357 52 31MB
German Pages 381 [388] Year 1985
de Gruyter Lehrbuch Schräder • Kurzes Lehrbuch der Organischen Chemie
Bernhard Schräder
Kurzes Lehrbuch der Organischen Chemie 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
w DE
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1985
Professor Dr. Ing. Bernhard
Schräder
Institut für Physikalische und Theoretische C h e m i e Universität Essen Gesamthochschule 4300 Essen 1
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Schräder, Bernhard: Kurzes Lehrbuch der Organischen Chemie / Bernhard Schräder. - 2., vollst. Überarb. u. erw. Aufl. Berlin; N e w York: de Gruyter, 1985. (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-010238-2 brosch. ISBN 3-11-010583-7 geb.
Copyright © 1985 by Walter de Gruyter & Co., vormals G.J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Satzstudio Frohberg, Freigericht; Druck: Kupijai & Prochnow, Berlin; Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin.
Vorwort zur 2. Auflage Die erste Auflage dieses Buches wurde von Vielen begrüßt, die sich mit Fragen der Organischen Chemie und mit Produkten der Organischen Chemie beschäftigen müssen, ohne selbst Chemiker zu sein. Wegen seines starken Praxisbezuges hat sich das Buch in der Lehre der Chemie für technische Disziplinen, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Lehrer, sowie in verschiedenen Fachhochschul- und Fachschul-Studiengängen bewährt. Nicht zuletzt verwenden auch Chemiestudenten dieses Buch neben den „großen" Lehrbüchern. Für die zweite Auflage wurde der gesamte Text überarbeitet. Dem Wunsch verschiedener Leser nach weiterführender Literatur habe ich gern entsprochen: Im Kapitel 8 finden sich Hinweise auf ausführliche Darstellungen über Theorien und Mechanismen, Bibliographien, Herstellernamen und physikalische und toxikologische Daten. Viele technische Neuerungen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse wurden berücksichtigt. Umweltprobleme werden stärker angesprochen, ebenso die organische Chemie im Alltag und im Haushalt. Um die Bedeutung mancher Produkte aufzuzeigen, werden auch Produktionszahlen genannt. Ich habe bei alledem Wert darauf gelegt, den Charakter des „kurzen Lehrbuches" zu erhalten. Oft gebe ich daher nur kurze Hinweise auf Zusammenhänge und Tatsachen; zur Vertiefung konsultiere man die im Kapitel 8 aufgeführte Literatur. Für die Bearbeitung der 2. Auflage gaben mir viele Kollegen zahlreiche wertvolle Hinweise und Anregungen. Insbesondere gilt mein Dank A. Ansmann (Düsseldorf), P. H. Bonnet (Duisburg), M. Christi (Würzburg), J. Conrad (Düsseldorf), H. D. Nestler (Königstein), G. Peitscher (Marl), P. Rademacher (Essen), H. Rudolph (Leverkusen), G. Spiteller (Bayreuth), H. Stork (Essen), J. Voß (Hamburg), B. Werdelmann (Düsseldorf), K. Wünscher (Lemgo) sowie meinem Sohn Wolfgang. Dem Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit und die ansprechende Gestaltung des Buches. Essen, März 1985
Bernhard
Schräder
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage Die Organische Chemie berührt heute viel mehr als früher das Leben vieler Menschen, auch derj enigen, die nicht auf dem Gebiet der Chemie tätig sind. Ärzte und Biologen betreiben Angewandte Organische Chemie im weitesten Sinne des Wortes. Physiker und Ingenieure, Handwerker, Hausfrauen und Landwirte, aber auch alle Autofahrer sind Verbraucher organisch-chemischer Produkte, und viele Menschen, selbst Journalisten und Juristen, befassen sich mit den Problemen, die aus diesem Verbrauch entstehen: Fragen der Rohstoff- und Energieversorgung und des Umweltschutzes, jeder verantwortliche Mensch sollte daher neben den Vorzügen — auch die Gefahren kennen, die die Produkte der Technik für ihn selbst und die Umwelt bedeuten können. Darüber hinaus sollte er von den lebenswichtigen chemischen Reaktionen in seinem Körper eine Vorstellung haben — ebenso selbstverständlich wie von der Funktion seines Autos oder seines Fernsehapparates, so wie Einstein es 1930 bei der Eröffnung der Funkausstellung in Berlin ausdrückte: Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfaßt haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frißt. Dieses Buch, als Einführung für Chemiestudenten sowie für Studenten mit Chemie als Nebenfach geschrieben, soll daher auch dem oben angesprochenen Leserkreis helfen, sich über die Grundlagen der Organischen Chemie und ihre Bedeutung in der Natur, in der Technik und im täglichen Leben zu informieren. Dieses Buch wurde daher anders als die üblichen Lehrbücher der Organischen Chemie gegliedert. Der Stoff wurde in 7 Kapitel aufgeteilt, die so abgegrenzt wurden, daß sie jeweils möglichst auch einzeln verständlich sein sollten oder aber bei der Lektüre ausgelassen werden können. Kapitel 1 und 2 bilden die Basis des Buches. Im Kapitel 1 werden die Natur der chemischen Bindung, die Bausteine, die Geometrie und die Eigenschaften organischer Moleküle sowie die Prinzipien organisch-chemischer Reaktionen erläutert. Hier wird ein Stoff konzentriert zusammengestellt, der sich in anderen Lehrbüchern meist über den ganzen Text verteilt und dadurch für den Anfänger oft schwer verständlich ist. Die folgenden Kapitel werden durch das Kapitel 1 entlastet, sie konzentrieren sich auf andere Problemkreise ohne Ablenkung durch theoretische Betrachtungen der Grundlagen. Im Kapitel 2 folgt eine systematische Besprechung der organisch-chemischen Verbindungen und ihrer Reaktionen. Nun folgen Kapitel, die die für die Technik und das Leben wichtigen Verbindungen und Reaktionen der Organischen Chemie berücksichtigen. Kapitel 3 behandelt das wirtschaftlich und technisch bedeutende Gebiet der Makromolekula-
VIII
Vorwort
ren Verbindungen. Im Kapitel 4 werden andere technisch wichtige organische Substanzen besprochen, deren Anwendung auf zwischenmolekularen Wechselwirkungen beruht: Lösungsmittel und Weichmacher, Waschmittel und andere Tenside sowie die Schmierstoffe. Im Kapitel 5 folgen die Farbstoffe. Kapitel 6 bringt einen Grundriß der Biochemie. Abschließend werden im Kapitel 7 die wichtigsten analytischen Methoden der Organischen Chemie kurz besprochen. Fragen der möglichen Umweltbelastung werden an geeigneten Stellen mehrerer Kapitel berücksichtigt. Für einige Gruppen von Studenten sollte der gebotene Stoff völlig ausreichend sein. Für Chemiker, Pharmazeuten, Biologen und Mediziner soll er eine Basis bilden für das Studium speziellerer Lehrbücher der Organischen, der Pharmazeutischen oder der Biochemie. Die das Gebiet der Organischen Chemie betreffenden Lernziele aus dem Gegenstandskatalog für die Fächer der ärztlichen Vorprüfung sind im vorliegenden Buch vollständig berücksichtigt. Aufteilung und Stoffumfang wurden vom Verfasser mehrfach erprobt in verschiedenen Vorlesungen an der Universität Dortmund, vor allem in der Grundvorlesung ,Einführung in die Organische Chemie für Chemiker und NebenfachStudenten'. Vorläufer dieses Buches ist das Lehrbuch der Organischen Chemie von F. Nerdel und B. Schräder, dessen 3. Auflage im Jahre 1970, kurz vor dem Tode von Friedrich Nerdel, erschien. Das vorliegende Buch wurde vollständig neu konzipiert und neu geschrieben. Essen, Frühjahr 1979
Bernhard
Schräder
Inhalt Bausteine, Bauprinzipien und Architektur organischer Verbindungen 1. Grundlagen der Organischen Chemie 1.1 Was ist „Organische Chemie"? 1.2 Atome und Moleküle 1.3 A t o m - u n d Molekülorbitale 1.4 Die Eigenschaften der Atomorbitale und das Periodensystem 1.5 Die Eigenschaften der Atome als Folge ihrer Elektronenkonfiguration . . 1.6 Die chemischen Bindungen des Kohlenstoffatoms 1.7 Gerüste und funktionelle Gruppen organischer Verbindungen 1.8 Isomerien 1.9 Wechselwirkungen zwischen Mehrfachbindungen: Mesomerie, aromatische Verbindungen 1.10 Dipolmoment, induktive und mesomere Effekte von Substituenten . . . . 1.11 Zwischenmolekulare Kräfte 1.12 Die Farbe organischer Verbindungen 1.13 Chemische Reaktionen, mikroskopisch und makroskopisch betrachtet . . 1.13.1 Triebkräfte, Gleichgewichte 1.13.2 Reaktionsgeschwindigkeit 1.4 Reaktionen in der Organischen Chemie 1.14.1 Namen und Definitionen 1.14.2 Mechanismen, Zwischenprodukte
1 3 4 6 13 17 21 27 30 34 38 41 44 45 45 51 53 53 56
Namen, Reaktionen und Eigenschaften organischer Verbindungen 2. Systematische Organische Chemie Acyclische Kohlenwasserstoffe 2.1 Alkane 2.1.1 Struktur, Benennung 2.1.2 Physikalische Eigenschaften 2.1.3 Konformationsisomerie der Alkane 2.1.4 Darstellung 2.1.5 Reaktionen 2.2 Alkene 2.2.1 Benennung, physikalische Eigenschaften 2.2.2 Darstellung 2.2.3 Reaktionen von Alkenen 2.3 Alkine 2.3.1 Eigenschaften 2.3.2 Darstellung 2.3.3 Reaktionen 2.4 Erdgas, Erdöl, Kohle 2.4.1 Erdgas 2.4.2 Erdöl 2.4.3 Kohle
59 61 61 62 63 65 67 70 70 71 73 77 77 78 79 81 81 82 84
X Isocyclische und heterocyclische Verbindungen 2.5 Cycloalkane, Cycloakene, Cycloalkine 2.5.1 Struktur und Isomerie der Cycloalkane 2.5.2 Darstellung und Reaktion der Cycloalkane 2.5.3 Cycloalkene, Cycloalkine 2.6 Isocyclische aromatische Verbindungen 2.6.1 Eigenschaften aromatischer Verbindungen 2.6.2 Darstellung und Reaktionen aromatischer Verbindungen 2.6.3 Wichtige isocyclisch-aromatische Verbindungen 2.7 Heterocyclische Verbindungen 2.7.1 Namen und Eigenschaften von heterocyclischen Verbindungen . . 2.8 Halogenverbindungen 2.8.1 Namen, Eigenschaften 2.8.2 Darstellung 2.8.3 Reaktionen 2.8.4 Anwendungstechnisch wichtige Halogenderivate, Umweltbelastung durch Halogenverbindungen Sauerstoffverbindungen 2.9 Alkohole, Phenole 2.9.1 Namen, physikalische Daten 2.9.2 Darstellung 2.9.3 Reaktionen von Alkoholen und Phenolen 2.10 Ether 2.11 Carbonylverbindungen: Aldehyde und Ketone 2.11.1 Benennung, Keto-Enol-Tautomerie, Beispiele 2.11.2 Darstellung von Carbonylverbindungen 2.11.3 Reaktionen von Carbonylverbindungen Carbonsäuren, Carbonsäure- und Kohlensäurederivate 2.12 Carbonsäuren 2.12.1 Namen, Eigenschaften 2.12.2 Darstellung von Carbonsäuren 2.12.3 Reaktionen von Carbonsäuren 2.13 Carbonsäurehalogenide 2.14 Ester 2.14.1 Synthesen mit Malonester und Acetessigester 2.15 Carbonsäureanhydride 2.16 Carbonsäureamide 2.17 Derivate der Kohlensäure Stickstoffverbindungen 2.18 Amine 2.18.1 Namen und Eigenschaften 2.18.2 Darstellung 2.18.3 Reaktionen von Aminen 2.19 Nitroverbindungen Schwefelverbindungen 2.20 Thioalkohole und ihre Oxidationsprodukte
Inhalt 85 86 86 89 90 92 92 94 98 98 99 102 103 105 106 107 110 110 110 112 114 117 119 119 121 122 128 128 128 131 133 134 134 136 138 138 139 140 141 141 143 144 146 147 147
Inhalt
2.21 Weitere organische Schwefelverbindungen 2.22 Organische Verbindungen mit anderen Elementen und Kombinationen funktioneller Gruppen
XI
148 149
Chemie und Anwendungen synthetischer organischer Riesenmoleküle 3. Makromolekulare organische Stoffe 3.1 Historisches 3.2 Struktur und Eigenschaften makromolekularer Stoffe 3.3 Die Synthese makromolekularer Stoffe Darstellung, Eigenschaften und Anwendung einzelner makromolekularer Stoffe . 3.4 Polymerisationsprodukte Kohlenwasserstoffe 3.4.1 Polyethylen, PE ( H D P E , LDPE, LLDPE) 3.4.2 Polypropylen, PP, Poly-l-buten, PBT 3.4.3 Polystyrol, PS, EPS 3.4.4 Natur-und Synthesekautschuk Halogen-, Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen 3.4.5 Polyvinylchlorid, PVC, Polyvinylidenchlorid, PVDC 3.4.6 Polytetrafluorethylen, PTFE 3.4.7 Polyvinylacetat, PVAC 3.4.8 Polyvinylalkohol, PVAL 3.4.9 Polyvinylacetale 3.4.10 Polyacrylnitril, PAN 3.4.11 Polymethacrylat, PMMA, Polycyanacrylat, Polyacryamid 3.4.12 Polyvinylether 3.4.13 Polyvinylpyrrolidon, PVP 3.5 Polykondensations-und Polyadditionsprodukte 3.5.1 Polyamide, PA 3.5.2 Polyester 3.5.3 Polyurethane, PUR 3.5.4 Ethoxylinharze (Epoxidharze), E P 3.5.5 Polycarbonate, PC 3.5.6 Polyoxymethylen, POM, Polyoxyethylen 3.5.7 Phenol-, Harnstoff- und Melaminharze, PF, UF, MF 3.5.8 Silicone, SI, SIR 3.6 Umwandlungsprodukte von Naturstoffen 3.6.1 Cellulose und Cellulosederivate 3.6.2 Abgewandelte Eiweißstoffe, CS 3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen
153 155 155 161 163 163 163 163 165 166 167 170 170 172 173 174 174 175 176 177 177 178 178 181 183 184 184 185 185 188 189 189 191 192
Anwendungen zwischenmolekularer Kräfte 4. Lösemittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen, Schmierstoffe . . . . 4.1 Allgemeines 4.2 Lösemittel 4.3 Weichmacher
197 199 201 205
XII
Inhalt
4.4
Grenzflächenaktive Substanzen (Tenside) 4.4.1 Stabile Aggregate von Molekülen unterschiedlicher Natur 4.4.2 Die Molekülstruktur grenzflächenaktiver Substanzen Eigenschaften und Verwendung grenzflächenaktiver Substanzen 4.4.3 Waschmittel (Detergentien) und Emulgatoren 4.4.4 Schmierstoffe 4.4.5 Flotationshilfsmittel 4.4.6 Umweltbelastung durch Detergentien, Eutrophierung
206 206 208 209 209 212 213 214
Anwendungen lichtabsorbierender Verbindungen 5. Farbstoffe 5.1 Physikalische Eigenschaften der Farbstoffe 5.2 Chemie der Farbstoffe 5.2.1 Farbtragende Gruppierungen (chromophore Systeme) 5.2.2 Verbindungen von Farbstoffen mit Textilfasern 5.2.3 Chemolumineszenz
215 217 219 220 224 225
Die organische Chemie der lebenden Organismen 6. Biochemie 6.1 Allgemeines Bausteine der Biochemie 6.2 Kohlenhydrate 6.3 Proteine, Peptide 6.4 Lipide 6.5 Andere biochemisch wichtige Verbindungen Lebensvorgänge 6.6 Prinzipien des Stoffwechsels und des Energiehaushalts 6.7 Kohlenhydrat-Stoffwechsel 6.7.1 Aufbau der Kohlenhydrate: Photosynthese 6.7.2 Aufbau der Kohlenhydrate: Glycolyse, Citronensäurecyclus und Atmungskette 6.8 Fettstoffwechsel 6.9 Die Biogenese der Isoprenoidlipide: Terpene und Sterine 6.10 Aminosäure-und Proteinstoffwechsel 6.11 Verflechtung der Stoffwechselvorgänge, Ernährung 6.12 Die Substanz der Gene: Die Desoxyribonucleinsäure, DNS 6.12.1 Wesen und Struktur der DNS 6.12.2 Der molekulare Aufbau der DNS 6.12.3 Reduplikation der DNS 6.13 Umschreibung und Übersetzung der genetischen Information 6.14 Störungen der normalen Realisierung der genetischen Information: Mutationen, Krebs und Viren 6.15 Biokatalysatoren und Wirkstoffe 6.15.1 Enzyme 6.15.2 Vitamine 6.15.3 Hormone
227 229 230 230 235 242 244 245 245 247 248 249 253 253 256 258 260 260 262 264 266 270 273 273 278 280
Inhalt
6.15.4 Nervensysteme, Sehvorgang, Gehirn 6.15.5 Antikörper 6.15.6 Antibiotika 6.15.7 Chemotherapeutika 6.15.8 Alkaloide 6.16 Zur Entwicklungsgeschichte der Lebewesen 6.17 Mensch und Umwelt
XIII
283 288 289 290 291 292 293
Identifizierung organischer Verbindungen und Ermittlungen ihrer Zusammensetzung 7. Analytik organischer Verbindungen Klassische Methoden 7.1 Reinigung und Trennung, Anreicherung 7.2 Kennzahlen zur Charakterisierung von Substanzen 7.3 Ermittlung der elementaren Zusammensetzung reiner Verbindungen . . . 7.4 Ermittlung des Molekulargewichts 7.5 Ermittlung der Molekülstruktur Physikalische Methoden 7.6 Chromatographie Spektroskopische Methoden 7.7 Methoden der Schwingungsspektroskopie: Infrarot-und Ramanspektroskopie 7.8 UV-Spektroskopie 7.9 Magnetische Kernresonanz-Spektroskopie, Elektronenspinresonanz . . . Elektronenspinresonanz-Spektroskopie 7.10 Massenspektrometrie 7.11 Optische Rotationsdispersion, Circulardichroismus 7.12 Mikrowellenspektroskopie Weitere physikalische Methoden 7.13 Dielektrizitätskonstante, Dipolmoment, Dielektischer Verlust 7.14 Brechungsindex, Polarisierbarkeit 7.15 Röntgenstrukturanalyse 7.16 Verwendung von Isotopen in der organischen Analytik 8. Weiterführende Literatur
299 301 301 301 302 303 305 305 306 310 311 314 317 320 321 322 322 323 323 325 326 326 328
Korrelationsregister Sachregister
331 335
Vorbemerkung Hinweise auf andere Textstellen werden durch die Dezimalklassifikation der Kapitel und Abschnitte in ( ) gegeben, zum Beispiel (t 6.7.1). Abbildungen und Tabellen sind in jedem Kapitel neu durchnumeriert. Hinweise darauf lauten (t Abb. 6.15) bzw. (t Tab. 4.2). •
Wichtige Ergebnisse, Regeln oder Definitionen sind durch das Zeichen • am Rand gekennzeichnet.
Beispiele, Kommentare und Ausarbeitungen, die nicht zum laufenden Text gehören, werden durch einen senkrechten Strich am Rand gekennzeichnet. Für Anfänger können diese Textstellen sowie Teile des ersten Kapitels schwer verständlich sein. Sie können zunächst ausgelassen werden, da sie für das Verständnis der folgenden Kapitel nicht unbedingt erforderlich sind.
Bausteine, Bauprinzipien und Architektur organischer Verbindungen
1. Grundlagen der Organischen Chemie Im ersten Kapitel werden die Eigenschaften der Moleküle aus denen der Atome hergeleitet. Es wird dann gezeigt, wie sich die — makroskopisch sichtbaren — physikalischen und chemischen Eigenschaften der organischen Stoffe durch das Zusammenwirken der mikroskopischen Charakteristika einer riesigen Zahl von Molekülen erklären lassen. Nur wenige verschiedene Bausteine sind erforderlich, um die große Vielfalt der organischen Stoffe aufzubauen.
1.1 Was ist „Organische Chemie"?
3
1.1 Was ist „Organische Chemie"? Die Chemie ist die Lehre von den Stoffumwandlungen. Genaugenommen ist die Chemie ein Teilgebiet der Physik, der Lehre von den Eigenschaften der Stoffe. Der Name Organische Chemie grenzte ursprünglich die Chemie des Pflanzenund Tierreichs von der Anorganischen Chemie, der Chemie des Mineralreichs, ab. Man nahm nämlich — bis ca. 1850 — an, daß organische Substanzen nur von der lebenden Zelle unter Mitwirkung einer besonderen Lebenskraft aufgebaut werden könnten. Auch nachdem Wöhler 1824 die Säure des Sauerklees, die Oxalsäure, und 1828 den Harnstoff synthetisiert und dadurch diese Vermutung widerlegt hatte*, blieb man bei dieser Abgrenzung. Zwar gelten für den gesamten Bereich der Chemie die gleichen Naturgesetze; die Aufteilung in Organische Chemie, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen, und Anorganische Chemie, die Chemie aller Elemente außer Kohlenstoff, ist jedoch auch heute aus mehreren Gründen sinnvoll: •
•
•
•
Ein Kohlenstoffatom kann sich mit bis zu vier weiteren Kohlenstoffatomen verbinden, die ihrerseits mit weiteren Kohlenstoffatomen verknüpft sein können. Die Größe der aus Kohlenstoffatomen aufgebauten Moleküle ist praktisch nicht begrenzt. In diesen Molekülen können die Kohlenstoffatome zu unterschiedlich langen und verzweigten Ketten und zu Ringen oder Ringsystemen zusammengefügt sein. Atome der anderen Elemente können sich nicht so vielfältig zu stabilen Verbindungen verknüpfen. Am Aufbau der organischen Verbindungen sind - außer Kohlenstoff - nur wenige andere Elemente: Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und seltener die Halogene, sowie Schwefel und Phosphor beteiligt. Infolge der mannigfaltigen Verknüpfungsmöglichkeiten dieser Elemente kennt man heute über fünf Millionen verschiedene Kohlenstoffverbindungen, mehr als zehnmal so viel wie die Anzahl der bekannten Verbindungen aller anderen Elemente zusammen. Jährlich werden ca. 80000 neue organische Verbindungen dargestellt und beschrieben. Im Gegensatz zu vielen anorganischen Verbindungen zeigen die Kohlenstoffverbindungen im allgemeinen keine Neigung zur Dissoziation in Ionen (zum Zerfall in geladene Teilchen). Die meisten organischen Verbindungen zersetzen sich bei Temperaturen im Bereich 200 . . . 500°C, und sie verbrennen bei Gegenwart von Sauerstoff. Anorganische Verbindungen sind oft thermisch beständiger und meistens nicht brennbar.
Wöhler schrieb an Berzelius: ich muß Ihnen sagen, daß ich Harnstoff machen kann, ohne dazu Nieren oder überhaupt ein Thier, sey es Mensch oder Hund, nöthig zu haben."
4
Grundlagen der organischen Chemie
Die Oxide des Kohlenstoffs, die Carbonate, Carbide und Cyanide rechnet man zum Gebiet der anorganischen Chemie. Viele organische Salze und Komplexverbindungen sowie metallorganische Verbindungen ( f 2.22) besitzen sowohl „organische" wie „anorganische" Molekülteile. Die Chemie der Lebensvorgänge im Pflanzen- und Tierreich — ein sehr wichtiges Gebiet der Organischen Chemie — wird heute als Biochemie bezeichnet.
1.2 Atome und Moleküle In diesem Abschnitt (1.2) werden wichtige Begriffe und Tatsachen zur Natur der Atome und Moleküle erklärt. Darauf aufbauend erläutert der nächste Abschnitt (1.3) die Valenzelektronenhülle, den Träger der chemischen Eigenschaften. Alle irdische Materie ist aus Atomen aufgebaut. Man bezeichnet die Stoffe aus gleichartigen Atomen als elementare Stoffe oder einfach Elemente. Chemische Verbindungen bestehen aus Molekülen, in ihnen sind verschiedene Atome durch chemische Bindungen verknüpft. Mit Hilfe chemischer Reaktionen lassen sich Moleküle aus Atomen aufbauen, in andere Moleküle umwandeln oder in Atome zerlegen. Ein Atom besteht aus dem Kern und der Elektronenhülle. Unter irdischen Bedingungen treten die Atomkerne nicht nackt auf, sondern nur umgeben mit einer Elektronenhülle. Ausnahmen bilden die bei radioaktiven Prozessen entstehenden Spaltprodukte, z. B. a-Teilchen und Protonen (Helium- bzw. WasserstoffKerne). Die Atomkerne sind positiv geladen und vereinigen praktisch die gesamte Masse der Atome in sich. Die Elektronenhülle ist negativ geladen und besitzt nur eine sehr geringe Dichte. Der Durchmesser der Atomkerne ist von der Größenordnung 10~ 15 m, derjenige der Elektronenhülle ist 100000 mal größer: etwa 10~ lü m (Größenvergleich: Stecknadelkopf und Kuppel des St. Peter-Doms). Die Atomkerne sind aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt. Beide haben nahezu die gleiche Masse, nur das Proton ist elektrisch geladen — es trägt eine positive Elementarladung, ihr Betrag ist gleich der (negativen) Ladung eines Elektrons. Die Masse des Protons beträgt 1,00728, die des Neutrons 1,00866 und die des Elektrons 0,00055 Atom-Masseneinheiten. Die Atom-Masseneinheit u ist definiert als V\2 der Masse des Kohlenstoffisotops 12C; 1 u = 1,660 • 10 - 2 4 g. Eine Elementarladung, d.h. die positive Ladung des Protons und die negative des Elektrons, ist gleich 1,6021 • 10" 19 Coulomb. Die Anzahl der Elementarladungen im Kern eines Atoms wird auch Kernladungs- oder Ordnungszahl genannt, sie ist gleich der Anzahl der Protonen im Kern. Ein Atom im elementaren Zustand ist elektrisch neutral, da es in seiner Elektronenhülle genausoviele Elektronen be-
1.2 Atome und Moleküle
5
sitzt wie die Ordnungszahl seines Kerns angibt; die Anzahl der Elektronen in der Hülle ist also gleich der der Protonen im Kern. Die Atome in den Molekülen sind durch chemische Bindungen miteinander verknüpft. •
Chemische Bindungen bestehen aus Elektronen, die gleichzeitig der Elektronenhülle beider beteiligten Atome angehören.
Die chemischen Bindungen bewirken, daß die Energie zweier gebundener Atome - um die sogenannte Bindungsenergie - niedriger ist als die der einzelnen, nicht gebundenen Atome. •
Chemische Reaktionen sind Vorgänge, bei denen chemische Bindungen gelöst oder geknüpft werden.
