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German Pages 400 [404] Year 1999
Rolf Kießling, Sabine Ullmann (Hg.)
Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit
Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg Colloquia Augustana Herausgegeben von Johannes Burkhardt und Theo Stammen
Band 10
Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Rolf Kießling und Sabine Ullmann Redaktion: Ute Ecker-Offenhäußer und Theresia Hörmann
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung durch den Bezirk Schwaben
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit / hrsg. von Rolf Kießling und Sabine Ullmann. - Berlin : Akad. Verl., 1999 (Colloquia Augustana ; Bd. 10) ISBN 3-05-003402-5
ISSN 0946-9044 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1999 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Vorwort
Sammelbände gehen in der Regel auf Tagungen zurück, sie dokumentieren den gemeinsamen wissenschaftlichen Diskurs über ein Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nicht so im vorliegenden Fall: Der Band entstand im Laufe einer längeren Zeitspanne am Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte. Die Geschichte des Landjudentums in Schwaben gehörte schon seit den späten 80er Jahren zu den bevorzugten Forschungsgegenständen des derzeitigen Lehrstuhlinhabers und fand auch bei den Studierenden ein hohes Maß an Interesse, so daß seit 1991 eine Reihe von akademischen Abschlußarbeiten entstand. Der Gedanke lag nahe, ihre Erträge nicht in den Katakomben des Prüfüngsamtes verschwinden zu lassen, zumal in ganz erheblichem Maße darin neue archivalische Quellen erschlossen worden waren. Und das Thema zog weitere Kreise: Nach einer ersten Tagung des 'Instituts für Europäische Kulturgeschichte' 1992 (vgl. Colloquia Augustana Bd. 2) führten vielfältige Kontakte mit Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland zu neuen Beobachtungen aus unterschiedlichen Forschungsfeldern, so daß schließlich die Überlegung reifte, diese Erweiterung der Kenntnisse zum Landjudentum in Schwaben und Süddeutschland der Öffentlichkeit zugänglich zu machen - nicht nur als eine 'Buchbindersynthese', sondern im Sinne von Perspektiven, die nach unserer Überzeugung die weitere Forschung anregen könnten. Ob dies gelungen ist, müssen die Leser entscheiden. Für uns als Herausgeber des Bandes gilt es an dieser Stelle Dank zu sagen: zunächst den Autoren, die zum Teil erhebliche Geduld aufbringen mußten, da sich die Umsetzung der Konzeption doch länger hinzog, als ursprünglich beabsichtigt (und versprochen) war; sodann den beiden Redakteurinnen - anfangs Ute EckerOffenhäußer, in der Schlußphase Theresa Hörmann die aus den technisch sehr unterschiedlichen 'Rohprodukten' geduldig ein einheitliches 'Bild' nach unseren Vorstellungen schneiderten; schließlich den verantwortlichen Gremien des 'Instituts für Europäische Kulturgeschichte' und den Herausgebern der 'Colloquia Augustana', daß sie den Band im Vertrauen auf den zu erwartenden Gehalt in die Reihe aufgenommen haben; und nicht zuletzt dem Verlag und seinem Lektor Manfred Karras für die problemlose und zügige Kooperation bei der Herstellung. Dankbar hervorgehoben sei abschließend die großzügige finanzielle Unterstützung durch den Bezirk Schwaben. Augsburg, im April 1999
Rolf Kießling, Sabine Ullmann
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Einfuhrung Rolf Kießling und Sabine Ullmann
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I. Recht und Politik Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau von 1534 Rosemarie Mix
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Ortsherrschaft und jüdische Gemeinde als Vertragspartner: Der Burgauer Rezeß von 1717 für Ichenhausen Susanne Höhnle
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Juden in fuggerischen Herrschaften Dana V. Koutnà
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Bitten um den Schutz: Staatliche Judenpolitik und Lebensführung von Juden im Lichte von Schutzsupplikationen aus der Markgrafschaft Baden(-Durlach) im 18. Jahrhundert André Holenstein
97
II. Gemeinde und Sachkultur Gemeinschaft, Konflikt und Wandel. Jüdische Gemeindestrukturen im Deutschland des 15. Jahrhunderts Dean Phillip Bell
157
Ungleiche Partnerschaft. Simon Günzburg und die erste Ansiedlung von Juden vor den Toren Augsburgs in der Frühen Neuzeit Stefan Rohrbacher
192
Eine süddeutsche jüdische Textilie aus dem frühen 17. Jahrhundert Katia Guth-Dreyfus
220
Jüdische Sachkultur in burgauischen Landgemeinden bis zur Emanzipation Annette Weber
235
III. Koexistenz und Kooperation Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Hans-Jörg Künast
277
'Leihen umb fahrend Hab und Gut' Der christlich-jüdische Pfandhandel in der Reichsstadt Augsburg Sabine Ullmann
304
Aspekte christlich-jüdischer Wirtschaftsgeschichte am Beispiel der Reichsgrafschaft Thannhausen Bernhard Stegmann
336
Zwischen Integration und Ausgrenzung: Juden in der oberrheinischen Kleinstadt Emmendingen 1680 -1800 Michaela Schmölz-Häberlein
363
Abbildungsnachweis
399
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
401
Abkürzungsverzeichnis
BA BayHStA BL BSB CAHJP Harburger Diss. FA fl. fol. GLAK hebr. HHStA HRG
HZ JHVD JMS JO kr. KU Lit. Masch. PfarrA RGA RKG RPO StaatsA StadtA SuStB ZBLG ZHF ZHVS ZGO NF
Bezirksamt Bayerisches Hauptstaatsarchiv British Library Bayerische Staatsbibliothek Central Archives for the History of the Jewish People Photosammlung Theodor Harburger Dissertation Fugger-Archiv Gulden Folium Badisches Generallandesarchiv, Karlsruhe hebräisch Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. 5 Bde. Berlin 1971-1998 Historische Zeitschrift Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen Jüdisches Museum der Schweiz, Basel Judenordnung Kreuzer Klosterurkunde Literalien maschinenschriftlich Pfarrarchiv Rechtsgutachten (rabbinische Responsa) Reichskammergericht Reichspolizeiordnung Staatsarchiv Stadtarchiv Staats- und Stadtbibliothek Augsburg Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Neue Folge
Einführung Rolf Kießling und Sabine Ullmann
Es besteht weitgehend Konsens in der Erforschung der deutsch-jüdischen Geschichte, daß die Phase des frühneuzeitlichen Landjudentums zu den bislang am wenigsten bekannten gehört. Monika Richarz' bilanzierende Feststellung von 1992, "daß die Erforschung der Landjuden lange vernachlässigt wurde und heute noch immer fast am Anfang steht",1 kann sicher nicht mehr in gleichem Maße gelten, da die Zahl der Untersuchungen in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen hat.2 Und doch erscheint vieles noch zu punktuell, als daß wir schon von einem klaren Bild sprechen könnten. Gerade die Variationsbreite der Phänomene, die immer wieder neuen überraschenden Entdeckungen, fuhren uns vor Augen, daß die wenigen Konturen, die bislang erkennbar wurden, noch keineswegs die volle Spannbreite des Spektrums abdecken können,3 sondern vielmehr weitere Detailuntersuchungen nötig sind, bevor eine Gesamtschau erstellt werden kann. 1
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Monika Richarz: Die Entdeckung der Landjuden. Stand und Probleme ihrer Erforschung am Beispiel Südwestdeutschlands. In: Landjudentum im süddeutschen- und Bodenseeraum. Dornbirn 1992 (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs. Bd. 11). S. 11-21, hier S. 19. Vgl. jetzt auch diess.: Ländliches Judentum als Problem der Forschung. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Monika Richarz und Reinhard Rürup. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des LeoBaeck-Instituts. Bd. 56). S. 1-8. Vgl. etwa: Jörg Deventer: Das Abseits als sicherer Ort? Jüdische Minderheit und christliche Gesellschaft im Alten Reich am Beispiel der Fürstabtei Corvey 1550-1807. Paderborn 1996 (Forschungen zur Regionalgeschichte. Bd. 21); Cilli Kasper-Holtkotte: Juden im Aufbruch. Zur Sozialgeschichte einer Minderheit im Saar-Mosel-Raum um 1800. Hannover 1996 (Forschungen zur Geschichte der Juden. Bd. A/3); Rotraud Ries: Jüdisches Leben in Niedersachsen im 15. und 16. Jahrhundert. Hannover 1994 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Bd. 13). Noch die jüngste zusammenfassende Darstellung von Mordechai Breuer: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne. In: Ders./Michael Graetz: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. I: Tradition und Aufklärung 1600-1780. München 1996. S. 85-247, widmet den Erscheinungsformen der Landjuden nur wenige Seiten.
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Rolf Kießling und Sabine
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Dabei wird weiterhin dem deutschen Südwesten eine zentrale Rolle zukommen müssen, konzentrierten sich doch hier die Siedlungen der 'Dorf- und Kleinstadtjuden'4 auf relativ engem Raum, nachdem die Ausweisung aus den meisten Reichsstädten und vielen Territorien in der dortigen 'politischen Kleinkammerung' Nischen für das Überleben bot. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, die Komplexität jüdischen Lebens auf dem Lande weiter zu beleuchten. Entstanden im Rahmen eines Forschungsprojekts am Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg, vereinigt er nach einer ersten Vermessung der Forschungslandschaft im Jahre 19925 Beiträge unterschiedlicher Provenienz, die geeignet erscheinen, aus verschiedenen Perspektiven unsere Kenntnisse über die politisch-rechtlichen, ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen der südwestdeutschen Landjuden zu vertiefen. Zum einen handelt es sich um die Erträge akademischer Abschlußarbeiten an der Universität Augsburg in den Aufsätzen von Susanne Höhnle, Rosemarie Mix, Bernhard Stegmann sowie Sabine Ullmann; die darin geleistete Erschließung neuer archivalischer Quellen und ihre Verortung sollte unter der ursprünglichen Autorschaft veröffentlicht werden. Sie fanden eine willkommene Erweiterung durch Forschungen aus dem Augsburger Umkreis zu Schwaben von Dana V. Koutnä und Hans-Jörg Künast. Zum anderen boten die Kontakte zu verschiedenen Wissenschaftlern anderer Universitäten, die sich mit der jüdischen Geschichte in Schwaben beschäftigen bzw. ihre Funde dort verankern konnten, eine Ausdehnung des Horizonts auf die innere Sicht der jüdischen Gemeinden in den Studien von Stefan Rohrbacher und Dean Phillip Bell sowie in den beiden Studien zur jüdischen Sachkultur von Katia Guth-Dreyfus und Annette Weber. Zum dritten ermöglichte die räumliche Ausweitung nach Baden mit den Beiträgen von Michaela Schmölz-Häberlein und André Holenstein, eine vergleichende Dimension einzubringen. Der Band vereinigt somit aktuelle Ergebnisse zum Themenkomplex Landjudentum, die aus unterschiedlichen Projekten und Forschungszusammenhängen bzw. fachhistorischen Perspektiven entstanden sind. Er spiegelt zugleich das breite Spektrum methodischer Zugangsweisen wider, das eine adäquate Erfassung des Phänomens ermöglicht: Durch die Zusammenarbeit von Landesgeschichte, Judaistik, Kunstgeschichte und nicht zuletzt der modernen Sozialgeschichte wird somit eine facettenreiche Betrachtungsweise anvisiert, die dem Gegenstand erst gerecht wird. Drei zentrale Aspekte der gegenwärtigen Diskussion sollen mit dem Band angesprochen werden, bei denen Spezifika des deutschen Südwestens zutage treten:
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Werner Cahnmann: Der Dorf- und Kleinstadtjude als Typus. In: Zeitschrift für Volkskunde 70. 1974. S. 169-193. Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2).
Einführung
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die Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in bezug auf 'Recht und Politik', ihre Binnenstrukturen in 'Gemeinde und Sachkultur' sowie das Zusammenleben von Juden und Christen im Spannungsfeld von 'Koexistenz und Kooperation'. Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen setzen zunächst an einem Typus von Territorialität an, der im 'offenen' Südwesten des Alten Reiches besondere Relevanz erhält. Die Markgrafschaft Burgau war zweifellos ein besonders ausgeprägter Fall eines 'territorium non clausum' und stellt damit einen Gegenpol zu den weitgehend geschlossenen Herrschaften dar, die lange Zeit im Mittelpunkt der Forschung standen. Es erscheint deshalb nicht zufällig, daß diese Markgrafschaft Burgau zu den Pilotprojekten gehörte, die zur Vorbereitung der auf der Basis der Territorialität aufbauenden 'Germania Judaica IV' dienten. Diese andersartige Ausgangssituation etwa gegenüber der 'klassischen' Pionierarbeit von Selma Stern über Preußen6 oder den Studien von Friedrich Battenberg über Hessen7 bestimmten auch den Ansatz des Augsburger Forschungsprojekts. 8 Dabei lassen sich im Hinblick auf die rechtspraktische Relevanz des Schutzjudenstatus relativ weitreichende Dimensionen erschließen, wenn die jüdischen Gemeinden nicht nur als Objekte einer rechtlosen Minderheit oder Randgruppe, 9 sondern durchaus als selbstbewußte Partner wahrgenommen werden. Zugleich bedingten die miteinander konkurrierenden Rechtsebenen einen komplexen Entstehungsprozeß landesherrlicher und ortsherrschaftlicher Judengesetzgebung, der sowohl vielfältige Typen von Rechtsdokumenten als auch neue Verfahrensformen der Rechtsfindung hervorbrachte. Ein bedeutsames Charakteristikum läßt sich schon darin erkennen, daß in der Markgrafschaft Burgau nur ein früher Anlauf 1534 gemacht wurde, eine Ju6
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Vgl. Selma Stern: Der preußische Staat und die Juden. Die Zeit Friedrichs des Großen. Erste Abteilung. Darstellung. Berlin 1995 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts. Bd. 24/1). Vgl. Friedrich Battenberg: Judenordnungen der frühen Neuzeit in Hessen. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983. S. 83-122; ders.: Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Das Judenrecht eines Reichsfurstentums bis zum Ende des Alten Reiches. Eine Dokumentation. Wiesbaden 1987. Vgl. Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Ders. (Hg.): Judengemeinden in Schwaben (Anm. 5 ). S. 154-180; inzwischen liegt auch eine erste Dissertation vor mit Sabine Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in den Dörfern der Markgrafschaft Burgau 16501750 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 151). Im Druck. So noch die Einstufung von Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993. S. 23-40. Ebenso die aktuelle Zusammenfassung von Wolfgang von Hippel: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit. München 1995 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 34). S. 40f. Zur Kritik am Randgruppenkonzept für das Spätmittelalter jetzt auch: Gerd Mentgen: 'Die Juden waren stets eine Randgruppe'. Über eine fragwürdige Prämisse der aktuellen Judenforschung. In: Liber Amicorum necnon et Amicarum für Alfred Heit. Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde. Hg. von Friedhelm Burgard/Christoph Cluse/Alfred Haverkamp. Trier 1996 (Trierer Historische Forschungen. Bd. 28). S. 393-411.
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Rolf Kießling und Sabine Ullmann
denordnung zu etablieren, die hier erstmals ediert wird. ROSEMARIE MIX kann dabei zeigen, daß es sich nicht um einen einseitigen Erlaß handelte, sondern um ein Ringen der Konfliktparteien, so daß an der Entstehung alle Betroffenen beteiligt waren: der Landesherr, der selbständige Adel und die Judenschaft. Dieses Gegenbild zu den frühen Judenordnungen geschlossener Territorien - wie etwa Hessen spiegelt sich aber auch auf der inhaltlichen Ebene wider: die Beschränkung auf die Modalitäten der Gerichtszuständigkeit und einige policeyliche Aspekte, die Gewährung relativ großzügiger Handlungsspielräume, gleichzeitig aber auch der Verzicht etwa auf die Regelung religiöser Konfliktfelder zeigt deutlich einen Kompromißcharakter. Bezeichnenderweise war auch die Umsetzung in die Praxis von erheblichen Schwierigkeiten begleitet, und schließlich sah man aufgrund der Konkurrenz um das Judenschutzrecht ganz von einer territorialen Judenordnung ab. An diesem Punkt wird auch der sog. Burgauer Rezeß von 1717 für Ichenhausen bedeutsam, dokumentiert er doch auf der Ortsebene die jüdische Gemeinde als Vertragspartner der Herren vom Stain. SUSANNE HÖHNLE ordnet ihn als Höhepunkt einer Entwicklung ein, die von der frühen Ansiedlung über den gescheiterten Vertreibungsversuch der Stain 1622/23 die schrittweise Konsolidierung der Gemeinde mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund gewinnt das zentrale Dokument seinen Stellenwert: Die Landesherrschaft fungierte als Schlichtungsinstanz in einem Verfahren, in dem die jüdische Gemeinde mit dem Ortsherren einen Vertrag schloß, in dem die ganze Palette der anstehenden Fragen von der Ansiedlung über das Aufenthaltsrecht, den Hausbesitz und die Abgaben sowie den Gerichtsstand bis zur Religionspraxis und zum Zusammenleben von Christen und Juden im Ort geregelt wurde. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, daß der Konflikt um die Nutzung des Judenregals zwischen Ortsherrschaft und Landesherrschaft den Handlungsspielraum der Schutzjuden nicht unerheblich erweitern konnte. Wie groß die Spannbreite innerhalb der gleichen Region ausfallen konnte, belegt das Beispiel der Fuggerherrschaften, deren Abwehrstrategien schon früher an der Herrschaft Emersacker sichtbar gemacht wurden.10 DANA V. KOUTNÄ gibt zunächst einen Überblick über die Überlieferung im Fuggerarchiv, die als charakteristisch für die Gesamtsituation gelten kann, nämlich das Fehlen von Akten jüdischer Provenienz und die Streuung der Hinweise in Quellenbeständen der unterschiedlichsten Sachzusammenhänge - 'Judenakten' entstanden auch hier erst im Zuge einer Reorganisation des 19. Jahrhunderts. Aus diesem Fundus greift sie als entscheidenden Quellentypus für die Fuggerherrschaften, in denen das Judenregal nicht ausgeschöpft wurde und folglich weder Schutzbriefe noch Judenordnungen produziert wurden, auf antijüdische Privilegien zurück, die Ergebnis einer 'negati10
Vgl. Dana V. Koutnä: Emersacker im späten 17. Jahrhundert. Bemerkungen zu der jüdischen Gemeinde. In: Zeitschrift des historischen Vereins für Dillingen 93. 1991. S. 404-419.
Einfìihrung
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ven' Judenpolitik waren und generelle Handelsverbote der eigenen Untertanen mit Schutzjuden der umliegenden Herrschaften beinhalteten. Doch auch hier ist eine Diskrepanz zwischen Norm und Praxis im Wirtschaftssektor zu konstatieren, da sich im Laufe des 17. Jahrhunderts eine 'Liberalisierung', d.h. Duldung der Handelskontakte einstellte. Neue methodische Wege schlägt ANDRÉ HOLENSTEIN ein. Mit seiner Analyse der jüdischen Supplikationen in der Markgrafschaft Baden-Durlach demonstriert er, daß die Erteilung der Schutzbriefe kein Akt eines obrigkeitlichen Gnadenerweises allein war, sondern ein administrativer Vorgang, auf den auch die Juden selbst Einfluß nehmen konnten. Zugleich eröffnet sich aber auch über die Argumentationsfiguren ein Einblick in die subjektive Welt: die Suppliken stellen in gewisser Weise 'Ego-Dokumente' dar und zeigen, daß die Schutzbrieferteilung eine entscheidende Weichenstellung für die Lebensplanung bedeutete. Umgekehrt offenbaren die Reaktionen des Landesherrn bzw. seiner Administration die Motive politischen Handelns im Hinblick auf die Nutzung des Judenregals wie die Rücksichtnahme auf die Interessen der Christen und der bereits ansässigen Juden, aber auch eine gewisse Flexibilität und Spannbreite an Modifikationen, etwa bei der Gewährung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis oder dem Nachlaß der Gebühren für Witwen. Der Status der Schutzjuden im deutschen Südwesten, so läßt sich der Tenor dieser Darstellungen zusammenfassen, war alles andere als einheitlich; er war aber auch nicht nur prekär i.S. einer willkürlichen Gewährung oder Verweigerung, einer Begrenzung oder Erweiterung der Handlungsräume, sondern konnte aus einem Wechselspiel der beteiligten Kräfte resultieren - inwieweit das die Regel war, wäre noch weiter zu untersuchen. Daß die Umsetzung im Bereich des Rechtsstatus flexibel gehandhabt wurde, muß gerade in diesem Kontext für die Einschätzung immer berücksichtigt werden. Der zweite Bereich der vorliegenden Fallbeispiele stößt mit Fragen zum Komplex der jüdischen Gemeinde in die inneijüdischen Strukturen vor. Trotz der insgesamt schwierigen Quellenlage, die auch im 'Medinat Schwaben'11 nur sporadische und punktuelle Einsichten zuläßt, ergeben sich auf zwei verschiedenen Wegen neue Zugangsmöglichkeiten: zum einen über die Analyse der Kräftefelder innerhalb der lokalen Gemeinden bzw. innerhalb der regionalen Autoritätsstrukturen, zum anderen über die Auswertung der jüdischen Sachkultur für den Ritus in Synagoge und Haus, die ihrerseits wiederum das Profil der Gemeinden widerspiegelt. 11
Vgl. Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: R. Kießling: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 5) S. 80109; ders.: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot [...] gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Hg. von Annette Weber u.a. Osnabrück 1997; ders.: Stadt und Land: Zur 'inneren' Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit. In: Jüdisches Leben auf dem Lande (Anm. 1) S. 37-59.
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Rolf Kießling und Sabine Ullmann
DEAN PHILLIP BELL nimmt dabei - im Anschluß an seine Dissertation12 - die spätmittelalterlichen traditionsreichen städtischen Gemeinden Augsburg, Regensburg, Ulm und Nürnberg ins Blickfeld. Anhand der nichtjüdischen Quellen konstatiert er zunächst eine gewisse Destabilisierung der Siedlungen gegenüber der christlichen Umwelt. Als Judaist greift er aber auch zur Charakterisierung der Gemeinden auf die Responsen süddeutscher Rabbiner des 15. Jahrhunderts zurück, um spezifische Merkmale und Konfliktpotentiale auszuloten. Die Dichotomie von Gemeinde und Parnasim, die Autoritätsansprüche und Kontroversen von Rabbinern - vor dem Hintergrund einer generellen Professionalisierung des Rabbinats - fuhren ihn dazu, als entscheidende Veränderungen die Resakralisierung der Gemeinden und die Regionalisierung der jüdischen Autoritätsstrukturen herauszustellen. Damit deuten sich auch von inneijüdischer Seite neue Akzente an, die wohl auch für die frühneuzeitliche Traditionsbildung von Bedeutung waren, auch wenn die massiven Gewaltmaßnahmen der Verfolgungen und Austreibungen den Bruch mit der mittelalterlichen Gemeinde bedingten.13 Mit der Studie von Bell wird jedenfalls die wichtige Übergangsphase des 15./16. Jahrhunderts neu thematisiert, die auch für Schwaben wohl endgültig nicht mehr als eine direkte Migrationsbewegung aus den (Reichs-) Städten auf die Dörfer interpretiert werden kann.14 Die komplexe Situation des Übergangs mit seinen erst spät und nur sporadisch faßbaren, vielfach noch sehr instabilen Aufenthalten einzelner Familien bildet den Hintergrund der Studie von STEFAN ROHRBACHER zu den ersten Hinweisen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts auf eine Ansiedlung in Oberhausen bei Augsburg. Der von ihm anhand hebräischer Quellen geschilderte Streit zwischen Simon von Günzburg und Nathan Schotten in den 60er und 70er Jahren bietet aber auch einen tiefen Einblick in die Struktur der jüdischen Gemeinden und in die Mechanismen des jüdischen Rechtswesens, bei dem vor allem die Behauptung der Eigenständigkeit Schwabens gegenüber dem übermächtigen Frankfurter Rabbinat heraussticht. Wenn gleichzeitig auch die christliche Obrigkeit (die Oberste Reichsgerichtsbarkeit und das bischöfliche Gericht) einbezogen wird, dann wird damit wohl auch deutlich, wie eng die konkreten Bedingungen jüdischer Existenz zu dieser Zeit bereits mit den Herrschaftsstrukturen der Frühneuzeit, d.h. vor allem mit dem Spannungsfeld von Reich und Territorien verknüpft waren. Der Zugangsweg, über die Kultobjekte in die Lebenswelt der jüdischen Gemeinden vorzudringen, erweist sich gerade für Schwaben als besonders ergiebig. 12
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Dean Phillip Bell: Community and Anti-Judaism: The Sacralization of the Late Medieval Commune in South Germany. Diss. Masch. Chicago 1995. Vgl. zusammenfassend jetzt dazu Michael Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich. München 1998 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 44). S. 118-120. Vgl. dazu auch Friedrich J. Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? Zur Vertreibung und Neuansiedlung der Juden im Heiligen Römischen Reich. In: Jüdisches Leben auf dem Lande (Anm. 1) S. 9-35.
Einfiihrung
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Zunächst widmet sich KATIA GUTH-DREYFUS einer Rarität: einem bestickten Bezug für ein Beschneidungskissen, das aufgrund seiner Stifter-Aufschrift der bekannten Familie Ulmo-Günzburg für das Jahr 1614 zugewiesen werden kann. Die Beschreibung der Ikonographie mit der Symbolik von Pflanzen und Tieren stellt nicht nur ein zentrales Kultereignis mit aufschlußreichen Details, wie einem schachspielenden Paar und einer Landsynagoge dar, sondern belegt etwa an einer Jagdszene, daß sich die Verknüpfung mit der christlichen Umwelt auch im Bereich der Sakralkunst niedergeschlagen hat. ANNETTE WEBER widerlegt anschließend mit ihrer Auswertung der Bilddokumentation von Theodor Harburger in umfassender Weise die These von den 'kulturlosen' Landjuden zumindest für den schwäbischen Bereich: Hinweise auf eine regionalspezifische Traditionsbildung ergeben sich schon aus den Genisafunden,15 der Gedächtniskultur in den Memorbüchern und Elementen eines eigenständigen Minhag. Ein ausgebildetes Selbstverständnis in den Dörfern vermag darüber hinaus die Auswertung der Kultgeräte in Synagoge und Haus eindrucksvoll zu untermauern. Die Siedlungen der Markgrafschaft Burgau überliefern eine besondere Vielfalt kostbarer Objekte, wobei die Stiftungen für die Gemeinde offenbar einen höheren Stellenwert gewannen als private Erwerbungen. Sie verweisen nicht nur auf die soziale Differenzierung zwischen einzelnen Landgemeinden im Medinat Schwaben selbst, sondern durch die Verbindung über die Stifter aus dem Hofjudentum mit den christlichen Produzenten tritt auch hier die Einbindung in die Umwelt zu Tage. Als wichtiges Charakteristikum erscheint dabei die Ausformung regionaler Stilelemente, unter denen nicht zuletzt die Reichsikonographie eine wichtige Rolle spielt, was daraufhinweist, daß gerade auch in dieser Region in der Frühneuzeit die ansonsten brüchig werdende Verbindung mit dem Kaisertum weiterläuft.16 Der dritte Bereich dieses Bandes thematisiert die Kontaktfelder zwischen Christen und Juden. Die Begriffe 'Koexistenz' und 'Kooperation' markieren dabei eine Komponente, die unter der in der Forschung aus der Retrospektive des Nationalsozialismus verständlicherweise lange Zeit dominierende Sicht der Verfolgung und Unterdrückung in den Hintergrund gedrängt wurde. Ohne dabei einem wie auch immer verstandenen 'Revisionismus' Vorschub leisten zu wollen,17 erscheint
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Vgl. dazu auch jüngst Falk Wiesemann: Torawimpel aus Ichenhausen. Ein bedeutender Fund jüdischer Zeremonialkunst in der ehemaligen Synagoge. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 87. 1994. S. 131-141; ders.: 'Verborgene Zeugnisse' der deutschen Landjuden. Eine Einführung in die Ausstellung. In: Genisa - Verborgenes Erbe der deutschen Landjuden. Katalog zur Ausstellung. Hg. von Falk Wiesemann. Wien 1992. S. 15-33. Vgl. dazu auch Rolf Kießling: Under des Römischen Adlers Flügel... Das schwäbische Judentum und das Reich. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997 (Irseer Schriften. Bd. 4). S. 79-101. Vgl. dazu Toch (Anm. 13) S.120-122.
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Rolf Kießling und Sabine
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es doch für die historische Forschung wichtig, auch die Formen des Zusammenlebens ins rechte Licht zu rücken.18 Daß dabei vor allem, aber nicht nur die ökonomischen Aspekte eine Rolle spielten, zeigt zunächst HANS-JÖRG KÜNAST. Der in seinen Forschungen zur Buchdruck- und Buchhandelsgeschichte19 verankerte Beitrag zum hebräischjüdischen Druck in Augsburg und Isny im 16. Jahrhundert vermag nicht nur eine hartnäckige Legende um einen angeblichen Drucker von Hebraica zu zerstören, sondern er zeichnet sehr genau die politischen und ökonomischen Bedingungsfaktoren nach, die im interregionalen Rahmen von Venedig bis Prag eine insgesamt erstaunlich breite Produktion in kurzer Zeit möglich machten: humanistische Gelehrsamkeit als Anstoß, strukturelle Faktoren des Marktes als Voraussetzung und personelle Beziehungen als Katalysator wirkten hier offenbar fruchtbar zusammen, wobei bemerkenswert erscheint, daß die Reichsstädte trotz einer generell restriktiven Politik gegen die Judenansiedlung in diesen speziellen Fällen keine Hindernisse in den Weg legten. Belegt dieses komplexe Beziehungsgefüge, daß die Kontaktbereiche über die Schlüsselfunktion der Handelstätigkeit auch in der Lage sein konnten, die bestehenden Vorurteile in den Hintergrund treten zu lassen, so wird die ökonomische 'Dienstleistung' des Pfandgeschäfts zwischen der Augsburger Bevölkerung und den Juden der schwäbischen Dörfer von SABINE ULLMANN erschlossen. Obwohl die Ratspolitik offiziell mit Hilfe von Privilegien und einer Vielzahl von Verordnungen auf die Eindämmung zielte, florierte dieser Handel, und anhand einer erhalten gebliebenen Liste für den Zeitraum von 1596 bis 1603 mit insgesamt 82 Pfandversetzungen läßt sich ein recht genaues Profil dafür zeichnen. Dabei wird aber deutlich, daß es sich nicht nur um ein Unterschichtenphänomen handelte, sondern daß diese Form der Kreditbeschaffung bis in die reichsstädtische Mittelund Oberschicht reichte und dabei vorwiegend die Stadtrandsiedlungen Pfersee bzw. Kriegshaber den Großteil der Kontakte herstellten und nicht zuletzt Augs-
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Vgl. dazu auch die folgenden neuen Ansätze für das Mittelalter: Alfred Haverkamp: 'Convilitas' von Christen und Juden in Aschkenas im Mittelalter. In: Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. Robert Jütte/Abraham P. Kustermann. Wien u.a. 1996 (Aschkenas. Beiheft. Bd. 3). S. 103-137; und für die Frühe Neuzeit: Friedrich J. Battenberg: Zwischen Integration und Ségrégation. Zu den Bedingungen jüdischen Lebens in der vormodernen christlichen Gesellschaft. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden. 6. 1996. S. 421-454; In and out of the Ghetto. Jewishgentile relations in late médiéval and early modern Germany. Ed. Ronnie Po-chia Hsia/Hartmut Lehmann. Cambridge 1995; Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1997. Vgl. Hans-Jörg Künast: "Getruckt zu Augspurg". Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. Tübingen 1997 (Studia Augustana. Bd. 8).
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burger Bürger als Zwischenhändler und Kooperationspartner der jüdischen Kreditgeber fungierten.20 Geht man dagegen weiter auf das 'flache Land' hinaus, so ergeben sich Verschiebungen in Richtung auf andere Funktionen, die den spezifischen Bedingungen der Agrarökonomie angepaßt waren. BERNHARD STEGMANNS Analyse der Judengemeinde im Marktort Thannhausen fuhrt ein Beispiel vor Augen, das einerseits als typisch für die Markgrafschaft Burgau, andererseits für eine kleine Reichsritterschaft gelten kann und damit die Konstellationen spiegelt, die für Schwaben am häufigsten auftreten - auch wenn mit dem Ort als Sitz des Landesrabbinats und als weiterer Druckort von hebräischen Büchern im ausgehenden 17. Jahrhundert zusätzliche Elemente einer zeitweise herausgehobenen Funktion anklingen. Die Entfaltung der Ansiedlung in enger unmittelbarer Nachbarschaft mit den Christen innerhalb des Ortes wie die wirtschaftliche Funktion mit dem typischen Kleinhandel und der Kreditvergabe auf dem Land (und nur wenigen Ansätzen zur Erweiterung der Palette durch einen Getreidegroßhandel) lassen vor allem in der Konsolidierungsphase nach dem Dreißigjährigen Krieg die zentrale Bedeutung der Judendörfer für die Infrastruktur erkennen. Die Rahmenbedingungen tendieren demgemäß mehr auf die Kontrolle mit den zeittypischen Erscheinungsformen - etwa dem Protokollierungszwang - als auf die generelle Unterbindung der jüdischen Wirtschaftstätigkeit, auch wenn daneben der charakteristische Kanon ökonomischer Restriktionen auf die langfristige Wirksamkeit antijüdischer Legenden und die damit verbundenen klassischen Konfliktfelder verweist. Eine Vergleichsmöglichkeit zu diesem Fallbeispiel bietet das badische Amtsstädtchen Emmendingen, das MICHAELA SCHMÖLZ-HÄBERLEIN unter die Lupe nimmt. Ihr Versuch einer breit angelegten 'Gesamtanalyse' offenbart neben den zu den schwäbischen Judendörfern ganz parallelen Aspekten der Siedlungsentwicklung und der Geschäftskontakte - bei denen auffällt, daß Juden nicht selten bei Christen verschuldet waren - , auch die typischen Konfliktfelder aus dem Alltagsleben wie Weidestreitigkeiten21 und Auseinandersetzungen um das Schächten, dazu die Reibungsflächen mit der Obrigkeit. Die allgemeine Abwehr fremder Konkurrenz konnte dabei auch ansässige Schutzjuden und Emmendinger Bürger zusammenführen, während die Konversion des Vorsingers Isaak Zadock andererseits die Grenzen aufzeigt, da ihm eine Integration in die christliche Gesellschaft nicht gelang - räumliche Nähe, Kontakte und Kooperationen stellten keine Garantie dafür dar. Badische Kleinstadt und schwäbische Dörfer bzw. Märkte wiesen somit 20
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Vgl. zu dieser Lagetypologie jetzt ausfuhrlich S. Ulimann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 8). Vgl. dazu auch Sabine Ullmann: Der Streit um die Weide. Ein Ressourcenkonflikt zwischen Christen und Juden in den Dorfgemeinden der Markgrafschaft Burgau. In: Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.-18. Jahrhundert). Hg. von Mark Häberelein. Konstanz 1999 (Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven. Bd. 2). S. 99-136.
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Rolf Kießling und Sabine Ulimann
ein hohes Maß an Übereinstimmung auf - ein Ergebnis, das nicht zuletzt erneut dazu auffordert, den Begriff des Landjudentums in einem weiteren Sinne zu gebrauchen und auch die Kleinstädte in den Forschungsgegenstand miteinzuschließen. Die drei Zugangswege zum Landjudentum im deutschen Südwesten, die in diesen Beiträgen eingeschlagen wurden, haben, so meinen wir, eine Reihe von Aufschlüssen gebracht: solche grundsätzlicher Art wie der Hinweis auf den Typ des 'territorium non clausuni' als gewichtigem zweiten Pol innerhalb des Spektrums der Rahmenbedingungen jüdischer Existenz, andere regionaler Art wie die reiche Überlieferung von Kultgegenständen eines keineswegs armen und 'kulturlosen' Judentums oder die Kooperation im Buchhandel, schließlich auch Konkretisierungen von Bekanntem wie die wichtigen ökonomischen Funktionen der Landjuden für die ländliche (aber auch die städtische!) Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Daß daneben nach wie vor eine Reihe von Lücken gefüllt werden muß, bis wir zu einem gleichermaßen umfassenden wie differenzierten Bild gelangen, ist den Herausgebern wohl bewußt - unsere Bemühungen im Rahmen des Forschungsprojekts zum Landjudentum in Schwaben sind daher noch keineswegs am Ende.
I. Recht und Politik
Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau von 1534* Rosemarie Mix
Nichtdestminder sein wir [die Gesandten der Reichsstadt Augsburg auf den Regensburger Reichstag] wie obsteen gestern sampt Hern Löble zu gemelten unsern gen. herrn Bischof von Augspurg ganngen, der haben wir sein f . gn. hern beratschlagt ain Suplication an ky. m. zustellen, etlich Ursachen anzuzaigen undzubegern die Juden aus der marggraffschaft zuvertreyben [...].' Diese Maximalforderung, alle Juden aus der Markgrafschaft Burgau auszuweisen, wurde 1532 von adeligen Herrschaftsträgern in der Nachbarschaft dieses Gebiets als Ziel formuliert, das im Rahmen von Verhandlungen mit dem Kaiser auf dem Reichstag in Regensburg erreicht werden sollte. Möglicherweise ist diese Äußerung als Reaktion auf die Initiative von Josel von Rosheim zu verstehen, der zwei Jahre zuvor auf dem Augsburger Reichstag versucht hatte, mit einer Ordnung die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Judenschaft im Reich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Sein Ziel war eine Konsolidierung der Lebensbedingungen durch die Festschreibung von Rechten und Pflichten.2 Aus dem Ringen unterschiedlicher Interessenvertreter mit gegenläufigen Zielsetzungen entstand als Ergebnis der Auseinandersetzungen für den Raum der Markgrafschaft Burgau 1534 eine Judenordnung, die als Kompromiß verschiedener Parteien zu *
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Es handelt sich bei diesem Aufsatz um die erweiterte Fassung eines Kapitels aus meiner Zulassungsarbeit. Vgl. Rosemarie Mix: Wider der Juden und Jüdinen wuocherliche Gesuoch, Contract und handlungen. Die kaiserlichen Privilegien für die Reichsstädte Ulm, Memmingen und Augsburg und die geistlichen Territorien Wettenhausen und Roggenburg als restriktive Maßnahmen gegenüber den Juden in der Markgrafschaft Burgau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zulassungsarbeit. Universität Augsburg 1993. S. 23-27. StadtA Augsburg. Literalien 1532 (Januar-Juli). Brief vom 16. April 1532. Vgl. dazu Rolf Kießling: Under deß Römischen Adlers Flügel... Das Schwäbische Judentum und das Reich. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997 (Irseer Schriften. Bd. 4). S. 221-253, bes. S. 221f. Selma Stem: Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. München 1959. S. 79-101.
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interpretieren ist. Damit wurde ein 'modus vivendi' gefunden, ohne daß die Forderung nach der Vertreibung der Juden umgesetzt worden wäre. Im folgenden wird versucht, das komplexe Motivgeflecht zu entwirren. Innerhalb der Forschungen zur jüdischen Geschichte in der Frühen Neuzeit bildet der Fragenkomplex zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einen eigenen Schwerpunkt. Neue Impulse gingen dabei bislang vor allem von den Untersuchungen3 und Quelleneditionen4 Friedrich Battenbergs aus, der exemplarisch für das 'geschlossene' Territorium der Landgrafschaft Hessen bzw. des Großherzogtums Hessen-Darmstadt die Entwicklungslinien vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nachzeichnete. Die herrschaftsrechtlichen Voraussetzungen führten in diesem Raum zu einer relativen Kontinuität, die sich im Erlaß einer Reihe von Judenordnungen niederschlug. Die für Hessen vorliegenden Ergebnisse dienen im folgenden als Bezugsrahmen für die Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in der Markgrafschaft Burgau im 16. Jahrhundert. Dabei ist das früheste Rechtsdokument, das eine landesherrliche Judenpolitik in diesem herrschaftlich zersplitterten Territorium widerspiegelt, die Ordnung von 1534. Allein dieser frühe Zeitpunkt ihres Entstehens weist ihr eine herausragende Bedeutung im Vergleich mit anderen landesherrlichen Erlassen zu.5 Darüber hinaus zeichnet sich jedoch nach dem bisherigen Stand der Forschung ab, daß sie in der Markgrafschaft Burgau auch singulär geblieben ist.6 Dieser erste Befund wirft die Frage auf, warum es im weiteren Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts der Landesherrschaft nicht mehr gelang, umfassende Regelungen zu erlassen - und das in einer Zeit, die andere Territorialherren dazu nutzten, um unsicher gewordenes Recht zu vereinheitlichen und zu kodifizieren. Es ist daher erstaunlich, daß die Judenordnung trotz ihrer außergewöhnlichen Stellung bisher in der Literatur kaum Beachtung gefunden hat.7 Diese Ausgangslage lenkt die Untersuchung dahinge3
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Friedrich Battenberg: Zur Rechtsstellung der Juden am Mittelrhein in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 6. 1979. S. 129-183; ders.: Judenordnungen der frühen Neuzeit in Hessen. In: Neuhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Hg. von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983. S. 83-122. Friedrich Battenberg: Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Das Judenrecht eines Reichsfürstentums bis zum Ende des Alten Reiches. Eine Dokumentation. Wiesbaden 1987 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Bd. 8). Neben der Ordnung Landgraf Philipps des Großmütigen von 1539 für Hessen erwähnt Battenberg lediglich die Ordnung Kurfürst Ludwigs V. von der Pfalz von 1515 als eine der ersten umfassenden judenrechtlichen Kodifikationen. Vgl. F. Battenberg: Judenordnungen der frühen Neuzeit in Hessen (Anm. 3) S. 88. R. Kießling: Judentum (Anm. 2) S. 235. Außer in der Publikation von R. Kießling: Judentum (Anm. 2) und ders.: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 154-180, bes. S. 161 f. wurde sie bisher kaum rezipiert, auch nicht in der älteren lokalgeschichtlichen Forschung. Einen ersten Zugang ver-
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hend, daß die einzelnen Verfügungen der Judenordnung, die untereinander nicht logisch gegliedert sind und deren Auswirkungen unterschiedliche Tragweite hatten, in drei große Gruppen eingeteilt werden, die sich mit den Begriffen Handelsund Geschäftsverkehr, Gerichtszuständigkeit sowie Gewerbepolizei umschreiben lassen. Warum aber wurden gerade diese Bereiche geregelt? Welche Konfliktlagen verbergen sich dahinter? Weicht der Inhalt von späteren bzw. in hessischen Territorien erlassenen Judenordnungen ab oder weisen diese Rechtsdokumente einheitlichen Charakter auf? Und schließlich: Wie lassen sich die Unterschiede erklären? Antworten werden gesucht durch die kontrastive Analyse zweier Ordnungen, die für ihren Gültigkeitsbereich jeweils den Beginn der frühneuzeitlichen Judengesetzgebung markieren. Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau von 1534 wird untersucht vor dem Hintergrund der für die Landgrafschaft Hessen 1539 erlassenen Ordnung. Dieses Vorgehen scheint methodisch gerade auch durch die konfessionellen und herrschaftlichen Unterschiede vielversprechend zu sein: Der protestantischen Landgrafschaft Hessen, die sich im Verlauf der Frühen Neuzeit zum Kernbestand des weitgehend zentralistisch organisierten Großherzogtums Hessen-Darmstadt entwickelte,8 wird die katholisch gebliebene Markgrafschaft Burgau gegenübergestellt. In diesem politisch stark zersplitterten Gebiet konkurrierten neben der Landeshoheit, die in der Hand des Hauses Habsburg lag, adelige und geistliche Herrschaftsträger - die sogenannten Insassen - um die Arrondierung ihrer Rechte.9 So konnte in diesem Raum der Judenschutz zu einem Konfliktpunkt werden, an dem sich die Motive unterschiedlicher Interessenvertreter innerhalb dieses komplexen Beziehungsgeflechts herauskristallisierten. Deutlich herausarbeiten lassen sich diese nur anhand der Quellen, die im Umfeld der Judenordnung von 1534 überliefert sind. Vor allem der Schriftwechsel' 0 zwischen der Reichsstadt Augsburg und ihren Deputierten auf dem Reichstag von Regensburg 1532 erlaubt einen Einblick in die Interessenkonstellationen adeliger, geistlicher und städtischer Herrschaftsträger. Zentrales Dokument jedoch ist die
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suchte Susanne Braun: Von gemainer Judischhait in Schwaben. Der rechtliche Rahmen fiir das Leben der Juden in der Markgrafschaft Burgau, untersucht an den Beispielen Ichenhausen und Fischach. Zulassungsarbeit Augsburg 1991. S. 18-24. In der neuesten Veröffentlichung wird die Judenordnung im Kontext der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Markgrafschaft Burgau analysiert. Vgl. Sabine Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in der Markgrafschaft Burgau 1650-1750 (in Vorbereitung). Vgl. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 18. R. Kießling: Judentum (Anm. 2) S. 232f. Vgl. auch Wolfgang Wüst: Günzburg. Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Heft 13. München 1983. S. 51-72; ders.: 'Jus superioritas Territorialis'. Prinzipien und Zielsetzungen im habsburgisch-insässischen Rechtsstreit um die Markgrafschaft Burgau. In: Vorderösterreich in der frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier und Volker Press. Sigmaringen 1989. S. 209-228. StadtA Augsburg. Literalien 1532 (Januar-Juli). Briefe von Matthäus Langenmantel und Wolfgang Vogt an die Reichsstadt Augsburg (Karton ohne Numerierung des Bestands).
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Ordnung selbst, die als Kopie im Auslaufregister der Regierung von Vorderösterreich überliefert ist." Weitere Informationen zur Modifikation ihrer Regelungen und zum Vollzug enthalten die Anweisungen an die Beamtenschaft vor Ort, die sich für die Jahre unmittelbar vor und nach ihrer Entstehung erhalten haben.12
I. Die Entstehung der Judenordnung Der Status der jüdischen Minderheit erfuhr im 16. Jahrhundert einen grundlegenden Umbruch.13 Dieser Wandel der Situation in weiten Teilen des deutschen Reichs läßt sich ablesen am Bedeutungsverlust des Kaisertums hinsichtlich seiner traditionellen Rolle als oberste Schutzinstanz der Juden.14 Die entscheidende Phase des Umbruchs vollzog sich binnen weniger Jahrzehnte zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als die lokalen Herrschaftsträger in Konkurrenz um das Judenregal ihrerseits umfassenden Schutz gewähren wollten und die kaiserliche Garantie nur noch bei existentiellen Angriffen aktiviert wurde. Zum Teil läßt sich dieser Prozeß an der unter vorderösterreichischer Herrschaft stehenden Markgrafschaft Burgau zeigen. Zwar fungierte der Kaiser nach wie vor als oberster Schutzherr für die Juden, auch aufgrund der dynastischen Verbindungen bzw. der Personalunion Markgraf von Burgau, Erzherzhog von Österreich und Kaiseramt. Gleichzeitig aber gewannen schon während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts andere Instanzen zunehmend Einfluß auf die Judenpolitik in diesem Raum. Zu nennen sind hier neben der Regierung von Vorderösterreich, die die Interessen der jeweils regierenden Markgrafen vertrat, vor allem der Bischof von Augsburg als Inhaber der burgauischen Pfandschaft von 1498 bis 1559 und die in der Markgrafschaft begüterten Klöster und Adelsherrschaften sowie die umliegenden Reichsstädte Augsburg und Ulm, die nach den städtischen Judenvertreibungen die Handelsverbindungen ihrer Bürger zu den in den benachbarten Territorien ansässigen Juden zu unterbin"
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StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 107r-112v. (GLA Karlsruhe 79P12 Nr. 1000; alle im weiteren ausgewiesenen Archivsignaturen beziehen sich auf das GLA Karlsruhe und werden nur noch mit der Signatur zitiert). Vgl. die Transkription im Anhang dieses Aufsatzes. Auch diese Quellen sind nur in Kopie im Auslaufregister erhalten. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. Ab fol. 65. Vgl. dazu Friedrich Battenberg: Das Europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Bd. 1: Von den Anfangen bis 1650. Darmstadt 1990. S. 166f. und ders.: Des Kaisers Kammerknechte. Gedanken zur rechtlichsozialen Situation der Juden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 245. 1987. S. 545-599. M. Toch hingegen betont schon für das Mittelalter die Ausbildung des fürstlichen und städtischen Judenregals. Vgl. Michael Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich (Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 44). S. 106f.
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den suchten. In dieser Umbruchsituation, in der unterschiedliche Herrschaftsinstanzen um das Judenregal konkurrierten, entstand 1534 die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau. Parallel zur rechtlichen Situation veränderte sich die Siedlungsstruktur der jüdischen Niederlassungen. Während das spätmittelalterliche Judentum vorwiegend in größeren Städten ansässig war, begann mit den Vertreibungen ein Verdrängungsprozeß, der sich allerdings nicht auf die einfache Formel 'Von der Stadt auf das Land' bringen läßt. Es handelt sich vielmehr um einen siedlungsgeschichtlichen Vorgang, der als komplizierte historische Entwicklung über mehrere Etappen und Generationen beschrieben werden muß.15 Battenbergs Ergebnisse für die Heilbronner Juden, die ihren Wohnsitz und den Schwerpunkt ihrer Geschäfte zunächst in andere Städte verlagerten, lassen sich auch auf unser Untersuchungsgebiet übertragen. Die Entstehung des Landjudentums in der Markgrafschaft Burgau steht nach den neueren Forschungsergebnissen16 nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vertreibung aus den Reichsstädten - vor allem der Ausweisung aus Augsburg von 1438/40 - da die ersten Quellenfunde, welche die Ansiedlung auf dem Land belegen, in zu großer zeitlicher Distanz zur Vertreibung stehen. Es ist eher mit mehrfachen Migrationen zu rechnen, bis sich schließlich ab der Mitte des 16. Jahrhunderts kontinuierliche Siedlungen im Burgauer Raum herauskristallisierten. Daß das Zusammenleben zwischen Juden und Christen in den Dörfern nicht reibungslos verlief, zeigen die Quellen. Die Auseinandersetzungen kreisten hauptsächlich um die Abwicklung der geschäftlichen Beziehungen. Die zentralen Konflikte waren zum einen die Kreditgeschäfte und zum anderen die Gerichtszuständigkeit im Fall von Streitigkeiten zwischen meist jüdischem Kreditgeber und christlichem Kreditnehmer. Dahinter lassen sich die Interessen der Herrschaftsträger vermuten, die sich in ihrem Besitzstand und dem ohnehin umstrittenen landeshoheitlichen Recht der Gerichtsobrigkeit angegriffen sahen. Diese Problembereiche, die sich aus den Anweisungen der in Innsbruck sitzenden Regierung von Vorderösterreich an die lokalen Amtleute der Jahre 1523 bis 154617 erschließen lassen, führten dazu, daß König Ferdinand I. als regierender Landesherr 1534 eine Judenordnung für die Markgrafschaft selbst und die unter österrei-
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J. Friedrich Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? Zur Vertreibung und Neuansiedlung der Juden im Heiligen Römischen Reich. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Monika Richarz und Reinhard Rürup. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. Bd. 56). S. 9-35, bes. S. 32. R. Kießling: Judengemeinden in Schwaben, Einleitung (Anm. 7) S. 15f. Dagegen gilt die ältere Forschungsthese, die einen direkten Zusammenhang zwischen städtischer Vertreibung und ländlicher Ansiedlung postuliert, als überholt. Vgl. z.B. Adolf Layer: Die Juden und ihre Niederlassungen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2. Hg. von Max Spindler. 2. Aufl. München 1979. S. 1055-1058, bes. S. 1056. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646.
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chischer Herrschaft stehenden Territorien - die Grafschaft Kirchberg sowie die Herrschaften Biberbach und Seyfriedsberg 18 - erließ. W i e aus dem einleitenden Abschnitt der Ordnung hervorgeht, sind im Vorfeld neben dem Augsburger Bischof Christoph von Stadion, der Pfandherr der Markgrafschaft war, besonders Bürgermeister und Rat der Stadt Augsburg sowie die adeligen Herrschaftsträger der oben genannten Territorien (Johann Löble, Burgvogt zu Enns und Vormund seines Stiefsohns Karl Villinger für Seyfriedsberg und Anton, Raimund und Hieronymus Fugger für Kirchberg und Biberbach) aktiv geworden. U m eine dauerhafte Abstellung der Beschwerden zu erreichen, sollte eine Judenordnung 'aufgerichtet' werden," was aber nur sinnvoll erschien, wenn man sämtliche Konfliktparteien einbezog: In abstellung der Vnnderthanen besweerung [soll] ainich Ordnung aufgericht [werden], das dieselb wenig erschießlich noch bestenndig sein, Es were dann sach, das annder Judischait, deren etlich vnnd andern Gerichtzherrn vom Adel vnd sonst in der marggrafschafft Burgaw, vnd anndern Ir Mt. Grafschafften und herrschafften daselbstumben sesshafft, auch mit in derselben Ordnung eingezogen vnd begriffen werden.10 18
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Es kann nicht mit letzter Eindeutigkeit festgestellt werden, in welchem herrschaftsrechtlichen Verhältnis diese Territorien zur Markgrafschaft Burgau standen, da die Verpfändungen und Verkäufe bereits für die Zeitgenossen rechtliche Unsicherheiten mit sich brachten. So erwarb Jakob Fugger die Grafschaft Kirchberg 1507 von Kaiser Maximilian; inbegriffen waren die Herrschaften Wullenstetten und Pfaffenhofen, Weißenhom mit Marstetten und Buch. Die Herrschaftsrechte scheinen jedoch nicht ganz geklärt gewesen zu sein, da Erzherzog Ferdinand von Österreich die Grafschaft Kirchberg zur Pfandschaft erklärte und damit zwischen 1588 und 1596 Streitigkeiten mit den Fuggern auszutragen hatte. Vgl. hierzu Joseph Hahn: Krumbach. Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Heft 12. München 1982. S. 106-109 (mit fehlerhaften Ortsnamen). Die Herrschaft Biberbach verpfändete Kaiser Maximilian 1514 an die Fugger. Da die Markgrafschaft Burgau zu diesem Zeitpunkt an den Bischof von Augsburg verpfändet war, "zog der Kaiser die Herrschaft direkt an Österreich und befreite sie dadurch von aller Abhängigkeit von Burgau." (Vgl. Klaus Fehn: Wertingen. Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Heft 3. München 1967. S. 32) Diese These vertrat auch schon Thea Düvel: Die Gütererwerbungen Jacob Fuggers des Reichen (1494-1525) und seine Standesherhöhung. Ein Beitrag zur Wirtschafts- und Rechtsgeschichte. München, Leipzig 1913. (Studien zur Fugger-Geschichte. Bd. 4). S. 98. Die Herrschaft Seyfriedsberg wurde bereits 1492 als eigene Pfandschaft aus der Markgrafschaft Burgau herausgelöst und von König Maximilian seinem Rat Ernst von Weiden gegen ein Darlehen von 7.500 fl. übertragen. 1515 erhielt der kaiserliche Rat und Kämmerer Jakob Villinger von Schöneberg die Herrschaft als Pfandschaft. Die herrschaftlichen Rechte, Schatz, Bergwerk, Rot- und Schwarzwild, Appellation, Landsteuern und Landreisen blieben jedoch beim Haus Österreich. Vgl. hierzu Hans Bauer: Schwabmünchen. Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Reihe 1 Heft 15. München 1994. S. 301f. und J. Hahn (Anm. 18) S. 83-85. Dies teilte König Ferdinand I. am 8. Mai 1533 der Regierung von Vorderösterreich mit. Vgl. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 70v. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 70v.
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Um einen Vorschlag fiir diese Ordnung auszuarbeiten, sollte sich im Juni 1533 in Günzburg eine Kommission einfinden, der neben dem Bischof von Augsburg und Vertretern der Stadt Augsburg, Raimund, Anton und Hieronymus Fugger sowie Johann Löble auch alle anderen Gerichtzherrn vom Adl vnd sonst, darunder also wie obstet auch etlich Judischait sesshafft vnnd wonhafft sein,21 angehörten. Darin manifestiert sich einerseits der Herrschaftsanspruch der Habsburger über dieses territorial stark zersplitterte Konglomerat von Gütern und Herrschaftsrechten. Entscheidender ist aber, daß sich andererseits an diesem Beispiel aufzeigen läßt, wie ein regional übergreifender Konfliktlösungsmechanismus zustande kam. Als wesentlicher Punkt erscheint, daß bereits im Vorfeld die verschiedenen Interessenvertreter - einschließlich der Judenschaft - in die Beratung und damit in den Entstehungsprozeß einbezogen wurden. Diese Mitwirkung bei der Entstehung und Formulierung von Judenordnungen ist nach dem bisherigen Forschungsstand einzigartig und entspricht nicht dem bekannten Muster landesherrlicher Gesetzgebung. Hierin ist bereits ein erster wichtiger Unterschied zum hessischen Judenrecht zu erkennen. Bei der Ausarbeitung dienten die reichsrechtlichen Bestimmungen von 1530 und 1532 als Vorgaben. Auf dem Augsburger Reichstag von 1530 wurde zum ersten Mal erwogen, eine umfassende Regelungen für die jüdische Minderheit im deutschen Reich zu erlassen.22 Dort ging das Angebot, einen Ausgleich zwischen Juden und Christen herbeizuführen, von jüdischer Seite aus. Auf einer vorbereitenden Zusammenkunft in Günzburg initiierte Josel von Rosheim,23 die alten Streitpunkte um Zinsnahme und Handel zu beseitigen. Mit den sogenannten Takkanot, die vor allem vorsahen, daß der Zinssatz eine bestimmte Höhe nicht überschreiten sollte, keine Zinseszinsen zu berechnen seien, und die weitere Reglementierungen der Pfandleihe vorschlugen, legten sich die jüdischen Gemeinden des Reiches auf eine gemeinsame Linie fest.24 Reichsrechtlich bindend wurden die Vorschläge allerdings nicht. So gelang es Josel von Rosheim zwar noch im November 1530, den verschiedenen Ständen des Reiches Abschriften zu übergeben, einen offiziellen Beschluß aber erreichte er nicht. Die Reichspolizeiordnung enthielt dann - im Vergleich mit den umfangreichen Vorschlägen - lediglich Bestimmungen zur Kennzeichnungspflicht und ein allgemeines Verbot wucherischer Kontrakte.
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StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 70v. Eintrag vom 9. Juni 1533. Protokolle über Verlauf und Ergebnis der Beratungen liegen nach den bisherigen Recherchen nicht vor. Es ist aber davon auszugehen, daß die Vorschläge der Insassen Berücksichtigung fanden. R. Kießling: Judentum (Anm. 2) S. 221 f. S. Stern (Anm. 2) S. 79-101. Vgl. Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1997. S. 90f. und F. Battenberg: Das Europäische Zeitalter (Anm. 13) S. 187f.
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Auch die Verhandlungen auf dem Regensburger Reichstag von 1532 spiegeln das Ringen um reichsrechtliche Bestimmungen wider. Zudem läßt sich an diesem Beispiel der regional wirksame Mechanismus nachzeichnen, wie die Vertreter Augsburgs, Matthäus Langenmantel und Wolfgang Vogt, auf informeller Ebene versuchten, die städtischen Vorstellungen in puncto Judenpolitik durchzusetzen. Eine weitgehend homogene Interessengruppe bildeten in diesem Fall die Reichsstadt Augsburg und einige adelige Begüterte, wie Johann Löble als Inhaber der Herrschaft Seyfriedsberg und die Fugger. Sie alle duldeten in ihren eigenen Territorien keine Juden, sahen sich aber gleichzeitig vor die Situation gestellt, ihre Untertanen dem wirtschaftlichen und juristischen Zugriff der in Nachbarterritorien ansässigen Juden zu entziehen. Die Initiative innerhalb dieser Koalition ging dabei von Johann Löble aus, dessen vorrangiges Ziel es war, seine Untertanen vor den Urteilen des Hofgerichts Rottweil zu schützen, an das sich die jüdischen Händler der Markgrafschaft Burgau in strittigen Darlehensangelegenheiten wandten. Offensichtlich wollte Löble sich nicht mit einem kaiserlichen Privileg, die häufig entsprechende Klauseln beinhalteten,25 begnügen, da er befürchtete, daß die Richter in Rottweil eine derartige Einschränkung ihrer Zuständigkeit nicht hinnehmen würden: So nemen die zu Rotweyl die nicht an. Sein darfilr fuerstlich gefreyt [...].26 Im Vorfeld hatte Löble bereits Absprachen mit den Fuggern getroffen und als Maximalziel die Ausweisung der Juden aus der gesamten Markgrafschaft Burgau formuliert. Diese Forderung wurde von den Insassen während des 16. und 17. Jahrhunderts immer wieder vorgebracht. Zum Teil wurde die Vertreibung auch in den Herrschaftsverträgen festgeschrieben,27 jedoch nie im ganzen Territorium umgesetzt. Den Bischof von Augsburg, dessen starke Stellung sich aus der Pfandherrschaft über die Markgrafschaft Burgau erklärt,28 konsultierte die Delegation, bestehend aus den städtischen Abgesandten und Löble, schließlich am 15. April 1532. Gemeinsam wollten sie eine Supplikation an den Kaiser formulieren. Darin sollten die zentralen Konfliktpunkte dargestellt und gleichzeitig die Ausweisung der Juden verlangt werden, denn on dess werden die freyhaiten, wie die erlangt würden, wenig helffen.19 Erst zwei Monate später wurde in den Briefen der Gesandten der Problembereich wieder tangiert. Mitte Juni fand erneut eine Unterredung mit dem Bischof von Augsburg der Juden und Rotweilischen gericht halbs 25
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Vgl. zur Einschränkung der Gerichtszuständigkeit des Hofgerichts Rottweil in kaiserlichen Privilegien: R. Mix (Anm. *) S. 90-95. StadtA Augsburg. Literalien 1532 (Januar-Juli). Brief vom 6. April 1532 von Matthäus Langenmantel und Wolfgang Vogt über den Stand der Verhandlungen in Regensburg. So z.B. in den Burgauer Interimsmitteln von 1587. Gedruckte Fassung bei J.B.A. Faber von Laimegg: Standhaffte Gegen-Information der samentlichen Insaessen und in Dero Marggraffschafft Burgau begueterten Fuersten [...]. o.O. 1725 (unpag.). Dazu W. Wüst: Prinzipien und Zielsetzungen (Anm. 9) S. 209-228. StadtA Augsburg. Literalien 1532 (Januar-Juli). Brief vom 16. April 1532. Eine Kopie der Supplikation muß an die Stadt Augsburg übersandt worden sein, sie liegt jedoch den Briefen nicht bei.
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statt, der seine Unterstützung zusagte. Die städtischen Vertreter beschreiben seine Haltung recht detailliert: enzaigt Er sich als ain guter Augspurger und vermaint, so es sich in ausschuss zuetrag, welle Er dess Ingedenck sein und gern darumen Reden.™ Im Verlauf der Verhandlungen zeichnete sich dann aber ab, daß der zu beschließende Reichstagsabschied im wesentlichen die Regelungen von Augsburg 1530 bezüglich der 'Juden und ihrem Wucher' bekräftigen würde. Es war abzusehen, daß das wichtige Verhandlungsziel, die Kompetenzen des Hofgerichts Rottweil einzuschränken, nicht durchzusetzen war. Dennoch ging der Reichstagsabschied in einem Punkt deutlich über die Reichspolizeiordnung von 1530 hinaus: Die Obrigkeiten, die in ihren Territorien Juden siedeln ließen, sollten eine Ordnung machen, damit niemands unbillicher Weiß beschwaert werde,31 und zwar innerhalb einer Frist von sechs Monaten. Inhaltliche Vorgabe war, die unziemliche und ungebuehrliche Handthierung abzuschaffen und zu straffen, womit eine Umsetzung der reichsrechtlichen Beschlüsse nach dem Subsidiaritätsprinzip durchgesetzt werden sollte. Innerhalb des Territoriums der Markgrafschaft wurde also diese Richtlinie des Reichsrechts durchgeführt. Als erstes Ergebnis ist somit festzuhalten, daß das Zustandekommen der Judenordnung von 1534 in der Markgrafschaft Burgau nicht nur durch die Beschwerden der Insassen zu erklären ist, sondern auch durch den Erlaß reichsrechtlicher Rahmenbedingungen. Daß es jedoch trotz des Instanzenweges durch den Behördenapparat zur Ausarbeitung der Ordnung kam, ist sehr wohl als erfolgreiche Intervention der Konfliktparteien zu deuten. Anhand der Beschwerden und Supplikationen kann der Gestaltungswille der unterschiedlichen Parteien abgelesen werden, auf einzelne Punkte Einfluß zu nehmen. Neben den insässischen Interessen werden Interventionen von jüdischer Seite greifbar. Belegen lassen sie sich z.B. in einem Brief der vorderösterreichischen Regierung in Innsbruck an die Insassen der Markgrafschaft Burgau, wo eine Supplikation erwähnt wird, welche die Juden an den Kaiser als ihren obersten Schutzhelm gerichtet hatten.32 Damit läßt sich für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts die besondere Beziehung zu Kaiser und Reich nachweisen, welche die jüdische Bevölkerung der Markgrafschaft Burgau nach wie vor und trotz der sich abzeichnenden Veränderungen durch die Territorialisierung des Judenregals pflegte.33 Durch die dynastische Verbindung zwischen der Markgrafschaft Burgau und dem Haus Habsburg blieb das kaiserliche Schutzverhältnis wohl intensiver als in anderen Territorien.
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StadtA Augsburg. Literalien 1532 (Januar- Juli). Brief vom 14. Juni 1532. Abschied des Reichs-Tags zu Regenspurg Anno 1532 aufgericht. In: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede [...] in vier Theilen. Franckfurt am Mayn 1747. ND Osnabrück 1967, hier Bd. II. S. 361 VIII. StaatsA Augsburg. Lit. 646. fol. 65. R. Kießling: Judentum (Anm. 2) S. 232-240.
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Als entscheidender Unterschied zu Hessen ergibt sich an diesem Punkt, daß die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau aus einem mehrere Jahre dauernden Prozeß entstanden ist, an dem sowohl die beschwerdeführenden Begüterten in der Markgrafschaft als auch die Judenschaft beteiligt war. Es handelt sich also weniger um einen ausschließlich landesherrlichen Erlaß, sondern eher um einen mühsam ausgehandelten Kompromiß der Konfliktparteien, der dann dem Landesherrn zur Umsetzung vorgelegt wurde.
II. Die inhaltlichen Bereiche der Regelung Etwa ein Jahr nach dem Zusammentreten der Günzburger Kommission wurde dann am 7. Juli 1534 die Judenordnung34 erlassen; ihre sieben Artikel enthalten Regelungen zu Darlehensgeschäften, zur Gerichtszugehörigkeit, zur Kennzeichnungspflicht und zum Recht des Waffentragens. Es lassen sich also die Vorschriften grob in drei große Bereiche unterteilen, die unter den Begriffen Wirtschaft, Gewerbepolizei und Gerichtszuständigkeit subsumiert werden können. Die wirtschaftliche Tätigkeit der jüdischen Händlerschaft wurde in entscheidender Weise durch das Verbot von Liegenschaftskrediten und die Bestimmungen zur Pfandleihe reglementiert. In einem ersten Punkt wird die Darlehensvergabe auf Immobilien verboten: Und nemblichen am ersten, wollen wir daz yez und hinfiir in kunjftig Zeit in vnnser marggrafschafft Burgau, auch grafschafft unnd herrschafften kain Jud auf kain bestimpts und specificierts Ligennd stuckh noch gueter, weder mit noch on verschreibung auch weder in gemain und sonnder Ichizit ausleihen noch ainichen anndern Contract und hanndl treiben, machen, annemen, noch brauchen [soll].35 Diese strikte Untersagung der Hypothekenvergabe hatte zum Ziel, den Zugriff der Gläubiger auf den Grund und Boden der christlichen Untertanen zu verhindern. Als Konsequenz daraus ergab sich auch, daß Ansprüche gerichtlich nicht einklagbar waren. Für den Fall, daß Verträge dennoch entgegen diesem Verbot abgeschlossen wurden, hatte der jüdische Kreditgeber die Folgen zu tragen: so sol der Jud, der daz gelt, so Er auf ain oder mer gelegen stuckh und gueter in gemein oder in sonnders gelihen oder gelegt hette, die schuld desselben gelts verlorn haben vnd darzue der oberkait in die straff sovil dess anlehen oder 34
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StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 107r-112v. Vgl. die vollständige Transkription einschließlich der Marginalien in R. Mix (Anm. *) S. 122-129 und die Textquelle am Ende dieses Aufsatzes. Im folgenden wird die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau von 1534 abgekürzt zitiert mit JO 1534. JO 1534. fol. 107v.
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annder Contract, darumb die verschreibung aufgereiht wer, [...] gefallen sein, auch die brief?6 Der christliche Kreditnehmer wurde hingegen nicht von den jeweiligen obrigkeitlichen Gerichten belangt. Das Geschäftsrisiko lag also in diesem Fall allein beim Geldgeber; dadurch war der Schutz der eigenen Untertanen gewährleistet. Da in Artikel 2 ausdrücklich nur den Juden, die außerhalb der Markgrafschaft Burgau ansässig waren, die Pfandleihe verboten wurde, um die Abhängigkeit der Schuldner von landfremden jüdischen Kreditgebern zu verhindern, wurde dieser Geschäftsbereich den in der Markgrafschaft sitzenden Juden somit indirekt erlaubt. Das bedeutete, daß den Juden neben der Pfandleihe und dem Warenhandel die reinen Geldgeschäfte blieben, die aufgrund des erhöhten Risikos, das allein der jüdische Gläubiger trug, meist höhere Zinssätze hatten. In großem Umfang betrieb vor allem Simon von Günzburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Geldgeschäfte. Bei ihm waren auch weltliche und geistliche Würdenträger mit hohen Summen verschuldet, so z.B. der Bischof von Augsburg mit einem Betrag von 8.000 fl., für den das Stift Wettenhausen bürgte.37 Daraus ergibt sich insgesamt, daß die wichtigsten Einnahmequellen für die in der Markgrafschaft Burgau angesiedelte jüdische Händlerschaft legalisiert waren. Speziell die Pfandleihe, die keinerlei Beschränkungen unterlag, war für die ländliche Wirtschaft von großer Bedeutung. Der Kreditbedarf konnte schnell und direkt gedeckt werden; gleichzeitig aber hatte der Kreditgeber Sicherheiten gegen den Schuldner in der Hand. Somit entwickelten sich häufig jahrelang laufende Geschäftsbeziehungen, die je nach Bedarf verlängert oder erneuert werden konnten. Die jüdischen Kredithändler reagierten flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes und entwickelten sich so zu einem wichtigen Faktor für die ländliche Wirtschaft. Über die konkreten Konfliktfälle in der Markgrafschaft Burgau hinaus müssen die wirtschaftlichen Bestimmungen im Kontext der Wucherdiskussion gesehen werden, die sich auf die Reichsgesetzgebung niederschlug. So enthält die Reichspolizeiordnung von 1530 Regelungen zum 'Judenwucher', der allerdings nur indirekt angesprochen wurde, indem den Territorialherren verboten wurde, 'wuchernde' Juden weiterhin in ihren Gebieten zu dulden, und Gerichte keine Schuldklagen mehr annehmen sollten. Wer dennoch weiterhin der jüdischen Bevölkerung den Aufenthalt erlauben wollte, dem wurde empfohlen, diese vom verbotenen Wucher abzuhalten und statt dessen dazu anzuhalten, sich von ziemlicher Handthierung und Hand Arbeit [zu] ernehren,38 Explizit hingegen wurden ganz allgemein wucherische Kontrakte verboten: Das Wucherverbot des Reichsabschieds von 1500 wurde erneuert und bekräftigt; Verträge dieser Art sollten unwürdig, kraftlos und
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JO 1534. fol. 107. StaatsA Augsburg. Reichsstift Wettenhausen. Urkunde 605. RPO 1530. Tit. 27(Anm. 31) S. 342.
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unbündig sein.39 Der Weg, den die Judenordnung der Markgrafschaft einschlug, erscheint im Vergleich zu diesen Bestimmungen pragmatischer und praktikabler. Mit der Melde- und Besiegelungspflicht war die christliche Obrigkeit über Kreditverträge informiert und konnte im Fall außerordentlich hoher Zinsforderungen intervenieren, ohne jedoch durch ein generelles Verbot aller Kreditgeschäfte die wirtschaftliche Existenz der Juden zu gefährden und damit auch der Landbevölkerung sowie den geistlichen und weltlichen Herrschaftsträgern, die ebenfalls zu den Darlehensnehmern gehörten, ihre Kreditmöglichkeiten zu entziehen. Daneben werden im zweiten Artikel aber auch gewerbepolizeiliche Maßnahmen greifbar. So werden wirtschaftliche und rechtliche Ab- und Ausgrenzungsmechanismen gegenüber den nicht in der Markgrafschaft ansässigen Juden deutlich.40 Da diese nicht dem Fiskus und der Jurisdiktion der burgauischen Ämter und Gerichte unterlagen, sollten Handels- und Kreditkontakte mit den Untertanen unterbunden werden. Für den Fall aber, daß Untertanen dennoch bei ihnen Kredite aufnahmen, sollten die Gerichte gegen die Schuldner tätig werden: Würden aber ainer oder mer, obgemelter unnser marggraffschafft Graffschafft und herrschafften Vnnderthanen, Jnnsassen und Zugehörigen, den Juden, die ausserhalben derselben wonen vnd gesessen sein, nachuolgen und von Jnen Jcht entlehnen, dieselben vnnser vnnderthanen, hindersassen und Zugehörigen sollen yeder auch umb fiinff Reinisch gülden in agentz von Jren ordennlichen gerichtsherren gestrafft werden.*1 Das geschäftliche Risiko trugen hier also die christlichen Kreditnehmer, zumal die Forderungen der Gläubiger, sovil Sy der fug und Recht haben, nicht verfallen sein sollten. Diese Regelung ist einerseits zu interpretieren im Zusammenhang mit den sich herausbildenden fiskalisch-merkantilen Interessen auf landesherrlicher Seite und andererseits vor dem Hintergrund von Disziplinierungsmaßnahmen gegenüber den eigenen Untertanen, da sie in ihre wirtschaftlichen Aktionsmöglichkeiten deutlich eingriff. Zusätzlich wurde in Artikel 3 der Durchzug 'fremder Juden' durch das Gebiet der Markgrafschaft Burgau reglementiert: Melden mußten sich jene Juden, die in juristischen Angelegenheiten unterwegs waren und die Gerichte in der Markgrafschaft konsultieren wollten, nicht hingegen jene, die nur durchzogen und nicht länger als einen Tag und eine Nacht verweilten. Diese polizeiliche Meldepflicht diente der strikteren Kontrolle der mobilen jüdischen Händlerschaft und der Beschränkung der Bewegungsfreiheit durchreisender Juden. Ein wichtiger Aspekt ist 39 40
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RPO 1530. Tit. 26(Anm. 31) S. 341 f. Vgl. J.F. Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? (Anm. 15) S. 17. Kurfürst Friedrich von der Pfalz wies 1469 seine Amtleute an, den Handel fremder Juden in ihrem Gebiet nicht mehr zuzulassen, wobei diese Anweisung mit der Vertreibung aus dem pfälzischen Territorium einherging. JO 1534. fol. 108.
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hierbei, daß die unterschiedlichen Regelungen für fremde und eigene Juden ein weiteres Indiz für die Abgrenzung der Herrschaft nach außen und die Intensivierung nach innen sind. Eine weitere gewerbepolizeiliche Maßnahme ist die Vorschrift zur schriftlichen Fixierung von Handelsgeschäften. In Artikel 4 wurden die genauen Kriterien für einen rechtskräftigen Schuldbrief zur Pfandleihe, zu Geldgeschäften und Warenhandel auf Kredit festgelegt. Demnach sollen die Kontrakte durch die jeweilige Gerichtsherrschaft oder deren Vertreter Wie sich gepürt besigelt und darzu mit derselben hanndtzaichen vnnderschriben werden;41 jedoch sollen weder Schuldner noch Händler selbst den Schuldbrief schreiben. Detaillierte Regelungen gibt es auch zu den Gebühren: Je Besiegelung brauchten die Juden nicht mehr als ain Behemisch [= Prager Groschen] und für daz hanndtzeichen ain kreitzer zu bezahlen. Jede Ratenzahlung mußte auf dem Schuldbrief vermerkt werden. Kam der jüdische Gläubiger dem nicht nach, so war im Fall der Klage durch den Schuldner der Vertrag hinfällig, die noch offene Schuld war verfallen und der Obrigkeit die jeweilige Summe als Strafe zu bezahlen. Dieser Verschriftlichungsprozeß zeigt, daß Privaturkunden zur Kreditsicherung nicht mehr als ausreichend erachtet wurden. 43 Andererseits aber eröffnet diese Regelung einen gewissen Freiraum für die Geschäftstätigkeit. Es handelte sich nämlich nicht um eine generelle Protokollierungspflicht, da die Entscheidung über das Ausfertigen eines Schuldbriefes dem jüdischen Händler überlassen wurde: so die Juden in unnser marggrafschafft Burgau und den anndern Grafschafft und herrschafften hinfür mit derselben Unnderthanen ainich brief und verschreibung aufrichten und verfertigen wolten [...].44 Es ist sicher davon auszugehen, daß die Klein- und Kleinstgeschäfte nicht schriftlich fixiert wurden, da die Gebühren und das finanzielle Risiko nicht in Relation zu Aufwand und Kosten standen. Geschäfte größeren Umfangs aber wurden zur Absicherung beider Geschäftspartner in Schuldbriefen 45 dokumentiert. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Schuldners war damit der jüdische Gläubiger abgesichert und konnte schließlich den Rechtsweg einschlagen. In ähnlicher Weise wie mit der Meldepflicht griff die Landesherrschaft auch mit den Vorschriften zur Kennzeichnung polizeilich kontrollierend ein. Seit den 42
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JO 1534. fol. 110r. Es fehlen aber genauere Bestimmungen zu den formellen Kriterien. Reichsrechtlich wurde z.B. die Urkundensprache erst 1577 in der Polizeiordnung festgelegt. RPO 1577. Tit. 20 §3 (Anm. 31). Gustav Klemens Schmelzeisen: Polizeiordnungen und Privatrecht. Münster, Köln 1955 (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte. Bd. 3). S. 501. JO 1534. fol. 110r. Im Unterschied zum 17. und 18. Jahrhundert haben sich für das 16. Jahrhundert keine geschlossenen Schuldprotokollbestände erhalten. Es liegen jedoch in verschiedenen Beständen verstreut Schuldbriefe vor. Hinweise dazu in: Dokumentation zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. Archivführer. Bearb. von Doris Pfister. Hg. von Peter Fassl. 2 Bde. Augsburg 1993. Eine Auswertung wird im Rahmen meiner Dissertation erfolgen.
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Bestimmungen des Vierten Laterankonzils von 1215 war das Anbringen von Stigma-Symbolen an der Kleidung ein Mittel, um die soziale Trennung und Abgrenzung durchzusetzen.46 In Artikel 5 der Burgauer Ordnung wurde bestimmt, daß jeder Jude unabhängig davon, ob er ain ensäss oder frembd wäre, einen gelben Ring sichtigklich tragen sollte, wenn er länger als einen Tag an einem Ort verweile oder einer Handelstätigkeit nachginge; auf dem Land sollte die Regelung nicht gelten.47 Offensichtlich sollte schon beim ersten Blick auf die Kleidung deutlich werden, daß es sich um Angehörige des jüdischen Glaubens handelte. Diese ursprünglich soziale Diskriminierung wirkte sich natürlich auch stereotypenbildend auf die Wirtschaftstätigkeit aus. Allerdings war es nicht eine permanente Stigmatisierung, da der gelbe Ring bei kurzen Aufenthalten und bei Wanderungen über das Land nicht getragen werden mußte. Hier begaben sie sich wieder in den Schutz der kennzeichnungslosen Anonymität, weil ansonsten Gefahren für Leib und Leben entstanden wären. Diese Befreiung vom Tragen des StigmaSymbols auf Reisen ist zwar keine singulare Erscheinung der Burgauer Judenordnung,48 berücksichtigte aber dennoch Sicherheitsaspekte für die jüdischen Reisenden, wie sie die generalisierende Kennzeichnungspflicht der Reichspolizeiordnung von 1530 nicht ermöglichte. Reichsrechtlich wurde nämlich festgelegt, daß die Juden einen gelben Ring an Rock oder Kappe unverborgen als Erkennungszeichen tragen sollten.49 Die Kennzeichnungsvorschrift ist in der Burgauer Ordnung differenzierter, aber auch praxisorientierter formuliert - das Tragen des gelben Ringes wurde nicht generell und für das ganze Territorium gefordert. Zum Tragen von Waffen wurde festgelegt, daß die jüdische Bevölkerung innerhalb der Städte, Märkte, Dörfer, Weiler, Flecken und Gerichte der Markgrafschaft Burgau und der anderen Grafschaften und Herrschaften kain weer und sonnderlich kain Wurffpeihel oder lannge Waffen fuerrn, oder tragen sollten;50 diese Art von Waffen mußte in den Herbergen gelassen werden. Hingegen Prettmesser, klaine dolchle und waidnerle51 durften auch innerhalb der Ortschaften mitgefiihrt werden. Auf dem Land konnten alle Waffen getragen werden, wohl um den Schutz von Leib und Leben, Hab und Gut sicherzustellen. Die Regelungen zur Kennzeichnungspflicht korrespondieren mit diesen Bestimmungen, da beides nicht in gleicher Weise für das ganze Territorium galt. Mit der Einschränkung des vollen Waffenrechts52 ging die Verschlechterung der rechtlichen Situation einher.53 46
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Robert Jütte: Stigma-Symbole. Kleidung als identitätsstiftendes Merkmal bei spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Randgruppen (Juden, Dirnen, Aussätzige, Bettler). In: Saeculum 44. 1993. S. 65-89. JO 1534. fol. l l l r . R. Jütte: Stigma-Symbole (Anm. 46) S. 86. R P 0 1530. Tit. 22 §1 (Anm. 31). JO 1534. fol. 111'. JO 1534. fol. 11 l v . Vgl. dazu allgemein: Waffenrecht. In: HRG Bd. 5. Sp. 1080-1083. Das volle Waffenrecht konnten nur Freie innehaben. In den Landfriedenserlassen des Mittelalters finden sich zu-
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Rechtshistorisch gesehen waren die Juden ursprünglich im Besitz des vollen Waffenrechts. Eine langsame, aber stetige Entwicklung von mehr gewohnheitsrechtlichem Charakter führte bis zu Beginn des 13. Jahrhunderts dazu, daß die Juden das volle Waffenrecht verloren.54 Allerdings zeigt die Regelung der Judenordnung der Markgrafschaft Burgau, daß die Obrigkeit noch im 16. Jahrhundert ihrer Schutzaufgabe im Rahmen des Geleitrechts nicht in vollem Umfang nachkommen konnte. Gerade auf dem Land mußten die Bestimmungen gelockert werden, so daß die Regelungen zum Waffentragen und zur Kennzeichnungspflicht für diesen Bereich aus Sicherheitsgründen flir die jüdische Händlerschaft nur eingeschränkt gültig waren.55 Artikel 6 der Judenordnung enthält allgemeine Schutzbestimmungen für die Juden gegen Beleidigungen und Angriffe: Sie sollten nit beschwert, belaidigt, beschedigt noch geschmäht, sonnder bey Recht wie Recht ist gefurdert und bey aller pillichait gehanndthapt vnd geschirmet [werden].56 Konflikte sollten auf dem Rechtsweg ausgetragen werden und nicht gewaltsam zwischen den Kontrahenten. Gerade dieser Artikel muß als Indiz dafür gewertet werden, daß es sich um keine reine Pflichtenordnung handelt, da auch die Rechte der Juden festgeschrieben wurden.57 Vor dem Hintergrund des Entstehungsprozesses erscheint es plausibel, daß dieser Abschnitt auf Drängen der Juden in die Ordnung aufgenommen wurde. Er garantierte ihnen ungehinderte Geschäftstätigkeit innerhalb der Markgrafschaft und im Falle von tätlichen Angriffen oder Ehrverletzungen Rechtssicherheit.58 Darüber hinaus wird hier der Judenschutz als Element
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nehmend ständische Waffenverbote, die einerseits der Bekämpfung des Fehdeunwesens dienen sollten, andererseits aber auch differenzierende Wirkung innerhalb des gesellschaftlichen Systems hatten. Friedrich Battenberg: Zur Rechtsstellung der Juden am Mittelrhein in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 6. 1979. S. 129-183, hier S. 144f. Vgl. hierzu Guido Kisch: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters nebst Bibliographien. Bd. 1. 2., erg. Aufl. Sigmaringen 1978, bes. S. 30f. Unklar ist, ob sich daraus Auswirkungen auf den Bürgerrechtsstatus der Juden ableiten lassen. Battenberg zitiert fiir diesen Zusammenhang einen päpstlichen Legaten, der 1565 an die Kurie berichtet, daß sich in der polnisch-litauischen Judengemeinde Grodno die Juden sogar des Rechts erfreuen, Waffen bei sich zu fuhren, "wie sie denn überhaupt im Genüsse des vollen Bürgerrechts sind." F. Battenberg: Das Europäische Zeitalter (Anm. 13) S. 227. JO 1534. fol. l i r . G. K. Schmelzeisen (Anm. 43) S. 4 stellt fest, daß herrschaftliche Ordnungen ganz betont Pflichtenordnungen seien. Vgl. hierzu Sabine Ullmann: Kontakte und Konflikte zwischen Landjuden und Christen in Schwaben während des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts. In: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Hg. von Sibylle Backmann u.a. Berlin 1998 (Colloquia Augustana. Bd. 8) S. 288-315 und Robert Jütte: Ehre und Ehrverlust im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Judentum. In: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesell-
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der Landesherrschaft greifbar: Ferdinand I. gewährte als Landesherr und König generellen Schutz, der aus dem Regal abgeleitet wurde. Der letzte Artikel beinhaltet administrative Bestimmungen zur Durchfuhrung der Ordnung; so sollen sich sowohl Judenschaft als auch Untertanenschaft an die Regelungen halten. Die Amtleute der Markgrafschaft wurden mit der Umsetzung betraut. Darüber hinaus erging aber die Empfehlung an den Bürgermeister und Rat der Stadt Augsburg, daß sie ihre Untertanen dazu anhalten sollten, die Ordnung zu beachten. Abschließend behielt sich Ferdinand I. vor, die Ordnung zu ergänzen, zu korrigieren oder aber wieder abzuschaffen 59 - offensichtlich ein Zugeständnis an die Praktikabilität. Im dritten größeren Bereich wurde die Gerichtszuständigkeit geregelt. Ziel der Insassen war es, den Juden den Weg zu den überterritorialen Gerichten zu verwehren. Allgemein reichen Bemühungen von Reichsstädten und Territorialherren um Exemtionsprivilegien bis ins 13. Jahrhundert zurück.60 Die Gerichtszuständigkeit für die Burgauer Juden regelte Artikel 3: Sie sollten sich mit den Konflikten, die juristisch geregelt werden mußten, an die ordentlichen Instanzen der Markgrafschaft oder die jeweiligen lokalen Herrschaften wenden und die Untertanen mit frembden Gerichten nit beschwern.6' Damit waren in erster Linie das Hofgericht Rottweil, das Schwäbische Landgericht und das Reichskammergericht gemeint. Daß die Juden dennoch immer wieder den Weg nach Rottweil suchten und das vor allem für die Geschäfte, die vor Erlaß der Ordnung abgeschlossen worden waren, durchsetzen wollten, zeigt zum Beispiel die Ergänzung zur Judenordnung von 1535, wo sie diese eingeschränkte Erlaubnis erhielten.62
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Schäften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Schreiner, Gerd Schwerhoff. Köln, Weimar, Wien 1995 (Norm und Struktur. Bd. 5). S. 144-166. Eine erste Ergänzung erfolgte bereits am 4. Februar 1535 zu Gunsten der jüdischen Gemeinden, indem ihnen der Rechtsweg zum Hofgericht Rottweil und zum Schwäbischen Landgericht für die vor 1534 abgeschlossenen Geschäfte wieder erlaubt wurde. HHStA Wien. Reichshofrat Confirmationes Privilegiorum K 95 (Konv. 1). Gerd Mentgen: Das kaiserliche Hofgericht Rottweil und seine Bedeutung für die Juden im Mittelalter am Beispiel des Elsaß. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 112. 1995. S. 396-407, hier S. 399. JO 1534. fol. 109'. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 102v. Auch ein Schreiben an Anton Fugger weist darauf hin, daß den Juden die Ausweisung aus der Markgrafschaft Burgau angedroht wurde, wenn sie die Ordnung von 1534 nicht beachteten und weiterhin die Insassen und Untertanen mit fremden Gerichten beschwerten (StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol. 161). Aufschluß darüber, inwieweit die Juden diesen Artikel der Judenordnung von 1534 mißachteten, können nur die Gerichtsakten des Hofgerichts Rottweil geben. Die Forschungsliteratur hat sich bislang vorwiegend mit den Juden am Reichskammergericht beschäftigt, während dieser Aspekt noch kaum Beachtung fand. Erste Auswertungen der Gerichtsurkunden, die ich im Rahmen meines Dissertationsprojektes untersuche, bestätigen, daß das Hofgericht Rottweil auch nach den Verboten in den kaiserlichen Privilegien weiterhin konsultiert wurde.
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Gerade die Rottweiler Gerichtsinstanz war für Kreditstreitigkeiten von größter Bedeutung. Trotz wiederholter Verbote auch in den kaiserlichen Privilegien, sich nach Rottweil zu wenden, blieb das Hofgericht im ganzen 16. Jahrhundert die wichtigste Anlaufstelle für jüdische Händler in Auseinandersetzungen um Darlehensgeschäfte,63 was dazu führte, daß die Schuldprozesse der Juden einen wesentlichen Teil des Rottweiler Gerichtsbetriebs in dieser Zeit ausmachten. Die permanenten Verstöße gegen die Exemtionsprivilegien und die territoriale Gerichtsobrigkeit konnten im Extremfall sogar Vertreibungsforderungen laut werden lassen und zwar nicht nur von Seiten der Obrigkeit.64 Diese Beschreibung des Inhalts führt weitergehend zu der Frage, welche Regelungsbereiche nicht tangiert wurden bzw. welche grundsätzlichen Unterschiede sich zu anderen Ordnungen herausarbeiten lassen. Zu einem Vergleich soll die Judenordnung Landgraf Philipps für die Landgrafschaft Hessen von 153965 herangezogen werden. Battenberg unterteilt ihren Inhalt in drei große Themenbereiche: Der erste Schwerpunkt umfaßt das Religionswesen und die Reinhaltung des christlichen Glaubens von jüdischen Einflüssen. Zweitens enthält sie Reglementierungen des Handels- und Geschäftsverkehrs, und drittens Gebote und Verbote gewerbepolizeilicher Art.66 Im Vergleich ergeben sich folgende Befunde: 1) Die beiden zentralen Punkte der Burgauer Judenordnung sind die Regelungen zur wirtschaftlichen Tätigkeit und zur Gerichtszuständigkeit. Während wirtschaftliche Belange auch in Hessen durch obrigkeitliche Eingriffe reglementiert wurden, scheint der Konflikt um die Gerichtszuständigkeit ein Spezifikum der Markgrafschaft Burgau zu sein. Dies mag sich einerseits durch die relative Nähe des Hofgerichts Rottweil erklären lassen, so daß es für die Juden im südwestdeutschen Raum eher möglich war, sich an diese Instanz zu wenden. Darüber hinaus läßt sich aber festhalten, daß die herrschaftliche Zersplitterung, die für das Gebiet zwischen Iiier, Lech und Donau so charakteristisch ist, dazu beigetragen hat, daß das Bewußtsein eines direkten, faktisch weiter bestehenden Schutzverhältnisses zum Kaiser von jüdischer Seite her wachgehalten wurde,67 was sich unter anderem an der Konsultation kaiserlicher Gerichte ablesen läßt.68 Andererseits war jedoch 63
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Georg Grube: Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts. Stuttgart 1969 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Bd. 55). S. 46. G. Mentgen (Anm. 60) S. 396f. arbeitet unter den Forderungen der mittelelsässischen Bundschuh-Erhebung des Jahres 1493 die deutlich antijüdische Stoßrichtung heraus - z.T. gekoppelt mit dem Verlangen, den Rottweiler Gerichtshof abzuschaffen. Vollständig ediert in: F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 59-61. F. Battenberg: Zur Rechtsstellung der Juden am Mittelrhein (Anm. 3) S. 166. R. Kießling: Judentum (Anm. 2) S. 232-240 führt die Zuordnung zu Kaiser und Reich vor allem auf die drei Faktoren Besteuerung, Inanspruchnahme der Reichsgerichtsbarkeit und Berufung auf das freie Wohnrecht zurück. Zum Reichskammergericht vgl. Margit Ksoll, Manfred Hörner: Fränkische und schwäbische Juden vor dem Reichskammergericht. In: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Aufsätze. Hg. von Manfred Treml u.a. München 1988 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Ge-
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für die jeweiligen Herrschafitsträger gerade diese Frage ein besonders sensibler Punkt, da mit der Appellation an kaiserliche Gerichte ein wesentliches Hindernis für die sich ausbildende Landeshoheit immer wieder angegriffen wurde.69 Somit wurde die Klärung des ohnehin umstrittenen Überordnungsverhältnisses zwischen dem Hofgericht Rottweil und den süd- und südwestdeutschen territorialen Gerichtsinstanzen zu einem entscheidenden Punkt bei der Beanspruchung landesherrlicher Rechte. Die Sicherung der Gerichtsuntertänigkeit griff im Laufe des 16. Jahrhunderts bezeichnenderweise auch auf die inneijüdische Gerichtsbarkeit aus. So wurde 1574 in dem Marktflecken Neuburg an der Kammel ein aus Laienrichtern bestehendes jüdisches Schiedsgericht gebildet, das einen langjährigen Streit zweier schwäbischer Juden entscheiden sollte. Das eigentlich zuständige Günzburger Rabbinatsgericht wurde nicht konsultiert, weil einer der beiden Kontrahenten ein Dokument vorwies, worin ihm die Vöhlinsche Herrschaft verboten hatte, sich an einem anderen Ort vor Gericht ziehen zu lassen.70 Dieser 'Abschottungsprozeß' gegen exterritoriale Gerichte läßt sich erklären aus dem Bemühen, zersplitterte Herrschaftsrechte zu konzentrieren; daher wird die Frage nach Gerichtsautonomie zu einer kaum zu überschätzenden Frage mit politischem Stellenwert. Dieser zentrale Problembereich in der Markgrafschaft Burgau spielte in Hessen anscheinend keine Rolle, da weder in der Judenordnung von 1539 noch in den ihr nachfolgenden Ordnungen die Gerichtszuständigkeit gegenüber übergeordneten Gerichten geregelt wurde, wobei hier offenbleiben muß, worauf sich diese Unterschiede zurückführen lassen." In Hessen wird im Unterschied zu den Territorialisierungstendenzen der inneijüdischen Gerichtsbarkeit in der Markgrafschaft den Gemeinden sogar eine eigene Jurisdiktion explizit zugestanden.72 2) Der Bereich Wirtschaft wurde in beiden Territorien reglementiert. Trotz der Absicht, die Untertanen vor wuocherlichen Contracten zu schützen, erfolgte in der Burgauer Ordnung keine Festlegung des Höchstzinssatzes, während für Hessen mehr als 5% Zinsnahme pro Jahr verboten wurde.73 Der erste überlieferte Hinweis
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schichte und Kultur. Bd. 17). S. 183-197. Friedrich Battenberg: Reichkammergericht und Archivwesen. Zum Stand der Erschließung der Reichskammergerichtsakten. In: Das Reichskammergericht in der Deutschen Geschichte. Hg. von Bernhard Diestelkamp. Köln, Wien 1990 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Bd. 21). S. 173-194. Dazu allgemein: Dietmar Willoweit: Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit. Köln, Wien 1975. Zur Markgrafschaft Burgau: W. Wüst: Prinzipien und Zielsetzungen (Anm. 9). Stefan Rohrbacher: Stadt und Land. Zur 'inneren' Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit. In: Jüdisches Leben auf dem Lande (Anm. 15). S. 37-58, hier S. 47. Das Hofgericht Rottweil scheint vom Gerichtssprengel her nicht für Hessen zuständig gewesen zu sein. Vgl. G. Mentgen (Anm. 60) S. 398. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 61 [13]. Vgl. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 60 [7].
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für eine gleichartige Regelung in der Markgrafschaft Burgau ist ein Mandat Erzherzog Ferdinands III. von Tirol von 1580.74 Diese Festschreibung des erlaubten Zinssatzes auf 5% läßt sich möglicherweise als direkter Reflex auf die Regelung der Reichspolizeiordnung von 1577 interpretieren, wo den Juden verboten wurde, mehr als 5% Zins zu nehmen.75 Damit wurde die Zinsnahme auf Kredite in einem eng gesteckten Rahmen legalisiert. Ebensowenig wie der Zinssatz wurde in der Judenordnung von 1534 der Handel mit gestohlenem Gut reglementiert. Auch hierin ergibt sich ein eklatanter Unterschied zu Hessen, wo der Kauf bzw. Verkauf von Diebesgut mit dem Tod bestraft wurde.76 Reichsrechtlich erfolgte die Rücknahme des Marktschutzrechtes77 1548 in der Reichspolizeiordnung. Auf territorialer Ebene wurde dies in der Markgrafschaft Burgau nachweisbar erst 1561 umgesetzt: In einem Schreiben wies die vorderösterreichische Regierung Landvogt und Rentmeister in Burgau an, Juden und Christen öffentlich zu verkünden, daß gestohlenes Gut ohne Entgelt und Erstattung herausgegeben werden mußte.78 Auch in den Interims vertrag von 1587, den provisorischen Herrschaftsvertrag zwischen Insassen und Landesherr, wurde diese Regelung übernommen.79 Die deutlichsten Unterschiede im Bereich Wirtschaft ergeben sich für die in der Burgauer Ordnung verbotenen Liegenschaftskredite. Nach ersten Auswertungen spielten innerhalb der christlichjüdischen Kreditbeziehungen Darlehen auf Immobilien in der Markgrafschaft Burgau - im Unterschied zu Hessen - eine überaus wichtige Rolle. Im Fall von Zahlungsverzug oder -Unfähigkeit klagten die jüdischen Kreditgeber ihre Ansprüche beim Hofgericht Rottweil ein und erhielten in der Regel 'Anleite' auf die Güter des Schuldners.80 Das konnte im Einzelfall so weit gehen, daß die christlichen Schuldner bei vollständiger Zahlungsunfähigkeit zeitweise in 'jüdische Untertä-
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HHStA Wien. Handschriften Weiß 236/2. fol. 487. Auswertung bei S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 107. RPO 1577. Tit. 20 §6 (Anm. 31) Bd. III. S. 389f. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 61 [10]. Das Marktschutzrecht stammte aus der mittelalterlichen Tradition der weitgehenden Garantie des freien Handels, nachdem Heinrich IV. erstmals 1090 für Speyer und Worms ein Privileg erlassen hatte. Zum Begriff vergleiche die Diskussion bei M. Toch (Anm. 14) S. 109. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 647. fol. 443. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich Nr. 1587 Juli 31/1. Burgauische Interimsmittel. In den kaiserlichen Privilegien findet sich diese Regelung ausschließlich in der Freiheit für Ulm von 1561. Vgl. R. Mix (Anm. *) Tabelle S. 96. Vgl. hierzu die Urteilsbriefe des Hofgerichts Rottweil in verschiedenen Beständen des Staatsarchivs Augsburg (z.B. Reichsstadt Memmingen, Urkunden und Gerichtsurkunden Mindelheim). Zum Begriff'Anleite' siehe HRG Bd. 1. Sp. 175-177. Die Anleite gehörte zu den Beugungs- und Zwangsverfahren, die der Durchsetzung des klägerischen Anspruchs dienten. Im Anleiteverfahren erfolgte die Zwangsvollstreckung in das gesamte Vermögen des Beklagten, und der Spruch gestattete dem Kläger die Inbesitznahme der Güter.
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nigkeit' gelangten.8' Belegt sind Fälle, die den Übergang adeliger Rittergüter in jüdischen Besitz dokumentieren,82 was als Indiz für die Finanzkraft jüdischer Geldleiher noch im 16. Jahrhundert gewertet werden kann. Ziel der christlichen Obrigkeit war es, ihren Untertanen diese Kredite zu verbieten, um somit jüdische Besitzansprüche auf die überschuldeten Güter von vornherein zu verhindern. Im wirtschaftlichen Bereich war dies der Hauptkonfliktpunkt, während der Warenhandel in der Markgrafschaft ohne Einschränkungen abgewickelt werden konnte. Hessen hingegen legte fest, daß auch der Warenhandel nur mit Billigung der Zünfte bzw. nach einer amtlichen Preisfixierung stattfinden durfte.83 In diesem Punkt also wurde den burgauischen Händlern ein größerer Handlungsfreiraum gewährt. 3) Bei den gewerbepolizeilichen Maßnahmen ergeben sich in beiden Rechtsquellen Überschneidungen bei der Meldepflicht von Geschäftsabschlüssen. Nach beiden Ordnungen sollten die Geldgeschäfte den Amtleuten vor Ort angezeigt bzw. im Burgauer Raum darüber hinausgehend schriftlich fixiert werden.84 Diese Parallelität weist darauf hin, daß es sich hier um eine generelle Tendenz obrigkeitlicher Politik handelte, in zunehmendem Maße Kontrollfunktionen im Bereich Wirtschaft auszuüben. Restriktionen gegen fremde Juden werden in beiden Judenordnungen greifbar, wobei diese Abgrenzungsmechanismen in erster Linie auf fiskalische und frühmerkantile Interessen zurückzufuhren sind. Die Regelungen zur Kennzeichungspflicht und zum Waffentragen der Burgauer Ordnung finden in Hessen keine Entsprechung. Möglicherweise sind diese Abschnitte ein Indiz dafür, daß auch jüdische Interessenvertreter ihre Anliegen im Entstehungsprozeß der Judenordnung vorgebracht haben, da hier Sicherheitsregelungen für die jüdische Händlerschaft auf Reisen Eingang finden. 4) Eine generelle Schutzaufnahme erfolgte in keiner der beiden Rechtsquellen. Allerdings wird in der hessischen Ordnung die finanzielle Seite des Schutzes tan81
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So z.B. im Fall von Untertanen des Klosters Wettenhausen in Hochwang, Deubach, Egenhofen, Rohr und Denzingen, die 1575 an den jüdischen Großfinancier Simon von Günzburg gelangten. StaatsA Augsburg. Gerichtsurkunden Burgau. Urkunden 1379 und 1380. Es handelt sich hier z.B. um den Besitz des adeligen Wagegg, das mit Ausnahme der hohen und niederen Gerichtsbarkeit ebenfalls Simon von Günzburg 1579 zugesprochen wurde, bis er es schließlich 1581 für 20.000 fl. an das Fürststift Kempten verkaufte. StaatsA Augsburg. Fürststift Kempten. Urkunden 4198, 4199, 4202, 4211, 4215, 4217, 4230, 4240, 4263. G. Mentgen (Anm. 60) S. 402 weist für das Jahr 1478 einen Fall nach, bei dem verschiedene Juden den Ritter Hans vom Hus erfolgreich in Rottweil verklagten und in den Bann brachten. Michael Toch: Die ländliche Wirtschaftstätigkeit der Juden im frühmodernen Deutschland. In: Jüdisches Leben auf dem Lande (Anm. 15) S. 59-67. Toch geht hier auf das Handelsvolumen und die Produktpalette der hessischen Juden ein, die über den Judenzoll "unbarmherzig fiskal abgeschöpft wurden" (S. 62). In der Auswertung der Aussagen des Manus von Steinhaus, dessen Reisen Toch für einen Sommermonat des Jahres 1571 rekonstruiert, finden sich jedoch keinerlei Hinweise darauf, wie die Regelungen der Judenordnung konkret umgesetzt wurden. Für Hessen vgl. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 60 [7].
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giert, indem die Schutzgeldforderung bekräftigt wird.85 In der Markgrafschaft Burgau wurde immerhin Schutz bei Angriffen und Beleidigungen gewährt. Die explizite Schutzaufnahme und -garantie blieb jedoch weiterhin den individuellen Schutzbriefen überlassen, so daß die Judenordnungen nur einen allgemeinen Rahmen für die Lebens- und Wirtschaftsbedingungen absteckten. 5) Vollkommen unberücksichtigt blieb in der Burgauer Ordnung die sonst so konfliktträchtige Frage der Religion, während für die Landgrafschaft Hessen in den ersten vier Artikeln der Verordnung von 1539 detailliert festgelegt wurde, daß Juden sich unter Eid verpflichten mußten, nicht gegen die christliche Religion zu 'lästern' und keine neuen Synagogen mehr zu errichten. Zudem sollten sie keine Religionsdisputationen mit Christen führen und hatten sich zu besonders für sie eingerichteten Missionspredigten einzufinden. Dieser Komplex, der unter der theologischen Federführung Martin Bucers entstanden war und wörtlich aus einem Gutachten von 1538 in die Judenordnung übernommen wurde, blieb in der Burgauer Ordnung völlig ausgespart, wobei zu fragen ist, ob diese Unterschiede allein konfessionell bedingt sind. Jedenfalls waren bislang in den Quellen keine Hinweise auf missionarische Bekehrungsversuche, Zwangspredigten oder Zwangstaufen in der Markgrafschaft Burgau zu finden. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, daß in den protestantischen Territorien seit der Reformationszeit die Sorge des Landesherrn um das Seelenheil, die religiösen Bedürfnisse und den Lebenswandel der Untertanen deutlicher erkennbar wurde.86 Andererseits ist anzunehmen, daß der Konfessionswechsel eine gewisse Verunsicherung, aber auch Diskussionsbereitschaft in Glaubensfragen mit sich gebracht hatte. Deshalb sah möglicherweise Landgraf Philipp von Hessen seine Fürsorgepflicht als Landesherr auch darin, seine protestantischen Untertanen vor weiteren religiösen Verunsicherungen oder Anfechtungen zu schützen. 6) Ebenso blieben in den burgauischen Regelungen Fragen des christlichjüdischen Zusammenlebens unberücksichtigt, Konfliktbereiche also, die sich für das 17. und 18. Jahrhundert zahlreich nachweisen ließen (Sexualkontakte,87 Sabbatmägde, Eruw, Weidestreitigkeiten88 etc.). Das wirft die Frage auf, ob zu diesem frühen Zeitpunkt Größe und Organisationsgrad der jüdischen Gemeinden noch nicht so ausgebildet waren, daß es innerhalb der Orte zu massiven Konflikten kam, oder ob vielmehr diese Bereiche den innerörtlichen Regelungsmechanismen überlassen wurden und damit dem Willen der jeweiligen Ortsherren. Das würde bedeuten, daß man zugunsten eines durchsetzbaren Minimalkonsenses auf weit85 86 87
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F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 61 [14]. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 3. Vgl. Judenordnung für Hessen von 1539 in: F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 59-61. Abschnitt [9] verbietet den sexuellen Kontakt zwischen jüdischen Männern und christlichen Frauen und ahnet ihn mit der Todesstrafe. Vgl. zu den letztgenannten Punkten S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) Kapitel 6.
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reichende, aber dafür inakzeptable Regelungen verzichtete. Demnach scheint es sich hier um ein grundsätzlich anders zu bewertendes Verhalten als 1581 zu handeln, als Erzherzog Ferdinand III. den Versuch unternahm, eine weitreichende Landesordnung zu formulieren, diese jedoch nur in den Kameralorten verkünden lassen konnte, um Konflikte mit den Insassen der Markgrafschaft zu vermeiden.89 Für den Untersuchungsraum jedenfalls bestätigt sich die These Battenbergs, daß meist die Beschwerden als Aufhänger genutzt wurden, um weittragende Normen zu erlassen,90 nur zum Teil. Zwar wurden auch hier Beschwerden laut; es hat aber eher den Anschein, als ob nur die heftigst umstrittenen Problembereiche angegangen wurden, um das sensible Gleichgewicht der verschiedenen Rechtsbereiche nicht zu stören. Die Bedeutung der Ordnung und darüber hinaus der Judenpolitik wurde bislang vor allem vor dem Hintergrund der herrschaftsrechtlichen Situation in der Markgrafschafit Burgau diskutiert: In diesem Gebiet, in dem die lehensrechtliche Zersplitterung des Spätmittelalters zu seiner vollen Entfaltung gelangt war, diente die Judenansiedlung und die entsprechende Gesetzgebungstätigkeit eher als Mittel, Herrschaftsanspruch zu demonstrieren. Gerade in Territorien mit wenig ausgeprägter Landeshoheit oder sich überlagernden Herrschaftsansprüchen bot es sich an, das Judenregal auszubauen, um damit herrschaftliche Ansprüche zu demonstrieren und durchzusetzen. Daneben wird von Rolf Kießling eine andere Funktion der Ordnung betont: Ziel "war es offensichtlich nicht, eine umfassende Judenordnung zu erlassen, sondern die Konflikte zu begrenzen und eine gewisse Sicherheit herzustellen [...]."" Das galt für beide Parteien: Einerseits wurden die Juden unter den juristischen Schutz der Markgrafschaft Burgau gestellt, zum anderen aber erreichten die innerhalb der Markgrafschaft begüterten Herrschaften die Sicherung der ökonomischen und juristischen Situation ihrer christlichen Untertanenschaft. Gleichzeitig konnte sich die Regierung als Schlichtungsinstanz etablieren, und das in einer Zeit, als Burgau an den Bischof von Augsburg verpfändet war. Diese Vermittlungsfunktion wird während des 17. Jahrhunderts immer wieder greifbar, besonders dann, wenn einzelne Ortsherren die Ausweisung der Juden aus ihrem Gebiet erreichen wollten: Beispielsweise als in Ichenhausen der Ortsherr Bruno vom Stain 1622 die Ausschaffung der Juden durchsetzen wollte, jedoch an der Position der Regierung von Innsbruck und einer kaiserlichen Intervention scheiterte, so daß er sich 1625 mit der Judenschaft auf einen Vergleich einigen mußte.92 Über diese zwei Interpretationsmöglichkeiten hinaus werden Judenordnungen auch als Disziplinierungsinstrumente der Feudalherren zur Eingliederung der Juden in einen einheitli89
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Hierzu und zur problematischen Überlieferungssituation S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 104. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 25. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 7) S. 161 f. S. Braun (Anm. 7) S. 44-52.
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chen Untertanenverband gesehen.93 In besonderem Maße trifft diese These auf die Regelung zur Gerichtszuständigkeit in der Burgauer Ordnung zu. Mit dem Zwang, die burgauischen Gerichtsinstanzen zu konsultieren, sollte diese Eingliederung in die Untertanenschaft erfolgen, die gleichzeitig mit einer Loslösung von der Reichsjurisdiktion einherging. Die Umsetzung dieses Punktes gelang jedoch nicht unmittelbar: So führten die massiven Einwände der Judenschaft dazu, daß dieser Punkt der Judenordnung revidiert werden mußte. Das Verbot, sich an das Hofgericht Rottweil zu wenden, sollte sich nach dieser Ergänzung nicht auf die bereits vor Erlaß der Judenordnung abgeschlossenen Geschäfte beziehen.94 Einen neuerlichen Vorstoß in diese Richtung unternahm die vorderösterreichische Regierung erst wieder 1541. In einem Schreiben an Prälaten, Adel, Städte und Märkte in der Markgrafschaft Burgau wird den Juden, die weiterhin ihr Recht bei exterritorialen Gerichten suchen, die Ausweisung aus den insässischen Herrschaften angedroht.95 Die Frage des Gerichtswegs nach Rottweil sollte im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts und darüber hinaus ein zentraler Streitpunkt bleiben.96 Dennoch erreichten die Insassen, die in ihren Herrschaften Juden angesiedelt hatten, mit dem Interimsvertrag von 1587 eine Einbindung der Judengemeinden in ihren Untertanenverband,97 weshalb die Markgrafschaft danach nicht mehr für sich beanspruchen konnte, mit einer umfassenden Judenordnung in deren Belange reglementierend einzugreifen. Möglicherweise blieb es daher bei dem rudimentären Ansatz von 1651,98 als Erzherzog Ferdinand Karl nach einer Beschreibung der Markgrafschaft Burgau einen letzten Versuch unternahm, eine Judenordnung zu erlassen, die in der Rechtspraxis jedoch ohnehin nicht rezipiert wurde. Da es sich insgesamt nicht um eine Reglementierung sämtlicher jüdischer Lebensbereiche oder um eine Erfassung aller Konfliktfelder zwischen Juden und Christen handelte, zeichnet sich ab, daß der Erlaß dieser Ordnung möglicherweise nur der Versuch war, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, mit dessen Hilfe die vor 1534 immer wieder vorstellig gewordenen Insassen und die in der Markgrafschaft ansässige Judenschaft ihre Konflikte schon im Vorfeld vermeiden oder zumindest begrenzen konnten. So war es ein Schritt auf der Suche nach einem 'modus vivendi', der jüdisches Leben ermöglichte.
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J.F. Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? (Anm. 15) S. 30. HHStA Wien. Reichshofrat. Confirmationes Privilegorum K. 95 (Konv. 1). fol. 35v. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 646. fol 160v-161r. So konnte in zahlreichen kaiserlichen Privilegien das Verbot nachgewiesen werden, den Gerichtshof in Rottweil zu konsultieren. Vgl. R. Mix (Anm. *) S. 92 und Tabelle S. 96. S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 105. Vgl. zur Überlieferungsproblematik S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 105f.
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III. Umsetzung in die Praxis, Überlieferungsgeschichte und Publikation Wie die Umsetzung der Burgauer Judenordnung erfolgte, kann nicht für alle Regelungsbereiche rekonstruiert werden. So fehlen Hinweise in den Quellen, die Aussagen darüber erlauben würden, wie z.B. die Richtlinien zum Waffentragen oder zur Kennzeichnungspflicht gehandhabt wurden. Die schriftliche Fixierung der Geschäftsabschlüsse wurde in den Ämtern recht unterschiedlich umgesetzt. Protokollbände existieren häufig erst ab dem beginnenden 17. Jahrhundert." An einem Beispiel kann jedoch deutlich gemacht werden, wie umstritten die Vorgabe zur Verschreibungspflicht war. Während die Judenordnung von 1534 ausdrücklich die lokalen Vertreter der Obrigkeit autorisierte, die Protokollierung der Handelsgeschäfte vorzunehmen, wurde im Reichstagsabschied 1551 festgelegt, daß diese Praxis nicht aufrecht erhalten werden sollte. Dennoch scheint gerade die Günzburger Judenschaft - und unter ihnen v.a. der Großfmanzier Simon von Günzburg - die Dienste des Günzburger Stadtschreibers Benedict Muelich in Anspruch genommen zu haben. Der Abt Johann von Roggenburg, der diesen Zustand anprangerte, erreichte mit seiner Supplikation, daß der Günzburger Stadtschreiber von der vorderösterreichischen Regierung 1562 abgemahnt wurde. Ihm wurde verboten, weitere Verschreibungen vorzunehmen.100 Wie die Privilegien zeigen, konnten die Liegenschaftskredite nicht effektiv verhindert werden, da fast alle kaiserlichen Freiheiten derartige Bestimmungen enthielten.101 Eine erste Analyse der Urteilsbriefe des Hofgerichts Rottweil hat zudem ergeben, daß die jüdischen Kreditgeber ihre Ansprüche weiterhin bei dieser Instanz einklagten - und das, obwohl sich die Revision des Verbots in der Judenordnung lediglich auf die vor 1534 abgeschlossenen Geschäfte erstreckte. Auch für diesen Bereich ergibt sich also, daß die Ordnung nicht konsequent umgesetzt werden konnte. Überlieferungsgeschichtlich ist die Judenordnung bislang nur nachweisbar als Abschrift in einem Kopialbuch der Regierung von Vorderösterreich, nicht jedoch als gesiegelte Urkunde oder in einer Druckfassung. Allerdings scheint das nach den vorliegenden Befunden für diese frühen Verordnungen ohnehin typisch zu
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StaatsA Augsburg. Adel von Zobel. Amts- und Briefprotokolle von Pfersee 1606-1682. Nr. 1-6. Adel von Langenmantel. Amts- und Kontraktenprotokolle von Ottmarshausen 15801840. Nr. 1-14 und 36-40. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich, Literalien. Kontrakten- und Verhörsprotokolle, Amts- und Pflegamtsprotokolle von Krumbach und Hürben 1619-1808. Nr. 248-286. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 647. fol. 603v-604r. Vgl. R. Mix (Anm. *) Tabelle S. 96.
Die Judenordnung der Markgrafschaft
Burgau
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sein.'02 Da gedruckte Fassungen, die in der Regel für den amtsinternen Gebrauch und für Anschläge an öffentlichen Gebäuden verteilt wurden, nicht erhalten sind, fehlen Publikationsvermerke, die Aufschluß über die Art und Häufigkeit der Bekanntmachung geben könnten. In den seltensten Fällen richteten sich diese Verordnungen jedoch direkt an die Untertanen, sondern an die Amtleute als Vertreter der landesherrlichen Interessen auf lokaler Ebene.103 Sie waren mit dem Vollzug betraut, indem sie z.B. für die protokollierungspflichtigen Geschäfte die Verträge aufsetzten und gegen Verstöße vorgehen mußten. Neben den Amtleuten der Markgrafschaft Burgau sind als Adressaten natürlich die entsprechenden Instanzen in den Herrschaften der Fugger (Grafschaft Kirchberg und Herrschaft Biberbach) und in der Herrschaft Seyfriedsberg zu nennen. Die Bekanntmachung neuer Rechtsvorschriften erfolgte für die Juden meist über die Publikation des Textes vor Ort durch einen Amtmann oder autorisierten Notar. Er ließ die jeweilige Judenschaft zusammenrufen oder vorladen, verlas den Inhalt der Verordnung oder eines kaiserlichen Privilegs und übergab anschließend den Vertretern der jüdischen Gemeinde eine Kopie. Zum Teil recht detaillierte Protokolle über diese Art der Bekanntmachung, die manchmal sogar die Reaktionen der Betroffenen wiedergeben, liegen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor, besonders für kaiserliche Privilegien.104 Es ist jedoch anzunehmen, daß die Judenordnung auf ähnliche Weise veröffentlicht wurde. Im Unterschied zur Landgrafschaft Hessen, wo die Publizierung zum Teil anläßlich der jährlichen Zusammenkünfte der Juden erfolgte, die zumindest seit 1642 zur Missionierung zwangsweise abgehalten wurden, ist diese Tradition in der Markgrafschaft Burgau nicht nachweisbar. Die Bedeutung der Ordnung erschließt sich durch einen Blick auf die im Verlauf des 16. Jahrhunderts folgenden Dokumente. Erst für das Jahr 1581 ist ein weiterer Versuch zu verzeichnen, eine Landesordnung für die jüdischen Untertanen zu erlassen. Erzherzog Ferdinand III., der neue Regent der Grafschaft Tirol, ließ eine Ordnung verfassen, die allerdings nur in den Kameralorten publiziert wurde.'05 Aus einem Gutachten'06 geht hervor, daß die Regierungsräte den Erlaß einer Judenordnung für die gesamte Markgrafschaft Burgau nicht für durchführbar hielten, da dies nur Spannungen mit den Insassen produziert hätte. Das läßt den Schluß zu, daß das labile Gleichgewicht in diesem Raum es nicht erlaubte, eine
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Auch von der ersten umfangreicheren Judenordnung für die Landgrafschaft Hessen von 1539 ist weder das Original noch ein Druckexemplar, sondern lediglich eine Abschrift erhalten. Vgl. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 59 und Anmerkung S. 61. Vgl. F. Battenberg: Judenverordnungen (Anm. 4) S. 26f. Vgl. zur Auswertung einiger Insinuierungsprotokolle R. Mix (Anm. *) Tabellen S. 49-51, S. 59-61, S. 65-71, S. 75 und S. 79f. S. Ulimann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 104f. Ein inhaltlicher Vergleich der Ordnungen ist nicht möglich, da bisher kein Exemplar gefunden werden konnte. Tiroler Landesarchiv Innsbruck. Regierungskopialbuch Nr. 64. fol. 103v.
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Ordnung gegen den Willen der Insassen zu oktroyieren, da dahinter die Absicht vermutet wurde, landesherrschafitliche Dominanz zu demonstrieren. Vor dem hier skizzierten Hintergrund wird deutlich, daß die Judenordnung von 1534 gerade für die Konsensfähigkeit zwischen Landesherr, Pfandinhaber und Begüterten in der Markgrafschaft Burgau steht. Diese Konsensfähigkeit scheint bereits am Ende des 16. Jahrhunderts nicht mehr vorausgesetzt werden zu können, da die zunehmende Vereinnahmung des Judenregals durch die Insassen einer stark ausgeprägten Landeshoheit als Territorialgewalt keinen Raum mehr ließ. Dieses Ergebnis kann auf den Interimsvertrag von 1587 übertragen werden. Die Insassen erreichten damit eine weitgehende Einbindung der Judengemeinden in den Untertanenverband.107 Inhaltlich kann kein Zusammenhang mit der Ordnung von 1534 herausgearbeitet werden. Im Gegenteil: Der Schutz, der 1534 zugesichert worden war, mußte aufgrund der Machtverhältnisse weitgehend zurückgenommen werden. Ohne daß tatsächlich eine Ausweisung erfolgt wäre, wurde diese dennoch auf Drängen des Engeren Ausschusses festgeschrieben. Der begrenzte Handlungsspielraum Vorderösterreichs in der Frage des Judenschutzes wird daran deutlich, daß eine vom Landesherrn erlassene Judenordnung in den Insassenorten nicht wirksam werden konnte. Die Einzigartigkeit der Judenordnung von 1534 spiegelt die komplizierten Herrschaftsverhältnisse wider; was 1534 trotz der Verpfändung möglich war, ließ sich schon 1581 nicht mehr wiederholen.
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S. Ulimann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 7) S. 105.
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Judenordnung der Markgrafschaft Burgau [fol. 107r]
Judenordnung Graffschafft Kirchperg Biberbach Seyfriedsperg
Bischoff zu Augspurg
Statt Augspurg
Löble Villinger Fugger
Wir Ferdinand etc. Bekennen offennlich mit dißem brief, Nachdem vnns etwan vil klagen, und beschwerungen flirkomen sein, welcher gestalt die Jüdischhait, in vnnser marggrafschafft Burgau und anndern vnnsern Oberkaiten, daselbst umb als in vnnser Grafschafft Kirchperg und herrschafften Biberbach und Seyfridsperg die unnderthanen und Jnnsassen, derselben vnser marggrafschafft, Grafschafft und Herrschafften vil Jar her übemomen beschwärt vnd in verderblich schaden geflirrt haben, und noch täglichen üben und bräuchen. Und wir aber von den Jnnhabern derselben vnnser marggrafschafft, Grafschafft und herrschafften, auch dem Erwürdigen Cristoffen Bischoven zu Augspurg. vnnserm Fürsten lieben andechtigen für sich selbs und seiner andacht, Dumbstifft und Capitel und darzue von den Ersamen vnnsern und des Reichs lieben getreuen in Bürgermeister und Rat der Statt Augspurgg für sich selbst, Irer Clöster vnd Spitäler die Sy verphlegen auch Ire Bürger und Jnwoner, Und dann von Johann Löble, unnserm Rat, und Burgvogt, zu Enns als vormunder von wegen seins Stieff Suns Karll Villingers Auch von Raymunden Anthonien und Jereminen von Fuggern vnnsern Räten, Jrer Leut halben, die Sy also in derselben vnnser marggrafschafft, sizen
[fol. 107v] haben, umb abstellung und wenndung Jüdischhait verderblich wucherisch Hanndlung so Sy gegen bemelten vnnsern und anndern Unnderthanen. vnd Jnnsassen brauchen vnd üben angerueffen und gebeten worden sein, Was wir unns darauf auf solchs Jr ansuchen, und damit bemelte unnsere und anndere Unnderthanen und Jnnsassen
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[1.]
Daz kain Jüd. auf kain bestimpts oder specifficierts ligendts Stuckh, weder mit noch on verschreibung ausleihen solle.
der obgemelten ennde, hinfiir vor sollichen verderblichen Wucherischen Contracten vnd hanndlungen, verfurt werden, nachvolgennden ord[nung] entslossen haben, vnd thun solchs als Regierender] herr, und Lanndsfiirst von bemelter Vn[nserer] marggrafschafft Burgau und annder vor[be-] melter vnnser Grafschafft und Herrschaften, wissentllich mit und in crafft diz briefs, Und nemblichen am ersten, wollen wir daz yez und hinfiir in kunfftig Zeit in vnnser marggrafschafft Burgau, auch grafschafft unnd herrschafften kain Jud auf kain bestimpts und specificierts Ligennd stuckh noch gueter, weder mit noch on verschreibung auch weder in gemain und sonnder Ichizit ausleihen noch ainichen anndern Contract und hanndl treiben, machen, annemen, noch brauchen, Wo aber daz darüber beschehe, so sol der Jud, der daz gelt, so Er auf ain oder mer gelegen stuckh und gueter in gemein oder in sonnders gelihen
[fol. 108r] oder gelegt hette, die schuld desselben gelts verlorn haben vnd darzue der oberkait in die straff sovil dess anlehen oder annder Contract, darumb die verschreibung aufgereiht wer, betrifft gefallen sein, auch die brief. So wider dise Ordnung vnd Sazung aufgereiht vnd vmb Verpfandung oder in annder Weg in gemain oder in sonnder auf gelegen stucken unnd guetern Lauten. Waren oder werden weder Inner noch ausserhalb Rechtens die Weren geschworn oder nit, vnd sonst in annder Weg. Verwirkt Wie des mennschen Seynn mecht erdenncken. krafftlos nichtig vnwürcklich und von vnwürden haissen, und sein, und in Recht darauf und darüber noch sonst von yemannd. Wie weitter hernach volgt, nicht erkanndt noch Procedirt werden in ainich weg.
Die Judenordnung der Markgrafschaft
[2.]
Juden sollen nichts auf varende hab leihen
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Zum anndern soll auch kain Jud. der ausserhalb vorgemelter vnnser marggrafschaffit Grafschafft und Herrschaften wonet in derselben marggrafschafft Grafschaft und Herrschaft auch gebiten, darumb niemannds weder in gemain noch in sonnder auf Varennde Hab weder wenig noch vil auf oder an Wuecher leihen. Würden aber ainer oder mer, obgemelter unnser marggraffschafft Graffschafft und
[fol. 108v] herrschafften. Vnnderthanen Jnnsassen, und Zugehörigen, den Juden, die ausserhalben derselben wonen, vnd gesessen sein, nachuolgen und von Jnen Jcht entlehnen, dieselben vnnser vnnderthanen, hindersassen und Zugehörigen, sollen yeder auch umb fiinff Reinisch gülden in agentz von Jren ordennlichen gerichtsherren gestrafft werden, doch unabgewirkt den frembden Juden. Jr vordrung sovil Sy der fug und Recht haben und wie recht ist, Doch allain in vorbeschehenen hanndlungen Zuersuchen wie sich geburt,
[3.]
Zum dritten so ordnen und wollen wir auch, daz alle Jüdischhait in unnser marggrafschafft Burgau und anndern vorgemelten Grafschaften und herrschafften [vnd] sonst umb all annder Sachen, die sich in Zeit Jrer beywonnis zutragen. Verlauffen und begeben, in bemelter marggrafschafft Burgau und den anndern Graffschafft und herrschafften in Stetten, märckten und dörffern, da die Sachen ordennlichen Zurechtfertigen gebürn, recht geben und nemen, und die obgemelten vnnderthanen und Jnnsassen derselben vnnser marggrafschaft Burgau Graffschaften und herrschafften ainen yeden
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[fol. 109r] bey recht derselben ennde bleiben lassen und mit frembden Gerichten nit beschwern und die schuld, so die Juden Also Inner unnser marggrafschafft Burgau und den anndern Grafschafft und herrschafften bey derselben Vnnderthanen yezo haben, oder Künfftigklich überkomen sollen und mugen, Sy bey gedachten Ordenlichen gerichtsobrigkaiten, gutlich oder Rechtlich ersuchen und bey guhtiger bekanntlicher schuld erfunden, werden, darinnen sollen Jnen die Ambtleut derselben Gerichtsobrigkaiten hülfflich sein vnd die Vnnderthanen, ausserhalb rechtens sovil sich gebürt, dartzu halten vnd verschaffen, daz Sy derselben entricht und bezalt und nit aufgehalten werden. Aber umb schulden und anfordrungen, deren die Juden in der güttigkait und ausserhalb Rechtens nit bekommen möchten, darumb soll den Juden auf Ir anrueffen, in gemelter vnnser marggrafschafft Burgau und den anndern Grafschafft und Herrschafften Gerichten da die ordenlich hingehörn zu den gewondlichen gerichtstagen wie den Cristen on Verzug recht und alle pillichait gestatt werden, Doch so die auslenndischen Juden, also Ire schulden und anfordrungen, gütlich oder rechtlich ersuchen, So sollen Ir auf ainmal in die Stett, märckt,
[fol. 109v] dörffer Weyler und Flecken derselben vnnser marggrafschafft Grafschafft und herrschafften nit aber die vier mitainannder komen, Sovern auch die Juden sonst annderer Irer notturfft halben durch unnser marggrafschafft Burgau Grafschafft und herrschafften und derselben Oberkaiten und gebiet ziehen wollen, desselben sollen Sy sich auch zimblich gebrauchen. Doch sich zuvor so bald Sy in die Stett berürter vnnser marggrafschafft Burgau auch Grafschafft und herrschafften komen zum wenigsten ainem derselben herrschafft
Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau
Ambtman oder desselben vnnser, oder sovern Sy die derselben Zeit nit finnden noch gehaben möchten Alszdann ainem von dem Gericht an demselben ort ansagen, Alszdann soll Jnen der durchzug on beschwerung gestatt werden, Wo aber die Juden zu der guetlichen ersuchung und einbringung Jrer schulden und anfordrungen desgleichen auch Zuo den gerichtstagen in die Stett vorbenannter unnser marggrafschafft Burgau, oder den anndern Grafschafft oder herrschafften auf ain mal aber vier mit ainannder komen, vnd sich auch nit zuvor desgleichen so Sy also derselben Ennden, durch ziehen auch nit ansagen würden, derselben yeder soll umb sechs gülden gestrafft werden, Es were denn, das sollich Juden Jrer notturfft nach strackhs durch ziehen, vnd nit lennger als denselben
[fol. 110r] tag oder nacht. So Sy also in ain statt marckt oder Flecken komen, daselbst verharen wolten oder werden, so sollen Sy sich dermassen ainzutzaigen nit verbunden sein,
[4.] [durchgestrichen] # (doch on freyhait verzig) wie [Zusatz:] warumb daz were,
Zum Vierten so die Juden in vnnser marggrafschafft Burgau und den anndern Grafschafft und herrschafften hinfiir mit derselben Vnnderthanen ainich brief und verschraibung *, aufrichten und verfertigen wolten, so sollen dieselben brief durch Gerichtsherrschafft oder derselben verweser, do die anlehen oder annder Contract beschehen. Wie sich gepürt besigelt und darzu mit derselben hanndtzaichen vnnderschriben werden Welcher aber selbst ain Sigil hette, der mag die brief darJnn begriffen selbst sigeln Es sollen aber dieselben brief nicht destminder wie obsteet mit der Schuldner oder hanndler selbs hannden, oder so dieselben nit schreiben künden, mit ains Erbarn glaubwürdigen wol bekannten Gezeugens so daselbst hushablich angesessen ist, hanndtschrifft unnderschriben und bezeichnet. Und die Juden
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sollen damit nicht Übernomen oder beschwerdt werden sonnder von ainer yeden besiglung nit mer als ain Behemisch und für daz hanndtzeichen ain kreitzer zegeben schuldig sein, Welicher Jud aber in der marggrafschafft Burgau oder den anndern, Grafschafft oder herrschafften wonhafft darüber [fol. 110v] annderstes ain brief oder verschraibung aufrichten würde, der soll krafftlos sein nicht gelten noch darauf gehanndlt oder erkenndt vnd darzu derselb Jud dergleichen auch der vnnderthan vnd Jnnsass den derselb brief und uerschraibung berürt yeder zehen gülden zegeben schuldig sein. Wir ordnen sazen und wollen auch so ain Vnnderthan in unnser marggrafschafft Burgau oder anndern vorgemelten Grafschafft und herrschafften an sainer schuld oder gegebnen verschreibung ainem Juden Jchizit gibt, bezalt oder vergnuegt, daz sollichs auf sein gegebnen schuldbrief oder verschreibung ordenlich verzaichnet und geschriben, damit Er nachmaln von dem Juden, nit vmb ganntze Summa angelangt und ersucht werde Welcher Jud aber wenig oder vil von ainem vnnderthanen an seiner gegebnen verschraibung ainnommen, empfahen oder sonst vergnuegt würde, und solichs auf sein empfangnen schuldbrief nit aigentlich schreiben oder verzeichnen last, so soll alsdann der Jud, auf des Schuldners bewerlich furbringen der gethanen bezalung oder vergnuegung von sein Clag vnd forderung dess übrigen Rests der verschribnen schuld gefallen, Und sollicher schuldbrieff nit mer kräfftig oder würcklich vnd darzu der Jud der oberkait so vil als an sollichem schuldbrief noch vnbezalt wer, für straf verfallen und zubezalen schuldig sein, [fol. 11H [5.]
Zum funfften, damit man die Juden von den Cristen erkennen mug, und dester weniger Contrawand gebraucht werde, so soll hinfiir ain
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Die Judenordnung der Markgrafschaß Burgau
yeder Jud der in vnnser marggrafschafft Burgau oder den anndern Grafschafft und herrschafften. Er were ain einsäss oder frembd zuhanndln oder zuwanndln hat, oder durchziehen wolt, oder würde, ain gelben Ring sichtigklich tragen. Aber so die Juden allain durch die Stett, dörffer unnd Flegken vnnser marggrafschafft Burgau oder den anndern Grafschafft oder herrschafften, durchziehen, Und nit über denselben tag oder lennger, als die nacht daselbst verharren oder bleiben würden und sich darynn kains hanndls oder wanndels gebrauchen desgleichen auch auf dem Lannd sollen Sy die angezaigten, gelben Ring, Zutragen oder Zufuern nicht verpflicht sein, Es sollen auch die Juden hinfür in vnnser marggrafschafft Burgau oder den anndern Grafschafft oder Herrschafften Stett, märckt, dörffer, Weyler, Flecken und Gerichten, kain weer und sonnderlich kain Wurffpeihel oder lannge Waffen fueren, oder tragen sonnder so Sy also in Stetten zehanndln haben, dieselben Waffen, vnd weren, vnnder den Thorn oder in Jren her[fol. l l l v ] bergen lassen, Aber Prettmesser klaine dolchle vnd waidnerle die mugen Sy wol tragen deszgleichen auf dem Lannd ausserhalben der Stett mugen Sy die annder Jre wem und waffen, auch fuern und tragen, Welcher Jud aber die Ring nicht tragen sich auch der Waffen, wie yez gemelt ist nicht massen, würde, der soll umb drey gülden gestrafft werden.
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Zum Sechssten so ordnen und wellen wir daz die Juden in vnnser marggrafschafft Burgau vnd den anndern vorgemelten Grafschafft und herrschafften so sich die strassen Stett und märckt, dörffer Weyler und Flecken
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obgeschribner Ordnung vnd Satzung noch besuchen mit nam, angriff noch in annder Weg, nit beschwern belaidigt, beschedigt noch geschmäht, sonnder bey Recht wie Recht ist gefordert. Und bey aller pillichait gehanndthapt, vnd geschirmet, Und wer darüber die Juden mit nam, angriff mit Worten oder Wercken vnbillicher weis belaidigen beschwern, oder schmehen würde, der soll dem Juden, darumb nach billichen Dingen abtrag vnd widerkerung schuldig und darzue in vnnser vngnad oder vorgemelter vnnser marggrafschafft Graf[fol. 112r]
schaff oder herrschafften hohe Gericht darJnn solchs beschehen were, gefallen sein, vnd nach vngnad gestrafft werden. Doch wellen wir hierJnn die Juden, so aus vnnserm Kunigreich Beheimltalia oder annderer ort hanndln vnd durch unnser marggrafschafft Burgau vnd die anndern obgemelten Grafschafft und herrschafften ziehen werden auszgeslossen haben, dieweil in vnnser oberkait niemands dann wir zu glaiten hat, Wo derselben Juden ainer oder mer vnangesagt und vnerfordert Glaits in und durch vorgenannt vnnser marggrafschafft Grafschafft und Herrschafften ziehen würden, daz gegen denselben von vnnsern oder wer von unssern wegen, die bemelten marggrafschafft, Grafschafft und herrschafften Innen hat, durch vnnser oder derselben Ambtleut gehanndlt werden mug. wie sich gepürt vnd Recht ist,
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Zum letsten so sollen all angezaigt straffen zu unnsernn als Regierennden Herrn und Lanndsfursten vorgemelter vnnser marggrafschafft Burgau auch Grafschafft Krichberg vnnd herrschafften Biberbach und Seyfriedsperg oder des der die von vnnsern wegen, Innen hat hanndln eingezogen vnd darJnn niemannd
Die Judenordnung der Markgrafschaft
Burgau
[fol. 112v] angesehen noch verschont werden, Und emphelln darauf den Innhabern vnd Verwaltern derselben vnnser marggrafschafft Burgau auch Grafschafft Kirchperg und Herrschafften Biberbach und Seyfriedsperg auch vnnsern und derselben Ambtleut und dienern solcher vunnser marggrafschafft Grafschafft und Herrschafften auch weitter vorgenannten Bürgermaister vnd Rat der Statt Augspurgg Jrer leuet vnd unnderthanen halben, die Sy also wie obsteet in vnnser marggrafschafft Burgaue sizen haben gegenwärtigen vnd künfftigen mit Ernnst und Wellen, daz Sy unnser und Jre unnderthanen hinndersassen vnd Ingehörigen in denselben vnnser marggrafschafft Grafschafft und Herrschafften. Dergleichen die Juden bey diser vnnser Ordnung erleutrung vnd Satzung bleiben lassen, dieselb vesstigklich hanndthaben schützen und schirmen Sy dawider in ainnich weg nit dringen beschweren oder belesstigen nach solchs yemannds annderm zethun gestaten in kain weis noch weg bey vordrang vnnser Vngnad und straff. Doch behalten wir vnns hierJnn beuor dise vnnser Ordnung und Satzung gar oder Jnntail zu anndern auch meren, bessern Corrigiern oder gar abzuthun. Ongeverde, Mit Urkund dits briefs, dato 7. July anno 1534
Ortsherrschaft und jüdische Gemeinde als Vertragspartner: Der Burgauer Rezeß von 1717 für Ichenhausen* Susanne Höhnle
Am 9. November 1717 einigten sich die beiden Ortsherren des Marktes Ichenhausen, der Frey Reichs Hochwohlgebohrne Herr Franz Marquard und Johan Anthoni Freyherr von Stein zum Rechtenstein, mit der samentlichen Judenschaft daselbst [...] nach miehesamer Unternembung auf einen umfangreichen Vergleich, da im pcto emigrationis und mehrley anderen Gravaminis große Zwistigkeiten endtstanden waren - so die einleitenden Formulierungen des Textes.1 Bereits am 16. August 1717 war auf Anweisung der markgräflichen Herrschaft als Vermittlungsinstanz eine kaiserliche Kommission tätig geworden, die den sog. Burgauer Rezeß erarbeitete. Neben den beiden Freiherren vom Stain unterzeichnete als Vertragsschließender der Schutzjude Heinrich David von Buttenwiesen - wohl in seiner Funktion als Mitglied der Landjudenschaft in der Markgrafschaft Burgau. Dieser Vertrag stellt nicht nur eine wesentliche Etappe in der Ortsgeschichte der Judengemeinde in Ichenhausen dar, sondern markiert auch einen entscheidenden Punkt der Konsolidierungsphase des Landjudentums in der Markgrafschaft Burgau; zugleich ist er ein charakteristisches Beispiel für die Entstehungsprozesse judenrechtlicher Bestimmungen im Spannungsverhältnis zwischen Landesherrschaft, Ortsherrschaft und Judengemeinde in Ostschwaben, die sich von den Bedingungen in geschlossenen Territorien deutlich unterschieden. Während die jüdische Bevölkerung in zahlreichen schwäbischen Ortschaften nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht erlangen konnte und oftmals nach we-
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Der vorliegende Aufsatz bietet eine Zusammenfassung der Ergebnisse meiner unter meinem Geburtsnamen verfaßten Zulassungsarbeit: Susanne Braun: Von gemainer Judischhait in Schwaben. Der rechtliche Rahmen für das Leben der Juden in der Markgrafschaft Burgau, untersucht an den Beispielen Ichenhausen und Fischach. Zulassungsarbeit Masch. Augsburg 1991. Alle folgenden Zitate aus dem Burgauer Rezeß nach: StaatsA Augsburg. Gemeindedepot BA Günzburg Ichenhausen 13. fol. 46-53.
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nigen Jahren wieder ausgewiesen wurde,2 entwickelte sich in dem reichsritterschaftlichen Ort Ichenhausen bis zum 18. Jahrhundert eine der größten und stabilsten Judengemeinden in der Markgrafschaft Burgau.3 Um 1717, also zur Zeit des Burgauer Rezesses, standen dort etwa 600 jüdischen Einwohnern nur wenig mehr christliche gegenüber.4 Die Synagoge in Ichenhausen zeigt die frühere Bedeutung dieser Judengemeinde bis heute. Im folgenden soll zunächst der herrschaftsgeschichtliche und politische Kontext, in dem dieser Vergleich entstand, dann sein Inhalt und dessen Bedeutung für das Zusammenleben von Christen und Juden in Ichenhausen beleuchtet werden.
1. Juden in der Markgrafschaft Burgau - Leben in einer labilen Rechtssituation Von elementarer Bedeutung für die Existenz der Judengemeinden war sicherlich der politische Zustand der Markgrafschaft Burgau, die uns als typisches "territorium non clausuni"5 mit konkurrierenden Herrschaftsansprüchen, als "kompliziertes Konglomerat von Besitzungen, Rechten und Ansprüchen verschiedenster Abstufungen" 6 gegenübertritt. Hier standen sich das Haus Habsburg auf der einen Seite, das die Markgrafschaft seit dem 14. Jahrhundert als heimgefallenes Lehen für sich beanspruchte, aber nur eine schwache Landeshoheit mit nur wenigen eigenen Besitzungen ausbilden konnte, und die adeligen oder kirchlichen Ortsherrschaften, also die 'Insassen' mit eigenen Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit auf der anderen Seite gegenüber. Diese entgegengesetzten Interessen und die Politik 2
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Vgl. etwa zu Emersacker: Dana Koutnä-Karg: Emersacker im späten 17. Jahrhundert. Bemerkungen zu der jüdischen Gemeinde. In: JHVD 93. 1991. S. 404-419; sowie zu Thannhausen den Beitrag von Bernhard Stegmann und zu Oberhausen den Beitrag von Stefan Rohrbacher in diesem Band. Vgl. allgemein: Peter Fassl: Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. In: Aus Schwaben und Altbayern. Festschrift für Pankraz Fried zum 60. Geburtstag. Hg. von Peter Fassl, Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst. Sigmaringen 1991. (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens. Bd. 5). S. 21-30. Silvester Lechner: Juden auf dem Lande - die Geschichte der Ichenhausener Juden. In: Juden auf dem Lande. Beispiel Ichenhausen. Katalog zur Ausstellung. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. München 1991 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur. Bd. 22). S. 19. Dazu: Wolfgang Wüst: Günzburg. Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben. Heft 13. München 1983. S. 29-72; ders.: Die 'partielle Landeshoheit1 der Markgrafen Burgau. In: Landeshoheit. Beiträge zur Entstehung, Ausformung und Typologie eines Verfassungselements des Römisch-Deutschen Reiches. Hg. von Erwin Riedenauer. München 1994 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte. Bd. 16). S. 62-92. Adolf Layer: Die habsburgischen Besitzungen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2. Hg. von Max Spindler. 2. Aufl. München 1979. S. 982.
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der Habsburger, mit einer Basis von lediglich vier vollständig ausgebildeten Kameralherrschaften die Territorialhoheit zu beanspruchen, führte zwangsläufig zu einem über die Jahrhunderte fortdauernden Ringen um die Ausprägung der Landesherrschafit, in dem auch der Judenschutz instrumentalisiert wurde. Die Markgrafschaft beanspruchte den Hochschutz über die Judengemeinden und das 'ius incolatus', das Recht zur Aufnahme von Schutzjuden, für sich und verband damit auch jeweils die Durchsetzung der Landesherrschaft, während im Gegenzug auch die Insassen auf ihren infolge der Verpfändungen der Markgrafschaft Burgau errungenen Rechten beharrten.7 Diese Diskrepanz bei der Ausübung des Judenschutzes trug wesentlich zur Entstehung eines Konfliktpotentials im Spannungsdreieck zwischen Juden, örtlichen Herrschaftsträgern und der Markgrafschaft bei. Gleichzeitig sorgten aber gerade diese spezifischen konkurrierenden Herrschaftsverhältnisse dafür, 8 daß die Markgrafschaft Burgau zu einem Refugium und Rückzugsgebiet für die jüdische Bevölkerung werden konnte,9 als die benachbarten Reichsstädte und größeren Territorien eine rigorose Ausweisungspolitik während des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts betrieben.10 Als günstig hatte sich die strittige Herrschaftssituation in der Markgrafschaft für die Juden letztlich erwiesen, da jede Seite, sowohl die Landesherrschaft als auch die Ortsherrschaften mit ihrer Ansiedlung ihre Hoheitsrechte demonstrieren wollte." Zwar wurden die Schutzjuden jetzt von den einzelnen Ortsherrn, die im Judenregal vor allem den finanziellen Nutzen zur Aufbesserung ihrer schmalen Einkünfte sahen, abhängig 7 8
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Dazu: W. Wüst: Günzburg (Anm. 5) S. 56-72. Vgl. zu einer ähnlichen Situation in Oberhessen: Friedrich Battenberg: Assenheimer Judenpogrome vor dem Reichskammergericht. Die Prozesse der Grafschaft Hanau, Isenburg und Solms um die Ausübung des Judenregals 1567-1573. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Wiesbaden 1983 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Bd. 6). S. 123149. Vgl. Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von R. Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 154-180, hier S. 162; Sabine Ulimann: Juden und Christen in den Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650 bis 1750: Binswangen, Buttenwiesen, Kriegshaber und Pfersee. Diss. Masch. Augsburg 1997. S. 34. Friedrich Battenberg: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Bd. 1. Von den Anfängen bis 1650. Darmstadt 1990. S.162-165; Markus J. Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert. Wien 1987 (Archiv für Kulturgeschichte. Beihefte. Bd. 14). Zu den schwäbischen Judengemeinden im 16. Jahrhundert: Stefan Rohrbacher: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot [...] gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Hg. von Annette Weber, Evelyn Friedlander, Fritz Armbruster. Ausstellungskatalog. Osnabrück 1997. S. 35-42; ders.: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 9) S. 80- 109.
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und das personale Schutzverhältnis wandelte sich zunehmend zur rein fiskalischen Ausbeutung durch die zahlreichen kleinen Territorialherren - die Juden konnten aber auch die Chancen nutzen, die durch die Aufhahmebereitschafit einzelner Herrschaftsträger in der zersplitterten Markgrafschaft Burgau entstanden waren. Der Prozeß der Territorialisierung des Judenregals, der mit den Austreibungswellen aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert einsetzte, führte zu einer erheblichen Veränderung des Rechtsstatus. Aus den einst kaiserlichen Privilegien des Judenschutzes und der "Kammerknechtschaft" 12 wurden territorialherrliche Rechte. Mit der Verlagerung des Judenregals auf die Landesebene ging gleichzeitig ein Bedeutungswandel der Rechtsvorschriften einher, denn der soziale und wirtschaftliche Handlungsspielraum wurde nun maßgeblich durch die Gesetze der Landes- und Ortsherrschaft definiert. Die Reichsgesetzgebung bildete nur noch den rechtlichen Rahmen, innerhalb dem die Judenverordnungen als subsidiäres Recht in den Territorien entstehen konnten.13 Aufgrund der dynastischen Verbindungen der burgauischen Regierung zum Haus Habsburg und zum Kaiser selbst gereichte dieser Prozeß den Juden in der Markgrafschaft Burgau jedoch nicht unbedingt, wie dies von der Forschung für andere Territorien festgestellt wurde,14 zum Nachteil. Obwohl in der Markgrafschaft Burgau der Inhaber der Landesherrschaft zumeist nah mit dem Kaiser verwandt war, hielten die Judengemeinden an ihrem persönlichen Schutzverhältnis zum Kaiser fest.15 Schon beim Zustandekommen der Judenordnung für die Markgrafschaft von 1534 hatten sie sich mit Bittschriften und Supplikationen direkt an das Reichsoberhaupt gewandt,16 und auch der hier behandelte Burgauer Rezeß wurde durch eine kaiserliche Kommission vermittelt, deren Einsetzung belegt, daß sich auch die habsburgischen Kaiser für die Einhaltung der Schutzpflichten gegenüber den Juden mittels Einschaltung kaiserlicher Gerichte bzw. Kommissionen engagierten. Weiterhin läßt sich die Judenpolitik in der Markgrafschaft Burgau in zwei Phasen einteilen und folgt damit den generellen Entwicklungslinien im Alten Reich.17 12
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Begriff erläutert bei: Friedrich Battenberg: Rechtliche Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in der Frühneuzeit zwischen Reich und Territorium. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 9) S. 53-80, hier S. 57-66. Vgl. zu Hessen: Friedrich Battenberg: Judenordnungen der Frühen Neuzeit in Hessen. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Wiesbaden 1983 (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen Bd. 6). S. 83-122. Etwa für Hessen: Friedrich Battenberg: Judenordnungen (Anm. 13). Rolf Kießling: Under deß Römischen Adlers Flügel. Das schwäbische Judentum und das Reich. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997 (Irseer Schriften. Bd. 4). S. 221-255. Vgl. dazu S. Braun (Anm. *) S. 18-24. Sowie zur Judenordnung von 1534 den Beitrag von Rosemarie Mix in diesem Band. Jonathan I. Israel: Central European Jewry during the Thirty Years' war. In: Central European History 16. 1983. S. 3-30; Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1997. S. 114f.; Deutsch-jüdische Geschichte in der
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Einer ersten Phase der Labilität folgte nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges eine zweite Phase der Konsolidierung, in der nach der vollen Ausbildung des "geteilten Judenschutzes"18 das Vertragsprinzip greifen konnte, für das der Burgauer Rezeß ein markantes Beispiel ist.19 Die Ordnung von 1534 gab ihnen zwar zunächst eine gewisse Rechts- und Existenzsicherheit, die jedoch mit den antijüdischen Privilegien geistlicher und weltlicher Territorien im ausgehenden 16. Jahrhundert20 bereits wieder bedroht wurde. In einem Interimsvertrag von 1587 zwischen der Landesregierung und den Insassen mußte die Markgrafschaft gegen Zusicherung der hohen Gerichtsbarkeit, die als wesentliches Merkmal der Landesherrschaft galt, im Artikel 40 den Insassen die Ausweisung der Juden zugestehen. Hier heißt es: Juden sollen von beeden theilln, nach außgang Irer bestimbten Jar ausgeschafft, und in der Marggraf schafft Burgau entzwischen deß Interims khainer mer eingenomen, oder den Insessen aufgetrungen werden,21 Im Artikel 41 wird den Juden jedoch wieder, so lang die selbe In der Marggrafschafft Burgau bleiben, die rechtliche Gleichstellung mit den Christen garantiert, sie sollen der gerichtsbarkeit halben, den Christen gleich gehalten werden, und den Gerichtsherrn gleich andern Iren underthanen Pflicht und Aydt thun.22 Die Absichtserklärung zur 'Ausschaffung' der Juden wurde allerdings aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage der Insassen einerseits und der vorderösterreichischen Regierung andererseits nicht vollzogen. Die Ausübung des Judenregals blieb vielmehr zunächst in einer Art "Schwebezustand",23 die Lage für die Juden damit weiter ungewiß und labil. Gesteigert wurde die Unsicherheit für die Judengemeinden in dieser Phase noch durch den Ausweisungsbefehl des Markgrafen Karl im Jahre 1617, der jedoch durch das Eingreifen der Regierung in Innsbruck und des Kaisers selbst unterbunden wurde, sowie die Vertreibungsversuche zahlreicher Ortsherren im beginnenden 17. Jahrhundert, etwa auch des Baron Bruno vom Stain im Jahr 1622 in Ichenhausen.24 Nach dieser Bedrohung im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert scheint diese erste Phase der Labilität und der Unsicherheit für die Juden mit dem Dreißigjährigen Krieg beendet zu sein. Darauf setzte eine Stabilisierung und Konsolidierung ein. Der Judenschutz war nunmehr zwischen der Landesherrschaft und den Ortsherren geteilt und wurde von beiden Instanzen jeweils gemeinsam ausgeübt: Die jüdischen Gemeinden der Insassenherrschaften unterstanden dem Hochschutz der Landesregierung und der Niedergerichtsbarkeit ihrer Ortsher-
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Neuzeit. Hg. von Michael A. Meyer. Bd. 1: Tradition und Aufklärung 1600-1780. Hg. von Mordechai Breuer, Michael Graetz. München 1996. S. 85f. Begriff erläutert bei S. Ulimann (Anm. 9) S. 63 ff., 105 ff. Zur Einteilung der Phasen siehe R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 160-166; S. Ullmann (Anm. 9) S. 58-64; S. Braun (Anm. *) S. 35-37. Dargestellt bei S. Braun (Anm. *) S. 24-25. StaatsA Augsburg. Hochstift Augsburg NA. Akten 569. StaatsA Augsburg. Hochstift Augsburg NA. Akten 569. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 164. Dargestellt bei S. Braun (Anm. *), S. 27-32.
