Kunst im Kulturkampf: Zur Kritik der deutschen Museumskultur [1. Aufl.] 9783839403723

Soziologen, Praktiker aus Kunstinstitutionen und Journalismus untersuchen aus unterschiedlichen Perspektiven die gegenwä

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German Pages 210 [209] Year 2015

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Table of contents :
INHALT
Zur Kritik der deutschen Museumskultur
Die US-amerikanische Postmoderne und die deutschen Museen
Doing it for Andy
Die Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis. Die historischen Avantgardebewegungen und die Postmoderne
Strategie und Eigensinn. Kunstvereine als Modellinstitutionen für den Umgang mit Gegenwartskunst
Zwischen Skandalisierung und Verdrängung: Bildwelten der DDR in Ausstellungen und Museen nach 1989
Distinktionskunst und Inklusionskunst. Zur Soziologie der Kunstkommunikation der Bundesrepublik und der DDR
Der Sammler und die Museumskultur in Deutschland
Eine Denkpause für das Museum für Moderne Kunst!!
Die documenta als Herausforderung des Kunstmuseums?
documenta: Temporale Musealisierung und die Paradoxien musealer Präsentation
Autorinnen und Autoren
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Kunst im Kulturkampf: Zur Kritik der deutschen Museumskultur [1. Aufl.]
 9783839403723

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Lutz Hieber, Stephan Moebius, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Kunst im Kulturkampf Zur Kritik der deutschen Museumskultur

Lutz Hieber, Stephan Moebius, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.)

Kunst im Kulturkampf Zur Kritik der deutschen Museumskultur

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von Campus Cultur e.V. (Hannover)

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Plakat von J. Ryes (San Francisco 1967): Week of the angry arts west/spring mobilization to end the war in Vietnam/ Sopwith Camel/Quicksilver Messenger Service/Big Brother and the Holding Co/Country Joe & the Fish/plus the Grateful Dead/ benefit dance lights by Dan Bruhns/Sun April 9 9:00 pm to 2:00 am/Longshoremen’s Hall 400 North Point near Fishermen’s Wharf Lektorat & Satz: Stephan Moebius Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-372-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT Lutz Hieber/Stephan Moebius/Karl-Siegbert Rehberg Zur Kritik der deutschen Museumskultur ...............................................................7 Lutz Hieber Die US-amerikanische Postmoderne und die deutschen Museen ........................17 Marc Siegel Doing it for Andy ..................................................................................................33 Stephan Moebius Die Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis. Die historischen Avantgardebewegungen und die Postmoderne .........................49 Stephan Berg Strategie und Eigensinn. Kunstvereine als Modellinstitutionen für den Umgang mit Gegenwartskunst .....65 Karl-Siegbert Rehberg Zwischen Skandalisierung und Verdrängung: Bildwelten der DDR in Ausstellungen und Museen nach 1989............................73 Joachim Fischer/Dana Giesecke Distinktionskunst und Inklusionskunst. Zur Soziologie der Kunstkommunikation der Bundesrepublik und der DDR ......93 Lutz Hieber/Wilhelm Schürmann Der Sammler und die Museumskultur in Deutschland .......................................123 Christine Resch/Heinz Steinert Eine Denkpause für das Museum für Moderne Kunst!! .....................................137 Wolfgang Lenk Die documenta als Herausforderung des Kunstmuseums? ................................155 Gerhard Panzer documenta: Temporale Musealisierung und die Paradoxien musealer Präsentation .......................................................185 Autorinnen und Autoren .....................................................................................205

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ZUR KRITIK DER DEUTSCHEN MUSEUMSKULTUR Einleitende Worte Lutz Hieber/Stephan Moebius/Karl-Siegbert Rehberg

Die vorliegende Aufsatzsammlung geht auf die kunstsoziologische Tagung „Grenzen der Freiheit oder Paradoxien musealer Präsentation“ der Sektion Kultursoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) am 26./27. März 2004 in Hannover zurück. Die interdisziplinär angelegten Beiträge des Sammelbandes, die größtenteils auf den Beiträgen der Tagung basieren, untersuchen aus unterschiedlichen Perspektiven den gegenwärtigen Zustand der deutschen Kulturinstitutionen. Unsere bundesrepublikanischen Museen und Kunstvereine erscheinen als weltoffen und auf hohem ästhetischen Niveau agierend. Im „Wettstreit der Systeme“ galt als ausgemacht, dass die westlichen Kunstinstitutionen frei, die östlichen dagegen gelenkt seien – was im Kern der kulturpolitischen Leitideen wie in der gesellschaftlichen Praxis auch zutraf. Gleichwohl gilt aber ebenso, dass sich auch in pluralistischen Gesellschaften gewisse Restriktionen und Tabus bemerkbar machen, dass die Akteure in den wichtigen Museen und Galerien, in der Kunstkritik und in den Auktionshäusern nicht nur die Karriere bestimmter Stile und Künstler befördern, sondern auch wirksame Ausschließungen ästhetischer Ausdrucksformen bewirken können. So fällt bei kritischer Betrachtung auf, dass die Praktiken der bundesrepublikanischen Kunstinstitutionen systematisch Aspekte einiger relevanter künstlerischer Ansätze ausgrenzen. Wie der Sammelband deutlich machen will, betrifft das – aus vollständig entgegen gesetzten Gründen – mit besonderer Härte sowohl die postmodernistische Praxis, die sich in den USA seit den 1960er Jahren entwickelt hat, als auch die als Erbe der DDR – wesentlich in den neuen Bundesländern – erhalten gebliebenen Kunstwerke. Was die „Postmoderne“ angeht, lässt sich die Lage wohl am besten durch eine Gegenüberstellung skizzieren, als deren Bezugspunkt sich das Museum of Modern Art in New York eignet. Verglichen mit diesem

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Museum macht die deutsche Museums- und Kunstvereinslandschaft einen eher rückständig-biederen Eindruck. Das MoMA hatte sich mit Hilfe emigrierter Bauhaus-Lehrer bereits seit 1940 den erweiterten Kunstbegriff der europäischen Avantgarde angeeignet. Seine Schausammlung umfasst folgerichtig eine Vielzahl von Gattungen: Architektur, Möbel- und Gebrauchsgüterdesign, Plakate, Buchgestaltung, Druckgrafik, Gemälde und Plastiken, Fotografie und Film. Dagegen blieben die deutschen Kunstmuseen und -vereine in der Nachkriegszeit einem engen, eher konservativen, noch immer dem 19. Jh. verpflichteten Denken verhaftet. Vom Standard der konventionell „kunstwürdigen“ Gattungen aus gesehen, werden viele Entwicklungen als „nicht kunstwürdig“ strikt ausgegrenzt. Immerhin gelang es der Fotografie – wenn auch nur mit 40jähriger Verspätung gegenüber dem MoMA – in die deutschen Hallen der „hohen Kunst“ einzuziehen. Die Postmoderne ist, auch das soll der Band verdeutlichen, jenem gegenkulturellen Ethos verbunden, aus dem auch bereits die Avantgarde der zwanziger Jahre ihren Lebensgeist bezogen hatte (Huyssen). In den sechziger Jahren drückte sie sich in den Formen des Happenings, der Pop Art, des psychedelischen Plakats, des Acid Rock und des Alternativtheaters aus. In den Jahren um 1990 erlebte sie, wieder im Kontext von civil rights movements (Crimp), einen neuen Aufschwung. Als Beispiel für eine Offenheit gegenüber diesen Entwicklungen steht die Schau „Modern Contemporary – Art at MoMA since 1980“ im Herbst 2000. Insofern kann zumindest für das New Yorker Haus von einer permanenten Avantgardisierung des Museums gesprochen werden. Gleichwohl verschließt sich diese Institution nicht den gegenläufigen Tendenzen, pflegt also beispielsweise auch die neo-expressive Malerei (Kiefer, Baselitz, Salle und andere). Selbstverständlich ist die Lage in Bezug auf die Künste des einstigen Realsozialismus ganz unterschiedlich. Wie der Sammelband zeigt, blieb bis auf wenige, auch im Westen rezipierte Großkünstler (besonders Heisig, Mattheuer, Tübke und Sitte) und einige hoch gehandelte Dissidenten (besonders Altenbourg, aber auch Claus, Göschel u.a.) das Kunstschaffen der DDR für die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung so unbekannt und uninteressant wie die gesamte Gesellschaft der „Schwestern und Brüder“ des Ostens. Nach der deutschen Wiedervereinigung gab es dann zwar eine Welle der Neugier, auch des Erstaunens – verbunden aber sogleich mit einem „Bilderstreit“, der die Künste aus dem Osten insgesamt in Frage stellte. Heute mag man von einer „Normalisierung“ sprechen, gibt es Gleichgültigkeit neben Neuentdeckungen – man denke

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nur an die jüngsten Leipziger, wie Neo Rauch. Aber, so eine weitere These des Bandes, zum Kanon der Museen gehört dieser Teil der Kunstgeschichte (noch) nicht – übrigens nicht nur in Westdeutschland. Aus der großen Staats- und Gesellschaftskunst wurde Depotkunst.

Kurzinhalte der Beiträge Die Künstlerinnen und Künstler der US-amerikanischen Postmoderne haben, wie Lutz Hieber (Universität Hannover) darlegt, die Lektionen der historischen Avantgarde erlernt und in ihren, durch civil rights movements geprägten Kulturen angewandt. Die europäische Avantgarde hatte angestrebt, von der Kunst aus eine neue Lebenspraxis zu organisieren. Dazu löste sie zum einen den Kunstbegriff vom autonomen Werk ab und weitete ihn auf die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen aus (Jugendstil, Bauhaus), und zum andern erhob sie die soziale Brauchbarkeit und Wirksamkeit zum Bewertungsmaßstab ihrer Arbeit (George Grosz, John Heartfield). Als solche Ziele unter US-amerikanischen Bedingungen der 1960er Jahre künstlerische Praktiken zu prägen begannen, wurde der Begriff Postmoderne geprägt, weil damit offensichtlich etwas entstanden war, das den Rahmen der bürgerlichen Kunst sprengte. An zwei Entwicklungssträngen, dem psychedelischen Plakat der sechziger und dem Aids-Aktivismus der neunziger Jahre, wurden Beispiele der postmodernistischen Praxis erläutert. Ihnen ist die Präsenz in der bundesrepublikanischen Kunstwelt versagt. Die Gefahren dieses Eurozentrismus seien besonders am Werk von Künstlern offensichtlich, bei denen Kuratoren deutscher Museen und Kunstvereine einen „kunstwürdigen“, d.h. ausstellbaren Teil auswählen, während sie die aktivistischen Arbeiten als „nicht kunstwürdigen“ Teil ausgrenzten. Diese Kritik an der deutschen Kunstwelt vertieft Marc Siegel (University of California Los Angeles) in seiner Auseinandersetzung mit der Andy-Warhol-Retrospektive des Jahres 2001 in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Er beklagt, dass der Kurator Heiner Bastian eine Sichtweise auf den Künstler favorisiert, die ihn als hochmoralischen Künstler der ‚klassischen Moderne‘ in die Tradition der großen Meister stellt. Das damit verbundene Abheben auf den ‚Katholizismus‘ des Künstlers wertet Siegel als ein moralisches Ablenkungsmanöver, das das ganze Ausmaß von Warhols Verbundenheit mit und Engagement in der Gegenkultur der US-amerikanischen 1960er Jahre verschleiern soll. Was an dieser Retrospektive schockiere, sei, dass weder Warhols Homosexualität noch

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die wissenschaftlichen Untersuchungen über die zentrale Bedeutung dieser Homosexualität für sein Werk Erwähnung gefunden hätten. Am Beispiel seiner Filme, die für das US-amerikanische queer scholarship der vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, zeigt Siegel, wie sehr sie aus dem sozialen Milieu von Warhols „Factory“ leben. Bezeichnend sei, dass sie – ihrer künstlerischen Relevanz wegen – in die großen Warhol-Retrospektiven in London und Los Angeles einbezogen, dagegen aus Bastians großer Ausstellung ausgeschlossen wurden. In Berlin sei die Präsentation des Künstlers darauf hinaus gelaufen, all jene deutlich postmodernistischen Bestandteile seines Werkes ausblenden, die Bezüge zum queer movement erkennen lassen, das eine Herausforderung an die Normalität darstellt. Die in den beiden vorangegangenen Beiträgen vertretene Argumentationslinie auf einer neuen Ebene weiterführend, stellt Stephan Moebius (Universität Freiburg/Br.) den poststrukturalistischen und vom Surrealismus herkommenden Begriff der Entdifferenzierung in den Vordergrund. Er sieht den Ursprung der postmodernistischen Denkfiguren in der historischen Avantgarde, insbesondere im Surrealismus. So seien etwa die Dezentrierung des Subjekts und der Tod des Autors in der écriture automatique angelegt, führe die Geschichte des Wahnsinns bei Foucault surrealistische Ansätze weiter. Die Kontinuitäten von historischer Avantgarde und Postmoderne zeigt er im Rekurs auf Huyssen in mehreren Bereichen: in der ikonoklastischen Attacke auf die Institution Kunst und der Entdifferenzierung der Sphären, im technologischen Optimismus und der damit verbundenen Hochschätzung der neuen Medien, in der Verteidigung der Alltags- und Medienkultur gegenüber der hohen Kultur, sowie in der Rebellion gegen den legitimen Geschmack. In diesem Kontext stellt er das Projekt „city.crime.control“ (c3) aus Bremen vor, das sich als ein künstlerisch-politischer Versuch der kritischen Auseinandersetzung mit den Themen Videoüberwachung, Sicherheit, Kontrolle und Stadt versteht. An einer im Juli 2001 durchgeführten Aktionswoche, in deren Mittelpunkt die in Städten gängigen Videoüberwachungen standen, sind mit Hilfe von neuen Medien, resignifikativen Praktiken, Happenings und Performances die Hintergründe der und Mechanismen von Kontrollpolitiken erarbeitet worden, um Möglichkeiten einer kritischen Kunst und des strategischen Widerstands in gesellschaftlichen Machtbeziehungen zu erkunden und insofern einen Anteil des öffentlichen Raumes zurückzuerobern. Die Auseinandersetzungen im gegenwärtigen Kunstbetrieb beschäftigen Stephan Berg (Kunstverein Hannover) in seinem Beitrag. Bezüg-

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lich der Schranken der kuratorischen Freiheit verweist er zum einen auf jene Grenze hin, die bereits dadurch gegeben ist, dass Kunst als Kunst benennbar sein soll, zum andern zeigt er – am Beispiel der Young British Artists – die einflussreiche Rolle von finanzkräftigen Opinion Leaders auf, die starke Einflüsse sowohl auf Markttendenzen wie auch auf die Ausstellungspraxis von Kunstinstitutionen ausüben können. Das Museum sieht er als schwerfälligen Tanker, die Kunstvereine dagegen als Schnellboote – indes müssten beide auf je unterschiedliche Weise mit Marktmechanismen strategisch umgehen. Der entscheidende Vorteil des Kunstvereins bestehe darin, nicht von Sammlungsstrukturen, sondern nur vom Vereinsvorstand abhängig zu sein. Der strategische Umgang mit Marktmechanismen betreffe in der gegenwärtigen Situation bereits das Verhältnis von Grundausstattung und Sponsorenmittel: so seien Ausstellungen nur durchzuführen, wenn 60 % der anfallenden Kosten durch Sponsoren abgedeckt würden. Eine Skizze der Aktivitäten des Kunstvereins Hannover rundet seine Darstellung ab. Das Museum, als Selektionsmacht, steht für den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), Karl-Siegbert Rehberg (TU Dresden), im Zentrum des kritischen Rückblicks auf die Auseinandersetzungen, die den Umgang der bundesrepublikanischen Kunstwelt mit dem DDR-Erbe während des vergangenen Jahrzehnts begleiteten. Am Beispiel unterschiedlicher Ausstellungen seit Mitte der 1990er Jahre untersucht er die Ziele, die mit den jeweils gewählten Präsentationsformen verbunden sind. Dabei stand der Begriff der Geltungskunst im Zentrum, der die Entwicklung in der DDR und in der BRD durch das Gewähren unterschiedlicher Prämien bestimmte. Zwar habe es den Versuch der Neuen Nationalgalerie gegeben, die Bestände der DDR-Kunst in den vorhandenen Bestand zu integrieren. Doch an anderen Ausstellungen zeigte sich die zentrale Funktion der Kunst für die Deutung der Geschichte und der bestehenden Realität. So habe die Ausstellung „Auftrag: Kunst“ im Deutschen Historischen Museum Berlin (1995), bei der der Auftrag in den Vordergrund gestellt wurde, die DDR-Kunst ahistorisch abgeschnitten. So sei die Ausstellung „Rahmenwechsel“ in Beeskow (1998) kritisiert worden, weil dort die dichte Petersburger Hängung den Eindruck eines verramschenden Ausverkaufs erweckte. Und so habe bei der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ in Weimar (1999), bei der von drei Teilen sich zwei mit dem DDR-Erbe und mit der Malerei des Nazi-Regimes befassten, nicht nur die Tatsache, dass die Kunst der DDR in eine räumliche Nähe zu der des Nazi-Regimes gebracht wurde, sondern auch dass die DDR-Bilder wieder einmal beliebig zu-

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sammengewürfelt und in Petersburger Hängung präsentiert wurden, lebhafte Kritik ausgelöst. Insgesamt konnte an diesen und weiteren Fällen gezeigt werden, wie sehr der Kunst die Rolle eines Stellvertreters im Diskurs um die unterschiedliche Entwicklung und Geschichte der beiden deutschen Staaten zukam. Joachim Fischer und Dana Giesecke (beide TU Dresden) vertiefen diesen Strang. In ihrem Beitrag gehen sie von zwei Strömungen innerhalb der Avantgardekunst an ihrem Beginn aus: Einerseits gab es die Tendenz der Abschwächung und Auslöschung des Bildgegenstandes zugunsten der Aufmerksamkeit auf die Eigenlogik der Bildfläche, zur Eigendynamik von Farben, Formen und Materialien – was zur Abstrakten Kunst führte. Andererseits gab es das avantgardistische Projekt einer Expansion und Vertiefung des klassisch begrenzten Bildgegenstandes, so dass nun jedes Alltagsphänomen, insbesondere die Sphäre der Arbeit, und vor allem jedermann, jedes Mitglied der Gesellschaft für bildwürdig genommen wurde – was über die Neue Sachlichkeit und den Kritischen Realismus zum Sozialistischen Realismus führte. Diese beiden Tendenzen der Avantgardekunst verkoppelten sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts jeweils mit den unterschiedlichen Gesellschaftsprojekten in West und Ost, sie wurden zu einander ausschließenden Bildprogrammen der Gesellschaften stilisiert. Die Bundesrepublik und die DDR waren mit ihrer Westkunst oder Ostkunst in dieser Hinsicht zugespitzte Kunstgesellschaften der Moderne. Die Legitimationsfunktion beider Bildprogramme für ihre jeweiligen Gesellschaftsprojekte wurde – so die These – aber erst zu einer faktischen Wirkungsdifferenz in den Gesellschaften durch die selektive Bilderpräsentation in den jeweiligen Museen der Bundesrepublik und der DDR. In den Museen der Bundesrepublik wurde der Blick der Betrachter von den klassischen Bildbeständen der Renaissance über den Klassizismus, Realismus, Impressionismus, Expressionismus, die alle einen figurativen Bezug erkennen ließen, zur abstrakten Kunst (als Fortschritt) geführt, in der der Bildgegenstand entfiel und damit angesichts des provozierenden „Rätselcharakters“ dieser Bilder der Betrachter zu eigenen Kommentaren sich aufgefordert sah. In den Museen der DDR ging der Blick hingegen von den klassisch figurativen Werken verschiedener Epochen, in denen gesellschaftlich exklusiv Menschen aus bestimmten Gesellschaftsgruppen sichtbar verewigt waren, der Blick in der Moderne (unter Auslassung der Abstrakten) in die figurativen Werke des Kritischen und Sozialistischen Realismus, in denen nun tendenziell jedermann ins Bild genommen, inkludiert wurde, so dass am

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Ende des Museumsbesuchs der Betrachter im Prinzip bei seiner eigenen künstlerisch voraussetzungsvollen Portraitierung angekommen war. In einem Interview mit Lutz Hieber präsentiert sich Wilhelm Schürmann (Aachen) als Sammler. Seine Suche nach innovativen Werken, die sich in den Worten Walter Benjamins zutreffend mit „Sammeln als Urphänomen des Studiums“ beschreiben lässt, folgt den Ansätzen der historischen Avantgarde und insofern auch denen des Postmodernismus. In diesem Sinne überschreitet er die Grenzen, die unsere Museen zwischen „freier“ und „angewandter“ Kunst ziehen, also zwischen high und low. Seine Intentionen erläutert er an Bildbeispielen. Als eines davon wählt er die „Überwachungs“-Arbeit von Julia Scher, die als ein Teil des Wohnbereichs im Haus Schürmann, auf dem Mitwirken des Betrachters am Werk aufbaut. Ein anderes ist die Präsentation eines Teils seiner Sammlung im K21, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, mit der er das Bild einer sperrig scheinenden Ansammlung von Skulpturen bietet; in der Mitte dieser Inszenierung steht ein kleiner Tisch, Kippenbergers „Modell Interconti“, dessen Tischplatte aus einem grauen monochromen Bild Gerhard Richters besteht. Außerdem ging er auf die Arbeiten des von Mel Chin initiierten GALA Committee ein, das in einer Staffel der TV-Serie „Melrose Place“ die Formen des in solchen Serien üblichen Product Placement durch ein Artwork Placement ersetzte und auf diese Weise sowohl die Möglichkeiten der Kunstpräsentation wie auch den Kunst-Begriff erweiterte. Vom Nachteil der Musealisierung vor allem für die Aktionskunst handelt der Beitrag von Christine Resch und Heinz Steinert (beide Universität Frankfurt/M). Ihr Ausgangspunkt bildet das typische Museum Moderner Kunst, das sich – in Fortführung der bürgerlichen Museumstradition – an den Rezeptionsweisen autonomer Kunst orientiere und diese auf alle anderen Kunstformen ausweite, also auch auf diejenigen, die als „Kunst als Ereignis“ den Spezialfall der „Kunst als Werk“ überschreiten. Ausgehend von der Analyse des Arbeitsbündnisses, in das die Wahrnehmung eines Kunstwerks eingebettet ist, stellen beide Autoren die Unterschiede zwischen modernen Tafelbildern und den museal präsentierten Relikten der Aktionskunst vor. Arbeitsbündnis ist ein Begriff, der jenen Rahmen von Selbstverständlichkeiten, von Normen und Wissensbeständen fasst, in dem eine angemessene Aneignung von Werken erfolgen kann. Das Sammeln und Präsentieren von Relikten, die beispielsweise die Aktionen des Wiener Aktionismus (Hermann Nitsch, Otto Mühl, Rudolf Schwarzkogler u.a.) oder Valie Export hinterließen, kritisieren sie als eine Fortführung der museumstypischen Tendenz einer

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Konzentration auf Werke, sie seien der Aufgabe des Verständlichmachens von Aktionskunst unangemessen. Die documenta als Markstein des europäischen Ausstellungswesens steht bei Wolfgang Lenk (Universität Hannover) im Zentrum, der der Geschichte dieser Großausstellung nachgeht. Er charakterisiert die erste Phase der Entwicklung, also die ersten drei documentae, als Versuch einer kulturellen Entnazifizierung, der jedoch die Fragen nach den Gründen für die Entwicklung in der Nazi-Epoche ausgeklammert habe. Das Einsetzen der zweiten Phase, die mit der documenta 4 beginne, sei auf den Druck neuer Kunstbewegungen zurückzuführen. Die Pop Art sei allerdings auf das Tafelbild reduziert worden; der in diesem Zusammenhang aufgebrochene Protest von Künstlern gegen den Ausschluss von Fluxus und Happening sei als Krisensymptom zu werten. Die erlebniskulturelle Orientierung, die die Ausdehnung der documenta 4 in den Stadtraum markiere, sei für die nachfolgenden documentae beibehalten worden. Eine dritte Phase sei mit der documenta 7 eröffnet worden, für die eine kunstmarktnahe Präsentation unter Verzicht auf eine grundlegende Konzeption angestrebt worden sei. Eine vierte und letzte Phase sei durch die documenta X eröffnet worden, weil gesellschaftlich intervenierende ästhetische Praktiken durch Catherine David deutlich an Gewicht gewonnen hätten. In gewisser Weise sei diese Tendenz im Zuge der Betonung des theoretischen Kontextwissens gegenüber der ästhetischen Erkenntnis auf der letzten documenta weitergeführt worden. Einen anderen Blick wirft Gerhard Panzer (TU Dresden) auf die documenta, indem er die Geschichte dieser Großausstellungen in Beziehung zum Museum setzte. Das Museum sei nur in der Fiktion eine fixe Institution, denn auch hier finde ein Wechsel der Bestände statt. In der Anfangsphase sei die documenta zwar nicht als Gegensatz zum Museum als eigenständiger Institution konzipiert worden, doch ab der documenta 4 sei die latente Konfliktlinie zwischen beiden Institutionen aufgebrochen. Kunst werde nicht mehr ausschließlich durch das Museum nobilitiert, Ausstellungen wie die documenta übernähmen ein Stück weit diese Funktion. Dabei müsse die documenta im Wesentlichen als ein temporäres Museum betrachtet werden, das jedoch auf eine eigene Sammlung verzichte. In diesem Sinne sei sie eine just-in-time-Produktion, also eine Ausstellung in lean production – eben ohne Lagerhaltung. Zugleich erreiche auch sie eine gewisse Kontinuität, und erweise sich dadurch dem Museum verwandt. Dieser Charakter der documenta als temporäres Museum komme auf zweifache Weise zustande: erstens würden mit 23 % nur vergleichsweise wenige Künstler nur einmal zu einer documenta

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eingeladen, 32 % träten 2-mal und 39 % sogar viermal auf documentae auf; so erweise sich die Existenz eines Kerns an documenta-Künstlern. Zweitens sei zu bedenken, dass sowohl die Kataloge wie selbstverständlich auch die Ausstellungs-Besucher, die zu mehr als einer documenta fahren, ein Gedächtnis der documenta als Institution schaffen und auch damit zur imaginären Sammlung beitragen.

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D I E US- A M E R I K A N I S C H E P O S T M O D E R N E UND DIE DEUTSCHEN MUSEEN Lutz Hieber

Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal das Museum of Modern Art in New York (MoMA) besuchte, empfand ich ein Gefühl der Befreiung. Ich hatte zwar Bücher über das Bauhaus gelesen, dem die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen ebenso wichtig war wie die Weiterentwicklung der bildenden Kunst. Nun aber befand ich mich in einem Museum, dessen Struktur gemäß der Bauhaus-Idee gestaltet war. Bevor ich dieses Museum betreten hatte, waren meine Vorstellungen über Kunst – trotz aller Lektüre – durch die sinnliche Präsenz unserer mitteleuropäischen Kunstmuseen geprägt. „Das Museum ist“, wie Grasskamp zutreffend feststellt, „sozusagen der ummauerte Geltungsraum des Kunstbegriffs, der zu Architektur verdinglichte Kommentar“ (Grasskamp 2002: 16). Unsere deutschen Kunstmuseen beschränken sich, wenn sie beispielsweise Künstler des Bauhauses präsentieren, meist auf die bildende Kunst, stellten also gerne Albers, Feininger, Kandinsky, Klee, MoholyNagy oder Schlemmer vor. Das MoMA dagegen eröffnet einen anderen Blick: es präsentiert unter demselben Dach Möbel und Architektur, Plakate und Bücher, Fotografie und Film – sowie selbstverständlich auch Gemälde und Plastiken. Ein weiteres entscheidendes Erlebnis in New York war für mich 1988 die Ausstellung „ACT UP“ in White Columns, einem non-profit art exhibitions space. Gezeigt wurden Plakate, Handzettel, Fotografien und Aufkleber, die im Zusammenhang von Demonstrationen entstanden und benutzt worden waren. ACT UP ist die Abkürzung für AIDS Coalition To Unleash Power, eine politische Bewegung, die für die Beendigung der Aids-Krise kämpfte. Die Grafiken und die aggressiven Text-BildKombinationen dieses künstlerischen Aktivismus ließen noch durchscheinen, wer ihre Urahnen waren. Damals besaß ich bereits einige Erstausgaben von George Grosz sowie der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ), für die John Heartfield eindrucksvolle Fotomontagen gemacht hatte. Die ACT UP-Arbeiten waren sicher moderner, farbenfroher und

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werbewirksamer, aber sie erschienen mir formal und thematisch als Enkel der historischen Avantgardisten. Beide Erfahrungen, das MoMA ebenso wie die ACT UP-Ausstellung, ließen mich nicht mehr in Ruhe. Warum hatte sich das Museum in der kulturellen Metropole New York so anders entwickelt als in der Bundesrepublik? Warum lebte die historische Avantgarde in den USA fort, während sie bei uns musealisiert und dadurch ihrer anti-bildungsbürgerlichen Sprengkraft beraubt werden konnte? Meine Fragen lösten zunächst eine zunehmend intensiver werdende Beschäftigung mit dem Neuartigen der US-amerikanischen Kunstwelt aus, mit dem für einen Europäer Ungewohnten. Mein Interesse wurde besonders von zwei Bereichen gefesselt: erstens dem psychedelischen Plakat der 1960er Jahre (Hieber 2003), sowie zweitens dem künstlerischen Aktivismus um 1990 (Hieber 1997). Beide unterlagen demselben Schicksal. Sie prallten an der europäischen Kunstwelt ab, weil sie nicht als „kunstwürdig“ eingestuft wurden. Nach und nach führten mich meine Bemühungen, das zu verstehen, was aus den Kunstinstitutionen der Alten Welt ferngehalten wurde, in den ästhetischen Diskurs der USA. Ich stieß bald auf den dortigen Postmoderne-Begriff. Bald wurde mir klar, dass er auf beiden Seiten des Atlantiks – den Unterschieden der Kunstwelten entsprechend – diametral entgegengesetzt aufgefasst wurde. So gelangte ich zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Postmoderne-Begriff des deutschen Diskurses.

Postmoderne Der bundesrepublikanische Diskurs sieht postmoderne Ästhetik, sei es in der Architektur oder in der bildenden Kunst, oft in engerer oder fernerer Verbindung mit Versionen des Historismus. In diesem Sinne wurde sie etwa von Habermas kritisiert. Er ging – wie viele andere – davon aus, die Postmoderne repräsentiere eine Antimoderne. Es handele sich um „eine affektive Strömung, die in die Poren aller intellektuellen Bereiche eingedrungen“ sei und „einen neuen Konservatismus auf den Plan gerufen“ habe (Habermas 1980: 444). Der US-amerikanische Diskurs dagegen hat eine ganz andere Tendenz. In der Bundesrepublik wäre es wohl kaum jemand eingefallen, Postmoderne mit der außerparlamentarischen Bewegung der 1960er Jahre in Verbindung zu bringen. Für die USA jedoch lag genau das nahe. Dort wurde, trotz aller späteren Verflachungen, die ihr eigene „histori-

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sche Tiefendimension“ gesehen, „die sie kulturell und politisch als mit den amerikanischen Protestbewegungen der sechziger Jahre verknüpft erscheinen lässt“. Diese frühe Postmoderne bildete sich „in den Formen von Happenings und Pop, psychedelischer Plakatkunst, Acid Rock, Alternativ und Straßentheater“ heraus (Huyssen 1986). In unterschiedlichen Regionen der USA entstanden, waren diese Ansätze mit der Counter Culture verflochten, also der kritischen Gegenkultur der Vietnamkriegs-Gegner, der Rassismus-Gegner, der sexuellen Befreiung etc. Zwei Jahrzehnte später belebt sich für Douglas Crimp, wieder im Kontext eines durchsetzungswilligen politischen Aktivismus, der Postmoderne-Begriff neu. In direkten politischen Aktionen von ACT UP engagiert, kannte er die Bewegung genau. Crimp unterscheidet zunächst zwei ästhetische Positionen der Reaktionen auf Aids. Die eine umfasst die auf der Inhaltsebene individueller Werke stattfindenden Reaktionen. Dabei handelt es sich um traditionelle Kunstwerke, die Aids thematisieren, also um Gemälde, Schauspiele, Gedichte oder Romane „über“ Aids. Die andere setzt sich aus der kulturellen Beteiligung an politischen Aktionen zusammen, der Produktion visuellen Materials zum Zweck der besseren politischen Wirksamkeit. Hier geht es also um Veränderungen, die die Funktion der Kunst in der Gesellschaft anbelangt. Douglas Crimp fühlte sich durch diesen künstlerischen Aktivismus in seiner Einschätzung bestärkt, die Praktiken, die er als postmodernistisch betrachtete, setzten „das unvollendete Projekt der Avantgarde fort“ (Crimp 1996: 41, kursiv i.O.). Huyssen und Crimp entfalten einen Postmoderne-Begriff, der ästhetische Praktiken bezeichnet, die in den USA präsent sind. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie aus dem Bereich der institutionalisierten Kunst ausbrechen.

Avantgarde Im deutschen kunstwissenschaftlichen Diskurs wird klassische Moderne im Allgemeinen nicht von Avantgarde unterschieden. Deshalb werden die grundlegenden Widersprüche zwischen beidem nicht erkannt. Die Trennungslinie lässt sich indes klar bezeichnen: die klassische Moderne hielt stets am autonomen Kunstwerk fest, die Avantgardisten dagegen wandten sich vehement gegen die Doktrin autonomer Kunst. Das autonome Kunstwerk ist von einem einzelnen Künstler geschaffen, und es wird individuell rezipiert. So empfiehlt Adorno, der intransi-

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gente Verfechter des Autonomieanspruchs der Kunst und damit des Modernismus, dem Museumsbesucher, dass er „zwei oder drei Bilder sich aussucht und vor ihnen so konzentriert verharrt, als wären es wirklich Idole“ (Adorno 1953: 194). Die Rezeption findet außerhalb von zweckund nützlichkeitsbestimmten Alltagszwängen statt. Insofern zählen sowohl die Trennung von Kunst und Lebenspraxis, wie auch die kontemplative Haltung gegenüber dem Werk, zu den entscheidenden Merkmalen des autonomen bürgerlichen Kunstwerks. Mit der Abgehobenheit des autonomen Kunstwerks von der Lebenspraxis sind allerdings Gefahren verbunden. Weil es zum Bild eines besseren Daseins nur fiktional beiträgt, entlastet es das Bildungsbürgertum von Intentionen der konkreten Veränderung. Seiner Distanz gegenüber der Alltagspraxis ist deshalb auch das Moment des Unverbindlichen immanent. Die Avantgardisten erkannten diese Gefahren. Ihr Wirken war der permanente Angriff auf den Status der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie bekämpften einerseits die Institution der Kunst als eine von der Lebenspraxis der Menschen abgehobene. Andererseits kritisierten sie die bürgerlich geordnete Welt, und intendierten deshalb keineswegs, die Kunst in diese vorgegebene Lebenspraxis zu integrieren. Vielmehr strebten sie an, die Funktion der Kunst in der Gesellschaft neu zu bestimmen und „von der Kunst aus eine neue Lebenspraxis zu organisieren“ (Bürger 1974: 67; vgl. auch Moebius im vorliegenden Band). Peter Bürger beschränkt seinen Blick auf die historische Avantgarde auf den eher explizit politisierten Strang, auf den Dadaismus und den nachfolgenden Surrealismus. Dagegen halte ich es für unabdingbar, gleichermaßen auch jenen Strang zu beachten, der über das Design von Gebrauchsgegenständen – also auf eher implizitem Wege – auf die Veränderung der Lebenspraxis abzielte. Deshalb sind im historischen Rückblick zwei Wege zu beachten, die der Avantgardismus einschlug. Die eine Stoßrichtung, die zur Überwindung der Grenzen zwischen der Welt der Kunst und der Welt des Alltagslebens ansetzte, gewann ihre Konturen um 1900 mit der europäischen Stilbewegung. Die Künstler der Art nouveau, wie sie in Frankreich genannt wird, des Jugendstil, wie er in Deutschland heißt, revoltierten gegen den konventionellen Kunstbegriff, indem sie ihren Tätigkeitsbereich – ohne jegliche Rücksicht auf bisherige Trennungen – ausdehnten. Sie bekämpften die Wertehierarchie, die zwischen freier und angewandter Kunst unterschied. Diese Hierarchie ist wirkmächtig in Institutionen verfestigt: Kunstmuseen befassen sich mit der hohen Kunst, Kunstgewerbemuseen mit der angewandten

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Kunst. Diese vorgegebene ästhetische Distinktion von high und low ignorierend, erschloss sich die Stilbewegung den weiten Bereich des Designs. Neben der Architektur widmete sie sich dem Schmuck, dem Möbel, dem Plakat1 und dem Buch. In den 1920er Jahren trat eine Weiterentwicklung ein, die Hinwendung zur industriellen Produktion. In Deutschland wurde das Bauhaus (Wingler 1975) federführend, in Holland De Stijl (Jaffé 1967), in Moskau Wchutemas (Adaskina 1992). Auf dieser Entwicklungsstufe wurden nun auch Fotografie und Film einbezogen. Die andere große Stoßrichtung des Versuchs, von der Kunst aus eine neue Lebenspraxis zu organisieren, entstand aus dem Dadaismus, der insbesondere in Berlin kritischen Biss entwickelte. Diese radikale Bewegung kritisierte die gesamte Institution Kunst, also den bürgerlichen kunstproduzierenden und -distribuierenden Apparat sowie die rezeptionsleitenden Vorstellungen über Kunst. Der Dadaismus zog Schlussfolgerungen aus der grundlegenden Erschütterung der existentiellen und kulturellen Wertorientierungen durch den Ersten Weltkrieg. Früh fanden sich in Zürich, auf neutralem Boden, einige Kriegsdienstverweigerer. Dem von ihnen geführten Cabaret Voltaire lagen klare politische Zielsetzungen zugrunde. Für Hugo Ball bestanden die Aktivität und die Interessen des Cabarets darin, „über den Krieg und die Vaterländer hinweg an die wenigen Unabhängigen zu erinnern, die anderen Idealen leben“ (Ball 1916). 1 Diese Avantgardisten zielten vermittels der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen direkt auf die Gestaltung einer neuen Lebenspraxis. Deshalb dürfen sie nicht nachträglich mit ihren konservativen Gegnern, die solche unkonventionellen Entwicklungen intransigent bekämpften, gleichgesetzt werden. Sie begrifflich nicht von den Verfechtern des autonomen Kunstwerks zu unterscheiden bedeutet, Avantgardismus und Modernismus in einen Topf zu werfen. Deshalb ist Grasskamp zu kritisieren, der die vorhandenen Unvereinbarkeiten gar nicht erkennt und meint, der „elegante und konstruktive Jugendstil“ sei bestens geeignet, „für den Beginn der modernen Kunst zu firmieren“ (Grasskamp 2002: 121). Schließlich ist ein Werbeplakat von Alphonse Mucha für die Fahrradmarke Waverley, das auf der Straße angeschlagen wurde und neben ästhetischen auch ökonomische Zwecke transportiert, wohl kaum mit einem Gemälde Picassos in enge strukturelle Verwandtschaft zu bringen, das für eine Kunstgalerie geschaffen wurde und sich – gemäß dem Autonomieanspruch der Moderne – allein an die Logik seiner eigenen Sache hält. Eine klare Begriffsbestimmung ist hilfreich, wenn Gegensätze nicht vernebelt werden sollen.

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Auch der Berliner George Grosz bezog sich eindeutig auf die Erfahrung des unsinnigen Krieges. Für ihn hatte die Dada-Bewegung ihre Wurzeln in der Erkenntnis, „dass es vollendeter Irrsinn war zu glauben, der Geist oder irgendwelche Geistige regierten die Welt. Goethe im Trommelfeuer, Nietzsche im Tornister, Jesus im Schützengraben – da gab es immer noch Leute, die Geist und Kunst für eine selbständige Macht hielten“. Den Dadaismus sah er entstanden „als Reaktion auf die Wolkenwanderungstendenzen der so genannten heiligen Kunst, deren Anhänger über Kuben und Gotik nachsannen, während die Feldherren mit Blut malten“ (Grosz et al. 1925: 22f.). Die Dadaisten provozierten das Publikum, weil sie erkannten, dass die „Versenkung“ als Aneignungsform des autonomen Werks „in der Entartung des Bürgertums eine Schule asozialen Verhaltens wurde“; deshalb setzten sie, indem sie ihre Werke zum Mittelpunkt von Skandalen machten, an deren Stelle „die Ablenkung als eine Spielart sozialen Verhaltens“ (Benjamin 1936: 502). Bald nach Kriegsende sah Grosz freilich „den einzigen Fehler“, den die deutschen Dadaisten machten, darin, sich „mit der so genannten Kunst überhaupt ernsthaft beschäftigt zu haben“. Die Verschärfung brachten die vehementen sozialen Auseinandersetzungen der frühen Weimarer Republik. „Zum Lachen war kein Anlass mehr, es gab wichtigere Probleme als die der Kunst“. Für den Künstler war nun, laut Grosz, „der Wert seiner Arbeit an ihrer sozialen Brauchbarkeit und Wirksamkeit“ zu messen (Grosz et al. 1925: 24ff.). Diese Dadaisten versuchten, in einer Phase der sozialen Erschütterungen, von der Kunst aus zur Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen beizutragen. George Grosz ging den Weg des journalistischen Illustrators. John Heartfield machte für die AIZ Fotomontagen, die anders als etwa die Collagen des Kubismus – „nicht primär ästhetische Objekte, sondern Lesebilder sind“ (Bürger 1974: 101).

US-amerikanische Entwicklungen Der Avantgardismus wurde in Europa durch Diktatur und Zweiten Weltkrieg vernichtet2. Der Befund, dass seither nichts mehr davon zu bemer2 Weil die lebendigen Bezüge gekappt sind, und deshalb das Damalige nur in einer verzerrten Weise, nämlich gemäß seiner heutigen, dem bildungsbürgerlichen Museum einverleibten Form beurteilt wird, können krasse Fehlurteile entstehen. Dazu zählt beispielsweise die Einschätzung, das

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ken ist, wird hier gerne verallgemeinert. So kann sich der Eindruck aufdrängen, „der Angriff der historischen Avantgardebewegungen auf die Institution Kunst“ sei „gescheitert“ (Bürger 1974: 78) – und das bürgerliche Feuilleton kann nachplappern, „die Träume der Avantgarden sind ausgeträumt“ (Schmidt 2004). Derartige Beurteilungen werden in ihrer Beschränktheit erkennbar, wenn der Blick nicht eurozentristisch beschränkt bleibt. Crimp geht davon aus, dass US-amerikanische Künstler begannen, „die von Bürger theoretisierten Lektionen der historischen Avantgarde zu erlernen und anzuwenden“ (Crimp 1996: 42). Diesen Bruch mit der Moderne, für den er den Postmoderne-Begriff verwendet, sieht er – in Übereinstimmung mit Huyssen – spätestens „in den frühen Sechzigern eingeleitet“ (Crimp 2002: 39). Der Begriff Postmoderne wurde geprägt, weil diese – für die USA ganz neuartigen künstlerischen Praktiken – den Rahmen der bürgerlichen Kunstwelt sprengten und der Kunst eine neue gesellschaftliche Funktion gaben. Diese Postmoderne lebt, wie die historische Avantgarde, aus dem Kontext sozialer Bewegungen. Dass diese Entwicklung in den USA stattfand, lässt sich unschwer nachvollziehen. Schließlich war ein erheblicher Teil der europäischen Avantgardisten in den 1930er Jahren dorthin emigriert, hatte dort Schülerinnen und Schüler. Für Mitteleuropa war dagegen das Ende des Avantgardismus besiegelt, weil die Vertriebenen auch nach dem Ende der Diktatur nicht wieder zur Rückkehr eingeladen wurden. Am Beispiel des psychedelischen Plakats und des ACT UPAktivismus möchte ich illustrieren, was es dort in der Nachkriegszeit bedeuten konnte, sowohl Kunst-als-Institution anzufechten, wie auch der Kunst einen sozialen Zweck zu geben. Die Vorgeschichte dazu, ohne die diese Entwicklung nicht verständlich ist, findet sich in dem ausgezeichneten, 1997 von Stephanie Barron herausgegebenen Band „Exil – Flucht und Emigration deutscher Künstler 1933–1945“. Aus diesem Zusammenhang sei schlaglichtartig allein Josef Albers kurz beleuchtet, der 1925 bis 1933 am Bauhaus gelehrt hatte. Er pflegte auch in den USA die bewährte Bauhaus-Pädagogik weiter. Er verwarf „die Kunstgeschichte avantgardistische Arbeitsbündnis ziele auf Belehrung ab und befinde sich auch im Fahrwasser des „Leninistischen Verständnis[ses] der Partei als Avantgarde der proletarischen Emanzipation“ (Steinert 1998: 102). Ein Blick auf die Prinzipien der Bauhaus-Pädagogik lässt unschwer erkennen, dass die künstlerische Avantgarde strukturell nichts mit anderen Typen von Avantgarden, etwa der militärischen oder der parteipolitischen, gemein hat.

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als eine im Sumpf der europäischen akademischen Tradition feststeckende Disziplin. Sein Rat lautete stattdessen: ,Lasst uns gemeinsam mit unseren Studenten jung sein. Wir sollten über Filme und Mode, Make-up und Bürobedarf diskutieren. Der Schüler und sein Hineinwachsen in seine Welt sind wichtiger als der Lehrer und dessen Herkunft‘“ (Bernstein 1997: 257). Nun möchte ich kurz in das psychedelische Plakat einführen. Victor Moscoso, einer der großen Psychedeliker, hatte bei Josef Albers an der Yale University Art School studiert. Sein „Top Hat“ (Abb. 1) ist eine Ankündigung für eine Rock-Veranstaltung im Avalon Abb. 1: Victor Moscoso: Ballroom, bei der auch Big Brother and „Top Hat“ (FD-38). 1966. the Holding Company auftritt, die Band von Janis Joplin. Das zentrale Bild benutzt das Foto eines indianischen Pelzhändlers, bei dem die ursprüngliche Pfeife durch einen Joint ersetzt wurde (Grushkin 1987: 71). Wes Wilson, der bedeutende psychedelische Typograph, studierte Philosophie, bevor er als Autodidakt in das PlakatDesign einstieg. Er wurde 1965 durch die Ausstellung „Jugendstil & Expressionism in German Posters“ der University Art Gallery in Berkeley im November 1965 (Chipp et al. 1965) angeregt. Damals – darauf sei nebenbei hingewiesen – war also bereits, ausgehend vom MoMA, das Plakat als Kunstgattung eingeführt. Wilson war durch die Ausstellung auf die Wiener JugendstilTypografie von Alfred Roller gestoßen, und hatte sie alsbald weiterentwickelt (Abb. 2). Er befand sich in ständiger Auseinan- Abb. 2: Wes Wilson: „The dersetzung mit den Veranstaltern, weil die- Sound“ (BG-29a). 1966.

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se wegen der schlechten Lesbarkeit negative Auswirkungen auf das Geschäft befürchteten. Sein Auftraggeber Bill Graham hielt ihm vor, die Körper der Leute, die solche Plakate zu lesen versuchen, müssten „mit ihren Körpern den Wörter-Kurven zu folgen versuchen“ (Grushkin 1987: 73), um sie entziffern zu können. Selbstverständlich wurden auch Aufrufe für Demonstrationen psychedelisch gestaltet. Das Plakat zur „Week of the Angry Arts“ (Abb. 3) kündigt eine Auftakt-Veranstaltung der Aktionswoche gegen den Vietnam-Krieg an, die 1967 in San Francisco stattfand. Es führt die Bands auf, die am Sonntag, dem 9. April auftraten – Grateful Dead ist als Aufkleber oben rechts hinzugefügt. Der hektographierte Handzettel kündigt auf der Vorderseite ebenfalls die Bands an, auf der Rückseite sind alle Veranstaltungen der Aktionswoche aufgelistet. Der Höhepunkt ist eine Demonstration am Samstag, dem 15. April. Jerry Rubin beschreibt die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern traditioneller Politikformen und der neuen Counter Culture: „Am 15. April brach in San Francisco der Generationenkonflikt innerhalb der Friedensbewegung aus. Auf der Rednertribüne standen leblose Professoren, Geistliche, Reformdemokraten, Gewerkschaftsführer und hielten eine langweilige Rede nach der anderen. Unten auf der Straße standen Freeks, Langhaarige, Beatniks, Studenten, Kinder, die Ungewaschenen. Warum standen wir da und hörten denen zu? Country Joe and the Fish mussten mitten im zweiten Song abbrechen, damit Zeit für noch mehr Reden gewonnen wurde. Wir hatten die Nase voll“ (Rubin 1971: Abb. 3: J. Ryes: „Week of 66). Gegen die alte Linke, deren the Angry Arts“. 1967. Engagement sich ausschließlich auf die politische Sphäre begrenzte, hatte die Counter Culture begonnen, die Künste in die politische Auseinandersetzung einzubeziehen. Insofern scheint sie fortzuführen, was Walter Benjamin, der Theoretiker des

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Avantgardismus, als „Politisierung der Kunst“ gefordert hatte (Benjamin 1936: 508). Das psychedelische Plakat war, ebenso wie andere künstlerische Praktiken der frühen Postmoderne, in die Counter Culture der 1960er Jahre eingebunden. Zwanzig Jahre später entwickelte der ACT UPAktivismus diese Ansätze weiter, ihm gelang der Zugriff auf die Massenmedien. Der Angelpunkt des ACT UP-Aktivismus war, dass das Fernsehen ebenso wie die Presse bilderhungrig sind. Die Künstlergruppen, die die Bewegung mit visuellem Material versorgten, ließen sich auf die Bildersucht der Medien ein. Sie gestalteten Plakate, die auf Pappe aufgeklebt, bei Veranstaltungen mitgeführt wurden. Sie waren so gestaltet, dass sie auch in FernsehNachrichtensendungen oder auf Pressefotos lesbar waren. Die Künstlergruppe Gran Fury entwarf für eine Demonstration vor der Zentrale der Food and Drug Administration (FDA), die für die Zulassung von Medikamenten zuständig ist, die „Bloody Hand“ (Abb. 4) mit Text in fetter Grotesk-Typografie. Den Aktivisten ging es darum, die Interessen der Konsumenten gegenüber denen Abb. 4: Gran Fury: der Pharmaindustrie durchzusetzen. Die „Bloody Hand“. 1988. Aktivisten wollten in dieser frühen Phase der Aids-Krise die Überlebenschancen durch Neuzulassung von Medikamenten verbessern, die Industrie dagegen wollte möglichst ausgiebig Profit aus dem vorhandenen Angebot schlagen. Die FDA-Aktion war im Voraus „wie ein Hollywood-Film an die Medien ‚verkauft‘ worden, mit einer sorgfältig vorbereiteten und präsentierten Pressemappe, mit hunderten Telefonanrufen an die Journalisten und mit Aktivisten-Auftritten in Radio- und Fernseh-Talkshows. Als die Demonstration stattfand, waren die Medien nicht nur da, um eine Story zu kriegen, sie wussten genau über die Sache Bescheid“ (Crimp et al. 1990: 78). In einem Dokumentar-Video über eine ACT UP-Aktion erklärt Ann Northrup das Ziel, das diesem Einsatz der ästhetischen Mittel zugrunde liegt: „We communicate through the media, not to the me-

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dia“ (Hilferty 1990) – wir sprechen durch die Medien, nicht zu den Medien. Angestoßen vom erfolgreichen ACT UP-Aktivismus spross eine bunte Palette an begleitenden Bewegungen. Künstlerinnen und Künstler engagierten sich, je nach individueller Interessenlage, ganz unterschiedlich. Das Magazin Artforum rubrizierte diese Arbeiten unter „agit pop“ (Schorr 1994). Eine der Künstlerinnen aus diesem Kontext ist Zoe Leonard. Sie war Aids-Aktivistin in ACT UP und arbeitete u.a. am Buch „Women, AIDS & Activism“ mit (Banzhaf et al. 1990). Als Mitglied der Gruppe „Fierce Pussy“ trat sie für die Anerkennung lesbischen Lebens ein (Abb. 5). In der Gruppe „Gang“ engagierte sie sich gegen konservative Sexualpolitik, so auch im – letztlich erfolgreichen Kampf – um das Recht, das Wort „abortion“ bei der Schwangeren-Beratung benutzen zu dürfen (Abb. 6). Außerhalb dieser Gruppen war sie selbstverständlich auch individuell als Künstlerin tätig. Für ihre Installation auf der documenta IX von 1992 ließ sie alle Gemälde aus dem Erdgeschoss der Kassler Neuen Galerie entfernen, die keine Frauengestalten enthielten. Übrig blieben sieben Säle mit Frauenbildern. Die leeren StelAbb. 5: Fierce Pussy: len füllte sie mit Fotos „Are you a boy or a girl?“ aus (Leonard 1997: 65). Die Foto-Vorlage für das „Gang“-Plakat erscheint in diesem neuen Zusammenhang (Abb. 7). Die Counter Culture war, sicher auch durch die postmodernistischen Praktiken, erfolgreich. In den 1960er Jahren verschob sie das politische Kräfteverhältnis in Richtung auf die Beendigung des Vietnamkrieges und stellte die Weichen für Liberalisierungen in verschiedenen Bereichen. Die Langzeitwirkung dieser Bewegung (Mayer 1993) erwies sich zwei Jahrzehnte später, als die Aids-Krise nach einer politischen Lösung verlangte. Auch ACT UP war erfolgreich. Aids-Aktivisten hinderten die christliche Rechte daran, die Sexualpolitik wieder in die fünfziger Jahre

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zurückzudrehen, und sie erkämpften sich sogar Einfluss in Forschungslenkungs-Organisationen (Grolle 1995).

Gefahren des Eurozentrismus Die deutsche Kunstwelt sperrt sich noch immer hartnäckig gegen den Paradigmenwechsel, der durch die historische Avantgarde eingeleitet wurde. Sie grenzt jenes weite Feld künstlerischer Praktiken aus, die – nun als US-amerikanische Postmoderne – dieses Projekt fortsetzen. Das MoMA ist sicher wegen seines Ausstellungsdesigns zu kritisieren, das die historische Avantgarde zähmt, indem es sie wie autonome Kunst präsentiert. Das wichtigste Mittel, mit dem Ausstellungsdesigner seit dem frühen 20. Jahrhundert diese Sichtweise durchsetzen, besteht – wie der Museums-Historiker Sheehan darlegt – darin, die Werke „zu isolieren und sie so für den Betrachter individuell zugänglicher zu machen“ (Sheehan 2002: 270). Arbeiten der Avantgarde in dieses Präsentationsraster zu zwängen, entschärft und entpolitisiert; auch dadurch wird „repressive Neutralisierung künstlerischer Arbeit betrieben“ (Germer 1992: 62). Das MoMA bevorzugt solches Ausstellungsdesign und begünstigt damit eine verfälschende Aneignung. Gleichwohl ist diese Sammlung insofern avantgardisiert, als sie nach dem BauhausKonzept strukturiert ist – und also einen demokratisch weiterentwickelten Kunstbegriff aufgreift. Nur in einem Museum wie dem MoMA hatte ich das psycheAbb. 6: Gang: „Read my delische Plakat entdecken können. lips.” 1992. Während die Trennung zwischen freier und angewandter Kunst im MoMA längst überwunden ist, wird in fast allen deutschen Museen noch immer eisern daran festgehalten. Die Unterscheidung von high und low heroisiert die Vertreter der freien Kunst und banalisiert die der angewandten Kunst. Ein symptomatisches Beispiel für den grundlegenden Unterschied zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Kunstwelt ist die Ausstellung „Das MoMA in

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Berlin“ in der Neuen Nationalgalerie (20.02.–19.09.2004). Schon der Titel ist eine Irreführung, er müsste lauten: „Die Gemälde- und Skulpturenabteilung des MoMA in Berlin“ – die Ausstellung unterschlägt nämlich alle seine anderen Abteilungen3. Insofern ist sie Ausdruck für die Art und Weise, wie dem deutschen Bildungsbürger Schutz und Schirm in seiner kleinen heilen Kunstwelt geboten wird, die noch fest im 19. Jahrhundert wurzelt. Auch hier wird er wieder davor bewahrt, mit der Avantgarde und ihren Innovationen konfrontiert zu werden. In gewisser Weise verhält sich der Großteil der deutschen Kunstwelt wie jener Komiker, der einen Berg von Kleidungsstücken in einen Koffer packen will, und dann, als er sieht, dass nicht alles passt, die über den Rand stehenden Stücke mit einer großen Schere abschneidet. Wie bei der Ausstellung „Das MoMA in Berlin“ wird auch anderswo verfahren. So wurde beispielsweise auf der documenta IX ein Kunstwerk von Zoe Leonard gezeigt, aber keine Aktivisten-Plakate. Ebenso beschränkte sich die Ausstellung4 „Zoe Leonard“ in der Wiener Secession von 1997, um nur noch ein weiteres Beispiel anzuführen, auf Kunstwerke im traditionellen Sinne – und schloss alles andere aus. Mit welchem Recht bewerten deutsche Kuratoren einen Teil der Arbeiten dieser Künstlerin hoch, eben als ausstellungswürdig, und einen anderen Teil ihrer Arbeiten als vernachlässigbar, eben als nicht-ausstellungswürdig? Und weshalb sind bislang aus der deutschen Kunstwelt so interessante Bereiche wie das psychedelische Plakat ausgeschlossen? Unsere bundesrepublikanische Kultur ist noch immer durch die Vertreibung der historischen Avantgarde in den 1930er Jahren geprägt. Unsere Kunst-Institutionen wirken an der Aufrechterhaltung dieses Zustandes mit, statt aufzugreifen, was Künstler anderswo tun. Mir scheint es längst überfällig, dem Vertriebenen auch hier zu Lande wieder ein lebendiges Mitwirken zu eröffnen. Soll dies geschehen, ist es auf dem mittlerweile erreichten Niveau – als Postmodernismus – wieder zur Rückkehr einzuladen. 3 In diese Kerbe schlug auch der Frontalangriff auf die Ausstellungskonzeption, den Benjamin Buchloh in Berlin vortrug (Maak 2004). Buchloh kritisierte nicht nur, dass die Schau die Kunst dekontextualisiere. Sie sei außerdem fotophobisch und lasse nur Malerei und ein paar Skulpturen zu; dagegen sei schon an Dada zu sehen, welch bedeutende Rolle Texte und Fotografie gespielt hätten. 4 Ich bedanke mich bei Michael Müller, Wien, der mir die – nicht in den Katalog aufgenommene – Liste der ausgestellten Werke zugänglich gemacht hat.

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Eine lebendige Demokratie braucht nicht nur gewählte Parlamente und Regierungen, sie braucht auch engagierte Citoyens und eine demokratische Kultur. Der aus dem 19. Jahrhundert überkommene Kunstbegriff, der das autonome Werk favorisiert, ist dem wohl kaum angemessen – auch wenn er beispielsweise um Aktions-Kunst erweitert wird (Resch et al. 2003). Der Postmodernismus hat – in der Nachfolge des Avantgardismus – die Idee der schönen Künste zugunsten der sozialen Produktion aufgegeben. In Schüben, die durch Counter Cultures initiiert sind, kann er immer wieder aufleben und zur Weiterentwicklung demokratischer Gesellschaften beitragen. Eurozentrismus jedoch grenzt solche Betätigungsfelder von Künstlerinnen und Künstlern aus, er schneidet unsere Kultur von den damit verbundenen Chancen ab. Er folgt der Devise „Ruhe ist die erste bildungsbürgerliche Pflicht“, aber der gesellschaftliche Preis ist hoch.

Abb. 7: Zoe Leonard: o.T. (workprint from documenta IX installation). 1992.

