 5.2 Zivilgesellschaft und Staat im „postideologischen Zeitalter".... 5.3 Zur Transformation von Politik und politischem Denken
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Zur kulturellen Logik kollektiven Handelns in Lateinamerika 6.1 Kulturwissenschaftliche Wende und intellektuelle Selbstkritik. 6.2 Kollektive Identitäten und kollektives Handeln 6.2.1 Erster Exkurs: Medien und Mediennutzung 6.2.2 Zweiter Exkurs: Dekonstruktion und politische Kultur....
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6.3
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Die (begrenzte) Wirkmächtigkeit der Artikulationen politischer Kultur 6.3.1 Öffentlichkeit. Der prekäre Raum des Politischen 6.3.2 Fragmentierte Gesellschaft? Zivilgesellschaft als Archipel
Dialektik der Marginalisierung. (Kulturelle) Differenz und (soziale) Ungleichheit
Literaturverzeichnis
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1 Einleitung Über viele Jahre hinweg wäre einem durchschnittlich informierten Bewohner der westlichen Industriestaaten im Zusammenhang mit Lateinamerika der Begriff der Demokratie wohl kaum eingefallen. Spätestens nach dem Putsch des Generals Augusto Pinochet Ugarte am 11. September 1973 in Chile, der die demokratisch gewählte Minderheitsregierung des Sozialisten Salvador Allende Gossens stürzte, wurde die Vorstellung der Weltöffentlichkeit von Lateinamerika vor allem durch Bilder von hochdekorierten Militärs, mit regungslosen Gesichtern hinter verspiegelten Sonnenbrillen geprägt. Ob sie nun innerhalb der Koordinaten des Kalten Krieges eher als die etwas groben Verteidiger der Vorposten der westlichen Welt gegen den Kommunismus oder aber als die skrupellosen Büttel des Yankee-Imperialismus betrachtet wurden - dass ihre Regime etwas mit Demokratie zu tun gehabt hätten, wäre auch ihren Befürwortern kaum eingefallen (sieht man einmal davon ab, dass sie nach ersterer Lesart eben durch ihr undemokratisches Gebaren die Demokratien in den Industriestaaten schützten). Gerade das Chile unter Pinochet wurde praktisch zum Synonym für Militärdiktatur und damit des Gegenteils von Demokratie. Zwar lässt sich schwerlich behaupten, irgendein Land Lateinamerikas oder auch der Subkontinent als Ganzer sei in den Jahren seither zum Synonym für Demokratie avanciert - aber zusammen mit Osteuropa kann Lateinamerika doch als Beispiel für die langsame, schwierige, aber insgesamt verhalten optimistisch stimmende Möglichkeit demokratischer Transition und Konsolidierung gelten. Allerdings sind die bescheidenen und immer wieder von Rückfällen begleiteten Demokratisierungsprozesse nicht so prägend für das Bild der Weltöffentlichkeit wie spektakuläre Staatsstreiche, Revolutionen, Guerillakämpfe, Drogengeschäfte und dergleichen mehr, und so steht zu vermuten, dass dieses Bild heute in der Hauptsache von Ereignissen geprägt ist wie dem Aufstand in Chiapas seit 1994 und der Botschaftsbesetzung in Lima 1996, von der Tequila-Krise in Mexiko 1994 und der Staats- und Regierungskrise in Argentinien 2001, von den Drogenkartellen in Kolumbien und den Landbesetzungen in Brasilien - ganz allgemein also von krassen sozialen Gegensätzen und daraus resultierenden, teilweise bewaffneten Konflikten, unlösbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten und schwachen bzw. korrupten Regierungen und populistischen Oppositionen. Dabei ist die Tatsache, dass inzwischen in beinahe allen lateinamerikanischen Staaten formal demokratische Regime mit Mehrparteiensystemen herrschen, reguläre Wahlen abgehalten werden und friedliche Regierungswechsel stattfinden, bei Lichte betrachtet sehr viel spektakulärer als die bereits aufgezählten Beispiele beunruhigender und erschreckender Ereignisse. Tatsächlich haben über einen gewissen Zeitraum hinweg die Transitionsprozesse in Lateinamerika eine recht große Resonanz gefunden - wenn auch nicht 7
so stark in der Weltöffentlichkeit, so doch in den (politik-Wissenschaftlichen Öffentlichkeiten. Zwar standen diese Prozesse zumindest seit den späten 1980er Jahren ein wenig im Schatten der Umwälzungen in Osteuropa, dennoch ist auch Lateinamerika ein wichtiges Forschungsgebiet für Transitions- bzw. Transformationsforscher in Europa und den USA gewesen. 1 Nachdem allerdings die meisten Demokratien in Lateinamerika mittlerweile die heikelsten Phasen demokratischer Konsolidierung hinter sich haben, also zumindest die unmittelbare Gefahr eines erneuten Rückfalls in offen autoritäre Regime beispielsweise durch Staatsstreiche recht gering ist (vgl. z.B. Nolte 1999: 12-15), lässt auch die Aufmerksamkeit vieler Wissenschaftler nach, die sich vorher aus demokratietheoretischer Sicht mit der Region beschäftigt hatten. Die demokratietheoretische Diskussion in Europa findet ja auch (nicht zuletzt mit den Integrationsprozessen der Europäischen Union) vor der eigenen Haustür genügend anregendes Material. In Lateinamerika selbst wird die Debatte über die Möglichkeiten und Probleme der Demokratie in der Region unvermindert weiter geführt - und, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lohnt durchaus auch der sozialwissenschaftliche Blick aus den Ländern des Zentrums auf Lateinamerika. Die anhaltende Spannung zwischen formal demokratischer Konsolidierung, schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen, sich verschärfenden sozialen Gegensätzen und starker kultureller Heterogenität bedeutet nach wie vor eine große Herausforderung für die lateinamerikanischen Demokratien wie auch für deren sozial- und politikwissenschaftliche Analyse. 2 Vor dem Hintergrund der Erfahrungen vieler lateinamerikanischer Sozialwissenschaftler mit den Diktaturen ist allerdings ihre anhaltende, wenn auch kritische Wertschätzung der Demokratie verständlich. Die Rolle von vielen Sozialwissenschaftlern als kritische Intellektuelle hatte sie autoritären Machthabern ebenso verdächtig gemacht wie Gewerkschaftler, Mit-
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Für die Kennzeichnung der Prozesse des Übergangs von autoritären zu demokratischen Gesellschaften wird in der Literatur sowohl die Bezeichnung „Transition" als auch „Transformation" verwendet. Der Unterscheidung von Reinhart Kößler folgend, wird in Bezug auf Lateinamerika im Folgenden von „Transition" gesprochen: Während Transition einen Regimewechsel im Sinne eines politisch-institutionellen Übergangs ohne grundlegende Veränderung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen bezeichnet, beinhaltet Transformation einen tiefer gehenden gesellschaftlichen Wandel. Kößler nennt als Beispiele für Transformationen die Staaten des ehemaligen Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und Südafrika, während er die lateinamerikanischen Demokratisierungsprozesse als Transitionen bezeichnet (Kößler 1997: 38-39). Davon unbeschadet bleibt die Tatsache, dass sich in der Regel mit Transitionsprozessen auch die Hoffnung auf Transformation verbindet. Wie im Folgenden deutlich werden wird, soll auch gar nicht ausgeschlossen werden, dass die demokratischen Transitionen in Lateinamerika längerfristig auch zu gesellschaftlichen Transformationen fuhren können; derzeit hielte ich es aber im Sinne der Kößler'sehen Unterscheidung für unangebracht, von demokratischer Transformation zu sprechen. Vgl. zum demokratietheoretischen Denken in Lateinamerika insgesamt die systematische und historische Studie von Martin Lauga (Lauga 1999).
glieder linker Parteien oder Angehörige subkultureller Gruppen, und sie waren deshalb auch ähnlichen Repressionen ausgesetzt. Die Überwindung der offen autoritären Regime bedeutete deshalb nicht zuletzt die Erfahrung einer substanziellen Verbesserung von Lebensqualität. Unmittelbar verständlich ist es darum, dass die meisten unter ihnen ein explizit normativ geprägtes Verständnis von Demokratie haben, und zwar in doppelter Hinsicht: erstens in Bezug auf die Entstehung von formal demokratischen Strukturen und zweitens in Bezug auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten innerhalb solcher Strukturen. Demokratie erscheint in der ersten Perspektive nicht als Ergebnis unausweichlicher Entwicklungen oder gar als Gottesgeschenk, sondern wird als das Ergebnis schwerer gesellschaftlicher und politischer Kämpfe begriffen: als Errungenschaft. Die Überwindung bürokratisch-autoritärer Regime bedeutete in der zweiten Perspektive auch die Etablierung institutioneller Garantien der bürgerlichen Freiheitsrechte und der Schaffung von Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbsteinwirkung. Demokratische Transition beinhaltet beides: Die Überwindung offen autoritärer und die Schaffung demokratischer Strukturen - diese Verbindung ist ja weder logisch noch kausal zwingend. Wichtig ist, dass die demokratische Transition als Werk gesehen wird, als Handlungsprodukt von Personen, Organisationen, Parteien, sozialen und kulturellen Bewegungen. Ebenso wichtig ist, dass die Überwindung autoritärer Regime nicht automatisch mit dem Sieg der Demokratie einhergeht: Das Erringen formal demokratischer institutioneller Strukturen ist zwar die Conditio sine qua non für die Errichtung einer demokratischen Gesellschaft, aber eben nicht gleichbedeutend mit ihr. So konzentriert sich das sozialwissenschaftliche Denken in der Folge der Transition auf die nicht-formalen Bedingungen von Demokratie, auf die Möglichkeiten und Begrenzungen gesellschaftlicher Selbsteinwirkung (die „Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst" [Piscitelli 1988: 80]).3 Dabei spielen wiederum die unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure die zentrale Rolle - und zwar nicht nur (und nicht einmal in der Hauptsache) institutionelle Akteure, sondern gerade auch zivilgesellschaftliche bzw. bürgerschaftliche Akteure. Auch viele Sozialwissenschaftler sehen sich in diesem Zusammenhang in der doppelten Rolle als Wissenschaftler, welche die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft analytisch beleuchten und als kritische Intellektuelle, die gerade durch ihre Kritik die Demokratie zu stärken suchen. Wichtiger aber ist die Frage, wie sich unter den Bedingungen starker politischer, kultureller und sozioökonomischer Heterogenität und schwacher (staatlicher und nichtstaatlicher) Institutionalisierung eine Gesellschaft demokratisieren kann und dies verweist nicht zuletzt auch auf die Frage, wie sich demokratische bürgerschaftliche Partizipation überhaupt herausbilden kann, wenn in weiten Teilen der Bevölkerung weder die materiellen noch die immateriellen Voraussetzungen
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Alle Übersetzungen spanischer und portugiesischer Zitate sind vom Verfasser. Englische Zitate sind nicht übersetzt worden.
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(Einkommen, Zeit, Bildung, Information etc.) für eine solche politische Teilhabe gegeben sind. In den akademischen Diskursen der westlichen Industriestaaten differenziert sich das normative Denken über Demokratie immer weiter aus. Dieses Denken ist zwar von seiner Anlage und seinem Anspruch her universalistisch ausgerichtet; tatsächlich aber ist der empirische Bezugspunkt die Entwicklung der Demokratien in den westlichen Industriestaaten. Vor diesem Hintergrund werden zwar komplexe Überlegungen zu den Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbsteinwirkung unter den Bedingungen hoher Komplexität und weit gehender Differenzierung angestellt, es geraten aber die Ermöglichungsbedingungen von Demokratie in den Ländern der Peripherie ein wenig aus dem Blickfeld.4 Nun ist es aus methodischen Gründen nahe liegend, dass die Fragen nach diesen Ermöglichungsbedingungen - obwohl prinzipiell unter denselben normativen Grundannahmen gestellt - im Hinblick auf die spezifischen politischen, sozioökonomischen, kulturellen und historischen Kontexte der Länder der Peripherie präzisiert werden müssen. Das bedeutet keinesfalls, dass die (demokratie-theoretischen Erkenntnisse der Sozialwissenschaften der Länder des Zentrums ohne Wert für die Sozialwissenschaften der Peripherie (und das heißt im Zusammenhang dieser Untersuchung: Lateinamerika) wären. Ganz im Gegenteil bilden diese Erkenntnisse in weiten Teilen auch für Lateinamerika den theoretischen und konzeptionellen Hintergrund, vor dem die Analyse der eigenen Gesellschaften erfolgt. Nur darf diese Einsicht nicht den Blick darauf verstellen, dass sowohl jede demokratische Praxis wie auch das jeweilige Denken darüber historisch bedingt ist - und dies macht die Einführung simplifizierender Ceteris-paribus-Klauseln problematisch.
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Die Verwendung der Begriffe „Zentrum" und „Peripherie" erscheint mir aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens haben sich diese Begriffe durch den dekonstruktivistischen Diskurs von ihren Ursprüngen in der Dependenztheorie so weit gelöst, dass sie heute zumindest genauso auf kulturelle Phänomene wie auf sozioökonomische Strukturen bezogen werden (vgl. auch Kapitel 6.2.2 dieser Arbeit). Viele der aktuellen lateinamerikanischen Autoren, die sich längst von der Dependenztheorie gelöst haben, benutzen den Begriff „Peripherie" zur Beschreibung der Realität ihrer Länder (so z.B. José Joaquín Brunner, Norbert Lechner, Jesús Martín-Barbero, Néstor García Canclini, Enrique Dussel: vgl. Herlinghaus/Walter 1994). Zweitens verweisen diese dependenztheoretischen Wurzeln auf die unterschiedlichen Ebenen der Herausbildung von Zentren und Peripherien: Internationale Machtverteilungen und Herrschaftsverhältnisse können damit ebenso beschrieben werden wie innergesellschaftliche Formen kultureller Hegemonie. Diese innergesellschaftlichen Marginalisierungstendenzen werden im Rahmen dieser Untersuchung noch ausführlich behandelt. Die Verwendung dieser Begriffe im Kontext dieser Arbeit hat nichts mit den deterministischen Thesen der orthodoxen Dependenztheorie zu tun (wie sie beispielsweise der Brasilianer Theotonio Dos Santos vertrat [Dos Santos 1972]), knüpft aber in einem sehr weiten Sinn an die Kritik der liberalen Modernisierungstheorien an, wie sie in den 1970er Jahren u.a. von dem Soziologen und Politiker Fernando Henrique Cardoso (brasilianischer Staatspräsident zwischen 1995 und 2002) vertreten wurde (Cardoso 1974, Cardoso/Faletto 1976) (zur Dependenztheorie und ihrer Kritik vgl. Boeckh [1985], Menzel [1991]).
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Umgekehrt gilt das Entsprechende: Die spezifischen Einsichten lateinamerikanischer Sozialwissenschaftler im Hinblick auf die vielschichtigen und komplizierten Bemühungen um Festigung und Ausgestaltung formal demokratischer Regime in Lateinamerika können durchaus einen produktiven Beitrag für die demokratietheoretische Diskussion in den Ländern des Zentrums leisten, auch wenn sie selbstverständlich nicht einfach übertragbar sind; die folgende Untersuchung der sozialwissenschaftlichen Diskurse in Bezug auf die Demokratie in Lateinamerika wird eben dies zeigen. Wichtig ist dabei nicht nur, dass die normativen Grundannahmen weit gehend dieselben sind (auch wenn sie teilweise in Lateinamerika noch etwas selbstverständlicher vorausgesetzt werden als das hier zu Lande der Fall ist); einige Plausibilität gewinnt die Behauptung möglicher Bereicherung der hiesigen demokratietheoretischen Diskurse (zumindest in heuristischer Hinsicht), wenn die Länder der Peripherie unter der Perspektive betrachtet werden, dass viele gesellschaftliche Spannungen, die grundsätzlich auch in den Ländern des Zentrums anzutreffen sind, dort wie unter einem Vergrößerungsglas betrachtet werden können. Das betrifft - um nur zwei Beispiele zu nennen - die Spannung von kapitalistischer Wirtschaftsweise und Demokratie, welche sich an der politischen Bedeutung der sozioökonomischen Exklusion von Teilen der Bevölkerung zeigt, 5 ebenso wie die Gleichzeitigkeit gesellschaftlich-kultureller „Ungleichzeitigkeiten" im Hinblick auf die Rationalisierung von Lebenswelten. 6 Erst auf dieser Folie wird sowohl die Relevanz als auch die doppelte Ausrichtung dieser Untersuchung verständlich: Zum einen geht es darum, einen genauen Blick auf die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften zu werfen, und zwar unter der Fragestellung, warum dort bereits seit geraumer Zeit eine starke Einbeziehung kultureller Aspekte in die sozialwissenschaftliche Analyse erfolgt, vor allem hinsichtlich demokratietheoretischer Überlegungen. Zum anderen geht es darum, mit diesem genauen Blick auf die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften einen Beitrag zur Explikation und Systematisierung eines Begriffes von politischer Kultur zu leisten. Ohne Ersteres ist Letzteres zumindest nicht in dieser Form möglich: Die Spezifität der lateinamerikanischen Erfahrungen bewirkt dort eine Öffnung der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis für kulturelle Fragestellungen, die sowohl aus ihrem Kontext heraus begriffen werden müssen, als auch in ihren Erkenntnissen über diesen Kontext hinausweisen und an theoretische (Meta-)Diskurse anschließbar sind. In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Arbeit als Beitrag zu einem „dezentrierten" demokratietheoreti-
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„Lateinamerika und die Karibik haben die weltweit größten Unterschiede in der Einkommensverteilung. Ein Viertel des Nationaleinkommens entfallt auf 5% der Bevölkerung, und auf die obersten 10% entfallen 40%. Solche Verhältnisse sind nur noch in einigen afrikanischen Ländern zu finden, deren Pro-Kopf-Einkommen die Hälfte des Niveaus in Lateinamerika beträgt" (IDB 1998: 11). Der Begriff der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" wird später noch zu problematisieren sein (vgl. Kapitel 3.1).
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sehen Diskurs, also zu einer Überwindung impliziter eurozentrischer Hintergrundannahmen bei der Theoriebildung. Die Untersuchung erfolgt dabei unter der Perspektive eines wichtigen Problembereiches innerhalb der Demokratietheorie: der Spannung zwischen Inklusion und Differenz. Damit ist die dialektische Spannung gemeint, die dadurch entsteht, dass der demokratische Anspruch umfassender Inklusion auf grundlegende soziale, kulturelle und politische Differenzen trifft. Im konkreten Miteinander von Menschen in komplexen Gesellschaften ist das Besondere in Gestalt von solchen Differenzen, die mit Anerkennungsansprüchen einhergehen, nicht bruchlos oder automatisch im Allgemeinen in Gestalt der rechtlich-politischen Gleichheit aller Staatsbürger aufgehoben. Gleichzeitig ist aber genau diese abstrakte Form von Gleichheit die Ermöglichungsbedingung für eine zwar konflikthafte, aber nicht-gewaltsame Koexistenz von konkreten Differenzen. In diesem Sinne verweisen Gleichheit und Unterschiedlichkeit aufeinander - und zwar sowohl im Sinne gegenseitiger Ermöglichung wie auch im Sinne struktureller Spannung. Diese Spannung ist auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu beobachten und zu diskutieren. In einem sehr grundlegenden, moralphilosophischen Sinn geht es um das Verhältnis von Universalismus und Partikularität. Der damit unmittelbar verknüpfte Diskurs über die Menschenrechte findet auf politischer Ebene seinen vergleichsweise direkten positivistischen Niederschlag in den demokratischen Verfassungen. Der damit in der demokratischen Verfassung enthaltene spannungsreiche Anspruch auf möglichst weit gehende Inklusion bei gleichzeitiger Anerkennung der Differenzen überträgt sich notwendigerweise auch auf die „darunter" liegenden Ebenen der staatlichen Institutionen und der politischen Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften. Er findet sich auf der Ebene der zivilgesellschaftlichen bzw. bürgerschaftlichen Assoziationen mit ihren jeweils politischen, sozialen oder kulturellen Ausprägungen. Und er durchzieht die mehr oder weniger bewusst ablaufenden Selbstverständigungsprozesse, die sowohl personale Identitäten wie auch Welt- und Selbstsichten von Individuen als Mitglieder von Kollektiven unterschiedlicher Größe und Dichte prägen. Angesichts der Konflikte, die im Zusammenhang mit Minderheiten und Problemgruppen kultureller, sozialer oder politischer Art auch in den westlichen Industriestaaten auftreten, stellt sich die Spannung von demokratischen Inklusionsansprüchen und auf Differenz gegründeten Anerkennungsansprüchen ganz offensichtlich nicht bloß als ein theoretisches Problem. Umso mehr muss dies der Fall sein, wenn sich Gesellschaften wie in Lateinamerika sowohl mit einem hohen Grad an kultureller und sozialer Heterogenität als auch geringer staatlicher Problemlösungskapazität unter anderem aufgrund eines geringen Institutionalisierungsgrades konfrontiert sehen. Es ist einleuchtend, dass das Denken über Demokratie unter solchen Bedingungen andere Wege gehen oder zumindest andere Schwerpunkte setzen muss, als unter den Bedingungen der immer noch halbwegs wohlfahrtsstaatlich unterfiitterten Demokratien Westeuropas - auch 12
wenn die grundlegende Fragestellung wie auch die normativen Grundannahmen durchaus dieselben sind. In Bezug auf die Spannung von Inklusion und Differenz bedeutet das beispielsweise: Wenn soziale Ungleichheit und/oder kulturelle Nichtanerkennung auch politische Beteiligungschancen konterkarieren, ist offenbar der Inklusionsanspruch der Demokratie in relevantem Maße uneingelöst. Diese Problematik ist somit in Lateinamerika sowohl in Bezug auf die politische Praxis als auch auf das sozialwissenschaftliche Denken über Demokratie ganz offensichtlich keine abstrakte, und sie ist nicht auf Lateinamerika beschränkt. Von daher ist die Perspektive von Inklusion und Differenz auch durchaus keine eurozentrische wissenschaftliche Schablone, die über eine ihr möglicherweise inkompatible Realität gelegt wird, sondern verweist im Gegenteil auf ein grundlegendes (demokratie-theoretisches Problem, das sich gerade in Lateinamerika unmittelbar aus den Problemen der gesellschaftlichen Praxis ergibt. Blickt man nun aus dieser Perspektive auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs in Lateinamerika, ergeben sich interessante Einsichten, die sowohl von ihrem Kontext unabtrennbar sind als auch über ihn hinausweisen. Kontextgebundenheit wie Verallgemeinerbarkeit erschließen sich allerdings erst bei genauerer Analyse: Die spezifische gesellschaftliche, politische und kulturelle Situation Lateinamerikas, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der historischen Besonderheiten des Subkontinents, haben seit Ende der 1970er Jahre in relevanten Teilen der dortigen Sozialwissenschaften auch zu einer Veränderung in der Sichtweise auf die gesellschaftlichen Realitäten gefuhrt. 7 Drei Aspekte erscheinen mir dabei im Kontext dieser Arbeit besonders relevant: (1) Postmoderne und Kritik des Eurozentrismus Die spezifische Sichtweise auf die eigene Wirklichkeit ist stark von einer Spannung zwischen postmodernen und/oder kulturrelativistischen Einflüssen auf der einen Seite und der universalistischen Grundierung des Menschenrechts- und Demokratieverständnisses auf der anderen Seite geprägt worden. Die eine Seite verweist auf die Erfahrungen beispielsweise mit der Implementierung eurozentrischer Entwicklungspolitiken, welche die spezifischen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontexte weit gehend ignoriert haben und nicht nur nicht zu einer dauerhaften Entwicklung, sondern im Gegenteil zur Verfestigung der peripheren Stellung im Weltmarkt (nach außen) und der sozialen Ungleichheit
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Selbstverständlich lässt sich nicht in adäquater Weise von den lateinamerikanischen Sozial- oder Geisteswissenschaften sprechen, so wenig wie dies in Bezug auf andere Länder oder Gegenden möglich ist. Es ist aber durchaus nicht vermessen, von einer Debatte zu sprechen, in der die im Folgenden umrissenen Aspekte identifizierbar sind und deren Wirkung weit über das Denken der Protagonisten dieser Debatte hinausgeht. Zu diesen Protagonisten sind im Besonderen zu zählen: José Joaquín Brunner, Néstor García Canclini, Norbert Lechner und Jesús Martín-Barbero. Spezieller für die Debatte um Moderne und Postmoderne sind zu nennen: Fernando Calderón, Nicolás Casullo, Rigoberto Lanz und Nelly Richard.
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(im Innern) geführt haben. Allerdings bezieht sich die Ablehnung eurozentrischer (Denk-)Modelle durchaus nicht nur auf entwicklungspolitische Fragen, sondern kritisiert auch das solchen Modellen zugrundeliegende Denken selbst: „Differenz" bzw. „Differenzanerkennung" ist die wichtigste (Gegen-)Kategorie. Allerdings reibt sich die aus dieser Kritik des Eurozentrismus häufig entstehende Nähe zu kulturrelativistischen Positionen auf der anderen Seite an den normativen Grundannahmen vieler lateinamerikanischer Geisteswissenschaftler: Aus den (oftmals persönlichen) Erfahrungen mit der Verweigerung bürgerlicher Freiheitsrechte bzw. mit massiven Menschenrechtsverletzungen speist sich häufig eine profunde Wertschätzung der institutionellen Garantie dieser Rechte und diese verweisen j a unmittelbar auf normative Ansprüche, die nur innerhalb eines (wie auch immer „schwachen") Universalismus begründbar sind. (2) Ein neuer Begriff des Politischen: Demokratie und Zivilgesellschaft Angesichts schwacher politischer Institutionen und geringem Institutionalisierungsgrad in den meisten lateinamerikanischen Staaten wird der gesellschaftswissenschaftlichen Analyse in der Regel ein relativ weiter Politikbegriff zugrunde gelegt, der vielfaltige Formen zivilgesellschaftlicher Artikulationen einschließt. Der „alte" Politikbegriff, der vor allem die staatlichen Institutionen, politischen Parteien und korporativen Akteure im Blick hatte, erwies sich spätestens dann als unzulänglich, als diese Sphäre des Politischen durch die Diktaturen zum Teil abgeschafft, zum Teil durch die Eingliederung in Befehlsstrukturen entpolitisiert wurde. Umgekehrt entstand in vorher nicht als politisch angesehenen Bereichen der Keim zu jenen Bewegungen, die in vielen Ländern zur Überwindung der Diktatur führten: soziale Bewegungen, Kirchen, jugendliche Musikszene, etc. Diese Bereiche spielten aber nicht nur für die Überwindung der Diktatur, sondern auch im Anschluss daran eine wichtige Rolle: Die Konsolidierung der Demokratie ist zu einem kaum zu überschätzenden Teil davon abhängig, inwieweit sich eine Bereitschaft zu bürgerschaftlicher Partizipation herausbildet, die über die Teilnahme an Wahlen hinausgeht. Gerade unter den Bedingungen mangelnder staatlicher Durchdringung der Gesellschaft (beispielsweise in den Urbanen Armutsgebieten) müssen aber darüber hinaus auch Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation als politisch begriffen werden, die keinen unmittelbaren Bezug zum „politisch-administrativen System" bzw. zu den Institutionen kollektiv bindender Entscheidungsfindung im Engeren besitzen - zumindest dann, wenn sie in irgendeiner Form auf eine Reaktion ihrer sozialen oder politischen Umwelt stoßen. (3) Die kulturelle Dimension Im Zusammenhang mit den beiden ersten Aspekten kommen vielfach kulturelle Phänomene auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Ausprägungen in den Blick, und zwar sowohl in Bezug auf ihren gesellschaftlichen Kontext wie auch in Bezug auf ihre Relevanz für das Politische. Das bezieht sich vor allem auf die kulturellen Hintergründe kollektiven Handelns: Wenn unter „Kul14
tur" intersubjektiv wirksame Sinn- und Bedeutungszusammenhänge verstanden werden, die Wirklichkeit so strukturieren, dass auf ihrer Grundlage Handeln ermöglicht bzw. eingeschränkt wird, können Phänomene in die gesellschaftswissenschaftliche Analyse einbezogen werden, die sonst nicht in den Blick kämen. Dies ist gerade mit Bezug auf die Forderungen nach rückhaltloser Anerkennung von Differenz von Bedeutung: Viele kulturelle Artikulationen genauso wie soziale Bewegungen können dann unter dem Gesichtspunkt der Forderung nach Anerkennung gesehen werden - und diese Forderung ist unter dem bereits angesprochenen Aspekt des demokratischen Inklusionsversprechens eine (zumindest potenziell) politische. Vor allem dieser dritte Aspekt ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive relevant. Die sowohl gesellschaftliche als auch politische Situierung des Kulturellen ermöglicht es, Aspekte bzw. Dimensionen des Politischen sichtbar zu machen, die sonst verborgen blieben. Eben dies kann anhand des lateinamerikanischen Diskurses erläutert werden: Die Wirkungen kultureller Selbstverständnisse bzw. Selbstverständigungen und kultureller Anerkennungskämpfe sind politisch begreifbar, und sie sind ihrerseits nur vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen sozialen Kontexte verstehbar. Der Blick auf die lateinamerikanischen Diskurse unter dem demokratietheoretischen Blickwinkel der Spannung von Inklusion und Differenz ist allerdings nicht voraussetzungslos. Das Verständnis der angedeuteten Eigentümlichkeit der sozialwissenschaftlichen Perspektive in Lateinamerika, welche die Dimensionen des Politischen und des Kulturellen in ihren wechselseitigen Bezügen erkennen will, erfordert (zumindest in Grundzügen) einen Begriff von politischer Kultur, der sowohl das Kulturelle als auch das Politische in seinem jeweiligen Eigensinn ernst nimmt: das Politische als die Sphäre, in der die kollektiv verbindlichen Bedingungen und Regeln verhandelt werden, unter denen Menschen leben und handeln, also der Bereich mehr oder minder expliziter oder explizit zu machender gesellschaftlicher Selbsteinwirkung; das Kulturelle als der Bereich der kollektiven bzw. intersubjektiven Sinn- und Bedeutungszusammenhänge, die auf wirklichkeitskonstituierende bzw. -strukturierende Selbst- und Weltsichten bzw. Identitäten verweisen. Ein solcher Begriff kann zwar aus den demokratietheoretischen Grundlagen heraus gebildet werden, bezieht sich aber in der Perspektive dieser Arbeit immer schon auf die sozialwissenschaftliche Praxis in Lateinamerika. Das bedeutet nicht, dass er nicht wiederum auf andere sozialwissenschaftliche Diskurse adaptierbar wäre. Im Gegenteil soll behauptet werden, dass es gerade diese spezifische sozialwissenschaftliche Praxis in Lateinamerika ist, welche der Demokratietheorie „helfen" kann, aus sich selbst heraus einen instruktiven Begriff politischer Kultur zu entwickeln. Dies geschieht im Rahmen dieser Arbeit in tentativer Hinsicht, indem die normative Demokratietheorie (und dabei vor allem in der Ausführung Jürgen Habermas') auf ihre diesbezüglichen Begrenzungen hin untersucht und dann nach zwei Seiten hin erweitert wird: Auf der einen Seite durch das Konzept der 15
„Kreativität des Handelns" von Hans Joas, auf der zweiten Seite durch das des „Kampfes um Anerkennung" von Axel Honneth. Damit können die starken Rationalitäts- und Reflexionszumutungen hinsichtlich bürgerschaftlicher Partizipation, auf denen die Theorie des demokratischen Rechtsstaates bei Habermas beruht, im Ansatz überwunden werden, ohne dass die Plausibilität der Habermas'schen Demokratietheorie grundsätzlich infrage gestellt werden müsste. Soziale Kämpfe innerhalb demokratischer Ordnungen werden sowohl hinsichtlich der in ihnen verhandelten Interessen als auch hinsichtlich ihrer moralischen Grammatik beschreibbar; damit kommen Anerkennungskämpfe in den Blick, die durchaus nicht auf rationalisierten Lebenswelten aufruhen müssen und dennoch im Sinne demokratischer Partizipation interpretiert werden können. Gleichzeitig werden auch kreative Handlungs- und Organisationsformen einbeziehbar, wie sie sich aufgrund von mangelhaft funktionierender oder gar weit gehend inexistenter Institutionalisierung herausbilden können. Auf diese Weise können die aus der Analyse der sozialwissenschaftlichen Diskurse in Lateinamerika gewonnenen Erkenntnisse in einen theoretischen Rahmen einfließen, der in der Lage ist, von den spezifischen Realitäten Lateinamerikas zu abstrahieren. Umgekehrt können die lateinamerikanischen Diskurse vor dem Hintergrund des mit diesem theoretischen Rahmen erarbeiteten begrifflichen Instrumentariums adäquater erfasst werden. Damit versucht diese Untersuchung den hermeneutischen Zirkel, nach dem der Verstehende immer schon ein Vorverständnis von dem haben muss, was Gegenstand seines Verstehens ist, in konstruktiver Weise zu wenden: Das begriffliche Instrumentarium, mit dem der Gegenstand hermeneutisch erfasst werden soll, beruht zu einem bestimmten Grad seinerseits immer schon auf einem begrifflichen Verständnis des Gegenstandes. Zwar ist die Ausgangsbasis von normativer Demokratietheorie in den Ländern des Zentrums und von sozialwissenschaftlichem Diskurs hinsichtlich der Demokratie in Lateinamerika eine gemeinsame - es geht um die Chancen der Vertiefung demokratischer Selbstbestimmung. Die Analyse der lateinamerikanischen Diskurse kann aber nur erfolgversprechend sein, wenn deren Blick auf die Realitäten ihrer Länder ernst genommen wird und damit das hermeneutische Instrumentarium an den spezifischen Erfordernissen des Gegenstandes ausgerichtet wird. Das wiederum bedeutet in Bezug auf die Spannung von Inklusion und Differenz, dass die lateinamerikanische Einbeziehung kultureller Momente in die sozialwissenschaftliche Analyse auf einen Begriff von politischer Kultur avant la lettre verweist, der dort also in gewisser Weise vorausgesetzt, aber nicht unbedingt expliziert wird. Die Bezugnahme auf den hermeneutischen Zirkel verweist auf die unterschiedlichen Diskursebenen, die zwar analytisch, aber nicht immer in der konkreten Darstellung trennbar sind. Es sind zumindest drei Ebenen, die in dieser Untersuchung eine Rolle spielen: die gesellschaftliche, politische und kulturelle Realität Lateinamerikas; das sozialwissenschaftliche Nachdenken über diese
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Realität in Lateinamerika; sowie mein Nachdenken über dieses Nachdenken. 8 In gewisser Weise werden ja Diskurse erst zu solchen gemacht, indem sie von einer Meta-Ehene im Hinblick auf ihre Diskurshaftigkeit betrachtet werden. Mit Abstrichen trifft dies auch auf die Realitäten selbst zu: Erst die sozialwissenschaftliche Beschreibung einer Realität konstituiert diese als eine in dieser Weise beschreibbare. -
Die lateinamerikanischen Realitäten tauchen im Rahmen dieser Untersuchung praktisch ausschließlich indirekt auf, d.h. über die sozialwissenschaftlichen Diskurse vermittelt.
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Die sozialwissenschaftlichen Diskurse haben in der Hauptsache zwei Gegenstände: die soziale, kulturelle und politische Realität und die Reflexion über sich selbst.
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Diese beiden Ebenen innerhalb der sozialwissenschaftlichen Diskurse sind in ihrer Wechselwirkung für diese Untersuchung wichtig; beide sind Gegenstand meiner Interpretation.
Wichtig ist also der sozialwissenschaftliche Diskurs in Lateinamerika in seiner Doppelung. Im Hintergrund steht die kritische Forderung an die Sozialwissenschaften, dass die Reflexion über die Realitäten immer von der Selbstreflexion begleitet werden sollte. Veränderungen in den Realitäten finden ja nicht notwendigerweise Eingang in die wissenschaftliche Reflexion - dies ist nur dann möglich, wenn das analytische und/oder epistemologische Instrumentarium diese Veränderungen überhaupt wahrnehmbar macht. Umgekehrt können Veränderungen des Instrumentariums und die damit einhergehenden Veränderungen in den Beschreibungen bzw. Interpretationen der Realität die Frage aufwerfen, ob sich die Realität selbst verändert hat oder lediglich das Denken darüber. In Lateinamerika, so wird zu sehen sein, hat sich sowohl die Realität als auch das Denken über sie verändert, und beides ist Gegenstand des sozialwissenschaftlichen Diskurses. Ist die Bezeichnung „Lateinamerika" als geografisches Gebilde noch einigermaßen unstrittig (verstanden werden darunter in der Regel die Länder Mittelund Südamerikas, in denen eine romanische Sprache gesprochen wird), so muss die Rede von „den lateinamerikanischen Demokratien", „den lateinamerikanischen Diskursen" oder gar „der lateinamerikanischen Spezifität" angesichts der Unterschiede der dazugehörenden Länder fragwürdig erscheinen. Tatsächlich können diese Bezeichnungen den vielfaltigen Unterschieden nicht gerecht werden; sie sind dennoch im Kontext dieser Arbeit gerechtfertigt, da sie auf bestehende Gemeinsamkeiten verweisen. Wichtig ist für meine Argumentation vor allem die Existenz eines gewissen Selbstbewusstseins vieler Bewohner Lateing Sicherlich ließe sich dies auch als Beobachtung erster und zweiter Ordnung beschreiben. Ich ziehe es aus Gründen theoriesprachlicher Kohärenz allerdings vor, von Diskursebenen zu sprechen.
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amerikas als Lateinamerikaner. Dieses ist nicht die einzige, wahrscheinlich auch nicht die primäre Selbstverortung in einem Kollektiv, aber sie ist durchaus relevant. Ich beziehe mich im Zusammenhang meiner Untersuchung in der Hauptsache auf die folgenden - hier nur anzudeutenden - Grundlagen für eine solche Selbstverortung: Erstens ist die geschichtliche Prägung durch die spanische und portugiesische Kolonisation eine gemeinsame (und bis heute fortwirkende) Erfahrung aller lateinamerikanischen Länder, wobei die Gemeinsamkeit der Sprache natürlich eine wichtige Rolle spielt.9 Aus der Kolonialgeschichte ergab sich wiederum seit Ende des 18. Jahrhunderts, vor allem aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine in ganz Lateinamerika politisch wie ideengeschichtlich äußerst wirkmächtige Befreiungsbewegung, die in relevanten Teilen von der Idee einer politischen Einheit Lateinamerikas getragen und deren exponiertester Vertreter Simón Bolívar war - dessen Name und Erbe von Staaten und Regierungen, von Wirtschafts- und Interessenverbänden, von suprastaatlichen Organisationen, von Guerillagruppen und Nichtregierungsorganisationen und sogar von Busunternehmen in Anspruch genommen wird.10 Seit Ende des 19. Jahrhunderts kommt die - bei allen Unterschieden doch als gemeinsam erlebte - vielfaltige Abhängigkeit von den USA hinzu. Die USA bilden bis heute in vielerlei Hinsicht einen positiven wie negativen Referenzpunkt und haben damit ungewollt stark zur Ausbildung eines lateinamerikanischen Gemeinschaftsgefühls beigetragen. Zweitens müssen alle lateinamerikanischen Länder, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße, zur Peripherie gezählt werden. Das betrifft natürlich zuvorderst die Länder mit der geringsten Wirtschaftskraft und dem niedrigsten Pro9
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Das soll natürlich nicht unterschlagen, dass erstens beinahe die Hälfte der Bewohner Lateinamerikas nicht spanisch, sondern portugiesisch spricht (wenn auch in einem einzigen Land), es zweitens einige Länder gibt, in denen andere Sprachen gesprochen werden und drittens bestimmte Bevölkerungsteile einzelner Länder der Amtssprache gar nicht mächtig sind, sondern indigene Sprachen sprechen. Was für die Argumentation hier aber in der Hauptsache von Relevanz ist, ist die Möglichkeit grenzüberschreitender Verständigung in der eigenen Sprache in den allermeisten Ländern vom Rio Grande bis Feuerland. Gerade in Bezug auf die sozialwissenschaftlichen Diskurse, die für meine Untersuchung ja zentral sind, lässt sich außerdem feststellen, dass auch die (zumindest in der Schriftsprache) vergleichsweise geringen Unterschiede zwischen dem Spanischen und dem Portugiesischen eine relativ geringe Barriere bedeuten. „Eine grandiose Idee ist es, aus der gesamten Neuen Welt eine einzige Nation bilden zu wollen, mit einem einzigen Band, das ihre Teile untereinander und mit dem Ganzen verbindet. Da sie einen Ursprung, eine Sprache, einheitliche Gebäude und eine Religion hat, müßte sie folgerichtig eine einzige Regierung haben, die einen Bund mit verschiedenen zu bildenden Staaten schließt. [...] Wie schön wäre es, wenn der Isthmus von Panama für uns so etwas wäre wie der von Korinth es für die Griechen war! Hoffentlich haben wir eines Tages das Glück, dort einen erlauchten Kongreß der Repräsentanten der Republiken, Königreiche und Imperien einsetzen zu können, damit dort über die erhabenen Interessen von Krieg und Frieden mit den Nationen der übrigen Teile der Welt gesprochen und diskutiert werde" (Bolivar 1984: 9-10).
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Kopf-Einkommen wie Haiti und Nicaragua, in vielfaltiger Weise aber auch jene Länder, die gemäß den liberalen Modernisierungstheorien als „Schwellenländer" bezeichnet werden, und zu denen beispielsweise Brasilien, Argentinien, Chile und Mexiko seit Jahrzehnten zählen. Auch diese Länder zeichnen sich durch starke Abhängigkeit von Exporten von Primärprodukten und von Importen von (Hoch-)Technologie aus; des Weiteren sind auch (und gerade) diese Länder durch eine extreme Heterogenität in Bezug auf ihre soziale und wirtschaftliche Struktur geprägt. Drittens standen beinahe alle lateinamerikanischen Länder im Laufe des 20. Jahrhunderts zeitweise unter der Herrschaft von autoritären, zumindest nicht demokratisch legitimierten Regimen. Dieser Umstand, in Verbindung mit brutalen sozialen Ungleichheiten, führte wiederum in praktisch allen lateinamerikanischen Ländern zu bewaffneten Aufständen, meist auch Befreiungsbewegungen vor allem seit den 1960er Jahren nach der kubanischen Revolution. Weiterhin sind die bürokratisch-autoritären Regime als traumatische Erfahrung für das lateinamerikanische politische Selbstverständnis kaum zu überschätzen. Mit diesem Begriff werden vor allem die Diktaturen in Brasilien (Machtergreifung 1964), Peru (1968), Uruguay (1973), Chile (1973) und Argentinien (1976) bezeichnet. 11 Nicht zuletzt haben diese Diktaturen- viertens - paradoxerweise auch einen politisch geprägten sozialwissenschaftlichen lateinamerikanischen Diskurs befördert. Da sich viele Sozialwissenschaftler durch die Diktaturen ihrer Arbeitsmöglichkeiten beraubt sahen, ging ein Großteil von ihnen ins Exil - und zwar (neben Spanien) vor allem in die Länder Lateinamerikas, in denen es (wie in 11
Der Begriff „bürokratisch-autoritäre Regime" bzw. „bürokratisch-autoritärer Staat" wurde von dem argentinischen Politikwissenschaftler Guillermo O'Donneil zuerst für Argentinien und Brasilien geprägt und ist zum festen Bestandteil der soziologischen und politikwissenschaftlichen Terminologie in Lateinamerika geworden. Vgl. vor allem O'Donnell (1982: 60-63), aber auch O'Donnell (1972: 100-106, v.a. 105-106); O'Donnell (1977: 13-17). O'Donnell (1977) liegt auch in englischer Sprache vor: O'Donnell, Guillermo A.: „Reflections on the Patterns of Change in the Bureaucratic-Authoritarian State"; in: Latin American Research Review, Vol. XIII, No. 1, 1978, S. 3-38 (zur Definition vgl. bes. die Seiten 69). Nach der Definition O'Donnells zeichnen den bürokratisch-autoritären Staat v.a. folgende Charakteristika aus: Es handelt sich um eine autoritäre Form (groß-)bürgerlicher Herrschaft, aber in Abgrenzung vom autoritären Populismus und vom Faschismus (welcher sich i. Ggs. zum bürokratisch-autoritären Staat auf die Herrschaft einer Partei oder Bewegung, auf Führerschaft und auf das Nationale stütze). Institutionell handelt es sich um eine Einheit verschiedener Organisationen, maßgeblich der auf Zwang spezialisierten und der für die „ökonomische Normalisierung" zuständigen. Dabei wird eine Politik der Unterdrückung demokratischer und bürgerschaftlicher Aktivitäten und der politischen und ökonomischen Exklusion der unteren Schichten und ihrer Organisationen verfolgt. Diese Politik tritt mit dem Anspruch technischer Rationalität mit politisch neutralen und objektiven Lösungen auf, zu denen ökonomisch ein Vorantreiben der Transnationalisierung gehört. Zugang zu den Spitzen des Staates (politisch und organisatorisch) haben ausschließlich die Streitkräfte und die Leitungsebene der großen Wirtschaftskonzerne (O'Donnell 1982: 60-63).
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Mexiko) noch eine (wissenschaftliche) Öffentlichkeit gab. Die Diktaturen - genauso wie später die demokratische Transition und Konsolidierung - wurden als ein gesamtlateinamerikanisches Thema begriffen, das auch über den gesamten Subkontinent hinweg diskutiert wurde. Zentral für diese sozialwissenschaftliche Diskussion waren und sind dabei die lateinamerikanischen wissenschaftlichen Zusammenschlüsse und Organisationen, deren bekannteste wohl CEPAL, FLACSO und CLACSO sind. Während die 1948 gegründete CEPAL12 eine Kommission der Vereinten Nationen ist und die FLACSO13 1957 noch auf Initiative der UNESCO hin gegründet wurde, ist der 1967 gegründete CLACSO14 ein originärer Zusammenschluss unterschiedlicher lateinamerikanischer sozialwissenschaftlicher Institute. Zweierlei ist also bei der Bezugnahme auf Lateinamerika als Entität wichtig: Zum einen dürfen die Unterschiede innerhalb Lateinamerikas zwar nicht vergessen werden, es gibt aber durchaus historische Gründe, welche die Annahme tatsächlicher Gemeinsamkeiten plausibel machen. Zweitens, und für die Zwecke dieser Arbeit noch wichtiger, sind allerdings solche Gemeinsamkeiten beobachtbar im Selbstverständnis vieler Lateinamerikaner - und eben auch lateinamerikanischer Sozialwissenschaftler - fest verankert und Grundlage vielfaltigen akademischen Austauschs, der durchaus die Bezeichnung „lateinamerikanischer sozialwissenschaftlicher Diskurs" verdient. Abschließend ist noch ein Wort zum Aufbau der Arbeit zu sagen. Bei dem sich diesen einleitenden Worten anschließenden Kapitel über „Die Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur" handelt es sich nur in sehr eingeschränkter Form um ein theoretisches Konzept, das auf einen empirischen Gegenstand angewendet werden soll. Vielmehr ist dieses Konzept im Sinne des „hermeneutischen Zirkels" selbst zu einem guten Teil das Ergebnis der im Anschluss dargestellten Untersuchung der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften und ihrer Diskurse. Das bedeutet auch: Wenn die Rede davon war, dass der hiesige demokratietheoretische Diskurs sich durch die genaue Analyse lateinamerikanischer Diskurse informieren könnte - und zwar als theoretischer Diskurs - dann lässt sich ein Ergebnis eines solchen Prozesses in den Reflexionen 12
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CEPAL: Comisión Económica para América Latina (y el Caribe [seit 1984]); Wirtschaftskommission für Lateinamerika (und die Karibik). Informationen unter www.cepal.org. FLACSO: Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales; Lateinamerikanische Fakultät der Sozialwissenschaften. In der FLACSO sind 14 Länder Lateinamerikas vertreten: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ekuador, Guatemala, Honduras, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama und Suriname. Informationen unter www.flacso.org. CLACSO: Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales; Lateinamerikanischer Rat der Sozialwissenschaften. Dem CLACSO gehören wissenschaftliche Institute aus 18 lateinamerikanischen Ländern an: Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ekuador, Guatemala, Haiti, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Puerto Rico, Uruguay und Venezuela. Informationen unter www.clacso.org.
über ein mögliches Konzept von politischer Kultur ablesen. Ohne die Untersuchung Lateinamerikas wäre diese Art theoretischer Reflexion nicht möglich gewesen. Umgekehrt wäre aber auch die Untersuchung der sozialwissenschaftlichen Diskurse in Lateinamerika nicht ohne die konstante demokratietheoretische Reflexion möglich gewesen, die sich gerade auch in den Diskursen der von mir behandelten Autoren spiegelt. Mit diesen Anmerkungen soll lediglich dem Eindruck entgegengewirkt werden, es handele sich um einen theoretischen Teil und seine Anwendung: Vielmehr handelt es sich um eine vielschichtige Einheit von theoretischer Reflexion aufgrund empirischer Einsichten, die sich wiederum erst aufgrund eines theoretischen Instrumentariums erschließen, das sich seinerseits an seinem Gegenstand verfeinert. Die begrifflichen und theoretischen Reflexionen beginnen mit einer kurzen Exposition der grundlegenden Perspektive, unter der die Untersuchung erfolgt: der demokratietheoretisch relevanten dialektischen Spannung von Inklusion und Differenz (Kapitel 2.1). Diese wird auf ihre kulturellen und politischen Elemente befragt; das macht eine theoretische und begriffliche Verortung im Hinblick auf die unterschiedlichen Konzeptionen von Kultur und von politischer Kultur notwendig. Grundlegend dafür sind die kulturtheoretischen Veränderungen (Cultural Turn), die zur Herausbildung eines Wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriffs geführt haben (Kapitel 2.2). Auf diesem Begriff aufbauend, können dann die bestehenden Konzepte von politischer Kultur kritisch gewürdigt werden: der ältere „civic culture approach" im Anschluss an Almond und Verba, in der Hauptsache aber diejenigen Ansätze, die den Cultural Turn bereits stärker berücksichtigen (Kapitel 2.3). Dies sind gewissermaßen die Vorarbeiten, welche dann die Befragung der normativen Demokratietheorie hinsichtlich der theoretischen Verortbarkeit eines Begriffs von politischer Kultur erlauben, der im Sinne des begrifflichen und theoretischen Rahmens der Fragestellung adäquat erscheint (Kapitel 2.4). Der Diagnose, dass dies nicht ohne Weiteres möglich ist, folgt dann - wie bereits angedeutet - die Skizzierung einer Erweiterung der Konzepte bürgerschaftlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Partizipation mit den Begrifflichkeiten Honneths und Joas' in Richtung auf einen Begriff von politischer Kultur, der sowohl das Politische wie auch das Kulturelle in seinem jeweiligen Eigensinn ernst nehmen kann, ohne starke Rationalitäts- oder Reflexionserwartungen an die Handelnden stellen zu müssen: politische Kultur im Sinne der politischen Relevanz kultureller Elemente in der Gesellschaft (Kapitel 2.5). Dieser Begriff von politischer Kultur ist nun von seiner Anlage her darauf ausgerichtet, auch solche kulturell induzierten Partizipationsformen und sozialen Kämpfe einbeziehen zu können, die sich unter den Bedingungen starker sozialer, politischer und/oder kultureller Heterogenität bzw. prekärer demokratischer Verhältnisse herausbilden - wie das in den lateinamerikanischen Gesellschaften der Fall ist. Der Begriff speist sich aus der Analyse Lateinamerikas genauso, wie er die lateinamerikanischen Realitäten adäquat beschreiben helfen kann. Um diese hermeneutische Rekonstruktion nachvollziehbar zu machen, ist es aller21
dings notwendig, die dortigen gesellschaftswissenschaftlichen Diskurse ein wenig genauer zu beleuchten. Die für den Zusammenhang dieser Arbeit relevanten Diskurse werden - auch in Bezug auf ihren gesellschaftlich-politischen Kontext - in Kapitel 3 einführend dargestellt. Dabei werden auch die bereits erwähnten drei Stränge meiner Interpretation noch einmal verdeutlicht; entlang dieser drei Stränge entwickeln sich im Anschluss die drei folgenden Hauptkapitel. Kapitel 4 leuchtet den übergeordneten gesellschaftlichen und epistemologischen Kontext aus, in dem sich die lateinamerikanischen Sozialwissenschaftler verorten und der die Kulturalisierung ihres Denkens allererst möglich gemacht hat: die Debatte um Moderne und Postmoderne. Diese ist aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen mit unterschiedlich geprägten Modernisierungsversuchen durchaus nicht von ausschließlich philosophischem Interesse, bleibt aber selbstverständlich an die philosophischen Debatten zurückgebunden. Dieser „Metadiskurs im Hintergrund" bildet nicht zuletzt die Folie, auf der die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in Lateinamerika in den letzten Jahrzehnten betrachtet werden (Kapitel 5). Dabei spielt die demokratische Transition eine herausragende Rolle. Diese hat nicht nur eine tief greifende Veränderung im politischen Gefiige vieler lateinamerikanischer Staaten bewirkt, sondern auch das gesellschaftswissenschaftliche Denken grundlegend verändert. Die damit verbundene selbstkritische Revision der eigenen Positionen von Seiten der lateinamerikanischen Intellektuellen bildet in Verbindung mit der (postmodernen) Sensibilität fiir die Relevanz epistemologischer Veränderungen wiederum die Grundlage fiir eine umfassende Einbeziehung kultureller Elemente in die sozialwissenschaftliche Analyse in Lateinamerika, die in Kapitel 6 dargestellt wird. Dabei geht es im Sinne der Fragestellung um die Spannung von Inklusion und Differenz, die sich für die lateinamerikanischen Wissenschaftler vor allem in den kulturell imprägnierten zivilgesellschaftlichen und bürgerschaftlichen Formen kollektiven Handelns manifestiert. Soziale und kulturelle (Anerkennungs-)Kämpfe lassen sich demnach in unterschiedlichen Formen kollektiven Handelns und gesellschaftlicher Selbstorganisation finden und verweisen damit nicht zuletzt vor dem Hintergrund kulturell induzierter kollektiver Identitäten auf die politische Dimension des Kulturellen. Abschließend werden in Kapitel 7 die allgemeineren Begrifflichkeiten wie auch die Analyse der sozialwissenschaftlichen Diskurse in Lateinamerika noch einmal in zugespitzter Weise aufeinander bezogen, indem sie am Beispiel des Verhältnisses von kultureller Differenz und sozialer Ungleichheit erörtert werden. Damit kann noch einmal deutlich gemacht werden, inwiefern die Relevanz des Kulturellen für das Politische in der Demokratie dann besonders gut in den Blick kommt, wenn Demokratie in normativer Weise unter dem Blickwinkel der dialektischen Spannung von Inklusion und Differenz betrachtet wird. Gleichzeitig wird auf diese Weise die spezifische Situation der Länder der Peripherie als leider nur allzu normaler - Grenzfall der demokratietheoretischen Frage nach Inklusion und Differenz sichtbar.
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2 Die Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur 2.1
Zur Dialektik von Gleichheit und Differenz
Wenn in einem normativen Sinn von Demokratie gesprochen wird, geht es im Grundsatz um die Frage nach den Bedingungen und Chancen der Selbsteinwirkung von Gesellschaften im Sinne kollektiver Selbstbestimmung, Selbstregierung oder zumindest Selbstgesetzgebung. Dahinter steht die Vorstellung, es sei normativ wünschenswert, dass die Mitglieder einer Gesellschaft nennenswerten Einfluss auf die sie betreffenden regelungsbedürftigen Belange hätten. Da eine Gesellschaft weder in sozialer noch in politischer oder kultureller Hinsicht als homogen vorgestellt werden kann, ist auch nicht davon auszugehen, dass die Meinungen, Werte und Interessen, die in Einfluss auf die entsprechenden Entscheidungen umgesetzt werden sollen, auf der Ebene des Kollektivs einheitlich wären. Es kann noch nicht einmal davon ausgegangen werden, dass diese Meinungen, Werte und Interessen auf der Ebene des Individuums oder einzelner Gruppen innerhalb der Gesellschaft eindeutig oder auch bloß kohärent wären (vgl. z.B. Schmalz-Bruns 1995: 164). Sie treten erst durch öffentliche Äußerung zu Tage und werden vielfach auch erst in Abhängigkeit von anderen geäußerten Meinungen, Werten und Interessen gebildet. Die öffentliche Auseinandersetzung darüber, so wird immer wieder beschworen, ist deshalb ein „Lebenselement" der Demokratie - und nicht etwa eine Störung ihres Ablaufes. Dennoch impliziert der demokratische Streit über politische oder kulturelle Differenzen auf der anderen Seite eine weit gehende Gleichheit der Mitglieder der Gesellschaft insofern, als dass die gleichberechtigte Teilnahme an diesem Streit Voaussetzung dafür ist, dass der kollektiven Selbstbestimmung, Selbstregierung oder Selbstgesetzgebung Genüge getan wird: Der Ausschluss einzelner Individuen oder Gruppen verweigert diesen den ihnen zustehenden Einfluss auf die eigenen Belange. Erst in einem zweiten Schritt ist dann die Frage zu beantworten, wie sich aus dem öffentlichen Streit über Differenzen kollektiv bindende Entscheidungen treffen lassen, ggf. auch gegen die Standpunkte von Teilen der betroffenen Individuen oder Gruppen. Davor steht in jedem Fall die öffentliche Artikulation, Deliberation und ggf. Verhandlung der Differenzen. Damit ist für die Idee der Demokratie eine Dialektik von Gleichheit und Differenz konstitutiv: Die Differenz erfordert die öffentliche Deliberation, die Gleichheit ermöglicht sie. Das bedeutet wiederum, vermeintlich paradoxerweise: Differenz erfordert Gleichheit. Und: Gleichheit ermöglicht die wechselseitige Anerkennung von Differenzen.
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Allerdings ist damit noch nichts über den Charakter der Differenzen, vor allem aber der Gleichheit gesagt. Im Allgemeinen werden Differenzen als eher konkret begriffen (als Differenzen in Bezug auf Meinungen, Werte oder Interessen), während Gleichheit auf einer eher abstrakten Ebene verortet wird (Rechtsgleichheit, Anerkennung als Staatsbürger). Wird Gleichheit in diesem abstrakten Sinne von Gleichberechtigung gefasst, erscheint der wechselseitige Verweis von Gleichheit und Differenz sehr viel weniger paradox als wenn Gleichheit in materieller oder sozialer Hinsicht gemeint ist. Tatsächlich ist es eine strittige Frage, wie viel und welche Art von Gleichheit Demokratie braucht, um im Sinne der an sie gestellten normativen Erwartungen funktionieren zu können. Für die Beantwortung dieser Frage ist es von zentraler Bedeutung, welche normative Vorstellung von Gesellschaft zugrunde liegt: Während sich Differenzen in komplexen Gesellschaften quasi naturwüchsig ausbilden, kann Gleichheit nur das Ergebnis gesellschaftlicher Anstrengungen sein. Je stärker also von einer generellen Regulierungsbedürftigkeit von Gesellschaft ausgegangen wird, desto größer werden auch die Anforderungen an Art und Umfang von Gleichheit sein können; je stärker auf die Selbstregulierung von eher naturwüchsigen Kräften gesetzt wird, desto geringer müssen diese Anforderungen sein. Diese Beziehungen gelten umgekehrt in gleicher Weise. Nun haben sich die frühen liberalen Theoretiker der Demokratie diesem Problem nicht gestellt. Sie haben es insofern umgangen, als sie von der Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit ausgingen, wobei die ökonomische Unabhängigkeit aufgrund der privaten Tätigkeit des freien Unternehmers (als Bourgeois) mit der Berechtigung zur öffentlichen Erörterung der Belange der Gesamtheit dieser Unabhängigen einherging (als Citoyen). Gleichheit war damit von vorneherein die abstrakte Gleichheit der Besitzenden. Die Frage nach der weiter gehenden Inklusion der nicht Besitzenden stellte sich erst, als diese Mitspracherechte einzufordern begannen. Die Forderung nach Ausweitung der abstrakten Gleichheit im Sinne der gleichberechtigten Teilnahme an der Öffentlichkeit und der entsprechenden Berechtigung der Mitwirkung an Entscheidungen (zumindest in Form der Gewährung des Wahlrechts für nicht-Besitzende und Frauen) brachte das grundlegende Problem der demokratischen Inklusion selbst auf die Tagesordnung. Zwei eng miteinander verbundene Grundprobleme der Demokratie wurden damit offensichtlich: Zum einen geht es um die Frage der Zugehörigkeit, also der formalen bzw. rechtlichen Inklusion oder Exklusion von Individuen oder Gruppen, zum anderen um die Frage nach dem Umgang mit Differenzen und Ungleichheiten unter den formal Zugehörigen (vgl. Münkler 1997b: 213214). Erst damit wurde auch die grundlegende Spannung zwischen ungleicher Verteilung von Lebenschancen (Arbeit, Einkommen, Bildung, etc.) und der abstrakten Gleichheit als Bürger deutlich, da Erstere auch die Möglichkeiten der Wahrnehmung der mit Letzterer verbundenen Rechte beeinflussen musste. Der Begriff der Gleichheit gewann damit eine andere Bedeutung, da die soziale Ungleichheit, nicht mehr nur weltanschauliche Differenzen, zum Gegenstand öf24
fentlicher Debatte wurde. Es ist dies ein erstes Reflexivwerden von Demokratie, da das Verhältnis von Gleichheit und Differenz selbst zum Thema des demokratischen Spiels wurde, das latent immer schon auf der Spannung zwischen den beiden beruhte. D i e Spannung von Differenz und Gleichheit wurde um die Dimension der Inklusion erweitert, da mit der Thematisierung der formalen Inklusion auch die Frage nach der sozialen Inklusion einherging: Der schöne Schein der rechtlichen Gleichheit wurde durch die soziale Ungleichheit konterkariert; rechtliche Inklusion und soziale Exklusion schließen sich nicht wechselseitig aus (umgekehrt allerdings auch nicht). Damit ist in normativer Hinsicht auch ein grundlegender Anspruch an D e m o kratie gestellt, wenn sich diese nicht naiv oder scheinheilig auf die bloße Gewährung rechtlich-politischer Gleichheit zurückziehen will: Demokratie lebt davon, dass politische Rechte nicht nur gewährt werden, sondern auch eine auf ihrer Inanspruchnahme beruhende gesellschaftliche Praxis be- oder entsteht. Diese ist allerdings ihrerseits vielschichtig voraussetzungsvoll - und die Voraussetzungen beinhalten wiederum eine soziale Komponente: Deshalb impliziert das Interesse an der nach dem Prinzip der individuellen Freiheit gegründeten Forderung nach Selbstbestimmung auch ein allgemeines Interesse an der Herstellung solcher sozialen und materiellen Bedingungen, unter denen von diesen Freiheitsrechten auch ein allgemeiner und symmetrischer Gebrauch gemacht werden kann (Klein/Schmalz-Bruns 1997: 8). 15
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Vgl. dazu auch den Versuch der empirischen Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von sozialer und politischer Ungleichheit in Bezug auf unterschiedliche Partizipationsarten bei Kaase (1981): Kaase geht von dem „sozioökonomischen Standardmodell der politischen Beteiligung" nach Verba und Nie aus, nach dem die sozioökonomisch besser gestellten Schichten auch stärker politisch partizipieren. Da diese Schichten also stärker von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen und ihre Interessen somit stärker in politische Entscheidungen eingehen, entsteht das Paradox, dass demokratische Partizipation politische Ungleichheit verstärken kann: Die Unterschiede zwischen „politischer Aktivbürgerschaft" und Gesamtbürgerschaft wachsen (Kaase 1981: 365-366). Dies kann allerdings teilweise durch eine starke institutionelle Einbindung auch sozioökonomisch schlechter gestellter Schichten aufgefangen werden (Kaase 1981: 369-373). Unter den Bedingungen geringer institutioneller Einbindung und starker sozioökonomischer Ungleichheit (wie in Teilen Lateinamerikas), so muss dann der Umkehrschluss lauten, bedeutet demokratische Partizipation unweigerlich eine Verstärkung der Defizite politischer Inklusion. Dieser Befund stützt sich auf einen konventionellen Begriff von Partizipation, der Beteiligung an Wahlen, Wahlkämpfen und Arbeit in der Gemeinde umfasst; die Ausweitung auf unkonventionelle Beteiligungsformen wie Bürgerinitiativen, Demonstrationen etc. bringt nach der Analyse Kaases allerdings ähnliche Befunde (Kaase 1981: 375-376). Auf Lateinamerika trifft dies nur eingeschränkt zu, wie noch zu beleuchten sein wird - dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass den Analysen der lateinamerikanischen Sozialwissenschaftler häufig ein noch deutlich „unkonventionellerer" Begriff von Partizipation zugrunde liegt. Einen grundsätzlichen Einwand gegen den Versuch der Untersuchung der Kovarianz von sozialen und politischen Differenzen formuliert (unter Berufung auf Bourdieu) Klaus Eder: Er 25
Im Zuge der Entschärfung der sozialen Gegensätze in den westlichen Demokratien vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ist dort diese grundsätzliche Spannung etwas aus dem Blick des normativ begründeten Nachdenkens über Demokratie geraten. Die rechtliche und soziale Inklusion weiter Teile der Bevölkerung Heß zum einen die weiter bestehenden rechtlichen Exklusionen (beispielsweise von Migranten) als Problem in den Hintergrund geraten, da auch die davon Betroffenen großenteils soziale Inklusion erfuhren. Zum anderen schien das Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus eher im Sinne gegenseitiger Beförderung und Korrektur geklärt - trotz oder gerade wegen des demokratischen Versprechens auf weitestgehende Inklusion und der grundsätzlichen kapitalistischen Tendenz zur Marginalisierung. Die Problematik sozialer Ungleichheit ist als wirtschaftswissenschaftlich oder entwicklungstheoretisch, selten aber noch als demokratietheoretisch relevante Fragestellung betrachtet worden. Dafür ist umgekehrt der Blick dafür geschärft worden, dass rechtlich-politische und soziale Inklusion noch nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung kultureller Differenzen ist. Gerade die Verbindung von wohlfahrtsstaatlicher Inklusion und liberaler Gleichberechtigung kann paradoxerweise zu einer - wenn auch ungewollten Verweigerung von Anerkennung führen: Die private Autonomie gleichberechtigter Bürger kann nur im Gleichschritt mit der Aktivierung ihrer staatsbürgerlichen Autonomie gesichert werden. Eine , liberale' Lesart des Systems der Rechte, die diesen Zusammenhang ignoriert, muß den Universalismus der Grundrechte als abstrakte Einebnung von Unterschieden mißverstehen, und zwar gleichermaßen von kulturellen wie von sozialen Differenzen. Diese müssen mit immer größerer Kontextsensibilität wahrgenommen werden, wenn das System der Rechte auf demokratischem Wege verwirklicht werden soll (Habermas 1996: 245; vgl. auch Habermas 1985: 151-152).
Der Gedanke Hegt nahe, dass das weit gehende Verschwinden der sozialen Ungleichheit aus dem demokratietheoretischen Diskurs gerade damit zu tun hat, dass das Denken über „Differenz" seit den späten 1970er Jahren mit dem Beginn des ästhetischen, philosophischen (und - mit gebührendem Abstand - auch sozialwissenschaftlichen) Diskurses über die so genannte Postmoderne einen starken Aufschwung erlebt hat. Thematisiert wurden innerhalb des postmodernen Diskurses in erster Linie kulturelle, ästhetische und epistemologische Differenzen, weniger soziale Ungleichheiten. Diese waren zwar in diesen Diskursen präsent (teilweise wurden sie sogar vordergründig zum Gegenstand ganzer Studienrichtungen gemacht, wie im Fall der so genannten „subaltern studies"), aber eben unter den jeweiligen Gesichtspunkten des Kulturellen, Ästhetischen oder Epistemologischen, nicht aus originär sozialer Perspektive. Eine Ausnahme bildet die feministische Theorie, die sich vor dem Hintergrund der Geschlechterdiffehält dies für eine „schlicht nutzlose Forschungsfrage", da politische Kultur „der Effekt der Fortsetzung sozialer Auseinandersetzung auf der Ebene des politischen Feldes" sei (Eder 1989: 532-533).
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renz mit den strukturellen Benachteiligungen von Frauen auch in demokratietheoretischer Hinsicht beschäftigt hat (vgl. z.B. Holland-Cunz 1999, bes. 139141; Rössler 1995, bes. 279-284). Aber auch hier fallen die Fragestellungen hinsichtlich sozialer Benachteiligung (beispielsweise in Bezug auf den unterschiedlichen Verdienst für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen) und die nach den fein verästelten patriarchalen Macht- und Herrschaftsstrukturen bis in die epistemologischen Grundlagen des alltäglichen Denkens eher auseinander. Es scheint, die postmoderne Wertschätzung von „Differenz" als grundlegender Kategorie und von (konkreten) Differenzen als anzuerkennendes individuelles und kollektives Recht habe den Blick auf die (sozialen) Ungleichheiten eher verstellt als geschärft. Eine Erklärung für diesen Umstand liegt sicher darin, dass die vulgärmarxistische Popularisierung des Basis-Überbau-Theorems das Denken über die Verbindungen zwischen sozialem Sein und individuellem und kollektivem Bewusstsein nachhaltig diskreditiert hat, indem kulturelle Unterschiede, Denkweisen, Identitäten genauso wie staatliche und gesellschaftliche Institutionen als mehr oder minder unmittelbares Abbild sozialer bzw. sozioökonomischer Verhältnisse konstruiert wurden. Den Versuch, Differenz und Ungleichheit trotz dieser Diskreditierung zusammenzudenken, hat am prominentesten wohl Pierre Bourdieu unternommen - sowohl jenseits der vulgärmarxistischen These, das eine sei das Abbild des anderen, als auch jenseits der vulgärliberalen These, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Zentral dafür ist Bourdieus Konzept des Habitus. Damit kann Bourdieu eine auf dialektische Weise zwischen Individuum und Gesellschaft vermittelnde Instanz explizieren, die sowohl „strukturierte Struktur" wie auch „strukturierende Struktur" ist: Die verfestigten gesellschaftlichen Erfahrungen und Werte sind darin ebenso enthalten wie die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, welche die Handelnden überhaupt erst handeln lassen (Bourdieu 1993: 97-121). Allerdings stellt Bourdieu seine Analysen nicht in einen demokratietheoretischen Kontext. Seine Praxistheorie erhebt nicht den Anspruch, die Bedeutung erklären zu können, die Differenzen und Ungleichheiten für das demokratische Ideal gesellschaftlicher Selbstbestimmung, Selbstregierung oder Selbstgesetzgebung und damit auch für die demokratische Dialektik von Inklusionsanspruch und Differenzanerkennung haben. 16 Genau diese Verbindung aber halte ich von der Warte der normativen Demokratietheorie für wichtig. Wenn das demokratische Ideal als regulative Idee ernst genommen werden soll, muss sich das politiktheoretische Denken darüber auch mit der Frage befassen, welchen Einfluss soziale Unterschiede genauso wie kulturelle, weltanschauliche, religiöse, etc. Differenzen für das demokratische Versprechen der Inklusion und der Anerkennung der Differenzen haben. Es wäre
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Den Versuch, das Bourdieu'sche Habituskonzept explizit für einen Begriff von politischer Kultur nutzbar zu machen, hat Dietmar Schinner unternommen (Schirmer 1998). Darauf wird noch kurz zurückzukommen sein (Kapitel 2.3).
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unzulässig, die Frage nach demokratischer Inklusion auf die rechtlich-politische Inklusion und die Frage nach der Anerkennung von Differenz auf die Anerkennung politisch-weltanschaulicher Differenzen zu reduzieren. Das Spannungsfeld von rechtlich-politischer, sozialer und kultureller Inklusion und der Anerkennung der entsprechenden Differenzen auf diesen Ebenen ist ein demokratietheoretisches Problem. Dabei stellt sich natürlich die Frage nach der Reichweite des zugrunde zu legenden Begriffs des Politischen. Je enger dieser gefasst wird, desto weniger stellt sich das Problem sozialer und kultureller Inklusion, da die bloße Beteiligung an allgemeinen Wahlen vergleichsweise geringe Anforderungen an diese stellt. Wenn es allerdings richtig ist, dass in hochgradig differenzierten Gesellschaften die Politik im engeren Sinne (also die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen) zur systemischen Verselbständigung neigt, bedeutet das, dass die Realisierung der normativen Ansprüche an die Demokratie in der Hauptsache in denjenigen Bereichen erfolgen muss, die sich diesseits dieser Verselbständigung befinden (vgl. beispielsweise Habermas 1992c: 434), da Systemfunktionalität per se nicht demokratisch sein kann. Das bedeutet aber auch, dass das regulative Ideal der Selbsteinwirkung der Gesellschaft nicht bloß im Sinne von Selbstgesetzgebung gefasst werden kann, sondern stärker im Sinne von Selbstregierung oder gar Selbstbestimmung. Damit kommen Partizipationsformen ins Spiel, die deutlich voraussetzungsvoller sind - z.B. in Bezug auf kognitive Fähigkeiten, kommunikative Kompetenz und politisches Urteilsvermögen. Dies wiederum verweist auf die Notwendigkeit einer möglichst weit gehenden sozialen und kulturellen Inklusion als Voraussetzung der Wahrnehmung von Partizipationsrechten und -möglichkeiten, die wiederum nicht zuletzt auf die Wahrnehmung des Rechtes auf Anerkennung kultureller und politischer Differenzen abzielt. Diese Problematik ist bereits in den westlichen Industriegesellschaften von großer Relevanz, wie die breite Literatur über Zivilgesellschaft, neue soziale Bewegungen und autonome Öffentlichkeiten zeigt. Immer geht es dabei auch (zumindest implizit) um die Frage, unter welchen Bedingungen formal bestehende Partizipationsrechte und -möglichkeiten auch tatsächlich wahrgenommen werden. Zivilgesellschaft besitzt ja wesentlich zwei Momente: Ein „nach außen" gerichtetes Moment der Artikulation von im weiteren Sinne politischen Anliegen sowie der kontrollierenden Begrenzung (oder „Belagerung", wie Habermas es nennt) der staatlich-politischen Institutionen und ein „nach innen" gerichtetes Moment der Selbstvergewisserung und Selbststärkung: Zivilgesellschaftliche Artikulationen sind immer auch Ausdruck eines gewissen Bewusstseins über die Notwendigkeit der Zivilgesellschaft selbst (vgl. z.B. Habermas 1992c: 447). Das bedeutet, dass unter den Bedingungen mangelnder demokratischer Partizipationsmöglichkeiten zivilgesellschaftliche Artikulationen auch die Einforderung
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ihres Rechtes auf Artikulation sind.17 All dies ist von der Forschung sowohl theoretisch wie auch empirisch umfassend untersucht und dokumentiert, vor allem auch mit dem Blick auf die demokratischen Transitionen in Osteuropa und in Lateinamerika (vgl. Cohen/Arato 1994: 66-81; Merkel 1995; Dubiel 1994: 67118). Legt man nun einen emphatischeren Begriff von Selbstbestimmung als demokratisches Ideal zugrunde, der in Richtung Selbstverwirklichung und deren Ermöglichung geht, müssen zivilgesellschaftliche Artikulationen auch dahingehend verstanden werden, dass sie - wiederum in der angesprochenen Doppelung von Innen- und Außenbezug - sowohl die Wahrnehmung eines Rechtes auf Differenz wie auch die Forderung nach Anerkennung der Differenz bedeuten. Differenz lässt sich dann auch nicht mehr auf einen politischen Sinn verengen, der kulturelle und auch soziale Fragen weit gehend ausblendet. Die Artikulation von Differenzen bedeutet immer auch einen „Kampf um Anerkennung" im Sinne Axel Honneths - und dieser hat zwar immer eine eminent politische Dimension, lässt sich aber nicht auf sie reduzieren. Je stärker die kulturelle und soziale Inklusion einer Gesellschaft als gegeben vorausgesetzt wird, desto plausibler ist es, diese Kämpfe in der Hauptsache auf ihre expliziten politischen Gehalte zu befragen und ihre kulturellen und sozialen Gehalte als nebensächlich zu betrachten - oder umgekehrt die politische Dimension explizit kultureller Anerkennungskämpfe als eher gering anzusehen, da ja bereits die Tatsache der Möglichkeit ihrer Artikulation auf eine weit gehende politische Inklusion in demokratischer Hinsicht verweist. Nun stellt sich allerdings die weiter gehende Frage, wie unter den Bedingungen peripherer Gesellschaften, sofern diese formal demokratisch verfasst sind, Partizipation im dargestellten Sinne denkbar ist, wenn diese durch einen hohen Grad an kultureller und sozialer Heterogenität bzw. extremer Marginalisierung geprägt sind - dergestalt, dass tatsächlich von sozialer und kultureller Exklusion gesprochen werden kann, trotz formaler rechtlich-politischer Inklusion. Diese Problematik ist bereits sehr ausgeprägt, wenn es sich um (halbwegs) konsolidierte Demokratien handelt - sie stellt sich aber in verschärfter Form, wenn es um Gesellschaften geht, die sich im Prozess demokratischer Transition oder Konsolidierung befinden. Wenn auf recht brutale Art die formale rechtlichpolitische Inklusion von konkreter sozialer und kultureller Exklusion konterkariert wird, müssen, so kann angenommen werden, bereits Formen von sozialer und kultureller Alltagsbewältigung (individueller und kollektiver Art) als Ausdruck unzureichender tatsächlicher Inklusion gewertet werden. Dieser Mangel an tatsächlicher Inklusion bezieht sich durchaus auch auf die politische Inklusion, da davon ausgegangen werden kann, dass die mangelnde staatsbürgerliche 17
Im Extremfall autoritärer, nichtdemokratischer Gesellschaften ist Zivilgesellschaft auf ihre Mobilisierungs- bzw. Bewegungsaspekte reduziert. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es notwendig, die jeweils sehr unterschiedlichen Funktionen und Ausprägungen zivilgesellschaftlicher Artikulationen im Hinblick auf die demokratische Transition und innerhalb demokratischer Regime getrennt zu betrachten (vgl. Dubiel 1994: 76-84).
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Qualifizierung (beispielsweise durch die Nichtexistenz adäquater Bildungsangebote) sowie die Absorption von notwendigen Ressourcen (wie Zeit) durch den alltäglichen Kampf ums Überleben ein bürgerschaftliches Engagement im engeren Sinne tendenziell verunmöglichen. Gerade unter den Bedingungen prekärer Institutionalisierung heißt das, dass die (aus der Not geborenen) Versuche der Selbstorganisation auf lokaler Ebene paradoxerweise eben nicht Ausdruck der Gewährung, sondern der Verweigerung von umfassenderen gesellschaftlichpolitischen Teilhabe- und Teilnahmerechten sind. Sobald solche Selbstorganisationsversuche an den Rändern der Gesellschaft mit den Werte- und Ordnungssystemen des Zentrums in Konflikt geraten (beispielsweise weil sie mit Eigentumsdelikten einhergehen) und damit eine Reaktion hervorrufen, sei diese nun eher repressiver oder eher kooperativer Art, können sie in einem weiten Sinne als politisch gewertet werden, da ein Mangel an versprochener Inklusion zu gesellschaftlichen Konflikten führt. Das bedeutet aus der normativ-demokratietheoretischen (Außen-)Perspektive, dass diese Formen von sozialer und kultureller Alltagsbewältigung auch als die implizite Einforderung des demokratischen Versprechens auf umfassende Inklusion als Basis für die Realisierung von gesellschaftlichen Selbsteinwirkungsmöglichkeiten gesehen werden können, auch wenn diese Einforderung von Seiten der Betroffenen nicht explizit erhoben wird. Eingelassen sind politische bzw. potenziell politische Artikulationen - im Sinne des erwähnten Kampfes um Anerkennung - in den Kontext kulturell geprägter kollektiver Identitäten. Gleichzeitig haben diese Artikulationen nicht zuletzt auch die Funktion, diese Identitäten wiederum zu stärken bzw. in Richtung auf stärkere Kollektivität zu verändern. Sie sind gleichzeitig Äußerungen von wie Voraussetzungen für Zugehörigkeiten, die politisch wirksam werden können. Die Verbindung zwischen kulturellen Selbstverständigungsprozessen bzw. dem Kampf um Anerkennung und politisch wirksamen Organisationsformen ist aber nicht automatisch oder zwangsläufig gegeben - vor allem dann nicht, wenn es sich eher um Kämpfe im Bereich der alltäglichen Lebensbewältigung handelt und nicht um Fragen von kultureller Identität, die als solche thematisiert werden, wie bei den vielfaltigen Formen von „identity politics": Zugehörigkeiten, die beispielsweise in der Hauptsache über Familie und Nachbarschaft definiert werden, sind nicht in gleicher Weise als Identitäten politisierbar wie die Zugehörigkeit zu ethnisch-kulturellen bzw. religiösen Minderheiten, sexuelle Präferenz etc. Dennoch sind sie eingebettet in einen sozioökonomischen und auch in einen kulturellen Kontext; auf ihnen beruhende Artikulationen können politisch wirksam werden. Das soll im Übrigen nicht bedeuten, dass es in Lateinamerika nicht auch vielfaltige Formen von „identity politics" gäbe; es soll lediglich der Blick darauf gelenkt werden, dass kulturelle Selbstverständigungsprozesse und Anerkennungskämpfe nicht notwendigerweise im Sinne von „identity politics" auftreten müssen.
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An dieser Stelle ist eine begriffliche Klarstellung erforderlich: Bei vielen lateinamerikanischen Autoren wird in diesem Zusammenhang relativ unbefangen der Begriff der Identität gebraucht, sowohl in Bezug auf Individuen als auch in Bezug auf Kollektive. Der Begriff der personalen Identität ist m. E. vergleichsweise unproblematisch - durchaus in Abgrenzung von der These vom Ende oder vom Tod des Subjekts - , sofern er in nicht substanzieller Hinsicht gebraucht wird. 18 Der Begriff der kollektiven Identität birgt dagegen mindestens zwei grundlegende Probleme: Die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit der Gruppenzugehörigkeiten von Individuen machen es zum einen schwierig, kollektive Identität und personale Identität einfach zu parallelisieren. Zum anderen bestehen deutliche Missbrauchsgefahren des Begriffs der kollektiven Identität im Sinne seiner Ideologisierung durch eine „normierende Verwendung" (vgl. Straub 1998: 98-99). Reinhard Kreckel lehnt den Begriff aus diesen Gründen vollständig ab: Nur Individuen können Identität ausbilden. Gruppen können dies nicht. Auch Gesellschaften (oder .Nationen') haben keine Identität. [...] sie verfügen über keine ,Kollektivpersönlichkeit' oder ,Gruppenseele' (Kreckel 1994: 14).
Allerdings wird auch von Kreckel keinesfalls bestritten, dass erstens Gruppen und auch Kollektive in Bezug auf die Prägung von Identitäten der Individuen als Kollektiv- bzw. Gruppenmitglieder entscheidenden Einfluss ausüben können und zweitens die Prozesse dieser Prägungen innerhalb der Gruppe oder des Kollektivs eine erhebliche Eigendynamik entwickeln können. Jürgen Straub plädiert (vor allem mit Bezug auf Jan Assmann) deshalb dafür, trotz grundsätzlicher Bedenken den Begriff der kollektiven Identität beizubehalten. Er definiert kollektive Identitäten als ,Ji.onstrukte, die nichts anderes bezeichnen als eine näher zu spezifizierende Gemeinsamkeit im praktischen Selbst- und Weltverhältnis sowie im Selbst- und Weltverständnis einzelner" (Straub 1998: 103; Hervorh. i. O.). Der Begriff der kollektiven Identität wird im Rahmen dieser Untersuchung in Anlehnung an Straub im Folgenden im Sinne von „kollektiv induzierter Selbstund Weltsicht" verwendet. Damit soll ausgedrückt werden, dass es zwischen Individuum und Gruppe eine Wechselwirkung sowohl in Bezug auf das Selbstverständnis wie auch die Weltanschauungen bzw. Weltsichten gibt. Diese werden aber immer im Individuum wirksam: Das Kollektiv ist keine Entität mit Bewusstsein. Dennoch positioniert sich das Individuum nie ausschließlich als Individuum, sondern immer auch als Gruppenmitglied, wobei es unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten besitzt - je komplexer die Gesellschaft, desto 18
„Differenzen und Ambiguitäten auszuhalten, sie als solche erkennen, anerkennen und mit ihnen umgehen zu können ist ein Bestandteil gelingender ,Identitätsarbeit'. Darin sind sich moderne Identitätstheorien einig [...]" (Straub 1998: 95). Mit Bezug auf Lothar Krappmann führt Straub Kompetenzen an, die für die „Bildung und Bewahrung .balancierter Identität'" notwendig seien: „Empathie, Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, Identitätspräsentation und das diese Fähigkeiten tragende Sprachvermögen" (Straub 1998: 95). 31
komplexer in aller Regel auch die Zugehörigkeiten. 19 Parallel dazu werde ich den Begriff der „kulturellen Identität" gebrauchen, wenn nicht die kollektive Bindungskraft, sondern die kulturelle Prägung im Sinne des hier gebrauchten Kulturbegriffs im Vordergrund steht. 20 Die Frage, welche auf kulturellen Selbstverständigungsprozessen bzw. Anerkennungskämpfen beruhenden Formen kollektiven Handelns politisches Potenzial beinhalten, kann also nicht unabhängig von den jeweiligen sozialen und politischen Kontexten beantwortet werden. Diese Frage wird im Folgenden noch eingehender behandelt. Es sei allerdings an dieser Stelle bereits die These gewagt, dass desto mehr Formen kollektiven Handelns als potenziell politisch begriffen werden müssen, j e geringer der Institutionalisierungsgrad einer Gesellschaft oder von Teilen einer Gesellschaft ist: Ein geringerer Grad an Institutionalisierung besagt j a nicht notwendigerweise, dass eine Gesellschaft substanziell weniger differenziert ist. Damit bedeutet ein geringerer Grad an Institutionalisierung auch nicht, dass es weniger politischen Regelungsbedarf für eine Gesellschaft gibt, sondern dass dieser Regelungsbedarf über andere Kanäle als die von Institutionen vorgesehenen gedeckt werden muss. 21 Der Institutionalisierungsgrad ist in Lateinamerika in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft und für unterschiedliche Institutionen sehr uneinheitlich; es lässt sich aber feststellen, dass - wie in anderen Ländern der Peripherie - gerade in den Urbanen Armutsgebieten (wenn überhaupt) nur eine sehr geringe Institutionalisierung und staatliche Durchdringung der Gesellschaft vorhanden ist. Angesichts dieser Defizite staatlicher Organisationsfahigkeit gewinnen Formen von Selbstorganisation nicht nur eine besonders große Relevanz, sie lassen sich auch als Ausdruck eben dieser Defizite lesen - und damit auch als potenziell politische Äußerungen. Das Potenzial realisiert sich, wenn diese Artikulationen explizit mit politischen Ansprüchen verknüpft werden und/oder wenn es eine Reaktion von Seiten der politischen bzw. staatlichen Institutionen gibt. Ob es bei einem daraus entstehenden Konflikt oder auch einer daraus entstehenden Kooperation eher um (kulturelle) Anerkennung oder eher um soziale Verteilungskämpfe geht, ist letzt19
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Diese Ausfuhrungen verweisen natürlich auf sehr breite und sehr kontroverse Debatten in unterschiedlichen Disziplinen. Dem kann an dieser Stelle und im Rahmen dieser Arbeit schlechterdings nicht adäquat Rechnung getragen werden. Ich hoffe dennoch, dass diese kurzen Ausfuhrungen meine eigene Position sowohl deutlich als auch plausibel gemacht haben. Auch in diesem Fall verbietet sich jeder Essenzialismus. Vgl. Zires (1997: 76-77), nach deren Interpretation es kein Element eines kulturellen Bedeutungszusammenhangs gebe, ohne den dieser nicht existieren könne. Dies gilt natürlich nur für relativ hochgradig differenzierte Gesellschaften. In Bezug auf archaische Gesellschaften, in denen von Politik wie auch von Institutionen in einem modernen Sinn keine Rede sein kann, wäre es auch absurd, von einem politischen Potenzial kollektiven Handelns zu sprechen. Es geht im Kontext dieser Arbeit um institutionelle Defizite ausdifferenzierter Gesellschaften, die auf funktionale Äquivalente angewiesen sind beispielsweise im Sinne kollektiven Handelns.
lieh eine nur empirisch und für den Einzelfall zu beantwortende Frage - sie ist aber auch für die grundsätzliche Verortung im Spannungsfeld von demokratischer Inklusion und vielschichtigen Differenzen nicht entscheidend. Dagegen ist es in der Tat entscheidend anzuerkennen, dass beide Faktoren eine Rolle spielen, wie auch immer diese im konkreten Fall gewichtet sind. Es geht in sozialen Konflikten immer sowohl um Anerkennungskämpfe (womit diese immer auch eine „moralische Grammatik" besitzen, wie Axel Honneth es nennt) und um interessengeleitete Verteilungskämpfe (Honneth 1994b: 264-265; vgl. auch Reichel 1981: 57). In der Einleitung wurde bereits angedeutet, dass für diese konzeptionelle Verbindung kultureller Faktoren und ihrer politischen Wirksamkeit der Begriff der politischen Kultur nahe liegt - denn es geht ja gerade um diejenigen Momente von Kultur, die politisches Potenzial beinhalten und ggf. auch tatsächlich politische Relevanz entwickeln. Allerdings ist ein solcher Begriff von politischer Kultur nicht ohne weiteres kompatibel mit den gängigen Verwendungsweisen, seien sie alltagssprachlich oder sozialwissenschaftlich. Das liegt nicht zuletzt auch an der begrifflichen Unbestimmtheit bzw. Definitionsbedürftigkeit des Begriffs der Kultur. Im Folgenden soll es deshalb zunächst um diese Begrifflichkeiten gehen.