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ren. Diese mit dem geteilten Judenschutz einhergehende Konsolidierung ist deutlich am erweiterten Interimsvertrag zwischen der Landesregierung der Markgrafschaft Burgau und den Insassen von 1653 abzulesen, in dem die Bestimmungen der Interimsmittel von 1587 in einzelnen Punkten erweitert und differenziert wurden. Als ein entscheidender Punkt wurde nun das Ausweisungsvorhaben aufgegeben. Der entsprechende §42 enthielt lediglich noch die Bestimmung, daß in Zukunft keine Juden mehr in der Markgrafschaft Burgau aufgenommen werden sollten.25 Offensichtlich hatten nun auch die insässischen Herrschaften das Interesse an der Vertreibung der Juden verloren. Die herrschaftsrechtliche Konkurrenz zwischen vorderösterreichischer Regierung und Insassen verhinderte aber zugleich das Zustandekommen übergreifender Ordnungen für das gesamte Territorium und ließ den Adelsherrschaften genügend Spielraum zur Erarbeitung von eigenen Verträgen und Rezessen. Die Gründe für die veränderte Haltung der Ortsherren scheinen hauptsächlich in dem nach dem Dreißigjährigen Krieg wiedererwachten Interesse an der fiskalischen Nutzung des Judenregals zu liegen.26 Die Juden unterlagen nun, nachdem die Aufteilung des Judenschutzes gängige Praxis geworden war, der doppelten Besteuerung durch beide Instanzen, und die Möglichkeit zum "pragmatischen Ausschöpfen ihrer wirtschaftlichen Potenz"27 wurde nicht zuletzt von den Ortsherren genutzt und in zahlreichen Verträgen festgelegt. Da sich trotz der relativen Konsolidierung auf Ortsebene immer wieder Konflikte zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern ereigneten, kam das "Vertragsprinzip als Herrschaftsverfahren" 28 weiterhin zum Tragen, wie auch der Burgauer Rezeß von 1717 belegt. Dabei kann der 'Judenort' Ichenhausen als charakteristisches Beispiel für die Siedlungsentwicklung des ostschwäbischen Landjudentums gelten, dessen ortsgeschichtliche Entwicklung zunächst in einigen knappen Zügen rekonstruiert werden soll.
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Vgl. die Edition des Vertrags in: Schwaben von 1268 bis 1803. Bearb. von Peter und Renate Blickle. München 1963 (Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern Bd. 2,4). S. 457-464. Hartmut Heller: Die Peuplierungspolitik der Reichsritterschaft als sozialgeschichtlicher Faktor im Steigerwald. Erlangen 1971 (Erlanger Geographische Arbeiten. Bd. 30); R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 169. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 169. S. Ullmann (Anm. 9) S. 133.
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2. Die Adelsherrschaft Ichenhausen und die Judengemeinde Im Jahre 1344 wurden die Herren von Roth, die ihren Sitz in Ettenbeuren hatten und ursprünglich aus Unterrath bei Illertissen stammten, markgräfliche Lehensträger in Ichenhausen. 1372 kauften Konrad und Ulrich von Roth vom ehemaligen Ortsherrn Heinrich von Ellerbach den Halbteil der Lehensherrschaft mit Zwing, Bann und niederer Gerichtsbarkeit. Mit dem Erwerb des zweiten Halbteils der Lehensherrschaft im Jahre 1393 und weiterer Güter im Jahre 1400 konnten die von Roth schließlich die Ortsherrschaft über Ichenhausen in ihren Händen vereinigen. 1406 erfolgte die Erhebung zum Markt, die 1407 von König Ruprecht bestätigt wurde. Damit hatten die Ortsherren zusätzlich zum Dorfrecht und der niederen Gerichtsbarkeit auch die Marktrechte erringen können. 1465 wurde die Herrschaft schließlich auch mit der Hochgerichtsbarkeit belehnt.29 Mit diesen Rechten ausgestattet, bot Ichenhausen zu dieser Zeit zudem bereits "ein grundherrschaftlich geschlossenes Bild".30 Trotz der Zugehörigkeit zur reichsritterschaftlichen Korporation in Schwaben unterstand Ichenhausen gleichzeitig aber auch der Markgrafschaft Burgau und war gegenüber dem Landesherrn steuerpflichtig. Aus der Stellung der durch Akkumulierung von Herrschafitsrechten relativ starken Ortsherrschaft mußte sich zwangsläufig eine Konstellation konkurrierender Rechtsansprüche zwischen Landesherr und Ortsherr ergeben. Darin liegt der Ursprung der Konflikte, die in späterer Zeit im Hinblick auf das Recht des Judenschutzes entstehen sollten. Durch den Bau des oberen Schlosses in Ichenhausen im Jahre 1566 stark verschuldet, gaben die Brüder Hans Wolfhart und Hans Friedrich von Roth im Jahre 1574 ihre Lehen an Erzherzog Ferdinand zurück. Bernhard vom Stain zum Rechtenstain, Herr zu Niederstotzingen, Harthausen und Emerkingen, zugleich fürstlich württembergischer Rat, erwarb den Ort für 46 000 fl. Nach seinem Tode wurde das Erbe in einem Familien vertrag von 1582 dreigeteilt, wobei Andreas vom Stain der Besitz von Ichenhausen zufiel. Seine Nachfolge trat im Jahre 1622 sein Sohn Bruno vom Stain an, nach dessen Tod wurde die Herrschaft 1652 zwischen den Erben in eine 'unterschlossische' Herrschaft unter Johann Joachim vom Stain mit 103 Christen- und 92 Judenfamilien31 und in eine 'oberschlossische' Herrschaft 29
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Literatur zur Ortsgeschichte: Eugen Ganzenmüller: Ichenhausen. Vom Dorf zum Markt zur Stadt. Ichenhausen 1970; Gernot Römer: Aus der Geschichte der Juden in Ichenhausen. In: Synagoge Ichenhausen. Festschrift zur Eröffnung der ehemaligen Synagoge als Haus der Begegnung am 4. Dezember 1987. Hg. vom Aktionskreis Synagoge Ichenhausen e.V. Günzburg 1987. S. 16-30; Heinrich Sinz: Geschichtliches vom ehemaligen Markte und der nunmehrigen Stadt Ichenhausen. 3 Bde. Ichenhausen 1926, 1928, 1930. W. Wüst: Günzburg (Anm. 5) S. 151. Angaben bei W. Wüst: Günzburg (Anm. 5) S. 154.
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unter Johann Andreas vom Stain mit 62 Christen- und 58 Judenfamilien aufgeteilt. In Ichenhausen gab es nunmehr zwei getrennte Gemeinden, zwei Niedergerichtsbezirken mit jeweils eigenen Gerichtsvögten und Beisitzern sowie zwei steuerlich getrennte jüdische Gemeinden. Lediglich das Hochgericht und die Sorge um Kirche und Schule blieben gemeinsame Angelegenheiten. Bis zum Jahr 1784, der Vereinigung der Doppelortsherrschaft, existierten in Ichenhausen somit auch zwei vollständig ausgeprägte Verwaltungen, für deren Unterhalt ein großer Finanzbedarf bestand. Diese Teilung wirkte sich entscheidend auf die Situation der Juden aus, da die beiden Ortsherren die fiskalische Nutzung der beiden Judengemeinden und gleichzeitig eine verstärkte Peuplierungspolitik betrieben. Bereits unter der Herrschaft des Berchtold von Roth (1541-1560) sind die ersten Schutzjuden in Ichenhausen nachweisbar, da er die begrenzte Leistungsfähigkeit des Ortes - auch nach der Verleihung der Marktrechte 1406 - durch deren Ansiedlung verbessern wollte. Zahlreiche Verschuldungen und Verpfändungen der Herren von Roth liefern dafür die Indizien. Das älteste Zeugnis für die Anwesenheit von Juden in Ichenhausen ist ein Urteilsspruch des kaiserlichen Hofgerichts zu Rottweil, in dem David, jud von Burgow zu Ychenhusen,32 bezüglich einer nicht eingelösten Schuldforderung Recht zugesprochen wird.33 Wohl der gleiche David war im Oktober 1536 als ausschließlich in Burgau ansässig genannt worden. 1542 heißt es jedoch nur noch David Jud[en] zu Ichennhaußen;34 ein Hinweis darauf, daß David von Burgau etwa um 1540 das Niederlassungsrecht für Ichenhausen erhalten haben mußte. Schon bald nach der ersten Ansiedlung ist 1567 auch ein Friedhof im Ort auf dem Galgenberg nachweisbar, der 1721 um die angrenzenden Gemeindeholzplätze entscheidend vergrößert wurde, und der auch die Anerkennung gewisser religiöser Rechte der Juden belegt.35 Bezeichnenderweise hatte die landesherrliche Regierung in Innsbruck das Anliegen der Judenschaft nach einem eigenen Begräbnisplatz mit unterstützt, so daß die Ortsherren schließlich nach Verhandlungen mit Innsbruck zu dem Ergebnis kamen, den Juden würde [...] Ir begrebnuß nit zu verwoeren sein.36 Bis zur Errichtung des Friedhofs mußte auch die Ichenhau32
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Urkunde vom 31.5.1541. In: BayHStA. Oberschönenfeld Uk 444, zitiert nach: Katalog Synagoge (Anm. 4) S. 53. Vgl. zur Inanspruchnahme der Reichsgerichte durch Juden in Schwaben Margit Ksoll, Manfred Hörner: Fränkische und schwäbische Juden vor dem Reichskammergericht. In: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Aufsätze. Hg. von Manfred Treml, Josef Kirmeier. München 1988 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur. Bd. 17). S. 1 SS-
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Urkunde vom 31.5.1541. In: BayHStA München. Oberschönenfeld Uk 444, zitiert nach: Katalog Synagoge Ichenhausen (Anm. 4) S. 53. Literatur zum Friedhof Ichenhausen: Moritz Schmid: 420 Jahre jüdischer Friedhof in Ichenhausen. In: Katalog Synagoge Ichenhausen (Anm. 4) S. 46-51 und Eugen Ganzenmüller (Anm. 28) S. 171. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich Lit. 648. fol. 418.
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sener Gemeinde ihre Toten in Burgau bestatten.37 Die Regierung sah aber nun offenbar keinen Grund, die wegen der Zunahme der jüdischen Einwohner und der Beschwerlichkeit des Transports der Toten berechtigten Forderungen der Gemeinde abzulehnen. In diesem Konflikt stellte sich die vorderösterreichische Regierung diesmal auf die Seite der Juden und ließ sie gewähren. Wie widersprüchlich und bedroht die Situation der Judenschaft aber weiterhin blieb, zeigt der Vertreibungsversuch der Freiherren vom Stain im Jahre 1622/23. Nach der Eröffnung des Befehls klagten die Schutzjuden zunächst bei der markgräflichen und bei der vorderösterreichischen Regierung mit mehreren Supplikationen. Dadurch wurde ein Prozeß in Gang gebracht, in dem die beteiligten Parteien im Kräftedreieck zwischen Landesherrschaft, Ortsherrschaft und Judenschaft ihre Positionen durchzusetzen versuchten. In einem Schreiben an den Kaiser legte Bruno vom Stain seine Gründe für die Ausschaffung der Juden dar und gab damit gleichzeitig seine Interpretation der Rechtsposition und der rechtlichen Kompetenzen in bezug auf das Aufnahmerecht beziehungsweise das Recht zur Vertreibung der Juden, das er aus den Privilegien ableitete, die der Kaiser der schwäbischen Reichsritterschaft im Laufe der Zeit erteilt hatte.38 Unter anderem bezog er sich auf die Verträge zwischen den Insassen und der Markgrafschaft Burgau. Für sich selbst reklamierte Bruno vom Stain aber das 1620 vom Kaiser erteilte Privileg und stufte es in seinem Wert weit höher ein als die den Juden vom Kaiser erteilten Rechte, was er in seinem Schreiben so formulierte: dan erstlich ist ein gemeine, unzweiflige rechtslehr, [...] daß jederweilen die stärkhere privilegia den schwächern unnd die so favorabiliora denienigen welche wenig gunst meritiren, präferirt und vorgezogen werden}9 In diesem Privileg von 1620 war der Familie vom Stain die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit bestätigt worden. Daraus leitete Bruno vom Stain für sich sämtliche Rechte der Ansässigmachung und Vertreibung der Juden ab und stellte das 'ius incolatus' als vom Wohlverhalten der Juden abhängend dar. Mit dieser Interpretation verletzte er den Rechtsanspruch der vorderösterreichischen Regierung und verschärfte die bestehende Auseinandersetzung entscheidend. Die Gründe für die geplante Vertreibung der Juden aus Ichenhausen sah er in den Hauptstreitpunkten im Zusammenleben von jüdischen und christlichen Einwohnern des Dorfes: Zum einen habe sich die Christengemeinde zu Ichenhausen mehrmals bei ihm über die Juden, unter denen die ganze Bevölkerung schwer leide, beschwert; die jüdischen Kaufleute würden die Christen mit Wucherzinsen bis zu 25% und Naturalienforderungen belasten. Zum anderen wird ihnen der Handel
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Zu den Judenbegräbnissen in der Markgrafschaft Burgau: Rolf Kießling: Religiöses Leben in den Judengemeinden. In: Kirchengeschichte und Volksfrömmigkeit. Hg. von Walter Pötzl. Augsburg 1994 (Der Landkreis Augsburg. Bd. 5). S. 327-343, hier S. 332ff. StaatsA Augsburg. Reichsritterschaft 142. fol. 21. StaatsA Augsburg. Reichsritterschaft 142. fol. 23.
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mit Diebesgut vorgeworfen.40 Durch diesen Verstoß gegen die Reichspolizeiordnung würde der gute Ruf des Marktes beschädigt. Ferner wird die Verletzung der Sonntagsheiligung und die Problematik der Sabbatmägde, der christlichen Hilfskräfte, die die Juden zur Verrichtung der Arbeiten am Sabbat beschäftigten, angeführt. 4 ' Als weiteres Argument werden die Weidestreitigkeiten zwischen Christen und Juden vorgebracht. Die Juden hatten auf Grund ihrer Tätigkeit als Viehhändler - der Viehhandel war neben der Kreditgabe und dem Hausierhandel der wichtigste Wirtschaftszweig der Landjuden42 - andere Bedürfnisse an die Weide als die christlichen Bauern. Während diese im Jahreslauf immer dieselben Tiere auf die Weide brachten, trieben die Juden ihr Vieh meist nur übergangsweise bis zum Weiterverkauf auf die Allmende. Durch den ständig wechselnden Viehausschlag der Juden würden - so der Verdacht der christlichen Bauern - Infektionen eingeschleppt und die zu entrichtenden Gebühren zunehmend schwer kontrollierbar.43 Mit den durch den Ortsherrn vorgebrachten Argumenten wird eine Haltung sichtbar, die wesentlich von Unverständnis und der Fremdheit44 gegenüber den Juden geprägt war. Gerade in der Sprache des Freiherren vom Stain werden seine antijüdischen Ressentiments manifest, wenn er davon spricht, daß die Juden den Kaiser molestiren, oder daß sie den gemeinen mann [...] mit ungöttlichen, hinderlistigen Pratickhen, mit vilfaltigen drangsalen tribuliren,45 Die Schutzjuden versuchten, sich gegen die Vertreibung mit Supplikationen zu wehren. Sie entkräfteten die Vorwürfe des Ortsherrn als unbewiest6 und beriefen sich auf das alte Herkommen, wonach sie auch vom Vater des jetzigen Ortsherrn geduldet worden seien und darauf, daß sie zuverlässig ihre Steuern entrichtet hätten. Interessant ist hierbei der Sprachgebrauch: Sie betonten, sie seien seit Men-
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Zum sog. Hehlerprivileg und den damit verbundenen Auseinandersetzungen zuletzt: Friedrich Lotter: Talmudisches Recht in den Judenprivilegien Heinrich IV.? Zur Ausbildung und Entwicklung des Marktschutzrechts im frühen und hohen Mittelalter. Köln 1990 (Archiv für Kulturgeschichte. Bd. 72). S. 23-61. Zu den religiösen Konflikten: R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 177f. Auch mit Hinweisen auf die Frühe Neuzeit: Monika Richarz: Viehhandel und Landjuden im 19. Jahrhundert. Eine symbiotische Wirtschaftsbeziehung in Südwestdeutschland. Bodenheim 1990 (Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte. Bd. 1). S. 66-88. Vgl. dazu demnächst: Sabine Ulimann: Der Streit um die Weide. Ein Ressourcenkonflikt zwischen Christen und Juden in den Dorfgemeinden der Markgrafschaft Burgau. In: Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.-18. Jahrhundert). Hg. von Mark Häberelein. Konstanz 1999 (Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven. Bd. 2). S. 99-136 Zum Begriff des Fremden: Werner J. Cahnmann: Der Dorf- und Kleinstadtjude als Typus. In: Zeitschrift für Volkskunde 70. 1974. S. 169-193; R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 9) S. 174f. StaatsA Augsburg. Reichsritterschaft 142. fol. 21, 22. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich Lit. 654. fol. 91.
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schengedenkhen" in Ichenhausen ansässig, was ein großes Maß an Identifikationsbereitschaft mit ihrem Wohnort voraussetzt. Nachdem sich für den Baron das Scheitern seines Vorhabens abzeichnete, da ihm die Regierung in Innsbruck bei einer Vertreibung der Juden mit dem Verlust seines Lehens gedroht hatte,48 erpreßte er die Gemeinde mit immer neuen Verboten bezüglich der Haltung und Weidenutzung ihres Viehs und versuchte, die christlichen Bewohner der Gemeinde in öffentlichen Versammlungen gegen die Juden aufzubringen.49 Seine Bemühungen blieben aber letztlich erfolglos. Die landesherrliche Regierung bezog eindeutig zugunsten der Juden Stellung und setzte ihre Position auch durch. Dennoch stellt sich die Frage, wie das Alltagsleben der Ichenhausener Juden angesichts der vielfältigen Behinderungen durch den Ortsherrn, aber auch durch die christlichen Bewohner, ausgesehen haben mag. Gerade im Falle des Vertreibungsversuchs von 1622 wird deutlich, daß es in dieser Phase der Labilität keines objektiven äußeren Anlasses bedurfte, um unterschwellige Vorbehalte in offene Feindlichkeit umschlagen zu lassen. Die aus den Konflikten während des Dreißigjährigen Krieges resultierenden Rezesse von 1689 und 1697 zwischen der Ichenhausener Ortsherrschaft und den Juden markieren gegen Ende des 17. Jahrhunderts den Umschwung in der judenpolitischen Haltung der Freiherren. Im Mittelpunkt dieser Verträge stand der Streit zwischen Christen und Juden um die finanzielle Verteilung der Kriegslasten. Dabei hatten die jüdischen Bewohner neben den materiellen Belastungen besonders unter den gewalttätigen Angriffen der Soldaten zu leiden. Häufig wurden sie von Soldaten - nicht selten auf Anstiftung von Christen - als Geiseln genommen und mußten freigekauft werden. Um diesen Konfliktpunkt zu entschärfen und die jüdischen Untertanen vor Übergriffen zu schützen, wurde im Rezeß von 1689 festgelegt, daß Christen, die durchziehende Soldaten gezielt in die Häuser der Juden schickten, um ihre eigenen Anwesen und ihr Leben zu schützen, für den entstandenen Schaden haftbar gemacht werden konnten.50 Die Verträge enthalten weiterhin detaillierte Regelungen zur Aufteilung der Kriegskosten zwischen Christen und Juden und resultierten folglich aus den konkreten Ereignissen der Truppendurchzüge. Hier wurden praktikable Regelungen zu Einzelfragen getroffen und die Juden wurden nun, weit eher als in den Jahrzehnten davor, als ihre Existenzberechtigung generell in Frage gestellt wurde, als Verhandlungspartner betrachtet. Diese Entwicklung, die für die Judengemeinde eine Konsolidierung ihrer Rechtsposition im Hinblick auf mehr Existenz- und Rechtssicherheit brachte, zeigt sich auch deutlich in einer Reihe weiterer Rezesse nach 1689, in denen zweckmäßige und praktikable Normen im Streit um Weiderechte und Abgaben gefunden wur47 48 49
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Augsburg Reichsritterschaft 142. fol. 35. Augsburg Reichsritterschaft 142. fol. 36. Augsburg Reichsritterschaft 142. fol. 35 und 36. Dargestellt bei S. Braun (Anm. *) Augsburg. Gemeindedepot BA Günzburg. Ichenhausen 13. fol. 34f.
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den.51 Hier wird sichtbar, daß man nun durchaus in der Lage war, in Zusammenarbeit mit der Ortsherrschaft Lösungen zu Sachfragen zu erarbeiten und so zu einer einigermaßen geregelten Koexistenz zu finden. Auch auf der Ortsebene in Ichenhausen spiegeln sich somit - analog zur Judenpolitik der Markgrafschaft Burgau die zwei Phasen im Verhalten der Herrschaft gegenüber den Juden: Auch hier kam es nach einer Phase der Labilität, in der die Juden mit der Ausweisung bedroht wurden, mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zur Konsolidierung. Als vorläufiger Höhepunkt und Abschluß dieser Entwicklung in Ichenhausen ist der Burgauer Rezeß von 1717 anzusehen.
3. Der Inhalt des Burgauer Rezesses 1717 Der Vertrag von 1717 war aus dem Konflikt zwischen Ortsherrschaft und Judenschaft erwachsen, gleichwohl war diesmal der eindeutige Wille zur Einigung vorhanden. Im Vorwort zum Burgauer Rezeß wird deutlich, daß die Juden nunmehr als Bewohner mit hohem Steueraufkommen und einer entsprechenden Wirtschaftskraft Verhandlungspartner waren, mit denen man zu einer Lösung kommen wollte. Eine generelle Existenzbedrohung ging von der Ortsherrschaft nicht mehr aus. Es wird vielmehr betont, daß man in devotissimum Respectum imperatoriae Majestatis [...] die obgeschwöbte Differenziert vergleichen wolle. Die Markgrafschaft Burgau fungierte dabei nicht mehr als gestaltende und herrschende Kraft, sondern nurmehr als übergeordnete Schlichtungsinstanz. Die Juden mußten für das Entgegenkommen der Ortsherrschaft bezahlen und hatten die Kosten für das Zustandekommen der Ordnung zu tragen. Gleichzeitig verpflichteten sie sich, künftig sämtliche Beschwerden gegen die Ortsherrschaft zu unterlassen. Dies wurde im letzten Punkt der Ordnung, in §14 festgehalten: Als hat erdeüte judenschaft zu beweisung ihrer unterthänigen erkhandtlichkheit nit allein alle uncösten so über die comission ergangen, nach jedes proportion und besonderen beytrag [...] zue bezahlen auf sich gnomben, sonder auch alle ihrer wider wohlgemelte herrschaften ad comissionem ybergeben und eingeklagte gravamina sich dergestalten begeben, daß crafft dises recess alles aufgehöbt, todt und abseyn solle. Von den vier wesentlichen Problemkreisen - Ansiedlung bzw. Aufenthaltsrecht, Handelstätigkeit, Abgaben und Religionsausübung - die in der Ordnung geregelt wurden, ist das Problem des Wohnrechts der Juden in Ichenhausen wohl als besonders dringend anzusehen. Nachdem es im Verlauf der Jahrhunderte immer 51
StaatsA Augsburg. Gemeindedepot BA Günzburg. Ichenhausen 13. fol. 34f. Details zu den Verträgen bei S. Braun (Anm. *) S. 55f.
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wieder zu Auseinandersetzungen über den Umfang und die Verfahrensweisen der Schutzaufnahme gekommen war, eskalierte der Konflikt im Vertreibungsversuch des Baron vom Stain im Jahre 1622. Die Teilung der Ortsherrschaft im Jahr 1657 und der hohe Finanzbedarf für die getrennten Verwaltungsapparate bildeten schließlich die Beweggründe für die Erteilung weiterer Schutzbriefe und seit 1670 setzte eine vermehrte Zuwanderung von Juden nach Ichenhausen ein.52 Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts sorgte das Bevölkerungswachstum und die gezielte Peuplierungspolitik der Freiherren für einen erhöhten Regelungsbedarf. Deshalb standen im Burgauer Rezeß die Aufnahme in den Markt und die Erlaubnis, der consens, der Herrschaft sowie die dafür fälligen Gebühren im Mittelpunkt. In §2 wird die Aufnahme fremder Juden, in §3 die Höhe des sog. Konsensgeldes, in §4 das jährliche Schutzgeld und in §5 die Abschaffung von Einzelschutzbriefen und die Gültigkeit des Burgauischen Rezesses als allgemeiner Schutzbrief festgesetzt.53 § 1 bekräftigt zunächst die generelle Existenzberechtigung der Juden in Ichenhausen. Dazu heißt es: Erstens haben erdeüte herrschaften f...]zugegeben, und bewilliget, daß die juden [...] hiervon weder jetzt noch in das künftige aus kheiner als aus rechter erkhandtlicher ursach unnd vorwandt nimermehr vertriben werden. Die Erlaubnis zur Aufnahme neuer Judenfamilien blieb dabei auch künftig an die Meldepflicht bei der Herrschaft gebunden. Dazu der Burgauer Rezeß in §2: Soveren anderster die ein nembende persohnen eines ehrlichen namens und guethen leinmueth sein, wesenthalben und damit die herrschaften dessen gesichert seyen, kheiner anderen ursach aber derselben die ein nembendte persohnen angezeiget werden sollen, denen dann der consens im fall ihnen ihres ehrlichen Verhalts nichts entgegengesözt werden khann, nicht zuversagen. Für das Niederlassungsrecht mußten die Familien eine einmalige Aufnahmegebühr, das Consensgeld, zahlen, dessen Höhe genau festgelegt wurde. Die Gebühr betrug 1717 für in Ichenhausen geborene Juden 10 iL, für einheiratende Männer 15 fl., und für zuziehende Fremde sollte sie nach Vereinbarung mit der Ortsherrschaft festgesetzt werden. Als rechtskräftigen Beleg für die erfolgte Aufnahme hatten die Juden bisher einen persönlichen Schutzbrief erhalten, für dessen Erstellung sie an die ortsherrlichen Beamten 4 fl. zu zahlen hatten. Seit 1717 wurden nun keine Einzelbriefe mehr ausgestellt und alle bisherigen Privilegien eingezogen. Statt dessen sollte der Burgauer Rezeß als allgemeiner Schutzbrief gelten. Dieses Verfahren wird in §5 des Rezesses folgendermaßen geschildert: Obzwahr biß anno yeblich gewesen einem juden einen a parte schuz brief zu geben, wofür derselbe 4 fl. tax denen beamten bezahlen müssen, so ist aber 52
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H. Sinz 1926 (Anm. 29) S. 137-139 gibt für 1630 750 Einwohner, davon 150 Juden und für 1733 bereits 700 Juden in Ichenhausen an. Die folgenden Zitate nach StaatsA Augsburg. Gemeindedepot (BA Günzburg) Ichenhausen 13. fol. 46-53.
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umb Wüllen solche brief ein und ander unformbliches enthalten, [...] von denen herrschafften bewilliget worden alle bisherige schuz brief zu cassieren und hinkhünftig kheinen neüen mehr zu ertheilen, dargögen aber solle gegenwärtig Vergleichs recess jezt und inskhünftig denen juden statt einer allgemeinen schuz brüef dienen. Damit die Amtsleute der Herrschaft keine finanziellen Einbußen erlitten, wurde die Gebühr von 4 fl. für die Ausstellung der persönlichen Schutzbriefe in eine einmalige Abgabe von 2 fl. und ein Hemd oder dafür nochmals 1 fl. umgewandelt. Das Schutz- oder Herbergsgeld, also die jährliche Abgabe für den Aufenthalt, wurde gleichzeitig auf 3 fl. fixiert und sollte künftig nicht mehr erhöht werden. Für zuziehende Fremde wurde die Höhe des jährlich zu entrichtenden Schutzgelds im Vertrag von 1717 allerdings nicht festgelegt, dieser Betrag mußte mit den Ortsherren jeweils neu ausgehandelt werden. Dazu heißt es in §4: Mit denjenigen, welche als gahr fremd [...] zu Ichenhausen einkomen wollen, des schuzgelts halber nach dero willkhür sich zuvergleichen. Da die jüdische Bevölkerung einen bedeutenden finanziellen Faktor für beide Ichenhausener Ortsherrschaften darstellte, enthielt § 10 die Erlaubnis zum Wechsel zwischen beiden Herrschaften ohne weitere Abgabenerhebung: Zechentens haben die herrschaften sich untereinander verglichen, fahls ein jud von einer herrschaft wechseln und yberziehen wolte, welches zu eines jeden willkhür bewilliget worden, sye solches auch ohne entgelt geschehen lassen wollen. Falls jüdische Eltern ihre Kinder allerdings in andere Orte verheiraten wollten, mußten diese laut §6 eine Nachsteuer von bis zu 12 fl. entrichten. Familien, die von Ichenhausen wegzogen, hatten laut §6 die Herrschaft für den daraus entstehenden finanziellen Verlust zu entschädigen und auf ihre Häuser 110 fl., auf ihren sonstigen Besitz 12 fl. Nachsteuer als Auszugs- oder Wegfahrtgeld zu bezahlen. In bezug auf ihre wirtschaftliche Tätigkeit gewährte der Burgauer Rezeß den Schutzjuden weiterhin in einigen wesentlichen Bereichen eine den Christen annähernd ebenbürtige Stellung, wenn in §5 festgestellt wird, daß sie in Handel und Wandel gleich wie alle anderen Untertanen zu behandeln seien. Und in §7 erhielten sie nochmals inner- und außerhalb Ichenhausens Bewegungsfreiheit in ihrer Geschäftstätigkeit. Ein charakteristischer Konfliktpunkt ergab sich hierbei speziell beim Verkauf von unkoscherem Fleisch - unreine Fleischteile, deren Verzehr Juden nach ihren religiösen Gesetzen verboten war - und die dadurch entstandene Konkurrenzsituation mit den christlichen Metzgern. 54 Die Metzger hatten sich wiederholt beschwert, daß die jüdischen Händler das unreine Fleisch direkt zu billigen Preisen an die Untertanen verkauft hätten. Nun wird ihnen im Burgauer
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Siehe dazu: H. Sinz 1926 (Anm. 29) S. 210.
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Rezeß auferlegt, die Metzger beim Verkauf nicht mehr zu umgehen und diesen das Fleisch zuerst zum Verkauf anzubieten. Dazu heißt es in §7: Damit auch die Mezger wider Sye sich zu beckhlagen nit vrsach haben mechten, haben die Juden sich erbothen vnd obligiert fahls die Mezger von Jhnen das vnkauscher Fleisch alles kauffen, niemand das mindiste zu verkauffen, anderen fahls aber sich vorbehalten das jenige, so Jhnen zu essen nicht erlaubt, an die burger sowohl, alß wohin es ihnen beliebt zu verwerthen. Somit wurde den Schutzjuden der Fleischhandel weiter gestattet und zugleich die Auseinandersetzung mit den christlichen Metzgern geschlichtet. Ein dritter rechtlicher Komplex des Vertrags betraf die Frage des jüdischen Hausbesitzes. Der momentane Besitzstand von 35 Häusern und die Verfügungsgewalt darüber wurde in § 1 garantiert und mit dem Recht verbunden, die Anwesen zu verkaufen, zu vererben, zu tauschen oder zu teilen: Erstens haben erdeüte herrschafften [...] zugegeben, und bewilliget, daß die Juden ihre dermahlen besitzende fünf und dreißig häuser behalten und hiervon weder jezt noch in das künftige aus kheiner als aus rechter erkhandtlicher ursach unnd vorwandt nimermehr vertriben werden, sondern beständig bey dem dermahligen besüzen, ihren erben und nachkhomen under der Ichenhausischen judenschafft dergestalten verbleiben sollen, daß sye nach lauth ihrer producierten kaufbriefen damit nach ihrem gefallen und belieben als ihrem rechten aigenthumb schalten und walten, kaufen, verkaufen, tauschen, versözen und allanders so mit anderen aigenthumblichen Sachen gehandlet werden khan, gleich denen Christen thuen mögen. Diese Bestimmung kann als außerordentlich weitreichendes Zugeständnis der Herrschaft interpretiert werden, denn sie räumte der Ichenhausener Judengemeinde einen relativ großen Handlungsspielraum ein. Laut §2 konnten die Familien ihre Häuser entweder allein bewohnen oder auf ihre Kinder und deren Ehegatten aufteilen. Die Herrschaft wollte den Juden dabei keine Vorschriften machen, solange die zuziehenden Personen ordentlich gemeldet wurden. Gleichzeitig beinhalteten diese Vertragspunkte aber auch wesentliche Einschränkungen: Die jüdischen Familien mußten sich nun mit den 35 Hausplätzen in der Ostergasse, in der Günzburger Straße, der Krumbacher Straße, in der Krötenau, in der Wiesgasse und am Hohen Bühl begnügen.55 Nachdem die Zahl der Schutzjudenhaushalte in Ichenhausen aber bis zum Jahr 1730 auf ca. 700 Personen angestiegen war, mußten zum Teil vier bis fünf Familien auf beengtem Raum in den Häusern zusammenleben. Sie behalfen sich damit, an die alten Anwesen Nebenbauten und Ställe für das Vieh anzufügen. Erst nach dem Übergang Ichenhausens an Bayern konnte der erste Jude gegen den erbitterten Widerstand und die Bezahlung eines erhöhten Preises ein Haus am Mittelmarkt erwerben, einem 55
Angaben nach E. Ganzenmüller (Anm. 29) S. 157.
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Wohnbereich im Zentrum der Ortschaft, der Juden bis dahin verschlossen geblieben war. Auffällig ist die in weiten Teilen des Rezesses vorgenommene Unterscheidung zwischen Ichenhausener und fremden bzw. ausländischen Juden. In §3 des Vertrages sind sogar drei Kategorien zu fassen, wenn erstens von in Ichenhausen gebürtigen Juden, zweitens von Fremden, also aus den umgebenden Gemeinden der Markgrafschaft Burgau stammenden und drittens von ganz Fremden, oder ausländischen Juden, also solchen aus anderen Territorien, unterschieden wird. Als Beispiele für die zweite Kategorie werden Frauen und Männer, die nach Ichenhausen einheiraten wollten, angegeben; die Abstammung dieser Personen aus anderen Orten weist sie zwar der Kategorie der 'Fremden' zu, die Ehe mit einem Ichenhausener Juden oder einer Jüdin bewahrte sie aber vor dem Status der 'gänzlichen' Fremdheit der 'Ausländer'. In finanzieller Hinsicht tritt schließlich im Burgauer Rezeß ein wesentlicher Unterschied zwischen 'einheimischen', 'fremden' und 'ganz fremden' Juden zutage. Für Ichenhausener Einwohner und Juden aus der näheren Umgebung wurden die Aufnahme- und Aufenthaltsgebühren genau geregelt, wobei diejenigen für die 'fremden' die Abgaben der einheimischen um mehr als das Doppelte überstiegen. Die 'ausländischen' oder 'ganz fremden' Juden mußten sich jedoch in jedem Fall bezüglich der Gebühren neu mit der Herrschaft einigen und waren so deren fiskalischer Ausnutzung bzw. Willkür ungeschützt ausgeliefert. In §3 des Burgauer Rezesses heißt es dazu beispielsweise: die Jenige aber welche gar fremd seindt, alß welche schon als verheüratheter oder beede fremde lödig Standts zu Jchenhaußen einkhomen, deß Consens gelt halber mit denen herrschaften - ob vihl oder wenig von ihnen genomben werden wolle, sich vergleichen sollen. [...] Gleichergestalten wegen deß burgerrechts bey disem inskünftig es zuuerbleiben hat, das ein Jchenhausische persohn ain gülden dreyßig Kreizer - ein fremder gegen einem Jchenhausischen Kindt sich verheürathete drey gülden [...] bezahlen solle, die ganz fremde werden mehrmahlen der Herrschaftlichen Discretion yberlassen. Diese Unterscheidung wurde auch bei allen anderen Forderungen wie dem Schutz-, Kuchl-, Dienst-, Schacht-, Krautstangen- oder Totengeld in §4 und bei den Abgaben für die Schutzbriefe in §5 vorgenommen. Immer wieder wird hierbei erwähnt, daß sich die Fremden wegen der Gebühren zuerst mit den Beamten verständigen müßten. Im zweiten Punkt des Vertrages wird den 'ausländischen' Juden schließlich auch das Recht abgesprochen, Hausbesitz aus Ichenhausen zu erben, wenn es heißt: mit genzlicher ausschlüssung der ausländischen Juden welchen dißes Erbthail de Jure kheines Weegs ohne dem nicht zuefallet. Und §11 räumt der Ichenhausener Judengemeinde schließlich das Recht ein, beim Zuzug von 'ganz fremden' Juden mit diesen über einen Ausgleichsbetrag für die in den vergangenen Kriegszeiten erlittenen Belastungen zu verhandeln und diesen auch selbständig ohne weitere Genehmigung der Herrschaft zu erheben. Als Argument wird dabei
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vorgebracht, daß der vorliegende Rezeß die Judengemeinde sehr viel gekostet habe, und sie deshalb berechtigt seien, von neu zuziehenden Juden, die von den Vertragsvorteilen ebenfalls profitierten, einen Beitrag dafür einzufordern. Diese Vorgehensweise sei durchaus auch in anderen Gemeinden der Markgrafschaft üblich, so die weitere Argumentation. Bei diesen Formulierungen und Bestimmungen wird die Auffassung der Ichenhausener Herrschaft sichtbar, daß die vergangenen Zeiten, besonders die Belastungen des Dreißigjährigen Krieges, für die Juden hart und entbehrungsreich gewesen seien und sie durchaus ihren Beitrag zur erhaltung des Marckts geleistet hätten und deshalb auch in den Genuß einer bevorzugten Stellung gegenüber nicht einheimischen Juden kommen sollten. Im großen und ganzen spiegelt sich darin natürlich auch die für diese Phase der Juden in der Markgrafschaft Burgau typische, zu Zugeständnissen bereite Haltung der Herrschaft gegenüber den Juden wider. Schließlich wird in den beiden letzten Paragraphen des Burgauer Rezesses noch das Verhalten vorgeschrieben, das die Juden der Dorfobrigkeit als Dank für ihre weitgehenden Zugeständnisse entgegenbringen sollten. In §14 wird die Besitzgarantie der 35 jüdischen Häuser ausdrücklich als gnad bezeichnet, die die Juden zur vnterthänigen erkhandtlichkeith und zur Übernahme sämtlicher Unkosten des Vertrages verpflichtete. Die Judengemeinde sollte künftig alle Beschwerden über ihre Schutzherrschaften unterlassen, alle eingeklagte grauaminis [sollten] sich dergestalten begeben, daß Crajft dises Recess alles aufgehöbt, todt und abseyn solle. Man wollte damit nicht zuletzt den für die Ortsherrschaft oftmals unangenehmen Klageweg der Juden zur Burgauer Regierung bzw. an die Reichsgerichte künftig unterbinden. Diese Beschwerdemöglichkeit und ihr persönliches Schutzverhältnis zum Kaiser hatten die Juden in der Vergangenheit schließlich oftmals genutzt, um sich gegen Willkürakte der Ortsherrschaft zu schützen. Mit dem Burgauer Rezeß sollte nun eine abschließende Konfliktregelung erreicht werden, die eine weitere Inanspruchnahme der landesherrlichen bzw. kaiserlichen Schutzinstanzen aussschloß und die Judengemeinde zugleich stärker in den Untertanenverband des reichsritterschaftlichen Marktes eingliederte. Die Einbindung der jüdischen Gemeinschaft in die Ortsherrschaft wird schließlich auch an den Forderungen nach vollständigem Gehorsam deutlich, wie etwa im letzten Absatz des Rezesses formuliert: Schlüsslichen verspricht und gelobt denen erst wohlersagten Herrschaften Sie Judenschajft all schuldigen Respect und gehorsamb auch wie vorhin Gethrey Gericht - Gebots - Steür - dienst- und Raißbar zu sein, in vnterthenig deroselben zuegesagter zuuersicht Sye in Recht- und billichen Sachen und Kräfftigst zu manutenieren und handt zu haben.
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Im Burgauer Rezeß wird darüber hinaus auch ein weitgehender Abgabenkatalog56 fixiert. Der größte Posten war für die Juden wohl das jährlich an die Ortsherrschaft zu entrichtende Schutzgeld, das Consensgeld. Die Höhe dieser Abgabe belief sich für in Ichenhausen wohnenden Juden auf 10 fl. und für einheiratende Männer auf 15 fl. Die bereits erwähnten 'ganz fremden' oder 'ausländischen Juden' mußten wegen der Höhe dieses Schutzgeldes mit der Herrschaft verhandeln. Außer dem sog. Konsensgeld werden in §4 unter anderen auch das schechtgelt, die todten gefdller, das Stol-Aversum, die jura stola und das faßnacht gelt angeführt. Das Schächtgeld, also die Abgabe für geschächtetes Vieh an die Ortsherrschaft betrug Vi fl. je Anwesen, die Totengefälle, auch Grabgeld genannt, für jede Bestattung bis zu 6 fl., das Stol-Aversum oder 'Schmattgeld', also die Pauschalabgabe von Bewohnern ehemaliger christlicher Häuser anstelle entgangener Gebühren an den Pfarrer ca. 0,2 fl. pro Bewohner und das Fastnachtgeld, die jährliche Abgabe der ledigen jungen Männer, pauschal für den ganzen Ort 30 fl. Dazu kamen unter Umständen noch die bereits genannten Nachsteuern beim Wegzug von jüdischen Einwohnern aus Ichenhausen oder deren Kindern. Diese im Burgauer Rezeß festgelegten Steuern bildeten einen "entscheidenden Posten in den herrschaftlichen Einnahmensbilanzen". 57 Für die Ortsherrschaft waren die Juden somit vor allem finanziell von Nutzen, zumal ihr Steueraufkommen aufgrund der zusätzlichen Schutzgelder höher lag als das der christlichen Untertanen. Für die Juden bedeuteten die erhöhten Abgaben eine enorme Belastung,58 die noch durch die aus dem Konzept des geteilten Judenschutzes zwischen der Landes- und der Ortsherrschaft resultierende doppelte Besteuerung im Bereich der Schutzgelder verschärft wurde. Schließlich machten nicht nur die Barone vom Stain, sondern auch die Regierung der Markgrafschaft Burgau von ihrem Besteuerungsrecht regen Gebrauch. 59 Betrachtet man die umfangreiche und oft drückende Abgabenbelastung, so wird deutlich, daß diese Seite des Burgauer Rezesses für jeden einzelnen Juden im Alltagsleben wohl am stärksten ins Gewicht fiel. Zum einen wurden die jüdischen Untertanen weit höher besteuert als die Christen, zum anderen wird auch deutlich, daß die Steuerhöhe in den immediaten Judengemeinden diejenige der mediaten noch überschritt. Natürlich hatten die Herrschaften dabei auch Interesse an einer möglichst stabilen und liquiden Untertanenschaft, so daß sich die Forderungen an den ökonomischen Möglichkeiten der Juden orientierten. Auf jeden Fall wird auch im Burgauer Rezeß, wie in vergleichbaren Verträgen zwischen anderen Judengemeinden und den jeweiligen Ortsherrschaften, 60 der Wandel in der ortsherrschaftlichen Haltung gegenüber den Juden seit dem 17. Jahrhundert deutlich: Von der 56 57 58 59 60
Zahlenangaben nach Katalog Synagoge Ichenhausen (Anm. 4) S. 56. W. Wüst: Günzburg (Anm. 5) S. 155. G. Römer: Ichenhausen (Anm. 29) S. 18. Dazu S. Ulimann (Anm. 9) S. 90-95. Siehe etwa die Beispiele Pfersee und Binswangen bei S. Ulimann (Anm. 9).
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bloßen Duldung der Juden war man nun zu einem pragmatischen und äußerst effektiven Ausschöpfen ihrer wirtschaftlichen Potenz übergegangen. Interessante Einblicke erlaubt der Rezeß auch in die Festkultur von Christen und Juden in Ichenhausen. Auf diesem Feld bestand ein großes Konfliktpotential durch die unterschiedliche Einteilung der Arbeitswoche und die zeitlichen Überschneidungen bei Feiertagen. Dabei häuften sich die Klagen auf christlicher Seite über den mangelnden Respekt der Juden vor ihren religiösen Feiertagen - sie würden auch an diesen Tagen demonstrativ ihre Arbeit auf der Straße verrichten. Im Gegenzug wurde den Christen vorgeworfen, gegen die Dienste der Sabbatmägde zu opponieren. Der Rezeß stand nun der Judengemeinde die freie Religionsausübung und die Begehung des Sabbats zu, sie hatte aber ihrerseits die christlichen Feiertage zu respektieren. Durch eine möglichst strikte Trennung der Lebenssphären - die jüdischen Untertanen sollten sich an katholischen Feiertagen nicht auf der Straße zeigen - wurde versucht, Konflikte im Vorfeld zu vermeiden. Dazu heißt es in dem Vertrag: Zwölftens gleichwie im ganzen Römisch. Reich denen juden, wo sye sich aufhalten, vergundt und zugelassen daß sye ihren Sabath unnd andere fest nach ihrem gebrauch und ceremonien halt und feyrlich begehen mögen, als ist ihnen solches auch ferners bewilliget worden, entgegen sollen sye an der catholischen feyrtägen ausserhalb ihren häußeren aller knechtlichen und sudlarbeith sich enthalten, auch der processiones gehalten werden, oder das hochwürdige yber die gassen getragen wirdt ehrerbietig aufführen, auch mittags und abendts das ave Maria gelüten würdt nach möglichkheit ab der gassen gehen. Zudem tritt eine gewisse Akzeptanz der Autonomie der jüdischen Gemeinde in inneijüdischen Fragen zutage: §9 erlaubte den Juden ihre Streitigkeiten untereinander ohne Einmischung der Ortsherrschaft auszutragen, wie dies auch in anderen Gemeinden der Markgrafschaft üblich sei. Diese Haltung, den Juden eine weitgehende religiöse Selbstbestimmung zuzubilligen, soweit diese die Rechte der Ortsherrschaft nicht beschnitt, hatte ihren Ursprung jedoch, wie am Beispiel der Errichtung des jüdischen Friedhofes in Ichenhausen gezeigt werden konnte, schon weit vor der Zeit des Burgauer Rezesses.
4. Zusammenfassung Der Burgauer Rezeß von 1717 erscheint als Höhepunkt und zentrales Dokument der Vertragsphase in der Geschichte der Juden in Ichenhausen. Als wichtigstes Indiz hierfür ist die Anerkennung eines generellen Aufenthaltrechts der Juden in Ichenhausen, das auch den Schutz vor künftigen Ausweisungen umfaßte, anzusehen. Dies bedeutete eine wesentliche Konsolidierung für die Juden im Hinblick
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auf mehr Sicherheit ihrer Rechte und Lebensbedingungen, die nicht zuletzt im Übergang von Einzelschutzbriefen zum generellen Schutzprivileg deutlich wird. Die einzelnen inhaltlichen Punkte des Vertrags spiegeln die relevanten konfliktträchtigen Themenbereiche christlich-jüdischer Koexistenz in der Frühen Neuzeit wider. Während für die Schutzjuden das Hauptaugenmerk bei den Verhandlungen im Vorfeld des Burgauer Rezesses auf der Behauptung ihrer Privilegien im Hinblick auf die Handelstätigkeit, die Religionsausübung, den Hausbesitz und das Wohnrecht lag, konzentrierten sich die Handlungsmotive der Freiherren vom Stain dagegen auf die fiskalische Nutzung des Judenschutzes. Das neu entstandene Interesse der Ortsherrschaften in der Markgrafschaft Burgau, und speziell der beiden, durch die Kosten der getrennten Verwaltungen und Hofhaltungen stark belasteten Ichenhausener Herrschaften an der Ansiedlung von Juden, bestand also vor allem im Steueraufkommen der Juden, das sie durch vielfältige Abgaben im Bereich der Ansiedlung und des Aufenthaltsrechtes ausschöpften. Der umfassende Katalog des Vertrags läßt die große finanzielle Belastung der Juden erkennen, die eben für das 'Wohlwollen' der christlichen Herrschaft, für die Akzeptanz und Duldung ihrer Existenz am Ort weit höher zu bezahlen hatten als die christlichen Untertanen. Diese pragmatische, am finanziellen Nutzen der Juden orientierte Haltung der Ortsherrschaft beweist aber auch, daß eine generelle Existenzbedrohung für die Juden, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert in diversen Vertreibungsdrohungen- und versuchen zum Ausdruck kam, nicht mehr bestand. Der Wandel in der Haltung der Ortsherrschaft hin zur Akzeptanz der Judengemeinde ging auch mit einem Wandel im herrschaftspolitischen Prozeß zwischen der Markgrafschaft Burgau und den insässischen Herrschaften einher. Die Landesherrschaft verlor zunehmend an Einfluß und ihr wurden nur noch die Aufgaben der gründtlichen vntersuchungbl zugestanden. Im Rahmen der konkurrierenden Rechtsverhältnisse in der Markgrafschaft Burgau hatte sich nunmehr die Ortsherrschaft in der Durchsetzung ihrer Interessen als vorherrschend erwiesen. Sie sah den Vertrag mit der Ichenhausener Judengemeinde schließlich auch als Bestätigung ihrer herrschaftlichen Position an, wenn sie in §15 von den Juden für alle Zeiten Gehorsam und untertänigen Respekt forderte. In diesen herrschafts- und machtpolitischen Veränderungen wird auch ein wesentlicher Unterschied zur Judenordnung der Markgrafschaft Burgau aus dem Jahr 1534 sichtbar. In der Realität hatte die Markgrafschaft gegenüber den insässischen Ortsherrschaften wohl nie die Gewalt zur vollen Durchsetzung ihrer Ordnungsvorstellungen gehabt. Mit der Judenordnung von 1534 hatte sie diese Forderung jedoch erhoben und auch in einigen Fällen, etwa dem durch Drohungen der Landesregierung verhinderten Vertreibungsversuch des Ichenhausener Ortsherrn Bruno vom Stain, durchgesetzt. Mit dem Rezeß von 1717 traten die landesherrlichen Ansprüche in der Judenpolitik hinter den ortsherrlichen aber nun weitgehend in den 61
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Hintergrund. Große Bedeutung ist dabei der Herrschaftsform in Ichenhausen beizumessen, die mit dem Besitz der hohen und niederen Gerichtsbarkeit den Typus einer ausgeprägten Adelsherrschaft zuzurechnen ist. Die Landesherrschaft war auf ihre Rolle als Schutz- und Kontrollinstanz zurückgedrängt worden. Sie hatte in den Verträgen mit den Insassen den Ordnungsrahmen vorgegeben, den die Ortsherrschaften nunmehr mit detaillierten Verträgen auszufüllen suchten. Der Burgauer Rezeß befindet sich zwar insofern auf einer Ebene mit den Judenordnungen anderer Territorien,62 indem er genaue Regelungen zu den relevanten Themenbereichen, wie der Religionsausübung, des Steueraufkommens oder des jüdischen Hausbesitzes bietet, der Anspruch einer umfassenden Ordnung wird jedoch nicht einmal mehr in der Terminologie erhoben. Es handelte sich eben nicht um eine 'Ordnung', sondern um einen 'Rezeß', einen Vertrag oder Vergleich zwischen mehreren Konfliktparteien. Während in anderen Reichsgebieten die Landesherrschaft die entscheidende Instanz für die Gesetzgebung und damit auch für den Erlaß judenrechtlicher Verordnungen war, stellten sich in der Markgrafschaft Burgau die Ortsherrschaften zunehmend als maßgeblicher Faktor für die Normsetzung heraus. Stellt man sich abschließend die Frage, welche Rückschlüsse der Burgauer Rezeß auf das alltägliche Zusammenleben von Christen und Juden erlaubt, so stößt man zunächst auf das Selbstbewußtsein, das aus der Stellung der Schutzjuden als Verhandlungs- und Vertragspartner zu ersehen ist. Sie waren seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in ihrer Existenz nicht mehr durch Vertreibung oder Ausweisung bedroht, das Aufenthaltsrecht in Ichenhausen wurde ihnen nun auch vertraglich garantiert. Zusätzlich standen sie unter dem Hochschutz der Markgrafschaft Burgau. Das Konzept des geteilten Judenschutzes hatte sich durch die kaiserliche Schutzzusage und durch das Selbstbewußtsein der ostschwäbischen Juden, die sich auch in labilen Situationen behaupten konnten, also eher positiv ausgewirkt. Der Burgauer Rezeß zeigt weiterhin, daß sie den Forderungen der Ortsherrn keineswegs passiv gegenüberstanden, sondern für ihre Steuerabgaben auch Gegenleistungen, etwa die Besitzrechte an ihren Anwesen oder weitreichende Handelsprivilegien, einfordern konnten. Vor allem in den Regelungen zu strittigen Fragen der Religionsausübung ist ein Entgegenkommen, ein Aufeinanderzugehen zu beobachten. Den Juden wurde die Begehung ihres Sabbats und anderer Feste sowie die autonome Regelung ihrer religiösen Belange innerhalb der jüdischen Gemeinde zugebilligt. Diese Entwicklung nahm allerdings schon vor der Zeit des Burgauer Rezesses ihren Anfang, als den Juden die Errichtung eines eigenen Friedhofes in Ichenhausen erlaubt wurde. Sicherlich konnten mit dem Vertrag nicht alle Streitigkeiten für die Zukunft verhindert werden, vor allem im religiösen Bereich ergaben sich weiterhin vielfältige 62
Siehe dazu die umfangreiche Forschungsliteratur von F. Battenberg zu den Judenordnungen in Hessen, etwa: F. Battenberg: Judenordnungen (Anm. 13).
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Reibungsflächen. Man blieb sich fremd, stellte die Situation der Koexistenz jedoch nicht mehr grundsätzlich in Frage. Daß die Situation fur die Juden jedoch labil blieb, daß das Nebeneinander von Christen und Juden jederzeit in Ressentiments, Vertreibung und Verfolgung umschlagen konnte, wurde auch durch ein so umfassendes Vertragswerk wie den Burgauer Rezeß von 1717 nicht verhindert.
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Die jüdische Geschichte im ländlichen Raum von Bayerisch-Schwaben erfreut sich zunehmend des Interesses der Forschung, doch es bleiben noch viele Aspekte offen. Bis heute wurden jedenfalls die fuggerischen Gebiete nicht untersucht.1 So soll der vorliegende Beitrag vor allem drei Fragen klären: 1. Welche Quellen geben Auskunft über die Juden in diesen Herrschaften? 2. Wie war die Haltung der Fugger als Herrschaftsinhaber zu den Juden? 3. Läßt sich Konkretes über die Juden aussagen, die sich in den fuggerischen Herrschaften bewegten? Ausgeschlossen werden in geographischer Hinsicht andere Besitzungen der Familie außerhalb des heutigen Bayerisch-Schwabens. Den zeitlichen Rahmen bildet Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines 1990 in Irsee gehaltenen Vortrags. Einfuhrend zur Geschichte der Juden in Bayerisch-Schwaben vgl. Adolf Layer: Die Juden und ihre Niederlassungen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2. Hg. von Max Spindler. 2. Aufl. München 1979. S. 1055-1058; ferner Martina Illian: Die jüdischen Landgemeinden in Schwaben. Ihre Entstehung und Entwicklung in der frühen Neuzeit. In: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Hg. von Manfred Treml, Josef Kirmeier (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur. Bd. 17). München 1988. S. 209-217; sowie Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995. (Colloquia Augustana. Bd. 2). - Weitere Literaturhinweise zu einzelnen Siedlungsorten bietet Falk Wiesemann: Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern. München 1989. (Bibliographie zur deutsch-jüdischen Geschichte. Bd. 1). - Einführend zu den ländlichen Siedlungen der Frühen Neuzeit vgl. Friedrich Battenberg: Das europäische Zeitalter der Juden. Bd. 1. Darmstadt 1990. S. 164-168; zum Verhältnis der christlichen Obrigkeit zu den Juden im heutigen Bayern grundlegend Wilhelm Volkert: Die Juden im Fürstentum Pfalz-Neuburg. In: ZBLG 26. 1963. S. 561-605. - Anregend ist in diesem Zusammenhang die Bilanz der bisherigen Forschung von Ronnie Po-chia Hsia: Die Juden im Alten Reich. Forschungsaufgaben zur Geschichte der Juden im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Stände und Gesellschaft im Alten Reich. Hg. von Georg Schmidt. Wiesbaden 1989. (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte. Bd. 29). S. 211-221.
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das 16. mit 18. Jahrhundert. Ausgeklammert werden zudem auch Fragen nach Beziehungen der Fugger zu jüdischen Financiers. Keinesfalls überflüssig ist es, gleich vorweg noch den Hinweis einzuflechten, weshalb das Thema zwar einerseits reizvoll ist, andererseits aber seine Tücken hat: -
eine zunächst gemeinsame Verwaltung der Besitzungen teilte sich seit 1548 und 1575 auf verschiedene Familienzweige, erst wieder im 18. Jahrhundert wurde der Besitz zusammengeführt,
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demnach ist die Erwerbspolitik gestaffelt, und etliche Gebiete wechselten im Laufe der Jahrhunderte von einem zum anderen Familienzweig,
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entsprechend unterschiedlich sind die Archive der einzelnen Familienzweige überliefert. 2
I. Zu den Quellen Das Material, das in irgendeiner Weise Auskunft über jüdische Geschichte in den bayerisch-schwäbischen Besitzungen der Fugger geben könnte, ist in erster Linie im Fugger-Archiv in Dillingen, ferner im Hauptstaatsarchiv München und Staatsarchiv Augsburg zu suchen. 2
Einen knappen Überblick der Besitzgeschichte bieten Adolf Layer: Die Besitzungen der gräflichen und fürstlichen Familien Fugger. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2 (Anm. 1) S. 994-998 und Pankraz Fried: Die Fugger in der Herrschaftsgeschichte Schwabens. München 1976. (Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg. Bd. 9). - Für die Besitzentwicklung bis 1560 sind heute noch unentbehrlich die Arbeiten von Thea Düvel: Die Gütererwerbungen Jacob Fuggers des Reichen (1494-1525) und seine Standeserhöhung. München 1913. (Studien zur Fugger-Geschichte. Bd. 4) und Heinz Deininger: Die Gütererwerbungen unter Anton Fugger (1526-1560), seine Privilegien und Standeserhöhung, sowie Fideikommissursprung. Masch. Diss. München 1924. Ergänzend dazu vgl.: Anton Fugger. Bd. 3,2. Hg. von Götz Freiherr von Pölnitz, Hermann Kellenbenz. Tübingen 1986 (Studien zur Fuggergeschichte 29). S. 348-356. Die Problematik nach 1560 zeigt Robert Mandrou: Les Fugger. Propriétaires fonciers en Souabe 1560-1618. Paris 1969; deutsche Ausgabe: Die Fugger als Grundbesitzer in Schwaben, 1560-1618. Göttingen 1997. (Studien zur Fuggergeschichte. Bd. 35, zugleich Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts fur Geschichte. Bd. 136). Die jüngere Geschichte der einzelnen Familienzweige faßt schließlich Gerhart Nebinger: Standesherren in Bayerisch-Schwaben. In: Probleme der Integration Ostschwabens in den bayerischen Staat. Hg. von Pankraz Fried. Sigmaringen 1982. (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens. Bd. 2). Bes. S. 165-175, zusammen. Zur Besitzgeschichte einzelner Ortschaften vgl. außerdem die jeweiligen Bände des Historischen Atlas von Bayern. Teil Schwaben. - Einfuhrend zur Archivgeschichte vgl. Hermann Kellenbenz: Das Fuggerarchiv. In: Jahrbuch des Histori-schen Vereins für Dillingen 88. 1986. S. 110-118, eingehend zu den Beständen Heinz Friedrich Deininger: Zur Geschichte des fürstlich und gräflich Fuggerschen Familien- und Stiftungs-Archivs zu Augsburg. In: Archivalische Zeitschrift 37. 1929. S. 162-183.
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Die "Judaica" sind zwar im Fugger-Archiv (FA) nicht in großem Maß vorhanden, dafür sind sie recht vielfältig. Vor allem aber ist die Überlieferung nicht gleichmäßig. Trotz einer meist guten und straffen Verwaltung haben sich nicht alle Akten oder Bände erhalten. 1. So beziehen sich ausdrücklich auf Juden nur das Protokollbuch von Wellenburg (FA 17.2.55), Kontraktprotokolle von Mickhausen (FA 32.5.27-28) sowie der Akt Judenzoll zu Kirchheim (FA 28.3.97 c).3 2. Eine zweite Gruppe ist erst durch Reorganisation des 19. Jahrhunderts im Archiv selbst entstanden, eher zufällig, als Akten mit dem Titel "Juden in der Herrschaft X" zusammengefaßt wurden: z.B. für Babenhausen (FA 7.4.12 1/2) und Mickhausen (FA 32.1.227 1/13).4 3. Ferner liegen vor: Privilegien, namentlich das für die gesamte Familie gültige Judenprivileg (FA 52.7) nebst Bestätigungen.5 4. Des weiteren gibt es eine Fülle von Quellen, die Konkretes aussagen können, aber nicht immer auch etwas enthalten. Die nachfolgende Übersicht listet nach den wichtigsten Quellentypen oder Aktengattungen geordnet die Belege zur jüdischen Geschichte auf: - Polizeiordnungen mit Hinweisen zum Judenhandel: Babenhausen (FA 7.4.13-15), Biberbach (FA 135.5), Boos (FA 10.1.20 p), Brandenburg mit Dietenheim (FA 18.1.1 a), Gabiingen (FA 9.1.13), Glött (FA 25.1.32), Heimertingen (FA 12.2.4 1/8),6 Kettershausen (FA 13.2.5), Kirchberg (FA 218.5), Kirchheim (FA 28.3.14 a und b), Mickhausen (FA 32.1.12 b), Oberndorf (FA 25.2.13 1/2), Rettenbach mit Gottenau (FA 178.3), Markt Wald/Irmatshofen (FA 16.2.23), Wellenburg (FA 17.1.15 a).7 3
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Eine Gesamtübersicht der vorläufig erfaßten Quellen bieten Dana V. Koutnä und Franz Karg (Bearb.). In: Dokumentation zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. 1/2. Archivfuhrer. Bearb. von Doris Pfister. Hg. von Peter Fassl. Bezirk Schwaben. Augsburg 1993. S. 595-605. - Das Protokollbuch von Wellenburg umfaßt 110 unfoliierte Blätter im Format 34,5:21 cm, die Protokolle von Mickhausen verteilen sich auf sechs Bände von etwa je 40 Blättern im ähnlichen Format. Der Akt Judenzoll Kirchheim (FA 28.3.97 c) beinhaltet Schriftstücke zur Zollerhöhung von 1778 sowie noch eine Handelskonzession von 1665; weitere Einzelheiten s. unten. Judensachen Babenhausen (FA 7.4.12 1/2) enthält verschiedene Schriftstücke, vielfach Amtsberichte aus den Jahren 1557-1599, weitere Produkte befinden sich hiervon in FA 3.1.10. Nach dem Stichwort 'Juden' wurden Schreiben und Verordnungen von Mickhausen der Jahre 1569 bis 1807 (FA 32.1.227 1/13) zusammengeführt. Die Originalurkunde vom 3. März 1566 (FA 52.7) wurde mehrfach zusammen mit den übrigen Familienprivilegien bestätigt, so durch die Kaiser Rudolf II., Matthias, Ferdinand II. und Karl VI. (FA 56.7; 59.2; 59.3). Aus naheliegenden Gründen wurde das Privileg auch 1580 beim Reichskammergericht insinuiert (FA 2.1.2, fol. 456r). Dies gilt nur für die ältere Fassung der Polizeiordnung, die um 1572 entstanden ist, in der späteren fehlen jedwede Hinweise auf Judengeschäfte. Die meisten Polizeiordnungen sind in Abschriften des 18. Jahrhunderts überliefert, einige lassen sich bis ins 16. Jahrhundert verfolgen, so etwa für Brandenburg/Dietenheim, Heimertingen oder Kirchheim. Eine Reihe von Polizeiordnungen enthält im übrigen in keiner Fas-
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- Gerichtssachen: Babenhausen (FA 3.1.10 b), Heimertingen (FA 12.2.4), - Achterklärungen: Babenhausen (FA 118.4), Kirchheim (FA 226.5), Waldberg (FA 199.2), - Urfehden: Babenhausen (FA 188.2), Kirchheim (FA 226.5), - Amtsberichte: Babenhausen (FA 188.2, 7.4.19 a), Biberbach (FA 8.5.5), Heimertingen (FA 7.4.12 1/2), Laugna (FA 5.2.31), Mickhausen (FA 236.8), Wellenburg (FA 17.2.1), - Protokollbücher und Taxordnungen: Brandenburg (FA 18.1.1 a), Heimertingen (FA 165.6), Kirchberg (FA 27.2.24), Oberndorf (FA 25.2.13 c), - Marktsachen und Handelskonzessionen: Babenhausen (FA 7.5.2), Glött (FA 25.1.33), Kirchheim (FA 28.3.97 c), 5. Vereinzelt begegnet auch Material, das sich auf nachmaligen fuggerischen Besitz bezieht, etwa Unterlagen des Anton Rehlinger (des Vorbesitzers von Wellenburg) sowie des Hans Jakob Rehlinger (Besitzer von Leeder). Dabei handelt es sich jeweils um Gerichtsverfahren gegen Juden im 16. Jahrhundert8 oder "erheiratetes" Material, so zu Pappenheimischen Besitzungen in Grönenbach9. 6. Weitere Quellen zur Geschichte der Besitzungen lagern heute nicht mehr im Familienarchiv, sondern wurden abgetreten, z.B. im Zuge der Mediatisierung. Demnach finden sich zahlreiche Akten aller Familienzweige im heutigen Staatsarchiv Augsburg, früher Neuburg.10 Insbesondere für die jüdische Geschichte kommen Protokollbücher von Emersacker, Polizeiordnungen von Kirchheim sowie die Tax- und Polizeiordnung von An- und Ettelried in Frage."
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sung Verordnungen über Darlehensgeschäfte mit Juden: z.B. die von Hafenhofen (FA 204.1), Pleß (FA 11.2.4 1/4) oder Ronsberg (FA 243.4). - Zur Kodifikation dieser speziellen Aspekte des Judenrechts vgl. einführend Friedrich Battenberg: Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Das Judenrecht eines Reichsfurstentums bis zum Ende des Alten Reichs. Wiesbaden 1987. (Schriften der Kommission für Geschichte der Juden in Hessen. Bd. 8). S. 1-35. Den Einfluß von Polizeigesetzgebung auf die Landesgesetzgebung fuhrt an ausgewählten Beispielen Heinz Lieberich: Die Anfänge der Polizeigesetzgebung des Herzogtums Baiern. In: Festschrift für Max Spindler. Hg. von Dieter Albrecht, Andreas Kraus, Kurt Reindel. München 1969. S. 306-378 vor, zum Handel bes. S. 343. Enthalten im Bestand Wellenburg (FA 17.2.1. und 17.1.15 i) sowie Leeder (FA 29.1.9). Bestand Grönenbach (FA 26.2.7 e und FA 211.3) bezieht sich auf den Juden Bemmel und seine Frau Sara. Zu den Beständen des Hauses Fugger vgl. Heribert Sturm: Staatsarchiv Neuburg a. d. Donau. München 1952. (Bayerische Archivinventare. Bd. 1). S. 52-55. Staats AAugsburg. Fugger-Laugna 20 und 21 (Emersacker), Fugger-Kirchheim 12-14 (Kirchheim), Fugger-Mickhausen 11 und 12 (Ettelried). - Das im Repertorium irrtümlich unter Fugger-Kirchberg geführte Judenprotokoll von Pfaffenhofen gehört heute zum Bestand Augsburg. St. Stephan (Lit. 93), denn es bezieht sich auf Pfaffenhofen im ehemaligen Landkreis Wertingen.
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Eine andere Quellengruppe bezieht sich auf Vorgänge, die außerhalb der Herrschaft ihren schriftlichen Niederschlag gefunden haben: in erster Linie Akten beim Reichskammergericht 12 oder Appellationen an den Reichshofrat. 13 Die Sichtung des Materials im Fugger-Archiv mag für den Moment als abgeschlossen gelten, aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß sich noch weiteres als zufälliger Fund in der Zukunft ergeben wird. Im großen und ganzen erlaubt es Aussagen über das Verhältnis der christlichen Obrigkeit bzw. der christlichen Landbevölkerung zu den Juden. Dagegen gibt es, ähnlich wie in anderen Gebieten, keine jüdischen Selbstzeugnisse oder sonstige Aufzeichnungen über religiöse oder soziale Verhältnisse. Was die zeitliche Verteilung anbelangt, beleuchten die erhaltenen Quellen das 16. und 18. Jahrhundert, die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist hingegen bisher vergleichsweise wenig dokumentiert.
II. Die fuggerischen Privilegien Vor allem bei Streitfällen war das sog. Judenprivileg von Bedeutung. Von Maximilian II. erhielten die Fugger 1566 das Privileg, das alle Darlehensverträge mit Juden auf fahrende und liegende Güter ohne Zustimmung ihrer Ämter verbot und ihnen für alle Herrschaften die Freiheit vor der Gerichtsbarkeit in Rottweil erteilte; somit waren alle der juden gemaine und sonderbare freyhait ungültig, überdies wurden verschwigene schulden - also diejenigen Schulden von Untertanen bei den Juden, die nicht bis zu einer Frist angezeigt wurden, hinfällig. Die Argumentation basiert ausdrücklich auf den Reichsabschieden bzw. Reichspolizeiordnungen von 1532, 1548 und 1551.14 Demnach waren Geschäfte auf den Messen und Jahrmärkten gegen Bargeld nicht genehmigungspflichtig. 12
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Heute BayHStA München. RKG 4166/1, 5508, 5510, 5513, 5543. Zu den Prozessen vgl. einführend Margit Ksoll, Manfred Hörner: Fränkische und schwäbische Juden vor dem Reichskammergericht. In: Geschichte und Kultur (Anm. 1). S. 183-198. Dazu Sabine Frey: Rechtsschutz der Juden gegen Ausweisungen im 16. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1983. (Rechtshistorische Reihe. Bd. 30). S. 103f. Die entsprechenden Bestände lagern in Wien. Einen Überblick über diese Reichsverordnungen hinsichtlich der wucherlichen Contracte bietet Friedrich Battenberg: Judenordnungen in Hessen-Darmstadt. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983. (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Bd. 7). S. 88ff. (dort Hinweise auf die einzelnen Artikel). Die jüdische Haltung zu Darlehensgeschäften streifen Hans-Martin Kirn: Das Bild vom Juden im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts dargestellt an den Schriften Johann Pfefferkorns. Tübingen 1988. S. 92f. sowie Michael Toch: Jüdische Geldleihe im Mittelalter. In: Geschichte und Kultur (Anm. 1) S. 85-94. - Zur Problematik des Zinsnehmens im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit vgl. Hermann Kellenbenz: Wirtschaft und Gesellschaft Europas 1350-1650. In: Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. 3. Hg. von Hermann Kellenbenz. Stuttgart 1986. S. 26-33.
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Einen zweiten Eckpfeiler für die Rechtspraxis gegen jüdische Geldgeschäfte bildete das bereits 1541 erlangte Privileg, das für die gesamten Herrschaften Freiheit vor dem Rottweiler Hofgericht nebst anderen Gerichten gewährte.15 Bedienten sich doch die jüdischen Gläubiger öfters der Möglichkeit, die Schulden der fuggerischen Untertanen an einem schwäbischen Landgericht einzuklagen.' 6 Zur Vorbeugung wurden beide Privilegien zusätzlich zu den sonstigen Verordnungen den Untertanen wiederholt verkündet, in neu erworbenen Herrschaften obendrein von einem Notar insinuiert." In beiden Fällen lassen sich weder inhaltlich, noch was den Zeitpunkt der Verleihung betrifft, Unterschiede zu anderen Herrschaften in Bayerisch-Schwaben ausmachen. Judenprivilegien entsprechenden Inhalts erlangten im gleichen Jahr beispielsweise das Kloster Elchingen, etwas früher schon Lauingen (1550), oder die Klöster Wettenhausen (1555) und Oberschönenfeld (1559).18 Viel interessanter sind in diesem Zusammenhang die Insinuationsprotokolle vom August 1566 und Mai 1599. Die zweite Verkündigung wurde nicht allein wegen häufiger Übertretungen vorgenommen, sondern insbesondere deshalb, weil
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Originalausfertigung in FA 50.3 mit zahlreichen Bestätigungen; zur Erteilung vgl. Anton Fugger 2,1. Hg. von Götz Freiherr von Pölnitz. Tübingen 1963. (Studien zur Fuggergeschichte. Bd. 17). S. 529 Anm. 236. Ähnliche Bemühungen sind z.B. in Pfalz-Neuburg zu beobachten, so W. Volkert (Anm. 1) S. 576. - Zur Differenzierung zwischen Exemtionsprivilegien und den Privilegien 'de non appellando' vgl.: Die kaiserlichen Privilegia de non appellando. Hg. von Ulrich Eisenhardt. Wien 1980. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich. Bd. 7). S. 27-37. Einzelne Beispiele s. weiter unten. - Zu der Klagemöglichkeit von Juden gegen christliche Geschäftspartner vgl. einführend Werner Scharlowski: Die zivilprozeßrechtliche Stellung der Juden in Deutschland während der Neuzeit. Tübingen 1964. S. 27ff. - Zu den schwäbischen Gerichten vgl. Hans Erich Feine: Die kaiserlichen Landgerichte in Schwaben im Spätmittelalter. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 66. 1948. S. 148-235 und Hans Georg Hofacker: Die Landvogtei Schwaben. In: Vorderösterreich in der frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier, Volker Press. Sigmaringen 1989. S. 57-74, hier bes. S. 62f.; ferner Klaus Freiherr von Andrian-Werburg: Recht und Gerichte in Schwaben. In: Gerechtigkeit erhöht ein Volk. Recht und Rechtspflege in Bayern im Wandel der Geschichte. München 1990. (Ausstellungskatalog der Staatlichen Archive Bayerns. Bd. 28). S. 108-111. - Grundlegend zur Rechtsstellung der Juden in dieser Zeit Wilhelm Güde: Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts. Sigmaringen 1981. Insinuation in Mattsies im September 1599 (FA 235.4). Femer dürften hiervon die Abschriften beider Privilegien in einigen Polizeiordnungen zeugen, etwa in Brandenburg (FA 18.1.1. a, fol. 97r-101v) und Kirchheim (FA 28.3.14 a, fol. 64r-69r). Elchingen: BayHStA München. KU Elchingen 536. Ulm: Eugen Nübling: Die Judengemeinden des Mittelalters, insbesondere der Reichsstadt Ulm. Ulm 1896. S. 523. Lauingen: W. Volkert (Anm. 1). S. 576 Anm. 44. Wettenhausen: Antonius von Steichele, Alfred Schröder: Das Bisthum von Augsburg. Bd. 5. Augsburg 1895. S. 507. Oberschönenfeld: Michael Piller: Die Juden in Fischach vor ihrer Emanzipation im Jahre 1871. In: Jahresberichte des Heimatvereins für den Landkreis Augsburg. Augsburg 1976. S. 342. Vgl. zu den Judenprivilegien auch den Beitrag von Sabine Ulimann in diesem Band.
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sich die Siedlungsorte der Juden und die geschäftstreibenden Familien geändert hätten.19 Der Notar hatte das Privileg 1599 in 16 'Judenorten', 1566 dagegen in 22 vorzutragen, wovon sich einige im heutigen Baden-Württemberg befinden.20 Ausgewählt wurden sie wohl hauptsächlich deswegen, weil man dort die Geschäftspartner der Untertanen vermutete. Die große Zahl hängt mit dem über ganz Schwaben verteilten Besitz der Fugger zusammen, wobei sich Einzugsgebiete für die jeweilige Herrschaft ergeben.21 Die Juden akzeptierten zumeist die Pflicht, die Darlehen anzuzeigen, soweit sie wegen der ausgedehnten Reisetätigkeit überhaupt vor Ort angetroffen werden konnten. Eine eigene Liste hat sich allerdings nicht erhalten, lediglich in Amendingen konnte der Notar 1566 sogleich drei Schuldner ausmachen. In zahlreichen Fällen aber argumentierten die Händler ihrerseits mit kaiserlichen Privilegien und gedachten sich dero zu gebrauchen, so in Buchau am Federsee, Günzburg oder Oberhausen. Daran hat sich das zweite Mal nichts geändert, aus naheliegenden Gründen, ging es ja um den Lebensunterhalt.
III. Die Realität Anhand ausgewählter Beispiele aus einigen Herrschaften sollen exemplarisch die Tendenzen der Judenpolitik in den fuggerischen Besitzungen aufzeigt werden. Dies gibt zugleich einen Einblick in die Situation der jüdischen Bevölkerung in dieser Region. Ein Charakteristikum scheint mithin die Diskrepanz zwischen den Rechtsvorschriften der Obrigkeit einerseits und der Realität, soweit sie in schriftlichen Quellen faßbar wird, andererseits zu sein.
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So die Begründung im Insinuationsprotokoll vom 3. Mai 1599 (FA 52.7). Das Protokoll von 1566 ist ebd. im Original überliefert, weitere Abschriften beider Schriftstücke s. etwa FA 7.4.12 1/2. - Zur entsprechenden Insinuation des Klosters Roggenburg von 1582 vgl. Elisabeth Klebinger: Ein kaiserliches Judenprivileg und seine Bekanntmachung im Jahre 1582. In: Heimatspiegel. Beilage zum Krumbacher Boten 2. Krumbach 1939. S. 14f. und K. von Andrian-Werburg (Anm. 16) S. 127-130. Das Insinuationsprotokoll von 1566 nennt: Amendigen, Angelberg, Binswangen, Bronnen, Burgau, Ehingen, Günzburg, Heimertingen, Ichenhausen, Krumbach, Leitershofen, Münsterhausen, Neuburg an der Kammel, Oberhausen, Osterberg, Thannhausen; im heutigen BadenWürttemberg: Alberweiler, Buchau am Federsee, Mittelbibrach, Obersulmetingen, Oggeltshausen, Orsenhausen. - Das Insinuationsprotokoll von 1599: Auerbach, Burgau, Buttenwiesen, Engetried, Fischach, Günzburg, Hiltenfingen, Hürben, Ichenhausen, Immelstetten, Kriegshaber, Neuburg an der Kammel, Pfersee, Steppach, Thannhausen; im heutigen BadenWürttemberg: Buchau am Federsee. Die Tendenz, bei der Insinuation bestimmte jüdische Siedlungsorte auszuwählen, zeigt beispielsweise die Verkündigung des Ulmer Privilegs von 1571, vgl. dazu E. Nübling (Anm. 18) S. 536-540.
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1. Zunächst einige Beispiele aus der Herrschaft Babenhausen, die 1538 erworben wurde.22 Besonders markant und gut belegt ist hier der Fall Alexander Winkler. Daraus geht hervor, daß schon vor der Übernahme der Herrschaft, die Geschäfte mit Juden überhaupt verboten waren, obwohl erst eine jüngere, fuggerische Polizeiordnung genaueres festsetzt. Die Strafe war drakonisch: Verfall von Hab und Gut des Betroffenen an die Obrigkeit und Ausweisung.23 Der Pferdehändler Winkler ertrank nach einer Zecherei im Winter 1557 in der Günz. Zwischen Februar und dem 5. Juni desselben Jahres wurde der Nachlaß gesichtet und die Gläubiger, 35 an der Zahl, hatten Zeit, sich zu melden. Die Sache sollte durch den Verkauf des Nachlasses und Teilung zwischen der Witwe, den Kindern und den Gläubigern bereinigt werden. Doch dann klagt der Jude Jacov von Schwaighausen vor dem Gericht in Rottweil und läßt seine Forderung an der Kirchentür von Kirchhaslach anbringen.24 Anschließend meldet auch noch Salamon von Haldenweg Schuldansprüche an. Beides ändert radikal die Situation. Die Entscheidung fällt nunmehr vor einem örtlichen Gericht, dem Dorfgericht zu Kirchhaslach: weil Winkler gegen das bekannte Verbot der Herrschaft verstoßen hatte, verfällt sein Hab und Gut ersatzlos an die selbige.25 In drei weiteren Fällen läßt sich beobachten, daß die Verwaltung nicht nur die Verhandlungen an die herrschaftlichen Gerichte zieht, sondern auch gegen die Klagen an Schwäbischen Landgerichten als Privilegienbruch jeweils beim Reichskammergericht Beschwerde einlegt.26 Mit der Erteilung des kaiserlichen Privilegs 1566 ändert sich zwar etwas an der rechtlichen Grundlage, an der Praxis wenig. Die Darlehensgeschäfte mit den Juden blühen weiterhin ohne Zustimmung der Obrigkeit: aus Gerüchten erfährt der Pfleger von Babenhausen 1586, daß wohl zahlreiche Untertanen aus Boos und Pleß gegen das ihnen bekannte Privileg (nicht die Polizeiordnung) verstoßen.27 Ende September läßt er dann den Juden Marx von Heimertingen, das damals noch dem von Edlinstetten gehörte, festnehmen und verhört ihn in Babenhausen. Dieser 22 23
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Zum Erwerb vgl. Anton Fugger 2/l(Anm. 15) S. 74f. Dieses Vorgehen ist in den meisten fuggerischen Polizeiordnungen - ungeachtet ihrer Entstehungszeit - festgehalten worden, abweichend davon schreibt aber z.B. die von Heimertingen (FA 12.2.4 1/8; nach 1572 verfaßt) als Strafe 10 Pfund Heller vor. Eine gänzlich andere Ausnahme bildete dann ein Vorfall in Babenhausen aus den Jahren 1562/63 (FA 118.2): zur Abschreckung sollte der Betroffene gehenkt werden, wobei allerdings erschwerend Diebstahl von zwei Pferden hinzukam. Zur sachlichen Zuständigkeit des Hofgerichts vgl. H. E. Feine (Anm. 16) S. 154f. Weitere Ausweisungen sind in der Herrschaft Babenhausen in Urfehden von 1555 und 1559 (FA 118.2) sowie Amtsberichten von 1558, 1561 (FA 3.1.10 b) und 1564 (FA 7.4.19 a) bezeugt. So in BayHStA München. RKG Akten 4166/1, 5513, 5508. - In der Beschwerdeschrift Gravamina wider das Landgericht in Schwaben von 1602 (FA 3.1.11) wird als zusätzliches Argument noch die finanzielle Belastung der Beklagten durch die Reise an den fremden Gerichtsstand an einem weiteren Fall von Babenhausen (1574) demonstriert. Bericht des Pflegers von Babenhausen vom 28. September 1586 (FA 7.4.12 1/2).
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will nichts aussagen, weshalb Jakob Fugger (1542-1598) an den Pfleger schreibt: Ich bin sonst willen (geliebts gott) mich uff negst khunfftigen monttag uff die rais hinaus zu begeben, schalt dem juden gar nichts, wann er schon dieweil mein gast ist, ihr habt far recht gethon, das ir ine uff des von Ettlstetten furbitt nit ausgelassen habt.2' Die Schuldansprüche des Juden von 150 fl. fielen später an das Seelhaus von Babenhausen.29 Im nachfolgenden Jahrhundert läßt sich dann in dieser Herrschaft für einen Zeitraum von etwa 20 Jahren eine Art von 'Liberalisierung' beobachten. Einigen Juden aus Hürben wird 1686 der Handel mit Roß, Vieh, Tuch, Häuten und Federn, einige Jahre darauf nur der Roß- und Viehhandel bei einer jährlichen Zahlung von 25 fl. erlaubt. Die kurzfristigen Konzessionen wurden schließlich 1710 nicht mehr verlängert.30 Aus dem 18. Jahrhundert gibt es noch weitere Hinweise zur Judenpolitik. 1747 gestattet Franz Carl Fugger (1712-1758) Juden den Handel im Schloß Babenhausen und anderen privilegierten Häusern.31 1782 wird für die Herrschaften Babenhausen, Boos und Wellenburg erneut verfugt, daß Geschäfte über drei fl. wie schon früher zu protokollieren sind. Zur Strafe fällt nunmehr die Schuld zuzüglich Strafgelder an die Herrschaft.32 2. Von Wellenburg gewinnt man ein etwas anderes Bild. Dieses wurde erst 1595 von Jakob (1542-1598), dem jüngsten Sohn des Anton Fugger (1493-1560) erworben.33 Laut Polizeiordnung, die gegen Ende des 30jährigen Krieges erlassen wurde, war jeglicher Handel mit den Juden bei Strafe des Besitzverlustes und Verweises aus der Herrschaft verboten. Diese Ordnung bildete unverändert auch im 18. Jahrhundert den rechtlichen Rahmen.34 Demgegenüber wurde aber 1717 ein 28 29
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Antwortschreiben von Jakob Fugger (1542-1598) vom 30. September (FA 7.4.12 1/2). Schreiben des Pflegers vom 10. Oktober (FA 7.4.12 1/2). - Jakobs Bruder Marx (1529-1597) verfährt im gleichen Zeitraum in Biberbach ebenso, die Juden Pauer werden arrestiert bzw. ausgewiesen (FA 8.5.5). Die Konzession von 1686 galt zunächst für zwölf Jahre, 1705 konnten die Hürbener Juden den Betrag von 25 fl. nicht aufbringen, zugleich wurde aber auch heimlicher Handel ruchbar, weshalb die Erlaubnis auf Pferde und Vieh eingeschränkt wurde. Wegen eines Streits unter den Händlern wird 1710 der Handel bis zur Bezahlung der ausstehenden Gelder verboten. Die privilegierten Häuser werden allerdings in dem Dekret nicht genannt (FA 7.4.12 1/2). Die neue Regelung kam durch Proteste der ansässigen Krämer zustande, weil diese ihre Kundschaft bis nach Fellheim gelockt sahen. Die Juden verkauften nämlich Tuch auch auf Kredit. Von den früheren Protokollierungen ist nichts überliefert. Zum Vergleich: die Polizeiordnung von Boos 1753 (FA 10.1.20 p) sah keinen besonderen Handelswert, doch eine Strafe von 10 Pfund Heller vor, diejenige von Pleß (FA 11.2.4 1/2) vermerkt dagegen auch nichts von einer Aufzeichnung. Zum Erwerb von Wellenburg vgl. Joachim Jahn: Augsburg Land (Historischer Atlas von Bayern, Teil Schwaben. Bd. 11). München 1984. S. 449. Die erste Fassung entstand nach dem Dreißigjährigen Krieg, unverändert übernommen wurde sie 1726 und 1787 (FA 17.1.15a), die Titel der Verordnungen druckte J. Jahn (Anm. 33) S. 450-452 ab.
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Protokollbuch angelegt und vielfach nur unregelmäßig bis 1776 fortgeführt.35 Darin wurde der Handel mit Pferden, selten mit Textilien notiert, und zwar mit Juden aus Steppach, Kriegshaber, Fischach und Pfersee. Beides zeigt deutlich die Diskrepanz zwischen den unverändert überlieferten Rechtsvorschriften und der veränderten Realität. Doch auch für Wellenburg gibt es im ausgehenden 16. Jahrhundert Belege für jüdische Kreditgeschäfte, wobei sich die Lösung des Problems deutlich von anderen Fällen unterscheidet. 1597 wurden zwei Untertanen wegen Schulden von einem Juden an das Landgericht Wangen zitiert. Die Klage wird durch das Exemtionsprivileg von 1541 abgewehrt. Die Untertanen werden jedoch nicht wie üblich gestraft, vielmehr die Schulden unter der Aufsicht des Pflegers zurückgezahlt. Erklären kann man diesen Fall vielleicht damit, daß einer der geladenen Schuldner der Untervogt von Wellenburg war.36 3. Aus der Herrschaft Kirchheim liegt ebenfalls ein Beispiel für eine Konzession bestimmter Handelszweige vor. Dem Juden Hitzig aus Thannhausen wurde 1665 der Handel mit Roß, Vieh, Leder und Tuch gestattet.37 Die Protokollierung war verpflichtend, davon ist aber nichts überliefert. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wurden schließlich die Zölle auf 15 kr. angehoben und der Handel auf bestimmte Häuser beschränkt, also ähnlich wie schon in Babenhausen. Aus der frühen Zeit, um die Jahre 1541 geht aus der Polizeiordnung des Vorbesitzers Walter von Hirnheim hervor, daß das Leihen bei den Juden nebst sonstigen Geschäften untersagt war, und zwar bei den üblichen rigorosen Strafen.38 Auch 35
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In ihrem Schreiben an den Pfleger, das dem Protokollbuch (FA 17.2.55) vorangestellt ist, vermerkt Maria Theresia Gräfin Fugger (1690-1762): weilen die contagion die der Judenschafft beschehene verwaigerung in den herrschaft zu handeln zum thaill verursacht hat, nunmehro (gott seye danck) gäntzlich cessieret, [...] (sollen) alle contract, wie die immer nahmen haben mögen, von ihnen angezaigt, und ad prothocollum gegeben werden. Dies würde bedeuten, daß alle Geschäftsabschlüsse zu protokollieren sind. Die Erneuerung dieser Verordnung von 1782 gibt jedoch ausdrücklich wieder drei fl. als Mindestbetrag an. Dementsprechend finden sich in den Aufzeichnungen keine 'Bagatellfälle'. Für Pfalz-Neuburg galt der Wert von zehn fl., vgl. dazu W. Volkert (Anm. 1) S. 592. - In Wellenburg wurde weniger häufig als in Mickhausen protokolliert, zwischen den Extremen von zwei (1727) und 15 (1719) pendeln die Einträge um etwa acht pro Jahr, in Mickhausen eher um 12-14, vgl. dazu oben. - Zu Protokollbüchern vgl. allgemein Reinhardt Heydenreuther: Gerichtsund Amtsprotokolle in Altbayern. Zur Entwicklung des gerichts- und grundherrlichen Amtsbuchwesens (Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 25/26). 1979/80. S. 11-46. Vergleichbar ist dies mit einem Fall zu Mickhausen, vgl. weiter unten im entsprechenden Abschnitt. Eine Schuldrückzahlung unter Aufsicht der Herrschaft ist z.B. auch für das Kloster Elchingen im Jahr 1583 belegt (BayHStA München. KU Elchingen 647). FA 28.3.97 c. Die Polizeiordnung von 1541 (FA 28.3.14 b) wurde um die Mitte des Jahrhunderts übernommen. Unkritisch abgedruckt in Ernst und Helmut Striebel: Geschichte des Marktes Kirchheim und seiner Ortsteile. Kirchheim 1990. S. 90, der dort angeführte Gerichtsfall läßt sich in den entsprechenden Akten nicht nachweisen. - In den jüngeren Fassungen von 1560 und 1607 (StaatsA Augsburg. Fugger-Kirchheim 13 und 12) ändert sich zwar etwas der
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hier zeugen Gerichtsurteile des 16. Jahrhunderts von der tatsächlichen Durchfuhrung.39 Was die Bestimmungen betrifft, stammen sie wiederum schon von dem Vorbesitzer und wurden unverändert übernommen. Ungeachtet dieser Ordnung sowie des Privilegs nahmen die Untertanen jedoch weiterhin Kredite auf, wie ein Prozeß vor dem Reichskammergericht in den Jahren 1585/86 beweist.40 Die endgültig erst 1878 mit Kirchheim vereinigten Herrschaften Glött und Oberndorf führten spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Protokollierung ein. An sich war auch hier der Handel gäntzlich zu unterlassen, weil dieser gnädigsten Absicht nicht vollständig nachgelebt werden könne, gewährte man zum Schutz der Untertanen diese Möglichkeit.41 Überdies setzte die Glötter Polizeiordnung von 1765 fest, daß die Geschäfte nur im Beisein einer Amtsperson, spätestens aber 24 Stunden nach Abschluß angezeigt werden müssen, andernfalls drohte die Strafe von 10 Reichstalern.42 4. Für die Grafschaft Kirchberg finden sich wenig Belege für den Handel mit den Juden oder Maßnahmen der Obrigkeit.43 Zum Teil liegt es an der Überlieferung, denn im vorigen Jahrhundert wurden in größerem Umfang Akten kassiert. Eine Rolle mag ebenfalls die Tatsache spielen, daß es sich um eine Pfandschaft von Vorderösterreich handelte, somit auch die Judenpolitik anders gehandhabt wurde. Bedingt ließen sich zum Vergleich die Gebote und Verbote von Markt Wald (Irmatshofen) des 18. Jahrhunderts heranziehen, ebenfalls einer österreichischen Pfandherrschaft. Daraus geht hervor, daß generell Handel und Kreditgeschäft erlaubt war, sofern dies protokolliert wurde.44 In Kirchberg verbot indes die Polizeiordnung von 1600 jedwede Kontrakte mit Christen oder Juden fremder Herrschaften.45 Die elf Jahre ältere Verordnung der benachbarten Herrschaft Brandenburg und Dietenheim erlaubte den Handel gegen
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Wortlaut, die Aussage nicht. Überdies verbietet die Ordnung von 1607 ausdrücklich wucherliche Kontrakte auch bei den Christen (fol. 49v). Urteile des Marktgerichts von Kirchheim vom 21. November 1558 und des Dorfgerichts von Eppishausen vom 16. Januar 1559 (jeweils in FA 226.5). - Jüngere Belege für diese Praxis sind nicht überliefert. Zudem wäre eine Ausweisung aus der Herrschaft namentlich in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg wegen des Bevölkerungsrückgangs vieler Gebiete kaum sinnvoll gewesen. BayHStA München. RKG 5543. So die gleichlautenden Taxordnungen (FA 25.1.31, FA 25.2.13 c) von Glött (1767) und Oberndorf (1783): in der ersten Herrschaft betrug die Protokollgebühr insgesamt 30 kr., davon waren 20 von dem Juden zu zahlen. Die Oberndorfer Ordnung verlangt bei einem Handelswert bis 50 fl. dieselbe Gebühr, bei Kontrakten darüber jedoch von beiden Parteien jeweils das Doppelte, insgesamt also einen fl. FA 25.1.32. Eine Ausnahme bildet der im Diözesanarchiv von Schwaben 21. 1903. S. 53-55 geschilderte Prozeß von 1583 (Hostienfrevel). FA 16.2.23, zwei Abschriften von 1726 und 1779, die wohl auf einer Vorlage von 1636 basieren. Polizeiordnung vom 5. Dezember 1600, Abschnitt 19 (FA 218.5).
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Bargeld, allerdings in Begleitung eines Knechts. 4 6 Ein Judenzoll ist hier außerdem bereits zu d i e s e m Zeitpunkt nachweisbar, in Kirchberg urkundlich erst z u m Jahr 1738. 47 5. D e n Untertanen der Herrschaft Mickhausen wurde seit 1566 vielfach eingeschärft, keine Contracte
mit den Juden einzugehen. 4 8 Zumindest die Ladung des
Hans Gleichen v o n W o l l m e t s h o f e n durch die Jüdin V ö g e l i n v o n Thannhausen vor das schwäbische Landgericht zu W a n g e n läßt an der Wirksamkeit Z w e i f e l aufk o m m e n . D i e Behandlung dieses Falles ist insofern bemerkenswert, als die Klage nicht für nichtig erklärt wurde, sondern die Jüdin und ihr A n w a l t ein freies Geleit z u m Dorfgericht in Mickhausen, als zuständigem Gerichtsstand, bekamen. 4 9 Gut hundert Jahre später wurde den Juden aus Thannhausen ausdrücklich der Handel mit fuggerischen Untertanen untersagt, w a s v o n den sonstigen Konzessionen zur etwa gleichen Zeit in anderen Besitzungen abweicht. 5 0 D i e weitere Tendenz ist nicht aus den Quellen ersichtlich, erst wieder die Protokolle aus den Jahren 1 7 3 2 - 1 7 3 7 s o w i e 1 7 5 7 - 1 7 9 3 " nebst einem Schuldverzeichnis v o n 1 7 9 1 - 1 7 9 5 deuten auf rege Handelsbeziehungen, diesmal zu Fischacher Juden. 52 D i e Protokolle dokumentieren vorrangig den Handel mit teuren Waren w i e Pferden und Vieh, aus d e m Schuldheft gehen d a g e g e n die kleineren ausstehenden Beträge für 46
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Polizeiordnung von Brandenburg und Dietenheim vom Februar 1589 (FA 18.1.1 a, fol. 42v). Solche Begleitung durch einen Christen zur Kontrolle der Geschäftsvorgänge ist in Städten nicht selten, so gab es sie z.B. in Konstanz, vgl. dazu Renate Overdick: Die rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Juden in Südwestdeutschland im 15. und 16. Jahrhundert, dargestellt an den Reichsstädten Konstanz und Eßlingen und der Markgrafschaft Baden. Konstanz 1965. S. 66. Judenzoll von der Brandenburger Brücke betrug pro Juden 1 Pfennig, mit Pferd 3 Pfennig, pro Karren mit Hausrat 6 Pfennig (FA 18. 1. 1 a, fol. 116 r"v), in Kirchberg 1 kr. pro Kopf (FA 27.2.24, S. 249). Nachweislich z.B. noch 1569 (FA 32.1.227 1/13), 1603 (FA 32.1.12 b). Die Vorladung datiert vom 19. Dezember 1575, das Geleit vom 22. Februar 1576 (FA 236,8). Bei dem Schuldner handelt es sich vermutlich um einen fuggerischen Beamten, also ähnlich dem erwähnten Fall von Wellenburg. FA 32.1.227 1/13. Im gleichen Jahr fragte im übrigen die burgauische Behörde im Namen der Juden von Buttenwiesen wegen einer Erneuerung deren Handelskonzession in der Herrschaft Glött (FA 25.1.33) an. Aus den zwei unterschiedlichen Konzepten der Antwort geht lediglich hervor, daß der Handel wegen andauernder Streitigkeiten der fuggerischen und burgauischen Behörden verboten wurde, da den fuggerischen Untertanen die Klagemöglichkeit in Burgau verwehrt wurde. Die sechs Hefte (FA 32.5.27-28) enthalten im Schnitt zwischen neun (1763) und 23 (1759) Einträge pro Jahr. Vor allem das erste Heft umfaßt für die Jahre 1732/33 ebenso viele Handelsfälle wie Streitprotokolle; die jüngeren Protokolle halten vorwiegend nur den Kauf oder Tausch zusammen mit den Zahlungsmodalitäten fest. - Hinsichtlich der Eintragungsdichte übertrifft es sowohl das Protokoll von Wellenburg (FA 17.2.55), als auch das von St. Stephan (StaatsA Augsburg. Augsburg. St. Stephan Lit. 93), in dem etwa sechs (1757) bis 14 Geschäfte (1771) aufgezeichnet wurden. Das Schuldverzeichnis des Moyses Silberschmid übernahm sein Sohn Isaak (FA 32.1.227 1/13). Zum Handel der Fischacher Juden vgl. M. Piller (Anm. 18) S. 342-361.
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Textilien hervor. Obwohl der Pferdehandel von nicht geringer Bedeutung war,53 verengt die Überlieferung wohl zu sehr den Blick iur die Breite des Warenangebots der jüdischen Händler, demnach auch ihren Stellenwert in der bäuerlichen Gesellschaft. 6. Einen klaren Einblick in die Geschäftsvorgänge und ihre Häufigkeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts gibt ein Verhörsprotokoll von Lauterbrunn. Im Jahre 1604 wurde in diesem Dorf, das zu Laugna und somit später zu den fuggerischen Stiftungen gehörte, gemäß dem Privileg der Herrn Fugger eine Untersuchung durchgeführt, welche Bewohner Schulden bei den Juden haben. Das Protokoll verzeichnet 21 Fälle, weitere Schreiben noch zwei Schuldner. Verglichen mit dem etwas jüngeren Urbar, waren somit gut die Hälfte aller Haushalte betroffen.54 Dabei ging es ausschließlich um Einkäufe, die nicht auf einmal in bar beglichen werden konnten. Erstanden wurden meistens Wollhemden, Pelze, Tuch, seltener Felle oder Vieh. Betrieben wurde dieser Handel ausschließlich mit den Juden Seleman und Panderman aus Binswangen sowie Mengele, der vielleicht auch aus diesem Ort kam. Die Schulden bewegten sich zwischen 1 und 4 fl. 36 kr. Im folgenden Frühjahr traf zwei Bauern die Strafe am härtesten, denn sie mußten bis Jahresende ihr Hab und Gut verkaufen und die Herrschaft mit ihren Familien verlassen. Die übrigen Schuldner hatten die ausstehenden Beträge an die Herrschaft abzuführen und wurden für einen Tag in den Krautkeller eingesperrt.55 7. Was überhaupt auffällt, ist die Tatsache, daß die vorliegenden Verordnungen lediglich die Darlehensgeschäfte reglementieren, andere Kontakte, gar eine Ansiedlung von Juden, werden nicht einmal erwähnt. Überdies erfolgten die Insinuationen der Privilegien an Orten, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt nicht im Besitz der Familie waren. Dennoch ist der Rückschluß, daß in den fuggerischen Herrschaften keine Juden, zumindest vorübergehend, ansässig waren, unzulässig. Bei der Übernahme der Herrschaft Wellenburg gab es einen Juden mit Familie in Leitershofen. Dieser zog unmittelbar darauf aus, sein Haus stand zum Verkauf. Dazu vermerkte Jakob Fugger (1542-1598), daß genug Geld vorhanden sei, um das Gebäude auszulösen.56 53
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M. Piller (Anm. 18) S. 342 und 353 konzentriert sich nur auf den Pferdehandel, weil er davon ausgeht, daß alle Handelsabschlüsse schriftlichen Niederschlag fanden, vgl. dagegen im Abschnitt Wellenburg. - Im übrigen ließen sich anhand der vorliegenden Protokollbücher die Namenslisten der Fischacher Juden (vgl. M. Piller (Anm. 18) S. 344-348), insbesondere für 1780-1793 ergänzen und korrigieren. Die Protokolle von 1604 befinden sich unter den Amtsberichten (FA 5.2.31). Das Urbar von Lauterbrunn wurde 1623 angelegt, 1666 ergänzt (FA 5.2.31 a/2). Erklären läßt sich aus den Unterlagen zumindest die eine Ausweisung damit, daß der Betroffene noch nach der Verkündigung des Privilegs einen Handel einging und sich zudem Geld lieh. Möglicherweise war es der Jude Leo, der zehn Jahre früher in einem Prozeß mit Hans Jakob Rehlinger nachweisbar ist (FA 17.1.15). - Die Entscheidungen von 1596 belegen Schreiben in den Amtsberichten (FA 17.2.1.).
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In Ehingen wohnende Juden wandten sich 1566 wegen angedrohter Ausweisung durch die Fugger an den Reichshofrat. Ehingen wurde schon zehn Jahre vorher erworben. Maximilian II. beantwortete die Bittschrift nicht. Die Ausweisung wurde wahrscheinlich daraufhin durchgeführt. 57 Anläßlich der Huldigung an den neuen Besitzer (1688) begegnen in Emersakker zwölf jüdische Familien.58 Die kleine Gemeinde war um 1693 durch Zuzug auf über 20 Familien angewachsen. 59 Wohl angesichts ihrer Anzahl wurde ihr im Mai 1690 eine eigene Begräbnisstätte zugestanden, an der kalten Eckh.60 Bemerkenswert ist ferner, daß seit den 80er Jahren einige der Juden Sölden bzw. Häuser besaßen, was aus dem Salbuch und den Jahresrechnungen hervorgeht. 61 Mit der endgültigen Übernahme von Emersacker durch die fuggerischen Stiftungen im April 1700 setzte der Exodus aus diesem Ort ein, nach dem Mai 1701 lassen sich nur noch zwei jüdische Haushalte ausmachen. 62 Schließlich berichtete 1574 der Pfleger über die Ausweisung der Juden aus Biberbach. Nicht zu lokalisieren ist die ein Jahr später erwähnte Judenschule, die es
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Vgl. S. Frey (Anm. 13) S. 103f. Das Huldigungsprotokoll vom 12. Mai 1688 (FA 84.1) nennt zwölf Männer, die wohl Haushaltsvorstände waren: Samuel, Jacob Levi, Schimmele, Abraham, Hitzig mit einem Sohn, Nathan Levi, Arele Levi, Nathan Schimmeies Sohn, Jakob Altmandsche Sohn, Matthes Schechter, Isaac Levi. - Die Witwe des Vorbesitzers Rudolf Heinrich von Schaumburg, eine geborene Fugger, verkaufte 1688 das adelige Rittergut Emersacker an Johann M. Koch von Gailenbach. Den fuggerischen Stiftungen fallt der Besitz 1700 endgültig zu. - Vgl. Dana Koutnä: Emersacker im späten 17. Jahrhundert. Bemerkungen zu der jüdischen Gemeinde. In: JHVD 93. 1991. S. 404-419. StaatsA Augsburg. Fugger-Laugna 21, enthält auf einem vorn eingebundenen Blatt die Namen der Juden, die das Schutzgeld jeweils an Quatember zu entrichten haben. Die Liste wurde vor 1693 verfaßt und zählt 17, mit jüngeren Ergänzungen wohl sechs weitere Familien. Die Rechnungen 1700/1701 (FA 66.5.1) ergeben etwa 20 Haushalte. - 1688 betrug das Schutzgeld insgesamt 110 fl., in den darauffolgenden Jahren dürfte es auf etwa 144 fl. gestiegen sein, wenn jene Quatemberzahlung vom 23. Mai 1693 zugrundeliegt. Hinzu kamen noch jährliche Abgaben und Beisitzgelder sowie gelegentlich Protokoll- und Sterbegelder. Aufgrund des Schutzgeldes läßt sich außerdem ein gewisses Wohlstandsgefälle ausmachen: von den 17 Haushalten hatten zwölf jeweils 2 fl. 30kr. zu entrichten, zweimal jedoch 3 fl., zweimal einen fl. 30 kr. bzw. nur einen fl., so Ezechiel David, armer Jud. StaatsA Augsburg. Fugger-Laugna 21. S. 39. Bis 1690 wurde der Friedhof in Binswangen benutzt; vgl. M. Piller (Anm. 18) S. 321. Aus dem Emersacker Salbuch, das ab 1663 benutzt wurde (FA 5.2.26 c), und dem Protokollbuch (StaatsA Augsburg. Fugger-Laugna 21) ergibt sich, daß es sich um reguläre Käufe, keine durch Pfand erworbene Nutzungsrechte handelte. Der Huldigungsbericht vom 22. April 1700 (FA 5.2.27) vermerkt, daß nur die christlichen Untertanen einen Eid leisten mußten, die Entscheidung hinsichtlich der jüdischen war wohl noch nicht getroffen worden. Den Auszug aus Emersacker belegen in den darauffolgenden Monaten bis zum Mai 1701 die Hausverkäufe im erwähnten Protokollbuch und in den Amtsrechnungen für 1701-1704 (FA 66.5.1-4).
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abzureißen galt.63 Ein völliges Rätsel bleibt vorläufig die sog. Judengasse in Babenhausen.64 Für die Juden, die sich in den filggerischen Herrschaften bewegten, galt die auch sonst übliche Kennzeichnungspflicht, was immerhin dreimal für das 16. Jahrhundert belegt ist.65 Bei den Gerichten waren Juden in einigen Herrschaften offensichtlich zugelassen, worauf die entsprechenden Judeneide in den Gerichtsordnungen hindeuten. Sie sind für Heimertingen, Brandenburg/Dietenheim und Markt Wald überliefert, wobei sie wahrscheinlich von den Eidesformeln des Reichskammergerichts abgeleitet wurden.66
IV. Ergebnisse und Ausblick Was läßt sich also über das Verhältnis der Fugger zu den Juden sowie das jüdische Leben in der frühen Neuzeit aus diesem Mosaik resümieren? Zum einen wurden jüdische Siedlungen nicht über längere Zeit in den fuggerischen Herrschaften geduldet. Was dann den rechtlichen Rahmen der Judenpolitik betrifft, läßt sich differenzieren zwischen Herrschaften, die schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erworben wurden, gegebenenfalls aber erst deutlich später, oder aber solchen, die 63
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So in den Amtsberichten von Laugna betreffend Biberbach und einen nicht genannten Ort vom Mai 1574 und März 1575 (FA 5.2.31). Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. Seitz, StaatsA Augsburg. Das Judenzeichen schreibt die Polizeiordnung von Brandenburg und Dietenheim vom Februar 1589 FA (18.1.1. a, fol. 42v) vor. Außerdem schwört 1573 Abraham von Binswangen der Herrschaft Babenhausen, wo er wegen des verdeckten Tragens des Judenflecks arretiert war, Urfehde (FA 118.2). Auf einen zweiten Fall in derselben Herrschaft weist der Reichskammergerichtsprozeß von 1548 (BayHStA München. RKG 5510) hin. - Inwieweit in den fuggerischen Besitzungen die Kennzeichnungspflicht etwa durch die Bulle Pauls IV. 'Cum nimis absurdum' vom 12. Juli 1555 an Bedeutung gewann, läßt sich nicht entscheiden; vgl. einführend F. Battenberg: Das europäische Zeitalter der Juden (Anm. 1) S. 202f. Heimertingen, um 1572 notiert (FA 12.2.4 1/8), Brandenburg/Dietenheim, 1589 (FA 18.1.1 a, fol. 30r-32I). In der Polizeiordnung von Markt Wald/Irmatshofen von 1726 wird ausdrücklich auf Innsbrucker Statuten von 1636 sowie den Reichsabschied von 1555 hingewiesen (FA 16.2.23); vgl. dazu: Die Reichskammergerichtsordnung von 1555. Hg. von Adolf Laufs. Wien 1976. (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. Bd. 3). S. 162-165. - In dem Huldigungslibell von Emersacker ist schließlich ein weiterer, ausführlicher Eid zum Jahr 1688 verzeichnet (FA 84.1). - Zu der Bedeutung des Eides im Gerichtsverfahren vgl. W. Scharlowski (Anm. 16) S. 33-38 mit der Eidesformel von 1538 S. 77-79; ihre Rolle in Bayern beleuchtet Hans Hagn: Mittelalterliche Judeneide in Bayern. In: Geschichte und Kultur (Anm. 1) S. 105-110. Die ältere Literatur zum Judeneid faßt ferner Walter Roll: Zu den Judeneiden an der Schwelle zur Neuzeit. In: Zur Geschichte der Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. von Alfred Haverkamp. Stuttgart 1981. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters. Bd. 24). S. 163 zusammen.
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nur vorübergehend als Pfand zur Nutzung übereignet wurden. In erster Linie waren die Bestimmungen der Vorbesitzer ausschlaggebend. Wenn die Geschäfte mit den Juden nicht schon verboten waren, wurden sie daraufhin per Polizeiordnung verboten. Eine Modifizierung, die zwar meist keinen Eingang in die Polizeiordnungen gefunden hat, aber den Untertanen verkündigt wurde, bildete das Privileg von 1566, wonach der Handel auf Jahrmärkten sowie mit Protokoll statthaft war. Ganz anders verfuhr man mit Pfandherrschaften (im Bereich der Markgrafschaft Burgau). Dies deutet insgesamt auf gewisse regionale Unterschiede hin, die von anderen Faktoren abhängig sind. Ersichtlich sind ferner die Hauptanliegen der fuggerischen Verwaltungen, die im Laufe der Zeit verschiedentlich im Vordergrund standen: - Kontrolle über Geldgeschäfte der Untertanen, - Kontrolle über Belastung von Immobilien, - Sicherung der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit, somit Abschluß gegen die Reichsgerichtsbarkeit im 16. Jahrhundert, - Vermeiden von Streit mit den Nachbarn, - Schutz des lokalen Gewerbes im 18. Jahrhundert. Geringe Bedeutung dürften dabei die Geldeinnahmen aus Zöllen, Protokollgebühren, Konzessionen oder Schutzgeldern gespielt haben. Hinsichtlich der Durchsetzung dieser Verordnungen läßt sich feststellen, daß in den fuggerischen Herrschaften die angedrohten rigorosen Strafen im 16. Jahrhundert auch durchgeführt wurden, im 17., vor allem aber 18. Jahrhundert setzte sich die Duldung unter obrigkeitlicher Kontrolle durch, wie sie in anderen Herrschaften zu beobachten ist. Dem Wohle der Untertanen mag diese Fürsorge zuträglich gewesen sein, deren Bedürfnissen lief sie aber offensichtlich zuwider. Kaum zu übersehen ist ja, daß es ein Bedürfnis der Landbevölkerung war, mit den Juden bestimmte Geschäfte abzuwickeln, nicht selten aus Mangel an Bargeld: Pferdekauf oder Textilgeschäfte, formlos gewährte Kredite, zu Bedingungen, die ihr die christlichen Händler eben nicht geboten haben. In welchem Umfang das vor sich ging, läßt sich schwer abschätzen, denn einen schriftlichen Niederschlag finden eher die Malheurs. Protokolle des 17. und 18. Jahrhunderts haben sich nur ausnahmsweise erhalten und beleuchten dann lediglich einen, wenngleich wichtigen Teilbereich. Die Dunkelziffer dürfte somit relativ hoch sein, weshalb die Funktion der jüdischen Händler im ländlichen Raum vorläufig nur schwer einzuordnen ist. Für die jüdische Geschichte zeigt das Material die Rechtsunsicherheit und Veränderung der Rechtsstellung, die zu einem erheblichen Teil mit der Schwächung der Zentralgewalt zusammenhing. Was die Berufsausübung anbelangt, so wird deutlich, daß Kreditgeschäfte und Handel im 16. und frühen 17. Jahrhundert wohl parallel liefen, später eine Verlagerung auf den Vieh- und Textilhandel stattfand. Belege für freie Berufe, speziell Ärzte, liegen nicht vor.
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Schließlich bereichern die Quellen den Überblick über die Handelsbeziehungen der jüdischen Familien untereinander. Sie zeigen überdies, daß sich über bestimmte Zeiträume feste Beziehungen zwischen den Untertanen und Juden eines Siedlungsortes herauskristallisierten und erlauben daher Aussagen über die Binnenwanderung sowie regionale Vernetzung. Schließlich ergänzen sie prosopographische Kenntnisse für einige Ortschaften.
Bitten um den Schutz: Staatliche Judenpolitik und Lebensführung von Juden im Lichte von Schutzsupplikationen aus der Markgrafschaft Baden(-Durlach) im 18. Jahrhundert* André Holenstein
1. Einleitung In seinem Artikel 'Ueber das rechtliche Verhältniß der Juden im Badischen' stellte J.M. Holzmann 1802 einleitend fest, die gesellschaftliche Einschätzung der Juden durch die christliche Bevölkerungsmehrheit falle gegensätzlich aus. Neid bei den einen und Mitleid bei den anderen prägten nach ihm die Auffassung von den Juden: Sähen die einen neidvoll auf das schnelle Emporkommen und die glänzenden Verhältnisse einzelner Juden und führten dies auf deren Begünstigung zurück, so erblicke der Menschenfreund auf der andern Seite nicht ohne Theilnahme und Mitleiden das tiefe Elend der Meisten und wünsche ihnen eine bessere Existenz im Staat. In dieser Situation mochte - so motivierte Holzmann seine Abhandlung eine einfache Darlegung der rechtlichen Verhältnisse, in welchen sie [die Juden, A.H.] bey uns zu den übrigen Einwohnern und unter sich nach den vorhandenen Verordnungen stehen, belehrend und vielleicht willkommen seyn.' Holzmanns Schrift gibt mit ihrem pädagogischen Ansatz und ihrer Begrifflichkeit ihren Standort in der Frühphase der Diskussion über die Emanzipation bzw. die bürgerliche Verbesserung der Juden in Deutschland deutlich zu erkennen. Holzmann war wie kein zweiter in Baden zu solcher publizistischen Aufklärung in * Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Forschungsvorhabens. 1 J.M. Holzmann: Ueber das rechtliche Verhältniß der Juden im Badischen. In: Magazin von und für Baden 1. 1802. S. 72-104; 2,1. 1802. S. 34-76, hier 1. 1802. S. 72f.
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der Lage, stand ihm doch das umfangreiche Gutachten seines Bruders, des badischen Hofrats Philipp Holzmann, zur Verfügung, das dieser im Jahr davor dem Markgrafen und dessen Regierung zur Judenfrage erstattet hatte. Dieses Gutachten faßte nicht nur den Gang der seit 1782 innerhalb der badischen Verwaltung intensivierten Debatte über die rechtliche Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Juden im Lande zusammen, es enthielt auch ein Programm, das der reformerischen Judengesetzgebung im nachmaligen Großherzogtum Baden zwischen 1807 und 1809 die Richtung weisen sollte.2 Entsprechend der für die Vertreter des Emanzipationsgedankens zentralen Forderung nach bürgerlicher Gleichstellung der Juden setzte Holzmanns Abhandlung mit der Schilderung des noch geltenden, voremanzipatorischen Rechtsstatus der Juden in Baden ein:3 Die Juden der Badischen Lande gehören weder zu der Classe der Bürger, noch zu der Classe der Hintersassen; sie sind nicht mehr als im Staate geduldete Unterthanen, welche zwar den allgemeinen Schutz des Staates gemessen, aber keine Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind. Sie werden durch besondere Schutzbriefe in diesen Schutz aufgenommen, und heissen daher Schutzjuden. Da in denselben der ausdrückliche Vorbehalt einer vierteljährigen Aufkündigung enthalten ist; so sind sie damit nicht für ihre Lebenszeit gesichert; so sind sie keine beständige Unterthanen, und ihre Duldung ist sehr eingeschränkt und unvollkommen. Bey dieser schon in den Schutzbriefen festgesetzten Einschränkung, von welcher indeß wenig Gebrauch gemacht wird, ist es sehr natürlich, daß das Schutzjudenrecht nicht wie das Burger= und Hinter-
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Zur Frühgeschichte der Judenemanzipation in Baden vgl. Reinhard Rürup: Die Judenemanzipation in Baden. In: ZGO NF 75. 1966. S. 241-300, hier S. 245-261 (unter dem Titel: Die Emanzipation der Juden in Baden, neu in: R. Rürup: Emanzipation und Antisemitismus. Göttingen 1975. S. 37-73). Zum größeren Zusammenhang vgl. auch R. Rürup: Judenemanzipation und bürgerliche Gesellschaft (1968), neu in: R. Rürup: Emanzipation und Antisemitismus. Göttingen 1975. S. 11-36. - Ausführlicher aus dem Gutachten von Hofrat Philipp Holzmann referiert Adolf Lewin: Geschichte der badischen Juden. Karlsruhe 1909. S. 40-49. - Zur Umsetzung der Grundgedanken aus Holzmanns Gutachten insbesondere in den badischen Konstitutionsedikten der Jahre 1807-1809 vgl. A. Lewin: Geschichte der badischen Juden. S. 76-84, 88-111 sowie R. Rürup: Judenemanzipation. S. 255-261. - Zur Ambivalenz des Emanzipationskonzepts vgl. Rainer Erb, Wemer Bergmann: Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860. Berlin 1989. Dieser Beitrag behandelt ausschließlich Verhältnisse und Vorgänge in der Markgrafschaft Baden-Durlach, auch für die Zeit nach 1771. Die Markgrafschaften Baden-Durlach und Baden-Baden waren seit 1771 nach einer längeren Landesteilung wieder zu einem Territorium vereinigt, doch erfolgte die Angleichung der politischen und rechtlichen Verhältnisse von Baden-Baden an jene Baden-Durlachs erst nach und nach und war zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Erhebung des Landes zum Großherzogtum Baden noch keineswegs abgeschlossen.
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sassenRecht der christlichen Unterthanen auf die Kinder forterbt; sondern daß von diesen jedesmal erst angesucht werden muß.4 Mit dem Schutz ist eine der zentralen, wenn nicht überhaupt die entscheidende Rechtskategorie zur Charakterisierung jüdischer Existenz im Territorialstaat der voremanzipatorischen Epoche angesprochen.5 Friedrich Battenberg hat die personale Schutzbeziehung der Juden zum jeweiligen Inhaber des Judenregals - dem Kaiser, dem Landesherrn oder einer weiteren Obrigkeit - als eine 'Hauptkomponente' in der Geschichte der Juden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit bezeichnet.6 Die Bedeutung des Schutzrechts für das Zusammenleben von jüdischer Minderheit und christlicher Mehrheit läßt sich schon am Anteil des Judenschutzes an der Gesetzgebung zum 'Judenrecht' der frühneuzeitlichen Territorialstaaten ablesen.7 Zusammen mit der Edition der hessen-darmstädtischen Judenordnungen legte Friedrich Battenberg systematische Ergebnisse zur chronologischen Entwicklung und zu den inhaltlichen Schwerpunkten der Gesetzgebung in Judensachen vor.8 Für die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt sind zwischen 1600 und 1800 331 Ordnungen und Verordnungen ermittelt worden, die sich ausschließlich
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J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 1. 1802 (Anm. 1) S. 73. - Auf dieser Stelle basiert offensichtlich Stefi Jersch-Wenzel: Rechtslage und Emanzipation. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael Brenner, S. Jersch-Wenzel., Michael A. Meyer. Bd. 2. München 1996. S. 15-56, hier S. 18: "Und für Baden [...] galt, ebenfalls noch um 1800, daß die Schutzbriefe der Schutzjuden nicht automatisch auf eines ihrer Kinder übertragen werden konnten. Es bestand kein Rechtsanspruch darauf. Allerdings wurde in der Realität von diesem Vorbehalt selten Gebrauch gemacht." Zum Status der Schutzjuden vgl. allgemein Mordechai Breuer: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael A. Meyer. Bd. 1. München 1996. S. 132-140, 145, und bes. die Arbeiten von Friedrich Battenberg: ders.: Artikel Schutzjuden. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. IV. Berlin 1990. Sp. 1535-1541; detaillierter F. Battenberg: Judenordnungen der frühen Neuzeit in Hessen. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983. S. 83122; ders.: Des Kaisers Kammerknechte. Gedanken zur rechtlich-sozialen Situation der Juden in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: HZ 245. 1987. S. 545-599; ders.: Rechtliche Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in der Frühneuzeit zwischen Reich und Territorium. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995. (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 53-79; vgl. auch Rainer Sabelleck: Aufenthalt auf Abruf - Zur Praxis der Schutzbriefgewährung im Kurfürstentum und im Königreich Hannover. In: Juden in Südniedersachsen. Hg. von R. Sabelleck. Hannover 1994. S. 83-99; Rotraud Ries: German Territorial Princes and Jews. In: In and Out of the Ghetto. JewishGentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Ed. by Ronnie Po-chia Hsia, Hartmut Lehmann. Cambridge 1995. S. 215-245. F. Battenberg: Kammerknechte (Anm. 5) S. 551-558. Zur Unterscheidung zwischen 'Jüdischem Recht' und 'Judenrecht' vgl. F. Battenberg: Rahmenbedingungen (Anm. 5) S. 55. Friedrich Battenberg: Einführung. In: Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Hg. von F. Battenberg. Wiesbaden 1987. S. 11-17.
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oder zu einem Teil mit Angelegenheiten der jüdischen Bevölkerung befaßten. 9 Mit der gegenwärtig vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte vorangetriebenen systematischen Repertorisierung der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung im Reich wird es möglich, die quantitative und qualitative Entwicklung der Policeygesetzgebung insgesamt und der Judengesetzgebung im besonderen auch für eine Auswahl weiterer Territorien genauer zu rekonstruieren. Für die Markgrafschaft Baden-Durlach konnten auf der Grundlage dieses Repertoriums für denselben Zeitraum (1600 bis 1800) 120 Verordnungen in Judensachen (1537-1802: 122 Verordnungen) ermittelt werden.10 Der zeitliche Schwerpunkt der Judengesetzgebung lag mit 110 von insgesamt 122 Verordnungen eindeutig im 18. Jahrhundert, was mit der quantitativen Entwicklung der allgemeinen baden-durlachischen Gesetzgebung übereinstimmt." Knapp vier Prozent der im Repertorium zwischen 1600 und 1800 erfaßten Policeyordnungen befaßten sich demnach allein oder teilweise mit den Juden. Bei der inhaltlichen Auswertung fällt im Hinblick auf die Fragestellung dieses Beitrags auf, daß die Regelung des Judenschutzes am häufigsten in den Judenverordnungen genannt werden: In 31 von insgesamt 122 Gesetzen wurden Bestimmungen zu diesem Bereich erlassen. Für die Obrigkeiten im Besitz des Judenregals bildete das Schutzrecht ein vielseitig finanziell und politisch genutztes Hoheitsrecht. Für die Schutzjuden wiederum bildete der Schutz die Grundlage eines gesetzlich geregelten Verhältnisses zur übrigen Gesellschaft und zur Obrigkeit; zugleich hob er sie von jenen Juden ab, denen die Aufnahme in den Schutz vorenthalten blieb und die, weil sie nicht über verbriefte Rechte zur längeren Niederlassung und wirtschaftlichen Betätigung im Land verfügten, häufig als Betteljuden ihr Dasein fristen mußten. Die landesherrliche Begnadigung mit dem Schutzrecht, rechtlich besehen ein Akt der Privilegierung des betreffenden Juden, wirkte sich somit auch als wichtiger Rechtsfaktor bei der Binnenstrukturierung der jüdischen Bevölkerung aus.12 Die Schutzerteilung stellte in der Biographie eines Juden eine Maßnahme von existentieller Tragweite i.e.S. dar, zumal die Entscheidung über seinen persönlichen Rechtsstatus auch die Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten der übrigen Angehörigen seiner Familie und seines Haushaltes berührte.
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F. Battenberg: Einführung (Anm. 8) S. 10, 35. Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Hg. v. Karl Härter, Michael Stolleis. Bd. Baden. Bearb. v. Julia Maurer (in Vorbereitung). - Für die Möglichkeit, das Repertorium der Badener Policeyordnungen schon vor der Drucklegung des entsprechenden Bandes benutzen zu können, danke ich dem Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/M., insbesondere Herrn Dr. K. Härter und Frau Dr. J. Maurer. Für Baden wirft das Repertorium für den Zeitraum von 1600 bis 1800 3026 Policeyordnungen aus, davon wurden 2762 (91,3%) zwischen 1700 und 1800 erlassen. Die 110 zwischen 1700 und 1800 erlassenen Policeyordnungen in Judensachen machen 91,7% der insgesamt 120 zwischen 1600 und 1800 erlassenen Verordnungen dieser Rubrik aus. F. Battenberg: Rahmenbedingungen (Anm. 5) S. 72.
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Die von Holzmann hervorgehobene prinzipiell jederzeit mögliche Kündbarkeit des Schutzverhältnisses von seiten des Landesherrn und die rechtlich nicht gewährleistete Vererbbarkeit des Status an die Nachkommen eines Schutzjuden zeigten die doppelte Prekarität des obrigkeitlichen Schutzes und der Existenz der Schutzjuden. Die aus der theologisch begründeten Knechtschaft abgeleitete Kammerknechtschaft der Juden bzw. ihr Schutzstatus garantierten nur ein bedingtes, befristetes und, falls die Abgabepflichten nicht erfüllt wurden, auch jederzeit aufhebbares Verhältnis.13 Für den Publizisten Holzmann bezeichnete die den Juden verweigerte Vererbbarkeit des - faktisch im 18. Jahrhundert in der Regel auf Lebensdauer gesicherten14 - Schutzrechts einen Hauptunterschied zur Rechtsstellung der Bürger und Hintersassen christlicher Konfession. Ausdruck dieser Minderstellung war für Juden das Erfordernis, nicht nur im Fall einer erstmaligen Schutzerteilung, sondern auch bei jedem Generationenwechsel innerhalb einer bereits in den Schutz aufgenommenen Familie beim Besitzer des Judenregals, i.d.R. beim Landesherrn, um die Verleihung des Schutzes zu supplizieren. Die Einreichung solcher Bittgesuche stellte einen im Verwaltungsleben der deutschen Territorien in der Frühen Neuzeit unzählige Male repetierten Vorgang dar und kann geradezu als Teil der kollektiven Biographie der Schutzjuden in den Territorien des Reichs angesehen werden. Der folgende Beitrag setzt an der zitierten Beobachtung des Publizisten J.M. Holzmann an, wonach die Verleihung des landesherrlichen Schutzes an Juden in jedem Fall ein entsprechendes Bittgesuch von jüdischer Seite an die Behörden zur Voraussetzung hatte. Mit diesem Zugang soll zum einen der damaligen Praxis bei der Schutzerteilung Rechnung getragen werden, zum andern hat dieses Vorgehen aber auch methodische Relevanz. Während der Historiker mit der Untersuchung der territorialen Gesetzgebung weitgehend einem Blick von außen bzw. von oben auf die Probleme jüdischer Existenz in der christlich-ständischen Gesellschaft verhaftet bleibt, so lassen ihn die Bittgesuche die Blickrichtung der supplizierenden Juden einnehmen. Diese Veränderung des Gesichtsfelds trägt den Juden als eigenständig handelnden Akteuren im Beziehungsgefüge von Obrigkeit, Gemeinden, Korporationen und jüdischer Gemeinschaft eher Rechnung und akzentuiert zudem die Bedeutung kommunikativer Prozesse für die Ausgestaltung und die Dynamik der Beziehungen zwischen Juden, Behörden und christlicher Bevölkerung. Wenn Friedrich Battenberg festgestellt hat, "die Auswirkungen der Polizeigesetzgebung auf die jüdische Existenz [seien] bislang nur wenig untersucht" worden,15 so vermag die Untersuchung von Schutzsupplikationen Wege aufzuzeigen,
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F. Battenberg: Kammerknechte (Anm. 5) S. 559f. M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 134. F. Battenberg: Rahmenbedingungen (Anm. 5) S. 76; so auch schon F. Battenberg: Einfuhrung (Anm. 8) S. 10.
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wie mit der methodisch-konzeptuellen Ausrichtung auf die praktischen Erfahrungen der Juden im Umgang mit den sie tangierenden Policeynormen dieses Defizit abgetragen werden kann; mit der Fixierung auf das als vorgegebene Größe aufgefaßte Gefuge der Policeynormen allein ist dies nicht möglich.16 Wie wichtig für eine adäquate Einschätzung des Leistungsvermögens frühneuzeitlicher Policeygesetzgebung die Untersuchung der Ordnungs- und Gesetzespraxis ist, erhellt eine Bemerkung Reinhard Rürups, demzufolge in Baden im 18. Jahrhundert zwar kein Rechtsanspruch auf die Schutzerteilung an den ältesten Sohn eines Schutzjuden bestand, der dann aber die Differenz zwischen Norm und Praxis betont: "In der Praxis verfuhr man im allgemeinen nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes, und auch nachgeborene Söhne konnten häufig einen Schutzbrief erhalten."17 Ob Rürup mit dieser empirisch nicht verifizierten Aussage die Praxis richtig erfaßte, kann erst die Analyse konkreter Schutzerteilungsverfahren erweisen. Schließlich lassen sich Supplikationen von Juden auch im Sinne der neueren Forschungen zu den sog. Ego-Dokumenten fruchtbar machen.18 Jede Akte zu einem Bittgesuch um Schutzaufnahme teilt Informationen zur Lebenslage des Supplikanten und seiner näheren Verwandtschaft mit, sie eröffnet Einblicke in die spezifische Lebensführung und Lebensgestaltung von Juden im Rahmen der ständischen Gesellschaft des frühneuzeitlichen Territorialstaates, und sie ist schließlich eine Quelle, die die interessengeleitete Auseinandersetzung von Juden und deren personalem Umfeld mit Gemeinden, Ämtern, Behörden und Regierungsorganen um die Gültigkeit der einschlägigen Gesetze in ihrem speziellen Fall dokumentiert. Die Untersuchung von Bittschriften von Juden zielt methodisch auf die Vermittlung zwischen einer strukturellen Ebene (normative und administrative Zwänge der staatlichen Judenpolitik) einerseits und der Ebene des praktischen individuellen Handelns andererseits ab, so daß einerseits die Wirkung normativer Vorgaben zumindest auf Teilbereiche jüdischer Lebensführung, andererseits der 16
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Noch stark an der Nonnentwicklung orientiert bleibt z.B. auch F. Battenberg: Judenordnungen (Anm. 5) S. 83-122. R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 254, Anm. 54. Wie trennscharf der Begriff des 'Ego-Dokuments' auch sein mag, im Hinblick auf den Quellenwert von Bittgesuchen sind gewisse Elemente von Winfried Schulzes Definitionsvorschlag durchaus erhellend; demnach handelt es sich dabei um Texte, "die [...] über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahmehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuell-menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln." (Winfried Schulze: EgoDokumente: Annäherungen an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung 'Ego-Dokumente'. In: Ego-Dokumente. Annäherungen an den Menschen in der Geschichte. Hg. von W. Schulze. Berlin 1996. S. 11-30, hier S. 28). Besonders mit Supplikationen beschäftigen sich in diesem Sammelband die Beiträge von Otto Ulbricht (vgl. EgoDokumente. S. 149-174) und Claudia Ulbrich, letztere auch mit Bittschriften von Jüdinnen (vgl. Ego-Dokumente. S. 207-226, bes. S. 219-226).
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praktische Umgang der Betroffenen mit den Normen, deren Aneignung, Nutzung und auch Unterlaufung im Hinblick auf die spezifischen Erfordernisse der individuellen Lebenslage erfaßt werden. Supplikationen haben, wie ein kursorischer Durchgang durch die Literatur zeigt, immer wieder bei der Erforschung der jüdisch-deutschen Beziehungen Beachtung gefunden. Unlängst hat Stefi Jersch-Wenzel Gravamina, Supplikationen und Beschwerden von Ständen, Zünften und Gewerben gegen jüdische Wirtschaftstätigkeiten herangezogen, um Alltagsformen jüdischen Wirtschaftens zu untersuchen.19 Hier und da findet sich das Bittgesuch von Moses Mendelssohn an König Friedrich II. zitiert, der als Ausländer um die Aufnahme in den Schutz nachsuchte und, weil er das vorgeschriebene Vermögen nicht mit sich brachte, den König bat, in Erwägung zu ziehen, daß ich den Abgang an Vermögen durch meine Bemühungen in den Wissenschaften ersetze.20 Auch in den von Monika Richarz edierten Selbstzeugnissen jüdischen Lebens in Deutschland wird die Bedeutung des Supplizierens als Mittel der persönlichen Interessenvertretung und -Währung einerseits und der Abwehr als unbillig empfundener Zumutungen andererseits greifbar; so erinnerte sich Ascher Lehmann (1796-1858) aus dem hannoveranerischen Verden in seinem von 1845 bis 1850 verfaßten Tagebuch daran, wie er sich 1818 zur Wehr gesetzt hatte, als den Juden auf Betreiben der christlichen Kaufleute die Konzession zum Tuchhandel wieder entzogen worden war: Damit war ich nicht zufrieden. Ich protestierte dagegen, machte Suppliken an die Landdrostei, die verwies mich an das Ministerium, und jedes Schriftstück von dem Dr. Münchmeyer hier, in Stade von Dr. Freudenthal, in Hannover von Dr. Gumprecht kostete fünf bis sechs Taler und so viele Reisen, die mir fünfhundert Taler gekostet haben. Ich konnte nichts ausrichten, trotzdem ich die beste Fürsprache hatte. Der hiesige Magistrat war mir nicht gewogen.21 Uri Kaufmann hat auf die Bedeutung jüdischer Petitionen für das Voranbringen der Gleichstellungsidee in Baden und in der Schweiz am Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingewiesen und damit die These von der Passivität der Landjuden gegenüber sozialen Reformen und Emanzipation relativiert.22 In den Untersuchungen über den Status und die Rolle der 19
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Stefi Jersch-Wenzel: Jewish Economic Activity in Early Modern Times. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5) S. 91-101. Zit. nach Michael Graetz: Jüdische Aufklärung. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael Brenner, S. Jersch-Wenzel., Michael A. Meyer. Bd. 1. München 1996. S. 251-350, hier S. 254. Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780-1871. Hg. von Monika Richarz. 1976. S. 97. Weitere Beispiele S. 102, 133, 342. Uri Kaufmann: Landjudentum und Emanzipation 1831 bis 1850: Ein Gegensatz? In: Landjudentum im Süddeutschen- und Bodenseeraum. Dornbirn 1992. S. 102-113. - Zu den zahlreichen Petitionen des badischen israelitischen Oberrats, jüdischer Gemeindevorstände und Privatpersonen, mit denen im 19. Jahrhundert Einfluß auf den Landtag ausgeübt werden sollte,
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Hofjuden in den Fürstentümern des 17. und 18. Jahrhunderts wird auch auf die Rolle der Hoffaktoren als Fürsprecher für Anliegen aus den jüdischen Gemeinden hingewiesen.23 Friedrich Battenberg konnte beobachten, daß Polizeiverordnungen in Judensachen häufig auf Beamtenberichte und/oder Beschwerden und Supplikationen von christlichen Untertanen und Juden zurückgeführt werden können.24 Überhaupt fällt in Untersuchungen auf breiter empirischer Basis auf, wie sehr die Darstellungen Supplikationen und Petitionen ausgewertet haben.25 Dies trifft auch für lokalgeschichtliche Studien zu einzelnen jüdischen Gemeinden zu.26 Im folgenden soll nun keineswegs die ganze thematische Bandbreite jüdischer Supplikationen untersucht werden. Behandelt wird allein das Problem der Aufnahme in den Schutz des Landesherrn und dies auf der Grundlage von 102 einschlägigen Bittgesuchen aus der Markgrafschaft Baden(-Durlach), welche von 66 Personen im Hinblick auf die Aufnahme in den Schutz oder die Erteilung einer anderen Aufenthaltsgenehmigung eingereicht wurden.27 Die Gesuche stammen aus dem Zeitraum zwischen 1723 und 1801, größtenteils aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,28 und betreffen mehrere Gemeinden des badischen Oberlandes, wo die Supplikanten als Schutzjuden aufgenommen werden wollten. Mit der Festlegung auf Orte dörflichen und kleinstädtischen Charakters soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die jüdische Bevölkerung der Markgrafschaft Baden mit Ausnahme der besonderen Verhältnisse in der Residenzstadt Karlsruhe mit ihrer großen Judengemeinde ausgesprochen dem Typus des ländlichen und
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vgl. Berthold Rosenthal: Heimatgeschichte der badischen Juden. Bühl 1927. S. 251-314; R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 277. M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 119-123. Friedrich Battenberg: Gesetzgebung und Judenemanzipation im Ancien Régime. Dargestellt am Beispiel Hessen-Darmstadt. In: ZHF 13. 1986. S. 43-63, hier bes. S. 56-58. Vgl. etwa die zahlreichen Belege bei Selma Stern: Der preußische Staat und die Juden. Teil 2, 3. Tübingen 1962, 1971 oder J[osef] A. Zehnter: Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach. In: ZGO NF 12. 1897. S. 385-436, 636-690; 15. 1900. S. 29-65, 547-610. Z.B. Ludwig David Kahn: Die Geschichte der Juden von Sulzburg. Basel 1969 und Axel Huettner: Die jüdische Gemeinde von Kirchen (Efringen-Kirchen, Kreis Lörrach) 17361940. 3. Aufl. Efringen-Kirchen 1993. Die Differenz zwischen der Anzahl von Supplikationsverfahren und jener der Gesuchsteller hat zwei Gründe: In ganz wenigen Fällen wurde mit einem Gesuch die Schutzerteilung an mehrere Personen erbeten, und in manchen Fällen sind abgewiesene Gesuchsteller mehrmals vorstellig geworden. Sieben Gesuche zwischen 1723 und 1739, fünf Gesuche zwischen 1740 und 1749, 12 Gesuche zwischen 1750 und 1759, 24 Gesuche zwischen 1760 und 1769, 16 Gesuche zwischen 1770 und 1779, 25 Gesuche zwischen 1780 und 1789 sowie 13 Gesuche im verbleibenden Zeitraum zwischen 1790 und 1801. - Da sich der ausgewertete Quellensatz auf einige Gemeinden des badischen Oberlands beschränkt und damit zu rechnen ist, daß nur ein Teil der Verfahren überliefert ist, erlaubt diese Zusammenstellung keine Rückschlüsse auf die tatsächliche quantitative Entwicklung des Supplizierens und der Schutzerteilung.
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kleinstädtischen Judentums entsprach.29 Für das Jahr 1800 bezifferte J.M. Holzmann die gesamte jüdische Bevölkerung der (vereinigten) Markgrafschaft Baden auf 405 Familien bzw. 2186 Personen; davon lebten 530 (ca. 25%) in Karlsruhe; die Oberämter Hochberg, Badenweiler und Rötteln im badischen Oberland folgten mit jeweils 383, 255 und 179 Personen.30 Die hier untersuchten Schutzaufnahmegesuche betrafen Gemeinden mit relativ starken bzw. im 18. Jahrhundert wachsenden Anteilen jüdischer Bevölkerung: Im einzelnen handelt es sich um die Gemeinden Kirchen (Oberamt Lörrach) (1800: 68 Juden)3' Müllheim (1800: 122 Juden)32 und Sulzburg (1800: 133 Juden)33 (beide Oberamt Badenweiler) sowie Eichstetten (1800: 142 Juden)34 Niederemmendingen35 und Ihringen (1800: 83 Juden)36 (alle Oberamt Hochberg). 29
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Vgl. zu diesem Typ allgemein M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 183-186 sowie Werner J. Cahnmann: Der Dorf- und Kleinstadtjude als Typus. In: Zeitschrift für Volkskunde 70. 1974. S. 169-193. - Die Oberamtsstädte Emmendingen (Oberamt Hochberg) und Lörrach (Oberamt Rötteln) wurden hier nicht berücksichtigt; zu Emmendingen vgl. den Beitrag von Michaela Schmölz-Häberlein in diesem Band. Zu Karlsruhe vgl. Juden in Karlsruhe. Hg. von Heinz Schmitt. Karlsruhe 1988. J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) Tabelle nach S. 76. Kirchen war neben der Stadt Lörrach die zweite Gemeinde mit höherem jüdischen Bevölkerungsanteil im Oberamt Rötteln (vgl.: J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) Tabelle nach S. 76). - Weitere Angaben zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Kirchens im 18. Jahrhundert: 1738: fünf Familien, wovon vier aus Dornach (CH, Kt. Solothurn) zugewandert waren. 1749: 29 Personen. 1750: 30 Personen. 1757: 33 Personen. 1765: 40 Personen (nach Franz Hundsnurscher, Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale. Stuttgart 1968. S. 70-72). Etwas abweichende Angaben bei A. Huettner (Anm. 26) S. 19-21, 24. In dieser Zahl sind auch die Juden des Orts Vögisheim eingeschlossen (J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) Tabelle nach S. 76). - Zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert: 1716: Schutzaufnahme von vier Familien. 1725: sechs Familien. 1738: acht Familien. 1750: 13 Familien. 1790: 18 Familien. 1825: 146 jüdische Einwohner (F. Hundsnurscher, G. Taddey (Anm. 31) S. 205-207; A. Huettner (Anm. 26) S. 256, Anm. 56). Damit war Sulzburg - seit 1727 auch Sitz des Rabbiners für das badische Oberland - die größte Judengemeinde des Oberamts Badenweiler (J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) Tabelle nach S. 76). - Angaben zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im 18. Jh.: 1716 werden vier Familien in den Schutz aufgenommen. 1727 leben in Sulzburg acht Familien, 1738 deren zehn (F. Hundsnurscher, G. Taddey (Anm. 31) S. 266268; L.D. Kahn (Anm. 26)). Die Verwaltung Sulzburg gab allerdings für das Jahr 1739 die Zahl der Sulzburger Judenfamilien mit zwölf an (GLA Karlsruhe 229/103727; alle im weiteren ausgewiesenen Archivsignaturen beziehen sich auf das GLA Karlsruhe und werden nur noch mit der Signatur zitiert). Eichstetten war damit nach Emmendingen/Niederemmendingen die Gemeinde mit dem zweitgrößten Judenanteil im Oberamt Hochberg (J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) Tabelle nach S. 76). Weitere Angaben zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert: 1716: Niederlassung vertriebener Schweizer und Elsässer Juden. 1721: sechs Familien. 1730: zehn Familien. 1738: elf Familien. 1777: 92 jüdische Einwohner. 1766 wünschte die Gemeinde Eichstetten die Verringerung der Anzahl jüdischer Familien von 15 auf zwölf und beschwerte sich über den Kauf von Feldern und Weinbergen durch
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2. Schutzjuden: Bittgesuche als Quellen zur Erhellung eines sozial-rechtlichen Status Die Supplikationen von Juden um deren Aufnahme in den Schutz sind in mehrfacher Hinsicht aussagekräftige Quellen. Die Akten, welche im Zuge der Behandlung der Gesuche in den Registraturen der Behörden angelegt wurden, dokumentieren die einzelnen Schritte der administrativen Verfahren und ermöglichen in den meisten Fällen auch die Rekonstruktion der Erfolgsaussichten der Supplikanten. Dabei werden in den Berichten der Ämter, in den Meinungsäußerungen der befragten christlichen und jüdischen Gemeinden und in den Anträgen und Gutachten der Regierungskollegien die Bilder, Vorstellungen und (Vor)Urteile greifbar, die sich Angehörige der christlichen Bevölkerung, aber auch Juden selber von der Niederlassung neuer Schutzjuden machten (2.1.). Im weiteren referieren Bittgesuche eine Vielzahl von biographischen Angaben zur Person der Supplikanten und ihrer Angehörigen, zu deren wirtschaftlichen Tätigkeit und Vermögenslage. Der unmittelbare Anlaß zur Einreichung einer Bittschrift verrät einiges über die Lebensgestaltung jüdischer Familien sowie über die Anforderungen, welche die spezifische sozial-rechtliche Situation an die Planung und Organisation der Lebensläufe stellte (2.2.). Um von den Regierungsbehörden und möglicherweise in letzter Instanz auch vom Landesherrn selber erhört zu werden, mußten die Supplikanten ihr Anliegen und die Umstände ihres Gesuchs so überzeugend wie möglich begründen; dazu gehörte einmal die Schilderung der 'objektiven' Merkmale der jeweiligen Lebenslage (Alter, Vermögen, Familienverhältnisse, Leumund, Zweck der Schutzaufnahme im Hinblick auf die eigene Lebensplanung u.ä.), dazu gehörte aber auch die sinnvolle argumentative Verknüpfung dieser Merkmale zu einer persönlichen Geschichte, in der appellative Argumentations- und Legitimationsfiguren moralisch-psychologischer und rechtlich-kameralistischer Natur besonders die Funktion hatten, die Relevanz des eigenen Anliegens im Hinblick auf das ge-
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Juden. Die Regierung antwortete darauf, "daß eine Herabsetzung der Familienzahl ohne Unbilligkeit nur durch Aussterben einiger Judenhaushaltungen möglich sei oder dadurch, daß sie sich des Schutzes verlustig machten". (F. Hundsnurscher, G. Taddey (Anm. 31) S. 7274). In Niederemmendingen gab es 1738 sechs Haushalte von Schutzjuden (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 45). - Die Tabelle bei J.M. Holzmann: Juden im Badischen. 2,1. 1802 (Anm. 1) nach S. 76 beziffert die jüdische Bevölkerung in Emmendingen und Niederemmendingen gesamthaft auf 158 Personen und unterscheidet nicht zwischen beiden Gemeinden. Vgl. Anm. 35: 1716 waren auf Betreiben des Altbreisacher Juden Josef Günzburger vertriebene Schweizer und Elsässer Juden in Ihringen angesiedelt worden. 1721 lebten dort sieben jüdische Familien, 1738 deren zehn und in der Mitte des Jahrhunderts deren zwölf (F. Hundsnurscher, G. Taddey (Anm. 31) S. 138-140).
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meine Beste, auf das Interesse, den Nutzen und die Wohlfahrt von Staat und Gesellschaft herauszustellen (2.3.).
2.1. supplicando einkommen: Verfahren, Entscheidungsregeln und Erfolgsaussichten bei der Behandlung der Gesuche um Schutzaufnahme Das Schutzjudenrecht werde, so schilderte Holzmann 1802 die Rechtslage in Baden, anders als das Burger- und Hintersassenrecht der christlichen Untertanen nicht auf die Kinder vererbt, weshalb es von den Kindern jedesmal erst angesucht werden mußte.37 Um die Aufnahme in den Schutz mußten aber erst recht auch jene Juden supplizieren, deren Eltern noch nicht den Schutz des Markgrafen erhalten hatten und die sich zum ersten Mal als Schutzjuden im Land niederlassen wollten.38 Daß Holzmann diesen zweiten Fall gar nicht mehr erwähnte, spiegelt möglicherweise eine Wahrnehmung wider, die durch die Rechts- und Verwaltungspraxis während des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts gefestigt worden sein könnte; alle untersuchten Bittgesuche aus diesem Zeitraum - und sie stellen deutlich mehr als die Hälfte aller hier erfaßten Fälle dar - wurden entweder von Schutzjuden selber oder von Schutzjudenkindern eingereicht; hatte die kleinere Anzahl der Gesuche aus der Zeit von 1723 bis in die 1760er Jahre noch mehrere Fälle von niederlassungswilligen Elsässer und Schweizer Juden betroffen, so kamen Gesuche von 'ausländischen' Juden nach den sechziger Jahren des Jahrhunderts nicht mehr vor. Der Supplikant brachte sein Bittschreiben kaum selber zu Papier. Seit dem 17. Jahrhundert lassen sich die gesetzlichen Bemühungen verfolgen, mit denen die Obrigkeit den massenhaften Vorgang des Supplizierens von Untertanen, Korporationen und Gemeinden einerseits durch die einheitliche formale Gestaltung der Gesuche administrativ effizienter handhabbar, andererseits durch die Erhebung von Stempelpapiergebühren und Taxen sowie die Zuweisung der Schreibarbeit an die autorisierten Stadt-, Amts- und Landschreibereien sowie Advokaten im Land finanziell nutzbar gestalten wollte.39 Die formale Ausgestaltung der ausgewerteten 37 38
39
J.M. Holzmann: Juden im Badischen 1. 1802 (Anm. 1) S. 74. Auch Christen, die sich neu in einer Gemeinde niederlassen wollten, mußten um die Verleihung des Bürger- oder Hintersassenrechts nachsuchen; dabei schaltete sich die Obrigkeit im 18. Jahrhundert besonders in strittigen Fällen stärker in das Verfahren ein bzw. sie wurde dabei von den betroffenen Parteien angerufen. Ein erheblicher Unterschied zu Ungunsten der Juden bestand allerdings hinsichtlich der erforderlichen Vermögensbestände, die der Gesuchsteller einzubringen hatte. Vgl. André Holenstein: Bittgesuche, Gesetze und Verwaltung. Zur Praxis "guter Policey" in Gemeinde und Staat des Ancien Régime am Beispiel der Markgrafschaft Baden (-Durlach).