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DOING IT FOR ANDY1 Marc Siegel

Wenn es beim Tratsch unter uns amerikanischen Schwulen darum geht klarzustellen, ob einer eine von uns ist, dann sagen wir gerne „Sie geht in unsere Kirche“. Käme zum Beispiel der Cousin unseres besten Freundes zum ersten Mal zu uns in die Große Stadt, dann würde man neckisch fragen, „Geht sie in unsere Kirche?“ Bei Andy Warhol erübrigt sich diese Frage. Der Fall Andy ist längst geklärt: Andy ist nicht nur in unsere Kirche gegangen, sie war eines unserer prominentesten Gemeindemitglieder. In fast jedem wichtigen Abriss zur queeren Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wird dem Leben und Werk Andy Warhols, das die homophoben fünfziger, die sexuelle Befreiung der sechziger und siebziger Jahre bis hin zur Post-Stonewall-Ära umspannte, großer Raum gegeben. Kritische Untersuchungen zu Warhols immensem Output an Gemälden, Zeichnungen, Filmen, Photographien, Videos, Audioaufnahmen, Büchern und Zeitschriften verweisen immer wieder darauf, wie vielschichtig sein gewieftes Umspringen mit den wechselnden Codes war, die die Darstellung von Homosexualität und Homoerotik in den USA in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmen. So sind etwa Warhols Marylins und Warrens, seine Portraits von Liz und Elvis ein impliziter Abglanz des seit langem bestehenden Interesses schwuler Männer an flamboyanten weiblichen und sexy männlichen Stars. Es sind jedoch Warhols Edies, Ondines, Candys, Jackies und Hollys, das heißt seine Filme und der weithin bekannte Kontext, in dem diese Filme entstanden, – die Factory der sechziger Jahre –, die explizit das ungerichtete Begehren und die glamourösen queeren Differenzen der Jahre vor der Institutionalisierung der Gay Liberation Movement einstehen. So erinnert sich Simon Watney: „Das erste Mal bin ich 1969 in eine Razzia geraten – zusammen mit zweihundert anderen Leuten, bei einer 1 Der folgende Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Texte zur Kunst, Bd. 45, März 2002, S. 171-180.

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Vorführung von „Lonesome Cowboys“, der damals gerade in London angelaufen war. Sicher waren auch ein paar ernstzunehmende strukturalistische Filmkritiker unter den Kinobesuchern, aber im Großen und Ganzen war das Publikum doch sehr schwul, genau so, wie bei den Vorführungen von Warhol-Filmen in London während der siebziger Jahre und bis heute. Zwei Jahre vor dem ersten Treffen der Gay Liberation Front in der London School of Economics hatte Warhol für mich als Teenager den Ruch einer verführerischen amerikanischen Schwulenkultur in ihrer exaltiertesten und bewusst eindeutigsten Form.“ (Watney 1996: 21) Andy Warhol war nicht irgendeine Zwanzigstes-Jahrhundert-Tunte, sondern jemand, dessen Leben und multimediale Kunstproduktion einem ganzen Heer junger Schwuler das exaltiert-bewusst-eindeutige Versprechen eines anderen Lebens geboten hat und bietet. Gerade deshalb hat mich die Warhol-Retrospektive in der Berliner Neuen Nationalgalerie schockiert: Nicht nur, dass in dieser Retrospektive weder Warhols Homosexualität noch die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Zentralität dieser Homosexualität für Warhols Werk Erwähnung fanden, noch dazu wurde dreist behauptet, Warhol habe ohnehin einer ganz anderen Kirche angehangen. Irgendwie ist es ganz schön peinlich und anachronistisch, wenn man Anno 2001 noch darauf hinweisen muss, dass es nicht in Ordnung ist, eine große Warhol-Retrospektive zu organisieren und dabei das queere Umfeld, in dem sein Werk entstanden ist und rezipiert wird, vollkommen zu ignorieren. Angesichts des Erfolgs der Ausstellung und des Kritikerlobs, das ihr zuteil wurde, und auch im Hinblick darauf, dass die Auslassung des queeren Aspekts meiner Ansicht nach bezeichnend für eine insgesamt konservative Stoßrichtung dieser Ausstellung ist, bin ich der Meinung, dass das Thema einer ausführlicheren Betrachtung bedarf.2 Diese große Retrospektive umfasst eine enorme Auswahl aus Warhols Gemälden, Zeichnungen und Drucken – von seinen frühen Tuscheund Bleistiftzeichnungen der vierziger und fünfziger Jahre, über die Siebdrucke und berühmten Pop Art Arbeiten der sechziger, bis hin zu seinen späteren Portraits und abstrakten Arbeiten der siebziger und acht2 Die Retrospektive wurde vom Internationalen Verband der Kunstkritiker als „Ausstellung des Jahres“ prämiert. Sie wird nicht nur von Berlin an die Londoner Tate Gallery gehen, sondern von dort an das Museum of Contemporary Art in Los Angeles weitergereicht werden. Eine ähnliche Kritik an der Retrospektive hat auch Manfred Hermes in seinem scharfsichtigen „Blick und Begehren bei Andy“, taz, Nr. 6629, 18.12.2001, 16, geäußert.

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ziger Jahre. Obwohl die Ausstellung Warhols gesamtes Œuvre auf Papier und Leinwand berücksichtigt, liegt der Schwerpunkt auf seinen berühmtesten Pop Art Bilder – die Campbell’s-Suppendosen, ColaFlaschen, Marylins, Jackies, Elvis-Portraits, etc. Seine späteren weniger bekannten und/oder weniger geschätzten Arbeiten (die „Shadow“, Camouflage“ und „Oxidation“-Serien und seine Auftragsportraits) sind nur in kleiner Auswahl vertreten.3 Eine der spektakulärsten Überraschungen, die die Retrospektive in Aussicht gestellt hatte, sollte die erste Wiederzusammenführung von Warhols „Thirteen Most Wanted Men“ sein, jener Serie von schwarz-weißen Siebdrucken von Fahndungsphotos des FBI, die Warhol 1964 im Auftrag der New Yorker Weltausstellung angefertigt hat und die sofort zensiert wurde.4 Trotz des Umfangs der Retrospektive legte ihr Kurator Heiner Bastian einen thematischen Schwerpunkt auf die „Disaster“- und „Death in America“-Serien, zum Beispiel auf Warhols „Atomic Bombs“, „Electric Chairs“, „Car Crashes“ und „Suicides“. Diese Gegenüberstellung von Warhols bekannten Pop-Art-Bildern mit den „Disaster“-Gemälden und ihrem expliziteren Gesellschaftsbezug spielt Bastians Projekt die Möglichkeit in die Hand, die Festlegung Warhols auf die Kategorie „Pop Art“ in Frage zu stellen. In Bastians Augen ist Warhol ein hochmoralischer Künstler in der Tradition der großen Meister und gehört daher weniger zur Pop Art als zu dem was Bastian als „Klassische Moderne“ bezeichnet. Daher auch die zahlreichen Verbindungen, die im Katalog zwischen Warhol und Raffael, Matisse und 3 Die Ausstellung zeigt auch Warhols berühmte Sperrholz-Objekte (BrilloKartons, Del Monte Pfirsich Kisten, etc.), silbern bemalte Cola-Flaschen und – als einzige explizite Anerkennung seines Filmschaffens –, das Plexiglass-Bild Kiss (1965). Meiner Ansicht nach wäre es erheblich interessanter und lohnender, Warhols Bezug zur Malerei ausgehend von seinen Arbeiten aus den siebziger und achtziger Jahren neu aufzurollen. Beispielhaft sei hier auf die Ausstellung About Face: Andy Warhol’s Portraits, Katalog hrsg. von Nicholas Baume (Wadsworth Atheneum/Andy Warhol Museum, MIT Press, 1999) verwiesen, die genau in diese Richtung gegangen ist. 4 Zur Zensur von Thirteen Most Wanted Men liegt eine umfangreiche Literatur vor, für Analysen aus einer schwulen Perspektive vgl. Richard Meyer, „Warhol’s Clones“, The Yale Journal of Criticism, 7.1 (1994): 79-109 und sein Outlaw Representation: Censorship and Homosexuality in American Art, 1934-1994 (Oxford, Oxford UP, 2002) und Douglas Crimp, „Getting the Warhol We Deserve“, übersetzt von Barbara Hess, Texte zur Kunst 35 (1999), S. 46-65, insbesondere S. 59-61.

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Goya gezogen werden. So absonderlich diese kuratorische Perspektive auch erscheinen mag, neu ist sie nicht. So hat etwa Simon Watney angemerkt: „Im Verlauf der siebziger Jahre haben sich europäische Kritiker zunehmend für die „Flower“- Bilder und die „Disasters“ interessiert, die sie relativ problemlos mit Goya in Verbindung bringen konnten. Daher die vollkommen abwegige Wiedergeburt von Andy Warhol in den Interpretationen zahlreicher Kritiker als Vorreiter im Klassenkampf. Die Vorstellung, man könne im Werk von Andy Warhol einen versteckten sozialkritischen Subtext finden, ist wohl auch anderen schwulen Männern außer mir als vollkommen absurd und abwegig erschienen – und letztlich auch als anstößig, und zwar insofern, als eine solche Interpretation der fortgesetzten Weigerung Vorschub leistet, sich mit dem offensichtlichsten Motiv in Warhols Karriere auseinanderzusetzen: seiner Homosexualität.“ (Watney 1996: 22) Auch in Bastians Retrospektive von 2001 geht weder die ausführlichen Biografie des Künstlers, die eine ganze Wand im Eingangsbereich der Ausstellung füllt, noch der knapp zwanzig Seiten umfassende biografische Abriss, „Andy – Eine Chronologie in Amerika“, im Katalog auch nur mit einem Wort auf Warhols Homosexualität oder auf ein einziges gesellschaftlich oder politisches Ereignis ein, das die Darstellung dieses Themas in seinem Werk beeinflusst haben könnte.5 Um Warhol als großen Meister vereinnahmen zu können, erteilt diese Ausstellung nicht nur der Zuordnung Warhols zur Pop Art eine Absage, sondern auch dem queeren Kontext, in dem diese Pop Art produziert wurde.6 Bastians Weigerung wird dadurch noch fragwürdiger, dass er ein gänzlich anderes Thema nicht nur als eine mögliche Interpretationslinie, 5 Angesichts der großen Zahl politischer und kultureller Ereignisse, die als bedeutsam für die Kontextualisierung von Warhols Zeit in Amerika erachtet werden, ist es überraschend, wenn nicht sogar schlichtweg ein Affront, feststellen zu müssen, dass die Chronologie keinerlei Hinweis z.B. auf die Schwulenbewegung, die Stonewall-Riots von 1969, die berüchtigte Zensur und Beschlagnahmung von Jack Smiths Film „Flaming Creatures“ zusammen mit der einzigen Kopie von Warhols zweitem Film „Andy Warhol Films Jack Smith Filming ‚Normal Love’“ oder aber das Begräbnis unserer heißgeliebten Judy Garland im Jahre 1969 enthält. 6 Zur These einer unmittelbaren Verbindung zwischen Pop Art und schwuler Identität vgl. Kenneth Silvers „Modes of Disclosure: The Construction of Gay Identity and the Rise of Pop Art“ in Hand Painted Pop: American Art in Transition, 1955-1962, Hrsg. Donna De Salvo und Paul Schimmel (Los Angeles, Museum of Modern Art, Rizzoli, 1992), S. 178-203.

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sondern vielmehr als das Schlüsselmotiv in Warhols Arbeit herausstellt: Warhols Katholizismus. Ohne sich darum zu kümmern, seine Argumentation zu belegen, behauptet Bastian gegen Ende seines Essays im Katalog: „[…dass die Stimme], die man hinter dem Ausdruck der vermeintlichen Leere findet, in Wirklichkeit Moral und Glaube (Psyche) ist. Warhols Katholizität ‚that is what he at heart remained‘ (John Richardson) hatte sich in Wahrheit in die Oberfläche dieser Werke schon immer und für immer verwoben. Man liest diese Moral in einem fort. Wenn Warhols angeblich metaphernlose Extreme das Unerträgliche emotionslos dokumentieren, so ist es vor allem eben die Metapher der Katholizität, die wie eine panisch verschwiegene Leerstelle der verbo[r]gene Teil dieser Extreme ist.“ (Bastian 2001: 37)

Diese Einschätzung von Warhols Leben und Werk ist, so absurd es klingen mag, ebenso wenig originell wie die Leugnung seiner Homosexualität. Wie Gary Indiana bemerkt hat, grassierten derart abgeschmackte Behauptungen in den Reden, die unter ihnen John Richardson, die während des Beerdigungsgottesdienst für Warhol 1987 gehalten wurden und in denen ein ums andere Mal Warhols christliche Ader beschworen wurde. „Als Beweis für Andys tiefe Spiritualität wurde von einem seiner Lobhudler etwa Warhols Bonmot bemüht, er wolle als Ring am Finger von Liz Taylor wiedergeboren werden. Was war das, wenn nicht Katholizismus in Reinkultur?“ (Indiana 1989: 182) Auf Beerdigungen wird oft dummes Zeug über Religion geredet, weil die Leute nicht wissen, was sie sonst sagen sollen. Aber warum müssen wir uns das gleiche dumme Zeug auch vom Kurator einer großen Warhol-Retrospektive anhören, einer Ausstellung, die immerhin großspurig den Titel „Andy Warhol – The Retrospective“ für sich in Anspruch nimmt?7 Angesichts von Bastians Warhol-Retrospektive lässt sich nur das Fazit ziehen, dass große institutionelle Ausstellungen genau das sind, was sie immer waren: scheinheilig, homophob, arrogant und politisch anstößig. Da die Ausstellung vor allem auf Warhols „Disaster“-Bilder abhob, darunter auch Bilder von Menschen, die aus New Yorker Wolkenkratzern springen, und da sie nur drei Wochen nach den Anschlägen des 11. September und der Zerstörung des World Trade Center in New York eröffnet wurde, sah sich Bastian unverhofft damit konfrontiert, dass seine Retrospektive plötzlich Bezüge zum politischen und gesellschaftli7 So die prahlerische Ankündigung von Peter-Klaus Schuster und Nicolas Serota in ihrem Vorwort zum Katalog, vgl. Andy Warhol: Retrospective, S. 8.

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chen Tagesgeschehen erhielt – und einige dieser Bezüge passten ihm offenbar nicht ins Konzept. Wäre da nicht jenes Interview, das der Kurator in Reaktion auf die Ereignisse des 11. September gegeben hat und das im Pressespiegel auf der Wand im Eingangsbereich zu lesen war, dann hätte ich die ganze Katholizismus-Geschichte als bloßen Tippfehler abgetan.8 Angesichts von Bastians Reaktion auf diese aktuellen politischen Ereignisse neige ich jedoch mehr dazu, dieses Abheben auf den Katholizismus als eine Art Bluff oder moralistisches Ablenkungsmanöver zu werten, das das ganze Ausmaß von Warhols Verbundenheit mit und Engagement in der Gegenkultur der sechziger Jahre verschleiern sollte. Nachdem er sich die Mühe gemacht hatte, die „Thirteen Most Wanted Men“-Serie zusammenzusuchen, um sie als Wandbild im originalen Gitterformat zeigen zu können, das Warhol für die Weltausstellung von 1964 entworfen hatte, hat sich Bastian in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September mit der Begründung zu Wort gemeldet, er wolle „keine falsche Konnotationen erzeugen“ und habe daher „davon Abstand genommen“ die Serie zu zeigen (vgl. Schmidt-Werthern/Bastian 2001). Konfrontiert mit der Möglichkeit, das Wandbild könnte „falsche“ Bezüge zum politischen Zeitgeschehen wachrufen, hat sich Bastian also dazu entschieden, die Serie ein zweites Mal zu zensieren. Und, wie jeder guter Zensor, hat er diese Zensur vorgenommen, ohne weiter auszuführen, welche der möglichen Zeitbezüge denn nun die „falschen“ gewesen wären. Viele der Untersuchungen zur Zensur des Wandbilds im Jahre 1964 legen nahe, dass sich die Subversivität des Bildes aus seiner radikalen Kritik der Staatsmacht speist, insbesondere aus der schwulen Schlagrichtung dieser Kritik, das was Richard Meyer als den „Kreislauf“ charakterisiert hat, „der zwischen dem Bild des Gesetzlosen und Warhols gesetzlosem Begehren dieses Bildes – und dieser Männer – entsteht. Anders gesagt: „Thirteen Most Wanted Men“ erzeugt einen Kurzschluss zwischen den Codes der Kriminalität, der Anschauung und des homosexuellen Begehrens […], es geht nicht nur darum, dass das FBI diese Männer haben will, sondern auch dass der bloße Akt, ‚Männer haben zu wollen‘ eine Form von Kriminalität konstituiert, wenn derjenige, der ‚haben will‘, ebenfalls ein Mann ist, wenn derjenige, der ‚haben will‘, z.B. Warhol ist.“ (Meyer 1994: 83)9 8 Vgl. Konrad Schmidt-Werthern, „Interview mit Heiner Bastian“, Frankfurter Allgemeine Zeitung (Berliner Seiten), 2. 10. 2001. 9 Meyer ist nicht der einzige, der Thirteen Most Wanted Men in dieser Form analysiert. Wie er selber anmerkt, fußt seine Arbeit auf Kenneth Silvers

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Meyers Ansatz ist vor kurzem von Douglas Crimp aufgegriffen worden, der die Zensur von „Thirteen Most Wanted Men“ im weiteren Zusammenhang des gezielten Vorgehens der Stadt New York gegen schwules Leben und Äußerungen der Gegenkultur im Vorfeld der Weltausstellung von 1964 untersucht hat (vgl. Crimp 1999a: 59-61). Wenn 1964 Furcht vor der schwulen Kritik an der Staatsmacht den Ausschlag dafür gegeben hat, das Wandgemälde zu zensieren, was war dann der Grund für seine erneute Zensur im Jahre 2001? Ganz offensichtlich wird hier die Gleichzeitigkeit der Ausstellungseröffnung und der Veröffentlichung einer neuen „Most Wanted Men“-Liste des FBI eine Rolle gespielt haben. Angesichts der Sexualisierung, die die (arabischen) Männer, derer das FBI derzeit habhaft werden will, durch die Medien erfahren, und im Hinblick auf die komplexe Verschränkung von Homoerotik, Rassismus und Homophobie, die in dieser Sexualisierung offenbar wird, hätte die Ausstellung von Warhols „Most Wanted Men“ an prominenter Stelle im Eingangsbereich der Neuen Nationalgalerie eine historisch unterfütterte Debatte über die gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Kategorien „sex“ und „race“ auslösen können.10 Indem sie bestimmte politische Assoziationsfelder in der Gegenwart eröffnet hätte, wäre es mit der prominenten Hängung von „Most Wanted Men“ möglich geworden, einen Bezug zwischen dem aktuellen politischen Kontext und der Vergangenheit, d.h. der kulturellen und politischen Szene der sechziger Jahre herzustellen. Aber genau gegen solche eindeutigen politischen und kulturellen Verbindungen mit Warhols Werk ist Bastians Retro-Perspektive von „Warhol, als großem Meister“ ja gerichtet, was spätestens dann offenbar wird, wenn man sieht, welches Bild (1992) „Modes of Disclosure…“ und auf Neil Printzs’ Andy Warhol: Death and Disasters (1988). 10 Mir fallen dazu eine Reihe von Beispielen ein: Die von dem Boulevadblatt National Enquirer lancierten Berichte über Mohammed Attas angebliche Homosexualität und seinen letzten Abend mit seinem Geliebten; die Beurteilung und Kommentierung dieser Berichte in der schwulen Presse; die weite Verbreitung manipulierter Bilder, in denen Osama bin Laden George Bush in den Arsch fickt; die Geschichte in Rupert Murdochs Skandalblättchen News of the World, in der Bin Ladens Hass auf Amerika darauf zurückgeführt wurde, dass eine Frau aus Chicago anläßlich einer mißglückten erotischen Begegnung mit bin Laden über dessen angeblich kleinen Penis gelacht habe, und nicht zuletzt die Tatsache, dass sowohl in Berlin als auch in den US ziemlich viele Angehörigen der schwulen Szene die neuen FBI-Pinups total scharf finden.

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Bastian als Ersatz für die „Thirteen Most Wanted Men“ gewählt hat: Im Eingangsbereich der Nationalgalerie hängt nun statt der FBI-Serie ein Werk, von dem man wohl angenommen hat, dass es kaum dazu angetan sei, falsche politische Konnotationen wachzurufen: „The Last Supper“.11 Obwohl die Ausstellung für sich in Anspruch nahm, Warhol „in seiner Zeit“ zu betrachten, zielte sie doch klar darauf ab, Warhol aus ganz spezifischen und bestimmenden Bezügen dieser Zeit herauszulösen, nämlich jener Gegenkultur der sechziger Jahre, die sich im Umfeld der Factory formierte. Diese Szene setzte sich aus High Society-Dropouts, Aussteigern aus der Mittelschicht, Strichern von der 42nd Street, Homosexuellen, Drag Queens, Drogenabhängigen, Untergrundfilmemachern, Dichtern, Tänzern und Schriftstellern zusammen. Was diese Leute zusammenhielt, war die Weigerung, sich den Normen und Zwängen der ehrenwerten bürgerlichen Gesellschaft zu beugen. Diese Weigerung war gleichzeitig auch Ausdruck der Hingabe an ein anderes kulturelles Projekt, ein Projekt, das darauf abzielte, mit anderen Lebens-, Denk-, Arbeits- und Seinsformen zu experimentieren. Bastian hält mit seiner Meinung über dieses Projekt nicht hinterm Berg; für ihn waren die individuellen Freiheitsentwürfe, die von der Gegenkultur der sechziger Jahre gelebt wurden, bloßer Schein! Zitat: „Und dennoch waren die sechziger Jahre auch jenes Jahrzehnt des gerade vergangenen Jahrhunderts, das die 11 Auf die Frage, ob er glaube dass Warhol auf die Ereignisse des 11. September mit einer bestimmten Arbeit reagiert hätte, antwortete Bastian: „Möglicherweise hätte er ein Motiv gewählt, das seinem Werk Cross ähnlich ist. Er war ein sehr katholischer Mensch, ein höchst moralischer Künstler.“ Konrad Schmidt-Werthern, „Interview mit Heiner Bastian“. Bedenkt man, dass die Crosses-Serie 1981, zeitgleich mit seiner Arbeit an den Serien Dollar Signs, Guns, Knives und seiner Auseinandersetzung mit amerikanischen Mythen, entstanden ist – Arbeiten , die Peter-Klaus Schuster in seinem Beitrag zu Bastians Katalog allesamt als sozialkritische Werke vereinnahmt, vgl. Schuster, „Warhol und Goya“, in Andy Warhol: Retrospective, 57 – dann ist es umso bedenklicher und peinlicher, wenn Bastian Warhols Kreuzgemälde für bare Münze nimmt. Wenn Bastian Warhols Cross als Ausdruck des Katholizismus des Künstlers betrachtet, wie soll man dann die Hängung dieses Bildes weitab von den zeitgleich entstandenen Guns und Knives aber in unmittelbarer Nähe zu AIDS/Jeep/Bicycle (1985) verstehen, Warhols einziger Arbeit, die sich explizit mit AIDS auseinandersetzt, und das letzte Bild, das wir zu sehen bekommen, bevor wir den Pop Art Spielplatz verlassen und uns nebenan in die aufregenden Gefilde begeben, wo in loser Folge die Shadows und ein paar Portraits aus den siebziger und achtziger Jahren hängen?

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Individualität bereits als programmatische Individualität in all ihren affirmativen Zügen erfand. ‚Freiheit‘ war nur ein Schein, in Wahrheit deren progressive Annihilation.“ (Bastian 2001: 32) Obwohl er die Wirkung von Warhols Factory als wichtigen Treffpunkt der Gegenkultur anerkennt und ihre zentrale Bedeutung für die Etablierung Warhols in der Kulturszene nicht in Abrede stellt, ist Bastian peinlich darauf bedacht, zwischen Warhol und den Repräsentanten der Gegenkultur zu unterscheiden, mit denen sich der Künstler umgab. Bastian beschreibt die Factory als eine Art Heilsarmee für gesellschaftliche Außenseiter und schreibt: „Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes wird Andy Warhols Alleinsein in der Gegenwart anderer zur umgekehrten Distanz seiner Bewunderer. Was Andy Warhol in all‘ seinen neuen Bekanntschaften anzog, ließ ihn zugleich auch zurückschrecken und vertiefte dieses Alleinsein.“ (Bastian 2001: 32) Das Bild von Warhol in der Factory der sechziger Jahre, das Bastian hier entwirft, ist das eines zunehmend vereinsamten, unter Entfremdung leidenden und ängstlichen Mannes, ein mildtätiger Christ vielleicht, der mit den bedrohlichen Gestalten aus der Gegenkultur um ihn herum wenig anfangen konnte, aber sanftmütig genug war, um diesen Gestrandeten Obdach zu gewähren.12 Um aus Warhol einen katholischen Meister in der großen Kunsttradition zu machen, muss Bastian dann zwangsläufig nicht nur von dem radikalen Versprechen der Szene um die Factory ablenken, sondern auch von den Hunderten von Filmen, die Warhol dort produziert hat. Warhols umfangreiches Filmwerk, das Bastian lediglich in einer wie nachträglich aufgesetzt wirkenden Filmreihe im Arsenal gewürdigt hat, ist repräsentativ für eine ganzes Spektrum an unterschiedlichen Formen des Widerstands, die in der Gegenkultur der sechziger Jahre entwickelt wurden. So sind etwa Warhols Filme nicht nur unmiss-

12 Vgl. hierzu Bastians Interpretation mit Warhols Kommentar zu Chelsea Girls, einem Film, der die Gegenkultur und Szene im Umfeld der Factory mit besonders brutaler Ehrlichkeit dargestellt hat: „Wenn jemand wissen will, wie der Sommer ’66 in der Factory war, dann kann ich bloß sagen ‚Schau Dir Chelsea Girls an‘. Ich habe den Film nie ohne das Gefühl in der Magengrube sehen können, wieder mitten drin im Sommer ’66 zu sein. Auf Außenstehende mag es vielleicht wie eine Horrorshow gewirkt haben – ,Kabinen in der Hölle‘ – aber für uns war es mehr ein Trost – wir waren halt einfach eine Gruppe von Leuten, die sich untereinander sehr gut verstanden haben.” (Andy Warhol/Pat Hackett 1980: 185)

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verständlich homoerotisch, sondern formulieren auch eine explizite Kritik am Katholizismus.13 In einem Aufsatz zu Warhols „Blue Movie“ hat der Kritiker Parker Tyler 1969 einen auffälligen Aspekt von Warhols Filmschaffen aufgegriffen, den ich für zentral für das Verständnis von Warhols außerordentliche Rolle in der Gegenkultur der sechziger Jahre erachte. Im Gegensatz zu der Vorstellung, Warhol habe mit seiner Kamera nur einfach und passiv auf die Realität draufgehalten, vertritt Tyler die Meinung, der Ausgangspunkt für Warhols Arbeit sei vielmehr der Entschluss gewesen, nüchtern an die Haltung zur Realität heranzugehen, oder, schärfer formuliert, an die Haltung dazu, wie Realität vor unseren Augen erfunden wird (vgl. Tyler 1971: 13). Tyler unterscheidet Warhols Abgeklärtheit von der typischen Manufaktur von Realität in den „fiktionalen und so genannten faktenbestimmten“ Massenmedien, die durch eine selektive und geschönte Rekonstruktion von Ereignisse lediglich „einen Mythos von Realität […], einen rationalen Versuch, ‚normales Verhalten‘ auf den Punkt zu bringen“ schaffen (Tyler 1971: 14). Warhols abgeklärte Haltung hingegen funktioniert ganz anders; Tyler zufolge, sind die meisten von Warhols Filmen „Reportagen darüber, wie weit bestimmte Leute gehen, die gerne vor der Kamera stehen oder zumindest nichts dagegen haben, wenn ihnen dann tatsächlich solche Aufmerksamkeit zuteil wird. […] Das soll nicht heißen, dass die zumeist recht ungewöhnlichen Gestalten, die für Warhols Kamera arbeiten (inzwischen haben sie sich 13 Während der drei Monate, in denen die Ausstellung lief, wurden im Arsenal achtzehn Filme gezeigt. Anders als bei anderen Filmreihen in diesem Kino, gab es dieses Mal weder ein Programmheft mit Hintergrundinformationen zu den Filmen noch begleitende Vorträge, in denen versucht wurde, die Filme in Bezug zu einem weiteren Zusammenhang zu setzen. Zum Vergleich sei hier nur auf die Chantal Ackerman Filmreihe hingewiesen, die zwar nur zwei Monate – von Dezember 2001 bis Januar 2002 – lief, in der aber 34 Filme gezeigt wurden, zu der es ein eigenes Programmheft gab und für die Chantal Ackerman selbst zu einer Publikumsdiskussion eingeladen wurde. Ich erwähne dies nicht, um das Arsenal zu kritisieren oder aber, weil ich denke, dass Ackermans Werk keine derartige Aufmerksamkeit verdient – im Gegenteil – sondern lediglich, um zu verdeutlichen, welches Maß an Interesse die Veranstalter der Warhol Retrospektive Warhols filmischem Werk entgegengebracht haben. Einzig Donna de Salvos kurzer Katalogbeitrag „Nachbild“, in dem die These vertreten wird, Warhols Filmarbeit habe Einfluss auf einige formale Elemente der Siebdrucke gehabt, fällt in dieser Hinischt aus dem Rahmen. Vgl. de Salvo (2001): „Nachbild“, in: Bastian (Hg.) (2001): Andy Warhol: Retrospective, S. 48-52.

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schon einen gewissen Namen gemacht), entweder innerlich verkommene, morbide Exhibitionisten oder schlichte Schwindler sind. Was wir in ‚Fuck‘ sehen, ist ganz sicher (noch!) nichts, was sich am helllichten Tage am Times Square zutragen könnte. Nein, diese kurze sexuelle Kopplungsübung ist etwas, was das Paar im Film Andy zuliebe getan hat. […] Wir betrachten „Realität“ in Form von zwei organischen menschlichen Körpern, die auf einem Bett und anderswo damit beschäftigt sind, etwas zu tun, die dies aber nur so tun, wie es ihrem inneren Antrieb entspricht, der sich wiederum, wie ich bereits erwähnt habe, teilweise aus dem Wunsch speist, Andy einen Gefallen zu tun.“ (Tyler 1971: 14f.) Tylers Analyse scheint mir wichtig, weil hier die produktiven Seiten von Warhols Filmarbeit herausgehoben werden, ohne dass Warhol oder seine Superstars für ihre Beteiligung an diesem Projekt irgendeiner moralischen Bewertung unterzogen werden. Die „ungewöhnlichen Gestalten“, die sich in Warhols Factory vor die Kamera drängten, waren die Schäfchen von Papst Ondine: Perverse aller Spielarten, Diebe, die von der Gesellschaft Ausgestoßenen, wie Ondine in „Chelsea Girls“ sagt. Warhols nüchterner Blick auf mögliche Haltungen zu dieser besonderen Realität war daher eine kalkulierte Provokation. In dieser Hinsicht ist seine Abgeklärtheit auch bezeichnend für ein Bestreben, normalisierende und moralisierende Haltungen angesichts von durch die Gegenkultur aufgezeigten Differenzen in Frage zu stellen. Tylers prägnante Beschreibung der Kräfte, die in Warhols Kino wirken, jenes „Andy einen Gefallen tun wollen“, bringt daher die Vorstellung von Gegenseitigkeit ins Spiel. Was die Superstars für Andy tun, ist nichts, was sie zwangsläufig auch so tun würden: Sie tun etwas für Andy, weil Andy etwas für sie tut. Um Andys Abgeklärtheit als etwas zu erkennen, was er aktiv betrieben hat und was tatsächlich konstitutiv für das war, was Douglas Crimp als „ethisches Projekt“ bezeichnet hat, „um queere Differenzen und Eigenheiten zu verdeutlichen“14, müssen wir uns über zu kurzgeschlossene und phobische Analysen hinwegsetzen, die Warhol lediglich in einem negativen Verhältnis zur Gegenkultur der sechziger Jahre betrachten. Das heißt, wir müssen auch die typischen Begriffe über Bord werfen, mit denen solche Analysen gemeinhin operieren, Begriffe, die gegen Warhol und seine Szene gerichtet sind, wie etwa „voyeuristisch, passiv, distan14 Siehe Douglas Crimp/Mario Montez (2002). Crimp hat seine wichtige These hinsichtlich der ethischen Ausrichtung von Warhols Filmschaffen bislang in drei Artikeln formuliert. Vgl. etwa sein „Face value“ (1999b) und „Getting the Warhol We Deserve“ (1999a).

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ziert, abgelenkt, entfremdet, gelangweilt, etc.“ Der Rückgriff auf diese Begrifflichkeit ist nicht nur hinderlich für das Verständnis dessen, was Warhol in den sechziger Jahren warum getan hat, ein derartiger Rückgriff macht ein derartiges Verständnis völlig unmöglich. In einer in ihrer Prägnanz und Schönheit für sie typischen Formulierung hat Callie Angell das Argument vorgebracht, „die oft problematische Einzigartigkeit von Warhols Kino“ erkläre sich „zumindest teilweise aus der erotisch aufgeladenen Art seines Filmemachens: selbst in seinen einfachsten und direktesten Filmen, erlangt die persönliche Transaktion, die zwischen dem lüsternen und beifälligen Publikum hinter Warhols Kamera und den Selbstenthüllungen seiner Akteure entsteht, so etwas wie erotische Intimität, eine Interaktion, die nicht in einem sexuellen Akt vollzogen wird, sondern, zumindest für Warhol, wenn nicht sogar für seine Stars, im abgedrehten Film.“ (Angell 1988: 36) Ausgehend von Angell und Crimp würde ich dafür plädieren, den ethischen, erotischen und intimen Austausch, der in Warhols Filmen abgeklärt wird, als eine Form der Kooperation zu betrachten. Wenn ich auf diesen Begriff zurückgreife, so möchte ich einen bestimmten Aspekt der künstlerischen Produktion in der Factory der sechziger Jahre hervorheben, nämlich das konsequente Engagement Warhols und seiner Superstars für das Projekt ihre Lebensform öffentlich und erotisch in die Öffentlichkeit zu tragen. Wenn ich im Zusammenhang mit Warhols Factory-Projekt der sechziger Jahre von Kooperation spreche, so möchte ich diese Kooperation mit anderen Kooperationsformen in Verbindung setzen, die in der Gegenkultur der sechziger Jahre praktiziert wurden, Formen, die in verschiedenen Experimenten durchgespielt wurden, um zu alternativen Lebens-, Denk- und Seinsweisen zu gelangen. Wenn ich so verfahre, dann nicht zuletzt, weil ich die kürzlich in Michael Hardts und Antonio Negris Buch „Empire“ formulierte Definition der Gegenkultur der sechziger Jahre vor Augen habe. Hardt und Negri interpretieren das Aussteigen aus dem normalisierenden Diktat des heterosexuellen Familienlebens der Mittelschicht als einen positiven Akt im Bereich des Experimentierens mit neuen Formen der Produktivität, der Gemeinschaft und der Subjektivität. Aus ihrer Sicht impliziert diese Weigerung der Gegenkultur, dazugehören zu wollen eine grundlegende – nietzscheanische – Umwertung sozialer Werte und, daran anschließend, das Beharren auf andern Formen der Zugehörigkeit. „Aussteigen“ umschreibt nur in sehr begrenzter Form, das, was in den sechziger Jahren in Haight Ashbury und in den gesamten Vereinigten Staaten geschehen ist. Die Weigerung, sich existierenden gesell-

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schaftlichen Zwängen zu beugen und das Experiment mit neuen Formen der Produktivität, waren die beiden grundlegenden Operationen. Die Wiegerung manifestierte sich in einer breiten Auswahl an Ausformungen und verbreitete sich in Tausenden von täglichen Praktiken. All diese Bewegungen und die gesamte in Entstehung begriffene Gegenkultur hoben besonders auf den gesellschaftlichen Stellenwert von Kooperation und Kommunikation ab. Die grundlegende Umwertung der Werte sozialer Produktion neuer Subjektivitäten bereitete den Weg für eine tief greifende Transformation der Arbeitskraft (vgl. Hardt/Negri 2000: 274f.). In der Auseinandersetzung mit der grundlegenden Umwertung von Werten in den sechziger Jahren gehen Hardt und Negri auch auf die Auswirkungen dieser sozialen und kulturellen Aktivitäten auf die Reorganisation der wirtschaftlichen Verhältnisse in den siebziger Jahren ein. Ihr Abriss von dem, was sie – in Anlehnung an die feministische Theorie – „affektive Arbeit“ nennen, eine Art der Arbeit, die soziale Netzwerke und Formen der Gemeinschaft und der Zugehörigkeit hervorbringt, könnte sich nützlich erweisen, wenn es darum geht, die spezifischen Formen der Kooperation herauszuarbeiten, die für Warhols Film Factory der sechziger Jahre bezeichnend war.15 Wenn wir Andy Warhols Kunst „in ihrer Zeit“ verstehen wollen, dann wäre ein möglicher Ansatzpunkt eine Auseinandersetzung mit der Factory, die Produktionsweise, die hier gepflegt wurde, als eine spezifische Form der Kooperation zwischen Andy und einer Gruppe großartiger gesellschaftlicher Außenseiter, als eine Form der Kooperation in einem ästhetischen Projekt, das darauf abzielte, Differenzen und Eigenheiten der (queeren) Gegenkultur publik zu machen.

15 Die ökonomischen Verhältnisse innerhalb der Factory waren natürlich erheblich vielschichtiger als ich es hier darstellen kann. Eine längere Untersuchung wäre eine faszinierende, aber schwierige, Aufgabe. Meiner Meinung nach würde ein derartiges Projekt von einer sorgfältigen Unterscheidung – womöglich anhand der von Hardt und Negri entwickelten Begrifflichkeit – zwischen den verschiedenen Typen von Arbeit, die in der Factory geleistet wurden, profitieren. Eine derartige Unterscheidung könnte unser Verständnis der Hinwendung der Factory zu moralistischen und kommerziellen Interessen in den frühen siebziger Jahren befördern.

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DIE AUFHEBUNG DER KUNST IN LEBENSPRAXIS Die historischen Avantgardebewegungen und die Postmoderne Stephan Moebius

„In ihren Museen betete sich die bürgerliche Gesellschaft selbst an.“ (Karl-Heinz Kohl 2003: 260)

Ein Kennzeichen der Postmoderne ist die (angestrebte) Entdifferenzierung der Sphären der Wissenschaft, der Moral und der Kunst. Dies lässt sich zum Einen an der insbesondere von Jürgen Habermas monierten Aufhebung der Gattungsunterschiede von Literatur und Philosophie etwa bei Jacques Derrida beobachten, zum Anderen ist aber jene Entdifferenzierung auch in der postmodernen Kunst zu erkennen. Gemeinsam ist sowohl den postmodernen philosophischen als auch künstlerischen Bestrebungen ihr Ausgang von den historischen Avantgardebewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese kannten nicht nur bereits die postmodernen Verschiebungen von Bedeutungen, sondern auch die Entdifferenzierungsversuche: Ihr Ziel war es ja, eine veränderte Einstellung zur Kunst zu forcieren und die Lebenspraxis insgesamt radikal zu verändern. Der Kunst oblag die Aufgabe, diese Veränderung zu initiieren, so dass Kunst in Lebenspraxis überführt und eine neue Lebenspraxis organisiert werde. Die Postmoderne findet ihre Ursprünge in den historischen Avantgardebewegungen der Zwischenkriegszeit. Im Folgenden sollen zunächst die Bestrebungen der historischen Avantgardebewegungen und ihre besondere Rolle in der Kunstgeschichte anhand von Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ nachskizziert werden. Anschließend wird anhand von Beispielen aufgezeigt, inwiefern die Ursprünge der Postmoderne in den historischen Avantgardebewegungen zu finden sind. Hieran knüpft die Beobachtung an, dass auch in postmodernen Kunstwerken und Kunstauffassungen wesentliche Denk-

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elemente der historischen Avantgarde eine Rolle spielen. Explizit zeigt sich dies an dem Beispiel des Projekts „c3: city.crime.control“, das in Bremen mit Kunstprojekten im öffentlichen Raum die Sphären zwischen Kunst, Kultur und Politik zu entdifferenzieren und neu zu gestalten versucht. Die im folgenden Beitrag entwickelte These lautet: Postmoderne Kunstbewegungen, deren Vorgänger in der historischen Avantgarde zu finden sind, zielen weniger darauf ab, ihre Kunst in Museen zu präsentieren, als vielmehr die Kunst in die alltägliche Lebenspraxis und in die alltäglich verwendeten Kommunikations- und Informations-Medien übergehen zu lassen. Ihre Motivationen liegen darin, neue Lebenspraktiken, Wahrnehmungsmuster und soziale Verhältnisse zu konstituieren.

Der Angriff auf die Autonomie der Kunst In einem Interview bemerkte Jean-François Lyotard einmal, die Postmoderne, in der der Niedergang der modernen Ideale zum Ausdruck komme, habe die Aufgabe, das Werk der Avantgarde-Bewegungen fortzuführen (Lyotard 1985: 30). Was war jedoch das Werk der historischen Avantgardebewegungen? Was zeichnet die Besonderheit der Avantgarde aus? Nimmt man den Begriff der Avantgarde wörtlich, dann hat ihr im Begriff angelegtes „Vorwärtsstürmen“ auch Konsequenzen für die Zurückgebliebenen (vgl. Asholt/Fähnders 1997: 4). Im Unterschied zur militärischen Avantgarde richtet sich die literarisch-künstlerische Avantgarde nicht gegen einen auszukundschaftenden Feind mit einem sicheren Hauptheer im Rücken, sondern sie wendet sich gegen eine „die Tradition verkörpernde Hauptmacht“. In den Worten von Wolfgang Asholt ausgedrückt: „Sie ist der Hauptmacht so weit vorausgeeilt, dass sie sie, wenn man in der militärischen Bildlichkeit verbleiben will, von hinten aufrollt, Eroberungsfeldzug und ‚Bürgerkrieg‘ im Bereich von Kunst und Literatur scheinen zusammenzufallen.“ (Asholt/Fähnders 1997: 4) In seiner „Theorie der Avantgarde“ rekonstruiert Peter Bürger die durchaus differenten Gruppierungen der Avantgarde als eine zusammenhängende Periode und entdeckt in den unterschiedlichen Avantgardebewegungen eine ihnen gemeinsam zugrunde liegende Einheit: diese liegt in dem von ihnen forcierten Angriff auf die Autonomie der Kunst. Der von Bürger verwendete Begriff der historischen Avantgardebewegungen ist insbesondere „am Dadaismus und frühen Surrealismus gewonnen, er bezieht sich aber gleichermaßen auf die russische Avantgarde nach der Oktoberrevolution.“ Die Gemeinsamkeit dieser Bewegungen bestehe bei

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allen, zum Teil erheblichen Unterschieden darin, dass sie nicht einzelne künstlerische Verfahrensweisen der vorausgegangenen Kunst ablehnten, sondern diese in ihrer Gesamtheit. Sie vollzogen dadurch einen radikalen Traditionsbruch – oder zumindest versuchten sie es. In ihren extremsten Ausprägungen wandten sie sich vor allem gegen die Institution Kunst, „wie sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat. (Mit Einschränkungen, die in konkreten Untersuchungen herauszuarbeiten wären, gilt dies auch für den italienischen Futurismus und den deutschen Expressionismus).“ (Bürger 1974: 44, Fn. 4) Hinreichend verständlich werden demnach die unterschiedlichen Bestrebungen der Avantgardebewegungen vor allem durch ihre Stellung zur bürgerlichen Institution Kunst. Bürger geht von der These aus, mit den historischen Avantgardebewegungen trete das gesellschaftliche Teilsystem Kunst in das Stadium seiner Selbstkritik. Es geht dabei weniger um eine Kritik an vorangegangenen Kunstrichtungen, als vielmehr um eine Kritik an der historisch und gesellschaftlich konstituierten bürgerlichen Institution Kunst. „Mit dem Begriff der Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende und -distribuierende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken bestimmen. Die Avantgarde wendet sich gegen beides – gegen den Distributionsapparat, dem das Kunstwerk unterworfen ist, und gegen den mit dem Begriff der Autonomie beschriebenen Status der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft.“ (Bürger 1974: 29)1

Die Avantgarde verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Autonomie der Kunst und ihrer gesellschaftlichen, politischen und lebenspraktischen Folgenlosigkeit. Die Avantgardisten haben sich auf ihre Fahnen geschrieben, diese Folgenlosigkeit der Kunst aufzuheben und „[d]ie Kräfte des Rausches für die Revolution zu gewinnen“, wie Walter Benjamin (1996a: 161) in Bezug auf den Surrealismus schreibt. Die intendierte Aufhebung der Kunst meint Bürger zufolge eine „Aufhebung im Hegelschen Sinne des Wortes: Die Kunst soll nicht einfach zerstört, sondern in Lebenspraxis überführt werden, wo sie, wenn gleich in verwandelter Gestalt, aufbewahrt wäre.“ (Bürger 1974: 67) Es ging der Avantgarde um einen Funktionswandel von Kunst innerhalb der Gesellschaft, um die Veränderung von Gesellschaft und um die Überwindung untauglich gewordener ästhetischer Verfahren, mit denen sich Erfahrung weder beschreiben noch gar verändern ließ. Letzteres 1 Zur Autonomisierung der Kunst vgl. Müller, M. et al. (1972).

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verwies auf die generell erlebte Leere, den ennui und den wahrgenommenen Erfahrungsschwund, dem entweder mit der Sehnsucht nach Anderem, nach einer Einheit von Kunst und Leben oder mit Selbsthass und Zerstörungswillen begegnet wurde. Benjamin machte einen steigenden Erfahrungsschwund bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aus, während Henri Lefèbvre im 20. Jahrhundert eine gesteigerte Phase dieses Erfahrungsschwundes im „Verlust der Bezugssysteme“ (chute des référentiels) entdeckte; einen Verlust, den der Dadaismus deutlich zum Ausdruck brachte und dem der Surrealismus neue Erfahrungspraktiken und -techniken entgegenzustellen versuchte, sei es mit Hilfe von Automatismen, praktizierter Poesie, Traumgeschichten oder Spielen.2 Auch Walter Benjamin war nicht ganz unberührt davon und wollte sich, so könnte man sagen, in einem seiner letzten Werke „Passagen zwischen Poesie, Leben und Theorie bahnen; die Mauern durchstoßen, die Philosophie, Literatur und Wissenschaft voneinander abdichten; die Erfahrung einer Welt machen, die zunehmend unerfahrbar geworden ist.“ (Wohlfahrt 2003: 54) Der Protest gegen Entfremdung – in der Kunst zuvor ein innerästhetisch gebanntes Motiv – trat mit den Avantgardebewegungen aus der Institution Kunst heraus, die Abgehobenheit der Kunst gegenüber den realen Lebensverhältnissen wurde Bürger zufolge als Hindernis für ein Praktischwerden der Kunst gesehen. Die avantgardistische Kunstpraxis versuchte eine Entdifferenzierung der in der Moderne getrennten Sphären zu realisieren: „die Trennungen [zwischen Kunst, Politik, Psychologie oder Moral] w[u]rden nicht akzeptiert, weil in ihnen eine Ursache der Entfremdung in der bürgerlichen Gesellschaft ausgemacht w[u]rde.“ (Bürger 2001: 36f.) Wie und mit welchen Unterschieden wurde jedoch die Vorstellung einer Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis und die damit verbundene Entdifferenzierung von den unterschiedlichen Avantgardebewegungen artikuliert? Bei den frühen Futuristen und dem Dadaismus wurden bewusst provozierende Destruktionstechniken eingesetzt, mit denen die bürgerliche Kunst zerschlagen und die traditionellen Kunstströmungen verächtlich gemacht werden sollten (vgl. zum Folgenden Lindner 1976: 77ff.). Während Marinetti die Einführung des Faustschlags in den künstlerischen Kampf propagierte und der Futurismus von der Technik fasziniert war, versicherte der Dadaismus: „Dada ist keine Kunstrichtung. Dada ist eine 2 Vgl. Lefèbvre (1976), Bürger (1996: 186) und Benjamin (1996b).

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Richtung des Lebens selbst, die sich gegen alles wendet, was wir uns als Lebensinhalt vorstellen.“ (Doesburg 1964: 41f.) Zielte die sowjetische Produktionskunst auf die Beseitigung der vom Alltagsleben der Massen abgespaltenen bürgerlichen Kunst und plädierte für eine aktive Teilnahme des „neuen Künstlers“ am Aufbau des Sozialismus, so blieben die Surrealisten noch vielfach der ästhetischen Bohème verpflichtet. Wollte die sowjetische Avantgarde die Kunst auf den Straßen, Häuserwänden, in den neuen Medien (Zeitung, Rundfunk, Film) sowie in den Produktionsstätten beheimaten, orientierten sich die frühen Surrealisten an der kulturrevolutionären Programmatik der Psychoanalyse und den vom Bürgertum abgespaltenen Imaginationen des Traums, der Kindheit, der Sexualität und des Wahnsinns. Bretons (2001 [1924]: 21) berühmter Satz aus dem Ersten Manifest: „Man gebe sich doch nur die Mühe, die Poesie zu praktizieren.“ war kein Bekenntnis zu einer Produktionskunst, sondern verdeutlichte einen spontaneistischen Praxisbegriff (vgl. Lindner 1976: 81). Der Surrealismus richtete sich gerade gegen Werte wie Arbeit und Vaterland sowie gegen die zweckrationale Güterproduktion, was vielleicht am deutlichsten in dem 1935 von André Breton und Georges Bataille gegründeten Kampfverband revolutionärer Intellektueller, besser bekannt unter dem Namen „Contre-Attaque“, und seinen Manifesten zum Ausdruck kam (Moebius 2006).

Marx, Rimbaud und die mythologie moderne All die eben genannten Avantgardebewegungen verband „der Anspruch einer radikalen Destruktion der traditionellen bürgerlichen Kunst mit der Propagierung künstlerischer Praktiken, welche die Differenz zwischen Kunst und Leben hinfällig machen soll[t]en.“ (Lindner 1976: 82) Es widerstrebte ihnen, sich einer Welt zu fügen, die den Ersten Weltkrieg möglich gemacht hatte. Michel Leiris brachte den surrealistischen Impetus einmal wie folgt auf den Punkt: „Die Welt verändern, das ist Marx. Das Leben ändern, das ist Rimbaud. Für uns nun ging es darum, beides in Übereinstimmung zu bringen.“ Die anvisierte Überwindung der bürgerlichen Kunst und Gesellschaft hin zu einer anderen Welt und zu einem anderen Leben, nicht zuletzt hervorgerufen durch den Weltkrieg, die Revolution und die Verachtung bürgerlicher Werte, geschah nicht nur mittels Kunstwerken. Von zentraler Bedeutung waren auch die Theorien und Manifeste, in denen die Avantgarde nicht nur eine Überschreitung anzudenken, sondern auch auszuprobieren und durchzuführen ver-

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suchte (vgl. Asholt/Fähnders 1997: 5). Nach Robert Musil ist Kunst nie ohne Theorie groß geworden. Während aber die Surrealisten in ihren Manifesten und in der Zeitschrift „Minotaure“ (1933-1939) vielfach noch von einer „mythologie moderne“ sprachen, wurde der Mythos und die Überschreitung in der von Georges Bataille initiierten Geheimgesellschaft der Kopflosen mit dem Namen Acéphale in den 30er Jahren bereits gelebt (vgl. Moebius 2006).

Avantgarde und postmodernes Denken oder: Die Postmoderne war vor der Moderne Bekanntlich haben unterschiedliche postmoderne Denkbewegungen wesentliche Elemente ihrer Ursprünge in der historischen Avantgarde, insbesondere im Surrealismus und in einem dem Surrealismus verwandten Denken Batailles. Michel Foucault zufolge „befinden wir uns gegenwärtig in dem Hohlraum, den Breton zurückgelassen hat.“ (Foucault 1988: 215) Es gibt eine Reihe ideengeschichtlicher Zusammenhänge zwischen Avantgarde und postmodernem Denken, die man nach Peter Bürger (1999) im Wesentlichen auf folgende fünf Punkte zuspitzen kann: Erstens findet man die postmoderne Denkfigur der Dezentrierung des Subjekts bzw. des so genannten Tod des Autors bereits im Surrealismus. Die écriture automatique ist eine radikale Selbstzurücknahme des produzierenden Subjekts, bei der der Künstler oder Autor nicht mehr als reiner Urheber und Schöpfer angesehen werden kann. Er ist im Handeln nicht das Subjekt des Handelns, wie Bataille einmal schrieb. Er kann nicht mehr die Autorität gegenüber seinem Werk beanspruchen (vgl. Bürger 1999: 108).3 Zweitens räumen sowohl postmodernes Denken als auch Surrealismus der Sprache einen Vorrang ein. Bretons Ausruf: „Nach Dir, meine schöne Sprache“ verwandelt sich beispielsweise bei Derrida in eine philosophische Geste. Die Selbstpräsenz des Bewusstseins ist bei beiden stets über die Sprache vermittelt (Bürger 1999: 167). „Wie die Surrealisten an die Stelle des Ichs die Sprache setzen, die subjektlos im Sprichwort spricht, so auch Jacques Lacan.“ (Bürger 1999: 147), der zudem in engem Kontakt zu den Surrealisten stand (vgl. Hülk 2005). Drittens führt die Geschichte des Wahnsinns von Foucault eine surrealistische und Bataille’sche Denkbewegung fort: „Hatte der Surrealis3 Die folgenden Punkte gehen auf Bürgers Ausführungen zurück.

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mus die Vernunft kritisiert als eine Form von Gewalt, die das Individuum zurechtstutzt, und den Wahnsinn aufgewertet als Ausdruck einer Freiheit, die nicht einmal die durch die Wirklichkeit gesetzten Grenzen respektiert, so verknüpft Foucault beide Motive.“ (Bürger 1999: 150) Im Ersten Manifest des Surrealismus vermag Breton einzig die Freiheit noch zu begeistern, die er bei den Wahnsinnigen wieder findet (Breton 2001 [1924]: 12). Auch für Foucault ist die Freiheit kein Begriff, der das Zusammenleben regelt, sondern das „Durchbrechen jeglicher Norm“ (Bürger 1999: 110). Viertens lässt sich die vom Surrealismus und Marcel Mauss’ GabeTheorem inspirierte heterologische Geste der Überschreitung von Georges Bataille sowohl bei Michel Foucault, Jacques Lacan als auch bei Jacques Derrida – um nur einige der prominentesten Theoretiker zu nennen – wieder ausfindig machen (vgl. Moebius/Wetzel 2005; Moebius 2006). Sie alle teilen die Suche nach einer Überschreitung hin zu einem ganz Anderen und zum Unmöglichen. Im Zusammenhang mit dem vom Surrealismus und der Durkheim-Schule geprägten, 1937 von Bataille, Michel Leiris und Roger Caillois gegründeten Collège de Sociologie spricht man sogar von einem Poststrukturalismus vor dem Strukturalismus (vgl. Moebius 2006). Auch das Buch von Derrida (2003) zu Antonin Artaud mit dem Titel „Artaud Moma“4 ist ein sehr schönes Beispiel einer zwar ambivalenten, aber dennoch offensichtlichen Beziehung zwischen Avantgarde und poststrukturalistischem Denken. Derrida bewundert Artauds wahnsinnigen Mut, seine Rebellion gegen den Apparat, aber er teilt nicht die Illusion, man könne auf Dauer außerhalb des Apparates bleiben, für ihn gibt es keinen so genannten archimedischen Punkt oder absoluten Außenstandpunkt. Fünftens: Die Nähe zwischen Postmoderne/Poststrukturalismus und Avantgarde, d.h. zu ihrem Anspruch einer Aufhebung der Trennung zwischen Leben und Kunst ist deutlich erkennbar in Foucaults späten Schriften zur Ästhetik der Existenz, zur Existenz im Entwurf und in seinen Überlegungen zur techne tou biou, der Lebenskunst. Foucault hat dies in einem Interview mit der folgenden Frage schön auf den Punkt gebracht.„Warum sollte nicht jeder Einzelne aus seinem Leben ein Kunstwerk machen können?“ (Foucault 1985: 80) Natürlich markiert das postmoderne Denken nicht eine reine Kontinuität zur historischen Avantgarde. Es gibt markante Unterschiede bei4 Moma steht hier für das New Yorker Museum of Modern Art und für eine feminine Abänderung von „Momo“, wie sich Artaud zuweilen nannte.

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spielsweise zwischen einer von manchen Avantgardebewegungen hypostasierten Gegenwart – einem sog. Präsentismus und der Derrida’schen Dekonstruktion einer Metaphysik der Präsenz. Wie man aber anhand der kurz vorgestellten Gemeinsamkeiten erkennen kann, bezeichnet postmodernes Denken keinen Epochenwandel. Vielmehr begleitete postmodernes Denken stets die Moderne, man könnte sagen, es ist die andere Seite der Moderne, ihre Selbstkritik, vielleicht eine Facettendiagnostik der modernen bürgerlichen Gesellschaft und eine bestimmte Weise, sich gegenüber der Moderne zu situieren, d.h., eine bestimmte Art, auf die für die Moderne maßgeblichen Fragen von Arbeit, Natur, Vernunft, Entwicklung und Leben zu antworten. Für Lyotard bestand die Postmoderne sogar bereits vor der Moderne; für ihn ist sie ein Gemüts- bzw. Geisteszustand.

„Cross the border …“ In der Kunst verbreitete sich der schillernde Begriff „Postmoderne“ zu Beginn der sechziger Jahre in den USA.5 Mit ihm galt es neue ästhetische Tendenzen zu erfassen, die aus einer leidenschaftlichen Ablehnung der klassischen Moderne resultierten wie zum Beispiel Pop Art, Happenings, psychedelische Plakatkunst, Phänomene der Hybridbildung oder sonst irritierende Kombinationen (vgl. Welsch 1993: 25; siehe auch Hieber im vorliegenden Band). Interessant ist, dass gerade jene Stile und 5 Die bis in die Gegenwart hineinreichende Verwendung des Begriffs Postmoderne geht zurück auf einen im Juni 1968 an der Albert-LudwigsUniversität Freiburg i.Br. gehaltenen Vortrag des Romanautors und Professors für Englische Literatur an der Universität Buffalo, Leslie A. Fiedler. Seine improvisierte Rede The Case for Post-Modernism, die durch ihre Publikation unter dem Titel Cross the border – Close the gap im Dezember 1969 im Playboy internationale Verbreitung fand, sorgte in Deutschland bereits ein Jahr zuvor, 1968, für eine wochenlange Debatte im Feuilleton der Wochenzeitung Christ und Welt. Siehe Fiedlers Beitrag Das Zeitalter der neuen Literatur. Die Wiedergeburt der Kritik vom 13. 9. 1968, S. 9-10 in Christ und Welt. Nr. 37, XXI. Jhrg. und Das Zeitalter der neuen Literatur. Indianer, Science Fiction und Pornographie: die Zukunft des Romans hat schon begonnen vom 20. 9. 1968, S. 14-16 in Christ und Welt Nr. 38, XXI. Jhrg. Für den Hinweis auf die Debatte in Christ und Welt sei Wolfgang Eßbach herzlich gedankt. Ein Beitrag von mir zu dieser Debatte folgt demnächst.