2.2
„Kultur" und „politische Kultur" - Anmerkungen zu zwei schwierigen Begriffen
Wenn im Deutschen der Begriff „politische Kultur" gebraucht wird, dann meist in einem eher feuilletonistischen Sinne. In Deutschland wird Kultur landläufig als etwas verstanden, „das man hat"; und so wird folgerichtig im politischen Feuilleton wie auch in der politischen Rhetorik nicht von einer bestimmten Ausprägung der politischen Kultur, sondern stets von ihrem Vorhandensein gesprochen oder - häufiger - ihr Fehlen beklagt. Gemeint ist in der Regel eine bestimmte verhaltensrelevante Einstellung seitens der Bevölkerung oder der politisch Handelnden, die einer Demokratie angemessen oder würdig ist oder gar in irgendeiner Form ihre Grundlage bildet. Für die politische Rhetorik ist dieser Gebrauch auch vollkommen ausreichend und angemessen, für die wissenschaftliche Verwendung ist er in gleichem Maße unzureichend. 22 Bereits dieser vorwissenschaftliche Gebrauch des Begriffs verweist durchaus auf seine weiter gehende Bedeutung für ein demokratisches Gemeinwesen. Es 22
Vgl. auch Klaus Eder, der zum Begriff der Kultur schreibt: „'Kultur' ist also ein Konzept, das zwar auf ein intuitives Vorverständnis bauen, das aber auch zum bloßen Modebegriff werden kann. Wenn wir den Begriff der Kultur dennoch verwenden, dann sind wir zu einer Gratwanderung gezwungen, bei der links wie rechts der Abgrund des bloßen Feuilletons gähnt. Wer nicht herunterfallen will, muß wohl überlegen, wie er auf diesem Grat weitergehen will" (Eder 1989: 519). Wissenschaftliche Bonmots wie dieses ließen sich viele finden; gerade dieser Umstand weist darauf hin, dass es sich um ein schwerwiegendes Problem handeln muss.
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geht offenbar um das Miteinander der Akteure im Bereich des Politischen, um die ungeschriebenen Gesetze (oder auch um positives Recht), welche mehr oder minder eindeutig klären sollen, was beispielsweise im Umgang mit dem politischen Gegner erlaubt ist und was nicht. Karl Rohe definiert politische Kultur in diesem Sinne als „politische Alltagstheorie": Sie sei ein „Regelsystem, von dem abhängt, was und wie ,man' innerhalb eines sozialen Verbandes politisch handeln, politisch reden und politisch denken kann, ohne mit informellen gesellschaftlichen Sanktionen rechnen zu müssen" (Rohe 1994: 162-163).23 Fragen der Trennung von privaten Interessen und öffentlichen Aufgaben gehören genauso in diesen Bereich wie die Veröffentlichung oder das Verschweigen von Details aus dem Privat- und Intimleben von Personen des öffentlichen Lebens in den Massenmedien. Letztlich, so könnte man diesen gängigen Gebrauch des Begriffs der politischen Kultur zusammenfassen, geht es um Fragen des politischen Anstands. Nun ist zu konstatieren, dass der deutsche Alltagsgebrauch des Begriffs der Kultur im oben genannten Sinne - also etwas, „das man hat" - genau diese Parallelisierung von Kultur und Anstand nahe legt. Dies geht zurück auf einen normativen Kulturbegriff, der in der deutschen Geistesgeschichte seit dem 18. Jahrhundert das über bloße Zivilisation hinausgehende Moment der Veredelung menschlicher Gesellschaft vor allem in Religion, Kunst und Philosophie beschreibt (vgl. Reckwitz 2000: 65-72). In Verbindung mit einer eher bildungsbürgerlichen Verkürzung dieses Kulturbegriffs ist es dann nahe liegend, die Verinnerlichung solcher kultureller Errungenschaften und ihre positiven Auswirkungen auf das Handeln (gerade auch in der Öffentlichkeit) als einen kostbaren Besitz zu betrachten: Ein kultivierter Mensch ist jemand, der Kultur hat und sich auch so verhält: eben anständig. Und, nebenbei bemerkt, ist dieser Besitz (wie jeder andere Besitz auch) ein Distinktionsmerkmal. Da er sich nicht zuletzt auf der Ebene eines Kollektivs akkumulieren lässt, eignet er sich zudem hervorragend, um ein Kollektiv vom anderen abzuheben. Damit lässt sich dann eine „Kulturnation" von weniger kultivierten Völkern unterscheiden - was ja (nicht nur in Deutschland) noch zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts immer wieder zu mehr oder weniger amüsanten Selbstverständigungsdebatten fuhrt. Allerdings ist dieser Gebrauch der Begriffe schon nicht sonderlich hilfreich, wenn ein zeitgemäßerer Zugang zum Phänomen der Kultur gesucht wird (und zwar über die Spielarten hinaus, die in der Umgangssprache Wortkombinationen wie „Unternehmenskultur" hervorbringen), geschweige denn, wenn es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kultur im Allgemeinen und mit politischer Kultur im Besonderen geht. Seit den 1960er Jahren hat sich ein Begriff von Kultur weit gehend durchgesetzt (nicht gerade im alltäglichen Sprachgebrauch, aber doch über die einschlägigen Wissenschaften hinaus), der als „bedeutungs- und 23
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Allerdings muss hinzugefugt werden, dass dies gerade für Rohe nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Darauf wird zurückzukommen sein.
wissensorientierter Kulturbegriff' bezeichnet werden kann (vgl. Reckwitz 2000: 64-90, bes. 84-90): Nicht der Besitz von Kultur, sondern die Produktion von Kultur rückt dann meist in den Vordergrund. Der gesellschaftlichen Relevanz von Kultur kommt dieser Begriff m. E. sehr viel näher, denn produzieren lassen sich ja nicht nur materielle Güter, sondern auch Zeichen und Symbole, Deutungen und Bedeutungen. Die Produktion kultureller Güter bedeutet also im weiteren Sinne einen kreativen Akt insofern, als innerhalb von Zeichen- und Bedeutungssystemen Ausdrucksformen gefunden werden sollen oder gar neue oder zumindest veränderte Zeichen- und Bedeutungssysteme erstellt werden. Damit geht es auch nicht zuerst um eine Produktion von Dingen, die sich besitzen lassen, sondern um solche, die in der passiveren Variante konsumiert und in der aktiveren Variante rezipiert werden (besitzen lassen sich dann wiederum bestimmte Formen solcher kultureller Produktionen bzw. der Zugang zu ihnen: Kunstwerke und ihre Reproduktionen bis hin zu ganzen Galerien oder Museen, Tonträger, Eintrittskarten, Bücher etc.). Die Ressource, die damit geschaffen wird, ist Sinn bzw. Sinnhaftigkeit: Produktion und Rezeption (oder auch schon bloße Konsumtion) von kulturellen Produkten bedeutet, Sinnzuschreibungen vorzunehmen. Kultur ist aber nun nicht einfach die Summe der kulturellen Produkte. Vielmehr findet diese Produktion immer schon im Rahmen von Kultur statt (auch wenn sie ihn verändert und gelegentlich sprengt), d.h., erst die ständige Rezeption und Konsumtion von kulturellen Produkten ermöglicht wiederum deren Produktion. Das bedeutet auch, dass Sinnzuschreibungen vor dem Hintergrund von bereits vorhandenen Sinnmustern oder -systemen erfolgen, die über das einzelne Individuum hinausweisen. Anders als mit dem Verweis auf den intersubjektiven oder gar kollektiven Charakter von Sinnmustem ist beispielsweise der massenhafte Konsum kulturindustrieller Produkte genauso wenig erklärbar wie die erfolgreiche Evozierung gemeinschaftsstiftender Symbole. Sinnmuster und -systeme bilden also eine Grundlage der menschlichen Welt- wie der Selbstwahrnehmung. Diese Wahrnehmungen wiederum bilden die Grundlage dafür, wie Menschen - jeweils mehr oder weniger bewusst - jedwede Situation einschätzen, in der sie und andere sich befinden; und auf dieser Grundlage können und müssen sie handeln. Kultur, so lässt sich dann festhalten, „sind jene Sinnsysteme, über die die Akteure im Sinne von geteilten' Wissensordnungen verfügen, die ihre spezifische Form des Handelns ermöglichen und einschränken" (Reckwitz 2000: 85). 2.2.1 Die grundlegenden Veränderungen im Begriff der Kultur: der Cultural Turn Nun ist eine solche Definition von Kultur weder selbstverständlich noch voraussetzungslos. Der wissens- und bedeutungsorientierte Kulturbegriff ist das Ergebnis einer theoretischen Entwicklung, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts, vor allem aber in dessen letztem Drittel ergeben hat und die als „kulturtheoreti35
sehe Wende" oder Cultural Turn bezeichnet wird. Schon der vergleichsweise lange Zeitraum, den diese Wende bereits einnimmt, legt nahe, dass es sich tatsächlich um eine Art von Paradigmenwechsel und nicht um eine kurzfristige wissenschaftliche Mode handelt. Allerdings ist der Verdacht einer Modeerscheinung ohnehin für die meisten der geisteswissenschaftlichen Disziplinen in den meisten Ländern nicht mehr akut - die Politikwissenschaft als Fach insgesamt und die deutschen Geisteswissenschaften als ein nationaler Sonderfall tun sich hingegen offenbar etwas schwerer mit dieser kulturtheoretischen Wende. Erst seit Ende der 1990er Jahre mehren sich die deutschsprachigen Veröffentlichungen mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen, auch dabei sind politikwissenschaftliche Arbeiten allerdings nicht gerade überrepräsentiert. Natürlich ist die geistes- bzw. gesellschaftswissenschaftliche Beschäftigung mit Kultur nicht ein Phänomen der letzten drei, vier Jahrzehnte. Aber in diesem Zeitraum hat sich ein grundlegender Wandel im Verständnis von Kultur ereignet, der die Rede von der „kulturtheoretischen Wende" gerechtfertigt erscheinen lässt. Der wissens- und bedeutungsorientierte Kulturbegriff, der in unterschiedlichen Ausprägungen dabei entstanden ist, unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von anderen Kulturbegriffen, die ihm vorausgegangen sind bzw. neben ihm existieren. Kultur wird hier verstanden als Komplex symbolischer Ordnungen, innerhalb derer es für Menschen möglich ist, ihre Wirklichkeit zu verstehen, ihr Bedeutung zuzuschreiben und sich über sie auszutauschen - damit wird Handeln wie auch Kommunikation ermöglicht. Dies ist ein anderes Verständnis von Kultur als es sich in den beiden vorherrschenden Kulturbegriffen ausdrückt (die nicht nur alltagssprachlich, sondern auch noch bis weit in die gesellschaftswissenschaftliche Literatur hinein wirkmächtig sind): -
Der totalitätsorientierte Kulturbegriff. Auf Herder zurückgehend, wird dabei unter Kultur die Gesamtheit von mehr oder minder typischen Lebensformen größerer Gruppen (meist: Nationen oder auch so genannte Kulturkreise) verstanden, wobei dabei geistige Aktivitäten und vor allem das normative Gefüge eingeschlossen sind: all das, was menschlicher Geist und menschliche Kreativität hervorgebracht haben und weiterhin hervorbringen, also letztlich alles, was Nicht-Natur ist (vgl. Reckwitz 2000: 72-79).
-
Der normative Kulturbegriff. Unter Kultur wird hierbei das über bloße Zivilisation hinausgehende Moment der Veredelung menschlicher Gesellschaft (v.a. in Religion, Kunst und Philosophie) verstanden (zuerst formuliert von Pufendorf; vgl. Lipp 1996: 79-82; Reckwitz 2000: 65-72).
Nach der Typologie von Reckwitz (2000: 64-90) lässt sich neben diesen beiden überkommenen und dem wissens- und bedeutungsorientierten ein vierter Kulturbegriff identifizieren: der differenzierungstheoretische, der Kultur wertfrei als ein Teilsystem der Gesellschaft definiert. Dieser Kulturbegriff interessiert allerdings im Rahmen dieser Untersuchung nur am Rande. 36
Nun lässt sich beobachten, dass die beiden nach wie vor wirkmächtigen Kulturbegriffe offenbar auf unterschiedlichen Ebenen gebräuchlich sind und sich nicht unbedingt wechselseitig ausschließen. Geht es um einen eher allgemeinen Kulturbegriff, so wird in aller Regel auf einen totalitätsorientierten Kulturbegriff zurückgegriffen. Dieser hat zwei Vorteile: Zum einen handelt es sich um einen „Catch-A//-Begriff, der keine genauere Definition von Kultur erfordert bzw. diese tendenziell unmöglich macht, und zum anderen ermöglicht er es, von Kulturen im Plural zu sprechen und relativ willkürliche Abgrenzungen zwischen diesen vorzunehmen. Im Sinne kultureller Distinktionsmerkmale kann dann zusätzlich auf den normativen Kulturbegriff zurückgegriffen werden: Kulturen oder Kulturkreise können dann in Bezug auf ihre vermeintlichen „kulturellen Errungenschaften" oder den Grad ihrer „kulturellen Reife", gelegentlich auch ihre „kulturelle Über- oder Unterlegenheit" verglichen werden. 24 Mit der kulturtheoretischen Wende sind diese beiden Kulturbegriffe zwar nicht gerade verschwunden; für den wissenschaftlichen Gebrauch (nicht nur den kulturwissenschaftlichen) ist ihre Bedeutung aber doch stark geschwunden. In der Tat liegt wohl eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Wende in der Ausarbeitung des wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriffs. 25 Dieser speist sich in der Hauptsache aus vier verschiedenen und teilweise sogar theoretisch gegensätzlichen Quellen der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts (Reckwitz 2000: 84-90): 1. Die Phänomenologie (Husserl, Heidegger, Gadamer), mit ihrer Frage, wie das Verstehen der Welt im kulturspezifischen Vorverständnis historischer Überlieferungszusammenhänge verankert ist. 2. Der französische Strukturalismus, namentlich Saussure. Kernaussage für die Kulturtheorie ist, dass nicht das Subjekt den Objekten Sinn zuschreibt (wie in der Phänomenologie), sondern Sinn durch Differenzen in geschlossenen Zeichensystemen generiert wird.
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Dies ist durchaus auch auf bestimmte Teilbereiche von Kultur anwendbar - wie beispielsweise auf den Begriff der politischen Kultur: Es sind dann zum einen politische Kulturen gegeneinander abgrenzbar und als Entitäten normativ bewertbar. Zum anderen kann der Grad der politischen Kultur bestimmt werden, es kann also im Sinne des alltagssprachlichen Gebrauchs beispielsweise von demokratischen oder weniger demokratischen politischen Kulturen gesprochen werden. Die folgende Darstellung der Entwicklung des Cultural Turn und der Entstehung des Wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriffs folgt in der Hauptsache der Untersuchung Andreas Reckwitz' „Die Transformation der Kulturtheorien" (Reckwitz 2000). In Bezug auf die Konvergenzbewegung von Strukturalismus und Phänomenologie handelt es sich um eine hervorragende Arbeit. Ihre Schwächen liegen in der fast vollständigen Auslassung der kritischen Strömungen unter den kulturtheoretischen Ansätzen - angefangen bei der älteren Kritischen Theorie, über die älteren Cultural Studies und Theoretiker wie den „Mythologen" Roland Barthes bis hin zu postmodernen marxistischen Kulturwissenschaftlern wie Frederic Jameson und Douglas Kellner (vgl. Schwenn 2001). 37
3. Der amerikanische Pragmatismus (Peirce, James, Dewey, Thomas, Mead), der davon ausgeht, dass menschliche (lnter-)Aktion von übersituativ geltenden Symbol- und Zeichensystemen geprägt wird. Menschliche (Inter-)Aktion erfordert ihrerseits ständige Interpretationen und wird deshalb häufig standardisiert, lässt aber immer Platz für Kreativität. 4. Das Konzept der erlernten Sprachspiele bei Wittgenstein. Wissen lässt sich immer nur innerhalb von Sprachspielen begründen, darüber hinaus gibt es keine Begründbarkeit. Dennoch (oder gerade deswegen) funktionieren die Sprachspiele und die darauf aufbauenden Handlungspraktiken. Die wichtigsten beiden Strömungen dabei sind allerdings Phänomenologie und Strukturalismus. Reckwitz konstatiert in Bezug auf diese beiden großen, gegensätzlichen Theorie-Entwürfe eine Konvergenzbewegung im Laufe des 20. Jahrhunderts in Richtung einer kulturwissenschaftlichen Praxistheorie. Diese Konvergenz gipfelt vorläufig in den Theoriegebäuden von Pierre Bourdieu als Vertreter einer Praxeologie in der Traditionslinie des Strukturalismus und Charles Taylor als Vertreter einer interpretativen Sozialtheorie mit Wurzeln in der ( Sozial-)Phänomenologie. In der strukturalistischen bzw. neostrukturalistischen Tradition sind die Schlüsselautoren neben Lévi-Strauss, Ulrich Oevermann sowie der frühe und der späte Foucault, bis Pierre Bourdieu den vorläufigen Höhepunkt bildet. Die Sozialphänomenologie beginnt beim frühen Alfred Schütz, fuhrt über den späten Schütz, Erving Goffman und Clifford Geertz hin zu Charles Taylor als Vertreter der elaboriertesten Praxistheorie innerhalb der interpretativen Kulturtheorien (Reckwitz 2000: 183-194 und passim). So gegensätzlich wie die Ursprünge der jeweiligen Traditionen waren, so nah sind sich diese letzten Vertreter gekommen, indem sie nicht nur die Beschränktheiten und Einseitigkeiten der eigenen Tradition überwunden, sondern auch wichtige Erkenntnisse der theoretischen „Gegenseite" übernommen haben. Herausgekommen sind Praxistheorien, die subjektive Sinnzuschreibungen, welche sich in Handeln niederschlagen, genauso ernst nehmen wie die dahinter liegenden Sinnmuster, die diese Zuschreibungen und damit das Handeln überhaupt erst ermöglichen. Die Ausgangslage hätte so eine Konvergenz beileibe nicht vermuten lassen: Aus der Sicht des klassischen Strukturalismus mit Claude Lévi-Strauss als wichtigstem Vertreter konnte nur die Analyse objektiver Strukturen eine adäquate Beschreibung der Welt liefern. Die subjektive Sicht einzelner Individuen und ihre persönliche Interpretation der Welt war in dieser Sicht ein Epiphänomen, das eine wissenschaftliche Sicht nur vernebeln konnte. Das Interesse galt den objektiven kulturellen Strukturen, die den Subjekten vorgängig sind. Die Subjekte wiederum schaffen sich ihre konkreten Ausdrucksformen keinesfalls intentional, sondern nur innerhalb der gegebenen objektiven Strukturen. Dagegen war der Blick der Sozialphänomenologie, namentlich durch den frühen Alfred Schütz, von gegensätzlichen Grundannahmen geprägt: Nur die Analyse der in38
tentionalen Handlungen des Subjektes und seines individuellen Sinnverstehens kann ein Verstehen der sinnhaften Grundlagen menschlichen Handelns ermöglichen. Es gibt in dieser Perspektive keine anderen objektiven Strukturen als die durch intentionales menschliches Handeln entstandenen. Die Praxistheorien bzw. Theorien sozialer Praktiken von Charles Taylor und Pierre Bourdieu als Ergebnis der Konvergenzbewegung haben nun diese jeweiligen theoretischen Engführungen überwunden: Die zentralen Errungenschaften des strukturalistischen Denkens - das Konzept von Kultur als sprachanaloges Unterscheidungssystem, das in seiner Verbreitung und Komplexität das Bewußtsein transzendiert - und des phänomenologischen Denkens - die .Entdeckung' des alltäglichen Sinnverstehens als Handlungsbedingung, in dem Gegenstände intentional ,als etwas' konstituiert werden - stellen sich als notwendige Voraussetzungen der gegenwärtigen praxistheoretischen Kulturtheorien dar (Reckwitz 2000: 646).
In der angeführten Definition von Kultur sind dann auch beide Denktraditionen aufgehoben, wenn auch in denkbar allgemeiner Form: sowohl die subjektive Komponente, nach der sich das Wissen von der Welt im Kopf des Wissenden bildet, als auch die strukturelle Komponente, nach der sich nicht beliebiges Wissen bilden kann, zumindest aber nur das als Wissen Relevanz über den Wissenden hinaus erlangen kann, das auch mitteilbar ist - und das dementsprechend über das Subjekt hinausweist. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass sich auch der Wissens- und bedeutungsorientierte Kulturbegriff nicht trennscharf vom holistischen Kulturbegriff abgrenzen lässt: Aus der Perspektive der Kulturtheorien ist entscheidend, daß die Welt für den Menschen nur insofern existiert, als ihr auf der Grundlage von symbolischen Ordnungen Bedeutungen zugeschrieben werden und sie damit gewissermaßen erst sinnhaft produziert wird: Die Welt existiert nur als symbolische, vor dem Hintergrund jener konstitutiven Regeln, die es ermöglichen, sie mit Bedeutungen zu versehen (Reckwitz 2000: 33).
Damit ist streng genommen der wissens- und bedeutungsorientierte Kulturbegriff noch holistischer als der von Reckwitz als holistisch bezeichnete: Auch die Unterscheidung von Natur und Kultur ist selbst noch ein Phänomen der Kultur. Diese intrinsische Nähe ist allerdings nicht unbedingt ein Nachteil - sofern es gelingt, die holistische Grundierung von überkommenen Konnotationen zu befreien, die auf unrealistische Annahmen beispielsweise in Bezug auf die Homogenität „nationaler Kulturen" verweisen: Die Probleme, die bei der Bestimmung einzelner Kulturen in Abgrenzung voneinander erwachsen, sind sehr prinzipieller Art (und das gilt nicht nur für Nationen). Der Vorteil der Verwandtschaft von holistischem und wissens- und bedeutungsorientiertem Kulturbegriff liegt dagegen darin, dass auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelte Wirklichkeitsbezüge in ihrem jeweiligen Eigensinn expliziert werden können, ohne dass sie aus ihrem Zusammenhang gerissen werden müssen. Dies ist nicht zuletzt für die Ausarbeitung eines Begriffs von politischer Kultur von Bedeutung. Allerdings verweist 39
m. E. diese Verwandtschaft auf ein relativ stärkeres Gewicht der hermeneutischphänomenologischen Tradition für den Wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriff, als dies bei Reckwitz suggeriert wird. Dies zu vertiefen kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein; um die Richtung anzudeuten, sei an dieser Stelle auf die Definition von Kultur in Max Webers 1904 erschienenem Aufsatz „Die ,Objektivität' sozialwissenschaftlicher Erkenntnis" verwiesen: ,Kultur' ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens. [...] Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaft ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgendeine ,Kultur' wertvoll finden, sondern daß wir Kulturmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen. Welches immer dieser Sinn sein mag, er wird dazu fuhren, daß wir im Leben bestimmte Erscheinungen des menschlichen Zusammenlebens aus ihm heraus beurteilen, zu ihnen als bedeutsam (positiv oder negativ) Stellung nehmen. Welches immer der Inhalt dieser Stellungnahme sei, - diese Erscheinungen haben für uns Kulturbedeutung, auf dieser Bedeutung beruht allein ihr wissenschaftliches Interesse (Weber 1956 [1904]: 223; Hervorh. i. O.).
Wichtig erscheint mir vor allem die Abgrenzung vom normativen Kulturbegriff zu sein, die allererst eine seriöse wissenschaftliche Beschäftigung mit Kultur möglich macht. Damit soll - ungeachtet der Frage, wie stark Weber nun in der phänomenologischen Tradition verortet werden kann - der Diagnose eines produktiven Einflusses des Strukturalismus auf die Herausbildung eines wissensund bedeutungsorientierten Kulturbegriffs gar nicht im Grundsatz widersprochen werden. Auch ist es offensichtlich noch ein weiter Weg von der Weber'sehen Definition bis zu einer adäquaten, auf einen Kulturbegriff gestützten Praxistheorie, da die Dimension der Handlungsermöglichung und -einschränkung in dieser Definition noch fehlt. Der Verweis auf Weber soll vor allem deutlich machen, dass es für die Explikation eines politikwissenschaftlich fruchtbar zu machenden Kulturbegriffes nicht ausreicht, die philosophischen und kulturanthropologischen Traditionen zu bemühen: Für die Beschäftigung mit politischer Kultur ist es m. E. notwendig, die sozialwissenschaftlichen Wurzeln des Wissens* und bedeutungsorientierten Kulturbegriffs stärker hervorzuheben, als das bei Reckwitz der Fall ist. 2.2.2 Zur Relevanz eines Begriffes von politischer Kultur Diese kurze Abhandlung zur Entstehung des wissens- und bedeutungsorientierten Kulturbegriffs sollte vor allem verdeutlichen helfen, warum dieser gerade in seiner Verbindung von phänomenologischen und strukturalistischen Momenten geeignet scheint, als Grundlage für einen Begriff von politischer Kultur zu dienen: In dieser Kulturdefinition sind drei wesentliche Elemente des Politischen bereits enthalten: Kollektivität bzw. Intersubjektivität (hier im Sinne „geteilter Wissensordnungen"), Handlungsermöglichung und Handlungseinschränkung. Sieht man diese Definition von Kultur als plausibel an, so lässt sich eine intrinsi-
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sehe Nähe von Kultur zum Politischen konstatieren. Wenig plausibel wäre es hingegen, politische Kultur als einen tautologischen Begriff zu fassen, da alle Kultur immer schon politisch sei. Es sollte möglich sein, das politische Potenzial bzw. die politisch relevanten Momente von Kultur zu explizieren, ohne die Grenzen zwischen den Bereichen aufzuheben oder auch nur über Gebühr zu verwischen. Wenn alles politisch ist, ist nichts politisch. Auch der umgekehrte Weg fuhrt in die gleiche Sackgasse: Wenn politisches Handeln im Sinne der Herbeiführung oder Beeinflussung von kollektiv verbindlichen Entscheidungen auch immer eine Dimension von Rückgriff auf geteilte Wissensordnungen hat und sich nicht zuletzt in symbolischen Formen manifestiert, so erschöpft es sich durchaus nicht darin. Es ist ebenso kurzschlüssig, kulturelle Ausdrucksformen auf ihren politischen Gehalt zu reduzieren, wie politische Formen auf ihren kulturellen Gehalt. Der - immer wieder unternommene - Versuch der Aufhebung des Eigensinns der modernen Wertsphären über die Totalisierung einer dieser Sphären kann nicht zu produktiven Ergebnissen fuhren (vgl. Habermas 1992b: 46-49). Im Sinne der Perspektive dieser Untersuchung, die lateinamerikanischen sozialwissenschaftlichen Diskurse hinsichtlich der demokratietheoretischen Spannung von Inklusion und Differenz zu betrachten, ist es also notwendig, einen Begriff von politischer Kultur zumindest in seinen Grundzügen zu skizzieren, in dem beide Elemente in ihrem jeweiligen Eigensinn aufgehoben sind. Dabei ist es weder damit getan, jeweils eine plausible Definition von Kultur und von Politik zu erarbeiten und diese in einen unmittelbaren Bezug zueinander zu setzen oder die Schnittmenge aus beiden Bereichen zu bilden, noch von der einen oder der anderen Seite eine Negierung des Eigensinns der jeweils anderen Seite zu betreiben. Nötig ist vielmehr eine Explikation, was an der Kultur oder an kulturellen Ausdrucksformen politisch ist oder sein kann. Die umgekehrte Explikation der kulturellen Gehalte von Politik spielt zwar auch eine Rolle, ist in ihrer Wichtigkeit aber nicht spiegelbildlich zu sehen. 26 Objekt ist in erster Linie die Relevanz kultureller Zusammenhänge und Ausdrucksformen für das Politische, erst in zweiter Linie das umgekehrte Verhältnis. Das ergibt sich auch aus konzeptionellen Erfordernissen: Die Fragen von Differenz und Inklusion verweisen nicht zuletzt auf Anerkennungskämpfe, die ihrerseits auf die politische Explikation von Formen kollektiver Identität verweisen. Es geht also im Sinne der Reckwitz'sehen Definition um kollektive Sinn- und Bedeutungszusammenhänge, welche in Form von Anerkennungskämpfen politische Bedeutung erlangen. Damit soll allerdings nicht bestritten werden, dass es Rückwirkungen der Politik (auch im engeren Sinne des politisch-administrativen Systems bzw. staatlicher 26
Das Verhältnis von Substantiv und Adjektiv im Ausdruck „politische Kultur" ist durchaus programmatisch zu verstehen. Und auch wenn es eine begrüßenswerte Tendenz gibt, die Sozialwissenschaften kulturtheoretisch zu transformieren, handelt es sich bei dieser Arbeit doch um eine politikwissenschaftliche Untersuchung und nicht um eine kulturwissenschaftliche im engeren Sinne.
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Institutionen etc.) auf individuelle und kollektive Identitäten gibt. Ganz im Gegenteil sind symbolische Formen ein notwendiger Bestandteil von Politik, da sich die Wahrnehmbarkeit der Politik über symbolische Formen in gewisser Weise erst konstituiert - wie jedwede soziale Realität (vgl. Münkler 1994b: 374375; Göhler 1999: 258-261). Dabei ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass - im Sinne der Prioritätensetzung der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften - eine normative Betrachtung von Demokratie die Grundlage dieser Überlegungen darstellt, also die allgemeine normative Annahme, dass es in der Demokratie um die Ermöglichung einer möglichst weit gehenden Einwirkung der Gesellschaft auf sich selbst geht - um die Verwirklichung gesellschaftlicher Selbstbestimmung. Diese ist unter den Bedingungen hochdifferenzierter und/oder kulturell und sozial sehr heterogener Gesellschaften nur unter vielfaltigen Einschränkungen möglich, sowohl immanent systemischer wie auch gewollt institutioneller Art, von sozialen und kulturellen Exklusionen ganz zu schweigen.27 Umso wichtiger erscheint es, die engen Spielräume demokratischer Selbstbestimmung auszuloten, ohne welche die Demokratie lediglich zur formalen Hülle degradiert wäre. Das Bemühen um die Explikation eines Begriffs von politischer Kultur erfolgt deshalb in diesem Kontext immer vor dem Hintergrund, welche Bedeutung die politischen Momente von Kultur für das Funktionieren von Demokratie besitzen können, inwiefern diese Momente demokratischer Selbstbestimmung zu- oder abträglich sein können, bzw. inwieweit sie die Grundlage dafür bilden können, über die Einforderung demokratischer Inklusionsversprechen Selbstbestimmung (auch in Form von sozialer Anerkennung) überhaupt erst zu ermöglichen. Politische Kultur ist also die Beschreibung für den Komplex von gesellschaftlich relevanten, kollektiv wirksamen Identitäten, aus dem sich nicht zuletzt auch bürgerschaftliches Engagement speist, das auch wiederum zur Belebung der demokratischen Institutionen fuhren kann. Unter den Bedingungen hochdifferenzierter Gesellschaften stehen dabei zwei unterschiedliche, aber einander nicht ausschließende Motivationen seitens der Bürger im Mittelpunkt des Interesses demokratietheoretischer Überlegungen: die Rationalität des wohlverstandenen Eigeninteresses auf der Grundlage rationalisierter Lebenswelten und die Partizipationsbereitschaft als eine Form von Bürgertugend aufgrund eines soziomoralisch grundierten Zugehörigkeitsgefuhls zur Gemeinschaft (vgl. Münkler 1991). In Bezug auf beide gilt: Inwieweit sie einer der Demokratie „entgegenkommenden politischen Kultur" zuträglich sind, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Bevölkerung an die Freiheit - auch an die Freiheit in den und durch die Institutionen - gewöhnt ist, also mit ihr umgehen kann (Habermas 1992c: 626-627). Unter den Bedingungen faktischer politischer Exklusion durch soziale Marginali-
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Zur Frage nach den der Demokratie inhärenten (kulturellen und politischen) Exklusionsbzw. Nichtanerkennungsmechanismen vgl. Menke (2001), Lohmann (2001) und Thomä (2001).
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sierung und/oder kulturelle Nichtanerkennung bzw. der faktischen Nichtexistenz freiheitsverbürgender und partizipationsermöglichender Institutionen sieht das etwas anders aus: Dann ist allerdings auch vorstellbar, dass Artikulationen des eigenen Interesses durchaus „wohlverstanden", aber nicht rational und auch nicht auf der Grundlage rationalisierter Lebenswelten vorgenommen werden. Genauso ist vorstellbar, dass sich Partizipationsbereitschaft aufgrund des Gefühls der Ausgeschlossenheit aus einer wie auch immer gearteten Gemeinschaft ergibt: In solchen Fällen geht es um die Einforderung demokratischer Inklusion bzw. der Schaffung sozioökonomischer Verhältnisse, welche Partizipationsformen innerhalb einer Gemeinschaft allererst möglich machen. In jedem Fall aber bedeutet Partizipation immer auch das Bestreben, die teilweise sehr engen Spielräume demokratischer Gestaltungsmöglichkeit kreativ zu nutzen. Zentral für das Verständnis von Kultur und ihrer Bedeutung für Gesellschaft ist, dass sie eine Sphäre von Selbstverständigungsprozessen ist. Selbstverständigungsprozesse - seien sie nun als solche erkannt oder nicht - bilden die Grundlage von Stabilität wie auch Veränderung von Gesellschaft unter den Bedingungen der Moderne, in der Selbst- und Weltdeutungen nicht mehr vorgegeben sind. In der Kultur werden Deutungen und Wahrnehmungen verarbeitet und Wahrnehmungsweisen präjudiziell, in Bezug auf Handlungsmöglichkeiten strukturiert und ästhetisch aufgearbeitet. Das hat sowohl unmittelbar wie mittelbar politische Wirkung. Unmittelbar, indem auch in Bezug auf das Politische Deutungen und Wahrnehmungen strukturiert werden und Handlungsmöglichkeiten geschaffen, verhindert und auch bewertet werden, sowohl in Bezug auf Herrschaftshandeln wie in Bezug auf Partizipation. Mittelbar wird Kultur politisch bedeutsam, da sich über die Veränderung der Identitäten auch die Ressourcen der Legitimierung von Herrschaft (und für das Bestreiten dieser Legitimität) verändern, gleichzeitig sich auch die Wahrnehmungen der Bevölkerung in Bezug auf ihre eigenen Möglichkeiten des politischen Handelns ändern (vgl. Schirmer 1998: 199-200). Je reflexiver die Selbstverständigungsprozesse ablaufen, je mehr auch die Bedingungen mitgedacht werden, unter denen sie ablaufen, das heißt, welche sozioökonomischen Voraussetzungen, welche Traditionsbestände, welche technisch-wissenschafitlichen Neuerungen eine Rolle spielen, desto mehr ist das politische Potenzial, das sich daraus entwickelt, auch als solches erkannt und fruchtbar zu machen. Dies ist der Ort des Politischen in der Kultur. Je breiter die Basis jener Reflexivität ist, desto demokratischer sind die damit ermöglichten Selbstverständigungsprozesse, da damit eine bewusste Verankerung des Verhältnisses von Politik, Kultur, Medien, Traditionen und gesellschaftlichem Selbstverständnis in breiteren Teilen der Bevölkerung gegeben ist. In diesem Fall ist die Basis derer größer, die in expliziterer Form politische Kommunikation betreiben oder zumindest politisch relevante Kommunikation betreiben. Damit bezieht sich die „kommunikativ verflüssigte Volkssouveränität" (Habermas) auf mehr staatsbür-
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gerliche Subjekte - und dann überhaupt kann von Demokratie in einem starken normativen Sinn die Rede sein. Wie bereits angedeutet wurde, ist die Perspektive dieser Arbeit im Grundsatz eine politikwissenschaftliche. Das bedeutet auch, dass kulturtheoretische Überlegungen vor dem Hintergrund angestellt werden, bestehende politiktheoretische Konzepte stärkend zu erweitern oder kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern. Es geht keinesfalls darum, politische Wissenschaft (in diesem Fall: normative Demokratietheorie) vollständig in kulturwissenschaftliches Vokabular zu überfuhren oder darum, mit kulturwissenschaftlichem Instrumentarium die grundlegenden Einsichten demokratietheoretischer Provenienz obsolet erscheinen zu lassen. Für beide Bestrebungen gibt es keinen Anlass. Hingegen gibt es gemäß dem in der Einleitung bereits Angedeuteten durchaus Anlass, bestimmte Konzepte der Demokratietheorien, die implizit oder explizit auf kulturelle Muster verweisen, gegebenenfalls stärker für kulturtheoretische Einsichten zu öffnen. Beim Begriff der politischen Kultur liegt dies in jedem Fall nahe. Nun ist es ja keineswegs so, dass die Vertreter der normativen Demokratietheorie die Relevanz der Kultur für die Demokratie grundsätzlich verkannt hätten. Die vielschichtigen Voraussetzungen für eine aktive bürgerschaftliche Beteiligung verweisen ja zu einem guten Teil auf Ressourcen, die im Bereich der Kultur angesiedelt sind: Es geht um die Ausstattung der Bürger mit Ressourcen wie Bildung, Information, Zeit, kommunikativer Kompetenz, aber auch Partizipationsbereitschaft. Teilweise wird auf dieser Grundlage - wie bei Habermas als dem wohl exponiertesten Vertreter einer normativen Demokratietheorie - der politischen Kultur explizit eine Schlüsselrolle für das Funktionieren von Demokratie zugewiesen: Freilich wird auch eine derart prozeduralisierte ,Volkssouveränität' nicht ohne die Rückendeckung einer entgegenkommenden politischen Kultur, nicht ohne jene durch Tradition und Sozialisation vermittelten Gesinnungen einer an politische Freiheit gewöhnten Bevölkerung operieren können: keine vernünftige politische Willensbildung ohne das Entgegenkommen einer rationalisierten Lebenswelt (Habermas 1992c: 626-627; Hervorh. i. O.).
Allerdings werden an ein solches Verständnis von politischer Kultur Fragen zu stellen sein, die sowohl die theoriesystematische Seite (gerade bei Habermas) betreffen, wie auch die Adäquatheit einer auf dieser Grundlage möglichen Beschreibung sozialer und politischer Vorgänge. Letztlich, so wird festzustellen sein, werden die politisch relevanten genuin kulturellen Momente in einem solchen Verständnis bloß evoziert, nicht aber in ihrem Eigensinn erfasst. Das liegt nicht zuletzt an den starken Rationalitätszumutungen, die vor allem die demokratietheoretisch wichtige Frage nach Anerkennungsverhältnissen weit gehend außer Acht lassen.
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Vergleichsweise einig sind sich die Vertreter der normativen Demokratietheorie28 in ihrem Befund, dass auch moderne, hochdifferenzierte Gesellschaften nur dann als demokratische Gemeinwesen Bestand haben können, wenn ihre Mitglieder sich (zumindest zu einem Teil) als Teilhabende verstehen und als solche handeln. Den weithin als gegeben anerkannten systemischen Eigenlogiken von Recht, Ökonomie und auch Politik, die per se nicht in einem normativen Sinne demokratisch sein können, wird damit ein demokratisch-republikanisches Moment entgegengesetzt.29 Allerdings ist sowohl das Selbstverständnis der Bürger als Teilhabende als auch ein darauf gegründetes bürgerschaftliches Handeln hoch voraussetzungsreich - und verweist wiederum auf die Dialektik von Inklusion und Differenz: Nur eine Inklusion, die auch als solche erlebt werden kann, ermöglicht ein Selbstverständnis als Teilhabender; und dies wiederum ermöglicht politische Partizipation als Artikulation von Differenzen. Unter welchen Bedingungen sich allerdings die erst einmal abstrakte rechtlich-politische Inklusion so erfahren lässt, dass sie zur Herausbildung eines solchen bürgerschaftlichen Selbstverständnisses fuhrt, ist eine Frage, die sich weder mit rein institutionentheoretischen Überlegungen noch mit einer diskurstheoretischen Konzeption des demokratischen Rechtsstaats ohne weiteres beantworten lässt (vgl. Münkler 1994d). Es scheint, als gehe es hier weniger um Politiktheorie selbst als um eine Analyse dessen, was der Politik im engeren Sinne voraus geht: die voroder subpolitischen Bereiche der Gesellschaft. Diese Bereiche sind politisch relevant, ohne selbst zur Politik oder auch nur notwendigerweise zum Bereich des Politischen im Sinne artikulierter oder artikulierbarer Interessen zu gehören.30 28
Für die Perspektive dieser Arbeit sind das vor allem: Jürgen Habermas (1985, 1990b, 1992c, 1996), Herfried Münkler (1991, 1994a, 1994c, 1994d, 1995, 1997a, 2000a, 2001), 29 Rainer Schmalz-Bruns (1992, 1994a, 1994b, 1995) und Claus Offe (1989). Allerdings ist strittig, ob die Politik im engeren Sinne selbst in dem Maße systemisch integriert ist, das Habermas mit Luhmann diagnostiziert - und diese Strittigkeit bezieht sich durchaus auch auf die deskriptive Angemessenheit, nicht nur auf die normative Problematik: vgl. Joas (1996: 306-326; bes. 316-321); Schmalz-Bruns (1995: 152-155). Thomas McCarthy kommt dementsprechend aus umgekehrter Perspektive zur gleichen Diagnose: „Wenn Selbstbestimmung, politische Gleichheit und die Beteiligung der Staatsbürger an den Entscheidungsprozessen die Merkmale wirklicher Demokratie sind, dann kann eine demokratische Regierung kein politisches System im Sinne von Habermas sein, das heißt, ein Handlungsbereich, der von allen anderen Teilen der Gesellschaft abgespalten ist und seine Autonomie ihnen gegenüber dadurch aufrecht erhält, daß er seinen Austausch mit ihnen über entsprachlichte Steuerungsmedien wie Geld und Macht reguliert" (McCarthy 1986: 198; Hervorh. i. O.). 30 Im Hintergrund dieser Ausführungen steht natürlich die Debatte um Liberalismus und Republikanismus. Diese kann ich hier nicht nachzeichnen; zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle Herfried Münkler angeführt: „Pointiert wird man sagen können, daß das als liberal bezeichnete Ordnungsmodell den sozio-moralischen Problemkomplex [...], also die Beschäftigung mit der Frage, ob und inwieweit eine auf individuelle Freiheitsermöglichung abzielende politische Ordnung auf sozio-moralische Voraussetzungen angewiesen ist und diese selbst zu reproduzieren vermag, als eine vemachlässigbare Größe behandelt und die
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Im Sinne der bereits angeführten Definition handelt es sich dabei nicht zuletzt um kulturelle Bereiche. Es geht dementsprechend allerdings nicht so sehr (zumindest nicht ausschließlich) um messbare Einstellungen in der Bevölkerung, 31 welche nur sehr begrenzt Rückschlüsse auf die dahinter liegenden Identitäten erlauben - und keinerlei Rückschlüsse auf ihre Generierung und Perpetuierung oder auch Veränderung. Darüber hinaus wäre damit die Frage auch nicht beantwortet, welche dieser Selbst- und Weltsichten in einem politischen Sinne handlungsrelevant werden können und unter welchen Bedingungen - wann sich also ihr politisches Potenzial realisieren kann. Die Bedeutung eines Begriffs von politischer Kultur fur die normative Demokratietheorie ergibt sich also nicht zuletzt aus der Relevanz der sub- und vorpolitischen Bereiche der Gesellschaft für bürgerschaftliche Partizipation, also das Artikulieren (nicht nur politischer) Differenzen. Das beste institutionelle Gefüge bleibt hohl, wenn es nicht durch Partizipation der Bürgerschaft gefüllt wird. Eine solche Resonanz wiederum ist vielschichtig voraussetzungsvoll, wobei der Möglichkeit erlebbarer Inklusion - so steht nach dem Ausgeführten zu vermuten - eine wichtige Rolle zukommt. Dieses Zusammenspiel von Inklusionserfahrung, Partizipationschancen und -rechten und Anerkennungsansprüchen stellt demnach eine Verbindung zwischen dem „politisch-administrativen System" auf der einen Seite und den politisch relevanten Momenten von Kultur auf der anderen Seite dar. Die handlungsermöglichenden und -einschränkenden geteilten Wissensordnungen bilden Sphären, in die individuelle und kollektive Erfahrungen, historische Prägungen und Traditionsbestände sowie die sozioökonomische Situation einfließen. Gleichzeitig verweisen diese Sphären durch ihr konstitutives Moment der Intersubjektivität notwendig auf Öffentlichkeit. Das Handeln, in dem sich die geteilten Wissensordnungen manifestieren, ist immer in einem bestimmten Maße öffentlich - zumindest insofern es sich in politisch relevanter Form äußert. 32 Selbst diejenigen demokratietheoretischen Ansätze, die der norhieraus resultierenden Probleme entweder dem Markt als Regulierungsmechanismus der sozio-ökonomischen Sphäre überweist oder auf die Verfassung als Form der Handlungsermöglichung und Handlungsbegrenzung im politischen Bereich vertraut. [...] Ganz anders ist dies im republikanischen Modell politischer Ordnungen, das nicht nur vom Versagen des Marktes oder der institutionellen Mechanismen der Verfassung eine Gefahrdung der Demokratie befurchtet, sondern daneben einen dritten Aspekt politischer Ordnung, eben die sozio-moralischen Voraussetzungen der Demokratie, im Auge behält. Das republikanisch-zivilgesellschaftliche Modell unterscheidet sich vom liberal-individualistischen darin, daß es neben den institutionellen Fragen auch die stets prekär bleibenden, weil eben nicht institutionalisierbaren sozio-moralischen Voraussetzungen der Ordnung thematisiert" (Münkler 1995: 367-368; vgl. auch Münkler 1994a; 1994c). 31
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Dieser Punkt verweist auf die ältere „civic culture"-Tradition, die gerade glaubte, politische Kultur über empirische Einstellungsdaten messen zu können. Dazu wird später noch etwas zu sagen sein. Nach Reckwitz' Interpretation von Kulturtheoretikern wie Charles Taylor und Pierre Bourdieu ist Handeln als Ausdrucksform von Kultur immer öffentlich, da es in einem
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mativen Demokratietheorie kritisch bis ablehnend gegenüberstehen (z.B. Giovanni Sartori, Manfred G. Schmidt) und demokratische Verfahren in der Hauptsache hinsichtlich stabilitätstheoretischer Überlegungen wertschätzen, erkennen die zentrale Stellung von Öffentlichkeit für die Demokratie an. Wird der Öffentlichkeitsbegriff aus demokratietheoretischen Gründen normativ besetzt, gewinnt er noch einmal an Relevanz. Ein solcher Öffentlichkeitsbegriff sollte mit dem Begriff von politischer Kultur korrespondieren, damit im oben genannten Sinne die Formen und die Breite und Tiefe der Selbstverständigungsprozesse im Hinblick auf (demokratische) Meinungs- und Willensbildung erfasst werden können (auch hierauf wird später gesondert einzugehen sein). Zunächst soll an dieser Stelle aber ein äußerst knapper Blick auf die sozialwissenschaftlichen Verwendungen des Begriffs der politischen Kultur g e w o r f e n werden. 3 3
2.3 Die Politische-Kultur-Forschung A u c h wenn der Begriff der politischen Kultur schon im 18. Jahrhundert vereinzelt gebraucht wurde, 3 4 kann doch davon ausgegangen werden, dass die wissen-
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Grundverständnis von Handeln immer als sinnlich wahrnehmbare Bewegung eines Körpers vollzogen wird (vgl. Reckwitz 2000: 556-564). Dies ist allerdings kein Öffentlichkeitsbegriff in einem demokratietheoretischen Sinne. Für eine umfassende - wenn auch nicht mehr ganz aktuelle - Darstellung der unterschiedlichen Konzepte von politischer Kultur und der Methoden ihrer Erforschung, vor allem in der BRD, siehe Iwand (1985). Karl Rohe, der das dem hier zugrundeliegenden Verständnis wohl am Nächsten kommende Konzept politischer Kultur erarbeitet hat, charakterisiert den Iwand'schen Überblick treffenderweise folgendermaßen: „Wer sich darüber [über die wissenschaftliche Beschäftigung mit politischer Kultur in der Bundesrepublik; B.S.] einen Überblick verschaffen will, greift zweckmäßigerweise zu dem umfangreichen Forschungsbericht von Wolf Michael Iwand, der in einer buchstäblich erschöpfenden Weise nahezu alles gesammelt und aufgespürt hat, was in den letzten Jahren in der Bundesrepublik unter dem Stichwort der Politischen Kultur veröffentlicht worden ist. Die Darstellung wirkt ein wenig wie ein umgestülpter Zettelkasten und läßt eine eigene konzeptuelle Perspektive vermissen, bietet aber zuverlässige Informationen" (Rohe 1990b: 321-322). Rohes eigener Überblick, aus dem diese Wertung stammt, ist in qualitativer Hinsicht instruktiver, wenn auch nicht annähernd so materialreich. So verweist Carola Lipp auf die Rezeption Kants von Seiten Wilhelm von Humboldts. Kants vierstufiges Kulturmodell beschreibt als höchste Kulturstufe die moralische Erziehung. Diese ist nur unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft möglich. Darauf bezieht sich Humboldt, wenn er 1798 schreibt, dass „aller politischen Cultur [...] moralische Bildung zum Grunde liegen" müsse (Lipp 1996: 79-80). Dies ist die früheste explizite Verwendung des Begriffs, die Lipp anfuhrt - wichtiger aber, als den Nachweis der ersten Verwendung zu finden, ist für sie berechtigterweise die Situierung des Kulturbegriffs in seinen jeweiligen sozialen und politischen Bezügen. So stellt sie in Bezug auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fest: „Das Politische war dem Kulturbegriff der Aufklärung und des Vormärz also durchaus inhärent und noch nicht vom Sozialen geschieden" (Lipp 1996: 81). 47
schaftliche Beschäftigung mit diesem Begriff in der Hauptsache 1963 mit dem bahnbrechenden Werk The Civic Culture von Gabriel Almond und Sidney Verba (Almond/Verba 1963) begann. Aufbauend auf dem Kulturbegriff Parsons' definieren sie politische Kultur bekanntermaßen wie folgt: The political culture of a nation is the particular distribution of patterns of orientation towards political objects among the members of the nation (Almond/Verba 1963: 1415).
Auf der Grundlage dieses Verständnisses war es der Anspruch der Untersuchung, durch den Vergleich von Einstellungen in der Bevölkerung in fünf Ländern Rückschlüsse auf die Stabilitätsfaktoren für demokratische Regierungssysteme zu ziehen. Dazu wurden in repräsentativen Umfragen Bürger der USA, Großbritanniens, der BRD, Italiens und Mexikos befragt, und zwar im Wesentlichen hinsichtlich ihrer Einstellungen und ihrem Wissensstand bezüglich des politischen Systems, der politischen Institutionen und ihrer Qualität, der jeweiligen aktuellen Regierungen, der Parteien, ihrer eigenen Partizipationsbereitschaft sowie ihres Selbstverständnisses als Bürger. Besonders forderlich für die Stabilität demokratischer Staaten ist nach der Almond/Verba'schen Interpretation eine Mischung aus Orientierungen, die in der Hauptsache auf die unmittelbare eigene Umwelt bezogen sind („parochial orientations"), solchen, die vor allem passiv auf die Output-Seite der Institutionen hin orientiert sind („subject orientations") und schließlich solchen, die durch eigene Beteiligungsbereitschaflt (Input) die Output-Seite zu beeinflussen suchen („participant orientations"). Diese stabilitätsfördernde Mischung nennen sie „civic culture". Das Konzept politischer Kultur bei Almond und Verba ist ausgiebig und auch erschöpfend kritisiert worden (vgl. Almond/Verba [eds.] 1980). Teilweise geht es dabei mehr um methodische Fragen (Vorwurf der willkürlichen Auswahl der Forschungsgegenstände bzw. des Katalogs der Fragen), teilweise um theoretische (Vorwurf der Inkonsistenz), teilweise um Ideologiekritik (Vorwurf einer angelsächsischen Perspektive, die nicht übertragbar sei auf andere Kulturen) (vgl. dazu auch Eder 1989; Rohe 1990b: 331-332). Es handelt sich hierbei in der Hauptsache um Diskussionen, die in den 1960er bis 1980er Jahren ihren historischen Ort und Kontext hatten und die hier nicht noch einmal nachgezeichnet werden sollen - auch wenn sich in den letzten Jahren vor allem in den USA wieder eine Art von Renaissance des „political culture approach" abzeichnet (vgl. Pesch 2000: 19-20; 29). Der Grund für diese Verweigerung liegt nicht in mangelndem Respekt vor den Leistungen des Ansatzes und seiner Protagonisten, sondern schlicht in der Tatsache, dass bezüglich der überblickshaften und einordnenden Darstellungen wirklich kein Mangel herrscht (jüngst knapp und informativ: Pesch 2000: 42-83 und passim).35 Vielmehr werde ich mich hier le35
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Vgl. (pars pro toto): Berg-Schlosser/Schissler (Hg.) 1987; Eder 1989; Gebhardt (Hg.) 1999; Inglehart 1988; Kaase 1983; Kreuzer 1996; Lipp 1996; Pesch 2000; Reichel 1981;
diglich kurz mit denjenigen Ansätzen beschäftigen, die eine kritische Weiterfuhrung der Politische-Kultur-Forschung in einer Form betreiben, die eine gewisse Kompatibilität mit oder Affinität zu den Erkenntnissen des Cultural Turn aufweisen. In diesem Sinne werden die oben angedeuteten Kritikpunkte am „political culture approach" im Rahmen dieser Arbeit keine weitere Würdigung finden. Wichtiger als diese ist nämlich m. E. die Begrenzung des Konzepts hinsichtlich des Kulturbegriffs. So erscheint es nicht plausibel, dass eine Kultur mit Hilfe von Umfragen hinsichtlich Einstellungen erfasst werden könnte - wenn man in einem ersten Schritt noch akzeptieren möchte, dass es erstens sinnvoll sei, im nationalstaatlichen Rahmen von einer Kultur im Singular zu sprechen und zweitens diese in der Hauptsache am Verhältnis der Bürger zu den staatlichen Institutionen und politischen Parteien festzumachen. Karl Rohe merkt in diesem Zusammenhang an, daß die Survey-Forschung den harten Kern einer jeden politischen Kultur, der aus kaum reflektierten Selbstverständlichkeiten besteht, geradezu systematisch verfehlen muss, weil den Befragten kulturelle Selbstverständlichkeiten gar nicht bewußt oder bestenfalls halb bewußt sind (Rohe 1990b: 331; ähnlich Rohe 1996: 4).
Auf diese Weise kommen Überzeugungen (im Unterschied zu Meinungen) allenfalls in abgeleiteter Form zum Vorschein - in Umfragen können die Einstellungen zu einem Regime erhoben werden, nicht aber (oder nur schwer) die den Einstellungen zugrundeliegenden (Wert-)Maßstäbe: Einstellungen gegenüber einem konkreten politischen Regime können sich fundamental wandeln, beispielsweise durch eine katastrophale Verschlechterung der vom Regime erbrachten Leistungen, ohne daß sich die in der politischen Kultur gespeicherten politischen Maximen und Beurteilungsmaßstäbe auch nur um ein Jota verändert haben (Rohe 1994: 165).
Wenn aber schon die hinter den Einstellungen und Meinungen liegenden Überzeugungen und Wertemaßstäbe nicht oder nur sehr schwer über Umfragen zu ermitteln sind, umso mehr Schwierigkeiten muss es bereiten, auf dieser Grundlage die Faktoren zu beleuchten, die zur Generierung und Perpetuierung bzw. Veränderung dieser Überzeugungen und Wertmaßstäbe fuhren. Unter Bezugnahme auf den Kulturbegriff Karl Mannheims, nach dem Kultur als „objektivgeistiger Strukturzusammenhang gegenüber der »Subjektivität' des Individuums" zu begreifen ist, erklärt Rohe, dass über politische Kultur schweigen solle, wer über Geschichte nicht reden wolle (Rohe 1994: 164). Dieses Verdikt ist auch an die Adresse der „civic culture"-Tradition gerichtet: Historische Faktoren tauchen bei Almond/Verba nicht auf.
1985; Rohe 1987; 1990b; 1994; 1996; Schwelling 2001; Somers 1995a; 1995b; Vollrath 1990; Welch 1993 (in alphabetischer Reihenfolge).
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Rohes eigenes Verständnis von politischer Kultur kommt dem hier zugrundeliegenden an manchen Stellen recht nahe. Ausgehend von empirischen Studien zu den Veränderungen in den Milieus des Ruhrgebiets, in denen er mit den Kategorien Max Webers die Verbindung zwischen sozioökonomischen Lagen (auch: Klassenlagen), Weltbildern und Interessen herausarbeitet (Rohe 1979, mit Abstrichen auch Rohe 1981), kommt Rohe in den 1980er Jahren zu einem Begriff von politischer Kultur, der in seiner Anlage mit den kulturtheoretischen Einsichten des Cultural Turm durchaus kompatibel ist, obwohl er noch sehr stark der Weber'schen Terminologie verhaftet ist: Unter politischer Kultur kann nach Rohe das politisch relevante , Weltbild' von Gruppen verstanden werden, das den jeweiligen sozialen Trägern im Normalzustand in seiner Besonderheit gar nicht bewußt ist, weil die in dem Weltbild enthaltenen Grundannahmen über die Wirklichkeit als .natürlich' und .selbstverständlich' empfunden werden. Politische Kultur wäre demnach als ein mit Sinnbezügen gefüllter Rahmen zu begreifen, innerhalb dessen sich die - in der Regel durch Interessen, freilich nicht allein durch materielle Interessen geleitete politische Lebenspraxis handelnder, denkender und fühlender politischer Akteure vollzieht (Rohe 1990b: 333).
Auf diese Weise definiert, ist der Begriff von politischer Kultur weit gehend bruchlos an den allgemeineren Begriff von Kultur anschließbar, der auf die handlungsermöglichenden und einschränkenden kollektiven Sinn- und Bedeutungssysteme abzielt. Er geht aber darüber deutlich hinaus und erlaubt eine Spezifizierung dessen, was das originär Politische innerhalb der Sphäre des Kulturellen ausmacht. Gleichzeitig erlaubt es ein solcher Begriff von politischer Kultur, jenseits von Einstellungen und auch Überzeugungen konkrete kollektive Praxen zu beleuchten, die einen deutlichen Bezug zu spezifischen Interessenslagen haben, weil (und nicht: obwohl) sie innerhalb eines kulturellen Kontextes gesehen werden. Politische Kultur als einen Rahmen für „politische Lebenspraxis" zu begreifen, ist nun etwas sehr anderes, als sie als ein Set von Einstellungen zu fassen. Damit ist politische Kultur (wiederum im Sinne des Kulturbegriffs von Karl Mannheim) nicht nur Struktur (das politisch relevante Weltbild), sondern auch Prozess (politische Lebenspraxis). Diese beiden Momente werden in ihrer wechselseitigen Bedingtheit erfasst - und damit ist es auch möglich, die Kreativität des menschlichen Handelns in Bezug auf das Politische zu explizieren: Bei politischer Kultur als Prozeß geht es um keine bloßen kulturellen Vermittlungsleistungen [...], sondern um kulturschöpferische Leistungen, mag es sich dabei um politisch-kulturelle Anpassungsleistungen oder um politisch-kulturelle Innovationen handeln, die neue politische Denk- und Handlungsmöglichkeiten eröffnen, in der Tradition
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aufbewahrte Sinnbezüge neu erschließen oder für eine wie immer genauer zu qualifizierende Gruppe neue politische Formen und Symbole zu entwickeln (Rohe 1990b: 339). 36
Allerdings scheint sich Rohe nicht ganz sicher zu sein, welche Richtung er mit seinem Begriff von politischer Kultur wirklich einschlagen will: Zum einen gibt es sowohl frühere als auch spätere Veröffentlichungen von ihm, die - mit Almond/Verba und der kulturtheoretischen Wende als Bezugspunkte - hinter die oben zitierte Definition zurückfallen: Es ist ein grundlegend anderes Verständnis von politischer Kultur, wenn er definiert, dass darunter die „Grundannahmen über die politische Welt" (Rohe 1996: l) 37 verstanden werden sollen. Das geht zwar noch explizit über Almond/Verba hinaus, da nicht nur Einstellungen gegenüber dem politischen System oder gegenüber politischen Phänomenen darunter fallen, fasst aber politische Kultur als einen Zusammenhang mit Bezug auf das Politische, nicht mehr als einen für sich politisch relevanten Zusammenhang. Damit wird politische Kultur nicht mehr als der politisch relevante Teil kultureller Zusammenhänge gesehen, sondern vielmehr als ein explizit auf das Politische ausgerichteter kultureller Zusammenhang. Dies ist aus der Perspektive dieser Arbeit auch die Schwäche von neueren Konzepten von politischer Kultur, die das kulturelle Moment im Sinne der kulturtheoretischen Wende zu ihrer Grundlage machen. Das gilt zum Beispiel für das Konzept, das Dietmar Schirmer im Anschluss an das Habitus-Konzept Pierre Bourdieus entwickelt. Danach ist politische Kultur „die Summe der gesellschaftlich oder in subgesellschaftlichen Segmenten verfugbaren Modi der Deutung des Politischen zu verstehen" (Schirmer 1998: 199).38 Ähnlich wie Rohe 36
Dieses Verständnis von politischer Kultur kann - aus demokratietheoretische Perspektive auch an die Forderung anknüpfen, die Peter Reichel zehn Jahre zuvor erhoben hatte, nach Ansicht seiner Kritiker selbst aber nur unzureichend erfüllen konnte (vgl. Rohe 1990b: 325-326; Kaase 1983: 146-147; Pappi 1986: 288-289): Die Verengung des Blicks auf „politische Mehrheits- oder Elitenkultur" wird überwunden und kann sich nunmehr auch auf „gesellschaftliche Minderheiten und Konflikte, auf soziale Bewegungen und sozialen Wandel" richten, und zwar unter Anknüpfung an „emanzipatorisch orientierte[n] bedürfnis-, interessen-, konflikt- und sozialisationstheoretische[n] Konzepte[n]" (Reichel 1981: 49).
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„In einer ersten Annäherung sollen unter politischer Kultur die für eine soziale Gruppe maßgebenden Grundannahmen über die politische Welt und damit verknüpfte operative Ideen verstanden werden, soweit sie sich mental und/oder habituell auskristallisiert haben. Politische Kultur manifestiert sich mithin einerseits als ,Weltbild', das das politische Denken, andererseits als ,ungeschriebene Verfassung', die das öffentliche Reden und Handeln der Gruppenmitglieder konditioniert. Insgesamt stellt sie so etwas wie einen mit Sinnbezügen gefüllten politischen Denk-, Handlungs- und Diskursrahmen dar, innerhalb dessen sich das Denken, Handeln und öffentliche Reden politischer Akteure vollzieht" (Rohe 1996: 1; ähnlich auch Rohe 1987: 39). Problematischer bei Schirmer ist allerdings eine Tendenz, die politische Relevanz von Kultur ausschließlich im Bereich der Deutungen zu verorten: „Politischer Kampf ist Kampf um die Durchsetzung der legitimen Sicht der politischen Welt" (Schirmer 1998: 200). Das
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und Schirmer argumentiert auch Peter Kreuzer, allerdings mit Bezug auf das Konzept Clifford Geertz'. Er definiert politische Kultur als „spezifisch kulturelle Form des politischen Raums", die „als ein kommunikativ hergestelltes und weitergegebenes, den politischen Raum ordnendes System von kollektiv geteilten Bedeutungen und kulturell bedeutsamen Erinnerungssymbolen begriffen" wird (Kreuzer 1996: 250-251). In dieser Terminologie ausgedrückt, würde in dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis politische Kultur - umgekehrt als für den politischen Raum relevante Formierung des Kulturellen begriffen werden. In dieser Hinsicht geht das Konzept Volker Peschs (Pesch 2000) über Rohe (und die von ihm beeinflussten Konzepte wie die von Schirmer und Kreuzer) hinaus, wenn er auch explizit an ihn anknüpft. Seine Kritik am „political culture approach" bezieht sich unter anderem auf die Spaltung zwischen „der Politik" bzw. „dem politischen System" auf der einen Seite und den Menschen und ihren Einstellungen zu diesem System auf der anderen Seite.39 Das allerdings impliziere, so kritisiert Pesch vollkommen zutreffend, „dass dieses ,special set of social objects and processes' - also die Politik - auch unabhängig von den Menschen, die diesbezügliche Einstellungen haben, identifizierbar sein müsste" (Pesch 2000: 99). Eben dies ist mit einem Konzept von politischer Kultur unvereinbar, das (wie bei Rohe 1990b) als Rahmen begriffen wird, innerhalb dessen sich die politische Praxis handelnder Menschen vollzieht. Wenn es aber erstens keine Politik gibt, die als vom menschlichen Handeln unabhängige Entität vorstellbar wäre und zweitens politisches Handeln immer auf die wirklichkeitskonstituierenden politisch relevanten Momente von Kultur verweist, kann politische Kultur weiter gehend definiert werden (gewissermaßen mit Rohe gegen Rohe): Sie ist dann „die politische Wirklichkeit, in der Menschen leben, und nicht eine Summe von Einstellungen gegenüber irgendeiner Gruppe von Entitäten, die unabhängig von ihnen identifizierbar wäre" (Pesch 2000: 100; Hervorh. B.S.). Dieses umfassendere Konzept politischer Kultur bekommt bei Pesch seine Pointe dadurch, dass es sich auf eine an Charles Taylor angelehnte Theorie intentionalen Handelns stützt. Der Rekurs auf Taylor ermöglicht es Pesch, die bei Rohe noch relativ starken Homogenitätsannahmen in Bezug auf bestimmte Gruppen als Träger von politischer Kultur zu überwinden, ohne die wechselseitigen Ermöglichungsbedingungen von Individuum und Kollektiv aus den Augen zu verlieren. Der Begriff des intentionalen Handelns kann das Augenmerk stär-
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schießt m. E. über das Ziel der Einbeziehung des Kulturellen in die politische Analyse hinaus: Es besteht die Gefahr, das Politische auf seine symbolischen Dimensionen zu verkürzen. Dass dies nicht notwendigerweise der Fall sein muss, hoffe ich in dieser Arbeit zeigen zu können. Diese Trennlinie werde im Übrigen in Bezug auf das Handeln „mitten durch den einzelnen Menschen" noch einmal gezogen, indem politisches Handeln auf das Handeln im politischen Prozess beschränkt und damit vom übrigen Handeln abgekoppelt werde (Pesch 2000: 61-62).
ker auf die Prozesse von Selbstinterpretationen lenken, ohne die Tatsache zu bestreiten, dass ein guter Teil dieser Selbstinterpretationen den Betroffenen nicht ohne weiteres bewusst ist. So definiert Pesch: Politische Kultur bezeichnet demnach also eine Schnittmenge der Wirklichkeits- und Identitätskonstruktionen, nämlich jene, die die Ausgestaltung und Regelung des Zusammenlebens und der Konflikte betrifft. Sie ist ein gemeinsames Set von handlungsmotivierenden Vorstellungen, das aber mit den persönlichen Wirklichkeitskonstruktionen im Verhältnis wechselseitiger Konstitution steht. Und diese Vorstellungen [...] werden erst dadurch existent, dass sie Teil der Identitäten oder Selbst-Interpretationen konkreter Menschen sind, seien diese [sie] nun historisch tradiert oder Ergebnis einer diskursiven Willensbildung. Sie werden in Kulturen, Gesellschaften, Milieus und imaginären Gemeinschaften sprachlich konstituiert und vermittelt, aber sie sind von den einzelnen Personen nicht zu trennen (Pesch 2000: 162; Hervorh. i. O.; vgl. auch ebda.: 170).
Allerdings hat der B e g r i f f der politischen Kultur bei Pesch eine Unscharfe: Der „political culture approach" fasste seinen Kulturbegriff dezidiert so, dass bestimmte Kulturen identifizierbar und von anderen Kulturen abgrenzbar und diese damit auch miteinander vergleichbar wurden. Bei Almond und Verba ging es dabei um nationale Kulturen, Rohe hat später auch „Subkulturen" wie die Arbeiterkultur bzw. Arbeiterbewegungskultur untersucht. An der grundlegenden Weichenstellung, Kulturen als Dinge zu fassen bzw. als kulturelle Grundierung großer Gruppen, welche sie Dingen gleichkommen lässt, ist jedenfalls wenig gerüttelt worden. Auch noch in den jüngsten Veröffentlichungen zu politischer Kultur (vgl. zum Beispiel die Beiträge in Gebhardt [Hg.] 1999) ist dies unstrittig: Untersucht werden, mit welcher Methodik oder theoretischem Konzept auch immer, einzelne politische Kulturen oder verschiedene politische Kulturen im Vergleich. Diese Auffassung von Kultur als einem Ding, das sich von anderen Dingen gleichen Typs abgrenzen und mit ihnen vergleichen lässt, ist zumindest in Resten auch in Peschs Konzept noch vorhanden, obwohl sie eigentlich mit der Auffassung kontrastiert, es handele sich um eine „politische Wirklichkeit" oder auch um die „Schnittmenge von Wirklichkeits- und Identitätskonstruktionen" (noch deutlicher ist dieser Widerspruch allerdings bei Rohe zu sehen). Sinnvoller erscheint es mir deshalb, politische Kultur so zu begreifen, dass sich darin das politische Moment des Kulturellen artikuliert: Es geht um die Selbst- und Weltsichten, die subjektiv und intersubjektiv entstehen bzw. sich entwickeln und die im Rahmen ihrer Funktion von Ermöglichung und Begrenzung auch kollektiven Handelns politisch relevant werden können. Dafür muss aber zum einen der Begriff der Kultur von Homogenitätsannahmen befreit, zum anderen der darauf aufbauende Begriff von politischer Kultur entdinglicht werden. 40 Erst 40
Ich will gar nicht bestreiten, dass auch ein Begriff von politischer Kultur seine Berechtigung haben und zu interessanten und wichtigen empirischen Ergebnissen fuhren kann, der diesen von mir vorgeschlagenen Weg nicht geht. Ein Beispiel dafür ist Eder ( 1 9 8 9 ) - aber auch er entkommt nicht der grundlegenden Problematik, dass die Grenzziehung immer in gewisser Weise willkürlich bleibt: Er kritisiert die Abgrenzung nationaler politischer Kul-
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dann ist es möglich, im Sinne der eingangs dargelegten Perspektive von Inklusion und Differenz die politischen Gehalte von Kultur in ihren vielfaltigen Bezügen zu explizieren, die sichtbar werden, wenn beispielsweise lokale Formen von kollektiver Selbstorganisation unter den Bedingungen starker sozioökonomischer und kultureller Heterogenität im Hinblick auf ihr politisches Potenzial untersucht werden. Eine Spur in diese Richtung findet sich bei Pesch durchaus, wenn er schreibt: Kultur- und gesellschaftsspezifische gemeinsame Sprachen, Bedeutungen oder Güter, gemeinsame Selbst-Interpretationen oder Identitäten, gemeinsam konstituierte politische und soziale Wirklichkeiten - bei Taylor ist das kein Homogenitätspostulat, sondern die Bedingung der Möglichkeit von Konsens und Dissens ebenso wie von wechselseitiger Anerkennung (Pesch 2000: 156).
Auf diese Zusammenhänge wird noch näher einzugehen sein, wenn es im Folgenden um die Verortung des Begriffs von politischer Kultur innerhalb der normativen Demokratietheorie geht: Dabei werden Fragen von kultureller Heterogenität, von Inklusion und (Differenz-)Anerkennungsansprüchen eine wichtige Rolle spielen.
2.4
„Politische Kultur" und normative Demokratietheorie bestehende Begrenzungen
Die Perspektive, aus der hier die Grundlinien des Konzeptes von politischer Kultur gezeichnet werden, ist eine normativ-demokratische. Dies ist in der Hauptsache aus zwei miteinander verwobenen Gründen geboten: Zum einen gibt es die hermeneutische Notwendigkeit, sich auf die Perspektive der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften soweit einzulassen, dass deren Denkweg rekonstruierbar wird. Ohne diese Rekonstruktion wäre es nicht möglich, die spezifische Forschungspraxis in Lateinamerika auf ihren (impliziten) Begriff von politischer Kultur hin zu untersuchen und diesen Begriff zu erschließen. Es liegt aber zum anderen auch konzeptionell nahe, die Relevanz der Kultur für das Politische innerhalb demokratischer Strukturen aus einem normativen Blickwinkel zu betrachten: Kultur - als Sinn- und Bedeutungssysteme gefasst - hat einen
turen mit dem Verweis, katholische Bischöfe, Volksschullehrer oder alternative Töpfer hätten je unterschiedliche politische Kulturen, auch wenn sie alle modern seien. Nun, es steht allerdings zu vermuten, dass die norddeutschen protestantischen homosexuellen alternativen Töpfer eine andere politische Kultur haben als die Mitglieder eines (fiktiven) Bamberger kommunistisch-alternativen Töpferinnen-Werkbundes. In diese Falle sind weit stärker als Eder - Teile der Cultural Studies getappt: Das Ergebnis sind Untersuchungen, die nur noch einzelne „Erzählungen um ihrer selbst willen" würdigen können (in diesem Sinne: vgl. Pühretmayer, der als Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses ein „hochkompliziertes Partikulares" ansieht, das „außergewöhnliche Normale", das nicht als „typischer Fall eines Allgemeinen" beschrieben werden könne [Pühretmayer 1995: 149]).
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immanenten Bezug zur Normativität; dieser normative Gehalt der Kultur erschließt sich aus hermeneutischen Gründen schon grundsätzlich „nicht ohne die eigene Bereitschaft zu normativer Stellungnahme" (Joas 1996: 346).41 Dementsprechend werden gerade auch die darauf aufruhenden Handlungen im Bereich des Politischen normativ imprägniert sein - zumal wenn diese auf die Erweiterung oder Vertiefung von Anerkennungsverhältnissen gerichtet sind, also auf die Erweiterung oder Vertiefung von demokratischer Inklusion und Differenzanerkennung. In diesem Sinne ist es durchaus nicht zufällig, wenn sich die lateinamerikanischen Sozialwissenschaftler mit ihrer Hinwendung zu den Fragen der Chancen und Risiken demokratischer Transition und Konsolidierung auch der Bedeutung der Kultur zugewandt haben - und zwar unter explizit normativen Vorzeichen. Ein normatives Verständnis von Demokratie bedeutet in einem sehr grundsätzlichen Sinn, dass nach den Bedingungen gesellschaftlicher Selbststeuerung unter Beteiligung möglichst vieler Betroffener gefragt wird. Gesellschaftliche Selbststeuerung beinhaltet auch die grundsätzliche Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung: Wenn Gesellschaft als ein sich stetig veränderndes historisches Gebilde begriffen wird, das in seiner Entstehung einerseits in hohem Maße kontingent ist, andererseits bewusster menschlicher Beeinflussung unterliegt, dann kann auch die theoretische Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung durch Selbsteinwirkung nicht a priori ausgeschlossen werden. Das kann nun nicht bedeuten, dem naiven Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts oder der Sozialrevolutionären Romantik noch der späten 1960er Jahre zu verfallen. „Selbststeuerung" kann auch nicht bedeuten, die Verselbständigungstendenzen gesellschaftlicher Ausdifferenzierungen zu unterschätzen und der Vorstellung nachzuhängen, die Gesellschaft könne sich selbst als Ganzes organisieren.42 Für eine sich als kritisch verstehende Sozialwissenschaft ist aber der umgekehrte Weg der zynischen Apologetik bestehender Verhältnisse über das Postulat eines vollständig in Kontingenz aufgehobenen gesellschaftlichen Werdens keine Alternative, solange es noch Indizien für das Stattfinden gesellschaftlicher Prozesse gibt, die diesseits der systemischen Logik der gesellschaftlichen Subsysteme eine demokratische und demokratisierende Dynamik entfalten können. Diese
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Vgl. zum Komplex des sozialwissenschaftlichen Sinnverstehens: Habermas (1988b: 152196). Vgl. Joas (1996: 347-348): „Der normative Kern der Konstitutionstheorien [Joas' Sammelname für makrosoziologische Handlungstheorien; B.S.] ist die Idee der Selbstbestimmung, da diese Idee das Begehren der Handelnden ausdrückt, ihre sozialen Ordnungen anzuerkennen, als wären sie ein Werk ihres Willens. [...] Die Konstitutionstheorien können der Aufgabe einer normativen Reflexion auf die Idee der Demokratie nicht entgehen, in der die Idee der Selbstkonstitution auf die Bedingungen einer differenzierten modernen Gesellschaft hin zu konkretisieren ist". Damit ist im Kontext von Joas' Werk sicherlich nicht gemeint, die sozialen Ordnungen seien durch die Differenzierungen in modernen Gesellschaften vollständig vom „Werk des Willens" der Handelnden abgekoppelt. 55
Indizien gibt es durchaus; und sie sind nicht nur, aber in besonderem Maße in Gesellschaften beobachtbar, in denen um die (Wieder-)Errichtung und Vertiefung einer demokratischen Ordnung gerungen wird - jenseits der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung und des regelmäßigen Abhaltens freier Wahlen unter Beteiligung mehrerer Parteien. Um die Bedingungen demokratischer Selbsteinwirkung der Gesellschaft betrachten zu können, so wurde bereits dargelegt, sollte der Blick auf die kulturellen Grundlagen (kollektiven) Handelns und seiner politischen Potenziale gelenkt werden: Eine differenzierte Rückkopplung der modernen Kultur mit einer auf vitale Überlieferungen angewiesenen, durch bloßen Traditionalismus aber verarmten Alltagspraxis wird freilich nur gelingen, wenn auch die gesellschaftliche Modernisierung in andere nichtkapitalistische Bahnen gelenkt werden kann, wenn die Lebenswelt aus sich Institutionen entwickeln kann, die die systemische Eigendynamik des wirtschaftlichen und administrativen Handlungssystems begrenzt (Habermas 1992b: 51; Hervorh. i. O.).
Was Habermas in dieser Textstelle beschreibt, ist eine genuin politische Handlungsfähigkeit (kollektiver) Akteure, die aus der kulturellen Sphäre gespeist wird. Dabei kommt den Institutionen, welche die Lebenswelt aus sich entwickeln können muss, eine besondere Bedeutung zu. „Autonome Öffentlichkeiten" (Habermas), „Assoziationsverhältnisse" (Offe), „Zivilgesellschaft", „Bürgergesellschaft" und ähnliche Begriffe verweisen auf solche „Institutionen der Lebenswelt", die weit in den Bereich des Politischen hineinreichen, aber unterhalb der Ebene staatlicher Politik anzusiedeln sind. Nun sind diese Begriffe in fast allen erdenklichen (politik-)wissenschaftlichen Kontexten bereits ausgiebig erörtert worden, deshalb soll an dieser Stelle keine weitere Erörterung dieser Art hinzugefugt werden. Dennoch ist es unabdingbar, auf diese Erörterungen aufzubauen und sie in Bezug auf ihre Anschlussfahigkeit an einen Begriff politischer Kultur zu befragen, der im Sinne der Fragestellung Auskunft über die politische Relevanz des Kulturellen innerhalb der demokratischen Spannung von Inklusion und Differenz geben kann. Habermas' Verweis auf die Notwendigkeit einer entgegenkommenden politischen Kultur für das Funktionieren demokratischer Strukturen wurde bereits angeführt (Habermas 1992c: 626-627). In seinem Vorwort zur 1990er Neuauflage des Strukturwandels der Öffentlichkeit weist er allerdings selbst darauf hin, dass damit noch nicht viel gewonnen ist: Der pauschale Verweis auf ein Entgegenkommen' ausdifferenzierter Lebenswelten und ihrer Reflexionspotentiale genügt nicht. Es bedarf der Konkretisierung nicht nur im Hinblick auf Sozialisationsmuster und kulturelle Überlieferungen. Eine aus Motiven und Wertorientierungen gespeiste liberale politische Kultur bildet gewiß einen günstigen Boden für spontane öffentliche Kommunikation. Aber noch wichtiger sind die Ver-
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kehrs- und Organisationsformen, sind die Institutionalisierungen von Trägern einer nichtvermachteten politischen Öffentlichkeit (Habermas 1990b: 45).
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Habermas bringt in dem angeführten Zitat politische Kultur und zivilgesellschaftliche Wirksamkeit in eine logische Abfolge: politische Kultur als Boden für spontane öffentliche Kommunikation, die ihrerseits, um wirksam zu werden, einer gewissen Institutionalisierung bedarf - im Sinne der , Assoziationsverhältnisse" bei Claus Offe, auf den Habermas hier verweist (vgl. Offe 1989: 755). Er rekurriert damit auf ein Verständnis von politischer Kultur als einer passiven Grundierung gesellschaftlicher Prozesse, nicht als einem Rahmen, der politisches Handeln ermöglicht wie begrenzt - und damit auch einen Raum politischer Kreativität bzw. der Kreativität politischen Handelns beschreiben kann. Wenn aber Kultur allgemein als ermöglichender wie begrenzender Rahmen (auch kreativen) menschlichen Handelns begriffen wird, der sich auch - und nicht zuletzt! - auf politische Fragen erstrecken kann, könnte sowohl die „spontane öffentliche Kommunikation" als auch ihre Institutionalisierung bzw. ihre „Verkehrs- und Organisationsformen" mit einem Konzept von politischer Kultur in einer Weise beschrieben werden, die zum einen ihre Hintergründe in Bezug auf kollektive Selbst- und Weltbilder, zum anderen ihre kreativen Potenziale explizieren kann. Politische Kultur soll damit nicht einfach aus der passiven Rolle eines Nährbodens für politische Aktivität in eine aktive Rolle des politischen Handelns selbst überführt werden - das würde nicht nur das Konzept überfrachten und wiederum einen höchst problematischen Kulturbegriff zugrunde legen müssen, es würde auch deutliche Abgrenzungsprobleme des Konzeptes der politischen Kultur zu denen von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft mit sich bringen. 44 Vielmehr soll mit dem Begriff der politischen Kultur der kulturelle
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Habermas' Begriff von politischer Kultur bleibt in diesem Zitat im Sinne der bereits erfolgten begrifflichen Klarstellungen etwas doppeldeutig. Auf der einen Seite lehnt er sich an das Konzept von Almond/Verba an („aus Motiven und Wertorientierungen gespeist"), auf der anderen Seite kommt er dem Konzept Karl Rohes recht nahe („Sozialisationsmuster und kulturelle Überlieferungen"). Allerdings sollten die Begriffe der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit trotz aller Berührungspunkte analytisch getrennt werden: „Indeed, the importance of the concept of public sphere is largely to go beyond general appeals to the nature of civil society in attempts to explain the social foundations of democracy and to introduce a discussion of the specific organization within civil society of social and cultural bases for the development of an effective rational-critical discourse aimed at the resolution of political disputes. [...] It is not helpful to collapse discourse or politics into social organization as though neither culture nor the wills of the actors mattered. Neither is it helpful to forget how much democratic public life depends on specific kinds of social organization even though they do not necessarily and deterministically produce it" (Calhoun 1993: 269; vgl. dazu auch Offe 1989, v.a. 755-758).
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Hintergrund politisch relevanten Handelns (vor allem unterhalb der Ebene staatlichen Handelns) besser begriffen werden können.45 Ein Konzept von politischer Kultur, das in diesem Sinne sowohl den Anforderungen der normativen Demokratietheorie gerecht werden kann als auch einem zeitgemäßen und sozialwissenschaftlich anspruchsvollen Kulturbegriff Rechnung trägt, muss also mehrere Bedingungen auf unterschiedlichen Ebenen erfüllen: Es sollte in der Lage sein, - das Verhältnis von kollektiven Selbstverständigungen und dem Bereich des Politischen, bzw. die politische Relevanz von kollektiven Selbstverständigungen erklären zu können; - den Einfluss kultureller Momente auf die Partizipationsbereitschaft und -fahigkeit in Bezug auf ihr demokratisches und demokratisierendes Potenzial zu beleuchten; - dabei subkulturelle Unterschiede bzw. lokale Verschiebungen in symbolischen Ordnungen aufzunehmen; - den eigenen theoretischen Ort in Bezug zu Konzepten wie Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft, aber auch Macht und Herrschaft anzugeben. Nun sind diese Bedingungen nicht leicht zu erfüllen, da sie auf vielfaltige Ebenen verweisen, begrifflich-konzeptioneller wie auch empirischer Art. Allerdings ist der Anspruch dieser Untersuchung auch etwas bescheidener. Zwar sollen die Grundlinien eines solchen Konzeptes gezeichnet werden und auch jeweils die mit diesen Anforderungen einhergehenden Schwierigkeiten benannt werden; es soll aber nicht der Anspruch erhoben werden, „politische Kultur" als gesellschaftswissenschaftliche Kategorie zu explizieren. Die hier angestellten theoretischen Überlegungen können allerdings den begrifflichen Rahmen liefern, innerhalb dessen dann die Analyse der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften an die hiesigen demokratietheoretischen Diskurse anschlussfahig wird. Dieser genauere Blick auf die dortige Forschungspraxis sollte dann darzustellen in der Lage sein, warum und in welcher Weise in Lateinamerika mit einem Begriff von politischer Kultur im obigen Sinne gearbeitet wird, selbst wenn er nicht in theoretisch tragfähiger Weise expliziert ist. Allerdings sind im Sinne der Ausführungen in der Einleitung auch die hier angestellten Überlegungen hinsichtlich dieses begriffstheoretischen Rahmens immer schon durch die gesellschafitswissen45
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Dabei kann es prinzipiell auch um staatliches Handeln gehen, wichtiger für den Kontext dieser Arbeit ist allerdings das Handeln, das innerhalb zivilgesellschaftlicher Prozesse erfolgt. Dies hat seine Gründe nicht so sehr in theorieimmanenten Begrenzungen als vielmehr zum einen in der Perspektive der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften, auf die noch ausfuhrlich eingegangen wird, zum anderen (und damit wiederum eng verbunden) in dem grundlegenden Anliegen der normativen Demokratietheorie, die Möglichkeiten politischer Partizipation und damit der demokratischen Selbstbestimmung einer Gesellschaft theoretisch auszuloten.
schaftliche Praxis in Lateinamerika informiert und im Hinblick auf diese Praxis erfolgt. Die kollektiven Selbst- und Weltdeutungen sind vielfaltig konditioniert und wirkmächtig. Kollektive Selbstverständigungsprozesse bergen grundsätzlich politisches Potenzial - die Frage ist allerdings, unter welchen Bedingungen und in welcher Form sich dieses Potenzial auch realisieren kann. Auch wenn die politische Wirkung nicht unmittelbar ist, können zumindest weitere Selbstverständigungsprozesse damit angestoßen werden, die ihrerseits politisches Potenzial besitzen. Sie finden niemals im geschichtslosen Raum statt, sondern bewegen sich immer schon im Kontext vorgefundener Bedeutungs-, Deutungs- und Wissensordnungen. Diese Ordnungen wiederum sind ihrerseits vielschichtig und mit unterschiedlicher Reichweite ausgestattet: In modernen Gesellschaften mit stark ausdifferenzierter Kulturindustrie werden solche Ordnungen massenweise vorproduziert - was nicht bedeutet, dass diese Angebote auch so von den Konsumenten angenommen würden. Rezeption (und selbst Konsumtion) bedeutet in gewisser Weise einen kreativen Akt, da zum einen die individuellen Assoziationsketten zwar auf über- und intersubjektive symbolische Ordnungen verweisen, aber nicht ohne Rest in ihnen aufgehen; zum anderen ist der Rahmen dieser Über- und Intersubjektivität durch vielfaltige Gruppenkontexte geprägt, die durchaus von der (unterstellten) Intention des Produzenten abweichende Interpretationen nahe legen können. Nun muss nicht, wie in Teilen der Cultural Studies, jegliche inhaltliche Abweichung zwischen Produktion und Rezeption als oppositionell oder gar emanzipatorisch gewertet werden 46 - aber politisch relevant sind diese Abweichungen immer dann, wenn sie (mittelbaren) Eingang in kollektive Selbstverständigungsprozesse finden oder von vorneherein Teil davon sind. Das kann dann auch - muss aber durchaus nicht - in politische Praxis (oder zumindest politisch relevante Praxis) münden oder diese beeinflussen. Umgekehrt lassen sich bestimmte Formen kollektiven Handelns als politisch wirksam betrachten, auch wenn sie durch die Handelnden selbst nicht unbedingt als politisch oder zumindest nicht primär als politisch definiert werden. Indem diese Formen auf die ihnen zugrundeliegenden Selbst- und Weltdeutungen und deren politisches Potenzial (Ebene des Selbstverständnisses) und/oder indem sie auf ihre (mögliche) politische Wirkung (Ebene der Außen wahrnehmung/wirkung) bezogen werden, können sie als Artikulationen politischer Kultur anerkannt werden. Solche Artikulationen müssen nicht direkt mit messbaren Einstellungen und Meinungen und auch nicht unbedingt im engeren Sinne mit Sozialisation und kulturellen Überlieferungen zu tun haben. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten erweitert, Formen kollektiven Handelns als politisch zu begreifen. Allerdings muss ein solches Verständnis des Politischen notwendigerweise recht weit gefasst werden. Das birgt sowohl 46
Vgl. zur diesbezüglichen Kritik der Cullural Studies vor allem Douglas Kellner (1994; 1997a; 1997b); Nicholas Garnham (1993; 1997) und Todd Gitlin (1995; 1997).