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André Holenstein
Gesuche zeigt, daß dies im 18. Jahrhundert auch weitgehend gelungen ist. Ab und zu trägt das Bittgesuch den ausdrücklichen Vermerk, welcher Schreiber es verfaßt hat.40 Häufiger erweist ein Vergleich der Handschrift der Supplikation und des erforderlichen Begleitberichts des Oberamts, daß sich der Jude zur Verschriftlichung seines Anliegens direkt an die Kanzlei der nächsten Behörde (Amts- oder Landschreiberei) wandte. Die einzige authentische Spur, die der Supplikant auf dem in seinem Namen eingereichten Gesuch hinterließ, war - wenn er überhaupt schreiben konnte und der Schreiber nicht auch noch für den Petenten signierte41 die Unterschrift, die in der Regel in deutscher Sprache, immer wieder aber auch in Hebräisch42 gezeichnet war. Zahlreiche Akten, in denen die Supplikation und der dazu gehörige Bericht der Amtsbehörde am gleichen Ort verfaßt und auf den gleichen Tag datiert sind, lassen den Schluß zu, daß viele Supplikanten das administrative Verfahren kannten und darum wußten, daß die zuständige Amtsbehörde mit einem Bericht Stellung zum Gesuch nehmen mußte, bevor dieses an den Markgrafen bzw. das zuständige Regierungskollegium in Karlsruhe abgehen konnte. Der Hofrat oder die Rentkammer, die in Judenschutzfragen je nach Fall und Sachgeschäft entweder Entscheidungskompetenz besaßen oder dem Fürsten Resolutionsanträge unterbreiteten, trafen ihre Urteile immer erst in Kenntnis der amtlichen Begleitberichte zu den Supplikationen, deren Hauptzweck in der Verifizierung der narrata supplicium bestand. Daß Gesuche, die ohne Beibericht des zuständigen Oberamts in Karlsruhe eingingen, als gar nicht eingebracht betrachtet und unerörtert blieben, wie dies Verordnungen aus dem späten 17. Jahrhundert androhten,43 konnte hier zwar nicht beobachtet werden; doch verzögerte dieses Vorgehen die Entscheidung des Anliegens, weil solche Supplikationen zuerst noch zur Berichterstattung an das Oberamt gesandt werden mußten. Hatte die schleppende Berichterstattung der unteren Behörden zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch wiederholt zu Klagen und entsprechenden Verordnungen Anlaß gegeben,44 so zeigen die Akten zu den Bittgesuchen von Juden allgemein
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In: Gemeinde und Staat im Alten Europa. Hg. von Peter Blickle. München 1997 (Beiheft HZ. Bd. 25). S. 325-357, hier S. 348f. 229/69839; 229/69841 - Mitunter verzichtete der Schreiber ob paupertatem des Supplikanten auf die Erhebung von Gebühren, so etwa der Sulzburger Amtsschreiber beim verarmten Sulzburger Schutzjuden Jacob Rieser 1766 und erneut bei dessen Sohn Abraham Rieser 1773 (229/103727). Dies ist jedoch kein zwingender Beweis dafür, daß der betreffende Jude nicht schreiben konnte, wie z.B. die Akte zum Bittgesuch des Bär Isaac aus Niederemmendingen zeigt: Die Supplikation vom 1. Juni 1788 war vom Schreiber unterzeichnet, ein Revers vom 30. März 1789 von Bär Isaac selber (229/74771). So bei der Bitte des Müllheimer Schutzjuden Isaac Zivi vom 15. Juni 1772 (229/69838) oder beim Müllheimer Schutzjuden Menke Bloch, der am 22. April 1787 für seinen zweiten Sohn einkam (229/69844). A. Holenstein: Bittgesuche (Anm. 39) S. 347-348. A. Holenstein: Bittgesuche (Anm. 39) S. 348.
Bitten um den Schutz
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eine recht zügige Berichterstattung durch die Amtsbehörden. Die Mitberichte der Oberamtleute und der Vorsteher der sog. geistlichen Verwaltungen oder Burgvogteien (Finanz- und Kammerbehörden auf Amtsebene) besaßen eine zentrale Bedeutung für die weitere Behandlung der Gesuche. Die Entscheidungen und Resolutionsanträge der Karlsruher Regierungskollegien zeigen, daß sich diese bei ihren Erwägungen weitgehend auf die Informationen aus den Oberamtsberichten und auf die dabei mitunter abgegebenen Empfehlungen stützten. Die Oberamtsberichte äußerten sich nicht nur zu den vom Gesuchsteller vorgetragenen Umständen und bestätigten oder, was weit seltener vorkam, korrigierten diese; nicht selten lagen auch weitere Bescheinigungen und Stellungnahmen der Ortsvorgesetzten der betroffenen Gemeinden, von Rabbiner und Judenschultheißen oder von Ärzten bei, die die Meinung der christlichen und jüdischen Gemeinde zur angestrebten Schutzaufnahme mitteilten, die in der Supplikation angegebenen Vermögensverhältnisse bestätigten, die Angaben des Supplikanten über das bei seiner Verlobung vereinbarte Heiratsgut der Braut beglaubigten oder ein Arztzeugnis zum Gesundheitszustand des Supplikanten enthielten. Die amtlichen Begleitdokumente und Attestate sind von besonderem quellenkritischen Wert, weil sie den persönlichen Aussagen der Gesuchsteller die nötige kritische Tiefenschärfe verleihen. Es fällt eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Aussagen der Supplikanten und den Informationen aus den Amtsberichten auf, was vermuten läßt, daß die Kenntnis des Verfahrens bei den Supplikanten einen selbstdisziplinierenden Effekt auf die Schilderung der Sachlage ausübte. Damit darf den Bittschriften und Begleitberichten durchaus ein hoher Aussagewert beigemessen werden. Daß der potentielle künftige Schutzjude im eigenen Namen supplizierte, scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein. Am ehesten war dies bei den Söhnen bereits verstorbener Schutzjuden sowie bei ausländischen Juden der Fall. Bei letzteren machte mitunter die Beilage von Fürbitte- oder Interzessionsschreiben den Mangel wett, der ihnen dadurch entstand, daß ihre Aufführung (Leumund) und persönlichen Lebensumstände - anders als bei den im Land etablierten Schutzjudenfamilien - nicht oder nur wenig bekannt waren.45 Seltener waren Schutzgesu45
229/52871; 229/52874. - J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 47. - Viele Interzessionen sind wohl nur zufällig dokumentiert, weil sie mündlich erfolgten und in den Akten beiläufig erwähnt werden. Für Jacob, den Bruder des Lörracher Schutzjuden Lazarus Braunschweig, der schon zweimal erfolglos für seinen Bruder suppliziert hatte, legte 1749 der in Karlsruhe anwesende Landvogt von Wallbrunn aus Lörrach ein gutes Wort ein (229/52868). Für den Opfinger Schutzjuden Isaac Hänle interzedierte - erfolglos - der Karlsruher Judenschultheiß und Hoffaktor Salomon Mayer beim Hofrat (229/69835); J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 658; zu Salomon Mayer vgl. auch Heinrich Schnee: Die Hoffinanz und der moderne Staat. Bd. 4. Berlin 1963. S. 44f.; auf die kommunikative Rolle der Hoffaktoren verweist allg. R. Ries (Anm. 5) S. 221f. - Die Judengerichtsordnung vom 30. November 1713 erklärte in Art. 18 das Interzedieren ausdrücklich als Pflicht der Judenschultheißen: Jener Schultheiß, bei welchem derjenige Jud, so bei gnädigster Herrschaft etwas zu verrichten hat, am nächsten wohnet, [soll] vor diesen bei gnädigster Herrschaft solli-
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André Holenstein
che von Witwen für ihre Söhne, ihre Schwiegersöhne oder ihre Verlobten, ebenso Gesuche für einen Bruder, einen Neffen, Schwiegersohn oder gar einen Knecht. Weitaus am häufigsten bat ein Vater, der selber bereits Schutzjude war, für die Verleihung des Schutzes an seinen Sohn. Supplizieren war damit auch bei Juden in der Regel Männersache.46 Das häufige Bitten der bereits im Schutzstatus stehenden Väter für ihre Söhne zeigt aber noch ein weiteres. Die Supplikationspraxis spiegelt spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Erwartungshaltung bei den badischen Schutzjuden wider, wonach das Schutzrecht faktisch von einer Generation an die andere vererbt wurde. Welchen Bedingungen, Vorbehalten und Einschränkungen diese Erwartung unterworfen war und inwiefern sie tatsächlich erfüllt wurde, wird weiter unten noch zu erörtern sein. Die meisten Gesuchsteller beschritten also den vorgeschriebenen 'Dienstweg': Sie wurden mit ihrem Anliegen beim Oberamt vorstellig, wo das Gesuch häufig seine schriftliche Fassung erhielt und von wo es zusammen mit dem Bericht des Oberamts und allfälligen weiteren Dokumenten an das zuständige Regierungskollegium in Karlsruhe gesandt wurde.47 Bittschrift und amtlicher Beibericht hielten zwar in der Anrede und im sprachlichen Duktus des Schreibens die Fiktion aufrecht, als richteten sie sich unmittelbar an den Landesherrn. Tatsächlich wurden die Schriftstücke beim Eintreffen in Karlsruhe aber dem Hofrat oder der Rentkammer als den für die weitere Bearbeitung zuständigen Zentralbehörden zugewiesen. War der Hofrat für die grundsätzlichen judenpolitischen Fragen zuständig, so auch für die Entscheidung und Antragstellung bei Schutzaufnahmen, oblagen der Rentkammer alle finanztechnischen Aspekte des Judenschutzes, so etwa die Festsetzung des Schutzgelds und die Ausfertigung des Schutzbriefs nach erfolgter Schutzaufnahme oder die Erörterung der zahlreichen Gesuche von Schutzjuden um die Befreiung vom Schutzgeld bzw. um den Nachlaß eines Teils davon. Daß ein Jude sein Bittgesuch dem Fürsten persönlich im Rahmen der regelmäßigen Audienzen in Karlsruhe oder am jeweiligen Aufenthaltsort des Fürsten48
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citiren, um ihme solchergestalt zu seinem Intent verhülflich zu seyn und schwerer Unkosten zu erheben. Die aber über die Ansuchung ergehende Spesen hat der, cujus nomine sollicitirt wird, zu bezahlen (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 685f.). Vgl. die Analyse der Geschlechterverteilung der Supplikantinnen und Supplikanten in einem größeren Sample von Bittschriften bei A. Holenstein: Bittgesuche (Anm. 39) S. 330-340. Zu den Gesuchen von Schutzjuden für ihre Söhne vgl. R. Sabelleck (Anm. 5) S. 87f. Früher hatten offenbar auch die Oberämter über die Aufnahme von Juden entschieden. Als 1729-1733 mehrere Verordnungen zur Eindämmung der Judenhaushalte ergingen, wurde auch festgelegt, daß die Oberämter künftig die Gesuche um Schutzaufnahme unter allen Umständen an den Hofrat berichten sollten (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 36f.). Als sich Markgraf Karl Friedrich im Spätsommer 1798 zu einem seiner regelmäßigen Kuraufenthalte in Badenweiler befand, begaben sich Dutzende von Bittstellern in den Badeort, um dem Landesherrn ihre Anliegen vorzutragen bzw. zu überreichen, darunter auch mehrere Juden (s. dazu A. Holenstein: Bittgesuche (Anm. 39) S. 330-346).
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übergab, war zwar die Ausnahme, kam aber hin und wieder vor. Solche Gesuche richteten sich an Serenissimo ad manus clementissimas und stammten alle von Personen, die nach einer ersten oder wiederholten Ablehnung ihres Anliegens nunmehr an höchster Stelle einen günstigen Entscheid zu erwirken suchten.49 Auf jeden Fall war dieses Vorgehen mit einem hohen Kostenaufwand für den Bittsteller verbunden und damit vermögenderen Juden sowie jenen vorbehalten, für die eine affirmative Resolution des Fürsten im wahrsten Sinne des Wortes existentiell notwendig war und den Kostenaufwand langfristig lohnen mochte: Neben den Reisekosten fielen Übernachtungs- und Lebenshaltungskosten in der Residenzstadt an und dies mitunter für einen längeren Aufenthalt, weil die Supplikanten die Erstattung eines weiteren Oberamtsberichts und die nächste Resolution abwarten mußten, um nach einer erneuten Ablehnung des Gesuchs allenfalls sogleich ein weiteres Mal in Karlsruhe supplicando einkommen zu können. Die Entscheidungskompetenz über Schutzaufnahmegesuche von Juden lag hierarchisch gestaffelt - beim Hofrat und beim Landesherrn. Die Hofratsinstruktion aus dem Jahre 1794, die Gesetzescharakter hatte und weitgehend die judenpoliceylichen Norm- und Erfahrungssätze aus der Regierungspraxis des untersuchten Zeitraums widerspiegelte, setzte fest, daß der Hofrat über die Schutzerteilung an ein erstes Kind aus einer bereits etablierten Schutzjudenfamilie befinden konnte, sofern dieses Kind nicht durch sein Betragen solcher Gnade sich unwürdig gemacht hätte.™ Supplizierten Juden nach einer negativen Entscheidung des Hofrats ein weiteres Mal um die Schutzaufnahme für ein erstes Kind oder suchten sie gar um den Schutz für ein zweites Kind neben einem vorigen nach, so fiel die Entscheidung in die Zuständigkeit des Fürsten. Der Hofrat war jedoch in einem solchen Fall durch seine Instruktion gehalten, dem Markgrafen nicht leicht willfahrig[en] Antrag zu unterbreiten, solange nicht Mittel zu gemeinnüziger und die Unterthanen nicht drückender Beschäftigungen und Nahrungsquellen für dieselbe überhaupt sich haben auffinden lassen oder im einzelnen Fall wegen vorzüglichen Kunstfleißes, außerordentlichen Vermögens 49
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Ein solcher Fall ist sechs Mal dokumentiert: 229/52868; 229/69839; 229/69841; 229/69844; 229/69846; 229/74771. Hofratsinstruktion, Karlsruhe 1794, § 98 S. 126-128. Der Schutzannahme eines einziges Kindes standen zum einen nicht näher definierte außerordentliche Umstände entgegen, der Hofrat hatte sie aber auch zu verweigern, wenn sich der Vater bei seiner Schutzaufnahme bereit erklärt hatte, kein Kind in den Schutz zu bringen und wenn im Fall, wo sich der Schutz auf eine Tochter fortpflanzen sollte, der Bräutigam den Nachweis zu einem ehrlichen Unterhalt nicht erbringen konnte. - In einer Verordnung vom 13. Januar 1795 heißt es dazu auch: Die Befugnuß eines Schutzjuden, eines seiner Kinder zur Schutzannahm vorzuschlagen, soll alsdann nicht eintretten; wann die Obrigkeit aus wichtigen Gründen selbst eines der Kinder dazu auszuwählen für gut findet, oder wann der Vater sich bereits gegen eines seiner Kinder verbindlich gemacht hätte, dasselbe dazu vorzuschlagen (Wesentlicher Inhalt des beträchtlichsten Theils der neuern Hochfürstlich = Markgräflich = Badischen Gesezgebung [...]. Teil II. Karlsruhe 1801. S. 263).
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Stefan Rohrbacher
und dergl. Gründe da lägen, welche entweder den Nachtheil der Pflanzung einer weitern Juden-Familie beseitigen oder aufwögen, oder doch eine Annahme mit der Restriction, kein Kind nach sich in Schuz zu bringen, dem Recipiendo annehmlich und für das Ganze unbedenklich machten." D a ß die Schutzaufnahmegesuche nach d i e s e m Grundsatz unterschieden und entsprechend verschieden entschieden wurden, gründete in einer Verordnung aus d e m Jahre 1738, w e l c h e die Verleihung des Schutzes für j e d e Judenfamilie auf ein einziges Kind beschränkte, 52 v o n späteren Generationen aber d e n n o c h als Privileg und Gnade für die Juden gedeutet worden ist. 53 D i e badischen Judenschultheißen M a y e r und Günzburger baten zwar schon bald nach d e m T o d Markgraf Karl Wilhelms ( 1 7 3 8 ) , in dessen N a m e n das Gesetz erlassen w o r d e n war, u m die A u f h e bung dieser Einschränkung. Wo solle ein Jude mit seinen solche
in ihrem
durch eine Heirat
Vaterlande machen
nicht dulde, dürften,54
oder
nicht
Kindern
erlaube,
hin, wenn
daß sie ihr
man Glück
gaben die Judenvorsteher zu bedenken. Allein
ihre Eingaben blieben in d i e s e m Punkt ohne Erfolg, 55 und die generelle gesetzliche 51 52
53
54 55
Hofratsinstruktion (Anm. 50) § 98 S. 126-128. Das Generalreskript vom 15. März 1738 bestimmte, daß keine Judenfamilie [sich] Hoffnung machen [sollte], mehr als ein Kind im Land in Schutz zu bringen (zit. nach dem Regest in: Wesentlicher Inhalt des beträchtlichsten Theils der neuern Hochfürstlich = Markgräflich = Badischen Gesezgebung [...]. Teil I. Karlsruhe 1782. S. 768). Danach sollte es dem Fürsten vorbehalten sein, das Kind auszuwählen und unter Umständen die Aufnahme zu verweigern. Die Maßnahme ging auf ein Gutachten von Kabinettssekretär Bürklin von 1737 zurück und sollte die Zunahme jüdischer Haushalte im Land unterbinden (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 38f.) In der Karlsruher Judenordnung von 1752 lautete die Bestimmung in Art. 24 wie folgt: Es solle [...] sich diese Schutzbeibehaltung keineswegs auf ihre mann- noch weibliche Descendenten erstrecken, sondern von Unserem gnädigsten Wohlgefallen einzig und allein abhangen, ob wir eines ihrer Kinder männ- oder weiblichen Geschlechts, das erstere oder ein anderes, mit Unserem landesfürstlichen Schutz begnadigen wollen (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 604). - Die Maßnahme ordnet sich in einen größeren Trend zur Verschlechterung der jüdischen Lage ein, wie er von R. Ries (Anm. 5) S. 218, beschrieben wurde. In der Hofratsinstruktion von 1794 hieß es, der Fürst habe den Juden den Trost gegönnt, ein Kind in den Schutz zu bringen (Hofratsinstruktion (Anm. 50) § 98). Und J.M. Holzmann sprach davon, den Juden sei die Hoffnung gelassen, Eines ihrer Kinder in den Schutz bringen zu können; obgleich die Annahme selbst, und welches der Kinder angenommen werden solle, blos der herrschaftlichen Willkühr freygestellt und ausdrücklich für eine Gnadensache des Landesfürsten erklärt ist (J.M. Holzmann: Juden im Badischen 1. 1802 (Anm. 1) S. 74.). J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 48f., Zitat S. 49. Mayer erwirkte zwar in einer kurz nach dem abschlägigen Bescheid des Hofrats eingereichten Bittschrift die Herabsetzung des Schutzgelds für die Schutzannahme der Söhne inländischer Juden auf den früheren Betrag von 25 fl. (Land) und 40 fl. (Stadt), die Beschränkung der Schutzerteilung an ein Kind blieb jedoch in Kraft. Sie wurde wenig später sogar verschärft, so daß den Juden ein Recht auf den Schutz für ein Kind abgesprochen und die Schutzaufnahme der Bewilligung durch den Fürsten vorbehalten wurde. Die Regierung wollte freie Hand haben, die Zahl der im Lande bereits im Überfluss sich befindenden Juden zum Besten der Unterthanen ehender zu vermindern als zu vermehren; die Oberämter sollten deshalb ohne triftige Gründe keine Aufnahme von Juden mehr beantragen und, falls doch
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Beschränkung der Schutzerteilung an ein einziges Kind blieb bis zur Aufhebung des Schutzstatus ein zentraler judenpolitischer Grundsatz der badischen Regierung. Die Supplikationspraxis zeigt aber, daß viele Juden diese gesetzlich verfugte Beschränkung eher im Sinne einer verbrieften Hoffnung für sich in Anspruch genommen und sie in praxi zu einem Recht umgedeutet haben. Häufig war es der älteste Sohn, der auf die Bitte seines Vaters, seiner Mutter, eines weiteren Verwandten oder seiner selbst für die Schutzannahme in Vorschlag gebracht wurde; fehlte ein Sohn, so suchten die betreffenden Familien um den Schutz für eine Tochter bzw. einen Schwiegersohn nach.56 Mit der Verordnung von 1738 war zwar der Regelfall definiert, doch zeigt das Bittverhalten mehrerer Juden, die nach einem ersten abschlägigen Bescheid erneut supplizierten, und erst recht die nicht eben seltenen Fälle, in denen sie für ein zweites Kind die Aufnahme in den Schutz beantragten, daß die starre Norm für den Regelfall der Vielschichtigkeit der Lebensumstände jüdischer Familien nicht gerecht zu werden vermochte. Der Hofrat war für seine Anträge und Resolutionen auf die Handhabung der 'Regel' des Gesetzes verpflichtet, während es in der Gnade und im Ermessen des Landesherrn stand, von der Regel zu dispensieren. Daß die Regel grundsätzlich Ausnahmen zuließ, spiegelte sich in der Staffelung der Entscheidungskompetenz zwischen Hofrat und Landesherr und in den mitunter zwangsläufig gegensätzlichen Resolutionen dieser beiden Entscheidungsträger wider." Der Grundsatz war aber auch manchem Supplikanten bewußt, der ihn ge-
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Antrag gestellt werde, genau über das Vermögen und die bisherige Führung der Aufzunehmenden, sowie darüber [...] berichten, wie er sich in Zukunft zu nähren gedenke (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 50f.). - Die Verschärfung im Reskript vom 14. September 1739 (Wesentlicher Inhalt I (Anm. 52) S. 768). Unter den 102 betrachteten Gesuchen kam dieser Fall nur gerade zweimal vor: 1788 bat die Witwe des Müllheimer Schutzjuden Marx Bloch dreimal um die Schutzerteilung an ihren künftigen Tochtermann, der ihr einziges Kind heiraten wollte, und erhielt im dritten Anlauf eine affirmative Resolution (229/69846). 1798 hatte der Emmendinger Judenschultheiß Jonas Weil auch mit seinem dritten Gesuch um Schutzerteilung an seine Tochter und deren Verlobten Israel Günzburger keinen Erfolg (74/918). Die genaueren Umstände des Gesuchs und dessen Ablehnung sind in diesem Fall nicht bekannt, möglicherweise hatte Weil schon ein Kind im Schutz, und es ist durchaus denkbar, daß es Weil nicht bei diesem Versuch hat bewenden lassen, sondern sich noch weiter um einen günstigen Bescheid bemüht hat, hatte er doch mit seinen beiden Schwägern und Handelspartnern, den Niederemmendinger Schutzjuden Wolf Isaac und Isaac Bär, zwei Verwandte, die beide in den 1770er und 1780er Jahren die Erfahrung gemacht hatten, daß hartnäckiges Supplizieren mit mehreren Gesuchen letztlich zum Erfolg führen konnte (229/74767 bzw. 229/74771). Als die Zahl der jüdischen Einwohner in Karlsruhe Mitte der 1760er Jahre mit 280 Personen beziffert wurde, wurde der Hofrat am 22. Februar 1764 angewiesen, künftig '"auf die Schutzaufnahme eines Juden ohne besonders erhebliche Ursachen keinen Antrag zu machen'. Das Hofratskollegium nahm aber diese Mahnung mit dem Bemerken zu den Akten, dass die ausser der Regel erfolgte Aufnahme von Juden und die dadurch eingetretene Vermehrung derselben nicht von ihm beantragt, sondern meist gegen seinen ablehnenden Antrag 'imme-
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genüber den Behörden zur Rechtfertigung seines Anliegens ins Spiel brachte. Wenn sich Gesuchsteller auch mit einem ein für allemal ergangenen Bescheid nicht zufrieden gaben oder aus besonderen Gründen für die Schutzaufnahme eines zweiten Kindes baten, so führte dies zu der nur scheinbar paradoxen Situation, daß die Entscheidungsträger im einen Fall die Policeygesetze zur Anwendung brachten, im anderen Fall aber gerade deren Aufhebung Gesetzeskraft erhielt. Sowohl der Hofrat als auch die Supplikanten stellten eine letzte Instanz in Rechnung, die 'unter Umständen' vom starren Gesetz abweichen und die Ausnahme von der Regel statuieren konnte. Neben der Beschränkung der Anzahl ansässiger Schutzjudenfamilien bildete das Argument der Nahrung einen weiteren Pfeiler der staatlichen Judenschutzpolitik; aus ökonomisch-finanziellen Erwägungen (Sicherung des Schutzgelds und der übrigen Abgaben), aber auch aus armen- und bettelpoliceylichen Überlegungen sollte die Zunahme armer, nicht existenzfähiger Judenhaushalte verhindert werden. Zu diesem Zweck waren in den Verordnungen bestimmte Vermögenswerte als Mindestanforderung für die Schutzaufnahme festgelegt. In den restriktiven Erlassen der Jahre 1729 bis 1733 wurde ein Vermögen von 800 fl. bestimmt. 58 Die Karlsruher Judenordnung von 1752 sah folgende Werte vor: Ein Karlsruher Schutzjudensohn, der noch keine Geschwister im Schutz hatte, mußte für die Heirat mit einer in- oder ausländischen Frau nach Abzug aller Schulden ein Vermögen von 1.500 fl. vorweisen. Dies galt auch für die Tochter eines Karlsruher Schutzjuden, die einen Schutzjudensohn aus der Residenzstadt heiraten wollte; heiratete sie einen Fremden, mußten beide ein Vermögen von 2.000 fl. zusammenbringen, d.h. ebensoviel wie ein fremder Jude, der die Witwe eines Karlsruher Schutzjuden heiraten wollte. Für die Heirat eines Karlsruher Schutzjudensohns mit einer Karlsruher Schutzjudenwitwe schließlich war der Nachweis eines gemeinschaftlichen Vermögens von 1.000 fl. erforderlich. 59 Daß diese ursprünglich auf die Verhältnisse in der Stadt Karlsruhe abzielenden Bestimmungen für das ganze Land maßgeblich geworden sind, scheint J.M. Holzmann nahezulegen, der in seiner Schilderung der allgemeinen Verhältnisse im Territorium diese Vorschrift ohne Einschränkung referierte. 60 Auch das Oberamt Badenweiler bezog sich 1788 in einer negativen Stellungnahme zu einem Schutzannahmegesuch auf die Karlsruher Judenordnung von 1752 und das dazu-
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diate von fiirstl. Geheimen Rathscollegio oder anderen Orten veranlasst worden sei'" (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 568). J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 36f. Vgl. die Karlsruher Judenordnung gedruckt in: J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25). Die einschlägigen Art. 24, 25 auf S. 604f. Art. 24 wurde auf Bitten der Karlsruher Judenschaft im Nachtrag vom April 1753 dahingehend geändert, daß eine Karlsruher Schutzjudentochter, die keine Brüder hatte oder deren Brüder den Schutz nicht verlangten, auch rezeptionsfähig sein und wegen des einzubringenden Vermögens gleich wie die Söhne von Schutzjuden behandelt werden sollte (S. 609). J.M. Holzmann: Juden im Badischen 1. 1802 (Anm. 1) S. 75f.
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gehörige Erläuterungsreskript vom 2. April 1753. Als sich die Supplikantin aber mit einem weiteren Gesuch direkt an den Landesherrn wandte und mit Hinweis auf die unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten in Stadt und Land gegen diesen Analogieschluß des Oberamts protestierte, erteilte der Fürst dem Hofrat den Auftrag, über die Frage zu berichten, ob bisher in einem solchen Falle auch bei Juden Schuz Annahmen ausser Karlsruhe oder sonst einer Stadt des Landes auf der angezeigten Summe des beizubringenden beiderseitigen Vermögens ad 1500 fl. indistincte bestanden worden sei? Der Hofrat machte in seiner Antwort an den Markgrafen auf Grundsätze aufmerksam, welche seine Entscheidungen lenkten: Demnach habe er bei Anträgen wegen Schutzerteilung an ein erstes Kind eines Schutzjuden nie absolute auf dessen Vermögen gesehen, weil diese Annahme besonders die Unterstützung der Eltern eines solchen Recipienten und sein desfals gewisser masen habendes Jus quaesitum zum Grund habe, und bey dem Gesuch eines 2ten Sohns oder einer Juden Tochter für ihren Bräutigam habe man der Regel nach nie in afftrmativam angetragen, in den von Sferenissijmo verlangten Anträgen aber allemahl das Quantum des Vermögens im Antrag bemerkt, wo es in dessen oft geschehen, daß »S'[erenissi]mM.S' wegen andern Ursachen ein oder den andern Juden, wenn sie auch schon nicht 1500 fl. zusammen gebracht, dennoch in Schutz aufgenommen hätten, somit diese Regel hier ebensowenig durchgängig beobachtet worden.61 Die Bittgesuche belegen tatsächlich eine Praxis der Schutzpolitik, die anpassungsfähig war und in der Frage des Mindestvermögens immer wieder weniger rigorose Entscheidungen fällte, als sie die Norm festlegte, bzw. dazu bereit war, auch weitere 'Umstände' des Supplikanten zu berücksichtigen. Zwar wiesen sich manche Bittsteller durchaus über ansehnliche Vermögenswerte aus. Der Elsässer Jude Moses Samuel brachte 1753 100 neue Louis d'or (ca. 1100 fl.) bei, und seine Braut sollte noch einmal so viel in die Ehe bringen.62 1762 wies sich Isaac Zivi, einziger lediger Sohn des verstorbenen Schutzjuden Meyer Zivi, über 1000 fl. Vermögen aus, seine Verlobte brachte 502 fl. in die Ehe, was nach Einschätzung des Oberamts Badenweiler und des Hofrats bey Juden auf dem Lande ein nahmhaftes sey,63 Der ledige July Bloch rechnete sich 1765 mit dem von seinem ver61
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229/69846. - 1805 kam es wegen der Schutzannahme von Maier Maier nach Ihringen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Hofrat, der das Gesuch zunächst abgelehnt hatte, und dem Geheimrat; der Hofrat unterstrich, daß die vom Bräutigam angegebenen 800 fl. Vermögen nach Aussage des Oberamts Hochberg nicht lange zum Unterhalt reichen würden, der Geheimrat jedoch war der Auffassung, daß diese Summe für einen in ein Dorf aufzunehmenden Juden, zumal einen inländischen, nach der Praxi [...] immer fiir mehr als nothdürftig hinreichend gehalten worden sei (229/48439). 229/52869. - Zur praktischen Bedeutung des eingebrachten Vermögens vgl. auch R. Sabelleck (Anm. 5) S. 88f. 229/69833.
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storbenen Vater ererbten Haus und Hof, seinem Vermögen von 100 Louis d'or und mit der damit in Aussicht stehenden Heirat zu den wohlbemittelsten Juden im Land.64 1786 erhielt Jacob Bickert im Hinblick auf seine Schutzannahme von seiner Mutter 100 Louis d'or und ein Haus,65 und auch Isaac Ducas hatte in diesem Jahr von seiner Mutter ein Haus zugesichert bekommen, und seine Verlobte sollte mindestens 600 fl. in die Ehe bringen.66 1779 allerdings reichten dem Elias Meyer, dem ältesten Sohn eines Müllheimer Schutzjuden, seine 300 fl. Vermögen, die vorgezeigten Schriften sowie die angeblich von seiner künftigen Frau einzubringenden 60 Louis d'or (ca. 660 fl.) erst im zweiten Anlauf für eine affirmative Resolution; das Oberamt Badenweiler bezeichnete in seinem Mitbericht zur Supplikation das Vermögen Meyers und seiner Verlobten zur Noth hinreichend, da im Oberland kein Vermögenswert für die um den Schutz nachsuchenden Juden fixiert sei; allerdings widersetzte sich die Gemeinde Müllheim unter Berufung auf eine fürstliche Zusicherung aus dem Jahre 1754 und mit dem Argument, sie sei schon mit so viellen Juden Fammillien belestiget, seiner Aufnahme. 67 Zwei Anläufe brauchte 1736 auch der Rabbiner David Kahn aus der vorderösterreichischen Stadt Breisach, um für seinen Sohn Isaac Kahn den Schutz nach Sulzburg zu erhalten, obwohl Isaac vom Vater 500 fl. und von seinem Schwiegervater Moses Weyl, dem wohlhabendsten Sulzburger Juden, ein Haus erhalten hatte und die Braut 1.000 fl. Heiratsgut noch dazu mitbrachte.68 Dem Elsässer Juden Samuel Ruf, der in Kirchen in Dienst stand, reichten im Jahre 1766 400 fl. Vermögen und die Hoffnung, er getrauete [sich], durch eine Heurath noch 500 fl. zu erlangen, wenn er sich in Kirchen häuslich niederlassen dürfe, nicht aus, um dort in den Schutz aufgenommen zu werden, obwohl nach den Angaben seines Dienstherrn Lazarus Bloch seine Dienste als Schächter und Vorsinger für die Judengemeinde von Kirchen sehr nützlich gewesen wären.69 Die beiden letzten Fälle erwecken zumindest den Verdacht, daß ausländische Juden wie in Karlsruhe so auch bei Schutzannahmen auf dem Land strengeren Anforderungen unterlagen als die Nachkommen bereits etablierter Familien. Auf dem Land reichten unter Umständen auch schon geringere Vermögenswerte als die oben zitierten für eine günstige Entscheidung aus. Es bedurfte 1788 zwar dreier Gesuche, bis die Witwe des Marx Bloch für ihren künftigen Schwiegersohn Elias Bloch die Schutzerteilung erwirkte; der Bräutigam brachte 600 fl. Vermögen in die Ehe ein, die Braut hingegen besaß außer Bett und Kleidung kein
229/52867. 229/74769. 229/74770. 229/69832. - Zu dieser Zusage des Markgrafen an die Gemeinde Müllheim s. weiter unten. 229/103724. - L.D. Kahn (Anm. 26) S. 24-26. 229/52873. - A. Huettner (Anm. 26) S. 28.
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Vermögen.70 1767 hatte Hirzel Bickert aus Müllheim auch den Schutz erhalten, obwohl er von seinem Vater wenig mehr als 100 fl. erwarten konnte und die Frau 400 fl. Heiratsgut mitbrachte.71 Offensichtlich trugen die Behörden bei ihren Entscheidungen den Vermögensangaben nur als einem Faktor unter anderen Rechnung und gewichteten mitunter andere vorgetragene Umstände des Falls stärker. Dazu zählten insbesondere die jeweiligen Familienverhältnisse, wie am Gesuch der Witwe des ehemaligen Müllheimer Judenvorstehers Elias Bloch aus dem Jahre 1763 deutlich wird. Bloch hatte bei seinem Tod 1758 das geringe Vermögen von 450 fl. und acht Kinder hinterlassen, die Witwe erwirkte 1759 und 1760 nicht nur eine erste Reduktion ihres jährlichen Schutzgelds von 25 fl. auf \2lA fl., sie erhielt 1763 neben der völligen Befreiung vom Schutzgeld auch noch die ausdrückliche Zusicherung, eines ihrer Kinder in den Schutz bringen zu können.72 Auf der anderen Seite genügten bei Gesuchen um die Schutzaufnahme eines zweiten Kindes auch hohe Vermögen alleine nicht für eine affirmative Resolution, jedenfalls nicht auf Anhieb. Joseph Zivi aus Müllheim, der seit 1781 bereits seinen ältesten Sohn Moses im Schutz hatte, brauchte 1782 drei Anläufe, bis auch seinem zweiten Sohn Meier Zivi der Schutz erteilt wurde, obwohl er diesem eine Wohnung und 50 Louis d'or überlassen und eine Ehesteuer von 3.000 livres in Aussicht stand.73 Die Witwe des Joseph Meyer aus Müllheim war 1784 nach zwei Supplikationen immer noch erfolglos geblieben, obwohl ihr zweiter Sohn Hayum 3.000 fl. eigenes Vermögen und Hoffnung auf eine Heirat hatte, die 1.700 fl. einbringen sollte.74 Die badische Judenschutzpolitik nahm aber nicht nur und mitunter auch erst sekundär auf die partikularen und familiären Interessen der um die Schutzaufnahme nachsuchenden Juden Rücksicht, sie war vielmehr in ein Ensemble von Policeymaßnahmen zur Förderung des gemeinen Besten von Staat und Gesellschaft 70
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229/69846. Kam noch hinzu, daß Elias Bloch sein Vermögen offenbar nicht mit Rechtsdokumenten, sondern nur mit einer Aufstellung belegen konnte, deren Wahrheitsgehalt er aber beschwören wollte; die Vorgesetzten der Gemeinde Müllheim sorgten sich wegen des anscheinenden Mangel[s] der Nahrung dieser Leute. Den Ausschlag für die Schutzerteilung gab zuletzt der Umstand, daß die Braut Einzelkind war und nach dem Bräutigam kein weiteres Kind aus dessen Familie mehr in den Schutz kommen konnte, mithin verringerte sich durch diese Ehe die Zahl der Judenfamilien in Müllheim um eine; zudem handelte es sich hier um einen Fall verwandtschaftlicher Nothilfe, war doch die Witwe mit dem älteren Bruder des Bräutigams verheiratet gewesen; Elias Bloch heiratete also seine Nichte aus Mitleiden mit ihrer und meiner [der Witwe, A.H.] Dürftigkeit und aus Pflicht der Blutsfreundschaft, wie sich die Witwe in ihrer zweiten Bittschrift äußerte. 229/69836. 229/69831. - Die Witwe Bloch hatte noch sieben Kinder zu Hause und hatte mit landesherrlicher Erlaubnis seit 1760 auch ihren alten Vater Salomon Geißmar schutzgeldfrei in ihrem Haushalt, der ihr dabei behilflich sein durfte, das wenige Vermögen [...] um[zu]treiben. 229/69839. 229/69841. - Zwei weitere Fälle, wo jeweils trotz bester Vermögensverhältnisse ein zweiter Sohn erst nach fünf Gesuchen in den Schutz aufgenommen wurde in: 229/69844 und 229/74771.
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eingebettet. Die Sorge um die Wahrung der wirtschaftlichen und korporativen Interessen der (christlichen) Gemeinden stellte einen dritten Grundsatz der obrigkeitlichen Politik gegenüber den Juden dar, was an der Rücksichtnahme auf die Meinung und die Einwendungen der betroffenen Gemeinden deutlich wird, die in Judensachen neben Fürst und Regierung ihre Rolle bei der inhaltlichen Auffüllung und Ausdeutung der politischen Kategorie des gemeinen Besten spielten. Häufig wurden die Gemeinden jener Orte, wohin Juden in den Schutz aufgenommen zu werden baten, angehört.75 Ihre Meinungsäußerungen reichten dabei von heftiger Ablehnung, über ein in neutralem oder empfehlendem Sinne formuliertes Einverständnis bis hin zur inständigst vorgetragenen Bitte, der Fürst möge den fraglichen Juden seinen Schutz erteilen. Letzteres geschah allerdings nur in außerordentlichen Fällen: Als nachgeborene Schutzjudensöhne, die mit ihren Bittgesuchen bereits abgewiesen worden waren, größere freiwillige Zahlungen an einzelne Gemeinden entrichteten, die in den Revolutions- und Koalitionskriegen am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in hohe Schulden geraten waren, waren diese Kommunen bereit, in ihren Stellungnahmen zu weiteren Supplikationen deren Schutzannahme zu befürworten.76 Wo noch wenige Judenhaushalte bestanden und sich die Gesuchsteller über ein gewisses Vermögen ausweisen konnten, erhielten diese immer wieder die Zustimmung der betreffenden Gemeinde. Kirchen hatte 1753/54 nichts gegen die Schutzannahme des Elsässer Juden Moses Samuel einzuwenden, weil im Ort zwei Schutzjuden abgegangen waren, Moses Samuel eine hinterbliebene Tochter mit eigener Wohnung heiratete, selber schon Mittel ins Land brachte und mit seiner Heirat ein erkleckl[iches] acquirire[n] konnte; zudem fand durch diese Heirat auch der simple Bruder der Braut eine Versorgung.77 Die Gemeinde Niederemmendingen befürwortete 1787/88 die Schutzaufhahme von Isaac Bär, obwohl bereits sein Bruder als Schutzjude in diesem Ort ansässig war; wahrscheinlich gereichte gerade dieser Umstand dem Isaac Bär zum Vorteil, betrieb er doch zusammen mit seinem Bruder Wolf Isaac einen erfolgreichen Viehhandel und konnte sich über ein größeres Vermögen auswei-
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Hier werden nur jene Belege angeführt, auf die im weiteren nicht genauer eingegangen wird: 229/52869 (1753); 229/74764 (1760); 229/52871 (1761); 229/74769 (1786). 74/915 Nummern 427, 428; 229/69848. - Fürst und Regierung verbaten sich zunächst diese Praktiken; der Fürst erklärte, er könne das Princip nicht aufkommen lassen, daß Juden, welchen Sie [Ihre Fürstl. Durchlaucht, A.H.] nach der Ordnung und wegen des Landes Besten den Schutz abgeschlagen haben, den Consens der Gemeinde, worinn solche sich setzen wollen, erkaufen und damit nochmals ein mehreres Recht zur Annahme erlangt zu haben vermeynen, da die Hauptrücksicht, die Ihre [Serenissimi, AH] Entschliessungen bey der quaestione an? leiten mus, die Verträglichkeit der Annahme mit dem Wohl der ganzen Gegend ist. Da die Gemeinden das Geld aber bereits erhalten hatten und nicht mehr in der Lage waren, es den Juden wieder zurückzuerstatten, rangen sich Fürst und Regierung zu einer Ausnahmelösung durch, nicht ohne alle Gemeinden im Land durch Generaldekret vor dergleichen Eigenmächtigkeiten zu warnen (wie oben). 229/52869.
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sen.7S Der Fall des Opfmger Schutzjuden Isaac Hänle hingegen steht für die häufige Ablehnung neuer Schutzjuden, zumal auswärtiger, durch die betroffenen Gemeinden. Hänle versuchte zwischen 1762 und 1766 mehrmals aus angeblich religiös-kultischen Gründen, sein Schutzrecht von Opfingen, wo er und seine Familie die einzigen Juden waren, in einen anderen badischen Ort mit einer größeren Judengemeinde zu verlegen. Er scheiterte bei mehreren Gemeinden, obwohl er zur Untermauerung seiner Absicht von vornherein auf jegliche Nutzungsrechte in der Gemeinde, die ihn aufnehmen würde, verzichtet hatte. Die angefragten Gemeinden wünschten aber von den Juden gesäuberet zu werden und erblickten in der Aufnahme auswärtiger Juden nur eine Belastung; neben den bekannten Vorbehalten aus wirtschaftlichen Gründen sahen z.B. Fischingen und Eimeidingen auch darin eine Gefahr, daß die Niederlassung von Juden zu häuffige[n] Zusamen Rottungen liederlichen Gesindels und Bettel Juden [führte], welche sich meist mit stehlen nähren und unter dem Vorwand, die Judenschaft zu besuchen, öfters ganze Dörfer in Schrecken setzen. Hänle ging in seinen Bemühungen schließlich so weit, vom Fürsten 1764 - erfolglos - einen Befehl an die von ihm ausersehene Gemeinde auszubitten, wonach diese ihn ohne Widerspruch hätte aufnehmen sollen.79 Für Konfliktstoff zwischen Juden und Gemeinden sorgten auch die den Juden in den Schutzbriefen eingeräumten Weidenutzungsrechte, welche wiederholt die ablehnende Haltung von Gemeinden gegen die Schutzerteilung motivierten. Gegen die Schutzaufnahme des Schwiegersohns des armen Schutzjuden Jacob Rieser opponierte 1739 die Gemeinde Sulzburg mit dem Hinweis, die Juden würden mit ihrem Vieh gegen ein geringes Entgelt die Weide überfahren und beanspruchten viel Brennholz aus dem Wald.80 In Eichstetten stießen 1765 die Auffassungen von Gemeinde und Judenschaft aufeinander, weil nach der Aufteilung des gemeinen Weidgangs unter die Bürgerschaft, welche die zuvor gemeinschaftlich genutzte Allmende künftig als Mattland individuell nutzen wollte, die Juden ihrer in den 78
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229/74771. Auch im Fall von Isaac Ducas hatte die Gemeinde Niederemmendingen nichts einzuwenden, zumal sich noch keines seiner Geschwister im badischen Schutz befand (229/74770). 229/69835; 229/52872. - Auffallenderweise supplizierte 1776 Hänles Sohn, Wolf Isaac, mit der gleichen Begründung um Schutzannahme nach Niederemmendingen (229/74767), nach mehreren Anläufen mit Erfolg. 229/103727. - Einwendungen der Gemeinde Niederemmendingen wegen der Weidenutzung auch im Fall von Wolf Isaac 1776, der dieses Argument nach einer ersten Abweisung seines Gesuchs damit zu entkräften suchte, daß er die Entrichtung des üblichen Weidegelds für ein bis drei Stück Vieh anbot und damit die Erhöhung der Gemeindeeinnahmen in Aussicht stellte und im äußersten Fall sich sogar bereit erklärte, auf die Weide ganz zu verzichten, welches jedoch, da mein Handel im Viehhandel hauptsächlich besteht, sehr hart wäre; Wolf Isaac wurde auch mit seinem zweiten Gesuch abgewiesen (229/74767), erreichte später aber, wie aus anderer Quelle hervorgeht, doch noch sein Ziel (229/74771). Den Einspruch der Gemeinde Niederemmendingen gegen seine Schutzannahme suchte 1777 auch Zacharias Samuel Reutlinger dadurch zu entkräften, daß er sich bereit erklärte auf die Nutzung der Viehweide zu verzichten (229/74766).
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Schutzbriefen eingeräumten Weideplätze beraubt waren; Gemeinde und Juden konnten sich schließlich darauf einigen, daß die Gemeinde den Juden einen Bezirk schlechtes Mattfeld als Viehweide zuwies.81 Die Meinung einer Gemeinde konnte mitunter rasch von dezidierter Ablehnung in das Gegenteil umschlagen. Zwischen 1775 und 1777 hatte Zacharias Samuel Reutlinger, Sohn eines verstorbenen Karlsruher Schutzjuden, wiederholt erfolglos um die Schutzannahme nach Niederemmendingen suppliziert, war aber u.a. am Einspruch der Gemeinde gescheitert. Nachdem es ihm als einzigem Sohn eines ehemaligen Schutzjuden aus Karlsruhe gelungen war, die Schutzerteilung in die Residenzstadt zu erhalten, supplizierte Reutlinger um die Transferierung seines Schutzrechts von Karlsruhe nach Niederemmendingen, was erneut am Einwand der Gemeinde scheiterte. Eine grundsätzliche Wendung erhielt die Sache aber, als Reutlinger in öffentlicher Versteigerung das alte Schulhaus der Gemeinde gegen 880 fl. kaufte und der Gemeinde damit die Mittel zum Bau des neuen Schulhauses verschaffte; diese wünschte von nun an bei der Obrigkeit die Ratifikation des Kaufs und die Schutzannahme Reutlingen, zumal sie wußte, daß Reutlinger ihr einen Preis bezahlt hatte, den niemand aus der Gemeinde entrichten konnte oder zu zahlen bereit gewesen wäre.82 Das schwierige Lavieren der obrigkeitlichen Schutzpolitik zwischen den policeylichen Prinzipien der Gesetze auf der einen Seite und Pragmatismus auf der anderen Seite, in welchem Spannungsfeld auch die Stimme der Gemeinden gehört und berücksichtigt werden mußte, vermag nichts besser zu illustrieren, als der Umgang der Behörden mit den Judenschutzsupplikationen aus der Gemeinde Müllheim. 1754 hatte Müllheim an den Landesherrn mit dem Anliegen suppliziert, von der Aufnahme weiterer Judenfamilien verschont zu werden, weil bereits deren 13 dort ansässig waren; sie argumentierte mit dem ökonomischen und moralischen Schaden, den die Juden durch ihren betrügerischen, unnötigen Handel und durch ihre besonders für die schlechten Haushalter unter den Bürgern verderblichen Kreditgeschäfte anrichteten. Der Fürst erteilte darauf der Gemeinde Müllheim die Gnade, keine weiteren Juden mehr in Müllheim anzunehmen, sondern vielmehr deren bereits vorhandene Anzahl so viel thunlich zu vermindern.83 In den nächsten Jahrzehnten kam diese Zusage des Markgrafen immer ins Spiel, wenn die Beurteilung eines neuen Schutzannahmegesuchs in die Gemeinde Müllheim anstand. Die Gemeinde berief sich bei ihren Einwendungen gerne auf das Wort des Fürsten und pochte auf eine rigorose Ablehnung weiterer Schutzer-
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229/23490. 229/74766. - Wahrscheinlich hatte Reutlinger der Gemeinde Niederemmendingen sein Angebot im Vorfeld der Versteigerung unterbreitet, hatte die Gemeinde doch beim Oberamt eigens die Bewilligung dafür eingeholt, daß auch Juden ohne Schutzrecht mitbieten durften. Angesichts des Nutzens, den er der Gemeinde verschafft hatte, wurde Reutlinger nun ohne weiteres in den Schutz aufgenommen. 229/69832; J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 60f.
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teilungen.84 Die strikte Ablehnung weiterer Schutzannahmen wurde in den 1780er Jahren auf Seiten der Gemeinde aber wieder zusehends aufgeweicht - jedenfalls bei Bittgesuchen zugunsten der ältesten Söhne von etablierten Schutzjuden.85 Gesuche um Schutzaufnahme von nachgeborenen Kindern stießen aber weiterhin auf die Ablehnung der Gemeinde, weil damit die jüdischen Haushalte nicht nur nicht reduziert, sondern vielmehr vermehrt wurden, was der Intention der Gemeinde zuwiderlief.86 Allerdings ist in dieser Hinsicht der Fall des Moses Bloch aus den Jahren 1787/88 besonders aufschlußreich, da er den Zwiespalt deutlich macht, in den Fürst und Regierung durch die einmal erteilte Zusage an Müllheim geraten waren. Moses Bloch wurde nach hartnäckigem, wiederholtem Supplizieren, bei dem er auch außerordentliche finanzielle Zuwendungen an wohltätige Einrichtungen in Aussicht stellte, schließlich vom Oberamt und den Gemeindevorstehern (!) der Regierung als nüzlicher und vermöglicher Jud zur Schutzannahme empfohlen. Allerdings hatten die Vorgesetzten die Gemeinde nicht wirklich befragt. Als man im Geheimrat bereit war, Bloch zu willfahren, da zu supponiren ist, daß der Vorgesezten Einwilligung die Meynung des grösten Theils der Gemeinde zum Grunde habe, erhob der Hofrat heftigen Einspruch beim Geheimrat, weil nach den vorliegenden Berichten des Müllheimer Vogts die Gemeinde (also wenigstens % der Müllheimer Bürgerschaft) zur Einwilligung in des Supplikanten außerordentliche SchuzAnnahme sich nicht geneigt erklärt hatte. Um eine Meinungsäußerung der Gemeinde zu erwirken, die zumindest nicht dem Buchstaben der fürstlichen Zusage von 1754 zuwiderlief, beschlossen Fürst und Hofrat, der Gemeinde vorzustellen, daß im Falle Blochs dringende Ursachen zu dessen Gunsten vorlagen und die Regierung die Schutzannahme nicht verweigern konnte, ohne eine Härtigkeit zu begehen; der Fürst sähe es deshalb gerne, wenn sich die Gemeinde bereitwillig erklären würde. Diese wollte sich in ihrer Stellungnahme
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229/69833 (1762); 229/69836 (1767); 229/69837 (1767); 229/69838 (1772); 229/69832 (1779); 229/69839 (1783); 229/69841 (1784). - Die Gemeinde berief sich mitunter in derselben ablehnenden Stellungnahme auf diese Zusage, attestierte aber gleichzeitig dem Gesuchsteller eine gute Aufführung oder ließ gar verlauten, sie habe nichts gegen die Person des Supplikanten einzuwenden! Der Müllheimer Vogt erklärte 1781, keine Einwendung gegen die Schutzerteilung an Moses Zivi zu haben, zumal dieser der älteste Sohn seines Vaters, des Schutzjuden Joseph Zivi, sei und bisher keine Klage gegen ihn zu vernehmen gewesen war (229/69839). Gleiche Stellungnahmen der Gemeinde in folgenden Fällen: (229/69840, 1784), (229/69842, 1784), (229/69843, 1785), (229/69846, 1788). 1787 verzichtete z.B. das Oberamt Badenweiler darauf, die Gemeinde Müllheim zum Schutzgesuch Menke Blochs für seinen zweiten Sohn Moses Bloch überhaupt zu befragen, weilen sie nicht anders als negative ausfallen kan (229/69844). 1788 widersetzte sich die Gemeinde der Schutzannahme des Männle Bickert, des zweiten Sohns der Witwe des Schutzjuden Moses Bickert (229/69845).
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zu gütlicher Annahme nicht verstehen, sondern dieses lieber dem höchsten Wohlgefallen gnädigster Herrschaft unterthänigst anheimstellen, besonders da noch mehrere Juden hier, welche nur auf die Annahme obbesagten Blochen warten, um sich alsdann mit mehr Nachdruck und besserer Hofnung melden zu können. Das Oberamt Badenweiler legte die Erklärung der Gemeinde dahin aus, die Bürgerschaft habe sich zwar nicht ausdrüklich dagegen, jedoch auch nicht davor gesprochen, sondern sich [...] im Ganzen dahin erklärt, daß sie das Gesuch des Supplicanten lediglich Euren Hochfiirstlichen Durchlaucht höchstem Wohlgefallen [...] anheim stelle und nur darum bitte, daß nach erfolgter gnädigster Annahme des Blochen die Judenschaft nicht ins weitere möchte vermehrt werden}1 Der rhetorische Druck der 'höchsten Gnade' hatte bei der Gemeinde Müllheim seine Wirkung getan; die Gemeinde wollte sich nicht offen gegen den Willen des Fürsten stellen und stellte die Entscheidung in diesem Fall, wo sich Gesetz und das frühere Wort des Fürsten zugunsten der Gemeinde auf der einen Seite und der aktuelle Wille des Fürsten auf der anderen Seite entgegenstanden, dem Landesherrn als Dispensator vom Gesetz anheim. Sie hatte sich dabei aber nicht explizit zugunsten des Supplikanten äußern müssen. Der Fall zeigt aber auch, wie sehr der Regierung und dem Fürsten durch die Rechtslage die Hände gebunden waren und sie, um ihre Glaubwürdigkeit und die Autorität des Gesetzes zu wahren, eine in ihrem Sinne verwendbare, wenn auch gezwungene Aussage der Gemeinde brauchten. Die Akte Moses Bloch war aber nur der Höhepunkt in einer Reihe mehrerer Fälle, in denen die Regierungs- und Oberamtsbehörden versuchten, mit unterschiedlichen argumentativen Strategien die Zusage des Fürsten an die Gemeinde zu relativieren bzw. sie im Hinblick auf die Erfordernisse der Situation neu auszulegen. 1762 legte der Hofrat im Fall des Gesuchs von Isaac Zivi die Zusage von 1754 dahin aus, daß diese keineswegs zu dem Ende erlassen worden [sei], um einem sowohl in Absicht des Vermögens als sonsten nach denen ehemaligen Verordnungen des Schutzes fähigen Sohn eines Juden, der noch kein Kind im Schutz hat, die Reception zu versagen.™ 1765 sollte nach der Meinung des Hofrats dem Meyer Jacob Meyer der Schutz trotz der Zusage an die Gemeinde erteilt werden, weil die fürstliche Resolution die Verminderung der Judenzahl nur, insofern sie ohne Ohnbilligkeit geschehen kan, beabsichtigte, während die Ausschließung eines einzigen so wohl in Absicht des Vermögens als sonsten nach denen ehemali-
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229/69844. 229/69833. - Der Supplikant wurde angenommen.
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gen Verordnungen des Schutzes fiihigen Sohnes [...] sich mit der Billigkeit nicht wohl vereinbaren ließ.89 In einen Zwiespalt geriet in dieser Situation das Oberamt Badenweiler, das in seinen Beiberichten zu den Supplikationen sich einerseits an die allgemeine Gesetzeslage halten mußte, die häufig zugunsten des Supplikanten lautete, andererseits aber um die fürstliche Zusage von 1754 an die Gemeinde Müllheim wußte; es blieb dem Oberamt jeweils nichts anderes übrig, als sich eines Antrags zu enthalten und die Entscheidung dem Markgrafen bzw. dem Hofrat anheimzustellen. So mußte 1767 das Oberamt Badenweiler aus Anlaß des Gesuchs von Marx Bloch einräumen, der Supplikant habe keine Geschwister im Schutz und sich immer unklagbar aufgeführt, doch stehe seiner Aufnahme die fürstliche Zusage an die Gemeinde entgegen.90 Auch die jüdischen Supplikanten wußten um diese Zusage des Fürsten an die Gemeinde Müllheim und kommentierten oder relativierten sie mitunter in ihren Gesuchen. Nach einem ersten erfolglosen Gesuch, den zweiten Sohn seiner Schwester in den Schutz nach Müllheim aufnehmen zu lassen, argumentierte Isaac Zivi in seiner zweiten Supplikation von 1772, die Raison der Verfügung von dem Jahr 1754 und also die Verfügung selbsten seien hinfällig geworden, weil gegenwärtig nur noch 13 Judenhaushalte in Müllheim existierten, während es früher deren 15 gewesen seien; mit diesem Rückgang habe sich die Verfügung von 1754 erübrigt und sollte folglich nicht mehr gegen sein Anliegen ins Feld geführt werden können.91 Die Witwe des Joseph Meyer rechnete 1784 in ihrem wiederholten Gesuch für die Schutzerteilung an ihren zweiten Sohn dem Fürsten vor, daß er seine Zusage der Gemeinde Müllheim zu einem Zeitpunkt erteilt habe, als die 13 jüdischen Haushaltungen in einem weit näheren Verhältnis mit der Müllheimer damals ungleich kleineren Bürgerschaft standen denn ietzo, wo die Gemeinde um ein ansehnliches zu genohmen und dem ungeachtet nur mit 13 jüdischen Haußhaltungen versehen ist. Schon dieses dörfte Eüer Hochfürstliche Durchlaucht zum gnädigsten Beweggrund dienen, in Rücksicht meiner demüthigsten Bitte eine gnädigste Ausnahme von der Regel zu machen.91 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich die Gemeinden nicht einheitlich ablehnend zu den Schutzgesuchen äußerten. Ihre Haltung war nicht anders als jene 89
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229/69832. - Die Resolution ist leider nicht überliefert. Im Fall des Elias Meyer entschied der Fürst auf einen gleichlautenden Antrag des Hofrats hin zugunsten des Supplikanten (229/69832). 229/69837. 229/69838. 229/69841. - Das Argument verfing jedoch nicht; der Hofrat legte in seinem Resolutionsantrag an den Markgrafen dar, die Zusicherung von 1754 laute, daß nicht mehr als 13 Judenfamilien in Müllheim der Schutz gestattet sein sollte, und so viele Familien lebten derzeit auch da.
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der Regierung pragmatisch und richtete sich nach dem korporativ-kommunalen Grundsatz des Gemeindenutzens, den sie angesichts der Schutzerteilung an Juden, insbesondere im Fall von nachgeborenen Schutzjudenkindern, vor allem aus ökonomischen, aber auch aus moral- und sicherheitspoliceylichen Gründen gefährdet sah. Fiel das (Vor)Urteil der Gemeinschädlichkeit in einem konkreten Fall hinweg, weil die Wirtschaft des Supplikanten nicht mit den Interessen der Gemeinde kollidierte oder weil dieser gar seine (ökonomische-fmanzielle) Nützlichkeit für die Gemeinde nachweisen konnte, so fand in den Gemeinden leicht ein Gesinnungswandel statt. Das für die Einstellung korporativer Verbände in der Frühen Neuzeit charakteristische Abschließungsdenken blieb aber nicht auf die Ortsgemeinden und die dort tätigen Bauern, Handwerker und Gewerbetreibenden beschränkt. Die Aufnahme neuer Schutzjuden stieß - wenn auch weitaus seltener faßbar - mitunter bei den bereits etablierten Schutzjuden selber auf deutliche und unmißverständliche Ablehnung. 93 Die lokalen Judengemeinden waren neben den Ortsgemeinden auch in das Verfahren der Evaluierung von Bittgesuchen eingeschaltet; dies betraf einmal die Bescheinigung bestimmter Aussagen der Gesuchsteller aufgrund der Angaben, über welche die Rabbiner und Judenschultheißen in ihrer Funktion als Gemeindevorsteher und Gerichtspersonen verfugten (Zivilstand, Alter, Vermögen, Lebensumstände der Familie, beglaubigte und übersetzte Auszüge aus Eheverträgen u.ä.),94 mitunter äußerte sich die jüdische Gemeinde aber auch dazu, ob der Supplikant erwünscht war oder nicht. Im Oktober 1736 zeigten die Karlsruher Judenvorsteher dem Markgrafen an, in den vergangenen Jahren seien fremde Juden ohne das vorgeschriebene Mindestvermögen nach Karlsruhe gezogen; die Vermehrung armer und liederlicher Juden ruiniere den Handel der eingesessenen Judenschaft; die weitere Aufnahme mittel93
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Ein früher Beleg für die Befürwortung einer restriktiven Schutzerteilung durch die etablierten Schutzjuden liegt mit Artikel 19 des Entwurfs für eine Judengerichtsordnung vom 30. November 1713 vor: Sollte es sich aber fügen, daß ein fremder Jud in Ew. Hochfiirstl. Durchlaucht hieruntige Fürstenthume und Lande zu ziehen und dieselbige diesen annehmen wollten, so soll er bei seiner Hereinkunft sub juramento anzeigen, worinnen aigentlich sein Vermögen stehe, umb so fortan von jedem 100 Guld. 5 Guld., halb gnädigster Herrschaft und die andere Hälfte dem jüdischen Allmosen zu erlegen. Eine gesammte Judenschaft aber wäre dießfalls des unterthänigsten, jedannoch aber des ohnmasvorschreiblichen Dafürhaltens, daß Ew. Hochfürstl. Durchlaucht nicht übel gerathen wäre, daß sie keinen fremden Juden in dero Lande einkommen ließen, er hätte dann 1000 Guld. in bonis, auf daß die schon unter derselben gnädigsten Schutz und Schirm darinnen wohnenden Juden oder demselben Nachkömmlinge hierdurch nicht gedruckt noch präjudicirt würden (Abdruck bei J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 683-687, hier S. 685f.). Vgl. etwa das Attest der Karlsruher Judenschaft zur Person des Zacharias Reutlinger von 1776, worin diese Angaben zu den Eltern, dem Verbleib der Geschwister, dem Vermögen und der Aufführung Reutlingers und seiner Eltern machte (229/74766). Weitere Belege für Bescheinigungen durch Rabbiner und Judenvorsteher in: 229/69833, 229/69840, 229/69841, 229/69842, 229/69844, 229/103722, 229/103723 u.a.m.
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loser Juden sei zu unterbinden, indem fremde Juden nur noch angenommen werden sollten, wenn sie nach Entrichtung der Abgaben eine Karlsruher Judentochter heirateten.95 Die Schutzjuden des Oberamts Rötteln baten, nachdem sie in Erfahrung gebracht hatten, Isaac Hänle aus Opfingen gedenke, sich in Kirchen als Schutzjude niederzulassen, den Landesherrn 1762, dessen Antrag in negativam gnädig zu machen, weil Hänle sehr arm und hoch verschuldet sei und über das in seinem Handel und Wandel wenig Redlichkeit verspühren laßet. Auch die Müllheimer Judenschaft bat darum, mit der Aufnahme dieses Mannes verschont zu werden, weilen sie bey seiner Armuth ihn mit denen Kindern vollkommen erhalten müßte', sie äußerte auch deutliche Bedenken gegenüber Hänles Vorgeben, er wolle seinen Schutz nur aus Gründen der religiösen Erziehung seiner Kinder von Opfingen an einen Ort mit einer größeren Judengemeinde verlegen; es sei vielmehr handgreifflich, wie er sich Hoffnung mache, auf der hiesigen [der Müllheimer, A.H.] Judenschaft Rechnung seinen beßern Unterhalt dahier zu finden.% 1769 äußerte sich die gesamte Lörracher Judenschaft gegen die Aufnahme der beiden Elsässer Juden Natan und Meyer Ulman, die beide in ihrer Heimat wegen ihrer (nicht näher genannten) Delikte gesucht wurden und deren Namen dort an das Hochgericht geschlagen worden seien. Ihrer Aufführung wegen hielten sie sie für unanständig, auch hätten sie in Erfahrung gebracht, daß sie von Haus aus kein Vermögen hatten und nur blos auf Credit handelten.97 Die Sensibilität der Lörracher Juden für die Aufführung dieser beiden Supplikanten aus dem Elsaß war ein Argument, dessen Bedeutung und Wirkung ihnen auch aus den Erwägungen der Behörden bekannt war. Aussagen der (christlichen) Gemeinde und des zuständigen Oberamts über den Leumund eines Supplikanten oder einer Supplikantin, über dessen oder deren haushälterische und friedliche, jederzeit anstandslose, untadelhafite Aufführung, deren Fleiß oder guten Ruf gehörten zu den Informationen, welche bei der Behandlung der Gesuche unabdingbar waren und von den Regierungsbehörden in Karlsruhe eingefordert wurden, wenn sie nicht ohnehin schon in den Beiberichten und Bescheinigungen hinreichend dokumentiert waren. Gerne verwendeten die Bittsteller auch selber dieses Argument zu ihren Gunsten und wiesen darauf hin, daß sie sich bisher in ihrem Handel und Wandel stets aufrichtig und redlich, unklagbar, still und ehrlich verhalten hatten.98 Es liegt auf der Hand, daß 95 96
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J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 37f. 229/69835. - Hänle war u.a. bei Lazarus Braunschweig, einem der beiden Unterzeichner der Supplikation der Rötteler Juden, mit 26 Louis d'or verschuldet. Die Müllheimer Juden wußten das Oberamt und die Regierung auch darüber zu informieren, Hänle habe sein Vermögen durchgebracht und vielen Gläubigern das Nachsehen so weit gelaßen, daß nicht einmal ein Gegenstand zu dem Falliments Process mehr vorhanden. 229/52874. Ein Beispiel dafür aus der Supplikation der Witwe des Joseph Meyer aus Müllheim für ihren zweiten Sohn Hayum 1784: Es müsse ihrem Sohn auch das Lob beigemessen werden, daß er wie sein verstorbener Vater, der 30 Jahre Schutzjude gewesen sei, sich im Handel aufrichtig
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das in der Kultur der ständischen Gesellschaft ohnehin bedeutsame Argument des ehrenvollen und unbescholtenen Lebenswandels im Zusammenhang mit der Erörterung von Schutzannahmegesuchen von Juden eine zusätzliche Bedeutung erhielt, sollten diese Leumundszeugnisse doch im jeweils vorliegenden Einzelfall den gegen die Juden kollektiv erhobenen Vorwurf der Gemeinschädlichkeit, des betrügerischen Wirtschaftens etc. entkräften. Welche Erfolgsaussichten besaßen die für sich oder für ihre Angehörigen einkommenden Supplikantinnen und Supplikanten? Für 58 Gesuchsteller ist die Aktenlage soweit vollständig oder hinreichend überliefert, daß sie Aussagen zu diesem Punkt zuläßt. Danach waren die Erfolgschancen allgemein sehr gut. In 31 Fällen scheint eine affirmative Resolution im ersten Anlauf, in weiteren 20 Fällen nach wiederholtem, bisweilen öfterem Supplizieren ergangen zu sein; in sieben Fällen unternahmen abgewiesene Gesuchsteller keinen weiteren Versuch mehr." Zwischen vollständiger Ablehnung des Anliegens und Erteilung des Schutzrechts gab es - wenn auch selten - Zwischenlösungen, um die mitunter auch die Supplikanten von sich aus baten.100 Statt des faktisch auf die Lebenszeit des Schutzjuden sich erstreckenden Schutzrechts101 konnte Juden auch ein befristeter Aufenthalt in einer Gemeinde eingeräumt werden.102 Nachdem Israel Levi schon mehrmals die Schutzaufnahme abgeschlagen worden war, reichte dessen Vater, der Sulzburger Schutzjude Emanuel Levi, 1749 die Bitte ein, die Obrigkeit möge seinem Sohn wenigstens den Aufenthalt in Sulzburg solange einräumen, bis die Laufzeit ihres gemeinsam mit der Herrschaft vereinbarten Kupferhandelsvertrags abgelaufen sein werde; das Ansinnen wurde abgelehnt, und Israel Levi scheint sich mit seiner Familie in den nächsten Jahren tatsächlich immer wieder im Ausland aufgehalten zu haben. Erst 1756 wurde ihm
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und redlich betrage und sich auch sonst untadelhaft aufführe. Dies werde das Oberamt Badenweiler in seinem Beibericht bestätigen (229/69841). Die letzte Aussage steht allerdings unter dem Vorbehalt, daß der Fall in einem anderen Archivbestand noch weiter dokumentiert ist, was durchaus möglich ist, wie der Fall des Wolf Isaac zeigt (vgl. Anm. 79, 80). Dies würde aber unsere Aussage in ihrer Tendenz nur bestätigen. Isaac Hänle bat zwischen 1762 und 1766 um die befristete Verlegung seines Schutzrechts in eine andere badische Gemeinde, um dort seinen Kindern eine bessere religiöse Erziehung zukommen zu lassen (229/69835). Zu den Voraussetzungen des Verlusts oder Entzugs des Schutzrechts durch die Obrigkeit vgl. unten. Der aus Polen stammende Schreiber Callmann Lissa hielt sich auf Betreiben des Breisacher Judenschultheißen Günzburger seit 1739 gegen eine jährliche Taxe von zwölf fl. in Sulzburg auf; für die Taxe wollte die Sulzburger Judengemeinde aber nicht aufkommen, weil sie weder um seinen Aufenthalt suppliziert habe, noch seinen Dienst benötigte. Lissas Aufenthaltsrecht wurde 1747 erneuert mit der ausdrücklichen Anmerkung, daß ihm damit keine Schutzaufnahme zugesagt wurde. Lissa heiratete in der Folge die Tochter des Sulzburger Schutzjuden Emanuel Levi und starb 1762 als Schulmeister und Storasschreiber in ärmlichen Verhältnissen in Sulzburg (229/103726).
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der Aufenthalt bei seinem 70jährigen Vater bis zu dessen Tod gegen Erlegung des gewöhnlichen Schutzgelds bewilligt. Danach gelang es Israel Levi 1762, doch noch in Würdigung der Tatsache, daß es ein hartes Schicksal für denselben sein [würde], wann er sich nunmehr ausser Landes zu begeben und anderwärts mit seiner starken Familie seine Unterkunft zu suchen genöthigt würde, die Schutzaufnahme nach Sulzburg zu erlangen.103 Der Sulzburger Schutzjude Lehmann Levi hatte mehrmals vergeblich für seinen Sohn David Levi um den Schutz angehalten, wurde aber 1755 mit dem Bescheid abgewiesen, sein Sohn dürfe gegen eine Anerkennungsgebühr von 20 fl. noch ein weiteres Jahr als Knecht bei ihm bleiben, sollte dann aber das Land verlassen.104 Abraham Rieser war zwar der einzige Sohn des sehr bedürftigen Sulzburger Schutzjuden Jacob Rieser, dennoch schlug der Fürst 1757 das Gesuch des Vaters um Schutzaufnahme seines Sohnes ab und bewilligte statt dessen den Aufenthalt des Sohns bei seinem Vater, der in seinem hohen Alter selber nicht mehr handeln konnte und von seinem Sohn ernährt werden mußte; ohne einige Hoffnung zum Schutze war der junge Rieser auch so zur Bezahlung des gewöhnlichen Schutzgelds verpflichtet.105 Die Beispiele für befristete Aufenthaltsbewilligungen zeigen zum einen, daß diese Lösung für die Betroffenen nicht die erste Wahl darstellte, doch zogen sie sie nach der Abweisung eines Schutzgesuchs immer noch der sofortigen Fortschaffung vor. Daß die Obrigkeit den Schutz versagte, hatte wesentlich mit den schlechten Vermögensverhältnissen der jeweiligen Judenfamilien zu tun, doch geboten die Familienverhältnisse und die Sorgepflicht der jüngeren Generation für ihre Eltern eine Lösung, welche es den Kindern zwar ermöglichte, ihre alten, nicht mehr erwerbsfähigen Eltern bis zu deren Tod zu unterstützen, die aber auch das Interesse der Obrigkeit befriedigte, die Vermehrung armer Schutzjudenfamilien zu 103
229/103731; 137/168. - Weitere Beispiele für den befristeten Aufenthalt: Bis zum Tod seines schon über 70jährigen Vaters wurde Moses Bloch 1752 der weitere Aufenthalt bei diesem erlaubt; Moses Bloch war bereits im Besitz einer solchen Genehmigung gewesen, hatte diese aber verwirkt, weil er gegen sie verstoßen und eigene Geschäfte betrieben hatte (229/103732). - 1756 wurde Aaron Levi aus Ihringen, der seinen über 60jährigen alten Vater unterhielt und für diesen das Schutzgeld entrichtete, bis zum Tod seines Vaters in den Schutz aufgenommen; Aaron Levi hatte bereits vier oder fünf Mal vergeblich um den Schutz suppliziert; seit 6/2 Jahren war Levi im Handel aktiv. Nach dem Tod des Vaters sollte er aber sogleich fortgeschafft werden (137/168). 104 229/103721. - Im August 1756 erging tatsächlich ein Hofratsbefehl zur Ausschaffung David Levis (137/168). 105 229/103727. - Vater Rieser starb 1772 über 80jährig, nachdem er in den letzten Lebensjahren wegen der Armut seines Sohnes Abraham seinen Unterhalt [...] einig und allein vom Bettlen bey denen Elsäßer und andern auswärtigen Juden suchen mußte. Auch die Familie seines Sohnes wurde größtenteils durch die Sulzburger Judengemeinde unterhalten. Sohn Abraham supplizierte 1772, 1773, 1774 und 1775 um die Reduktion seines Schutzgelds, den Erlaß von Todfallabgaben und schließlich um die völlige Befreiung von seinem Schutzgeld, was jedesmal genehmigt wurde. Es ist aber nicht ersichtlich, ob er selber noch Schutzjude geworden ist.
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verhindern. Inwieweit die Obrigkeit zum gegebenen Zeitpunkt allerdings ihren ursprünglichen Ausschaffungsbefehl noch durchsetzen konnte und wollte, bliebe genauer zu untersuchen. Die oben referierten Beispiele zeigten jedenfalls, daß die betroffenen Personen mit großer Wahrscheinlichkeit nochmals den Weg des Supplizierens beschritten, um endlich doch noch den Schutz des mittlerweile verstorbenen Vaters gleichsam zu 'erben' oder zumindest eine Verlängerung des Aufenthalts zu erwirken. An der formellen Regelung solcher Aufenthaltsverhältnisse lag der Obrigkeit nicht zuletzt auch deshalb, weil sie von solchen Juden wie von Schutzjuden ein Schutzgeld erheben konnte. Die Bittsteller konnten in aller Regel mit einer verhältnismäßig raschen Resolution der zuständigen Instanz rechnen. Die meisten der untersuchten Bittgesuche wurden speditiv behandelt und waren spätestens zwei Monate nach ihrer Einreichung entschieden.106 Daß ein Verfahren ein Vierteljahr, gar ein halbes Jahr oder länger in Anspruch nahm, kam selten vor. Das Gesuch des Isaac Zivi, des ledigen und einzigen Sohns eines Müllheimer Schutzjuden, gehört zu den rasch erledigten Fällen: Zivi ließ seine Supplikation am 15. Juli 1762 in Müllheim aufsetzen, das Oberamt Badenweiler in Müllheim erteilte seinen Bericht am gleichen Tag; am 24. Juli behandelte der Hofrat in Karlsruhe das Gesuch und beschloß, dem Fürsten in befürwortendem Sinn Antrag zu erstatten; am 29. Juli bewilligte der Markgraf das Gesuch, teilte dies dem Hofrat mit, der am 4. August die Entscheidung an die Rentkammer weiterleitete, welche für die Ausfertigung des Schutzbriefs zuständig war; dieser wurde am 20. August dem Oberamt Badenweiler übersandt, das dem Isaac Zivi die Urkunde wohl spätestens Ende August überreichen konnte.107 Bis der erfolgreich supplizierende künftige Schutzjude seinen Schutzbrief tatsächlich in Händen hielt, waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ansehnliche Gebühren zu begleichen und eine Reihe von Bedingungen zu akzeptieren. Seit 1738/39 konnte bei Neuaufnahmen der Vorbehalt den Schutzbriefen beigefügt werden, daß die Kinder des Aufgenommenen keine Aussicht hatten, selber in den Schutz zu kommen.108 Dieser Vorbehalt ermöglichte somit die Schutzannahme in einem Fall, der strikt nach dem Buchstaben des Gesetzes abgewiesen oder als 106
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Die Aussage basiert auf der Auswertung jener Gesuche, für die sowohl das Datum der Einreichung als auch jenes der Resolution des Hofrats oder des Markgrafen präzis bestimmt werden konnten. Gezählt wurden nur die Tage bis zur Resolution, nicht jedoch bis zur tatsächlichen Publikation des Bescheids an den Supplikanten. Im Fall einer affirmativen Resolution konnten bis zur tatsächlichen Aushändigung des Schutzbriefs noch mehrere Wochen oder Monate verstreichen, weil die Aushändigung erst nach Begleichung aller anfallenden Taxen und Abgaben erfolgte; dies nahm jedoch je nach Dringlichkeit und Zahlungsfähigkeit der Gesuchsteller unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. 229/69833,69834. J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 51. - Zehnters Aussage, wonach "seit den 1750iger Jahren [...] von den Aufzunehmenden häufig [...] ein Revers verlangt [worden sei], dass sie für keines ihrer künftigen Kinder um Schutzaufnahme ins Land nachsuchen wollten", fand in dem hier untersuchten Material keine Bestätigung [Hervorhebung A.H.].
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Ausnahme behandelt werden sollte - dies aber auf Kosten der nächsten Generation. So erwirkte der Lörracher Jude Jacob Braunschweig nach mehreren Supplikationen seines Bruders Lazarus, der selber schon Schutzjude war, 1749 doch noch die Schutzaufnahme nach Kirchen, jedoch so, daß dieser Schutz ihm allein auf seine Person erteilt und daß ihm wegen seiner jetzt habenden oder noch bekommenden Kinder im Schutzbrief nichts versprochen werde.109 1765 wurde dem Low Weyl, dem ältesten Sohn des Sulzburger Schutzjuden Abraham Weyl, die Schutzerteilung zugesagt, sofern sich sein Vater dazu verpflichtete, sich mit keiner weiteren Bitte für die Schutzaufnahme eines weiteren Kindes zu melden.110 Ein anderer Vorbehalt konnte im Fall der Wiederverheiratung von Witwen formuliert werden, wo ein Sohn aus erster Ehe Vorrang vor den Kindern aus zweiter Ehe genießen sollte.1" Seit Mitte des 18. Jahrhunderts stellte die Pflicht zur Abnahme eines bestimmten Quantums Wollware aus der Pforzheimer Wollenfabrik die drückendste Belastung für den neuen Schutzjuden dar. Diese merkantilistische Maßnahme sollte den Absatz der Wollenfabrique, einer staatlich privilegierten Manufaktur, fördern, die aus dem Pforzheimer Zucht- und Waisenhaus hervorgegangen und 1753 an ein Konsortium von Pforzheimer Handelsleuten verkauft worden war. Früher hatten sich einzelne Juden schon freiwillig angeboten, im Fall der Schutzerteilung ein gewisses Quantum an Ware zu übernehmen. Als sich das Konsortium 1768 bei der Regierung beschwerte, die Juden würden die Wollware selber im Inland verhausieren oder an inländische Kaufleute absetzen und damit den Absatz der Fabrik im Land schmälern, wurde den Juden zusätzlich zum Kaufzwang auferlegt, den Verkauf der Ware im Ausland bescheinigen zu müssen.112 Die Pforzheimer Wollwarenfabrik verzichtete 1799 auf den Kaufzwang für Juden, welche statt dessen darauf verpflichtet wurden, eine Geldabgabe im Wert zwischen 1 und 3% des Vermögens an das Institut zur Erziehung armer Judenkinder zu überweisen." 3
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229/52868. Vgl. auch die entsprechende Regelung in der Hofratsinstruktion (Anm. 50) § 98. 229/103738. - Die gleiche Bedingung auch bei der Schutzannahme des Meyer Levi, des ältesten Sohns eines Sulzburger Schutzjuden; wegen der starken Anzahl der Juden wurde dem Meyer Levi auch zur Auflage gemacht, daß seine Familie eines der beiden vom Vater hinterlassenen Häuser ihm zum Eigentum überlassen sollte (229/103739). 229/52870 (1756). J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 570f.; zur Praxis des Zwangskaufs bei der Neuaufnahme von Juden vgl. M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 148. - Im untersuchten Sample ist dieser Kaufzwang erstmals 1757 belegt (137/168). Dicht sind die Belege für die 1780er Jahre. Damals wurde den Supplikanten nach der grundsätzlich affirmativen Resolution der Schutzbrief erst gegen den Nachweis des Erwerbs der Ware und ihres Verkaufs außer Landes erteilt. Spätestens seit den 1770er Jahren mußten die Juden Wollwaren und Tücher im Wert von 200 fl. kaufen. Die Textilien wurden in der Regel bei jüdischen Händlern aus den benachbarten Territorien (Vorderösterreich, Elsaß) abgesetzt. Wesentlicher Inhalt II (Anm. 50) S. 264; A. Lewin (Anm. 2). S. 36-38, mit falscher Datierung der Verordnung auf den 20. Oktober statt 20. Dezember 1799.
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1749, bei der A u f n a h m e des Judas Kahn aus Neubreisach nach Ihringen, wurde erstmals auch eine A b g a b e für das Pforzheimer Waisenhaus in der H ö h e v o n 50 Reichstalern verlangt. A u f den Antrag der Rentkammer sollte jeder in den Schutz A u f z u n e h m e n d e seit 1750 zur besseren
Sublevation
des Waisenhauses
einen ein-
maligen Beitrag an diese Institution abfuhren." 4 A u c h das Karlsruher Gymnasium kam in den Genuß einer Taxe v o n Seiten der neu a n g e n o m m e n e n Schutzjuden; diese schwankte z w i s c h e n einem fl. und 25 fl., w o b e i ein Ansatz v o n 5 fl. üblich g e w e s e n zu sein scheint. Es kamen n o c h die Kanzleitaxen in der g e w ö h n l i c h e n H ö h e v o n 7 fl. 3 0 Kr. s o w i e Gebühren für das Stempelpapier hinzu, s o daß ein neuer Schutzjude g e w ö h n l i c h einmalige A u s l a g e n v o n etwa 2 3 0 fl. zu veranschlag e n hatte, seine Unkosten für Schreiberdienste s o w i e allfällige R e i s e n und Übernachtungen in Karlsruhe und Pforzheim nicht mitgerechnet." 5 Reinhard Rürup hat auf die seit Mitte der 1770er Jahre faßbaren Versuche zur Errichtung
von
"teutschen Schreib-, Lese- und Rechen-Schulen" für die badischen Juden hingewiesen, bei denen der Emmendinger Oberamtmann Johann Georg Schlosser eine Rolle spielte." 6 D i e s e Ansätze zu einer schulischen und kulturellen Anpassung der Juden nahmen w i c h t i g e Elemente der schon bald f o l g e n d e n Emanzipationsdebatte und der nach der Jahrhundertwende einsetzenden G e s e t z g e b u n g v o r w e g . D i e Juden wurden in ein Erziehungsprojekt g e z w ä n g t und "die Gewährung weiterer
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J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 569f. - Als Richtwert für die Waisenhausgebühr galt offenbar die Hälfte des angesetzten Schutzgelds. In den untersuchten Fällen begegnen aber sehr unterschiedliche Ansätze: Die Gebühren schwankten zwischen 15 fl. und 75 fl., wobei 23 fl. 45 kr. am häufigsten vorkam. Die hohen Beträge von 50 fl. (229/52871) oder 75 fl. (229/103737) gingen auf freiwillige Angebote der Supplikanten zurück und hatten eindeutig zum Zweck, die Entscheidung zu begünstigen. - Bei Bernhard Stier: Fürsorge und Disziplinierung im Zeitalter des Absolutismus. Das Pforzheimer Zucht- und Waisenhaus und die badische Sozialpolitik im 18. Jahrhundert. Sigmaringen 1988, finden sich keine Angaben zur finanziellen Bedeutung dieser Gebühr. Die Berechnung basiert auf den Angaben des neu angenommenen Sulzburger Schutzjuden Kusel Moses aus dem Jahr 1760. Dieser bezifferte seine Ausgaben auf 145 fl. für Tücher der Pforzheimer Wollfabrik, wobei später Tücher im Wert von 200 fl. zu kaufen waren, 23 fl. 45 kr. Waisenhaustaxe, 5 fl. Gymnasiumstaxe sowie 9 fl. 15 kr. Kanzlei- und Stempelpapiertaxe. Anlaß der Aufstellung war Kusel Moses' Gesuch um Reduktion seines Schutzgelds, welches die Rentkammer jedoch mit der lakonischen Bemerkung abwies, die Gebühren seien dem Supplikanten bekannt gewesen und pur allein von seinem freyen Willen damahlen dependiret hat, solchen sich zu fügen oder nicht! (229/103735). - Nach Angaben Zehnters waren die Gebühren und Abgaben bei der Schutzannahme unter Markgraf Karl Friedrich "sehr erheblich" erhöht worden (J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 569). R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 245f. - Diese vereinzelten Versuche in Karlsruhe und im Oberamt Hochberg hielt Rürup für "bemerkenswert eigentlich nur deshalb, weil sich in ihnen schon vor Beginn der allgemeinen Emanzipationsdiskussion zeigt, wie weit der Boden vorbereitet war für weiter ausgreifende Pläne." Zu Schlossers Bemühungen um den deutschsprachigen Unterricht von Judenkindern im Oberamt Hochberg seit 1775 und seinen Berichten von 1781 und 1783 zum Erfolg des jüdischen Schulunterrichts vgl. A. Lewin (Anm. 2) S. 14f.; B. Rosenthal (Anm. 22) S. 228f.
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Rechte von den erwünschten Fortschritten abhängig" gemacht." 7 Für die badische Judenpolitik erschien es naheliegend, die Schutzaufnahme in den Dienst dieser längerfristig ausgerichteten Akkulturationsbestrebungen zu stellen, war damit doch der geeignete Anlaß gegeben, diesen Prozeß im Hinblick auf die kommenden Generationen zu steuern. Bei der Behandlung von Gesuchen um Schultzgeldminderung und Schutzerteilung im Jahre 1785 finden sich die ersten Belege für die Verpflichtung der Supplikanten, ihre Kinder deutsch lesen, schreiben und rechnen erlernen zu lassen."8 In einzelnen Fällen boten Supplikanten von sich aus diese erzieherischen Maßnahmen an, um eine günstige Entscheidung zu motivieren." 9 Die Ausstellung einer solchen verpflichtenden Erklärung blieb offenbar Voraussetzung für die Schutzerteilung, jedenfalls zählte sie auch in der Hofratsinstruktion von 1794 zu den Punkten, auf die der Hofrat bei der Entscheidung über Schutzannahmegesuche besonders zu achten hatte.120 Es fligt sich gut in die beginnende Emanzipationsdiskussion der 1780er Jahre ein, wenn die erwähnten schulischen Maßnahmen auch durch pädagogische Bestrebungen im Bereich der handwerklichen Ausbildung ergänzt wurden. Die erwähnten Reverse forderten in der Regel von den neuen Schutzjuden auch eine bindende Erklärung ihrer Bereitschaft, ihre Kinder das Spinnen und Schlumpen von Wolle, Nähen und Stricken, bisweilen auch das Baumwollspinnen erlernen zu lassen.12' Im Hintergund standen hier grundsätzliche Erwägungen des Hofrats, der im Oktober 1784 bei den Oberämtern eine Umfrage darüber durchgeführt hatte, ob es nicht möglich wäre, mehrere Judenkinder ohne Nachteil in den Schutz aufnehmen zu können, indem die Schutzjudenkinder handwerkliche Fertigkeiten in der Woll- und Baumwollverarbeitung erwarben.122 Solche Überlegungen gründeten in der Befürchtung, das Land würde in 20 Jahren
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R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2). S. 255f., 265. Zum dominanten Emanzipationskonzept, das die Assimilation und Erziehung "auf der Basis einer sozialpädagogischen Umwelttheorie" favorisierte, vgl. Harm-Hinrich Brandt: Vom aufgeklärten Absolutismus bis zur Reichsgründung: der mühsame Weg der Emanzipation. In: Geschichte und Kultur des Judentums. Hg. von Karlheinz Müller, Klaus Wittstadt. Würzburg 1988. S. 175-200, bes. S. 183-200. - Das 'Constitutionsedict der Juden' vom 13. Januar 1809 führte u.a. den Schulzwang ein und machte den Besuch der Ortsschulen zur Pflicht, "so lange noch keine eigenen jüdischen Elementarschulen und Lehrer vorhanden waren" (R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 255f.). 229/69843,74764. 229/69844(1787). Hofratsinstruktion (Anm. 50) § 98. Auch hier die ersten Belege aus dem Jahr 1785 (229/69843, 74764). In den späteren 1780er Jahren dann öfters. - Die Juden sollten damit in die gleichzeitigen staatlichen Bemühungen zur allgemeinen Förderung der "Industriosität" einbezogen werden (s. dazu Clemens Zimmermann: Reformen in der bäuerlichen Gesellschaft. Studien zum aufgeklärten Absolutismus in der Markgrafschaft Baden 1750-1790. Ostfildern 1983. S. 92-129). A. Lewin (Anm. 2) S. 26.
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nur noch von Betteljuden bewohnt sein.123 Der Schutzbrief gewährte einem Juden und seiner Familie die Niederlassung an einem ihm zugewiesenen Ort und die Ausübung des jüdischen Kultus, und er erlaubte ihm die Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten. Die Gegenleistung dafür bestand in dem jährlichen Schutzgeld, welches quartalsweise im voraus entrichtet und von den Judengemeinden erhoben und verrechnet werden mußte.124 In den Judenordnungen waren die Schutzgeldansätze normiert; demnach betrug unter Markgraf Karl Wilhelm (1709-1738) das Schutzgeld der Schutzjuden in den Städten (außer Karlsruhe) 40 fl., auf dem Land 25 fl.125 "Witwen zahlten, wenn sie das Geschäft ihres verstorbenen Mannes fortbetrieben, das gleiche Schutzgeld wie bisher, andernfalls nur die Hälfte."126 Von 1729 bis 1733 ergingen mehrere Verordnungen zur Einschränkung der jüdischen Bevölkerung: Schutzjuden, die das Schutzgeld nicht rechtzeitig entrichteten, wurde die Kündigung des Schutzes angedroht, und das Schutzgeld wurde auf 40 fl. für die Landorte bzw. 75 fl. für die Städte erhöht, die Erhöhung auf Bitten des Judenvorstehers David Günzburger dann aber auf neu aufgenommene auswärtige Juden beschränkt und die Kinder inländischer Juden davon ausgenommen.127 1747, nach dem Regierungsantritt Karl Friedrichs,128 baten die Judenschultheißen Mayer und Günzburger erneut um die Revision der Verordnungen von 1729, 1733 und 1739: Das niederere Schutzgeld von 40 fl. bzw. 25. fl. sollte nicht nur den Söhnen inländischer Juden, sondern auch fremden Juden, die die Tochter eines inländischen Juden heirateten, ange123
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Kirchenrat Tittel faßte die Antworten aus den Oberämtern zusammen, vgl. dazu: A. Lewin (Anm. 2) S. 27; R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 248 Anm. 33). Moses Weil, der vermögendste Jude in Sulzburg und seit 1736 Schwiegervater des nachmaligen Rabbiners Isaac Kahn, war seit 1728 "Judenschutzgeldeinnehmer" für die oberländische Judenschaft (L.D. Kahn (Anm. 26) S. 22, 24). - Für Hessen-Darmstad vgl. Daniel J. Cohen: Die Landjudenschaft in Hessen-Darmstadt bis zur Emanzipation als Organe der jüdischen Selbstverwaltung. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983. S. 151-214, hier S. 153. - Für die Pfalz, das Hochstift Mainz: F. Hundsnurscher, G. Taddey (Anm. 31) S. 3f. J.A. Zehnter: Geschichte 1897 (Anm. 25) S. 666. J.A. Zehnter: Geschichte 1897 (Anm. 25) S. 666. J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 36f., 42. Schon Karl Wilhelm (1709-1736) hatte bei Antritt der Regierung die Juden angewiesen, ihre Schutzbriefe einzusenden und sie erneuem zu lassen (J.A. Zehnter: Geschichte 1897 (Anm. 25) S. 636 (Dekret vom 27.8.1709)) - eine Maßnahme, die eine auffällige Parallele zur Erneuerung des Huldigungseides bei den gewöhnlichen Untertanen darstellt. Die Maßnahme unterblieb beim nächsten Herrscherwechsel 1738 zunächst, wurde dann aber 1746/47 bei Erreichen der Volljährigkeit Markgraf Karl Friedrichs nachgeholt; bei dieser Gelegenheit wurde ein neues Formular für die Schutzbriefe entworfen (JA. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 45f. bzw. 63-65). Regierungswechsel waren für den Status der Juden prekäre Ereignisse mit hohem Gefährdungspotential: Sowohl von Seiten des neuen Landesherrn als auch von Seiten der Stände und Städte wurde diese Situation wiederholt zum Anlaß genommen, die Judenpolitik des verstorbenen Landesherrn zu revidieren bzw. in Frage zu stellen (vgl. R. Ries (Anm. 5) S. 242-244; Friedrich Battenberg: Jews in Ecclesiastical Territories of the Holy Roman Empire. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5) S. 247-274, hier S. 263).
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setzt werden; doch drangen sie mit diesem Anliegen beim Geheimrat nicht durch.129 Supplikationen um die Schutzaufhahme und um die Reduktion des Schutzgelds für einzelne Schutzjuden zeigen nun, daß die tatsächlich erhobenen Beiträge zum einen lokalen Traditionen folgten, zum anderen, daß auch hier die Norm in vielen Einzelfallen Ausnahmen zuließ. In den meisten Landorten des Oberlands wurden in der ersten Hälfte des Jahrhunderts 25 fl. erhoben,130 in Kirchen hingegen galt damals schon ein Ansatz von 30 fl. wie auch für die Schutzjuden des Städtchens Sulzburg.131 Um das Jahr 1760 begann die Obrigkeit damit, in mehreren Orten den neuen Schutzjuden markant höhere Schutzgelder anzusetzen: Das neue Schutzgeld von 40 fl. ist seit 1759 für Sulzburg, seit 1760 für Niederemmendingen, seit 1762 für Müllheim, seit 1764 für Ihringen und seit 1766 für Eichstetten belegt.132 In diesen Gemeinden bestanden spätestens von da an alte und neue Ansätze nebeneinander, was mehrere betroffene Juden dazu bewegte, 1768 um die Gleichbehandlung mit jenen Schutzjuden zu bitten,133 die bei ihrem alten Schutzgeld belassen wurden.134 Die Obrigkeit blieb zwar in dieser Frage hart, doch zeigt die Vielzahl der Gesuche um Ermäßigung des bzw. Befreiung vom Schutzgeld, welche die Rentkammer bewilligte, daß besonders Alte und Kranke, die ihren Handelsgeschäften nicht mehr nachgehen konnten, und Schutzjuden aus sehr ärmlichen Verhältnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Vergünstigungen rechnen konnten.135 Der Entzug bzw. Verlust des Schutzes bildeten den Bestimmungen in den Judenordnungen und individuellen Schutzbriefen zufolge eine gängige Sanktionsdrohung. 136 So sollte der Schutzbrief alsobald erloschen sein, wenn der
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J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 52. 229/69831 (Opfingen); 229/69831, 103721 (Müllheim); 229/103728 (Broggingen, Ballrechten). 229/52867, 52869 (Kirchen), 229/103721 (Sulzburg). 229/103736 (Sulzburg); 229/74764 (Niederemmendingen); 229/69834 (Müllheim); 229/103737 (Ihringen); 229/23490 (Eichstetten). 229/103730. Die Rentkammer wies das Gesuch mit der Bemerkung ab, daß es jedem Schutzjuden, dem es nicht mehr anständig sei, unter seinem Schutzgeld in Sulzburg zu bleiben, freistehe, sich anderswohin zu begeben. - Identisch die Begründung der Ablehnung eines individuellen Gesuchs von Israel Levi 1763, dem die Verwaltung Sulzburg bedeuten sollte, wenn Er das Schutz-Geld nicht zahlen könne, daß Er sich anderwerts um Schuz umzusehenhabe (229/103731). Für Müllheimer Schutzjuden ist der alte Schutzgeldansatz von 25 fl. noch für die Jahre 1782 und 1806 belegt (229/69839, 69849), für Sulzburg der alte Ansatz von 30 fl. noch für die Jahre 1772, 1774 und 1775 (229/103727, 103741). 229/69831, 229/74764, 229/103721, 229/103722, 229/103723, 229/103724, 229/103725, 229/103727, 229/103728, 229/103731, 229/103732, 229/103735, 229/103740, 229/103742. In Sulzburg finden sich um das Jahr 1787 Schutzgeldansätze von 5 fl. (1 Fall), 7/2 fl. (2 Fälle), 10 fl. (3 Fälle), 30 fl. (11 Fälle) und 40 fl. (2 Fälle), wobei die drei Witwen TA fl., 10 fl. bzw. 30 fl. entrichteten (L.D. Kahn (Anm. 26) S. 34). - Eine vergleichbare Praxis des Schutzgeldnachlasses zeigt R. Sabelleck (Anm. 5) S. 90-98. J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 598f. (Judenordnung 1745).
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Schutzjude mit seinem Schutzgeld in Verzug geriet;137 doch wurde auch diese Norm in der Praxis flexibler gehandhabt, wie das Entgegenkommen bei Gesuchen um den Nachlaß von rückständigen Schutzgeldern zeigt.138 Auf ihre jähre-, bisweilen jahrzehntelange korrekte Entrichtung des Schutzgelds beriefen sich jüdische Bittsteller gerne, wenn sie einen Schutzgeldnachlaß oder die Schutzaufnahme eines nahen Angehörigen erbaten.139 Schutzverlust drohte den Juden auch für den Fall des Bankrotts und nach der Begehung von Straftaten.140 Faktisch erwies sich die Obrigkeit auch hier immer wieder nachsichtig und ging keineswegs in jedem Fall bis zum Äußersten.141 1752 konnte der Sulzburger Schutzjude Marx Bloch die Ausschaffung seines Sohnes verhindern, der gegen die Bewilligung des Aufenthalts bei seinem Vater verstoßen und auf eigene Rechnung Handel getrieben hatte; der Sohn Moses Bloch mußte für die vier Jahre seit seiner Heirat 1748, in denen er sich verdächtig gemacht hatte, eigenen Handel getrieben zu haben, 160 fl. Schutzgeld nachzahlen.142 1760 sollte Salomon Geißmar, dem alten Vater der Witwe des Müllheimer Schutzjuden Elias Bloch, der Schutzbrief abgenommen und dieser des 137
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So schon die Formulierung im Schutzbrief für Simon Isaac nach Pforzheim 1675 (J.A. Zehnter: Geschichte 1897 (Anm. 25) S. 436), im Schutzbriefformular von 1731 (J.A. Zehnter: Geschichte 1897 (Anm. 25) S. 674) oder später in Art. 19 des Schutzbriefs des Hirz Bloch aus Kirchen von 1747 (229/52867; Druck bei J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 63-65). 229/103727 (1772); 229/74764 (1781); 229/69851 (1805). So z.B. 229/103730 (1747); 229/52870 (1756); 229/103736 (1760); 229/103728 (1765); 229/103725 (1766); 229/103736 (1767); 229/103723 (1768); 229/103736 (1772); 229/103742 (1776); 229/69844 (1787) u.a.m. J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 603f. (Karlsruher Judenordnung 1752, Art. 19, 23). - Weil das Oberamt befürchtete, daß das Publicum durch diese viele Leute angeführet werden möchte, gestattete 1777 der Hofrat der Müllheimer Schutzjudenwitwe Bloch zwar, ihren Viehhandel auch weiterhin mit ihren drei Söhnen zu betreiben, doch sollte sie wieder das volle Schutzgeld bezahlen, von dem ihr Mann schon 1763 und nach dessen Tod auch sie selber befreit gewesen waren. Die Bewilligung enthielt aber die Klausel, daß die Mutter ipso jure den Schutz verloren haben sollte, wenn sie sich durch unvorsichtige Händel oder Betrügereien einen Gant zuschulden kommen ließ (229/103722). Im untersuchten Quellenkorpus findet sich ein einziger Beleg für die tatsächliche Ausschaffung eines Schutzjuden: 1733 wurde Hajum Meier aus nicht näher angegebenen Gründen aus Schutz und Land verwiesen; er hinterließ mindestens zwei Söhne, um deren Erziehung sich Isaac Zivi d.Ä. aus Müllheim, der Bruder der Mutter, kümmerte und für die er 1761 und 1774 die Schutzaufnahme erwirken konnte (229/69838). - Dieser Befund ist angesichts des zugrundeliegenden Quellenmaterials sicher nicht verallgemeinerbar und vorerst hypothetisch. - Für Kurmainz stellt Post für das 18. Jahrhundert keine willkürliche Kündigung oder Nichtemeuerung des Schutzbriefs durch den Landesherrn ohne Vorliegen von Gesetzesübertretungen oder großer Zahlungsrückstände fest (Bernhard Post: Judentoleranz und Judenemanzipation in Kurmainz 1774-1813. Wiesbaden 1985. S. 116). 229/103732. - Moses Bloch war dabei - möglicherweise im Sinne einer Strafe - ein Schutzgeld von 40 fl./Jahr statt der in Sulzburg damals noch üblichen 30 fl. angesetzt worden. Erfolglos supplizierte er in der Folge um die Ansetzung des gewöhnlichen Tarifs und 1756 um die Befreiung von 53 fl., die er noch schuldete; der Fürst setzte ihm ein Vierteljahr Frist, um den ausstehenden Betrag zu bezahlen, und drohte sonst mit dem Landesverweis.
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Landes verwiesen werden, nachdem er gegenüber seinen Gläubigern zahlungsunfähig geworden war. Seine Tochter supplizierte unter Hinweis auf ihre große Familie und ihre armseligen Verhältnisse erfolgreich zugunsten ihres Vaters, der statt der Ausschaffung ein lebenslanges Wohnrecht bei seiner Tochter und dazu die Befreiung vom Schutzgeld zugesprochen bekam, da er für viele Jahre das Schutzgeld entrichtet und altershalber nicht mehr lange zu leben haben wird, weil auch nicht zu vermuthen ist, daß er mit einiger Handlung wegen seiner Bettelarmut sich außer Landes werde fortbringen können, sondern den Bettelstab wird ergreifen müssen.143 1761 hatte der kinderlose Isaac Zivi für seinen Neffen die Schutzaufnahme erwirkt unter der Bedingung, daß das Schutzrecht erst nach seinem Ableben [...] würcksam werden solle; der Neffe hatte danach trotzdem besondere Handlung getrieben und die Hochfurstliche Bewilligung mißbrauchet, hatte aber damit ungeachtet dieses Vergehens sein Schutzrecht nicht eingebüßt.144 Als sich 1762 mehrere Dörfer und die Judengemeinden aus den Oberämtern Badenweiler und Rötteln vehement gegen die Aufnahme des bereits in Opfingen (Oberamt Badenweiler) niedergelassenen verschuldeten Schutzjuden Isaac Hänle wehrten, wurden sie darin vom Badenweiler Oberamtmann Wielandt unterstützt, da Hänlen durch den Zerfall seines Haußwesens sich der Ordnung nach des Schuzes verlustigt gemacht habe;145 tatsächlich blieb Hänle bis zu seinem Tod in Opfingen wohnhaft, ohne des Landes verwiesen worden zu sein. Wollten die Behörden dem Gesetz rigoros Nachachtung verschaffen, so erwies sich mitunter ihre ganze Hilflosigkeit, so etwa im Fall des Niederemmendinger Schutzjuden Simon Weil. 1775 informierte Oberamtmann Johann Georg Schlosser den Hofrat über seine Bemühungen zur Konsolidierung der Schuldensituation Weils. Weil hatte sich 1772 verpflichtet, seine Gläubiger innerhalb von sechs Jahren mit Hilfe der Erbschaft seines Vaters zu bezahlen, und sich trotz seiner schwierigen finanziellen Lage wenig später bei einem Mann aus Furtwangen weiter verschuldet. Nun, 1775, war Weil trotz des väterlichen Erbes nicht in der Lage, sowohl seine Gläubiger als auch den Mann aus Furtwangen, der auf Zahlung drängte und sich nicht abweisen ließ, zu befriedigen. Schlosser sah sich vielmehr gezwungen, bei der Regierung eine Reduktion von Weils Schutzgeld zu beantragen, um diesen einigermaßen zahlungsfähig zu erhalten. Die JudenOrdnung nimmt in solchen Fällen den Juden den Schuz, aber was will der Elende an-
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229/69831. 229/69838. 229/69835; die Belege für seinen weiteren Aufenthalt im Land 229/69835, 229/52872 und 229/74767. - Moses Bloch aus Sulzburg war in Konkurs geraten, hatte aber 1768 nach der Befriedigung seiner Gläubiger um die Verlängerung seines Schutzrechts nachgesucht, was ihm auch bewilligt wurde, solange er seinen Handel unklagbar führte und seine Abgaben richtig prästierte (229/103732).
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fangen, wann man ihn auf solche Arth zum äusersten treibt? Ich [Schlosser, A.H.] habe ihn bisher mit vieler Strenge damit bedroht, allein die Zahlungs Mittel fehlen und Strenge würkt da nichts. Die Rentkammer bewilligte die Herabsetzung des Schutzgelds von 40 fl. auf 10 fl. im Jahr und ließ Weil zusätzlich 30 fl. rückständiges Schutzgeld nach. Nicht die Vertreibung aus dem Land, sondern ihr weiteres Entgegenkommen war nach ihrer Meinung das einzige Mittel, dem Simon Weil aufzuhelfen und damit seinen Gläubigern wieder zu ihrem Geld zu verhelfen, zumal Weil nie soviel [Geld] in die Hand bekommt, um ein groses Stück Vieh einzukaufen, folglich seinen Handel nur mit kleinem Vieh und geringer Waar treiben muß.146
2.2. Krisenbewältigung und Lebenslaufplanung. Zur sozialen Bedeutung der Schutzsuche für jüdische Haushalte Achtet man bei der Untersuchung der Supplikationen um Aufnahme in den landesherrlichen Schutz auf den unmittelbaren Anlaß des Gesuchs, so zeigt sich deutlich ein enger Zusammenhang mit bestimmten Phasen und Ereignissen in der Biographie des Supplikanten und seiner Familie. Die Bitten wurden von den Betroffenen im Hinblick auf die Klärung entscheidender Vorgänge in der individuellen und familialen Biographie eingereicht, die durchaus als Knotenpunkte oder Weichenstellungen im Lebenslauf des ganzen Haushaltes angesprochen werden können. Von der erfolgreichen Bewältigung dieser Situation durch das Erwirken der Schutzannahme hingen die Lebensgestaltungsmöglichkeiten nicht nur der neu angenommenen Person, sondern auch ihrer bereits vorhandenen oder noch zu gründenden Familie, ihrer Eltern und Geschwister ab. Spätestens nach 1738, als die Schutzerteilung prinzipiell auf ein einziges Kind eines Schutzjuden beschränkt blieb, erhielt die Planung dieses Vorgangs für eine jüdische Familie eine zusätzlich erhöhte Bedeutung, weil sich Fehlentscheidungen auf Seiten der Juden, wie noch zu zeigen sein wird, nachhaltig und kostenintensiv auswirken konnten. Drei Situationen im Lebenslauf der Familie und des Supplikanten treten als direkte Anlässe für die Einreichung der Gesuche deutlich in den Vordergrund. Sie sollen aus analytischen Gründen hier auseinandergehalten werden, in der Wirklichkeit konnten sie durchaus in Verbindung miteinander vorkommen: 1. Ein Schutzjudensohn hatte das gesetzliche Heiratsalter (25 Jahre) erreicht147 oder sich bereits verheiratet und plante nun auf der Grundlage des Schutzrechts
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229/74764. In 10 Fällen werden Altersangaben gemacht: Die Heiratswilligen oder frisch Verheirateten waren demnach 28 (229/103723; 1728), 25 (229/52868; 1748), 27 (229/103731; 1747); 27
Bitten um den Schutz und einer eigenständigen Nahrung
137 b z w . Wirtschaftstätigkeit - meist im Handel -
die Gründung des eigenen Haushalts. 148 "Der Eintritt in die Ehe war oft zugleich auch der Eintritt in das Erwerbsleben." 149 Im Hinblick auf die Heirat einer Schutzjudentochter suchten auch fremde Juden 150 oder W i t w e n für ihre künftigen S c h w i e gersöhne u m den Schutz im Land nach. 151 Vor ihrer Wiederverheiratung supplizierten auch Schutzjudenwitwen u m den Schutz für ihre Verlobten. 1 5 2 Immer wieder war mit der Heirat eines Kindes aus einer Schutzjudenfamilie die N o t w e n d i g keit verbunden, daß 2. das neue Paar den Unterhalt und die Versorgung alter, gebrechlicher oder kranker Eltern oder Elternteile und allenfalls noch weiterer Geschwister übernehm e n mußte. 153 Dafür war die Führung eines eigenen subsistenzfähigen Haushalts mit einer eigenständigen Nahrungsgrundlage erforderlich und dafür wiederum die A u f n a h m e in den Schutz. 3. Schließlich konnte die Schutzaufnahme für einen Sohn oder für sich selber auch nachgesucht werden, u m die eigene A u s k ö m m l i c h k e i t oder j e n e der Familie zu verbessern. 154
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(229/74764; 1760); 25 (229/69832; 1779); 24 (229/69839; 1781); 26 (229/69841; 1784); 33 (229/74769; 1786); 26 (229/74770; 1786) und 30 (229/69846; 1788) Jahre alt. Belege dafür in: 229/103723 (1728); 229/52868 (1748); 229/103731 (1749); 229/103732 (1752); 229/103727 (1757); 229/74764 (1760); 229/69833 (1762); 229/69831 (1763); 229/52867 (1765); 229/69837 (1767); 229/69836 (1767); 229/103739 (1774); 229/103741 (1775); 229/69832 (1779); 229/69839 (1781); 229/69839 (1782); 229/69841 (1784); 229/69840 (1784); 229/69842 (1784); 229/69843 (1785); 229/74769 (1786); 229/74770 (1786); 229/69844 (1787); 229/74771 (1787); 74/915 (1798); 74/915 (1798). M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 178. 229/52869(1753). 229/69846(1788). In den beiden einschlägigen Fällen motivierten die Witwen ihre erneute Heirat mit ihrem Unvermögen, einen eigenen Knecht anstellen und bezahlen zu können, der für sie den Geschäften nachgehen konnte (229/52870; 1756; 229/69831; 1759). - Vgl. auch den analogen Fall des Schutzjudensohns Mejer Levi im Beitrag von M. Schmölz-Häberlein in diesem Band sowie deren allgemeinere Beobachtung, wonach Wiederverheiratungen und Erbfälle häufig Anlaß zu Streit unter Juden gaben. Wiederverehelichungen eines Eltemteils "waren nicht selten, da jüdische Witwen oft heirateten, um die ökonomische Basis der Familie zu sichern, und die Heirat mit einer Witwe einem jüdischen Mann die Möglichkeit gab, den Schutz des 'Ehevorfahrens' auf sich zu ziehen" (ebd.). 229/103731 (1756); 229/103727 (1757); 137/168 (1757); 229/103736 (1759); 229/103737 (1765); 229/103723 (1767); 229/69837 (1767); 229/69836 (1767); 229/69841 (1784); 229/69844 (1787); 229/69845 (1788); 74/915 (1798); 74/915 (1798). - In sieben Fällen wird das Alter der unterstützungsbedürftigen Elternteile angegeben, und zwar mit 70 (229/103731; 1756); 67 (229/103727; 1757); 67 (229/103736; 1759); 67 (229/103723; 1767); 70 (229/69841; 1784); 64 (229/69844; 1787); 70 (74/915; 1798) Jahren. Israel Levi erhielt 1749 zwar nicht den Schutz, aber den befristeten Aufenthalt bei seinem Vater bewilligt, solange sie gemeinsam ihren Kupferhandelaccord mit der Herrschaft erfüllten (229/103731). David Levi wurde 1755 der Schutz zwar versagt, doch durfte er sich noch ein Jahr als Knecht bei seinem Vater aufhalten (229/103721). - Weitere Belege für diesen
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Die prinzipielle gesetzliche Beschränkung des Schutzrechts auf ein einziges Kind je Schutzjudenfamilie schuf für die Organisation und Planung des Lebenszyklus jüdischer Haushalte Rahmenbedingungen, wie sie aus der Geschichte bäuerlicher Familien und Haushalte aus Gebieten bekannt sind, wo die Hofstellen geschlossen an einen Erben weitergegeben wurden. Dem jüdischen 'Alleinerben' des Schutzrechts wuchsen Unterhalts- und Versorgungspflichten gegenüber seinen Eltern und seinen Geschwistern zu, soweit letztere sich nicht wiederum mit Schutzjudensöhnen, -töchtern oder -witwen verheiraten konnten oder in anderen Herrschaften und Territorien ihr Auskommen fanden. Die Obrigkeit nahm gewisse Versorgungs- und Unterbringungsstrategien jüdischer Familien mit Besorgnis zur Kenntnis und suchte die Entstehung nicht subsistenzfähiger Haushalte zu verhindern. Aussagekräftig ist in dieser Hinsicht die Judenordnung von 1745, die in Art. 12 das Problem wie folgt schilderte: Nachdem auch die Erfahrung lehret, daß, obschon die in Unserem Schutz stehenden Juden wohl wissen, daß sie ihre habenden Kinder nicht sammtlich wiederum in Unseren Schutz bringen können, sonder die Gnad nur etwa einem wiederfahret und selten auf mehrere extendiret wird, dieselbe dennoch meistenteils alle ihre Kinder bey sich behalten und wenig darauf bedacht sind, wie sie selbige anderwärts unterbringen möchten, welches dann besonders denen unvermögenden Eltern öffters zu noch mehrerer Last, andern Unseren Vormundschafftlichen Unterthanen [Untertanen der Vormundschaftsregierung, A.H.] aber zu vieler Beschwerde gereichet; Als befehlen Wir, daß ermeldte sich in Unserem Schutz befindliche Juden, vornehmlich aber die Unvermögende, ihre Kinder, sobald solches dero Alter und Kräfften zulasset, bey anderen unterzubringen, oder vor solche anderwärts den Schutz zu erwerben sich beßeissigen und angelegen seyn sollen,'55 Die Bittgesuche richten den Fokus allerdings nur auf bestimmte Familienkonstellationen und -Verhältnisse. Die Angehörigen der Supplikanten treten nur insofern in Erscheinung, als sie für die Begründung des Antrags von Belang waren. Der Status der Geschwister interessierte vor allem im Hinblick auf die Frage, ob sie allenfalls bereits in den Schutz aufgenommen waren und das neuerliche Gesuch aus derselben Familie damit zum Gegenstand eines Dispensationsverfahrens werden mußte. Da es sich bei einem bereits angenommenen Schutzjuden aus derselben Familie in der Regel um den älteren Bruder des Supplikanten handelte, tritt diese Geschwisterbeziehung in den Gesuchen noch am ehesten in Erscheinung, während man in den Fällen, wo ein erstes Kind einer Familie um den Schutz nachsuchte, auf die einzelnen Geschwister nicht weiter einging, sondern es bei dem
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Fall: 229/103735 (1760); 229/69838 (1772-74); 229/74766 (1775-77); 229/74767 (1776); 229/69839 (1782). J.A. Zehnter: Geschichte 1900 (Anm. 25) S. 599. - Die gleiche Bestimmung findet sich auch in der Judenordnung vom 23. Januar 1747 (Wesentlicher Inhalt I (Anm. 52) S. 296).
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verfahrensrelevanten Hinweis beließ, daß sich noch keines der Geschwister im Schutz befand. Als der aus der Nähe von Straßburg stammende Moses Samuel 1753 sich mit Chrischona, der Tochter des verstorbenen Kirchener Schutzjuden Seligmann Bloch, verlobte, hatten sich bereits zwei Geschwister der Verlobten außer Landes verheiratet, das dritte Kind Blochs aber war ein Simpel und sollte im Haushalt der Schwester Aufnahme finden.156 Zacharias Samuel Reutlinger, der mit seinen beiden Geschwistern in jungen Jahren Vollwaise geworden war, war als einziger seiner Familie im Land geblieben. Sein Bruder lebte in Königsbach unter Adelmannischem Schutz, die Schwester war in Malsch am Berg, so daß nach seiner Einschätzung seiner Schutzannahme nichts entgegenstehen sollte.157 Der Zeitpunkt der Heirat scheint von den neu in den Schutz Aufzunehmenden mit ihren Eltern oder verbliebenen Angehörigen im Rahmen des Möglichen und Vorhersehbaren so geplant worden zu sein, daß der Vater möglichst lange seine eigene Nahrung suchte und die eigenen Geschäfte besorgte und sich erst dann zurückzog, wenn Alter oder Krankheit ein volles Engagement beeinträchtigten und damit auch die Grundlage des Geschäfts und den eigenen Unterhalt gefährdeten. So trug Hirzel Bickert dem Markgrafen 1767 vor, das herannahende Alter seines Vaters, des Müllheimer Schutzjuden Moses Bickert, habe ihn bewogen, zu heiraten, um dadurch meines Vatters sowohl als meine eigene Haußhaltung zu befördern und vor dem besorg7[ichen] Abgang zu bewahren. Durch diese Heirat werde er sich und seinen Vater, welcher alters halben vor sich selbst seiner Nahrung nachzugehen nicht mehr vermögend, mit allem benöthigten unterstüzen.15' Bis das für die Schutzaufnahme ausersehene Kind, in der Regel der älteste Sohn, das Heiratsalter erreichte und/oder der Vater bzw. die verwitwete Mutter sich aus der Führung eines eigenen Haushalts und Geschäfts zurückzogen, suchte dieses sein Auskommen als Knecht im Dienst des Vaters, eines Verwandten oder anderer Juden. In den Supplikationen finden sich mehrere Hinweise auf die Bedeutung des Dienstes als Lebensphase bis zur Erreichung des geeigneten Moments für die Einreichung der Supplikation.159 Die Bittgesuche zeigen somit zumindest für jüdische Männer die Rolle des Gesindedienstes bei der Bewältigung der Lebensphase zwischen dem Ende der Kindheit und der allfälligen Gründung des eigenen Haushalts und machen damit auf eine Parallele zu den Herausforderungen aufmerksam, denen auch bäuerliche Haushalte sowohl für die Planung des intergenerationellen Übergangs als auch für die Versorgung nachgeborener Kinder
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229/52869. 229/74766(1775-77). 229/69836. Vgl. neben den hier unten zur Sprache kommenden Belegen auch 229/52873, 229/74771, 229/103721, 229/103727, 229/103731, 229/103732.
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ausgesetzt waren.160 Der Vater Isaac Zivis war bereits verstorben, als sein Sohn 1762 sein Schutzannahmegesuch einreichte, nachdem er viele Jahre als Knecht beim Bruder seines Vaters gedient hatte, so daß ohne Ruhms-Beymeßung mir nicht ein einiger Einwohner mit Grund der Wahrheit etwas widriges nachsagen kann. Nun sei er in einem solchen Alter und Umständen, wo ich wünsche, einen Siz zu haben, der zu Erwerbung eines Stücks Brods tauglich wäre. In dieser Absicht kan wohl nirgendhin größere Zuflucht nehmen, als nach Müllheim, da ich selbsten gebohren, von meinem Vatter als der einzige Sohn den Schuz gleichsam ererbt und mein auf 1000 fl. erspahrtes Vermögen in der dasigen Gegend stehet.16' Auch July Bloch aus Kirchen hatte sich, seitdem sein Vater 13 Jahre zuvor verstorben war, in Diensten zuerst bei seinem Onkel und dann bei seinem Stiefvater aufgehalten, bis er 1765 um den Schutz einkam und sich unter Hinweis auf den von seinem Vater ererbten Hof und eine günstige Heirat keck unter die wohlbemittelste Juden in Euer Hochfürstlichen Durchlaucht Landen zählte.162 1788 breitete Elias Bloch vor dem Oberamt Badenweiler in Müllheim seine Vermögensverhältnisse aus, nachdem das Gesuch seiner künftigen Schwiegermutter, ihn im Hinblick auf die Heirat mit ihrer Tochter in den Schutz aufzunehmen, schon wiederholt auch daran gescheitert war, daß die Müllheimer Ortsvorgesetzten um die Subsistenzfähigkeit des neu zu gründenden Haushalts fürchteten. Elias Bloch kam bei dieser Gelegenheit auf die Ersparnisse zu sprechen, die er bisher als Knecht angelegt hatte: Er hatte sechs Jahre beim Lörracher Judenvorsteher Esaias Reutlinger für einen Jahreslohn von acht Louis d'or gedient, wovon er dank seiner Sparsamkeit und wegen der Trinkgelder das meiste, wenn nicht gar alles, habe zurücklegen können; das Ersparte habe er zu Capital angelegt oder in einen Handel investiert, wenn er damit etwas verdienen zu können glaubte; während der letzten drei Jahre sei er bei seinem Bruder in Kirchen in Diensten gewesen, der ihm achteinhalb Louis d'or Fixlohn auszahlte und ihm als seinem Bruder bei guten Händeln zusätzlich noch so viel habe zukommen lassen, daß sein jährlicher Verdienst 11 Louis d'or überstiegen habe. Er [Elias Bloch, A.H.] habe auf alle mögliche Art damit gehaußet und immer wieder auf alle Art etwas damit zu gewinnen gesucht. Und wann er nicht seiner verstorbenen Mutter, die sehr arm gewesen und viele Zeit krank gelegen, auch hätte helfen undterstüzzen müßen, so würde er noch weiteres haben versparen können.
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André Holenstein: Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg. München 1996. Sachregister s.v. Gesinde; Werner Troßbach: Bauern 1648-1806. München 1993. Sachregister s.v. Gesinde. 229/69833. 229/52867.
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So, erklärte Bloch dem Oberamtmann, sei sein Vermögen von wohl 600 fl. zustande gekommen.163 Im Haushalt der Witwe des Müllheimer Schutzjuden Marx Bloch kamen gar drei Söhne unter. Die Witwe beschäftigte diese 1777 als Knechte in ihrem Geschäft; sie betrieben den Handel ihrer Mutter so stark, als es ihr Credit immer nur zuläßt, eifrig [...] und zwar fahren und hausiren sie mit demselben im ganzen Lande herum.16* Die Dienstzeit wurde, wie das Beispiel des Zacharias Samuel Reutlinger zeigt, auch dazu genutzt, im Hinblick auf die spätere Handelstätigkeit das nötige Beziehungsnetz aufzubauen: Reutlinger, ein Karlsruher Schutzjudensohn, hielt sich 1777 schon seit 14 oder 15 Jahren im Hochbergischen auf, wo er an allen Orten Bekanntschaften errichtet [habe], die mir zu meinem Fortkommen dienlich und ich gewiß versichert, daß bei der bequemen Gelegenheit alldorten reichlich mich zu nähren im Stande wäre, wenn zugleich durch die Trefung einer vortheilhafften Heurath mit einer Schuz Juden Tochter vom Lande ein meinem Vermögen zu wenigst gleich kommendes Heurath Guth erhalten würde und annebst mit dem Schwer Vatter in Handel eintretten könnte.165 Reutlingers Insistieren auf dem Wert seiner Beziehungen als einer grundlegenden Bedingung seiner auf Kredit basierenden Tätigkeit lassen auch etwas von der Gefährdung der Existenz jener Juden erahnen, denen der erhoffte Schutz am Wohnort bzw. im Bereich des eigenen Geschäftskreises versagt wurde und die sich in einem fremden Territorium eine neue Lebensgrundlage schaffen mußten. Der Dienst als Knecht bei einem nahen Verwandten konnte aber auch Zwangscharakter haben, wie die Aussage des Abraham Ducas aus Niederemmendingen zeigt, der sich 1756 bei einer Vernehmung vor dem Oberamt Hochberg darüber beschwerte, daß der Rabbiner ihm auferlegt habe, bei seinem Bruder, dem Niederemmendinger Schutzjuden Marx Ducas, zu bleiben und diesem zu helfen, ihre jüngeren, unmündigen Geschwister zu ernähren. Abraham Ducas war unverheiratet und verlangte auch nicht die Aufnahme in den Schutz, wann er änderst Erlaubnuß bekommen [könnte], von seinem Bruder zu gehen, weil er alles, was er aufbringe, ihme zu Erhaltung seiner Geschwistrig zukommen laßen müße.m Der intergenerationelle Übergang war besonders in Fällen, wo einiges Vermögen im Spiel war, ein delikater Vorgang, der besonderer Planung bedurfte. Die betroffenen Parteien scheuten hier auch keinen Aufwand, wenn es darum ging, den Schaden aus unbewährten früheren Lösungen dadurch wettzumachen, daß man für ein zweites Kind um den Schutz nachsuchte. Der vermögende Müllheimer Schutzjude Menke Bloch erwirkte 1785 ohne Schwierigkeiten die Schutzaufnahme seines ältesten Sohnes Jacob Bloch nach 163 164 165 166
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Müllheim. Anderthalb Jahre später gelangte Menke erneut an die Obrigkeit und bat nun um die Schutzerteilung an seinen zweiten Sohn mit der Begründung, sein ältester Sohn sei nach seinen schwachen Handelsschafft Gaben nicht in der Lage, ihn, seinen Vater, im Alter zu unterhalten; Menke hatte deswegen angeblich schon früher den Vorsatz gehabt, für seinen zweiten, im Handel begabteren Sohn um den Schutz zu bitten, doch habe dessen älterer Bruder davon erfahren und darauf sein Recht geltend zu machen gesucht, sofort den Schuz zu erhalten. Für die Gewährung einer Ausnahme stellte Menke Bloch eine außerordentliche Spende an das badische Waisenhaus in Pforzheim in Aussicht. Da die Gesuche Menkes und seines Sohnes Moses Bloch ein um das andere Mal abgewiesen wurden, waren diese gezwungen, bei jedem neuerlichen Gesuch neue Argumente zu ihren Gunsten vorzulegen: Der ältere Bruder Jacob wurde nunmehr als so simpelhaft dargestellt, daß der Vater keine Unterstützung von ihm erwarten könne; auch sei schon früher geplant gewesen, für den zweiten Sohn um den Schutz zu supplizieren, zumal Jacob als beinahe heiratsunfähig galt; dieser sei jedoch durch andere verhezt worden, habe sein Einverständnis zur ursprünglichen Lösung zurückgenommen und selber auf einer Heirat bestanden. Angesichts des Widerstands der Gemeinde Müllheim gegen die Zunahme der Judenhaushalte in ihrem Ort wiesen Hofrat und Fürst das Gesuch ein weiteres Mal ab. Der Durchbruch zu einer für ihn günstigen Entscheidung gelang Moses Bloch, nachdem er in einer ad manus clementissimas in Karlsruhe überreichten neuerlichen Supplikation den Ehrverlust und den finanziellen Schaden vortrug, die er bei einer Auflösung seiner Verlobung mit einer wohlbemittelten Elsässer Jüdin zu gewärtigen hatte; zudem wollte Moses im Fall einer Erhörung seines Anliegens 10 Louis d'or zugunsten der deutschen Schule für arme Judenkinder in Karlsruhe spenden.167 Nur mit hohem Zeit- und Kostenaufwand gelang es dem Müllheimer Schutzjuden Joseph Zivi 1782/83 die negativen Folgen des schlecht vorbereiteten Übergangs seines Handelsgeschäfts an die nächste Generation wettzumachen. Am Ende des Jahres 1781 hatte Joseph Zivi für seinen ältesten Sohn Moses anstandslos und in kürzester Frist die Schutzerteilung erwirkt, zumal sein Sohn von ihm 275 fl. bares Geld und ein Haus sowie von der Braut 1100 fl. Heiratsgut erhalten sollte. Ein knappes Jahr später reichte Joseph Zivi erneut ein Schutzaufnahmegesuch ein, diesmal für seinen zweiten Sohn Meier Zivi, und zwar mit der Begründung, er sei wegen seiner Krankheit schon lange nicht mehr im Stande, seinem zimlich ausgebreiteten Handel vorzustehen, den er seinem zweiten Sohn überlassen habe, weil der älteste, der verheiratet ist, dazu die nötige Geschicklichkeit nicht hat und mit seinem eigenen Gewerbe genug zu schaffen hat. Das stattliche Vermögen 167
Der finanzielle Schaden für den Verlobten Moses Bloch bestand darin, daß er ohne Schutzaufnahme das ihm vom Vater übergebene Haus mit Verlust verkaufen und seiner Braut für die Auflösung der Verlobung eine Strafe von 100 Talern schuldete. In einem besonderen Attest bestätigte Landrabbiner Kahn gegenüber der Obrigkeit, daß der Vertrag beide Parteien für den Fall des Vertragsbruchs mit dieser Strafe bedrohte (229/69844).
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Meier Zivis und die Aussicht auf eine hervorragende Partie mit einer Elsässer Jüdin stellten in diesem Fall kein Problem dar, ein erhebliches Hindernis gegen eine zweite Schutzerteilung an dieselbe Familie bestand aber in der gesetzlichen Beschränkung des Schutzes auf ein einziges Kind. Vater Joseph Zivi argumentierte in seinen wiederholten Gesuchen um eine Ausnahmeregelung mit seiner Krankheit, mit der günstigen Vermögenslage seiner Familie, mit der Versorgungspflicht gegenüber neun Söhnen und mit dem Umstand, daß der älteste Sohn auf das Fortkommen der eigenen Haushaltung bedacht sein mußte und seinen Vater und die übrigen Geschwister nicht auch unterhalten konnte. Die Ausnahme wurde schließlich unter der Bedingung gewährt, daß der zweite Sohn gemeinsam mit seinem Vater Handel trieb und sich auch bei diesem aufhielt, ohne sich Hoffnung auf die Schutzannahme eines künftigen Kindes zu machen.168 Gegen die Unwägbarkeiten von Tod oder Krankheit half mitunter aber alle Planung nichts. Besondere Anforderungen an die Lebensbewältigung stellten sich einer Familie im Fall eines frühen Todes eines Schutzjuden. Joseph Meyer aus Müllheim war 1772 früh gestorben und hatte eine 58jährige Witwe hinterlassen. Zu ihrer Unterstützung hatte deren ältester Sohn jung geheiratet und sie seitdem unterhalten. 1784, die Witwe war mittlerweile 70jährig und benötigte angesichts ihres Alters die Unterstützung durch ihren Sohn stärker denn je, wollte oder konnte ihr ältester Sohn sie nicht mehr unterstützen, weil er selber fünf Kinder hatte und alles anwenden muß, um sich und die seinigen durch den Handel zu ernähren; in dieser Situation hoffte die Witwe auf die Schutzerteilung an ihren zweiten Sohn Hajum Meyer, der seine Mutter mit seinem Handel ernähren und sie auch pflegen wollte, sofern ihm die Heirat gestattet und eo ipso auch das Schutzrecht erteilt würde; die Schutzerteilung an Hajum Meyer und damit die Versorgung seiner Mutter im Alter waren aber alles andere als gesichert, weil Hajums Bruder schon Schutzjude war und die Mutter nur durch mehrmaliges Supplizieren abwenden konnte, daß sich ihr zweiter Sohn außer Landes verheiraten mußte.169 Im Alter, wenn ein Schutzjude seinen Geschäften nicht mehr wie ehedem nachgehen konnte, mußte auch die Bezahlung des Schutzgelds zu einer drückenderen Last als früher werden; manche Söhne, die ihren Vätern in den Schutz gefolgt waren, waren offenbar bereit, die Schutzgeldzahlung für den Vater zu übernehmen, gelangten dadurch aber entweder selber an die Grenzen ihrer Leistungs-
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229/69839. 229/69841. - Vergleichbar der Fall der Witwe des Moses Bickert aus Müllheim, die 1788 für ihren zweiten Sohn Männle um den Schutz bat. Sie war seit 17 Jahren Witwe, hatte einen 30jährigen blinden Sohn, und beide waren vom ältesten Sohn der Bickert seit etlichen Jahren unterhalten worden; weil der älteste Sohn, der das Schutzrecht besaß, noch seine eigene Familie zu unterhalten hatte, unter seiner doppelten Last litt und die Witwe besorgte, daß er zuletzt unter derselben erliegen und mit uns zu Grund gehen müßte, so bat sie um den Schutz für ihren zweiten Sohn, der sich zum Unterhalt seiner Mutter bereit erklärte, sofern er in den Schutz aufgenommen würde (229/69845).
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fähigkeit oder erblickten im Alter des Vaters zumindest ein willkommenes Motiv, um den Landesherrn um die Verminderung ihrer Abgabepflichten anzugehen.170 Schutzaufnahme, Heirat und die Aufnahme einer Geschäfts- und Handelstätigkeit auf eigene Rechnung erscheinen in den Supplikationen immer wieder in ihrer wechselseitigen Bedingtheit. Die Bedeutung der Heirat bestand demnach nicht zuletzt darin, den neu zu gründenden Haushalt mit Kapital zu versorgen, das im Handel und Kreditgeschäft benötigt wurde.171 Den Äußerungen der Supplikanten ist dabei immer wieder zu entnehmen, daß eine gewisse Korrelation zwischen dem in Aussicht gestellten oder zu erwartenden Heiratsgut der Frau und dem Vermögen des Mannes bzw. seiner Familie bestand.172 Auch Heiraten unter Juden scheinen also wie die Ehen unter Christen auch mit ökonomischem Kalkül geplant und geschlossen worden zu sein.
2.3. Zur Rhetorik und Legitimation der Bitten Der informative Gehalt der untersuchten Supplikationen um die Schutzaufnahme von Juden im Badischen beschränkt sich aber nicht auf die Mitteilung 'objektiver' Daten zu den Familien- und Haushaltsstrukturen von Schutzjuden, zu den Vermögensverhältnissen und zu den Lebensläufen der Betroffenen. Jedes Bittgesuch liefert auch Informationen zur Frage, in welcher Sprache und in welchen Denk- und Argumentationsfiguren der Gesuchsteller mit dem Landesherrn und den Regierungskollegien ins Gespräch zu kommen gedachte. Da jede Schutzerteilung aus der Optik von Landesherr und Regierung eine Gnade darstellte und die Juden auch im Fall der Bitte für ein erstes Kind kein eigentliches Recht auf die Schutzerteilung geltend machen und notfalls gerichtlich 170
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Z.B. 229/103736 (1760); 229/103722 (1757, 1763); 229/103725 (1766); 229/103728 (1765); 229/103723 (1768, 1772); 229/103740 (1774) oder 229/103742 (1776). Isaac Bär wollte mit seinem Vermögen von mindestens 800 fl. und mit der Aussicht auf eine Heirat, die ihm 1200 fl. einbringen sollte, einen beträchtlichen Viehhandel betreiben und sich damit hinlänglich ernähren (229/74771). 1772 versprach Isaac Zivi, seinen Neffen, für den er um den Schutz bat, mit 500 fl. Bargeld auszustatten; damit wäre schon ein Anfang zu einem guten Auskommen gegeben, zumal der Neffe durch Heirat auch noch etwas erhalten könne (229/69838). - Meier Zivi erhielt von seinem mit schönen Mittlen gesegneten] Vater eine Wohnung in Müllheim und 50 Louis d'or; diese Ausstattung machte ihn offenbar für reiche Schutzjudentöchter zu einem wertvollen Heiratskandidaten, brachte seine Braut doch eine Ehesteuer von 3000 livres (1000 kleine Taler) mit (229/69839). - Hayum Meier, für den 1784 seine verwitwete Mutter um den Schutz supplizierte, brachte ein Vermögen von 3000 fl. mit und hatte die Aussicht, 150 Louis d'or zu erheiraten (229/69841). - Isaac Bär, Bruder eines Schutzjuden, supplizierte 1787 um den Schutz und führte zu seinen Gunsten u.a. an, daß er mit seinem Erbteil, seinem ersparten Lidlohn und mit der erhofften Ehesteuer seiner Verlobten ein Vermögen von etlichen tausend fl. in Aussicht habe (229/74771).
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erzwingen konnten, erhielten die Rhetorik und Legitimation der Bitte und die sprachlich-stilistische Ausfertigung des Schreibens ihre hohe Bedeutung. Für die Supplikanten mußte es darum gehen, ihr Anliegen im besten Licht darzustellen, allerdings nicht durch eine verkürzte oder gar verfälschte Darlegung ihrer persönlichen Lage, welche durch die Begleitberichte der Gemeinde- und Amtsbehörden rasch aufgedeckt worden wäre, sondern vielmehr durch die Betonung verallgemeinerungsfähiger Aspekte des eigenen Anliegens, durch die Vermittlung des eigenen Falls mit dem größeren, allgemeineren Nutzen, welchen die affirmative Resolution zeitigen würde. Diese strategische Ausrichtung, die bei Bittgesuchen grundsätzlich unterstellt werden muß, wirft auch quellenkritische Fragen auf: Waren denn die in den Bittschriften verwendeten Argumentationsfiguren überhaupt Ausdruck der persönlichen Auffassung des Supplikanten oder bestimmten nicht vielmehr die Schreiber entscheidend den rhetorisch-stilistischen Duktus der Gesuche? Es ist davon auszugehen, daß die Schreiber aufgrund ihrer Kanzleierfahrung und als geübte Leser und Verfasser von Verwaltungsschriftgut die gängigen Wendungen für die Begründung und Rechtfertigung unterschiedlichster Anliegen kannten und diese bei Bedarf dem Supplikanten anbieten konnten. Die Fertigkeit bei der Abfassung von Gesuchen war besonders für die Wahl des passenden Formulars, für die Einhaltung eines korrekten Stils, für den Gebrauch der richtigen Anreden und Titulaturen sowie für die Verwendung der erforderlichen Devotions-, Ehrbezeugungs- und Dankesformeln gefragt, von denen Bittschriften mitunter geradezu strotzten.173 Was aber die Auswahl und den Gehalt der vorzutragenden Argumentationsfiguren betrifft, so ist m.E. eher davon auszugehen, daß der Schreiber selber kein persönliches Interesse daran hatte, die Beweggründe und Aussagen der Gesuchsteller in die eine oder andere Richtung zu 'drehen'. Weiter fällt im Vergleich zwischen den Bittgesuchen insgesamt doch deren weitgehende inhaltliche und argumentative Eigenständigkeit auf, so daß auch durch die Schrift des Schreibers hindurch das authentische Anliegen des Bittstellers vernehmbar bleibt. Originalität ist besonders dort zu vermuten, wo Argumentations- und Legitimationsweisen anzutreffen sind, die sehr genau auf die Umstände des spezifischen Falls zugespitzt waren. Und schließlich ist davon auszugehen, daß der Supplikant sein Einverständnis mit dem Wortlaut und der Formulierung des Schreibens erklärte, bevor dieses seinen weiteren Weg an die Behörden ging. Für die folgende Analyse der Rhetorik der Bittgesuche dürfte es sinnvoll sein, zwischen dem häufigeren Regelfall, bei dem um den Schutz für das erste Kind einer jüdischen Familie nachgesucht und auf die Anwendung der Regel bei der Re-
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Euer Hochfürstl. Durchl. haben zwar mich, die demüthigste Supplicantin, mit meinem unterm 19ten 9br. a.pr. gethanen submissesten Gesuch um die Aufnahm in den Schutz meines Verlobten Meyer Braunschweigs von Lörrach, eines Schutzjuden Sohn, abzuweisen gnädigst geruhet [...] (Bittgesuch der Witwe des Elias Bloch von 1760; 229/69831).
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Solution gedrängt wurde, einerseits und dem Ausnahmefall mit dem Ziel der Dispensation andererseits zu unterscheiden, bei dessen Begründung allgemein ein höherer Argumentationsaufwand nötig war. In beiden Fällen prägt ein starker appellativer Duktus die Supplikationen, welcher auf der sprachlich-stilistischen Ebene die Hierarchie zwischen dem Fürsten, auf dessen Seite Gesetz, Befehl und dispensierende Gnade standen, und dem gehorsamen, devoten, untertänigen Juden betonte; dazu gehörte unter anderem das Anrufen der Gnade, der Vorsorge, der Barmherzigkeit des Landesvaters und mitunter auch dessen Milde gegenüber Witwen und Waisen.174 Die Supplikation war jedenfalls nicht der Ort, wo Kritik an der Obrigkeit oder Frustration über deren Entscheidungen laut wurden, was aber keinesfalls ausschloß, daß Anliegen in einem selbstbewußten Ton und unter Betonung des eigenen Anspruchs vorgetragen wurden, so daß im Fall von wiederholten Gesuchen in derselben Sache der Eindruck eines argumentativen Seilziehens entstehen kann. Selbstverständlich waren die supplizierenden Juden mit der Gesetzeslage vertraut und nahmen in ihren Bittschriften auf sie Bezug, im einen Fall als willkommenes Argument für das eigene Anliegen, im andern Fall als normativer Referenzpunkt, dessen Aufhebung die Umstände des vorliegenden Einzelfalls angeblich geboten. Hirzel Bickert aus Müllheim trug 1767 als ältester Sohn eines Schutzjuden, der noch kein Kind im landesherrlichen Schutz hatte, seine Bitte dem Fürsten vor, weil dieser einem jeden Schuz Juden die Hoffnung angedeyhen laßen, bewandten Umständen nach einem seiner Nachkomiinge gleicher Gnade zu würdigen,175 1786 ließ sich Isaac Ducas, der Sohn eines verstorbenen Schutzjuden aus Niederemmendingen selbstbewußter vernehmen, wenn er meinte, daß bekanntermaßen nach denen vorliegenden fiirstlichen Verordnungen der älteste Sohn eines diesseitigen SchuzJuden sich der Schuz Aufnahme jederzeit zu erfreuen hat,176 Noch resoluter äußerte sich die Witwe von Marx Bloch 1788, die nach zweimaliger Abweisung ihres Gesuchs für ihren künftigen Schwiegersohn bzw. für ihre Tochter, ins Feld führte, es werde in ihrem Fall auf den Widerspruch der Gemeinde [Müllheim] oder auf den Einwand der Armut nicht ankommen, da ihre Tochter ihr einziges Kind sei und der Fürst einem Kinde aus jeder im Land angesessenen Familie den Schuz einmal gnädigst zugesichert [habe], ohne dabei eine Ausnahme zu machen. Meine Tochter 174
Isaac Hänle implorierte 1764 den Markgrafen mit den Worten, er sei von denen erbarmungsvollen landesvätterlichen Gesinnungen Euerer Hochfürstl[\ichen] üurchl[auch]t zum voraus überzeuget [...], daß Hochdenenselben nicht gleichgültig seyn kan, auch den geringsten Höchstdero getreuen Unterthanen von der angestammten landesvätterlichen Vorsorge ausgeschlossen zu sehen (229/69835). 175 229/69836. n6 229/74770. - Auch der Hofrat meinte in seinem Resolutionsantrag an den Fürsten, Ducas habe als ältester Sohn seines Vaters die nächste Ansprache zum Schuz.
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als mein einziges Kind hat also darauf ein hergebrachtes Recht, was ihr, da sie sonst nicht getadelt werden kann, gnädigst nicht entzogen werden dürfte.177 Erheblich größer fiel der argumentative Aufwand aus, wenn die Bewilligung eines Bittgesuchs eine Abweichung von der allgemeinen Regel bedeutete. In diesen Fällen durfte die Vermögenslage der Supplikanten in der Regel keinem Einwand unterworfen sein, war es doch ein zentrales Ziel der obrigkeitlichen Judenschutzpolitik, den Zuwachs von Judenhaushalten, zumal ärmeren, zu verhindern. Wer für ein zweites Kind um die Schutzaufnahme supplizierte, mußte die Nützlichkeit einer affirmativen Resolution bzw. die Grundlosigkeit allfälliger Vorbehalte wegen der befürchteten schädlichen Folgen bei der Aufnahme weiterer Judenfamilien breiter erörtern, denn daß die Juden-Annahme eine dem publico und besonders dem Land-Mann auch schädliche Sache seie, war geradezu ein Grundsatz der obrigkeitlichen Judenpolitik, die in diesem Punkt auf entsprechende Äußerungen aus den Gemeinden und Zünften Rücksicht nahm.'78 Schaden befürchteten die Gemeinden auch von der den Juden in den Schutzbriefen zugestandenen Viehweide an Wegen und Stegen, weshalb Juden mitunter in ihren Gesuchen von vornherein auf dieses Nutzungsrecht verzichteten.179 Aufschlußreich für eine Argumentationsweise, die das öffentliche bzw. herrschaftliche Interesse an der Schutzaufnahme eines zweiten Schutzjudensohns hervorkehrte, sind die Gesuche des Lörracher Schutzjuden Lazarus Braunschweig von 1748/49 für dessen jüngeren Bruder Jacob. Lazarus Braunschweig wies zuerst daraufhin, daß in Kirchen nur drei jüdische Haushalte existierten, bevor er zu seinem Hauptmotiv kam: Braunschweig war im Pferdehandel tätig und hatte damit schon dem Markgrafen Karl Wilhelm und seit dessen Tod auch der jetzigen fürstlichen Regierung mittelst Anschaffung guter Pferdte meiner unterth[äm]gsten Schuldigkeit gemäß getreüe Dienste gethan\ er wollte auch weiterhin bestrebt sein, nach all meiner Möglichkeit das herrschajftl[iche] Interesse zu vermehren. Laza177
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229/69846. In diesem Fall hatte der Hofrat das Vermögensargument zuerst zu Lasten der Supplikantin höher bewertet, stellte dann aber den Fall dem Ermessen des Fürsten anheim, weil die Abweisung zwar der strengen Regel gemäs [sei], doch aber, da sie [die Tochter, A.H.] das einzige Kind sey, etwas hart und bisher in diesem Fall nicht streng auf das Vermögen gesehen worden sey. Das Zitat aus einer Entscheidung des Geheimrats vom 16. November 1754, die auf eine längere Beschwerde- und Bittschrift der Gemeinde Müllheim vom 19. Oktober 1754 reagierte, in der der unbeschreibliche Schade[n] geschildert wurde, den die Juden durch ihren Viehhandel, ihre Darlehensgeschäfte, ihren Kupferhandel und das Geldwechselgeschäft dem christlichen Untertanen angeblich zufügten (229/69832). - In einem Bericht des Hochberger Oberbeamten Wild von 1756 heißt es: Die Juden überhaupt seynd einem Land, wo sie toleriret werden, bekandter dingen mehr schäd- als nüzlich, doch halte ich davor, daß solche in einem geschloßenen Land weit mehr als einem mit andern melirten, wie diese Marggrafschaft situiret, schädlich seyn können (137/168). Z.B. im Fall des Wolf Isaac 1776 (229/74767) und des Zacharias Reutlinger 1777 (229/74766), die sich beide in Niederemmendingen niederlassen wollten.
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rus Braunschweigs Motive wurden vom Oberamt Rötteln bestätigt, wobei dieses zusätzlich unterstrich, auch der Bruder werde dem Land umso weniger zur Last fallen, als sein Handel nicht mit Frucht oder Geld Außleyhen getrieben wird, sondern in Pferdten bestehet, die er meistens in der Schweiz und im Elsaß kaufte und auch dort wieder verhandelte.180 Ihre Nützlichkeit für die Gemeinde, in der sie sich als Schutzjuden niederlassen wollten, hatten auch Zacharias Reutlinger und Jacob Bickert, die 1777 bzw. 1786 die Schutzaufnahme in Niederemmendingen erwirkten, unter Beweis gestellt: Beide hatten im Ort ein Haus zu einem Preis gekauft, den kein Ortsbürger je bezahlt hätte, und damit im einen Fall der Gemeinde das Geld zum Bau des neuen Schulhauses verschafft, im andern Fall einer verschuldeten Witwe willkommene Mittel eingebracht.181 Als nützlich erachteten die Beamten des Oberamts Hochberg 1788 die Schutzaufnahme von Isaac Bär, dessen älterer Bruder schon seit längerem in Niederemmendingen im Schutz stand, weil sich beide Brüder in ihrem gemeinsamen Viehhandel durch redliches Handeln unter allen übrigen Juden so sehr auszeichneten, daß durch die Statuierung einer Ausnahme von der Regel denen übrigen Juden ein [...] Sporn zu mehrerer Redlichkeit im Handel gegeben werden dürfte; als auch dieser günstige Beibericht des Oberamts noch keine affirmative Resolution bewirkte, reichte Bär sein viertes Gesuch ein, in dem er neben den schon in die Waagschale geworfenen günstigen Umständen (Vermögen, Aussicht auf profitable Heirat) daraufhinwies, daß die Juden im Oberamt nicht die geringste Belastung darstellten, vielmehr der Region nützlich seien, weil sie das Vieh im Schwarzwald kauften und es anschließend den Bauern auf den Emmendinger Viehmärkten verkauften, ohne daß diese Zeit und Kosten für den Handel aufwenden mußten.182 Klug war es jedenfalls, im Bittschreiben den eigenen Nutzen und das Eigeninteresse des Supplikanten, das allen am Verfahren Beteiligten ohnehin bewußt war, nicht in den Vordergrund zu rücken, sondern dieses eher zu relativieren, wie dies 180 229/52868. - Jacob Braunschweig erhielt den Schutz nach Kirchen auf ein zweites Gesuch und die Fürsprache des Rötteler Landvogts von Wallbrunn hin; er hatte dort sein ehrliches, unklagbares Betragen unterstrichen und betont, sein Verhalten habe dem Baursmann nie zu einiger Last gereichet. 181 Reutlinger hatte 880 fl. für das alte Schulhaus geboten und damit den Widerstand der Gemeinde gegen seine Aufnahme gebrochen (229/74766). Bickert, der einen älteren Bruder im Schutz hatte, kaufte das Haus für 600 fl., womit er 100 Taler mehr bot, da wann ein Christ dieses Haus erkauft hätte (229/74769). 182 229/74771. - Der Nutzen des jüdischen Viehhandels wurde allerdings kontrovers beurteilt. Das Oberamt Hochberg kommentierte Bärs Gesuch damit, der Preis, den die Bauern für das Vieh der jüdischen Viehhändler bezahlten, sei allgemein sehr hoch, besonders wenn auf Kredit gekauft werde; eben deshalb machen kluge Bauern keinen Gebrauch von diesem angeblichen Vorteil, sondern kaufen das nötige Vieh selber auf dem Wald auf (229/74771). 1754 hatte sich die Gemeinde Müllheim ähnlich vernehmen lassen: Jeder Untertan wisse selber, wo er das benötigte Vieh bekomme; es fehle auch unter den Christen nie an Leuten, die dem Landmann Vieh zu billigen Preisen anschafften (229/69832).