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Praktiken aufgenommen wurden, die in den zwanziger Jahren die Avantgardebewegungen in ihrem Versuch einer Aufhebung der Autonomie der Kunst ausgearbeitet hatten. Postmoderne ist allein schon aus diesem Grund keine Verabschiedung der Moderne. Zwischen Avantgarde und Postmoderne besteht demnach nicht nur eine Affinität im Denken. Es lässt sich zudem eine historische Linie ausmachen, so dass die amerikanische Postmoderne der sechziger Jahre als eine späte und doch eigenständige Phase der historischen Avantgardebewegungen bezeichnet wird. Hierbei kann man in Anlehnung an Andreas Huyssen (1997) folgende vier Punkte ausmachen: Erstens liegt dieser „frühen Postmoderne eine zeitliche Einbildungskraft zugrunde, die emphatisch auf Zukunft und „new frontiers“ abhebt, auf Bruch mit Vergangenem und Diskontinuität, auf Krise und Generationskonflikt.“ (Huyssen 1997: 19f.) Diese Einbildungskraft erinnert stark an Dada und Surrealismus. Bestimmt kein Zufall ist die der frühen Postmoderne eigene „kultische Verehrung“ von Marcel Duchamp. Zweitens ist die Postmoderne eine „ikonoklastische Attacke“ auf die „Institution Kunst“. „Ähnlich wie die historische Avantgarde versuchte auch die amerikanische Postmoderne die bürgerliche Institution Kunst und deren Autonomie-Ideologie kritisch zu unterlaufen.“ (Huyssen 1997: 19) Ein gemeinsames Merkmal sind die Versuche einer Entdifferenzierung zuvor ausdifferenzierter Sphären. Drittens teilen viele Fürsprecher des Postmodernismus „jenen technologischen Optimismus, der schon für große Teile der historischen Avantgarde der zwanziger Jahre charakteristisch gewesen war“. Die Bedeutung, die damals dem Film und der Fotografie zuteil wurde, fand seit den Sechzigern ihre Entsprechung in den neuen Medien und Technobildern von Fernsehen, Video, Computer und Netzwerken. Das Projekt, das ich gleich vorstelle, ist ebenfalls im Bereich der neuen Medien angesiedelt. Viertens verteidigt die Postmoderne die Alltags-, Pop-, Trivial- und neue Medien-Kultur gegenüber dem Anspruch einer „Hochkultur“ in der modernen Kunst und Literatur. Ausgehend vom letzten Punkt könnte man postmoderne Formen der Kunst zugleich als Formen der Opposition gegen die Hegemonie einer so genannten hohen Kunst und als Rebellion gegen den „legitimen Geschmack“ (Bourdieu) betrachten. In der postmodernen Kunst würden sich demnach die Bedeutungen der Beherrschten, der Nicht-Repräsentierten, der so genannten „Anderen“ der Moderne wieder finden. Auch wenn man vielleicht nicht ganz soweit gehen mag, so kann man zumin-

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dest in manchen postmodernen Formen der Kunst die von der Avantgarde geprägten Versuche erkennen, kritisch-ästhetische Inhalte in die vorgefundenen Medien einzuschleusen und die Medien anders zu nutzen und mit Bedeutungen sowie Bedeutungsverschiebungen zu spielen. Ich möchte im Folgenden verdeutlichen, inwiefern postmoderne Formen politischer Kunst ähnlich wie die Avantgardebewegungen eine Entdifferenzierung der Sphären und zugleich eine radikal andere Lebenspraxis anstreben. Kunst und Veränderung der Lebenspraxis soll hierbei nicht im Museum oder auf dem Kunstmarkt stattfinden, sondern auf der Straße.

„… close the gap“ Im September 2001 konnte man folgende Ankündigung sowohl in diversen Zeitungen, auf Flugblättern als auch im Internet lesen: „Am 7. September rufen wir zu Aktionen gegen (Video-)Überwachung auf. In verschiedenen Städten in Amerika und Europa werden an diesem Tag Aktionen und Veranstaltungen stattfinden, um auf die zunehmende visuelle und technische Überwachung aufmerksam zu machen.“6 Ein öffentlich ausgestelltes und mit einem kritischen Text an Überwachungskameras versehenes Videoüberwachungsbild der Bremer Uferpromenade „Schlachte“ war Teil des Aktionsprojekts und sollte darauf aufmerksam machen, dass visuelle Überwachung und Kontrolle immer mehr an Bedeutung gewinnen, bis hin zu der massiven Beschneidung grundlegender Bürgerrechte wie Schutz der Privatsphäre, Freizügigkeit und Meinungsfreiheit. Das überwachende Videobild wurde in einer Strategie der Resignifizierung gleichsam zur Kritik an der Videoüberwachung gewendet.7

6 Alle Informationen zu c3 stammen aus www.citycrimecontrol.net. Auf der hompepage finden sich auch einige Bilder der Aktionstage. 7 Wie im Bild des Aktionstages zu sehen ist, verwendeten die Akteure eine für politische Kunst typische Kombination von Sprache und Bild. Auf dem Überwachungsbild steht: „Software kann natürlich nicht wirklich bewerten, was sie analysiert, sondern arbeitet mit statistischen Werten und Methoden. Der Input ist letztendlich bestimmt durch die jeweiligen Ansichten darüber, was ‚normales’ bzw. erwünschtes Verhalten bzw. Aussehen ist – mit allen diskriminierenden Implikationen“.

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In anderen US-amerikanischen und europäischen Städten entstanden weitere Bilder, die ihren visuellen Protest mit Hilfe von Videoüberwachungskameras produzierten. In Bremen hatte die Gruppe „c3: City.Crime.Control“ den Aktionstag initiiert. Dieser fand im Rahmen eines einwöchigen Projekts statt, in dem sowohl in öffentlichen Räumen als auch auf den Straßen unterschiedliche Videoinstallationen, Performances, Happenings und Kunstprojekte eine Verbindung zwischen dem Willen zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und Kunst eingingen. Eine der Aktionen, die von c3 mitgestaltet wurde, war neben Graffities-Sprühen das Straßenfernsehen „TV Control“: Es wurden eine Woche lang an verschiedenen öffentlichen Orten Filme und Videos gezeigt, die sich mit dem Thema privat/öffentlich auseinandersetzten. In der zum Happening zugehörigen Fernsehzeitschrift mit dem Titel „TV Control“ heißt es: „Politische Ereignisse mischen sich mit kulturellen und die Frage ergibt sich, ob sich diese Ereignisse überhaupt nach Kultur einerseits und Politik andererseits sortieren lassen.“ Kultur sei wesentlich politisch, Politik abhängig von Kultur. Der Aktionstag von c3 bot ein Forum, aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse, kritische Gegenentwürfe und geheime Hoffnungen hinsichtlich einer kritischen audio-visuellen Medienarbeit und Medienkunst zu diskutieren. Die zentrale Frage war: Wie kann man anhand von Kunstinstallationen sowohl die Überwachungs- und Kontrolltechnologien als auch andere repressive Praktiken im öffentlichen Raum transparent machen? Ausgehend von dieser Frage debattierte man über Form und Inhalt von Videoarbeiten, ihre Bild- und Repräsentationspolitik, sowie Produktionsweisen, Distributionswege und Rezeptionszusammenhänge. Das Medium Video sollte an seinen hybriden Schnittstellen zu anderen Medien und Einsatzformen (Video im Netz, im Kunst/PerformanceBereich etc.), real/hyperreal sowie in seiner ambivalenten Position zwischen privat und öffentlich (Trash- und Heimvideo, Videoüberwachung) untersucht werden. Die Frage war: Inwieweit bieten diese eigentümlichen medial-künstlerischen Einsatzformen einen Raum für eine subversiv-kritische Praxis? In einer Selbsterklärung von c3 heißt es, Motivation sei, den Agitationsrahmen eigener Betroffenheit zu verlassen, eigene Kritik öffentlich zu machen und der Frage nachzugehen, wie sich diese Kritik im Bereich der Kunst, Kultur und Politik gestalten lässt. In einem Programm der Aktionswoche heißt es:

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STEPHAN MOEBIUS „Denn wenn die Eroberung der Macht nach den Erfahrungen der real-sozialistischen Staaten tatsächlich kein Ziel mehr darstellt und wenn die Vorstellung einer Ordnung, in der sich Herrschaft tatsächlich auflöst, unter Berücksichtigung eines modernen Machtbegriffs (Macht als permanente, diskursive Einschreibung in alle Verhältnisse und Beziehungen) zurückgewiesen werden muss, dann kann Emanzipation heute nur als eine anhaltende Aufgabe radikaler Machtbegrenzung begriffen werden. Es geht demnach nicht mehr um die Abb.1: Loesje-Plakat Gegenöffentlichkeit(en), sondern um flexible Taktiken und Strategien, mittels derer den Strategien der Macht immer wieder wirkungsvoll im Sinne einer Herrschaftsbegrenzung entgegengetreten werden kann. Für eine linke Medienarbeit heißt dies zwar nicht, auf die Foren und Organe einer Selbstverständigung, auf ,unsere‘ Medien, gänzlich zu verzichten, aber eine taktische Medienarbeit müsste verstärkt versuchen, Nischen in den hegemonialen Kanälen kurzfristig zu besetzen, den Kampf um die Schnelligkeit/ Schnelllebigkeit der Informationen aufzunehmen, die herrschenden Diskurse und Images zu sabotieren, sowie mit eigenen Logos und PR-Strategien offene netzwerkartige Bündnisse zu schaffen.“

Deutlich werden die Bezüge zu Foucaults Machttheorie und die wesentlichen Formen politischer Kunst wie Medienvielfalt, multiplikatorische Massenmedien, Kollektivität und Werbe-Kampagnen. Es galt, die vorhandenen Mittel künstlerischen oder auch werbemäßigen Ausdrucks wie Filme, Videos oder Plakate kritisch zu nutzen. Zu letzterem Aspekt gehören auch die Arbeiten von „Loesje“, eine weltweit vernetzte Gruppe, die sich auch bei der Aktionswoche beteiligte (Abb. 1). Zu Ihren Plakaten schreiben die Künstlerinnen und Künstler von Loesje: „Die Fotos, die zusammen mit den Loesje-Plakaten ausgestellt bzw. plakatiert werden, sind unabhängig von den Sprüchen entstanden. Loesjes Idee der Rückeroberung des öffentlichen Raumes deckt sich aber mit dem, was wir mit den Fotos wollen. Fotos im öffentlichen Raum sind fast ausschließlich Werbeträger, die zum Kaufen animieren sollen, und dementsprechend sind auch die Menschen, die abgebildet werden, immer jung, sexy und up-to-date. Wir wol-

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DIE AUFHEBUNG DER KUNST IN LEBENSPRAXIS len in unseren Bildern andere Inhalte und Aspekte zeigen, die über pure Ästhetik hinausgehen; die nicht kommerziell sind. Loesje steht für Kreativität, Kommunikation sowie Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung.“8

In den unterschiedlichen Installationen, Bildern, Videos und Digitalprojekten ließ sich der avantgardistische Impuls entdecken, Kunst aus ihrem gleichsam autonomen Status in einen politischen Ausdruck zu überführen, die Sphären zu entdifferenzieren, um damit Folgen für das Soziale zu zeitigen und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Besonders interessant scheint mir, dass im Zusammenhang der eben kurz dargestellten Performances eine Art postmoderne Politikform, die Resignifizierung, erprobt wurde. Das meint: Die Kritiken an Videoüberwachung wurden mit Videos selbst durchgeführt. Es wurde öffentlicher Raum eingenommen und anders besetzt. Video ist eben nicht nur einfach ein repressives Medium, sondern in ihm liegt auch die Möglichkeit zur Kritik. Postmoderne Kunst verkehrt sich dann eben nicht nur in eine „Ästhetisierung des Alltags“, sondern sie vermag auch neue Möglichkeiten des Alltäglichen auszuloten und zu eröffnen. Das Ziel der hier vorgestellten postmodernen Kunstbewegungen und -projekte ist es – gleichsam wie bei ihren Vorgängern der historischen Avantgarde – weniger, Kunst in Museen zu präsentieren, als vielmehr die Institution Kunst in die alltägliche Lebenspraxis und alltäglich verwendeten Kommunikations- und Informations-Medien übergehen zu lassen, ehemals getrennte Sphären zu entdifferenzieren und damit neue Lebenspraktiken, Wahrnehmungsmuster und soziale Verhältnisse zu konstituieren. „Postmoderne“ ist vielfach – um es mit Foucault zu sagen die „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“. Bereits 1927 sah Pierre Naville voraus, dass die Avantgarde ihr Ziel einer veränderten Lebenspraxis so hoch setzte, dass der Sieg vielleicht niemals erreicht werden könne. Ob die Avantgardebewegungen mit ihren verzweifelten Versuchen einer rigorosen Revolutionierung des Lebens scheiterten, ist aber längst noch nicht ausgemacht. Der maßgeblich von den Avantgardebewegungen forcierte Angriff auf den Autonomiestatus der Kunst ist aus der Kunst nicht mehr wegzudenken. Die Kunst hat sich seitdem zunehmend nach ihrem Status und ihrer Funktion in der Gesellschaft zu fragen. Wie der Beitrag zeigen wollte, erstreckt sich die gegenwärtige Aktualität der Avantgardebewegungen sowohl auf die philosophischen als auch auf die künstlerischen Ebenen. Und vielleicht ist es gerade das Wesen der von der Avantgarde inspirierten postmodernen 8 Siehe www.loesje.de

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Kunst, nicht eine absolut neue Kunst zu sein, sondern vielmehr eine veränderte Einstellung sowohl zur Kunst als auch zur Gesellschaft zu forcieren.

LITERATUR Asholt, W./Fähnders, W. (Hg.) (1997): „Die ganze Welt ist eine Manifestation“. Die europäische Avantgarde und ihre Manifeste, Darmstadt: WBG. Benjamin, W. (1996): „Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz“. In: Opitz, M. (Hg.): Walter Benjamin. Ein Lesebuch, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 149-164. Benjamin, W. (1996b): „Erfahrung und Armut“. In: Opitz, M. (Hg.): Walter Benjamin. Ein Lesebuch, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 618-623. Breton, A. (2001): Die Manifeste des Surrealismus, Reinbek: Rowohlt. Bürger, P. (1996: 186): Der französische Surrealismus. Studien zur avantgardistischen Literatur. Um Neue Studien erweiterte Ausgabe, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Bürger, P. (1974): Theorie der Avantgarde, Frankfurt/M. Suhrkamp. Bürger, P. (1999): Ursprung postmodernen Denkens, Weilerwist: Velbrück. Bürger, P. (2001): Das Altern der Moderne. Schriften zur bildenden Kunst, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Derrida, J. (2003): Artaud Moma, Wien. Passagen. Doesburg, T.v. (1964 [1923]): „Was ist Dada?“ In: Huelsenbeck, R. (1964): Dada – eine literarische Dokumentation, Reinbek: Rowohlt, S. 41-46. Foucault, M. (1985): Von der Freundschaft, Berlin: Merve. Foucault, M. (1988): „Das war ein Schwimmer zwischen zwei Wörtern“. Der Pfahl. Jahrbuch aus dem Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft Band II. München 1988, S. 215-218. Hülk, H. (2005): „Jacques Lacans surrealistische Liaison/Läsion. In: Maurer Queipo, I./Rissler-Pipka, N./Roloff, V. (Hg.): Die grausamen Spiele des ‚Minotaure‘. Bielefeld: transcript, S. 71-82.

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Huyssen, A. (1997): „Postmoderne – eine amerikanische Internationale?“. In: Huyssen, A./Scherpe, K. (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Reinbek: Rowohlt, S. 13-44. Kohl, K.-H. (2003): Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München: C. H. Beck. Lefèbvre, H. (1976): Kritik des Alltagslebens, München: Hanser. Lindner, B. (1976): „Aufhebung der Kunst in Lebenspraxis? Über die Aktualität der Auseinandersetzung mit den historischen Avantgardebewegungen“ In: Lüdke, W. M. (Hg.): „Theorie der Avantgarde“. Antworten auf Peter Bürgers Bestimmung von Kunst und bürgerlicher Gesellschaft, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 72-104. Lyotard, J.-F. (1985): Immaterialität und Postmoderne, Berlin: Merve. Moebius, S./Wetzel, D. (Hg.): Absolute Jacques Derrida, Freiburg i.Br.: Orange Press. Moebius, S. (2006): Die Zauberlehrlinge. Soziologiegeschichte des Collège de Sociologie, Konstanz: UVK. Müller, M. et al. (1972): Autonomie der Kunst. Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Welsch, W. (1993): Unsere postmoderne Moderne, Berlin: AkademieVerlag. Wohlfahrt, I. (2003): „A un passant. Anläßlich seiner passage ParisFrankfurt und des ausbleibenden Werks“. In: Derrida, J.: Fichus. Frankfurter Rede, Wien: Passagen, S. 43-82.

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STRATEGIE UND EIGENSINN Kunstvereine als Modellinstitutionen für den Umgang mit Gegenwartskunst Stephan Berg

Prolog Natürlich ist die Rede von der grenzenlosen Freiheit, die insbesondere die westliche Gesellschaft so gerne zu ihrer Selbstbeschreibung verwendet, nie etwas anderes als ein Fantasma gewesen, mit dem wir die in unseren Zusammenhängen wirksame ausgeklügelte Mechanik an Normen, Zwängen, Geboten und Selbstregulierungen romantisch verbrämen. Insofern macht die Verwendung des Begriffs Freiheit ohnehin nur Sinn, wenn man ihn in Bezug setzt zu ihren Grenzen, die Freiheit also quasi ex negativo, aus dem heraus begreift, was sie gerade nicht leistet, beziehungsweise bietet. Wenn man also nach den Grenzen der Freiheit im musealen Betrieb fragt, rennt man insofern offene Türen ein, als überhaupt die gesamte Entwicklung der Kunst bis hin zu ihrer versuchten Autonomisierung stets nur aus ihrem Verhältnis zu vorhandenen Begrenzungen begriffen werden kann, auf deren Überwindung wiederum neue, andere Hürden und Grenzen folgen. Selbst die massiv seit Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzende Erweiterung des Kunstbegriffs, das Einsickern der Kunst in die letzten Ritzen der Alltagswirklichkeit, ist vor diesem Hintergrund nicht nur Ausdruck einer Befreiung, sondern verbindet sich alsbald mit dem Bewusstsein um die Notwendigkeit noch subtilerer Grenzziehungen. Unter Anerkennung der Tatsache, dass Kunst selbst dann – als in den Alltag eingeflossene Alltagsgeste – als solche benennbar, erkennbar und damit schlussendlich auch ökonomisierbar bleiben muss, bleibt ihr nichts anderes übrig als auf eine definitorische Verfestigung ihrer eigenen Kontextualität zu pochen, nach der Kunst letztlich das ist, was der professionelle Betrieb dazu erklärt.

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Wenn die Freiheit der Kunst also immer nur im Verhältnis zu dem zu sehen ist, wovon sie sich abhebt, dann gehört notwendig zu ihr ein Moment der Ausschließung. Diese Ausschließung betrifft, wie die Geschichte gezeigt hat, temporär und wechselnd sowohl ästhetische Ausdrucksformen wie gesellschaftliche Modelle. Da sie zur Grundlage künstlerischen Handelns gehört, ist sie logischerweise immer auch Bestandteil des Kunstbetriebs, der mit diesen ästhetischen, künstlerischen Modellen der Ein- und Ausschließung umgeht, wie sie angefangen bei der Avantgarde-Debatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, über den Futurismus, der Doktrin Clement Greenbergs, der Minimalbewegung bis hin zu den so genannten „Neuen Wilden“, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, deutlich wurden. Dies bedeutet nun keineswegs, dass es müßig wäre sich mit der Grundfrage nach den Grenzen der musealen Präsentation zu beschäftigen, nur sollte dies eben in dem Bewusstsein geschehen, dass von vornherein weder die Struktur der Kunst, noch die des Betriebes in der Lage sind, eine panoramatische Totalität ihres Geschehens abzubilden. Gerade weil Kunst von außen gesehen scheinbar alles darf, erlegt sie sich aus ihrer eigenen Binnenperspektive eine Fülle von Codes, Regeln und Ritualen auf, die de facto dazu führen, dass ihre wiederum von außen gesehen polyvalent pluralistische Struktur nach innen als streng gegliederte Systematik erscheint, die allein von Hyperexperten noch adäquat begriffen und verdeutlicht werden kann. In diesen Zusammenhang gehören die zahlreichen Versuche, dem gegenwärtigen, enorm verzweigten und labyrinthischen Diskurs Signaturen aufzuprägen, welche die tatsächliche Unübersichtlichkeit des Geschehens durch die Etablierung von neuen Trends zu kontern versuchen, denen qua Opinion-Leaders der Charakter von absoluter Verbindlichkeit zugesprochen wird. Zu diesen sozusagen innerbetrieblichen Ansätzen, mit Hilfe der offensiven Etikettierung von tatsächlich entstehenden oder gemachten Trends (deren Halbwertszeit meist nur wenige Jahre beträgt), das System zu steuern und gleichzeitig nach außen adressierbarer zu machen, treten politisch-gesellschaftliche Momente der Ein- und Ausschließung. Zumeist handelt es sich dabei um reale oder vermeintliche künstlerische Tabuverletzungen (beispielsweise Maurizio Cattelans Arbeit über den von einem Meteoriten erschlagenen Papst („La nona ora“), Andreas Serranos „Pissing Christ“ oder Chris Ofilis Elefantendung-Madonna, bei denen die Politik reflexartig mit Zensurforderungen auf das reagiert, was

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nach ihrer Meinung den Rahmen des gesellschaftlich Tolerierten überschreitet: Generell lässt sich sagen, dass diese versuchten Ausgrenzungen auf lange Sicht eher für eine größere Beachtung und auch für einen gesteigerten Marktwert des betroffenen Künstlers gesorgt haben, als für seine Ächtung. Mich interessiert dabei nicht so sehr, noch einmal in aller Ausführlichkeit zu zeigen, dass es all diese Trendgenerierungen, Tabuthemen und Ausblendungen gibt (mit natürlich zum Teil fatalen Ergebnissen). Vielmehr geht es darum, dem Phänomen nachzugehen, wo innerhalb dieses Systems produktive Möglichkeiten liegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir zumindest diskutierenswert, ob sich, wie behauptet, die Sammlung des MoMa mit seinem gleichberechtigten Nebeneinander verschiedenster Gattungen (Architektur, Möbel, Design, Druckwerke, Bildkunst etc.) tatsächlich als positiver Gegenentwurf zu europäischen musealen Sammlungskonzeptionen behaupten lässt. Dem steht erstens die Beobachtung gegenüber, dass natürlich auch in Mitteleuropa spätestens seit den 70er Jahren Alltag und Alltagswelt massiv in die Museen und Ausstellungshallen eingezogen ist. Vor allem aber argumentiert natürlich auch das MoMa und die amerikanische Museumspolitik im hohen Maße ideologisch bei der definitorischen Festschreibung dessen, was museumswürdig ist. Und: Sowohl MoMa wie auch Guggenheim befleißigen sich seit längerem einer Ausstellungspolitik, die betont auf Eventmaximierung setzt, und damit im Grunde eben nicht an einer wissenschaftlich-kritischen Aufarbeitung des künstlerischen Gesamtdiskurses arbeitet, sondern unverhohlen den mainstreamkompatiblen Massenerfolg sucht.

Der Betrieb Der Düsseldorfer Künstler Bogomir Ecker hat in einem Vortrag im Kunstverein Hannover behauptet, wer den Kunstbetrieb – den er als größte Dichte an schlechter Laune bezeichnete, die man sich überhaupt vorstellen könne – wer also diesen Kunstbetrieb zu ernst nähme, wäre langfristig verloren. Dahinter steht die Hoffnung, dass es sehr wohl möglich ist, vorbei an allen Institutionen, vorbei an herrschenden ästhetischen Paradigmen, an allen Systemschaltern die eigene Arbeit derart zu veröffentlichen, dass sie wahrgenommen wird und eine gewisse Wirkung zeigt“ (Ecker). Was hier angesprochen wird, ist eine idealistische Hoffnung. Ihr folgend bleibt die Kunst ein jedenfalls substanziell auto-

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nomer Akt, der sich sui generis und notfalls auch ohne die Mechanismen des Betriebes behauptet und durchsetzt. Diese idealistische Lesart muss mit dem klassischen Antagonismus von wahrer Kunst und der Kunst als Ware arbeiten. Die wahre Kunst ist demnach die, die sich gegen die Formen von Vernutzung, Kapitalisierung und glatte Eventgängigkeit sträubt, wie sie der gegenwärtige Betrieb in seinem gefräßigen Merkantilisierungsprozess hervorbringt, um damit die wahre Kunst in die Ware Kunst zu verwandeln. Michael Lingner, Professor an der Hochschule für die bildenden Künste in Hamburg, hat unter dem programmatischen Titel „Abgewirtschaftete Autonomie?“ eben diese vollständige Ökonomisierung des Ästhetischen zutiefst kritisiert, weil sie den Verlust ästhetischer Selbstbestimmung bedeutet und zudem, so Lingner, mittlerweile dazu geführt hat, dass „je weiter der Autonomieverlust faktisch fortschreitet, desto rigider und raffinierter […] im Kunstsystem so operiert (wird), als ob das bürgerliche Konzept der Kunstautonomie ungebrochen fortbestünde“. Die Argumentation die hier anklingt, kennen wir alle und unterschreiben sie – jedenfalls mehrheitlich, wohl schon deswegen gerne, weil in ihr – Lingner hat das Stichwort geliefert – der Horizont eines bürgerlichen Kulturverständnisses deutlich wird, das sich erstmals in dieser Form im 19. Jahrhundert gebildet hatte – und nach wie vor unser Denken beherrscht. Seitdem irrlichtert durch die Debatte die These, Kunst und Markt seien erbitterte Gegner oder müssten es zumindest sein. Das bedeutet bis heute auch: jeder ökonomisch erfolgreiche Künstler hat es nicht nur im Betrieb geschafft, sondern wird gleichermaßen auch von diesem Betrieb misstrauisch bezüglich der Seriosität seines künstlerischen Konzeptes beäugt, weil – eingestanden oder uneingestanden – ein originär künstlerisches Konzept immer noch als unvereinbar mit totaler Vermarktbarkeit gesehen wird. Dabei wissen wir andererseits genau, dass der Versuch die Pragmatik künstlerischer Arbeit zu autonomisieren, sie also aus der Mechanik merkantiler Vernutzung herauszulösen und als das schlechthin „Andere“ zu behaupten, genauso bizarr und lebensfern wäre, wie die Behauptung, dass sich die Möglichkeiten produktiver künstlerischer Arbeit erledigt hätten, angesichts der Totalität eines Marktprinzips, das fähig und willens ist, alles in Ware zu verwandeln. Insofern muss man mittlerweile akzeptieren, dass der Markt und seine merkantil bestimmten Selektionskriterien eben nie nur als Hemmschuh für ästhetische Entwicklungen fungieren, sondern zumindest potenziell auch als Katalysator und Ermöglicher. Die Feststellung Walter Grasskamps, wonach „nichts die

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Wahrnehmung von Kunst so nachdrücklich verändert habe, wie ihre offensive Vermarktung, die 1967 mit der Kölner Kunstmesse begann“, müsste insofern um die Bemerkung erweitert werden, dass diese Vermarktung in sich selbst wiederum gebrochen funktioniert: als gnadenlose Anpassung an und als Auspressen jedes formierten Trends einerseits, aber auch als Sichtbarmachung ästhetischer Paradigmen, die erst in der kommerziell möglichen Horizontbreite im gesellschaftlichen Diskurs ihre prägende Wirkung entfalten können. Der Berliner Galerist Michael Krome beurteilt denn auch die Frage nach der Position des Galeristen zwischen glatter Markteffizienz und kritischer Inhaltlichkeit (im Sinne der Bewahrung des Eigenwertes der Kunst) in durchaus ambivalenter Weise: „Ist die Tatsache, dass zeitgenössische Kunst auch glamourös, sexy und gesellschaftlich attraktiv sein kann eine contradictio in adjecto oder muss sich vielmehr nicht auch der Modus und Habitus des Kritischen hinterfragen lassen?“ und: „Die diffizilen und immer mehr sophisticated werdenden Verlockungen des Marktes sind ausdifferenzierter geworden, so dass eine Polarität längst nicht mehr deutlich ist. Insofern können auch Strategien radikaler Affirmation sehr wohl zum intendierten und kritischen Effekt führen“.

Der Kunstverein als produktives Modell zur Handhabung der Situation Thomas Wagner, Kunstkritiker der FAZ, hat einmal die Situation der Kunstvereine mit der eines Zentauren verglichen, der versucht vom Pferd zu steigen und damit ein sehr schönes Bild für die zwischen allen Stühlen angesiedelte Realität dieser Institution gefunden. Tatsächlich, so meine These, ist es diese Zerreißprobe, der Kunstvereine permanent ausgesetzt sind, die sie nicht nur überlebensfähig macht, sondern sie auch in besonderer Form dafür prädestiniert im Spannungsfeld zwischen den Eigengesetzlichkeiten der Kunst und dem Schutzraum, den sie benötigt einerseits, und der strategischen Positionierung dieser künstlerischen Inhalte andererseits, die immer auch eine strategische Positionierung der eigenen Institution mit einschließt, flexibel und erfolgreich zu navigieren. Ein wesentlicher Grund dafür ist ihre Organisationsstruktur: Als private Mitgliedervereine erhalten sie allenfalls Zuschüsse der öffentlichen Hand, die in der Regel nur einen kleineren Teil der Gesamtkosten abdecken. Die offensive Einwerbung von Sponsormitteln (oft bis zu 100 % des Ausstellungsetats) ist für sie folglich längst eine Selbstverständlich-

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keit. So verkörpern sie präzise das Modell einer Public-Private-Partnership, die mittlerweile zumal von Politikern gern als Allheilmittel für die Sanierung der daniederliegenden Kulturhaushalte gepriesen wird. In den Kunstvereinen spiegelt sich beispielhaft die oben beschriebene Situation der Kunst und des Betriebs zwischen strategischer Vernutzung und autonomer Selbstbestimmung (Mitgliederverein). Als bürgerliche Gründungen gehört die Interessensvertretung für eine Kunst, die sich schneller Vernutzung und glatter Marktkompatibilität entzieht, strukturell zu ihrem Grundauftrag. Als Ausstellungsinstitute, die sich aufgrund ihrer Finanzierungsstruktur stets in weitgehenderer Weise als jedes Museum oder städtische Galerie um ihre Basisfinanzierung kümmern müssen, ist ihnen die Notwendigkeit mit den Gesetzen des Marktbetriebes strategisch und erfolgreich umzugehen, aber mindestens ebenso vertraut. Ihre schlanke Logistik mit extrem kurzen Abstimmungs- und Entscheidungswegen sorgt auch dafür, dass Kunstvereine auf die Geschwindigkeit des heutigen globalen Kunstgeschehens sehr schnell reagieren können. Da sie zudem, anders als die Museen, nicht abhängig sind von jeweiligen Sammlungskontexten und auch nur am Rande in die bürokratische Verwaltungsstruktur der Kommunen oder Länder eingebunden sind, können sie allein schon aufgrund ihrer organisatorischen Verfasstheit das breite Feld des gegenwärtigen Kunstgeschehens schneller und effektiver abdecken, als ihre musealen Mitkonkurrenten. Der Kunstverein Hannover, 1832 gegründet und damit nicht nur einer der ältesten, sondern auch einer der bedeutendsten Kunstvereine in der Bundesrepublik, hat dieses weiter oben skizzierte Spannungsfeld, zwischen strategischer Positionierung und Verpflichtung gegenüber einer auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst pochenden inhaltlichen Programmatik, in besonderer Weise zur Grundlage seines Handelns gemacht. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung von Jahresprogrammen nach spezifischen thematischen Fragestellungen. Mit Jahresprogrammen, die sich dem Verhältnis zwischen Architektur, Skulptur und Modell (2001) ebenso widmeten, wie Aspekten der Theatralisierung in der Gegenwartskunst (2002) oder der Untersuchung der Bedingungen von Subjektkonstitution zwischen Orientierung und Identität (2003), ist es dem Verein gelungen virulente Themen gegenwärtiger internationaler Kunstpraxis nicht nur aufzugreifen, sondern prismatisch zu fokussieren. Strukturell arbeitet der Verein dabei auf drei unterschiedlichen und doch eng miteinander verzahnten Ebenen.

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Die erste Ebene ist der Arbeit vor und für den konkreten Ort gewidmet und beinhaltet eine alle zwei Jahre stattfindende Übersichtsausstellung zur niedersächsischen Kunst. Mit ihrer weit über 100 Jahre alten Tradition stellt die „Herbstausstellung“ nicht nur die niedersachsenweit einzige regelmäßige Leistungsschau zu dieser Kunstlandschaft dar. Sie ist darüber hinaus auch das zentrale Archiv der Entwicklung und der Potentiale dieser Region geworden. Mit dem „Preis des Kunstvereins Hannover“ leistet der Verein seit Anfang der 80er Jahre einen wichtigen Beitrag zur Förderung niedersächsischer Nachwuchskunst. Der von der niedersächsischen Lottostiftung und der Firmengruppe Gundlach getragene Preis, der an ein zweijähriges Aufenthaltsstipendium in der so genannten „Villa Minimo“ und eine Ausstellung im Kunstverein geknüpft ist, hat sich im Lauf seiner Geschichte zum wichtigsten Nachwuchsstipendium des Landes entwickelt. Mit unserer 2004 initiierten Reihe „Plattform“ richten wir zudem unser Augenmerk verstärkt auf die Schnittstelle zwischen künstlerischer Ausbildung, Lehre und Ausstellungsbetrieb, und bieten den Hochschulen in Hannover und Braunschweig (2006 auch den Hochschulen im gesamten Bundesgebiet) die Möglichkeit, sich mit ihren Professoren und Studierenden in unseren Räumen in Workshop-Präsentationen vorzustellen. Auf der zweiten Ebene fungiert der Verein als Plattform für die ersten zusammenfassenden Präsentationen jüngerer nationaler und internationaler Künstler und als Schaufenster für große, monografische Auftritte international arrivierter Künstlerstars. Mit diesen stets spezifisch auf unsere Räume hin angelegten und von anspruchsvollen Publikationen begleiteten Ausstellungen, hat sich der Kunstverein Hannover in den letzten zehn Jahren zu einer der weit über Deutschland hinaus wahrgenommenen ersten Adressen im gegenwärtigen Kunstbetrieb entwickelt. Auf der dritten Ebene sorgen die das Jahr begleitenden thematischen Fragestellungen für die innere Kohärenz des Programms und seine diskursive Attraktivität. Die Vernetzung der Einzelprojekte zu einer organischen, interdependenten Struktur schafft so die Voraussetzung dafür, die Ausstellungsfolgen als paradigmatische Visualisierungen zentraler Fragestellungen innerhalb der Gegenwartskunst zu begreifen.

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ZWISCHEN SKANDALISIERUNG UND VERDRÄNGUNG: B I L D W E L T E N D E R DDR I N A U S S T E L L U N G E N U N D M U S E E N N A C H 1989 Karl-Siegbert Rehberg

Vorbemerkung Der Aufstieg der Museen zu einer eigenständigen Institution führte zu einer Eigenlogik der Präsentation und Inszenierungen der gezeigten Objekte. Nachdem der Kupferstecher Christian von Mechel, der 1778 die Düsseldorfer Galerie als „sichtbare Geschichte der Kunst“ abgebildet und die historische Hängung in Wien und Berlin einführte, den Bildern ihren wissenschaftlich legitimierten Platz (variiert durch regionale „Eigengeschichten“ und künstlerische „Schulen“) zugewiesen hatte, wurde das Museum auch zur Bildungsanstalt, zum Ort einer sichtbaren und belehrenden Geschichte. Die Erhöhung der Museen zu „Kunsttempeln“ tat ein Übriges, sie zu Orten nicht nur des Überlebens, sondern fiktiver Ewigkeiten zu machen und vor diesem Hintergrund wurden sie selbstverständlich auch zu Instanzen der berechtigten Macht über den Zugang – wie das bei jedem ‚Himmel‘ der Fall ist. Selektionsmacht ist also eine Selbstverständlichkeit, zumeist geleitet von Tradierungsideen. Und deswegen ist die „permanente Avantgardisierung“ des Museums (wie Lutz Hieber das für das New Yorker MoMA formuliert hat) selbst schon wieder eine voraussetzungsvolle Verschiebung der Selbstdefinition der Museen, welche die Veränderung des Werkbegriffs ebenso voraussetzt wie eine Neujustierung der Beziehung zwischen der situationsgebundenen Kreativität und Präsenz des künstlerischen Aktes auf der einen und der Einschreibung in die Medien kunsthistorischer Erinnerung auf der anderen Seite. Und so liegt eine zeitgenössische Paradoxie darin, dass die Kunstprozesse sich der Musealisierung entziehen und die Künstlerinnen und Künstler sich – auch nach dem viel beschworenen „Tod des Autors“ – doch alle in den Museen wieder finden wollen, so dass selbst so flüchtige Ereignisse wie eine über einen Server beim MIT geleitete Global-

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vernetzung von e-mail-Künsten zumindest auf Datenträgern in den Olymp des MoMA erhoben werden – auch wenn das nur zu einem Eintrag in eine selbst schon schier endlose Namensliste führt. Dass die deutschen Museen sich gegen derart riskante Öffnungen nach vorne wehren, ist das Schwerpunktthema der Diskussion. Ich nun will von dem umgekehrten Fall sprechen, dass nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der mit ihm genuin verbundenen Geltungskunst des Sozialistischen Realismus die Museen sich sehr schnell modernisiert oder re-avantgardisiert haben. In diesem Zusammenhang wurde zumindest den ostdeutschen Museen Traditionsbruch und hektisches Vergessen vorgeworfen, eine rigorose Verdrängung der Bestände, die sie vor 1989 so eindeutig in den Mittelpunkt gerückt hatten.

Schauprozesse für die Künste? Die Auflösung der staatssozialistischen Systeme hat – besonders im Falle des Zusammenbruchs der DDR und der ihr folgenden deutschen Wiedervereinigung – die modernen Kunstinszenierungen um eine wichtige ‚Gegenprobe‘ bereichert, nämlich um die der „Dokumentationsausstellung“, welche von den Ostdeutschen vielfach so erlebt wurde, dass die einstigen Leit-Bilder nun an den Pranger gestellt würden. Umgekehrt wurde die Einbeziehung einstmals repräsentativer DDR-Werke in die museale Präsentation der als „fortschrittlich“ und „autonom“ sich verstehenden Moderne von jenen zum Skandal erklärt, die während des sozialistischen Großexperiments genau an diesem Maßstab hatten festhalten wollen und sehr oft eine künstlerische Randexistenz hatten führen müssen. Das belegt vor allem der Streit um die Neuhängung der Sammlung der Neuen Nationalgalerie zu Berlin im Jahre 1994 (Abb. 1), deren damaliger Direktor, Dieter Honisch (selbst ein Verfechter konkreter Kunst), es sich zur Pflicht machte, die Bestände des Ostberliner Hauses (die zu DDR-Zeiten das ganze Obergeschoss des Alten Museums von Schinkel ausgefüllt hatten) in die Sammlung Abb. 1: Neue Nationalgalerie Berlin im Mies-van-der-Rohe-Bau zu

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integrieren, also eine Vereinigung auch der Bilder zu fördern. So konfrontierte er reißverschlussartig Willi Sittes „Leuna 1921“ (1965/66) mit dem Werk des Düsseldorfer Malers Konrad Klapheck „Glanz und Elend der Reformen“ (1971/75) oder Hubertus Giebe mit Francis Bacon.1 Die Aufregung von allen Seiten war enorm. Der Berliner Kunstwissenschaftler Christoph Tannert sprach aus dissidentischer Sicht vom „heuchlerischen Argument der Versöhnung“. Derlei „Ehrenrettung der DDR-Staatskunst durch nachträgliche Aufsockelung auf neudeutschem Niveau [erweise sich als] kunsthistorischer Irrtum“ (Tannert 1994). Und Andreas Hüneke aus Potsdam belegte seine „Reißverschlussallergie“, indem er ins Gedächtnis rief: „Nachdem uns 1990/91 gesagt wurde, die Kunst aus der DDR sei durchweg provinzlerisch, werden uns jetzt die heiligen Kühe der SED-Kulturpolitiker wieder zur Adoration vor Augen gestellt“ (Hüneke 1994). Damit spielte er auf den Bilderstreit an, den Georg Baselitz zuerst aggressiv intoniert hatte (vgl. Baselitz 1990), der in den folgenden Jahren jedoch noch verschärft wurde. Tannert hatte bereits kurz nach der „Wende“ und gemeinsam mit Gabriele Muschter, Lutz Dammbeck sowie Via & Pia Lewandowsky gegen die Wiederkehr der DDR-Ikonen das Statut eines „Vereins der Überlebenstrainer der Neuen Nationalgalerie“ entworfen und in diesem dadaistischen Manifest das „Abstandsverhalten zu Künstlern aus der ehemaligen DDR“ (Müller 1994) zur Grundlage der Bewertung ihrer Kunstwerke gemacht. Nicht minder wütend – und ihrer institutionellen Bedeutung wegen viel gefährlicher – waren Reaktionen Einzelner aus dem – wie Eduard Beaucamp formulierte – „etwas versnobtem, auf konsumgerechte Westkunst dressierten ‚Verein der Freunde der Nationalgalerie‘“, die diesen „Dreck“ nicht sehen wollten (Beaucamp 1994). Und die Berliner CDU 1 Nicht nur im scheiternden Integrationsversuch von Dieter Honisch 1994 zeigte sich, dass die Neue Nationalgalerie zu Berlin den Wiedervereinigungsauftrag ernst nahm. Ihr späterer Generaldirektor Peter-Klaus Schuster hatte in seiner „Jahrhundertausstellung“ 1999/2000 „den Mut, Nay und Sitte als Antipoden der beiden deutschen Kunstentwicklungen auf offener Bühne zu konfrontieren“, bevor es den Nationalgalerie-Kustoden Roland März und Eugen Blume 2003 schließlich gelang, mit der zur „Ausstellung des Jahres“ gekürten Retrospektive „Kunst in der DDR“ eine Versachlichung im „deutsch-deutschen Bilderstreit“ zu erreichen. Neben der Neuen Nationalgalerie zu Berlin machte sich ebenso Herwig Guratzsch (ein früherer Dissident und DDR-Opfer mit Bautzen-Haft-Erfahrung) um die Präsentation der Leipziger Malerei verdient; Beaucamp, Eduard (2003): Der Bilderstreit. In: Blume, Eugen/März, Roland (2003: 107-117, hier: 112).

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veranstaltete im Abgeordnetenhaus eine Anhörung, in der man die Nationalgalerie in eine „Parteischule“ verwandelt sah und befürchtete, die „skandalöse DDR-Kunst gefährde Berlins guten Ruf“. Und wenn die Kunstfreiheit auch zugestanden wurde, behielt sich der CDU-Sprecher Uwe Lehmann-Brauns doch eine Prüfungsverantwortung der Politik vor. Honisch reagierte darauf mit der Bemerkung, „zweimal seien hier [wenn man nur an West-Berlin denkt] Bilder abgehängt worden, durch Wilhelm II. und die Nazis: ein drittes Mal werde er das verhindern“ (ebd.). In derlei Kontroversen offenbarte sich Grundsätzliches. Einer der glühendsten Verteidiger der Ostmalerei, Eduard Beaucamp von der FAZ, fasste das pointiert so zusammen: „Die Kunstszene, die sich viel darauf zugute hält, im Jahrhundert der Moderne den Moralismus überwunden zu haben, und die in ihren eigenen Manövern und Vernetzungen höchst undurchsichtig und skrupellos operiert, insistierte plötzlich auf politischmoralischer Korrektheit“. Ein Vorgeschmack seien die Reaktionen auf die Übersiedlung des Leipzigers Volker Stelzmann 1986 nach Berlin gewesen, dessen Berufung an die Westberliner Kunsthochschule Baselitz mit der Kündigung seiner Professur beantwortete, gefolgt von prominenten Kollegen: „Wieder waren westdeutsche Malerfürsten Wortführer der Fronde“ (Beaucamp 2003: 111). Dem Versuch einer rein ästhetischen Einfügung der in der DDR entstandenen Kunstwerke in die Präsentation der Moderne folgten Ausstellungen, die auch beim Publikum oft Empörung auslösten (vgl. Kaiser 2000). Das belegten schon 1995 die Reaktionen auf die Ausstellung „Auftrag: Kunst“, die im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wurde. Bis heute wird diese Dokumentationsausstellung, in der für jedes Jahr der DDR-Geschichte je ein Auftragswerk gezeigt wurde, als Tribunal (miss)verstanden, als nachträgliche Erledigung der DDRKünste im Ganzen. Monika Flacke hatte im Katalog zwar sorgfältig die große Variationsbreite sogar schon derjenigen Auftragswerke beschrieben, die nach einem „Montageprinzip“ gezeigt wurden (vgl. Flacke 1995; Flacke 1994). Aber die Zusammenstellung und die (notwendigen) Auslassungen setzten überall Emotionen frei. Sogar Christoph Tannert, mit scharfen Urteilen über die „Durchhalteparolen“ doktrinärer DDRAuftraggeber und -nehmer sonst nicht geizend, fand das „vollkommen ahistorische Zerschneiden der DDR-Kunstgeschichte in 42 bunte Scheibchen“ unzumutbar (Tannert 1995). Jedenfalls wurde die Ausstellung als „Gericht“ empfunden, was sich in manch gekränktem oder gar wütendem Kommentar in den Besucherbüchern ausdrückte, wenn beispielsweise eine Gleichsetzung mit der schändlichen Vernichtungsausstellung

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der Nazis heraufbeschworen wurde: „München 1937: Ausstellung ,Entartete Kunst‘: Eintritt frei – Berlin 1995: Ausstellung ,Auftrag: Kunst‘: Eintritt frei“. Nicht unbeträchtliche Aufregungen löste auch die im November 1998 eröffnete und von Jochen Spielmann verantwortete Präsentation „Rahmen-Wechsel“ im Dokumentationszentrum Kunst der DDR Abb. 2: „Rahmen-Wechsel. Fragen an die auf Burg Beeskow aus Kunstsammlungen der Parteien und (Abb. 2), in der Werke aus Massenorganisationen der DDR“ dem von der Treuhandanstalt zusammengetragenen „Kunstgut“ der Parteien und den gesellschaftlichen Organisationen der DDR gezeigt wurden (vgl. Dokumentationszentrum 1999). Auf engem Raum waren die Bilder ohne Abstand gehängt – wie früher ganz selbstverständlich in Fürstensammlungen oder im Nationalmuseum des Louvre. Aber diese „Petersburger Hängung“ symbolisiert eben nicht mehr das fürstliche Schatzhaus, das durch die Überfülle wirken will. Auch verlangen – wie bereits dargestellt – die Autonomiesteigerung der Künste und die (Selbst-)Erhöhung der Künstler nach auratischer Bildpräsentation und „Rahmung“. Anderenfalls – so kann man (neben manchem Lob) die Mehrheit der Eintragungen ins Beeskower Besucherbuch verstehen – wird die gesamte Exposition als verramschender „Ausverkauf“ aufgefasst. Viele der Besucher empfanden deshalb diese Ausstellung als „unfair“ und „würdelos“, die Künste, mit denen ihr Leben verbunden war, diskriminiert und sich selbst beleidigt: „Da hilft auch kein noch so intellektueller Gedanke“. Manches Bild war ihnen aus Schulbüchern bekannt, andere hatte man auf den zentralen DDR-Kunstausstellungen in Dresden oder in einer der Bezirkskunstausstellungen gesehen. Die bildenden Künste hatten eben einen besonderen Stellenwert im Staatssozialismus, waren „ein Teil unseres Lebens“. Daraus folgte für manchen: „Die Verantwortlichen [aber nicht ehemalige „Kunstpolitiker“, sondern die Beeskower Ausstellungsmacher] sollten

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zur Verantwortung gezogen werden!!!“ (Dokumentationszentrum 1999: 229). Erst recht wurde eine Empörungslawine (aber auch entsprechende Medienaufmerksamkeit) durch den (kalkulierten?) Großskandal um den von Achim Preiß kuratierten NSund DDR-Teil der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ ausgelöst, die 1999 in der europäischen Kultur(haupt)stadt Weimar gezeigt Abb. 3: Weimar 1999 wurde (Abb. 3) (vgl. Bilderstreit 2000; Bothe/Föhl 1999). Als diffamierend („schikanös, bösartig, scheußlich“, sagte Werner Tübke2) wurde auch hier die Hängung empfunden, die für die meisten kein Auswahl- oder Kombinationsprinzip ersichtlich machte – und möglicherweise keines hatte, wenn man der spöttischen Bemerkung von Thomas Föhl glauben will: „Siebenmal haben wir auf- und abgehängt. Auch chronologisch und auf Abstand, doch das sah aus wie Flie2 Zitiert in Rauterberg, Hanno (1999). Den Ausstellungsmachern gegenüber schlug der Großmeister der DDR-Historie Tübke demgegenüber einen höflich-konventionellen Ton an, wenn er am 14.5.1999 mitteilte, aus der ARD-Sendung „Kulturreport“ erfahren zu haben, dass auch Werke von ihm gezeigt würden, ohne dass er – wie üblich – „eine Einladung, einen Katalog und nach Abschluss einen Pressespiegel“ erhalten hätte. Wenn die Ausstellung auch „im negativen Sinne von der Norm abweicht“, sollten doch „die üblichen Gepflogenheiten gewahrt werden“, weshalb Tübke „höflichst um Mitteilung“ bittet, welche seiner Arbeiten vertreten und wer die Leihgeber seien. – Vgl. auch den Leserbrief „Hass erblindet den Sieger“ von Wolfgang Mattheuer in: Die Zeit vom 17.6.1999 [auch in: Der Weimarer Bilderstreit (2000: 211f)], wo dieser die sofortige Abhängung seiner Bilder verlangt, die „ganze Perfidie dieses Unternehmens“ brandmarkt und dem Museumsdirektor Dr. Bothe höhnisch antwortet: „Sie kennen also mein Werk und schätzen es sogar? Grotesk.“ Mattheuer sah in der skandalösen „Show“ eine „bewusste Diffamierung auch meiner Lebensarbeit“ (ebd.: 131f).

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genschiss auf Fußleiste“. Am Ende „haben wir dann unsere Frauen geholt, und die haben uns beraten, wie es wohl am besten aussieht“ (Bilderstreit 2000: 182). Ganz gleich, wie man die political correctness der Bemerkung im Hinblick auf die ehelichen Nothelferinnen empfinden mag, offenbar wurde, dass es sich ums „Dekorative“ zu handeln schien, vergleichbar Gardinenarrangements oder der Postierung von Lampions für ein Sommerfest. Übrigens sahen viele die größte Schmähung der DDR-Künste in der im gleichen Haus gezeigten „Führer-Sammlung“ von NS-Bildern. G. Charles Rump betonte bei der „rotzigen“ Präsentation der Nazikunst („platt auf Pressspan gehängt“) vor allem Hitlers „Verbrüderung mit dem Volksgeschmack“3, was Klaus Höpcke zu der berechtigten Frage veranlasste, ob eine „Häufung banaler Biedermeierei“ nicht dazu beitrage, Hitler sozusagen in Opposition zu der „martialischen und gewaltverherrlichenden Nazi-Kunstpolitik“ zu bringen.4 Fast alle Hitler-Bilder sind so leer und kraftlos, dass die räumliche Nähe (peinliche) Zusammenhänge sichtbar und spürbar machte (die es auch tatsächlich gibt, so dass die koinzidierenden Aspekte nicht „dem Boten“ anzulasten wären, sondern der deutschen Geschichte). Jedoch werden vor allem Differenzen ins Bewusstsein gerückt. Ausstellungen wie diese irritieren die eingespielten Selbstverständlichkeiten – und dem muss sich aussetzen, wer etwas verstehen will. Allerdings ist die tief greifende Unterschiedlichkeit von „hohler und tranquillierender“ NS-Malerei und einer DDR-Kunst, die Eduard Beaucamp „bizarr, unruhig, exaltiert bis zur Hysterie vielfältig und zerrissen“ nannte (Beaucamp 1999), ausschlaggebend – gerade das wurde in Weimar überdeutlich. Interessant war, dass die Wogen der Kritik insbesondere auf die Inszenierung gerichtet waren, auf eine Hängung, die selbst noch die Schriftsätze von Juristen beschäftigte (vgl. Bilderstreit 2000: 255-286). Bestenfalls wurde sie „lieblos“ genannt, meistens jedoch als „diffamierend“ empfunden. Rechtsanwalt von Berg, der die Ausstellungsmacher gegenüber klageführenden Künstlern vertrat, sah hingegen im großen Rund der dicht gehängten Bilder eher eine demokratische Gleichstellung, denn eine vernichtende Gleichmacherei: „Kein Bild dominiert oder erschlägt ein anderes. Das gilt selbst für die Bilder, die durch kräftige Farben rein aus optischen Gründen zunächst hervorstechen. Der Betrach-

3 Vgl. Die Welt vom 10.12.1999. 4 Vgl. Junge Welt vom 19.5.1999.

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ter wird eben durch die Hängung veranlasst, sich mit den Bildern im einzelnen zu befassen“ (Bilderstreit: 273). Demgegenüber vermuteten die Künstler, die – wie stellvertretend Ellena Olsen – auf Herausgabe ihrer Arbeiten klagten, „Vermassung“ und „Geringschätzung der Exponate“, vor allem, weil die Bilder „dicht an dicht gedrängt“ gezeigt wurden, manchmal zu hoch, manchmal so tief hängend, dass man sich bücken müsste, um sie betrachten zu können. Hinzu kam der Eindruck einer unzureichenden Beleuchtung (vgl. Bilderstreit: 256); ganz zu schweigen von den in den Ausstellungsbereich gestellten Plastikstühlen, von denen mancher dachte, sie seien Symbole einer ‚anderen Massenware‘ aus alten Zeiten. Zusammenfassend nannte der Leipziger Maler Neo Rauch das Ganze eine „Massenexekution, die den Delinquenten keine Chance gibt“ und – nicht auf die Nazis zurückverweisend, sondern in Anspielung auf die Einebnungseffekte heutiger Bildmedien – einen „Videoclip, der die Bilder nur noch in einer wilden Flut toleriert“.5 Nur wenige also gaben dem Kurator Preiß recht, der scheinbar unbeeindruckt formulierte: „Das ist eine Superpräsentation. Die ist absolut Klasse. Die bringt genau das rüber, was zum Ausdruck gebracht werden soll: Dass die Kunst der DDR zusammenhängt und dennoch aus völlig individuellen Werken besteht. Dass ‚Kunst der DDR‘ ebenso wenig einen Stilbegriff darstellt wie ‚Kunst der BRD‘“ (Kannenberg 1999). Aber die Präsentationsformen riefen zu allererst Assoziationen wach, wie ich sie schon für die Berliner Auftragskunst-Ausstellung erwähnt hatte, nämlich den Vergleich mit der „Schmähkritik“ der Nazis. Auch 1937 seien „die Bilder zusammengepfercht an einer Wand“ gezeigt worden, „um ihnen ihre individuelle Wirkung zu rauben“ (Hammerschmidt 1999). Der Berliner Maler Walter Libuda wunderte sich, „dass sich heute bereitwillige Anmaßer bereit fänden, Ausstellungen zu Schauprozessen zu stilisieren, indem sie auf Methoden zurückgreifen, die in der Nazidiktatur verbreitet wurden“ (Libuda 1999), und die Neue Zürcher Zeitung zitierte für die „lückenlose Hängung der Bilder im zentralen Ausstellungsteil“ Ausdrücke wie „Horrortechnik“, mit der die Nazis Kunstwerke der Moderne als „entartet“ inszeniert hätten (Güntner 1999). Der Maler Hans Vent schließlich sagte, er habe nicht für möglich gehalten, „dass zehn Jahre nach der deutschen Einheit nach dem Muster der Nazi5 Vgl. Der Spiegel, H. 21 (1999) und zu Neo Rauch, der den Abdruck für die Dokumentation: Der Weimarer Bilderstreit (2000: 178) nicht genehmigt hat, vgl. auch den Leserbrief von Claudia Petzold (in: ebd.: 193).

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Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ eine solche Hinrichtung inszeniert wird“: „Da hat man 40 Jahre lang ernsthaft gearbeitet, sich in der DDR als ‚Menschenbildverzerrer‘ und ‚Destruktiver‘ abkanzeln lassen müssen, seine Lehrtätigkeit an der Kunsthochschule Weissensee 1983 im Zorn aufgegeben und wird nun […] als ‚autistischer Anti-Moderner‘ vorgeführt“ (Vent 1999). Aber die Medien hatten ihre Weimar-Sensation gefunden: Künstler empörten sich, wollten ihre Bilder abgehängt sehen, einige griffen zur ‚Selbstverteidigung‘ und nahmen – dafür wiederum vom Museumsdirektor verklagt oder zumindest polizeilich beobachtet – ihre Arbeiten selbst von den Wänden und/oder klagten auf Herausgabe der von ihnen gezeigten Werke. Vor dem Thüringer Oberlandesgericht wurde im ersten dort anhängigen Verfahren am 28. Juli 1999 ein Vergleich geschlossen, woraufhin 25 weiteren Klägern von ihren Anwälten geraten wurde, auf weitere Rechtsmittel zu verzichten. Grundsätzlich sollte den gezeigten Künstlern Gelegenheit für eigene Kommentierungen auf zusätzlichen Schrifttafeln in der Ausstellung gegeben werden (eine neuartige Diskursinszenierung, die auf Stellwänden im Foyer nur ansatzweise umgesetzt wurde). Auch wurde die Bilder „luftiger“ gehängt – mit Abständen, durch welche die Gruppierungen nach Leihgebern ein wenig besser sichtbar wurden. Es war dieser Bilderstreit ein Musterfall, da es für viele Künstler und Besucher aus Ostdeutschland um die Rettung der eigenen Vergangenheit ging, während sich im Medium dieser Auseinandersetzungen noch eine andere Dimension herausstellte: die Durchsetzung von Künstlerautonomie gegen die (angemaßte?) Autonomie von Kuratoren. Wären die Gerichte den Einsprüchen der Künstler gefolgt, hätte das unabsehbare Folgen für alle künftigen Ausstellungsplanungen in Deutschland gehabt. Andererseits haben der Konflikt und die durch ihn ausgelösten StreitInszenierungen bewusst gemacht, dass es eine „kuratorische Ethik“ gebe, wie das der Berliner Kunstsammler Paul Maenz – als Hauptleihgeber für das Neue Museum in Weimar innerhalb der Interessenkämpfe – in einem offenen Brief schrieb: „So geht man mit der Kunst nicht um, mit Künstlern schon gar nicht, und auch nicht mit der eigenen Geschichte“ (Bilderstreit: 143). Auch mancher, der die Ausstellung nicht gesehen hatte, reagierte empört und stimmte öffentlich in den Chor derjenigen ein, die eine diffamierende Kampagne gegen die Künste in der DDR insgesamt vermuteten. Dabei wurde eines übersehen: Gerade in der Zusammenballung der Bilder (deren kriterienloses Arrangement es den Kritikern

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scheinbar allzu einfach machte) sieht man die im wörtlichen Sinn: herausragenden Arbeiten sofort, die aus dem Rahmen trister, staatssozialistischer Alltags-‚Verschönerung‘ herausfallen – und dabei kommt es nicht auf Formate an! Auch kleine Tafeln wirken intensiv und eigengewichtig. Aber, wie gesagt: die Ausstellung war ein Katalysator, wirkte als Diskursauslöser. Übrigens wird man heute auch sagen können, dass trotz ganz unterschiedlicher Diskursaufregungen und gegenseitiger Stereotypisierungen zwischen Ossis und Wessis die seit 1990 verschärft wahrgenommenen Ost-West-Differenzen und damit rückblickend auch die Gegensatzspannungen, die sich während der vierzigjährigen Zweistaatlichkeit Deutschlands entwickelt hatten (vgl. Rehberg 1996; Rehberg 2000; Rehberg 2000a) in keinem Bereich so vielschichtig diskutiert worden sind wie mit Blick auf die Künste. Auch insofern bieten diese einen Schlüssel zum Verständnis der Vergangenheit ebenso wie der Gegenwart.