Die chemischen Reaktionen verändern also die Verteilung der Elektronen in den Hüllen der beteiligten Moleküle und Atome, wie zum Beispiel bei der Verbrennung von Methan: H H-C-H + 2 ( 0 = 0 ) —
(0 = C = 0) + 2 H-Ö-H
H Methan
Sauerstoff
Kohlendioxid
Wasser
In dieser Reaktionsgleichung symbolisiert jeder Strich ein Elektronenpaar. Von der Elektronen-Anordnung in der Hülle eines Atoms hängt es ab, ob es als einzelnes, elektrisch geladenes Teilchen, als Ion, stabiler ist oder eher als Bestandteil eines Moleküls oder eines Kristallgitters. Auch die Eigenschaften eines Moleküls werden nur durch seine Elektronenhülle bestimmt, die ja aus der Elektronenhülle aller beteiligten Atome entsteht. Die chemischen Reaktionen eines Elements oder einer Verbindung sind, wie wir im einzelnen noch sehen werden, ein makroskopisch sichtbarer Ausdruck der mikroskopischen Eigenschaften der Elektronenhülle der beteiligten Atome. Die Atomkerne haben nur insofern einen Einfluß auf die chemischen Eigenschaften der Atome und Moleküle, als sie die Anzahl der Elektronen festlegen, die in der Elektronenhülle vorhanden sein müssen, damit Atome und Moleküle elektrisch neutral werden. Die Anzahl der Elektronen im neutralen Atom allein bestimmt dessen chemische Eigenschaften. Dies wird noch in den Abschnitten 1.5 und 1.6 eingehender erklärt. Die Anzahl der Neutronen im Kern hat keinen wesentlichen Einfluß auf die chemischen Eigenschaften, da nur die Anzahl der Protonen im Kern, die Ordnungszahl, ein Element charakterisiert. Atome mit der gleichen Zahl von Protonen, aber mit verschiedener Zahl von Neutronen im Kern gehören zum gleichen Element, obwohl sie verschiedene Masse besitzen. Sie heißen isotope Atome. Zum Beispiel können in einem Atomkern 6 Protonen gemeinsam mit 6, 7 oder 8 Neutronen angeordnet sein. Ein Kern mit der Kernladung 6 gehört zum Element Kohlenstoff - es gibt also die Kohlenstoff-Isotope mit der Masse von ca. 12, 13 und 14 Atom-Masseneinheiten.
6
Grundlagen der organischen Chemie
Bei manchen Reaktionen und Eigenschaften der Atome und Moleküle hat die Masse einen Einfluß. Dann geben isotope Atome Anlaß zu sogenannten Isotopeneffekten. Diese werden in diesem Buch nicht näher behandelt. Die Ordnungszahl wird einem Elementsymbol als linker Subskript angefügt: C, die Masse als linker Superskript: ^C, '¿C, '¡-C. Als rechten Subskript gibt man 6 die Anzahl der gleichen Atome in einem Molekül an: C 6 H 6 ) und als rechten Superskript die Ladung des Atoms oder seinen Zustand, den Radikal- ('), Anregungs- (*) oder den Übergangszustand (*) bei einer Reaktion. Beispiele: ChloridAnion CI e , Chlor-Radikal C l \ Wasserstoff-Kation (Proton) H®. Das für den analytisch arbeitenden Chemiker wichtige Atomgewicht ist der Durchschnittswert der relativen Masse der in der Natur auftretenden Mischung von isotopen Atomen des betreffenden Elements, bezogen auf die Masse des Kohlenstoffisotops I2 C = 12,00000 ( | Tabelle 1.2). Auf der Erde kommen in der Natur fast alle Atomkerne der Ordnungszahlen 1 . . . 92 vor; einige wenig stabile Elemente mit höherer Ordnungszahl wurden mit den Verfahren der Kernphysik künstlich erzeugt. Die Atome der natürlichen Elemente haben daher auch eine Hülle aus 1 . . . 92 Elektronen. Schon im Jahre 1869 hatten unabhängig L. Meyer und D. Mendelejew festgestellt, daß sich bestimmte Eigenschaften der Elemente mit steigendem Gewicht periodisch wiederholen. In den Jahren 1910—1930 erkannte man, wie diese Periodizität und überhaupt das chemische Verhalten von Elementen und Verbindungen von der Elektronenhülle der Atome bestimmt werden ( f 1.3, 1.4).
1.3 Atom-und Molekülorbitale Ernest Rutherford untersuchte 1911 die Streuung von a-Teilchen (HeliumKernen) an den Atomen von Metallfolien. Da nur relativ wenige a-Teilchen aus ihrer Bahn abgelenkt wurden, schloß er daraus, daß der Atomkern im Vergleich zur Elektronenhülle äußerst klein sein muß. Nils Bohr erklärte 1913 diesen Befund mit Hilfe des Planetenmodells des Atoms: Wie Planeten oder Erdsatelliten umkreisen die Elektronen den Kern auf Bahnen, die dadurch bestimmt sind, daß die Zentrifugalkraft entgegengesetzt gleich ist der anziehenden Kraft zwischen dem positiv geladenen Kern und den negativ geladenen Elektronen. Mit Hilfe des Bohrschen Atommodells ließen sich wesentliche Eigenschaften der Atomspektren erklären. Trotzdem ist dieses Modell jedoch nicht stichhaltig: Ein Gebilde, bei dem eine negative Ladung um eine positive periodisch kreist, muß — wie die Dipolantenne eines Rundfunksenders — elektromagnetische Strahlung aussenden. Dadurch müßte die kinetische Energie des Elektrons solange abnehmen, bis es in den Kern stürzt. Tatsächlich sind die
1.3 Atom- und Molekülorbitale
7
Elektronenbahnen jedoch stabil! Diese Tatsache kann das Bohrsche Atommodell nicht erklären. Entdeckungen von Louis de Broglie und Werner Heisenberg zum ,Welle-Teilchen-Dualismus' lösten das Rätsel. Schon 1905 hatte Albert Einstein gezeigt, daß Licht — eine Erscheinungsform elektromagnetischer Wellen — ebenfalls Eigenschaften von Materieteilchen, sogenannten Quanten, zeigt. In seiner Doktorarbeit erklärte Louis de Broglie 1924, daß andererseits Materieteilchen die Eigenschaften von Wellen haben. Sie werden tatsächlich - wie Wellen - gebeugt! Die Wellenlänge X eines Teilchens ist umgekehrt proportional seiner Masse m und seiner Geschwindigkeit v: m • v Proportionalitätskonstante ist die Planck-Einstein-Konstante h = 6,63 • 10~34 Js. Die de-Broglie-Wellenlänge X ist für Gegenstände des täglichen Lebens viel zu klein, um beobachtbar zu sein. Die Wellenlänge eines scharf getretenen Fußballs ist 10~ 36 m, also viel kleiner als der Durchmesser eines Atomkerns. Dagegen haben jedoch Elektronen unter den Bedingungen in der Elektronenhülle Wellenlängen von ca. 10~'°m, also gleich der Größenordnung der Atomdurchmesser. Damit war nahegelegt, daß die Elektronen in der Umgebung der Atomkerne stehende Wellen bilden. Da somit keine scharfen Umlaufbahnen existieren, wird auch keine Dipolstrahlung ausgesandt. Heisenberg zeigte 1925 mit Hilfe seiner Unschärferelation, daß man Geschwindigkeit v und Ort x eines Teilchens nie gleichzeitig beliebig genau angeben kann. Das Produkt der Abweichungen Av und Ax ist größer oder mindestens gleich h/m. ,
.
h m
Für ein Elektron bedeutet dies: falls man Ax exakt auf den Kerndurchmesser begrenzte, so müßte seine Geschwindigkeit so groß sein, daß es den Kern sofort verlassen würde. Die Elektronen in den Atomhüllen können also nicht in den Kern fallen, sie bilden stehende räumliche Wellen im Bereich um den Kern. Erwin Schrödinger gelang es 1926, die Welleneigenschaften der Materie in Atomen und Molekülen korrekt mathematisch zu beschreiben. Die Lösungen der sogenannten Schrödingergleichung erlauben grundsätzlich die Berechnung aller physikalischen und chemischen Eigenschaften von Atomen und Molekülen. Schrödinger begründete mit dieser Gleichung die Quantenmechanik. Ihre Anwendung auf chemische Probleme ist Gegenstand der Quantenchemie. Die Schrödingergleichung ist zwar nur für einfache Gebilde exakt lösbar, man verfügt jedoch heute über Näherungsverfahren, die recht genaue Daten auch für größere Moleküle zu berechnen gestatten. Im folgenden werden die im Rahmen dieses Buches wichtigsten Aussagen der Quantenchemie beschrieben.
8
Grundlagen der organischen Chemie
Die zur Hülle eines Atoms gehörenden Elektronen bilden stehende räumliche Wellen mit dem Kern als Zentrum. Man bezeichnet sie als Atomorbitale (von lat. orbis: Kreis, Bahn, Bereich). Sie werden durch Wellenfunktionen W mathematisch beschrieben. Solche Atomorbitale sind in den Abbildungen 1.2 und 1.4 gezeichnet. Nach einem von Wolfgang Pauli gefundenen Prinzip (Pauli-Verbot) können jeweils höchstens zwei Elektronen das gleiche Orbital ausbilden, dann müssen sie jedoch entgegengesetzten Spin besitzen. Als Elektronenspin bezeichnet man den Eigendrehimpuls des Elektrons, er äußert sich darin, daß einzelne Elektronen sich in einem Magnetfeld wie kleine Magnete verhalten. Zwei Elektronen mit antiparallelem Spin in einer Bahn kompensieren ihre magnetischen Eigenschaften. Orbitale unterscheiden sich durch die Anzahl und Form ihrer Knotenflächen. Dies soll zunächst an einem makroskopischen Analogon verdeutlicht werden ( | Abbildung 1.1). Im Zentrum einer gasgefüllten Hohlkugel sei eine Schallquelle (z.B. ein Lautsprecher) angebracht. Falls diese Quelle in alle Richtungen gleich intensiv mit gleicher Phase strahlt, so bilden sich bei bestimmten Frequenzen stehende Kugelwellen aus. Zu einem tiefsten Grundton gibt es Obertöne, bei ihnen treten im Inneren des Hohlraums stehende Wellen mit einer oder mehreren Knotenkugeln auf. In der Abbildung symbolisiert ein + oder - die relative Schwingungsphase. Strahlt die Quelle jedoch wie eine Lautsprechermembran in zwei entgegengesetzten Richtungen Wellen mit entgegengesetzter Phase aus, so bildet
Abbildung 1.1 a) Schwingungen einer Saite. 1 Grundton, 2 Oberton. Mit + und — ist die relative Richtung der Auslenkung gibt an, daß die wahre Struktur durch Überlagerung der beiden Strichformeln repräsentiert wird (Mesomerie f 1.9).
30
Grundlagen der organischen Chemie
Diese funktionellen Gruppen können nebeneinander einzeln und mehrfach in einem Molekül auftreten, daneben gibt es eine Fülle von Kombinationen (z.B. | Tabelle 1.5), sowie weiter Varianten, in denen Sauerstoff durch Schwefel ersetzt ist ( t 2.21). Tabelle 1.5
Funktionelle Gruppen, die eine Carbonylgruppe enthalten
Ol -c \
-C H
Aldehyd
Ol 0 \
R
Keton
Ol -c
\ V 0 -H
N
Carbonsäure
Ol -c N
0 - R
Carbonsäureester
Ol
Ol 0 -C > 2
-c
Carbonsäureamid
Carbonsäurechlorid
et*
Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der organischen Verbindungen werden sowohl von den Gerüsten als auch den funktionellen Gruppen bestimmt. Die funktionellen Gruppen bestimmen besonders den chemischen Charakter der Substanzen. Von den Gerüsten hängt es ab, ob ein Molekül beweglich oder starr ist, in welcher Weise Substituenten angeordnet sein können, ob das Elektronensystem mehrerer Substituenten sich beeinflussen kann, oder ob es mit dem des Gerüstes in Wechselwirkung tritt: Hierdurch wird die Reaktivität der funktionellen Gruppen verändert. Löslichkeit und Flüchtigkeit wird vor allem bestimmt durch die Molekülgröße und die zwischenmolekularen Wechselwirkungen.
1.8 Isomerien Die große Mannigfaltigkeit in der Architektur organischer Verbindungen läßt sich darauf zurückführen, daß ein bestimmter Satz von Atomen verschiedenartig miteinander verknüpft und räumlich angeordnet werden kann, so daß isomere Moleküle entstehen. •
Als Isomere bezeichnet man Moleküle mit der gleichen Summenformel aber verschiedener Anordnung von Bindungen oder Atomen. Man teilt die Isomeren in zwei Gruppen ein:
• •
•
Konstitutionsisomere unterscheiden sich in der Verteilung der Bindungen, im Verkn üpfungsm uster. Stereoisomere besitzen das gleiche Verknüpfungsmuster, sie unterscheiden sich in der räumlichen Anordnung der Atome. Konstitutionsisomere kann man in drei Klassen einteilen: Funktionsisomere besitzen verschiedene funktionelle Gruppen,
1.8 Isomerien
• •
31
Gerüstisomere besitzen verschiedene Molekülgerüste und Stellungsisomere unterscheiden sich hinsichtlich der Stellung der Substituenten am gleichen Gerüst.
Als Tautomere werden zwei Funktionsisomere dann bezeichnet, wenn sie sich reversibel ineinander umwandeln können, wenn sich also ein Gleichgewicht der Konzentration beider Spezies einstellt (vgl. Keto-Enol-Tautomerie | Abschnitt 2.11.1).
Stereoisomere klassifiziert man nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten, hinsichtlich der Möglichkeit, sie ineinander umzuwandeln und hinsichtlich ihrer Symmetrie. • •
Konformationsisomere lassen sich durch Verdrehung von Baugruppen um Einfachbindungen ineinander umwandeln. Konfigurationsisomere lassen sich nur dadurch ineinander umwandeln, indem mindestens eine Einfachbindung gelöst wird.
Auf der Basis ihrer Symmetrie lassen sich Paare von Stereoisomeren eindeutig zwei Klassen zuordnen: • •
Stereoisomerenpaare, die sich zueinander verhalten wie ein Gegenstand und sein Spiegelbild, nennt man Enantiomere. Stereoisomerenpaare, bei denen dies nicht zutrifft, nennt man Diastereoisomere.
In der Tabelle 1.6 sind die verschiedenen Typen der Isomerie durch Beispiele erläutert, weiterhin sind dort ihre wesentlichen Charakteristika zusammengestellt. Enantiomere Moleküle besitzen die Eigenschaft der Chiralität (Händigkeit), sie verhalten sich nämlich wie die rechte Hand zur linken Hand, wie eine Schraube mit Rechtsgewinde zu einer mit Linksgewinde. Beispiele für derartige schraubenförmige Molekülketten sind die Proteine und die Nucleinsäuren ( f a-Helix, Doppelhelix, Abbildung 6.7 und 6.20). Neben diesen Molekülen mit einer Chiralitätsachse findet man vor allem Moleküle mit Chiralitätszentren. Da sind zum Beispiel Moleküle mit einem asymmetrischen (genauer: asymmetrisch substituierten) Kohlenstoffatom - sie besitzen ein Kohlenstoffatom, das vier verschiedene Substituenten trägt: B
, FV
CI
C
\ H
3
B F
?
^
C X
CH3
Abbildung 1.16 Definition der absoluten Konfiguration bei Molekülen mit asymmetrischem Kohlenstoffatom nach Cahn, Ingold und Prelog. Das Atom mit der niedrigsten Ordnungszahl ist vom Beobachter B entfernt angeordnet. Die absteigende Reihenfolge der Ordnungszahlen der anderen Substituenten ergibt (linkes Molekül) eine Rechtsschraube, R-Konfiguration bzw. (rechtes Molekül) eine Linksschraube, S-Konfiguration.
X loi X CJ X o i X 0
£
l o1i
tn
X o
m
u C U r- "jj ™ [0-faj O J3 ¡» S u .0 'S 2 3 E c « U ofi lU (S - S
u
: "O •y;
M OC>
«•s-s .. V) (/)
2 - • 3 U 1= u c E o o ' .â -
an u
«J Û
W t. Q . S Si
U o g ¡3 o «
mä
id o X» jí 2 3 • s S "
JS u o. c « «a p é l i s e s
"
"O
c „-o
— g E bu
u 3 O C
V
•uc
g u O 'C w o ! Ë
S o
e o
OD C
e .0
S
c3 tu
:
2
u Ü
3
•«c u E e
«e "5 S»
o
ge
-g
e u O "O u Í . E E
£ o
ê=e á § è w S •a £ N
55 £ Q N
N N
M
M
u o. 2 H S O e g a 2 uw 00 V] C « .. . 2 û i
e ?
• g l fe ä S u
c -S §
D.
E o oE
S c
1.8 Isomerien
33
Man kennzeichnet die chiralen Moleküle mit einem asymmetrischen C-Atom, indem man den vier Substituenten Prioritäten nach den Ordnungszahlen der an das Zentralatom gebundenen Atome (bzw., falls dies noch zu keiner eindeutigen Reihung führt, zusätzlich denen der nächsten Nachbarn) zuordnet. Der Substituent mit der kleinsten Priorität wird von einem gedachten Beobachter aus nach hinten angeordnet ( \ Abbildung 1.16). Wenn die anderen Substituenten nach abnehmender Priorität gereiht vom Beobachter als Rechtsschraube gesehen werden, so hat das Molekül eine R-Konfiguration (von lat. rectus: richtig), ergeben sie eine Linksschraube, so hat es eine S-Konfiguration (von lat. sinister: verkehrt). Neben dieser, von Cahn, Ingold und Prelog eingeführten Bezeichnung gibt es historisch überlieferte, die sich auf Bezugssubstanzen beziehen (z.B. Dund L-Glycerinaldehyd f Tabelle 6.1 und Abbildung 6.4). Enantiomere unterscheiden sich voneinander nicht hinsichtlich ihrer Schmelzund Siedepunkte. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer optischen Aktivität: Sie drehen die Polarisationsebene linear polarisierten Lichts entweder nach rechts oder nach links. Die Enantiomerie nennt man daher auch optische Isomerie und die Enantiomeren nennt man optische Antipoden. Synthesen optisch aktiver Verbindungen in der Natur liefern meist reine Enantiomere; im Labor dagegen bildet sich im allgemeinen das sogenannte racemische Gemisch, das l:l-Gemisch beider Enantiomeren. Da Enantiomere übereinstimmende Schmelz- und Siedepunkte besitzen, lassen sie sich nur auf Umwegen aus dem racemischen Gemisch abtrennen. Mit Hilfe einer chiralen Hilfssubstanz R' bildet man zum Beispiel aus dem Gemisch der Enantiomeren R und S die diastereoisomeren Verbindungen R - R ' und S - R ' . Diese besitzen wie alle Diastereoisomeren verschiedene physikalische Eigenschaften, wie Schmelz- und Siedepunkte. Man kann sie daher voneinander trennen. Schließlich spaltet man die chirale Hilfssubstanz wieder ab und erhält so die reinen Enantiomeren R bzw. S. Das bekannteste Beispiel der Diastereoisomerie ist die cis-trans-Isomerie bei2 Substituenten an einer Doppelbindung. Beim cis-Isomeren stehen die Substituenten auf der gleichen Seite, beim trans-Isomeren stehen sie sich gegenüber. Wenn mehr als zwei Substituenten an einer Doppelbindung stehen, so verwendet man zur Kennzeichnung der Isomeren die Z-E-Nomenklatur. Man sucht sich die Substituenten der benachbarten C-Atome heraus, die jeweils die höchste Ordnungszahl besitzen. Stehen sie auf der gleichen Seite (zusammen), bezeichnet man sie als Z-Isomere, stehen sie entgegengesetzt, als E-Isomere: Cl \
F
/ Br
\ Cl
/ c=c
Z-1-Brom-1, 2-dichlor2-fluorethen
Cl
Cl
\
/
/
\
c=c
Br
F
E-1 -Brom-1, 2-dichlor2-fluorethen
Genügt z.B. bei Kohlenstoffketten das erste Atom nicht zur Festlegung der höchsten Priorität, so wertet man, wie auch bei der oben besprochenen Cahn-
34
Grundlagen der organischen Chemie
Ingold-Prelog-Nomenklatur, die Ordnungszahlen der nächsten Nachbarn aus: H /
CH, C-C
CH3
\
CH2-CHJ
Z - 3 - Methylpenten - 2
H /
CH,-CH3 C-C
CHj
\
CHJ
E - 3 - Methylpenten - 2
Die cis-trans-Isomerie von Molekülen mit Doppelbindungen ist eine Folge davon, daß die beiden durch die Doppelbindung verknüpften Molekülteile nicht gegeneinander verdreht werden können. Zwei Molekülteile können aber auch dann nicht gegeneinander verdreht werden, wenn sie durch eine Einfachbindung verknüpft sind, die Bestandteil eines Ringes ist. Man nennt diesen Fall der Diastereoisomerie die cis-trans-Isomerie an Ringen. Ein Beispiel dieser Isomerie am 3-gliedrigen Ring ist in Tabelle 1.6 gegeben. Schließlich ist dort auch gezeigt, daß Diastereoisomerie bei Molekülen auftritt, die aus zwei chiralen Teilen bestehen. Alle Diastereoisomeren haben verschiedene physikalische Eigenschaften. Man kann sie daher mit den üblichen Methoden — Destillation oder Kristallisation - voneinander trennen.
1.9 Wechselwirkungen zwischen Mehrfachbindungen: Mesomerie, aromatische Verbindungen Zwei Doppel- oder Dreifachbindungen in einem Molekül, die durch mehrere Einfachbindungen getrennt sind, beeinflussen sich praktisch nicht, man bezeichnet sie als isolierte Doppel- oder Dreifachbindungen. CH2=CH-CH2-CH=CH2 © © © © © 1,4-Pentadien (isolierte Doppelbindungen)
Gehen zwei Doppelbindungen vom gleichen Kohlenstoffatom aus, so bezeichnet man die Bindungen als kumulierte Doppelbindungen.
Abbildung 1.17 Allen, das einfachste Molekül mit kumulierten Doppelbindungen. Oben: Die Kohlenstoffatome sind linear angeordnet, die Ebenen der CH 2 -Gruppen stehen senkrecht aufeinander. Dies ist darauf zurückzuführen, daß (Mitte) die äußeren Kohlenstoffatome im Zustand der sp 2 -Hybridisierung, das mittlere im sp-Zustand ist ( t Abbildung 1.13).
1.9 Wechselwirkungen zwischen Mehrfachbindungen: Mesomerie, aromatische Verbindungen
35
Das mittlere C-Atom befindet sich im Zustand der jp-Hybridisierung, die beiden äußeren in sp 2 -Hybridisierung. Die drei beteiligten Kohlenstoffatome sind daher linear angeordnet, die endständigen CH 2 -Gruppen stehen senkrecht aufeinander und sind nicht gegeneinander verdrehbar. Falls nur eine Einfachbindung zwischen zwei Doppelbindungen vorhanden ist, so nennt man dies ein konjugiertes Doppelbindungssystem. Man hat festgestellt, daß konjugierte Doppelbindungen starke Wechselwirkungen aufeinander ausüben. CH2=CH-CH=CH2
© © ® © 1,3-Butadien (konjugierte D o p p e l b i n d u n g e n )
Die besonderen Eigenschaften derartiger Systeme rühren daher, daß nicht nur die p z -Orbitale der Atome 1 und 2 sowie 3 und 4, wie durch die Strichformel suggeriert wird, zu jt-Bindungen überlappen, sondern weil in Wirklichkeit alle pzAtomorbitale der Atome 1 , 2 , 3 und 4 gemeinsam Jt-Molekülorbitale bilden. Abbildung 1.18 zeigt das Bindungssystem des Butadien-Moleküls. Die sp2Orbitale der C-Atome bilden zusammen mit den ls-Orbitalen der H-Atome das
Abbildung 1.18 Elektronenstruktur des Butadiens, das a-Elektronensystem ist durch Striche dargestellt; a) zeigt die p 2 -Orbitale der vier Kohlenstoffatome; b) und c) sind die beiden mit je zwei Elektronen besetzten ir-Molekülorbitale.
36
G r u n d l a g e n der o r g a n i s c h e n C h e m i e
o-Elektronensystem des Butadiens. Die o-Bindungen liegen alle in einer Ebene, die Winkel zwischen den a-Bindungen betragen 120°. Das a-Bindungssystem des Butadiens ist durch Striche angedeutet. Oberhalb und unterhalb der Ebene der oBindungen liegen in Abbildung 1.18a die beiden Bereiche der p z -Orbitale der vier C-Atome. Da sie sich gegenseitig berühren, können sie Jt-Molekülorbitale ausbilden, die sich über das ganze Molekül erstrecken. Die beiden in Abbildung 1.18c und b dargestellten Ji-Molekülorbitale lassen sich als stehende Wellen auffassen, ähnlich dem Grund- und dem Oberton einer schwingenden Saite; sie sind jeweils mit zwei Elektronen besetzt. Das Molekülorbital in Abbildung 1.18b entspricht der oben gezeichneten üblichen Valenzstrich-Formel des Butadiens mit Doppelbindungen zwischen den C-Atomen 1 und 2 sowie 3 und 4. Die Besetzung der Molekülorbitale in Abbildung 1.18b und c mit je zwei Elektronen hat zur Folge, daß auch die Bindung zwischen den C-Atomen 2 und 3 Eigenschaften einer ganz schwachen Doppelbindung erhält, so daß z.B. hier die Drehbarkeit behindert ist. Tatsächlich beobachtet man, daß Butadien (wie andere Moleküle mit konjugierten Bindungssystemen) in zwei Konformationsisomeren auftritt, als s-cis und s-trans-Form (von englisch single-cis and single-trans): H
H
N
u r
H- . C
*
H
H
/ V H ,C-H '
s-cis-Butadien
V
H
C H
u
V c
C H
V C I I
H
H
s-trans-Butadien
Die Beteiligung des Molekülorbitals nach Abbildung 1.18c hat weiter zur Folge, daß bei chemischen Reaktionen, die sonst nur eine Bindung angreifen, das konjugierte System als Einheit reagiert. Man bezeichnet derartige bei einem konjugierten Bindungssystem auftretenden Wechselwirkungen, die von klassischen Strichformeln nicht widergespiegelt werden, als Mesomerie (griech.: mitten zwischen den Teilen). Damit soll ausgedrückt werden, daß der wahre Zustand des Moleküls nicht durch eine Valenzstrichformel angegeben werden kann, sondern, daß man dazu mehrere Grenzformeln benötigt. Man hatte früher versucht, den durch die jt-Molekülorbitale 1.18b und c erzeugten Bindungszustand durch folgende Strichformeln zu symbolisieren: CH2=CH-CH=CH2-—•CH2-CH=CH-CH2——
e— ® ® — e C H 2 - C H = C H - C H 2 — • CH 2 -CH=CH-CH 2
Die Mesomeriepfeile B + . . . Beispiele sind Isomerisierungen oder Dissoziationen. Sehr häufig sind Reaktionen, bei denen sich ein Produkt durch Zusammenstoß von zwei Eduktmolekülen bildet, bimolekulare Reaktionen: A + B —> C Recht selten sind Reaktionen, die den Zusammenstoß von mehreren Teilchen erfordern, z.B. termolekulare Reaktionen (lat. ter = dreimal): A + B + C—» D • •
Die Molekularität einer Reaktion charakterisiert den mikroskopischen Elementarschritt, der den zeitlichen Ablauf einer Reaktion bestimmt. Die Reaktionsordnung beschreibt die makroskopisch beobachtete Abhängigkeit von den Konzentrationen der Reaktionspartner.