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etwa Isaac Hänle tat, dessen wiederholt abgewiesene Gesuche um Verlegung seines Schutzrechts von Opfingen in einen andern badischen Ort nicht das Interesse, sondern den mir und den meinigen ermanglenden Gottesdienst zum Grunde hatten.183 Kameralistisch-merkantilistische Argumente wurden in jenen Bittgesuchen ins Spiel gebracht, die auf die Mittel abhoben, welche durch Heiraten mit vermögenden Juden aus dem Ausland ins Land gezogen werden konnten,184 oder wo betont wurde, daß die Juden - zumal im territorial stark zersplitterten Breisgau - ihren Handel nicht so sehr im Badischen, sondern im benachbarten Vorderösterreichischen betrieben.'85 Mit dem Appell an den Fürsten als Landesvater und mit der Evokation der den Juden gemachten Hoffnung auf die Schutzannahme korrelierte semantisch das Argument, man sei im Land geboren und sei ein Landeskind. Damit sollte eine Bindung an das Land betont werden, in die neben den Emotionen durchaus auch materielle Interessen einflössen und die neben einem gleichsam gewohnheitsrechtlich erwachsenen Anspruch auch die Integrationsbereitschaft der Betroffenen zum Ausdruck bringen sollte. Eine zusätzliche Bedeutung mußte dieses Argument in jenen Fällen erhalten, wo die Supplikanten Kinder von Schutzjuden der ersten Generation waren. Lazarus Braunschweig betonte in seiner Bitte für seinen jüngeren Bruder Jacob, dieser sei in Lörrach geboren worden und folglich ein Landts Kind."16 Isaac Zivi gab an, in Müllheim geboren zu sein und von meinem Vatter als der einzige Sohn den Schutz gleichsam ererbet zu haben.187 Im Rückblick auf seine acht vergeblichen Anläufe, in den Schutz aufgenommen zu werden, meinte Israel Levi 1763, nachdem der neunte Versuch erfolgreich verlaufen war, er habe das Unglück erfahren, mit Frau und Kindern von seinen Eltern wegziehen zu müssen und etliche Jahre in der Irre herum zu wandern, auch bey meinem jeweiligen Hieherkommen das Geleit gleich einem Landsfremden zu lösen genöthiget worden."" Die Betonung der Verbundenheit mit dem Land konnte auch ex negativo vorgetragen werden, so etwa im Fall des Moses Bloch, des zweitgeborenen Sohnes des Müllheimer Schutzjuden Menke Bloch, der 1788 die Folgen eines abschlägigen Bescheids mit den Worten beschrieb, er würde dann ein sogenannter Weltbürger ohne Vatterland werden.189 Bemerkenswerte Kenntnisse der obrigkeitlichen Gesetzespraxis legten schließlich jene Supplikanten an den Tag, die sehr wohl um den Ausnahmecharakter ih183 184 185 186 187 188 189
229/69835. Z.B. 229/52871 (1761), 229/69839 (1783) oder 229/69841 (1784). 137/168 (1757); 74/915 (1798). 229/52868 (1748). 229/69833 (1762). 229/103731 (1763). 229/68944.
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res Gesuchs wußten, diesen aber nicht nur nicht verschwiegen oder in den Hintergrund rückten, sondern vielmehr offensiv die Tatsache in ihre Argumentation einbauten, daß die landesherrliche Gesetzgebungsgewalt nicht nur das Recht legem ferendi, sondern ebenso sehr auch die Kompetenz, vom Gesetz zu dispensieren, umfaßte und die Obrigkeit bei ihren Entscheidungen einen breiten Ermessensspielraum besaß.190 Daß jede allgemeine Regel auch Ausnahmen kannte, wenn Umstände und Noth solche unvermeidlich machen, lässt sich von selbst denken, äußerte der Müllheimer Schutzjude Joseph Zivi zugunsten seines zweitgeborenen Sohnes Meier Zivi.19' Der Witwe des Joseph Meyer aus Müllheim, die 1784 für ihren zweiten Sohn Hayum um die Schutzerteilung bat, war natürlich bekannt, daß die Gemeinde Müllheim seit 1754 im Besitz einer Zusage des Markgrafen war, wonach die Gemeinde vor weiteren Judenaufnahmen verschont werden sollte; darauf Bezug nehmend meinte sie aber: Ich verehre in Demuth diese gnädigste Entschliessung, bin jedoch des unterthänigsten Dafürhaltens, daß es bloß bei Eüer Hochßirstlichen Durchlaucht stehe, die Worte dieser höchsten Zusage auf einzelne Fälle nach Höchster Willkühr gnädigst einzuschränken oder auszudehnen.192 Moses Bloch begründete seine Hoffnung auf eine Ausnahme von der Regel mit seinem guten Wandel und damit, es sei Höchst Derselben Gesinnungen gemäs, gute Unterthanen nicht hilflos zu lassen.193 Schwierigkeiten bei einer solchen Handhabung der Gesetzeslage mußten sich natürlich daraus ergeben, daß die betroffenen Parteien mit Präzedenzfällen argumentierten und dasselbe Recht auch für ihren Fall geltend zu machen versuchten. Um aus dem eigenen Regelfall den Ausnahmefall werden zu lassen, bedurfte es aber entsprechender Anstrengungen und wiederholter Supplikationen auf seiten des Bittstellers, denn der Hofrat, der allgemein die ersten Entscheidungen fällte, war bei seinen Resolutionen verpflichtet, änderst nicht als secundum leges praescriptas zu sprechen.194
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Heinz Mohnhaupt: Potestas legislatoria und Gesetzesbegriff im Ancien Régime. In: lus Commune 4. 1972. S. 188-239. 229/69839 (1783). 229/69841. 229/69844 (1788). So die Begründung eines Hofratsentscheids von 1740 gegenüber der Rentkammer, wo der Hofrat die Ablehnung eines Gesuchs mit einem früher ergangenen Reskript begründete, von welcher Norm er consideratis considerandis [...] so schlechterdings nicht [...] abgehen konnte; sollte sich der abgewiesene Jude aber erneut supplicando melden, so wollte der Hofrat bei der fürstlichen Vormundschaft mit einem Antrag melden (229/103728).
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3. Schluß Jacob Katz hat das Verhältnis von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit im Zeitalter vor der Emanzipation als Nebeneinander zweier Gesellschaften beschrieben, die bei allen Vorurteilen auf beiden Seiten aufgrund politischer und wirtschaftlicher Notwendigkeiten in Kontakt miteinander stehen mußten.195 Das Supplizieren von Juden um die Aufnahme in den Schutz eines Landesherrn stellte einen wichtigen Berührungspunkt beider Gesellschaften dar. Es kann auch als ein Element jener Adaptations- und Überlebensstrategie angesprochen werden, die Christoph Daxelmüller als Charakteristikum der jüdischen Volkskultur bezeichnet hat.196 Bezeichnenderweise gehörte das Supplizieren aber zu jenen 'Überlebensinstrumentarien"97 der jüdischen Gemeinschaft, die diese nicht in scharfer Abgrenzung zur hegemonialen christlichen Mitwelt handhabte, sondern die von ihr die Bereitschaft zur Einlassung auf die Anforderungen und Zumutungen dieser Mitwelt abforderte. Umgekehrt ging die christliche Kultur im 18. Jahrhundert in ihrer Separierungs- und Diskriminierungstendenz gegenüber den Juden nicht so weit, "daß diese in rechtliche, soziale und mentale 'homelands' verpflanzt wurden, die aus den feudalen Strukturen herausgegliedert und einer eigengesetzlichen Entwicklung überlassen wurden".198 Die Bittgesuche um die Aufnahme in den landesherrlichen Schutz bilden nur einen kleinen Ausschnitt aus einer viel breiteren Praxis des Supplizierens von Juden, deren Häufigkeit und Selbstverständlichkeit einen geneigt macht, von einem "recurrent pattern of social encounter between Jews and Gentiles" zu sprechen.199 Möglicherweise hat die Vervielfältigung dieser Begegnungen die von Battenberg 195
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"With the exception of periodic outbreaks of violence by the majority against the minority, the contact between the two societies was governed by the rules of economic and political exigency. The mental reservations of the Jews concerning the Gentiles, especially Christians, did not prevent Jews from seeking the protection of the current incumbents in power nor from serving non-Jews or anyone willing to pay. The same was also true for Christians. Despite harboring prejudices against the Jews, Christian rulers protected the Jews in their midst and availed themselves of their economic services." (Jacob Katz: Reflecting on GermanJewish History. In: In and Out of the Ghetto. (Anm. 5) S. 1-9, hier S. 8). Christoph Daxelmüller: Organizational Forms of Jewish Popular Culture since the Middle Ages. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5) S. 29-48, hier S. 33. F. Battenberg: Rahmenbedingungen (Anm. 5) S. 77. Vgl. Anm 197. Jacob Katz hatte dabei primär die Bereiche des Handels, der Bildung und Erziehung und der Arzt-Patienten-Beziehung im Sinn (zit. nach Robert Jütte: Contacts at the Bedside: Jewish Physicians and Their Christian Patients. In: In and Out of the Ghetto. (Anm. 5) S. 137-150, hier S. 137: "When Jews still lived in a closed Jewish quarter and had to seek the protection of the holders of power, every encounter between Jews and Gentiles had its well-defined aim. According to Jacob Katz, the 'transaction of business, the teaching of Jews by Gentile or vice versa, the treatment by doctors of a patient from the other community, are the recurrent patterns of social encounters between Jews and gentiles."1
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und andern für die Zeit seit dem 17. Jahrhundert, zumal seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, beobachtete Stabilisierung im Verhältnis von Juden und christlichen Obrigkeiten gefördert und das Einspielen eines "emotionslose[n] modus vivendi"200 erleichtert. Die Bittgesuche sind ein Zeugnis dafür, wie sich Juden unter den ihnen vorgegebenen Bedingungen des landesherrlichen Schutzrechts auf die Lösung der spezifischen Probleme ihrer Lebenslage einstellten und die Schutzaufnahme im Hinblick auf die Klärung zentraler Übergänge in ihren Lebensläufen - Heirat, Familiengründung, Altersvorsorge, intergenerationeller Übergang - in Rechnung stellten. Die Art und Weise, wie sie dabei vorgingen, und die Argumente, mit denen sie für ihre Interessen fochten, zeugen von erprobten Kenntnissen der an sie gestellten Erwartungen, von einem Wissen um die Urteile und Vorurteile, denen ihre Lebensweise ausgesetzt war, und von den Erfahrungen, die sie im Laufe des Jahrhunderts mit diesem Verfahren und im Umgang mit den Behörden gesammelt haben. Die Supplikationen sind Ausdruck einer starken Bewegung aus der jüdischen Gesellschaft, im Land unter gesicherten Bedingungen ansässig sein und den den Juden eingeräumten Wirtschaftstätigkeiten nachgehen zu können. Friedrich Battenberg hat am Beispiel der Judengesetzgebung in HessenDarmstadt nach der Verbindung von Gesetzgebung und sozialer Wirklichkeit gefragt und dabei auf den Kampf christlicher und jüdischer Bevölkerungsgruppen "um Verbesserung, Anpassung, Änderung und Aufhebung der jeweils geltenden Polizeiverordnungen" durch die Praxis der "häufigen Beschwerden und Suppliken" hingewiesen.201 In diesem Beitrag wurde nach der praktischen Handhabung und Nutzung dieser Gesetzgebung durch die jüdischen Akteure gefragt, wobei Battenbergs Beobachtung zur besonderen Situativität und Flexibilität der Policeyordnungen sich in den Bereich der Normhandhabung und -nutzung durch die Juden und die Regierungsbehörden hinein verlängern ließ. Die Supplikationen zeigen Juden, die in Kenntnis der Gesetzeslage handelten, dabei ihre Rechte geltend machten und mit ihren Gesuchen um Dispensationen auch darum wußten, daß die Regel immer auch ihre Ausnahmen hatte.202 Nicht anders als Untertanen
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F. Battenberg: Kammerknechte (Anm. 5) S. 575. Diese Einschätzung auch in der neuesten Überblicksdarstellung von M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 85f. F. Battenberg: Gesetzgebung und Judenemanzipation (Anm. 24) S. 56-58. In diesem Sinne auch der Hinweis von M. Breuer: Frühe Neuzeit (Anm. 5) S. 147: "Überhaupt scheint es, daß man trotz der Verschlechterung der Rechtsstellung der Juden im Laufe des 18. Jahrhunderts von einer gewissen Minderung des Drucks auf sie sprechen kann. Nicht überall und immer wurden die Gesetze streng und unerbittlich angewandt. Die rege Beschäftigung der Beamten mit jüdischen Angelegenheiten war zwar den Juden nicht angenehm, da es immer zu neuen Auflagen und Ansprüchen kam. Aber sie war ihnen am Ende doch förderlich, denn sie führte nicht selten zu einer Art von Fürsorge für sie. Besonders die höheren Staatsbeamten [...] liehen zuweilen den Bitten der Juden um Ermäßigungen und Milderungen Gehör."
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und Korporationen aus der christlichen Gesellschaft203 kannten sich Juden in den administrativen Verfahren des 'Policeystaates' des Ancien Régime aus und waren bereit, sich im Rahmen der ihnen gelassenen Möglichkeiten für ihre Anliegen und ihr (Über)Leben zu Wort zu melden bzw. zu wehren. Mehr als es der oberflächliche Blick auf die grundsätzlich repressiven und diskriminierenden Policeynormen zeigt, ist im 18. Jahrhundert unter den badischen Schutzjuden ein Bewußtsein der Eigenberechtigung faßbar, so daß Vorbehalte gegenüber der These angebracht zu sein scheinen, wonach die Juden vor der Emanzipation "in einer nahezu rechtlosen Existenz außerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung" lebten.204 Die Gesuche hinterlassen insgesamt den Eindruck eines langsamen Übergangs vom Schutzjudenstatus als einer prekären, allein auf landesherrlicher Gnade bzw. Willkür beruhenden und auch jederzeit widerrufbaren Existenzlage zu einer sowohl bei den Behörden als auch bei den betroffenen Juden selber feststellbaren Konzeption vom Schutzjudenstatus als eines faktisch vererbbaren Besitzstands, mit dem die Fortdauer und Stabilisierung jüdischer Haushalte im Land gesichert war.
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Vgl. die verschiedenen Beiträge in: Gemeinde und Staat im Alten Europa. Hg. von P. Blickle. München 1997 (Beiheft HZ. Bd. 25). R. Rürup: Judenemanzipation (Anm. 2) S. 242, 247.
II. Gemeinde und Sachkultur
Gemeinschaft, Konflikt und Wandel. Jüdische Gemeindestrukturen im Deutschland des 15. Jahrhunderts* Dean Phillip Bell
Unter den Forschungsgebieten der Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland ist der inneren Geschichte der jüdischen Gemeinden bislang viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.1 Auf diesem Gebiet wurden nur geringe Fortschritte erzielt, vor allem in Süddeutschland, wo die Responsa-Literatur noch nicht ausreichend bearbeitet wurde, und die Quellenlage, was die Darstellung von jüdischen Gemeinden in nichtjüdischen Quellen betrifft, zwischen der Mitte des 15. und der Mitte des 16. Jahrhunderts große Lükken aufweist. Das Ziel der folgenden Studie ist es, einige Vorschläge zur Analyse jüdischer Gemeindestrukturen und ihrer Entwicklung in dieser wichtigen, wenn auch nur schwer zu dokumentierenden Zeit am Beispiel der jüdischen Gemeinden in Süddeutschland in der Mitte des 15. Jahrhunderts zu liefern, wie sie sich besonders in den rabbinischen Responsa dreier einflußreicher Rabbiner widerspiegelt. Der erste von ihnen, Rabbi Jacob Weil (1380/90-1456), war ein Schüler von Rabbi Jacob Molin (dem Maharil) in Mainz, der später in Nürnberg lebte und dann als Rabbi in Augsburg, Bamberg und Erfurt wirkte. Der zweite, Rabbi Israel Bruna (1400-1480), studierte unter Weil, Israel Isserlein, Meir Kohen und Zalman Katz aus Nürnberg. Er wirkte als Rabbi in Brünn, bis im Jahr 1451 die Juden aus dieser Stadt vertrieben wurden; später lebte er in Regensburg, und gegen Ende seines Lebens zog er nach Prag. Der dritte, Rabbi Moses Mintz (1415-1485), war ein Schüler von Zalman Katz und studierte außerdem mit David Tevel Sprinz, Israel Bruna und anderen an Jacob Weils Jeschiwa - er arbeitete dann als Rabbiner in Würzburg, Mainz, Landau, Ulm und Bamberg, reiste 1473 nach Nürnberg und
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Übersetzt von Melanie Brunner. Vgl. Alfred Haverkamp: The Jewish Quarters in German Towns During the Late Middle Ages. In: In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modem Germany. Hg. von Ronnie Po-chia Hsia, Hartmut Lehmann. Cambridge 1995. S. 1328. Zu weiterführenden Informationen über die Verländlichung der jüdischen Gemeinden im Spätmittelalter vgl. vor allem S. 16f.
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schließlich 1474 nach Posen. Sein bekanntester Schüler war Joseph ben Moses, der Autor des 'Leket Yosher'.
Zur Definition von Gemeinde Einer erst jüngst formulierten Einschätzung zufolge waren die jüdischen Gemeinden im Spätmittelalter schwach und relativ unstrukturiert: "Das Funktionieren der zahlenmäßig nur kleinen jüdischen Gemeinden beruhte auf dem Konsens (der Mitglieder), wie sie es ja auch noch im 17. und 18. Jahrhundert taten, obwohl ihr Charakter zu dieser Zeit deutlich oligarchisch geworden war. Ordnung innerhalb der Gemeinde wurde geschaffen, indem jedes Mitglied sich bindend dazu verpflichtete, bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen und auszufuhren. Jeder, der seine Verpflichtungen nicht einhielt, konnte aus der Gemeinde ausgeschlossen werden und hatte keinen Zugang mehr zu den Diensten, die sie bereitstellte. Die Machtbefugnisse des Kahal waren bei diesem Vorgang im wesentlichen indirekt. Der Kahal konnte der Disziplin nur Geltung verschaffen, indem er zum Beispiel den Klägern erlaubte, die gemeinsamen Gebete zu unterbrechen. Daß man sich auf indirekte Methoden wie diese verlassen mußte, ist ein Anzeichen dafür, wie schwach und lose strukturiert die ausfuhrenden Organe der Gemeinden tatsächlich waren."2 Nach dieser Interpretation bestanden jüdische Gemeinden aus einer kleinen Anzahl von Juden, die Mitglied eines Verbandes wurden, der auf Konsens beruhte und diesen durch bindende Eide herbeiführen wollten, um die Rechte der Mitglieder vor einer externen Macht zu schützen und das interne Leben der Gemeinde in Übereinstimmung mit einem allen gemeinsamen jüdischen Gesetzeskorpus zu regulieren. Solche Verbände waren allerdings oft oligarchisch und noch öfter ineffektiv, da sie auf indirekter Autorität und dem Entzug bestimmter, vor allem ritueller Dienste beruhten. Die internen Strukturen der jüdischen Gemeinden waren nach dieser generellen Charakterisierung nur rudimentär vorhanden. In der neueren Forschung ist allerdings die Komplexität jüdischer Gemeindestrukturen im Spätmittelalter stärker hervorgehoben worden. Einige Forscher haben das späte 14. und das 15. Jahrhundert als eine Übergangszeit in der Geschichte der jüdischen Gemeinden bezeichnet, von der Zeit, in der die Kehillah oder lokale Gemeinde die wichtigste Macht war, bis zu der Zeit, beginnend mit dem Schwarzen Tod und den darauf folgenden Massakern und Vertreibungen, in der die Kehillah zwar immer noch den zentralen Ort des organisierten jüdischen Lebens darstellte, sich gleichzeitig aber auch regionale Zusam2
Kenneth Stow: Alienated Minority. The Jews of Medieval Latin Europe. Cambridge, Mass. 1992. S. 91.
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menschlüsse oder Verbände von Kehillot in der Form von Synoden stärker ausprägten. Damals erlaubten es aber die äußeren Bedingungen einem regionalen Zusammenschluß noch nicht, die autonome Macht eines einzelnen Kehillah in Frage zu stellen.3 Erst im Laufe der Zeit verfestigten sich lokale Gebräuche schon fast zu Gesetzen. Die regionale Rechtsprechung einer einzelnen Person verbreitete sich mehr und mehr, und innerhalb der Gemeinden kam ein Trend zum Morah d'atrah (Meister des Ortes oder Gemeinderabbiner) auf, der die Autorität in Anspruch nahm, lokale und sogar regionale halachische (Gesetzes-) Fragen zu entscheiden. Der hier behandelte Zeitraum war zum großen Teil von einer Mischung der Kehillot- und Va'adim-Epochen bestimmt, und vielleicht markiert erst die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts einen wirklichen Bruch mit den älteren, mittelalterlichen Verhältnissen. Aber natürlich hatten auch die früheren Phasen eine tiefgreifende Wirkung auf das jüdische Leben in Deutschland. Wie genau wurde 'Gemeinde' definiert? Wie sahen die Gemeindestrukturen aus und wie funktionierten sie? Welche Spannungen gab es in jüdischen Gemeinden im Deutschland des 15. Jahrhunderts, und welche Aufschlüsse können diese Spannungen über die Vorstellungen von der Gemeinde und ihrer Entwicklung geben? In der neueren Literatur ist das Wesen von Gemeindeautorität diskutiert worden, aber dem Begriff der Gemeinde selbst und ihrer Relevanz wurde dabei wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn man berücksichtigt, wie oft und in welch unterschiedlichen Zusammenhängen die Ausdrücke Kehillah und Kahal verwendet werden - wobei Kahal sich eher auf den Gemeinderat innerhalb einer Gemeinde bezieht4 lassen sich einige allgemeine Schlüsse über das Wesen der Gemeinde aus den Responsa ziehen. In einem Responsum, das von Eric Zimmer als Beispiel angeführt wurde, entschied Rabbi Israel Isserlein von Neustadt (ca. 1390-1460) in einem Streitfall eines Juden Abraham mit der Gemeinde von Posen gegen ersteren, weil die Mitgliedschaft in der Kehillah effektiv nicht nur eine Partnerschaft darstelle, aus der sich ein einzelner lösen könne, wenn es ihm günstig erscheine. Durch sein Ausscheiden zwinge er als Einzelperson die Gemeinde zur Zahlung höherer Steuern, und dazu habe er kein Recht.5 Mitgliedschaft in der Gemeinde beruhte also nach dieser Argumentation nicht auf Freiwilligkeit. Ein ähnlich aufschlußreicher Fall wird von Rabbi Jacob Weil erwähnt, der schreibt, daß eine Gruppe von Juden in Neustadt versucht habe, sich von der Gemeinde (Tsibur) zu 3
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Vgl. unter anderem Daniel J. Elazar, Stuart A. Cohen: Jewish Political Organization. The Jewish Polity from Biblical Times to the Present. Bloomington 1985; Simon Schwarzfuchs: A Concise History of the Rabbinate. Oxford 1993; Mordechai Breuer: The Rabbinate in Ashkenaz during the Middle Ages. Jerusalem 1976 [Hebräisch]; Michael Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich. München 1998 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte. Bd. 44). Jacob Weil: She'eilot u-teshuvot. Jerusalem 1958/59. Responsum 146. Zitiert nach Eric Zimmer: Harmony and Discord. An Analysis of Jewish Self-Government in Fifteenth-Century Central Europe. New York 1970. S. 198, Anm. 118. Vgl. auch Israel Isserlein: Terumas HaDeshen. Bd. 1: She'eilot u-teshuvot. Bd. 2: Peskim. Hg. von Shmuel Avitan. Jerusalem 1990. Responsum 144.
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trennen und zu eigenen Vereinbarungen über die Steuer mit der nichtjüdischen Obrigkeit zu kommen. Für dieses Vergehen mußten sie auf die Vorteile der rituellen Schlachtung, der gemeinsamen Gebete und weiterer religiöser Dienste verzichten.6 Die Geschichte zog noch weitere Verwicklungen innerhalb der Synagoge nach sich, als ein gewisser Rabbi Meisterlin mit Gewalt vom Lesepult verdrängt und während der Gemeindegebete gedemütigt wurde. Auf der einfachsten Ebene war die Gemeinde somit eine Gruppe, an die sich die einzelnen Juden aus rituellen wie auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gebunden fühlten. Wie wurde nun Mitgliedschaft in einer solchen Gemeinde bestimmt? In einigen Gemeinden geschah die Aufnahme automatisch, wenn eine Person dort länger als zwölf Monate gelebt, ein Haus gekauft, ein Geschäft aufgebaut oder die gesamte Familie angesiedelt hatte. Mitgliedschaft in einer Gemeinde ging aber über die bloße Anwesenheit hinaus. Aus Steuergründen konnten Einzelpersonen, die nicht mehr in einer bestimmten Stadt lebten, gezwungen sein, finanzielle Beiträge für diese Gemeinde zu leisten, oder auch für Geschäfte verantwortlich zu sein, die außerhalb einer bestimmten Gemeinde lagen.7 Manche Gemeinden begrenzten, wie wir noch sehen werden, die Mitgliedschaft sehr effektiv, und trotzdem konnte die Vorstellung von Gemeinde über den Aufenthalt in einer bestimmten Stadt hinausgehen. Zudem gab es eher regional gestützte Gemeinden (Medinah). Kleinere Gemeinden wurden oft einer größeren benachbarten 'angegliedert', etwa bei der Ausübung religiöser und ritueller Funktionen oder auch bei der Zahlung von Steuern oder finanzieller Unterstützung. Bei der Diskussion über einen Streit zwischen den Judenschaften von Würzburg und Heidingsfeld um die Beteiligung an einem Fonds für bedrohte jüdische Gemeinden zitierte Moses Mintz eine Entscheidung Meirs von Rothenburg, daß auch außerhalb der Stadt 6 7
J. Weil: Responsum 140 (Anm. 4). J. Weil: Responsum 133 (Anm. 4). Nach Rabbi Moses Mintz konnte sich eine Einzelperson nicht von ihrer Gemeinde trennen. Vgl. Moses Mintz: She'eilot u-teshuvot Rabbenu Moshe Mintz (Maharam Mintz). 2 Bde. Hg. von Yonathan Shraga Dumav. Jerusalem 1991. Responsa 62 und 72. Joseph Colon wies allerdings die Gemeinde von Würzburg zurecht, als diese versuchte, ein nicht mehr dort lebendes Gemeindemitglied dazu zu zwingen, Steuern zu zahlen. Vgl. Joseph Colon: She'eilot u-teshuvot Maharik. Jerusalem 1989. Responsum 1. Eine Einzelperson konnte auch nach dem Wegzug aus einer Gemeinde noch Verpflichtungen dieser Gemeinde gegenüber haben (Moses Mintz: Responsum 80). Auch J. Weil erwähnt Einzelne, die versuchten, sich in Steuerfällen von der Gemeinde zu trennen (J. Weil: Responsa 140 und 81). Im letzteren der beiden Responsa beschäftigt er sich mit einem Fall, in dem ein seine Gemeinde verlassendes Gemeindemitglied dazu verpflichtet wurde, weiterhin alle Steuern zu zahlen, die vor seinem Wegzug in der Gemeinde angekündigt worden waren; die Begründung dafür war, daß die nichtjüdischen Behörden sich nicht um Zu- und Wegzüge kümmerten, sondern das Steuerpotential, gestützt auf die Zahl der Einwohner und ihrer Wirtschaftskraft zu einem bestimmten Zeitpunkt festlegt, ohne daran etwas zu ändern, wenn sich die Anzahl der in der Stadt wohnenden Juden veränderte. Nach J. Weil mußten aber Verordnungen einer Gemeinde nicht unbedingt auch in einer anderen Gemeinde oder einem anderen Gebiet gelten. Vgl. Responsum 65, wo er Rabbi Jacob Molin, den Maharil, zitiert.
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Wohnende sich an diesen Bemühungen innerhalb der Stadt beteiligen müßten.8 Menahem von Merseburg (auch bekannt als Rabbi Menahem Me'il Tzedek), der Ende des 14. bis Anfang des 15. Jahrhunderts in Sachsen lebte - Fragmente seiner halachischen Entscheidungen wurden in den Responsa Jacob Weils als 'Nimukei R. Menahem Merseburg' veröffentlicht vermerkte ebenfalls: Wenn sie dem Kahal Zahlung für den König geben [...] werden alle Ortsansässigen [Bnei Hayishuvim] in der Nähe mit ihnen geben.9 Gemeinde war also ein sehr locker definierter Begriff, der entweder eine Einheit im Ritus umfaßte und das Gefühl eines gemeinsamen Schicksals mit einschloß - oder zumindest eine gemeinsame Abwehr gegen Druck von außen. Eine jüdische Gemeinde bestand aus vielen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen, konnte aber auch eine Stadt, in der die Juden zusammen wohnten, mit den Vorstadtgebieten oder kleineren Gemeinden in der Nähe zusammenschließen. Schließlich war Gemeinde aber auch in dem Zusammenwirken einer Anzahl von Kehillot innerhalb einer bestimmten Region, der Medinah, oder eines ganzen Landes denkbar.10 Die jüdische Gemeinde im mittelalterlichen Deutschland war in gewissem Sinn ein Staat im Staate. Auf der einen Seite besaß sie das Recht auf Selbstverwaltung, auf der anderen Seite hing diese jüdische Autonomie von der Tolerierung und dem Schutz der nichtjüdischen Regierung ab. Aus diesem Grund lebten die Juden innerhalb zweier Rechtssysteme, deren Kompetenzen sich oft überschnitten und die sich häufig widersprachen. Trotz ihrer Bemühungen hatten die jüdischen Vorsteher manchmal sogar Schwierigkeiten, Gerichtsfälle, die sich ausschließlich auf Juden bezogen, von christlichen Gerichten fernzuhalten. Obwohl er nur ungern in Prozesse verwickelt wurde, erklärte sich zum Beispiel Rabbi Jacob Weil oft dazu bereit, Fälle zu entscheiden, um so die Prozeßparteien daran zu hindern, ihre Klage vor einem nichtjüdischen Gericht auszutragen." Im allgemeinen beruhte die Organisation der jüdischen Gemeinden auf der Einhaltung einer einheitlichen und traditionellen Gesetzessammlung durch ihre Mitglieder, wie sie vor allem im Talmud und den verschiedenen mittelalterlichen Kodifikationen des talmudischen Rechts, wie zum Beispiel der 'Mishneh Thora' von Maimonides oder dem 'Arba'ah Turim' von Rabbi Jacob Asher, überliefert worden waren. Außerdem wurden örtliche Gemeinden auch durch die Entscheidungen einflußrei8 9 10
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Moses Mintz: Responsum 1 (Anm. 7). Menahem of Merseburg: Nimukei Menahem Merseburg. In: J. Weil (Anm. 4) S. 167-178. Vgl. Israel Bruna: She'eilot u-teshuvot rabbi Yisroel me-Bruna. Jerusalem 1959. Responsum 257, in dem es um eine Gemeinde in Franken geht, die sich weigerte, eine Sondersteuer zu zahlen. Vgl. außerdem Moses Mintz: Responsum 62 (Anm. 7). In einem anderen Responsum argumentiert Bruna, daß jeder (nicht nur der Kehillot) zur Hilfe verpflichtet ist, wenn eine Stadt der Medinah in Gefahr ist, so wie es mit Regensburg 1456 der Fall war. Eine ähnliche Entscheidung stammt auch von Moses Mintz, als der Bischof die Juden von Würzburg vertreiben wollte. In diesem Fall war die Gemeinde von Heidingsfeld nicht bereit zu helfen. Vgl. Moses Mintz: Responsum 1 (das auch schon im Text zu Anm. 3 behandelt wurde). Bemard Rosensweig: Ashkenazic Jewry in Transition. Waterloo, Ontario 1975. S. 39.
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eher Rabbiner in ihren Responsa, durch die Takkanot (Verordnungen) örtlicher und manchmal auch regionaler Autoritäten und durch die Macht lokaler und regionaler Gewohnheiten erst geschaffen. In jüdischen Quellen werden häufig Rabbiner oder Juden aus "Frankreich und Deutschland" oder aus "Ashkenaz" erwähnt12 - beide Begriffe wurden im Prinzip synonym verwendet. Gleichzeitig konnten aber auch die in einer bestimmten Region13 oder Gemeinde vorherrschenden Gewohnheiten den Vorrang haben. Rabbi Israel Bruna erwähnt Minhagim (Bräuche), die aschkenasisch,14 österreichisch15 oder auf die Stadt Regensburg16 beschränkt waren, oder auch ganz Israel17 einschlössen, also alle Juden der Welt. Es ist eine wichtige jüdische Rechtsvorstellung, daß die Gewohnheit, sofern sie nicht den Gesetzen der Thora oder des Talmud widerspricht, Vorrang vor der Halacha hat.18 Diese Vorstellung war in den verstreuten Gemeinden des 15. Jahrhunderts besonders verbreitet. Sowohl Bruna als auch der italienische Rechtsgelehrte Rabbi Joseph Colon (1410/20-1480) zitierten den Palästinensischen Talmud in bezug auf das Gewohnheitsrecht. Colon schrieb im Zusammenhang mit einem Erbschaftsfall: Wir lernen im Palästinensischen Talmud, daß Gewohnheit das Gesetz aufhebt, und es ist zum Beispiel im [Traktat] Avodah Zara geschrieben, daß es die ständige Gewohnheit aus den Mündern der Weisen des Ortes ist [die das Gesetz aufhebt]; wie auch im Traktat Sofrim gesagt wird, daß kein Gesetz von Dauer sein wird, wenn es nicht zur Gewohnheit [des Landes] wird, und [...] [es ist in diesem Zusammenhang], es wird auch gesagt, daß Gewohnheit stärker ist als das Gesetz, wobei es sich auf verfugte Gewohnheiten bezieht; aber Gewohnheit, die sich nicht von der Thora herleitet, ist wie ein Denkfehler, und wie viele unzulängliche Gewohnheiten gibt es [...].19 Gewisse religiöse Bräuche waren ganz offensichtlich regional, wie zum Beispiel eine der Eßgewohnheiten in der Steiermark, die, wie Bruna andeutet, sonst nirgends befolgt wurde.20 Rabbi Weil erwähnt, daß die Juden in Nürnberg um des 12 13
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I. Bruna: Responsa 67 und 211 (Anm. 10). Vgl. auch J. Weil: Responsum 79 (Anm. 4). Vgl. J. Weil: Responsum 30 (Anm. 4), wo er in einem Fall der Unterordnung unter ein nichtjüdisches Gericht über den Minhag der Medinah schreibt oder Responsum 28 über den Vollzug von Strafen in der Synagoge zwischen den Nachmittags- und den Abendgebeten. I. Bruna: Responsum 14 (Anm. 10). Auch J. Weil schreibt davon, daß es in allen aschkenasischen Gebieten nachsichtig beurteilt werde, wenn ein Nichtjude am Sabbat für ein Kind kochen könnte, da ein Kind in diesem Fall als krank betrachtet werde. Vgl. J. Weil: Responsum 46 (Anm. 4). I. Bruna: Responsum 12 (Anm. 10) und auch J. Weil: Responsum 66 (Anm. 4). I. Bruna: Responsum 98 (Anm. 10) und auch J. Weil: Responsum 66 (Anm. 4). I. Bruna: Responsum 93 (Anm. 10). I. Bruna: Responsum 23 (Anm. 10). Vgl. auch die Diskussion in der Mishnah und Gemara in Pesahim. J. Colon: Responsum 8 (Anm. 7). Vgl. auch Responsum 102. I. Bruna: Responsum 146 (Anm. 10).
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Friedens willen gewohnt waren, auch mit Nichtjuden zu essen, aber er weist auch daraufhin, daß dies keine allgemeine Gewohnheit war, die auch anderswo befolgt wurde.21 Darüber hinaus gab es noch weitere Beziehungen, die Juden aus verschiedenen Gemeinden und Regionen miteinander verbanden und die von der hohen Mobilität der Juden im Spätmittelalter getragen wurden.22 Reisen zwischen den Kommunen fanden offensichtlich häufig statt, und das aus vielen Gründen. Bruna erwähnt eine Frau, die von Tarburg (?) zu einer Hochzeit nach Regensburg reiste;23 eine andere Frau reiste "aus einer anderen Stadt" nach Regensburg, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen;24 und Isserlein zitiert den Fall eines jungen Mannes, der in eine andere Medinah reisen wollte, um dort bei einem Rabbiner zu studieren, dessen Vater aber einschritt und ihm nicht erlaubte zu gehen.25 Es ist offensichtlich, daß Einzelpersonen aus kleineren Gemeinden für religiöse Zeremonien, Bestattungen, Geschäfte oder religiöse Dienste in größere Siedlungen reisten. Laut Isserlein wollten die Einwohner einer Siedlung zu der benachbarten Stadt gehen, um an Purim die Lesung aus der Megillah zu hören.26 Wie Alfred Haverkamp schon geltend gemacht hat, stieg die Anzahl der kleinen jüdischen Siedlungen um die Mitte des 15. Jahrhunderts stark an.27 Ein etabliertes und sogar bis zu einem gewissen Grad unabhängiges Landjudentum entstand nicht erst in der Frühen Neuzeit. Unser Verständnis von jüdischem Gemeindeleben und seinen Machtstrukturen muß daher neu definiert werden. Obwohl vorgeschlagen wurde, daß im 15. Jahrhundert eine Umformung der auf der Kehillah beruhenden Autoritätsstruktur zu einer anderen stattfand, die auf der Medinah basierte,28 ist dieser Vorgang wie auch dessen Auswirkungen auf die jüdische Halacha und das tägliche Leben der Juden bisher noch nicht zufriedenstellend erforscht. Die Responsa von Rabbi Jacob Weil schwanken zum Beispiel zwischen 21
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J. Weil: Responsum 49 (Anm. 4). Juden aßen allerdings bei vielen Gelegenheiten zusammen mit Nichtjuden. Vgl. I. Isserlein: Responsum 239 (Anm. 5), in dem ein Jude, der allerdings nicht wie ein Jude gekleidet war, an einem Tisch in einem Hotel mit Nichtjuden zusammensaß, die zugaben, einen Juden getötet zu haben. Vgl. die Diskussion weiter unten. S. 173f. I. Bruna: Responsum 24 (Anm. 10). I. Bruna: Responsum 180 (Anm. 10). I. Isserlein: Responsum 40 (Anm. 5); allerdings werden keine Details erwähnt. Isserlein beschäftigt sich mit der Frage, ob diese Personen dazu verpflichtet sind, schon am Sabbat vor Purim in der Stadt zu sein, um auch die Lesung des Parshat Zahor zu hören. Dieser Parsha gehört nach den Tosafos zusammen mit Para Adumah zu den verpflichtenden Lesungen aus der Thora, und sie sind daher in diesem Fall wichtiger als die Lesung der Megillah. I. Isserlein: Responsum 108 (Anm. 5). A. Haverkamp (Anm. 1) S. 19 und 27f. D.J. Elazar, S.A. Cohen (Anm. 3) S. 162. Vgl. auch Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana Bd. 2). S. 80-109.
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Vorstellungen von Autoritäten, die regional und lokal verankert waren, und solchen von Gemeinde, die integrativ oder exklusiv sein konnten.29 Jüdische Gemeinden besaßen eine jeweils eigene Identität und Struktur, hatten gleichzeitig aber auch Anteil an größeren regionalen Einheiten und wiesen Ähnlichkeiten auf. Konflikte zwischen Einzelpersonen verschiedener Gemeinden oder zwischen Gesamtgemeinden waren daher nicht selten. Die Augsburger jüdische Gemeinde focht beispielsweise zwischen 1418 und 1429 einen Streit mit Nasse von Ingolstadt aus, der schließlich zugunsten Augsburgs entschieden wurde.30
II. Aspekte der Gemeindestrukturen und das Rabbinat Die Gemeinde wurde durch einen Rat geleitet, der sich ursprünglich aus wohlhabenden und gelehrten31 Mitgliedern zusammensetzte und religiöse wie zivile Funktionen ausübte: Etwa, um kommunale Verfahrensweisen in Gang zu bringen und zu regulieren sowie die gemeindlichen Interessen in wirtschaftlichen, gerichtlichen bzw. diplomatischen Angelegenheiten zu vertreten.32 Die Ratsmitglieder wurden durch eine Mehrheitswahl bestimmt und eidlich zur Verschwiegenheit verpflichtet.33 Der Judenrat an der Spitze der Gemeinde in Nürnberg, der jährlich unter Aufsicht der (nichtjüdischen) Stadtbeamten gewählt wurde, bestand in der Regel aus wohlhabenden Juden, während der Rabbiner zumindest nach 1350 nicht mehr beteiligt war. Das Gremium entschied über Streitfälle zwischen einheimischen und fremden Juden, Fälle von Denunziationen, überwachte die Erklärung
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Vgl. auch J. Weil: Responsa 30, 65, 97 und 113 (Anm. 4). Responsum 30: daher habe ich einen minhag [Brauch] wie diesen noch nie gesehen oder davon gehört, und ich kenne das Urteil meines Lehrers maharai Mollin gesegneten Angedenkens [...] selbst wenn [solch] ein minhag in ihrer medinah bekannt ist [...]; Responsum 65: [...] aber die takkanot dieser kehillot beziehen sich nur auf diese medinah [...]; Responsum 97 erörtert verschiedene Minhagim in bezug auf rituell geschächtetes Fleisch in Nürnberg; Responsum 113: im minhag der medinah im medinot von Rinis [Rhein] bis Koblenz und aller medinot von Franken und Schwaben Bayern[?] bis Regensburg überall, wo sie nohag [gebräuchlich] sind. Germania Judaica. Hg. von Arye Maimon, Mordechai Breuer, Yacov Guggenheim. Bd. 3. Teil 1. Tübingen 1987. S. 45. Vermögen scheint dabei das ausschlaggebende Kriterium gewesen zu sein. Vgl. E. Zimmer (Anm. 5) S. 20f. Vgl. besonders M. Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich (Anm. 4). S. 85f. für die neuere Literatur; vgl. ebenso seinen Aufsatz über die Juden in Nürnberg: Michael Toch: Nürnberg. In: Germania Judaica. Hg. von Arye Maimon, Mordechai Breuer, Yacov Guggenheim. Bd. 3. Teil 2. Tübingen 1995. S. 1001-1044. Sie werden in den Quellen mit vielen verschiedenen Begriffen bezeichnet, wie z.B. Parnasim, Gabbai, Ma'arichim, Ba'alai hoda'ot. Vgl. E. Zimmer (Anm. 5) S. 18.
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und den Einzug von Steuern und manchmal auch die Verteilung von Almosen.34 In Ulm wurden die Synagoge und die Gemeindeangelegenheiten von zwei Kuratoren verwaltet, die ebenfalls aus der Gruppe der Wohlhabenden stammten. Kleinere Gemeinden hatten dagegen nur sog. Parnasim, die innerhalb der Gemeinde verschiedene Verwaltungsfunktionen erfüllten und die Beziehungen zur nichtjüdischen Obrigkeit überwachten. In größeren Gemeinden, die oft auch kleinere, von ihnen abhängige Gemeinden einschlössen, wurden die wichtigsten administrativen Aufgaben auf unterschiedliche Ämter verteilt, die oft nach dem Vorbild lokaler nichtjüdischer Strukturen aufgebaut waren. Bekannt sind zum Beispiel Almosenpfleger, Steuerschätzer, wie auch Amtsinhaber, die sich um die Erhaltung des Friedhofs und der Synagoge zu kümmern hatten. Die Anzahl der Mitglieder des Gemeinderats und die genauen Modalitäten für ihre Wahl schwankten von Stadt zu Stadt. Die meisten Städte ernannten zwischen sieben und vierzehn Mitglieder. In manchen Orten wurden die Ratsmitglieder durch eine einfache Mehrheitswahl aller Einwohner gewählt, in anderen Städten indirekt durch ein Wahlkomitee. In der Regel dauerte eine Amtszeit zumindest in der Theorie ein Jahr; in der Praxis behielten die Ratsherren jedoch in den meisten Fällen ihr Amt, solange sie ihre Pflichten erfüllten. Die Wahlen mußten zusätzlich von der christlichen Obrigkeit gebilligt werden, die den neuen Amtsinhabern einen Loyalitätseid sowie eine Wahlgebühr abforderte. Gemeindeführer konnten zum Teil ihre große Machtfülle zur persönlichen Bereicherung nutzen, während sie gleichzeitig persönlich verantwortlich waren für die Pflichten und Lasten der Gemeinde, wie zum Beispiel bei Lösegeldzahlungen für Glaubensgenossen in Gefangenschaft. Die dramatischen Resultate der Pogrome im Gefolge des Schwarzen Todes hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland. Alte Siedlungsverbote, die in dem Bemühen aufrecht erhalten worden waren, die Bevölkerungszahl zu kontrollieren und den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder zu erhalten, wurden gelockert. Gleichzeitig wurden die Zuständigkeitsbereiche des Rabbiners zunehmend ausgebaut, dessen Position sowohl 'professioneller' als auch wichtiger wurde, da er die entscheidende Person war, die den Korpus des jüdischen Gesetzes deuten und anwenden konnte.35 Die Rabbiner erfüllten nicht zu34
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Zu Gemeinderäten und ihrem Aufgabenbereich z.B. E. Zimmer (Anm. 5) S. 14f.; vgl. auch Jacob Katz: Tradition and Crisis. New York 1971. S. 79f. Vgl. dazu: A History of the Jewish People. Hg. von Hayyim Hillel Ben-Sasson. Cambridge, Mass. 1994. S. 593 und 597. Es gibt eine Anzahl wichtiger Studien zum Rabbinat im späten Mittelalter; von besonderer Bedeutung sind dabei die folgenden: Israel Yuval: Scholars in their Time: The Religious Leadership of the German Jewry in the Late Middle Ages. Jerusalem 1988 [Hebräisch]; Yedidya Alter Dinari: The Rabbis of Germany and Austria at the Close of the Middle Ages: Their Conceptions and Halacha-Writings. Jerusalem 1984 [Hebräisch]; S. Schwarzfuchs: A Concise History of the Rabbinate (Anm. 3) - von besonderem Interesse sind hier die Kapitel 1: The Origins, Kapitel 2: The Affirmation of the Rabbinate und Kapitel 3: The Problem of Ordination; Das aschkenasische Rabbinat: Studien
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letzt zentrale Aufgaben beim Wiederaufbau der verstreuten jüdischen Gemeinden. Rabbi Moses Mintz stellt seine Erfahrungen bei der Ankunft in Bamberg folgendermaßen dar: Bevor ich hierher zu der Gemeinde von Bamberg kam, war dieser Ort wie eine durchbrochene Mauer [...] und es gab keinen Mann, der daran dachte, die örtlichen Angelegenheiten zu verbessern und zu lenken. Und die Mitglieder der Gemeinde waren wie Schafe, die keinen Hirten hatten, und [...] es gab kein Geld in der Almosenkasse, nicht bei der Synagoge und nicht beim Friedhof [...] und zu allen Zeiten kamen die Armen [...] und sagten: Gebt uns Kleidung oder zu essen, und sie klagten bitterlich und keiner kümmerte sich um sie [...]. Und auch wenn es um die letzten Riten für die Verstorbenen ging, gab es keine Vorsorge dafür [...] und deshalb blieben die Toten liegen,36 Für Mintz gehörte es zur Rolle des Rabbiners, die Angelegenheiten einer im Zustand der Auflösung begriffenen Gemeinde zu regulieren und zu verbessern. Es ist daher kein Wunder, daß Rabbi Weil bei einem ihm vorliegenden Fall den Urteilsspruch fällte, daß keiner der Gelehrten in einer Stadt den Vorrang haben sollte - sie hätten die Möglichkeit und auch die Verpflichtung, die Bevölkerung zu belehren, ohne Angst oder den Vorwurf der Konkurrenz, da die jüdischen Gemeinden an manchen Orten einen so niedrigen Stand erreicht hatten, sie lebten ohne Kenntnis des jüdischen Gesetzes und ohne die Möglichkeit einander zu helfen.37 Bis zum 15. Jahrhundert wurde die Macht und Autorität des Rabbiners durch die Verleihung der rabbinischen Würde institutionalisiert. Der Ritus hatte zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Weihe katholischer Priester, war aber seiner Bedeutung nach mehr der Zuerkennung eines universitären Doktortitels verwandt. Tatsächlich kritisierten auch einige, in der Mehrzahl spanische Gelehrte diese Entwicklung zur Professionalisierung mit dem Argument, daß man damit "die Christen nachgeahmt hätte, die die Gewohnheit haben, Doktoren zu machen."38
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über Glaube und Schicksal. Hg. von Julius Carlebach. Berlin 1995. - Vgl. außerdem die Aufsätze von Israel J. Yuval: Juristen, Ärzte und Rabbiner: Zum typologischen Vergleich intellektueller Berufsgruppen im Spätmittelalter. S. 119-131. In: Carlebach (Hg.): Das askenische Rabbinat. S. 119-130; Simon Schwarzfuchs: The Making of the Rabbi. In: Carlebach (Hg.) Das askenische Rabbinat. S. 133-140; M. Breuer: The Rabbinate in Ashkenaz during the Middle Ages (Anm. 3). Vgl. besonders S. 18-22, in denen die Professionalisierung des Rabbinats und S. 22-25, in denen die Beziehung zwischen dem Rabbinat und den Parnasim diskutiert wird. Vgl. außerdem Mordechai Breuer: The Position of the Rabbinate in the Leadership of the German Communities in the Fifteenth Century. In: Zion 41. 1976. S. 47-67 [Hebräisch], Zitiert nach A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 599. Vgl. J. Weil: Responsum 131 (Anm. 4). Nach Isaac Abravanel. Zitiert nach Robert Bonfil: Aliens Within: The Jews and Antijudaism. In: Handbook of European History 1400-1600: Late Middle Ages, Renaissance and Reformation. Hg. von Thomas A. Brady, Heiko A. Oberman und James D. Tracy. Bd. 1. Leiden 1994. S. 263-302, hier S. 284.
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Laut Robert Bonfil sind die Ähnlichkeiten zwischen der Verleihung der rabbinischen Würde und der eines Doktortitels einer genaueren Untersuchung wert: Beide verschafften dem Empfänger mittels eines außerordentlichen Zeremoniells wie der Steuerfreiheit "professionelle" Rechte und finanzielle Vorteile.39 Urkunden für die beiden Würden ähnelten einander auch in der Wortwahl. Dabei verfugte der Rabbiner aber nicht nur über intellektuelle Kompetenzen: Zumindest in der Theorie besaß er auch die Macht zur Bestrafung durch den Bann. Die rabbinische Würde band den Empfänger nicht an die Welt der Bücher und Gelehrsamkeit in der Jeschiwa (oder, um den Vergleich anzustellen, den Bonfil vorschlug, der Universität), er hatte im Gegenteil das Recht, Pflichten innerhalb der Gemeinschaft zu übernehmen. Ein bedeutender Punkt in Bonfils Analyse wird hier sichtbar: Rabbiner wurden nicht nur als Richter, sondern auch als Berater in Fragen des Rechts und des Ritus benötigt. "Weil sie so eng mit der Sphäre der Glaubenslehre und des Heiligen verknüpft war, war die Banngewalt von fundamentaler Wichtigkeit für die legitimen Wahrer des gelehrten Wissens, die Rabbiner."40 Da diese Kontrolle der Riten für den Zusammenhalt der Gemeinde nötig war, stellte der Rabbiner eine Quelle von Macht und Wissen dar. Bonfil zieht den Schluß: Es ist kein Wunder, daß die ersten Eindrücke der christlichen Welt von der komplexen Gestalt des Rabbiners von Anfang an von Unsicherheit geprägt waren, wie es schon die frühesten Zeugnisse zeigen. Dem Rabbi wurden in lateinischen und volkssprachlichen Urkunden auch tatsächlich mehrere Titel zugeschrieben: er war magister oder doctor und manchmal sogar noch deutlicher doctor legis hebraicae, Judenbischof oder Hochmeister der Juden" Im 15. Jahrhundert lassen sich verschiedene Typen von Rabbinern und rabbinischen Autoritäten festmachen:42 Dem nichtprofessionellen Rabbi, auch Smikhat Haber oder Rav genannt, wurde der Titel nach mehreren Jahren des Studiums verliehen. Er konnte Mitglied in offiziellen Gerichten werden, Tribunale bilden, gewisse Rechtsfälle entscheiden, Mitglied eines Gemeinderats werden, die Kehillah in Angelegenheiten, die mehrere Gemeinden betrafen, vertreten, und er fällte möglicherweise sogar manche Entscheidungen in rituellen Fragen, allerdings nicht in Heirats- oder Scheidungsfällen, er zahlte Steuern und übte oft auch noch ein Gewerbe aus. Der maßgebende Rabbiner einer Gemeinde war demgegenüber ein rabbinischer Gelehrter, der eine Akademie unterhielt (das heißt, er hatte ein Unterrichtsprivileg), der in Ritusfragen die Entscheidungsgewalt inne hatte und Schächter und Inspektoren einsetzen konnte; außerdem konnte er Inspektoren
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R. Bonfil: Aliens Within (Anm. 38) S. 284f. R. Bonfil: Aliens Within (Anm. 38) S. 286f. R. Bonfil: Aliens Within (Anm. 38) S. 287f. Eine Erörterung des folgenden findet sich auch in E. Zimmer (Anm. 5) Kapitel 5, vor allem S. 110-114.
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auch in andere Gemeinden senden,43 öffentliche Ansprachen halten und viele der religiösen Gemeindefiinktionen durchfuhren, wie z.B. Hochzeiten, Scheidungen, Halizot oder auch die Eide von Witwen abnehmen, damit diese ihre Ketubot erhielten. Er übernahm zudem die Funktion eines Schiedsrichters, und zwar sowohl in Tribunalen wie auch als Einzelrichter. Manche Gemeinden hatten mehr als einen dieser 'amtlichen' Rabbiner. Normalerweise wurde er von der Gemeinde bestellt, in der er schon mehrere Jahre gelebt hatte; er konnte aber auch von einem anderen prominenten Rabbiner eingesetzt werden. Rabbi Weil erwähnt beispielsweise die Erlaubnis seines Mentors, des Maharil, in der Stadt Nürnberg eine Jeschiwa einzurichten, obwohl Rabbi Katz dort schon eine Schule unterhielt; wahrscheinlich ersetzte Weil einen Verwandten seines Lehrers, des Maharil, als er später sein Amt als Rabbiner in Augsburg antrat.44 Eine Gemeinde konnte allerdings nicht gezwungen werden, einen Rabbiner anzunehmen: Im Fall von Rabbi Solomon Shapiro, der versucht hatte, seine Autorität in Breslau gegen die Gemeinde durchzusetzen, entschied Rabbi Weil zugunsten der Gemeinde: "Du kannst niemanden gegen seinen Willen richten, und vor allem nicht in Breslau, weil sie dort Deine Meinung nicht annehmen wollen."45 Obwohl die ersten Hinweise auf einen größeren sozialen Einfluß der Rabbiner bereits ins 13. Jahrhundert - etwa mit der Person Meirs von Rothenburg - zurückreichen, entwickelte sich erst gegen Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein professionelles Rabbinat, das nun auch begann, Gebühren für seine Dienste zu erheben.46 Aufgrund der verheerenden Folgen des Schwarzen Todes verfolgte z.B. auch Rabbi Meir b. Baruch Halevi aus Wien schon Ende des 14. Jahrhunderts die Politik, seinen Schülern den Titel morenu rav zu verleihen, um sie in die Lage zu versetzen, eine Akademie zu gründen und notwendige rabbinische Funktionen zu erfüllen. Diese Art der Smikha (Einsetzung) war schließlich im 15. Jahrhundert weit verbreitet, und mit der steigenden Zahl der Einsetzungen kam es auch zu einer größeren Anerkennung, wenn auch nicht immer zur Akzeptanz rabbinischer Autorität. 43
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Vgl. J. Weil: Responsum 50 (Anm. 4), in dem auch erwähnt wird, daß Weil die Macht besaß, Inspektoren in die Provinz Neckar zu schicken, um die Kompetenz der Schächter und ihrer Aufseher zu überprüfen. Weils spätere Berühmtheit beruhte dann auch hauptsächlich auf seinem Werk über die rituelle Schlachtung. Vgl. dazu auch J. Weil: Responsum 97 (Anm. 4). J. Weil: Responsum 151 (Anm. 4). Vgl. auch I. Yuval: Scholars in their time (Anm. 35) Anmerkung 133 weiter unten. J. Weil: Responsum 146 (Anm. 4); vgl. auch B. Rosenzweig (Anm. 11) S. 38; zitiert nach S. Schwarzfuchs: A Concise History (Anm. 3) S. 30. I. Isserlein: Peskim 128 (Anm. 5); vgl. auch S. Schwarzfuchs: A Concise History (Anm. 3) Kapitel 3 und vor allem M. Breuer: The Rabbinate in Ashkenaz during the Middle Ages (Anm. 3) S. 18. Breuer beginnt seine Erörterung der Professionalisierung des Rabbinats mit Meir von Rothenburg. Vgl. außerdem Robert Bonfil: Rabbis and Jewish Communities in Renaissance Italy. Ins Englische übersetzt von Jonathan Chipman. London 1993 (ursprünglich 1990). S. 28f. für eine vergleichende Darstellung der Situation in Italien und Deutschland.
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III. Die Gemeinden in Augsburg, Nürnberg und Regensburg Im folgenden soll das Schicksal der Juden in Augsburg,47 Nürnberg48 und Regensburg49 skizziert werden, um den Begriff der Gemeinde und die Entwicklung kommunaler Spannungen in den mittleren Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts an konkreten Beispielen zu verdeutlichen. Wie in vielen deutschen Städten stammen die frühesten Quellen über jüdische Einwohner in Augsburg aus dem 13. Jahrhundert. Die Synagoge ist 1276 zum ersten Mal belegt, obwohl möglicherweise schon 1259 auf dieses Gebäude hingewiesen wird;50 1290 wird dann auch ein Badehaus erwähnt51 und 1298 ein jüdischer Friedhof.52 Das Stadtrecht von 1276 behandelt vor allem die Zusammensetzung des jüdischen Gerichts, die Rolle christlicher und jüdischer Zeugen, das Verbot sexueller Beziehungen zwischen Christen und Juden und die Auflage, daß Juden in der Öffentlichkeit den Judenhut zu tragen hätten. Diese Bestimmungen spiegeln sowohl tolerante als auch diskriminierende Tendenzen wider.53 Bernhard 47
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R.H. Seitz: Augsburg. In: Germania Judaica. Bd. 3. Teil 1 (Anm. 32) S. 39-65; siehe außerdem Raphael Straus: Augsburg und Regensburg (übersetzt von Felix N. Gerson). Philadelphia 1939; Bernhard Schimmelpfennig: Christen und Juden im Augsburg des Mittelalters. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 28), Seite 23-38; Fritz Leopold Steinthal: Geschichte der Juden im Mittelalter. Berlin 1911; Richard Grünfeld: Ein Gang durch die Geschichte der Juden von Augsburg: Festschrift zur Einweihung der neuen Synagoge in Augsburg am 4. April 1917. Augsburg 1917. Vgl. die außerordentliche Arbeit von M. Toch über Nürnberg (Anm. 32); außerdem Michael Toch: Die soziale und demographische Struktur der jüdischen Gemeinde Nürnbergs im Jahre 1489. In: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift für Hermann Kellenbenz. Hg. von J. Schneider. Bd. 5. Stuttgart 1981. S. 79-91; Michael Toch: 'Umb Gemeyns Nutz und Nottdurfft Willen.' Obrigkeitliches und jurisdiktionelles Denken bei der Austreibung der Nürnberger Juden 1498/99. In: Zeitschrift für Historische Forschung 1. 1984. S. 1-21; vgl. außerdem Arnd Müller: Geschichte der Juden in Nürnberg 1146-1945. Nürnberg 1968. Für den neuesten Forschungsstand vgl. Peter Herde: Regensburg. In: Germania Judaica. Bd. 3. Teil 2. (Anm. 32) S. 1179-1230. Außerdem das ältere, aber immer noch lesenswerte Werk von Raphael Straus über Augsburg und Regensburg (Anm. 47); Raphael Straus: Die Judengemeinden Regensburg im ausgehenden Mittelalter. Heidelberg 1932; Urkundenbuch und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg, 1453-1738. Hg. von Raphael Straus. München 1960. B. Schimmelpfennig (Anm. 47) S. 23-38. Urkundenbuch der Stadt Augsburg. Hg. von Christian Meyer. 2 Bde. Augsburg 1874-1878, Bd. 1. S. 96 zum 5. Dezember 1290. Es gibt eine Quelle aus dem Jahr 1290, in dem die Juden versprechen, auf eigene Kosten und innerhalb von vier Jahren eine Mauer von ihrem 'Kirchhof zu den Gräbern (?) zu bauen. Vgl. Urkundenbuch der Stadt Augsburg. Bd. 1 (Anm. 51) S. 129f. Allerdings kommen anderswo praktizierte Perversionen, die zum Beispiel die Juden dazu zwangen, Eide auf Schweinehäuten stehend abzulegen, in Augsburg erst im 15. Jahrhundert auf. B. Schimmelpfennig (Anm. 47) S. 23 und 27.
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Schimmelpfennig zieht daraus den Schluß, daß bis zum Jahr 1300 in Augsburg gegenüber den Juden Toleranz vorherrschte.54 Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts wurden die Juden aus fiskalischen und wirtschaftlichen Motiven geschützt. Danach begann sich allerdings auch in Augsburg das Klima zu verändern. Wahrscheinlich war der Pogrom an den Augsburger Juden 1348, der in den meisten Chroniken nur en passant erwähnt wird, im Kontext der Großen Pest geplant. Er geschah an einem Sabbat, und die meisten Juden (insgesamt um die 130 Personen, darunter auch 18 Steuerzahler) scheinen getötet oder aus der Stadt vertrieben worden zu sein. Dabei wirkten wohl verschiedene Motive zusammen: die Hoffnung auf einen Schuldenerlaß, der eskalierende Konflikt zwischen Bürgertum und Adel und auch der Versuch, die Bemühungen des Bischofs zu untergraben, seine Autorität über die Augsburger Juden zu stärken.55 Schon vor dem Massaker von 1348 hatte sich die Stellung der Juden verschlechtert. Bereits 1331 zeigt sich die geringer werdende Akzeptanz, und es war kein Zufall, daß auch die Bedeutung jüdischer Kredite deutlich sank.56 Trotzdem wurden schon wenige Jahre nach dem Pogrom von 1348 - wie in anderen deutschen Städten auch - wieder die ersten Juden zugelassen. Kaiser Karl IV. verlieh 1355 den Bürgern von Augsburg auf zwölf Jahre das Recht, sie aufzunehmen und zu besteuern, und noch im selben Jahr erscheinen 18 Juden in den Steuerlisten der Stadt. Vier Jahre später verlängerte der Kaiser das Privileg um 20 Jahre. Auch der Bischof realisierte seinerseits den Judenschutz, so daß sich schließlich wieder zwei jüdische Siedlungen in Augsburg etablieren konnten. Während die erste Augsburger Gemeinde sich bis 1348 im Handwerkerviertel am Judenberg (nahe der heutigen Maximilianstraße) angesiedelt hatte, vollzog sich der Neuanfang nach 1361 in der Judengasse südlich der Domimmunität, ungefähr 300 Meter nordwestlich vom ursprünglichen Siedlungsort. In den beiden Bezirken lebten Christen und Juden nebeneinander; es gab kein Getto, sondern die Juden begegneten täglich ihren nichtjüdischen Nachbarn,57 zumindest bis 1370.58 Wenn die jüngere Gemeinde, in der die Häuser auf beiden Seiten der Straße lagen, 1434 durch Seile abgeschlossen wurde, so handelte es sich dabei wohl um einen Eruw, also die Abgrenzung des Hausareals im Sinne der Sabbatgebote. Auf dem Höhepunkt der jüdischen Siedlung in Augsburg umfaßten die beiden Gemeinden
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Juden waren für den Unterhalt eines Teils der Stadtmauer verantwortlich, mußten aber für den Schutz der Stadt zahlen. Vgl. B. Schimmelpfennig (Anm. 47) S. Iii. B. Schimmelpfennig (Anm. 47) S. 33f. Siehe auch A. Haverkamp (Anm. 1) S. 18 zur abnehmenden Zahl von Synagogen in dieser Zeit. B. Schimmelpfennig (Anm. 47) S. 30. Für Quellen über die Konsequenzen, zumindest was den Grundbesitz anbetrifft, vgl. auch das Urkundenbuch der Stadt Augsburg. Bd. 1 (Anm. 51), z.B. die Seiten 1-21; 28-30: 32; 35; 41 und 51. A. Haverkamp (Anm. 1) S. 22 zu vergleichbaren Fällen in Deutschland. R.H. Seitz (Anm. 47) S. 40.
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je 15 Häuser; die nördliche stand unter der Jurisdiktion des Bischofs, die südliche unter der städtischen.59 Die Zahl der Juden unter städtischer Jurisdiktion stieg laut Steuerlisten bis 1383 kontinuierlich an; damals bestand die Gemeinde aus über 50 Steuerzahlern und etwa 300 Personen. Die Bürde der kaiserlichen Sonderbesteuerung lastete allerdings schwer auf den Juden, und bis 1387 sank ihre Zahl in den Steuerlisten auf 17 ab. Sie wurden zunehmend als Randgruppe gesehen und schließlich sogar mit Häretikern auf eine Stufe gestellt.60 Obwohl sie zunächst als Bürger der Stadt aufgenommen worden waren - hiervon zeugt ihre Nennung im Bürgerbuch (vor allem zwischen 1397 und 1419) - , wird bereits 1428 zum letzten Mal ein Jude als Bürger der Stadt erwähnt.61 Ihre schwächer werdende Stellung läßt sich auch an der folgenden Steuerstatistik zeigen:62 1380 zahlten 16,6% der Juden über 20 fl. Steuern, bis 1389 war dieser Anteil auf 7,4% gesunken, und danach steuerte kein Jude mehr in dieser Kategorie. Auf der anderen Seite stieg die Anzahl der Juden, die weniger als 10 fl. Steuern entrichteten, stetig von 55,5% (1389) über 88,8% (1392) und 89,5% (1400) auf schließlich 92% im Jahr 1424 an. Die gesetzliche Diskriminierung erreichte 1434 einen Höhepunkt, als die Juden erneut gezwungen wurden, den gelben Ring zu tragen.63 Der weit verbreitete religiöse Eifer, der nicht zuletzt in mehreren Städten durch das Konzil von Basel hervorgerufen wurde, verstärkte die Ausweisungstendenzen. 1438 wurde in Augsburg ein Vertreibungsedikt erlassen, das den Juden zwei Jahre Zeit ließ, die Stadt zu verlassen.64 Zu dieser Zeit war das jüdische Steueraufkommen nur mehr gering. Bis 1439 hatten von den 24 Steuerzahlern, die noch im Jahr zuvor aufgelistet worden waren, sechs die Stadt verlassen; 1440 wurden keine Juden mehr in den Steuerlisten verzeichnet. Bis 1445 entfernte man die Grabsteine und benutzte sie zur Reparatur der Rathausstufen - dies war das tatsächliche und symbolische Ende des jüdischen Lebens in Augsburg.65 Nürnberg ließ die Juden bereits einige Wochen nach dem Pogrom des 2. Mai 1349 wieder in die Stadt. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten konnten sie aber nicht mehr in das ursprüngliche Judenviertel zurückkehren, das zur Erweite59
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Markus J. Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr: Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert. Wien 1981. S. 115. B. Schimmelpfennig (Anm. 47.) S. 36. M.J. Wenninger (Anm. 59) S. 120f. R.H. Seitz (Anm. 47) S. 44. Den Juden war am 25. Januar 1361 das Recht erteilt worden, in der Stadt nur vor dem Reichsvogt angeklagt werden zu können. Urkundenbuch der Stadt Augsburg (Anm. 51) S. 94f. Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Hg. von der Historischen Kommission der Königlichen Akademie der Wissenschaften. 36 Bde. 18621931. Bd. 5 (Beilage). S. 377f. Vgl. den Bericht Burkhard Zinks in: Die Chroniken der deutschen Städte (Anm. 64) Bd. 5. S. 162 f.
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rung des Marktes herangezogen wurde, sondern sie wurden in einer unvorteilhaften Lage am Ostrand der Stadt angesiedelt. In diesem Areal - zwischen 1364 und 1383 vergrößert - waren die Häuser um einen großen Hof angeordnet, so daß sie eine geschlossene Einheit bildeten, obwohl es keine Mauer gab. Innerhalb dieses Judenviertels lagen die Synagoge, das Badehaus, Tanzhaus, zwei Backöfen, mindestens ein Brunnen und das Spital oder Szelhaus. Ein weiterer jüdischer Siedlungskomplex von 16 bis 18 Häusern wurde neben der Synagoge, aber nicht im eigentlichen Viertel, errichtet. Bis 1359 umfaßte die Gemeinde zehn bis zwölf männliche Haushaltsvorstände, die das Bürgerrecht besaßen. 1382 waren bereits 44 unabhängige jüdische Steuerzahler dort ansässig, und 1385/90 gingen 17 Geldwechsler ihrer Tätigkeit nach. Die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung wird im Jahr 1449 auf ungefähr 150 Personen geschätzt.66 Einen weiteren Einblick erlauben die Quellen für das Jahr 1489: Bei einer Gesamtzahl von etwa 200 bis 250 Personen zählte man 76 Männer, 14 Jungen (die wohl 13 Jahre oder älter waren), drei fremde Studenten und fünf arme Männer. Von diesen 76 Männern waren 46 in Nürnberg aufgewachsen. Wegen der großen Nachfrage nach Unterkünften beherbergten die 17 Häuser, die damals im Besitz von Juden waren, normalerweise mehr als eine Familie. Ein Haushalt von zehn Personen war nicht ungewöhnlich, vor allem wenn man die Anwesenheit von Gästen, Studenten und Verwandten berücksichtigt, die 'illegal' dort lebten. Der sozioökonomische Prozeß der Kontraktion, dem die Juden im 15. Jahrhundert unterworfen waren, trug jedoch sehr dazu bei, die soziale Struktur zu polarisieren.67 In Nürnberg beruhte die interne Hierarchie hauptsächlich auf ökonomischen Kriterien. An der Spitze stand eine Gruppe von unabhängigen Einzelpersonen, die mehrheitlich im Geldhandel tätig waren, und die sowohl das Bürgerrecht als auch die meisten Häuser im Judenviertel besaßen. Eine dominierende Rolle spielten diejenigen, die schon seit drei oder vier Generationen zu den führenden Familien Nürnbergs gehörten. Zwölf der 16 Geldwechsler, die für das Jahr 1489 66 67
M. Toch: Nürnberg (Anm. 32) S. 1002. Michael Toch isoliert drei Hauptphasen in der Entwicklung der jüdischen Geldgeschäfte in Nürnberg. In der ersten Phase von der Neuansiedlung der Juden bis 1385/90 waren Wechselgeschäfte eine Art Familiengeschäft, wenn sie nicht von Einzelpersonen getätigt wurden. Geld wurde gegen Sicherheiten an die Stadt verliehen, an den weltlichen und geistlichen Adel, den Landadel in Franken und seltener an den Landadel in Schwaben und der Oberpfalz, an andere fränkische Städte und die wohlhabenderen Bürger von Nürnberg. Geschäfte mit Handwerkern in der Stadt oder der Landbevölkerung in der Umgebung von Nürnberg waren nur von sekundärer Bedeutung. In der zweiten Phase, zwischen 1385/90 und dem späten 15. Jahrhundert, kam es zu einer Marginalisierung der jüdischen Stellung aufgrund der wechselhaften Entwicklung der städtischen Wirtschaft Nürnbergs und dem raschen Anstieg der nichtjüdischen Kreditwirtschaft. In der letzten Phase, nach dem Ende des 15. Jahrhunderts, nahm die Ausdehnung der jüdischen Geldgeschäfte stark ab, und dies zwang die Juden zunehmend dazu, Geschäfte mit Handwerkern und Tagelöhnern zu machen. M. Toch: Nürnberg (Anm. 32) S. 1004f.
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aufgelistet werden, stammten aus nur drei Familien, die schon 20 bis 28 Jahre in der Stadt lebten und auch einen großen Einfluß auf die nichtjüdische Politik hatten. 16 der 25 jüdischen Neubürger, die der Rat zwischen 1468 und 1498 aufnahm, zählten weiterhin zu diesen drei fuhrenden Familien. Auf der anderen Seite wurden Söhne von Personen ohne Bürgerrecht nicht aufgenommen, und die nicht einheimischen Armen standen auf einer noch niedrigeren Stufe.68 In Regensburg stellte das Judenviertel einen eigenen Stadtteil dar, der folgerichtig auch 'Judenstadt' genannt wurde. Sie lag an der gleichen Stelle wie vor dem Pogrom von 1348, war von einer Mauer mit sechs Toren umgeben und bestand aus 30 Häusern, einer Gemeindesynagoge und drei privaten Synagogen. Es gab Christen, die Häuser in der Judenstadt besaßen, aber es lebten keine Christen dort. Die Juden hatten sogar die Schlüssel zu den Toren der Judenstadt in ihrer Verwahrung, deren Tore abends verschlossen und morgens wieder geöffnet wurden. Bis zum Jahr 1500 gehörten wohl auch mehrstöckige Gebäude zur Judenstadt, in denen Mitglieder verschiedener Familien lebten. Die Zahl der Juden blieb im 15. Jahrhundert zunächst relativ stabil bei ungefähr 300 (1404),69 und erreichte erst gegen Ende des Jahrhunderts mit 360 ihren Höhepunkt. Die meisten von ihnen scheinen im Geldgeschäft und im Handel tätig gewesen zu sein (vor allem mit Textilien, Federn, Betten, Hüten, Leder, Pelzen, Eisenwaren, Salz, Öl und Rindern), aber in den Quellen werden auch jüdische Ärzte, Hebammen und Metzger sowie Uhrmacher, Nadelmacher, Wasserträger, Dienstboten, Grundschullehrer und Gemeindediener erwähnt.70 In den Städten konnten die Judenschaften sowohl individuelle als auch kollektive Privilegien erhalten, und die Magistrate nahmen ihre Schutzfunktionen gegenüber den Juden durchaus wahr: In Augsburg deutet eine Anzahl von Fällen darauf hin, daß christliche Übergriffe auf Juden durch Verwarnungen und Tadel geahndet wurden, und zwar im Fall von Mord (1368, 1379, 1386, 1397), Beleidigung (1372),71 Erpressung (1372) und versuchter Aufhetzung (1370).72 Gleichzei-
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In Nürnberg ist die Liste der Berufe, die von Juden ausgeübt wurden, umfangreich, auch wenn der größte Teil der Juden im Geldwechselgeschäft tätig war. Es gibt Belege für einen Augenarzt, männliche und weibliche Ärzte, Gold- und Silberschmiede, Heiratsvermittler, Krämer, Safran-, Wein- und Gemüsehändler, einen Juden aus Frankfurt, der im Messergeschäft tätig war, einen Modellbauer für Mühlengetriebe, einen Abwassserexperten, einen Buchbinder, Kellner, Barbiere, Bäcker, Dienstboten, Rabbiner, Schächter und Schulleiter. M. Toch: Nürnberg (Anm. 32) S. 1005. Es gab sicher einige wohlhabende Juden innerhalb dieser Gruppe, zumindest wenn man die Bibliotheken bedenkt, die sie besaßen: Simon von Worms besaß mehr als 30 Bücher, David Eichstätt 43 und Isaac Stein, ein bedeutender Gelehrter und Kommentator des Sefer Mitzvot Gadol, besaß 166 Bücher in seiner Bibliothek, was für das 15. Jahrhundert keine geringe Leistung darstellt. Vgl. dazu P. Herde (Anm. 49) S. 1189f. P. Herde (Anm. 49) S. 1181, der sich zum großen Teil auf Archivbestände stützt. Nach R.H. Seitz (Anm. 47); laut dem StadtA Augsburg. Achtbuch 81. fol. 103' aber im Jahr 1371: mishandelt
mit Worten.
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tig wurde aber auch der Zusammenhalt der jüdischen Gemeinde angegriffen, und zwar in vielen Fällen von der Kirche und nicht so sehr vom Stadtrat. Die Predigten mehrerer Kleriker wie Johannes Capistrano in den 50er oder Peter Schwarz in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts in Süddeutschland haben möglicherweise einige Juden bekehrt, aber sie richteten noch mehr Schaden durch die Feindseligkeit an, die sie wieder auf die jüdischen Gemeinden lenkten,73 zumal es auch immer wieder in Abwesenheit von Juden zu Hetzpredigten kam. Noch im Jahr 1444, vier Jahre nach der endgültigen Vertreibung der Juden aus Augsburg, gibt es dort Hinweise auf antijüdische Predigten.74 Die Wirkung dieser veränderten Rahmenbedingungen in den Städten läßt sich zumindest anhand einiger Indizien als Destabilisierung der jüdischen Gemeinden deuten. So sank die Zahl der Juden in Augsburg seit dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts rapide ab: Nach den Steuerlisten von 1438 lebten noch 24 Juden als Steuerzahler in Augsburg,75 während zehn Jahre zuvor die Gemeinde jedoch noch 72
Die Stadt ging sogar so weit, zwei fremde Juden zu bestrafen, die einen Augsburger Juden mißhandelt hatten (1372). In einem anderen Fall von 1372 verbot der Rat zwei Christen, die eine Jüdin (Pendichen von München) vergewaltigt hatten, den Aufenthalt innerhalb von zehn Meilen um die Stadt und verhängte außerdem eine Geldstrafe von 20 fl. (StadtA Augsburg. Achtbuch 81. fol. 104). Aber es ist meiner Ansicht nach kein Zufall, daß alle diese Fälle aus der Zeit vor 1400 stammen, bevor sich die Stellung der Juden dramatisch verschlechterte. Die Städte beschützten die Juden nicht nur, sie bestraften sie auch. 1381 wurde der Jude Hermann auf ewig aus der Stadt und einem Umkreis von sechs Meilen verbannt, wegen des Bösen, das er begangen hatte. Nach den Gerichtsakten bestrafte dieses Urteil Verbrechen, die an Christen und Juden begangen worden waren. Dem Juden Smoe und seiner Familie wurde auf ähnliche Weise verboten, tot oder lebendig wieder nach Augsburg zurückzukommen, weil sie ihren Eid gebrochen hatten, mindestens zehn Jahre als Augsburger Bürger in der Stadt zu bleiben. (StadtA Augsburg. Achtbuch 81. fol. 108' zum 16. Januar 1375). In Regensburg wurden Juden für folgende (angeblich begangene) Verbrechen bestraft: Giftmischerei (die Strafe war Verbrennen auf dem Scheiterhaufen), Diebstahl (Hängen über Hunden), Gotteslästerung, vorgetäuschte Konversion (Ertränken oder Verbrennen auf dem Scheiterhaufen). Auch Geldstrafen konnten verhängt werden. Vgl. P. Herde (Anm. 49) S. 1200f.
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Bamberg 1451. Die Predigten von 1478 führten zu ein paar Familientaufen. Nürnberg beherbergte Capistrano 1452 vier Monate und Schwarz hielt dort 1478 17 Predigten. Außerdem war Nürnberg die Heimatstadt der oft antijüdischen Dramatiker Hans Folz und Hans Rosenplüt. Regensburg erlaubte die Predigten Capistranos und Schwarz' und auch eine ausgedehnte und intensive Periode antijüdischer Predigten durch die Bettelorden zwischen 1475 und 1515, die 1475 zu dem Versuch führte, die Juden zu vertreiben, und später vielleicht auch zu der endgültigen Vertreibung der Juden im Jahr 1519 beitrug. Die Predigten hatten möglicherweise auch Anteil an den Ritualmordprozessen in dieser Stadt. H J . Wunschel: Bamberg. In: Germania Judaica. Bd. 3. Teil 1 (Anm. 30). S. 75f; M. Toch: Nürnberg (Anm. 32) S. 102f. Vgl. außerdem Ronnie Po-chia Hsia: The Myth of Ritual Murder: Jews and Magic in Reformation Germany. New Häven 1988, vor allem Kapitel 4. S. 66-85. StadtA Augsburg. Ratsbücher 4: 1442-1447, (und 1448-1452 zusätzlich), fol. 110. Die Berechnungen hier und weiter unten beruhen auf meiner Auswertung der Augsburger Steuerbücher für die Jahre 1355 (fol. 16); 1356 (fol. 15); 1357 (fol. 16); 1358 (fol. 15); 1359
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relativ stabil gewesen war, zumindest was die steuerzahlenden Mitglieder anbelangt (das sind normalerweise Männer); es könnte daher vielleicht eine eingespielte Rangordnung innerhalb der Gemeinde gegeben haben. Die durchschnittliche Länge des Aufenthalts dieser 24 Steuerzahler in Augsburg betrug 12,04 Jahre. Am längsten wohnte Josmen in der Stadt (32 Jahre), der kürzeste Aufenthalt betrug nur ein Jahr (Lemlin Boruch, der vielleicht bei Rabbi Jacob Weil studierte). Nur einer der Steuerzahler wohnte länger als 30 Jahre in Augsburg, zwei über 20 Jahre, fünf über 15 Jahre, fünf über zehn Jahre, neun über fünf Jahre, und nur zwei hielten sich weniger als fünf Jahre in der Stadt auf. Bei den Juden, deren Spur weiter verfolgt werden konnte, betrug die durchschnittliche Aufenthaltslänge in Augsburg zwölf Jahre; bezieht man diejenigen mit ein, bei denen das weitere Schicksal nicht ganz gesichert ist, so sind es noch 11,5 Jahre. Die durchschnittliche Wohndauer derjenigen, über die wir nach ihrem Auszug nichts mehr erfahren, war mit 12,58 Jahren nur unwesentlich höher. Die Länge des Aufenthalts scheint daher nur wenig mit den Migrationsmustern zu tun zu haben, was darauf schließen läßt, daß die in Augsburg lebenden Juden in vielen Gebieten außerhalb der Stadtgrenzen Geschäfte betrieben und Kontakte knüpften. Die Responsa geben nur wenige Hinweise auf das Schicksal der Juden in Augsburg, weil sie nicht direkt auf die Vertreibung eingehen und nur selten einzelne Juden namentlich erwähnen. Trotzdem können einige allgemeine Tendenzen der Responsa und anderer hebräischer Quellen helfen, das Schicksal der vertriebenen jüdischen Gemeinde näher zu beleuchten. In seinem 71. Responsum behandelt Weil den Fall einer Frau, die sich nicht in der Stadt, sondern in der Vorstadt aufhielt, als ihr Get (Scheidungsbrief) geschrieben wurde, und er wirft die Frage auf, ob in diesem Fall der Get auch gültig sei, das heißt also, ob die Vorstädte als Teil der Stadt zu betrachten seien.76 Obwohl dieses Responsum nicht eindeutig sagt, daß diese Frau tatsächlich auf Dauer in der Vorstadt lebte, so war doch das Problem offensichtlich. Möglicherweise war es nicht unüblich, daß sich Juden außer-
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(fol. 14); 1362 (fol. 12); 1363 (fol. 12); 1364 (fol. 12); 1367 (fol. 12); 1376 (fol. 14); 1377 (fol. 14); 1382 (fol. 14); 1384 (fol. 16); 1386 (fol. 13); 1389 (fol. 26); 1390 (fol. 25); 1391 (fol. 24); 1392 (fol. 28r-29v); 1393 (fol. 24); 1394 (fol. 19); 1395 (fol. 16); 1396 (fol. 23); 1398 (fol. 20); 1400 (fol. 22r-23v); 1401 (fol. 20); 1402 (fol. 19); 1404 (fol. 21); 1405 (fol. 16?); 1406 (fol. 16); 1407 (fol. 15); 1408 (fol. 13); 1409 (fol. 17); 1410 (fol. 17); 1411 (fol. 18); 1412 (fol. 15); 1413 (fol. 16); 1414 (fol. 27?); 1415 (fol. 19); 146 (fol. 18); 1417 (fol. 17); 1418 (fol. 19); 1420 (fol. 20); 1421 (fol. 22); 1422 (fol. 22);1423 (fol. 24); 1424 (fol. 19?); 1425 (unmarkiert am Schluß); 1426 (fol. 21); 1428 (fol. 23); 1429 (fol. 21); 1431 (fol. 21); 1432 (fol. 19); 1433 (fol. 22); 1434 (fol. 15); 1436 (fol. 19); 1437 (fol. 18) 1438 (fol. 21), wobei das Hauptaugenmerk auf der Zeit zwischen 1428 und 1438 liegt. In den Jahren 1439, 1440 und 1441 sind keine Juden in den Steuerlisten aufgeführt. Alle Bände befinden sich im Stadtarchiv Augsburg. Die Juden, deren Spuren ich genauer verfolgt habe, sind diejenigen, deren Namen in den Quellen anderer Städte erscheinen, nachdem sie Augsburg verlassen hatten. Hauptgrundlage für diese Analyse sind dabei zur Zeit die verfügbaren Informationen in: Germania Judaica. (Anm. 30, 32) Bd. 3. Teil 1 und 2. J. Weil: Responsum 71 (Anm. 4).
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halb der Stadtgemeinde in den Vorstädten oder auf dem Land aufhielten, wie es zum Beispiel der Autor des 'Leket Yosher' von seinen Eltern berichtet.77 Auch aus anderen Responsa geht eindeutig hervor, daß Juden in kleineren Gemeinden außerhalb Augsburgs lebten, wie etwa in Dillingen, der späteren Residenz der Augsburger Bischöfe.78 Ein weiteres Beispiel ist Weils Responsum 106, das von der Geschichte einer Frau berichtet, die aus Köln vertrieben wurde und nach Ulm zu ihrem Sohn floh. Sie beabsichtigte anscheinend weiterzuziehen, sobald sie wieder gesund wäre. Hier haben wir also einen Beweis dafür, daß Juden auch in kleineren Städten lebten, und außerdem auch einen Hinweis auf die Strategien, die von den Juden angesichts von Verfolgung und Vertreibung angewandt wurden.79 Wie sahen einige dieser Strategien von Juden aus, die aus verschiedenen Städten ungefähr zur gleichen Zeit vertrieben wurden? Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde Kölns ließen sich in Deutz nieder, einer Kleinstadt in der Nähe von Köln, darunter auch Rabbi Süßkind, der Bruder Rabbi Jacob Molins.80 Einer Nürnberger Chronik zufolge wurde in Nürnberg eine Anzahl von Juden aufgegriffen, die wie Bauern gekleidet waren, kurz nachdem sie aus der Stadt vertrieben worden waren.81 Es geht hier nicht vorrangig darum, ob manche Juden begonnen hatten, Landwirtschaft zu betreiben oder auf dem Land zu leben, sondern darum, daß sie auch nach der Vertreibung noch in nächster Nähe ihrer Stadt gelebt haben könnten. Es soll hier genügen, daraufhinzuweisen, daß die Auswanderung der Juden meist grob in folgenden Bahnen verlief: Viele Juden, auch wenn dies oft nicht in Archivalien belegbar ist, blieben wohl in der Stadt oder in nächster Nähe, einige wanderten in die nächstgelegene größere Stadt mit einer ansehnlichen jüdischen Bevölkerung aus,82 andere gingen dorthin, wo wahrscheinlich ihre Familie lebte, wo es eine angesehene Jeschiwa gab, oder wo sie früher schon einmal aus Geschäfts- oder anderen Gründen gewesen waren. Viele Juden, von denen wir überhaupt etwas wissen, verbrachten relativ viel Zeit auf Reisen. Aus den Steuerlisten 77 78
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S. Rohrbacher (Anm. 28) S. 83. J. Weil: Responsum 79 (Anm. 4). Andere Responsa sind in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig: Responsa 106, 107, 118, 147, Moses Mintz: Responsum 1 (Anm. 7); Menahem von Merseburg: Responsum 33 (Anm. 9); Joseph Colon: Responsum 4 (Anm. 7); I. Bruna: Responsa 267 und 268 (Anm. 10). A. Haverkamp (Anm. 1) S. 18f. Er gibt Beispiele aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus Hildesheim-Neustadt und Halle-Neuwerk an, und aus dem 16. Jahrhundert aus Goslar, Göttingen-Weende und Hannover-Neustadt. E. Zimmer (Anm. 5) S. 135. Vgl. dazu die Chronik des Heinrich Deichsler in: Die Chroniken der deutschen Städte (Anm. 64) Bd. 11. S. 633. Nach A. Haverkamp (Anm. 1) S. 17 lebten in folgenden Städten zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert zeitweise mindestens 150 Juden: Köln, Hildesheim, Magdeburg, Mainz, Worms, Bamberg, Würzburg, Augsburg, Regensburg, Basel, Konstanz (ursprünglich Bischofsstädte), Frankfurt am Main, Nürnberg, Rothenburg, Esslingen, Erfurt, Eger (königliche oder Residenzstädte), Braunschweig, Landshut, München, Wien, WienerNeustadt, Breslau, Prag (fürstliche Haupt- und Residenzstädte).
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läßt sich jedoch der Eindruck gewinnen, daß die wohlhabenderen Mitglieder der Gemeinden normalerweise für mindestens ftinf Jahre in der Stadt lebten, selbst wenn ihre Geschäftskontakte über die Stadtgrenzen hinausreichten.
IV. Konflikte Die Komplexität und Zerbrechlichkeit der internen Beziehungen der jüdischen Gemeinden inmitten der Schwierigkeiten, die sie umgaben, ist bisher nur selten behandelt worden. Es gab aber in den Gemeinden starke Spannungen, vor allem in Zeiten von Vertreibung und Zwangsbekehrung. Erst seit kurzem wird auch in der Forschung zur jüdischen Geschichte im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland nicht nur die Frage der christlich-jüdischen Beziehungen, sondern auch der inneren Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer Tätigkeit innerhalb der jüdischen und nichtjüdischen Gesellschaft gestellt.83 Eine völlig neue Gruppe von Juden kam dadurch in das Blickfeld der Forschung. Michael Toch betont zum Beispiel, daß das Klischee vom Juden als wohlhabendem Geldwechsler nicht zutrifft und auch die Breite und Diversität jüdischer sozialer Schichtungen und Berufe nicht angemessen widerspiegelt, obwohl Juden oft im Geldhandel tätig waren.84 Er zeigt auf, daß nur eine geringe Anzahl von Juden sehr wohlhabend und privilegiert war und stellt ihr eine beträchtliche Gruppe von Juden in den mittleren und unteren Positionen gegenüber, die sehr unterschiedlichen Berufen nachgingen.85 Diese neue Akzentuierung der veränderlichen sozialen und ökonomischen Ebenen innerhalb der jüdischen Gemeinde ermöglichte es einer Anzahl von Forschern, ihre Aufmerksamkeit auf die Polarisierung innerhalb der jüdischen Gesellschaft und ihrer Schichtenstruktur zu lenken,86 vor allem in Zeiten innerer Konflikte. Aufgrund der beruflichen Unterschiede, die er skizziert, argumentiert Michael Toch zum Beispiel damit, daß die zahlreichen Auseinandersetzungen in den 83
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Vgl. z.B.: In and Out of the Ghetto (Anm. 1) und Judengemeinden in Schwaben (Anm. 28). Eine Rezension der beiden Werke findet sich bei Dean Philipp Bell: Creating a Jewish History of Early Modern Germany. In: Shofar 15/1. 1996. S. 119-128. Michael Toch: Zur wirtschaftlichen Lage und Tätigkeit der Juden im deutschen Sprachraum des Spätmittelalters. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 28) S. 39-50. Obwohl er keine Hinweise darauf gibt, wie viele Juden tatsächlich diesen Berufen nachgingen. Vgl. auch B. Schimmelpfennig (Anm. 47) und Stefi Jersch-Wenzel: Jewish Economic Activity in Early Modern Times. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 1) S. 91-101. Yacov Guggenheim: Meeting on the Road: Encounters between German Jews and Christians on the Margins of Society. S. 125-136; Deborah Hertz: Contacts and Relations in the PreEmancipation Period - a Comment. S. 275-288; Michael Toch: Aspects of Stratification of Early Modern German Jewry: Population History and Village Jews. S. 77-89 - alle in: In and Out of the Ghetto (Anm. 1).
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Judengemeinden, vor allem bei dem Problem der Besteuerung und sozialer Statussymbole, die Fragen der "inneren jüdischen Solidarität in einer zunehmend feindlichen Umwelt" unbeantwortet lassen.87 Machtkämpfe zwischen wohlhabenden Mitgliedern der Gemeinde, die oft auch offizielle Ämter innehatten oder Mitglieder des Rats stellten, und weniger wohlhabenden Mitgliedern bzw. Rabbinern, die als Gruppe schrittweise ihre eigenen Machtstrukturen herausbildeten, können in den meisten Städten gefunden werden. In manchen Städten adressierten ärmere Juden Petitionen selbst an die weltliche Obrigkeit, in denen sie sich über ungerechte Steuereinschätzungen beklagen. 88 Ein Responsum von Israel Isserlein, dem Oberhaupt der jüdischen Gemeinde in Österreich und Autor des berühmten 'Terumas HaDeshen', spiegelt die möglichen Spannungen und die herausragende Stellung der vermögenden Gemeindemitglieder deutlich wider: Wenn die Wohlhabenden und Arroganten die Steuerschätzer auswählen [...] sind sie nachher eher bereit, deren Entscheidungen anzunehmen. Ordnung wird aufrecht erhalten, und sie werden in ihrer Überheblichkeit keine weiteren Revisionen zulassen [...]. Aber es gibt keinen Grund, mit den Angehörigen der mittleren Schicht in solchen Fragen besonders vorsichtig umzugehen, da sie auf jeden Fall die Entscheidungen annehmen und keine Schwierigkeiten machen werden Für Isserlein existierten in jeder jüdischen Gemeinde aufgrund von ökonomischen und sozialen Kriterien unterscheidbare Gruppen. Dies soll nicht bedeuten, daß Konflikte die Regel waren. Interne Auseinandersetzungen werfen aber ein Licht auf die Stellen in der Gemeinde, an denen sich 87
M. Toch: Zur wirtschaftlichen Lage (Anm. 84). Ähnliche innere Konflikte werden auch von Christopher R. Friedrichs für das Frankfurt des 17. Jahrhunderts beschrieben. Friedrichs geht davon aus, daß mit der zunehmenden Polarisierung zwischen Reich und Arm in der Frankfurter Judengemeinde die Macht innerhalb der Gemeinde mehr und mehr in den Händen des "höchst oligarchischen Rats" konzentriert war, und eine wachsende Unzufriedenheit "unter den jüdischen Haushalten, die von der politischen Mitsprache ausgeschlossen waren", zur Folge hatte. Die Spannungen waren in den Judengemeinden schwer zu lösen, und in mindestens zwei Fällen wurde Klage vor externen jüdischen Organen erhoben (vor dem Konzil der Vier Länder und der jüdischen Synode von Polen), die aber in solche Dispute nicht effektiv eingreifen konnten. Friedrichs schreibt, daß "diese Kämpfe innerhalb der Frankfurter Gemeinde sehr an die Konflikte erinnern, die unter den christlichen Bürgern von Frankfurt und anderen deutschen Städten zur gleichen Zeit stattfanden." Diese Kämpfe in der Frankfurter Gemeinde waren nie "auf die Gemeinde allein beschränkt." An diesem Punkt versucht Friedrichs zu zeigen, daß die Juden eng in die größeren politischen Geschehnisse verwickelt waren, die sich in der Stadt zutrugen. Interne jüdische Konflikte sind, folgt man dieser Argumentation, mit den jüdischen Gemeindestrukturen und ihrem Umfeld verbunden. C.R. Friedrichs: Jews in Imperial Cities: A Political Perspective. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 1). S. 275-288.
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Vgl. z.B. R. Straus: Urkunden und Aktenstücke (Anm. 49) S. 226f. (Nr. 673, ca. 1497). Vgl. dazu: A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 594.
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Spannungen aufbauten, und sie helfen dabei aufzuzeigen, wo Veränderungen stattfanden. Die Kontroversen entwickelten sich auf verschiedene Weise und in unterschiedlichen gemeinsamen Institutionen und Machtkämpfen. Obwohl man viele Beispiele aus den Responsa dieser Zeit zitieren könnte, soll nur eine kleine Anzahl vorgestellt werden, die bedeutende und regelmäßig wiederkehrende Fragen behandeln und die sowohl in ihrer Ausführlichkeit inhaltlich bedeutsam genug sind und eine genauere Untersuchung ermöglichen: Mitgliedschaft im Gemeinderat, Ansiedlung, Besteuerung und die Stellung des Rabbiners in der Gemeinde. Körperliche90 und familiäre91 Konflikte oder Verleumdungen92 innerhalb der jüdischen Gemeinden bleiben ausgeklammert, obwohl solche Fälle ebenfalls erheblich zum Verständnis der Auseinandersetzungen um die kommunale Macht beitragen könnten. Kommunale Konflikte hatten möglicherweise etwas mit der einsetzenden Differenzierung im jüdischen Wirtschaftsleben, den zunehmenden Vermögensunterschieden und auch der Verlagerung der Gemeindeautorität zu tun. Es ist kein Zufall, daß sich gerade in dieser Zeit auch ein Trend zum Gemeinderabbiner hin zeigte. Wie manifestierten sich nun Spannungen in der Gemeinde zu einer Zeit, die allem Anschein nach eine Übergangszeit in der Geschichte der Gemeinschaft der deutschen Juden war? Was sagen kommunale Spannungen, so wie sie sich in den bedeutenden rabbinischen Responsa des 15. Jahrhunderts darstellen, über die inneren Strukturen, Veränderungen und Vorstellungen von Gemeinde und Gemeinschaft aus? Konflikte in den Gemeinden wurden oft anhand wirtschaftlicher und sozialer Kriterien beschrieben. Die Parnasim, die gewählt oder, wie im folgenden Fall, von der weltlichen Obrigkeit eingesetzt wurden, schienen nicht immer nur die Interessen der Gemeinde im Blickfeld zu haben. Rabbi Jacob Weil klagt, daß 90
J. Weil: Responsa 28 und 97 (Anm. 4). Responsum 87: [...] daß er den Mann mit einem Schwert auf den Kopf [wörtlich: das Gehirn] schlug, und der Geschlagene war bettlägerig und vier Wochen krank und starb, und es wurde festgestellt, daß er nicht wegen der Gewalttat starb [...] [er wurde wieder gesund] [...] und aß auf einem Hochzeitsfest und kam heim und wurde krank und starb [...]. Ich fällte das Urteil, daß der, der zuschlug, sich unterwerfen und durch Fasten und Peitschenhiebe Buße tue, und wenn er reich ist, solle er Geld geben, und dadurch wird er büßen. Ich habe schon in der Medinah von [Regensburg?] das Urteil über einen gefallt, der einen alten Mann auf den Kopf schlug, so daß das Blut von seinem Kopf floß, und ich urteilte, daß der, der ihn schlug, zwischen den Nachmittags- und den Abendgebeten in der Synagoge ausgepeitscht werden solle, wie er es verdiente [...]. Ich urteilte, daß er, wenn er arm sei [nach seinen Möglichkeiten?] geben solle [...] und falls er reich sei, solle er großzügig [bei] der Thora geben und den Geschlagenen um Vergebung bitten, und daß er sich vornehmen solle, [den Verstorbenen] am Grab um Vergebung zu bitten [...].
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Wie zum Beispiel bei Erbstreitigkeiten. Vgl. J. Weil: Responsum 20 (Anm. 4), wo er einen Streit zwischen Rabbi Jacob ben Rabbi Solomon und seiner [Frau] Tsurlin, der Tochter Meirs, in Wien beschreibt. J. Weil: Responsum 59 (Anm. 4); obwohl diese Anklage bezeichnenderweise gegen einen Kohen erhoben wurde, was wohl ein Versuch war, ihn von der Ausübung seiner religiösen Funktionen abzuhalten.
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"ein Parnas über die Gemeinde (Tsibur) eingesetzt wurde, und nach zehn Jahren riefen ihn die Leute und forderten ihn auf, über alles und jedes Rechenschaft abzulegen [...]. Wegen unserer Sünden hat die meisten Gemeinden ein Unglück befallen, und die Parnasim bedrängen und herrschen despotisch über das Volk. Sie kümmern sich mehr um ihren persönlichen Vorteil als um die Herrlichkeit des Himmels, und dadurch machen sie ihre Last leichter und bürden sie dem unglücklichen Volk auf. "93 Was diese Passage besonders interessant macht, ist die Tatsache, daß eine Dichotomie zwischen dem Parnas und dem Volk geschaffen wird, und daß die Parnasim im allgemeinen - Weil geht sogar so weit, in den meisten Gemeinden zu schreiben - über die anderen Gemeindemitglieder herrschten (ich setze hier Gemeinde und Gemeinschaft gleich, um anzudeuten, bis zu welchem Grad die Gemeinschaft schon eine sakralisierte Einheit war), und daß sie sich von der Gemeinde absonderten - nicht nur durch ihre Unterdrückung der Gemeinde, sondern auch in ihrer Suche nach dem persönlichen Vorteil, der in diesem Fall nicht dem Geschick der Gemeinde, sondern der Herrlichkeit des Himmels entgegengesetzt wird. Die Vorstellung einer "Last" ist für das Bild einer gemeinsamen Front der Gemeinde unabdingbar, aber die Zusätze "unglückliches Volk" und "despotische Herrschaft" haben einen neuen Klang. Es war im 15. Jahrhundert wohl nicht neu, wenn manche auf die Gemeinde herabsahen, aber die Sprache, die Weil bei seiner Beschreibung benutzt, ist es möglicherweise doch.94 Es muß außerdem eine Unterscheidung hervorgehoben werden, die Weil in seinem Responsum trifft (das sich hauptsächlich auf den Verdacht bezieht, der Parnas könnte Gemeindegelder veruntreut haben): zwischen Beamten, die durch die Gemeinde gewählt, und denen, die durch die weltliche Obrigkeit eingesetzt werden. Weils Sprache hat vielleicht auch mit der Tatsache zu tun, daß der Beamte von Außenseitern eingestellt worden war, und er betont daher die Unterdrückung der Gemeinde, um zwischen den Mitgliedern der Gemeinde und der fremden Autorität zu unterscheiden. Aber die Vorstellung, daß in der Gemeinde zwei Arten von Autorität existierten, ist auf jeden Fall bedeutsam. Der Gemeinderat oder die Mehrheit der Gemeinde, wie sie durch den Rat repräsentiert wurde, konnte Takkanot (Verordnungen) für die Gesamtgemeinde erlassen und durch den Bann dafür sorgen, daß diese eingehalten wurden. Mitglieder der Gemeinden konnten außerdem den Zuzug begrenzen und dadurch die Zahl der jüdischen Bewohner in einer Stadt regulieren, und sie konnten das Siedlungsrecht erteilen oder verweigern. Weil zitiert dabei einen Fall aus der Stadt Ulm: Die Mutter eines Einwohners wurde aus ihrer Heimatstadt Coburg vertrieben und floh 93
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J. Weil: Responsum 173 (Anm. 4), zitiert nach E. Zimmer (Anm. 5) S. 21; der erste Teil wurde nach Dean Beils eigener Übersetzung ins Deutsche übertragen, der zweite nach der von E. Zimmer. Vgl. dazu auch die Position Meirs von Rothenburg, des Maharam.
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für einige Monate zu ihrem Sohn nach Ulm, war aber zu schwach, um weiter zu reisen. Wegen der äußerst hohen Steuern verlangte ein Mitglied der Gemeinde, daß sie einen Teil der Verpflichtungen der Kehillah übernehmen sollte.95 Weil fällte das Urteil, daß man von ihr verlangen könne, die Stadt zu verlassen, sobald sie wieder gesund genug sei, um zu reisen.96 Frühere rabbinische Autoritäten (Rabbenu Tam, dem Rabbi Meir von Rothenburg später zustimmte) hatten den Gemeinden das Recht abgesprochen, den Zuzug anderer zu verweigern, wenn dies nicht notwendig war, um die Gemeinde vor Risiken durch den Zuzug dieser Personen zu schützen. Weil berichtet, daß in Ulm ein Erlaß verkündet worden sei, daß jedem Mitglied der Gemeinde der Kehillah untersagt ist, irgendeinen Versuch zu unternehmen, einen Fremden in ihrer Mitte anzusiedeln. Sollte ein Verwandter eines Einwohners diesen um Hilfe bitten, um die weltliche Obrigkeit zu überzeugen, ihm das Recht zu geben, sich dauerhaft hier niederzulassen, so muß der Einwohner zuerst die Gemeinde insgesamt benachrichtigen. Er muß dies tun, damit die Gemeinde in der Lage ist, diesem Versuch mit all ihrer Macht entgegenzutreten.91 Wichtig ist hier der Versuch, internen Zusammenhalt in der Gemeinde zu erreichen, und sowohl fremde Juden als auch die städtischen Behörden fernzuhalten. Das Recht auf Ansiedlung ist es, das eine Person zum Teil der Gemeinde macht, es kann aber nur durch die Gemeinde selbst verliehen werden. Die Gemeinde wird als Körperschaft mit besonderen politischen und sozialen Entscheidungsbefugnissen gesehen, sowohl in ihrer eigenen Sphäre als auch im Umgang mit der nichtjüdischen Obrigkeit. Um diese Passage zu verstehen, ist es wichtig, Genaueres über die jüdische Gemeinde von Ulm zu erfahren. Die frühesten Quellen, die sich auf jüdische Gemeindeinstitutionen beziehen, stammen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. 98 Die Zahl der Juden in Ulm war allerdings immer relativ gering. 1427 lebten dort 13 jüdische Familien, 1441 waren es acht jüdische Steuerzahler, 1442 sieben, 1457 wahrscheinlich nur noch um die 95
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J. Weil: Responsum 106 (Anm. 4): [...] Rabbi Zalman klagte gegen Rabbi Seligman wegen seiner Mutter [Seligmans] und verlangte, daß sie für alle die Last der Stadt gebe [...]. Im gleichen Responsum argumentiert Seligman später, daß der Fall seiner Mutter sich von dem eines Einwohners der Stadt unterscheide, der zwölf Monate dort arbeitete und dadurch wie die Leute der Stadt wurde. In den Responsa 107 und 118 berichtet J. Weil, daß in Ulm eine Verordnung erlassen wurde, daß die kehillah erließ, daß der, der ein Haus [in der Gemeinde] hat, nicht das Recht hat, jemanden [zu beherbergen, anzusiedeln], der kein Haus hat. In diesem Fall wird man durch Hausbesitz zum Gemeindemitglied und die Grenzen der Gemeinde sind sehr genau festgelegt. J. Weil: Responsa 106 und 118 (Anm. 4). J. Weil: Responsum 107 (Anm. 4). Die Judengasse wird 1354 zum ersten Mal erwähnt, die Synagoge 1353. Im 15. Jahrhundert gibt es außerdem Hinweise auf einen Friedhof, ein Tanz- und ein Badehaus in Ulm. G. Emberger-Wandel: Ulm. In: Germania Judaica. Bd. 3. Teil 2. S. 1498-1522. Hier, S. 1498.
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drei Familien, und 1469 finden sich nur noch zwei Einträge in den Steuerregistern. Bis zum Jahr 1499 stieg die Zahl der Juden wieder auf ungefähr elf Familien an. Im späten 14. Jahrhundert stand die gesamte Gemeinde unter kaiserlichem Schutz, im 15. Jahrhundert waren es dann nur noch Einzelpersonen für Zeiträume zwischen drei und fünf Jahren. Die Ereignisse, die in Weils Responsum berichtet werden, hatten möglicherweise weiterreichende Auswirkungen, da 1453 bei einem heftigen innergemeindlichen Streit sogar die nichtjüdischen Behörden hinzugezogen wurden." Es ist sehr gut möglich, daß dieses Verbot von Zuzügen und ein Streit zwischen den beiden Juden Seligman und Simlin auch andere Spannungen widerspiegelt, die, zusammen mit der geringen Größe und der Notwendigkeit, ihre Geschäfte zu schützen, schon Grund genug gewesen wären, die Gemeindegrenzen sehr eng zu definieren. Innerhalb der Gemeinden wurden im 15. Jahrhundert die Steuern normalerweise von den Parnasim erfaßt und oft auch eingetrieben.100 Anlaß zu Auseinandersetzungen lieferten oft die Steuererhebungen, die nach unterschiedlichen Verfahrensweisen durchgeführt wurden. In der Regel handelte es sich bei den meist jährlichen Abgaben um Vermögenssteuern, seltener wurden Kopfsteuern erhoben, hinzu kamen weiterhin außerordentliche Forderungen.'01 Die Steuern der Gemeinde wurden entweder einzeln bezahlt - manchmal konnten Einzelpersonen mit der weltlichen Obrigkeit individuelle Vereinbarungen treffen, obwohl dies nicht gern gesehen wurde - oder sie wurden, was häufiger vorkam, gemeinsam bezahlt. Kleine Vorstadtgemeinden wurden meist mit der nächsten großen Gemeinde als wirtschaftliche Einheit betrachtet.102 Das interne Umrechnungsverfahren basierte meist auf den Berechnungen einer Gruppe von Steuerschätzern, in vielen Gemeinden auch auf einer Erklärung der Mitglieder über die Größe ihres Vermögens. Jacob Weil zitiert einen solchen Fall:103 99
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Für allgemeine Informationen zur Ulmer Gemeinde vgl. G. Emberger-Wandel: Ulm (Anm. 98). J. Weil: Responsum 41 (Anm. 4); das Responsum erwähnt, daß die Parnasim für die Erfassung und Eintreibung der Steuern verantwortlich waren, und daß sie außerdem eine Liste der öffentlichen Schulden führten. Vgl. auch Responsum 84, das andeutet, daß eine Gruppe von Steuerschätzern durch den Gemeinderat eingesetzt wurde, und das detailliert auflistet, welche Arten von Eigentum steuerpflichtig waren und welche nicht. Vier Tage im Jahr waren dafür besonders verbreitet: der 1. Januar, der 1. Mai, der 11. November und der 25. Dezember; die Zahlung konnte allerdings in zwei Raten erfolgen. E. Zimmer (Anm. 5) S. 35. Moses Mintz: Responsum 1 (Anm. 7). Mintz zitiert den Fall von Würzburg, als der jüdischen Gemeinde vom Bischof mit Ausweisung gedroht wurde. Die Juden von Würzburg sammelten Geld, um den Bischof davon abzubringen. Die Juden der nahegelegenen Kleinstadt Heidingsfeld weigerten sich allerdings, an dieser Notsammlung teilzunehmen, da sie ihrer Meinung nach von der bevorstehenden Vertreibung der Würzburger Juden nicht betroffen waren. Die rabbinischen Autoritäten erlaubten der Kehillah allerdings nicht, sich zu trennen, und betrachteten die Nachbarn, vor allem in Zeiten der Not, als eine Einheit. J. Weil: Responsum 124 (Anm. 4), zitiert nach E. Zimmer (Anm. 5) S. 34.
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Die Schätzer schätzten, daß M[eir] 800 Gulden besaß. Daraufhin antwortete M[eir], daß er diese Summe nicht besitze. Daher verringerten sie ihre Schätzung auf600 Gulden. M[eir] antwortete, daß er auch so viel nicht besitze. Daraufhin senkten sie ihre Schätzung auf 300 Gulden. Darauf antwortete M[eir] auf Deutsch: Ich habe kaum die Hälfte. Ich will die Summe, auf die ihr mich geschätzt habt, nicht zahlen. Die Schätzer antworteten ihm auf Deutsch: Wir wollen diese Sache selbst aufklären. Es war ihre Absicht, die Sache vor die Gemeinde [den Rat?] zu bringen, ob sie zustimmen würden, daß er nur für 150 Gulden zahlen sollte.104 Dieses Responsum zeigt das Ringen um die Höhe des Steuerbetrags und die wechselnde Einflußnahme von Steuerzahler und Steuerschätzer - als letzte Autorität fungierte schließlich der Gemeinderat. Ohne dabei näher auf die Frage einzugehen, wie die Schätzer auf eine Summe kamen, die sich so sehr von der unterschied, die M[eir] seiner Ansicht nach besaß, zeichnete sich hier ein positives Bild von der Flexibilität des Schätzungsverfahrens ab. Auf die Tatsache, daß die Diskussion auf Deutsch gefuhrt wurde, ist später noch einmal genauer einzugehen. In jedem Fall wurde strikt dafür gesorgt, daß die Steuern bezahlt wurden, und säumige Einzelpersonen konnten auch durch geschäftliche Restriktionen bestraft werden.105 Die Erklärung, Schätzung und Zahlung von Steuern waren oft ein sehr wunder Punkt. So kam es beispielsweise zu einem Streit zwischen dem Rat (Chavurah) von Landau und Reuven, der in der Stadt ein Haus gemietet hatte, eine Beteiligung an den finanziellen Lasten der dortigen Gemeinde aber mit dem Argument 104
J. Weil: Responsum 84 (Anm. 4). An anderen Stellen, wie z.B. Weils Responsum 133, erfahren wir, daß manche Dinge nicht besteuert wurden. Auch einige Personengruppen waren ganz oder teilweise von den Steuern befreit, unter anderem Talmud-Gelehrte (vor allem seit dem 13. Jahrhundert), Waisen, Grundschullehrer, Schreiber, Dienstboten, Arbeitslose, Rentner, Menschen auf der Durchreise und diejenigen, die von den nichtjüdischen Behörden von den Steuern befreit worden waren. (J. Weil: Responsum 133 (Anm. 4)). In Notfällen oder wenn von der Gemeinde selbst eine außerordentliche Steuer erhoben wurde, konnten allerdings selbst diese ganz oder teilweise von Steuern befreiten Personen besteuert werden. Dabei hing allerdings viel von den Gewohnheiten der jeweiligen Region ab. Im Rheinland waren zum Beispiel Talmud-Gelehrte nicht von den Steuern befreit. Im 15. Jahrhundert teilten sich Arbeitslose wahrscheinlich die Steuerlast, und in der Haltung gegenüber Durchreisenden wie Studenten, reisenden Geschäftsleuten oder Juden, die aus ihren Heimatstädten vertrieben worden waren, gab es enorme Schwankungen. Normalerweise basierten die Steuergesetze auf lokalen oder regionalen Gewohnheiten. Die Frage der Steuerbefreiungen konnte dabei ein besonders wunder Punkt sein. Selbst angesehene Personen konnten unter Verdacht geraten, und manche Gemeinden besteuerten Vermögen unabhängig davon, ob es genutzt wurde oder nicht. Vgl. dazu auch Menahem von Merseburg: Responsa 11 und 33 (Anm. 9).
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J. Colon: Responsum 17 (Anm. 7) und J. Weil: Responsum 147 (Anm. 4). Nach E. Zimmer (Anm. 5) S. 39 ist die Ausbreitung individueller Steuervereinbarungen mit den zivilen Behörden im 15. Jahrhundert ein deutliches Zeichen für den Zerfall der jüdischen Gemeindestruktur und Identität in dieser Zeit.
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ablehnte, daß er sich nicht auf Dauer in der Stadt niederlassen wolle. In einer vielsagenden Interpretation der Lage entschied Weil, daß Reuven, selbst wenn er vom Stadtrat von den regulären Steuern befreit worden war, trotzdem zur Zahlung außerordentlicher Steuern herangezogen werden konnte: Und selbst wenn sie [der Rat] von Anfang an sagten, daß eine Person nichts geben würde, ist er doch dazu verpflichtet [im Fall von außerordentlichen Steuern], weil der Verwalter sich nicht nur auf ihn bezieht, sondern auf Reuven und alle Steuerzahler, daß sie den Herrschern zu dieser [bestimmten] Zeit geben sollen, als ob es reguläre Steuern wären.106 Weil geht in diesem Responsum noch einen Schritt weiter, wenn er eben diese Sondersteuern der nichtjüdischen Obrigkeit als Grund dafür angibt, daß Rabbenu Tam den Juden erlaubte, an Nichtjuden Geld gegen Zinsen zu verleihen. Die Juden seien schließlich dazu verpflichtet, sie [die nichtjüdische Obrigkeit] mit Steuern zu ehren. Viele der Dispute, die in den Responsa aufgezeichnet sind, drehen sich um die Rabbiner. Die dabei verwendete Rhetorik läßt darauf schließen, daß die Kenntnisse talmudischer Gelehrter und die Wertschätzung ihrer Gelehrsamkeit im 15. Jahrhundert abnahmen.107 Laut Weil wurde der Titel eines Rabbiners oft benutzt, um zu Geld oder Ansehen zu kommen.108 Nicht selten wurde der Titel eines Rabbiners auch einfach gekauft.109 Allerdings müssen die Quellen hier auch vorsichtig interpretiert werden, da solche negativen Darstellungen vielfach eher rhetorische Zuspitzungen sind als tatsächliche Vergehen. Manchmal mußte sogar die weltliche Obrigkeit eingeschaltet werden, um die rabbinische Autorität zu gewährleisten. In anderen Fällen ging die Opposition der Gemeinde soweit, daß es auch zu Verleumdungen und Störungen von Gottesdiensten und Unterrichtsstunden kam.110 In Responsum 157 beklagte sich Jacob Weil: [...] wenn man bedenkt, daß großes Unglück auf uns ruht wegen der Spötter und Verächter der Thora und der Gelehrten, und sie kümmern sich nicht um die Predigten, wenn sie zum Beispiel zurechtweisen [...] sie stellen sich gegen unsere Körper und auch unser [materielles] Wohlbefinden [...]."'
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J. Weil: Responsum 38 (Anm. 4). J. Weil: Responsa 146, 85, 128. Vgl. dazu auch I. Isserlein: Peskim 255 (Anm. 5) und I. Bruna, Responsum 7 (Anm. 10). In Responsum 85 diskutiert Jacob Weil einen solchen unehrenhaften Pseudogelehrten namens Abraham, dessen Scheidungen er für ungültig erklärte. J. Weil: Responsum 163 (Anm. 4). J. Weil: Dinim 168 (Anm. 4); I. Isserlein: Responsum 274 (Anm. 5). J. Weil: Responsa 140, 147, 152 (Anm. 4). Vgl. auch I. Bruna: Responsum 231 (Anm. 10). J. Weil: Responsum 157 (Anm. 4).
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Aufgrund dieser Anfeindungen scheuten manche Rabbiner daher oft davor zurück, Urteile zu fällen und waren erst durch öffentliche Bloßstellung und sozialen Druck dazu zu bewegen, als Richter aufzutreten.112 Moses Mintz berichtet zum Beispiel: Ich wollte den Fall nicht annehmen. Wegen meines Zögerns wurden die Gebete morgens und abends gestört, bis der größte Teil der Mitglieder murrte und über mich herzog, indem sie sagten: Es gibt in Ulm weder einen Richter noch Gerechtigkeit. Das war sehr demütigend. Wegen ihres Drucks stimmte ich schließlich zu, ihr Richter zu sein.113 Starke Spannungen zwischen selbsternannten Rabbinern und den Gemeinderäten waren nicht selten. In Breslau beklagte man sich zum Beispiel bei Weil, daß ein Rabbiner versuchte, der Gemeinde seine Autorität aufzuzwingen, ohne eingeladen worden zu sein, dort zu wirken." 4 Eine Anzahl von Konflikten und Kämpfen betraf die Vormacht, vor allem zwischen Rabbinern und Gemeinden oder miteinander konkurrierenden Rabbinern, und die Resultate solcher Konflikte konnten verheerend sein. Weil beklagte sich daher folgendermaßen: Siehe, das Ergebnis dieses Streits ist es, daß das Land in Unordnung und Verwirrung ist. Es gibt keinen Frieden für die, die kommen, und die, die gehen. Es gibt keine Ordnung in der Kehillah. Deswegen muß man sich vor so vielen Hindernissen fürchten."5 Wenn Weil argumentierte, daß Kontroversen die Unordnung in der Kehillah und im Land förderten, so umfaßt seine Vorstellung von Gemeinde hier sowohl die einzelne Gemeinde, die in den Streit verwickelt war, als auch die größere Medinah, die durch die Unstimmigkeiten natürlich auch in Mitleidenschaft gezogen wurde, und zwar einerseits im Hinblick auf die Autorität der Gemeinden und andererseits auf das jüdische Zusammengehörigkeitsgefühl. In allen Responsa Weils zeigt sich sein Bemühen, den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinden angesichts interner Konflikte aufrechtzuerhalten. Eine der bedeutenderen rabbinischen Kontroversen der Zeit war die AnshelBruna-Affäre 116 in Regensburg. 117 1456 kam es zu einem Streit zwischen Rabbi 112
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117
Zur Angst, mächtige Prozeßteilnehmer gegen sich aufzubringen, vgl. J. Weil: Responsa 146 und 149 (Anm. 4). Moses Mintz: Responsum 74 (Anm. 1), zitiert nach E. Zimmer (Anm. 5) S. 71. J. Weil: Responsum 146 (Anm. 4). E. Zimmer (Anm. 5) S. 127. Vgl. dazu auch J. Weil: Responsum 146 (Anm. 4) und I. Bruna: Responsa 58 und 86 (Anm. 10). E. Zimmer (Anm. 5) S. 124. Vgl. außerdem I. Bruna: Responsa 253, 25, 167, 193, 195 und 268 (Anm. 10), I. Isserlein: Peskim 127 und 128 (Anm. 5), Moses Mintz: Responsa 76 und 63c (Anm. 7) und J. Weil: Responsum 151 (Anm. 4). Einen ähnlichen Streit gab es auch in Nürnberg um Rabbi Kuppleman. Der Rat der Stadt entschied, daß beide Rabbiner abwechselnd unterrichten durften. In Prag erlaubte der dort ansässige Rabbiner Elijah dem Passauer Rabbiner Eliezer (ein Schüler Weils, der sich in
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Anshel und Rabbi Bruna, als letzterer sich dort niederließ, eine eigene Schule gründete und der Gemeinde seine Dienste anbot. Rabbi Anshel, der sich schon vor 1450 in der Gemeinde niedergelassen hatte, betrachtete Brunas Konkurrenz als einen Angriff auf seine rabbinischen Vorrechte in der Stadt. Rabbi Bruna ließ sich aber nicht umstimmen, und der Konflikt eskalierte. Eine Gruppe von Rabbi Anshels Schülern versuchte, Rabbi Brunas Auszug aus der Stadt zu beschleunigen und ihn öffentlich zu demütigen. Sie verließen regelmäßig den Raum, wenn er zu sprechen begann, sie beschuldigten ihn der Gotteslästerung, und Bruna selbst berichtet, daß in seinen Sitz in der Synagoge ein Kreuz geritzt wurde.118 Rabbi Weil fällte allerdings das Urteil, daß es beiden Rabbinern gestattet sein solle, in der Stadt zu wohnen und zu wirken. Er verwies dabei darauf, daß er selbst die Erlaubnis erhalten hatte, eine Jeschiwa in Nürnberg einzurichten, obwohl es dort schon eine solche gab. Weil argumentierte weiterhin damit, daß keiner der beiden Rabbiner durch die Regensburger Gemeinde gewählt worden war. Ich habe geschrieben, daß ich weiß, daß die Gemeinde in Regensburg weder Rabbi Anshel noch Rabbi Bruna gewählt hat, und daß beide [Steuern] zahlen müssen wie ein Mitglied der Gemeinde; keiner steht über dem anderen, selbst wenn Rabbi Anshel zuerst in der Stadt war, und die Stellung Rabbi Brunas ist nicht geringer, weil die Gemeinde ihn nicht als Haupt über sich stellte [...].119 Folgt man diesem Gedankengang, so war das Rabbinat noch kein Beruf. Einstellungen waren privat und nicht öffentlich, daher konnte auch kein Gelehrter einen Vorrang beanspruchen. Obwohl es Fälle gab, in denen die gesamte Gemeinde den Rabbiner wählte, wurden bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die meisten deutschen Rabbiner nicht "formell durch die Gemeinde eingesetzt, in der sie lebten."120 Es war normalerweise der Lehrer, der die Würde eines Rabbiners verlieh und den Schüler dann auf eine neue Stelle hinwies. Weils eigene Einstellung in Nürnberg geschah zum Beispiel auf Bitten seines Mentors, des Maharil. Als Weil dann später nach Augsburg umzog, ersetzte er dort einen Verwandten des Maharil.121 Im Gegensatz zu Geschäftsangelegenheiten, für die sehr restriktive Monopole eingeführt werden konnten, durfte das Rabbinat nach Weils Ansicht nicht Teil ei-
118 119 120 121
Prag niederlassen wollte) nicht, rabbinische Funktionen auszuüben oder seine eigene Jeschiva zu gründen, obwohl er ein paar Schüler in seinem Haus unterrichten durfte. Schließlich kam es zu einem Vergleich, an den sich Eliezer aber nicht hielt. J. Weil: Reponsum 151 (Anm. 4). Einen weiteren Konflikt gab es in Nürnberg, als Rabbi Sprinz die Lehrerlaubnis für seinen Schüler Rabbi David Frank wieder zurücknahm. Wie schon erwähnt wurde Frank danach beschuldigt, Sprinz bei der weltlichen Obrigkeit angeklagt zu haben. I. Bruna: Responsa 58, 126, 253, 277 und 281 (Anm. 10); J. Colon: Responsum 167 (Anm. 7) und I. Isseriem: Peskim 174 und 175 (Anm. 5). I. Bruna: Responsum 231 (Anm. 10). J. Weil: Responsum 151 (Anm. 4). E. Zimmer (Anm. 5) S. 75. I. Yuval: Scholars in their Time (Anm. 35) S. 80f.
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nes Monopols sein. Weil bemühte sich darum, nicht nur die Bildungsintegrität, sondern auch die Solidarität der Gemeinde aufrechtzuerhalten. Die Anwesenheit von Rabbinern war Voraussetzung für das Weiterbestehen jüdischer Gelehrsamkeit. Von diesem Standpunkt aus weist Weil darauf hin, daß es in vielen Gemeinden üblich sei, mehr als einen Rabbiner zu haben, etwa in Städten wie Wien, Krems oder Nürnberg.122 Weil äußert sich manchmal skeptisch über das Machtstreben einzelner Rabbiner. Er greift zum Teil auch das an, was er für einen Mißbrauch des Gelehrtenstands im Rabbinat hält:123 Einige Rabbiner sahen sich selbst als Gelehrte124 und gingen davon aus, daß die alten Gesetze über Privilegien und Ausnahmen auch für sie galten. Sie glaubten, daß sie allein (ohne ein Gericht) urteilen könnten, daß sie jeden bestrafen könnten, der sie beleidige, daß sie von der Gemeindesteuer befreit seien und daß sie verlorene Gegenstände zu ihrem Eigentum erklären könnten, ohne Zeugen dafür zu haben - so die vorgebrachten Argumente. Allerdings sollten nach Weil, der eine umfangreiche Tradition zitiert, die ihm von seinem Mentor, dem Maharil, überliefert wurde, die Gelehrten nicht zu sehr auf eine Bestrafung der Verleumder drängen. Außerdem schreibt er, daß es wegen ihrer Sünden in seiner Generation keinen Gelehrten mehr gebe, der das Traktat Kallah kennt,125 eine der im Talmud genannten Grundvoraussetzungen, um den Rang eines Gelehrten zu erhalten. Weil zitiert das 'Sefer Agudah' des Susslein aus Frankfürt und weist darauf hin, daß der Rang eines Gelehrten nicht mehr existierte, als das Buch geschrieben wurde: 122 123
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J.Weil: Responsum 151 (Anm. 4). Dieses Responsum wurde von Solomon Freehof falschlich unter der Nummer 166 aufgelistet; dafür bietet er aber auch eine Übersetzung des Responsums. Solomon B. Freehof: A Treasury of Responsa. Philadelphia 1963. S. 61-65. Für eine Zusammenfassung der Meinungen zu diesem Thema in dieser Zeit vgl. Y.A. Dinari (Anm. 35) S. 19-27. Für eine Diskussion der Gelehrten, die selbst Gerichtsurteile fällten, vgl. I. Yuval: Scholars in their Time (Anm. 35) S. 404-423. J. Weil: Responsum 163 (Anm. 4). Die Anspielung bezieht sich hier auf den Talmud, Traktat Shabbat 114a, wo gesagt wird, daß Rabbi Johanan sagte: "Wer ist der Gelehrte, dem ein verlorener Gegenstand zurückgegeben wird, wenn er ihn wiedererkennt? Der [Gelehrte], der darauf achtet, sein Hemd umzudrehen [so daß die rauhen Säume innen liegen]. R. Johanan sagte auch: Wer ist der Gelehrte, der als Leiter einer Gemeinde eingesetzt wird? Der, der antworten kann, wenn er irgend etwas über die halacha gefragt wird, selbst im Traktat Kallah. R. Johanan sagte auch: Wer ist der Gelehrte, dessen Arbeit die Leute in der Stadt verrichten sollen? Der, der seine eigenen Interessen aufgibt und sich um die religiösen Dinge kümmert: aber das soll nur dafür sorgen, daß er Brot hat." Das Zitat stammt aus S. Freehof (Anm. 123) S. 63f. Die englische Übersetzung stammt aus: The Babylonian Talmud. Hg. von H. Freedman. London 1973 (Soncino Series). Das Traktat Kallah ist ein kleineres Traktat, das zum Anhang der 4. Ordnung des Babylonischen Talmud (Nezikin) gehört. Einige Forscher halten es aber auch für möglich, daß die Anspielung sich nicht auf dieses Traktat bezieht, sondern auf die halbjährliche Versammlung babylonischer Gelehrter, die ebenfalls Kallah hieß. Vgl. Encyclopaedia Judaica. Bd. 10. C. Hg. von Cecil Roth u.a. Jerusalem, New York 1972. S. 709f. unter dem Stichwort Kallah.
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Wieviel stärker ist das in dieser Zeit, wenn, wegen unserer vielen Sünden, unsere Geisteskräfte geschrumpft sind und viele Rabbiner nicht einmal die Gestalt des Gesetzes kennen [...] Und doch sind manche von ihnen stolz genug, sich als Herren zu gebärden und die Krone des Rabbinats zu mißbrauchen. Sie streben nur nach ihrem eigenen Ruhm: daß sie oben sitzen und vorne gehen können, und es gibt sogar welche, die nach Geld streben. Sie haben nicht die Charaktereigenschaften, die nach Ansicht der Rabbiner ein Gelehrter haben sollte. Manche bedenken nicht einmal ihre Handlungen. Ihr Ruf ist schlecht, und durch sie wird der Name des Himmels entheiligt.126 Weil weist diese Leiter zurecht, weil sie sich zu Herren über andere aufschwängen und nur nach ihrem persönlichen Nutzen strebten, und zeigt sich darüber enttäuscht, daß es Rabbiner gebe, die nicht nur schlechte Gelehrte seien, sondern auch "unfähig, zwischen ihrer Rechten und ihrer Linken zu unterscheiden".127 Seine Kommentare zu diesem Thema kommen auch seinen Reflexionen über ähnlich unehrliche weltliche Amtspersonen sehr nahe, die bereits angesprochen wurden. Trotz aller hier zu berücksichtigenden rhetorischen Überzeichnungen werden die Veränderungen, die Rabbi Weil hier beklagt, doch in dem Zusammenhang bedeutsam, den ich weiter oben zitiert habe.128
V. Ausblick Das Bild zunehmender Autorität der Rabbiner in sakraler und rechtlicher Hinsicht steht in starkem Kontrast zu dem Bild, das von den christlichen Gemeinden dieser Zeit gezeichnet wird,129 in denen die Figuren sakraler Autorität im Zusammenhang mit der Fragmentierung und dem Zusammenbruch der kirchlichen und weltlichen Zentralgewalt verdrängt wurden. Man kann vielleicht davon ausgehen, daß die jüdische Gemeinde ihre Form neu definieren mußte, als die Grenzen der christlichen Gemeinschaft auch das Sakrale zu umfassen begannen, um zu vermeiden, hinweggefegt bzw. in die sakralisierte (christliche) Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Daher legte sie ihre Sakralität in die Hände der einzigen Personen, die in der Lage waren, den jüdischen Ritus zu erhalten und das jüdische Gesetz, die Grundlage jüdischen Gemeindelebens, zu interpretieren und fortzuführen. In vielen Fällen beschränkten sich die jüdischen Gemeinden auf sich selbst und ihr lo126
S. Freehof (Anm. 123) S. 64. J. Weil: Responsum 129 (Anm. 4). 128 Vgl. oben S. 165f. 129 Vgl. Bernd Moeller: Imperial Cities and the Reformation. Hg. und ins Englische übersetzt von H. C. Erik Midelfort, Mark U. Edwards, Jr. Durham 1982 und Rolf Kießling: Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt. Augsburg 1979. 127
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kales Umfeld. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Versuche des 15. Jahrhunderts bedenkt, die deutschen jüdischen Gemeinden zu zentralisieren - sie blieben alle erfolglos.130 Die Gegner einer derartigen Zentralisierung konnten sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der jüdischen Gemeinden kommen. Rabbi Weil erwähnt zum Beispiel, daß sich die Ratgeber des Königs gegen einen Zusammenschluß der jüdischen Gemeinden in Nürnberg aussprachen, der über die Reichssteuern verhandeln sollte. Dies geschah wahrscheinlich auch aus Furcht davor, ein gewisses Maß an Kontrolle über die Festsetzung der zu entrichtenden Summe zu verlieren.131 Aber Gegenstimmen konnten auch aus den jüdischen Gemeinden selbst kommen. Als Antwort auf die Bemühungen von Rabbi Seligman von Bingen, im Jahr 1455 zu einer Art deutschem Oberrabbiner zu werden, lehnten viele Gemeinden und Rabbiner seine Verordnungen und seinen Versuch ab, als "oberste Autorität bei der Interpretation" anerkannt zu werden.132 Die Professionalisierung des Rabbinats setzte eine Reihe weiterer Entwicklungen in Gang, unter anderem auch die starke lokale Verankerung der jüdischen Machtstrukturen. Trotz des Beispiels von Jacob Weil gab es eine große Anzahl von Berichten über Rabbiner, die versuchten, die Niederlassung eines Rivalen in der Gemeinde zu verhindern. Außerdem ist darauf verwiesen worden, daß die neue Stellung des Rabbinats auch die sozialen Beziehungen innerhalb der Gemeinde beeinflußte. Zusammen mit professionellen und sozialen Interessen bestand die Tendenz, Scheidungen zu erleichtern, vor allem weil die wachsende Nachfrage nach den Diensten der Rabbiner zu deren finanziellen Wohlergehen beitrug. Der dramatische Anstieg rabbinischer Literatur, die sich mit dem Thema Scheidung befaßte, bietet nach der Argumentation von Israel Yuval133 einen deutlichen Beweis dafür, daß ein gewisses System theoretischer Legitimität konstruiert wurde, um die Machtbefugnisse des Rabbiners und die Abhängigkeit der Gemeinde von seinen Diensten zu vergrößern und zu verstärken. Selbst wenn man Yuvals Interpretation nicht folgt, so ist doch offensichtlich, daß die Stellung des Rabbiners sich im 15. Jahrhundert dramatisch verbesserte. Die mangelnde Klarheit über das Wesen und die Grenzen von Gemeinde wie auch die Spannungen innerhalb derselben zeigen sich in den kommunalen Konflikten, die in einem großen Teil der Responsa-Literatur sichtbar werden. Solche Spannungen werden am deutlichsten (und daher auch für uns sehr leicht greifbar) in Auseinandersetzungen zwischen Einzelpersonen in herausgehobenen Positionen wie Ratsherren und Rabbinern sichtbar. Die Kontroversen deuten aber an, daß es um mehr ging als nur um soziale und wirtschaftliche Umbrüche. Das gesamte Wesen der jüdischen Gemeinde hatte sich im 15. Jahrhundert grundlegend gewan130 131 132 133
Louis Finkelstein: Jewish Self-Government in the Middle Ages. New York 1924. S. 77. A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 600f. A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 601. Israel Yuval: An Appeal Against the Proliferation of Divorce in Fifteenth-Century Germany. In: Zion 48. 1983. S. 177-216 [Hebräisch],
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delt. Zum Abschluß sei dazu noch einmal ausführlich ein Responsum von Jacob Weil zitiert: In bezug auf einen Streit zwischen Rabbi Tuvia und Rabbi Vredel, daß nämlich Rabbi Tuvia in deutscher Sprache (Loshon Ashkenaz) Zeugnis ablegen will und Rabbi Vredel darauf antwortet, daß er [wegen] seiner Herkunft nicht Deutsch schreiben kann, war dies eine der vielen Verordnungen, die auf der Synode [wörtlich: Gruppe, Menge] in Nürnberg angeordnet wurden. Wenn einer der Prozeßteilnehmer in deutscher Sprache Zeugnis ablegen will, und wenn Du in Deinem Land nach der einfachen Ordnung [der Takkanah von Nürnberg] eingesetzt worden bist, dann gibt das Urteil Rabbi Tuvia recht, ob Rabbi Vredel nun Deutsch beherrscht, oder ob er aufgrund seiner Herkunft Deutsch nicht gut genug schreiben kann, so daß er nicht sprechen will. So ordneten sie an, daß, selbst wenn sie keine Arbeit haben, jemand, dessen Herkunft es ihm verbietet, Deutsch zu schreiben, und er dies sagt, er jemanden einstellen kann [um für ihn zu schreiben].134 Dies ist ein wichtiges Responsum, da es nicht nur darauf hinweist, daß es in den jüdischen Gemeinden immer mehr bezahlte Advokaten gab,135 sondern auch darauf, daß sogar der Mittelpunkt der Gemeinde und der Selbstidentifikation dabei war, sich zu verlagern. Das Responsum deutet an, daß sich das Zentrum der Autorität zu einer Art der Autorität verlagerte, die auf der Va'ad beruhte, wie schon erwähnt. Wichtiger ist aber, daß die Anzahl der Personen, die das Hebräische noch fließend beherrschten, in dieser Zeit schon deutlich abgenommen haben muß. Diese Gemeinden konnten sich wahrheitsgemäß 'aschkenasisch' nennen. Wenn der Gebrauch der hebräischen Sprache tatsächlich dramatisch zurückging, dann gewinnt auch unsere Diskussion um die Entstehung eines professionellen Rabbinats einen größeren Stellenwert. Denn in einem solchen Fall können wir feststellen, daß sich die sakrale Identität der Gemeinde verlagert hat, und die Gemeinde nun durch einen 'heiligen Mann' geleitet wird: Dies ist eine Resakralisierung der Gemeinde in der Person des Rabbiners. Nach der Aussage eines Rabbiners im 15. Jahrhundert wurden daher "die Talmud-Gelehrten zu Gefäßen der Heiligkeit wegen ihres Wissens um die Thora".136 Rabbi Moses Mintz konnte bemerken, daß jeder Rabbiner und Experte durch einen Rabbiner zum Rabbiner gemacht wurde bis zurück zu Moses, unserem Meister [...] ein Stab und ein Lederriemen waren in seinen Hand gegeben worden [...] und kein Hausbesitzer [...] darf auf irgendeine Weise die Worte eines Rabbiners in Frage stellen.137
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J. Weil: Responsum 101 (Anm. 4) E. Zimmer (Anm. 5) S. 83f. Vgl. außerdem J. Weil: Responsum 119 (Anm. 4), I. Isserlein, Responsum 354 (Anm. 5) und I. Bruna: Responsum 132 (Anm. 10). Maharai Segal; zitiert nach A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 597. A History of the Jewish People (Anm. 35) S. 598.
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Die Professionalisierung des Rabbinats ist nur ein wichtiges Beispiel für die vielen Veränderungen und Spannungen in den Gemeinden, ebenso wie für die zunehmenden Versuche, jüdische Autoritätsstrukturen zu regionalisieren, was tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Organisation der jüdischen Gemeinde im spätmittelalterlichen Deutschland hatte. Die Stellung des Rabbiners hatte sich im 15. Jahrhundert dramatisch verbessert; allerdings ließen die schon in den Gemeinden bestehenden Machtkonstellationen die Position des Rabbiners noch keine feste Form annehmen, wie die hier untersuchten Konfliktfälle zeigen. Die jüdischen Gemeindestrukturen wandelten sich im 15. Jahrhundert, sowohl aufgrund des äußeren christlichen Drucks als auch aufgrund interner jüdischer Konflikte.
Ungleiche Partnerschaft. Simon Günzburg und die erste Ansiedlung von Juden vor den Toren Augsburgs in der Frühen Neuzeit Stefan Rohrbacher
Die Reichsstadt Augsburg hat ihre Juden 1438/40 vertrieben und eine Wiederaufnahme bis 1803 verweigert. In der Frühen Neuzeit existierte jedoch eine Reihe jüdischer Niederlassungen in der näheren Umgebung der Stadt. Im unmittelbar vor den Toren Augsburgs gelegenen Pfersee und im kaum weniger nahen Kriegshaber fanden sich bedeutendere Gemeinden, eine kleinere in Steppach, eine gute Wegstunde entfernt;' in anderen Orten, so in Leitershofen, waren zumindest zeitweise einzelne Juden ansässig. Man hat die Entstehung dieser Niederlassungen im ländlichen Umfeld in der Regel als eine unmittelbare Folge der Vertreibung aus der Stadt aufgefaßt; es schien auf der Hand zu liegen, daß es die aus Augsburg verwiesenen Juden gewesen sein mußten, die diese in nächster Nähe ihrer Heimatstadt gelegenen Niederlassungen begründet hatten.2 Tatsächlich sind aber die '
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Vgl. Richard Hipper: Die Reichsstadt Augsburg und die Judenschaft vom Beginne des 18. Jahrhunderts bis zur Aufhebung der reichsständischen Verfassung (1806). Masch. Diss. Erlangen 1923; Reinhard H. Seitz: Die einstige jüdische Religionsgemeinde zu Steppach. In: Steppach bei Augsburg. Beiträge zur Ortsgeschichte. o.O. 1978. S. 107-112; Gerhard Hetzer: Anmerkungen zur Geschichte der Judensiedlungen in Steppach und Schlipsheim. In: Neusäß. Die Geschichte von acht Dörfern auf dem langen Weg zu einer Stadt. Hg. von Manfred Nozar, Walter Pötzl. Neusäß 1988. S. 239-260; Sabine Ullmann: 'Über der Juden schädlichen Wucher und Kipperey'. Die Beziehungen der Judengemeinden in Kriegshaber und Pfersee zur Reichsstadt Augsburg im 17. Jahrhundert. Masch. Mag.-Arb. Augsburg 1992. Offenbar verschollen ist das materialreiche, zuletzt in der Obhut der Israelitischen Kultusgemeinde Augsburg befindlich gewesene Manuskript von Luis Dürrwanger: Die Juden von AugsburgKriegshaber. Ein Beitrag zur Bayerischen Landesgeschichte (1940). Vgl. Fritz Leopold Steinthal: Geschichte der Augsburger Juden im Mittelalter. Berlin 1911. S. 52f.; Richard Grünfeld: Ein Gang durch die Geschichte der Juden in Augsburg. Festschrift zur Einweihung der neuen Synagoge in Augsburg. Augsburg 1917. S. 43; Raphael Straus: Regensburg and Augsburg. Philadelphia 1939 (Jewish Communities Series). S. 193. Nach der älteren Literatur vertreten diese Auffassung u.a. Adolf Layer: Die Juden und ihre Niederlassungen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2. Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Hg. von Max Spindler. 2. Aufl. München 1971. S. 1055-1058, hier S. 1056; Detlev Schröder: Stadt Augsburg (Historischer Atlas von
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Zusammenhänge zwischen dem Untergang der jüdischen Gemeinden in den größeren deutschen Städten während des ausgehenden Mittelalters und den Anfängen ländlicher jüdischer Gemeinden in der Frühen Neuzeit im Allgemeinen sehr viel komplexer und weniger unmittelbar als vielfach angenommen. 3 Auch einige häufiger zitierte Beispiele für einen solchen unmittelbaren Zusammenhang erweisen sich bei näherer Betrachtung als wenig stichhaltig. So liegen zwischen der Vertreibung der Juden aus Nürnberg (1499) und der Entstehung jüdischer Gemeinden im nahegelegenen Herrschaftsbezirk Rothenberg wie auch in dem benachbarten Markt Fürth immerhin einige Jahrzehnte; und was Augsburg angeht, so verging hier zwischen der Vertreibung aus der Stadt und der Entstehung von Siedlungspunkten in ihrer unmittelbaren Nähe offensichtlich sogar mehr als ein Jahrhundert.4 Noch um 1550 lebten Juden offenbar weder in Pfersee,5 noch in Kriegshaber oder Steppach, und auch nirgendwo sonst im unmittelbaren Umfeld der Stadt finden sich für diese Zeit Belege für ihre Ansässigkeit. Wenngleich man eine sporadische Anwesenheit einzelner Juden im einen oder anderen Ort für das späte 15. und frühe 16. Jahrhundert sicher nicht ausschließen kann, so steht doch der völlig marginale Charakter einer solchen hypothetischen Anwesenheit außer Frage; keinesfalls ist bereits für diese Zeit von einer dauerhaften Siedlung oder gar von einer Gemeindebildung in einem der Dörfer vor den Toren der Stadt Augsburg auszugehen.
3
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Bayern. Tl. Schwaben. H. 10). München 1975. S. 178; für Kriegshaber Baruch Zwi Ophir: Pinkas ha-Kehillot. Enzyklopädie jüdischer Niederlassungen von ihrer Entstehung bis nach der Vernichtung während des Zweiten Weltkriegs. Deutschland: Bayern [hebr.]. Jerusalem 1973. S. 639, wo eine erste Niederlassung (wohl infolge eines Druckfehlers bei Grünfeld) sogar bereits auf Augsburger Flüchtlinge der Verfolgung des Pestjahres 1349 zurückgeführt wird; neuerdings Wolfram Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung. Die Reichsstadt Augsburg und die Juden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 110-127, hier S. 117, 126. Vgl. Stefan Rohrbacher: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot ... gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Hg. von Annette Weber, Evelyn Friedlander und Fritz Armbruster. Osnabrück 1997. S. 35-41; Friedrich Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? Zur Vertreibung und Neuansiedlung der Juden im Heiligen Römischen Reich. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Monika Richarz, Reinhard Rürup. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. Bd. 56). S. 9-35. Vgl. bereits Reinhard H. Seitz: Art. 'Augsburg'. In: Germania Judaica. Bd. 3: 1350-1519. Tl. 1: Aach-Lychen. Hg. von Arye Maimon. Tübingen 1987. S. 65 Anm. 331. Äußerst fraglich ist das als frühestes Datum für Pfersee genannte Jahr 1530 bei R. Grünfeld (Anm. 2) S. 43; übernommen zuletzt bei Peter Fassl: Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. In: Aus Schwaben und Altbayern. Festschrift für Pankraz Fried. Hg. von Peter Fassl. Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst. Sigmaringen 1991. S. 21-30, hier S. 26, sowie bei W. Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung (Anm. 2) S. 117. Eine kontinuierliche Niederlassung von Juden in Pfersee datiert jedenfalls erst von 1569.
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Die Augsburger Juden haben sich nach 1438 offenbar nicht in den nahegelegenen Dörfern niedergelassen - wo also sind sie geblieben? Zweifellos haben sie nach Möglichkeit zunächst ein Unterkommen in anderen großen Städten gesucht, die damals noch jüdische Gemeinden beherbergten. Der Augsburger Rabbiner Jakob Weil, einer der größten Talmudgelehrten seiner Zeit in Deutschland, fand so Aufnahme in Bamberg und schließlich in Erfurt; andere mögen sich etwa nach Frankfurt, Nürnberg, Ulm oder Regensburg gewandt haben, wo zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls noch bedeutende jüdische Gemeinden bestanden. Allerdings war ihnen und ihren Nachkommen an solchen Zufluchtsorten zumeist keine dauerhafte Heimstatt gewährt: Aus Erfurt wurden die Juden 1453/54, aus Nürnberg und Ulm 1499, aus Regensburg 1519 endgültig vertrieben. Ohnehin hatten die großen Städte wohl nur eine Minderzahl der Flüchtlinge aufgenommen. Andere Augsburger werden sich damals - wie später ihre Schicksalsgefährten aus Erfurt, Nürnberg, Ulm oder Regensburg - nach Norditalien, Böhmen oder Polen gewandt haben, wo die aschkenasischen Juden, also jene, die aus Deutschland (hebr. Aschkenas) stammten, rasch aufblühende Gemeinden bildeten. Ein gewisser Teil der einstigen Bewohner der Urbanen Zentren aber wurde in einem allmählichen, sich oft über Generationen hinziehenden Prozeß in mehr oder weniger notdürftige Existenznischen in kleineren Landstädten wie auch in Märkten und Dörfern abgedrängt. Die Niederlassung auf dem Land bedeutete nicht nur ein Leben unter ganz andersartigen ökonomischen Bedingungen, sondern vielfach auch eine Existenz in Vereinzelung und tendenzieller Isolation, und damit nicht zuletzt auch eine Erschwerung der religiösen Lebensführung. 6 So existierten auch im weiteren Umkreis Augsburgs nach der Vertreibung aus Ulm (1499) jüdische Gemeinden zunächst wohl nur in den habsburgischen Städten Günzburg und Burgau und in dem Flecken Neuburg an der Kammel, während in einer Vielzahl ländlicher Orte zwischen Lech und Donau immer wieder sporadisch einzelne Juden begegnen; die für Ostschwaben so charakteristischen stattlichen jüdischen Landgemeinden wie Thannhausen, Fischach, Ichenhausen, Binswangen oder Buttenwiesen sind dagegen fast ausnahmslos erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden und haben ihre typische Ausprägung teilweise erst in noch späterer Zeit erlangt.7
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7
Vgl. Stefan Rohrbacher: Stadt und Land. Zur 'inneren' Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit. In: Jüdisches Leben auf dem Lande (Anm. 3) S. 37-58. Vgl. dazu Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation. Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 2) S. 154180. Auf einer Fehllesung beruht die Angabe eines 'Erstnachweises' für Binswangen 1439 bei Ludwig Reissler: Geschichte und Schicksal der Juden in Binswangen, einem Dorf in der ehemals österreichischen Markgrafschaft Burgau im heutigen Bayerisch Schwaben. Ein Beitrag zum Problem ethnisch-religiöser Minderheiten. Zulassungsarbeit TU München 1982. S. 20f.