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Chancen als auch Risiken für die normative Demokratietheorie: Das Risiko besteht darin, den Bereich des Politischen so weit zu fassen, dass er unscharf wird und an Aussagefahigkeit verliert. Die Trennung der Begriffe Kultur, Politik, Gesellschaft und Staat sollte der kulturtheoretischen Reformulierung des Politischen in Bezug auf politische Kultur nicht zum Opfer fallen. Die Chance besteht dagegen darin, die Selbstbeschränkungen der Theorie in Richtung auf eine Apologetik des Bestehenden zu lockern und über die Analyse kultureller Ausdrucksformen auch gesellschaftliche Veränderungsmöglichkeiten, zumindest aber gesellschaftliche Selbsteinwirkungsmöglichkeiten unterhalb staatlicher und institutioneller Ebenen in politischer Hinsicht beschreiben und analysieren zu können. Es ist viel geschrieben worden in Bezug auf die Möglichkeiten, unter den Bedingungen hochdifferenzierter Gesellschaften politische Effektivität durch politisches Handeln unterhalb der Schwelle staatlichen Handelns zu erreichen. Die normative Demokratietheorie muss sich dieser Frage in besonderem Maße stellen, zählt sie doch zu den Fragen, von deren Beantwortung ihre Plausibilität abhängt. Grundsätzlich werden in aller Regel keine Einwände gegen die (von nichtfunktionalistischer Seite aus am systematischsten wohl von Habermas explizierte) Diagnose erhoben, dass sich bestimmte Bereiche der Gesellschaft durch systemische Integration auszeichnen und dass die Politik im engeren Sinne dazu zu zählen ist („politisches System" bzw. „politisch-administratives System"). 47 Das beschränkt von vorneherein die Möglichkeiten einer Steuerung von Gesellschaft, da Systeme (auch die gesellschaftlichen Teilsysteme) sich nicht steuern, sondern allenfalls beeinflussen lassen; im Besonderen aber beschränkt es die Möglichkeiten der gerichteten Einflussnahme oder gar politischen Steuerung von Seiten der „autonomen Öffentlichkeiten" bzw. „der Zivilgesellschaft" - deren Konstitutionsmerkmal es ja gerade ist, nicht systemisch integriert zu sein - , wenn nicht einer Entdifferenzierung gesellschaftlicher Komplexität das Wort geredet werden soll. Nun ist aber in demokratisch verfassten Gesellschaften sowohl die Beschränktheit der Wirkung wie auch die Stellung außerhalb der systemischen Integration gleichermaßen wichtig für die Zivilgesellschaft: Ersteres, weil nur die Selbstbeschränkung der Zivilgesellschaft sie davor bewahren kann, das institutionelle Gefüge - und damit die Grundmauern der Demokratie - zu sprengen oder zumindest sprengen zu wollen; 48 Zweiteres, weil nur dadurch politische Partizipation demokratischer Art gewährleistet werden kann, da systemische Integration per Definition Selbstbestimmtheit von Seiten der (kollektiv) Handelnden ausschließt. Abgesehen von der Forderung nach einer unrealisierbaren (und von meiner Warte aus auch kaum wünschbaren) gesellschaftlichen Regression bzw. generellen Entdifferenzierung muss sich allerdings aus der Per-
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Der Grad der systemischen Integration gerade der Politik ist allerdings durchaus umstritten; vgl. dazu Fußnote 29. Vgl. Cohen/Arato (1994: 57). Dieser Aspekt wird uns im Laufe dieser Arbeit noch weiter beschäftigen.
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spektive der normativen Demokratietheorie die Frage nach der „Demokratisierung der Differenzierungsfrage" (Joas) stellen: In der Demokratie einer differenzierten Gesellschaft wird in den Institutionen der politischen Willensbildung, deren Differenzierung selbst durchlässig ist gegenüber der Kommunikation der Gesellschaftsmitglieder, um Art und Ausmaß unvermeidlicher und wünschbarer Differenzierung gerungen (Joas 1996: 357).
Joas bezieht dies ausdrücklich auf „gesellschaftliche Kreativität" zurück, die er wiederum in Organisationsformen der Zivilgesellschaft gegeben sieht. Allerdings wird dabei nicht so recht klar, inwiefern sich die Kreativität tatsächlich in gesellschaftlich relevanter Weise auf die Ausdifferenzierung beziehen kann: Die Infragestellung bestimmter Formen und Grade der Ausdifferenzierung von Seiten sozialer Bewegungen findet offenbar nicht explizit statt, sondern ist eine Folge der Kritik an konkreten Outputs des politischen oder wirtschaftlichen Systems. Seine Beispiele deuten das an (Joas 1996: 356-357): Friedens- und Ökologie-Bewegungen richten sich gegen bestimmte Auswüchse und Ergebnisse von politischen, militärischen und/oder wirtschaftlichen Entscheidungen und Planungen („militärische Strategie" bzw. „Verteidigung der natürlichen oder tradierten Umwelt"); erst aus der makrosoziologischen Perspektive richten sich diese Bewegungen auch gegen Form und/oder Ausmaß der systemischen Ausdifferenzierung selbst („militärisch-industriell-wissenschaftlicher Komplex" bzw. „Ausdifferenzierung der Genese des wissenschaftlichen Fortschritts"). Das hat, so ist zu vermuten, nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Thematisierung solch hoch komplexer Zusammenhänge nur schwer breitenwirksam (oder gar in soziale Bewegung) umsetzen lässt. Das bedeutet aber auch, dass die konkrete politische Kreativität der sozialen Bewegungen nicht gleichbedeutend ist mit gesellschaftlicher Kreativität, die sich unter anderem auf die „Demokratisierung der Differenzierungsfrage" richtet. Die gesellschaftliche Kreativität im Ringen um „Art und Ausmaß der Differenzierung" liegt demnach nicht in den Intentionen der sozialen Akteure selbst, sondern ergibt sich quasi erst durch die List der Vernunft. Es scheint sich um eine dialektische Bewegung zu handeln: Die Kritik an bestimmten Ergebnissen von Politik oder auch der Richtung, die staatliches Handeln einschlägt, beruht häufig (oder sogar in aller Regel) nicht auf einer adäquaten Analyse der Vielschichtigkeit der dem Kritisierten zugrundeliegenden Prozesse.49 Gerade wegen der Unterkomplexität der (öffentlich geäußerten) 49
Das widerspricht nicht unbedingt der Habermas'sehen Auffassung, dass die „Handlungsfähigkeit basisnaher Organisationen [...] immer hinter ihrer Reflexionsfahigkeit zurückbleiben" wird (Habermas 1985: 160). Zum einen geht es bei Habermas um die Ebene direkter und intendierter Einflussnahme auf politische Entscheidungen, nicht um Ergebnisse, die nicht im eigentlichen Handlungshorizont der Bewegungen liegen; zum anderen muss eine adäquate politische Analyse von Seiten einer sozialen Bewegung bzw. durch autonome Öffentlichkeiten nicht notwendigerweise das Komplexitäts- und Abstraktionsniveau sozialwissenschaftlicher Analyse und Terminologie erreichen.
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Analyse und Kritik werden aber de facto nicht nur bestimmte Ergebnisse infrage gestellt, sondern auch die sich partizipativer Einflussnahme tendenziell entziehenden dahinter liegenden Prozesse selbst (vgl. Giegel 1992: 90-91). Die „Naivität", mit der die uneinsehbaren Sach- und Handlungszwänge politischer Entscheidungen ignoriert werden, ermöglicht erst die Kritik an Entscheidungen, die aus der Sicht der Verantwortlichen gar nicht oder kaum anders getroffen werden konnten bzw. an Entwicklungen, die in system-funktionaler Hinsicht unausweichlich waren. Wenn aber systemisch „unmögliche" Entscheidungen eingefordert werden, bezieht sich die Kritik notwendigerweise auch auf die systemischen Zwänge, die diese Entscheidungen (vermeintlich) unausweichlich gemacht haben. Eingefordert wird dann - in der Hauptsache an die Adresse „der Politik", aber teilweise auch an die „der Wirtschaft" gerichtet- eine Einflussund Steuerungsfahigkeit, die diese - tatsächlich oder zumindest in ihrem Selbstverständnis - gar nicht (mehr) besitzen. Erst damit entsteht aus der Auseinandersetzung über einzelne Sachfragen das notwendige „Ringen um Art und Ausmaß der Ausdifferenzierung". Damit diese Form der Auseinandersetzung aber überhaupt in einer Weise gefuhrt werden kann, die Veränderungen im politischen Output oder gar der systemischen Ausdifferenzierung selbst zumindest theoretisch erlaubt, muss eine gewisse Rückbindung des politisch-administrativen Systems an die Lebenswelt bzw. die Zivilgesellschaft gegeben sein. Diese Rückbindung ist in der politischen Theorie Habermas' in Anlehnung an Bernhard Peters durch das „Schleusenmodell" beschrieben worden. Darin, und das ist eine gewichtige Einschränkung, hält Habermas diese Rückbindung nur im Modus der indirekten Einflussnahme über den Umweg der Gesetzgebung und Rechtsprechung für möglich: Die illegitime Verselbständigung von administrativer und sozialer Macht wird in dem Maße verhindert, wie die Peripherie a) fähig ist und b) oft genug Anlaß hat, latente (und nur politisch bearbeitbare) gesellschaftliche Integrationsprobleme aufzuspüren, zu identifizieren, wirksam zu thematisieren und über die Schleusen des parlamentarischen Komplexes (oder der Gerichte) so einzuführen, daß dessen Routinemodus gestört wird (Habermas 1992c: 434; Hervorh. i. O.).
Nun ist die Frage, ob nicht mit dem Stichwort,Kreativität" (auch wenn dies in der Fassung von Hans Joas noch nicht so ausgeführt wird) ein Weg angedeutet wird, der aus dieser Beschränkung auf den Rechtsstaat im engeren Sinne ein wenig heraus fuhrt. „Politische Kultur" wäre dann der Begriff für das Beackern des Feldes symbolischer Ordnungen, die politisch wirksam werden, auch jenseits der Be- und Verhandlung politischer Konflikte in Parlamenten und Gerichten. Damit wäre neben der direkten Thematisierung inhaltlicher Konflikte und der indirekten Thematisierung von Form und Ausmaß systemischer Verselbständigung eine weitere Ebene der Wirkfahigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure beleuchtet, für die der Begriff der Kreativität mit zumindest gleicher Plausibilität gebraucht werden kann, wie in den von Joas beschriebenen Zusammenhän62
gen. Das bedeutet nicht, dass der Radius der Wirkmächtigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure entgrenzt werden soll; die oben bereits angeführte (Selbst-Beschränkung der Zivilgesellschaft soll damit nicht grundsätzlich infrage gestellt werden: Auch die politische Steuerung selbst muss [...] die eigensinnige Operationsweise von Funktionssystemen und anderen hochorganisierten Bereichen intakt lassen. Daraus ergibt sich für demokratische Bewegungen, die aus der Zivilgesellschaft hervorgehen, der Verzicht auf jene Aspirationen einer sich im ganzen selbst organisierenden Gesellschaft, die u.a. den marxistischen Vorstellungen der sozialen Revolution zugrunde gelegen haben (Habermas 1992c: 450).
Allerdings soll die Begrenzung der Ebenen der Wirkfahigkeit dieser Bewegungen infrage gestellt werden. Wenn Habermas behauptet, die Zivilgesellschaft könne „[...] unmittelbar nur sich selbst transformieren und mittelbar auf die Selbsttransformation des rechtsstaatlich verfaßten politischen Systems einwirken" (Habermas 1992c: 450), 50 so schließt dies den Bereich der Kultur im Sinne geteilter Wissens- und Bedeutungsordnungen praktisch aus. Möglicherweise liegt eine solche Begrenzung im Aufbau seines Theoriegebäudes selbst begründet. Der Nachweis dessen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht im Einzelnen geführt werden. Verwiesen sei allerdings auf zwei Aspekte, die diese Diagnose nahe legen: 1. Die strikte (wenn auch analytische) Trennung von System und Lebenswelt und die Zurechnung der Politik im Sinne der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen zu den Systemen erlaubt lediglich eine Selbsttransformation des politisch-administrativen Systems, die durch Störung von außen angestoßen wird. Da die Lebenswelt ihrerseits ja kein System darstellt, scheidet auch die vergleichsweise direkte „Störung" durch strukturelle Kopplung aus. Im Horizont der Systemtheorie ist es darüber hinaus nicht möglich, Kultur in einem Sinne zu begreifen, wie es hier vorgeschlagen wird: Kultur wird dort - spiegelbildlich zum totalisierenden Kulturbegriff, der beinahe alles zur Kultur zählt - differenzierungstheoretisch als ein gesellschaftliches Subsystem begriffen, als ein gesellschaftliches Handlungsfeld, in dem die Produktion, Verteilung und Verwaltung von , Weltdeutungen' intellektueller, künstlerischer, religiöser oder massenmedialer Art stattfindet. Kultur ist dann nichts anderes als ein soziales ,Teilsystem', das sich in institutionalisierter Form auf den Umgang mit Weltdeutungen spezialisiert hat (Reckwitz 2000: 79).
50
Vgl. auch Habermas (1990b: 44), wo er die Wirkung kommunikativer Macht (also der in den nicht vermachteten Öffentlichkeiten entstandenen Macht im Sinne Hannah Arendts) sogar auf die Bereitstellung bzw. den Entzug von Legitimation begrenzt sieht. Im Kontext seiner späteren demokratietheoretischen Präzisierungen (in der Hauptsache in „Faktizität und Geltung" [Habermas 1992c]) scheint diese Betrachtungsweise allerdings der hier angeführten gewichen zu sein.
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Damit wird ein Verständnis ausgeschlossen, dass lebensweltlichem Handeln kulturkonstituierende und -verändernde Wirkung zuschreiben kann. Zivilgesellschaftliche Prozesse, sofern sie kulturelle Momente beinhalten, könnten dann nicht die Koordinaten des kulturellen Selbstverständnisses einer Gesellschaft verschieben, sondern nur - analog zum Einfluss auf das politische System - mittelbar auf die Selbsttransformation des kulturellen Systems Einfluss nehmen. Habermas' Verständnis kann dies nicht sein; allerdings bereitet auch ein Begriff von Kultur Schwierigkeiten, in dem diese umgekehrt vollständig der Lebenswelt zugesprochen wird. Damit fiele es nämlich schwer, die kulturellen Aspekte politischen Handelns zu begreifen, da diese nicht mit dem Code des politischadministrativen Systems zu fassen wären. Dann wäre es nur noch denkbar, dass diese Aspekte in Form von zivilgesellschaftlichem bzw. lebensweltlichem Handeln wiederum lediglich mittelbar auf die Selbsttransformation des Systems einwirken könnten. Nun ist aber im Sinne des hier zugrundeliegenden Kulturbegriffs die Annahme wenig plausibel, das politische Handeln im engeren Sinne - also die Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen - sei nicht an jene Prozesse rückgebunden, welche die handlungsermöglichenden und -restringierenden Wissens- und Sinnordnungen hervorbringen und verändern. 51 Da diese aber gerade auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren mitgeprägt werden, liegt hier ein direkterer Bezug zwischen politischem System und Zivilgesellschaft bzw. autonomen Öffentlichkeiten vor, als dies in der Habermas'sehen Lesart der Fall sein kann. Der System-Lebenswelt-Dualismus schließt mit Bezug auf den Einfluss zivilgesellschaftlicher Bewegungen auf das politische System die Kultur begrifflich tendenziell aus - zumindest in dem hier gebrauchten Sinn. 2. Habermas' Demokratietheorie gründet wie das gesamte Habermas'sche Theoriegebäude auf der Sprechakttheorie bzw. auf der Theorie kommunikativen Handelns, was in Bezug auf demokratische Verfahren in der Hauptsache bedeutet: auf der Rationalität bzw. zumindest dem Rationalitätspotenzial argumentierender Rede. Nun ist aber damit praktisch ausgeschlossen, jene Resultate menschlicher Kommunikation (auch in politischer Hinsicht) zu erfassen, die nicht im Wesentlichen auf dem Aufstellen von zurückweisbaren Geltungsansprüchen beruhen. Dazu gehört im engeren Sinne Kommunikation in der Form ästhetischer Erfahrung, in einem weiteren Sinn aber auch der Bereich symbolischer Formen. 52 Das bedeutet durchaus nicht, dass sich nicht auch mit symbolischen Formen Geltungsansprüche verbinden ließen, aber in dem hier gebrauchten Sinn von Kultur als Sinnsysteme bzw. Wissensordnungen muss notwendi51
52
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In Bezug auf die wirklichkeitskonstituierende Funktion symbolischer Formen und ihre Bedeutung fur das Politische vgl. auch Göhler (1999). Vgl. Alexander/Smith (1993: 154): „Focusing on speech acts rather than symbolic languages, his [Habermas's] work describes meaning as the result of efforts by interested actors to negotiate consensual understandings of practical ends, within the framework of standards of evaluation that are the product of genetic epistemology rather than of meaning complexes and traditions".
gerweise Raum bleiben für Ausdrucks- und Interpretationsformen, die sich nicht primär sprachlich umsetzen, auch wenn sie sich grundsätzlich in sprachliche Ausdrücke übersetzen lassen könnten (sofern sie überhaupt bewusst reflektiert werden). Die Interpretation solcher Ausdrucksformen von ihren möglichen Übersetzungen in Sprache her - welches wohl Habermas' Weg wäre - würde ihnen allerdings nur unzureichend gerecht (vgl. Vogel 1988: 21-25); zumindest ist ihr genuin kultureller Gehalt damit kaum in seinem Eigensinn zu erfassen. Damit kann Habermas zwar die politischen Aussagen sozialer Bewegungen und die entsprechenden Reaktionen erfassen, nicht aber die kulturellen Momente, die über die Rationalität kommunikativen Handelns hinausgehen bzw. sich ihr teilweise entziehen. Entsprechend kann er auch nicht das politische Potenzial erfassen, das in diesen kulturellen Momenten enthalten sein kann: Die im Titel eines Aufsatzes formulierte Frage Margaret Somers', „What's Political or Cultural about Political Culture and the Public Sphere? Toward an Historical Sociology of Concept Formation" (Somers 1995a), kann Habermas allenfalls in Bezug auf das Politische, nicht aber in Bezug auf das Kulturelle beantworten. 53 Im Zusammenhang mit dieser Verengung ist auch die Spannung von Inklusion und Differenzanerkennung zu sehen. Im Unterschied zur Vorstellung der Diskursethik, welche die reziproken Anerkennungsansprüche auf universalisierbare Diskursregeln gegründet sieht, halte ich es mit Axel Honneth für plausibler anzunehmen, dass solche Anerkennungsansprüche auf der einen Seite auf sehr konkrete und unteilbare Erfahrungen verweisen, auf der anderen Seite auf die gesellschaftliche Situiertheit von individuellen und kollektiven Identitäten, auf welchen die Ansprüche beruhen: Die Diskursethik scheint für diese Frage zu eng zu sein, weil sie die normativen Kriterien für Gerechtigkeit so anlegt, daß sie nicht mit den moralischen Empfindungen von Subjekten zusammenfallen. [...] Kein Subjekt empfindet moralisches Unrecht, weil bestimmte Argumentationsregeln nicht eingehalten werden. Die Empfindung von moralischem Unrecht hängt viel stärker mit der Identität der Subjekte selbst zusammen. Es geht um Identitätsansprüche: daß Subjekte als die und die Art von Personen anerkannt sein wollen. Die Beschreibung von Interaktion, wie sie in Habermas' Theorie auftaucht, wird so als eine Art von wechselseitiger Anerkennung viel ernster genommen. In dieser Dimension der Anerkennung haben die normativen Ansprüche der kritischen Gesellschaftstheorie ihren eigentlichen sozialen Ort. Allerdings wird mir erst nach und nach klar, wie sehr sich dieses Programm von der Diskursethik gelöst hat. Die normativen Maßstäbe sind nämlich nicht mehr durch die sprachliche Praxis vermittelt, sondern unmittelbar in den intersubjektiven Ansprüchen der vergesellschafteten Subjekte angelegt. Diese Subjekte können nur dann miteinander kommunizieren, wenn sie sich in einer gewissen Weise als Anerkannte erfahren. Wird ihnen diese Anerkennung vorenthalten, so reagieren sie verletzt (Honneth 1994a: 75; Hervorh. B.S.).
53
Somers selbst streitet auch ab, dass Habermas das Politische daran erkennen könne. Sie stellt u.a. die Parallelen zwischen dem „civic culture"-Ansatz (Almond/Verba 1963) und dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit" (Habermas 1990b) dar (Somers 1995a: 123-127; vgl. auch den zweiten Teil des Artikels: Somers 1995b).
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Diese Restriktionen bei Habermas sind zwar der Theorie des kommunikativen Handelns immanent, nicht aber in der normativen Demokratietheorie selbst angelegt. Auch bedeutet die Anerkennung einer kulturellen Ebene sozialer Bewegungen bzw. generell bürgerschaftlichen Handelns keine grundsätzliche Aufweichung der Diagnose notwendig begrenzter Wirkfahigkeit im Sinne einer Selbstbeschränkung dieses Handelns im Rahmen der institutionellen Ordnung und der mit ihr einhergehenden strukturellen Verhinderung weit reichender Veränderungen. 54 Es geht allerdings darum, eine andere Ebene bzw. andere Momente dieser (selbst-)begrenzten Wirkfähigkeit analytisch identifizieren zu können. Damit ist in gewisser Weise auch ein erweiterter Begriff dessen gegeben, was die Sphäre der Zivilgesellschaft bzw. des bürgerschaftlichen Handelns ausmacht - dazu wird später noch mehr zu sagen sein. In jedem Fall ist gesellschaftliche und politische Partizipation vielschichtiger analysierbar, wenn der kulturelle Aspekt politischen Handelns mit einbezogen wird - bzw. die tatsächlich vorhandene Vielschichtigkeit der Partizipation und ihrer Wirkmöglichkeiten wird adäquater erfassbar.
2.5
Anerkennungskämpfe und kreatives Handeln: Das Politische des Kulturellen in der Demokratie
Gesellschaftliche und politische Partizipation ist eine grundlegende Notwendigkeit für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften. Ohne Partizipation verstärkt sich die Tendenz von administrativer (und auch sozialer) Macht zur illegitimen Verselbständigung, wie Habermas ausfuhrt (s.o.). Das bedeutet aber auch, dass damit „ein guter Teil der normativen Erwartungen, die mit deliberativer Politik verknüpft sind, auf die peripheren Strukturen der Meinungsbildung" fallt (Habermas 1992c: 434). Nach der Interpretation Habermas' sind zivilgesellschaftliche Akteure durch die gesellschaftlichen Asymmetrien in Bezug auf Ressourcen von Macht, Organisation, Wissen, Geld, Zugang zu (Massen-)Medien, etc. strukturell benachteiligt - und in der Hauptsache dann fähig, gesellschaftliches Protest- bzw. Widerstandspotenzial auch in kurzfristig effektiver Weise zu mobilisieren, wenn sich in der Wahrnehmung größerer Gruppen eine Entwicklung krisenhaft zuspitzt. Erst dann erweist sich die größere Sensibilität der zivilgesellschaftlichen Akteure, die durch die enge Rückbindung an die konkrete Lebenswelt der Individuen gewährleistet wird, als entscheidender Vorteil gegenüber der Tendenz zur Selbstabschottung, die das politisch-administrative System auszeichnet. Diese Sensibilität ermöglicht es dann, die Relevanz von Themen (schneller) zu erkennen, Öffentlichkeit darüber zu schaffen und eine relativ breite Mobilisierung zu erwirken. Damit wird zum einen Agenda54
Zur Frage der Selbstbegrenzung sozialer Bewegungen und der Zivilgesellschaft als solcher als notwendige Voraussetzung für das Funktionieren demokratischer Strukturen vgl. Cohen/Arato (1994; v.a. Kapitel 1).
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Setting betrieben, das heißt, durch Druck der Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit werden entscheidungsbefugte Gremien überhaupt erst dazu gebracht, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen, zum anderen wird aber auch inhaltlicher Druck aufgebaut, damit politische Entscheidungen in Bezug auf diese Themen auch in eine bestimmte Richtung weisen. Nun ist es sicherlich richtig, dass bestimmte Themen gar nicht oder zumindest nicht relativ kurzfristig auf die „politische Agenda" gelangen würden, wenn es in der Öffentlichkeit nicht erstens eine Sensibilität für diese Themen und zweitens die Einschätzung einer krisenhaften Entwicklung in Bezug auf diese Themen geben würde. Das erklärt allerdings nicht, warum bestimmte Themen öffentlichkeitswirksam werden können und andere nicht, warum es thematische Konjunkturen gibt, die bestimmte Themen in der Versenkung der Nichtbeachtung verschwinden lassen, obwohl ihre Virulenz und Krisenhaftigkeit in keiner Weise abgenommen hat, warum es umgekehrt nach jahrelangen ungehörten Mahnungen vereinzelter Aktivisten plötzlich eine große öffentliche Aufregung um bestimmte Themen gibt, etc. Des Weiteren ist die Frage, ob es nicht eine gewisse Verkennung der Wirkmächtigkeit von Zivilgesellschaft ist, wenn sie anhand des Aktivwerdens der Parlamente oder Gerichte gemessen wird, also an der rechtsformigen Reaktion des politisch-administrativen Systems bzw. des Rechtssystems. Es scheint mir eine Verengung der theoretischen Wahrnehmung demokratischer Möglichkeiten zu sein, die Habermas hier vornimmt, und zwar nach drei Seiten: Auf der einen Seite verengt er das demokratische Spiel der Kräfte, Interessen und kollektiven Akteure auf seine institutionellen Komponenten. Er sieht von der grundsätzlich mit geringer Effektivität ausgestatteten politischen Beeinflussung der Selbsttransformation des politischen Systems über das demokratische Rechtssetzungsverfahren letztlich nur eine Ausnahme: die außeralltägliche Krisenhaftigkeit bestimmter Entwicklungen, welche nicht nur die kurzfristige Thematisierung gesellschaftlicher Konflikte, sondern auch die diesbezügliche wirksame - und ebenfalls kurzfristige - Störung des politisch-administrativen Systems bewirken kann. Damit begrenzt er die Möglichkeiten demokratischer Selbstbeeinflussung durch die Zivilgesellschaft auf der zweiten Seite auf den Fall des partiellen Versagens des politisch-administrativen Systems - erst dessen „Betriebsblindheit" in Form mangelnder Sensibilität und Flexibilität in Bezug auf relevante Themen und ihre Behandlung ruft bei zivilgesellschaftlichen Akteuren eine - dann außergewöhnliche - Mobilisierungsfahigkeit und in der Bevölkerung eine entsprechend außergewöhnliche Mobilisierungsbereitschaft hervor (vgl. Schmalz-Bruns 1995: 115). Auf der dritten Seite findet - im Sinne des oben bereits Ausgeführten - eine Begrenzung der Dimensionen von politischer und gesellschaftlicher Partizipation statt: Die genuin kulturellen Aspekte der Partizipation können von Habermas nicht in adäquater Form erfasst werden. In der auf die Perspektive der Rechtsstaatlichkeit zugespitzten Betrachtung der Demokratie bleibt die Frage nach den sozialen Kämpfen innerhalb der Spannung 67
von demokratischem Inklusionsversprechen und (konflikthaften) Differenzanerkennungsforderungen weit gehend außen vor. 55 Diese Begrenzungen berühren einander insofern, als dass die Ausblendung kultureller Momente von Partizipation den Blick sowohl auf die Wirkungen versperrt, die abgesehen von der Be- und Verhandlung in Parlamenten und Gerichten erzielt werden, als auch auf deren Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit ohne dass sie deshalb wirkungslos wären. Habermas erkennt diese Wirkungen im Grundsatz auch an (Habermas 1992c: 451-453; 1990b: 45-47), er bezieht sie aber in der Hauptsache auf die Sphäre der Zivilgesellschaft selbst; sie bewirken also eine Selbsttransformation bzw. Selbstkonstitution und -konsolidierung, deren politische Wirksamkeit (die Habermas wiederum im politischen System ansiedelt bzw. ausschließlich dort messen zu können meint) allerdings äußerst begrenzt bleibt. Habermas' Begriff der Zivilgesellschaft bleibt damit merkwürdig doppeldeutig. Dies scheint einer doppelten Sorge geschuldet: Auf der einen Seite sieht er die Gefahren einer Verselbständigung des systemischen Eigensinns des politisch-administrativen Systems und damit der Entkoppelung staatlich konzentrierter Entscheidungsfindung von den normativ gehaltvollen politischen Partizipationsbestrebungen (beispielsweise von Seiten autonomer Öffentlichkeiten). Das macht eine aktive und lebendige Zivilgesellschaft zu einer demokratischen Notwendigkeit, da nur so die „illegitime Verselbständigung von administrativer und sozialer Macht gegenüber demokratisch erzeugter kommunikativer Macht" (Habermas 1992c: 434) zumindest in Ansätzen verhindert werden kann. Auf der anderen Seite furchtet er diejenigen zivilgesellschaftlichen Artikulationen, die eben nicht auf „rationalisierten Lebenswelten" beruhen, sondern „die verhärteten Traditionsbestände einer von kapitalistischer Modernisierung gefährdeten Lebenswelt blind verteidigen" wollen. Die dabei entstehenden „populistischen Bewegungen" sind „in den Formen ihrer Mobilisierung ebenso modern wie in ihren Zielsetzungen antidemokratisch" (Habermas 1992c: 449). Gegen diese Gefahrdung der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung setzt er das Beharrungsvermögen staatlicher Institutionen, die zwar eine gewisse Offenheit für zivilgesellschaftliche Artikulationen besitzen, aber deren Unmittelbarkeit die entschärfende Wirkung der rechtlich-politischen Schleusen entgegensetzen. Allerdings bleibt dabei die Frage offen, wie denn rationalisierte Lebenswelten im Sinne einer „an Freiheit gewöhnten Bevölkerung" entstehen können. Darauf kann Habermas aufgrund seiner theoretischen Grundannahmen prinzipiell nur mit einer allgemeinen Theorie der Rationalisierung antworten. Damit wird allerdings eine Ebene der Selbsteinwirkung der Zivilgesellschaft ausgeblendet, die
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Nur am Rande behandelt Habermas im Hinblick auf die feministischen Gleichstellungspolitiken die Frage nach der politischen Wirksamkeit von (kulturellen) Anerkennungskämpfen (Habermas 1992c: 493-515, bes. 512-515). Einen adäquaten und systematischen Ort in seiner Theorie des demokratischen Rechtsstaats finden diese Kämpfe allerdings nicht.
auch das Political Culture-Konzept nicht sehen konnte, die aber bereits bei Rohes Begriff von politischer Kultur im Ansatz thematisiert wird: die Generierung und Perpetuierung bzw. Veränderung politischer Einstellungen und Überzeugungen jenseits von (rationaler) Argumentation. Diese hängen nicht zuletzt davon ab, in welchem politisch-gesellschaftlichen Umfeld sich Menschen als Bürger bewegen. Wenn Habermas davon ausgeht, dass eine liberale politische Kultur (im Sinne Rohes) einen günstigen Boden fur nicht vermachtete öffentliche Kommunikation bildet, so sollte dem hinzugefugt werden, dass der umgekehrte Fall zumindest in gleichem Maße gilt: Schon die Existenz demokratischer Partizipationsrechte begünstigt die Selbstwahrnehmung einer Gesellschaft als demokratische - und die tatsächliche Wahrnehmung dieser Rechte bewirkt dies in noch wesentlich stärkerem Maße. Zivilgesellschaftliche Akteure, welche diese Rechte wahrnehmen, erfüllen eine dreifache Funktion: Sie nehmen „Einfluß auf das politische System", sie bewirken eine „Stabilisierung und Erweiterung von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit" und „die Vergewisserung der eigenen Identität und Handlungsfähigkeit" (Habermas 1992c: 447).56 Allerdings billigt Habermas die letzten beiden Funktionen nur denjenigen Akteuren zu, die auch wissen, „daß sie während ihres Meinungsstreites, ihres Ringens um Einfluß, in das gemeinsame Unternehmen der Rekonstituierung und Erhaltung von Strukturen der Öffentlichkeit verwickelt sind" (Habermas 1992c: 447; Hervorh. i. O.). Diese starken Rationalitäts- und Reflexionszumutungen sind zwar möglicherweise innerhalb des größeren Habermas'sehen Theoriezusammenhangs unabdingbar; sie sind es aus demokratietheoretischer Perspektive durchaus nicht (vgl. Greven 1993: 407). Aus einer Perspektive, welche die vielfältigen und vielschichtigen (zivil-gesellschaftlichen Artikulationen (auch) als soziale Anerkennungskämpfe betrachtet, kommen neben den (selbst-)bewussten politischen Artikulationen auch solche in den Blick, die zwar als Formen kollektiven Handelns politisches Potenzial beinhalten, sich aber nicht notwendig explizit politisch äußern: [E]s handelt sich dabei [beim sozialen Kampf; B.S.] um den praktischen Prozeß, in dem individuelle Erfahrungen von Mißachtung in einer Weise als typische Schlüsselerfahrungen einer ganzen Gruppe gedeutet werden, daß sie als handlungsleitende Motive in die kollektive Forderung nach erweiterten Anerkennungsbeziehungen einfließen können (Honneth 1994b: 260). 57
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Habermas nennt das - aus welchen Gründen auch immer - die „doppelte Ausrichtung" zivilgesellschaftlicher Akteure. Ich sehe darin eine dreifache Ausrichtung.
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Vgl. dazu auch die Ausfuhrungen Jürgen Straubs zur kollektiven Identität: „Auch muß man nicht davon ausgehen, daß die besagten Übereinkünfte [aus denen die kollektive Identität besteht; B.S.] in jedem Fall und ohne weiteres ,reflexiv' im Sinne von ,bewußt' oder gar ,rational handhabbar' sind. Sie sind häufig vielmehr als ladt knowledge aufzufassen, als latentes Alltagswissen, das das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln der Angehörigen des betreffenden Kollektivs gleichsinnig strukturiert und leitet. Dieses ,Wissen' mag in
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Nun ist nicht zu sehen, warum solche kollektiven Forderungen notwendigerweise erstens mit dem expliziten Anspruch auftreten sollten, auf das politische System Einfluss zu gewinnen und/oder zweitens ein (Selbst-)Bewusstsein über ihre zivilgesellschaftliche Relevanz besitzen sollten, um diese Relevanz de facto zu besitzen. Lässt man also diese starken Rationalitäts- und Reflexionszumutungen fallen, gewinnen die kulturell imprägnierten Anerkennungsbeziehungen politische Relevanz, weil sie zum einen (kollektiv) handlungsmotivierend sein können, zum anderen ein gutes Maß an Konfliktpotenzial beinhalten - und darüber hinaus in Form von wechselseitigen Anerkennungs/o/'i/e/wigen als zivilgesellschaftliche Artikulationen begriffen werden müssen, die als solche auch die Zivilgesellschaft selbst stärken. Das bedeutet allerdings auch, Öffentlichkeit primär als einen sozialen Raum zu konzeptualisieren, in dem sich auf der Basis der Erfahrung einer Differenz sich unvermittelt begegnender Lebensformen und stile so etwas wie die ,integrative Mechanik der Differenzerfahrung' entbinden soll (Schmalz-Bruns 1995: 100).
Schmalz-Bruns nennt das die „libertäre Option der Selbstverwirklichung" unter den Öffentlichkeitsbegriffen. Zwar wird dieser Aspekt (vor allem in Abgrenzung zu Habermas) hier besonders hervorgehoben - angeschlossen ist dieses Verständnis von Öffentlichkeit allerdings über das Postulat demokratischer Institutionen als Conditio sine qua non der Demokratie sowohl an die „liberale Option der Selbstgesetzgebung" wie auch die „partizipatorische Option der Selbstregierung" (Schmalz-Bruns 1995: 99-100). Diese politische Relevanz wird desto besser gesehen werden können, je stärker Demokratie in Bezug auf ihre grundlegende Spannung zwischen Inklusionsversprechen und Differenzanerkennungsansprüchen hin beleuchtet wird. In diesem Sinne weit davon entfernt, ein harmonisierendes Bild der politischen Relevanz von handlungsmotivierenden kollektiven Selbstverständigungsprozessen zeichnen zu wollen, ermöglicht es diese Perspektive, sowohl das politische und gesellschaftliche Konfliktpotenzial wie auch die demokratisierenden Potenziale der aus ihnen resultierenden Anerkennungskämpfe zu sehen.58 Dabei ist allerdings der Begriff des Handelns entschei-
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routinisierten auch, wie die dynamischen (Straub 1998:
und konventionalisierten Verhaltensformen Ausdruck finden, und es mag psychoanalytische Sozial- und Kulturforschung nahelegt, in einem psychoSinne unterdrückt sein und .latent' das kollektive Verhalten motivieren" 103; Hervorh. i. O.).
Das bedeutet aber auch, dass die Perspektive, aus der hier Demokratie betrachtet wird, keine starke Rationalitätsannahmen voraussetzen kann: ,,[J]e enger man in einer demokratisch-partizipatorischen Perspektive die gesellschaftliche Willensbildung mit der Idee der Rationalisierung staatlicher Politik i. S. einer Verbesserung der Qualität politischer Entscheidungen verklammert, desto anspruchsvoller werden die Rationalitätserwartungen, die man in den Strukturen öffentlicher Willensbildung unterbringen können muß" (SchmalzBruns 1995: 99). Umgekehrt kann nach dem Gesagten ein solcher Anspruch in Bezug auf die Qualitätsgarantie politischer Entscheidungen nicht erhoben werden, wenn nicht Demokratisierung (und die Vertiefung und Verbreiterung von Anerkennungsverhältnissen zähle
dend: Wenn menschlichem Handeln - wie bei Hans Joas - sowohl Kreativität wie auch ein interner Normenbezug zugesprochen wird, können jenseits rationalisierter Lebenswelten diese demokratisierenden Potenziale der Anerkennungskämpfe sichtbar gemacht werden. So schreibt Rainer Schmalz-Bruns zu Joas: Zunächst wird der Begriff des Handelns prinzipiell aus der Perspektive der Anwendung (kollidierender) Handlungsnormen in problematischen Situationen und nicht in der Perspektive der Normenbegründung erschlossen; zweitens kann kreatives Handeln im Zusammenhang von Normanwendung und angemessener Problemlösung nicht solipsistisch verstanden werden - ihm bleibt eine moralische Dimension durch die intersubjektive Orientierung von Kreativität selbst eingeschrieben; damit kann dieses Verständnis in eine partizipatorische Auffassung von Demokratie insoweit eingepaßt werden, als Mechanismen der objektivistischen Überformung von Handlungszusammenhängen durch eine institutionell zu sichernde Kooperationsmoral substituiert werden sollen (Schmalz-Bruns 1995: 156).
Damit sind die wechselseitigen Abhängigkeiten verdeutlicht, die zwischen demokratischer Institutionalisierung und zivilgesellschaftlichem Handeln bestehen: Ohne Erstere laufen zivilgesellschaftliche Artikulationen Gefahr, sich in nicht demokratischer Form zu verselbständigen; ohne Letztere bleiben trotz formal demokratischer Strukturen gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse oberflächlich.59 Auf der Grundlage dieser Einsicht lassen sich dann die Kreativität des Handelns im Allgemeinen (im Sinne Joas') und das spezifische Handeln in Form von sozialen Anerkennungskämpfen (im Sinne Honneths) als potenziell demokratisierende Ressourcen begreifen. All diese Resultate der Kreativität: erzeugte Handlungsmittel, neue Handlungsstrategien, kulturelle Innovationen und Bindungswirkungen kultureller Gehalte - lösen sich ab vom Akt ihrer Kreation und werden zu Ressourcen neuen Handelns (Joas 1996: 342). Stets war in der Erfahrung einer bestimmten Form von Anerkennung wieder die Möglichkeit einer Eröffnung von neuen Identitätsmöglichkeiten eingelassen, so daß ein Kampf um deren soziale Anerkennung die notwendige Folge sein musste (Honneth 1994b: 259).
Auch Honneth verweist auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Anerkennungskämpfe zu einer tatsächlichen Erweiterung von gegenseitigen Anerkennungen führen können; allerdings zielt er mit Hegel mehr auf die moderne Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Ebenen von Anerkennungsver-
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ich dazu) und Rationalisierung von Politik in einen kausalen Zusammenhang gebracht werden sollen. Das ist hier allerdings nicht der Fall (dazu immer noch höchst bedenkenswert: Greven 1993; bes. 407-412). Herfried Münkler hat dies in Bezug auf die Integration der Europäischen Union durchgespielt (Münkler 1997b). Auch hier wird deutlich, dass zum einen tatsächliche Partizipation einem Zugehörigkeitsgefühl zuträglich ist, zum anderen dieses sich gerade auch durch die Austragung politischer Konflikte bilden kann (Münkler 1997: 216-217).
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hältnissen in Liebe, Recht und soziale Wertschätzung als auf demokratische Institutionen im engeren Sinne ab (auch wenn die rechtliche Anerkennung im Honneth'schen Sinne einen intrinsischen Bezug zum demokratischen Recht aufweist): Erst nach dieser Ausdifferenzierung sind im Rechtsverhältnis mit den Möglichkeiten der Universalisierung, in der Wertgemeinschaft mit den Möglichkeiten der Individualisierung und Egalisierung normative Strukturen eingebaut, die über die emotionsgeladene Erfahrung von Mißachtung zugänglich werden können und in daraus resultierenden Kämpfen einzuklagen sind; den Nährboden für solche kollektiven Formen des Widerstandes bereiten subkulturelle Semantiken, in denen für die Unrechtsempfindungen eine gemeinsame Sprache gefunden ist, die wie indirekt auch immer auf die Möglichkeiten einer Erweiterung von Anerkennungsbeziehungen verweist (Honneth 1994b: 272).
Mit der Anerkennung der „moralischen Grammatik sozialer Konflikte" soll nun aber nicht der Blick auf ein zumindest genauso wichtiges Moment dieser Konflikte verstellt werden: Interessen. Zwar wird die Frage nach der politischen Relevanz von Kultur im Kontext dieser Arbeit so gestellt, dass Anerkennungskämpfe als die nach außen gerichteten konfligierenden Artikulationen von Selbst- und Weltdeutungen und die ihnen zugrundeliegenden Prozesse einen wichtigen Teil der Antwortstrategie ausmachen. Diese Kämpfe sind ihrerseits aber nichts anderes als eine, wenn auch zentrale Dimension von Kämpfen, bei denen es in aller Regel nicht zuletzt auch um den Zugang zu bzw. die Verteilung von Ressourcen unterschiedlichster Art geht. Die Entschlüsselung der „moralischen Grammatik" kann die Analyse der involvierten Interessen nicht ersetzen, allerdings in relevanter Form ergänzen. Letztlich muss es als eine (wenn überhaupt) nur empirisch zu beantwortende Frage betrachtet werden, ob in einem gegebenen Konflikt soziale Verteilungskämpfe oder Anerkennungskämpfe als Motive vorherrschen. Für einen Begriff von politischer Kultur im hier gebrauchten Sinne ist allerdings entscheidend, dass sich diese Motive nicht nur nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil in vielen Fällen aufeinander verweisen: Interessen sind zweckgerichtete Grundorientierungen, die an der ökonomischen und gesellschaftlichen Lage von Individuen schon deswegen anhaften, weil diese die Bedingungen ihrer Reproduktion mindestens zu erhalten versuchen müssen; zu kollektiven Einstellungen werden solche Interessen in dem Maße, in dem sich verschiedene Subjekte der Gemeinsamkeit ihrer sozialen Lage bewußt werden und sich daher mit derselben Art von Reproduktionsaufgaben konfrontiert sehen (Honneth 1994b: 264).
Für die Frage nach politischer Kultur in theoretischer Hinsicht ist die konkrete Zusammensetzung der Motivlagen zivilgesellschaftlichen Handelns unerheblich; wichtig ist lediglich der Nachweis, dass Interessen (als Ausdruck sozioökonomischer Situiertheit) und kollektive Identitäten (als Ausdruck kultureller Situiertheit) zumindest aufeinander verweisen können - und dass, wenn dieser wechselseitige Verweis gegeben ist, dieses Handeln über die Artikulation von Anerkennungsansprüchen einen intrinsischen Bezug zu einer über das konkrete Handeln hinaus72
weisenden Normativität besitzt. Dieser Zusammenhang ist für die Argumentation entscheidend, weil damit die theoretische Grundlage für einen Begriff von politischer Kultur gelegt ist, der erstens das kulturelle Moment kollektiven Handelns in seinem Eigensinn und in seiner - auch politischen - Kreativität ernst nimmt, zweitens kulturell induziertes Handeln (beispielsweise in Form von Anerkennungskämpfen) nicht in einen theoretischen oder normativen Gegensatz zu interessengeleitetem Handeln stellt und drittens ein potenziell demokratisierendes Moment in solchem Handeln erkennen kann, indem die Forderung nach Ausweitung von Anerkennungsbeziehungen direkt auf die demokratischen Versprechen auf Inklusion wie auch Differenzanerkennung bezogen wird. 60 Auf diese Weise gelingt es, politische Relevanz und Wirkmächtigkeit von (kulturell induziertem) kollektivem Handeln auch unterhalb der Schwelle der Reaktion des politisch-administrativen Systems in Form einer Befassung von Seiten der Parlamente und Gerichte zu beschreiben, ohne deren Bedeutung damit in irgendeiner Weise zu unterschätzen. Damit können auch die Habermas'schen Begrenzungen von demokratisch-zivilgesellschaftlichem Handeln auf (selbst-)bewusstes, also weit gehend rationalisiertes Handeln überwunden werden, ohne dass deswegen auf die Forderung nach politischer Vernünftigkeit verzichten zu müssen: Zwar können die vor- und subpolitischen kulturellen Bereiche als Grundlagen kollektiven Handelns stärker einbezogen und auf ihre politische Relevanz hin befragt werden, einschließlich ihrer nicht rationalen Elemente - das heißt aber nicht, dass damit die rationalisierende Funktion demokratischer Institutionen gering geschätzt würde oder gar der Forderung ihrer Substituierung durch zivilgesellschaftliche Partizipationsformen das Wort geredet werden sollte. 61 Zivilgesellschaftlichen Artikulationen bzw. bürgerschaftlicher Partizipation wird deswegen ein größerer Stellenwert innerhalb demokratischer Gesellschaften zugewiesen, weil der Bereich politischer Selbsteinwirkung der Gesellschaft insgesamt größer gefasst wird - der Bereich dessen, was hier politische Kultur genannt wird, kann innerhalb der Habermas'sehen Konzeption von Demokratie durch ihren exklusiven Fokus auf Rechtsstaatlichkeit nicht in seiner Relevanz gesehen werden. Das verweist auf eine Dimension des Politischen, die nicht aus der Demokratietheorie ausgeklammert bleiben darf, wenn diese sich nicht dem Verdacht der Naivität aussetzen möchte und die auch in Bezug auf zivilgesellschaftliches Handeln eine wichtige Rolle spielt: die Dimension der Macht. Ohne dies im Rahmen dieser Arbeit näher ausfuhren zu können, scheint sich mit dem Bezug auf Hans Joas und Axel Honneth ein Machtbegriff erarbeiten zu lassen, der dem 60
Über die Voraussetzungen dafür, dass dieses Potenzial nicht im Gegenteil in un- oder gar antidemokratisches Handeln umschlägt, wird gleich noch etwas zu sagen sein.
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Es ist eher umgekehrt so, dass in gewissen Grenzen ein Mangel an bürgerschaftlichem Engagement durch institutionelle Arrangements aufgefangen oder sogar substituiert werden kann (Münkler 1997a: 158-160). Das gilt aber unbeschadet der Tatsache, dass auch das beste demokratische Institutionengefuge ohne Partizipationsbereitschaft hohl bleiben wird.
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entsprechenden politischen Potenzial bürgerschaftlicher Artikulationen adäquater ist als der Habermas'sehe. Der Weg dorthin kann hier schlechterdings nur angedeutet werden: Die dargestellte begriffliche Verbindung von Anerkennungs- und Verteilungskämpfen sowohl mit ihrem kulturellen Hintergrund wie auch mit dem (gesellschaftlichen) Kreativitätspotenzial, das in ihnen liegt, ermöglicht es, einen Begriff von Macht zu denken, in dem sowohl das Weber'sehe wie auch das Arendt'sche Verständnis bis zu einem gewissen Grad aufgehoben sind. Habermas nennt bekanntlich Macht im Weber'sehen Sinne („Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" [Weber 1980: 28]) „administrative Macht", während er Macht im Arendt'schen Sinne („Macht [...] entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen" [Arendt 1981: 194])62 als „kommunikative Macht" bezeichnet. Für die Legitimität administrativer Macht ist es nach Habermas notwendig, dass sie über das Medium des Rechts an kommunikative Macht zurückgebunden bleibt: Über das Recht setzt sich kommunikative in administrative Macht um und wird damit erst ausübbar (Habermas 1992c: 180-187). Nun ist allerdings nach dem Gesagten zu bezweifeln, ob erstens diese Entgegensetzung von administrativer und kommunikativer Macht sinnvoll ist und ob zweitens der exklusive Fokus auf die gesellschaftlichen Subsysteme des Rechts und der Politik im Engeren nicht den Blick auf „machtvolle" gesellschaftliche Selbsteinwirkungsmöglichkeiten diesseits der rechtsstaatlichen Schleusen verstellt. Wenn sich kollektives Handeln in seiner Kreativität (im Sinne Joas') mit sozialem Kampf (im Sinne Honneths) verbindet, entsteht eine Form von Macht, die beide Dimensionen in sich vereint: Die Analyse der Macht wird auf die Vielfalt möglicher Handlungsressourcen bezogen und nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verwendung gegebener Mittel, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Erzeugung und kreativen Nutzung dieser Ressourcen gesehen. Damit wird Macht zum Bestandteil der Handlungsprozesse und verliert den pseudosubstantiellen Charakter einer festen Bindung an Institutionen oder stabile Merkmale der Handelnden im Kräftespiel (Joas 1996: 342). 63
Weder ist Macht damit so flüchtig wie bei Hannah Arendt noch so voluntaristisch wie bei Max Weber; gleichzeitig beinhaltet sie sowohl das Moment kollektiven und kreativen Handelns wie auch das des Versuchs der Durchsetzung eigener Interessen. Das bedeutet durchaus nicht, dass der Habermas'sche Stand62
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Vgl. auch: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln" (Arendt 1970: 45; Hervorh. i. O.). Dass Joas' eigenen Intentionen mit der Einordnung seiner Ausführungen in meinen Argumentationszusammenhang nicht allzu viel Gewalt angetan wird, mag vielleicht seine eigene - positive - Rezeption der Verbindung von Macht und Kultur im Handeln sozialer Bewegungen bei Alain Touraine zeigen (Joas 1996: 304-306).
punkt in Bezug auf die Legitimität administrativer Macht deshalb falsch wäre; er ist lediglich insofern ergänzungsbedürftig, als er einseitig auf das Recht und die Entscheidungsfindung innerhalb des politisch-administrativen Systems abzielt und damit die genuin politischen Selbsteinwirkungskräfte der Gesellschaft unterhalb dieser Schwelle nicht in den Blick bekommt. Auch sollte die theoretische Analyse dieser Selbsteinwirkungskräfte nicht in normativer Weise als ein Plädoyer für eine Rücknahme des Staates bzw. der korrespondierenden Subsysteme in die Gesellschaft gelesen werden: Die Conditio sine qua non für die Möglichkeit demokratischer bürgerschaftlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Selbsteinwirkung unter den Bedingungen komplexer Gesellschaften ist die Existenz demokratischer und (rechts-Staatlicher Institutionen, welche legitimerweise kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen und auch durchzusetzen vermögen (und Letzteres schließt auch Institutionen ein, die das Gewaltmonopol des Staates zu sichern in der Lage sind).64 Aus dem skizzierten Begriff bürgerschaftlichen Handelns auf der Grundlage politischer Kultur ergeben sich allerdings zwei eng miteinander verknüpfte Probleme, die auf der theoretischen Ebene schwer lösbar sind. Erstens geht es um die Frage nach dem Umgang mit Formen kollektiven Handelns, die auf Selbstexklusion hinauslaufen; zweitens geht es um die Frage nach der normativen Bewertung bzw. Bewertbarkeit von kollektivem Handeln, auch im Sinne von Anerkennungskämpfen. Das erste Problem verweist auf die Spannung zwischen Inklusionsversprechen und Differenzanerkennung, die dann tendenziell aporetisch wird, wenn die Forderung nach Differenzanerkennung ex negativo erfolgt, in Form von sich selbst verabsolutierender und/oder sich selbst exkludierender Differenz. Das zweite Problem verweist vor dem Hintergrund normativ-demokratischer Grundannahmen auf die Notwendigkeit eines Bewertungsmaßstabes auch in Bezug auf solche kollektiven Artikulationen, die unter Verweis auf die Freiheit zur Differenz jegliche Bewertung als zumindest ungebührlich betrachten - auch dies verweist auf das Problem sich selbst verabsolutierender Binnenethiken. Bei beiden Problemen geht es um die bereits angedeutete Frage, unter welchen Bedingungen kulturell grundierte Anerkennungskämpfe ihr demokratisierendes Potenzial auch tatsächlich realisieren können bzw. im Gegenteil un- oder gar antidemokratische Wirkungen zeitigen können. In einen größeren Kontext gestellt handelt es sich also um Problemstellungen - einmal in Bezug auf die demokratische Inklusionspraxis, einmal in Bezug auf normative Bewertungsmaßstäbe - aus dem Grenzbereich der Spannung von Partikularitä64
Das beinhaltet aber als Anschlussproblem die Frage, ob die behauptete kulturelle Neutralität der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung nicht eine Illusion ist. Christoph Menke fuhrt (unter anderem unter Berufung auf Foucault) aus: „Zu jedem bestimmten Zeitpunkt, an jedem bestimmten Ort also ist die Geltung liberaler, demokratischer Gleichheit ineins die Herrschaft einer kulturellen Sicht- und Wertungsweise - und die Unterdrückung oder doch Marginalisierung anderer" (Menke 2001: 765). Darauf wird noch in diesem Kapitel zurückzukommen sein.
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ten innerhalb eines dem Anspruch nach universalistisch ausgerichteten Werterahmens, wobei diese Partikularitäten sowohl untereinander als auch mit dem universalistischen Werterahmen in Konflikt geraten können. 1. Sich selbst exkludierende Praktiken können sich aus der Erfahrung von Nichtanerkennung, Exklusion oder Marginalisierung ergeben. Beispiele gibt es genug, in denen sich exkludierte Gruppen nicht (mehr) um Inklusion bemühen, sondern umgekehrt Selbstbewusstsein und Selbstwertschätzung gerade aus der eigenen Ablehnung gegenüber denen zu ziehen versuchen, von denen sie ihrerseits abgelehnt werden, bzw. aus der Ablehnung der „ A n d e r e n " selbst: Die Ablehnung durch die Abgelehnten kann durchaus als eine Form der Anerkennung gelesen werden. Die Erfahrung von Exklusion und Nichtanerkennung kann zu Minderwertigkeitsgefühlen und Passivität bzw. Erduldung der eigenen Lage führen, sie kann aber auch Widerspruchsgeist wecken und zur Suche nach Handlungsalternativen motivieren. Honneth schreibt dazu: [W]ird nun ein derartiger Zustand der Handlungshemmung [aufgrund fortdauernder Erniedrigung und Beleidigung; B.S.] durch das Engagement im gemeinsamen Widerstand praktisch überwunden, so eröffnet sich der Einzelne damit eine Äußerungsform, anhand derer er sich indirekt von dem moralischen oder sozialen Wert seiner selbst überzeugen kann: in der antizipierten Kommunikationsgemeinschaft für das, was er jetzt an Fähigkeiten offenbart, findet er nämlich als die Person soziale Achtung, der unter den herrschenden Bedingungen jede Anerkennung versagt bleibt (Honneth 1994b: 263).
Genau das kann aber nun bei weiter bestehender Nichtanerkennung bzw. Nichtachtung seitens der „herrschenden Bedingungen" zu einer Verstetigung der Suche nach Anerkennung ausschließlich in den Reihen führen, die Anerkennung zu geben bereit sind - dann gerade auch in Abgrenzung von den „herrschenden Bedingungen". Das Ergebnis können sich selbst exkludierende Subkulturen sein, die nach Formen der Anerkennung ex negativo durch möglichst starke Ablehnung suchen werden, da sie andere Formen der Anerkennung außerhalb des eigenen Gruppenbezugs nicht finden. Das mag zwar im Einzelfall durchaus erstaunliche kulturelle Ergebnisse zeitigen,65 ist aber unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten hochproblematisch, da auf diese Weise nicht nur das Inklusionsversprechen der Demokratie gebrochen wird, sondern auch jegliche Anstrengung, das Versprechen zu erneuern und auch einzulösen, vor den größten Schwierigkeiten stehen muss. Ein solcher Versuch wird nicht nur aufgrund des einmal gebrochenen Versprechens auf starkes Misstrauen stoßen müssen, er birgt darüber hinaus die Gefahr, mit dem Versuch der Inklusion auch die auf der Grundlage der Exklusion entstandene (kulturelle) Differenz zu verwischen oder gar zu negieren. Wenn sich ein kulturelles Selbstverständnis (bzw. eine kollektive Identität) gerade in Abgrenzung von einem (hegemonialen) kulturellen Code 65
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Ich denke beispielsweise an die musikalischen Innovationen aus den afroamerikanischen Gettos der USA, aber auch an - weniger sozioökonomisch geprägte - kulturelle Bewegungen wie den Punk.
gebildet hat, gefährdet ein solcher Versuch der Inklusion die eigenen kulturellen Grundlagen. Dieser Gefahr eines kulturellen Paternalismus ist von Seiten der Inklusionsbestrebungen - wenn überhaupt - nur dann zu begegnen, wenn deutlich gemacht werden kann, dass die Inklusion gerade in (nunmehr positiver) Anerkennung von Differenz besteht, und eben nicht in der Negierung des Rechts auf Differenz (auf diese Zusammenhänge wird in Kapitel 5 noch einmal zurückzukommen sein).66 Im Zweifelsfall muss aber wahrscheinlich auf die Inklusionsbestrebungen verzichtet werden und Differenzen ggf. auch in ihren Selbstabschließungen akzeptiert werden - sofern die darauf bestehenden Individuen oder Kollektive nicht ihrerseits in unzulässiger Form (beispielsweise durch Gewaltanwendung) in die Selbstbestimmungsrechte anderer Individuen oder Kollektive eingreifen. Vor diesem Hintergrund der Möglichkeit eskalierender Differenzansprüche ist der obige Verweis auf die Notwendigkeit institutioneller Sicherungen, die ggf. auch die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols beinhalten, zu verstehen. 2. Die Frage nach der Bewertbarkeit und Bewertung zivilgesellschaftlicher bzw. bürgerschaftlicher Artikulationen lässt sich auch in Bezug auf derartige Grenzbereiche zuspitzen. Sie ist aber auch weit unterhalb dieser Schwelle relevant, wenn mit einem normativen Begriff von Demokratie auf das gesellschaftliche Potenzial von Anerkennungskämpfen Bezug genommen wird - und anerkannt wird, dass dieses Potenzial sich sowohl in demokratisierender Tendenz realisieren als auch zur Verkrustung von Verhältnissen führen kann, in denen eher die Verweigerung als die Gewährung von Anerkennung die Regel ist. Unter den Bedingungen rechtlicher Anerkennung (und davon ist in relativ weit gefassten Grenzen in demokratischen Rechtsstaaten auszugehen) ist die wichtigste Form von Anerkennung, um die gesellschaftlich gerungen werden kann, die Solidarität als Form der sozialen Anerkennung. Unter Verweis auf Hegel und Mead erklärt Honneth, dass „darunter nur solche ethischen Werthorizonte verstanden werden [sollen], die so offen und plural sind, daß im Prinzip jedes Ge66
Als effektivstes Mittel zur kulturellen Inklusion hat in vielen Fällen der Markt funktioniert. Gerade in Bezug auf die Beispiele der kulturellen Innovationen in der Musikszene ist die Inklusionskraft des Marktes kaum zu überschätzen. Allerdings ist auch dies ein dialektischer Prozess: Weit davon entfernt, frei von Paternalismus zu sein, geht die Möglichkeit kultureller Anerkennung, die über den Markt funktioniert, mit der unnachsichtigen Unterwerfung unter dessen „Gesetze" einher. Im Übrigen ist es eine schwer zu entscheidende Frage, wo kulturelle Anerkennung aufhört und Vereinnahmung anfangt (vgl. beispielsweise Hebdige 1999, der von zwei Formen der Vereinnahmung spricht: der Warenform, von der hier die Rede ist, und der ideologischen Form). Umgekehrt haben die Versuche, eben diese „Gesetze" des Marktes zumindest teilweise zu umgehen, es allenfalls vermocht, Marktnischen zu besetzen - man denke an die Versuche der 1980er Jahre, einen fairen Welthandel mit (vor allem kunsthandwerklichen) Produkten aus der so genannten Dritten Welt zu etablieren. Dies hat allenfalls wiederum die Festigung subkultureller Milieus in den westlichen Industriestaaten befördert, in deren Wohnzimmern fortan schreiend bunte Häkelpuppen aus Nicaragua und El Salvador verstaubten.
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sellschaflsmitglied die Chance erhält, sich in seinen Fähigkeiten sozial wertgeschätzt zu wissen" (Honneth 1994b: 284). 67 Wenn dies allerdings der Maßstab für die Bewertung der ethischen Werthorizonte derjenigen sein soll, die ihrerseits um Anerkennung kämpfen, denen also eben die auf einer solchen Grundlage beruhende Anerkennung verweigert wird, kann in der Praxis wohl keiner bürgerschaftlichen Artikulation die demokratische Weihe verliehen werden. Nun meint Honneth selbstverständlich nicht solche Wertorientierungen unter den Bedingungen vielfacher Nichtanerkennung bereits empirisch vorfinden zu können. Er fasst diesen Werthorizont als normativen Vorgriff auf einen wünschenswerten Gesellschaftszustand, der als Bewertungsgrundlage für die empirisch vorfindbaren Anerkennungskämpfe dienen kann: Um an den geschichtlichen Kämpfen zwischen vorwärtsweisenden und rückschrittlichen Motiven unterscheiden zu können, bedarf es eines normativen Maßstabes, der unter den hypothetischen Vorgriff auf einen ungefähren Endzustand eine Entwicklungsrichtung zu markieren erlaubt (Honneth 1994b: 270).
Das ist allerdings hochproblematisch: In der Folge eines solchen geschichtsphilosophischen Zugangs zu konkreten bürgerschaftlichen Artikulationen müsste im Zweifelsfall dort Anerkennung versagt werden, wo kein Fortschritt bzw. kein Bemühen um Fortschritt erkennbar ist - womit der normative Anspruch der Demokratie auf möglichst umfassende Differenzanerkennung konterkariert würde. 68 Umgekehrt ist es aber auch nicht damit getan, sich auf die vermeintlich neutrale liberale Position zurückzuziehen, nach der die Demokratie davon lebt, Differenzen zuzulassen und ggf. auch antidemokratische Tendenzen auszuhalten, solange im oben erwähnten Sinne ihre Grundlagen ungefährdet bleiben. Eine solche Position mag durchaus einiges für sich haben, vergisst aber tendenziell, dass die Existenz demokratischer Institutionen noch kein demokratisches Miteinander garantiert, geschweige denn hervorbringen kann, sondern sich die67
Habermas legt einen ähnlichen Gradmesser zugrunde, um die Vernünftigkeit kollektiver Identitäten von Gesellschaften zu bestimmen: „Die Vernünftigkeit der Identitätsinhalte bemißt sich dann allein an der Struktur dieses Erzeugungsprozesses, d. h. an den formalen Bedingungen des Zustandekommens und der Überprüfung einer flexiblen Identität, in der sich alle Gesellschaftsmitglieder wiedererkennen und reziprok anerkennen, d. h. achten können" (Habermas 1976: 107; Hervorh. i. O.). Allerdings ist es m. E. unproblematischer, dies von Gesellschaften im Ganzen zu fordern, als von jedem einzelnen Kollektiv innerhalb einer komplexen Gesellschaft.
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Nur am Rande sei erwähnt, dass dieser Zugang, wenn er denn so unmittelbar gemeint sein sollte, wie es den Anschein hat, nicht sonderlich dialektisch gedacht ist - oder er muss wiederum die Möglichkeit des weiter gehenden Fortschritts durch partiellen Rückschritt einschließen, also die List der Vernunft wieder einfuhren. Damit wiederum ist die Bewertung konkreter Bewegungen und ihrer Motive aber tendenziell verunmöglicht, weil sich der Weltgeist selten zu normativen Bewertungen einzelner menschlicher, auch kollektiver menschlicher Handlungen herablässt und seine Bewertungsmaßstäbe sich gemeinhin dem beschränkten menschlichen Geist als unintelligibel darstellen.
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ses erst in konkreten Anerkennungsverhältnissen äußern kann - und in diesem Sinne ist es durchaus relevant, ob die Kämpfe um diese Anerkennungsverhältnisse eher in die Richtung der Vertiefung von Anerkennung (und damit auch von demokratiefordernder Reziprozität der sozialen Beziehungen) gehen oder im Gegenteil diese eher verunmöglichen. Gerade vor dem Hintergrund der postmodernen Infragestellung der Legitimität von Bewertungsmaßstäben, die der Binnenperspektive (kulturell vergemeinschafteter) Kollektive äußerlich bleiben müssen, zeigt sich an dieser Stelle die grundlegende Spannung von Inklusion und Differenzanerkennung: Je stärker konkrete Anerkennungsverhältnisse gegeben sind, desto mehr Inklusion kann als gegeben vorausgesetzt werden. Umgekehrt können aber Inklusionsbemühungen unter den Bedingungen mangelhafter Anerkennungsverhältnisse in Richtung Paternalismus gedeutet und damit wiederum als Ausdruck mangelnder Differenzanerkennung gesehen werden. Wenn die Erfahrung der Versagung (kultureller) Anerkennung nun auch noch mit sozioökonomischer Marginalisierung einhergeht, verschärft sich das Problem zusätzlich: Dann könnten selbst die Inklusionsbestrebungen, die auf die Überwindung der sozioökonomischen Marginalität abzielen, als Angriff auf legitime Differenzen bzw. wiederum als Ausdruck mangelnder (Differenz-)Anerkennung begriffen werden (vgl. Habermas 1985: 151-152). Auf der anderen Seite kann aber nur ein Festhalten am Inklusionsanspruch der Demokratie bei gleichzeitiger Selbstaufklärung über die damit einhergehenden (wenn auch unintendierten) Exklusionen bzw. Exklusionsgefahren die Erweiterung und Vertiefung von Anerkennungsverhältnissen befördern, gerade wenn soziale und kulturelle Heterogenität diese in einer Weise gefährden, dass auch die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen in Mitleidenschaft gezogen werden könnte (Thomä 2001). Das ist beispielsweise der Fall, wenn (kulturell imprägnierte) Fremdheitserfahrungen in (immer auch politisch motivierte) Fremdenfeindlichkeit oder gar fremdenfeindliche Gewalt umschlagen (vgl. neben Thomä 2001; Menke 2001; Lohmann 2001). 69 Dabei sollte man sich aber eben keinen Illusionen über die Neutralität der Demokratie hingeben: Die Teilnahmebedingungen für die liberal-demokratische Ordnung fuhren zu Ausschließungen, die nur zeitweise ausfallen: dann nämlich, wenn zufallig alle Teilnehmer über eben die persönlichen Kompetenzen verfugen, die gefordert werden. Sowohl durch Änderung der politischen Spielregeln als auch durch Änderung der Population wird die-
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Christoph Menke, Georg Lohmann und Dieter Thomä diskutieren in ihren Beiträgen in Heft 5 (2001) der Deutschen Zeitschrift für Philosophie das Thema „Liberale Demokratie und Ausgrenzung", veranlasst durch die Thesen Menkes, nach denen Ausgrenzung und damit auch eine (zumindest latente) Form von Fremdenfeindlichkeit der liberalen Demokratie inhärent sei. Im Folgenden stütze ich mich vor allem auf die Ausfuhrungen Thomas.
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se Einhelligkeit aber ständig unterlaufen. Ausschließung ist also nur
kontingenter-,
nicht idealerweise zu vermeiden (Thomä 2001: 777; Hervorh. i. 0.). 7 °
Die „persönlichen Kompetenzen" sind wiederum kulturell geprägt und bestimmt: Thomä nennt „Vorgaben zum Verständnis von Person, Selbstbestimmung, Intersubjektivität etc." (Thomä 2001: 777) - hinzufugen könnte man durchaus noch andere Kompetenzen (zuvorderst Bildung), aber auch den rechtlichen Status betreffende Eigenschaften wie Alter, Staatsangehörigkeit etc., wobei auch diese Statusfragen eine kulturelle Dimension besitzen. Diejenigen, die über die entsprechenden Kompetenzen oder erwartete Verhaltensmuster nicht verfugen, werden trotz der abstrakten Neutralität des demokratischen Rechtsstaates praktisch einfach nicht wahrgenommen; Thomä nennt das die „FremdenVergessenheit" der liberalen Demokratie: Was als Einladung zur demokratischen Partizipation gedacht ist, fuhrt infolge solcher Vorgaben unauffällig, aber wirkungsvoll zur Ausschließung. Die ,Fremden' erleben sich als nicht zugehörig. Damit kollabiert aus ihrer Sicht der Unterschied zwischen der politischen und der kulturellen Ebene, auf den die Demokratie doch insistieren muss (Thomä 2001: 780).
Dieser Umstand sollte aber keinesfalls zu dem Schluss fuhren, Demokratie könne in einem normativen Sinne ihren Ansprüchen grundsätzlich nicht gerecht werden bzw. müsse in ihren Inklusionsbemühungen von vornherein scheitern. Allerdings muss versucht werden, die in der Demokratie Handelnden so radikal wie möglich über deren immanente Begrenzungen aufzuklären - in Bezug auf das hier angesprochene Problem in der Hauptsache in zweierlei Hinsicht: Zum einen muss sie [die Demokratie; B.S.] beständig prüfen, inwieweit sie gegen ihre formale Neutralität verstößt, indem sie klammheimlich kulturelle Festlegungen zur Demokratie-kompatiblen Persönlichkeit macht. Zum andern muss sie sich der bequemen Gleichgültigkeit entledigen, die ihr Formalismus mit sich zu bringen droht (Thomä 2001: 781).
Allerdings ist sehr fraglich, ob „die Demokratie" das selbst leisten kann - sehr viel wahrscheinlicher ist es nach meinem Dafürhalten, das eben dies nur das immer prekäre und deshalb ständig neu anzustrebende Resultat einer Vielzahl ständiger sozialer Kämpfe sein kann, und zwar sowohl von Verteilungs- wie auch von Anerkennungskämpfen. Gerade der Verweis von Menke auf die kulturelle Hegemonie verweist - über Thomä hinausgehend - darauf, dass „die Demokratie" (die bei Thomä in Gestalt ihrer staatlichen Institutionen und Würden-
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Noch deutlich zugespitzter, aber auch weniger trennscharf formuliert Menke gegen das Selbstverständnis der Liberalen, diese täuschten sich darüber (oder wollten sich darüber täuschen), „wie sehr jede Implementierung liberaler und demokratischer Gleichheit intern mit dem Projekt und Problem der Durchsetzung kultureller Homogenität und Hegemonie belastet ist" (Menke 2001: 765).
träger auftritt) eben nur in sehr begrenztem Umfang zur Selbstkritik fähig ist. Aber - und das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Herrschaftsformen - birgt die Demokratie durch das in ihre Institutionen eingeschriebene Reflexivitätspotenzial die einzigartige Möglichkeit, innerhalb ihrer staatlichen bzw. institutionellen Ordnung die (kulturelle) Hegemonie infrage zu stellen bzw. stellen zu lassen. Eine solche Infragestellung (solange sie die demokratische Ordnung selbst nicht aktiv infrage stellt) kann die Demokratie zwar zulassen und auch aushalten - aber sie kann sie nicht hervorbringen. Die Reflexivität, die nötig ist, um die Demokratie langfristig auf ihre eigenen normativen Maßstäbe zu verpflichten, kann innerhalb der demokratischen Ordnung entstehen, diese Reflexivität kann auch institutionell gestützt, aber eben nicht hervorgebracht werden - selbst wenn dies die Intention der betreffenden Institutionen sein sollte: Die ,Gewalt' der institutionellen Strukturen, die im Zwischenbereich zwischen dem individuellen Bürger und der globalen Verfassungsordnung zur Geltung kommt, macht sich negativ wohl stärker als positiv bemerkbar: ,ungünstige' institutionelle Kontexte inhibieren das Aufkommen moralischer Diskurse relativ zuverlässig, während ,günstige' Bedingungen ihr Entstehen keineswegs gewährleisten, sondern - hierin ähnlich dem in die sprachliche Kommunikation eingebauten Verständigungstelos - allenfalls die Rolle einer .schwachen Nötigung' spielen. Deshalb kann die sozialwissenschaftliche Analyse auf die Ergänzung von institutionellen durch handlungsorientierte Ansätze gewiß nicht verzichten (Offe 1989: 770). 71
Eben dies wird das Thema der folgenden Kapitel sein: Ein genauer Blick auf die lateinamerikanischen Verhältnisse soll veranschaulichen helfen, dass die vorangegangene Diskussion der Bedeutung der Kultur für das Politische erstens kein rein akademischer Diskurs in Bezug auf die Demokratie(theorie) ist, sondern gerade unter den Bedingungen prekärer demokratischer Strukturen praktischpolitische Relevanz besitzt und dass zweitens die hier entwickelten Grundzüge eines Begriffs von politischer Kultur sich eben nicht nur und nicht einmal in der Hauptsache auf die demokratietheoretischen und philosophischen Debatten hier zu Lande stützen, sondern sich in der lateinamerikanischen Forschungspraxis wiederfinden. Dabei spielt die Frage eine zentrale Rolle, wie unter den Bedingungen radikaler sozialer und kultureller Heterogenität bei gleichzeitig äußerst schwacher (demokratischer) Institutionalisierung tatsächliche Inklusion im Sinne der Gewährung von demokratischen Teilhabe- und Teilnahmerechten möglich ist. Die Analyse Lateinamerikas kann dabei helfen, einen wichtigen Einwand gegen eine auf den Begrifflichkeiten Honneths und Joas' aufbauende Reformulie71
Da es im Kontext von Offes Aufsatz auch und vor allem um „autonome Öffentlichkeiten" bzw. „Assoziationsverhältnisse" geht, scheint es nicht vermessen, seine Aussage für meine Argumentation heranzuziehen, obwohl er von „moralischen Diskursen" und nicht von Anerkennungskämpfen spricht. Dies gilt umso mehr, als ja Honneth die „moralische Grammatik sozialer Konflikte" nachweist (s.o.).
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rang des Kulturellen als potenziell politisch wirksamen Rahmen zu entkräften: die Vermutung mangelnder politik- und demokratietheoretischer, wohl auch praktischer Relevanz. So wirft Rainer Schmalz-Bruns gegen Honneths normative Ansprüche an bürgerschaftliche Artikulationen ein, dass „diese Form der solidarischen Integration pluraler Gesellschaften einerseits zu schwach ist, um uns auf gemeinsame Ziele überhaupt verpflichten zu können; andererseits ist sie in dem Sinne zu weit oder zu unspezifisch, als daß sie die Konstitution eines bestimmten (und nach außen abgrenzbaren) politischen Handlungszusammenhangs und dessen institutionelle (demokratische) Konsolidierung wirklich informieren könnte" (Schmalz-Bruns 1995: 127). Die lateinamerikanische Erfahrung zeigt dagegen, dass gerade unter den Bedingungen äußerst ungenügender und unbefriedigender Durchsetzung demokratisch-rechtsstaatlicher Prinzipien (und entsprechend mangelnder Institutionalisierung) die aus einer unsolidarischen Gesellschaftspraxis erwachsenden sozialen Verteilungs- und kulturellen Anerkennungskämpfe nicht auf einen „auf Fragen der kulturellen Reproduktion moderner Gesellschaften spezialisierten, selbstbezüglichen Handlungszusammenhang" (Schmalz-Bruns 1995: 127-128) reduzierbar sind. 72 Der genaue Blick auf die lateinamerikanischen Gesellschaftswissenschaften wird damit auch zeigen, inwiefern die Einbeziehung kultureller Momente in die sozialwissenschaftliche Analyse nicht nur eine Folge der allgemeinen kulturtheoretischen Wende in den Geisteswissenschaften ist, sondern - gerade im Hinblick auf den Bezug zur Demokratie - eine tief in der spezifisch lateinamerikanischen Geschichte, Politik und sozioökonomischen Situation begründete Entwicklung. Während hier zu Lande die Debatte um die Fragen von Inklusion/Exklusion und (kultureller) Differenz im Hinblick auf die Demokratietheorie wie auch die demokratische Praxis erst langsam in Gang kommt 73 , beeinflusst sie in relevanter Weise das sozialwissenschaftliche Selbstverständnis in Lateinamerika bereits seit den frühen 1980er Jahren. Und nicht zuletzt aus diesem Umstand speist sich ja gerade das Interesse an den lateinamerikanischen Besonderheiten - es ist vielleicht erst der Blick auf die prekären demokratischen Verhältnisse unter den Bedingungen starker sozialer, kultureller und auch politischer Heterogenität, der die Sozialwissenschaften der Länder des Zentrums in die Lage versetzt, die konkrete politische Relevanz des Kulturellen gerade in Bezug auf die Demokratie zu erkennen.
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Allerdings teile ich durchaus Schmalz-Bruns' implizite Kritik an den Anklängen an einen normativen Idealismus bei Honneth. Das Moment des „Kampfes" in seiner Konzeption der „Anerkennungskämpfe" genießt gerade in Bezug auf eben nicht solidarisch integrierte Gesellschaften zu wenig Aufmerksamkeit - bzw. wird ein bisschen übertönt durch die oben bereits kritisierte Neigung zu harmonisierenden geschichtsphilosophischen Hintergrundannahmen. Die Diskussion zwischen Menke, Lohmann und Thomä (2001) ist ein Beispiel dafür.
3 Selbstbewusste Aporien: Prekäre Demokratien in Lateinamerika Die Beschäftigung mit Lateinamerika im Sinne der Perspektive dieser Arbeit ist aus unterschiedlichen Gründen fruchtbar. Zu den wichtigsten zählen die radikalen Umbrüche, die sowohl die meisten lateinamerikanischen Gesellschaften als auch die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Aus dieser historischen Situation wird in Lateinamerika seit Beginn der 1980er Jahre versucht, Demokratie von der bürgerschaftlichen bzw. zivilgesellschaftlichen Partizipation her und Partizipation wiederum von der Kultur her zu denken. Während in Europa und den USA Partizipation vor allem hinsichtlich der demokratischen Institutionen untersucht wird, können diese aufgrund des teilweise geringen Grades an Institutionalisierung in Lateinamerika nicht den primären Anknüpfungspunkt bilden. Aber auch diese Einsicht hat sich in Lateinamerika erst in den letzten Jahren herausgebildet, wie der chilenische Sozialwissenschaftler Norbert Lechner schreibt: In dem Maße, in dem die Verbesserungen, welche die demokratische Transition und die ökonomische Modernisierung bieten, zur Routine werden und dabei auch ihre Grenzen sichtbar werden, kommen die Spannungen zwischen Politik und Kultur ans Licht. Unter ihnen ist am stärksten die Infragestellung der Vorstellungen, die wir uns von der Politik machen (Lechner 1998: 45).
Dabei wird aber die Verbindung von Politik und Kultur selten im Sinne des "political culture approach" gedacht, selbst dann nicht, wenn - was nicht allzu häufig vorkommt - der Begriff der politischen Kultur explizit gebraucht wird. In vielen Kontexten werden dagegen Kultur und Politik miteinander in einer Weise in Verbindung gebracht, die dem im vorangegangenen Kapitel in seinen Grundzügen gezeichneten Konzept von politischer Kultur relativ nahe kommt: Häufig wird politische Kultur mit den Einstellungen und Präferenzen verwechselt, wie sie sich in den Erhebungen zur öffentlichen Meinung ausdrücken (oder sie wird zumindest über diese ,gemessen'). Tatsächlich kann die Analyse solcher Daten relevante Hinweise auf die Perzeption liefern, welche die befragten Personen in Bezug auf die Demokratie und die Politik im Allgemeinen haben. Aber das erfasst nicht mehr als die Spitze des Eisbergs, den die politische Kultur darstellt. Dagegen wissen wir sehr wenig über j e n e tieferen Schichten wie die (differenzierten) Wertsysteme, die symbolischen Repräsentationen und die kollektiven Vorstellungswelten. Ein wichtiger, vielleicht entscheidender Aspekt der politischen Kultur wurzelt gerade in jenen Selbstverständlichkeiten', welche die Menschen weder in Worte fassen noch anders explizieren, da sie sie als etwas ,Normales und Natürliches' begreifen. Zu diesem Bereich des Selbstverständlichen gehören auch die Vorurteile, mit denen wir die alltäglichen Probleme und ihre Lösungen begreifen und bewerten, einschließlich jener tiefen ,Überzeugungen', die den Abwägungen der nationalen Wahl' und des strategischen Handelns zugrunde liegen. In
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dieser Sphäre des nicht Bewussten wurzeln auch die symbolischen Repräsentationen, mit deren Hilfe wir die Realität verstehbar machen und den gesellschaftlichen Verhältnissen Sinn zuschreiben. Es steht zu vermuten, dass das Soziale unabtrennbar von seiner Repräsentation ist; keine Situation ist ohne Interpretationsschemata verstehbar, welche der Vielfältigkeit und Komplexität der beteiligten Elemente Sinn und Kohärenz geben. Die Realität spricht nicht für sich; die Art, mit der wir Phänomene begreifen und angehen hängt vom interpretativen Rahmen ab (Lechner 1998: 49-50).
Um den lateinamerikanischen Weg dorthin allerdings in angemessener Weise nachvollziehen zu können, ist es notwendig, die spezifischen Hintergründe etwas ausfuhrlicher zu beleuchten. Lateinamerika hat seit dem Ende der 1970er Jahre einschneidende Veränderungen erfahren. Damals war noch nicht vorauszusehen, dass zehn Jahre später in praktisch allen Staaten des Subkontinents formal demokratische Regime herrschen würden, dass Ende der 1990er Jahre fast alle größeren Guerilla-Bewegungen entweder bedeutungslos geworden oder nach Friedensabkommen in die zivile Politik integriert sein würden. 74 Gleichzeitig hat sich während der „verlorenen Dekade" der 1980er Jahre trotz teilweise beeindruckender Daten in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Investitionen (wie in Chile und Argentinien) die soziale Situation in fast allen Ländern verschlechtert, durchaus nicht nur in denen, die vom wirtschaftlichen Aufschwung abgekoppelt (wie Haiti) oder ausgeschlossen (wie Kuba und Nicaragua) waren. Darüber hinaus lassen sich - quer zu den Veränderungen im politischinstitutionellen und im wirtschaftlich-sozialen Bereich - vor allem Veränderungen im kulturellen Bereich ausmachen, unter anderem neue Formen sozialer Bewegungen, neue Partizipationsmöglichkeiten durch Demokratisierung und politische Dezentralisierung, der Einfluss einer starken Kulturindustrie auf die Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen (im Zusammenhang mit der ökonomischen Öffnung in vielen Ländern). Im Zuge dieser tief greifenden Veränderungen auf sozialer, kultureller, politischer und ökonomischer Ebene befinden sich die Sozialwissenschaften in Lateinamerika spätestens seit Mitte der 1980er Jahre in einem Prozess der Reformulierung ihres Gegenstandes und ihrer vorrangigen Themen. Der in Venezuela und den USA lehrende deutsche Soziologe Heinz R. Sonntag gliedert diese neuen Herausforderungen in vier große Themenbereiche: 1. Kulturelle Pluralität und Heterogenität; 2. Veränderungen im Verhältnis von Staat und Zivilgesell74
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Zwei bedeutende Ausnahmen gibt es davon gleichwohl: Kolumbien, wo es nach wie vor eine starke, militärisch nicht zu besiegende Guerilla gibt und wo von beiden Seiten die zögerlichen Friedensbemühungen immer wieder konterkariert werden; und Mexiko, wo sich Anfang 1994 mit der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) eine vollkommen neue Form von Guerilla-Bewegung zeigte - die erste postmoderne Guerilla, wie einige Kommentatoren meinen (vgl. auch Martin-Barbero/Herlinghaus 2000: 55-57). Das gelegentliche Aufflackern bewaffneter Konflikte in Peru kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dort die beiden bewaffneten Gruppen, der Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) und der Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru MRTA) sowohl militärisch wie auch gesellschaftlich keine Rolle mehr spielen.
schaft, die Frage der Demokratie im Allgemeinen und der demokratischen Transition im Besonderen; 3. Transnationalisierungs- und regionale Integrationsprozesse, vor allem im Hinblick auf ihre kulturellen Aspekte; und 4. beschleunigte technologische Veränderungen und ihre Auswirkungen auf kulturelle Prozesse (Sonntag 1989b: 13; 21-22). Auffallend dabei ist das Aufweichen traditioneller Grenzen zwischen den Disziplinen durch die starke Einbeziehung kultureller Aspekte in die Themenliste der Sozialwissenschaften zu Lasten der ökonomischen Analyse. Der wohl stärkste Impuls in Bezug auf diese neuen Herausforderungen ist von der Überwindung autoritärer Regime ausgegangen. Die demokratische Transition, gerade in Ländern mit vormals bürokratisch-autoritären Diktaturen wie Chile und Argentinien, bedeutet sowohl für die politische Praxis als auch für die Sozialwissenschaften eine große Herausforderung. Auf der Ebene der politischen Praxis gilt es, die Transition irreversibel zu machen, demokratische Institutionen zu stärken und damit der formalen Demokratie die Rückendeckung einer stärker werdenden Zivilgesellschaft zu geben. Daneben ist es in einigen Ländern von elementarer Bedeutung, die immer noch starke Stellung der Militärs zu schwächen, ohne die Gefahr eines Putsches heraufzubeschwören.75 Auf der Ebene der Sozialwissenschaften sind die Bedingungen für die demokratische Transition und ihre Konsolidierung, für die Herausbildung eben jener zivilgesellschaftlichen Elemente sowie die Reflexion über die Ermöglichungsbedingungen diktatorischer Regime die zentralen Themen. Für lateinamerikanische Sozialwissenschaftler ist dies damit eine doppelte Herausforderung, da sie sich in aller Regel als politische Intellektuelle verstehen, die - in der Opposition gegen diktatorische Regime ebenso wie in der Transition und beim Aufbau demokratischer Strukturen - ihre wissenschaftliche Arbeit auch als Beitrag zur Politik ihres jeweiligen Landes und zum (politischen) Selbstverständnis des Subkontinents sehen. Die im Rahmen dieser Reformulierung der vorrangigen Themen erfolgte Hinwendung zu kulturellen Aspekten und auch ästhetischen Phänomenen innerhalb der Gesellschaftswissenschaften führt zu sehr unterschiedlichen Formen von Gesellschaftstheorie und -analyse. Generell zu beobachten ist aber, dass in sehr viel stärkerem Maße, als das beispielsweise in Deutschland der Fall ist, sowohl gesellschaftstheoretische Auseinandersetzungen wie auch empirische Analysen seit den 1980er Jahren immer schon auf kulturelle Komplexe bezogen werden. Dabei handelt es sich durchaus um eine Art lateinamerikanischer kul75
Die Auseinandersetzungen in Chile in der Folge der Verhaftung Augusto Pinochets in England im Oktober 1998 haben gezeigt, wie prekär das Verhältnis zwischen den demokratischen Institutionen und dem Militär immer noch ist - zumal Letzteres in Teilen der Bevölkerung noch recht großen Rückhalt genießt. Die Regierung sah sich gezwungen, rechtsstaatliche Prinzipien gegenüber politischer Rücksichtnahme auf die Militärs und deren teilweise unverhüllte Putschdrohungen hintanzustellen. Ob es eine reale Putschgefahr gegeben hat, kann hier nicht beantwortet werden. 85
turwissenschaftlicher Wende im Sinne des Kapitels 2.2: Die Sozialwissenschaften begreifen Gesellschaft - und auch Politik bzw. das Politische in ihr - als kulturell konstituiert bzw. an handlungsermöglichende und -einschränkende Sinnund Bedeutungszusammenhänge zurückgebunden. Diese kulturwissenschaftliche Wende in Lateinamerika ist zwar nicht von der in anderen Teilen der Welt abgekoppelt zu sehen, trägt aber doch sehr eigenwillige Züge. Ein genauerer Blick auf die Entwicklung der lateinamerikanischen Debatte wird zeigen, dass es nicht allein (und vielleicht nicht einmal in erster Linie) theoretische Auseinandersetzungen waren, die zu dieser epistemologischen Veränderung gefuhrt haben. Vielmehr lässt sie sich als das Ergebnis eines Zusammenspiels unterschiedlicher Elemente einer selbst-bewussten Auseinandersetzung von Gesellschaftswissenschaftlern mit Geschichte und Gesellschaft der Länder Lateinamerikas und der eigenen wissenschaftlichen und politischen Rolle darin lesen. Trotz aller regionalen Spezifität geht die kulturtheoretische Wende in Lateinamerika einher mit einer starken Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Theorieansätzen, die nicht unbedingt im lateinamerikanischen Kontext entstanden sind, sondern in der Hauptsache in Europa und den USA, wie den Cultural Studies und den Postcolonial Studies (vgl. Herlinghaus 1997a). Deren Rezeption führt zu äußerst anregenden Diskursen, auch und gerade deshalb, weil sie nicht zuletzt theoretische und normative Brüche, zumindest Spannungen erzeugt, die sich auch dann produktiv auswirken können, wenn sie anscheinend in theoretische Aporien führen: Die mit der kulturwissenschaftlichen Wende oftmals erfolgende Annäherung an postmoderne Positionen reibt sich beispielsweise mit den im genuin politischen Selbstverständnis verwurzelten Vorstellungen der Sozialwissenschaftler von gesellschaftlicher Emanzipation. Das Kernproblem dabei scheint zu sein, dass die Revision der eigenen inhaltlichen Positionen (die oftmals stark von einem dogmatischen Marxismus geprägt waren) und die damit verbundene Anerkennung pluraler Formen des politischen und kulturellen Ausdrucks sich auf der einen Seite in der Wertschätzung universaler Normen wie der Menschenrechte niederschlägt, auf der anderen Seite von einer Opposition gegen eurozentristische Modelle getragen wird. Zwischen diesen beiden Grundpositionen - Universalismus und Kulturrelativismus, um es sehr vereinfacht zu sagen - besteht eine Spannung, die sich auch auf andere Bereiche überträgt. Wenn auf der einen Seite eine anspruchsvolle, komplexe und wahrscheinlich auch durchaus sehr adäquate Interpretation gesellschaftlicher Realität erreicht wird, indem Fragen der politischen Beteiligung nicht auf die klassischen Institutionen verengt werden, damit aber auf der anderen Seite durch die Konzentration auf lokale Bewegungen politisch-kultureller Art eine gesamtgesellschaftliche Perspektive verloren geht, ist dies nicht zuletzt auch Ausdruck dieser Spannung. Das Gleiche gilt für das Verhältnis zwischen - im Grundsatz positiv wertbarer - kultureller Differenz und - nur negativ zu wertender - sozialer Marginalität. Auf diese Spannungen wird im Folgenden noch näher einzugehen sein. Wichtig im Sinne der Aufgabe dieser Arbeit ist, dass sich aus der Perspektive 86
eines normativen Blicks auf die prekären Demokratien in Lateinamerika auch ein spezifischer Blick auf das Problem von demokratischer Inklusion und (kulturellen, sozialen und politischen) Differenzen ergibt. Und dieser Blick ermöglicht es dann wiederum, das Kulturelle und das Politische in einer Weise aufeinander zu beziehen, dass die Grundlinien eines kulturtheoretisch informierten Begriffs von politischer Kultur sichtbar werden - wie das in den vorangehenden Ausführungen auf (demokratie-)theoretischer Ebene dargestellt wurde. Nun sind ja, wie bereits ausgeführt wurde, in diese Grundlinien eines theoretischen Konzeptes von politischer Kultur bereits die Ergebnisse des eingehenden Blicks auf die lateinamerikanischen sozialwissenschaftlichen Diskurse eingeflossen. Um aber in Bezug auf diese Diskurse die (zu guten Teilen impliziten) Aussagen über politische Kultur in einer Weise explizieren zu können, die sowohl die lateinamerikanischen Spezifitäten als auch die verallgemeinerbaren konzeptuellen Gehalte angemessen berücksichtigt, sind mehrere Schritte nötig. In einem ersten Schritt werden die Debatten betrachtet, welche die theoretischen Hintergründe zu beleuchten vermögen, ohne die es kaum möglich ist, die Auswirkungen der kulturtheoretischen Wende auf die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften zu verstehen. Dabei geht es - grob gesagt - um die ModernePostmoderne-Debatte in Lateinamerika, also um eine politisch geführte und (moral-)philosophisch imprägnierte Debatte. Diese Debatte steht nicht zuletzt im Zeichen lateinamerikanischer Selbstverständigungsdiskurse, auch und gerade in Bezug auf die Erfahrungen Lateinamerikas mit den vielfaltigen Einflüssen aus den Ländern des Zentrums. In einem zweiten Schritt werden vor diesem Hintergrund dann die gesellschaftlichen und gesellschaftstheoretischen Umbrüche im Hinblick auf die demokratischen Transitionen betrachtet, welche die lateinamerikanischen Gesellschaften seit den frühen 1980er Jahren prägen. Dabei kommt auch in den Blick, wie sich die Gesellschaftswissenschaften unter dem Eindruck der sich verändernden Gesellschaften selbst verändern. Dies bildet die Grundlage für den dritten Schritt, in dem die gesellschaftlichen und epistemologischen Veränderungen dergestalt spezifiziert werden können, dass der besondere Blickwinkel der lateinamerikanischen Gesellschaftswissenschaften in Bezug auf das wechselseitige Verhältnis von Kulturellem und Politischem verstehbar wird: Auf diese Weise kommt in den Blick, wie ein Begriff von politischer Kultur gefasst werden könnte, der die demokratietheoretische Problematik von Inklusion und Differenz nicht nur aushält, sondern sich gerade auf sie bezieht und aus ihr seine Substanz zieht.