Eine Reaktion verläuft dann nach der 1. Ordnung, wenn die Geschwindigkeit, die Abnahme der Eduktkonzentration pro Zeiteinheit, proportional der Konzentration nur einer Molekülsorte ist.
-V = d[A]
Bei einer Reaktion 2. Ordnung ist die Geschwindigkeit der Konzentration zweier Eduktmoleküle, A und B, proportional: "
d[A] dT
=
^
[B]
Beispiele für solche Reaktionen werden in Abschnitt 1.14.2 diskutiert. Eine Reaktion 3. Ordnung ist definiert durch: d[Al -
= * [ a ] [ß] [c]
53
1.14 Reaktionen in der Organischen Chemie
Gelegentlich findet man Reaktionen nullter Ordnung-, die Geschwindigkeit ist konstant und überhaupt nicht von der Konzentration eines Reaktanden abhängig. Dies ist der Fall bei katalytischen Reaktionen, wenn bei hoher Konzentration der Reaktanden nur eine kleine Menge eines Katalysators vorhanden ist, der nur eine bestimmte Reaktionsgeschwindigkeit ermöglicht. Geht man von einem Ansatz geeigneter Konzentrationen aus, so verläuft eine unimolekulare Reaktion nach 1. Ordnung, eine bimolekulare nach 2. Ordnung usf. Häufig beobachtet man jedoch Reaktionsordnungen, die die Molekularität der Elementarschritte nicht richtig widerspiegeln. Bei Reaktionen mit dem Lösemittel L: A + L —> B + . . ., dessen hohe Konzentration [L] sich im Verlauf der Reaktion praktisch nicht ändert, zeigt eine bimolekulare Reaktion pseudo1. Ordnung: _
= k[A] [L] = A:'[A]
mit k' = A:[L]
Komplikationen treten auf, wenn Reaktionen hintereinander ablaufen; dann bestimmt die langsamste Reaktion in dieser Folge die beobachtete Ordnung. Gelegentlich überlagern sich auch Konkurrenzreaktionen, sie erschweren die Interpretation der kinetischen Messungen. Kinetische Messungen sind sehr wichtig auf vielen Gebieten der Organischen Chemie: bei der Optimierung großtechnischer Reaktionen wie auch zur Auffindung des Reaktionsmechanismus bei Reaktionen im Labor oder bei biochemischen Reaktionen in lebenden Organismen. Der Reaktionsmechanismus umschreibt die Details aller Teilschritte einer Reaktion hinsichtlich der Energiebilanz und der Natur und Struktur aller beteiligten Moleküle.
1.14 Reaktionen in der Organischen Chemie 1.14.1 Namen und Definitionen Reaktionen werden nach verschiedenen Gesichtspunkten benannt: nach dem Ergebnis, dem Mechanismus, dem sterischen Verlauf, nach energetischen Gesichtspunkten oder auch nach dem Namen des Entdeckers. Die reagierenden Teilchen nennt man Reaktanden oder Edukte\ oft unterscheidet man auch zwischen dem angreifenden Partner, dem Reagenz und dem angegriffenen, dem Substrat. Aus den Reaktionspartnern entsteht das Reaktionsprodukt oder die Produkte. Chemische Reaktionen werden durch Reaktionsgleichungen dargestellt, wobei anstelle des Gleichheitszeichens ein Pfeil —» steht, der die Richtung der Reaktion angibt. Gleichgewichte werden durch Doppelpfeile: ^ oder dargestellt, wobei verschiedene Längen der Pfeile zeigen können, daß das Gleichgewicht sich
54
Grundlagen der organischen C h e m i e
einer Seite zuneigt: Eine Umlagerung wird durch n > ausgedrückt. Der Mesomerie-Doppelpfeil . Im folgenden sind Beispiele wichtiger Typen organisch-chemischer Reaktionen aufgeführt. Als Synthese bezeichnet man allgemein den Aufbau einer Verbindung. Bei Abbaureaktionen werden Teile des Moleküls abgelöst. Bei einigen Reaktionen werden in einem Molekül Bindungen gelöst und an anderen Stellen des gleichen Moleküls neu geknüpft — das Produkt besitzt die gleiche Summenformel, aber einen anderen Aufbau — dies sind Isomerisierungen. Bei Anlagerungs- oder Additionsreaktionen wird ein Molekül A—B von einem anderen Molekül mit einer Doppelbindung aufgenommen: N
/
A - B + C=C '
x
Addition
iZT
Abspaltung
A i
B i
-C-CI
I
Ein auch technisch wichtiges Beispiel einer Additionsreaktion ist die Hydrierung: H,+ 1
\
/
'
^
C=C
H H
Ii ii
-C-C-
Den umgekehrten Prozeß nennt man Abspaltung oder Eliminierung (z.B. Dehydrierung). Bei einer Polymerisation wird eine Reihe von Molekülen, die eine Doppelbindung besitzen, unter Aufspaltung dieser Bindung miteinander verknüpft. •• *]c~c[ * ]c-c[ +
-
-C-C-C-C-"-
Der Unterschied zu Additionsreaktionen ist dabei, daß addierendes und addiertes Molekül identisch sind. In bestimmten Fällen kommt es nicht zur Polymerisation, sondern durch Zusammenlagerung von zwei Molekülen nur zur Dimerisation: " c ' ^c' - c - c ii + n — T i
„C.
-C-C-
In ähnlicher Weise können auch drei Moleküle zu einem trimeren Molekül zusammentreten. Bei einer Kondensation werden zwei Moleküle unter Austritt von Molekülen wie Wasser, HCl usf. miteinander verknüpft: - C - O H + H O - C - -> - C - O - C - + H20
1.14 Reaktionen in der Organischen Chemie
55
Moleküle mit mehreren kondensationsfähigen Reaktionsstellen im gleichen Molekül können durch Polykondensation Kettenmoleküle bilden ( f 3.3). Unter -lyse oder Dissoziation versteht man die Spaltung einer Bindung. Bei der Homolyse wird das Bindungselektronenpaar gleichmäßig aufgeteilt, es entstehen zwei Radikale. Bei der Heterolyse verbleibt das Bindungselektronenpaar bei einem Bruchstück, es entsteht ein Anion und ein Kation. „ Homolyse. „Heterolyse .O „© 1 — • A A* • - B - « — A - B • B H 2 0 | Hydrolyse AH * BOH
Bei der Hydrolyse oder Verseifung wird eine Bindung durch die Elemente des Wassers gespalten, an die Bruchstücke treten H® und O H e . Die Umkehrung der Reaktion heißt Dehydratisierung. Allgemein heißt eine Spaltung, bei der ein Lösemittelmolekül angelagert wird, Solvolyse. Die Dissoziation kann auch durch Strahlung, Licht, elektrischen Strom oder Wärme ausgelöst werden: Radiolyse, Photolyse, Elektrolyse, Pyrolyse. Bei einer Substitution erfolgt der Austausch eines Substituenten durch einen anderen: -C-X + Y ^ - C - Y + X Die Namen einiger Substitutions-Reaktionen drücken aus, welche Bindungen neu entstehen: Chlorierungen: Nitrierungen: Sulfonierungen:
C—H—»C—C1 C-H^C—N02 C—H—»C-S03H
Reaktionen, die Bindungen mit Sauerstoff bilden oder solche mit Wasserstoff lösen, bezeichnet man als Oxidationen oder Dehydrierungen. Reaktionen, die Bindungen mit Wasserstoff bilden oder solche mit Sauerstoff lösen, bezeichnet man als Reduktionen oder Hydrierungen. Reagenzien, die diese Reaktionen bewirken, nennt man Oxidations- bzw. Reduktionsmittel. Ganz allgemein ist eine Oxidation mit einer Abgabe von Valenzelektronen, eine Reduktion mit einer Aufnahme von Valenzelektronen verknüpft. Eine Oxidationsreaktion ist immer mit einer Reduktionsreaktion verknüpft: Das Oxidationsmittel wird reduziert, das Reduktionsmittel oxidiert. Ein solches Redoxsystem kann durch den Wert der Gleichgewichtskonstante (bzw. des sogenannten Redoxpotentials) beschrieben werden. Bei der Klassifikation der Reaktionen nach der Natur des Reagenz unterscheidet man folgende Fälle: Ist das Reagenz ein Kation, X® oder eines mit Elektronenlücke, wie BF 3 , A1C13 etc. (Lewis-Säuren), so nennt man es ein elektrophiles (elektronenliebendes) Reagenz, denn es bevorzugt die Stellen hoher Elektronen-
56
Grundlagen der organischen Chemie
dichte im Substrat. Ist das Reagenz ein Anion, Y e oder ein Molekül mit freiem Elektronenpaar, wie = N | etc. (Lewis-Base), so bevorzugt es die Stellen niedriger Elektronendichte im Substrat, es ist nukleophil (kernliebend). Besitzt das Reagenz ein ungepaartes Elektron, so nennt man es ein Radikal und bezeichnet seine Reaktionen als Radikalreaktionen. Radikale sind meist sehr energiereiche und daher auch reaktionsfreudige und kurzlebige Zwischenprodukte. Da ihnen ein Elektron an der Edelgasschale fehlt, ist ihre Reaktivität mit der des atomaren Fluors vergleichbar. Die Produkte von Radikalreaktionen sind oft wieder Radikale, sie können dann weiter reagieren, wodurch es zur Radikalkettenreaktion kommt ( | 2.1.5). Eine Reaktion, die ein bestimmtes von mehreren grundsätzlich möglichen Stellungsisomeren ( f 1.8) liefert, nennt man regiospezifisch (von lat. regio, die Richtung), zum Beispiel:
NO 2
100%
0%
07.
Bildet sich bevorzugt eines von mehreren möglichen Stereoisomeren, so nennt man die Reaktion stereoselektiv. Beispiele hierfür sind die Enzymreaktionen, die nur jeweils eines der möglichen Enantiomeren bilden ( | Kapitel 6). Bildet sich aus einem bestimmten Stereoisomeren nur eines von mehreren möglichen Stereoisomeren, aus einem anderen Stereoisomeren jedoch ein Produkt, das stereoisomer zum ersten Produkt ist, so nennt man die Reaktion stereospezifisch ( f 2.2.3).
1.14.2 Mechanismen, Zwischenprodukte Der Mechanismus und der sterische Verlauf einer Substitutionsreaktion sei anhand folgender Reaktion besprochen: C H 3 - C H 2 - C 1 + O H e —» CH 3 —CH 2 —OH + C l e Es handelt sich hier um den Angriff durch ein Anion, das ein anderes verdrängt, also um eine nukleophile Substitutionsreaktion. Es gibt zunächst zwei Möglichkeiten des Reaktionsablaufs: die Zweistufenreaktion (1) oder die Einstufenreaktion (2): H H
(i)
H-C-C-CL
i i
-Cle langsam
H H -C-C
© • OH
H H
H H
Ethylchlorid
Ethyl-Kation
H H H-C-C-OH
i i
H H Ethylalkohol
57
1.14 Reaktionen in der Organischen Chemie H H (2)
H
H
H-C-C-CL
H-C-C-OH
H H
H H
Ethylchlorid
Ethylalkohol
i i
i i
Da Alkyl-Kationen energiereich sind und schnell weiter reagieren, ist bei der Reaktion (1) der langsamste, also der geschwindigkeitsbestimmende Schritt die Dissoziation des Alkylhalogenids. Die Reaktionsgeschwindigkeit wäre also in diesem Falle nur der Konzentration des Alkylhalogenids proportional, daher handelt es sich bei der Reaktion (1) um eine unimolekulare nukleophile Substitution, eine SNl-Reaktion. Diese unimolekulare Reaktion verläuft im Idealfall nach einem Geschwindigkeitsgesetz 1. Ordnung. Die Reaktion (2) entspricht einer bimolekularen nukleophilen Substitution, man nennt sie daher SN2-Reaktion. Die Geschwindigkeit ist im Idealfall sowohl der Konzentration der OH e -Ionen als auch der des Alkylhalogenids proportional. Mit Hilfe von kinetischen Messungen, wobei man die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Konzentration der Reaktanden feststellt, kan man entscheiden, daß in unserem Beispiel bevorzugt die Reaktion (2) abläuft, also die S N 2-Reaktion. Über den sterischen Verlauf dieser Reaktion ist jedoch noch nichts ausgesagt. Die Gleichungen (2.1 und 2.2) verdeutlichen beide Möglichkeiten des Reaktionsablaufs: (2.1)
H
H CI H ,
12.2)
CL
H CI H ,
CI H , O H
HO
-Cl
Cl —
H N
C'4 H I CH,
CH,
Beide Reaktionsprodukte sind in unserem Beispiel identisch. Zwischen beiden Reaktionsabläufen kann man nur entscheiden, wenn man die Reaktion an einem asymmetrischen C-Atom durchführt: R2
Rs (3.1) Konfigurationserhaltung
R^VCl I
H O - ^ ' ^ R , = R 2 ^> c .
R3
(3.2) (Retention)
Konfigurationsumkehr
(Inversion)
-OH
58
Grundlagen der organischen Chemie
Im Fall (3.1) bleibt die Anordnung am asymmetrischen C-Atom erhalten (sogenannte Retention der Konfiguration), im Fall (3.2) tritt eine Umkehrung, Inversion der Konfiguration, ein. Beide Reaktionen wurden von Waiden im Jahre 1899 studiert. Da meistens eine Inversion oder sogenannte Waldensche Umkehr eintritt, ist bewiesen, daß die S N 2-Reaktion nach dem Mechanismus (2.2) abläuft. Bei einigen Reaktionen hat man aber auch beobachtet, daß weder Konfigurationserhaltung noch Konfigurationsumkehr stattfindet, das Produkt einer Reaktion von chiralen Molekülen ist nicht mehr optisch aktiv. Es ist eine Racemisierung eingetreten, das heißt, das Produkt enthält beide Enantiomere in der gleichen Konzentration. Ein solcher Verlauf ist ein Beweis für eine Reaktion nach Beispiel (1). Hier tritt dann als Zwischenprodukt ein Carbenium-Ion auf, bei dem das Kohlenstoffatom nur drei Substituenten bindet. Es besitzt nur sechs Valenzelektronen — ein Elektronensextett — und ist eben gebaut. Es befindet sich im Zustand der sp 2 -Hybridisierung. Das p-Orbital ist dabei unbesetzt. Die OH-Gruppe lagert sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit von ,oben' oder von ,unten' an eines der beiden Bereiche des unbesetzten (virtuellen) p-Orbitals an, dadurch wandelt sich das Valenzelektronensystem wieder in den sp 3 -Zustand um:
Carbeniumion
OH
Dabei entsteht das Gemisch beider Enantiomeren, das Racemat. Die Racemisierung ist damit beweisend für eine Reaktion vom Typ S N 1, also mit einem Carbeniumion als Zwischenprodukt.
Abbildung 1.29
-c-
-c-
Singlett-Carben
Triptett - C a r b e n
Konfiguration des Kohlenstoffatoms in reaktiven Zwischenprodukten.
Man hat eine Reihe ähnlicher reaktiver Zwischenprodukte identifiziert, die im Verlauf chemischer Reaktionen auftreten. Einige davon sind in der Abbildung 1.29 zusammengestellt. Im Kapitel 2 werden verschiedene Reaktionen beschrieben, in deren Verlauf sie auftreten.
Namen, Reaktionen und Eigenschaften organischer Verbindungen
2. Systematische Organische Chemie Alle organischen Verbindungen kann man in G e d a n k e n zerlegen in Gerüste und Substituenten. Verbindungen, deren Gerüste nur aus Kohlenstoffatomen bestehen und sonst nur Wasserstoffatome enthalten, heißen Kohlenwasserstoffe. In den Abschnitten 2.1 bis 2.6 werden die Kohlenwasserstoffe beschrieben, deren Gerüste aus offenen Ketten bzw. Ringen von Kohlenstoffatomen bestehen: die acyclischen und die cyclischen Kohlenwasserstoffe. D a n e b e n können die Gerüste auch noch andere A t o m e , wie Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff, sogenannte Heteroatome, enthalten. Cyclische Verbindungen mit H e t e r o a t o m e n im Ring nennt man Heterocyclen. Sie werden im Abschnitt 2.7 besprochen. In den Abschnitten 2.8 bis 2.22 schließlich werden die Verbindungen besprochen, die die wichtigsten Typen funktioneller G r u p p e n enthalten. In jedem Abschnitt werden zunächst kurz die Strukturmerkmale, die physikalischen Eigenschaften und die Namen der betreffenden Substanzen beschrieben. Typische Reaktionen zur Darstellung dieser Verbindungen schließen sich an, danach folgen ihre wichtigsten chemischen Reaktionen. Besonders hervorgehoben werden Verbindungen und Reaktionen, die besondere praktisch-technische oder biologische Bedeutung besitzen.
Acyclische Kohlenwasserstoffe Die acyclischen (offenkettigen) Kohlenwasserstoffe gehören nach Menge und Wert zu den industriell wichtigsten Grundstoffen und Produkten der organischen Chemie. Man findet sie als wesentlichen Bestandteil von Erdgas und Erdöl, von Benzin und Mineralöl, von Kautschuk und verschiedenen Kunststoffen. Je nachd e m , ob in den Molekülen nur Einfachbindungen oder auch Doppel- und Dreifachbindungen vorhanden sind, nennt man die acyclischen Kohlenwasserstoffe Alkane, Alkene oder Alkine.
2.1 Alkane
2.1
61
Alkane
2.1.1 Struktur, Benennung Die G e r ü s t e der A l k a n e b e s t e h e n aus K o h l e n s t o f f a t o m e n , die durch Einfachbindungen v e r k n ü p f t sind. K o h l e n s t o f f a t o m e bilden vier kovalente Einfachbind u n g e n , die beliebig mit a n d e r e n K o h l e n s t o f f a t o m e n oder mit Wasserstoffatom e n zu verschieden verzweigten Ketten v e r k n ü p f t sein k ö n n e n . D i e Anzahl der dadurch möglichen G e r ü s t i s o m e r e n ist sehr groß: aus 10 K o h l e n s t o f f a t o m e n lassen sich 75 verschiedene A l k a n e b a u e n , aus 20 ü b e r 300000. D e r Bindungswinkel unterscheidet sich nur wenig vom Tetraederwinkel (109,5°). D a die einzelnen Verbindungen nur C—C- und C—H-Bindungen e n t h a l t e n , die im allgemeinen sehr reaktionsträge sind, nennt man die A l k a n e auch gesättigte aliphatische (fettartige) Kohlenwasserstoffe o d e r einfach: Paraffine (von lat. „ p a r u m affinis", „wenig beteiligt"). D i e N a m e n der einzelnen Verbindungen werden dadurch gebildet, d a ß man an einen S t a m m die Silbe „-an" anhängt. Die von den C h e m i k e r n v e r w e n d e t e n Schreibweisen schließen sich weitgehend an internationale Vereinbarungen an, sie stehen oft im Gegensatz zu den E m p f e h l u n g e n des , D u d e n ' : A c e t o n und Calcium statt A z e t o n und Kalzium. D e r E m p f e h l u n g , statt Ä t h a n , Äthyl und Ä t h e r E t h a n , Ethyl und E t h e r zu setzen, wird in diesem Buch entsprochen. D i e A l k a n e mit 1 bis 4 C - A t o m e n h a b e n historisch überlieferte Trivialnamen, z.B. erinnert B u t a n an Buttersäure. E s folgen systematisch aus griechischen und lateinischen Z a h l w o r t e n gebildete N a m e n (s. Tabelle 2.1). Die allgemeine Formel der A l k a n e lautet C n H 2 n + 2 . Eine derartige R e i h e von V e r b i n d u n g e n , deren Glieder sich jeweils v o n e i n a n d e r um eine C H 2 - G r u p p e unterscheiden, nennt man eine homologe Reihe. Die unverzweigten Isomeren heißen n-Alkane (n f ü r normal). Bei verzweigten A l k a n e n gibt die längste unverzweigte K e t t e den N a m e n der Verbindung, die Seit e n k e t t e n w e r d e n als Substituenten betrachtet, die an die f o r t l a u f e n d numerierten C - A t o m e der H a u p t k e t t e g e k n ü p f t sind. Die N a m e n der Seitenketten leiten sich von d e n e n der unverzweigten A l k a n e mit der gleichen Anzahl der C - A t o m e ab, von d e n e n ein Wasserstoffatom e n t f e r n t ist. Im N a m e n wird dies durch die Endung ,,-yl" ausgedrückt. Gibt es verschiedene Möglichkeiten der N u m e r i e r u n g , so wählt m a n diejenige, die die niedrigsten Z a h l e n ergibt: 'CH 3 - 2 CH- 3 CH 3 CH3 2-Methylpropan Isobuten
1
CH3 CH 3 - C- 3 CH 3 CH3 2
2,2-Dimethylpropan Tetramethylmethan Neopentan
1
CH 3 - 2 CH- 3 CH- 4 CH- 5 CH 2 - 6 CH 3 CH3 CH2 CH3 CH3 3 - E t h y l - 2 , 4 - dimethylhexan
Die Anzahl gleicher Substituenten in einem Molekül wird durch die Vorsilben mono-, di-, tri-, tetra-, penta-, hexa- für 1- bis 6fache Substitution angegeben. Ne-
62
Systematische Organische Chemie
ben den systematischen Namen sind weitere historisch überlieferte Namen für einige Verbindungen im Gebrauch: Beispiele sind Isobutan oderNeopentan. Die Vorsilbe Iso- wird gebraucht für Verbindungen, die zwei Methylgruppen am Ende einer sonst unverzweigten Kette tragen, Neo- entsprechend für drei Methylgruppen.
2.1.2 Physikalische Eigenschaften Tabelle 2.1 zeigt, daß die Alkane C n H 2n + 2 bis n = 4 bei Raumtemperatur Gase sind, es folgen Flüssigkeiten und schließlich feste Stoffe. Die flüssigen Alkane haben zum Teil einen angenehmen Blütengeruch. Die Alkane lösen sich praktisch nicht in polaren Lösemitteln, jedoch gut in unpolaren. Der Anstieg der Siedepunkte (Kp von Kochpunkt) wie auch der Schmelzpunkte (Fp von Fließpunkt) mit der Kettenlänge ist auf das Molekulargewicht und die Wirkung der zwischenmolekularen Kräfte zurückzuführen ( f 1.11). Die Tabelle 2.1 zeigt, daß die Schmelz- und Siedepunkte der verzweigten Alkane oft von denen ihrer geradketTabelle2.1 Summenformel
Alkane Name
Strukturformel
Fp PC]
Kp [°C]
H CH 4
Methan
H-C-H 1 H
-183
-161
QH,
Ethan
CH3-CH3
-172
-89 —42
C,H B
Propan
CH3-CH2-CH,
-189
C 4 H„,
n-Butan
CH,-(CH2)2-CH3
-138
0
C4H1,,
Isobutan
CH 3 —CH—CH, 1 CH,
-159
-12
C,H 1 2
n-Pentan
CH3-(CH2),-CH3
-130
+ 36
C,H 1 2
2-Methyl-butan Isopentan
CH,-CH-CH,-CH, 1 CH,
-160
+28
C S H,2
2,2-Dimethylpropan Neopentan
CH3-C-CH3 1 CH 3
-20
+9,5
C| H ,
Q,Hu
n-Hexan
CH,-(CH2)4-CH,
-94
+69
C7H1,,
n-Heptan
CH,-(CH2),-CH,
-91
+98
CSHI«
n-Octan
CH,-(CH2)„-CH,
-57
+ 126
C,„H 22
n-Decan
CH,-(CH2)S-CH3
-30
+ 174
C12H26
n-Dodecan
CH3-(CH2),„-CH,
-10
+216
C|(,H34
n-Hexadecan
CH,-(CH2),4-CH3
+ 18
+ 270
63
2.1 A l k a n e
tigen Isomeren abweichen. Neopentan als fast kugelförmiges Molekül bildet ein Kristallgitter, das eine günstige (energiearme) Packung der Moleküle gestattet, daher ist sein Schmelzpunkt um 110° höher als der vom isomeren n-Pentan und um 140° höher als der von Isopentan. Der Siedepunkt des Neopentans ist dagegen niedriger als der seiner Isomeren, da seine Oberfläche - die Angriffsfläche der zwischenmolekularen Kräfte — klein ist. Im Kristallgitter bilden die n-Alkane parallel angeordnete gestreckte Zickzack-Ketten. Die n-Alkane mit gerader Anzahl von Kohlenstoffatomen ordnen sich kompakter in einem Kristallgitter an als die mit ungerader Zahl von Kohlenstoffatomen, infolgedessen steigen die Schmelzpunkte der n-Alkane nicht gleichförmig mit der Kettenlänge: die geradzahligen normalen Kohlenwasserstoffe haben relativ höhere Schmelzpunkte als ihre Nachbarn in der Reihe mit einer ungeraden Zahl von C-Atomen.
2.1.3 Konformationsisomerie der Alkane Die Atomgruppen in den Alkanmolekülen sind im flüssigen und gasförmigen Zustand um die Einfachbindungen drehbar, man findet daher verschiedene Konformationsisomere. Bei der Verdrehung machen sich abstoßende Kräfte zwischen den Elektronen der anliegenden Bindungen bemerkbar.
rH
/h
YH
b)
'H H
H
H
HH c)
h
HV^S^lj H nH"
y V
h
a I
H
E[kJ/mol]
d)
0
a
60"
Abbildung 2.1 Konformationsisomerie des Ethans, a) perspektivische Darstellung, b) SägebockDarstellung, c) N e w m a n - P r o j e k t i o n . Links ist die ekliptische (verdeckte) K o n f o r m a t i o n gezeigt, rechts die gestaffelte (auf Lücke); d) Ä n d e r u n g der potentiellen Energie mit d e m D i e d e r w i n k e l a . D a s bei a) linke C - A t o m steht bei b) und c) vorn.