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Auch die früheste bislang nachweisbare kontinuierliche Niederlassung im unmittelbaren Umfeld der Reichsstadt Augsburg fällt in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die ersten Juden siedelten hier offenbar nicht, wie vielfach angenommen, in Pfersee oder Kriegshaber, sondern in dem Dorf Oberhausen, das Bischof und Domkapitel zu Augsburg gehörte. Die näheren Umstände dieser Ansiedlung erhellen aus jiddischem und hebräischem Quellenmaterial, das uns die Juden in diesem Zusammenhang ausnahmsweise einmal nicht nur als Objekte einer obrigkeitlichen Siedlungspolitik, sondern auch als handelnde Subjekte entgegentreten läßt. Am Mittwoch, dem 17. Cheschwan des Jahres 5314 jüdischer Zeitrechnung, am 27. Oktober 1553 der Christen, wurde vor dem rabbinischen Gericht in Günzburg ein Vertrag aufgenommen und in Kraft gesetzt, der eine Geschäftspartnerschaft besonderer Art besiegeln sollte.8 Vertragspartner waren der illustre Simon Günzburg und ein gewisser Nathan Schotten sowie dessen Frau Ellen. In der jiddischen Vertragsurkunde erklärt Simon Günzburg, daß sich zugetragen, daß unser Herr, der große Fürst, der Kardinalbischof in Augsburg, aus besonderer Gunst bewilligt und vergönnt, daß ich, der endesunterzeichnete Simon, Sohn des verstorbenen Elieser, Vollmacht und Erlaubnis haben soll, zwei [jüdische] Hausväter in ihren Flecken Oberhausen, welche auch immer mir gelegen und dazu geeignet seien, setzen möge. Seine Vertragspartner hatten das entsprechende Privileg gesehen und waren damit einverstanden, daß es in seinen Händen verblieb; dieweil habe ich, der endesunterzeichnete Simon, da ich die Absicht habe und Willens bin, mit denen, die ich dort hineinsetzen werde, eine Partnerschaft zu haben, mich auf Bitte des Herrn Nathan und seiner unterzeichneten Gattin damit einverstanden erklärt und mit ihnen vereinbart, daß ich hiermit dem erwähnten Herrn Nathan und seiner Frau vergönne, als meine Partner in Oberhausen einzuziehen, und sie dürfen für einen Zeitraum von drei Jahren dort sitzen, in der nachstehend erklärten Weise.9 Es war also eine ungleiche Partnerschaft, die hier vereinbart wurde: Simon Günzburg hatte durch bischöfliches Privileg die Möglichkeit, nach Gutdünken zwei Haushaltungen in den überaus günstig vor den Toren Augsburgs gelegenen 8
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Das jiddische und hebräische Quellenmaterial findet sich in der Sammelhandschrift MK/428 im YlWO-Institut New York. Einzelne Dokumente aus dieser Handschrift wurden bereits abgedruckt bei Markus Horovitz: Frankfurter Rabbinen. Ein Beitrag zur Geschichte der israelitischen Gemeinde in Frankfurt a.M. 2. Aufl. mit Ergänzungen von Josef Unna. Hildesheim, New York 1972. Dokumentarischer Anhang Nr. 5. Ein Gesamtabdruck in (z.T. falscher) chronologischer Ordnung erfolgte durch Eric Zimmer: Aus der Geschichte des Rabbinats in Deutschland. Der Konflikt zwischen den Rabbinern Frankfurts und Schwabens (324325) [hebr.]. Jerusalem 1984. Ms. YIWO MK/428. fol. 8V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 4. Übersetzung der jiddischen und hebräischen Quellen hier und im folgenden: S.R.
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Ort zu setzen; und wenn er sich für Nathan Schotten und dessen Frau entschieden hatte, so war dies auf deren Bitte geschehen und erschien in ähnlicher Weise als eine Gunst, wie sie zuvor Simon von Kardinalbischof Otto Truchseß von Waldburg erfahren hatte. So waren auch die Konditionen der Partnerschaft von den Interessen des Simon Günzburg diktiert: Nathan und seine Frau sollten in Oberhausen keinerlei selbständige Geschäfte tätigen, sondern ausschließlich im Rahmen ihrer Geschäftspartnerschaft mit Simon handeln dürfen. An allen Geschäften, an Kauf und Verkauf, iSc/zwWfverschreibungJe« und Pfandern, so nach Oberhausen oder anderswo an den erwähnten Herrn Nathan oder seine Frau reichen oder kommen mögen, sie seien mit Juden oder Nichtjuden, sie seien klein oder groß, alles was der Mund zu sagen vermag, an alldem sollte Simon mit einer 75%igen Geschäftseinlage beteiligt sein; und so stand ihm auch eine 75%ige Gewinnbeteiligung zu.10 Nathan und seine Frau verpflichteten sich, daß sie gewissenhaft handeln wollen und sollen, und zum Wohl der Partnerschaft streben, so viel ihnen möglich ist, darin keinen Fleiß oder Mühen zu sparen, auch keinen Vorteil oder Eigennutz zu suchen. Sie waren ferner verpflichtet, Simon oder seinem Bevollmächtigten monatlich in Oberhausen über alle die Partnerschaft betreffenden Geldgeschäfte Rechenschaft zu geben und dabei jedesmal alle Quittungen und Bücher vorzulegen; zudem sollte Nathan zweimal jährlich zur Abrechnung unter Vorlage aller Quittungen und Bücher nach Günzburg kommen, wenn Simon dies verlangte. Sollte die Partnerschaft nach Ablauf der drei Jahre nicht verlängert werden oder aus anderem Grund eine Trennung nötig werden, so durften Nathan und seine Frau ohne die Einwilligung Simons kein Pfand mitnehmen, über das noch nicht abgerechnet worden war. Für den Fall irgendwelcher Zwistigkeiten zwischen den Partnern sah der Vertrag die Anrufung eines jüdischen Schiedsgerichts in Günzburg oder Neuburg (an der Kammel) vor, wobei die Schiedsrichter nach dem üblichen Verfahren zu wählen waren: Jede der streitenden Parteien sollte einen Schiedsmann benennen, gemeinsam würden diese beiden Schiedsleute dann den dritten Schiedsmann bestimmen." Wie dieser Vertrag deutlich werden läßt, war die Entstehung der ersten bislang belegbaren frühneuzeitlichen jüdischen Ansiedlung im unmittelbaren Umfeld der Stadt durch die aktive Politik eines der bedeutendsten schwäbischen Juden dieser Zeit möglich geworden. Simon, nach seinem Wohnort gemeinhin Simon Günzburg genannt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Mann von etwa siebenundvierzig Jahren, war ein in seiner Gemeinde wie im ganzen Land höchst einflußreicher Führer, eine in der jüdischen Welt weithin berühmte und bewunderte 10
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Irrig sind Abgaben über eine nur 50%ige oder gar nur 25%ige Gewinnbeteiligung Simons bei E. Zimmer (Anm. 8) S. xxi, bzw. David Maggid: Geschichte der Familien Günzburg [hebr.]. Petersburg 1899. S. 5. Ms. YIWO MIC/428, fol. 8V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 4f.
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Ausnahmegestalt von geradezu sprichwörtlichem Reichtum.12 So heißt es in dem 1592 in Prag gedruckten hebräischen Geschichtswerk 'Zemach David' des David Gans, daß er einige hunderttausend fl. besessen habe und daß zu seinen Lebzeiten und auch in früheren Generationen unter den Juden Deutschlands keiner zu finden gewesen sei, der es mit ihm in dieser Hinsicht hätte aufnehmen können.13 Das Memorbuch der jüdischen Gemeinde von Pfersee rühmt Simon nach, er sei mehr als vierzig Jahre für die Belange der jüdischen Gemeinschaft tätig gewesen, habe für die Abschaffung von Zöllen gesorgt, aus eigenen Mitteln ein Grundstück für die Errichtung des jüdischen Friedhofs in Burgau angekauft und mit einer Mauer einfrieden lassen, und zahlreiche Gefangene aus den Händen der Nichtjuden gelöst.14 Der schwäbische Landesrabbiner Isaak Segal sagt von ihm, daß er von dem Tag an, da er zum Mann wurde, stets einer unserer Führer war — ein Haupt und Fürst unter uns, auf dem allein unsere Augen ruhten, und in all seinen Anstrengungen ging er uns voraus. [...] Er hat sich mit Leib und Gut für unser heiliges Volk geopfert, um es zu retten und um es aus der Gewalt der christlichen Machthaber zu befreien;15 und im fernen Lublin findet der große Talmudgelehrte Salomon Luria, auf Simon und seinen raschen Aufstieg zu Ruhm und Macht anspielend, zu poetischen Wendungen über Günzburg, eine in Allem prächtige Gemeinde, gewirkt durch die Weisheit des tätigen Fürsten, kleiner an Größe als ihre Rivalin, doch größer durch die Güte ihrer zahlreichen Werke, die berühmt wurde über Nacht — und über Nacht wurde sie betrübt, und Freude und Jubel verwandelte sich in Heulen und Wehklagen,16 als es nämlich in der Familie des Simon Günzburg zu einem bitteren Zerwürfnis kam.
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Vgl. zur Geschichte der Familie Günzburg die allerdings in Einzelheiten nicht immer korrekten Angaben bei Leopold Löwenstein: Günzburg und die schwäbischen Gemeinden. In: Blätter für jüdische Geschichte und Litteratur. Jg. 1. 1899/1900. S. 9f., 25ff., 41 ff., 57ff.; Jg. 2. 1901. S. 25ff., 33ff, 41 f f , 49ff, 57ff.; Jg. 3. 1902. S. 4ff„ 21 ff., 56ff. und D. Maggid (Anm. 10; vgl. hierzu auch CAHJP. Jerusalem: P 16/1); ferner Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 2) S. 80-109, hier S. 84-93. David Gans: Zemach David. Ed. Jerusalem 1983. S. 144. Seelengedächtnisbücher des 16.-19. Jahrhunderts in den Gemeinden Binswangen, Pfersee, Neuburg, Fischach, Oettingen, Oberdorf, Erdheim, Wallerstein, Kriegshaber, Harburg, Steppach, Hürben, Kleinerdlingen, Sontheim im Land Schwaben [hebr.]. Hg. von Moritz Stern. Jerusalem 1941 (Schriften des Gesamtarchivs für die Geschichte des jüdischen Volkes. Bd. 1). S. 6. Vgl. Joseph Perles: Das Memorbuch der Gemeinde Pfersee. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Bd. 22. 1873. S. 508-515. Ms. YIWO MK/428. fol. 5V; E, Zimmer (Anm. 8) S. 25. RGA Salomon Luria. Ed. Lemberg 1859. Nr. 11.
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Verwandtschaftlich mit hervorragenden rabbinischen Autoritäten und Vorstehern wichtiger Gemeinden in der ganzen aschkenasischen Welt verbunden, war Simon Günzburg das Oberhaupt einer zahlreichen, ebenso vornehmen wie mächtigen und auch machtbewußten Familie. In ihrem Besitz war die berühmte, einzigartige Pariser Talmudhandschrift von 1342; und die meisten der zum Teil illuminierten hebräischen und jiddischen Manuskripte, die wir aus dem Schwaben des 16. Jahrhunderts kennen, sind wohl als Auftragsarbeiten für diese Familie entstanden oder waren doch zumindest ihr Eigentum.17 Als sein Frankfurter Verwandter Simon Levi Günzburg zur Gembs Pläne entwickelte, den Talmud drucken zu lassen, unterstützte Simon Günzburg dieses gewaltige Unterfangen durch die Bereitstellung der Summe von 8.000 fl. Tatsächlich konnte der Druck dann 1578 durch Ambrosius Frobenius in Basel begonnen und ungeachtet der Streitigkeiten, die zwischen dem christlichen Drucker und seinem jüdischen Auftraggeber entstanden, bereits im Herbst 1580 vollendet werden.18 Die weitgespannten familiären Verbindungen waren zweifellos auch im Geschäftsleben ein wichtiger Aktivposten, erleichterten sie doch die Bildung von Konsortien und ermöglichten es somit, auch kurzfristig größere Geldsummen für Investitionen bereitzustellen. Die geschäftlichen Interessen Simons, der mit besonderen kaiserlichen Privilegien ausgestattet war,19 erstreckten sich auf verschiedenste Felder, vor allem aber auf die Kreditvergabe; der christlichen Bevölkerung muß er wohl über Jahrzehnte hinweg als die Personifizierung des jüdischen Geldleihers erschienen sein. So führt etwa der Abt des Klosters Roggenburg 1562 Klage über die wuecherisch Conträct, mit denen sein und seines Gotshaus arme unnderthanen durch die Juden hin unnd wider gräflich beschwert, unnd umbgetriben, unnd sonnderlich von Simon Juden zu Ginzburg, welcher täglich am Kayserlichen Hofgericht zu Rotweil, unnd Lanndtgericht in Schwaben, beschwerliche Proceß wider dieselben Erlanngt;20
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Vgl. S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 12) S. 87-93. Vgl. Heinrich Pallmann: Ambrosius Froben von Basel als Drucker des Talmud. In: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels. 7. 1882. S. 44-61; Ernst Staehelin: Des Basler Buchdruckers Ambrosius Froben Talmudausgabe und Handel mit Rom. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. 30. 1931. S. 7-37; Die Basler hebräischen Drucke (1492-1866). Hg. von Bernhard Prijs. Ölten 1964. S. 175-188. Die ihm und seinem Bruder Jakob, gleichfalls in Günzburg, am 17. April 1544 durch Kaiser Karl V. in Speyer erteilten Freiheiten wurden 1558 durch Kaiser Ferdinand und 1567 durch Kaiser Maximilian erneuert; CAHJP. Jerusalem: P 16/1, P 16/5. - Im Februar 1582 bat der greise Simon, daß der Kaiser Ime seine habennden Freyhaiten dergestalt gnedigest Erneuern unnd auf fünffundzwanzig Jar lanng Prorogiren und erstreckhen wolle, damit nach seinem Absterben sein weib und khinder auch noch daselbst zue Günzburg Ir heusliche wonung haben, und sich gleichermassen allerlay hanndtirung gebrauchen mechten\ StaatsA Augsburg Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 649. fol. 470v. StaatA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 647. fol. 603v.
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und wenn der kaiserliche Notar Gallus Spenlin die Insinuation der ulmischen Judenfreiheit von 1571 in Günzburg mit dem Vermerk protokolliert, er habe dieses Privileg am 23. Oktober auf der Ratsstube allen anwesenden Juden und Jüdinnen verkündet, insonders Schimel Judens selbs gegenwertigkheit,2' so ist auch dies bezeichnend für die herausragende Rolle, die Simon Günzburg nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der Wahrnehmung der Günzburger Judenschaft durch ihre Umwelt einnahm. Insbesondere pflegte er Verbindungen mit zahlreichen Personen von Stand und Adel, denen er mit Großkrediten, aber auch mit anderen Leistungen zu Diensten war - wobei ihn die wenigen erhaltenen Geschäftsbriefe von eigener Hand als einen weltläufigen Finanzmann ausweisen, der mit den hochgestellten Adressaten ebenso selbstverständlich umzugehen wußte wie mit der deutschen Sprache und Schrift.22
Zeil'sches Gesamtarchiv Schloß Zeil, Leutkirch: ZA Ki U 5390.
Er und seine Söhne waren wohl die größten Kreditoren der heillos überschuldeten Herren von Roth, der Inhaber der Herrschaft Ichenhausen. Im Spätjahr 1572 wollte sich Simon, gestützt auf ein Gerichtsurteil, in die Lehensgüter und die Lehensnutzung einsetzen lassen, die ihm der insolvente Hans Wolfgang von Roth verschrieben hatte; doch wurde durch die oberösterreichische Regierungskammer zu Innsbruck eine gütliche Einigung zwischen den Parteien betrieben, damit von Roth bey dem seinen unvertriben bleiben, unnd vor Schimpf und Spot verhüet werden möge.23 Dafür, daß er den - 1574 dann gescheiterten - Verkauf von Schloß und Markt Ichenhausen an den Deutschordensmeister Sigmund Hornstein zu Altshausen in forgang bringen unnd richtig machen werde, hatte ihm von Roth die Summe von 1.500 fl. verschrieben.24 Auch verschiedene Familien des Augs-
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StadtA Ulm. A 3907. Vgl. Fürstlich Waldburg-Zeilsches Gesamtarchiv. Leutkirch. ZA Ki 1151. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 649. fol. 250 v -251 r , 254 r ' v . StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 649. fol. 436 v -437 r .
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die Summe von 1.500 fl. verschrieben.24 Auch verschiedene Familien des Augsburger Patriziats wie die Baumgartner zählten zu seinen regelmäßigen Kunden.25 Vor allem aber war er immer wieder - spätestens seit 1543 — dem Augsburger Bischof mit großen Darlehen dienstbar gewesen;26 und womöglich war es ein Kompensationsgeschäft mit seinem hochmögenden Schuldner, das ihm jenes Privileg bescherte und ihm so den Abschluß des denkwürdigen Vertrags mit Nathan und dessen Frau ermöglichte. Sehr viel weniger deutlich als die Gestalt des Simon Günzburg stehen uns Nathan Schotten und seine Frau Ellen vor Augen. Nathan stammte vielleicht aus Frankfurt am Main, wo er später, nach seinem Zerwürfnis mit Simon, bei Verwandten im Haus Buchsbaum in der Judengasse wohnte. Offenbar gab es auch Verbindungen nach Italien; jedenfalls erwähnt Nathan, daß Simon die Schlüsselgewalt über seine Räume und Gewölbe in Oberhausen besessen habe und dort einund ausgegangen sei, wenn ich in meinem welschen Haus war.21 Einer seiner Neffen, Moses Luria, ist womöglich mit dem gleichnamigen späteren Rabbiner in Worms identisch, wodurch sich eine weitläufige Verwandtschaft Nathans mit anderen bedeutenden Gestalten seiner Zeit ergäbe. Wenn das Vertragsdokument erklärt, daß Nathan und seine Frau vor Abschluß der Partnerschaft mit Simon außer alten Schuldscheinen und Pfändern nichts besaßen,28 so bezieht sich dies zweifellos nur auf in ihrem Besitz befindliche Handelsgegenstände und gibt keinen Aufschluß über ihre Vermögenslage. Sicher waren sie für Simon keine gleichwertigen Partner; aber Simon hätte sie gewiß nicht als Partner akzeptiert und in Oberhausen einziehen lassen, wenn ihm ihre Liquidität und Bonität zweifelhaft erschienen wäre. Die im Spätjahr 1553 vereinbarte, ungleiche Partnerschaft zwischen Simon Günzburg und Nathan Schotten sowie dessen Frau entwickelte sich offenbar lange Zeit in einer für die Beteiligten zufriedenstellenden Weise. Neben Nathan hatte Simon Günzburg aufgrund des Privilegs, das er vom Augsburger Kardinalbischof erhalten hatte, etwa zwei Jahre später ein Mitglied seiner Familie in Oberhausen einziehen lassen. Doch dieser Moses Oberhausen, bei dem es sich wohl um einen Sohn, vielleicht aber auch um einen gleichnamigen Schwager oder Schwiegersohn des Simon Günzburg handelte,29 hat offenbar zumindest zeitweise nicht selbst im Ort gewohnt, sondern seine Geschäfte dort weitgehend durch Bevollmächtigte
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StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 649. fol. 436v-437r. Vgl. Fürstlich Waldburg-Zeilsches Gesamtarchiv. Leutkirch. ZA Ki 1149. 1151. Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 17/185 (Ms. von Moritz Stern über die Geschichte des Simon Günzburg). Ms. YIWO MK/428, fol. 7; E. Zimmer (Anm. 8) S. 16. Ms. YIWO MK/428, fol. 8V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 4. Vgl. die verschiedenen, zu keinem völlig überzeugenden Ergebnis kommenden Klärungsversuche von Moritz Stern in: CAHJP. Jerusalem. P 16/1, P 16/4, P 16/5.
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versehen lassen.30 Vielleicht begegnet uns ein solcher Bevollmächtigter des Moses in jenem David Jud von Oberhausen, der sich im Frühjahr 1563 über drei Bürger der Stadt Ulm beschwerte, die seinen Söhnen verschiner Zeit in der Marggrafschafft Burgaw drey Ring genomen, und Sy auch darüber hart geschlagen haben sollend ein Hinweis sowohl auf einen der hauptsächlichen Handelszweige des Simon und seiner Partner und Agenten als auch auf die Gefährdungen, die das Reisen mit wertvoller Ware zumal für jüdische Kaufleute mit sich brachte. Wie Moses hatte auch Nathan Schotten in Oberhausen womöglich nicht seinen hauptsächlichen Wohnsitz; jedenfalls war er gelegentlich abwesend, in seinem welschen Haus etwa. Nach dem Tod seiner Frau ging ihm im Haushalt wohl nur ein fremder Knecht zur Hand, ein gewisser Gumpricht - ein wenig vertrauenerweckendes Subjekt offenbar, welchem Nathan selbst niemals erlaubte, alleine seinen Schlafraum zu betreten, noch nicht einmal, um das Bett zu richten.n Im Geschäft jedoch, das ständige Anwesenheit erforderte, hatte er die Unterstützung von Verwandten, die bei ihm wohnten. In der Hauptsache wurden Kreditgeschäfte unterschiedlichsten Umfangs und Charakters getätigt. Neben seiner Stube lag eine verschlossene Kammer, in der er sehr viele Kleinodien, Gold und zur Geschäftspartnerschaft gehörende Schreiben aufbewahrte.33 Bei den hier gelagerten Pretiosen und anderen Gegenständen handelte es sich um Handelsware wie auch um versetzte Pfänder, die freilich von sehr unterschiedlichem Wert gewesen sein werden; denn nicht nur Mitglieder des Augsburger kaufmännischen Patriziats, sondern auch Angehörige der städtischen Unterschicht und schlichte Landbewohner gehörten zur Kundschaft des jüdischen Kaufmanns und Geldleihers. Nach annähernd zehnjähriger gedeihlicher Zusammenarbeit, die zur mehrfachen Erneuerung der ursprünglich auf drei Jahre geschlossenen Geschäftspartnerschaft führte, kam es zum Konflikt - einem verwickelten, weite Kreise ziehenden und in der ganzen aschkenasischen Welt Aufsehen erregenden Konflikt,34 dessen Verlauf durch die vielfach einander widersprechenden Aussagen der Beteiligten um so schwerer zu entwirren ist. Ihm soll hier nur insoweit in einigen Zügen näher 30
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So trat Moses Oberhausen auch während des späteren Konflikts zwischen Simon Günzburg und Nathan Schotten nicht (oder doch nur - falls mit Moses, dem Sohn des Simon identisch - am Rande) in Erscheinung; Nathan erwähnt ihn niemals namentlich. Beides läßt nicht auf eine dauernde Präsenz in Oberhausen schließen. - 1576 sagt Simon Günzburg von dem inzwischen verstorbenen Moses, seinem 'lieben Sohn1, er habe zehn Jahre in Hofen (Friedrichshafen) am Bodensee gesessen. Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 16/4, P 16/5. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch 648. fol. 20v. Ms. YIWO MK/428. fol. 6r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 24 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 3r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 6 (Klageschrift des Simon Günzburg, eingereicht beim schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal, vom 6. Nissan 5324 [19. März 1564]). Vgl. die nicht in allen Einzelheiten zuverlässige Darstellung des Konfliktverlaufs bei E. Zimmer (Anm. 8), S. xxi-xxxv, sowie bei M. Horovitz (Anm. 8) S. 30-34 und D. Maggid (Anm. 10) S. 5.
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nachgegangen werden, als dies ein Licht auf die Gegebenheiten in Oberhausen und in den jüdischen Gemeinden Schwabens wirft, die hier agierenden Personen zumindest momentweise lebendig vor uns treten läßt und zudem mit den Mechanismen des jüdischen Rechtswesens einen Kernbereich eines nicht nur von der christlichen Umgebung bestimmten, sondern auch autonom gestalteten jüdischen Lebens im Deutschland des 16. Jahrhunderts erhellt. Das Verhältnis zwischen den Geschäftspartnern hatte sich wohl schon vor dem Ausbruch dieses Konflikts empfindlich getrübt. Den Zerfall des guten, auf Treu und Glauben beruhenden Einvernehmens kennzeichnet ein von Nathan Schotten getätigtes dubioses Koppelgeschäft: Nathan und Simon hatten an Heinrich Truchseß von Höfingen die Summe von 4.750 fl. ausgeliehen, iiir die der Augsburger Patrizier und Bankier David Baumgartner als Bürge einstand. Wohl ohne Wissen Simons nahm nun Nathan auf die vom 1. Januar 1563 datierende Bürgschaftsurkunde selbst ein Darlehen von 2.000 fl. bei Ludwig Sauer auf. Als jedoch Baumgartner die mittlerweile auf 6.100 fl. aufgelaufene Schuldsumme an Simon zurückzahlte, wurde Sauer hierdurch die Sicherheitsleistung für den Kredit entzogen, den er Nathan gewährt hatte, weshalb er im Juni 1567 gegen Simon und Nathan Klage vor Gericht erhob.35 Zu Beginn des Jahres 1564 lief die Aufenthaltsberechtigung für Nathan in Oberhausen ab; und da Kardinalbischof Otto noch in Italien weilte, bestand angesichts der bei der Augsburger Geistlichkeit herrschenden judenfeindlichen Stimmung diesmal wenig Aussicht darauf, daß sie erneuert würde. Ungeachtet aller Anstrengungen erreichten die beiden Geschäftspartner beim Domkapitel nur einen zweimonatigen Aufschub.36 Sie mußten nun also die Auflösung ihrer Partnerschaft in die Wege leiten und eine Endabrechnung und Aufteilung der Geschäftsmasse, der Aktiva und Passiva vornehmen. Doch Nathan mochte entsprechenden Aufforderungen Simons keine Folge leisten; und nachdem er endlich zugesagt hatte, nach dem Purimfest nach Günzburg zu kommen und dort abzurechnen, ließ er ihn dann doch wieder vergeblich warten und teilte brieflich mit, daß er in Oberhausen unabkömmlich sei. So schickte Simon seinen Sohn Lemle zu ihm, begleitet von dem Friedberger Rabbiner Chajim ben Bezalel,37 der damals in Günzburg weilte; später kam auch er selbst nach Oberhausen. Da er bei der Gegenseite kein Entgegenkommen fand, verlangte er die Einsetzung eines Schiedsgerichts, doch über die Wahl der drei Schiedsleute konnte zunächst keine Einigkeit erreicht werden. Nach Simons Darstellung wollte Nathan darauf bestehen, daß seine beiden Neffen, Moses Epstein und Moses Luria, zu Schiedsmännern bestimmt würden. Ein 35 36 37
Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 17/185. CAHJP. Jerusalem. P 17/185. Chajim ben Bezalel, Rabbiner in Friedberg in der Wetterau und eine der wichtigeren rabbinischen Autoritäten seiner Zeit in Deutschland, war ein Bruder des berühmten Hohen Rabbi Low in Prag. Vgl. Byron L. Sherwin: In the Shadows of Greatness. Rabbi Hayyim ben Betsalel of Friedberg. In: Jewish Social Studies. 37. 1975. S. 35-60.
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derart von der Gegenpartei dominiertes Gericht konnte Simon natürlich nicht akzeptieren; statt dessen schlug er vor, daß einer von Nathans Neffen und Chajim ben Bezalel als Schiedsleute fungieren, und daß diese beiden gemeinsam den dritten Schiedsmann bestimmen sollten. Die Benennung des rechtskundigen, ebenso gelehrten wie angesehenen Rabbiners Chajim ben Bezalel als Schiedsmann durch Simon mußte nun wiederum Nathan furchten lassen, daß sein Sachwalter in dem anstehenden Verfahren hoffnungslos unterlegen sein würde; er wollte deshalb nun auch einen bringen lassen von Friedberg oder anderswoher,38 mochte aber nichts Verbindliches zusagen. Die Verhandlungen zogen sich über mehrere Tage hin; doch wollte Simon den Sabbat in Günzburg verbringen. Am Abend vor seiner Abreise ging er noch einmal zu Nathan in sein Winterhaus, um ihm wegen der Wahl der Schiedsleute ins Gewissen zu reden. Tatsächlich schien sich nun doch noch die Möglichkeit einer schiedlich-friedlichen Regelung anzudeuten: Nathan sagte ihm eine Antwort bis zu seiner Rückkehr zu, und er ging mit ihm zu seiner Begleitung bis vor die Türöffnung seines Hauses?9 Am Samstag, dem 11. März, verlautete dann in Oberhausen, daß Nathan sich wirklich eines Besseren besonnen habe. Gegen Abend, wie sie vom Nachmittagsgebet aus der Synagoge kamen,40 ging der skeptische Chajim ben Bezalel zu dem gerade aus Augsburg zurückkehrenden Nathan, der ihm mit ausführlichen Worten bestätigte, daß er nun Isaak Misea, Rabbiner in Hechingen,41 als Schiedsmann seiner Wahl benennen wolle; mit einem gewissen Schiemil Katz als drittem Schiedsmann solle das Gericht innerhalb von acht Tagen zusammentreten. Doch dazu kam es nicht. Anderntags erklärte Nathan Schotten, daß er in Augsburg zu tun habe und bald zurückkommen werde. Aus Augsburg schickte er jedoch eine Botschaft, daß er aus geschäftlichen Gründen in der Stadt übernachten müsse; und zwei Tage später, am Dienstag, dem 14. März, händigten seine Neffen den Schiedsleuten Chajim ben Bezalel und Schiemil Katz einen Brief mit der Mitteilung aus, er habe dringend nach Frankfurt reiten müssen. Wie sich heraus38
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Ms. YIWO MK/428. fol. 3r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 7 (Klageschrift des Simon Günzburg, eingereicht beim schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal, vom 6. Nissan 5324 [19. März 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 5V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 23 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 5V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 23 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]); dies ist der bislang einzige Beleg für die Existenz eines Bethauses oder Betraums der jüdischen Einwohnerschaft in Oberhausen. Isaak Misea (oder Masia? Der Name ist vielleicht als Abkürzung zu lesen und würde dann auf die Abkunft von zwangsgetauften Juden von der iberischen Halbinsel verweisen) war später Rabbiner in Aach im Nellenburgischen, nach 1583 Rabbiner des Landes Schwaben in Günzburg. Vgl. S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 12) S. 102-104; ders.: Stadt und Land (Anm. 6) S. 41 f.
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stellte, hatte er sich schon am Samstag durch seinen Schwager Mendel Dillingen in Burgau ein Pferd besorgen und nach Oberhausen bringen lassen; das ganze war also ein vorab geplantes Fluchtmanöver, das um so mehr empören mußte, als dabei offenbar auch noch der Sabbat geschändet worden war.42 Das verdächtige Ausbleiben Nathans hatte sicherlich schon in den Tagen zuvor zu hektischer Betriebsamkeit geführt; Briefe mit alarmierenden Nachrichten und Gerüchten und mit besorgten Nachfragen und vorsorglichen Anordnungen werden zwischen Oberhausen und Günzburg hin- und hergegangen sein. Nun, nach dem Bekanntwerden seiner Flucht, ritt sofort der vertraute welsche Diener des Simon durch die Nacht, um seinem Herrn in Günzburg Meldung zu machen. Am Mittwochmorgen ließ Simons Sohn Lemle alle Räume des Nathan mit eisernen Schlössern verschließen, so daß dessen Neffen obdachlos wurden. Zur selben Zeit machte sich in Günzburg der schwäbische Landesrabbiner Isaak Segal,43 begleitet von dem Rabbinatsrichter Samuel Neuburg und dem Rabbiner David Blum aus Sulzbürg,44 zu einer verspäteten Schlichtungsmission auf den Weg. Sie hatten die Stadt noch nicht verlassen, als sie die Nachricht von der heimlichen Flucht Nathans nach Frankfurt erreichte. Auf halbem Weg kamen ihnen dann die Neffen des Flüchtigen entgegen, die sich jedoch nicht dazu bewegen ließen, nach Oberhausen umzukehren und gemeinsam mit ihnen und mit Simon Günzburg nach einem Ausweg aus der mißlichen Lage zu suchen. In Oberhausen trafen sie auf den inzwischen herbeigeeilten Simon, der schrie wie ein Kranich, indem er sagte: 'Seht, was mein Partner, Herr Nathan, getan hat! Er hat sein Haus zurückgelassen wie ein Schiff ohne Seemann, und niemand ist in seinem Haus; er ging seines Weges in die Ferne und hat keinem
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Ms. YIWO MK/428. fol. 5V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 23 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Bei E. Zimmer, S. xxii-xxiii, werden die Flucht Nathans und die sie begleitenden Ereignisse in teilweise falscher Abfolge geschildert und insgesamt eine Woche zu spät datiert; die richtige Datierung ergibt sich u.a. aus der Klageschrift Simons und aus einem Schreiben der Geistlichkeit und des Rates der Stadt Dillingen an den Rat der Stadt Frankfurt vom 16. März 1564, das auf die bereits erfolgte Flucht des Nathan Schotten reagiert. Isaak Segal, der vermutlich aus Mantua stammte, amtierte mehr als drei Jahrzehnte lang in Günzburg; er starb um 1567. Vgl. S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 12) S. 95-99. Samuel Neuburg war Rabbinatsrichter in Neuburg an der Kammel. - David Blum in Sulzburg gehörte wie Isaak Segal in Günzburg und Isaak Misea in Hechingen zu den prominentesten Rabbinern dieser Epoche in Süddeutschland; zu seinen Schülern zählte Josef Aschkenasi, der erste Rabbiner der um 1570 wiederbegründeten Gemeinde Metz. Die an Nathan Schotten gerichtete Vorladung, die den Bericht über die Mission nach Oberhausen enthält, unterzeichnet David Blum mit dem Bemerken, daß er sich in Schwaben auf der Durchreise befand. Unbegründet ist die Behauptung, daß David Blum als Richter am rabbinischen Gerichtshof des Isaak Segal in Günzburg fungiert habe, bei E. Zimmer (Anm. 8) S. xxiv.
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Menschen daheim Bescheid gesagt, denn er ist geflüchtet.' Und seine Worte sind wahr, denn wir haben es mit eigenen Augen gesehen.45 Auch unter der christlichen Bevölkerung hatte sich die Nachricht von der Flucht des Nathan Schotten rasch verbreitet und zu einer bedrohlichen Stimmung gefuhrt; so haben Isaak Segal und seine Begleiter gehört und gesehen, daß ständig und jederzeit viele Landbewohner kommen, um Pfänder auszulösen, und sie lassen eine Stimme in das Land gehen, eine tönende Stimme, und man kann fühlen, daß es zur Zerstörung der Geschäftsgewölbe und sonstigen schweren Gefahren kommen wird.46 Tatsächlich beschuldigte Simon seinen Partner, daß er ihm die bedeutendsten Pfänder und Papiere (wohl Schuldscheine) entzogen habe,47 während Nathan später behaupten sollte: Ist es nicht in Wahrheit nach seiner Gewohnheit genau umgekehrt? Denn in Wahrheit waren die Gewölbe schon fast leer, da er immer sagte, daß er die Gegenstände verkaufen wolle, die in den Gewölben waren, so daß er sie in seiner Verschlagenheit Tag für Tag, eines nach dem anderen, mir unter den Händen aus den Gewölben löste, bis die Gewölbe fast leer waren; nur die Kleinigkeiten [blieben übrig], und alles war in seiner Hand und in seinem Besitz in seinem Haus in Günzburg.48 Nun war die Eskalation des Konflikts nicht mehr aufzuhalten. Simon hatte bereits dafür gesorgt, daß die christlichen Behörden weitere Maßnahmen gegen seinen Widerpart ergriffen. So wurden die beiden Neffen des Nathan und ein mit ihnen reisendes Waisenkind, die nach jener Begegnung mit Isaak Segal und seinen Begleitern ihren Weg fortgesetzt hatten, bei ihrer Ankunft in Burgau mitten in der Nacht angehalten und festgesetzt; und sie wurden gezwungen, den Beamten all ihre Kleider sehen zu lassen, vom Faden bis zum Schnürsenkel, und er durchsuchte sie und fand nichts. Und die Hand des Feindes war in ihrem Genick, Gott behüte, daß sie wie eine im Netz gefangene Gazelle waren.49 Wie ihnen der Beamte sagte, geschah dies auf Befehl des Rentmeisters in Günzburg, aber auf Veranlassung 45
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Ms. YIWO MK/428. fol. 3V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 18 (Undatiertes Vorladungsschreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an Nathan Schotten). - Der Schrei des Kranichs ist die übliche Metapher für die öffentlich erhobene Anklage. Ms. YIWO MK/428. fol. 3V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 18 (Undatiertes Vorladungsschreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an Nathan Schotten). Ms. YIWO MK/428. fol. 3r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 8 (Klageschrift des Simon Günzburg, eingereicht beim schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal, vom 6. Nissan 5324 [19. März 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 7r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 17 (Undatiertes Schreiben des Nathan Schotten an den schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal). Ms. YIWO MK/428. fol. 4r; M. Horovitz (Anm. 8) Anhang S. 66; E. Zimmer (Anm. 8) S. 13 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an Simon Günzburg vom 14. Nissan 5324 [27. März 1564]).
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Simons; und es waren die erwähnten verhafteten, unglücklichen Herrschaften wie eine verirrte Herde, bekümmert wegen der Vergangenheit, erschreckt über die Gegenwart, und bedenklich wegen der Zukunft.50 Sie schickten einen Boten zu Simon, der sich endlich von ihren flehentlichen Bitten und durch die Fürsprache des Schiemil Katz erweichen ließ; so kamen die Arretierten schließlich wieder frei. Eine Woche nach der Flucht seines Partners, am 19. März 1564, reichte Simon Günzburg bei Isaak Segal seine Klageschrift ein, um eine Verfugung gegen ihn zu erwirken: Nathan Schotten sollte alle aus den Gewölben in Oberhausen fortgeführten Gegenstände und Unterlagen zurückbringen, nach Günzburg zur Rechnungslegung kommen und sich im Fall von Differenzen mit Simon unverzüglich einem Schiedsgericht stellen.51 Der schwäbische Landesrabbiner gab dem insoweit statt, als er von Nathan verlangte, innerhalb von dreißig Tagen vor einem jüdischen Gericht in Schwaben zu erscheinen, und für den Fall der Zuwiderhandlung präventiv den schweren Bann über ihn verhängte - das drastischste Zwangsmittel, das der rabbinischen Rechtspflege zur Verfügung stand.52 Damit aber kündigte sich bereits eine thematische Überlagerung an, die den weiteren Gang der Auseinandersetzung entscheidend mitbestimmen und sie weit über die Grenzen des jüdischen Schwaben hinaustragen sollte: In der Vorladung des Landesrabbiners bleiben die unmittelbar handfesten Interessen des Simon, das Verlangen nach Rückführung entfremdeter Gegenstände und Unterlagen und nach vertragsgemäßer Rechnungslegung, unerwähnt; vielmehr scheint hier bereits im Vordergrund zu stehen, daß sich Nathan durch seine Flucht aus Schwaben der hiesigen jüdischen Jurisdiktion entzogen hatte. Tatsächlich wurde der Streitfall zwischen Geschäftsleuten alsbald zum Anlaß für erbitterte Auseinandersetzungen um die Frage der Autonomie und der Zuständigkeiten der einzelnen rabbinischen Gerichtshöfe. Offenbar noch bevor er diese Vorladung aus Günzburg erhalten hatte, wandte sich Nathan mit seiner Sache an die damals in Frankfurt zu einer Ratsversammlung zusammengekommenen Rabbiner; und er fand in ihnen ebenso vehemente wie machtbewußte Sachwalter. Am Vortag des Pessachfestes, am 27. März 1564, richteten die Frankfurter Rabbiner ein in scharfem Ton gehaltenes Schreiben an Simon, in dem sie ihm verschiedene Übertretungen und Übergriffe gegen seinen ehemaligen Geschäftspartner vorhielten. Sie dekretierten, daß Simon unverzüglich mit einem vertrauenswürdigen Mann zu den bischöflichen Räten in Augsburg und 50
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Ms. YIWO MK/428. fol. 4r; M. Horovitz (Antri. 8) Allhang S. 66; E. Zimmer (Anm. 8) S. 13 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an Simon Günzburg vom 14. Nissan 5324 [27. März 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 3r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 6-8 (Klageschrift des Simon Günzburg, eingereicht beim schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal, vom 6. Nissan 5324 [19. März 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 3V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 18f. (Undatiertes Vorladungsschreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an Nathan Schotten).
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nach Oberhausen gehen und dafür sorgen müsse, daß Nathan von dem falschen Verdacht der Flucht gereinigt und in seine früheren Rechte wieder eingesetzt werde. Da Nathan seinen Wohnsitz nunmehr nach Frankfurt verlegt habe, könne ihn Simon ebensowenig vor ein Gericht in Schwaben zitieren, wie er selbst sich vor ein Gericht in Frankfurt ziehen lassen müsse; vielmehr sollten sich beide auf einen neutralen Gerichtsort einigen und dort ein Schiedsgericht nach dem üblichen Verfahren bilden, wenn sie sich nicht auf andere Weise gütlich einigen konnten. Dieses Schreiben,53 das neben anderen die Unterschriften des Wormser Reichsrabbiners Jakob ben Chajim sowie des Elieser Hirtz Treves trägt,54 ignorierte freilich den 1553 zwischen den Partnern geschlossenen Vertrag, der ja für den Fall von Streitigkeiten ausdrücklich die Anrufung eines Schiedsgerichts in Günzburg oder Neuburg vorsah; es ignorierte zudem die besonderen Umstände der plötzlichen 'Wohnsitzverlegung' des Nathan und griff so in die Zuständigkeit der schwäbischen jüdischen Gerichte ein, denn nach dem allgemeinen Herkommen hatten sich die streitenden Parteien der Gerichtsbarkeit ihrer Heimatgemeinden zu unterwerfen. Das Schreiben aus Frankfurt mußte also nicht nur Simon Günzburg, sondern auch den schwäbischen Landesrabbiner in Rage versetzen, zu dessen Händen es adressiert war. Wäre Isaak Segal nicht gerade in Neuburg gewesen, wo es gleichfalls Streitigkeiten zu schlichten gab, hätte er vielleicht Schlimmeres verhüten können; so aber nahm seine Frau den Brief entgegen, und als sie den Namen des Simon Günzburg auf der Adresse sah, dachte sie, daß es sich um Angelegenheiten und Belange des Landes handle, und händigte ihn ihm aus. Und wenn ich daheim gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht um der Wahrung des Friedens willen einfach abgelegt.55 Nun jedoch konnte der Friede nicht mehr gewahrt werden; und Isaak Segal war durchaus bereit, den Exzellenzen in dem berühmten, alle anderen Gemeinden in Deutschland bei weitem überragenden Frankfurt die Stirn zu bieten. In seinem Antwortschreiben hielt er ihnen vor, daß sie nur indirekte und womöglich falsche Kenntnis von den Ereignissen hatten, während doch er wie auch Chajim ben Bezalel und David Blum selbst in Oberhausen gewesen seien, alles in Augenschein genommen und mit jedem gesprochen hätten: Mit unseren Augen sahen wir, und mit unseren Ohren hörten wir alles, was vorgefallen ist, und nichts blieb
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Ms. YIWO MK/428. fol. 3V-4V; M. Horovitz (Anm. 8) Anhang S. 65-68; E. Zimmer (Anm. 8) S. 11-15. Jakob ben Chajim, ein Onkel des Chajim ben Bezalel von Friedberg, war 1559 durch Kaiser Ferdinand zum Reichsrabbiner ernannt worden; vgl. Moritz Stem: Die Wormser Reichsrabbiner Samuel und Jakob. Berlin 1937. S. 15-27. - Elieser Hirtz Treves, aus einer berühmten Gelehrtenfamilie stammend, war zum damaligen Zeitpunkt bereits seit annähernd zwei Jahrzehnten Rabbiner und Vorsitzender des Gerichtshofs in Frankfurt. Ms. YIWO MK/428. fol. 4V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 20 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]).
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uns verborgen.56 Er übermittelte ihnen die ausführliche Entgegnung Simons auf alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe und trug die Belege für die arglistigen Täuschungsmanöver des Nathan vor. Auch die dem Simon angelastete Verhaftung der beiden Neffen des Nathan fand eine unschuldige Erklärung: Das ist nichts Neues und eine alltägliche Sache, denn wenn selbst ein Christ, der ohne Vorwissen der Obrigkeit seine Wohnung wechsle, von den Behörden unnachsichtig verfolgt werde, so doch ganz gewiß ein Jude - und schon gar, wenn er offensichtlich geflohen sei, dabei Pfänder von Christen mitgenommen habe und auch, wie allgemein bekannt, mit verschiedenen Parteien in gerichtliche Auseinandersetzungen verwikkelt sei.57 Es sei besonders ungehörig, solch ungeprüfte Beschuldigungen in derartigem Ton gegen einen Mann wie Simon Günzburg vorzubringen: Habt nicht auch Ihr selbst zahllose Male Euer Vertrauen in ihn gesetzt bei zahlreichen Missionen in allen Gebieten Deutschlands, da der Vornehme stets mit seinem Schwert und seinem Bogen gegen unsere Feinde stand, um uns aus ihrer Gewalt zu befreien? Und besonders Ihr, Häupter des Hauses Israel, auch der Weise, R. Jakob Worms,58 der ihn zahllose Male eindringlich gebeten und ihn günstig zu stimmen versucht hat - ihn, der noch seinen Brief in Händen hält?59 Heftig verwahrte sich Isaak Segal gegen die Einmischung in seinen Amtsbereich. Den Frankfurter Rabbinern wäre es lediglich zugekommen, zunächst ihn um Auskunft über den Fall zu bitten; sie sollten ihr Schreiben zurücknehmen und sich jeder weiteren derartigen Schritte enthalten. Auch im Lande Schwaben gebe es, Gott sei Dank, jüdische Gerichte, und es stehe den Frankfurtern nicht zu, hier abzureißen und aufzubauen. Neben ihm unterzeichnete der Rabbiner Gutlieb aus Neuburg an der Kammel diesen Brief.60 Die Frankfurter Rabbiner erteilten den Schwaben eine nicht minder geharnischte Antwort, beharrten auf ihrer Position und forderten Isaak Segal zur Rücknahme der Vorladung des Nathan Schotten auf; sie machten ihm harsche Vorwürfe wegen der leichtfertigen Androhung des schweren Bannes, die er zurücknehmen müsse, und spielten deutlich darauf an, daß der schwäbische Landesrabbiner in seinem Amtsbezirk nicht zum erstenmal Autoritätsprobleme zu haben scheine, deren er durch überzogene Strenge Herr zu werden suche. Niemand hätte sich jedoch jemals herausnehmen dürfen, die erlauchte Versammlung in Frankfurt der56
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Ms. YIWO MK/428. fol. 5r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 20 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 6'; E. Zimmer (Anm. 8) S. 25 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Gemeint ist der Reichsrabbiner Jakob ben Chajim. Ms. YIWO MK/428. fol. 6'; E. Zimmer (Anm. 8) S. 25 (Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an die Frankfurter Rabbiner vom 2. Ijar 5324 [14. April 1564]). Der Neuburger Rabbiner Gutlieb (Jedidja ben Jakob ha-Levi) war damals wie Isaak Segal bereits ein alter Mann und schon seit Jahrzehnten an seinem Rabbinatssitz tätig.
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artig mit Mahnungen, Warnungen und Belehrungen anzugehen.61 Isaak Segal war keineswegs geneigt einzulenken, sondern suchte nun andernorts Unterstützung zu finden. Tatsächlich traten ihm sein greiser Lehrer Meir Katzenellenbogen, Rabbiner in Padua,62 Jakob Reiner, das Haupt der aschkenasischen Talmudhochschule in Mantua,63 und weitere Gelehrte in Italien und selbst im fernen Rußland zur Seite. Nach Aussage des großen Talmudgelehrten Moses Isseries in Krakau war es allgemein bekannt, daß alle Gelehrten Polens und Italiens die Position des Isaak Segal unterstützten.64 Die Einzelheiten der in diesem Sinn gehaltenen Schreiben sind hier nicht von Belang; sie würdigten die Beweislage, verteidigten die Rechtmäßigkeit der durch den schwäbischen Landesrabbiner ergriffenen Maßnahmen und wiesen den Versuch der Frankfurter Rabbiner, in einen fremden Amtsbezirk einzugreifen, entschieden zurück. Weitere Briefe wurden zwischen Günzburg und Frankfurt gewechselt; längst hatte der Streit zwischen den rabbinischen Autoritäten in den jüdischen Gemeinden helle Aufregung hervorgerufen. Freilich ging es nicht immer nur um Grundsätze der jüdischen Rechtspflege, um die Wahrung der Autonomie der einzelnen Gerichtshöfe, um das Hegemoniestreben einer schier übermächtigen Gemeinde und ihres Rabbinerkollegiums und um die in Deutschland verpönte Einmischung durch ausländische Gelehrte, sondern auch um einander mehr oder weniger genehme Persönlichkeiten und Temperamente.65 Isaak Segal war es ebenso um seine Ehre und sein Ansehen zu tun wie seinem hauptsächlichen Widersacher Elieser Hirtz Treves; und beide gaben einander hinreichenden Anlaß, verletzte Eitelkeiten zu pflegen. Allerdings zeigten die Kontrahenten ungeachtet aller hochfahrenden Rhetorik bald schon eine gewisse Bereitschaft zu Zugeständnissen in der Sache. Isaak Segal beharrte grundsätzlich darauf, daß Nathan Schotten seiner Vorladung folgen und 61
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Ms. YIWO MK/428. fol. 7v-8r; M. Horovitz (Anm. 8) Anhang S. 70-72; E. Zimmer (Anm. 8) S. 27-30 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an den schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal vom 14. Ijar 5324 [26. April 1564]). Meir Katzenellenbogen war nicht zuletzt aufgrund der großen Zahl seiner Schüler einer der einflußreichsten und angesehensten rabbinischen Gelehrten der aschkenasischen Welt. Jakob Reiner wurde später als Amtsnachfolger des Isaak Segal schwäbischer Landesrabbiner in Günzburg; vgl. S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 12) S. 99-101. RGA Moses Isseries. Ed. Jerusalem 1971. Nr. 91. So heißt es in einem gesonderten Begleitschreiben, das Meir Katzenellenbogen an Elieser Hirtz Treves in Frankfurt richtete: Obwohl ich in meinem allgemeinen Brief, den ich in der unangenehmen Affare zwischen Herrn Simon und seinem Geschäftspartner, Herrn Nathan, [an die Frankfurter Rabbiner] schrieb, mich kurz gefaßt und meine Meinung nicht ganz herausgelassen habe gegen Eure Exzellenz, werde ich die Sache [hier] weiter ausfuhren. Denn mein Vergnügen ist bei Dir, aber nach Deinem Kollegen [dem Reichsrabbiner Jakob ben Chajim] habe ich kein Verlangen, denn er ist keiner von meinen Bekannten, und seine Augen sahen meine Werke nicht; auch sind mir seine Schriften nicht bekannt. Es wird auch von ihm gesagt, daß er ein Streithammel sei, und mir steht jetzt nicht der Sinn danach, zu kämpfen, sondern nur danach, das Feuer des Streits auszulöschen, damit es nicht aufflammt; deshalb habe ich meinen Brief nicht zugleich an ihn gerichtet. Ms. YIWO MK/428. fol. 9V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 33 (Schreiben vom 25. Ijar 5324 [7. Mai 1564]).
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sich einem Gericht im Lande Schwaben stellen müsse; doch schlug er vorab ein Schiedsgericht auf neutralem Boden vor und stellte Esslingen, Langenargen, Wasserburg oder Oggelshausen zur Auswahl. Und wenn der Weg weit ist - was kann ich machen; denn es war nicht einfach, einen Ort zu finden, an dem keine jüdische Gemeinde bestand, die Behörden aber Juden einen längeren Aufenthalt gestatteten, wie es für eine ordnungsgemäße Abhaltung des Schiedsgerichts nötig gewesen wäre: Von denen gibt es leider wenige, in deren Schatten wir sitzen können.66 Hier sollte darüber entschieden werden, an welchem Ort die Verhandlung in der Hauptsache stattfinden solle. Obwohl die Frankfurter Rabbiner auf diesen Vorschlag eingingen und Nathan nahelegten, mit dem Schiedsmann seiner Wahl nach Esslingen zu gehen, verlief auch dieser Vorstoß zunächst ohne Ergebnis; doch im August 1564 kam es endlich an einem anderen neutralen Ort, in Weil der Stadt, zu einer Zusammenkunft der beiden Parteien mit fünf Rabbinern, die eine Schlichtungskommission bildeten. Es waren dies der Reichsrabbiner Jakob ben Chajim, Isaak Segal und Moses Zabern aus Günzburg,67 sowie Kaiman Kohen und Götz Bing aus Frankfurt. Vor diesem Gremium gelobten die beiden einstigen Geschäftspartner bei dem höchsten Eid und unter Annahme der schweren Banndrohung, daß sie mit ihrer Sache nicht vor christliche Gerichte gehen und nichts unternehmen würden, was ihrem Gegner zum Nachteil gereiche, und daß sie Moses Zabern und Götz Bing als Schiedsleute annehmen wollten. Moses Zabern und Götz Bing würden den Ort der Verhandlung in der Hauptsache bestimmen; und wenn das fünfköpfige Schiedsgericht die beiden Parteien nicht miteinander vergleichen könnte, würden sie sich dem Urteil dieser beiden Rabbiner unterwerfen.68
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Ms. YIWO MK/428. fol. 7V; E. Zimmer (Anm. 8) S. 31 (Undatiertes Schreiben des schwäbischen Landesrabbiners Isaak Segal an Nathan Schotten - Mit Ausnahme von Esslingen lebten in dieser Zeit an allen genannten Orten einzelne jüdische Familien. Zu Langenargen und Wasserburg vgl. Karl Heinz Burmeister: Spuren jüdischer Geschichte und Kultur in der Grafschaft Montfort. Sigmaringen 1994. S. 43-47. Der Günzburger Rabbiner Moses von Zeybern ist, soweit ich sehe, anderweitig nicht bekannt, wird jedoch in den hebräischen wie deutschen Dokumenten zu dieser Streitsache mehrfach genannt. - Da Jakob ben Chajim und der ursprünglich von Simon Günzburg als Schiedsmann nominierte Chajim ben Bezalel aufgrund ihrer engen Verwandtschaft nicht demselben Schiedsgericht angehören konnten, wurde letzterer zurückgezogen und durch Isaak Segal und Moses Zabern ersetzt. Es steht zu vermuten, daß in dem fünfköpfigen Gremium die beiden Frankfurter Kaiman Kohen und Götz Bing durch Nathan Schotten benannt worden waren und Jakob ben Chajim der gemeinsam bestimmte fünfte Schiedsmann war was ein für die Schwaben außerordentlich weitgehendes, aber aufgrund der herausgehobenen Position des Reichsrabbiners vielleicht unumgängliches Entgegenkommen bedeutet hätte. HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178. Die auf Veranlassung Nathans verfertigte deutsche Übersetzung der nicht erhaltenen, vom 10. August 1564 datierenden hebräischen Urkunde ist abgedruckt bei M. Stern: Die Wormser Reichsrabbiner (Anm. 54) S. 18f., sowie E. Zimmer (Anm. 8) S. 83-85.
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Durch Moses Zabem und Götz Bing wurde dann die Verhandlung des Schiedsgerichts für den 5. November 1564 in Hechingen anberaumt.69 Doch die Rabbiner waren noch nicht aus Weil der Stadt zurückgekehrt, als Nathan Schotten schon mit empörter Klage in Frankfurt vorstellig wurde: Simon Günzburg hatte in Oberhausen die Räume des Nathan behördlich öffnen lassen, und sie untersuchten alle Wertgegenstände und schrieben alles auf und siegelten es mit dem kaiserlichen Siegel.10 Als Nathans Knecht Gumpricht seinem Herrn eine Botschaft schicken wollte, wurde dies auf Simons Veranlassung durch den Beamten unterbunden; und als Nathans Schwager Mendel Dillingen nach Oberhausen kam, wurde er sofort an seiner Stelle ergriffen. Offenbar kannte Simon nun keine Rücksichten mehr. In Weil der Stadt war er darüber in Wut geraten, daß Nathan seine Rechnungsbücher und Quittungen nicht mitgebracht hatte; aber als Nathan nun einen Boten schickte, um seine Unterlagen aus Oberhausen zu holen, ließ Simon diesen Boten auf dessen Rückweg in Günzburg aufgreifen und alles, was er bei sich trug, beschlagnahmen. Die Frankfurter Rabbiner verfügten daher, daß Simon innerhalb von zehn Tagen seinem Gegner alle Bücher und Quittungen unberührt, verschnürt und versiegelt wieder zuzustellen habe; falls er dieser Verfügung nicht nachkäme, sollte er von nun an als Übeltäter gelten, nicht mehr eidesfähig sein und allen anderen Strafen unterliegen, die für Meineidige und Vertragsbrüchige galten.71 Dieses Schreiben verließ die Frankfurter Judengasse freilich erst am Abend des 5. November - am Abend des Tages also, an dem sich die streitenden Parteien dem Schiedsgericht in Hechingen hätten stellen sollen. Dazu war es jedoch nicht gekommen. Nathan hatte in Frankfurt von einem fremden Juden gehört, in Hechingen werde niemand ein- und ausgelassen, der nicht beschwören und beweisen könne, daß er innerhalb der letzten dreißig Tage an keinem Ort mit Luftschimmel gewesen sei. Statt sich nun selbst auf den Weg zu machen, hatte er einen Eilboten an den Rabbiner Isaak Misea und einen gewissen Enslin in Hechingen geschickt; sie sollten bei den Behörden für das Schiedsgericht eine Ausnahme von der Quarantäne erwirken. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. Isaak Misea hatte daraufhin den Schiedstermin um etwa drei Wochen verlegen wollen, aber Simon 69
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Das hier vereinbarte Procedere ist aus den Dokumenten nicht ganz klar ersichtlich. Es scheint aber, als habe sich das Urteil von Moses Zabern und Götz Bing lediglich auf die Festsetzung des Termins für die Verhandlung des Schiedsgerichts in der Hauptsache bezogen. In Hechingen sollte dann offenbar nicht das in Weil der Stadt zusammengetretene fünfköpfige Schiedsgericht tagen, sondern ein dreiköpfiges Gremium. David Blum war offensichtlich der hierfür durch Simon nominierte, Isaak Misea der von beiden Parteien gemeinsam gewählte dritte Schiedsmann; das von Nathan benannte Mitglied dieses Schiedsgerichts bleibt uns unbekannt. Ms. YIWO MK/428. fol. 18r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 73 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an Simon Günzburg vom 28. Cheschwan / 1. Kislev 5325 [3-/5. November 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 18r; E. Zimmer (Anm. 8) S. 72-75 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an Simon Günzburg vom 28. Cheschwan / 1. Kislev 5325 [3./5. November 1564]).
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lehnte jede weitere Verzögerung ab und forderte eine Zusammenkunft zum gesetzten Termin in der Vorstadt oder sonst in der Umgebung Hechingens. Am Sonntag, dem 29. Oktober, war ein entsprechendes Schreiben bei Götz Bing in Frankfurt eingegangen, der es sofort an Nathan weitergeleitet hatte. Nathan wollte es jedoch schlechterdings unmöglich erscheinen, innerhalb von vier Tagen nach Hechingen zu kommen; auch fürchtete er, in der Hechinger Vorstadt keine Unterkunft zu finden und dort gar auf dem Feld liegen zu müssen.72 Am Sonntag, dem 5. November, waren in Hechingen David Blum und Lemle, der Sohn des Simon Günzburg, erschienen; am Montag traf dann frühmorgens auch Simon selbst dort ein. Auf Nathan Schotten wartete man vergebens. Nach dem Gottesdienst stellte sich deshalb Lemle namens seines Vaters in der Synagoge hin und verkündete, wenn einer da sei, der von Nathan die Vollmacht habe, ihn zu vertreten, so möge er sich zu erkennen geben; und wenn nicht, so stehe er hier und schreie [anklagend] und erbitte von uns allen um der Wahrheit und des Friedens willen und gemäß dem Recht und Gesetz unserer heiligen Thora, ihm schriftlich zu bestätigen, was ihm vor uns widerfahren sei.12 Diese Ausrufung wurde anderntags nach dem Morgen- und Abendgebet wiederholt, ohne daß jemand etwas erwidert hätte; nur jener Enslin bekundete, am Samstagabend durch besonderen Boten einen Brief von Nathan erhalten zu haben, in dem dieser noch einmal die Gründe für sein Ausbleiben darlegte. Sicher trug der Auftritt dieses Vertrauten des Nathan nicht zur Beruhigung der Gemüter bei; denn der Arzt Enslin, einst einer der Vornehmen des Landes Schwaben, der eine Enkelin des Simon geheiratet hatte und erst vor einiger Zeit nach einem himmelschreienden Skandal fluchtartig aus Günzburg nach Hechingen übersiedelt war, mußte Simon und den Seinen zutiefst verhaßt sein.74 Die verlangte Bescheinigung 72
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Ms. YIWO MK/428. fol. 17r v; E. Zimmer (Anm. 8) S. 69f. (Schreiben des Götz Bing an Simon Günzburg vom 24. [?] Cheschwan 5325 [30. Oktober {?} 1564]). Wäre Nathan sofort nach Erhalt des Schreibens aufgebrochen, hätte er allerdings reichlich fünf Tage Zeit gehabt, um rechtzeitig vor der Sabbatruhe zur Wahrnehmung des auf den Sonntag angesetzten Termins in Hechingen zu sein. Ms. YIWO MK/428. fol. 17v; E. Zimmer (Anm. 8) S. 72 (Bescheinigung des Isaak Misea in seinem Namen und namens seiner Gemeinde, ausgestellt am 8. Kislev 5325 [12. November 1564]). Enslin hatte durch Intrigen und Verleumdungen Zwietracht zwischen seinem Schwiegervater Moses (dem Sohn des Simon Günzburg) und dessen Frau gesät, der Familie wohl auch durch Denunziation bei den Behörden Schaden zugefügt und auch den schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal ins Gerede gebracht; Simon hatte ein rabbinisches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob er Enslin deshalb verfolgen und eventuell sogar an Leib und Leben schädigen dürfe. Vgl. RGA Salomon Luria, Ed. Lemberg 1859, Nr. 11. Zur Identität des Enslin in Hechingen vgl. auch BayHStA München. RKG 6209, 9836, 11589. - Es ist durchaus denkbar, daß auch das Zerwürfnis zwischen Simon und Nathan, der nach wie vor mit Enslin auf vertrautem Fuß stand, durch diesen früheren Skandal mitbegründet war.
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über das Ausbleiben und die vergebliche Ausrufung des Nathan wurde schließlich erteilt. Simon kehrte also unverrichteterdinge nach Günzburg zurück, um dort den Brief aus Frankfurt vorzufinden, mit dem ihm die Aberkennung der Eidesfähigkeit und andere Strafen in Aussicht gestellt wurden. Empört ging er vor die Rabbiner und brüllte aus voller Kehle, daß Nathan zu seinen früheren Freveln eine weitere Sünde hinzugefugt und sich ungeachtet des in Weil der Stadt getanen Eidschwurs abermals dem Schiedsgericht entzogen habe. Er habe nur Ausflüchte gebraucht, um nicht nach Hechingen kommen zu müssen. In der Hechinger Vorstadt hätte er sehr wohl Unterkunft finden können; und wenn schon der Läufer, der jenen Brief an Götz Bing nach Frankfurt zugestellt hatte, noch am 5. November wieder in Hechingen angekommen war, so wäre es für einen Reiter doch um so leichter möglich gewesen, rechtzeitig zum gesetzten Termin dort einzutreffen.75 Was aber die Arretierung des Mendel Dillingen anging, so wußte sich Simon von aller Schuld frei: Ist es nicht jedermann offenkundig und bekannt, daß er, wenn ich und mein Sohn Moses nicht gewesen wären, in Fesseln hätte sitzen müssen, so daß er womöglich bald an einem seiner Glieder einen Schaden erlitten hätte? Denn mein Sohn nahm sich selbst der Angelegenheit an und verweilte seinetwegen, bis er aus dem Kerker herauskam,76 Die Beschlagnahme der Papiere, die der Bote für Nathan nach Frankfurt hatte bringen sollen, sei nötig gewesen, um den schon erlittenen Schaden nicht noch größer werden zu lassen; denn es habe sich um Schuldscheine und andere zur Geschäftspartnerschaft gehörende Dinge gehandelt. Abermals ging ein böser Brief von Günzburg nach Frankfurt. Der schwäbische Landesrabbiner Isaak Segal verwahrte sich erneut in scharfen Wendungen gegen die Einmischung in seinen Amtsbereich und erklärte die gegen Simon Günzburg gerichtete Verfugung für null und nichtig; neben ihm unterzeichneten Gutlieb aus Neuburg und David Blum dieses Schreiben. Offenbar gelangten die Frankfurter angesichts dieser klaren Frontenstellung zu der Überzeugung, daß eine Fortdauer des Konflikts, eine Fortsetzung der wechselseitigen Verfügungen und ihrer wechselseitigen Annullierung allzuviel Schaden anrichten werde. Um zu einer endgültigen Schlichtung zu gelangen und um den Streit zu löschen, schlugen sie in ihrem betont versöhnlich gehaltenen Antwortschreiben vom 19. Dezember 1564 vor, daß die beiden Parteien sich nun einem Schiedsgericht in Speyer stellen sollten. Nathan Schotten hatte dafür zu sorgen, daß Simon von der Obrigkeit sicheres Ge75
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Ms. YIWO MK/428. fol. 19 rv ; E. Zimmer (Anm. 8), S. 78 (Schreiben der schwäbischen Rabbiner an die Frankfurter Rabbiner vom 18. Kislev 5325 [22. November 1564]). Ms. YIWO MK/428. fol. 18v-19r; E. Zimmer (Anm. 8), S. 76 (Schreiben der schwäbischen Rabbiner an die Frankfurter Rabbiner vom 18. Kislev 5325 [22. November 1564]); offenbar wird hier auf eine dem Mendel Dillingen drohende Folterung angespielt.
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leit erhielt. Es war dies ein offensichtlich in großer Runde abgestimmter diplomatischer Akt gegenüber den schwäbischen Kollegen, der durch möglichst viele Unterschriften als allgemeiner Konsens bekräftigt werden sollte. Neben anderen, deren Unterschriften fehlten, da sie von der Sache persönlich berührt, in Geschäften unterwegs oder noch nicht lange genug in Frankfurt ansässig waren, wird auch Moses Epstein genannt, der Neffe des Nathan Schotten; aber sie alle teilten diesen Standpunkt und stimmten zu, und auch in ihren Augen war es völlig richtig.11 Elieser Hirtz Treves, der Hauptwidersacher des Isaak Segal, scheint sich mit solcher Diplomatie freilich noch schwer getan zu haben. Gleich anderntags sandte er ein Schreiben hinterher, in dem er den eigenen Standpunkt bekräftigte, den schwäbischen Landesrabbiner abermals zur Umkehr ermahnte und ihm mangelnde Ehrerbietung gegenüber den Frankfurter Gelehrten vorwarf: Es ist wahrhaftig eine Schande für Euch, uns Abmahnungen zu schreiben - [uns, die wir doch] an einem Ort [leben], dessen Talmudhochschule, Gott sei Dank, in allen Gebieten Deutschlands und in Edom ohne Beispiel ist.n Wir wissen nicht, woran dieser erneute Versuch, einen Ausweg aus dem immer weitere Wendungen nehmenden Streit zu finden, gescheitert ist. Ein Jahr nach der Flucht seines Geschäftspartners aus Oberhausen sah sich Simon Günzburg jedenfalls so weit von einer ordentlichen Auflösung der Partnerschaft und einer gerichtlichen Klärung aller damit verbundenen Fragen entfernt wie eh und je. Abermals beschritt er einen in der jüdischen Gemeinschaft auf das Äußerste verpönten, aber doch immer wieder begangenen Weg, indem er die christliche Obrigkeit einschaltete, um doch noch sein Recht zu erlangen; und so kam es nicht zu einer Versöhnung, sondern zu einer weiteren Eskalation. Am 19. März 1565 schrieb der Augsburger Kardinalbischof Otto in dieser Sache an den Rat der Stadt Frankfurt und verlangte, daß Nathan Schotten sich in Oberhausen stelle; ein entsprechendes Schreiben schickte auch der burgauische Landvogt an den Frankfurter Rat.79 Überdies hatte Simon den Gesandten der Judenheit im Heiligen Römischen Reich, Abraham Landau aus Worms, auf einer seiner Missionen gefangensetzen lassen. Elieser Hirtz Treves richtete daher namens der Frankfurter Rabbiner an Simon ein erneutes, in schärfsten Tönen gehaltenes Schreiben, das am 29. April in Worms
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Ms. YIWO MK/428. fol. 2r v; M. Horovitz (Anm. 8) Anhang S. 68f.; E. Zimmer (Anm. 8) S. 79-82 (Schreiben der Frankfurter Rabbiner an die schwäbischen Rabbiner vom 15. Tewet 5325 [19. Dezember 1564]); unter den acht Unterzeichnern war auch Josbel Sprinz, der zuvor seine Unterschrift unter das erste gegen Simon gerichtete Schreiben zurückgezogen hatte, nachdem ihm die Schreiben des Meir Katzenellenbogen und der Inhalt des Vertrags zwischen Simon und Nathan bekannt geworden waren. Ms. YIWO MK/428. fol. 2'; E. Zimmer (Anm. 8) S. 82 (Schreiben des Elieser Hirtz Treves an den schwäbischen Landesrabbiner Isaak Segal vom 16. Tewet 5325 [20. Dezember 1564]). - Edom ist eine geläufige Bezeichnung für Rom, hier für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vgl. M. Stern: Die Wormser Reichsrabbiner (Anm. 54) S. 22.
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durch den Reichsrabbiner Jakob ben Chajim mitunterzeichnet wurde. Die schwäbischen Rabbiner werden hier als zerbrochen Ror geschmäht, die do stercken unnd annraitzen den Kriegk, sie berhumen sich vor hochweyse gelerte Rabbi sowoll spottlich unnd schänndtlich, daß sie weysen zu ubertreten das warhafftig Gesatz, das unnsere Vorfahren, grosse Hochgelerten, gestifftet und uffgericht haben inn allen ihren gesatzten Ordnungen;80 denn offenbar hatten sie Simon erlaubt, sich an die christlichen Behörden zu wenden. Der von ihnen gegen Nathan verhängte Bann und all ihre anderen, diesen Streit betreffenden Verfugungen sollten nichtig unnd ungeacht sein, wie ein Scherben, der zerbrochen ist, unnd sie werden ihre Straff darüber enntpfanngen vor dem warhafftigen Richter.81 Simon hatte unverzüglich für die Freilassung des Gesandten Abraham Landau zu sorgen. Er sollte sich mit Nathan einem Schiedsgericht oder dem rabbinischen Gerichtshof in Frankfurt stellen, wo dann über das weitere Verfahren und den Gerichtsstand in der Hauptsache entschieden würde, oder aber mit seinem Gegner vor erwählten Schiedsleuten in Speyer oder Worms so lange rechten, bis der Konflikt gänzlich beigelegt sei. Die Frankfurter Rabbiner und der Reichsrabbiner taten Simon Günzburg nicht in den Bann; aber sie zeigten sich bereit, eine nahezu unerhörte Strafe über ihn zu verhängen, falls er weiterhin die Unterstützung christlicher Institutionen und Autoritäten gegen seinen Widerpart suchen sollte: Daran du dann Unnrecht gethan hast wie die Verrätter, deren Lohn ist, inn ein tiejfe Gruben zu werffen unnd nit wiederumb heraußher zu thun. Das hastu auch verdienet;82 eine unmißverständliche Bezugnahme auf zumindest theoretisch zulässige Maßnahmen gegen einen gefährlichen Denunzianten, der im äußersten Fall sogar indirekt zu Tode gebracht werden durfte, etwa indem man ihn seinerseits den Behörden auslieferte.83 Doch Simon ließ sich selbst durch diese Drohung nicht mehr schrecken, und so blieben auch alle weiteren Versuche, den Konflikt vor jüdischen Schiedsleuten und Richtern zu schlichten, ohne Resonanz. Statt dessen wurden mehr und mehr die christlichen Mächte und Instanzen involviert. Am 4. Mai 1565 antwortete der Frankfurter Rat nach Augsburg und Burgau, daß Nathan Schotten nicht bereit sei, 80
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HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178. Die deutsche Übersetzung der nicht erhaltenen hebräischen Urkunde ist abgedruckt bei M. Stern: Die Wormser Reichsrabbiner (Anm. 54) S. 21-25, hier S. 22, sowie E. Zimmer (Anm. 8), S. 86-92, hier S. 88f. HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178; M. Stern: Die Wormser Reichsrabbiner (Anm. 54) S. 24; E. Zimmer (Anm. 8) S. 91. HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178; M. Stern: Die Wormser Reichsrabbiner (Anm. 54) S. 22; E. Zimmer (Anm. 8) S. 88. Vgl. etwa RGA Meir von Rothenburg. Ed. Lemberg 1860. Nr. 137, aber auch die Simon Günzburg und seinen Rachefeldzug gegen Enslin betreffende Entscheidung des Salomon Luria (Anm. 74), die für den restriktiven Umgang mit dieser Möglichkeit kennzeichnend ist, sowie RGA Isaak Misea. Ed. Jerusalem 1986. Choschen Mischpat Nr. 77. Meines Wissens ist aus dem frühneuzeitlichen Deutschland kein Fall bekannt, in dem ein solches indirektes Todesurteil tatsächlich verhängt worden wäre.
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sich in Oberhausen zu stellen, daß er sich aber einem Richtspruch der Rabbiner in Frankfurt oder Worms oder einem Urteil des Reichskammergerichts unterwerfen wolle; Kardinalbischof Otto, der sich damit nicht begnügen wollte, wandte sich deshalb am 30. Mai an den Kaiser. Weitere Schreiben gingen zwischen Frankfurt, Augsburg und Burgau hin und her. Erneut wandte sich der Augsburger Bischof an Maximilian II., und auch Erzherzog Ferdinand setzte sich für Simon ein, der auch ein eigenes Gesuch einreichte; schließlich erging am 30. Mai 1566 kaiserlicher Befehl, daß Nathan durch den Rat der Stadt Frankfurt an die bischöfliche Gerichtsbarkeit in Augsburg zu überstellen sei.84 Allerdings wurde dieser Befehl offenbar erst im Januar 1567 in Frankfurt zugestellt; und Nathan beschuldigte seinen Gegner, ihn acht Monate lang zurückgehalten zu haben. Ein solches Verzögerungsmanöver erscheint durchaus plausibel, denn die gemeine Judenschafft im Landt zu Schwaben hatte inzwischen beim Kaiser um eine Urkunde nachgesucht, mit deren Hilfe sie ihren Rechtsstandpunkt gegenüber den Frankfurtern durchzusetzen hoffte, deren Ausstellung aber lange auf sich hatte warten lassen: Seit jeher sei ihr ein oberster Raby verordnet gewesen, dem es stets zugestanden habe, sie vor sich zu laden und den Bann zu verhängen, dem aber neuerdings aus Leichtfertigkeit manche den Gehorsam verweigerten. Die schwäbischen Juden hatten daher eine Bestätigung erbeten, daß ihr Landesrabbiner uneingeschränkt Vorladungen vornehmen dürfe, daß ihm auch alle Juden so ime landt zu Schwaben seßhaft gewesen und noch seyen gehorsam zu laysten schuldig seien und er über jene, die einer solchen Vorladung keine Folge leisteten, den Bann verhängen könne; wogegen sonsten kayn anderer oderfrembder Rabi uns zu citiren oder ein ander weg wider uns zu schreiben macht habe. Auch sollte schlechterdings alles, was mergemelter Isak unser Rabi bis anher gehandelt oder noch handeln mechte, bindende Kraft und Gültigkeit besitzen.85 Erst am 25. Dezember 1566, also kurz vor der um Monate verspäteten Zustellung jenes Dekrets, war die erbetene Konfirmation dieser überaus deutlich auf den Fall des Nathan Schotten abgestimmten Freihaitten erteilt worden. Die Streitsache wurde freilich längst nicht mehr vor jüdische Gerichte getragen. Im März 1567 übermittelte der Frankfurter Rat die Verteidigungsschrift des Nathan an den Kaiser. Sein Anerbieten, sich vor den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln oder den Bischöfen von Worms oder Speyer zu verantworten, wurde von Simon abgelehnt, und so erging abermals ein kaiserlicher Befehl an den Rat der Stadt Frankfurt, daß sich Nathan einem Gericht in Schwaben zu stellen habe. Endlich schickten beide Parteien ihre Bevollmächtigten zu Gerichtsverhandlungen auf Schloß Wellenburg; über dieses im Juni 1567 abgeschlossene
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Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 17/185. HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178; ein Abdruck des Gesuchs findet sich bei Gerson Wolf: Zur Geschichte der Juden in Deutschland. Tl. 1: Die Anstellung der Rabbiner. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland. 3. 1889. S. 159-165, hier S. 162f.
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Verfahren und seinen Ausgang ist uns weiteres nicht bekannt.86 Doch hatten damit jedenfalls noch nicht alle strittigen Fragen zwischen den einstigen Geschäftspartnern ihre prozessuale Erledigung gefunden; und auch Dritte wie jener Ludwig Sauer, der seit 1563 auf die Rückzahlung des Nathan gewährten Darlehens von 2.000 fl. wartete, hatten ja noch Ansprüche geltend zu machen. Am 18. August 1568 und erneut am 18. April und am 8. Juni 1571 gingen kaiserliche Schreiben an den Frankfurter Rat, der Nathan dazu bewegen sollte, vor dem bischöflichen Gericht in Oberhausen zu erscheinen. Immerhin wurde Maximilian II. am 29. Oktober 1571 einer Antwort gewürdigt, indem der Rat der Stadt Frankfurt feststellte, diese Befehle gar nicht oder doch um Monate verspätet erhalten zu haben; im übrigen sei Nathan nicht gewillt, sich in die Gewalt des Augsburger Bischofs zu begeben, da er nun bereits seit mehr als acht Jahren in Frankfurt ansässig sei.87 Der weitere Gang der Dinge hat in den erhaltenen Quellen nur noch einen vagen Niederschlag gefunden. Allerdings scheint es dann doch auch vor dem bischöflichen Gericht in Oberhausen noch zu einem Verfahren gekommen zu sein, wobei jedoch auch hier wohl nur Prozeßbevollmächtigte in Erscheinung traten; abermals bleibt uns weiteres unbekannt.88 Nathan versuchte nun, sich endgültig jeder gerichtlichen Inanspruchnahme außerhalb Frankfurts zu entziehen, indem er 1573/74 vor dem Reichskammergericht gegen Simon Klage führte: Er behauptete, dereinst habe Kaiser Karl V. ihm und jenem Enslin ein Privileg erteilt, wonach sie nur an ihrem jeweiligen Wohnort hätten beklagt werden dürfen; dieses Privileg sei zuletzt von Maximilian II. bestätigt worden. Daher habe Simon, indem er ihn in Wellenburg und Oberhausen vor Gericht zog, Privilegbruch begangen.89 Allerdings fehlt jedes Indiz dafür, daß ein solches Privileg dem Gericht tatsächlich vorgelegt oder seine Existenz zumindest glaubhaft gemacht worden wäre. In seiner mittlerweile ein Jahrzehnt währenden Auseinandersetzung mit Simon und dem schwäbischen Landesrabbiner hatte Nathan nichts unversucht gelassen, um jeglichem wirksamen juristischen Zugriff durch jüdische wie nichtjüdische Instanzen außerhalb seines Zufluchtsortes zu entgehen; und es fragt sich, warum er ein derart famoses Dokument, wenn es wirklich existierte, erst nach so langer Zeit ins Spiel brachte.90 86
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Zumindest Nathan hatte offenbar sowohl christliche wie jüdische Bevollmächtigte, unter ihnen Christoph Bronnenmaier aus Augsburg und sein Schwager Salomon aus Leitershofen. Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 17/185. Nathan war in diesem Verfahren der Beklagte; vgl. BayHStA München. RKG 7225. Vgl. CAHJP. Jerusalem. P 17/185; StadtA Frankfurt. Ugb D 78. Vgl. BayHStA München. RKG 7225. BayHStA München. RKG 7225; Frau Dr. Margit Ksoll-Markon und Herrn Dr. Manfred Hörner vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv möchte ich für freundliche Auskünfte zu diesem Vorgang herzlich danken. Der Ausgang auch dieses Verfahrens bleibt uns unbekannt. - Auch vor der jüdischen Gerichtsbarkeit hätte ein solches Privileg keinesfalls seine Wirkung verfehlt. So konnte sich 1574 ein Jude in Neuburg an der Kammel der Rechtsprechung des schwäbischen Landesrab-
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Die weder vor den jüdischen noch vor den obrigkeitlichen Gerichten jemals wirklich in Gang gekommene rechtliche Aufarbeitung der im Streit geendeten Geschäftspartnerschaft zwischen Simon Günzburg und Nathan Schotten ist offensichtlich auch weiterhin in immer neuen Wendungen fortgeschleppt worden, ohne einen nennenswerten Fortschritt zu machen; tatsächlich zeigten die Mechanismen und Instrumente der obrigkeitlichen Gerichtsbarkeit, ungeachtet des wiederholten unmittelbaren Eingreifens selbst des Kaisers, letzten Endes keineswegs größere Wirkung als jene der jüdischen Rechtspflege. Nathan starb zu Beginn des Jahres 1575, Simon im hohen Alter von fast achtzig Jahren 1585; und auch Ludwig Sauer, der schließlich als Letzter der unmittelbar Beteiligten noch zu seinem Recht zu kommen gehofft haben mochte, sollte einen Erfolg seiner Klage nicht mehr erleben.91 So hatten die denkwürdigen Umstände, unter denen die Ansiedlung von Juden in Oberhausen erfolgt war, zu einem nicht minder denkwürdigen, weit ausufernden und weit über Schwaben ausgreifenden Konflikt gefuhrt. Nicht zuletzt sollte dieser Konflikt die politische Haltung der schwäbischen Judenschaft im Gefuge der jüdischen Gemeinden und Länder in Deutschland nachhaltig beeinflussen. Sicher nicht zufällig wurde nach dem Tod des Isaak Segal 1568 mit Jakob Reiner aus Mantua einer seiner entschiedensten Parteigänger im Streit mit den Frankfurter Rabbinern zu seinem Nachfolger gewählt; und auch für ihn wurde bei Kaiser Maximilian II. eine Bestätigung jener besonderen Freiheiten ausgewirkt, die das schwäbische Landesrabbinat in seinem Anspruch auf Autonomie gegenüber anderen jüdischen Instanzen und auf alleinige Zuständigkeit für die im Lande Schwaben ansässigen oder wohnhaft gewesenen Juden stützten.92 Nirgends sonst wurde dem mehr oder weniger offenkundigen Anspruch der Gemeinde Frankfurt und ihres Rabbinerkollegiums auf eine Vorrangstellung in der deutschen Judenheit mit so entschiedener Abwehr begegnet. Noch 1603 sollten die schwäbischen Juden die Teilnahme an einer nach Frankfurt einberufenen Versammlung von Rabbinern und Gemeindevertretern verweigern, weil sie eine Majorisierung und eine Beschneidung der Unabhängigkeit ihrer Gerichte fürchteten.93 Die kleine jüdische Ansiedlung vor den Toren Augsburgs liegt für uns nach der spektakulären Flucht des Nathan Schotten wieder fast völlig im Dunkeln. Allerdings darf sie uns nicht nur im Sinne der chronologischen Abfolge als der Ausgangspunkt kontinuierlicher jüdischer Siedlung im Umfeld der Stadt gelten. Im Mai 1567 ersuchte Moses Oberhausen die Regierungskammer in Innsbruck um die gnädige Bewilligung, in Pfersee eine Behausung kaufen oder neu erbauen zu
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biners entziehen, indem er ein entsprechendes Dokument seiner Ortsobrigkeit vorlegte; vgl. S. Rohrbacher: Stadt und Land (Anm. 6) S. 47. CAHJP. Jerusalem. P 17/185. HHStA Wien. Reichshofrat. Denegata antiqua 178. Vgl. Eric Zimmer: Jewish synods in Germany during the late Middle Ages. New York 1978. S. 90f. Anm. 64.
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dürfen, und bat ihn oder die Jhenigen, so Er darinn sezen wurde dort zwanzig Jahre lang in verspruch Schuz und schirm zenemen, und wie anndere Juden in der Marggrafschaft Burgaw sizen und wonen zelassen.94 Auch wenn uns die näheren Umstände, die diesem Gesuch schließlich zum Erfolg verhalfen, unbekannt bleiben, so erinnert der Vorgang doch an die besondere Privilegierung des Simon Günzburg, die einst den Einzug zweier jüdischer Familien in Oberhausen ermöglicht hatte. Auch die 1569 in offenkundigem Zusammenhang mit diesem Vorhaben erfolgte Erteilung eines kaiserlichen Privilegs, das Moses Oberhausen auf dessen Ansuchen unter anderem zubilligte, gegen die Verfugungen des Reichsrabbiners die kaiserlichen Räte oder einen unparteiischen Rabbiner anzurufen, ohne daß er dafür in den Bann getan werden könne, verweist auf die Erfahrungen, die während der Auseinandersetzungen zwischen Simon und Nathan gemacht worden waren.95 Im Herbst 1569 hatte Moses Oberhausen sein Ansiedlungsprojekt in Pfersee ungeachtet des Widerstands des Ortsherrn bereits realisiert;96 nahezu gleichzeitig oder doch nur wenig später sind offenbar auch im benachbarten Kriegshaber die ersten Juden ansässig geworden. Damit war der Anfang einer lange währenden Kontinuität jüdischer Siedlung im ländlichen Umfeld der Stadt Augsburg gemacht; Pfersee - in späterer Zeit sogar Sitz des schwäbischen Landesrabbiners wie auch Kriegshaber sollten über Jahrhunderte hinweg zu den wichtigsten jüdischen Gemeinden Ostschwabens zählen. Den in Oberhausen verbliebenen Juden, die dort wohl immer noch als Geschäftspartner oder Bevollmächtigte des Simon Günzburg saßen, war dagegen nur noch eine Frist von wenigen Jahren gegeben. Schon unter Kardinalbischof Otto Truchseß von Waldburg hatte ihnen mehrfach die Vertreibung gedroht. Sollte jenes Privileg, das er einst Simon Günzburg erteilt hatte, bei seinem Tod noch in Kraft gewesen sein, so wurde es durch seinen Nachfolger Johann Eglof von Knöringen jedenfalls nicht bestätigt. Die juristische Grundlage für die Ansässigkeit von Juden in Oberhausen war somit hinfällig, und Bischof Johann ließ sie, wie er es in seiner Wahlkapitulation dem Domkapitel zugesagt hatte, im November 1574 aus dem Ort ausschaffen. 97
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StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 648. fol. 399v. Die entsprechende Klausel des Privilegs ist zitiert bei G. Wolf: Zur Geschichte der Juden (Anm. 85) S. 163. Vgl. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Kopialbuch Lit. 649. fol. 103r"v. Es ist unklar, ob der nicht lange danach verstorbene Moses Oberhausen selbst in Pfersee eingezogen ist. Vgl. BayHStA München. Vorderösterreich und Burgau Nr. 23, 413; Friedrich Zoepfl: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Reformationsjahrhundert. Augsburg 1969. S. 541.
Eine süddeutsche jüdische Textilie aus dem frühen 17. Jahrhundert Katia Guth-Dreyfus
Dem Jüdischen Museum der Schweiz in Basel gehört seit einigen Jahren eine bestickte Kissenplatte für den Sitz des Propheten Elias auf der Beschneidungsbank.1 Lediglich die mit bunten Seiden- und Silberfäden in Kreuz-, Stil- und Zopfstich verzierte, quadratische, rund 85 cm messende Vorderseite aus ungebleichtem Leinenstoff ist erhalten. Die Farben sind teilweise verblaßt, der Faden abgerieben; zahlreiche, auf der Rückseite unterlegte maschinengenähte Flickstellen sind deutlich sichtbar. Der Saum wurde dreiseitig von Hand erneuert, an der vierten Seite befindet sich eine Webkante. Die im Londoner Auktionskatalog als reich bestickte Leinendecke mit hebräischer Inschrift aus dem späten 18., frühen 19. Jahrhundert angebotene Textilie haben wir ersteigert, weil wir in ihr einen Beschneidungskissenbezug erkannten und sie als drittes Beispiel dieser Gattung für unser Museum erwerben wollten (Abb. 2, 8 und 9). Der gelblich verfärbte, leicht verschmutzte Leinenstoff enttäuschte allerdings auf den ersten Blick unsere Erwartungen. Erst bei genauerer Betrachtung entdeckten wir die vorzügliche Qualität der Darstellungen im Kreuzstichmuster. Als sich schließlich herausstellte, daß unsere Neuerwerbung dank ihrer hebräischen Inschrift in das Jahr 1614 datiert werden kann, war unsere Freude groß, denn bloß vereinzelt sind jüdische Kultobjekte aus dem 17. Jahrhundert in Westeuropa erhalten geblieben. JMS 1198. Ausstellungskatalog: Mappot ... gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Hg. von Annette Weber, Evelyn Friedlander, Fritz Armbruster. Osnabrück 1997. Nr. 51 mit Abb. Ersteigert in Auktion Christie's. London 7.11.1989. Ikle-Sammlung. Nr. 4. Vom Freiwilligen Basler Museumsverein erworben, im Jüdischen Museum als Dauerleihgabe deponiert. Die Textil-Sammlung Ikle wurde um 1900 von Leopold Ikle in St. Gallen aufgebaut, später von dessen Sohn Fritz vergrößert und verändert. Teile der Sammlung sind dem Textilmuseum St. Gallen und dem Museum für Völkerkunde (Museum der Kulturen) in Basel geschenkt worden, die übrigen Stücke wurden auf verschiedenen Auktionen veräußert. Die Kissenplatte wurde von mir in englischer Sprache 1991 beim Treffen des Centers of Jewish Art in Jerusalem vorgestellt.
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Abb. 2. Kissenplatte, JMS 1198
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Beschreibung Im Zentrum liegt in einer Laube ein geflügelter Löwe, darunter ein Junges, das nach links hüpft, daneben ein seine Federn schüttelnder Hahn(?). Über ihm hält ein Jäger mit Horn und Jagdmesser einen Hund an der Leine. Zwei winzige Hasen tummeln sich im niederen Gras.
Abb. 3. Mitte der Kissenplatte.
Die hebräische Inschrift lautet übersetzt: 'Jakob, Sohn des Sim(e)on s(eligen) A(ngedenkens) Ulm2 und seine Frau Breinel, Tochter des Bruders Abraham Moses s(eligen) A(ngedenkens)' und rahmt die Figuren quadratisch ein. Darunter liegt ein Hirsch mit ausladendem Geweih auf einer von blühenden Bäumen besetzten Wiese. Zu seiner Linken steht eine zweistöckige Synagoge, deren Dach zwei Pfauen, Fähnchen und ein Glockenturm zieren. 2
Hebräisch: Für den Orts- oder Familiennamen Ulmo(a) fehlt hier das Vokalzeichen Alef. Dafür endet der gestickte Name (Platzmangel?) mit dem für die Wortmitte gebräuchlichen hebräischen Buchstaben M und nicht mit dem dafür vorgeschriebenen Schlußmem. Hinter dem Namen Breinel steht ein weiterer, ungedeuteter Konsonant, vermutlich ein 'S'.
m m i n^w pyavy -q ipy> nw» DmiN i vnN n i dk i d ^ k dn n'w» n mw
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Abb. 4. Synagoge.
Am unteren Bildrand steht rechts in hebräischer Sprache: 'Das Jahr, der Herr wird uns den Propheten Elias schicken, A(men) S(ela).' Aus einigen, als Zahlen gekennzeichneten hebräischen Buchstaben liest man das Jahr (5) 374, nach unserer Zeitrechnung 1614. Auf der zweiten Seite im Uhrzeigersinn weitergehend, in der unteren Bildmitte ist eine Beschneidung dargestellt.
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Abb. 5. Beschneidung.
Eine Frau und vermutlich ein Mann stehen links vom Mohel (Beschneider), der sich - die Enden des Tallit scheinen seitlich herunterzuhängen - über das kaum erkennbare Baby auf dem Schoß des auf einer hölzernen Bank sitzenden Sandak (Paten) beugt. Drei Figuren tragen elegante Kleider und Barette mit Federn, der Mohel einen Hut mit Krempe. Links davon steht ein Einhorn, von zwei Bäumen umrahmt. Rechts sind ein großer Mann und eine zierliche Frau beim Brettspiel wiedergegeben, über ihnen ist ein kleiner Mann mit erhobenem Becher abgebildet.
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Abb. 6. Wachnacht.
Die rechte Ecke besetzt ein Baum mit Vögeln in der Krone und zwei Hirschen am Stamm, in der linken steht ein Baum, der mit Blüten und Früchten behangen ist. Darüber rahmen zwei Pelikane, die ihre Jungen mit ihrem Blut füttern, sowie ein Paar junger Löwen die Laube mit einem stehenden, durch sein Halsband identifizierten Hund. Drehen wir die relativ große Kissenplatte weiter, so sehen wir, daß blattbestandene Bäume, blühende Blumen und eine winzige Eule dem Hund seitlich beigegeben sind. Auf der vierten Kissenseite schließlich schreitet in der Mitte unten ein heraldischer Löwe mit hängender Zunge, von einem Jungen zwischen seinen Pfoten begleitet, und wird von Eichenblatt und einer Liliengirlande eingefaßt. Fünf weitere Laub- und Blütenbäume füllen mit einer Auswahl von Vögeln und Getier den letzten freigebliebenen Raum. Gewissermaßen als Bildrahmen läuft außen ein schmales Band, auf dem sich eine Treibjagd wiederholt. Ein Jäger mit Jagdmesser und Hifthorn folgt seinem Hund auf der Fährte eines Hirsches und treibt diesen in einen Waidhag.
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Abb. 7. Treibjagd auf Umrahmung
Zur Verwendung des Kissens Eine Beschneidungsbank, auch Bank für den Propheten Elias genannt, gehört zur Beschneidungszeremonie und ist vor allem in Westeuropa gebräuchlich. Ein besonderes Kissen indessen blieb nur in wenigen Beispielen erhalten. Die Beschneidung selbst geht auf Abraham zurück, gehört zu den wichtigsten Geboten des jüdischen Lebens und läßt sich mit zahlreichen Kultobjekten aus dem 18. und 19. Jahrhundert belegen: Messer mit verzierten Griffen, besondere Klammern, Becher mit oder ohne Beschriftung, Behältnisse, Amulette und Beschneidungsbücher gehören zum klassischen Ausstellungsgut Jüdischer Museen. Ebenfalls aus Westeuropa stammt der Brauch, durch bestickte oder bemalte Thorawickelbänder, die inschriftlich die Geburt jüdischer Knaben registrieren, an die Beschneidung zu erinnern. Eine kleine Auswahl von Thoravorhängen, die laut ihrer Inschrift anläßlich einer Beschneidung in Auftrag gegeben wurden, blieb erhalten und läßt sich mit den wenigen Beschneidungskissen vergleichen, die zufällig einige Namen und Familien nennen.
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In Italien und Südfrankreich war der gepolsterte Stuhl für den Propheten Elias bloß einsitzig, weshalb ein besonderes Kissen gar nicht verwendet werden konnte. In Gegenden mit zweisitziger Bank würdigt ein für den leerbleibenden Platz des Propheten gesticktes Kissen dessen besondere Bedeutung. Es handelt sich dabei weder um das Kissen, auf dem der Knabe zur Beschneidung gebracht wird, noch kann es aus praktischen Gründen bei der Beschneidung selbst gebraucht worden sein. Erstaunlicherweise liefert Johannes Buxtorf d.Ä. (1564-1629), der erster Professor für hebräische Studien an der Universität Basel war, in seiner 'Synagoga Judaica' von 1603, die den jüdischen Glauben und Alltag (nicht ohne einige kritische Kommentare) schildert, plausible Angaben über den Verwendungszweck unserer Textilie: Ein kostbares Kissen wurde auf den für den Propheten Elias reservierten Platz gelegt, um seinen Segen für die Beschneidung und den nach der Zeremonie darauf gebetteten Knaben zu erwirken.3
Ikonographie Leider fehlen bei Buxtorf vergleichbare, zeitgenössische Quellen zur Ikonographie der Kissenplatte. Die Stickerin(nen) benützte(n) Musterbücher, wie sie damals in ihrer Umgebung als Vorlagen dienten, besonders für Tiere, Vögel, Blätter, Blumen und Früchte.4 Zusätzlich wurden vermutlich Wünsche der Auftraggeber berücksichtigt. Der geflügelte Löwe mit seinem Jungen im Zentrum und der Hahn gehören in lockerem Zusammenhang zur 'Geburt', obwohl der geflügelte Löwe mit hier blauem, von (heute schwarzscheinenden) Silberfäden durchzogenem Fell zugleich als messianisches Symbol gedeutet und also direkt mit Elias als Vorboten des Messias verbunden werden kann. Die symbolische Deutung des ruhenden Hirschen mit ausladendem Geweih ist in jüdischem Zusammenhang schwierig zu deuten. Die emblematische Funktion dieses Tiers ist bekannt, sein Geweih kann ohnehin als Krone (Gottes) oder Teil seiner besonderen Führungskraft interpretiert werden. Der stehende Hund mit seinem ursprünglich ebenfalls glänzenden Halsband erscheint als Symbol gezähmter Energie und Disziplin bzw. Gehorsams. Der zweite, in natürlicher Farbe wiedergegebene Löwe - Symbol von Kraft und Majestät erinnert in seiner Gestalt an ein Wappentier und beschützt eher ein junges Reh als das ihm wie zufällig beigegebene Junge. Das Einhorn wird im Alten Testament 3
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Johannes Peter Buxtorf: Synagoga Judaica, das ist Judenschul [...]. Basel: Sebastian Henricpetri 1603. S. 118. Zu Buxtorf vgl. Stephen Bumett: Johannes Buxtorf I and the Circumcision Incident of 1619. In: Basler Zeitschrift 89. 1989. S. 135-143 und Joseph Prijs: Die Basier Hebräischen Drucke (1492-1866). Hg. von Bernhard Prijs. Ölten 1964. Annette Fluri, Basel, verdanke ich den Hinweis auf ein Muster aus Süddeutschland oder der Schweiz, 17./18. Jh., Seidenstickerei, Gewerbemuseum Basel, Kat. 1967.88.
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zwar genannt, erscheint hier aber - in unmittelbarer Nachbarschaft der Beschneidung - vermutlich als mittelalterliches Symbol der Fruchtbarkeit oder Empfängnis. Die beiden einander entgegenspringenden Löwenjungen entstammen dem mittelalterlichen Bestiarium und symbolisieren vermutlich Fruchtbarkeit. Die beiden Pelikane, die ihre Brust aufpicken, um ihre eigenen Jungen zu futtern, sind als christliches Symbol aus dem Physiologus bekannt.5 Sie können aber auch als Beispiele mütterlicher Fürsorge und Liebe gedeutet werden oder - allerdings auf Umwegen - auch auf das Opfer anspielen, das die Juden brachten, indem sie ihren Glauben trotz aller Bekehrungsbemühungen beibehielten.6 Auch den übrigen Tieren und Pflanzen auf der Kissenplatte kommt fast durchwegs symbolische Bedeutung zu: Für Ahornzweige, Reben- oder Eichenblattranken, mit Blüten oder Früchten behangene, stilisierte Lebensbäume, in deren Geäst sich allerlei Vögel (z.B. Papageien, Falken, Raben und Tauben) tummeln, für Nelken, Lilien, Veilchen und Vergißmeinnicht haben Entwerfer und Stickerinnen ornamentale, religiöse und weltliche Elemente gemischt, vielleicht ohne sich des Unterschieds zwischen jüdischer und christlicher Ikonographie überhaupt bewußt gewesen zu sein. Leider ist es bisher nicht gelungen, die für die Beschneidung benützte, grafische Vorlage zu identifizieren. Sie geht vermutlich nicht auf ein jüdisches Vorbild zurück, das beispielsweise dem Titelblatt des von Aaron Wolf von Gewitsch illustrierten Beschneidungsbuchs (Wien 1728) zugrunde liegt. Auf solchen jüdischen Beschneidungsszenen sind hinter dem Mohel mehrere Männer abgebildet. Einer trägt einen Becher (für den Segensspruch), einer eine Kerze, ein dritter den zweiten Becher oder eine Platte zur Ablage der Vorhaut nach der Beschneidung, Frauen stehen weiter entfernt (Abb. 7).7 Auf dem Beschneidungskissenbezug aus Lengnau ist eine Frau abgebildet - sie brachte das Kind zur Beschneidung - aber durch eine Säule, Türe oder Wand ist sie von den Männern deutlich getrennt (Abb. 8a). Auf dem anderen präsentiert sie sich abseits mit einer Blume (Abb. 9).8
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'Physiologus' ist eine spätantike, für die religiöse Tiersymbolik im Mittelalter gültige Abhandlung; ihr Text schildert die Eigenschaften verschiedener Tiergattungen und spricht diesen Charakteren eine moralische, meist christlich-symbolische Bedeutung zu. Vgl. dazu Gilbert Cope: Symbolism in the Bible and the Church. London 1959. Laut freundlicher Mitteilung von Annette Weber, Jüdisches Museum, Frankfurt am Main, zieren Pelikane auch das Wappen der portugiesischen Gemeinde von Amsterdam. The Precious Legacy. Judaic Treasures from the Czechoslovak State Collections Ed. by David Altshuler. New York 1983. Kat. Nr. 257. fig. 193. JMS 133 und JMS 304. Deposita Schweizerisches Landesmuseum. Zürich. Jüdischen Vorbildern folgt auch die Wiedergabe auf dem Kissenbezug Halberstadt 1779/1780 im Jewish Museum, New York, den übrigens ein Issachar, gen. Baer, Sohn des Jona Ulmo S.A., stiftete. Vgl. From Court Jews to the Rothschilds. Art, Patronage, and Power (1600-1800). Ed. by Vivian B. Mann. München 1996. Nr. 255, mit weiteren Angaben.
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Textilie
Abb. 8. Kissenbezug für den Sitz des Propheten Elias, JMS 133
Abb. 8a. Ausschnitt.
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Auf der hier vorgestellten Kissenplatte fällt es sehr schwer, die Umrißlinien der Männer und ihrer Kleidung zu rekonstruieren, den Mohel und das Kind, Männer von Frauen zu unterscheiden. Selbst die Vermutung, außer dem Mohel seien nur Frauen zugegen, muß vollständigkeitshalber geäußert werden. Abgeriebene Stellen in der Stickerei erschweren die genauere Bestimmung zusätzlich. Die elegante Dame mit Barett, Mieder, hoher Taille und langärmligem grünem Kleid mit roten Manschetten, steht - nach jüdischer Vorschrift - zu nahe bei den Männern. Die sehr genau abgebildete Synagoge könnte aus historischen Gründen jene von Burgau sein. Sie zeigt eine große Eingangstüre sowie Fenster im Erdgeschoß und eine sog. 'Weiberschul' im ersten Stock, deren durchgehende Fenster teilweise mit dreieckigen Giebeln bekrönt sind. Ein zentraler, für Synagogen unüblicher, von zwei Fahnen flankierter zweistöckiger Glockenturm mit hoher Haube über dem steilen, mit zweifarbigen Ziegeln gedeckten Dach, aufgesetzter Fahne und von den Dachschrägen hinausragenden Pfauen erinnert an die Gestalt früher Besamimbüchsen. Die etwas ungelenke, vermutlich spontan hinzuerfundene Darstellung des Paares beim Brettspiel gehört unmittelbar zur Beschneidung. Einem alten 'Aberglauben' entsprechend waren unbeschnittene Knaben in der letzten Nacht vor der Beschneidung, der sog. Wachnacht, besonders gefährdet, weshalb sich während dieser Nachtstunden jüdische Männer im Zimmer der Wöchnerin zu versammeln und die Zeit statt beim Studium der Heiligen Schriften mit Spielen zu vertreiben pflegten. 9 Hier beweist die Anwesenheit der Frau, daß das ursprünglich strenge Gebot frei interpretiert wurde, der prostende Mann über dem Paar illustriert die feuchtfröhliche Stimmung im Haus der Wöchnerin trefflich.10 Schließlich eine Bemerkung zu den Jagdszenen. Sie gehören zu den beliebtesten Bildvorlagen in Webkunst und Stickerei. Sie sind auf jüdischen Textilien allerdings selten verwendet worden, weil auch Tiere als Lebewesen Schutz verdienen. Musterbücher indessen lieferten vermutlich geeignete Vorlagen. Auf jedem kleinen Bild rennt ein Hirsch mit seinem Jungen, verfolgt von einem Hund auf einen Waidhag zu. Der Jäger, bewaffnet mit einem langen Jagdmesser in der Lin9
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Der ursprünglich auf dem Zohar, einer spanischen Schrift des 13. Jahrhunderts beruhende Brauch gab Anlaß zu zahlreichen Auswüchsen, wie Trinkgelagen, führte zu Haß und Streit und wurde schließlich im 17. Jahrhundert durch rabbinische Vorschriften mehr oder weniger erfolgreich unterbunden. Die Erklärung des Zusammenhangs verdanke ich Michele Klein, Rechovot, die in ihrem Referat 'Children are a Heritage of the Lord', die Bedeutung der Wachnacht eingehend schildert. Vgl. auch dies.: Eine Gottesgabe sind Söhne. Schwangerschaft und Geburt im Leben einer jüdischen Frau. In: Jüdische Lebenswelten. Essays. Hg. von Andreas Nachama. Frankfurt/Main 1991. S.239-256; Elliott Horowitz: The Eve of the Circumcision. A chapter in the History of Jewish Nightlife. In: Journal of Social History. 23/1. 1989. S. 45-59; Shlomo Eidelberg: Das Minhagbuch von Juspa Schammes. In: Der Wormsgau 14. 1982. S. 21-30, hier S. 23, zitiert Rabbiner Benjamin Katz, der 1638 in Worms Glücksspiele generell ausdrücklich verbot, wobei Schach offenbar ausgenommen blieb.
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Textilie
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ken, bläst in ein Hifthorn, das er mit seiner Rechten hält. Die aneinandergereihten, identischen Motive ließen sich gut den Maßen der Textilie anpassen und eigneten sich, obwohl die Jagd den Juden an sich verboten ist, trefflich als Bordüre.
Stifter der Textilie, zeitliche Einordnung und stilistische Hinweise Der hebräische Text am unteren Rand der Schauseite vermittelt das Entstehungsjahr der Kissenplatte. Die im Quadrat angeordnete hebräische Inschrift in ihrer Mitte konnte dank der Hilfe von Dr. Chimen Abramsky, London, Dr. Gil Hüttenmeister, Tübingen, und seiner Tochter Nathanja aufgeschlüsselt werden. Sie gibt die Namen der Stifter wieder und ermöglicht die Lokalisierung der Textilie. Die einzelnen hebräischen Buchstaben erscheinen übrigens, wenn man sie mit den figürlichen Darstellungen vergleicht, ungelenk und weniger sorgfältig gestickt. Von ihrer üblicherweise ausgesprochen dekorativen Wirkung ist hier wenig zu spüren; sie könnten, nach der Vorlage eines Schreibers, von einer Familienangehörigen eingearbeitet worden sein. Das Kissen gehörte oder ist auf Wunsch von Jakob Ulmo, gestorben 1619 oder 1620, dem jüngsten von acht Söhnen des Rabbi Simon bar Elieser Günzburg entstanden und auf 1614 datiert. Der Vater starb im Jahr 1585 und wurde in Burgau beerdigt. Die Identifizierung der inschriftlich als Gattin Jakobs und Tochter eines Abraham Mosche s.A. genannten Breinel indessen muß ungeklärt bleiben. Jakob hatte wohl eine Gattin Michal Braunen, Tochter eines Moses, aber diese starb schon im Jahr 1590 und kann nicht eine Tochter von Jakobs ältestem Bruder, Mosche Abraham (1631 in Burgau beerdigt) gewesen sein, obwohl der hebräische Buchstabe 's' (von s.l. = seligen Angedenkens) am Ende von Breinel andeuten könnte, daß es sich um eine zum Zeitpunkt der Stiftung Verstorbene handelt. Im Falle eines Beschneidungskissens scheint dies indessen wenig wahrscheinlich. Wurde dieses vielleicht für die Brit Mila von Jakobs 1620 'frühverstorbenem' Sohn Isaak gestiftet? Andere Gattinen und Nachkommen von Jakob werden in den uns bekannten genealogischen Quellen leider nicht genannt; beim Bruder des Vaters, der ebenfalls Mosche hieß, fehlt der in der Inschrift vorangestellte Name Abraham. Die Familien Günzburg Ulmo stammten ursprünglich aus dem nicht weit von Ulm entfernten Günzburg. In Burgau hat Vater Simon den Friedhof gegründet, von seinen Söhnen wurde die Synagoge (!) gestiftet. In der Geschichte der Juden des 16. und 17. Jahrhunderts in Süddeutschland, vor allem in Schwaben, haben
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sich Mitglieder dieser Familien nicht nur als hervorragende Kaufleute, sondern auch dank ihrer Gelehrsamkeit besondere Verdienste erworben." Formen und Farben der Kreuzstich-Stickerei bilden trotz deutlich sichtbarem 'horror vacui' ein einheitliches Ganzes. Die ornamentale Anordnung von Tieren und Pflanzen in ihren rechteckigen Feldern prägt die Komposition. Obwohl die Stickvorlagen, die wahrscheinlich aus verschiedenen Quellen stammen, Allgemeingut waren, und Unterricht in Handarbeit für Mädchen zur Erziehung gehörte, hat hier eine besonders sorgfältig gestaltete Textilie die Jahrhunderte überdauert. Um die hohe Qualität der Kissenplatte zu verdeutlichen, sei auf die feine Stichund Fadenwahl für die einzelnen Bildmotive hingewiesen, die professionelle (in Klöstern?) geschulte Stickerinnen vermuten lassen. Durch den Vergleich mit allerdings später zu datierenden Thorawimpeln läßt sich diese Vermutung erhärten: Thorawimpel wurden von weiblichen Angehörigen des in der Wimpel genannten Knaben gestickt, nach Vorzeichnungen, die vermutlich von der Hand erfahrener Thoraschreiber stammten. Ihre Verzierungen sind oft geschickt gewählt, mit geistreichen Bezügen auf ihre Inschrift oder das Datum. Text und Dekor sind indessen - von Ausnahmen abgesehen - weniger präzis gearbeitet.12 Für eine nähere stilistische Bestimmung der Kissenplatte bleiben die beiden Figurengruppen. Das Vorbild für die Beschneidungsszene gehört eher ins 16. als ins 17. Jahrhundert. Die Übernahme höfischer Vorbilder im Kunstgewerbe erfolgte erst nach und nach. Die hohe Taille, das Mieder, die engen Ärmel und fließenden Konturen des Damenkleids mit Schleppe finden sich ähnlich schon auf Gemälden der deutschen Renaissance, auf ihnen sind auch dieselben eleganten federgeschmückten Barette wiedergegeben. Die Männer tragen bis zum Knie reichende Hosen, die nur beim Mohel problemlos zu identifizieren sind; die übrigen Männerkleider unterscheiden sich eigentlich kaum von der Damenrobe. Auch "
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Für den Stammbaum der Familie Günzburg vgl. David Maggid: Toldot Mischpachat Guenzburg. St. Petersburg 1899. Supplement of David Kaufmann. S. 174-180. Es ist nicht einfach, in diesem hebräischen Text die einzelnen Stämme der Familie klar zu unterscheiden, da sich die gleichen Vornamen in jeder Generation wiederholen. L. Löwenstein: Günzburg und die schwäbischen Gemeinden. In: Blätter für Jüdische Geschichte und Litteratur. Beilagen zu 'Israelit' 1. 1900. Nr. 6. S. 9 und unregelmäßig folgende, korrigiert und erweitert Kaufmanns Angaben. Die wirtschaftliche und geistige Bedeutung der Familie hat Stefan Rohrbacher kürzlich umfassend bearbeitet: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augstana. Bd. 2). S. 80-109. Ordnungshalber sei beigefugt, daß Simon Günzburg in Frankfurt, der 1578 in Basel Ambrosius und Aurelius Froben mit dem Talmuddruck betraute, ein naher Verwandter des hier Genannten war. Vgl. A. Dietz: Stammbuch der Frankfurter Juden. Frankfurt 1907. S. 132. Vgl. beispielsweise Jüdisches Museum der Schweiz in Basel, Kat. 765/1785. Besondere Beachtung verdienen die allerdings im 18. Jahrhundert gestickten Thorawimpel aus Halberstadt, in: From Court Jews to the Rothschilds (Anm. 8) Kat. 251/252. Den Forschungsstand beschreibt Emile Schrijver: Ashkenazic Tradition and the History of its Script: Where do Torah Binders fit in? In: Mappot (Anm. 1) S. 46-54.
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Textilie
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beim brettspielenden Paar trägt der Mann die kurzen Hosen, das Barett mit Feder, die Frau das lange Kleid. Spezifisch jüdische Elemente scheinen hier wenig ausschlaggebend gewesen zu sein. Haben wir doch zu zeigen versucht, daß die vergleichsweise anspruchsvollen ikonographischen Grundlagen der Kissenplatte Allgemeingut jener Zeit waren und sich mehr als auf jüdische Quellen auf säkulare Vorlagen stützen. Wir gestatten uns die Vermutung, daß die, laut historischen Quellen tief in den rabbinischen Traditionen verwurzelten Ulmo Günzburg Familien auch rege, vermutlich vor allem geschäftliche Kontakte, mit ihrer nichtjüdischen Umwelt pflegten und aus diesem 'weltlichen Umgang' Anregungen für die Gestaltung jüdischer Kultobjekte übernahmen.13
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Die bei S. Rohrbacher (Anm. 11) S. 89 u. 92 wiedergegebenen Illustrationen aus dem 1589 vollendeten Gebetbuch der Familie Ulmo(a)-Günzburg, die auch eine Beschneidung und eine Jagd, eine Synagoge und einen Lebensbaum zeigen, sind zwar ikonographisch verwandt, lassen sich aber stilistisch nicht mit der Stickerei vergleichen. Jenny Schneider: Schweizerische Leinenstickereien. Bern 1972 (Aus dem Schweizerischen Landesmuseum. Bd. 32) weist auf die Blüte der Leinenstickerei in der Spätrenaissance hin und betont, daß sich die Stickereien stets durch ein Mittelmedaillon auszeichnen, daß die gesamte zur Verfügung stehende Fläche bestickt sei und Flora und Fauna möglichst naturgetreu wiedergegeben würden.
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Abb. 9. Kissenplatte aus Lengnau, 1769/70, JMS 304. Die Stickarbeit ist hier nur teilweise ausgeführt, ihre Vorzeichnung indessen vollständig erhalten. In der langen Inschrift erscheinen als Stifter Joseph und Fradel sowie des Jahr 5 (530), das ist nach unserer Zeitrechnung das Jahr 1769/70.
Jüdische Sachkultur in burgauischen Landgemeinden bis zur Emanzipation Annette Weber
Forschungsstand Eine eigenständige und hochentwickelte jüdische Sachkultur auf dem Land - gibt es die überhaupt? In den Erzählungen Berthold Auerbachs und in den Bildern von Alphonse Levy erscheinen die dörflichen Wander- und Hausieijuden oft als ein wenig verschrobene und altvaterische Charaktere, gewissermaßen als kulturell rückständige Vertreter ihrer Gemeinschaft, die die emanzipatorische Entwicklung der städtischen Gemeinden hin zu Assimilation nicht vollzogen haben. Dieses von Literatur und Kunst propagierte Bild hat bis heute seine Wirkung nicht ganz verloren, da auch die moderne Forschung die Lebensumstände des deutschsprachigen Landjudentums vor der Emanzipation oft als so kümmerlich und rückständig beschreibt, daß deshalb 90% der jüdischen Bevölkerung des 17. und 18. Jahrhunderts - weil 'vom Lande' - als kulturell unbedeutend angesehen werden. Das Bild von der rückständigen, ungebildeten Landbevölkerung ist ein altes gängiges Vorurteil, das im Zuge der Verstädterung des 19. Jahrhunderts erneut Auftrieb erhielt. Besonders weit scheint diese Sicht jedoch in jüdischen Stadtgemeinden verbreitet gewesen zu sein, die durch die Landflucht rapide anwuchsen und unter dem hohen Assimilationsdruck ihre eigenen Ursprünge und eine über Jahrhunderte auf dem Land gewachsene Kultur verstärkt ablehnten. Dieses Urteil wird außerdem von der Einschätzung jüdischer Bildungsgeschichte mitgetragen, wonach die Geisteskultur des Mittelalters, die sich aus der Gelehrsamkeit bedeutender Rabbiner in den Städten entwickelt hatte, als das universelle Leitbild jüdischer Kultur gilt, während die durch Ritus und lokalen religiösen Brauch bestimmte Sachkultur der Landgemeinden als unbedeutend angesehen wird. Kulturelle Leistungen werden noch immer nahezu ausschließlich mit den jüdischen Gemeinden in den Städten assoziiert. So gelten im Zeitalter des Absolutismus vor allem die mit städtischer Lebensweise assoziierten, 'urbanen' Hof-
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juden als herausragende kulturelle Leistungsträger.1 Die Mehrzahl der Hofjuden saß jedoch nicht in den Städten, sondern auf dem Land und versorgte die Herrschaften der unzähligen weltlichen und geistlichen Kleinstterritorien mit Kredit, Militärausrüstung und Luxuswaren. Aufgrund der Kreditbeschaffung waren Hofjuden oft genug in die Bauprojekte der Landesherren involviert und hatten somit mittelbaren Anteil an der kulturellen Entwicklung. Die bislang vor allem auf die Stadtgemeinden und ihre Repräsentanten konzentrierten Untersuchungen vermitteln daher ein zu einseitiges Entwicklungsprofil der jüdischen Kultur im deutschen Sprachraum. Es ist deswegen auch kaum verwunderlich, daß die jüdische Sachkultur des 17. und 18. Jahrhunderts auf dem Land bislang erst seit kurzem zur Kenntnis genommen wird und ihre Erforschung nach der Schoa erst zu dem Zeitpunkt wieder eingesetzt hat,2 als die wiederentdeckten Landsynagogen und die umfangreichen Genisafunde den erstaunlich kulturellen Reichtum des deutschen Landjudentums eindrücklich dokumentierten. Die bis dahin vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit erklärt sich einmal durch die Vernichtung von jüdischen Kulturgütern durch die Schoa, aber auch durch den spezifischen Blickwinkel der eher historisch und soziologisch orientierten Forschung. Die inzwischen zahlreichen Untersuchungen zum deutschen Landjudentum des 19. Jahrhunderts heben immer wieder die oft drückende Armut und harten Lebensbedingungen hervor und dieses Profil bestimmt die Vorstellung mit, daß die Kultur des deutschen Landjudentums vom 16. bis zum 20. Jahrhundert seit jeher bescheiden gewesen sei.
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From Court Jews to the Rothschilds. Ed. by Richard Cohen, Vivien B. Mann. New York 1996; Namen wie Alexander David aus Braunschweig, Esther Liebmann aus Berlin, Samson Wertheimer aus Wien und Joseph S. Oppenheimer aus Stuttgart repräsentieren die kleine Spitzengruppe der Hofjuden, die in den großen Residenzen tätig war. Ihre Lebensbilder sind jedoch nicht unbedingt typisch für die Mehrzahl der Hofjuden. Christoph Daxlmüller: Jüdische Kultur in Franken. Würzburg 1988; Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Hg. von Bemward Deneke. München 1988; Klaus Guth: Jüdische Landgemeinden in Oberfranken. Bamberg 1988; Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. München 1988; Falk Wiesemann: Genisa - Verborgenes Erbe der deutschen Landjuden. Wien 1992; Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. Hg. von Peter Fassl. Sigmaringen 1994; Eva Groiss-Lau: Jüdisches Kulturgut auf dem Land. München 1995; Annette Weber: Synagogenausstattungen als Dokument jüdischen Lebens auf dem Lande in Franken und Schwaben im 18. Jahrhundert. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Reinhard Rürup, Monika Richarz. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. Bd. 56). S. 189-206; Annette Weber: Die Kultur des Landjudentums in Schwaben und Franken. In: Mappot ... 'Gesegnet, der da kommt'. Hg. von Annette Weber, Evelyn Friedlander, Fritz Armbruster. Osnabrück 1997. S. 82-91.
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Forschungsziele und -methoden Aufgrund der in der Zeit des Nationalsozialismus angerichteten Zerstörungen kann die Erforschung der jüdischen Sachkultur auf dem Land nicht nur von der Ermittlung noch existierender Gegenstände und Neufunden ausgehen, sondern ist auch auf die Rekonstruktion des ursprünglich Vorhandenen anhand von Berichten und Bildzeugnissen über Landjudengemeinden angewiesen, die vor 1933 entstanden. Die bislang umfangreichste bekannte Bilddokumentation über jüdische Sachkultur auf dem Land entstand in den 20er Jahren aufgrund eines Beschlusses des Verbandes der Bayerisch-Israelitischen Kultusgemeinden zur Inventarisierung der Kulturdenkmäler. Von 1926 bis 1930 führte Theodor Harburger im Auftrag dieses Verbandes jährliche Photokampagnen durch und nahm die Synagogen mit ihren Ausstattungen, Friedhöfe und Ritualgegenstände in Privatbesitz in Franken, Schwaben und in einzelnen Orten der bayerischen Pfalz auf. Vor allem diese Sammlung zusammen mit Dokumenten und dem Bestand an heute noch erhaltenen Objekten ermöglichen es, die Kultur des Landjudentums in Franken und Schwaben vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Emanzipation wieder zu entdecken und in ihren regionalen Eigenheiten zu begreifen. Damit kann die Objektforschung vor allem einen Beitrag zur Geschichte des Landjudentums im 17. und 18. Jahrhundert leisten, d.h. für einen Zeitraum, der in den historischen Untersuchungen bislang eher nebenher abgehandelt wird, während die Entwicklung von der Emanzipation bis zur Schoa sowie die Frühe Neuzeit weit besser untersucht sind.3 In diesem Kontext muß die für das 19. Jahrhundert übliche Perspektive überprüft werden, die die jüdische Bevölkerung als städtisches und damit fortschrittsorientiertes Element auf dem Dorf betrachtet.4 Die ständisch gegliederte Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts mit den Repräsentanten von Adel und Kirche an der Spitze, gefolgt von den Bürgern in den Städten und Bauern auf dem Land, wies den jüdischen Gemeinden in den Dörfern und Landstädten eine soziale und kulturelle Außenseiterrolle zu. Obwohl Juden außerhalb dieser ständisch gegliederten Gesellschaft lebten, hatten sie jedoch durch ihre spezifische Berufstätigkeit als Händler und Kreditvermittler zu allen Bevölkerungsschichten Kontakt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Eine dünne jüdische Oberschicht, wie z.B. die 3
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Zur Sachkultur des 19. Jahrhunderts in Franken vgl. Christoph Daxlmüller (Anm. 2) und Eva Groiss-Lau (Anm. 2); zur Sachkultur der Frühneuzeit vgl. die Aufsätze von Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 80-109; Stefan Rohrbacher: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot (Anm. 2) S. 35-41. Vgl. z.B. Utz Jeggle: Judendörfer in Württemberg. Tübingen 1969; Monika Richarz: Landjuden - ein bürgerliches Element auf dem Dorf? In: Idylle oder Aufbruch. Hg. von Wolfgang Jacobeit, Josef Mooser und Bo Sträth. Berlin 1990. S. 181-190.
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Hofjuden, hatte Zugang zu Adel und Klerus, die eine auf Stabilität und Status ausgerichtete kulturelle Repräsentation betrieben, wobei die visuellen Künste in all ihren Erscheinungsformen in Anspruch genommen wurden. Das Bürgertum in den Städten schloß seine Arbeitswelt streng gegen Juden ab, so daß soziale Kontakte auf den Handel beschränkt blieben, zudem spielte es im kulturellen Austausch noch keine so gewichtige Rolle wie im 19. Jahrhundert. Die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung auf dem Land ist vor allem mit der bäuerlichen Kultur in Berührung gekommen, die sich sehr langsam und zäh nach adaptierten Mustern und Bildvorlagen entwickelte, in denen Elemente vom späten 16. Jahrhundert bis zum Rokoko nebeneinander herliefen. Es stellt sich die Frage, welche kulturellen Einflüsse das Leben der jüdischen Landgemeinden bestimmten, ob ihre Kultur wirklich nur 'vom Dorf war, wenn sie sich auch auf dem Dorf entwickelte.
Kultur und Bildung auf dem Land Frühe Hinweise auf eine eigenständige Landjudenkultur vermitteln die Schriften von christlichen Theologen und Orientalisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Bei ihren umfangreichen Recherchen zum jüdischen Leben haben einige von ihnen über Landgemeinden wie Fürth, Baiersdorf und Schnaittach berichtet.5 Ihre Schriften offenbaren eine Welt, die nicht nur von Armut und Unkenntnis geprägt gewesen sein kann. Die Eigenständigkeit einer jüdischen Kultur auf dem Land zeigte sich zuerst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, als sich die Lage der jüdischen wie der christlichen Gemeinden zu konsolidieren begann. Sie wird unter anderem im Phänomen der Druckorte auf dem Dorf faßbar: Im Jahr 1669 hatte Sulzbach, gefolgt von Wilhermsdorf 1670 und Fürth 1691 die Produktion hebräischer Bücher aufgenommen. Im 18. Jahrhundert wurden sie zu wichtigen Druckorten, die nicht nur Stadtgemeinden bis nach Polen und Rußland, sondern vor allem das Landjudentum von Basel bis Böhmen mit Literatur und Sachbüchern versorgten.6 Die 5
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Z.B. Johann Christoph Wagenseil, der Erkundigungen über jüdische Sitten und Gebräuche einzog, indem er mit dem Landesrabbiner von Schnaittach korrespondierte. Diesen Hinweis verdankt die Verfasserin Dr. h.c. Herman Süß, Erlangen. Paul Christian Kirchner und Sebastian Jakob Jungendres berufen sich in ihrer Publikation 'Jüdisches Ceremoniell' ausdrücklich auf eigene Beobachtungen in der Synagoge in Fürth, wobei Kirchner vor seiner Konversion diese Riten selbst ausgeführt hatte. Vgl. dazu Mappot (Anm. 2) Kat.Nr. 49 (Fritz Armbruster). Ebenso beruhen Johann Cristoph Georg Bodenschatz' Darstellungen im 'Aufrichtig Teutsch redender Hebräer' von 1756 auf eigenen Beobachtungen in der Gemeinde Baiersdorf. Vgl. dazu C. Daxlmüller (Anm. 2) S. 14-16. Vgl. dazu auch Menahem Schmelzer: Hebrew Printing and Publishing in Germany 16501750. In: Leo Baeck Institute Yearbook 33. 1988. S. 369-383 und den Beitrag von Hans-Jörg Künast in diesem Band.
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Vielfalt des Gedruckten bestätigen die umfangreichen Genisafünde aus fränkischen und schwäbischen Landsynagogen, die neben religiösen Schriften sowie Gebets- und Erbauungsbüchern für Männer und Frauen auch regionale Kalender mit lokalen und überregionalen Marktdaten und sogar Flugschriften zu internationalen Ereignissen, wie z.B. einen Bericht über die Hinrichtung von Marie Antoinette und Amulette zutage förderten.7 Die zahlreichen Neudrucke religiöser Werke 'auf dem Lande', darunter auch des Talmud, dokumentierten, daß nach dem Ende der großen rabbinischen Gelehrsamkeit des Mittelalters, die sich vor allem in den Städten entwickelt hatte, die Tradition des Lernens und Lehrens auch im Landjudentum weiter hochgehalten wurde. Es war gerade diese Achtung der religiösen Traditionen, um deretwillen sich jede Landgemeinde bemühte, eine Synagoge, eine Mikwe und Schulräume einzurichten, in der auf Gemeindekosten mindestens der Vorsänger amtierte, der in der Regel auch zugleich Schullehrer und Synagogendiener war. Sofern man es bezahlen konnte, hatte man auch einen Rabbiner sowie je nach Bedarf einen Schreiber für rituelle Texte wie Mesusa und Teffillin, die Einträge in den Memorbüchern und die Inschriften auf den Wimpeln. Im 18. Jahrhundert wurde eine solche Aufgabe häufig von wandernden jüdischen Scholaren wahrgenommen, die in den großen Gelehrtenzentren Osteuropas oder auch in den alten Stadtgemeinden West- und Mitteleuropas ausgebildet worden waren, aber z.B. auch aus Schnaittach stammen konnten.8 Die Basis jüdischer Bildung war das Studium der Thora und ihrer Gesetze, sowie das Leinen des religiösen Schrifttums, insbesondere des Talmud. Diese Ausbildung, die Jahre in Anspruch nahm und das ganze Leben begleiten konnte, garantierte ein starkes jüdisches Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Gemeinschaftsidentität, die für die Existenz in einer von tradierten Vorurteilen und religiösem Antagonismus geprägten Umwelt lebensnotwendig waren. Die Vermittlung von Bildung war deshalb nicht ausschließlich auf jüdische Stadtgemeinden konzentriert oder auf dem Land nur den Wohlhabenden vorbehalten, sondern wurde als vitales Anliegen auch in den Landgemeinden betrieben, wie es die Bruderschaften für Talmud und Thora, die im 18. Jahrhundert in Orten wie Höchberg
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F. Wiesemann: Genisa (Anm. 2). Die Verfasserin dankt Mrs. E. Friedlander, London, für den Hinweis auf das Flugblatt aus der Genisa von Memmelsdorf in Unterfranken, das auf judendeutsch über die Hinrichtung Marie Antoinettes berichtet. Z.B. war das Memorbuch von Fischach 1738 von einem Zvi Hirsch ben Bezalel aus Lemberg vollendet worden, das Ichenhausener Memorbuch wurde von einem Sofer David ben Tevele aus Budweis ergänzt und das Memorbuch von Krieghaber stammte von dem Sofer Moses aus Schnaittach. Vgl. dazu die Angaben der Photosammlung Harburger in den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, zu Photo Nr. 66/67; zur Bildungsgeschichte der Juden in Schwaben vor Moses Mendelssohn vgl.: Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben (Anm. 2) S. 45-62.
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und Harburg belegt sind, eindrücklich dokumentieren.9 Ebenso bezeichnend ist es, daß die frühesten Zeugnisse über kulturelle Aktivitäten der jüdischen Gemeinde in Ichenhausen vom hebräischen Buchdruck berichten.10
Die Rolle des Minhag auf dem Land Seit Ende des Mittelalters galt das Bemühen jedoch nicht so sehr der Weiterentwicklung talmudischer Gelehrsamkeit als der Wahrung der religiösen Verfassung der jüdischen Gemeinden. Damit wurde die rabbinische Responsaliteratur und die Ausdeutung und Weitergabe des Minhag, des Ritus, der z.T. zahlreiche lokale Varianten ausbildete, wesentlich für den inneren Zusammenhalt einer Gemeinde. Die Landes- und Distriktsrabbiner waren für Adaptierung der Gesetze und des Ritus zuständig, und ihnen kam das Verdienst zu, daß sich gerade im Landjudentum das Bewußtsein für die Bewahrung der Orthopraxie und des Minhag sehr stark ausprägte." Mit der Ausbildung des lokalen Minhag entwickelte sich offenbar auch das Bewußtsein einer eigenen lokalen Geschichtstradition, denn es gab nach dem Vorbild des Mainzer Memorbuches im 17. und 18. Jahrhundert nahezu in jeder süddeutschen Gemeinde ein solches Buch, das neben den verbindlichen Martyrologien auch die lokalen Ereignisse und den Gebetsritus festhielt.12 Schrift und Sprache der immer handschriftlich verfaßten Memorbücher waren altertümlich gehalten und vermittelten so das Bewußtsein, daß Lokalgeschichte in die jüdische Geschichte zurück bis in die biblischen Zeiten eingebunden war. Die wachsende Bedeutung des Minhag für die religiöse Identität einer Gemeinde führte vor allem aber zur Aufwertung des Kultgerätes, da es den sichtbaren Ausweis des Ritus darstellte. Anders als die Synagogenbauten, die in ihrem Äußeren oft den restriktiven Vorgaben der christlichen Ortsautoritäten folgen mußten, konnte synagogales Kultgerät sehr aufwendig gestaltet sein, so daß der Thoraschmuck und synagogale Textilien zum wichtigen Träger des lokalen Selbstverständnisses wurden. Deshalb waren Ausstattungsgegenstände für die Synagoge nicht nur mit umfangreichen Stifterinschriften versehen, sondern die 9
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Diese Lerngemeinschaften sind als Stifter von Thoravorhängen bekannt; vgl. A. Weber: Synagogenausstattungen (Anm. 2) S. 194. Silvester Lechner: Juden auf dem Lande - die Geschichte der Ichenhausener Juden. In: Juden auf dem Lande. Beispiel Ichenhausen. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. München 1991. S. 18-39, hier S. 20. Mordechai Breuer: Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918. Frankfurt am Main 1986. S. 48f. Magnus Weinberg: Das Memorbuch. In: Bayerisch Israelitische Gemeindezeitung. Nr. 5. 1926. S. 112f. Während seiner Photokampagne nahm Theodor Harburger auf Anregung von Magnus Weinberg die Memorbücher aus den burgauischen Gemeinden Ichenhausen, Fischach, Kriegshaber und Buttenwiesen auf.
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Stiftungen wurden als lokale Ereignisse auch in den Memorbüchern verzeichnet.13 Die Regionalisierung des Ritus und seine ungebrochene Fortentwicklung seit dem Dreißigjährigen Krieg schlug sich in einer typologischen Vielfalt des Kultgerätes nieder, so daß die Eigenständigkeit der süddeutschen Landjudenkultur im Kultgerät am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Für das 18. Jahrhundert lassen sich aus den vorhandenen Dokumenten und überlieferten Objekten ungewöhnlich reich ausgestattete Landessynagogen in Süddeutschland erschließen. Insgesamt dürfte etwa die Hälfte der bislang bekannten deutschen Judaica aus den Landjudengemeinden in Franken, Schwaben und Württemberg stammen. Die zahlreich vertretenen Silberobjekte aus Augsburg und Nürnberg und die überlieferten goldgestickten Vorhänge für den Thoraschrein belegen, mit welch kostbaren Objekten der Ritus in der Synagoge vollzogen wurde. Das Kultgerät war nicht nur durch die verwendeten Materialien wie Gold, Silber, Seide und Steinbesatz wertvoll, sondern zeichnete sich ebenso durch eine ausgefeilte Ikonographie und ein hochentwickeltes Stilgefühl aus. Dieser Aufwand und Sinn für Ästhetik widersprechen der angeblich alles dominierenden Armut und vorherrschenden Unbildung in jüdischen Landgemeinden.
Die Ausstattungen burgauischer Landsynagogen Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf einige Synagogenausstattungen im Burgau und Augsburgs Rolle für die Entwicklung von jüdischem Kultgerät. Der Aufsatz versucht für ausgewählte Gemeinden spezifische Ausstattungsprofile zu erstellen und durch Analyse der Stifterinschriften die soziale Position und die Intentionen der Auftraggeber zu ermitteln. Danach soll die ikonographische und typologische Entwicklung Augsburger Thoraschilder untersucht werden, um durch den typologischen Vergleich von dokumentierten und erhaltenen Exemplaren Aufschluß über die Auftragsumstände zu gewinnen. Aus folgenden Orten der Grafschaft Burgau haben sich Synagogenbauten und ausstattungen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert entweder erhalten oder sind von Theodor Harburger dokumentiert worden: Buttenwiesen, Steppach, Pfersee, Kriegshaber, Fellheim, Fischach, Ichenhausen und Hürben/Krumbach. Davon sind die Synagogen in Buttenwiesen, Fellheim, Ichenhausen, Fischach und Kriegshaber als Gebäude erhalten.14 Aus diesen Synagogen hat sich einzelnes Kultgerät verstreut auf verschiedene Sammlungen in der ganzen Welt erhalten, das durch die 13
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So wurde z.B. für die Gemeinde Höchberg bei Würzburg die Stiftung der Bema und eines Besamimturmes verzeichnet; vgl. Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern. Frankfurt am Main 1937. S. 65f. Vgl. I. Schwierz (Anm. 2) S. 228f.
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Photos aus der Sammlung Harburger identifiziert werden kann. Darüber hinaus wurden in Ichenhausen 1992 und 1994 Genisafunde mit weiteren Kulturgütern wie Thorawimpeln, Büchern etc. gemacht. Damit läßt sich für einige jüdische Landgemeinden des Burgau ein genaueres Bild einer Sachkultur entwerfen als für viele andere Landjudengemeinden Deutschlands.
Das Beispiel Ichenhausen Die Landstadt Ichenhausen südwestlich von Ulm besitzt in ihrer Ortsmitte die prächtige, 1781 vermutlich von Joseph Dossenberger errichtete und 1987 restaurierte Synagoge im Stil des ausgehenden Rokoko bzw. frühen Klassizismus.15 Ihre herrlichen Deckenstukkaturen sowie die hohen Fenster mit den geschwungenen Profilen demonstrieren das Selbstbewußtsein dieser jüdischen Gemeinde als ein Zentrum des süddeutschen Landjudentums im ausgehenden 18. Jahrhundert. Diese Synagoge hatte einen 1687 errichteten Vorgängerbau, dessen Architektur nicht überliefert ist. Aus der alten Synagoge hat sich ein aufwendig gearbeitetes Thoraschild aus Augsburg von ca. 1730 erhalten, das sich heute im jüdischen Kulturmuseum Augsburg befindet.16 Zu ihrer Ausstattung müssen auch die 89 bestickten und bemalten Wimpel und ein Thoraschild aus Eisen- und Messingblech gehört haben, die alle in der Genisa der 1781 neu errichteten Synagoge gefunden wurden.17 Außerdem sind zwei Thoravorhänge von 1728 und von 1730/37 überliefert.18 Vermutlich wurden der neu errichteten Synagoge der Ichenhausener Gemeinde von 1781 ein Paar Thoraaufsätze des Augsburger Meisters Samuel Bardet gestiftet, von dem sich ein Aufsatz im Jüdischen Museum in Augsburg erhalten hat (Abb. 10).19 Im Jahr 1817 stiftete die Ichenhausener Bruderschaft für die Ausstattung armer Bräute (Hachnasat Kalla) ein Thoraschild des Augsburger Meisters 15 16
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S. Lechner (Anm. 10) S. 28-31. Das Schild ist als Zeichnung mit Angabe der Provenienz abgebildet in: Heinrich Frauberger: Über alte Kultusgegenstände in Synagoge und Haus. Düsseldorf 1903. Repr. Jerusalem 1970. S. 29. Abb. 25. Das Schild befindet sich heute im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg (Inv. Nr. IKG 12); vgl. Abb. in: B.M. Ansbacher: Zeugnisse jüdischer Geschichte und Kultur. Augsburg 1985. S. 75. Fritz Armbruster: Geschichte der Wimpelfunde von Ichenhausen. In: Mappot (Anm. 2) S. 18-21.
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Central Archives for the History of the Jewish People. Photosammlung Theodor Harburger (im folgenden als CAHJP. Harburger abgekürzt). Nr. 26 (Vorhang von 1728); Theodor Harburger: Klei Kodesch und Parochot in bayerischem Synagogenbesitz. In: BayerischIsraelitische Gemeindezeitung Nr. 8. 1929. S. 121 (Vorhang von 1730/37). Vgl. H. Frauberger (Anm. 16) S. 25 Fig. 19; CAHJP. Harburger. Nr. 266; B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 33 (mit falscher Katalognr. und falscher Beschreibung).
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Johann Alois Seethaler.20 1819 wurde die Synagoge im Zuge der Liturgiereform erneuert, wobei das Lesepult nun vor die Heilige Lade gesetzt wurde und wohl aus diesem Anlaß stiftete Reb Hirsch Ben Simon 1819 zugunsten der Chewra Kaddischa einen gestickten Thoravorhang. Wenig später, 1834, wurde das 1713 begonnene Memorbuch der Gemeinde von David, Sohn des Sofer Tewele aus Budweis, erneuert. Zur Renovierung im frühen 20. Jahrhundert im Stil des zweiten Rokoko erhielt die Synagoge erneut ein Thoraschild von der Chewra Kaddischa.21 Die jüdische Gemeinde Ichenhausen entstand jedoch schon 150 Jahre vor der Nachricht über den ersten Synagogenbau in der Zeit nach der sukzessiven Vertreibung der Juden aus den Städten in der Frühen Neuzeit. Aus der Entstehungszeit der Gemeinde hat sich aus Ichenhausen eine vereinzelte Nachricht zu kulturellen Aktivitäten erhalten. In den Jahren 1543 bis 1545 wurden dort ein hebräischer Pentateuch mit Megillot und Haftarot sowie einige Gebetbücher gedruckt.22 Der Druck von Gebetbüchern bedeutete eine wesentliche geistige Grundlage für eine sich konstituierende jüdische Gemeinschaft nach der Vertreibung aus den Städten, jedoch war der Druckerei des Ortes keine kontinuierliche Entwicklung beschieden; es war wohl eher eine Einzelaktion eines vor dem religiösen und politischen Druck aus Augsburg ausweichenden Buchdruckers.23 Damit läßt sich eine kontinuierliche kulturelle Entwicklung auch in Ichenhausen erst ab der Phase der allgemeinen Konsolidierung nach dem Dreißigjährigen Krieg nachweisen. Die Geschichte der Ichenhausener Synagogenbauten und ihrer Ausstattungen kann als Paradigma für die Entwicklungsschübe der Landjudenkultur ab 1648 dienen. Der kulturelle Aufschwung der Gemeinde kommt in den aufwendig gestickten Wimpeln ab der Mitte des 17. Jahrhunderts und im ersten Synagogenbau 1687 in Ichenhausen sinnfällig zum Ausdruck, der in die erste 'Synagogenbauwelle' im letzten Viertel des 17. Jahrhundert fällt. Die Glanzzeit nicht nur der Ichenhausener Synagogenausstattung ist das erste Drittel des 18. Jahrhunderts. In dieser Periode werden einigen süddeutschen Synagogen aufwendig gearbeitetes Thorasilber und prächtig bestickte Wimpel, vor allem aber goldgestickte Thoravorhänge im Stil des Rokoko gestiftet. In den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts kommt es zu einer weiteren Bau- und Ausstattungswelle für Landsynagogen, die im Ichenhausener Synagogenneubau von 1781 gipfelt. Diese zweite Bauwelle setzt sich im Burgau und im Ries bis in das frühe 19. Jahrhundert 20
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Mappot (Anm. 2) Kat.Nr. 71; heute im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg; der Verfertiger war vermutlich nicht mehr Johann Anton Seethaler, der bereits 1811 starb, sondern der o.g. Werkstatt-Nachfolger, der die Werkstatt bis 1835 weiterführte, vgl. Helmut Seling: Augsburger Goldschmiede. München 1980. Bd. 3. Nr. 2637. Zu den Objekten vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 25-31. S. Lechner (Anm. 10) S. 58. Dafür spricht auch, daß es zwar in diesen Jahren Juden in Ichenhausen gab, aber eine kontinuierliche Siedlung nicht nachgewiesen werden kann. Vgl. dazu Stefan Rohrbacher: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot (Anm. 2) S. 38f. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Hans-Jörg Künast in diesem Band.
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fort. Gleichzeitig beginnt, bedingt durch die Liturgiereform, der Umbau der Innenräume. Die Lesepulte werden aus der Raummitte vor die heilige Lade nach Osten verschoben und erhalten manchmal den Charakter einer Predigtkanzel. In vielen Orten wird ab der Mitte des 19. Jahrhunderts noch einmal ein Synagogenneubau erstellt und um die Jahrhundertwende wird eine letzte Renovierung im Nachklang an die Glanzzeit des 18. Jahrhunderts vorgenommen, als sollte die äußere Erneuerung den drohenden Zerfall und die Auflösung der Landgemeinden aufhalten.
Ausstattungslisten weiterer burgauischer Synagogen Im folgenden soll anhand des noch Vorhandenen und der Aufnahmen von Theodor Harburger ein Überblick über den einstigen Reichtum an Kultgerät in den wichtigsten burgauischen Gemeinden präsentiert werden: In der Gemeinde von Hürben/Krumbach wird 1819 die Synagoge nach dem Vorbild von Ichenhausen grundlegend erneuert; der prachtvolle Bau von Nepomuk Salzgeber24 wird 1938 geplündert und 1940 abgerissen. Von einer älteren Synagoge, die an demselben Platz stand, ist nur das Baudatum von 1675 bekannt, aber für das 18. Jahrhundert ist für diese Synagoge eine prächtige Ausstattung überliefert. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhielt sie zwei silberne Augsburger Thoraschilder und zwei schwere, goldgestickte Thoravorhänge mit Überwurf sowie einem zugehörigen Mantel gestiftet. Vielleicht gehörte auch der schlichte hölzerne Ahron Hakodesch zur Ausstattung der alten Synagoge, den Theodor Harburger offensichtlich auf dem Dachboden der neuen Synagoge photographierte. Eines der letzten, noch der alten Synagoge gestifteten Objekte, scheint das 1808 geschaffene Thoraschild von Joseph Anton Seethaler aus Augsburg gewesen zu sein, das sich heute im Jewish Museum New York befindet.25 Dagegen entstand die Hürbener Mikwe im ägyptischen Stil wohl gleichzeitig mit dem 1819 vollendeten Neubau der Synagoge.26 Mindestens ebenso aufwendig wie die Ausstattung in Hürben/Krumbach war die Ausstattung der Synagoge von Kriegshaber bei Augsburg. Eine Synagoge wird in Kriegshaber erstmals 1570 erwähnt. Der heute noch erhaltene, bescheidene Synagogenbau geht vielleicht in seinen Fundamenten noch auf das Ende des 17. Jahrhunderts zurück, wurde aber 1850 völlig neu errichtet, wobei die Fenster die in vielen Synagogen anzutreffende orientalisierende Hufeisenform erhielten. Die kostbare Ausstattung der Synagoge des 18. Jahrhunderts umfaßte drei glanzvolle, goldgestickte Thoravorhänge mit Überwurf (wovon einer ursprünglich aus dem 24
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Bemd Vollmar: Die baugeschichtliche Bedeutung der Synagogen. In: Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben (Anm. 2) S. 63-71, hier S. 65f. Crowning Glory: Silver Torah Ornaments from the Jewish Museum New York. Ed. by Rafi Grafman, Vivian B. Mann. Boston 1996. Cat.No. 55. S. 102, Abb. 33. Zu Krumbach vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 267-276, 841-844.
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benachbarten Steppach gestiftet wurde), einen zugehörigen Mantel, eine silberne Schabbathängelampe aus Augsburg und ein Augsburger Thoraschild, das zu den schönsten Judaica des 18. Jahrhunderts gehörte. Aus der gleichen Gemeinde stammte ein handgeschriebenes Gebet von 1748 und das Memorbuch von 1809.27 Fischachs Synagoge von 1739, die sich von außen als stattliches Fachwerkhaus präsentierte, hatte einen Thoravorhang von 1715, der von Josele ben Menachem s.A. und seiner Frau Vögele, Tochter des Ruwen Segal aus Kriegshaber, gestiftet worden war und dessen gestickte Teile wohl im 19. Jahrhundert neu montiert worden sind.28 Dazu kamen drei silberne Thoraschilder und ein Paar Thoraaufsätze aus Augsburg sowie ein Thoraschild aus Oettingen, eine Levitengarnitur aus Zinn und das handschriftlich verfaßte, illuminierte Memorbuch von 1738.29 Die Gemeinde Buttenwiesen besaß eine 1630 errichtete Synagoge, die 1856/57 durch einen Neubau ersetzt wurde. Zur Ausstattung gehörten ein handschriftlich verfaßtes Memorbuch von 1716, zwei Thoraschilder, eines aus Silber, eines aus unedlem Metall und zwei Paar Thoraaufsätze aus dem frühen 19. Jahrhundert.30 Die Verteilung der aus dem 18. Jahrhundert überlieferten Synagogenausstattungen und die Anzahl der gestifteten Objekte lassen einige Rückschlüsse auf die soziale Situation der Gemeinden zu. Offensichtlich saßen die bedeutenden Gemeinden mit wohlhabenden Mitgliedern, die Kontakte zum Hof und über weitreichende Handelsverbindungen verfugten, entweder in den Orten vor Augsburg wie z.B. Kriegshaber, oder in den alten Zentren des Burgau wie Ichenhausen, Hürben/Krumbach und Fischach. Daneben gab es Landgemeinden wie Fellheim und Schlipsheim, aus deren Synagogen überhaupt keine Ausstattung oder erst aus dem fortgeschrittenen 19. Jahrhundert überliefert ist. Das deutet auf Armut und Not, was auch durch die z.B. aus Schlipsheim überlieferten sogenannten Judenhäuser bestätigt wird, in denen zahlreiche Betteljuden zusammengepfercht hausen mußten.31 Aber auch in wohlhabenden Gemeinden wie z.B. Ichenhausen gab es große Unterschiede zwischen arm und reich, was in den einfachen Schildern aus Eisen und Messing, die neben den Exemplaren aus Edelmetall stehen, deutlich wird. Eine Besonderheit stellen die Orte Steppach und Pfersee nahe bei Augsburg dar, deren Synagogen und Ausstattungen nicht bekannt sind. Für die Gemeinde Pfersee ist erst aus dem 19. Jahrhundert ein Thoraschild nachweisbar (vgl. Anm. 88), aber der Ort war bereits im 18. Jahrhundert Wohnsitz einer so bedeutenden und vermögenden Holjudenfamilie wie der Ulmo und zugleich Sitz des burgauischen Landrabbinates. Es scheint, als ob die Synagoge von Kriegshaber als religiöses 27 28 29 30 31
Die Objekte aus Kriegshaber vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 100-105, 129. CAHJP. Harburger. Nr. 51. Zu Fischach vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 45-48, 51-55, 66-67, 109, 110. Die Objekte aus Buttenwiesen: CAHJP. Harburger. Nr. 40-44, 70-71. Gerhard Hetzer: Anmerkungen zur Geschichte der Judensiedlungen in Steppach und Schlipsheim. In: Neusäß. Die Geschichte von acht Dörfern auf dem langen Weg zu einer Stadt. Hg. von Manfred Nozar, Walter Plötzl. Neusäß 1988. S. 239-259, hier S. 243.
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Zentrum auch für die beiden nahegelegenen Gemeinden von Pfersee und Steppach gedient hätte, was die besonders prunkvolle Ausstattung von Kriegshaber erklären würde.
Thoravorhänge und ihre Stifter im Burgau Die Durchsicht der Bilddokumente ergibt, daß die aufwendig mit Gold und Silber ausgestickten Thoravorhänge den Höhepunkt jeder Synagogenausstattung darstellten. Ihre Ikonographie ist den Titelblättern hebräischer Buchdrucke nachgebildet und weist seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert immer das gleiche Schema auf: zwei tordierte, von Weinlaub umwundene Säulen flankieren einen durch Stikkerei oder Andersfarbigkeit abgesetzten Spiegel. Über den Säulen halten zwei steigende Löwen die Krone der Thora. Zusätzlich können auf den Säulen Blumenvasen stehen. Der Vorhang wird in der Regel durch den 'Kapporet' genannten Überwurf ergänzt, auf dessen fünf oder sieben Lambrequins Tempelgeräte in Stikkerei dargestellt sind, sowie drei Kronen in Anlehnung an die Sprüche der Väter (IV, 17), die am Schabbatnachmittag in der Synagoge vorgetragen werden. Wie Bracha Yaniv gezeigt hat,32 verweisen die beiden tordierten Säulen der Vorhänge auf zwei Säulen des Salomonischen Tempels, genannt Jachin und Boas, und sie stellen zugleich eine Art Tor dar, das auf das Tor des Psalms 118.19-20 anspielt, durch das am Tag des Gerichts die Gerechten eintreten werden. Die einzelne Krone auf dem Vorhang versinnbildlicht die Würde der Thora, die sie tragenden doppelschwänzigen Löwen sind sowohl Sinnbilder des Stammes Juda, als auch der Cherubim, die im Tempel über der Bundeslade wachten. Auch dem zwischen die Säulen gespannten Spiegel kommt eine Bedeutung zu: er verweist auf den Vorhang, der im Tempel das Allerheiligste mit der Bundeslade verdeckte und von seinem Vorraum abtrennte, in dem die übrigen Geräte standen. Trotz der reichen Symbolik berücksichtigt der Thoravorhang sehr wohl das talmudische Verbot der Nachbildung des Tempelgerätes, indem er z.B. den Vorhang vor dem Allerheiligsten nicht nach biblischen Angaben rekonstruiert, sondern diesen lediglich als gesondert gestickten Spiegel darstellt. Die auf dem Überwurf dargestellten Tempelgeräte (siebenarmiger Leuchter, Schaubrottisch, Räucheraltar, Gesetzestafeln, ehernes Meer etc.) verweisen auf den Opfergottesdienst des Tempels, der in der Schabbatliturgie im Musafgebet symbolisch nachvollzogen wird. Das Bildkonzept des Thoravorhangs ist somit eine Metapher für den Tempelgottesdienst und in dieser Eigenschaft verweist der Vorhang voraus auf das messianische Zeitalter, da bei der Ankunft des Messias der Tempel wiedererrichtet und sein Gottesdienst 32
Bracha Yaniv: The Origin of the Two Column Motif in European Parochot. In: Journal of Jewish Art 15. 1989. S. 26-43.