3.1
Zum kulturellen Selbstverständnis Lateinamerikas
Zunächst sei allerdings - in der Form eines Aufrisses des Problemfeldes - ein knapper Blick auf das kulturelle Selbstverständnis in Lateinamerika geworfen. Dies ist in der Hauptsache durch drei Begriffe gekennzeichnet: Pluralität, Heterogenität und Hybridisierung bzw. Mestizisierung. Diese Kennzeichnung ist in 87
B e z u g auf zwei unterschiedliche Ebenen zu verstehen: S o w o h l die lateinamerikanischen Gesellschaften selbst als auch die Kultur- und Sozialwissenschaften sind dadurch geprägt. Wenn es etwas gibt, was Lateinamerika charakterisiert, ist es die Pluralitäl: geografische, ethnische, kulturelle Pluralität, was wiederum auf die Existenz unterschiedlicher Weltsichten verweist, die ganz eigene Arten des Seins und des Tuns umfassen [...], spezifische Spiele und Ästhetiken, und all dies ist einer ständigen Hybridisierung unterworfen, die heute auf sehr unterschiedliche Weisen Hochkultur mit Populär- und Massenkultur, das Traditionale mit dem Modernen und dem Postmodemen vermischt (Jaramillo Jiménez 1995: 46; Hervorh. i. O.). D i e Konstatierung dieser Pluralität ist allen untersuchten lateinamerikanischen Autoren gemein, auch w e n n sich im Anschluss daran die unterschiedlichsten Analysen und Bewertungen anfügen. Konstatiert wird eine spezifische Pluralität von Lebensformen, von kultureller Prägung, von ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit, von regionalen Besonderheiten, und zwar in einer erkennbar anderen Form, als das in anderen Weltgegenden der Fall ist. 76 D i e - äußerst konfliktreiche und gewalttätige - kulturelle und ethnische Mischung ganz unterschiedli-
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Diese Einschätzung ist zentral für das Selbstverständnis der lateinamerikanischen Autoren. Es kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, zu überprüfen, ob beispielsweise für die ehemaligen Kolonien des britischen Empire ähnliche Einschätzungen gerechtfertigt wären (vgl. zu diesem Komplex auch Lienhard 1997). Die Thesen dieser Arbeit blieben davon in jedem Fall unberührt. Allerdings gibt es einige - wenige - Stimmen in Lateinamerika, die die Einzigartigkeit infrage stellen. So zum Beispiel der peruanische Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Javier Prötzel, der mit Mario Vargas Llosa meint, die Lateinamerikaner sollten keine Angst davor haben, ihre Identität zu verlieren. Sie sollten ihren Blick nach außen richten und - bei aller Differenz zu anderen Kulturen - ihren Teil an der Universalität entdecken. Davon ausgehend stellt er die folgenden Fragen: „Wie unterscheiden sich unsere Moderne und unsere Krise von denen der islamischen Länder? Wie bewerten wir die Qualität unserer Staatsbürgerlichkeit in Bezug auf andere Weltgegenden? Welche Bedeutung hat das christliche Element, das uns noch innewohnt, mit seinem Ballast von Magie und von Schuld, aber auch von Frieden und Solidarität, wenn es mit dem Konfiizianismus, diszipliniert und effizient, von der anderen Seite des Ozeans konfrontiert wird? Was wird aus Ostasien, dessen postokzidentaler Panasiatismus auch bei uns bereits langsam auftaucht? Wie schwer wiegen unsere Mestizisierung, die Jahrhunderte der Hybridisierung und des Widerstands, des geduldigen Lernens der Toleranz, gegenüber der ethnisch-kulturellen Abschließung in anderen Breiten? Haben wir vielleicht, wenn auch sicher mit Gewalt, mehr Aufklärung assimiliert, als wir glaubten?" (Prötzel 1998: 44-45). Umgekehrt gibt es aber auch die Gegenposition, die auf einen zumindest impliziten Essenzialismus einer spezifischen Lateinamerikanität hinausläuft, wenn etwa Fernando Calderón, Alejandro Piscitelli und José Luis Reyna europäischen Wissenschaftlern aufgrund ihrer Kategorien die Fähigkeit absprechen, lateinamerikanische Realitäten adäquat zu beobachten und zu interpretieren (in diesem Fall soziale Bewegungen): „One question that has to be addressed - loaded with methodological consequences - is whether there is not something preseni in the social movements of the región that is impervious to the analytical categories provided by European analysts, despite their richness" (Calderón/Piscitelli/Reyna 1992: 34; Hervorh. B.S.).
eher indigener Gesellschaften und Gemeinschaften mit den spanischen und portugiesischen Eroberern, die Einflüsse, die - von wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen hervorgerufen - seit dem 19. Jahrhundert vor allem aus den USA in Lateinamerika gewirkt haben, der Einfluss westlich-abendländischen Denkens bei der Herausbildung von Staatswesen modernen Zuschnitts - all das hat nach Ansicht der hier behandelten Autoren zu einer spezifisch lateinamerikanischen Kultur geführt, für die der in Mexiko lebende argentinische Anthropologe Néstor García Canclini die Bezeichnung „hybrid" geprägt hat (vgl. Garcia Canclini 1989a: 14-15). Dabei seien selbstverständlich die gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen von erheblicher Bedeutung, die ihre Ursache in geografischen, ethnischen und politisch-historischen Besonderheiten haben. Dementsprechend müssten sich auch sowohl kulturtheoretische wie auch im engeren Sinne sozialwissenschaftliche Analysen mit diesen lateinamerikanischen Besonderheiten auseinander setzen, wenn sie denn ihrem Gegenstand einigermaßen gerecht werden wollten. Hervorzuheben dabei ist, dass das spezifisch Lateinamerikanische in den Ansätzen, die sich auf die Begriffe Pluralität, Heterogenität und Hybridisierung/Mestizisierung stützen, nicht in der Originalität der präkolumbischen Kulturen gesucht wird, es also gerade nicht um restaurative Bestrebungen „der Tradition" gegen „die Moderne" geht, sondern um eine angemessene Beschreibung von gegenwärtigen Wirklichkeit(en). Für diese spielen das indigene Erbe und die indigenen Elemente auch in der zeitgenössischen Kultur und Gesellschaft zwar eine erhebliche Rolle (auch das von Region zu Region natürlich unterschiedlich), stellen aber nicht mehr als einen Einfluss unter vielen dar. So ist für den mexikanischen Soziologen und Schriftsteller Carlos Monsiváis die Entwicklung Lateinamerikas untrennbar mit der Durchdringung mit Kultur und Technologie der USA verbunden. Da diese Durchdringung damit aber bereits unbestreitbarer Teil der kulturellen Wirklichkeit sei, bedeute die Proklamierung eines „kulturellen Nationalismus" oder einer „nationalen Identität" gegen die „kulturelle Penetration" von Seiten der USA die Ausrufung eines von vorneherein gescheiterten Widerstandes. Zum einen würde damit „ein legendärer Kampf zwischen dem Inexistenten und dem nicht Verifizierbaren" beschworen, zum anderen entweder die koloniale oder - häufiger - die indigene Vergangenheit idealisiert. Damit sollten keinesfalls die „realen Gefahren" des Kulturimperialismus verneint oder verharmlost werden, aber das Beharren auf der Tradition, auf Werten der Vergangenheit, auf einem „nationalen Sein" vor aller „kulturellen Kontaminierung" sei bestenfalls illusionär. Dieser Traditionalismus begehe außerdem einen folgenschweren Fehler, indem er den Kampf für Demokratie und ökonomische Unabhängigkeit mit dem Kampf für die Tradition gleichsetze (Monsiváis 1983: 75-76; 81-82). Zwar wird die Debatte um die kulturelle Ursprünglichkeit nicht mehr mit gleicher Intensität wie in den 1920er bis 1940er Jahren gefuhrt („Indigenismus"), sie bleibt aber für die Selbstverständigungsdiskurse in Lateinamerika weiter wichtig (Martín-Barbero 1987a: 205-209). 89
Eine falsche Dichotomisierung zwischen traditionaler/indigener und moderner Kultur wird nicht nur den „Traditionalisten" bzw. Indigenisten, sondern auch freilich mit umgekehrtem Vorzeichen - den Vorstellungen der Modernisierungstheorie vorgeworfen, so beispielsweise von dem paraguayischen Kulturkritiker und Experten für indigene Kunst, Ticio Escobar (1988: 16), da diese ähnlich unrealistische und normativ fragwürdige Ausschließlichkeitsannahmen und Reinheitsforderungen zugrunde lege. Auch Néstor García Canclini wendet sich sowohl gegen diese falsche Dichotomisierung wie auch gegen konservative Bestrebungen, ein vergangenes oder verschüttetes Original in den indigenen/traditionalen Kulturen zu suchen (Garcia Canclini 1989b). Mit dem Begriff der Hybridisierung77 versuchen die hier behandelten Autoren dagegen, Pluralität nicht nur als ein Nebeneinander verschiedener Kulturen und Entwicklungen zu analysieren („die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen"), sondern vor allem als ein Durch- und Übereinander, eine Verschachtelung und Vermengung der unterschiedlichsten Einflüsse im Laufe der letzten fünfhundert Jahre seit der „Entdeckung"78 und Eroberung des amerikanischen Kontinents. Dabei wird auch deutlich, dass der kulturtheoretischen Analyse in Lateinamerika in dieser Perspektive kein Entwicklungsbegriff im Sinne von kultureller Modernisierung mehr zugrunde gelegt werden soll, da dieser in seinen Implikationen bestimmte Aspekte, bestimmte Einflüsse, bestimmte Elemente dieser hybriden Kulturen für minderwertig, für überwindenswert erklären müsste, oder zumindest die Anpassung dieser Kulturen an eine anstrebenswertere Kultur fordern müsste. Indem aber die Besonderheit Lateinamerikas genau in dieser Hybridität gesehen wird, in der all diese Elemente schlicht vorhanden sind, ohne dass sie deshalb nach einem bestimmten Schema a priori zu bewerten wären, können diese lateinamerikanischen Autoren sowohl von rückwärts gerichteten Forderungen nach Restauration traditionaler Ordnungen als auch von einem linearen Fortschritts- oder Modernisierungsgedanken Abschied nehmen. Zu diesem Fortschritts- und Modernisierungsdenken gehört auch die Schule der „Gleichzeitigkeit des Ungleich77
78
Zum Begriff der Hybridisierung vgl. auch die Ausführungen des in Pittsburgh lehrenden deutschen Lateinamerikanisten Hermann Herlinghaus (1999: 21-27). Herlinghaus versteht Hybridisierung in einem weiter gefassten kulturtheoretischen und epistemologischen Sinn als dies hier der Fall ist. Er unterscheidet zwei Verwendungen des Begriffs in der Literatur, eine „psychoanalytisch konturierte diskursethische Perspektive" (Homi K. Bhabha) und eine „soziosemiotisch-historische Konzeption" (Néstor García Canclini). Für die Zwecke dieser Arbeit ist die Begriffsverwendung Garcia Canclinis allerdings entscheidender, nicht zuletzt, weil Garcia Canclinis Begriffsbildung erheblichen Einfluss auf die lateinamerikanische Diskussion gehabt hat (vor allem Garcia Canclini 1989a). Um eine Entdeckung kann es sich nur aus einer Perspektive handeln, die Europa nach wie vor für das weltgeschichtliche Zentrum hält. Da diese Arbeit ja den Versuch macht, die lateinamerikanische Perspektive ernst zu nehmen, wird der Begriff in Anführungszeichen gebraucht: Da die Eroberung ein von der „Entdeckung" zu unterscheidendes Ereignis ist, kann auf eine eigene Bezeichnung nicht verzichtet werden. Auf einen alternativen Begriff bin ich noch nicht gestoßen.
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zeitigen", nach der in den „unterentwickelten" Ländern Elemente traditionaler Kultur und Gesellschaft gleichzeitig neben weiter entwickelten Elementen existierten. 79 Damit wird die „Rückständigkeit" dieser Länder damit erklärt, dass eben jene traditionalen Elemente in der Gesellschaft (noch) nicht überwunden seien. In der Konsequenz muss Entwicklungspolitik zuvorderst versuchen, diese Überwindung zu beschleunigen - oder sie scheitert an der Unüberwindbarkeit und dem Beharrungsvermögen der traditionalen Kultur. Die damit verbundene normative Bewertung kultureller Elemente anhand von Kategorien aus dem Bereich der ökonomischen Rationalität (also instrumenteller Vernunft oder reiner Zweckrationalität) wird aber von der kulturell ausgerichteten Analyse in Lateinamerika abgelehnt, auch wenn die Ungleichzeitigkeit als solche durchaus anerkannt wird. So fuhrt der spanisch-kolumbianische Anthropologe und Kommunikationswissenschaftler Jesús Martín-Barbero aus: Die Nicht-Gleichzeitigkeit, von der wir sprechen, muss klar von der Idee der konstitutiven Rückständigkeit abgegrenzt werden, d.h., der Rückständigkeit, die zum Erklärungsschlüssel für kulturelle Differenzen verwendet wird. Diese Idee wird in zwei Versionen vertreten. Eine meint, die Originalität der lateinamerikanischen Länder und Lateinamerikas als Ganzem sei durch Faktoren begründet, die sich der Logik der kapitalistischen Entwicklung entzögen. Die andere Version sieht Modernisierung als Aufholen der verlorenen Zeit und identifiziert Entwicklung damit, definitiv aufzugeben, was wir waren, um endlich modern zu werden. [...] [Unser Konzept des Nicht-Gleichzeitigen erlaubt uns,] zwei Dinge zu verstehen: zum einen, dass durch die historischen Differenzen Rückständigkeit entstanden ist, und zwar nicht im Sinne verlorener Zeit, sondern im Sinne einer historisch produzierten Rückständigkeit - Kinder, die tagtäglich an Unterernährung oder Durchfall sterben, Millionen von Analphabeten, Mangel an lebenswichtigen Vitaminen in der Ernährung der Mehrheit der Bevölkerung, Verringerung der Lebenserwartung, etc. Zum anderen, dass es neben der Rückständigkeit [kulturelle] Differenzen gibt, eine kulturelle Heterogenität, die durch die Vielfältigkeit der Zeitlichkeiten von Indios, Farbigen und Weißen entstand, durch den Zusammenprall in der Zeit, die zu ihrer Mestizisierung führt (Martín-Barbero 1987a: 165; Hervorh. i. O.; vgl. auch Schäfer 1994: 142-150).
Wichtig ist also zweierlei: Zum einen geht es in dieser Perspektive darum, die traditionalen Elemente nicht als gleichbedeutend mit der Rückständigkeit zu begreifen, sondern die Tatsache der Armut und der fehlenden Lebenschancen großer Teile der Bevölkerung als (gesellschaftliche) Rückständigkeit zu sehen und diese wiederum als Ergebnis eines historischen Prozesses zu begreifen, der mit der Eroberung und Kolonisierung begonnen hat. Zum anderen geht es darum, kulturelle Differenzen als solche anzuerkennen und ihnen (gegen die Ökonomie) einen Platz innerhalb der kulturellen Wertsphäre zuzuerkennen. Diese kulturellen Differenzen sind nicht zuletzt das Ergebnis des Zusammentreffens der ur79
Vgl. zur Kritik des Konzeptes der „Ungleichzeitigkeit" auch Schäfer (1994, besonders den Titelaufsatz „Ungleichzeitigkeit als Ideologie"). Allerdings schießt Schäfer in seinem Bemühen, die deutsche Historikerzunft mit ein wenig frischem postmodernen Wind zu versorgen, deutlich über das Ziel hinaus.
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sprünglichen Bevölkerung Amerikas mit den europäischen Eroberern und den afrikanischen Sklaven, die von den Eroberern nach Amerika gebracht wurden. Kulturelle Eigenheiten sind dementsprechend keinesfalls unabhängig von der historischen Entwicklung, lassen sich aber weder auf die Rückständigkeit reduzieren noch als ihre Ursache begreifen.80 Anzumerken ist dabei, dass der (nicht nur von Martín-Barbero gebrauchte) Begriff der „Mestizisierung" durchaus nicht auf die ethnisch-kulturelle Mischung von Menschen dreier Kontinente und vor allem auch nicht auf einen Zeitraum in der Vergangenheit beschränkt ist, also nichts Abgeschlossenes darstellt. Mestizisierung ist, in den Worten Jesús Martín-Barberos, „nicht einfach nur ein Faktum, sondern eine Grundlage unseres Daseins, ein Gewebe von Zeiten und Räumen, von Erinnerungen und Vorstellungswelten [...]" (Martín-Barbero 1987a: 204; Hervorh. i. O.).81 Die Hybridität der Kultur in Lateinamerika lässt sich nach Garcia Canclini in den Zwischenräumen zwischen Traditionalem und Modernem lokalisieren; sie ist hochgradig symbolisch aufgeladen in Form einer besonderen „Sensibilität für die Vermittlungen zwischen traditionellen Idiosynkrasien, hochkultureller Moderne und fortgeschrittener Audiovision" (Herlinghaus 1999: 25). Für die chilenische Kulturkritikerin und Essayistin Nelly Richard liegt genau in dieser „ungelösten Spannung zwischen Tradition und Moderne" eines der Hauptmotive des neuen kulturtheoretischen Denkens: Auf der einen Seite wird die funktionalistische Rationalität der europäischen Moderne und ihr Paradigma der Säkularisierung angeklagt, die Ritualität einer mestizisierten Kultur zensiert zu haben, die ihre Lateinamerikanität über die ethisch-religiösen Inhalte des Glaubens ausdrückt, und beschuldigt werden sowohl die ideologisierten Strukturen als
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Dass damit gegebenenfalls der interne Zusammenhang von kulturellen Faktoren und ökonomischer Entwicklung (wie in der Tradition Max Webers) aus dem Blick gerät, will ich nicht ausschließen. Allerdings würde ich die Kritik an der Modernisierungstheorie in Bezug auf ihre ökonomisch-kulturellen bzw. -anthropologischen Kurzschlüsse weit gehend teilen. Nicht zuletzt geht es ja um die Einsicht, dass der Konflikt zwischen bestimmten Formen (ökonomischer) Rationalität und kulturellen Gegebenheiten nicht a priori aus81 schließlich von der Warte der Ökonomie aus zu „lösen" ist. Dies ist natürlich unbenommen der Tatsache, dass der Begriff zuerst in Bezug auf die ethnische Mischung geprägt wurde (vgl. dazu die Ausfuhrungen Martin Lienhards, der auch auf den Ursprung des Begriffs als „the product and the Instrument of a racist ideology" hinweist [Lienhard 1997: 189]): „Mestizen" wurden die Nachkommen indianischer und weißer Eltern genannt. Dagegen wurden die Nachkommen farbiger und weißer Eltern „Mulatten", die von indianischen und farbigen Eltern „Zambos" genannt. Der Begriff „mestizo" eignet sich aber schon etymologisch (aus dem lateinischen „mixtus" = vermischt/gemischt) besser für eine allgemeinere und eher metaphorische Verwendung. Vgl. dazu auch die soziolinguistische Kritik der kolumbianischen Linguistin und Kommunikationswissenschaftlerin Genoveva Iriarte Esguerra, die meint, es handele sich auch heute noch entweder um ein ideologisches Konstrukt oder um einen leeren Signifikanten (Iriarte Esguerra 2000, bes. 93-94).
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auch der Technizismus des Marktes, die populäre Tradition ihrer Kultur beraubt zu haben, welche das 'lateinamerikanische Ethos' bewahrte. Auf der anderen Seite wird die Heterogenität sozialer und kultureller Effekte der lateinamerikanischen Moderne gerettet [...] (Richard 1994: 216; Hervorh. i. O.). Das muss keinesfalls bedeuten, dass Kultur losgelöst von ihrem sozioökonomischen Kontext gesehen wird. Jesus Martin-Barbero betrachtet zwar die regionalen kulturellen Spezifitäten als lebendige Alltagskulturen, die fähig seien, kulturelle Identitäten zu schaffen, weist aber auch darauf hin, dass man (kulturelle) Differenz nicht mehr denken könne, ohne auch an (sozioökonomische) Ungleichheit zu denken: Von regionaler Identität zu sprechen impliziert, nicht nur von Gebräuchen und Dialekten, von Rhythmen und Kunsthandwerk zu sprechen, sondern auch von sozialer Marginalisierung, von ökonomischer Ausplünderung und vom Ausschluss von politischen Entscheidungen. Denn eine Region besteht sowohl aus kulturellen Äußerungen wie aus sozialen Umständen, durch welche die ungleiche Entwicklung sichtbar wird, aus der sich die Länder zusammensetzen (Martin-Barbero 1994b: 91). Das bedeute auch, dass die Hybridisierung nicht als rein kultureller Prozess verstanden werden könne; es handele sich eher um ein „Dispositiv sozialer, ökonomischer und symbolischer Wechselbeziehung" (Martin-Barbero 1994b: 93). Oder, w i e der chilenische S o z i o l o g e José Joaquin Brunner schreibt: Kulturelle Heterogenität bedeutet schließlich etwas sehr anderes als unterschiedliche Kulturen (Subkulturen) von Ethnien, Klassen, Gruppen oder Regionen oder auch eine reine Überlappung von Kulturen, mögen diese nun Formen der Synthetisierung gefunden haben oder nicht. Es bedeutet die segmentierte und differenziale Partizipation in einem internationalen Markt der Botschaften, der von allen Seiten und auf unerwartete Weise in das lokale Kulturgeflecht 'eindringt' [...] (Brunner 1987: 34). Der Begriff der kulturellen Heterogenität beschreibe dementsprechend ein doppeltes Phänomen. Zum einen nähmen die lateinamerikanischen Kulturen an jenem internationalen Markt der Symbole teil, als Peripherie eines Marktes, dessen Hegemonialmacht in der Hauptsache die U S A seien; zum anderen treffe die82
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Die Ubersetzung des spanischen Begriffs „populär" bereitet bisweilen Schwierigkeiten. Während „cultura popular" im Deutschen mit dem zum festen Terminus gewordenen „Populärkultur" noch eine Entsprechung findet, ist eine ähnliche Lösung bei „tradición popular" nicht möglich. Gerade in Lateinamerika findet der Begriff „populär" vielfaltige Verwendung, deren Bedeutung im Deutschen von „volksverbunden" über „volksorientiert", „volksnah" und „populär" bis zu „aus dem Volk kommend", „vom Volk gemacht" reicht. In Anlehnung an die Lösung, welche die Herausgeber der Gefängnishefte Antonio Gramscis für das äquivalente Problem mit dem italienischen „popolare" vorschlagen, wird hier und im Folgenden der Begriff „populär" verwendet (vgl. Gramsci 1991: 20). Damit wird nicht nur die problematische Konnotation, die im Deutschen mit „Volk" verbunden wird, vermieden, es wird auch ein im romanischen und englischen Sprachraum gebräuchlicher Begriff für das Deutsche verwendbar gemacht. 93
ser Markt aber in Lateinamerika auf Rezeptionen, die von lokalen Kodizes bestimmt würden, welche über diese Rezeptionsformen die Inhalte jener Kulturprodukte „dezentrieren und dekonstruieren": Die okzidentale Kultur überstehe ihre Ankunft in Lateinamerika nicht unbeschadet (Brunner 1987: 33-34). Die „uniformierende Tendenz der internationalen Moderne" werde durch den „Zusammenprall von Konsummustern (die nordamerikanische Hegemonie) und populären Symbologien oder alltäglichen Ritualisierungen" in sich widersprüchlich (Richard 1994: 216). 83
3.2
Die Veränderung des lateinamerikanischen Denkens Uber Lateinamerika
Die einzelnen Themenbereiche, die jetzt kurz angesprochen wurden, werden im Folgenden noch näher ausgeführt. Allerdings sollte bereits jetzt deutlich geworden sein, wie vielschichtig sich die kulturtheoretische Wende in Lateinamerika darstellt. Es lassen sich dabei unterschiedliche, wenngleich miteinander verwobene Aspekte erkennen, die in Bezug auf das Thema dieser Arbeit eine Rolle spielen: -
Ein spezifisches historisches Erbe durch die europäische Kolonisierung, das Fortbestehen indigener Elemente und die Zugehörigkeit zur unmittelbaren US-amerikanischen Interessensphäre (kulturelle und soziale Heterogenität, hybride Kulturen).
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Eine spezifische Ausgangslage durch die Prägung durch bürokratischautoritäre Regime und den Übergang zu formal demokratischen Regimen seit den späten 1970er Jahren (fortdauernde Wertschätzung demokratischer Strukturen, gleichwohl andauernde Schwierigkeiten mit ihrer Etablierung). 84
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Eine starke Heterogenität in sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Hinsicht, in Bezug auf die Binnenstruktur der Länder wie auch des Subkontinents und in internationaler Hinsicht (Teilnahme an globalen, gleichwohl fragmentierten internationalen Märkten - nicht zuletzt Märkten symbolischer Güter - mit heterodoxen lokalen Rezeptionsweisen).
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Die Abkehr sozialwissenschaftlicher Analyse von Konzepten, die dieser Heterogenität nicht oder nur unzureichend gerecht werden können; die Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen Kategorien als adäquaterer Grundlage ge-
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Umgekehrt lässt sich daraus auch ein Einfluss der „nicht-westlichen Welt" auf die „westliche Welt" ableiten. Dies ist die Lesart Gianni Vattimos (vgl. Slater 1994: 99). Auf kulturtheoretischer Ebene kann dieser Punkt allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden. Es ist in der Einleitung schon angesprochen worden, dass durchaus nicht alle lateinamerikanischen Länder von bürokratisch-autoritären Regimen beherrscht waren. Dennoch waren diese für das Selbstverständnis ganz Lateinamerikas prägend (dieser Aspekt wird später noch einmal aufgegriffen: vgl. Kapitel 5.1).
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seilschaftlicher Analyse (Modernekritik, Eurozentrismuskritik, Frage nach den kulturellen Grundlagen gesellschaftlichen und politischen Handelns). Das Auseinanderfallen gesellschaftlicher Bewertungen in Bezug auf soziale, politische und kulturelle Phänomene aufgrund der Anerkenntnis der Heterogenität („kulturelle Differenz" und „soziale Ungleichheit" als potenziell gleichursprüngliche, aber normativ gegensätzliche Momente).
Die Ausgangslage beinhaltet also ein Gemenge von historischen Faktoren, aktueller politisch-gesellschaftlicher Situation und sozial- und kulturwissenschaftlichem Paradigmenwechsel. In Bezug auf das Thema dieser Arbeit steht dabei ein Themenkomplex im Vordergrund: das Nachdenken über das Verhältnis von demokratischer Selbstbestimmung und Partizipation zu den ökonomischen, kulturellen und politischen Gegebenheiten innerhalb dieser Gemengelage. Dabei ist das Herausgreifen dieses Themenkomplexes in Bezug auf diesen Subkontinent in keiner Weise willkürlich: Zum einen beschäftigt seit den späten 1970er Jahren die Frage der Demokratie und der Demokratisierung vor dem Hintergrund der Diktaturen und ihrer Überwindung die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften stärker als jede andere Frage. Zum anderen gibt es wohl keine Weltgegend, die sich als Großregion insgesamt in ähnlicher Weise dieser Frage gestellt hätte bzw. hätte stellen müssen - sowohl empirisch wie auch konzeptionell. Allerdings ist es unumgänglich für das Verständnis sowohl der spezifisch lateinamerikanischen Ausgangslage wie auch der (allgemeineren) gesellschaftstheoretischen Folgerungen, welche lateinamerikanische Wissenschaftler daraus gezogen haben, die Entwicklungen kurz nachzuzeichnen, die dorthin gefuhrt haben. Es sind drei Begriffe, die dabei eine zentrale Rolle spielen: Demokratie, Kultur und Postmoderne. Nun sind alle drei Begriffe nicht unbedingt selbsterklärend oder unkontrovers zu gebrauchen, wobei „Postmoderne'' wahrscheinlich der problematischste Begriff ist. Es wird sich auch erst bei genauerem Hinsehen erschließen können, in welcher Hinsicht sie für das lateinamerikanische Selbstund Weltverständnis wichtig sind und wie sie gebraucht werden - wichtig ist zunächst, dass diese Begriffe aufeinander verweisen, und zwar auf zumindest zwei Ebenen: Zum einen gibt es eine Ebene gesellschaftlicher Realität, zum anderen gibt es das Nachdenken darüber - und diese Ebenen sind selbstverständlich wiederum nicht unabhängig voneinander. Das postmoderne Denken ermöglicht und/oder erzwingt einen anderen Blick auf Kultur und Politik, deren Ausprägungen wiederum teilweise als postmodern bezeichnet werden können. Postmoderne Formen von Kultur und Politik erfordern ggf. eine Veränderung der analytischen Instrumentarien. Das Erkennen der Relevanz der Kultur für die Demokratie verändert das politische Handeln wie das politische Denken. Und das ist ja eben das Ziel dieser Arbeit: Die Relevanz der Kultur für die Politik, das Politische an bzw. in der Kultur näher zu beleuchten; und dies geschieht eben dadurch, dass das lateinamerikanische Denken über diese Zusammenhänge seinerseits beleuchtet wird. Nun führt zunächst eine solche allgemeine Versiche95
rang der Relevanz dieser Begriffe füreinander nicht unbedingt zu größerer begrifflicher Klarheit; diese kann sich erst im Laufe der Untersuchung erweisen. Die Attraktivität des lateinamerikanischen Beispiels besteht aber gerade darin, dass sich hier eine originäre und aus spezifischen historisch bedingten und gesellschaftlich wirkmächtigen Konstellationen entstandene Debatte beobachten lässt, die eben jene begrifflichen Elemente auf eine Weise zueinander in Beziehung setzt, die auch jenseits des (regional-)spezifischen Kontextes instruktiv sein kann. Nach meinem Dafürhalten lassen sich drei grundlegende Stränge ausmachen, in denen die wichtigsten Gründe für die lateinamerikanische Beschäftigung mit den oben genannten zentralen Begriffen erfasst werden können: 1. Der erste Strang betrifft die Erfahrung der Länder Lateinamerikas mit der Moderne, die nach Ansicht vieler Kommentatoren in der Hauptsache in Form gesellschaftlich-ökonomischer Modernisierung erfahrbar gewesen ist. Die gesellschaftlichen Aporien, die diese Moderne mit kapitalistischem Antlitz hervorgerufen hat, sind der Ausgangspunkt für unterschiedliche Formen profunder Kritik an der Moderne bzw. an der Modernisierung, die allgemein mit der Expansion des europäischen und vor allem US-amerikanischen Kapitalismus in Verbindung gebracht wird. In dieser Sicht hat Lateinamerika die durch die Länder des Zentrums importierte Moderne mehr erlitten als erlebt und jedenfalls nicht als ein normatives, gar emanzipatorisches Projekt aus sich selbst hervorgebracht. Diese Ebene beinhaltet also eine stark historisch begründete Modernekritik, aus der sich ein guter Teil der Faszination der Postmoderne speist. Diese Modernekritik beinhaltet nicht zuletzt die Zurückweisung universalistischer Konzeptionen, hinter denen sich vor allem ein sich selbst verabsolutierender Eurozentrismus verberge. Aufgrund der historischen Erfahrung der Negierung der eigenen „Andersheit" durch die europäischen Kolonisatoren und später die als neokolonial erlebte Kapitalisierung erwächst hier die Sensibilität und Wertschätzung für „Differenz" als grundlegender philosophischer und gesellschaftlicher Kategorie. 2. Der zweite Strang betrifft die (teilweise sehr persönlichen) Erfahrungen der Repression durch bürokratisch-autoritäre Regime und die daraus resultierende Wertschätzung der Garantie bürgerlicher Grundrechte. 85 Das führt zu einer grandlegenden Neubewertung der politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten innerhalb formal demokratischer Regime. Die Erfahrung einer substanziellen Verbesserang der (Lebens-)Situation der meisten Menschen aufgrund der demokratischen Transition öffnet den Blick für die demokratischen Spielräume diesseits revolutionärer Heilsversprechen - und damit auch 85
Der Verweis auf „persönliche Erfahrungen" soll keinesfalls bedeuten, dass diese in psychologisierender Weise als Erklärung für das Denken einzelner Wissenschaftler herangezogen werden, vielmehr wird hier ausschließlich Bezug genommen auf die Selbstreflexion dieser Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Erfahrungen.
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für die vielfältigen bürgerschaftlichen Partizipationsformen, die sich unabhängig von den „klassischen" Politikformen (v.a. durch Parteien und Gewerkschaften) bilden. Diese Partizipationsformen sind umso wichtiger, da sich aufgrund der notorischen Schwäche der meisten staatlichen Institutionen gerade die staatszentrierten Politikformen als ungenügend für die Vertiefung der Demokratie herausstellen. 3. Der dritte Strang betrifft die Einbeziehung kultureller Aspekte in die sozialwissenschaftliche Analyse. Die demokratische Transition führt auch zu einer Neubewertung des Kulturellen für die Politik (und damit zu einer Neuformulierung des Politikbegriffes). Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Anerkennung von „Differenz" als grundlegender Kategorie wird nun die Relevanz der kulturellen Hintergründe demokratischer Partizipationsformen gesehen. Vielfach geht es nicht um die Macht im Staate, sondern um die Etablierung von Anerkennungsverhältnissen - die allerdings auch häufig auf soziale Inklusion als andere Seite der Medaille der Anerkennung abzielen. Auf diese Weise wird das Versprechen der Demokratie auf umfassende Inklusion ernst genommen und gleichzeitig in seiner Doppelung gesehen: Es geht um soziale Inklusion wie auch um kulturelle (Differenz-)Anerkennung. Quer zu den beiden letzten Strängen liegt eine profunde Selbstkritik der (linken) Intellektuellen bzw. Sozialwissenschaftler in Lateinamerika in Bezug auf unzulässig vereinfachende, ideologische Positionen, die der lateinamerikanischen Wirklichkeit nicht hätten gerecht werden können. 86 Die Selbstkritik bezieht sich in der Hauptsache auf die manichäischen Weltbilder bestimmter Ausprägungen marxistischer, teilweise leninistischer politischer Programmatik und wissenschaftlicher Analyse. Das beinhaltet auch die Überwindung der Staatsfixiertheit, die nicht in der Lage war, Machtverhältnisse außerhalb der durch die Gewehrläufe konstituierten zu erkennen. Beide Ebenen der Betrachtung sind wichtig: das Denken über die Gesellschaften Lateinamerikas wie auch die Reflexion über die eigene Rolle als Sozialwissenschaftler innerhalb dieser Gesellschaften. Diese drei Stränge bestimmen auch die Gliederung der folgenden Reflexionen über die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften und ihren Weg hin zu einer Einbeziehung kultureller Faktoren in die Gesellschaftsanalyse: Das diesen ein86
Die intellektuelle Rechte in Lateinamerika spielt nicht nur in dieser Arbeit keine Rolle: So beklagt Norbert Lechner, die konzeptionellen und ideologischen Defizite der Linken seien zu einem Teil auch daraus erwachsen, dass es in Lateinamerika keine intellektuelle Rechte gegeben habe. Deshalb seien auch keine großen Debatten entstanden, wie sie in Europa beispielsweise zwischen Gramsci und Croce oder zwischen Habermas und Luhmann entbrannt seien (Lechner 1988: 60). Allerdings soll damit keine Homogenität der lateinamerikanischen Linken postuliert werden. Ebenso bewegen sich zumindest einige der sich selbst im linken Spektrum verortenden Positionen nach meinem Dafürhalten in anderen Fahrwassern, so z.B. Fabio Giraldo Isaza und Héctor Fernando López (Giraldo/López 1991), deren Kulturkritik sich in der Hauptsache auf Daniel Bell stützt (vgl. dazu auch Fußnote 107).
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leitenden Bemerkungen folgende Kapitel wird sich mit der vor allem als theoretischem Hintergrund wichtigen Debatte um Moderne und Postmoderne beschäftigen (Kapitel 4). Im Anschluss daran werden insbesondere die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Zusammenhang mit der demokratischen Transition behandelt, wobei nicht zuletzt die veränderte sozialwissenschaftliche Bewertung unterschiedlicher Formen politischer Partizipation berücksichtigt wird (Kapitel 5). Kapitel 6 schließlich bezieht sich auf die eigentliche „Kulturalisierung" der sozialwissenschaftlichen Analyse im Sinne der Anerkennung der Relevanz des Kulturellen für das Politische hinsichtlich des demokratischen Anspruchs auf möglichst weit gehende gesellschaftliche Selbstbestimmung. Nun fügen sich die Ergebnisse der Reflexionen dieser drei Stränge zu einem neuen Gesamtbild mit drei Hauptkomponenten zusammen: Anerkennung von Pluralität in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht, kulturelle Imprägniertheit aller gesellschaftlichen Strukturen und allen gesellschaftlichen Handelns, sowie demokratische Verfasstheit als Grundlage für die Möglichkeiten, die sich aus den ersten beiden Komponenten ergeben. Allerdings ist diese Komposition nicht so stimmig, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Zwar ist die mit dem postmodernen Denken erfolgte radikale Anerkennung von nicht hintergehbarer Differenz und der daraus sich ergebenden Pluralität mit der Anerkennung der Relevanz der Kultur sehr gut verträglich; genauso ist die Wertschätzung der Demokratie als Ermöglichungsraum mit der Anerkennung der Relevanz der Kultur ohne Probleme zusammenzudenken: An dieser Schnittstelle hat der Begriff der politischen Kultur seinen Ort. Postmodernes Denken und Demokratie hingegen stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander: 87 Auf der einen Seite teilen sie die Prämissen der Notwendigkeit der Anerkennung von Pluralität und Differenz und widersetzen sich der Homogenisierung durch inhaltliche Vorbestimmtheit; auf der anderen Seite aber verneint das postmoderne Denken die Begründbarkeit übergeordneter, universalistisch angelegter Werte (wie die Menschenrechte), während die Demokratie auf die Etablierung eines juristisch positivierten Kanons von Normen angewiesen ist (und zwar sowohl in normativer wie auch in funktionaler bzw. prozeduraler Hinsicht), der einen Vorrang von universalistisch angelegten Gerechtigkeitskonzeptionen vor ethischen oder gar individualistischen Partikularitäten behaupten muss. Diese Ambivalenz verweist auf ein grundlegendes Problem für das differenztheoretische Denken, sofern es der Frage nach Begründungslasten normativer Annahmen oder Postúlate nicht aus dem Weg geht. Die Spannung zwischen der Anerkennung faktischer Wertegefüge und der Notwendigkeit der Vermittlung bei Konfrontationen zwischen ihnen lässt zwar verschiedene Möglichkeiten des Umgangs offen, aber nicht alle können aus theoretischer und normativer Sicht in 87
Vgl. dazu auch die Ausführungen Chantal Mouffes (1994), die allerdings der Postmoderne aufgeschlossen bis unkritisch gegenübersteht und sie für ihr Projekt der „radikalen Demokratie" als „unabdingbares Instrument" ansieht (Mouffe 1994: 94).
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gleicher Weise befriedigen. So kann der moderne Diskurs universalistischer Prägung zwar weit gehend überzeugende Angebote von Normenbegründung machen, bleibt aber eigentümlich blass, wenn es um die möglichst adäquate Beschreibung konkreter kulturell begründeter Konflikte geht, die nicht allein mit dem Verweis auf rationalisierte Normen aus der Welt geschafft werden können.88 Auf der anderen Seite stehen die Ansätze, die - wie der postmoderne amerikanische Pragmatismus eines Richard Rorty - schlicht von der begrüßenswerten faktischen Existenz einer liberalen Gesellschaft ausgehen, ohne sich der Frage auszusetzen, warum dies begrüßenswert ist und wie der Umgang mit weniger liberalen Gesellschaften aussehen sollte. Diese Ansätze sind zwar möglicherweise in der Lage, adäquatere Beschreibungen von Prozessen innerhalb dieser Gesellschaften zu liefern, bleiben aber die Begründungen ftlr ihre normativen Stellungnahmen weit gehend schuldig bzw. erklären sie für überflüssig. Zugespitzt scheint die unbefriedigende Alternative darin zu bestehen, in Bezug auf kulturell-normativ induzierte Konflikte entweder eine Beschreibung der empirischen Praxis und ihrer konkreten Schwierigkeiten vornehmen zu können oder aber sich auf der Ebene der Begründbarkeit derjenigen Normen zu bewegen, die eine Schlichtung oder Einhegung (wenn auch keine Lösung) dieser Konflikte ermöglichen. Diese Spannung zieht sich durch alle Bereiche philosophischen und sozialwissenschaftlichen Denkens, sofern Differenz, Pluralität, Heterogenität mit begründbaren Normen menschlichen Zusammenlebens zusammengedacht werden sollen. Zwei dieser Bereiche sind im Rahmen dieser Arbeit wichtig. Der erste bezieht sich auf die begründungstheoretische Dimension universaler Normen. Seine Relevanz ergibt sich unmittelbar aus den kulturrelativistischen Elementen postmodernen Denkens in Lateinamerika und der Spannung, in der sie mit den universalistischen normativen Grundlagen von Demokratie stehen. Gleichzeitig stellt er m. E. den philosophischen Grundkonflikt dar, der sich auch in gesellschaftswissenschaftlichen Analysen wiederfindet. Das verweist direkt auf den zweiten Bereich: Die Spannung zwischen der normativ und demokratiefunktional begründeten wissenschaftlichen Wertschätzung lokaler politischer Aktivität ohne gesamtgesellschaftlichen Anspruch auf der einen Seite und der Vermutung, 88
Ein Beispiel bietet Habermas' Beschäftigung mit der „Einbeziehung des Anderen" (Habermas 1996). Der neokantianische Begründungsdiskurs universalistischer Normen wird hier angewandt auf interkulturelle Konflikte - deren Lösungen oder zumindest Schlichtungen aber wiederum nur innerhalb demokratisch verfasster Gesellschaften möglich sind. Dieser Vorbehalt der Notwendigkeit schon etablierter positiver Normen westlich-demokratischen Zuschnitts verweist auf den prekären Charakter universalistischer Normen rationaler Art: Ihre Anwendbarkeit ist immer von ihrer faktischen Akzeptanz und kulturellen Durchsetzung abhängig. Damit ist die Einbeziehung des Anderen immer nur innerhalb des Geltungsbereichs der Spielregeln des Eigenen möglich - die Begegnung mit dem wirklich Anderen außerhalb dieses Bereiches muss diskursethische Sprachlosigkeit hervorrufen. Das dabei immer wieder durchscheinende Problem ist, dass sich der rationale Diskurs argumentierender Rede (auch und gerade in Bezug auf Normenbegründungen) immer schon selbst voraussetzen muss.
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dass bestimmte Probleme wie das sozioökonomischer Marginalität nur in gesamtgesellschaftlicher Perspektive gelöst werden können - und zwar unter Einschluss der davon Betroffenen - auf der anderen Seite. Davon wird im Folgenden zu sprechen sein. Zunächst soll jedoch der Versuch unternommen werden, die Spannung aufzuzeigen, die sich zwischen universalistischen Normenbegründungen und kulturrelativistischen, modernekritischen Positionen ergibt - und warum dieses Problem in Lateinamerika aufgrund der spezifischen Geschichte und aktuellen Situation derartig virulent ist. Dabei wird es in der Hauptsache um den oben genannten ersten Strang der kultur- und demokratietheoretischen Wende in Lateinamerika gehen.
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4 Der Metadiskurs im Hintergrund: Moderne und Postmoderne in Lateinamerika 4.1
Der Kontext: Pluralität und Postmoderne
4.1.1 Weltgeschichte und Pluralität Der Kontext, in dem die hier aufgeworfenen Fragen diskutiert werden müssen, ist der einer Welt, die sich nicht mehr auf kleinere Einheiten beschränken lässt. Die Frage nach kulturellen Identitäten auf der Ebene von Kollektiven stellt sich gerade aus dem Grund, dass sich diese Identitäten mit anderen Identitäten konfrontiert sehen, und zwar nicht nur im Sinne des Wissens um andere kollektive Lebensentwürfe, sondern auch im Sinne ihres Erlebens-, Pluralität ist kein Programm, sondern Realität. Der Prozess der Begegnung und Entgrenzung von (auch) kulturell integrierten Gemeinschaften ist zwar Jahrtausende alt, erlebt aber zuerst mit der „Entdeckung" Amerikas im 15. Jahrhundert, mit der Kolonisation und - vor allem - mit der kapitalistischen Globalisierung der Märkte spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine dramatische Beschleunigung (vgl. auch Sonntag 1998: 138-139). Dabei sind in dialektischer Weise zwei Prozesse miteinander verbunden: auf der einen Seite die im Zuge der Konfrontation der kulturellen Selbstverständnisse notwendige Öffnung der Gesellschaften und Kollektive und auf der anderen Seite die tendenzielle Unterjochung anderer Gesellschaften durch die in Europa entstandene, nach Globalisierung strebende kapitalistische Produktionsweise. 89 Diese Konfrontation von kulturellen Selbstver89
Letzteres ist wohl nirgends plastischer beschrieben worden als im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einfuhrung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfhisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. [...] Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. [...] Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie
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ständnissen bedeutet - auch für die kolonisierenden Nationen! - einen notwendigen „Einbruch von Reflexion" in bis dahin sich selbst genügende kulturelle und normative Selbstverständnisse: Ein Pluralismus von Lesarten grundsätzlich ambivalenter Uberlieferungen gibt immer wieder Anlaß zu Selbstverständigungsdiskussionen, die deutlich machen, daß den streitenden Parteien zugemutet wird, bewußt zu entscheiden, aus welchen Kontinuitäten sie leben, welche Traditionen sie abbrechen oder fortsetzen wollen. [...] Der Einbruch der Reflexion in Lebensgeschichten und kulturelle Überlieferungen fordert den Individualismus persönlicher Lebensentwürfe und einen Pluralismus kollektiver Lebensformen. Gleichzeitig werden aber auch die Normen des Zusammenlebens reflexiv; dabei setzen sich universalistische Wertorientierungen durch (Habermas 1992c: 126).
Habermas macht diese Entwicklung an der europäischen Debatte im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert fest. Die Debatte ist aber sehr viel älter: Gerade die „Entdeckung" Amerikas ist ein Beispiel dafür, dass die konkrete Begegnung mit „dem Anderen" einen solchen „Einbruch von Reflexion" notwendigerweise nach sich zieht. Die „Entdeckung" löste in Europa (v.a. natürlich in Spanien) eine erst einmal theologisch geprägte Debatte über den Status der indigenen Bewohner Amerikas und ihrer Gemeinwesen aus. Dabei ging es um grundsätzliche Fragen, ob jene denn überhaupt Menschen seien bzw. ob sie fähig seien, die christliche Religion überhaupt zu verstehen und anzunehmen, aber auch um die Frage, ob die gewaltsame Eroberung solcher Gemeinwesen gerechtfertigt sei und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln. Diese Fragen sind derart grundsätzlicher Natur, dass ihre Erörterung bis heute unabgeschlossen ist: Die Reflexionen Francisco de Vitorias von 1539 über das Selbstbestimmungsrecht auch indigener Völker schufen die Grundlagen des Völkerrechts. Diese Reflexionen bewegten sich auf der Grundlage der Konzeption eines rationalen Naturrechts. Danach ist die „Entdeckung" einer Region nicht gleichbedeutend mit einem Besitztitel auf diese, sofern dort Menschen leben. Auch die Weigerung dieser Menschen, die christliche Religion anzunehmen, stellt keinen Kriegsgrund dar; es gibt in dieser Lesart ein grundsätzliches Recht auf religiöse bzw. moralische - und das heißt letztlich: kulturelle - „Andersheit". Der „Unglaube" anderer Völker bedeutet keine Minderung ihrer naturrechtlich gegebenen Rechte wie Herrschafts- und Eigentumsrecht. Im Umkehrschluss bedeutet das, „daß die religiöse Andersheit naturrechtlich zu respektieren ist. [...] Damit sind Religionskriege prinzipiell ausgeschlossen. Mit dem Verbot der Diskriminierung aus religiösen Gründen (Heidentum) oder aus kulturellen Gründen (Barbarei) geht faktisch die Forderung nach religiöser und kultu-
nicht zugrunde gehn wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde" ( M E W 4: 466). Textstellen w i e diese lassen den Eindruck entstehen, die aktuellen Debatten über die so genannte Globalisierung könnten so neu wohl doch nicht sein.
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reller Toleranz einher" (Sievernich 1997: 96). Des Weiteren gibt es eine grundsätzliche Reise- und Niederlassungsfreiheit aller Menschen, die eine ebenso grundsätzliche Handelsfreiheit impliziert. Die Ausfuhrungen Vitorias nehmen auch bereits die Frage nach dem Verhältnis von Souveränität und Menschenrechten vorweg: Es wurde als illegitim angesehen, „Verbrechen gegen die Natur" (Kannibalismus und Menschenopfer, aber auch Inzest) zu bestrafen, da es kein Recht auf die Ausübung der eigenen Gerichtsbarkeit außerhalb der eigenen Grenzen gebe. Dennoch stellten diese Verbrechen einen Kriegsgrund dar, da es eine Pflicht zur Rettung Unschuldiger vor dem Tod gebe (Fisch 1984: 212-222): Die Toleranz der Andersheit hat für Vitoria nur eine Grenze: Sobald bestimmte religiöse oder kulturelle Verhaltensweisen zu Unrecht fuhren, das anderen Personen, dem Gemeinwesen oder der Weltgemeinschaft der Völker bedrohlich schadet, sind Interventionen aus humanitären Gründen erlaubt. Der einzige Grund (unica et sola causa) für eine solche Intervention ist mithin .erlittenes Unrecht' (iniuria accepta), das eine Hilfeleistung zugunsten derjenigen erfordert, die unschuldig Unrecht erleiden. In diesem Sinne anerkennt Vitoria Tyrannei, Unterdrückung und Unrecht gegen Unschuldige sowie Menschenopfer und Anthropophagie als legitime Interventionsgründe (Sievernich 1997: 97).
Die Relevanz dieser Fragen zeigt sich exemplarisch an den Anklagen des Dominikaners Bartolomé de Las Casas (ab 1515) gegen die inhumane Ausbeutung der Indios seitens der Kolonisatoren, deren Tenor die Grundzüge einer universalen Menschenrechtskonzeption vorwegnahm. Diese Anklagen berufen sich in weiten Teilen auch auf Vitoria, stellen aber praktisch alle Rechte unter den Vorbehalt der Gewaltfreiheit.90 Die berühmte Diskussion zwischen Bartolomé de Las Casas und Juan Ginés de Sepülveda 1550/51 ist exemplarisch für die Debatte um die Stellung und die Rechte anderer Völker (vgl. Fisch 1984: 230-241). Dies verdeutlicht, wie sehr die „Alte Welt" durch die Existenz der „Neuen Welt" ihr Selbst- und Weltverständnis neu denken musste.91 In Bezug auf die Selbstverständigungsdiskurse bedeutet ein solcher „Einbruch von Reflexion" erst einmal nicht mehr und nicht weniger als die Notwendigkeit, 90
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„Las Casas' mit Vernunft- und Autoritätsgründen untermauerte Kernthese lautet dahingehend, daß es prinzipiell nur eine ,einzige' Weise gebe, die Menschen die wahre Religion zu lehren, ,nämlich die Überzeugung der Vernunft durch Gründe und die sanfte Anlockung und Ermunterung des Willens' (intellectus rationibus persuasivus et voluntatis suaviter allectivus vel exhortativus). Diese These reflektiert die thomanische Anthropologie, derzufolge die Vernunft- und Freiheitsnatur des Menschen keinerlei Mittel moralischen oder gar martialischen Zwangs erlaubt, erst recht nicht bei der an biblischen Maßstäben orientierten Mission" (Sievernich 1997: 82). Vgl. auch Gründer (1992: 13) und Sievernich (1992: 19-20). Sievernich (1987) weist außerdem darauf hin, dass es bereits damals Versuche gegeben hat, eine Art interkulturellen Dialog zu führen, wenn dieser auch ausschließlich theologisch motiviert war. So fanden 1524 Gespräche zwischen Franziskaner-Missionaren und aztekischen Adeligen und Priestern in Tenochtitlän statt. Auch in Japan gab es im Jahr 1551 daraufhin solche „Religionsgespräche" zwischen Jesuiten und buddhistischen Bonzen (Sievernich 1987: 181-183). 103
die eigenen ethischen Normen in Bezug auf ihre mögliche Geltung in einem erweiterten Rahmen zu überprüfen, vor dem Hintergrund konkurrierender ethischer Normen. Daran hat sich im Grundsatz bis heute nichts geändert - allerdings hat sich die Relevanz der Debatte insofern verstärkt, als es im Kontext einer globalisierten Wirtschaft und Kommunikation und im Zusammenhang mit globalen Migrationsströmen immer weniger möglich ist, sich der Erfahrung des Anderen zu verschließen und der Konfrontation mit jenen konkurrierenden ethischen Normen aus dem Weg zu gehen: Die materielle Basis des Universalismus ist die wachsende Verflechtung aller sozialen Einheiten durch die Internationalisierung der Wirtschaft und ihre Vernetzung im Zuge der Kommunikationsrevolution. Der moderne Universalismus ist also nicht einfach ein idealistisches Konstrukt, sondern Ausdruck eines Strukturwandels menschlicher Lebensformen (Brock 1995: 32). 92
Diese Begegnung mit konkurrierenden ethischen Vorstellungen ist konflikthaft, da die Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte von der Annahme getragen wird, diese Werte seien im Prinzip universell gültig (Brock 1995: 34). Eben diese Annahme muss jetzt aber aufgrund der Erfahrung konkurrierender Normen mit ähnlich universellen Geltungsansprüchen grundsätzlich infrage gestellt werden. Die von Habermas angesprochenen universalistischen Wertorientierungen beziehen sich also auf die Einsicht in die Notwendigkeit übergeordneter Werte, die in der Lage sein müssen, „gewaltträchtige Rivalitäten zwischen partikularen Universalismen" (Brock 1995: 34) zu schlichten. Genau darin besteht die spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen Pluralität und Universalität. Das bedeutet idealerweise sowohl die Einsicht in die geschichtlich bedingte Partikularität der eigenen Werte angesichts konkurrierender Werte, als auch die Suche nach dem, „was uns im Anderssein verbindet, genauer: wie wir versuchen können, uns im Anderssein zu verbinden, ohne uns bei diesem Bemühen gegenseitig totzuschlagen" (Brock 1995: 22). Umso mehr gilt das auch für „multikulturelle" Gesellschaften, deren Selbstverständigungsdiskurse von den unterschiedlichen, innerhalb eines (nationalstaatlichen) Gebildes zusammenlebenden Minderheiten verstärkt herausgefordert werden. Dabei geraten die verschiedenen Ebenen des Zusammenlebens ins Blickfeld: Auf innerstaatlicher Ebene lebt eine demokratische Gesellschaft genauso vom grundsätzlichen Konsens über die allgemeinen Verfassungsprinzipien wie vom (durch Multikulturalität beförderten) Dissens über die konkrete (ethisch-politische Ausgestaltung bzw. über die jeweils gruppeninternen Konzepte des guten oder nicht-verfehlten Lebens (Habermas 1996: 254-255; 328329; vgl. Bermbach 1991: 241; 245). Eine gewisse Analogie kann zu den gegenseitigen Anerkennungsforderungen unterschiedlicher Konzeptionen des Guten 92
Zum Verhältnis von Globalisierung und „Kommunikationsrevolution" vgl. Schäfer (1994: 132-155).
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gezogen werden - von der Ebene des innerstaatlichen zu der des globalen Miteinander. Dort macht gerade die berechtigte Forderung nach Anerkennung der jeweils eigenen Konzeptionen des Guten und der jeweils eigenen kulturellen Identitäten, die unterschiedliche Gruppen oder Kollektive wechselseitig aneinander richten, eine dem Guten übergeordnete Konzeption des Gerechten nötig. Auf diese Weise ist der Diskurs über das Gerechte vergleichbar mit einem Selbstverständigungsdiskurs der Menschheit als (unfreiwilliger) Gemeinschaft, der den grundsätzlich unentscheidbaren Dissens der unterschiedlichen Selbstund Weltsichten der einzelnen Gruppen und Kollektive innerhalb dieser Zwangsgemeinschaft ermöglicht und diesen im besten Fall zu einer kreativen und konstruktiven Kraft für den globalen Selbstverständigungsdiskurs macht. Nun ist dieser beste Fall allerdings unter den gegebenen Bedingungen nicht sonderlich wahrscheinlich, wie zu konstatieren ist. In jedem Fall ist festzuhalten, dass die Begegnung oder auch Konfrontation von unterschiedlichen gesellschaftlichen Standards bzw. kulturellen Selbstverständlichkeiten ein erhebliches Konfliktpotenzial beinhaltet, das sich aus der strukturellen (und teilweise eben auch nicht hintergehbaren) Heterogenität von individuellen und kollektiven Lebensentwürfen speist. Das globale wie das innergesellschaftliche Miteinander verlangt allerdings den Rekurs auf nicht ethnozentrische (also universalistische) Normen zur Konfliktregulierung, da von einer gemeinsamen Konzeption des guten und erfüllten Lebens aller Menschen nicht ausgegangen werden kann; Lateinamerika stellt dafür durchaus ein Beispiel dar. Es ergibt sich allerdings, wie bereits angedeutet, mit der kulturtheoretischen Wende in Lateinamerika teilweise ein normatives Problem: Die starke Wertschätzung demokratischer Prozeduren, die nicht zuletzt aus dem Bewusstsein dieses Problemfeldes erwächst, ist theoretisch nicht ohne Weiteres kompatibel mit der postmodernen Ablehnung der so genannten Metaerzählungen, zu denen generell der Universalismus bzw. die Frage nach der Begründbarkeit universaler Normen (wie der Menschenrechte) gezählt wird. Gleichzeitig ist es aber erst die postmoderne Sensibilität für die potenziell repressiven Folgen universalistischer Konzepte für kulturelle Differenzen, die den lateinamerikanischen Blick für die Vielschichtigkeit der Heterogenität geschärft hat - und damit auch eine profunde Kritik eurozentrischer (Entwicklungs-)Modelle und ihrer aporetischen Konsequenzen in Lateinamerika ermöglicht hat. Die intellektuelle Attraktivität des Begriffs der Postmoderne für die lateinamerikanischen Gesellschaftswissenschaften ist kaum zu überschätzen. Unbeschadet möglicher theoretischer Inkonsistenzen - die von einem modernen Wissenschafitsverständnis aus gesehen dem postmodernen Denken inhärent sind - , eröffnet das postmoderne Denken in Lateinamerika neue Möglichkeiten von gesellschaftlicher Analyse und produktiven Selbstverständigungsdiskursen. Ob und wie diese Möglichkeiten auch wieder in den Fundus einer reflexiv gewordenen Moderne überfuhrt werden können, muss vorerst eine unbeantwortete Frage bleiben. Zunächst soll im Folgenden ein kurzer Aufriss dessen erfolgen, 105
was an der Postmoderne konstitutiv für ihre Attraktivität wie auch fur theoretische Inkonsistenzen ist und wie gegebenenfalls damit vorläufig umgegangen werden kann, wenn der wissenschaftliche Anspruch der Moderne nicht vorschnell aufgegeben werden soll. 4.1.2 Exkurs zum Begriff der Postmoderne Der Umgang mit dem Begriff der Postmoderne ist - unabhängig von den Schwierigkeiten bei der Betrachtung der lateinamerikanischen Debatte - in jedem Fall nicht ganz einfach, nicht allein deshalb, weil sich dahinter kein klar umgrenzbarer Referent verbirgt, sondern vor allem, weil in diesem Begriff sehr unterschiedliche Ebenen ineinander fließen. Der Begriff „postmodern" wurde zuerst für ästhetische Phänomene geprägt, in der Literaturwissenschaft bereits in den 1950er Jahren, in den 1970er Jahren auch in der Architektur. Nachdem er im Anschluss an die berühmte Veröffentlichung von Jean-François Lyotard La condition postmoderne (Lyotard 1994) ab 1979 auch in die philosophische Debatte Eingang gefunden hatte, wurde er in den 1980er und 1990er Jahren zu einem Schlüsselbegriff in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (und vor allem im Feuilleton). Dabei wurde bereits von Anfang an - teilweise erklärtermaßen - eine Unterscheidung zwischen Gegenstand und theoretischer Analyse desselben in aller Regel nicht gemacht. Es wurde vielmehr ins Feld gefuhrt, dass die Analyse so grundsätzlich neuer Phänomene auch eine neuartige Sprache oder eine neue Art des Denkens impliziere (vgl. Welsch 1991: 2-16). Für den Zweck dieser Arbeit ist es allerdings notwendig, die so genannten postmodernen Phänomene von ihrer Analyse zu unterscheiden, da es nicht um eine Überprüfung der Stichhaltigkeit der Rede von der Postmoderne (in Bezug auf die so bezeichneten Phänomene) geht, sondern darum, die sich aus der Theorie der Postmoderne und vor allem aus der postmodernen Theorie ergebenden Konsequenzen für die politische Praxis und ihre Analyse in Lateinamerika zu untersuchen - und darum, welche Generalisierungen sich in Bezug auf einen Begriff von politischer Kultur ableiten lassen.93 Zunächst möchte ich den Versuch einer Unterscheidung dieser Ebenen machen, auch wenn dies dem Geist der Postmoderne schon widersprechen mag: Zu unterscheiden sind kulturelle Phänomene, die - zu Recht oder nicht - als postmodern bezeichnet werden (Postmoderne als Komplex kultureller Phänomene) von der Analyse dieser Phänomene, den Theorien der Postmoderne. Quer zu dieser grundsätzlichen Unterscheidung liegt das, was ich postmoderne Theorien nennen möchte, also Theoriebildungen, die als Phänomen zur kulturellen Post93
Wenn deshalb hier von „postmodemen Phänomenen" die Rede ist, impliziert das nicht die Anerkennung der Existenz einer Postmoderne mit (nachmodernem) epochalem Charakter. Der Ausdruck wird vielmehr verwendet, um Phänomene zu kennzeichnen, die von einigen der hier vorgestellten Autoren als postmodern bezeichnet werden, ohne dass im Folgenden auf despektierliche Begriffsungetüme wie „vermeintlich postmoderne Phänomene" oder „so genannte postmoderne Phänomene" zurückgegriffen werden muss.
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moderne zu zählen sind und Letztere häufig, aber nicht notwendig, auch zu ihrem Thema machen. Die Unterscheidung von postmodernen Theorien und Theorien der Postmoderne erscheint mir deshalb angemessen, weil einige der hier behandelten Autoren zwar konstatieren, dass es in Kultur und Politik in Lateinamerika in den letzten Jahren Veränderungen gegeben habe, die so gravierend seien, dass es durchaus möglich sei, von Postmoderne zu sprechen. Das bedeute aber nicht, dass diese Veränderungen sich nur durch eine Wissenschaft beschreiben und analysieren ließen, die ihrerseits nun postmodern sein oder werden müsse. 94 Mit dieser Unterscheidung soll deutlich gemacht werden, dass in dieser Arbeit nicht von vorneherein jede Konstatierung der Existenz postmoderner Phänomene als unbegründet zurück gewiesen wird; es besteht aber m. E. ein wichtiger Unterschied zwischen einer solchen Konstatierung und den Versuchen, aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch das Verständnis von Wissen und Wissenschaft fundamental zu verändern und bestimmte Metaerzählungen (wie die Emanzipation der Menschheit) zu verabschieden. Dabei mag es im Einzelfall schwer sein, zu entscheiden, ob ein wissenschaftlicher Text zu postmodernen Phänomenen als Theorie der Postmoderne auch zur postmodernen Theorie zu rechnen ist oder nicht. Dennoch macht es diese Unterscheidung möglich, über die Postmoderne zu schreiben, ohne sich ihr selbst zuordnen zu müssen. 95 In gewisser Hinsicht nimmt Fredric Jameson eine Gegenposition hierzu ein, wenn er - obwohl mit kritischer Distanz zur Postmoderne - sein eigenes Schreiben als mögliches Beispiel für postmoderne Phänomene wertet: Indeed, one of the more striking features of the postmodern is the way in which, in it, a whole range of tendential analyses of hitherto very different kinds [...] have all coalesced into a new discursive genre, which we might as well call 'postmodernism theory', and which demands some attention in its own right. It is clearly a class which is member of its own class, and I would not want to have to decide whether the following chapters are inquiries into the nature of such 'postmodernism theory' or mere examples of it (Jameson 1991: X; Hervorh. B.S.).
Diese einleitenden Klärungs- und Abgrenzungsversuche sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine einheitliche postmoderne Theorie nicht gibt und wohl auch nicht geben kann. Es kann auch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, die verschiedenen Ansätze postmodernen Denkens nachzuzeichnen oder eine umfassende Kritik derselben zu leisten. Es geht hier nur um jene Elemente 94
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Jesús Martín-Barbero beispielsweise spricht explizit nicht von postmodernen Theorien, sondern etwas despektierlich von „Symptomatologien" (Martin-Barbero/Herlinghaus 2000: 63). Eine ähnliche Unterscheidung trifft Roberto A. Follari in einer Untersuchung über das Verhältnis von Studien über die Postmoderne und den Cultural Studies in Lateinamerika. Er untersucht dabei einige der auch für meine eigene Untersuchung wichtigsten Autoren wie Néstor García Canclini, Jesús Martín-Barbero und Nelly Richard (Follari 2000).
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postmodernen Denkens, die für die lateinamerikanische Debatte besondere Relevanz besitzen - und das sind in der Hauptsache die modernekritischen Elemente. Mit Herbert Schnädelbach sei auf verschiedene Verwendungsweisen des Ausdrucks „modern'" verwiesen (Schnädelbach 1992: 432-438). Im Sinne der postmodernen Kritik geht es hier in der Hauptsache um eine normative Verwendung. Ein Verständnis von Moderne im Sinne des jeweils Neuen gegenüber dem Alten („chronologisch"), als Epoche („historisch") oder im Hinblick auf den Grad der Modernisierung von Gesellschaften („strukturell") spielt für diese Kritik eine untergeordnete Rolle. Die ursprünglichen normativen Gehalte der Moderne lassen sich mit den Begriffen Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung beschreiben (Habermas 1988c: 391-392). Mit dem Präfix „Selbst-" ist bereits der „reflexive Charakter moderner und modernisierter Gesellschaften" angesprochen, die „wesentlich durch ein kognitives und praktisches Selbstverhältnis gekennzeichnet" sind (Schnädelbach 1992: 442): Der antike Mensch lebte nicht in der Antike und der mittelalterliche nicht im Mittelalter, aber 'Renaissance', 'Neuzeit' und 'Moderne' - das sind Selbstbezeichnungen von kulturellen Epochen, die die Menschen in ihnen ihrer Selbstdeutung zugrundelegen konnten (Schnädelbach 1992: 442).
Diese Reflexivität ermöglicht es auch, von einem „Projekt der Moderne" zu sprechen, in dem Sinne, dass es ein Bewusstsein über die oben genannten normativen Gehalte der Moderne und die sich daraus ergebenden Ansprüche an die gesellschaftliche Praxis gibt: Das Projekt der Moderne, das im 18. Jahrhundert von den Philosophen der Aufklärung formuliert worden ist, besteht nun darin, die objektivierenden Wissenschaften, die universalistischen Grundlagen von Moral und Recht und die autonome Kunst unbeirrt in ihrem jeweiligen Eigensinn zu entwickeln [...] und für die Praxis, d.h. für eine vernünftige Gestaltung der Lebensverhältnisse zu nützen (Habermas 1992b: 41-42).
An den Inhalten dieses „Projektes" hat sich grundsätzlich nichts geändert. Das darf allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass die „vernünftige Gestaltung der Lebensverhältnisse" heute nicht mehr in gleicher Weise wie im 18. oder auch 19. Jahrhundert gedacht werden kann, „nachdem das geschichtsphilosophische Vertrauen in die von Hegel und Marx durchgespielte Dialektik von Vernunft und Revolution geschichtlich aufgebraucht ist - und nur noch der reformistische Weg von Versuch und Irrtum sowohl praktisch offensteht wie moralisch zumutbar ist", wie Habermas etwas lakonisch feststellt (Habermas 1992c: 79; vgl. Habermas 1988a: 415-416,418-419; Bermbach 1991: 239-240). 96
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Die Selbstkritik der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften, um die es im Folgenden auch gehen wird, lässt sich auch unter diesem Aspekt betrachten.
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Im Gegensatz zu diesem Vertrauen in die grundsätzliche Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung durch eine umfassende Konzeption von Vernunft besteht postmodernes Denken nach Lyotard vor allem in der Skepsis gegenüber den Metaerzählungen. Diese Metaerzählungen sind den oben genannten normativen Gehalten der Moderne weit gehend gleichgesetzt: die Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns und die Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts (Lyotard 1994: 13-14). Postmodernes Denken besteht in dieser Hinsicht vor allem in der Kritik der normativen Gehalte der Moderne und der Abkehr von ihnen. Eines der grundlegenden Elemente dieser Kritik ist der Vorwurf, die Metaerzählungen seien totalisierende Einheitskonzepte. Diese stehen im Gegensatz zur vorbehaltlosen Anerkennung von Differenz im postmodernen Denken. Diese Anerkennung beinhaltet die Verurteilung aller Versuche, die aus der Differenz erwachsende Pluralität durch Einheitskonzepte in eine Verbindung zueinander zu bringen. Eine solche Verbindung müsse letztlich nivellierend wirken und damit die Differenz negieren. Und eben das sei der Fall bei allen - modernen Theoriegebäuden, die eine umfassende Erklärung von Wirklichkeit beanspruchen - umso mehr, wenn sie sich als Grundlage für eine zielgerichtete Veränderung dieser Wirklichkeit sähen. So basiere die „vernünftige Gestaltung der Lebensverhältnisse" notwendigerweise auf einem bestimmten Konzept von Vernunft, das den Ausschluss von Lebensgestaltungen impliziere, die diesem Vernunftbegriff nicht entsprechen. Das verweist auf den Umgang zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsformationen und ihren jeweiligen Selbstverständnissen. Die Ableitung von Vorrechten gegenüber anderen Gesellschaften aus einer vermeintlich höheren Entwicklungsstufe der eigenen wird als genauso „terroristisch" aufgefasst wie der Versuch, diese Superiorität vermeintlich objektiv zu begründen. Außerdem müsse der Versuch der Anwendung der eigenen Weltsicht auf grundlegend andere Selbstverständnisse notwendigerweise scheitern und scheitere auch tatsächlich, was sich an der Situation der Länder der Peripherie eindrücklich zeige. Die Kritik am sich selbst verabsolutierenden Eurozentrismus97 stellt damit eine der wichtigsten Konsequenzen postmodernen Denkens dar. Die Ablehnung totalisierender Konzepte führt aber auch dazu, jede Vorstellung von Emanzipation der Menschheit abzulehnen. Zwar wird nicht notwendigerweise ausgeschlossen, dass Veränderungen gesellschaftlicher Art wünschbar 97
Bei einigen Autoren wird von „Euro-Amerikanismus" gesprochen (vgl. Slater 1994: 89). In einer Arbeit, die „Amerika" notwendigerweise nicht mit „Nordamerika" bzw. Kanada und den USA gleichsetzen kann, bringt dieser Begriff allerdings keine größere Trennschärfe. Der Begriff „Eurozentrismus" erscheint mir angemessen, da das Selbstverständnis der gesamten westlich-abendländischen Gesellschaft(en) von den in Europa entstandenen Denkformen geprägt ist. Vereinfachend bleiben derartige Zuschreibungen in jedem Fall so hat ja auch das, was heute als westliches Abendland betrachtet wird, entscheidende Prägungen beispielsweise durch die arabischen Zivilisationen erfahren, die heute eher als zum „Anderen Europa" zugehörig betrachtet werden.
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sein können, aber da der Hintergrund eines solchen Wunsches wiederum kulturell gebunden und nicht verallgemeinerbar sei, kann im postmodernen Sinne jedenfalls nicht von der Emanzipation der Menschheit gesprochen werden - eine solche Konzeption müsste notwendig totalitär sein. Die Vorstellungen der Individuen und Kollektive seien in ihren Differenzen anzuerkennen, sie seien nicht aufeinander reduzierbar oder auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine weitere Eigenart postmodernen Denkens wird dabei deutlich: Der Vorwurf des Terrorismus und/oder des „Totalitarismus" wird politischen Regimen genauso wie philosophischen Gedankengebäuden gemacht.98 Damit werden aber die Eigenständigkeiten und Eigentümlichkeiten sowohl von Philosophie und Gesellschaftswissenschaften wie auch von gesellschaftlichen Gebilden und politischen Systemen negiert. Dies bringt nicht nur empirische, sondern auch hermeneutische und normative Schwierigkeiten mit sich: Die Kritik an einer politischen Praxis hat einen anderen Charakter und verlangt andere Begründungen und Maßstäbe als die Kritik einer theoretischen Konstruktion. Damit wird nicht behauptet, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun - im Gegenteil, die Reflexion über das Verhältnis von Theorie und Praxis kann für Philosophie und Gesellschaftswissenschaften schwerlich obsolet werden. Die tendenzielle Gleichsetzung von politischem „Totalitarismus" und dem Versuch, Gesellschaft in ihrer Totalität zu begreifen muss jedoch zu unzulässigen Verzerrungen in Wahrnehmung und Bewertung führen. Der Anspruch, die Kluft zwischen der aufklärerischen Vernunft und der herrschenden Unvernunft, zwischen Theorie und Praxis zu schließen, hat sicherlich zu teilweise grotesken Ergebnissen geführt, sowohl bei einzelnen Individuen wie auch auf der Ebene kollektiver Bewegungen. Unstrittig ist auch, dass die diktatorischen Regime seit dem 20. Jahrhundert ein Phänomen der Moderne sind," und zwar nicht allein der technischen und administrativen Möglichkeiten wegen. Der „Keim zu jenem Rückschritt" (Horkheimer/Adorno), der auch den deutschen Faschismus und Auschwitz möglich gemacht hat, ist der Aufklärung inhärent. Diese Dialektik der Moderne rückhaltlos anzuerkennen bedeutet allerdings nicht notwendig, eine Zwangsläufigkeit der „terroristischen Ausgeburten" der Aufklärung aus ihren „normativen
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Es kann an dieser Stelle nicht auf die Debatte um den problematischen Begriff des Totalitarismus eingegangen werden. Dem postmodernen Vorwurf geht es aber auch nicht um soziologische oder politologische Unterscheidungen gesellschaftlicher und politischer Systeme, sondern um den Anspruch der Moderne, Wirklichkeit als Ganzes - also in ihrer Totalität - zu verstehen und ggf. zu verändern. Dies bringe notwendigerweise die Unterdrückung des Pluralen mit sich - genauso wie das in totalitären politischen Systemen der Fall sei. Der Begriff wird aus diesem Grund hier in Anfuhrungszeichen gesetzt. Dies bezieht sich natürlich in erster Linie auf diejenigen Diktaturen des 20. Jahrhunderts wie den Nationalsozialismus, welche die Dialektik der Moderne unmittelbar verkörpern. Es betrifft aber auch und gerade die dezidiert antimodemen Diktaturen wie die der Taliban in Afghanistan (1996-2001).
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Intentionen" zu konstruieren 100 - im Gegenteil: Horkheimer und Adorno als die schärfsten Kritiker der „instrumentellen Vernunft" können gerade aufgrund dieser Anerkenntnis auch erkennen, dass „die Freiheit in der Gesellschaft v o m aufklärenden Denken unabtrennbar ist" (Horkheimer/Adorno 1988: 3). Allerdings muss das aufklärende Denken radikal reflexiv werden, um der Falle des Umschlags in Mythos zu entgehen - und das lässt sich durchaus auch auf die Frage nach der Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen beziehen: Der Testfall für eine Theorie der Rationalität, mit der sich das moderne Weltverständnis seiner Universalität versichern möchte, träte allerdings erst dann ein, wenn sich [...] die bizarren Äußerungen fremder Kulturen aufklären, und zwar 50 aufklären ließen, dass wir nicht nur die Lernprozesse begriffen, die 'uns' von 'ihnen' trennen, sondern daß wir uns auch dessen innewürden, was wir im Zuge unserer Lernprozesse verlernt haben (Habermas 1988c: 588; Hervorh. i. O.; vgl. auch Habermas 1988b: 85). In diesem Sinne bedeutet die lateinamerikanische Kritik am Eurozentrismus in gewisser Weise einen solchen Testfall fur den universalistischen Anspruch einer auf westlichen Rationalitätsstandards aufbauenden Konzeption von Demokratie. D a s bezieht sich einerseits auf die Einsicht, dass „westliche Intellektuelle ihren Diskurs über eigene eurozentrische Befangenheiten nicht mit den Debatten verwechseln [sollten], die andere mit ihnen führen" (Habermas 1997: 10; Hervorh. B.S.). 1 0 1 Es bezieht sich aber auch auf eine auf starken rationalistischen Ansprüchen aufbauende Konzeption von Demokratie überhaupt (vgl. Greven 1993). 100
vgl. Habermas (1992b: 48-49), der darauf hinweist, dass „die praktische Entbindung und institutionelle Verkörperung des in Wissenschaft, Moral und Kunst angesammelten Wissens nicht verwechselt werden [darf] mit einer Kopie der Lebensführung von außeralltäglichen Repräsentanten dieser Wertsphären - mit der Verallgemeinerung der subversiven Kräfte, die Nietzsche, Bakunin, Baudelaire in ihrer Existenz ausgedrückt haben. Gewiß, in bestimmten Situationen können terroristische Aktivitäten mit der Überdehnung jeweils eines der kulturellen Momente zusammenhängen, also mit der Neigung, die Politik zu ästhetisieren, sie durch moralischen Rigorismus zu ersetzen oder unter den Dogmatismus einer Lehre zu beugen. Diese schwer greifbaren Zusammenhänge sollten aber nicht dazu verleiten, bereits die Intentionen der unnachgiebigen Aufklärung als Ausgeburten einer 'terroristischen Vernunft' zu diffamieren. Wer das Projekt der Moderne mit der Bewußtseinslage und den öffentlichspektakulären Handlungen individueller Terroristen zusammenbringt, verhält sich nicht weniger kurzschlüssig als einer, der den unvergleichlich stetigeren und umfangreicheren Terror, der im Dunkeln, in den Kellern der Militär- und Geheimpolizei, in Lagern und psychiatrischen Anstalten ausgeübt wird, zur raison d'être des modernen Staates (und seiner positivistisch ausgehöhlten legalen Herrschaft) erklären würde, nur weil dieser Terror sich der Mittel des staatlichen Zwangsapparates bedient." Allerdings geht die Postmoderne noch weiter als Foucault (der nur sehr eingeschränkt als postmodern bezeichnet werden kann), gegen den dieses Zitat sich offenbar richtet. Nicht individuelle Terroristen und ihre Aktionen, sondern die normativen Grundlagen der Aufklärung selbst werden für terroristisch erklärt - und dieser Terror findet sich dann auch in politischen Systemen wieder. 101 Ganz ähnlich schreibt Hermann Herlinghaus: „Ein Unterfangen der Dezentrierung, das sich in den Zentren artikuliert, in denen die Peripherie entdeckt wird, ist keinesfalls identisch mit einem solchen, das von den Peripherien der Moderne aus operiert" (Herlinghaus 111
4.2
Modernisierung und instrumenteile Vernunft: Die Konsequenzen der Moderne in Lateinamerika
Wie bereits angedeutet, lässt sich die kulturtheoretische Wende in Lateinamerika nur dann angemessen beurteilen, wenn auch die geschichtlichen und intellektuellen Parameter beleuchtet werden, welche diese Wende geprägt haben. Dafür interessiert zunächst der erste der drei dabei ausgemachten Stränge (entsprechend der Differenzierung in Kapitel 3.1): Dieser Strang hat seinen Ausgangspunkt in der Analyse der Geschichte des Subkontinents seit der Eroberung, v.a. der historischen Erfahrung einer von Europa und den Vereinigten Staaten ausgehenden Modernisierung in den letzten hundert Jahren, die sich in der Logik des Kapitals und der instrumentellen Vernunft gründet und zu einer ständigen Reproduktion von Abhängigkeiten, Elend, politischen Missständen, etc. führt. Aus dieser Erfahrung erwächst sowohl das Bedürfiiis, die lateinamerikanische Realität von Lateinamerika aus neu zu beschreiben, wie auch eine tiefe Ablehnung des Eurozentrismus. Diese Kritik führt zum Teil über eine Kritik an der instrumenteilen Vernunft bis zu einer Zurückweisung der Vernunft überhaupt als ein rein europäisches Konzept. In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick auf „Differenz" als grundlegendes (auch normatives) Konzept und auf die konkreten gesellschaftlichen und kulturellen Differenzen als konstitutives Merkmal komplexer und heterogener Gesellschaften. Mit dieser Verschiebung der Blickrichtung geht eine starke Skepsis gegenüber universalistischen Konzeptionen einher: Durch die Ablehnung eurozentrischer Denkweisen und (Entwicklungs-)Modelle, die mit universalistischem Anspruch auftreten, und den damit einhergehenden Verdacht, mit universalistischen Konzepten sei Differenz nicht mehr adäquat zu erfassen, werden kulturrelativistische Positionen genährt. Es lassen sich in der Hauptsache zwei modernekritische Interpretationsansätze hinsichtlich des europäischen und nordamerikanischen Einflusses auf die Gesellschaften und Kulturen Lateinamerikas erkennen. Der erste kritisiert die Moderne, weil sie uneinlösbare Versprechen von sozialem Fortschritt gegeben habe, aber nur als sozioökonomische Modernisierung erfahrbar gewesen sei. Der zweite kritisiert sie als ökonomisches, soziales und kulturelles Konstrukt, das durch seinen Eurozentrismus in Lateinamerika notwendigerweise Aporien habe erzeugen müssen. Innerhalb dieser beiden Interpretationsansätze muss jedoch nach den Ebenen der Analyse differenziert werden, da dies auch von entscheidender Bedeutung für die Bewertung der Ursachen der lateinamerikanischen Situation ist (vgl. dazu die Tabelle am Ende von Kapitel 4.2). Der erste Interpretationsansatz basiert auf der Vorstellung einer lateinamerikanischen Erfahrung einer „Modernisierung ohne Moderne", wobei die Ver1998b: 94). Diese Ähnlichkeit der Aussagen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus der Sicht von eher postmodern Denkenden wie Herlinghaus solche Passagen bei Habermas als dessen Versuch gesehen werden dürften, den unverändert eurozentrischen Charakter seiner Theorie abzumildern oder gar zu verschleiern.
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sprechen der Moderne, über technischen und sozialen Fortschritt ein Reich der Freiheit zu schaffen, von vorneherein illusorisch gewesen seien. Lateinamerika habe eine wirtschaftliche - kapitalistische - Modernisierung erfahren, ohne dass diese aber - wie in Europa - einhergegangen wäre mit der Herausbildung einer kulturellen Moderne, einer starken bürgerlichen (bzw. Zivil-) Gesellschaft, die wiederum für eine demokratische Kultur notwendig sei.102 Nach dieser Interpretation, deren exponiertester Vertreter wohl Norbert Lechner ist, stellt sich die Moderne in Lateinamerika als „halbierte Moderne" dar, als Ausdruck instrumenteller Vernunft im Zuge kapitalistischer Expansion (Kapitalakkumulation, technischer Fortschritt, soziale Mobilität, etc.). Die „Entzauberung der Welt", welche die Moderne charakterisiert, habe zu Widersprüchlichkeiten gefuhrt („die Entzauberung der Entzauberung"), da sie der religiös legitimierten Ordnung der Gesellschaft keine funktionalen Äquivalente habe folgen lassen können. Ihrer religiösen Einheit beraubt, sei die moderne Gesellschaft auf die Herausbildung nationaler Identitäten verwiesen gewesen, die sich aber in Lateinamerika als der untaugliche Versuch dargestellt habe, über die komplexe und heterogene Realität eine organische Einheit zu stülpen (Lechner 1988: 164). In diesem Zusammenhang sei aber wichtig, dass die Demokratie (als Legitimitätsprinzip) auf einer Identitätsvermutung beruhe, die sie selbst (als Organisationsprinzip) nicht produzieren könne (Lechner 1988: 159). Entsprechend wird aufgrund dieser Interpretation die kapitalistische Modernisierung kritisiert, die für die unlösbar scheinenden Probleme Lateinamerikas verantwortlich gemacht wird, nicht aber die Moderne als solche, auch wenn die Moderne in Lateinamerika in der Hauptsache als Modernisierung erfahrbar gewesen sei (Lechner 1988: 173). In diesem Licht sieht Lechner auch die Krise der normativen Gehalte der Moderne, die Entwertung der Begriffe von Fortschritt, Emanzipation, Revolution, etc. Die Moderne habe mehr versprochen, als sie habe halten können; es gelte nun, diese metaphysischen Begriffe zu dekonstruieren, die - vor allem in ihrer technikgläubigen Variante - hauptverantwortlich gewesen seien für die Vorherrschaft der instrumentellen Vernunft in der Moderne. Das „Reich der Freiheit" 102
Eine interessante Gegenposition nimmt Rosa Maria Alfaro Moreno ein, die davon spricht, in Lateinamerika seien „Symptome einer spezifischen Moderne ohne Modernisierung" zu erkennen. Sie bezieht das u.a. auf den Umstand, dass mit der starken Präsenz der elektronischen Massenmedien viele Menschen zwar nicht genug zu essen hätten, aber über ein Fernsehgerät verfugten und sich so als Weltbürger wahrnähmen, ohne jemals als Staatsbürger integriert worden zu sein (Alfaro Moreno 1994a: 88-89). Diese Einschätzung ist vor dem Hintergrund etwas weniger erstaunlich, dass Alfaro Moreno unter „Modernisierung" „die ökonomischen und sozialen Veränderungen, die durch den Industriekapitalismus befördert wurden, die ökonomische Transnationalisierung und die politische Demokratie" versteht, während „Moderne" als „das symbolisch-kulturelle Kapital, das [die Modernisierung] stützt, die neue Vorstellung von der Zeit, die Wertschätzung von und die Suche nach Fortschritt und Innovation, die Trennung in Öffentlichkeit und Privatheit [sowie] die Subjektivität" definiert wird (Alfaro Moreno 1994a: 87). Ob dies eine trennscharfe und sinnvolle Unterscheidung ist, soll hier dahingestellt bleiben.
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gelte es anzuerkennen als genauso wünschbar wie unerreichbar - und insofern könne die Krise der „großen Projekte" der Moderae zu einer neuen, realistischeren Politik fuhren, innerhalb einer entzauberten Moderne. Eine Gegenposition zu Lechner in Bezug auf die Stellung der Moderne als Projekt nimmt Enrique Dussel ein, der mit der Forderung nach der Anerkennung des , ä n d e r e n " in Lateinamerika ein „Zukunftsprojekt" namens „Transmoderne" verbindet (Dussel 1993: 9) und damit an den emanzipatorischen Gehalten der Moderne gegen die Modernisierung festhalten will. Dussel stellt anhand einer Analyse der historischen Ereignisse im Zusammenhang mit der Eroberung des amerikanischen Kontinents die These auf, es handele sich dabei um die Geburtsstunde der Moderne - Europa sehe sich fortan als das „Zentrum des Allgemeinen Menschlichen Ereignisses (sie)" und könne seinen partikularen Horizont zum universalen erklären. Auf diese Weise werde zwar ein vormals nicht bekannter Kontinent ew/deckt, seine Bewohner aber in ihrer Eigenschaft als Andere verdeckt, da sie zum Objekt der westlichen Kultur gemacht würden: Der 'Verdeckte' ist 'entdeckt' worden: ego cogito cogitatum, europäisiert, aber als Anderer 'verdeckt'. Der Andere ist konstituiert als Dasselbe. Das moderne ego entsteht in dieser Selbstbegründung gegenüber den anderen beherrschten Regionen (Dussel 1993: 42-43).