Systematische Organische Chemie
64
Beim E t h a n stoßen sich die Elektronen der CH-Bindungen der beiden Methylgruppen ab. Das Konformationsisomere, bei dem die C—H-Bindungen der beiden Methylgruppen gestaffelt (auf Lücke, engl, staggered) stehen ( a = 60°), ist daher das energieärmste ( | Abbildung 2.1, rechts), die meisten Moleküle befinden sich daher in diesem stabilsten Zustand. Die ekliptische (verdeckte, engl. eclipsed) Konformation ( f Abbildung 2.1 links, a = 0°), hat die größte Energie, es ist labil. D a n e b e n gibt es unendlich viele Formen mit 0 < a < 60°. In den Abbildungen 2.1 und 2.2 werden verschiedene Verfahren zur zeichnerischen Darstellung von Konformationsisomeren gegenübergestellt. Oben werden die Moleküle perspektivisch gezeichnet, wobei die nach vorn stehenden Bindungen keilförmig verdickt und die nach hinten zeigenden Bindungen gestrichelt gezeichnet werden. In der Mitte findet sich die sogenannte Sägebockdarstellung und unten die Projektion des Moleküls in Richtung der drehbaren Achse, die sogenannte Newman-Projektion. Bei Molekülen mit längerer Kette gibt es mehrere gestaffelte und ekliptische F o r m e n . Beim n-Butan hat diejenige gestaffelte Form die niedrigste Energie, bei der die Methylgruppen am weitesten entfernt sind ( f Abbildung 2.2, Mitte). Man gauche
antì
gauche
E [kJ/mol]
d) 19
! 0
1
1 180
1
' a
1
'
360°
Abbildung 2.2 Konformationsisomeren des n-Butans. Drei gestaffelte Konformationsisomere sind a) perspektivisch, b) in Sägebock-Darstellung und c) in ,Newman-Projektion' gezeigt. D a s anti-Isomere ( a = 180°) besitzt die niedrigste Energie. Die beiden gauche-Isomeren sind um 4 kJ/mol energiereicher.
2.1 Alkane
65
nennt dieses Konformationsisomere die anti-Form. Daneben gibt es gestaffelte Formen, bei denen der Abstand der Methylgruppen geringer ist ( f Abbildungen 2.2, rechts und links), dies sind die gauche-Isomeren (franz. gauche = schief). Die kinetische Energie der Moleküle bei Zimmertemperatur ist groß genug, um die Energiebarrieren zwischen verschiedenen Konformationen zu überwinden. Man kann daher die Konformationsisomeren bei Raumtemperatur nicht voneinander trennen. Ungefähr die Hälfte der Butan-Moleküle befindet sich in der anti-Form, die andere Hälfte verteilt sich auf beide gauche-Formen. Die Bestimmung der Energiebarrieren und der Häufigkeit der Konformationsisomeren nennt man Konformationsanalyse. Hierzu kann man physikalische Daten bzw. Spektren der Verbindungen auswerten.
2.1.4 Darstellung In der chemischen Industrie und in Erdölraffinerien werden Alkane in riesigem Maßstab verarbeitet ( f 2.4: Erdgas, Erdöl, Kohle). Oft werden dabei Substanzgemische produziert. Im folgenden werden Verfahren beschrieben, mit denen man - z.B. im kleinen Maßstab im Labor — reine Verbindungen herstellen kann. 1. Katalytische Hydrierung von Alkenen und Alkinen Ungesättigte Kohlenwasserstoffe addieren Wasserstoff nur dann, wenn dieser durch Katalysatoren, wie Nickel, Platin oder Palladium aktiviert wird. CH3-C = C-CH2-CH3
CH3-CH = CH-CH2-CH3 -i» < K a t > 2-Pen,en
2-Pentin
(Kat)
CH 3 —CH 2 —CH 2 —CH 2 -CH 3 n-Pentan
2. Wurtz-Synthese Bei der Einwirkung von metallischem Natrium auf Alkylhalogenide werden Alkane mit der doppelten Zahl von Kohlenstoffatomen sowie Natriumhalogenid gebildet (R = Alkyl): 2 R - I + 2Na R - R + 2 N a I . Wahrscheinlich läuft die Reaktion in zwei Stufen ab, wobei zumindest eine Metall-Kohlenstoffbindung gebildet wird: 1.
CH3-I Methyliodid
2.
+ 2 Na — - C H 3 - N a Natrium
CH3-NQ Methylnatrium
+
Methylnatrium
+ CH3-I Methyliodid
—
Nal Natriumiodid
CH3-CH3 Ethan
+ Nal Natriumiodid
Systematische Organische Chemie
66
Man hat diese Reaktion zum Beweis der Struktur von Alkanen und von Alkylhalogeniden genutzt. Bringt man zwei verschiedene Alkylhalogenide zur Reaktion, so entstehen Gemische: CH-> \ J
CH-i \ J
Na
C H - I
+
CH
3
-I
—
CH3
"
Isopropyliodid
/
ChU
CH-a \ J
J
CH-CH CH3
N a l
Methyliodid
+
CH3
CH-CH
3
+•
CH
3
-CH
3
CH3
2,3 - D i m e t h y l b u t a n
Isobutan
Ethan
Wäre man von n-Propyliodid, C H 3 - C H 2 - C H 2 - I , und Methyliodid, CH 3 I, ausgegangen, so hätte man n-Hexan, n-Butan und Ethan erhalten.
3. Hydrolyse von Grignard-Verbindungen Die Reaktion von Alkylhalogeniden mit Magnesium ergibt ebenfalls eine Metall-Kohlenstoff-Bindung. Die nach dem Entdecker Victor Grignard (1871-1935) benannten metallorganischen Verbindungen sind wichtige Zwischenprodukte der präparativen Chemie: CH
3
-(CH
2
)
3
-I
n-Butyliodid
+
Mg
— •
Magnesium
CH
3
-(CH
2
)
3
-Mg-
I
n - Butylmagnesiumiodid (Grignard -Verbindung)
Durch Hydrolyse entstehen daraus Alkane: CH
3
-(CH
2
)
3
-Mg-
I + H20
—-CH
3
(CH
2
)
3
-H
n-Butan
Die meisten Reaktionen der Grignard-Verbindungen lassen sich dadurch erklären, daß die Bindungselektronen der Kohlenstoff-Metall-Bindung vom elektropositiveren Metall zum elektronegativeren Kohlenstoffatom verschoben sind. Diese Bindung spaltet daher heterolytisch und bildet dabei Carbanionen, die zu nucleophilen Reaktionen fähig sind ( f 1.14.2) _V>-eMg6-®X
—
-Cl®
+
Mg®X
4. Kolbe-Synthese Elektrolysiert man Lösungen von Salzen der Carbonsäuren (R = Alkylrest), Ol Naa
R - C
Co> so wandern die Moleküle wegen der negativen Ladung des Carboxylations an die Anode, wo sie durch Elektronenabgabe zum neutralen Radikal entladen werden,
2.1 Alkane
67
das schnell C 0 2 abgibt. Die sehr instabilen Alkyl-Radikale dimerisieren zum AlkanR-R. e
r-
Ol R-C
01 -e® Anode
/•
R-C
V.
Ol CarboxylatAnion
Carboxylradikal
Alkylradikal
Alkan
2.1.5 Reaktionen Bei Raumtemperatur sind Alkane beständig gegen die meisten Reagenzien (eben deswegen nennt man diese Verbindungen Paraffine). Da die C - C - und die C—H-Bindungen wenig oder nicht polar sind, spalten diese Bindungen, z.B. bei starker Erwärmung (Crack-Reaktionen), meist in Radikale — nicht jedoch in Ionen. Die meisten Reaktionen der Alkane verlaufen daher über radikalische Zwischenstufen.
1. Verbrennung Der größte Teil der aus Erdgas, Erdöl oder Kohle gewonnenen Alkane wird verbrannt — als Heizöl, im Otto- oder Diesel-Motor oder in Turbinen-Triebwerken. Da es sich dabei meist um Gemische von gesättigten, ungesättigten, offenkettigen und cyclischen Verbindungen handelt, geben wir hier die Formel für einen beliebigen Kohlenwasserstoff C m H n : CmHn Kohlenwasserstoff
+ (m + -J-j 0 2 Sauerstoff
mCO +
yH20
Kohlendioxid
Wasser
Die Verbrennung ist eine komplizierte Radikalkettenreaktion, die nur bei hoher Temperatur abläuft. Bei Zimmertemperatur ist die Reaktionsgeschwindigkeit so klein, daß dann Alkane beständig gegenüber Sauerstoff zu sein scheinen. Die Produkte der vollständigen Verbrennung sind relativ harmlos. Dagegen bildet sich aber bei Sauerstoffmangel das sehr giftige Kohlenmonoxid (Kohlenoxid): CmHn Kohlenwasserstoff
+ ( H + Jlj o2 Sauerstoff
mCO
+
Kohlenmonoxid
y
H20
Wasser
Kohlenoxid blockiert die Sauerstoff-Übertragung durch das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen ( \ 6.15.1), da es ungefähr 200mal fester daran haftet als der Sauerstoff. Als maximale Arbeitsplatzkonzentration ( M A K ) gilt 33 mg/m 1 Luft (das sind 0,003%). Beim normalen Betrieb des Otto-Motors entsteht zwi-
68
Systematische Organische Chemie
sehen 1 und 10% CO. Heute ist 4% CO im Abgas noch erlaubt. Daneben finden sich in den Abgasen der Otto-Motoren Stickoxide sowie unverbrannte Kohlenwasserstoffe, die zum ,sauren Regen' und ,Smog' beitragen ( f 6.17). Bei unvollständiger Verbrennung entstehen oft teerartige Produkte, die einen Rauch bilden. Man hat darin - wie auch im Steinkohlenteer - in geringer Menge solche aromatischen Kohlenwasserstoffe gefunden, die krebsauslösend (carcinogen) wirken ( | 6.14). Mit Hilfe von Katalysatoren kann man Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide in C 0 2 , H 2 0 und N 2 umwandeln. Da solche Katalysatoren durch Bleiverbindungen unwirksam (.vergiftet') werden, muß bleifreies Benzin verwendet werden ( f 2.4.2). Schließlich findet man, insbesondere bei der Verbrennung von Heizöl, im Abgas das giftige SO z , das aus den organischen Schwefelverbindungen entsteht, die im Heizöl enthalten sind. Daraus bildet sich in der Atmosphäre Schwefelsäure, eine Komponente des ,sauren Regens' ( | 6.17).
2. Radikalische Chlorierung Die radikalische Chlorierung ist ein weiteres Beispiel einer Radikalkettenreaktion. Hierbei unterscheidet man die Startreaktion, die Kettenreaktion und den Kettenabbruch. Durch Einwirkung von blauem oder UV-Licht oder durch Erwärmung werden Chlormoleküle homolytisch in Chloratome gespalten. Diese besitzen ein ungepaartes Elektron, sie sind also Radikale. Sie leiten die Kettenreaktion ein. Startreaktion: Cl2 + / i v - > 2 C P Bei den nun folgenden Reaktionsschritten werden immer wieder Radikale gebildet. Kettenreaktion: R - H + ClR- + Cl 2
HCl + R* R - C l + Cl-
Das gebildete Chloratom reagiert wieder mit dem Kohlenwasserstoff und so weiter. Die Reaktionskette wird dadurch abgebrochen, daß zwei Radikale miteinander kombinieren: Kettenabbruch: R- + Cl' R-Cl R- + RR-R Cl- + C1'-»C1 2 Brom reagiert ähnlich, jedoch träger; Fluor reagiert heftig und spaltet auch C-C-Bindungen. Dies wird deutlich, wenn man die folgende Tabelle der Bin-
2.1 A l k a n e
69
dungsenergien (in kJ/mol) betrachtet, d.h. der Energie, die man aufwenden muß, um eine Bindung zu spalten:, Bindungsenergien (in k J / m o l )
F Cl Br 1
zum Vergleich:
X-X
H-X
C-X
H-H
C-H
C-C
155 242 193
565 431
441 328 276
436
413
341
366 299
151
240
Technisch wird die radikalische Chlorierung zur Bildung der Chlormethane aus Methan, z.B. aus Erdgas, genutzt.
3. Sulfochlorierung Durch gemeinsame Einwirkung von Cl 2 und S 0 2 entstehen unter den Bedingungen der radikalischen Chlorierung aus Alkanen Sulfochloride. Die Kettenreaktionen lauten jetzt: R - H + ClR- + SO z R - S O 2 - +C1 2 Alkylsulfochloride:
-> HCl + R-» R - S 0 2 R - S O 2 - C I + Cl-
'ö" R -5-Cl ii x0/
sind wichtige Zwischenprodukte der Petrochemie zur Herstellung von Waschmitteln, Emulgatoren und Weichmachern ( | 4.4.3). Bei den technisch wichtigen Produkten ist R ein Alkylrest mit 12 bis 18 C-Atomen.
4. Sulfoxidation Auch die Sulfoxidation ist eine radikalische Reaktion. Mit Sauerstoff und Schwefeldioxid entstehen bei 50°C unter Einwirkung von Licht Alkansulfonsäuren: _ hv R - H + S 0 2 + -z 0 2 R-S03H 2 Die Natriumsalze der Alkansulfonsäuren werden als Waschmittel verwendet: R-S-Öl® Na®
Systematische Organische C h e m i e
70
5. Nitrierung in der Gasphase Bei 200. . . 400°C entstehen aus Alkanen mit Salpetersäure Nitroalkane: R - H + H N 0 3 -> R - N 0 2 + H 2 0 Nitroalkane finden Verwendung als Lacklösemittel und als Zwischenprodukte zur Herstellung von Aminen.
6. Crack-Reaktion Diese Reaktion dient zur Darstellung von Alkenen, sie wird dort beschrieben ( t 2.2.2).
2.2 Alkene 2.2.1 Benennung, physikalische Eigenschaften Offenkettige Kohlenwasserstoffe mit jeweils einer C-C-Doppelbindung pro Molekül heißen Alkene oder Olefine, ihre Summenformel ist C n H 2 n . Ihre Namengebung unterscheidet sich von der für die Alkane, indem die Endung „-an" durch ,,-en" ersetzt wird. Sind mehrere Doppelbindungen vorhanden, so lautet die Endung ,,-adien", ,,-atrien" usw. Die Lage der Doppelbindungen in den verschiedenen Struktur-Isomeren wird durch die Nummer der Kohlenstoffatome gekennzeichnet, an denen die Bindungen beginnen. Die Kette wird so numeriert, daß möglichst niedrige Zahlen erhalten werden. Einige strukturisomere Hexene, C 6 H 12 , seien benannt: CH2=CH-(CH2)3-CH3
CH3-CH2-CH=CH-CH2-CH3
1 - Hexen
3-Hexen
2,3-Dimethyl-2-buten
Zwei durch Doppelbindung verknüpfte Molekülteile sind nicht gegeneinander verdrehbar; alle Substituenten der Doppelbindung liegen in einer Ebene. Infolgedessen tritt, wenn an beiden C-Atomen jeweils zwei verschiedene Substituenten geknüpft sind, cis-trans-Isomerie auf ( f 1.8): H
H
c=c CH3-CH2
CH2-CH
eis - 3 - H e x e n
H
\ / CH 2 -CH c= c
CH,-CH, trans
H -3-Hexen
2.2 Alkene
71
Der Vergleich der Schmelz- und Siedepunkte (Fp und Kp) in den Tabellen 2.1 und 2.2 zeigt, daß die Alkene sich in ihren physikalischen Eigenschaften nur wenig von den Alkanen unterscheiden. Alkene sind, wie unten gezeigt wird, chemisch recht aktiv, sie verhalten sich .ungesättigt', sie neigen zu Additionsreaktionen. Die elektronenreichen Jt-Bindungen werden leicht durch ,elektrophile' Agenzien angegriffen. Als Ausgangsmaterial zur Herstellung vieler Kunststoffe durch Polymerisation haben insbesondere E t h e n , Propen, 1-Buten, Isobuten, 1,3-Butadien und Isopren große technische Bedeutung ( | 3.3). Durch Crack-Reaktionen ( f 2 . 2 . 2 ) entstehen Alkene aus den Erdölfraktionen, daher sind sie wichtige Zwischenprodukte der Petrochemie. Alkene mit vielen konjugierten C=C-Bindungen, Polyene, spielen in der Biochemie eine wichtige Rolle ( z . B . Vitamin A , ß-Carotin, f 6.9).
Tabelle 2.2
Alkene.
Fp 'C
Kp •c
CH2=CH2
-169
-102
Propen
CH2=CH-CH3
-185
-LH
1-Buten
CH2=CH-CH2-CH3
-186
-6
Summenformel
Name
Strukturformel
C2H4
Ethen, Ethylen
C3H6
H eis - 2 - Buten
trans-2-Buten
/ c=c
/ CH3 H
C4H8
\
\
\
H -139 CH3 CH,
/
c=c
/ CH3
\
-106
•1
-140
-7
H
CH3 Isobuten, 2-Methylpropen
V=CH2 CH3
C4H6
C5H8
•
1,3-Butadien
CH2=CH-CH=CH2
-109
-4
1,2-Butadien, Methylallen
CH2=C=CH-CH3
-136
.11
-U6
.34
Isopren, 2-Methyl- 1,3butadien
CH3 C - C H = C H 2l Ii CH2
2 . 2 . 2 Darstellung B e i allen Verfahren zur Darstellung der Alkene werden einfache Moleküle aus Alkanen oder ihren Substitutionsprodukten abgespalten. B e i der Crack-Reaktion werden längere Kohlenstoffketten gespalten.
72
Systematische Organische Chemie
1. Cracken von Alkanen ( f auch 2.4.2) Alkan-Moleküle zerfallen beim Erhitzen in ein Alkan- und ein Alken-Molekül. Als Beispiel sei die thermische Spaltung von n-Pentan genannt: CH3-CH2-CH2-CH2-CH3 ^ C H 3 - C H = C H 2 n-Pentan
+ CH3-CH3
Propen
Ethan
oder C H 3 - C H 2 - C H 3 + C H 2 = C H 2 Propan
Ethylen
oder C H 3 - C H 2 - C H ^ C H 2 + CH 4 1-Buten
Methan
oder C H 3 - C H 2 - C H 2 - C H = C H 2 + l-Penten
H2 Wasserstoff
Die Reaktion läuft über radikalische Zwischenprodukte ab. Technisch wird die Crack-Reaktion bei Erdölfraktionen durch kurzzeitiges Erhitzen (ca. 1 Sekunde) auf 700-800°C durchgeführt. 2. Abspaltung von Wasser aus Alkoholen Unter der Wirkung von konzentrierter Schwefelsäure wird aus Alkoholen Wasser abgespalten. Man nennt dies eine Eliminierung von Wasser oder Dehydratisierung: H H i i _ R-C-C-OH
„ H® —•
11
H
H
H
H H
R
R-C-C®
—
11
H
•
H H 1 1 _© R-C-C-O-H
H
1 1 1
-H,0 —•
H H
H C = Cx
'
H
H
Können bei der Eliminierung zwei verschiedene Alkene gebildet werden, so entsteht das Alken, das die meisten Alkylgruppen an der Doppelbindung trägt (Saytzeffsche Regel).
Man führt dies auf eine mesomere Wechselwirkung der Alkylgruppen mit der Doppelbindung zurück, auf eine sogenannte Hyperkonjugation. Daher hat das Produkt mit den wenigsten H-Atomen an der Doppelbindung die niedrigste Energie, es bildet sich in wesentlich höherer Ausbeute als das andere mögliche Produkt. CH,3
/
CHi2 = CH-CH \
CH3
3-Methyl-1 -buten
H
1 /
CH, 3
—H- C HJ , - C - C H — 1 \ OH c h 3 3-Methyl-2-butanol
/
CH, 3
CH33 -CH = C
\
ch
3
2-Methyl-2-buten
2.2 Alkene
73
Technisch führt man die Dehydratisierung von Alkoholen zu Alkenen in der Gasphase bei 400°C mit Hilfe von Aluminiumoxid-Katalysatoren aus.
3. Abspaltung von Halogenwasserstoff aus Alkylhalogeniden Diese Reaktion wird am häufigsten zur präparativen Darstellung von Alkenen genutzt. Statt der Alkalihydroxide verwendet man auch die Alkalialkoholate ( T 2.9.3). V " R-C-C- I I i H H
KOH —• '
C = CN
H
+ Kl + H 2 0
H
4. Abspaltung von Halogen aus vicinalem Dihalogenid A u s Dihalogenalkanen, bei denen die Halogenatome an benachbarte Kohlenstoffatome gebunden sind, lassen sich mit Hilfe von Zink die Halogenatome abspalten. Die Nachbarstellung wird als vicinale Stellung, abgekürzt vic. von lat. vicinus, benachbart, bezeichnet. Br Br i i R-C-C-H i i H H
Zn —•
vic-Dihalogenalkan
\
R C-C
>
H / x
H
+
_ _ ZnBr 2
H
Alken
2.2.3 Reaktionen von Alkenen Die Doppelbindung in den Alkenen ist der Angriffsort vieler, in guten Ausbeuten verlaufender Additionsreaktionen. A l k e n e sind daher wichtige Zwischenprodukte von Synthesen im Labor und in der Technik. Technisch größte Bedeutung haben Polymerisationsreaktionen: sie werden ausführlich in Kapitel 3 erörtert. Die meisten Additionsreaktionen der A l k e n e verlaufen nach ähnlichem Mechanismus, er wird ausführlich bei der Addition von Brom besprochen.
1. Addition von Brom Läßt man eine Lösung von Brom in CC14 (1 Vol % ) auf Alkene einwirken, so entfärbt sich die zunächst braune Lösung schnell. Diese Reaktion kann zum Nachweis von Alkenen dienen. Als Reaktionsprodukt isoliert man Dibromalkan. G e n a u e r e Untersuchungen legen folgenden Reaktionsmechanismus nahe (Abbildung 2.3):
74
Systematische Organische Chemie
• Br'.j
Br,
Br
/
fe%
-C--
/ Br
1
BrJ Br H
H
C =C / \ H H
Br,
Alken
Abbildung 2.3
H
Br
H Br H \ .-• • / C-C
H Br H \ / \ / C-C + Br 9 H H
H-C-C-H
Tt - Komplex mit B r 2
Bromonium -Ion
Dibromalkan
i i i i
Br H
Addition von Brom, Br 2 , an ein Alken.
Das Br 2 -Molekül bildet zunächst einen sogenannten n-Komplex mit dem Alken. Dabei wird das Brom-Molekül so polarisiert, daß es in Br® und B r e zerfällt. Das Br® bildet mit der jt-Elektronenwolke des Alken-Moleküls wahrscheinlich ein positives Ion mit einem dreigliedrigen Ring, ein Bromonium-lon. Das B r e greift dieses Ion von der Rückseite her an, dadurch bildet sich das Dibromalkan (genauer: das vicinale Dibromalkan). Bei dieser stereospezifischen Reaktion bildet sich das anti-Additionsprodukt ( t Abbildung 2.2.). Beweisen läßt sich dies z.B. durch Reaktion an cyclischen Alkenen, es entsteht dabei nur ein Diastereoisomeres, das irarcs-Additionsprodukt. Konjugierte 1.3-Diene bilden bei dieser Reaktion sowohl das 1.2- als auch das 1.4-Dibromderivat.
2. Addition von Halogenwasserstoff Polare Moleküle A 6 ®—B 60 , die in A® und B e dissoziieren können, addieren besonders leicht an Alken-Moleküle. Hier bildet zunächst das A® ein ,-onium'Ion, ähnlich dem Bromonium-lon, ( f Abbildung 2.3), B e greift dann im 2. Reaktionsschritt an, wobei das Produkt gebildet wird. CH3-CH=CH2
CH3-CH-CH3 Br 2 - Brompropan
Markownikow hat gefunden, daß hierbei das 2-Brompropan, nicht jedoch 1-Brompropan gebildet wird. Es scheint, als ob bei der Reaktion dasjenige Car-
75
2.2 Alkene
benium-Ion bevorzugt auftritt — also energieärmer ist — das am C® die meisten Alkylgruppen enthält: < . C H C H
3
- C H = CH
2
+
3
- C H - C H
3
H ®
^CHj-CHj-CHf Das B r e greift anschließend den Ort der größten positiven Landung an. •
Bei der Addition von H i l ® - X 6 9 bindet sich das elektronegativere Atom (X) an dasjenige C-Atom der Doppelbindung eines Alkens, das weniger IiAtome trägt (Markownikow-Regel).
Reaktionen, die ein bestimmtes von mehreren möglichen stellungsisomeren Produkten bilden, nennt man regiospezifisch. Die Markownikow-Regel gibt ein Beispiel für eine regiospezifische Reaktion.
3. Polymerisation Bei der Polymerisation werden fortlaufend Alkene an Alkene addiert; es entstehen langkettige, makromolekulare Alkane (Beispiele und Mechanismen in Kapitel 3):
/
I
2
\ /
\ /
\—
- Ic -IcI- c - c I- cI - Ic -
4. Addition von Wasser Die Addition von Wasser an Alkene zu Alkoholen erfordert eine Katalyse durch H®-Ionen: \ / H,0,H® I V c=c i—- - c - c OH
Alkanol 5. Addition von H 2 0 2 Mit Hilfe von Persäuren lassen sich die Elemente des H 2 0 2 zum trans-Diol addieren: \ / C = C
/
v
HJ02 — •
OH I - C - C I
Ii
OH Alkandiol
76
Systematische Organische Chemie
6. Oxidation mit KMnü 4 oder 0 s 0 4 Die Entfärbung von alkalischer K M n 0 4 - L ö s u n g (Baeyer-Lösung) gilt ebenfalls, wie die Entfärbung einer Brom-Lösung, als Nachweis von C=C-Doppelbindungen. Präparativ verwendet man als Oxidationsmittel Osmiumtetroxid. Beide Reaktionen liefern vic-Diole, bei Cycloalkenen entsteht stereospezifisch das cisAdditionsprodukt: \ / C=C / \
KMnO, Os 0/
i i Ii
- — •
-C-COH OH
Alkandiol
7. Katalytische Hydrierung Wasserstoff wird an die Doppelbindung von Alkenen addiert, wenn man fein verteiltes Palladium oder Nickel-Metall als Katalysator hinzufügt: \ ' C=C / \
H,[Pd,Ni) ——-
1 l -c-cII
H H
8. Spaltung mit Ozon Die Reaktion von Ozon wird oft zur Klärung der Struktur von Alkenen verwendet (z.B. bei Naturstoffen). Die Reaktion verläuft über mehrere Stufen. Die schließlich entstehenden Ketone bzw. Aldehyde lassen sich leicht identifizieren: \ / 0, /c=c \
N ' / c = o + o = c\
9. Addition von Carbenen Eine besonders elegante Synthese von Cyclopropanen erfolgt durch Addition von Carbenen an Doppelbindungen. Carbene besitzen sechs Valenzelektronen. Wegen ihrer Elektronenlücke reagieren sie — obwohl sie elektroneutral sind — elektrophil, ( f Abbildung 1.29). Das einfachste Carben, CH 2 , auch Methylen genannt, entsteht bei der Photolyse von Diazomethan oder Keten:
2.3 Alkine
77
Je nach Reaktionsbedingungen entsteht das Singlett- oder das Triplett-Carben ( | Abbildung 1.29). Das Singlett-Carben reagiert, wie oben angedeutet, stereospezifisch, da beide o-Bindungen gleichzeitig gebildet werden. E b e n s o reagiert das Dichlorcarben: CH3
CH3
CHCI3 + C H 3 - C - O 0 K ® — - C H 3 - C - O H CH 3 Chloroform
+ KCl + C C L 2
CH3
Kalium-tertbutylat
tert-Butanol
Dichlorcarben
Man erhält es durch Abspaltung von HCl aus Chloroform mit Hilfe starker Basen. C a r b e n e reagieren auch mit Cycloalkenen: ci Q )
+
Cyclohexen
cci 2 — Dichlorcarben
r y c { 7,7'- Dichlornorcaran
2.3 Alkine 2.3.1 Eigenschaften Offenkettige Kohlenwasserstoffe mit einer Kohlenstoff-Dreifachbindung im Molekül, C n H 2 n - 2 , werden durch die E n d u n g „-in" am S t a m m n a m e n für die Kette gekennzeichnet. Einige Alkine haben technische Bedeutung, insbesondere der einfachste Vertreter, das Acetylen, systematisch Ethin genannt, C 2 H 2 :
H-C=C-H
CH3-C=C-CH3
A c e t y l e n , Ethin
2-Butin
In vielen Pflanzen, insbesondere den Korbblütlern, findet man Polyacetylene, so z.B.