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wiederaufgenommen werden wird. Als Träger dieser Zukunftshoffnung ist der Thoravorhang mit seinem Überwurf das wichtigste Ausstattungsstück der Synagoge nach der Thorarolle. Die kostbar gearbeiteten, gestickten Vorhänge sind das Werk professioneller, ausschließlich jüdischer Goldsticker. Die aufwendigsten Exemplare stammen aus der Werkstatt des Kantors Elkone Naumburg aus Fürth, der während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts tätig war. Fritz Landsberger hat in seinem Aufsatz über antike und alte Thoravorhänge die Bedeutung der Stickerwerkstatt Elkone Naumburgs aufgezeigt, der er insgesamt fünf Vorhänge und einen Mantel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuweist.33 Zwei Thoravorhänge sind aus der Synagoge Hildesheim und aus der Hambro-Synagoge in London überliefert, davon hat sich ein Fragment im Jewish Museum in London erhalten.34 Ein weiterer Vorhang von Elkone Naumburg wurde von der Hofjudenfamilie der Gumpert der Alten Schul' in Fürth gestiftet, nachdem ihn die Amsterdamer Gemeinde, die ihn ursprünglich bestellt hatte, als zu teuer zurückgewiesen hatte.35 Zwei Vorhänge und ein Mantel des gleichen Meisters sind allein aus der Synagoge von Kriegshaber überliefert, ein dritter steht seinem Werk stilistisch nahe.36 Einer der Vorhänge aus Kriegshaber, den Elkone Naumburg aus Fürth selbst als sein Werk bezeichnet hat und der zu den prachtvollsten, erhaltenen Thoravorhängen überhaupt gehört, befindet sich heute in der Moldovan-Family Collection New York (Abb. II). 37 Gestiftet wurde er 1723/24 vom bayerischen und bischöflich-augsburgischen Hof33
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Fritz Landsberger: Old Time Torah Curtains. In: Bcauty in Holiness. Hg. von Joseph Gutmann. New York 1972. S. 146-163. Thoravorhang aus der Synagoge Hildesheim, gestiftet 1714 von Joseph Oppenheim, dem Schwiegersohn des kaiserlichen Hoffaktoren Samson Wertheimer; vgl. F. Landsberger (Anm. 33) S. 154: Ein Photo des Innenraums der Synagoge vor 1938 aus dem Stadtmuseum Hildesheim zeigt außerdem eine dem Vorhang stilistisch zugehörige, gleichfalls sehr aufwendig gestickte Pultdecke, die wohl mitgestiftet wurde. Die Verfasserin dankt den Mitarbeitern des Stadtmuseums Hildesheim, dieses Photo zur Verfugung gestellt zu haben. Thoravorhang aus der London-Hambro Synagoge; vgl. Abb. 8. bei F. Landsberger (Anm. 33); Richard D. Barnett: Catalogue of the Jewish Museum London. London 1974. Cat.No. 34 und 35 (beide Teile gehören nach Stil und Stickmaterial zu ein und demselben Vorhang-Set, dessen Stickerei mit der Werkstatt Elkone Naumburgs zusammenhängt. Vorhangfragment und Überwurf stammen aus der Hambro Synagoge und wurden laut Inschrift vom Rabbi und Gemeindevorsteher Zeev Wolf ben Isaac Margolioth aus Bunzlau und seiner Frau Gittele, Tochter des Epraim aus Rosenberg 1726 gestiftet. Diese Teile sind jedoch nicht mit dem bei Landsberger abgebildeten als aus der Hambro Synagoge stammenden Thoravorhang identisch, so daß es sich hier um ein weiteres Stück aus der Werkstatt Elkone Naumburgs handeln muß. Die Verfasserin arbeitet derzeit an einer Zusammenstellung der erhaltenen und überlieferten Synagogentextilien aus Böhmen und Süddeutschland und ihrer ikonographischen Entwicklung. F. Landsberger (Anm. 33) S. 154f. CAHJP. Harburger. Nr. 103-105; F. Landsberger (Anm. 33) S. 149, S. 136, Abb. 7. Ich danke Alfred Moldovan für die Freundlichkeit, daß ich diesen überaus prachtvoll gestickten Vorhang selbst in Augenschein nehmen konnte. Abb. bei Bracha Yaniv (Anm. 32) S. 26; bereits erwähnt bei T. Harburger: Klei Kodesch (Anm. 18) S. 121.
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agenten Judah Leib, Sohn des Landesvorgehers Simon Ulmo aus Pfersee zusammen mit seiner Frau Gnendl, Tochter des berühmten Halberstädter Hofjuden und Landesvorgehers Berend Lehman.38 Außerdem gehörte zu diesem Vorhang ein Überwurf mit dem Tempelgerät und ein im gleichen Jahr gestifteter Thoramantel, die jedoch seit 1938 verschollen sind.39 Die Photosammlung Harburgers weist den zweiten Vorhang aus Kriegshaber als zuvor in der Gemeinde Steppach aus. Er wurde von Abraham, Sohn des Beamten und Gemeindevorstehers (Parnas) Elia Ansbach, zusammen mit seiner Frau Pesle, Tochter des Jehuda Leib, 1731 gestiftet.40 Stilistisch und ikonographisch ist dieser Vorhang das genaue Gegenstück zu dem von Judah Leib ben Simon Ulmo sieben Jahre zuvor gestifteten Vorhang. Darüber hinaus fuhrt Harburger noch einen weiteren, nach dem Schema Elkone Naumburgs gearbeiteten Vorhang aus Kriegshaber auf, der vermutlich von Feisl, Sohn des Parnas Jakob Hechingen und seiner Frau Blümele, Tochter des Parnas Anschel Segal, 1751 erneuert wurde, nachdem der Vorhang zunächst dem Andenken des Menachem (Maschew) 1740 gewidmet worden war.41 Ein Nachkomme dieser Familie stiftete 1809 das Memorbuch der Gemeinde Kriegshaber, das durch den Sofer Moses Schnaittach aus Fürth verfaßt wurde.42 Vermutlich aus derselben Familie stammt der letzte (Dettingen-Wallersteinsche Hoffaktor Jakob Lippmann Hechinger, dessen Grabstein auf dem Friedhof in Harburg a.d. Wörnitz stand.43 Im Schema und Stil Elkone Naumburgs sind außerdem noch ein Mantel und ein weiterer Thoravorhang gearbeitet, die sich ehemals in der Synagoge Hürben/Krumbach befanden. Der Vorhang wurde am Schabbat, dem 26. Elul 1723, erstmals gewidmet, dann 1783 von einem Henschel Henle für seinen Sohn, den Parnas Henli und dessen Frau Miriam, umgewidmet und 1819 vom Parnas Raphael zusammen mit seiner Frau Megle erneuert. Im Stil der Vorhänge Elkone Naumburgs scheint auch ein wieder zusammengesetztes Fragment aus der Synagoge Treuchtlingen mit einer Stifterinschrift von Jakew, Sohn des Mosche Joseph aus Treuchtlingen und seiner Frau Gitel, Tochter des Naphtali Hirz aus Sulzbach, von 38 39
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V.B. Mann, R. Cohen: Court Jews (Anm. 1) S. 120f. Kapporet; vgl. F. Landsberger (Anm. 33) S. 136, Abb. 7; zugehöriger Mantel; vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 103. F. Landsberger (Anm. 33) S. 153; CAHJP. Harburger. Nr. 104. Zu dieser gleichen Familie muß der Rabbiner Ascher Anschel, Sohn des Elia Ansbach aus Neuburg, gehört haben, dessen Grabstein von 1727 sich auf dem Friedhof von Pappenheim befindet; vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 320. Inwieweit es sich hier um einen Zweig der Ansbacher Hofjudenfamilie der Model handeln könnte, ist unklar. Einer der Söhne von Marx Model aus Ansbach hieß Elia und bemühte sich wegen der Auseinandersetzung mit der Familie Fränkel im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts um auswärtige Ansiedlung und Schutz; vgl. Salomon Haenle: Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstentum Ansbach. Ansbach 1867. S. 15-18. CAHJP. Harburger. Nr. 105. CAHJP. Harburger. Nr. 129 (Memorbuch Kriegshaber). CAHJP. Harburger. Nr. 5 (Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Harburg a.d.Wörnitz). Dieser Familie gehörten vermutlich auch ein Paar Thoraaufsätze aus Augsburg, vom Ende des 18. Jahrhunderts, die sich heute im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg befinden.
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1722 gearbeitet worden zu sein.44 Ein weiterer Thoravorhang mit der Signatur Elkones, der die Stifterinschrift des Gemeindebeamten Joel aus Königswart und seiner Frau Rina von 1776 trägt, befand sich einmal in der Synagoge in Bad Königswart.45 Ebenso muß der 1728 aus Anlaß einer Hochzeit gestiftete Ichenhausener Vorhang sticktechnisch und stilistisch zu der Gruppe der Vorhänge aus dem Atelier Elkone Naumburgs bzw. seines Nachfolgers Jakob Koppel Gans (s.u.) gehört haben.46 Aufgrund der Anzahl, dem sticktechnischen Aufwand und der formalen Qualität der ihm zugewiesenen Vorhänge ist der Goldsticker Elkone Naumburg einer der herausragenden jüdischen Künstler des 18. Jahrhunderts. Für den kulturellen Stand des süddeutschen Landjudentums ist es bezeichnend, daß ein solcher Künstler in Fürth arbeiten konnte und dort offenbar jahrzehntelang Aufträge erhielt, die aus ganz Europa kamen, aber ebenso auch aus den wohlhabenden Landgemeinden der angrenzenden Regionen. Wie Fritz Landsberger plausibel gezeigt hat, führte Jakob Koppel Gans aus Höchstadt die Tradition der gestickten Thoravorhänge nach dem Schema Elkone Naumburgs bis ins letzte Viertel des 18. Jahrhunderts weiter. So zeigt ein Vorhang aus Hürben exakt den Stil der Vorhänge von Elkone Naumburg, trägt jedoch die Signatur von Jakob Koppel Gans. Er wurde 1727 von Low, Sohn des Gemeindeund Landesvorstehers Abraham Eliezer aus Kriegshaber, zusammen mit seiner Frau Hendel, Tochter des Nathan Segal, gestiftet (Abb. 12).47 Fritz Landsberger weist Jakob Koppel Gans aufgrund des Berichtes Harburgers48 zwei weitere Thoravorhänge zu, einen aus Ichenhausen, der 1730 oder 1737 von Abraham, Sohn des Gemeindevorstehers Josle aus Kriegshaber und seiner Frau Blümle, Tochter des Gemeindevorstehers aus (Dettingen, gestiftet wurde sowie einen Vorhang, der 1772/73 von Jakob Kitzinger und seiner Frau Hendel, Tochter des Tewele Ulmo aus Pfersee gestiftet wurde und sich heute im New York Jewish Museum befindet.49 Bei diesem Vorhang könnte der kaiserliche Doppeladler mit zwei gegenständigen Fischen im Wappenfeld auf den burgauischen Flecken Fischach nicht weit von Ichenhausen verweisen, der zum habsburgisch-kaiserlichen Territorium gehörte und diese Fischkonstellation in seinem Wappen führte. Das gleiche Wappen kehrt außerdem auch auf einem Augsburger Thoraschild wieder, das ebenfalls
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CAHJP. Harburger. Nr. 15, 269 (Thoravorhang und Mantel aus Krumbach); Nr. 327 (Fragment aus Treuchtlingen). Fotosammlung. Nachlaß Bernhard Brilling, Archiv Jüdisches Museum Frankfurt am Main. CAHJP. Harburger. Nr. 26. CAHJP. Harburger. Nr. 16; F. Landsberger (Anm. 33) S. 156f. T. Harburger: Klei Kodesch (Anm. 18) S. 121. Treasures of the Jewish Museum. Ed. by Norman Kleeblatt, Vivian B. Mann. New York 1986. S. 102.
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aus dem Burgau stammt und sich heute im Jüdischen Kulturmuseum in Augsburg befindet.50 Jakob Koppel Gans müßte nach den auf den von ihm signierten Vorhängen vorhandenen Stifterdaten von 1727, 1730/37 und 1773/74 eine nahezu fünfzigjährige Schaffensperiode gehabt haben, was im 18. Jahrhundert nicht sehr häufig vorkam. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß Jakob Koppel Gans an den frühen Vorhängen nur Reparaturen vorgenommen und sie dann signiert hat. Häufige Reparaturen und Umwidmungen sind nahezu bei allen diesen kostbar goldgestickten und daher außerordentlich schweren Thoravorhängen die Regel. So wurde der Elkone Naumburg zugewiesene, erste Vorhang aus Krumbach von 1723 bis 1819 dreimal umgewidmet (s.o.), wobei die Stifter offensichtlich jeweils die notwendigen Reparaturen, wie z.B. den Ersatz des Spiegels bezahlten.
Die Stifter und ihre soziale Position Diese Übersicht hat gezeigt, daß die beiden herausragenden Goldsticker Elkone Naumburg und Jakob Koppel Gans für vier burgauische Landjudengemeinden mindestens 13 Thoravorhänge und -mäntel zwischen 1722 und 1773 gestickt haben. Im Vergleich zu anderen Bezirken mit jüdischen Landgemeinden wie etwa Veitshöchheim oder Höchberg im Würzburgischen Hochstift oder Harburg und Wallerstein im Ries, deren Ausstattung Harburger ebenfalls überliefert, stellt dies die höchste Zahl an goldgestickten Synagogentextilien in einer Region dar. Es gab also in den burgauischen Landgemeinden ungewöhnlich viele Familien, die der Synagoge solche kostbaren Textilien stiften konnten. Welche Summen diese Stifter für einen goldgestickten Vorhang aufbringen mußten, läßt sich am Beispiel der Fürther Hofjudenfamilie Gumpert ermessen, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für den Erwerb eines goldgestickten Vorhangs von Elkone Naumburg für die Fürther Synagoge 1.200 fl. aufwandte.51 Diese Summe entsprach dem eineinhalbfachen Betrag der Jahreskopfsteuer der gesamten Judenschaft im Würzburger Hochstift im 18. Jahrhundert.52 Man kann also davon ausgehen, daß die Herstellung dieser goldgestickten Thoravorhänge und -mäntel so außergewöhnlich hohe Summen erforderte, daß nur die reichsten Familien der Landjudenschaft als Stifter in Frage kamen. Über die soziale Position der Stifter geben Vorhanginschriften Aufschluß. So sind Titel wie 'Parnas' oder 'Parnas ve Manhig' (d.h. Gemeindevorsteher) oder 'Kazin' (Beamter) nahezu bei allen Stiftern zu finden, manchmal auch der Titel ei50 51 52
B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 37, Text dazu Kat. 2.1. Leopold Löwenstein: Zur Geschichte der Juden in Fürth. 2. Aufl. Hildesheim 1974. S. 134f. Vgl. David Wegner: Die Juden im Hochstift Würzburg. Masch. Diss. Würzburg 1932. S. 95.
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nes 'Parnas u Manhig ve Medina' (LandesVorsteher). Auffallend ist aber ebenso, daß keine rabbinischen Ehrentitel wie 'Aw Beit Din' (Vorsitzender des Gerichts) oder 'Morenu' ('Unser Lehrer') vorkommen. In vielen Fällen standen demnach der Vorhangstifter oder sein Vater als Parnas an der Spitze der Gemeindeadministration, ohne aber das Amt eines Landes- oder Distriktsrabbiners auszuüben. Im 18. Jahrhundert hatte der leitende Parnas einer jüdischen Gemeinde weitreichende Befugnisse: er stand der Gemeindeverwaltung vor und vertrat die Gemeinde gegenüber der christlichen Obrigkeit. Vor allem aber war er für die Steuereintreibung in der Gemeinde zuständig und hatte z.B. im Hochstift Würzburg das Steueraufkommen mit seinem eigenen Vermögen zu garantieren.53 Ein solcher Parnas konnte also die inneren und äußeren Gemeindeangelegenheiten beherrschen, wobei sich seine Macht vor allem aus seiner Vermögenslage herleitete. Für eine solche Position kam im 18. Jahrhundert nur ein sehr kleiner Personenkreis einer jüdischen Gemeinde in Frage, und so ist es nicht verwunderlich, daß z.B. in den Orten Höchberg und Veitshöchheim im Hochstift Würzburg das Amt des Parnas jeweils einem Hofjuden übertragen wurde und daß deren Familien diese Stellung dann auch über mindestens zwei Generationen behaupteten.54 Ein weiteres Beispiel eines Holjuden als Parnas wird durch den von der Familie Ulmo gestifteten Vorhang aus Kriegshaber dokumentiert, der den Vater des Stifters, den Hofjuden Simon Ulmo, sogar als Landesvorgeher ausweist.55 Dieser Titel besagte, daß er alle Gemeinden des 'Medinat Schwaben' vertrat, eine Position, die nach ihm auch sein Sohn, der Vorhangstifter selbst, inne hatte.56 Man kann also annehmen, daß die in den Stifterinschriften genannten Parnassim in vielen Fällen mit den lokalen HoQuden identisch waren, denn gerade sie gehörten deijenigen Schicht an, die die Summen aufbringen konnte, um die enormen Kosten für die Gold- und Silberfäden sowie für den Seidensamt zu decken. Hofjuden hatten zudem mit der Beschaffung dieser Materialien Erfahrung, da der Handel mit Luxusgütern zu ihren Aufgaben als Kammeragenten gehörte. Die Beschaffung von Pretiosen wie Juwelen und Silber, von Südfrüchten, Porzellan und kostbaren Stoffen für den höfischen Bedarf ist für Behrend Lehman aus Halberstadt ebenso belegt57 wie noch für Mayer Amschel Rothschild, der dem hessischen 53 54
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Zu den Aufgaben der Landes- und Ortsvorgeher vgl. D. Wegner (Anm. 52) S. 32-45. A. Weber: Synagogenausstattungen (Anm. 2). Beide Hofjudenfamilen haben den Synagogen von Höchberg und Veitshöchheim Synagogentextilien und jeweils das Lesepult aus sorgfältig behauenem Kalkstein gestiftet. Vgl. Court Jews (Anm. 1) Abb. S. 121. Das geht aus dem Eintrag in das Memorbuch Pfersee hervor, das den Tod des Landesvorgehers Low ben Simon Ulmo 1739 verzeichnet; vgl. Joseph Perles: Das Memorbuch der Gemeinde Pfersee. In: Monatsschrift fiir Geschichte und Wissenschaft des Judentums. 22. 1873. S. 508-515, hier S. 511. Lorenz Seelig: Die Kunst der Augsburger Goldschmiede im Dienst fürstlicher Repräsentation. In: Silber und Gold. Hg. von Helmut Seling, Reinhold Baumstark. Augsburg 1994. Bd. 1. S. 154, Anm. 193.
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Kurfürsten kostbare Stockknöpfe, Münzen und Tabaksdosen vermittelte.58 Von 1766 bis 1778 lieferte ein Low Simon Ulmo aus Pfersee, offensichtlich ein direkter Nachfahre des Vorhangstifters, Hoflivreen nach München, die nach Vorschrift aus blauem Tuch und Borten aus Silberspitze zu bestehen hatten.59 Ein weiteres Indiz für die Vermutung, daß vor allem Hofjuden in ihrer Eigenschaft als Parnassim die Stifter dieser kostbar gestickten Vorhänge waren,60 ist die Konzentration der Vorhänge in Kriegshaber. Die Orte Kriegshaber, Pfersee und Steppach, die in der unmittelbaren Nachbarschaft von Augsburg liegen, dienten nachweislich den Holjudenfamilien wie den Mändle und den Ulmo als Operationsbasis für ihre Geschäfte,61 da die Reichsstadt im 18. Jahrhundert Juden das Wohnrecht verweigerte.
Objekte der Hofjudenfamilie Ulmo Hofjuden haben jedoch nicht nur Thoravorhänge, sondern auch andere Ausstattungsobjekte für Synagogen bis hin zu ganzen Synagogenbauten gestiftet. Die große Anzahl der noch nachweisbaren Objekte erlaubt es, das kulturelle Profil einer solchen Hofjudenfamilien aus dem Burgau näher zu bestimmen. Unter allen schwäbischen Hofjudenfamilien lassen sich bislang die Objekte der Familie Ulmo, die in zwei Vorhanginschriften als Stifter genannt ist,62 am besten dokumentieren. Diese Familie benannte sich nach ihrem Ursprungsort Ulm, von wo sie nach der endgültigen Vertreibung der Juden im Jahr 1499 nach Günzburg zog. Nach diesem Ort heißt ein Zweig dieser Familie 'Günzburg'. Nach erneuter Vertreibung ließ sie sich in einigen Orten des Burgau, vor allem in Pfersee, nieder.63 Mitglieder der Familie lebten in Kriegshaber, in Ichenhausen und nach Fischach war man of58
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Unpublizierte Listen für solche Lieferungen von 1790 bis ca. 1811 befinden sich im hessischen Staatsarchiv Marburg, z.B.: Journal der Kurfürstl. Cabinetskasse. Best. Rechnungen II Kass. Nr. 655c, Kass. Nr. 651. Wolfgang Wüst: Die Judenpolitik der geistlichen Territorien Schwabens während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 3) S. 128-153, hier S. 142. 1994 hatte die Verfasserin Gelegenheit, diese These auf dem 4th Seminary for Jewish Art in Jerusalem vorzutragen und danach mit den Kollegen V.B. Mann und R. Cohen mehrfach zu diskutieren. Dazu, daß diese These offenbar Anklang gefunden hat, vgl. V.B. Mann: Melding Worlds. In: Court Jews (Anm. 1) S. 122 und Kat. 248. Zu der Tätigkeit des aus Quellen von 1721 bis 1768 gut bekannten bayerisch und augsburgischen Hofagenten Low Simon Ulmo aus Pfersee vgl. Wolfram Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung. Die Reichsstadt Augsburg und die Juden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 3) S. 110-127, hier S. 122 und S. 124 sowie W. Wüst (Anm. 59) S. 142f. Vgl. die Inschriften des Vorhangs aus der Moldovan Collection, New York, und aus Fischach, Jewish Museum New York. S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 3); vgl. auch den Stammbaum der Familie Ulmo bei Aron Tänzer: Juden in Hohenems. 2. Aufl. Bregenz 1982. S. 585.
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fensichtlich versippt. Die erhaltenen und dokumentierten Objekte liefern ein farbiges Bild einer traditionsreichen, burgauischen Familie der jüdischen Oberschicht mit selbstbewußtem Auftreten. Zu den frühen noch erhaltenen Zeugnissen aus Familienbesitz gehören neben einer Ausgabe des Talmud und eines Pentateuch das 1589 vollendete, reich illustrierte Gebetbuch, das sich heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befindet.64 Seine Illustrationen zum jüdischen Ritus zeigen Teilnehmer in zeitgenössischer höfischer Tracht, die die soziale Position der Auftraggeberfamilie unmittelbar veranschaulicht. Den gleichen, einem höfischen Lebensideal verpflichteten Repräsentationsanspruch zeigen auch die aufwendig gestickte Beschneidungskissenplatte aus dem 17. Jahrhundert65 sowie ein goldgesticktes Beschneidungskissen aus rotem Seidensamt von 1779/80.66 Die Stifter des Samtkissens, das sich heute im Jewish Museum New York befindet, sind Issachar Baer Ulmo und seine Frau Rebecca, Tochter des Rabbiners und Gerichtsvorsitzenden Rabbi Wolf Levi. Die Krone über der Beschneidungsszene wird von zweischwänzigen Löwen gehalten, die auch auf allen Vorhängen von Elkone Naumburg und Jakob Koppel Gans wiederkehren, wie auch auf dem Vorhang der Ulmo-Familie aus Kriegshaber (s.o.). Deshalb wird dieses Stück wohl für die Ulmo-Familie in Pfersee selbst gearbeitet worden sein und aus Süddeutschland stammen. Auf den Umkreis der süddeutschen-jüdischen Sticker weisen nicht nur die zweischwänzigen Löwen, sondern auch das verwendete Material und vor allem die Sticktechnik hin. Die gleiche Art der Sticktechnik, die durch unterschiedlich gelegte Fäden in Sprengtechnik Dreidimensionalität suggeriert, kehrt auf dem Vorhang von Jakob Koppel Gans wieder, der 1772/73 von Jacob ben Rabbi Leib Katz und Hendel, Tochter des Teweli Ulmo aus Pfersee (sie!), gestiftet wurde und wohl nach Fischach gehört (s.o.). Möglicherweise haben Jakob Koppel Gans bzw. seine Werkstatt daher auch das Beschneidungskissen für die Familie Ulmo aus dem Jahr 1779/80 gearbeitet. Nicht nur die Inschriften und der Aufwand der Vorhänge und Textilien aus dem 17. und 18. Jahrhundert belegen das besondere familiäre Selbstbewußtsein der Ulmo, sondern vor allem auch die Wappen auf ihren Grabsteinen. Auf dem Friedhof von Kriegshaber tragen drei Ulmo-Grabsteine aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das gleiche Wappen, das in einem Diagonalstreifen von links unten nach rechts oben jeweils drei aufsteigende Sterne zeigt.67 Das gleiche Wap64 65 66
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S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 3) S. 87f. Vgl. den Beitrag von Frau Dr. Katia Guth-Dreyfus in diesem Band. R. Cohen, V.B. Mann: Court Jews (Anm. 1) Cat.No. 255. pl. 18. mit der Herkunftsangabe Halberstadt. Die Wappen zieren den Grabstein eines Jakob Menasse, Sohn des Rabbi Moses Ulmo gestorben am 23. April 1695 (CAHJP. Harburger. Nr. 118), eines Landesvorgehers Simon, Sohn des Pamas Sanwel Ulmo, der 1720 verstarb, und eines Juda Low, Sohn des Parnas Simon Ulmo, der 1739 verstarb (CAHJP. Harburger. Nr. 120 und 121). Vermutlich ist der
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pen findet sich seitenverkehrt auf zwei Augsburger Thoraschildern der WeinoldNachfolge-Werkstatt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und einem Schild mit Stuttgarter Meistermarke wieder, so daß man annehmen kann, daß diese Thoraschilder vermutlich ebenfalls ursprünglich von dieser Familie gestiftet worden sind (Abb. 13).68 Wenn man dieser Argumentation folgt, dann kann man erstmals eine Hofjudenfamilie aus Süddeutschland konkret als Kunden für Judaica einer bestimmten Augsburger Goldschmiedewerkstatt benennen. Nach den Inschriften der Grabsteine und den erhaltenen Dokumenten hatten seit dem späten 17. Jahrhundert bis 1780 mindestens fünf Mitglieder mit dem Namen Ulmo aus Pfersee die Position eines Hofagenten inne.69 Die Zeitspanne der hier zusammengestellten Objekte reicht jedoch vom Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und dokumentiert damit, daß die Familie Ulmo ihre soziale und wirtschaftliche Position nicht nur über vier Generationen, sondern über zwei Jahrhunderte halten konnte. Das stellt eine auch unter Hofjudenfamilien außergewöhnliche Kontinuität dar und man muß sich fragen, mit welchen Strategien die Familie Ulmo diese Position so lange halten konnte und wie sich ihre Dominanz auf die burgauischen Gemeinden auswirkte, denen sie offenbar immer wieder vorstanden. Wie die Vorhanginschrift von 1724 demonstriert, sicherte Juda Low Si-
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1720 verstorbene Pamas Simon Ulmo der Vater des Vorhangstifters, da dieser bei der Stiftung von 1724 bereits als verstorben angegeben wird, während es sich bei dem 1739 Verstorbenen um den Vorhangstifter selbst handeln muß. Das Wappen zeigen die Thoraschilder im Israel Museum Jerusalem, Inv.Nr. 148/119 (Leihgabe. Yad Vashem Inv.No. 2561-4-50) und CAHJP. Harburger. Nr. 107 (datiert 1727). Die seitenverkehrte Darstellung des ansonsten identischen Wappens könnte durch die Goldschmiedearbeit bedingt sein. Zu diesem Schildtypus vgl. Crowning Glory (Anm. 25) Kat.Nr. 3 und 5. Zum Thoraschild aus Yad Vashem vgl. Richard Cohen: Torah Breastplates from Augsburg in the Israel Museum. In: The Israel Museum News 14 1978 S. 74-85, hier S. 76 Abb. 4 (hier irrtümlich der Wolff-Werkstatt zugewiesen, wobei das Wappen nicht berücksichtigt wird). Ein weiteres Schild mit diesem Wappen, das von einem Stuttgarter Goldschmied des 18. Jahrhunderts stammt, befindet sich heute im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel. Die Verfasserin dankt Frau Dr. Katia-Guth Dreyfus, Basel, für den Hinweis auf dieses Schild. Der Entstehungsort Stuttgart deutet auf die Möglichkeit hin, daß dieses Schild für den Stuttgarter Hoffaktor David Ulmo gefertigt worden ist, der aus Kriegshaber stammte, dann an den Stuttgarter Hof ging und dort seine Stellung 55 Jahre lang behaupten konnte. Vgl. dazu Heinrich Schnee: Die Hochfinanz und der moderne Staat. Bd. 4. Berlin 1963. S. 99f. H. Schnee (Anm. 68) S. 207 nennt David und Samuel Ullmann aus Pfersee als kaiserliche Heereslieferanten um 1700. Ein weiterer Hofagent, Juda Low ben Simon Ulmo, ist 1721 nachgewiesen und dürfte der Vorhangstifter von 1724 sein, vgl. W. Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung (Anm. 61) S. 122. Wenn die Angabe des Pferseer Memorbuches stimmt, daß der Landesvorgeher Juda Leib ben Simon Ulmo 1739 bereits tot war (vgl. Anm. 56), dann kann er nicht identisch mit demjenigen Low Simon Ulmo sein, der 1766/67 die Hoflivreen für Kurbayern lieferte, vgl. W. Wüst (Anm. 59) S. 142. Man kann annehmen, daß es sich hierbei um den Enkel des Vorhangstifters handelt, der vielleicht mit dem kaiserlichen Hoffaktor von 1745 identisch ist, vgl. H. Schnee (Anm. 68) S. 207f. Diese Familie konnte also den Status von Hofluden über mindestens vier Generationen erhalten.
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mon Ulmo seine vom Vater ererbte wirtschaftliche und soziale Position an der Spitze der schwäbischen Gemeinden durch die Heirat mit einem Mitglied der bedeutenden mitteldeutschen Hofjudenfamilie von Behrend Lehmann aus Halberstadt. Umgekehrt wurden die Töchter der Familie Ulmo mit wohlhabenden Familien der Nachbarschaftsgemeinden vermählt, wie es der Fischach zugewiesene Vorhang nahelegt. Damit entstand ein engmaschiges soziales Netz, was dieser jüdischen Oberschicht auf dem Land weiträumige Kredit- und Handelsmöglichkeiten eröffnete. Eine weitere Möglichkeit, die Position der Familie auf Dauer zu sichern, bestand darin, das Amt des Parnas über mehrere Generationen zu behaupten. Mit der Steuereintreibung oft gekoppelt, diente das Amt sicherlich zugleich auch als Rückhalt für Liquidität in Familiengeschäften. Deshalb muß man wohl davon ausgehen, daß Hofjuden als Vorsteher sowohl durch den hohen wirtschaftlichen und politischen Druck von außen als auch durch die Führung der inneren Geschäfte sehr an die Gemeinde gebunden waren. Zu ihren Aufgaben gehörte daher nicht nur die Sorge um finanzielle und rechtliche Belange, sondern auch die Stellungnahme zu geistigen und religiösen Angelegenheiten, so daß sie zum Zusammenhalt der Gemeinde geradezu verpflichtet waren. Dieser enorme Druck hat wohl auch mit dazu beigetragen, daß manche Hofjuden in den Landgemeinden eine rein über das materielle hinausgehende Fürsorge ausgeübt haben. Das äußerte sich nicht nur in aufwendigen Stiftungen für die Synagoge und in der Unterstützung der Wohlfahrt, sondern auch darin, daß sich einzelne Mitglieder dieser Oberschicht ihren Gemeinden darüber hinaus als Rabbiner zur Verfugung stellten. So stammte der Rabbiner Abraham, der vor 1745 in Ichenhausen und dann in Hürben amtierte, aus der Familie Ulmo, während sein Sohn Juda Löb später in Hohenems amtierte, einer Gemeinde, die von burgauischen Juden in Vorarlberg gegründet worden war.™ Eine Landgemeinde und ihre Hofjuden waren also eng aufeinander angewiesen und einzelne Familien wie die Ulmo haben offensichtlich ihre Gemeinden mitgetragen und sich, anders als manche Hofjuden in den Städten, nicht abgesondert. Vermutlich liegt hierin auch ein Grund, warum die Familie im burgauischen Territorium so lange ihre herausragende Stellung halten konnte.
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Zu der Familienchronik der Ulmo und ihren Rabbinern vgl. A. Tänzer (Anm. 63) S. 585-591. Die Familienchronik wurde von dem Hohenemser Rabbiner Jehuda Low Ulmo erstellt.
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Augsburg als Produktionsort für silbernes Kultgerät burgauischer Gemeinden Synagogales Gerät Im 18. Jahrhundert war Augsburg die Stadt herausragender Silberschmiede und produzierte mehr Judaica als Nürnberg und Fürth zusammen. Jüdisches Silber aus Augsburg wurde nicht nur nach ganz Europa exportiert, wie es die Levitengarnitur der portugiesischen Gemeinde Amsterdams dokumentiert,71 sondern genauso für den regionalen Gebrauch hergestellt. Häufigstes synagogales Gerät ist das Thoraschild, gefolgt von den Thoraaufsätzen. Die sicherlich ursprünglich auch in großer Zahl vorhandenen Thorazeiger sind leider kaum dokumentiert.72 Soweit sich die Meistermarken des Thorasilbers aus den Landgemeinden Ichenhausen, Hürben/Krumbach, Kriegshaber und Fischach bestimmen lassen, stammen die Objekte aus angesehenen Augsburger Silberwerkstätten, die sich auf die Herstellung von Altar- und Tafelsilber sowie Besteck spezialisiert hatten, aber daneben immer wieder Aufträge für Judaica ausführten, d.h. sie müssen regelmäßig mit Kunden jüdischer Herkunft Kontakt gehabt haben. Zu diesem Kreis gehörten im 18. Jahrhundert u.a. die Werkstätten von Marx Weinold und Nachfolge, Michael und Hieronymus Mittnacht und Nachfolge, von Samuel Bardet, Leonhard Tobias Drescher und von Franz Anton Gutwein sowie seiner Nachfolger. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert entwickelten Augsburger Werkstätten neue Typen für Thoraschilder, deren Ikonographie mit den tordierten Säulen wohl auf Anweisung der jüdischen Kunden dem Thoravorhang entlehnt wurde.73 Die typologische Entwicklung setzt mit Schildern des Domenikus Saler kurz vor 1700 ein, der für Fischach ein Schild fertigte, das sich heute im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg befindet.74 Es zeigt die charakteristischen Säulen, die das Schild mit den Festtagsnamen einfassen, von Weinlaub und Löwen buchstäblich umwunden. Seine Komposition wirkt in der Verteilung der ikonographischen Elemente vor dem Akhantusgrund noch unsicher, was auf ein frühes Entwicklungsstadium schließen läßt. In der Werkstatt des Meisters Marx Weinold entstand im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ein neuer Schildtypus,75 der sich durch eine neuge71
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Edward van Voolen, Irene Faber, Annette Weber: Jewish Ceremonial Silver from Germany in the Jewish Historical Museum Amsterdam. In: Yearbook XL of the Leo Baeck Institute. London 1995. S. 265-288, hier S. 267f. Zum Typus der Augsburger Thorazeiger vgl. Crowning Glory (Anm. 25) Cat.No. 519-522. Vgl. dazu A. Weber: Synagogenausstattungen (Anm. 2). CAHJP. Harburger. Nr. 45, Augsburger Beschau um 1700, Meister Domenikus Saler, vgl. B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 40. Zur Bedeutung der Weinold-Werkstatt vgl. Crowning Glory (Anm. 25) S. 24ff. und Cat.No. 3 und 5. Mit der Weinold-Werkstatt hängt ein Thoraschild des Meisters Johann Atzwanger
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wonnene Sicherheit im Umgang mit architektonischen Elementen und Ornamentik auszeichnet. Das feinziselierte, flache Relief ist aus dem Berainstil abgeleitet und imitiert Felder mit Wandstukkaturen zeitgleicher schwäbischer Rokokokirchen. Davor sitzt die manchmal plastisch weit hervortretende Säulenarchitektur. Die differenzierte Treibarbeit dieser Thoraschilder der Weinold-Werkstatt demonstrieren anschaulich das große handwerkliche Können der Augsburger Goldschmiede. Es steht daher zu vermuten, daß dieser neue Stil auch von den jüdischen Kunden geschätzt worden ist, zumal Auftraggeber wie z.B. die Ulmo-Familie, wenn sie als Kammeragenten den Bedarf an höfischen Luxuswaren zu befriedigen hatten, sich auf die Qualität der Silberarbeit verstehen und den jeweils aktuellen Stil kennen mußten. Das Spielen mit den zum Relief gepunzten und getriebenen Flächen ist typisch für die Augsburger Schilder des 18. Jahrhunderts und setzt sie von den aus Einzelteilen montierten Nürnberger Schildern der gleichen Epoche ab. Die aufwendige Treibarbeit der Weinold-Werkstatt wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch von Meistern außerhalb Augsburgs nachgeahmt. Dazu gehörte der Stuttgarter Meister, der das Thoraschild mit dem Ulmo-Wappen (vgl. Anm. 68) anfertigte. In diesem Fall wurde der Stil der Weinold-Werkstatt vielleicht sogar bewußt kopiert, um die Familientradition herauszustellen. Der gleichen Augsburger Werkstatt scheint auch der Oettinger Meisters C.I.K noch verpflichtet zu sein, der um 1772/73 mehrere Schilder unter anderem auch für die Gemeinden Zeckendorf und Fischach schuf.76 Die Ornamentik des Oettinger Meister variiert den Typus der Weinold-Werkstatt durch zusätzliche Details wie z.B. durch große Muscheln, vergröbert aber die Ornamentik, so daß seine Thoraschilder liebenswert-provinzielle Züge annehmen. Das Echo der Thoraschilder aus der Weinold-Werkstatt reicht bis zu armseligen Nachahmungen aus unedlen Metallen, wie es das bescheidene Schild aus Buttenwiesen demonstriert.77 Die große Werkstatt der Familie Mittnacht, die über mehrere Generationen Judaica produziert hatte, schuf auf dem Höhepunkt des Rokoko eine eigenwillige Variation des Thoraschildes, wovon sich ein Exemplar aus Buttenwiesen im Jüdi-
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zusammen, das sich ehemals in der Synagoge Krumbach/Hürben befand, CAHJP. Harburger. Nr. 275, datiert Augsburg 1723, mit einer Inschrift von 1735. Ein weiteres Thoraschild dieses Typus befindet sich im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg, B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. 8.1, S. 88. Aus dieser Werkstatt stammen außerdem die beiden Thoraschilder mit dem Ulmo-Wappen (vgl. Anm. 68), die Thoraaufsätze aus der Gemeinde Feuchtwangen und wohl auch die Thoraaufsätze, die sich ehemals in der Gemeinde Höchberg bei Würzburg befanden; vgl. dazu Crowning Glory (Anm. 25) Cat.No. 256. Crowning Glory (Anm. 25 ) Cat.No. 9, Jewish Museum, New York, Inv.Nr. F 2416; Thoraschild aus Zeckendorf, heute Israel Museum, Inv.Nr. 148/75; vgl. E. Groiss-Lau (Anm. 2) Abb. 79, 80 (Angaben unvollständig); Thoraschild aus Fischach, heute Jüdisches Kulturmuseum Augsburg, vgl. B.M. Ansbacher (Anm. 16) Kat.Nr. 2.36 o. Abb.; stark simplifizierte Variante dieses Schildtypus bei E. Groiss-Lau (Anm. 2) Abb. 136 (irrtümlich mit Provenienz Straßburg). CAHJP. Harburger. Nr. 42.
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sehen Kulturmuseum in Augsburg erhalten hat.78 Die Architektur ist hier in die wildbewegte Rocaille als isoliertes Element eingefügt. Eine weitere Variante mit ruhigerem, reliefierten Rautengitter auf punziertem Grund von Hieronymus Mittnacht wurde der Gemeinde Ichenhausen von dem Parnas Abraham und seiner Frau Gundel ca. 1770 gestiftet.79 Augsburger Thoraschilder erreichten ihre höchste künstlerische und ikonographische Vollendung in den von Samuel Bardet gestalteten Beispielen. Dieser Meister hugenottischer Herkunft hat viele Judaica geschaffen, unter anderem auch die Ichenhausener Thoraaufsätze von 1781, von dem sich ein beschädigter Teil im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg befindet.80 Herausragend ist sein Thoraschild im London Jewish Museum mit der Augsburger Beschau von 1773-1775, das die Ikonographie wie ein Bühnenprospekt des Rokoko inszeniert.81 Das Gegenstück ist das seit 1938 verschollene Thoraschild mit der Augsburger Beschau von 1759/ 1760 aus Kriegshaber, das von Izchak Eizik, dem Sohn des verstorbenen Parnas Seligman Segal aus Steppach und seiner Frau Erele, Tochter des verstorbenen Parnas Reisl aus der Gemeinde Kriegshaber, gestiftet wurde (Abb. 14).82 Die Inszenierung der Ikonographie dieser Thoraschilder lehnt sich an die zeitgenössische Altararchitektur an und kann dadurch als Metapher auf die Situation des Allerheiligsten im Tempel verstanden werden. Eine so neuartige Ikonographie ist ohne Beteiligung des Auftraggebers und seiner religiösen Vorstellungen nicht denkbar und vermutlich geht auch diese Ikonographie auf eine Veränderung in der Konzeption des Thoravorhangs zurück. Der 1751 erneuerte Thoravorhang aus Kriegshaber mit den Gesetzestafeln im Zentrum scheint dafür ein Indiz zu liefern.83 Das neugestaltete Schema setzt sich sofort bei Augsburger Thoraschildern durch, zumal die Werkstatt bzw. ein Meister aus dem Umfeld Samuel Bardets für die Gemeinde Fischach auch eine vereinfachte Version produzierte.84 Die von vollplastisch bis zu zartestem Relief hin ausgefeilte Architektur des Kriegshaber Schildes wird im Fischacher Thoraschild vereinfacht und vergröbert wiedergegeben. Eine weitere Variante schuf Leonhard Tobias Drescher für das Thoraschild aus Hür78
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CAMP. Harburger. Nr. 40, Silberstempel Augsburg 1749/1751-53, Meister wohl Johann Mittnacht II., heute Jüdisches Kulturmuseum Augsburg. Vgl. B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 40. Publiziert in einer Zeichnung bei H. Frauberger (Anm. 16) S. 29; B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 75, 6.3. H. Frauberger (Anm. 16) S. 23 und B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. 12.16, S. 33. Samuel Bardet, Augsburg 1773-1775, heute im London Jewish Museum, vgl. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern (Anm. 2) Kat. 3/27. CAHJP. Harburger. Nr. 99; Harburger hat die Meistermarke als IVG = Jo. Valentin Gevers vorgeschlagen, der jedoch schon 1737 starb. Daher wurde entweder seine Marke weiterverwendet oder sie ist einem anderen Meister im Umfeld von Bardet zuzuordnen. A. Weber: Synagogenausstattungen (Anm. 2). Das Fischacher Thoraschild, gestiftet von der Chewra Kaddischa, Beschau Augsburg 1783/1785, CAHJP. Harburger. Nr. 47, ist typologisch verwandt mit dem Augsburger Thoraschild aus Kriegshaber von 1761, vgl. CAHJP. Harburger. Nr. 105.
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ben/Krumbach mit der Augsburger Beschau von 1765-1767, das sich heute im Jüdischen Kulturmuseum in Augsburg befindet.85 Die großflächige Rokokoornamentik und die getriebenen Säulen fassen hier die Gesetzestafeln ein. Das Motiv der Gesetztestafeln auf Thoraschildern wird die ikonographische Entwicklung der Augsburger Thoraschilder im 19. Jahrhundert dominieren. Von der GutweinWerkstatt wird dieser Typus klassizistisch umgeformt, so daß die Ikonographie klar hervortritt. Das neue Schema zeigt in der Regel die Menora über den Gesetzestafeln auf einem altarähnlichen Sockel, eingefaßt von einer baldachinartigen Draperie mit Krone.86 Diese neue Symbolik beherrscht die Ikonographie des Augsburger, aber auch des Nürnberger Thoraschildes seit der Assimilation und bringt die Konfessionalisierung des Judentums im 19. Jahrhundert sehr deutlich zum Ausdruck. Drei eindrucksvolle Beispiele dieses neuen Thoraschildtypus für die Gemeinden Ichenhausen von 1817 und Hürben/Krumbach von 1808 und für Hohenems haben sich aus der Werkstatt des Johann Anton bzw. Joseph Alois Seethaler erhalten.87 Im Lauf des 19. Jahrhundert verlor die Augsburger Judaica-Produktion nicht an Umfang, wohl aber an Qualität. Die Ikonographie der Thoraschilder erstarrte zum Schema, sehr häufig wurde mit bereits vorfabrizierten Silberteilen gearbeitet, wie z.B. bei den Thoraschildern für Pfersee und Fellheim.88 Das gleiche Herstellungsverfahren wurde auch für die mehrstöckigen Thoraaufsätze verwendet, deren früheste Exemplare aus der Gutwein-Werkstatt stammten. In der Regel zeigen sie über einem glatten Schaft und einer Halbschale mit Akhantusmotiven abwechselnd übereinandergesetztes, gestanztes Gitterwerk und Glockenfächer, die mit einer Laub- oder Bügelkrone abschließen. Darauf stehen steigende Löwen, die die Stifter- oder Widmungsplakette halten. Diese imposanten, aber relativ rasch und mit vergleichsweise geringem Materialaufwand herzustellenden Aufsätze finden
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CAHJP. Harburger. Nr. 268; Meistermarke Leonhard Tobias Drescher, Augsburg; vgl. B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. S. 68. Vgl. das Thoraschild aus Harburg a.d. Wörnitz, gestiftet für die Chewra Talmud-Thora in Harburg im Jahr 1804 (Meisterzeichen nicht identifiziert), CAHJP. Harburger. Nr. 3 und zahlreiche Varianten von verschiedenen Augsburger Meistern vom Endes des 18. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in: Crowning Glory (Anm. 25) Cat.No. 49-60. Thoraschild gestiftet von dem Verein zur Ausstattung armer Bräute der Gemeinde Ichenhausen 1817, heute im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg, vgl. Mappot (Anm. 2) Kat. 71; B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. 2.35 S. 36; Thoraschild aus Hürben, vgl. Crowning Glory (Anm. 25), Cat.No. 55; das Thoraschild aus Hohenems befindet sich heute im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel. Für diesen Hinweis dankt die Verfasserin Frau Dr. Katia GuthDreyfus, Basel. Thoraschild der Synagoge Pfersee von 1828, gestiftet von einer Gruppe Bachurim; Sotheby's Tel Aviv, Oktober 1995, Los 215; Thoraschild der Synagoge Fellheim, B.M. Ansbacher (Anm. 16) Abb. 2.34 S. 36, heute Jüdisches Kulturmuseum Augsburg.
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seit dem Klassizismus weite Verbreitung, wie zwei Beispiele aus der Gemeinde Buttenwiesen demonstrieren.89 Die Stifterinschriften der Thoraschilder verzeichneten neben Einzelpersonen ohne Titel immer wieder Gemeindevorsitzende, aber ab dem Ende des 18. Jahrhunderts auch zunehmend soziale Institutionen wie etwa die Chewra Kaddischa, die Chewra für Hachnasat Kala oder für Talmud-Thora. Solche Bruderschaften, die auch aus wohlhabenden Gemeindemitgliedern bestanden, waren für die Wohlfahrt in der Gemeinde zuständig. Ihre Stiftungen waren vielleicht nicht nur ein Ausdruck von Verbundenheit mit der Synagoge, sondern bedeuteten womöglich sehr konkret auch eine finanzielle Rücklage für Notsituationen. Daß es im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert vermehrt zu Stiftungen der Bruderschaften kam, deutet auf eine sich verändernde soziale Situation in den burgauischen Gemeinden hin. Es hat den Anschein, als würde der einzelne Parnas an Bedeutung gegenüber den gemeinnützigen Organisationen verlieren. D.h. mit der einsetzenden Emanzipation scheint sich der strikt hierarchische Aufbau mit einem Parnas an der Spitze in den burgauischen Gemeinden zu lockern, was letztlich mit dem Verlust der Macht- und Finanzbasis der Hofjudenfamilie wie z.B. der Ulmo nach dem Ende des Absolutismus zusammenhängen mag.
Augsburger Silber fürs Haus Pracht und Aufwand mancher burgauischer Synagogenausstattungen rivalisierten mit dem Aufwand von Synagogen in Stadtgemeinden oder übertrafen sie sogar in der Qualität der Objekte. So sind die Thoraschilder aus Kriegshaber, Fischach und Hürben/Krumbach differenzierter und aufwendiger gearbeitet als die gleichzeitigen Frankfurter Beispiele. Um jedoch ein exakteres Profil der Sachkultur für eine dieser burgauischen Gemeinden zu erstellen, muß auch das häusliche Kultgerät für Schabbat und Festtage betrachtet werden. Hier ist die Quellenlage schwieriger, da im Vergleich zu synagogalem Gerät viel weniger häusliches Alltags- und Festtagsgeschirr aus edlen Metallen erhalten geblieben ist. Weil Stifterinschriften in der Regel fehlen, läßt sich dieses Kultgerät nur selten lokalisieren oder gar einer bestimmten Familie zuordnen. Anhand des noch erhaltenen Bestandes und der von Harburger dokumentierten Gerätetypen lassen sich die in Augsburg hergestellten Typen von häuslichem Kultgerät jedoch ermitteln. Zu den am häufigsten Objekten gehört der Kidduschbecher mit sechseckig facettierter Cuppa auf schlankem Schaft mit Nodus über gewölbtem und geschweiftem Fuß (Abb. 15). Dieser Becher, der zum Inbegriff des Kidduschbechers 89
CAHJP. Harburger. Nr. 41, vgl. auch die in Crowning Glory (Anm. 25) unter Cat.No. 269272 aufgeführten Beispiele.
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in deutschsprachigen Gemeinden geworden ist, wurde in Augsburg vor allem von der Werkstatt der Mittnacht-Familie produziert, die über drei Generationen für jüdische Auftraggeber arbeitete und dieses Modell offenbar in größeren Stückzahlen vertrieb. Darüber hinaus wurde dieser Kidduschbecher auch von anderen Augsburger Werkstätten hergestellt und von Nürnberger Goldschmieden nachgeahmt. Es haben sich viele gut dokumentierte Exemplare erhalten, so daß diese Becher nicht nur für den regionalen Gebrauch, sondern auch für den Export hergestellt worden sein dürften, und wohl von jüdischen Silberhändlern in andere Gemeinden vermittelt wurden. Daneben konnten andere Bechertypen als Kidduschbecher dienen, wie z.B. die einfachen fußlosen Schlangenhautbecher aus verschiedenen Augsburger Werkstätten des 17. und 18. Jahrhunderts, die immer wieder aus jüdischem Besitz überliefert sind.90 Die Schlangenhautbecher sind jedoch oft erst in Zweitverwendung zu Kidduschbechern geworden und das unterscheidet sie von den facettierten Kidduschbechern, deren sechseckige Cuppa sich eindeutig vom immer runden christlichen Abendmahlskelch absetzte und sie dadurch im 18. Jahrhundert zu einem spezifisch jüdischen Kultgerät machte. Kidduschbecher stellen ein essentielles jüdisches Ritualgerät für das Haus dar und es steht daher zu vermuten, daß diese Augsburger Silberbecher gerade auch in den Haushalten der wohlhabenden Gemeindevorsteher des Burgau, d.h. der Hofjuden benutzt wurden. Längst nicht so häufig wie die Augsburger Kidduschbecher sind Besamimbüchsen überliefert. Aus der Weinold-Werkstatt haben sich die in vielen deutschsprachigen Gemeinden üblichen hochrechteckigen Türme auf hohem Fuß und eine Anzahl von mehrstöckigen runden Besamimbüchsen erhalten.91 Die runden Türme sind aus verschiedenen Teilen von Klein- und Gebrauchssilber, wie z.B. aus Zukkerstreuern gearbeitet worden. D.h. die Werkstatt fertigte für dieses in jüdischen Haushalten ebenfalls häufige Objekt Modelle, die unter Verwendung von vorgefertigten Kleinsilberteilen kostengünstig produziert werden konnten und keine materialverschlingende Gußarbeit benötigten. Das läßt auf eine kostenbewußte Käuferschicht schließen. Die verhältnismäßig kleine Anzahl erhaltener Besamimbüchsen aus Augsburg deutet außerdem auf eine geringere Nachfrage als für den Kidduschbecher hin. Noch seltener als Kidduschbecher und Besamimbüchsen wurden in Augsburg im 18. Jahrhundert offenbar Chanukkaleuchter gefertigt, da
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Beispiele mit jüdischem Besitzerzeichen befinden sich im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel; vgl. Jüdische Lehre, jüdisches Jahr, jüdisches Leben. Kultgegenstände aus dem Jüdischen Museum der Schweiz, Basel. Hg. vom Ulmer Museum. Ulm 1988. Kat.Nr. 30 und im Jüdischen Museum Frankfurt am Main (Inv.Nr. JMF 87-87, Meister Georg Lotter, Augsburger Beschau 1681). Vgl. Geschichten von Gegenständen. Judaika aus dem Beziehungsraum der Hohenemser Juden. Hg. von Eva Grabherr. Hohenems 1994. Kat.Nr. 35 aus der Gross Family Collection Tel Aviv, zu einem Turmmodell der Weinold-Werkstatt; vgl. auch Helmut Seling (Anm. 20) Bd. 2. Nr. 712.
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sich kaum Exemplare erhalten haben. Die meisten bekannten Beispiele stammen vielmehr aus dem frühen 19. Jahrhundert.92 In der Produktion von Chanukkaleuchtern und Besamimtürmen bzw. Hawdalagerät unterscheidet sich Augsburg deutlich von Frankfurt am Main, wo christliche Goldschmiede eine so große Zahl von Chanukkaleuchtern produziert haben, daß sie als 'Frankfurter Lamp' zum Inbegriff für Chanukka wurden. Ebenso zeichnen sich die mit Figuren und Maskarons verzierten Frankfurter Havdalabehälter durch ihren Aufwand gegenüber den aus Kleinsilber gefertigten Augsburger Besamimbüchsen aus. Darüber hinaus fehlen in Augsburg die aufwendigen, für einzelne Frankfurter Hofjudenfamilien angefertigten Schauobjekte wie die prächtigen Schabbathängelampen, die großen Chanukkastandleuchter und die goldenen Becher.93 Es scheint, als ob anders als in Frankfurt in Augsburg kaum privates Luxuskultgerät aus dem 18. Jahrhundert für jüdische Auftraggeber angefertigt worden wäre und die Augsburger Silberproduktion für das jüdische Haus hinsichtlich des technischen und materiellen Aufwandes weitaus bescheidener ausgefallen wäre als für das synagogale Silber. Der Schwerpunkt der Augsburger Judaicaproduktion lag offenbar eindeutig auf dem Thorasilber für Synagogenausstattungen.
Das Profil der Augsburger Judaicaproduktion aus Silber Welche Gründe gibt es für diese gegenüber Frankfurt deutlich andersartige Judaicaproduktion in Augsburg? Muß man vielleicht davon ausgehen, daß die HoQuden und Parnasim im Burgau insgesamt doch schlechter gestellt waren als z.B. die Familien der Kann und der Speyer in der Frankfurter Judengasse und daß sie sich die ausgesprochenen Luxusobjekte als Hochzeitsgeschenke nicht leisten konnten? Dagegen sprechen jedoch die aufwendigen Thoravorhänge und Thoraschilder, die von den verschiedenen Mitgliedern der Ulmo-Familie im 18. Jahrhundert gestiftet wurden und deren Wert den Frankfurter Judaica nicht nachsteht. Die Gründe für die Konzentration des Silbergerätes auf die Synagoge in den Landgemeinden können also nicht auf die insgesamt bescheidenere Finanzsituation der Stifter zurückgeführt werden. Die überaus prunkvollen Stiftungen für burgauische Landsynagogen, die mit Frankfurter Thorasilber und luxuriösen privaten Judaica durchaus konkurrieren können und es sogar in Hinblick auf die Qualität der Ikonographie und den stilistischen Aufwand übertreffen, deuten eher darauf hin, daß Stiftungen für die Gemeinde auf dem Land eine viel höhere Bedeutung hatten als die private
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Ein Exemplar eines Ausgburger Chanukkaleuchters aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts befindet sich heute im Jüdischen Museum der Schweiz in Basel. Zu diesen Prunkobjekten aus der Frankfurter Judengasse vgl. Annette Weber: Splendid Bridal Gifts. In: Journal of Jewish Art 19/20. 1993/94. S. 168-179.
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Ausstattung der Familie mit Judaica. Die Stiftungen an die Gemeinde scheinen sinnfälliger Ausdruck dafür zu sein, daß man mehr als in der Stadt aufeinander angewiesen war, weshalb die Fürsorge von führenden Familien z.B. wie der Ulmo nicht nur der eigenen Familie galt, sondern ebenso der Gemeinde gelten mußte. Diese patriarchalische Form der Fürsorge klingt nicht nur im Bericht der Glückl von Hameln über den markgräflich-bayreuther Hofjuden Samson Baiersdorf im 17. Jahrhundert an, sondern spiegelt sich auch noch im Bericht über das Leben des Reb Hänlein Salomon Kohn aus Wassertrüdingen (1803-1880), der letztlich seine kleine Gemeinde zusammenhielt.94 Als wichtigster visueller Ausdruck dieses Aufeinanderangewiesenseins erscheinen die kostbaren Ritualien der Synagoge, vor allem aber der goldgestickte Thoravorhang. Seine kostspielige Ausführung demonstrierte wirtschaftliche Stärke, die Stifterinschrift bezeichnete die soziale Stellung und die ausgeklügelte Ikonographie vermittelte geistiges Prestige - aber nicht nur der Stifter selbst, sondern durch die Stiftung auch die der Gemeinde. Damit wird die synagogale Ausstattung zum wichtigen Identitätsträger, die den Zusammenhalt der Gemeinde gewährleistete. Stiftungen sind daher in diesen Gemeinden nicht nur Sachwerte und Gemeindevermögen, sondern ebenso Ausdruck einer Solidargemeinschaft, deren wesentliche Träger auch die führenden Familien wie z.B. die Ulmo gewesen sind. Metapher für diese Symbiose von Parnas und Gemeinde ist die einmalige Verbindung des dem höfischen Repräsentationsstil entlehnten Prunkes mit ausgeklügelter religiöser Ikonographie, wie sie jüdische Künstler für Thoravorhänge entwickelt hatten.
Kultgerät aus unedlem Material in burgauischen Landgemeinden Neben den Besamimbüchsen und Kidduschbechern aus Augsburger Silber gab es in burgauischen Landjudenhaushalten weiteres Kultgerät in einfachster Ausführung, das sehr schnell Züge der umgebenden, bäuerlichen Kultur annahm. Chanukkaleuchter konnten entweder aus Zinn oder Ton gefertigt sein oder wie beispielsweise bei einem Exemplar aus Fischach gar aus Altmetallteilen bestehen.95
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Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte, Bd. 1 1780-1871. Hg. von Monika Richarz. Bd. 1. Stuttgart 1976. Hänlein Salomom Kohn. S. 140-144. CAHJTP. Harburger überliefert für Fischach mehrere Chanukkaleuchter (Nr. 52-54), darunter einen aus Zinn aus dem 18. Jahrhundert und einen aus verschiedenen wiederverwendeten Materialien wie Blech und Zinn zusammengesetzten Leuchter. Dieser Leuchter kam über die Judaica Sammlung Heinrich Feuchtwangers ins Israel Museum in Jerusalem; vgl. Jewish Tradition in Art. The Feuchtwanger Collection of Judaica. Ed. by Jsaiah Shacker. Jerusalem
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Der Sederteller für das Pessachfest war wie in vielen anderen Landjudengemeinden aus Zinn und die schlichten Gravuren z.B. des Exemplars aus Hürben/Krumbach stammen offensichtlich vom lokalen Thoraschreiber, der den kaiserlichen Doppeladler in naiver Manier ausführte, aber dem Adler statt Reichsapfel und Szepter Mazze und Bitterkraut in seinen Krallen gab und damit eine eigenwillige, neue Pessach-Ikonographie schuf, die den Kaiseradler zugleich als Gottesmetapher interpretiert (Abb. 16).96 Im Gegensatz zu den burgauischen Synagogen, die auch stilistisch ein sehr spezifisches Ausstattungsprofil aufweisen, lassen sich solche Chanukkaleuchter, Sederteller und Stickereien für Schabbat- und Sederdecken aus den gleichen Gemeinden nicht so eindeutig zuordnen. Dieses häusliche Kultgerät aus dem Burgau übernahm die weitverbreitete naive Ornamentik der Volkskunst und zeigte damit die Charakteristika einer jüdisch-volkstümlichen Kultur, die sich regional nur schwer bis gar nicht abgrenzen läßt. Ähnliches gilt für die von den Thoraschreibern handgeschriebenen Bücher in burgauischen Gemeinden. Neben einer oft sehr elaborierten Schrift, die ein langes Training verrät, wiesen sie manchmal diesselbe derbe Ornamentik auf, wie sie auch in gleichzeitiger Bauernmalerei anzutreffen ist.97 Vielfach wurden solche Ornamente auf sehr eigene Weise neu interpretiert, wie es die selbstgestickte Kidduschdecke von 1763/64 im New Yorker Jewish Museum dokumentiert. Sie stammt vermutlich aus dem Burgau, da sie außer den typisch doppelschwänzigen Löwen auch den habsburgischen Reichsadler zeigt, eine Kombination, die in burgauischen Gemeinden häufig anzutreffen ist.98 Die Motive wie Hirsche am Lebensbaum, Schlange im Paradies, Barockblüten sind auch bei gleichzeitigen christlichen Stickmustertüchern Süddeutschlands zu finden; sie erhalten hier jedoch in Hinblick auf das sehr naiv dargestellte Brautpaar eine neue und spezifisch jüdische Bedeutung, indem sie auf den biblischen Ursprung des jüdischen Volkes verweisen. Die Bauernkunst war also eher ein Motiv- als ein Stilreservoir, das als Basis für individuelle ikonographische Variationen dienen konnte. Diese fast immer religiös motivierten Interpretationen orientierten sich
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1971. Kat.Nr. 352. Ein weiterer Zinnleuchter ist aus Kriegshaber überliefert (CAHJP. Harburger. Nr. 101). Sederteller aus Hürben/Krumbach von 1776, CAHJP. Harburger. Nr. 276. Zur Deutung des Adlers vgl. Rolf Kießling: Das schwäbische Judentum und das Reich. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997. S. 221-253, hier S. 243-245. Tefilot aus Baiersdorf und Schnaittach, aber auch die genannten Memorbücher aus Buttenwiesen, Fischach, Ichenhausen und Kriegshaber bei CAHJP. Harburger. (vgl. Anm. 8). Barbara Kirshenblatt-Gimblett: Fabric of Jewish Life. New York 1977. Cat.No. 130, im Jewish Museum New York; ebenso stammt das Sederhandtuch aus dem 19. Jahrhundert mit dem bayerischen Wappen und dem im Umkreis Ichenhausen sehr häufigen Namen Dreyfus aus dem gleichen Museum (Cat.No. 228) nicht aus dem Elsaß, sondern aus einer burgauischen Gemeinde.
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sehr wahrscheinlich an der Erbauungsliteratur aus den jüdischen Landdruckereien, die in ihrem Angebot nicht mehr regional spezifisch waren. Die wenigen diskutierten Beispiele deuten daraufhin, daß sich diejenigen Gemeindemitglieder, die keinen Zugang zur höfischen Kunst hatten, bei der Gestaltung des häuslichen Kultgerätes an die ihnen zugängliche bäuerliche Kultur hielten. Diese Kultur, die sich nur langsam entwickelte, da 'Stil' kein primäres Ausdrucksmittel war, läßt das jüdische Hausgerät der burgauischen Gemeinden volkstümlich und naiv wirken. Die schlichte formale Ausführung beeinträchtigt jedoch nicht notwendig die Darstellung einer spezifisch jüdischen Ikonographie. Sie ist zuweilen von der gleichen Komplexität wie das raffinierteste Augsburger Thoraschild. Regional zuordnen lassen sich solche Objekte nur anhand der häufig auftauchenden säkularen und spezifisch burgauischen Ikonographie wie z.B. dem Kaiseradler in Kombination mit den doppelschwänzigen Löwen.
Fazit Im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert waren die Synagogenausstattungen die eigentlichen Träger des kulturellen Selbstverständnisses der jüdischen Gemeinden im Burgau. Ihnen galt die größte Aufmerksamkeit bei der Herstellung und sie fungierten als die visuellen Identitätsträger einer Gemeinde. Die Stifter dieser Ausstattungen stammten in der Regel aus der kleinen reichen Oberschicht, unter der sich zahlreiche Hofjuden befanden. Aufgrund ihrer Bildung wie ihrer Kenntnisse bezüglich Luxusgütern und der Augsburger Goldschmiedeproduktion waren sie in der Lage, Ausstattungsstücke jeweils im neuesten Stil und mit einer ausgeklügelten religiösen Ikonographie zu bestellen. Im Gegensatz zu den am höfischen Repräsentationsstil orientierten Synagogenausstattungen blieb das häusliche Kultgerät im Burgau schlicht. Meist aus nichtedlen Materialien wie Zinn, Messing, Ton und Holz gefertigt, griff es Motive der bäuerlichen Kunst auf und blieb damit in Hinblick auf Stil und Ausfuhrungstechniken vergleichsweise unspezifisch. Seine manchmal komplexe Ikonographie konnte von sehr individuellen Interpretationen bestimmt sein. Damit war die Sachkultur der burgauischen Landjudengemeinden durch zwei parallel nebeneinander herlaufende Formtraditionen gekennzeichnet, die offensichtlich vom sozialen Stand ihrer Besitzer bzw. Stifter abhängig waren. Die von der Hofkultur geprägten Synagogenausstattungen, die von den reichen Gemeindemitgliedern gestiftet worden waren, kontrastierten mit den von der bäuerlichen Kunst bestimmten häuslichen Kultgeräten der ärmeren Gemeindemitglieder. Diese Mischung von synagogaler Pracht und häuslicher Schlichtheit spiegelt ein auch auf die christlichen Gemeinschaften Schwabens zutreffendes Kulturprofil, in
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denen überaus aufwendig dekorierte Kirchenbauten bescheiden ausgestatteten Bauernhöfen gegenüberstanden. D.h. die durch den Absolutismus bestimmten Lebensverhältnisse auf dem Land drückten nicht nur den christlichen Dörfern ihren Stempel auf, sondern prägten auch die jüdischen Gemeinden mit. Einen entscheidenden Unterschied gab es aber zwischen jüdischer und christlicher Sachkultur auf dem Land: während sich Freskenschmuck und bäuerliche Votivbilder in der gleichen Kirche nicht nur in der Qualität der Ausfuhrung, sondern auch im intellektuellen Niveau der Darstellung erheblich unterschieden, konnte ein häuslicher Sederteller eine ähnlich komplexe Ikonographie aufweisen wie die für eine Hofjudenfamilie speziell angefertigte Pessach-Haggadah. Das vergleichsweise hohe und einheitliche Bildungsniveau der jüdischen Gemeindemitglieder war die Basis eines homogenen kulturellen Selbstverständnisses und das einigende Band, das für den Zusammenhalt trotz großer sozialer und wirtschaftlicher Unterschiede sorgte. Damit haben die burgauischen Gemeinden im 17. und 18. Jahrhundert auf dem Land eine jüdische Regionalkultur geprägt, die bei ästhetischen Unterschieden in sich konsistent erscheint. Mit der Emanzipation verlor die Entwicklung dieser Sachkultur auf dem Land an Dynamik; man darf jedoch nicht vergessen, daß dieses reiche Erbe aus dem 17. und 18. Jahrhundert eine wichtige Basis für den kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung des jüdischen Bürgertums im 19. Jahrhundert gebildet hat.
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Abb. 10. Thoraaufsatz aus der Synagoge Ichenhausen, nach der Plünderung von 1938 beschädigt, Augsburg, Silber, Meister Samuel Bardet, 1781. Jüdisches Kulturmuseum Augsburg.
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Abb. 11. Thoravorhang aus der Synagoge Kriegshaber, 1723/24 gestiftet von Juda Lob Simon Ulmo, gestickt von Elkone Naumburg aus Fürth. The Moldovan Family Collection New York.
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Abb. 12. Thoravorhang aus der Synagoge Krumbach 1727 gestiftet von Low Abraham Eliezer aus Kriegshaber; Spiegel wohl erneuert von Jakob Koppel Gans, seit 1938 verschollen. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 16.
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Abb. 13. Thoraschild mit dem Familienwappen der Ulmo Augsburg, Silber, datiert 1727, Meister aus der Weinold-Werkstatt, seit 1938 verschollen. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 107.
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Abb. 14. Thoraschild aus der Synagoge Kriegshaber 1761 gestiftet von Izchak Eizik Eliezer aus Steppach; Augsburg, Silber, Meistermarke Joh. Valentin Gevers, seit 1938 verschollen. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 99.
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Abb. 15. Kidduschbecher Augsburg, Silber, Mitte 18. Jahrhundert Meister nicht überliefert. Ehemals im Besitz von Justizrat Dr. Elias Strauß, München. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 485.
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Abb. 16. Sederteller aus der Gemeinde Krumbach, Zinn, datiert 1776, seit 1938 verschollen. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 276.
III. Koexistenz und Kooperation
Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts* Hans-Jörg Künast
Die kurze Episode des hebräisch-jüdischen Buchdrucks in Augsburg1 und Isny zwischen 1533 und 15442 ist nicht nur für Landeshistoriker und Experten für Druckgeschichte von großem Interesse, sondern auch für die Historiker, die sich mit übergreifenden Themen der europäischen Wirtschafts- und Kulturgeschichte beschäftigen. Denn an den beiden hier vorgestellten Druckorten kann belegt werden, daß politische Ereignisse und ökonomische Faktoren z.B. in Prag oder Venedig konkret nachweisbare Auswirkungen auf die Augsburger und Isnyer Buchproduktion haben konnten. Bislang hat sich die buchgeschichtliche Forschung jedoch nur wenig mit dem hebräischen Druck- und Verlagswesen im allgemeinen sowie mit den süddeutschen jüdischen Buchdruckern und -führern im besonderen beschäftigt.3 Ursachen * 1
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Für die Durchsicht und Übersetzung von hebräischen Texten danke ich Prof. Dr. Dr. Peter Kuhn, München-Benediktbeuern, sehr herzlich. Über die Herstellung von hebräischen Handschriften in Augsburg ist bislang wenig bekannt. In den 1460er wurden einige jedoch in der Werkstatt des späteren Buchdruckers Johann Bämler illuminiert. Vgl.: Sheila Edmunds: The Place of the London Haggadah in the Work of Joel ben Simeon. In: Journal of Jewish Art 7. 1980. S. 25-34; Yael Zirlin: Joel meets Johannes: A Fifteenth-Century Jewish-Christian Collaboration in Manuscript Illumination. In: Viator. Medieval and Renaissance Studies 26. 1995. S. 267-282. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts existierten zwei weitere hebräische Druckereien in Schwaben, die hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt seien. Die eine Druckerei wurde 1560 in Thiengen von Joseph ben Naftali und Elieser ben Joseph eingerichtet, während die zweite von 1592 bis 1594 in Thannhausen von Peter Geisler und Stephan Schurmann betrieben wurde, wobei Isaak und Simon Levi Günzburg als Herausgeber fungierten. Vgl.: Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. 2. verb. u. erg. Aufl. Wiesbaden 1982 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Bd. 12). S. 460f. mit Literaturangaben. Einen ersten guten Überblick vermittelt die Wolfenbütteler Bibliographie zur Geschichte des Buchwesens im deutschen Sprachgebiet, 1840-1980. Bearbeitet von Erdmann Weyrauch. München, New York, London, Paris 1990ff. Zum hebräisch-jüdischen Buchdruck vgl. Bd. 1.
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hierfür sind mit Sicherheit fehlende Sprachkenntnisse und die schwierige Quellenlage, die durch die enorme Mobilität der Drucker und Buchführer bedingt ist. Die Judaistik und die historischen Disziplinen, die sich mit der Historiographie des Judentums beschäftigen, haben die Produktions- und Distributionsbedingungen für Hebraica noch kaum als Forschungsdesiderat erkannt. Dies zeigt sich daran, daß die einschlägigen Arbeiten zur deutschen und europäischen Druck- und Verlagsgeschichte nicht rezipiert werden, was zu pauschalen, oft falschen Einschätzungen der lokalen, regionalen und europäischen Zusammenhänge in Buchproduktion und -handel führt, wenn hierzu einmal Aussagen gewagt werden.4 Der folgende Beitrag kann das große Defizit nicht vollständig beheben. Er soll vielmehr als Aufforderung für eine enge Zusammenarbeit betroffener Forschungsdisziplinen verstanden werden, denn nur auf diese Weise ist es möglich, zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen. Neue Quellen aus dem Bereich der Buch- und Bibliotheksgeschichte sowie die Befunde aus verschiedenen Forschungsdisziplinen zur hebräisch-jüdischen Buchkultur werden für Augsburg5 und Isny in exemplarischer Weise erstmals zusammengeführt und interpretiert. Die beiden Städte eignen sich deshalb für einen Vergleich, weil hier nahezu gleichzeitig hebräische Literatur publiziert wurde. Dadurch ist es möglich, die Frage zu klären, welche wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen auf lokaler, regionaler und europäischer Ebene nötig waren, damit jüdisch-hebräische Literatur in Schwaben gedruckt werden konnte. Nicht nur gemeinsame Strukturen, sondern auch charakteristische Differenzen werden auf diese Weise faßbar.
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S. 477-483. Grundlegend zum hebräischen Buchdruck und -handel sind immer noch die Arbeiten von Moritz Steinschneider. Vgl. u.a. Moritz Steinschneider: Hebräische Drucke in Deutschland. In: Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland 1. 1886/87. S. 103-105; S. 281-287; S. 377-382; 2. 1888. S. 200-203; 3. 1889. S. 84-86; S. 262-274; 5. 1892. S. 154186; Moritz Steinschneider: Jüdische Typographie und jüdischer Buchhandel. In: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Hg. von J. S. Ersch und J. G. Gruber. 2. Section. Bd. 28. Leipzig 1851. S. 21-94; Moritz Steinschneider: Catalogus Librorum Hebraeorum in Bibliotheca Bodleiana. 3 Bde. 2. Aufl. Berlin 1931. Vgl. dazu die unten folgenden Ausführungen zur Phantomdruckerei von August Wind. Ausführlich vorgestellt wird dieser Forschungsansatz in Hans-Jörg Künast: "Getruckt zu Augspurg". Buchdruck und -handel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. Tübingen 1997 (Studia Augustana. Bd. 8).
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Buchdruck in Schwaben
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I. Der hebräische Buchdruck in Augsburg6 Lebensspuren: Chajjim Schwarz7 Der hebräisch-jüdische Buchdruck begann 1475 in Italien und 1477 in Spanien. Nördlich der A l p e n wurde erst im 16. Jahrhundert mit der Drucklegung hebräischer Bücher begonnen. 1512 kam der erste hebräische Druck in Prag heraus. Hier etablierte sich seit 1514 Gerson ben S o l o m o n K o h e n als maßgebliche Verlegerpersönlichkeit und wurde z u m Begründer der Buchdruckerdynastie der Gersoniden. Einen wichtigen Anteil an der Herstellung der Prager Drucke hatte Chajjim Schwarz, der v o n 1514 bis 1526 als Drucker und Buchgestalter mit Kohen und anderen jüdischen Druckern zusammenarbeitete. 8 Chajjim Schwarz wurde u m 1490 in B ö h m e n , vermutlich i m Prager Getto, geboren. N a c h seiner Zeit bei S o l o m o n K o h e n ist er erst wieder 1529 in Oels bei 6
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Dieser erste Teil wurde bereits an anderer Stelle publiziert, jedoch fiir den Neudruck erweitert und überarbeitet. Vgl. dazu Hans-Jörg Künast: Chajjim Schwarz und Paulus Aemilius: Jüdisch-hebräischer Buchdruck in Augsburg (1533-1544). In: Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit. Festschrift anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Dr.-Günther-Findel-Stiftung zur Förderung der Wissenschaften. Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer. Wiesbaden 1996 (Wolfenbütteler Forschungen. Bd. 70). S. 157171. Abraham Meir Habermann: Ha-Madpis Chayjim Schachor, hebr. [Der Drucker Chajjim Schwarz, sein Sohn Isaak und sein Schwiegersohn Josef ben R. Jakar. Prag, Oels, Augsburg, Ichenhausen, Heddernheim, Lublin], In: Kiryat Sefer 31. 1955/56. S. 483-500. Der Aufsatz von Habermann ist weder in einer Bibliographie zur Geschichte Augsburgs, noch in Standardwerken oder Lexika der Judaistik verzeichnet. - Josef Prys: Hebräische Buchdruckereien im Gebiete des heutigen Bayern. In: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung 1925. Nr. 6. S. 89-93. Sfalomon] H[ugo] Lieben: Der hebräische Buchdruck in Prag im 16. Jahrhundert. In: Die Juden in Prag. Bilder aus ihrer tausendjährigen Geschichte. Festgabe der Loge Praga des Ordens B'Nai B'Rith zum Gedenktage ihres 25jährigen Bestandes. Prag 1927. S. 88-106; Bedrich Nosek: Katalog mit der Auswahl hebräischer Drucke Prager Provenienz. 1. Teil: Drucke der Gersoniden im 16. und 17. Jahrhundert. In: Judaica Bohemica 10. 1974. S. 1341; Kohen . In: The universal Jewish encyclopedia 6. 1948. S. 427; Encyclopaedia Judaica. Das Judentum in Geschichte und Gegenwart. Bd. 1-10. Berlin 1928-1934. Sp. 52f. In den Jahren zwischen 1512 und 1526 schlössen sich mehrere jüdische Drucker und Verleger zur Finanzierung, Drucklegung und zum Vertrieb von Hebraica zusammen. Innerhalb dieser Gruppe nahm Kohen bald eine führende Stellung ein. Chajjim Schwarz soll für die graphische Ausstattung und Illustration der herausgegebenen Bücher verantwortlich gewesen sein. Als Kohen 1527 ein Privileg von Kaiser Ferdinand I. erwirkte, das ihm das Monopol der Herausgabe hebräischer Bücher in Böhmen gewährte, konnte er alle bisherigen Partner ausschalten. Dieses Privileg dürfte auch Schwarz bewogen haben, Prag zu verlassen, da er keine Möglichkeit mehr sah, sich selbständig zu machen. - Ursula und Kurt Schubert: Jüdische Buchkunst. Teil 2. Graz 1992. Schwarz wird hier als Schwiegersohn von Kohen bezeichnet, jedoch ohne jede Quellenangabe.
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Breslau zu fassen. Dort vollendete er z u s a m m e n mit s e i n e m damaligen Geschäftspartner D a v i d ben Jonathan am 29. Juli 1530 einen 'Pentateuch'. 9 A b 1533 ist Schwarz in Augsburg nachzuweisen, w o er am 29. D e z e m b e r 1533 seinen ersten Druck vollendete. Im folgenden Jahrzehnt war Augsburg der Mittelpunkt seiner geschäftlichen Aktivitäten, bis er 1544 die Reichsstadt in Richtung Ichenhausen verließ, w o
eine jüdische G e m e i n d e
existierte.
In
Ichenhausen
druckte er z u s a m m e n mit s e i n e m Sohn Isaak und s e i n e m S c h w i e g e r s o h n Josef ben Jakar erneut einen hebräischen 'Pentateuch' und ein Gebetbuch für Frauen in Jiddisch. 10 D i e nächste Station i m unruhigen Wanderleben v o n Chajjim Schwarz war Heddernheim bei Frankfurt am Main. Hier entstanden 1546 z w e i weitere Verlagswerke: ein 'Selichot' und ein Kommentar zu 'Bechai' v o n Naftali Hirz ben Elieser Treves. Erneut wurde er v o n Sohn und S c h w i e g e r s o h n unterstützt." 1547 haben sich Chajjim Schwarz und seine Familie in Lublin niedergelassen, w o er vermutlich bald verstorben ist. Mitglieder der Familie Schwarz sind in Lublin bis weit ins 17. Jahrhundert als Buchdrucker nachweisbar. 1 2
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J. Benzing (Anm. 2) S. 371; M[arcus] Brann: Geschichte der Juden in Schlesien. Heft 5: Vom Beginn der habsburgischen Herrschaft bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Breslau 1910. S. 167f.; Bernhard Brilling: Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens. Entstehung und Geschichte. Stuttgart 1972 (Studia Delitzschiana. Bd. 14). S. 137-147; Gotthard Münch: Die jüdische Druckerei in Oels. In: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte N.F. 53. 1974. S. 52-56. 10 J. Benzing (Anm. 2) S. 213; Juden auf dem Lande, Beispiel Ichenhausen: Katalog zur Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen - Haus der Begegnung, 9. Juli bis 29. September 1991. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. München 1991 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur. Nr. 22). S. 58f.; Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 154-180; Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 80-109. - Pentateuch mit Megillot und Haftarot, hebräisch. Ichenhausen, 1544/45. Oxford, Bodleian Library. Opp. fol. 47; Ein Tefille von gantzn jor, jiddisch. Ichenhausen, 1544. BSB München. Rar. 1732. Zu Ichenhausen vgl. auch den Beitrag von Susanne Braun in diesem Band. " J. Benzing (Anm. 2) S. 192. 12 Mosche N. Rosenfeld: Der jüdische Buchdruck in Augsburg in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. London 1985. S. 10f.; Encyclopaedia Judaica. Bd. 1-16. Jerusalem 1971-1972, hier Bd. 11. Sp. 544.
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Chajjim Schwarz in Augsburg Wenn sich ein Jude in dem von ihm publizierten Büchern ausdrücklich als Augsburger Buchdrucker bezeichnet, stellt sich natürlich die Frage, wo Schwarz dort wohnte und arbeitete. Bekanntlich war die jüdische Gemeinde 1438/40 aus Augsburg vertrieben worden, ein Vorgang, der sich in fast allen süddeutschen Reichsstädten im Verlauf des 15. Jahrhunderts ereignete. Die Juden durften seither Augsburg nur tagsüber mit besonderer Erlaubnis betreten.13 Mosche N. Rosenfeld bringt in seiner Monographie zum jüdischen Buchdruck in Augsburg Chajjim Schwarz in Verbindung mit einem Augsburger namens August Wind: "Angeblich hatte ein gewisser August Wind eine Druckerei, die er Chaim Schwarz zur Verfügung stellte, doch ist auch über Wind nichts bekannt".14 In der Folge wird aus der noch vorsichtigen Äußerung Rosenfelds eine unumstößliche wissenschaftliche Erkenntnis: "August Wind richtete in seiner Buchdruckerei in Augsburg im 16. Jahrhundert eine besondere Abteilung für hebräische Drucke ein. Ungeachtet des für Juden geltenden Verbots, nach Augsburg zu ziehen, holte er den bekannten jüdischen Drucker Chaim Schwarz aus Prag zur Unterstützung."15 Nun läßt sich aber weder in der Forschungsliteratur zu Augsburg noch in den Augsburger Steuerbüchern ein August Wind nachweisen. Der Ursprung der Legende ist eine von Rosenfeld zitierte Arbeit aus dem Jahr 1935 von Bernhard Friedberg zum hebräischen Buchdruck in Zentraleuropa: "Zu diesem Zweck [Verbreitung der alten Sprachen und besonders der hebräischen Sprache im Zug des aufstrebenden Humanismus] richtete der Drucker August Vind in seiner Druckerei, die sich in dieser Stadt [Augsburg] befand, auch eine hebräische Abteilung ein. In dieser erschien im Jahr 1514, durch das Bemühen des Gelehrten Erhard Äglin [sie] ein Dekalog, mit Zufügung verschiedener Abschnitte und Verse aus den Büchern der Bibel, mit Erklärung aus der Feder des Gelehrten Ja. Bäsenstein [sie].16 [...] Dementsprechend brachte er [Vind] dort auch im Jahre 1520 in der Druckerei des S. Grimm und seines Genossen Markus Wirsung einige Kapitel aus dem Buch der Psalmen in Hebrä13
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Wolfram Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung. Die Reichsstadt Augsburg und die Juden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 10) S. 110-127. M. N. Rosenfeld (Anm. 12) S. Ii. B. M. Ansbacher: Art. Hebräische Drucke. In: Augsburger Stadtlexikon. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Recht, Wirtschaft. Hg. von Wolfram Baer, Josef Beilot u.a. Augsburg 1985. S. 88; ders.: Zeugnisse jüdischer Geschichte und Kultur: Jüdisches Kulturmuseum Augsburg. Augsburg 1985. S. 22. Johannes Böschenstein: Elementale introduetorium in hebreas litteras. Augsburg: Erhard Öglin, [Mai] 1514. VD-16 B:6356. SuStB Augsburg. 4° Spw. 35.
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isch heraus, mit Erklärungen in lateinischer und griechischer Sprache,17 und auch das Grammatikbuch des R. Mosche Qimche18 kam damals aus der Drukkerpresse. [...] Der Drucker Rabbi Chajjim Schwarz verließ danach die Stadt IIsa [Öls] wegen des Unglücks, das ihm zugestoßen war, wandte sich um und ging fürbaß, bis er zur Stadt Augsburg kam. Wie es scheint, schloß er dort einen Vertrag mit dem obenerwähnten Drucker H. August Vind."19 Friedberg offenbart in diesen Ausfuhrungen seine völlige Unkenntnis der Verhältnisse im Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Der Höhepunkt des Fabulierens wird mit der Erfindung der Druckerei des August Vind erreicht. Als mögliche Erklärung kann eigentlich nur angeführt werden, daß in mehreren der Augsburger Judaica keine vollständigen Angaben zu Erscheinungsort und/oder Drucker auf dem Titelblatt oder im Kolophon abgedruckt sind. So wurde aus der gängigen Abkürzung 'Aug. Vind.' für 'Augusta Vindelicorum' der Drucker August Wind. Während Bernhard Friedberg zugute gehalten werden kann, daß es 1935 noch kaum verläßliche Literatur zu den Augsburger Verhältnissen gab, kann Mosche N. Rosenfeld dies nicht für sich als Entschuldigung reklamieren. Er hat die einschlägige Literatur zum Augsburger Buchdruck und zur Geschichte von Augsburg und Schwaben schlicht nicht zur Kenntnis genommen, geschweige eigene Archivrecherchen unternommen. So entging ihm, daß ein Briefwechsel zwischen Ulm und Augsburg Antwort auf unsere Frage nach dem Wohnsitz von Chajjim Schwarz in Augsburg und der von Schwarz genutzten Druckerei gibt. Bereits 1935 veröffentlichte Julius Endriß eine Arbeit zu Sebastian Francks Ulmer Zeit. Im Anhang sind mehrere Briefe von Jörg Regel und Bonifazius Wolfart an den Ulmer Bürgermeister Bernhard Besserer publiziert.20 Darin wird ein Projekt angesprochen, das Sebastian Franck betraf, der 1533 nach Ulm gekommen war und sich darum bemühte, dort eine Druckerei einrichten zu dürfen.21 Bei diesem Vorhaben unter17
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Biblia, VT. Psalmi, hebr., lat. u. deutsch. Übers, von Johannes Böschenstein. Augsburg: Sigmund Grimm und Marx Wirsung, 1520. VD-16 B:3408. SuStB Augsburg. 4° Th.B. I, 1. Moses ben Josef Kimhi: Rudimenta Hebraica. Hg. von Johannes Böschenstein. Augsburg: Sigmund Grimm und Marx Wirsung, [Mai] 1520. VD-16 M:6419. SuStB Augsburg. 4° Spw. 56. B[emhard] Friedberg: [Englischer Untertitel] History of Hebrew Typography of the following Cities in Central Europe: [...]. Antwerpen 1935. S. 29f. Friedberg griff auf ältere Literatur zurück, fugte aber zusätzlich noch eigene Spekulationen hinzu. Vgl. M. Steinschneider: Jüdische Typographie (Anm. 3) S. 49; Giambernarde de Rossi: Annales Hebraeotypograhici: ab an. MDI ad MDXL. Parma 1799. Nr. 44, 91, 101, 103 und 105; Johann C. Wolf: Bibliotheca Hebrea. 4 Teile. Hamburg, Leipzig 1715-1733. Teil 2. S. 959; Teil 3. S. 810; Teil 4. S. 277, 451 und 840. Julius Endriß: Sebastian Francks Ulmer Kämpfe. Ulm 1935. S. 34-42. Auf diese Briefe machte Paul Geissler 1967 noch einmal aufmerksam. Vgl. Paul Geissler: Neues vom Hebräischen Frühdruck in Augsburg. In: Gutenberg-Jahrbuch 42. 1967. S. 118-121. J. Benzing (Anm. 2) S. 470. Jedoch erst im Herbst 1535 erhielt Franck die Erlaubnis vom Ulmer Rat, eine Druckerei einrichten zu dürfen. Von weiteren Verhandlungen mit Schwarz über eine Zusammenarbeit ist nichts bekannt.
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stützten ihn zwei bekannte Augsburger Persönlichkeiten: der wohlhabende Patrizier Jörg Regel (1466-1547/48) und der Prediger und Theologe Bonifazius Wolfart (in Augsburg tätig 1531-1543).22 Aber die beiden setzten sich nicht nur für Franck ein, sondern auch für Chajjim Schwarz. So schrieb am 21. Januar 1535 Jörg Regel an den Ulmer Bürgermeister: Das ander Stück ist das: ein Jud ist hie, der hat hebräisch Buchstaben und kann selbst setzen, der wollt hebräisch bei ihm [Sebastian Franck] drucken, dieselben Bücher sind von Stund an bar Geld, da hoffte er in einem Jahr etlich 100 Gulden über alle Kosten zu gewinnen außerhalb der teutschen Bücher zu drucken, das auch ein guten Nutz tragen wurden; damit so kam der gut, fromm und gelehrt Mann auf grün Zweig und wäre ihm geholfen, daß er (so Gott will) forthin nimmer dürft am Hungertuch nähen. Dieser Jud ist ein fromm Mensch, jedermann ungeärgert von ihm, wartet allein dem Drucken aus, ist in zwei oder drei Jahren oft und vil hie [in Augsburg] gewesen bei den Bonifaz [Wolfart] viel Wochen lang Schwarz wohnte also seit 1533 regelmäßig bei Bonifazius Wolfart im sogenannten 'Wunderhaus' in der Nähe des Gögginger Tors,24 wenn er sich in Augsburg aufhielt. In Einzelfällen konnten somit Juden knapp einhundert Jahre nach ihrer Stadtverweisung für längere Zeit innerhalb der Stadt wohnen. Schwarz mußte daher nicht bei Einbruch der Nacht die Stadt verlassen, wie es die Rechtsstatuten Augsburgs seit 1438 vorsahen. Ob und wieviel Schwarz hierfür bezahlen mußte, ist nicht bekannt, genauso wenig, ob Bonifazius Wolfart eine Art Bürgschaft leisten mußte. Ferner erfahren wir, daß es um die finanzielle Lage von Schwarz nicht sehr gut bestellt war. Eine Kooperation von Sebastian Franck mit Chajjim Schwarz sollte zum wirtschaftlichen Nutzen beider eingegangen werden. Aus einem zweiten Bittschreiben vom gleichen Tag durch Bonifazius Wolfart an Bernhard Besserer erhalten wir die entscheidende Information, wo Schwarz seine Bücher druckte: Denn er [Sebastian Franck] willens ein solche Druckerei anzurichten, die einer löblichen Stadt Ulm nit allein nützlich, sondern auch ehrlich sein würde, so er bei euch allerlei gute Bücher in den Sprachen durch den Druck an Tag brächte. Dazu ihm gar dienstlich wäre, vornehmlich die hebräisch Sprach belangend, ein Jud [Chajjim Schwarz], der jetzt bei drei Jahren hie beim Silvan ge22
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Zu Jörg Regel vgl. Augsburger Stadtlexikon (Anm. 15) S. 300 und zu Bonifazius Wolfart vgl. Karl Wohlfahrt: Caspar Schwenckfeld und Bonifacius Wolfart. In: Beiträge zur Bayerischen Kirchengeschichte 8. 1902. S. 97-114 und S. 145-161. J. Endriß (Anm. 20) S. 36f. StadtA Augsburg. Steuerbücher 1531-1543, Bl. 2c-d. Steuerbezirk 'Im Bartshof. In den 1530er und 1540er Jahren zogen weitere protestantische Prediger in das 'Wunderhaus' ein. Zu nennen sind Michael Keller, Hans Meckart und Ludwig Gestig. Hinzu kamen die führenden Kräfte des St. Anna Gymnasiums mit Sixt Birck, Andreas Diether und Hieronymus Ziegler.
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druckt und sich so frommlich und wahrhaft gen mäniglich gehalten, daß alle die, so bisher mit ihm gehandelt, frei bekennen, sie haben mehr Glauben und Redlichheit bei ihm funden, weder bei etlichen, die sich des christlichen Namens hoch geuden [rühmen]. Jch hab ihn selbst lange Zeit bei mir gehabt und dermaßen erkennet, daß ich, wie Christus vom Nathanael, schier dürfte sagen, er wäre ein wahrer Jsraelita, in welchem kein Betrug sei; allein hat er noch den Vorhang Mosi vor den Augen hangen, daß er nit in das Gesetz der Freiheit kann sehen [...]. Dieser ist ein feiner Künstler und die hebräisch Sprach zu drucken fast geschickt, hat auch Schriften dazu besser, weder man's jetzt in teutschen Landen finden mag, welcher mir zu Gefallen dem Seb. Francken seine Schriften wollt zustellen mit dem Geding, der er bei ihm in Knechtsweis arbeiten, die Bibel samt andern Büchern in hebräischer Sprach drucken möchte, davon nit ein kleiner Nutz dem Francken würde zustehn.25 Die beabsichtigte Zusammenarbeit zwischen Sebastian Franck und Chajjim Schwarz kam nicht zustande. Über die Gründe hierfür ist leider nichts bekannt. Jedoch werden in diesem Brief die Aussagen von Jörg Regel durch Bonifazius Wolfart bestätigt und darüber hinaus gibt Wolfart den Namen des Buchdruckers preis, bei dem Schwarz seine Vorhaben verwirklichte. Mit dem Buchdrucker Silvan kann nur Silvan Otmar gemeint sein, dessen Offizin sich unweit der Ostmauer der südlichen Altstadt von Augsburg bei der Klosterkirche St. Ursula befand. Schon im 15. Jahrhundert ließen sich beim Kloster St. Ursula Drucker und Buchführer nieder. 1502 richtete hier Johann Otmar, der Vater von Silvan, eine Druckerei ein. In dem gleichen großen Anwesen wohnten und arbeiteten Hans Elchinger d.Ä. und Melchior Elchinger sowie Alexander Weißenhorn. Zwischen 1515 und 1539 wurden unter der Leitung von Silvan mehr als 500 Drucke in der Otmarschen Offizin hergestellt. Damit zählt sie zu den produktivsten Druckereien dieser Periode. Silvan Otmars Sohn Valentin führte die Druckerei weiter bis 1563. Neben diesen Druckern und Buchfuhrern finden sich bei St. Ursula noch Formschneider und Buchbinder, so daß der Kunde hier ein breites Angebot an Waren und Dienstleistungen im Bereich der Literaturversorgung vorfand. Die Aktivitäten von Chajjim Schwarz spielten sich also in aller Öffentlichkeit ab, in einem wichtigen Zentrum der Augsburger Buchproduktion.26 Obwohl Silvan Otmar vereidigter, geheimer Drucker des Augsburger Rates sowie des Schwäbischen Bundes war, druckte er ohne jede Beanstandung durch 25 26
J. Endriß (Anm. 20) S. 38. Zur Konzentration von Druckereien, Buchbindereien und Buchhandlungen beim Kloster St. Ursula vgl. H.-J. Künast: "Getruckt zu Augsburg" (Anm. 5); ders.: Entwicklungslinien des Augsburger Buchdrucks von 1468 bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555. In: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Hg. von Jochen Brüning und Friedrich Niewöhner. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 1). S. 227-239; ders.: Augsburg als Knotenpunkt des deutschen und europäischen Buchhandels (1480-1550). In: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Hg. von Jochen Brüning und Friedrich Niewöhner. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 1). S. 240-251.
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den Augsburger Rat Schriften von Sebastian Franck und Kaspar Schwenckfeld. Ferner beschäftigte er 1525 und 1526 den Antitrinitarier Ludwig Hätzer und den Täuferfuhrer Hans Denck als Korrektoren.27 Während dieser Zeit druckte er natürlich auch deren neue Flugschriften. Wahrscheinlich sympathisierte er mit ihren theologischen Lehren. Eine grundsätzlich positive Einstellung zum Judentum sollte man Silvan Otmar nicht unterstellen, denn dieser druckte einige judenfeindliche Pamphlete,28 bevor er Chajjim Schwarz seine Druckerei zur Verfügung stellte. Da Judenfeindschaft in der Bevölkerung weit verbreitet war, war mit der Drucklegung solcher Schriften kein Geschäftsrisiko verbunden. Der Fürsprache durch Bonifazius Wolfart und Jörg Regel ist es mithin zuzuschreiben, daß Chajjim Schwarz die Offizin von Silvan Otmar und dessen Illustrationsmaterial für seine hebräischen Druckvorhaben nutzen konnte.29 Der Buchdruck litt in den 1530er und 1540er Jahren unter strukturellen Problemen von Überbesetzung und -produktion. Bei hohem Kapitalbedarf waren die Gewinnspannen vergleichsweise niedrig, die Gefahr in Konkurs zu gehen dafür umso größer. Erfolgreiche Titel wurden von der Konkurrenz gerne nachgedruckt, was mit Hilfe von kaiserlichen und anderen Privilegien nur sehr unzureichend verhindert werden konnte. Unter diesen Bedingungen konnten sich nur die geschäftstüchtigsten Drucker auf Dauer behaupten. Für Silvan Otmar waren deshalb ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen im Spiel, wenn er Schwarz seine Druckerwerkstatt zur Verfugung stellte, vor allem in Zeiten, in denen seine eigene Auftragslage schlecht war. Zwischen 1532 und 1536 sind insgesamt sieben Schwarz-Drucke nachzuweisen. Danach gibt es eine Lücke von vier Jahren, ehe das nächste Augsburger Druckwerk erschien.30 In diesen vier Jahren konzentrierte sich Schwarz vermutlich 27
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Karl Schottenloher: Silvan Otmar in Augsburg. Der Drucker des schwäbischen Bundes 1519-1535. In: Gutenberg-Jahrbuch 15. 1940. S. 281-296; Friedrich Roth: Augsburger Reformationsgeschichte. 2. Aufl. München 1901. Bd. I, S. 220, 231, 261, Anm. 52. Z.B. Kaspar Turnauer: Von dem jüdischen und israelitischen Volk. [Augsburg: Silvan Otmar] 1528. VD-16 T:2360. SuStB Augsburg. 4° Jud. 156. In der Schrift werden die Altgläubigen mit den Juden verglichen. Während die Anhänger der Reformation mit Gottes weiterem Schutz rechnen können, werden die Altgläubigen das Schicksal von Verfolgung und Vertreibung mit den Juden teilen. Katholiken dürften diese Gleichstellung als besonders infam empfunden haben. Am deutlichsten wird dies bei den verwendeten Titelbordüren, die Daniel Hopfer für Silvan Otmar entworfen hat. Vgl. M. N. Rosenfeld (Anm. 12) S. 53, Abb. 20 und S. 57, Abb. 28. Zu Daniel Hopfer (um 1470-1536) vgl. Hollstein's German Engravings, Etchings and Woodcuts 1400-1700. Hg. von Tilman Falck. Bd. 15. Amsterdam 1986. S. 33-176, bes. S. 164, 168, 171, 173 (Abb. von Titelbordüren). M. N. Rosenfeld (Anm. 12) S. 8 sieht einen Zusammenhang mit dem Ratsdekret vom 3. August 1536, das für Juden den Zugang zur Stadt weiter einschränkte. - Der Druck eines 'Machsor' in Lublin um 1536 durch Chajjim Schwarz - wie in der Encyclopaedia Judaica (Anm. 8) Bd. 6. Sp. 53 behauptet - ist sehr unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Ein Exemplar dieser Ausgabe ist mir nicht bekannt. Für die Produktionslücke in Augsburg können jedoch auch Überlieferungszufälle verantwortlich sein, denn nur selten lassen sich heute mehr als ein oder zwei Exemplare dieser frühen Judaica noch nachweisen.
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auf den Buchhandel. Neben dem gesamten süddeutschen Raum war mit Sicherheit Italien ein wichtiger Absatzmarkt. In einem Exemplar des 'Machsor', den Schwarz am 2. Mai 1536 vollendete, ist ein interessanter Kaufeintrag zu finden. Das Werk mit Festgebeten in hebräischer Sprache verkaufte Schwarz am 5. August für zehn fl. in Mantua an Samson ben Jakov Ha Kohen.31 Schwarz hat seine Druckvorhaben bei den Augsburger Zensurherren ordentlich angemeldet. Er kann daher keineswegs den im geheimen arbeitenden Winkeldrukkern zugerechnet werden. Da in Augsburg nur Bonifazius Wolfart die hebräische Sprache beherrschte, wurde er vom Stadtschreiber Konrad Peutinger mit der Prüfung der Manuskripte betraut. Im Nachlaß von Peutinger hat sich ein Gutachten Wolfarts von 1534 erhalten.32 Bei dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Wolfart und Schwarz versteht es sich von selbst, daß Wolfart das Druckvorhaben genehmigte und unterstützte. 1540 und 1541 hielt sich Schwarz erneut in Augsburg auf, um hier drei weitere Werke zu drucken. Daran beteiligt waren jetzt auch sein Sohn Isaak und sein Schwiegersohn Josef ben Jakar. Zum Ende der Tätigkeit von Schwarz in Augsburg vermutet Mosche N. Rosenfeld, "daß die neue Buchdrucker Ordnung vom August 1541 mit der Einstellung seiner Tätigkeit in Verbindung steht."33 Doch auch hier offenbart sich Rosenfelds Unkenntnis der Augsburger Verhältnisse. Zum ersten war das Drucken in Augsburg im 15. und 16. Jahrhundert eine freie Kunst, weshalb der Rat am 27. August 1541 auch keine Druckerordnung veröffentlichte, sondern frühere Zensurbestimmungen erneuerte und verschärfte. Zum zweiten ist Schwarz kein selbständiger Druckereibesitzer gewesen und nur diese wurden vereidigt, die Zensurgesetze zu befolgen. Zudem konnte Schwarz mit seiner Buchproduktion den innerstädtischen Frieden überhaupt nicht stören, da seine Verlagswerke nicht für den Augsburger Markt bestimmt waren. Zum dritten richtete sich diese Zensurordnung gegen die katholische Minderheit in Augsburg. Gedrängt von den protestantischen Predigern, denen die Beseitigung des alten Glaubens zu langsame Fortschritte machte und dabei politisch unterstützt von der radikalen Reformationspartei um Jakob Herbrot, verabschiedete der Rat dieses Mandat.34 Es ist also überhaupt nicht einsichtig, warum Schwarz mit dem protestanti31
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Machsor, hebr. Augsburg: Chajjim ben David, [2. Mai] 1536. VD-16 M:231. SuStB Augsburg. 4° Jud. 72 bzw. BM-STC, S. 448. BL London. 1971.f.l (Druckvarianten). M. N. Rosenfeld (Anm. 12) Nr. 44b, Übersetzung: "Gekauft von R. Chaim Schachor hier in Mantua für 10 Reinisch heute der 18. Au. 296 [5. Aug. 1536] Samson b. Jakov Ha Kohen." Erich König: Konrad Peutingers Briefwechsel. München 1923. Nr. 288: [...] Liber Hebraeus, quem heri ad me misisti, a Chaim (si quisquam alius) vero Israelita partim Ulmae, partim hic excusus est nec certum authorem praefert. [...] Continent autem orationes Iudaeorum plane pias et innocuas, ut puta ex Scripturis desumptas, quas singulis festis et neomeniis adeoque per totum anni curriculum orare solent. M. N. Rosenfeld (Anm. 12) S. 8. StadtA Augsburg. Schätze Nr. 16, Bl. 67v und Ratsbuch Nr. 16, Bl. 188: Vff 27 tag Augustj Anno zc 41. sein nachuolgent buchtruckher vnd buchfuerer für. vnnd Jn Rat erfordert, vnnd
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sehen Prediger Wolfart als schützender Hand in seinen Aktivitäten behindert worden sein soll. Das Ende seiner Augsburger Tätigkeit und die Übersiedlung nach Ichenhausen hatten andere Gründe. Sie sind im Zusammenhang mit dem zweiten Drucker von Hebraica in Augsburg, mit dem jüdischen Konvertiten Paulus Aemilius Romanus, zu sehen.
Die gescheiterte Zusammenarbeit zwischen Chajjim Schwarz und Paulus Aemilius Romanus und ihre Folgen Von Paulus Aemilius Romanus haben wir genauere Kenntnis erst seit dem Jahr 1538. Aus den Angaben in einer von ihm selbst gefertigten Handschrift geht hervor, daß er in Rödelsee in Unterfranken geboren wurde.35 In Rödelsee existierte am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine größere Judengemeinde. Aemilius hatte fundierte philologische Kenntnisse, die ihm 1547 sogar den Ruf auf einen Lehrstuhl für hebräische Sprache an der Universität Ingolstadt einbrachten. Im Jahr 1538 war er als Berufsschreiber tätig. Von März bis September 1538 kopierte er im Auftrag von Johann Albrecht Widmanstetter36 drei kabbalistische Handschriften, die sich in Rom, in Castro sowie in Gradoli in der Provinz Viterbo befanden.37 Zum katholischen Glauben ist Aemilius in Rom vor dem März 1538 übergetreten, wie aus dem Kolophon der dort entstandenen Handschrift hervorgeht: "Ich vollendete [diese Handschrift] hier in Rom am Freitag, 20. Nisan [...] 5298 der Weltschöpfung, [15]38 der Ankunft Jesu unseres Erlösers."38
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Jnen ain New gemachte Ordnung vorgelesen, vnnd yedem ain Zeil derselbn Ordnung Zugestelt worden, [es folgen die Namen der Vereidigten]. BSB München. Chm 115. Johann Albrecht Widmanstetter (1506-1557) war Jurist, Diplomat, Humanist und Orientalist. Sein handschriftlicher Nachlaß und seine Bibliothek gelangten 1558 in die Münchner Hofbibliothek. Eine gründliche Auswertung dieser wertvollen Quellen stellt ein Desiderat dar. Vgl. Karl Dachs: Die schriftlichen Nachlässe in der Bayerischen Staatsbibliothek München. Wiesbaden 1970 (Catalogus codicum manu scriptum Bibliothecae Monacensis. Bd. IX, 1). S. 168f. BSB München. Chm 103, 112 und 115. Aemilius soll auch in Paris und Löwen gewesen sein, um hebräische Kodizes zu kopieren; vgl.: The Jewish Encyclopedia. Bd. 1. 2. Aufl. New York, London 1925. S. 219. - 1539 wurde Widmanstetter zum Rat von Herzog Ludwig X. von Bayem-Landshut ernannt, und gelangte dadurch in eine Position, in der er viel für Paulus Aemilius tun konnte. BSB München. Chm 103. Zitiert nach Hans Striedl: Paulus Aemilius an J.A. Widmanstetter. Briefe von 1543/44 und 1549. Aus dem Hebräischen übersetzt und kommentiert. In: Ars iocundissima. Festschrift für Kurt Dorfmüller. Tutzing 1984. S. 333-345, bes. S. 333. Paulus Aemilius: Widerlegung vnd ablainung etlicher fürnemster Articul vnd Vrsachen, darum die Juden iren vnd der gantzen weit rechten warhaftigen Messiam Jesum Christum nit
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1542 kam Aemilius schließlich nach Augsburg, wo er Verhandlungen mit Chajjim Schwarz über eine mögliche Kooperation führte. Vermittelt wurden diese Gespräche durch den Oberrabbiner von Schwaben, Rabbi Isaak von Günzburg (1506-1586). Inhalt der Verhandlungen war, daß Aemilius und Schwarz gemeinsam nach Ferrara reisen sollten, um die Möglichkeiten zu prüfen, dort eine Offizin einzurichten. Die Reise wurde zwar im Sommer 1542 unternommen, aber aus nicht bekannten Gründen kam es zum Bruch zwischen Schwarz und Aemilius.39 Zu vermuten ist, daß es nicht nur zu Spannungen zwischen Schwarz und Aemilius gekommen ist, sondern daß die jüdische Gesellschaft diese Kooperation mit einem Konvertiten ablehnte, auch wenn ein angesehener Rabbiner diese persönlich vermittelt hatte. Den finanziellen Schaden aus diesem gescheiterten Unternehmen hatte Schwarz zu tragen, der von Aemilius auf Kostenersatz verklagt wurde. Mit Hilfe seines Gönners Widmanstetter konnte er seine Forderungen durchsetzen.40 Ob ein Zusammenhang besteht zwischen diesem Prozeß und dem Abzug von Chajjim Schwarz aus Augsburg, kann nicht eindeutig belegt werden, ist jedoch sehr wahrscheinlich. Im Gegensatz zu Paul Geissler, der von einer Zusammenarbeit von Schwarz und Aemilius auch nach 1542 ausging,41 liegen meines Erachtens eine Reihe von Gründen für die Annahme vor, daß Aemilius Schwarz aus Augsburg verdrängte. Schwarz verlor 1543 mit Bonifazius Wolfart seinen Rückhalt, wie sein Kontrahent Paulus Aemilius aufmerksam vermerkt: "Ich kann Dir noch eine Neuigkeit berichten: Ich teile Dir mit, daß der Prediger Bonifacius erkrankt ist und ein Bad aufgesucht hat, weil er um seine Gesundheit besorgt war. Er ist aber nicht mehr zurückgekehrt, sondern dort gestorben und beerdigt worden."42
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annemmen [...]. Ingolstadt: Alexander Weißenhorn 1548. SuStB Augsburg. 4° Jud. 30. In der Widmung dieser judenfeindlichen Flugschrift an den späteren Bischof von Augsburg und Kardinal, Otto Truchseß von Waldburg, dankt Aemilius diesem, daß er seinen Entschluß zur Konversion gefordert habe. S. Rohrbacher (Anm. 10) S. 96. H. Striedl (Anm. 38) S. 341. Brief von Johann Albrecht Widmanstetter an Rabbi Isaak von Günzburg. Landshut, 27.3.1543: "[...] Paulus Emilius, ein auf unseren Messias Getaufter und mein Sohn auf dem Pfade der Gerechten, sagte mir, daß er in den vergangenen Tagen in Deiner Gegenwart mit dem Israeliten Rabbi Chayyim, [...] eine Teilhaberschaft eingegangen und anschließend mit ihm mit Gottes Hilfe nach Italien gereist sei. Nachdem er aber die Betrügerei des obengenannten durchschaut hatte, kehrte er nach Deutschland zurück, um Dich um Hilfe zu bitten. [...]." P. Geissler (Anm. 20) S. 120: "Die zwischen Schwarz und Paulus Aemilius zustandegekommene Verbindung blieb bestehen, bis Schwarz Augsburg verließ." H. Striedl (Anm. 38) S. 337; StadtA Augsburg. Steuerbuch 1543, Bl. 2d: Her Bonifacius wolfarts wittib dt 30 d 1 fl 4 kr 6 d.
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Zu diesem Zeitpunkt hatte Aemilius gute Beziehungen zu den einflußreichen Augsburger Kaufmannsfamilien Rehlinger und Kraffter aufgebaut.43 1541 erfolgte zudem die Übergabe der Druckerei bei St. Ursula an Valentin Otmar, nachdem sein Vater Silvan gestorben war. Der letzte Druck, der von Schwarz mit Namen gezeichnet wurde, ist spätestens im April 1541 vollendet worden, also vor der Italienreise.44 Die 1543 und 1544 erschienenen Hebraica sind damit Paulus Aemilius zuzuschreiben, hergestellt jedoch mit den Typen von Schwarz. Dazu bediente sich Aemilius der Druckerei von Valentin Otmar, wie Briefe von Aemilius belegen, wo er sich buchtrucher bei santt vrschil zu augspurg nennt.45 Entweder hat Schwarz sein Typenmaterial wegen unbezahlter Rechnungen an Valentin Otmar verpfänden müssen, der sie Aemilius überließ. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß Aemilius persönlich in ihren Besitz gelangte. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1544 konnte Schwarz - entweder bei Valentin Otmar oder bei Paulus Aemilius - seinen Typenapparat für die Drucklegung des 'Pentateuch' in Ichenhausen auslösen. Wie Chajjim Schwarz hat auch Paulus Aemilius seine Druckvorhaben ordentlich bei der Obrigkeit angemeldet. Aus dem Jahr 1543 liegt ein Bericht über ein korrektes Genehmigungsverfahren vor. Paulus Aemilius beabsichtigte das 'Buch der Könige' aufzulegen, weshalb er ein Gutachten seines Freundes Johann Albrecht Widmanstetter der Zensurbehörde vorlegte. Dies enthob die Zensurherren der Schwierigkeit, die Druckerlaubnis für ein Werk zu erteilen, das sie nicht lesen konnten.46
Das Ende der jüdisch-hebräischen Buchproduktion in Augsburg und der europäische Buchmarkt Daß Paulus Aemilius - ebenso wie Chajjim Schwarz - nicht nur für die Judengemeinden im süddeutschen Raum produzierte, sondern für einen viel größeren Markt, belegt die Tatsache, daß er nach Fertigstellung des 'Buchs der Könige' die Frankfurter Messe besuchte. An Widmanstetter schrieb er am 21. August 1543: "Ich teile Dir ferner mit, daß ich mit meinem Buch nach Frankfurt reise. Wenn Du Novitäten brauchst, gib mir Auftrag: Ich werde mich eifrig bemühen und wie ein Held freudig den Weg laufen mit dem Auftrag meines Herrn."
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Zur Familie Rehlinger vgl. Augsburger Stadtlexikon (Anm. 15) S. 301; zur Familie Kraffter vgl. Hermann Kellenbenz: Der Konkurs der Kraffter in Augsburg. In: Die alte Stadt. Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 16. 1989. S. 392-402. Jakob ben Ascher: Arba Turim. Augsburg: Chajjim ben David, Nissan [März/April] 1541. SuStB Augsburg. 2° Jud. 8. So z.B. H. Striedl (Anm. 38) S. 336. H. Striedl (Anm. 38) S. 336.
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Zu welchem Zeitpunkt Aemilius Augsburg endgültig verlassen hat, ist nicht bekannt. Drucke liegen von ihm nach 1544 nicht mehr vor. Dies steht in auffälligem Gegensatz zu seinen Absichten, die er gegenüber Widmanstetter 1543 äußerte: "Ich habe die Absicht, auf jeden Fall ein Privilegium für die Bücher, die Tefillot genannt werden, zu erwerben; denn wie Du weißt, müssen sie [die Juden] täglich zweimal ein Gebet verrichten; aber auch für die Esrim we-arba in deutscher Sprache mit den Buchstaben, mit denen ich die Könige [Melochim-Buch] gedruckt habe, ferner (für) ein Machsor, für Selichot und andere Werke, was in Deinen Augen richtig erscheint. Wenn es die Zeit erlaubt, werde ich darüber nachdenken, welche weiteren Bücher man drucken könnte."47 Aus diesen Vorhaben wurde nichts mehr. Dies muß Aemilius schon bei der Niederschrift seines Briefes befürchtet haben, denn er meldet Widmanstetter weiter: "Ich habe auch gehört, daß man im Haus Daniel zu drucken begonnen hat; da hat mich die Finsternis der Nacht befallen."48 Mit dem großen venezianischen Verlags- und Druckhaus von Daniel Bomberg, das zwischen 1515 und 1549 rund 200 hebräische Druckwerke herausgab, konnte Aemilius in der Tat nicht konkurrieren. Dort ruhte die Drucktätigkeit zwischen 1540 und 1542.49 Dies kam natürlich Chajjim Schwarz, Paulus Aemilius und auch der — noch zu besprechenden - hebräischen Druckerei von Paulus Fagius in Isny zugute, die mit einer erhöhten Nachfrage nach ihren Produkten rechnen konnten. Hier werden die europäischen Zusammenhänge im Buchdruck und -handel deutlich, die bei Beurteilung und Einordnung lokaler Buchproduktion immer mitberücksichtigt werden müssen. Mit der Wiedereröffnung der hebräischen Offizin in Venedig verschlechterten sich nicht nur die Absatzchancen auf dem wichtigen italienischen Markt, sondern auch in Süddeutschland, denn Augsburg war ein zentraler Umschlagplatz für die venezianische Buchproduktion. Zudem ist zu bedenken, daß Bombergs hebräische Ausgaben wegen ihrer hohen Qualität als Markenartikel galten, welche die Leser bevorzugten. Aber nicht nur die Wiederaufnahme des hebräischen Buchdrucks in Venedig verursachte 1543/44 das Ende der kurzen Blüte der hebräisch-jüdischen Buchproduktion in Augsburg. Auch die politischen Rahmenbedingungen in Augsburg selbst hatten sich verschlechtert. Als sich die politischen Kräfte durchsetzten, die eine konsequente reformatorische Umgestaltung der Stadtgesellschaft anstrebten, 47 48 49
H. Striedl (Anm. 38) S. 340. H. Striedl (Anm. 38) S. 340. Zu Bomberg vgl. David Werner Amram: The Makers of Hebrew Books in Italy. Being Chapters in the History of the Hebrew Printing Press. London 1988. S. 146-224, bes. S. 197 und S. 222 (Produktionsstatistik). Gründe für den Stillstand werden nicht genannt. Einen Zusammenhang mit der venezianischen Druckerordnung von 1537 sieht Amram nicht. - Auch in Prag wurde nach der Ausweisung der Juden aus Böhmen im Jahr 1541 der Druck von Hebraica für mehrere Jahre eingestellt. Vgl. B. Nosek (Anm. 8) S. 16 und S.H. Lieben (Anm. 8) S. 95.
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konnte sich Paulus Aemilius trotz hervorragender politischer Verbindungen in Augsburg nicht mehr halten. Anhänger der römischen Kirche mußten seit der offiziellen Einfuhrung der Reformation 1537 mit zunehmenden Schikanen leben.50 Womit sich Paulus Aemilius seinen Lebensunterhalt in den Jahren zwischen 1544 und 1547 verdiente, ist nicht bekannt. Seit 1547 jedoch lehrte er an der Universität Ingolstadt Hebräisch, wo er nebenbei noch einen akademischen Grad in Medizin erwarb." Im September 1574 wurde Aemilius nach München berufen, um die hebräischen Handschriften und Drucke der Hofbibliothek zu katalogisieren. Diese Arbeit konnte er nicht mehr vollenden, denn am 9. Juni 1575 ist Aemilius gestorben.52
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Alexander Weißenhom, der letzte Augsburger Buchdrucker, welcher der alten Kirche treu geblieben war, siedelte nicht ganz freiwillig bereits 1540 nach Ingolstadt über. Vgl. H.-J. Künast: "Getruckt zu Augspurg". Buchdruck und -handel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. (Anm. 5) S. 81f. Johann Nepomuk Mederer: Annales Ingolstadiensis Academiae. Pars I. Ingolstadt 1782. S. 203: A. 1547 Nou. Prof. Paulus Aemilius, Romanus. Prof. Ling. Hebr.; S. 205: in Medicinae Baccalaureum eodem anno apud nos promotus. Für den freundlichen Hinweis auf die Aemilius betreffenden Stellen in den 'Annales Ingolstadiensis' danke ich Dr. Christoph Roth, Heidelberg, sehr herzlich. - Widmanstetter wird sich auch für die Berufung von Paulus Aemilius eingesetzt haben. In Ingolstadt veröffentlichte Aemilius den Traktat 'Widerlegung [...], darum die Juden iren vnd der gantzen weit rechten warhaftigen Messiam Jesum Christum nit annemmen [...]' (Anm. 38) und 1562 eine eigene Übersetzung der 'zway ersten Bücher der Künig, woelche Samuelis genandt werden, [...]'. Vgl. Gerhard Stalla: Bibliographie der Ingolstädter Drucker des 16. Jahrhunderts. Baden-Baden 1971-1977 (Bibliotheca bibliographica Aureliana. Bd. 34, 41, 46, 56, 61, 67, 71). S. 73, Nr. 240 und S. 113, Nr. 394. J. N. Mederer (Anm. 51) Pars II. S. 25f.: Obiit die 9. Iunii ipsa Octaua corporis Christi, M. Paulus Aemilius, Hebaicae linguae Professor, sub statione processus cum Sacramento, ad ipsius aedes. Habet Epitaphium lapideum apud D. Mariam, cum figura Conuersionis D. Pauli. Est vero monumenti illius haec haec inscriptio vernacula: Anno 1575. Den 9. lun. Starb der Ehrnvest und wohlgelehrt Herr M. Paulus Aemilius Romanus, der Heil. Sprach Professor allhie. Aemilius a Iudaeis ad Christianos conuersus, anno 1547 ad nostram Academiam accessit. Ducta dein vxore Anna Pßanzmannia, geuit ex eadem fllios sex, atque vndexim filias; id quod dictum monumentum exhibet, in Sacello S. Barbarae eidem positum. Linguae sacrae cognitione inprimis claruit, quod scripta loquuntur Augustae ab ipso edita; scilicet Quinque Quinarii Legis, cum quinque Historiis, Canticis Canticorum, Ruth, Ecclesiaste, Threnis Hieremiae, & Historia Ester. Vulgauit praeterea typis Ingolstadianis, Widerlegung etlicher Vrsachen, warum die luden Messiam nicht annemen. Catalogum quodque Codicum hebraicorum, qui in Bibliotheca aulica Monachiensi asseruantur, magnam partem confecisse videtur, cum in margine illius Catalogi haec verba legantur: Paulus Aemil. hic finem fecit. - Anna Pflanzmann ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mit dem Druckereibesitzer und Juristen Jodokus Pflanzmann (gest. vor 1498) verwandt. Die 1534 verstorbene Anna Pflanzmännin, die in den Augsburger Steuerbüchern genannt wird, kann ebenfalls nicht mit Aemilius' Ehefrau identisch sein, denn das gesamte Erbe geht nach Donauwörth. Vgl. StadtA Augsburg. Steuerbücher 1534, Bl. 57c.
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II. Die hebräische Druckerei des Paulus Fagius in Isny Zur gleichen Zeit als in Augsburg Chajjim Schwarz und Paulus Aemilius Romanus ihre Bücher druckten, existierte in Isny eine weitere hebräische Druckerei. Sie wurde gegründet von dem Leiter der Lateinschule in Isny und protestantischen Prediger Paulus Fagius. Um die historischen Zusammenhänge zu verstehen, die zur Gründung dieser Offizin führten, ist es hilfreich, zunächst Paulus Fagius kurz vorzustellen. Paul Büchlein, der sich bereits als Student Paulus Fagius nannte, wurde 1504 in Rheinzabern geboren. Sein Vater Peter Büchlein arbeitete dort als Lehrer und Stadtschreiber. Von seiner Mutter Margarete Hirn ist nur bekannt, daß sie aus einer angesehenen Heidelberger Familie stammte.53 Am 3. Oktober 1521 immatrikulierte sich Fagius in Heidelberg, wobei er später Martin Frecht und Johannes Brenz als seine wichtigsten Lehrer hervorhob.54 1522 ging er nach Straßburg, wo er als Lehrer arbeitete und Hebräisch bei Wolfgang Capito lernte. Entscheidend für seine weitere Entwicklung wurde die enge Freundschaft, die ihn mit Martin Bucer zeit seines Lebens verband.55 1527 berief ihn der Rat von Isny zum Rektor der Lateinschule. Er entfaltete jedoch nicht nur große Aktivitäten im Unterrichtswesen, sondern gehörte zu den maßgeblichen Persönlichkeiten, welche der Reformation 1534 in Isny zum Sieg verhalfen. 1536 - auf Betreiben Martin Bucers schickte der Rat von Isny Fagius nach Straßburg zurück, damit er seine theologischen Studien vollenden konnte. Nach seiner Rückkehr nach Isny im Jahr 1538 übernahm er die Predigerstelle, zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit.56 Darüber hinaus richtete er während seines zweiten Aufenthalts in Isny eine Druckerei ein, wovon im folgenden noch ausführlich zu berichten sein wird. Zwischen Ostern 1543 und August 1544 half er in Konstanz als Prediger aus, wo er die Stelle des an der Pest gestorbenen Johannes Zwick versah, um anschließend als Nachfolger von Wolfgang Capito in der doppelten Funktion als Pfarrer an Jung St. Peter und als Professor für Altes Testament an seine alte Wirkungsstätte, nach Straßburg, zurückzukehren. Weil er sich weigerte, das Interim anzunehmen, wurde Fagius am 1. März 1549 vom Straßburger Rat entlassen. Zusammen mit seinem Freund Martin Bucer nahm er eine Einladung nach England an, wo ihm eine Professur an der Universi53
54 55 56
Richard Raubenheimer: Paul Fagius aus Rheinzabern. Sein Leben und Wirken als Reformator und Gelehrter. Grünstadt 1957 (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte. Bd. 6). S. 12f.; Rudolf Lenz: Paulus Fagius (1504-1549). Eine Darstellung seines Wirkens in der Leichenpredigt auf Thomas Wächter (t 1682). In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14. 1974. Sp. 1937-1942. Abraham Schweizer: Eine hebräische Druckerei in Isny. In: Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs 5. 1929. S. 275277. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 14. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 16. R. Raubenheimer (Anm. 53) S.21f.
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tät angetragen worden war." Dort ist er am 23. November 1549 in Cambridge verstorben.58
Die Druckerei des Paulus Fagius Es waren besondere Umstände, die eine hebräische Druckerei in Isny ermöglichten. Die treibende Kraft des Unternehmens war Paulus Fagius, der die Ursprache des Alten Testaments nicht nur unterrichten, sondern auch durch die Publikation geeigneter Werke in propaganda lingua Hebraea59 wirken wollte. Fagius gehörte damit jener Strömung des Humanismus an, die sich sowohl für das Studium der griechischen Sprache als auch für fundierte Kenntnisse in Hebräisch, Chaldäisch usw. aussprach, um die antike und vor allem die biblische Überlieferung verstehen zu lernen. In der Vorrede des ersten Werks, das in der Isnyer Druckerei vollendet wurde, faßte Fagius seine Absichten zusammen und äußerte sich zu den Faktoren, welchen die Verwirklichung des Projekts zu verdanken waren: Da ich mich nun schon seit einigen Jahren damit beschäftige, geneigtester Leser, sofern es in den Schriften und Heiligtümern der Juden etwas von Bedeutung gibt, das den Christen, insbesondere den Theologen, zum Verständnis der Heiligen Schrift von Nutzen sein kann, dies ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen: Es ist durch den gütigen Willen des allerhöchsten Gottes geschehen, daß mir zu diesem meinem Vorhaben zwei überaus dienliche und willkommene Hilfen zuteil wurden. Erstens ein höchst großzügiger Mäzen, der die Mittel für die Einrichtung einer hebräischen Buchdruckeroffizin mit offener Hand zur Verfögung stellt, nämlich Peter Büffler, Bürger von Isny, ein äußerst ehrbarer und frommer Mann, der wegen seines einzigartigen Eifers, mit dem er sich um alle Gelehrten kümmert und sich ganz der Förderung der Frömmigkeit widmet, ewigen Ruhm bei der gesamten Nachwelt verdient. Zweitens, daß ein überaus gelehrter Jude, wie die Welt kaum einen zweiten hat, nämlich Elias, der Herkunft nach Jude, mit Beinamen Levites Germanus, sich aus Italien, aus der berühmten Stadt Venedig, nach Isny berufen ließ, um zu diesen meinen Unternehmungen mir seine helfende Hände zu leihen.60
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R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 99. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 112. hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum cui titulum fecit: Tischbi id est Thisbites, hebr. u. lat. Übers, ins Latein von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113, Praefatio ad lectorem. Tischbi (Anm. 59) Praefatio ad lectorem: Quando quidem iam ab annis aliquot in hoc incumbo, optime lector, ut, si quae sunt in Hebraeorum scriptis & penetralibus alicuius momenti, [...] quae Christianis hominibus maxime Theologis, ad intelligendas sacras literas usui esse possunt, in lucem proferam. Factum est benigna uoluntate Dei Opt. Max. ut ad hoc
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Entscheidend für den Erfolg des Unternehmens - so betont Fagius - war es, daß es gelang, einflußreiche und kapitalkräftige Gönner sowie geeignete Mitarbeiter zu gewinnen. An erster Stelle nennt er den Isnyer Kaufmann und Ratsherrn Peter Büffler, der zu den maßgeblichen Persönlichkeiten in Isny gehörte und ein nachdrücklicher Befürworter der Reformation war. Da Büffler durch die Investition von immerhin rund 3.000 fl. die Einrichtung der Druckerei erst ermöglichte, ist Fagius' große Dankbarkeit zu verstehen.61 Aber Büffler verstand sich nicht ausschließlich als großherziger Förderer der Wissenschaften, sondern das Engagement erfolgte durchaus aus kaufmännischem Kalkül. Dies mußte Fagius erfahren, als er sich aus dem Unternehmen zurückzog und nach Straßburg abwandern wollte.62 Für einen erfolgreichen Start der Druckerei war es ferner ein glücklicher Umstand, daß es Fagius gelang, einen bedeutenden jüdischen Gelehrten zur Übersiedlung von Venedig nach Isny zu bewegen. Elijah ben Asher hal-Levi (lat.: Elias Levita) wurde in Neustadt an der Aisch um 1472 geboren. Von 1504 bis 1509 arbeitete er als Lehrer in Padua, dann bis 1512 in Venedig. Zwischen 1513 und 1527 unterrichtete er in Rom Hebräisch, u.a. vermutlich Kardinal Egidio von Viterbo, einen Freund von Johannes Reuchlin. Zu seinen weiteren Schülern gehörte der Karto- und Kosmograph Sebastian Münster. Die Plünderung Roms durch die Truppen Kaiser Karls V. traf Elijah ben Asher hart, denn er verlor seine gesamte Habe, einschließlich seiner Bibliothek. Er ging daraufhin erneut nach Venedig, das er nur noch für seinen Isnyer Aufenthalt verließ und wo er im Alter von 77 Jahren 1549 verstarb.63 Elijah ben Ashers Bedeutung liegt in der Vermittlung hebräischer Sprachkenntnisse an christliche Theologen und Humanisten. Sein Arbeitsfeld war die Grammatik und die Massora, d.h. die Überlieferung des Alten Testaments. Hier trafen sich die Interessen von Fagius und Elijah ben Asher. Die Zusammenarbeit kam durch eine Anfrage von Fagius bei Elijah ben Asher zustande, ob er ihm nicht Unterricht zur Vervollkommnung seiner hebräischen Sprachkenntnisse erteilen, ihm bei der Einrichtung einer hebräischen Druckerei
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meum institutum mihi duo commodissima & optatissima media contingerent. Primum, liberalissimus Maecenas, qui pro instituenda officina typographica, eaque Hebraea, sumptus libéralissime exponit, nempe D. Petrus Bufflerus, civis Isnensis, & honestissimus & piissimus, qui ob singulare Studium, quo prosequitur omnes doctos, & in ipsam pietatem promovendam totus incumbit, aeternam laudem apud omnem meretur posteritatem. [...] Alterum est, quod doctissimus Hebraeus, qualem uix secundum habet orbis, Helias inquam, genere Israelites, & cognomento Leuites Germanus, passus est se ex Italia, inclyta urbe Venetorum, Isnam uocari: ut ad istos meos conatus auxiliatricespreberet manus. [...]. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 25. Vgl. unten zu dem langen Prozeß um die Rückzahlung der gewährten Darlehen, in welchen Fagius durch Büffler verwickelte wurde. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 24.
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helfen und dort seine Werke drucken wolle.64 Daß Elijah ben Asher die Einladung annahm, hatte mit der Situation in Venedig zu tun. Wie oben bereits erwähnt, ruhte seit Ende 1539 die Bomberg-Offizin in Venedig, als Elijah ben Asher sein Manuskript zu seinem Buch 'Tischbi' abgeschlossen hatte. Da nicht abzusehen war, wann die Produktion wieder aufgenommen werden konnte, suchte er nach einem Verleger und Drucker außerhalb Venedigs. Der Brief aus Isny erreichte Elijah ben Asher, als dieser gerade den Entschluß gefaßt hatte, das Manuskript einer der jüdischen Druckereien in Bologna zum Druck anzubieten.65 Die Gründe, warum er sich schließlich dazu entschloß, im Alter von etwa 70 Jahren die weite Reise nach Isny anzutreten, sind im einzelnen nicht bekannt. Aber es ist zu vermuten, daß Fagius ihm sehr gute Konditionen für die Verlegung seiner Werke anbot. Nachdem Fagius mit Peter Büffler einen Finanzier und mit Elijah ben Asher einen idealen Mitarbeiter und Autor gewonnen hatte, mußte er darüber hinaus weitere Fachkräfte anwerben. Da er selbst nicht das Druckerhandwerk erlernt hatte, benötigte er einen geeigneten Werkstattleiter. Dieses Problem konnte mit Hilfe eines Familienmitgliedes gelöst werden. Sein Schwager Jakob Froschesser (lat. Ranivora) aus Straßburg war gelernter Buchdrucker. Die Rolle, die Froschesser im Unternehmen spielte, läßt sich im einzelnen nicht mehr klären, aber es hat den Anschein, daß er auch finanziell an der Druckerei beteiligt (Abb. 17b mit Erklärung) und zuletzt sogar alleiniger Eigentümer geworden war. Jedenfalls erschien im September 1543 ein Druckwerk in Konstanz unter seinem Namen.66 Dort ging er - nachdem Fagius die Nachfolge von Wolfgang Capito in Straßburg angetreten und sich aus dem Druck- und Verlagsgewerbe vollständig zurückgezo64
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R. Lenz (Anm. 53) Sp. 1939: Paulus Fagius hat zu Ysni durch Hr. Petri Büfflers Freygebigkeit eine Hebräische Truckerey aufgerichtet/ und zu solchem Ende von Venedig den Eliam Levitam einen Teutschen/ gelehrten/ und freundlichen Juden kommen lassen/ welcher ihm getreulich geholffen/ und aus seinen verfertigten Schrifften viel Geheimnussen der H. Sprach mitgetheilet/ umb welcher Hülffleistung und anderer einem Christen als einem Juden besser anständigen Tugenden willen/ die hochgelehrten Männer Munsterus [Sebastian Münster] und Fagius disem Juden die Bekehrung zu Christo JESU/ in ihren Brieffen/ und öffentlichen Büchern gewünscht haben. Darzu er auch in seinem hohen Alter endlich zu Rom solle kommen seyn. Tischbi (Anm. 59) Praefatio ad lectorem. In Bologna existierten 1540 vier jüdische Druckereien: Ariel ben Selomon Hajjim, Jehiel ben Selomo, Menahem ben Abraham und Rafael Talmi ben Immanuel. - Raubenheimers Aussage, daß Elijah ben Asher das Manuskript an Bomberg in Bologna schicken wollte, ist falsch, da Bomberg in dieser Stadt zu keinem Zeitpunkt eine Druckerei unterhalten hat. Vgl. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 25. Paulus Fagius: Compendiaria isagoge in linguam Hebraeam. Konstanz: Jakob Forschesser [für Paulus Fagius], Sept. 1543. VD-16 F:551. BSB München. 4° A.hebr. 279/6; Weitere Drucke, die in Konstanz in der Fagius-Druckerei entstanden: Paulus Fagius: Prima quatuor capita Geneseos, hebr.-jidd. Konstanz: Paulus Fagius, 1543. BMC-STC S. 94. BL London. 1944.Ff.ll; ders.: Perousch. Commentarium Hebraicum in decem primos psalmos Davidicos, hebr u. lat. Konstanz: [Paulus Fagius], 1544. BMC-STC, S. 100. BL London. 01902.E.11; Pentateuch, jidd. [Konstanz: Paulus Fagius, 1544], BMC-STC, S. 93. BL London. 1945.F.1.
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gen hatte - eine kurzzeitige Geschäftsverbindung mit Balthasar Romätsch aus Tübingen ein. Über das weitere Schicksal Froschessers nach 1546 ist nichts bekannt.67 Die Vorbereitungen für die Einrichtung der Druckerei liefen bereits seit Oktober 1539, wie Ambrosius Blaurer seinem Bruder Thomas mitteilte. In einem am 28. Oktober 1539 in Augsburg verfaßten Brief berichtet er, daß Fagius mit finanzieller Unterstützung des Isnyer Kaufmannes und Ratsherrn Peter Büffler eine hebräische Druckerei einrichten möchte - eine Absicht, welche die volle Zustimmung Ambrosius Blaurers fand. Besonders wichtig ist Blaurers Nachricht, daß auch Fagius sich in Augsburg aufhielt.68 War Fagius (und vielleicht auch sein Schwager Jakob Froschesser) in Augsburg, um hier die Ausrüstung für die Drukkerei zu beschaffen und das nötige Know-how für den hebräischen Buchdruck zu erlernen? Eine eindeutige Antwort hierauf ist leider nicht möglich. Aber es gibt doch Hinweise, die diese Vermutung stützen können. Ein erstes Indiz findet sich in dem Brief von Ambrosius Blaurer: Sein Gastgeber ist Bonifazius Wolfart - der Augsburger Prediger und Gönner des jüdischen Buchdruckers Chajjim Schwarz. Da Blaurer großes Interesse an der Einrichtung einer hebräischen Druckerei in Isny hatte und sich auch gut informiert zeigte, ist es nur zu wahrscheinlich, daß Fagius durch die Vermittlung von Blaurer und Wolfart Chajjim Schwarz kennenlernte.69 Als weiteres Indiz kann ein Exemplar des 'Tischbi' angeführt werden, das in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg aufbewahrt wird. In der Bibliothek von Bonifazius Wolfart, die 1543 von der Stadt Augsburg um 300 fl. von der Witwe erworben und in die Stadtbibliothek eingegliedert wurde,70 fand sich der erste Druck, der in der Isnyer Offizin vollendet wurde, mit einer Widmung von Paulus Fagius für Wolfart. Es ist zu vermuten, daß dieses Geschenk nicht nur Dank für ideelle, sondern für ganz konkrete Unterstützung war (Abb. 17a, 17b und 18). Es dauerte dann doch noch etwa ein Jahr, bis alle Vorbereitungen abgeschlossen waren und die Druckerei in Isny ihre Tätigkeit aufnehmen konnte, denn die ersten Drucke tragen alle die Jahreszahl 1541 als Erscheinungsdatum. Während der kurzen Existenz von etwa zwei Jahren entstanden eine Reihe anspruchsvoller Verlagswerke, die ganz dem im 'Tischbi' formulierten Programm entsprachen, 67
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Hermann Fiebing: Konstanzer Druck- und Verlagswesen früherer Jahrhunderte. Beiträge zu seiner Geschichte von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Konstanz 1974. S. 14 und 64f.; J. Benzing (Anm. 2) S. 265. Traugott Schiess: Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer 1509-1567. 3 Bde. Freiburg im Breisgau 1908-1912. Bd. 2. S. 38f.: Brief von Ambrosius Blaurer an seinen Bruder Thomas, Augsburg, der 28. Oktober 1539. Auch Johann Albrecht Widmanstetter, der so nachdrücklich Paulus Aemilius unterstützte, hat mit Sicherheit von der Einrichtung der Isnyer Druckerei gewußt, da er mit Fagius und Elijah ben Asher in Briefkontakt stand. Vgl. R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 49 und 63. H.-J. Künast: "Getruckt zu Augspurg". Buchdruck und -handel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. (Anm. 5) S. 165.
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nämlich für ein Studium der hebräischen Sprache zu werben, besonders für das Studium des Alten Testaments. Deshalb wurden Hilfsmittel zum HebräischStudium, Gesamt- und Teilausgaben des Alten Testaments und Kommentare desselbigen aus der jüdischen Tradition aufgelegt. 71 Auch 1543 und 1544 arbeitete die Fagius-Presse, allerdings wird hier Konstanz als Druckort genannt. 72 Offensichtlich hat Jakob Froschesser die Druckerei nach Konstanz verlegt, w o Fagius seit Ostern 1543 als Prediger aushalf, um den an der Pest gestorbenen Johannes Zwick zu ersetzen.
Das Ende der Fagius-Druckerei Nachdem bekannt geworden war, daß Fagius eine Berufung als Nachfolger Wolfgang Capitos nach Straßburg erhalten hatte, versuchten die Isnyer und Konstanzer mit vereinten Kräften Fagius im Allgäu zu halten. D i e s hatte z w e i Gründe: Zum einen schätzten sie den Prediger und Lehrer Fagius sehr, zum anderen war die Druckerei hoch verschuldet und es war unklar, wer dafür haften mußte. In einem Schreiben des Straßburger Rates an Fagius v o m 9. Juli 1544 werden Einzelheiten genannt:
71
hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum cui titulum fecit: Tischbi id est Thisbites, hebr. u. lat. Übers, ins Lat. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113; ders.: Lexicon Chaldaicum, hebr. Hg. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], August 1541. VD-16 E:1005. BSB München. 2° L.as. 23; Biblia, Psalmi, hebr. Kommentar von David ben Joseph Kimhi. [Isny: Paulus Fagius, 1541]. BMC-STC, S. 95. BL London. 1905.E.3: Paulus Fagius: Sententiae vere elegantes, quas Pirki Abot, id est capitula aut si mavis Apophtegmata Patrum nominant. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 F:554. SuStB Augsburg. 4° Jud. 143; Mishnah. Sententiae veterum sapientum Hebaeorum. Hg. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], 1541. BMC-STC, S. 623. BL London. 481.C.4 (1). Biblia, Ecclesiasticus, hebr. u. lat. Übers, ins Lat. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius 1542. VD-16 B:4037. SuStB Augsburg. 4° Jud. 9; Biblia, Psalmi, hebr. Isny: [Paulus Fagius], 1542. VD-16 B:3105. BSB München. 2° A.hebr. 29/1; hal-Levi Elijah ben Asher: Nomenclatura Hebraica. Isny: [Paulus Fagius], 1542. BMC-STC, S. 265. BL London. 1936.A.5; Paulus Fagius: Perousch id est exegesis sive expositio dictionum Hebraicarum literalis et simplex in quatuor capita Geneseos pro studiosis lingae hebraicae. Isny: [Paulus Fagius], August 1542. VD-16 F:552. SuStB Augsburg. 4° Spw. 129 (Titelblatt Abb. 4); ders.: Precationes Hebraicae. Parvus item tractatus, ex libello Hebraico excerptus, cui nomen est, Sepher Aemana, id est liber fidei. Isny: Paulus Fagius, 1542. Isny: [Paulus Fagius], 1542. VD-16 F:553. BSB München. 4° A.hebr. 287 m; Sepher Aemana. Liber fidei, hebr. u. lat. Übers, ins Lat. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], 1542. VD-16 S:5285. SuStB Augsburg. 4° Spw. 129/1; Ben Sira (Pseud.): Sententiae morales. Hg. u. übers, ins Lat. von Paulus Fagius. Isny: [Paulus Fagius], 1542. BMC-STC, S. 76. BL London. 481.C.4 (3). - Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.
72
Vgl. Anm. 66.
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[...] auch unser lieb und gut freundt von Isni gern sehen wolten und hertzlich begerten, das Ir noch bei Inen weren, wie sie dann zwo schrijften, eine von ermeltern von Isni und die andere von Peter Buflern übergeben, Inn den nach lenngs vil Ursachen erzelt wie großen costen Peter Bufler auf euch mit einer Truckerey hebräischer Sprach gewenndt, das Ir Ime noch wol 1100 Gulden schuldig, daran er Euch so Ir zu Costenz pliben, über den vorigen seinen großen Nachlaß noch 400 Gulden nachlassen und euch zu der bezahlung des übrigen solchen weg machen wolt, das Ir Inn garbaldt, Jagleich Inn ain Iar und ehe vermiegen und zufrieden stellen möchte Gegenüber dem Rat von Straßburg und seinem Freund Martin Bucer rechtfertigte sich Fagius mit dem Argument, daß er für eine Rückzahlung des Defizits nicht herangezogen werden könne. Er habe ursprünglich nur die Absicht gehabt, das geplante Literaturprogramm als Herausgeber zu betreuen und die Bücher in einer bereits bestehenden Offizin drucken zu lassen. Auf das Unternehmen, eine hebräische Druckerei einzurichten, habe er sich erst eingelassen, als ihm das Kapital von Büffler fast aufgedrängt und ihm versichert worden war, daß er und seine Familie für eventuelle Verluste nicht haften sollten.74 Von dieser Vereinbarung wollte Büffler aber nun nichts mehr wissen. Die Straßburger stellten Fagius mehr oder weniger vor die Wahl: entweder entschied er sich für die Anstellung in Straßburg oder für die Fortführung seiner Druckerei.75 In dieser Situation entschloß sich Fagius, sofort nach Straßburg zu gehen und entzog sich auf diese Weise dem unmittelbaren Zugriff Büfflers. In den folgenden Monaten gab es zwischen Isny und Straßburg einen intensiven Briefwechsel, der hier nicht im einzelnen ausgeführt werden muß. Letztendlich verzichtete Büffler auf seine Forderungen gegenüber Fagius, der aufgrund seiner bescheidenen Vermögensverhältnisse nie in der Lage gewesen wäre, 1000 fl. und mehr zurückzuzahlen.76 Vermutlich hat Büffler das Inventar der Druckerei überschrieben bekommen und es Jakob Froschesser zur weiteren Nutzung überlassen. Als auch dies unter wirtschaftlichen Aspekten wenig profitabel war, wurde die Fagius-Offizin endgültig aufgelöst.
73 74
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R. Raubenheimer (Anm. 53) S. 44. T. Schiess (Anm. 68) Bd. 2. S. 260-262. Brief von Martin Bucer an Ambrosius Blaurer, Mitte Mai 1544. T. Schiess (Anm. 68) Bd. 2. S. 261: Hat er sich Büffler verkauft, so diene er ihm, und die Wahl [zum Prediger in Straßburg] gilt nicht, ebenso wenn er nicht das Predigtamt versehen und die Druckerei einem andern übergeben will. R. Lenz (Anm. 53) Sp. 1940: Ao. 1543. ist Fagius nach Straßburg zur Profession der H. Sprach beruffen worden; als er nun von Ysni weggezogen/ und seinem Herrn Patrono Petro Büfflern über tausend Goldgulden schuldig gewesen/ welche er an den Verlag der Hebräischen Bücher verwendet hatte/ hat Herr Büffler ihm solche Summ gutwillig geschenckt/ und eine Quittung geschrieben/ daß seine Erben nicht sollen Macht haben solch Gelt von ihm zu fordern.
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III. Zusammenfassung Wenn anspruchsvolle Literatur in der Frühen Neuzeit gedruckt wurde, die auf den ersten Blick nicht mit den kulturellen Bedingungen des Produktionsortes in Einklang gebracht werden kann, so können bei näherer Betrachtung doch besondere Umstände ermittelt werden, die hierfür verantwortlich waren. Die Tätigkeit des nicht konvertierten Juden Chajjim Schwarz und des zum Katholizismus übergetretenen Paulus Aemilius Romanus in Augsburg sowie die des protestantischen Predigers Paulus Fagius in Isny wurde ermöglicht durch einflußreiche Gönner, welche die Publikation von Hebraica unterstützten. Während für Bonifazius Wolfart und Johann Albrecht Widmanstetter wissenschaftlich-philologische Interessen ausschlaggebend waren, dürfte der Kaufmann Peter Büffler vor allem an eine gewinnbringende Investition gedacht haben, als er die Isnyer Druckerei finanzierte. In beiden Städten wurde die Lage zusätzlich durch die relativ offene politische Situation kurz vor und nach der Einführung der Reformation begünstigt. Ganz entscheidend war darüber hinaus, daß in Venedig und Prag die hebräische Buchproduktion für einige Jahre ruhte. Hierauf reagierte der Buchmarkt sehr flexibel durch Verlagerung der Buchherstellung, wodurch sich für Schwarz, Aemilius und Fagius überhaupt erst eine ernsthafte Chance eröffnete, ohne die erdrückende Konkurrenz der ansonsten für den Druck von jüdisch-hebräischer Literatur überlegenen Verlagszentren Prag und vor allem Venedig. Dabei machte es keinen Unterschied, ob diese Literatur für ein überwiegend jüdisches Lesepublikum (Augsburg) oder für den gelehrten humanistisch-christlichen Buchmarkt (Isny) gedruckt wurde. Besonders hervorgehoben werden sollte nochmals, daß es in Augsburg und Isny zu dieser Zeit keine Judengemeinden gab, weshalb es zwangsläufig zur Kooperation von Juden und Christen kam, welche in aller Öffentlichkeit und mit Zustimmung der Obrigkeit erfolgte. Ziemlich unproblematisch dürfte die Zusammenarbeit des gelehrten Juden hal-Levi Elijah ben Asher mit dem protestantischen Prediger Paulus Fagius in Isny gewesen sein, da sie mit ihrer wissenschaftlichphilologischen Arbeit eine gemeinsame Basis besaßen. Von rein ökonomischen Erwägungen wurde der protestantisch gesinnte Drucker Silvan Otmar bewegt, als er Chajjim Schwarz seine Druckerei zur Verfügung stellte. Konflikte werden von Bonifazius Wolfart entschärft worden sein. Es war auch möglich, daß mit Paulus Aemilius ein zum Katholizismus konvertierter Jude mit der protestantischen Druckerei von Valentin Otmar kooperierte. Jedoch scheiterte die ins Auge gefaßte Zusammenarbeit von Schwarz und Aemilius vermutlich am Boykott der jüdischen Umwelt.
Hans-Jörg Künast
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Abb. 17a. hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum elaboratum, cui titulum fecit Thisbites, hebr.lat. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113, Titelblatt mit Widmung von Paulus Fagius für Bonifazius Wolfart.
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Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben
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Abb. 17b. hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum elaboratum, cui titulum fecit Thisbites, hebr.lat. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113, letzte Seite mit Buchdrucker- und Verlegersignete. Die dargestellte Buche versinnbildlicht den Namen von Paulus Fagius (Büchlein) und der Storch den seines Schwagers und Werkstattleiters Jakob Froschesser.