Dussel will durch die Anerkennung des Anderen als Anderer den „Mythos" der Moderne überwinden, der in der Behauptung der eigenen Überlegenheit bestehe, welche die Gewaltanwendung gegenüber „minder entwickelten" Gesellschaften zu deren eigenem Besten rechtfertige. Dies nennt er den „entwicklungsideologischen Fehlschluss" (vgl. zu diesem Punkt auch Hernández 1987: 56-57). 103 In der Kant'sehen Vorstellung der selbstverschuldeten Unmündigkeit liege dieser Mythos begründet, indem man „den Unschuldigen (den Anderen) opfert und ihn zur schuldhaften Ursache seiner eigenen Opferung erklärt, während sich das moderne Subjekt bezüglich seines mörderischen Aktes eine Unschuld zueignet" (Dussel 1993: 76). Dieser Mythos verberge nun die ,nationale emanzipatorische 'Bedeutung' [der Moderne], die wir bejahen und respektieren" (Dussel 1993: 9), und die in nicht-eurozentrischer, nicht-entwicklungsideologischer Form gedacht durchaus veränderndes Potenzial beinhalte. Er geht so weit, dieses Konzept einer „Transmoderne" als „weltweiten Befreiungsentwurf' zu bezeichnen. Die Modernisierung als hegemoniale Form der Moderne, basierend auf dem „entwicklungsideologischen Fehlschluss", müsse mit einer nicht-eurozentrischen aufklärenden 103
Die Kritik an der Position, der zivilisatorische Vorsprung einer Gesellschaft rechtfertige die Unterwerfung einer „minder entwickelten" ist fast so alt wie diese Position selbst. Bereits 1564 spricht Vázquez de Menchaca allen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zu, unabhängig davon, auf welcher „zivilisatorischen Stufe" sie stehen. Alle Menschen seien frei geboren; aus zivilisatorischen Gründen geführte Kriege seien in Wirklichkeit Raubzüge (Fisch 1984: 243-244). Zur Debatte um Status der indigenen Völker und ihrer Gemeinschaften im 16. Jahrhundert vgl. Kapitel 4.1.1.
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Vernunft in Richtung auf eine „befreiende Vernunft" überwunden werden (Dussel 1993: 194-195). In einem weiteren Sinne ist zu diesem Interpretationsansatz einer halbierten Moderne auch jene Vorstellung zu rechnen, nach der das grundlegende Problem Lateinamerikas das Fehlen einer ähnlichen historischen Erfahrung wie der Europas sei: Die Herausbildung von Nationalstaaten, die Industrialisierung und die daraus erfolgende Entstehung sowohl einer starken liberalen Bourgeoisie als auch eines Proletariats als Träger gesellschaftlich emanzipatorischer Ideen, die in ihrem spezifischen Verhältnis zusammen konstitutiv für die Konstruktion wohlfahrtsstaatlicher Strukturen waren - eine solche Entwicklung hat es in Lateinamerika nicht gegeben. 104 Diese Vorstellung führt aber fast zwangsläufig dazu, die einzige Entwicklungsmöglichkeit für Lateinamerika darin zu sehen, konsequent dem Beispiel Europas oder Nordamerikas zu folgen. Sofern dies überhaupt ein wünschenswerter Weg sein kann, bleibt seine Gangbarkeit allerdings höchst fraglich. 105 Der zweite Interpretationsansatz sieht die Modernisierung als notwendigen und unumgänglichen Teil der Moderne, sowohl im sozioökonomischen wie im kulturellen Bereich. Von diesem Standpunkt aus wird die Globalisierung der Kulturindustrie, von der Lateinamerika in starkem Maße betroffen ist, als genuiner Ausdruck der kulturellen Moderne gesehen (im Unterschied zu Habermas, der ja die normativen bzw. emanzipatorischen Gehalte der Moderne als „kulturelle Moderne" bezeichnet), genauso wie das Elend und die „Rückständigkeit" der Ökonomien in bestimmten Bereichen als Ausdruck des peripheren Kapitalismus betrachtet werden. 106 Brunner setzt teilweise sogar die Moderne mit jener revolutionären Bewegung des Bürgertums gleich, die - wie bereits zitiert - im Kommunistischen Manifest beschrieben wird. Dies ermöglicht ihm, die Heterogenität und Widersprüchlichkeit der kulturellen Produktion des globalisierten Kapitalismus als Aporie der Moderne selbst hinzustellen, da die kulturelle Mo104 Nach J.J. Brunner lässt sich Octavio Paz dieser - etwas aus der Mode gekommenen - Richtung zurechnen: „Octavio Paz ist ein Meister dieser Strömung, die die Kultur anhand ihrer Unterlassungen analysiert. Zum Beispiel wenn er schreibt: 'Der große Unterschied zwischen Frankreich und England auf der einen Seite und Spanien und Hispanoamerika auf der anderen besteht darin, dass wir kein 17. Jahrhundert hatten. Wir hatten keinen Kant, keinen Voltaire, keinen Diderot, keinen Hume'" (Brunner 1994: 52). Brunner zitiert Paz aus dessen Werk El ogro filantröpico. 105 In der vor allem ökonomisch geprägten Entwicklungstheorie in Deutschland war dies ja seit den späten 1970er Jahren für einige Zeit ein populärer Ansatz, der am prominentesten wohl von Ulrich Menzel und Dieter Senghaas vertreten wurde. Aufgrund von Fallstudien in Bezug auf die nachholende Entwicklung einiger europäischer Länder (Schweiz, Schweden, Dänemark) wurde versucht, Entwicklungsmodelle auch für die so genannte Dritte Welt zu entwerfen (vgl. Senghaas 1982 [mit dem programmatischen Titel Von Europa lernen] sowie Menzel 1988). 106 Diese Richtung wird u.a. von Renato Ortiz (1994) und Nelly Richard (1994) vertreten. Zur dekonstruktivistischen Analyse Nelly Richards vgl. die Ausführungen im Kapitel 6.2.2.
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derne nichts anderes sei als die Summe der Produkte der kapitalistischen Kulturindustrie (Brunner 1988: 189-194). Dies hat zur Konsequenz, dass sowohl die Modernisierung wie auch die entsprechende kulturelle Moderne (als globalisierte Kulturindustrie) zurückgewiesen werden und überwunden werden müssten durch ein Konzept, das sich nicht mehr auf die Vernunft gründe, da diese als europäisches Konzept zumindest im lateinamerikanischen Kontext notwendigerweise Aponen erzeuge. 107 Aufgabe dabei sei es, die Differenz(en) zu denken, also nicht zu versuchen, die unterschiedlichen Realitäten Lateinamerikas mit europäischen Kategorien zu erklären, sondern die besondere Situation Lateinamerikas, seiner Regionen, seiner Kulturen aus diesen selbst heraus zu denken, zu erzählen, zu erklären, eigene Kategorien zu entwickeln, eigene Denkweisen und Lesarten. Kultur wird dabei verstanden als der lebendige Ausdruck der Lebensentwürfe unterschiedlicher Männer und Frauen in ihren besonderen Situationen, als eine Sprache jenseits dessen, was sich rational verstehen lässt. Von diesem Standpunkt aus muss deswegen jeder Versuch als autoritär und sogar totalitär betrachtet werden, diese kulturellen Formen, Ausdrücke, Spiele zu bewerten und zu beurteilen oder gar zu verurteilen - genau dieses sei aber notwendigerweise der Fall, wenn der Betrachtung dieser Kulturen ein Konzept von Vernunft, Verstand, von Entwicklung und von Fortschritt unterliegt (vgl. Hoyos Vásquez 1993b: 168; 1992: 13). In etwas anderer Form beschreibt Jesús Martín-Barbero die Verquickung von Moderne und Modernisierung, indem er ein weniger idyllisches Bild der kulturellen Heterogenität in Lateinamerika zeichnet: Die kapitalistische Modernisierung habe die grundlegenden kulturellen Differenzen (die „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen", nach einem Buchtitel des in Berlin lehrenden kolumbianischen Literaturwissenschaftlers und Autors Carlos Rincón [Rincón 1995]) in Lateinamerika als unvereinbar mit dem von instrumenteller Vernunft geprägten Entwicklungsprojekt erklärt. Damit aber habe die aufgeklärte Vernunft zumindest für Lateinamerika ihren emanzipatorischen Charakter verloren und sich als Instrument der Herrschaft und Unterwerfung präsentiert. Das emanzipatorische „Projekt der Moderne" lasse sich nicht, wie Habermas meine, so einfach und sauber von der kapitalistischen Modernisierung (und damit von der instrumentellen Vernunft) trennen. 108 Das bedeute im Um-
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So stützt sich beispielsweise die Analyse von Giraldo/Löpez (1991) ganz wesentlich auf Daniel Beils The Cultural Contradictions in Capitalism. Sie gehen dementsprechend davon aus, dass die Moderne sowohl in den Zentren als auch in der Peripherie für „Fort- und Rückschritt, für wirtschaftliche Entwicklung und psychisches Elend, äußeres Wachstum und innere Desintegration, soziale Gewalt und wirtschaftliches Wachstum, etc." gleichermaßen verantwortlich sei (Giraldo/Löpez 1991: 252-255, 262-263). Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. auch Martin-Barbero (1998b: 32-33). Aber der Verweis auf Bell zeigt auch, dass es nicht unbedingt nur im lateinamerikanischen Kontext Interpreten gibt, die (den normativen Gehalten) der Moderne aporetische Wirkungen zuschreiben. 108 So einfach macht es sich Habermas ja auch nicht; die Dialektik von Moderne und Modernisierung ist ihm wohl bewusst. Als Verweis sei an dieser Stelle nur seine Auseinanderset-
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kehrschluss aber auch paradoxerweise, dass die Krise der Moderne für Lateinamerika befreiendes Potenzial beinhalte (Martín-Barbero 1998b: 27).109 Zu dieser Lesart gehören auch Interpretationen, die für Lateinamerika eine andere, eine periphere Moderne konstatieren (z.B. Jaramillo Jiménez 1995). Diese zeichne sich dadurch aus, dass die historische Entwicklung in Lateinamerika eben keine Moderne im Sinne Europas habe entstehen lassen: Unter den Bedingungen der Peripherie sei sie sehr viel stärker durch eine Kolonisierung der ursprünglichen Lebenswelten durch die ihnen völlig fremden systemischen Imperative der okzidentalen Moderne geprägt gewesen. Deswegen sei diese periphere Moderne auch nur in ihrer Hybridität zu verstehen - die Elemente der tradierten Kulturen, die sich in Lateinamerika auch heute noch finden lassen, seien nicht Überbleibsel einer sich der Moderne entgegenstellenden Traditionalität, die es zu überwinden gelte, sondern bildeten Teil einer spezifisch lateinamerikanischen, eben hybriden Moderne. Die Kolonisation, die Plünderung, der Imperialismus, die wirtschaftlichen, politischen und religiösen Beziehungen, unsere Sprache, ein guter Teil unserer Gebräuche, unserer Art und Weise zu denken und zu sein, sind durchdrungen von dem, was wir Moderne nennen, aber diese Penetration ist das Ergebnis eines konflikthaften Dramas gewesen, in dem wir auf besondere Weise unsere 'eigene' Moderne konstituiert haben (Giraldo/ López 1991: 260; Hervorh. i. O.; vgl. auch Jaramillo Jiménez 1995: 18-20).
Dazu gehört auch die Feststellung, dass ,»rationale Normen", deren Durchsetzung ein Kernstück der Modernisierung darstellt, nicht außerhalb eines bestimmten Kontextes denkbar seien. Das bedeute zum einen, dass die Form der Rationalisierung, die nach dem Vorbild und nach dem Wissensstand Westeuropas und Nordamerikas in Lateinamerika durchzusetzen versucht wurde, außerhalb ihres Ursprungskontextes nicht mehr dasselbe sein könnte und notwendigerweise eher destruktiv als konstruktiv für die Herausbildung funktionierender Vergesellschaftungsmodi hatte sein müssen. Es bedeutet aber auch, dass die Aneignung dieser Normen vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher kultureller Selbstverständnisse die Normen selbst verändern müsste, dass sowohl die von außen an diese Kulturen herangetragenen Normen als auch die kulturellen zung mit Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung angeführt (Habermas 1988a: 130-157). 109 Die radikaleren der Kritiken an der (europäischen bzw. eurozentrischen) Moderne atmen deutlich den Geist Frantz Fanons. Nur am Rande sei hier bemerkt, dass sich diese Kritik damit im weiteren Sinne in einen Kontext stellt, der für die Perspektive dieser Arbeit entscheidend ist: die Frage nach Anerkennung und nach der Chance auf Etablierung von Anerkennungsverhältnissen. Ein guter Teil der hier angeführten Modernekritik lässt sich als Kampf um Anerkennung lesen. Der Rekurs auf Hegel, der Fanon noch zu einer Apologie der Gewalt brachte, hat zwar in der Postmoderne keinen expliziten Ort mehr, bleibt aber gewissermaßen als Subtext präsent. Zur Problematik um die verweigerte Anerkennung in Bezug auf die „Dritte Welt" und Fanons auf Hegel gestützte Revolutionstheorie vgl. Münkler (1981: 446-455).
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Selbstverständnisse selbst in einen dialektischen Prozess wechselseitiger Veränderung treten müssten. Vor allem in Bezug auf den Markt der symbolischen Güter und die Kulturindustrie ließe sich das sehr genau zeigen (vgl. Kapitel 3.1). Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Folgerung, es könne so etwas wie eine einheitlich rationalisierte Kultur nicht geben (vgl. Brunner 1987: 32). Dies bedeute allerdings nicht, dass die Moderne in Lateinamerika - ihres Charakters instrumenteller Vernunft durch die lokale Rezeption beraubt - zu einem idyllischen Ganzen innerhalb der kulturellen Heterogenität geführt habe; ganz im Gegenteil sei die dekontextualisierte Moderne in Lateinamerika ursächlich für gesellschaftliche und kulturelle Aponen: Nicolás Casullo charakterisiert die Moderne in Lateinamerika im Sinne einer „brutalen Härte", welche die „Form der Collage, der Montage, der Hybridität und des einfachen Stils" angenommen habe und mit einem „extremen Utopismus und dem sublimierten Wunsch, modern zu sein" einhergegangen sei. Dies habe aber angesichts des Auseinanderfallens von Theorien und Realität nur zu einem langen Leidensweg geführt. Das unterscheide die lateinamerikanische Moderne von der in Westeuropa, wo sie „mit sich selbst im Reinen" gewesen sei und deshalb die „Mutter von versöhnlichen, tröstlichen Diskursen" habe sein können (Casullo 1990: 103). In Europa werde die Moderne mit dem Projekt der Emanzipation und des Fortschritts assoziiert - der bürgerliche Traum des 19. Jahrhunderts. Dementsprechend werde in Europa die Verlagerung ihres Motors in die USA und die dortige Abkopplung von ihren emanzipatorischen Inhalten, ihre Reduktion auf die schwindelerregenden Neuerungen der Kulturindustrie und der neuen Technologien als Erschöpfung der (utopischen) Moderne beklagt - Europa beklage, nun tatsächlich zur alten Welt zu gehören (Brunner 1988: 190-192). 110 In Lateinamerika speise sich das Unbehagen an der Moderne dagegen aus Verzweiflung und Verbitterung an ihr, an ihren „unendlich ambivalenten Konsequenzen": Verdammt, in einer Welt zu leben, in der alle Bilder der Moderne - und des Modernismus - von außen kommen und schon obsolet sind, bevor wir sie hier verwirklichen könnten, sind wir gefangen in einer Welt, in der alle Symbole sich in Luft auflösen. 111 Lateinamerika: Projekt der Echos und Fragmente, der Utopien und Vergangenheiten, dessen Gegenwart wir nur noch als eine kontinuierliche Krise erleben. Dieses Gefühl der permanenten Krise [...] verdeckt kaum den Umstand, dass wir inmitten einer sich im Aufbau befindlichen Moderne leben und denken, deren Dynamik tagtäglich die Heterogenität unseres Erlebens, unseres Wissens, unserer Informationen steigert (Brunner 1987: 39).
U0 U1
Brunner beruft sich hier auf die Schriften Jean Baudrillards. Der Ausdruck se evapora en el aire bzw. se desvanece en el aire ([etwas] verfliegt, verdunstet, verdampft, löst sich in Luft auf) ist eine unter lateinamerikanischen Autoren sehr populär gewordene Metapher, im Anschluss an eine Veröffentlichung von Marshall Berman {All that is solid melts into air, New York 1982), die in Lateinamerika auf große Resonanz gestoßen ist. Sie bezieht sich auf die englische und die spanische Übersetzung des Kommunistischen Manifestes, wo es heißt: „Alles Ständische und Stehende verdampft [...]" (MEW 4: 465).
118
Die beiden dargestellten Grundströmungen der lateinamerikanischen Modernekritik verbindet in der Perspektive dieser Arbeit das Element der Konstatierung der Verweigerung von Anerkennung. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob beklagt wird, dass eine versprochene Anerkennung nicht gewährt wird, oder ob umgekehrt die Möglichkeit der Anerkennung innerhalb des modernen Denkens überhaupt bestritten wird. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist für die Frage nach der demokratietheoretischen und auch der politisch-praktischen Relevanz des Kulturellen allerdings entscheidend, welche Konsequenzen aus der Kritik an der Moderne jeweils gezogen werden. Dazu ist es zunächst nötig, noch einmal auf den Begriff der Postmoderne hinsichtlich seiner Rezeption in Lateinamerika einzugehen - denn die Kritik an der Moderne geht nicht zwangsläufig mit der Hinwendung zu postmodernen Positionen einher. Vor allem in Bezug auf die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit der Pluralität lassen sich erheblich Unterschiede feststellen. Zusammenfassend lassen sich die vorgestellten Ansätze zur Kritik der Moderne bzw. der Modernisierung in folgender Übersicht darstellen: Übersicht Modernekritik in Lateinamerika Objekt der Kritik
Vertreter
Ebene der Kritik
Modernisierung
Lechner
Normativer Anspruch
Halbierte Moderne; Modernisierung ohne Moderae
Uneinlösbare Emanzipationsversprechen
Paz
Geschichtliche Entwicklung
Unterentwicklung (politisch, ökonomisch, kulturell)
Fehlen der historischen Erfahrung Europas
Dussel
Weltgesellschaftlicher Status
Unverschuldete Unmündigkeit
„Opfermythos" der Moderne; entwicklungsideolog. Fehlschluss
Brunner, Casullo, MartinBarbero
Kultur
Kulturelle Heterogenität, Fehlen „kultureller Identität"
Globalisierung der Kulturindustrie v.a. von den USA aus
Brunner
Rationale Normen
Destruktivität in Bezug auf Vergesellschaftung
Wechselseitige Veränderung von Normen und Selbstverständnissen
Richard" 2
Kulturelle Produktion
Status der Kopie in Bezug auf Originalität der Zentren
Zentrum-PeripherieSchema
Kulturelle Moderne
Kritisierte Symptome Diagnostizierte Ursachen in Lateinamerika
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
112 Dieses Konzept findet später (Kapitel 6.2.2) Berücksichtigung. Es wird hier erwähnt, weil es im weiteren Sinne zu den modernekritischen Ansätzen gehört. Dennoch nimmt es eine gewisse Sonderstellung ein, da es sich weniger um eine Analyse sozialer und/oder ökonomischer Verhältnisse handelt als vielmehr um eine Kritik des Denkens selbst und seiner Repräsentationen. Aus diesem Grund wird es uns aber an späterer Stelle noch beschäftigen.
119
4.3
Postmoderne in der lateinamerikanischen Rezeption
Genauso wenig wie in Europa gibt es auch in Lateinamerika selbstverständlich nicht ein postmodernes Denken. Hier ist wiederum auf die oben getroffene Unterscheidung von postmodernen Phänomenen, postmodernen Theorien und Theorien der Postmoderne zu verweisen. Viele der Autoren konstatieren den Anbruch der Postmoderne oder zumindest die Existenz postmoderner Phänomene, sei es im kulturellen, sozialen, politischen Bereich oder in den Wissenschaften selbst. Vergleichsweise wenige sehen aber ihre eigene wissenschaftliche Arbeit als postmoderne Produktion - eher als Produktion unter den Bedingungen der Postmoderne. Postmoderne wird v.a. mit Begriffen wie „Unsicherheit", „Krise", „Wandel", „Umbruch" und „Enttäuschung/Desillusionierung"113 in Verbindung gebracht und teilweise gleichgesetzt, worauf sowohl die Wissenschaften wie auch die gesellschaftliche, politische und ästhetische Praxis zu reagieren hätten. Auf diese Weise wird Postmoderne häufig als - positiv oder negativ verstandene - Herausforderung wahrgenommen („Niemand kann sich die Wechselfalle seiner Zeit aussuchen" [Lanz 1993: 9]), weniger als eine intellektuelle Bewegung gegen die Moderne. Bei Autoren, die nach wie vor an der Notwendigkeit oder zumindest Wünschbarkeit gesellschaftlicher Veränderung oder sogar an marxistischen Vorstellungen festhalten, wird die Postmoderne eher als Infragestellung der eigenen Positionen erfahren und als Notwendigkeit, auf die veränderten politischen und sozialen Bedingungen mit veränderten Konzepten gesellschaftlichen Wandels antworten zu müssen.114 Es gibt allerdings durchaus auch Beispiele, in denen gesellschaftskritische Autoren postmoderne Phänomene für sich als positiven Wandel begreifen, der durch die Hervorbringung neuer Formen der politischen Partizipation eine Vertiefung der Demokratie bewirke, der nicht unbedingt eine neue linke Theorie zur Seite gestellt werden müsste. In jedem Fall sind Arbeiten weniger häufig anzutreffen, die explizit eine postmoderne Position einnehmen und die Postmoderne als eine überfällige theoretische Infragestellung der Moderne ansehen. Zu Letzteren gehören beispielsweise Jaime Eduardo Ja113
Der wohl meistgebrauchte Begriff bei lateinamerikanischen Autoren in diesem Zusammenhang ist desencanto. Dieser Begriff ist vielschichtig, da er sowohl „Enttäuschung" und „Desillusionierung" bedeutet, als auch auf die „Entzauberung" im Weber'sehen Sinne (desencantamiento) verweist. So spricht Lechner in Bezug auf die Kritik der Moderne von der „Entzauberung der Entzauberung" (Lechner 1988: 155). 114 Vgl. z.B. den Versuch Xiomara Martínez Oliveros', im Rahmen des PostfordismusKonzeptes Elemente marxistischer Gesellschaftsanalyse und -kritik unter den Bedingungen der Postmodeme zu rekonstruieren (Martínez Oliveros 1993). Ähnliche Versuche finden nicht nur in Lateinamerika statt: Der wohl bekannteste Vertreter einer marxistisch inspirierten postmodernen Theorie ist der US-Amerikaner Fredric Jameson. Eher in der Tradition der Kritischen Theorie ist der Versuch Rigoberto Lanz' zu verorten, nach dem Ende der alten Paradigmen (vor allem einer ontologischen Bestimmung eines revolutionären Subjektes) eine Theorie gesellschaftlicher Veränderung auf der Grundlage einer Analyse der postmodernen Produktionsverhältnisse zu erarbeiten (Lanz 1990: 11-13; vgl. auch Lanz 1993).
120
ramillo Jiménez und Guillermo Hoyos Vásquez, mit Einschränkungen auch Norbert Lechner und José Joaquín Brunner. Autoren wie die kolumbianischen Philosophen Guillermo Hoyos Vásquez und Jaime Eduardo Jaramillo Jiménez vertreten die Ansicht, entsprechend der Vorstellung einer lateinamerikanischen Moderne müsse auch die postmoderne Kritik an ihr notwendig originär lateinamerikanisch sein. Sie sind sich der normativen Implikationen der Ablehnung universaler Prinzipien durchaus bewusst und lehnen einen „extremen Relativismus [ab], der auch zu Gleichgültigkeit und Inaktivität führen kann" (Jaramillo Jiménez 1995: 23; vgl. Hoyos Vásquez 1992; 1993b). Jaramillo Jiménez sieht die lateinamerikanische Postmoderne vor allem als Kritik an den Aporien der Moderne, wie sie sich gerade in Lateinamerika gezeigt hätten, stellt sie aber durchaus - auch in Bezug auf die Theoriedebatte in einen internationalen Kontext, der vom Austausch mit den Ideen aus den industrialisierten Zentren lebt (Jaramillo Jiménez 1995: 33-36). 115 Lateinamerikanische Postmoderne wird dabei als eine normative Kritik an der verabsolutierten instrumentellen Vernunft gesehen, wobei der große Vorteil Lateinamerikas gegenüber Europa oder den Vereinigten Staaten darin bestehe, dass in Lateinamerika die Kolonisierung der Lebenswelten noch kein abgeschlossener, unumkehrbarer Prozess sei (Jaramillo Jiménez 1995: 45-46). Die große Herausforderung für Lateinamerika besteht also darin, die Entwicklung der kognitiv-instrumentellen Rationalität dort zu gestatten, wo diese unumgänglich ist, ohne dabei andere Rationalitäten zu ersticken, die dazu neigen, durch diese Art monologischer Vernunft penetriert und unterworfen zu werden, welche von einigen als unabwendbar und wünschenswert akzeptiert wird (Jaramillo Jiménez 1995: 54).
Dabei ist interessant, dass nach Auffassung Jaramillo Jiménez' gerade für die Wirtschaft die systemische Rationalität unangetastet bleiben muss, was für die Kultur, die dementsprechend in seiner Konzeption vom Kapitalismus unberührt zu bleiben scheint, keine negativen Konsequenzen habe, da die „Evidenz der Moderne zeigt, dass der Kapitalismus als zunehmend expansives und hegemoniales ökonomisches System mit verschiedenen kulturellen Matrizen kompatibel ist" (Jaramillo Jiménez 1995: 44). Deswegen müsse auch das Starkmachen der zitierten „anderen Rationalitäten" erfolgen, „ohne vom Ziel des Wirtschaftswachstums abzugehen, das die Überwindung der Probleme der Unterernährung und des Fehlens elementarer Dienstleistungen für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutet [...]" (Jaramillo Jiménez 1995: 45). Dagegen gehen beispielsweise Giraldo/López (1991: 272) davon aus, dass die kapitalistische Modernisierung auch eine bestimmte Kultur mit sich bringe, die notwendigerweise mit den tradierten Kulturen in Konflikt gerate und diese nicht akzeptieren, sondern nur be115
Dies gelte umgekehrt aber auch: Erst die Beschäftigung mit der Peripherie, mit anderen Rationalitäten, habe den Denkern in den Zentren überhaupt den Blick für das Andere geschärft und zur theoretischen Kritik an den okzidentalen Metaerzählungen gefuhrt (Jaramillo Jiménez 1995: 34).
121
kämpfen könne. Trotzdem gehen auch sie davon aus, dass es zur Marktwirtschaft keine Alternative gebe, dass diese aber in einen Kontext von menschlichen Werten nicht ökonomischer Art eingebettet sein müsse. Die neue Kritik [am Kapitalismus, B.S.] fordert deshalb keine radikalen Revolutionen in der sozialen Struktur, sondern Ausarbeitungen und Änderungen seiner symbolischen Komponente, welche die Grundlage für die Konstruktion neuer gesellschaftlicher Bindungen bilden (Giraldo/López 1991: 302-303).
Eine etwas andere Richtung vertritt Sergio Zermefio, der zwar auch die Postmoderne als Kritik an den gescheiterten Emanzipationsvorstellungen der Moderne sieht, aber gerade aus diesem Grund jegliche Hoffnung auf eine grundsätzliche Verbesserung der Situation als illusorisch zurückweist: Die postmoderne Kritik ist berechtigt, kann oder will aber keine Alternative zu modernen Emanzipationsvorstellungen anbieten; als Konsequenz kommt nur ein Verzicht auf die Veränderung der Gesellschaft in Frage. Für ihn hat die Postmoderne in Lateinamerika dennoch positive Wirkungen im Kleinen, da beispielsweise soziale Basisbewegungen durch die Abkehr von ideologischen Positionen größere Praxisnähe und Flexibilität und weniger Konflikte mit staatlichen Autoritäten erreichten (Zermeño 1988: 64-65). Im Gegensatz zu den kapitalistischen Metropolen führe die kulturelle Postmoderne in Lateinamerika damit nicht zu entgrenztem Individualismus, sondern durch mangelnde ökonomische Ressourcen der Individuen zu notwendigerweise kollektiven Aktionen. Damit könne jedoch keine Perspektive eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels mehr verbunden sein, zumal diese Basisbewegungen durch ihre Entideologisierung in sich heterogener und teilweise inhaltlich widersprüchlich geworden seien. Während die Moderne in den industrialisierten Ländern eine tendenzielle Gleichheit ermöglicht habe, die heute wiederum den postmodernen Individualismus ermögliche, habe die Moderne in Lateinamerika ausschließlich zu wachsender Ungleichheit geführt, sodass hier die Postmoderne zum einen den Abschied von jeglicher Hoffnung auf eine wachsende Gleichheit bedeute, 116 zum anderen aber in der Perspektive der Mikroerzählungen (der Basisbewegungen) Legitimität erhalte - gegen die Moderne (Zermeño 1988: 68-69). In eine ähnliche Richtung zielt die Analyse Jesús Martín-Barberos, der v.a. die Neuen Sozialen Bewegungen im Urbanen Raum betrachtet. Er meint, in der Stadt eine weit gehende Schwächung von sozialen Bindungskräften beobachten zu können. Dies führe in der Regel zu einer Erosion von kollektiven und individuellen Identitäten - es könne teilweise aber auch gegenteilige Effekte haben: Die neuen Sozialen Bewegungen ließen sich auch als eine produktive Reaktion auf die Auflösung überkommener sozialer Bindungen lesen. Damit ist auch eine
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Selbst bei ständig wachsendem Bruttosozialprodukt, erfolgreichem Kampf gegen die Inflation, stetiger Industrialisierung - so seine pessimistische Prognose - wird sich die Schere der Ungleichheit in Lateinamerika weiter öffnen (Zermefio 1988: 70).
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Grundlage für ein neues Demokratie- und Politikverständnis gelegt (diese Aspekte werden später ausführlicher behandelt). Die Konstatierung der Entwertung des Sozialen ist aber eben nicht als neokonservative Klage über den Werteverfall durch einen schrankenlosen Hedonismus (wie bei Giraldo/Löpez 1991; vgl. Fußnote 107) gemeint. Im Zusammenhang mit dem tatsächlichen oder vermeintlichen „Ende der Utopien" würden auch die traditionellen Politikformen delegitimiert - und in eben diese Legitimitätslücke könnten nun die Neuen Sozialen Bewegungen vordringen. Auf diese Weise könnte die Krise des Sozialen auch erneuernde gesellschaftliche Kräfte freisetzen und zu einer Wiederentdeckung und Wiederaneignung der kulturellen Dimensionen von Politik führen und das Politische als Produktionsstätte von sozialem Sinn (neu) etablieren. Nicht zuletzt sind die in diesen Prozessen zum Ausdruck kommenden Anerkennungskämpfe auch geeignet, die tief greifenden Differenzen und Heterogenitäten von Weltsichten, Lebensentwürfen und den daraus resultierenden Interessen nicht in Fragmentierung sondern im Gegenteil in eine Vertiefung von Demokratie und des Rechtes auf Selbstbestimmung münden zu lassen (Martin-Barbero 1991: 428-431; 1992: 58-59; 1994b: 90, 98-102; 1995: 170-171). Dabei ist allerdings anzumerken, dass es Martin-Barbero - im Sinne der oben getroffenen Unterscheidung - nicht um die Produktion postmoderner Theorie geht, sondern um die Beschreibung postmoderner Phänomene (vgl. Follari 2000: 84-93). Für ihn bedeutet das Nebeneinander von - destruktiver - ökonomischer Ungleichheit und - konstruktiver - kultureller Differenz, die sich gleichursprünglich aus der kapitalistischen Produktionsweise ergeben (vgl. Kapitel 3.1), ein vorerst nicht lösbares theoretisches Problem. 117 Dennoch werde diese Art der Beschreibung den kulturellen Prozessen - und auch ihren Protagonisten - besser gerecht, sodass man weder auf die Kritik der ökonomischen Verhältnisse und auf einen Begriff von Emanzipation, noch auf die Analyse der konstruktiven Potenziale kultureller Differenz verzichten könne - auch wenn sich dabei auf theoretischer Ebene Schwierigkeiten ergäben. Auf diese Zusammenhänge wird noch ausführlicher einzugehen sein. Solche Schwierigkeiten werden bei explizit postmodernen Ansätzen in der Regel nicht gesehen. Gladys Villaroel beispielsweise beschreibt zwar ganz ähnliche Phänomene wie Martin-Barbero, verknüpft dies aber mit einer postmodernen Demokratietheorie, die in der Hauptsache auf einen starken AntiInstitutionalismus hinausläuft. Da nach ihrer Interpretation eines der Charakteristika der Moderne die Ausbildung von (National-)Staaten und die Übertragung aller Hoffnungen in Bezug auf Fortschritt, Freiheit, Gleichheit, etc. auf den Staat gewesen sei, liegt die Konsequenz nahe, in der anarchischen, nicht vermachteten
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Diese Lesart, die durch seine Veröffentlichungen nicht explizit gedeckt ist, konnte Jesús Martín-Barbero in Gesprächen mit dem Verfasser am 30.10. und 1.11.1996 bestätigen. Diese Gespräche sind teilweise dokumentiert in Martin-Barbero/Herlinghaus 2000: 57-59 und 136-137.
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Vielfalt sozialer, politischer Ausdrucksformen eine nachmoderne Form der Demokratie zu sehen: In der Konsequenz hört die Macht auf, ein Objekt von Aneignung zu sein [...]. Mit anderen Worten, es geht um die Verstreuung ['diseminación'] der Macht über Prozeduren, die keine zentralisierte Konzentration der Macht zur Verfugung dieser oder jener Gruppen erlaubt. [...] Das Politische konstituiert sich im Miteinander von Ideen und Repräsentationen, Dispositiven und Prozeduren, Praktiken und Techniken, mittels derer eine Regierung der Gesellschaft im Rahmen eines effektiven und zunehmend demokratischen Regimes möglich ist (Villaroel 1990: 38).
Weniger an Foucault orientiert sind dagegen theoretische Ansätze, die auf der einen Seite die Überwindung „moderner" Prämissen und Begriffe der Wissenschaft konstatieren („Realität", „Subjekt-Objekt", „Evolution", „Fortschritt", ,Historizität", etc.), auf der anderen Seite aber doch auf erstaunlich holistisch anmutenden Erklärungsmodellen von Gesellschaft bestehen. Dabei soll auf jene Begriffe nicht vollständig verzichtet werden, sie sollen unter den Bedingungen der Postmoderne neu gedacht und in eine erneuerte linke Theorie überfuhrt werden, auch hier vor allem in eine postmoderne Theorie der Demokratie (Montes 1993: 150-151; 154-155; vgl. auch Martínez Oliveros 1993). Die repräsentative Demokratie wird als eine bedeutende Form von Demokratie gewertet, nicht als ihre Vollendung. Erst der rekonzeptualisierte Gedanke einer partizipativen Demokratie ermögliche es der Linken, als eine jener sozialen Kräfte am ergebnisoffenen Spiel der Geschichte teilzunehmen, welche „die Vorschläge für den gesellschaftlichen Wandel nicht beiseite legen wollen und weiterhin an Gleichheit und Gerechtigkeit als Grenzformen des Möglichen glauben" (Montes 1993: 155). Solche Positionen berühren in normativer wie auch konzeptioneller Hinsicht einen Grenzbereich zwischen Moderne und Postmoderne. Dies wird - vor allem vor dem Hintergrund der Frage nach dem Politischen des Kulturellen in der lateinamerikanischen Rezeption - noch genauer zu beleuchten sein.
4.4
Postmoderne und Demokratie
Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Positionen in der Rezeption der Postmoderne in Lateinamerika lassen sich doch bestimmte gemeinsame Punkte festhalten, die nicht zuletzt auch für die Neubewertung der Demokratie eine Rolle spielen: die Entdeckung von „Differenz" als grundlegende Kategorie und die entsprechende Wertschätzung von konkreten Differenzen bzw. einer radikalen gesellschaftlichen und kulturellen Pluralität. Einer der wichtigsten Gründe lateinamerikanischer Autoren für die Annäherung an postmoderne Positionen besteht in der Existenz unterschiedlichster individueller und kollektiver Lebensentwürfe in Lateinamerika, die nach ihrer Analyse durch zweckrationales Denken und eine einseitig an westlich-okzidentalen Vorstellungen orientierte Politik ständig bedroht seien - wenn auch diese spezifische Form von Heterogenität 124
und Hybridität erst durch das Aufeinandertreffen von Elementen unterschiedlichster Prägung (indigene Kulturen, spanisch-portugiesische Kolonialherrschaft und US-amerikanischer Neokolonialismus) entstanden sei. Eine - auch normative - Anerkennung dieser Heterogenität und Pluralität sei mit modernen Konzepten nicht möglich, da diese immer ein bestimmtes Entwicklungsmodell, immer eine bestimmte, gerichtete Geschichte, immer ein in Kategorien und Schemata ordnendes Denken voraussetzten; und diese Voraussetzungen könnten schon für sich genommen einer radikalen Heterogenität nicht angemessen sein. Dennoch erfordert die Anerkennung realer Pluralität - wie beschrieben gleichzeitig die Existenz einer übergeordneten Gerechtigkeitskonzeption. Dies ist gerade für das Neben-, Mit- und Durcheinander unterschiedlicher Lebensformen unter den Bedingungen radikaler Heterogenität - wie sie für Lateinamerika von den hier vorgestellten Autoren zu Recht konstatiert wird - von existenzieller Bedeutung. Dabei entstehen jedoch, wie bereits angedeutet, Reibungen normativer und theoretischer Art: Die Forderung nach radikaler Anerkennung von Differenzen bedeutet in aller Regel auch die zumindest implizite Zurückweisung universalistischer Konzeptionen, da Letztere im Verdacht stehen, Differenzen aus theoretischen und/oder normativen Gründen nicht anerkennen zu können oder zu wollen. Mit der Zurückweisung des Universalismus gibt es allerdings auch keine Möglichkeit einer theoretischen Begründung des Pluralismus über normative Setzungen hinaus. Schwierig werden auch die Begründungen eines normativ gehaltvollen Demokratiebegriffs und der Notwendigkeit der Garantie der bürgerlichen Grundrechte. Diese Begründungen sind aber notwendig, um Toleranz und Pluralität denken zu können: Ohne eine universalistische normative Begründung lässt sich auch die Notwendigkeit nicht mehr begründen, die Toleranz gegen die Intoleranz zu verteidigen, also eine gewissermaßen intolerante Position gegenüber der Intoleranz einzunehmen. Wenn die Toleranz nicht als universeller Wert betrachtet wird, der Pluralität erst ermöglicht, wird sie apologetisch gegenüber dem Status quo, und sie verliert jegliche Möglichkeit, sich von einem begründeten normativen Standpunkt aus gegen eben jene Bewegungen zu verteidigen, die sich gerade Toleranz und Pluralität entgegensetzen. Karl-Otto Apel bringt dies auf den Punkt: Wenn das individuelle Recht auf Anderssein jede Gleichheit normativer Verpflichtungen ausschließt: wie soll es dann ein Recht auf Anderssein geben, das jedem Menschen zukommt und von allen zu respektieren ist, kurz: ein Menschenrecht auf Anderssein? (Apel 1995: 10; vgl. Tibi 1995: 65).
Heterogene Gesellschaften müssen mit der Entstehung von Gruppen und/oder Bewegungen rechnen, die sich dem friedlichen Zusammenleben der Menschen entgegenstellen und sich damit gesellschaftlicher Pluralität widersetzen. Die schmerzhafte Konsequenz daraus ist das Akzeptieren, dass der Intoleranz nur in sehr begrenztem Maße Toleranz entgegengebracht werden kann und dass die Pluralität ihre Grenzen haben sollte - wenn beide nicht das Risiko ihrer eigenen 125
Auslöschung eingehen wollen. Eine institutionelle Ächtung von religiösem und politischem Fundamentalismus (als Mittel des Selbstschutzes der Demokratie) lässt sich allerdings erst vor dem Hintergrund eines übergeordneten normativen Konzeptes begründen und von repressiver Willkür unterscheiden. Das heißt, die Begründung eines normativen Konzeptes von Demokratie, von dem nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen und persönlichen Erfahrungen auch die hier vorgestellten lateinamerikanischen Autoren ausgehen, ist nur innerhalb eines Konzeptes von Pluralität als einem demokratischen Wert möglich. Dessen gesellschaftliche Wirksamkeit kann aber nur gewährleistet werden, wenn die tatsächliche Pluralität in begründeter Weise begrenzt wird, also an die universalistischen Prinzipien der Demokratie rückgebunden bleibt. „Pluralität" als vermeintlich postmodernes Konzept verlangt also einen gewissen Universalismus als Fundament für die Begründung der Institutionalisierung und Garantie der Möglichkeit von Freiheit und Differenz. 118 Dies wird in Lateinamerika auch vielfach anerkannt, selbst bei Autoren, die ansonsten eine deutliche Nähe zu postmodernen Positionen aufweisen. So führt beispielsweise Guillermo Hoyos Väsquez aus: Dennoch scheint es notwendig, auf einen gewissen ethischen Universalismus zu rekurrieren, wenn es um Interkulturalität, um Toleranz, um Menschenrechte geht, und wenn der Dogmatismus einer bestimmten Kultur kritisiert werden soll. [...] Auch unter dem Gesichtspunkt der Lebensformen und ihrer kulturellen Kontexte spielt die Liebe zur Pluralität eine verändernde Rolle. Absolute Lebensformen und dogmatische Kulturen sollen dabei überwunden werden. [...] Diejenigen, die der 'kulturellen Identität' gegenüber der Öffnung nachtrauern, verdammen die Kultur zu ihrem Gegenteil: Isolierung, Ausschluss und Intoleranz (Hoyos Väsquez 1993b: 163-169; vgl. Hoyos Väsquez 1992: 14).
Soll auf jeglichen Universalismus aufgrund eines - wie auch immer begründeten - Verdachts auf Eurozentrismus verzichtet werden, womöglich gerade im Namen der Anerkennung (radikaler) Pluralität, ergibt sich also ein Dilemma: Wenn die Pluralität ein Wert unter anderen ist, muss sie notwendigerweise schutzlos gegenüber den Intoleranzen, den Totalitarismen, den sich selbst verabsolutieren118
Diese Spannung hat ja nicht zuletzt das Nachkriegswerk von Ernst Fraenkel geprägt („Pluralistisch ist nicht ein Staat, der nur pluralistisch, pluralistisch ist ein Staat, der auch pluralistisch ist. Pluralismus ist ein dialektischer Begriff. [...] Pluralismus bedeutet Ubereinstimmung und Differenzierung" [Fraenkel 1964: 16; Hervorh. i. O.]). Eine wirklich befriedigende Antwort auf die offene Frage nach dem Verhältnis von Pluralität und der Einschränkung von Pluralität zu ihrem eigenen Schutz ist Fraenkel allerdings schuldig geblieben. In der Nachfolge hat es - u.a. unter der Ägide von Winfried Steffani - eine ganze Reihe von Versuchen gegeben, mit unterschiedlichsten wissenschaftlichen Instrumentarien diese Aufgabe zu vollenden (mit teilweise äußerst kuriosen Ergebnissen, vgl. die mehr theologische als politikwissenschaftliche Dissertation von Joachim Detjen [Detjen 1988]). Meines Erachtens ist aber erst der politische Liberalismus vom Schlage John Rawls' oder auch die politische Philosophie Jürgen Habermas' in der Lage, sich selbst (auch über den Repressionsapparat) schützende rechtsstaatliche Prinzipien mit demokratischer Volkssouveränität in pluralistischen Gesellschaften zusammenzudenken.
126
den Partikularitäten bleiben, die sich ihrerseits im Besitz absoluter und nicht hinterfragbarer Wahrheiten glauben. Auf die Problematik sich selbst exkludierender Gruppen wurde ja bereits hingewiesen (vgl. Kapitel 2.5). Oder die Pluralität ist ein herausragender Wert mit universalem Anspruch - dann aber kann der Universalismus nicht verabschiedet, der radikale Ethnozentrismus nicht aufrechterhalten werden (vgl. Hauck 1995: 101-104). Es gibt die dritte Möglichkeit, der Pluralität überhaupt keinen Status als Wert zuzuschreiben. Pluralität als eine Realität zu betrachten, die weder einer positiven noch einer negativen Bewertung unterliegen muss, enthebt allerdings die Mitglieder in einer Gesellschaft oder Gemeinschaft innerhalb dieser Pluralität nicht ihrer Verantwortung bezüglich der Regelung von Konflikten, die aus eben dieser Pluralität erwachsen - umso mehr, wenn es sich um radikale Heterogenität handelt, wie dies für Lateinamerika konstatiert wird. Die Herausbildung je eigener Selbst- und Weltsichten von Gruppen und Individuen innerhalb solcherart pluralistischer Gesellschaften entzieht der Annahme einer gemeinsamen Konzeption des guten und erfüllten Lebens jegliche Grundlage. Damit entstehen zwischen den verschiedenen Konzeptionen unvermeidlich Spannungen, die erst einmal nicht zu schlichten sind, da es über die Berufung auf die je eigene Konzeption des guten Lebens hinaus keine höhere Instanz mehr gibt. Die notwendige Schlussfolgerung muss dann aber sein, dass einer umfassenden Konzeption des Gerechten Vorrang vor der gruppenspezifischen oder individuellen Konzeption des Guten eingeräumt werden muss, um die Gleichberechtigung der Koexistenz gewährleisten zu können.119 Eine Ablehnung von konfliktregelnden und damit notwendigerweise übergeordneten - Normen kann aber letztlich auch im Sinne der Ablehnung totalisierender Metaerzählungen kaum wünschenswert sein: Jegliche Bestrebung, die Pluralität in Richtung einer Vereinheitlichung individueller und kollektiver Lebensentwürfe und -formen zu „überwinden", wäre nicht mehr verurteilbar, da es einen begründeten Standpunkt für diese Verurteilung nicht mehr gäbe. Dies verweist in erster Linie auf die Notwendigkeit der Institutionalisierung von Konfliktregelungsmechanismen. Die Normen, die diesen zugrunde liegen, müssen so abstrakt sein, dass sie mit dem Anspruch von Gerechtigkeitskonzeptionen auftreten können und nicht ihrerseits zu viele Elemente einer Konzeption guten Lebens beinhalten, denn dann könnten sie nicht mehr als Schiedsinstanz in solchen Konflikten auftreten, die gerade aus Konflikten unterschiedlicher Konzeptionen des guten Lebens erwachsen. Eben diese Zusammenhänge verweisen auf die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von demokratischem Inklusionsversprechen und den potenziell 119
„Ohne den Vorrang des Gerechten vor dem Guten kann es auch kein ethisch neutrales Gerechtigkeitskonzept geben. Das hätte für die Regelung der gleichberechtigten Existenz in weltanschaulich pluralistischen Gesellschaften mißliche Folgen. Individuen und Gruppen mit je eigenen Identitäten könnte dann nämlich Gleichberechtigung nur nach Maßstäben garantiert werden, die ihrerseits Bestandteil einer gemeinsamen, von allen gleichmäßig anerkannten Konzeption des Guten sind" (Habermas 1996: 42).
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konflikthaften Forderungen nach (Differenz-)Anerkennung. In diesem Sinne ist auf der Ebene der politischen Pluralität eine der vorrangigen Aufgaben der zumeist jungen Demokratien in Lateinamerika die Garantie bürgerlicher Rechte, vor allem die Einhaltung der elementaren Menschenrechte auf Schutz vor staatlicher Willkür, körperlicher Unversehrtheit und Abwesenheit von Folter und willkürlicher Verhaftung sowie die Garantie politischer Rechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Assoziationsfreiheit. Die Demokratie lebt von der Durchsetzung dieser institutionellen Rahmenbedingungen. Es ist kein Zufall, dass gerade von denjenigen Autoren, die unter den Bedingungen bürokratischautoritärer Regime gelebt haben, die Wertschätzung für die formale bürgerliche Demokratie besonders hoch ist. Aber die Wertschätzung der formalen Demokratie als Ermöglichungsrahmen für eine Pluralität auf politischer Ebene stellt m. E. bereits die Anerkennung der Notwendigkeit eines - normativ begründeten und institutionell verfassten - übergeordneten Regulativs dar. Auch wenn sich die konkreten Vorstellungen von Demokratie teilweise auf postmodernen Politikformen gründen, die nicht mehr unbedingt viel mit den klassischen Vorstellungen repräsentativer Demokratie zu tun haben, so bleibt ein institutioneller Rahmen der Konfliktregulierung doch Kernelement auch des Demokratieverständnisses sich als postmodern verstehender Autoren in Lateinamerika. Insofern liegt hier vielleicht am deutlichsten auf der Hand, worin die Unvereinbarkeiten lateinamerikanischer Postmoderne-Rezeption bestehen. Eine normative Begründung von Demokratie als Garantie von Pluralität ist nur dann tragfähig, wenn sie sich ihrerseits auf die Legitimität konfliktregulierender Institutionen stützen kann; und das bedeutet zum einen, dass diesen Institutionen bestimmte Zwangsmittel zur Verfugung stehen müssen, die nicht allein wegen ihres Zwangscharakters als „terroristisch" betrachtet werden dürfen, zum anderen kann diese Legitimität unter den beiden Prämissen „Demokratie" und „radikale Heterogenität" nur in Form einer Schiedsrichterrolle vorgestellt werden, der ihrerseits eine nicht-ethnozentrische Gerechtigkeitskonzeption zugrunde liegt. Menschenrechte stellen im Übrigen nicht nur in Form institutionalisierter bürgerlicher Freiheiten eine notwendige Bedingung für den Erhalt und die Entfaltung von Pluralität in Lateinamerika dar, auch außerhalb des genuin politischen Bereichs ist ihr Schutz unverzichtbar. An dieser Stelle sei nur auf das Beispiel der Interessengegensätze hingewiesen, die zwischen indigenen Bevölkerungsgruppen, die teilweise in rohstoffreichen Gebieten leben, und Konzernen bestehen, die an der Ausbeutung solcher Rohstoffe interessiert sind. Es geht beim Schutz dieser Bevölkerungsgruppen nicht um eine Form von „administrativem Artenschutz" (vgl. Habermas 1996: 257-264), sondern um die Durchsetzung des Rechtes auf kulturelle und politische Selbstbestimmung. Dieses wiederum kann nicht als absolute Setzung und unabhängig von den Bedingungen in der jeweiligen Region, im jeweiligen Staat vorgestellt werden. Die Respektierung der Menschenrechte ist allerdings die absolute Grenze, an der auch begründbare wirtschaftliche Interessen Halt machen müssen. Es ist nicht schwer 128
vorzustellen, dass ein demokratisches Konfliktregelungsverfahren über diese Interessengegensätze vor den größten Schwierigkeiten stehen muss; in jedem Fall aber ist es ohne die Garantie der Einhaltung der Menschenrechte bzw. eines institutionell garantierten Grundrechtsrahmens undenkbar. Ähnliches gilt auch für weniger von wirtschaftlichen und mehr von kulturellen oder politischen Interessen geprägten Versuche, Minderheiten zu marginalisieren, seien sie nun Minderheiten in ethnisch/kultureller, politischer oder religiöser Hinsicht. Dabei können die möglichen Konfliktlinien zwischen Staatsgebilde und Hegemonialkultur auf der einen, Minderheiten und ihrem Recht auf kulturelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite bis hin zum Problem einer einheitlichen Rechtsprechung innerhalb eines staatlichen Territoriums reichen (Frage der juristischen Teilautonomie z.B. indigener Bevölkerungsgruppen). 120 Die Ebenen von politischem Handeln und von (universalistischer) Normenbegründung verweisen aufeinander: die „moralische Grammatik sozialer Kämpfe" wurde ja bereits angesprochen. Dies gilt desto mehr, je größer die möglichen Spannungen im politischen Raum sind, die durch unterschiedliche Konzepte des guten Lebens hervorgerufen werden, die also auch normative Konflikte darstellen. In der postmodernen Perspektive bleibt die Ebene der Normen allerdings weit gehend außen vor; die Ablehnung universalistischer Normen als Ausgeburt einer vereinheitlichenden und damit terroristischen Sichtweise lässt letztlich auch die Begründung demokratischer Institutionen unmöglich werden. Die Wertschätzung der Demokratie und die Ablehnung universalistischer Werte machen einen der grundlegenden Widersprüche aus, die sich aus der Übernahme postmoderner Positionen für einige der hier vorgestellten lateinamerikanischen Wissenschaftler ergeben. Um Politik (neu) zu denken - und dies ist ja eines der zentralen Anliegen der „Neuen Linken" an die Sozialwissenschaften - ist es unabdingbar, die grundsätzliche Möglichkeit von Alternativen zu denken und politisches Handeln nicht als bloße Exekution von Sachzwängen anzusehen. Um aber Alternativen auszumachen oder allererst zu schaffen und dann vernünftig zwischen ihnen wählen 120
Als Beispiel sei hier die Diskussion innerhalb und außerhalb der Verfassungsgebenden Versammlung in Kolumbien 1990/91 genannt. Den indigenen Bevölkerungsgruppen wurde in der Folge eine weit reichende Teilautonomie zugesprochen: Ihre Territorien wurden als eigenständige Entitäten innerhalb des kolumbianischen Staatsgebietes (Art. 286 der kolumbianischen Verfassung) und als unverletzbarer Kollektivbesitz der indigenen Gemeinschaften (Art. 329) anerkannt. Ihren Sprachen wurde innerhalb der Territorien offizieller Charakter zugesprochen, die Erziehung sollte zweisprachig erfolgen (Art. 10). Nicht zuletzt erhielten die Territorien das Recht auf eine eigene Gerichtsbarkeit gemäß ihren eigenen Normen und Gebräuchen, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass diese nicht gegen die Verfassung bzw. nationales Recht verstoßen dürfe (Art. 246) (vgl. Orjuela 1993: 147-153). Die Verankerung dieser Artikel in der Verfassung stellt eine wichtige Anerkennung der kulturellen und politischen Selbstbestimmungsrechte der indigenen Bevölkerungsgruppen in Kolumbien dar, auch wenn dabei das Gewaltmonopol des Staates in gewisser Weise aufgeweicht wird.
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zu können, sind Kriterien nötig, Entscheidungskriterien und Vorstellungen von politisch Anstrebenswertem. Politik - gerade in Abgrenzung zu technokratisch begründeten Diktaturen - bedeutet nach Norbert Lechner genau die Überwindung der Vorstellung, es gehe um rein technische oder administrative Fragen. Dieser Politikbegriff muss sich notwendigerweise von allen teleologischen Vorstellungen verabschieden und Ergebnisoffenheit und Entscheidungsdruck als Kernelemente begreifen. Lechner fordert mit vollem Recht einen ,Realismus" im politischen Handeln, der aber die Sensibilität für das Gerechte nicht verlieren dürfe: „Ich will sagen: Der Realismus betrachtet nicht lediglich das, was ist, sondern ebenso das, was sein könnte und das, was sein sollte" (Lechner 1988: 112).121 Allerdings wird damit das spannungsreiche Verhältnis zwischen Ergebnisoffenheit des demokratischen Diskurses und den universalistischen normativen Grundlagen der Demokratie noch nicht entspannt: Die postmoderne Tendenz zum Kulturrelativismus fördert im Gegenteil diese Spannung, da sie den ersten Part stark macht, den zweiten für letztlich unbegründbar hält. Die postmoderne Kultur nährt einen politischen Realismus, indem sie eine neue Sensibilität in Bezug auf das Mögliche erzeugt; eine Sensibilität, die helfen könnte, den Abstand zwischen den politischen Programmen und der alltäglichen Erfahrung der Menschen zu verringern. Auf der anderen Seite sehe ich allerdings nicht, dass die postmoderne Kultur über das grundlegende Problem des Realismus reflektieren würde: die Entscheidungskriterien. Wenn wir die Möglichkeiten einmal ausgemacht und formuliert haben, welchen Weg wählen wir als den bestmöglichen? (Lechner 1988: 112).
Der letztgültige Ausweg aus dieser Spannung ist in einem sehr grundsätzlichen Verständnis vielleicht genauso unmöglich wie nicht wünschenswert. Eine Reduzierung dieser Spannung auf ein handhabbares Maß ist allerdings in demokratietheoretischer Hinsicht sowohl möglich wie wünschenswert - dabei ist das postmoderne Denken allerdings nur im Sinne einer ungewollt mäeutischen Kritik an der blind gewordenen Moderne hilfreich. Eben dies verweist wiederum auf das grundlegende demokratietheoretische Problem, das diese Untersuchung durchzieht: Die Spannung zwischen dem Inklusionsversprechen der Demokratie, das auf die universalistische Grundierung hinweist, und den konkreten Differenzen, die mit konflikthaften Anerkennungsforderungen auftreten. Dabei geht es um die alte Rivalität zwischen Liberalismus und Republikanismus, zwischen dem Recht auf Partikularität und den Notwendigkeiten der partiellen Unterordnung unter die Erfordernisse des menschlichen Zusammenlebens in der Gemeinschaft. Die politische Philosophie Jürgen Habermas' behauptet, diese Rivalität schlich121"
'
Ahnlich auch José Alvaro Moisés, der in Bezug auf die Transition von der Diktatur zur Demokratie darauf hinweist, dass weder die „Kontinuitäten der Diktatur in der Demokratie" noch die Möglichkeiten der Veränderbarkeit von politischen Möglichkeitsräumen innerhalb der Demokratisierung unterbewertet werden dürfen: „Es ist notwendig, diejenigen Ziele zu verfolgen, die heute buchstäblich möglich sind, aber ebenso diejenigen, die das vorbereiten, was heute noch unmöglich scheint" (Moisés 1988: 45-46).
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ten und den Antagonismus aufheben zu können, indem Demokratie prozedural konzipiert wird (Habermas 1992c: 600-631, v.a. 610-616 und 623-631). Das bedeutet den vollständigen Verzicht auf substanzielle Begriffe - die Volkssouveränität wird „kommunikativ verflüssigt" und zieht sich ganz in die diskursiven Akte in den demokratischen Verfahren zurück. Nun kann der Habermas'sche Versuch der Aufhebung der Spannung zwischen Republikanismus und Liberalismus nicht vollständig überzeugen, aber das ist m. E. auch überhaupt nicht nötig. Vielmehr ist es gerade die Dialektik von Unaufhebbarkeit und dem dennoch notwendigen Streben nach Aufhebung, welche die politisch und gesellschaftlich konstruktiven Elemente von Demokratie ermöglicht - sofern die demokratischen Verfahren eben dies ermöglichen. Das bedeutet auch, dass diese Spannung in die Verfahren selbst eingebaut sein muss, bis hin zu Zielkonflikten in Grundrechtsfragen. In Bezug auf die Ermöglichungsbedingungen in normativer wie auch verfahrenstechnischer Hinsicht bleibt die Habermas'sche Demokratietheorie durchaus überzeugend. Wichtig ist dabei, dass Habermas seine Theorie des demokratischen Rechtsstaats nicht zufällig als eine Ergänzung und Ausformulierung sehr viel grundsätzlicherer Überlegungen konzipiert: Die kommunikationstheoretische Wende hat in Gestalt der Diskursethik ein überzeugendes Modell der Gleichursprünglichkeit und wechselseitigen Verweisens von Universalismus und Partikularität ermöglicht, das sowohl der ursprünglichen Dialektik der Aufklärung entkommen als auch der postmodernen Kritik standhalten kann. Wichtiger als der Nachweis der moralphilosophischen Überwindbarkeit der Opposition von Universalismus und Partikularität ist allerdings im Rahmen dieser Untersuchung die Konstatierung ihrer empirischen und sozialwissenschaftlichen Virulenz. Auch wenn die demokratietheoretischen Modelle, die auf der Grundlage eines diskursethischen Universalismus gedacht werden, in sich konsistent und überzeugend wären, so hieße das durchaus nicht, dass die soziale Realität deswegen unproblematischer würde - schon gar nicht in derart heterogenen Gesellschaften wie in Lateinamerika. 122 Es geht dabei immer noch „um das alte Problem, wie das Vernunftprojekt einer gerechten Gesellschaft, das abstrakt einer einsichtslosen Realität gegenübersteht, verwirklicht werden kann [...]" (Habermas 1992c: 79). Wenn allerdings - das zeigt die Beschreibung des lateinamerikanischen Falls - gleichzeitig aus grundsätzlichen Überlegungen heraus universalistischen Konzepten ein gesundes Misstrauen entgegengebracht wird, entstehen theorieinteme Spannungen über das allgemeine Theorie-PraxisProblem hinaus. Diese manifestieren sich auf unterschiedlichen Ebenen - davon wird in den folgenden Kapiteln die Rede sein.
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Auf die Begrenzungen der Habermas'schen Fassung der Demokratietheorie in Bezug auf die sub- und vorpolitischen Bereiche ist ja bereits ausfuhrlich hingewiesen worden (Kapitel 2.4; vgl. auch die Probleine, die in Fußnote 88 lediglich angedeutet werden konnten).
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Im Kontext dieser Arbeit ist die Postmoderne in mehrfacher Hinsicht wichtig: Sie zieht ihre Attraktivität aus einer Art von konstruktivem Misstrauensvotum gegen bestimmte Vorstellungen der Moderne, das für das philosophische und sozialwissenschaftliche Denken gerade auch in der Peripherie entscheidende Stichworte geliefert hat. Das Misstrauen gegen die großen, vereinheitlichenden und vereinfachenden Erzählungen der Menschheit scheint ja auf den ersten Blick auch nur allzu berechtigt zu sein, wenn man sich den Grad der Unvernunft ansieht, der trotz oder gerade wegen des ständigen Anrufens der Heilungskräfte der Vernunft herrscht. Ebenso berechtigt scheint es - wiederum auf den ersten Blick - , wenn dagegen die Eigenrechte der einzelnen kollektiven und individuellen Identitäten stark gemacht und die dabei zu Tage tretenden Differenzen nicht mehr in größere Zusammenhänge gestellt werden sollen, sondern für sich sprechen können. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Nichtanerkennung, welche die Länder der Peripherie und die in ihnen lebenden Menschen auch heute noch machen, muss eine solche Position nicht nur normative Attraktivität, sondern auch theoretische Plausibilität besitzen. Schwierig wird es allerdings - und das ist der Grund, weswegen der vergleichsweise abstrakten Debatte zwischen Universalismus und Differenzanerkennung so viel Raum eingeräumt wurde - , wenn die Vorbehalte gegen universalistische Konzeptionen dazu fuhren, dass weiter gehende Begründungslasten nicht mehr geschultert werden können, wenn also die soziale Ungleichheit nicht mehr von legitimen kulturellen Differenzen unterschieden werden kann, wenn (beispielsweise antidemokratische) Kulturformen nicht mehr normativ, sondern nur noch im Sinne fehlender Differenzanerkennung kritisiert werden können. Das ist gerade dann ein Problem, wenn durch die Etablierung demokratischer Strukturen der institutionelle Rahmen auch normativ begründet gesetzt werden soll, der auf politischgesellschaftlicher Ebene im Grundsatz sowohl soziale und politische Inklusion als auch die Anerkennung von (vor allem kulturellen) Differenzen ermöglicht. Wohlweislich: im Grundsatz, denn auf die vielfältigen Schwierigkeiten damit ist ja auch bereits hingewiesen worden (Kapitel 2.1). Es wird von den lateinamerikanis chen Sozialwissenschaftlern aus guten Gründen ja auch anerkannt, dass es demokratische Strukturen sind, die Pluralität und Differenzanerkennung ermöglichen, und zwar durchaus nicht nur im Sinne von Selbstverwirklichung, sondern auch im weiter gehenden Sinn von (gesellschaftlicher) Selbstbestimmung. Zugespitzt lässt sich sagen: Ohne universalistische Begründungsmöglichkeiten bleibt die Demokratie eine Form herrschaftlicher Willkür wie andere Herrschaftsformen auch - und dies würde die Möglichkeit der grundsätzlichen institutionellen Garantie von Differenzanerkennung wohl zuverlässig verhindern.
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5 Von der Diktatur zur Demokratie: Die „Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst" 5.1
Demokratische Transition und intellektuelle Selbstkritik
Die grundlegende Frage, die sich an die Reflexionen des vorangegangenen Kapitels anschließt, ist die nach dem Verhältnis von Demokratie und Kultur. Die eher moralphilosophisch grundierte Frage nach dem Verhältnis von Partikularität bzw. Differenzanerkennungsforderungen und Universalismus sollte ja nicht verdecken, dass sich dieser Grundkonflikt in gesellschaftswissenschaftlicher Hinsicht etwas anders manifestiert als in der philosophischen Betrachtungsweise. Die Infragestellung universalistischer Konzepte durch lateinamerikanische Wissenschaftler ist dennoch nicht ohne die dargestellte philosophische und historische Dimension zu verstehen. In ihrer kulturrelativistischen Tendenz bildet sie bei aller theoretischen und normativen Spannung die Grundlage für eine Neubewertung der Kultur für die Gesellschaft, und zwar auch und gerade für die politischen Aspekte. Der im Folgenden dargestellte zweite Strang der kulturtheoretischen Wende in Lateinamerika beschäftigt sich mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, und zwar in der Hauptsache im Hinblick auf die seit den frühen 1980er Jahren einsetzende demokratische Transition in vielen lateinamerikanischen Ländern. Dabei geht es zum einen um die Frage, was Demokratie in Lateinamerika ist und sein kann, zum anderen um das sozialwissenschaftliche Denken selbst, das mit der und durch die Transition selbst grundlegende Revisionen vorgenommen hat. Aus diesem Grund beginnt die Darstellung dieses zweiten Strangs mit den teilweise durchaus sehr persönlichen Erfahrungen vieler Sozialwissenschaftler und anderer politisch denkender Intellektueller mit den zivilen und militärischen Diktaturen in vielen Ländern des Subkontinents (vor allem im Cono Sur), da sie als Intellektuelle, vor allem natürlich als linke Intellektuelle, den autoritären Machthabern verdächtig und daher unmittelbar von den politischen Repressionen betroffen waren. Nicht zuletzt aus diesen Erfahrungen erklärt sich eine teilweise radikale Neuformulierung der politischen Ziele, vor allem die Wertschätzung der Demokratie als derjenigen politischen Ordnung, die eine selbsttätige Gestaltung der Gesellschaft ansatzweise möglich macht, und zwar durch vielfaltige Formen bürgerschaftlicher Partizipation vor dem Hintergrund der Garantie elementarer Freiheitsrechte. Damit erschöpft sich natürlich die Neubewertung der Demokratie nicht in einem Umdenken aus persönlicher Betroffenheit heraus, aber, wie der Chilene Norbert Lechner bekennt, gründete 133
sich „die neue Wertschätzung der vormals so kritisierten 'formalen Demokratie' [...] mehr in der eigenen, persönlichen Erfahrung als in einer theoretischen Reflexion" (Lechner 1988: 23). 123 Es ist eine doppelte Erfahrung, welche die „formale Demokratie" in einem anderen Licht erscheinen lässt als noch in den 1960er Jahren: Die Diktatur betrifft das individuelle Leben eines jeden Einzelnen und das gesellschaftlich-politische Leben des Landes. Die Grundlage für die vormals geäußerte Kritik an der „formalen Demokratie" liegt in der Äußerbarkeit der Kritik innerhalb der „formalen Demokratie" selbst - die Diktatur schaffte mit der wie auch immer defizitären Demokratie auch die Möglichkeit ihrer Kritik ab. Dies betrifft durchaus nicht nur - und nicht einmal an erster Stelle die akademische bzw. gesellschaftswissenschaftliche Kritik, sondern vor allem die gesellschaftliche bzw. politische Kritik, die sich in Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen nicht nur äußert, sondern auch organisiert. Es ist also die Möglichkeit einer Einwirkung der Gesellschaft auf sich selbst, und zwar sowohl durch Diskurse als auch durch (organisierte) politische Partizipation, die es erst mit dem Übergang zur Demokratie wieder gab, bzw. die es auch effektiv zu schaffen galt, wenn die „formale Demokratie" (wieder) mit politischen und sozialen Inhalten gefüllt werden sollte. In gesellschaftswissenschaftlicher Hinsicht war dies natürlich nicht mehr als der Beginn der Reflexion (nicht zuletzt der große Bereich der Transitionsforschung ist daraus entstanden); wichtig ist aber dennoch, dass sich der Prozess des Umdenkens zuerst auf der persönlichen Erfahrung der Repression des bürokratischen Autoritarismus, des Totalitarismus, der Diktatur gründet - und auf der Erfahrung der substanziellen Verbesserung der Lebensumstände mit dem Übergang zur Demokratie, auch wenn diese erst einmal nur auf formaler Ebene ein demokratisches Prozedere gewährleistet. 124
123
Vgl. auch die Interview-Antwort Ernesto Laclaus auf die Frage nach der Entstehung seines „postmarxistischen" Denkens: „After the 1966 coup d'état [in Argentina; B.S.] there was a proliferation of new antagonisms and a rapid politicization of social relations. All I tried to think theoretically later - the dispersal of subject positions, the hegemonic recomposition of fragmented identities, the reconstitution of social identities through the political imaginary - all that is something that I learnt in those years in the course of practical activism" (Laclau 1990: 179-180). Laclau erwähnt in diesem Zusammenhang auch explizit die Notwendigkeit, den sozialistischen Kampf als einen Kampf für die Demokratie zu begreifen (Laclau 1990: 178). 124 Auch wenn sich die Analyse der Veränderungen des Denkens über und der Bewertung von Demokratie im Rahmen dieser Untersuchung auf die sozialwissenschaftlichen Diskurse bezieht, soll das keinesfalls nahe legen, die substanzielle Verbesserung der Lebensumstände betreffe nur die Intellektuellen. Von der Repression betroffen waren durchaus nicht nur Intellektuelle und auch nicht nur politisch Aktive, sondern weite Teile der Bevölkerung. Dementsprechend ist auch die Wertschätzung der Demokratie nicht auf diejenigen beschränkt, die sich mehr oder minder direkt mit ihr beschäftigen, auch wenn diese Wertschätzung in weiten Teilen der Bevölkerung natürlich sehr viel diffuser als bei Intellektuellen und politisch Aktiven ist.
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Sicherlich lassen sich die jeweiligen Ebenen - persönliche Erfahrungen, gesellschaftswissenschaftliche Diskussion und gesellschaftliche Diskurse - oftmals nur schwer voneinander trennen. Das ist insofern unproblematisch, als hier nicht behauptet werden soll, es ginge um eine Art kollektiver Verarbeitung schrecklicher Erfahrungen unter anderem mithilfe eines wissenschaftlichen Diskurses. Vielmehr wird die persönliche Erfahrung - die ja nicht auf Einzelne beschränkt blieb - als ein motivationales Element für die Debatte über Form und Inhalt von Demokratie angesehen, die rückgebunden an die Ebene der Individuen bleibt. Wichtig ist allerdings, dass es sowohl um die Ebene des gesellschaftstheoretischen Denkens geht, als auch um die der kritischen Reflexion über dieses Denken selbst. Dabei ist außerdem wichtig, dass die wissenschaftliche Debatte zur Transition auch nicht auf jene Länder beschränkt war, von denen sie ausging, wie der Nicaraguaner José Luis Coraggio anmerkt: Wir stimmen nicht mit jenen überein, die behaupten, die Problematik der Transition sei nur für einige wenige Länder des Kontinents relevant. Auch wenn die Fragestellung von der Stärke geprägt sein mag, mit der das Thema aufgrund der politischen Erfahrungen im Cono Sur und in Brasilien aufgeworfen wurde, sie universalisiert sich mit dem Beginn der Diskussion über den Inhalt der Demokratie (Coraggio 1987: 45).
Allerdings ist dabei anzumerken, dass nicht erst die Debatte über die Transition und die Demokratie so etwas wie eine übergreifende lateinamerikanische sozialwissenschaftliche Diskussion in Gang gebracht hat: Spätestens die Debatte um die Dependenztheorie, die in den 1950er Jahren begonnen wurde und in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt erlebte, wurde als lateinamerikanische Debatte geführt (vgl. dazu auch die Ausfuhrungen in der Einleitung).125 Norbert Lechner sieht im Putsch Pinochets 1973 den Auslöser für eine weiter gehende Vernetzung der wissenschaftlichen Diskurse in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern (Lechner 1988: 18-19): Trotz aller Unterschiede wurde nun deutlich, dass es einen gemeinsamen Erfahrungshorizont von systematischer Gewalt und einer programmatisch autoritären und exkludierenden Ordnung gab. Zwar gab es eine Anzahl von putschförmigen Umstürzen auch in den Jahren vor der Machtergreifung Pinochets (Brasilien 1964, Peru 1968, Uruguay 1973), aber in Chile wurde nicht nur eine der ältesten und stabilsten Demokratien Lateinamerikas 125
Dies bezieht sich ausdrücklich auf die genuin sozialwissenschaftlichen Debatten. Literarisch geprägte Debatten über ein genuines Selbstverständnis Lateinamerika wurden bereits sehr viel früher geführt. Als eines der frühesten Beispiele begründete im Jahr 1900 das an Shakespeares „Sturm" anknüpfende Essay „Ariel" des uruguayischen Literaten und Journalisten José Enrique Rodo ein lateinamerikanisches Selbstverständnis, das in Abgrenzung zum Utilitarismus der USA und zum Voluntarismus Europas die überlegenen ethischen und religiösen Werte der Lateinamerikaner herausstellte. Der sich daran anschließende „Arielismo" verstummte allerdings angesichts der wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Kontinents. Noch älter sind freilich die politischen Debatten während der und nach den Unabhängigkeitskriegen - in der Einleitung wurde ja bereits auf das Vermächtnis Simon Bolivars hingewiesen.
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zerstört, sondern auch das sozialistische Reformprojekt einer demokratisch (wenn auch mit nur relativer Mehrheit) gewählten Regierung gewaltsam beendet. Die daraufhin einsetzende, Lateinamerika-übergreifend geführte Debatte war überaus fruchtbar, obgleich sich die sozialwissenschaftlichen Arbeitsbedingungen in vielen Ländern massiv verschlechtert hatten. In jedem Fall ist zu konstatieren, dass die lateinamerikanische Debatte in den 1980er Jahren mit der Hinwendung zu den Problemen der Demokratie und der demokratischen Transition noch einmal eine deutliche Belebung erfahrt. Auch wenn die Transition ein langwieriger, schwieriger, von einzelnen Rückschlägen begleiteter Prozess ist, bietet doch auch bereits die formale Demokratie in der Lesart dieser neuen Wertschätzung nicht nur den Intellektuellen, sondern allen Individuen die Garantie der bürgerlichen Grundrechte und damit unter anderem die Möglichkeit, sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft des jeweiligen Landes zu machen und an seiner bewussten Gestaltung mitzuarbeiten. Der brasilianische Politikwissenschaftler Francisco Weffort 126 nennt das den „künstlichen Charakter der Demokratie", ,glicht in dem Sinne, dass die Demokratie unecht würde, sondern in dem Sinne, dass sie Werk ist, Arbeit von Personen unter den Bedingungen der Freiheit, Konstruktion von öffentlichen Räumen der Ausdrucksmöglichkeiten der Freiheit" (Weffort 1987: 17). Diese Auffassung von Demokratie deutet auf eine nicht unbeträchtliche Veränderung im politischen Denken hin. Die Überwindung einer verabsolutierten Kritik an der Demokratie als nur formal existierend bzw. als Form bürgerlicher Herrschaft und damit Ausdruck kapitalistischer Interessen befördert auch ein radikales Umdenken in Bezug auf das Politische. Während vorher das Augenmerk ausschließlich auf den Staat und seine Institutionen gerichtet war, werden jetzt politische Aktionsformen als solche anerkannt, die sich diesseits von Parteien oder Interessenorganisationen entlang des Gegensatzes von Kapital und Arbeit formieren: lokale politische Organisationen, soziale Bewegungen, Selbsthilfeorganisationen auf der Ebene von Stadtteilen etc. Dieses Umdenken ist Ausdruck einer sehr grundlegenden Selbstkritik in Bezug auf die eigene akademische Produktion, auf das gesellschaftswissenschaftliche Selbstverständnis bis Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre (vgl. Lauga 1999: 268, 272-277): Eine der wichtigsten Motivationen des Versuches, das Politische neu zu denken, ist die (Selbst-)Reflexion über die linke und oftmals marxistische intellektuelle Herkunft vieler der Wissenschaftler in Lateinamerika. Sie fuhrt zu einer konsequenten Selbstkritik an der eigenen politischen und ideologischen Vergangenheit, vor allem in Bezug auf die Perspektive des bewaffneten Kampfes bzw. der sozialen Revolution und auf die totalitären Implikationen, die sich aus der
1 2 6 Von
1995 an war Francisco W e f f o r t Kulturminister Brasiliens im Kabinett des damaligen
Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Sein Sekretär für Audiovisuelles war im Übrigen der Politikwissenschaftler Jose Alvaro Moisés, der in diesem Kapitel ebenfalls eine Rolle spielen wird.
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Übernahme gewisser Positionen eines dogmatischen Marxismus ergaben. Es ist nicht nur eine Kritik an den analytischen Defiziten der eigenen wissenschaftlichen Produktion: Auf dem Prüfstand steht auch die eigene Rolle als Teil der Linken und ihres politischen Scheiterns. In den 1960er Jahren beschäftigten sich die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften vorwiegend mit Begriff und Praxis der Revolution; in den 1970er Jahren war der Schlüsselbegriff der des Staates. Erst in den 1980er Jahren - in unmittelbarem Zusammenhang mit den Diktaturen und mit der sich abzeichnenden demokratischen Transition in vielen der lateinamerikanischen Staaten - gewann die Demokratie als Begriff und als Praxis Relevanz für die politologische und soziologische Analyse (Lechner 1988: 17-38). Dies ging einher mit der Anerkennung der Relevanz der Zivilgesellschaft und damit der Existenz ganz unterschiedlicher politischer Aktions- und Organisationsformen. Die Entstehung der „traditionellen Linken" (wie der Chilene José Joaquin Brunner sie nennt) ist unabtrennbar mit der Geschichte Lateinamerikas verbunden, die seit der Eroberung von vielfaltigen äußeren und inneren Abhängigkeiten geprägt ist. Die daraus resultierende strukturelle soziale Ungleichheit führte spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu gewaltsamen Aufständen und teilweise marxistisch inspirierten - Überlegungen, wie Lateinamerika aus diesen Abhängigkeiten ausbrechen und die soziale Ungerechtigkeit überwinden könnte. Ausgehend von einer eher leninistischen als marxistischen Analyse entstand dabei vor allem ab den 1950er und 1960er Jahren eine revolutionäre Linke, welche die Revolution und den aus ihr hervorgehenden Sozialismus als theoretisch wie praktisch einzig gangbares Modell betrachtete. Die Verbindung von sozialem Elend und Regimen, die in aller Regel - wenn überhaupt - eine zweifelhafte Legitimation besaßen, begünstigte die Entstehung eines organisierten bewaffneten Kampfes in vielen der lateinamerikanischen Staaten. Diese gewalttätige Eskalation führte die Protagonisten jenes Kampfes zu einer „Logik des Krieges", welche die Möglichkeit ausschloss, Politik vor einer militärischen Lösung auch nur zu denken. 127 Der politische Gegner wurde eben nicht als Gegner, sondern als Feind gesehen: 127
Diese Darstellung wird den Unterschieden zwischen den Ländern Lateinamerikas selbstverständlich nicht gerecht. Mexiko, als Staat mit der Legitimation der „institutionalisierten Revolution" ausgestattet, brauchte bis zum Erscheinen des EZLN im Januar 1994 revolutionäre Bewegungen nicht zu furchten. Diese Legitimation war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zwar umstritten, aber nicht grundsätzlich gefährdet - das sollte die mexikanische Regierung allerdings nicht davon abhalten, die letztlich „ungefährlichen" Studentenproteste von 1968 in einem Massaker niederzuschlagen. Chile kann auf eine demokratische Tradition zurückblicken, die mit der Unabhängigkeit 1818 begründet wurde und durchaus zeitweilig linke Reformregierungen zeitigte, bevor es 1973 quasi zum Synonym für Militärdiktatur wurde. Die mittelamerikanischen und karibischen Staaten dagegen befanden sich teilweise bis Ende der 1970er Jahre in ihrer Mehrzahl in der Hand von korrupten Regimen, die sich ihrerseits in direkter Abhängigkeit von den USA befanden und ihre Länder praktisch wie Familienbesitz behandelten. Allein diese drei Beispiele zeigen, wie komplex
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In jeder Klassengesellschaft sind die sozialen Beziehungen konflikthaft; aber die Konflikte werden zum Krieg, wenn das Leben eines Subjektes - sein Seinsgrund - vom Tod des anderen abhängt (Lechner 1988: 28-29).
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Dabei ist wichtig anzumerken, dass die Analyse eines Landes wie Chile in der Zeit vor dem Putsch 1973 notwendigerweise zu anderen Ergebnissen fuhrt als die anderer Länder Lateinamerikas: Im Fall Nicaraguas oder El Salvadors ließe sich die Option für den bewaffneten Kampf bzw. für die Revolution mit Sicherheit nicht pauschal als Zeichen totalitärer Weltbilder abtun, da sich unter den Bedingungen einer offenen Diktatur die Frage nach politischen Alternativen schlechterdings nicht stellt (vgl. Vilas 1988). In den Gesellschaften, in denen keine Demokratie existierte (und auch nie existiert hatte), bildete sich auch in der Regel keine Geringschätzung des formal-demokratischen Prozederes aus. Darüber hinaus gibt es durchaus auch Positionen innerhalb der lateinamerikanischen Debatte, die gerade der nicaraguanischen Revolution den Charakter einer politischen Revolution zusprechen, die eher mit Gramsci als mit Lenin erklärbar sei und sich eben nicht in der Logik des Krieges erschöpft hätte (Coraggio 1987: 49). Trotzdem wäre es aus Sicht der Selbstkritik mit Sicherheit möglich, die postrevolutionäre Politik in Ländern wie Nicaragua oder auch Kuba zu kritisieren, ausgehend von der (neu gewonnenen) Überzeugung, dass der Sozialismus nur als Vertiefung der Demokratie, aber niemals die Demokratie lediglich als Vertiefung des Sozialismus gedacht werden könne (vgl. Nethol 1982: 236). Doch auch in formal demokratischen Staaten, in denen die Linke nicht die Option des bewaffneten Kampfes wählte, blieb die Vorstellung einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft bestimmendes Element linken Selbstverständnisses, so eben z.B. für das Regierungsprogramm Salvador Allendes. In der heutigen selbstkritischen Sichtweise erscheint auch dies als ein totalitäres Selbstverständnis, da es auf der Annahme des Besitzes objektiver Erkenntnis und Wahrheit über die Gesellschaft und wie sie sich zu organisieren habe beruhte. Die Linke - so die Kritik - könne sich nicht mehr als Avantgarde der Revolution sehen; die Durchsetzung von Programmen, die sich nicht auf die Unterstützung der Bevölkerung stützen können, sei per se ein quasi terroristischer Akt.129
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die Geschichte Lateinamerikas ist; das kann im Rahmen dieser Arbeit schlechterdings keine angemessene Berücksichtigung erfahren. Dennoch lassen sich bei allen Unterschieden gewisse Gemeinsamkeiten konstatieren - gerade in Bezug auf das Selbstverständnis der Linken; dies rechtfertigt in gewisser Weise die hier vorgenommenen Vereinfachungen (vgl. auch die Ausfuhrungen in der Einleitung).
Vgl. in Bezug auf die politische Bedeutung von manichäischem Freund-Feind-Denken im Allgemeinen und von Verschwörungsthesen im Besonderen in der jüngeren Geschichte 129Kolumbiens und ihre Konsequenzen für bewaffnete Konflikte: González 1991: 39-42.
Der Sendero Luminoso in Peru stellt ein besonders eindrückliches - wenn auch in keiner Weise verallgemeinerbares - Beispiel dafür dar, wie eine sich als revolutionär begreifende Organisation ohne jeden Rückhalt in der Bevölkerung operieren konnte. Dabei besitzt die Situation in Peru eine besondere Tragik: Zum einen hat die Guerilla dort maßgeblich zur
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Als zweites implizit totalitäres Element im Denken der „traditionellen Linken" gilt der Selbstkritik die Vorstellung einer starken „Prädeterminierung politisch-ideologischer Positionen" (Lechner 1988: 28), also die ausschließliche und umfassende Prägung des Menschen und seiner gesellschaftlichen und politischen (Selbst-)Verortung durch seine Stellung im gesellschaftlichen Grundantagonismus Kapital - Arbeit. Diese Vorstellung - wie auch schon das erste Element - habe das Politische (im Sinne der Möglichkeit, Alternativen zu denken und einen Gegner von der eigenen Ansicht dazu zu überzeugen) tendenziell undenkbar gemacht und die Linke (nicht nur in Chile) in wachsende Isolation innerhalb der Gesellschaft geführt, da sich die Menschen in dieser Verortung nicht wiedererkannt haben bzw. nicht wiedererkennen konnten. Dazu lässt sich ein drittes Element feststellen, das in der Vorstellung eines einzigen, wahren, monolithischen Sozialismus besteht, dem Beispiel des damaligen „real existierenden Sozialismus" sowjetischer Prägung folgend (vgl. Jaramillo Jiménez 1995: 8183). Diese drei Elemente fugen sich für diese Selbstkritik zu einem apolitischen und ahistorischen, letztlich totalitären Weltbild zusammen. Die Selbstkritik ist dabei eine doppelte: Zum einen wird die theoretische Engfuhrung der zentralen Begriffe kritisiert, zum andern zog diese eine Unfähigkeit zur praktischen Umgestaltung der Gesellschaft nach sich. Indem Macht nur in den Institutionen, Politik nur in Parteien und Gewerkschaften verortet wurde, blieben die fundamentalen Zusammenhänge zwischen Macht und Kultur/kultureller Hegemonie, zwischen Alltagsleben und politischer Legitimation theoretisch unbeleuchtet, was wiederum zu politischem Versagen führte. Diese Einschätzung doppelten Versagens - theoretisch und praktisch - gründet sich durchaus heute noch auf einem Selbstverständnis als politische Intellektuelle. In vielen Fällen ging sie jedoch auch einher mit einer Kritik an der eigenen Rolle als organische Intellektuelle: Die eigene wissenschaftliche Arbeit wird nun - anders als noch in den 1960er Jahren - nicht mehr als unmittelbarer Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft begriffen (Vergara 1991: 115; vgl. Nethol 1982:
völligen Paralysierung der Demokratie beigetragen, was zur Legitimierung des „Autoputsches" des bis Mitte des Jahres 2000 amtierenden Präsidenten Fujimori führte, zum andern richtete sich der Terror des Sendern Luminoso nicht nur gegen den Staat und seine Repressionsorgane, sondern auch gegen jegliche zivile - gerade auch linke - Opposition. Dadurch wurde nicht nur ein Erstarken zivilgesellschaftlicher Elemente verhindert, auch für die ständig erweiterten Machtbefugnisse des Militärs und die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen konnte damit teilweise die Guerilla verantwortlich gemacht werden (Degregori/Rivera 1993; Degregori 1993; vgl. auch Stepan 1990). Eine interessante und bedenkenswerte Perspektive nimmt Jon Beasley-Murray ein (Beasley-Murray 1999): Er nimmt das Beispiel des Sendero Luminoso auf, um sich grundsätzlichere Gedanken über Zivilgesellschaft und ihr „Anderes" zu machen. Die Externalisierung und Pathologisierung jeglicher Art von „Fundamentalismen" führt demnach nicht etwa zu mehr Freiheit, sondern zu autoritären Tendenzen innerhalb demokratischer Gesellschaften - und das kann durchaus gewollt sein.