CH3-C=C-C=C-C=C-C=C-C^C-CH=CH2 l-Tridecaen-3,5,7,9,ll-pentain
Eine Dreifachbindung kann zwei Moleküle A—B addieren. Alkine verhalten sich daher stark ungesättigt. Alkine sind zum Teil sehr explosiv, durch Stoß und Erwärmung ausgelöst, zerfallen sie dabei in exothermer Reaktion in die Elemente:
|(C2H2) Acetylen
cn Kohlenstoff (Ruß)
+
| h
2
Wasserstoff
Acetylen kann daher nicht als Gas unter Druck in Stahlflaschen aufbewahrt werden. Als Lösung in Aceton ist es jedoch handhabungssicher. Die Aceton-
78
Systematische Organische C h e m i e
Acetylen-Lösung kommt in Stahlflaschen, die mit Kieselgur (sehr poröses S i 0 2 , Skelett fossiler Kieselalgen) gefüllt sind, in den Handel (Dissous-Gas). Acetylen verbrennt an der Luft mit stark leuchtender, rußender Flamme, mit Sauerstoff ist die Flamme bläulich und ca. 3000°C heiß, man verwendet sie zum Schweißen und Schneiden. Sowohl das reine Acetylen wie Acetylen-Luftgemische von 2,3 bis 82 Vol % Acetylen (größter Explosionsbereich aller Brenngase) explodieren nach Zündung heftig. Trotzdem beherrscht man große Industrieanlagen, in denen Acetylen verarbeitet wird. Acetylen löst sich, im Gegensatz zu anderen Kohlenwasserstoffen, etwas in Wasser, es wirkt narkotisch.
2 . 3 . 2 . Darstellung 1. Synthese aus Koks und Kalk Das in der Industrie benötigte Acetylen wurde früher vor allem durch Reaktion von Calciumcarbid mit Wasser hergestellt. Das Calciumcarbid wird im Lichtbogenofen aus Koks und Kalk hergestellt. CaO
+ 3C
Calciumoxid
Kohlenstoff
CaC 2 +
2HzO
Calciumcarbid
Wasser
CaC 2
+
Calciumcarbid
Ca(OH)2
+
Calciumhydroxid
CO Kohlenoxid
H-C=C-H Acetylen
2 . Pyrolyse von Alkanen Heute stellt man einen großen Teil des Acetylens durch Pyrolyse von Erdölfraktionen sowie von Methan (aus Erdgas) im Lichtbogen her. D a relativ kleine Anlagen mit hoher Kapazität arbeiten können und sie leicht in Betrieb genommen werden können, wurde dieses Verfahren zum Ausgleich der Verbrauchskurve von Kraftwerken eingesetzt. Ungefähr % der elektrischen Energie wird in der C = C - B i n d u n g gespeichert. 2 CH4
H - C ^ C - H + 3 H2
Die industrielle Verwendung des Acetylens ist zugunsten des Ethylens stark zurückgegangen. 3 . Eliminierungen Zur Darstellung von Acetylenderivaten im Labor verwendet man Abspaltungsreaktionen, z . B . von Halogenwasserstoff H X aus Dihalogenalkanen oder Halogenalkenen mit starken Basen oder von Halogen mit Zink aus Tetrahalogenderivaten:
2.3
79
Alkine
X
X
I I
R - C - C - R ' I I H H i vie - D i h a l o g e n a l k a n H X I I R - C - C - R '
KOH
R - CE
I i
H gem -
R
H
Zn
C - R
i i
X
X
+ Dihalogenalkan
\ / C = C / \
X X I I R - C - C - R ' X
Tetrahalogenalkan
X
R'
Halogenalken
*
vic,
v i c i n a l v o n l a t e i n i s c h v i c i n u s , benachbart;
gern,
geminal von lateinisch geminus,
zweifach.
2.3.3 Reaktionen 1. Bildung von Acetyliden Das Wasserstoffatom an einem dreifach gebundenen C-Atom ist ,sauer', es läßt sich durch Metallatome ersetzen. Analog der Wurtz-Synthese ( t 2.1.4) kann man höhere Alkine aufbauen: R - C E C - H
Na®NH? — — R influss. NH3
r -
Alkin
L
C
n l e N J
= C :
„ R'-Cl a ®
Natriumacetylid
_ _ _ „ - R - C E C - R ' Disubstituiertes Alkin
Mit Silber- oder Kupfersalzen bilden sich hochexplosive Acetylide 2AgN0
3
+ H - C E C - H
Silbernitrat
—
A g - C E C - A g
Acetylen
Silberacetylid
+ 2HN0
3
Salpetersäure
Kupferacetylide können sich in Rohren und Ventilen von Acetylen-Leitungen bilden, wenn diese Kupfer enthalten. In der Industrie werden viele Additionsreaktionen an Alkine durchgeführt. Nur einige seien hier genannt:
2. Addition von Halogen H - C E C - H Acetylen
— I -
CHCL-CHCL 1 , 2 - Dichlor ethylen
CHCL2-CHCL2 1, 1,
2,2-Tetrachlorethan
80
Systematische Organische Chemie
3. Hydrierung Durch katalytische Hydrierung (Ni-, Pt- oder Pd-Katalysator) entstehen Alkane: R-CEC-H
R-CH2-CH3
Alkin
Alkan
Bei Verwendung von ,vergiftetem' (z.B. durch Schwefel in seiner Aktivität herabgesetztem) Pd-Katalysator läßt sich die Hydrierung auf der Stufe des Alkens anhalten, es entstehen cis-Alkene:
vergiftetes' P d )
/
H
\
H
4. Addition von Wasser Die Addition von Wasser unter der Wirkung von sauren Katalysatoren liefert zunächst Vinylalkohol, der sich aber schnell in das Strukturisomere, den Acetaldehyd, ein wichtiges industrielles Zwischenprodukt, umlagert: H
H-CEC-H
H,0
\
—
H Acetylen
/
0H
/
C =C
\
0
—
H
Vinylalkohol (instabil)
//
C H1 , - C \
H
Acetaldehyd
5. Reppe-Chemie Von Walter Reppe bei der BASF wurde eine Reihe technisch wichtiger Reaktionen des Acetylens entwickelt: Vinylierung:
HCECH +CH3-COOH —
H2C=CH-0-C0-CH3
Acetylen E s s i g s ä u r e
Vinylacetat
HCECH + H - C E N
—H2C=CH-CEN
Blausäure
Acrylnitril
Ethinylierung:
HCECH + CH20
—HCEC-CH2-OH
Formatdehyd
HCECH +2 CH20
Propargylalkohol
—HO-CH2-CEC-CH2-OH Butindiol
Carbonytierung
HCECH + CO+H2O
—H2C=CH-COOH Acrylsäure
Cyclisierung
4 HC ECH
—
CH = CH 2 Styrol
2.4 Erdgas, Erdöl, Kohle
81
Viele dieser Produkte können zu makromolekularen Stoffen polymerisiert werden ( f 3).
2.4 Erdgas, Erdöl, Kohle Die fossilen organischen Stoffe: Erdgas, Erdöl und Kohle bilden die Rohstoffgrundlage der chemischen Industrie*. Ungefähr 95% der verbrauchten fossilen organischen Verbindungen, die in Millionen von Jahren mit Hilfe der Sonnenenergie entstanden, werden aber als Energieträger genutzt, sie werden in Kraftwerken, Kraftfahrzeugen und in Heizanlagen von Jahr zu Jahr in immer größerer Menge verbrannt. Erdgas macht ca. 4%, Erdöl 6% und Kohle rund 85% des geschätzten Vorrats an fossilen Brennstoffen auf der Erde aus. Selbst bei gleichbleibendem Verbrauch werden die gesicherten Vorräte an Erdgas und Erdöl nach ca. 40 Jahren, an Kohle nach ca. 200 Jahren, verbraucht sein. In absehbarer Zeit läßt sich aber der Betrieb von Kraftfahrzeugen, insbesondere der von Flugzeugen, kaum auf einer anderen Basis als der von Verbrennungsmotoren denken. Damit auch der chemischen Industrie die Rohstoffbasis noch möglichst lange erhalten bleibt, ist es unbedingt erforderlich, die Sonnenenergie, die Kernspaltung und die Kernfusion anstelle der fossilen organischen Verbindungen zur Erzeugung von Strom und zur Heizung zu verwenden.
2.4.1 Erdgas Erdgas ist die wichtigste Quelle natürlicher Kohlenwasserstoffe mit wenigen CAtomen. Man findet Erdgas - oft gemeinsam mit Erdöl - in den USA, der UdSSR, in Mexiko, in der Sahara, im Nahen Osten, aber auch unter der Nordsee. Es enthält neben wechselnden Anteilen Stickstoff bis zu 85% Methan, ungefähr 10% Ethan, 3% Propan und wenig Butan, gelegentlich auch Helium und Schwefelwasserstoff. „Nasses Erdgas" enthält etwas größere Mengen der Alkane Ethan bis Pentan. Man verwendet Erdgas vor allem als Brennstoff - zur Zeit wird etwa 15% des Welt-Energiebedarfs aus dem Erdgas gedeckt - zum kleinen Teil aber als Rohstoff in der Petrochemie, wo man es in eine Reihe von Produkten umwandelt: Ruß, Acetylen, Ethylen, Blausäure ( H C = N ) , Formaldehyd ( H 2 C = 0 ) , Halogenmethane (CH 3 X, CH 2 X 2 , CHX 3 , CX 4 , X = Halogen) und Synthesegas (CH 4 + H 2 0 - * C 0 + 3H 2 ). *
Einige Produkte werden auf der Basis von pflanzlichen oder tierischen Stoffen (Cellulose, Zucker, Fette usw.) produziert, ihre Menge ist aber gering gegenüber den Produkten aus fossilen Rohstoffen.
Systematische Organische Chemie
82
2.4.2 Erdöl Erdöl ist ein kompliziertes Gemisch aus Kohlenwasserstoffen mit wenig Sauerstoff-, Stickstoff- und Schwefelverbindungen. Je nach dem Ursprungsland enthält es mehr oder weniger Alkane, Cycloalkane, aber auch aromatische Verbindungen. Es entstand wahrscheinlich aus Tieren und Pflanzen im Faulschlamm stehender Gewässer. Das Rohöl wird nach der Entwässerung und Entsalzung destilliert. Unter Destillation versteht man die Verdampfung einer Substanz mit nachfolgender Kondensation. Hierdurch trennt man leichter flüchtige von schwerer flüchtigen Substanzen. Man enthält dabei Erdöl-Fraktionen mit den folgenden Siedebereichen (°C): Heiz- und Treibgas
_ [RNH 2 ] [H 3 O e ] = r [RNHf]
rP^s
_ = log 0
[RNHf] [RNH 2 ] [H 3 0®]
Das Gleichgewicht verschiebt sich mit dem pH-Wert des Mediums. Allgemein gilt: Ist der pH-Wert des Mediums kleiner als der p/Cs-Wert, so überwiegt die pro-
142
Systematische Organische C h e m i e
tonierte Form (R—NH® bzw. R ' — C O O H ) , ist er größer, die deprotonierte Form ( R - N H 2 bzw. R ' - C O O e ) . Löst man also A m i n e bzw. Carbonsäuren in Wasser vom p H = 7: R—NH® + O H 8 R - C O O 9 + H30®,
R-NH2 + H20 R'—COOH + H 2 0 ^
so reagieren die Lösungen der A m i n e alkalisch, die der Carbonsäuren sauer. Je größer der p/sTs-Wert ist, um so größer ist die Basizität. D e r + I - E f f e k t der Methylgruppen erhöht die Elektronendichte des freien Elektronenpaares, daher steigt die Basenstärke vom A m m o n i a k zum Dimethylamin. Beim Trimethylamin ist die Basenstärke wieder geringer, offensichtlich macht sich hier eine sterische Behinderung bemerkbar: Die A m m o n i u m i o n e n werden durch eine Hülle aus H 2 0 - M o l e k ü l e n stabilisiert, das Trimethylammoniumion ist aber durch die drei Methylgruppen stark abgeschirmt. Tabelle 2.13
pK s -Werte mit S i e d e p u n k t e organischer Basen.
Name
Formel
Kp (°C)
P*.
Ammoniak
NH.,
9.24
-33.4
Methylamin
CH,-NH
2
10.64
- 6
Dimethylamin
(CH3)2NH
10.71
7
Trimethylamin
(CH,),N
9.74
Anilin
3.5
4.58
184
1.40
222
5.23
116
0
Acetamid
CH3-C 'NH2
Pyridin
Beim Anilin ist die Basizität besonders gering, da eine mesomere Wechselwirkung des freien Elektronenpaares mit dem aromatischen ji-Elektronensystem auftritt und es daher weniger gut für eine Protonierung zur Verfügung steht.
H
—
H
¿—J
H
N
—/0
H
Auch bei Amiden wird die Basizität durch mesomere Wechselwirkung (die Amid-Mesomerie) stark gemindert ( \ 2.16). Die geringe Basizität des Pyridins ist darauf zurückzuführen, daß hier das freie Elektronenpaar ein sp 2 -Hybridorbital besetzt (Abbildung 2.10). Wegen des höheren s-Orbital-Anteils in diesem Hybridorbital ist das Elektronenpaar stärker an das N-Atom gebunden, es ist daher weniger gut protonierbar als ein freies Elektronenpaar in einem sp 3 -Hybridorbital bei den Aminen.
2.18
143
Amine
Die Amine mit niedrigem Molekulargewicht sind gut wasserlöslich. Sie riechen nach Ammoniak bzw. Fisch. Die Wasserstoffbrücken in Aminen sind schwächer als in Alkoholen. Daher liegen ihre Siedepunkte zwar höher als die der entsprechenden Kohlenwasserstoffe, aber niedriger als die der analogen Alkohole.
2.18.2
Darstellung
1. Nucleophile Substitution Das Stickstoffatom von Ammoniak oder von Aminen kann das Halogenatom in Alkylhalogeniden verdrängen: H
tf
R^NI
+
/
>
—
X
—
l R
Aceton
CH 3
CH3
HCN—•CH,-C-OH—-CH,-C-OH—-CH,=C
'
CN Blausäure
Acetoncyanhydrin
l
COOR a-Hydroxyisobuttersäure ester
lCOOR
Methacrylsäureester
Die Methacrylsäureester sind besonders leicht polymerisierbar* und ergeben glasklare, lichtstabile Polymerisate. Halbfabrikate (Plexiglas, Perspex, Lucite) werden z.B. durch Polymerisation des Monomeren in einer Form aus Tafelglas hergestellt, sie können spangebend und durch Warmformung verarbeitet werden. Teile aus Polymethacrylat lassen sich durch Polymerisation von monomerem Methacrylat in der Klebefuge verbinden. Die Produkte weisen eine höhere Lichtdurchlässigkeit als optisches Glas auf, sie vergilben nicht bei dauernder Bestrahlung mit UV-Licht und sind hart und zäh. Fahrzeugverglasungen, Fenster für explosionsgefährdete Räume, Dachverglasungen, z.B. als wärmeisolierende Steg-Doppel- und Dreifachplatten, Modelle, Leuchten, Lichtleiter, Schilder, Dekorations- und Haushaltsartikel, medizinische Geräte, Schmuck, Milch- und Bierleitungen werden aus Acrylglas gefertigt. Spritzgußartikel aus Polymethacrylat- und Methacrylnitril-Formmassen sind Füllhalter, Knöpfe, Tasten, Griffe, Linsen, Uhrgläser, Rückstrahlerscheiben, Compact Disks, Bildplatten usw. Ähnliche Stoffe erhält man auch durch Polymerisation von Acrylsäureestern. Vielfach werden auch Mischpolymerisate aus Acryl- und Methacrylsäureester als Gieß- und Einbettharze, für Zahnprothesen und Polymerbeton und für harte Schaumkerne von Sandwichbauteilen hergestellt. Solche Mischpolymerisate werden, ähnlich dem Polyvinylacetat, in Form von Dispersionen oder Lösungen in Wasser (Wasserlacke) als Lackrohstoff und *
Dies nutzt auch ein Laufkäfer, der monomere Methacrylsäure auf den Gegner sprüht, der dann durch Polymerisation bewegungsunfähig wird (Schildknecht 1962).
3.4
Polymerisationsprodukte
177
Kleber verwendet. Bei der Verseifung der Ester erhält man die Salze der polymeren Säure (Polyanionen), man verwendet sie als Dispergiermittel, wasserlösliche Flockungs- und Verdickungsmittel sowie Klebstoffe. Mischpolymerisate aus Methylmethacrylat, Ethylacrylat und Acryl- oder Methacrylsäuren werden als Bindemittel für Wasserlacke verwendet. Sie sind frei von organischen Lösemitteln und damit Rohstoff-sparend und Umwelt-freundlich. Poly-ß-hydroxyethylmethacrylat (HO - C H 2 - C H 2 - C H = C ( C H 3 ) - C O O R ) wird zu weichen in Wasser quellbaren Kontaktlinsen verarbeitet. Aus monomerem Cyanacrylsäureester entsteht, durch Spuren von Wasser katalysiert, in wenigen Sekunden ein stark klebendes, dann festes, farbloses Polymerisat. Man verwendet diesen Reaktionskleber als ,Sekundenkleber' zum Verkleben von Wunden, für Gummi-Metall-Verbindungen etc. CN
CN
CH, = C
1
— \
COOR Cyanacrylsäureester
Polyacrylamide artig.
CN
"FCHO-C-CHO-CL-"...
L
i
'
| Jn
COOR COOR Polycyanacrylat
sind, je nach ihrer Molekülgröße, in Wasser löslich oder gel-
•••{CHJ-CHJ-0 '
NH2
Polyacrylamid
Man verwendet die löslichen Produkte als Hilfsmittel bei Filtration und Flotation, die gelartigen als Trägermaterial bei der Elektrophorese ( f 7.6).
3.4.12 Polyvinylether Durch Anlagerung von Alkoholen an Acetylen entstehen die ebenfalls polymerisierbaren Vinylether. R O H + C H = C H -> CH2=CHOR Polyvinylether werden als Haftkleber (Heftpflaster) und zur Herstellung von Kaugummi verwendet.
3.4.13 Polyvinylpyrrolidon, PVP Aus dem Lacton der y-Hydroxybuttersäure, dem Butyrolacton ( | 2.22), Ammoniak und Acetylen erhält man das leicht polymerisierbare Vinylpyrrolidon:
178
Makromolekulare organische Stoffe
/—y
-NH, -o
0=c
-
o *- 0 Nch=ch2
Butyrolacton
Pyrrolidon
Vinylpyrrolidon
Q- o
CH-CH, —•
Poly vinylpyrrolidon
Polyvinylpyrrolidon ist wasserlöslich, man verwendet es als Blutplasmaersatz (Periston), für Haarfestiger und im Gemisch mit einer Seife als Bürokleber (PrittStift).
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte Während die Produkte von Polymerisationsreaktionen aus Ketten von Kohlenstoffatomen bestehen, besitzen die Produkte von Polykondensations- und Polyadditionsreaktionen regelmäßig Heteroatome in der Kette. Neben kurzen Ketten aus 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, auch Benzolkernen, treten o Estergruppen ..._c-o-Ethergruppen
-oo H
und Amidgruppen
..-c-n-
als periodisch wiederkehrende Bauelemente der Ketten auf. Meist entstehen Polymerisationsprodukte (abgesehen von den Copolymerisaten) aus gleichartigen Bausteinen. Polykondensations- und Polyadditionsprodukte werden meist aus zwei verschiedenen Verbindungen gebildet. Bei Polykondensationsreaktionen wird meist Wasser abgespalten. Unter den in diesem Kapitel beschriebenen Verbindungen finden sich alle Typen makromolekularer Stoffe: Thermoplaste, Elastomere und Duroplaste.
3.5.1 Polyamide, PA Die synthetischen Polyamide ähneln den natürlichen Polyamiden, den Proteinen. Bei den synthetischen Polyamiden, z.B. dem Perlon stehen zwischen zwei Amidgruppen mehrere Kohlenstoffatome, bei den natürlichen immer nur eines. Die Proteine sind aus ca. 20 verschiedenen Bausteinen, den Aminosäuren, aufgebaut. Diese unterscheiden sich in den, hier nur mit R, R', R " . . . bezeichneten, kurzen Seitenketten, die verschiedenartige funktionelle Gruppen enthalten. Perlon Proteine
CO-NH-(CH2)5-CO-NH-(CH2)5-CO-NH-(CH2)5CO-NH-CHR - CO-NH-CHR'- CO-NH-CHR"-
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte
179
Die Proteine werden näher im Abschnitt 6.3 beschrieben. Zur Synthese des Perlons geht man vom Cyclohexanon aus, das man aus Phenol oder durch Oxidation von Cyclohexan gewinnt, wobei der folgende Weg beschritten wird: 0
N-OH
•2H, / S *H2NOH .H,SOt Hydrierung l^^J (Hydroxylamin) k^^J Umlagerung x ^ ^ Phenol
Cyclohexanon
Q *H20 a
H e-Caprolactam
Cyclohexanonoxim
H2N-(CH2)5-COOH-±^ {NH-(CH2)5-CO"1-in Perlon (PA6) e - Aminocapronsäure Eine wesentliche Stufe ist die Umwandlung des Cyclohexanonoxims, das man heute auch durch direkte photochemische Nitrosierung aus Cyclohexan gewinnt, durch die sogenannte Beckmannsche Umlagerung ( | 2.16) in e-Caprolactam, das Monomere des Perlons. Durch Erhitzen dieser Verbindung unter Druck mit Spuren von Wasser als Katalysator bildet sich intermediär die freie s-Aminocapronsäure. Mehrere Moleküle davon kondensieren zur Polyamidkette, das dabei abgespaltene Wasser kehrt in den Kreislauf zurück. Im Gegensatz zum Perlon, dessen technische Bezeichnung PA6 lautet, wird Nylon aus zwei verschiedenen Bausteinen aufgebaut, einer Dicarbonsäure und einem Diamin. Aus Adipinsäure und Hexamethylendiamin entsteht das als Nylon bekannte Polyamid mit der technischen Bezeichnung PA66. Dieser Name besagt, daß Diamin und Dicarbonsäure je 6 Kohlenstoffatome besitzen. nH2N-(CH2)6-NH2 + n H O - C O - ( C H 2 ) 4 - C O - O H Hexamethylendiamin
~2nH:°>
Adipinsäure
COfNH-(CH2)6-NH-CO-(CH2)4-COiNH PA 66 Als Rohstoffe werden u.a. Phenol bzw. Cyclohexan und Tetrahydrofuran eingesetzt: OH
6
0
*2H2
Phenol
f N l^J
Oxidation
Cyclohexanon
r^^COOH l^COOH
Adipinsäure
.4 H 2 0 j - 2 N H 3 'y
*2HCl ^
^
^
+2NaCN
Cl Cl Tetrahydrofuran
- Dichlor butan
/
\
.4H
NC CN Adipinsaurenitril 1/-Dicyanobutan
H2N
NH2
Hexamethylendiamin 1,6-Diaminohexan
Makromolekulare organische Stoffe
180
Perlon und Nylon besitzen gleichzeitig die hydrophilen Amidgruppen und die hydrophoben Kohlenwasserstoffketten. Die Substanzen sind dadurch sowohl in Wasser als auch in Kohlenwasserstoffen sowie den üblichen Lösemitteln unlöslich. Zwischen den NH- und CO-Gruppen benachbarter Ketten bilden sich starke Wasserstoffbrücken aus, dies erklärt den hohen Schmelzpunkt der Polyamide von 200 °C. Polyamide werden durch Spritzguß (Ultramid) und durch Verspinnen aus der Schmelze verarbeitet. Fäden, Fasern und Borsten aus Polyamid besitzen eine höhere Abrieb- und Zerreißfestigkeit als Naturprodukte. Maschinenteile wie Zahnräder, die durch Spritzguß oder aus Halbzeug spangebend hergestellt werden, haben eine hohe Verschleißfestigkeit, einen ruhigen Lauf und geringe Reibung (ungeschmierte Lager). PA 12, das Poly-£-aminolaurinsäureamid, besitzt hierfür besonders günstige Eigenschaften (Vestamid). Verschiedene Polyamide werden als Montageschmelzkleber verwendet, um sehr unterschiedliche Materialien (Glas, Holz, Schaumstoff, Papier, Metall) zu komplizierten Geräten, Filtern für Luft und Kraftstoffe, Gußformen und Verpackungen zusammenzufügen, z.B. in der Elektrotechnik, Bautechnik, Möbel- und Autoindustrie. In den letzten Jahren wurden Polyamide entwickelt, bei denen sämtliche Atome zwischen den Amidgruppen zu aromatischen oder heterocyclischen Ringsystemen gehören. Als Beispiel für solche Aramide sei das Kevlar (Du Pont) genannt:
Poly-p-phenylenterephthalamid, PPD-T, Kevlar
Es entsteht aus Terephthalsäurechlorid und p-Phenylendiamin, gelöst in Dimethylacetamid und Hexamethylphosphortriamid. Daraus stellt man Fasern mit einer Reihe höchst bemerkenswerter Eigenschaften her. Sie zersetzen sich erst ab 550°C, bei Flammeneinwirkung verkohlen die Fasern oberhalb 400°C, sie schmelzen aber nicht. Im Vergleich zum Stahl ist die Zugfestigkeit größer, der Elastizitätsmodul erreicht 60%. Der Quotient aus Modul und Dichte ist 3—4 mal größer als der von Stahl und Glas. Die Fasern sind beständig gegenüber y- und Röntgenstrahlung, jedoch empfindlich gegenüber UV-Strahlung. Man verwendet Aramidfasern in hochbelasteten Keilriemen, Förderbändern und Schlauchbooten. In Reifenkarkassen ersetzt 1 kg Aramidfaser 5 kg Stahl, dabei werden Rollwiderstand, Profilabnutzung und Fahrgeräusche geringer. Verbundwerkstoffe mit Epoxidharzen zeigen hohe Elastizität, Zugfestigkeit, Schlagfestigkeit und Stoßdämpfung. Gegenüber Glasfaserverbundwerkstoffen ergibt sich eine Gewichtsersparnis von 40%. Viele Anwendungen finden diese Werkstoffe in der Luft- und Raumfahrttechnik, z.B. für Ultraleichtflugzeuge, Radarhauben, Rotorblätter, Druckkessel sowie für Sportboote, Rennwagen und
181
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte
Schutzhelme. Aramide ersetzen Asbest in Bremsbelägen und in Hitzeschutzkleidung. Seile, Kabel und Traglufthallen aus Aramid sind denen aus herkömmlichen Materialien überlegen.