Bilder und Worte: Konzeptionen für die DDR-Kunstausstellungen Die aufgeregten Zuspitzungen und empörten Proteste um die Weimarer Ausstellung lassen sich allerdings richtig erst verstehen, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie vollständig anders der Stellenwert der Künste in der DDR für das Projekt der „neuen Gesellschaft“ (vgl. Rehberg 1998) war. Deshalb nahmen Ausstellungen einen hervorragenden Platz in den öffentlichen Ritualen der Selbstdarstellung des SED-Staates ein. Das galt besonders für die zentralen Dresdner Kunstausstellungen, eingeschränkt auch für die der einzelnen DDR-Bezirke. Ihre Geschichte ist geprägt vom Konflikt zwischen der (Eigen-)Macht der Bilder und der vorherrschenden Wortdominanz im offiziellen Kultur- und Kunstverständnis des ostdeutschen Staatssozialismus (vgl. Rehberg 1999). Das spiegelte sich auch in den Bildinszenierungen im Staatssozialismus, wie beispielsweise der Protest zweier einstmals dissidentischer Künstler gegen die Weimarer Bilderflut belegt. Der Maler Reinhard Stangl und der Bildhauer Hans Scheib beklagten, dass die minimalen Präsentationspflichten verletzt worden seien, nämlich „eine gestrichene Wand, an dem ein Bild seine Aura, seine Würde bewahren“ könne (Kuhn 1999). Dieses ästhetische Prinzip war in der DDR unbestritten gewesen. Sogar in autonomen Kunstsalons, Wohnzimmergalerien oder an unabhängi-

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gen Ausstellungsorten wurde selten experimentiert (Kaiser/Petzold 1997: bes. 3443). Während in den westlichen Gesellschaften der Auszug von Kunstwerken und -aktionen in Stahlwerke, Bahnhöfe oder Industriehallen erprobt wurde, blieb das Museum in der DDR Abb. 4: Kunstarchiv Beeskow als nobilitierender Raum der Zielort der Künste, erwies es sich als Stätte der Repräsentation ebenso wie als relativer Schutzraum für künstlerische Kreativität. Demgegenüber wurden die westlichen Praktiken einer Vervielfältigung von Vermittlungsformen mit einer „lebensfernen Wirkung“ von Kunst (Wintermann 1988: 3) gleichgesetzt, kritisierte man seitens der DDR jenes „öde Ausstellungswesen“ in den kapitalistischen und ‚spätbürgerlichen‘ Gesellschaften, wie das Käthe Kollwitz bereits für die 20er Jahre beklagt hatte; schon sie erhoffte vom Sozialismus die Wiederkehr einer Einheitlichkeit von Kunst und Volk (Wintermann 1988: 3). Selbstverständlich war es eine Hauptaufgabe der Museen in der DDR, die dortige Geltungskunst zu sammeln und sie als repräsentativ zu zeigen. Dafür gab es relativ große Ankaufsetats – von 1946-1990 konnte beispielsweise das Staatliche Museum in Schwerin 900 Gemälde, 165 Plastiken und 10.000 Graphiken und Zeichnungen erwerben, wofür etwa 2,52 Millionen Ostmark eingesetzt wurden (vgl. Kaiser 1999: 470). 1986 war von der Ostberliner Nationalgalerie eine große Dauerausstellung „Kunst der DDR“ im Schinkel-Bau nahe der Museumsinsel eingerichtet worden, vermutlich, weil man damit auf die von dem Aachener Sammler Peter Ludwig in Oberhausen (Abb. 4) gezeigte Sammlung von DDRKunst reagieren wollte, denn es wäre doch zu peinlich gewesen, die größte Präsenz beim Klassenfeind vermuten zu müssen. Überall in den DDR-Museen folgte die Hängung der Bilder einer Chronologie (vgl. Weber 2000: 15 u. 25f.), die sie im Gleichschritt mit den geschichtsphilosophischen Phasen befand – sozusagen eine Kuhirt-Ordnung, wenn man an den offiziösen Chronisten der DDR-Künste denkt, der alle von der Staatsmacht verordneten Phasen vom antifaschistischen Beginn bis

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zum siegreichen Sozialismus kunsthistorisch festgeschrieben hatte (vgl. Kuhirt 1982; Kuhirt 1983). Die großen Sammlungen in den drei wichtigsten Kunstzentren Dresden, Leipzig und Berlin wurden von der zentralen Kulturverwaltung in besonderer Weise gefördert. Kunstwerke, die etwa der größte Auftraggeber, der FDGB also, in Auftrag gegeben hatte, wurden mit Mitteln des Kunstfonds, von Bezirken oder des Ministeriums für Kultur an provinziellere Sammlungen vergeben, so dass die eingangs erwähnte Definitionsmacht der Museumsdirektoren und -kuratoren keineswegs nur aus Gründen der ästhetischen und ideologischen Kontrolle, sondern auch dieses ‚Distributionsmechanismus‘ wegen nur sehr eingeschränkt existiert. Immer war auch die Vertretung regionaler Künstler wichtig, aber auch im Osten wollte möglichst jede öffentliche Sammlung „ihren“ Tübke, Mattheuer, Kettner oder Bondzin haben, wie im Westen „ihren“ Picasso, Miró oder auch nur Uecker und Albers (vgl. Zimmermann 1994; Tiedemann 1994; Zimmermann 1988). Nach 1989 kam es dann selbstverständlich zu einer „Revolution an den Wänden“ und allgemein wurde befürchtet, dass ein sperriges Erbe nun insgesamt „abgehangen und vergessen“ sei – wie ein WDR-Film des Kunsthistorikers André Meier betitelt war. Allerdings wanderte manches Werk nun ins Depot und das ostdeutsche Publikum vermisste die gewohnten Objekte. Johann Michael Möller von der „Welt“ beklagte das Einrücken „intellektueller Putzkolonnen […], die alles, was im entferntesten nach DDR-Kultur roch, sofort in die Magazine verbannt“ (Möller 1999). Und tatsächlich war im Zusammenbruch eines ganzen Gesellschaftssystems das Wegräumen der Konsum- wie der Kulturgüter nahe liegend. Auch erwiesen sich manche der neuen, aus Westdeutschland kommenden Direktoren nicht nur als desinteressiert an dem überkommenen DDR-Ballast, sondern einfach auch als uninformiert, wie etwa der Leiter der Weimarer Kunstsammlungen Rolf Bothe, der noch im Dezember 1998 meinte, dass sein Haus in der DDR „nichts weiter als Darstellungen von FDJlern auf der Luftmatratze und der Traktoristin mit roten Bäcklein“ erworben habe, also „Anti-Kunst“, der man nun nicht mehr den Weg bereiten müsse. Später nahm er das Verdikt zurück, weil er inzwischen in seinen Depots hochwertige Werke, etwa von Metzkes, Tübke, dem frühen Sitte, Mattheuer und Zitzmann gefunden hatte.

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Der Eindruck eines völligen Verschwindens der Bestände aus dem Arbeiter- und Bauernstaat wurde auch durch interessante neue Initiativen verstärkt, die beim Publikum auf keine rechte Resonanz stoßen wollten – so wenn die neue Leiterin Susanna Anna der Chemnitzer Kunstsammlungen 1993 die Sammlung Lühr aus Mönchengladbach präsentierte und das Publikum „seine Künstler“ aus der Gruppe ‚Clara Mosch‘ vermisste. Und selbst das Museum für Junge Kunst in Frankfurt/Oder (das heute von seiner Leiterin Brigitte Rieger-Jähner als ausdifferenzierteste Sammlung von DDR-Kunst dargestellt wird) wie auch die Hallenser Staatliche Galerie Moritzburg, hatten vieles schon ins Depot verbannt, was sie heute schrittweise wieder zugänglich machen. Des weiteren wurde der Anschein einer umfassenden Magazinierung der einstigen Schaustücke dadurch befördert, dass das Kunstgut der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen tatsächlich zur Inventarisierung in Sammelstellen kam, zuerst in das Gothaer Schloss Friedenstein, dann – ergänzt durch die von der Treuhand-Anstalt übernommenen Werke – vorübergehend ins DHM nach Berlin, dann in zwei dezentrale Bearbeitungsstellen, nämlich nach Beeskow und auf die Sächsische Festung Königstein. Aber inzwischen sind viele dieser Bilder wieder gezeigt oder als langfristige Leihgaben an öffentliche Sammlungen gegeben worden. – Und in der Zwischenzeit hatte sich manches Museum aus diesen Beständen noch die „besten Rosinen“ herausgepickt. In den Museen fanden verständlicherweise Umakzentuierungen statt, wofür neue Hängungen in der Dresdner Galerie Neue Meister ein Beispiel sein mag. Der erste Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, Werner Schmidt, hatte dort 1991 die Ausstellung „Ausgebürgert“ gezeigt und mit erheblichen Ankaufsmitteln (1988 verfügte das Museum über 200.000 Ostmark, 1991 über denselben Betrag in DM und zwei Jahre später sogar über 1,1 Millionen DM) „vernachlässigte“ Künstler aus der DDR gekauft, wie etwa von Karl-Heinz Adler, Eberhard Göschel, Michael Morgner, Max Uhlig und Herrmann Glöck-ner, aber auch einen Klee für eine halbe Million DM. Hinzu kamen Schenkungen aus Privatbesitz und neue Dauerleihgaben, etwa von Wols, Willi Baumeister, Georg Baselitz, HAP Grieshaber, Ernst Ludwig Kirchner, A.R. Penck, und Frank Stella. Zu sehen waren nun doppelt so viele Werke wie 1985 – und dabei durchaus viele aus der DDR, wenngleich Dresden sich nun „als Hochburg der politisch Unangepassten“ präsentierte. Auch die Bilder der Großkünstler des einstigen Staates blieben teilweise in den Ausstellungsräumen, jedoch in neuen Kontexten: Tübke etwa als Fortsetzer der Neuen Sachlichkeit oder Sitte – dessen „Stalingrad-Bild“ Werner

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Schmidt allerdings ins Depot verbannte – als „Wiederbelebung des Expressionismus“ – worin Kritiker eine unverantwortliche Enthistorisierung sahen.

Heutige Lage Inzwischen hat die Lage sich verändert. Der Schock der Weimarer Ausstellung und die erbitterten Diskussionen um die angemessene Form, Kunstwerke aus der DDR zu zeigen, hat viele ostdeutsche Museen ermutigt, Kabinetts- und Depotausstellungen aus diesen Beständen zu machen, so in Halle (Abb. 5) oder in Schwerin. Nachdem viele Kunstvereine – etliche auch im Westen – Einzelausstellungen von einstigen DDR-Künstlern gezeigt haben (darin vorbildlich etwa der Coburger Kunstverein) und nachdem trotz des erbitterten Streites um die künstlerische Ausgestaltung des Bundestages im Berliner Reichstagsgebäude 2005 eine Retrospektive Bernhard Heisigs zunächst in Leipzig, dann sogar in Düsseldorf gezeigt wurde, scheinen sich die Wogen zu glätten und der Bilderstreit seinem Ende entgegenzugehen. Das belegt auch der überwältigende Erfolg der von Eugen Blume und Roland März kuratierten Retrospektive „Kunst in der DDR“ 2003 in der Neuen Nationalgalerie; zu deren Eröffnung gab der Verein der Freunde der Nationalgalerie einen Empfang, auf dem man sich als Kenner und nicht mehr als Gegner zeigte. Und in einer Tagung, die ich in diesem Rahmen gemeinsam mit Paul Kaiser im Schloss Neuhardenberg veranstaltet habe und an der u.a. Eduard Beaucamp, Werner Hofmann, Ronald Paris, Christoph Stözl und die Berliner Kuratoren Roland März und Eugen Blume teilnahmen, bestätigte sich, dass aggressive AbgrenzungsAbb. 5: Halle lust zunehmend einem

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sachgeleiteten Interesse weicht. Dennoch bleibt der Eindruck bestehen, dass nicht nur Wirtschaftsentwicklung, Lohnsystem und Arbeitszeiten Ost- und Westdeutschland weiterhin trennen – sondern auch die Künste. Selbst Peter Ludwig hatte nicht die Macht, in dem wichtigsten der von ihm bestückten Häuser, dem LudwigMuseum in Köln, die von ihm so geschätzten DDR-Bilder zu zeigen. Inzwischen ist die Oberhausener Sammlung weitgehend auf Ludwig-Museen bis nach Peking hin aufgeteilt worden, aber auch Abb. 6: Altarbild von Werner Tübke heute wird man kaum ein Bild der offiziellen DDR-Kunst in westdeutschen Dependancen sehen. Und trotz des baldigen Auftrages, den Werner Tübke für ein Altarbild in Zellerfeld (Abb. 6) erhielt, halten sich die Ankäufe von DDRKunstwerken in westdeutschen Museen wohl sehr in Grenzen. So verschwand nur halb, was ein Medium der Gesellschaftsveränderung hatte sein sollen und zu einem Mittel der Integration wie auch zu einem relativer Unabhängigkeit geworden war, jedoch ist im Westen die erste Neugierde verflogen so wie im Osten der Kampf zwischen Beharren und ästhetischer Degradierung. Rückblickend erweisen sich die Bildinszenierungen in Ost- und Westdeutschland als ebenso unterschiedlich wie die „Diskurs“-Dynamiken. Bernhard Schulz meinte, „das Reden über Kunst“ habe im Westen „die Form des freischwebenden Diskurses herausgebildet“. Mit dem „Hinzutreten der Kunst aus DDR-Zeiten“ sei nun aber eine neue Dimension eröffnet worden, nämlich die des Inhalts und der Aussage: „Denn

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den ehemaligen DDR-Bürgern ging es weit weniger um die Frage, ob ‚ihre‘ Kunst auf der Höhe der Zeit lag oder nicht, ob sie modern war oder traditionell.“6 Tatsächlich war in der DDR der ‚Vorrang des Inhalts über die Form‘ kanonisiert. Die Bilder sollten öffentliche Medien der Propaganda sein, vielleicht des beruhigenden Stolzes auf Geleistetes. Sie wurden aber auch zu Auslösern für Diskussionen, Möglichkeiten der Kritik eröffnend, Anknüpfungspunkte liefernd für das nicht ganz Konforme, für neue Sichten und einen Problemrealismus, wie ihn (generationsabhängig) die in Kampf- und Feindsetzungsmythen verstrickte Führung der DDR trotz aller Realismus-Doktrinen bis zum Schluss nie entwickelt hat. In diesem Sinne wurden Bildinszenierungen im Staatssozialismus unablässig bedacht und geplant – aber nur als rituelle (und schließlich zum Ritualismus erstarrte) Mittel der Ideen-Realisierung, des ideologischen Kampfes und der Legitimation von nur noch als „real-existierend“ entschuldigten Herrschaftsverhältnissen.

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A B B I L D U N G S V E R ZE I C H N I S Abb. 1: Neue Nationalgalerie zu Berlin: Blick in die Neuhängung der Sammlung durch Dieter Honisch (1993/94) mit Werken von Bernhard Heisig, Willi Sitte; Hartwig Ebersbach und Walter Libuda. Abb. 2: Burg Beeskow: Blick in den Hauptraum der Dokumentationsausstellung „Rahmen-Wechsel. Fragen an die Kunstsammlungen der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (Laufzeit: 14.11.199830.5.1999). Abb. 3: Ausstellung „Offiziell/Inoffiziell – Die Kunst der DDR“ innerhalb der Ausstellungstrilogie „Aufstieg und Fall der Moderne“ (Laufzeit: 9.5.-26.9.1999) in der Mehrzweckhalle Weimar anlässlich der Kulturstadt Europas 1999: Blick in die Ausstellungsrotunde. Abb. 4: Kunstarchiv Beeskow (ehemals: „Dokumentationszentrum Kunst der DDR“): Blick in einen Depotsaal, 1998.

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Abb. 5: Staatliche Galerie Moritzburg Halle, Landesmuseum SachsenAnhalt: Blick in die Dokumentationsausstellung „Bestandsaufnahme. Werke aus den Sammlungen 1945 bis 1990“ (Laufzeit: 28.11.19995.3.2000). Abb. 6: Werner Tübke: Altarbild in St. Salvatoris, 1993-96.

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DISTINKTIONSKUNST UND INKLUSIONSKUNST Zu r S o z i o l o g i e d e r K u n s t k o m m u n i k a t i o n der Bundesrepublik und der DDR Joachim Fischer/Dana Giesecke

Bildende Kunst ist augenscheinlich zunächst immer die Beziehung eines Subjekts zu einem Objekt: Der Künstler macht ein Bild, in dem er eine Beobachtung festhält; der Zuschauer betrachtet ein Bild, eine fixierte Beobachtung. Kunstsoziologisch gesehen, ist in der bildenden Kunst diese Beziehung des Subjekts zum Objekt genuin in eine Intersubjektivitätsbeziehung eingelassen: Der Künstler lässt den Betrachter im Bild etwas sehen, der Betrachter erwartet, dass der Künstler ihn im Kunstobjekt etwas sehen lässt. Kunstkommunikation ist nicht nur die Mitteilung einer Bildinformation; um Kommunikation zu sein, benötigt das Bild den Abschluss der Kommunikation, also eine Rezeption, den Beifall, die emotionale Resonanz, den Kommentar. Fasst man die bildende Kunst in diesem Sinn als Kommunikationsgeschehen auf, sieht man sofort die Bedeutung von Dritten in dieser Kunstkommunikation, zum Beispiel des Kunstkritikers, des Kunsthistorikers oder des Museums. Künstlerische Beobachtungsofferten erreichen die Betrachter im Umweg über das Museum, vermittelt durch eine bewusste Auswahl, eine arrangierte Bildfolge; Kunstkommunikation erreicht durch die museal inszenierte Bilderfolge einen Drall, den das einzelne Bild (sofern das Bild es überhaupt in das Museum geschafft hat) nicht von sich aus auslöst. Diese triangulierten dyadischen Kunstkommunikationen sind eingebettet in Gesellschaften, welche sich für diese Kunstkommunikationen interessieren, weil sie sich in ihnen ausdrücken und langfristig steuern. Der nachfolgende Beitrag unternimmt es, die Kunstkommunikation in der ehemaligen Bundesrepublik und in der DDR in ihrer Verschiedenartigkeit zu rekonstruieren. Die Aufmerksamkeit gilt dabei den Museen als Rückgrat der Kunstkommunikation, weil durch ihre Selektivität und

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Ausschließungspraktiken ein diametral verschiedener kommunikativer Effekt eintrat. Die Bilder bzw. die Bilderfolgen in den Museen in West und Ost bewirkten je etwas anderes bei ihren Kunstbetrachtern. Die Überlegung hat den Status einer kunstsoziologischen Hypothesenbildung bezogen auf „Westkunst“ und „Ostkunst“. Dabei knüpft sie an den „Bilderstreit“ zwischen West und Ost an, der sich in immer neuen Anläufen an der Diskussion der Feindsetzung von „Abstrakter Kunst“ versus „Sozialistischer Realismus“ und damit von „Moderne“ versus „Tradition“, „Weltkunst“ versus „Provinzialität“, „freier Kunst“ versus staatlicher „Auftragskunst“ entzündet (zur Debatte: Kaiser/Rehberg 1999; Butin 2002; Beaucamp 2003; 2004; Iden 2004; Kaiser 2004). Um im „Bilderstreit“ einen Schritt weiter zu kommen, auch im Hinblick auf eine Neuorientierung der Museen, kommt man nicht um die Schlüsselfrage herum, ob und inwieweit die Kunst der DDR – und das heißt im Kern der „Sozialistische Realismus“ – selbst zu einer avantgardistischen Kunstrichtung gehörte, eine andere Kunst der Moderne oder die Kunst einer anderen Moderne gewesen ist. Hat man diese Frage geklärt, dann lassen sich in der Bundesrepublik und in der DDR zwei Alternativen moderner Kunstkommunikationen beobachten – Distinktionskunst und Inklusionskunst –, die durch die katalysatorische Funktion der Museen zu gesellschaftsrelevant unterschiedlichen Wirkungen führten. Zentraler Ausgangspunkt für die nachfolgenden Beobachtungen zur Kunstkommunikation ist, dass diese beiden Kunstkonzepte, sowohl die „Abstrakte Kunst“ wie der „Sozialistische Realismus“ – und nicht etwa nur die erstere – ihren Ursprung in den Avantgardebewegungen der Moderne seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpften sich diese Bildprogramme dann mit je einem Gesellschaftsprojekt der Moderne und wurden damit zu unvereinbaren Alternativen der Kunst im 20. Jahrhundert. Westdeutschland und die DDR wurden auch alternative Kunstgesellschaften der Moderne. Mit der Zuordnung der avantgardistischen Bildprogramme zu je einem der Gesellschaftsprojekte zusammenhängend kam es zur selektiven Präsentation der jüngeren europäischen Kunstgeschichte, zur Musealisierung der jeweiligen Avantgarde in den Museen der jeweiligen Gesellschaften. Westkunst kristallisierte sich um den Pol der „Abstrakten Kunst“, Ostkunst um den des „Sozialistischen Realismus“. Diese unterschiedliche Darbietung der neueren Kunst im Zusammenhang mit der Kunsttradition führte als vermittelnde Steuerung der Kunstkommunikation bei den Rezipienten beider Gesellschaften zu unterschiedlichen Effekten. Erst durch diese selektive museale Bilderfolge übernahmen die bildenden

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Künste markant unterschiedliche Funktionen in ihren Gesellschaften, weil sie in den Betrachtern unterschiedliche Subjektformationen evozierten. Dabei beschränkt sich die kunstsoziologische Hypothese dieses Beitrages auf die 1950er bis 1970er, also auf die Zeit der intensivsten Profilierung der beiden Gesellschaftsprojekte. Hat man diesen Zusammenhang verstanden, dann erklären sich auch die Verschiebungen der Kunstaufmerksamkeit nach der „Wende“ in den 1990er Jahren: Einerseits eine Wiederentdeckung, Revitalisierung, mit gleichzeitiger Aufarbeitung der (eigenen) abstrakten Kunst der ehemaligen DDR und andererseits ein gesteigertes westliches Interesse an der auf den Gegenstand bezogen bleibenden (oder ein Spiel mit Versatzstücken treibenden) Malerei der nun gesamtdeutschen „Neuen Leipziger Schule“ (Giesecke 2004). Es kommt zur erstmaligen Entdeckung der ganzen modernen Kunst, in ihrer abstrakten wie in ihrer zugleich durch das 20. Jahrhundert durchlaufenden figurativen Variante. Was in anderen Ländern (z.B. den USA, Italien, England) immer koexistierte, bildet nun eine Herausforderung für die ehemaligen Ost- wie für die Westmuseen.

„Westkunst“ und „Ostkunst“: zwei Pole avantgardistischer Kunst Was seit den 1950er Jahren als „Abstrakte Kunst“ einerseits, als „Sozialistischer Realismus“ andererseits sich in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts einander ausschießend gegenübersteht, sind am Anfang zwei Pole der Avantgardekunst. Das ist nicht ganz einfach zu denken, weil der Avantgardebegriff später notorisch mit der einen Seite der Unterscheidung, der „Abstrakten Kunst“ in der „Westkunst“, verknüpft worden ist. Dennoch kann man sich diesen doppelten Avantgardeursprung der modernen Kunst klarmachen, wenn man versteht, dass es systematisch gesehen zunächst einfach zwei moderne Operationen an der Bildganzheit, an der „Zweischichtigkeit des Bildes“ (Gehlen 1960: 65) gab: Die Abhebung, schließlich die Verselbständigung der Bildfläche gegenüber dem verflachten, schließlich preisgegebenen Bildgegenstand einerseits; andererseits die exorbitante Expansion des klassisch beschränkten Bildgegenstandes, die thematische Öffnung der Bildreferenz für alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens, das durch die illusionistischen Darstellungsregister der Bildfläche zur Erscheinung gebracht werden soll.

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So gab es erstens die Tendenz zur Abschwächung und Auslöschung des Bildgegenstandes zugunsten der Aufmerksamkeit auf die Eigenlogik der Bildfläche, zur Eigendynamik von Farben, Formen und Materialien. Bereits im Impressionismus, dann vor allem im Jugendstil, der die Ornamentik als den historischen Anknüpfungspunkt einer modernen Bildflächenkunst freilegte, im Expressionismus und Kubismus entfaltete sich diese – auch von der japanischen Abb. 1: Wassily Kandinsky: Kunst angeregte – Absicht „Träumerische Improvisation“ zur „Verflächung des Darstellungsraumes und der dargestellten Gegenstände: Man leitet den Blick dann nicht mehr mit einer Tiefensuggestion durch das Bild hindurch in eine imaginäre Welt, sondern lässt ihn am flachen Gegenstand in den Flächenreiz der Bildhaut umspringen, während doch der Gegenstand ihn nach wie vor auf sich zieht.“ (ebd.: 65). Seit 1910 bildet und verstetigt sich in immer neuen Stilvarianten die gegenstandsfreie, von der illusionistischen Wiedergabe eines Bildobjektes losgelöste, abstrahierende Malerei, die sich in der Konzentration auf die ‚Bildhaut‘ in einer eigenen Sprache von Zeichen, Farbeffekten und Formrhythmen abhebt.1 Abstrakte Kunst richtet sich auf das ‚Leben der Form‘ des Bildes, während das andere avantgardistische Projekt sich im Bild auf die ‚Form des Lebens‘ konzentriert. Den Avantgardecharakter dieses modernen Realismus erkennt man deutlich, wenn man ihn am Muralismo der mexika1 Für Gehlen, der sich in seiner „Soziologie und Ästhetik moderner Malerei“ auf diese Avantgarde der optischen Verselbständigung der Bildfläche kapriziert, sind Klee, Kandinsky und Mondrian die Referenzmaler. Die nachfolgende Überlegung schöpft Gehlens Modell von der „Zweischichtigkeit des Bildes“ – von Bildfläche und Gegenstand – auch in der Richtung der modernen Gegenstandsvertiefung aus, die er selbst nicht verfolgt hat.

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nischen Revolution seit 1910 – noch vor dem „Sozialistischen Realismus“ sowjetischer Prägung in den 1920er und 1930er Jahren – studiert. In den monumentalen Wandbildern („murales“) dieser modernen Kunstrichtung (Diego Rivera, José Clemente Orozco, David Alfaro Siqueiros) arbeitet – gegenläufig zur anderen Richtung und bei Rivera in bewusster Auseinandersetzung mit dem selbst ausprobierten Kubismus2 – das avantgardistische Projekt an einer enormen Expansion, Vertiefung und Auffüllung des klassisch eingehegten Bildgegenstandes, so dass nun – motiviert durch revolutionäres soziales Engagement – alle Lebensräume der (mexikanischen) Abb. 2: Diego Rivera: Gesellschaft in Geschichte und Ge„Bücher werden verteilt“ genwart ihren Platz im Bild bekommen. Jedes Alltagsphänomen, die Sphäre der Arbeit und Technik, der Sexualität, der Bildung und des Kampfes und vor allem jedermann – ob Bauer, Arbeiter, Techniker, Soldat, Mann oder Frau, jedes Mitglied der Gesellschaft – wird für bildwürdig gehalten und die Totalität des Lebens der modernen (besser: sich modernisierenden) Gesellschaft als Bildgegenstand durch die künstlerische Komposition der Bildfläche zur Darstellung gebracht. Diese mexikanische Eigenheit wurde durch Riveras Wandbilder zu Technik und Industriearbeit in Detroit und anderen amerikanischen Großstädten Anfang der 1930er Jahre auch in der amerikanischen Malerei des 20. Jahrhunderts einflussreich.3

2 Deutlich beispielsweise bei: „Zapatistische Landschaft – Der Guerillero“ (1915). 3 Von der Detroit Arts Commission erhielt Rivera 1932 den Auftrag, den Innenhof des Institute of Arts mit einem Wandbild „Detroit Industry of Man and Machine“ auszumalen; er wählte die Kooperation von Menschen an Maschinen bei der Fabrikation des V8-Motors und der Karosserie des neuen Ford-Automobils zum Bildgegenstand (Stremmel/Grosenick 2004: 80).

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Insofern sieht man vom „Muralismo“ aus den originär modernen, avantgardistischen Zug dieses bildgegenstandsexpansiven Realismus, als dessen andere Variante dann der „Sozialistische Realismus“ auftrat, wie er sich aus den Vorläufern des Kritischen Realismus der russischen Peredwischniki (seit 1870) als dominante Bildprogrammatik seit den 1920er Jahren in der Sowjetunion herausarbeitete4 und seit den 1930er Jahren (in Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus) in kunstpolitischen Auseinandersetzungen unter diesem Titel verbindlich wurde. Natürlich hatte diese explosionsartige Gegenstandsöffnung des Kunstbildes ihre Vorläufer in sporadisch demonstrativ „realistischen“ Bauernbildern eines Jean François Millet („Der Getreideschwinger“, 1848) und eines Gustav Courbet, der mit seinen „Steinbrechern“ (1850/51) das Pariser bürgerliche Publikum schockierte. Auch Adolf Menzel in Deutschland mit seiner grenzenlosen Beobachtungsgier und zeichnerischen Präzision öffnete dem „Eisenwalzwerk“ (1875) den Zutritt zum Gemälde. Aber die systematische Durchbrechung der Grenzen des Genre, die Vertiefung des Referenzbezuges des Bildes zugunsten desjenigen oder derjenigen, die bis dahin als Zentralthema des Kunstbildes keine Dignität erlangt hatten, vollführte erst die Avantgardekunst des Muralismo und des „Sozialistischen Realismus“, die in der Aufschließung für die Selbstexpressivität der modernen Gegenstandswelt, für den nichtbürgerlichen Alltag und technische, großstädtische, existentielle und politische Umwälzungen vielfältige Überschneidungen mit dem Kritischen Realismus und der Neuen Sachlichkeit5 in Deutschland aufwies.6 4 Stellvertretend für viele sei hier auf Alexander Deineka verwiesen, der mit „Textilarbeiterinnen“ (1927) einen Bildtyp dieser Avantgarderichtung setzt: drei in ihren Bewegungen hochkonzentrierte Industriearbeiterinnen in „ihrem“ Maschinenpark. (Stremmel/Grossnick 2004: 42). 5 Als Prototyp für die Neue Sachlichkeit kann hier Christian Schads „Operation“ (1929) angesehen werden, aber auch die Industrielandschaften von Carl Grossberg, die Stadtbilder von Max Beckmann und Gustav Wunderlich oder Stillleben moderner Dinge von Hanna Höch. Luft- und Wasserfahrzeuge von Franz Radziwill, dazu von Otto Dix bis Grete Jürgens die sorgfältig gearbeiteten Portraits moderner Zeitgenossen. Die erste ausführliche westdeutsche Würdigung des Avantgardecharakters des modernen Realismus erfolgte erst Ende der 1960er Jahre durch Wieland Schmidt (1969). 6 Begreift man die Polarität der Avantgarde bildsystematisch zwischen den Möglichkeiten der Verselbstständigung der Bildfläche und der Expansion des Bildgegenstandes, dann rücken auch Futurismus und Surrealismus (de-

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Kunstsoziologisch waren diese beiden gegensätzlichen avantgardistischen Operationen der Struktur des Bildwerkes – die Abhebung der Bildfläche vom verschwindenden Bildgegenstand einerseits, der expansive Durchbruch zum Bildreferenten andererseits – ein Ausstieg aus der Kunstkommunikation der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die selbst zuvor bereits aus einer Umstellung der Kunstkommunikation hervorgegangen war. Nicht mehr die höfische Auftragskunst regulierte die Produktion des Künstlers, sondern die gespürten Geschmackserwartungen eines exklusiven Kunstmarktpublikums, auf die orientiert der bürgerliche Künstler seine ästhetischen Beobachtungsofferten kommunikativ riskierte. Kunstakademien, Kunstkritiker und Kunstsammler waren dabei dritte Instanzen innerhalb dieser fragilen, aber doch überschaubaren Kunstkommunikation. Erst die beiden Avantgardebewegungen durchbrechen dieses Muster der ‚erwarteten Erwartungen‘ innerhalb des Bildungs- und Besitzbürgertums, insofern sie systematisch an der Freisetzung der bildenden Kunst, an der Verstörung aller Vorannahmen arbeiten. Die einen provozierten durch Formexperimente, durch die Preisgabe der Gegenständlichkeit in der Konzentration auf die Eigenlogik des Materials, durch Verklausulierungen der Bildfläche die eingespielten Seherwartungen, während die anderen durch die enorme Entgrenzung der Thematik und sichtbaren Sujets (der massenhaften Lebens- und Arbeitsbedingungen der Moderne) nicht mehr nur sporadisch, sondern intentional den Bannkreis der bürgerlichen Lebenswelt überschreiten wollten und damit systematisch auf die Rekrutierung von Rezipienten jenseits der bürgerlichen Kunstkommunikation zielten. Die bis dahin allein darstellungswürdige bürgerliche Welt wurde mit dichten Großstadt-, Arbeits-, Industrieund politischen Motiven übersät und somit unsichtbar gemacht.7

ren Zurechnung zum Modell der „Abstrakten Kunst“ immer kunstgeschichtliche Schwierigkeiten macht) zum Pol der gegenstandsexpansiven Avantgarde, insofern beide Bilderfindungen dem Figurativen, dem Referenzbezug des Bildes, einen neuen Spielraum verschaffen: der Futurismus der Dynamik des Technischen, der Surrealismus der Traumwelt (Träume sind nie „abstrakt“). 7 Dass beide Avantgarden soziologisch gesehen nicht „harmlos“ waren, sondern von der Intention her in ihren Kunstoperationen die „Kunst der Zerstörung“ der Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft betrieben, ist inzwischen Thema der Forschung: Hanno Ehrlicher (2001) und Eduard Beaucamp (1998).

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Kunstsoziologisch zeichnete sich damit hinsichtlich der modernen Kunstkommunikation eine Differenz zwischen den beiden Avantgardebewegungen ab: „Abstrakte Kunst“ musste tendenziell eine Distinktionskunst sein, weil die systematisch erzeugten Rätselbilder, die keinen prägnanten Anhalt in der Wirklichkeit fanden, eine „Kommentarbedürftigkeit“ (Gehlen 1960: 162) heraufbeschworen, einen Leistungsanspruch, an dessen Erfüllung sich die Eingeweihten oder Zugehörigen untereinander von den Nichtzugehörigen (denen, die nichts verstanden und nichts sehen konnten) kulturell und damit sozial unterschieden. Abstrakte Kunst wurde eine „Weltsprache“, das heißt universell in der Moderne, aber doch nicht für alle lesbar, sondern nur unter individuell zu leistenden Kompetenzen nachvollziehbar und damit distinktiv; manche erarbeiteten sich in der dem Rätsel standhaltenden Beobachtung einen Reflexionsgewinn, andere blieben außen vor. Bildgegenstandsexpansiver Realismus war hingegen tendenziell Inklusionskunst mit dem Projekt, tendenziell alle in die Abbildung einzuschließen und durch die kompositionelle Anlage des Bildes selbst jedermann bei der ersten Betrachtung bereits etwas sinnlich verstehen zu lassen. Der Muralismo, dann auch der „Sozialistische Realismus“, also die „Weltsprache“ des bildgegenstandsexpansiven Realismus, zielte nicht nur auf die Zugänglichkeit aller ins Bild, sondern auch auf die Bewegung zum Bild, zu den Ausstellungen, in den öffentlichen Raum und in die Museen.8 Diese beiden Tendenzen der Avantgardekunst, die zunächst nebeneinander herlaufend und sich vielfach kreuzend in jeweils einer modernen Gesellschaft ausgestalteten, verflochten sich zu Beginn der Jahrhunderthälfte je mit den unterschiedlichen, alternativ gegenüberstehenden Gesellschaften der Moderne in West und Ost. Die beiden einstigen Pole der modernen Kunst stilisierten sich zu einander ausschließenden Bildprogrammen ihrer Gesellschaften. Nicht etwa nur die Moderne der abstrakten Kunst „trat in die Geschichte ihrer öffentlichen Geltung“ als „Westkunst“ ein, sondern beide Avantgardebewegungen – abstrakte Kunst der 8 Der kunstgeschichtliche Terminus einer „sozial engagierten Kunst“ (Haftmann 1965: 319) für diese Kunstphänomene der Moderne bekommt erst in dieser Doppelbestimmung einen präzisen avantgardistischen Sinn: a) die Steigerung der Bildkapazität (alle gehen im Prinzip ins Bild) und b) die Niederschwelligkeit des Bildbesuchs. Erst zu dieser Doppelbestimmung kann sich auch das Motiv gesellen, durch die Darstellung kritisch oder aufrüttelnd an das soziale Gewissen oder das Mitleid der Gesellschaft zu appellieren.

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Verselbständigung der Bildfläche und sozialistisch-realistische Expansion des Bildgegenstandes – erfuhren einen Durchbruch „zur öffentlichen Geltung“ (Glozer 1981: 174).9 Die Bundesrepublik und die DDR waren in dieser Hinsicht zugespitzte, konträre Kunstgesellschaften, mit Auswirkungen auf die jeweilige Kunstproduktion (während in den USA, Italien oder England abstrakte und realistische Stilrichtungen nebeneinander herlaufend miteinander rangen).10 „Abstrakte Kunst“ wurde erinnernd und wegweisend zum Leitfaden der Moderne westlicher Kunstproduktion, so dass im deutschen Westen noch aktive Künstler der Neuen Sachlichkeit (z.B. Christian Schad, Otto Dix, George Grosz, Grete Jürgens, Anton Räderscheidt) marginalisiert waren; ihre avantgardistische Produktivität wurde durch die diskursive und museale Dominanz der Abstrakten blockiert. Den Kern des Abstrakten bildete die programmatische Loslösung vom Referenzbezug, um nun die Bildfläche für immer neue Entfaltungen und Entfesselungen von Formideen freizusetzen. Doch bedurfte die Durchsetzung der „Abstrakten Kunst“ als eine verbindliche moderne Kunst gegen den erheblichen Widerstand der Bevölkerung, der Medien und der kommunalen Stadtparlamenten (als politisch Verantwortliche für die Museen) des kunstwissenschaftlichen11, politischen und kunstpädagogischen „Geleitschutzes“. Eine Schlüsselfigur war dabei der Kunsthistoriker Werner Haftmann, der 9 Laszlo Glozer bezieht diesen Durchbruch „der“ Moderne zur öffentlichen Geltung nur auf die „Westkunst“. Daran anschließend versteht KarlSiegbert Rehberg die Bildprogramme in der Bundesrepublik und der DDR als zwei „Geltungsgeschichten“ (vgl. Rehberg 2002). 10 Vgl. besonders Edward Lucie-Smith (1994): Amerikanischer Realismus. Ein besonders prägnantes Beispiel für einen durchlaufenden Realismus in der modernen Kunst der USA stellt – neben Charles Sheeler und Edward Hopper – der akademisch arrivierte und populär erfolgreiche Andrew Wyeth (geb. 1917) dar, der in den eingängigen Sujets seiner Figuren oder Kammern in ländlicher Landschaft Lebensspuren der körperlichen Einschränkung, der latenten Gewalt und des Wahnsinns sichtbar werden lässt. 1977 wurde er – seit John Singer Sargent als erster amerikanischer Maler – Mitglied der französischen Akademie der Künste aufgenommen, 1978 auch in der sowjetischen Akademie der Künste, 1980 in der British Royal Academy. 11 Zum Beispiel das mit einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst verknüpfte turbulente Darmstädter Gespräch „Das Menschenbild in unserer Zeit“, bei dem Johannes Itten („Über die Möglichkeit der modernen Kunst“ und Hans Sedlmayr („Über die Gefahren der modernen Kunst“) die Hauptvorträge hielten (Evers 1950).

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die moderne Malerei eindeutig mit der abstrakten Kunst identifizierte und zugleich maßgeblich an der Konzeption der drei ersten ‚documenta‘ in Kassel beteiligt war (vgl. Knippel 1997). In seinem Standardwerk zur „Malerei im 20. Jahrhundert“ konstatierte Haftmann eine Kongruenz der „Malerei der Gegenwart“ mit der internationalen „Abstrakten Malerei“ – vor allem durch die Suggestivität seines Abbildungsteils, der ohne jede Unterbrechung die Abstrakten versammelt waren: Bazaine, de Stael, Poliakoff, Nay, Sam Francis, Hartung, Soulages, Wols, de Kooning, Pollock, Jorn, Rothko und viele andere mehr. Der Leitmaler der abstrakten Kunst der Nachkriegszeit war Jackson Pollock mit seinen spontan von Rand zu Rand mit Farbspuren bedeckten Bildern, die den „Abstrakten Expressionismus“ eines Kandinskys fortsetzten. In den 1930er Jahren noch unter dem starken Einfluss des „Muralismo“ der expressiven Realisten Mexikos stehend, verwandelte Pollock deren Darstellungen in heftig bewegte, beinahe abstrakte Bildornamente, um dann in den 1940er Jahren in vollständiger Konzentration auf die Bildfläche labyrinthische Farbnetzstrukturen zu erzeugen. Mit „informeller Kunst“ und „Tachismus“ bildeten sich Stilvarianten dieser Verselbständigung der Bildfläche, noch einmal gesteigert in der „Analytischen Malerei“, die auf „Bilder ohne Bilder“, ohne Sujet, ohne Komposition, ohne jede mimetische oder expressive Bedeutung zusteuerte.12 Umgekehrt war die Kunstproduktion der DDR der Konzeption des „Sozialistischen Realismus“ verpflichtet, so dass die mit der Bildfläche experimentierenden Künstler als „formalistisch“ oder „dekadent“ bekämpft und unterdrückt wurden (z.B. Gerhard Altenbourg, Ernst Hassebrauk, Hermann Glöckner). Den Schwerpunkt der sozialistischen Realisten bildete die programmatische Ausdehnung des Gegenständlichen, die im Zuge vor allem der „Menschenmalerei“ nun zum ersten Mal tendenziell jedermann – jede Frau und jeden Mann –, und vor allem auch neue Gruppenkonstellationen, wie Brigade-, Arbeiter- und Gruppenbilder (zu diesem eigenen Typus z.B. Guratzsch 1997; Uhlmann 1999) als die neuen Vertreter der Herrschenden („Diktatur des Proletariats“), kurz: „die“ Gesellschaft in das Bild mit hineinzuholen suchte. Eine Schlüsselgröße in dieser Durchsetzung des „Sozialistischen Realismus“ – im Zuge der so genannten Formalismus-Debatte – war Alfred Kurella, der seit 1927 sowohl mit dem Muralismo des Diego Rivera wie auch (während 12 Einer der eindrucksvollsten bundesdeutschen Vertreter dieser „radikalen Malerei“ ist Raimund Girke, insofern er monochrom die Weiße der weißen Bildoberfläche „malt“ (Elger 1995).

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seines langjährigen Aufenthaltes in Moskau 1934-1954) mit dem sowjetischen Realismus vertraut war. Kurella, Ende der 1920er Jahre Leiter des Propagandaamtes der Kommunistischen Internationale, hatte nach der Begegnung mit Rivera und seinen Bildern 1927 in einem ausführlichen Beitrag die jungen russischen Künstler dazu aufgerufen, dem Beispiel Riveras in der Malerei zu folgen.13 An seiner publizistischen Intervention lässt sich die Wahlverwandtschaft zwischen Muralismo und „Sozialistischem Realismus“ beobachten. In der Forschung gibt es die Vermutung (Gaßner 1996: 670), dass auch Werner Tübke bei seinem Debütwerk, den Astoria-Tafeln14 von der zu dieser Zeit im Dresdner Verlag der Kunst erschienenen Monographie über Rivera (Secker 1957) Impulse bezogen habe. Ebenso aufschlussreich ist, dass Kurella in diesem Zusammenhang auf Werner Tübke, der in dieser Zeit mit seinen Wandbildern im Dauerverdacht des Surrealismus, Manierismus, Subjektivimus etc. stand, aus der zeitgenössischen Anregung durch die mexikanischen Realisten der Moderne aufmerkte und ihn wertschätzen lernte: „Im Malstil und der Komposition [Tübkes] ergeben sich ebenso Parallelen zur altdeutschen Malerei […] wie auch zu dem berühmtesten Wandmaler des 20. Jahrhunderts: zu Diego Rivera. Tübkes provokanter Rückzug aus der Moderne muß Kurella an den Astoria-Arbeiten ebenso gefallen haben, wie die virtuose Detailgenauigkeit in der Malerei und die eindeutigen politischen Motive. Beim Anblick dieser Wandbilder wird sich Kurella sicher an die Wandgemälde seines alten Freundes Diego Rivera erinnert haben, den er 1927 in Moskau kennengelernt hatte. Denn für die Gestaltung der drangvollen Fülle der Figuren, den antithetischen Bildaufbau zur Artikulierung von Klassengegensetzen und die Fabulierfreude konnte sich Tübke bei Rivera manche Anregung holen. Wie Rivera für seine Wandbilder in Mexiko die Malerei der italienischen Frührenaissance studierte, um einerseits den Pariser Kubismus seiner Zeit zu überwinden, andererseits eine narrative, volkstümliche und doch moderne Bildsprache finden zu können, so nimmt sich Tübke neben dem italienischen Manierismus die spätgotischen Manieristen der altdeutschen Malerei zum Vorbild für die Entwicklung eines modernen Manierismus.“ (Gaßner 1996: 670)

Kunstgeschichtlich oder kunstsoziologisch darf man die Bildkunst der DDR nicht verkapseln, indem man sie entweder – entsprechend der eigenen Kunstdogmatisierung – allein in den Einflussbereich des sowjeti-

13 Vgl. Secker (1957: 143). 14 Tübke erhielt 1958 seinen ersten Großauftrag fünf Diptycha zum Thema der Kontinente im Leipziger Hotel „Astoria“ zu malen.

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schen Realismus15 oder – seit Beaucamps Fürsprachen in den 1970er Jahren – als „andere deutsche Kunst“ (Beaucamp 2003: 110) in eine fortgesetzte deutsche Nationaltradition einrückt, sondern muss sie innerhalb der „Weltsprache“ des gegenstandsexpansiven Realismus sehen, einer radikalen Öffnung zur Selbstexpressivität der gegenständlichen Menschenwelt, die nur unter Bedingungen der Moderne möglich wurde. Wenn die Künstler der DDR an die Moderne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpften, dann neben den „eigenen“ Traditionen „proletarischer-revolutionärer“ Künstler vor 1933 vor allem an die „Wandmalerei der mexikanischen Revolution, besonders die von Diego Rivera. Mit der mexikanischen Wandmalerei verband sich die Idee von einer monumentalen, öffentlichen bzw. kollektiven Kunst, die mitten im Leben steht, es darstellt und zugleich sinnbildlich überhöht.“ (Damus 1991: 54). Innerhalb dieser modernen Weltsprache des gegenstandsexpansiven Realismus gab es verschiedene Stile, vom Manierismus eines Tübke bis zum Expressionismus eines Renato Guttoso16 und Willi Sitte. Im Konzept des „Sozialistischen Realismus“ bildete der Künstler eine feste Größe innerhalb des sozialistischen Gesamtsystems, denn die Partei setzte über das Instrument der „gesellschaftlichen Auftragsvergabe“ auf dessen Mitgestaltung und erlegte ihm eine Verantwortung und Haltung beim Aufbau des Landes und der Herausbildung „sozialistischer Persönlichkeiten“ auf. Die systematisch folgenreichste spezifische Erfahrung der DDR-Künstler war insofern die freiwillige oder verpflichtende „Betriebserfahrung“ (Warnke 1994: 43). Bereits 1951 gingen Bildkünstler wie Lea Grundig oder Oskar Nerlinger in Industriebetriebe – in das neue Eisenhüttenwerk Ost – und Kohlenschächte, um dort zu portraitieren. Forciert durch den 1959 von Walter Ulbricht und Alfred Kurella initiierten „Bitterfelder Weg“ schlossen Künstler Arbeitsvereinbarungen mit Betrieben und landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Eine Radikalisierung dieser systematisch geförderten Durchdringung von Kunst und Arbeitswelt war schließlich das „Bildnerische Volksschaffen“ (ebd.), in denen Maler „Zirkelkollektive“ leiteten, um die Kluft zwischen Künstler- und Arbeiterschaft zu schließen sowie der arbeitenden Bevölkerung eine Möglichkeit zur künstlerischen Betätigung zu geben. In dem 15 Dieser Einordnung entziehen sich letztlich nicht die Darstellungen von Damus (1981; 1991) und Thomas (1985). 16 In Italien war es Guttoso, der vom Kubismus beeinflusst, in den 1950er Jahren mit seinen Bildern von Bergarbeitern, Fischern, politischen Diskussionen und Streiks zum Hauptvertreter der „Gesellschaftskunst“ wurde.

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von einer genuin leninistischen Partei kontrollierten Staat wurde der letztere „Kulturgestaltungsmacht“ und die Kunst der DDR „Staatskunst“ (Damus 1991: 13). Wie immer man den kunstpolitischen Herrschaftscharakter im Einzelnen zu beurteilen hat, kunstsoziologisch gesehen ist die Kunstpolitik der DDR im Kern die praktische Umsetzung des einen avantgardistischen Bildprogramms der Moderne gewesen, sehr viele, möglichst jedermann ins Bild, und sehr viele vor diese Bilder zu bringen. In jedem Fall hatten die Kunstwerke überhaupt figurativ – also realistisch – zu sein, um die als Kern der Bevölkerung angepeilte Facharbeiterschaft in die Museen zu den Bildern zu lotsen und damit die Programmatik einer „Inklusionskunst“ einzulösen.17 Es ist eine „sinnvolle historische Vergleichsperspektive“ (Kaiser 2004: 624), die Kunstkommunikation der DDR als „Kulturfeudalismus“ (Rehberg 2004) zu analysieren, weil dann die dadurch die aus der Kunstgeschichte der höfischen Gesellschaft vertrauten Mechanismen der Auftragskunst, der Akademisierung der Künstlerausbildung und die Bildpolitik eines „kulturfeudalistischen Staates“ scharf in den Blick kommen. Angesichts des Bilderstreits zwischen Westkunst und Ostkunst, in dem seitens ‚autonomer Kunst‘ gegen ‚Auftragskunst‘ polemisiert wird, ist so eine geschichtliche Normalität der Auftragskunst erkennbar. In der Wiederkehr der Figur des Mäzenatentums und damit in der Parallelität von höfischer Auftragskunst und sozialistischer Auftragskunst lässt sich dann eine Wiederkehr der „Hofkünstler“ (Warnke 1996) in der DDR (Rehberg 1999; Kaiser 2004) beobachten, namentlich in Werner Tübke und insbesondere seinem Frankenhausener Panoramabild.18 Aber bei diesem historischen Vergleich ist kunstsoziologisch immer im Blick zu behalten, dass die Kunst der DDR einem avantgardistischen Kunstprojekt des 20. Jahrhunderts entsprang: sie war moderne Kunst in der Moderne. Der programmatische Charakter als Inklusionskunst unterscheidet sie von höfischer oder feudaler Kunstkommunikation. Noch bis in den späten Gipfel von Tübkes Frankenhausener Panorama (eröffnet im Moment des Unterganges der DDR), gerade in dieser Konzeption einer historisch narrativen Figurenfülle, in der sich alle staunend spiegeln sollten, ist die Kunst der DDR Inklusionskunst gewesen (ungeachtet aller ausgehandelter Privilegien des Künstlers), in der – neben den europäischen Historienbildern – das Vorbild des mexikanischen 17 Zu den Strategien dieses Popularisierungsgedankens vgl. Petra Jacoby (2004). 18 Werner Tübke, „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ (1983-1987).

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Muralismo ins Auge sticht, gemäß der Mobilisierungsstruktur der Moderne alle in die Bilder und alle vor die Bilder zu bringen.

Museen der bildenden Kunst in der Bundesrepublik und der DDR: Katalysatoren der jeweiligen Kunstkommunikation In der Kunstkommunikation schieben sich zwischen die Künstler als Produzenten und die Betrachter als Rezipienten die Museen als selektive Vermittler und Verstärker. In der Selektivität der Bilder und in dem Arrangement der Bilder sind sie es, die (neben der Kunstkritik, dem Kunstunterricht und den Galerien des Kunstmarktes) die Kunstkommunikation steuern und damit langfristig typische Effekte der Kunstkommunikation und Modalitäten des Kunstgenusses auslösen und verstetigen. Die These ist, dass in Abhängigkeit von den alternativ jeweils zu „Geltungskünsten“ der Gesellschaften aufgestiegenen Richtungen der Westkunst und der Ostkunst die Museen der Bundesrepublik und der DDR, soweit sie aus ihren kunstgeschichtlichen Sammlungen eine europäische Kunstgeschichte präsentierten, im Übergang zur Kunst des 20. Jahrhunderts systematisch andere Bildfolgen platzierten. Nicht so sehr die jeweils zeitgenössischen Ausstellungen und Kunsthallen, sondern diese klassischen Museen waren die Katalysatoren einer differenten Kunstkommunikation. Durch die selektive Bilderpräsentation der neueren Kunst im Kontext der europäischen Kunstgeschichte kam es durch die Museen der Bundesrepublik und der DDR zu faktischen Wirkungsdifferenzen der bildenden Kunst. Erst durch deren Museen wurden die „Abstrakte Malerei“ und der „Sozialistische Realismus“ als alternative „Geltungskünste“ zu alternativen „Funktionskünsten“ ihrer Gesellschaften. Den Blick der Betrachter lenkten Museumsvermittler je anders. Kurz gesagt, ging in den Museen der Bundesrepublik (in den Stadt- oder Landesmuseen bildender Kunst) die Blickfolge von klassischen Beständen der Renaissance, des Barock, des Realismus des 19. Jahrhundert, also Bildern mit durchgehend figurativer Prägung, über den Impressionismus zu den ersten Durchbrüchen zur abstrakten Kunst (besonders des Kubismus und des Expressionismus) hin zu all jenen Stilen (Informel, der Lichtkinetik, der Monochromie, der Farbfeldmalerei der Konkreten), wo sich der Gegenstandsbezug zunehmend abschwächte oder verschwand (beispielhaft dafür: Fritz Winter, Hans Hartung, Ernst Wilhelm Nay,

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Willi Baumeister) und mit denen die Bildfolgen in der Gegenwart ankamen. Exemplarisch kann man das im Städelmuseum in Frankfurt am Main während der 1950er bis 1970er Jahre sehen: Die Aufmerksamkeit eines Betrachters wurde von der früheren europäischen Kunstgeschichte (die den Sammelschwerpunkten Abb. 3: Willi Baumeister: des 19. Jahrhunderts „Heitere Landschaft IV“ entsprachen: Stephan Lochner-Altar, Jan van Eycks ‚Luca-Madonna‘, zahlreiche Größen italienischer Renaissancemalerei) über den Realismus und Impressionismus des 19. Jahrhunderts zur klassischen Moderne geführt (denn sofort nach dem Krieg wurden die NS-Beschlagnahmungsverluste ausgeglichen: Henri Matisse, Franz Marc, Augst Macke, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Schlemmer, Paul Klee, Lyonel Feininger, Max Beckmann), um dann auf die Nachkriegskunst und damit zur Stilvielfalt abstrakter Malerei gestoßen zu werden, wie zum Beispiel Ernst Willhelm Nay „Rhythmen in Purpur und Grau“ (1954/Ankauf 1954), Horst Antes „Blaue Figur (Maja)“ (1962/Ankauf 1977), Fritz Fischer „Häuser am Meer“ (1950/Ankauf 1959), Max Ackermann „Komposition“ (1940/Ankauf 1973), Willi Baumeister „Heitere Landschaft“ (1940/Ankauf 1960), Jean Dubuffet „Grand Duc“ (1942/Ankauf 1970), Lucio Fontana „Concetto spaziale“ (1970/Ankauf 1974). Der Betrachter machte also im Durchgang den Erfahrungswechsel von klassischen Bildern, auf denen er gegenständlich etwas erkennen und die er gut oder schlecht finden konnte, hin zu gegenstandslosen Bildern, deren Kommunikationsofferte ihn provozierte, weil er nicht wusste, was er beobachten sollte, wo vorn und hinten, wo oben und unten war, und die in ihrem „Rätselcharakter“ eine kognitive Ergänzung, eine Orientierungsleistung, einen Deutungskommentar von ihm verlangten, einen

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Einfall erforderten, um mit der eventuellen Verstörung, Verstimmtheit des spontanen Nicht-Verstehens verstehend fertig zu werden. Ganz anders in den Museen der DDR: Die Blickfolge ging von den figurativen Bildern (Renaissance, Barock, Realismus, Impressionismus) über zum Expressionismus und (unter weitgehender Auslassung der abstrakten Bilder) hin zum Kritischen Realismus und zur Neuen Sachlichkeit, um bei den zeitgenössischen Bildern des „Sozialistischen Realismus“ anzukommen, in denen die Gegenstandswelt und vor allem die Menschenwelt enorm ausgedehnt und tendenziell alle Aspekte des Lebens in den sichtbaren Bildgegenstand eingeschlossen waren. Exemplarisch kann man das wiederum sehen an den Bildreihen des Leipziger Museums der bildenden Künste in den 1950er bis 1970er Jahren. Der Blick eines Betrachters wurde von Beständen der frühen europäischen Kunstgeschichte (mit den Schwerpunkten der Sammlung der gotischen Tafelmalerei, den niederländischen Genre- und Landschaftsbildern sowie dem Spätbarock) zur deutschen Malerei der Goethezeit geführt, hin zu den Romantikern und den Realisten, welchen bereits eine Aufmerksamkeitsverdichtung zukam. Die Bilderfolge führte das Publi-

Abb. 4: Werner Tübke: „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung II“ (Triptychon)

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kum dann weiter zu den „Nachimpressionisten“ (eine Bezeichnung, unter der beispielsweise Max Pechstein, Carl Hofer, Hans Purrmann, Alexander Kanoldt, Frans Masereel zusammengefasst wurden) zu den lokalen Vertretern der Leipziger Association Revolutionärer Künstler (ASSO) und den sozialkritisch engagierten Malern aus den 1920er Jahren Hans Grundig und Otto Dix direkt zur realistischen Nachkriegskunst und den Werken von Rudolf Bergander, Kurt Massloff, Walter Womacka, Oskar Nerlinger oder Curt Winkler. Die Blickführung mündete bei den Pionieren der in Leipzig ansässigen Künstler: Dietrich Burger „Baggerführer ‚Kurt Ringel‘“ (1961) und „Brigade Uslaub“ (1963), Werner Tübke „Bildnis des Viehzuchtbrigadiers Bodlenow“ (1962) und „Sozialistische Jugendbrigade“ (1964), Bernhard Heisig „Brigadier“ (1969/70), Wolfgang Mattheuer „Hinter den sieben Bergen“ (1973) oder „Ein schöner Sonntag“ (1967). Der Museumsbesucher machte also im Durchgang den Erfahrungswechsel von klassischen figurativen Bildern, auf denen „exklusive“ Menschen (bestimmter Stände und Schichten) zu sehen waren, hin zu „inklusiven“ Bildern, in denen nun tendenziell jeder ins künstlerisch figurative Bild genommen wurde (allein oder in Gruppierung), so dass am Ende der Zeitreise durch das Bildermuseum der Betrachter sich und seinesgleichen bildlich vorfand, in welcher Beleuchtung und Pointierung auch immer, im Prinzip er jedenfalls bei seiner eigenen künstlerisch voraussetzungsvollen Portraitierung angekommen war. Diese selektive Bildpräsentation der jeweiligen Avantgarden vor dem Hintergrund der europäischen Kunstgeschichte, für die hier exemplarisch die zwei Museen in Frankfurt am Main und in Leipzig genommen wurden, fand sich von der Ausrichtung her in allen Städten mit Museen bildender Kunst während der 1950er bis 1970er Jahre, also in dem Zeitraum, in dem die Kunstkommunikation in der Bundesrepublik und der DDR am stärksten differierte.19 19 Unsere Überlegungen beschränken sich auf diesen Zeitraum, weil seit Mitte der 1970er Jahre die Differenz zwischen den musealen Kunstkommunikationen der Bundesrepublik und der DDR sich abschwächte, ohne aufgehoben zu sein. In den westdeutschen Museen war die Pop-Art für die Kunstkommunikation präsent geworden, die gegenüber dem Abstrakten Expressionismus, Tachismus und Informel eine bewusste Rückkehr zum Gegenständlichen bedeutete, während in den Museen der DDR die strikte Bindung der präsentierten Gegenwartskunst an den „Sozialistischen Realismus“ porös zu werden begann.