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Hans-Jörg Künast
Abb. 18. Bände aus der Bibliothek von Bonifazius Wolfart. Der vierte Band von rechts ist das Widmungsexemplar von Paulus Fagius für Wolfart. Alle Bände in der StuStB Augsburg.
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Buchdruck in Schwaben
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Abb. 19. Paulus Fagius: Exegesis sive expositio dictionum Hebraicarum literalis et simplex, in quatuor capita Geneseos, hebr., chald., u. lat. Isny: [Paulus Fagius], 1542. VD-16 F:552. SuStB Augsburg. 4° Spw. 129, Titelblatt.
'Leihen umb fahrend Hab und Gut'. Der christlich-jüdische Pfandhandel in der Reichsstadt Augsburg* Sabine Ullmann
Im Frühjahr 1599 erwirkte der Augsburger Rat bei Kaiser Rudolf II. ein Privileg für die Durchfuhrung weitreichender Sanktionen g. gen den jüdischen Handel in der Reichsstadt. Nach der am 20. März ausgestell -n Urkunde unterlagen unter Bezugnahme auf die Reichsabschiede von 1532, 15 • ' und 1551 alle Geschäftsabschlüsse zwischen Christen und Juden, die nicht gegen Barbezahlung erfolgten, der Melde- und Genehmigungspflicht der reichsstädtischen Obrigkeit. Zugleich wurde den jüdischen Gläubigern für die Zukunft der Klageweg an die Reichsgerichte bei Konfliktfällen in diesem Bereich abgeschnitten.' Damit setzte die Stadt das Schlußlicht in der langen Reihe sogenannter 'Judenfreiheiten' in Schwaben, mit denen sich einzelne Herrschaftsträger Handlungsfreiheit für ihre restriktiven Maßnahmen gegenüber den Geschäftsbeziehungen ihrer Grunduntertanen mit den Landjuden der mittelschwäbischen Region verschafften. Unter ihnen dominierten besonders die geistlichen Herrschaftsträger, z.B. die Reichsstifte St. Ulrich und St. Afra (1552), Ursberg (1569), Roggenburg (1577/ 1582) und Wettenhausen (1555/1577/1582) oder das Kloster Heilig-Kreuz in Augsburg (1570); an zweiter Stelle standen die Reichsstädte Memmingen (1541/1559) und Ulm (1541/1561). Daneben gelang es auch der schwäbischen Reichsritterschaft 1559 ein generelles Privileg zu erlangen, das einige Mitglieder durch Einzelurkunden nochmals erweitern konnten, wie die Herren vom Stain
1
Der Beitrag basiert im wesentlichen auf der Quellenerhebung im Rahmen meiner Magisterarbeit: Sabine Ullmann: 'Über der Juden schädlichen Wucher und Kipperey'. Die Beziehungen der jüdischen Gemeinden in Kriegshaber und Pfersee zur Reichsstadt Augsburg im 17. Jahrhundert. Masch. Augsburg 1992. Vgl. die Edition der Urkunde bei Rosemarie Mix: 'Wider der Juden und Jüdinen wuocherliche gesuoch, Conträct und handlungen'. Die kaiserlichen Privilegien für die Reichsstädte Ulm, Memmingen und Augsburg und die geistlichen Territorien Wettenhausen und Roggenburg als restriktive Maßnahmen gegenüber den Juden der Markgrafschaft Burgau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zulassungsarbeit. Masch. Augsburg 1993. S. 174-179, sowie die Erläuterungen S. 83f.
Der christlich-jüdische
Pfandhandel
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(1559) oder von Rechberg-Hohenrechberg (1567).2 Mit der deutlichen Konzentration in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts korrespondiert die inhaltliche Übereinstimmung der einzelnen Urkunden: Neben der Beschränkung des Instanzenwegs an die Reichsgerichte bzw. an die Gerichte anderer Herrschaftsträger stand die Kreditvergabe gegen 'liegend' oder 'fahrend Gut' im Zentrum. Während dabei das Verbot der Liegenschaftskredite bereits in den frühen Privilegierungen auftauchte (Memmingen 1541, Ulm 1541), wurde der Pfandhandel zwar erst in die späteren Texte (Memmingen 1559, Roggenburg 1555, Ulm 1561, Wettenhausen 1582) mit aufgenommen, bildete dann aber einen festen, zentralen Bestandteil aller folgenden Urkunden.3 Ein Blick auf die wirtschaftliche und politische Situation Augsburgs verdeutlicht die Sonderrolle der Reichsstadt in dieser dichten Chronologie: Nach dem beeindruckenden Aufstieg zur führenden Handels-, Finanz- und Reichsmetropole im 15. und frühen 16. Jahrhundert4 wird in der stadtgeschichtlichen Literatur mit dem Religionsfrieden 1555 eine Zäsur gesetzt, die einen langfristigen strukturellen Wandel einleitete.5 Eine Serie von Konkursen großer Augsburger Handelshäuser zwischen 1556 und 15846 und der Verlust der reichspolitischen Funktionen7 - der letzte Reichstag fand in Augsburg 1582 statt - bilden dabei die markanten Indizien. Die sozialgeschichtliche Studie Bernd Roecks gewährt einen Einblick in den Höhepunkt der Krisenjahre an der Wende zum 17. Jahrhundert und seine innenpolitischen Dimensionen, in dessen Kontext auch das Privileg von 1599 zu stellen ist. Ein erneuter Anstieg der Getreidepreise bei gleichzeitigem Reallohnverfall sorgte dafür, daß sich die Einkommenslage der unteren und mittleren Vermögensgruppen, ablesbar am Steueraufkommen, zunehmend verschlechterte. Der Augsburger Kalenderstreit 1583/84 sowie die folgenden Auseinandersetzungen zwischen den protestantischen Bürgern und dem Rat um die Besetzung der Prädikantenstellen gehören - neben ihren konfessionspolitischen Komponenten - in den 2
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5
6 7
Zu den Einzelnachweisen der Judenprivilegien vgl. demnächst: Judenverordnungen in der Markgrafschaft Burgau während der Frühen Neuzeit. Hg. von Rolf Kießling (in Vorbereitung). Vgl. hier auch die folgenden weiteren Privilegierungen: Herren von Frundsberg für die Stadt Mindelheim (1537/1559), Reichserbmarschall Mang von Pappenheim für seine Herrschaften Wertingen und Hohenreichen (1597) und Erhart Vöhlin von Frickenhausen (1559). R. Mix (Anm. 1) S. 90-95. Dieses Ergebnis stimmt überein mit: R. Kießling: Judenverordnungen (Anm. 2). Rolf Kießling: Augsburg zwischen Mittelalter und Neuzeit. In: Geschichte der Stadt Augsburg. 2000 Jahre von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Hg. von Gunther Gottlieb u.a. 2. Aufl. Stuttgart 1985. S. 241-251; Hermann Kellenbenz: Wirtschaftsleben der Blütezeit. In: G. Gottlieb: Geschichte der Stadt Augsburg (wie oben) S. 258-301. Wolfgang Zorn: Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt. 2. Aufl. Augsburg 1972. S. 198-223; Winfried Schulze: Augsburg 1555-1648. Eine Stadt im Heiligen Römischen Reich. In: G. Gottlieb: Geschichte der Stadt Augsburg (Anm. 4) S. 433-447. H. Kellenbenz (Anm. 4) S. 287f.; W. Zorn (Anm. 5) S. 203. W. Schulze (Anm. 5) S. 435f.
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Sabine Ulimann
unmittelbaren Kontext der wirtschaftlich angespannten Lage.8 Zu den Gegenstrategien des Rates zählten neben einer Verstärkung der militärischen Machtmittel und den Bemühungen um eine Entschärfung der konfessionspolitischen Gegensätze vor allem eine Reihe von merkantilen Aktivitäten, um die Subsistenzsicherung der Stadtbevölkerung zu gewährleisten. Bestandteil dieser 'Sozialpolitik' war neben einer gezielten Versorgung - etwa durch Kontrollen des Getreidemarktes oder der Brotproduktion9 - nicht zuletzt die Regulierung der christlich-jüdischen Pfandgeschäfte. Obwohl sich vereinzelt bereits seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Verordnungen nachweisen lassen, mit denen die Obrigkeit versuchte, den Zutritt und die Geschäftstätigkeiten der jüdischen Händler aus den umliegenden schwäbischen Orten in der Stadt zu kontrollieren - z.B. mit den Bestimmungen zum Geleitzwang im August 153610 und im April 1540" oder den Verboten wucherliche Kontrakte mit Juden einzugehen von 1538, 1541 und 155312 - , erhielten diese Bemühungen an der Wende zum 17. Jahrhundert mit dem kaiserlichen Privileg eine neue rechtliche und inhaltliche Dimension. Dabei verweist die Anordnung, daß zwar der Pfand- und Kredithandel künftig nur noch mit obrigkeitlicher Erlaubnis möglich war, aber was zu täglicher nahrung, vnnd notturff von fahrender haab, vmb bahres gellt gekaufft, oder verkaufft würdt, auch die freye auffrichtige hanndtirrungen vnnd Commerden in den freyen offnen Messen vnnd JahrMärckten [davon] außgenommen sein sollten,'3 auf die wichtige Funktion der jüdischen Landwarenhändler im Versorgungssystem der Stadt, die keineswegs beschnitten werden sollte. Dagegen fügt sich die Unterbindung der Kreditgeschäfte durchaus in das ökonomische Denkmuster vom 'jüdischen Wucher', vor dem die Stadtbewohnern zu schützen waren. Gleichzeitig konnte unter Rückgriff auf die präsenten religiösen Stereotypen und Feindbilder die jüdische Bevölkerung aus den Vor-
8
Bernd Roeck: Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität. Göttingen 1989 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 37). S. 125-190. 9 Bernd Roeck: Bäcker, Brot und Getreide in Augsburg. Zur Geschichte des Bäckerhandwerks und zur Versorgungspolitik der Reichsstadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Sigmaringen 1987 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg. Bd. 31). S. 121-160. 10 StadtA Augsburg. Reichsstadt. Ratsbücher Nr. 16. fol. 114,2r. " StadtA Augsburg. Reichsstadt. Ratsbücher Nr. 16. fol. 172v. Vgl. dazu auch B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 472; Richard Hipper: Die Reichsstadt Augsburg und die Judenschaft vom Beginne des 18. Jahrhunderts bis zur Aufhebung der reichsständischen Verfassung. Diss. Masch. Erlangen 1923. S. 13; Joseph Reinertshofer: Die Steuern und Abgaben der Juden in Augsburg. Diss. Masch. Würzburg 1921. S. 41f. 12 StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 1. fol. 247. Nr. 2,3 und 4. Vgl. dazu auch Richard Grünfeld: Ein Gang durch die Geschichte der Juden in Augsburg. Festschrift zur Einweihung der neuen Synagoge in Augsburg am 4. April 1917. Augsburg 1917. S. 44f.; [S.M. Hoscher]: Geschichte der Juden in der Reichsstadt Augsburg. Augsburg 1803. S. 20. 13 R. Mix (Anm. 1)S. 176.
Der christlich-jüdische
Pfandhandel
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Stadtdörfern als Sündenbock instrumentalisiert und auf diesem Wege von eigenen Versäumnissen in der Ratspolitik abgelenkt werden. Die nach dem Erlaß des Privilegs eingeleiteten Schritte verdeutlichen die wirtschaftspolitisch-praktische Intention der 'Judenfreiheit' und die Mühen, die der Rat darauf verwandte, die nun auch durch den Kaiser sanktionierten Handelsbeschränkungen in die Praxis umzusetzen. Die dabei produzierten Akten geben nicht nur aufschlußreiche Hinweise auf die verwaltungspolitischen Verfahrensweisen obrigkeitlichen Handelns, sondern liefern vor allem einen exemplarischen Einblick in einen ansonsten nur schwer erschließbaren Bereich des städtischen Wirtschaftslebens. Analog zur Chronologie der einzelnen Maßnahmen der Ratsobrigkeit im Anschluß an die Privilegierung, den Gegenreaktionen der Betroffenen und der dabei erfolgten Quellenproduktion werden im folgenden der geographische sowie der soziale Rahmen - d.h. der Aktionsradius und der Kundenkreis - des christlich-jüdischen Pfandgeschäfts ausgelotet (I und II). Darüber hinaus erfolgt eine inhaltliche Analyse der Kreditform und der dabei auftretenden spezifischen Konfliktkonstellationen zwischen Christen und Juden (III). Mit dieser Darstellungsweise wird das 'Ereignis' der Privilegierung 1599 aus zwei Perspektiven beleuchtet werden: Der Ratspolitik wird die Praxis der christlich-jüdischen Kreditbeziehungen gegenübergestellt.14 Auf diesem Weg soll nicht nur ein möglichst verdichteter Einblick gewonnen, sondern vor allem nachvollzogen werden, warum der Rat mit seinen restriktiven Maßnahmen letztlich scheitern mußte und das Privileg von 1599 seine Intention verfehlte.
I.
Bereits im Mai 1599 begann auf Befehl der Stadtpfleger Octavian Secundus Fugger und Quirin Rehlinger die Publikation des Privilegs. Das erhaltene Protokoll des Insinuierungsvorgangs, mit dem die neuen Verordnungen in den jeweiligen relevanten Judensiedlungen der Umgebung bekannt gemacht wurden, deutet bereits den räumlichen Umkreis an, in dem sich die christlich-jüdischen Wirtschafts-
14
Außer den knappen Hinweisen bei B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 473475 hat der Pfandhandel in der Literatur zu Augsburg bisher keine Beachtung gefunden. Vgl. allgemein zur Bedeutung des jüdischen Pfandhandels im Spätmittelalter Michael Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich. München 1998 (Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 44). S. 10f.; ders.: Die ländliche Wirtschaftstätigkeit der Juden im frühmodernen Deutschland. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Monika Richarz, Reinhard Rürup. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. Bd. 56). S. 59-69, hier S. 62; zum Elsaß: Gerd Mentgen: Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß. Hannover 1995 (Forschungen zur Geschichte der Juden. Abteilung A: Abhandlungen. Bd. 2). S. 542-557.
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Sabine Ullmann
kontakte - nach der Vorstellung des Rates - abspielten. Danach bereiste der kaiserliche Notar Sebastian Reißner in den Monaten Mai bis August insgesamt 15 Ortschaften im westlichen Umkreis von ca. 60 km, darunter u.a. die Vorstadtdörfer Pfersee, Steppach und Kriegshaber, die mittelschwäbischen Marktorte Binswangen, Thannhausen und Ichenhausen sowie die österreichischen Landstädte Günzburg und Burgau.15 Der damit abgesteckte Radius entspricht dem wirtschaftlichen Einzugsgebiet der Reichsstadt im 16. Jahrhundert, das Rolf Kießling in seinen Studien zu den Stadt-Land-Beziehungen eruiert hat. Die Grenzziehung zum Ulmer Gebiet entlang des Höhenrückens zwischen Mindel und Günz, obwohl sich jenseits dieser Linie mit Leipheim, Osterberg oder Schwaighausen ebenfalls jüdische Wohnorte fanden, zeigte somit auch auf dieser Ebene seine Wirkungskraft. 16 Zugleich eröffnet die kartographische Umsetzung einen zentralen Ausschnitt des 'Medinat Schwabens', 17 einer eigenständigen Siedlungslandschaft des südwestdeutschen Landjudentums im mittelschwäbischen Raum. Im Anschluß daran publizierte der Rat mehrere Mandate in der Stadt, um neben den jüdischen Kreditgebern auf dem Lande auch die Einwohner selbst von den Sanktionsmaßnahmen in Kenntnis zu setzen. Der vom 4. November 1601 überlieferte öffentliche Anschlag entspricht in seinen inhaltlichen Bestimmungen und im Wortlaut dem Kerntext der kaiserlichen Urkunde, ergänzend wurde nun bei Verstößen gegen die neue Verordnung mit dem Stadtverweis gedroht.18 Nachdem trotz der Mandate den Juden und Jüdinen allerlay sach undpfannd zugetragen und ver15 16
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R. Mix (Anm. 1) S. 85-90 und ihre Karte im Anhang. Zur Grenzziehung zwischen den Einflußbereichen in herrschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht: Rolf Kießling: Herrschaft - Markt - Landbesitz. Aspekte der Zentralität und der Stadt-Land-Beziehungen spätmittelalterlicher Städte an ostschwäbischen Beispielen. In: Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung. Hg. von Emil Meynen. Köln/Wien 1979. S. 180-218, hier S. 180f„ S. 193-197 und S. 206f.; Rolf Kießling: Günzburg und die Markgrafschaft Burgau - die Entwicklung eines ländlichen Raumes im Spannungsfeld der Großstädte. Günzburg 1990 (Heimatkundliche Schriftenreihe für den Landkreis Günzburg). S. 13. Dagegen fällt die räumliche Organisation des ostschwäbischen Textilreviers weiter aus: Rolf Kießling: Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Köln 1989 (Städteforschung Reihe A 29). S. 733-741 mit Abb. 57. Zum Begriff vgl. Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 80- 109; Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation. Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: R. Kießling: Judengemeinden in Schwaben (wie oben) S. 154-180. Vgl. außerdem demnächst Sabine Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650-1750 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte. Bd. 151) im Druck. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 15. Zum Stadtverweis als strafrechtliche Sanktionsmaßnahme vgl. Carl A. Hoffmann: Der Stadtverweis als Sanktionsmittel in der Reichsstadt Augsburg zu Beginn der Neuzeit. In: Neue Wege strafrechtsgeschichtlicher Forschung (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen. Bd. 3.) Hg. von Dietmar Willoweit, Hans Schlosser (in Vorbereitung).
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Pfandhandel
sezt worden, ergingen schließlich im März und April 1602 in einem zweiten Schritt die Ratsbefehle an die Bürger, innerhalb von sechs Wochen ihre Pfandsachen einzulösen, die darüber hinaus bei den jüdischen Händlern verbleibenden Gegenstände unterlagen der Gefahr der Konfiskation und auf die getätigten Geschäftsabschlüsse bestand kein Rechtsanspruch mehr.19 In den folgenden Monaten wurden die Pfandhändler und ihre christlichen Schuldner gezwungen, ihre Kreditgeschäfte, soweit es ihnen möglich war, zu beenden und für nicht gelöste Pfänder eine Verzichtserklärung abzugeben. Dabei ließ der Rat eine öffentliche Schätzung der Gegenstände in der Münzstätte vornehmen. Diese obrigkeitliche Maßnahme löste erwartungsgemäß vielfältige Protestreaktionen von jüdischer Seite aus und förderte zugleich eine Fülle wertvoller Details über das christlich-jüdische Pfandgeschäft zu Tage. Bereits am 12. Mai 1602 wandte sich der Händler Lemblin aus Günzburg mit der Bitte an seine Schutzherrschaft, den Landvogt der Markgrafschaft Burgau, ihn mit ainem Intercession und erinnerungsschreiben an wolgedachte herren der Stat augspurg zu unterstützen und dort daran zu erinnern, daß er mit weib und kinder in der Rom. Käys. M. alß auch deß hochloblichen hauß Osterreich sonderen schütz und schirm mit Leib haab und Gütern auf und angenommen worden sei. Zugleich bat er auch um Fürsprache für seinen Sohn Isaak in Pfersee, der wie er selbst durch vnderkheffer verpfendt vnd deren er zue seiner Notturfft zu Leßen bedurfftig.20 Mit einem Schreiben an den reichsstädtischen Rat vom 4. Juni 1602 forcierte der burgauische Vogt dann tatsächlich das Anliegen der unter seinem Schutz stehenden jüdischen Händler.21 In gleicher Weise versuchten die Pfleger der Grafschaft Oettingen im nordschwäbischen Ries finanziellen Schaden von einem ansässigen Schutzjuden namens Nathan abzuwenden. Ihrem Schreiben vom 19. Juli des gleichen Jahres ist zu entnehmen, daß Nathan durch seinen Schwager Isaak in Pfersee unterschiedliche Pfänder von Augsburger Zwischenhändlern im Wert von insgesamt 150 fl. in Zahlung genommen hatte und nun fürchtete, weylen der Statt Augspurg Privilegium diese Summe zu verlieren. Auch in diesem Fall half die Schutzherrschaft dem Juden, damit er seine Pfandt alßwelche er an Jezo bedurfftig gegen die gebür erstattung vnauffgehalten erheben möge.12 Damit deuten sich zwei wesentliche Strukturmerkmale des christlich-jüdischen Pfandgeschäfts an: zum einen der inneijüdische Handel, der durch die Weitergabe der versetzten Pfänder an andere Juden gekennzeichnet war, zum anderen die wichtige Funktion von christlichen Zwischenhändlern. Wie weit dabei die innerjüdischen Pfandhandelsnetze reichen konnten, dokumentiert die Anfrage des Frankfurter Rates wegen eines Juden der dortigen Gemeinde, der ebenfalls etliche
19 20 21 22
StadtA StadtA StadtA StadtA
Augsburg. Augsburg. Augsburg. Augsburg.
Judenakten Judenakten Judenakten Judenakten
Fasz. Fasz. Fasz. Fasz.
3. 3. 3. 3.
fol. fol. fol. fol.
17 und 18. 46. 49. 67.
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Sabine Ullmann
Kleinodien [...] durch mittel der underkäufer zu augspurg versetzt hatte. Wenns darunder nichts gefehrliches von Ihme Juden verhandelt worden wehre - so die Bitte an den Augsburger Magistrat - möge man ihm seine versezte Kleinodien gegen erstattung des darauf geliehenen pfandtschillings unweigerlich herausgeben,23 Die vom Herbst des gleichen Jahres überlieferten Reverse mehrerer jüdischer Händler zeigen, daß die Interventionen anderer Herrschaftsträger, wie der Reichsstadt Frankfurt, der Grafschaft Oettingen und vor allem der habsburgischen Markgrafschaft Burgau ihre Wirkung nicht verfehlten und zumindest eine entscheidende Abmilderung bewirkten: Obwohl die Händler durch ihre verspätete Einlösung eigentlich ihre Pfänder verwirkt hatten, erhielten sie nochmals - dem Landtvogt der Marggrafschafft burgaw [...] zue nachbarlichem gefallen - eine letzte Möglichkeit eingeräumt, dies nachzuholen. 24 Zugleich gaben sie damit eine schriftliche Verzichtserklärung an den darüber hinaus noch ausstehenden Pfandsummen der christlichen Schuldner in Augsburg ab und verpflichteten sich, zukünftig keine Geschäfte mehr mit den Bürgern der Reichsstadt einzugehen. Diese Schriftstücke geben zugleich - in Ergänzung zu den Insinuationsprotokollen des kaiserlichen Rats - einen weiteren Hinweis auf den Aktionsradius des Pfandgeschäfts. Vom 4. September bis zum 17. Dezember 1602 lösten Isaac, Israel und Samuel von Günzburg, Nathan und Isaak aus Pfersee, Sießlin aus Burgau, Lazarus aus Steppach und der Jude Hirsch aus Fischach ihre Verträge mit den reichsstädtischen Einwohnern auf. Dieses gewiß nur punktuelle Schlaglicht verdeutlicht, daß die Kreditbeziehungen der Augsburger keineswegs nur bis zu den Vorstadtorten Pfersee und Steppach reichten, sondern auch nach Günzburg, Burgau oder Fischach. Alle Abschlüsse wurden - und das scheint bezeichnend für diese Kategorie - durch christliche Zwischenhändler abgewickelt und umfaßten unnderschidliche Pfandt von gold, silber unnd Edelgestain - , also wertvolle Gegenstände. 25 Während man den jüdischen Kreditgebern Verzichtserklärungen abforderte, mußten die christlichen Schuldner ihre Pfandzettel abliefern bzw. mündlich Auskunft über die von ihnen versetzten Gegenstände geben. Auf diesem Wege wurden für den Zeitraum zwischen 1596 und 1603 insgesamt 82 Pfandversetzungen überliefert, die uns nun aus der Perspektive der Kreditnehmer weitere Informationen zur räumlichen Dimension geben. In 73 Fällen werden die Herkunftsnamen der jüdischen Händler mitgeteilt. Sie hatten zum überwiegenden Teil in Pfersee ihren Wohnsitz (45), darüber hinaus sind wieder Abschlüsse mit Schutzjuden aus den bereits angeführten mittelschwäbischen Ortschaften Günzburg (13), Burgau (8), Fischach (2) und Binswangen (1) belegt sowie aus den beiden anderen Vor-
23 24 25
StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 60. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 99. Mit jeweils gleichem Wortlaut: StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 94, 97, 98, 99, 100, 102, 103, 104.
Der christlich-jüdische
Pfandhandel
311
stadtgemeinden Steppach (3) und Kriegshaber (2). Der oben angedeutete geographische Rahmen, der sich hier nochmals abzeichnet, wird nur an einer Stelle durch Salomon aus Wassertrüdingen (3) überschritten.26 Somit werden zwei unterschiedliche räumliche Kategorien sichtbar: Während der Großteil der Kreditaufnahmen bei den Pferseer Schutzjuden direkt erfolgte, wurden daneben auch Pfänder über christliche Zwischenhändler versetzt, die dann auch in einem weiteren Umkreis bis nach Wassertrüdingen veräußert wurden. Eine zentrale Rolle bei diesen Vermittlungsgeschäften scheinen die Augsburger Bürger Hans Eitel Raidel und Hans Joachim Grettel gespielt zu haben.27 Darauf verweist nicht nur die Häufigkeit der durch sie geschlossenen Verträge, sondern auch der Umstand, daß sich der städtische Rat am 30. März 1602 direkt an die beiden Unterkäufel wandte und von ihnen einen schriftlichen Bericht einforderte, gegen wem sy alls Judenpfandt auch auf was sys versezt, Item was sy für underkhauff dagegen wider empfangen.2S Wiederum stützte sich der Rat dabei auf das kaiserliche Privileg und die folgenden Ratsdekrete, nach denen auch das darleyhen oder anders contrahiren durch eine dritte Person, alss durch einen Christen geschehe, untersagt worden war.29 Wegen ihrer Verstöße gegen den Ratsbefehl waren die beiden Bürger auch 1602 in die Fronfeste geschafft worden.30 Bezeichnend für die Ambivalenz der Ratspolitik ist aber schließlich der Beschluß im März 1603, demzufolge das neu eingerichtete Leihhaus von Hans Eitel Raidel geleitet werden sollte. Raidel wurde nun vom Rat beauftragt, dort der armen Burgerschafft allhir uff Pfand zu fünf vom hundert, dem Jar nach, für khossten und lohn uf widerlosung gellt für zustrekhen vnnd zu leihen, dahin sich dann die betrangte, arme burgerschafft allhir uf eraischende nottdurfft begeben mögen.1' Neben der Einhaltung des reichsrechtlich vorgegebenen Zinssatzes von 5% blieben ihm somit als Gewinnspanne die Erhebung einer Art Bearbeitungsgebühr, die nicht näher spezifiziert wurde. Vergleichbare Versuche, durch ein städtisches Pfandhaus den Bürgern eine alternative Kreditquelle zum jüdischen Geldhandel anzubieten, sind im übrigen bereits aus den Jahren 1569 und 1591 belegt.32
26 27 28 29
30 31 32
Vgl. dazu den Quellenanhang S. 325-335. Vgl. zu ihnen auch B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 474. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 33. R. Mix (Anm. 1) S. 176. Zum Ratsdekret vom 3.11.1601: StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 266f. B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 474. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 1 lf. Zur Möglichkeit, Pfänder im Almosenhaus zu versetzen, vgl. B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 473; zur Errichtung eines Pfandgewölbes für die Weber vgl. Claus Peter Clasen: Die Augsburger Weber. Leistungen und Krisen des Textilgewerbes um 1600. Augsburg 1981 (Schriftenreihe des Stadtarchivs Augsburg. Bd. 27). S. 286-307.
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Ein Blick auf die Widerstände, mit denen der Magistrat bei der Umsetzung des Privilegs zu kämpfen hatte, erklärt die gezielten Gegenstrategien, zu denen auch die Eröffnung eines Pfandhauses gehörte. Nicht nur die jüdischen Händler leisteten - etwa durch das Einschalten ihrer Schutzherrschaften - Widerstand gegen die Ratspolitik, auch die christlichen Kreditnehmer bezogen naheliegenderweise interessengebundene Standpunkte. Im März 1603 hatten sich offensichtlich mehrere Augsburger Bürger zu einer Art Aktionsgemeinschaft zusammengefunden und wandten sich unter der Federführung von Georg Walthauser und Hans Hornung33 supplizierend an den Rat. In der vom 20. März 1603 datierten Bittschrift baten die beiden Bürger für sich und anderer armen burger so Pfander zu den Juden versezt zum einen um Strafnachlaß wegen ihrer Übertritte gegen die Bestimmungen des kaiserlichen Privilegs, zum anderen aber um die gnad der widerlosung ihrer Pfänder, die man aus Unwissenheit, auch tringender not zu den Juden gebracht hatte. Sie erhielten darauf eine letzte Frist von zwei Monaten zur Auslösung eingeräumt.34 In den städtischen Akten haben sich darüber hinaus auch Suppliken von Bürgern erhalten, die bereits wegen ihrer Kreditaufnahme mit dem Stadtverweis bestraft worden waren und nun um eine Rückkehr nachsuchten. In diesem Sinne bat Christoph Remboldt um die 'Wiedereröffnung' der Stadt, da es - so der Wortlaut — beräyts über 4. Wochen, umb Wüllen dz ich wider das verbott gleichwohl auß meines weibes anweißung ettliche pfandt zue den Juden versezt, auß der statt geschafft worden bin.15 Ebenso supplizierte der Bortenmacher Georg Hansen um Rückkehr in sein Haus, da er sich 4 wochenlang gehorsamblich gehalten und verschüner Zeit auß noth Zwang etliche pfandt eines Ehrsamen rath gethaner verbott zu wider zu den Juden versezt,36 Parallel zu der strafrechtlichen Sanktion christlich-jüdischer Pfandgeschäfte verstärkte der Rat die Überwachung der Zutrittsbeschränkungen für Juden in der Reichsstadt und sorgte dafür, daß der Geleitzwang, 1536 erstmals belegt, strikter durchgeführt wurde.37 So sind in den Strafgerichtsakten mehrere Fälle überliefert, in denen Juden angeklagt wurden, weil sie sich in der Stadt ohne Begleitung durch die Stadtwache aufgehalten hatten. Am 21. Juni 1595 wird z.B. ein Jude namens Abraham ohne gelait gefaßt. Bei seinem Verhör gab er an, er sei gen Welschland gewesen, hab gedient und seijezo seinem vater zu lieb heraus gezogen, er hab nit gewist dz er hier geleit braucheAuch Berle von Prag, der 1592 von Nürnberg
33 34 35 36 37
38
Vgl. zu seinen Pfandgeschäften den Quellenanhang S. 325-335. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 134. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 139. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. fol. 140. Zu den Passierbestimmungen für Juden nach ihrer Vertreibung aus der Reichsstadt 1438/1440 vgl. Wolfram Baer: Zwischen Vertreibung und Wiederansiedlung. Die Reichsstadt Augsburg und die Juden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. In: R. Kießling: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 17) S. 110-127, hier S. 115f. StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 13. fol. 134.
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Pfandhandel
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kommend sich für eine Nacht in der Pferseer Judengemeinde aufgehalten hatte, entschuldigte sich damit, von der Verordnung nichts gewußt zu haben,39 und in gleicher Weise argumentierte David, ein Jüdischer Schuelmaister aus Prag, der im August 1603 bei Jacob in Pfersee Quartier bezogen hatte.40 Benjamin aus Kriegshaber, der in dem Vorstadtdorf nach seiner Aussage mit Roß und tuchen handle, dürfte die Zutrittsbedingungen in Augsburg gekannt haben - auch er entging 1594 der städtischen Überwachung nicht.41 Selbstverständlich stieß die Umsetzung des Geleitsgebots - mit dem Augsburg im übrigen keineswegs einen Sonderweg verfolgte, vergleichbare Zutrittsreglementierungen sind z.B. auch aus den Reichsstädten Ulm und Memmingen bekannt42 - immer wieder an die Grenzen des stadtpolizeilichen Apparats, und es liegt auf der Hand, daß diese Verordnung meist nur sehr rudimentär in die Praxis umgesetzt wurde. Der Geleitzwang ist allerdings ein bezeichnendes Beispiel für den wirtschaftspolitischen Impetus des Magistrats nach einer Überwachung des städtischen Marktgeschehens, und Übertritte wurden daher immer wieder zumindest punktuell bestraft.43 Die Ratspolitik im Anschluß an das Privileg 1599 reichte somit von einer Verschärfung der bereits bestehenden Kontrollmechanismen, rigoroser Bestrafung bei Übertritten gegen die Bestimmungen des Privilegs bis zur Gewährung neuer Fristen bzw. Sondergenehmigungen als Folge einzelner Suppliken. Darüber hinaus wurden neben den strafrechtlichen Sanktionsmaßnahmen auch im Sinne einer modern anmutenden 'Sozialpolitik' Alternativen wie das städtische Pfandhaus angeboten. Die vielfältigen Verhaltensweisen und die Spannbreite des städtischen Maßnahmenkatalogs sind nicht zuletzt ein Indiz dafür, daß das Verbot des jüdischen Pfandhandels in der Stadt meist nur ein Anspruch der Ratspolitik blieb. Dabei dürfte die geographische Reichweite der christlich-jüdischen Pfandbeziehungen entscheidend ins Gewicht gefallen sein. Die weiträumige Vernetzung im mittelschwäbischen Wirtschaftsraum über den unmittelbaren herrschaftlichen Einflußbereich der Stadt hinaus sowie die vielschichtige Verflechtung auch über christliche Zwischenhändler stellte ein schwer zu bewältigendes Hindernis dar ein erstes Ergebnis, das durch eine genauere Betrachtung der sozialen Herkunft der christlichen Kunden aber auch der jüdischen Pfandhändler weiterhin bestätigt wird. 39 40 41 42
43
StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1592c. Nr. 154. VIII, 21. StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1603c. Nr. 198. VIII, 11. StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1594b. Nr. 161. IV, 24. Peter Thaddäus Lang: Die Reichsstadt Ulm und die Juden 1500-1803. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 8. 1989. S. 39-49, hier S. 44-46; Julius Miedel: Die Juden in Memmingen. Memmingen 1909. S. 46-49 und 64-74. Vgl. auch die angeführten Einlaßgebühren und Geleitgelder noch 1782 in Donauwörth, Füssen, Kaufbeuren, Lauingen, Nürnberg u.a. bei: Gerson Wolf: Abgaben, welche die Juden in Burgau zu bezahlen hatten. In: Monatszeitschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 10. 1969. S. 224-227. Vgl. zur Umsetzung des Geleitgebots in die Praxis z.B. auch die Straffälle in den folgenden Jahren: StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1613e. IX,9 und 1614e. X,24.
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II. Nach wie vor zählt die Vorstellung vom 'armen Landjuden' zu den klassischen Topoi, mit denen die jüdische Existenz in der Phase nach den Vertreibungen aus den größeren Städten während des Spätmittelalters bzw. zu Beginn der Frühen Neuzeit und ihrer Wiederzulassung seit der sog. Emanzipationsphase beschrieben wird.44 Zweifelsohne beinhalteten die komplexen Umbrüche in der Siedlungsstruktur auch weitreichende wirtschaftliche und soziale Konsequenzen für die jüdischen Gemeinden.45 Trotzdem gelang es einigen Familien bereits im 16. Jahrhundert, eine herausgehobene Stellung zu behaupten bzw. aufzubauen, die das Bild des ökonomischen Niedergangs differenziert. Zu ihnen zählen im schwäbischen Raum etwa die Ulma-Günzburg, die ihren Hauptsitz in Günzburg hatten, aber seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch in der Augsburger Vorstadtsiedlung Pfersee bzw. Oberhausen nachweisbar sind.46 Sie pflegten u.a. weitreichende Kreditbeziehungen zu einzelnen Adeligen der mittelschwäbischen Region,47 waren aber offensichtlich ebenso in das Pfandgeschäft mit der Augsburger Bürgerschaft involviert. So haben sich in Folge der neuen städtischen Privilegienpolitik die schriftlichen Erklärungen der Juden Isaak, Israel und Samuel aus Günzburg aus dem Jahr 1602 erhalten, von denen sich zumindest Samuel als Nachfahre des Großfinanziers Simon von Günzburg identifizieren läßt. Er hatte im Mai 1601 zusammen mit einigen anderen Mitgliedern der Familie von Kaiser Rudolf II. für weitere zehn Jahre eine Verlängerung seines Schutzaufenthalts in Pfersee erhalten, und in diesem Schutzbrief wird Samuel als Sohn des Simon von Günzburg ange44
45
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47
Diese Vorstellung ist eng verknüpft mit dem Bild vom Niedergang jüdischer Kultur nach den Vertreibungen aus den Städten. Charakteristisch dafür etwa: Hermann Greive: Die Juden. Grundzüge ihrer Geschichte im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa. Darmstadt 1980. S. 113f.; oder speziell zu Franken das Kapitel 'Landjuden1 in Emst Schubert: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt a.d. Aisch 1983 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX. Bd. 26). S. 169-178. Zum Phänomen der Judenvertreibungen zusammenfassend: Friedrich Battenberg: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Bd. 1. Von den Anfängen bis 1650. Darmstadt 1990. S. 162-165; sowie mit weiteren aktuellen Literaturhinweisen: M. Toch: Juden (Anm. 15) S. 118-120; Markus J. Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert. Wien 1987 (Archiv für Kulturgeschichte Beihefte. Bd. 14); vgl. auch die Übersichtskarte in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael A. Meyer. Bd. 1: Tradition und Aufklärung 1600-1780. Hg. von Mordechai Breuer, Michael Graetz. München 1996. S. 58. Vgl. zu dieser Familie: S. Rohrbacher: Medinat Schwaben (Anm. 18) S. 84-95; S. Rohrbacher: Die Entstehung der jüdischen Landgemeinden in der Frühneuzeit. In: Mappot (...) gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Ausstellungskatalog. Hg. von Annette Weber, Evelyn Friedlander, Fritz Armbruster. Osnabrück 1997. S. 35-42 und seinen Beitrag in diesem Band. Vgl. dazu den Beitrag von Rosemarie Mix in diesem Band.
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Pfandhandel
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fuhrt.48 Darüber hinaus verweist Lemblin aus Günzburg in seiner Supplik an den burgauischen Landrichter direkt auf einen Sohn Isaak in Pfersee.49 Nicht zuletzt handelt es sich bei den dort angeführten Pfandgegenständen ausnahmslos um wertvollen Schmuck und Edelmetalle. Das Pfandgeschäft mit Augsburger Bürgern schien somit auch für Kreise der jüdischen Finanzwelt von Interesse, die belegen, daß sich dieser Bereich christlich-jüdischer Kreditbeziehungen nicht nur auf der Ebene des Kleinhandels abgespielt haben dürfte. Genauere Angaben, die diesen Trend bestätigen, lassen sich durch eine Analyse von christlicher Seite gewinnen, da die Augsburger Bürger gegenüber dem Rat nicht nur ihre Kreditsummen, sondern auch die versetzten Pfandgegenstände offenlegen mußten. Darüber hinaus erlaubt auch die soziale Verortung der christlichen Schuldner im städtischen Gesellschafitsgefüge weitere Rückschlüsse. Im folgenden soll daher versucht werden, über die Pfänder und ihren erzielten Gegenwert sowie über die Einstufung der Christen die Größenordnung des christlichjüdischen Pfandhandels weiter zu rekonstruieren. Die Quellengrundlage bilden dabei wiederum die 82 Pfandgeschäfte aus dem Zeitraum zwischen 1596 und 1603.50 Um ein wesentliches Ergebnis vorwegzunehmen, auch bei dieser Auswertung bildet die Unterscheidung in direkt getätigte Abschlüsse und in die durch Zwischenhändler vermittelten Kredite ein klares Differenzierungsmerkmal. Die umfangreicheren Pfandgeschäfte wurden jeweils über den Unterkäufel Hans Eitel Raidel abgewickelt. Er hatte in diesen Jahren in 52 Verträgen insgesamt Kredite zu 4334 fl. vermittelt, darunter zwar vereinzelt auch geringfügige Summen von nur 9 oder 5 fl., aber mehrheitlich lagen sie zwischen 50 und 100 fl.; dabei ragten auch einzelne Abschlüsse mit 350 fl. und bis zu 500 fl. hervor. Die Beschreibung der Pfänder entspricht diesem Bild: Es handelte sich fast ausnahmslos um wertvollen Schmuck, wie ein gülden ring mit 4 dermantl, ein gülden halsband mit acht robinen röslin oder um 2 gold. cleinoth mit diamand robin und schmarall; daneben dominierte aufwendiges Geschirr: 1 silb. Flasche, dabei auch ein besonders Mundstück so zue der Flaschen gehörig, 1 gantz guldin becherl und 1 silb. schalin inwendig verguldt. Auch Münzen wurden hier verpfändet: Der Uhrmacher Moritz Friedrich erhielt z.B. für einen Portugaller, ain dreyfachen Duc. 1 gold. Straßburger halben batzen 1 vierfachen goldgulden sowie für einen Ring und ein Besteck insgesamt 70 fl. Ein Jahr später 1598 versetzte er einen silbernen Becher, einen Kettengürtel und zwei halbe Venediger Kronen für 9 fl. Die beiden größten Geschäfte tätigte Hans Eitel Raidel mit den Händlern Isaak und Samuel aus Günzburg. Jeweils 1601 gab er die Pfänder des Jörg Lanzer, bestehend aus mehreren vergoldeten Geschirrstücken, und die Gegenstände von Hans
48 49 50
StaatsA Augsburg. Vorderösterreich Lit. 652. fol. 137. Vgl. dazu oben Anm. 21. Vgl. dazu den Quellenanhang S. 325-335.
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Bauer, der neben Schmuck auch drei gantz silb. dolchen zu 500 fl versetzte, an die Juden weiter.5' Ganz anders dagegen die Beschreibung der Pfänder, die von den Augsburger Bürgern direkt und zwar ausnahmslos an Pferseer Händler versetzt wurden. Dabei handelte es sich mehrheitlich um Textilien, etwa um ain schwartz grobgrane wames mit messe Knöpfen, ain schwarz hossen mit schwarzen Knöpfen, 1 braun rockh, 1 barchenten underrockh oder 1 wullin priestlin. Auffallend ist bei den Kleidungsstücken, daß ihre Ausstattung offensichtlich so schlicht gehalten war, daß sie keiner weiteren Beschreibung bedurften, sondern nur lapidar mit 1 mantel oder 1 rockh angegeben wurden bzw. eine genauere Charakterisierung der Funktion sich als sinnvoller erwies, etwa der Hinweis, daß es sich um ein 1 kinderbeheng oder um 1 Mannsrockh handelte. Falls doch detaillierte Angaben gemacht wurden, so verweisen sie auf eine eher schlichte Ausstattung: die Dominanz der Farben schwarz und braun, das Vorherrschen von Barchent und Wolle als Stoffsorten sowie das Fehlen von Seide oder Samt. Schmuckstücke oder wertvoller gestaltete Haushaltsgegenstände finden sich unter den versetzten Pfändern nur wenige, etwa ain silb. barmesser, ain silberin verguldt ring oder bezeichnenderweise ein denckring - d.h. ein Verlobungsring, eine der wenigen Gelegenheiten zu denen man Schmuck erwarb. Die Vorstellung, die man dabei von den Haushalten gewinnt, in denen diese Gegenstände offensichtlich über die reine Subsistenz hinaus als Konsum- oder Luxusgüter angeschafft worden waren und die soweit entbehrlich waren, daß sie bei dringenden anderweitigen Bedürfnissen veräußert werden konnten, spiegelt eher bescheidene Lebensverhältnisse wider. Man ahnt, daß es tatsächlich äußerste noth war,52 die den Seidensticker Martin Beltzer 1602 insgesamt achtmal zum Versetzen unterschiedlichster Kleidungsstücke - darunter wohl auch Textilien, die er in Arbeit hatte und eines Bettzeugs - zwang. Der Gegenwert, den die Pfänder dieser Kategorie erzielten, entspricht ihrer Beschreibung. Nur Ulrich Weilbach konnte 1603 mit underschidliche Sachen, die nicht näher spezifiziert wurden, die Grenze von 10 fl. überschreiten, alle anderen Bürger erhielten zwischen 1 fl. und 10 fl. ausbezahlt, der Durchschnittswert lag bei 4 fl. Darunter befanden sich außerdem auffallend geringe Pfandwerte, wie das ligböth des Hufschmieds Wolf Stadler und der barchente underrockh der Maria Pembold für jeweils nur 1 fl. oder das tischduch des Webers Georg Bachmann, das er gegen 30 kr. versetzte.53 Der Eindruck, daß sich das christlich-jüdische Pfandgeschäft auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen abspielte, verstärkt sich bei einer weiteren Einord-
51 52 53
Vgl. zu allen Angaben den Quellenanhang S. 325-335. Vgl. dazu die Supplik in Anm. 37. Vgl. zu allen Angaben den Quellenanhang S. 325-335.
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Pfandhandel
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nung der christlichen Schuldner hinsichtlich ihrer Berufsangaben.54 Unter den Bürgern, die ihre Pfänder direkt bei den Pferseer Juden versetzten, dominierten Handwerker des Textilgewerbes, der Seidensticker Martin Beltzer, sowie mehrere Weber: Georg Schuch, Georg Bachmann, Hanns Waiß, Daniel Wöhrlin und Michael Zinger. Auffallend in dieser Gruppe ist weiterhin der hohe Frauenanteil: Unter den insgesamt 30 namentlich angeführten Schuldnern befanden sich immerhin 12 Frauen. Im Hinblick darauf, daß Frauenhaushalte prozentual zu den einkommensschwächeren Gruppen zu rechnen sind,55 und die Textilhandwerker u.a. aufgrund erheblicher konjunktureller Einbrüche die geringsten Steuerleistungen aufbrachten,56 sind diese Pfandgeber in den unteren Sozialschichten der Stadtbevölkerung anzusiedeln. Während hier typische Mittelschichtsgewerbe fehlen, sind Angehörige dieser Gruppe häufig unter den Kunden Hans Eitel Raidels zu finden, z.B. der Glaser Hans Kerlin, der Kistler Lorentz Arnoldt, der Kürschner Joerg Müller oder der Wirt Mathes Buckh; darunter weiterhin auch Bürger, die an der Spitze der Handwerkshierarchie standen: die Goldschmiede Matheis Botter und Joerg Lanzer, der Uhrmacher Moritz Friedrich oder der Apotheker Jeremias Erhardt. Vereinzelt findet sich zwar auch hier ein Barchentmacher wie Abraham Haselbach, der 1601 mehrere Münzen und Goldringe versetzte, aber seine relativ wertvollen Pfänder, für die er 40 fl. erhielt, belegen, daß er wohl kaum zu den armen Handwerkern in seinem Gewerbe zu zählen war. Bezeichnenderweise fehlt die Kategorie der Frauenhaushalte hier fast völlig - mit Ausnahme der Wurstmacherin Anna Hochner, deren Pfänder im Wert von 100 fl. über den Zwischenhändler an den Juden Itzig in Pfersee gingen. Dabei hatte sich Hans Eitel Raidel unter den Augsburger Bürgern auch einen festen Stammkundenkreis aufgebaut: Der Uhrmacher Moritz Friedrich nahm zwischen 1597 und 1602 insgesamt zehnmal über ihn Kredite auf, wiederholt griffen auch Christof Zeiler und Jacob Lebhart - von denen keine Berufsangaben überliefert sind - auf diese Geldquelle zurück, ebenso der Apotheker Jeremias Erhardt. Die Pfänder seiner Kunden wurden allerdings jeweils an unterschiedliche Händler weiter veräußert. So wanderten die einzelnen Wertsachen von Moritz Friedrich letztlich an Jacob aus Pfersee, an Hirsch aus Fischach, an Seßlin aus Burgau und Abraham aus Günzburg.57 Die christlichen Schuldner im jüdischen Pfandgeschäft sind folglich keineswegs ausnahmslos den unteren sozialen Gruppen der städtischen Gesellschaft zu54
55 56
57
Vgl. zur sozialen Bewertung der einzelnen Gewerbegruppen anhand ihrer Steuerleistungen im Augsburg des 17. Jahrhunderts B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 406430. So das Ergebnis der Analyse bei B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 476-479. Sowohl nach der Analyse bei Clasen als auch bei Roeck steuerten die Weber in Augsburg größtenteils in den unteren Kategorien: B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 406-409; C.P. Clasen (Anm. 33) S. 60f. Vgl. dazu Quellenanhang S. 325-335.
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zuordnen, vielmehr ergibt sich entsprechend der beiden unterschiedlichen Kategorien ein differenziertes Bild: Eine erste Gruppe von Bürgern, die ihre Pfänder ohne Zwischenhändler direkt bei den Juden in Pfersee unmittelbar vor den Toren der Stadt versetzte, läßt sich zwar tendenziell den ärmeren Bevölkerungsschichten zurechnen, daneben schloß der Pfandhandel aber auch wohlhabendere Haushalte mit ein. Das Netz der christlich-jüdischen Kreditbeziehungen spannte sich somit nicht nur in einem größeren geographischen Umkreis, der dem wirtschaftlichen Einzugsgebiet der Reichsstadt entsprach, sondern auch auf mehreren sozialen Ebenen. Im Hinblick auf die Motive für diese Form der Kreditaufnahme ergeben sich aber auch Anhaltspunkte für schichten- bzw. standesübergreifende Verhaltensweisen, die neben den strukturellen Aspekten einige weitere qualitative Hinweise zu den christlich-jüdischen Wirtschaftskontakten ermöglichen und zugleich eine genauere Kenntnis der angewandten Handelsformen vermitteln. Dabei wird im folgenden der Beobachtungszeitraum bis auf die zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts ausgeweitet.
III. Trotz der obrigkeitlichen Verbote und der vom Rat durchgeführten strafrechtlichen Sanktionen konnte der Pfandhandel über die Grenzen der Stadtmauer hinweg nicht unterbunden werden. Die vorstädtischen Judengemeinden, unter ihnen vor allem die Pferseer, erfüllten nach wie vor eine wichtige Funktion als Kreditgeber für zahlreiche Augsburger Bürger. Dabei verlagerten sich die Geschäftsabschlüsse als Reaktion auf die restriktive Politik des Rates auf das Vorstadtdorf - man setzte Vermittler ein oder suchte die Pferseer Händler selbst auf. Als weitere Quellengrundlage muß daher auf die Amtsprotokolle der Pferseer Ortsherrschaft zurückgegriffen werden, die in dieser Phase von unterschiedlichen Augsburger Patriziern ausgeübt wurde. Nachdem 1549 Hieronymus Sailer das Dorf erworben hatte, gelangte es über Bartholomäus Sailer (1568) und Michael Katzböck (1570) 1579 an die Familie Zobel, in deren Besitz es bis 1682 verblieb.58 Ergänzend dazu wurden nochmals die Akten des Stadtgerichts herangezogen, und die folgenden Einblicke in die Pfandhandelsgeschäfte wurden somit über die auftretenden Konfliktfälle zwischen christlichen Schuldner und jüdischen Gläubigern eruiert. Bei den aus den Jahren 1613 und 1626/27 überlieferten Streitigkeiten standen nun vor allem der Zeitpunkt der Pfandherausgabe und die Einschätzung des Pfandwertes im Mittelpunkt.
58
A. Müller: Ortsgeschichte von Pfersee. Lechhausen 1896. S. 23; Detlev Schröder: Stadt Augsburg. München 1975 (HAB Teil Schwaben. Bd. 10). S. 177f.
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Pfandhandel
Zahlreiche Pfänder wurden bei den jüdischen Händlern versetzt, die aus Geldmangel nicht wieder zurückgekauft werden konnten. Diese ungelösten Pfänder, von denen der Händler keinen Zins mehr zu erwarten hatte, stellten eine erhebliche Belastung dar. Ein schneller, gewinnbringender Weiterverkauf wurde zudem durch das fehlende volle Besitzrecht behindert und war erst nach dem Ablauf einer bestimmten Wartefrist, die offensichtlich meist ein Jahr umfaßte, möglich. Die Frage des Fristablaufs für die Auslösung der Pfänder lieferte somit die Ursache für zahlreiche Streitfälle: So klagte der Augsburger Müller Jerg Pollen im Dezember 1613 gegen den Juden Schlumen, daß dieser seine Pfänder bereits verkauft hatte, als er sie bei ihm wieder zurück erwerben wollte.59 Ebenso bemühte sich der Bürger Hans Schmidt am 3. April 1626, seine für 2 fl. und 30 kr. vor einem Jahr bei Isaak in Pfersee versetzten silberne löffei mit Unterstützung des dörflichen Gerichts wieder in seinen Besitz zu bringen. Isaak verteidigte sich mit Erfolg damit, daß er nie einen Zins dafür erhalten und das Pfand aus diesem Grund veräußert hatte, denn der Gerichtsschreiber Johann Kleber notierte im Amtsprotokoll: Es kende hierinnen nit mehr geholffen Vnnd den beklagten Juden nichts wiederwertiges ufferladen werden.60 Dagegen mußte die Jüdin Sara nach dem Richtspruch des Dorfvogtes vom 5. Mai 1627 der Lodenweberin Felicitas Bech, die einige Wochen zuvor einen Teppich und ein Tischtuch für 5 fl. bei ihr versetzt hatte, die Pfänder wiederbeschaffen.61 Bereits im November 1626 war Sara wegen eines ähnlichen Falles in Schwierigkeiten geraten: Eine Augsburger Weberin namens Rosina Widemann hatte gegen sie geklagt, daß sie einen rosinfarbenen rock nicht mehr auslösen konnte. Im Verhör vor dem Dorfgericht gestand Sara, daß sie das Kleidungsstück an einen käuffler Inn Augspurg Stülb genannt [...] zu kaufen gegeben, und den rock habe ändern lassen. Sie mußte schließlich Rosina Widemann das Pfand ersetzen, weilen Sie den rockh ehe er verstanden gewest 6. wochen zuevor enderen lassen.62 Neben den Gerichtsklagen christlicher Kunden auf eine Wiederbeschaffüng ihrer Wertgegenstände sorgte die Vermittlung der Geschäfte immer wieder für Kontroversen. Im Mai 1626 klagte z.B. der Uhrmacher Andreas Kreißer gegen die Christin Katharina Engelschalck, die für ihn eine schlagende halsuhr um 1 fl. beim Schlume Juden versetzt hatte. Der Jude dagegen sagte vor Gericht aus, er hab weder die besagte Engelschelckhin noch die uhr in 2 jähren und noch lenger nit gesehen. Da dem Uhrmacher keine weiteren Zeugen zur Verfügung standen, wurde das Verfahren letztlich eingestellt.63 Derartige Probleme traten vor allem dann auf, wenn der Pfandzettel nicht mehr vorhanden war, der zur gegenseitigen Absicherung und als Beleg für die Rechtskräftigkeit des Handels ausgestellt wurde. Anlaß 59 60 61 62 63
StaatsA StaatsA StaatsA StaatsA StaatsA
Augsburg. Augsburg. Augsburg. Augsburg. Augsburg.
Adel Adel Adel Adel Adel
von von von von von
Zobel Zobel Zobel Zobel Zobel
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
1. fol. 6. fol. 6. fol. 6. fol. 6. fol.
5 lr. 12'. 39v. 29r. 18r und fol. 21r.
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zu Streit lieferte darüber hinaus immer wieder der Schätzwert der Pfänder. So führte die Uneinigkeit über den Pfandwert den Juden Abraham und den Weber Philipp Schenauer im November 1626 vor das Pferseer Dorfgericht,64 und im August 1613 klagte der Augsburger Bürger Jerg Schleuch gegen Mauschi, daß dieser von ihm bei der Auslösung seiner Pfänder 7 fl. zuviel eingefordert hatte.65 Neben den Hinweisen auf die Struktur der Leihverträge zu einzelnen Punkten, wie dem Rückkaufrecht der Pfänder, belegen diese Klageverfahren vor allem nochmals die Ambivalenz in der zeitgenössischen Judenpolitik sowie die geringe Reichweite der Ratspolitik: Während in der Stadt der Pfandhandel nach wie vor generell untersagt wurde, konnten die Augsburger Bürger ihre Kontroversen bei Geschäftsabschlüssen vor dem Pferseer Dorfvogt durchaus gerichtlich austragen. Weiterhin führte die Versetzung von Diebesgut bei jüdischen Pfandhändlern immer wieder zu Konflikten. Der Hehlereiverdacht, dem die Händler ausgesetzt waren, stand dabei in Verbindung mit einer lang tradierten Stereotypenbildung, die zwischen dem jüdischen Pfandgeschäft und Eigentumsdelikten eine enge Verknüpfung in der Vorstellungswelt der Christen geschaffen hatte. Obwohl das mittelalterliche Marktschutzrecht der jüdischen Händler mit der zunehmenden Verdichtung der Handelsnetze und der wirtschaftlichen Kommunikationsstrukturen eingeschränkt wurde,66 und somit keine rechtliche Begünstigung für die Händler mehr bestand, lebten in den Denkstrukturen der Zeitgenossen die Assoziationen weiter fort. Nach der Reichspolizeiordnung von 1548 waren die jüdischen Händler nun gezwungen, nachweislich gestohlene Waren ohne Entgelt an den Eigentümer zurückzugeben. Selbstverständlich stellte der Pfandhandel dabei für viele Diebe tatsächlich eine ideale Möglichkeit dar, ihre gestohlenen Waren als vorgetäuschtes Eigentum zu versetzten und in Bargeld umzuwandeln, denn in den meisten Fällen konnten die Pfandhändler kaum die Besitzrechte ihrer Kunden an den verpfändeten Gegenständen überprüfen. Es gab also eine reale strukturell problematische Verbindung zwischen dem Pfandhandel und dem Delikt des Diebstahls sowie die über einen langen Zeitraum tradierte Vorurteilsbildung. In der Praxis bedeutete dies für die Pferseer Pfandhändler, daß sie selbst oftmals gerichtlich belangt wurden, und soweit die gestohlenen Waren tatsächlich bei ihnen auffindbar waren, mußten sie diese unentgeltlich herausgeben. Als 1610 die Kauffrau Maria Hassmüller mit der Begründung verhaftet wurde, ein zinenen Aichel, so vor der Zeit beim Georg Lorentzen Gastgeber allhir verlohren worden ge64 65 66
StaatsA Augsburg. Adel von Zobel Nr. 6. fol. 32'. StaatsA Augsburg. Adel von Zobel Nr. 6. fol. 54'. Zum sogenannten 'Hehlerprivileg' vgl. vor allem den neueren Aufsatz von Friedrich Lotter: Talmudisches Recht in den Judenprivilegien Heinrichs IV.? Zur Ausbildung und Entwicklung des Marktschutzrechts im frühen und hohen Mittelalter. In: Archiv für Kulturgeschichte 72. 1990. S. 23-61; sowie Guido Kisch: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters. Ausgewählte Schriften. Sigmaringen 1978. S. 107-136.
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Pfandhandel
321
stöhlen und beim juden versezt zu haben, geriet auch der Jude Mayr aus Kriegshaber in den Verdacht der Komplizenschaft. Erst als er einen jüdischen Eid auf die Aussage ablegte, daß die bei ihm gesehne zinnene Aichel ein Claus Sailer ein Tagwerker ihme zugebracht darauf er ihm 1 fl. 30 kr. geliehen, wurde er freigesprochen.67 Nachdem der Weber Hans Wagner im Juli wegen Diebstahls in die Fronfeste gebracht worden war und dort unter der Folter aussagte, er habe einen gestohlenen Schlüssel samt silbernen Hacken zum juden hinaus nach Pfersee gebracht, löste dies umfangreiche Verhöre unter der Pferseer Judenschaft aus. Unter Eid gestand ein Händler namens Samuel schließlich, daß er Ime Wagner vnd kainem andern 4 Vi fl. darfir bezallt, auch er Wagner umb solch gellt ain verseztes Röckhle, kragen und Bristie gelöst hab, Jme auch daran mehr nit als 2 Taler vberbliben seien. Von dem Diebstahl habe er nichts gewußt, aber der Wagner seye vil: vnd bey 20. Jaren hero in allen fleckhen daherumb wie auch zu Pfersee gar wol bekanndt, sonderlich in bierheusern vnd beim brandtwein, Er habe Juden vnd Christen vil Sachen verkaufft und versezt. Hans Wagner wurde der Stadt verwiesen, inwieweit auch Samuel belangt wurde, ist den Akten nicht mehr zu entnehmen.68 Ob Christen und Juden tatsächlich Hand in Hand gearbeitet hatten, bleibt ebenfalls offen. Durch den Verdacht der Hehlerei haftete aber dem Pfandhandel der Ruf unseriöser Geschäftspraktiken an, und er zählte somit zu den konfliktträchtigen Bereichen der christlich-jüdischen Wirtschaftsbeziehungen. Schließlich waren auch christliche Kunden und jüdische Händler darum bemüht, notfalls durch Injurienklagen einen entstehenden Hehlereiverdacht bereits im Ansatz abzuwehren. Hierzu ein letztes Beispiel: Im November strengte Michael Müller, geschworener Unterkäufel und Weber in Augsburg, ein Klageverfahren gegen den Juden Elias zur widerkehr seiner Ehren vor dem Pferseer Dorfgericht an, da dieser ihn beschimpft hatte, ihm einen unrechten Mantel verpfänden zu wollen. Nachdem der Jude nicht vor Gericht erschien, wurde Müller mit seiner Anklage vor das Augsburger Stadtgericht verwiesen; der weitere Verlauf des Verfahrens ist nicht überliefert.69 Die Sensibilität dieses Bereichs wird hier aber erkennbar: Den Verdacht der Hehlerei abzuwehren, hatte für die Pferseer Pfandhändler existentielle Bedeutung, zugleich verfugten sie in den seltensten Fällen über einen klaren Eigentumsnachweis für die bei ihnen versetzten Pfänder und bewegten sich dabei oft an der Grenze der Legalität. Letztlich blieb ihnen daher nur der gute Leumund ihrer Kunden als Absicherung. Die geschilderten Konflikte sollten aber nicht die 'Normalität' der christlichjüdischen Pfandgeschäfte verdecken, über die in einigen Verhörprotokollen durchaus auch berichtet wird. Da es sich bei diesen Textpassagen aber meist um 67 68 69
StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1610c. Nr. 227. IX, 15. StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1628. Nr. 309. VII, 19. StaatsA Augsburg. Adel von Zobel Nr. 6. fol. 54v.
322
Sabine Ulimann
eher zufällige, nebenbei erzählte Ausschnitte aus dem Alltagsleben handelt, die zudem oftmals keine unmittelbar neuen Erkenntnisse zum Konfliktverlauf liefern, sondern vielmehr allein der 'Geschwätzigkeit' der Zeugen oder Angeklagten zu verdanken sind, geraten sie leicht in Vergessenheit bzw. wurden von den Protokollanten oft gar nicht festgehalten. Ein Glücksfall sind daher die umfangreichen Aufzeichnungen der Verhöre von mehreren jüdischen Pfandhändlern anläßlich des Verfahrens gegen Matthias Schnatterer und seine Ehefrau im Oktober 1628. Im Laufe der Verhandlungen vor dem Augsburger Stadtgericht stellte sich heraus, daß mehrere Juden seit langen Jahren vielfältige Pfandhandelsgeschäfte mit dem Ehepaar gepflegt hatten - von dem Diebstahl der beiden hatte die Pferseer Judengemeinde aber offensichtlich keine Kenntnis. Samuel etwa erzählte, newlicher Zeit, hab Er Schnatterer Ime schnüerlen versezt, doch denselben wider zuvor auch etliche malen versezt Vnd auf Jme gestanden, aber alle Zeit wider gelöst
ain sylberfarben Weiberrockh mit gelöst, wie Er Jme dann denselben ain Zeit fast ain Jar lang auch bey worden.
Anschließend folgt eine umfangreiche Auflistung einzelner Geschäftsabschlüsse zwischen den beiden in den letzten Monaten, die mit dem Satz endet: Er möge mehr oder weniger mit Jme gehandelt haben, könde sich an Jezo in specie nit alles erinnern. In gleicher Weise liest sich die Aussage des Elias: Auch bei ihm habe das Schneiderehepaar noch etliche pfandt vermög gegebnen zettels bey ime steendt, seye täglich bey Ihme im hauß gewest, Inen gearbeitet, auch allerhandt sachen versezt und gelöst.70 Die Häufigkeit und Dichte der christlich-jüdischen Pfandgeschäfte über die Stadtmauern hinweg, die hier als selbstverständlich geschildert wird, gewinnt nochmals eine weitere Dimension durch einige wenige, aber aussagekräftige Hinweise zu den Motiven und konkreten Hintergründen der Verpfändungen. Sicher sind diese Kreditaufnahmen zunächst in vielen Fällen als Ausdruck akuter Notsituationen zu bewerten, auch wenn den Quellen hierzu keine direkten Aussagen zu entnehmen sind. Aber die oben durchgeführte soziale Verortung des Kundenkreises läßt wohl den Rückschluß zu, daß der jüdische Pfandhandel für viele Bürger vor allem existentielle Funktionen erfüllte. Daneben lassen sich aber als Ursachen für die Kreditaufnahme bei Juden auch Beweggründe ausmachen, die über die Subsistenzsicherung hinausgingen, etwa Lebenssituationen, in denen es darauf ankam, schnell, diskret und ohne Komplikationen über eine größere Geldsumme verfugen zu können, wie im Fall der Susanna Gessler. Sie wurde von ihrem Mann angeklagt, Ire Khlaider und als Silberbeschlagenes und dergleichen zu sich genommen, eingefasst und mit einem anderen Mann, so Hans Nagel von Bobingen genannt
70
StadtA Augsburg. Strafamt. Urgichten 1628c. Nr. 310. XI, 27.
Der christlich-jüdische
Pfandhandel
323
daraus gezogen und die behausung gleichsten öd und leer hinderlassen und was sie bey Ir gehabt zue den Juden um eine geringes gelt versezt zu haben Auf innerfamiliäre Konflikte und den Versuch, Lösungen durch die Erschließung neuer Geldquellen zu finden, weist auch der Streit zwischen dem Bürger Wahlbaum und seiner Tochter, die ohne sein Wissen und ganz offensichtlich gegen seinen Willen mehrere Haushaltsgegenstände bei Abraham versetzt hatte. Unter Hinzuziehung ihres Ehemanns, der sich auf die Seite des Schwiegervaters stellte, gelang es den Männern, den Pfandhandel rückgängig zu machen.72 Die Motive der Tochter bleiben in diesem Fall zwar offen, aber unverkennbar zählte das jüdische Pfandgeschäft zu den wenigen Kreditmöglichkeiten für diejenigen Stadtbewohner, die nicht selbst einem Haushalt vorstanden oder über eigene Einkünfte verfugten. Das knappe Angebot auf dem innerstädtischen Kreditmarkt, gerade auch für die sozial schwächeren Gesellschaftsgruppen und die wirtschaftlich schwierige Lage der Reichsstadt um die Wende zum 17. Jahrhundert, die viele Haushalte in Subsistenzkrisen stürzte, sorgte trotz der restriktiven Ratspolitik für das Florieren dieses Geschäftszweigs in den jüdischen Vorstadtgemeinden, aber auch in anderen mittelschwäbischen ländlichen Judensiedlungen.
VI. Am Pfandhandel zwischen den schwäbischen Landjuden und den Einwohnern der Reichsstadt Augsburg wird exemplarisch deutlich, daß die christliche Bevölkerung trotz bestehender Vorurteile gegenüber den jüdischen Handelspraktiken die Verordnungen der städtischen Ratspolitik so weit möglich ignorierte und intensive wirtschaftliche Beziehungen zu ihnen pflegte. Das weitgehende Scheitern des Rates bei der Umsetzung seiner normativen Vorgaben in die Praxis, wobei das ganze Repertoire des polizeilichen Apparats (Zutrittsreglementierungen, strafrechtliche Sanktionen) und seine kommunikativen Möglichkeiten (öffentliche Anschläge, Insinuierungen) ausgeschöpft wurden, hatte seine Ursachen in den spezifischen Strukturmerkmalen des christlich-jüdischen Pfandhandels. Die räumliche Ausdehnung über den unmittelbaren herrschaftlichen Einflußbereich der Reichsstadt hinaus, der den Rat zur Rücksichtnahme gegenüber den Nachbarterritorien zwang, und das informelle System eines über christliche Zwischenhändler organisierten Pfandverkehrs über die Grenzen der Stadtmauer hinweg, das sich den Kontrollmöglichkeiten weitgehend entzog, fielen dabei entscheidend ins Gewicht. Die Ratspolitik scheiterte aber nicht nur an mangelnder praktisch-politischer Effizienz, sondern letztlich auch daran, daß weite Kreise der Stadtbevölkerung ihre 71 72
StadtA Augsburg. Judenakten ohne Faszikelnr. fol. 109. StaatsA Augsburg. Adel von Zobel Nr. 6. fol. 33v.
324
Sabine Ulimann
Kreditbedürfhisse kaum anderswo decken konnten und somit interessengebundene Standpunkte bezogen, über die der Rat nicht generell hinwegsehen konnte. Dabei war die Verpfändung von Wertgegenständen keineswegs ein Unterschichtenphänomen,73 denn Bürger aus den unterschiedlichsten Handwerks- und Gewerbegruppen griffen auf diese Kreditmöglichkeit - meist als 'Rettungsanker' in Notsituationen bei dringendem Bargeldbedarf - zurück. Die oft nur geringen Beträge, die erzielt wurden, verweisen auf die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Pfandgeber, darüber hinaus gelangten aber auch wertvollere Gegenstände aus den bessergestellten Handwerkerhaushalten zu den Händlern. Ausschlaggebend für die Zusammensetzung des Kundenkreises war weniger die Herkunft aus einer spezifischen sozialen Schicht der städtischen Gesellschaft als vielmehr individuelle Krisenmomente, die ihre Ursachen in konjunkturellen Einbrüchen der städtischen Ökonomie hatten. Davon ausgenommen war allerdings die Elitegruppe der Patrizier und Kaufleute, denen zweifelsohne andere Kreditschienen bei Liquiditätsproblemen zur Verfügung standen. Den jüdischen Vorstadtgemeinden war es somit gelungen, sich in Anlehnung an den nahen Urbanen Markt eine Nische zu erschließen. Dabei hatten sich neben Kriegshaber und Steppach besonders die Pferseer Juden auf diesen Kreditzweig spezialisiert - eine Spezialisierung, die im übrigen bis in das 18. Jahrhundert hinein bestehen blieb.74 Die bei ihnen versetzten Pfänder und die geleisteten Kredite zeigen, daß die jüdischen Händler durchaus auch größere Summen zur Verfugung stellen konnten und sich folglich keineswegs ausschließlich im Bereich des Kleinhandels bewegten, wenn auch die Größenordnungen des Mittelalters nicht mehr erreicht wurden.75 Dieser Befund ist ein weiteres Indiz für die Reichweite der wirtschaftlichen Funktionen der Landjuden während der Frühen Neuzeit auch nach ihrer Ausweisung aus den Reichsstädten. Daß die Städte des Alten Reiches von ihrer abwehrenden Haltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung trotzdem nicht abwichen, sorgte letztlich für die weiterhin bestehende Dominanz der ländlichen Siedlungsschwerpunkte bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.
73 74 75
So die Einschätzung bei B. Roeck: Stadt in Krieg und Frieden (Anm. 8) S. 471-473. S. Ulimann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 18). Michael Toch: Der jüdische Geldhandel in der Wirtschaft des Deutschen Spätmittelalters. Nürnberg 1350-1499. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 117. 1981. S. 283-310; ders.: Jüdische Geldleihe im Mittelalter. In: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Aufsätze. Hg. von Manfred Treml, Josef Kirmeier. München 1988 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur. Bd. 17) S. 85-103.
Der christlich-jüdische
325
Pfandhandel
Quellenanhang76 fol.
Christliche Schuldner
Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Direkt bei den Juden versetzte Pfander:
Martin Beltzer Seidensticker
1602
ain wullin briestle mit drei strieck sammet ain bloc pfulwzieg ain wais handuch mit zwen bortten unden und oben ain silberin verguldt ring gelb biekhe gescheßz mit silb. berttlach dräy strieck und ain briestle mit säyden borttden verbrempt
3 fl.
ain legbedt und pfulgen sampt den bloun ziehen
4 fl. 30 kr.
ain gesprengt wullin gescheßß mit säyden berttlach iberal verbremp ain war
1 fl. 30 kr.
ain denckring ain silberner girdel ain langer silbern girdel mit ainem Hedem riema ain silbern barmesser
76
7 fl.
StadtA Augsburg. Judenakten Fasz. 3. Nr. 3.
6 Bazen 3 fl. 5fl
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
326 fol.
Sabine Ulimann Christliche Schuldner
Datum
115
Versetzte Pfänder
ain silbern barmesser gelb bicke wames mit blo silbern bertlach, ain gelben bickna ain schwartz wames mit messe Knöpfen ain schwarz hossen mit schwarzen Knöpfen
116
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
2 fl. 3 fl.
1 fl. 30 kr. 2 fl.
12 Ellen gesprengt duch
7 fl.
ain Bristlin
% fl.
underschidliche Pfand
2 fl.
Pfersee Pfersee
113
Hans Schacherin witib
112
Claus Nett
112
Georg Böbl 1602
2 bilachen, 1 par strimpf
1 fl.
112
Barbara Pfalzin
1 rock
4 fl.
112
Georg Walchauser
1 nachtmantel und 1 mantel
2 fl.
112
Christof Heiweg
1 mantel
8 fl.
112
Gall Schieber
1 wames
30 kr.
112
Hans Haldenmanger
1 rock
2 fl. 45 kr.
Pfersee
112
Georg Schuch Weber
1 1 1 1
1 fl. 2 fl. 30 kr. 1 fl. 30 kr.
Pfersee
1602
rock weberhölz briißlin rock
Pfersee
Der christlich-jüdische fol.
Christliche
327
Pfandhandel Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Schuldner
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
112
Barbara Müller
1603
1 rock etliche gülden ring
5 fl.
Pfersee
112
Barbara Maches
1603
1 mandl
4 fl.
Pfersee
112
1603 Wolf Stadler Hufschmied
1 ligböth
1 fl.
Pfersee
113
Hans Hornung
1 mantel 1 wames 2 röck
1 fl. 45 kr.
111
Regina Delhellen
1 huseggen mit schwarzem Futter gefuttert 1 silberblauen rockh
6 fl.
6 fl.
1 braun rockh
5 fl.
underschidliche Sachen
23 fl.
Pfersee
1 mantel
2 fl.
Pfersee
1 mantel
3 fl.
Pfersee
1 ligböckh 1 köllnische ziech 1 tischduch
3 fl. 2 fl.
Pfersee
111
Dorothea Sandaller
111
Ulrich Weilbach
111
Elias Weilbach
111
Johannes Kramer
111
Georg Bachmann Weber
111
111
Hans Wais Weber
Anna Kugelmann
1603
1603
1603
1603
1 1 1 1 1
ledern wames wames wibsrockh briestlin kinderbeheng
1 Prüstlin 1 mantel 1 wames
30 kr. Pfersee
10 fl. 4 fl. 7 fl. 3 fl.
328 fol.
Sabine Ullmann Christliche
Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Schuldner
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
VAÜ.
Pfersee Pfersee
2 fl.
Pfersee
3 fl.
Pfersee
1 mantel
3 fl.
Pfersee
Appolonia 1602 Hindermair
1 Mannsrockh
5 fl.
Pfersee
Maria Wunderlin
1 husseggen 2 röckh hossen u.Wames
8 fl.
Pfersee
Anna Kiffler
1 rockh 1 prüstlin
32
Maria 1602 Mannbauer
1 schwarz rock
32
Daniel Wöhrlin Weber
1602
1 mantel
32
Michael Zinger Weber
1602
32 32
111
32
32
Maria Pembold
Michael Weber
1602
1602
1601
3 fl.
5 fl.
1 rock, 1 beiz 1 gewürch 1 pfulgen 8 eilen parchet, 1 khiß 1 barchenten underrockh 1 wullin priestlin
2 fl. 1 fl. 45 kr.
Dobsrock
3 fl.
45 kr. 1 fl.
Pfersee
Der christlich-jüdische fol.
Christliche Schuldner
329
Pfandhandel Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
Über den Unterkäufel Hans Eitel Raidel versetzte Pfänder:
34
34
34
Hans Kerl in Glaser
1596
1597 Moritz Friedrich Uhrmacher
Lorentz Arnoldt Kistler
1598
34
Moritz 1598 Friedrich Uhrmacher
34
1598
4 gülden ring 3 silber ring, der eine hat ein dermantl ein schifmobel hanngt ein berlen beisamen verpetschiert ein gülden ketterlin ein gülden ringl mit 4 dermantl, 1 silbern schalin, inwendig verguldt, 1 pecher mit deckel, alles verguldt, ein weiß silbern Schale etlich gulden ring ein Portugaller ein dreyfachen Ducat 1 golden Straßburger halben batzen 1 vierfachen goldgulden, ein silberbeschlagen wardner schaidlin, darinnen 5 besteckh 1 Silberschale mit zerbrochner Fuß 2 silber Becherl langer verguld gürtel mit Spangen
Isaac aus Günzburg
100 fl. Jacob aus Pfersee
70 fl. Isaac aus Günzburg 40 fl.
1 silber Becher 1 Kettengürtel, alt 2 halbe Venediger Cronen
9 fl.
Hirsch aus Fischach
3 silber Pecher 1 Deckel, 8 gebogen goldtstück, ein alt gold ring mit einem Steine
50 fl.
Mauschi aus Binswangen
330 fol.
Sabine Ullmann Christliche
Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/
Schuldner
Herkunftsort
34
Hans Eckert
1598
1 silber Pecher 1 silber Flasche, dabei auch ein besonders Mundstück so zue der Flaschen gehörig, mer drei gleiche magele 6 silber Löffel
1 0 0 fl.
Jacob aus Pfersee
34
Matheis Botter Goldschmied
1598
2 golden cleinoth mit diamand robin und Schmarall 2 golden ring, 2 Ketten, 17 gülden rößlin, 1 silber Pecher
50 fl.
Seßlin aus Burgau
34
Daniel Vischer
1599
1 einfach vergold Geschirr mit Dekel ein gürtel beschlag
100 fl.
Seligmann aus Burgau
34
Christof Zeiler
1599
1 golden ring
5 fl.
Judenarzt aus Kriegshaber
34
Daniel Vischer
1599
1 einfach verguld geschirr mit deckel ein giertel beschlag
100 fl.
Seligman aus Burgau
35
Stefan Daniel
1599
ein gulden Kettelin
50 fl.
Seßlin aus Burgau
35
Junckher Hans
1599
6 gülden ring, 6 leffel, ein vergulden Pecherl mit deckel 3 Saltzfaßlin, ein magelen
48 fl.
Seligmann aus Burgau
35
Jacob Lebhart
1599
6 silber Pecher, 4 ungleiche magele ein gantz silber leffel, ein langer giertel, darauf 12 stieck silber Spangen
70 fl.
Isaac aus Burgau
35
Matheus Schaller
1599
1 silber Keendtlin 1 silber Pecher mit Deckel, ein gantz gildin Ring
50 fl.
Pfersee
Der christlich-jüdische fol.
Christliche Schuldner
331
Pfandhandel Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
35
Christof Zeiler
1599
10 doppelt spanisch Ducath, 11 einfach ducath, 5 Engellotten, 2 vierfach cronen, 1 goldtpfennig
80 fl.
Itzig aus Pfersee
35
Jacob Lebhart
1600
1 silber Pecher mit deckel, 1 silber schelin, 2 silber giertel mit Spangen 3 goldn ringe mit steinen, ein zwifacher gülden denkring
47 fl.
Wassertrüdingen
35
Hans Vischer
1600
4 gülden diamantring beisamen verpet.
40 fl.
Itzig aus Pfersee
35
Moritz 1600 Friedrich Uhrmacher
ettliches bruchsilber
40 fl.
Seßlin aus Burgau
35
David Stör Kirmer
ein großer gülden becher mit deckel
40 fl.
Itzig aus Pfersee
35
Moritz 1600 Friedrich Uhrmacher
ein doppelt silber geschirlin, 1 silber verguldeter Pecher
30 fl.
Seßlin aus Burgau
35
Joerg Lutz
1600
2 silber Pecher mit deckel, ein silber gläßl, ein silber leibgiertel
16 fl.
Hirsch aus Fischach
35
Christof Zeiler
1600
ein langer vergult giertel
8 fl.
Pfersee
35
1600 Moritz Friedrich Uhrmacher
ein silber Fläschen ein langer giertel
32 fl.
Pfersee
36
David Stör Kirmer
ein gulden halsband mit acht robinen röslin
50 fl.
Itzigkh aus Pfersee
1600
1601
332 fol.
Sabine Ullmann Christliche Schuldner
Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
36
Joerg Müller Kirschner
1601
16 gulden ring 1 gulden Pfennig
100 fl.
Samuel aus Günzburg
36
ohne Angabe
1601
1 buschel verpetschirte ring 1 silber verguldt geschirr
150 fl.
Samuel aus Günzburg
36
Christof Zeiler
1601
1 silber magelen 1 alter verguldt giertel
5 fl.
Judenarzt aus Kriegshaber
36
Moritz 1601 Friedrich Uhrmacher
3 silber Pecher mit deckel
40 fl.
Itzig aus Pfersee
36
Joerg Lanzer Goldschmied
1601
1 doppelte schalen 4 pecher, 4 deckel 2 kanndten, 4 einfache geschir samt deckel, ein doppelt geschirr, alles verguldet
350 fl.
Samuel aus Günzburg
36
Johann Kleber
1601
4 gülden ring 1 silber verguldt. Pecher mit dekel
50 fl.
Itzig aus Pfersee
36
David Stör Kirmer
1601
1 gantz guldin Becherl 1 Silber schüssel
100 fl.
Itzig aus Pfersee
36
Ulrich 1601 Raidel Barchentmacher
4 gulden ring beisamen verpetschirt
40 fl.
Itzig aus Pfersee
36
Fritz Balbierer
1601
ein gantz guldin Pecher, ein gantz silber amppel samt aller zuegehörung
150 fl.
Itzigkhaus Pfersee
36
Joerg Bürlin Kistler
1601
1 grosser silber verguldt Giertel 1 weiß silber gürtel 1 silber gülden windtmühl, 1 silber Pecher halb verguld
50 fl.
Itzig aus Pfersee
Der christlich-jüdische fol.
Christliche Schuldner
Datum
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/ Herkunftsort
60 fl.
Itzig aus Pfersee
1601
1 guldin cleinot 1 guldin cleinot mit ein greiffen, alles mit deemant drei gantz silber dolchen, 4 gürtel etliche wamesknöpf
500 fl.
Isaac aus Günzburg
Jeremias Erhart Apotheker
1601
1 silber fläschen 1 silber magelen 2 saltzfäßl 1 kenndtlin mit abbrochnen dekl 1 verguld Pecher 1 silber schalen
50 fl.
Steppach
Christof Zeiler
1601
5 güldene ring
20 fl.
Steppach
1601
8 gülden ring 1 messerschaid 3 bestöckh mit hauben, 2 beschleg mit einer langen silber ketten
50 fl.
Steppach
1601
7 einfache ducathen 40 fl. ein gantz guldin halben batzen 2 sächsische goldpfenig, 3 ring
Abraham aus Günzburg
1601
3 guldin ring mit dermandt 3 guldin ring mit einem weissen stein 1 guldin ring mit einem robin
34 fl.
Salomon aus Günzburg
Moritz 1601 Friedrich Uhrmacher
37
Hans Bauer Maurer
37
37 37
37
Versetzte Pfänder
3 guld ring,l guld kranich, ein guld petschirt ring, 1 guldin ring mit schönen runden perlen und guet edelstein
36
37
333
Pfandhandel
Abraham Haselbach Barchentmacher
334 fol.
Sabine Ullmann Christliche
Datum
Versetzte Pfänder
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/
Schuldner
Herkunftsort
37
Loy Müller Kannengiesser
1601
1 guldin ketten
90 fl.
Itzig aus Pfersee
37
Mathes Buckh Wirt
1601
1 hohen silber Pechr mit dekel 1 klein silb. pechr 2 silber kenndtlin 3 kelche 3 silberne fäßlin, 6 ganz silber leffel, 1 ganz silber leibgiertel 1 langer abgebrochner silbergürtel
100 fl.
Salomon aus Wassertrüdingen
37
Jeremias Erhardt Apotheker
1601
12 gülden ring 1 verguldeter beehr 2 gürtlen mit 3 borten, 2 pecher 2 silber leffel
95 fl.
Salomon aus Wassertrüdingen
37
Anna Hochner Wurstmacherin
1601
3 guet golden cleinot mit guet edlen stainen iedes in seinem fütterl ein guet perlen ketten mit hartem gold gefasst
100 fl.
Itzig aus Pfersee
38
Lasfar Brenner
1601
40 ungarische gebogen ducathen eine seidenschnur ein ring ein guldin strückh ein augsburgischen halben gülden 1 goldt ducathen ein klein weiß kettlin von weißen perlen in goldt gefasst
500 fl.
Itzig aus Pfersee
38
Hanns Fux Glaser
1601
13 guldin ring 1 guldin kettelin daran ein krottenstain
100 fl.
Günzburg
Der christlich-jüdische fol.
Christliche
335
Pfandhandel Datum
Versetzte Pfander
Pfandwert
Jüdische Pfandhändler/
Schuldner
Herkunftsort
38
David Stör Kirmer
1601
guldin kettelin 2 goldtstückh 11 guldin ring
60 fl.
Abraham aus Günzburg
38
Abraham Haselbach
1602
23 goldtstückh bei samen verpetschirt
50 fl.
Abraham aus Günzburg
38
Moritz 1602 Friedrich Uhrmacher
10 guldin ring beisamen verpetschirt
50 fl.
Abraham aus Günzburg
38
Hans Vischer
1602
4 guldin ring 2 goldtstückh beisamen verpetschirt 1 silber schüssel 3 silber schalen 1 Pecher 1 groß magelen 1 silber gleßlin 1 silber kenndtlin 8 gleiche silbermagelen, 1 dekelin 2 kettengürttlen 1 gantz silber messer schaid
160 fl.
Abraham aus Günzburg
38
Moritz 1602 Friedrich Uhrmacher
1 groß silber magele 1 Silberpechl
15 fl.
Pfersee
Anmerkungen: Ampel bicke Briestle/Priest Bettlach Brent/Brenntz Denkring Dobsrock Gewirk/Gewürk Harbant Huseggen Krotenstein Ligböth Magele Pfulg/Pfulgen Schiffnobel Wardner/wardiert
Blechlampe ohne Zylinder gestickt Weste/Oberkleid/Mieder Bettuch, Leintuch flaches Geschirr Gedächtnisring, Verlobungsring Unterrock Textilarbeit Kleinodie, Hutschnur oder Kette Mantel Stein mit Heilkräften Unterbett Silbernes Trinkgeschirr, Pokal Kopfkissen Goldmünze mit Schiff auf dem Revers Goldmünze, die auf ihren Wert geprüft ist
Aspekte christlich-jüdischer Wirtschaftsgeschichte am Beispiel der Reichsgrafschaft Thannhausen Bernhard Stegmann
In einigen Orten Ostschwabens bestanden während der Frühen Neuzeit jüdische Ansiedlungen, auf die es heute kaum noch Hinweise gibt. Einer davon ist Thannhausen, dessen Judengemeinde in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zu den bedeutendsten in ganz Schwaben gehörte. Doch nach dem vorübergehenden Niedergang im Dreißigjährigen Krieg kam es 1717/18 zur endgültigen Vertreibung der Juden aus dem Ort, zu einem Zeitpunkt, an dem sich andere jüdische Gemeinden in Schwaben und der Markgrafschaft Burgau bereits konsolidiert hatten.1 Für eine umfassende Erforschung der Geschichte der Juden in Thannhausen erweist sich die Quellensituation freilich als schwierig. Das Gemeindearchiv befand sich zum Zeitpunkt meiner Recherchen in einem teilweise ungeordneten Zustand, so daß zahlreiche Quellen, die in der Literatur zitiert werden, dort nicht mehr aufzuspüren waren. Zum Vertreibungsvorgang selbst ließen sich keine Archivalien finden, und das Ereignis kann nur aus Ortschroniken jüngeren Datums wiedergegeben werden. Für die folgenden Überlegungen zur jüdischen Ansiedlung in Thannhausen gilt es deshalb, die greifbaren Quellen zu sichten und zu be-
Vgl. dazu nach dem Überblick von Adolf Layer: Die Juden und ihre Niederlassungen. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. III/2. Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Hg. von Max Spindler. 2. Aufl. München 1979. S. 10551058; Peter Fassl: Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. In: Aus Schwaben und Altbayern. Festschrift für Pankraz Fried zum 60. Geburtstag. Hg. von Peter Fassl, Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst. Sigmaringen 1991 (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens. Bd. 5). S. 21-30; Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995 (Colloquia Augustana. Bd. 2). S. 154-183.
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werten. 2 Dabei soll in einem ersten Teil die Entwicklung der Siedlungsgröße, ihre Struktur und die Vertreibung von 1717/1718 untersucht werden. In einem zweiten Teil wird dann vor allem die wirtschaftliche Funktion der Juden für den Ort beschrieben, wobei vor allem auf die Spannweite der Erwerbsstruktur eingegangen werden soll. Abschließend werden die rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die ökonomischen Regelungsbereiche mit den verschiedenen Abgaben konfrontiert, welche die Juden als Gegenleistung für die Erlaubnis der Ansiedlung an die Ortsherren zu leisten hatten.
I. Es darf angenommen werden, daß zu Beginn des 16. Jahrhunderts mehrere jüdische Familien in Thannhausen ansässig waren. Als Zeitpunkt einer ersten Ansiedlung wird zwar in der Literatur das Jahr 1510 genannt, 3 doch der früheste konkrete Hinweis auf einen Thannhauser Juden stammt erst aus dem Jahr 1529, als das kaiserliche Hofgericht zu Rottweil am 12. Juni dem Bürgermeister und Rat der Stadt Memmingen mitteilte, daß der von Bartholome geigerwenger von pfaffenhuwssen verklagte Lew Jud zu thainhaussen in die Acht genommen worden sei.4 Im Verlauf des 16. Jahrhunderts verstetigte sich die Anwesenheit von Juden. Aus dem Insinuierungsprotokoll vom 4. Januar 1542 der Judenfreiheit für die Reichsstadt Memmingen (14. Juli 1541) geht hervor, daß insgesamt zehn Juden aus Thannhausen der Verlesung beigewohnt haben; ob dies alle Familienvorstände umfaßte, muß freilich offen bleiben. 5 Immerhin stimmen damit die zehn Juden namentlich überein, die im Notariatsinstrument vom 14. Januar 1542 mit der Inserierung der kaiserlichen Freiheit Karls V. für die Herrschaft Mindelheim (30. Oktober 1537) in Thannhausen festgehalten wurden. 6 Für den 19. Februar 1560 belegen schließlich die Hinweise aus dem Insinuierungsprotokoll der von Kaiser Ferdinand erneuerten Judenfreiheit für Mindelheim (5. Juli 1559), daß immer noch zehn Juden ansässig waren. 7 Aus der Bestätigung der Judenfreiheit für das Kloster Wettenhausen auf dem Augsburger Reichstag 1582 ergibt sich bereits ein be2
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Sie basieren auf meiner Zulassungsarbeit: Bernhard Stegmann: Die Geschichte der Juden in Thannhausen. Stationen einer jüdischen Gemeinde in einem reichsritterschaftlichen Territorium innerhalb der Markgrafschaft Burgau. Zulassungsarbeit Masch. Augsburg 1994. Juden auf dem Lande. Beispiel Ichenhausen. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. Katalog zur Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen - Haus der Begegnung. 9. Juli bis 29. September 1991. München 1991 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur. Bd. 22/91. Hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte) S. 51. StaatsA Augsburg. Reichsstadt Memmingen. Urk. 599. StadtA Memmingen. Judenfreiheit 1541 VII 14. BayHStA München. Gerichtsurkunden Mindelheim. Urk. 1534. BayHStA München. Gerichtsurkunden Mindelheim. Urk. 1895.
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trächtliches Wachstum der Gemeinde: Als dieses Privileg am 21. August 1582 in der Amtsbehausung des Vogtes verlesen wurde, sollen insgesamt 18 jüdische Familienvorstände anwesend gewesen sein.8 Zu dieser Zeit war Thannhausen eine der zahlreichen Kleinherrschaften innerhalb der Markgrafschaft Burgau. Der Ort, 1110 erstmals urkundlich genannt, wurde ab 1301 als Reichslehen betrachtet und gewann seit 1348 als Markt eine wichtige wirtschaftliche Funktion für das Umland. Spätestens seit dem Kauf durch Heinrich Truchseß von Höfingen zu Münsterhausen 1465 besaßen die Ortsherren sowohl die hohe als auch die niedere Gerichtsbarkeit. Thannhausen gehörte zu jenen adeligen Herrschaftskomplexen, die durch häufigen Besitzwechsel bzw. Verpfändungen nur schwer eine Konsolidierung erreichten.9 Die Truchsessen von Höfingen verkauften die Herrschaft 1560 an die Gebrüder Baumgartner, diese verpfändeten sie aber bereits ein Jahr später an Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg, der seinerseits 1566 die Pfandschaft an Bonaventura Furtenbach abtrat. 1567 übernahm Herzog Albrecht von Bayern-München die Herrschaft, verpfändete sie aber für die Jahre von 1589 bis 1604 an die Herren von Bicken weiter; dann folgten 1604-1610 die Jesuiten von St. Salvator in Augsburg. Nach dem Erlöschen des Pfandschaftsanspruchs der Baumgartner 1610 fiel sie ans Reich zurück und Rudolf II. verkaufte die Herrschaft an den Reichspfennigmeister Stephan Schmidt von Freihofen. In schneller Folge traten weitere Inhaber in deren Besitz, unter anderem 1648 Graf Friedrich von Mitrowitz, ein Neffe Schmidts, bis sie 1665, nun zur Reichsgrafschaft erhoben, an Graf Georg Ludwig von Sinzendorf gelangte. Wegen finanzieller Schwierigkeiten wurde sie 1699 an Pfalzgraf Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg abgetreten, der die Herrschaft schließlich 1706 an die Grafen von Stadion verkaufte. In deren Hand blieb sie als reichsunmittelbarer Besitz mit Sitz im schwäbischen Reichsgrafenkollegium bis zum Ende des Alten Reiches. Diese unruhige Herrschaftsgeschichte komplizierte sich noch mehr durch die Lage in der Markgrafschaft Burgau, die seit Beginn des 13. Jahrhunderts in der Hand der Habsburger war und zu dem Konglomerat gehörte, das während der Frühen Neuzeit als 'Vorderösterreich' bezeichnet wurde.10 Nachdem die Markgrafschaft Burgau 1458 und 1470 wegen finanzieller Engpässe von den Habsburgern an den Bischof von Augsburg verpfändet und 1486 an Herzog Georg den Reichen 8
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Heinrich Sinz: Beiträge zur Geschichte des ehemaligen Marktes und der nunmehrigen Stadt Krumbach (Schwaben). Krumbach 1940. S. 256. Zur Besitzgeschichte vgl. Anton Steichele, Alfred Schröder, Friedrich Zoepfl: Das Landkapitel Ichenhausen und Jettingen. Augsburg 1895 (Das Bistum Augsburg, historisch und statistisch beschrieben. Bd. 5) S. 758-760; Joseph Hahn: Krumbach. München 1982 (HAB Schwaben. Bd. 12). S. 118-128. Vgl. dazu Vorderösterreich. Eine geschichtliche Landeskunde. Hg. von Friedrich Metz. Freiburg 1977; Vorderösterreich in der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans Maier, Volker Press. Sigmaringen 1989.
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von Bayern-Landshut verkauft worden war, beteiligte sich auch Heinrich 1491/92 als burgauischer Insasse an der Sondersteuer (Feuerstattgulden) König Maximilians zur Wiedereinlösung.11 Als Gegenleistung bestätigte dieser im sog. Freiheitsbrief vom 3. Februar 1492 die insässischen Privilegien. Wichtig für die Rechtslage innerhalb der Markgrafschaft Burgau waren diese Vorgänge insofern, als die Insassen, und damit auch die Herren von Höfingen und deren Nachfolger, von nun an den Freiheitsbrief als Bestätigung ihrer Reichsunmittelbarkeit ansahen. Günstig für eine jüdische Ansiedlung war jedoch nicht allein die wirtschaftliche und rechtliche Situation im reichsritterschaftlichen Markt, sondern auch die der Markgrafschaft Burgau.12 Obwohl die Habsburger insbesondere nach der endgültigen Auslösung der bischöflichen Pfandschaft 1559 den Anspruch auf die Landeshoheit innerhalb der Markgrafschaft geltend machten, konnten diese Rechte nur beschränkt und nicht im ganzen Gebiet umgesetzt werden, da es sich nie um ein geschlossenes Territorium handelte. Neben dem unmittelbaren habsburgischen Besitz, den sog. Kameralorten Burgau, Günzburg, Hochwang und Scheppach, sowie Herrschaftsanteilen in gemischten Orten, in denen neben den Habsburgern andere Herrschaften über die Hoheitsrechte und Teile der Grundherrschaft verfugten, gab es auch Gebiete, in denen einzelne Ortsherrschaften neben dem Grundbesitz zahlreiche Rechte ausübten, die andernorts die Träger der Landeshoheit innehatten. Trotzdem strebten die Inhaber der Markgrafschaft Burgau, die den Freiheitsbrief von 1492 als Bestätigung ihres Besteuerungsrechts und damit ihrer landesherrschaftlichen Ansprüche betrachteten, nach einer voll ausgebildeten Landeshoheit und führten gleichsam als Beweis die Herrschaftsregalien der hohen Gerichtsbarkeit, der Appellation, der Steuerhoheit und des Judenschutzes an. So wurde gerade letzterer zu einem wichtigen Streitpunkt zwischen der Markgrafschaft und den Insassen. Der sogenannte 'Hochschutz' der Juden kam der Markgrafschaft zu, während die niedere Gerichtsbarkeit den Insassen unterstellt war. Im Konfliktfall konnten sich die Juden deshalb sowohl an den jeweiligen Ortsherrn als auch an die Landesherrschaft wenden. Die Spannungen dieses habsburgisch-insässischen Rechtsstreits boten somit günstige Voraussetzungen für die Juden, da sie in dieser besonderen Rechtssituation Nischen der Ansiedlung vorfanden, die sie für sich zu nutzen verstanden. Für die Juden, die sich in Thannhausen niederließen, galt dieser rechtliche Rahmen allerdings nicht in vollem Ausmaß: Da die Ortsherren über die hohe Gerichtsbarkeit verfügten, war die jüdische Bevölkerung abhängiger als in anderen Insassenherrschaften. Auf der anderen Seite bot sich für sie in einem Markt ein wirtschaftliches Betätigungsfeld, und bei vollständiger Erfüllung der Auflagen und Abgaben an den Ortsherren konnten sie auf weitergehende Zugeständnisse hoffen.
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Vgl. zusammenfassend Wolfgang Wüst: Günzburg. München 1983 (HAB Schwaben. Bd. 13). S. 38-45. Zum folgenden vgl. Anm. 11, S. 52-72.
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Detaillierte Erkenntnisse über die Siedlungsstruktur im Markt Thannhausen bietet erstmals ein Register über die samentl. Gefäll, oder Einkomen der herrschafft Thainhaußen an der Mündl aus dem Jahr 1591.13 Laut dieser Quelle waren inzwischen 31 namentlich genannte steuerpflichtige jüdische Familienvorstände nachweisbar. 15 von ihnen besaßen insgesamt 18 Häuser, drei waren zweifache Hausbesitzer. Aufschlußreich ist die topographische Verteilung im Ort: Keines der Häuser befindet sich im sogenannten Obervierteil, zwei im Santgassenviertell, sieben im Bachgassenviertell und neun im Untervierteil. Die Lage dieser Viertel läßt sich aus dem Ortsbild Thannhausens in der Frühen Neuzeit erschließen. Die Kreuzung zweier Reichsstraßen, eine in Nord-Süd- und eine in Ost-West-Richtung, in der Mitte des Ortes bildete das Ober-, Unter-, Bachgassen- und Sandgassenviertel aus, deren Namen sich von den dazugehörigen Straßen ableiteten. Die vier Straßen waren, jeweils von ihrem Schnittpunkt aus betrachtet: die Obere Marktstraße in südlicher, die Untere Marktstraße in nördlicher, die Bachgasse hinunter zur Mindel und somit in westlicher, und die Sandgasse in östlicher Richtung.14 Es ist zu vermuten, daß ein Viertel sich nicht auf beiden Seiten entlang der entsprechenden Straße erstreckte, sondern so, wie es die folgende Skizze darstellt: Norden Untere Marktstraße
Bachgassenviertel Westen
Bachgasse
Unterviertel Sandgasse
Osten
Pfarrkirche Oberviertel
Sandgassenviertel
Obere Marktstraße
Süden Abb. 20. Lage der Ortsviertel in Thannhausen.
13 14
StaatsA Augsburg. Herrschaft Thannhausen. Münchner Bestand 9. Hans Bronnenmaier: Thannhauser Heimatbuch. Hg. von Leo Fendt. Thannhausen, Augsburg o. J. (um 1959). S. 35.
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Für diese Annahme spricht, daß sich in der Quelle keine Hinweise auf andere Schnittstellen zwischen den Vierteln finden lassen. Bei topographischen Angaben, zum Beispiel im Zusammenhang von Hausverkäufen, ist die Zugehörigkeit zu einem Viertel immer eindeutig bestimmt, und es fällt auf, daß niemals Grundstücke eines Viertels an Besitzungen in anderen Vierteln angrenzen, sondern nur an eine der Hauptstraßen. Die Verteilung des jüdischen Besitzes auf die Ortsviertel erklärt sich daraus, daß im Oberviertel, in dem 1591 keinerlei jüdischer Hausbesitz nachweisbar ist, die Pfarrkirche, der Friedhof, die St. Nikolaus-Kapelle und der bischöfliche Herrensitz lagen.15 Demgegenüber sind in den beiden Vierteln im nördlichen Ortsteil Thannhausens, dem Unter- und dem Bachgassenviertel, die beiden Schwerpunkte jüdischer Ansiedlung auszumachen. Von den insgesamt 18 Häusern stießen 13 auf eine der beiden Reichsstraßen. Eines davon war die Synagoge, die sich im Bachgassenviertel an der Unteren Marktstraße befand. In Thannhausen muß es also zu dieser Zeit ein räumliches Zusammenleben von Christen und Juden gegeben haben, denn die Häuser beider Gruppen, auch die Synagoge, lagen zum Teil in unmittelbarer Nachbarschaft. Im Unterviertel teilten sich eine Christin und ein Jude sogar den Hausbesitz. Es scheint darüber hinaus durchaus üblich gewesen zu sein, daß Juden Häuser von Christen erwarben. Zudem besaß ein Jude zusammen mit einem Christen ein Tagwerk Mahd und nannte insgesamt eineinhalb Tagwerk Mahd sein eigen. Man kann somit davon ausgehen, daß die jüdische Bevölkerung über eigenes Land verfugen konnte, das mit großer Wahrscheinlichkeit als Viehweide verwendet wurde. Neben der Synagoge verzeichnet das Register von 1591 innerhalb des Herrschaftsbereiches Thannhausen eine zweite Stätte, die für die jüdische Gemeinde von großer Bedeutung war. Bereits seit 1566 war es ihnen von Seiten der Ortsherrschaft erlaubt, ihre Verstorbenen auf einem eigenen Friedhof zu bestatten. Die Errichtung dieser Begräbnisstätte spiegelt deutlich die konkurrierenden Rechtsansprüche zwischen den Behörden der Markgrafschaft Burgau und dem damaligen Ortsherrn von Thannhausen, Bonaventura Furtenbach. Bis 1566 mußten die Thannhauser Juden ihre Toten in Burgau, also unter dem Hochschutz der Landesherren, begraben und dem Landammann für jeden Verstorbenen einen fl. bezahlen.16 Trotz des Zugeständnisses durch den Ortsherren lehnten es die Behörden in Burgau ab, diese ursprüngliche Regelung aufzugeben. Aus der Beschwerde der jüdischen Gemeinde bei der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck entstand ein längerer Briefwechsel, der letztlich den eigenen Friedhof als Faktum zugestand. Hartnäckiger zeigten sich die Behörden der Markgrafschaft vor Ort, welche die Angelegenheit noch nicht auf der neuen Rechtslage beruhen lassen wollten. Sie fürchteten einen Präzedenzfall für andere Ortsherren und wollten, abgesehen 15 16
H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 35 und 313. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 648. fol. 413.
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vom Verlust an Begräbnisgebühren, keine Schwächung der eigenen Position im Hinblick auf den Judenschutz zulassen. Die jüdische Gemeinde Thannhausens konnte somit in der Sache aus der Auseinandersetzung ihres Ortsherrn mit den markgräflichen Behörden Nutzen ziehen. Im Verlauf des Streitfalls verhielt sie sich erstaunlich selbstbewußt und verteidigte ihre Rechte. Ihr Hauptinteresse, am Ort einer inzwischen relativ großen Gemeinde auch eine eigene Begräbnisstätte zu errichten, war im Konsens mit der Ortsherrschaft realisierbar geworden. Für letztere bedeutete der jüdische Friedhof neben einer zusätzlichen Einnahmequelle aufgrund eigener Begräbnisgebühren die Demonstration des eigenen Herrschaftsanspruches auch gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil, den er auf diese Weise partiell aus den Bindungen an die Markgrafschaft lösen konnte. Dieser Fall erscheint somit in doppelter Hinsicht signifikant: Zum einen handelt es sich um ein frühes Beispiel für die Instrumentalisierung des Begräbnisrechts als Element der Landeshoheit - im Laufe des 17. und 18. Jhs. Anlaß für langwierige Konflikte auch in anderen Judendörfern der Markgrafschaft. 17 Zum anderen spiegelt er die Konsolidierung der jüdischen Gemeinde in Thannhausen zu einem Zeitpunkt, als andernorts die Fluktuation noch dominierte.18 Im Zeitraum von 1591 bis 1595 blieb die Größe der jüdischen Gemeinde annähernd gleich. In einem Steuerbuch vom Herbst des Jahres 1595 werden wiederum 28 steuerpflichtige Juden genannt,19 die innerhalb einer Gesamtgemeinde aus 256 abgabepflichtigen Familienvorständen noch eine deutliche Minderheit darstellten. In den 21 aufgelisteten Häusern lebten noch zusätzlich sieben als Judengehäusete, also als Mieter. Der Hausbesitz war wie folgt verteilt: Wie schon 1591 konnte sich kein Jude im Oberviertel niederlassen; drei waren Hausbesitzer im Sandgassenviertel, sieben im Unterviertel und elf im Bachgassenviertel. Das Verteilungsmuster von 1591 hatte Bestand: Immer noch waren die beiden im nördlichen Teil Thannhausens gelegenen Viertel die jüdischen Siedlungsschwerpunkte. Die meisten jüdischen Häuser lagen weiterhin im Bachgassenviertel, in dem sich die Synagoge befand. 17
18
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Rolf Kießling: Religiöses Leben in den Judengemeinden. In: Kirchengeschichte und Volksfrömmigkeit. Hg. von Walter Pötzl. Augsburg 1994 (Der Landkreis Augsburg. Bd. 5). S. 327-344, hier S. 332-334; Gerhard Hetzer: Anmerkungen zur Geschichte der Judensiedlungen in Steppach und Schlipsheim. In: Neusäß. Die Geschichte von acht Dörfern. Hg. von Manfred Nozar, Walter Pötzl. Neusäß 1988. S. 239-260; Sabine Ulimann: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in den Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650-1750 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 151) im Druck . Obwohl nach jüdischer Tradition Friedhöfe als unauflösbar gelten, findet man in Thannhausen keine Überreste der Stätte mehr. Nach der Vertreibung der Juden gab es wohl niemanden, der dem langsamen Verfall Einhalt gebot. Heute weist auf die Stelle des ehemaligen Friedhofs in Thannhausen nur noch ein Waldteil namens 'Judenbegräbnis' hin, das nach Ortsende links an der Straße nach Ziemetshausen liegt. Gemeindearchiv Thannhausen. Herbststeuer, anno 1595.
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Zu Beginn des 17. Jahrhunderts zeichneten sich allerdings markante Verschiebungen ab. Heberlins urbar von Anno 1603 bis 1610 nennt insgesamt 45 jüdische Steuerzahler, die jedoch nicht alle zur gleichen Zeit in Thannhausen lebten.20 Nur mehr 17 Juden besaßen in dem vom Urbar erfaßten Zeitraum insgesamt 18 Häuser; einer von ihnen war zweifacher Hausbesitzer im Sandgassenviertel und im Oberviertel. Er war jedoch nicht der einzige Jude, der nun ein Haus im Oberviertel hatte: Insgesamt drei jüdische Familien wohnten dort, sieben im Unterviertel, zwei im Sandgassenviertel und fünf im Bachgassenviertel. Falls im 16. Jahrhundert ein Niederlassungsverbot für das Oberviertel von Seiten der Ortsherrschaft existiert haben sollte, so war dies spätestens 1603 aufgehoben. Die Tatsache, daß der Jude Jacob im Oberviertel ein Haus am Marktplatz hatte, ist allerdings bemerkenswert, da "in vielen Orten die Abdrängung von der Kirche und dem Marktplatz als Zentren der Öffentlichkeit propagiert wurde"21. Auffällig an der Siedlungsstruktur Thannhausens im frühen 17. Jahrhundert ist ferner, daß sich keine Verdichtung des jüdischen Hausbesitzes in einem Viertel, keine 'Gettoisierung' durchsetzen konnte, wie sie sich im Herbststeuerbuch von 1595 vielleicht andeutete. Im Bachgassenviertel, das sich aufgrund der Lage der Synagoge dafür angeboten hätte, wurde der jüdische Hausbesitz in sechs Fällen wieder aufgegeben. Insgesamt kann man zudem festhalten, daß die Größe der jüdischen Gemeinde in Thannhausen zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits denen der Städte kaum nachstand und in den folgenden Jahren "zur größten im Lande Schwaben" 22 wurde, nachdem 1617/1618 die Juden aus Günzburg vertrieben worden waren und Burgau ebenfalls zum Teil verlassen hatten. Diese herausragende Stellung wird auch im Urbar der Jahre 1603 bis 1610 durch die Ansiedlung eines Aliancum Jud Land Rabin und seines Vaters dokumentiert. Nach den Untersuchungen von Stefan Rohrbacher ist dieser identisch mit dem schwäbischen Landesrabbiner R. Eliakim Gottschalk ben Gedalia Rothenburg, dessen früherer Wohnort ebenfalls in Schwaben, vielleicht in Binswangen, gelegen haben dürfte. 23 R. Eliakim Rothenburg führte in den Räumen der Synagoge einen bedeutenden Lehrbetrieb. Aus den Burgauer Stadtrechnungen geht hervor, daß die markgrafschaftlichen Behörden im Oktober 1611 von ihm für jeden seiner 28 Schüler 50 kr. erhielten.24 Obwohl es auch in Burgau einen Rabbiner gab, hatte sich das Zentrum der jüdischen Lehre der Markgrafschaft von Günzburg nach Thannhausen verlagert.25 Bereits im Laufe des Dreißigjährigen 20 21 22
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Gemeindearchiv Thannhausen. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 174. Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 1) S. 81-119, hier S. 101 und Anmerkung 45. S. Rohrbacher (Anm. 22) S. 101. StadtA Burgau. Raittung 1611/12. Dazu S. Rohrbacher (Anm. 22) S. lOlf.
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Krieges scheinen die jüdischen Gemeinden in Schwaben durch Hungersnot und Pestjahre einer fortschreitenden Auflösung unterworfen gewesen zu sein. Die Landesrabbiner treten jedenfalls bald nicht mehr in Erscheinung. Wie lange R. Eliakim in Thannhausen wirkte, ist nicht bekannt. Er könnte aber im Markt verstorben sein, da am 14. März 1644 protokolliert wurde, daß Abraham, der Vorsinger und Schulklopfer der jüdischen Gemeinde, das Haus seines verstorbenen Schwagers Aliancum im Unterviertel zusammen mit Garten und Hof für 70 fl. Bargeld an den Christen Johannes Vögele verkaufte.26 Vor 1628 zeichnen sich noch keine spürbaren Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung Thannhausens ab. Nach einem Verzeichnis der Judenfamilien im Kayserlich Gefrayten Reichsmarckt Theinhausen aus dem Jahr 1627 lebten 51 jüdische Familien im Markt.27 Von den insgesamt 26 Häusern lag eines im Oberviertel, dreizehn im Unterviertel, sieben im Bachgassenviertel und fünf im Sandgassenviertel. Bevorzugter Ortsteil war nun also wieder das Unterviertel, noch immer gab es einen Juden mit einem Haus am Marktplatz, Jacob Blattfuß, der wohl mit dem Besitzer der Jahre 1603 bis 1610 identisch ist. Ein Jude war Weinwirt und unterhielt ein eigenes Lokal. Der Neubau einer größeren Synagoge im Jahr 1628 zu dieser Zeit deutet daraufhin, daß sich die Gemeinde in ihrem Zenit befunden haben dürfte. Das Bauwerk wurde ebenfalls im Bachgassenviertel, jedoch an anderer Stelle als die alte Synagoge, errichtet. Um die Erlaubnis für den Neubau zu erhalten, begab sich ein Ausschuß der jüdischen Gemeinde zusammen mit dem Thannhauser Pfleger Georg Lidel nach Mähren zu dem damaligen Ortsherren, Stephan Schmidt von Freihofen.28 Bald darauf scheint das neue Gebäude errichtet worden zu sein. Der Hauptgrund für den Neubau, von der Baufälligkeit der alten Synagoge abgesehen, war die Bedeutung und Größe der jüdischen Gemeinde, die dies auch nach außen demonstrieren wollte. Die Tatsache, daß der Pfleger als Vertreter des Ortsherren sich an der Delegation beteiligte, läßt auf ein gutes Verhältnis zwischen der Obrigkeit in Thannhausen und den Juden schließen, auch wenn es innerhalb der Herrschaft immer wieder zu Konflikten zwischen Christen und Juden kam, beispielsweise beim Bau der Synagoge. Von Seiten der Ortsobrigkeit waren sicher pragmatische Gründe ausschlaggebend, denn Abgaben wie Synagogengelder sind für Thannhausen nicht greifbar. Stephan Schmidt von Freihofen scheint von seiner persönlichen Einstellung her keine Einwände gegen diese "expansive öffentliche Religionsausübung"29, die der Bau einer Synagoge im Denken der christlichen Majorität darstellte, gehabt zu haben.
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StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Minckwitz 2. fol. 19. Zitiert nach H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 66. Mir war diese Quelle leider nicht zugänglich. StaatsA Augsburg. Neuburger Abgabe. Akten Nr. 4962. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 178.
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Seuchen und Hungerkrisen als Begleitumstände des Dreißigjährigen Krieges dezimierten die Bevölkerung im mittleren Ostschwaben in einer Größenordnung von rund 40%.30 Für Thannhausen berichtete der Jesuitenpater Kaspar Heiin am 16. August 1643 in einem Memorial an die Bürgermeister und den Rat der Stadt Augsburg, daß bei seiner Einsetzung als Pfarrherr am 10. Januar 1636 an Christen und Juden mehr nit als 70 vorhanden geweßt.31 Die Bevölkerung habe bis zum Zeitpunkt des Berichts allerdings wieder auf 160 Bürger zugenommen, unter denen auch 40 gewesen seien, die sich als Fremde in den Markt eingekauft hatten. Einen genaueren Einblick in die Situation um die Mitte des 17. Jahrhunderts bietet ein Urbar von 1646/59.32 Danach waren ursprünglich 19 Häuser im Besitz von 18 jüdischen Familien, und zwar zwei im Oberviertel, sechs im Unterviertel, vier im Sandgassenviertel und sechs im Bachgassenviertel. Vierzehn davon wurden nach und nach an Christen verkauft, so daß 1658/59 nur mehr fünf Häuser verblieben, für die Abgaben entrichtet wurden. Ebenfalls verkauft wurden insgesamt acht Tagewerk Land, die der Sohn des Juden Jacob, der uns als Hausbesitzer am Marktplatz bereits begegnete, besessen hatte. Beim Anlegen des Urbars war man von 21 abgabepflichtigen Juden ausgegangen, doch die Einträge beziehen sich nur noch auf zwei Juden. Im Gegensatz zu der relativ schnellen Wiederansiedlung der Christen weist nur ein Nachtrag auf eine Neuaufnahme eines Juden hin. Erst das Urbar von 1676/8133 nennt wieder die Namen von acht Juden, wobei nicht sicher ist, ob sie alle zur gleichen Zeit in der Herrschaft Thannhausen lebten. Gemessen an einer gleichzeitigen Größe der christlichen Bevölkerung von ca. 200 Haushalten blieb somit die Wiederansiedlung der Juden zunächst noch deutlich hinter der christlichen zurück.34 Beim Übergang der Reichsgrafschaft Thannhausen von Graf Georg Ludwig von Sinzendorf an den Pfalzgraf Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg im Jahre 1699 verzeichnete das Huldigungsprotokoll jedoch neben den 210 christlichen bereits wieder 24 jüdische Haushalte im Ort.35 Dies entspricht einem Anteil von gut 11%. Innerhalb von wenig mehr als 20 Jahren war die Größe
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Werner Lengger: Leben und Sterben in Schwaben. Studien zur Bevölkerungsentwicklung und Migration zwischen Lech und Iiier, Ries und Alpen im 17. Jahrhundert. Diss. Masch. Augsburg 1996. S. 214-219. Zitiert nach H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 67. Das Memorial befindet sich angeblich im Schönbornschen Archiv in Oberstadion, das mir jedoch nicht zugänglich war. Gemeindearchiv Thannhausen; die Einträge beginnen 1646 und reichen bis 1659. Gemeindearchiv Thannhausen. Leider sind die Seiten mit den Eintragungen über die jüdische Bevölkerung durch äußere Beschädigung zum größten Teil nicht mehr zu verwerten. Angaben über die Größe der Gemeinde erhält man nur aus dem Index des Bandes. Bestätigt wird diese Annahme durch die 'Krautgartenbeschreibung 1 vom 15. Mai 1678, nach der es in Thannhausen insgesamt 228 Hausbesitzer, darunter sieben Juden, gab [zit. nach H. Bronnenmaier (Anm. 14) 72-74], StaatsA Augsburg. Neuburger Urkundensammlung. E 270: Huldigungsprotokoll vom 20. März 1699.
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der jüdischen Bevölkerung um das Dreifache angestiegen, den Stand aus den Jahren vor dem Dreißigjährigem Krieg hat sie jedoch nie mehr erreicht. Nachdem Graf Johann Philipp von Stadion 1706 die Herrschaft Thannhausen übernommen hatte, begann die letzte Phase der jüdischen Gemeinde. Zu Johann Philipps weiteren Besitzungen in Schwaben gehörten Warthausen und Moosbeuren, in Franken Hallburg und in Böhmen Kauth, Chodenschloß, Neumarkt und Zahorzan. Thannhausen spielte politisch und territorial in diesem Herrschaftsverband keine große Rolle. Im Jahr 1686 hatte der Graf das Freiherrendiplom als kurmainzischer, in späteren Jahren als königlich-kaiserlicher Geheimrat erhalten und besaß auch das Erbtruchsessen-Lehen des Hochstifts Augsburg. Da seine Besitzungen im Reich weit verstreut waren, überließ er ihre Verwaltung seinen Beamten und widmete sich selbst "vorzüglich dem kurmainzischen oder dem Dienst des Reiches"36. Trotz der inzwischen nahezu zwei Jahrhunderte bestehenden Ansiedlung von Juden in Thannhausen war die Lage für sie im 17. Jahrhundert keineswegs stabil. Da die Herrschaftsträger häufig wechselten und man jedes Mal damit zu rechnen hatte, vom neuen Ortsherrn wegen dessen persönlicher Einstellung vertrieben zu werden, bot der Schutzbrief Kaiser Matthias' vom 27. August 1618 für die Burgauer Judengemeinden die einzige Sicherheit" - abgesehen von den finanziellen Interessen der Ortsherren. Er stellte das Gegengewicht dar zur Ausweisung der Juden aus den Kameralorten Günzburg, Burgau, Scheppach und Hochwang durch Markgraf Karl von Burgau 1617/18, nachdem eine Ausschaffung aus der gesamten Markgrafschaft bereits 1587 in den Interimsmitteln angekündigt worden war. Der Vertreibungsversuch im benachbarten reichsritterlichen Markt Ichenhausen im Jahre 1622/1623 durch den Ortsherrn Bruno vom Stain zeigt die Gefahr, auch wenn sie durch die oberösterreichische Regierung verhindert werden konnte.38 Nachdem Graf Johann Philipp von Stadion die Reichsgrafschaft Thannhausen vom pfälzischen Kurfürsten gekauft hatte, gewährte er noch am 31. Dezember 1706 fünf Juden Aufnahme in sein Herrschaftsgebiet. 39 Deshalb wird man von einer grundsätzlichen antijüdischen Einstellung von Beginn seiner Herrschaft an nicht sprechen können. In der ältesten überlieferten Ortschronik heißt es jedoch, daß die Gräfin schon bei ihrem ersten Besuch "ihr Mißfallen über den jüdischen Teil der Bevölkerung äußerte"40. Die Protokollbücher der Herrschaft verzeichnen für diese Zeit einige Besitzwechsel von Häusern und Grundstücken, an denen Ju36
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Zur Besitzgeschichte A. Steichele, A. Schröder, F. Zoepfl (Anm. 9) S. 759; J. Hahn (Anm. 9) S. 125f. (Zitat). Vgl. J. Hahn (Anm. 9) S. 133. Vgl. dazu den Beitrag von Susanne Höhnle in diesem Band. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Stadion 2. fol. 81. Johann Evangeliar Zimmermann: Sammlung schwäbischer und historischer Sagen aus der Vergangenheit des Marktes Thannhausen und seiner Umgebung. Thannhausen 1857 (Handschrift).
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den beteiligt waren. 1705 bzw. 1714 wurden zwei Häuser, eines im Bachgassenviertel und eines im Unterviertel, von Juden an Christen verkauft. Doch nur der erste scheint den Ort tatsächlich verlassen zu haben, der zweite erwarb noch am selben Tag, dem 20. September 1714, ein neues Haus von einem Christen. Zwei Häuser wurden von Juden an Juden verkauft.41 Zumindest bis in das Jahr 1714 dürfte also die Kontinuität der Ansiedlung noch gewährleistet gewesen zu sein. Hausverkäufe und -käufe waren den Juden nach wie vor gestattet, und es besteht kein Grund zu der Annahme, daß etwa 300 Juden vor dem Vertreibungsdatum aus der Herrschaft Thannhausen "wohl infolge von Schikanen bereits weggezogen" waren.42 Obwohl zunächst unter der Herrschaft des Grafen von Stadion keine antijüdischen Vorgänge greifbar sind, muß es den Juden doch erschwert worden sein, sich im Ort niederzulassen, denn seit 1699 hatte sich die Größe der Gemeinde wieder etwas verringert. In einer Steuerbeschreibung von 1716 werden 21 abgabenpflichtige Juden genannt, wobei fünf von ihnen keinen eigenen Hausbesitz hatten.43 Bei 340 steuerpflichtigen Christen betrug der jüdische Bevölkerungsanteil nur mehr 6%. 14 Häuser waren im Besitz von Juden, und da insgesamt 16 Hausbesitzer aufgeführt wurden, besaßen vier von ihnen nur die Hälfte eines Hauses. Nach 1716 müssen sich die Verhältnisse drastisch geändert haben. Laut einer Ortschronik habe sich die Bevölkerung beschwert, "daß die Juden den Sonntagsgottesdienst durch Lärmen und Schreien störten und daß sie durch zu hohes Zinsnehmen 'Wucher' trieben".44 Falls dies zutrifft, waren dies die gängigen Argumentationsmuster, um eine Ausweisung zu legitimieren. Die gleichen Klagen wurden auch von Karl von Burgau und Bruno vom Stain herangezogen, um die Vertreibungen aus den Kameralorten und Ichenhausen zu rechtfertigen. Darüber hinaus sollen die Juden auch für die Kinderlosigkeit der gräflichen Ehe in ihren ersten Jahren verantwortlich gemacht worden sein; angeblich hätten sie die Gräfin verhext.45 Falls diese Vorhaltungen tatsächlich gemacht wurden, wären zu den typischen Argumentationsmustern noch Aberglaube und Vorurteile gekommen, deren Entkräftung von Seiten der Juden nur sehr schwer bewerkstelligt werden konnte. Bislang ließen sich keine Quellen zum Vertreibungsvorgang selbst finden, so daß die Vorgänge nur mit Vorbehalt so wiedergegeben werden können, wie sie Hans Bronnenmaier in seiner Ortsgeschichte schildert.46 Danach wandte sich Johann Philipp von Stadion 1717 an Kaiser Karl VI. mit der Bitte, die Juden aus der 41 42 43 44
45
46
StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Stadion 2. fol. lf., 2f., 172f., 355f., 356f. J. Hahn (Anm. 9) S. 125. Gemeindearchiv Thannhausen. Wilhelm Wiedemann: Geschichtliches über den schwäbischen Marktflecken Thannhausen. Thannhausen vor 1933 (masch.) S. 54. J. Kahn: Die Juden in Thannhausen. In: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung 6. 1926. S. 167. H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 86.
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Reichsgrafschaft vertreiben zu dürfen. Welche Gründe er dafür hatte, und warum ihm der Kaiser die Erlaubnis erteilte, ist nicht bekannt. Am 24. August 1717 fand die Vertreibung tatsächlich statt. Die Juden errichteten zunächst ein Lager außerhalb des Herrschaftsgebietes zwischen Thannhausen und Ursberg. Sie appellierten an den Kaiser - allerdings ohne Erfolg. Deshalb mußten sie im Frühjahr 1718 ihr Lager verlassen. Einige Familien zogen nach Hürben, einige nach Altenstadt, die meisten nach Ichenhausen, wo sie im Oxenbronner Ried kampieren mußten, bis sie eingelassen wurden. Obwohl das genaue Motiv und der tatsächliche Vorgang nicht bekannt sind, lassen sich einige wichtige Begleitumstände aus den Protokollbüchern der Herrschaft entnehmen. Im letzten der Kontraktenprotokollbände, in dem noch Juden genannt werden, und der Amtshandlungen von 1714 bis 1720 überliefert, fällt auf, daß vom 16. September 1716 bis zum 4. August 1719 fünfzehn Häuser von Juden verkauft wurden. Drei der Häuser wurden noch vor dem genannten Vertreibungsdatum von Juden an Christen veräußert: am 16.9.1716, am 7.1.1717 und am 27.1.1717. Die übrigen zwölf wurden erst nach der Vertreibung verkauft, vier davon gingen von ehemals in Thannhausen seßhaften Juden an Christen über, bei dreien von ihnen wurde auch der neue Wohnort protokolliert: Es handelte sich um Joseph Levi von hürben (7.3.1719), Mauschi hüzig schuzverwanther Judt zue Ichenhawssen (29.3.) und Baruch Judt gewesster schuzverwanther alhier, der Zeit zue hürben (17.4.).47 Die restlichen acht Häuser der Juden verkaufte die Herrschaft innerhalb von drei Wochen zwischen dem 15. Juli und 4. August an christliche Untertanen für insgesamt 1.980 fl. Bei allen diesen letzteren Transaktionen vermerkt das Protokoll, die Gebäude seien auf nicht erscheinung der Interessiertn Judten nach dem fürgegangnen Unparteyl. aydtl. tax an die Christen übergeben worden. Die Häuser der Juden und ihr Besitz dürften somit bereits vor ihrer Vertreibung geschätzt worden sein, die Chance, den Hausbesitz selbst zu verkaufen, war aber offensichtlich nicht in allen Fällen zu realisieren. Für diese Familien bedeutete die Vertreibung also auch die Einbuße eines nicht unerheblichen Teils ihres Vermögens. Bekannt ist, daß insgesamt fünf jüdische Familien in Altenstadt/Iller von Graf Maximilian Wilhelm von Limburg-Styrum aufgenommen wurden,48 andere ließen sich, wie oben belegt, in Hürben und Ichenhausen, einige vielleicht auch in Krumbach nieder. Ob sie sich nicht an die Herrschaft wandten, weil ihre neuen Ansiedlungsorte zu weit entfernt waren, oder weil sie glaubten, daß sie von ihr nichts mehr zu erwarten hatten, muß offen bleiben. Nach der Ausschaffung der Juden stand im Ort an einer der Reichsstraßen noch immer die Synagoge. Graf Philipp von Stadion beabsichtigte 1719 das jüdischen Gotteshaus in eine christliche Kapelle umzuwandeln; als Donationsfond bestimmte er einen Betrag von insgesamt 1.500 fl. Von den Einkünften aus dieser 47 48
StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Stadion 3. fol. 80f., 101f„ 113f., 194f., 196f., 198, 203f. H. Sinz (Anm. 8) S. 266f.
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Summe sollten jeden Donnerstag eine Messe gelesen und die übrigen Unkosten der Kapelle bestritten werden.49 1720 wurde die Synagoge abgerissen und an ihrer Stelle eine Kapelle errichtet, die heute noch steht. Mit der Vertreibung von 1717/1718 endete das Bestehen einer jüdischen Gemeinde in Thannhausen. Eine Wiederansiedlung hat es nie gegeben.
II. Die Ortsherren von Thannhausen waren sich wohl seit der Niederlassung der Juden dessen bewußt, welche Bedeutung sie für die wirtschaftliche Struktur hatten. Wie in zahlreichen anderen Gemeinden beschränkten sich die jüdischen Geschäfte zwar in erster Linie auf den Handel, die Pfandleihe und das Kreditwesen,50 nur wenigen aus den schwäbischen Landgemeinden gelang der Aufstieg zu Hoffaktoren und zu großem Vermögen.51 Doch für den Markt Thannhausen spielten sie eine wichtige Rolle, da sich ihre wirtschaftlichen Beziehungen sowohl in die benachbarten Städte als auch in die kleinen Ortschaften der Umgebung erstreckten. Für einzelne Juden lassen sich bei Händlern in Augsburg und Nördlingen zum Teil beträchtliche Schulden belegen, die offensichtlich aus Handelsgeschäften herrührten. Am 17. August 1672 klagte beispielsweise der Augsburger Kaufmann Isaak Hosennestel vor dem Gericht der Herrschaft Thannhausen gegen die Juden Seligmann, Hayumb und Lew wegen einer Schuld von insgesamt 2.730 fl. 30 kr.52 Gegen Hayumb und Lew klagte am 29. Mai 1676 auch der Nördlinger Händler Caspar Wüntsch um eine Restschuld von 281 fl. 23 kr.53 Bezeichnenderweise mußten sich die beiden reichsstädtischen Kaufleute in ihren Streitsachen an das 49 50
51
52 53
A. Steichele, A. Schröder, F. Zoepfl (Anm. 9) S. 763f. Zur Wirtschaftstätigkeit der Landjuden: R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 169-173; Monika Richarz: Viehhandel und Landjuden im 19. Jahrhundert. Eine symbiotische Wirtschaftsbeziehung in Südwestdeutschland, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1. 1990. S. 66-88; Monika Richarz: Die Entdeckung der Landjuden. Stand und Probleme ihrer Erforschung am Beispiel Südwestdeutschlands. In: Landjudentum im süddeutschen und Bodenseeraum. Wissenschaftliche Tagung zur Eröffnung des Jüdischen Museums Hohenems 1991, veranstaltet vom Vorarlberger Landesarchiv. Hg. von Karl Heinz Burmeister. Dornbirn 1992 (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs. Bd. 11). S. 11-22; Monika Richarz: Ländliches Judentum als Problem der Forschung. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hg. von Monika Richarz, Reinhard Rürup. Tübingen 1997 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. Bd. 56). S. 1-8. Siehe hierzu: Sabine Ullmann: Zwischen Fürstenhöfen und Gemeinde. Die jüdische Hoffaktorenfamilie Ulman in Pfersee während des 18. Jahrhunderts. In: ZHVS 90. 1998. S. 159187. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 4. fol. 88. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 229.
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Herrschaftsamt in Thannhausen wenden und nicht an die markgräflichen Gerichte; ein Beleg für die relative Selbständigkeit der Herrschaft im Bereich der Gerichtsbarkeit. Der größte Teil der jüdischen Geschäfte dürfte aber auch in Thannhausen im Bereich des Kleinhandels gelegen haben, wie er in den schwäbischen Judengemeinden überall mit "Getreide, Hülsenfrüchten, Bier, Obst, Salz, nicht zuletzt mit Textilien, Holz, Kesseln und Pfannen"54 betrieben wurde. Zur Domäne war im Laufe der Zeit jedoch der Viehhandel geworden. Die Juden spielten dabei eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Umgebung, wie sich aus den zahlreichen Einträgen in den herrschaftlichen Amtsprotokollen ergibt. Den Herrschaftsträgern war diese Funktion für den Marktort bewußt, denn es finden sich keine Hinweise, daß sie die jüdische Bevölkerung in dieser Beziehung einschränkten. Im Gegenteil: Als am 6. Mai 1680 der Christ Jakob Mörtl sein Haus, in dem sich ursprünglich eine Braustätte befunden hatte, und seinen Stadel an den Juden Mauschi für 600 fl. verkaufte, wurde von Seiten der Ortsherrschaft im Protokoll darüber hinaus notiert, daß vom Juden in dißem hauß ein gewerb und offner Laden also angericht werden solle, daß auch die benachbarten Cramer vnd andere Leitt Ursach haben, wegen der wolfeile lieber hier alß in einer Statt einzukhauffen. Wenn als Begründung zudem angegeben wurde, dies sei geeignet, sich dardurch sowol ihre theürere Zöhrung zuersparen, alß anbey auch hier ein Zuegang vnd einige Reichere Zöhrung zumachen,55 so setzte man damit auf eine allgemeine Prosperitätssteigerung im Markt. Darüber hinaus ist besonders der Handel mit Pferden und Kühen bis in die kleinsten Ortschaften in den Amtsbüchern sehr häufig dokumentiert.56 Ein zweiter wichtiger Geschäftsbereich der Juden war die Pfandleihe und das Kreditwesen. In den Amts- und Protokollbüchern der jeweiligen Herrschaftsträger von Thannhausen wurden fast nur Kleinkredite eingetragen. Dies dürfte daran liegen, daß die Empfänger der Kleinkredite in erster Linie im eigenen Herrschaftsbereich ansässig waren oder zumindest in dessen unmittelbarer Umgebung. Ihre Bedeutung darf gerade für den ländlichen Raum nicht unterschätzt werden.57 Am 27. Februar 1646 verglich sich beispielsweise der Thannhauser Jude Mausche mit Georg Oswaldt, dem Pfarrer von Gesseltshausen, über eine Schuld von 95 fl. vor dem Amt.58 Aus einem Schreiben des Vogtes von Münsterhausen an seinen Herrn, Johann Ludwig von Heidenheim, vom 19. Februar 1674 geht hervor, daß zehn seiner Untertanen insgesamt 141 fl. 36 kr. Schulden bei den Thannhauser Juden
54 55 56
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R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 171 f. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 51-53. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Minckwitz 2. fol. 1, 2, 5, 6, usw.; die Geschäftspartner waren Bewohner von Attenhausen, Neuburg, Derndorf, Münsterhausen, Rielhofen, Behlingen u. a. Vgl. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 170f. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Minckwitz 2. fol. 58.
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Hüzig und Haiumb hatten.59 Am 10. Januar 1694 wurde auf dem Herrschaftsamt protokolliert, daß Rabifromb Jud alhier Georg Walter von Höselhurst in der Herrschaft Wettenhausen 25 fl. geliehen hatte gegen Special Verpfändung einer halben Jauchert aigen ackher. In einem aufgerichteten Kaufvertrag wurde auch eine Hypothek auf all sein [Georg Walters] Übrig fahrendes Vermögen aufgenommen und ferner bestimmt, daß Walter an Statt Zinß in 14 tagen 2 m. [Metzen] Khern, und vff den herbst wider 2 m. khern dem Juden zukommen lassen mußte; die 25 fl. sollten am 24. August zurückbezahlt werden.60 Charakteristisch für die Kleinkreditvergabe und die Pfandleihe war zum einen die vertragliche Fixierung, um ein sicheres Geschäft für beide Seiten zu gewährleisten, zum anderen die Kurzfristigkeit der Kapitalleihe, wobei die Zinsen durchaus aus Naturalien bestehen konnten, in diesem Falle aus einer bestimmten Menge an Futtermittel, und ihre Ableistung zeitlich gestaffelt war. In vielen Geschäftsvereinbarungen, die in diesen Quellen dokumentiert sind, können sie nicht von der Pfandleihe unterschieden werden. Der zweite Quellentyp, aus dem sich Hinweise auf das Kreditwesen der Juden ergeben, sind die beiden Briefausgangsbücher der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck der Jahre 1628 bis 1642 und 1643 bis 1660. Unter den Einträgen, welche die Thannhauser Juden betreffen, finden sich zwischen 1628 und 1645 immer wieder die Angehörigen einer jüdischen Familie, die sich an die Regierung wandten, um ihre Schuldner zur Rückzahlung zu veranlassen: Es handelte sich um die Erben und Nachkommen des vor 1632 verstorbenen Jakob von Thannhausen.61 Abraham Neuburg, Jakobs Sohn, und Abraham Levita, dessen Schwager, sowie Levitas Frau, Völlin, stellten mehrere dieser Gesuche an die Regierung. Später werden auch noch ein Moses Neuburg und ein Joseph Neuburg mit seinen Kindern genannt, deren Verwandtschaftsbeziehungen jedoch im Dunkeln bleiben. In allen Klagen der Juden gegen Christen ging es darum, die Regierung zu veranlassen, dafür zu sorgen, daß ausstehende Schulden beglichen wurden. Die Liste der Schuldner reicht von den Untertanen der Herrschaften Ichenhausen und Seifriedsberg, über Einzelpersonen wie den Prälaten von Ursberg, den ehemaligen Landvogt von Burgau und Freiherrn Roderigo Barragan, den ehemaligen Pfleger der Herrschaft Thannhausen Georg Lidel, bis hin zu den Bürgermeistern und dem Gericht in Thannhausen selbst.62 Leider wird nur im Falle des Prälaten von Ursberg die Höhe der Schuld angegeben; sie betrug am 6. August 1630 500 fl. und stieg bis zum 28. Juni 1632 auf 600 fl. an. Ob die jüdischen Gläubiger in jedem dieser Fälle ihre ausstehenden Schuldbeträge erhielten, ist freilich nicht bekannt. Wenn 59 60 61
62
StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 4. fol. 139. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 285f. Aus dem Urbar von 1603-1610 geht hervor, daß es sich dabei um den damals reichsten Juden der Gemeinde, Jakob von Neuburg, handelte, der in diesem Zeitraum ein Sitzgeld von 20 fl. bezahlen mußte. StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 655. fol. 97, 248, 264, 425, 570-575, 579, 593; Vorderösterreich. Lit. 656. fol. 38, 63.
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die Einträge nach dem März 1645 aufhören, dann vielleicht deshalb, weil die erwähnte Familie danach sich andernorts niederließ. Obwohl in diesen Klagen an die Regierung nur Mitglieder einer Familie verwickelt waren, lassen sich doch Hinweise auf bestimmte Handlungsmuster finden. Innerhalb der jüdischen Gemeinde in Thannhausen hatte die Familie vermutlich eine Sonderstellung, da sie von ihrer eigenen finanziellen Lage her Kredite in nicht unerheblicher Höhe an Christen ausgeben konnte. Wenn diese nicht fristgerecht zurückbezahlt wurden, wandte man sich an die Regierung in Innsbruck, welche die Beamten der Markgrafschaft in allen überlieferten Fällen anwies, den Juden zu ihrem Recht zu verhelfen, da sie Verträge zwischen ihnen und ihren Schuldnern vorweisen konnten. Aus zwei Schreiben der Regierung von 1632 an den Landrichter von Schwaben, der seinen Amtssitz in Burgau hatte, geht hervor, daß dieser angehalten wurde, die erlassenen Exekutionsordnungen gegen die Schuldner der Juden gemäß der Landgerichtsordnung in die Tat umzusetzen.63 Stellte sich heraus, daß die Klagen der Juden berechtigt waren, versuchte die Regierung aus Gründen des 'Hochschutzes', ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Kreditgeschäfte wie die Pfandleihe häufen sich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder danach. Anscheinend war es vor allem die jüdische Bevölkerung, die den hohen Geldbedarf durch ihre Geschäftstätigkeit einigermaßen befriedigen konnte. Dies legt die Vermutung nahe, daß sie auch beim Aufbau der Infrastruktur in der Zeit ihrer Wiederansiedlung nach dem Ende des Krieges in Thannhausen eine wichtige Rolle spielten. Doch die Juden gaben nicht nur Kredite aus, sondern nahmen ihrerseits auch Kapital bei Christen auf. Unter dem Datum des 30. April 1698 wurde in den Amtsprotokollen notiert, daß der wohl Edl: vndt gestrenge herr Frantz Krimbichler, deß hochlöbl. Schwab: Creyses, Stauffenbergl. Rgts. zu Pferdt bestellter Rittmaißter den drei in Thannhausen seßhaften Juden Isaak Salomon, Mauschi Hitzig und Samuel Levi zusammen 900 fl. Bargeld lieh. Nach einem Jahr sollten sie das Geld zurückzahlen neben gebührendtem interesse [in Höhe von] 5 per cento. Als Pfand diente das gesamte Vermögen der Juden, ligendt vnd fahrendt, und es wurde darüber hinaus vereinbart, daß im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer fiir alle, vndt alle fiir einen stehen sollte.64 Am 16. März 1703 wurde dem Amt angezeigt, daß der Brauer Sebastian Ebner von Thannhausen dem bereits erwähnten Mauschi Hitzig 250 fl. Bargeld vorstreckte und dafür von ihm 21 allerhandt, mit oder ohne Stein versözte gülden Ring erhielt.65 Leider ist nicht bekannt, wozu die Juden die relativ hohen Beträge verwendeten. 63 64
65
StaatsA Augsburg. Vorderösterreich. Lit. 655. fol. 574. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: Pfalzgraf bei Rhein 1. fol. 45.; der genannte Krimbichler wurde am 28.5.1703 mit seiner Frau als Bürger in Thannhausen aufgenommen und bezahlte dafür 4 fl. 20 kr. an die Herrschaft (fol. 217). StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: Pfalzgraf bei Rhein 1. fol. 209 f.; Mausche Hitzig verkaufte am 29. März 1719, also nach der Vertreibung, von Ichenhausen aus sein Haus mit Stadel,
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Gegen Ende des 17. Jahrhunderts läßt sich die Beteiligung von Thannhauser Juden an größeren Getreidelieferungen belegen. Am 28. Januar 1695 protokollierte das Herrschaftsamt, daß der Göppinger Wirt Georg Walz für insgesamt 1.200 fl. die Lieferung an guetter frischer annemblicher wahr, an Proviant mehl, ohne Abgang 200 Cent.[ner] an die Herrschaften Mindelheim und Thannhausen zusagte. Als Zielorte wurden Liebenzell oder Wildbad (125 Zentner), Kalb (Calw?) (60 Zentner) und Merklingen (15 Zentner) vereinbart. Der Thannhauser Jude Isaak Salomon hatte den Kontakt hergestellt und war ebenfalls im Amt erschienen.66 Aus diesem Geschäftsabschluß geht freilich nicht hervor, wer die Empfänger der Lieferungen waren. Deutlicher wird dies erst in einem anderen Protokoll vom 8. März des gleichen Jahres. Diesmal bezahlte Isaak Salomon selbst 1.152 fl. 30 kr. an den Oberfahlheimer Müller Blasius Kapfer, der dafür 300 Cent, mehl, von guetts frischem Roggen, wohl gebeutelt, vnd gerecht annemblich guett, Wienner gewicht, in wohl gebundenen faßßen nach Ulm an den kaiserlichen Kommissar Neuenheim liefern sollte. Was Salomon dafür von Neuenheim als Gegenleistung bekam, ist nicht bekannt. An dieser Stelle erfahren wir auch etwas mehr über die Einzelheiten des Geschäftes: Jeder Zentner kostete 3 fl. 52 V2 kr., die Gesamtsumme sollte in gueten althen franzöß. thalern zum Kurswert von 2 fl. 3 kr. bezahlt werden.67 Nur kurze Zeit später, am 28. Juni, erschienen der Thannhauser Jude Moses Hitzig und Martin Deubler, der Anwalt Christof Baders von Weißenhorn, auf dem Amt und ließen protokollieren, daß letzterer 1.000 Zentner Wiener Gewicht trocken gemahlenes Roggen mehl und 500 Imi Hafer nach Ulm in das kaiserliche Magazin liefern sollte. Hitzig versprach, dafür insgesamt 2.900 fl. zu bezahlen, und gab noch zusätzlich 1 Pferdt vnd 12 loth Silber in Kauf.68 Das letzte dieser Geschäfte fand am 6. September 1695 seine Niederschrift. Samuel Abraham Bikh, der beim Schwiegersohn Moses Hitzigs in Diensten stand, vereinbarte mit Martin Annich aus Sellingen (Söflingen?) gegen Bezahlung von 2.250 fl. die Lieferung von 1.000 Zentnern Roggenmehl innerhalb von 14 Tagen nach Günzburg.69 Ähnlich wie bei den Kreditgeschäften scheint es somit in Thannhausen am Ende des 17. Jahrhunderts zumindest für kurze Zeit auch einige Juden gegeben zu haben, die größere Warenlieferungen durchführten. Möglicherweise spiegelt sich darin die außerordentliche Mobilität jüdischer Familien, doch erfordert dies noch weitergehende prosopographische Forschungen. Immerhin erstreckte sich ein Teil der Geschäfte über beträchtliche Distanzen, die Handelskontakte und Beziehungen zu Juden in anderen Teilen des Reiches voraussetzten. Ihre Einbindung in das Sy-
66 67 68 69
Garten und Hof im Sandgassenviertel für 800 fl. an die Herrschaft Thannhausen (StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Stadion 3. fol. 198). StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 312f. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 315. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Sinzendorf 5. fol. 321. Vgl. Anm. 68.
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stem der Heeresversorgung von etablierten Hofjuden ist jedenfalls zu vermuten, wie es die Belieferung von kaiserlichen Magazinen nahelegt.70 Leider ist die Quellenlage bislang zu dürftig, um ihre Stellung aufgrund besonderer Privilegien oder einen fortgeschrittenen Assimilationsstatus genauer zu verankern.
III. Da die wirtschaftliche Funktion der Juden für den Herrschaftsbereich Thannhausen offensichtlich zutage tritt, bleibt zu prüfen, inwieweit rechtliche Rahmenbedingungen den ökonomischen Bereich regelten. Kollektive oder individuelle Schutzbriefe können hierbei einen ersten Ansatz bieten. Für Thannhausen ist ein individueller Schutzbrief überliefert, der dem Juden Seligmann bei seiner Aufnahme am 19. Oktober 1652 vom Pfleger Johannes Sartorius stellvertretend für den damaligen Ortsherrn Friedrich von Mitrowitz ausgestellt wurde.71 Er bietet die einzige umfassende Fixierung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Ortsherrschaft gegenüber den Juden, denn bei späteren Protokollierungen über Neuansiedlungen wurde dies in den Amtsbüchern nicht mehr wiederholt.72 Allerdings findet sich auch später kein Verweis auf diesen Schutzbrief, so daß er wohl nicht als Vorbild für die spätere Rechtsauffassung im Ort gedient haben dürfte. Trotzdem gibt dieser Schutzbrief zumindest für die Zeit vor 1652 Aufschlüsse darüber, da im Text immer wieder auf überliefertes Recht verwiesen wird. Der Brief gewährte Seligmann das Recht, sich mit seiner Frau, seinen Kindern und seinem Gesinde im Ort niederzulassen, wobei ihm derselbe Schutz wie anderen Untertanen zugesagt wurde. Seligmann dürfte von Beruf Händler oder Hausierer gewesen sein, da er in seinem handel vnd Wandel mit kaufen vnd verkkhaufen an den Orten, an denen es ihm von Rechtswegen erlaubt war, nicht behindert werden sollte. Dafür hatte er verschiedene Auflagen zu erfüllen. Die erste war, daß er nicht mit Kürchen Gütter, vngetroschen getraidt, Nass heit, blutig gewandt, gstollene wahren handeln durfte. Während das Verbot des Umgangs mit ungedroschenem Getreide und nassen Häuten darauf zielte, der auch sonst vielfach beleg-
70
71 72
Zum Hofjudentum und seiner Funktion in der Heeresversorgung vgl. die aktuelle Zusammenfassung in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hg. von Michael A. Meyer 1: Tradition und Aufklärung 1600-1780. Hg. von Mordechai Breuer, Michael Graetz. München 1996. S. 106-125. Zu einem Beispiel aus Schwaben: S. Ulimann: Die jüdische Hoffaktorenfamilie Ulman (Anm. 51) S. 169f. StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Minckwitz 2. fol. 335-339. Zum Beispiel bei der Aufnahme Gabriel Seligmanns und Isaak Mayrs am 2.9.1697 (StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: Pfalzgraf bei Rhein 1. fol. 21f.) oder Josephs, Lews, Seligmanns, Joseph Samuels und Samuel Levis am 31.12 1705 (StaatsA Augsburg. Adel. Lit.: von Stadion 2. fol. 81).
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ten Praxis des Kaufs 'auf dem Halm' bzw. der Häute noch lebender Tiere als speziellen Formen des 'Fürkaufs' vorzubeugen,73 der die Existenz der einheimischen Bauern in Notzeiten gefährden konnte, wurde mit dem Diebesgut auf das sog. 'Hehlerprivileg' des Mittelalters Bezug genommen.74 Zudem klingen lang tradierte Stereotype an: Von christlicher Seite wurde vielfach angenommen, daß die Juden bevorzugt christliche Zeremonialgeräte als Pfänder annahmen bzw. mit in christlichem Blut getränkten Gewändern handelten, um sie in ihren religiösen Zeremonien zur Heilung von Krankheiten zu verwenden.75 Überhaupt sollte sich Seligmann in seinen Handelsgeschäften gebührlich verhalten, wie er es bey gelaister Huldigung Zuegesagt gelobt vnnd geschworen und wie es offensichtlich in den Verordnungen befelchen vnnd Gebotten der Herrschaft formuliert war. Ausdrücklich war jedoch festgehalten, daß ihm die Zinsnahme gestattet war und daß er alß ein Judt etwaß mehrern Zünß vnd Interesse als den Christen Zenemen pflegt, auch wenn er nicht mehr verlangen sollte, alß waß bey alters hero brichig. Dies dürfte sich auf die Rechtsauffassung des Privilegs Karls V. vom April 1544 beziehen, nach welchem Juden gestattet war, einen höheren Zinsfuß festzusetzen als die Christen.76 Das gleiche galt auch für die Pfandleihe, die bis auf die erwähnten Waren grundsätzlich erlaubt war. Neben der ökonomischen Praxis regelte der Schutzbrief auch die jeweilige Gerichtszuständigkeit. Seligmann durfte im Streitfall Untertanen der Herrschaft Thannhausen mit frembden Gerichten Nirgendts furnemen oder beschweren, hierfür war also einzig und allein das Gericht der Herrschaft Thannhausen zuständig. In bürgerlichen sachen sollte Seligmann dem Pfleger Gehorsam leisten, ihm stand aber auch die Appellation an den Ortsherren selbst frei, doch falls Seligmann sich etwas zuschulden kommen lassen sollte, so konnte er keine Schonung erwarten. Die inneijüdische Rechtssprechung wurde in dem Schutzbrief anerkannt: Bei derartigen Streitsachen war es ihnen von alters Herkhomen erlaubt, diese nach Iren Ceremonien außzuetragen vnd Zuerichten. Rechtsverstöße, die auch vor der Ortsherrschaft strafbar waren, sollten vor dem Ambt außgetragen, vnd daselbsten von Obrigkeit wegen, abgestrafft werden, doch blieb es der jüdischen Gemeinde vor73
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Vgl. dazu ausführlich die entsprechenden Passagen bei Rolf Kießling: Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in OStschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert Köln, Wien 1989 (Städteforschung A 29). Vgl. Guido Kisch: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters (Ausgewählte Schriften 1). Sigmaringen 1978. S. 107-136. J. Friedrich Battenberg: Das europäisches Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Darmstadt 1990. Bd. 1. S. 86, 117-121; Rainer Erb: Der gekreuzigte Hund. Antijudaismus und Blutaberglaube im fränkischen Alltag des frühen 18. Jahrhunderts. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 2. 1992. S. 117-150. Vgl. dazu mit weiteren Literaturhinweisen: J. Friedrich Battenberg: Rechtliche Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in der Frühneuzeit zwischen Reich und Territorium. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 1) S. 53-79, hier S. 60f. und S. 65f.