3.5.2 Polyester Bei der Veresterung von Terephthalsäure mit Glykol bilden sich der lineare Polyester Polyethylenterephthalat, PETP, nHO - C H
2
- C H
2
- O H
+
n H O - C O — « ) ) — C O - O H
Glykol
Terephthalsäure
j 0 - C H
2
- C H
2
- 0 - C 0 H f ^ V ~ C 0 -
L
Jn Polyethylenterephthalat
der zu sehr reißfesten Folien und Fasern verarbeitet wird. Die Folien werden benutzt für Magnetbänder, Sicherheitsfilm und Kondensatoren sowie, teilweise als Verbundfolie mit Polyethylen- oder Cellulosefolien, für anspruchsvolle Verpackungen. Polyesterfasern sind als Endlosgarn und Spinnfasern (Diolen, Trevira, Dacron, Vestan) Hauptbestandteil hochwertiger Textilien. Von größter Bedeutung sind weiter die Polyester-Gieß- und Lackharze, UP. Beide Stoffe werden als Thermoplaste (flüssig oder gelöst) verarbeitet, die Endprodukte sind harte, vernetzte Stoffe. Polyester-Gießharze werden hergestellt aus den Veresterungsprodukten ungesättigter Dicarbonsäuren mit zweiwertigen Alkoholen, z.B. Maleinsäure, die als Anhydrid in die Reaktion eingesetzt wird, und 1,4-Butandiol. Hierbei bilden sich lineare ungesättigte Polyesterketten. o
" 0
n
H - 0 - ( C H
2
)
0
Maleinsäureanhydrid
4
- 0 - H
-nH2Q
0
0
0 - ( C H o ) / - 0 - C - C = C - C - I i H H
Butandiol
Zur weiteren Verarbeitung wird der ungesättigte Polyester mit leicht polymerisierbaren Monomeren, z.B. Styrol oder Vinylacetat, und einem Peroxid-Katalysator gemischt. Die Härtung erfolgt in der Wärme oder, bei Zusatz von Cobaltverbindungen, in der Kälte. Dabei bilden sich zwischen den Polyestermolekülen Brücken aus Polystyrol oder Polyvinylacetat. Durch Variation der Art und Menge der Komponenten lassen sich Harze mit sehr verschiedenen Eigenschaften herstellen. Sie werden ohne Füllmittel als lösemittelfreie Anstrichmittel sowie als Vergußharze in der Elektrotechnik verarbeitet. Fertigteile mit Glasfasern als Füllstoff erreichen die Zugfestigkeit von Stahl.
182
Makromolekulare organische Stoffe
Aus Glasfaser-Polyester werden Wellplatten, Autokarosserien, Boote, aber auch Kleinteile hergestellt. Im Gegensatz zu den Phenolharzen ( f 3.5.7) können die Harze in einfachen Formen mit geringem Druck oder drucklos verarbeitet werden, Auch bei den Vorprodukten der Polyester-Lackharze liegen lineare PolyesterMakromoleküle mit latenten Verknüpfungstellen vor. Diese sind nicht Doppelbindungen wie bei den Gießharzen, sondern freie Hydroxylgruppen, die bei der Veresterungsreaktion von Phthalsäure mit Glycerin zunächst nicht an der Reaktion teilnehmen: K
>
H-O-C' V-O-H H H H n H-O-C-C-C-O-H + n V ^ ' nH;0 . H OHH
\_/
Glycerin
Phthalsäure
,0 0,\\ H '/ I IHI H //0 0V v\ ••-o-c c-o-c-c-c-o-c c-o—•
y\
H ohh
y-i
Diese Makromoleküle haben Ähnlichkeit mit den Terephthalsäure-GlykolEstern. Während bei diesen die Dipolmomente der Carboxylgruppen antiparallel gerichtet sind, sich also kompensieren, haben die Phthalsäureester wegen des Winkels von 60° zwischen diesen Gruppen ein resultierendes Moment. Sie neigen daher wegen der Dipolwechselwirkungen zur Verknäuelung. Die makromolekularen Phthalsäureester sind im Gegensatz zu den Terephthalsäureestern daher schlechte Fadenbildner. Die Verhältnisse sind ähnlich wie bei den beiden Polyglucosen: Cellulose und Stärke ( \ 6.2). Setzt man die Glycerin-PhthalsäurePolyester mit weiterem Phthalsäureanhydrid um, so bilden sich Brücken zwischen den Ketten durch Veresterung zweier Hydroxylgruppen verschiedener Ketten mit jeweils einem Molekül Phthalsäure: C0-0-CH 2 -Cri-CH 2 -0-CC
C0-0—
0 i
CO CO I
0 •-0-C0
C0-0-CH,-CH-CH,-0-C0
C0-0-
Das Reaktionsprodukt (Ofenlack) ist hart und spröde. Weichere Produkte bilden sich, wenn einige freie Hydroxylgruppen mit langkettigen Monocarbonsäuren verestert werden. Diese mit Fettsäuren modifizierten Alkyd- oder Glyptal-
183
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte
(aus Glycerin und Phthalsäure) Harze gehören zu den wichtigsten Lackharzen. Sie werden als Lösung verarbeitet, die mit Pigmenten vermischt ist (Emaillelack).
3.5.3 Polyurethane, PUR Urethane sind gleichzeitig Ester und Amide der Kohlensäure. Sie bilden sich leicht durch Anlagerung (Addition) von Alkoholen an Isocyanate ( f 2.18.3). R - O H + 0=C=N—R'
->
R-O-C-NH-R' Ii
O Lineare Polyurethane entstehen aus Diisocyanaten und Diolen; sie haben große Ähnlichkeit mit den Polyamiden und werden wie diese verarbeitet. 0 =C=N-(CH
2
)
6
-N =C = 0
+
H O - ( C H
Hexamethylendiisocyanat
• - I C H
2
)
4
- 0 - C - N H - ( C H
Ö
2
)
i
- O H — -
Butandiol-d/l
2
)
6
- N H - C - 0 "
0
-1 n
Polyurethan
Mit Diisocyanaten können Hydroxylgruppen tragende kettenförmige Makromoleküle, etwa vom Typ der Glyptalharze, vernetzt werden. Durch Umsatz mit verschiedenartigen Di- und Polyisocyanaten (Desmodur) und Variation der Art und Menge der Alkoholkomponente, die zwei, drei oder mehrere OH-Gruppen an Polyether- oder Polyesterketten enthalten kann (Desmophen), erhält man sehr unterschiedliche Produkte: spröde, harte Harze, gummiartige und zäh-klebrige Substanzen (Desmodur-Desmophen). Sie dienen als hochwertige Gieß- oder Lackharze für lösemittelfreie Anstriche, als Ausgangsmaterial für Fasern sowie als Kleber für Metalle und Kunststoffe. Polyurethane können biologisch verträglich und sogar abbaubar eingestellt werden, man stellt Kunstherzen, Gefäße und Prothesen daraus her. Vulkollan ist ein kautschukartiger Stoff, der durch weitmaschige Vernetzung von Polyurethan mit freien Isocyanatgruppen durch Zugabe eines zweiwertigen Alkohols entsteht. Er übertrifft in seiner Chemikalien- und Alterungsbeständigkeit, Einreißfestigkeit und Elastizität die bekannten Gummisorten. Ist beim Umsatz von hydroxylgruppenhaltigen Polyestern oder Polyethern mit Diisocyanaten auch Wasser vorhanden, so tritt neben der Vernetzung eine Zersetzung der Isocyanatgruppen durch Wasser ein: R - N = C = 0 + H20
R - N H 2 + CO z
Das Kohlendioxid bildet Bläschen, man erhält Schaumstoffe (Moltopren). Je nach der Reaktionsführung, der Art und Menge der Ausgangsstoffe bilden sich weiche oder harte Schäume mit abgeschlossenen oder schwammartig verbundenen Poren. Polyether-Schäume sind elastischer, schaumgummiähnlicher als
Makromolekulare organische Stoffe
184
Polyester-Schäume. Weiche Schäume werden für Polsterungen, Isolierungen und Schwämme, harte als Sandwich mit Blechen im Karosserie- und Flugzeugbau sowie für Isoliergefäße verwendet. Man kann das Verfahren durch Kühlung der Form so leiten, daß sich aus der gleichen Mischung eine dichte, harte oder elastische Hülle und ein schaumiger Kern bildet (Integralschaum für Dichtungen, G e häuse, Skier etc.).
3.5.4 Ethoxylinharze (Expoxidharze), E P Beim Umsatz von Diphenolen mit Epichlorhydrin ( f 2.10) entstehen Verbindungen mit freien Hydroxylgruppen in der Kette und endständigen Epoxidgruppen: ch3
ch3
—Cj)— CH^^-OH+CI-CHz-CH-CHjÄHO-^^) ch3
V
Bisphenol A
-
C — o - c h
- C H - C H
CH3
V
2
—
Epichlorhydrin
CHj
CH • c h 2 - c h - c h 2 - o -^
CH
0
2
. V o .. m - T
OH
3
CH,
-ch,-ch-ch2
\ / 0
Das 2,2-Di[p-hydroxyphenyl]-propan, sogenanntes Bisphenol A , entsteht durch Kondensation von Phenol mit Aceton: H 0
^ö>+(r0
+
O - 0 H
ch3
—H0-^>-C-^n^-0H+H20 ch3
Durch Addition von Aminen oder aminogruppenhaltigen Makromolekülen an die Epoxidgruppen oder Umsatz mit Dicarbonsäureanhydriden bilden sich Duroplaste: vernetzte, harte Produkte. Die Vernetzungsreaktion kann in der Wärme oder Kälte durchgeführt werden, dabei tritt praktisch kein Schwinden auf. Ethoxylinharze (Araldit, U H U plus) haften hervorragend auf glatten Flächen, sie werden für hochfeste, gegen Chemikalien und Wärme beständige Verklebungen von Metallen, Glas, Keramik und Kunststoffen verwendet. Als Laminierharze ergeben sie in Verbindung mit Glasfasereinlagen und neuerdings mit Aramiden ( f 3.5.1) großflächige Gegenstände höchster Festigkeit und Stabilität gegenüber vielen Chemikalien. Man benutzt sie als Vergußharze und als Bindemittel von Platinen für gedruckte Schaltungen in der Elektrotechnik und als Lackharze für Einbrennlacke.
3.5.5 Polycarbonate, PC Durch Umsetzung von Diphenolen mit Phosgen bilden sich Polyester der Kohlensäure: Polycarbonate, hochwertige Thermoplaste mit hohem Schmelzpunkt (ca. 250°C).
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte
185
CH
h o ^ C ^ O H
+
CI-CO-CI
CH 3
-HCl
CH 3
CH 3
Bisphenol A
Phosgen
Polycarbonat
Verarbeitet werden sie durch Spritzguß; man stellt Türen und Fenster, Straßenleuchten, Maschinenteile, kochfeste Geräte (Milchflaschen für Babies), Formteile und Isolierfolien für die Elektrotechnik sowie Compact Disks daraus her (Makroion).
3.5.6 Polyoxymethylen, POM, Polyoxyethylen Polyformaldehyd, ein lange Jahre vergeblich gesuchtes Produkt, wird jetzt durch Polymerisation von Formaldehyd im wasserfreien Medium gewonnen: CH 2 0—> f O — C H 2 - 0 — C H 2 ^ - n . . . Polyoxymethylen (Delrin) ist bei Normaltemperatur in keinem Lösemittel löslich. Es ist ein billiger Kunststoff von hoher Standfestigkeit, hohem Schmelzpunkt und guten elektrischen Eigenschaften. Copolymerisate werden zu formbeständigen, abriebfesten Zahnrädern und Maschinenteilen verarbeitet (Hostaform). Unter der katalytischen Wirkung von H®-Ionen entsteht aus Ethylenoxid Polyoxyethylen, auch Polyethylenglycol oder Polyethylenoxid genannt. nCH2^CH2
i$
0-CH2-CH2-0-CH2-CH2
O Die Produkte sind in Wasser löslich, sie werden als Grundlage für Salben, Kosmetika und Schmieröle verwendet. Ketten mit 5—20 ( - O - CH 2 - CH 2 —)-Einheiten dienen als hydrophile Reste in oberflächenaktiven Substanzen ( f Tabelle 4.4).
3.5.7 Phenol-, Harnstoff- und Melamin-Harze, PF, UF, MF Die Kondensation von Phenol mit Formaldehyd führt zu unschmelzbaren Harzen, den Phenolharzen, die, fertig gebildet, nicht mehr verformt werden können. Deshalb führt man die Reaktion in zwei Stufen durch und strebt zunächst die Bildung von löslichen und schmelzbaren Produkten an, die nach der Verformung ausgehärtet werden. Bei der vorsichtigen Kondensation im sauren Medium bilden sich die sogenannten Novolake, das sind Gemische von o,o'-Dihydroxydiphenylmethan, p,p'-Dihydroxydiphenylmethan:
HO
OH
Makromolekulare organische Stoffe
186
und ähnlichen Verbindungen. Die Reaktion ist der Kondensation von Aceton mit Phenol, die zu den Ausgangsprodukten der Ethoxylinharze und Polycarbonate führt, analog. Im alkalischen Medium bilden sich bei vorsichtiger Kondensation zunächst die Resole, Gemische von Verbindungen des Typs: HO
OH
i
i
Beim Erhitzen der Resole oder der Novolake im Gemisch mit Formaldehyd und basischen Katalysatoren auf 150° bilden sich schließlich die hochvernetzten Phenolharze mit Strukturelementen der folgenden Art: OH
OH
OH
OH
Jeder Benzolring kann an drei Stellen mit anderen verknüpft werden, entweder durch Methylengruppen oder Etherbindungen. Das Aushärten der Novolake wird oft mit Hexamethylentetramin, Urotropin ( f 2.11.3), durchgeführt, das durch Spaltung sowohl den notwendigen Formaldehyd als auch den basischen Katalysator, Ammoniak, liefert. Harze aus Gemischen von Phenol mit Kresolen und Furfural* sind weniger hart und spröde als die Phenolharze. Man benutzt reine Phenolharze als Schnitz- und Drechselstoffe für Elfenbeinund Bernstein-ähnliche Produkte, wie Möbelbeschläge, Zigarrenspitzen, Billardbälle und Schmuck. Das wichtigste Anwendungsgebiet der Phenolharze stellen die Preßmassen dar. Im Gemisch mit Füllmitteln (Holzmehl, Gesteinsmehl, Asbestfasern), waren diese als Bakelite bezeichneten Produkte die ersten technisch verwendbaren Kunststoffe. Aus ihnen werden billige Massenartikel jeder Art hergestellt. Ein Großabnehmer ist die Elektroindustrie. Aus Phenolharzpreßmassen werden Gehäuse, Stecker, Schalter und viele Kleinmaterialien hergestellt. Phenolharze verwendet man als Kittstoff in Schleifscheiben und Bremsbelägen. Beim Pressen von Furnieren, Papier- und Gewebebahnen, die mit Resol
*
Furfural,derFuranaldehyd
-C' H
, wird aus Kleie gewonnen.
3.5 Polykondensations- und Polyadditionsprodukte
187
getränkt sind, bilden sich Schichtholz, Hartpapier und Hartgewebe, wertvolle Materialien für Möbel, Zahnräder, Maschinenteile und Isolierstoffe in der Elektrotechnik. Phenolharze spielen eine sehr wichtige Rolle als Ionenaustauscher. Diese bestehen aus Harzkörnern, denen man eine große mit aktiven (austauschenden) Gruppen versehene Oberfläche gegeben hat. Ein Kationenaustauscher wird durch Einbau von Phenolsulfonsäure, H 0 - C 6 H 4 - S 0 3 H , in Phenolharze oder durch Sulfonierung ( f 2.6.2) von mit Divinylbenzol vernetzten Polystyrol gewonnen. In beiden Fällen entstehen Makromoleküle mit fixierten S0 3 H-Gruppen: R-S03H
£ £
[R-SO3H
Saure Form
Ca®®
[R-S03]E
Ca-Salz
Na®
Na-Salz
Kationenaustauscher
Die S0 3 H-Gruppen nehmen in einer Gleichgewichtsreaktion aus „hartem" Wasser Erdalkali- und Schwermetallionen auf und geben dafür H®-Ionen ab. Eine Regenerierung des Harzes erfolgt durch Zugabe von H®-Ionen (z.B. HCl) oder aber durch Kochsalz (NaCl). Dann bildet sich das Na-Salz des Kationenaustauschers. Auch dieses macht „hartes" Wasser „weich" ( f 4.4.3), indem es die Kationen der Härtebildner des Wassers bindet und dafür Na®-Ionen abgibt. Als Kationen-austauschende Gruppen eignen sich auch Carboxyl-, phenolische Hydroxylgruppen und Kronenether ( f 4.4.3). Ionen-freies Wasser erzeugt man durch „Vollentsalzung" in zwei Stufen. Zunächst werden mit einem Kationenaustauscher in der sauren Form alle Kationen gegen H®-Ionen ausgetauscht. Danach gibt man das Wasser in einen Anionenaustauscher, der z.B. mit Hilfe von Tetraalkylammoniumhydroxid-Gruppen an den aktiven Oberflächen des Harzes die Anionen aufnimmt und dafür OH e -Ionen abgibt. [R-N(CH 3 ) 3 ]® OH® Ü ? [R—N(CH3)3]® Cl® Hydroxid-Form
Chlorid-Form Anionenaustauscher
Aus den von den Austauscherharzen abgegebenen H®- und OH e -Ionen bildet sich Wasser. Auf diese Weise kann man aus Meerwasser Trinkwasser erzeugen. Ionenaustauscher eignen sich auch zur Anreicherung von Substanzen aus sehr verdünnten Lösungen und zur Trennung von Substanzgemischen (Aminosäuren) . Neben den Phenolharzen und vernetztem Polystyrol verwendet man als Träger der austauschenden Gruppen auch Cellulose, Stärke, Dextran und Kohle. Harnstoff kondensiert mit Formaldehyd leicht zu engvernetzten Stoffen folgender Strukturen: H
'CH2
H-N H-N
-H2C-N /
C = 0 + CH,0 — -
\ H
L
0 =C
1C = 0
™H,C-N L
\
/N-CH," CHL2 L
/
C HLj - N
\
C=0
+ H70 L
188
Makromolekulare organische Stoffe
bei denen jedes Harnstoffmolekül mit vier anderen über Methylenbrücken verbunden ist. Bei der Kondensation von Melamin* mit Formaldehyd kann ein Molekül Melamin mit sechs weiteren Molekülen verknüpft werden: h2c
H2N
YrV NH2 Ä N ^ N
ch2
H2c'VAr
-H20
NH,2
-h2c
„N.
ch2-
Zu ähnlichen Produkten kommt man auch durch Kondensation von Formaldehyd mit Thioharnstoff oder Dicyandiamid (Di-Di-Harze). nh2
nh2
S=C
HN=C NH2
NH CN
Thioharnstoff
Dicyandiamid
Harnstoff- und Melaminharze sind hellfarbige bis weiße Produkte, die nicht zur Vergilbung neigen. Aus Harnstoffharzen stellt man harte Schaumstoffe (Iporka) zur Bautenisolierung und Holzleim (Kauritleim) für die Herstellung von Sperrholz, Spanplatten und Tischlerplatten her. Aus Melaminharz-Preßstoffen werden Geschirre, Isolierteile und Gehäuse in hellen Farben (Haushaltsmaschinen) gepreßt. Sie werden weiter für KnitterfestTextilausrüstungen (No-Iron) und für naßfeste Papiere verwendet. Mit Melaminharz getränkte bedruckte Papiere sind die Deckschichten von Dekorationsplatten (Resopal, Formica) mit Phenolharz-Hartpapieren als Unterlage.
3.5.8 Silicone, SI, SIR In den Silicaten, anorganisch-makromolekularen Stoffen, die einen wesentlichen Teil der Erdkruste aufbauen , sind Silicium-Atome durch Sauerstoffatome zu Ketten-, Blatt- und räumlichen Netzstrukturen miteinander verknüpft. CH3PH3 Si fu L H
CH,
CHo 3 /
V. -SL
,,0-
CH3CH3
3
si
CH, V
SÌ '
^sr I
0
0
I Si.
Si X
ch 3
i °
cj d
I cl s r 0 0 cIh 0.^.0 Si ch
' ch CH,
3
SÌ 0
I SL
3
3
¿ > H 3 CH3CH3
S t r u k t u r e l e m e n t der S i l i c o n h a r z e
(i
¿ > H 33 CH,""
-
Si
I
1
c; SÌ' I 0
1 Si
V " s r^cr v 0
J*'
"SI0
Strukturelemente des Glimmers (die U. S i - O - B i n d u n g ist n a c h o b e n g e r i c h t e t )
Melamin ist das symmetrische Triamino-triazin ( | 2.7.1). Es wird aus Calciumcyanamid gewonnen.
3.6 Umwandlungsprodukte von Naturstoffen
189
Bei den Siliconen liegt eine ähnliche Struktur vor, hier sind jedoch einige der Si-O-Bindungen durch Si—CH3 bzw. andere Si-Alkylgruppen ersetzt. Die Herstellung geht vom Quarzsand, Si0 2 , aus, der durch Kohle im Elektroofen zu Silicium reduziert wird. Durch Umsatz mit Methylchlorid bildet sich (CH 3 ) 2 SiCl 2 neben (CH 3 ) 3 SiCl und CH 3 SiCl 3 . Das Dimethyldichlorsilan wird mit wenig Wasser umgesetzt, dabei entsteht Chlorwasserstoff und das Dihydroxydimethylsilan. CH-a ChU CHq CHq • CHiCI I .H,0 I -H?0 I I SiO,L — S i — C l - S i - C l - 2 - HO -Si-OH — O-Si-O-Si-Oi i i i CH3 CH3 CHj CH3 Dieses kondensiert unter Wasseraustritt zu öligen oder wachsartigen Polymeren mit -Si—O—Si-Ketten. Setzt man zu dem Reaktionsgemisch wenig Methyltrichlorsilan zu, so erhält man ein weitmaschiges Molekülnetzwerk: Siliconkautschuk, SIR. Beim Zusatz von viel Methyltrichlorsilan erhält man ein engmaschiges Netzwerk: Siliconharze. Silicone sind bis zu 200°C temperaturbeständig, sie sind stark hydrophob, die Viskosität der Öle ist weniger temperaturabhängig als die von Kohlenwasserstoffen. Siliconharz-Glasfaserstoffe dienen zur Isolierung hochbelastbarer Elektromotoren; Siliconkautschuk wird zu Dichtungen, Isolierungen und Transportbändern verarbeitet; Siliconöle finden Verwendung als Hydraulik-Flüssigkeiten, als Trennmittel für technische Formen und für hydrophobe Polituren. Sie werden weiter als Imprägniermittel für Textilien und Mauerwerk sowie als Antischaummittel verwendet. Mit Siliconschichten kann man organische Gläser aus Polymethacrylat und Polycarbonat kratzfest und unempfindlich gegen Bemalen machen.
3.6 Umwandlungsprodukte von Naturstoffen 3.6.1 Cellulose und Cellulosederivate Cellulose, die Gerüstsubstanz der Pflanzen ( f Abbildung 6.3), ist seit langem Rohstoff für Textilien (Baumwolle) und Papier. Sie ist eine Polyglucose und, da sie aus unvernetzten Makromolekülen aufgebaut ist, ist sie prinzipiell ein Thermoplast. Die Molekülketten sind aber durch starke Wasserstoffbrückenbindungen miteinander verknüpft, dadurch wird die Cellulose bis zur Zersetzungstemperatur nicht schmelzbar. Sie hat also die Eigenschaften eines Duroplasten. Der Holzzellstoff ist die billigste Cellulose-Quelle. Holz besteht aus Cellulose und Lignin im ungefähren Verhältnis 2:1, daneben sind noch Hemicellulosen und niedermolekulare Stoffe vorhanden. Der Holzstoff Lignin, ein makromolekularer Stoff, ist aus methoxylierten Benzolkernen aufgebaut, die infolge der aus drei Kohlenstoffatomen bestehenden mit Keto-, Hydroxyl- oder Ethergruppen be-
Makromolekulare organische Stoffe
190
setzten oder ungesättigten Seitenketten zum Teil miteinander verknüpft sind. Zur Gewinnung der Cellulose muß das Lignin herausgelöst werden. Beim Kochen mit Calciumhydrogensulfit entstehen durch Addition von schwefliger Säure lösliche Ligninsulfonsäuren. Lignin stellt einen an sich wertvollen, bisher noch nicht befriedigend genutzten Rohstoff dar, der bei der Papierproduktion als Abfall anfällt und Umweltprobleme erzeugen kann. Da die Cellulose in keinem Lösemittel löslich und nicht schmelzbar ist, muß sie zur Verarbeitung in lösliche Derivate überführt und nach der Verformung als reine Cellulose wieder ausgefällt werden. Bei kurzfristiger Einwirkung von Schwefelsäure auf Papier entsteht Pergamentpapier, aus Papierlagen entsteht durch Einwirkung von Zinkchlorid Vulkanfiber, ein seit 1850 hergestellter Kunststoff, aus dem man billige Koffer herstellte. Bei beiden Verfahren trennen die Agenzien die Celluloseketten und machen sie löslich. Durch Wässerung wird die Cellulose wieder unlöslich. Mit Schwefelkohlenstoff und Natronlauge bilden sich Cellulosexanthogenate, Has sind Salze des Dithiokohlensäureesters der Cellulose (R = Celluloserest): R-OH Cellulose
•
CS
2 +
Schwefelkohlenstoff
N Q 0 H Natronlauge
-H,0 ^ r ^
( 7
T
R - 0 - C - S - N Q S Cellulosexanthogenat
»H^SOi ( 7 ^ ^
r
R-OH
+
CS2
+
NaHSO,
Cellulose
Die zähe, Viskose genannte Lösung wird durch Düsen in ein saures Fällbad gespritzt, dabei bildet sich die Cellulose zurück. Auf diese Weise werden Fasern (Viskoseseide, Reyon) hergestellt, die als Endlosgarn und Spinnfasern, oft im Gemisch mit anderen Fasern, verarbeitet werden. Beim Pressen der Viskoselösung aus Schlitzdüsen bildet sich Zellglasfolie (Cellophan), ein wichtiger Verpackungsstoff. Beim Erhitzen mit einem Treibmittel (Ammoniumcarbonat, [NH 4 ] 2 C0 3 -> 2NH 3 + C 0 2 + H z O) bildet sich der hydrophile Viskoseschaumstoff (Viskoseschwamm). Mit Schweitzers Reagenz, dem Kupfertetramminhydroxid Cu(NH 3 ) 4 (OH) 2 , bildet sich ein löslicher Kupfer-Komplex der Cellulose, der wie Viskose verarbeitet wird. Kupferseide wird als Endlosgarn (Bemberg, Cupresa) und Spinnfaser (Cuprama) zu Textilien verarbeitet. Die in organischen Lösemitteln löslichen Salpetersäureester der Cellulose, CN, sind lange bekannt. Schießbaumwolle, derCellulosetrisalpetersäureester, ist hochexplosiv und wurde bereits 1846 hergestellt. Der Di-ester der Cellulose mit Salpetersäure ist weniger gefährlich, neigt aber noch zur Verpuffung. Er war unter dem Namen Collodiumwolle ein viel gebrauchter Lackrohstoff (Zaponlack, Nitrolack), im Gemisch mit Weichmachern (Campher) wurde er als Celluloid zu Filmen und Gebrauchsartikeln verarbeitet. Aus der Collodiumwolle hat Graf Chardonnet 1881 die erste Kunstseide hergestellt, die sich jedoch wegen ihrer Feuergefährlichkeit nicht durchsetzen konnte. Der Cellulose-Essigsäure-Ester wird aus der Lösung in Aceton zu Acetatseide, CA, versponnen. Der Faden muß dann, um ihm die Löslichkeit in organischen
3.6 Umwandlungsprodukte von Naturstoffen
191
Lösemitteln zu nehmen (chemische Reinigung), durch Verseifung teilweise entacetyliert werden. Sicherheitsfilm, ein nicht verpuffendes Filmmaterial, besteht aus Celluloseacetat (oder Polyester). Der Mischester der Cellulose mit Essigsäure und Buttersäure, Celluloseacetobutyrat, CAB ist ein Kunststoff für Spritzgußartikel. Celluloseacetobutyrat wird oft im Wirbelsinterverfahren verarbeitet. Dazu bläst man einen Luftstrom durch den porösen Boden eines Kastens, der mit Kunststoffpulver gefüllt ist. Es entsteht im Wirbelbett ein Kunststoff-Luft-Gemisch mit einer horizontalen Oberfläche und dem Fließvermögen einer Flüssigkeit. In das Wirbelbett getauchte heiße Metallteile überziehen sich mit einer dünnen, glatten lückenlosen Kunststoffschicht. Nach diesem Verfahren werden Kühlschrankroste, Armaturen und Griffe beschichtet. Die Ether der Cellulose sind Lackrohstoffe (Ethyl- und Benzylcellulose). Der Methylether MC und die Carboxymethylcellulose CMC (der Ether der Cellulose mit der Glykolsäure H O —CH 2 —COOH) sind wasserlöslich, sie werden als Tapetenkleister, Textilhilfsmittel und Verdickungsmittel gebraucht. Sie besitzen, da sie physiologisch unbedenklich sind, Bedeutung als harmlose Komponente von Appetitzüglern, sie rufen das Gefühl der Sättigung hervor und sind selbst unverdaulich. Chitin, das Material der Außenskelette von Arthropoden (Gliederfüßer: Crustaceen, Insekten), ein Polysaccharid aus Glucosamin ( f 6.2), kann durch Alkalien gelöst werden. Aus diesem Chitosan können Chitinfasern regeneriert werden, aus denen man verdaubare Verbände herstellt, außerdem wird es zu Wursthüllen, Dialysemembranen und Klebstoffen verarbeitet.