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Zu r S o z i o l o g i e d e r W i r k u n g s d i f f e r e n z b i l d e n d e r K u n s t in der Bundesrepublik und in der DDR In diesem Sinn sind die Museen der Künste der Bundesrepublik und der DDR in den 1950er bis 1970er Jahren jeweils „Besucherschulen“ der Kunstkommunikation in einem tiefen Sinn gewesen.20 Die selektiven und arrangierten Bilderfolgen im Zusammenhang mit der europäischen Kunstgeschichte haben die Besucher jeweils in den Kern der eigenen Avantgarde – „Abstrakte Malerei“ oder „Sozialistischer Realismus“ – eingeübt; und vor diesem Hintergrund haben die alternativen Bildprogramme in den jeweils präsentierten neuen Bildern Wirkungen in den Betrachtern gezündet. Über die museale Selektivität hat die Kunstkommunikation der bildenden Künste in der Bundesrepublik und der DDR langfristig verschiedene Effekte auf die Rezipienten gehabt. Die westlichen Museen, die die kunstgeschichtliche Bilderfolge in den Varianten der abstrakten Kunst kulminieren ließen, setzten den Betrachter aus dem Bild vor das Bild in eine bisher unbekannte Position. In der „westlichen“ Kunstkommunikation fand sich der Rezipient als Supplement der Bilder vorgeschrieben: Er musste etwas aus den „Rätselbildern“ machen, er musste deutungsmäßig mit dem Bildangebot umgehen, den gebotenen Bruchstücken, Montagen, Variationen der Bildfläche, Travestien und Ironisierungen entsprechen, es musste ihm „etwas“ dazu einfallen, damit er die – vom Künstler zunächst erschwerte – Kunstkommunikation abschließen konnte; durch seine eigenen „Einfälle“, durch das Spiel seiner Einbildungskraft im Angesicht der Ungewissheiten, der bildlichen „Polyfokalität“ (Hofmann 2004) operierte er auch mit Krisen und Kreationen der eigenen IdentiAbb. 5: Lucio Fontana: „Concetto spaziale, Attese (59 T 132)“

20 Bazon Brock führte diese Bezeichnung 1968 auf der Kasseler documenta ein.

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tät.21 Dabei musste er zugleich damit umgehen lernen, dass sich die Künstler in den abstrakten Spielarten der Bilder eventuell einen Spaß mit ihm erlaubten, ihn attackierten oder Allotria mit seinem ernsthaften Verstehensabsicht trieben. In jedem Fall wurde die so arrangierte Kunstkommunikation – wenn sie nicht mit Abbruch endete – durch Geistesgegenwart und Gefühlsflexibilität abgeschlossen. Die Museen der DDR hingegen, die die kunstgeschichtliche Bilderfolge in den Varianten eines bildgegenstandsexpansiven Realismus gipfeln ließen, setzten den (die Museen erstmals betretenden, neuen) Betrachter am Schluss selbst als Figur ins kunstvoll gemachte Bild, eine ihm bis dato ebenfalls unbekannte Position. In der „östlichen“ Kunstkommunikation fand sich der Rezipient im Rahmen der Institution „Kunst“ selbst vor, er hatte die Chance, sich mit den Bildgegenständen zu identifizieren; er fand sich auf den Bildern als „typisches“ Individuum und zugleich in den Gesellschaftskontext eingebettet vor, er war für „bildwürdig“ befunden worden wie niemals zuvor in der Kunstgeschichte (die er im Museum bereits abgeschritten hatte); durch den Moment der Kunstbetrachtung „gehörte“ er als Teil der „Gesellschaft“, als aufgewertete Persönlichkeit des Volkes dazu. Man muss den „heroisierenden“ Ton, das Pathos, das oft mit den Bildern des sozialistischen Realismus verknüpft war, unterscheiden von diesem avantgardistischen Faktum der universellen Bildwürdigkeit von jedermann: würdig, aufwendig gestaltet im Bild zu erscheinen, waren die Menschen in ihrer Arbeitswelt, in ihrer freien Zeit, in ihrem sexuellen Begehren. Durch die Bildfläche hindurch erschienen sie im Bildraum, nicht mehr nur als Verworfene, wie oft noch in der Neuen Sachlichkeit (die Elenden, Kranken, Armen, Prostituierten, Verbrecher), sondern als Zentralfiguren der Gesellschaft. Somit kreiste und kursierte der Betrachter in dieser Kunstkommunikation selbst als beobachtbare Gestalt im Bild im Museum, für das die Gesellschaft Aufwand trieb. Was immer von den Bildern des sozialistischen Realismus im Einzelnen zu halten war, insgesamt suggerierten sie im Wahrnehmungskontext der europäischen Bildergeschichte systematisch erstmals eine durch die Gesellschaft gewährleistete Selbstachtung von jedermann; niemand konnte verloren gehen.

21 In dem weltweit bekannten Theaterstück „Kunst“ der Dramatikerin Yasmina Reza wird im Streit um ein rein-weißes Gemälde sogar eine lang bewährte Männerfreundschaft riskiert.

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Natürlich ist dieser katalysatorische Effekt der Museen in der alternativen Kunstkommunikation der Bundesrepublik und der DDR, auf den es hier ankommt, begleitet worden durch weitere dritte Instanzen, die den jeweiligen Kunstkommunikationen ihren je spezifischen Stoß gaben, vor allem den zeitgenössischen Leistungsschauen, aber auch den Curricula des Kunstunterrichts an den Schulen. So hat im Westen bereits die erste documenta (1955) in Kassel – mit seiner Grenzlage zur DDR ein geokunstpolitischer Ort – der neugierigen Öffentlichkeit die komplette „Abstrakte Kunst“ demonstriert, indem sie den Bogen von den frühen Formen bei Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Fernand Léger, Robert Delaunay, Pablo Picasso und Georges Braque über die Malerei des Expressionismus (Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff oder Oskar Kokoschka) bis hin zu den nicht-figurativen Arbeiten der Jüngeren Fritz Winter, Willi Baumeister, Heinz Trökes oder Emilio Vedova spannte. Und spätestens Mitte der 1960er Jahre war die „Westkunst“ im Kunstunterricht angekommen, der fortan neben dem klassischen Zeichnen (dessen Stellenwert er abschwächte) in die Montage- und Collagetechniken, überhaupt in die experimentelle Kunst einübte; damit wurden Zöglinge der „Abstrakten Kunst“ rekrutiert, die – anders als vielfach ihre Eltern – vor den abstrakten Bildern nicht mehr diskursiv oder tatsächlich wegliefen, sondern es aushielten, sich mit den bildgegenstandslosen Bildern auseinandersetzten und den dabei erzielt kognitiv-emotionalen Gewinn auch in Distinktionsgewinne umsetzen konnten. Umgekehrt, ebenfalls als Verstärkung des katalysatorischen Effekts der in den Museen ablaufenden spezifischen Kunstkommunikation, wurde bereits auf der II. Deutschen Kunstausstellung (1949) der „Sozialistische Realismus“, unter tatkräftiger Beratung und Kritik der in dieser Kunstrichtung, auch durch die Rezeption des Muralismo, erfahrenen soAbb. 6: Lothar Zitzmann: wjetischen Kunstexperten zur „Eine von uns“

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Dominante, die sich auf den weiteren Bezirkskunstausstellungen und Deutschen Kunstausstellungen als Foren zeitgenössischer Kunst stabilisierte. Hinzu kamen die Wandbilder im öffentlichen Raum, die das kommunikative Prinzip der Inklusionskunst, das die Gemälde des sozialistischen Realismus dominierte, verstärkte, weil sich im öffentlichen Raum kaum jemand der Anschauung entziehen konnte.22 Und die „Ostkunst“ prägte den Kunstunterricht, nicht nur in der Kontinuierung der Handwerkskunst des Zeichnens, sondern in der nun systematisch verpflichtenden Ausrichtung des Schülerblicks auf die künstlerische Aneignung, zum Beispiel der beruflichen Arbeitswelt der Eltern. Die Museen mit ihren Folien europäischer Kunstgeschichte bündelten die Funktion der unterschiedlichen Kunstsysteme für ihre Gesellschaften katalysatorisch. Sie waren die Rückgrate der Kunstkommunikation, weil in ihnen die jeweiligen Avantgarden im Kontext der Überlieferung im Auge des Betrachters prägnant wurden. Die Funktion der im westlichen Kunstsystem durchgesetzten Kunstkommunikation für die Gesamtgesellschaft war es, im Angesicht des „offenen Kunstwerks“ Kreativität im Betrachter zu motivieren, nahezu zu erzwingen (in Bezug auf Perspektivenwechsel und Ambivalenzen), systematisch zu schulen und parat zu halten; die Funktion der im östlichen Kunstsystem eingespielten Kunstkommunikation für die Gesamtgesellschaft war es, im Angesicht des geschlossenen Kunstwerk, das im Prinzip jeden ‚einschloss‘, im Betrachter das Würdeversprechen für jedermann (im Vergleich zu den realen Verhältnissen) systematisch zu implementieren und parat zu halten. Die Funktion, die die bildenden Künste für die jeweiligen Gesellschaften schließlich übernommen haben, deckte sich aber beide Male nicht mit der ursprünglich antibürgerlichen Intention der Avantgardekünstler bei der Gestaltung der Kunstkommunikation zu Beginn des 20. Jahrhunderts: In der „Westkunst“ verschoben sich die ursprünglich antibürgerlichen Impulse der Provokation in eine speziell über das Museum generierte Kreativitätsschulung, die über die „Besucherschulung“ der Kommentarbedürftigkeit und des Eigenkommentars immer erneut selektive Teile der Bevölkerung kreativ hochschulte und distinguierte sowie in erneuerte bürgerliche Trägergruppen einer (technisch, ökonomisch, 22 Beispielsweise das umlaufende Wandbild von Walter Womacka am ‚Haus des Lehrers‘ (1964) Berlin Alexanderplatz oder „Der Weg der roten Fahne“ von Gerhard Bondzin und seinem Kollektiv am Kulturpalast Dresden (1962-1969).

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sozial etc.) innovativen Gesellschaft verwandelte. Die Kunstrezeptionsforschung der alten Bundesrepublik bestätigt, dass das Kunstmuseumspublikum der sechziger und siebziger Jahre ein „ausgesprochenes Elitepublikum“ (Wick 1979: 267) bildete, „ein hochgradig selektives Publikum, in dem Personen mit geistes- und sozialwissenschaftlicher akademischer Bildungsqualifikation bei weitem überwog“, das sich „als auserwählte Gemeinde in einer gesellschaftlichen Sinnprovinz [betrachtet], deren Exklusivität in der Verfügbarkeit über besondere Schlüssel und Spielregeln besteht. […] Das Wissen um die diese Polyvalenz der Maßstäbe und Wertbarkeiten schafft somit einerseits Voraussetzungen für ein spielerisches, kreatives und sanktionsfreies Genießen, erschwert aber andererseits Dialoge oder macht sie beliebig.“ (Klein, 1992, 14) 23

Der Innovationsdruck und die Innovationserfahrung der Arbeits- und Dienstleistungswelt wurde in den Innovationseffekten der „Abstrakten Kunst“ vorgeahmt, so dass die frühe Förderung der abstrakten Kunst durch den Bundesverband Deutscher Industrie (BDI) und die schließlich flächendeckende Hängung von abstrakten Bildern in den Büros westdeutscher Managementbüros nicht nur Legitimations- oder Distinktionsfunktionen übernahm, sondern tatsächlich Wahlverwandtschaften innovativer Mentalität zum Ausdruck brachte (vgl. Grasskamp 2001). Kunstsoziologisch gesehen verwandelten sich damit die ursprünglich antibürgerlichen Intentionen der abstrakten Kunst, des einen Avantgardeprojektes, in kunstkommunikative Ressourcen einer sich ständig regenerierenden bürgerlichen Gesellschaft. In der „Ostkunst“ schließlich formte sich das ikonische Würdeversprechen, das – vermittelt über das Museum – das Bildprogramm jedermann in der Gesellschaft anbot, indirekt in eine Transformationsvoraussetzung des Abschieds vom Sozialismus um. Die politische Soziologie der „Wende“ 1989 ist nicht ohne Kunstsoziologie zu begreifen, und das Faktum und die Art der „Wende“ sind nicht ohne die Voraussetzung der Bildkunst des sozialistischen Realismus verstehbar. Obwohl die „Rezeptionsgeschichte bildender Kunst im Osten Deutschlands 1945-1995“ sorgfältig recherchiert und dokumentiert ist (vgl. Lindner 1998), ist dieser Zusammenhang bisher unentdeckt geblieben, weil die kunstge23 Das Selbstverständnis dieses neuen westdeutschen Bildungsbürgertums artikulierte noch vor kurzem der bundesrepublikanische Kunstkritiker Peter Iden (2004) in seinem Aufsatz „Liebe gibt es nicht auf Verlangen. Ein Plädoyer gegen die DDR-Kunst“.

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schichtliche Verkennung des Avantgardecharakters des „Sozialistischen Realismus“ als spezifisch moderne Bildkunst den Blick blockiert. Die jahrzehntelange Verinnerlichung der systematischen bildkünstlerischen Heraushebung und Würdigung des „Menschen“, jedes Menschen im Bild stellte nämlich eine Schlüsselvoraussetzung dar, um den Kontrast des sozialistisch-realistischen Bildversprechens zur Realität des Sozialismus wahrzunehmen. Eine ökonomisch erfolglose Wirtschaft, politische Gängelung, ästhetisch verwahrloste Stadtzentren und Dörfer verletzten den bildimplementierten Stolz auf die disziplinierte Eigenleistung der arbeitenden Träger der Gesellschaft („Wer baut das siebentorige Theben?“). Zugleich hatte die bildliche Würdewirkung, die Identifikation von jedermann mit dem Bildpersonal des sozialistischen Realismus einen Habitus ausgebildet, der die Voraussetzung für diese disziplinierte und friedliche Revolution von 1989 war. So wie die Bevölkerung der herrschenden Partei den Begriff der „Volksdemokratie“ entwendete, in dem sie ihn umwendete („Wir sind das Volk“), so stieg jeder Einzelne aus den ihn würdigenden „Bildern“ des sozialistischen Realismus herab – die ihn jahrzehntelang in den Betrieben, Schulen, aber eben gerade auch den Museen umstellt hatten –, um den Abschied vom Sozialismus einzuleiten. Zwar muss eine differenzierte kunstsoziologische Einschätzung der DDR mit einbeziehen, das in den späten 1980er Jahren angesichts der von der SED-Führung lückenlos kontrollierten Massenmedien die bildende Kunst ein Substitut informeller Öffentlichkeit wurde: Eine zunehmend kritische, vom Sozialistischen Realismus sich lösende, mit verschiedenen Kunstformaten experimentierende bildende Kunst in der DDR bildete ein Verständigungsforum für Distanzeinübungen (vgl. Kaiser/Petzold 1997). Aber die tatsächliche Enttäuschung, die zur „Wende“ führte, und die demonstrative Art der „Wende“, entstammen kunstsoziologisch gesehen einem tiefer gelegten Habitus, der durch das omnipräsente Inklusionsversprechen des sozialistisch-realistischen Bildprogramms der Moderne entscheidend mit induziert worden war. Damit verwandelt sich also auch die andere antibürgerliche Intention der Inklusionskunst des sozialistischen Realismus indirekt in eine Voraussetzung der Wiederherstellung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren essentials des Privateigentums, der politischen Mechanismen der Zivilgesellschaft und einer auf Distinktionen beruhenden Kultur.

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Nach der „Wende“: Wiederentdeckung der ganzen modernen Kunst – eine Herausforderung für die Museen Die „Wende“ und das Verschwinden des Sozialismus führen langfristig zu einer Neusortierung der gesamten modernen bildenden Kunst, die allmählich den Blick auf die ganze Geschichte der modernen Kunst freigibt. Das ist an zwei Prozessen erkennbar. Zunächst kam es im Gebiet der ehemaligen DDR zu einer erstmaligen Entdeckung und systematischen Präsentation der durch das Konzept des „Sozialistischen Realismus“ ausgeschlossenen „Abstrakten Malerei“ (Rehberg/Kaiser 2003), die es in der Kunst der DDR immer gegeben hatte, obwohl sie nicht als Kunst der DDR galt (z.B. die Wiederentdeckung von Hermann Glöckner, Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus). Das führte in mehreren Zickzack-Schüben eines „Bilderstreits“ der 1990er Jahre schließlich zur Berliner Retrospektive „Kunst in der DDR“ (Blume/März 2003), in der auf geradezu seltsame Weise die in der DDR gestaltete Kunst so westlich wie nie zuvor aussah, weil die Kuratoren Eugen Blume und Roland März auf Schlüsselbilder des „Sozialistischen Realismus“ (z.B. von Willi Sitte, Walter Womacka oder Willi Neubert) bewusst verzichtet hatten. Komplementär zu diesem Nachholbedarf der ästhetisch interessierten Intelligenz der ehemaligen DDR kommt es innerhalb des westlichen Kunstmarktes zu einem erstaunten Interesse an den Möglichkeiten der „gegenständlichen“ Malerei des 20. Jahrhunderts, verdichtet vor allem in der Zuwendung zur „Neuen Leipziger Schule“, in der eine neue Generation weiterhin die zeichnerisch geschulten Malgesten der „Leipziger Schule“, dem unwiederbringlichen Kunstmodell der DDR, fortsetzt, indem sie sich der Sichtbarkeit der Lebenswelt moderner Gesellschaften überhaupt zuwendet (Giesecke 2004). Das findet Resonanz nicht zuletzt in den USA, die einen durchlaufenden, die abstrakte Avantgarde immer erneut ‚schockierenden‘ modernen Realismus kennen, der neben der Pop-Art immer neue Differenzierungen hervorbracht hat (Lucie-Smith 1994). Daran kann die bundesrepublikanische Westkunst wiederum die eigene Selektivität ihres Kunstmodells erkennen, in der über Jahrzehnte der Begriff der Avantgarde für die „Abstrakte Malerei“ monopolisiert wurde, was von einer tendenziellen Unterdrückung der eigenen figurativen Malerei begleitet wurde. Bereits der rheinische Kunstgeschichtler, Fabrikant und Sammler Peter Ludwig setzte einen Gegenakzent, als er mit seinen beiden bedeutenden Sammlungen zur amerikanischen PopArt und zur DDR-Kunst indirekt deren Wahlverwandtschaft am gegen-

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standsexpansiven Pol der modernen Kunst erkannte. Der nachträgliche, von Amerika aus lancierte Rezeptionsaufstieg von Max Beckmann zu einem Schlüsselkünstler der modernen Kunst der 1920er Jahre am Ende des 20. Jahrhunderts ist nur möglich durch die verspätete Anerkennung, dass die gegenstandsorientierte Malerei ebenso ins Zentrum der modernen Kunst gehört wie die abstrakte.24 Am Pol der gegenstandsexpansiven Avantgarde lagern sich die verschiedensten Stile und Maler an, von Cagniaccio de San Pietro bis Lucien Freud, von Christian Schad bis Chuck Close, von Diego Rivera bis Alexander Deineka, von Balthus bis Willi Sitte, von Grossberg bis Charles Sheeler – im Bewusstsein, dass moderner Realismus ein weites Kunstoperationsfeld experimentell durchläuft zwischen dem, was die wirklichen Dinge sind, und dem, wie die Dinge wirklich sind. Zur Moderne gehört die Erfahrung der „Unbeobachtbarkeit“ von Welt in der Beobachtung, die mit beobachtet werden kann (Luhmann), ebenso wie die Erfahrung ihrer expansiven Sichtbarkeit, der entfesselten Erscheinung der Objekte in der Welt, die sich der Wahrnehmung unvermittelt aufdrängen; deshalb gibt es in der modernen Kunst die Bildoperation der reflexiven Preisgabe des Referenzbezuges zugunsten der formalen Konstruktion in der Bildfläche, in der sich die Beobachtungsoperation selbst beobachtbar macht, ebenso wie die Bildoperation der inhaltlichen Öffnung für die Selbstexpressivität der Gegenstandswelt. Beide Kunstoperationen stehen am Beginn der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Diese Polarität der modernen Kunst sieht man auch an den prominenten Wanderern zwischen den Polen: So wie Rivera vom Kubismus zum muralistischen Realismus übergeht, so Pollock vom Muralismo zum Abstrakten Expressionismus. Am deutlichsten ist die Polarität der Avantgarden in ihren Extremen: So wie der Abstrakte Expressionismus, dann die Analytische Malerei die radikalsten Varianten am Pol der abstrakten Avantgarde waren, weil Extreme der Distinktionskunst, so bildeten der Muralismo, dann der Sozialistische Realismus die extremsten Varianten der anderen Moderne mit ihrem Bildprogramm der Inklusionskunst. Beide verkörpern Weltsprachen der modernen Kunst, beide sind „Weltkunst“ der Moderne (so Luhmanns Terminus für die eine Seite der Unterscheidung, die abstrakte Kunst; Luhmann 1997).

24 Ein weiteres Indiz für die Anerkennung der ganzen modernen Kunst ist die seit längerem anhaltende Hochschätzung Gerhard Richters, weil er seit Jahrzehnten in seinem Werk beide Avantgarden bedient.

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Diese doppelte Wiederentdeckung der modernen bildenden Kunst ist eine Herausforderung für die Museen sowohl der ehemaligen Bundesrepublik wie der DDR, durch eine neue Selektion der ganzen Geschichte der modernen Kunst die Kunstkommunikation neu zu triangulieren.

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DER SAMMLER UND DIE MUSEUMSKULTUR IN DEUTSCHLAND Wilhelm Schürmann im Gespräch mit Lutz Hieber

Lutz Hieber: Du warst als Sammler lange Zeit unzufrieden mit den konventionellen bundesrepublikanischen Museen. Deine Kritik bezog sich darauf, dass fast alle unsere Kunstinstitutionen einen begrenzten Kreis von Künstlerinnen und Künstlern aufnehmen – und dadurch vieles von dem, was sich weltweit entwickelt, ausgrenzen. Siehst du den Großteil der Museen noch immer so? Wilhelm Schürmann: Ich sehe den Großteil der Museen, was die Sammlungsaktivitäten angeht, noch immer so. Eine gewisse Gleichförmigkeit herrscht vor, allerdings nicht nur bei den Museen, sondern auch bei privaten Sammlungen. Ich stelle fest, dass man sich nicht traut, die Trampelpfade des Mainstreams zu verlassen. Man hat Angst, Fehler zu machen. Man orientiert sich gerne an bekannten Namen. Sicherheitsdenken jedoch ist der große Gleichmacher. Eigentlich kann man aber im Umgang mit Kunst keine Fehler machen. Es sei denn man hat öffentliche Gelder zu verantworten und spielt privatissime. Als Privatsammler bin ich in der glücklichen Lage, nur mir selbst gegenüber verantwortlich zu sein. Der Erwerb von Kunstwerken ist nur meine persönliche Angelegenheit und belastet nur meinen eigenen Geldbeutel. Hier hilft ein Bildtitel von Kippenberger: „Selbstjustiz durch Fehleinkäufe.“ Das Problem der institutionellen Gleichförmigkeit scheint mittlerweile erkannt zu sein, und vielleicht ändert sich auf lange Sicht etwas daran. Aber Ansätze zu Veränderungen werden durch mehrere Faktoren gebremst. So erweist sich erstens der Mangel an öffentlichen Geldern als hinderlich. Es gibt zu wenig Mitarbeiter. Zweitens wirkt ein organisatorisches Moment hemmend, nämlich die Tatsache, dass Museumsleiter verschiedene Funktionen zu verkörpern haben. Sie sollen in Personalunion Fundraiser, gute Manager, interessante Sammler und hervorragen-

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de Ausstellungskuratoren sein – wie soll das gehen? Feierabend gibt es nicht! Der private Sammler hat es einfacher, denn anders als ein Museumsleiter befindet er sich in der luxuriösen Lage, auch seine freie Zeit für die lustvolle Beschäftigung mit Gegenwartskunst nutzen zu können. Die Beschäftigung mit Kunst ist mehr als ein Job. Weiter wäre die Frage nach der Öffentlichkeitstauglichkeit von Institutsleitern zu stellen. Bei Neuberufungen auf solche Stellen wird noch zu stark auf die fachwissenschaftliche Qualifikation geachtet, und weniger auf Befähigung zum öffentlichen Auftreten, auf ihre Sozialfähigkeit, auf charismatische Qualitäten usw. Deshalb sind solche Posten auffallend häufig mit verhuschten Talenten besetzt. Und entsprechend sehen dann die Sammlungen und die Häuser aus – bis in die Geruchslagen der verschiedenen Räume hinein. In den vergessenen Ecken der Museen sind die immergleichen Staubfänger zu entdecken. Werke der Gruppe Zero z.B.; aus Sorge vor Staub mit Plexiglaskästen versiegelt, verstauben diese jetzt verzagt vor sich hin. Könnte man die Kunst in den öffentlichen Häusern nicht etwas mehr zum Funkeln bringen? Für mich als Sammler erschließt sich die Aktualität von Kunst in der Heutigkeit ihrer Wahrnehmbarkeit. Der Gegenwartsbezug von Kunstwerken hängt davon ab, wie erhellend der Blick auf Vertrautes eröffnet werden kann, und wie er immer wieder erneuert werden kann. Ich lebe im Grenzland, Dreiländereck, in einer Region, deren Kulturreichtum wohl weltweit einzigartig ist. Mein Heimatort Aachen befindet sich in nur dreißig Kilometern Entfernung von Maastricht, in siebzig Kilometern von Eindhoven. Paris ist mit dem Thalys in drei Stunden erreichbar. Antwerpen, Ghent, Brüssel sind schnell erreichbar. Köln und Düsseldorf sind eine Stunde entfernt, das Ruhrgebiet schließt sich an. In einer kulturell so dichten Gegend kann niemand erwarten, dass Besucher in die Museen strömen, wenn die Institutionen, die so nah beieinander liegen, vorwiegend dieselben Künstler vertreten. L.H.: Die meisten unserer Museen orientieren sich noch immer am autonomen Kunstwerk. Das ermöglicht Kanon-Bildung. Dich hat dieser enge Blick immer gestört, du warst an Entwicklungen interessiert, die diesen engen Denkhorizont sprengen. In diesem Sinne sehe ich dich als eine Art dadaistischen Sammler, der sich weniger von den gängigen Kunst-Auffassungen beeinflussen lässt und deshalb auch gerne die Grenzen von high und low überschreitet. Dich können gute Plakate und

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DER SAMMLER UND DIE MUSEUMSKULTUR

Film-Aushangfotos genauso faszinieren wie Gemälde oder Fotografien. Nach welchen Auswahlkriterien gehst du vor? W.S.: Für mich gelten ganz unterschiedliche Kriterien. Zum einen kann es einfach nur Lüsternheit sein. Zufälle sind entscheidend. So verhielt es sich z.B. bei dem Zufallsfund der Garderoben-Test-Fotografien von Marilyn Monroe, die ich in einer Kiste in Hollywood entdeckt und für wenig Geld erstanden habe. Auf diesen Fotos ist Marilyn in einem bestimmten Outfit abgebildet, um zu prüfen, ob diese spezielle Kleidung wirklich in die betreffende Filmszene passt, und um Spezialisten zu fragen, ob die Frisur dazu stimmig ist. Neben der Schauspielerin, die stets gerade in die Kamera blickt, befindet sich jeweils ein Schild, auf dem die Szene beschrieben ist. Eine Reihe von fünfzig oder mehr Bildern dieser Art nebeneinander wurde plötzlich interessant. Fast typologisch ist ein zeittypisches Schönheitsideal abzulesen. Trotz zeitloser erotischer Ausstrahlung bildet sich ein völlig anderes Körperideal ab, als das heute propagierte. Schönheitsideale sind ja schon immer ein wichtiges Thema der Kunst gewesen. Ein Anstoß zu weitergehender Neugierde kommt von einigen Künstlern, die mir im Grunde den Anlass zum Forschen in solchen Low Art Bereichen geboten haben. Als Beispiel kann eine Installation der amerikanischen Künstlerin Cady Noland gelten, die sich in mehreren Arbeiten Anfang der 1990er Jahre mit dem Rollenbild von Patty Hearst befasste. Patty Hearst, die von der Gruppe Symbionese Liberation Army (SLA) entführt wurde, ist Tochter des Medienzaren Randolph Hearst. Ihr Großvater war das Vorbild für den Film Citizen Cane. Deshalb habe ich nach dem Originalplakat zum Film Citizen Cane Ausschau gehalten, bin aber in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auch immer wieder auf das Zeichen der SLA, die siebenköpfige Kobra, gestoßen. Das war allerdings erst denkbar, seit mit Ebay ein Trödelmarkt mit Suchmaschine zur Verfügung stand. Die Schlange als Zeichen der SLA taucht in verschiedenen Verwendungszusammenhängen auf: ich habe es auf Plattencover, Magazintiteln, T-shirts, auf Presseagenturfotos, oder auf dem Cover eines Raymond Pettibon Videos gefunden. Mein abstrusester Fund dazu war das Plakat zu einem Pornofilm mit dem Titel „Why Patty did it, the hardcore truth“. Der Film ist übrigens harmlos, ich habe ihn aber dreimal über Ebay ersteigern müssen, weil er jedes Mal vom Zoll kassiert wurde; nun ist er da und ist so langweilig wie erwartet. Aber im Gesamtprogramm ist er ein Spitzenbeitrag. Außerdem fand ich ein Originalplakat von damals, das aus den Unter-

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stützeraktivitäten für die SLA in San Francisco stammt. Diese Beispiel zeigt, wie ich vom Kunstwerk zu den nichtkünstlerischen Dokumenten gelange. Im vorletzten Jahr habe ich diesen Teil meiner Sammlung in ganzer Breite in der Kunsthalle Baden-Baden und im Künstlerhaus Stuttgart ausgestellt. L.H.: Deine Sammelaktivitäten stellen eine Kritik an der in Deutschland heute noch üblichen Trennung dar, die strikt zwischen Kunst-Museen und Kunstgewerbe-Museen unterscheidet. Plakate werden üblicherweise von Kunstgewerbe-Museen gesammelt und aus Kunst-Museen ausgegrenzt, aber du stellst Verbindungen her. W.S.: Mir leuchtet immer weniger ein, warum die Grenzen zwischen Designabteilung, Fotografieabteilung und Gegenwartskunst aufrecht erhalten werden müssen, jenseits von verwaltungstechnischen Überlegungen. Solche Spartengrenzen sind ausgeleiert. Ich habe z.B. Ausstellungen im MoMA New York oder im Art Institute in Chicago gesehen, die sich bei der Darstellung einer Epoche nicht allein auf die Malerei und die klassischen Kunsttechniken beschränkten. Diese Ausstellungen konnten deutlich machen, welche zeitlich verdichteten Impulse quer durch alle Kunstgattungen wirksam waren. Gerade die Sicht auf alle Sparten hat die Präsentation aufregend gemacht. Das ist selbstverständlich von der Präsentationsweise der Völkerkundemuseen zu unterscheiden, wo etwa ein Schrank neben einem Tisch zu sehen ist, und links von diesem hängt ein Bild – schau mal, so haben die gelebt, – who cares? Es gäbe überall unendlich viele interessante Anknüpfungspunkte. Woran mag es liegen, daß man sich nicht traut, den überkommenen Kanon zu verlassen? L.H.: Sammler werden oft als Trophäenjäger gesehen, die unermüdlich auf der Suche nach qualitativ hochwertigen Werken sind. Sie erwerben mit diesen Arbeiten auch selbst Reputation. Und am Ende steht dann, wenn es sich um sehr reiche Sammler handelt, möglicherweise ein Museum, das ihren Namen trägt. Damit sie dieses Ziel erreichen können, ist ihre Sammlertätigkeit allerdings durch und durch an der Struktur des Museums orientiert. Walter Benjamin, der selber Sammler war, kennt jedoch noch einen anderen Sammlertypus, den er allerdings im Aussterben begriffen sah. Er unterscheidet zunächst die öffentliche Sammlung von der privaten. Dazu sagt er. „wenn öffentliche Sammlungen nach der sozialen Seite hin

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unanstößiger, nach der wissenschaftlichen nützlicher sein mögen als die privaten – die Gegenstände kommen nur in diesen zu ihrem Recht“. Für den richtigen Sammler, den Benjamin noch vor Augen hat, für den Sammler, der sich nicht den Prinzipien der Kunst-Institutionen fügt, „ist der Besitz das allertiefste Verhältnis, das man zu Dingen überhaupt haben kann“ – der Sammler „ist es, der in ihnen wohnt“. Euer Haus in Herzogenrath lässt schon auf den ersten Blick erkennen, dass ihr zu denjenigen gehört, die in ihren Werken wohnen. Was unterscheidet sich nun, und das ist eine wichtige Frage, diese Art des Umgangs mit Kunstwerken von denen beispielsweise eines Museums-Kurators? W.S.: Bei Sammlern spielt die Leidenschaft, die persönliche Begehrlichkeit, eine wesentliche Rolle, eine Leidenschaft ohne Leiden. Kippenberger hat ein Bild mit dem Titel „Leiden warum, Leiden wozu“ gemalt. Damit wollte er wohl das stellvertretende Leiden des Künstlers in Frage stellen. Leidenschaft ist also unabdingbar. Ich verfüge ja nur über relativ geringe finanzielle Möglichkeiten, deswegen muss ich mir schon im Klaren sein, warum ich etwas erwerbe. Ich habe Kunst auch wieder verkauft. Dabei handelte es sich allerdings um Werke, die ich am Anfang der 1980er Jahre erworben habe, am Beginn meiner Aktivitäten als Sammler von Gegenwartskunst. Damals wollte ich eigentlich lediglich leere Wände zu Hause dekorieren, und hatte noch keine eigenen Kriterien im Umgang mit Gegenwartskunst entwickelt. Erst allmählich wurde mir klar, dass es auch bei den Künstlern einige gibt, deren Dämlichkeit der Dämlichkeit anderer Mitglieder unserer Gesellschaft in nichts nachsteht. Zu konstatieren, Künstler hätten a priori einen Mehrwert gegenüber der Gesellschaft, war vermessen und naiv. Diese Art von Blödheitskunst habe ich aus meinem Leben entfernt. Da ich es mir nicht erlauben konnte, sie zu verschenken, habe ich sie verkauft, und ich machte das mit offenem Visier, in aller Öffentlichkeit. Das hat mir das Image eingebracht, ich würde nur kaufen um zu verkaufen. Aber das Verkaufen dieser Kunst war tatsächlich ein Rausschmiss. Ich habe sie wirklich rausgeworfen, weil ich die Ideologie dahinter durchschaut hatte. Die Freunde dieses Typs von Künstlern, um auch das noch zu erwähnen, waren zu mir nach Hause gekommen und wollten die Kunst in unserer Wohnung umhängen, und sie haben mich beschimpft, weil ich nicht das sammelte, was sie für wahre Kunst hielten. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden rausgeschmissen.

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Ich war einem unerträglichen Kulturfaschismus aufgesessen. Da wurde pseudoreligiöses Gewäsch als Kulturwert behauptet. Der Rausschmiss solcher Kunstwerke war mein persönlicher Exorzismus. Heute haben wir sehr prominente Kunstwerke in unserer Sammlung. Uns werden immer wieder Kaufangebote gemacht; es werden unglaubliche Summen für einzelne Kunstwerke geboten, da kann man schon weiche Knie bekommen. Bisher habe ich noch immer gesagt, Familienmitglieder seien unverkäuflich. Das gilt besonders für jene Künstler, die meinen Umgang mit Kunst geprägt haben, also für Kippenberger und Oehlen und diese ganze Familie. Nächstes Bild. Bei uns in einem Wohnraum ist eine Installation eingebaut, von Julia Scher (Abbildung), Künstlerin aus New York. Gekauft haben wir die Arbeit im Januar 1991. Zwei Wochen vor Beginn des Golfkrieges. L.H.: Auf dem Bild befindet sich unten ein Sofa. Das ist wichtig, denn daran lässt sich erkennen, wie man unmittelbar in der Installation sitzt. W.S.: Links ist eine Kamera zu erkennen. Sie kann auch auf Besucher gerichtet werden, die selbst ebenfalls Bestandteil des Werkes werden

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können. Im Haus sind fünf weitere Kameras installiert, deren Bilder in Echtzeit auf den Überwachungsmonitoren übertragen werden. Diese Bilder können aufgezeichnet werden und über Tapes gleichzeitig eingespielt werden. Real time trifft taped time. Von Lutz besitze ich ein Tape, auf dem von ihm nach vier Stunden nur noch die Haare zu sehen sind, weil er nach und nach immer tiefer in den Sessel rutschte, bei gleichbleibendem Kamerastandpunkt. Das Zeitmoment ist besonders interessant. Zur Installation gehört auch ein Videoprinter, auf dem einzelne Bilder ausgedruckt werden können. Damit besitzen wir sozusagen ein verblassendes Gästebuch, weil diese Bilder im Laufe der Jahre ausbleichen – wie auch Erinnerungen verblassen. Von der Künstlerin erhielten wir ein Zertifikat, das besagt, dass mit dem Zeitpunkt, an dem die Arbeit verkauft oder an ein Museum gegeben werden sollte, ihre aktive Zeit beendet sein würde. Das Copyright sämtlicher aufgezeichneten Tapes liegt bei Julia Scher, unabhängig davon ob ich die Kamera führe. L.H.: Ich komme noch einmal auf Benjamin zurück. Für ihn ist „Sammeln ein Urphänomen des Studiums“. Auch du studierst, indem du Werk um Werk zusammenträgst. Dabei kommt es dir darauf an, aus dem Zusammentreffen von Werken unterschiedlicher Herkunft Funken zu schlagen, Erkenntnis zu gewinnen. Das gelingt dir, unter anderem weil dein Aktionsradius sehr weit ist: du bewegst dich sowohl in Los Angeles wie auch hier in der Bundesrepublik gerne in den verschiedensten Feldern. Vor einigen Jahren hat die Ausstellung „Vorabendprogramm“, die Arbeiten des GALA Committee umfasste, Aufsehen erregt. Die Mehrzahl dieser Stücke kam aus der Sammlung Schürmann. Ich möchte dich bitten, einige Arbeiten des GALA Committee vorzustellen, und dann anschließend die Bedeutung dieser Arbeiten im Kontext deiner Sammlung zu erläutern. W.S.: Mel Chin ist ein amerikanischer Künstler, ein first generation American, der in Texas aufwuchs. Wie er erzählte, erfuhr er dort als Chinese-American eine besondere Form von Rassismus. Als Künstler fiel er mir durch eine Ausstellung des MOCA Los Angeles auf. Dafür hatte er das Projekt vorgeschlagen, mit einer Gruppe seiner Studenten das Artwork für die Vorabendserie Melrose Place zu produzieren. Mel Chin gründete also das GALA Committee, dessen Name sich aus GA für Georgia und LA für Los Angeles, der Herkunft seiner Studenten, zusammensetzt. Das GALA Committee umfasste schließlich über hundert Mitglieder. Insgesamt wurden innerhalb eines Jahres etwa 150 Arbeiten

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produziert, davon gab es 88 Placements in 44 Episoden der Serie. Das Projekt zielte nicht etwa darauf ab, Hollywood ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Im Gegenteil, es war durchaus von großer Ernsthaftigkeit. Mel Chin kam es darauf an, dass seine Studenten kennen lernen sollten, wie hardcore professionelle TV-Produktionen unter Termindruck ablaufen und Hollywood sollte einen Eindruck gewinnen, wie sich künstlerische Ideen verwirklichen lassen. Der Produzent von Melrose Place war immerhin Aaron Spelling, einer der mächtigsten Produzenten Hollywoods. Das GALA Committee stellte also Artworks für die Serie her. Eines davon ist die TV-Tube aus Bronze, ein fernes Echo der Bronze-Taschenlampe von Jasper Johns. Das erste Placement waren die „Safety Sheets“. Dabei handelte es sich um das Design für einen Bettbezug, in dem die Schönen in einer Folge nächtigen. Im amerikanischen Fernsehen war es seinerzeit bei Strafe verboten, ausgerollte Kondome zu zeigen. Deshalb wurde der Bettbezug mit ausgerollten Kondomen bedruckt. Keiner der Produzenten bemerkte das. Die Flimmerkiste hatte zu abstrakter Wahrnehmung geführt. Übrigens können die Episoden aus Melrose Place, die Arbeiten des GALA Committee enthalten, auf einer Website angesehen werden: http://www.arts.ucsb.edu/projects/mpart/core/core.html L.H.: Dieses „Safety Sheet“ und andere Werke des GALA Committee hast du in deiner Sammlung? W.S.: Ja. Als ich diesen Künstler kennen gelernt habe, verstand ich übrigens, worum es beim modernen product placement in einer TV-Serie ankommt. Weiter. In der MOCA-Ausstellung, von der ich sprach, befanden sich auch Fotografien von Edgar Arceneaux, von der Umgebung der Watts Towers in Los Angeles. Diese Gegend zählt zu den Drogenmilieus von L.A.. Seine Fotos erinnern an Ed Ruschas Buch “Every Building on Sunset Strip”. Ich schlug Mel Chin vor, diese Fotos in Buchform zu produzieren und in einer Episode von MP neben das Ruscha Buch auf einem Bücherbord zu platzieren. Mel Chin hat mich daraufhin angerufen, weil ihn die Idee begeistert hatte. So habe ich ihn kennen gelernt. Leider musste er mir mitteilen, dass das Projekt bereits beendet war. Später wies er mich auf die Sotheby’s Auktion in Beverly Hills 1998 hin, bei der alle Arbeiten des GALA Committee versteigert wurden. Ich saß also am Tag der Auktion morgens um halb Fünf am Telefon in

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Kohlscheid, um mitzubieten. Als die Versteigerung losging, hörte ich, wie bereits zu Beginn sehr hohe Gebote abgegeben wurden. Ich dachte schon aufgeben zu müssen, weil alles zu teuer zu werden schien. Doch mein Gegenüber von Sotheby’s beruhigte mich: „don’t worry, that’s a trailer from the auction“. Der Trailer stammte aus einer Episode von Melrose Place, in der ein Bild in einer Benefizauktion versteigert wird, ein Bild, das jetzt auch in der realen Sotheby’s Auktion zum Aufruf kam und das ich ersteigern konnte. Willkommen in der Mediengesellschaft. Das GALA Committee hatte die Produzenten auch dazu bewegt, für die Serie einen Künstlercharakter zu entwickeln. Eine Malerin, Samantha. Somit wurde für diese Malerin ein Atelier benötigt, und auch mehrere Gemälde. Die Produzenten fragten nach Bildern im „hokneyesken Stil“, wobei die Sujets frei waren. So entstand die Serie „Sam’s Late Paintings“, die alle eine dunkle Seite von Los Angeles thematisieren. Sie zeigen alle „famous crime scenes“. Ein Gemälde gibt das Haus von O.J. Simpson wieder, ein anderes das von Sharaon Tate, ein weiteres das von Marilyn Monroe, in dem sie Selbstmord verübte. Diese Gemälde wurden alle auf der Sotheby-Auktion versteigert. Desgleichen die damals in der Benefiz-Auktion von Melrose Place verwendeten kurvigen „Auction Paddles“, deren Bieter-Nummern die Maße Marilyns – in Inches – wiedergeben. Auch diese Arbeiten habe ich erworben. Die berühmteste Arbeit der gesamten Serie ist die „Shooter’s Bar“, jene Bar in Melrose Place, in der sich abends die Protagonisten trafen. Darauf hatte ich mein ganzes Geld fokussiert. Nun bin ich Bar-Besitzer. Die Künstler haben alle Teile der Bar selbst gestaltet. Auf den Etiketten der Flaschen wird die Geschichte des Alkohols und des Alkoholismus ausgebreitet. Die Arbeit wurde im K21 in Düsseldorf aufgebaut, und wurde wieder in Betrieb genommen. Mel meinte „you should use it, you can try to get the money back you had to pay for it“. Die Herstellung der Bar hatte 17.000 $ gekostet, ich bekam sie für viereinhalb Tausend. Der Transport war teuer. Ich war erstaunt, wie spottbillig die meisten Arbeiten weggingen. Das klassische Kunstverständnis meint wohl immer noch, man solle nur Werke kaufen, wenn man weiß, wer den Pinsel geführt hat. Ich dachte eigentlich seit Warhol sei das überholt gewesen. Die Arbeiten des GALA Committee wurden im Kunstverein Aachen und im K21 in Düsseldorf ausgestellt. L.H.: Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, das K21, präsentiert nun vier Räume aus der Sammlung Schürmann. Damit bist

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du, der Kritiker der bundesrepublikanischen Museumswelt, selbst in das Museum eingegliedert worden. Ich betrachte das als einen vorläufigen Höhepunkt deiner Karriere als Ausstellungsmacher und Sammler. Du hast zwar auch diesmal die Konzeption nicht einem Kurator überlassen, sondern hast sie selbst entwickelt. Aber nun bist du – das muss man sehen – doch Bestandteil derjenigen Institution, die du früher so vehement kritisiert hast. Dieser Sachverhalt könnte einerseits bedeuten, dass du schließlich doch noch von der Institution vereinnahmt worden bist. Zum anderen könnte es aber auch sein, dass deine langjährige Arbeit nun Früchte trägt, indem die Sammlung Schürmann, wie sie in deiner Präsentation erscheint, sich innerhalb des Museums anschickt, dadaistische, d.h. anti-museale Kraft zu entfalten. Es könnte also sein, dass du damit gewissermaßen von Innen heraus verändernd wirkst und insofern zur Avantgardisierung des Museums beiträgst. W.S.: So etwas ist für mich als Beteiligten schwer zu beurteilen. Ich bin ja befangen. Ich denke, es läuft – ähnlich wie bei der Strategie Mel Chins – darauf hinaus, ein System von innen heraus zu verändern, durch Aktivitäten die von allen Beteiligten mitgetragen werden. Lerning by doing. Als Kunstenthusiast habe ich im Laufe der Jahre besonders solche Institutionen kritisiert, die durch ihre Bräsigkeit vor Ort deutlichen Stillstand verkörperten. Ich habe jedoch den Eindruck gewonnen, dass solche Kritik gewissermaßen als Alibi für den Staus Quo der kritisierten Institution diente. Nämlich die verbale Kritik eines Sammlers als die willkommene Legitimation zur Abwehr von Veränderungswünschen zu nehmen, da man sich ja gegen private Einflussnahme zur Wehr setzen müsse. L.H.: Könntest du ein Beispiel nennen? W.S.: Das Ludwig-Forum in Aachen hat in diesem Zusammenhang eine lokale Rolle gespielt. Dort habe ich 1992 die Ausstellung „Dirty Data“ gemacht. Ich wurde immer wieder gefragt: Herr Schürmann, träumen Sie davon, dass eines Tages ein Museum ihren Namen trägt? – eine in der Stadt von Peter Ludwig offenbar übliche Frage. Für mich war das Überlebenskitsch. Ich sammle Kunst, weil dadurch mein Denkapparat in Bewegung bleibt, und weil ich mich dadurch als Mensch fühle, und nicht, weil ich Überlebensstrategien verfolge. Um derartige Wettbewerbsgedanken ad absurdum zu führen, habe ich eine Zeichnung von Raymond Pettibon für das Cover des von mir selbst gestalteten und finanzierten

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Katalogs ausgewählt, die oben die Textzeile beinhaltet „I shot a Kennedy, what did you do?“ unten ist zu lesen „No, I can’t top that“. Ein System zu verändern, ist ein langwieriger Prozess. In einem Raum im K21 habe ich eine Ansammlung von sperrig scheinenden Skulpturen installiert (Abbildung). Sieht für den unbedarften Blick aus wie Gerümpel von Kippenberger und Co. Ein Museum würde sich wohl kaum trauen, solche Arbeiten in dieser Weise in seinen Räumen aufzustellen. An mich wurden immer wieder Wünsche herangetragen, einzelne Arbeiten etwas separater zu präsentieren, auch aus konservatorischen Überlegungen. Ein Restaurator hatte gar vorgeschlagen, sie auf einem riesigen Flächensockel zu platzieren, weil sie sonst leicht Schaden nehmen könnten. Doch auf einem solchen Sockel wäre die Kunst auf der Strecke geblieben. „Killed by death“. In der Mitte dieser Inszenierung steht ein kleines Tischchen, eine der berühmtesten Arbeit Kippenbergers. Ein Objekt in Form eines Beistelltischchens mit dem Titel „Modell Interconti“; Die Tischplatte besteht aus einem grauem monochromen Bild von Gerhard Richter. Im K21 haben wir diese Arbeit zum ersten Mal wieder ohne Vitrinenschutz zeigen können.

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Kippenberger hat einmal gesagt, er wolle der Beste der Zweitklassigen sein. Links blinken, rechts abbiegen – also den Markt unterlaufen. Das heißt, das Bild von Richter kaufen, als Tischplatte verwenden, dadurch wurde es in Form des Kippenberger-Tischs billiger als das Richter-Bild. Zu einer Zeit, als Kippenberger noch als Scherzpeter und nicht als Künstler gesehen wurde, hatte Richter die ersten großen Wertsteigerungen. Damals wurde ich mehrmals gefragt, ob ich nicht das graue Bild als Bild verkaufen wolle, es würde sich lohnen. Solche Fragen haben mich immer sehr erheitert. Da das K21 sehr viele Besucher hat. müssen die frei im Raum stehenden Werke geschützt werden. Müssen sie deshalb von Kordeln oder gartenzäunchenähnlichen Gebilden abgetrennt werden?. Ich hasse diese Gartenzaunästhetik. Ich habe Ulli Strothjohann als Künstler beauftragt, einen Objektschutz der anderen Art zu bauen. Auch so können Besucher davon abgehalten werden, durch Installationen zu latschen und die Kunst mit Füssen zu treten In diesem Ensemble befindet sich übrigens auch eine kleine Vitrine aus Plexiglas, in der drei winzige Goldbarren liegen. Das ist eine Arbeit von Jochen Hendricks aus Frankfurt. Der Künstler ließ im Jahre 2000 seine Einkommensteuer schätzen. Für den Betrag, den er hätte zahlen müssen, kaufte er Gold in Form dieser drei Barren. So war der fällige steuerliche Gesamtbetrag als künstlerisches Material zu hundert Prozent von der Steuer absetzbar. Jetzt habe ich die Arbeit gekauft, und nun hat Hendricks wieder ein Problem, denn er muss diese Einnahme wieder versteuern. Was kommt jetzt? Kauft er wieder Edelmetall? Auf jeden Fall ist ein Marktprozess in Gang gekommen an dem der Künstler partizipiert. Ich komme zu einem weiteren Werk aus meiner Sammlung im K21. Martin Kippenberger ist, genauso wie ich, in Dortmund geboren. Meine Ausstellung „Superman in Bed“ im Jahre 2000 in Ostwall Museum in Dortmund , wurde nach einer Arbeit von Peter Saul aus dem Jahre 1962 betitelt. Für mich war bemerkenswert, dass Saul 1962 das Bild des Superhelden sozusagen in kleine Stücke zermalt und zur Ruhe gelegt hatte. Der Ausstellungs-Titel war ein kleiner Tribut von mir an Martin Kippenberger. Schluss mit Heldenbildern. Die Ausstellung selbst war auch eine Referenz an das Ruhrgebiet und unsere Geburtsstadt Dortmund Eine Arbeit Kippenbergers hat, in Form aneinandergereihter Abkürzungen, den Titel „Mama hol mich von der Zeche, ich kann das Schwatte nicht mehr sehen“. Raus aus dem Dunkel und rein ins Licht. Wieder der Ruf nach der Mutter. Schönen Gruss an Malevich.

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Gerd Kippenberger, Martins Vater, ist ebenfalls in Dortmund geboren und wurde später Zechendirektor in Essen. Nach einer Besucherführung, die ich in der Ausstellung „Superman in Bed“ in Dortmund gemacht habe, kam ein Mann zu mir und sagte: „Das ist ja interessant, dass der Martin jetzt so erfolgreich ist“. Ich fragte ihn, wie er das meine. Er antwortete: „Ich habe seinen Vater gut gekannt und auch Arbeiten von ihm gekauft“. Künstlerhaushalt eben. Der Mann, mit dem ich gesprochen hatte, schickte mir später ein Diagramm von Gerd Kippenberger, eine Art Zeichnung. Er schenkte es mir, weil er es in unserer Sammlung gut aufbewahrt wähnte. Das Blatt „Kulturtechnik“ aus dem Jahre 1965 (Abbildung) ist also vom Vater von Martin Kippenberger. Anhand dieser Arbeit ist gut nachvollziehbar, in welchem geistigen Umfeld Kippenberger Junior aufwuchs. An diesem Beispiel möchte ich deutlich machen, dass mich die Frage, ob es sich dabei um „Kunst“ handelt oder nicht, überhaupt nicht interessiert. Der Fund ist aufregend und spannend. Das ist das Entscheidende. Die Frage, wo „Kunst“ sich einstellen mag, sollen andere stellen.

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EINE DENKPAUSE FÜR DAS MUSEUM F Ü R M O D E R N E K U N S T !! 1 Christine Resch/Heinz Steinert

Das „Museum für Moderne Kunst“ (MMK), wie wir es in jeder Stadt, die auf ihr Image hält, vorfinden, verfehlt heute seine öffentliche Aufgabe der Aufklärung über zeitgenössische Kunst. Es hat keine spezifische Funktion im Kunstbetrieb, die seine öffentliche Finanzierung rechtfertigen könnte. Es ist nach etwa dreißig Jahren seiner geballten Existenz im Kunstbetrieb2 einerseits in seinen Beständen leicht angestaubt, andererseits mutiert zur vor allem architektonisch sensationellen Ausstellungshalle für international reisende Kunst-Shows. Es tritt einerseits immer noch mit dem Anspruch einer dem Markt übergeordneten Verpflichtung und Kennerschaft auf, es wird andererseits von der öffentlichen Hand im Stich gelassen. Mit dem Zwang, Publikumserfolge und Sponsorengelder einzutreiben, wird aber die Entwicklung, schon gar die Erfüllung einer besonderen Funktion im Kunstbetrieb wirksam verhindert.

1 Überarbeitete Version des Beitrags: „Schließt die Museen für Moderne Kunst!“, in: Wespennest Nr. 124/2001: 12-20. Wiederabdruck eines Kapitels aus: Christine Resch und Heinz Steinert (2003): Die Widerständigkeit der Kunst. Entwurf einer Interaktionsästhetik. Münster: Westfälisches Dampfboot. 2 MMK wurden mit dem Museumsbau-Boom seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts besonders populär. Die Idee, die zeitgenössische oder jüngstvergangene Kunst zu musealisieren, ist eine kühne Verallgemeinerung der bürgerlichen Idee des Kunst-Museums auf Gegenstände, deren historische Bedeutung sich noch nicht durch den „test of time“ erweisen konnte. Vereinzelt gab es diese Idee schon in den 20er Jahren, als sich „modern“ als Stil- und Epochenbegriff etablierte (und um ihn zu etablieren), zum Beispiel in Mailand (1920), Bologna (1926), New York (1929), San Francisco (1935), in Italien vereinzelt schon vor der Jahrhundertwende, z.B. Rom (1883), Venedig (1897).

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Das MMK führt mit seiner Konzentration auf „Werke“ aktiv ein Missverständnis über moderne Kunst – mit allen Folgen der Abwertung – herbei. Es präsentiert nur einen kleinen, einseitigen Ausschnitt aus der zeitgenössischen Kunst. Es erzeugt durch seine Existenz eine eigene Kunstgattung: MMK-Kunst. Selbst die einseitige Auswahl, die es uns vorstellt, dokumentiert es schlecht bis gar nicht, so dass uns die Möglichkeit von Verstehen wirksam vorenthalten wird. Das MMK ist in einer ausweglosen Situation. Es braucht eine Denkpause und einen Neubeginn. Ein Neu-Entwurf seiner Funktion ist nötig, der sich nicht am Publikums-Erfolg bemisst, sondern an der Sache: wie man der modernen Kunst gerecht wird. Das verlangt zuerst eine intellektuelle Anstrengung, erst dann vielleicht eine finanzielle.

Das MMK erzeugt die Vorurteile gegen die zeitgenössische Kunst selbst Das Frankfurter MMK wirbt mit einem Plakat voll von reaktionären Publikums-Sprüchen über moderne Kunst: „Man geht so leer raus wie rein!“ – „Schöne Architektur, dieses Museum. Aber bei den Ausstellungen finde ich soviel Dekadenz. Wo ist das Herz, Leute?“ – „Im Dunkelraum habe ich Regina geküsst. Schön!“ Zugleich wird in der Stadt spöttisch kolportiert, das MMK sei zu bestimmten Zeiten nichts als eine Singles-Bar für gebildete Ansprüche. Die Politik, auf der Tafel der „Tischgesellschaft“ von Katharina Fritsch eine Modenschau mit Claudia Schiffer paradieren zu lassen, mag zwar das Geld einbringen, das der Magistrat sonst vorenthält, bestätigt aber die Respektlosigkeit, von dem das Vorurteil gegen die Kunst ohnehin ausgeht. Zugleich bauen sich die Eingeweihten und sonstigen Freunde und Förderer des MMK daran auf, wie solid sie sich von dem blöden Volk unterscheiden, das einfach nicht verstehen kann, was es mit der zeitgenössischen Kunst auf sich hat. Tatsächlich kann man die zeitgenössische Kunst nicht verstehen, wenn man sie im MMK kennenlernt. Der entscheidende Strang der zeitgenössischen Kunst produziert schon längst (spätestens seit DADA und Marcel Duchamp) keine Werke mehr, vielmehr Inszenierungen: Ereignisse, Aktionen, Publikumsbeschimpfungen, soziale Skulpturen, Ideen und Projekte, deren Realisierung manchmal gar nicht nötig ist. Das MMK aber tut noch immer so, als könne man auch von diesen räumlich und zeitlich festgelegten Abläufen ohne Endprodukt „ewige Kunst“ ableiten und als Werk ausstellen. Da hängen dann die Überreste von inte-

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ressanten Aktionen verstaubt und nichtssagend mit dem Anspruch von Meisterwerken an der Wand oder verstellen als Installationen begrenzte Bodenflächen und sollen als solche zum Betrachter „sprechen“. Als Erinnerungsstücke, zu denen sie im Museum werden, können sie aber nur bei Leuten funktionieren, die dabei waren. Wer dafür zu jung ist (oder woanders gelebt hat), bekommt im MMK keine Möglichkeit, aus den Spuren das seinerzeitige Ereignis zu rekonstruieren und so zu verstehen. Nicht nur die Information, die man dafür brauchen würde, wird vorenthalten, es wird auch die falsche Haltung zu den Dingen der Kunst nahe gelegt und eingeübt: Als ginge es immer noch um KulturheldenVerehrung und heilige Bildungs-Schauer vor Exemplaren von „ewiger Kunst“, werden wir dazu gebracht, nach Außerordentlichem, Einzigartigem, Noch-nie-da-Gewesenem Ausschau zu halten, wo uns tatsächlich kleine Zwischenerfolge im Kampf von Leuten mit Künstler-Anspruch gegen eine überwältigende Kulturindustrie stolz vorgestellt werden. Im glücklichen Fall können wir uns mit ihnen darüber freuen, im weniger glücklichen tun sie uns nur leid, weil sie es noch nicht zur resignierten Herstellung von Kunsthandwerk gebracht haben. Am häufigsten ärgern sie uns, weil sie uns Vorläufiges und Vergängliches zu Kunstwerken aufgeschäumt verkaufen wollen. Tatsächlich ist schon lange bekannt, dass solche Zwischenerfolge am ehesten dann zustande kommen, wenn auf das Werk verzichtet, wenn stattdessen ein Ereignis inszeniert, wenn Immaterielles zum Anlass einer Interaktion zwischen Rezipienten und dem übrigen Kunstbetrieb gemacht wird. „Kunst“ besteht zeitgenössisch in der kontrafaktischen Suche nach etwas sicher (oder wahrscheinlich) nicht Warenförmigem. Der Kunstbetrieb antwortet darauf mit der Herstellung von Warenförmigkeit aus Spuren, Ideen, Vergänglichem, Zerstörtem, kurz: Immateriellem, das mit Hilfe von Techniken der Reproduktion wenigstens auf verkaufbare „Träger“ gebannt wird. Die Schallplatte,3 auf der improvisierte Musik festgehalten wurde, ist das klassische Beispiel für die Umwandlung eines Ereignisses mit Teilnehmern in eine Ware mit Käufern. Kunst, die sich auch finanzieren muss, hat es schwer. Das Museum als öffentliche Einrichtung hätte in diesem Kreislauf der Kunst-Waren nur eine eigenständige Funktion: was er hervorbringt und wie er funktioniert öffentlich sichtbar zu machen und umfassend zu 3 In der altmodischen Bezeichnung als „Tonträger“ wurde das äußerliche Verhältnis zwischen dem Ereignis der Musik-Aufführung und seiner abstrahierten Dokumentation in einer Spur in Plastik noch genannt.