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240-242; Montes 1993: 153).130 Das bedeutet allerdings nicht, dass die Sozialwissenschaften auf einen gesellschaftskritischen Impetus verzichten müssten. Nun liegt allerdings aufgrund des Entstehungshintergrundes (Erfahrungen mit autoritärer Herrschaft) der Gedanke nahe, es handele sich bei dieser neuen Wertschätzung der Demokratie um eine rein reaktive Form des politischen Denkens, in gewisser Nähe zu apologetischen Demokratietheorien, wie sie in den westlichen Demokratien als Abgrenzungskonzepte zu den Staaten des „real existierenden Sozialismus" erdacht wurden. Gerade vor dem Hintergrund einer ideologiekritischen Befragung dieser Versuche, die liberalen Demokratien als Garanten der Verwirklichung der Freiheit und des Gemeinwohls darzustellen, muss der Optimismus, der nun von lateinamerikanischer Seite aus der formalen Demokratie entgegengebracht wird, befremden. Tatsächlich hat sich aber das Augenmerk vieler der Theoretiker schon relativ früh auf die nicht-formalen Bedingungen des Funktionierens der Demokratie gerichtet. Die formale Demokratie ist dabei - ziemlich illusionslos - lediglich als die notwendige Bedingung fiir eine offenere Gesellschaft angesehen worden, da sie durch die Garantie negativer Freiheitsrechte jene Räume schafft, deren Ausgestaltung dann die Aufgabe der gesellschaftlichen, politischen, kulturellen Kräfte ist. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Diktatur bedeutet dies aber bereits einen nicht gering zu schätzenden Eigenwert. In diesem Sinne ist die „Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst", die in den demokratisierten Gesellschaften Lateinamerikas möglich und nötig sei (Piscitelli 1988: 80; vgl. Slater 1994: 108-109), nicht als utopischer Wunsch nach Selbstorganisation der Gesellschaft im Ganzen zu lesen, sondern vielmehr als eine Absage an herkömmliche (ausschließlich partei- bzw. gewerkschaftsgebundene) Formen der Definition von Politik, zu Gunsten von neuen Politikformen, die sich eher auf lokal begrenzte, ideologisch ungebundene Organisationsformen stützen können (Lechner 1996: 28-29; Piscitelli 1988: 79-80; MartinBarbero 1994b: 98-102; Laclau 1990: 230-231). 131 Auf diese „neuen Formen des Politischen" wird noch näher einzugehen sein; festzuhalten ist an dieser Stelle, dass es sich bei der neuen Wertschätzung der Demokratie jedenfalls nicht um einen naiven Politik- oder ideologisch simplifizierenden Demokratiebegriff han-
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Zum Begriff des „organischen Intellektuellen" vgl. Gramsci (1992: 513-524). Die Rezeption Gramscis spielt für die lateinamerikanische Selbstkritik eine zentrale Rolle (vgl. Lauga 1999: 272-277). Das bedeutet durchaus nicht, den Stellenwert der „klassischen" Formen politischer Beteiligung zu verkennen. Es ist unbestritten, dass hochdifferenzierte demokratische Gesellschaften auf absehbare Zeit auf ein mehr oder weniger funktionierendes Parteiensystem angewiesen sind. Das ist auch und gerade für Lateinamerika ein nicht zu unterschätzendes Problem (vgl. dazu Nolte 2000a); meine Untersuchung betrachtet den Demokratisierungsprozess allerdings aus einer anderen Perspektive. Im Theorieteil sollte aber deutlich geworden sein, dass mit dieser Perspektive keine Geringschätzung der institutionellen Voraussetzungen der Demokratie einhergeht.
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delt, trotz seines Entstehungshintergrundes (der Opposition gegen eine bestimmte Form autoritärer Herrschaft, den bürokratischen Autoritarismus) und seiner Terminologie („Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst"). Es handelt sich vielmehr um den Versuch, das Politische neu zu denken - das Politische und seine grundlegenden (formalen) Rahmenbedingungen, die Spielregeln als Conditio sine qua non, und zwar gegen die Vorstellung, Politik bestehe aus der Beantwortung von rein (planungs-technischen Fragen. Genau letztere Vorstellung lag aber nicht nur der diktatorischen Herrschaft zugrunde, sondern letztlich auch einem marxistisch inspirierten Politikbegriff: von der Herrschaft über Menschen zur Verwaltung von Sachen. Die Selbstkritik der Linken bezieht sich auf die Annahme, dass ein solcher Politikbegriff in der Praxis notwendigerweise undemokratisch sein und im Ergebnis den Diktaturen von rechts ähneln müsse: die Herrschaft über die Menschen als Verwaltung von Sachen. Unbeschadet der Tatsache, dass die lateinamerikanischen Diktaturen nun immer schon von dem Willen getrieben waren, Politik in diesem Sinne zu betreiben: Das Ansehen, das den „Leistungen" der Diktaturen heute noch (vor allem von neoliberaler Seite aus) entgegengebracht wird, beruht auf der Kultivierung der Vorstellung, dass eine straffe, nicht den effizienzmindernden demokratischen Spielregeln unterworfene Technokratenherrschaft den Weg aus jeglicher politischen, vor allem aber ökonomischen Krise ebne.132 Die lateinamerikanischen Militärs kultivierten diese Vorstellung von ihrer eigenen Handlungsfähigkeit und [...] unterwarfen Gesellschaft und Staat einem tief greifenden Entpolitisierungsprozess. Diese Entpolitisierung begann mit der Negierung der Politik (jeglicher Art von Politik) und vertiefte sich dann mit der Einführung illegitimer Befehlsformen, die - wie man weiß - ihren Höhepunkt in den Versuchen der militärischen Institution fand, sich die Zentren der Macht definitiv anzueignen. Die Vorstellung war dabei, das Leben der Gesellschaft von jeglicher Art von Disput zu 'befreien' (um es einmal so zu sagen), als Bedingung einer harmonischen Ordnung, in der nur die militärische Körperschaft Zugang zu den Zentren der Macht hätte (Moisés 1988: 46-47; vgl. auch 48). 133
Nicht nur für die militärischen Diktaturen, die bis in die 1980er Jahre in vielen Ländern Lateinamerikas bestimmend waren, war diese Form der Technokrate die Grundlage ihrer Legitimation. Noch die enormen Zustimmungsraten in weiten Teilen der Bevölkerung, die der „Putsch von oben" (autogolpe) des mittler132
Grundsätzlich besteht allerdings die Gefahr einer Abkoppelung von Entscheidungswissen und sozialem Leben durch Herausbildung einer Expertenkultur auch innerhalb formal demokratischer Strukturen weiter. Darauf stützt sich beispielsweise die Analyse Jesús Martín-Barberos, der sich u.a. auf Habermas bezieht; vgl. Kapitel 4.3 und vor allem 5.3. 133 Dagegen stellt der uruguayische Politikwissenschaftler Aldo Solari für sein Land die eher gegenteilige These auf, dass dort die Militärdiktatur nur ein Interregnum gewesen sei, das letztlich der Demokratie zugute gekommen sei, da es beständigere Strukturen geschaffen habe, während die Demokratie vor der Machtübernahme durch die Militärs weit gehend handlungsunfähig gewesen sei (Solari 1991).
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weile recht kläglich gescheiterten Alberto Fujimori 1992 in Peru erfuhr, sind nicht zuletzt in diesem Zusammenhang zu sehen. Wie eine empirische Untersuchung Sandro Macassi Lavanders (trotz schmaler Datenbasis) zu zeigen vermag, herrschte vor allem eine starke Output-Orientierung in der Bevölkerung vor, aufgrund derer vermeintlich formalen Fragen (wie der der Gewaltenteilung) gegenüber der (vermeintlichen) Handlungsfähigkeit einer starken Figur an der Spitze des Staates keine große Relevanz zugemessen und deshalb auch weit gehende repressive Maßnahmen Fujimoris nach dem Bruch mit der verfassungsmäßigen Ordnung gutgeheißen wurden (Macassi Lavanders 1994). Neben einer deutlichen Unzufriedenheit mit den traditionellen Parteien spielte dabei auch eine umfassende Unkenntnis der Funktion demokratischer Institutionen eine große Rolle, aber vor allem eine Art politischer „Pragmatismus", der jenseits politischer Programmatik vor allem Tatkräftigkeit (oder zumindest den Anschein davon) honorierte - und dazu gehörte im Falle Fujimoris auch und gerade der Putsch.134 Die peruanische Sozialwissenschaftlerin Rosa Maria Alfaro Moreno (1994b) stellt diesen Output-orientierten „Pragmatismus" für Peru in einen größeren kulturellen Zusammenhang: Es gebe eine zunehmende Entfremdung von politischen Parteien (gerade der Linken) und der Bevölkerung; Erstere würden vor allem als „schwer" empfunden, hätten kein Verständnis für den Alltag Letzterer, der für sich genommen schwer genug sei und vor allem nach einem Ausgleich in der Zerstreuung verlange. Dagegen sei Fujimori nicht mit großen Programmen oder Utopien aufgetreten, sondern habe sich in der Hauptsache als menschlicher, umgänglicher, freundlicher, also „leichter" Zeitgenosse präsentiert, ohne Verwurzelung in den traditionellen Parteien, aber mit dem festen Willen, „etwas zu tun" (Alfaro Moreno 1994b: 142-143; 148-151). Sie konstatiert in diesem Kontext eine wichtige Rolle der Massenmedien, die zu dieser Art der Entpolitisierung der Gesellschaft wesentlich beigetragen hätten. Mit der Überwindung der technokratischen Vorstellungen auf Seiten der „Neuen Linken" geht die Überzeugung einher, dass soziale oder auch wirtschaftliche Fragen niemals eine einzige mögliche Lösung nach sich ziehen, dass bestimmte Ziele nie Ziele a priori sein können, dass sowohl die Probleme selbst als auch ihre möglichen Lösungen und die dahin zu beschreitenden Wege politische Fragen sind, die auch im politischen Raum diskutiert werden müssen (vgl. Jaramillo Jiménez 1995: 81-87). Ohne vorhergehende (gesellschaftliche) Übereinkunft könne es kein (politisches) Projekt geben (Lechner 1988: 33; vgl. auch Weffort 1987: 16-18).135 Dementsprechend bedeutet die Demokratie eine dop134
Es ist zu vermuten, dass sich an diesen Umständen vergleichsweise wenig geändert hat und dass sich auch in anderen (lateinamerikanischen) Ländern ähnliche Befunde ergäben. Vgl. dazu beispielsweise die Analyse des Hamburger Lateinamerikanisten Detlef Nolte (Nolte 1999: 17-18). 135 Das fuhrt allerdings teilweise zu problematischen Schlussfolgerungen, so auch bei Norbert Lechner, der in seiner Selbstkritik der Linken m. E. über das Ziel hinausschießt: „Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen Krise (Arbeitslosigkeit, Inflation, Auslandsschul-
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pelte Herausforderung für die „Neue Linke": Zum einen verlangt sie eine grundsätzliche Revision der eigenen (auch intellektuellen) Geschichte und eine Neubewertung der Demokratie als solche. Zum andern hat sich die „Neue Linke" innerhalb der Funktionsweise der Demokratie selbst der Aufgabe zu stellen, die erst einmal rein formale Demokratie mit Inhalt zu füllen, als politische Kraft Teil des demokratischen Prozesses zu sein und über die Zivilgesellschaft kulturelle Hegemonie anzustreben. Es handelt sich um eine Linke im Kampf für die Demokratie und ihre Vertiefung in Richtung auf den Sozialismus. [...] Dabei interessiert die Charakterisierung des lebenswichtigen Kerns dieser Art und Weise, links zu sein, und der besteht ausschließlich in einer Sache: in der radikalen Parteinahme für die Demokratie. [...] Denn wir wertschätzen die Demokratie als Form und als Inhalt, die eine Änderung der Lebensumstände erlauben, eine Umwandlung der sozialen Beziehungen und der Schaffung neuer Ausdrucksformen für diese in der Ökonomie, in der Politik, in der Kultur und in allen anderen Bereichen des täglichen Lebens der Männer und Frauen (Brunner 1988: 429). Kernpunkt dabei ist, dass die Demokratie die Ermöglichung der Pluralität auf politischer Ebene darstellt. Der Anspruch an die gesellschaftlichen Gruppen besteht in der Anerkennung der anderen Meinung, in der Anerkenntnis, dass Meinungsvielfalt, Differenzen, Konsenssuche Lebenselemente der Demokratie sind. Dabei haben messianische, ihre eigenen Ansichten verabsolutierende Bewegungen keinen Platz (Lechner 1988: 109-110; Jaramillo Jiménez 1995: 90-91).
den) tendiert die Linke dazu, der Erstellung eines Entwicklungsprogramms oberste Priorität zuzumessen, das in der Lage sein soll, die sozialen Forderungen so weit gehend und schnell wie möglich zu befriedigen. Allerdings bedeutet es die Wiederholung des technokratischen Fokus der Militärregierungen, anzunehmen, dass die ,Grundbedürfhisse' objektive Daten seien, die mittels technischer Lösungen befriedigt werden könnten. Die Lösung der Krise muss als politisches Projekt wahrgenommen werden. Und das erfordert institutionelle Mechanismen zur Erarbeitung von Optionen und zur Entscheidungsfindung. [...] Die Lösung der Wirtschaftskrise und der Aufbau des demokratischen Systems müssen als simultane Prozesse in Angriff genommen werden" (Lechner 1988: 33; Hervorh. B.S.). Hier werden m. E. zwei Ebenen durcheinander gebracht: Die Notwendigkeit, sich über die besten Wege zur Überwindung sozialen Elends Gedanken zu machen und ggf. zu streiten, kann nicht bedeuten, dass diese Überwindung als politisches Ziel in einer Demokratie selbst streitig wird. Zugespitzt ausgedrückt: Wer hungert, beteiligt sich nicht an der Diskussion über die beste Lösung zur Überwindung seines Hungers. An dieser Stelle zeigt sich ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen der Ergebnisoffenheit diskursiver und demokratischer Verfahren und den materiellen Voraussetzungen für diese. Wenn die materiellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann die Notwendigkeit ihrer Erfüllung dann Gegenstand eines Diskurses sein? Vgl. zur Problematik des Ausschlusses von Einzelnen und Gruppen aus der „kommunikativ definierten moralischen Welt" (und darüber auch aus politischen Diskursen) auch die Einlassungen Francisco Cortés Rodas' (Cortés Rodas 1995, insbesondere S. 138). Auch dieses Spannungsverhältnis lässt sich im Übrigen als Ausdruck der grundlegenderen demokratischen Spannung von Inklusion und Differenz lesen.
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Das Scheitern der Totalitarismen ist nicht nur ein ökonomisches Scheitern, sondern ein geistiges. Es ist das Scheitern eines ontologischen Entwurfs, der das Zusammenleben mit dem Anderen verneint und der das kreative Handeln innerhalb der effektiven Gegensätze verhindert, im Dialog mit den Anderen, in der Akzeptanz des Anderen als Gleichberechtigter im Zusammenleben (Giraldo/López 1991: 306).
Insofern ist der Versuch, die Demokratie als politische Ermöglichungsbedingung des Miteinander neu zu denken, auch eine Reaktion der intellektuellen Linken, Politik unter den veränderten Bedingungen seit den 1980er Jahren neu zu denken. Dabei gestehen sie das Scheitern der revolutionären Heilsversprechen ebenso ein wie die Fragwürdigkeit einer emanzipatorischen Fortschrittsgläubigkeit und des Glaubens an die Fähigkeit der Intellektuellen, politische und moralische Führungsfunktionen im Emanzipationsprozess einzunehmen (vgl. Montes 1993: 153-155). 136 Im Vordergrund bei der Reflexion über die Demokratie und ihre Möglichkeiten steht aber dennoch die Notwendigkeit, die Konsequenzen aus der Erfahrung mit diktatorischen Regimen zu ziehen - und zwar nicht zuletzt, in dem unter den veränderten Bedingungen eine adäquate (politische und intellektuelle) Rolle innerhalb der und für die Demokratie gesucht wird.
5.2
Zivilgesellschaft und Staat im „postideologischen Zeitalter"
José Alvaro Moisés weist darauf hin, dass es allerdings nach der Repression durch die Diktatur ein schwieriges Unterfangen sei, die grundsätzlichen Möglichkeiten, welche die Demokratie im Hinblick auf die selbstbestimmte Gestaltung der Lebenswirklichkeiten bietet, auch tatsächlich zu nutzen. Der Widerstand gegen die Diktatur habe zur Herausbildung einer verkümmerten Zivilgesellschaft geführt, die sich rein aus der Opposition gegen die Diktatur definiert habe. Die Elemente dieser Zivilgesellschaft müssten zu einem neuen Selbstverständnis ihrer Funktion in der Demokratie und für die Demokratisierung kommen, wenn die Transition nicht bei einer reinen Liberalisierung auf institutioneller Ebene stehen bleiben solle. Die Herausbildung einer starken Zivilgesellschaft sei deshalb die wichtigste Aufgabe der progressiven gesellschaftlichen Kräfte nach der Überwindung der offenen Diktatur. Wenn auf die Regierenden nicht ständig von Seiten einer aktiven Zivilgesellschaft demokratischer Druck ausgeübt werde, drohe der Rückfall in autoritäre Herrschaftsmuster (Moisés 1988: 41-
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In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass ähnliche Überlegungen auch von linken Intellektuellen im Spanien nach Franco angestellt wurden. Hier zeigen sich Parallelen zu der lateinamerikanischen Diskussion, die sich in den anderen hier vorgestellten Bereichen nicht feststellen lassen (vgl. Montes 1993: 158).
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43; 58-59). 137 Das verweist auf ein doppeltes Problem, das mit der demokratischen Transition einhergeht: Die Demokratie ist auf zivilgesellschaftliche Akteure angewiesen, die zum einen den Wert der Zivilgesellschaft als Sphäre kennen und zum andern die dadurch entstehenden Spielräume nutzen. Das erfordert aber die Etablierung von sozialen und politischen Strukturen, innerhalb derer sich zivilgesellschaftliches Engagement entwickeln kann. Gerade das ist aber in den Gesellschaften der Peripherie (und besonders in den Transitionsgesellschaften) erst einmal nicht gegeben - und daraus ergibt sich eine ständige Gefahr des Rückfalls in autoritäre Strukturen. Das oben angeführt Beispiel Perus zeigt, dass diese Gefahr nicht bloß eine theoretische ist. Jesús Martín-Barbero schreibt dazu: Der Autoritarismus ist damit in unseren Ländern keine Tendenz zum Perversen von Seiten ihrer Militärs oder ihrer Politiker, sondern eine Antwort auf die prekäre Struktur der sozialen Ordnung, die Schwäche der Zivilgesellschaft und die Komplexität der Mestizisierungen, die sie beinhaltet; dies macht den Staat zu demjenigen Akteur, der sich den gesellschaftlichen Schwächen und den Zerfallskräften widersetzt, was bedeutet, dass ständig das Volk durch den Staat ersetzt wird, wodurch ihm die Rolle des Protagonisten zufallt, zum Schaden der Zivilgesellschaft (Martín-Barbero 1998b: 25).
Selbst wenn auf der Seite der Regierenden keine Tendenz zu autoritären Strukturen besteht, so ist erfolgreiches demokratisches Regierungshandeln doch immer auf eine gewisse Resonanz seitens der Bürgerschaft angewiesen. Norbert Lechner und der bolivianische Sozialwissenschaftler Fernando Calderón verstehen das spezifische Verhältnis von politischem System und Bürgerschaft in Bezug auf die soziale Entwicklung als Funktion von „Regierbarkeit". Das bedeutet auch, dass beide Seiten wechselseitig Verantwortung für diese Entwicklung (und damit für die Regierbarkeit selbst) tragen, auch wenn die politische Initiative im Regelfall vom politischen System ausgeht (Calderón/Lechner 1998b: 11-15). Diese wechselseitige Verantwortung bedeutet aber auch, dass gesellschaftliche und/oder politische Entwicklungen immer auch das Verhältnis zwischen beiden Teilen beeinflussen. In Gesellschaften mit geringem Grad an Institutionalisierung bzw. in Zeiten starker Veränderungen ist dieses Verhältnis notwendigerweise prekär. In vielen Staaten Lateinamerikas kommen nun beide Faktoren zusammen und verstärken sich gegenseitig: Zu einem geringen Institutionalisierungsgrad bzw. begrenzter Reichweite staatlicher Handlungsfähigkeit kommen die Nachwirkungen der Transition hinzu, die sich unter anderem in einem noch ungeklärten Verhältnis zwischen Parteien, Legislative und Exekutive auf der einen Seite, Staatsbürgern bzw. Bevölkerung auf der anderen Seite manifestieren.
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Um die einzelnen Probleme im Zusammenhang mit der Transition kann es allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht gehen. Vgl. dazu außer den bereits zitierten Werken: Stepan 1988; Karl 1991; Whitehead 1988; Cavarozzi 1991 und 1993.
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In diesem Zusammenhang ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass die Transitionsstaaten regelmäßig eine Phase großer Euphorie nach dem Ende der Diktaturen erlebt haben, gefolgt von einer Phase ebenso großer Ernüchterung. Dies trifft ja im Übrigen durchaus nicht nur auf die Staaten Lateinamerikas zu ähnliche Phänomene lassen sich in Osteuropa beobachten, aber auch beispielsweise in afrikanischen Staaten nach dem Ende der Kolonialzeit in den 1960er Jahren. Paradoxerweise waren es in Lateinamerika gar nicht einmal so sehr die von vornherein übersteigerten Hoffnungen in Bezug auf die Demokratie, die eine Enttäuschung mit sich bringen mussten, sondern eher ihre anfanglichen Erfolge, die nicht mehr zu befriedigende Erwartungen zur Folge hatten. Die Fortschritte bei der Demokratisierung in den ersten Jahren, gerade in Bezug auf Menschenrechtssituation und Bildung, führten zu einem veränderten Blickwinkel in weiten Teilen der Bevölkerung: Der spürbaren Verbesserung auf politischer Ebene nach der Diktatur sollte nun auch eine soziale Verbesserung folgen - aber genau dazu waren (und sind) die Regierungen nicht willens oder in der Lage (Lechner 1994: 55-59). Tatsächlich hat sich in den meisten der Transitionsstaaten die soziale Spaltung vertieft, haben Arbeitslosigkeit und Armut zugenommen. 138 Insofern wird die politische Demokratie in gewisser Weise Opfer ihres eigenen Erfolges: Größere politische Inklusion und Bildung fuhren zu gestiegenem Bewusstsein und damit auch Kritikfähigkeit - und damit werden auch die Grenzen politischer Handlungsfähigkeit und politischen Handlungswillens sichtbar. Ebenso wird sichtbar, dass die (abstrakte) politische Inklusion durchaus nicht gleichbedeutend mit stärkerer (und konkreterer) sozialer Inklusion ist. Das wiederum fuhrt zu verstärkter Kritik oder enttäuschter Abwendung, zu Zweifeln an Fähigkeit und moralischer Integrität der politisch Handelnden, im schlimmsten Fall zur Delegitimierung der Demokratie selbst (Calderön/Lechner 1998b: 34-35; vgl auch Nolte 2001).
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Vgl. die beeindruckend verheerenden Zahlen, die Petras/Morley (1995: 20-24) anführen. Die Vertiefung der sozialen Spaltung liegt nicht zuletzt an dem - weltweit zu beobachtenden - Wiederaufkommen der ideologischen Verquickung von Demokratie und Marktwirtschaft in Verbindung mit dem Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes, welches eine weit gehende ökonomische Deregulierung erfordere. Die Umsetzung dieser Glaubenssätze in Politik wurde von den Regierungen in Lateinamerika sowohl aus eigenem Antrieb als auch auf Druck der internationalen Geldgeber betrieben. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Politik, die im Folgenden (zur Vermeidung des häufig in polemischer Absicht gebrauchten Begriffs „Neoliberalismus") als „politisch-ökonomische Deregulierung" bezeichnet wird, werden an anderer Stelle noch aufgegriffen. Wie einschneidend die Folgen einer solchen Politik flir das soziale, wirtschaftliche und politische Gefuge eines Landes sein können, wurde im Laufe des Jahres 2001 und vor allem um die Weihnachtstage in Argentinien deutlich, wo es infolge einer (nicht zuletzt von internationalen Geldgebern oktroyierten) desaströsen Wirtschaftspolitik nach einer lang anhaltenden Depression zu schweren sozialen Unruhen kam, welche mehrere Regierungen innerhalb von wenigen Tagen zum Rücktritt zwangen.
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Der Kontext dieser Entwicklungen weist über Lateinamerika hinaus. Zum einen ist eine deutliche Beschleunigung der so genannten Globalisierung zu beobachten, welche anscheinend die politische Steuerungsfahigkeit zumindest im nationalstaatlichen Rahmen abnehmen lässt, zum anderen werden die Zeichen der Zeit im Allgemeinen als Ende der Ideologien bzw. zumindest Ende der Utopien gelesen, politischer Pragmatismus wird in der Regel höher bewertet als normativ geprägte langfristige politische Projekte, die im günstigeren Fall als unrealistisch betrachtet, meist aber mit Ideologieverdacht belegt werden. Gerade die intellektuelle Linke in Lateinamerika (aber durchaus nicht nur dort) neigte zumindest während der Hochphase der Selbstkritik in den 1980er Jahren dazu, das Kind der normativen Gesellschaftskritik mit dem dogmatisch-sozialistischen Bade auszuschütten (vgl. die Fußnote 135 in diesem Kapitel). Dies hat sich allerdings wieder teilweise gewandelt: Zwar wird auch bei den lateinamerikanischen Autoren noch häufig vom „Ende der Ideologien" bzw. vom „Ende der Utopien" gesprochen, mittlerweile finden sich aber auch durchaus Verweise darauf, dass die alten Ideologien abgelöst worden seien von nicht weniger irrationalem Gedankengut: Die neotiberalen Anpassungen haben, auch wenn sie die technische Rationalität in der Ökonomie erhöhten, die menschliche Einflussmöglichkeit auf die soziale Realität geschwächt. Teilweise mündet der (notwendige) Respekt gegenüber den funktionalen Spezifitäten der Ökonomie in einen Rückzug von jeglichem politischen Handeln und folglich in der Konsekration der selbstzerstörerischen Dynamik des Marktes (Calderön/Lechner 1998b: 38).
Die damit beschriebene gesellschaftliche Entwicklung ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit einer wachsenden Zurücknahme des Politischen in die Gesellschaft problematisch (vgl. Kapitel 6.3.1). Von größerem Interesse sind an dieser Stelle allerdings die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen, die mit dem „Ende der Ideologien" und der Vorherrschaft des politischen Pragmatismus 139 einhergehen. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen, die aus der wachsenden Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge auf nationaler und internationaler Ebene für die Handlungsfähigkeit des Staates bzw. nationaler Regierungen gezogen werden, ist der Verzicht auf den Anspruch der gesamtgesellschaftlichen Organisation „von oben". Das kann den Rückzug aus Bereichen bedeuten, die ohnehin effektiver und effizienter durch Selbstorganisationsfahig139
Hier und im Folgenden wird der Begriff des politischen Pragmatismus zur Kennzeichnung von politischem Handeln gebraucht, das sich durch vorgebliche oder tatsächliche Ideologiefreiheit auszeichnet und im Zweifelsfall normative Überlegungen hinter Machbarkeitsüberlegungen zurückstellt. Dies ist natürlich eine Verwendung aus dem Bereich der Alltagssprache bzw. den politischen Leitartikeln und hat nichts mehr mit den (sprach-)philosophischen Wurzeln von Pragmatismus' zu tun (auch geht es j a bei diesem Verständnis von politischem Pragmatismus entgegen dem philosophischen Gebrauch nicht um Handeln als Voraussetzung oder Ziel der Erkenntnis, sondern eher um Handeln um der Demonstration der Handlungsfähigkeit willen).
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keiten in der Gesellschaft bedient werden (beispielsweise durch lokale zivilgesellschaftliche Akteure, in einigen Fällen auch durch marktwirtschaftliche Mechanismen), es kann aber auch einen unnötigen Verzicht auf Steuerungsmöglichkeiten bedeuten. In jedem Fall spricht einiges für die Annahme, dass eine gesamtgesellschaftliche Organisation „von oben", d. h. durch den Staat, sowohl nicht möglich als auch nicht wünschbar ist. Ob diese Möglichkeit jemals bestanden hat und erst durch die steigende Komplexität moderner Gesellschaften verunmöglicht wurde, sei einmal dahingestellt. Es hat jedoch tief greifende Folgen für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger bzw. für die Sicht der Bürger vom Staat, wenn das Eingeständnis eingeschränkter Handlungs- und Organisationsfähigkeit des Staates mit einem Mangel an oder Verzicht auf langfristige normative politische Projekte einhergeht. Dabei ist es sowohl die Einschränkung konkreter politischer Handlungsfähigkeit wie auch die zunehmende Unmöglichkeit, die tatsächlichen Handlungen staatlicher Institutionen innerhalb der interpretativen Koordinaten zu verorten, die eine zwar simplifizierende, aber doch vordergründig zuverlässige Bewertung ermöglicht hatten, welche eine zunehmende Verunsicherung der Bürger in Bezug auf die Institutionen der Politik hervorrufen. Diese beiden Ebenen verstärken sich gegenseitig und hängen kausal miteinander zusammen: Das „Ende der Ideologien" (bzw. seine Ausrufung), führt zusammen mit der Proklamation des politischen Pragmatismus dazu, dass Politik anhand ihrer kurzfristigen und eindeutig messbaren Resultate bewertet wird - und gerade das schafft eine sehr konkrete Erwartungshaltung auf Seiten der Bevölkerung, die unter den Bedingungen abnehmender Steuerungsfähigkeit notwendigerweise enttäuscht werden muss. Eine fatale Dialektik scheint hier am Werk: Der nicht-ideologische Blick auf die Gesellschaft sollte einerseits realitätsgerechtes Handeln jenseits starrer und vorgefertigter Handlungsmuster ermöglichen. Langfristig angelegte, gar noch normativ geleitete Politik, die den sozialen Realitäten gerecht werden könnte, ist aber andererseits, wenn sie denn möglich sein sollte, nicht mehr vermittelbar, da die Komplexität der sozialen Realität selbst nicht mehr vermittelbar ist und überdies pragmatische - und das heißt im alltäglichen Verständnis auch: schnelle - Resultate erwartet werden. Darüber hinaus ist diese Komplexität weit gehend undurchdringbar: Nach der ideologischen Polarisierung und Inflation der [19]60er und 70er Jahre begrüßen wir den Niedergang der Ideologien als ein Zeichen des Realismus; anstatt die Realität einem präfabrizierten Schema zu unterwerfen, nimmt man sich der sozialen Komplexität an. Aber diese Komplexität erweist sich aufgrund des Fehlens interpretativer Schlüssel als undurchschaubar (Lechner 1996a: 28, vgl. auch Lechner 1998: 64).
So verheerend die Ideologien gewirkt haben und so unbrauchbar sie mittlerweile geworden seien, so Lechner - ihre gesellschaftliche Funktion habe eben darin bestanden, interpretative „Landkarten" bereitgestellt zu haben, bei der „Ordnung der Dinge" (so Lechner ohne eindeutig auf Foucault hinzuweisen) zu helfen und 148
die Entschlüsselung der sozialen Realität zu ermöglichen. Mit ihrem Obsoletwerden ändert sich Form und Funktion von Politik: Je mehr die Politik 1. aufhört, die oberste Instanz sozialer Koordination und Regulierung zu sein und, auf der anderen Seite, 2. die Bahnen der Institutionalität des politischen Systems in Richtung vielfältiger Vernetzung verlässt, verliert Regierungshandeln seinen angestammten Rahmen. Dazu kommt 3. die erwähnte Erosion interpretativer Kodizes, auf die sich die politische Kommunikation stützt (Lechner 1996a: 31).
Diese drei Aspekte, die Lechner nennt, sind von großer Bedeutung. Sie sind wechselseitig miteinander verbunden, verweisen aber auf sehr unterschiedliche Ebenen des Politischen: auf Repräsentation bzw. Repräsentationsmöglichkeiten; auf staatlich-politisches Handeln im Unterschied zu zivilgesellschaftlichem politischen Handeln; auf politische Steuerungs- und Regulierungsmöglichkeiten bzw. die Fähigkeit zu gesellschaftlicher Selbstorganisation; auf die Sprache politisch-gesellschaftlicher Kommunikation und ihre Veränderung. Vor allem die Frage nach der Repräsentation bzw. den Repräsentationsmöglichkeiten sowie die Frage nach der Veränderung politischer Kommunikation werden im nächsten Kapitel noch behandelt. An dieser Stelle interessiert vor allem, wie sich das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft, von parteigebundener Politik und lokalen Organisationen verändert hat. Das ist von den anderen Fragen letztlich nicht scharf zu trennen; aus Darstellungsgründen wird diese künstliche Trennung hier dennoch vorgenommen.
5.3
Zur Transformation von Politik und politischem Denken
Der Wegfall bzw. die Delegitimierung der „großen Erzählungen", der Utopien fuhrt - zumindest vordergründig - auf der Linken zu größeren Problemen als auf der Rechten. Linke und vor allem sozialistische Parteien gerade in den Ländern der Peripherie tun sich schwer damit, ihre eigene Geschichte und damit ihre Glaubenssätze auf eine ähnliche Weise zu entsorgen, wie das beispielsweise in den Ländern Westeuropas zu beobachten war. Dies liegt zum einen daran, dass der zu beschreitende Weg der Linksparteien in Lateinamerika deutlich länger ist als bei vielen der meist eher sozialdemokratischen als sozialistischen Parteien Westeuropas, da die Positionierung in Lateinamerika eine sehr viel dogmatischere war. Zum anderen ist aber auch die soziale Spaltung in den Ländern Lateinamerikas sehr viel radikaler, sodass die Forderungen nach Veränderung plausiblerweise sehr viel radikaler ausgefallen sind. Damit steht natürlich auch die Abkehr von diesen Forderungen angesichts einer unverändert brutalen sozialen Realität leicht unter dem Verdacht des Verrats an Idealen. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen notwendigen Selbstkritik angesichts zumindest politisch veränderter Rahmenbedingungen fuhren allerdings die Schwierigkeiten mit einer Revision der teilweise noch recht orthodox-marxistischen Positionen der Parteien angesichts der Delegitimierung praktisch aller utopischen Vorstel149
lungen zu einer verstärkten Entfremdung der Linksparteien von weiten Teilen auch der politisch bewussten bzw. aktiven Bevölkerung. Allerdings ist zu betonen, dass es sich um eine Verstärkung ohnehin bestehender Tendenzen handelt: Viele Elemente des Gedankenguts linker Parteien sind schon vor dem „Ende der Utopien" so weit von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen entfernt gewesen, dass diese Parteien in weit gehender gesellschaftlicher Isolation agiert haben (vgl. Lechner 1988: 28). 140 Zu diesen Elementen gehört die schon erwähnte Vorstellung der umfassenden und ausschließlichen Prägung des Menschen durch seine Position im Produktionsprozess. Den vielfältigen Bezügen und Zugehörigkeiten, die von den Menschen als wichtig erlebt werden, kann dies schlechterdings nicht gerecht werden. Dazu kommt, dass gerade in Ländern mit hoher offener Arbeitslosigkeit und einem noch weit größeren so genannten tertiären Sektor hochgradig prekäre Arbeitsverhältnisse die Regel sind und damit nicht unbedingt für die Herausbildung eines Klassenbewusstseins auf kollektiver und individueller Ebene bzw. für die Herausbildung ausschließlicher Selbst- und Weltbilder taugen: Schon die Kategorie der „Klasse an sich" ist in Lateinamerika nur schwer anwendbar; unter diesen Bedingungen auf die Bewusstseinsbildung in Richtung der „Klasse für sich" hinzuarbeiten, ist ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen und muss notwendigerweise auf viel Unverständnis stoßen. Es wurde bereits auf die Interpretation Rosa María Alfaro Morenos verwiesen, die einen der Hauptgründe für die zunehmende Entfremdung zwischen großen Teilen der Bevölkerung und den klassischen politischen Organisationen vor allem auf der Linken (nicht nur, aber auch die Parteien) darin begründet sieht, dass Letztere „schwer" seien, während das Alltagsleben und -erleben der Menschen vor allem von einem Bedürfnis nach „Leichtigkeit" geprägt sei: Der Anspruch der Linken an die Menschen sei es, „ständig gegen den Strom zu schwimmen, so schnell wie möglich und mit aller Kraft", womit sie sich von allem trenne, was spontan sei und Spaß mache, letztlich von allen Gefühlen (Alfaro Moreno 1994b: 148).141 Dieses werde nicht zuletzt von den Massenmedien befördert, die zuvorderst unterhalten wollten. Allerdings werde damit lediglich eine in der Bevölkerung ohnehin vorhandene Tendenz verstärkt. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Tendenz von den Parteien und Gewerkschaften nur unter Verlust ihrer politischen Aussagefahigkeit bedient werden kann - wie das ja teilweise von populistischen Parteien mit mehr oder weniger großem Erfolg praktiziert wird. Allerdings sind die politischen Führungspersonen ohnehin in 140
Dass dies nicht grundsätzlich und nicht überall so gewesen ist (der Wahlsieg Salvador Alist nur eines der eindrücklichsten Gegenbeispiele), stellt die Grundthese nicht infrage. Der spanische Ausdruck pesado meint sowohl „schwer" als auch „schwerfällig", „langweilig", „lästig", aufdringlich". Das als Gegenteil gebrauchte liviano meint neben „leicht" auch „leichtfertig". Dies nur zum besseren Verständnis der Ausdrucksweise - es ist sicherlich je nach Aspekt die gesamte Breite der Bedeutungen in diesen Bezeichnungen mitgemeint. Vgl. die Ausführungen zu Fujimori in Kapitel 5.1.
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aller Regel nicht mehr in der Position, Meinungsführerschaft in politischen Fragen zu übernehmen, weil sie entweder nicht (mehr) in der Lage sind, zu vermitteln, worum es ihnen eigentlich geht, oder weil es um politische Fragen im engeren Sinne gar nicht geht (Alfaro Moreno 1994b: 148-150). Das hängt zum einen mit dem erwähnten Legitimationsschwund der „großen Erzählungen" zusammen und mit der damit einhergehenden Krise der überkommenen politischen Kommunikation - aber auch mit einer Tendenz gerade politischer Parteien, sich in Diskursen zu verlieren, die nur noch sie selbst bzw. die politischen Konkurrenten betreffen, aber nicht mehr die potenzielle Anhängerschaft in der Bevölkerung.142 Das ist ein hochproblematischer Befund für das institutionelle Gefiige einer repräsentativen Demokratie: Auf der einen Seite sind politische Parteien und ihre Repräsentation in Parlamenten unverzichtbar für das Funktionieren einer demokratischen Ordnung in hochkomplexen Gesellschaften, auf der anderen Seite haben sie sich so weit gehend verselbständigt, dass sie von Diskursen leben können, die sie selbst ständig neu generieren, die aber mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nicht unbedingt viel zu tun haben müssen. Jesús MartínBarbero schreibt, dies sei nicht zuletzt darin begründet, dass das Leben der Menschen nicht in einer eher instrumenteilen Rationalität aufgehe, sondern in hohem Maße geprägt sei von Ebenen des Emotionalen, die im politischen Diskurs (aber auch in der offiziellen Erziehung) keine Rolle spielen. Deshalb könne es in der „offiziellen" Politik keinen (adäquaten) Platz für die wichtigsten Dimensionen des (alltäglichen) Lebens der Menschen geben (Martín-Barbero 1994a: 27).143 Martín-Barberos Analyse zufolge erlebt gerade die Stadt eine weit gehende Entwertung des Sozialen (socialidad, im Unterschied zu sociedad, Gesellschaft), was in der Hauptsache zu einer Erosion kollektiver und individueller Identitäten führe - aber auch gegenteilige Effekte haben könne. Die Entwertung sei als Folge der zunehmenden Ungläubigkeit gegenüber den großen gesellschaftlichen Utopien und Projekten auf der einen Seite, des Verlustes von Bindungskraft der einst integrierenden Symbole auf der anderen zu sehen. Beides sei mit der zunehmenden Abkopplung von gesellschaftlicher Entwicklung (in ökonomischer, technischer und wissenschaftlicher Hinsicht) von Partizipationsrechten und Entscheidungskompetenzen der Bevölkerung verbunden.
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ln diesen Komplex gehört auch der Vertrauensverlust der Bevölkerung durch die in Lateinamerika weit verbreitete Korruption. Dies ist jedoch ein eigenes Thema.
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Ein Aspekt davon ist auch, dass auch kulturell orientierte Politik (durchaus nicht nur Kulturpolitik im engeren Sinne) auf die kulturellen Kontexte breiter Bevölkerungsschichten eingehen sollte - und in dieser Politik ist das vielleicht noch am Ehesten möglich: „Es hat keinen Sinn mehr, politisch das Hochkulturelle von dem zu trennen, was in der Masse passiert - in der Kulturindustrie und in den Massenmedien. Das können keine getrennten Politikfelder mehr sein, da das, was kulturell in der Masse stattfindet, fundamental für die Demokratie ist, wenn denn Demokratie noch irgendetwas mit der breiten Masse der Bevölkerung zu tun haben soll" (Jesús Martín-Barbero 1987a: 228-229).
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Nicht zuletzt vor diesem Hintergrand ist das Entstehen vieler unterschiedlicher Formen sozialer und kultureller Bewegungen und Organisationen jenseits institutionalisierter Politik nicht erstaunlich. Jesús Martín-Barbero sieht in diesen Neuen Sozialen Bewegungen (vor allem im Urbanen Raum) sowohl eine produktive Reaktion auf die Auflösung überkommener sozialer Bindungen, als auch die Grundlage für ein neues Demokratie- und Politikverständnis. Der bereits beschriebene komplexe politisch-soziale Kontext werde nun von den Neuen Sozialen Bewegungen konstruktiv genutzt, da er zwar herkömmlichen Politikformen (v.a. Parteien und Gewerkschaften) zunehmend die Legitimation entziehe, gleichzeitig aber Raum schaffe für eine Wiederentdeckung und Wiederaneignung derjenigen Dimensionen von Politik, die in der „offiziellen" Politik eben nicht oder nicht mehr vorkommen: das Politische als Produktionsstätte von sozialem Sinn.144 Die Differenz und Heterogenität von Weltsichten, Lebensentwürfen und den daraus resultierenden Interessen führe so nicht zur Fragmentierung, sondern werde zum Rahmen einer Vertiefung von Demokratie und des Rechtes auf Selbstbestimmung (Martín-Barbero 1991: 428-431; vgl. auch Martín-Barbero 1992: 58-59; 1994b: 90, 98-102; 1995: 170-171). Damit sprengen diese Bewegungen das traditionelle Politikverständnis und versuchen sich an dem, was am Beginn dieses Kapitels als „Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst" bezeichnet wurde. Das bedeutet zum einen, dass es um eine Verbindung der Durchsetzung eigener Interessen (Macht im Weber'sehen Sinne) und um die Kommunikation von Anerkennungsforderungen (Macht im Arendt'schen Sinne) geht: nicht nur administrative Macht, sondern auch kommunikative Macht (vgl. die Ausführungen im Kapitel 2.5). Zum anderen geht es um die Bündelung von Kräften, um im vergleichsweise eng begrenzten Kontext des Alltäglichen mit nichts Geringerem als dem Leben selbst umzugehen: Ein würdigeres und sinnvolleres Leben ist das Ziel (Martín-Barbero 1994b: 99). 145 Und das bedeutet, in die Sprache der theoretischen Ansätze übertragen, in deren Kontext sich diese Arbeit stellt: Es geht um die Verbreiterung und Vertiefung von Anerkennungsverhältnissen, und es geht um die Durchsetzung von legitimen Forderungen nach sozialer Inklusion. Auf diese Zusammenhänge wird bei der Darstellung des dritten Strangs der kulturtheoretischen Wende der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften noch zurückzukommen sein.
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Vgl. auch die Ausfuhrungen Arturo Escobars. Mit Bezug auf die Theorie sozialer Bewegungen von Alberto Melucci schreibt er hinsichtlich der Eingebundenheit solcher Bewegungen in Alltagspraktiken und individuelle Erfahrungen: „Social movements thus bring about social practices that operate, in part, through the creation of spaces for the production of meanings" (Escobar 1992: 73). Dies ist auch zu beziehen auf die Hinweise zur „Symbolizität von Politik", die Gerhard Göhler (1999) gibt. 145 Für einen Sozialwissenschaftler aus den westlichen Industrienationen ist es mitunter ein wenig schwer, sich diese vermeintlich großen Worte gänzlich unpathetisch zu denken. Der geneigte Leser sei versichert, dass diesen (und ähnlichen) Sätzen tatsächlich jegliches Pathos fehlt.
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Auf den ersten Blick könnte dies wie der Versuch aussehen, den Begriff des Politischen so auszuweiten, bis schließlich alles politisch ist, weil letztlich alles mit der Würde und der Sinnhafitigkeit des Lebens zu tun hat. Aber der Begriff wird weder entleert noch entpolitisiert - er wird lediglich auf seine alltäglichen Dimensionen bezogen: Es geht um soziale Räume, in denen um die unterschiedlichen Weltsichten gestritten wird, in denen das Aus-/Verhandeln von Differenzen und unterschiedlichen Interessen möglich wird. [...] Es handelt sich um Kämpfe, die das herausfordern, was wir vormals unter kulturellen Identitäten verstanden haben, da sie genau das miteinander verbinden, was weder Politiker noch Kulturschaffende jemals in Verbindung bringen konnten: den Kampf um Räume - im Sinne von Wohnraum, öffentlicher Infrastruktur und kulturellem Raum mit dem Kampf für Selbstbestimmung gegen heutzutage sehr komplexe Formen von vertikalen Machtstrukturen und Bevormundung (Martin-Barbero 1991: 431).
Diese Bewegungen können ganz unterschiedliche thematische Felder besetzen und organisatorische Formen annehmen. Martin-Barbero nennt als Beispiele soziale, ethnische, regionale, feministische, ökologische, Jugend-, Konsumentenund Schwulenbewegungen - und die Liste ließe sich mit Sicherheit noch eine ganze Weile fortführen. Wichtig ist ihm, dass sich hier keine Kluft zwischen politischem Handeln und Alltagsleben auftut, wie das zwischen den Menschen und den Parteien der Fall ist. Auch wenn die Themen in der Terminologie Rosa Maria Alfaro Morenos teilweise eher „schwer" sind, so müssen es die Organisations- und Aktionsformen nicht sein - und vor allem müssen sie nicht einen ideologischen Ballast mit sich herumschleppen, der die Handlungsmöglichkeiten eher lähmt als befördert: Da an die großen Ideale nicht mehr geglaubt wird und angesichts des Verlustes der integrierenden gesellschaftlichen Symbole sei [in der Perzeption dieser Bewegungen] das Einzige, was uns noch bliebe, das Unmittelbare: das Gegenwärtige und das Nahe. Es ist nicht so, dass man das Bewusstsein darüber verloren hätte, dass die Dinge schlecht laufen, das Unrechtsbewusstsein verloren hätte, aber es sind die großen Projekte verschwunden, die Utopien, welche den großen Veränderungen die Richtung angezeigt haben (Martin-Barbero 1991: 430).
Auch der mexikanische Soziologe Sergio Zermeno streicht vor allem die politischen Vorteile heraus, die den sozialen Bewegungen durch das „Ende der Utopien" entstanden sind: Sie sind seiner Ansicht nach erstens flexibler in ihren Aktionen geworden, zweitens pragmatischer, drittens akzeptierter, sowohl von Seiten der Bevölkerung, aus der heraus sie entstanden sind, als auch von Seiten der staatlichen Autoritäten, mit denen sie deutlich seltener in Konflikt geraten denn der Staat und vor allem die Staatsmacht ist nicht mehr der primäre Referenzpunkt. Der Wegfall der Ideologien birgt aber auch Nachteile, denn es fallen eine gemeinsame Sprache und ein geteilter Wertehorizont weg, dadurch werden die Bewegungen in sich und untereinander widersprüchlicher und inkonsistenter (Zermeno 1988: 64-68). 153
Dieser letztere Aspekt verweist auf ein Dilemma, in das einige der lokalen Organisationen geraten, die dem oben erwähnten Entfremdungsprozess (zwischen politischem System und seinen Organisationen auf der einen Seite, der Bevölkerung und ihrer Lebenswelt auf der anderen Seite) entgehen wollen oder die gerade aufgrund jenes Entfremdungsprozesses überhaupt entstanden sind: Je mehr lokale Organisationen in der Logik des „Leichten" agieren, desto mehr verlieren sie nicht nur die Möglichkeit zu politischer Meinungsfuhrerschañ (wenn sie auch nur örtlich oder thematisch begrenzt möglich gewesen wäre), sondern auch die Kooperations- bzw. Allianzmöglichkeiten mit den überregionalen politischen Organisationen. Versuchen sie auf der anderen Seite, sich nicht der „Leichtigkeit" zu verschreiben, sondern „ernsthafte" Politik zu betreiben, geraten sie beinahe zwangsläufig in den gleichen Entfremdungsprozess, von dem die meisten Parteien und Gewerkschaften betroffen sind (Alfaro Moreno 1994b: 148149; vgl. auch mit allgemeinerem Bezug: Schmalz-Bruns 1995: 101-102). Allerdings gehen die Meinungen darüber stark auseinander, wie tragisch dieses Dilemma wirklich zu sehen ist. Sergio Zermeño oder Jesús Martín-Barbero stellen eher die Öffnung von Handlungsräumen in den Vordergrund, während Rosa Maria Alfaro Moreno eher die Gefahr verringerter politischer Spielräume in Bezug auf weiter gehende politische Forderungen sieht. Diese unterschiedlichen Bewertungen sind nicht zuletzt in dem größeren Zusammenhang der lateinamerikanischen Debatte um die intellektuelle Vergangenheit der Sozialwissenschaften zu sehen, die bereits ausgeführt wurde. Überhaupt erst in den 1980er Jahren begann sich der Blickwinkel auf soziale Bewegungen langsam zu verändern, begann sich auch die Sprache zur Beschreibung solcher Bewegungen zu verändern: weg von einem Ordnungsschema, das nach Kategorien von Klassenkampf und Einheitsfront einordnet, hin zu einer Sicht von Bewegungen, die diese in ihr eigenes Recht setzt. Die aus dieser Veränderung erwachsende Spannung lässt sich beispielsweise an einem 1985 erschienenen Artikel der peruanischen Sozialwissenschaftler Carlos Frías und Fernando Romero (Frías/Romero 1985) ablesen: Auf der einen Seite werden neue soziale Bewegungen in Lima durchaus positiv in ihrer Heterogenität und Diversität beschrieben; auch nicht unmittelbar politische Bewegungen wie Theatergruppen und andere künstlerische Aktivitäten werden in ihrem Eigenrecht und ihrer Wichtigkeit anerkannt - und es wird auch anerkannt, dass gerade die Buntheit und Vielfältigkeit von Artikulationen eine Demokratisierung der Stadt zur Folge haben könne, weil damit eine Art subpolitischer Selbstorganisation entstehe, die ihr demokratisches Potenzial gerade aus dem Umstand ziehe, dass sie nicht versuche, staatliche oder parastaatliche Organisationsformen anzunehmen (Frías/Romero 1985: 11-12). Auf der anderen Seite können sich die Autoren noch nicht vollständig von der Perspektive der „traditionellen Linken" lösen: Sie verstehen sich zum einen gerade in ihrer Rolle als Sozial Wissenschaftler als integraler Bestandteil der linken Bewegung - und das bedeutet auch, dass die Analyse des lokalen Widerstands in Lima in der Haupt154
sache dem Zweck dient, diesen zu stärken und mitorganisieren zu können. 146 Auch versichern sie, trotz der Konzentration auf subpolitische Demokratisierungsprozesse würde die Klassenperspektive nie außer Acht gelassen. Wichtiger erscheint mir jedoch das Ringen um eine Position, die dem Dilemma entkommen kann, das entsteht, wenn auf der einen Seite die Eigenständigkeit von heterogenen und teilweise auch widersprüchlichen Artikulationen künstlerischer, sozialer und politischer Art anerkannt werden soll und auf der anderen Seite das größere Projekt eines demokratischen Sozialismus verwirklicht werden soll, was die Notwendigkeit der Koordination und Organisation gemeinschaftlichen Widerstands beinhaltet. Die Frage der übergreifenden Organisation von Widerstand und Selbstverwaltung verweist auch auf die Frage nach dem Verhältnis von staatlicher Organisation und gesellschaftlicher Selbstorganisation. Auf der einen Seite wird konstatiert: [Das Handeln der popularen Organisationen] stellt die Form der Organisation der Gesellschaft und des Staates inirage, die Rolle der Parteien und die Art der Partizipation der Bürger am Leben des Landes. Die popularen Organisationen reformulieren mit ihrer Praxis einen Begriff von Politik als Monopol der Parteien, abgetrennt von dem Alltagsleben der Bevölkerung und besetzt ausschließlich durch den Kampf um den Erhalt oder die Übernahme der Macht im Staate (Frías/Romero 1985: 9).
Auf der anderen Seite schwingen aber in ihren eigenen Ausführungen Vorstellungen der Übernahme staatlicher Gewalt zumindest auf lokaler Ebene mit, wenn durch die Vernetzung der einzelnen Organisationen in Verbindung mit Wahlerfolgen fur die Vertretungen der gemeindlichen Selbstverwaltung eine „wirkliche lokale Regierung" etabliert werden soll (Frías/Romero 1985: 15). Zwar wird betont, dass die dafür nötige Vernetzung der vielen Organisationen zum einen nicht gegen deren Willen und „von oben" erfolgen solle und ihnen zum anderen größtmögliche Autonomie innerhalb der neu zu schaffenden Strukturen der übergeordneten Organisation zugestanden werden solle, weil Heterogenität und Diversität nicht Behinderung, sondern Grundlage demokratischer Selbstorganisation sei - letztlich scheint aber doch immer wieder ein recht zentralistisches Modell von Organisation durch. Ein anderes Spannungsfeld, das sich - letztlich bis heute ungelöst - seit den 1980er Jahren in den lateinamerikanischen Sozialwissenschaften beobachten lässt, ergibt sich aus der Frage, welche popularen Artikulationen denn nun als widerständig oder gar emanzipatorisch gelten können bzw. unter welchen Bedingungen welche Praktiken der Errichtung von (kultureller) Gegenhegemonie 146
Schon die Zeitschrift, in der der Artikel erschien, beleuchtet diesen Kontext: Tarea („Aufgabe") ist zwar eine bis heute erscheinende peruanische sozial- bzw. erziehungswissenschaftliche Publikation, stand aber damals eindeutig der Izquierda Unida (Vereinigte Linke, IU) nahe, einem Zusammenschluss mehrerer Linksparteien in Peru, der 1980 begründet wurde und bis zu seinem Auseinanderbrechen 1989 einen wichtigen Faktor in der peruanischen Politik darstellte (u.a. stellte die IU über mehrere Jahre den Bürgermeister in Lima).
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dienen können und wann sie eher den Status quo stützen.147 In einem 1984 erschienenen Artikel setzt sich Néstor García Canclini mit den radikalen Veränderungen in den lateinamerikanischen Sozialwissenschaften auseinander und bestreitet, dass der tägliche Kampf ums Überleben als Ausdruck von Widerstand gelesen werden könnte, auch wenn dieser Kampf als ein gemeinschaftlicher erlebt und damit zu solidarischen Organisationsformen fuhren kann: Es werden Phänomenen die Eigenschaften des Widerstands gegen die Macht zugeschrieben, die einfach populare Ressourcen darstellen, mit denen [die Menschen] ihre Probleme lösen oder ihr Leben am Rand des hegemonialen Systems organisieren (Stadtteilsolidarität, traditionelle Feste). In anderen Fällen repräsentieren vermeintliche Manifestationen von ,Widerstand' oder ,Gegenhegemonie' eher die Ambivalenz, die unaufgelösten Widersprüche innerhalb der subalternen Klassen (z.B. die Verteidigung lokalistischer Interessen, die die grundlegenden Triebfedern des Kapitalismus nicht infrage stellen). Um herauszufinden, ob diese Ereignisse aus der bloßen konservativen Selbstvergewisserung in Richtung revolutionären Widerstandes heraustreten können, muss damit begonnen werden, die Komponenten in ihnen anzuerkennen, in denen sich das Autonome mit der Reproduktion der bestehenden Ordnung vermischt [...] (Garcia Canclini 1984: 71; Hervorh. i. O.).
Zweierlei ist hier zu beobachten: Zum einen geht es Garcia Canclini um eine deutlich größere Differenzierung, als das im Rahmen des ersten Überschwangs der Entdeckung lokaler bzw. alltagsweltlich verankerter Formen von Bewegungen möglich war. Dieses Ringen um Differenzierung wird später noch größere Beachtung erfahren. Zum anderen bleibt aber die Rhetorik merkwürdig unentschlossen zwischen den tendenziell entgegengesetzten Bemühungen, die differenziertere wissenschaftliche oder die entschiedenere revolutionäre Position einzunehmen. In jedem Fall scheint auch das Bemühen um Differenzierungen vorerst noch eine Funktion des Revolutionären zu bleiben. Garcia Canclini kann (damals) noch nicht den Schritt hin zur Anerkennung einer Logik des Widerstandes innerhalb eines formal demokratischen, gleichwohl kapitalistischen Systems machen: Zwischen „revolutionärem Widerstand" und nur als konservativ zu denkender Selbstvergewisserung gibt es erst einmal nichts.148
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Allerdings nicht nur in Lateinamerika - die Frage ist auch in ganz grundsätzlicher Weise an die Cultural Studies gerichtet worden, vgl. Garnham (1997); Gitlin (1997); Ferguson/Golding (1997); Kellner (1997a und 1997b); Thomas (1997). 148 Das Zitat zeigt nebenbei, dass es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich so etwas wie eine lateinamerikanische Debatte gegeben hat, die relativ unabhängig von der konkreten Situation in den einzelnen Staaten gewesen ist: Die revolutionäre Rhetorik bleibt bestimmend, obwohl der Argentinier Garcia Canclini schon lange in Mexiko gearbeitet hatte, also nicht unter den Bedingungen einer Diktatur bzw. unmittelbar nach ihrem Ende, sondern in einer (zumindest in Bezug auf die sozialwissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten) recht liberalen Gesellschaft.
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Allerdings folgt García Canclinis Argumentation einem Schema entlarvender Ideologiekritik: Nachdem er den ideologischen Charakter der vorschnellen Zuschreibung widerständigen Potenzials in allen popularen Bewegungen einmal festgestellt hat, kann er die Ergebnisse des sozialwissenschaftlichen Paradigmenwechsels in einem sehr viel freundlicheren Licht erscheinen lassen und anerkennen, dass damit tatsächlich der Blick auf politisches Potenzial frei wird, das vorher unbeachtet geblieben war, vielleicht auch in dieser Form vorher nicht existiert hatte. Er macht zwei Formen von Widerständigkeit aus, die nun (seit Anfang der 1980er Jahre) politisch sichtbar werden, auch wenn sie nicht unbedingt direkt politische Gestalt annehmen: Zum einen sind es die Reaktionen auf - meist alltägliche - Formen von Repression, Diskriminierung und Willkür; zum anderen Kämpfe im Bereich des Konsums, also Kämpfe für die Aneignung (teilweise lebensnotwendiger) Güter und Dienstleistungen. Die Frage, die sich im Anschluss daran allerdings (nicht nur Néstor García Canclini) stellt, ist die nach der politischen Wirksamkeit über lokal begrenzte Konflikte oder monothematische Fragestellungen hinaus. Sofern die Vorstellung eines größeren politischen und/oder gesellschaftlichen Projektes nicht vollständig aufgegeben wird, bleibt es ein schwer lösbares Problem, wie sich die berechtigte Eigenständigkeit und Begrenztheit kleiner Bewegungen und alltäglicher Widerstandsformen mit (gesamt-)gesellschaftlicher Veränderung zusammendenken lassen (Garcia Canclini 1984: 77-78). Allerdings wird auch hier eine Veränderung seit den frühen 1980er Jahren deutlich: Nicht immer wird die Frage überhaupt noch für relevant gehalten. Der argentinische Theologe Juan Carlos Scannone ist trotz des Fehlens übergeordneter Organisationsformen überzeugt, dass sich die unterschiedlichen Kräfte der Zivilgesellschaft - zumindest auf lokaler Ebene - von selbst bündeln könnten. Allerdings gilt es, sich von bestimmten überkommenen Vorstellungen von Organisation zu lösen: Die Organisation populärer Bewegungen sei eben nicht mehr eine im Sinne der „bürokratisch-administrativen Rationalität", die den Parteien und Gewerkschaften zu Eigen ist, sondern ginge in Richtung auf eine „regierend-leitende und kommunikative Rationalität". Diese wiederum sei Ausdruck eines „Neokommunitarismus" bzw. eines „Kommunitarismus der Basis" (Scannone 1999: 622). Ob dies allerdings noch die Frage nach gesellschaftlicher Veränderung einschließt, darf zumindest bezweifelt werden. Die unterschiedlichen Bewertungen des politischen bzw. gesellschaftlichen Potenzials von Bewegungen aus dem Bereich des Alltäglichen verweisen also nicht zuletzt auf einen tiefer liegenden Unterschied in Bezug auf die Einschätzung gesellschaftlicher Veränderung überhaupt: Es geht um die grundsätzlichere Frage, ob eine als wünschenswert oder gar notwendig angesehene gesellschaftliche Veränderung als (normativer) Ausgangspunkt genommen wird, von dem aus soziale Bewegungen und politische Artikulationen betrachtet werden - oder ob von einem vermeintlich objektiven Standpunkt aus zunächst diese Bewegungen und Artikulationen betrachtet werden, um anschließend das Potenzial gesellschaftlicher Veränderung abschätzen 157
zu können. Auch wenn Letzteres auf den ersten Blick als die sozialwissenschaftlich adäquatere Vorgehensweise erscheinen mag, läuft diese doch Gefahr, sich in den Fallstricken einer unausgesprochenen Apologetik des Bestehenden zu verfangen. Auf diese Fragen wird später noch ausführlicher zurückzukommen sein; an dieser Stelle soll nur kurz dieser Unterschied deutlich gemacht werden: Heinz R. Sonntag macht drei unterschiedliche Typen von widerständigen Bewegungen in Lateinamerika aus (Sonntag 1998: 155): - Bewegungen indigener Bevölkerungsgruppen um kulturelle und politische Anerkennung und Selbstbestimmung;149 - Sem 7e/rö-Bewegungen (Landlosenbewegungen), also die vor allem in Brasilien entstandene Bewegung landbesitzloser Bauern, die sich über Landbesetzungen (häufig brachliegende) Flächen anzueignen versuchen; sowie - Solidaritätsbewegungen von (sozial) Marginalisierten, die Überlebensstrategien entwickeln und dafür kämpfen, als Bürger mit entsprechenden Rechten anerkannt zu werden. Die sozialen Bewegungen und politischen Artikulationen aus dem Bereich des Alltäglichen finden bei Sonntag durchaus Berücksichtigung - allerdings keine privilegierte. Was er betrachtet, sind vornehmlich Typen von Bewegungen, die sowohl dezidiert politische Anliegen verfolgen als auch tendenziell über ihre jeweiligen Entstehungskontexte hinausweisen. Genau diese - unbestreitbar in hohem Maße relevanten - Bewegungen können umgekehrt aber nicht erfasst werden, wenn das Augenmerk vor allem (oder gar ausschließlich) auf jene neuen Bewegungen aus dem Bereich des Alltagslebens (und ihrem Gegensatz zu Parteien und Gewerkschaften) gerichtet wird: Fernando Calderón beispielsweise unterscheidet soziale Bewegungen danach, ob sie ,reaktiven" oder „proaktiven" Typs sind. „Reaktive" Bewegungen sind Bewegungen „alten" Typs und prangern vor allem soziale Missstände an (wie beispielsweise Gewerkschaften), während „proaktive" Bewegungen versuchen, innerhalb der gegebenen Gesellschaft die Spielräume der Kritik und der Gestaltung zu nutzen. Dies betrifft vor allem kleinere, lokale Bewegungen mit thematischen Schwerpunkten von Ökologie bis gender oder Homosexualität (Calderón 1998: 77-78). Es fallt unmittelbar auf, dass der Großteil der Bewegungen, die Sonntag aufzählt, nicht in dieses Schema passt. Obwohl es sich teilweise durchaus um sehr „proaktive", neue und innovative Formen von Widerstand handelt (was im Falle des EZLN auch eine der Bedingungen für die weltweite Aufmerksamkeit ist), so geht es primär nicht darum, bestehende Spielräume kreativ zu nutzen, sondern diese überhaupt erst zu schaffen - und damit auf bestehende gesellschaftliche Missstände zu reagieren. Indem die positiven Konnotationen des „Neuen" und des „kreativen Nut149
Zu diesen Bewegungen zählt er interessanterweise auch den mexikanischen EZLN, obwohl dieser m. E. eher zu der dritten Kategorie der Solidaritätsbewegungen von sozial Marginalisierten gehört.
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zens von Spielräumen" nur mit solchen Bewegungen verbunden werden, die in ihrem Anspruch und mit ihren Aktionen keine weiter reichenden Veränderungen zumindest implizieren, werden diejenigen Bewegungen stillschweigend aus dem Blickfeld gerückt, die solche Veränderungen anstreben. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch in Anspruch und Aktionsradius begrenzte Bewegungen politische Relevanz besitzen können und über den unmittelbaren Wirkungsradius hinaus Veränderungen bewirken können, weswegen Sonntag die Solidaritätsbewegungen ja explizit zu den Widerstandsbewegungen rechnet. Aber wenn die Wertschätzung für politisches Potenzial vordergründig wenig politischer Artikulationen auf der einen Seite zu einer impliziten oder expliziten Geringschätzung direkter politischer Aktivität auf der anderen Seite fuhrt, liegt ein grundlegend anderes Verständnis von Gesellschaft und ihrer Veränderbarkeit vor, als wenn Erstere lediglich als ein Teil dessen gewertet werden, was in einer Gesellschaft an Widerstandspotenzial vorhanden ist. Die Frage ist nun allerdings, ob es eine theoretische Verbindung zwischen diesen Widerstandspotenzialen gibt. Ein wesentliches Verbindungsglied könnte nun im Bereich des Kulturellen liegen: Eine politisch motivierte Befragung des Kulturellen könnte helfen herauszufinden, in welchen Kontexten und unter welchen Bedingungen sich politisches Potenzial herausbilden kann und in welchen Kontexten und unter welchen Bedingungen sich dieses Potenzial auch realisieren kann. Allerdings sollte auch deutlich geworden sein, dass nicht eine solche Befragung des Kulturellen selbst Gegenstand dieser Untersuchung ist, sondern ein genauer Blick auf die historischen und epistemologischen Bedingungen, unter denen in Lateinamerika eine solche Befragung bereits erfolgt und in welcher Form - um daraus wiederum theoretische Rückschlüsse auf ein mögliches Konzept von politischer Kultur ziehen zu können.
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6 Zur kulturellen Logik kollektiven Handelns in Lateinamerika Der Umstand, dass das Kulturelle überhaupt als Dimension des Politischen wahrgenommen werden kann, ist fiir sich ein weiteres Ergebnis innerhalb der umfassenderen Veränderungen in der Gesellschaft und dem Denken über Gesellschaft in Lateinamerika. Nach den Strängen, die sich mit der Dialektik von Moderne und Postmoderne und mit der politischen Demokratisierung beschäftigt haben, ist die Veränderung in der Wahrnehmung der Kultur der Hauptaspekt des nun folgenden dritten Stranges.
6.1 Kulturwissenschaftliche Wende und intellektuelle Selbstkritik Wie auch die im zweiten Strang dargestellten Veränderungen beginnt das Umdenken in Bezug auf die Kultur in Lateinamerika mit intellektueller Bestandsaufnahme und Selbstkritik, vor allem von Seiten der intellektuellen Linken. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Selbstkritik bezieht sich dabei auf die Position der marxistischen Linken, die nicht nur gegenüber der Demokratie, sondern auch und gerade gegenüber der Kultur weit gehend blind gewesen ist. Damit konnte auch der innere Zusammenhang zwischen Politik und Kultur nicht gesehen werden: Politik und Kultur wurden als klar zu trennende Bereiche betrachtet, wobei nur die Politik für die angestrebte Umgestaltung der Gesellschaft Relevanz besaß; die kulturelle Dimension, vor allem die des Alltagslebens, hatte in diesem engen Begriff des Politischen keinen Raum. Auch die eher seltenen Versuche von Seiten einiger Soziologen ab den späten 1960er Jahren, kulturelle Prozesse in die gesellschaftliche Analyse einzubeziehen, erwiesen sich durch die Engfuhrung innerhalb der marxistischen Analyse als sehr begrenzt fruchtbar: Der wachsende Einfluss des Marxismus beschränkte erst einmal viele Arbeiten auf ideologische Denunzierungen, die symbolische Güter über ihre Relation mit der ökonomischen und politischen Herrschaft 'erklärten'. Weder die an der Dependenztheorie orientierten Texte noch diejenigen, die später mit dem marxistischen Strukturalismus aufkamen, brachten der internen Dynamik der kulturellen Bereiche größere Aufmerksamkeit entgegen (Garcia Canclini 1994: 120).
Die Ausblendung des Kulturellen schien auf den ersten Blick ja auch ihre Berechtigung zu haben: Angesichts von „Schuldenberg und ökonomischer Krise, Arbeitslosigkeit und den Problemen der Industrialisierung [...] - welche Anziehungskraft könnten die Probleme der Kultur da noch haben?" (Brunner 1987: 30). Allerdings ist dies auch nur so lange plausibel, wie unter Kultur nicht Sinnund Bedeutungssysteme, sondern ausschließlich ästhetische Produkte verstanden 161
werden und diese ggf. ausschließlich zur Sphäre des Überbaus gerechnet, also als ideologisch denunziert werden. In dieser Rückbetrachtung wird eine vormals sehr eindimensionale Sichtweise von Gesellschaft deutlich, die - nebenbei gesagt - auch vollkommen undialektisch ist. Wiederum spielen zwei Ebenen bei der Reflexion über die eigenen gesellschaftswissenschaftlichen Defizite eine Rolle: Wie schon im zweiten Strang geht es auch hier zum einen um die analytischen Defizite, die ein deutlich unterkomplexes Verständnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge mit sich brachte; es geht aber auch wiederum um die strategischen politischen Fehler, die sich für die politische Linke aufgrund der fehlerhaften Gesellschaftsanalyse ergaben. Diese „traditionelle" Linke „unter dem Kodex des Leninismus" (Brunner 1988: 409), sei unter anderem, so die Selbstkritik, nicht in der Lage gewesen, die Relevanz der Kultur für die Macht zu erkennen, da sie die Macht nur in den staatlichen Institutionen (v.a. in den Repressionsorganen) gesucht habe. Für die politische Praxis sei es in dieser Vorstellung folglich auch ausreichend gewesen, im institutionellen Bereich die Macht zu übernehmen, um den Sozialismus aufzubauen. Aber diese Vorstellung habe das dialektische Verhältnis von Basis und Überbau völlig verkannt, innerhalb dessen die Zivilgesellschaft einen wichtigen Teil der kulturellen Hegemonie ausmache. Es finden sich hier zwei der Elemente wieder, die im zweiten Strang bereits eine wesentliche Rolle gespielt haben: die Geringschätzung der Demokratie und die Fixierung auf den Staat und seine Institutionen. Im Hinblick auf die Demokratie lässt sich auch hier wieder eine Geringschätzung des demokratischen Formalismus innerhalb eines kapitalistischen Systems beobachten: Die Überwindung des Klassencharakters der Gesellschaft besaß absolute Priorität - auch innerhalb eines (zumindest formal) demokratischen Systems. Das Erlangen der Regierungsgewalt, auch über demokratische Wahlen, stellte in der Vorstellung der traditionellen Linken einen wichtigen Schritt zum Sozialismus dar. Der Möglichkeit selbst, über demokratische Wahlen Regierungsgewalt zu erlangen, wurde dabei kein eigener Wert zugemessen.150 Die tragischen Konsequenzen dieser Vorstellung zeigten sich vor allem in Chile besonders deutlich: Der Fall Allende demonstriert nach José Joaquin Brunner mehr das Versagen der Linken als den Triumph der Reaktion: Als die Volksregierung [die Regierung Salvador Allendes; B.S.] erst einmal eingesetzt war, zeigte die Erfahrung sehr schnell, dass die Staatsmacht weder direkt noch einfach in Einfluss in der Gesellschaft umgewandelt werden konnte. Die gesamte Linke musste ''"Allerdings muss dabei auch beachtet werden, dass in den 1960er Jahren in den wenigsten Ländern Lateinamerikas überhaupt demokratische Regime herrschten, nicht einmal formal demokratischer Art. Chile und Kolumbien bilden zwei der wenigen Ausnahmen, die auf eine vergleichsweise alte und weit gehend ungebrochene demokratische Tradition zurückblicken konnten (vgl. González Casanova 1999: 11). Schon Mexiko ist ein eher unklarer Fall, da dort zwar regelmäßig Wahlen abgehalten wurden, es allerdings de facto kein Mehrparteiensystem mit der Möglichkeit eines Regierungswechsels gab (das änderte sich erst allmählich gegen Ende des 20. Jahrhunderts).
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deshalb lernen, noch ohne Gramsci auch nur zu kennen, dass die Hegemonie zwei Momente besitzt, und dass einer davon, essenziell, die intellektuelle und moralische Führung der Gesellschaft ist [...]. [Die Linke] hatte systematisch die demokratischen Erfordernisse im Herzen der Gesellschaft unterbewertet, im Glauben, die Kontrolle über einige Mittel der Macht reiche für sich aus, die sozialistische Transformation des Landes einzuleiten (Brunner 1988: 420).
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des kaum zu überschätzenden Symbolwerts der Regierung der Unidad Popular unter Allende und ihrem Ende durch den Putsch Pinochets für das lateinamerikanische Selbstverständnis ist diese Selbstkritik äußerst bemerkenswert. Sie revidiert allerdings nicht nur die Geringschätzung des demokratischen Prozesses, sondern auch die Staatszentriertheit des politischen Denkens in Lateinamerika. Diese Staatszentriertheit ist historisch bedingt: Anders als in Europa oder den USA war das Staatsverständnis in Lateinamerika weniger von der liberalen Vorstellung der Setzung von Rahmenbedingungen geprägt, unter denen sich die bürgerliche Gesellschaft entfalten könnte. Die wirtschaftliche wie soziale Entwicklung in Lateinamerika war auch nach der Unabhängigkeit geprägt von staatlicher Initiative, weniger von den Selbstorganisationskräften der Gesellschaft. Das zeigt sich beispielsweise an den unterschiedlichen populistischen Bewegungen, die über korporatistische Integrationsmechanismen soziale Inklusion betrieben,151 ohne dies allerdings als die Anerkennung bürgerlicher, politischer Partizipationsrechte zu verstehen. Auch hatten soziale Errungenschaften nicht den Charakter des Erkämpfens sozialer Rechte (wie durch die europäische Arbeiterbewegung), sondern eher den der Gewährung bescheidener Privilegien. Der Staat ist damit zuständig für die Verteilung sämtlicher Ressourcen, nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Art, und er bildet den Ausgangspunkt aller sozialen Beziehungen. Fernando Calderón und Norbert Lechner konstatieren, „[...] die unterschiedlichen sozialen Kräfte konstituieren sich als Akteure mit Bezug zum Staat und strukturieren ihre gegenseitigen Beziehungen über die Vermittlung durch den Staat" (Calderón/Lechner 1998: 17). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn die Linke ihr politisches Handeln immer nur auf den Staat, nicht auf die Zivilgesellschaft bzw. die bürgerliche Gesellschaft ausgerichtet hatte (Brunner 1988: 418). Dies traf nicht nur auf die Linke, sondern auch auf die Rechte zu (Weffort 1987: 16), allerdings scheint es dort keine Bestrebungen zu einer kritischen Aufarbeitung zu geben: Selbst die entschiedensten Verfechter der politisch-ökonomischen Deregulierung sehen den Staat als zentrale Instanz der Durchsetzung und Gewährleistung wirtschaft-
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Das bekannteste Beispiel ist die peronistische Bewegung in Argentinien. Als Beispiele ließen sich aber auch die Regierung des Generals Gustavo Rojas Pinilla in Kolumbien (1953-57) oder - aktueller - des ehemaligen Putschisten Hugo Chavez Frías in Venezuela (seit 1998) anführen. Ähnliche Phänomene lassen sich in der Geschichte fast aller lateinamerikanischen Staaten finden.
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licher Prosperität - die bürokratisch-autoritären Regime sind nicht zuletzt mit wirtschaftsliberalen Projekten verbunden gewesen. Der Ausgangspunkt der Überwindung der Staatszentriertheit im politischen und gesellschaftlichen Denken ist wiederum die Überwindung der Diktaturen und die demokratische Transition - ähnlich bedeutsam wie für die neue Wertschätzung der Demokratie selbst und in gewisser Weise gleichursprünglich. Die demokratische Transition selbst lässt sich zu einem wesentlichen Teil auf die Entdeckung der Relevanz des Gesellschaftlichen für die Politik zurückfuhren: In der durch die Diktatur vordergründig entpolitisierten Gesellschaft musste sich das Politische einen Raum außerhalb seines genuinen Terrains - der politischen Öffentlichkeit - suchen, und es fand ihn zuerst im Bereich kultureller Artikulationen und Produktionen, im Theater, in der Literatur, im Kino, bevor es (in der Hauptsache über die Kirchen) wieder Eingang in die Institutionen fand, in die Parteien - bis hin zum Militär. Damit begann nach José Álvaro Moisés 152 eine langsame gesellschaftliche Öffnung, die im Rückzug der Militärs von den höchsten offiziellen Ämtern endete (Moisés 1988: 50; vgl. auch zu Chile: Mires 1984: 60-64). Diese Erfahrungen führten die intellektuelle Linke in Lateinamerika zu einer differenzierteren Sichtweise des Verhältnisses von Staat und Politik: Die Politik, als Theorie und als Praxis, entsteht nicht erst mit dem Staat; sie geht ihm voraus, und aus diesem Grund ist es auch nicht erstaunlich, dass sie nicht ausschließlich auf den Staat angewiesen ist, um sich zu manifestieren (Moisés 1988: 50).
Die Konsequenz daraus ist ein sehr weit gehendes Umdenken in Bezug auf die Konzeption von Gesellschaft und den in ihr wirkenden Kräften, und zwar zunächst durchaus auch in strategischer Absicht: Nicht nur Zivilgesellschaft als Raum und soziale bzw. bürgerschaftliche Bewegungen als Ausdruck des Politischen werden systematisch in die Analyse mit einbezogen - der Begriff der kulturellen Hegemonie nimmt ab den 1970er Jahren eine entscheidende Rolle in den kritischen Gesellschaftswissenschaften ein. Die politische Erfahrung von Anfang der 1970er Jahre bis zumindest Mitte der 1980er Jahre befördert eine Neubewertung der gesellschaftlichen Aspekte für das Politische - und der kulturellen Aspekte für das Gesellschaftliche. Zwar geht die Selbstkritik so weit, dass die Frage nach gesellschaftlicher Veränderung derjenigen nach dem Übergang zur und der Stabilisierung der Demokratie nachgeordnet wird und der Sozialismus nur noch als Vertiefung der Demokratie gedacht wird (vgl. Kapitel 5.1; dezidiert dazu auch Brunner 1988: 429), aber es geht durchaus auch um eine politische Selbstkritik, die die Frage nach den Konsequenzen für die künftige politische Arbeit und das Selbstverständnis als intellektuelle Linke beinhaltet. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum gerade der Begriff der kulturellen
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Moises untersucht zwar den Transitionsprozess in Brasilien, er weist jedoch auf Parallelen zu den Ländern des Cono Sur hin.
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Hegemonie auf so fruchtbaren Boden fällt: Er ermöglicht ein komplexes politisches Denken innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, das auf den Grundgedanken der Emanzipation nicht verzichten und gleichzeitig mit dem vorbehaltlosen Eintreten fiir die Demokratie in keiner Weise kollidieren muss. Dieses Denken beinhaltet nun auch, dass die Relevanz kultureller Prozesse fiir das Politische anerkannt wird. Kulturelle Prozesse meinen dabei nicht nur hochkulturelle Artikulationen: Auch und vor allem das Populäre und das Massenkulturelle wird nun in die gesellschaftliche Analyse einbezogen. Nicht nur Antonio Gramsci wird rezipiert, sondern auch E. P. Thompson und Raymond Williams. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die bereits angesprochene Kritik der Abkoppelung der politischen Programme - gerade der Linken - von den Alltagserfahrungen der Menschen noch eine zusätzliche Dimension. Das aus dieser Abkoppelung resultierende Unverständnis zwischen der organisierten Linken und dem Großteil der Bevölkerung lasse sich nur überwinden, so MartinBarbero, wenn Erstere anerkenne, dass „Politik nicht nur in der Fabrik, sondern auch im Viertel ihren Ort hat, nicht nur auf den Plätzen, sondern auch zu Hause, nicht nur im Bewusstsein, sondern auch im Geschlecht" (Martin-Barbero 1995: 34), dass die Rezeption kultureller Artikulationen und Produkte - auch der Konsum kulturindustrieller Produkte - nicht notwendig Zerstreuung oder Eskapismus bedeutet, welches das Erreichen der eigentlichen Ziele verhindert (vgl. Martin-Barbero 1995: 24). Ebenfalls wird die Wertschätzung der unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Artikulationen, deren Bedeutung fiir das demokratische Gefiige im vorangegangenen Kapitel diskutiert wurde, in einen größeren Kontext gestellt. Noch während der demokratischen Transition wird dabei das Augenmerk auf diejenigen gesellschaftlichen Akteure gerichtet, die später auch die formale demokratische Ordnung durch bürgerschaftliches Engagement mit widerspruchsvollem Leben erfüllen sollen: Der (1974 in die Bundesrepublik Deutschland emigrierte) chilenische Politikwissenschaftler Fernando Mires begreift die „Suche nach Demokratie" als einen potenziell unabschließbaren Prozess, auch nach Etablierung formal demokratischer Strukturen, da die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte und ihre Interessen immer wieder Ungleichgewichte schaffen. Die Suche nach einem demokratischen Gleichgewicht nimmt damit beinahe notwendigerweise die Form von Gegenkultur an, da sie in aller Regel auch eine bestehende (kulturelle) Hegemonie bzw. etablierte Machtstrukturen angreift oder zumindest infrage stellt (Mires 1984: 57-58). Es stellt sich dabei aber die Frage, welche Phänomene denn zur „Suche nach Demokratie" als zugehörig begriffen werden und welche nicht. Solange es sich um soziale Bewegungen handelt, sind zumindest die weiterführenden Überlegungen Fernando Mires' relativ unstrittig, dass erstens die Infragestellungen der kulturellen Hegemonie nicht aggressiver, sondern defensiver Natur sind und damit zweitens aus einer gesamtgesellschaftlichen Sicht im Sinne der demokratischen Konsolidierung die Demokratie nur gewinnen kann. Die erste Annahme 165
gründet sich in der Beobachtung, dass soziale Bewegungen innerhalb der Demokratie in aller Regel nicht „nach der Macht greifen", sondern eher versuchen, Räume zu schaffen oder zu besetzen, die relativ autonom gestaltbar sind. Die zweite Annahme gründet sich in der Beobachtung, dass soziale Bewegungen von einer strukturell unüberbrückbaren Spannung zwischen Idealen und Realität leben. Sie verändern in gewissem Maße ihre Umwelt, sie verändern mit einiger Sicherheit sich selbst, sie verändern die gesellschaftlich-kulturelle Basis, auf der sie operieren (und zwar in der Regel zu Gunsten der Möglichkeit der demokratischen Beteiligung) - aber sie können in einem engen Sinn weder triumphieren noch scheitern, und das ist für die Demokratie in jedem Fall positiv (Mires 1984: 59-60). 153 Problematisch wird es allerdings, wenn es nicht um soziale Bewegungen im engeren Sinne geht, sondern um eine politische Lesart kultureller, vor allem popularkultureller Artikulationen geht, die auf einer eher vereinfachenden Rezeption Gramscis, aber auch der älteren Vertreter der Cultural Studies beruht. Jesús Martín-Barbero beschreibt, warum deren „Entdeckung" in den späten 1970er Jahren ein so wichtiger Schritt für die lateinamerikanischen Sozialwissenschaften war: Sie ermöglichte es, die Relevanz des Popularen und des Alltäglichen für das Gesellschaftliche zu begreifen - auch in dem Sinne, dass in diesen Bereichen eine zumindest potenziell widerständige Kraft erkannt wurde. Allerdings erfolgte diese plötzliche Wertschätzung des Popularen gerade in einem Moment, in dem die lateinamerikanische Linke und ihre Bewegungen in einer tiefen Krise steckten - und wurde damit sehr schnell zu einem Strohhalm, nach dem die intellektuelle Linke griff. In der Folge wurde das emanzipatorische, zumindest widerständige Potenzial des Popularen hoffnungslos überbewertet, bis dahin, dass aus der Fälligkeit zur Replik und zum Widerstand der beinahe magische Schlüssel gemacht wurde, die Ressource, aus der sich ein neuer, ,wahrhaft' revolutionärer Impuls speisen sollte. Wenn vorher eine fatalistische und mechanistische Konzeption von Unterdrückung aus der unterdrückten Klasse etwas Passives machte, das nur ,von außen' mobilisierbar war, gab es nun die Tendenz, ihr eine unbegrenzte Fähigkeit zur Abweichung aus sich selbst heraus zuzuschreiben, eine metaphysische Alternativität (Martín-Barbero 1987a: 85-86).
Damit wird allerdings die Möglichkeit komplexerer Gesellschaftsanalyse wieder vergeben: Die Zuschreibung unbegrenzter Dissidenz auf Seiten derer, die nicht auf der Seite der kulturellen Hegemonie stehen, wiederholt ein vereinfachendes, dualistisches Weltbild, das Néstor García Canclini polemisch zugespitzt wie 153
Das Maß an Differenzierung der Ausfuhrungen Mires' aus dem Jahr 1984 ist - abgesehen von einer vielleicht allzu positiven Grundierung - durchaus bemerkenswert. Es sind weit gehend alle wichtigen Elemente des demokratietheoretischen Denkens über Zivilgesellschaft bereits enthalten, das in den späten 1980er und den 1990er Jahren in Nordamerika und Europa formuliert wurde, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demokratischen Transition in den osteuropäischen Ländern.
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folgt beschreibt: „[...] die Aufgabe der hegemonialen Kultur ist es, zu beherrschen, und die der subalternen Kultur ist es, Widerstand zu leisten [...]" (Garcia Canclini 1984: 71). Neben einer dualistischen Gesellschaftsauffassung, nach der es sich dabei um zwei vollständig voneinander getrennte Bereiche handelt, die nichts miteinander zu tun haben, kommt hier auch ein Fehlschluss zum Ausdruck: Alles, was nicht zur hegemonialen Kultur gehört, ist damit automatisch schon widerständig. 154 Das ignoriert vollständig die wirksamsten Mechanismen, auf denen Herrschaft aufruht, und die von Marx bis Foucault auf unterschiedlichste Weise analysiert und beschrieben worden sind: die breite Komplizenschaft der Unterdrückten mit dem System, durch das sie unterdrückt werden. Diese Vereinfachung ist allerdings von Seiten einiger Sozialwissenschaftler recht schnell und zumindest in weiten Teilen auch erfolgreich kritisiert worden (der bereits zitierte Artikel Néstor García Canclinis von 1984 ist eines der frühesten Beispiele). In der Folge entspann sich eine breite (und nach wie vor unabgeschlossene) Diskussion um die Konzepte zur politischen Analyse des Alltäglichen und des Popularen sowie die Kriterien der politischen Bewertung des Analysierten. Dabei sind zumindest einige Aspekte relativ unstrittig: Die Herausbildung individueller und kollektiver kultureller Prägungen in Bezug auf Welt- und Selbstwahrnehmung ist erstens ein relevanter Faktor für Gesellschaft und Politik und zweitens nur verstehbar, wenn die unmittelbaren und alltäglichen (Lebens-)Bezüge der Menschen in die gesellschaftliche bzw. politische Analyse miteinbezogen werden. Die Anerkenntnis dieser Umstände ist im Übrigen auch Teil der bereits dargestellten intellektuellen Selbstkritik innerhalb der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften: Die vulgärmarxistische Vorstellung einer umfassenden und ausschließlichen Prägung des Menschen durch seine Position im Produktionsprozess (vgl. Kapitel 5.1) wird den vielschichtigen Bezügen des Individuums nicht gerecht - und in einer darauf aufbauenden politischen Programmatik können sich allenfalls entsprechend geschulte Menschen wiederfinden. Paradoxerweise fand die Vorstellung der Verortung des Menschen durch eine einzige Zugehörigkeit nach Meinung von Néstor García Canclini allerdings keine Entsprechung in der Form der Ansprache der Menschen; angesprochen wurde auch von Seiten der Linken weniger ein Kollektiv als immer nur das einzelne Individuum: Auch wenn die Massenmedien die Rezipienten zu atomisieren und jeden einzeln zu beeinflussen versuchen, auch wenn die Parteien (auch die linken) sich an das ,freie' indi154
Dies ist nicht nur in den von den Cullural Sludies beeinflussten lateinamerikanischen Sozialwissenschaften ein Problem, sondern auch in den Cullural Sludies selbst: Vgl. die polemisch zugespitzte, gleichwohl sehr treffende Kritik Todd Gitlins (1997). Gitlin weist in diesem Artikel auch auf eine sozialpsychologische Funktion dieser Lesart für die intellektuelle Linke hin: Es ging nicht zuletzt darum, in einer Zeit, in der die Rechte erfolgreicher und für einen längeren Zeitraum als zuvor im 20. Jahrhundert das Ruder übernommen hatte, Trost zu finden in einer Form der Gesellschaftsanalyse, die eine gewisse Hoffnung auf Veränderung unterfutterte (Gitlin 1997: 33-34).
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viduelle Bewusstsein eines jeden Staatsbürgers wenden - die dabei ausgesandten Botschaften werden eher von Gruppen als von Personen rezipiert, bzw. von Personen in ihrer Eigenschaft als Gruppenmitglieder. Muss daran erinnert werden, dass das Populäre vor allem ein kollektiver Prozess ist? (Garcia Canclini 1984: 76-77).