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behalten, den Frevler vnnder Inen dem Herkhomen nach, sonderlich abzuestr äffen. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß dieser Schutzbrief als Exempel für die im Ort gebräuchliche Rechtsauffassung zu gelten hat. Geht man davon aus, daß jeder neue Herrschaftsträger die Rechtsbräuche des Ortes nicht negieren konnte, wenn er nicht in einen Konflikt mit der Gemeinde geraten wollte, so dürfte der vorliegende Schutzbrief keinen Sonderfall für die rechtlichen Rahmenbedingungen in Thannhausen darstellen. Wie in den Judenschutzbriefen anderer Territorien wird zudem eine Frist von sechs Jahren festgelegt, nach deren Ablauf die Ortsherrschaft entscheiden konnte, ob sie den Schutz verlängern wollte oder nicht.77 Bei der Bewertung des Schutzbriefes sind allerdings die speziellen Verhältnisse in der Herrschaft Thannhausen zu berücksichtigen. Geregelt wurden in ihm vor allem die Geschäftsbeziehungen der Juden zu den Christen. Den Thannhauser Juden war in der Mitte des 17. Jahrhunderts sowohl die Kreditvergabe gegen ortsüblichen Zins als auch die Pfandleihe unter bestimmten Auflagen erlaubt. Die Ursache dafür, Seligmann die Ansiedlung im Ort überhaupt zu gestatten, liegt sicher darin, daß vor allem die Reichsritterschaften nach dem Dreißigjährigem Krieg sich um eine Wiederansiedlung von Juden bemühten.78 Sie hatten im Krieg besonders hohe Einbußen zu verzeichnen, und die jüdische Bevölkerung konnte man mit besonderen Abgaben belasten, zumal sie aufgrund ihrer Berufsstruktur als Händler und Hausierer am schnellsten zu einer Verbesserung der finanziellen Lage beitragen konnten. Um diese fiskalischen 'Vorteile' der Juden von Seiten der Herrschaftsträger optimal nutzen zu können, durften allerdings gerade die Regelungen, welche die Geschäftspraxis betrafen, nicht zu restriktiv ausfallen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Auflage gegenüber Seligmann, innerhalb eines Vierteljahres der Herrschaft eine Anleihe von 60 fl. zu geben. Der zweite wichtige Regelungsbedarf des Schutzbriefes betraf die Gerichtszuständigkeit. Wenn Untertanen der Herrschaft Thannhausen von den Juden nicht vor außerherrschaftliche Gerichte zitiert werden durften, ging es der Ortsherrschaft offenbar vor allem darum, den Weg an die Gerichte der Markgrafschaft und an die Reichsgerichte zu verwehren, um den eigenen Herrschaftsanspruch gegenüber der Landesherrschaft zu behaupten. Für alle Konflikte innerhalb des Marktes zwischen Juden und Christen waren die Verwalter oder Pfleger zuständig, die von den meist abwesenden Ortsherren eingesetzt waren, und lediglich spezifisch inneijüdische Konflikte durften von den Juden durch ihre eigene Rechtssprechung geregelt werden. Eine zweite Quelle, die sich mit der Rechtssituation der jüdischen Ansiedlung in Thannhausen befaßt, stellt die Policey Ordnung Dess Heyl. Rom. Reichs Graf77 78
J. F. Battenberg (Anm. 75) S. 142. Vgl. dazu Hartmut Heller: Die Peuplierungspolitik der Reichsritterschaft als sozialgeschichtlicher Faktor im Steigerwald. Erlangen 1971 (Erlanger Geographische Arbeiten. Bd. 30).
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schafft und Markht Thannhaussen,79 die in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts von Graf von Sinzendorf und seinen Beamten verfaßt worden sein dürfte. Vielleicht entstand die Ordnung im Jahr 1677, nachdem Graf Georg Sitz und Stimme beim 'Schwäbischen Kreis' und auch bei der Bank der Reichsgrafen auf dem Reichstag erhalten hatte. Er könnte sie als Zeichen seiner neuen Würde für die Reichsgrafschaft erlassen haben. Die gesamte Ordnung umfaßte 91 Paragraphen und regelte die verschiedensten Bereiche, sieben bezogen sich auf die jüdische Bevölkerung. Laut §2 war es den Juden unter Strafe eines Reichstalers verboten, an Sonn- und Feiertagen, besonders während der Gottesdienste, mit Bürgern oder Fremden Kauf- oder Tauschgeschäfte durchzufuhren; §87 verbot zudem generell Juden und Christen jeglichen Handel an Sonn- und Feiertagen vor Verrichtung des Gottesdienstes. In §13 wurde bestimmt, daß kein Untertan, auch kein Jude, einen Fremden ohne Vorwissen der Obrigkeit länger als eine Nacht beherbergen durfte; Wirte und Brauer mußten der Herrschaft für ihre Übernachtungsgäste Nachtzettel überbringen und Zuwiderhandlungen wurden mit einer Strafe von zehn Pfund Hellern geahndet. In §19 wurde allen Bürgern, Einwohnern und Juden das Schlachten nur von selbst aufgezogenem Vieh erlaubt. §21 gestattete den Juden, ihre Bäder in der Badstube zu nehmen. §90 bezog sich auf die Juden als Gläubiger: Falls sie im Markt Thannhausen oder an anderen Orten Geld aufnahmen oder verliehen, Waren kauften oder verkauften oder allgemein Handel betrieben und dadurch die herrschaftlichen oder auswärtige Untertanen zu ihren Schuldnern wurden, sollte den Juden nur zu den ausstehenden Schulden verholfen werden, wenn der Vertrag in Anwesenheit beider Geschäftspartner vor dem Herrschaftsamt protokolliert wurde; dies betraf allerdings nur Geschäfte, die eine Mindestsumme von 4 fl. überstiegen, und falls gegen diese Regelung verstoßen wurde, war der Betrag der Herrschaft verfallen. Man bezog sich dabei auf die Rechtspraxis, wie sie laut des Schutzbriefes80 formuliert war, so daß sich die Frage stellt, ob die Judengemeinde in Thannhausen über einen kollektiven Schutzbrief verfugte. Schließlich sollte sich die Judenschaft laut §91 unauffällig verhalten und vor allen Dingen beachten, daß sie sich nicht gegen die katholische Religion vergehe. Zwei Bestimmungen bezogen sich nicht direkt auf die jüdische Bevölkerung, regelten aber Angelegenheiten, die auch die Juden betrafen. So durfte nach §29 kein Grundstück, Haus, Acker oder Wiese, ob es sich dabei um Lehensgut oder Eigentum handelte, ohne Vorwissen der Herrschaft verkauft, vertauscht, versetzt oder verpfändet werden; alle derartigen Handlungen mußten im Amt angezeigt und protokolliert werden bei Strafe des Verlusts des Geschäftsgutes. In §38 schließlich wurde es jedem, also auch den Ju79
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Zitiert nach: H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 75-83. Die Quelle war in den Archiven nicht aufzufinden. Aufgrund der Gründlichkeit des ehemaligen Thannhauser Bürgermeisters, die sonst bei der Auswertung seiner Quellen anklingt, darf davon ausgegangen werden, daß der Text authentisch ist. Zitiert nach H. Bronnenmaier (Anm. 14) S. 83.
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den, gestattet, sich bei Streitigkeiten an die Herrschaft zu wenden und von da aus das Appellationsrecht beim Kaiser wahrzunehmen. Die Polizeiordnung brachte für die Juden im Vergleich zu dem Schutzbrief für Seligmann keine grundsätzliche Verschlechterung ihrer Rechtsposition. Im Bereich ihrer Geschäftspraxis lassen sich keine weitreichenden Veränderungen feststellen. Die Protokollierungspflicht aller Verträge, die einen höheren Betrag als 4 fl. beinhalteten, zielte vor allem darauf, Transparenz in die jüdische Geschäftspraxis zu bringen, um eine größere wirtschaftliche Kontrolle ausüben zu können, wie das schon in den Bestimmungen der Judenordnung von 1534 und des Reichstagsabschieds von 1551 vorgesehen war.81 In die gleiche Richtung weist die generelle Bestimmung über Immobiliengeschäfte (§29). In den Kontext einer allgemeinen restriktiven Politik gegenüber 'Fremden' gehört zudem die Kontrolle über den längeren Aufenthalt in den Grenzen des eigenen Herrschaftsbereichs 82 - der sich nicht zuletzt aus den Märkten ergab, aber zugleich auch das spezifische Problem jüdischer Vaganten tangierte.83 Charakteristisch für die vielerorts angestrebte Zurückdrängung der Juden aus der christlich bestimmten Öffentlichkeit erscheint auch der besondere Schutz der Sonn- und Feiertage.84 Immerhin wurde das Appellationsrecht aller Untertanen, also auch der Juden an den Kaiser fixiert, das die besonders in der Markgrafschaft Burgau zu beobachtende enge Beziehung der Juden zum Reich spiegelt.85 Wie bei den Polizeiordnungen des Reiches handelte es sich hier um eine allgemeine Pflichtenordnung, in der die spezifischen Rechte der jüdischen Gemeinde in den Hintergrund traten und auf andere Art und Weise ihren Niederschlag fanden, wie etwa die Erwähnung des Schutzbriefes in §90 es nahelegt. Auch in Thannhausen ist davon auszugehen, daß die Ortsherren ein besonderes Interesse an der Ansiedlung von Juden in ihrem Herrschaftsbereich hatten, um die Erträge zu maximieren. Dieser fiskalische Aspekt schlug sich zwar nicht im Grund- und Bodenzins nieder, der sowohl von der christlichen und der jüdischen Gemeinde, geleistet werden mußte, wohl aber in den zusätzlichen Abgaben wie 81 82
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Vgl. dazu den Beitrag von Rosemarie Mix in diesem Band. Vgl. Wolfgang Wüst: Die gezüchtigte Armut. Sozialer Disziplinierungsanspruch in den Arbeits- und Armenanstalten der 'vorderen' Reichskreise. In: ZHVS 89 (1996). S. 95-124. Zum jüdischen Vagantentum vgl. Rudolf Glanz: Geschichte des niederen jüdischen Volkes in Deutschland. Eine Studie über historisches Gaunertum, Bettelwesen und Vagantentum. New York 1968; Emst Schubert: Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts. Neustadt a.d. Aisch. 1983 (Veröffentlichung der Gesellschaft für fränkische Geschichte Reihe IX. Darstellungen aus der fränkischen Geschichte. Bd. 26). S. 151-178. Vgl. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 177f. Rolf Kießling: 'Under deß Römischen Adlers Flügel1. Die schwäbischen Judengemeinden und das Reich. In: Bilder des Reiches. Hg. von Rainer A. Müller. Sigmaringen 1997 (Irseer Schriften. Bd. 4) S. 221-255; ders.: Buttenwiesen, die Stauden und der Rest der Welt. In: Jahrbuch für bayerisch-schwäbische Geschichte 1995. Beiträge und Berichte. Hg. von Pankraz Fried. Sigmaringen 1996 (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte BayerischSchwabens. Bd. 6). S. 35-55, hier S. 44-46.
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Schutz- und Neujahrsgelder, Meß- und Küchengeschenke, Synagogenabgaben und Sterbegelder, die in ihrer Summe zu einer höheren Besteuerung gegenüber den Christen sorgten. Die Inhaber des Reichslehens Thannhausen verlangten bereits im 16. Jahrhundert von den dort ansässigen Juden einige dieser spezifischen Abgaben. Laut dem Gefällregister von 1591 hatten sie ein gemeinsames Roßgeld von 17 fl. im Jahr zu bezahlen und auch der 'Judenzoll' in Höhe von 30 fl. pro Jahr mußte von der Gemeinde entrichtet werden.86 Freilich sind wir über die organisatorische Abwicklung nicht genauer unterrichtet.87 Als weitere Abgaben nennt das Register: Ein Neujahrsgeld in Höhe von 50 kr. und ein Gansgeld von 20 kr. pro steuerpflichtigem Juden. Das sogenannte Sitz- oder Schutzgeld war demgegenüber wie auch andernorts nach dem Vermögen gestaffelt und betrug 1591 zwischen 4 fl. und 15 fl. Falls sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Vermögensverhältnisse aufgrund schlechter Handelsgeschäfte oder Sterbefälle änderten, konnte es durchaus sein, daß die Höhe des Sitzgeldes angepaßt wurde. Und schließlich mußte im Fall, daß eines der Mitglieder der jüdischen Gemeinde gestorben war, 1 fl. 30 kr. an die Ortsherrschafit abgeführt werden. Wenn man anhand des Herbststeuerbuches von 1595 die bezahlten Steuern analysiert, so fällt auf, daß die Juden ungefähr 20% der gesamten Lasten zu tragen hatten, obwohl sie nur etwa 11% der Bevölkerung stellten. Weiter ist bemerkenswert, daß die Judengehäuseten sogar fast 25% aller Steuern der Gehäuseten zahlen mußten, obwohl die Zahl der christlichen Mieter dreizehnmal höher war. Da diese Herbststeuer vermögensabhängig erhoben wurde, ist daraus zu schließen, daß es sich bei diesen jüdischen Familien nicht unbedingt um eine Schicht von Armen gehandelt haben dürfte. Dies ist nur dadurch zu erklären, daß es nicht allen Juden möglich war, eigene Häuser zu erwerben, selbst wenn sie dazu über das notwendige Vermögen verfügten. Vielleicht deutet aber der Verwendungszweck dieser Steuer noch auf einen anderen Grund hin, aus welchem die Juden in ihrer Gesamtheit mehr zu den Zahlungen herangezogen wurden. Während den beiden Bürgermeistern, dem Bierbrauer Hans Schmid und dem Schuster Jörg Mang, von der Herbststeuer lediglich eine Summe von 17 fl. 8 hl. ausgehändigt wurde, verwendete man den Rest von annähernd 50 fl. dazu, um den Zinsforderungen des Feyslen Juden, gen Burgaw nachzukommen. 88 Dieses Herbststeuerbuch erlaubt auch einen Einblick in die Sozialtopographie Thannhausens. Die Pro-Kopf-Steuer der Christen betrug danach im Oberviertel 19 kr., im Sandgassen- und Bachgassenviertel je 23 kr. und im Unterviertel 15 kr. Da die Steuer vermögensabhängig war, läßt sich die naheliegende These nicht aufrechterhalten, daß den Juden die
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StaatsA Augsburg. Herrschaft Thannhausen. Münchner Bestand 9. Vgl. dazu jetzt anhand anderer Gemeinden S. Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz (Anm. 17). Gemeindearchiv Thannhausen. Herbststeuer, anno 1595.
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Ansiedlung im 'reichen' Oberviertel verwehrt war, während sie sich in 'ärmeren' Vierteln eher niederlassen durften. Falls es wirklich im 16. Jahrhundert Siedlungsbeschränkungen für das Oberviertel gegeben hat, so muß man diese auf andere Art zu erklären suchen. Gemäß den Einträgen in heberlins urbar von Ano 1603 bis 161089 blieb die Art und in etwa auch die Höhe der Abgaben für die jüdische Gemeinde bis zu diesem Zeitpunkt gleich. Während das jährliche Roßgeld wieder in Höhe von 17 fl. erhoben wurde, wurde der Judenzoll auf 21 fl. reduziert, ohne daß die Gründe bekannt wären. Ebenfalls gleich blieb die Höhe des Gansgeldes mit 20 kr. und die Abgabe bei Sterbefällen mit 1 fl. 30 kr. In dem Zeitraum des Urbars kam es zunächst bei allen steuerpflichtigen Juden zu einer Erhöhung des Neujahrsgeldes von 50 kr. auf 1 fl. 12 kr. und dann zu einer zweiten Steigerung auf 1 fl. 24 kr. Diese Anhebung scheint mit der Zunahme der Bevölkerung und deren Vermögensverhältnissen zusammenzuhängen. Wie im Jahr 1591 war das Sitzgeld immer noch gestaffelt, umfaßte nun aber eine Bandbreite von 3 fl. bis 20 fl. Es wurden jedoch vereinzelt Senkungen des Schutzgeldes vorgenommen, wie im Fall des Aberlen Rot Juden Dochtermann\ Ihm wurde zunächst der Betrag von 6 fl. auf 3 fl. nachgelassen, bevor er dann vom Ortsherren Stephan Schmidt von Freihofen vermutlich 1610 wegen sines hochenn Alters vnd Armut das Sützgellt sein lebenlang geschenckht vnd nachgsehen bekam. Andererseits kam es aber im Vergleich zu 1591 auch zu Erhöhungen wie bei Jecklin Judt, von Newburg, dessen Abgabe von 12 fl. auf 20 fl. anstieg. Aus den Zusatzbemerkungen im Zusammenhang mit den Sitzgeldern lassen sich somit Handlungsmuster der Ortsherrschaft ablesen. Einem anderen Juden wurde von der herrschaft, vß bewegendem Ursachen alle Abgaben erlassen, und an sein statt sein dochtermann eingelassen. Offenbar war die Ortsherrschaft weniger daran interessiert, wer im Ort ansässig war, falls er nur seine Steuern bezahlen konnte. Der scheinbar humanitäre Akt des Steuernachlasses mag nur dazu gedient haben, den Juden aus der Steuerliste streichen zu können, um einen neuen darin aufzunehmen, der vermögender war als der Verarmte. Gründe für den Erlaß bzw. Nachlaß des Sitzgeldes konnten Armut sein, wie im Fall der sterbenskranken, verarmten Frau des Doktors Benjamin, oder ein Rückgang der Handelsgeschäfte. Dies belegt der Fall des Bebes Judt. In der Zeit von 1603 bis 1610 wurde sein Sitzgeld zunächst von 6 fl. auf 10 fl. erhöht, dann wurde es auf 4 fl. gesenkt, weil dißer Judt durch seine schwere handel umb alleß Khommen. Daß auch eine Funktion innerhalb der jüdischen Gemeinde zu Vergünstigungen von Seiten der Ortsherrschaft fuhren konnte, belegt der Fall des Abraham, des Vorsingers der jüdischen Gemeinde, dem von Stephan Schmidt von Freihofen das Sitzgeld, so lang er im Dienst, erlassen wurde.90
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Vgl. oben Anm. 20. Gemeindearchiv Thannhausen.
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In bezug auf die Abgaben mußten aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und der wirtschaftlichen Notlage nach dem Dreißigjährigem Krieg von Graf Friedrich von Mitrowitz, der seit 1648 die Ortsherrschaft inne hatte, Einbußen in Kauf genommen werden. Laut des Urbars von 1646 bis 1659 betrug das gemeinsam von den Juden zu bezahlende Roßgeld noch immer 17 fl., wurde in diesem Zeitraum jedoch nie abgerechnet, und der Judenzoll taucht als Abgabe gar nicht mehr auf. Ausgegangen war die Herrschaft beim Anlegen des Urbars von 21 jüdischen Familienvorständen, von denen jeder ein Neujahrsgeld von 1 fl. 30 kr. und ein Gansgeld von 20 bzw. 30 kr. zu entrichten hatte. Aus der Festsetzung des Sitzgeldes in einer Bandbreite von 3 fl. bis 8 fl. kann man bereits schließen, daß es während des Krieges und durch die Pestjahre 1628 und 1635 zu einer Verarmung der jüdischen Gemeinde gekommen war. Dies traf freilich in gleichem Maße auch für die christliche Bevölkerung zu und stellt deshalb keine Sonderentwicklung dar. Tatsächlich abgerechnet wurden die Abgaben nur bei zwei Juden: Seligmann - er dürfte mit dem Seligmann identisch sein, der vom Ortsherrn am 19. Oktober 1652 im Rahmen der Wiederansiedlung aufgenommen wurde - bezahlte 1654, 1655 und 1659 das Neujahrsgeld, das Gansgeld (30 kr.) und einen Betrag von 5 fl. als Sitzgeld. Die gleichen Beträge wurden für seinen Schwiegersohn Hayum im Jahr 1655 abgerechnet.91 Nach der verstärkten Wiederansiedlung von Christen und Juden im Ort unter Graf Georg von Sinzendorf, die sich im Urbar der Jahre 1676/81 spiegelt,92 lebten maximal acht jüdische Familienvorstände im Markt. Das Roßgeld betrug nun 10 fl., das Neujahrsgeld je 1 fl. 30 kr. und das Gansgeld je 30 kr. Leider können keine fundierten Aussagen über die Höhe des Sitzgeldes gemacht werden, da nur bei zwei Juden, deren Namen nicht zu rekonstruieren waren, die Höhe des Betrags greifbar ist. Beide entrichteten 8 fl., und es könnte durchaus sein, daß der Graf von Sinzendorf mit der Tradition eines vermögensabhängigen Schutzgeldes brach und einen einheitlichen Betrag festsetzte. Einen letzten Hinweis auf die Größe des jüdischen Vermögens in den Jahren kurz vor ihrer Vertreibung bietet die Steuerbeschreibung von 1716.93 Die Judenhäuser, teilweise zusammen mit einem Stadel und Garten, wurden mit einem Wert von 200 bis 700 fl., das Gewerb mit 70 bis 310 fl. veranschlagt, in einem Fall als handtfierung im Wert von 40 fl. Jeder jüdische Familienvorstand konnte zwei Pferde und eine Kuh halten, die zusammen mit 50 fl. angesetzt wurden. Die Summe des jüdischen Vermögens betrug 1716 rund 9.140 fl., bei einer Bandbreite der Einzelvermögen von 240 bis 800 fl. Auf christlicher Seite betrug das Gesamtvermögen rund 151.000 fl., hier in einer Bandbreite von 50 fl. bis 2.888 fl. Inner-
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Gemeindearchiv Thannhausen. Gemeindearchiv Thannhausen. Leider ist dieses Urbar so beschädigt, daß man nur wenige Details herausarbeiten kann. Gemeindearchiv Thannhausen.
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halb der jüdischen Gemeinde bestand somit ein weit geringeres soziales Gefälle als bei der christlichen, wenn auch die Relation des steuerbaren Gesamtvermögens mit ungefähr 16:1 den Bevölkerungsanteilen entsprach. Ein sozialer Gegensatz ist zwischen den beiden Gemeinden am Vorabend der Vertreibung der Juden aus Thannhausen nicht erkennbar. Auch für eine dezidiert judenfeindliche Atmosphäre finden sich im Herrschaftsbereich keine Indizien. Zweifellos gab es auch hier die typischen Konflikte zwischen Juden und Christen,94 doch sie führten jedenfalls bis 1717/1718 nicht zur Eskalation. Die Juden fanden in Thannhausen im Vergleich zu anderen Herrschaften keine besonders ungünstigen Bedingungen vor. Im Gegenteil, die häufig wechselnden Ortsherren hatten vielmehr ein Interesse an ihrer Ansiedlung. Zum einen konnten sie den Judenschutz als Insasse gegenüber der Markgrafschaft Burgau instrumentalisieren und damit die eigene Machtposition ausbauen. Zum anderen brachten die Geschäfte und Handelsbeziehungen über besondere Abgaben Geld in die eigenen Kassen. Die Herren von Thannhausen waren deshalb vor allem an einer Kontrolle, nicht jedoch an einem Verbot jüdischer Wirtschaftstätigkeit interessiert. Diese Rahmenbedingungen ließen andererseits aber auch keine Sonderstellung zu. Wie in vielen anderen schwäbischen Gemeinden lebte der größte Teil der Juden vom Klein- und Viehhandel, von der Pfandleihe und von der Ausgabe von Kleinkrediten. Vereinzelte Geschäfte in größerem Stil sind dennoch auch für Thannhausen nachweisbar. Dabei fällt auf, daß diese Geschäfte nicht für den Beginn des 17. Jahrhunderts überliefert sind, als die jüdische Gemeinde in ihrer Bedeutung die anderen Gemeinden im weiten Umkreis übertraf, sondern für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, der für Juden wie Christen einen großen Einschnitt in der Geschichte des Ortes bedeutete. Daraus läßt sich zumindest die Vermutung ableiten, daß für das Ende der jüdischen Gemeinde die persönliche Entscheidung des Grafen Johann Philipp von Stadion ausschlaggebend war, auch wenn sich zu Beginn seiner Herrschaft keine grundsätzlich antijüdische Haltung von seiner Seite ausmachen läßt. Wie so oft in der Geschichte der Juden scheinen sich auch in der damaligen Situation tradierte Vorurteile und Verdächtigungen, Mutmaßungen und üble Nachrede gegenüber pragmatischen Überlegungen und der bereits in Ansätzen stabilisierten Situation im Ort durchgesetzt zu haben.
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Vgl. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 1) S. 173-180; G. Hetzer (Anm. 17) S. 251 f.
Zwischen Integration und Ausgrenzung: Juden in der oberrheinischen Kleinstadt Emmendingen 1680-1800 Michaela Schmölz-Häberlein
Im Jahre 1745, während des Österreichischen Erbfolgekriegs, erhoben in Emmendingen, der kleinen Amtsstadt des baden-durlachischen Amtes Hochberg, vier Personen Klage gegen den dort ansässigen Juden Jakob Weil. Matthias Schirmann auf dem Wasser, Josef Fronbachs Witwe, Hans Guvert und Ludwig Weibel, alle drei von Oberreute, reklamierten, daß sie bestimmte Güter, die sie während des letzten Durchmarschs der französischen Armee bei Weil untergestellt hatten, nicht mehr zurückerhalten hätten. Bei der Verhandlung vor dem Emmendinger Stadtrat sagte Jakob Weil aus, die Kläger seien mit vielen anderen Menschen zu ihm geflohen. Er hätte ihnen aber gesagt, daß er keine Haftung übernehmen könne, außer vor sich und die seinigen und diese hätten sich an nichts vergriffen. Wenn also den Klägern etwas fehle, so müsse es von anderen Flüchtlingen mitgenommen worden sein. Weil der Stadtrat für diesen Fall nicht zuständig war, da es sich bei den Klägern um Bürger aus Nachbargemeinden, bei dem Beklagten um einen unter dem Schutz des Oberamts stehenden Juden handelte, wurde der Fall vom Stadtrat an das Oberamt verwiesen. In seinem Bericht an die übergeordnete Instanz sprach sich der Stadtrat dafür aus, daß man auch sehnlich wünsche, diese pessima fama ohne hin der Juden von hier einmal loß zu werden Aus dieser Episode lassen sich einige Rückschlüsse hinsichtlich des jüdischchristlichen Zusammenlebens in der badischen Amtsstadt ziehen. Während des Krieges wurden ganz selbstverständlich Flüchtige in den Wohnhäusern von jüdischen Einwohnern einquartiert, und man dachte gar nicht daran, diese von den Lasten des Krieges auszunehmen. Ferner äußerte sich der Stadtrat in diesem Fall über die jüdischen Bewohner in der Stadt positiv und verwahrte sich dagegen, daß ihnen etwas unterstellt wurde. Im gleichen Jahr wurden dem Rotgerber Daniel Schuhmacher mehr als 30 Kalbsfelle aus seinem Keller gestohlen. Dieser Diebstahl wurde im Oktober 1745 '
StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 3.6.1745. fol. 56 r -56 v .
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vor dem Stadtrat verhandelt.2 Da die gestohlene Ware dem jüdischen Händler Simon Weil3 aus dem benachbarten Dorf Niederemmendingen zum Kauf angeboten wurde, sind die Aussagen der Zeugen, über die reine Wahrheitsfindung hinaus, für die Charakterisierung des christlich-jüdischen Verhältnisses von Bedeutung. Während der Verhandlung berichtete die Frau des Rotgerbers Schuhmacher, Anna Elisabeth Bürklin, folgenden Tathergang: Am vergangenen Freitag sei der Jude Simon Weil zu ihr ins Haus gekommen und habe sie mit ihrer Mutter in der Stube angetroffen. Er habe sie gefragt, ob ihr etwas fehle, und als sie ihm mit Nein geantwortet hatte, habe er sie zum 2.ten mal ermahnet, sich zu erinnern. Er berichtete ihr daraufhin, daß sein Dienstknecht Jonas Weil, der Sohn des Emmendinger Schutzjuden Alexander Weil, vier oder fünf Kalbsfelle einem Wäldler, der von Sexau gekommen war, für vier fl. abgekauft hätte. Jonas Weil habe das Geld von seinem Pfleger aus Eichstetten für einen Rock bekommen. Wenn die Felle ihr gehören sollten, solle sie es ihm sagen. Nachmittags um ein Uhr sei der Gerbergeselle Matthias Gemann zu ihr gekommen und habe erzählt, daß im Haus des Juden Weil in Niederemmendingen Felle lägen, welche ihrem Mann gehörten. Darauf sei sie nach Niederemmendingen gegangen, habe dort ihre Felle gefunden und sie dem Stabhalter Michael Fechter, der gerade mit Simon Weil im Wirtshaus zur Blume saß, mit dem Zusatz übergeben, daß ein Fell in deßen davon gekommen seyn müßte, weil man bei dem Handwerck die Gewohnheit habe, allemal 6 Fell aneinander zu heften. Weil habe dazu angemerkt, daß er die Felle mit Wissen des Stabhalters gekauft habe, was dieser bejahte. Simon Weil bestätigte dies in seiner Aussage und berichtete ferner, Heinrich Löscher, der Lehrjunge des Küfers Johann Martin Bickel, habe ihm die Felle angeboten, als er vergangenen Mittwoch abends aus der Emmendinger JudenSchul nach Hause gegangen sei. Am folgenden Tag sei er in das Haus Bickels gegangen, um sich nach der Herkunft der Felle zu erkundigen. Dieser habe ihn jedoch lediglich unter vielem Jammeren gebeten, er solle doch die feil nur in der Weite verkaufen. Der Diebstahl kam daraufhin ans Licht, und der Küferlehrling Heinrich Löscher wurde in das Stadtgefängnis gebracht. Im Gefängnis ließ Löscher, der aus dem benachbarten Landeck stammte, wiederholt verlauten, er wolle nun ihme dem Juden alles zur Last legen, weil er ihn so verrathen habe. Hätte er die Hehlerware einem Christen angeboten, so Löscher, würde er ihn ermahnt haben die Felle wieder zurück zu bringen. Löscher wurde zu einer zweistündigen Geigenstrafe auf dem Marktplatz zur Zeit des Marktes verurteilt und danach für immer der Stadt
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StadtA Emmendingen. B la/5. Verhandlung vom 4.10.1745. Simon Weil wurde 1720 Schutzbürger in Emmendingen und verlegte den Schutz 1732 nach Niederemmendingen. Dort ist auch sein Sohn Moses (1733-1797) geboren, das einzige seiner Kinder, dessen Namen wir kennen. Karl Günther: Niederemmendinger Juden auf dem alten jüdischen Friedhof in Emmendingen. In: 's eige zeige'. Jahrbuch des Landkreises Emmendingen für Kultur und Geschichte 6. 1992. S. 21-40, hier S. 22, 26.
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verwiesen. Simon Weil mußte jedoch eine Ordnungsstrafe von zehn Talern zahlen, weil er angeblich versucht hatte, mit gestohlener Ware zu handeln.4 Auch dieser zweite Vorfall weist auf regelmäßige Kontakte von Angehörigen der beiden Religionen im dörflichen bzw. kleinstädtischen Alltag hin. Niemand wunderte sich, wenn ein Jude ein christliches Haus betrat und im Gasthaus mit Christen an einem Tisch saß. Christen und Juden vereinbarten Geschäfte miteinander, tauschten Informationen aus und gingen gemeinsam gegen Delinquenten vor. Hier erhebt sich die Frage, ob dieses Beispiel einer engen Verflechtung von jüdischen und christlichen Lebensräumen repräsentativ ist - oder wie Mack Walker in einem Beitrag über jüdische Identität innerhalb der christlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit formuliert hat: "whether or not that society at large did or could consider Jews as part of it at all."5 Im folgenden Beitrag soll versucht werden, diese Frage anhand der Emmendinger Juden und deren Lebensverhältnissen zu klären. Mehr als 70% der Juden im frühneuzeitlichen Reich lebten auf dem Lande, in Dörfern oder Kleinstädten mit Landwirtschaft.6 Gerade über die jüdische Bevölkerung in Kleinstädten, wie sie die Verwaltungs- und Ackerbürgerstadt Emmendingen repräsentiert, ist bislang sehr wenig bekannt, und dieser Aufsatz versteht sich daher zugleich als Beitrag zur näheren Erforschung der jüdischen Bevölkerung und der christlich-jüdischen Beziehungen in frühneuzeitlichen Kleinstädten.7
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StadtA Emmendingen. B la/5. Auf diese Akte bezieht sich der gesamte geschilderte Fall. Die Zitate finden sich fols. 23v-26v. Mack Walker: Jewish Identity in a World of Corporations and Estates. In: In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany. Hg. von Ronnie Po-chia Hsia, Hartmut Lehmann. Cambridge 1995. S. 317-320, hier S. 319. Vgl. Arno Herzigs Kapitel über das christlich-jüdische Zusammenleben im Alltag in: Arno Herzig: Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1997. S. 139-146, Zitat S. 145. Vgl. auch J. Friedrich Battenberg: Das europäische Zeitalter der Juden. Bd. 2: Von 1650-1945. Darmstadt 1990. S. 63. Michael Toch: Aspects of Stratification of Early Modem German Jewry: Population History and Village Jews. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5) S. 77-90, hier S. 82. Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Hg. von Rolf Kießling. Berlin 1995. (Colloquia Augustana. Bd. 2). An lokalgeschichtlichen Untersuchungen vgl. Rosemarie Schwemmer: Die jüdischen Friedhöfe in Emmendingen. Eine regionalgeschichtliche Untersuchung mit didaktischer Perspektive (unveröffentl. maschinenschriftl. Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen). Freiburg 1989. Karl Günther: Juden aus Ihringen und Eichstetten auf dem alten jüdischen Friedhof in Emmendingen. In: 's eige zeige' 5. 1990. S. 75-98. Emmmendinger Juden auf dem alten jüdischen Friedhof in Emmendingen. Teil I. In: 's eige zeige' 7. 1993. S. 27-64 und Teil II. In: 's eige zeige1 8. 1994. S. 27-63. Klaus Teschemacher: Juden in Emmendingen 1716 bis 1782. In: 's eige zeige' 3. 1989. S. 117-125. Für eine zeitgenössische Darstellung vgl. Wilhelm Ludwig Willius: Beschreibung der natürlichen Beschaffenheit in der Markgrafschaft Hochberg. Nürnberg 1783. S. 180.
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In den ersten beiden Abschnitten sollen die Größe und Zusammensetzung der jüdischen Gemeinde aufgezeigt,8 die Wohnsitze der jüdischen Gemeindemitglieder in der Stadt lokalisiert und ihr Migrationsverhalten untersucht werden. Daran anschließend werden die ökonomischen und sozialen Dimensionen der Beziehungen zwischen Angehörigen beider Religionsgemeinschaften analysiert: christlichjüdische Geschäfte und Konflikte zwischen der christlichen Mehrheit und der jüdischen Minderheit. Daran anschließend wird der Dynamik innerhalb der jüdischen Gemeinde - Brauchtum und Konfliktregelungsmechanismen - nachgegangen und der Umgang mit fremden Juden in der Stadt behandelt. Abschließend wird versucht, anhand der Konversion eines Emmendinger Juden zum Christentum aufzuzeigen, ob diese Überschreitung der religiösen Grenze zu einer Integration in die christliche Gemeinde gefuhrt hat.
1. Die jüdische Gemeinde: Größe und Zusammensetzung Im Jahre 1672 legte die baden-durlachische Regierung die Gebühren fest, die im Falle des Todes schirmverwandter Juden an die Karlsburg abgeführt werden mußten: für jedes Begräbnis eines jungen Juden drei fl., für einen alten sechs fl. und für einen fremden zwölf fl.9 1680 findet sich dann der erste Jude in den Akten der Stadt Emmendingen, Löwel, der Jud, der die Münze und das städtische Salzhandelsmonopol in Emmendingen gepachtet hatte.10 Er wohnte in der Landvogtei und erhielt von der Stadt 20 Klafter Brennholz. In den Stadtrechnungen der Jahre 1683/84 ist vermerkt: haben die //[erren] Saltzbeständer von Basel, als Sie daß Saltz von Löwel unter daß Rathaus Schütten laßen, vor die darzue hergeliehene Diehlen der Statt verEhrt 13 Batzen 5 Heller." Da ihm der Stadtrat 1682 für 20 fl. Steine aus der Stadtgrube zum Bau eines Hauses verkaufte, kann angenommen 8
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Im Stadtarchiv Emmendingen befindet sich ein Kasten mit Karteikarten zu den jüdischen Familien des Ortes (Jüd. Genealogie), der während der Zeit des Nationalsozialismus angelegt wurde. Hier wurde versucht, alle vitalstatistischen Daten zu den einzelnen Familien zusammenzufassen. Diese Datensammlung wurde als Grundlage für meine eigene Familienrekonstitution benutzt und mit weiteren Quellen und den Grabinschriften verglichen, korrigiert und ergänzt. GLA Karlsruhe 115/200. StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1680. Heinrich Maurer: Emmendingen vor und nach seiner Erhebung zur Stadt. 2. Aufl. Emmendingen 1912. Reprint Emmendingen 1992. S. 114. Löwel soll aus Hagenau im Elsaß stammen und dieses Salzmonopol bereits seit 1670 innegehabt haben. Vgl. dazu Ludwig Kahn: Die Geschichte der Juden von Sulzburg. In: Die Markgrafschaft 9. 1967. S. 10-13, hier S. 11. Berthold Rosenthal: Heimatgeschichte der badischen Juden seit ihrem geschichtlichen Auftreten bis zur Gegenwart. Bühl/Baden 1927. S. 199 nennt als seinen Herkunftsort Kandem, macht dazu jedoch keine weiteren Angaben. StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1683/84.
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werden, daß Löwel in Emmendingen wohnte.12 Das Unternehmen wurde aber bereits 1684 wieder eingestellt und die Münzpresse nach Basel überfuhrt.13 Löweis herausragende Stellung war für die jüdische Geschichte der Stadt ungewöhnlich und ist vielleicht darauf zurückzufuhren, daß die Stadt in der Zeit der Kriege Ludwigs XIV. wirtschaftlich schwach war und sich die gesellschaftliche Struktur seit Ende des Dreißigjährigen Krieges noch nicht so gefestigt hatte, daß Löwel eine Nische nutzen konnte.14 Die anderen frühen jüdischen Bewohner Emmendingens waren hingegen einfache Händler und Krämer.15 1681/82 zahlte die Stadt dem Juden Lehmann für 160 Lattnägel sechs Batzen, und 1688 wird ein Baruch Brücker(?) erwähnt, der das städtische Badhaus für zehn fl. gemietet hatte.16 Zwischen 1689 und 1715 finden sich keine Juden in den Emmendinger Quellen, was mit den fortwährenden Kriegseinwirkungen, aber auch mit der zeitweilig restriktiveren Judenpolitik der badischen Markgrafen zusammenhängen dürfte. Das 1715 erneut aufgelegte baden-durlachische Landrecht verwies explizit darauf, daß eine Zeit lang Juden an ettlichen Orthen Unseres Fürstenthums /[...] vor diesen geduldet/ so haben wir/ jedoch aus Liebe/ so Wir gegen unserer Christlichen Religion, und dann unsere Underthanen tragen/ solche aus demselben allerdings abgeschafft/ wollen auch ihnen in künfftigen Zeiten/ darinn zu wohnen/ hiemit verbotten haben. Den markgräflichen Untertanen wurde jeder geschäftliche Kontakt mit Juden, außer auf freien Wochen- und Jahrmärkten, bei Strafe untersagt.17 Bereits ein Jahr später, 1716, erfolgte jedoch die offizielle Aufnahme von fünf jüdischen Familien in den herrschaftlichen Schutz nach Emmendingen durch Markgraf Karl Wilhelm, die alle durch die Vermittlung des vorderösterreichischen Juden Josef Günzburger aus der Schweiz und dem Elsaß ins Land gekommen waren.18 Dieser in Breisach 12 13 14
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StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1682. Geld aus Emmendingen. In: Emmendinger Heimatkalender 1970. S. 38-42, hier S. 38f. Zu den Einwirkungen der Kriege des späten 17. Jahrhunderts vgl. H. Maurer (Anm. 10) S. 91-97. Vgl. allgemein: Rotraud Ries: German Territorial Princes and Jews. In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5). Zur Typologie der jüdischen Berufe allgemeiner Reinhard Jakob: Frühneuzeitliche Erwerbs- und Sozialstruktur der schwäbischen Judenschaft. Dargestellt vornehmlich am Beispiel der oettingenschen Stadt Harburg an der Wömitz. In: Aschkenas 3. 1993. S. 65-84, hier S. 70. StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1688. Vgl. allgemein Ries: German Territorial Princes (Anm. 15) S. 218. Lands-Ordnung Der Fürstenthummer und Landen Der Marggraffschafften Baden und Hachberg [...] in Neun Theil verfasset. Durlach 1715. S. 145-148, Zitat S. 145. B. Rosenthal (Anm. 10) S. 201. Zum Schutzjudentum vgl. J. Friedrich Battenberg: Rechtliche Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in der Frühen Neuzeit zwischen Reich und Territorium. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 7) S. 53-79, bes. 72-76.
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ansässige Jude hatte eine wichtige Rolle als Heereslieferant in der Festungsstadt inne. Er war seinerseits auf Zulieferungen von kleinen Händlern angewiesen, deren Funktion Jonathan Israel folgendermaßen beschreibt: "But also indispensable were the countless small dealers and itinerant buyers who roamed the countryside, particularly in the central and southern regions of the country. These were the men who at the local level bought grain, horses, and other supplies needed by the military garrisons and standing armies located all around."19 Außerdem trifft die Aufnahme der Juden in die Stadt zeitlich mit der Erhebung einer neuen Türkensteuer zusammen, die die Markgrafschaft in diesem Jahr entrichten sollte und zu der auch die Juden im badischen Oberland Beiträge zahlten.20 In der Folgezeit wuchs die jüdische Bevölkerung der Markgrafschaft Hochberg und ihrer Amtsstadt Emmendingen kontinuierlich an. Im Jahre 1738, also gut zwei Jahrzehnte nach der Aufnahme der fünf Familien, wohnten in Emmendingen neben 93 Bürgern, sechs Hintersassen, 23 ledigen Bürgers- und Hintersassensöhnen auch acht schutzverwandte Juden. Im gesamten Amt Hochberg waren zu diesem Zeitpunkt insgesamt 44 jüdische Familienoberhäupter ansässig, die unter dem markgräflichen Schutz standen.21 1762 lebten in Hochberg und Sulzburg 57 jüdische Männer, 60 Frauen, 150 Kinder und 33 Dienstboten. Allein für Hochberg wurden 1776 38 jüdische Männer, 30 Frauen, 137 Kinder und 35 Dienstboten gezählt. Die Höhe des Schutzgeldes der gesamten Hochberger Judenschaft lag in den 1770er Jahren bei rund 1.135 fl. im Jahr.22 In Emmendingen gab es 1775 sieben jüdische Haushaltungen und drei Witwen;23 1778 waren es bereits elf jüdische Familien und zwei Witwen.24 Im Jahre 1804 schließlich lebten in Emmendingen 1316 christliche und 164 jüdische Einwohner.25 Trotz der Zunahme der jüdischen Familien waren die Bedingungen der Schutzannahme weiterhin restriktiv. In der Regel handelte es sich bei den wenigen Privilegierten um Söhne und Töchter von Schutzjuden, beziehungsweise um Juden, denen es gelang, eine Witwe zu heiraten, und die den Schutz ihres 'Ehevorfahren' auf sich ziehen konnten. Die meisten Suppliken um Schutzaufnahmen wurden von
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Jonathan I. Israel: Germany and its Jews: A Changing Relationship (1300-1800). In: In and Out of the Ghetto (Anm. 5) S. 295-305, hier S. 300. B. Rosenthal (Anm. 10) S. 201. Hermann Jakob: Die Erbhuldigung im baden-durlachischen Oberland i. J. 1738. In: Das Markgräflerland. Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur 15. 1953. S. 41-75, hier S. 65f. GLA Karlsruhe 74/3704. GLA Karlsruhe 115/199. fol. 26v. GLA Karlsruhe 115/198. fol. 76'. Geographisch statistisch, topographische Beschreibung von dem Kurfurstenthum Baden. Erster Teil, enthält die badische Markgrafschaft. Karlsruhe 1804. S. 334.
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Witwen für ihre Verlobten beziehungsweise von Eltern für ihre Kinder gestellt.26 Alexander Weil beispielsweise hatte 1733 die Witwe des Abraham Weil geheiratet. Mit fürstlicher Erlaubnis konnte er noch zwei Jahre in Emmendingen ohne Schutz wohnen bleiben. 1735 erlangte er einen Schutzbrief für die Gemeinde Ihringen am Kaiserstuhl. Da er aber immer in Emmendingen wohnen blieb, hatte er ein um 15 fl. höheres Schutzgeld zu zahlen, nämlich 40 fl. Als 1747 neue Schutzbriefe ausgestellt wurden, waren drei der vier neu aufgenommenen Juden durch Heiraten einer Witwe in den Schutz gelangt.27 1754 suchte Jakob Weil beim Stadtrat um ein beförderliches Attestat nach, damit sein Sohn Model in den herrschaftlichen Schutz gestellt würde. Der Stadtrat stellt ihm das gewünschte Zeugnis mit dem Zusatz aus, daß Jakob Weil bereits eine Tochter im Schutz habe, so jezo eine Wittib von weyl Moses Weil seye. Ihr Mann hätte ursprünglich zwar seinen Schutz in Opfingen gehabt, diesen jedoch nach Emmendingen transferiert.28 Jonas Weil wurde 1757 nur in den Schutz genommen, weil sein Vater Jakob ein modelmäßiges Haus in der Vorstadt für ihn errichtete.29 Daran war jedoch die Bedingung geknüpft, daß gleichwohlen keines aus gedachtem Juden in der Ehe erzeugten Kinder, sich jemalen des Schutzes im Lande erfreuen solle.30 Jonas Weil war mit einer Sophie verheiratet, die ihm in zehn Jahren Ehe zwei Kinder schenkte. Nach seinem Tod beabsichtigte die Frau, erneut zu heiraten. Sie supplizierte 1767 an die Herrschaft um Schutzannahme ihres Verlobten Paul Kahn, denn der Jammer und das Elend, in welchem ich mich mit meinen zwey unerzogenen Kindern befinde, die aus der langen Krankheit ihres ersten Mannes herrührten, welche die Familie mehr als 300 fl. gekostet hatte, zwangen sie zur erneuten Eheschließung. Die Unmöglichkeit, mit diesem wenigen die Pflichten einer rechtschaffenen Mutter zu erfüllen, lasse sie hoffen, mit ihren Kindern durch den Handel ihres Verlobten und die 300 fl., die er mit in die Ehe bringe, ein gutes Auskommen zu finden. Ihr Gesuch wurde abgewiesen; auch finden sich keinen weiteren Belege für die weitere Anwesenheit der Familie in Emmendingen.31 Juden, die versuchten, von auswärts zuzuziehen und ihr Glück in der Markgrafschaft zu machen, scheiterten an der christlichen Bevölkerung, die sich vehement gegen ausländische Juden32 zur Wehr setzte. Obwohl demographische Angaben zur jüdischen Bevölkerung vor dem 19. Jahrhundert generell kaum möglich sind,33 läßt sich für Emmendingen im späten 26
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Zu Suppliken und Schutzaufnahmen vgl. auch den Beitrag von Band. GLA Karlsruhe 74/3720. fol 40r, 42"42v. StadtA Emmendingen. C/VIII/5 (Ratsprotokoll 1750-1757). fol. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). fol. GLA Karlsruhe 198/292. GLA Karlsruhe 198/292. GLA Karlsruhe 198/293 (14.4.1763). StadtA Emmendingen. protokoll 1769-1773). 9.4.1772. fol. 220r-225r. C/VIII/21 5.9.1797. fol. 187r-187v und 5.9.1797. fol. 190r-193r.
André Holenstein in diesem 142'-142v. 22v.
A/IV/4-25. C/VIII/8 (Rats(Ratsprotokoll 1796-1799).
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18. Jahrhundert die Zusammensetzung mehrerer jüdischer Familien rekonstruieren. Dies liegt an der relativ günstigen Quellenlage, da die Grabsteine aus dieser Zeit erhalten sind und zudem eine Vielzahl weiterer Hinweise in verschiedenen Quellen (Ratsprotokollen, Inventaren, Steuerlisten) vorliegen. 1786 beispielsweise heiratete der 39jährige, in Müllheim geborene Lazarus Bloch die 27jährige Judith, eine Tochter des Judenschulzen Jonas Weil. Im gleichen Jahr erfolgte die Schutzaufnahme Blochs. In dieser Ehe wurden zwischen 1786 und 1809/10 dreizehn Kinder geboren, von denen mindestens elf das früheste Kindesalter überlebten.34 Der vor 1750 aus Opfingen stammende Isaak Wolf Wertheimer war verheiratet mit Rebekka Rifgen Weil, die 1747 in Kippenheim zur Welt kam. Das Paar hatte mindestens fünf Kinder, die ersten vier zwischen 1775 und 1791.35 Sandel Samuel Veit (1753-1837), der 1779 als 26jähriger die 18 Jahre alte Mariana Günzburger (1761-1841) heiratete, hatte mit ihr nachweislich fünf Kinder, die zwischen 1779 und 1794 zur Welt kamen.36 Hertzel (Naftali) Weil (1749-1809) heiratete 1775 die aus Eichstetten stammende Schena Dreifuß (1747-1820). 37 Sie gebar ihm mindestens sechs Kinder, fünf davon zwischen 1777 und 1790.38 1793 wurde der ebenfalls aus Eichstetten kommende Nathan Dukas Haas (1772-1848) in Emmendingen in den Schutz genommen. Er heiratete um 1793 Mariam, die einzige Tochter des Baruch Schwab, und zeugte mit ihr sieben Kinder, die zwischen 1795 und 1811 das Licht der Welt erblickten.39 Die dokumentierten Bei33 34
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M. Toch (Anm. 6) S. 82. Es handelt sich dabei um Elias (1786-1839); Jakob (1788-1825) Marx (1790-vor 1818; arbeitete in Mühlhausen); Josua (1793-1869); Magdalena (1794-1814); Rafael (1795- nach 1808); Sara (geb. 1799); Babette Bräunle (1800-1838); Mariam (geb. 1801; zog nach Kirchen); Model (1804-nach 1849); Samuel (1804-nach 1840; Pferdehändler in Bern); Salomon (1807-1821); und Regina (geb. vor 1810). StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1793, 1794, 1796. GLA Karlsruhe 74/3704. K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 53, II (Anm. 7) S. 73. Ortssippenbuch Altdorf-Ettenheim (Deutsche Ortssippenbücher) Nr. 3984. Heinrich Isaak (geb. 1775 in Opfingen, gest. 1847 in Niederemmendingen); Marum (geb. vor 1779 in Opfingen, gest. 1799 in Niederemmendingen); Ezechiel Isaak (1781-1847); Sara (geb. 1791 in Niederemmendingen), Bräunle (geb. vor 1800). K. Günther: Niederemmendinger Juden (Anm. 3) S. 27. StadtA Emmendingen. Jüd. Genealogie. Pfeifer Sandel Samuel (1779-1860); Israel Samuel (1783-1831); Lazarus (1788-1856), Handelsmann; Seligmann (geb. 1792; ging nach Schmieheim); Helena (geb. 1794; heiratete nach Kirchen). StadtA Emmendingen. A/IV/4-25. C/IX (Stadtrechnungen) 1793, 1794, 1796. GLA Karlsruhe 74/3704. K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 49. StadtA Emmendingen. C/VIII/10 (Ratsprotokoll 1775). fol. 64' Folgende sind namentlich bekannt: Alexander (1777-1843); Baruch (1783-1849); Moses (1785-1848); Phinel Faia (1788-1825); Daniel (1790-1868). Eine Tochter starb im Kindesalter. GLA 74/3704. StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1793, 1796. Jüd. Genealogie. K. Günther: Niederemmendinger Juden (Anm. 3), K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 58. Kinder: Abraham (1795-1829), Rotgerber; Model Dukas (1796-1854) Hanna (geb. 1797; zog nach Breisach); Leberecht Nathan (1802-1874), Handelsmann, Vorsteher der jüdischen Gemeinde; Naftali Herzel (1808-1817); Rosa (geb. 1810, heiratete nach Eichstetten); Gitl
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spiele zeigen ein relativ breites Spektrum hinsichtlich des Heiratsalters und der Familiengröße, das von den demographischen Mustern christlicher Familien allerdings nicht signifikant abzuweichen scheint. Für das Jahr 1797 läßt sich ein Sozialprofil der Emmendinger Juden erstellen.40 Zu dieser Zeit wohnten 15 Ehepaare, zwei Witwer, fünf Witwen und ein lediger Schutzjude sowie insgesamt 65 bei den Eltern lebende Kinder und 13 jüdische Dienstboten in Emmendingen. In der Vermögenshierarchie ganz unten stand der ledige Schutzjude und Eisenhändler Abraham Weil, der kein Vermögen besaß, und der 59 Jahre alte Schulmeister Jakob Braunschweig41 mit seiner Frau, die nur 100 fl. besaßen und dennoch 30 fl. Schutzgeld im Jahr zahlen mußten. Die Witwen mit ihren insgesamt 13 Kindern ernährten sich von Almosen, Hausieren oder Handarbeiten; das Vermögen aller fünf wurde auf je 300 fl. festgesetzt. Ihr Schutzgeld lag bei fünf fl. im Jahr. Das Durchschnittsvermögen der 23 zur Steuer veranschlagten Emmendinger Judenhaushalte belief sich auf 576 fl. Nur fünf Familien lagen darüber, mit Vermögen zwischen 900 fl. bis zu 3.500 fl. In diesen 'reichen' Haushalten wurden bis auf eine Ausnahme auch stets Dienstboten beschäftigt, während unter den niedriger Besteuerten lediglich der 42jährige Samuel Pfeifer in seinem Haushalt mit sechs Kindern auch einen männlichen Dienstboten angestellt hatte. Der Haupterwerbszweig der Emmendinger Juden war der Viehhandel: vierzehn männliche Haushaltsvorstände bezeichnen sich als Viehhändler. Sie entsprechen damit nach Michael Toch dem ökonomischen Profil der Landjudenschaft, die sich auf Kreditgeschäfte, Hausierhandel, Ladengeschäfte und Viehhandel verlegt hatte.42 Die Emmendinger Juden bezahlten gegen Ende des 18. Jahrhunderts insgesamt ein jährliches Schutzgeld von 488 fl., jedoch schuldeten die ärmeren Familien dem Amt davon bereits 341 fl.43 Die Höhe der Schutzgelder, die die Emmendinger Juden im Vergleich mit den anderen jüdischen Gemeinden zahlen mußten, waren nach Ansicht aufgeklärter Beamter wie des von 1774 bis 1787 amtierenden Emmendinger Oberamtmanns Johann Georg Schlosser ein Hin-
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(1811-1822). GLA Karlsruhe 74/3704. StadtA Emmendingen. C/IX (Stadtrechnungen) 1793, 1796. Jüd. Genealogie. K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 56, 61. Karl Günther: Rabbi Levi Breisacher. Bezirksältester und Oberrat aus Emmendingen. In: Emmendinger Chronik 1996. S. 34-36. Das Folgende nach GLA Karlsruhe 74/3704. Zur jüdischen Schule vgl. Karl Zeis: Die israelitische Privatschule in Emmendingen. In: Emmendinger Heimatkalender 1970. S. 46f. M. Toch (Anm. 6) S. 84. Vgl. dazu auch Rolf Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation - Judendörfer in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 7). S. 154-182, hier S. 173. GLA Karlsruhe 74/3704. Über das Schutzgeld und dessen Höhe vgl. Adolf Lewin: Geschichte der badischen Juden seit der Regierung Karl Friedrichs (1738-1909). Karlsruhe 1909. S. 17.
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dernis für die wirtschaftliche Entwicklung der jüdischen Untertanen der Markgrafschaft.44
2. Wohnorte in der Stadt und Migration Anhand unterschiedlicher Quellen (Kauf- und Tauschkontrakte, Besitzinventare, Schuldbriefe und Obligationen) lassen sich die Wohnorte der Emmendinger Juden ermitteln. Dabei wird deutlich, daß sie niemals gettoisiert waren, sondern über die gesamte Stadt verteilt wohnten - in eigenen Häusern oder auch zur Miete bei ihren christlichen Mitbewohnern. Der Metzger Johann Georg Koch verkaufte bereits 1727 sein Haus mit Hof, Garten und Brunnen zwischen der Burgvogtei und dem Metzger Johannes Frei für 240 fl. an den Schutzjuden Moses Godoy.45 Dieses Gebäude, nur ca. 20 Meter von der evangelischen Pfarrkirche entfernt, blieb von diesem Zeitpunkt an der Ort in der Emmendinger Judenschaft, die ihn auch als Schule und Stubensynagoge nutzte.46 Im Jahre 1728 beabsichtigte Johannes Frei, sein Haus neben der Judenschule wegen seiner hohen Schulden an Herzel Bickert für 438 fl. zu verkaufen. Aufgrund des Vorkaufsrechts der Bürgerschaft kam das Haus jedoch in den Besitz des christlichen Bürgers Sebastian Kromer.47 Das Haus des Model Weil, das unmittelbar neben der Synagoge lag, wurde 1794 von der Niederemmendinger und Emmendinger Judenschaft angekauft und darin eine Schulwohnung eingerichtet. Ferner bot sich damit die Möglichkeit, die Synagoge, die langsam zu klein zu werden begann, zu erweitern. Zur Finanzierung des Kaufes und Umbaus mußten die Juden ein Darlehen von 1.000 fl. zu fünf Prozent bei dem adeligen Oberforstmeister von Teufel aufnehmen. Für diese Schuld stand die gesamte Emmendinger und Niederemmendinger Judenschaft mit ihrer persönli44
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Zu Schlosser und seiner Emmendinger Politik bereits H. Maurer (Anm. 10) S. 102-105. Vgl. allgemein: Johann Georg Schlosser (1739-1799). Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek und des Generallandesarchivs Karlsruhe. Hg. von der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Karlsruhe 1989; Johann van der Zande: Bürger und Beamter. Johann Georg Schlosser 1739-1799. Stuttgart 1986 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Bd. 119. Abteilung Universalgeschichte); Clemens Zimmermann: Reformen in der bäuerlichen Gesellschaft. Studien zum aufgeklärten Absolutismus in der Markgrafschaft Baden, 1750-1790. Ostfildern 1983; Helen P. Liebel: Enlightened Bureaucracy versus Enlightened Despotism in Baden 1750-1792. Philadelphia 1965; Eberhard Gothein: Johann Georg Schlosser als badischer Beamter. Heidelberg 1899. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 12.7.1727. fol. 141'. StadtA Emmendingen. B la/5. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 8.8.1763. fol. 278r-279r. Zur Stubensynagoge vgl. A. Herzig: Deutsch-jüdische Geschichte (Anm. 5) S. 118f. Die Juden bauten auch in ihre Häuser Zimmer ein, die sie als Laubhütten verwendeten. In Niederemmendingen haben sich noch solche integrierten Bauten erhalten, vgl. Karl Günther: Laubhütten in Niederemmendingen. In: Emmendinger Heimatkalender 1992. S. 44-48. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 13.12.1728. fol. 282v-283'.
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chen Habe ein, und zwar bey dem Worte der ewigen Wahrheit und so wahr ihnen Gott helfe. Außerdem verpfändeten sie hierfür sogar ihr Synagogengebäude, das mit einem Wert von 300 fl. veranschlagt wurde.48 Die Judengemeinde war damit im unmittelbaren Zentrum der Stadt physisch präsent. Auch privat lebten Christen und Juden in Emmendingen auf engstem Raum zusammen. Marx Weil, einer der ersten Schutzjuden in der Stadt, wohnte 1745 im Haus des Gärtners Friedrich Wilhelm Nagel zur Miete.49 1757 lebte der Judenvorsinger Mejer bei den Erben des Johann Georg Felder.50 Sandel Pfeifer Samuel hatte sich im Haus des Bäckers Johann Georg Stierlin eingemietet. 51 1769 besaß Jonas Weil in der Vorstadt ein Haus neben dem Zinngießer Johann Peter Hartmann.52 In der Altstadt, im Landvogteiwinkel, wohnten in den 1780er Jahren Jakob Weils Kinder mit ihrem Stiefvater Baruch Schwab in einem eigenen Haus neben dem katholischen Maurer Johann Georg Bergtold,53 Jakob Rist, dem Buchbinder Karl Christian Eisenlohr und Friedrich Jakob Heimhofer, dessen Haus 1793 auf 800 fl. veranschlagt wurde,54 sowie dem Haus der Maria Elisabeth Legier, der reichsten Frau Emmendingens, und dem Diakonatshaus. 55 Baruch Weil hatte 1787 sein Haus an den Essigsieder Autenrieth vermietet. Dieser hatte verschiedene Abänderungen in Weils Haus ohne dessen Einwilligung vorgenommen und dabei verschiedenes verdorben. Autenrieth weigerte sich, das Haus in den vorigen Stand zu setzen, worauf der Stadtrat die Besichtigung anordnete. 56 Bis in die 1780er Jahre war der Kauf von Grundstücken und Immobilien durch die Juden noch der sogenannten Losung unterworfen, die ein Jahr dauerte. Innerhalb dieser Zeit konnten Christen Anspruch auf die von Juden von Christen rechtmäßig erkauften Güter erheben und diese für den selben Preis erwerben. 1780 wurde die Losungszeit bei Häusern auf zwei Monate, bei Feldgütern auf einen Monat eingeschränkt. Nach dem neuen Recht verkaufte im Februar 1780 Georg Vetter sein Haus an Jonas Weil; der Verkauf wurde kurz darauf für rechtens erklärt.57 Verkäufe von Juden an ihre christlichen Nachbarn waren ebenfalls nicht ungewöhnlich. So veräußerte 1743 Nathan Sulzer wegen seiner Schulden ein
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StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1790-1800. fol 117r-119r. Es unterzeichneten alle Schutzjuden persönlich: Jonas Weil alt, Jonas Weil jung, Moses Weil, Meier Levi, Wolf Isaak, Baruch Schwab, Lazer Bloch, Nathan Dukas und Zacharias Reutlinger. StadtA Emmendingen. B lb/911. StadtA Emmendingen. B lb/357. StadtA Emmendingen. B lb/1301. StadtA Emmendingen. B lb/541. Ob es sich bei diesem Haus um das von Jakob Weil für seinen Sohn Jonas erbaute Haus handelt, um diesem die Schutzannahme zu ermöglichen, ist unklar: GLA Karlsruhe 198/292. StadtA Emmendingen. B lb/87. StadtA Emmendingen. B lb/575. StadtA Emmendingen. B lb/40. StadtA Emmendingen. C/VIII/18 (Ratsprotokoll 1783-87). 4.10.1787. fol. 251v. StadtA Emmendingen. C/VIII/15 (Ratsprotokoll 1780). 17.2.1780. fol. 6r-6v, \T\T.
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Häuslein und Garten bei der Landvogtei für 210 fl. an den Hutmacher Jakob Hauenstein.58 1740 tauschte der Schuhmacher Johann Friedrich Schwörer mit Jakob Weil seine halbe Behausung gegen einen halben Garten und eine Zuzahlung von 400 fl.59 1744 verkaufte Jakob Weil sein Haus für 650 fl. an Friedrich Wilhelm Nagel. Nagel sollte davon 300 fl. bar an den Verkäufer bezahlen, weitere 120 fl. an die Juden Manuel Weil und Wolf Auerbacher in Kippenheim und die restlichen 230 fl. 1745 an den Verkäufer.60 Die Wohnungen und Häuser der Juden lagen also mitten unter denen der christlichen Bewohner der Stadt. Die Synagoge befand sich in Sichtweite der Stadtkirche. Diese räumliche Nähe deutet auf ein gewisses Maß an Toleranz innerhalb der Stadtgemeinde hin, konnte aber auch Probleme mit sich bringen, im Oktober 1774 beschwerte sich Jonas Weil beim Oberamt und setzte fünf fl. als Belohnung aus, um den Täter zu finden, der ihm verschiedenen mahlen Schlüssel in sein Haus geleget [...], welche nach beschehenem Nachfragen zur Kirche gehört hätten.61 Aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten und der begrenzten Anzahl an Schutzannahmen war die Binnenmigration der jüdischen Einwohner innerhalb der Markgrafschaft Hochberg relativ hoch. Je nach wirtschaftlichem oder persönlichen Interesse verlegte man seinen Wohnsitz in eines der anderen jüdischen Zentren des Amtes, was innerhalb des Oberamtes bzw. der Stabsorte kaum Probleme mit sich brachte.62 Beispielsweise zog der erste Gemeindevorsteher Emmendingens, Daniel Heilbronner, mit seiner Frau Blümche von Emmendingen nach Eichstetten.63 Naftali Hertzel Pickard lebte von 1720 bis 1727 als Schutzbürger in Eichstetten, kehrte dann aber wieder nach Emmendingen zurück. Er hatte seit 1728 das Privileg, auf dem Emmendinger Friedhof beerdigt zu werden.64 Auch Marx Weil und der 1733 in den Schutz genommene Simon Ullmann verlegten ihren Wohnsitz kurzfristig aufgrund der Höhe des Schutzgeldes in das benachbarte Dorf Niederemmendingen. 1740 zog Moses Gideon, der 1727 in einer Vermögensliste faßbar wird65 und sich 1738/39 als Zwischenhändler für Strümpfe aus der 58 59 60 61
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StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 28.5.1743, fol. 175r. StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 22.3.1740, fol. 103v-104r. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 4.6.1744, fol. 9r-10v. GLA Karlsruhe. 61/6701 (Oberamtsprotokolle). Nr. 1643. fol. 301r. Der Hintergrund des Falles konnte leider nicht aufgeklärt werden. Zu der besonderen rechtlichen Stellung der Stadt und des Staates Emmendingen vgl. H. Maurer (Anm. 10). Zu Heilbronner vgl. Karl Günther: Jechiel, Sohn des Mose Eli - Daniel Heilbronner. Aus den Anfängen der jüdischen Gemeinde in Emmendingen. In: Emmendinger Heimatkalender 1990. S. 88-93. Karl Günther: Symbole auf jüdischen Grabsteinen am Beispiel des alten jüdischen Friedhofs in Emmendingen. In: Emmendinger Heimatkalender 1991. S. 57-63, hier S. 58. Johann Anton Zehnter: Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach. In: ZGO 51. 1897. S. 385-436, 636-690, hier S. 668 und ZGO 54. 1900. S. 29-65, 547-610. K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 30 kann ihn aber nicht näher bestimmen.
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Pforzheimer Wollwaren-Manufaktur betätigte, mit seinem Sohn Marx ins Ausland, wahrscheinlich ins benachbarte Elsaß. Alexander Weil, der seit 1733 in Emmendingen lebte und mit der Witwe Madien Weil aus Kippenheim verheiratet war, transferierte 1735 seinen Schutz nach Ihringen, blieb aber in Emmendingen wohnhaft.66 Nicht nur rein ökonomische Gründe bewogen manche Juden, ihren Schutz zu verlegen. Beispielsweise nahm 1779 der Opfmger Jude Isaak Wolf Wertheimer seinen Wohnsitz in Emmendingen, damit seine Kinder an der jüdischen Schule erzogen werden konnten, da er an seinem bisherigen Wohnort der einzige Jude sei, deshalb ihme die Ausübung seiner Religion und besonders die Auferziehung seiner Kinder in derselben fast ohnerschwingliche Kosten verursache.61 Bereits Isaak Wolfs Vater Isaak Hänlein hatte seit 1762 vergeblich versucht, den Schutz von Opfingen in eine der Gemeinden des Amtes Badenweiler zu verlegen.68 Erst 20 Jahre nach dem ersten Versuch seines Vaters gelang Isaak Wolf Wertheimer die endgültige Schutzverlegung nach Emmendingen: Da er sich aber nunmehro bei der hiesigen Judenschaft vollkommen eingelaßen und ihm das Zeugniß niemand würde verargen können, daß er sich mit den seinigen still und friedlich aufführe und sich auf rechtschaffende Art zu ernähren suche.69 Doch bereits 1786 zog seine Familie weiter nach Niederemmendingen. 70 Die Juden in der Markgrafschaft Hochberg waren also offensichtlich darum bemüht, ihre begrenzten wirtschaftlichen und sozialen Chancen möglichst effektiv zu nutzen.
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GLA Karlsruhe 74/3704, 3720. K. Günther: Emmendinger Juden I (Anm. 7) S. 32, 47. J.A. Zehnter: Zur Geschichte der Juden (Anm. 65) S. 668. StadtA Emmendingen. C/VIII/14 (Ratsprotokoll 1779). 17.2.1779. fol. 13v-14v. In einer Supplik der gesamten Hochberger Judenschaft an den Markgrafen vom 23.12.1775 berichteten diese, daß unsere Kinder schon vom 6ten biß Ilten Jahr theils bei denen Judenschulmeistern, theils in der Synagog, in dem Hebräischen in unseren Ceremonien unterrichtet werden und hierzu ein jede unserer Judenschaft einen Vorsinger und nebst diesem einen Schulmeister halten muß, derer Verköstig[\g\mg\ und Belohnung uns ohnehin schwer fallt. GLA Karlsruhe. 115/199. fol. 26 v . Zu Isaak Wolf vgl. auch den Beitrag von André Holenstein in diesem Band. Zu den Versuchen des Vaters, seinen Schutz zu verlegen, vgl. B. Rosenthal (Anm. 10) S. 212f. Zu Isaak Wolf vgl. auch den Beitrag von André Holenstein in diesem Band. Zur Verstreutheit jüdischer Ansiedlungen und der Problematik, das religiöse Wissen zu tradieren, vgl. Mordechai Breuer, Michael Graetz: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit. Erster Band: 1600-1780. München 1996. S. 187. StadtA Emmendingen. C/VIII/17 (Ratsprotokoll 1782). 5.1.1782. fol. 13v-14v. Vgl. hierzu K. Günther: Niederemmendinger Juden (Anm. 3) S. 23. Wertheimer begründete eine Viehhandelsfiliale zum Geschäft seines Schwagers, des Judenschulzen Jonas Weil von Emmendingen.
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3. Christlich-jüdische Geschäftsbeziehungen Die Emmendinger Juden waren, wie bereits erwähnt, überwiegend im Viehhandel engagiert, in dem sie innerhalb des Amtes eine zentrale Rolle spielten. Die zweitägige Geleitsfreiheit der Juden auf den hochbergischen Märkten wurde immer wieder - wie beispielsweise 1766 - um weitere vier Jahre verlängert. 71 Die Emmendiger Kaufleute betonten 1772, als sie sich gegen die Annahme eines jüdischen Großkaufmanns aussprachen, daß die Juden von der Gattung wie man sie jetzt hier im Lande habe, die nämlich fast allein mit Vieh handien, eben nicht schlechterdingen dem Land schädlich sondern einigermaßen zum Vorschub seyen, indem sie sich mit einem bis 2 Thalern Profit begnügten, von 10 und mehr Stunden gegen baares Geld Vieh vom Schwarzwald herunter zu holen, der Christ aber nicht, vielmehr wiße man bey Christen, die einmal auch auf den Viehhandel sich gelegt, daß sie meisten theils viel schlimmer und gefährlicher als Juden seyen.12 Diese Kaufleute erkannten also durchaus an, daß die Präsenz der Viehhändler auch der christlichen Bevölkerung zum Vorteil gereichte. Der Hochberger Oberamtmann Johann Georg Schlosser sah hingegen in stärkerem Maße die ökonomischen Beschränkungen, die den Juden des Amtes auferlegt waren. 1777 schrieb er an den Markgrafen: Die Juden haben den meisten Viehandel in der Hand; Ihre Armuth erlaubt ihnen aber nicht sich wieder mit gutem Vieh genugsam zu Versehen, noch so ehrlich bei dem Handel zuwege zu gehen, als sie vielleicht sonst tun würden. Um ihren Nahrungsspielraum zu vergrößern, sollte ihnen die völlige Freiheit mit allem und jedem zu handeln gestattet werden - auch Land zu erwerben und zünftiges Handwerk zu lernen.73
71
72 73
StadtA Emmendingen. C/VIII/7 (Ratsprotokoll 1764-1768). 4.10.1766. fol. 156v. Zu den Märkten allgemein H. Maurer (Anm. 10) S. 105. StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 9.4.1772. fol. 224r. GLA Karlsruhe 115/198. fol. l r -2 r und die Supplik des Juden Jonas Weil GLA 115/198. fol. 10v. Von ohndenklichen Jahren her ist die Handelschaft gleichsam eines Juden einziger Pflüg Aker und ganzes Gewerb gewesen, womit derselbe alle Abgaben und alles dasjenige bestreiten muß, was zu seinem notdürfftigen Unterhalt erforderlich ist, diese aber ist dermaßen eingeschränkt, daß nichts weiteres übrig geblieben als der Viehhandel, und auch darinnen sind demselben seine Hände gebunden und dieser seit einiger Zeit gefallen so, daß derselbe keine Erheblichkeit mehr zu nehmen verdient. [...] und daher den Juden seine Nahrung dergestallt benommen worden, daß da er mit anderen Waren nicht handien soll und darff, derselbe zu Haus bleiben und wie ein Gasthoff von seinem wenigen Vermögen zehren.Vgl. H. Maurer (Anm. 10) S. 103; B. Rosenthal (Anm. 10) S. 228f. ; J.F. Battenberg: Europäisches Zeitalter. Bd. 2 (Anm. 5) S. 63-65.
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Die Praxis des Viehhandels und der Kreditgeschäfte zwischen Juden und Christen ist aufgrund der Quellenlage nur punktuell zu rekonstruieren. Doch die Vermögensinventare Emmendinger Bürger, die Ratsprotokolle und Unterpfandsprotokolle, sowie ergänzende Quellen ergeben einige Anhaltspunkte. Im Jahre 1739 etwa trugen der Rotgerber Wilhelm Friedrich Gmehlin und seine Frau Eva Erler dem Emmendinger Rat vor, daß sie in Schulden geraten und sonderheitlich einigen Juden um ein Namhaftes verhafftet seyen. Zur Tilgung dieser Schulden, und um aus dem Juden zinß zu kommen, hätten sie bei Henriette Eberhardina Groß, der Schwägerin des Köndringer Pfarrers Deimling, eine Summe von 300 fl. aufgenommen, wofür sie ihr Haus als Unterpfand einsetzen.74 Die Umschuldung hatte jedoch nichts mit dem Juden zinß zu tun, sondern mit der schlechten Geschäftslage der Rotgerberei. Gmehlin schuldete auch anderen Juden beträchtliche Summen für gelieferte Waren. So hatte Daniel Heilbronner aus Eichstetten 25 fl. und 51 kr. für Felle zu fordern, die Gmehlin dann zuzüglich einem fl. für Unkosten zurückzuzahlen versprach.75 Als Gmehlin sechs Jahre später starb, zeigte sich das ganze Ausmaß seiner Verschuldung. Sein Besitz wurde vergantet, seine Kinder hatten daraufhin wegen der großen SchuldenLast sich des Vätterl. Erbes entschlagen, die hinterbliebene Wittib [...] aber dasselbe auf sich genommen und für die Schulden gestanden.1'' Anfang 1741 wurde der Streit zwischen dem Täufer und herrschaftlichen Meier von Hochberg, Christian Rupp, und dem Emmendinger Juden Jakob Weil vor dem Stadtrat verhandelt. Rupp legte dabei einen Schuldbrief über 700 fl. aus dem Jahre 1736 vor, den er Weil zum Kauf seiner Häuser gegeben habe. Ferner hielt er noch weitere Schuldbriefe in Händen, deren Gesamtsumme inklusive Zinsen sich auf 859 fl. belief. Weil entgegnete, daß Rupp für seine Forderungen Vieh erhalten habe, das laut eines Schuldbriefs vom 15. April 1736 auf einen Wert von 600 fl. veranschlagt wurde. Weitere Schuldbriefe seien noch in seinem Besitz. Ferner fügte Weil an, die Handschrifft vom 15. April hätte ihm der Rupp in der Nacht ins Haus gebracht und habe er solche nicht gelesen, gestalten er nicht Teutsch lesen könne. Rupp widersprach dieser Darstellung energisch. Zwei weitere Juden wurden als 74
75 76
StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 3.10.1739. fol. 70r-70v. Vor allem die evangelischen Pfarrer und Pfarrersfamilien engagierten sich stark im Kreditgeschäft. Sie dürften neben den nicht fürstlichen Bedienten die größten Kreditgeber in der Markgrafschaft Hochberg gewesen sein. Außerdem gab es noch Bürger, die unter der Bezeichnung des Taglöhners im Kreditgeschäft tätig waren und so aufgrund ihrer Vermögensstruktur aus ihrer Berufsgruppe herausragten. Sie nützten geschickt das Vakuum, das ihnen der nicht genau definierte Berufsbegriff in der ständischen Gesellschaft bot. Vgl. beispielsweise hierzu die Biographie von Martin Hertstein (1743-1824): Sein Vermögen lag beim Tod seiner ersten Frau 1796 bei 4625 fl. und damit weit über dem Emmendinger Durchschnitt. Er verlieh Beträge zwischen 100 und 650 fl. kurz- und längerfristig an verschiedene Bürger der Markgrafschaft. Vgl. StadtA Emmendingen. B lb/588. StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 7.8.1739. fol. 90v. StadtA Emmendingen. B lb/1192.
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Zeugen geladen, nämlich Marx Weil und der Judenschulz Herschel David,77 die jedoch beide das Deutsche ebenfalls nicht lesen konnten. Am Ende der Verhandlung verglichen sich beide Parteien.78 Der Fall demonstriert also sowohl enge Geschäfts- und Kreditbeziehungen als auch die Problematik schriftlicher Kontrakte zwischen Christen und Juden. Im Jahre 1744 klagte der Köndringer Bürger Simon Engel gegen den Emmendinger Juden Samuel Weil: Er habe mit demselben in letzterer Fastenzeit einen Tausch von ein paar Ochsen gegen einen einzigen dergestalt getroffen, daß er demselben noch 27 fl Geld und 4 Sester Frucht nachgeben sollen, da er dann auch dem selben das Geld und auf die Frucht 1 Sester gegeben. Tags darauf sei der neu erworbene Stier krank geworden. Daraufhin habe er den Juden informiert, der sich aber nicht gemeldet habe. Am Sonntag darauf mußte er das kranke Tier töten, und der Fleischbeschauer von Köndringen schätzte den Schaden auf 60 fl. Samuel Weil erwiderte, er habe das Tier nur 24 Stunden besessen, denn er habe es von dem Emmendinger Metzger Johannes Frei gekauft. Folglich müsse dieser für den Schaden haften.79 Dieser Vorwurf der geschäftlichen Übervorteilung hatte, soweit sich das feststellen läßt, keine weiteren Folgen für den jüdischen Händler. Bei den meisten anderen christlich-jüdischen Handels- und Kreditgeschäften, die in den Emmendinger Quellen dokumentiert sind, ging es um vergleichsweise geringe Summen. So verkaufte 1727 Johann Kaspar Diefenbach aus dem Münstertal im Namen seiner Frau Maria Magdalena Argast deren ererbtes Haus für 600 fl. an Gustav Friedrich Eccard. Davon sollte Eccard acht fl., neun Batzen und drei Heller an den Juden Hertzel zur Tilgung einer Schuld zahlen.80 1751 schuldete der Wagner Johann Friedrich Küfer dem Juden Jakob Weil noch 33 fl. aus einen Pferdeverkauf. 8 ' Der Wirt Johann Wilhelm Legier hatte 1754 dem Jakob Weil mehr als 174 fl. für die 'Himmlischen Erben' in Gutenbach zu geben.82 Dieser kaufte nach dem 1756 erfolgten Tod des Burgvogts Böck für neun fl. eine Kuh aus der Erbmasse, die er bei der Inventarisierung des Nachlasses noch nicht bezahlt hatte.83 1758 erhob Jung Jakob Weil eine Schuldklage über vier fl. und 30 kr. gegen den Küfer Johann Georg Schöchlin wegen eines nicht bezahlten Kleides seines Stiefsohnes. Schöchlin weigerte sich zu zahlen, da er das Vermögen des Stiefsohnes nicht verwalte. Da er jedoch die Ware angenommen hatte, verpflichtete der
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Zu Herschel David ist nichts weiter bekannt. Er wird auch nur in diesem Kontext erwähnt. StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 10.1.1741. fol. 120v-123v. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 4.6.1747. fol. 12r-13r. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 8.7.1727. fol. 248v-249v. StadtA Emmendingen. B lb/661. StadtA Emmendingen. B lb/823. GLA Karlsruhe 198/83.
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Stadtrat ihn zur Bezahlung. 84 1 IIA beschwerte sich Jonas Weil, daß Georg Schiener von Bahlingen am Kaiserstuhl eine Schuld von fünf fl. und die Zinsen für zwei Jahre für Bettbarchent noch nicht bezahlt hätte.85 Johann Peter Hartmann schuldete 1775 Model Weil für Vieh 20 fl. und 50 kr. und Johann Christian Hartmann im selben Jahr dem Jonas Weil 29 fl. für Vieh sowie dem nicht namentlich genannten Judenschulzenknecht 56 fl.86 Im Jahre 1776 stellte das Oberamt fest, daß es zahlreiche Schuldklagen zwischen Juden und Christen im Bereich des kleinen Tausch- und Warenhandels gab, bei denen die Juden ihre Forderungen oft nicht beweisen konnten und die Christen ihre Unschuld eidlich beteuerten.87 Dieser kleine Tausch- und Warenhandel war es, der die Haupterwerbsquelle der Hochberger Juden bildete. Im Gegensatz zu den Elsässischen Juden ist ihre Bedeutung im Geldgeschäft nur gering zu veranschlagen, auch wenn sich immer wieder Belege für derartige Geschäfte finden.88 Der strukturelle Unterschied zwischen den Geschäften der Emmendinger und der Elsässer Juden wird am Beispiel der Beziehung zwischen dem Emmendinger Metzger Matthias Öttlin und seinen elsässischen Gläubigern deutlich. Matthias Öttlin (1692-1746) gab 1741 sein Bürgerrecht in Colmar auf und zog mit seiner zweiten Frau nach Emmendingen. 89 Er wurde dort 1745 als Bürger angenommen und übernahm die Sonnenwirtschaft. Kurz vor seinem Tod heiratete er im Oktober 1746 in dritter Ehe Anna Ursula Rist, die Witwe des Johann Georg Schwörer.90 Als er im November 1746 starb, wurden bei der Inventur seines Vermögens und der Feststellung seiner Erben seine Zahlungsschwierigkeiten offenbar und sein Besitz vergantet. Neben zahlreichen christlichen Hochberger und Colmarer Gläubigern meldeten sich auch Juden aus dem Elsaß. Ein Jude namens Hänlen Korn von Hattstatt, vertreten durch den Schutzjuden Isaak Docker von Niederemmendingen, forderte laut einer Quittung der Colmarer Stadtkanzlei aus dem Jahre 1741 einen Betrag von 9Vi Louisdor, was einer Summe von 115 fl. und 55 kr. entsprach. Der jüdische Handelsmann Götschel Bloch aus Winzlau im Andlauischen erschien persönlich in Emmendingen und forderte laut einem Colmarer Magistratsurteil vom März 1743 13 Louisdor und die Gerichtskosten, insgesamt eine Summe von 255 fl. und 13 kr.91 Stärkere Gemeinsamkeiten weist die Stellung der Emmendinger Juden im lokalen Handel mit Getreide, Textilien, gelegentlich auch mit Fleisch, und im Kre84 85 86 87 88
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StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 18.9.1758. fol. 41v. GLA Karlsruhe 61/6701 (Oberamtsprotokoll, Oktober 1774). Nr. 1713. fol. 313'. StadtA Emmendingen. B lb/543. GLA Karlsruhe 74/3745. Vgl. hierzu die ausgezeichnete Studie zum Kreditmarkt elsässischer Juden von Jean Daltroff: Le prêt d'argent des Juifs de Basse Alsace (1750-1791). Straßburg 1993 (Collection Recherches et documents. Bd. 50. Publication de la Société Savante d'Alsace et des régions de l'est). StadtA Emmendingen. B lb/936. Evang. PfarrA Emmendingen. Hochzeitsbuch Emmendingen. Eintrag 18.10.1746. StadtA Emmendingen. B lb/936.
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ditwesen mit derjenigen der meisten ostschwäbischen Landjuden auf. Wie diese arbeiteten sie überwiegend im Kleinhandel und erfüllten besonders im Viehhandel eine wichtige Funktion für das überwiegend ländlich geprägte Oberamt und die Amtsstadt mit ihren Ackerbürgern.92 Daher ist es notwendig, die ökonomische Funktion und Bedeutung der kleinstädtischen und ländlichen Judengemeinden in ihrem regional spezifischen Kontext zu untersuchen und mit anderen Territorien des Alten Reiches zu vergleichen, was - wie bereits gezeigt werden konnte - hinsichtlich der Stellung der Juden im Kredithandel signifikante regionale Unterschiede offenlegt. Die vergleichsweise geringe Kapitalkraft der Emmendinger Juden wird daraus ersichtlich, daß die meisten von ihnen bei christlichen Bürgern verschuldet waren. Der Emmendinger Strumpfstricker Johann Nikolaus Parell etwa hatte Elias Heilbronner aus Eichstetten 1748 75 fl. und Simon Weil aus Niederemmendingen 1749 21 fl. zu fünf Prozent geliehen.93 1760 nahm Jakob Weil der ältere von der Burgvogtei Hachberg 141 fl. zu sechs Prozent auf, um einen Garten in der Vorstadt zu kaufen. Als Unterpfand setzte er einen Hausplatz und ein Haus in der Vorstadt im Wert von 1400 fl. und zusätzlich sein Haus in der Kirchgasse, aber ohne die Judenschul, ein, welches für 400 fl. angeschlagen worden war.94 Im Jahre 1778 nahm Jonas Weil von Stadtratssekretär Baurittel ein Kapital von 600 fl. auf und gab als Unterpfand sein Haus, das in der Brandversicherung auf 1.600 fl. angeschlagen worden war. 1780 lieh sich Weil bei Baurittel weitere 200 fl., und 1783 nochmals 150 fl.95 1784 übergab Jonas Weil eine Afterhypothek an Baruch Schwab, den StiefVater seiner Bruderkinder Moses und Juditha Weil.96 Model Weil nahm 300 fl. bei Hofrat Wild in Durlach auf und schuldete seinen Bruderkindern Moses und Juditha Weil ein Kapital von 138 fl., wofür er als Unterpfand sein Haus in der Kirchgasse einsetzte.97 1777 liehen sich Elias Weil und seine Frau Ester von Bürgermeister Zimmermann zur Beförderung des scheinbaren Nutzens 300 fl., wofür sie als Unterpfand ihr halbes Haus einsetzen.98 Bei Zimmermann war auch Zacharias Reutlinger von Niederemmendingen mit 110 fl. verschuldet.99 Im Jahre 1788 schuldete Reutlinger außerdem dem Handelsmann Johann Michael Vulpius 55 fl.,'00 und 1793 stand er bei Christian Heinrich Hartmann mit sechs fl. und 12 kr. in der Kreide.101 Baruch Schwabs Judenknecht hatte 1793 1,20 fl. 92
R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 42) S. 154-182, hier S. 171f. StadtA Emmendingen. B lb/244. 94 StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1750-1778. fol. 77. 95 StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1778-1790. fol. 4r-6r, 11, 40r"40v. 96 StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1790-1800. fol. 1 und C/VIII/18 (Ratsprotokoll 1783-87) fol. 220r-222r. 97 StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1790-1800. fol. 13, 23. 98 StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1750-1778. fol. 35. 99 StadtA Emmendingen. B lb/1535. 100 StadtA Emmendingen. B lb/1380. "" StadtA Emmendingen. B lb/547. 93
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Schulden bei Christian Heinrich Hartmann stehen.102 Die Emmendinger Juden, so läßt sich zusammenfassend feststellen, partizipierten am Kreditmarkt des Amtes Hochberg, doch hatten sie dort keineswegs eine dominierende Stellung inne und erscheinen mindestens ebenso häufig als Schuldner wie als Gläubiger der christlichen Einwohner. Aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse waren ihre geschäftlichen Möglichkeiten eng begrenzt.
4. Konflikte zwischen christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit in Emmendingen Unter den Streitpunkten zwischen Christen und Juden in Emmendingen ist keiner so gut dokumentiert wie die Schwierigkeiten, die das Schächten von Tieren mit sich brachte. In der Markgrafschaft Hochberg durften die Juden ihre Tiere nur beim christlichen Metzger Schächten. Wiederholt baten die jüdischen Bewohner darum, dies selbst vornehmen und auch die Reste des Fleisches verkaufen zu dürfen.103 1748 schächtete Jakob Weil einen kranken Ochsen und vergrub ihn in seinem Garten, wahrscheinlich um nicht den Wasenmeister holen zu müssen. Diese Tat wurde jedoch rasch aufgedeckt, da das Fleisch wegen des S. V. Gestankes aber der Wasenknecht wieder ausgraben und wegfuhren müßen, ingleichen da sein dienstbub davon bey 40 Ib in die Elz theils in eine Hecken dabey geworfen. Weil mußte für sein Vergehen eine relativ geringe Strafe von zwei fl. zahlen.104 1755 beschwerte sich die Metzgerzunft, daß die Juden der Hochbergischen Ortschaften das ihren Ceremonien nach ihnen verbotene Fleisch oder nicht koschere an die Christen verkaufen würden und dies verboten werden sollte.105 Jonas Weil, der Judenschulz, beschwerte sich 1769 über die Weigerung des Metzgers Georg Jakob Trautwein, Tiere zu Schächten, da er es ihme zumal auf ein Kindbett versprochen gehabt. Trautwein entgegnete, er hätte sein Versprechen zurückziehen müssen, weil er an der Haut des Tieres drei fl. verloren hätte. Trautwein versprach aber, er wolle dem Jud [...] auf seines Kindes beschneidung 102 103
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StadtA Emmendingen. B lb/547. GLA Karlsruhe 137/167. Zur Problematik vgl. auch B. Rosenthal (Anm. 10) S. 205; A. Lewin (Anm. 43) S. 16. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 21.1.1748. fol. 192 r -192 v . Zur Bedeutung des S.V. in der verschriftlichten Form von Aussagen, in denen 'unfeine Ausdrükke' des Volkes von den Beamten extra gekennzeichnet wurden, vgl. David Warren Sabean: Soziale Distanzierung. Ritualisierte Gestik in deutscher bürokratischer Prosa der Frühen Neuzeit. In: Historische Anthropologie 4. 1996. S. 216-233. StaatsA Freiburg. LRA Emmendingen B 698/5-20. Beschwerde der Hochberger Metzgerzunft vom 11.2.1755. Zum Fleischverkauf vgl. auch R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 42) S. 171 f.
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Fleisch verschaffen, und wurde vom Stadtrat angehalten, der Juden Kindbetterin, und auf der bevorstehenden Beschneidung geschächtetes Fleisch nach Nothdurfft zu beschaffen.'06 Einige Jahre später übte Trautwein sein Handwerk nicht mehr aus und widmete sich ausschließlich der Gastwirtschaft und dem Ackerbau. Er war mittlerweile zum Bürgermeister gewählt worden und mußte sich nunmehr mit der Problematik des Schächtens in seiner Funktion als Vertreter der städtischen Obrigkeit auseinandersetzen. 1778 hatte der Metzger Frick gelegenheitlich der verweigerten Schächtung eines Ochsen vor die Juden den äußersten Ungehorsam und die größte Grobheit gegen Ihm bezeugt.107 Frick versuchte offenbar wiederholt, besonderen Profit aus Geschäften mit Juden zu schlagen. Jonas Weil zeigte 1793 an, daß die drei Pfund Rindfleisch, die er bei Metzger Frick geholt habe, um mehrere Lot zu leicht gewesen seien. Der Bürgermeister stellte am gleichen Tag eine Untersuchung an und befand das Fleisch um 2 Vi Lot zu leicht. Frick mußte deswegen drei fl. Strafe zahlen.108 Im Jahre 1778 erlaubte der Markgraf den Juden das Schächten vom St. Gallustag bis zur Mainacht. Was nicht zum Eigengebrauch bestimmt war, durften die Juden bis zu einer Höchstmenge von 20 Pfund offiziell verkaufen. Ferner werden die Metzger angewiesen, in Absprache mit dem Judenvorsteher zu Schächten.109 Ließen die Juden auswärts Schächten, beklagten sich die Metzger über den finanziellen Verlust, der ihnen daraus entstünde. 1795 beschwerte sich der Metzger Diehr über Sandel Samuel, daß dieser Vieh im nahegelegenen katholischen Heimbach schachten ließe und anschließend das koschere Fleisch an die Emmendinger Judenschaft verkaufen würde. Sandel Samuel sagte vor dem Stadtrat daraufhin aus, er hätte sich damit als ein armer Mann ernährt, wüßte nicht das es verboten. Es sei allgemein bekannt, daß viele Juden ihr Fleisch in Niederemmendingen holen würden, obwohl sich genügend koscheres Fleisch in der Metzg befände. Der Stadtrat erließ daraufhin eine Verordnung, der zufolge es den Emmendinger Juden lediglich erlaubt war, bei den städtischen Metzgern Fleisch zu kaufen." 0 Die Konflikte um das Schächten sind deswegen besonders aufschlußreich, weil sie einen Schnittpunkt von kultischen Traditionen und handfesten ökonomischen Interessen bezeichnen. Die christliche Mehrheit in Emmendingen wußte und akzeptierte prinzipiell, daß die jüdische Bevölkerung in diesem Bereich spezifische Bräuche und Traditionen pflegte. Konflikte ergaben sich, sobald die christlichen Metzger ihren Gewinn für zu gering ansahen. Daß sich die Einstellung zu dem Problem mit der jeweiligen Stellung in der Gemeinde änderte, kann am Beispiel Bürgermeister Trautweins gezeigt werden. Als er sein Geld noch mit dem Beruf des Metzgers verdiente, war ihm der ökonomische Aspekt wichtig. Nachdem er 106 107 108 109 110
StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 13.7.1769. fol. 40v. StadtA Emmendingen. C/VIII/14 (Ratsprotokoll 1779). 15.4.1778. fol. 27v. StadtA Emmendingen. C/VIII/20 (Ratsprotokoll 1791-1795). 17.10.1793. fol. 204r-204v. StaatsA Freiburg. LRA Emmendingen B 698/5-20. StadtA Emmendingen. C/VIII/20 (Ratsprotokoll 1791-1795). 9.3.1795. fol. 324r-326r.
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aber seinen Beruf niedergelegt, seinen Lebensunterhalt im Ackerbau und in der Wirtschaft gefunden und ein städtisches Amt übernommen hatte, zeigte er kein Verständnis mehr für die Haltung seines Zunftgenossen. Da die jüdischen Bewohner rechtlich den Stadtbürgern nicht gleichgestellt waren und ihr Schutz vom Landesherren, vertreten durch das Oberamt, abhing, hatten sie auch keinen Anspruch auf gleichberechtigte Nutzung der städtischen Ressourcen wie der Allmende oder des Holzes aus den Gemeindewaldungen.'" Insbesondere waren die Weidemöglichkeiten für das Vieh der jüdischen Bewohner eng begrenzt.112 1757 etwa versuchte die Stadt, das Weiden von Vieh, welches den Juden gehörte, ausschließlich auf den Platz vor dem Schulhaus zu beschränken.113 Sechs Jahre später erhielten die Juden anstatt dieses Platzes das Mühlengrün als Weide zugewiesen," 4 und 1768 wurde die Anzahl der Tiere, die eine Familie auf die Gemeindeweide treiben durfte, auf maximal drei festgelegt.115 Diese Knappheit der Weidegründe stellten für die im Viehhandel tätigen jüdischen Bewohner naturgemäß ein ernsthaftes Problem dar, und Verletzungen dieser eng gesteckten Grenzen bildeten daher einen weiteren zentralen Problembereich der christlichjüdischen Beziehungen in Emmendingen. Daniel Heilbronner beispielsweise mußte 1719 zwei fl. und sechs Batzen Strafe zahlen, da er vier Stück Vieh auf dem Rieder im Sandweg gehütet und angeblich dort großen Schaden angerichtet hatte.116 1720 hatte Herzel Bickert sein Pferd auf Joseph Schöchlins und Martin Argasts Gerstenacker laufen lassen und bezahlte dafür an Schöchlin drei Sester und an Argast zwei Sester Gerste. Außerdem hat er zwei fl. an die Stadtkasse zu zahlen."7 Neun Jahre später verletzte Bickert erneut eine bestehende Regelung, als er ein Pferd acht Tage lang auf die Weide trieb und weitere vier Pferde auf dem Mühlengrund weiden ließ. Dieses Vergehen kostete ihn zwei Kronen. Auch Jakob Weil hatte sein Pferd ohne Hirten weiden lassen und zahlte dafür zur selben Zeit eine Krone Strafe.118 Der Gärtner Nagel verklagte 1746 Jakob Weil und den Lehijungen des Adlerwirts Christian Friedrich Legier, weil sie einen Stier in sein Gerstenfeld laufen ließen, wofür Weil mit 10 Batzen bestraft wurde.119 1762 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Knecht des Schutzjuden Model Weil, denn dieser war 111 1,2
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Vgl. hierzu J.F. Battenberg: Rechtliche Rahmenbedingungen (Anm. 18) S. 54f. Konflikte um Weiderechte waren häufige Streitpunkte im Zusammenleben von Christen und Juden, da dort die Interessen von Viehhändlern und Viehhaltern kollidierten. Vgl. hierzu R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 42) bes. S. 173-175 und R. Jakob: Erwerbs- und Sozialstruktur (Anm. 15) S. 77. StadtA Emmendingen. C/VIII/5 (Ratsprotokoll 1750-1757). 6.5.1757. fol. 295r. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 19.4.1763. fol. 265v. StadtA Emmendingen. C/VIII/7 (Ratsprotokoll 1764-1768). 10.3.1768. fol. 260r. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 9.5.1719. fol. 18r. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 2.8.1720. fol. 141r. StadtA Emmendingen. C/VIII/2 (Ratsprotokoll 1718-1735). 20.10.1729. fol. 299'. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 7.11.1746. fol. 140r-140v.
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auf sein [des Model Weils, M. S.-H.] Geheiß mit dem Viehwayd über die den Juden angewiesenen Gränzen gefahren, hat auf geschehene Warnung sogar den Waydbuben weggejagt und endlich dem Bannwart sich nicht nur widersetzt, sondern auch angegriffen, zu boden geworffen und sich verlauten laßen, daß er noch sein Leben an ihm wagen wolle. Für diese Vergehen zahlte Model Weil drei fl. Strafe in die Stadtkasse, während der Knecht einen Tag im Gefängnis verbringen mußte.120 Die Zahl dieser Vergehen war im Verhältnis zu denjenigen der christlichen Emmendinger aber relativ gering, und bisweilen wurden Christen und Juden gemeinsam wegen Verstößen gegen die Weideregeln sanktioniert. 1762 etwa mußten wegen schädlichen Viehweidens die beiden Emmendinger Bürger Johann Michael Knoderer und Johann Michael Schindler 40 bzw. 30 kr., der Jude Simon Weil von Niederemmendingen 30 kr. entrichten.121 1770 zahlten Veit Samuel und Matthias Herrje einen fl. und 30 kr., weil sie gegen Weideverbote verstoßen hatten.122 Auch die Zahl der Injurienklagen, in die Juden verwickelt waren, ist im Verhältnis sehr gering. Den etwa 150 Injurienklagen unter den christlichen Einwohnern im Zeitraum von 1660 bis 1800 stehen lediglich fünf zwischen Christen und Juden gegenüber. So klagte 1718 Hans Georg Felder gegen Moses Weil, daß dieser ihn wegen seiner ausstehenden Schulden auf öffentlicher Gasse einen S.V. Schelm und Dieb gescholten habe. Da diese Beschimpfungen viele Umstehende gehört hatten, mußte Weil zwei fl. Strafe in die Stadtkasse zahlen.123 Während sich die Beschimpfungen hier in dem auch unter Christen üblichen Rahmen hielten, war der Ausfall Jakob Weils gegen den Emmendinger Bürgermeister Willius 1747 schon gravierender. Willius mußte nämlich einen Ochsenhandel des Jakob Weil mit Teninger Bürgern untersuchen. In diesem Zusammenhang nannte ihn Weil einen Nachtbürgermeister, Willius habe ihn S. V. nichts zu befehlen wann er ihn Wmahl Vorbieten lasse, so erscheine er nimmer. Ferner drohte er dem Bürgermeister, er habe vor ihm die Tag und Nachtruh nicht mehr, wann er den Kopf zum Fenster nur herausstrecke, so schmähe er ihm. Dabei hatte Weil dem Bürgermeister ettlich Streiche bey dem Vergehen gegeben. Jakob Weil bestritt diese Invektiven und sagte aus, er habe sich vergangen, seye dergleichen anderen leuthen auch schon geschehen, begehre keine weitläuffigkeit. Auch hier blieb die Strafe für die begangenen Verbal- und Realinjurien innerhalb des auch bei Chri-sten üblichen Rahmens. Weil hatte Willius gebührliche Abbitte zu tun und wurde für zweimal 24 Stunden ins Häusle gesteckt. Ferner zahlte er noch eine Geldstrafe von zwei fl. und 40 kr.124
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StadtA StadtA StadtA StadtA StadtA
Emmendingen. Emmendingen. Emmendingen. Emmendingen. Emmendingen.
C/VIII/6 C/VIII/6 C/VIII/8 C/VIII/1 C/VIII/4
(Ratsprotokoll (Ratsprotokoll (Ratsprotokoll (Ratsprotokoll (Ratsprotokoll
1758-1763). 1758-1763). 1769-1773). 1701-1718). 1744-1749).
2.8.1762. fol. 223 v . 2.11.1762. fol. 228 r -228 v . 6.10.1770. fol. 114v. 21.7.1718. fol. 223 r . 20.3.1747. fol. 165v.
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Jakob Weil stand 15 Jahre später noch einmal wegen Verbalinjurien vor dem Stadtrat. Sein Vieh war vom Bannwart gegen die Behörde auf der Feldeinung angetroffen worden, die vom Bürgermeister angesetzt worden war. Als er ihn deswegen ermahnte, entgegnete Weil, der Bürgermeister habe den Juden kein S. V. zu befehlen, dann sie stunden unter dem Oberamt.125 Bannwart Heß klagte den Juden wegen ehrenrührige[n] Reden und Ausfölle[n] gegen den Bürgermeister an. Weil sagte aus, er habe nur gesagt der bürgermeister Eccard thue ihm jedesmal so hungrig mit seinem Vieh, was ihm fünf fl. Strafe einbrachte.126 Veit Samuel und Selig Samuel und der Bannwart Jakob Friedrich Heimhofer hatten sich 1772 gegenseitig mit Scheltworten belegt. Die beiden Juden mußten daraufhin je drei fl. Strafe zahlen, da aber des Heimhofers Verwünschungen denen Scheltworten nicht zu vergleichen seyen, so werde er von der Stadt absolviert,127 Während Grenzverletzungen im Bereich des Weidgangs bei den Juden trotz der Knappheit des Weidelandes relativ selten waren und diese genauso wie derartige Vergehen der christlichen Bewohner bestraft wurden, zeigen sich im Falle der Ehrverletzungen Unterschiede. Dies gilt vor allem für die Beschimpfungen zwischen den jüdischen Bewohnern und den Vertretern der städtischen Obrigkeit und Verwaltung. Hier wurden die Beschimpfungen der Juden stets als gravierender eingestuft als die ihrer christlichen Kontrahenten, die selten finanziell zur Kasse gebeten wurden. Eine Möglichkeit, die unterschiedliche Behandlung christlicher und jüdischer Urheber von Ehrverletzungen zu erklären, liegt in der Verschiedenheit der rechtlichen Rahmenbedingungen. Während sich Streitigkeiten zwischen christlichen Amtspersonen und Bürgern unter rechtlich gleichgestellten Bürgern abspielten, wurde im Falle der jüdischchristlichen Ehrenhändel ein Bürger und Ratsverwandter von einem unter dem Schutz des Oberamts stehenden Juden beleidigt; diese Ungleichheit der Rechtsstellung wurde in den Verhandlungen vor dem städtischen Gericht stets deutlich. In gewisser Weise handelte es sich dabei also um Angriffe von außen. Andererseits waren die jüdischen Einwohner auch wiederem soweit in die kleinstädtische Gesellschaft integriert, daß ihnen keine höhere finanzielle Strafe als den christlichen Bewohnern aufgebürdet wurde.
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StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 2.11.1762. fol. 228v-229r. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 15.12.1762. fol. 240v-241r. StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 1.10.1772. fol. 244r-244v.
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5. Beziehungen und Konfliktregelungen innerhalb der jüdischen Gemeinde Die Juden unterstanden in innergemeindlichen Belangen einem jüdischem Gericht, das weitgehend autonome Befugnisse hatte, zivilrechtliche Streitigkeiten innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft, Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten, Vormundschaften und Verstöße gegen die Glaubensgemeinschaft zu regeln.128 Die Frage, welchem Rabbinat die hochbergischen Juden unterstellt sein sollten, war lange Zeit nicht geregelt. So wurde 1718 vom Markgrafen verfugt, zur Abhelffung der jezuweilen zwischen gemeiner Judenschafft sich ereignenden Zänckereyen und Händeln, darüber sie ohne beyhülfe eines gelehrten und verständigen Juden nicht wohl vergleichen möchten, die elsässischen Rabbiner von Rappoltsweiler und Metz heranzuziehen.129 Zwei Jahre später erhielten jedoch die oberländischen baden-durlachischen Juden, die sich zu einer Landjudenschaft, d. h. zu einem Gesamtverband aller Schutzjuden eines Herrschaftsgebietes, zusammengeschlossen hatten, einen eigenen Rabbiner.130 Sie bestellten den damals 30jährigen David, der sich in Sulzburg niederließ. Für Emmendingen unterschrieben Herzel Pickard, Marx Weil und Moses Gideon die entsprechende Urkunde. 1738 kam es wegen des Rabbinats zu Auseinandersetzungen zwischen den markgräflichen Juden und David Günzburger von Breisach, in denen auch eine Abordnung der Emmendinger Juden - Moses Gideon, Jakob Weil, Marx Weil alt, Marx Weil jung, Alexander Weil und Nathan Sulzer - Stellung bezog. Ende 1753 fanden sich die oberländischen Juden zu einem Judenlandtag in Emmendingen ein, um über die Bestreitung der Rabbinergebühren zu verhandeln.131 Die jüdische Gemeinde Emmendingens war, da sie in einer Amtsstadt lag, trotz ihrer geringen Zahl neben Eichstetten, Ihringen und Sulzburg eines der Zentren der jüdischen Bevölkerung in der Markgrafschaft Baden-Durlach. Vor allem der Friedhof, in dem auch die Eichstetter, Ihringer und Niederemmendinger Juden begraben wurden, zeigt die zentrale Bedeutung der Gemeinde. Bereits 1717 richteten die Emmendinger Juden eine Supplik an das Oberamt, ihre Toten in Emmendingen bestatten zu dürfen und nicht nach Sulzburg, wo sich bis dahin der einzige jüdische Friedhof befand, überfuhren zu müssen. Eine Jüdin war nämlich am Freitag gestorben, und die Juden konnten sie wegen ihres hereinbrechenden Schabbes und die von Österreich fordernden all zu hohen Regales nicht mehr dorthin überftih-
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Vgl. hierzu M. Breuer: Deutsch-jüdische Geschichte (Anm. 68) bes. S. 163-166. GLA Karlsruhe. 115/201. fol. l r . Zu Landjudenschaften vgl. allgemein M. Breuer: Deutsch-Jüdische Geschichte (Anm. 68) S. 187-200. Dieser Absatz stützt sich auf GLA Karlsruhe. 115/201. Vgl. allgemein J.F. Battenberg: Rechtliche Rahmenbedingungen (Anm. 18) S. 75.
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ren.'32 Hinzu kam, daß jüdische Tote noch am selben Tag bestattet werden sollten. Sollte dieser Tag ein Sabbat oder Festtag, oder der Rüsttag (Tag vor dem Sabbat) sein, mußte die Beerdigung warten.133 Der Friedhof als 'Symbol von Zeit und Raum', wie Werner Cahnmann es beschrieb, war Verbindung zu den Ahnen und Symbol der Heimat. Die erste Sorge der Juden sei, sobald sie sich an einem Ort niederlassen konnten, die Erwerbung eines Begräbnisgrundes gewesen, der sich häufig im offenen Land befand.134 Über einen längeren Zeitraum hinweg fanden auf dem Emmendinger Friedhof, der 1735 erweitert wurde,135 auch Breisacher Juden eine Ruhestätte, ehe sie 1755 einen eigenen Friedhof erhielten.136 1763 zahlten die Emmendinger Juden 130 fl. für einen neuen Begräbnisplatz.137 In den 1780er Jahren kam es wegen des Friedhofs zu einer Auseinandersetzung zwischen den Juden und der Stadt. Aufgrund der Anlage und Bewässerung neuer Wiesen in der Nähe des Friedhofes würden die Juden bei nahe nicht mehr auf den Gottesacker kommen und die Friedhofsmauer durch das Eindringen des Wassers beschädigt. Die Emmendinger Juden, so schlug der Stadtrat vor, sollten ihr Totenhäuschen versetzen und den Eingang des Friedhofs verlegen, wozu die Stadt auch ihren finanziellen Beitrag leisten wolle. Der Vertreter der Hochberger Juden, der Emmendinger Selig Samuel wandte darauf ein: auch dörften sie nach ihren Gesetzen keine Todten über die schon vorhandenen Gräber führen, und weil viele auf der unteren Seithe gegen die Straß schon stünden, hätten sie sich wieder sehr einzuschränken. Selig Samuel sollte sich mit der Judenschaft beraten und dann dem Rat seinen Entschluß mitteilen. Da keine weiteren Einträge in den Ratsprotokollen vorhanden sind, scheint es zu einer Einigung gekommen zu sein.138 Die kurze Bemerkung Selig Samuels über die religiösen Aspekte des jüdischen Begräbnisses läßt die Bedeutung des Ortes für die Hochberger Juden erahnen. Bereits 1776 hatte sich Selig Samuel beschwert, daß Jakob Rieflin zwei Zwetschgenbäume auf dem Judenbegräbnis eigenmächtig umgehauen habe. Er mußte dafür einen fl. Strafe zahlen.139 Rieflin verstieß in diesem Fall nicht nur gegen das Eigentumsrecht der
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GLA Karlsruhe 137/166. Vgl. R. Schwemmer (Anm. 7) S. 40-44. R. Schwemmer (Anm. 7) S. 12. Werner J. Cahnmann: Der Dorf- und Kleinstadtjude als Typus. In: Zeitschrift für Volkskunde 70. 1974. S. 169-193, hier S. 180. StadtA Emmendingen B VIII/6-3. Vgl. R. Schwemmer (Anm. 7) S. 55f. Vgl. die ausgezeichnete Dokumentation jüdischer Grabsteine in R. Schwemmer (Anm. 7) S. 127-176, bes. Nr. 11,12, 19, 43, 51. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). fol. 291v-292r. Vgl. auch R. Schwemmer (Anm. 7) S. 56f. StadtA Emmendingen. C/VIII/18 (Ratsprotokoll 1783-1787). fol. 218v-221r, Zitat 219v. Vgl. hierzu R. Schwemmer (Anm. 7) S. 63f. StadtA Emmendingen. C/VIII/11 (Ratsprotokoll 1776). 1.2.1776. fol. 14r
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jüdischen Gemeinde, sondern auch gegen den jüdischen Brauch und verletzte damit die Totenruhe.140 Auch innerhalb der Judenschaft kam es zu Konflikten. Da inneijüdische Konflikte zumeist von einem Rabbiner verhandelt wurden, sind nur relativ wenige derartige Fälle überliefert, die dennoch gewisse Strukturen erkennen lassen. Häufige Konfliktgründe waren offenbar Wiederverheiratungen und Erbfälle. Wiederverehelichungen eines Elternteils waren nicht selten, da jüdische Witwen oft heirateten, um die ökonomische Basis der Familie zu sichern, und die Heirat mit einer Witwe einem jüdischen Mann die Möglichkeit gab den, Schutz des 'Ehevorfahrens' auf sich zu ziehen.141 Welche Probleme sich aus einer solchen Wiederverheiratung ergeben konnten, zeigt das Beispiel der Witwe eines der ersten Emmendinger Juden, Moses Weil. Ein Jahr nach dem Tod Weils im Jahre 1732 heiratete seine Mutter Jentha Josefa Dreifuß Nathan Sulzer aus Grusenheim im Elsaß,142 der im gleichen Jahr den Schutz erhielt. In der Folgezeit gerieten die Eheleute Sulzer immer tiefer in Schulden. So nahmen sie mit ihrem Beistand Alexander Weil bei dem Stabhalter Nikolaus Schmid von Köndringen 100 fl. auf und gaben als Unterpfand der Frauen Haus zwischen der Landvogtei und Michael Siebenhaar, dergestalten, als wann Sie mit bezahlung zinnß und Capital auf bestimbte Zeit nicht einhalten würden, der Debitor macht und Gewalt haben solle, das Unterpfand anzugreifen und sich also bezahlt zu machen. Jentha Josepha Dreifuß verzichtete dabei explizit auf alle dem weibl. Geschlecht zu statten kommende Beneficium,143 Dieser Verzicht auf die weiblichen Rechte zeigt, wie prekär die finanzielle Lage der Familie war. 1750 wurde Nathan Sulzer des Landes verwiesen. Im Jahre 1756, sechs Jahre nach dem erzwungenen Weggang seines Stiefvaters, stellte Jentha Josepha Dreifuß' Sohn aus erster Ehe, Jakob Weil, der zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet war, ein Gesuch um Schutzannahme. Er habe, so Jakob Weil in seinem Gesuch, einen StiefVater gehabt, nahmens Nathan Sulzer, welcher von seiner Mutter aus Armuth weggegangen sei und 280 fl. Schulden auf sein väterliches Haus gemacht habe. Weil führte an, daß mein gewesenser Stiefvater nicht nur ein ziemliches von meinem väterlichen Vermögen durchgebracht, sondern auch sich endlich flüchtig gemacht, und meine Mutter mir zur Erhaltung 140 141
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Zur Funktion und Bedeutung des Friedhofs vgl. R. Schwemmer (Anm. 7) S. 21 f. Der Schutzjudensohn Mejer Levi (geb. 1772 Eichstetten) zum Beispiel suchte um Annahme nach, nachdem er sich mit Selig Samuels Witwe verlobt hatte. Diese hatte vier unerzogene Kinder, darunter einen simpelhaften Stummen. Die Witwe könne die Viehhandlung nur mit einem Knecht weiterfuhren, woraus großer Schaden entstehe. Mejer Levi würde 600 fl. einbringen und den Handel fortfuhren. Er wurde in den Schutz aufgenommen. StadtA Emmendingen. C/VIII/20 (Ratsprotokoll 1791-1795). 15.3.1792. fol. 144r-144v. Die Familie Sulzer und der eigentlich nur in dieser Familie vorkommende Vorname Nathan sind für das ganze 18. Jahrhundert im elsässischen Grusenheim belegt. Dénombrement Général des juifs, Qui font tolérés en la Provincia d'Alsace, en exécution des Lettres-Patentes de la Majesté, en forme de Règlement du Juillet 1784. Colmar 1784. S. 94. StadtA Emmendingen. C/VIII/3 (Ratsprotokoll 1736-1744). 5.3.1724. fol. 149v-150v.
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zurückgelassen. Als sein Stiefvater 1750 fortgegangen war, stand er im Elsaß (der Herkunftsregion seines Stiefvaters) in Diensten. Seit diesem Zeitpunkt hatte er wiederholt um Schutz nachgesucht und im Anschluß an seine elsässischen Dienste ein Jahr in Karlsruhe Handel getrieben. 1756 wurde ihm der Schutz schließlich bewilligt.144 Zwei Jahre später machte ihm die Stadt allerdings die Auflage, er solle sein Haus bei der Landvogtei wegen Sicherheitsmängeln abbrechen und im Frühjahr neu auffuhren, sonst werde es zwangsweise verkauft.145 Anläßlich von Eheschließungen legten die Emmendinger Juden die Ansprüche beider Partner bisweilen in Eheverträgen fest. Einer der ersten Hinweise auf einen derartigen Vertrag findet sich im Ratsprotokoll des Jahres 1745. Jakob Weil überschrieb darin seinem Tochtermann Moses Weil außer der Ehesteuer einen Bauplatz bei der Burgvogtei. Bis das Haus gebaut war, sollte das junge Ehepaar im Hause des Vaters wohnen. Beide Männer setzen ihre Unterschrift unter den Vertrag, Jakob auf hebräisch, Moses auf deutsch.146 Daß das Zusammenleben auf so engem Raum nicht ohne Probleme abging, zeigt ein Ratsprotokolleintrag aus dem folgenden Jahr. Alexander Weil und Veit Samuel klagen dort nämlich gegen Jakob Weil, daß derselbe verwichenen Samstag an ihrem Schabbes, nachmittags wie Sie wieder in ihre Schulen gehen wollen, in seines tochtermanns Stuben, wo sie beede Kläger niederst gesessen mit einer Hauen auf sie beede looß gegangen und wie man ihm selbige aus der hand gewunden, ihnen davor in die Haarn gefallen und Sie daran gezogen, alles ohne den geringsten ihme gegebenen Anlaß. Jakob Weil gestand dies ein, denn er wollte die Kläger in seinem Hauß nicht leyden, dann wann schon sein tochtermann darinnen wohne, so seye doch das hauß sein. Moses Weil bestätigte die Aussage der Kläger, und sein Schwiegervater Jakob Weil mußte drei fl. Strafe zahlen. Jakob Weil erhob gegen die beiden Kläger seinerseits den Vorwurf, Wann er was handle und in seinem haus was sage, so seye er gleich bei Ihnen 2 Verrathen, und werde hernach selbiger durch sie verdorben, und forderte den Rat der Stadt auf, Alexander Weil und Veit Samuel zu verbieten, sein Haus zu betreten.147 Warum dieser Fall vor dem Rat verhandelt wurde, ist fraglich. Da es sich um einen innerjüdischen Konflikt handelte, wäre 144 145
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GLA Karlsruhe. 137/168. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 5.7.1758. fol. 23v. Bereits im September 1755 hatten Jakob Weil und seine Mutter durch den Feuerbeschauer die Mahnung erhalten, in dem Haus bey der Landvogtey solle das starcke feuren diesen Winter über aufhören, bis auf das Frühjahr das Feuerwerk durchgehend aufgeführt. StadtA Emmendingen. C/VIII/5 (Ratsprotokoll 1750-1757). 15.12.1755. fol. 247r-247v. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 13.5.1745. fol. 69r-70r. Da Eheverträge generell vor dem Rabbiner geschlossen wurden, finden sich Hinweise in den amtlichen Quellen nur in besonderen Ausnahmefällen. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 21.2.1746. fol. 109r-110r.
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der Rabbiner beziehungsweise der Schultheiß oder als letzte Instanz das Oberamt zuständig gewesen.148 Da man aber den Rat der Stadt bemühte, scheint dieser das Vertrauen der Parteien besessen zu haben. Außerdem konnte man so die Kosten für die Reise zum bzw. die Anreise des Rabbiners sparen. In dem Ehevertrag zwischen Moses Weil und Fradel Dukas von Sulzburg, der am 25. Juni 1799(?)149 drei Jahre nach der Hochzeit im Februar 1796, vor dem Rabbiner in Eichstetten aufgesetzt und vor dem Emmendinger Rat bestätigt bzw. bei dem Rat hinterlegt wurde, versprach Low Dukas seiner Tochter eine Mitgift von 2.400 fl. Davon erhielt sie bei der Hochzeit 1.200 fl. Die anderen 1.200 fl. wurden in Schuldverschreibungen sowie in barem Geld ausgehändigt und mußten von dem jungen Ehepaar mit einem Leibgeding von 60 fl. jährlich verzinst werden. Dafür verlangte der Vater der Frau die Ausstellung einer gerichtlichen Obligation als Sicherheit.150 Bereits 1796 hatte Moses Weil versucht, seinem Schwiegervater die nötigen Sicherheiten zu geben. Er habe allerdings in Rücksicht, daß seiner Frau statt dem halben ein ganzes Sohns erbtheil zugesichert worden, auch seiner Seits die Verbindlichkeit auf sich genommen, auch seiner Frau fiir die eingebrachte Ehesteuer und Hochzeit geplante ad 1950 fl gerichtliche Sicherheit auf seinem dahier eigenthümlich besitzenden Hauß samt Zugehörten zu geben. Er sei daraufhin mit seinen Verwandten auf der Emmendinger Stadtschreiberei gewesen, wo man ihnen gesagt hätte, daß eine solche Verschreibung ohnnöthig sei. Der Behörde zufolge sei eine derartige Sicherheitsleistung in pos. frau allerdings überflüssig, als bei einem Entstehenden Concurs die frau mit ihrem heurathsguth ohnediß einen der Hypothaten weit vorgehenden Vorzug genieset.'5' 1799 bekam sein Schwiegervater dann doch die Sicherheiten, die er sich ausbedungen hatte. Ähnliche Regelungen sind auch bei christlichen Eheschließungen in dieser Zeit häufig anzutreffen. Da für die Juden in diesem Falle nicht der städtische Rat zuständig war und sich auch das Oberamt nicht zuständig fühlte, mußte im Falle des Low Dukas allerdings eine Sonderregelung getroffen werden, die darin bestand, daß sein Schwiegersohn eine Schuldverschreibung an seinen Schwiegervater in das Unterpfandprotokoll eintragen ließ. Der Ehevertrag zwischen Joseph Weil von Emmendingen und Maille Mayer von Müllheim vom 26. Januar 1801 ist der erste, der uns im vollen Wortlaut vorliegt. Darin wird vereinbart, daß der bräutigam Joseph die braut Mayle unter den 148 149
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A. Lewin (Anm. 43) S. 3f. Vermutlich wurde der Ehevertrag am 25.5.1795 aufgesetzt und unterschrieben. Das Jahr 1799 jedoch steht im Unterpfandsprotokoll. Kopien aller Eheverträge mußten in Übersetzung den Oberämtern vorgelegt werden. Vgl. A. Lewin (Anm. 43) S. 5. Leider sind keine weiteren Verträge aus dieser frühen Zeit überliefert, erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist ihre Überlieferung häufiger. StadtA Emmendingen. C/IV (Unterpfandsprotokolle) 1790-1800. fol. 230'-232r. StadtA Emmendingen. B lb/1408.
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Trauhimmel führen und dieselbe nach gesetz Moses u. Israel durch den TrauRing von sich heyligen lassen soll. Jacob Mayer versprach seiner Tochter eine Aussteuer von 1.100 fl., wovon 900 fl. am Hochzeitstag und 200 fl. nach zwei Jahren zu bezahlen waren, ferner Morgengaben, Schengasche Kleidung, Samstag, Feyertag, Markttag wie auch ein aufgerichtetes Bett samt dazugehörigem zu geben. Der Hochzeitstermin wurde auf den 2. April 1802 festgelegt. Für den Fall, daß eine der Parteien die Abrede nicht einhielt, wurden 400 fl. Strafe vereinbart. Im Zusammenhang mit dem Ehevertrag wurde auch ein Vermögens-inventar des Vaters des Bräutigams, Jonas Weil, angefertigt. Demnach gehörten ihm unter anderem ein Vorhang in der Synagoge mit einem Wert von drei fl. und mehrere Bücher - die fünf Bücher Mose, ein Psalmenbuch, vier Gebetbücher, Erklärung des Lichtes, die Bibel, ferner eine deutsche Bibel und zwei /Is/er-Gebetbücher - im Wert von sieben fl. Weiterhin geht aus dem Inventar hervor, daß fünf seiner sechs Kinder bereits eine Aussteuer erhalten hatten. Die Übergabe des restlichen Vermögens und die Erbfolge waren genau festgelegt.152 Als im Jahre 1763 Jakob Weil einen Teils seines Besitzes übergab, erhielt sein Sohn Model Haus und Hofstatt, worauf zugleich die Schule, in der Kirchgasse. Dafür sollte Model seinem Bruder Marx, Schutzjude in Eichstetten, 50 fl. und nach dem Tod des Vaters nochmals die selbe Summe zahlen. Ferner sollte er 100 fl. in die väterliche Erbschaft einwerfen. Jakob Weils Söhne Jonas und Elias erhielten gemeinsam das neue Haus ihres Vaters in der Karlsstraße zugesprochen. Sie sollten die 141 fl. Schulden, die noch darauf standen, übernehmen und zusätzlich je 50 fl. an ihren Schwager Moses Weil zahlen.153 Auch dieser Fall findet sich in den Protokollen des - eigentlich nicht zuständigen - Emmendinger Rates.154 Vergleicht man die inneijüdischen Konflikte um Eheschließung, Wiederverheiratung und Erbschaft mit denen innerhalb der christlichen Bevölkerung, so zeigen sich deutliche Parallelen. Christliche wie jüdische Familien waren gleichermaßen bestrebt, innerfamiliäre Rechte und Ansprüche möglichst umfassend zu regeln und dadurch Auseinandersetzungen um den Besitz zu vermeiden - ohne daß dies in jedem Falle gelungen wäre.
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StadtA Emmendingen. B lb/1409. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 8.8.1763. fol. 277v-279r. Vgl. hierzu bes. A. Lewin (Anm. 43) S. 6f.
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6. Die Grenzen der Toleranz: zum Umgang mit fremden Juden im Emmendingen des 18. Jahrhunderts Längst nicht jeder Jude, der um die Aufnahme nach Emmendingen nachsuchte, war dort willkommen. Insbesondere reichere jüdische Händler aus anderen Territorien stießen häufig auf Ablehnung, und die Haltung der Emmendinger Bevölkerung in solchen Fällen verdeutlicht die Reichweite und die Grenzen der Toleranz gegenüber der jüdischen Minderheit. Im Jahre 1764 beispielsweise äußerte Meyer Ullmann, ein Sohn des Konstanzer Hoffaktors, die Intention, in Emmendingen eine Handlung zu eröffnen. Laut markgräflichem Schutzbrief vom 10. März 1764 sollte er sich in der Stadt niederlassen, in der neuen Vorstadt ein dreistöckiges Haus am Marktplatz bauen und jährlich 75 fl. zahlen. Die Krämer der Stadt supplizierten jedoch wiederholt an den Markgrafen, Ullmann nicht anzunehmen.155 Ihre Bemühungen scheinen Erfolg gehabt zu haben, denn er findet sich nicht mehr in den Quellen. 1772 versuchte der Kippenheimer Weil, für seinen zukünftigen Tochtermann Mejer Auerbacher aus Nordstetten den Schutz in Emmendingen zu erlangen. Auerbachers Vermögen belief sich auf 2.500 fl., und seine Braut bekam zur Ehesteuer 1.500 fl. Die Emmendinger Handelsleute baten daraufhin darum, daß der Jud ihnen nicht aufgebürdet, sondern schlechterdings abgewiesen werde. Man habe ja hier sonst schon Juden genug und in Eichstätt und Ihringen wimle es davon. Von diesen reichen Juden sei Schlimmes zu befurchten, denn wie manche Unterthanen, besonders der einfältige, und meist der ärmere von den Juden ausgesogen werden, daß ihn die Gesetze wenige mal erreichen,'56 sei allgemein bekannt. Hingegen seien die Juden von der Gattung wie man sie jetzt hier im Lande habe, und die fast ausschließlich mit Vieh handelten, dem Land nicht schädlich, sondern von Vorteil.157 Auch die Anfrage des Oberamts an das Bürgermeisteramt wegen der Schutzannahme des Kaiserlichen Hoffaktors und Schutzjuden David Küfel von Donaueschingen, der in Emmendingen eine Handlung eröffnen wollte, rief von seiten der Stadt negative Reaktionen hervor.158
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GLA Karlsruhe 198/293 (14.4.1763). Jersch-Wenzel spricht in diesem Fall von einer defensiven Verteidigungstrategie der Händler, die sie durch Analyse von Suppliken fassen kann. Vgl. Steffi Jersch-Wenzel: Jewish Economic Activity in Early Modern Times. In: In and Out of the Getto (Anm. 5) S. 91-101. StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 9.4.1772. fol. 220r-225r. StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 9.4.1772. fol. 224r. StadtA Emmendingen. C/VIII/21 (Ratsprotokoll 1796-1799). 5.9.1797. fol. 190r-193r. 22.2.1798 Schutzaufnahme des Hoffaktors Küfel David, der einen Handel mit Ellenwaren, sowohl en gros wie ert detail in Emmendingen eröffnen wollte. Ablehnung der Gemeinde. Vgl. StadtA Emmendingen. C/VIII/21 (Ratsprotokoll 1796-1799). 22.2.1798. fol. 255'-259r
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Ein solcher vermögentlicher Jud halte der Erfahrung nach auch stets eine starke Anzahl von Knechten, denen das Hausieren eine Hauptobliegenheit sey, und ziehe überdies noch eine Menge von aller Gattung Juden an sich, die durch seine Unterstützung den Christen ihre Nahrung zu schwächen suchten.159 Auch eine Gruppe von Juden, die 1797 wegen der französischen Revolutionskriege aus Breisach nach Emmendingen geflohen war, stieß dort nur auf begrenzte Akzeptanz. Nachdem ein Teil der Flüchtlinge nach Breisach zurückgekehrt war, ersuchte der Emmendinger Stadtrat das Oberamt, die restlichen vorderösterreichischen jüdischen Familien auszuweisen, da Wohnraum knapp und die Mieten teuer seien.160 Die jüdischen Flüchtlinge sollten als Ausländer wieder in ihre Heimat abgeschoben werden, da für ihre Versorgung die österreichischen Lande aufzukommen hätten. Unter den Flüchtlingen befanden sich Samuel Metz, der 1801 in Emmendingen Schutzbürger wurde, und Nathan Levi, der vor allem dem Kleinhandel nachging und sich als Zwischenhändler für gebrauchte, in öffentlicher Versteigerung erkaufte Dinge des täglichen Bedarfs sowie für Silber betätigte.161 Während gegenüber reicheren Händlern aus anderen Territorien, aber auch gegenüber Kriegsflüchtlingen aus Vorderösterreich Vorbehalte bestanden, zeigte man sich gegenüber einheimischen Juden oft wesentlich toleranter. So wurde 1772 der Witwe Eva Ellenbogen attestiert, daß Sie durch ihren getriebenen Handel sich nach jüdischer Lebensart wohl ernähret, und ihre Aufführung [...] bisher gut geweßen sei. Der Rat gestattete ihr den weiteren Aufenthalt in der Stadt.162 Bereits 1744 war Marx Weils Bitte um Schutzgeldnachlaß wegen seines hohen Alters anstandslos gewährt worden,163 und auch Sandel Samuel wurde 1792 das ausstehende Schutzgeld von IVi fl. nachgelassen und er wurde für weitere drei Jahre wegen seiner Armut davon befreit mit der Auflage, daß er seinen Kindern, sobald sie das gehörige Alter werden erreicht haben, das Wollen- oder Baumwoll Spinnen erlernen lassen sollet Die Ablehnung, auf die der Zuzug bestimmter Juden in der Gemeinde stieß, richtete sich also nicht gegen die Juden als soziale und religiöse Gruppe, sondern spezifischer um die Abwehr "fremder Konkurrenz, seien es ländliche Hausierer und Handwerker, Savoyarden oder eben Juden."165 Während man die eigenen, d.h. die bereits am Ort ansässigen Juden akzeptierte und sie an den Ressourcen der Gemeinde teilhaben ließ, war man nicht gewillt, Menschen aus anderen Gebieten 159 160
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StadtA Emmendingen. C/VIII/21 (Ratsprotokoll 1796-1799). 22.2.1798. fol. 257v. StadtA Emmendingen. A/IV/4-25. C/VIII/21 (Ratsprotokoll 1796-1799). 5.9.1797. fol. 187'187v. StadtA Emmendingen. B lb/754. StadtA Emmendingen. C/VIII/8 (Ratsprotokoll 1769-1773). 1.10.1772. fol. 245r. StadtA Emmendingen. C/VIII/4 (Ratsprotokoll 1744-1749). 4.6.1744. fol. 16r. StadtA Emmendingen. B/IV/4-23. 10.6.1791. R. Kießling: Zwischen Vertreibung und Emanzipation (Anm. 42) S. 173. Vgl. M. Toch (Anm. 6) S. 84.
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aufzunehmen. Es war in diesem Fall egal, ob es sich um Juden, Katholiken, Täufer oder auch um Protestanten aus anderen Territorien handelte. Nur deijenige hatte eine Chance, in das System integriert zu werden, der eine dem allgemeinen Wohl dienliche und für die Gemeinschaft nützliche Funktion übernehmen konnte. Einem relativ kapitalschwachen Viehhändler wurde dies noch zugebilligt, ein ökonomisch potenter Hoffaktor oder sein Sohn erschienen hingegen als gefährlicher Konkurrent.
7. Die Konversion des Isaak Zadock Während des 18. Jahrhunderts entschlossen sich im Heiligen Römischen Reich nur wenige Juden zur Konversion. Mordechai Breuer schreibt dazu: "[...] die christlichen Zeitgenossen wunderten sich manchmal über die geringe Zahl der Konversionen zum Christentum, trotz der bedrückenden Lage, in der sich die Mehrzahl der Juden befand, eine Lage, aus der sie sich auf schnellstem Weg durch die Taufe hätten befreien können. [...] Die Konvertiten kamen nur zum kleinsten Teil aus dem Kreise der Reichen und Gelehrten; die meisten waren Betteljuden."166 Manfred Agethen spricht in seinem Aufsatz über Judentaufen in der Frühen Neuzeit davon, daß "die Annahme der Taufe für den Juden tatsächlich den Bruch mit seiner gesamten bisherigen Existenz bedeutete." Damit einher gingen, so Agethen, der Verlust aller sozialen Bindungen, da der Konvertit sich mit der Taufe auch von seinen jüdischen Verwandten lossagte, der Verlust des Lebensunterhalts und der Verlust der Heimat, da sich die meisten Juden weit entfernt von ihrem Geburts- und Wohnort taufen ließen.167 Die im Jahre 1761 in Emmendingen erfolgte Konversion des Isaak Zadock (1719-1801), seiner Frau Caroline Bär (1735-1791) und ihrer drei Kinder paßt nicht in das gängige Erklärungsmuster für derartige Religionsübertritte. Im Gegensatz zur Konversion des David Günzburger beispielsweise, der lange Zeit Breisacher Judenschultheiß gewesen war, 1753 zur katholischen Kirche übertrat und sich dann als Zollbereiter im schwäbischen Günzburg niederließ,168 blieb Isaak 166 167
168
M. Breuer: Deutsch-jüdische Geschichte (Anm. 68) S. 238. Manfred Agethen: Bekehrungsversuche an Juden und Judentaufen in der frühen Neuzeit. In: Aschkenas. 1. 1991. S. 65-94, hier bes. S. 81f., Zitat S. 81. Vgl. hierzu B. Rosenthal (Anm. 10) S. 221, 225. K. Teschemacher (Anm. 7) S. 121. Die Niederlassung des David Günzburger in Günzburg hatte ihn zwar räumlich von seinem langjährigen Wirkungskreis entfernt, brachte ihn aber geographisch an den Ursprungsort der jüdischen Familien Ulimann und Günzburg(er) zurück. Vgl. hierzu Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit. In: Judengemeinden in Schwaben (Anm. 7) S. 80-109, bes. 84-93. Auch aus Müllheim im Ober-
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Zadock in Emmendingen wohnen. Nachdem er viele Jahre Vorsänger der israelitischen Gemeinde gewesen war, ließ Zadock sich und seine Familie am Palmsonntag des Jahres 1761 in der Emmendinger Stadtpfarrkirche taufen. Neben dem Hof stand auch der gesamte Stadtrat Pate,169 und in der Ratsversammlung vom 5. März wurde die Höhe des Taufgeschenkes seitens der Stadt auf 20 fl. festgelegt, da zur Taufe des letzhin gewesenen Judenvorsingers dahier namens Isaak Zadock, seines Weibes und 3 Kinderen, welche biß nächst künftigen PalmSonntag den 15. dieses in hiesiger Kirch geschehen wird, unter anderen Zeugen auch der Stadtrat, bey dem Mann und Weib erbeten worden.170 Auch führende Emmendinger Bürger übernahmen persönlich Patenschaften und Patengeschenke für die Kinder, wie der zu dieser Zeit reichste Einwohner Johann Melchior Ott.171 Isaak Zadock wurde in den zeitgenössischen Quellen als mächtig gelehrter Mann,111 seine Frau Caroline Bär als Jüdin, in den Schriften Moses wohl belesen, der hebräischen Sprache mächtig charakterisiert.173 Bei seiner Taufe erhielt Zadock den Namen Karl Christian Ostermann. Auch seine Schwester konvertierte zum Christentum.174 In gesellschaftlicher Hinsicht brachte die Konversion für Ostermann keinen Aufstieg. Da er weiterhin am gleichen Ort lebte, an dem er viele Jahre als jüdischer Vorsinger gelebt und gearbeitet hatte, blieb er auch im Umfeld seiner ehemaligen jüdischen Glaubensgenossen. Diese schienen ihn, wie nicht anders zu er-
169 170 171
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amt Badenweiler sind drei Juden, die sich taufen ließen, bekannt. B. Rosenthal (Anm. 10) S. 225. Zur Bedeutung der hochrangigen Paten vgl. M. Agethen (Anm. 167) S. 92f. StadtA Emmendingen. C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). fol. 165r. StadtA Emmendingen. B lb/952. Daß Neuchristen erhebliche Geld- und Sachspenden als Patengeschenke erhielten, ist bekannt. Vgl. hierzu M. Agethen (Anm. 167) S. 86. Evang. PfarrA Emmendingen. Taufbuch. Eintrag 15.3.1761. StadtA Emmendingen. Jüd. Genealogie. Evang. PfarrA Emmendingen. Taufbuch. Eintrag 15.3.1761. StadtA Emmendingen. Jüd. Genealogie. Dieser Vorgang wird auch erwähnt bei Karl Günther: Schlosser und der Förster Lydin. In: Weisweil. Ein Dorf am Rhein. Hg. von Gerhard A. Auer, Thomas Zotz. Weisweil 1995. S. 101-118, hier bes. 108, 110, 118.FN20. Dies erfahren wir nur durch Zufall, da während sie 1769 zu Ostern ihren Bruder besuchte, ihr 11 Monate alter Sohn Christian Lebrecht starb. Der Pfarrer beschreibt den Knaben folgendermaßen: ein durch Unzucht und Unglauben von den Juden zu Eppich bei Oberkam der Landschaft Elsaß beschnittenes Kind. Seine Mutter, die Schwester Ostermanns, eine geborene Jüdin aus Mannheim, ließ sich am 25.4.1761 in Düsseldorf katholisch auf den christlichen Namen Maria Adelheid Walburgis taufen. Sie konvertierte in Emmendingen zum Protestantismus. Evang. PfarrA Emmendingen. Sterbebuch. Eintrag 9.7.1769; auch StadtA Emmendingen. Genealogiekasten. Im Stadtarchiv Emmendingen befindet sich auch ein Genealogiekasten, der eine Familienrekonstitution auf der Grundlage der Kirchenbücher bietet. Dieser wurde als Basis für meine Familienrekonstitution benutzt und durch Vergleich mit den Kirchenbüchern, Ortssippenbüchern und verschiedener anderer Quellen ergänzt, korrigiert und erweitert.
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warten, zu meiden. In den Quellen ist kein Beleg für weitere Kontakte zu finden. Aber auch seine Funktion als Vorsinger mußte Ostermann aufgeben, und er verdiente seinen Lebensunterhalt fortan als Seifensieder. Da dieses Handwerk den Unterhalt seiner weiter wachsenden Familie nicht sicherte (seine Frau gebar noch vier Kinder), trat er schließlich als Hatschier (Polizeidiener) in den Dienst des Oberamtes. Er lebte zeitlebens in ärmlichen Verhältnissen und erbat 1776 von der Stadt ein Stück Allmendplatz zur Erbauung eines Hauses, was ihm schließlich auch gewährt wurde.175 Seine Tochter Christina Maria gebar zwei uneheliche Kinder und heiratete mit dem Vater ihrer Kinder Bartholomäus Hederle einen Taugenichts und Bankrotteur. Aus dem Jahre 1785 ist eine Spezifikation der Ausgaben und Einnahmen Ostermanns für Christina Maria erhalten, die der Schullehrer im benachbarten Maleck niederschrieb, dem diese Spezifikation aus dem Hebräischen Orginal ins Deutsche dictiert wurde. Ihr Vater hatte sie, welche schwanger und im Elend war, von Basel nach Emmendingen geholt, wozu ich gezwungen war, weil ich wußte, daß sie nichts gutes im Sinne hatte.™ 1786 bat Ostermann um die Annahme seines Tochtermannes Hederle, eines Metzgers, der in der Emmendinger Salpetersiederei gearbeitet und seine Tochter nach der zweiten Schwängerung in Basel geheiratet hatte, als Hintersasse. Hederle versprach 400 fl. Heiratsgut in die Ehe zu bringen. Er wurde auf ein Jahr angenommen mit der Auflage, nicht als Metzger zu arbeiten.177 Eine weitere Tochter Ostermanns, Elisabeth, arbeitete lange Zeit in einer Basler Seidenfabrik und war anschließend Dienstmagd bei Oberamtmann Schlosser, mit dessen Familie sie nach Karlsruhe zog.178 Nur einer seiner Töchter, Maria Magdalena, war die Einheirat in eine sehr arme Emmendinger Bürgerfamile möglich. Sie vermählte sich 1801 mit dem Schuhmacher Christian Friedrich Steinhäußler. Nach dem Tod seiner ersten Frau, heiratete Ostermann am 8. November 1791 in Emmendingen Christine Elisabeth Gollmann, die Witwe des Karlsruher Korporals Peter Schaffhauser.'79 Diese Eheschließung war von vielen Streitigkeiten begleitet, in denen jeder der beiden Gatten dem anderen Falschaussagen und Unredlichkeiten vorwarf. Ostermann mußte sich daraufhin weiter verschulden und das bereits an seine dritte Tochter übergebene Haus zurückfordern. Im Jahre 1791 hatte er bei Jakob Enderlin ein Kapital von 150 fl. aufgenommen.180 Sein Vermögen belief sich im selben Jahr auf 266 fl., und als er starb, war er bettelarm. Nichts in seinem Haushalt erinnerte zu diesem Zeitpunkt mehr an seine jüdische Vergan175
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StadtA Emmendingen. C/VIII/11 (Ratsprotokoll 1776). 1.2.1776. fol. 6r und 14.3.1776. fol.
15v.
StadtA Emmendingen. B lb/952. StadtA Emmendingen. C/VIII/18 (Ratsprotokoll 1783-87). 3.1.1783. fol. 167v-168r StadtA Emmendingen. B lb/942. Evang. PfarrA Emmendingen. Heiratsbuch Emmendingen. Eintrag 8.11.1791. StadtA Emmendingen. Genealogiekasten. StadtA Emmendingen. B lb/341.
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genheit, und in seinem Bücherschrank fand sich wenig mehr als der typische Kanon eines armen Emmendinger Bürgers: ein badisches Gesangbuch, das Neue Testament, ein Kommunionbüchlein, ein Gebetbuch, Arndts Wahres Christentum und Lavaters Christliches Handbüchlein für Kinder.181 Die Konversion des Isaak Zadock paßt nicht in gängige Erklärungsmuster für Konversionen von Juden. Er war weder ungebildet, noch war er in der Gemeinde nicht angesehen. Er verließ auch seinen Wohnort nicht und versuchte an anderer Stelle ein neues Leben aufzubauen, sondern blieb in seinem bisherigen Umfeld. Durch die Übernahme des Amtes des Oberamtshatschiers hatte er gegen deviantes Verhalten vorzugehen, sowohl das seiner ehemaligen als auch seiner nunmehrigen Glaubensgenossen. Seine Integration in die Emmendinger Bürgerschaft gelang nicht, auch wenn sich immer wieder Honoratioren bemüßigt fühlten, für ihn einzustehen. Daß er noch in hohem Alter seine Aufzeichnungen in hebräisch machte und sie für offizielle Zwecke übersetzen lassen mußte, zeigt seine fortdauernde Zwitterstellung zwischen beiden Kulturen.182
Schlußbemerkung In der oberrheinischen Kleinstadt, so versuchte dieser Beitrag zu zeigen, waren Juden in vielfacher Hinsicht in die Gesellschaft integriert. Sie wohnten mitten unter den christlichen Einwohnern und oft mit diesen unter einem Dach; sie erfüllten als Viehhändler eine allgemein akzeptierte Funktion und standen mit den christlichen Emmendingern regelmäßig in geschäftlichen Beziehungen, ohne eine dominierende Position im lokalen Handels- und Kreditgeschäft einzunehmen; und sie riefen selbst im Falle von Konflikten innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft wiederholt den städtischen Rat als Schlichter an. Zugleich hatten sie jedoch auch eine Sonderstellung inne und waren durch eine "unsichtbare Grenze'"83 von der christlichen Bevölkerung getrennt. Die Reduzierung von bestimmten gemeindlichen Ressourcen,184 die scharfen Reaktionen der Obrigkeit in Fällen, in denen Juden städtische Amtsträger beleidigten, die Ablehnung der Schutzannahme reicher auswärtiger Händler oder das Schicksal des Konvertiten Ostermann zeigen die Grenzen der Toleranz auf, die dieser religiösen Minderheit entgegengebracht wurde. Juden waren im frühneuzeitlichen Emmendingen keine Randgruppe, aber ebensowenig gingen sie in dieser Gesellschaft einfach auf. 181 182 183
184
StadtA Emmendingen. B lb/943. Vgl. allgemein M. Breuer: Deutsch-Jüdische Geschichte (Anm. 68) S. 238. Vgl. Etienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648-1806. Sigmaringen 1991 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg. Bd. 33). StadtA Emmendingen. C/VIII/5 (Ratsprotokoll 1750-1757). 6.5.1757. fol. 295r.C/VIII/6 (Ratsprotokoll 1758-1763). 19.4.1763. fol. 265r. C/VIII/7 (Ratsprotokoll 1764-1768). 10.3. 1768. fol. 260'. C/X Oberamtliche Verfügungen. 3.5.1780. fol. 73v.
Abbildungsnachweis
Abb. 1. Eigenhändige Unterschrift des "Simon Jud zu Gintzburg", 1559. Fürstlich Waldburg-Zeilsches Gesamtarchiv Schloß Zeil, Leutkirch: ZA Ki U 5390, S. 197 Abb. 2. Kissenplatte, Jüdisches Museum der Schweiz, Basel (JMS) 1198, S. 220 Abb. 3. Ausschnitt: Mitte der Kissenplatte, JMS 1198, S. 221 Abb. 4. Ausschnitt: Synagoge, JMS 1198, S. 222 Abb. 5. Ausschnitt: Beschneidung, JMS 1198, S. 223 Abb. 6. Ausschnitt: Wachnacht, JMS 1198, S. 224 Abb. 7. Ausschnitt: Treibjagd auf Umrahmung, JMS 1198, S. 225 Abb. 8. Kissenbezug für den Sitz des Propheten Elias, JMS 133, S. 228 Abb. 8a. Ausschnitt, JMS 133, S. 228 Abb. 9. Kissenplatte aus Lengnau, 1769/70, JMS 304, S. 233 Abb. 10. Thoraaufsatz aus der Synagoge Ichenhausen, Augsburg, Silber, Meister Samuel Bardet, 1781. Jüdisches Kulturmuseum Augsburg, S. 267 Abb. 11. Thoravorhang aus der Synagoge Kriegshaber, 1723/24. The Moldovan Family Collection New York, S. 268 Abb. 12. Thoravorhang aus der Synagoge Krumbach 1727. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 16, S. 269 Abb. 13. Thoraschild mit dem Familienwappen der Ulmo Augsburg, Silber, datiert 1727, Meister aus der Weinold-Werkstatt. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 107, S. 270 Abb. 14. Thoraschild aus der Synagoge Kriegshaber, Augsburg, Silber, Meistermarke Joh. Valentin Gevers, seit 1938 verschollen. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 99, S. 271
400
Abbildungsnachweis
Abb. 15. Kidduschbecher Augsburg, Silber, Mitte 18. Jahrhundert Meister nicht überliefert. Ehemals im Besitz von Justizrat Dr. Elias Strauß, München. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 485, S. 272 Abb. 16. Sederteller aus der Gemeinde Krumbach, Zinn, datiert 1776. Photo CAHJP. Harburger. Nr. 276, S. 273 Abb. 17a. hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum elaboratum, cui titulum fecit Thisbites, hebr.-lat. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113, S. 300 Abb. 17b. hal-Levi Elijah ben Asher: Opusculum elaboratum, cui titulum fecit Thisbites, hebr.-lat. Isny: [Paulus Fagius], 1541. VD-16 E:1009. SuStB Augsburg. 4° Spw. 113, S. 301 Abb. 18. Bände aus der Bibliothek von Bonifazius Wolfart. Alle Bände in der StuStB Augsburg, S. 302 Abb. 19. Paulus Fagius: Exegesis sive expositio dictionum Hebraicarum literalis et simplex, in quatuor capita Geneseos, hebr., chald., u. lat. Isny: [Paulus Fagius], 1542. VD-16 F:552. SuStB Augsburg. 4° Spw. 129, Titelblatt. S. 303 Abb. 20. Lage der Ortsviertel in Thannhausen, S. 340
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Dr. Dean Phillip Bell, Associate Professor of Jewish History, Spertus Institute of Jewish History, Chicago Dr. Katia Guth-Dreyfus, Direktorin des Jüdischen Museums der Schweiz, Basel Susanne Höhnle, Steppach bei Augsburg Dr. André Holenstein, Historisches Institut der Universität Bern, Lehrbeauftragter Prof. Dr. Rolf Kießling, Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte, Universität Augsburg Dr. Dana V. Koutnä, Dillingen Dr. Hans-Jörg Künast, DFG-Projekt 'Konrad Peutinger', Staats- und Stadtbibliothek Augsburg Rosemarie Mix, Augsburg Prof. Dr. Stefan Rohrbacher, Fach Jüdische Universität, Gesamthochschule Duisburg
Studien,
Gerhard-Mercator-
Dr. Michaela Schmölz-Häberlein, Universität Augsburg, Stipendiatin des HSP III Bernhard Stegmann, Veitshöchheim Dr. Sabine Ullmann, Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte, Universität Augsburg Dr. Annette Weber, Kustodin Main
des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am