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dokumentieren. Alles, was warenförmig geschieht, organisiert der Markt selbst, dafür braucht kein öffentlicher Aufwand betrieben zu werden. Wenn das Museum zu einem weiteren Mitkonkurrenten unter den großen Galerien oder den internationalen Ausstellungsmachern wird, kann man dem Proli, der ohnehin nicht hingeht, schwer begründen, warum man sein Geld dafür ausgibt. Das kann man nur, wenn man eine besondere und notwendige Aufgabe glaubhaft machen kann, die sonst nicht erfüllt würde. Und diese Aufgabe kann bei zeitgenössischer Kunst nicht darin bestehen, aus der Unmenge des Angebotenen mit „phantastischer Intuition“ die wenigen Exemplare von „ewiger Kunst“ herauszufiltern. Um diesem Modell ernsthaft anzuhängen, wissen wir inzwischen zu viel über die Zufälle wie die Politik und die Ökonomie der Traditionsbildung. Clement Greenberg hat Jackson Pollock nicht so sehr als Produzenten von ewiger Kunst „erkannt“, als ihn unermüdlich dazu hochstilisiert, was damals gelingen konnte, weil es endlich eine eigenständige „amerikanische Kunst“ geben sollte. Rembrandt war wie Jacques Offenbach Oberhaupt und PR-Chef einer Kunst-Manufaktur – mit den zugehörigen Konkursen. Weil zufällig in den letzten Jahren viele Rembrandts als gar nicht vom Meister selbst gefertigt erkannt wurden, können wir uns heute fragen, worin seinerzeit die besondere Aura des Manns mit dem Goldhelm bestand und wo sie heute abgeblieben ist. Mit der Behauptung von „ewiger Kunst“ setzen sich die Museen von dem Alltagsbetrieb der Galerien und Händler ab. Wirklich inhaltlich begründen können sie den Anspruch gerade bei zeitgenössischer Kunst nicht. Über „phantastische Intuition“ verfügen auch und gerade die Händler – sie gehört zu ihrem Handwerkszeug, wenn sie imstande sein sollen, gute Investitionen zu vermitteln.4 Die Einschätzung von Kunst ist vor der Kanonisierung durch Zeitablauf und Schulbücher immer umstritten5 und bei zeitgenössischer Kunst auch durch Museumsdirektoren nicht autoritativ zu entscheiden. Sie haben in der Welt der kulturindustriellen Vielfalt einfach nicht die Macht, das zu tun – gegen die anderen Museumsdirektoren, gegen einflussreiche Kritiker und Zeitschriften, gegen Künstler-PR, gegen 4 Dazu haben sie gelegentlich die Möglichkeit, dem Zutreffen ihrer Intuitionen auf dem Markt durch sinnvolle Werbestrategien nachzuhelfen. Eine davon besteht darin, einzelne „Werke“ der zukünftigen „modernen Meister“ ins Museum zu hieven. 5 Und bei großen gesellschaftlichen Umbrüchen wird auch dieser Kanon noch einmal verändert.

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Galerien und Kunst-Messen, gegen Groß-Sponsoren – und die Moden und Märkte. „Ewige Kunst“ ist ein Verkaufsargument, auf das gerade das MMK verzichten kann, weil es – öffentlich finanziert – nicht als MitKonkurrent im Warenkreislauf der Kunstmärkte agiert. Es muss uns als seinen Besuchern nicht nur die Spitzenerzeugnisse und Rekordleistungen anbieten, es kann uns auch Einsichten in die Entwicklungen und ihre Markt-Bestimmtheit geben, es kann uns genau die vom Markt vernachlässigten Produktionen präsent halten, es kann uns – so wie es die zeitgenössische Kunst selbst tut – vom Kampf der Kunst um ihre Möglichkeiten innerhalb der Kulturindustrie erzählen und uns selbst auf unsere Beteiligung an ihren Mechanismen hinweisen. Es kann uns – so wie es die zeitgenössische Kunst selbst tut – den Unterschied von Hochkultur und Populärem als Mechanismus der Marktordnung durchsichtig machen: Für geordneten Verkauf und die zugeordnete Produktion ist eine klare Spezialisierung der Marktsegmente notwendig. Es kann uns an dem Spaß teilhaben lassen, dass es manchmal gelingt, in einem Moment die ehernen Marktgesetze auszuhebeln. Das MMK, wie wir es heute vorfinden, versäumt all das, indem es uns zeitgenössische Kunst nach dem Modell des Kunstmuseums des 19. Jahrhunderts vorführt: als Meisterwerke zur Erbauung und für die Distinktionen der gebildeten Klasse mit ihren besonderen Sensibilitäten. Damit erzeugt es die beiden oben genannten Haltungen: Die Enttäuschung darüber, dass zeitgenössische Kunst tatsächlich die Meisterwerke, verstanden als Erzeugnisse von unerreichter technischer Fertigkeit, nicht immer bietet, äußert sich in der unqualifizierten Abwertung. Die Notwendigkeit, vor dem Meisterwerk zu bestehen, dokumentiert sich in Bewunderung, die von groupie-hafter Schwärmerei (mit spezialistischem Wissen um Lebensumstände und Werkintentionen – „was will uns der Künstler sagen?“) oft schwer zu unterscheiden ist und mit angemessenem Verstehen auch nicht viel gemein hat. Das ist kein Fehler, der ihm unterläuft: Das MMK ist so organisiert, dass es diese Vorurteile und Verstehenshindernisse systematisch erzeugt.

„Dies ist kein Museum für zeitgenössische Kunst!“ Vielleicht war es zu anderen Zeiten und unter anderen Bedingungen von Kunstproduktion möglich, alle Arten von bildender Kunst in eine so merkwürdige Einrichtung wie ein Museum zu bringen. Jedenfalls hat

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bürgerliche Kunst das beansprucht, (potentiell) „ewige Kunst“ und also musealisierbar zu sein. Was bürgerlich den Namen „Kunst“ verdient, lässt sich aus dem Kontext lösen und in Kunst-Tempeln versammeln, um es dort der breiten Öffentlichkeit und den Nachgeborenen zu vererben. Umgekehrt wurde durch das Museum definiert, was „Kunst“ ist: Was sich dort nicht ausstellen lässt, muss etwas anderes sein. Die Trennung von „darstellender“ und „bildender Kunst“ wird von den Einrichtungen bestimmt, in denen diese beiden Künste stattfinden: Theater und Museum. Nur haben die Künste sich nicht unbedingt an diese Vorgabe gehalten, besonders im 20. Jahrhundert nicht. Die bildende Kunst hat sich seit DADA dezidiert vom Tafelbild abgewendet und sich mit Elementen der Darstellung verbunden. Die Inszenierung und Aktion wurde wichtiger als ihr ausstellbares Ergebnis, wenn es ein solches überhaupt noch gab. Zugleich wurde damit das Publikum in einer neuen Art einbezogen: Es wurde ihm nicht mehr erlaubt, nach Lust und Laune die Gegenstände seiner beschaulichen Kontemplation auszuwählen, es wurde vielmehr aktiv verblüfft, schockiert, in eine peinliche Situation gebracht und sonst manipuliert, zum Beispiel indem es mit seiner eigenen Verständnislosigkeit konfrontiert wurde. Die Reaktion des Publikums wird in der reflexiv gewordenen Kunst-Darstellung ein wichtiger Teil derselben. Was Beuys zuletzt als „soziale Skulptur“ benannte, beschränkt sich durchaus nicht auf den Extremfall der Jahre dauernden Stadt-Verwaldung von Kassel mit 7000 Eichen. Es sind eine Menge von neuen Kunstgattungen entstanden, mit deren Kategorisierung sich nicht nur die Kunstkritik schwer tut. Der Großteil davon kann im MMK mit seiner „Werk“-Fixierung gar nicht erscheinen. Es ist systematisch alles ausgeschlossen, was keine Spuren und vorzeigbaren Erinnerungsstücke erzeugt. Konzept-Kunst, die nur aus einer kurzen Regieanweisung auf einem Blatt Maschinschreibpapier besteht, ist nur ausnahmsweise ausstellbar. Performances, in denen „nur“ eine Erfahrung entsteht, liefern bestenfalls ein Foto. Das Happening kann ebenfalls gefilmt und fotografiert werden, ergibt aber nur ausnahmsweise ein ausstellbares Erinnerungsstück. Ebenfalls ist systematisch alles ausgeschlossen, was fürs Museum zu groß ist. Am offensichtlichsten ist das bei Land-Art, die so groß angelegt ist, damit sie nicht ausstellbar wird, die aber auch eigene Erfahrungen erzeugt, die das Museum überfordern. Damit verwandt ist alle Kunst in der Öffentlichkeit, die genau darauf aufbaut, dass sie nicht im neutralisierten Museums-Kontext stattfindet, stattdessen in dem von Denkmälern oder Alltag und seiner Störung.

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Straßentheater oder Projekte mit Community-Entwicklungs-Anteilen entziehen sich dem Museum. Ein anderes sind die Installationen, Assemblagen und Environments, die gewöhnlich den Galerie- und MMKKontext voraussetzen, aber schlicht zu viel Raum einnehmen, um auf Dauer präsentiert zu werden. Daher bestehen sie primär für eine Ausstellung und werden dann (oft für immer) demontiert. Zeitgenössische Kunst besteht im wesentlichen und in zunehmenden Anteilen aus Ereignissen, die sich der Musealisierung entziehen. Wird in dieser Situation das traditionelle Museums-Format der Ausstellung von „Werk“-Stücken festgehalten, beschränkt man sich immer mehr auf einen kleinen Ausschnitt dessen, was an Kunst stattfindet, ausgewählt nach einem völlig sinnentleerten Merkmal: ob dabei ein materieller Überrest anfällt. Das MMK beschränkt sich auf den kleinen Anteil der Tafelbilder und Skulpturen von höchstens mittlerer Größe und der Inszenierungen mit materiellem Abfall. Es ist tatsächlich ein Museum für moderne Tafelbilder und seine Derivate.

Es entsteht MMK-Kunst Es ist bekannt, dass Kunstmuseen eine notwendige Einrichtung waren, um den bürgerlichen Kunstbegriff gesellschaftlich durchzusetzen. Es ist inzwischen auch bekannt, dass der „white cube“ auf die Produktionen zurückwirkt: Dieser Kontext ermöglicht und beschränkt. Einerseits sicherte er den einzelnen „Werken“ uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Zugleich provozierte er freilich die Herstellung genau solcher „Werke“, die sich gerahmt, ansonsten aber nur durch „weiße Wände“ und die „ästhetische Haltung“ kontextualisiert behaupten und „zu uns sprechen“ sollten. Mit der „Moderne“ und der dazugehörigen Haltung der „öffentlichen Einsamkeit“ hat diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht. Hier wird vorgeführt, dass Artefakte zwar nicht unmittelbar zu den Rezipienten sprechen und das auch nicht sollen, ansonsten aber wird der etablierte Kontext Kunst als Ressource genutzt und reproduziert. Das Problem ist nun, dass das MMK die Herstellung solcher „Werke“ nach der „Moderne“ provoziert. Das aber ist ein Anachronismus, eine Epochenverschleppung. Dass wir über die Regeln und Normen der bürgerlichen Institution Kunst und der Museen inzwischen reflexiv nachdenken können und sie nicht einfach selbstverständlich befolgen, hat mit einem anderen Strang

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der Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert zu tun – der reflexiven Kunst. Damit bezeichnen wir Kunst über Kunst, Kunst, die die Institution Kunst und alle daran Beteiligten zum Gegenstand von Kunst macht. Dazu gehört – und das ist auch facettenreich geschehen – Kunst, die die Einrichtung Museum kritisiert. Das geschieht einerseits intern – Duchamps Readymades sind immer noch das anschaulichste Beispiel dafür –, das geschieht andererseits extern, indem man diesen Kontext mit seinen Restriktionen vermeidet – Happenings, Performances, Land-Art. Es deutet sich schon an, dass die Möglichkeiten in der Kunst über Kunst zu arbeiten, vielfältig sind, wenn sie nicht im Museum präsentiert wird, eine Kritik dieser Einrichtung in ihr dagegen schneller ausgeschöpft ist und daher die wenigen Einfälle endlos variiert werden: mit begrenztem Erkenntnisgewinn. Es handelt sich dabei um einen Typus von MMK-Kunst. Eine Abstellkammer ist eine Abstellkammer ist hohe MMK-Kunst Wenn man verstanden hat, worauf Readymades aufmerksam machen, benötigt man kein weiteres mehr. Diese Idee lässt sich nicht beliebig oft wiederholen. Gewünschter Effekt und zusätzliche Erkenntnisse bleiben nach einigen Modifikationen und bei Wiederholungen aus.6 Dass Readymades gefälscht, also selbst wieder kunstvoll hergestellt werden können, ist die zeitgenössische Version dieses Typs von Museumskunst: Peter Fischli und David Weiss sind zwei ihrer Meister. Fischli / Weiss besetzen im Tate Modern in London einen ganzen Raum, der verschiedene, aufwendig aus Kunststoff produzierte Utensilien enthält, die bei den Umbauarbeiten gebraucht wurden. Im MMK in Frankfurt kann man die von ihnen gefertigte Abstellkammer bewundern. Das Prinzip ist jeweils dasselbe: Die Gegenstände sehen täuschend echt aus, sind aber – von der Leiter über die Cola-Dose bis zum Radio – aus ein und demselben Kunststoff und bemalt. Das lässt sich allerdings nur den „Werk“-Beschreibungen entnehmen, die Materialangaben enthalten, berühren darf man sie nicht und damit kann man auch keine überraschende Erfahrung mit dem Gewicht machen. Aus den Materialbe6 Durch einen besonders anrüchigen Gegenstand – etwa ein Urinal – lässt sich die Provokation noch einmal steigern: Nicht nur der konservative Kunstliebhaber wird brüskiert, sondern es wird auch auf die Grenzen des guten Geschmacks der liberalen Öffentlichkeit hingewiesen.

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schreibungen lässt sich immerhin kognitiv erschließen, dass die Gegenstände unnütz, geradezu zweckfrei, eben hohe Kunst sind. Die Artefakte funktionieren nur in MMK. An anderen Orten ist eine Abstellkammer eine Abstellkammer und sonst nichts. In MMK funktionieren sie freilich nur, wenn zentrale Erfahrungen ausgeschlossen und die Betrachter zum „Werke-Schauen“ angehalten werden, wenn ihnen Unterwerfung abverlangt wird. Wir lernen: Kunst ist nicht immer schön, macht aber trotzdem viel Arbeit. Dass diese Einsicht umkippt in: „Das hätten sie auch einfacher haben können“, verwundert wenig. Das MMK erzeugt die Vorurteile gegen zeitgenössische Kunst selbst. Mit derartigen Artefakten werden (Fake)Readymades künstlich konserviert. Man kann es noch schärfer sagen: Es handelt sich eigentlich um Aktionen, die durch die Existenz des MMK verhindert und auch politisch verharmlost werden. Sie werden verharmlost, weil sie statt öffentlich gleich im Museum passieren, oder gar nicht passieren, sondern als vermeintliche Werke inszeniert werden. Das nachgebaute mit den Habseligkeiten eines Obdachlosen beladene Fahrrad („Ohne Titel“, 1991) von Andreas Slominski fordert die Frage nach der dazugehörigen Aktion geradezu heraus, an die es erinnern soll. Als Ausstellungsobjekt mag es besonders vornehme Damen noch ärgern, bleibt ansonsten aber beliebig und belanglos. (Für die Elite mag es anstößig sein, die es sich auch im richtigen Leben leisten kann, sich nicht mit dem schmutzigen und armseligen Alltag anderer Leute zu belasten, es sei denn, sie treten gerade als Schutzherren einer Hilfsaktion auf und stellen sich als wahre Menschenfreunde von „unschuldigen Opfern“ dieser Gesellschaft dar.) Die Aktion, über die man gerne etwas erfahren würde, hat freilich gar nicht stattgefunden. Sie wurde erfolgreich durch die Existenz des MMK verhindert, das daraus ein Werk macht. Ein Typus von MMK-Kunst ist damit umrissen: Es sind verhinderte Aktionen oder auch Denkmäler (z.B. Boltanski), die eigentlich eine andere Öffentlichkeit brauchen, als sie ein MMK bietet. Ein anderer Typus entsteht durch die schlichte Tatsache, dass die Artefakte Räumlichkeiten voraussetzen, die (fast) nur im Museum gegeben sind und, wesentlicher, dass sie sich nicht privat verkaufen lassen. Damit fallen Galerien als Ausstellungsort aus. Für Licht- und Farbenspiele bedarf es dunkler Orte. Sie erzwingen noch einmal die Geduld und Kontemplation, die das MMK ansonsten zwar unterstellt, aber zugleich unterläuft. In diese Kategorie von Artefakten gehören auch wenig dekorative Überformate, für die auch Empfangshallen von Banken und Firmen we-

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nig Interesse zeigen. Und es gehören die Gegenstücke zu Projekten dazu, die sich nur durch das Interesse verstehen lassen, musealisiert zu werden: Richard Longs Museums-Arbeiten etwa. Das Museum tritt dabei als Käufer auf, der Räume (in der Größe von Kleinwohnungen mit Oberlicht, versteht sich), dafür ver(sch)wenden kann, sie mit „Steinkreisen“ zu dekorieren, es wird aber auch dafür instrumentalisiert, für Projekte Financiers zu finden. Das MMK ermöglicht Aktionen auch – aber warum auf derart komplizierten Umwegen? Was historisch, als Museumskunst entstand, eine politische Dimension von Befreiung hatte, ist zu angepasster MMK-Kunst geworden, die konventionelle, und wie man inzwischen wissen kann, sind das vor allem autoritäre Interaktionen befördert. Gibt es da noch etwas zu retten? „From old art into new“ heißt eine Ausstellung, die die National Gallery in London im Sommer 2000 gezeigt hat. Es handelt sich dabei um vom Museum in Auftrag gegebene Kunst, die sich allerdings auf eine verbreitete Praxis in der Kunstproduktion bezieht: Zeitgenössische Künstler bearbeiten alte Meisterwerke. Zitatkunst, die reflexiv mit der Tradition arbeitet und dieses Wissen den Betrachtern auch explizit zur Verfügung stellt. Kunst wird zur Kritik der Hochkultur und ihrer Musealisierung. Sie ist, wenn man so will, bescheiden geworden, bildet sich nicht mehr ein, Realität abzubilden und Gesellschaft wahrhaft zu kritisieren, und trägt das auch den Betrachtern nicht normativ an. Vielmehr gelingt es im Museum, auf die Institution Kunst zu reflektieren. Das aber setzt voraus, dass MMK keinen Personenkult betreiben, sondern Artefakt-Geschichten dokumentieren und interpretieren, inklusive der Involviertheit der Museen.

„Dies ist eine defiziente Dokumentation!“ Das Erinnerungsstück allein ist, selbst wenn man es nicht zum Werk verfälscht, zu wenig. Was gehört alles zum Ereignis? Um ein Ereignis verstehen zu können, braucht man genaue Informationen über die Gesamtsituation, in der die Aktion produziert wurde, und ihren genauen Ablauf, braucht man eine Einordnung in die Kunstgeschichte und die Normen und Regeln des Genres, Recherchen über die Finanzierung, Werbung und Einladungspolitik, insgesamt also über den kulturindustriellen Kontext, und schließlich Aufzeichnungen der vielfältigen Rezeptionen in ihrem auch historischen Verlauf. Das macht andere Anstrengungen not-

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wendig als sie der üblichen Ausstellungspraxis entsprechen. Wie dokumentiert man das Ereignis komplett? 1. Das Erinnerungsstück ist die Spur einer Aktion Es gibt in der Sache der Kunst-Aktionen längst keinen hinreichenden Grund für die Privilegierung materieller Überbleibsel mehr, die das MMK aus Gründen der Ausstellbarkeit noch immer vollzieht. Jede Präsentation einer Spur, die den Besuchern eine Werkinterpretation nahe legt, führt in die Irre. Beipack-Kurzinformationen reichen nicht aus, wenn zugleich gerahmte oder in Vitrinen eingeschlossene Artefakte suggerieren, dass es sich um ein (ab)geschlossenes Werk handelt. Es wäre jeweils von der Aktion her zu bestimmen, was die besten „Aufhänger“ für die gedankliche Rekonstruktion sind: der Videofilm, Fotos, eine Rekonstruktion des Ortes, verschiedene Planungsskizzen, die schriftliche Fixierung der Grundidee, das bearbeitete Material vorher – nachher, Drehbuch und Skript, nur gelegentlich ein materielles Endergebnis (und wer legt eigentlich das Ende fest?). 2. Rekonstruktion der Gesamtsituation, in der produziert wurde Aus den verschiedenen Materialien kann die Gesamtsituation rekonstruiert werden, in der das Ereignis inszeniert wurde. Angaben über den Produktionsort und damit die Öffentlichkeit, die beteiligt und die ausgeschlossen ist, und auch über den Zeitpunkt und die Dauer des Ereignisses, sowie die (vorher festgelegten oder sich situativ ergebenden) Kriterien, nach denen das Ende definiert wird, ermöglichen Verstehen. Das kann auch das Atelier sein und eine Dokumentation der Arbeitsweise. Skulpturen und Denkmäler werden häufig arbeitsteilig produziert. Von den Handarbeitern, den Schlossern, die für Serra arbeiten etwa und die seine Skulpturen in Schiffswerften verladen, transportieren und aufbauen, erfährt man gelegentlich in Kunstzeitschriften. Ähnlich von den Werkstätten, in denen die „Werke“ von Koons oder Borofsky („Hammering Man“) hergestellt werden. Aber sollten sie nicht einen viel bedeutenderen Status haben? Wirft diese Art der Produktion nicht ein erhellendes Licht auf die Werkstätten der Leonardos und Rembrandts? Was sind diese Namen mehr als Aushängeschilder solcher Werkstätten? Warum eigentlich überlassen Museumsmacher die spannende und reflexive Frage „Wie haben Sie das gemacht?“ der Hochkultur-Klatschpresse? Stattdessen stellen sie nach wie vor die Karikatur-Frage: Was will uns der Künstler damit sagen? Sie ist tatsächlich Bestandteil von Markenartikel-Werbung (heute: brand-marketing) und hat mit Verstehen

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wenig zu tun. Spätestens seit dem Surrealismus wissen Künstler, dass sie Unbewusstes ausdrücken und daher selbst am wenigsten wissen, was sie da Symptomatisches tun. Jede Kunst, die ihr Geld wert ist, enthält mehr als der Künstler beabsichtigt und sagen kann. Wenn er es dazusagen muss, ist der Effekt ähnlich wie beim Witz, dessen Pointe in der Erklärung verloren geht. Von allen möglichen Interpreten ist der Künstler einer der befangensten. Aber wie er es gemacht hat oder machen ließ, das kann er sagen und das gehört in die Dokumentation: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. 3. Die Aktion Ein Erinnerungsstück funktioniert nur bei den wenigen Leuten, die dabei waren. Leute, die nicht dabei waren, brauchen Informationen über den gesamten Ablauf der Aktion und darüber, welche Spur davon sie sehen. Foto- und Videoaufzeichnungen sind da ein anschauliches Material. Die Künstler selbst verfügen häufig über solche Aufzeichnungen, sie gehören zu ihren „Mappen“, mit denen sie sich um Geld bemühen, zu ihrer „Vita“. Eine Herausforderung stellen nicht-realisierte Aktionen dar: Gedankenkunst von Konzept-Artisten etwa. Wie werden solche Ideen doch publik gemacht? 4. Die Voraussetzungen der Aktion Auf der einfachsten Ebene ist es interessant, eine Aktion in ihrem Verhältnis zu anderen darzustellen: Worüber ist es eine Variation und welche anderen Erfahrungen sind bei dieser Variante zu erwarten? Eine solche Einordnung ermöglicht es erst, die Normen und Regeln des Genres zu verstehen und wie sie in der konkreten Aktion bearbeitet werden. Auch augenscheinlich einzigartige Einfälle lassen sich häufig erst dann angemessen interpretieren, wenn man über die Konkurrenz nachdenkt: Gegen wen, gegen welchen Typus von (etablierter) Kunstproduktion richtet sich die Aktion? Welche anderen Kulturereignisse mit welchen Regeln muss man kennen, um dieses eine verstehen zu können? Im Zentrum stehen die möglichen Genre-Einordnungen und die Bedeutung, die das Genre hat. Western-Filme oder Krimis, die eng und in endloser Wiederholung über ein paar einfache Genre-Regeln variieren, verändern ohne Kenntnis dieser Regeln ihre Bedeutung völlig. Aber auch Becketts „Endspiel“ sieht anders aus, wenn man die Normen einer TheaterAufführung nicht kennt – oder sie absolut setzt. Für viel an Kunst haben sich die traditionellen Genre-Regeln aufgelöst, Theater und Museum, Denkmal und Tafelbild sind nicht mehr völlig strikt getrennt.

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5. Der kulturindustrielle Kontext Herkömmlich erfahren wir in Museen nur, wer das Artefakt gegenwärtig besitzt, in Ausnahmefällen, dass es sich um eine Auftragsarbeit für das Museum handelt, und bei Ausstellungen, wer die Sponsoren sind. Dass Finanzierung (auch die nachträgliche durch den Verkauf von Spuren) und Vermittlung (vom Galeristen und Kulturmanager über Programmzeitschriften bis zu Werbung), dass Öffentlichkeitsarbeit (Einladung von Journalisten, Foto- und Fernsehreportern, Kunstkritikern und sonstiger Prominenz) organisiert werden muss, selbst hohe Kunst und Teil des Ereignisses oder Artefakts sind, wird der Norm geopfert, Kunst und das Geschäft mit ihr seien unterschiedliche Dinge, obwohl niemand mehr ernsthaft daran glaubt: Wer zahlt? Wie kommt man zu einem Publikum? Wie unterschiedlich wird über eine Aktion berichtet? Wie funktioniert die Skandalplanung und warum spielen die Skandalisierer mit, welche Interessen haben sie? 6. Die Involviertheit des Publikums und seine verschiedenen Reaktionen Besonders aber: Zu welchem Zeitpunkt wird welches Publikum wie einbezogen? Wird es dazu veranlasst / gebeten / aufgefordert / gezwungen, selbst aktiv zu werden, sich zu beteiligen, oder ist doch noch vorgesehen, dass es „nur“ zusieht? Wird den Besuchern zusehen nahegelegt, obwohl die einzige anständige Reaktion darin bestehen würde, die Situation zu verlassen oder gar zu beenden? Welche zumeist unangenehmen Emotionen werden ihm gemacht? Die Palette der „Publikumsbeschimpfungen“ reicht von Ekel, Scham, Angst/Panik/Schrecken, Überforderung/Überwältigung, Langeweile, Wut und Ärger über lächerlich gemacht oder zu Voyeurismus gezwungen werden bis zu aggressiven Angeboten, sich auf Kosten anderer (Banausen und Dummköpfe, Reaktionäre und Spießbürger, Gut-Menschen und Machos) gut zu fühlen. Um die vielfältigen und möglichen Perspektiven auf ein Ereignis zu dokumentieren, braucht man die tatsächlichen und verschiedenen Reaktionen des Publikums. Das können Beobachtungsprotokolle sein, die während und im direkten Anschluss an Aktionen angefertigt werden, aber auch Publikumsbefragungen, die unmittelbar danach oder auch als Erinnerungsprotokolle und Aufzeichnungen von länger zurückliegenden Beteiligungen und damit inzwischen überdachten Rezeptionen durchgeführt werden. Um zu verstehen, wie es zu den verschiedenen Reaktionen kommt, ist es wichtig, auch zu notieren, welcher sozialen Gruppierung die Rezipienten angehören. Dazu gehören auch Informationen, aus welchen Motiven sie an diesem Ereignis teilgenommen und wie sie davon

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erfahren haben, ob sie zufällig (im öffentlichen Raum) damit konfrontiert wurden oder sich freiwillig, mit Vorwissen und -annahmen der Situation ausgesetzt haben usw. Der Kritiker ist kein Publikumsrepräsentant, sondern stellt eine sehr spezifische Position dar. Die ist nicht uninteressant, aber gewiss nicht ausreichend. 7. Rezeptionsgeschichte Kunst-Rezeptionen unterscheiden sich nicht nur aufgrund der verschiedenen sozialen Position und Interessen der Rezipienten, sie verändern sich auch situativ und historisch. Die Dokumentation einer Aktion im Museum strukturiert Aneignungen auf andere Weise als die direkte Beteiligung an der Aktion. Für etablierte Künstler gelten andere Normen und Regeln der Kritik als für Neulinge, die sich professionalisieren wollen. Wenn noch verhandelt wird, ob das auch Kunst sei, sind andere Lesarten möglich als nach erfolgter Kanonisierung. Dazu kommen historisch spezifische kulturpolitische und ökonomische Rahmenbedingungen und Interessen, die Kunstverständnisse und insbesondere professionelle Rezeptionen, wie sie sich in Kunstkritiken ausdrücken, anleiten. Mit (gelegentlich erheblicher) zeitlicher Verzögerung beschäftigen sich Kunstwissenschaftler mit verschiedenen Kunstrichtungen – auch das eine Spezialform von Rezeption mit ihren konjunkturellen Vorlieben für bestimmte Themen, Epochen oder Künstler. Insgesamt geht es also darum, möglichst viele verschiedene Erfahrungen mit einer Aktion zu sammeln und verfügbar zu machen. Auch die Rezipienten eignen sich Artefakte selten auf eine ganz individuelle, unvergleichliche Art und Weise an. Und selbst wenn sie eine idiosynkratische Lesart haben, wird das nur deutlich, wenn man sich vergegenwärtigen kann, welche anderen Erfahrungen auch machbar sind. Und der Kunst angemessen ist es auch, möglichst alle Perspektiven zu dokumentieren, die man zu ihr einnehmen kann. In verschiedenen Abteilungen der Kulturindustrie werden verschiedene Aspekte von Kunst-Ereignissen archiviert und dokumentiert. Veranstalter wie die documenta oder der steirische herbst beschäftigen zumindest ein clipping-service und bewahren die Aktenführung auf; Ausstellungen erzeugen den dazugehörigen Katalog; Künstler, ihre Agenturen, oder erst ihre Witwen stellen Arbeits-Überblicke und Angebotsmappen zusammen; Kunst-Zeitschriften haben Register, neuerdings als CD-Rom und im Internet; Programmzeitungen; Zeitungs- und Fernseharchive; offenbar nur bei populären Kunstformen gibt es auch Archive wie das Deutsche Institut für Filmkunde oder das Jazz-Institut in Darm-

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stadt. Das alles sind (unterschiedlich) defiziente und von (kulturindustriellen) Interessen geleitete Sammlungen. Am defizientesten aber ist die Archivierung der Museen selbst: Sie findet nicht statt. Statt MaterialSammlungen zu den Aktionen anzulegen, zusammenzutragen und zu vervollständigen, produzieren sie in Informationsbroschüren und bei Führungen konkurrierende „Werk“-Deutungen. Das Museum für Moderne Kunst wird im Kulturbetrieb zum Randbereich ohne besondere Kompetenz.

Ein Vorschlag zur Güte Wenn MMK die Konkurrenz mit Galerien und Ausstellungshallen aufnehmen, übernehmen sie auch die Konkurrenz zwischen Künstlern und Kuratoren: Ausstellungen beanspruchen selbst Kunstwerk-Charakter – auf Kosten der genauen Dokumentation von Aktionen. Sie sind selbst Inszenierungen statt die Inszenierungen in der Kunst verstehbar zu machen. Beide Konkurrenzen lassen sich leicht vermeiden. Die erste, indem man auf Ausstellungen weitgehend verzichtet und sich auf Veranstaltungen zu einzelnen Aktionen konzentriert. Dazu später. Die zweite, indem man anstelle von Kuratoren den Beruf des „Dokumenters“ schafft. Der Dokumenter: job-description Zu dieser Arbeit gehört einiges an Recherche- und Forschungstätigkeit, insbesondere um Rezeptionsgeschichten zu erstellen, Erfahrungsberichte auch der Künstler einzuholen, akribische Beschreibungen der Aktionen anzufertigen und Sammlungen von Interpretationen anzulegen. Damit wird zugleich ein Beitrag zur Verbesserung des Kunstjournalismus geleistet: Kunstjournalisten und -wissenschaftlern stehen umfassende Materialien einerseits unbürokratisch zur Verfügung, andererseits kann man die von ihnen aufgezeichneten Beobachtungen und Gespräche in die Sammlung aufnehmen, die leicht zugänglichen veröffentlichten Kritiken ohnehin. Es ist freilich auch denkbar, dass auf Dokumenter in der Anfangsphase beratende Aufgaben zukommen. Auch für Kunstkritiker wird es gewöhnungsbedürftig sein, mit derartigen Materialien zu hantieren. Wenn man das alles geschickt anstellt, hat es zudem den erfreulichen Nebeneffekt, dass das Verhältnis zu Journalisten keines der gegenseitigen Instrumentalisierung bleiben muss, dass vielmehr Zusammenarbeit möglich wird.

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Zu diesen Feld- und Sammler-Arbeiten kommt die der Spurensuche: Welche Spur eignet sich am besten, um eine Aktion zu repräsentieren und auf sie neugierig zu machen, eignet sich am besten als „Aufhänger“ für eine Veranstaltung? Neben kompletten Dokumentationen der Aktionen ist es eine zweite wichtige Veränderung, weg von konventionellen Ausstellungen zu kommen, die Künstler- und Werk-Ästhetiken, die Heldenverehrung reproduzieren. Ein Typus von Veranstaltung ist zu erfinden, in dem (vergangene) Kunst-Ereignisse vorgestellt, ausstellbar gemacht werden. Vorstellung statt Ausstellung Es besteht Bedarf, eine Dramaturgie von Veranstaltungen zu entwickeln, die statt Ausstellungen die führende Rolle in der Kunstvermittlung einnehmen: Vorstellungen. In Veranstaltungen zu einzelnen Aktionen unter Beteiligung von Künstlern, dem seinerzeitigem Publikum, den seinerzeitigen Kritikern ist es möglich, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen und zugleich Forschungssituationen herzustellen. Solche Vorstellungen bieten auch eine Gelegenheit, die Aktion genau zu rekonstruieren und die seinerzeit versäumte Dokumentation zu vervollständigen, Teil einer Rezeptionsgeschichte sind sie ohnehin. Für manche der Aktionen könnte es freilich auch notwendig sein, sie experimentell nachzustellen, weil wichtige Informationen verspätet nicht mehr anders einholbar sind. Wenn sich das Schwergewicht von Ausstellungen auf Vorstellungen verschiebt, hat das – wie insgesamt dieses Museums-Konzept – Konsequenzen für die Veröffentlichungen. Nicht mehr der Katalog – er ist Medium von Warenhäusern –, sondern eine Schriftenreihe und Filmdokus sind dazugehörige Formen. Features fürs TV und für eigene Vorstellungen sind eine andere. Für „Kunstwerke“7 ist diese Form entwickelt, für Aktions-Kunst ist das noch zu tun. Dass MMK leicht durch (wissenschaftliche) Bibliotheken zu ersetzen seien, wäre ein Missverständnis. Auch Dokumentationen in Büchern sind nämlich defizient. Häufig handelt es sich um Fan-Literatur, um Heldenverehrung, um die Verallgemeinerung einer Perspektive zu einer „Kunsttheorie“ und nicht um umfassende Dokumentationen von Kunst-Aktionen.

7 Die Reihe „Kunststück“ (Fischer Verlag) und die Fernsehserie „100(0) Meisterwerke“ bieten da, bei allen Qualitätsunterschieden, erste Orientierungshilfen.

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Das Museum für Moderne Kunst, verstanden als Institut für zeitgenössische Kunst, meint kein verstaubtes Archiv. Das Gegenteil ist der Fall: Statt schon leicht angestaubte Artefakte auszustellen, kann man attraktive Vorstellungen anbieten, einen zeitgemäßen Kunst-Salon (in bester bürgerlicher Tradition) eröffnen – als Ort aufklärerischer, nachdenklicher, kritischer Öffentlichkeit.

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Als „imposant“ und „großartig“ bezeichnet Arnold Bode 1955 die Ruine des Fridericianums, als ideale Kulisse für die Inszenierung moderner Kunst nach Faschismus und Zweitem Weltkrieg. Die eigentümliche Faszination, welche die architektonische Konstellation des Zerstörten im Zentrum Kassels für den Initiatorenkreis der documenta um Bode auslöst, verdankt sich einer Lesart der Ruine als Symbol für das geschichtliche Scheitern einer kulturellen Institution und zugleich als Aufforderung, eine Zäsur zu denken: Angesichts von entfesselter Gewalt und planmäßiger Vernichtung, die aus dem Schoß der bürgerlichen Gesellschaft kam, galt es, auch das Kunstmuseum als eine der zentralen kulturellen Instanzen des Bürgertums zu befragen. Und doch gilt die documenta bis heute vielen Besucherinnen und Besuchern als ein „Museum der hundert Tage“, eine Formel, die Bode 1963 selbst in Umlauf gesetzt hatte und seitdem im Kunstjournalismus ein Eigenleben führt. Eine Paradoxie? Oder Indiz für die Schwierigkeiten, der hartnäckigen Musealisierungsdynamik im Ausstellungswesen und der Kunstöffentlichkeit ernsthaft etwas entgegen zu setzen? Seit nunmehr 50 Jahren bildet die Auseinandersetzung mit dem Kunstmuseum jedenfalls einen wichtigen, aber keineswegs einen kontinuierlichen Unruheherd in der Geschichte der documenta. Unter den regelmäßig veranstalteten internationalen Kunstausstellungen gilt die Kasseler documenta heute weltweit als die „renommierteste“ (Crimp 1996: 244) und allein dieser Tatbestand könnte geeignet erscheinen, ein überaus kritisches Licht auf die Entwicklung der Kunstwelt und ihres Ausstellungswesens zu werfen. Mit dem Nimbus des Avantgardistischen ausgestattet, suggeriert sie mal mehr, mal weniger autoritär, als verlässliche seismografische Institution die stattfindenden oder bevorstehenden Weichenstellungen der Kunstentwicklung aufzuzeichnen und in zeitspezifischen Inszenierungen zu dokumentieren. Dabei hat sie den

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Museumskomplex mit ihren wechselnden, sehr unterschiedlichen Ausstellungskonzeptionen herausgefordert, vor allem aber ist sie selbst zum „Modellfall für die Herstellung von Kunstgeschichte“ (Grasskamp 1982: 17) geworden. Und daher kommt inzwischen kaum ein Beitrag zur Geschichte dieser Institution ohne die kritische Beschwörung des „Mythos documenta“ aus – das 49. Heft des Kunstforums aus dem Jahre 1982 trägt diesen Titel. Harald Kimpel (1997) verwendet den Mythosbegriff in seiner geschichtlichen Studie u.a. für den neuartigen Institutionstyp der documenta, ihrer Leitbildfunktion in der Kunstwelt, ihrer Sanktionierungsmacht, ihrem Partizipationsanspruch und ihrer interpretatorischen Objektivierungskraft. Ganz offensichtlich hat sich die documenta als eine Veranstaltungsfolge etablieren können, der mit der Erwartung begegnet wird, in herausgehobener Weise sowohl mit einer theoretisch begründeten Zusammenstellung relevanter Arbeiten wie mit Impulsen für die kuratorische Selbstreflexion rechnen zu können. Zu diesem Phänomen hat nicht nur die stetig wachsende Aufmerksamkeit der Kunstöffentlichkeit, von den Kulturmagazinen im Fernsehen bis hin zu Fachzeitschriften beigetragen, sondern auch der parallel dazu verlaufende Strom der Verrisse und Abgesänge. Was auch immer falsch gelaufen sein mochte, es war doch immerhin auf eine paradigmatische Weise falsch gelaufen, die ihrerseits zeitsymptomatischen Charakter besaß und im Nachhinein den Mythos einer seismografischen Institution nur bestätigen konnte. Wenn wir an Roland Barthes berühmte Untersuchung anknüpfen, müssen wir den Mythos als eine Aussageform begreifen: er ist „kein Objekt, kein Begriff oder eine Idee“, sondern stellt „eine Weise des Bedeutens, eine Form“ (Barthes 1964: 85) dar. Demnach kann sich der Mythos documenta nicht den ausgestellten Werken selber verdanken, sondern der Art und Weise, wie er die realen Objekte zu einer Aussage formt, in die sich ihrerseits die Hypothese einer erweiterten Kenntnis des Realen „einnistet“, wie Barthes sagt. Und weiter: „Allerdings ist das im mythischen Begriff enthaltene Wissen konfus, aus unbestimmten unbegrenzten Assoziationen gebildet. Man muss deutlich dieses Offensein des Begriffs hervorheben. Dieses Wissen ist […] eine formlose, unstabile, nebulöse Kondensation, deren Einheitlichkeit und Kohärenz mit ihrer Funktion zusammenhängen.“ (Barthes 1964: 99) Am Fall der documenta lässt sich diese unstabile Kondensation auch auf die kritische Funktion beziehen, die sie gegenüber den Klassifikationssystemen und Interpretationsmonopolen des Kunstmuseums wahrzunehmen behauptet. Sie etabliert sich durch die serielle Präsentation

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DIE DOCUMENTA ALS HERAUSFORDERUNG DES KUNSTMUSEUMS?

künstlerischer Objekte als ein sinnhaftes Projekt höherer Ordnung, indem sie sich dauerhaft als das Andere des Museums, als Indikator des Kommenden und als anerkannte Selektions- und Legitimationsinstanz konstituiert. Sofern wir es bei der documenta mit einem modernen Mythos zu tun haben, zehrt dieser auch von ihrer dauerhaft oppositionellen Stellung zum Kunstmuseum, einer Kontraposition, die es ihr nicht zuletzt ermöglicht, noch den eigenen konzeptionellen Missgriffen den Status aussagekräftiger Experimente zu verleihen. Wir müssen also die Struktur des ganzen Feldes einbeziehen, innerhalb derer die documenta geschichtlich operiert: Das Feld des Ausstellungswesens erscheint dabei weniger festgestellt als das Teilfeld der Kunstmuseen, aber auf beiden Feldern zeigen sich edukative, mit Vergnügen, sinnlicher Tätigkeit und spezifischen Wissenspaketen verknüpfte Präsentationsstrategien, in die (in feldspezifisch unterschiedlichen Maßverhältnissen) sowohl institutionell befestigte Macht- und Entscheidungsstrukturen wie hegemoniale, gegenkulturelle und politische Aktivitäten der Zeit eingeschrieben sind. Auch das Kunstmuseum kann daher, wie Tony Bennett (1996) aus einer Cultural Studies-Perspektive gezeigt hat, nicht nach dem Muster einer diskursiven Disziplinarmacht im Sinne Foucaults analysiert werden, wie dies Douglas Crimp (1996: 68) in einer letztlich bloß rhetorisch bleibenden Wendung behauptet. Erst recht aber für eine Ausstellungsserie wie die documenta scheint es angemessener, die kunsttheoretischen und zeitdiagnostischen Rahmungen, die Werkauswahl und die inszenatorischen Strategien nicht als diskursive Kontrollmächte zu begreifen, sondern als bedeutungsgenerierende Praktiken, die (im Gegensatz zu Disziplinarmächten) von hoher Polysemie geprägt und in einer materialen Differenzlogik kontrovers artikuliert werden. Im Innern der Ausstellung selbst haften diese Artikulationen von Differenz an den ausgestellten Werken selbst, mögen ihnen auch durch courante Theorien stilistische oder andere spezifische Klassifikationszusammenhänge nachgewiesen werden. Zudem erzeugt die Differenzlogik unterschiedliche Aneignungsweisen durch das Publikum, spezifische Bezüge zum sozialen Raum, zum Museum, zum Kunstmarkt, zum Politischen etc. Der frühe Pierre Bourdieu hat die verschiedenen Teilgebiete des kulturellen Kräftefeldes als voneinander dependent beschrieben, allerdings mit einem „jeweils unterschiedlichen funktionalen Gewicht“ (Bourdieu 1970: 102):

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WOLFGANG LENK „Tatsächlich ist die dynamische Struktur des kulturellen Kräftefeldes nichts anderes als ein System der wechselseitigen Bestimmungen einer Pluralität von Instanzen, isolierten Kräften wie dem literarischen Urheber oder ganzen Aktionssystemen, dem Unterrichtssystem, den Akademien oder literarischen Gruppen, deren Stellenwert zumindest in den wesentlichen Momenten ihres Daseins und ihrer Funktion einmal von ihrer Position in dieser Struktur, zum andern von der je nach Stärke und Reichweite mehr oder weniger anerkannten, immer aber durch Interaktion vermittelten Autorität abhängt, die sie auf das Publikum ausüben oder aber auszuüben beanspruchen, das so zugleich zum Spielobjekt und, in gewissem Maße, zum Schiedsrichter des Wettbewerbs um kulturelle Sanktionierung und Legitimität wird.“ (Bourdieu 1970: 102f.)

Die hier genannten Kategorien der Autorität und Legitimität von kulturellen Praktiken sind also vermittelt sowohl mit Konflikten und Interaktionen zwischen den Akteuren innerhalb der kulturellen Felder und über Feldgrenzen hinweg, wie auch mit den Reaktionen und Geschmacksformationen des Publikums. Verbunden sind diese Praktiken, was Bourdieu hier eigentümlicherweise nicht erwähnt, mit den medialen Diskursen, in denen die Akteure um Repräsentationsprofite bei der Ausübung einer öffentlichen Schiedsrichterrolle kämpfen und so Lesarten einer Ausstellung (wie einzelner ihrer Exponate) in Umlauf setzen. Im Sinne Bourdieus lässt sich die documenta als eine Institution analysieren, „deren Aufgabe sich nicht nur auf die Vermittlung und Verbreitung, sondern auch auf Legitimation richtet“ (Bourdieu 1970: 106), eine Legitimation, welche die kulturelle Sanktionierung von Produkten und Praktiken eines „ganzen Systems von Regeln“ erzeugt, die auf dem Feld um öffentliche Aufmerksamkeit ringen. Insofern verfügen selbst hoch angesehene Institutionen heute keineswegs mehr über die Ressource einer unbestrittenen kulturellen Legitimität, sondern bleiben auf öffentliche Bestätigung angewiesen und zwar umso mehr, je stärker sie sich selbst immer wieder in Frage zu stellen bereit sind. Dies berührt eben jene Besonderheit der documenta, die sie von hegemonialen Institutionen grundlegend unterscheidet: Im Gegensatz zum Museumsbetrieb entwirft sie sich als Ausstellungsfolge jedesmal anders, verfolgt unter der seit 1972 stetig wechselnden künstlerischen Leitung keinerlei institutionell festgeschriebene Kunstpolitik, sondern artikuliert sich als geregelte Wiederkehr ihrer eigenen permanenten Neuerfindung. Im Folgenden werde ich versuchen, einige Hypothesen zur Geschichte der documenta als einer transitorischen Institution zu plausibilisieren, die sich mal mehr, mal weniger explizit kritisch gegenüber dem Kunstmuseum positioniert hat. Meine Überlegungen stehen im Zusammen-

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hang mit einer Untersuchung zum Wandel der kuratorischen Konzepte der documenta und deren soziologischer Deutung. Dabei werden vier Aspekte der Analyse miteinander verknüpft, denen ich mich hier allerdings nur skizzenhaft nähern kann: • die kunsttheoretischen und zeitdiagnostischen Überlegungen der künstlerischen Leitung, welche den konzeptionellen Aussagezusammenhang der jeweiligen Ausstellung herstellen, • die Auswahlkriterien für die präsentierten Exponate und die damit verbundenen Durchsetzungsinteressen, • einzelne typische Präsentations- und Inszenierungsformen, die Bedeutungsregie sowie Vermittlungsangebote von Kontextwissen, • explizite Problematisierungen des Kunstmuseums in Texten oder durch ausgestellte künstlerische Arbeiten. Ich möchte ein Modell von 4 in sich dynamischen Phasen in der Geschichte der documenta vorschlagen, die freilich nicht im Sinne von strikt voneinander abgetrennten kuratorischen Entwicklungslinien zu verstehen sind. Vielmehr stellt jede Phase in sich auch einen Krisenzyklus dar, der wiederum ästhetische Tendenzen und gesellschaftsgeschichtliche Zyklen reflektiert. Gewiss stellt besonders seit dem Bruch des Gespanns Bode/Haftmann jede documenta einen konzeptionellen Solitär dar – souverän gegenüber ihrem jeweiligen Vorgänger – und offensichtlich muss schon allein deshalb ein Phasenmodell äußerst riskant erscheinen. Dennoch zeigen sich aus der Zeitperspektive von fast 50 Jahren übergreifende Dynamiken und Deutungsmuster, die jeweils länger als eine Dekade auch kuratorische Berührungspunkte und konzeptionelle Ähnlichkeiten zwischen den Ausstellungen bewirkt haben – Berührungspunkte, die ich im Folgenden akzentuieren möchte.

Erste Phase: Der Hang zum Modernitätstraditionalismus. d 1 – d 3 (1955 – 1964) Nicht allein der „Kult der klassischen Moderne“ (Belting), sondern mehr noch die steile Kanonisierung der westlichen Kunst entlang der Idee einer ihr immanenten Entwicklungslogik hin zu individualisierter Expression und Abstraktion durch Werner Haftmann, mit dem Arnold Bode von Anfang an zusammenarbeitet, liefert den kunsttheoretischen Rahmen der ersten drei Ausstellungen. Dieses Deutungsmuster scheint trotz seiner problematischen Ausklammerung all der Avantgarden und Kunst-

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bewegungen, die sich seinem Schema nicht fügen, zunächst weithin akzeptiert, und wird in seiner Fragwürdigkeit erst verspätet sichtbar, nämlich als auf der documenta 3 (1964) Arbeiten der Pop Art etwa von Robert Rauschenberg, Allan Jones oder Ronald B. Kitaj zu sehen sind. Sie werden neben zahlreichen anderen Werken, zumeist nicht älter als ein oder zwei Jahre, unter dem Titel ,Aspekte 1964‘ im Erdgeschoss des Fridericianums versammelt und signalisieren die erste Krise der documenta, da sie nicht mehr recht zu den Überlegungen passen wollen, mit denen Haftmann (1964: XIV) in seinem Einführungstext zum Katalog „die künstlerische Persönlichkeit“ gegen die „Verwertungswelt“ in Position bringt. Trotz Arnold Bodes unverhohlener und prinzipieller Skepsis gegenüber jeglichen kunstwissenschaftlichen Deutungsmonopolen strukturiert Haftmanns Modell der Kunstgeschichte weitgehend die Exponatauswahl in dieser Phase. Haftmann verschränkt in seiner wegweisenden Studie Malerei im 20. Jahrhundert (1954) die sukzessive Abkehr der Modernen vom Ideal der gegenständlichen Repräsentation mit der Genesis des „evokativen Bildes“, in dem Künstler ihre Individualität und Subjektivität visualisieren. Die Entstehung einer ungegenständlichen und individualisierten Weltkunstsprache, die ästhetische Sprache der „westlichen Freiheit“, folge einem entwicklungslogischen Zwang, der den Individualismus künstlerischer Kreativität entfesselt, indem die Künstler ihre persönliche Erfahrung gegen alle tradierten gesellschaftlichen Erwartungen und Geschmacksnormen eigensinnig kultivieren. Darin bestehe die Würde der kulturellen Moderne, die es nun in einer Art nachholender ästhetischer Erziehung den Deutschen zu vermitteln gilt. Der autoritäre Gestus, mit der die neue kunsttheoretische Orientierung auf den Plan tritt, kann freilich nicht getrennt werden von der noch immer enormen mentalen Wirkungsmacht jener Auffassungen, gegen die sie opponieren: Hans Sedlmayrs 1948 erschienene, sehr populäre Fundamentalkritik der ästhetischen Moderne, nach der mit der imaginären Kugelarchitektur der Französischen Revolution der Verlust der Mitte in der Kunst beginnt, stellt das wohl meistverkaufte Buch der deutschsprachigen Kunstgeschichtsschreibung dar. Arnold Gehlen formuliert 1960 zwar anders begründete, aber ähnlich gelagerte Motive im Rahmen einer bei Cézanne ansetzenden symptomatischen Deutung der Moderne, welche „tangential ins nicht Nachvollziehbare weg(strebt)“ und sämtliche „inneren Kontrollinstanzen, … geschweige denn äußere“ auflöst (Gehlen 1960: 159). Gegen solche konservative Abwehr der Moderne konzipieren Bode und Haftmann die documenta als eine kulturelle Entnazifizie-

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rung, aber auch sie operieren nicht ohne fragwürdige theoretische Geschütze. Mit entschlossen existenzialistischem Gestus akzeptiert Haftmann die „Unbehaustheit und Verletzbarkeit“ des Menschen als anthropologische condition moderne, um die ästhetische Erfahrung von Individualität in privilegierter Weise an der Abkehr der Künste von gegenständlicher Repräsentation festzumachen. So propagiert die documenta sowohl die Durchsetzung der Abstraktion wie die Verpönung realistischer Haltungen und artikuliert damit die zwei hegemonialen Prinzipien des damals vorherrschenden Typus legitimer Kunst, wobei erst seit der documenta 2 in vorsichtig anwachsendem Maße die Kunst der USA einbezogen wird. Rückblickend kann deshalb nicht erst Catherine David die frühe documenta als eine Art kunstpolitisches Schaufenster des Marshall-Plans wahrnehmen. Unter den spezifischen Prämissen und Selektionskriterien einer derartigen Anstrengung zur mentalen Entnazifizierung erscheint aber – als strukturelle Folge des Haftmannschen Modells – die Kunstpolitik der Nazis nunmehr als ein bloß „absurder Anachronismus“, und nicht allein dies: ebenso zwangsläufig bleiben auch all jene Kunstformen ausgeschlossen, die vor dem Faschismus wegen ihrer Gegenständlichkeit, ihrer politischen Explizitheit oder ihrer Favorisierung der neuen Reproduktions- und Verbreitungsverfahren eine kritische Position jenseits des Haftmannschen Schemas bezogen hatten. Walter Grasskamp hat diese Mischung aus dem Bemühen um ein möglichst nahtloses Anknüpfen an die von den Nazis verfemte Moderne und der reduzierten Konstruktion ihrer bildsprachlichen Dynamik hin zur Abstraktion treffend als „wohlwollende Fälschung der Moderne“ bezeichnet. „So war bestimmten Kritikern der frühen documentas die erklärte Absicht der Veranstalter, die abstrakte Kunst als Weltsprache zu propagieren, nur ein Indiz dafür, dass realistische Künstler, vor allem solche sozialkritischer Provenienz, von den Kunstagenten der westdeutschen Nachkriegs-Kapitalisten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit manövriert werden sollten. Falls dies eine Strategie gewesen sein sollte, war sie erfolgreich: die vom Faschismus ausradierte Tradition des sozialkritischen Realismus hat sich in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre keineswegs einer ähnlich demonstrativen Wiedergutmachung erfreuen können wie sie etwa der abstrakten Kunst zukam.“ (Grasskamp 1982: 16f.) Haftmanns kunsttheoretische Pole dagegen bilden Begriffspaare wie Repräsentation vs. Evokation, Gegenständlichkeit vs. Abstraktion, und diese repräsentieren ihrerseits – ohne Bezug auf realistische Traditionen

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– die Gegensätze zwischen „Massengesellschaft“ und „Persönlichkeit“ oder Konformismus und Individualität. So kann die erste documenta, aber auch die beiden folgenden demonstrieren, wie moderne Kunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Individualitäts- und Toleranzversprechen der demokratischen Ordnung artikuliert, indem sie die Subversion der Massengesellschaft und des ihr innewohnenden Konformismus betreibt. Nach Haftmann entwirft die Kunst des 20. Jahrhunderts Gegenbilder „gegen die Verhärtungen, Vereinfachungen und Verallgemeinerungen des politischen und staatlichen Denkens innerhalb dieser Massenordnung“, als deren tragender Pfeiler nun in den 50er Jahren allerdings nicht länger der politische Autoritarismus, sondern die affluent society mit der ihr eigenen Ubiquität von Verwertungsprozessen anzusehen ist. Kunst ist so geradezu definiert als das Andere des Kommerziellen, das wiederum nur als Distinktion des Individuellen gegenüber dem Durchschnittlichen in Erscheinung zu treten vermag: „In ihrem Beharren auf dem Recht des Einzelnen zur persönlichen Definierung seiner Wirklichkeit und auf der Würde der isolierten Handlung liefert sie das anschauliche Beispiel für eine menschliche Haltung, die gegen die nivellierende Gruppenanschauung, das Übergewicht des Mittelmaßes durch die große Zahl und den geistigen Konformismus gerichtet ist – will sagen: gegen die gefährlichen konstitutionellen Unzuträglichkeiten der Demokratie. Sie steht gegen die Macht der Zahl und für das Gewicht des einzelnen als Mensch in seiner Freiheit.“ (Haftmann 1958: 72) In dieser Terminologie artikuliert Haftmann jenen ebenso diffusen wie ambivalenten Affekt gegen „die furchtbare moderne Allgewalt des Politischen und Soziologischen“, den er etwa auch bei einem Schriftsteller wie Gottfried Benn bewundert und der offensichtlich sowohl die bildungsbürgerlichen Tonlagen auf der hegemonialen Klaviatur des Adenauerschen CDU-Staates wie auch dessen Gegenteil, nämlich das Unbehagen am Fetischcharakter des Wirtschaftswunders trifft. Welcher Lesart dieser Semantik die Zeitgenossen auch immer den Vorzug gegeben haben mochten, ihre Kategorien weisen der Kunst die Rolle des autonomen Hüters der Persönlichkeit inmitten einer ansonsten unvermeidlichen „Vermassung“ zu. Obwohl diese kunsttheoretische Rahmung ebenso wie die darin enthaltene Zeitdiagnose das documenta-Projekt in der gesamten ersten Phase fundieren, bleiben auch einige Spannungslinien unausgetragen, die zwischen Arnold Bode als dem unumstrittenen Leiter der documenta und dem formell nur beratenden und Einführungstexte verfassenden Kunsthistoriker Werner Haftmann faktisch bestehen. So zielt das Reformpro-

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gramm, das Bode bereits seit 1946/48 zur Wiedergründung einer Kasseler Werkakademie betreibt, deutlich auf die Verbindung von „freien“ und „angewandten“ Künsten im Sinne der Werkbund- und BauhausTraditionen. Die Kunstbegriffe, die in der deutschen Kunstgeschichte und -philosophie dominieren, lehnt Bode offen als „elitär“ ab, und bis zu seinem Ausscheiden aus der Leitung der documenta Ende der 60er Jahre hat er nicht mit spöttischen Sottisen über kunstwissenschaftliche Klassifizierungen und ihr Sortiment der Stilkategorien gegeizt. Ebenso befremdet zeigt er sich aber auch, wenn es um den Gesellschaftsbezug von Kunst geht: Bode war fasziniert von Willem Sandbergs Präsentation der Kunst im 20. Jahrhundert im Amsterdamer Stedelijk Museum, die er als „eine die Werke nicht stilllegende, sondern sie in ihrer emotionalen Wirkung aktivierende Ausstellungsform“ betrachtete (zit. nach Kimpel 1997: 105). Er will allein zeigen, wie ästhetische Produkte gearbeitet sind und welche visuelle Wirkung sie zu entfalten vermögen. Diese Haltung entspringt einer durchaus reduzierten Orientierung an den Ideen von Werkbund und Bauhaus: die klassische Dichotomie von freien von den angewandten Künsten soll aufgebrochen werden, aber der gesellschaftsreformatorische Impuls ist abgeschwächt bzw. erschöpft sich in der Absicht, bloß die tradierten Rangunterschiede aufzuheben. Auf der documenta 1 indes ist Bodes ursprüngliche Intention noch gar nicht erkennbar und zu einer für die damaligen Verhältnisse allerdings spektakulären Inszenierung von Werken der Malerei und Skulptur der ersten Jahrhunderthälfte verdünnt, die nun doch als ein separierter ästhetischer Kosmos in – das Publikum gewiss elektrisierende – Erscheinung tritt. In Katalogbeiträgen und öffentlichen Statements der folgenden 10 Jahre artikuliert Bode immer wieder sein ursprüngliches Konzept – allein es mangelt an Mitteln zur Realisierung. Es bleibt unklar, ob die Stadt Kassel als damaliger Hauptfinanzier ihre Zuwendungen in Grenzen halten und so auf geräuschlose Weise zur Einhaltung der konventionellen Grenzen der Kunstwelt beitragen wollte, weil sie dies möglicherweise als ausreichend oder als erfolgversprechender ansah. Ironischerweise spielt aber die Sorge eine nachgewiesene Rolle, über die Einbeziehung der angewandten Künste könne der Einfluss der Kasseler Werkkunstschule, an der Bode ja lehrt, zu groß werden und das Projekt documenta „provinzialisieren“, wo es erst noch um seine volle Anerkennung als überregional attraktive Schau zu kämpfen hat. Jedenfalls fasst Bode schließlich doch den Mut, zur documenta 3 folgendes Konzept zu entwickeln: „1. Zusätzliche Ausstellungen im Gebäude der Staatlichen Werkkunstschule: a) Fotografie, b) Beispiele guter