6.2
Kollektive Identitäten und kollektives Handeln
Stärker als das Problem der Entfremdung zwischen linker Programmatik und der (Selbst-)Wahrnehmung der Menschen interessiert hier allerdings die sozialwissenschaftliche Inadäquatheit eines simplifizierenden Verständnisses der kollektiven Identitäten; und darum geht es ja auch Garcia Canclini in dem vorangestellten Zitat. Es geht - ganz im Sinne des dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnisses von Kultur - darum, dass das Individuum in seinen handlungsermöglichenden wie auch -einschränkenden Sinn- und Bedeutungszuschreibungen durch kollektive Zugehörigkeiten geprägt ist und es diese Zugehörigkeiten zumindest in Teilen auch bewusst wahrnimmt. Dazu gehören zumindest konkret erfahrbare Beziehungen familiärer, nachbarschaftlicher, religiöser, kultureller oder auch gewerkschaftlicher Art (Garcia Canclini 1984: 76). Dabei ist allerdings anzumerken, dass es hier nicht um die sozialpsychologische Plausibilität dieser Annahmen geht, sondern um die Beobachtung der Selbstwahrnehmung von Menschen in ihren Bezügen - und nicht zuletzt um die Beobachtung von kollektiven Handlungen von Menschen, deren Kontexten und Motivationslagen in Lateinamerika. Die wichtigste Bezugsgröße, die lateinamerikanische Forscher dabei ausmachen, ist das Stadtviertel bzw. die städtische Nachbarschaft. Diese wird als primärer Einbindungskontext gesehen, zumindest in Bezug auf die populären Schichten der Bevölkerung. 155 Während in den Mittel- und Oberschichten die Berufstätigkeit und berufliche Position (und damit auch das Einkommen) die wichtigsten Kontexte sind, über die sich das Individuum definiert und positioniert, ist dies in den unteren Schichten schon deshalb nicht möglich, weil reguläre und halbwegs konstante Arbeitsverhältnisse durchaus nicht die Regel sind. Bei der Herausbildung des Viertels als wichtigstem Bezugskontext spielt nicht zuletzt die Land-Stadt-Migration eine zentrale Rolle. Diese bewirkt eine Verschiebung kultureller Muster, die auch politische Auswirkungen hat. Mit der Migration in die Stadt verändern sich die auf dem Land stärker ausgeprägten
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Die lateinamerikanischen Autoren sprechen selten von „Schichten", sondern von „Sektoren" der Bevölkerung. Was im Deutschen als „Unterschicht(en)" bezeichnet wird, heißt im lateinamerikanischen Spanisch „populäre Sektoren" (sectores populäres). Diese Bezeichnungen werden hier ebenfalls verwendet. Entsprechend werden die Stadtviertel, die in der Hauptsache von den Unterschichten bewohnt werden, als „populäre Viertel" (barrios populäres) bezeichnet. Dazu zählen auch die „Invasionsgebiete" der Städte, also die unkontrollierte Ansiedelung von Menschen an den Rändern der Städte sowie die städtischen Armutsgebiete allgemein.
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Strukturen von gegenseitiger Hilfe und Solidarität zwar notwendigerweise erheblich, finden aber neue Formen. Das hat zur Folge, dass die Nachbarschaft zu einer zentralen Kategorie für soziale Bewegungen bzw. kulturell induzierte und potenziell politische Artikulationen wird (Martin-Barbero 1987a: 215). Eingelassen sind politische bzw. potenziell politische Artikulationen also in den Kontext kulturell geprägter kollektiver Identitäten. Gleichzeitig haben diese Artikulationen nicht zuletzt auch die Funktion, diese Identitäten wiederum zu stärken bzw. in Richtung auf stärkere Kollektivität zu verändern. Sie sind gleichzeitig Äußerungen von wie Voraussetzungen für Zugehörigkeiten, die politisch wirksam werden können. Dabei stellt sich allerdings wiederum die Frage, welche Äußerungen als politisch betrachtet werden können und welche lediglich Ausdruck der Selbstorganisationsfahigkeiten zur Bewältigung von Alltagsproblemen bzw. der kulturellen Selbstvergewisserung sind - wenn nicht alles Alltägliche als politisch begriffen werden soll, muss es dafür Unterscheidungskriterien geben. Darauf wird noch zurückzukommen sein. In jedem Fall kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, dass der alltägliche Kampf mit den Widrigkeiten des Lebens an den sozialen Rändern politisches Potenzial beinhaltet - vor allem dann, wenn er zu kollektivem Handeln führt. Die Verbindung zwischen kulturellen Selbstverständigungsprozessen und politisch wirksamen Organisationsformen ist aber nicht automatisch oder zwangsläufig gegeben. Auch die Frage, welche Artikulationsformen politisches Potenzial beinhalten, kann nicht unabhängig von den jeweiligen sozialen und politischen Kontexten beantwortet werden. Es wurde bereits an anderer Stelle die These aufgestellt (Kapitel 2.1), dass desto mehr Formen kollektiven Handelns als politisch begriffen werden müssen, je geringer der Institutionalisierungsgrad einer Gesellschaft oder von Teilen einer Gesellschaft ist. In Lateinamerika lässt sich in weiten Teilen der Gesellschaft eine sehr geringe Institutionalisierung und staatliche Durchdringung feststellen. Das bezieht sich nicht nur, aber auch und gerade auf die populären Viertel und die Urbanen Armutsgebiete. Dieser geringe Institutionalisierungsgrad äußert sich auf allen Ebenen: von nicht existenter Infrastruktur in Bezug auf Wasser- und Stromversorgung und Anbindung an öffentlichen Nahverkehr über die Nichtexistenz von Bildungseinrichtungen bis hin zur weit gehenden Abwesenheit staatlicher Organe wie Polizei und Justiz. Unter diesen Bedingungen sind relevante Teile der Bevölkerung auf unterschiedliche Formen von Selbstorganisation angewiesen, um zu überleben; und zwar sowohl als Gemeinwesen wie auch teilweise im Sinne der physischen Existenz. Der sozialwissenschaftliche Blick sieht aber nicht nur die lebensweltliche Relevanz dieser Formen der Selbstorganisation, sondern kann diese auch als Ausdruck der staatlichen (Organisations-)Defizite lesen - und damit auch als potenziell politische Äußerungen, auch wenn sie von ihrem Selbstverständnis her gar nicht unbedingt als politisch begriffen werden: Inmitten einer zutiefst schwachen Gesellschaft, in der sehr wenige Institutionen über ausreichende Festigkeit und Verankerung verfügen [...], um die Rolle von Interlokuto-
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ren [der Gesellschaft] gegenüber dem Staat übernehmen zu können, bilden die popularen Assoziationen ein soziales Geflecht, das eine neue Institutionalisierung entwickelt; sie stärken die Zivilgesellschaft und machen die Grundzüge neuer sozialer Bezüge und kollektiver Subjekte sichtbar (Frías/Romero 1985: 9).
Damit sind zwei wichtige Indikatoren benannt, die anzeigen, ob Assoziationen als politisch gelten können oder nicht: Zum einen ist die Frage, ob sie soziale Funktionen wahrnehmen, die eigentlich in den staatlichen Aufgabenbereich fallen und die zu erfüllen der Staat nicht willens oder in der Lage ist; zum anderen geht es um die Frage nach der Artikulationsfahigkeit von Assoziationen gegenüber dem Staat bzw. der Administration und damit nach der Anschlussfahigkeit an die etablierten Organisationsformen institutioneller Art, wie schlecht diese auch funktionieren mögen. Im Hintergrund dieser Einordnung steht die Überlegung, dass das Politische erstens immer eine öffentliche Angelegenheit ist und zweitens nichts für sich politisch sein kann, sondern erst im Wechselspiel mit anderen sozialen Kräften politisch wird. Das lässt die Frage nach dem politischen Potenzial natürlich unberührt. Deshalb reicht es nicht aus, wenn beispielsweise nachbarschaftliche Selbsthilfeorganisationen - wie effektiv auch immer - im Stillen und für sich tätig sind, um als politisch gelten zu können. Stößt eine solche Organisation aber auf eine Reaktion im sozialen oder politischen Umfeld, kann sie sehr wohl als politisch gelten - dabei ist es unerheblich, ob diese Reaktion „positiv" oder „negativ" ausfallt, also im Sinne der Ziele der Organisation oder gegen sie gerichtet. Ebenso ist es unerheblich, ob es sich eher um eine Reaktion im Sinne von Aufmerksamkeit seitens einer wie auch immer begrenzten Öffentlichkeit handelt oder um die Reaktion staatlicher Stellen. Diese Unterscheidungen sind für die Einordnung im Sinne eines Konzeptes von politischer Kultur relevant: Sowohl Interessenartikulationen als auch Anerkennungsforderungen sind ja nach außen gerichtet und fordern Reaktionen ein. Solche Artikulationen sind politisch. Es lassen sich aber auch Formen kollektiven Handelns denken, die von ihrem Selbstverständnis her nicht nach außen gerichtet sind, bei denen aber dennoch die soziale und/oder politische Umwelt reagiert, sodass sich das politische Potenzial realisiert, das in praktisch jeder kollektiven Handlung steckt. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn „unpolitische" Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation mit Eigentumsdelikten einhergehen;156 sofern diese nicht entweder unbemerkt bleiben oder aber stillschweigend geduldet werden, verwandelt sich die Selbstorganisation in eine Form von Interessenartikulation, die auf gesellschaftliche, politische, juristische und/oder wirt-
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Zur Veranschaulichung: Die argentinische Bewegung des Fomentismo (von span. fomentar: fördern, begünstigen, schüren) zerstörte beispielsweise mehr oder weniger systematisch Wasserzähler an den Wohnhäusern, um zu verhindern, dass die Versorgung mit diesem lebenswichtigen Gut den Bewohnern in Rechnung gestellt würde (vgl. González Bombal 1989, bes. 267; García Delgado/Silva 1989).
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schaftliche Widerstände stößt (vgl. Fauser/Schwenn 2001: 46-50; sowie die Ausführungen im letzten Kapitel dieser Arbeit). Jesús Martín-Barbero stellt die popularen Assoziationen darüber hinaus in einen größeren kulturellen Zusammenhang. Seiner Ansicht nach weisen die mit diesen Assoziationen verbundenen Artikulationen von Selbstorganisation und Solidarität über ihren Entstehungskontext hinaus, indem sie mit der Herausbildung kollektiver Identitäten verbunden sind: Einer der Schlüsselbereiche für das Bestehen dieser neuen Formen der Solidarität ist genau das Viertel. Seine Assoziationen und Zentren bieten eine Größe und ein Klima, die es den Migranten erlaubt, sich zu versammeln, um ein Minimum an Repräsentation gegenüber den Behörden bzw. dem Staat zu gewährleisten. Es handelt sich um Assoziationen, die sich nicht im Viertel erschöpfen, sondern oftmals die Wahrnehmung und Lösung von Problemen des Viertels mit einem größeren, globaleren sozialen Projekt verbinden. Der Kampf um Wohnraum, um die Versorgung mit Elektrizität und Wasser, um ein Minimum an öffentlichem Nahverkehr und ein Minimum an medizinischer Versorgung ist eingelassen in eine umfassendere Realität, und zwar die des Kampfes um kulturelle Identität (Martín-Barbero 1987a: 215).
Die Idee der Verbindung oder auch nur Verbindbarkeit populärer Assoziationen mit einem „größeren, globaleren Projekt" muss man nicht teilen, um deren politische Relevanz angesichts fehlender adäquater politischer und infrastruktureller Einbindung bedeutender Teile der Bevölkerung in die moderne Gesellschaft anzuerkennen. Nicht zuletzt hat diese fehlende Einbindung ja auch mit dem Zugang zu bestimmten Ressourcen zu tun. Dabei geht es nicht nur um die Deckung des primären Bedarfs, wie ihn Martín-Barbero anfuhrt, sondern auch um weiter gehende Ressourcen wie Bildung, Arbeitsmarktchancen etc. Der brasilianische Autor Antonio Augusto Arantes legt dar, dass der Zugang zu diesen Ressourcen nicht zuletzt über die symbolische Strukturierung der sozialen Wirklichkeit geregelt wird, und zwar in der Hauptsache entlang der Dichotomie Inklusion/Exklusion. Zwar sind die Durchlässigkeiten in Bezug auf einige Bereiche größer geworden, es gibt aber immer noch soziale Grenzen, die als quasinatürlich wahrgenommen werden (v.a. nach Zugehörigkeiten entsprechend der Kategorien von Rasse, Geschlecht oder Alter). Damit lassen sich soziale Bewegungen - gerade auch solche, die den „identity politics" zugeschrieben werden als Ausdruck sozialer Verteilungskämpfe lesen, bzw. als Versuch, die etablierten Einschluss-/Ausschlussmechanismen in Bezug auf Ressourcenzugänge aufzubrechen und neu zu regeln (Arantes 1999: 147-148; vgl. dazu auch in Bezug auf einen größeren Kontext: Garnham 1997: 64). Das Problem der „identity politics" ist allerdings in der Regel, dass mit ihnen versucht wird, einzelne Zugehörigkeitskategorien als umfassend bestimmend für die Selbst- und Weltsicht der Menschen zu definieren - wie das auch bei der Kategorie der „sozialen Klasse" der Fall gewesen ist. Eine solche (Selbst-)Zuschreibung wird aber der Vielschichtigkeit und teilweise auch Gegensätzlichkeit der Kollektivbezüge der meisten Individuen nicht gerecht. Es 171
handelt sich um ein grundsätzliches Problem derjenigen Assoziationen, die sich auf kollektive Zugehörigkeiten nicht nur in Bezug auf ihre thematische Ausrichtung, sondern auch als grundlegende Handlungsmotivation ihrer Mitglieder zu stützen versuchen. Das trifft auf andere monothematische Assoziationen (wie beispielsweise im Bereich der Ökologie, aber auch bei Organisationen der Nachbarschaftshilfe) allerdings nicht zu. Diese können im Gegenteil davon profitieren, dass Individuen unterschiedliche Zugehörigkeiten haben und diese in unterschiedlichen Kontexten jeweils aktualisieren. Zwar gibt es auch in Lateinamerika eine Vielzahl von Bewegungen, die den „identity politics" zuzurechnen sind, es gibt aber darüber hinaus viele Assoziationen oder auch eher lose Handlungszusammenschlüsse, bei denen Anerkennungsforderungen nicht in Bezug auf relativ geschlossene Identitätsvorstellungen erhoben werden, sondern eher im Sinne von Forderungen nach sozialen und kulturellen Zugangs- und Beteiligungschancen. Dabei können unterschiedliche Zugehörigkeiten jeweils für unterschiedliche Aspekte derselben Forderung genutzt bzw. evoziert werden, je nach dem, um was für einen Handlungszusammenhang es sich handelt. Arantes nennt als Zugehörigkeitskriterien Geschlecht, Alter, Rasse, Partei, Klasse, Nation, sowie Zugehörigkeit im ethnischen, regionalen, beruflichen, religiösen Sinne und fährt fort: Offensichtlich besitzen alle diese Kriterien der sozialen Segmentierung und Klassifizierung das gleiche Gewicht in den Entwürfen der Einforderungen von Seiten der Bürger. Dennoch [...] ruht die Partizipation am sozialen Prozess nicht auf einem einzigen dieser Kriterien auf, sondern auf dem Zusammenspiel aller dieser Kriterien, von denen jedes einzelne einen bestimmten politischen Status besitzt. In einigen Kontexten betonen wir ein Kriterium mehr, in anderen ein anderes, tragen wir Momente von Identität zusammen, stellen einige heraus, verbergen andere, bewegen uns in taktischer Absicht von einem hin zu einem anderen, und indem wir solches tun, erforschen, erschaffen und ordnen wir die symbolischen Grenzen, die uns vereinen und trennen, mit all ihrer Ambiguität und Ambivalenz. Außerdem gewinnen diese Interessen einen stetigeren Ausdruck, indem dieses Zusammenspiel von Erfahrungen für jeden Einzelnen von uns in der eigenen Biografie singularisiert und gleichzeitig mit anderen geteilt wird, wodurch sie zu legitimen politischen Forderungen werden (Arantes 1999: 149).
Dieses Verständnis des Zusammenhangs zwischen der Ausprägung unterschiedlicher, sich überlappender kollektiver Identitäten und politischen Artikulationen weist auf die kulturelle Grundierung des Politischen hin - es sind aber auch begriffliche Unscharfen und argumentationslogische Verkürzungen enthalten, die bestimmte Zusammenhänge eher verdecken als erhellen. Es ist weder der unmittelbare Rückschluss von Zugehörigkeiten auf Interessen statthaft, noch der von Interessen auf legitime politische Forderungen - auch dann nicht, wenn sich die Interessen auf geteilte Erfahrungen stützen. Des Weiteren ist fraglich, ob Zugehörigkeiten immer in taktischer Absicht evoziert bzw. aktualisiert werden. Es zeigen sich hier wahrscheinlich grundsätzliche Grenzen der sozialwissenschaftlichen Möglichkeiten in Bezug auf das Verhältnis von individueller Erfahrung, 172
kollektiver Identität und der Bewusstwerdung wohlverstandenen Eigeninteresses, wenn nicht im engeren Sinne empirische Sozialpsychologie betrieben werden soll. Das ist dann für die Zwecke dieser Arbeit relativ unproblematisch, wenn nicht die - schwer zu ergründenden - tatsächlichen Motivlagen und biografischen Hintergründe von Individuen von Interesse sind, sondern die - beobachtbaren - Aktualisierungen kollektiver Identitäten zum Zweck kollektiven Handelns. Damit werden die von Arantes behaupteten kausalen Zusammenhänge nicht als unbedingt gegeben (und schon gar nicht als notwendig) betrachtet es wird lediglich behauptet, dass -
Zugehörigkeiten zu Kollektiven in taktischer Absicht evoziert bzw. aktualisiert werden können-, auf dieser Grundlage (gemeinsame) Interessen erkannt und formuliert werden können', diese Interessenlagen in Bezug auf Zugehörigkeiten dann in aller Regel politisches Potenzial besitzen werden; solche Interessen, wenn sie öffentlich artikuliert werden, als politische Artikulationen in der Öffentlichkeit als legitim angesehen werden müssen bzw. ihre Legitimität zumindest Gegenstand von öffentlichen Diskursen sein sollte.
Damit kann der Zusammenhang zwischen dem Bereich des Kulturellen und dem des Politischen deutlich gemacht werden, ohne dass im Einzelnen zu belegen wäre, wie sich auf der Ebene des Individuums die - z.B. biografisch begründeten - Motivlagen jeweils gestalten müssen, damit eine kulturell induzierte Bereitschaft zu kollektivem Handeln vorliegen kann. Denn die damit verbundenen Begründungslasten wären im Rahmen dieser Arbeit nicht zu tragen - aber das ist eben auch gar nicht Ziel der Argumentation. Arantes deutet aber auch an, welches Konfliktpotenzial sich hinter politischen Artikulationen auf der Basis kollektiver Identitäten verbirgt. Die Rede von der „Ambiguität und Ambivalenz" der symbolischen Strukturiertheit verweist auf eine ganze Reihe von kulturell induzierten und tendenziell unlösbaren Konflikten - wenn nämlich beispielsweise Zugehörigkeiten essenzialisiert werden, gerade unter Verweis auf ethnische und/oder religiöse Abstammung, nicht hintergehbare Traditionsbestände, etc. Das ist z.B. der Fall bei einigen indigenistischen Organisationen (vgl. Lechner 1996b: 28).157 Aber auch politische Artiku157
Das heißt selbstverständlich nicht, dass nicht die meisten der politischen und/oder kulturellen Forderungen indigener Bevölkerungsgruppen (auch solche nach Teilautonomie) durchaus als legitim angesehen werden könnten oder zumindest im Hinblick auf ihre Legitimität diskutiert werden müssten. Politische oder auch juristische Konflikte, die sich daraus ergeben können, müssen ausgetragen werden. Schwierig wird es bei - selten anzutreffenden Maximalforderungen, die sich auf vermeintliche historische Ansprüche stützen, etwa die Forderung nach Wiederherstellung von präkolonialen Gebietshoheiten.
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lationen im engeren Sinne können die Grenze zwischen legitimer Interessenartikulation und Selbstverabsolutierung überschreiten, wenn aus politischen Forderungen aufgrund kollektiver Identität eine essenzielle Frage kollektiver Identität gemacht wird. Fernando Calderón nennt dies „messianische und/oder neopopulistische soziale Antibewegungen" (Calderón 1998: 76). Des Weiteren ergeben sich Gefahren aus Formen von Selbstexklusion, auf die bereits hingewiesen wurde (vgl. Kapitel 2.5). Selbstexklusion und Selbstverabsolutierung können, müssen aber nicht miteinander einhergehen. Die mexikanische Sozial- und Kommunikationswissenschaftlerin Rossana Reguillo legt dar, warum sich jeglicher Essenzialismus auch bei der Betrachtung des Alltäglichen und des Popularen bzw. bei der Bewertung der nachbarschaftlichen Bezüge und der sich aus ihnen ergebenden Solidarität verbietet. Sie nennt vor allem zwei Aspekte: Z u m einen ist es aus kulturtheoretischen Gründen notwendig anzuerkennen, dass das Populare „im Grundsatz eine Matrix kultureller Identität [ist] und, aus diesem Grund, der Ort von Konflikten und der Verhandlung von Werten, Diskursen, Praktiken und Überzeugungen" (Reguillo 1998: 83), dies widerspricht jeder essenzialistischer Vorstellung. Zum anderen ist es aus sozialwissenschaftlichen Gründen falsch, das Populare durch die Rückführung auf etwas Ursprüngliches zu „folklorisieren", da ihm damit das politische Potenzial abgesprochen und auf diese Weise die politische Dimension des Kulturellen verdeckt würde (Reguillo 1998: 84). Das Folklorische als QuasiNatürliches kann nur hingenommen, nicht aber in einem soziokulturellen Sinne anerkannt werden. Erst wenn das Populare als etwas in sozialen und kulturellen Zusammenhängen Entstandenes begriffen wird, lassen sich die politischen Forderungen, die daraus entwickelt werden können, auch als solche anerkennen. Das Folklorische hingegen kann nur so etwas wie „administrativen Artenschutz" (Habermas 1996: 257-264) fordern. In diesem Sinne stellen die Ausfuhrungen Reguillos ein gutes Beispiel dafür dar, wie in Lateinamerika das Kulturelle und das Politische miteinander in Bezug gesetzt werden: Sowohl das Verständnis von Kultur im Sinne nicht essenzialistischer kultureller Identitäten als auch das Zuerkennen politischer Potenziale im Sinne von konflikthaften Anerkennungsforderungen ist mit den Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur, das ich in den größeren Zusammenhang der normativen Demokratietheorie gestellt habe, weitestgehend kompatibel. Die „Folklorisierung", von der Rossana Reguillo spricht, birgt weiterhin aber auch die Gefahr einer positiven Verklärung, die wissenschaftlich wie normativ unangebracht wäre: Nicht allein sind das Populare, die nachbarschaftlichen Bezüge wie auch die darauf aufruhende Solidarität manchmal sehr brüchig - die Formen, die sie annehmen, sind auch nicht immer ganz unproblematisch. Jesús Martín-Barbero weist darauf hin, dass sich gerade in den Urbanen Armutsgebieten teilweise „die delinquente Komplizenschaft mit nachbarschaftlicher Solidarität und absoluten Loyalitäten verbindet" (Martín-Barbero 1998a: 210). Dies trifft nicht zuletzt auch auf einen Bereich zu, der von vielen Vertretern der Cul-
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tural Studies immer wieder als ein Hort gesellschaftlicher Dissidenz und politisch relevanter Widerständigkeit beschrieben wird: die Jugendkulturen. Der venezolanische Soziologe Ramón Casanova hat Jugendkulturen in popularen Vierteln untersucht und ist auf „vormals unbekannte Phänomene von Mobilisierung in Richtung Anomie und von Assoziationen normativer Regelübertretung" gestoßen, die sich im Übrigen eher durch die katastrophalen Lebensbedingungen als durch weiter bestehende Schwächen der Demokratie erklären ließen (Casanova 1998: 88). Damit einher geht teilweise eine Art „Kultur der Armut", die äußerst gewalttätig ist und zunehmend auch vor Kapitalverbrechen nicht zurückschreckt. Die Erfahrung der sozialen Marginalität und Exklusion fuhrt zu Kulturformen, die ihrerseits zu Selbstexklusion neigen - und häufig eben auch zu gewalttätiger Kriminalität („Subkultur urbaner Gewalt" als Form von „Kultur der Armut"). Dabei fallt auch eine starke (Rückwärts-)Bewegung in den Wertorientierungen auf: Es herrscht eine relativistische Moral vor, in der eine traditionelle Religiosität weiterlebt, gepaart mit Machismo und dem Glauben an politisches Charisma (Casanova 1998: 89). Dabei hält Casanova einen Umstand für besonders beunruhigend: Zu einem guten Teil äußert sich die Marginalisierung in Form einer Konversion der informellen Ökonomie und der Instabilität von Arbeitsverhältnissen in eine Parallelgesellschaft, in der eine große Anzahl von Jugendlichen für lange Zeit an den Rändern der offiziellen Gesellschaft bleiben wird. Das Neue an dieser Marginalisierung ist, dass der Austausch zwischen dieser Parallelgesellschaft [...] und der anderen auf ein Minimum beschränkt ist, und der Zugang zu dieser ist praktisch unmöglich, da jene beispielsweise von jeglicher gesellschaftlich relevanten Bildung auf drastische Weise ausgeschlossen bleibt (Casanova 1998: 89). Allerdings ist das Bild komplexer und teilweise paradox. So stellt Casanova gleichzeitig auch durchaus politische Partizipationsbereitschaft sowie eine hohe Akzeptanz der Demokratie als Regierungsform fest. Zwar äußert sich die Partizipation nicht unbedingt in Mitgliedschaften in Parteien und auch seltener in Form von Bürgerinitiativen, aber doch in neuen Formen von Assoziationen, die in ihrer Mehrheit geprägt sind von der Übersetzung von Themen aus der Sphäre der Politik in die Sphäre der kulturellen Stile und in die Welt des Sozial-Kommunitären. Damit werden innerhalb der Modernisierungskrise der Gesellschaften Forderungen nach einem Minimum an Wohlfahrt formuliert, aber auch solche Forderungen, die mit einem anderen Bereich kultureller Bedürfnisse zu tun haben, die spezifisch jugendlich sind. Dazu gehören Bewegungen des Kulturbetriebs, die mit jugendlichen Selbstorganisationen verbunden sind; kommunitäre Organisationen, verbunden mit der Arbeitswelt und speziell mit der Aus- und Weiterbildung ärmerer Jugendlicher; musikalische Bewegungen in Verbindung mit der Explosion von selbst erzeugten Ausdrucksformen auf lokaler Ebene; aber es leben auch Formen von Ehrenamt weiter, verbunden mit popularen Basisbewegungen, vor allem in Gesellschaften mit hohem Mobilisierungsgrad. Andere sind wiederum verbunden mit neuen politischen Themen und damit mit Bewegungen zur Einforderung sozialer und individueller Rechte der Jugendlichen (wie ökologische und feministische Bewegungen) (Casanova 1998: 86; Hervorh. i. O.).
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Es kann und soll nicht behauptet werden, mit dem Öffnen dieses kleinen Fensters könne bereits das weite und komplexe Feld von (populärer) Jugendkultur und ihrem sozialen Kontext eingesehen werden. Der kurze Ausblick betrachtet nicht mehr als einen sehr kleinen Ausschnitt dieser komplexen Realität. Dennoch wird bereits in Ansätzen sichtbar, welche höchst unterschiedlichen Bereiche berührt werden, wenn das Soziale, das Politische und das Kulturelle aufeinander bezogen werden sollen, auch und gerade an den Rändern der Gesellschaft: Dieses Feld lässt sich nicht darauf reduzieren, dass sich Menschen in einem bestimmten Kontext in Bezug auf ein Kollektiv zu verorten versuchen (kollektive Identitäten) und diese Verortung ggf. durch Handlungsmotivationen auch politisch wirksam wird. Die Frage nach dem Kulturellen sollte zunächst in einem weiteren Kontext gestellt werden: Es geht dann um die komplexe Frage nach den Formen der (kulturellen und politischen) Repräsentation, die in bestimmten Bereichen, in diesem Fall vor allem in den popularen Sektoren, gewählt werden. Dabei spielen nicht zuletzt die spezifische Rezeption hegemonialer Kultur, der randständige soziale Status und die Versuche der Vermittlung von kanonischen Wissensbeständen (in der offiziellen Bildung und Erziehung) eine wichtige Rolle. In Bezug auf die lateinamerikanische Realität wird dies besonders deutlich an der Frage nach der Bedeutung unterschiedlicher Kommunikations- und Überlieferungsformen: Einer These zufolge, die am prominentesten wohl von Jesús Martín-Barbero vertreten wird, liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Europa und Lateinamerika darin, dass es in Europa eine langsame Entwicklung von oralen zu schriftlichen Ausdrucksformen und Überlieferungen gegeben hat, bevor dann im 20. Jahrhundert audiovisuelle Kommunikationsformen auftauchten. Dagegen bestand in Lateinamerika (mit Ausnahme von einer sehr schmalen literarisch gebildeten Oberschicht, die ihrerseits in der Hauptsache den europäischen Kanon rezipierte) die orale Tradition weiter fort, und diese ging ohne „Umweg" über die Schriftsprache direkt in das Audiovisuelle über, das seinerseits eine erweiterte Form des Oralen darstellt (Martín-Barbero 1995: 169). Dennoch ist die offizielle Bildung und Erziehung, genauso wie ein Teil des öffentlichen politischen Diskurses, weiter geprägt von der Dominanz der Schriftsprache - und dies muss notwendigerweise zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der „offiziellen" und der popularen Kultur fuhren. So argumentiert Martín-Barbero, dass die Versuche der Alphabetisierung paradoxerweise zu einer kulturellen Verarmung führen können: Es gebe eine Reichhaltigkeit in den oralen Ausdrucksformen, die es verbiete, diese schlicht mit Analphabetentum gleichzusetzen. Diese Reichhaltigkeit könne in der Konfrontation mit der „offiziellen" Kultur allerdings reduziert werden und damit die orale Kultur verarmen lassen, da sie durch das Lehren der Schriftsprache gewissermaßen in ein Korsett gezwungen werde. Dies sollte nicht die Aufgabe und nicht das Selbstverständnis von Bildung und Erziehung sein - und MartínBarbero hält diesen Effekt auch grundsätzlich für unnötig, da die Fähigkeit des 176
Lesens und Schreibens die kulturelle Reichhaltigkeit des Oralen durchaus ergänzen und verstärken könnte (Martin-Barbero 1998a: 216-217). Verhindert werde ein solches Selbstverständnis der pädagogischen Aufgabe aber durch Komponenten von Macht, und zwar sowohl auf der Ebene des Verhältnisses von Lehrenden und Lernenden als auch auf der allgemeineren Ebene der kulturellen Hegemonie: Die erste Ebene beinhaltet das Unverständnis zwischen Lehrenden und Lernenden, wobei Erstere in der Regel keine Bereitschaft zeigen, sich auf die - teilweise sehr martialischen - Ausdrucksformen gerade der Jugendkultur einzulassen, die nicht zuletzt von der Begeisterung fiir die Möglichkeiten neuer Technologien für die audiovisuellen kulturellen Produktionen geprägt sind. Die aus dem Unverständnis erwachsende Hilflosigkeit angesichts dieser Ausdrucksformen fuhrt dazu, dass die Lehrenden versuchen, diese zu delegitimieren und ihnen den Status des Kulturellen abzusprechen - und dies fuhrt wiederum nicht gerade zu erhöhter Bereitschaft der Jugendlichen, die von den Lehrenden repräsentierte Kultur anzunehmen. Dies ist eingebunden in einen größeren Kontext, der auf die zweite Ebene verweist, die der kulturellen Hegemonie: Es geht nicht zuletzt um die Grundlagen von und den Zugang zu Herrschaftswissen, das eher über die Schriftsprache produziert und reproduziert wird. Die klassische Bildung wird als durch orale bzw. audiovisuelle Ausdrucksformen in ihrem Bestand und kulturellen Privileg bedroht angesehen, weswegen deren Verarmung durch Korsettierung billigend in Kauf genommen wird. Auf der anderen Seite beinhaltet die orale/audiovisuelle Kultur gerade in ihren jugendkulturellen Artikulationsformen ein deutliches Moment von Rebellion gegen eine Kultur, die sicher nicht zu Unrecht als repräsentativ für die eigene kulturelle und soziale Ausgrenzung gesehen wird (Martin-Barbero 1998a: 215-217). 158 Damit ist die Jugendkultur auch lesbar als Beispiel eines Versuchs, die mit vielfaltiger Ausgrenzung verbundene Sprachlosigkeit zu durchbrechen. Mit Bezug auf Kolumbien schreibt Martin-Barbero, bei der Frage nach kultureller Hegemonie gehe es nicht zuletzt um die soziale Exklusion, welche die Armut bedeutet, die politische Exklusion, welche die Manipulation durch die politische Kaste einschließt, korrupt, mit Kazikenmentalität, und vor allem kulturelle Exklusion, welche die Mehrheit der Kolumbianer davon abhält zu sprechen, gerade weil ihre Alltagskultur eine orale ist, und die sie davon abhält, kreativ zu sein, weil das Einzige, das für sie kulturell akzeptiert ist, das Recht zu betrachten oder, noch schlechter, das zu bewundern ist [...] (Martin-Barbero 1998a: 209). 158
Das ist bei Martin-Barbero allerdings nicht so zu verstehen, dass er damit jugendkulturellen Ausdrucksformen per se emanzipatorische Intention oder gar emanzipatorisches Veränderungspotenzial zuschreibt, wie dies bei einigen der naiveren Analysen der Cultural Studies getan wird. Zur Kritik daran vgl. auch Todd Gitlin, der sich etwas darüber lustig macht, dass einige Wissenschaftler in der Jugendkultur politischen Protest beobachten zu können meinten: Obzwar dort ein gewisser rebellischer Geist zu finden sei, habe das doch recht wenig mit dem revolutionären Subjekt zu tun, das die Wissenschaftler dort suchten (Gitlin 1997: 29-31).
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Im Übrigen zeigt sich an einer solchen Lesart, worum es bei der Einbeziehung kultureller Analyse in die Sozialwissenschaften geht: nicht um „ein weiteres Thema in einem abgetrennten Raum, sondern um eine Verschiebung des Fokus auf den Ort, an dem sich die Sinnhafitigkeit ökonomischer und politischer Prozesse für eine Gesellschaft artikuliert" (Martin-Barbero 1987a: 178; Hervorh. i. O.), in diesem Fall um sozioökonomische und kulturelle Marginalisierung und ihre Überwindung. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass der Verweis auf die Konflikthaftigkeit kulturell induzierter Anerkennungsforderungen nicht zu leicht genommen werden sollte: Es geht um sehr grundlegende Spannungen, die entstehen, wenn sich unterschiedliche Konflikte bzw. Konfliktebenen überlagern und wahrscheinlich auch gegenseitig verstärken (im Fall der jugendlichen Subkulturen beispielsweise Generationenkonflikte, Konflikte um hegemoniale und subkulturelle Identitäten und Konflikte, die aus sozialen Marginalisierungen erwachsen). Diese Konflikte sind nicht in einem engen Sinne lösbar, aber sie können im besten Fall gesellschaftliche Lernprozesse auslösen, welche wiederum entschärfend auf die Konflikte wirken können: Die Spannungen erwachsen aus unterschiedlichen Geltungsansprüchen kultureller Identitäten, die nicht im Sinne der Diskurstheorie zurückweisbar sind. Die auf ihnen aufruhenden Anerkennungsansprüche hingegen sind innerhalb gewisser Grenzen erfüllbar, da mit der Anerkennung der Geltungsansprüche diese nicht übernommen werden müssen. Werden darüber hinaus diese Anerkennungsansprüche in ihrer sozialen Situiertheit begriffen, also unter anderem als Ausdruck sozioökonomischer Verhältnisse, lässt dies das Politische des Kulturellen sehen. Das bezieht sich im Übrigen auf alle Seiten, die in einem solchen Konflikt stehen: Politisch lesbar sind in diesem Beispiel nicht nur die jugendlichen subkulturellen Artikulationen, sondern auch die kulturell imprägnierten Versuche im Rahmen des offiziellen Bildungssystems, das (hegemoniale) System von Identitäten in den handlungsermöglichenden wie -begrenzenden Sinn- und Bedeutungssystemen der heranwachsenden Staatsbürger zu implementieren. Auch diese Versuche sind ja durchaus nicht grundsätzlich und ausschließlich negativ zu werten: Im Sinne der Inklusionsansprüche und -versprechen der Demokratie lassen sich die Versuche, möglichst vielen Menschen das für politische Beteiligung im herkömmlichen Sinne unabdingbare Wissen zu vermitteln, nur begrüßen. Um sich über das politische Geschehen zu informieren und damit die Grundlage für rationale Entscheidungen beim Wahlakt zu besitzen, sind die Kenntnis der Schriftsprache sowie ein gewisses Hintergrundwissen der entsprechenden Zusammenhänge in jedem Fall von Vorteil. Auch die durch eine solche Bildung deutlich verbesserten Zugangschancen zum Arbeitsmarkt sind nicht zu unterschätzen. Allerdings - und das ist ja die Perspektive, aus der im Rahmen dieser Untersuchung politische Kultur betrachtet werden soll - berührt dieser Inklusionsanspruch auch kulturelle Selbstverständnisse in einer Weise, die als Verweigerung der Differenzanerkennung gelesen werden können. Hinzu kommt, dass mit dieser Form der kulturellen Inklusion der sozioökonomische 178
Hintergrund, vor dem sich diese kulturellen Differenzen mit ihren eigenen Geltungsansprüchen herausgebildet haben, unangetastet bleibt, sodass die Inklusionsbemühungen als doppelt unzureichend angesehen werden können: Zur Verweigerung oder Unmöglichkeit sozialer Inklusion kommt der Versuch einer kulturellen Inklusion zu den Bedingungen der kulturellen Hegemonie, die eben gerade als Verweigerung der kulturellen Anerkennung gewertet werden kann. 6.2.1 Erster Exkurs: Medien und Mediennutzung Ein weiteres Feld wird dabei sichtbar, das mit der Herausbildung von Selbstund Weltsichten bzw. Identitäten untrennbar verknüpft ist: Medienkonsum. Nicht von ungefähr ist dies einer der Favoriten in den Analysebereichen der Cultural Studies, und auch in Lateinamerika besitzt die Medienanalyse (v.a. als Rezeptionsanalyse) mittlerweile einen hohen Stellenwert. Im Rahmen dieser Arbeit kann allerdings nur angedeutet werden, welche Bezüge sich zwischen Kulturellem, Sozialem und Politischem ergeben, wenn Medienanalyse in den Mittelpunkt gerückt wird - es bedürfte einer eigenen monografischen Darstellung, um der Vielschichtigkeit einigermaßen gerecht zu werden. In gewisser Weise Ausgangspunkt für die damit verbundenen Überlegungen sind immer noch die Darlegungen Horkheimers und Adornos zur Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno 1988: 128-176). Die dort entwickelten Thesen der umfassenden und unentrinnbaren Manipulation des Menschen durch Kulturindustrie und Massenmedien in einem Prozess, der jegliche Kreativität, Eigenständigkeit und auch Subversivität der Kultur dadurch auslöscht, dass sie nur noch Teil eines vereinheitlichenden kommerziellen Verwertungsprozesses ist, sind allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Einer der wesentlichsten Kritikpunkte ist die ausschließliche Analyse von Kultur und Medien von ihrer Produktionsseite her, die den Umstand vollkommen ausblendet, dass unterschiedliche kulturelle bzw. soziale Kontexte der Rezeption bzw. des Konsums kulturindustrieller Produkte notwendigerweise auch zu unterschiedlichen Rezeptionen bzw. Konsummustern fuhren müssen. Schon dieser Umstand fuhrt dazu, dass von einer kulturellen Vereinheitlichung der Menschen nicht auszugehen ist schon gar nicht in globalem Maßstab. Viele empirische Untersuchungen sind im Rahmen der Rezeptionsanalyse erstellt worden, mit zum Teil kuriosen Ergebnissen, wie dem, dass die Fernsehserie „Dallas" von jüdischen Emigranten aus der damaligen Sowjetunion nach Israel als gefahrliche Gehirnwäsche angesehen wurde, die in ihrer manipulativen Absicht der sowjetischen Propaganda in nichts nachstehe (Liebes/Katz 1990: 22). 159
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Gleichwohl sahen sich die Emigranten aber gezwungen, „Dallas" zu sehen, da dies als eine Grundbedingung der Integration in die israelische Gesellschaft betrachtet wurde. Um der Gefährdung zu entgehen, versammelten sich häufig mehrere Familien zum gemeinsamen Anschauen der Serie, wobei man sich gegenseitig in der oppositionellen Lesart bestärkte (vgl. zum Begriff der „oppositionellen Lesart" die folgende Fußnote) und damit hoffte, die
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D i e Frage nach der Veränderung auch der kollektiven Identitäten durch die Massenmedien stellt sich aber dennoch. Denn auch wenn sich ein lineares Manipulationsmodell nicht halten lässt, so ist doch das Fehlen jeglicher Beeinflussung ebenso wenig plausibel. Zwar lassen sich Kontexte vorstellen, in denen im Sinne Stuart Halls ausschließlich „oppositionelle Rezeptionsmuster" vorherrschen, also Rezeptionsmuster, die aufgrund des soziokulturellen Hintergrundes des Rezipienten eine der intendierten Aussage einer Nachricht entgegengesetzte Lesart hervorbringen, diese werden aber eher die Ausnahme als die Regel darstellen. 1 6 0 A u f der anderen Seite sind auch die Medien selbst erstens nicht als homogener Block vorzustellen (auch innerhalb der einzelnen Medienunternehm e n gibt es keine vollständige Homogenität) und zweitens nicht unabhängig von den Rezeptionen, auf die sie stoßen. S o verändern sich Produktion und Rezeption gegenseitig in einem ständigen Prozess, bei dem selbstverständlich ökonomische Faktoren eine herausragende Rolle spielen; aber dieser Prozess ist nicht auf das Ökonomische zu reduzieren, da es um die Produktion, Vermittlung und Rezeption symbolischer Formen geht (vgl. Thompson 1997: 891-894). Jesus Martin-Barbero schlägt deshalb vor, den Blick weniger auf die Medien selbst,
Manipulation durch Entlarvung unschädlich zu machen. Auf dieser Grundlage wurde der Konsum dann auch durchaus genossen (Liebes/Katz 1990: 83). 160 Stuart Hall unterscheidet dominante, oppositionelle und verhandelte Formen der Rezeption, wobei (neben der bereits angesprochenen „oppositionellen" Lesart) „dominant" bedeutet, dass die Rezeption im Sinne der intendierten Aussage einer Botschaft erfolgt, während „verhandelt" bedeutet, dass die intendierten Aussagen einer Botschaft in die Wissens- und Erfahrungshorizonte des Rezipienten eingefugt werden, wobei sich dominante und oppositionelle Elemente mischen: „The first hypothetical position is that of the dominanthegemonic position. When the viewer takes the connoted meaning from, say, a television newscast or current affairs programme full and straight, and decodes the message ill terms of the reference code in which it has been encoded, we might say that the viewer is operating inside the dominant code. [...] The definition of the hegemonic viewpoint is (a) that it defines within its terms the mental horizon, the universe, of possible meanings, of a whole sector of relations in a society or a culture; and (b) that it carries with it the stamp of legitimacy - it appears coterminous with what is 'natural', 'inevitable', 'taken for granted' about the social order. Decoding within the negotiated version contains a mixture of adaptive and oppositional elements: it acknowledges the legitimacy of the hegemonic definitions to make the grand signification (abstract), while, at a more restricted situational (situated) level, it makes its own ground rules - it operates within exceptions to the rule. [...] Finally, it is possible for a viewer to understand both the literal and the connotative inflection given by a discourse but to decode the message in a globally contrary way. He/she detotalizes the message in the preferred code in order to retotalize the message within some alternative framework of reference. This is the case of the viewer who listens to a debate on the need to limit wages but 'reads' every mention of the 'national interest' as 'class interest'. He/she is operating with what we must call an oppositional code" (Hall 1986: 136138; Hervorh. i. O.). Diesem Modell liegt aber in jedem Fall die - m. E. unzutreffende Vermutung zugrunde, eine medial vermittelte Botschaft beinhalte grundsätzlich auch einen Manipulationswillen, gegen den opponiert bzw. der unterlaufen werden könne. 180
als auf den Prozess dessen zu richten, was er „Vermittlung" bzw. ,^Mediation" nennt. Dabei handelt es sich in seinem Verständnis um den ,Ort\ von dem aus es möglich ist, die Interaktion zu verstehen, die sich zwischen dem Raum der Produktion und dem der Rezeption ergibt, da das, was beispielsweise im Fernsehen produziert wird, nicht nur den Erfordernissen des industriellen Systems und kommerziellen Strategien genügt, sondern auch Anforderungen, die sich aus dem kulturellen Raster und den ,Seh-Weisen' ergeben. [...] Das Fernsehen funktioniert nur insoweit, als es Forderungen von Rezeptorengruppen aufnimmt - und diese mit der Aufnahme legitimiert - , aber gleichzeitig kann es keine Forderungen legitimieren, ohne ihnen im Sinne der Funktion des gesellschaftlich hegemonialen Diskurses eine andere Bedeutung zu verleihen (Martin-Barbero 1992: 20; Hervorh. i. O.).
Wenn diese Konzeption plausibel ist, und wenn weiterhin die oben angeführten Thesen plausibel sind, dass die Kulturindustrie ideologisch wie ästhetisch nicht homogen ist und dass Rezeptionen sich regional, kulturell und sozial unterschiedlich darstellen (Martin-Barbero 1994b: 84-85; 96-97), dann ist es durchaus möglich, einen gewissen dialogischen Charakter auch in kulturindustriellen Produkten auszumachen: Selbst die berühmten lateinamerikanischen TVSeifenopern (telenovelas) verbinden in dieser Lesart melodramatische Erzählung und (Alltags-)Leben der (zuschauenden) Menschen (Martin-Barbero 1994b: 98). 161 Der in Mexiko lehrende costa-ricanische Kommunikationswissenschaftler Guillermo Orozco Gömez nennt das (wohl in Anlehnung an Hall) „Sinnverhandlungen", die durch den polysemischen Charakter einer jeglichen Botschaft notwendig würden (Orozco Gömez 1998: 95). Aber das „Dialogische" der kulturindustriellen Produktion hat nach Martin-Barbero eben auch eine andere Seite: Eingeschrieben in das Aufnehmen des wiedererkennbaren Lebens der Zuschauer auf der Produktionsseite ist auch der Versuch, Bedeutungen zu kreieren (oder zumindest anzubieten), die das mögliche widerständige Potenzial entschärfen. Dies ist wiederum nicht im Sinne einer linearen, noch nicht einmal in erster Linie einer bewussten Manipulation zu lesen. Der Begriff des „gesell161
Das ist im Übrigen kein Phänomen, das ausschließlich mit dem Fernsehen zu tun hätte: So fuhrt Martin-Barbero (1987: 141-142) Umberto Ecos Verweis auf die Entstehung und Rezeption der Mystères de Paris (1842-43) von Eugène Sue an, in denen das aufregende und skandalöse Leben der Armen aus Sicht eines Dandys dargestellt wird. Gedacht für die gebildeteren Schichten, wurde der Fortsetzungsroman zu einem großen Erfolg unter denjenigen, die Sue beschrieb, da sie die Darstellungen als authentische Schilderungen ihres unterdrückten Lebens lasen. Als Sue sich dessen bewusst wurde, nahm sein Schreiben diese Leserschaft auf und bezog sie noch weiter gehend ein. Eco geht so weit zu behaupten, dass „sich dieselben Leser auf den Barrikaden von 1848 wiederfinden], um dort die Revolution zu proben, und einige nicht zuletzt, weil sie Die Geheimnisse von Paris gelesen hatten" (Eco 1987: 70). Der Frage, ob das plausibel ist, kann hier nicht nachgegangen werden aber es verdeutlicht doch den Ansatz der Rezeptionsanalyse. Allerdings steht zu vermuten, dass zwischen dem Schreiben Sues und der Produktion von telenovelas ein gewisser Unterschied besteht, auch wenn ich den Umstand des Ausbleibens von Februarrevolutionen dafür nicht als Kronzeugen anfuhren möchte.
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schaftlich hegemonialen Diskurses" verweist eher auf die hinter dem Rücken der Akteure (also auch der Produzenten, Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler) stattfindenden Mechanismen der Entstehung diskursiver Verbindlichkeit.162 Das „hegemoniale" Deutungsangebot kann ja auch nur angenommen werden, wenn es zumindest in Teilen schon bestehende Deutungen aufnimmt und weiterverarbeitet, allerdings in entschärfender Form. Das betrifft im Übrigen auch das Verhältnis von Globalisierung und (Re-)Lokalisierung: Der peruanische Kommunikationswissenschaftler Mario Gutiérrez Olórtegui weist darauf hin, dass die Massenmedien sowohl das eine als auch das andere produktiv aufnehmen müssen, um funktionieren zu können. Auf der einen Seite müssen sie lokal rezipierbar sein, d. h. die Menschen müssen sich in ihren lokalen bzw. regionalen Bezügen in den Bildern wiederfinden können; auf der anderen Seite muss die Darstellung in sehr generalisierter Form erfolgen, damit auch sehr unterschiedliche Rezeptionsweisen mit den Informationen etwas anfangen können. Aus diesem Grund ist Gutiérrez Olórtegui überzeugt, dass die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Lokalen, dem Regionalen und dem Globalen es erlauben, den Markt der Informationen zu verstehen, der, während er deterritorialisierte Vorstellungswelten von der globalen Realität produziert, gleichzeitig Zeugnis der Notwendigkeit ablegt, Bilder zu exportieren, die territorialisiert sind und lokale Realitäten in ihr Recht setzen, auch wenn beide sich in dekontextualisierter, entgrenzter und standardisierter Form präsentieren, um ihre Integration in andere Vorstellungen von der Welt zu erleichtern (Gutiérrez Olórtegui 1996: 34).
In diesem Kontext ist auch eine gewisse Konvergenz zwischen Popular- und Massenkultur zu erkennen. Es hat nicht zuletzt auch mit der Land-StadtMigration zu tun, dass sich die Vorstellung des Popularen insofern geändert hat, als nicht mehr (oder zumindest nicht mehr in erster Linie) ländliche, traditionale Kulturartikulationen damit gemeint werden, sondern auch und vor allem urbane Kulturen, die nicht zur Hochkultur zählen. Und diese sind stark vom Konsum massenkultureller Produkte (vor allem durch das Fernsehen) geprägt. Allerdings meinen Medientheoretiker wie Martín-Barbero, die Medien und Gesellschaft aufeinander beziehen, ein komplexeres Phänomen als lediglich die kulturelle Produktion innerhalb der Massenmedien selbst, wenn sie von Massenkultur sprechen. Es geht um eine Wechselwirkung zwischen der Urbanen Massierung von Bevölkerung (vor allem seit dem 19. Jahrhundert), der damit verbundenen Veränderung im sozialen Gefüge (einschließlich des Bedrohungspotenzials für
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Die in Ausnahmesituationen (wie in Kriegszeiten) erfolgende direkte Einflussnahme von Regierungsstellen auf kulturindustrielle Produktionen ist m. E. keine Widerlegung dieser These. Dagegen ist der freiwillige Verzicht auf Kritik an den Regierenden von Seiten einer sich sonst als kritisch verstehenden Presse in solchen Zeiten ein umso stärkerer Beleg für diese These. Die patriotische Selbstverpflichtung der US-amerikanischen Medien nach den Anschlägen vom 11.9.2001 auf das Pentagon und das World Trade Center mag als Beispiel dafür dienen.
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die Oberschichten bzw. die herrschenden Klassen) und den durch die technologische Entwicklung sich verändernden Artikulationsformen von Kultur und Information. Eine solche historisch informierte Betrachtung muss anerkennen, so Martin-Barbero, dass es sich bei (Massen-)Kultur um einen „Raum von Anpassungsprozessen der sozialen Hegemonie" handele, um einen „strategischen Ort der Befriedung von Klassengegensätzen und der Absorbierung von sozialen Differenzen" (Martin-Barbero 1987a: 152-153). Damit würden die Medien allerdings nicht ihres Eigensinns beraubt, der weder im „Fatalismus der ,Logik des Marktes'" noch in der inhaltlichen Entleerung des „Magma der herrschenden Ideologie'" aufgehen könne. Was er „Mediation" nennt, ist ein Prozess kultureller und sozialer Veränderung, dieser entspringt nicht den Massenmedien, aber sie haben darin eine entscheidende Rolle (Martin-Barbero 1987a: 153; vgl. auch 220-224). Und diese Rolle ist nicht zuletzt darin begründet, dass die Deutungsangebote der Massenmedien auch die Funktion eines „Fensters" besitzen: Es wird eine Welt gezeigt und gleichzeitig „erklärt" - was bedeutet, dass die Bilder, welche sich die Konsumenten von der Welt machen können, von vorneherein mit Bedeutung aufgeladen sind, und zwar mit Bedeutungen, die nicht unbedingt aus ihrer eigenen Erfahrung entspringen bzw. ihrer eigenen Situation entsprechen. Damit ist die Selbstverortung von Individuen in der Welt - um es vorsichtig zu sagen - zumindest nicht unabhängig von den Bildern und ihren Deutungen, die sie aus der Distanz erreichen. Das betrifft auch die kollektiven Identitäten; und das ist mit der tendenziellen Konvergenz zwischen dem Massenhaften und dem Populären gemeint. Dabei ist aber im Sinne des bereits zur Rezeption Ausgeführten wichtig, dass diese Konvergenz auch ihre Grenzen hat. Die „Lebenswelt des Populären" ist nach Martin-Barbero geprägt von „Komplexität und Pluralität", die von den Massenmedien zwar beeinflusst, aber nicht manipuliert werden. Dennoch gebe es eine gewisse Gefahrdung dieser Komplexität und Pluralität - und durchaus nicht nur von Seiten der Massenmedien. Und die Homogenisierung, welche diese Pluralität und Komplexität platt drückt und auflöst, entstammt nicht ausschließlich der Vorstellungswelt, die die Massenkultur propagiert, sondern auch aus einer politischen Rationalität, die in ihrer Verengung und ihrem Manichäismus dasjenige depolitisiert, was Hugo Assmann ,die populären Formen der Hoffnung' genannt hat, ihre Religiosität und ihren Melodramatismus (MartinBarbero 1987a: 215-216).
Dies ist etwa die Schnittstelle zwischen zwei wichtigen Funktionen der Medien: der „konstitutiven" und der „substitutiven" Funktion. Erstere beschreibt nach Martin-Barbero die Fähigkeit der Medien, Repräsentationsangebote zur Verfügung zu stellen, welche Erwartungen, Hoffnungen, Illusionen, Ängste etc. der Menschen bedienen können. Damit sind sie nicht zuletzt relevant für die Ausprägungen personaler Identitäten, für Identifikationsmöglichkeiten, Projektionen und Sublimierungen. Die „substitutive" Funktion liegt in der Bereitstellung von 183
virtuellen politischen Räumen. Wenn Politik diskursiven Verselbständigungstendenzen unterliegt, welche sie von der alltäglichen Lebenswirklichkeit der Menschen weit gehend abkoppelt (dies wurde bereits angesprochen, vgl. Kapitel 5.3), können die Medien das damit einhergehende Fehlen von Räumen von politischen Kommunikationen, Konflikten und Auseinandersetzungen insofern „ersetzen", als sie diese virtuell inszenieren (Martin-Barbero 1994a: 27-28; Orozco Gömez 1998: 98-99). Damit tragen sie allerdings auch zur weiteren Entpolitisierung der Öffentlichkeit bei: In der Logik des „Leichten" gefangen, können die Massenmedien kaum anders, als sich über die „Schwere" der Politik lustig zu machen und damit an ihrer Delegitimierung mitzuwirken (Alfaro Moreno 1994b: 150; vgl. Kapitel 5.1). Auch wenn dieser kurze Aufriss der Problematik der Medien nicht ansatzweise gerecht werden kann, sollte doch deutlich geworden sein, in welchem analytischen Kontext sie für die Fragestellung dieser Arbeit zu verorten sind: Es geht in der Hauptsache um drei Bezüge: 1. die Rolle, welche die Medien (und vor allem die Massenmedien) für die Herausbildung individueller Identität und kollektiver Identitäten spielen; 2. die Rolle für die Prägung von Kultur und deren Vermittlung; und 3. die Rolle als Instanz des Politischen, sowohl in Bezug auf die Beeinflussung politischer Prozesse wie auch deren Vermittlung. Dabei sollte allerdings nicht zu sehr in den Hintergrund treten, in welchem größeren Kontext sich die Medien selbst bewegen: Es geht um einen internationalen Markt symbolischer Formen, geprägt von einer starken ökonomischen Konzentration. Dies schließt nicht aus, dass es neben der - auch kulturellen - Globalisierung der Medien eine starke Regionalisierung und sogar Lokalisierung gibt, die den unterschiedlichen Rezeptionsformen und -gewohnheiten Rechnung trägt. Eingebunden ist dies in den konstanten, vielfaltig gebrochenen und selten zu Bewusstsein gelangenden Prozess des Kampfes um kulturelle Hegemonie. 6.2.2 Zweiter Exkurs: Dekonstruktion und politische Kultur Im Folgenden soll kurz am Beispiel der dekonstruktivistischen Perspektive auf politische Kultur gezeigt werden, wie nahe eine konstruktive und eine destruktive Interpretation des Politischen des Kulturellen beieinander liegen können. Diese Perspektive muss im Zusammenhang mit der im Kapitel 5.2 dargestellten „Krise des Repräsentationsmodells" gesehen werden: Das proklamierte „Ende der Ideologien" fuhrt auch dazu, dass der Staat Schwierigkeiten hat, seine Rolle als symbolischer Repräsentant der Gesellschaft als Ganzer weiter auszufüllen. Auf die möglichen positiven wie negativen Konsequenzen für das Politische (nicht zuletzt auch für die Neuen Sozialen Bewegungen) wurde bereits hingewiesen. Uneingeschränkt positiv wird diese Entwicklung hingegen von der chilenischen Kunst- und Kulturtheoretikerin und -kritikerin Nelly Richard gesehen - und als Erfolg vor allem der bildenden Kunst zugeschrieben: Mit Bezug auf die chilenische Diktatur meint sie, die dort herrschende Totalisierung des manichäischen Freund-Feind-Denkens sei nur überwindbar gewesen, da die (de184
konstruktivistische) Kunst das Repräsentationsschema als solches durchbrochen habe. Diese Kunst verstand in ihrer Interpretation die Relation zwischen dem Gegebenen und dem Gemachten als diskursive Montage, nicht als natürliche, wahrheitsförmige Repräsentation wie die Diktatur. Gegen das Dogma der Ordnung wurde so das Fragmentarische, Disperse, Heterogene betont und damit gegen die Geschichtsklitterung durch die hegemoniale Lesart ein Zeichen gesetzt. Dabei geht es nicht nur um die Opposition gegen die diktatorische Metaerzählung, sondern gegen jedwede unilaterale Geschichtsschreibung, jeden vereinheitlichenden Erklärungs- bzw. Erzählungsversuch. Diese Benennung des Flüchtigen, des Herumreisenden oder des Dezentrierten evoziert ein „vagabundierendes Begehren" und unterstützt damit die gesellschaftlichen bzw. diskursiven Ränder gegen das Zentrum. Das „Schwindelgefiihl der Polysemie" dekonstruiert nicht nur den offiziellen Diskurs, sondern auch die kodifizierte Opposition (, Antwortdiskurs"), die nichts anderes tun kann als auf den offiziellen Diskurs zu reagieren und sich deshalb innerhalb dessen Logik bewegt (Richard 1990). Es handelt sich bei der dekonstruktivistischen Analyse auch in Lateinamerika nicht zuletzt um den Versuch, Strukturen des modernen Denkens sichtbar zu machen, die Abhängigkeiten und Dominanz nicht nur widerspiegeln, sondern produzieren und reproduzieren. Damit gerät nicht nur (ästhetisch induzierte) gesellschaftliche Wahrnehmung in den Blick, sondern auch die (gesellschafts-Wissenschaftliche Reflexion darüber als Ausdruck und Folge von solchen Wahrnehmungen. In dieser Lesart verschieben sich damit die Bedeutungen klassischer Begrifflichkeiten in Bezug auf die Einordnung der so genannten Dritten Welt. So erscheint die analytische Aufteilung in Zentrum und Peripherie, die vor allem durch die Dependenztheorie in den 1960er und 1970er Jahren ihre Blüte erlebte, jetzt in ganz anderem Licht. In der dekonstruktivistischen Denkart steht nicht mehr die vielfaltige Abhängigkeit der Länder des peripheren Kapitalismus von denen des Zentrums im Vordergrund der Kritik, sondern vielmehr das Denken selbst, das eine solche Aufteilung in Zentren und Ränder, in Innen und Außen vornehme. Die Dekonstruktion dieses Denkens bedeute weder die Umkehrung von Zentrum und Marginalem, noch die Leugnung, dass eine jede Erklärung, eine jede Lesart notwendigerweise Zentrum und Ränder schafft. Es bedeutet im Selbstverständnis der Dekonstruktivisten vielmehr die Verschiebung der Grenzen zwischen Zentrum und Rändern dergestalt, dass die Strukturen des Zentrierens und Marginalisierens sichtbar werden. Eine dieser zu dekonstruierenden Denkfiguren ist die von Original und Kopie. Die dadurch etablierte Hierarchie in Bezug auf den internationalen Markt der symbolischen Güter wird radikal infrage gestellt, da diese der lateinamerikanischen Adaption der Kultur der Zentren immer nur den Rang einer Imitation zuweise. Lateinamerika ist in dieser Hierarchie bestimmt durch [...] die Zugehörigkeit zu einer Kultur der 'Reproduktion', in der - durch Sucht des Imitierens oder Verstellungsmanie - jedes Bild das Bild eines kopierten und recycelten Bil-
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des ist, bis die Originalität (der exklusive Kult des Modells als Ursprung und Perfektion) zu Substituten und Abarten degeneriert. [...] Ein peripherer Ableger der in den Zentren durch die metropolitanen Netze beförderten Modelle zu sein bedeutet, zu einer Kultur zu gehören, die wegen ihrer Zweitrangigkeit in Bezug auf die Vorgängigkeit und Vorrangigkeit des Modells diskriminiert wird (Richard 1994: 218-219; vgl. auch Richard 1992b: 127-128; Moreiras 1990: 106).163 Wenn nun aber die Kopie nicht als Kopie, sondern eher als Überzeichnung, als Parodie, als Zerrspiegel des vermeintlichen Originals gelesen wird, werde das Abhängigkeitsverhältnis tendenziell aufgelöst: D a s Lachen über den „Glauben der 'Ersten Welt', das Modell sei Träger des Geheimnisses der Quintessenz des Sinnes", entweihe das Modell selbst und lasse die lateinamerikanische ästhetische Produktion als die Vorwegnahme der postmodernen „abgeleiteten Fiktion der Aneignung anstelle der Wahrheit des Eigenen" erscheinen (Richard 1994: 219). 1 6 4 D a s Aufbrechen des Original-Kopie- bzw. Zentrum-Peripherie-Schemas begründe eine neue Wertschätzung des vormals Peripheren, aber nicht mehr als Peripheres (was in der Vergangenheit zu verschiedenen Exotismen, nicht aber zu wirklicher Wertschätzung geführt habe), sondern gerade durch die Aufhebung des Peripherie-Charakters. Zwei Gefahren ergäben sich allerdings aus dieser Konstellation: Zum einen solle die vormalige Peripherie nun nicht ihrerseits zum Zentrum werden, da dies die Gefahr einer neuen universalen Metaerzählung der Peripherie in sich berge, und das gelte es zu vermeiden. 1 6 5 Z u m andern sei die Krise des Zentrum-Peripherie-Schemas zuerst eine Krise in den Zentren g e w e s e n , bzw. als solche wahrgenommen worden. Die Enthierarchisierung des
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Eine etwas andere Kritik vertritt Ticio Escobar, der eine Diskriminierung der ästhetischen Produktion Lateinamerikas schon in der modernen Behauptung der Ausdifferenzierung der ästhetischen Sphäre begründet sieht. Diese führe zu einer Ausschließung der Kunst aus dem Leben; die Kunst der indigenen Bevölkerung beispielsweise könne damit nicht mehr als Kunst betrachtet werden. Demnach hätten sich die Aporien der Trennung KunstNichtkunst in Lateinamerika schon von Anbeginn an gezeigt, auch ganz ohne postmoderne Kritik (Escobar 1988: 17-18).
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In Bezug auf die Parodierung vertritt eine genaue Gegenposition beispielsweise J. J. Brunner, der damit eben jene Position einnimmt, die in der Denkweise Richards dekonstruiert werden soll: „Das Thema der okzidentalen Kultur in Lateinamerika ist das des kulturellen Plagiats. Imitation, Nachahmung von Stilen und Formen, von Werten und Inhalten, ernsthaft ausgeführt, ohne die Absicht von Parodie oder Ironie, ohne Distanz [...]" (Brunner 1988: 198; zweite Hervorh. B.S.). 165 „Alle diese Gründe, die sich aus der Krise der Totalität-Zentralität ableiten, argumentieren für eine kulturelle Neubewertung der Peripherie, bis hin zu ihrer Postulierung als oberste Protagonistin der neuen postmodernen Erzählung des Dezentrierten. Aber diejenigen, welche die Hypothese der Dezentrierung des Verlustes der Autorität formulieren, spielen sich weiter als die einzigen autorisierten Eigner dieser Hypothese auf [...], wodurch sie aus der Krise eine neue universalistische Meta-Erzählung machen" (Richard 1994: 221; Hervorh. i. O.). 186
Zentralen könnte es den Zentren auf subtile Weise ermöglichen, ihre Stellung an der Spitze der Hierarchie zu behaupten; an die Stelle des Verhältnisses Zentrum/Peripherie träte dann das Verhältnis Zentrum-Dezentrierung/Peripherie (Richard 1994: 221), die Denker des Zentrums hätten sich dann gerade durch die Dekonstruktion des Zentrum-Peripherie-Schemas ihren Platz im Zentrum der Debatte gewahrt (Richard 1992b: 129).166 Dies wird teilweise auch in den Zentren selbst reflektiert: So schreibt Hermann Herlinghaus mit Bezug auf die grundsätzlichen Unterschiede in den „dezentrierenden Unterfangen" in den Zentren auf der einen Seite (welche das Periphere entdecken) und in den Peripherien selbst auf der anderen: Im ersten Fall handelt es sich um eine radikale Selbstkritik, um eine epistemologische Wende, ohne jedoch die epistemologische Herrschaft aufzugeben; im zweiten Fall wird die von den Peripherien ausgehende Selbstkritik von einem grundlegenden Wechsel des eigenen Status begleitet: der Schritt von einer defensiven zu einer offensiven Epistemologie (Herlinghaus 1998b: 94; Hervorh. i. O.).
Abgesehen von diesen Gefahren aber liegt die Attraktivität dieses Denkens auf der Hand. Die Abhängigkeit Lateinamerikas von den Zentren der kulturellen Produktion wird aufgehoben, der Originalitätsanspruch des westlichen Abendlandes wird bestritten, ohne dass der Beweis einer eigenen Originalität gegen jene der Zentren geführt werden müsste. Ob dies wirklich so ist, scheint aber fraglich. Die Lesart Nelly Richards legt nahe, dass gerade über die Dekonstruktion des Schemas von Original und Kopie die parodierende Kopie Originalität erhält und damit quasi avantgardistische Qualitäten zugesprochen bekommt: Das postmoderne Abfallen vom Postmodernismus erlaubt - dank der neuen Wertschätzung der Kopie - folgende Umkehrung der Szenerie: Vorher abhängig durch Imitation und immerfort zurückgeblieben in Bezug auf die internationalen Parolen des Neuen, ist Lateinamerika jetzt Pionier des Neuen und Vorgriff des postmodemen Trugbildes, durch die Simulationen und Verschleierungen, die bereits in der kolonialen Handschrift enthalten waren, welche Folgsamkeit gegenüber dem europäischen Code fingierte, während sie in Wirklichkeit die Ikone hin zu alternativen Botschaften ver-fuhrte (Richard 1992b: 128).167
Im Übrigen läuft diese Interpretation Gefahr, Abhängigkeit schlicht wegdefinieren zu wollen, als ein nur im Denken existierendes Problem. Nicht zufallig befindet sich diese Interpretation im Widerspruch zu jenen, die Abhängigkeit nicht mehr - wie noch die Dependenztheorie der 1960er und 1970er Jahre - rein öko166
In diesem Sinne äußert sich auch Amy Gutmann zur „dekonstruktivistischen Entlarvungsmethode" allgemein: „Ihrer inneren Logik nach läuft die dekonstruktivistische These, intellektuelle Maßstäbe seien nichts anderes als Maskierungen von Machtstreben, darauf hinaus, daß sich auch in ihr ein Machtwille widerspiegelt, nämlich der der Dekonstruktivisten." (Gutmann 1997: 139). 167 Vgl. zur Kritik des Richard'schen Ansatzes auch: Slater 1994: 103-106. 187
nomisch zu denken versuchen, sondern der „segmentierten und fragmentierten Partizipation" Lateinamerikas am internationalen Markt der symbolischen Güter einen hohen Stellenwert zumessen. Diese Interpretationen sehen ja, wie bereits diskutiert, durchaus reale - auch soziale und ökonomische - Abhängigkeiten und Ambivalenzen gerade durch die Analyse der kulturellen Ausrichtung an den Zentren der (kulturellen) Produktion und die Rezeption dieser Produktion aufgrund lokaler Kodizes. Darüber hinaus scheint dem dekonstruktivistischen ästhetischen Denken eine gewisse Überschätzung der Kraft der Kunst zu eignen. Es wird der - dekonstruktivistischen - künstlerischen Produktion eine immense politische Bedeutung zugesprochen, die durch das Durchbrechen von Ordnungsschemata auch bürokratisch-autoritäre Regime wie die chilenische Diktatur in ihren Grundlagen zu erschüttern vermag. Die Bedeutung der ästhetischen Produktion gerade in den Zeiten der Diktatur soll keinesfalls unterschätzt werden - wie bereits ausgeführt, ist durchaus auch aus politikwissenschaftlicher Warte erkennbar, dass sich das Politische aus seinem originären Raum, der politischen Öffentlichkeit, in eher kulturelle bzw. religiöse Freiräume zurückziehen musste, da die Öffentlichkeit systematisch reguliert und kontrolliert und damit letztlich verunmöglicht wurde (vgl. Kapitel 6.1). Das darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass damit zwar (quasi im innergesellschaftlichen Exil) die Grundlagen einer Wiederaneignung der Gesellschaft durch sich selbst geschaffen wurden aber erst durch die Wiedereroberung der Straßen und Plätze im wörtlichen wie im übertragenen Sinne konnte die Diktatur überwunden werden. Des Weiteren macht dies auf eine notwendige Unterscheidung der Funktion von Zivilgesellschaft in nicht demokratisch und in demokratisch verfassten Gesellschaften aufmerksam, von der auch die politische Funktion der Kunst nicht unberührt bleibt: Während zivilgesellschaftliche Akteure unter den Bedingungen der staatlichen Verhinderung von Öffentlichkeit für die Schaffung von Öffentlichkeit und damit für die Destabilisierung des Staates arbeiten, nutzen sie innerhalb demokratischer Gesellschaften die Öffentlichkeit, füllen sie inhaltlich mit ihren Diskursen und stabilisieren damit den (demokratischen) Staat. Das Selbstverständnis dekonstruktivistischer Kunst kann die Stabilisierung des Staates kaum sein, und das sollte es auch nicht. Aber die politischen Artikulationen der Zivilgesellschaft stellen in der Demokratie (zumindest in ihrer Gesamtheit) die staatliche Ordnung nicht grundsätzlich infrage und sind darüber hinaus durch die Existenz einer politischen Öffentlichkeit auf das Refugium der Ästhetik nicht mehr direkt angewiesen - nicht zuletzt deswegen verliert die Kunst unter den Bedingungen der Demokratie ihre unmittelbare politische Relevanz.168 Während die Sozialwissenschaften in ihrem Bemühen, das Kulturelle in Bezug zum Gesellschaftlichen zu setzen, eher den Blick von der Gesellschaft auf 168
Vgl. dazu die Ausfuhrungen Herfried Münklers zur Debatte um das Politische in der Kunst bei Adorno, Benjamin und Lukäcs (Münkler 1990: 52-65, bes. 64-65).
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die Kultur richten und dabei notwendigerweise vor allem kollektive Identitäten ins Blickfeld kommen, blickt die Dekonstruktion von der Kultur her auf die Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Arbeit ist dies in doppelter Hinsicht interessant: Zum einen wird vielleicht nirgendwo so deutlich wie hier, was mit der Definition der Kultur als handlungsermöglichenden und -einschränkenden Sinnsystemen in einem politischen Verständnis gemeint ist. Zum anderen wird aber auch besonders deutlich, worin die Gefahren dieses Unterfangens bestehen: Der Blick auf den jeweiligen Eigensinn von Kultur und Politik von der Warte eines der beiden Bereiche aus birgt immer die Gefahr, den Eigensinn des jeweils anderen zu ignorieren - in diesem Fall den des Politischen. Es ist ein paradoxes Phänomen, dass der Versuch, das Kulturelle politisch zu denken, das Politische zum Verschwinden bringen kann. Es zeigt sich an diesem kurzen Exkurs zum dekonstruktivistischen Denken in Lateinamerika die ganze Ambiguität des politischen Denkens über Kultur im weiteren Sinne oder Ästhetik im engeren Sinne: Auf der einen Seite überwindet es die Verkennung der politischen Relevanz des Kulturellen und legt offen, wie sich Deutungssysteme und Bedeutungszuschreibungen, mithin auch handlungsermöglichende Wahrnehmungen durch den Einfluss kultureller bzw. ästhetischer Konzepte (auch kulturindustrieller Produkte) ändern können. Auf der anderen Seite ergibt sich aber die große Gefahr der Depolitisierung des Politischen, sei es durch die Ausblendung von institutionellen oder sozioökonomischen Faktoren, sei es durch die Ästhetisierung des Politischen: Die Beobachtung der subversiven Kraft der dekonstruktivistischen Ästhetik unter den Bedingungen der Diktatur Pinochets ist gerade vor dem Hintergrund der Vernichtung der (politischen) Öffentlichkeit sicherlich richtig, der Kunst das Verdienst der Überwindung der Diktatur zuzuschreiben, ist allerdings vermessen; die (Denk-)Strukturen von Zentrum und Peripherie zu dekonstruieren und damit zu entlarven ist ebenfalls richtig und wichtig, die Reduzierung der vielfaltigen Abhängigkeitsstrukturen in den internationalen Beziehungen auf das, was „in den Köpfen" passiert, ist verharmlosend.
6.3
Die (begrenzte) Wirkmächtigkeit der Artikulationen politischer Kultur
Im Folgenden soll noch einmal etwas ausführlicher auf die bereits angesprochene Frage eingegangen werden, inwieweit kulturell induziertes kollektives Handeln gesellschaftlich wirkmächtig werden kann. Diese Frage muss auf unterschiedlichen Ebenen gestellt werden: Erstens geht es um den politischen Raum, innerhalb dessen ein solches Handeln stattfindet; das verweist auf die Frage nach der (politischen) Öffentlichkeit. Zweitens geht es um das (politische) Selbstverständnis bürgerschaftlicher Assoziationen bzw. zivilgesellschaftlicher Artikulationen; das verweist auf die Reichweite des Anspruchs auf Veränderung. Drittens geht es um die tatsächliche Reichweite zivilgesellschaftlichen 189
Handelns; das verweist auf die strukturellen Begrenzungen demokratischer Selbsteinwirkung. Und schließlich geht es - in gewisser Weise quer zu diesen Fragen - darum, welcher Maßstab an die Wirkmächtigkeit zivilgesellschaftlichen Handelns angelegt wird, also darum, für wie groß die Spielräume kollektiven Handelns angesehen werden und wie diese bewertet werden; das verweist auf den Erwartungshorizont normativ imprägnierter sozialwissenschaftlicher Interpretation. Diese Fragen werden im Kontext dieser Arbeit schlechterdings nicht umfassend und schon gar nicht erschöpfend beantwortet werden können. Ihre Behandlung soll aber verdeutlichen, wo neben der möglichen Befruchtung der politikwissenschaftlichen Analyse auch die Grenzen der Analyse politischer Kultur liegen. Es scheint sinnvoll, noch einmal kurz ein Licht auf den größeren Kontext lokaler, regionaler und globaler Entwicklungen zu werfen, da dieser sowohl die individuellen wie auch kollektiven Identitäten prägt, auf denen bürgerschaftliches Handeln gründet, als auch den wissenschaftlichen Kontext, in dem die angeführten Fragen gestellt werden. Der für Lateinamerika relevante Kontext der Entwicklungen ist nach Jesús Martín-Barbero der Folgende (Martín-Barbero 1998a: 210-211): -
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Die „Ent-Ortung der nationalen Identitäten", die auf der einen Seite von der Globalisierung und der Weltkultur geprägt wird, und auf der anderen Seite von einer Revitalisierung der regionalen und lokalen kulturellen Kontexte. Der Zerfall bislang „vereinheitlichter nationaler Geschichte" durch das Aufkommen unterschiedlicher regionaler, ethnischer, sozialer, gender-, untern anderem Gruppen, die ihre eigene Geschichte schreiben und erzählen, ihre eigene Erinnerung kultivieren, ihre eigenen Bilder haben. Die „Rekonfigurierung traditionaler kultureller Konfigurationen" durch die Interaktion, Kommunikation und Hybridisierung mit anderen kulturellen Konfigurationen der Länder und der Welt. Der wiederentdeckte Wert traditionaler kultureller Konfigurationen als ein normatives und kulturelles Korrektiv zur Hegemonialkultur und zur westlichen Rationalität und ihrer homogenisierenden Tendenz. Veränderte Formen des Zusammenlebens in der Stadt, geprägt von Fragmentierung und Dezentrierung, von neuen Vorstellungswelten, die ihrerseits stark von den neuen Medien und deren Sprachen geprägt sind. Die Entstehung von „deterritorialisierten Kulturformen" vor allem bei der jungen Generation, ebenfalls hervorgerufen durch die neuen Technologien und ihre delokalisierende und globalisierende Tendenz. Die Herausbildung eines „kommunikativen Ökosystems" durch Veränderungen im Lernen, im Erfahren, geprägt durch größere Offenheit gegenüber dem Hybriden in Wissenschaft und Kunst, in Schriftsprache und Audiovisuellem, in formellen Wissensformen und informellen Netzen der Wissenszirkulation.
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Das verweist wiederum auf die größeren Kontexte, die bereits angeführt wurden (das „Ende der Ideologien/Utopien", das Ende eines politischen Freund-FeindDenkens etc.; vgl. das Kapitel 5.2), innerhalb derer sich sowohl das Politische wie auch das Kulturelle verorten lassen müssen. Vor allem die Aspekte der „Ent-Ortung nationaler Identitäten" und der Delegitimierung nationaler Einheitsgeschichte haben gravierende Konsequenzen für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft: Der Staat ist nicht länger in der Lage, seine Rolle als symbolischer Repräsentant der Gesellschaft als Ganzer zu übernehmen. Damit wird auch die politische Partizipation im engeren Sinne geschwächt (also vor allem die Partizipation innerhalb von Parteien), da es schwieriger wird zu erkennen, woran eigentlich partizipiert wird (Calderön/Lechner 1998b: 38). Das ist die negative Seite der Abkehr von der Staatszentriertheit - wobei mit dieser Diagnose erst einmal unbestritten bleibt, dass soziale Bewegungen, die nicht mehr den Staat als primären Referenzpunkt haben, durch diese Entwicklung überhaupt erst ermöglicht werden. Allerdings gibt es durchaus auch Stimmen, welche diese Diagnose grundsätzlicher infrage stellen und einer kulturtheoretisch inspirierten Gesellschaftsanalyse die Kritikfähigkeit absprechen. Die Abkehr vieler der lateinamerikanischen Intellektuellen von eher orthodox-marxistisch geprägten Positionen und die Hinwendung zur kulturellen Analyse von Gesellschaft erscheint dann auch als Abkehr vom dahinter stehenden Willen zur Veränderung der Gesellschaft. Gerade wenn ein leicht psychologisierender Befund wie der von Todd Gitlin für plausibel gehalten wird, nach dem einer der Gründe für die Kulturalisierung der Sozialwissenschaften darin besteht, Trost zu finden in einer Zeit, in der die Idee der Emanzipation nicht gerade Hochkonjunktur hat (Gitlin 1997: 33-34; vgl. Fußnote 154 dieser Arbeit), muss diese Wende als eine Abkehr vom Bemühen nach kritischer und schonungsloser Analyse erscheinen. Dem versucht Jesus Martin-Barbero zu begegnen: Natürlich gibt es viele, die diese Neubewertung [der Kultur] für verdächtig halten: Sie würde ein Fluchtverhalten bedecken, das aus der Unfähigkeit resultiert, der Krise der Institutionen und Parteien entgegenzutreten. Dieser Verdacht ist sicher berechtigt gegenüber denjenigen Fällen, in denen ,man Kultur macht, solange man keine Politik machen kann'. Aber es ist etwas grundlegend anderes, wenn das Kulturelle auf Perzeptionsformen bislang unerkannter sozialer Konflikte hinweist, auf das Entstehen neuer Subjekte (in regionaler, religiöser, sexueller, generationaler Hinsicht) und auf neue Formen von Rebellion und Widerstand. Es handelt sich um eine Rekonzeptualisierung von Kultur, die uns mit der Existenz einer anderen kulturellen Erfahrung konfrontiert, mit der des Populären, in ihrer vielschichtigen und aktiven Existenz, nicht nur in Bezug auf ein kulturelles Gedächtnis, sondern auch in Bezug auf eine aktuelle Kreativität und Konflikthaftigkeit (Martin-Barbero 1987a: 226-227).
Vor dem Hintergrund eines solchen explizit gesellschaftswissenschaftlichen Verständnisses von Kultur erscheint der Verdacht der bequemen Preisgabe kriti191
scher Potenziale unbegründet. Ganz im Gegenteil geht es darum, mit einem sensibleren und adäquateren analytischen Instrumentarium zu versuchen, näher an die gesellschaftliche Realität zu kommen, als das unter Ausschluss kultureller Momente aus der Analyse möglich war. Es sei dabei noch einmal betont, dass es - sowohl in Bezug auf die Perspektive dieser Arbeit als auch der hier behandelten lateinamerikanischen Autoren - in erster Linie um die Explikation kultureller Elemente im Bereich des Politischen geht. Eine solche Explikation soll ihrerseits ermöglichen, die tendenzielle Blindheit der (normativen) Demokratietheorie gegenüber dem Kulturellen zu überwinden. Was bei der Darstellung des lateinamerikanischen Weges hin zu einem kulturellen Verständnis des Politischen deutlich geworden sein sollte, ist die Grundierung des politisch relevanten Handelns auf der Ebene der Zivilgesellschaft durch kulturell induzierte Wahrnehmungsschemata. Kulturelle Artikulationen und Produkte - auch und gerade popularkultureller Art - bilden ein wichtiges Ferment für die Selbst- und Weltsichten von Individuen in ihren vielfältigen Bezügen und Eingebundenheiten. Diese können mit den „Strategien" zur Bewältigung der alltäglichen Schwierigkeiten des Lebens, die gerade unter prekären Umständen an den sozialen Rändern der Gesellschaft auf Formen von Kollektivität angewiesen sind, Verbindungen eingehen - und von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Formen von kollektivem Handeln, das von spontaner nachbarschaftlicher Hilfe bis hin zu lokalen bürgerschaftlichen Assoziationen mit einem gewissen Institutionalisierungsgrad reichen kann. Das ist gemeint, wenn Jesús Martín-Barbero davon spricht, diese lokalen Bewegungen bzw. Assoziationen gäben den kollektiven Identitäten und alltäglichen Widerständen Gesicht und Form (Martín-Barbero 1994: 99). In gewisser Hinsicht fangen damit allerdings die (demokratietheoretischen) Probleme erst an. Die eingangs formulierten Fragen an die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit bzw. deren Reichweite ist damit durchaus nicht beantwortet. Von ihrer - zumindest tentativen - Beantwortung hängt aber wiederum ab, ob im Sinne der in den theoretischen Überlegungen zu den Grundzügen eines Konzeptes von politischer Kultur von einer potenziell demokratisierenden Wirkung kulturell induzierten kollektiven Handelns gesprochen werden kann, ob also eine Vertiefung und Verbreiterung gesellschaftlicher Anerkennungsverhältnisse in Bezug auf die demokratische Inklusion bei gleichzeitiger Anerkennung kultureller Differenzen möglich oder sogar wahrscheinlich ist. Dieser Antwort möchte ich mich in diesem Kapitel in zwei Schritten nähern, bevor im nächsten Kapitel die daraus gewonnenen Einsichten auf das spannungsreiche Verhältnis von (kultureller) Differenz und (sozioökonomischer) Ungleichheit bezogen werden sollen. Zunächst soll auf einige Probleme im Zusammenhang mit dem demokratietheoretisch wichtigen Konzept der Öffentlichkeit aufmerksam gemacht werden, anschließend auf die Frage nach der Begrenztheit der Wirkungsansprüche bürgerschaftlicher Assoziationen eingegangen werden. In diesem Zusammenhang werden auch Fragen der Bewertung und Bewertbarkeit von zivilgesellschaftli-
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chem Handeln kurz diskutiert werden, also unter anderem die Frage nach Anpassung oder Widerstand. 6.3.1 Öffentlichkeit. Der prekäre Raum des Politischen Die Forderung nach einem möglichst starken substaatlichen Bereich gesellschaftlicher Selbsteinwirkung ist aus normativ-demokratietheoretischer Sicht zweischneidig, zumindest unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung. Die negativen Aspekte sind dabei umso stärker, je weniger demokratische Regulierung bzw. Regulierungsfahigkeit eine Gesellschaft besitzt: Die normativ aufgeladene Vorstellung einer demokratischen Öffentlichkeit lebt davon, dass diese einen Raum darstellt, der zumindest in Ansätzen öffentliches Räsonnieren mit Argumenten ermöglicht. Das ist nur dann der Fall, wenn die Öffentlichkeit nicht vollständig unter die systemischen Imperative des ökonomischen Systems fallt. Da dies offenkundig für die kommerziellen Massenmedien weit gehend unzutreffend ist, ruht ein guter Teil der Hoffnungen der normativen Demokratietheorie auf dem, was Habermas „autonome" bzw. ,glicht vermachtete Öffentlichkeiten" nennt. Bürgerschaftliche Assoziationen und Bewegungen, welche nicht zuletzt die Grundlage solcher Öffentlichkeiten bilden, können zwar einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren lokaler Demokratie leisten, laufen unter bestimmten Bedingungen paradoxerweise aber auch Gefahr, dadurch demokratische Spielregeln zu untergraben: Wenn auf der einen Seite die Stärkung der Zivilgesellschaft gefordert wird, auf der anderen Seite aber relevante Bereiche der Gesellschaft nicht an (staatliche) demokratische Institutionen zurückgebunden sind, läuft dies auf eine Rücknahme des Politischen in die Gesellschaft hinaus. Wenn diese ihrerseits im Zuge der politisch-ökonomischen Deregulierung möglichst weit gehend privatisiert werden soll und/oder in relevanten Bereichen von staatlichen Institutionen gar nicht erreicht wird, bedeutet das im Extremfall eine Privatisierung des Politischen. Was auf der einen Seite notwendige Substitution staatlich nicht erbringbarer Organisationsleistungen (und damit sogar eine Form politischer Partizipation) bedeuten kann, ist auf der anderen Seite Ausdruck einer Entdemokratisierung von bestimmten Bereichen der Gesellschaft, die sich jenseits demokratischer Regulierung naturwüchsig, teilweise marktförmig konstituieren - jedenfalls nicht unbedingt „autonom", selten „nicht vermachtet" und teilweise auch nicht in der oder gar als Öffentlichkeit. Verkürzt gesagt geht es also um das Folgende: Wenn die Vorstellung einer prinzipiell ungeteilten Öffentlichkeit empirisch nicht haltbar ist, die als Sphäre demokratischer Meinungs- und Willensbildung wie auch der Generierung von nichtstaatlicher (kommunikativer) Gegenmacht gedacht war, muss sich das politische Potenzial bürgerschaftlicher Partizipation in die mehr oder minder stark begrenzten Teilöffentlichkeiten zurückziehen, sei deren Begrenzung nun thematischer oder räumlicher Art. Das zivilgesellschaftliche Potenzial gerade lokaler Bewegungen kann durchaus sehr groß sein, konstituiert sich aber in einer Form, die demokratisch legitimierter Machtausübung tendenziell entzogen ist. Auch 193
dies ist desto weniger der Fall, je stärker eine ihrerseits demokratisch verfasste Institutionalisierung gegeben ist - und damit aber auch eine weit gehende „Durchstaatlichung" der Gesellschaft: Wenn beispielsweise, wie das in Deutschland der Fall ist, das Vereinsrecht die Pflicht zu einer Satzung beinhaltet, die den Grundprinzipien demokratischer Öffentlichkeit in Bezug auf die Mitgliedschaft und demokratischer Verantwortlichkeit in Bezug auf die Wahl und Rechenschaftspflicht des Vorstands entsprechen muss, dann ist dies einerseits ein Zeichen einer sehr weit gehenden Demokratisierung der Gesellschaft, auf der anderen Seite einer eben so weit gehenden Befugnis des Staates, in die Belange bürgerschaftlicher Selbstorganisation einzugreifen. Aus dem Begriff des Citoyen wird im Deutschen nicht umsonst der des Staatsbürgers. Es ist nicht zuletzt dieser Umstand, der beispielsweise die normative Demokratietheorie Jürgen Habermas' so eigentümlich blass in Bezug auf die gesellschaftlichen Veränderungspotenziale innerhalb des demokratischen Rechtsstaates erscheinen lässt: Bei aller normativen Kritik an den systemischen Verselbständigungstendenzen des Staates bleibt dieser doch rückgebunden an demokratische Verfahren; und so ist es nicht nur ein empirischer Befund, dass die Zivilgesellschaft bzw. die autonomen Öffentlichkeiten nur im Modus der Belagerung auf die Selbsttransformation des politischen Systems einwirken können - es ist für Habermas auch normativ wünschenswert, weil dadurch garantiert wird, dass die demokratisch nicht legitimierte Machtausübung aus der Zivilgesellschaft nur in Form von Gegenöffentlichkeit wirksam wird, welche die durch ihre Rechtsförmigkeit geschützte demokratische Ordnung aber nicht unmittelbar verändern kann. Auf die damit erfolgenden, teilweise unnötigen Begrenzungen im Hinblick auf das demokratische Potenzial wurde ja bereits ausführlicher im Kapitel 2.4 hingewiesen. Die Ambivalenz des Verhältnisses von demokratischem Staat und Bürgerschaft bzw. Zivilgesellschaft bleibt mit umgekehrtem Vorzeichen bestehen, wenn das Problem wie in den Ländern der Peripherie eher zu wenig als zu viel staatlich induzierte Institutionalisierung der Gesellschaft ist. Diese Ambivalenz wird noch einmal verstärkt, wenn mangelnde staatliche Durchdringung der Gesellschaft auf eine Politik der politisch-ökonomischen Deregulierung trifft. Dies hat nicht zuletzt auf die bürgerschaftlichen Selbstverständnisse und Organisationsformen Einfluss. Norbert Lechner verweist auf die „Schwierigkeiten, den Bereich des Bürgerschaftlichen zu bestimmen": Die enthusiastische Anrufung der Zivilgesellschaft kontrastiert mit einem notorischen Prozess der Privatisierung. Es wird eine ,Verbürgerschaftlichung' der Politik eingefordert, gleichzeitig wird die .Stärkung der Zivilgesellschaft' verlangt. Das bedeutet, die Forderung nach Bürgerschaftlichkeit wird aus dem Raum des Politischen in den des Sozialen verschoben; ein Raum, der sich eben gerade durch die zunehmende Privatisierung der Verhaltensweisen charakterisiert (Lechner 1998: 58).