3.6.2 Abgewandelte Eiweißstoffe, CS Kunsthorn (Galalith), mit Formaldehyd gehärtetes Milcheiweiß (Casein), CS, war seit 1895 ein guter Schnitzstoff und wurde zu Knöpfen, Spielmarken, Schmuck und Gebrauchsgegenständen verarbeitet; inzwischen ist er weitgehend durch andere Kunststoffe ersetzt. In Natronlauge gelöstes Milcheiweiß kann durch Einpressen in ein saures Fällbad in Form von Fasern ausgefällt werden. Nach dem Härten mit Formaldehyd haben die Fasern wollähnlichen Charakter (Lanitalwolle). Sie werden kaum noch hergestellt. Aus Knochen, Haut, Knorpel etc. gewinnt man durch Hydrolyse des Kollogens Gelatine und Knochenleim. Gelatine ist ein Protein, das vor allem Glycin und Prolin enthält und unverdaulich ist. Man benutzt sie zur Zubereitung von Lebensmitteln und Kosmetika und als Schichtträger in der Photographie.
Makromolekulare organische Stoffe
192
3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen In vielen Forschungslaboratorien wird intensiv an der Verbesserung bereits bekannter und der Entwicklung neuer makromolekularer Stoffe gearbeitet. Die Anwendungsmöglichkeiten von Stoffen, die bereits in großen Mengen und damit preiswert produziert werden, können durch Mischung zu Legierungen (Blends), durch chemische Reaktionen, durch Copolymerisation, durch physikalische Prozeduren oder mit Hilfe von Zusatzstoffen verbessert werden. So kann man die Querschnitte der Fasern verändern (Hohlfasern, Sternprofile), die Feinheit und die Kräuselung. Schlecht einfärbbare Fasern (Polyethylen, Polypropylen, Polyacrylnitril) werden färbbar ( \ 5) gemacht, indem bei der Polymerisation Moleküle mit basischen oder sauren Gruppen eingebaut werden. Durch Chlorierung oder Sulfochlorierung von Polyethylen erzeugt man ein wie ein gewöhnlicher Thermoplast durch Spritzguß verarbeitbares Material, CSM, das als Ausgangsmaterial für wertvolle Elastomere verwendet wird (CPE-Elastomere, Hypalon). Ein ähnliches Ziel wird bei den Ionomeren erreicht. Hier werden durch Copolymerisation von Alkenen mit Acrylsäuren einzelne Carboxylgruppen in die Kette eingebaut. Durch Salzbildung mit mehrwertigen Kationen werden die Ketten vernetzt:
Abbildung 3.6
Vernetzung in Ionomeren.
Die Vernetzung kann auch durch Wasserstoffbrücken zwischen den Carboxylgruppen ( t 2.12.1) erfolgen. Dadurch werden diese Materialien bei normalen Temperaturen den mit vernetzten Molekülen (Elastomeren oder Duroplasten) ähnlich. Durch Erwärmen können diese zwischenmolekularen Kräfte aber überwunden werden: Die Stoffe lassen sich wie Thermoplaste verformen. Ionomere sind meist glasklar und zäh, haften gut auf Metallen und Glas, und sie lösen sich schwer in organischen Lösemitteln. Daher verwendet man sie zur Verpackung von Arzneimitteln wie von Kleinmaterialien für Supermärkte, zur Herstellung von Flaschen, Dosen, Windschutzscheiben, durchsichtigen Türen in Werkshallen, ,Gummi'-Hämmern, Kabelmänteln und elastischen Schaumstoffartikeln. Schwer oder nicht brennbare Polymere erschließen ganz neue Anwendungsbereiche von Polymeren. Penton ist ein nicht brennbares und chemikalienfestes thermoplastisches Material z.B. für Pumpen, Ventile und Meßgeräte.
3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen
193
CH2CL
SO
-CH2-C-O-CH 2 CI Penton
Polyethersulfon
Polyethersulfon ist ein ebenfalls nicht brennbarer Thermoplast und eignet sich zur Herstellung von chemikalienfesten Gegenständen, die Dauertemperaturen von 150°C ausgesetzt sind. Aus thermodynamischen Betrachtungen geht hervor, daß Polymere mit starren Ketten und starken zwischenmolekularen Wechselwirkungen besonders hohe Glastemperaturen besitzen müssen. Man hat daher versucht, derartige Stoffe zu entwickeln, die zudem noch als flammhemmend bekannte Gruppierungen enthalten. Tabelle 3.1 zeigt die Struktur derartiger Stoffe. Hierzu gehören auch die bereits besprochenen Aramide ( f 3.5.1). Polyimide und Polybenzimidazole eignen sich für den Dauereinsatz über 250°C, man verwendet sie für Kolbenringe und Ventilsitze, elektronische Bauteile, Kernreaktorteile und zur Drahtisolierung. Tabelle 3.1
Temperaturfeste Polymere
{ÖQÖ-©-©]. WOCOt 0
0
Polyimid
H
x >N
H-N.
N-C
M.
0
'C-N' "N-H N=C
Polybenzimidazol
Polyterephthaloyloxamidrazon PTO
xcxx Pyrolyseprodukt a u s Polymethylvinylketon
^N Pyrolyseprodukt a u s 1,2-Polybutadien (Pluton-Faser)
N
N
Pyrolyseprodukt a u s Polyacrylnitril (Fiber A F )
PTO, ein Polymeres, dessen Ketten durch Chelatbildung ( f 2.7.1) mit Metallatomen verknüpft sind, ist mit M = Zn, Sr oder Ca bis 1000°C absolut unbrennbar. Das je nach der Natur des Metallatoms verschiedenfarbige Material kann für flammfeste Gewebe verwendet werden (Enkatherm). Derartige Materialien haben auch als Asbestersatz eine Bedeutung. Durch vorsichtige Pyrolyse von Teilen aus organischen Polymeren unter Schutzgas kann man schließlich Gegenstände, Fasern, Vließe, Filme und Schaumstoffe herstellen, die aus glasartigem Kohlenstoff bestehen. Diese widerstehen einer Dauerbelastung an der Luft bis 350 °C und unter Stickstoff bis
194
Makromolekulare organische Stoffe
4000°C. Man verwendet Kohlenstoff-Glas für Schmelztiegel, zur Wärmeisolierung im Ofenbau, für stark belastete Konstruktionselemente in Überschallflugzeugen und R a k e t e n , wegen des geringen Gewichts und der Zähigkeit auch in Verbundwerkstoffen mit organischen Polymeren oder mit Metallen zur Herstellung von Luftschrauben ( z . B . für Hubschrauber). Ganz andere Entwicklungsrichtungen nutzen die Möglichkeiten aus, die reaktive Gruppen als Reagenzien und Katalysatoren bieten, die an Polymerketten fixiert sind (funktionelle Polymere). Man kann z . B . natürliche Enzyme oder synthetische Katalysatoren an Polymerketten fixieren. Sie lassen sich dadurch wiedergewinnen und vielfach verwenden. Eine 1962 von Merrifield eingeführte Methode ermöglicht die definierte Synthese von Proteinmolekülen, wobei das Kettenende an Polymerkügelchen fixiert ist. Während der vielen Synthesestufen mit verschiedenen Reagenzien bleiben die Proteinmoleküle an der Unterlage haften und erst nach Beendigung der Synthese werden sie durch eine spezielle Reaktion abgetrennt. Polymere mit Ionenaustauscher-Eigenschaften, die eine Affinität zu bestimmten Elementen besitzen, können zur Gewinnung dieser Elemente aus Ablaugen, Fluß- oder Meerwasser verwendet werden (Recycling). Die Konstruktion von Polymer-Membranen, die Eigenschaften biologischer Membranen besitzen, die zu Pump- und Schaltvorgängen befähigt sind (Zellwände, Nervenzellen), befindet sich noch in den Anfängen. Verwendet werden Membranen auch zur Meerwasserentsalzung und in künstlichen Nieren. Elektrisch leitfähige Polymere werden entwickelt, die einmal für Decken-, Fußboden- und Wandheizungen und in der Elektrotechnik verwendet werden sollen. Besonders attraktiv ist die Entwicklung von Akkumulatoren, in denen Elektroden und Stromzuführungen aus Makromolekülen bestehen und die einmal bei gleicher Kapazität xh des Volumens und Vio des Gewichts von Bleiakkumulatoren haben sollen. Auch makromolekulare Photoelemente (Solarzellen) werden entwickelt. Man verwendet wasserlösliche Polyacrylamide als Flockungsmittel zur Reinigung technischer Waschwässer und von Flüssen (Separan, Prestol), sie bewirken, daß feine Schlämme zu Flocken zusammenballen, die sich schnell absetzen und die einfach filtrierbar sind. Polyethylenoxide werden eingesetzt zur Verminderung von Verlusten durch Turbulenzen in Wasser: Schiffe fahren schneller und Feuerwehren können weiter spritzen - bei gleichem Energieverbrauch. Mehr als die Hälfte der Menge aller organisch-chemischen Industrieprodukte sind makromolekulare Stoffe. Die meisten dieser Produkte zeichnen sich durch hohe Beständigkeit gegen Lösemittel, Licht und Mikroorganismen aus, sie können daher auch nicht biologisch abgebaut werden (biologisch abbaubare Polymere werden sich im Gegensatz zu den Waschmitteln nur für wenige Anwendungsbereiche entwickeln und dort einführen lassen), sie können also die Umwelt verschmutzen. Zwar sind sie zunächst weniger gefährlich als niedermolekulare Stoffe, da sie geringeren Dampfdruck und geringere Löslichkeit besitzen. Außerdem sind manche von ihnen so inert, daß sie Jahrtausende überdauern können.
3.7 Neue Entwicklungen von makromolekularen organischen Substanzen
195
Andere Polymere aber — gerade die biologisch abbaubaren — können in den Müllhalden niedermolekulare Verbindungen freisetzen, die einmal das Grundwasser verschmutzen können. Einige polymere Stoffe machen Probleme bei der Müllverbrennung: Halogenverbindungen erzeugen giftige und korrosive Verbrennungsprodukte ( f 2.8.4). Die Kosten für Lösemittel und besonders die Umweltbelastung durch Lösemitteldämpfe zwingen zu wichtigen Entwicklungen bei Lacken und Klebstoffen: Pulver- und Wasserlacke, thixotrope Anstriche ( f Fußnote S. 235), elektrophoretische und autophoretische Beschichtungsverfahren für Automobile und lösemittelfreie Kleber, wie Reaktionskleber, Dispersionskleber und Schmelzkleber. Schließlich werden die steigenden Rohstoff- und Energiekosten und die abnehmenden Erdölvorräte zu einer neuartigen Einstellung gegenüber den makromolekularen Stoffen zwingen: man wird sie als wertvollen Rohstoff schätzen lernen und Verfahren der Recyclisierung erarbeiten. Hierzu gehört auch die Erschließung nachwachsender Rohstoffe und die Verwendung von C 0 2 als Bestandteil makromolekularer Stoffe.
Anwendungen zwischenmolekularer Kräfte
4. Lösemittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen, Schmierstoffe Bei allen Substanzen, die im vorliegenden Kapitel beschrieben werden, den Lösemitteln, den Weichmachern und den oberflächenaktiven Substanzen, können die erwünschten Eigenschaften auf zwischenmolekulare Wechselwirkungen zurückgeführt werden. Es handelt sich bei diesen Substanzen um zwar wenig beachtete, jedoch sehr nützliche und vielseitige .Dienstmädchen' mit einer großen ökonomischen, aber auch ökologischen Bedeutung: pro Jahr werden 40 Millionen Tonnen Lösemittel und Weichmacher sowie 25 Millionen Tonnen Waschmittel und andere Tensid-Produkte weltweit produziert und zum großen Teil an die Umwelt abgegeben! Die meisten Menschen verbrauchen wenigstens einige dieser ,Chemikalien für den Laien' ständig, in der Größenordnung von 20 kg pro Kopf und Jahr der Weltbevölkerung. Die Entwicklungen auf diesem Gebiet sind daher durch die drei E gekennzeichnet: Ecology, Energy, Economy. Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und das ,Recycling' werden zunehmend wichtiger.
4.1 Allgemeines
199
4.1 Allgemeines Eine Lösung ist eine flüssige, homogene Mischung eines gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffes mit einer reinen Flüssigkeit. Die Frage, warum ein Stoff in einem anderen löslich oder unlöslich ist, beantwortet am einfachsten die triviale Feststellung, die schon den Alchimisten bekannt war: Similia similibus solvuntur, auf deutsch: Ähnliches löst sich in Ähnlichem. Dieser Satz sei an zwei entgegengesetzten Lösemitteln, Wasser und Kohlenwasserstoffen, erläutert. Wasser ist stark polar (Dielektrizitätskonstante* DK = 80, t 7.13), Kohlenwasserstoffe sind unpolar (DK = 2). Wasser ist daher das ideale Lösemittel für heteropolare Verbindungen (Salze), da die Wassermoleküle Ionen umhüllen und damit voneinander trennen. Die Moleküle der Kohlenwasserstoffe sind dazu überhaupt nicht in der Lage, daher lösen sich heteropolare Verbindungen nicht in Kohlenwasserstoffen. Dagegen lösen Kohlenwasserstoffe unpolare Verbindungen. Wasser löst diese Verbindungen aber nicht, Wassermoleküle werden nämlich nur dann voneinander getrennt, wenn ähnlich große zwischenmolekulare Kräfte, wie sie zwischen Wassermolekülen bestehen, zum gelösten Stoff ausgebildet werden können. Zwischen diesen beiden Extremen steht die Verbindungsklasse der Alkohole, die Hydroxylgruppe ist wasserähnlich, der Alkylrest kohlenwasserstoffähnlich. Bei Alkoholen mit kleinem Alkylrest tritt die Wasserähnlichkeit in den Vordergrund, sie lösen sich gut in Wasser und schwer in Kohlenwasserstoffen. Bei wachsender Größe der Alkylreste kehren sich die Verhältnisse um. •
Zwei Stoffe mischen sich nur dann homogen und stabil, wenn die Kräfte zwischen den verschiedenartigen Molekülen des Gemisches nach Art und Größe ähnlich sind wie die Kräfte zwischen den Molekülen der Komponenten. Das Lösungsverhalten wird durch die zwischenmolekularen Kräfte bestimmt.
Die Erscheinungsformen der zwischenmolekularen Kräfte sind in Tabelle 4.1 zusammengestellt. Dazu sind Stoffe aufgeführt, deren Eigenschaften im wesentlichen durch die Kräfte einer Art bestimmt werden ( f 1.11 und Abbildung 6.6). Die Größe der zwischenmolekularen Kräfte steigt in der angegebenen Reihenfolge. Die zuerst genannten Wechselwirkungen treten allgemein zusätzlich auf: In einem Stoff, dessen Moleküle durch Wasserstoff-Brückenbindungen verknüpft sind, wirken außer den Kräften der Wasserstoffbrücken auch Dipol-Richtkräfte, Dipol-Induktionskräfte und Dispersionskräfte. Die in Tabelle 4.1 unter 1—3 aufgeführten Wechselwirkungs-Kräfte sind in ihrer Größenordnung gleich. Die Kräfte zwischen Dipolmolekülen können von dipolfreien Molekülen überwunden werden, da zwischen beiden Molekülarten neue Kräfte, die Dipol-Induktionskräfte, auftreten können. *
D i e Dielektrizitätskonstante ist die makroskopische Kenngröße für die Polarität von Molekülen ( | 7.13). Ihr Zahlenwert ist gleich dem Verhältnis der Kapazität eines Kondensators mit einer Substanz zu der mit Vakuum als Dielektrikum.
200
Lösemittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen, Schmierstoffe
Die unter 4 und 5 aufgeführten Wechselwirkungs-Kräfte sind wesentlich stärker als die unter 1—3 genannten. Wasserstoffbrücken werden nur gebrochen, wenn dafür neue Wasserstoffbrücken gebildet werden, das heißt, wenn die Mischungspartner selbst NH- oder OH-Gruppen enthalten oder Wasserstoffbrückenakzeptoren sind, also freie Elektronenpaare anbieten können (Aceton, Pyridin). Moleküle, die durch Coulombsche Kräfte zusammengehalten werden, können nur durch Medien mit hoher Dielektrizitätskonstante f 7.13 (Wasser, DK = 80, N-Methylformamid, DK = 182) getrennt werden. Tabelle 4.1 Zwischenmolekulare Kräfte (f 1.11)
1
2 3
4
5
Art der Kräfte
Die Kräfte wirken zwischen
Beis )iele makromolekulare Stoffe niedermolekulare Stoffe
Dispersionskräfte
Kohlenwasserstoffen
aliphatische: Octan: CH 3 (CH 2 ) f ,-CH 3
Polyethylen: CH2-CH2
aromatische: Benzol:
Polystyrol:
0
6
--CH-CH,--
DipolInduktionsKräfte
Dipolmolekülen und Kohlenwasserstoffen
Gemisch von Molekülen der Klassen 1 und 3
DipolRichtkräfte
Dipolmolekülen
Aceton: CH,-CO-CH3
Polyvinylacetat: -CH(OAc)-CH:-*-
Acetonitril: CH,-C=N
Polyvinylchlorid: CHC1-CH2
Trichlorethylen: CHC1=CC1 2
Polyacrylnitril: CH(CN)-CH2
Molekülen mit O H - und N H G r u p p e n einerseits und A t o men mit freien Elektronenpaaren andererseits
Wasser: H2O
Polyvinylalkohol: CH2-CH(OH)
Methanol: CH,OH
Eiweißstoffe: CHR-CO-NH
Formamid: H-CO-NH2
Polyglucosen: Cellulose, Stärke
Ionen
Tetramethylammoniumchlorid: (CH,) 4 N®Cl e
Polyacrylat: •••-CH2-CH-••
WasserstoffbrückenBindungen
Coulombsche Kräfte
Betain: (CH,),N®-CH 2 -COO S
1 coo e
* Ac = C H j - C O -
Organische Moleküle enthalten meist verschiedenartige Gruppen, sie sind deshalb zu verschiedenartigen zwischenmolekularen Wechselwirkungen befähigt.
201
4.2 Lösemittel
Die Art, die Anzahl aber auch die räumliche Anordnung der Gruppen bestimmt dann die Eigenschaften der Verbindungen. Ein Beispiel hierfür: Diethylether ist in Wasser schwer löslich, Tetrahydrofuran mischt sich mit Wasser in jedem Verhältnis. Im Tetrahydrofuran sind die Bindungen durch die Festlegung im Ring starr, die einsamen Elektronenpaare des Sauerstoffs sind frei zugänglich und können als Wasserstoffbrückenakzeptoren fungieren, beim Diethylether werden sie teilweise durch die frei drehbaren Ethylgruppen abgeschirmt. ^CH2_^CH2 ch3 THj Diethylether
H 2 C-CH 2 H 2 C, ö „CH 2 Tetrahydrofuran
Makromolekulare Stoffe verhalten sich häufig anscheinend anders als niedermolekulare Stoffe, sie werden oft von gleichartigen niedermolekularen Stoffen bei Raumtemperatur nicht gelöst. Dies liegt nicht an der Unverträglichkeit der Moleküle miteinander, sondern an der zu kleinen Auflösungsgeschwindigkeit der makromolekularen Stoffe: Die Lösemittelmoleküle können nur langsam in den ,verfilzten' Verband der Makromoleküle eindringen. Polyterephthalsäureglykolester ist daher in Essigsäureethylester nicht löslich, Polyethylen nicht in Benzin. Dagegen ist Polystyrol in Benzol leicht löslich und Polyvinylacetat in Estern. Zur Auflösung von makromolekularen Stoffen eignen sich kleine Lösemittelmoleküle besser als große, cyclische besser als lineare. Tabelle 4.2 zeigt nur wenige Beispiele der sehr vielen gebräuchlichen Lösemittel. Einige von ihnen lösen bei höherer Temperatur selbst die sonst schwerlöslichen Polyamide und Polyacrylnitrile, bei denen die Moleküle durch Wasserstoffbrücken bzw. Dipolkräfte wie bei einem Reißverschluß verzahnt sind: Dimethylsulfoxid und Dimethylformamid. Lösemittel, deren Moleküle zwei verschiedene funktionelle Gruppen enthalten, zeigen gute Löslichkeitseigenschaften für recht verschiedenartige Stoffe, sie lassen sich aber auch mit vielen anderen (billigeren) Lösemitteln mischen (verschneiden), wie z.B. Pyranton A und die Ether und Ester des Ethylenglykols (die sogenannten Cellosolve).
4.2 Lösemittel Viele chemische Reaktionen werden mit gelösten Substanzen durchgeführt. Das Lösemittel soll die Reaktionspartner gut lösen und soll selbst meist nicht an der Reaktion teilnehmen. Die in Tabelle 4.1 aufgeführten zwischenmolekularen Kräfte sind die Grundlage für Löslichkeitsparameter, mit denen man geeignete Lösemittel auswählt oder kombiniert. Man findet sie in den in Kapitel 8 zitierten Nachschlagewerken. Man wählt die physikalischen Eigenschaften so, daß sich die
202
Lösemittel, Weichmacher, grenzflächenaktive Substanzen, Schmierstoffe
Reaktionsprodukte leicht durch Destillation oder Kristallisation abtrennen lassen. Durch Siedekühlung kann man die Reaktionswärme durch Lösemitteldampf an einen Rückflußkühler abführen und dabei die Temperatur konstant halten (z.B. durch Diethylether, Siedepunkt 35°C). Aus verschiedenen Gründen verwendet man zunehmend zweiphasig-flüssige Reaktionsmedien, z.B. aus einer wäßrigen und einer wasserunlöslichen Phase. Man benötigt Lösemittel weiter als Hilfsmittel bei der Reinigung fester Substanzen. Durch Filtration der Lösung eines Stoffes befreit man ihn von mechanischen Verunreinigungen. Molekulare Verunreinigungen werden durch Umkristallisation entfernt: Bei der Abkühlung einer heißen, gesättigten Lösung kristallisiert die reine Verbindung aus, sie wird durch Filtration von der Mutterlauge, die die Verunreinigung enthält, getrennt. Lösemittel dienen zur Extraktion eines leicht löslichen Stoffes aus einem Gemisch mit schwer löslichen Substanzen, Stoffgemische werden getrennt durch gleichzeitige Behandlung mit zwei untereinander nicht mischbaren Lösemitteln, auch in einer vielstufigen Prozedur: Gegenstrom-Verteilung ( f 7.6 Chromatographie). Lösemittel werden in großem Umfang von der Lack- und Klebstoffindustrie zur Lösung makromolekularer Stoffe gebraucht. Man verwendet dazu meist Lösemittelgemische, da oft erst die Kombination mehrerer Lösemittel die gewünschten Löseeigenschaften besitzt oder die gewünschten Eigenschaften des Lackfilms ergibt. Billigere Lösemittel können als Verschnittmittel in teure Spezial-Lösemittel gemischt werden, ohne deren Lösefähigkeit wesentlich zu beeinflussen. Als Lösemittel werden die folgenden Verbindungen in der Lackindustrie verwendet: Ester (Ethylacetat, Amylacetat), Ketone (Aceton, Methylethylketon), Alkohole (Ethanol, Butanol), Halogenverbindungen, aliphatische Kohlenwasserstoffe (Testbenzin, Siedebereich 130—200°C), aromatische Kohlenwasserstoffe (sogenannte BTX-Aromaten: Benzol, Toluol, Xylol), Hydroaromaten (Tetralin = Tetrahydronaphthalin, Dekalin = Dekahydronaphthalin), Terpenkohlenwasserstoffe (Terpentinöl). Die Lösemittel sind mengenmäßig der Hauptbestandteil vieler Anstrichmittel. So enthalten Alkydharzlacke 50% und Nitrolacke 70% Lösemittel. Die Lackindustrie Westeuropas verwendete 1982 1,4 Millionen Tonnen Lösemittel. Da sie nicht billig sind, meist verlorengehen und zusätzlich die Atmosphäre verschmutzen, versucht man, die Beschichtungen ohne Hilfe von Lösemitteln bzw. mit Wasser als Löse- oder Dispersionsmittel durchzuführen: Lösemittelfreie Anstriche mit ungesättigten Polyesterharzen ( f 3.5.2) oder Polyurethan-Vorläufern ( f 3.5.3), Dispersionsanstriche ( f 3.4.7), Wasserlacke ( f 3.4.11), Flammspritzen und Wirbelsintern ( | 3.4.1 und 3.6.1) sowie die eiektrophoretische und die elektrostatische Beschichtung. Große Mengen Lösemittel werden bei der Fettgewinnung aus Knochen und Ölsaat sowie bei der chemischen Reinigung und bei der Herstellung von coffeinfreiem Kaffee verwendet. Dabei werden die zu extrahierenden Substanzen durch Kohlenwasserstoffe (Benzinfraktionen von 60-140°C), Methylenchlorid, 1,1,1-
203
4.2 Lösemittel
Trichlorethan o d e r Tetrachlorethylen gelöst. D i e Lösemittel werden durch D e stillation w i e d e r g e w o n n e n . Neuerdings verwendet man auch C 0 2 als Extraktionsmittel ( | Ende dieses Abschnittes). Z u r Reinigung von Bauteilen der Elektronik, Optik und Feinmechanik bewährt sich das unbrennbare Frigen 113 ( F r e o n 113), das l,l,2-Trichlor-l,2,2-trifluorethan, C C 1 2 F - C C 1 F 2 ( f 2.8.1) sowie Methylenchlorid. X
o I o=o I 0 1 iNi X 0 1 X o
X
o X
0
jT cn O o=o I o
X
O
1 0 1
o o
X
o
(O X
o
X CJ
o
o X
CJ
X
o
I
X O-CJ
I o=o
I
cQ E 5
X
I X O-CJ
X o
< z
ist ein Isomeres von U .