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Gebrauchsgrafik, c) Industrial Design, d) Architektur in Fotos und Modellen, e) wichtige Filme der letzten Jahre. 2. Sonderveranstaltungen: a) Theater, b) Musik, c) Poesie/Philosophie. Die Finanzierung dieser zusätzlichen Programmteile soll außerhalb des d3-Etats durch Spenden erfolgen“ (zit. nach Kimpel 1997: 234), kommt aber nur zum Teil zustande. Ein anderes Beispiel für diese Tendenz zur beabsichtigten Integration dessen, was Bode die „Schwesterkünste“ nennt, ist ironischerweise Haftmanns Text zum Katalog der documenta 3, in dem er die Pop Art vor allem unter dem spezifischen Gesichtpunkt wahrnimmt, eine Erneuerung der sozialen Ideen des Konstruktivismus, des Bauhauses und der ,De Stijl‘-Bewegung unter fortgeschrittenen Bedingungen zu ermöglichen. Er kündigt an, sie vor allem in ihren angewandten ästhetischen Kristallisationen in einer kommenden documenta zu präsentieren: „Ausgerichtet auf die Impulse und Bedürfnisse der modernen Gesellschaft – wie sie in der Architektur, im Gebrauchsgerät, in Schriftbild und Werbung zu unserem zeitgenössischen Leben in Funktion treten -, zielt diese Kunstauffassung immer auf deren Befriedigung, also auf jenen Bereich, den Benn die ,Verwertungswelt‘ und Bense die ,Plakatwelt‘ nannte.“ (Haftmann 1964: XIV) Tatsächlich präsentiert die documenta 2 (1959) neben einer gegenüber der documenta 1 weit internationaleren Auswahl aktueller Malerei und Skulptur, die aber ebenso entschlossen wie diese die Tendenz zur Abstraktion belegen sollte, immerhin auch eine Abteilung mit Druckgrafik und Buchgestaltungen. Auf der documenta 3 kommt es dann tatsächlich zu einer Parallelausstellung in den Räumen der Staatlichen Werkkunstschule, die aber auf Beispiele des Industrial Design und grafischer Arbeiten begrenzt bleibt. Die Exponatauswahl der ersten drei documentas bleibt also klar fokussiert auf Malerei und Skulptur als Demonstrationsobjekte der Haftmannschen These. Besonders die erste documenta versteht sich als rehabilitierende Gegendemonstration zur nationalsozialistischen Wanderausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in München zum ersten Mal gezeigt worden war. „Von 58 in Kassel gezeigten deutschen Künstlerinnen und Künstlern wurden 31 von den berüchtigten Zurschaustellungen des ,Dritten Reiches‘ missbraucht“ (Kimpel 2002: 21). Lehmbrucks „Knieende“ aus dem Jahre 1911, effektvoll vor den kahl geweißten Wänden der provisorisch überdachten Rotunde des Fridericianums auf einen Sockel gestellt und das Publikum demütig empfangend, steht emblematisch für das Programm, Anschluss an die internationale Kunstentwicklung zu

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finden, ohne genauer nach den Gründen für deren Unterbrechung in Deutschland zu fragen. Zeigte die documenta 1 ein breites, mit dem frühen 20. Jahrhundert beginnendes Spektrum der klassischen Moderne vom Kubismus über den deutschen Expressionismus, italienischen Futurismus bis zu konstruktivistischen Positionen und den Abstrakten der Gegenwart, so begrenzte sich die documenta 2 auf Werke nach 1945. 1964 wird dann noch einmal mit großen retrospektiven Anteilen das evolutionär konstruierte Panorama der ästhetischen Moderne von Cézanne und van Gogh bis zur Gegenwart der Abstraktion ausgerollt, wobei die Zusammenstellung von 500 Handzeichnungen, die die Entwicklung dieser Gattung seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts effektvoll in Leuchtkästen illustriert, zu einem viel gelobten Höhepunkt avanciert. Zugleich wird deutliche Kritik laut, die documenta habe sich konzeptionell bereits erschöpft. Mit ihrer Unterwerfung der Exponatauswahl unter den Gesichtspunkt einer immanent ästhetischen Genese der Nachkriegsabstraktion sei sie in ein selbstproduziertes Kontinuitätsdilemma geraten. Die Frage ,was kommt nach dem Abstraktwerden der Kunst?‘ macht sie sprachlos und neue Tendenzen wie die längst deutlich als Bewegung zu erkennende Pop Art ist sie nicht recht zu begreifen in der Lage. Haftmann hatte die Pop Art ja wie bereits erwähnt in die Schublade der „angewandten Kunst“ gesteckt und so seinen Ansatz, der sich allein auf die „freien“ Künste beruft, auf durchsichtige Weise von Irritationen freizuhalten versucht. Entsprechend der Bedeutung, die dem Kunstwerk als Objekt der Evokation zukommt – und in dieser Auffassung besteht der Kern des Konsensus zwischen Bode und Haftmann –, ist es nur konsequent, die Inszenierungsstrategien und Bedeutungsregie der documenta als Steigerung der evokativen Kräfte von Kunst anzulegen. Jenseits aller Worte muss die Bedeutungsregie nichts als das Bild selbst zum sprechen bringen, das emotionale Erlebnis intensivieren. Dazu bedient sich Bode des Mittels der Korrespondenzbeziehungen, entweder zwischen verschiedenen Werken oder zwischen dem Werk und stark kontrastierenden Hintergründen aus profanen Industriematerialien wie Vorhängen (sog. Göppinger plastics) oder den wärmedämmenden „Sauerkrautplatten“, mit denen die Wände im Hauptsaal notdürftig verkleidet waren. „Visuelles Begreifen“, so Bode, ist ein intuitives Geschehen, dem durch werkentsprechende Inszenierungen auf die Sprünge geholfen werden kann. Die individuellen Bildsprachen sollen in spezifischen Korrespondenzen inszeniert werden und durch ihre gegenseitige Konfrontation an

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Ausdruckskraft gewinnen; beispielhaft dafür ist etwa die Konstellation zwischen Klees Das Auge (1913) und Lehmbrucks Mädchentorso (1913/14). Oder aber das Kunstwerk wird in Beziehung gesetzt zum Rohen, zum Zerstörten und zu den profanen Materialien des Wiederaufbaus. Hinzu kommen überraschende Durchblicke, die zwischen schnell aufgemauerten unverputzten und immer wieder durchbrochenen Wänden geschaffen werden: Auch die durchlaufende Wand selbst sah Bode als Problem. Diese Inszenierungsstrategien entfalten schnell eine Eigendynamik. Sie bilden so etwas wie einen Baukasten für weitere Experimente mit der ausstellungsbezogenen ästhetischen Korrespondenz- oder Beziehungsregie. Auf der 2. documenta testet Bode zusätzlich die Korrespondenzbeziehungen der Skulptur zur äußeren Natur und zur Architektur (ein Thema, das auch Stadtplaner, Künstler und Kulturdezernenten im Zusammenhang mit der Aufstellung von Skulpturen im öffentlichen Raum diskutieren, denn diesen kam kaum mehr als dekorative Funktion zu), auf der dritten schafft er dramatisch-effektvolle Rauminszenierungen mit großformatigen Tafelbildern, die er im Falle Ernst W. Nays in zum Betrachter hin aufsteigender Folge hintereinander an die Decke hängt oder, wie bei Emilio Vedova scheinbar ohne Struktur und visuell explodierend im gesamten Raum verteilt. Mit diesen Experimenten erprobt Bode eine dritte Bedeutungsregie: sie spielt mit den veränderlichen Korrespondenzen zwischen Werk und Publikum, das als ein bewegliches, seine Blickposition selbst veränderndes „aktiviert“ werden soll. Dem wirkt freilich die beinahe sakrale Atmosphäre einzelner dieser Rauminstallationen entgegen, die das Publikum ,an die Hand nimmt‘. Ein verbreitetes Narrativ besagt, Arnold Bode sei, nachdem er die documenta ursprünglich bloß als singuläres Kunstprojekt neben der Kasseler Bundesgartenschau vorgeschlagen habe, erst angesichts des großen Erfolgs von 1955 auf die Idee gekommen, sie als Folge von Ausstellungen zu konzipieren. So konnte die documenta schließlich auch als institutionalisiertes Spiegelbild der Wünsche eines sich der Moderne verbundenen Kunstpublikums gedeutet werden, das durch seinen Besuch am Schöpfungsakt beteiligt zu sein schien und sich seitdem in diesem Spiegelbild narzisstisch seiner eigenen Modernität ansichtig zu werden vermochte. Aber Bode strebt von Anfang an dahin, die documenta als eine Ausstellungsfolge (etwa im Vierjahresrhythmus) in Kassel heimisch zu machen und „an der Spitze der internationalen Entwicklung des Ausstellungswesens“ zu platzieren. Von ihr soll die Botschaft ausgehen: mit der Illusion der überzeitlichen Aufbewahrung und Ordnung sei es eindeutig

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vorbei. Auch das Prinzip der Gliederung einer Ausstellung mit aktueller Kunst nach nationalen Pavillons – wie auf der Biennale in Venedig – sei nicht mehr zeitgemäß. Das neoklassizistische Kasseler Fridericianum, 1769-1779 als erstes öffentliches Kunstmuseum auf dem europäischen Kontinent errichtet, steht als ausgebrannte öffentliche Ruine mit noch halbwegs intakter Fassade zum Friedrichsplatz hin gleichsam als Echtzeit-Symbol für das Scheitern der bürgerlichen Museumstradition. Bereits 1953 war im zerbombten und ausgebrannten Palazzo Reale in Milano die bis dahin umfangreichste Ausstellung mit Werken Picassos gezeigt worden, die zu Bodes Inspirationsquelle für die Kombination von Kunst und Ruine wird. Wie in Milano, so nehmen auch im Fridericianum alle Mängel des Hauses auf geradezu selbstverständliche Weise den Charakter sinnhafter Zeichen an, und auch die Provisorien, die im Inneren für die documenta 1 errichtet werden, gewinnen wie von selbst einen Symbolcharakter. Unter diesen Umständen, wo es an weihevollen Schutzräumen für eine auratische Objektrepräsentation mangelt, fällt der documenta gleichsam mühelos ein antimuseales Image zu. Sie etabliert sich von Anfang an als Chiffre für die Suche nach neuen experimentellen Ausstellungsformen, wo andernorts von einer Krise des Museumskomplexes noch kaum die Rede ist. Doch die Angriffe Bodes auf das Überholte des klassischen Kunstmuseums, vor allem seine Polemik gegen dessen ruhigstellende Fetischisierung zeitlos großer Kunst und „das Archivarische, Pedantische, Denkmalpflegerische und Dünnblütige“ (Bode nach Kimpel 1997: 328) aller bisherigen Museumsbemühungen vermögen nicht zu verbergen, dass seine Museumskritik auf ein Plädoyer bloß für Inszenierungsexperimente und neue Formen der Bildregie begrenzt bleibt. Die Bedeutungsproduktion, für die Haftmann steht und die den Zusammenhang der kulturell-hegemonialen Praktiken von der Exponatauswahl bis hin zur Produktion einer dominanten Lesart sichert, wird ihm nicht problematisch, und dies ist auch als Konsequenz seiner antitheoretischen, intuitionistischen und erlebnisorientierten Einstellung zu verstehen. Als der documenta-Rat 1963 vor erkennbaren Schwierigkeiten steht, das bislang provisorische Image der „internationalen Kunstausstellung“ durch eine öffentlichkeitswirksamere Formel zu erweitern, lanciert Bode die missverständliche Selbstbeschreibung als „Museum der 100 Tage“, die dann zwar die gewünschten Effekte zeitigt – höherer Etat und stark steigende Besucherzahlen – aber auch den Protest derjenigen hervorruft, die darin eine Preisgabe ihres ursprünglichen Sinns erblicken. Seitdem tradieren Kunstjournalisten diese Formel, welche Bode tatsächlich nur für

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die documenta 3 erfand. Gleichwohl charakterisiert sie durchaus treffend jene paradoxale Mischung aus Anti-Museum und kultureller Legitimationsinstanz eines autoritativen Modernitätstraditionalismus, welche die documenta in ihrer ersten Phase verkörpert.

Zw e i t e P h a s e : T u r n s t o t h e R e a l . d 4 – d 6 (1968 – 1977) Die ihrerseits verspätete und inhaltlich reduzierte Öffnung der documenta vor allem für die Pop Art, gerät sofort, d.h. bereits bei der Eröffnung der documenta 4 (1968) unter den Druck von neuen Kunstbewegungen und führt zu einer Aufbruchphase, in der verschiedene avantgardistische Ausstellungskonzepte erprobt werden. Die documenta 5 integriert erstmals populäre Bildwelten, die documenta 6 greift die Verwendung neuer medialer Techniken in der Kunst auf, die Kunst- und Wissensvermittlung nimmt – dem pädagogisch ausgerichteten Zeitgeist entsprechend – experimentelle Formen an. Die documentas gewinnen die Gestalt von Pilotausstellungen, die durch ihren erweiterten Bezug auf die Wirklichkeiten der Bilder auch jenseits der Kunstformen, die noch um ihre Legitimität kämpfen, die dominanten Ausstellungspraktiken des Kunstmuseums frontal herausfordern. Noch die documenta 4 reduziert die Pop Art auf Tafelbild und skulpturale Objekte. Bereits auf der documenta 2 hatte Haftmann, der die Auswahl der gezeigten nordamerikanischen Arbeiten ganz dem Leiter des International Program am MoMA, Porter A. McCray überließ, eine Ausnahme gemacht: bezeichnenderweise wurde Robert Rauschenbergs Bett (1955), ein Combine Painting in Öl und Graphit auf Stoff (einem Quilt) dem Publikum vorenthalten. Diese Angst vor der Überschreitung von Konventionen und der Konfusion von Stilkategorien bestimmt auch noch die 4. documenta, obwohl sie sich zu ihrem Nachholbedarf bekennt und sich offensiv als Novitätenschau ohne jede retrospektive Absicherung präsentiert. Während Haftmann bei der documenta 4 bereits ausgestiegen ist, muss Bode, will er keinen Verlust seines Einflusses riskieren, die Schau mit seinem alten Konzept verbinden: Die Kunst bewegt sich offensichtlich auf neuen Wegen in die soziale Wirklichkeit und berührt sich mit der „angewandten Kunst“, aber die Präsentation dieser neuen Wege bleibt sichtbar befangen in der Absicht vor allem zu zeigen, „wie die neue visuelle Realität den Raum mitgestaltet“. Bode engagiert den Eind-

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hovener Museumsdirektor Jean Leering, dessen von der Architektur geprägte Kunstauffassung das Erscheinungsbild der documenta 4 bestimmt und die Pop Art vornehmlich als Revolutionierung von Raumdefinitionen inszeniert. Dies knüpft zwar an die Raumregie-Experimente der documenta 3 an, stülpt dem Pop aber eine einseitig auf seine Legitimität als Erweiterung des Architektonischen zielende Metasprache über, als deren Folge auch die Auswahl der Exponate stark zum architektonisch wirksam inszenierbaren Großformat hin tendiert. Farbfeldmalerei, Minimal Art, Optical Art, Post Painterly Abstraction, die Riesenformate Roy Lichtensteins wirken so vor allem in den zentralen Räumen des Fridericianums immer ein wenig wie Kunst am Bau. Rauschenbergs auf der documenta 4 gezeigtes Environment Solstice artikuliert exemplarisch eine besonders alltagsnahe Aneignungrichtung des Raums durch den Pop: sie greift eine Konstellation, in diesem Fall die Situation hintereinander gestaffelter automatischer Schiebetüren auf, und arbeitet Farbflächen so in die Glastüren ein, dass diese bei ihrer mechanischen Bewegung durch Überlappungen neue farbliche Kombinationen hervorrufen. Auch der zweite neue Schwerpunkt der documenta 4, die Environments, welche die documenta in den Stadtraum vorrücken lassen, stehen im Zusammenhang mit dieser untergründig von architektonischen und raumbezogenen Fragestellungen geprägten documenta, in der sich auf ambivalente Weise eine neuartige erlebniskulturelle Ausstellungsform mit Tendenzen eines längst überfälligen „Return of the Real“ (Hal Foster) verbindet. Zwar zeigt die Abteilung „Vervielfältigte Kunst“ mit Auflagenobjekten, Grafikserien und Editionen auch die gewachsene Rolle mechanischer Reproduktionsverfahren – vor allem des Siebdrucks – und damit das Bemühen, die gesellschaftliche Verbreitung und Wirksamkeit von Kunst zu multiplizieren. Doch ist auch hier von den radikaleren Berührungspunkten mit den Gegenkulturen, der Kulturindustrie und dem Populären wenig zu sehen. 1968 demonstrieren Fluxus-Künstler um Wolf Vostell und Jörg Immendorf bereits bei der Eröffnungspressekonferenz gegen die Show mit der ironischen Parole „Herr Bode, wir Blinden danken Ihnen für diese schöne Ausstellung“ und schütten Honig über den Tisch des documentaEstablishments. Es geht um Protest sowohl dagegen, dass Entwicklungen wie Happening und Fluxus von der documenta entschlossen ignoriert werden und deren Anerkennung als Kunst für Bode ein Signum von Blindheit in Geschmacksfragen darstellt. Es geht ihnen offensichtlich auch um die Befragung des Schönen selbst und das passivierende Aus-

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stellungssystem – ein im Geist von ,68‘ artikulierter Angriff sowohl auf der Ebene fundamental ansetzender Ideologie – wie Institutionenkritik. Vier Jahre später wird die documenta selber zu einem Ort und zugleich zum Symbol der radikalen Infragestellung dessen, was die „legitimierenden Instanzen“ Museum und Kunstmarkt als Kunst definieren – allerdings nicht in der von den Aktivisten gemeinten Weise. Mit der weit verbreiteten Wahrnehmung, bereits auf der documenta 3 habe sich der ursprüngliche Ideenvorrat erschöpft und die documenta 4 sei eigentlich nurmehr ein weiteres Symptom ihrer konzeptionellen Krise, scheint sich ein Bruch vorzubereiten. Die erste Generation der documenta-Macher wird jetzt zum Opfer ihres selbstgesetzten Anspruchs, immer an der Spitze der Kunstinnovation zu stehen. Inzwischen hatte sich nämlich das Image der documenta als einer temporären Institution, die der Aktualität verpflichtet ist, in der Öffentlichkeit ernsthaft verfestigt, und zwar ironischerweise nicht zuletzt durch die Häufung jener Kommentare, die ihr vorwarfen, die vorbehaltlose Dokumentation des Aktuellen gerade zu verfehlen. Die Entscheidung der documenta GmbH, mit Harald Szeemann einen „Generalsekretär“ zu berufen, der mit einer Ausstellung wie „When attitudes become form“ offen das tradierte Ausstellungswesen herausgefordert und konsequenterweise 1969 seine Stellung als Direktor der Züricher Kunsthalle „aus Unzufriedenheit mit der institutionalisierten Kunstvermittlung aufgegeben (hatte), um sich fortan mit seiner ,Agentur für geistige Gastarbeit‘ als freier Ausstellungsmacher“ zu betätigen (Kimpel 2002: 68), soll nun den avantgardistischen Anspruch der documenta aufs Neue beglaubigen. Szeemann lehnt die tradierte Kunstausstellung „in Form einer Objektansammlung mit Subordinationsanspruch, Autoritätsgebaren und rückkoppelungslosem Vorzeigecharakter“ prinzipiell ab und entwickelt für die documenta 5 das Modell einer „begehbaren Ereignisstruktur mit sich verschiebenden Aktionszentren“ (Kimpel 2002: 68). Gegen die statische Ansammlung von Kunstgegenständen, und sei der Kunstbegriff noch so erweitert, möchte er ein 100-Tage-Ereignis setzen, dessen Ablauf weitgehend von den teilnehmenden Künstlern oder Künstlergruppen selbst organisiert werden soll und beabsichtigt damit einen erheblichen Teil seiner kuratorischen Gestaltungsmacht zu delegieren. Dem liegt ein radikaler Zweifel am Sinn von Großausstellungen überhaupt zugrunde sowie die Hoffnung, die Aktionskünstler würden diese Chance zur öffentlichen Entfaltung ihrer ästhetischen Praxis- und Partizipationsideen nutzen.

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Allerdings zeigte sich bereits im Laufe des Jahres 1970 das Irrtümliche dieser Vermutung. Das berühmte „Happening und Fluxus“-Experiment im Kölner Kunstverein, das Szeemann als Probelauf für die documenta organisiert hatte, verlief so enttäuschend, dass es galt, sich nach einer anderen Konzeption umzusehen. Das Ergebnis war die gemeinsam mit Bazon Brock konzipierte thematische Ausstellung „Befragung der Realität – Bildwelten heute“. Der mehrdeutige Schriftzug „Kunst ist überflüssig“ thront 1972 über dem Portal des Fridericianums, um sogleich zu demonstrieren, dass es aus ist mit dem interesselosen Kunstflanieren zwischen künftig anerkannten Meisterwerken. Die Exponate sollten sich „nicht mehr aus subjektiven Qualitätskriterien herleiten, sondern sich über ihre Aussagefähigkeit innerhalb eines theoretischen Begründungszusammenhangs rechtfertigen“ (Kimpel 2002: 68) und dieser neue Rechtfertigungsmodus bezieht sich nun nicht mehr auf die Künste allein, sondern schließt ganze Bildsysteme ein, die an der visuellen Konstitution von sozialer Wirklichkeit beteiligt sind. Die Präsentation von Formen zeitgenössischen visuellen Produzierens, jenseits der disziplinären Grenzen der Kunstgeschichte und des Ausstellungswesens, ermöglicht es, vor allem solche Arbeiten von Künstlern auszuwählen, die auch gegenüber dem Pop mit neuartigen Formen des Realitätsbezugs experimentieren. Neben Installationen, Fotorealismus, Performances, einer Filmabteilung und einer Reihe von Arbeiten, die Szeemann unter dem später immer wieder strapazierten Topos der „Individuellen Mythologien“ zusammenfasst, um ihre griffige Einschreibung in die Raster der Stile und Kategorien zu unterlaufen, stellt aber das eigentlich Neue der documenta 5 die Einbeziehung alltagsästhetischer Bildsemantiken dar. Zu diesen visuellen Alltagsbegleitern sind im Katalog, der die Gestalt einer erweiterbaren Loseblattsammlung besitzt, analytische Beiträge versammelt. Solche alltagsästhetischen Bildwelten sind • der Kitsch („emblematischer Realismus“ genannt und unter dem Titel „Trivialrealismus – Trivialemblemaik“ ausgestellt), • „Bilderwelt und Frömmigkeit“ mit religiösen Andachtsbildern, christlicher Gebrauchskunst und anderen Gegenständen volksfrommer Glaubensrituale, • aktuelle Produktwerbung („Konsum-Realismus“), betreut von Charles Wilp, der hier eigene Kampagnen, so auch seine Spots und Plakate für den Afri-Cola-Rausch zeigt, • politische Plakate und Propaganda aus der Parteienwerbung in der Bundesrepublik, • Bildwelten der Science Fiction,

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• eine Abteilung zur „gesellschaftlichen Ikonografie“, wo u.a. Titelseiten des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und Beispiele für ein alternatives schweizerisches Banknotendesign zu sehen sind, sowie • eine Sammlung „Bildnerei der Geisteskranken“ mit Exponaten aus dem Waldau Museum des Psychiatrischen Krankenhauses in Bern. Die museumskritische Stoßrichtung der documenta 5 kommt erstmalig auch in Werken zum Ausdruck, die sich explizit mit dem Ordnungsanspruch, den verstaubten Präsentationstechniken und dem kulturellen Deutungsmonopol des Kunstmuseums auseinandersetzen, wie Claes Oldenburgs Maus Museum oder Herbert Distels Schubladenmuseum. Seit der documenta 5 ist diese Dimension künstlerischer Reflexion auf die Definitionsmacht des Museums übrigens ein konstitutiver Bestandteil der Exponatauswahl geblieben, auch dann, wenn wie auf den documentas 7 und 9 die Selbstmusealisierungstendenzen unübersehbar sind. Der grundlegende Impuls des Aufbrechens tradierter Kunstbegriffe hin zur Einbeziehung eines weiteren Spektrums ästhetischer Praktiken und Bewegungen, der auf der documenta 4 noch in der architektonischen Auratisierung des Pop stecken bleibt, auf der documenta 5 dann – Gestus und Stichworte von ’68 aufnehmend – radikal ideologiekritisch umgesetzt wird, bleibt auch für die documenta 6 konstitutiv, wenngleich Manfred Schneckenburger eine thematische Fokussierung auf die Wechselbeziehungen zwischen Kunst- und Medienwelt vornimmt. Sein Konzept und seine Exponatauswahl folgen der These, relevante künstlerische Praxis in der Mitte der 70 Jahre sei vor allem medienreflexiv orientiert (Kimpel 2002: 83f.) und bediene sich hierbei selber zunehmend der Techniken und Distributionsstrukturen der neuen Medien. Die Bedeutung der Medienthematik ergibt sich demnach nicht aus der Mediatisierung der Kultur, ihrer Öffentlichkeiten und ihres alltäglichen Gebrauchs wie auf der documenta 5, sondern aus den technologisch erweiterten Produktions- und Selbstreflexionsprozessen der Künste selber. Videoperformances, „Malerei als Thema der Malerei“, die stark erweiterte Einbeziehung des Stadtraums als Präsentationsort für technisch basierte Ereignisse (wie Horst Baumanns Laser-Environment oder Walter de Marias Vertikaler Erdkilometer) illustrieren diese Tendenz. Die erstmalige Präsentation von Arbeiten anerkannter Künstler aus der DDR gerät dadurch nebenbei zu einem subtilen Akt der Verächtlichmachung: Sie scheinen schlicht den Zug der Zeit verpasst zu haben.

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Nach der Verabschiedung des Haftmannschen Modells und der interpretatorischen Bescheidenheit von Bodes intuitiver Einfühlung und rein visuellem Erkennen, entsteht ein gewisser Zwang in der zweiten Phase der documenta-Geschichte, nicht nur die entstandene Lücke mit neuen Deutungsangeboten zu füllen, sondern auch das Problem der Vermittlung von ästhetischem Wissen im Kontext der Ausstellung neu zu überdenken. Leicht hätte sich die Lücke allein durch Katalogbeiträge schließen lassen, aber mit seiner ersten Besucherschule schafft Bazon Brock auf der documenta 4 etwas völlig Neues: er möchte die traditionelle Rezeptionshaltung der „Unterwerfung unter den Geltungsanspruch des Werkes“ (Brock) vor Ort durch „Action-Teaching“ aufbrechen. Auf der documenta 5 empfiehlt dann die Leitung ihren Besuchern, als „Gebrauchsanweisung für die Ausstellung“ ein „Audiovisuelles Vorwort“ im Gebäude des Fridericianum zu besuchen, wo Bazon Brock vier Mal täglich in 80 Minuten anhand zahlreicher Dias auf zwölf Einzelbildfeldern das Konzept der Ausstellung erläutert. Im Jargon der Manipulationstheorien der Zeit erläutert er u.a. die grundlegenden Unterscheidungen zwischen der Wirklichkeit der Abbildung und der Wirklichkeit des Abgebildeten sowie zeitdiagnostische Beobachtungen zu einem bevorstehenden „neuen Bilderkrieg“, der mit der Genese einer Medienkultur einhergehen werde: „Wir lernen zwar zu lesen und zu schreiben, bleiben aber Bildanalphabeten, und das kann schlimme Folgen haben.“ (Zit. nach Brock 1982: 2) Auf der 6. documenta setzt Brock diese Arbeit fort, allerdings mit einer weniger alarmistischen Einführung zum Thema „Die Bedeutungen stecken nicht in den Kunstwerken wie Kekse in einer Schachtel – wie entsteht Bedeutung?“. Mit diesen, dem pädagogischen Ethos der Zeit verpflichteten Versuchen führt die documenta fraglos eine weitere Attacke auf das institutionelle Selbstverständnis des Kunstmuseums. Ihr Ziel ist es, die Ausstellung als einen Ort mit hohen Reflexionsansprüchen zu organisieren – Brock spricht sogar, einer damals anhebenden Tendenz zur Erweiterung des Arbeitsbegriffs folgend, von Kunstrezeption als „Arbeit“. Die Besucherschule soll dem Publikum ermöglichen, sich vom passivierenden Habitus der kultischen Bildrezeption zu lösen und den Ausstellungsbesuch als visuelle Erfahrung und Wissenserwerb zugleich zu erleben. Nur eine aktiv reflektierende Aneignung des Gesehenen, eine Verbindung des Ortes der Bilder mit einem Ort der Sprache, vermag beim Betrachter aufklärerische Spuren in seiner alltäglichen visuellen Aneignung von ästhetisch konstruierter Wirklichkeit zu hinterlassen.

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Später und auf andere Weise wird diese Beziehung von ästhetischer Erfahrung und Wissen in der vierten Phase der documenta-Geschichte neu reflektiert.

Dritte Phase: Konzeptionelle Askese. d 7 – d 9 (1982 – 1992) Die documenta 7 signalisiert drastisch das Ende der konzeptionellen und thematisch orientierten Suchbewegungen: „Kunst hat keine Geschichte, sie ist ein Experiment“, diese Formel von Rudi Fuchs setzt auf die Entkoppelung des Werks von allen kunst- und gesellschaftsgeschichtlichen Kontexten. Thematische Fokussierung ist nun ebenso entbehrlich wie der Versuch einer stringenten Verortung aktueller ästhetischer Entwicklungen im Wandel der Zeit. Das museale Pathos exquisiter Kunst und individueller Kreativität korreliert mit einer Inszenierungsregie, welche die Exponate konzeptionsfrei bloß neben- und gegeneinander stellt. Die Ausstellung wird unter der Leitung von Fuchs tatsächlich zu einem kunstmarktnahen Museum auf Zeit, populär und von Teilen der Kunstkritik dementsprechend heftig angegriffen. Allerdings ist diese Tendenz sensu strictu nicht als restaurativ zu bezeichnen, denn sie artikuliert etwas in der Geschichte der documenta Neues, nämlich die Preisgabe des Anspruchs, die Fülle der Kunstproduktion konzeptionell zu strukturieren und eine interpretierende Perspektive einzuschlagen. Nicht zufällig darf Bazon Brock seine Besucherschule nun nicht mehr als Bestandteil der Ausstellung, sondern nur noch als individuelles Angebot in Form einer Broschüre offerieren. Konzeptionell gerät die documenta in Zonen der Indifferenz, an die Stelle von Ausstellungsideen tritt der Rekurs auf den Pluralismus der Stile und Bildsprachen, der freilich einen steil anwachsenden Kulturtourismus nach Kassel sichert. Auch nicht die documenta 8, am allerwenigsten aber die documenta 9 unter der Leitung von Jan Hoet scheren aus dieser Tendenz aus. Konzeptionelle Herausforderungen an das Kunstmuseum sind in dieser Phase nicht zu erkennen oder bleiben auf die vorsichtige Kritik an neuen Projekten einer spaß- und erlebniskulturellen Museumsarchitektur begrenzt, wie sie Heinrich Klotz im Katalog zur documenta 8 formuliert. Klotz geht davon aus, dass „nach dem Aufbäumen der späten Avantgarde […] die Rücknahme der Wünsche, die vom Ästhetischen unmittelbar das Politische abverlangten“ zu beobachten ist und es nunmehr darauf ankomme, einer anderen Funktionalisierung der Kunst entgegenzuwir-

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ken, nämlich „inmitten der Erbauungs- und Freizeitglätte Widerstände des Fremden aufzurichten“ (Klotz 1987: 123). „Für die Architektur des neuen Kunstmuseums heißt das, weder durch die Eigenmacht des Gebauten die Kunst zu relativieren (z.B. Gaea Aulentis, Musée d'Orsay) noch durch die Vordringlichkeit der Inszenierung das Kunstwerk als Fragment eines bedeutungsvolleren Ganzen zu benutzen“ (Klotz 1987: 123) und zum white cube, „zum neutralen Behälter zurückzukehren.“ Allerdings impliziert das Pathos des Stilpluralismus und der angebrochenen „Postmoderne“, dass auf allen drei documentas dieser Phase, vor allem auf der achten, zahlreiche Werke zu sehen sind, die sowohl explizit gesellschaftsbezogene wie museumskritische Thematiken artikulieren. Deshalb lässt sich die Fragestellung nach der Herausforderung des Kunstmuseums hier kaum an den Ausstellungskonzepten oder neuen Vermittlungsformen, sondern vor allem am Beispiel einzelner Exponate verfolgen. So lädt Klotz auf der 8. documenta zehn Architekten ein, in der Orangerie ihre Visionen von einem idealen Museum zu realisieren und erntet einige ironische Stellungnahmen – so präsentiert die HausRucker-Co einen Kunstbunker als nacktes Magazin, das auf jegliche Inszenierung verzichtet und in dem die Kunst archiviert werden kann, bis sich die Kunstrezeption einmal vom Unterhaltungsbedürfnis emanzipiert haben wird. Bereits auf der documenta 7, als Rudi Fuchs die deutlichen Signale einer Musealisierung setzt, empfängt Lawrence Weiner mit seinem an der Fassade des Fridericianums angebrachten tautologischen Satz „Viele farbige Dinge nebeneinander angeordnet bilden eine Reihe vieler farbiger Dinge“ die Besucher mit einem Missklang. Und Daniel Burens überdimensionierte Wimpel-Installation auf dem Vorplatz attackiert das Pathos des Erhabenen mit einer kühl postierten Dekoration, die Assoziationen an Kleingärtnerfeste aufzurufen vermag. Damals hatte Jenny Holzer direkt vor dem Portal des Fridericianum ihren Fashion Moda Pavillion aufgestellt, einen heruntergekommenen Wohnwagen für Bauarbeiter, in dem sie verschiedene Gegenstände wie T-Shirts, Multiples, Papiere u.a. zum Kauf anbot. Darunter befand sich auch ein Briefpapier, das von Louise Lawler gestaltet war und am oberen Rand folgendes Statement zitierte: „Wenn ihm nicht mit respektvoller Ernsthaftigkeit begegnet wird, kann das Kunstwerk seinen Platz in seiner Umgebung kaum oder gar nicht behaupten: die Welt um es herum, Brauchtum und Architektur, Politik und Küche – alle sind hart und brutal geworden. In dem andauernden Lärm können die zarten Töne von Apollos Leier leicht überhört werden. Kunst ist sanft und diskret, sie

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sucht nach Tiefe und Leidenschaft, Klarheit und Wärme.“ Als Quelle dieser Kunstauffassung gab Lawler einen Brief des künstlerischen Leiters Rudi Fuchs an die teilnehmenden Künstler an, den ihr Jenny Holzer gezeigt hatte. Mit Jenny Holzer betrieb sie damals das Gemeinschaftsprojekt Fashion Moda, einer Galerie in einem der konfliktreichsten Wohngebiete von Schwarzen und Latinos in den USA, der New Yorker South Bronx. Fuchs’ Formulierungen artikulieren in paradigmatischer Klarheit eine Kunstauffassung, nach der Alltagskultur, Lebenstil, Städtebau und Politik als das Andere der Kunst zu gelten haben. Diese sind laut und roh, während echte Kunst allein sublim und diskret zu sein hat. Dazu passen eine Reihe von anderen Statements, die Fuchs auf verschiedenen Pressekonferenzen, in Interviews etc. gegeben hatte: die Zeit sei vorbei, in der man moderne Kunst etwa in Fabrikräumen ausstellen könne, Video und Performance hätten zurückzutreten hinter Malerei und Skulptur, für die Auseinandersetzung mit den institutionellen Zwängen von Kunstproduktion und -rezeption sei die documenta 7 kein Ort. In seiner Einführung zum Katalog ist die Intention einer Rücknahme der konzeptionellen Experimentierlust nach 1968 in analytisch unscharfe Abschieds-Proklamationen verhüllt: „Uns schien es wichtig, die Kunst von den verschiedenen Zwängen und gesellschaftlichen Verdrehungen zu befreien, in die sie verstrickt ist.“ Oder: „Nur das Neue zu wollen ist bedauerlich“ (Fuchs 1982: XIII), beides Aussagen, die je nachdem mit welchen Konnotationen man Begriffe wie „Zwang“, „Verdrehung“, „Befreiung“, „das Neue“ benutzt, gewiss sehr Verschiedenes bedeuten können, doch wenige Zeilen vorher liest es sich so: „documenta 7. Kein schlechter Name, denn er weist auf eine attraktive Tradition von Geschmack und Urteilsvermögen. Es ist zweifelsohne ein ehrenvoller Name. Deshalb kann sich ihm ein Untertitel anschließen wie in jenen Romanen aus alter Zeit: In denen unsere Helden nach langer und mühseliger Reise durch finstere Täler und dunkle Wälder endlich im englischen Garten ankommen und am Tor eines prächtigen Palastes. Zumindest spiegelt ein solcher Untertitel unseren Wunsch nach einer klaren Abfolge und einer ruhigen Atmosphäre wider.“ (Fuchs 1982: XIII) Anstelle aktueller Katalogbeiträge folgen dann vier kurze klassische Texte von J.W. Goethe, T.S. Eliot, J.L. Borges und F. Hölderlin. Kein Wunder, dass nach der documenta 7 eine bisher nicht zu beobachtende Polarisierung über konzeptionelle Fragen beginnt, in deren Verlauf sich die Kompromissfähigkeit der Beteiligten im documenta-Rat erschöpft. Dessen Findungskommission schlägt 1983 kurzerhand vor, um die konkurrierenden Auffassungen einzubinden, Harald Szeemann

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und Edy de Wilde zur gemeinsamen Leitung der documenta 8 einzuladen. Szeemann sagt aber wegen der Unvereinbarkeit seiner Position mit der des Direktors des Amsterdamer Stedelijk Museums ab, und der Konflikt wird offensichtlich: Anschluss an die Aufbruchphase und kuratorisches Weiterdenken oder Fortschreibung der Musealisierungstendenz? Nach einigen Turbulenzen wird schließlich erneut Manfred Schneckenburger mit der künstlerischen Leitung beauftragt, der als Person geeignet erscheint, einen Kompromiss zwischen beiden Positionen zu realisieren. Eine thematisch fokussierte Ausstellung kommt indes auch für ihn nicht mehr in Frage, da er „die Zeit der großen ästhetischen Konstrukte und sinnstiftenden Theoriezusammenhänge für die Kunst wie für deren Vermittlung als beendet“ (Kimpel 2002: 106) ansieht. So impliziert sein Verzicht auf eine konzeptionelle Fokussierung sowohl eine formale Anknüpfung an die documenta 7 wie auch die erklärtermaßen gegenläufige Intention, solche Formen künstlerischer Produktion auszustellen, die „eine neue historische und soziale Dimension“ verkörpern. Der apolitischen Haltung von Rudi Fuchs, die mit der Privilegierung der Malerei und Skulptur einherging, stellt Schneckenburger eine größere Aufmerksamkeit für die Krisenlagen seiner Zeit gegenüber, was zugleich bedeutet, sowohl Installationen und Performances wie auch Medienkunst und Interventionen im Stadtraum eine starke Präsenz zu verleihen. Bereits im Parterre der Fridericianums-Rotunde wird diese Intention provokativ deutlich: Hans Haackes Kontinuität thematisiert die Verbindung international operierender Konzerne mit rassistischer Ausbeutung und nackter Repression. Er rahmt die monumental vergrößerte Fotografie eines Trauermarsches südafrikanischer Schwarzer, die eine Kette von Särgen Ermordeter tragen – allesamt Opfer der südafrikanischen Polizeiwillkür, – mit dem Firmenlogo der Deutschen Bank und lässt den Stern von Daimler Benz darüber triumphieren. An den Wänden der Rotunde postiert er Informationstafeln, dekorativ ergänzt durch die auf Messen oder Automobilausstellungen unvermeidlichen temporären Begrünungen durch symmetrisch gezüchtete kleine Bäumchen in niedlichen Serienplastiktöpfen. Mit Haackes Installation besetzt die Repräsentationsästhetik eines Konzerns, Symbol sowohl für ökonomische Gewalt als auch für kulturelle Normierungs-Macht, polemisch das Zentrum der Ausstellung und demonstriert schlagartig ein Moment des Bruchs mit dem antipolitischen Affekt der documenta 7. Auch befassen sich zahlreiche andere Arbeiten, wie etwa Robert Longos Verknüpfungen von Popkultur und Kriegsphantasien, mit den katastrophischen Potenzialen, die von den ökonomischen und politischen Machtverhältnissen ausgehen.

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Dennoch bleibt die dominante Aussage der documenta 8 eine Zeitdiagnose, die Jürgen Habermas zwei Jahre zuvor als „Erschöpfung utopischer Energien“ (Habermas 1985: 141) in der westlichen Kultur bezeichnet – und problematisiert – hatte. Die Vielsprachigkeit der Kunst erscheint vor allem als Symptom einer allgemeineren Ratlosigkeit, die sie eher zu spiegeln als zu reflektieren vermag. Die vermutlich größte Aufmerksamkeit des Publikums wurde nicht zufällig Beuys später Installation Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch zuteil, bringt sie doch dieses zeitspezifische Empfinden auf den Punkt. Keine andere Verzweiflung konnte eine solche Diagnose so authentisch beglaubigen wie die Beuyssche, der auf der documenta seit 1964 präsent ist und als antikonformistische Symbolfigur die Hoffnung auf Einfluss und Wirkungsmacht einer engagierten Künstlerexistenz verkörperte. Aber keine documenta hat je das Bild von der still gestellten Geschichte so sehr zum Ausgangspunkt ihrer kuratorischen Entscheidungen genommen wie die von Jan Hoet geleitete neunte. Seinen Glauben an die „Kraft von Kunst aus sich selbst heraus“ (Hoet 1992: 21) beschwört er, um sich vom Ansinnen einer kuratorischen Konzeption jenseits seiner eigenen persönlichen Präferenzen überhaupt zu distanzieren, womit er den tradierten Orientierungsanspruch der documenta „konsequent zu Ende ironisiert“ (Kimpel 1997: 287) und als historischen Ballast abwirft. Stattdessen löst Hoet die von ihm gezeigten künstlerischen Arbeiten „aus ihren Produktions-, Rezeptions- und Funktionszusammenhängen heraus, um mit ihnen die Vorstellungswelt eines sensiblen Kurators zu möblieren.“ (Germer 1992: 62) Diese „Öffnung aller Schleusen“ (Nemeczek 2005: 78) stellt zweifellos auch eine Reaktion auf den Strukturwandel des Ausstellungswesens dar, der sich seit den 80er Jahren deutlich abzeichnet. Mit spektakulären Großausstellungen wie Zeitgeist (Berlin 1982), Zeitlos (Berlin 1988) und Bilderstreit (Köln 1989) war der documenta eine äußerst erfolgreiche Konkurrenz im Kampf um die Aufmerksamkeit der Kunstöffentlichkeit erwachsen, der sie nun durch Mimesis an die veränderten Erwartungshaltungen des Publikums nachzukommen sucht. Diese Entscheidung muss nur demjenigen als relativ alternativlos erscheinen, der ohnehin davon ausgeht, dass „die Kunst in den letzten Jahrzehnten allmählich ihre Rolle, ein Stein des Anstoßes oder eine Sache des Glaubens zu sein, eingebüßt“ hat, wie Hans Belting die Lage in seinem Beitrag zur Ausstellung Bilderstreit (Belting 1989: 28) beschreibt. Doch gerade weil diese Beschreibung einen hohen zeitdiagnostischen Wahrheitsgehalt besitzt, kann gesagt werden, dass sich die enorme Popularität der documen-

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ta 9 dem erklärten Verzicht darauf verdankt, auch trotz dieser Situation ihren kritischen Anspruch aufrechtzuerhalten.

Vierte Phase: Die Suche nach einer neuen Verknüpfung von ästhetischer Erkenntnis und anderen Wissensformen. dX und d11 (1997 – 2002) Es mag verfrüht sein, bereits von einer vierten Phase zu sprechen, zumal sich durchaus andere Kriterien zur Charakterisierung der jüngsten Geschichte der documenta anbieten als das hier vorgeschlagene. Doch zeigt nicht zuletzt das soeben beginnende Zeitschriftenprojekt im Vorfeld der von Roger Buergel geplanten documenta 12 (2007), wie relevant die Suche nach neuen Formen des Wissenstransfers zwischen den Künsten und den Wissenschaften für das Selbstverständnis der Kasseler Ausstellung inzwischen geworden ist. Bereits auf der documenta X versammelte Catherine David als Reaktion auf die These vom globalen Utopieverlust der Künste, aber auch als kritisch-polemische Zwischenbilanz der bisherigen documenta-Geschichte vor allem solche Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte, die dem Verlust kritischer und entwurfsfreudiger Haltungen entgegenstehen und kommentiert ihre von vielen Kritikern als sehr spröde rezensierte Schau mit einem anspruchsvollen, nach theoretischen Gesichtspunkten organisierten Katalog und einer täglich stattfindenden Vortragsreihe. In der Kombination ihres „retroperspektivischen“ Blicks mit einem diskursiven Ansatz schafft sie einige der Voraussetzungen, die es Okwui Enwezor ermöglichen, auf der documenta 11 etwas gänzlich Neues zu beginnen. Die documenta 11 ist als Abschluss einer Serie öffentlicher Debatten konzipiert, die der geschichtlichen und theoretischen Analyse der postkolonialen Konstellation verpflichtet sind. Zwischen März 2001 und März 2002 organisiert Enwezor in Wien, Neu Delhi, Santa Lucia, Lagos und Berlin vier transdisziplinäre Diskurse zwischen Philosophie, Kulturwissenschaften und postcolonial studies, in denen es um „Demokratie als unvollendeten Prozess“, „Créolité und Kreolisierung“, vier afrikanische Metropolen „unter Belagerung“ und „Experimente mit der Wahrheit“ geht. Dennoch folgt Enwezor bei der Exponatauswahl nur zum Teil den Themen dieser ,Plattformdiskussionen‘, sondern organisiert eine Ausstellung mit einer explizit unkontrollierbaren Fülle von Anknüpfungspunkten.

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Die neuartige Verknüpfung von Wissen und Ästhetik ist nicht hierarchisch angelegt, vielmehr scheint sich der Raum zwischen zwischen der Erfahrung der Kunst und dem theoretischen Nachdenken in der Wahrnehmung der Schau eher noch auszudehnen. Dennoch offerieren die Plattformen einen strukturierten thematischen Zugang des Publikums zur Ausstellung (vgl. Lenk 2005). Der Präsentation wächst eine überraschende Zurückhaltung, eine interpretatorische Unaufdringlichkeit zu, die man angesichts des Theorievorlaufs kaum erwartet und nun die Aufmerksamkeit umso intensiver auf die Exponate selbst richtet. Enwezor betont, „dass man sich der Ausstellung nicht etwa unter oppositionellen Vorzeichen annehmen muss, sondern über eine reflexive und diagnostische Ergründung der großen Anzahl von Kontexten, aus denen die zeitgenössische Kunst entgegen jeder Weisung hervorgeht und eine stille Auflehung artikuliert, die schwierig zu assimilieren ist und doch auf ganz natürliche Weise an bestimmte altbewährte Paradigmen kritischer Kunst anknüpft.“ (Enwezor 2002a: 87) Reflexion, diagnostische Ergründung, stille Auflehnung – diese Begriffe bezeichnen die Intention, die Auswahl der präsentierten Künstler und Künstlerinnen aus einer Neubestimmung von avantgardistischer Kunst zu begründen, die sich erklärtermaßen nicht dem wohletablierten Avantgardismus auf dem Kunstmarkt unterwirft. Die heutige Avantgarde sei zu sehr „innerhalb der Weltordnung des Empire diszipliniert und domestiziert“, sie habe wenig dazu beigetragen, „einen Raum der Selbstreflexivität zu konstituieren, die neue, nicht auf den Werten der westlichen Welt beruhende Zusammenhänge künstlerischer Modernität zu verstehen in der Lage wäre.“ (Enwezor 2002b: 46) Dazu bedarf es eines neuen turn to the real: „Um zu begreifen, was die Avantgarde von heute ausmacht, darf man nicht auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst ansetzen, sondern muss bei Kultur und Politik beginnen, ebenso wie im ökonomischen Bereich, der alle Beziehungen bestimmt, die unter die überwältigende Hegemonie des Kapitals geraten sind.“ (Enwezor 2002b: S. 45) Mit der deutlichen Erweiterung der Grenzen der kulturellen Geografie, die den bisherigen documentas gezogen waren, sind zwei Herausforderungen verknüpft: Zum einen die Suche nach angemessenen Kriterien für die Interpretation von avantgardistischer Kunst innerhalb und außerhalb der Machtzentren der postkolonialen Welt, zum anderen das Bemühen um die unverzichtbare Rolle des Wissens beim Einbringen dieser Kunst in die Öffentlichkeiten innerhalb dieser Machtzentren selbst. Die Ausstellungsbedingungen von aktueller Avantgardekunst sind radikal

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fraglich geworden: sie können nämlich nicht länger auf jenes Kontextwissen rekurrieren, das von den etablierten Kunstinstitutionen der westlichen Welt gehütet wird und sind zugleich „kommentarbedürftiger“ den je – eine Kritik, die zweifellos auch die bisherige Geschichte der documenta einschließt und die documenta 11 als Modell für Zukunft eines diskursiven Ausstellungswesens entwirft: „Die öffentliche Sphäre des Ausstellungsgestus, der in der historischen Genese der documenta angelegt ist, in der die Kunst für Modelle der Repräsentation und Erzählungen von autonomer Subjektivität steht, artikuliert sich hier in einem neuen Verständnis des Diskursiven und nicht des Museologischen.“ (Enwezor 2002b: 54) Diese Neufiguration des Ausstellungswesens als eines Ortes des Visuellen mit den Orten der öffentlichen Rede und Reflexion stellt m.E. keine einfache Wiederaufnahme des kunstpädagogischen Impulses aus der zweiten Phase dar, sondern ersetzt die Figur des virtuosen Kunstvermittlers durch den Aufbau zweier diskursiver Felder: zum einen durch öffentlich veranstaltete Foren des transdisziplinären Austauschs zwischen Expertenkulturen, zum anderen durch ein umfassendes Angebot hoch qualifizierter guides auf der Ausstellung selber. Mit diesem Modell greift die documenta 11 direkt in die Debatte um die Zukunft des Museums als einer diskursiven Institution ein (vgl. Belting 2002), einem Modell, das sich seiner Resonanz in der „Lebenswelt Ausstellung“ erst noch zu vergewissern haben wird. Vielleicht lag es letztlich an ihrem von Anfang an sehr weit gefassten dokumentarischen Anspruch, dass sich die documenta in ihrer bisherigen Geschichte nur selten zu einer radikalen ausstellungskonzeptionellen Herausforderung des Kunstmuseums entschließen konnte. Zugleich hat derselbe Anspruch, neben einer Übersicht auch konzeptionell Innovatives zu bieten, es geradezu erzwungen, sich in mindestens aspekthafter Weise immer wieder gegen die hegemonialen Kartografien der Kunstwelt und des Kunstmuseums in Position zu bringen. Ihr selbstgesetztes Ziel, zu einem Zentrum des internationalen Ausstellungswesens zu avancieren, hat die kuratorische Selbstreflexion nicht durchgehend zu einem institutionellen Zwang werden lassen. Durch Rückbindung an ökonomische Erfolgskriterien und publizistische Resonanzhoffnungen waren ihr mitunter sogar enge Grenzen gesetzt. Dennoch wäre es verfehlt, sowohl die konzeptionellen Aufbrüche der documenta wie ihre Inszenierungsexperimente und ihre Exponatauswahl soziologisch als bloßen Spiegel des ,ästhetischen Zeitgeistes‘ zu klassifizieren, dazu hat sie diesen zu sehr aktiv mitgeprägt.

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Rückblickend ergibt sich zudem das verwirrende Bild, dass Zusammenhänge etwa zwischen einer stärkeren Orientierung am mainstream des Kunstmarkts und steigenden Besucherzahlen praktisch nicht signifikant sind. Die medial hoch gelobte „Musealisierungsdocumenta“ 7 hatte nur wenig höhere Besucherzahlen als die „Mediendocumenta“ 6 (387.381 gegenüber 355.000), die theoretisch anspruchsvolle documenta X übertrifft sogar die populäre 9. documenta mit einem neuen Rekord von 631.000 Besuchern, der von der postkolonialen documenta 11 wiederum übertroffen wurde. Offensichtlich trägt der „Mythos“ documenta erheblich dazu bei, dass sie sich bei ihrer Herausforderung des Kunstmuseums als des Inhabers eines „Monopols kultureller Legitimation“ (Bourdieu 1970: 106) auch zukünftig einer enormen Freiheit bedienen kann – wenn sie will.

LITERATUR Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags, Frankfurt am Main. Belting, Hans (1989): Bilderstreit, ein Streit um die Moderne, in: KAT. Bilderstreit, Köln, S. 15-28. Belting, Hans (2002): Das Museum, Ein Ort der Reflexion, nicht der Sensation, in: Merkur, Jg. 56, S. 649-662. Bennett, Tony (1996): The Exhibitionary Complex, in: Reesa Greenberg; Bruce W. Ferguson; Sandy Nairne (Hg.), Thinking About Exhibitions, New York/London Bourdieu, Pierre (1970): Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt am Main. Brock, Bazon (1982): Besucherschule d 7. Die Hässlichkeit des Schönen, Kassel. Crimp, Douglas (1996): Über die Ruinen des Museums. Mit einem fotografischen Essay von Louise Lawler, Dresden/Basel. Enwezor, Okwui (2002a): Kunst als Teil eines umfassenden Systems, Gespräch mit Amine Haase, in: Kunstforum International 161, S. 8391. Enwezor, Okwui (2002b): Die Black Box, in: KAT. Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung, Ostfildern-Ruit, S. 42-55.

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Fuchs, Rudi (1982): Einführung, in: KAT. documenta 7, Kassel, S. XIIIXV. Gehlen, Arnold (1960): Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt am Main/Bonn. Germer, Stefan (1992): documenta als anachronistisches Ritual, in: Texte zur Kunst 6/1992, S. 49-63. Grasskamp, Walter (1982): Modell documenta oder wie wird Kunstgeschichte gamacht? in: Kunstforum international, Heft 49, S. 15-23. Habermas, Jürgen (1985): Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt am Main, S. 141-163. Haftmann, Werner (1954): Malerei im 20. Jahrhundert. Eine Entwicklungsgeschichte, München. Haftmann, Werner (1958): Moderne Kultur und ihre ,politische Idee‘. Skizzenbuch, in: Jahresring 57/58, Ein Schnitt durch Literatur und Kunst der Gegenwart, Stuttgart. Haftmann, Werner (1964): Einführung, in: KAT. documenta III, Köln, S. XIV-XVII. Hoet, Jan (1992): Eine Einführung, in: KAT. documenta 9, Bd. 1, Stuttgart/Kassel, S. 17-21. Kimpel, Harald (1997): documenta. Mythos und Wirklichkeit, Köln Kimpel, Harald (2002): documenta. Die Überschau, Köln. Klotz, Heinrich (1987): Das Kunstmuseum als Ort der Öffentlichkeit, in: KAT. documenta 8, Kassel, Bd. 1, S. 123-126. Lenk, Wolfgang (2005): Die erste postkoloniale documenta, in: KAT. 50 Jahre documenta, Göttingen (im Erscheinen). Nairne, Sandy (1999): Exhibitions of Contemporary Art, in: Emma Barker (ed.), Contemporary Cultures of Display, New Haven/London, S. 105-126. Nemeczek, Alfred (2005): Der Kasseler Weltmoment, in: Die Zeit vom 7.7.2005, S. 78. Schneckenburger, Manfred (1983): documenta, Idee und Institution, München. Sedlmayr, Hans (1948): Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg.

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DOCUMENTA: TEMPORALE MUSEALISIERUNG UND DIE PARADOXIEN MUSEALER PRÄSENTATION

Gerhard Panzer

Seit den 60er Jahren ist die Charakterisierung der documenta als „Museum der 100 Tage“ eingeführt, die ursprünglich für die documenta 3 (d3, 1964) geprägt1 worden ist. Der metaphorische Begriff behauptet die Möglichkeit einer temporalen Musealisierung, die zwar oft als in sich widersprüchlich aufgefasst wird2, aber gleichwohl das Selbstverständnis der Ausstellung nachhaltig bestimmen konnte. Zu klären bleibt dennoch, ob in einer befristeten Musealisierung mehr als eine Fiktion des Dauerdiskurses um den Status der documenta vorliegt. Will man sich für eine Antwort nicht auf dieses von Interessen geleitete Material stützen, dann ist es sinnvoll, nach systematischen Beurteilungskriterien für eine Unterscheidung zwischen musealer und ausstellender Praxis zu fragen. Auf der Basis von vorliegenden Erklärungsansätzen wird die theoretische Differenz präzisiert, aber auch Gemeinsamkeiten festgehalten. Anschließend wird dann das Verhältnis der documenta zu den Museen rekonstruiert, um zu fragen, wie kann die documenta Praxis als temporale Musealisierung verstanden werden? Wie verändert das die museale Präsentation?

Nobilitierung durch Sammeln und Schauen Musealisierung war von Anfang an nicht temporal angelegt, denn sie diente der Nobilitierung von Kunst. Ursprünglich gedacht als Einrichtungen, um Kunstbestände sakraler und feudaler Herkunft dauerhaft zu 1 Vgl. Kimpel (2000: 324ff.). 2 „Die documenta als Museum der 100 Tage ist ein Widerspruch in sich.“ Jan Hoet, verantwortlich als künstlerischer Leiter für die DOCUMENTA IX (DIX) (1992: 6).