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Die konstatierte Entstehung neuer Partizipations- und Politikformen, die zu einer Stärkung zivilgesellschaftlicher Elemente fuhren kann, ist damit von der Warte der Wünschbarkeit der Stärkung demokratischer Strukturen zweischneidig: Auf der einen Seite wird das notwendige Potenzial an Selbstkritik der Demokratie und damit ihre Reflexivität gestärkt, auf der anderen müssen nach Lechner die zivilgesellschaftlichen Assoziationen und Bewegungen zum „privaten Sektor der Politik" gezählt werden, der stark von der allgemeinen „Merkantilisierung der Gesellschaft" betroffen ist (Lechner 1996b: 28). Letztlich verweist diese Analyse auf die grundsätzliche Problematik der bürgerlichen Gesellschaft, in der Privatheit und Öffentlichkeit sich genauso gegenseitig bedingen wie sie in einem Spannungsverhältnis stehen: Unter den verschärften Bedingungen peripherer Gesellschaften (zumal im Kontext politischökonomischer Deregulierung) wird die Doppelung des gesellschaftlichen Menschen in Bourgeois und Citoyen allerdings tendenziell schizophren. Je stärker die Gesellschaft auf nichtstaatliche Organisations- und Funktionsmechanismen angewiesen ist, desto stärker kommt auch zum Tragen, dass die Bereiche, in denen diese Mechanismen wirksam werden können, erst einmal nicht demokratisch verfasst sind und sich bei geringer Institutionalisierung seitens des Staates auch demokratischer Kontrolle entziehen. Dies betrifft unterschiedliche Ebenen der Gesellschaft - sie beziehen sich aber alle auf Öffentlichkeit, und zwar im Sinne ihres besseren oder schlechteren Funktionierens für die Demokratie. Ein Aspekt wurde bereits im Rahmen des knappen Verweises auf die Rolle von Kommunikationsmedien angerissen: die Funktion von Medien, politische Räume bzw. Räume von Öffentlichkeit durch die Bereitstellung virtueller Räume zu substituieren. Diese substitutive Funktion hat auch mit dem prekären Status realer Räume (vor allem öffentlicher Räume) zu tun. Die Massenmedien, und zuvorderst das Fernsehen, leben in doppelter Hinsicht von den Ängsten der Menschen: Nicht nur die Tatsache, dass beunruhigenden und erschreckenden Botschaften in Form von Information oder Unterhaltung ein hoher Aufmerksamkeitswert zukommt - es ist auch die zunehmende Unwirtlichkeit der Städte (nicht nur, aber gerade auch in Lateinamerika) mit ihrer meist hohen Kriminalität und ihrer ständigen Überlastung durch den Verkehr, die vielen Menschen ein Gefühl permanenter Unsicherheit und Schutzlosigkeit verursacht. Es geht aber nicht nur um eine physische Unsicherheit, sondern auch um eine kulturelle: Die Zeichen der Stadt sind in ihrer Vielfalt immer weniger dechiffrierbar. Da sich auf den Straßen im wahrsten Sinne des Wortes das Gefühl von Unbehaustheit einstellt, wird das Wohnzimmer (bzw. das Zimmer, in dem der Fernsehapparat steht) gleichzeitig zum Rückzugsgebiet wie auch zum Ort der Kommunikation mit der Welt (Martin-Barbero 1991: 426-427; Martin-Barbero 1997: 36; Carrion 1997: 14-15). Diese Entwertung von erfahrbarer Öffentlichkeit und das Angewiesensein auf bestimmte Medien (das Internet weist neben dem Fernsehen wahrscheinlich ähnliche Merkmale in dieser Hinsicht auf) hat eine kulturelle und psychische Verarmung sowohl zur Ursache wie auch zur Folge. Es ist un195
mittelbar einleuchtend, dass dies auch Konsequenzen für das Funktionieren von Demokratie hat. [...] der Schlüssel Femsehen/Computer verwandelt den häuslichen Raum in virtuelles Territorium par excellence: jenes, in dem am Tiefsten das Verhältnis zwischen Öffentlichem und Privatem rekonfiguriert wird, also die Gegenüberstellung von beiden Räumen und das Ausradieren der Grenzen dazwischen. Der Ubergang vom Volk, das sich die Straße aneignete, zur Öffentlichkeit, die ins Theater oder ins Kino ging, war transitiv und bewahrte den kollektiven Charakter der Erfahrung. Die Verschiebung vom Publikum des Kinos zur Zuschauerschaft des Fernsehens markiert dagegen eine tief gehende Transformation: Die der Logik der Auflösung unterworfene soziale Pluralität macht aus der Differenz eine bloße Strategie der Rangfolge. In der Politik nicht mehr repräsentiert, wird die fragmentierte Bürgerschaft vom Markt übernommen (Martin-Barbero 1997: 36-37; Hervorh. i. O.).
Wenn im Vorangegangenen davon die Rede war, dass die Globalisierung auch eine „Reterritorialisierung" zur Folge hat, also eine Aufwertung des Lokalen als erfahrbarer Raum der (Selbst-)Verortung des Menschen, so zeigt sich am Beispiel der Mediennutzung, dass dies nicht unbedingt mit einer Stärkung lokaler Vergemeinschaftung einhergehen muss, die dann wiederum Grundlage für bürgerschaftliche Assoziationen bilden könnte. Das Fernsehen kann so auf der einen Seite „Fenster zur Welt" sein und zu ganz eigenen Aneignungen der Welt, zu spezifischen Bedeutungszuschreibungen fuhren - auf der anderen Seite sind diese „Erlebniswelten" fragmentiert, da die Rezeption von Fernsehen in der Regel nicht mit anderen Menschen zusammen in einem öffentlichen Kontext stattfindet, sondern in der Privatheit der eigenen Wohnung (Martin-Barbero 1997: 36; Wortman 2001: 137). Die durch das Fernsehen geschaffene massenhafte Kommunikation trifft nicht auf eine Rezeption durch eine Öffentlichkeit, sondern durch fragmentierte Individuen; dasselbe Medium, welches das Individuum mit der Welt verbindet, depriviert es gleichzeitig von der Möglichkeit kollektiver (Selbst-)Verortung in dieser Welt.169 Dies hängt auch mit der Schwächung der Öffentlichkeit durch Privatisierung von öffentlichem Raum (vor allem in den Städten) zusammen. Der ekuadoriani169
Bemerkenswert ist eine gewisse Verschiebung in der Bewertung der Rolle des Fernsehens bei Jesús Martín-Barbero. In seinem 1987 erschienenen Hauptwerk De los medios a las mediaciones stellt er noch stärker die positive Möglichkeit heraus, auch (räumlich wie thematisch) entfernte Dinge in doppeltem Sinne aus der Nähe besehen zu können: Das Fernsehen bringt eine gewisse Familiarität mit der Welt mit sich; es bringt die Dinge sehr nah an die Menschen, und zwar in ihrem primären Kontext: der Familie. Allerdings ist auch nach der damaligen Interpretation das Fernsehen nicht unschuldig: „Es ist die Prägekraft der Hegemonie, die hier am Werk ist, mithilfe einer Ansprache an die Menschen, die von denjenigen Dispositiven ausgeht, die dem alltäglichen Bereich des Familiären seine Form geben. Das ist nicht ausschließlich ein Nebenprodukt der Armut und der ideologischen Artefakte, sondern auch Raum für bestimmte Formen von primären menschlichen Beziehungen und menschlichem Zusammenleben, die nicht schon deswegen weniger fundamental wären, weil sie zutiefst ambivalent sind" (Martin-Barbero 1987a: 235-236).
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sehe Soziologe Fernando Carrion sieht eine der wichtigsten Funktionen der Stadt darin, (Kommunikations-)Raum im bürgerschaftlichen Sinne zu sein. Diese Funktion der Ermöglichung von Öffentlichkeit durch die Bereitstellung öffentlicher Räume wird allerdings konterkariert durch die Politiken der politischökonomischen Deregulierung (Carrion 1997: 13-14). Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Einkaufsstraßen und -Zentren, Bahnhöfe und ihre Umgebungen, etc., unter den Schutz privater Sicherheitsdienste gestellt werden (wenn sie nicht ohnehin in privatem Besitz sind oder in diesen überfuhrt werden),170 womit zwar der Anschein von Öffentlichkeit gewahrt bleibt, die Gewährung von Zugangsmöglichkeiten aber privaten Interessen unterliegt - womit in der Regel Zugangsbeschränkungen über soziale Selektion erfolgen (vgl. Arantes 1999: 158). Dies ist im Übrigen kein Phänomen, das auf die Länder der Peripherie beschränkt wäre, ganz im Gegenteil. Carrion sieht in dem Zusammenspiel von städtischen Sicherheitsproblemen, zu Hause erfolgendem Medienkonsum und der Abschaffung bzw. Privatisierung öffentlicher Plätze und Treffpunkte die physische, symbolische und funktionale Zerstörung des öffentlichen (Kommunikations-)Raumes - und damit auch der Zerstörung einer der fundamentalen Funktionen der Stadt für die Demokratie (Carrion 1997: 14-15; vgl. auch Martín-Barbero 2001: 7 5 ) . m 6.3.2 Fragmentierte Gesellschaft? Zivilgesellschaft als Archipel Das Konstatieren der prekären Entwicklung der Öffentlichkeit bedeutet nun durchaus nicht, dass jegliche Möglichkeit gesellschaftlicher Selbsteinwirkung 170
Zur Privatisierung von Sicherheit in Lateinamerika vgl. Nolte (2000b: 78-79). Nolte geht davon aus, dass in einigen Ländern Lateinamerikas die privaten Sicherheitsdienste mittlerweile über mehr Personal verfügen als die Polizei. "'Allerdings sollte das Bild insofern vervollständigt werden, als dass es durchaus auch einen Medienkonsum und eine Weltaneignung außerhalb der Wohnung gibt: Guillermo Sunkel weist in einer Untersuchung zur Lektüre der chilenischen Boulevard-Tageszeitung „El Cuarto" darauf hin, dass es spätestens seit den Fortschritten bei der Alphabetisierung durchaus eine Tradition des Zeitungslesens gebe. Zwei wichtige Unterschiede zum Konsum elektronischer Medien sind ihm wichtig: Zum einen erfolgt zwar die Lektüre der Zeitung individuell, sie bildet aber die Grundlage zur kollektiven Versicherung über die Welt, da das Gelesene gemeinsam erörtert wird; zum anderen ist der Zeitungskonsum ortsunabhängig und somit u.a. auch während der täglichen Fahrten zur Arbeit und in den Arbeitspausen zu erledigen (Sunkel 2001). Allerdings ist erstens zu bemerken, dass die Situation in einer Stadt wie Santiago de Chile nicht einfach auf andere Städte in Lateinamerika zu übertragen ist und auch der Zeitungskonsum auf dem Weg zur Arbeit zuvorderst den Besitz einer festen Arbeitsstelle verlangt. Zweitens scheint mir auch hinsichtlich der gemeinsamen Erörterung des Gelesenen kein notwendiger Unterschied zu den elektronischen Medien zu bestehen; auch das individuell Gesehene oder Gehörte kann ja durchaus Gegenstand gemeinsamer Erörterungen sein. Die Thesen Martín-Barberos trifft dieser Einwand in geringerem Maße, da er weniger die Atomisierung beim Konsum im Auge hat als vielmehr das Verschwinden der Öffentlichkeit insgesamt, nicht zuletzt durch die Unwirtlichkeit der Städte, deren Folge der genauso massenhafte wie vereinzelte Fernseh-Konsum ist.
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verneint würde. Schon auf theoretischer Ebene ist j a die Möglichkeit (wie auch in gewisser Weise die Wünschbarkeit) einer Selbstorganisation der Gesellschaft im Ganzen bestritten worden, ohne dass damit gesagt sein sollte, es gebe keine demokratische Selbsteinwirkung. Die vielfaltige (vor allem rechtsstaatliche) Begrenzung zumindest der unmittelbaren Einflussnahme gesellschaftlicher Kräfte auf die Regelung des Zusammenlebens der Menschen ist als ein konservatives Moment begriffen worden, das zwar jegliche gerichtete Veränderung der Gesellschaft äußerst schwierig macht; das bezieht sich aber sowohl auf emanzipatorische wie auch auf antidemokratische Kräfte (ganz abgesehen von der Frage, ob nicht angesichts der systemischen Integration relevanter Bereiche der Gesellschaft eine gerichtete Veränderung der Gesellschaft als Ganze ohnehin unwahrscheinlich ist). Allerdings verweist die Schwierigkeit, unter den Bedingungen komplexer und heterogener Gesellschaften eine ungeteilte Öffentlichkeit zu denken, auf eine grundlegendere Dialektik in Bezug auf die Freiheitsgrade bürgerschaftlichen Handelns: Die Pluralität und Heterogenität von Zugehörigkeiten ermöglicht es auf der einen Seite, vielfaltige Interessen und Anerkennungsansprüche zu artikulieren und damit unter Umständen auch Gehör zu finden; sie führt aber gleichzeitig zu einer in unendlich viele Teil- und SpezialÖffentlichkeiten fragmentierten Zivilgesellschaft, sodass weiter gehende gesellschaftliche Forderungen kaum noch vermittelbar sind (vgl. auch Schirmer 1998: 214-215). Dieser Umstand hat vielfältige Hintergründe und findet auch vielfältige Ausprägungen, auf die an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden kann. Im Kontext dieser Arbeit interessieren lediglich einige Aspekte im Zusammenhang mit der übergeordneten Fragestellung nach der Spannung von Inklusion und Differenz sowie der spezifischeren Fragestellung nach der Relevanz des Kulturellen für das Politische. Beide Bereiche sind (zumindest in einigen Aspekten) eng miteinander verbunden: Zwar können kulturelle (auch popularkulturelle bzw. subkulturelle) Artikulationen politisches Potenzial besitzen, zwar kann sich dieses Potenzial auch in Formen von (vor allem lokalen) Bewegungen und Assoziationen realisieren die Reichweite dieser Formen des Politischen ist allerdings in aller Regel sehr begrenzt, sowohl in thematischer Hinsicht wie auch in Bezug auf die Veränderungs- bzw. E'mftussanspriiche (in Bezug auf die Vcrändcrungsmöglichkeiten ohnehin). Diese Begrenzungen erscheinen allerdings als vordergründig, wenn der Kontext genauer beleuchtet wird, in dem solche Bewegungen und Assoziationen entstehen und innerhalb dessen Forderungen formuliert werden. Gerade wenn unter den Bedingungen sozialer und/oder kultureller Exklusion auf die Inklusionsversprechen der Demokratie Bezug genommen wird, bildet die potenzielle Infragestellung der Legitimität der Demokratie selbst die Grundierung der daraus folgenden sozialen Kämpfe, auch wenn dies selten explizit wird. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob auf die Inklusionsversprechen in positiver oder in negativer Weise Bezug genommen wird, also im Sinne ihrer Einforderung oder im Sinne von Selbstexklusion. Auf diese Zusammenhänge wird im nächsten 198
Kapitel noch näher einzugehen sein. Zunächst interessieren hier die (Selbst-Begrenzungen zivilgesellschaftlicher bzw. bürgerschaftlicher Artikulationen. Die mit der Proklamation des Endes der Ideologien einhergehende Auflösung einiger der tradierten binären Interpretationsschemata sollte - wie bereits ausgeführt - einerseits einen größeren Realismus und gesunden Pragmatismus in der Politik zur Folge haben, führt aber andererseits auch zu einer Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Zusammenhänge, die bereits die Vorstellung tief greifender und längerfristiger gerichteter gesellschaftlicher Veränderungen weit gehend unmöglich macht (vgl. Kapitel 5.2). Das betrifft sowohl die Ebene der Parteien und Parlamente als auch die gesellschaftlichen Organisationen unterschiedlicher Größe, Zielsetzung und Reichweite. Fernando Calderón und Norbert Lechner konstatieren in diesem Zusammenhang das Verschwinden der großen gesellschaftlichen Spaltungen und damit auch der großen gesellschaftlichen Konflikte. Die Vielschichtigkeit der Gesellschaft führe zu schwachen politischen Interessen und zu Konflikten niederer Intensität - und damit könnten sich auch keine starken politischen Identitäten herausbilden (Calderón/Lechjner 1998b: 27-28). Richtig an dieser Diagnose ist sicherlich, dass die gesellschaftliche (Selbst-)Wahrnehmung sich so verändert hat, dass die nach wie vor bestehenden Heterogenitäten nicht mehr als Spaltung wahrgenommen werden, da die entsprechenden Schemata nicht mehr in gleicher Weise binären Codes (wie dem von Arbeit und Kapital) gehorchen. Der damit entstehende Raum für eine differenziertere Analyse gesellschaftlicher Spannungen und ihrer Lösungsmöglichkeiten kann aber angesichts der Komplexität der Problemfelder in aller Regel nicht genutzt werden. Zwar werden einzelne Problemfelder von bürgerschaftlichen Assoziationen bzw. Bewegungen besetzt und die jeweiligen Probleme artikuliert und in Forderungen übersetzt, die vielfältigen Verbindungen der Problemfelder untereinander werden hingegen kaum gesehen bzw. sind schwer oder gar nicht öffentlich thematisierbar. Calderón interpretiert die Neuen Sozialen Bewegungen dahingehend, dass sie nicht willens und/oder in der Lage seien, sich der „Logik der Macht" zu widersetzen. Ihr Ziel sei es allenfalls, zu einer Art friedlicher Koexistenz mit dieser Logik zu gelangen. Das gelte durchaus auch für die Bewegungen, die sich explizit gegen die im Zuge der ökonomischen Modernisierung sich verschärfende soziale Ungleichheit wehrten: Es handele sich um Bewegungen, deren grundlegende Zielsetzungen in der Hauptsache „mit der Produktion neuer Werte und kultureller Identitäten verknüpft" sei, eher auf den Bereich des Alltäglichen als auf die Politik bzw. die Macht im engeren Sinne bezogen. Er gesteht ihnen durchaus gesellschaftliches Potenzial zu, das sich aber sowohl im Sinne effektiven kollektiven Handelns (als positiv verstandenes zivilgesellschaftliches Handeln) realisieren als auch zu rückwärts gerichteten und sich selbst verabsolutierenden „Antibewegungen" fuhren kann (Calderón 1998: 75-76). Dies ist m. E. ein zentraler Punkt: Je nach dem, in welche dieser Richtungen sich eine soziale
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Bewegung entwickelt, kann sie im Sinne der Vertiefung und Verbreiterung von Anerkennungsbeziehungen trotz aller Begrenzungen einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten und darüber hinaus auch gesellschaftliche Veränderungsprozesse anstoßen oder beschleunigen. Das ist erst einmal unabhängig davon, ob sie explizite und fundierte politische Forderungen erhebt, die gegen die „Logik der Macht" gerichtet sind, oder ob es darum geht, bestehende Handlungsspielräume innerhalb dieser Logik auszunutzen. Es ist allerdings nicht unabhängig davon, auf welche kollektiven Identitäten eine Bewegung ihr Handeln gründet. Die thematische Begrenztheit und die geringe Reichweite von Forderungen sind - im Sinne der bereits angestellten theoretischen Überlegungen - nicht gleichzusetzen mit gesellschaftlicher Wirkungslosigkeit, auch wenn es dabei nicht um gesellschaftliche Großprojekte geht. Das gilt in Bezug auf die Ausführungen Calderóns in dreifacher Hinsicht: Erstens kann die thematische Begrenztheit von Bewegungen hinter dem Rücken der Akteure zu einer stärkeren Infragestellung von gesellschaftlichen Gegebenheiten fuhren, als das intendiert gewesen sein mag: Die unterkomplexe Kritik von Bewegungen ignoriert die vermeintlichen Sachzwänge und Unabänderlichkeiten gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse, sodass ihre Kritik an deren Ergebnissen unter der Hand auch zu einer Kritik dieser Strukturen und Prozesse selbst werden kann (vgl. die Ausführungen zur Kreativität des Handelns in Kapitel 2.4). Zweitens sind zivilgesellschaftliche Artikulationen in mehrfacher Hinsicht wirkmächtig: Sie beeinflussen kollektiv bindende Entscheidungen, sie stabilisieren und erweitern die (Einfluss-)Sphäre der Zivilgesellschaft selbst, und sie dienen der Selbstvergewisserung der beteiligten Akteure (vgl. die Ausführungen zur Zivilgesellschaft in der Habermas'sehen Prägung in Kapitel 2.5). Gerade dieser letzte Aspekt verweist - drittens - auf die Relevanz des kulturellen Hintergrunds fiir kollektives Handeln: Wenn Calderón (in leicht skeptischem Tonfall) die Ausrichtung der Bewegungen beschreibt, die nicht mehr auf die Macht (im administrativen Sinne), sondern auf die Kreierung neuer Werte und Identitäten abzielt, verweist das genau auf den Umstand, der hier mit dem Begriff der politischen Kultur bezeichnet werden soll - ohne diese Versuche, in Form von politisch relevanter Selbstvergewisserung sowohl auf die eigenen Selbst- und Weltsichten als auch auf die der Umwelt in normativer Absicht einzuwirken, wären die Neuen Sozialen Bewegungen überhaupt nicht denkbar. Erst diese Selbstvergewisserungen als Bewegungen oder Assoziationen in einem sozialen, politischen und kulturellen Kontext aktualisieren jene Ressourcen der kollektiven Identitäten, die auch kollektives Handeln ermöglichen (vgl. die Überlegungen hinsichtlich der Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur, v.a. in den Kapiteln 2.4 und 2.5). In diesem Sinne ist es aber nicht gleichgültig, welche Identitäten in Anschlag gebracht werden und welche konkreten Inhalte soziale Bewegungen formulieren und in Forderungen übersetzen. Denn Form und Inhalt politisch relevanten kol200
lektiven Handelns können (auch im Sinne Calderöns) durchaus zivilgesellschaftlich und nicht- oder gar antidemokratisch sein. Im Zusammenhang mit der theoretischen Verortung dieser Problematik ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Frage der Bewertung und Bewertbarkeit sozialer Bewegungen auf theoretischer Ebene wohl prinzipiell nicht leistbar ist. Die Problematik ergibt sich ja in der Hauptsache daraus, dass der Anspruch auf möglichst weit gehende Differenzanerkennung in der Demokratie sich sowohl als eine Funktion des Inklusionsversprechens versteht, als auch in diesem seine Grenze findet. Das demokratische Selbstverständnis kann zumindest keine (kollektiven wie auch individuellen) Handlungen tolerieren, die darauf abzielen, das demokratische Gefiige selbst zu zerstören - darin unterscheidet sich die Demokratie nicht von anderen (Herrschafts-)Ordnungen. Allerdings sind nicht alle Handlungen, die von einer liberalen Ordnung toleriert werden können, deshalb auch in einem normativen Sinne der Demokratie forderlich. Demgegenüber muss der Rechtsstaat aus guten Gründen blind sein, der sozialwissenschaftliche Blick nicht. Über objektive Kriterien kann aber auch Letzterer nicht verfugen. Aus der Perspektive der sich als kritisch verstehenden lateinamerikanischen Sozialwissenschaftler stellte - wie bereits ausführlicher behandelt - bis zum Paradigmenwechsel in Bezug auf die Demokratie in der Hauptsache die sozialistische Umgestaltung der sozialen Verhältnisse das Grundkriterium der Bewertung sozialen und politischen Handelns dar. Auch nach diesem Paradigmenwechsel gab und gibt es allerdings nicht wenige Wissenschaftler, die angesichts der fortbestehenden krassen sozialen Ungleichheit von der Notwendigkeit weit reichender gesellschaftlicher Veränderungen ausgehen, wenn auch unter der Prämisse, dass der Sozialismus nur die Vertiefung der Demokratie sein könne, diese also nach der intellektuellen und politischen Selbstkritik die politische Conditio sine qua non sei, der einmal erreichte Ausgangspunkt, hinter den nicht zurückgefallen werden könne (vgl. Nethol 1982: 236). Allerdings gibt es in Bezug auf die daraus zu folgernden Bewertungen deutliche Unterschiede, die nicht zuletzt damit zu tun haben, wie weit oder wie eng die Begriffe des Politischen und des Emanzipatorischen gefasst werden. Werden nur solche Bewegungen und/oder Assoziationen als politisch begriffen, die auch explizite politische Forderungen gegenüber den staatlichen Entscheidungsinstitutionen erheben, und werden nur diejenigen dieser Bewegungen als emanzipatorisch begriffen, die explizit auf eine grundlegende Veränderung sozialer Strukturen hinarbeiten, müssen Formen bloßer gesellschaftlicher Selbstorganisation oder auf soziale bzw. kulturelle Anerkennung gerichtete Bewegungen bestenfalls als politisch neutral, eher aber als (unfreiwillig) konservativ betrachtet werden (vgl. Garcia Canclini 1984).172 Jenseits dieser Perspektive gibt es durchaus viele Stimmen, welche die Aussichten
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Von dieser Perspektive hat sich Néstor García Canclini allerdings in den Jahren nach dem Erscheinen des 1984er Artikels deutlich verabschiedet, auch wenn er sich eine eher pessimistische Grundhaltung bewahrt hat; vgl. Garcia Canclini (1998).
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auf gesellschaftliche Veränderung eher pessimistisch sehen, auch wenn sie die politische Relevanz auch kulturell induzierter Bewegungen durchaus anerkennen (vgl. beispielsweise Moreiras [1990]; Calderon [1998]; Alfaro Moreno [1994a; 1994b]). Teilweise rückt dagegen die Frage nach der Konsolidierung demokratischer Strukturen stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit hinsichtlich der sozialen Bewegungen als die nach deren emanzipatorischem Potenzial (Mires [1984]; durchgängig: Lechner); teilweise wird der Frage nach gesellschaftlicher Veränderung offenbar keine Relevanz (mehr) zugemessen (Scannone [1991; 1999]). Demgegenüber sehen andere durchaus Chancen, die (Handlungs-Möglichkeiten innerhalb der Demokratie so zu nutzen, dass sich auch gesellschaftliche Veränderungen ergeben, auch wenn (oder gerade weil) die großen Gesellschaftsutopien keine Gültigkeit mehr zu besitzen scheinen (vgl. v.a. die Schriften von Martin-Barbero; Zermeno 1988; teilweise auch Arantes 1999). Auf diese Zusammenhänge soll im folgenden Kapitel abschließend noch einmal eingegangen werden, da sich an dieser Debatte recht gut deutlich machen lässt, wo das Potenzial, aber auch die Begrenzungen von kulturell induziertem kollektivem Handeln liegen - und auch des darauf abzielenden Konzeptes von politischer Kultur.
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7 Dialektik der Marginalisierung. (Kulturelle) Differenz und (soziale) Ungleichheit Im Folgenden sollen die vorangegangenen Ausfuhrungen anhand der Frage nach dem Verhältnis von kultureller Differenz und sozialer Ungleichheit zum einen zugespitzt und konkretisiert, zum anderen noch einmal in einen direkteren Bezug zum übergeordneten Kontext des spannungsreichen Verhältnisses von Inklusion und Differenz gestellt werden. Damit soll auch ein Rückbezug zur normativen Demokratietheorie im Sinne der Ausfuhrungen in Kapitel 2 hergestellt werden. Beides erfolgt wiederum - wie auch schon in der Darstellung der drei Stränge - anhand der lateinamerikanischen Diskussion selbst, wird aber stärker in den Kontext der demokratietheoretischen Diskussion gestellt, wie sie auch in Europa gefuhrt wird. Auf diese Weise sollte gleichzeitig auch noch einmal in kondensierter Form sichtbar werden, in welcher Hinsicht umgekehrt die lateinamerikanische sozialwissenschaftliche Diskussion fur die allgemeineren demokratietheoretischen Überlegungen fruchtbar gemacht werden kann. Anhand dieser wechselseitigen Bezüge konnten ja die Grundlinien eines Konzeptes von politischer Kultur im Sinne der Fragestellung gezeichnet werden. Rekapitulierend lässt sich sagen: Es gibt eine spezifische historische und gesellschaftlich-politische Situation Lateinamerikas, welche drei wesentliche Momente beinhaltet, die zu einer Kulturalisierung der politischen Analyse fuhren: 1. Die Infragestellung moderner Konzepte und die damit verbundene Sensibilität für die Relevanz von „Andersheiten" bzw. kulturellen und sozialen Differenzen; 2. das Entstehen unterschiedlichster sozialer Bewegungen auf unterschiedlichen Ebenen und die Anerkennung der Relevanz dieser Bewegungen fur das Funktionieren demokratischer Ordnung; 3. die Verknüpfung der beiden ersten Momente zu einer Anerkennung der Relevanz des Kulturellen für das Politische im Allgemeinen und fur die Demokratie im Besonderen. Der lateinamerikanische Weg hin zu einer kulturellen Analyse des Politischen ist natürlich aufgrund der besonderen Situation nicht ohne weiteres verallgemeinerbar. Die interpretativen Schlüsse, die daraus gezogen werden, können es hingegen durchaus sein, wenn sie aus der Perspektive der allgemeinen normativen Annahmen der Demokratietheorie gezogen werden. Zentral für diese Untersuchung ist dabei, dass die kulturalistische Wende in Lateinamerika vor einem politischen und sozialen Hintergrund erfolgte, der die Perspektive der für die De203
mokratie zentralen Dialektik von Inklusion und Differenz nahe legt. Dabei spielen zwei Aspekte in Bezug auf die Situation der Gesellschaften an der Peripherie eine wichtige Rolle: Erstens sind die lateinamerikanischen Wissenschaftler gezwungen, ihren Blick an den Unvollkommenheiten einer unter massiven sozialen Ungleichheiten leidenden Demokratie zu schärfen - die grundsätzlichen Spannungen, wenn nicht Inkompatibilitäten zwischen sozioökonomischer Marginalisierungstendenz durch die kapitalistische Wirtschaftsweise und dem normativen Inklusionsanspruch der Demokratie kommen dadurch stärker in den Blick (vgl. Habermas 1992c: 643-644). Zweitens ist der Grad der Durchdringung der Gesellschaft durch den Staat und seine Institutionen in den Demokratien der Peripherie weitaus schwächer als in denen des Zentrums. Der sich demokratischer Kontrolle entziehende „Gegenkreislauf der Macht" (Habermas, z.B. 1992c: 432) wird desto stärker sein, j e weniger Kontrollmöglichkeiten die Demokratie insgesamt besitzt; und dies wiederum wird desto stärker der Fall sein, je geringer der Institutionalisierungsgrad einer Gesellschaft ist. Wird der Blick nicht zuletzt auf diese beiden Aspekte gerichtet, werden Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation im Sinne kollektiven Handelns in ihrer politischen Relevanz bzw. mit ihrem politischen Potenzial erkennbar, auch wenn sie nicht unmittelbar politische Forderungen erheben: Es geht um die Explikation des politischen Potenzials, das in sozialen Kämpfen aufgehoben ist, da diese sowohl Interessensartikulationen als auch Anerkennungsforderungen beinhalten. Gerade solche Anerkennungsforderungen können auf die Inklusionsversprechen der Demokratie abzielen, ohne dass sie mit konkreten politischen Forderungen einhergehen müssten. Soziale Kämpfe sind in der Regel im Sinne kollektiver Identitäten kulturell grundiert, müssen aber durchaus nicht in Form von „identity politics" diese Identitäten auch zum Inhalt und Ausgangspunkt des Handelns machen. Die gesellschaftliche und kulturelle Situiertheit von kollektivem Handeln bedeutet auch, dass jegliche Form dieses Handelns in gewisser Weise Ausdruck seiner Situiertheit ist. Das heißt, dass unter den Bedingungen unzureichender Inklusion gesellschaftliche Selbstorganisationsformen in der Demokratie auch dann potenziell politisch sein können, wenn sie nicht nach außen gerichtet sind, also auf eine Veränderung ihrer sozialen, kulturellen oder politischen Umwelt abzielen: Sie verweisen auf die Tatsache unzureichender Inklusion und damit auf eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Demokratie - zumindest dann, wenn sie beispielsweise aufgrund von Defiziten staatlicher bzw. institutioneller Handlungsfähigkeit entstehen oder Anerkennungsverhältnisse ausschließlich im Innern von Gruppen etablieren können, weil sie ihnen auf gesellschaftlicher, politischer oder kultureller Ebene von Seiten ihrer Umwelt versagt bleiben. Das darin enthaltene politische Potenzial kann sich realisieren, wenn es eine Reaktion dieser Umwelt gibt, sei diese nun intendiert oder nicht. Dann wiederum lassen sich diese Formen kollektiven Handelns als politische Partizipation 204
lesen, auch wenn es nicht explizit um politische Forderungen geht. Die Reaktion der Umwelt etabliert eine wie auch immer begrenzte Öffentlichkeit und damit eine Ebene des sozialen Kampfes - im Sinne von Interessensverhandlungen, aber eben auch von Anerkennungskämpfen. Indem soziale Kämpfe eben nicht nur in Bezug auf ihre sozioökonomische Situiertheit (Interessen), sondern auch in Bezug auf ihre kulturelle Situiertheit (kollektive Identitäten und Anerkennungsansprüche) bezogen werden, lässt sich das Kulturelle des Politischen explizieren - oder eben: politische Kultur. Wenn es gemäß dem hier explizierten begrifflichen Rahmen richtig ist, dass kulturell imprägnierte Anerkennungskämpfe auch die uneingelösten Inklusionsversprechen der Demokratie thematisieren, lässt sich das ihnen zugrundeliegende (kollektive) Handeln im Sinne potenziell demokratisierender politischer Partizipation interpretieren. Das bedeutet auch, dass dieses Handeln ein zivilgesellschaftliches ist, unabhängig davon, ob die Handelnden sich dessen bewusst sind oder nicht. Die starken Rationalitäts- und Reflexionserwartungen, die beispielsweise die Habermas'sche Demokratietheorie an zivilgesellschaftliches Handeln stellt, sind damit nicht nur unnötig, sondern verhindern sogar die Wahrnehmung bestimmter Bereiche demokratischer (Selbst-)Beeinflussung der Gesellschaft. Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen solcher Selbsteinwirkung ist für die normative Demokratietheorie von zentraler Bedeutung. In der Perspektive dieser Untersuchung stellt sich diese Frage in spezifischer Hinsicht: Der normative Anspruch der Demokratie auf möglichst weit gehende Inklusion bei gleichzeitiger Anerkennung von Differenzen wird auf unterschiedlichen Ebenen verortet, wobei ein Wechselverhältnis der Ebenen des Sozialen, Politischen und Kulturellen angenommen wird. Das bedeutet auch, dass sich Einforderungen des Inklusionsversprechens auf alle diese Ebenen beziehen können. Dabei sind diese Ebenen sicherlich von unterschiedlicher Relevanz, je nach dem, ob es sich um wohlfahrtsstaatlich organisierte Industriegesellschaften handelt oder um Länder der Peripherie mit starker sozialer Heterogenität und schwacher institutioneller Durchdringung der Gesellschaft. Eine zentrale Frage, die sich vor allem hinsichtlich Letzterer aus dieser Perspektive an die Inklusionsfahigkeiten der Demokratie unter den Bedingungen des Kapitalismus stellt, ist die nach der grundsätzlichen Überwindbarkeit von politischer und sozialer Marginalität. Dieser Frage soll zum Abschluss dieser Untersuchung noch einmal kurz nachgegangen werden, um zumindest die Stoßrichtung des hier in Grundzügen entwickelten Begriffs von politischer Kultur deutlich zu machen. Auch wenn Marginalisierung als ein der kapitalistischen Produktionsweise inhärenter Prozess angesehen werden muss, so muss sich andererseits Demokratie in normativer Hinsicht daran messen lassen, inwieweit sie sowohl grundsätzlich wie auch konkret in der Lage ist, trotz dieses unausweichlichen Prozesses dessen Ergebnisse so weit abzumildern, dass tendenzielle Marginalisierung nicht in tatsächliche Marginalität mündet - bzw. inwieweit sie in der Lage ist, tatsächliche Marginalität im Grundsatz überwindbar zu machen. 205
Die demokratische Spannung von Inklusion und Differenz bedeutet die Ermöglichung kultureller Unterschiede (individuelle und kollektive Selbstbestimmung) wie auch die Ermöglichung sozialer und politischer Teilhabe und -nähme. Erst ein bestimmtes Maß an Gleichheit (und zwar nicht nur formaler Gleichheit wie die vor dem Gesetz) begründet allerdings die Möglichkeit zu einer Differenz, welche nicht Exklusion (vor allem in sozialer Hinsicht) bedeutet. Das Recht zu (politischer) Artikulation von Differenzen gründet sich auf der grundsätzlichen, wenn auch erst einmal rechtlich und politisch abstrakten Gleichheit der Bürger in der Demokratie; die tatsächliche Artikulation solcher Differenzen ist aber insofern voraussetzungsvoll, als sie auf die ansatzweise Realisierung dieser Gleichheit auch in sozialer Hinsicht aufbauen können muss: Wenn die soziale Ungleichheit formale Partizipationschancen konterkariert, wird die Demokratie ihrem Inklusionsanspruch nicht gerecht. Differenz in Form von Ungleichheit wird dann aufgrund ihrer bloßen Existenz zum Politikum; ihre Überwindung zu einer Grundfrage demokratischer Legitimität. Dies ist in den meisten Ländern der Peripherie der Fall. Aus diesem Grund steht auch der Paradigmenwechsel der lateinamerikanischen Sozialwissenschaften hinsichtlich der Bewertung der Demokratie im Zeichen dieser sozialen Ungleichheiten und der sich aus diesen Ungleichheiten heraus verschärfenden Spannung zwischen Differenz und Inklusion in der Demokratie. Die Problematik der Überwindung krasser sozialer Ungleichheiten steht nicht zuletzt auch im Kontext begrenzter staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Es geht ja nicht nur um die Frage, inwieweit zivilgesellschaftliche Kräfte in der Lage sind, Forderungen in Bezug auf die Verbesserung ihrer sozialen Lage zu artikulieren und damit auch Gehör zu finden, sondern auch um die politischen Durchsetzungsmöglichkeiten nicht zuletzt im Wechselspiel zwischen normativen gesellschaftlichen Wünschbarkeiten und diesen Wünschbarkeiten entgegengesetzten wirtschaftlichen Interessen. In der Regel wird auch von den sich als kritisch verstehenden Sozialwissenschaftlern in Lateinamerika nicht in Abrede gestellt, dass der grundsätzliche Weg der politisch-ökonomischen Modernisierung ohne faktische Alternative ist, da ohne eine aktive Beteiligung am Weltmarkt auch die - ohnehin begrenzte - Möglichkeit politischer Gestaltung im nationalen bzw. regionalen Rahmen weiter begrenzt würde. Die als notwendig betrachteten Strukturanpassungen bestimmen aber auch die politische Tagesordnung: Unter den gegebenen Verhältnissen auf dem Weltmarkt ist unstrittig, dass diese Anpassungen einen Preis fordern, und die Frage ist, wie hoch er ausfallt und wer ihn bezahlen soll. Außerdem ist mit der grundsätzlichen Anerkenntnis dieser Notwendigkeit durchaus noch nicht vorbestimmt, welcher Art diese Anpassungen sein sollten. Es ist ja zumindest nicht von vornherein auszuschließen, dass eine politisch-ökonomische Modernisierung auch zu größerer sozialer Inklusion fuhrt, auch wenn das angesichts der tatsächlichen Entwicklungen eine gewisse optimistische Phantasie erfordert. Die politische und wirtschaftliche Linie der meisten der lateinamerikanischen Länder im Rahmen der Strukturanpas206
sungen hat jedenfalls die soziale Spaltung weiter vertieft - mit weit reichenden Folgen für die betroffenen Länder. Norbert Lechner bemerkt dazu: Ihr sichtbarstes Antlitz ist eine neue Marginalität, mag man sie nun ,extreme Armut' oder informeller Sektor' nennen, sie ist jedenfalls nicht mehr, wie noch in den [19]60ern, interpretierbar über den Dualismus von moderner und traditionaler Gesellschaft. Dieser soziale Sektor findet sich gleichzeitig innerhalb des kapitalistischen Systems und von diesem ausgeschlossen. [...] Es handelt sich nicht nur um ein Problem von mangelnden Ressourcen für die öffentliche Fürsorge. Die darunter liegende Frage betrifft die Zersetzung des sozialen Lebens. [...] Die zunehmende weltweite transnationale Integration bewirkt gleichzeitig eine zunehmende Desintegration auf nationaler Ebene (Lechner 1991:212-213).
Dies ist ein grundsätzliches Dilemma von Politik, nicht nur in den Ländern der Peripherie, dort aber unter verschärften Bedingungen: Die Problemlösungskapazität der Politik scheint zu schrumpfen, nicht zuletzt durch die so genannte Globalisierung, die gleichzeitig aktiv voranzutreiben sich die Politik genötigt sieht. Damit werden die Zentrifugalkräfte in der Gesellschaft verstärkt, was wiederum nicht nur zu einer Schwächung des bürgerschaftlichen kollektiven Handelns fuhren kann, sondern auch durch schwindendes Vertrauen in die Problemlösungskapazitäten staatlicher Autoritäten zu einer sich beschleunigenden Erosion der bürgerschaftlichen Selbstwahrnehmung als (Staats-)Bürger. Gerade in Demokratien mit noch geringer Gesamtstabilität ist dies hochproblematisch. Fernando Calderón und Norbert Lechner sehen in diesem Prozess die Gefahr einer (erneuten) „Modernisierung ohne Moderne", also einer sozioökonomischen Anpassung an die Erfordernisse des sich verändernden Weltmarktes, ohne dass das demokratische Ideal der Selbstbestimmung dabei Schritt halten könnte (Calderón/Lechner 1998b: 13-15). In diesem Kontext interessiert aber mehr jener Aspekt der Folgen der Abnahme staatlicher Handlungsfähigkeit (oder auch mangelnden Problembewusstseins), der mit der Nichteinlösung des demokratischen Versprechens auf Inklusion verknüpft ist: sozioökonomische Marginalität. Aus der Perspektive dieser Untersuchung kann aber die Frage der staatlichen Problemlösungskapazität selbst nicht im Vordergrund stehen: Von Interesse ist in der Hauptsache die Frage nach dem Umgang mit dem nicht eingelösten Versprechen von Seiten derer, die davon betroffen sind. In diesem Zusammenhang ist aber auch wichtig zu sehen, dass das Versprechen der Inklusion - zumal unter den Bedingungen des Kapitalismus - durchaus nicht ein Versprechen auf sehr weit reichende soziale Gleichheit beinhaltet, wie Lechner ausführt: Die Demokratie verlangt keine soziale Homogenität; Heterogenität kann durchaus auch ein bereicherndes Moment sein. Allerdings ist es im Fall der lateinamerikanischen Gesellschaften wichtig, gerechte Differenzen, die die Demokratie respektieren und fördern muss, nicht mit sozialen Ungleichheiten, die einen Angriff auf die Vorstellung von Gemeinschaft darstellen, gleichzusetzen. Diese Idee ist konstitutiv für die demokratische Ordnung, sowohl für ihre theoretische Begründung (ausgedrückt in grundlegenden Ka-
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tegorien wie der Volkssouveränität) wie auch für ihr praktisches Funktionieren (Lechner 1991: 220). 173
Die gesellschaftlichen Bedingungen scheinen allerdings nicht dazu angetan, den grundlegenden Kategorien wie auch dem praktischen Funktionieren von Demokratie einen besonders forderlichen Boden zu bereiten: Eine ungleiche Verteilung von Lebensgütern (auch und gerade materieller Art) behindert recht zuverlässig die Entstehung staatsbürgerlicher Qualifikation - zumindest dann, wenn daran Gütekriterien rationaler Art angelegt werden (Preuß 1990: 126). Die Verschärfung sozialer Ungleichheit ist in vielen der lateinamerikanischen Ländern schon seit der Errichtung der bürokratisch-autoritären Regime in den späten 1960er und 1970er Jahren, die ja zumeist eine ultraliberale Wirtschaftspolitik betrieben, zu beobachten. Aber auch die Demokratisierung hat diesen Trend nicht grundsätzlich umkehren können; im Gegenteil bewirkt die weltweite Tendenz zur politisch-ökonomischen Deregulierung dessen Beschleunigung auch unter formal demokratischen Regimen. Seine Auswirkungen bleiben nicht auf die soziale Ungleichheit selbst beschränkt, sondern reichen weit in den Bereich der Identitäten (auch der kollektiven) der Menschen hinein - und wirken damit nicht zuletzt auch wieder auf die Demokratien bzw. die demokratische Konsolidierung zurück: Die sozialen Entfernungen nehmen nicht nur zu, sie modifizieren sich auch in qualitativer Hinsicht, und zwar so, dass sich der Charakter der sozialen Differenzierung ändert, der der modernen Gesellschaft inhärent ist. Es entsteht eine neue .strukturelle Heterogenität', die sich durch eine generelle Schwächung kollektiver Identitäten auszeichnet, seien diese nun ethnischer Art oder in der Zugehörigkeit zu sozialen Klassen oder bestimmten Territorien begründet. Nehmen wir die historische Schwäche der politischen Parteien und besonders des lateinamerikanischen Parteiensystems hinzu, bekommen wir langsam ein Bild der Schwierigkeiten, mit denen sich die entstehenden Demokratien konfrontiert sehen (Lechner 1991: 213).
Diese Schwierigkeiten beziehen sich nicht zuletzt auf die Frage, ob Menschen, die unter sozialer Exklusion leiden, ein wie auch immer geartetes Gefühl von Zugehörigkeit entwickeln können, das notwendig wäre, um die partizipatorischen Möglichkeiten der Demokratie auch als eigene Möglichkeiten zu begreifen: Teilnahme erfordert (das Bewusstsein von) Teilhabe. Eben das ist gemeint, wenn von der Notwendigkeit der demokratischen Inklusion über abstrakte Gleichberechtigung hinaus die Rede ist: Die formalen Verfahren sind eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung [fur die Demokratie]. Impliziterweise legitimiert sich ein demokratisches Regime genauso
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Das verweist natürlich auf sehr viel grundlegendere Debatten in Bezug auf die Frage nach sozialer Gleichheit bzw. sozialer Gerechtigkeit, die hier nicht ansatzweise diskutiert werden können. Es sei lediglich verwiesen auf die Dimensionen des Problems (vgl. Rawls 1975); vgl. auch in spezifischerer Hinsicht in Bezug auf den Sozialstaat: Nullmeier (2000).
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über Werte und Überzeugungen. [...] Eines der Schlüsselelemente des demokratischen Credos ist die Idee der ,Gemeinschaft' im weitesten Sinne: die Zugehörigkeit zu einer kollektiven Ordnung. Dies ist eine der zentralen Achsen der Moderne; das Prinzip der Selbstbestimmung verweist gerade auf die Verfasstheit der Gesellschaft in Bezug auf eine kollektive Ordnung. Allerdings: Ist das vereinbar mit dem Modernisierungsprozess und dem entsprechenden sozialen Zerfall? (Lechner 1991: 213-214).
Diese Frage scheint allerdings - einmal abgesehen davon, dass m. E. kein notwendiger Zusammenhang zwischen Modernisierungsprozess und sozialem Verfall besteht - zentral zu sein, umso mehr vor dem Hintergrund der bereits ausfuhrlicher diskutierten Charakteristika, welche lateinamerikanische Sozialwissenschaftler für die gesellschaftliche Struktur ihrer Länder finden: Pluralität, Heterogenität und Hybridität. In Aussagen wie der von Lechner scheint - bei aller postmodernen Rhetorik mit ihrer Ablehnung von Universalien, die Lechners Schriften sonst durchzieht - das Wissen durch, dass sich die demokratische Ordnung neben der notwendigen Anerkennung der lebendigen Vielfältigkeit auch auf Gemeinsamkeiten stützen muss, welche die Inklusion als Gegenseite der Differenz zulässt. Auf die Frage nach den Grundlagen der demokratischen Inklusion lassen sich grundsätzlich zwei Antwortstrategien denken, eine eher kommunitaristische bzw. republikanische und eine eher liberalistische: Zum einen kann - wie das bei Lechner anklingt - Zugehörigkeit im Sinne von Gemeinschaft auf der Ebene der kollektiven Ordnung als Inklusionsrahmen gedacht werden. Da die kollektive Ordnung bei Lechner die gleiche Reichweite wie die demokratische Ordnung selbst besitzt, kommt dafür eigentlich nur die Nation in Frage: Nach seiner Interpretation beruht die Demokratie als Legitimitätsprinzip auf einer Identitätsvermutung, die sie selbst als Organisationsprinzip nicht produzieren könne (Lechner 1988: 159).174 Zum anderen kann auf (staats-)bürgerliche Zugehörigkeit rekurriert werden. Damit stünde nicht Integration im Sinne von Vergemeinschaftung, sondern mehr im Sinne von Vergesellschaftung im Vordergrund: politische, rechtliche, auch soziale Integration. Die Debatte über die Unterschiede zwischen Liberalismus und Republikanismus bzw. Kommunitarismus kann und soll an dieser Stelle nicht geführt werden (vgl. dazu beispielsweise Münkler 1994a, 1994c, 1995; Forst 1993; Habermas 1996); verwiesen werden soll in jedem Fall nicht nur auf die Unterschiede, sondern auch auf die Gemeinsamkeit der Fragestellung. Antonio Augusto Arantes sieht es beispielsweise für notwendig an, dass das Individuum einer übergeordneten Gemeinschaft angehört, wie sie nur die Nation darstellen kann, gerade aufgrund der multiplen Zugehörigkeiten und vielschichI74
Vgl. die Ausführungen dazu in Kapitel 4.2. - Die Alternative zur Nation in dieser Hinsicht könnte allenfalls noch in der Beschwörung der kolonialen oder - wahrscheinlicher noch vorkolonialen Vergangenheit liegen. Eine solche Parteinahme fur das Traditionale käme einer Gegenbewegung gegen die Modernisierung wie auch die Moderne selbst gleich. Es gibt in Lateinamerika solche Stimmen, sie sind allerdings nicht allzu stark (vgl. Lechner 1996b: 28).
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tigen kollektiv induzierten Prägungen des Individuums. Erst die Nation sei in der Lage, ganz unterschiedliche Praktiken von Inklusion und Exklusion (im Sinne von Identitätskonstruktionen) zu beherbergen und sich gleichzeitig nach dem Recht auf Differenz zu strukturieren. Mit Blick auf die vielfaltigen Partizipationsformen, die aus den kollektiven Identitäten erwachsen, hält er es für unabdingbar, dass deren Unvereinbarkeit untereinander durch eine übergeordnete, legitime Gesamtgemeinschaft ausgeglichen werde (Arantes 1999: 149-150). Die Problematik bei dieser Konzeption springt unmittelbar ins Auge: Wenn auf der einen Seite der Vorteil der Nation als übergeordneter Gemeinschaft gegenüber der eher abstrakten Staatsbürgerlichkeit in der auch emotionalen Bindungsfähigkeit besteht, auf der anderen Seite (wie Arantes selbst ausfuhrt) die partikularen Einzelgemeinschaften untereinander durchaus antagonistisch sein können, werden sich daraus im Konfliktfall unweigerlich Loyalitätsprobleme für die einzelnen Gruppenmitglieder ergeben. Diese ergeben sich nicht (oder nur in sehr viel geringerem Maße), wenn der übergeordnete Bezugsrahmen abstrakter gefasst ist.175 So führt Fernando Calderón aus, der sozioökonomischen Modernisierung und den damit einhergehenden verstärkten Zentrifugalkräften in der Gesellschaft müsse die „universelle Anerkennung der Bürgerschaftlichkeit" zur Seite gestellt werden. Diese Anerkennung würde sich in der Institutionalisierung des Rechtes auf Subjektivität ausdrücken - und erst das kollektive Bewusstsein über diese Institutionalisierung bürgerschaftlicher Werte würde auf der anderen Seite die demokratische Wirkmächtigkeit partikularer Identitäten ermöglichen, sowohl in individueller wie auch in kollektiver Hinsicht. Er bezeichnet das als ein „Projekt der Moderne", welches die „Negierung des Anderen" überwinden und aus der bloßen Heterogenität eine produktive ethische Kraft innerhalb der lateinamerikanischen Gesellschaften machen könnte (Calderón 1998: 83-84). Dabei ist anzumerken, dass sich Calderón keinerlei Illusionen über die konkrete Erreichbarkeit der ethisch-politischen bürgerschaftlichen Idylle hingibt: Neben den bereits erwähnten Faktoren der wirtschaftlich-technischen Modernisierung und der damit eng verknüpften sozialen Exklusion und Marginalisierung nennt er (selbst-)exklusive bzw. „messianische Identitätsformen" und die „hyperrationale Ideologie des Marktes" als wichtigste Grenzen für die Etablierung des bürgerschaftlichen Ideals (Calderón 1998: 84). Diese von Calderón formulierte Perspektive ließe sich unschwer und weit gehend verlustfrei in die hier gebrauchte Terminologie von demokratischer Inklusion bei gleichzeitiger Anerkennung von
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Herfried Münkler folgend, muss allerdings das Konstatieren der Notwendigkeit eines übergeordneten Rahmens mit vergemeinschaftender Kraft nicht notwendigerweise mit homogenisierenden Annahmen einhergehen: Die Nation kann demnach (wieder) zu einem sowohl konkreten wie auch heterogenen Bezugsrahmen werden, wenn der Begriff seinen monosemischen Charakter verliert. Auf dieser Weise könnte Zugehörigkeit in einer nicht exklusiven Form gemeinschaftsfÖrdernd sein; gefahrliche Spielarten des Nationalismus wären damit zumindest äußerst unwahrscheinlich (Münkler 1994b: 377-384).
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Differenzen im Sinne der Vertiefung und Verbreiterung von Anerkennungsverhältnissen insgesamt übertragen. Während offensichtlich die Notwendigkeit eines übergeordneten regulativen Rahmens der Inklusion unstrittig ist, damit die politischen und kulturellen Differenzen ihre Kräfte (im Sinne demokratischer Konsolidierung bzw. Vertiefung) auf konstruktive Weise entfalten können, bleibt damit die Frage noch unbeantwortet, wie unter den Bedingungen faktischer Exklusion dieser Rahmen so gezogen werden kann, dass er diese Exklusion auch tatsächlich überwindbar macht. Dabei ist zunächst weniger relevant, ob die Inklusion eher kommunitaristisch/republikanisch oder eher liberalistisch gefasst bzw. vorgestellt wird: Im Vordergrund steht m. E. zum einen die Frage, wie das Verhältnis von Gesamtgesellschaftlichem und Partikularem in politischer wie in kultureller Hinsicht zu denken ist, zum anderen, wie Anerkennung von kultureller Differenz und politische und soziale Inklusion erfolgen kann. Die erste Frage verweist auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, gesellschaftliche Einheit (wie abstrakt auch immer) trotz der Heterogenität zu denken, durch die (nicht nur die lateinamerikanischen) Gesellschaften geprägt sind - und das verweist nicht zuletzt auf die im vorangegangenen Kapitel schon behandelte Problematik der Notwendigkeit der Überwindung sozialer Marginalität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, während die politischen Artikulationen, aus denen die Zivilgesellschaft sich speist, in der Hauptsache thematisch und/oder räumlich höchst begrenzt sind. Die zweite Frage ist damit insofern verbunden, als dass aus kulturellen Artikulationen trotz ihres politischen Potenzials nicht notwendigerweise auch im engeren Sinne politisch relevantes Handeln erfolgen muss - schon gar nicht in einem Maßstab oder auch nur mit der Intention der Etablierung von „kultureller Gegenhegemonie", also dem Versuch, (strukturelle) Marginalität durch das Einfordern demokratischer Inklusion zu überwinden. Es zeigt sich hier allerdings auch eine zusätzliche Problematik der Spannung von Inklusion und Differenz: Der Inklusionsanspruch der Überwindung sozialer und politischer Marginalität darf nicht zu Lasten des grundsätzlichen Rechtes auf (kulturelle) Differenz gehen. Demokratische Inklusion und Paternalismus schließen sich im Prinzip gegenseitig aus, da Letzterer die Negierung des Rechtes auf Differenz bedeutet. Tendenziell ist dies ein Dilemma, da auch (wohlfahrts-)staatliche Hilfe schon durch den Einsatz administrativer Macht ihre Unschuld verliert. Es geht dabei nicht um die Klage, wohlfahrtsstaatliche Hilfe bedeute die Behinderung von Eigenverantwortlichkeit, wie der Diskurs der politisch-ökonomischen Deregulierung glauben machen möchte. Gemeint ist hier vielmehr der Habermas'sche Verweis auf die Unmöglichkeit der staatlichen bzw. administrativen „Hervorbringung von Lebensformen", auch wenn dies bloß ex negativo im Sinne ihrer freien Ermöglichung erfolgen soll (vgl. dazu auch die Ausführungen in den theoretischen Grundüberlegungen in Kapitel 2.5): Die rechtlich-administrativen Mittel der Umsetzung sozialstaatlicher Programme stellen kein passives, gleichsam geschichtsloses Medium dar. Vielmehr ist mit ihnen eine Pra-
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xis der Tatbestandsvereinzelung, der Normalisierung und der Überwachung verknüpft, deren verdinglichende und subjektivierende Gewalt Foucault bis in die feinsten kapillarischen Verästelungen der Alltagskommunikation hinein verfolgt hat. Die Verformungen einer reglementierten, zergliederten, kontrollierten und betreuten Lebenswelt sind gewiß sublimer als die handgreiflichen Formen von materieller Ausbeutung und Verelendung; aber die aufs Psychische und Körperliche abgewälzten und verinnerlichten sozialen Konflikte sind darum nicht weniger destruktiv. Kurzum, dem sozialstaatlichen Projekt als solchem wohnt der Widerspruch zwischen Ziel und Methode inne. Sein Ziel ist die Stiftung von egalitär strukturierten Lebensformen, die zugleich Spielräume für individuelle Selbstverwirklichung und Spontaneität freisetzen sollen. Aber offensichtlich kann dieses Ziel nicht auf dem Weg einer rechtlich-administrativen Umsetzung politischer Programme erreicht werden (Habermas 1985: 151-152).
Problematisch ist die demokratische Inklusion im Hinblick auf die Anerkennung von Differenzen demnach in doppelter Hinsicht: Zum einen stellt sich mit Norbert Lechner die Frage: „Wie lassen sich illegitime Ungleichheiten von legitimer Differenz unterscheiden?" (Lechner 1988: 165); zum anderen ist - selbst wenn diese erste Frage beantwortet wäre - noch nicht geklärt, wie sich illegitime Ungleichheit überwinden lässt, ohne damit gleichzeitig legitime Differenz zu zerstören, da beide gleichursprünglich sein können. Im Sinne des bereits dargestellten Verhältnisses von Gesellschaftlichem, Kulturellem und Politischem in Lateinamerika und der diagnostizierten Relevanz des Kulturellen für das Politische scheint der Weg der Antwort eindeutig: Aus den kulturell begründeten und politisch artikulierbaren Differenzen selbst kann ein Anspruch auf politische Anerkennung erwachsen, der, wenn er expliziert wird, auch die Forderung nach sozialer Veränderung einschließen kann, selbst wenn eine solche Forderung ihrerseits nicht expliziert wird. Entfalten solche Forderungen gesellschaftliche Wirkungsmacht, werden damit auch Veränderungen einhergehen - nicht im Sinne der Überwindung der gesellschaftlichen Ordnung, aber doch möglicherweise im Sinne der Einlösung politischer und sozialer Versprechen der Demokratie. Da diese Veränderungen „von unten", also aus der Position der Artikulation der Differenzen selbst eingefordert und ggf. auch angestoßen werden, wäre der Paternalismusverdacht deutlich weniger nahe liegend. Damit wird auch deutlich, inwiefern sich der lateinamerikanische Blick auf die Demokratie und ihre Begrenzungen und Chancen trotz geteilter normativer Grundannahmen von dem in Westeuropa und den USA unterscheidet: Die Frage nach der Wirkmöglichkeit bürgerschaftlichen bzw. zivilgesellschaftlichen Engagements in der Demokratie zielt unter den Bedingungen brutaler sozioökonomischer Exklusion nicht zuletzt auf deren Überwindung. Vor diesem Hintergrund ist auch das Festhalten vieler lateinamerikanischer Autoren am Begriff der kulturellen Hegemonie verständlich: Wenn die politisch-ökonomische Situation trotz formal demokratischer Strukturen soziale Veränderungen in Richtung auf die Überwindung von (undemokratischen) Exklusionen bzw. Marginalität nicht zulässt, stellt das Einfordern des demokratischen Versprechens auf Inklusion eine Infragestellung der bestehenden Verhältnisse dar. Unter diesem Blickwin212
kel wird aus der Frage nach den Wirkmöglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Belagerung des politisch-administrativen Systems zur Stärkung demokratischer Strukturen die Frage nach dem Widerstands- oder gar Emanzipationspotenzial der Zivilgesellschaft, welches fortdauernd undemokratische Strukturen innerhalb eines formal demokratischen Gefiiges zu überwinden in der Lage sein könnte. Die Verschiebung der Koordinaten der kulturellen Hegemonie ist ein eminent politischer Prozess. Da überdies ein solcher Prozess nicht von staatlicher Seite implementiert würde,176 ginge mit der stärkeren sozialen Inklusion nicht auch gleichzeitig eine tendenzielle Negierung kultureller Differenzen einher. Gelingt es, im Sinne des im ersten Hauptkapitels dargestellten demokratietheoretischen Rahmens diese wechselseitigen Wirkungen adäquat zu beschreiben, ist auch auf theoretischer Ebene eine zumindest tentative Antwort gegeben auf das sehr grundsätzliche Problem, wie sich die lebensweltlich geprägte Praxis einer kulturellen Reproduktion kollektiver Identitäten mit der Aufgabe einer Demokratisierung staatlicher Politik so verklammern läßt, daß die von den reflexiven Lernprozessen der kollektiven Identitätsbildung ausgehenden Signale ankommen, Lernprozesse anregen und Entscheidungsprozesse umsteuern können, ohne von den Aufgaben und Anforderungen administrativer Politik, von Entscheidungszwängen und komplexen Problemlösungsstrategien so durchdrungen und usurpiert zu werden, daß sie ihren eigenwilligen Charakter verlieren und ihre spezifische Rationalität preisgeben (Schmalz-Bruns 1995: 103).177
Dabei kommt den vielfaltigen Zugehörigkeiten der Menschen wiederum ein zentraler Stellenwert zu; die Ausbildung kollektiver Identitäten ist in mehrfacher Hinsicht relevant. Erstens bilden sie sich innerhalb der gegebenen sozialen Bedingungen aus, sind also immer auch Ausdruck sozialer Verhältnisse (nicht jedoch ihr bloßes Abbild). Das bedeutet zum Beispiel, dass unter den Bedingungen unvollständiger demokratischer Inklusion auch nur schwer ein demokratisches bürgerschaftliches oder gar staatsbürgerliches Bewusstsein entstehen wird. Das bedeutet auch, dass die Erfahrung von Exklusion die Herausbildung exklu-
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Ein Beispiel für solche sozialen Inklusionsversuche ohne Stärkung von Autonomierechten sind die korporatistisch geprägten sozialen Reformen der populistischen Regime in Lateinamerika. Deren bekanntestes Beispiel wiederum sind die Regierungszeiten Juan Domingo Peröns in Argentinien. 1 "Allerdings kann im Kontext dieser Untersuchung nur der begriffliche Rahmen im Ansatz expliziert werden, innerhalb dessen die Antwort auf dieses Problem gesucht werden könnte: Letztlich ist die Frage nur empirisch lösbar, ob eine solche Verklammerung möglich ist und wenn ja, in welcher Form und wie intensiv. Auch wenn dementsprechend die theoretische Beschäftigung mit dieser Frage notwendigerweise unbefriedigend bleiben muss, ist es m. E. sinnvoll, sich auf der theoretischen Ebene Gedanken über einen solchen begrifflichen Rahmen zu machen, da ohne diesen eine empirische Untersuchung des Problems ins Leere laufen müsste. Im Übrigen erscheint die Beschäftigung im Rahmen der normativen Demokratietheorie auch vor dem Hintergrund angebracht, dass sie ja aufgrund einer aus normativen Gesichtspunkten als äußerst mangelhaft angesehenen Wirklichkeit angestellt werden.
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siver Partikularitäten befördern kann. Zweitens sind ja, wie im ersten Hauptteil ausgeführt, kollektive Identitäten als Formen von Kultur die Grundlage kollektiven Handelns. Unter den Bedingungen von Exklusion ist ein solches kollektives Handeln also unter anderem auch Ausdruck dieser Exklusion, da die dazu führenden kollektiven Identitäten ihrerseits durch die Erfahrungen von Exklusion mitgeprägt sind. Drittens sind im Sinne der demokratischen Anerkennung von Differenzen diese Identitäten in ihrem Eigenrecht anzuerkennen (wenn auch nicht jedwedes aus ihnen resultierende individuelle oder kollektive Handeln) dies gewinnt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wünschbarkeit der Überwindung sozialer und politischer Marginalität Relevanz: Wenn die soziale und politische Situation mit prägend für die Herausbildung kollektiver Identitäten ist, diese Situation aber im Fall von Exklusion bzw. Marginalität aus normativen Gründen nicht hinnehmbar ist, besteht die Gefahr, mit dem Versuch der demokratisch gebotenen Inklusion auch gleichzeitig die kulturelle Grundlage legitimer Differenz zu zerstören. Das ist vor allem dann der Fall, wenn kulturelle Nichtanerkennung und soziale Ausgrenzung eine unheilvolle Verbindung eingehen. Denn dann sind kulturelle Differenz und sozioökonomische Marginalität in gewisser Weise gleichursprünglich - und damit rücken die Bemühungen um soziale bzw. sozioökonomische Inklusion in die Nähe der Verweigerung von kultureller Anerkennung: Das Bemühen um Inklusion kann als Angriff auf die kulturellen Differenzen gewertet werden, die eben gerade unter den Bedingungen der Marginalität bzw. Exklusion entstanden ist. Die eigene kollektive und/oder individuelle Selbstwertschätzung beruht in einem solchen Fall zu einem guten Teil auf der Wahrnehmung des eigenen Umfeldes, das seine Besonderheit ggf. aus der Marginalität gewinnt; der Verlust dieser Besonderheit kann als Verlust der Grundlage der Selbstwertschätzung angesehen werden. Auf diese Gefahr sollte mit dem Verweis auf die Problematik des Paternalismus hingewiesen werden. An dieser Stelle wird allerdings die Unterscheidung zwischen kommunitaristischer/republikanischer und liberalistischer Konzeption demokratischer Inklusion wieder wichtig: Für Erstere ist diese Problematik tendenziell virulenter, da Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft vielschichtig voraussetzungsvoll ist und nicht zuletzt auf eine gewisse emotionale Bindungsbereitschaft angewiesen ist; dagegen ist Letztere hinreichend abstrakt gefasst, um die politische und soziale Inklusion ohne weitere Voraussetzungen zu gewährleisten, da ihre Grundlage der demokratische Rechtsstaat ist und juristische Normen lediglich Befolgung verlangen, aber nicht nach der Motivlage dafür fragen (Habermas 1992c: 143). Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der liberale Rechtsstaat nicht neutral ist, da die Legitimität des Rechts wiederum an kulturelle Voraussetzungen gebunden ist. 178
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Dies ist ja auch nicht erst seit der Debatte zwischen Menke, Lohmann und Thomä (jeweils 2001) bekannt (vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.5).
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In Lateinamerika ist die Dialektik von (kultureller) Differenz und (sozioökonomischer) Ungleichheit durchaus erkannt worden; es wurde ja bereits auf die Ausführungen Jesús Martín-Barberos hingewiesen, nach denen kulturelle Ausprägungen und sozioökonomische Verhältnisse nicht voneinander zu trennen sind (Martín-Barbero 1994b: 91; vgl. Kapitel 3.1). Im Sinne einer kulturellen Interpretation des Sozialen und des Politischen muss aber noch weiter gegangen werden. In einem ersten Schritt geht es - wie angedeutet - darum, dass soziale Ungleichheit und kulturelle Differenz gleichursprünglich sein können, also kulturelle Differenzen auf denselben Exklusionsmechanismen und denselben Marginalisierungsprozessen beruhen können wie die soziale Ungleichheit. In einem zweiten Schritt geht es aber auch darum, dass die Ignoranz gegenüber den kulturellen Differenzen nicht nur kulturelle Exklusion bedeutet, sondern eine Form sozialer Marginalisierung darstellt - eben weil soziale Realität über Sinn- und Bedeutungssysteme strukturiert ist und damit kulturelle Exklusion auch den Ausschluss aus dem bedeutet, was in einer hegemonialen Definition Gesellschaft ist: Eine der heutzutage eklatantesten Formen bürgerschaftlicher Exklusion ist gerade im Nichtbesitz des Rechts, gesehen und gehört zu werden situiert, da dieses gleichbedeutend damit ist, gesellschaftlich zu existieren bzw. zu zählen, und zwar sowohl im Bereich des Individuellen wie in dem des Kollektiven, in dem der Mehrheiten wie dem der Minderheiten (Martín-Barbero 2001: 78; Hervorh. i. O.).
Das lässt sich nicht zuletzt auch auf das beziehen, was Dieter Thomä die „Fremdenvergessenheit" der liberalen Demokratie nennt. In sozialer Hinsicht gelesen, bedeutet das nicht nur die Blindheit gegenüber Fremden im Sinne von Migranten und/oder Subkulturen, sondern durchaus auch im Sinne von sozial Exkludierten bzw. Marginalisierten. Es gehört nun nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass sozioökonomische Exklusion in der Regel auch mit kultureller Nicht-Anerkennung einhergeht. Auf dieser Verbindung beruht ja nicht zuletzt ein guter Teil der politisch-kulturellen Praktiken, die als „identity politics" bezeichnet werden. Nach Amy Gutmann beinhaltet Anerkennung die „Achtung vor jenen Handlungsformen, Praktiken, Spielarten von Weltauffassungen, die bei den Angehörigen benachteiligter Gruppen hohes Ansehen genießen oder mit ihnen besonders eng verbunden sind" (Gutmann 1997: 125). Diese Forderung zielt, wie Habermas sagt, nicht in erster Linie auf die Angleichung sozialer Lebensbedingungen, sondern auf den Schutz der Integrität der Lebensformen und Traditionen, in denen sich Angehörige diskriminierter Gruppen wiedererkennen können. Normalerweise verbinden sich freilich die kulturelle Nichtanerkennung mit krasser sozialer Unterprivilegierung, wobei sich beide kumulativ verstärken (Habermas 1996: 240).
Anzumerken ist dazu, dass es wohl eher die sozioökonomische Marginalität ist, die mit kultureller Nichtanerkennung einhergeht - umgekehrt muss das nicht in 215
gleichem Maße der Fall sein, da ein relativ hoher sozialer Status auch die kulturelle Anerkennungsfahigkeit von Seiten des sozialen Umfeldes zumindest erleichtert, wenn auch in keiner Weise garantiert. Es ist aber schwer vorstellbar, dass sozioökonomische Exklusion nicht mit der Verweigerung von Anerkennung auf kultureller bzw. politischer Ebene einhergeht. 179 Durchbrochen wird dies dann, wenn sich beispielsweise eine subkulturelle Bewegung als so stark erweist, dass ihre ökonomische Inklusion eine gewisse Rendite erhoffen lässt, wie das vor allem bei bestimmten Musikstilen der Fall ist. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass ein durch Exotik gewecktes Interesse nicht mit kultureller Anerkennung gleichgesetzt werden kann: Exotismus lebt gerade davon, das Andere als Exkludiertes zu erhalten und eben nicht als Ebenbürtiges anzuerkennen. Das heißt allerdings nicht, dass nicht aus einem exotischen Interesse Anerkennung werden könne bzw. ökonomische Inklusion nur aus dem Versuch der Vermarktung exotischer Interessen erfolgen würde. Allerdings geht es im demokratietheoretischen Sinne nicht nur um die emotionale Seite von Anerkennungsverhältnissen, also um den Anspruch von Individuen und Kollektiven, in der j e eigenen Besonderheit und Würde anerkannt zu werden, sondern auch darüber hinaus um die Frage, wie diese Besonderheiten in politische Partizipation bzw. zumindest die Möglichkeit politischer Partizipation umzusetzen sind. Wird in diesem Sinne der von Martin-Barbero oben beschriebene Umstand der gesellschaftlichen Nichtexistenz derer, die kein Gehör finden, politisch gelesen, folgt daraus nicht zuletzt die Notwendigkeit, demokratische Inklusion im Sinne von Anerkennung zu verstehen: Auch ist es richtig, dass die sichtbare Konstruktion des Sozialen über Vorstellungen erfolgt, und in dieser Sichtbarkeit wird der Kampf um Repräsentation von der Forderung nach Anerkennung verdrängt. Was die neuen sozialen Bewegungen und die Minderheiten - wie die Frauen, die Jugendlichen oder die Homosexuellen - fordern, ist nicht so sehr, repräsentiert zu werden als vielmehr anerkannt zu werden: sich gesellschaftlich und in ihrer Differenz sichtbar zu machen. Dies schafft auch den Raum für eine neue Art, die eigenen Rechte politisch auszuüben (Martin-Barbero 2001: 78; Hervorh. i. O.).
Das wiederum entspricht dem bereits angedeuteten Weg, nach dem die Artikulation der Unterschiede selbst die Forderung nach - auch politischer - Anerkennung bedeutet; wenn diese Artikulationen gehört werden, bedeutet das wiederum zumindest die Anerkennung der Berechtigung der Artikulation selbst und damit auch eine gewisse Inklusion. Allerdings bedeutet die Anerkennung von Differenzansprüchen noch nicht, dass die Differenzen selbst anerkannt werden, es bedeutet erst einmal lediglich, dass Ansprüche als Ansprüche anerkannt wer179 Das soll nicht heißen, dass kulturelle Identität und sozialer Status parallelisiert werden könnten. Es ist ja gerade nach der (Selbst-)Diagnose vieler der lateinamerikanischen Gesellschaftswissenschaftler ein Charakteristikum hybrider bzw. mestizisierter Kulturen, dass sich in ihnen vielfaltige kulturelle Elemente mischen, und zwar durchaus nicht bloß innerhalb bestimmter sozialer Schichten (vgl. Garcia Canclini 1989b: 82).
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den. Zudem sind Anerkennungsforderungen anders gelagert, je nach dem, ob sie kollektive Identitäten im Sinne von „identity politics" selbst zum Thema machen, oder ob es aufgrund solcher Identitäten um anderweitige - beispielsweise soziale - Forderungen geht. Dementsprechend bedeutet (gerade im sozialen Bereich) die Anerkennung der Berechtigung von Forderungen noch lange nicht die Überwindung von Marginalität. Aber selbst eine solche Anerkennung verweist bereits auf das weiter gehende Potenzial von Inklusionsforderungen - sofern diese in der Lage sind, sich hörbar zu machen. Diese Einschränkung muss doppelt gelesen werden: Zum einen sind nicht alle Artikulationen in der Lage, sich hörbar zu machen, gerade unter den Bedingungen sozialer und/oder kultureller Exklusion. Dieser Umstand gehört zum Komplex der „Fremdenvergessenheit" der liberalen Demokratie. Zum anderen sind aber auch nicht alle gesellschaftlichen Artikulationen darauf ausgerichtet, gehört zu werden: Viele Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation, gerade im Bereich der nachbarschaftlichen Hilfe, sind zwar im obigen Sinne Ausdrucksformen auch politischer Unzulänglichkeiten und besitzen damit politisches Potenzial, sind aber erst einmal nicht politisch. Nach dem hier zugrundeliegenden Verständnis des Politischen realisiert sich dieses Potenzial beispielsweise dann, wenn die soziale und/oder politische Umwelt auf diese Formen der Selbstorganisation reagiert. Dabei ist zunächst auch unerheblich, ob diese Reaktion positiv oder negativ ist, also eher im Sinne von Kooperation bzw. Kooperationsangeboten oder eher im Sinne von Ablehnung bzw. Repression. Eine solche Reaktion überführt das politische Potenzial in den Bereich der Öffentlichkeit und realisiert es damit (vgl. Fauser/Schwenn 2001: 45-50; siehe auch Kapitel 6.2). Erst damit ist in solchen Fällen auch die Möglichkeit der Erweiterung von Anerkennungsverhältnissen gegeben. Anders verhält es sich natürlich mit solchen Bewegungen, die von vornherein auf eine Reaktion in der Öffentlichkeit abzielen. Allerdings ist - wie gesagt - dabei nicht garantiert, dass diese Artikulationen auch tatsächlich Gehör finden. Vor allem ist natürlich nicht garantiert, dass Inklusions-, Anerkennungs- oder andere Forderungen auch erfüllt werden. Das verweist wiederum auf die sozialen, kulturellen und ökonomischen Realitäten in einer gegebenen Gesellschaft. Dabei spielt nicht zuletzt eine Rolle, dass im Sinne der Selbstbegrenzung von Zivilgesellschaft diese das Funktionieren der gesellschaftlichen Subsysteme nicht grundsätzlich antasten darf - das des politisch-administrativen Systems nicht, aber noch viel weniger das des ökonomischen Systems (vgl. Cohen/Arato 1994: 415-416; 478-479; 530-532). Jon Beasley-Murray bezeichnet das ironisch als die Notwendigkeit, die Demokratie vor der Demokratie zu schützen (Beasley-Murray 1999: 86; vgl. auch 78-79). Auch bei Habermas sollen die Funktionssysteme der Gesellschaft nicht infrage gestellt werden - aber sie müssen im Sinne „solidarischer Steuerungsleistungen" (Habermas 1985: 159) gegenüber den zivilgesellschaftlichen Bedürfnissen sensibilisiert werden: Die autonomen Öffentlichkeiten müßten eine Kombination von Macht und intelligenter Selbstbeschränkung erreichen, die die Selbststeuerungsmechanismen von Staat und
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Wirtschaft gegenüber den zweckorientierten Ergebnissen radikaldemokratischer Willensbildung hinreichend empfindlich machen könnte (Habermas 1985: 160).
Das bedeutet im Habermas'sehen Verständnis (zumindest noch in dieser 1984 gehaltenen Rede) allerdings eine weiter gehende Einflussnahme auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, als das beispielsweise bei Cohen und Arato anklingt: Es geht durchaus nicht nur um eine reine Belagerung der Funktionssysteme, sondern auch um deren Wirkbereich selbst - die politische Willensbildung soll „auf die Grenzziehung und den Austausch zwischen diesen kommunikativ strukturierten Lebensbereichen auf der einen, Staat und Ökonomie auf der anderen Seite Einfluß nehmen" (Habermas 1985: 158).180 Habermas weist in diesem Zusammenhang auch auf die kulturelle Dimension hin, von der die zivilgesellschaftliche Sphäre geprägt ist: Mit Bezug auf das Offe'sche Modell sich überlagernder politischer Arenen verortet er sie auf der unteren von drei Arenen, „in der schwer greifbare Kommunikationsströme die Gestalt der politischen Kultur bestimmen und mit Hilfe von Realitätsdefinitionen um das, was Gramsci kulturelle Hegemonie genannt hat, wetteifern" (Habermas 1985: 159). Diese Verwendung des Begriffs der politischen Kultur kommt dem dieser Arbeit zugrundeliegenden ausnahmsweise sehr nahe - nicht zuletzt, weil er sowohl auf das politische Potenzial kultureller Selbstverständigungsprozesse als auch auf die Realisierungsbedingungen dieses Potenzials eingeht: In dieser Arena wird nicht unmittelbar um Geld oder Macht, sondern um Definitionen gestritten. Es geht um die Unversehrtheit und Autonomie von Lebensstilen, etwa um die Verteidigung traditionell eingewöhnter Subkulturen oder um die Veränderung der Grammatik überlieferter Lebensformen. Für das eine bieten regionalistische Bewegungen, für das andere feministische oder ökologische Bewegungen Beispiele. Diese Kämpfe bleiben meist latent, sie bewegen sich im Mikrobereich alltäglicher Kommunikation, verdichten sich nur dann und wann zu öffentlichen Diskursen und höherstufigen Intersubjektivitäten. Auf solchen Schauplätzen können sich autonome Öffentlichkeiten bilden, die auch miteinander in Kommunikation treten, sobald das Potential zur Selbstorganisation und zum selbstorganisierten Gebrauch von Kommunikationsmedien genutzt wird (Habermas 1985: 159-160).
Allerdings sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass es zwar nicht unmittelbar um Geld oder Macht geht (wie es auch nicht in erster Linie um die Angleichung sozialer Lebensbedingungen geht, vgl. das Zitat oben [Habermas 1996: 240]), mittelbar kann es aber durchaus gerade darum gehen. Nicht zuletzt dann, wenn diese Perspektive auf die Problematik sozialer bzw. sozioökonomi180 Im ersten Hauptteil dieser Arbeit sind die Begrenzungen der Habermas'sehen Konzeption ja bereits diskutiert worden (vor allem der späteren Ausformulierung des demokratischen Rechtsstaats in Habermas [1992c]). Was in dieser 1984 vor dem spanischen Parlament gehaltenen Rede noch stärker als in den späteren Schriften zum Ausdruck kommt, ist jene Aufgabe der Zivilgesellschaft, die Joas als „Demokratisierung der Differenzierungsfrage" bezeichnet hat (Joas 1996: 357). Auch dieser Aspekt wurde bereits diskutiert. 218
scher Marginalität bezogen wird, kommt auch wieder die Kehrseite von Anerkennungsansprüchen in den Blick: Im Sinne demokratischer Inklusion ist kulturelle Anerkennung nicht als wohlfeiles Lippenbekenntnis möglich, das gerade durch die Gewährung kultureller Anerkennung soziale Konflikte entschärfen und damit soziale Inklusion vernachlässigen kann. Wenn Anerkennung als Inklusionsleistung Marginalität überwinden können soll, muss sie die Ermöglichung politischer Partizipation auch hinsichtlich der materiellen Grundlagen gewährleisten (wobei dazu auch beispielsweise Bildungsangebote zu zählen sind). Eben das ist gemeint, wenn auf das politische Potenzial gesellschaftlicher Selbstorganisationsformen an den Rändern der Gesellschaft hingewiesen wird: Als kulturelle Äußerungen beinhalten sie die Gleichursprünglichkeit von sozialer Ungleichheit und kultureller Differenz. Als Formen alltäglicher Bewältigungsstrategien verweisen sie auf die soziale Randstellung. Als kollektive Selbstorganisationsformen stehen sie für ein zumindest partielles Versagen (staatlicher) Institutionen. Realisiert sich das darin enthaltene politische Potenzial durch die öffentliche Formulierung von Forderungen oder durch eine wie auch immer geartete Reaktion des politischen und/oder sozialen Umfeldes, gewinnen alle diese Aspekte ein politisches Gewicht, wie auch immer die formulierten Forderungen aussehen mögen. Artikulationen der Marginalisierten sind immer auch Artikulationen der Marginalität. Werden sie als Anerkennungsansprüche artikuliert, gewinnen sie im Sinne des demokratischen Anspruchs auf umfassende Inklusion eine weit über ihren kulturellen Hintergrund hinausreichende Bedeutung: Die Marginalität selbst steht dann zur Debatte. Dabei ist es unerheblich, wie groß das Bewusstsein der Beteiligten auf allen Seiten in Bezug auf diese Zusammenhänge tatsächlich ist. Sowohl die aus der sozialen Randstellung erwachsenden sozialen Inklusionsforderungen, die in Form von Interessen formuliert werden, als auch die aus der kulturellen Nichtanerkennung erwachsenden Anerkennungsforderungen, die auf die Ebene des menschlichen Miteinanders verweisen, müssen nicht expliziert werden, um den (Demokratisierung fordernden) Subtext von gesellschaftlichen Konflikten zu bilden: Auch gegenüber der traditionellen Unterscheidung von intentionalen und nichtintentionalen Formen des sozialen Konfliktes verhält sich der vorgeschlagene Begriff [des sozialen Kampfes; B.S.] neutral, da er keine Aussage darüber trifft, in welchem Maße sich die Akteure über die moralischen Alltriebsmotive ihres eigenen Handelns bewußt zu sein haben; hier sind vielmehr auch unschwer solche Fälle vorzustellen, in denen soziale Bewegungen den moralischen Kern ihres Widerstandes gewissermaßen dadurch intersubjektiv verkennen, daß sie ihn von sich aus in der unangemessenen Semantik von bloßen Interessenkategorien auslegen (Honneth 1994b: 261).
181
181 Allerdings kann dies - gerade in Bezug auf die „identity politics" - auch genau umgekehrt sein. Das widerspricht dem Argument allerdings in keiner Weise. Vgl. auch die Ausfuh219
In diesem Sinne kann auch von sozialen Kämpfen, die vordergründig nicht oder nur in sehr begrenztem Maße in Form von rationalen Diskursen geführt werden, eine demokratisierende Wirkung ausgehen. Allerdings steht zu vermuten, dass diese Wirkung desto größer sein kann, je bewusster sich die Beteiligten darüber sind, dass diese Ebenen mitspielen. Das wiederum verweist auf einen Bereich sozialwissenschaftlicher Forschung, der sich unmittelbar an diese Ausführungen anschließt, an dieser Stelle aber schlechterdings nicht mehr als Erwähnung finden kann: Wenn es auf der einen Seite richtig ist, dass „die autonome Praxis nur gelingen kann, wenn sich der Prozeß der Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung unter allgemeine Normen stellen kann, die ihm selber in gewisser Weise unverfügbar bleiben" (Schmalz-Bruns 1995: 126), so ist auf der anderen Seite zu fragen, worin diese allgemeinen Normen bestehen, wie sie entstehen und wo sie verankert sind. Wenn der erfahrbare soziale und politische Bezugsrahmen relevanter Teile der Bevölkerung in der Hauptsache von Exklusion und Marginalität geprägt ist (und dies noch nicht einmal von einem auch Werte vermittelnden Erziehungs- bzw. Bildungssystem relativiert wird), scheidet er wahrscheinlich als Träger dieser Normen aus. Wenn weiterhin der abstrakte juristische Rahmen der Verfassung und ihrer Gesetze zwar solche allgemeinen Normen beinhaltet oder sich sogar auf sie gründet, dieser Rahmen aber mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen gerade aufgrund des sozialen und politischen Bezugsrahmens kontrastiert, vermag auch er wahrscheinlich nicht die Kraft entfalten, die für das Gelingen der autonomen Praxis erforderlich wäre. Sind diese Überlegungen plausibel, kann die Hoffnung nur noch auf der demokratisierenden Wirkung demokratischer Praxis ruhen. Die Uberzeugung, dass diese Hoffnung nicht unberechtigt ist, bildet zwar in gewisser Weise auch die Grundierung der vorangegangenen Ausfuhrungen, kann aber weder empirisch noch theoretisch in ausreichender Form plausibilisiert werden.182 In gewisser Weise spiegelt sich die Ergebnisoffenheit des demokratischen Prozesses selbst notwendigerweise auch in jeder Untersuchung hinsichtlich der Chancen, Möglichkeiten und Begrenzungen der Demokratie wider. In diesem Sinne hofft die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zur grundsätzlich unabschließbaren Selbstaufklärung der Demokratie zu leisten, der sich die normative Demokratietheorie ja verpflichtet sieht. Der Versuch der Überwindung bestimmter eurozentrischer und thematischer bzw. methodischer Verengungen, der diese Arbeit mit motiviert, bedeutet für die Demokratietheorie eine Möglichkeit, der rungen Arantes' zur taktischen Evozierung kollektiv induzierter Selbst- und Weltsichten in Kapitel 6.2 (Arantes 1999: 149).
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Verwiesen sei in diesem Zusammenhang nur auf die Forschung zu John Dewey (vgl. Schmalz-Bruns 1998: 431-438; 1995: 213-223; Honneth 1999; Krüger 1999; Putnam/Putnam 1999). Diese Ansätze beziehen sich nicht auf periphere Gesellschaften; ich denke allerdings, dass die in der hier vorliegenden Untersuchung erarbeiteten Begrifflichkeiten auch in dieser Hinsicht Anknüpfungspunkte bieten könnten.
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Verwirklichung ihrer eigenen Ansprüchen ein wenig näher zu kommen - und zwar sowohl in theoretischer wie auch in normativer Hinsicht. Dabei ist, so hoffe ich, auch deutlich geworden, dass die Frage der Demokratisierung von (nicht nur, aber gerade auch peripheren) Gesellschaften von den unmittelbaren Lebenswirklichkeiten der Menschen unabtrennbar ist. Diese Wirklichkeiten wiederum sind durch vielschichtige Kontexte geprägt, zu denen sozioökonomische Bedingungen genauso wie kulturelle Bezüge, kollektive Identitäten und politisch-institutionelle Rahmenbedingungen gehören. Die Sinn- und Bedeutungszusammenhänge, die sich aus diesen Kontexten entwickeln und gleichzeitig Teil dieser Kontexte sind, bilden wiederum die Grundlage für kollektives wie individuelles Handeln. Insofern solches Handeln potenziell politisch ist, richtet es sich auf die Veränderung der Lebenswirklichkeiten. Demokratie muss sich in normativer Hinsicht daran messen lassen, inwiefern sie solche Bestrebungen nach Veränderung zulassen kann und offen ist für tatsächlich daraus resultierende Veränderungen - sofern diese dem demokratischen Gedanken selbst nicht zuwiderlaufen.
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