Die Proteinsynthese konnte besonders gut an Zellen ohne Zellkern (Prokaryonten), z.B. Colibakterien studiert werden, für diese gelten die folgenden Aussagen. Man ist sicher, daß auch in Zellen mit Kern (Eukaryonten), also in Pflanzen und Tieren, sehr ähnliche Mechanismen ablaufen. Die Proteine synthetisierenden Zellorganellen, die Ribosomen, bestehen aus jeweils zwei verschieden großen Untereinheiten, die, wie die Absetzgeschwindig-
6.13 Umschreibung und Übersetzung der genetischen Information
269
Ser- • • Met—COH v.:
JJ.
A^G-A C-A-U ^AJ-U-U-C-U-G-U-A 3'OH
30 S
5'P
Abbildung 6.26 Die Proteinsynthese findet in den Ribosomen statt. Die Synthese beginnt an der durch das Codewort A U G gekennzeichneten Stelle der mRNS. Aus der leichten (30 S) Untereinheit des Ribosoms und der tRNS für das n-Formylmethionin bildet sich der Initiationskomplex. Das schwere Teilstück des Ribosoms (50 S) lagert sich an, und die zum nächsten Codewort passende tRNS wird aufgenommen. Danach löst sich das N-Formylmethionin von seiner tRNS und bildet eine Amidbindung mit der Aminogruppe der nächsten Aminosäure, hier des Serins. Schließlich rückt das Ribosom um 3 Buchstaben auf der mRNS weiter, in Richtung zum 3 ' - O H - E n d e der Kette.
keit in der Ultrazentrifuge zeigte, verschieden schwer sind. Diese Geschwindigkeit wird in S-Einheiten gemessen. Eine leichte Untereinheit und eine schwere bilden zusammen das Ribosom. Bei Bakterien beträgt die Sedimentationsgeschwindigkeit der Untereinheiten 30 S bzw. 50 S. Die Proteinsynthese verläuft wahrscheinlich nach folgendem Schema: 1. Eine Arbeitskopie der DNS gelangt als mRNS vom Zellkern ins Cytoplasma. 2. Die leichte Untereinheit der Ribosomen (30 S) bildet zusammen mit der Formylmethionin-Transfer-RNA einen Initiationskomplex an der Stelle des ,start'-Codewortes auf der mRNS. 3. Eine schwere (50 S) Ribosomenuntereinheit lagert sich an. 4. Die tRNS für die folgende Aminosäure lagert sich im Ribosom an das entsprechende Codewort der mRNS-Kette an. 5. Die Carbonylgruppe der vorhergehenden Aminosäure löst sich von dem 3 ' 0 Atom der tRNS, um eine Peptidbindung mit der Aminogruppe der nächsten Aminosäure zu bilden ( | Abbildung 6.26). 6. Das Ribosom wandert um 3 Basen auf der mRNS weiter, in Richtung zum 3'Ende der mRNS. Solange kein ,stop'-Codewort erscheint, folgen wiederum die Schritte 4, 5 und 6. Falls ein ,stop'-Codewort gelesen wird, folgt Schritt 7: 7. Die letzte Aminosäure wird von ihrer tRNS getrennt, damit ist die Proteinsynthese beendet. Das Ribosom zerfällt in seine Untereinheiten und löst sich von der mRNS. Auf diese Weise werden immerhin 100 Peptidbindungen pro Sekunde geknüpft, gleichzeitig können mehrere Ribosomen, die hintereinander dieselbe
270
Biochemie
mRNS-Kette entlanglaufen, das gleiche Protein synthetisieren. Jeder Abschnitt der Nucleinsäuren, der einer Proteinkette entspricht, wird als ein Gen angesehen. Eine große Zahl von Enzymen steuert den Prozeß der Realisierung der genetischen Information und sorgt dafür, daß nur die wirklich benötigten Proteine in der benötigten Menge synthetisiert werden. Die mRNS werden durch Nucleasen abgebaut, so daß diese Arbeitskopien nur eine bestimmte Lebensdauer haben. Rückkopplungsprozesse regeln die Konzentrationen von bestimmten Proteinen, indem Teile der DNS aktiviert oder desaktiviert werden. Ein höchst komplizierter Mechanismus bestimmt damit alle Lebensvorgänge in einer Zelle und er kontrolliert die Zellteilung, das Wachstum und die Spezialisierung. In einem sehr frühen Stadium der Entwicklung eines Menschen aus einer befruchteten Eizelle werden die Zellen determiniert, aus denen einmal bestimmte Körperteile hervorgehen werden. Diese differenzieren in die unterschiedlichen Zelltypen, die verschiedenartige Gewebe bilden; man unterscheidet beim Menschen ungefähr 200 definitiv verschiedene Gewebe. Schließlich wird das Wachstum der Organe kontrolliert, so daß sie nicht beliebig groß werden, sondern eine bestimmte Form und Größe annehmen, aber bei Verletzungen regenerieren können. Da sämtliche Zellen den gleichen Satz der vollständigen DNS besitzen, müssen die Unterschiede offensichtlich auf einem unterschiedlichen Muster von Aktivierung und Blockierung von Genen bestehen, das (gleichzeitig mit der vollständigen DNS) auf die Tochterzellen vererbt wird. Man kennt hier nur einen winzigen Bruchteil der dabei ablaufenden höchst komplizierten Vorgänge. In jüngster Zeit hat der Mensch gelernt, den genetischen Apparat von Mikroorganismen umzuprogrammieren, so daß diese Zellen vom Menschen gewünschte, aber für sie nutzlose Stoffe produzieren. Dazu pflanzt man DNSStücke, die die Information über die zu der Synthese notwendigen Proteine enthalten, in die DNS der Zelle ein. Man beginnt, mit dieser Gentechnologie menschliches Insulin, Interferone (Anti-Virus-Wirkstoffe) sowie spezielle Impfstoffe (gegen Polio- und Hepatitis-Viren und Malaria-Erreger) zu produzieren. Die Techniken zur Entschlüsselung der DNS-Sequenzen sind inzwischen soweit gediehen, daß man Sequenzbibliotheken anlegt. Zur Zeit kennt man ca. 2000 Sequenzen, die größte mit fast 50000 Basen. Mit Hilfe von Syntheseautomaten kann man nun gezielt Gene herstellen, die man für die Gentechnologie nutzt.
6.14 Störungen der normalen Realisierung der genetischen Information: Mutationen, Krebs und Viren Durch physikalische und chemische Einflüsse kann die genetische Information in den DNS-Molekülen gestört werden: durch UV-Strahlung, radioaktive Strah-
6.14 Mutationen, Krebs und Viren
271
lung, Röntgenstrahlung, Wärme und mechanische Einflüsse, durch künstlich hergestellte, aber auch durch natürliche Chemikalien. Bei jedem Sonnenbad entstehen in den Zellen der Haut des Menschen unzählige Schäden der genetischen Information durch die photochemische Dimerisierung zweier Thymin-Moleküle, die in einem DNS-Strang aufeinander folgen: 0
Z
0
z
Abbildung 6.27 Dimerisierung der Thyminbasen bei Lichteinwirkung. Die beiden CC-Doppelbindungen bilden einen Cyclobutanring.
Nitrite wandeln die Aminogruppen der Basen in der DNS in OH-Gruppen um ( | 2.18.3), die Produkte sind als Enole mit den entsprechenden Carbonylverbindungen tautomer. Damit wird aus Cytosin Uracil und aus Adenin eine sonst nicht in Nucleinsäuren vorkommende Verbindung, Hypoxanthin. Alkylierende Verbindungen substituieren die aktiven Wasserstoffe, ohne die die Basenpaarung nicht stattfindet. Andere Moleküle, wie die polycyclischen Aromaten (z.B. Benzo(a)pyren, Tabelle 2.4) schieben sich zwischen die Basen der DNS ein (sie intercalieren). Auch N-Nitrosoverbindungen ( f 2.18.3) wirken mutagen. Einige dieser Verbindungen kommen im Tabaksrauch, den Abgasen von Autos, im Teer und in der Nahrung vor. Einige Naturstoffe wirken mutagen, so die von Schimmelpilzen z.B. auf (feucht gelagerten) Erdnüssen gebildeten Aflatoxine. Wird die durch Mutagene hervorgerufene Schädigung der DNS vererbt, so liegt eine Mutation vor. Sogenannte Reparaturenzyme sorgen dafür, daß die Zahl derartiger Mutationen auf einen geringen Bruchteil reduziert wird. Dadurch wird z.B. die Zahl der Hautkrebserkrankungen, die durch Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden, relativ gering gehalten. Man vermutet, daß die Reparaturenzyme an der DNSDoppelhelix entlang laufen, Abweichungen vom normalen Durchmesser erkennen, ,falsche' Nucleotide herausschneiden und sie anhand der noch intakten komplementären Kette ergänzen. Auch Unregelmäßigkeiten bei der DNS-Verdoppelung können von anderen Enzymen erkannt und kompensiert werden. Schließlich treten viele Mutationen nicht in Erscheinung, da - mit Ausnahme der Keimzellen - viele DNS-Moleküle oder große Teile davon auch in nachfolgenden Generationen differenzierter Zellen überhaupt nicht benötigt werden oder da sie mehrfach vorhanden sind. Krebszellen zeichnen sich dadurch aus, daß die Kontakthemmung verloren ist, die nämlich das Wachstum einer Zelle kontrolliert, solange sie im Kontakt mit umgebenden Zellen ist. Eine Krebszelle ,vergißt' ihre Spezialisierung und sie
272
Biochemie
mißachtet die Regeln des sozialen Verhaltens aller gesunder Zellen des Organismus. Sie wächst und vermehrt sich ungehemmt. Es gibt eine Reihe von Theorien zur Entstehung des Krebszustandes von Zellen, dabei beruhen einige auf der Beobachtung, daß Mutagene auch carcinogen (krebserzeugend) wirken. Eine dieser Theorien beschreibt eine Störung bei der Verdoppelung der DNS. Ein Fehler in der DNS-Polymerase kann zur Folge haben, daß inkorrekte Kopien der DNS hergestellt werden. Hierdurch wird auch die Information, mit der neue DNS-Polymerase in der gleichen Zelle oder in zukünftigen Generationen gebildet wird, weiter gestört, die Kopien werden also noch fehlerhafter. Im Laufe einiger Generationen werden die komplizierten Regelkreise in der Zelle infolge vieler inkorrekt synthetisierter Enzyme derart gestört, daß sie entweder abstirbt oder aber in den Zustand einer ungehemmten Entwicklung - in eine Krebszelle - übergeht. Aus diesem einen Mechanismus der Krebsentstehung sieht man, wie schwer es ist, alle Faktoren zu erfassen, durch die eine Zelle zu einer Krebszelle ausartet und Möglichkeiten zu finden, um eine Zelle im Krebszustand zu beeinflussen. Andere Theorien versuchen zu erklären, wie die Spezialisierung der Zellen durch Carcinogene ausgeschaltet wird. Schließlich gibt es in jeder gesunden Zelle potentiell carcinogene DNS-Abschnitte, deren Information erst dann abgelesen wird, wenn ein Procarcinogen wirkt. Auch Viren werden als potentiell carcinogen angesehen. Spezifische weiße Blutkörperchen, sogenannte Killerzellen, sind in der Lage, Krebszellen sowie bestimmte, von Viren befallene Zellen zu erkennen und sie zu töten. Die meisten physikalischen und chemischen Maßnahmen, die der Mensch zur Vernichtung der Krebszellen ergreifen kann, schädigen auch die gesunden Zellen. Störungen der Zelldifferenzierung im Stadium der Entwicklung eines Organismus (z.B. im Fötus) können zu Mißbildungen führen. Viele Substanzen stehen im Verdacht, teratogen (Mißbildungen erzeugend) zu wirken, darunter sind einige als Mutagene bekannt. Einige Naturprodukte gehören dazu, sowie Viren (z.B. der Röteln). Viren sind Aggregate aus Nucleinsäuren und Proteinen, sie dringen in Wirtszellen ein und werden von deren Einrichtung vermehrt — oft solange, bis die Wirtszelle abstirbt und die neugebildeten Viren weitere Zellen infizieren. Zur Abwehr von Viren produzieren von Viren befallene Wirtszellen sogenannte Interferone, Proteine, die andere Zellen vor der Infektion durch Viren schützen können. Gegen Viren gibt es bisher praktisch keine wirksamen Arzneimittel, gelegentlich helfen unspezifische Abwehrstoffe (Immunoglobuline).
6.15 Biokatalysatoren und Wirkstoffe
273
6.15 Biokatalysatoren und Wirkstoffe Alle Vorgänge im lebenden Organismus werden durch Regelsysteme gesteuert und kontrolliert, an deren Aufbau viele verschiedene Verbindungen beteiligt sind, von denen man bisher sicherlich nur einen Bruchteil kennt. Sie sind oft nur in sehr geringer Konzentration vorhanden, aber dabei lebenswichtig. Wenn ein Organismus nicht in der Lage ist, alle für diese Vorgänge notwendigen Verbindungen selbst zu synthetisieren, ist er darauf angewiesen, die fehlenden mit der Nahrung aufzunehmen. Diese Zusammenhänge machen verständlich, daß es möglich ist, in das biologische Geschehen eines Organismus von außen her mit verschiedenen Wirkstoffen einzugreifen. Nach dem Anwendungszweck unterscheidet man Arzneimittel, Rausch- und Genußmittel, Pflanzenschutzmittel und Schädlingsbekämpfungsmittel. Man verwendet hierzu entweder natürliche körpereigene Wirkstoffe oder körperfremde, natürliche und synthetische Stoffe, die teilweise Strukturelemente mit natürlichen Stoffen gemeinsam haben. Neben den Wirkstoffen, die mit Absicht auf Organismen angewandt werden, gibt es viele natürliche und synthetische Stoffe, die - unbeabsichtigt — Organismen stören, indem sie mit der Nahrung, durch die Atemluft oder durch die Haut in den Körper gelangen.
6.15.1 Enzyme Als Enzyme (früher auch: Fermente) bezeichnet man die Katalysatoren der biochemischen Reaktionen. Sie ermöglichen Reaktionen, die ohne Katalysator nur unmerklich langsam verlaufen würden. Dabei kann das Enzym bis zum lOOOfachen seines eigenen Gewichtes pro Minute umsetzen. Voraussetzung ist aber, daß die Reaktionen thermodynamisch möglich sind ( f 1.13). Wie es in Abbildung 1.26d gezeigt wurde, setzt ein Katalysator die Aktivierungsenergie einer Reaktion herab. Dadurch wird die Anzahl der Teilchen, die bei einer bestimmten Temperatur diese Energie aufbringen, erhöht. Eine Reaktion, die eine Substanz Sj in eine andere S 2 umwandelt (1)
s,=s2
verläuft bei Einschaltung eines Katalysators E, über die folgenden Stufen: (2)
S, + E 1 ^ S 1 E 1 a P = 6 S 2 E , ^ S 2 t E 1
Die eigentliche Reaktion läuft also in einem sogenannten Enzym-SubstratKomplex ab, dabei ist die Aktivierungsenergie geringer als bei der Reaktion (1). In biologischen Systemen sind meist mehrere enzymatische Reaktionen als Enzymstraße hintereinandergeschaltet. Zum Beispiel wird die von außen in ein Sy-
Biochemie
274
stem eingebrachte Nahrung über eine Reaktionskette in Abfallstoffe abgebaut, die nach außen abfließen. Es stellt sich innerhalb dieses offenen Systems ein Fließgleichgewicht ein:
(3)
•S' Offenes System.z.B.Zelle
Die Konzentration der einzelnen Substrate werden von allen Reaktions- und Diffusionsgeschwindigkeiten dieser Straße bestimmt. Sie unterscheiden sich daher stark von den Konzentrationen, die sich infolge eines chemischen Gleichgewichts in einem abgeschlossenen System einstellen würden. Derartige abgeschlossene Systeme gibt es in der Biochemie nicht, sie kennzeichnen den Torf eines Systems! Man muß sich die Enzyme vorstellen als kompliziert gefaltete Proteinmoleküle eines Molekulargewichts der Größenordnung 104 . . . 106 mit Kanälen und Nischen, in denen die Reaktionen an aktiven Zentren ablaufen. Infolge der Sekundär- und Tertiärstruktur des Moleküls entstehen dem Substratmolekül und der Reaktion angepaßte Nischen aus hydrophoben, hydrophilen, polaren bzw. geladenen Gruppen. Eine Veränderung der Temperatur beeinflußt Sekundär-, Tertiär- und Quartär-Struktur des Katalysator-Moleküls. Bei einer bestimmten Temperatur hat das Enzym eine optimale Geometrie; bei höherer Temperatur kann diese Struktur zunächst derart reversibel gestört werden, daß der Katalysator inaktiv wird, schließlich tritt irreversible Denaturierung ein. Da auch Reaktionsund Diffusionsgeschwindigkeiten stark temperaturabhängig sind, hat jede enzymatische Reaktion ein scharfes Temperaturoptimum. Das gleiche gilt für die Abhängigkeit vom pH-Wert. Die Reaktionsgeschwindigkeit jedes Teilschritts hängt von der Substratkonzentration ab. Die Substratkonzentration, bei der die halbe maximale Geschwindigkeit der Reaktion beobachtet wird, charakterisiert das Enzym, dieser Wert wird als Michaeliskonstante bezeichnet. Sie liegt meist in der Größenordnung von 10" 3 . . . 10" 5 Mol/Liter. Verschiedene Mechanismen sind an der Regulation enzymatischer Reaktionen beteiligt: •
•
Regulation durch die verfügbare Enzymmenge. Die Menge eines Enzyms bestimmt (bei genügend hoher Substratkonzentration) die Reaktionsgeschwindigkeit (Reaktion nullter Ordnung) ( f 1.13.2). In diesem Fall wird die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmt durch die Geschwindigkeit der Synthese und des Abbaus eines Enzyms. Bei höheren Tieren kann die Synthese des Enzyms durch Hormone gesteuert werden. Verdauungsenzyme werden bei Bedarf aus inaktiven Vorstufen gebildet (Trypsin, Pepsin). Regulation der Aktivität bei konstanter Menge eines Enzyms: 1. Als allosterische Kontrolle bezeichnet man die Regulation der Enzymaktivität durch Veränderung der räumlichen Struktur des Enzyms infolge der
6.15 Biokatalysatoren und Wirkstoffe
275
Wirkung von allosterischen Effektoren. Diese Effektoren öffnen oder schließen den Weg zum aktiven Zentrum oder sie verändern es, sie wirken damit als allosterische Aktivatoren oder Inhibitoren. Meist sind die Effektoren selbst Ausgangs- oder Endprodukte von Reaktionsketten oder die zu transportierende Substanz selbst (Transport des Sauerstoffs durch die roten Blutkörperchen). Durch eine derartige Rückkopplungshemmung kann die Überproduktion einer Substanz vermieden werden. 2. Als nichtkompetitive Hemmung bezeichnet man, daß das Fehlen bestimmter Ionen (z.B. Mg®®, Cl e ), die die Voraussetzung für den Ablauf bestimmter enzymatischer Reaktionen sind, das Enzym desaktiviert. 3. Das Substrat und eine ihm ähnliche Inhibitorsubstanz können um das aktive Zentrum konkurrieren. Eine solche kompetitive Hemmung kann auch erfolgen durch eine zu hohe Konzentration des Produkts (Produkthemmung), gelegentlich auch durch eine zu hohe Konzentration des Substrats, wodurch das Zentrum durch Überbelegung desaktiviert wird (Substrathemmung). 4. Neben diesen reversiblen Hemmungen gibt es irreversible Vergiftungen, z.B. durch Bildung von Schwermetallverbindungen mit SH-Gruppen oder durch Blockierung von aktiven Metallionen durch Cyanid-Ionen. Enzyme haben die Fähigkeit, immer nur eine von den vielen thermodynamisch möglichen Reaktionen eines Substrats auszuwählen — sie besitzen Wirkungsspezifität. Je nachdem, welches Enzym sich beteiligt, wird eine Aminosäure zum Beispiel entweder decarboxyliert, transaminiert oder für die Proteinsynthese aktiviert. Besonders überraschend ist es, daß solche Wirkungen nur bei bestimmten Substraten erfolgen. Man nennt dies die Substratspezifität. Sie geht so weit, daß bei Enantiomeren-Gemischen nur der eine Antipode verarbeitet wird. Es gibt sicher mehrere tausend Enzyme, ungefähr 2000 sind näher charakterisiert, aber nur von wenigen kennt man die genaue Struktur. Früher erfolgte die Benennung der Enzyme mit Hilfe von Trivialnamen. Heute bezeichnet man Enzyme mit einem dreiteiligen Namen. Zuerst gibt man den Namen des Substrats an, dann den der Reaktion. Daran fügt man die Endung -ase an. Zum Beispiel ist die Isocitratdehydrogenase ein Enzym aus dem Citratcyclus und die Peptidyltransferase spielt eine Rolle bei der Proteinsynthese. Die Enzyme werden in folgende Klassen eingeteilt: Oxidoreduktasen (katalysieren Reduktions- und Oxidationsreaktionen), Transferasen (übertragen Gruppen), Hydrolasen (hydrolysieren), Lyasen (spalten Bindungen), Isomerasen (isomerisieren) und Ligasen (knüpfen Bindungen). Wird der Name eines Stoffes einfach mit der Endung -ase verknüpft, so bedeutet dies ein Enzym, das die entsprechende Substanz hydrolysiert, z.B. Peptidasen (hydrolysieren Peptidbindungen).
Biochemie
276
Die aktiven Zentren der Proteine bestehen häufig ausschließlich aus den Seitenketten von Aminosäuren, sie sind dann reine Proteinenzyme. Die aktiven Zentren können aber auch aus anderen niedermolekularen Bausteinen bestehen: Metallkomplexe, Vitamine und andere. Falls diese an das Protein kovalent gebunden sind, nennt man sie prosthetische Gruppe. Eine reversibel abspaltbare aktive Gruppe nennt man Coenzym. Zusammen mit dem Proteinteil, dem Apoenzym bildet es das aktive Enzym, das Holoenzym. Neuerdings bezeichnet man Coenzyme gelegentlich auch als Cosubstrate bzw. als Transportmetabolite, wenn die Coenzyme nicht die typischen Eigenschaften eines Katalysators besitzen, nämlich sich bei der Reaktion nicht zu verändern. Dies trifft auf die Wasserstoffübertragenden Enzyme zu. Diese Bezeichnung wird in diesem Buch nicht verwendet, da sie noch nicht allgemein geläufig ist. Einige Coenzyme wurden als Vitamine erkannt, z.B. das Vitamin B 2 (Riboflavin) im Flavin-adenin-dinucleotid, FAD, und das Vitamin B 6 im Pyridoxalphosphat. Das mit einer Pyrophosphatgruppe veresterte N-Glykosid des Adenins mit der Ribose, das sogenannte Adenosindiphosphat, ADP, tritt als Baustein in verschiedenen Coenzymen auf, dem Adenosintriphosphat, ATP, dem Flavin-adenindinucleotid, FAD, dem Nicotinamid-adenin-dinucleotid, NAD®, seinem Phosphat, NADP®, und dem Coenzym A (Tabelle 6.5). Obwohl eher zur Gruppe der Hormone gehörend, ist in dieser Tabelle ein weiteres Adenosinphosphat, das cyclische Adenosinmonophosphat, c-AMP, abgebildet, das, aus ATP gebildet, als ,zweite Botensubstanz' in der Zelle fungiert ( f 6.15.3). Schließlich sei PAPS erwähnt, das ,aktive Sulfat', der Überträger von 0 S 0 3 H - G r u p p e n ( f Tab. 6.5). Die Funktion des Adenosintriphosphats wurde schon beschrieben ( f 6.6). Es spielt eine große Rolle als Energie- und Phosphatgruppen-Überträger. Das Coenzym A ist der Überträger von C 2 -Bausteinen, nämlich der aktivierten Essigsäure. Im Acetyl-Coenzym A ist der Acetylrest über eine energiereiche Thioesterbindung an das Ferment geknüpft. CH3-CO~S-CH2-CH2-NH Die Tetrahydrofolsäure überträgt C r Bausteine, die als Formylgruppe, —CHO, an das N-Atom der p-Aminobenzoesäure-Gruppe geknüpft sind (Tabelle 6.5). Pyridoxalphosphat ist der Katalysator der Transaminierung ( f 6.10) und Bestandteil von Decarboxylasen. Flavin-adenin-dinucleotid (FAD) und die Nicotinamidadenin-dinucleotide (NAD®) wirken als wasserstoffübertragende Fermente. Sie lagern reversibel Wasserstoff an:
Tabelle 6.5
Coenzyme
NH,
to
0 0 0 II Ii 11 P~0 -P~0 - P 1 1 OH OH OH
nh2 o o » Ii H0-S~0-P-0-CH2^
VC
HO
Ö
OH
H O - P -- O 0 nh2
h
2
OH OH OH I i i c-ch-ch-ch-ch
2
( 0 i -o-p-o-p-o-ch i i HO HO
N 5s2p3 83
35
Se % [Ar]3d104s2p4
U l
39,948
[Ne]3s p
[Ne)3s p
78,96
PI
2 5
2 4
34
N ß [He]2s2p6
2 6 [He]2s p 18 35.453
17 -¿6 -101.0
[Ar]3d'°4s2p3 51
[Kr)4d'°5sV 82
114,6
[Ne]3s p
Ge 1
lArl3d 10 4sV
— U 1
32.06
16 2,4
2 3
2 2
69,72
In
30.974
2.1 280IP4) 44(P