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erhalten, sahen sie sich verpflichtet durch den Besitz bereits auserwählter Kunstwerke. Museen konnten mittels ihres eigenen Sammelns (ICOM 1990) diesen Bestand mehren, aber ihnen fehlten dafür herrschaftliche Ressourcen. Um dennoch wirksam zu musealisieren, bedurfte es für die Auswahl künstlerischer Werke einer kunstwissenschaftlichen Grundlage. Sie sollte das sachliche Fundament sein, damit das Museum auf einer reflektierten Basis nobilitieren, d.h. für die Sammlung auswählen konnte. Erst diese Nobilitierung macht die Musealisierung von Kunstwerken zu einem Politikum und damit problematisch. Museen verkörpern eine bürgerliche Version der Musealisierung, die zwar ebenso wie ihre kirchlichen und höfischen Vorgänger auf dem Primat der Sammlung und damit dem Besitzverhältnis basiert, aber eine modifizierte und abgeschwächte Form der Musealisierung darstellt. Wird Musealisierung als Prozess konzipiert, sind zwei gegensätzliche Erklärungsstrategien zu unterscheiden. Die eine verortet Nobilitierung in der Produktion der Sammlung bzw. deren Logik (Groys 1992) und damit der Vergangenheit; die andere stellt einen notwendigen Zusammenhang von Deponieren und Exponieren heraus (Korff 2002), wodurch dann auch das gegenwärtige Ausstellen und die Rezeption wichtig werden. Die Logik der Sammlung wird möglich, weil Kunstwerke nicht wie normale Güter für den Konsum bestimmt sind (Panzer 2004). Ihre Schöpfer streben danach, dass ihre Werke aufbewahrt werden, wofür das Museum der prädestinierte Ort ist. Als Sammelware unterliegen Kunstwerke einer anderen Ökonomie als sie für Konsumware gilt: einer Logik der Sammlung (Groys 1997: 25). Kunstwerke beginnen erst in der Sammlung zu leben, deshalb bewirkt eine Musealisierung der Kunst, anders als bei beliebigen Objekten, die „Verlebendigung der Kunst“. Der Nachteil ist, dass die Kunstwerke von den Museen abhängig werden, da nur sie musealisieren können. Museen sind dafür selbst an Erkenntnisse der Kunstwissenschaft und bereits Gesammeltes gebunden, das zeigt sich grundsätzlich in dem Ablauf der vorgenommenen In-Wert-Setzungen von Kunst. Auch wenn der Prozess als interner Vorgang in den Museen selten transparent verläuft, ist seine Form im wesentlichen dadurch zu kennzeichnen, dass im Museen die Valorisierung von Werken aufgrund deren Relation zur bereits vorhandenen Kunst, die im Gedächtnis der Sammlung gespeichert ist, bewertet wird (vgl. zu diesem Ablauf Groys 1992). Die Kunstwissenschaft hat dafür in der Kunstgeschichte wesentliche Kriterien geliefert. Andererseits wird die Kunstgeschichte nicht zuletzt durch die Auswahl von wissenschaftlich bedeutenden Werken fortgeschrieben. Nach Groys ist es immer erforderlich, den Bezug

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zur gesammelten Kunst herzustellen, aber genauso ist es essentiell, jegliche Wiederholung zu vermeiden. Kunst erhält ihre Berechtigung nur insofern sie different zum Bestand operiert. Jede Einzelentscheidung bestimmt die Zusammensetzung der Sammlung, die zu einem Bestandteil der Institution wird, aber ihr dadurch keine Ordnung liefert. Deswegen hängt schließlich viel vom Umgang mit der Sammlung ab. Der wird oft geprägt durch Konventionen der Hängung. Wichtig ist der persönliche Einfluss durch das Wirken der Direktoren, aber auch Entwicklungen der Kunstgeschichte oder der Einfluss politischer Regimes spielen eine wesentliche Rolle. Groys deutet die Sammlung von moderner Kunst postmodern, weil sie eine Ordnung darstelle, obgleich sie nicht ordne, denn die neue Kunst wird gleichwertig integriert. Eine Sammlung ist daher als entropisch zu charakterisieren (Groys 1997: 44). Er hebt das Nebeneinander hervor, die zeitliche Schichtung und Gleichgültigkeit, die eigentlich als Prinzipien auch einen bestimmten Typus von Ausstellungen kennzeichnen, aber deren inszenatorischen Momente übersehen. Die Lebendigkeit kommt in diesen strengen Raum durch die Kunstwerke, die ihre Neuheit inszenieren. Um sie zur Geltung zu bringen, braucht es keine Inszenierung, ja sie kann sogar schädlich sein, da sie einen Rahmen setzt, für etwas, das für sich stehen will und soll. Im Unterschied zu dieser Deutung der Logik der Sammlung als Kern der Musealisierung mit ihrem starken Vergangenheitsbezug hebt Gottfried Korff hervor, dass das Museum auch der „Ort des Zeigens, des Ausstellens, des Präsentierens“ ist (Korff 2002: 170). Zwar ist auch das Präsentieren auf Vergangenheit bezogen, aber es wird „durch eine „interpretierend-aktualisierende (=exponierende) Beziehung zur Vergangenheit“ zu einem gegenwärtigen Akt. (Korff 2002: 171) Es entspricht deshalb der „Logik des Museums“, die auch bei ihm definiert ist als „Ort der Sammlung und Aufbewahrung von Dingen“, dass sie „die Inszenierung erfordert“, „[…] weil das Museum nur über Reste, Fragmente der Vergangenheit oder anderer Kulturen verfügt“ (Korff 2002: 171). Darunter versteht er: „Die Inszenierung ist die ästhetisch reflektierte ästhetisch intendierte Ordnung der Dinge in einem Raum, eine nach der Maßgabe gegenwärtiger Wahrnehmungsformen bewusst organisierte Merkwelt (im Gegensatz zur realen Wirkwelt).“ (Korff 2002: 171) Korff hat dabei „historisch und ethnographisch relevante Sachwelten“ im Auge, die der symbolischen Anordnung bedürfen, um Wirkungen eines „‘auratischen‘ Kunstwerks‘“ zu erzielen. Gerade von kunsthistorischer Seite wird diese Tendenz zur Inszenierung in Ausstellungen

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besonders vehement kritisiert. Es liegt auf der Hand, dass hier eine Ordnung vorausgesetzt wird, die Groys aus einer postmodernen Perspektive in dem Prozess des Sammelns als dessen Logik verorten und damit tendenziell zugunsten des einzelnen Werkes auflösen möchte. Korff hält es für erforderlich sie zuerst herzustellen. Dieser Aufgabe können sich Museen nur schwer entziehen, denn ihnen stehen zwei Aktionsrichtungen offen, weil sie sowohl der Vergangenheit durch das Deponieren dienen, wie auch aktuell im Exponieren agieren. Der Besitz erhält nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Es wächst die Bedeutung der gestalterischen Seite, die nicht mehr als eine rein technische Tätigkeit zu verstehen ist. Ihr wird generell ein Eigenwert neben den künstlerischen Objekten/ Werken zugebilligt. Sie gilt als kulturelle Repräsentation eigener Güte (Karp/Lavine 1991), die auch als Bestandteil musealer Praxis z.B. des MoMa (Staniszewski 1998) historisch rekonstruiert wird. Obgleich die Institution ‚Museum‘ nach wie vor prinzipiell auf Dauer gestellt ist, werden die von ihnen verantworteten befristeten Prozesse in Museen immer wichtiger. Hingegen sind Ausstellungen temporale Veranstaltungen (Greenberg, u.a. 1996), ja sie verkörpern Zeitlichkeit. Dies gilt bereits gemessen an dem Kriterium des Besitzes. Denn für einen kunstwissenschaftlichen Begriff von Kunstausstellung hebt Georg Friedrich Koch hervor „Kirchenschätze, Sammlungen oder Museen verkörpern Besitzverhältnisse“, die für einen „zeitlich begrenzten und örtlich nicht gebundenen Schauzusammenhang von Kunstgegenständen“ auf einer Kunstausstellung nicht eindeutig gegeben sind. „Das Wesen der Kunstausstellung“ sieht er auf einem anderen Prinzip als dem Besitz begründet: sie „erfüllt sich in ihrer Schaubarkeit“ (Koch 1967: 5). Weil Ausstellen temporär ist, rückt es in den Horizont der Gegenwart. Die Ausstellung wird, wie es Koch bezeichnet, gehäuft seit den letzten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts als „Episode in der Lebensgeschichte des Werkes“ (Koch 1967: 6) wahrnehmbar, die vor einer dauerhaften Zuordnung als Besitz liegt.3 Das Publikum erlebt während dieser Episoden die Werke durch sein Schauen. Eine Geschichte in der bürgerlichen Welt verwebt sich mit der Kunstgeschichte und beide wieder mit der Sehgeschichte. Nicht mehr nur Herrscher oder Sammler bzw. Museen sind verantwortlich für diese Episoden. Künstler nehmen ihre Geschichte selber in 3 Koch hält die statistische Untersuchung der Ausstellungsfrequenzen für ein Desiderat (1967: 6 FN 8).

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TEMPORALE MUSEALISIERUNG UND MUSEALE PRÄSENTATION

die Hand. Andere Vermittler etablieren sich, um Experimente mit entsprechenden Formen zu forcieren. Viele Akteure gestalten die Vermittlungsform Ausstellung aktiv mit, sorgen für „Differenzen der Qualität, des Zeitgeschmacks, der kulturpolitischen Gründe und der sensationellen Einfälle“. Sie unterscheiden einzelne Ausstellungen voneinander und weisen ihnen „bestimmte bildende, erzieherische oder repräsentative Aufgaben zu“ (Koch 1967: 7). Die zeitliche Begrenzung verhindert nicht, dass Ausstellungen ein „Eigenorganismus von […] selbständiger Wirksamkeit“ sind. Insbesondere eigenen sie sich aufgrund der bei ihnen dominierenden Schauwirkung „zum prädestinierten Forum der Kunstkritik“ mit der Gefahr, dass Konflikte um die Auswahl oder die Stile entstehen. Eine Ausstellung schafft den Kunstwerken einen Wirkungsraum, weil „die Gesamtordnung wird zu einer Repräsentationsform, die das Ausstellungsobjekt seines besonderen Einzelwertes bis zu einem gewissen Grade enthebt und ihm als Glied des Zusammenhangs für die Dauer der Ausstellung einen eigenen Wert verleiht. Dieser ‚Ausstellungswert‘ des Kunstwerkes braucht nicht notwendig mit seinem ursprünglichen, bestehenden oder zukünftigen festen Bindungswert identisch zu sein, sondern kann unter dem Leitgedanken der Ausstellung eine besondere Aufgabe besitzen.“ (Koch 1967: 9)

Koch postuliert damit die Kunstausstellung als eine „eigene Ausdrucksform von künstlerischen Bindungsverhältnissen“ (Koch 1967: 9). Dem ist zuzustimmen, doch sollte sie nicht isoliert betrachtet werden, denn den Kontext dieser speziellen Form bilden selbstverständlich Museum und Markt. Deshalb können Künstler ihre öffentlich ausgestellten Werke als Ressource nutzten, um über einen direkten Kontakt zur Öffentlichkeit ihren Einfluss auf Museen zu erhöhen. Zum einen zielen sie damit auf das bürgerliche Publikum als mögliche Käufer ihrer Werke und zum anderen auf die Museen, die an den öffentlich debattierten Werken und Künstlern schwer vorbeigehen können. Dass sich dafür das Ausstellen als wesentliches Medium eignet, darauf hatte Bätschmann durch seine Typusbildung des „Ausstellungskünstlers“ (Bätschmann 1997), der historisch facettenreich rekonstruiert wird, pointiert hingewiesen. Das Ausstellungswesen ist jedoch stark in andere Interessenlagen eingebunden, so dass er auch nachweisen kann, dass Kunstausstellungen „Seit ihrer Institutionalisierung […] als politische Instrumente genutzt“ werden (Bätschmann 1997: 203f.). Diese Funktionalisierung stützt sich auf die inszenatorischen Momente von Ausstellungen, in denen immer wieder

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Gefahren für das Wirken der Kunstwerke erkannt werden, selbst wenn keine eigenen politischen Pläne damit verbunden sind (vgl. Mai 2002). Die Ausstellung operiert auf der Grundlage eines anderen Prinzips als das Museum. Da die Besitzverhältnisse der ausgestellten Werke nicht eindeutig definiert sind oder nach wie vor Eigentum des Künstlers sind, können sie keine Basis für das Nobilitieren darstellen. Bestimmend ist das Prinzip der Schaubarkeit, es lenkt die Aufmerksamkeit auf das Ausstellungsgeschehen. Es verlebendigt Kunst nicht durch die Sammlung, sondern durch das Präsentieren und auch das Inszenieren. Es findet eine eigene Form der Wertung statt, die auf die bürgerliche Sphäre der Öffentlichkeit zielt. Heute würde man sie der Logik einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Franck 1998) zurechnen können. Die zugehörigen Formen wurden sowohl von den Künstlerinnen wie auch von anderen Akteuren eines sich ausdifferenzierenden Feldes der Kunst selbst entwickelt. Will man die Nobilitierung von Kunst erklären, dann greift eine nur auf Museen zentrierte Betrachtung zu kurz. Denn nicht nur Museen nobilitieren Kunst, sondern auch Ausstellungen tragen dazu bei. Es ist nur zu konsequent, wenn der Wert von Künstlern aus der Addition von Präsentationen ermittelt wird. Deshalb soll es im Folgenden um die Rolle des Ausstellens für den Prozess des Wertens am Beispiel der documenta gehen.

Die documenta und die museale Präsentation Die documenta war nicht in Opposition zu Museen entwickelt worden. Von Anfang an war mit der documenta beabsichtigt, eine Form temporaler Musealisierung zu realisieren. Tatsächlich sind sogar mehrere Varianten davon entstanden. Die erste documenta war in ihrer Absicht museal, weil die Folgen nationalsozialistischer Politik für die moderne Kunst wie auch der Kriegszerstörungen der Kunstmuseen der Ansatzpunkt waren. Dabei stellte Kassel einen besonderen Standort dar, weil auch die Stadt allgemein vom Krieg verheerend gezeichnet war. Die berühmten Alten Meister aus der Gemäldegalerie hatten 1942 Kassel verlassen, um nach Wien ausgelagert zu werden. Nach dem Krieg entbrannte um deren Rückkehr eine politische Auseinandersetzung. Erst 1956, nach der ersten documenta, wurde deren Rücktransport möglich. Die Museen waren bis auf das Hessische Landesmuseum stark zerstört. Das Ausstellungsprojekt documenta war eine der Initiativen in der Nachkriegszeit, moderne Kunst nach der NS-Zeit zur Geltung zu bringen. Anfänglich konnten die

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Akteure sich als Ergänzung schwacher Museen und auch als Träger der Wiedereinbürgerung der klassischen Moderne und der Gegenwartskunst verstehen. Dies ergänzt die prekäre Musealisierung, weil allein infolge der Zerstörung der baulichen Museumssubstanz die Präsentationsforen fehlten. Arnold Bode war als treibende Kraft von dieser Situation in Kassel stark motiviert: „Man muss etwas tun, um nicht unterzugehen“ (Bode/Wackerbart 1977: 139). Ausstellungen und Museen erschienen in dieser Situation nicht unbedingt als Konkurrenten. Doch darf diese musealisierende Absicht nicht darüber hinwegtäuschen, dass ebenfalls eine eindeutig temporäre Befristung verfolgt wurde, weil von Beginn an ein einzelnes, zeitlich befristetes Ausstellungsereignis gekoppelt an die Bundesgartenschau stattfinden sollte. Arnold Bode reaktivierte für das Projekt seine Erfahrungen im Organisieren von Ausstellungen, die in die Vorkriegszeit zurück reichten.4 Bereits im Kassel der späten zwanziger Jahre entwickelte er seine persönlichen Kompetenzen, das hat Dirk Schwarze als Hintergrund des „Impulses zur documenta“ rekonstruiert (Schwarze 2000: 24ff.) . Damals wurden auch die Formen der Projektorganisation praktiziert, die nach dem Krieg die documenta ermöglichten. Die Gremien zur Organisation der „Vierten großen Kunstausstellung Kassel 1929“ ähnelten sich bis in die Einzelbezeichnung der Ausschüsse und dem Zeitraum ihres Stattfindens von Juni bis September. Bode etwa gehörte der „Auswahlkommission für die Abteilung Neue Kunst“ an. Entscheidend aber ist das Prinzip, die Aufgaben funktional aufzuteilen. Überdies wird die Organisation auf die Einzelausstellung begrenzt. Obgleich die Trägerstruktur der documenta projektorientiert aufgebaut war, band ihre personelle und institutionelle Vernetzung zwei Verantwortliche aus örtlichen Museen in die Initiative mit ein. Sie gehörten während der Gründungsphase zu dem als formaler Träger fungierenden Verein Gesellschaft „Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts e.V.“, der auch mit Personen aus Stadt, Kultur und Gesellschaft besetzt ist (Kimpel 1997: 162ff.). Dem als operativer Kern der Ausstellung wirkenden sechsköpfigen Arbeitsausschuss gehörten anfangs ein, später zwei weitere Museendirektoren an. Ganz im Sinne ihrer temporären Funktion wurde diese erste Struktur bereits gleich nach erfolgreicher Ausstellung aufgelöst. Sie erstand aber für documenta 2 (1959) und die folgenden in 4 „Ausstellungen in der Orangerie Kassel, mitorganisiert und ausgestellt: 1922-1925-1927“ heißt es bei Arnold Bode im Lebenslauf anlässlich des 75. Geburtstags. (Heinz 2000: 142)

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abgewandelter Form wieder. Die Bezüge zu Museen bleiben durch die verschiedenen Metamorphosen der Organisationsformen der documenta präsent. Es geht hier nicht um eine lückenlose Darstellung der Verflechtungen. Wichtig ist aber die selbstverständliche Kooperation verschiedenster Vertreter auch der aus Museen ins Bewusstsein zu bringen, selbst wenn die Zusammenarbeit keineswegs frei von Konflikten verlief. Insbesondere in den Gremien, den Arbeitsausschüssen aber auch in dem ab der d3 geschaffenen künstlerischen Beirat, dem „documenta-Rat“, wird diese latente Konfliktlinie sichtbar. Im Vorfeld der d4 (1968) war strittig, ob in die documenta multimedial eingeführt werden solle oder ob dort ein historisch-exemplarischer Vorspann mit den Künstlern Arp, Chirico, Duchamp, Léger, Matisse und Rousseau zu plazieren sei. Da man sich schließlich gegen den Vorspann entschied, trat Werner Schmalenbach, damals Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, aus dem documenta-Rat zurück. Seines Erachtens verließ die documenta mit ihrer Bevorzugung des Neuen das solide Vorgehen, dessen Voraussetzung kunstwissenschaftliche Absicherung ist und gab sich unkontrolliert der Gegenwart preis (vgl. Schneckenburger 1983: 92ff.). Die documenta wich so von der durch die Kunstwissenschaftler Werner Haftmann und Will Grohmann in ihren einflussreichen, kunstwissenschaftlichen Publikationen repräsentierten Konzentration auf die klassische Moderne, die Abstraktion und die Wahl der amerikanischen Künstler ab. Die Schwerpunkte schienen historisch veraltet, hatten sich erschöpft, da die Gegenwartskunst wieder figurativ z.B. in der Pop Art arbeitete. Es entstand eine Kombination der temporalen Musealisierung, die als Prinzip für die ersten Ausstellungen Gültigkeit hatte, sich dann aber nicht nur wegen der beschriebenen künstlerischen Dynamik auflöste. Ein weiterer Grund entwickelte sich aus der temporalen Projektorganisation, die Arnold Bode angestoßen hatte. Nach heutigen Kriterien ist sie als bürgerschaftliches Engagement einzustufen. Es bedurfte aufgrund der Folgeausstellungen aber dann mehr als einer ad hoc Organisation, ohne gleich zu einer ständig präsenten Einrichtung, etwa einem Museum zu werden. Zwar wurde der anfänglich existierende Verein schon für die zweite documenta durch eine GmbH in vorwiegend städtischer Verantwortung ersetzt, aber der Weg zu einem Museum in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, wurde dennoch nicht gegangen. Die Verstetigung der Organisation wurde durch eine privatrechtliche Struktur, eine lose Kopplung an die öffentlichen Träger und eine wechselnde inhaltliche Verantwortung gesichert. So konnten künstlerische Projekte durchgeführt werden, die generell sperrig gegen Verwaltungsabläufe blieben, bis

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TEMPORALE MUSEALISIERUNG UND MUSEALE PRÄSENTATION

hin zu finanziellen Defiziten, die zu einer schnellen Reorganisation veranlassten. Eine professionelle Geschäftsführung, auch sie dem Museum fern, arbeitete erstmals für die DIX (1992). Die daraus entstandene Struktur, kann gleichwohl wieder als eine Form der temporalen Musealisierung verstanden werden: Denn die documenta blieb inhaltlich auf die Kunst der Gegenwart orientiert. Sie zeigte aktuelle Kunst, die für sie ausgewählt worden war und so ausgezeichnet, sprich nobilitiert worden ist. Aber nur für die Ausstellungsdauer beschränkt. Die im Ergebnis sichtbaren Auswahlmechanismen führten den Prozess der Musealisierung vor. Die starke Person des Initiators Arnold Bode verkörperte von der d1 (1955) an die improvisierten Entscheidungsabläufe in der Ausstellung. Ihnen haftete deshalb ein Moment der Willkür an, obgleich er gar nicht allein entschied; denn künstlerische Entscheidungen waren Werner Haftmann überlassen (Schwerfel 2004: 26). Jedenfalls soweit das in einer dynamischen Ausstellungsvorbereitung überhaupt möglich sein kann, denn meist erschöpfte sich die Substanz der Entscheidung darin, Personen als Teilnehmer auszuwählen. Die Auswählenden sind dann von den ankommenden Werken überrascht worden. Insbesondere Galerien nahmen Einfluss für ihre Künstler (Wollenhaupt-Schmidt 1992: 37). Mit einem musealen, werkzentrierten Verfahren hatte dies wenig zu tun. Auch der documenta-Rat der d4, der direkt durch das von der außerparlamentarischen Opposition erzeugte gesellschaftliche Klima der Demokratisierung beeinflusst war und schließlich mit Abstimmungen entschied, praktizierte für Museen und auch in der Kunst ungewöhnliche Verfahren. Doch blieb dies Episode, eine die den Projektablauf bis an die Grenze seines Scheiterns dehnte. Als Konsequenz wird ab der d5 (1972) die informelle Personalisierung durch eine Formelle nachgebildet. Eine Person, mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, wird an der Spitze stehen. Nach allem was bekannt ist, genossen es die Künstlerischen Leiter durchgängig von Trägern bzw. den Geldgebern unabhängig zu sein. Trotz der Eigenheiten ihrer Entscheidungsstrukturen hält sich die Differenz der documenta zu den Museen infolge der musealen Prägung ihrer Leiter bzw. Leiterin in Grenzen. Bei der d5 fungierte der ehemalige Direktor der Berner Kunsthalle Harald Szeemann als „Generalsekretär“. In Bern hatte er sich 1969 durch die Ausstellung „When Attitudes Become Form“ (Hegewisch/Klüser: 212-219) einen Namen gemacht, arbeitete anschließend bewusst freischaffend, aber verfolgte die Idee eines „Museums der Obsessionen“ (Szeemann 1981). Ab der d6 (1977) steht ein künstlerischer Leiter der

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Ausstellung vor. Meist hatten die von einer Findungskommission bestimmten Leiter zuvor als Museumsdirektoren gearbeitet. Erst mit Okwui Enwezor d11 (2002) und Roger M. Buergel d12 (2006) werden Kuratoren ohne diesen Hintergrund zu künstlerischen Leitern erkoren. Aber auch die Verantwortlichen aus Museen, die zu künstlerischen Leitern der documenta wurden, sind nicht auf ihren musealen Hintergrund zu reduzieren, weil sie bei der documenta anders agieren können und müssen. Denn sie erhalten ihren Auftrag infolge eines öffentlich stark beachteten und deshalb dramaturgisch kalkulierten Auswahlprozesses zur Wahl des künstlerischen Leiters. Dann steht ihre persönlich zu verantwortende Einladung der Künstler für die Ausstellung im Zentrum. Musealisierung läßt sich dabei als Prozess anschauen, nachdem er temporal dynamisch strukturiert wurde. Es entsteht das Urbild des öffentlich agierenden Kurators, einer im Kunstbetrieb immer wichtiger werdenden Gestalt. (Tannert/Tischler 2004) Zur Inszenierung gehört auch die Art des Ausstellens, wie sie Arnold Bode mit PVC-Folien der Göppinger Plastics und Heraklitplatten5 im der Welt ältesten eigenständigen Museumsbau Fridericianum und der Orangerie wirkungsvoll realisierte. Der ruinöse Zustand war die Voraussetzung der damals als außergewöhnlich erachteten Ausstellungsarchitektur. Die für eine Ausstellung stimmige Inszenierung war für Museen allerdings so ungewöhnlich, dass Arnold Bodes Architektur für die zurückgekehrten alten Meister in Kassel provozierte (Kimpel 2000). Schließlich wurde die documenta als Ausstellungsereignis im Fridericianum auf Dauer – gewiss auch symbolträchtig – etabliert. Hier wird deutlich, die Ausstellung nutzte nicht nur das Museum, sondern prägte es so derartig stark, dass die documenta mit dem Museum verschmolz. Gerade die so entstandene Form der temporalen Musealisierung hat sich als besonders wirksames Modell herausgestellt. Trotz gelegentlicher Museumsrhetorik basierte sie auf einer gänzlich anderen Grundlage als die Museen. Die documenta war, weil sie kein Museum war, eigentlich keine Institution, die nobilitieren konnte. Sie rückte die Schaubarkeit der Werke in den Vordergrund. Zugleich erweiterte sie den Schauzusammenhang auf die Auswahl eines künstlerischen Leiters und die inszenierte Wahl der beteiligten Künstler. Sie hatte die Fähigkeit, die Dynamik 5 Bode war mit Möbelentwürfen für die „Göppinger Plastics“, z.B. den Barschrank „abstracta“, 1951 auf der „Constructa“ der internationalen Bauausstellung in Hannover vertreten, 1952 für die Firma „Korrekta“. Von ihm stammten die Entwürfe für deren Messestände (Heinz 2000: 30-53).

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der Wahlvorgänge sichtbar zu machen, die sie durch ritualisierte Arrangements zusätzlich dramatisch auflud. Sicher auch das ein Grund, warum die Besucher die Ausstellung als eigenes Kunstwerk erleben. Wirkungsweise der documenta Die documenta musealisiert durch ihre festgelegte Dramaturgie und Inszenierung, die persönlich verantwortet wird. Werke bzw. Künstler können befristet an einer Ausstellung teilnehmen und von der großen Aufmerksamkeit profitieren, da sie über Ressourcen der Inszenierung verfügt, die Museen nicht entwickelt haben. Dauerhaft wird die befristete Ausstellung außerdem durch den Einsatz von Medien wie der Dokumentation in Katalogen für die Besucher und im documenta-Archiv für die Wissenschaft. Im Medium der Ausstellung selbst kann die jeweils aktuelle Ausgabe auf zuvor ausgestellte Künstler oder Werke verweisen, indem der gleiche Künstler erneut eingeladen wird. So kann ein Künstler durch seine häufigere Präsenz mehr Bedeutung für das Ausstellungsgeschehen erlangen. Er gehört zu einem wieder aufgerufenen Bestand der Sammlung, in der sich schließlich ein Kern durch Häufungen bildet.

Documenta als Sammlung Eine Folgerung aus den Aussagen zum musealen Charakter der documenta und der Diagnose ihrer institutionellen Strukturen legt es nahe, die ausgestellte Kunst der verschiedenen documenta-Ausgaben als Teile eines zusammenhängenden Projektes empirisch zu analysieren. Hier wird dies explorativ als Sammlung der documenta bezeichnet. Es hat durchaus experimentellen Charakter, die Abfolge der documenta-Ausstellungen als eine untereinander und aufeinander bezogene Einheit zu verstehen, ohne dabei zu verkennen, das die Werke nicht auf Dauer integriert sind, sondern nur für die jeweilige Ausstellung inszeniert zusammengestellt werden. Da die Datenlage bezüglich der einzelnen präsentierten Werke ungünstig ist, muss man Zusammenhänge anhand der jeweils beteiligten Künstlerinnen und Künstlern festmachen6. Inzwischen wurden

6 Für die in der Regel nur einmalig präsentierten Werke fehlt überdies eine homogene Datenlage. Bis zur DIX wurden 12.790 Werke ausgestellt (Hellstern 1997: 188). Zu den ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern gibt es

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auf diese Weise 1.844 Künstler und Künstlerinnen ausgestellt. Davon waren 74 % der Künstlerinnen, nur einmal vertreten, wogegen 26 % auf mehreren Ausstellungen präsentiert wurden. Wenn man die Einzelausstellungen der documenta als Stationen einer gesamten Institution betrachtet, dann müssen sie als Teil dieser Gesamtheit analysiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser Zusammenhang in Form von Einzelausstellungen begann und man die ersten Ausstellungen nicht in diesem Sinne interpretieren darf. Aber gerade für die ersten drei und teilweise sogar bis zur vierten documenta ist das Moment der personellen Kontinuität der Ausstellungsmacher – allen voran Arnold Bode – eine Klammer, die wirkungsvoller verbindet, als es die von Anfang an zyklische Konzeption des Projektes mit unterschiedlichen Trägern vermocht hätte. Dieser personale Einfluss wird zunächst verstärkt und später relativiert durch die Hinzuziehung von externen Experten. Mit der Demokratisierung im Vorfeld der d4 scheint die Persönlichkeit kaum noch wirksam; institutionell neu definiert wird sie ab der documenta 5. Ferner steht in der documenta ein unabgeschlossenes Projekt vor Augen, das in seiner Fortsetzung neue Zusammenhänge stiften oder alte verstärken kann. Für die Künstler bedeutet temporale Musealisierung sehr unterschiedliche Grade an Beteiligung, z.B. waren nur knapp ein Viertel der auf der d1 vertretenen Künstlerinnen und Künstler einmalig auf der documenta präsent. Ein Drittel (31,7 %) wird zwei Male und fast 39 % (38,6 %) sind drei Male vertreten. 5,5 % kommen zu vier Ausstellungen und 1 Person wird 5 mal eingeladen. Seit der d2 haben sich die Chancen mehrfach an der documenta beteiligt zu sein, verringert. Es steigt der Anteil der singulär Vertretenen auf knapp 50 % der Künstler (46,5 %), nur noch 53 % sind mehrfach eingeladen. Davon kommen ein gutes Viertel zweimal (26,5 %) und ein knappes Viertel (22,5 %) dreimal. Bei der d3 sind die Verhältnisse ähnlich, allerdings steigt die einmalige Teilnahme auf mehr als dreiviertel der Eingeladenen (77,4 %). Für die ersten drei Ausstellungen ist darin ein Trend markiert, der sich zwar nicht durchgängig fortsetzt, insbesondere bei d4 und d5 nicht. Die folgenden Ausstellungen kennzeichnet aber alle ein deutlich über 70 % liegender Anteil der Einzelteilnehmer der bis über 90 % ansteigt.

fehlerhafte Listen in den documenta-Katalogen und das Künstler Lexikon. Aus diesen Quellen entstand der benutzte Datensatz.

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TEMPORALE MUSEALISIERUNG UND MUSEALE PRÄSENTATION Tabelle 1: documenta Kern vertreten in den einzelnen Ausstellungen documenta

d1

Künstlerinnen des 62 documenta Kerns (3 und mehr) Gesamt 143 Anteil an jeweiliger43,6 documenta ( %)

d2

d3

d4

d5

d6

d7

d8

DIX

dX

d11Mittelwerte

88

99

49

58

100

71

34

35

16

12

324 348 147 169 612 180 192 194 132 114 27,2 28,4 33,3 34,3 16,3 39,4 17,7 18 12,1 10,5

57

232,27 25,7

Anteil der Künstler/innen an der documenta, die mehr als dreimal eingeladen wurden.

Durch ihre mehrfache Einladung, haben einige documenta-Künstler einen schon am Umfang höheren Anteil an der documenta. Sie werden besser durch die Ausstellung gefördert und bestimmen die documenta stärker, deshalb ist in ihnen ein Kern der documenta-Künstler zu sehen. Als Kern gelten Künstler beginnend mit einer dreimaligen Teilnahme an der documenta, die im Einzelfall bis zu sieben Einladungen ansteigen kann. Meist blieb es aber bei drei bzw. vier Teilnahmen. Der Kern ist, wie Tabelle 1 darlegt, in allen Ausstellungen vertreten mit Anteilen zwischen 43,6 % (d1) und 10,5 (d11) der ausstellenden Künstler. Für die dX und d11 jedoch nimmt er deutlich ab, ein Trend, der sich allerdings künftig ändern könnte. Stattdessen sind die ‚Innovationsquoten‘ der erstmals an einer documenta Beteiligten im Verhältnis zur Gesamtteilnehmerzahl mit 72,7 % und 80,7 % sehr hoch (vgl. Tabelle 3). Tabelle 2: Konstitution des documenta Kerns durch die einzelnen Ausstellungen documenta Beitrag z. Kern Akkumu. Kern % an Kern

d1 62 62 33,5

d2

d3

23 16 85 101 12,4 8,6

d4

d5

d6

d7

d8

DIX

dX d11 Mittelwerte

14 49 11 115 164 175 7,6 26,5 5,9

6 181 3,2

2 183 1,1

2 185 1,1

20,56 139 11,1

Erstteilnahme der Künstler/innen an der documenta, die mehr als dreimal eingeladen wurden.

Jedoch können über die Entstehung dieses Kerns relativ sichere Aussagen gemacht werden. (Tabelle 2) Die meisten Künstler stoßen bereits während der d1 zu dem Kern, augenfällig ist auch noch der Beitrag der d5. Gemessen an der Gesamtzahl der im Kern vertretenen Künstler steuert die d1 ein Drittel (33,5 %) und die d5 einem gutes Viertel (26,5) bei. Überdurchschnittlich sind schon die 12,4 % der d2 zu bewerten, dagegen nutzten dX und d11 bisher nur etablierte documenta-Künstler. Die Kernbildung ist am intensivsten am Beginn der documenta und sinkt dann ab. Rückgriffe auf ihn – der aktualisiert eingeladene Kern (Tab. 1) – steigen bis zur documenta 3, fallen mit der d4 um die Hälfte ab und steigen bei

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der d6 wieder auf das Niveau der d3, um dann aber kontinuierlich abzufallen. Dann gehören nur noch etwa ein Zehntel der präsenten Künstler zum Kern. Hier deutet sich ein Strukturwandel in der Ausstellung an, der eine Abkehr von breiter Rezeption des Kerns zu einer selektiven Form der Bezugnahme auf die bereits gewesenen documenta-Künstler darstellt. Hängt es an einer geringeren Verbindlichkeit des Kerns oder gerade der zu großen Selbstverständlichkeit seiner Präsenz? Hängt es an der Gegenwartsorientierung der Ausstellungsleiter und ihrem Willen, selbst neue Künstler in die documenta einzuführen? Wenden sie sich von einer tradierenden Musealisierung ab, um eine innovative Musealisierung zu schaffen? Dann beträfe dieser Wandel in der Ausstellungsentwicklung besonders die d4 bzw. die Ausstellungen ab der d7 (1982). Tabelle 3: documenta Innovationsquote der einzelnen Ausstellungen documenta

d1

Gesamt 143 Erstteilnahme 143 Innovationen ( %) 23,1

d2

d3

d4

d5

d6

d7

d8

DIX

dX

d11Mittelwerte

324 348 147 169 612 180 192 194 132 114 150 155 64 64 402 71 102 134 96 92 46,3 44,3 43,5 37,9 65,7 39,4 53,1 69,1 72,7 80,7

232,27 52,35

Erstteilnahme der Künstler/innen an der documenta.

Die Innovationsquote bemisst den Anteil der erstmaligen Teilnahme an der Ausstellung. Sie steigt stark ab der documenta 8 (1987) mit (52,8 %) bis zur d11 mit (80,7 %). Ob daran künftige Ausstellungsmacher anknüpfen, bleibt abzuwarten. Von dieser vielleicht zu statistisch distanzierten Betrachtungsweise, könnte in einem weiteren Schritt zu thematisch spezielleren Fragen aufgeschlossen werden. Dafür hier nur das Beispiel für den engsten Kern der documenta-Künstler, den acht Personen bilden. Zwei Künstler ragen heraus. Es sind, das dürfte nicht überraschen, Josef Beuys (*1921) mit 7 und Gerhard Richter (*1932) mit 6 documenta-Teilnahmen. Fünf weitere Künstler waren auf fünf Ausstellungen präsent. Dabei fällt auf, dass nur einer dieses engsten Kerns auch auf d1 und d2 vertreten war, nämlich Pablo Picasso (*1881). Ansonsten haben aus dem Kern Beuys und Hanne Darboven (*1941) ihr documenta-Debut auf der d3. Richard Artschwager (*1924) beginnt mit der d4 und zwei weitere Künstler (Dan Graham *1942 und Giulio Paolini *1940) sowie Richter setzen erst mit der d5 ein, dafür sind Graham und Richter auch bis zur dX präsent. Hanne Darboven war nach einer Pause auf der d11 stark beachtet.

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TEMPORALE MUSEALISIERUNG UND MUSEALE PRÄSENTATION

Diese Spitzenpositionen überraschen wenig, doch schon bei documenta-KünsterlerInnen mit vier Ausstellungs-Teilnahmen vervielfältigt sich das Bild. 4 Künstlerinnen und 38 Künstler nahmen an vier documenta-Ausstellungen teil. Das am deutlichsten hervortretende Muster ist, das 8 von ihnen auf der d1-3, dagegen 16 Künstler auf der d5-7 präsent waren. Hier tritt eine deutliche Zäsur in der Entwicklung zutage. Verbindet man damit die Namen: zur d1-3 gehören Vasarely, Uhlmann, Moore, Miro, Vedova, Schwitters, Kandinsky und Ernst. Dagegen stehen für d5-7: Knöbel, Polke, Walther und Pepper sind bis zur d8 ohne Unterbrechung präsent. Mario Merz, Penck, Kosuth, Ruthenbeck, Horn, Rückriem, Buthe und Ruscha haben alle an einer documenta nicht teilgenommen, meist ist es die d8, dafür bleiben sie bis zur DIX documentaKünstler. Sechs weitere Künstler kommen hinzu, die dann mit Unterbrechungen bis zu dX oder sogar d11 bleiben: Haacke, Brouwn, die Bechers, Baumgarten und Art & Language. Drei weitere Künstler werden zur d6 in den Kreis geholt: Byars, Merz und Kawara. Nur Jeff Wall kommt erst zu d7. Kein einziger beginnt mit der d8 eine Karriere für vier documenta-Einladungen, obgleich dies noch gerade möglich wäre Dies ist eher ein Ausblick auf weitere Analysen, als ein abschließendes Ergebnis. Die Analysen haben folgendes gezeigt: Die documenta kann den Museen nicht einfach entgegengesetzt werden. Wenigstens ist zu berücksichtigen, dass für die Kunstausstellung documenta die Museen weder ein klares Feindbild abgaben, noch ohne Einfluss auf die Entwicklung waren. Dies geht zurück auf Gründe, die in der historischen Phase liegen, während der die documenta sich konstituierte, aber auch in der Besonderheit des Bereiches der modernen Kunst. So war es möglich, dass sich eine eigenständige Kunstinstitution documenta als Medium nicht nur verselbständigen, sondern auch stabilisieren konnte. Durch ihre Leistungsfähigkeit und Resonanz stellt sie sowohl für die Museen wie auch für die Kunstmessen einen in organisatorischer Hinsicht, als auch in künstlerischer Dimension herausfordernde Institution dar. Die Form künstlerischer Leitung öffnet den Horizont und stimuliert eine Intensivierung von Diskursen über Kunstwerke und ihre Inszenierung samt dem beteiligten Personal. Aber auch in der Gegenrichtung haben die Museen ihre Rückwärtsgewandtheit partiell überwunden. Dennoch bleiben Eigenheiten, die sich aus der Form der in der Ausstellung realisierten Auswahl ergeben.

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Hybride Formen – Museen als Ausstellungen Die temporale Musealisierung der documenta und die Form der Ausstellung sind längst zum Paradigma für die anderen Präsentationsapparate einschließlich der Museen geworden. Entsprechend haben sich die Paradoxien musealer Präsentation durch Ausstellungspraktiken verändert. Es entstehen hybride Formen beider Typen. Diese Entwicklung lässt sich in drei verschiedenen Tendenzen beobachten. Zum einen entstehen immer öfter Kunsthallen7, die sich von Museen dadurch unterscheiden, dass sie keine eigene Sammlung besitzen. Als Schauinstitutionen verfügen sie anders als es für Grossausstellungen typisch ist über feste Gebäude, aber ihnen fehlen die Funktionsbereiche z.B. Sammeln, Konservieren, Forschen, die ein Museum auszeichnen. Für ihren Schwerpunkt, das Ausstellen, muß das fehlende Umfeld keine besonderen Auswirkungen haben. Aber weil Kunsthallen keine Sammlung besitzen, sind sie im Ausstellungswesen zwar sehr stark Nachfragende, können aber für bereitgestellte Ausstellungsobjekte, keine eigenen Sammlungsstücke als Gegengaben zur Verfügung stellen. Obgleich Ausstellungshallen gegenüber Museen dadurch im Hintertreffen sind, können sie andererseits, ohne Rücksichten auf Sammlungsbestände nehmen zu müssen, Projekte für ihre gesamte Fläche konzipieren. Das gestattet ihnen thematisch radikal Vorzugehen, wie auch sich strikter am Publikum zu orientieren. Je konsequenter Ausstellungshallen sich auf beiden Feldern profilieren, um so stärker verschärfen sie die Konkurrenz zu heutigen Museen. Zum zweiten sehen sich Verantwortliche in den Museen trotz der Wettbewerbsverzerrungen herausgefordert die Präsentationen ihrer Museen im Lichte dieser Wettbewerber zu überprüfen, neu zu konzipieren und ihre Anstrengungen auf diesem Gebiete zu verstärken. Einzelne Häusern transformieren ihre Programmpalette durch eine Diversifikation ihres Angebotes, wie es beispielsweise Kaspar König (2003) für das Museum Ludwig in Köln als Überkreuztausch mit dem Lenbach-Haus München u.a. praktiziert. Er sieht das, als einen wechselseitigen Hinweis auf gewachsene Sammlungen. In jedem Fall kann ein Haus mit eigener Sammlung sich stärker über profilierte Angebote in der Öffentlichkeit zeigen. Viel weiter reicht eine dritter Ansatz der Umgestaltung des eigenen Sammlungsbestandes, wie es z.B. in der Tate Modern nach dem Umbau der Turbinenhalle entwickelt worden ist (Morris 2002). Es gab 7 Übrigens ist das Fridericanum auch zur Kunsthalle geworden. Zu Kunsthallen vgl. Hulton (1994).

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einen starken Druck aufgrund der wachsenden Sammlung internationaler Kunst, das Konzept des Museums als Programminstitution neu zu justieren. Die grundlegende Entscheidung war, keine Dauerausstellung zu konzipieren, und die aus Teilen sich zusammensetzende Sammlung von britischer Kunst von 1600 bis heute und der internationalen Kunst von 1900 bis heute auf die zwei Häuser in London und die Tate Liverpool zu verteilen. Statt einer Dauerausstellung werden orientiert an den räumlichen Gegebenheiten des Hauses und den ermittelten Besuchseinheiten von 40 Minuten bis 1 Std. vier Gattungsabteilungen in der Tate Modern konzipiert: still-life/object/real-life, landscape/matter/environment, nude/ action/body und history/memory/society. Ausserdem variieren die Formate, monografische Ausstellungen, Künstlerpaarungen, Themen des 20. Jh. Zeitthemen und Kontextausstellungen. Mit diesen Typen an Ausstellungen lassen sich Angebote kreieren, die zwar die Sammlung als Material weiter im Kern haben, aber sie nicht mehr dauerhaft in einer Chronologie systematisch verorten. Seit Frühsommer 2005 geht das Centre Pompidou ähnlich vor, allerdings wird der „Big Bang – Déstruction et Création dans l’Art du 20e Siècle“ bisweilen als Zerstörung des Renommees des Nationalmuseums bewertet (Maak 2005). Auch in diesen prominenten Fällen steht im Zentrum der Überlegungen, dass die Möglichkeiten für Ausstellungen erweitert werden. Die Sammlung bleibt Fixpunkt, der Kriterien liefert, aber ist nicht mehr der einzige. Ihre temporale Formung kann dann unterschiedlichsten Kriterien folgen, selbst die Gliederung ist so offen, dass sie viele Realisierungen zulässt. Eine Ausstellung, die per se diese Gestaltungsmöglichkeiten besitzt, wie es bei der documenta der Fall ist, begleitet eine entgegengesetzt ausgerichtete Diskussion. Für sie wird ein zusätzliches Angebot in der Konservierung, bzw. Dokumentation der zurückliegenden Ausstellungen für wichtig erachtet. Bisher haben diese Stimmen eine Chance erhalten, wenn Jubiläen der documenta zu feiern waren. So wurde die d1 anhand von Fotos rekonstruiert, die d2 liegt ebenfalls dokumentiert vor (Kimpel/Stengel 1995, 2000). Im Jahr 2005 werden zahlreiche Veranstaltungen an das 50jährige Bestehen der documenta erinnern (Glasmeier 2005). Neben dem zusätzlichen Angebot, das in die periodisch auftretenden Lücke fällt, spielt als Motiv auch der Wunsch nach einer kontinuierlichen Präsenz des Kunstereignisses eine Rolle. Es mag auch die Überlegung dahinter stehen, dass etwas von dem flüchtigen Glanz festgehalten werden kann, dass etwas zu tradieren ist, was sonst dem Vergessen anheimzufallen drohe. Allerdings gelangen nun nicht einfach Werke, sondern ein Schauzusammenhang ins Museum. Musealisiert

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wird eine Episode in der Lebensgeschichte der Werke samt der Institution, die sie ermöglichte, auch wenn die Werke inzwischen durchaus ins Museum gewandert sein können. Dann werden die Werke doppelt musealisiert, weil sie in ihrer Vorgeschichte zu dem Schauzusammenhang der documenta gehört haben. Ein Original wird mit seinen Zeitschichten sichtbar. Temporale Musealisierung wird museal reflektiert.

LITERATUR Bätschmann, Oskar (1997): Ausstellungskünstler: Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln: DuMont. Bode, Arnold/Wackerbart, Horst (1977): „Ich mußte aus Kassel etwas machen, um nicht unterzugehen“. In: Horst Wackerbart (Hg.), Kunst und Medien: Materialen zur documenta 6, Kassel: Stattzeitung und Verlag, S.139-142. Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit: Ein Entwurf, München, Wien: Hanser. Glasmeier, Michael (2005): 50 Jahre/Years documenta 1955-2005: Eine Ausstellung in fünf Kapiteln, Kurator: Michael Glasmeier, Kassel. Greenberg, Reesa/Ferguson, Bruce W./Nairne, Sandy (Hg.) (1996): Thinking about Exhibitions. London, New York: Routledge. Groys, Boris (1992): Über das Neue: Versuch einer Kulturökonomie, München, Wien Hanser. Groys, Boris (1997): Logik der Sammlung: Am Ende des musealen Zeitalters, München, Wien, Hanser Haase, Amine (Hg.) (1992): Die documenta als Kunstwerk: Sonderband zur DIX, Ruppichteroth: Kunstforum international 119. Hegewisch, Katharina/Klüser, Bernd (Hg.) (1992): Die Kunst der Ausstellung: Eine Dokumentation dreißig exemplarischer Kunstausstellungen dieses Jahrhunderts, Frankfurt/M: Insel. Heinz, Marianne (Hg.) (1992): Die magische Dose, documenta 9, Stuttgart: Cantz. Heinz, Marianne (Hg.) (2000): Arnold Bode: Leben + Werk (19001977), Wolfratshausen: Minerva.

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Hellstern, Gerd-Michael (1997): „Die documenta“. In: Werner Stehr (Hg.), Materialien zur Documenta X: ein Reader für Unterricht und Studium, Ostfildern-Ruit: Cantz, S.186-174. Hoet, Jan (1992): „Vorwort“. In: Marianne Heinz (Hg.), Die magische Dose, documenta 9, Stuttgart: Cantz, S.6. Hulton, Pontus (Hg.) (1994): Kunst im Bau, Göttingen: Steidel. International Council of Museums (Hg.) (1990): ICOM Statutes. Code of Professional Ehtics. Paris: UNESCO. Karp, Ivan/Lavine, Steven D. (Hg.) (1991): Exihibiting Cultures: The Poetics and Politics of Museum Display; Washington, London: Smithsonian Institution Press. Kimpel, Harald (1997): documenta: Mythos und Wirklichkeit, Köln: DuMont. Kimpel, Harald (2000): „,Fest des Geistes‘ oder ,Sünde wider den Geist?‘ Arnold Bode und Rahmenstreit von Kassel“. In: Marianne Heinz (Hg.), Arnold Bode: Leben + Werk (1900-1977), Wolfratshausen: Minerva. Kimpel, Harald/Stengel, Karin (1995): documenta 1955: Erste Internationale Kunstausstellung – eine fotografische Rekonstruktion, (Schriftenreihe des documenta Archivs; Bd. 3), Bremen: Ed. Temmen. Kimpel, Harald/Stengel, Karin (2000): II. documenta `59: Kunst nach 1945. Internationale Ausstellung. Eine fotografische Rekonstruktion, (Schriftenreihe des documenta Archivs; Bd. 7), Bremen: Ed. Temmen. Koch, Georg Friedrich (1967): Die Kunstausstellung: Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter. König, Kaspar (2003): „Bis den Kölnern das Lochen vergeht: Kasper König, der Direktor des Museums Ludwig, spricht über Haushaltswahrheiten, eine Kulturpolitik ohne Perspektiven und seine Pläne für eine programmatische Ausstellung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. September 2003, S.36. Korff, Gottfried (2002): Museumsdinge: Deponieren – Exponieren, Köln, Weimar, Wien: Böhlau. Maak, Niklas (2005): „Alles, was etwas auf dem Auge hat: So dumm sind Besucher nicht: Das Centre Pompidou blamiert sich mit der Ausstellung ,Big Bang‘“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Juli 2005, S.35. Mai, Ekkehard (2002): „Ausgestellt“. In: Hans Dieter Huber/Hubert Locher/Karin Schulte (Hg.), Kunst des Ausstellens, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, S.59-70.

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Morris, Frances (2002): „Neue Architektur“. In: Hans Dieter Huber/Hubert Locher/Karin Schulte (Hg.), Kunst des Ausstellens, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, S.105-114. Panzer, Gerhard (2004): „Kulturkonsum: Zur Ökonomik kultureller Bedeutungen“. In: Kai-Uwe Hellmann/Dominik Schrage (Hg.), Konsum der Werbung: Zur Produktion und Rezeption von Sinn in der kommerziellen Kultur, Wiesbaden: VS, S.127-146. Schneckenburger, Manfred (Hg.) (1983): documenta – Idee und Institution: Tendenzen, Konzepte, Materialien, München: Bruckmann. Schwarze, Dirk (2000): „Arnold Bode und der Impuls der documenta“. In: Marianne Heinz (Hg.), Arnold Bode: Leben + Werk (1900-1977), Wolfratshausen: Minerva, S.24-29. Schwerfel, Heinz Peter (2004): Rudolf Zwirner, Köln: DuMont. Staniszewski, Mary Anne (1998): The power of display: a history of exhibition installations at the Museum of Modern Art, Cambridge, MA; London, UK: MIT Press. Szeemann, Harald (1981): Museum der Obsessionen, Berlin: Merve. Tannert, Christoph/Tischler, Ute (Hg.) (2004): Men in Black: Handbuch der kuratorischen Praxis; Frankfurt/M: Revolver – Archiv für aktuelle Kunst. Wollenhaupt-Schmidt, Ulrike (1994): documenta 1955: Eine Ausstellung im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen um die Kunst der Avantgarde 1945-1960, Frankfurt/M. u.a.: Lang.

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AUTORINNEN UND AUTOREN Stephan Berg, geb. 1959 in Freiburg i. Br., Prof. Dr., Studium Germanistik und Geschichte in Tübingen und Freiburg, seit 2001 Direktor des Kunstvereins Hannover. Lehraufträge für Kunsttheorie und Kunstgeschichte an der Universität Freiburg, Staatliche Kunstakademie Stuttgart und der Universität Hannover. Seit 2004: Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Joachim Fischer, Dr., TU Dresden, Institut für Soziologie, wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologische Theorie, Theoriegeschichte und Kultursoziologie. Publikationen: Hrsg. (zusammen mit Wolfgang Eßbach und Helmut Lethen) Plessners ‚Grenzen der Gemeinschaft‘. Eine Debatte, Frankfurt am Main 2002; Hg. (zusammen mit Hans Joas) Kunst, Macht und Institution. Studien zur Philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt am Main 2003; (Hg.) (zusammen mit Michael Makropoulos) Potsdamer Platz. Soziologische Theorien zu einem Ort der Moderne, München 2004; www.fischerjoachim.org Dana Giesecke, geb. 1974, Dipl.-Soz., TU Dresden, Institut für Soziologie, Arbeitsschwerpunkte: Soziologische Theorie, Theoriegeschichte, Kultur- und Kunstsoziologie. Schriften: Vom Schulbegriff zum Markenzeichen. Aneignung, Nimbus oder Abgrenzung der jüngsten Generation der „Leipziger Schule“ (Diplomarbeit Dresden 2005). Lutz Hieber, geb. 1944, Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Studium der Physik an der Universität Bonn, anschließend der Soziologie und der Politischen Wissenschaft in Hannover. Lehrt am Institut für Soziologie der Universität Hannover das Fachgebiet Kultursoziologie. Als Kunstsammler in mehreren Museums- und Kunstvereins-Ausstellungen präsent. Zahlreiche Aufsätze zu Kunst und Kultur der Nachkriegszeit in Zeitschriften und Sammelbänden, daneben auch Beiträge für Ausstellungskataloge

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AUTORINNEN UND AUTOREN

(zuletzt für Santiago Sierra, Haus im Schlamm/House in Mud, Kestnergesellschaft Hannover, 2005). Wolfgang Lenk, Dr. phil., mit einer Untersuchung über die Dialektik der Rationalisierung bei Jürgen Habermas, lehrt Kultursoziologie an der Universität Hannover (Schwerpunkte Kulturtheorien, Soziologie der Öffentlichkeit, cultural studies). Lebt als freier Autor in Berlin. Letzte Veröffentlichung: „Der Nationalsozialismus als ,Filmereignis‘“, in: DA 2/2005. Stephan Moebius, geb. 1973, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und arbeitet derzeit an einem DFG-geförderten Projekt zu Marcel Mauss. Buchveröffentlichungen zu Postmoderner Ethik (2001), Georg Simmel (2002), „Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida“ (2003), Praxis der Soziologiegeschichte (2004), zur französischen Gegenwartssoziologie (UTB 2004), zu Marcel Mauss (2005, 2006) sowie zu Kulturtheorien der Gegenwart (2006). Zuletzt verfasste er im Rahmen eines DFG-geförderten Projekts eine Studie zu dem von Georges Bataille, Roger Caillois und Michel Leiris Ende der dreißiger Jahre in Paris gegründeten Collège de Sociologie (UVK 2006). www.stephanmoebius.de Gerhard Panzer, Dr., Sozialwissenschaftler, lehrt im Studiengang Kultur und Management an der TU Dresden. Schwerpunkte: Kultursoziologie, Kulturökonomie u. -management, Gesellschaftstheorie. Publikationen: Kairos der „Risikogesellschaft“ (2001), Kulturkonsum: Zur Ökonomik kultureller Bedeutungen, in: Hellmann, Schrage (Hg.): Konsum der Werbung. Wiesbaden, 2004, S. 127-146. Karl-Siegbert Rehberg, geb. 1943, Prof. Dr., Buchhändler, Journalist, dann Studium in Aachen und Köln. Lehrt Soziologische Theorie, Theoriegeschichte und Kultursoziologie an der Technischen Universität Dresden. Seit 2003 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS). Herausgeber der Arnold-Gehlen-Gesamtausgabe; Mitherausgeber des „Jahrbuches für Soziologiegeschichte“. Weitere Publikationen u.a.: Verkörperungs-Konkurrenzen. Aktionskunst in der DDR zwischen Revolte und „Kristallisation“ (2003), Figurative Positionalität – Arbeit der Sinne. Anthropologische Motive im Werk Ulrike Grossarths (2003), „Mitarbeit an einem Weltbild“: Die Leipziger Schule (2003),

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Macht und Einheitswahn. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und seine „inoffiziellen“ Kunstfreunde (2001), Bildinszenierungen. Institutionenanalytische Anmerkungen zu Kunstausstellungen – am Beispiel der Präsentation von Kunstwerken in und aus der DDR (1999). Christine Resch, geb. 1963, PD. Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der J.-W.-GoetheUniversität Frankfurt am Main, neueste Buchveröffentlichungen: Berater-Kapitalismus oder Wissensgesellschaft? Zur Kritik der neoliberalen Produktionsweise, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2005; mit Heinz Steinert: Die Widerständigkeit der Kunst. Entwurf einer Interaktionsästhetik, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2003. Wilhelm Schürmann, geb. 1946, 1966-1971 Chemiestudium an der RWTH Aachen, 1972 Beginn des Sammelns von Fotografie, 1973-1977 Galerie Schürmann & Kicken in Aachen, seit 1981 Professor für Fotografie an der FH Aachen, 1981 Beginn der Sammlung von Gegenwartskunst. Ausstellungen und Kataloge zur Sammlung Schürmann (kleine Auswahl): Room Enough. Sammlung Schürmann Suermondt-LudwigMuseum Aachen, 1987 Katalog, Plakat; Someone else with my fingerprints. Die Nerven enden an den Fingerspitzen, David Zwirner Gallery, New York, 31.1.-15.3.1997, Galerie Hauser & Wirth, Zürich, 23.8.18.10.1997, SK-Stiftung, Köln, 30. Januar bis 19. April 1998, Kunstverein München, 25.4.-7.6.1998, Kunsthaus Hamburg, 16.6.-9.8.1998 Katalog, Plakat; Deep Distance – Die Entfernung der Fotografie. Kunsthalle Basel, Basel 2000 Katalog, Plakat; Kurzdavordanach. SK-Stiftung, Köln, 2004 Katalog, Plakat. Marc Siegel lehrt im Seminar für Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er ist Autor zahlreicher Artikel über Experimentalfilm und Queer Studies und ist Mitherausgeber von Outside: Die Politik queerer Räume (Berlin, b_books verlag, 2005). Heinz Steinert, geb. 1942, Professor für Soziologie an der J.-W.Goethe-Universität Frankfurt am Main, neueste Buchveröffentlichungen: Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. Über die „Wahlverwandtschaft“ von Kloster und Fabrikdisziplin, Münster: Westfälisches Dampfboot, 2005 (mit Hubert Treiber); Culture Industry, Cambridge: Polity Press, 2003.

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Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Sonja Vandenrath Private Förderung zeitgenössischer Literatur Eine Bestandsaufnahme Oktober 2005, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-417-4

Lutz Hieber, Stephan Moebius, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Kunst im Kulturkampf Zur Kritik der deutschen Museumskultur Oktober 2005, 210 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-372-0

Birgit Mandel (Hg.) Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing Eine Profession mit Zukunft Oktober 2005, 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-399-2

Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge Das Museum als Forum für Ethik und Religion

Sabiene Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert (Hg.) Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten Zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern Oktober 2005, ca. 350 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 3-89942-314-3

Hartmut John, Ira Mazzoni (Hg.) Industrie- und Technikmuseen im Wandel Perspektiven und Standortbestimmungen September 2005, 302 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-268-6

Franziska Puhan-Schulz Museen und Stadtimagebildung Amsterdam – Frankfurt/Main – Prag. Ein Vergleich Juli 2005, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-360-7

Oktober 2005, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-398-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Tiziana Caianiello Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese« im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre April 2005, 262 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 3-89942-255-4

Kathrein Weinhold Selbstmanagement im Kunstbetrieb Handbuch für Kunstschaffende März 2005, 320 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-144-2

Beatrix Commandeur, Dorothee Dennert (Hg.) Event zieht – Inhalt bindet Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen 2004, 196 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-253-8

Hartmut John, Jutta Thinesse-Demel (Hg.) Lernort Museum – neu verortet! Ressourcen für soziale Integration und individuelle Entwicklung. Ein europäisches Praxishandbuch 2004, 202 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-155-8

Uwe Christian Dech Aufmerksames Sehen Konzept einer Audioführung zu ausgewählten Exponaten 2004, 164 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN: 3-89942-226-0

Jana Scholze Medium Ausstellung Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin 2004, 300 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-192-2

Peter J. Bräunlein (Hg.) Religion und Museum Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum

Alexander Klein EXPOSITUM Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit

2004, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN: 3-89942-225-2

2004, 220 Seiten, kart., 24,00 €, ISBN: 3-89942-174-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de